Das Sicherheitsgefühl und die Polizei: Darf die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen? [1 ed.] 9783428530038, 9783428130030

Sicherheit ist nicht mehr nur objektive Sicherheit, sondern hat auch eine subjektive Seite, das Sicherheitsgefühl. Diese

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Das Sicherheitsgefühl und die Polizei: Darf die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen? [1 ed.]
 9783428530038, 9783428130030

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1132

Das Sicherheitsgefühl und die Polizei Darf die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen? Von Christoph S. Schewe

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTOPH S. SCHEWE

Das Sicherheitsgefühl und die Polizei

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1132

Das Sicherheitsgefühl und die Polizei Darf die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen?

Von Christoph S. Schewe

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13003-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte von Herrn Prof. Dr. Christoph Gusy an der Universität Bielefeld und wurde im Juni 2008 von der dortigen Fakultät für Rechtswissenschaft als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt all denen, die diese Arbeit ermöglicht und gefördert haben. Besonders hervorzuheben ist zunächst mein Doktorvater Prof. Dr. Christoph Gusy. Er hat nicht nur die Arbeit betreut und das Erstgutachten verfasst; vor allem war er mir immer ein guter Mentor und Lehrer. Während unserer langjährigen Zusammenarbeit konnte ich all das, was wissenschaftliches Arbeiten und juristisches Lehren ausmacht, lernen und erfahren. Er war es auch, der mir Mut machte, Wege jenseits des Bekannten zu beschreiten und Gedanken und Auffassungen jenseits des Bewährten zu wagen und zu vertreten. Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Johannes Hellermann für die Erstellung des Zweitgutachtens und für weiterführende Gedanken und konstruktive Kritik im Rahmen der mit Herrn Prof. Gusy veranstalteten Doktorandenseminare. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei meinen Bielefelder Kolleginnen und Kollegen, die mich durch Diskussionen und Anregungen unterstützt haben; nennen möchte ich hier besonders Dr. Hans Arnold und Dr. Tobias Mushoff, die mir nicht nur Gesprächs- und Diskussionspartner waren, sondern wahre Freunde geworden sind. Danken möchte ich auch meinen Eltern Roswitha und Martin Schewe und meiner Schwester Friederike Schewe. Sie haben mich immer geduldig und verständnisvoll unterstützt, nicht zuletzt durch die sorgfältige Korrektur der Arbeit. Mein größter Dank gilt aber schließlich Dr. Iris Ober für ihren fachlichen Rat und emotionalen Rückhalt. Schließlich war sie es, die mir in – bei längeren Promotionsvorhaben wohl unvermeidlichen – Situationen des Zauderns und Zweifelns das nötige Gefühl von Sicherheit vermittelt hat. Bielefeld, im Dezember 2008

Christoph S. Schewe

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Teil Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

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1. Kapitel Das Sicherheitsgefühl und sein Schutz durch die Polizei A. Was ist das Sicherheitsgefühl? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aus dem Blickwinkel der Polizei beeinflussbare externe Faktoren des Sicherheitsgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Von der Polizei ergriffene Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls 1. Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Alkohol- und Bettelsatzungen und deren Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . 3. Platzverweisungen und Aufenthaltsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbringungsgewahrsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vermehrte Streifenfahrten und Fuß- und Fahrradstreifen . . . . . . . . . . . . 6. Stadtwache – Gemeinsame Fußstreifen von Polizei und Ordnungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kooperationen mit privaten Sicherheitsdiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kooperation mit dem Bürger – „neighborhood-watch“ . . . . . . . . . . . . . 9. „Aktion Saubere Innenstadt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.Repressive Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls . . . . . . . . . 11.Sonderproblem Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Warum schützt die Polizei das Sicherheitsgefühl? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kriminalitätsbegünstigende Wirkung des Unsicherheitsgefühls . . . . . . 2. Staatsanwaltschaftsfreies Betätigungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung für das Bestehen der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18 18 21 22 24 24 27 29 30 32 33 34 36 37 38 41 44 44 44 46 47

8

Inhaltsverzeichnis 2. Teil Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

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2. Kapitel Sicherheit und Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe A. Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung der Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kategorien von Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendige Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fakultative Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Notwendige und fakultative Staatsaufgaben als Ausdruck unterschiedlicher Betrachtungsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Staatsaufgaben als Verpflichtung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Sicherheitsgefühl als notwendige Staatsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sicherheit als (notwendige) Staatsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatstheoretische Herleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragstheoretiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Staatsaufgabe Sicherheit aus der Staatstheorie Hobbes’ . . . . . . (a) Die Menschen im Naturzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die vertragliche Konstruktion des Staates . . . . . . . . . . . . . . (2) Staatsaufgabe Sicherheit aus den Staatstheorien Pufendorfs und Lockes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die staatliche Verpflichtung zur Herstellung von Sicherheit bei Pufendorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Der Mensch im Naturzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die vertragliche Konstruktion des Staates . . . . . . . . . . (b) Die staatliche Verpflichtung zur Herstellung der Sicherheit in der Staatstheorie Lockes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Der Mensch im Naturzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die vertragliche Konstruktion des Staates . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Lehre vom Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung der Staatsaufgabe Sicherheit aus der Verfassung . . . . . . . . a) Staatsaufgabe Sicherheit aus den Kompetenzvorschriften . . . . . . . . b) Staatsaufgabe Sicherheit aus den Prinzipen der Rechtsstaatlichkeit . c) Staatsaufgabe Sicherheit aus den grundgesetzlichen Schutzpflichten 3. Begründung einer Staatsaufgabe Sicherheit aus dem Europarecht . . . . . II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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3. Kapitel Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit A. Wandel von Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wandel der Staatsaufgabe Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wandel der Staatsaufgabe Sicherheit zur subjektiven Sicherheit . . . . . . . . . . . . I. Blickwinkel bei der Bestimmung von Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das gesellschaftliche Verständnis von Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Bedürfnis nach Sicherheit als Eigenheit des Menschen . . . . . . . . . . 2. Relativität von Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sicherheit als gesellschaftliche Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Subjektivierung von Sicherheit: Sicherheit als Erwartungssicherheit . . 5. „Sichere“ Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Staatsaufgabe Sicherheit: objektive und subjektive Sicherheit . . . . . . . . . .

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4. Kapitel Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl A. Das Verhältnis von Sicherheitsgefühl und objektiver Gefährdungslage . . . . . . . I. Untersuchungen des Sicherheitsgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Untersuchungsgegenstand Kriminalitätsfurcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgehen bei den Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die tatsächliche Sicherheitslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Verhältnis von Sicherheitsgefühl und objektiver Gefährdungslage nach den Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterschiede beim Merkmal „Alter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiede beim Merkmal „Geschlecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterschiede beim Merkmal „Bildung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterschiede beim Merkmal „Soziale Schicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unterschiede beim Merkmal „Wohnortgröße“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unterschiede nach Deliktsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Unterschiede bei Tat- und Furchtorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vergleich zwischen den ostdeutschen und westdeutschen Bundesländern 9. Unterschiede bei einer Kombination der Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auswirkungen von Veränderungen der objektiven Sicherheitslage auf das Sicherheitsgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassende Ergebnisse der Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das so genannte Kriminalitätsfurchtparadox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Sicherheitsgefühl – ein Paradox? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konstituierende Faktoren des Sicherheitsgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Persönliche Risikoeinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93 94 94 94 96 99 99 100 101 102 103 103 105 106 107 108 109 111 112 112 112 112

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Inhaltsverzeichnis

2. Einschätzung der Vulnerabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einschätzung der Copingfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung der konstituierenden Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beeinflussung der konstituierenden Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Direkte (eigene) Opfererfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Indirekte Opfererfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Medial vermittelte Wahrnehmung der Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatlich vermittelte Wahrnehmung der Kriminalitätslage . . . . . . . . . . . 5. Soziale Desorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Störung der Integration in die Nachbarschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlust der informellen sozialen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wahrnehmung von Verfall und Unordnung („signs of incivility“) . . 6. Unübersichtliche öffentliche Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Diffuse Lebensängste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl . . . . . . . . . . . . .

113 115 116 116 117 117 119 120 122 124 125 126 127 128 129 130 130 131

3. Teil Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

132

5. Kapitel Der Schutz des Sicherheitsgefühls aus den geschriebenen Aufgaben der Polizei A. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als eigenständige Aufgabe der Polizei . . . . . B. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Teil der Polizeiaufgabe Gefahrenabwehr I. Das Sicherheitsgefühl als Teil des Schutzgutes öffentliche Sicherheit . . . . 1. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsgüter des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Schutz des Staates und seiner Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Öffentliche Sicherheit als Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Sicherheitsgefühl als eigenständiges Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Sicherheitsgefühl als Teil eines eigenständigen Rechtsguts „Sicherheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Sicherheitsgefühl als Teil eines Rechtsguts „Staatlichkeit“ . . . . . . . a) Sicherheitsgefühl und Staatsvolk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sicherheitsgefühl und Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 5. Das Sicherheitsgefühl als Teil eines Rechtsguts „Demokratie“ . . . . . . . a) Die Bedeutung des Sicherheitsgefühls für die Demokratie . . . . . . . . (1) Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Lukaschenko-Regime in Weißrussland . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Demokratietheoretische Begründung der Prämisse . . . . . . . . . . b) Reichweite und Grenzen des Schutzes des Sicherheitsgefühls . . . . . c) Die Bedeutung der Freiheit für die Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Demokratie als Volksherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Demokratie und Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Demokratie und Reversibilität politischer Entscheidungen . . . . (4) Demokratie als rechtlich begrenzte Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . (5) Qualifiziertes Mehrheitsprinzip und Volksherrschaft . . . . . . . . . (6) Zusammenfassung: Demokratie als Staatsform der Freiheit . . . d) Das Verhältnis von Freiheit und Sicherheitsgefühl . . . . . . . . . . . . . . e) Konsequenzen aus diesem Verhältnis von Freiheit und Sicherheitsgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Sicherheitsgefühl als Teil eines Rechtsguts „Freiheit von Furcht“ . a) Herleitung eines Rechtsguts „Freiheit von Furcht“ aus § 241 Abs. 1 und § 238 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Herleitung aus § 241 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Herleitung aus § 238 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechtliche Herleitung eines Rechtsguts „Freiheit von Furcht“ . (1) Wie muss ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht aussehen? . . (2) Die verschiedenen Herleitungsmodelle eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Historische Herkunft des Rechts auf Freiheit von Furcht . . (b) Freiheit von Furcht als Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Freiheit von Furcht aus dem Recht auf Freiheit und Sicherheit aus Art. 5 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Freiheit von Furcht aus der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . (e) Freiheit von Furcht aus der Gewissensfreiheit . . . . . . . . . . . (f) Freiheit von Furcht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . (g) Freiheit von Furcht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG . . . . . . . . . . . (h) Freiheit von Furcht aus der Gesamtheit der grundrechtlichen Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (i) Freiheit von Furcht aus dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (j) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Gewährleistungsumfang des Grundrechts auf Freiheit von Furcht

11 156 158 158 161 163 165 166 166 168 170 171 173 174 175 179 182 182 182 182 184 186 186 187 188 188 190 193 194 197 198 199 200 203 205 205

12

Inhaltsverzeichnis

(1) Die reale Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die irreale Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die übersteigerte Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Furcht vor Risikotechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ergebnis: Das Sicherheitsgefühl als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit II. Das Sicherheitsgefühl als Teil des Schutzgutes öffentliche Ordnung . . . . . 1. Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch Sozialnormen . . . . . . . . . . . . . a) Die Bedeutung des Sicherheitsgefühls für das menschliche Zusammenleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Sicherheitsgefühl schützende Sozialnormen . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die öffentliche Ordnung im Versammlungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die öffentliche Ordnung im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis: Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Polizeiaufgabe der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Teil der Polizeiaufgabe Strafverfolgung . I. Tatbestandsvoraussetzungen für eingreifende Maßnahmen der Polizei nach der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Sicherheitsgefühl und die begangene Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Sicherheitsgefühl und die Befugnisse nach der StPO . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Sicherheitsgefühl als Maßstab für die Ressourcenverteilung . . . . . . . . V. Der Schutz des Sicherheitsgefühls nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnis: Der Schutz des Sicherheitsgefühls als geschriebene Polizeiaufgabe . .

207 207 209 211 215 215 216 216 217 222 222 224 225 229 230 230 231 232 233 235 239 239 242 242

6. Kapitel Der Schutz des Sicherheitsgefühls aus den ungeschriebenen Aufgaben der Polizei A. Der Schutz des Sicherheitsgefühls aus dem Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . I. Das Sozialstaatsprinzip als Gestaltungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als sozialstaatlicher Gestaltungsauftrag III. Die Bindungswirkung des Sozialstaatsprinzips für den Staat . . . . . . . . . . . IV. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als sozialstaatlich begründete Aufgabe der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243 243 245 246 250 252 252

Inhaltsverzeichnis

13

B. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Annexaufgabe zu den Polizeiaufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 C. Ergebnis: Der Schutz des Sicherheitsgefühls als ungeschriebene Polizeiaufgabe 257 4. Teil Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

258

7. Kapitel Zusammenfassung: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

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8. Kapitel Konsequenzen für die Polizei beim Schutz des Sicherheitsgefühls A. Lässt sich das Sicherheitsgefühl zu einem eigenen Rechtsgut machen? . . . . . . . I. Vorhersehbarkeit durch objektive Anhaltspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verhalten der Furchtempfindenden als Anhaltspunkt . . . . . . . . . . . . . . III. Das Verhalten der Furchtverursacher als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . 1. Anzahl der sich Fürchtenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiheit des Fürchtenden gegen Freiheit des Furchtverursachenden . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Andere, grundrechtsneutrale Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verbesserung des Sicherheitsgefühls durch mehr Präsenz . . . . . . . . . . . . . . 1. Eignung des Präsenzzeigens für das Sicherheitsgefühl . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzlicher Nutzen des Präsenzzeigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mit dem Präsenzzeigen verbundene Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kooperation mit polizeifremden Kräften beim Präsenzzeigen . . . . . . . . II. Verbesserung des Sicherheitsgefühls durch Informationshandeln . . . . . . . . III. Alternative, nichtpolizeiliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stärkung des Sicherheitsgefühls durch städtebauliche Maßnahmen . . . . 2. Stärkung des Sicherheitsgefühls durch sozialstaatliche Maßnahmen . . . a) Sozialstaatliche Maßnahmen für Furchtverursacher . . . . . . . . . . . . . b) Sozialstaatliche Maßnahmen für sich Fürchtende . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik an städtebaulichen und sozialstaatlichen Maßnahmen . . . . . . . . .

260 261 263 264 265 267 268 273 274 274 275 275 278 279 281 285 285 288 288 290 290

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Einleitung Angesichts der Terroranschläge vom 11. September 2001 wurde vielfach von der „Wiederentdeckung“ der Sicherheit, von einer „Renaissance“ der „klassischen“ Staatsaufgabe Sicherheit gesprochen. Korrekt ist diese Bezeichnung des Phänomens, des Bedeutungsgewinns der Sicherheit, allerdings nicht. Denn es ist nicht das historisch gewachsene, überkommene Verständnis von Sicherheit, das „wiederentdeckt“ wird, sondern vielmehr ein neues, modernes Sicherheitskonzept. Bei der heute propagierten und geforderten Sicherheit handelt es sich um eine andere als die der historischen Staatsaufgabe Sicherheit. Beim klassischen, historischen Verständnis von Sicherheit, so wie es in der vorgrundgesetzlichen 1 Zeit herrschte, also in den Zeiten, in denen – wie Wilhelm von Humboldt es formulierte – „die Erhaltung der Sicherheit den Zweck des Staates [ausmachte]“ 2, diente die Sicherheit allein dazu, die Existenz des Staates durch seine Aufgabe zu rechtfertigen, Sicherheit zu schaffen und zu gewährleisten. 3 Sicherheit als Schutz des Bürgers durch den Staat hatte nur das Ziel, dass der Bürger sich ruhig verhält, 4 damit er keine Selbsthilfe – im Stile eines Michael Kohlhaas – übt, da eine solche das Gewaltmonopol des Staates in Zweifel ziehen würde. Der Schutz des Bürgers ist nach dem „klassischen“ Sicherheitsverständnis nur ein Reflex des Schutzes der Ruhe im Staate, der Erhaltung des staatlichen Herrschaftsanspruchs. Die heute eingeforderte, „wiederentdeckte“ Sicherheit ist eine andere. Ihr liegt ein anderes Sicherheitsverständnis zugrunde. Der Sicherheitsbegriff, der jetzt in den Fokus politischer Bestrebungen gerückt ist, ist ein Sicherheitsbegriff, der auf dem Grundgesetz basiert, der von anderen Voraussetzungen ausgeht und der einen anderen Gewährleistungsumfang hat. Dabei ist zu bedenken, dass es – historisch betrachtet – die Sicherheit verstanden als „die innere Sicherheit“ im Deutschland des Grundgesetzes lange Zeit nicht gab. Sicherheit wurde zunächst allenfalls in besonderen technischen, militärischen und sozialen Kontexten verwendet. 5 Das 1

Und auch noch in der Vor-Weimar-Zeit. W. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, S. 51. Später bezeichnet er auch „Sicherheit [als den] Endzweck des Staates“, aaO., S. 57, 96. 3 Vgl. etwa Hobbes, dazu s. u. 2. Kap. B.I.1.a)(1). 4 Isensee veranschaulicht dies treffend mit einem Zitat aus einem Dialog aus Schillers Don Carlos, vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 19. 2

16

Einleitung

Grundgesetz als solches kannte den Begriff Sicherheit nicht. In seiner Entstehung befasste sich das Grundgesetz nicht mit der Sicherheit. Denn nicht die Sicherheit, sondern die Freiheit stand im Mittelpunkt des Interesses des Grundgesetzgebers. Das Grundgesetz sollte auf die Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft reagieren. Daher bestand naturgemäß wenig Interesse an der Sicherheit als dem Schutz durch den Staat. Zentrales Anliegen der Väter und Mütter des Grundgesetzes war vielmehr der Schutz vor dem Staat. Diesen Schutz sollten die Grundrechte als Freiheitsrechte gewährleisten. Daher wurde die Freiheit des Einzelnen – gleichsam das Gegenstück zur Sicherheit – betont. Sicherheit galt allenfalls als mitgedachte Grundvoraussetzung der Staatlichkeit, die es zum Wohle der Freiheit zu begrenzen galt. Der sich erst später entwickelnde 6 Sicherheitsbegriff des Grundgesetzes ist maßgeblich von dieser Grundentscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, von der Ausrichtung des Grundgesetzes auf die Freiheit, geprägt. Das heutige Sicherheitsverständnis basiert auf der Freiheitsidee des Grundgesetzes. Diese findet ihren Ausdruck darin, dass die Sicherheitsaufgabe des Staates sich maßgeblich über die Schutzpflichten aus den Grundrechten als Freiheitsrechten begründet. Die freiheitsbezogene Sicherheit dient daher nicht mehr als Rechtfertigung des Staates. Sicherheit dient dazu, dem Bürger die Ausübung seiner grundrechtlich garantierten Freiheiten zu ermöglichen. Das Sicherheitsverständnis des Grundgesetzes blickt also nicht auf den Staat, sondern im Mittelpunkt steht der Bürger: Der Schutz des Bürgers erfolgt um des Bürgers willen. Der Staat, dessen Bürger von ihm Sicherheit nach diesem Verständnis einfordern, wird daher bei seiner Sicherheitsgewährleistung von einer bürgerzentrierten Betrachtung ausgehen müssen. Er wird Sicherheit gewährleisten, um dem Bürger die Freiheitsausübung zu ermöglichen. Die Ausübung von Freiheit setzt allerdings zweierlei voraus. Sie bedarf nicht allein der objektiven Sicherheit, eines Zustands frei von Gefahren, sondern auch der Kenntnis des Bürgers darüber, dass ein solcher Zustand besteht. Um seine Freiheit ausüben zu können, muss der Bürger nicht nur sicher sein, sondern sich auch sicher fühlen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich der Staat – und in diesem besonders die Polizei – neben der objektiven Sicherheit auch für die subjektive Sicherheit seiner Bürger zu interessieren beginnt.

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Es ist bezeichnend, dass die maßgeblichen Entscheidungen des BVerfG, in denen die grundrechtlichen Schutzpflichten begründet wurden, die die Grundlage der Herleitung der Staatsaufgabe Sicherheit darstellen, sich mit technischen Gefahren – Atomkraft – befassten. 6 Sicherheit als politische Kategorie – verstanden als innere Sicherheit – wurde erst in den siebziger Jahren verwendet. Große Bedeutung gewann Sicherheit jedoch erst nach dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges, das zugleich auch ein Ende der Berechenbarkeit weltpolitischer Verhältnisse bedeutete, und insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Einleitung

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Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob der Staat diesem Interesse nachgeben und sich mit dem Sicherheitsgefühl befassen darf. Dabei soll im Zentrum der Betrachtung der klassische Akteur staatlichen Sicherheitshandelns, die Polizei, stehen. Es soll insbesondere untersucht werden, ob die Polizei grundrechtseingreifende Maßnahmen zum Wohle des Sicherheitsgefühls ergreifen kann und ob solche sich mit dem Sicherheitsgefühl rechtfertigen lassen. Die Untersuchung gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil erfolgt eine Bestandsaufnahme. Es wird analysiert, was unter dem Sicherheitsgefühl, insbesondere unter dem Blickwinkel der Polizei verstanden wird. Zudem wird festgestellt, dass und welche Maßnahmen die Polizei unter Berufung auf das Sicherheitsgefühl ergreift (1. Kapitel). Der zweite Teil befasst sich mit dem Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe. Dabei wird zunächst die Staatsaufgabe Sicherheit betrachtet (2. Kapitel). Sodann wird der Wandel der Staatsaufgabe Sicherheit hin zu einer Staatsaufgabe, die sowohl Sicherheit als auch das Sicherheitsgefühl erfasst, untersucht (3. Kapitel). Im sich daran anschließenden 4. Kapitel wird das Verhältnis von Sicherheit zum Sicherheitsgefühl erforscht. Den Schwerpunkt der Untersuchung stellt der nun folgenden dritte Teil dar. Dieser behandelt das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe. Hier wird untersucht, ob das Sicherheitsgefühl eine Polizeiaufgabe ist und ob die Polizei zum Schutze des Sicherheitsgefühls tätig werden darf, namentlich auch grundrechtseingreifende Maßnahmen ergreifen darf. Dazu werden zunächst die geschriebenen Polizeiaufgaben betrachtet (5. Kapitel) und daran anschließend die ungeschriebenen Polizeiaufgaben (6. Kapitel). Der vierte und letzte Teil der Arbeit fasst die in der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse zusammen (7. Kapitel) und stellt die Konsequenzen dieser Erkenntnisse für den Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei dar (8. Kapitel). Darin wird insbesondere untersucht, ob und inwieweit das Sicherheitsgefühl zu einem von der Polizei zu schützenden Rechtsgut gemacht werden kann und was der Staat gegebenenfalls jenseits polizeilicher Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls unternehmen kann.

1. Teil

Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme 1. Kapitel

Das Sicherheitsgefühl und sein Schutz durch die Polizei A. Was ist das Sicherheitsgefühl? Das Sicherheitsgefühl ist ein Begriff, der seit den neunziger Jahren im politischen Sprachgebrauch verwendet wird und zunehmend auch im polizeilichen Alltag präsent ist. Beim Begriff Sicherheitsgefühl geht es, wie die Semantik des Wortes vorgibt – „Sicherheitsgefühl“ ist ein Kompositum aus den Begriffen Sicherheit und Gefühl –, um das Gefühl von Sicherheit. „Sicherheitsgefühl“ meint nicht die Sicherheit als gegebenen, messbaren Zustand, also die objektive Sicherheit, sondern – wie im Wortteil „Gefühl“ deutlich wird – eine emotionale Einschätzung und Bewertung dieses Zustands, die subjektive Sicherheit. Unter dem subjektiven Sicherheitsgefühl versteht man also die subjektive Einschätzung des Einzelnen von seiner Sicherheit; 1 d. h. die subjektive Einschätzung des Einzelnen darüber, ob seine Rechtsgüter gefährdet sind. Es ist die subjektive, emotionale und individuelle Antwort auf die Frage, ob sich ein Mensch sicher fühlt oder ob er seine Rechtsgüter für gefährdet hält. Besondere Bedeutung wird bei dieser Einschätzung von der eigenen Sicherheit den hochrangigen Rechtsgütern beigemessen. Der Einzelne bewertet vornehmlich die Möglichkeit, ob seine Rechtsgüter Leben, Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung gefährdet sind. Als Quelle solcher Gefährdungen sieht derjenige, der den Begriff Sicherheitsgefühl verwendet, d. h. der subjektiv seine Sicherheit bewertet, im Wesentlichen die Kriminalität an. Zwar können es auch tagtägliche Gefährdungen sein, die nicht 1 Zwar wird bei den Erhebungen zum Sicherheitsgefühl üblicherweise auch nach der Einschätzung des Befragten, ob die Sicherheit insgesamt sich gebessert oder verschlechtert habe, gefragt, das Sicherheitsgefühl selbst ist aber nur die Einschätzung der eigenen Sicherheit, wenngleich diese maßgeblich von jener Einschätzung beeinflusst ist, s. dazu ausführlicher u. 4. Kap. A.I.1. und 4. Kap. B.II.2., 3., 4.

1. Kap.: Sicherheitsgefühl und Schutz durch die Polizei

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auf delinquentem Verhalten beruhen, wie etwa Gefahren des Straßenverkehrs, die der Einzelne als Beeinträchtigung seiner Sicherheit wertet. Für die Beantwortung der Frage, ob sich ein Mensch sicher fühlt, sind diese aber grundsätzlich nur von untergeordneter Bedeutung. 2 Die subjektive Einschätzung des Einzelnen von seiner Sicherheit ist demnach vor allem auf Gefahren durch Kriminalität gerichtet. Beeinträchtigungen des Sicherheitsgefühls bestehen vornehmlich in der Angst und Sorge, Opfer einer Straftat zu werden. Dabei werden insbesondere solche Straftaten befürchtet, die die oben genannten Rechtsgüter schädigen, d. h. die sog. Gewaltkriminalität 3. Dieses Sicherheitsgefühl ist allerdings nicht nur eine subjektive Einschätzung des Einzelnen und nicht nur für ihn von Relevanz, sondern es ist ein Begriff, der immer auch in der Politik und von der Polizei verwendet wird. Wenn die Politik oder Polizei verspricht, sich um das Sicherheitsgefühl zu kümmern, erweckt das beim Bürger die positive Vorstellung, der „Staat“ interessiere sich für ihn, für die Belange und Ängste des Einzelnen. Der Bürger fühlt sich mit seinen Sorgen als Individuum wahrgenommen. Denn während die objektive Sicherheit für den Bürger üblicherweise – außer in dem relativ seltenen Fall, dass er sich einer konkreten Gefährdungssituation ausgesetzt sieht – etwas Abstraktes, nicht Fassbares ist 4, bedeutet das Sicherheitsgefühl eine präsente und emotional spürbare Größe. Es ist etwas, was den Bürger tagtäglich berührt. Durch die Verwendung des Begriffs Sicherheitsgefühl wird der oftmals als abstrakt empfundene 5 Begriff der objektiven Sicherheit auf die emotionale Ebene gehoben und so subjektiviert. Neben der Subjektivierung, die Sicherheit durch die Verwendung des Begriffs Sicherheitsgefühl erfährt, findet auch zumeist eine Kollektivierung statt, indem der Begriff Sicherheitsgefühl noch den Zusatz „der Bevölkerung“ bekommt. 6 Es geht also nicht um das Sicherheitsgefühl einer bestimmten Person, des Herrn X oder der Frau Y, sondern um das Sicherheitsgefühl aller Menschen, zumindest derer, die an dem jeweiligen Ort wohnen oder sich dort aufhalten (u.U. auch Touristen 7). Dabei wird das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung oftmals nicht mehr empirisch ermittelt – etwa durch Befragungen und Untersuchungen –, sondern 2

Ausführlich zu den Quellen der befürchteten Gefährdungen s. u. 4. Kap. A.III.6. Zur Definition dessen, was Gewaltkriminalität ist, s. u. 4. Kap. A.III.6. 4 (Un-)Sicherheit begegnet dem Bürger nicht täglich, sondern drückt sich nur in Zahlen in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) und anderen Statistiken aus. 5 Man denke nur an die in der juristischen, besonders in der polizeirechtlichen Terminologie gebräuchliche Definition von Sicherheit „als Zustand, in dem Rechtsgütern keine Gefahren drohen“, vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 80. 6 Schewe, in: Lange (Hrsg.), Wörterbuch der Inneren Sicherheit, S. 322 (322). 7 Gerade bei Städten, die für Touristen interessant sind, ist das Sicherheitsgefühl ein wichtiger Faktor. So hatten beispielsweise die Übergriffe von Rechtsradikalen in den neuen Bundesländern zeitweilig zu einem Ausbleiben von Touristen in diesen Gebieten geführt, was merkliche Auswirkungen auf den Fremdenverkehr hatte. 3

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

von der Politik und Polizei als vorhanden oder als defizitär angenommen. So wird beispielsweise vermutet, dass sich in einem Park, in dem sich Obdachlose oder Drogenabhängige aufhalten, die „normalen“ Menschen abends nicht mehr sicher fühlen. Tatsächliche Befragungen von Passanten oder im Umkreis lebenden Anwohnern finden aber nicht statt. Stattdessen beruhen die Vermutungen, an welchen Orten das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt ist, auf der Verallgemeinerung von Untersuchungen, die in anderen Städten und u.U. zu anderen Zeiten durchgeführt wurden 8, und solchen, die das Sicherheitsgefühl bundesweit – also ohne einen bestimmten lokalen Bezug – gemessen haben. 9 Haben beispielsweise diese Untersuchungen gezeigt, dass sich die Bewohner in der Stadt, in der die Befragung erfolgt, nachts in den Parkanlagen nicht sicher gefühlt haben, wenn sich dort Obdachlose und Punks aufgehalten haben, so wird dieses Ergebnis auf die eigene örtliche Situation übertragen. Diese Übertragung von Untersuchungen aus anderen Städten auf die eigene erfolgt grundsätzlich nicht unberechtigt, lassen sich doch die gewonnenen Ergebnisse teilweise tatsächlich verallgemeinern. 10 Allerdings hat dadurch der Ausdruck „Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ stets nur eine prognostische und eben keine empirische Qualität. Er beruht nur auf verallgemeinerten Erfahrungen und Lagebildern, nicht aber auf konkreten empirischen Untersuchungen und Befragungen. Dies wird oft, wenn der Ausdruck „das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ verwendet wird, vergessen. Der Begriff Sicherheitsgefühl bewirkt also einerseits eine Subjektivierung und damit zugleich auch eine scheinbare Individualisierung der Sicherheit („meine Sicherheit“, „so wie ich die Sicherheit einschätze“), bedeutet anderseits aber auch durch den ausgesprochenen oder stillschweigend mitgedachten Zusatz „der Bevölkerung“ eine Kollektivierung der Sicherheit. Durch den kollektivierenden Zusatz „der Bevölkerung“ findet zugleich ein Perspektivwechsel weg vom einzelnen Bürger und hin zur Politik und Polizei statt. Es geht beim „Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ nicht mehr darum, wie sicher sich der Einzelne als Teil der Bevölkerung fühlt, sondern nur noch um das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung als Ganzes. Und weil das „Sicherheitsgefühl der 8 Solche lokalen Untersuchungen fanden u. a. in Stuttgart, Hoyerswerda, Görlitz und Hamburg statt, vgl. Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda; Burgheim / Sterbling, Subjektive Sicherheit und Lebensqualität in Görlitz; Stephan, Die Stuttgarter Opferbefragung; Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 221 ff. Mittlerweile führen auch einzelne Polizeipräsidenten eigene Befragungen zum Sicherheitsgefühl in ihren Städten durch vgl. nur PP Münster (Hrsg.), Sicherheit in Münster 2004. 9 Etwa Reuband, Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), 470 (470 ff.); Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland; Dörmann, Wie sicher fühlen sich die Deutschen?. 10 So ist den Untersuchungen oft gemein, dass eine Ursache in der Entstehung von Unsicherheitsgefühlen in Unordnung und Verfall zu finden ist, s. dazu ausführlicher u. 4. Kap. B.II.5.c).

1. Kap.: Sicherheitsgefühl und Schutz durch die Polizei

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Bevölkerung“ regelmäßig nicht empirisch bestimmt wird, geht es sogar nur um das, was die Politik und Polizei als das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung betrachten – also um das, was die Polizei glaubt, wie sicher sich die Bevölkerung fühlt. Das, was das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ausmacht, bestimmt sich aus dem Blickwinkel des Verwenders dieses Begriffs – also der Politiker und der Polizei. Der in dieser Arbeit zugrundegelegte Begriff „Sicherheitsgefühl“ ist daher die Vorstellung der Polizei und Politik von den Einschätzungen und Empfindungen der Bürger. 11

B. Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei Dieses so verstandene Sicherheitsgefühl ist in letzter Zeit in den Blick der Polizei gekommen, die sich um dessen Stärkung bemüht. 12 Die Befassung mit dem Sicherheitsgefühl bedeutet einen Wandel der polizeilichen Arbeit. Dass sich die polizeiliche Arbeit ändert, ist grundsätzlich nichts Neues. Bestand die überkommene Aufgabe der Polizei – seit dem Entstehen der „modernen Polizei“ 13 – in der Verfolgung von Straftaten und der Abwehr von Gefahren, so hat sich die Polizei neue Betätigungsfelder erschlossen. So ist es im präventiven Bereich nicht mehr nur Aufgabe der Polizei, Gefahren abzuwehren, sondern – wie es immer mehr Polizeigesetze vorsehen 14 – zählt zu den polizeilichen Aufgaben auch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten. Straftaten sollen durch polizeiliches Handeln verhindert werden, noch bevor sie das Stadium der Gefahr erreichen. 15 Durch diese neuen Tätigkeiten wird polizeiliches Handeln zeitlich vorverlagert. Zudem lässt sich in dem Schutz des Sicherheitsgefühls ein weiteres neues Betätigungsfeld der Polizei erkennen; insoweit findet sich auch eine Ausweitung polizeilicher Tätigkeit in den subjektiven Bereich. Die Polizei ergreift vermehrt 11

Anders ist dies bei empirischen Untersuchungen und Befragungen. Da meint „Sicherheitsgefühl“ tatsächlich die subjektive Einschätzungen der Bürger über ihre Sicherheit, die sich empirisch messen lassen. 12 Volkmann, NVwZ 2000, 361 (362); Leiterer, „Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen?, S. 342; Schewe, in: Lange (Hrsg.), Wörterbuch der Inneren Sicherheit, S. 322 (324 f.); s. a. Dolderer, NVwZ 2001, 130 (130). Vgl. für die Schweiz Giger, Kriminalistik 2008, 191 (192): „Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung originäre Aufgabe der Polizei“. 13 Vgl. zur Geschichte der Aufgaben der Polizei Boldt / Stolleis, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. A. 1 ff.; Boldt, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts (3.A), Rn. A 1 ff. 14 Vgl. nur § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW. 15 Zum Umfang der Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten Rachor, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. F 160 ff. m.w. N.; dazu, ob diese Aufgabe überhaupt durch den Landesgesetzgeber der Polizei übertragen werden kann, s. Backes, KritV 1986, 315 (331 f.); Merten, ZPR 1988, 172 (173 f.); Wolter, StV 1989, 358 (365 f.).

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

Maßnahmen, die nicht nur der Abwehr von Gefahren für die objektive Sicherheit, sondern – zumindest teilweise – dem Zweck dienen, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu verbessern. Der Bürger soll sich wieder sicher fühlen. 15a Ihm soll das verlorengegangene Gefühl von Sicherheit wiedergegeben werden. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass die Polizei Maßnahmen ergreift, mit denen sie eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung bezweckt, und welche Maßnahmen das sind. I. Aus dem Blickwinkel der Polizei beeinflussbare externe Faktoren des Sicherheitsgefühls Bedenkt man jedoch, dass es sich nach dem Verständnis der Polizei bei dem Sicherheitsgefühl um die subjektive, emotionale Einschätzung der Bürger von ihrer Sicherheit handelt, so stellt sich zunächst die naheliegende Frage, wie die Polizei überhaupt mit ihren Maßnahmen das Sicherheitsgefühl verbessern kann. Das Sicherheitsgefühl als emotionale subjektive Einstellung des Bürgers kann von der Polizei nämlich nicht direkt positiv verändert werden. Die Polizei kann dem Bürger nicht mittels Polizeiverfügung aufgeben, sich nicht mehr zu fürchten, und diese Unterlassungsverfügung bei Nichtbefolgung ggf. durch Zwangsgeld oder unmittelbaren Zwang durchsetzen. Das Sicherheitsgefühl betrifft das höchstpersönliche Gefühlsleben des Einzelnen, auf das gerade nicht direkt zugegriffen werden kann. 16 Gleichwohl nimmt die Polizei an, durch bestimmte polizeiliche Maßnahmen zu einer Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung beitragen zu können. 17 Dieser Annahme liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Gefühle, wenngleich sie nicht von außen direkt geändert werden können, so doch mittelbar beeinflusst werden können. Man kann auf bestimmte externe Faktoren einwirken, die dann positiv – oder auch negativ – die Gefühle beeinflussen. So lassen beispielsweise Eltern bei einem Kleinkind, das sich nachts vor Gespenstern fürchtet, ein kleines Licht brennen oder sehen – quasi als symbolische „Gespensterjagd“ – unter dem Bett nach und nehmen dadurch dem Kind die Angst vor einem Gespenst. Ebenso verhält es sich beim Sicherheitsgefühl. Auch dieses wird – wie soziologische und kriminologische Untersuchungen ergeben haben 18 – von einer Vielzahl 15a Vgl. dazu unter Nr. 1.1 (Rolle und Selbstverständnis) der nichtöffentlichen für den Dienstgebrauch durch die Polizei bestimmten PDV 100: „Die Polizei hat sich bei ihrem Tätigwerden nicht nur an der Sicherheitslage, sondern auch am Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu orientieren.“. Später wird in der PDV 100 unter Nr. 2.1.2.1 das „Stärken des Sicherheitsgefühls“ als ein Ziel polizeilicher Arbeit bezeichnet. 16 Vgl. etwa zum sog. forum internum bei der Gewissens- und Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG Morlock, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4, Rn. 58. 17 Ob dies zu Recht geschieht, soll erst später beurteilt werden, s. u. 5. Kap., 6. Kap. 18 Dazu später mehr s. u. 4. Kap. B.II.

1. Kap.: Sicherheitsgefühl und Schutz durch die Polizei

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anderer, externer Faktoren beeinflusst: Dies sind u. a. Eigenschaften, die in der sich unsicher fühlenden Person selbst liegen, wie deren körperliche Konstitution, aber auch der bauliche Zustand der Umgebung, soziale Unordnung, Dunkelheit und „bedrohliche“ Personen. Hieran knüpfen die Überlegungen der Polizei über ihre Möglichkeiten, zur Stärkung des Sicherheitsgefühls beizutragen, an. Die Polizei hat unter der Vielzahl der für Unsicherheitsgefühle ursächlichen Faktoren diejenigen ausgewählt, von denen sie annimmt, sie mit polizeilichen Mitteln beeinflussen zu können. So geht die Polizei davon aus, dass ein zentraler – und durch ihre Maßnahmen zu beeinflussender – Faktor für die Entstehung von Unsicherheitsgefühlen in sozialer Unordnung und fremdartigen Verhaltensweisen vor allem von sog. „Randgruppenangehörigen“ 19 wie Drogenabhängigen, Obdachlosen, Punks oder „herumlungernden“ Jugendlichen besteht. Daneben entnimmt die Polizei den Untersuchungen und Befragungen die Erkenntnis, dass eine sichtbare stärkere Präsenz von Polizei und Schutzeinrichtungen (etwa Videokameras) sich positiv auf das Sicherheitsgefühl auswirkt. Die dem Handeln der Polizei zum Schutz des Sicherheitsgefühls zugrundeliegende Prämisse ist daher, dass die Polizei durch ein Vorgehen gegen Drogenabhängige, Obdachlose, Punks und „herumlungernde“ Jugendliche und eine stärkere polizeiliche Präsenz zu einer Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung beitragen kann. Auch bei den externen, von der Polizei beeinflussbaren Faktoren stellt sich allerdings das schon oben angesprochene Problem der Verallgemeinerung. So wie die Bewertung der Polizei über das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung selten auf vor Ort vorgenommenen Befragungen und Untersuchungen, sondern vielmehr auf Erfahrungen und der Verallgemeinerung bestehender Untersuchungen beruht, resultiert auch die Einschätzung der Polizei über die das Sicherheitsgefühl (negativ) beeinflussenden externen Faktoren aus einer Verallgemeinerung von anderen Befragungen und Untersuchungen. 20 Es ist zumeist nicht erwiesen, dass es gerade die Obdachlosen sind, die das Sicherheitsgefühl in einem bestimmten Park oder auf einem bestimmten Platz beeinträchtigen. Es können auch andere Faktoren sein, wie etwa die bauliche Gestaltung oder die Lichtverhältnisse an diesem Ort. Aus der Verallgemeinerung der polizeilichen Erfahrungen und kriminologischen Untersuchungen wird jedoch geschlossen, dass ein Vorgehen gegen Obdachlose auch an diesem Ort zu einer Verbesserung des Sicherheitsgefühls beitragen kann. Dies kann dabei sogar so weit gehen, dass von dem Vorhandensein externer, möglicherweise Furcht auslösender Faktoren auf ein defizitäres Sicherheitsgefühl geschlossen wird. Sind Obdachlose in dem Park, so ist dort das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt, also muss man dagegen etwas tun. 19 Ausführlicher zum Begriff des Randgruppenangehörigen vgl. Leiterer, „Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen?, S. 28 ff.; s. dort auch zur Frage, ob das Verhalten von Angehörigen sozialer Randgruppen gegen die öffentliche Sicherheit verstößt, S. 144 f. 20 Kritisch ob der fehlenden Evaluierung solcher verallgemeinerter Erkenntnisse Lange / Schenk, Polizei im kooperativen Staat, S. 209.

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

Im Einzelnen sind dabei die Maßnahmen, die die Polizei zum Schutz des Sicherheitsgefühls ergreifen kann und ergreift, sehr vielfältig. Es lassen sich vor allem die im folgenden Teil detailliert dargestellten Maßnahmen aufzeigen. 21 II. Von der Polizei ergriffene Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls 1. Videoüberwachung Eine zentrale Stellung unter den Maßnahmen der Polizei zur Stärkung des Sicherheitsgefühls nimmt die (offene) Videoüberwachung ein. 22 Unter der Videoüberwachung versteht man die Beobachtung und Kontrolle einer bestimmten öffentlichen Örtlichkeit mittels Videotechnik. 23 Weil dabei der Einsatz der Videokameras nicht versteckt, sondern deutlich sichtbar erfolgt, wird die Videoüberwachung – im Gegensatz zur verdeckten Beobachtung nach § 17 PolG NRW, bei der auch die Videotechnik zum Einsatz kommt 24 – auch als offene Videoüberwachung bezeichnet. Die offene Videoüberwachung hat mehrere Funktionen, die aus den unterschiedlichen Teilen, aus denen die Maßnahme „Videoüberwachung“ besteht, resultieren. Denn genau genommen handelt es sich bei der offenen Videoüberwachung um ein ganzes Bündel polizeilicher Maßnahmen, die die unterschiedlichsten Funktionen haben. So besteht die Videoüberwachung zunächst aus einer Beobachtung eines bestimmten öffentlichen Ortes – zumeist eines Platzes oder einer Parkanlage – mittels Videokamera. 25 Deren Bilder werden mit Hilfe eines Übertragungsgerätes an 21 Ein Zusammenfassung einiger zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls ergriffener Maßnahmen findet sich auch bei Volkmann, NVwZ 2000, 361 (361 ff.). 22 Zum Einsatz der Videoüberwachung als Maßnahme zur Stärkung des Sicherheitsgefühls Bücking / Kubera, Eine Digitale Streifenfahrt, S. 14 ff.; Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Pressemitteilung zur Konferenz vom 5. Mai 2000, S. 5; s. a. Antrag der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Drs. 15/5455, S. 1; Quambusch, Kriminalistik 2007, 8 (10). 23 Ausführlich zur Videoüberwachung und zur Kritik an ihr Schewe, NWVBl 2004, 415 (415 ff.); Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 731 (731 ff.); Müller, MschrKrim 2002, 33, (33 ff.); Roggan, NVwZ 2001, 134 (134 ff.); Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (84). Die Videoüberwachung befürwortend hingegen Quambusch, Kriminalistik 2007, 8 (10 f.). Zu den unterschiedlichen Einsatzformen der staatlichen Videoüberwachung Vahle, DVP 2008, 444 (447 ff.). 24 Vgl. zum Einsatz der Videotechnik nach § 17 PolG NRW Tegtmeyer / Vahle, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, § 17, Rn. 1 f. 25 Zur Technik der Videoüberwachung vgl. Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, S. 5 ff., 9 ff.; Bausch, Videoüberwachung als präventives Mittel der Kriminalitätsbekämpfung in Deutschland und in Frankreich, S. 9 ff.; beispielhaft für den Einsatz in Bielefeld Bücking / Kubera, Eine Digitale Streifenfahrt, S. 16 ff.

1. Kap.: Sicherheitsgefühl und Schutz durch die Polizei

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die zuständige Polizeidienststelle übermittelt. Beobachtet der vor dem Monitor sitzende Beamte die Begehung einer Straftat oder sonst eine Gefahr, so benachrichtigt er eine Streife, die dann die Begehung der Straftat verhindert bzw. die Gefahr beseitigt. 26 In dieser Verwendung hat die Videoüberwachung also eine Gefahren abwehrende, d. h. eine präventive Funktion. Die Aufzeichnung und Speicherung der übertragenen Bilder hingegen dient in erster Linie der Erleichterung der Strafverfolgung, indem anhand der aufgezeichneten Bilder der Täter ermittelt werden kann und die Bilder ggf. auch als Beweismittel in einem Strafprozess verwendet werden können. Der eigentliche primäre Zweck der Videoüberwachung besteht allerdings nicht in der Abwehr konkret bestehender Gefahren und in der Verfolgung bereits begangener Straftaten, sondern in der generalpräventiven Wirkung, die von der Videoüberwachung ausgeht, der sog. „situativen Prävention“. 27 Durch die Überwachung mittels Videokameras soll dem potentiellen Straftäter deutlich gemacht werden, dass er bei der Begehung einer Straftat zum einen einem erhöhten Entdeckungsrisiko ausgesetzt ist und zum anderen mit einer unmittelbaren Strafverfolgung zu rechnen hat. Dadurch hofft man, den potentiellen Täter vom Tatentschluss abbringen zu können. Die „situative Prävention“ ist damit die Konsequenz aus den beiden oben angesprochenen Funktionen der Videoüberwachung, der präventiven und der repressiven Wirkung im Einzelfall. Um diese generalpräventive Wirkung zu erzielen, erfolgt die Videoüberwachung gerade nicht verdeckt, sondern bewusst offen, d. h. nach außen erkennbar. 28 So manche offene Videoüberwachung erfolgt nicht nur, um die Kriminalität an dem überwachten Platz zu senken, sondern vor allem, um den Bürgern zu signalisieren, dass hier staatliche Kontrolle stattfindet: Die Polizei beobachtet die Örtlichkeit, erkennt Straftaten, reagiert auf diese und verfolgt die Täter. Durch die Videoüberwachung soll sich der Bürger nicht mehr allein dem Täter gegenüber sehen, sondern auf rechtzeitigen Schutz durch die Polizei vertrauen dürfen. Um diesen Schutzaspekt noch zu verstärken, wird die Videoüberwachung von Seiten 26 Dies ist leider oft nur Theorie. Häufig fehlt es am notwendigen Personal vor den Bildschirmen und besonders an Polizisten als „Eingreiftruppe“ vor Ort, so dass ein rechtzeitiges Einschreiten bei Bedrohungen entweder daran scheitert, dass die Bedrohung vom Überwacher vor den Bildschirmen nicht erkannt wird oder dass zum rechtzeitigen Einschreiten keine Polizisten verfügbar sind. Durch diese Fehlplanungen beim Personal wird die Videoüberwachung zumeist auf die repressive und generalpräventive Funktion reduziert, vgl. dazu und zu den daraus entstehenden Gefahren ausführlicher Schewe, NWVBl. 2004, 415 (421). Zum Personaleinsatz beispielhaft Bücking / Kubera, Eine Digitale Streifenfahrt, S. 18 ff. 27 Schewe, NWVBl 2004, 415 (415). Ausführlich zur situativen Prävention Hefendehl, StV 2000, 270 (272 f.); Roggan, NVwZ 2001, 134 (138); Müller, MschrKrim 2002, 33 (34). 28 Bartsch, Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA, S. 20; Schewe, NWVBl 2004, 415 (416); s. a. BVerfG, NVwZ 2007, 688 (690).

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

ihrer Befürworter und Anwender oft auch als „Videoschutz“ 29 bezeichnet. 30 Die Polizei will also durch die Videoüberwachung dem Bürger das Vorhandensein von mehr polizeilicher Kontrolle und Schutz signalisieren und ihm so das verlorene Sicherheitsgefühl wiedergeben. 31 Außerdem soll die Videoüberwachung dem Bürger zeigen, dass Straftaten beobachtet und verfolgt werden und deshalb keine Straftaten mehr stattfinden oder dass sie zumindest beobachtet und mit (größerem) Erfolg verfolgt werden. Durch die Videoüberwachung soll dem Bürger zugleich auch vermittelt werden, dass Orte, die aufgrund ihrer Architektur oder auch nur aufgrund ihres Rufs Furcht einflößen und die deshalb von der Bevölkerung gemieden werden, nicht mehr gefährlich sind. Der Bürger soll sich dort wieder sicher fühlen und damit der videoüberwachte Ort der Öffentlichkeit wieder (gefahrlos) zugänglich gemacht werden. 32 Neben dem Zweck, das Sicherheitsgefühl durch ein verstärktes offenes Zeigen von staatlicher Kontrolle und damit Schutz für den Bürger zu verbessern, soll durch die Videoüberwachung auch gegen die das Sicherheitsgefühl beeinträchtigenden „Randgruppenangehörigen“ vorgegangen werden. Die Videokameras werden dabei als ein Mittel zur Exklusion und Segregation eingesetzt. 33 Denn bei der Videoüberwachung findet oftmals eine selektive Überwachung statt. Die Kameras werden zumeist auf „unerwünschte“ und als potentiell gefährlich eingestufte Personengruppen gerichtet, die dann durch die die Kameras bedienenden Polizisten observiert werden. 34 Zeigen die beobachteten Personen dann auch noch ein leicht delinquentes (etwa Urinieren im Gebüsch oder – sofern untersagt 35 – Alkoholkonsum) oder auch nur „unnormales“ Verhalten, werden sie sofort von Polizisten angesprochen und ggf. ordnungsrechtlich oder durch Maßnahmen wie 29 Diese Bezeichnung als „Schutz“ erfolgt vor allem aus zwei Gründen: Zum einen erzeugt sie nicht die negativen Assoziationen von Kontrolle und Bespitzelung wie die Bezeichnung Videoüberwachung; zum anderen soll sie beim Bürger das Gefühl des Geschütztseins hervorrufen. Die Bezeichnung „Videoschutz“ stellt also so – zumindest sprachlich – das Opfer, das geschützt wird, und nicht den Täter, der überwacht wird, in den Mittelpunkt. Ob allerdings die Bezeichnung „Schutz“ richtig ist, darf angesichts des zumeist nur auf die Repression – und damit auf den Täter – ausgerichteten Einsatzes der Videoüberwachung bezweifelt werden, vgl. Schewe, NWVBl 2004, 415 (420). S.a. Roos, Kriminalistik 2002, 464 (468): „Trügerische Sicherheit“. 30 Quambusch, Kriminalistik 2007, 8 (10), glaubt sogar, die „Überwachung [erfolge] im Interesse der Freiheit“. 31 Wehrmann, Die überwachte Stadt, S. 93; s. a. Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 14, Rn. 92. 32 Vgl. Volkmann, NVwZ 2000, 361 (362), der von der Rückeroberung der Allmende spricht. 33 Wehrheim, Die überwachte Stadt, S. 73 ff. 34 Ausführlich zur selektiven Observation mit anschaulichen Beispielen Wehrheim, Die überwachte Stadt, S. 91 ff. 35 S. zum Verbot des Konsums von Alkohol auf der Straße ausführlicher u. 1. Kap. B.II.2.

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Aufenthaltsverbote oder „Verbringungsgewahrsam“ 36 belangt. So wird den „Randgruppenangehörigen“ der Aufenthalt in dem überwachten Bereich unangenehm gemacht. Die Videokameras sollen also die unerwünschten Personen einer ständigen Beobachtung durch die Polizei aussetzen und ihnen so vermitteln, dass sie an dem überwachten Ort unerwünscht sind. 37 Die Videoüberwachung kann daher aus zwei Gründen das Sicherheitsgefühl positiv beeinflussen: Zum einen zeigen Videokameras mehr staatliche Präsenz und Schutz und zum anderen verdrängen sie die als Furchtauslöser eingeschätzten „Randgruppenangehörigen“. 2. Alkohol- und Bettelsatzungen und deren Durchsetzung Eine weitere Maßnahme zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung stellen die sog. Alkohol- und Bettelsatzungen dar. Alkohol- und Bettelsatzungen sind – zumeist straßenrechtliche – Satzungen, durch die der Alkoholgenuss und das Betteln in Innenstädten verboten werden. Üblicherweise bedient sich die das Verbot aussprechende Gemeinde dazu des Straßenrechts. 38 Das Straßenrecht kennt zwei Arten der Straßennutzung, den erlaubnisfreien Gemeingebrauch und die erlaubnispflichtige Sondernutzung. 39 Die Idee der Bettel- und Alkoholsatzungen ist es nun, das Niederlassen zum Alkoholgenuss und das Betteln als straßenrechtliche Sondernutzung zu deklarieren und als nicht erlaubnisfähig zu untersagen. 40 36

S. u. 1. Kap. B.II.4. Gerade in den USA wird die Videoüberwachung im Rahmen des Konzepts „zero tolerance“ in dieser Funktion eingesetzt, vgl. dazu Bartsch, Rechtsvergleichende Betrachtung präventiv-polizeilicher Videoüberwachungen öffentlich zugänglicher Orte in Deutschland und in den USA, S. 38 ff. Entsprechende Entwicklungen lassen sich auch in Großbritannien finden vgl. Gras, Neue Kriminalpolitik 4/2001, 12 (12 ff.); dies., in: Möller / v. Zezschwitz (Hrsg.), Videoüberwachung – Wohltat oder Plage?, 2000, S. 67, 120. Grds. zum Konzept der Zero Tolerance Leiterer, „Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen?. 38 So gab bzw. gibt es entsprechende Satzungen etwa in München, Saarbrücken, Fulda, Augsburg. Hamburg plant seit einiger Zeit, eine solche Satzung zu erlassen, vgl. dazu Häfele / Schlepper, Forum Recht 2006, 76 (76 f.). Zu weiteren Beispielen und zur besonderen Situation in Berlin vgl. Leiterer, „Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen?, S. 123 ff. 39 Allgemein dazu Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kap. 24, 26. 40 Kohl, NVwZ 1991, 620 (621); Bindzus / Lange, JuS 1998, 696 (696). Kritisch dazu, ob Betteln oder Alkoholgenuss Sondernutzungen sind, OVG Schleswig, NordÖR 1999, 381 (381 ff.); OLG Saarbrücken, NJW 1998, 251 (252); dass., ZfSch 1997, 473 (473 ff.); VGH Mannheim, VBlBW 1999, 101 (103); Oppenborn, JuS 1997, 480 (480); Fahl, DÖV 1996, 955 (956 ff.); Holzkämper, NVwZ 1994, 146 (148); Leiterer, „Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen?, S. 289 ff. A. A. VGH München, VGHE BY 49, 31 (31): Niederlassen zum Alkoholgenuss ist Sondernutzung; Wohlfahrt, BayVBl 1997, 420 (425); Bindzus / Lange, aaO. (699), die zumindest den intensiven Alkoholgenuss und das Betteln nicht mehr als 37

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

Neben der straßenrechtlichen Lösung wurde teilweise auch versucht, den Alkoholgenuss und das Betteln in Innenstädten durch Polizeiverordnungen zu verbieten. 41 Dieser Versuch scheiterte allerdings daran, dass weder der Alkoholgenuss noch das Betteln einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung (mehr 42) darstellen. 43 Alkohol- und Bettelsatzungen sollen zu einer Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung vor allem in den Innenstädten beitragen, indem sie mit dem Alkohol- und Bettelverbot Verhaltensweisen verhindern, die üblicherweise von Punks und Obdachlosen gezeigt werden. Diese sollen nicht mehr die von ihnen – aus Sicht der Kommunen als Satzungsgeber – vornehmlich aufgezeigten Handlungen, nämlich das Betteln und den Genuss von Alkohol, ausüben dürfen und so das Interesse an einem Aufenthalt in der Innenstadt verlieren. Dadurch sollen die „Randgruppenangehörigen“, vor denen sich die „normalen“, einkaufenden oder flanierenden Bürger fürchten, deren Anblick bei dem Bürger ein ungutes, „mulmiges“ Gefühl, ein Gefühl der Unsicherheit auslöst, aus dem Innenstadtbereich gedrängt werden. 44 Insoweit bezwecken Alkohol- und Bettelsatzungen eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls durch einen Konfrontationsschutz. Allerdings handelt es sich bei den Alkohol- und Bettelsatzungen genau genommen nicht um Maßnahmen der Polizei, sondern sie werden als straßenrechtliche Satzungen von den Gemeinden erlassen (vgl. nur § 19 S. 1 StrWG NRW). 45 Die Bettelsatzungen sind aber dennoch, obwohl sie also nicht von der Polizei selbst erlassen werden, von großer Bedeutung für ein polizeiliches Vorgehen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls. Denn der Vollzug und die Durchsetzung der in den Satzungen normierten Verbote obliegt der Polizei. Die jeweilige Satzung stellt dabei das Schutzgut dar, das gefährdet ist und zu dessen Schutz die Polizei tätig werden darf. Übliche, die Verbote der Satzungen durchsetzende PolizeimaßGemeingebrauch, sondern als Sondernutzung ansehen; differenziert noch Bindzus / Lange, JuS 1996, 482 (486); s. a. Vahle, DVP 1999, 260 (260). 41 Vgl. etwa die Polizeiverordnung zur Bekämpfung der Bettelei und zur Sicherung der öffentlichen Ordnung im Stadtkreis Baden-Baden v. 19. 1. 1978, am 29. 4. 1983 vom VGH Mannheim, NJW 1984, 507, für nichtig erklärt. 42 Früher (bis 1974) war das noch anders, damals wurden Landstreicherei und Betteln strafrechtlich sanktioniert, vgl. § 361 Nr. 3, 4 StGB i. d. F. bis 1974; s. dazu Bindzus / Lange, JuS 1996, 482 (485). 43 Vgl. Kohl, NVwZ 1991, 620 (623); Holzkämper, NVwZ 1994, 146 (147). 44 Bindzus / Lange, JuS 1998, 696 (696); s. a. Volkmann, NVwZ 2000, 361 (362); Fahl, DÖV 1996, 955 (956). 45 Allerdings sind die von den Gemeinden verabschiedeten straßenrechtlichen Satzungen ordnungspolitisch motiviert. Zudem ist der (Ober-)Bürgermeister der Gemeinden auch kommunale Ordnungsbehörde und zumeist maßgeblich für den Satzungsentwurf verantwortlich, der zwar vom Rat verabschiedet werden muss (vgl. nur § 41 Abs. 1 S. 2 lit. f) GO NRW), der Rat reagiert aber auf Vorschläge der Verwaltung und damit der Ordnungsbehörden.

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nahmen sind dabei die Platzverweisung, das Aufenthaltsverbot und der Verbringungsgewahrsam. Da das Betteln und der Alkoholgenuss als solche sonst keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten und damit die Voraussetzungen für Platzverweise und Aufenthaltsverbote nicht vorliegen, ist die Durchsetzung der Alkohol- und Bettelsatzungen die einzige Möglichkeit der Polizei, um mit diesen Maßnahmen gegen bettelnde Obdachlose und Alkohol trinkende Punks vorgehen zu können. 3. Platzverweisungen und Aufenthaltsverbote Zudem setzt die Polizei Platzverweisungen und Aufenthaltsverbote ein, um das Sicherheitsgefühl zu stärken. Die Platzverweisung ist die polizeiliche Aufforderung an eine Person, vorübergehend einen Ort zu verlassen oder nicht mehr zu betreten. 46 Dabei ist die Platzverweisung eine zeitlich und räumlich eng begrenzte Maßnahme. Sie bezieht sich nur auf eine eng umgrenzte Räumlichkeit, etwa einen Platz oder eine Straße, und gilt nur für eine kurze Dauer, für wenige Stunden oder Tage. Mit der Platzverweisung sollen i. d. R. kurzfristige Gefährdungssituationen wie für Rettungswagen blockierte Straßen oder aufgelöste Demonstrationen beseitigt werden. Von seiner zeitlichen und räumlichen Dimension weiter reichend ist das Aufenthaltsverbot. Darunter ist das polizeiliche Verbot zu verstehen, sich für einen bestimmten – längeren – Zeitraum an einem bestimmten Ort – zumeist einem bestimmten Stadtteil – aufzuhalten. 47 Das Aufenthaltsverbot erstreckt sich zumeist auf ganze Stadtteile und -viertel, u.U. auf die gesamte Innenstadt. In zeitlicher Hinsicht kann ein – regelmäßig befristetes – Aufenthaltsverbot für mehrere Monate gelten. Aufenthaltsverbote verfolgen daher den Zweck, bestimmte längerfristige Gefährdungssituationen wie innerstädtische Drogenszenen zu beseitigen. 48 Platzverweisungen und – mehr noch – Aufenthaltsverbote werden oftmals eingesetzt, um Personengruppen, die angeblich Unsicherheitsgefühle hervorrufen, von „Furchtorten“ oder sogar ganz aus Innenstädten zu verdrängen. „Randgruppenangehörigen“ wird verboten, sich dort aufzuhalten, so dass sie nicht mehr das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen können, weil sie für die Bevölkerung nicht mehr sichtbar sind. 49 Sieht man keine Obdachlosen, Punks und Drogenabhängigen in den Innenstädten mehr, fühlen sich die Menschen dort wieder sicher und es steigt auch – so die Vermutung der Polizei – das Sicherheitsgefühl. 46 Vgl. § 34 Abs. 1 S. 1 PolG NRW, zu anderen Gesetzen s. Rachor, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. F 489 m.w. N. 47 Gusy, Polizeirecht, Rn. 281; Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 16, Rn. 1. 48 Vgl. Finger, DVP 2004, 367 (367). 49 Vgl. Volkmann, NVwZ 2000, 361 (362).

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4. Verbringungsgewahrsam Eine weitere polizeiliche Maßnahme, der beim Schutz des Sicherheitsgefühls Bedeutung zukommt, ist der sog. Verbringungsgewahrsam. Unter dem Verbringungsgewahrsam versteht man den Transport einer Person durch die Polizei an einen Ort, an dem sie nicht mehr stören kann, und die dortige Freilassung. 50 Das übliche Procedere eines Verbringungsgewahrsams sieht dabei folgendermaßen aus: 51 Die betreffende Person stellt an einem Ort eine Gefahr dar, etwa weil sie als Drogenabhängiger wiederholt versucht, Drogen zu erwerben, und dadurch gegen Strafnormen verstößt. Gegen sie ergeht eine polizeiliche Anordnung, den Ort zu verlassen; zumeist – bei langfristigen Gefährungssituationen wie Drogenkonsum oder -handel – ein langfristiges Aufenthaltsverbot. Dieser Anordnung leistet die betreffende Person keine Folge oder sie verstößt in der Folgezeit gegen sie, indem sie entgegen dem Aufenthaltsverbot den verbotenen Bereich dennoch wieder betritt. Die Polizei nimmt diese Person fest, setzt sie in ein Polizeifahrzeug und fährt sie aus dem innerstädtischen Bereich in die Außenbereiche der Stadt und lässt sie dort wieder gehen – mit dem dringlichen Hinweis, künftig das Aufenthaltsverbot zu beachten. Durch den Transport wird eine räumliche Distanz zum Gefahrenort geschaffen, die eine Rückkehr dorthin verzögert und so die Fortsetzung der Störung zumindest kurzfristig verhindert. 52 Der Verbringungsgewahrsam dient demnach vor allem der Durchsetzung von Aufenthaltsverboten. Denn in den meisten Fällen greifen die üblichen Mechanismen des Polizeirechts zur Durchsetzung polizeilicher Anordnungen, die Maßnahmen des Vollstreckungsrechts, nicht. 53 Was nutzt ein Zwangsgeld, mit dem der Verstoß gegen ein Aufenthaltsverbot verhindert werden soll, wenn der Betroffene über kein Geld verfügt, ihn das Zwangsgeld also auch nicht treffen kann? Auch kann der Gewahrsam – anders als beim Platzverweis, bei dem eine Durchsetzung mittels Gewahrsams zulässig ist – kaum zur Durchsetzung eines Aufenthaltsverbots herangezogen werden. 54 Aufgrund der langen Dauer des Aufenthaltsverbots wäre seine Durchsetzung mittels Gewahrsams nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren. Der Störer kann ja nicht, wenn er gegen sein 50 Mußmann, VBlBW 1986, 52 (52); Oldemeier, Rechtsgrundlagen des Verbringungsgewahrsams, S. 1; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam unter besonderer Berücksichtigung des Unterbindungsgewahrsams, S. 122. 51 Zum Ablauf des Verbringungsgewahrsams Maaß, NVwZ 1985, 151 (152 f.); Greiner, Die Polizei 1979, 92 (93); zu Anwendungsbeispielen s. a. Oldemeier, Rechtsgrundlagen des Verbringungsgewahrsams, S. 2 ff.; Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam unter besonderer Berücksichtigung des Unterbindungsgewahrsams, S. 123 ff. 52 Gusy, NWVBl. 2004, 1 (8). 53 Vgl. Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, S. 73; ebenso wenig nutzen andere Sanktionen wie Bußgelder vgl. dies., DÖV 2000, 227 (228). 54 Gusy, Polizeirecht, Rn. 283.

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mehrmonatiges Aufenthaltsverbot verstößt, für mehrere Monate in Gewahrsam genommen werden. Der Verbringungsgewahrsam dient aber nicht allein der Durchsetzung der Anordnungen des Aufenthaltsverbots, indem die Person aus dem Bereich, in dem sie sich nicht aufhalten darf, in einen Bereich gefahren wird, in dem sie sich aufhalten darf, sondern soll zudem auch dem „Aufenthaltsverbotsmissachter“ deutlich machen, dass er das Aufenthaltsverbot künftig besser beachten soll. Daher werden die Aufenthaltsverbotsstörer nicht nur aus dem Bereich des Aufenthaltsverbots gebracht, sondern in weit entfernte Bereiche der Stadt, aus denen sie nicht so schnell wieder in den Bereich des Aufenthaltsverbots zurückkehren können. Oftmals sind dies teilweise sogar fernab von Bebauung und Infrastruktur wie Busverbindungen liegende Orte, also die sprichwörtliche „grüne Wiese“ „vor den Toren der Stadt“. 55 Der Verbringungsgewahrsam hat damit zugleich auch einen sanktionierenden, fast schon drangsalierenden Charakter. 56 Nicht zuletzt aufgrund dieses „Aussetzens“ in der „Einöde“ wird der Verbringungsgewahrsam sehr kritisch betrachtet. 57 Das Aussetzen weitab von Bebauung und Infrastruktur kann den Verbrachten bei ungünstigen Begleitumständen wie schlechtem Wetter und Alkoholisierung des Betroffenen Gefahren für Leben und Gesundheit aussetzen. Es haben sich sogar einige Todesfälle in Folge von Verbringungsgewahrsamen ereignet. 58 Aufgrund dieser Lebensgefahren für den Verbrachten sind einige Polizeien dazu übergangen, den Verbringungsgewahrsam etwas „milder“ zu gestalten. Der Störer eines Aufenthaltsverbots wird nicht mehr in die Außenbezirke der Stadt gebracht und dort ausgesetzt, sondern er wird auf eine Wache außerhalb des Bereichs des Aufenthaltsverbots verbracht und dort mehrere Stunden in Gewahrsam genommen – zur Identitätsfeststellung, die oftmals die für Identitätsfeststellungen maximal gestatteten 59 zwölf Stunden „dauert“. Nach Ablauf dieser „Identitäts55

Vgl. zur Entfernung des Verbringungsortes VG Bremen, NVwZ 1986, 862: 11 km. Vgl. Kappeler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, S. 73; dies., DÖV 2000, 227 (229): Verbringung dient der „nachhaltigen Abschreckung“. 57 VG Bremen, NVwZ 1986, 862 (862 ff.); LG Hamburg, NVwZ-RR, 1997, 537 (537 ff.); Gusy, NWVBl. 2004, 1 (7 f.); ders., Polizeirecht, Rn. 297; Maaß, NVwZ 1985, 151 (152); offengelassen OVG Bremen, NVwZ 1987, 235 (236 f.); zur Grundrechtsproblematik s. a. Kappeler, DÖV 2000, 227 (227 ff.). Die Rechtmäßigkeit des Verbringungsgewahrsams bejahend Baldarelli, Die Polizei 1988, 61 (67 ff.); Leggereit, NVwZ 1999, 263 (264 f.). 58 So wurden zwei Polizisten, die einen Verbringungsgewahrsam durchgeführt hatten, wegen Aussetzung mit Todesfolge nach § 221 Abs. 3 StGB zu Freiheitsstrafen von jeweils 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt, vgl. LG Stralsund, U. v. 9. Juli 2003, bestätigt durch BGH, B. v. 16. Dezember 2003, Die Polizei 2004, 53. S.a. LG Hamburg, NVwZ-RR, 1997, 537 (537 ff.), Strafbarkeit eines Polizisten wegen Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB und Nötigung nach § 240 StGB, ohne dass es zu einer Verletzung des Betroffenen gekommen ist. 59 Vgl. § 38 Abs. 2 PolG NRW. 56

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feststellung“ wird der Betroffene dann wieder frei gelassen, oftmals mit einem Kostenbescheid für die Unterbringung im Gewahrsam „in der Hand“. Diese Form des Verbringungsgewahrsams ist zwar für den Betroffenen weniger gefährlich und die Polizei kommt ihrer Obhutspflicht 60 gegenüber dem Ingewahrsamgenommenen nach, gleichwohl soll auch bei dieser Art des Verbringungsgewahrsams der Sanktionscharakter beibehalten werden. Die Polizei setzt den Verbringungsgewahrsam auch zur Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung ein. Da der Verbringungsgewahrsam vornehmlich der Durchsetzung und dem Vollzug von Aufenthaltsverboten dient, soll er insoweit zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls beitragen, als durch ihn gewährleistet sein soll, dass die Unsicherheitsgefühle verursachenden Personen auch „wirklich weg“ sind und dies auch für möglichst lange Zeit bleiben. Der Verbringungsgewahrsam soll also der Verstärkung und Vertiefung der schon vom Aufenthaltsverbot erzielten Stärkung des Sicherheitsgefühls dienen. 5. Vermehrte Streifenfahrten und Fuß- und Fahrradstreifen Neben diesen grundrechtseingreifenden Maßnahmen versucht die Polizei auch durch eine geänderte Aufgabenwahrnehmung das Sicherheitsgefühl positiv zu beeinflussen. So führt die Polizei vermehrt Fuß- und Fahrradstreifen 61 in den Innenstädten durch und intensiviert ihre Streifenfahrten in Stadtteilen, in denen sie ein defizitäres Sicherheitsgefühl vermutet. 62 Dies soll dem Bürger zeigen, dass die Polizei nicht mehr nur auf Gefahrensituationen reagiert und sich erst dann auf der Straße zeigt, wenn ein Bürger ihr eine Gefahr oder eine Straftat mitgeteilt hat, sondern dass sie bereits an den als gefährlich empfundenen Orten, insbesondere unübersichtlichen öffentlichen Parkanlagen und dunklen Plätzen, unterwegs ist. Dem in seinem Sicherheitsgefühl beeinträchtigten Bürger soll durch die für ihn erkennbare Präsenz der Polizei eine bessere Erreichbarkeit polizeilichen Schutzes signalisiert werden, wodurch er sich wieder sicherer fühlen kann. Der Vorteil gerade der Fuß-, aber auch der Fahrradstreife wird dabei – neben der längeren Verweildauer, die sich aus der im Vergleich zum Streifenwagen geringeren Geschwindigkeit des zu Fuß gehenden bzw. Rad fahrenden Polizisten ergibt, und der damit verbundenen längeren Sichtbarkeit – in der größeren Nähe

60 S. dazu allg. Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam unter besonderer Berücksichtigung des Unterbindungsgewahrsams, S. 194; s. a. Gusy, Polizeirecht, Rn. 297; Rachor, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. F 613. 61 Allg. zu Fußstreifen Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121 (121 f.); s. a. Ruder, KommJur 2004, 7 (7 ff.); allg. zu Fahrradstreifen Berka / Sauter, Kriminalistik 1996, 599 (599 ff.). 62 Zu Fußstreifen zur Stärkung des Sicherheitsgefühls Sächsisches Staatsministerium des Innern, Pressemitteilung 74/03 vom 16.7. 2003, S. 2; zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls durch Fahrradstreifen Berka / Sauter, Kriminalistik 1996, 599 (602).

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zum Bürger gesehen. Dieser kann, wenn er sich unsicher fühlt, den Polizisten jederzeit anhalten, ansprechen und um Hilfe bitten. 63 Wie sehr die Aufgabenerfüllung durch Fußstreifen auf die Verbesserung des Sicherheitsgefühls abzielt, wird besonders deutlich, wenn man die Konsequenzen betrachtet, die der Einsatz von Fußstreifen für die originären Polizeiaufgaben – die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung – hat. Denn ein zu Fuß eingesetzter Polizist ist bei weitem nicht so mobil und flexibel wie einer in einem Streifenwagen. Er kann daher auch nicht so schnell an Gefahrenorte gelangen, die weiter von seinem Standort entfernt liegen. 64 Bedenkt man zudem, dass für die Fußstreifen i. d. R. kein zusätzliches Personal bereitgestellt wird, so erkennt man, dass Fußstreifen zu Lasten der schnellen Einsatzkräfte in Streifenwagen gehen und damit auch zu Lasten der Mobilität und Schnelligkeit der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. 65 Mit dem Einsatz von Fuß- und Fahrradstreifen bezweckt die Polizei demnach vor allem eine Stärkung des Sicherheitsgefühls. 6. Stadtwache – Gemeinsame Fußstreifen von Polizei und Ordnungsbehörden Diese Idee, das Sicherheitsgefühl durch eine größere polizeiliche Präsenz auf der Straße zu verbessern, ist auch Anlass dafür, neue Formen der Kooperation der Polizei mit anderen im Sicherheitsbereich tätigen Akteuren zu erproben und zu praktizieren. Ein solches Kooperationsmodell ist das Konzept der Stadtwache. 66 Bei der Stadtwache handelt es sich um eine gemeinsame Einrichtung des Oberbürgermeisters der jeweiligen Stadt als Ordnungsbehörde und des jeweiligen Polizeipräsidenten. Bei der Stadtwache gehen kommunale Ordnungskräfte und Polizei gemeinsam zu Fuß oder mit dem Fahrrad in der Innenstadt Streife. Wie bei den oben beschriebenen Fuß- oder Radstreifen der Polizei soll der Nutzen für das Sicherheitsgefühl bei den gemeinsamen Streifen von Polizei und Ordnungsbehörden in der besser sichtbaren Präsenz und in der Bürgernähe liegen. 67 63 Frommer / Kimmelzwinger, Die Kriminalprävention 2001, 91 (94); Berka / Sauter, Kriminalistik 1996, 599 (601); s. a. Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121 (129 f.). 64 Insoweit ist der Einsatz von Fahrradstreifen ein Mittelweg zwischen bürgernaher Polizeiarbeit sowie Mobilität und Schnelligkeit. 65 Auch wenn der zu Fuß gehende Polizist u.U. durch seine Nähe zum Bürger andere Gefahren verhindern und ggf. aufgrund des höheren Vertrauens, das ihm entgegengebracht wird, Straftaten aufklären kann, bedeutet dies keinen adäquaten Ausgleich für sein Fehlen bei anderen Aufgaben. Denn es ist zumindest unklar, inwieweit der „bürgernahe“ Einsatz zu einer Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung beitragen kann, vgl. Lange / Schenk, Polizei im kooperativen Staat, S. 208 f. 66 Solche Stadtwachen gibt es beispielsweise in Bielefeld und Osnabrück.

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

Darüber hinaus sollen sie eine bessere Verzahnung von kommunalen Konzepten zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls – vor allem auch den in den Alkoholund Bettelsatzungen angelegten Ordnungsansätzen – und der Polizei ermöglichen. Gerade bei den Stadtwachen wird der Schutz des Sicherheitsgefühls besonders betont. Die „Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bürger / innen durch Präsenz in der Innenstadt / gemeinsame Fußstreifen“ wird oftmals als erster Beweggrund für die Einrichtung solcher Stadtwachen genannt. 68 7. Kooperationen mit privaten Sicherheitsdiensten Ein weiterer Kooperationspartner der Polizei bei deren Bemühungen um eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls durch verstärkte Präsenz ist das private Sicherheitsgewerbe. Die Kooperation der Polizei mit privaten Sicherheitsunternehmen besteht zum einen im gegenseitigen Informationsaustausch. 69 So teilen private Sicherheitsdienste der Polizei mit, wenn ihre Bediensteten verdächtige Vorkommnisse wahrnehmen. Auch bemühen sich Polizei und Private, ihre Einsatzpläne und -konzepte miteinander abzustimmen. 70 Zum anderen findet sich neben dem Informationsaustausch zunehmend auch eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit auf der operativen Ebene. 71 Besonders bei Anlagen und Einrichtungen, in denen öffentlicher und privater Raum zusammentreffen – also Flughäfen, Bahnhöfen und U- und S-Bahnen –, werden sog. Doppelstreifen gebildet, die aus Polizisten und Angehörigen privater Wachunternehmen bestehen und die gleichzeitig Haus- und Hoheitsrechte ausüben können. 72 Von einer solchen Kooperation versprechen sich sowohl Polizei also auch private Sicherheitsdienste Vorteile. Die Polizei erhofft sich von einem Informationsaustausch mit Privaten zusätzliche Erkenntnisse und Informationen, die sie für ihre Aufgabenerfüllung braucht. Zudem sieht die Polizei bei einer Koopera67

Vgl. Lancelle, Info 110 2/2005, 2 (2); Sedlak, Info 110 2/2005, 12 (12). Vgl. http://www.bielefeld.de/de/rv/ds_stadtverwaltung/ordg/out/stawa.html (Stand: Jan. 2009). 69 S. dazu Olschok, in: Pitschas / Stober (Hrsg.), Quo vadis Sicherheitsgewerberecht?, S. 91 (105 f.). 70 Wadle, DSD 2/1997, 15 (16). In den USA findet sogar eine Kooperation beim Personal statt. Dort fahren Polizeibeamte nach Dienstschluss in ihrer Uniform und mit ihrem Polizeiwagen im Auftrag privater Sicherheitsunternehmen Streife (sog. moonlighting), vgl. dazu Nitz, VerwA 89 (1998), 306 (315 f.); Reiss, Private Employment of Public Police, Washington D.C. 1988. 71 Beispiele solcher Kooperationen s. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 71; Schult, in: Glavic (Hrsg.), Handbuch des privaten Sicherheitsgewerbes, S. 127 (146 f.); Glavic, in: Glavic (Hrsg.), Handbuch des privaten Sicherheitsgewerbes, S. 869 (892 f.). 72 Bleck, DNP 1993, 643 (645); s. a. Schulte, DVBl. 1995, 130 (135). 68

1. Kap.: Sicherheitsgefühl und Schutz durch die Polizei

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tion mit privaten Sicherheitsdiensten für sich den Vorteil, dass diese sie durch ihr sichtbares Auftreten in der Innenstädten und U-Bahnanlagen von eigenen Fußstreifengängen entlasten. 73 Durch die Anwesenheit uniformierter Sicherheitsdienstler wird dem Bürger – so wird von der Polizei vermutet – die Anwesenheit von schützendem Sicherheitspersonal gezeigt. Der Bürger differenziere gar nicht zwischen Polizei und Sicherheitsdienst. Letztlich sei mehr Präsenz von „Sicherheitspersonal“ zu erkennen, so dass die Polizei ihr eigenes Personal wieder für andere, wichtigere Aufgaben einsetzen könne. 74 Zudem hat es für die Polizei den Vorzug, dass private Sicherheitsdienste – unter Berufung auf das Hausrecht ihres Auftraggebers – Maßnahmen ergreifen dürfen, um bestimmte Verhaltensweisen zu unterbinden und unerwünschte Personengruppen (Obdachlose, Punks) zu verdrängen, die die Polizei so nicht ergreifen darf. 75 Die privaten Sicherheitsdienste hingegen versprechen sich von einer Kooperation mit der Polizei vor allem, dass sie dadurch von professioneller, von polizeilicher Seite Anerkennung und Legitimation bekommen. Gleichzeitig werden vermutlich auch wirtschaftliche Beweggründe für eine Kooperation bestehen. Zieht sich die Polizei aus der präsenzzeigenden Tätigkeit heraus, könnte bei privaten Auftraggebern ein zusätzliches Bedürfnis nach Sicherheitspräsenz entstehen, das dann durch das Personal privater Sicherheitsdienste befriedigt wird. Schließlich sind die privaten Sicherheitsdienste zunehmend bestrebt, bestimmte hoheitliche Aufgaben für die Polizei wahrzunehmen. 76 Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung soll von einer Kooperation der Polizei mit privaten Sicherheitsunternehmen vor allem durch die erhöhte Präsenz Sicherheit schaffenden Personals profitieren. 77 Sind neben der Polizei auch noch uniformierte Bedienstete privater Sicherheitsdienstleister auf der Straße und in U-Bahnanlagen zu sehen, so sollen sich die Bürger sicherer fühlen. 78 Zudem können Angehörige privater Sicherheitsdienste durch die konsequente Ausübung der Hausrechte ihrer Auftragsgeber furchtverursachende „Randgruppenangehö73

Bernhard, zit. nach Bleck, DNP 1993, 643 (644). Vgl. Häring, zit. nach Bleck, DNP 1993, 643 (644). 75 Außerdem dürfte sicherlich auch die Art und Weise der Ordnung schaffenden Handlungen im Interesse der Polizei sein, können sich doch private Sicherheitsdienste ein härteres „Zupacken“ erlauben, als dies der rechtsstaatlich gebundenen Polizei möglich ist. 76 Zu der besonderen Problematik der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch private Sicherheitsunternehmen ausführlicher Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 402 ff.; Gusy, in: Stober (Hrsg.), Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 2002, S. 33 (36 ff.); Gusy / Schewe, Aktuelle Entwicklungen im Sicherheitsgewerberecht, Jahrbuch öffentliche Sicherheit 2002/2003, 383 (395 ff.). Zur Problematik der Ausweitung der Aufgabenfelder privater Sicherheitsdienste vor dem Hintergrund staatstheoretischer Vorgaben s. u. 5. Kap. B.I.4.b). 77 Lutz, zit. nach Bleck, DNP 1993, 643 (647). 78 Gusy, in: Stober (Hrsg.), Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 2002, S. 33 (51). 74

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

rige“ aus Furchtorten wie U-Bahnstationen vertreiben, wovon sich die Polizei (und auch die Auftraggeber der Sicherheitsdienste) positive Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl versprechen. 8. Kooperation mit dem Bürger – „neighborhood-watch“ Teilweise versucht die Polizei auch, durch eine Kooperation mit dem Bürger das Sicherheitsgefühl positiv zu beeinflussen. Die Polizei bezieht ehrenamtliche Bürger mit in ihre Aufgabenerfüllung ein, zum Teil durch eine Verbesserung und Institutionalisierung der Kommunikation mit dem Bürger, zum Teil auch durch aktive Wach- und Patrouilletätigkeiten, bei denen die ehrenamtlichen Bürger dann u.U. sogar über Befugnisse verfügen, die über die der Jedermannrechte nach § 127 Abs. 1 StPO hinausgehen. Beispiele einer solchen Kooperation zwischen Polizei und Bürger sind die sog. „Sicherheitswacht“, Kriminalpräventive Räte, der „Freiwillige Polizeidienst“ und die „Ordnungspartnerschaften“. 79 Durch die Beteiligung der Bürger an der Sicherheitsarbeit soll das Sicherheitsgefühl verbessert werden. 80 Die Aktivierung von Laienmitwirkung, wie sie etwa im Rahmen Kriminalpräventiver Räte erfolgt, kann – so hofft die Polizei – bei den Teilnehmern ein realistisches Risikobewusstsein schaffen und zugleich übertriebene Ängste abbauen. 81 Durch die Tätigkeiten im Rahmen von „Sicherheitswachten“ und beim „Freiwilligen Polizeidienst“ sollen die mitwirkenden Bürger die Polizei von „Präsenztätigkeiten“ wie Streifengängen entlasten. 82

79 Ausführlicher dazu Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 60 ff., S. 67 ff., S. 69 ff.; Behr, Rekommunalisierung von Polizeiarbeit, in: Prätorius (Hrsg.), Wachsam und kooperativ? Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent, S. 90 (93 ff.); Kreuzer / Schneider, Freiwilliger Polizeidienst in Hessen, S. 13 ff.; Schierz, van Elsbergen, Schneider, Kutscha, Schröder, jeweils in: van Elsbergen (Hrsg.), Wachen, kontrollieren, patrouillieren, S. 119 (121 ff.); S. 195 (196 ff.); S. 207 (208 ff.); S. 225 (226 f.); S. 235 (238 ff.); Puttner / Kant, CILIP 2/2000, 16 (16 ff.). Zur „neighborhood-watch“ in den USA s. a. Nitz, ebenda, S. 194 ff. 80 Vgl. Hessischer Innenminister Volker Bouffier nach Abschluss des Modellprojekts „Freiwilliger Polizeidienst“, zit. nach Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Hessische Städte- und Gemeinde-Zeitung 2002, 289 (289); Hinweise dazu, dass das Sicherheitsgefühl Ziel dieses Modellprojekts war, s. a. das Ergebnis der begleitenden Evaluation, zusammengefasst bei Schneider, in: van Elsbergen (Hrsg.), Wachen, kontrollieren, patrouillieren, S. 207 (208); s. a. Kreuzer / Schneider, Freiwilliger Polizeidienst in Hessen, S. 16; zur Stärkung des Sicherheitsgefühls durch Ordnungspartnerschaften und Kriminalpräventive Räte s. einerseits nordrhein-westfälischer Innenminister Wolf bei der Verleihung des Landespreises innere Sicherheit 2005, zitiert nach N.N., Streife 1 –2/2006, 14 (14); Spiertz, Streife 4/2005, 30 (32) und andererseits Sächsisches Staatsministerium des Innern, Pressemitteilung 74/03 vom 16.7. 2003, S. 2. 81 Prätorius, in: Lange (Hrsg.), Polizei der Gesellschaft, S. 303 (312). 82 Hessischer Innenminister Volker Bouffier, zit. nach Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Hessische Städte- und Gemeinde-Zeitung 2002, 289 (290).

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9. „Aktion Saubere Innenstadt“ Weitere Maßnahmen der Polizei zur Stärkung des Sicherheitsgefühls finden im Rahmen von auf Ordnung und Sauberkeit ausgerichteten Aktionsprogrammen wie etwa der „Aktion saubere Innenstadt“ statt. Hierunter sind Aktionsprogramme zu verstehen, die zumeist von Kommunen gemeinsam mit der Polizei initiiert und betrieben werden und die darauf abzielen, das Stadtbild durch Ordnungs- und Säuberungsmaßnahmen zu verbessern und Zeichen von Unordnung und sozialem Verfall – wie etwa Müll auf den Straßen oder Graffiti – zu beseitigen. 83 Diese Aktionsprogramme bestehen aus einer Vielzahl einzelner Maßnahmen, die zur Sauberkeit der Stadt betragen sollen. Dabei werden nur einige im Rahmen der „Aktion saubere Innenstadt“ vorgenommenen Maßnahmen von der Polizei durchgeführt. Der Beitrag der Polizei zur „Aktion saubere Stadt“ betrifft die konsequente Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und der Alltagskriminalität. Insbesondere soll die Polizei das Ordnungswidrigkeitenrecht nachdrücklich anwenden und auch bereits leicht delinquentes und ordnungswidriges Verhalten, bei dem sich die Polizei sonst üblicherweise auf Ermahnungen und Verwarnungen beschränkt, konsequent ahnden. 84 Die wesentlichen Maßnahmen der „Aktion saubere Innenstadt“ werden aber von städtischen Mitarbeitern oder von Privaten vorgenommen. So werden städtische Mitarbeiter abgestellt, die den mit der Stadtreinigung befassten Stellen auf Abruf helfen, besondere Verschmutzungen zu beseitigen, vor allem Graffiti-Spuren an öffentlichen Gebäuden und unerlaubt angebrachte Plakate. Teilweise werden Gemeinschaftsveranstaltungen der Stadt und der Bürger organisiert, bei denen die Bürger gemeinsam mit städtischen Bediensteten den Müll aus kommunalen Grünanlagen einsammeln. Auch regt die Stadt Eigentümer an, ihre von Graffiti verschmutzen Häuser möglichst schnell zu reinigen, und fördert dies teilweise auch noch durch spezielle Förderprogramme oder Unterstützung bei der zivilrechtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. 85 Diese Ordnung und Sauberkeit schaffenden Maßnahmen der „Aktionsprogramme saubere Stadt“ sollen ebenfalls das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung verbessern. Fehlen die Zeichen von Unordnung und sozialem Verfall, wird sich der Bürger – so die Vermutung der Initiatoren der „Aktion saubere Innenstadt“ – wieder in den Grünanlagen, U-Bahnhöfen und Fußgängerzonen seiner Stadt sicher fühlen.

83 Zu den Aktionsprogrammen und den jeweils ergriffenen Maßnahmen ausführlicher vgl. Frommer / Kimmelzwinger, Die Kriminalprävention 2001, 134 (134 ff.); s. a. Schierz, in: van Elsbergen (Hrsg.), Wachen, kontrollieren, patrouillieren, S. 119 (124 ff.). 84 Frommer / Kimmelzwinger, Die Kriminalprävention 2001, 134 (134 f.). 85 Frommer / Kimmelzwinger, Die Kriminalprävention 2001, 134 (135).

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10. Repressive Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls Die von der Polizei zum Schutz des Sicherheitsgefühls ergriffenen Maßnahmen finden sich allerdings nicht nur im präventiven Bereich. Es lassen sich auch dem Sicherheitsgefühl dienende Maßnahmen erkennen, die im repressiven Handeln der Polizei liegen und bei denen sich die Polizei auf die Befugnisse der StPO stützt. So manch eine Maßnahme, die die Polizei im Rahmen der Strafverfolgung ergreift, soll nicht nur der Ermittlung des Täters dienen, sondern soll vor allem auch der verängstigten Bevölkerung signalisieren, dass die Polizei gegen die Kriminalität vorgeht. Dieses symbolische Handeln 86 findet sich insbesondere bei solchen Straftaten, die ein besonderes Echo in den Medien gefunden haben und die bei der Bevölkerung Angst und Empörung hervorrufen, namentlich bei Tötungsdelikten, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und dabei besonders, wenn Kinder Opfer sind. Eine typische Strafverfolgungsmaßnahme mit solchem Symbolcharakter ist der sog. DNA-Massentest. Beim DNA-Massentest werden all diejenigen Personen, denen eine bestimmte Eigenschaft eigen ist, über die auch der Täter verfügen soll, von der Polizei aufgefordert, freiwillig eine Speichelprobe abzugeben und sich einer DNA-Analyse zu unterziehen. 87 Diese Speichelproben werden einer DNA-Analyse unterzogen und mit am Tatort oder Opfer gefundenen DNA-Spuren des Täters abgeglichen. Bei der freiwilligen DNA-Massenuntersuchung geht die Polizei zwar nicht davon aus, dass sich der Täter durch die Untersuchung selbst überführen lässt, 88 sondern die Polizei will durch die DNA-Reihenuntersuchung den Kreis der als Verdächtige in Betracht kommenden Personen so weit reduzieren, dass sie die übriggebliebenen Personen mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden überprüfen kann. Diese DNA-Massentests können zur Ergreifung des Täters beitragen, indem sie – immer vorausgesetzt, es nehmen genügend Personen „freiwillig“ an der Untersuchung teil – zur „Verdächtigenreduzierung“ beitragen. 89 So mancher DNA-Massentest soll allerdings nicht nur diesem Zweck dienen, sondern er erfolgt auch, um der Bevölkerung durch die über die Medien 86 Zu den Begrifflichkeiten von symbolischen und ruhigstellender Gesetzgebung vgl. Waechter, DVBl 1999, 809 (809). 87 Zum DNA-Massentest Graalmann-Scheerer, NStZ 2004, 297 (297 ff.); Wüsteney, Rechtliche Zulässigkeit sogenannter DNA-Massentests zur Ermittlung des Täters einer Straftat; Satzger, JZ 2001, 639 (639, 647 ff.). Allgemein zum Spannungsfeld des „genetischen Fingerabdrucks“ zwischen kriminalistischen Begehren und grundrechtlichem Schutz vgl. Schewe, JR 2006, 181 (182 f.). 88 Obwohl es durchaus vorgekommen ist, dass sich auch der Täter, in der Hoffnung, den Test „austricksen“ zu können, „freiwillig“ an dem Test beteiligt hat und so überführt werden konnte, vgl. Wüsteney, Rechtliche Zulässigkeit sogenannter DNA-Massentests zur Ermittlung des Täters einer Straftat, S. 26; Satzger, JZ 2001, 639 (647); Hamm, NJW 1998, 2407 (2408).

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verbreiteten Aufrufe zur Beteiligung an einer solchen Maßnahme zu zeigen, dass die Polizei nichts unversucht lässt, den Täter zu überführen und zu „bestrafen“. Dies soll das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei stärken und so das Sicherheitsgefühl verbessern. 90 Zudem werden dem Bürger Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet, die ihn an der Strafverfolgung teilhaben lassen und die sich positiv auf sein Sicherheitsgefühl auswirken sollen. Eine weitere strafprozessuale Maßnahme mit Symbolwirkung ist die Einrichtung von Kontrollstellen (§ 111 StPO). Bei besonders schweren Straftaten 91 – etwa bei einem Bankraub – kann die Polizei alle aus einem Gebiet herausführenden Straßen absperren und dort Kontrollstellen einrichten, an denen jeder kontrolliert wird, der die Kontrollstelle passieren will. 92 Damit bezweckt die Polizei die Ergreifung des noch flüchtigen Täters. Allerdings wird an diesen Kontrollstellen nur selten ein Verdächtiger gefasst. 93 Zwar können sie zu seiner Ergreifung beitragen, indem sie die Bewegungsfreiheit des Verdächtigen einschränken und seine weitere Flucht so lange verhindern oder erschweren, bis er gefasst werden kann. 94 Vor allem aber zeigen Kontrollstellen der Bevölkerung, dass die Polizei sich intensiv um die Aufklärung der Straftat und um die Ergreifung des Täters bemüht. Sie zeigen die Entschlossenheit und Schnelligkeit der Polizei und tragen so zu einer höheren Wertschätzung der Polizei und letztlich zu einer Stärkung des Sicherheitsgefühls bei. Ebenfalls zu den Maßnahmen mit hohem Symbolcharakter gehören aufwändige Suchaktionen, bei denen ganze Hundertschaften der Polizei Wälder oder Felder durchstreifen. Solche Suchaktionen tragen selten zur Strafverfolgung bei, indem sie Spuren oder Hinweise zu Tage fördern, sie zeigen aber das Engagement der Polizei und beruhigen so die Bürger. Oftmals sind es gerade diese Aktionen, 89 Satzger, JZ 2001, 639 (647); Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 490; Graalmann-Scheerer, NStZ 2004, 297 (298). Zu den Folgen einer Weigerung zur „freiwilligen“ Teilnahme Lammer, StraFo 2003, 129 (129 f.). 90 Wüsteney, Rechtliche Zulässigkeit sogenannter DNA-Massentests zur Ermittlung des Täters einer Straftat, S. 28. 91 Im Einzelnen zu den eine Kontrollstelle rechtfertigenden Straftaten Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 111, Rn. 4; Schnarr, NStZ 1990, 257 (259). 92 Ausführlich zu Kontrollstellen Kastner, in: Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, S. 902 (902 ff.); Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 111, Rn. 1 ff.; Sangenstedt, StV 1985, 117 (118 ff.); Meyer, in: BKA (Hrsg.), Möglichkeit und Grenzen der Fahndung, S. 147 (148); Kurth, NJW 1979, 1377 (1381 f.); Riegel, Polizeiliche Personenkontrolle, S. 33 ff., 50 ff.; ders., NJW 1979, 147 (147 f.). Zur Schleppnetzfahndung Rogall, NStZ 1986, 385. 93 Zu den Erfolgen von Kontrollstellen – im Rahmen von Großfahndungen – ausführlicher Wolfermann, in: BKA (Hrsg.), Möglichkeit und Grenzen der Fahndung, S. 19 (23). 94 Vgl. Rebmann, in: BKA (Hrsg.), Möglichkeit und Grenzen der Fahndung, S. 176 (176).

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von denen Bilder in den Medien gezeigt werden, wenn von einer erfolgreichen Strafermittlung berichtet wird, während die eigentlich erfolgreichen Ermittlungsmaßnahmen medial unsichtbar bleiben. Anders als bei den im präventiven Bereich getroffenen Maßnahmen kann man zwar bei den repressiven nicht so eindeutig sagen, dass sie nur zum Schutz des Sicherheitsgefühls vorgenommen werden. Bei den repressiven Maßnahmen ist der Schutz des Sicherheitsgefühls (fast) nie der alleinige Zweck, sondern es soll nahezu immer auch eine Straftat aufgeklärt werden. Allerdings sind die symbolträchtigen Maßnahmen zumeist nicht die ersten und üblicherweise bevorzugten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen. Sie sind oftmals sehr aufwendig und teuer und zudem nicht so aussichtsreich wie andere Maßnahmen. Daher werden sie i. d. R. nur dann eingesetzt, wenn die Polizei mit ihren sonst üblichen und erfolgreichen Ermittlungsmethoden keinen Erfolg gehabt hat. So wird beispielsweise ein DNA-Reihentest – schon aus Geld- und Zeitgründen – nur dann durchgeführt, wenn die Polizei den Kreis der möglichen Verdächtigen nicht durch andere Ermittlungen hat einengen können und ihr sonst nichts mehr „einfällt“, was sie tun kann. Es ist allerdings zu vermuten, dass dabei selbst die Polizei keine allzu großen Hoffnungen haben wird, dass durch die symbolträchtigen Maßnahmen der Täter gefasst wird. Bei den symbolischen Ermittlungsmaßnahmen handelt es sich also oftmals um „Verzweiflungstaten“, bei denen die Polizei hofft, doch noch Hinweise zur Strafverfolgung zu finden, die sie bislang nicht hat finden können, und von denen sie sich zugleich aber auch eine positive Signalwirkung verspricht. Gleichwohl lassen sich bei der Strafverfolgung durch die Polizei Maßnahmen erkennen, mit denen die Polizei nicht nur den Täter ermitteln will, sondern mit denen sie vor allem auch der Bevölkerung signalisieren will, dass sie „etwas gegen die Kriminalität tut“. Dies kann etwa dadurch erfolgen, dass äußerst medienwirksame und von der Bevölkerung als äußerst verwerflich empfundene Straftaten besonders intensiv und vor allem nach außen erkennbar verfolgt werden, indem – beispielsweise bei einem „Kinderschänder“ – nicht nur intensive Ermittlungen mit viel Personal durchgeführt werden, sondern auch noch Sonderkommissionen mit besonders klingenden Namen, wie dem Vornamen des Opfers, eingerichtet werden. Die Polizei achtet also auch bei der strafverfolgenden Tätigkeit darauf, dass sie nicht nur Straftaten aufklärt, sondern auch dem Bürger signalisiert, dass sie „etwas tut“, dass sie alles unternimmt, um die Straftat aufzuklären und den Täter zu fassen. Dadurch soll den Bürgern die durch die Straftat entstandene Verunsicherung und Angst genommen und das Sicherheitsgefühl verbessert werden.

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11. Sonderproblem Terrorismusbekämpfung Eine zentrale Stellung in der polizeilichen Arbeit nimmt der Schutz des Sicherheitsgefühls bei der Terrorismusbekämpfung ein. 95 Dies ist durch die Eigenheiten des Terrorismus 96 bedingt. Terrorismus soll – wie seine sprachliche Herkunft vom lateinischen „terror“ (Furcht, Schrecken) andeutet – gerade Unsicherheitsgefühl erzeugen. 97 Die vom Terrorismus – nicht zwingend aber von den terroristischen Anschlägen – bedrohten Menschen sollen sich nicht mehr sicher fühlen; sie sollen sich jederzeit einem Angriff auf ihr Leben ausgesetzt sehen und so in permanenter Angst und Furcht vor einem terroristischen Anschlag leben müssen. 98 Das ist das primäre Ziel des Terrorismus. Die Störungen der öffentlichen Sicherheit durch die Rechtsgutsbeeinträchtigungen, die von den Terroristen bei ihren Anschlägen verursacht werden, sind nur „Nebenfolgen“, nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg zum eigentlichen Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten. 99 Wie sehr der Terrorismus von der Furcht lebt, zeigen die Verunsicherung und Furcht vor einem terroristischen Anschlag in Deutschland seit den Anschlägen vom 11. September 2001. Obwohl sich bislang in Deutschland noch kein Anschlag mit terroristischem Hintergrund ereignet hat, 100 sind die Bundesbürger in großer Sorge vor einem solchen Anschlag und ihr Sicherheitsgefühl ist dadurch sehr stark beeinträchtigt, wenngleich andere Gefahren – wie Opfer einer „normalen“ Straftat zu werden oder im Straßenverkehr zu verunglücken – weitaus wahrscheinlicher und damit eher zu fürchten sind. 95 Dies gilt insbesondere für den islamistisch motivierten Terrorismus seit den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington. Denn anders als der Terror der R.A.F., der sich vornehmlich gegen hervorgehobene Vertreter des Regimes, wie Politiker, Bankiers und Industrielle, richtete, bedroht der islamistisch motivierte Terror jeden Bundesbürger, unabhängig von seiner Stellung, seinem Vermögen und seiner Religion, so dass sich jeder Bürger fürchten kann. 96 Zu den Schwierigkeiten zu definieren, was Terrorismus ist, vgl. Grzeszick, in: Isensee (Hrsg.), Der Terror, der Staat und das Recht, S. 55 (58 f.); Krumwiede, in: Waldmann (Hrsg.), Determinanten des Terrorismus, S. 29 (32 f.). 97 Isensee, in: ders. (Hrsg.), Der Terror, der Staat und das Recht, S. 83 (83 f.); PfahlTraughber, Kriminalistik 2004, 364 (366); Diebitz, ARSP 91 (2005), 558 (560): „Der Schrecken ist die einzige Ratio des Terrors“. 98 Münkler, Die neuen Kriege, S. 177 ff.; Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, S. 9 ff.; ders., Terrorismus und Bürgerkrieg, S. 16; Diebitz, ARSP 91 (2005), 558 (569); Fromkin, in: Funke (Hrsg.), Terrorismus, S. 83 (93 ff.); zusammenfassend Münkler, Neue politische Literatur 25 (1980), 299 (299 ff.). 99 Münkler, Die neuen Kriege, S. 177 ff. bezeichnet Terrorismus daher als eine „Kommunikationsstrategie“. Terror ist eine Botschaft, die dem Betroffenen seine Verletzlichkeit vor Augen führen soll, S. 179. 100 Allerdings gab es mit den „Kofferbomben“, die am 31. 7. 2006 in Köln in von dort fahrenden Regionalzügen abgestellt und später in den Bahnhöfen von Dortmund und Koblenz gefunden wurden, zumindest Versuche eines solchen Anschlags; vgl. dazu FAZ vom 18. 8. 2006.

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Terrorismus betrifft also schon von seiner Eigenheit her das Sicherheitsgefühl. Der Staat, der gegen den Terrorismus vorgehen will, muss diese Eigenheit berücksichtigen. Die typische Reaktion des Staates ist daher neben der Verhinderung weiterer Terroranschläge – d. h. Maßnahmen zur Herstellung von Sicherheit –, Maßnahmen zu ergreifen, die die Furcht vor diesen Terroranschlägen nehmen, also das Sicherheitsgefühl wiederherstellen sollen. Solches symbolisches Handeln zeigt dabei nicht allein die Polizei, sondern es wird auch von vielen anderen Staatsorganen ergriffen, von der Bundesregierung, die Erklärungen und Aktionspläne präsentiert, vom Gesetzgeber, der schnell neue Sicherheitsgesetze verabschiedet. Eine typische Reaktion der Polizei auf die terroristische Bedrohung besteht im Objektschutz. Vor wichtige und besonders anschlagsgefährdete Gebäude werden deutlich sichtbar Polizisten gestellt, die das Gebäude bewachen sollen. Diese sollen verhindern, dass auf die bewachten Gebäude Anschläge verübt werden. Vor allem aber sollen sie durch ihre sichtbare Präsenz der Bevölkerung zeigen, dass die Polizei „da“ ist, dass Terroristen keine Anschläge verüben können, und so das Sicherheitsgefühl stärken. Bei solchen Objektschutzaufgaben liegt der Schwerpunkt somit deutlich auf der Stärkung des Sicherheitsgefühls und nicht auf dem Schutz der objektiven Sicherheit. Die zum Objektschutz eingesetzten Polizisten können zwar das Gebäude zumindest teilweise vor Anschlägen schützen, für polizeiliche Maßnahmen zum Aufspüren von Terroristen und damit zu Abwehr von Anschlägen können sie aber – aufgrund ihres Aufenthalts vor dem zu schützenden Objekt – nichts beitragen; sie fehlen schlicht für die übliche Polizeiarbeit. Wie viel sich die Politik von solchen Objektschutztätigkeiten für das vom Terrorismus beeinträchtigte Sicherheitsgefühl erhofft – und wie wenig für die tatsächliche Sicherheit –, zeigen auch Bestrebungen, die Polizei von diesen symbolischen Objektschutzaufgaben zu entlasten, indem dafür Kräfte der Bundeswehr eingesetzt werden sollen. 101 Dabei scheint man von der Überlegung geleitet, dass die Objektschützer tatsächliche Anschläge nicht verhindern können, so dass man dafür auch für Polizeieinsätze nicht ausgebildete Soldaten einsetzen kann. Die Hauptsache scheint zu sein, dass – gut sichtbar – eine schwerbewaffnete Wache vor dem Gebäude steht. Eine weitere stark auf die Verbesserung des Sicherheitsgefühls ausgerichtete Anti-Terror-Maßnahme ist die (präventive) Rasterfahndung, wie sie beispielsweise nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in ganz Deutschland durchgeführt wurde. Die Rasterfahndung ist eine computergestützte Fahndungsmethode, bei der nach Daten einer gesuchten Person in polizeifremden Datenbeständen 101 Wie sehr die Politik auf solche das Sicherheitsgefühl stärkende Signale setzt, zeigt die Reaktion der britischen Regierung auf die Warnung vor Bombenanschlägen auf Flugzeuge: Es wurden auf dem Londoner Flughafen Heathrow Panzer aufgefahren, wobei klar sein musste, dass Panzer kaum die Terroristen hindern werden, eine Bombe in ein Flugzeug zu schmuggeln. Die Bilder dieser Panzer zeigten aber die Entschlossenheit und Schnelligkeit der Regierung in ihren Gegenmaßnahmen.

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recherchiert wird. 102 Sie basiert auf der Überlegung, dass bei vielen Abläufen des täglichen Lebens personenbezogene Daten gespeichert werden und jeder Mensch daher in diesen diversen Datenbeständen Spuren hinterlässt. 103 Will man nun eine bestimmte Person ausfindig machen, so müsse man nur die diversen Datenbestände, die von den verschiedensten – öffentlichen, aber auch privaten – Stellen zu den unterschiedlichsten Anlässen gespeichert werden, nach bestimmten, auf die gesuchte Person vermutlich zutreffenden Kriterien durchsuchen und miteinander abgleichen. Die Erfolgsaussichten einer solchen Rasterfahndung sind äußerst gering. 104 Schon die repressive Rasterfahndung, bei der nach Straftätern gesucht wird, konnte nur wenige Erfolge hervorbringen; die präventive Rasterfahndung, die im Gegensatz zur repressiven noch mehr Ungewissheiten über die Eigenschaften der gesuchten Person und damit über das Raster ausgesetzt ist, wird nur in ganz begrenzten Fällen, nicht aber zur allgemeinen Terrorismusbekämpfung geeignet sein. 105 Gleichwohl wird die präventive Rasterfahndung als ein bedeutendes Mittel zur Terrorismusbekämpfung gepriesen. 106 Die Bedeutung liegt allerdings nicht in ihren Fahndungserfolgen – mit der nach dem 11. September 2001 durchgeführten Rasterfahndung beispielsweise wurde trotz einer gewaltigen gerasterten Datenmenge kein einziger Terrorist in Deutschland entdeckt 107 –, sondern vielmehr in ihrer positiven Wirkung auf das Sicherheitsgefühl. Mit der Durchführung einer Rasterfahndung signalisiert die Polizei dem Bürger, dass sie sich bemüht, die noch in Deutschland befindlichen Terroristen ausfindig zu machen und an Anschlägen zu hindern. So soll sie der Bevölkerung die Angst vor Anschlägen von versteckten „Schläfern“ nehmen und dadurch das Sicherheitsgefühl stärken. 108 Die Polizei ergreift bei der Bekämpfung des Terrorismus nicht nur Maßnahmen, die Anschläge verhindern sollen, sondern sie bemüht sich auch, durch bestimmte Maßnahmen die Ziele des Terrorismus, nämlich Furcht und Schrecken unter

102

Wittig, JuS 1997, 961 (968); allgemein zur Rasterfahndung, Siebrecht, Rasterfahndung; Simon / Taeger, Rasterfahndung; Sokol, in: Bäumler (Hrsg.), Polizei und Datenschutz, S. 188 (188 ff.); Schewe, in: Lange (Hrsg.), Wörterbuch der Inneren Sicherheit, S. 263 (263 ff.); ders., NVwZ 2007, 174 (174 ff.). 103 Bäumler, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts (3.A.), Rn. J 256; Petri, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. H 500. 104 Schewe, NVwZ 2007, 174 (176). 105 Vgl. Schewe, NVwZ 2007, 174 (177). 106 Etwa vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily auf dem Sondertreffen der Innen- und Justizminister der EU-Staaten in Brüssel am 20. 9. 2001, vgl. Winter, in: FR vom 21. 9. 2001, S. 6. Ausführlich zur „Werbung“ – insbesondere Schilys – für die Rasterfahndung in der EU s. a. Bishof, Kritische Justiz 2004, 361 (376 f.) m.w. N. 107 Vgl. Einschätzung des BVerfG dazu BVerfG, NJW 2006, 1939 (1939); s. a. Schewe, NVwZ 2007, 174 (176). 108 Zur Funktion der Rasterfahndung als Maßnahme zur Stärkung des Sicherheitsgefühls abw. Votum der Richterin Haas, BVerfG, NJW 2006, 1939 (1950).

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

der Bevölkerung zu verursachen, zu vereiteln, indem sie durch Maßnahmen mit Symbolkraft das Sicherheitsgefühl positiv zu beeinflussen sucht. 12. Zusammenfassung Es lässt sich demnach als Fazit festhalten: Die Polizei ergreift eine Vielzahl von Maßnahmen mit der Intention, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu verbessern; kurz: die Polizei schützt das Sicherheitsgefühl. Dabei sind manche Maßnahmen sowohl auf die Herstellung von objektiver Sicherheit als auch auf die Verbesserung des Sicherheitsgefühls ausgerichtet, sind insoweit doppelfunktional, wie etwa die Videoüberwachung. Andere Maßnahmen hingegen sollen allein das Sicherheitsgefühl verbessern – wie etwa die Maßnahmen gegen „Randgruppenangehörige“ oder das Präsenzzeigen in der Öffentlichkeit. Gerade letztere sind für die in dieser Arbeit aufgeworfene Frage, ob die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen darf, besonders interessant, weil sie zeigen, dass polizeiliche Maßnahmen zur Stärkung des Sicherheitsgefühls nicht zwingend Maßnahmen sind, die auf die Gewährleistung der objektiven Sicherheit abzielen oder dazu beitragen, sie sich daher auch nicht als Abwehr von Gefahren für die objektive Sicherheit rechtfertigen lassen. III. Warum schützt die Polizei das Sicherheitsgefühl? Für ein solches, das Sicherheitsgefühl schützendes Tätigwerden der Polizei lassen sich mehrere Beweggründe erkennen. Da ist zunächst die kriminalpolitische Überzeugung, dass Sicherheit und Sicherheitsgefühl einander bedingen. Mangelnde Sicherheit mindert das Sicherheitsgefühl; ein beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl begünstigt die Begehung von Straftaten, reduziert mithin Sicherheit und fördert Unsicherheit. Daneben gibt es aber auch zwei „eigennützige“ Motive, weshalb sich die Polizei mit dem Sicherheitsgefühl befasst: zum einen die Suche nach einem staatsanwaltschaftsfreien Betätigungsfeld und zum anderen das Streben nach einer Rechtfertigung für das Bestehen der Polizei. 1. Kriminalitätsbegünstigende Wirkung des Unsicherheitsgefühls Ein Grund dafür, dass sich die Polizei mit dem Sicherheitsgefühl befasst, liegt in der kriminalitätsbegünstigenden Wirkung von Unsicherheitsgefühlen. Zwar kann grundsätzlich ein gewisses Maß an Unsicherheitsgefühlen für die Verhütung von Straftaten durchaus nützlich sein. Denn bei einem realistischen Unsicherheitsgefühl verhält sich der Einzelne gegenüber der tatsächlich drohenden Kriminalität nicht naiv, sondern handelt mit der gebotenen Vorsicht und beugt Straftaten vor. So wird beispielsweise niemand, der um die Möglichkeit eines Fahr-

1. Kap.: Sicherheitsgefühl und Schutz durch die Polizei

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raddiebstahls Bescheid weiß und sich davor fürchtet, dass sein Fahrrad gestohlen wird, auf die Idee kommen, dieses unabgeschlossen an der Straße stehen zu lassen, sondern er wird es durch ein Schloss sichern. Dadurch erschwert er es einem Dieb, das Fahrrad zu stehlen. Die Furcht vor einer Straftat bewirkt also in solchen Fällen mögliche Vermeidungsverhaltensweisen 109 und adäquate Selbstschutzaktivitäten, die die Möglichkeit, Opfer von Kriminalität zu werden, mindern und somit die Kriminalität insgesamt vermindern. 110 Allerdings gilt diese positive, kriminalitätsverhütende Wirkung von Unsicherheitsgefühlen nur bei einem realen Furchtniveau, also wenn die Bedrohung durch Kriminalität und die Furcht davor einander entsprechen. Im Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung unangemessene, überhöhte und damit irrationale Furcht hingegen ist für die Senkung der Kriminalität eher kontraproduktiv. 111 Ein derart gestörtes Sicherheitsgefühl, das sich durch eine überhöhte Furcht vor Kriminalität auszeichnet, begünstigt Kriminalität, weil die kriminalitätsverhindernden sozialen Kontakte – vor allem in der Nachbarschaft – vernachlässigt werden. 112 Denn vielfach führt ein beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl zu einem Wechsel des Verhaltens beim sich Fürchtenden. Diejenigen Menschen, deren Sicherheitsgefühl stark beeinträchtigt ist, schränken ihre Verhaltensweisen furchtbedingt stark ein. Aus Furcht unterlassen sie bestimmte, als gefährlich empfundene Verhaltensweisen. So vermeiden sie es etwa, sich an Orte zu begeben, an denen sie sich vor Übergriffen fürchten, oder sich bei Dunkelheit außerhalb der eigenen Wohnung aufzuhalten. Dieses furchtbedingte Vermeideverhalten, das dem sich Fürchtenden als sinnvoller Schutz vor Kriminalität erscheint, erleichtert im Gegenteil aber, wenn es über das notwendige Maß hinausgeht, die Begehung von Straftaten. Denn wenn sich in ihrem Sicherheitsgefühl beeinträchtigte Menschen mehr in ihrer Wohnung aufhalten und es vermeiden, diese – insbesondere abends – zu verlassen, bedeutet das oft auch, dass soziale Kontakte – vor allem zu weniger engen Bekannten wie Nachbarn – nicht mehr gepflegt werden. Dadurch kann in Wohnvierteln, in denen sich viele Bewohner fürchten, eine Anonymität in der Nachbarschaft entstehen. Diese Anonymität hat zur Folge, dass die Nachbarn sich nicht mehr kennen und nicht mehr auf einander Acht geben, was wiederum die Begehung von Straftaten erleichtert. Das Risiko eines Straftäters, bei der Tatbegehung durch einen aufmerksamen Nachbarn bemerkt und gestört zu werden, ist bei solchen anonymen Wohnverhältnissen weitaus geringer. So fällt es beispielsweise 109

Empirisch ermittelte Beispiele für ein solches Vermeideverhalten liefert etwa Schweer, Kriminalität und Kriminalitätsfurcht im Alltag der Stadt Cloppenburg, S. 98; s. a. Schwind, Kriminologie, § 20 Rn. 29. 110 Müller / Braun, Kriminalistik 1993, 623, 624; 2. PSB 206, S. 505. 111 Müller / Braun, Kriminalistik 1993, 623, 624. 112 Becker / Boers / Kurz, in: Kube / Schneider / Stock (Hrsg.), Vereint gegen Kriminalität, S. 79 (96); Müller / Braun, Kriminalistik 1993, 623, 623; Reuband, ZfS 1989, 470, 470; Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121 (126).

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

dem Nachbarn nicht auf, wenn sich ein Dieb in der Wohnung seines Nachbarn befindet, obwohl zu ungewöhnlichen Zeiten in der Wohnung Licht brennt und sich ungewöhnliche Personen dort aufhalten. Zudem ist auch die Bereitschaft, einem Nachbarn, der Opfer einer Straftat wird, zu helfen, bei anonymen Wohnverhältnissen geringer. Wer seinen Nachbarn nicht kennt, ist auch weniger bereit, sich für diesen einzusetzen, womit ebenfalls dem Täter die Tatbegehung erleichtert wird. Der furchtbedingte Rückzug in die eigene Wohnung führt zudem dazu, dass sich abends weniger Menschen draußen aufhalten. Dadurch sind Straßen und Parks abends nicht mehr belebt. Ein Opfer sieht sich damit einem Täter allein gegenüber, ohne dass es auf Hilfe von Passanten hoffen kann. Besonders als gefährlich empfundene und deshalb gemiedene Orte, wie dunkle Parkanlagen, werden dadurch noch gefährlicher – oder gar erst dadurch gefährlich. 113 Außerdem führt die geringere Frequentierung und Nutzung von Straßen, Parks und U-Bahnstationen dazu, dass das Sicherheitsgefühl dort (noch mehr) sinkt. Denn wo sich weniger Menschen aufhalten, fühlen sich diejenigen, die noch die Orte aufsuchen, unsicherer. Das beeinträchtigte Sicherheitsgefühl führt durch das Vermeideverhalten auch zu einer weiteren Minderung des Sicherheitsgefühl. So wird der Eindruck von Furchtorten noch weiter verstärkt. Unsicherheitsgefühle können demnach gegenüber Gefahren aus Kriminalität sensibilisieren und zur Vorbeugung von Straftaten beitragen, das – dies sei vorweggenommen 114 – augenblickliche Maß an Unsicherheitsgefühlen führt allerdings zu einem Kriminalität begünstigenden Vermeideverhalten. 2. Staatsanwaltschaftsfreies Betätigungsfeld Ein weiterer Beweggrund für die Polizei, sich verstärkt mit dem Sicherheitsgefühl zu befassen, kann in ihrer Suche nach Tätigkeitsfeldern, in denen sie weisungsfrei, d. h. ohne Kontrolle und Anweisungen der Staatsanwaltschaft tätig werden kann, gesehen werden. 115 Die Verlagerung der Polizeiarbeit hin zur Kriminalitätsbekämpfung hat die „Freiheiten“ der Polizei(-führung) stark eingeschränkt. Die klassische Aufgabe der Polizei, die Gefahrenabwehr, tritt immer 113 Als Folge des „Aufschaukelungsprozesses“ von Unsicherheitsgefühlen und Vermeideverhalten können dann „no go areas“ entstehen, die einen besonders geeigneten Raum für kriminelle Aktivitäten bedeuteten können, vgl. 2. PSB 2006, S. 486. 114 Ausführlich zur Frage, ob das (Un-)Sicherheitsgefühl der tatsächlichen Sicherheitslage angemessen ist, s. u. 4. Kap. A.III. 115 Vgl. zum Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei, insbesondere zur „doppelten Weisungshierarchie“ Lange / Schenck, Polizei im kooperativen Staat, S. 314 f. Exemplarisch für dieses Streben nach „Freiheit von den Staatsanwaltschaften“ ist die Diskussion um die Bezeichnung der Polizisten als „Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft“, die mittlerweile in „Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft“ (§ 152 Abs. 1 GVG) geändert wurde, vgl. BTDrs. 15/3482, S. 251.

1. Kap.: Sicherheitsgefühl und Schutz durch die Polizei

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mehr hinter die Aufgabe der Strafverfolgung zurück. Bei der Strafverfolgung wird die Polizei als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft tätig und unterliegt deren Anweisung. Es ist letztlich der Staatsanwalt, der bestimmt, wie die Polizei handelt. 116 Bei polizeilichen Maßnahmen zur Aufklärung von Straftaten ist die Polizei also an die Weisungen der Staatsanwaltschaft gebunden. Sie kann nicht mehr frei entscheiden, wie sie ihre Aufgaben erfüllt. Polizeitaktische und kriminalpolitische Konzepte werden nicht mehr von der Polizeiführung, den Polizeipräsidenten und Landräten, bestimmt, sondern unterliegen dem maßgeblichen Einfluss der Staatsanwaltschaften. Durch eine Polizeiaufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ gewinnt die Polizei ihre Weisungsfreiheit – zumindest was die Erfüllung dieser Aufgabe betrifft – zurück. Der Schutz des Sicherheitsgefühls ist – zumindest in den Bereichen, in denen er eigenständiges Ziel polizeilichen Handelns ist – eindeutig kein repressives, kein strafverfolgendes Polizeihandeln und unterfällt damit nicht der Weisungsbefugnis der Staatsanwaltschaften. Die Polizeiführung könnte frei entscheiden, wie sie ihre „Aufgabe“ Schutz des Sicherheitsgefühls erfüllt; sie könnte ihre Konzepte und Planungen ohne staatsanwaltliche Einflussnahme selbst bestimmen. 3. Rechtfertigung für das Bestehen der Polizei Andererseits befasst sich die Polizei mit dem Sicherheitsgefühl auch, um ihre eigene Existenz zu legitimieren. Angesichts angespannter Finanzlagen wird immer mehr der „schlanke Staat“ gefordert. Der Staat soll sich auf seine Kernaufgaben beschränken und alle „unwichtigen“ Aufgaben privaten Kräften überlassen. Zudem soll der Staat auf teure und unwirksame Maßnahmen verzichten. Die Privatisierung soll dabei vor allem mehr Wirtschaftlichkeit bei der Bewältigung der Staatsaufgaben durch den Staat garantieren. 117 Durch die politische Forderung nach einem „schlanken Staat“ kommt jede staatliche Aufgabe auf den Prüfstand. Der Staat sieht sich einem erhöhten Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Er muss begründen, warum gerade diese Aufgabe vom Staat, also von staatlichen Kräften, erbracht werden muss und warum sie nicht vom Privaten erbracht werden kann. Das bedeutet, dass sämtliches staatliches Handeln auf seine Notwendigkeit, Geeignetheit und vor allem Wirtschaftlichkeit hin überprüft wird. 116 Dies gilt natürlich nicht für jede einzelne Ermittlungsmaßnahme; in der Praxis ist es eher so, dass die Polizei ermittelt und am Ende ihrer Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ihre Ergebnisse vorlegt. Es gilt aber für die grundlegenden polizeitaktischen und kriminalpolitischen Konzepte, insbesondere die Frage, welche Deliktsarten besonders verfolgt werden und bei welchen „eher ein Auge zugedrückt“, also i. d. R. das Verfahren eingestellt wird. 117 Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 18.

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

Dieser Rechtfertigungsdruck macht dabei nicht einmal vor dem Bereich Sicherheit halt. 118 Der Staat muss sogar seine Maßnahmen und Aufwendungen zur Gewährleistung von Sicherheit rechtfertigen. 119 Da die Gewährleistung von Sicherheit durch den Staat im Wesentlichen Aufgabe der Polizei ist, bedeutet die Frage, wie viel Staat für die Gewährleistung von Sicherheit notwendig ist, zugleich auch die Frage nach der Notwendigkeit der Polizei; oder anders ausgedrückt: Die Polizei muss in diesem Punkt ihre Existenz, ihr Bestehen und insbesondere ihren Personalbestand rechtfertigen. Dies ist für die Polizei allerdings nicht ganz leicht. Insbesondere im Bereich präventiven Polizeihandelns fällt eine solche Rechtfertigung naturgemäß schwer. Denn während sich die Erfolge der Polizei bei der Strafverfolgung relativ leicht anhand der Kriminalitätsstatistiken und dem Vergleich von aufgeklärten zu verübten Straftaten ermitteln lassen, 120 kann im präventiven Bereich der Erfolg nicht so einfach bestimmt werden. Beim präventiven Polizeihandeln geht es um die Abwehr von Gefahren. Die Polizei soll verhindern, dass aus Gefahren Schäden werden. Die Polizei handelt also dann erfolgreich, wenn keine Gefahr zu einem Schaden wird, wenn keine Schäden eintreten. Der nicht eingetretene Schaden, die nicht realisierte Gefahr lässt sich allerdings nur schwer bestimmen. Dass kein Schaden eingetreten ist, kann daran liegen, dass die Polizei ihre Arbeit gut macht, es kann aber auch daran liegen, dass gar keine tatsächliche Gefahr bestand. Diese Schwierigkeit, Erfolge der Polizei bei der Gefahrenabwehr mess- und sichtbar zu machen, zeigt sich insbesondere bei der Straftatenprävention. Die Verhinderung einer Straftat durch Präventionsmaßnahmen der Polizei – wie etwa der Videoüberwachung 121 – wird regelmäßig nicht zur Kenntnis genommen. Der durch polizeiliche Maßnahmen abgeschreckte potentielle Täter, der auf die Ausführungen seiner geplanten Tat verzichtet, lässt sich nicht erkennen und zählen. Der Tatentschluss findet im Kopf statt, manifestiert sich aber nicht nach außen. So taucht beispielsweise der Räuber, der angesichts einer Videokamera auf einen Überfall auf Passanten verzichtet und unverrichteter Dinge nach Hause geht, in keiner Statistik auf. Der Erfolg der diesen Räuber abschreckenden Videoüberwachungsanlage ist nach außen nicht messbar. 122 Im 118 Mit Beispielen Mackeben, Die Grenzen der Privatisierung der Staatsaufgabe Sicherheit, S. 15 f. 119 Man denke nur an die Forderungen, dass der Private auch für seine eigene Sicherheit selbst vorsorgen soll, wie sie insbesondere von Vertretern privater Sicherheitsdienste erhoben werden, vgl. Glavic, Die Polizei 1994, 36 (38); Wackerhagen / Olschok, in: Ottens / Olschok / Landrock (Hrsg.), Recht und Organisation privater Sicherheitsdienste in Europa, S. 169 (173 f.). 120 Allerdings gibt es auch hier das Problem des Dunkelfeldes, der nicht entdeckten oder nicht angezeigten Straftaten, die nicht in der Kriminalitätsstatistik auftauchen und folglich auch nicht von der Polizei aufgeklärt werden bzw. werden können. Zu den Schwierigkeiten ausführlicher Lange / Schenck, Polizei im kooperativen Staat, S. 209 f. 121 Zu den Schwierigkeiten, den Erfolg der situativen Prävention der Videoüberwachung zu messen, Boers, Polizeiliche Videoüberwachung in Bielefeld, S. 43 ff.

1. Kap.: Sicherheitsgefühl und Schutz durch die Polizei

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präventiven Bereich lässt sich demnach eine erfolgreiche Polizeiarbeit nur schwer messen. Daher werden zur Bestimmung der Leistungen der Polizei bei der Gefahrenabwehr andere Bewertungskriterien als die abgewehrte Gefahr und der nicht eingetretene Schaden herangezogen. Als ein wesentlicher Bewertungsmaßstab für die Leistungen der (präventiv tätigen) Polizei dient die Akzeptanz polizeilicher Arbeit in der Bevölkerung, die sich durch Umfragen relativ gut messen lässt. 123 Ist die Bevölkerung mit der Arbeit der Polizei zufrieden, gilt dies als Zeichen dafür, dass die Polizei ihre Aufgaben gut erfüllt. Die Polizei kann daher ihre Existenz durch eine hohe Akzeptanz ihrer Arbeit bei der Bevölkerung rechtfertigen. Wird die Arbeit der Polizei aber nicht mehr als zufriedenstellend angesehen, kann dies den Verlust ihrer Legitimation bedeuten. Der mit der Arbeit der Polizei unzufriedene Bürger versucht selbst für seine Sicherheit zu sorgen – etwa indem er eine Bürgerwacht gründet oder sich privater Sicherheitsdienste bedient. Die Polizei sähe sich dann privater „Konkurrenz“ ausgesetzt und müsste sich den Vorwurf gefallen lassen, als staatliche Einrichtung nicht mehr notwendig zu sein, da ja Private ihre Aufgaben besser und kostengünstiger erbringen könnten. Die Akzeptanz polizeilicher Arbeit bei der Bevölkerung wiederum korrespondiert maßgeblich mit dem Sicherheitsgefühl. 124 Umfragen und Untersuchungen, die sowohl Werte zum Sicherheitsgefühl als auch zur Akzeptanz polizeilicher Arbeit erhoben haben, zeigen, dass eine starke Korrelation zwischen dem Sicherheitsgefühl und der Akzeptanz der Arbeit der Polizei besteht. 125 Fühlt sich jemand sicher, bewertet er die Arbeit der Polizei auch positiv, fürchtet er sich hingegen, ist 122 Dabei ist der Erfolg der situativen Prävention einer Videokamera noch relativ leicht messbar, indem man das Straftatenaufkommen an den überwachten Ort vor Aufstellung der Kamera mit dem danach vergleicht. Allerdings kann eine solche Messung auch nicht unterscheiden, ob ein Verzicht oder nur eine Verlagerung des Tatortes stattgefunden hat. Vielleicht schlägt der im Beispiel genannte Räuber statt im überwachten Bereich in einer dunklen Nebengasse zu. Zur Überlegung der Verdrängung von Tatorten durch Videokameras vgl. nur Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 731 (734); Roggan, NVwZ 2001, 134 (140); Müller, MschrKrim 2002, 33 (35 f.). 123 Lange / Schenck, Polizei im kooperativen Staat, S. 312; Schwind, Kriminologie, § 20 Rn. 14. Zur Messbarkeit der Akzeptanz polizeilicher Arbeit vgl. nur die Umfragen etwa von Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 327 ff., 333 ff., 343 ff., 359 ff.; Dörmann, Wie sicher fühlen sich die Deutschen?, S. 22; s. a. Lang, Kriminalistik 1999, 827 (830). 124 Kerner, Kriminalitätseinschätzung und Innere Sicherheit, S. 257; Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (10): „zentrales Effizienzkriterium“; empirisch dazu Reuband, Neue Kriminalpolitik 2/1999, 15 (16); Groll / Lander, in: Liebl / Ohlemacher (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung: interdisziplinäre Perspektiven in einem sich entwickelnden Forschungsfeld, S. 92 (105 ff.). 125 Vgl. etwa die Umfragen von Sterbling / Burgheim, Sicherheit und Lebensqualität in Görlitz, S. 92; Dörmann, Wie sicher fühlen sich die Deutschen?, S. 22 ff.; 32 ff.; 35 ff.; Lange / Schenck, Polizei im kooperativen Staat, S. 312 f.

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1. Teil: Das Sicherheitsgefühl – eine Bestandsaufnahme

er auch nicht mit der Arbeit der Polizei zufrieden. Das Sicherheitsgefühl spiegelt also die Sicherheitserwartungen der Bevölkerung an den Staat und an dessen primären Akteur im Bereich der Sicherheit, an die Polizei, sowie die Befriedigung dieser Erwartungen wider. 126 Erst wenn die Polizei die Sicherheitserwartungen der Bürger befriedigen kann, fühlen sich diese sicher und sind mit der Arbeit der Polizei zufrieden. Will die Polizei also ihre Existenz rechtfertigen, muss sie dafür sorgen, dass sich die Bürger sicher fühlen, damit sie ihre Arbeit positiv bewerten. 127 Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei dient damit letztlich auch der Legitimation der Polizei. 128

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Ahlf, in: Weiß / Plate (Hrsg.), Privatisierung von polizeilichen Aufgaben, S. 9 (22). Allerdings darf der Bürger sich auch nicht zu sicher fühlen, denn sonst käme er auf die Idee, die Polizei für überflüssig zu halten; getreu dem Motto: „Ein bisschen Kriminalität, ein bisschen Gefahr muss also auch sein“. Vgl. zur Notwendigkeit von Kriminalität Christie, Wieviel Kriminalität braucht die Gesellschaft?. Von dem Zustand, dass sich alle zu sicher fühlen und deshalb die Existenz der Polizei in Frage stellen, sind wir beim gegenwärtigen Maß an Unsicherheitsgefühl aber weit entfernt; zu den Untersuchungen zum Sicherheitsgefühl s. u. 4. Kap. A.III. 128 Zudem ist eine Akzeptanz polizeilicher Arbeit auch deshalb wichtig, weil die Polizei bei ihrer präventiven Tätigkeit vor allem bei der Verhinderung von Straftaten auf die Zusammenarbeit mit dem Bürgern – durch das Anzeigen von Straftaten oder sonstige Informationsmitteilungen – angewiesen ist. Denn grundsätzlich ist die Bedeutung von Anzeigen für die Tätigkeit der Polizei – sowohl für die präventive als auch für die repressive – sehr groß. Der Anteil der Anzeigen an den gesamten Informationen der Polizei wird auf über 90 Prozent geschätzt. Zu einer solchen Zusammenarbeit sind die Bürger allerdings nur bereit, wenn sie der Polizei vertrauen und sie sich einen Erfolg davon versprechen. Insoweit kann sich eine positive Akzeptanz der polizeiliche Arbeit auch positiv auf deren Erfüllung auswirken; ausführlicher dazu s. u. 6. Kap. B. 127

2. Teil

Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe 2. Kapitel

Sicherheit und Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe Bei der Suche nach der Antwort auf die Frage, ob der Staat das Sicherheitsgefühl durch die Polizei schützen darf, soll zunächst als Vorfrage geklärt werden, wieso sich der Staat überhaupt mit dem Sicherheitsgefühl befasst, wieso er überhaupt das Sicherheitsgefühl schützen will. Es sollen also vorab die möglichen Beweggründe einer Befassung mit dem Sicherheitsgefühl durch den Staat insgesamt – und nicht die Motive der Polizei, die bereits zuvor dargestellt wurden, – erörtert werden. Ein Erklärungsansatz für ein staatliches Interesse am Schutz des Sicherheitsgefühls könnte sein, dass der Staat verpflichtet ist, das Sicherheitsgefühl zu schützen. Eine solche Verpflichtung des Staates insgesamt könnte sich aus einer Staatsaufgabe Sicherheit ergeben, aus der sich auch eine Staatsaufgabe zum Schutz des Sicherheitsgefühls ableiten lässt.

A. Staatsaufgaben I. Bedeutung der Staatsaufgaben Staaten entstehen und bestehen nicht um ihrer selbst willen. 1 Menschen schließen sich zu Staaten zusammen, um Ziele zu erreichen, die sie allein nicht zu erreichen vermögen. 2 Staaten dienen der Zweckerreichung. 3 Das Erreichen des Zwecks oder zumindest das Streben danach rechtfertigt die staatliche Existenz. 4 1 Der Herrenchiemseer Konvent schmückte seinen Grundgesetzentwurf mit dem Eingangssatz „Der Staat ist um des Menschen willen da, und nicht der Mensch um des Staates willen.“ Dem Parlamentarischen Rat schien dieser Gedanke zu „unjuristisch“ und er wurde deshalb verworfen. Vgl. Denninger, JZ 1996, 585 (587). 2 Vgl. Calliess, ZRP 2002, 1 (2), der die Legitimation des Staates anhand von Zwecken auf Hobbes zurückführt. 3 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 238.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

Erreicht der Staat diese Ziele nicht mehr, kann er also seinen Bürgern nicht mehr den legitimierenden Zweck vermitteln, verliert er seine Existenzberechtigung. Daher muss sich der Staat stets neu legitimieren. 5 Dies gilt gerade in Zeiten, in denen der „schlanke Staat“ gefordert wird und in denen die Akzeptanz staatlicher Ordnung abnimmt. Die Rechtfertigung staatlicher Existenz zu finden, war seit jeher Aufgabe der Staatslehre. 6 Die Staatslehre bietet dafür eine Vielzahl von Legitimationsmodellen. Unter diesen nehmen – nachdem sich die metaphysischen Legitimationsfiguren als nicht mehr zeitgemäß erwiesen haben – die Staatsaufgaben eine zentrale Stellung ein. 7 Sie dienen dem modernen Staat als Legitimation: 8 Der moderne, weltanschaulich neutrale und säkulare Staat legitimiert sich durch die Aufgaben, die er wahrnimmt, und deren Erfüllung. 9 Trotz dieser Bedeutung für die Legitimation von Staatlichkeit enthält das Grundgesetz keinen abschließenden Katalog von Staatsaufgaben. 10 Dies ist zum einen durch die Ausgestaltung des Grundgesetzes als bundesstaatliche Verfassung bedingt, die der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland Rechnung trägt. Aufgrund des Föderalismus fallen viele wichtige staatliche Aufgaben in die Kompetenz der Länder. Sie sind also dem Bund und damit auch dem Grundgesetz als seiner Verfassung entzogen. 11 Zum anderen ist die nahezu vollständig fehlende Normierung von Staatsaufgaben im Grundgesetz auch der historischen Gegebenheit seiner Entstehung geschuldet. Bei der Entstehung des Grundgesetzes lag der Schwerpunkt auf Regelungen zum Schutz des Einzelnen vor dem Staat. „Dominierende Furcht, auf die das Grundgesetz antwortet, ist die Furcht vor dem Staat. Der geschichtlich erfahrene totalitäre Staat ist das dauerhafte Feindbild.“ 12 Daher fügte der Verfassungsgeber staatsabwehrende Grundrechte ins Grundgesetz ein und verzichtete nahezu vollständig auf den Staat berechtigende und verpflichtende Staatsaufgaben.

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Stern, in: Bitburger Gespräche 1984: Staatsaufgaben, S. 5 (6). Koller, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 739 (739). 6 Vgl. Link, VVDStRL 48, 1 (49); Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 52. 7 Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 6; Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 22. 8 Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 106; vgl. Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 771 (785). 9 Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 21. 10 Isensee, DVBl. 1995, 1 (3); Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 308; Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 41. 11 Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 43 f. 12 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 27. Vgl. dazu auch Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 44. 5

2. Kap.: Sicherheit und Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

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Ein in sich geschlossenes Staatsaufgabenkonzept ist vom Grundgesetz aber grundsätzlich auch nicht zu erwarten. Denn aufgrund des Prinzips der Allzuständigkeit des Staates ist der Staatsaufgabenbestand grundsätzlich offen. 13 Mittels der sich aus der Allzuständigkeit ergebenden Kompetenz-Kompetenz kann der Staat grundsätzlich jede Aufgabe zu einer legitimen staatlichen Aufgabe machen. Dementsprechend offen ist auch die Definition der Staatsaufgabe durch das Bundesverfassungsgericht: „Wenn sich der Staat mit einer Aufgabe in irgendeiner Form befasst, wird sie zu einer ,staatlichen Aufgabe‘...“. 14 II. Kategorien von Staatsaufgaben Allerdings sind nicht alle Aufgaben, die der Staat wahrnimmt, deswegen schon unverzichtbar, d. h. solche Staatsaufgaben, zu deren Erfüllung der Staat verpflichtet ist. Aus dem rechtlichen Dürfen der staatlichen Aufgabenwahrnehmung folgt kein rechtliches, gar verfassungsrechtliches Müssen zur staatlichen Aufgabenerfüllung. 15 Die so genannte Befassungsformel des Bundesverfassungsgerichts eignet sich damit nur für die Bestimmung dessen, was der Staat tut. Für die Beantwortung der Frage, was der Staat tun soll, ist sie noch zu weit. Aufgrund dieser Unterscheidung von rechtlichem Dürfen und verfassungsrechtlichem Müssen der staatlichen Aufgabenwahrnehmung differenziert man bei Staatsaufgaben zwischen solchen, die der Staat wahrnehmen darf, und solchen, die er wahrnehmen muss; zwischen fakultativen und notwendigen Staatsaufgaben. 1. Notwendige Staatsaufgaben Staatliche Aufgaben, zu deren Wahrnehmung der Staat verpflichtet ist, bezeichnet man als notwendige 16 Staatsaufgaben. Sie weisen gegenüber den sonstigen 13

Dabei bedeutet Allzuständigkeit keine Omnikompetenz, sondern allenfalls eine Kompetenz-Kompetenz des Staates. Der Staat ist rechtlich nicht „zu allem fähig“ in dem Sinne, dass er „die General- und Blankovollmacht“ hat. Der Gesetzgeber kann dem Staat nur Kompetenztitel zusprechen, ist dabei aber – wie sich aus Art. 79 Abs. 3 GG ergibt – durch die unabänderlichen Grundrechte materiell gebunden. Vgl. zur Abgrenzung von Omnikompetenz und Kompetenz-Kompetenz ausführlich Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 90 ff.; Isensee, in: HStR III, § 57, Rn. 156. Weil es sich nur um eine Kompetenz-Kompetenz handelt, spricht Häberle, AöR 111 (1986), 595 (604), nur von einer begrenzten Offenheit. 14 BVerfGE 12, 205 (243). Später hat das Bundesverfassungsgericht diese Definition um das einschränkende Kriterium der „Zulässigkeit“ ergänzt; vgl. BVerfGE 41, 205 (218); 53, 366 (401). Dies wird auch von der Literatur geteilt; vgl. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 105; Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 365; Ossenbühl, VVDStRL 29, 137 (153); Peters, in: Dietz (Hrsg.), Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, Bd. 2, 877 (880); H. Klein, DÖV 1965, 755 (758). 15 Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 32.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

Staatsaufgaben einen gesteigerten normativen Charakter auf und nehmen den Staat positiv im Hinblick auf bestimmte Ziele in die Pflicht. 17 Die Frage nach notwendigen Staatsaufgaben zielt also auf die Resultate staatlichen Handelns. 18 Notwendige Staatsaufgaben sind etwa der Umweltschutz (Art. 20a GG) oder die Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG). 19 2. Fakultative Staatsaufgaben Solche Aufgaben, die der Staat zwar wahrnehmen darf, zu deren Wahrnehmung er aber nicht verpflichtet ist, werden als fakultative Staatsaufgaben bezeichnet. 20 Insoweit ist jede Aufgabe, die der Staat rechtmäßig wahrnimmt, ohne dass es sich um eine notwendige Staatsaufgabe handelt, eine fakultative Staatsaufgabe. Die Kategorie der fakultativen Staatsaufgabe ist damit lediglich eine Beschreibung tatsächlicher Begebenheiten – der Staat nimmt eine Aufgabe wahr –, ohne dass sie eine weitergehende rechtliche Qualität haben. Die Frage nach fakultativen Staatsaufgaben ist daher auf die Möglichkeiten staatlichen Handelns gerichtet. Eine fakultative Staatsaufgabe ist beispielsweise der Bau und die Unterhaltung von Kinderspielplätzen. 3. Notwendige und fakultative Staatsaufgaben als Ausdruck unterschiedlicher Betrachtungsweisen Diese Unterscheidung von notwendigen und fakultativen Staatsaufgaben spiegelt die verschiedenen Herangehensweisen – empirisch oder normativ – an die Thematik der Staatsaufgaben wider. Zudem variiert der Begriff dessen, was eine 16 Auch „obligatorische“ oder „originäre“ genannt. Zu weiteren Bezeichnungen ausführlich Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 99 f. 17 Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 192. 18 Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 192. 19 Einen Unterfall der notwendigen Staatsaufgaben stellen die sog. ausschließlichen dar. Bei dieser Unterscheidung geht es nicht um die staatliche Verpflichtung zur Aufgabenwahrnehmung, sondern um die Frage, ob auch Private sich mit dieser Aufgabe befassen dürfen. Bei notwendigen Staatsaufgaben ist eine – zumindest teilweise – Wahrnehmung durch Private grundsätzlich möglich. Nur bei besonderen Staatsaufgaben ist eine Wahrnehmung durch Private gänzlich versagt. Zur Wahrnehmung dieser sog. ausschließlichen Staatsaufgaben ist allein der Staat befugt. Ausschließliche Staatsaufgaben sind deshalb geprägt durch den Einsatz lediglich dem Staat vorbehaltener Mittel, insbesondere des physischen Zwangs, vgl. dazu Isensee, in: HStR III, § 57, Rn. 150. Ausschließliche Staatsaufgaben sind also zwingend immer auch notwendige Staatsaufgaben, denn beiden ist die Verpflichtung des Staates zur Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabe gemein. 20 Isensee, in: HStR III, § 57, Rn. 152; Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 307.

2. Kap.: Sicherheit und Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

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Staatsaufgabe ist, von dem Blickwinkel der Betrachtung: aus der Sicht des Staates mit seinen besonderen Handlungsformen – was darf der Staat tun? 21 – oder aus der Perspektive der Gesellschaft und der Funktion des Staates für die Gesellschaft – was muss der Staat tun? 22. 23 Geht es um die Frage des rechtlichen Dürfens einer staatlichen Aufgabenwahrnehmung, ist der Begriff Staatsaufgabe weit gefasst, soll jedoch nur das verfassungsrechtliche Müssen einer staatlichen Aufgabenerfüllung thematisiert werden, wird der Begriff Staatsaufgabe eng gefasst. Er ist dann identisch mit dem der „notwendigen Staatsaufgabe“. 24 III. Staatsaufgaben als Verpflichtung des Staates Für die hier aufgeworfene Frage, ob es eine Staatsaufgabe gibt, die den Staat verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls zu treffen, ist es erforderlich, den Begriff der Staatsaufgaben demnach eng auszulegen und nur solche vom Staat wahrgenommenen Aufgaben als Staatsaufgaben zu bezeichnen, zu deren Wahrnehmung der Staat verpflichtet ist, d. h. der so genannten notwendigen Staatsaufgaben. Im Folgenden soll damit Staatsaufgaben wie folgt verstanden werden: Staatsaufgaben sind als Aufforderungen an den Staat zu verstehen, für die Erreichung eines bestimmten Ziels oder zur Erhaltung eines als wünschenswert angesehen Zustandes tätig zu werden. Kurz: Staatsaufgaben beschreiben, was der Staat soll. 25 So wie der Staat nicht um seiner selbst willen besteht, so sind auch Staatsaufgaben kein Selbstzweck. Staatsaufgaben dienen vielmehr dazu, die Erfüllung von Aufgaben von öffentlichem Interessen zu gewährleisten. Allerdings genügt es nicht, dass an der Erfüllung einer bestimmten Aufgabe ein öffentliches Interesse besteht, es sich also um eine öffentliche Aufgabe handelt. Der Staat hat kein Monopol auf die Wahrnehmung dem Gemeinwohl dienender Aufgaben. Solche so genannten öffentlichen Aufgaben können auch von gesellschaftlichen Gruppen und Privaten erbracht werden. Besonderheit der vom Staat wahrgenommenen öffentlichen Aufgaben, also der Staatsaufgaben, besteht darin, dass es sich

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So z. B. die Vorgehensweise von Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz. Dies ist zumeist die Fragestellung in der Privatisierungsdebatte, vgl. Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben; Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben. 23 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – Sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 11 (11). 24 Für die Frage, was der Staat tun muss, ist also die Kategorie der fakultativen Staatsaufgaben nicht interessant. Grundsätzlich erscheint der Begriff der fakultativen Staatsaufgabe auch wenig gelungen, da der Begriff der Aufgabe schon von seiner Wortbedeutung her einen Auftrag, eine Verpflichtung nahe legt, vgl. Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 26. 25 Kaufmann, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 15 (17). 22

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

um solche öffentliche Aufgaben handelt, die gerade nicht von gesellschaftlichen Gruppen erfüllt werden bzw. erfüllt werden können. Staatsaufgaben bedeuten damit die Erbringung bestimmter Leistungen durch den Staat für die Bürger und zwar deshalb, weil die Gesellschaft solche Leistungen selbst nicht herstellen kann 26 oder nicht herstellt, derer die Gesellschaft aber bedarf. 27 Insoweit entspringen Staatsaufgaben den Bedürfnissen der Gesellschaft und zeichnen sich dadurch aus, dass sie von privaten Kräften, von der Gesellschaft selbst nicht erbracht werden. 28 Staatsaufgaben sind damit Forderungen der Gesellschaft an den Staat. Der Staat soll diejenigen öffentlichen Güter bereitstellen, die von der Gesellschaft nicht erbracht werden können bzw. nicht erbracht werden. Es genügt allerdings nicht, dass eine Aufgabe vom Bürger als „staatlich“ angesehen wird, also ein gesellschaftliches Bedürfnis für diese Leistung besteht, damit eine vom Staat wahrgenommene Aufgabe eine Staatsaufgabe ist. Es ist vielmehr noch zusätzlich eine normative Festlegung der staatlichen Verpflichtung zur Aufgabenerfüllung erforderlich; die Aufgabe muss vom Staat sanktioniert werden. 29 Staatsaufgaben resultieren demnach aus aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Geschehnissen, die zu einer normativen Festlegung geführt haben. 30 Zur Begründung einer Staatsaufgabe bedarf es daher – neben dem gesellschaftlichen Bedürfnis – eines normativen Anknüpfungspunktes, aus dem sich die rechtliche Verpflichtung des Staates zur Aufgabenerfüllung ergibt. 31 Diese Anknüpfungspunkte finden sich vornehmlich in der Verfassung; Staatsaufgaben lassen sich vielfach direkt aus der Verfassung herleiten. 32 Dabei muss die jeweilige Staatsaufgabe nicht ausdrücklich als solche in der Verfassung erwähnt sein. Zur konkreten Bestimmung von notwendigen Staatsaufgaben sind auch Vorschriften des Organisationsrechts, insbesondere Kompetenznormen her26 Die Gründe, warum die Leistungen nicht von Privaten erbracht werden können, sind dabei nicht nur faktischer Natur, sondern können sich auch aus rechtlichen und staatstheoretischen Hindernissen ergeben. So ist die Erbringung bestimmter Leistungen Privaten verboten. Andere Aufgaben wiederum soll gerade der Hoheitsträger wahrnehmen, eine Aufgabenerfüllung durch Private ist dabei unerwünscht. Prägnantestes Beispiel für eine solche Aufgabe dürfte die äußere Sicherheit sein, die Bildung einer privaten Armee ist nicht gewünscht. Durch das Unvermögen Privater zur Erbringung dieser Leistungen unterscheiden sich die Staatsaufgaben von anderen „öffentlichen“ Aufgaben, die ebenfalls im gesellschaftlichen Interesse entstehen; vgl. Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 22 ff. m.w. N. 27 Vgl. Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben S. 192 ff. 28 Isensee, in: HStR III, § 57, Rn. 137 f. 29 Ausführlich zu dem Übergang vom gesellschaftlichen Bedürfnis zur Staatsaufgabe Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 118 ff. 30 Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 102. 31 Isensee, HStR III, § 57, Rn. 152. 32 So etwa Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 99 ff., S. 149 ff.

2. Kap.: Sicherheit und Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

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anzuziehen. 33 Maßgebliche Bedeutung zur verfassungsrechtlichen Bestimmung notwendiger Staatsaufgaben kommt indes den Grundrechten zu. 34 Neben der verfassungsrechtlichen Herleitung können notwendige Staatsaufgaben aber auch von jeweils bestehenden Verfassungen losgelöst bestimmt werden. 35 Bei einem solchen staatstheoretischen Herangehen ergeben sich die notwendigen Staatsaufgaben direkt aus dem Wesen des Staates, dem herrschenden Staatsverständnis oder den herrschenden sozialethischen Auffassungen. 36

B. Das Sicherheitsgefühl als notwendige Staatsaufgabe Die oben aufgeworfene Frage, ob der Staat das Sicherheitsgefühl schützen muss, wäre demnach dann zu bejahen, wenn es eine so verstandene Staatsaufgabe gibt, die das Sicherheitsgefühl zum Gegenstand hat. Diese Verpflichtung, das Sicherheitsgefühl zu schützen, könnte sich aus einer Staatsaufgabe Sicherheit, welche auch das Sicherheitsgefühl mit umfasst, ergeben; vorausgesetzt, es existiert eine solche Staatsaufgabe Sicherheit. I. Sicherheit als (notwendige) Staatsaufgabe Zunächst stellt sich also die Frage, ob es eine Staatsaufgabe Sicherheit gibt. Auch wenn die Verfassung eine Staatsaufgabe Sicherheit nicht ausdrücklich nennt, wird sie – von der ganz herrschenden Meinung in der Literatur – als Aufgabe mit Verfassungsrang angesehen. 37 Weil aber das Grundgesetz – anders als bei vielen anderen Staatsaufgaben – nur wenig Anhaltspunkte für eine Staatsaufgabe Sicherheit hergibt, differieren die Literaturmeinungen bei der dogmatischen Begründung einer Staatsaufgabe Sicherheit. Oftmals wird das Grundgesetz als für nicht aus-

33 BVerfGE 41, 205 (224 f.); Pestalozza, Der Staat 1972, 161; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 152; Isensee, in: HStR III, § 57, Rn. 147. 34 Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 155; Isensee, in: HStR III, § 57, Rn. 148. 35 So etwa Isensee, in: HStR I, S. 591 ff.; Ress, VVDStRL 48, S. 7 ff.; Schuppert, StWStP 1991. 122 (127 ff.); ders., in: Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, § 31, Rn. 21. 36 Isensee, in: HStR III, § 57, Rn. 150. 37 Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 99 ff., S. 347 ff.; ders., NVwZ 1989, 801 (803 f.); Götz, in: HStR III, S. 1007 ff.; Gusy, StWStP 1994, 187 (192) m.w. N.; Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 64 m.w. N., S. 398; Benda, in: Benda / Maihofer / Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, § 17, Rn. 96; Calliess, ZRP 2002, 1 (4); mit ausführlicher historischer und staatstheoretischer Herleitung s. a. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 28.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

reichend zur Festlegung einer Staatsaufgabe Sicherheit angesehen, weshalb noch staatstheoretische Herleitungen unterstützend herangezogen werden. 38 1. Staatstheoretische Herleitungen Eine Staatsaufgabe Sicherheit kann – von der bestehenden Verfassung unabhängig – staatstheoretisch begründet werden: „Die Erhaltung der Sicherheit macht den Zweck des Staates aus“. 39 „Das Sicherheitsbedürfnis begründet die staatliche Herrschaftsgewalt“. 40 „Die Gewährleistung der Sicherheit ist erster, primärer und immer noch wichtigster Staatszweck“. 41 „Sicherheit ist für die Institution Staat die eigentliche und letzte Rechtfertigung“. 42 So oder ähnlich wird vielfach die wichtige Bedeutung der Sicherheit für den Staat herausgestellt. Allerdings beruhen diese Aussagen oft nur auf einer Beschreibung historischer Gegebenheiten und Umstände. Es mag historisch betrachtet stimmen, dass die Motivation zur Staatenbildung in der Erlangung von Sicherheit – sowohl gegenüber äußeren als auch gegenüber inneren Feinden – gelegen hat. 43 Um jedoch eine notwendige Staatsaufgabe Sicherheit herzuleiten, muss sich einer Staatstheorie eindeutig eine rechtlich verbindliche Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung von Sicherheit entnehmen lassen. Ein bloßer Hinweis auf den historischen Staatszweck, auf die Gründe der Staatsentstehung, genügt hierzu nicht. 44 Bei einer staatstheoretischen Herleitung einer solchen staatlichen Pflicht sind vor allem zwei – regelmäßig vorgebrachte – Begründungsansätze denkbar: zum einen über die Vertragstheoretiker wie Hobbes, Locke oder Pufendorf, zum anderen über die Lehre vom Gewaltmonopol – maßgeblich geprägt von Max Weber.

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Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 349; ders., Staatsaufgabe Sicherheit – Erfüllungsmöglichkeiten und Defizite, S. 11; Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 44. 39 W. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, S. 51; später, S. 57, 96, beschreibt er Sicherheit sogar als „den eigentlichen Staatsendzweck“. 40 Götz, in: HStR III, § 79, Rn. 7. 41 Köck, AöR 121 (1996), 1 (13). Ähnlich auch Di Fabio, Risikoentscheidung im Rechtsstaat, S. 35 ff.; Link, VVDStRL 48, 10 (27 ff.); Ress, VVDStRL 48, 57 (83 ff.). 42 BVerfGE 49, 24 (56 f.); Pitschas, JZ 1993, 857 (857). 43 Ausführlich dazu Herzog, in: HStR III, § 58. 44 Vgl. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 43; Isensee, in: HStR III, § 57, Rn. 45. Grundsätzlich skeptisch gegenüber solchen verfassungsunabhängigen Herleitungen Link, VVDStRL 48 (1990), 1 (15 ff., 50); Möstl, Die staatliche Garantie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, S. 49 m.w. N.; differenzierend Häberle, AöR 111 (1986), 595 (600 f.).

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a) Vertragstheoretiker Im ersten Begründungsansatz werden die Staatstheorien der Vertragstheoretiker Hobbes, Pufendorf und Locke betrachtet und es wird versucht, aus diesen Staatstheorien eine für die Zuerkennung einer (notwendigen) Staatsaufgabe Sicherheit erforderliche Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung von Sicherheit abzuleiten. (1) Staatsaufgabe Sicherheit aus der Staatstheorie Hobbes’ Eine Staatsaufgabe Sicherheit lässt sich mit der Staatstheorie Hobbes’ nur schwer begründen. Denn eine für die Anerkennung einer Staatsaufgabe Sicherheit erforderliche Verpflichtung des Staates zum Schutz der Bürger lässt sich der Staatstheorie Hobbes’ nicht entnehmen. (a) Die Menschen im Naturzustand Hobbes’ Staatstheorie hat ihren Ausgangspunkt in einem philosophisch gedachten Naturzustand, in dem sich die Menschen befinden. Dieser Naturzustand ist dadurch geprägt, dass jeder Mensch das Recht auf alles hat. 45 Da der Mensch nach Hobbes ein zweckrational denkendes Wesen ist, 46 nutzt er dieses Recht nur für seinen eigenen Vorteil und neigt deshalb dazu, anderen Menschen zu schaden. 47 Im Naturzustand befinden sich die Menschen daher aufgrund widerstreitender Interessen im „Krieg aller gegen alle“, 48 in einem Zustand permanenter Unsicherheit. (b) Die vertragliche Konstruktion des Staates Dieser Kriegszustand widerspricht indes einem Naturgesetz, wonach jeder aus eigenem Interesse nach Sicherheit und Frieden strebt. 49 In diesem Streben nach Selbsterhaltung liegt für Hobbes der Ursprung der Staatsgründung. Die Menschen schließen untereinander einen Vertrag mit dem Inhalt: „Ich übergebe mein Recht, mich selbst zu beherrschen, diesem Menschen oder dieser Gesellschaft unter der Bedingung, dass du ebenfalls dein Recht über dich ihm oder ihr überträgst.“ 50 Durch diesen Gesellschaftsvertrag werden die Rechte, die der Einzelne im Natur45 46 47 48 49 50

Hobbes, De Homine, Kap. 10, 3; vgl. Schelsky, Thomas Hobbes, S. 333 ff. Hobbes, Leviathan, Kap. 13, S. 115. Hobbes, Leviathan, Kap. 13, S. 115. Hobbes, Leviathan, Kap. 13, S. 115. Hobbes, Leviathan, Kap. 14, S. 119; vgl. Schelsky, Thomas Hobbes, S. 347. Hobbes, Leviathan, Kap. 17, S. 155.

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zustand hat, auf den „Leviathan“, den Herrschenden, übertragen, der sie nun für seine Untertanen ausübt. Dieser verfügt dadurch über das absolute Herrschaftsrecht, das es ihm ermöglicht, die innere Sicherheit untereinander und den Schutz vor äußeren Feinden herzustellen. 51 Allerdings ergibt sich aus dieser Übertragung der Rechte auf den Leviathan noch nicht die für die Zuerkennung einer notwendigen Staatsaufgabe Sicherheit erforderliche Verpflichtung des Leviathan, die Sicherheit seiner Untertanen zu gewährleisten. Denn nach der Hobbes’schen Staatstheorie sind nur die vertragsschließenden Untertanen Vertragsparteien. Der Leviathan hingegen ist nicht Vertragspartei und daher nicht aus dem Vertrag verpflichtet. 52 Der Leviathan unterliegt nur dem Naturgesetz – sein Handeln muss dem Wohl der Staatsgemeinschaft dienen 53 –; die sich daraus ergebende „Verpflichtung“ des Leviathan, die Sicherheit seiner Untertanen zu gewährleisten, ist eine bloße naturrechtliche und keine vertragliche. Hobbes hat seinen „Leviathan“ als absoluten Herrscher 54 konzipiert, der den Untertanen keine Rechenschaft schuldig ist, sondern sein Handeln lediglich vor Gott verantworten muss. 55 Aufgrund der fehlenden Einbeziehung des Leviathan in den Vertrag ist dieser nicht vertraglich verpflichtet, für die Sicherheit seiner Untertanen zu sorgen. 56 Die Motivation der Vertragschließenden war allerdings die Herstellung und Gewährleistung ihrer Sicherheit durch den mit dem Vertrag geschaffenen Leviathan. Auch wenn der Leviathan nicht in den Vertrag mit einbezogen wurde und deshalb nicht daraus verpflichtet ist, ist die Motivation der Vertragsschließenden nicht völlig bedeutungslos. Denn Hobbes hat seinen Gesellschaftsvertrag unter einen Vorbehalt gestellt: Schützt der Leviathan seinen Untertan nicht vor Übergriffen seiner Mitmenschen, so lebt dessen naturrechtliches Selbstverteidigungsrecht wieder auf. 57 51

Hobbes, Leviathan, Kap. 17. Das absolute Herrschaftsrecht entsteht dabei genau genommen nicht durch die Rechtsübertragung, sondern durch den Rechtsverzicht; der Leviathan behält als einziger das Recht, das vorher alle besaßen; vgl. Kersting, in: Brunner / Conze / Kosselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Band 6, S. 919. 52 Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, S. 361; Engländer, Jura 2002, 381 (383); Gehrmann, Naturrecht und Staat bei Hobbes, Cumberland und Pufendorf, S. 84, 86 ff.; vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 209. 53 Hobbes, Leviathan, Kap. 30, S. 278. Vgl. Gehrmann, Naturrecht und Staat bei Hobbes, Cumberland und Pufendorf, S. 99 f. 54 Vgl. Hobbes, De Cive, Kap. 6, 13. 55 Hobbes, Leviathan, Kap. 30; De Cive, Kap. 9, 14; Kap. 13, 2; Kap. 6, 18. 56 Gehrmann, Naturrecht und Staat bei Hobbes, Cumberland und Pufendorf, S. 88; Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, S. 361; Schelsky, Thomas Hobbes, S. 380 f., S. 388 ff.; Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 319; Geismann / Herb, in: Hobbes, Hobbes über die Freiheit, S. 31; Willms, Die Antwort des Leviathan, S. 121 f. Im Ergebnis wohl auch Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 82; Euchner, in: Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, S. 37 f.

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Teilweise wird daraus gefolgert, dass fehlender staatlicher Schutz ein Rückfall in den Naturzustand bedeute und der Staat zu existieren aufhöre. Verlöre der Staat seine Existenz, wenn er den Schutz seiner Untertanen nicht gewährleistet, so sei er damit mittelbar verpflichtet, seine Bürger zu schützen. 58 Allerdings wird dabei übersehen, dass der Leviathan auch dann letztlich den Schutz seiner Untertanen nur aus Eigennutz gewährleistet, nicht aber aus rechtlicher Verpflichtung. 59 Hobbes stellt zwar Sicherheit in den Mittelpunkt seiner Staatstheorie. Die absolutistische Konzeption seines Leviathan macht es aber schwierig, aus seiner Staatstheorie eine Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung der Sicherheit zu ziehen – zumindest in der Verbindlichkeit, die für die Zuerkennung einer notwendigen Staatsaufgabe erforderlich wäre. 60 (2) Staatsaufgabe Sicherheit aus den Staatstheorien Pufendorfs und Lockes Der staatsgründende Vertrag kann auch anders als in der von Hobbes vorgenommenen Weise konzipiert werden. Die „Schwäche“ 61 der Hobbes’schen Staatstheorie – die fehlende rechtliche Verpflichtung des Herrschenden zur Gewährleistung des Staatszwecks – kann durch zwei verschiedene Vertragskonzeptionen umgangen werden: einerseits durch eine Einbeziehung des Herrschenden in den Vertrag, anderseits durch eine Ausgestaltung der Position des Herrschenden als „Treuhänder“ der Rechte der Einzelnen. 62 Den ersten Weg wählt Pufendorf, letzterer wird von Locke beschritten. (a) Die staatliche Verpflichtung zur Herstellung von Sicherheit bei Pufendorf Eine Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung der Sicherheit seiner Untertanen könnte sich der Staatstheorie Pufendorfs entnehmen lassen.

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Hobbes, Leviathan, Kap. 18; Kap. 21. Scholz, NJW 1983, 705 (705); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 152. 59 Vgl. Schelsky, Hobbes, S. 373; Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 319. 60 Vgl. Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 318. 61 Die Schwäche besteht zumindest für die Begründung einer notwendigen Staatsaufgabe Sicherheit. Allgemein zu den Nachteilen der „Sicherheit durch Macht“, wie sie Hobbes’ Staatstheorie vorsieht, s. a. Preuß, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 523 (524 f.), der ihr die „Sicherheit durch die Gewährleistung von subjektiven Rechten“ gegenüberstellt, zu deren Vertretern er Locke und Pufendorf zählt. 62 Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 321; s. a. Preuß, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 523 (524 f.). 58

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(aa) Der Mensch im Naturzustand Auch Pufendorfs Staatstheorie hat ihren Ausgangspunkt beim Menschen im herrschaftsfreien Naturzustand. Grundlegendes Merkmal des Menschen ist seine physische Schwäche („imbecillitas“), die den Menschen auf Selbstschutz bedacht sein lässt. 63 Aus diesem Bestreben, sich selbst zu erhalten, folgt das den Naturzustand charakterisierende Recht, alles zu tun, was der Selbsterhaltung dient. 64 Allerdings unterliegt dieses Recht – nach Pufendorf – einem natürlichen Gesetz, andere nicht zu verletzen. 65 Dieses natürliche Gesetz ergibt sich aus dem Selbsterhaltungstrieb des Menschen: Für den Menschen ist Frieden zuträglicher als Krieg, so dass der Mensch aus eigenem Interesse Konflikte mit seinen Mitmenschen vermeidet. 66 In Pufendorfs Staatstheorie befindet sich deshalb der Mensch im Naturzustand – anders als bei Hobbes – nicht im Krieg aller gegen alle, sondern der Naturzustand ist im Wesentlichen ein Friedenszustand. 67 Dennoch kommt es im Naturzustand vor, dass das natürliche Gesetz, einander nicht zu verletzen, von anderen nicht eingehalten wird und der Mensch seine eigene Sicherheit nicht anders als durch physische Gewalt gewährleisten kann. 68 Dann tritt als „status subsidiarius“ der Kriegszustand ein, in dem der Einzelne über ein unbegrenztes Recht auf physische Gewaltanwendung verfügt. 69 Allerdings gebietet ihm auch im Kriegszustand das natürliche Gesetz, dass der Mensch den Frieden sucht, sobald die eigene Sicherheit es zulässt. Anders als bei Hobbes, bei dem der Mensch Frieden und Sicherheit nur durch die Staatsbildung erlangen kann, kann bei Pufendorf der Friede auch im herrschaftsfreien Naturzustand hergestellt werden. 70 Allerdings ist dieser Friede im Naturzustand unbeständig, er wird häufig von Rechtsverletzungen durchbrochen. Diese Unbeständigkeit des Friedens – und die damit verbundene Unsicherheit der Menschen – kann erst durch die Errichtung eines Staates, einer „societas civilis“, überwunden werden. 71

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Pufendorf, De jure naturae et gentium, II. Buch, III. Kap., § 14. Pufendorf, De jure naturae et gentium, II. Buch, II. Kap., § 3. 65 Pufendorf, De jure naturae et gentium, III. Buch, I. Kap., § 2. Mit diesem einschränkenden Gesetz setzt sich Pufendorf bewusst von Hobbes und dessen „ius in omnia“ ab; vgl. Behme, Samuel von Pufendorf: Naturrecht und Staat, S. 64. 66 Pufendorf, De jure naturae et gentium, II. Buch, II. Kap., § 3; II. Buch, V. Kap., §§ 1, 3; III. Buch, II. Kap., § 2. 67 Pufendorf, De jure naturae et gentium, II. Buch, II. Kap., § 8. 68 Pufendorf, De jure naturae et gentium, II. Buch, II. Kap., §§ 8, 12; Off 2, 1, § 11; Statu § 16. 69 Pufendorf, De jure naturae et gentium, II. Buch, V. Kap., § 3; ders., Elementorum Jurisprudentiae Universalis, I. Buch, Def. 3, § 6; Def. 12, § 22. 70 Pufendorf, De jure naturae et gentium, VII. Buch. 71 Pufendorf, De jure naturae et gentium, VII. Buch, I. Kap., § 7; II. Kap., § 1. 64

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(bb) Die vertragliche Konstruktion des Staates Die Bildung einer „societas civilis“, also der Prozess der Staatsgründung, erfolgt bei Pufendorf in drei Schritten: Im ersten Schritt schließen die Menschen untereinander einen Vertrag, in dem sie vereinbaren, sich zu einer Gemeinschaft zusammenzuschließen, in der die Belange ihrer Sicherheit einem gemeinsamen Rat und einer gemeinsamen Führung unterstellt werden. 72 Dadurch verpflichten sich die Menschen gegenseitig, sich künftig durch einen Souverän regieren zu lassen. 73 Nach der Bildung dieser Gemeinschaft einigen sich die Menschen im zweiten Schritt auf die Regierungsform („forma regiminis“), die die Leitung der Gemeinschaft haben soll. 74 Der dritte und letzte Schritt der Staatsgründung ist der Herrschaftsvertrag: In diesem verpflichten sich der künftige Souverän, die gemeinsame Sicherheit zu gewährleisten, und die künftigen Untertanen zum Gehorsam dem Souverän gegenüber. 75 Durch diesen letzten Vertrag, den Herrschaftsvertrag, wird der Staatszweck, die Sicherheit der Untertanen zu gewährleisten, Vertragsbestandteil und damit vertragliche Pflicht der Regierung. 76 (b) Die staatliche Verpflichtung zur Herstellung der Sicherheit in der Staatstheorie Lockes Auch der Staatstheorie Lockes könnte die für die Anerkennung einer notwendigen Staatsaufgabe Sicherheit erforderliche Verpflichtung des Staates zur Herstellung der Sicherheit entnommen werden. (aa) Der Mensch im Naturzustand Locke beginnt seine Staatstheorie ebenfalls beim Menschen im Naturzustand. Wie schon Pufendorf betrachtet Locke den Naturzustand nicht als Krieg „jeder 72

Pufendorf, De jure naturae et gentium, VII. Buch, II. Kap., § 7. Pufendorf, De jure naturae et gentium, VIII. Buch, V. Kap., § 9. Insoweit ist auch bei Pufendorf – wie auch bei Hobbes – wesentliches Kennzeichen einer „civitas“ die Aufgabe der natürlichen Freiheit und die Unterwerfung unter eine souveräne Gewalt, vgl. Behme, Samuel von Pufendorf: Naturrecht und Staat, S. 115. 74 Pufendorf, De jure naturae et gentium, VII. Buch, II. Kap., § 7. 75 Pufendorf, De jure naturae et gentium, VII. Buch, II. Kap., § 8. Unklar ist dabei, wer genau Vertragspartei des Herrschaftsvertrages ist: der einzelne Untertan oder die im ersten Vertrag geschlossene Gemeinschaft; vgl. dazu Krieger, The Politics of Discretion, S. 123 f.; Behme, Samuel von Pufendorf: Naturrecht und Staat, S. 123. Dies ist für die Begründung einer notwendigen Staatsaufgabe Sicherheit allerdings nicht von Bedeutung, sondern nur für die Frage, ob sich aus der Staatstheorie subjektive Rechte des Einzelnen ableiten lassen. 76 Behme, Samuel von Pufendorf: Naturrecht und Staat, S. 116; Gehrmann, Naturrecht und Staat bei Hobbes, Cumberland und Pufendorf, S. 96; vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 153. 73

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gegen jeden“. Allerdings sind bei Locke dabei zwei Formen des Naturzustandes zu unterscheiden: der Naturzustand vor Einführung des Geldes und der danach. Grundsätzlich befinden sich die Menschen im Naturzustand in einem Zustand vollkommener Freiheit und Gleichheit. 77 Dies bedeutet allerdings kein „Recht auf alles“ im Hobbes’schen Sinne, vielmehr gebietet die Vernunft dem Menschen, die Rechte der anderen zu achten. 78 Verletzt dennoch ein Mensch die natürlichen Rechte eines anderen, so befindet er sich diesem und den anderen Menschen gegenüber im Kriegszustand. 79 Jeder Mensch hat dann das Recht, den Rechtsbrecher zu bestrafen. 80 Für solche Rechtsverletzungen besteht indes vor Einführung des Geldes wenig Anlass, so dass sie selten vorkommen und sich die Menschen daher meist im Frieden befinden. 81 Dieser Zustand ändert sich aber mit der Einführung des Privateigentums und der ihr folgenden Einführung des Geldes. Aus dem dem Menschen innewohnenden Trieb nach Glück und Selbsterhaltung heraus beginnen die Menschen, sich Privateigentum zu verschaffen. 82 Zwar ist die Anhäufung von Eigentum zunächst auf das zum eigenen Verbrauch Notwendige beschränkt, die Einführung des Geldes aber ermöglicht eine unbeschränkte Vermehrung des Eigentums. Da dabei einige Menschen erfolgreicher sind als andere, entsteht eine Besitzungleichheit unter den Menschen. 83 Diese Ungleichheit führt zu einer erhöhten Gefahr von Streitigkeiten; der Einzelne sieht sich fortwährend Übergriffen anderer ausgesetzt. 84 Die Menschen befinden sich in einem Zustand von Furcht und ständiger Gefahr. 85 Angesichts dieser Zustände erweist sich auch die selbstständige Sanktionierung von Rechtsverletzungen durch den Einzelnen als nicht mehr praktikabel. 86 Die Schaffung einer Sanktionsinstanz und damit die Bildung einer „politischen Gesellschaft“, eines Staates, wird zwingend erforderlich. 87

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Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. II, § 4. Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. II, § 6. 79 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. III, § 16 ff. 80 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. II, §§ 13 ff.; Kap. III, §§ 17, 18. 81 Vgl. Euchner, Naturrecht und Politik bei John Locke, S. 194 f. 82 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. V. Zum Streben nach Selbsterhaltung schon Buch I, Kap. IX, § 86. 83 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. IX, § 123. Locke stellt diesbezüglich ausdrücklich klar, dass die Gleichheit im Naturzustand sich auf die Rechte, nicht auf die Fähigkeiten der Menschen bezieht; Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. VI, § 55. 84 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. IX, § 123. 85 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. IX, § 123. 86 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. IX, §§ 123, 124. 87 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. IX, §§ 123 ff. 78

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(bb) Die vertragliche Konstruktion des Staates Bei Locke entsteht die „politische Gesellschaft“, der Staat, durch eine vertragliche Übereinkunft der Menschen im Naturzustand. 88 Diese Übereinkunft über das Zustandekommen einer „politischen Gesellschaft“ hängt von der freien Zustimmung eines jeden Bürgers ab. 89 Im Gegensatz zur vertraglichen Konstruktion bei Hobbes ist nicht ein Bürger von dem Vertrag ausgeschlossen – und wird dann der Herrscher, der „Leviathan“ –, sondern alle Bürger untereinander schließen den Vertrag. In diesem Vertrag verzichten die Menschen auf ihr Recht auf selbstständige Rechtsdurchsetzung und übertragen dieses auf den Staat. 90 Allerdings darf der Staat – anders als noch bei Hobbes – über diese Rechte nicht frei und nach eigenem Gutdünken verfügen. Zwischen den Untertanen und dem Staat wird ein Vertrauensverhältnis („trust“) errichtet, das zwar kein Vertrag im Sinne eines Herrschaftsvertrages ist, sondern dem Staat nur gestattet, die eingeräumten Befugnisse im Sinne der Untertanen – also zu deren Sicherheit – auszuüben. 91 Der Staat ist damit nur „Treuhänder“ der Rechte der Untertanen. 92 Durch diese Konstruktion wird der Staat verpflichtet, für die Sicherheit der Untertanen zu sorgen und Rechtsverletzungen zu ahnden. 93 (3) Zwischenergebnis Die Vertragstheoretiker gehen also davon aus, dass der Mensch dem durch Unsicherheit geprägten Naturzustand durch den Abschluss eines Vertrages entrinnt, in dem der Einzelne auf seine naturrechtlichen Gewaltrechte verzichtet und diese auf den Staat überträgt. Die Leistung, die der Einzelne beim Eintritt in den Staat erbringen muss, besteht also in dem Verzicht auf das Recht der Gewaltaus88

Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. IX, §§ 123 ff. Vertragspartner – und damit vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft – kann allerdings nur derjenige sein, der über (Grund-)Besitz verfügt; vgl. Macpherson, The political theory of possessive individualism, S. 247 f. 89 Vgl. Hattenhauer, in: Hattenhauer / Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung, S. 1 (13). 90 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. IX, §§ 123 ff. 91 Locke, Two Treatises of government, Buch II, Kap. IX, § 131. Vgl. Euchner, in: Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, S. 38. Locke hat bewusst auf einen Herrschaftsvertrag verzichtet und das lockere Vertrauensverhältnis gewählt, um dem Bürger gegenüber dem Staat keine Verpflichtung aufzuerlegen, vgl. Kersting, in: Brunner / Conze / Kosselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Band 6, S. 929; Peardon, in: Locke, Second Treatise, S. XV; Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 320, Fn. 50. 92 Kersting, in: Brunner / Conze / Kosselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, Band 6, S. 928 f.; Euchner, Naturrecht und Politik bei John Locke, S. 197, 200 f.; Nitz, Private und öffentlichen Sicherheit, S. 320. 93 Vgl. Engländer, Jura 2002, 381 (383).

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übung. Allerdings erfolgt diese Leistung an den Staat – zumindest bei Pufendorf und Locke – nicht ohne Gegenleistung. Als Gegenleistung für die Unterwerfung unter seine Herrschaft verpflichtet sich der Staat, dem Einzelnen den im Naturzustand fehlenden Schutz zu gewährleisten. Der Gesellschaftsvertrag ist also von dem Grundgedanken des Austausches von Unterwerfung gegen Schutz geprägt. 94 Der Schutz des Untertans ist die Voraussetzung seiner Unterwerfung unter die Herrschaft des Staates. Die Verpflichtung des Staates zum Schutz seiner Untertanen vor Übergriffen anderer macht Sicherheit zu einer notwendigen Staatsaufgabe. b) Lehre vom Gewaltmonopol Neben der vertragstheoretischen Begründung wird auch versucht, die für eine notwendige Staatsaufgabe Sicherheit erforderliche Verpflichtung des Staates über die Lehre vom Gewaltmonopol herzuleiten. 95 Der Begriff des Gewaltmonopols geht zurück auf Max Weber, der damit den Staat von anderen Herrschaftsverbänden abzugrenzen versucht. Der moderne Staat – so Weber – definiert sich durch das spezifische Mittel der physischen Gewaltsamkeit. 96 Dieses ist neben dem Staat auch den anderen politischen Herrschaftsverbänden – wie der Sippe oder dem Haus – eigen. Bei der Ausübung dieser Gewalt unterscheidet sich der Staat aber von den anderen Herrschaftsverbänden: Der Staat nimmt für sich das „Monopol der legitimen physischen Gewaltsamkeit“ 97 in Anspruch. Differenzierendes Charakteristikum des Staates ist es, dass allein der Staat legitimiert ist, physische Gewalt anzuwenden. Dieses „Monopol legitimer physischer Gewaltausübung“ begründet für sich indes noch nicht die Verpflichtung des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Für die Begründung einer Staatsaufgabe Sicherheit aus dem Gewaltmonopol bedarf es weiterer Zwischenschritte. Im ersten Schritt wird die Friedenspflicht des Bürgers konstruiert. Mit dem Monopol des Staates auf die legitime Ausübung physischer Gewalt korrespondiere ein Gewaltverbot für den Bürger. 98 Wenn allein der Staat berechtigt sei, physische Gewalt auszuüben, dann sei dem Bürger die Anwendung physischer 94

Gusy, DÖV 1996, 573 (577). Calliess, ZRP 2002, 1 (3); Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 349. Vgl. auch die Ausführungen von Gusy, DÖV 1996, 573 (575 f.), der allerdings die Begründung des Verfassungsrangs der Staatsaufgabe Sicherheit über das Gewaltmonopol im Ergebnis ablehnt. 96 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 821 f. 97 M. Weber, Politik als Beruf, S. 505, 506; ders., Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29. 98 Isensee, HStR I, § 13, Rn. 78, 82. 95

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Gewalt untersagt. 99 Dieses Gewaltverbot des Bürgers wird vielfach auch als Friedenspflicht bezeichnet. 100 Die Friedenspflicht bedeutet damit den Verzicht des Einzelnen auf die Ausübung seiner eigenen (naturgegebenen) Gewaltausübung zugunsten des Staates. 101 Im zweiten Schritt wird aus dieser Friedenspflicht des Bürgers die Pflicht des Staates hergeleitet, für dessen Schutz einzutreten. Das Gewaltverbot bedinge eine Wehrlosigkeit des Bürgers gegenüber Angriffen seiner Mitmenschen. 102 Daraus folge unweigerlich die Pflicht des Staates, Maßnahmen zu ergreifen, um den aufgrund des Gewaltverzichts wehrlosen Einzelnen vor rechtswidrigen Angriffen seiner Mitmenschen zu schützen. 103 Anders ließe sich die staatliche Forderung an den Bürger, auf die Ausübung privater Gewalt zu verzichten, nicht legitimieren; die Verpflichtung des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen, ist insoweit die „Kompensation für die Akzeptanz des Gewaltmonopols“ durch den Bürger. 104 Die Lehre vom Gewaltmonopol geht also davon aus, dass der Einzelne auf die Ausübung seiner eigenen (naturgegebenen) Gewaltausübung zugunsten des Staates verzichtet, der Staat aber das alleinige Recht zur Gewaltanwendung nur dann beanspruchen kann, wenn er die Pflicht hat, dem aufgrund des Gewaltverzichts wehrlosen Bürger Schutz zu gewähren. Bei der Lehre vom Gewaltmonopol kommt es demnach nicht so sehr auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung an. Die Verpflichtung des Staates ergibt sich nicht aus dem Staatsvertrag, sondern aus dem mit der Staatsbildung verbundenen Verzicht auf eigenständige Gewaltausübung, die den Einzelnen im staatlichen Zustand ohne Schutz lässt. Wichtig ist also die Schutzlosigkeit nach Staatsbildung, nicht die Schutzlosigkeit im Naturzustand. Die Lehre vom Gewaltmonopol verkennt jedoch, dass das Gewaltmonopol nicht bedeutet, dass allein der Staat legitimiert ist, Gewalt auszuüben. Das Gewaltmonopol postuliert vielmehr nur, dass der Staat derjenige ist, der über die Legitimation von Gewaltausübungen bestimmen darf. 105 Der Staat kann daher gleichwohl pri99 Isensee, in: Müller / Rhinow / Schmid / Wildhuber, Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel – Festschrift für Eichenberger, S. 23 (26). 100 Isensee, HStR I, § 13, Rn. 82; ders., in: Müller / Rhinow / Schmid / Wildhuber, Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel – Festschrift für Eichenberger, S. 23 (26). 101 Isensee, in: Müller / Rhinow / Schmid / Wildhuber, Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel – Festschrift für Eichenberger, S. 23 (26): Der Krieger des bellum omnium contra omnes gibt seine Waffen an den Staat ab. 102 Vgl. Gusy, DÖV 1996, 573 (576 f.). 103 Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 349; Calliess, ZRP 2002, 1 (3). 104 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 94; ders., ZRP 2002, 1 (3). 105 Gusy, DÖV 1996, 573 (576); ders., Anhörung der Sachverständigen vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 10. März 1997, S. 167; vgl. dazu auch Gusy / Schewe, Jahrbuch der öffentlichen Sicherheit 2002/2003, S. 383 (384).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

vate Gewaltanwendungen tolerieren, Voraussetzung ist nur, dass er diese vorher gestattet hat. So darf der Bürger zu seinem Schutz im Rahmen der Notwehr (§ 32 StGB) Gewalt anwenden, weil der Staat diese dem Bürger ausdrücklich gestattet hat. Der Bürger ist aufgrund dieser Notwehr- und Nothilferegelungen 106 nicht gänzlich wehrlos. Damit entfällt aber auch ein Argumentationsschritt für die Begründung einer Staatsaufgabe Sicherheit aus dem Gewaltmonopol. Die gänzliche Schutz- und Wehrlosigkeit des Bürger aufgrund der Friedenspflicht, die den Staat zum Schutz verpflichtet, besteht so nicht. Gleichwohl ist die private Gewaltanwendung sehr beschränkt. 107 Insoweit ließe sich aus dem Gewaltmonopol zumindest eine gewisse Verpflichtung des Staates herleiten, für die Sicherheit seiner Bürger Sorge zu tragen. 2. Begründung der Staatsaufgabe Sicherheit aus der Verfassung Im Gegensatz zu anderen notwendigen Staatsaufgaben ist eine notwendige Staatsaufgabe Sicherheit im Grundgesetz nicht ausdrücklich normiert. Ursache dafür sind zunächst die bereits dargestellten Gründe 108, die auch für die recht dürftige und fragmentarische Ausgestaltung von Staatsaufgaben generell im Grundgesetz gelten. Unter diesen kommt für die fehlende Ausgestaltung einer Staatsaufgabe Sicherheit dem Föderalismus eine besondere Bedeutung zu – Gefahrenabwehr ist im Wesentlichen Länderangelegenheit und somit nicht Bestandteil des Grundgesetzes als Bundesverfassung. Daneben gibt es für die fehlende Normierung einer Staatsaufgabe Sicherheit noch eine weitere, verfassungshistorische Ursache: Entsprechend der Tradition des liberalen Verfassungsstaates gehörte die staatliche Gewährleistung der Sicherheit zu den „Selbstverständlichkeiten der Staatlichkeit“. 109 Eine ausdrückliche Festschreibung als Staatsaufgabe Sicherheit im Grundgesetz schien nicht erforderlich. Dennoch lassen sich im Grundgesetz Anhaltspunkte dafür finden, dass die Verfassung von der Existenz einer notwendigen Staatsaufgabe Sicherheit ausgeht, wenngleich diese Anhaltspunkte weit über das Grundgesetz verstreut sind. 110 Anhaltspunkte für eine notwendige Staatsaufgabe Sicherheit lassen sich dabei

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Neben § 32 StGB finden sich solche in § 34 StGB, §§ 227, 228, 229, 859, 860, 904 BGB und wohl auch in § 127 StPO. 107 Man betrachte nur die engen Voraussetzungen des § 32 StGB und denke an die Einschränkungen bei einem gravierenden Missverhältnis der Rechtsgüter, vgl. RGSt 55, 82 (Kirschbaumfall). 108 Vgl. oben 2. Kap.A.I. 109 Götz, HStR III, § 79, Rn. 2; vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 16; ders., HStR III, § 57, Rn. 44 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 732 ff. 110 Gusy, DÖV 1996, 573 (574).

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den Kompetenzvorschriften, dem Rechtsstaatsprinzip und den grundrechtlichen Schutzpflichten entnehmen. a) Staatsaufgabe Sicherheit aus den Kompetenzvorschriften In den Kompetenzvorschriften finden sich Anhaltspunkte zum einen für eine Aufgabe des Staates, die Sicherheit gegen Gefahren von außen zu gewährleisten, und zum anderen für eine Aufgabe zur Gewährleistung der Sicherheit im Innern des Staates. Eine notwendige Staatsaufgabe zur Abwehr von außen drohender Gefahren lässt sich unschwierig aus der Verfassung begründen. Art. 87a Abs. 1 S. 1 GG legt dem Bund die Pflicht auf, Streitkräfte für eine funktionsfähige militärische Landesverteidigung aufzustellen und zu unterhalten. 111 Die Gewährleistung der Sicherheit vor Gefahren von außen ist damit eine notwendige Staatsaufgabe. Komplexer ist die Herleitung einer notwendigen Staatsaufgabe „innere Sicherheit“. Zunächst sind einige Sicherheitsaufgaben in den Art. 83 ff. GG normiert. So sieht beispielsweise Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG die Einrichtung von Bundesbehörden im Bereich der Kriminalpolizei und des Verfassungsschutzes vor. Allerdings wird sich daraus nur eine fakultative Staatsaufgabe Sicherheit ableiten lassen. 112 Anders ist dies bei Art. 87d Abs. 1 S. 1, Art. 87e Abs. 1, 2 und Art. 89 Abs. 2 S. 1 GG, durch die dem Bund die Aufgaben der Luftverkehrs-, Eisenbahnverkehrsund Bundeswasserstraßenverwaltung übertragen werden. Mit der Verwaltung des Luft- und Eisenbahnverkehrs und der Bundeswasserstraßen ist gleichzeitig die Pflicht des Staates verbunden, für die Sicherheit des jeweiligen Verkehrs und der Verkehrsmittel zu sorgen. Diese Sicherheitsaufgaben sind notwendige Staatsaufgaben. 113 Allerdings handelt es sich bei den in Art. 83 ff. GG aufgeführten Aufgaben um sehr spezielle Sicherheitsaufgaben. Eine allgemeine Staatsaufgabe Sicherheit lässt sich daraus allein noch nicht begründen. Weitere Anhaltspunkte für eine notwendige Staatsaufgabe Sicherheit können die Gesetzgebungskompetenzen der Art. 73 ff. GG sein. Kompetenzbestimmungen betreffen zwar unmittelbar nur das rechtliche Dürfen, verpflichten den Staat also nicht zu einem bestimmten Handeln. 114 Aus ihnen lassen sich aber implizit durch 111

BVerfGE 28, 36 (47); 48, 127 (159); 69, 1 (21 f.); Heun, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 87a, Rn. 10. 112 Vgl. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 433 f. 113 Für die Bahnpolizei Lerche, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 87 Rn. 77; Riegel, DÖV 1995, 317 (319); für die Sicherheit des Luftverkehrs BVerwGE 95, 188 (191); Uerpmann, in: v. Münch / Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 87d, Rn. 6; für die Sicherheit der Wasserstraßen Maunz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 89, Rn. 39; Hoog, in: v. Münch / Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 89, Rn. 28. Ausführlich dazu Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 435 f.

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die Gesetzgebung zu verfolgende Staatsaufgaben herleiten. 115 So spielen Themen der Sicherheit und des Schutzes vor Gefahren in Art. 73 Nr. 1, Nr. 10 a; Art. 74 Nr. 1, Nr. 4a, Nr. 7, Nr. 11a, Nr. 12, Nr. 17, Nr. 19a, Nr. 20, Nr. 22 und Nr. 24 GG eine Rolle. 116 Daher lassen sich den Gesetzgebungskompetenzen der Art. 73 ff. GG Sicherheitsaufgaben des Staates entnehmen. Für eine verfassungsrechtliche Begründung einer notwendigen Staatsaufgabe Sicherheit bleiben sie jedoch zu diffus und unbestimmt. 117 b) Staatsaufgabe Sicherheit aus den Prinzipen der Rechtsstaatlichkeit Zudem bieten auch die in Art. 92 GG verfassungsrechtlich fixierte Rechtsprechung und das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG Hinweise auf eine Verpflichtung des Staates zum Schutz der Rechtsgüter seiner Bürger. 118 Und auch Art. 104 GG lässt Rückschlüsse auf eine staatliche Verpflichtung zum Rechtsgüterschutz zu. 119 c) Staatsaufgabe Sicherheit aus den grundgesetzlichen Schutzpflichten Den Schwerpunkt einer verfassungsimmanenten Begründung einer notwendigen Staatsaufgabe Sicherheit bilden indes die grundgesetzlichen Schutzpflichten. 120 Grundrechtliche Schutzpflichten stellen eine Verpflichtung des Staates dar, Verletzungen und Gefährdungen grundrechtlich geschützter Rechtsgüter abzuwehren, die von nichtstaatlicher Seite, vor allem von Dritten, drohen. 121

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Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 11 (21); Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 52 f., 152 ff. 115 Schulze-Fielitz, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 11 (21). 116 Vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 135; Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 64, Fn. 228; Pitschas, JZ 1993, 857 (858). 117 Vgl. Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 65; Koenig, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, S. 318. 118 Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 64; Götz, HStR III, § 79, Rn. 2 f.; Pitschas, JZ 1993, 857 (857 f.); Scholz, NJW 1997, 14 (15). 119 Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 349. 120 Gusy, DÖV 1996, 574 (578); ders., Polizeirecht, Rn. 76; Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 518. 121 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 350; E. Klein, NJW 1989, 1633 (1633); Dreier, in: ders., Grundgesetz, Vorb. Rn. 63. Ausführlich zu den Schutzpflichten Dietlein, Die Lehre

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Die Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten wurde vom Bundesverfassungsgericht in sechs Leitentscheidungen 122 entwickelt. Ausgangspunkt der verfassungsgerichtlichen Begründung der Schutzpflichten sind die Grundrechte. 123 Ihnen kommt neben ihrer subjektivrechtlichen Abwehrfunktion auch eine objektivrechtliche Dimension zu: 124 Die Grundrechte dienen nicht nur zur Abwehr staatlicher Eingriffe, sondern sie sind Ausdruck einer „objektiven Werteordnung“. 125 Diese Werteordnung gilt für alle Bereiche des Rechts und gibt Richtlinien für alle Staatsfunktionen. Der Charakter der Grundechte als „objektiv-rechtliche Wertentscheidungen“ 126 begründet damit einen Handlungsauftrag für den Staat. Es folgt aus den Grundrechten „die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen“. 127 So sehr dieses Ergebnis des Bundesverfassungsgerichts allgemeine Zustimmung fand, so sehr stieß die Begründung auf Kritik. 128 Deshalb werden neben dem Begründungsansatz des Bundesverfassungsgerichts 129 weitere Herleitungswege vorgeschlagen. 130 Dabei wird teils staatstheoretisch argumentiert. 131 Die Schutzpflichten werden als Ausfluss der staatlichen Friedenspflicht angesehen, von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 51 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 43 ff., 46 f. jeweils m.w. N. 122 „Fristenlösung“ BVerfGE 39, 1; „Schleyer“ BVerfGE 46, 160; „Kontaktsperre“ BVerfGE 49, 24; „Kalkar“ BVerfGE 49, 89; „Mülheim-Kärlich“ BVerfGE 53, 30; „Fluglärm“ BVerfGE 56, 54. 123 Anfänglich hat das Bundesverfassungsgericht auch noch Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG unterstützend herangezogen; vgl. BVerfGE 39, 1 (41 f.); BVerfGE 46, 160 (164). Schon in BVerfGE 53, 30 (57) fällt diese Begründung weg. 124 BVerfGE 39, 1 (41 f.). Ausführlich zur objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, § 69. 125 BVerfGE 39, 1 (41 f.) unter Hinweis auf ältere Rechtsprechung. In der neueren Terminologie wird der Begriff der „Werteordnung“ durch den der „Prinzipen“ ersetzt, vgl. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 290 ff. 126 BVerfGE 49, 89 (141 f.). 127 BVerfGE 46, 160 (164); 53, 30 (57); 56, 54 (78). Wenngleich die Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen nur das aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG folgende Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zum Gegenstand hatten, gilt dies für alle Freiheitsgrundrechte; vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 74 ff.; Isensee, HStR V, § 111, Rn. 86; H. Klein, DVBl. 1994, 489 (491); Stern, S. 944 m.w. N. 128 Vgl. dazu nur Isensee, HStR V, § 111, Rn. 82; E. Klein, NJW 1989, 1633 (1635) jeweils m.w. N.; zurückhaltender Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 58 ff. m.w. N. 129 Dem Begründungsansatz im Wesentlichen folgend Grimm, JBl. 1976, 74 (78); Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 308; Jarass, AöR 110 (1985), 363 (367); Badura, Staatsrecht, Rn. C 22; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 51 ff.; Steinacher, Staatspflichten und Grundgesetz, S. 261 f.; Erichsen, Jura 1997, 85 (86).

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die wiederum aus dem Gewaltmonopol des Staates resultiere. 132 Das Gewaltmonopol und die staatliche Friedenspflicht bedingten ein Verbot privater Gewalt, in dessen Konsequenz der Staat für den Schutz der – aufgrund des Gewaltverbots schutzlosen – Bürger sorgen müsse. 133 Teilweise werden die Schutzpflichten auch direkt aus der Abwehrfunktion der Grundrechte hergeleitet. 134 Dieser Begründungsansatz hebt die staatliche Rechtsetzungs- und Ordnungsfunktion hervor. Bei einer Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Rechtsgüter durch einen Dritten erfolge der Eingriff in die Grundrechtsposition nicht unmittelbar durch den Staat. Ihm sei diese Beeinträchtigung dennoch zuzurechnen, da der Staat eine Rechtsordnung geschaffen habe, die dem Dritten die Beeinträchtigung der grundrechtlichen Rechtsgüter nicht verbiete. 135 Denn indem der Staat private Gewalt verbiete, lege er zugleich dem Bürger die Pflicht auf, die nicht verbotenen beeinträchtigenden Handlungen seiner Mitbürger zu dulden. Diese staatlich angeordnete Duldungspflicht sei dann der staatliche Grundrechtseingriff. 136 Schließlich wird auch auf das Sozialstaatsprinzip rekurriert. 137 Das Sozialstaatsprinzip verpflichte den Staat, allen seinen Bürgern im Rahmen des Möglichen eine Chance einzuräumen, sich frei zu entfalten. Der Bürger solle die ihm von den Grundrechten verschafften Freiräume nutzen können. 138 Dazu sei nicht nur erforderlich, dass der Staat diese Freiräume nicht beschränke, was durch die 130 Ausführlich zu den verschiedenen dogmatischen Herleitungen staatlicher Schutzpflichten Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 43 ff., S. 77 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 17 ff., 34 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 30, 36 ff.; Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 334 ff. 131 Im Wesentlichen wird auf das Gewaltmonopol abgestellt, vgl. E. Klein, NJW 1989, 1633 (1635 f.); Isensee, HStR V, § 111, Rn. 83 f.; Köck, AöR 121 (1996), 1 (14); vgl. zu dieser Herleitung Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 21 ff. 132 E. Klein, NJW 1989, 1633 (1636); insoweit ist dieses Herleitungsmodell der Schutzpflichten sehr ähnlich der Herleitung der Staatsaufgabe Sicherheit aus dem Gewaltmonopol s. o. 2. Kap. B.I.1.b). 133 E. Klein, NJW 1989, 1633 (1636); Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 127; s. a. Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 37 f. 134 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 65: Der Staat sei für alles verantwortlich, was er nicht verbietet; vgl. Hermes, Das Grundrecht Schutz von Leben und Gesundheit, S. 72; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 192 ff. 135 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 107 f.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 214. 136 Murswiek, WiVerw 1986, 179 (182); ders., Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 108; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 215. 137 Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 319 ff. m.w. N. 138 Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 350; s. a. Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1536): „nicht nur die rechtlich-abstrakte, sondern die reale Freiheit“ soll gewährleistet sein.

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Grundrechte als Abwehrrecht gewährleistet werde, sondern der Staat müsse auch die Voraussetzungen einer Grundrechtsbetätigung schaffen, indem er u. a. auch diese behindernde Beeinträchtigungen durch Dritte verhindere. 139 Ungeachtet der jeweiligen dogmatischen Herleitungen der Schutzpflichten folgt aus ihnen eine Verpflichtung des Staates, für den Schutz der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter seiner Bürger zu sorgen. Den Grundrechten, den Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen und den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit lassen sich also verfassungsrechtlich verankerte Pflichten des Staates entnehmen, für den Schutz verschiedener Rechtsgüter einzutreten. Diese Pflichten begründen eine notwendige Staatsaufgabe Sicherheit. 3. Begründung einer Staatsaufgabe Sicherheit aus dem Europarecht Eine notwendige Staatsaufgabe Sicherheit lässt sich auch – zumindest teilweise – aus dem Europarecht herleiten. Anders als das Grundgesetz befasst sich das europäische Primärrecht durchaus mit der Sicherheit und die Gewährleistung der Sicherheit hat ihre ausdrückliche Erwähnung im Europarecht gefunden. So setzt sich die Europäische Union in Art. 2 S. 1 Spiegelstr. 4 EU das Ziel, die „Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu erhalten und weiterzuentwickeln. 140 Darin formuliert die Europäische Union explizit die Verpflichtung, die Sicherheit innerhalb der Union zu gewährleisten. 141 Der Unionsbürger soll in diesem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts „ein hohes Maß an Sicherheit“ (Art. 29 EU, Art. 61 EG) genießen. 142 Dem Ziel der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wird demnach die Verpflichtung zum Schutz der öffentlichen Sicherheit durch Mitgliedstaaten entnommen. 143 Adressaten dieser Verpflichtung sind dabei neben der Union selbst 139

Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 350 f. Eingeführt durch den Amsterdamer Vertrag vom 2. Oktober 1997, in Kraft getreten am 1. Mai 1999, ABl. C 340 vom 10. November 1997. 141 Ruffert, in: Pache, Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 14 (16). 142 Brechmann, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG- Vertrag, Art. 29 EU-Vertrag, Rn. 2; Monar, in: Müller-Graf, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 29 (34). 143 Müller-Graf, in: ders., Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 11 (14); Brechmann, Art. 61 EG-Vertrag, Rn. 4. Diese Pflicht betrifft jedoch nicht alle Bereich der Sicherheit, sondern nur die in Art. 29 ff. EU, Art. 61 ff. EG genannten Politikfelder, in denen die Europäischen Union die Rechtsetzungskompetenzen hat; vgl. Ruffert, in: Pache, Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 14 (20): Die Sicherheitsaufgabe der EU ist die Kompensation für Erschwernisse, die sich den Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Sicherheitsaufgabe durch den Binnenmarkt stellen. 140

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

auch die Mitgliedstaaten, also auch Deutschland. 144 Daneben wird Sicherheit auch noch in einigen Kompetenzvorschriften des Primärrechts wie Art. 29 ff. EU und Art. 61 ff. EG erwähnt, was diese aus Art. 2 EU entstammende Verpflichtung noch konkretisiert. 145 Durch diese Aufnahme der Gewährleistung der Sicherheit in das Primärrecht der Europäischen Union, insbesondere in die Ziele der Union, wird die Gewährleistung von Sicherheit zu einem wichtigen Ziel der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten und zu einer Pflicht, für sie einzustehen. Ob die Pflicht, die Sicherheit zu gewährleisten, dadurch auch zu einer Staatsaufgabe Sicherheit geworden ist, könnte aus zwei Gründen zweifelhaft sein. Ein Grund könnte sich aus dem Begriff „Staatsaufgabe“ selbst ergeben. Der Wortlaut legt nahe, dass es sich bei Staatsaufgaben um „Aufgaben des Staates“ handelt. An der Eigenschaft der Europäischen Union als Staat wird jedoch vielfach gezweifelt. 146 Wenn die Europäische Union aber kein Staat wäre, könnten ihr obliegende Verpflichtungen auch keine Staatsaufgaben sein. 147 Damit korreliert auch der zweite Grund, der gegen eine Staatsaufgabe Sicherheit aus dem Europarecht sprechen könnte. Wenn sich Staatsaufgaben aus der Verfassung ergeben können, müsste dem Primärrecht der Europäischen Union eine Verfassungsqualität zukommen. Auch dies wird – in der Regel mit ähnlichen Argumenten, mit denen auch die Staatseigenschaft bestritten wird – vielfach (noch) angezweifelt: 148 Verfassung

Ausführlicher zum Umfang und zur Reichweite des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Gusy / Schewe, in: Weidenfeld (Hrsg.), Europa-Handbuch, S. 342 (343 ff.). 144 Zur Verbindlichkeit und zum Adressaten der Verpflichtung vgl. Pechstein, in: Streinz, EUV / EGV, Art. 2 EUV, Rn. 4, 5; Hilf / Pache, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 2 EUV, Rn. 3. 145 Pache, in: ders., Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 9 (11). 146 Ausführlich dazu Schönberger, AöR 129 (2004), 81 (81 ff.); Wagner, ZEuS 2006, 287 (290 ff.); Schuppert, StWStP 1994, 35 (35 ff., 53 ff.). Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete die Europäische Union im Maastrichturteil als „Staatenverbund“, BVerfGE 89, 155 (181, 190). Zu den unterschiedlichen Positionen innerhalb der Mitgliedstaaten, wohin sich die EU entwickeln soll, ob zum Staatenbund oder zum Bundesstaat, vgl. Tiedtke, Demokratie in der Europäischen Union, S. 247 ff. Zur Debatte um einen europäischen Staatenbund s. a. Wessels, in: Herzog / Hobe (Hrsg.), Die Europäische Union auf dem Weg zum verfaßten Staatenverbund: Perspektiven der europäischen Verfassungsordnung, S. 200 (200 ff.). 147 So etwa Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 370. 148 Ausführlicher dazu Möllers, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 1 (18 ff.); Schönberger, AöR 129 (2004), 81 (109 ff.); Pernice, JöR 48 (2000), 205 (214 ff., insb. 217); Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 187 ff.; Kirchhof, in: Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 893 (895 ff., insb. 900 ff.); Grimm, in: ders. (Hrsg.), Zur Neuordnung der Europäischen Union, S. 9 (10).

2. Kap.: Sicherheit und Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

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beziehe sich herkömmlich auf den Staat, 149 was weder die Europäische Union noch die Europäische Gemeinschaft sei. Für die Frage, ob sich aus dem europäischen Primärrecht eine Staatsaufgabe Sicherheit im Sinne einer staatlichen Verpflichtung, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen, entnehmen lässt, sind diese Bedenken an der Staatsqualität der Europäischen Union und des Verfassungscharakters des EU- und EG-Vertrags letztlich unerheblich. Denn zum einen trifft die sich aus dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ergebende Verpflichtung, für die Sicherheit der Bürger zu sorgen, nicht nur die Europäische Union, sondern auch die Mitgliedstaaten – darunter auch die Bundesrepublik –, die Staatsqualität haben. Zum anderen lässt sich den Vorschriften des europäischen Primärrechts die Verpflichtung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten entnehmen, Sicherheit in bestimmten Bereichen zu gewährleisten. Auch wenn es sich bei diesen Vorschriften nicht um Verfassungsrecht und bei der Verpflichtung nicht um eine Staatsaufgabe handeln mag, kommt diese Verpflichtung letztlich den Pflichten, wie sie sich auch aus einer Staatsaufgabe Sicherheit ergeben können, sehr nahe. Die Europäische Union nimmt sogar durch die sich aus den Bestimmungen über den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ergebende Verpflichtung Teile der originär den Mitgliedstaaten obliegenden Pflichten der Staatsaufgabe Sicherheit wahr. 150 Demnach lässt sich dem Europarecht eine gewisse Staatsaufgabe Sicherheit entnehmen, die allerdings in ihrer Reichweite auf die in den Kompetenztiteln genannten Bereiche beschränkt ist. II. Ergebnis Eine notwendige Staatsaufgabe Sicherheit kann sowohl staatstheoretisch als auch aus der Verfassung selbst als auch aus dem europäischen Primärrecht hergeleitet werden. Zwischen diesen Herleitungsmodellen herrscht keine Exklusivität, sondern sie begründen alle einzelne Sicherheitsaufgaben des Staates, die in ihrer Summe die notwendige Staatsaufgabe Sicherheit ausmachen. 151 Im Ergebnis ist der Staat verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten.

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Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 187. Pache, in: ders., Die Europäische Union – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, S. 9 (10). Dies zeigt sich besonders bei der Einrichtung europäischer Sicherheitsbehörden; vgl. dazu Gusy / Schewe, Jahrbuch der Europäischen Integration 2007, 173 (176 ff.). 151 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 51. 150

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

3. Kapitel

Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit Die Feststellung, dass es eine Staatsaufgabe Sicherheit, eine Verpflichtung des Staates zum Schutz seiner Bürger gibt, allein genügt noch nicht, um die Frage, ob der Staat das Sicherheitsgefühl seiner Bürger schützen muss, positiv beantworten zu können. Die entscheidende, sich anschließende Frage ist, ob die Staatsaufgabe Sicherheit auch den Schutz des Sicherheitsgefühls mitumfasst.

A. Wandel von Staatsaufgaben Staatsaufgaben sind nicht statisch, sie unterliegen einem ständigen Wandel. 152 So werden Aufgaben, deren Erfüllung früher als allein dem Staat vorbehalten galten, heute von Privaten erbracht und viele Aufgaben, die wir heute als notwendige Staatsaufgaben betrachten, wurden früher staatsfremd erledigt. Als Beispiel – sowohl für die eine als auch die andere – können die Postdienstleistungen dienen. Erbrachten sie bis ins 19. Jahrhundert Private 153, wurden sie dann verstaatlicht und zu einer der zentralen staatlichen Aufgaben, bis sie – nicht zuletzt unter dem Druck des Europarechts – mit der Aufhebung des Postmonopols 1995 wieder privatisiert und damit zu einer – abgesehen von einer gewissen staatlichen Kontrolle und Regulierung – privaten Aufgabe wurden. 154 Der Wandel der Staatsaufgaben betrifft aber nicht nur die Frage, was eine Staatsaufgabe ist und was nicht, sondern auch der Inhalt und die Reichweite bestehender Staatsaufgaben unterliegen einem Wandel. Eine Ursache für den Wandel der Staatsaufgaben ist das sich ändernde Staatsverständnis. War der Staat früher ein Polizeistaat, ein Rechtsstaat und ein Sozialstaat, 155 so versteht das heutige Staatsverständnis den Staat als Gewährleistungs152

Vgl. Schuppert, Staatswissenschaft, S. 282 ff. Zunächst durch verschiedene Private, später durch die Thurn- und Taxische Reichspost, die ab dem 16. Jahrhundert über ein privates Monopol verfügte, vgl. Wieland, Die Verwaltung 1995, 315 (319); Hadamek, Art. 10 GG und die Privatisierung der Deutschen Bundespost, S. 44. 154 Vgl. zur Geschichte der Post, insb. zur geschichtlichen Entwicklung des Postmonopols und dessen Aufhebung Herrmann, Deutsche Bundespost, S. 87 ff.; Hadamek, Art. 10 GG und die Privatisierung der Deutschen Bundespost, S. 43 ff.; Kämmerer, Privatisierung, S. 325 ff.; Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 294 ff. Zur staatlichen Kontrolle im Bereich der Telekommunikation als Ableger der Postdienstleistungen vgl. Stober,, DÖV 2004, 221 (222 ff.). 153

3. Kap.: Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit

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staat. 156 Bei diesem Verständnis vom Staat als Gewährleistungsstaat wird von einer geteilten Verantwortung bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben ausgegangen. Die Verantwortung für die Erbringung der gesellschaftlich notwendigen Leistungen obliegt nicht mehr allein dem Staat, sondern ist auf Staat und Gesellschaft aufgeteilt. Der Staat trägt nur noch die Verantwortung dafür, der Gesellschaft einen Rahmen für die Aufgabenerfüllung bereitzustellen. Die Verantwortung des Staates wandelt sich damit von einer Erfüllungs- zu einer Gewährleistungs- und Auffangverantwortung. 157 Für die Staatsaufgaben hat dieses Staatsverständnis vor allem Auswirkungen auf die Art und Weise der Erfüllung von Staatsaufgaben. Als Gewährleistungsstaat soll der heutige Staat nur noch die öffentlichen Aufgaben durch eigene Kräfte selbst wahrnehmen, bei denen eine staatliche Aufgabenerfüllung unbedingt notwendig ist. Bei Aufgaben, die zumindest teilweise auch von Privaten erbracht werden können, beschränkt sich der Staat darauf, einen Rahmen und strukturierte Vorgaben für die Aufgabenerfüllung durch Private bereitzustellen. 158 Damit zieht sich der Staat aber nicht ganz aus der Aufgabenerfüllung zurück und überlässt die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe dem freien Spiel privater Kräfte; die öffentliche Aufgabe bleibt weiterhin eine Staatsaufgabe, allerdings nur insoweit, als der Staat den Privaten bei dessen Aufgabenerfüllung zu kontrollieren und zu regulieren und – wenn die Leistung durch die Privaten nicht mehr erbracht werden – die Aufgabe wieder selbst wahrzunehmen hat. Die eigenhändige Aufgabenerfüllung ist demnach nicht mehr Aufgabe des Staates. Insoweit hat sich der Inhalt der Staatsaufgabe gewandelt. Das geänderte Staatsverständnis vom Staat als Gewährleistungsstaat betrifft damit weniger die Frage, ob eine Aufgabe eine Staatsaufgabe ist, als vielmehr die Art ihrer Erfüllung durch den Staat. Neben dem veränderten Staatsverständnis sind auch die geänderten gesellschaftlichen Bedürfnisse für den Wandel der Staatsaufgaben verantwortlich. 159 So kann das einst bestehende gesellschaftliche Bedürfnis für eine staatliche Befassung mit einer bestimmten Sachmaterie später entfallen und so eine Aufgabe ihre Eigenschaft als Staatsaufgabe verlieren. Zumeist ist es allerdings der umgekehrte Fall: Soziale Entwicklungen und technische Neuerungen führen zu einem ge155 Vgl. zu den früheren Staatsverständnissen Kaufmann, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 15 (20 ff.). 156 Hoffmann-Riem, in: ders., Modernisierung von Recht und Justiz, S. 15 (24). Ausführlich zum Gewährleistungsstaat Franzius, Der Staat 42 (2003), 493 (493 ff.); Ladeur / Gostomzyk, Die Verwaltung 36 (2003), 141 (150 f.). 157 Hoffmann-Riem, DÖV 1999, 221 (221). Ausführlich zur den Stufen der Verantwortung, Schuppert, Die Verwaltung 31 (1998), 415 (419 ff.); ders., Staatswissenschaft, S. 290 ff. 158 Hoffmann-Riem, in: ders., Modernisierung von Recht und Justiz, S. 25. 159 Schuppert, Staatswissenschaft, S. 282 ff., 297 ff. Grundsätzlich zum Wandel von Recht aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen Luhmann, Rechtssoziologie, S. 22: „Soziologisch versteht es sich von selbst, dass das Recht Recht der Gesellschaft ist und sich mit ihr verändert“; s. a. ders., Recht der Gesellschaft, S. 550 ff.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

sellschaftlichen Bedürfnis nach staatlicher Steuerung und Kontrolle bestimmter Bereiche des täglichen Lebens – mithin zu einer Staatsaufgabe. 160 Beispiel für eine solche durch gesellschaftliche „Nachfrage“ entstandene Staatsaufgabe ist die Zukunftssicherung, also die Aufgabe des Staates, angesichts des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts für eine in sozialer und ökologischer Hinsicht sichere Zukunft zu sorgen. 161 Grundsätzlich gilt also: Staatsaufgaben wandeln sich entsprechend den sich ändernden Staatsverständnissen und veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen.

B. Wandel der Staatsaufgabe Sicherheit Gerade die Staatsaufgabe Sicherheit als eine der ältesten Staatsaufgaben, wenn nicht sogar die älteste Staatsaufgabe, hat sich im Lauf ihrer Geschichte aufgrund sich ändernder Staatsverständnisse und veränderter gesellschaftlicher Bedürfnisse vielfach gewandelt. Bestand die Staatsaufgabe Sicherheit nach dem „Policeyverständnis“ des Absolutismus in der „wohlfahrtsstaatlichen Förderung der Glückseligkeit“ 162, wandelte sie sich – mit der Abkehr vom polizeilichen Globalmandat der wohlfahrtsstaatlichen Beförderung der Glückseligkeit im 18. Jahrhundert – zu einer rechtsstaatlichen Sicherheitsaufgabe. Im liberalen Rechtsstaat war die staatliche respektive polizeiliche Aufgabe, Sicherheit zu gewährleisten, auf die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung reduziert. 163 Durch 160 Grimm, in: ders. (Hrsg.), Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft S. 53 (76). Kritisch gegenüber einer ständigen Ausweitung der staatlichen Verantwortung für weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und damit zur Begründung immer neuer Staatsaufgaben Grimm, in: Staatslexikon, Bd. 5, 1989, Sp. 641; ähnlich Wahl / Appelt, in: Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, S. 1 (56); Bull, in: Hesse / Zöpel (Hrsg.), Der Staat der Zukunft, S. 31 ff. (33). 161 Grimm, in: ders. (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 291 (297); Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 74; diese Aufgabe dürfte im Wesentlichen mit der Risikovorsorge identisch sein, s. dazu u. 5. Kap. B.I.6.c)(4). Ähnliche Anforderungen an den Staat stellt auch die Globalisierung: So wird teilweise gefordert, der Staat habe die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland als Staatsaufgabe, vgl. Tettinger, DÖV 2000, 534 (538 f.). Grundlegend zum historischen Wandel wirtschaftlicher Staatsaufgaben Abelshauser, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 199 (224 ff.). 162 Erichsen, VVDStRL 35 (1977), 171 (177). Ausführlich zur Aufgabe der „Policey“ im Absolutismus Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Erster Band, S. 370 ff. Grundlegend zum Wandel der Staatsaufgabe Sicherheit Schuppert, Staatswissenschaft, S. 282 ff. 163 Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und sozialen Rechtsstaat, S. 9; s. a. Pütter, Institutiones Juris Publici Germanici, § 321; vgl. dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 4. Vgl. zum rechtsstaatlichen Polizeiverständnis Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 91 ff., 193 ff. und passim.

3. Kap.: Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit

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den Wandel des Staatsverständnisses vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat im 20. Jahrhundert erfuhr auch die Staatsaufgabe Sicherheit eine erneute Veränderung. Die Herstellung von Sicherheit erfolgt nicht mehr nur vornehmlich durch repressives Handeln, d. h. durch ein staatliches Einschreiten nach Eintritt einer Störung des gesetzlich vorgegebenen Normalzustandes, sondern durch präventive Maßnahmen, die gewährleisten sollen, dass eine solche Störung erst gar nicht entsteht. 164 Seinen Ausdruck gefunden hat dieser Wechsel von der Repression hin zur Prävention bei der polizeilichen Tätigkeit in der neueren Polizeiaufgabe der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, insbesondere im Bereich der sog. organisierten Kriminalität. 165 Schließlich unterwarf die Modernisierungsdebatte und die Diskussion um einen „schlanken Staat“ die Staatsaufgabe Sicherheit einem weiteren Wandel. Viele Bereiche staatlicher Sicherheitstätigkeit wurden nicht mehr als notwendigerweise ausschließlich dem Staat vorbehalten angesehen und daher privatisiert, d. h. der Verantwortung gesellschaftlicher – also nichtstaatlicher – Akteure überlassen. 166 Der Staat sollte sich auch im Bereich der Sicherheit nur auf die notwendig hoheitlich zu erbringenden Leistungen beschränken. 167 Neben dem geänderten Staatsverständnis führte auch der technische Fortschritt dazu, dass Sicherheit nicht mehr nur als Abwehr von Gefahren und Bestrafung von Kriminalität verstanden wird. Sicherheit sollte auch unterhalb der Gefahrenschwelle liegende und – aufgrund wissenschaftlich ungewisser Kausalitäten – nicht sicher prognostizierbare Risiken erfassen. Die Staataufgabe Sicherheit beinhaltet damit nicht nur die staatliche Aufgabe zur Gefahrenabwehr im klassisch polizeirechtlichen Sinne, sondern auch die Risikovorsorge. 168 Die Staatsaufgabe Sicherheit hat demnach in ihrer langen Geschichte zahlreiche Entwicklungen und Veränderungen erfahren.

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Grimm, KritV 1986, 38 (39); s. a. Denninger, KritJ 1988, 1 (10 ff.). Albrecht, KritV 1986, 55 (61 ff.); Schuppert, in: Barfuß (Hrsg.), Sicherheitsverwaltung, S. 31 (42 ff.). 166 Zu den möglichen Beiträgen Privater vgl. Pitschas, DÖV 2004, 231 (233 ff.). 167 Vgl. ausführlich zu den Grenzen des Einsatzes Privater für die Erbringung von Sicherheitsleistungen Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 313 ff., 397 ff., 484 ff. und passim; Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 395 ff.; Weiner, Privatisierung von staatlichen Sicherheitsaufgaben, S. 115 ff., 161 ff. 168 Aufgrund der großen Bedeutung der Risikovorsorge wird diese vielfach auch als eine eigenständige Staatsaufgabe aufgefasst, vgl. Preuß, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 529 ff.; Schuppert, Staatswissenschaft, S. 287; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 270 ff. Ausführlicher zur Risikovorsorge s. u. 5. Kap. B.I.6.c)(4). 165

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

C. Wandel der Staatsaufgabe Sicherheit zur subjektiven Sicherheit An diese vielfachen Wandlungen der Staatsaufgabe Sicherheit knüpfen auch die Überlegungen zur Bedeutung des Sicherheitsgefühls für die Staatsaufgabe Sicherheit an. Wenn die Staatsaufgabe Sicherheit so zahlreichen Veränderungen unterworfen war und ist und sich so vielfältig gewandelt hat, stellt sich die Frage, ob sie nicht auch einem dahingehenden Wandel unterworfen ist, dass die Staatsaufgabe Sicherheit neben dem Schutz der objektiven Sicherheit den Schutz der subjektiven Sicherheit, des Sicherheitsgefühls, zum Gegenstand hat. Ausgehend von der Prämisse, dass Staatsaufgaben den Bedürfnissen der Gesellschaft entspringen, lässt sich demnach überlegen, ob das gegenwärtige gesellschaftliche Verständnis von Sicherheit streng auf die objektive Sicherheit beschränkt ist oder ob sich die Vorstellungen der Gesellschaft so gewandelt haben, dass „Sicherheit“ „versubjektiviert“ wurde. I. Blickwinkel bei der Bestimmung von Staatsaufgaben Wesentliche Bedeutung für die Beantwortung der Frage, was das gegenwärtige gesellschaftliche Verständnis von „Sicherheit“ ist, ist der Perspektive zuzumessen, aus der die Frage betrachtet wird. Nach dem klassischen historischen Verständnis von Staatsaufgaben und der Definition von Staatsaufgaben wird eine Aufgabe dadurch zu einer staatlichen, dass sich der Staat mit ihr befasst. 169 Bei diesem Verständnis von Staatsaufgaben werden der Inhalt und die Reichweite aus dem Blickwinkel des Staates bestimmt: Der Staat befasst sich mit einer Aufgabe; dadurch und durch die Art und Weise, in der er sich mit der Aufgabe befasst, bestimmt er diese Aufgabe zur Staatsaufgabe und legt zugleich Inhalt und Reichweite dieser Staatsaufgabe fest. Das modernere Staatsverständnis, insbesondere das Verständnis vom Staat als Gewährleistungsstaat, bedingt allerdings auch ein geändertes Staatsaufgabenverständnis. Der Staat ist für die in ihm lebenden und ihn bildenden Bürger, also für die Gesellschaft, da. Dementsprechend werden auch seine Aufgaben definiert. Staatsaufgaben reagieren auf Bedürfnisse der Bürger, sollen gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen. 170 Dieses Verständnis von den Staatsaufgaben bewirkt zugleich einen Wechsel der Perspektive. Inhalt und Reichweite der Staatsaufgaben 169

S.o. 2. Kap. A.I. Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 192 ff. bezeichnet Staatsaufgaben daher als „Bereitstellung öffentlicher Güter“: „Staatsaufgaben zielen stets auf die Erbringung bestimmter Leistungen durch den Staat“ – nämlich eben jener öffentlichen Güter. Diese öffentlichen Güter zeichnen sich ihrerseits dadurch aus, dass sie nicht von Privaten, also von der Gesellschaft selbst erbracht werden (können), Gramm, ebenda, S. 193. 170

3. Kap.: Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit

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können nicht mehr nur aus Sicht des Staates bestimmt werden, sondern auch die Bedürfnisse der Bürger und die gesellschaftlichen Vorstellungen müssen Berücksichtigung finden. Das, was eine Staatsaufgabe ist, bemisst sich daher auch nach den Vorstellungen der Gesellschaft darüber. Für die Staatsaufgabe Sicherheit und die hier behandelte Frage, ob die Staatsaufgabe Sicherheit auch das Sicherheitsgefühl mitumfasst, bedeutet das Folgendes: Die Bestimmung dessen, was Inhalt der Staatsaufgabe Sicherheit ist, darf nicht (allein) aus dem Blickwinkel des Herstellers von Sicherheit – also aus Sicht des Staates – geschehen, sondern muss auch und gerade aus der Perspektive der Abnehmer staatlicher Sicherheitsleistungen, also aus der Sicht der Bürger, erfolgen. 171 Aufgrund dieses Wechsels der Perspektive von der Seite des Staates auf die des Bürgers kann Sicherheit nicht allein auf die normativ fassbaren Strukturen beschränkt werden. 172 Sicherheit – i. S. d. Staatsaufgabe Sicherheit 173 – ist damit mehr als das, was der Staat als Sicherheit definiert. Entscheidend ist also nicht nur, was der Staat für schützenswert erachtet, was der Gesetzgeber als Sicherheit definiert, was die Exekutive schützt, sondern das, was der Bürger für schützenswert erachtet, was er für „die Sicherheit“ hält, was den gesellschaftlichen Vorstellungen von „Sicherheit“ entspricht. Die Reichweite und der Schutzumfang der Staatsaufgabe Sicherheit wird damit maßgeblich von dem gesellschaftlichen Begriff der Sicherheit und dessen Interpretation durch den Bürger geprägt. Ob die Staatsaufgabe Sicherheit das Sicherheitsgefühl mitumfasst, hängt damit besonders auch von den gesellschaftlichen Vorstellungen über das, was Sicherheit ist, ab. II. Das gesellschaftliche Verständnis von Sicherheit Die zentrale Frage, die damit aufgeworfen ist, lautet also: Was ist Sicherheit? Oder genauer, was ist das gesellschaftliche Verständnis von „Sicherheit“? 1. Das Bedürfnis nach Sicherheit als Eigenheit des Menschen Sicherheit hat eine zentrale Bedeutung für den Menschen und prägt maßgeblich sein Leben und sein Zusammenleben mit anderen. Die Wertschätzung, die die Menschen der Sicherheit entgegenbringen, belegen zahlreiche Untersuchungen 171 172 173

Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 401. Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, S. 401. Zum Begriff der Sicherheit i. S. d. Polizeiaufgabe Sicherheit s. u. 5. Kap. B.I.1.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

und Befragungen. 174 Sicherheit wird von einem Großteil der Bürger positiv besetzt. 175 Der Vergleich mit seinem Gegenteil, der Unsicherheit, bei dem negative Assoziationen – wie bei Sicherheit etwa die Assoziation „Staatssicherheit“ – nicht bestehen, zeigt diese Wertschätzung noch stärker. Unsicherheit wurde in einzelnen Befragungen von über 90 Prozent der Befragten als negativ empfunden. Diese hohe Wertschätzung von Sicherheit durch die Menschen resultiert aus einer anthropologischen Eigenheit des Menschen: Der Mensch ist ein Mängelwesen, ein gefährdetes Wesen. 176 Er bedarf der steten Bemühung, sich vor den Gefahren des Lebens zu schützen. Anders als ein Tier, das, wenn es Hunger hat, Futter sucht, strebt der Mensch nicht erst bei dem akuten Auftreten einer Bedürftigkeit – wie etwa Hunger, Durst oder Wärme – nach deren Erfüllung, sondern er versucht, für zukünftige, virtuelle Bedürfnisse vorzusorgen. 177 Diese sog. Hintergrunderfüllung ist prägend für den Menschen. 178 In Erwartung einer künftigen Bedürftigkeit und möglicher Gefahren ergreift er Vorsorgemaßnahmen und entlastet sich so von seiner eigenen Aktualität. 179 Dies ist in primitiven Gesellschaften vornehmlich die Bevorratung: Der Buschmann vergräbt mit Wasser gefüllte Straußeneier im Sand für späteren Durst. In modernen Gesellschaften, in denen die wesentlichen Grundbedürfnisse des Menschen gewährleistet sind, sichert sich der Mensch gegenüber den anderen möglichen Risiken des Lebens durch Versicherungen ab. 180 Durch diese „Bevorratung“ entsteht im Menschen das Bewusstsein, dass ihm eine Befriedigung eines Bedürfnisses jederzeit möglich ist. Dabei kommt es letztlich nicht mehr darauf an, ob die Bedürfnisse wirklich befriedigt werden, solange allein das Bewusstsein der jederzeitigen Bedürfnisbefriedigung besteht. Dieses von Gehlen als Hintergrunderfüllung bezeichnete Phänomen ist nichts anderes als Sicherheit. 181 Aufgrund seiner eigenen Unzulänglichkeit will sich der Mensch stets absichern. 182 Sicherheit ist ein allen Menschen gemeinsames 174 Vgl. zu den Umfragen Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, S. 32; s. a. die Untersuchungen zur Kriminalitätsfurcht, bei denen teilweise die Wertschätzung von Sicherheit nachgefragt wurde, s. u. 4. Kap. A.I. 175 Ausführlich dazu Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, S. 32. 176 Gehlen, Der Mensch, S. 20; ders., Urmensch und Spätkultur, S. 50: „ein Wesen von chronischer Bedürftigkeit“; Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 10. S.a. Zelinka, in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, 1997, S. 43 (46). Ausführlich zum „Menschen als biologischem Sonderproblem“, Gehlen, Der Mensch, S. 9 ff. 177 Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 50 f. 178 Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 50. Zu Gehlens Sicherheit als Hintergrunderfüllung s. a. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 166 f. 179 Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 51. 180 Vgl. ausführlich zur modernen Gesellschaft als Versicherungsgesellschaft Bonß, Vom Risiko, S. 178 ff., 191 ff.; Ewald, Der Vorsorgestaat, S. 223 f.; ders., KritJ 1989, 385 (385 ff.).

3. Kap.: Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit

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elementares Bedürfnis; 183 das Streben des Menschen nach Sicherheit ist seine „universelle menschliche Eigenschaft“. 184 2. Relativität von Sicherheit Angesichts dieses menschlichen Bedürfnisses nach Sicherheit ist jedoch eines zu berücksichtigen: Sicherheit ist nie vollständig zu erreichen. Es gibt immer irgendeine Gefahr, irgendein Risiko, das die Sicherheit bedroht. Sind die unmittelbar das Leben bedrohenden Gefahren und Risiken wie Verhungern, Verdursten oder Erfrieren beseitigt – etwa durch die Bevorratung von Lebensmitteln und Wasser, durch wärmende Kleidung aus Tierfellen –, stellen sich dem Menschen neue Gefahren und Risiken, wie etwa andere Menschen, die ihn um seine Vorräte beneiden, oder Naturkatastrophen, die seine Vorräte vernichten können; wenn der Mensch Tiere domestiziert hat, damit er nicht immer jagen muss und er jederzeit über Nahrung verfügt, droht ihm das Risiko, dass die Herde verendet oder er Tiere durch wilde Tiere verliert. Auch in der modernen Gesellschaft hat sich daran nicht viel geändert. Zwar sind die primären das Leben bedrohenden Gefahren und Risiken (Hunger, Durst, Kälte) weitgehend ausgeschlossen, dafür drohen neue Gefahren und Risiken, wie Autounfälle, Übergriffe von Mitmenschen oder Krankheiten. Absolute – d. h. hundertprozentige – Sicherheit gibt es nicht und kann es auch nicht geben. 185 Sicherheit ist stets nur relativ. Gleichwohl strebt der Mensch weiter danach, Sicherheit zu schaffen. Gerade in modernen Gesellschaften, in denen der Mensch sicherer lebt als zu jeder anderen Zeit 186, ist dieses Sicherheitsbedürfnis, dieses Streben nach Sicherheit, besonders 181 Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 50 f.; s. a. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 10, 143; Glaeßner, Sicherheit in Freiheit, S. 15. 182 Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, S. 31; Braun, Soziales Handeln und soziale Sicherheit, S. 9. 183 Lippert / Prüfert / Wachtler, in: dies. (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 7 (11); Bonß, Vom Risiko, S. 88: „Streben nach Sicherheit als anthropologische Konstante“; ders., in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 21 (21); s. a. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 10; Gehlen, Moral und Hypermoral, S. 103; Thomas, Person und Sozialverhalten, S. 152. 184 Lippert / Prüfert / Wachtler, in: dies. (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 7 (11); vgl. Braun, Soziales Handeln und soziale Sicherheit, S. 9, der das Sicherheitsbedürfnis des Menschen als „universelle Erscheinung“ bezeichnet. Eine ausführliche Untersuchung zu der These, dass Sicherheit ein Grundbedürfnis des Menschen sei, liefert Zelinka, in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 43 (43 ff.). 185 Luhmann, Soziologie des Risikos, S. 37, der zu Recht darauf hinweist, dass der Tod eine Ausnahme davon sei, da er ja gewiss sei. S.a. Albrecht, Zur Erosion der Menschenrechte im demokratischen Rechtsstaat, S. 65; Lepsius, in: Roggan (Hrsg.), Mit Recht für Menschenwürde und Verfassungsstaat, S. 47 (73).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

ausgeprägt. 187 Diese auf den ersten Blick paradoxe Feststellung liegt in der Desillusionierung der Möglichkeiten technischen Fortschritts begründet: Bestanden seit dem 19. Jahrhundert der Glaube und die Hoffnung, dass die sich bietenden technischen Entwicklungen eine kontinuierliche, kumulativ-additive Verbesserung von Sicherheit ermöglichen würden, erwiesen sich Ende des 20. Jahrhunderts die scheinbar hohen Sicherheitsniveaus als trügerisch. 188 Es konnte kaum noch von linearen Sicherheitszuwächsen ausgegangen werden. Der technische Fortschritt schafft zwar einerseits immer mehr Sicherheit, andererseits bedingt er gleichzeitig – quasi als „Nebenfolge“ – aber auch neue unerwartete Unsicherheiten. So hat beispielsweise die Elektrifizierung dazu geführt, dass die Menschen nicht mehr im Dunklen leben müssen und – bei einer Elektroheizung – nicht mehr der Kälte schutzlos ausgeliefert sind. Dadurch hat sich das Risiko des Menschen zu erfrieren stark reduziert. An die Stelle des Erfrierungstodes als Unsicherheit sind dann aber andere Unsicherheiten getreten: etwa das Risiko eines Stromschlags oder, dass es in einem den Strom für die Wärme spendende Elektroheizung produzierenden Atomkraftwerk zu einem Reaktorunfall kommen kann. Dabei sind die Eintrittswahrscheinlichkeiten dieser „fabrizierten Unsicherheiten“ 189 zwar deutlich geringer als die der vormodernen Unsicherheiten. Das wahrscheinliche Schadensausmaß derartiger Katastrophen ist aber nahezu unbegrenzt hoch anzusetzen. 190 Gleichzeitig ermöglichen die naturwissenschaftliche Forschung und Wissenschaft es dem Menschen, weitere Kausalverläufe zu verstehen und damit immer weitere Risiken zu erkennen. 191 Damit macht auch der Fortschritt in Wissenschaft und Forschung dem Menschen immer wieder deutlich, dass Sicherheit nicht absolut sein kann. 3. Sicherheit als gesellschaftliche Konstruktion Die Erkenntnis der Relativität von Sicherheit führt aber nicht zu einem Verzicht auf den Begriff Sicherheit im allgemeinen Sprachgebrauch. Es findet sich im Gegenteil eine vermehrte Verwendung des Begriffs Sicherheit. 192 „Sicherheit“ ist dabei aber, wegen der grundsätzlichen Unmöglichkeit einer absoluten Sicherheit 186 Sofern man als Bewertungsmaßstab für die „Lebenssicherheit“ die durchschnittliche Lebenserwartung Geborener heranzieht, vgl. Lübbe, in: Bayerische Rück (Hrsg.), Risiko ist ein Konstrukt, S. 23 (25). 187 Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, S. 31 f. mit empirischen Belegen für den Bedeutungszuwachs von Sicherheit in der modernen Gesellschaft. 188 Bonß, Vom Risiko, S. 23; Glaeßner, Sicherheit in Freiheit, S. 22. 189 Beck, Mittelweg 36 4/1994, 11 (12); vgl. auch ders., in: Schmidt (Hrsg.), Leben in der Risikogesellschaft, S. 13 (15): „Spätgeburten eines zumeist begrüßten technischen Fortschritts“. 190 Lippert / Prüfert / Wachtler, in: dies. (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 7 (15); s. a. Kröger, Umgang mit Risiken der Technik, NZZ, 27. 6. 1991. 191 Luhmann, Soziologie des Risikos, S. 37.

3. Kap.: Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit

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im naturwissenschaftlichen Sinne und des gleichzeitigen Bedürfnisses des Menschen nach Sicherheit, nur ein gesellschaftliches Konstrukt. 193 Sie bemisst sich nicht nach unverrückbaren Gegebenheiten – wie etwa klaren Aussagen über bestehende Risiken –, sondern eher nach bestimmten unterstellten Gewissheiten. 194 Zudem ist der Begriff Sicherheit normativ hoch aufgeladen und dadurch – wie Franz Xaver Kaufmann es formuliert – zu einer Wertidee geworden. 195 Allerdings hat sich durch die Erkenntnis, dass es eine absolute Sicherheit nicht gibt und nicht geben kann und dass Sicherheit deshalb nur eine soziale Konstruktion ist, auch die Bedeutung von Sicherheit gewandelt. Verstand man früher – so wie etwa in Meyers Enzyklopädischem Lexikon 196 – „Sicherheit“ vielfach nur als einen „Zustand des Unbedrohtseins, der sich objektiv im Vorhandensein von Schutz(einrichtungen) bzw. im Fehlen von Gefahren(quellen) darstellt“, so lässt sich feststellen, dass heutzutage „Sicherheit“ in den verschiedensten Bedeutungen im gesellschaftlichen Sprachgebrauch verwendet wird. 197 Ausgehend von der Wortgeschichte des Begriffs Sicherheit lassen sich grundsätzlich vier Bedeutungskomplexe des Begriffs Sicherheit ausmachen. 198 Sicherheit kann erstens Gewissheit i. S. e. festen Bewusstseinszustands bedeuten: „Ich bin mir sicher, dass ..., ich habe die Gewissheit, dass...“. Sicherheit kann zudem die Bedeutung von Verlässlichkeit haben: „Er ist mir eine sichere Stütze, ich kann mich auf ihn verlassen.“ Der dritte Bedeutungskomplex des Begriffs Sicherheit ist geschützt vor Schaden: „Ich bin sicher, mir droht keine Gefahr“. In dieser Bedeutung wird der Begriff Sicherheit vornehmlich in der juristischen Terminologie verwendet und hat in viele einfachgesetzliche Vorschriften – vgl. z. B. § 15 Abs. 2 VersG – Eingang gefunden. Der vierte Bedeutungskomplex von Sicherheit lässt sich als ohne Sorge bezeichnen: „Ich fühle mich sicher, ich muss mir keine Sorgen machen“. 192 Empirisch zur vermehrten Verwendung des Begriffs Sicherheit im allgemeinen und politischen Sprachgebrauch vgl. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 12 ff. S.a. Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, S. 31: „Schlagworte mit Bezug zu Sicherheit [sind] ... regelrecht Teil der Kultur der modernen Gesellschaft geworden.“ 193 Bonß, Vom Risiko, S. 91; ders., in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 21 (21); Glaeßner, Aus Politik und Zeitgeschichte B 10 – 11/2002, 3 (3); ausführlich zur gesellschaftlichen Entwicklung solcher Konstruktionen Bonß, Vom Risiko. 194 Bonß, Vom Risiko, S. 91; Glaeßner, Aus Politik und Zeitgeschichte B 10 –11/2002, S. 3 (3); ders., Berliner Journal für Soziologie 2001, Heft 3, S. 339. 195 Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 10, 28 ff. 196 Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 21, S. 673. 197 Vgl. Bonß, Vom Risiko, S. 87; ders., in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 21 (22). 198 Vgl. dazu ausführlich Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 147 f.; Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, S. 35; s. a. S. 50 f. Ähnlich auch Glaeßner, Aus Politik und Zeitgeschichte B 10 – 11/2002, S. 3 (4); ders., Berliner Journal für Soziologie 2001, Heft 3, S. 337 (339).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

Alle diese vier Bedeutungskomplexe von „Sicherheit“ schwingen mit, wenn der Begriff Sicherheit im gesellschaftlichen Sprachgebrauch verwendet wird. Neben den unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Begriffs Sicherheit lassen sich zudem auch noch verschiedene zeitliche Dimensionen von „Sicherheit“ ausmachen. Denn die Kategorie Sicherheit verweist stets auf die Kategorie der Zeit. Sicherheit – egal in welcher der oben aufgeführten Bedeutungen – bezieht sich immer auf etwas Zukünftiges: 199 einen Zustand, in dem künftig keine Beeinträchtigung bevorsteht, in dem hinsichtlich der Zukunft kein Anlass zu Sorge und zu Ungewissheit besteht, in dem sich jemand als zuverlässig erweist. Grundsätzlich lassen sich die die Sicherheit beeinträchtigenden künftigen Ereignisse – je nach ihrer zeitlichen Nähe und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts – in drei Gruppen aufteilen: 200 Da sind zunächst die „alltäglichen“ Unsicherheiten, die die Sicherheit beeinträchtigen. Dabei handelt es sich um solche Bedrohungen der Sicherheit, deren Eintritt relativ wahrscheinlich ist und die dem Menschen täglich drohen. Dazu zählt vor allem die Bedrohung durch Kriminalität („innere Sicherheit“), aber auch die Gefährdungen durch Unfälle bei der Arbeit oder im Straßenverkehr („Verkehrssicherheit“). Die Sicherheit vor solchen Beeinträchtigungen kann als „alltägliche Sicherheit“ bezeichnet werden. Daneben kann sich „Sicherheit“ auch auf Bedrohungen richten, die zwar nicht jeden Tag vorkommen, die jedoch in relativer zeitlicher Nähe und mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit drohen. Dazu zählt die Bedrohung, den Arbeitsplatz zu verlieren, weil der Arbeitgeber insolvent wird oder weil dem Arbeitnehmer gekündigt wird („Sicherheit des Arbeitsplatzes“). Ebenfalls zu dieser mittelfristigen Sicherheit gehört ein Zustand der Freiheit von schwerwiegenderen Beeinträchtigungen der Gesundheit („Sicherheit im Krankheitsfall“) oder ein solcher des Versorgtseins im Alter oder nach der Ehescheidung („Sicherheit der Rente, Pension“ 201, „Sicherheit im Scheidungsfall“). Diese mittelfristige Dimension von Sicherheit ist demnach vornehmlich auf die soziale Sicherheit ausgerichtet. 202 Als dritte Dimension von 199

Vgl. Braun, Soziales Handeln und soziale Sicherheit, S. 17. Ähnlich auch Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 14 ff.; Braun, Soziales Handeln und soziale Sicherheit, S. 10 ff., die zumeist zwischen wirtschaftlicher und politischer Sicherheit unterscheiden, die Sicherheit vor Kriminalität aber oft ausblenden oder nur als Teil dieser beiden begreifen, was zwar mehr die Verursacher von Unsicherheit – die Politik, die Wirtschaft – hervorhebt, m.E. aber die unterschiedlichen zeitlichen Dimensionen des Begriffs Sicherheit nicht so deutlich macht. 201 Man denke nur an die berühmt gewordene Aussage des damaligen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Norbert Blüm: „Denn eines ist sicher, die Rente“. 202 Vgl. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 14 f., der diesen Aspekt in seiner Differenzierung als „wirtschaftliche Sicherheit“ bezeichnet. Dieser Bereich der sozialen Sicherheit ist auch der typische Fall der – oben angesprochenen – Absicherung durch Versicherungen, wie etwa Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung oder auch Rentenversicherung, wobei es sich dabei nur noch zum Teil um Versicherungen i. e. S. handelt. 200

3. Kap.: Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit

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Sicherheit ist die Sicherheit vor Bedrohungen zu nennen, die nur sehr selten vorkommen und die sehr unwahrscheinlich sind, wie Krieg, Naturkatastrophen oder terroristische Anschläge („militärische“ oder „äußere Sicherheit“, „Erdbeben-“, „Hochwassersicherheit“). Diese als langfristige Sicherheit zu bezeichnende Dimension von Sicherheit ist für den Menschen – trotz ihrer zeitlichen Ferne und nur geringen Wahrscheinlichkeit der Bedrohung – von großer Bedeutung, weil die Bedrohung, falls sie sich doch realisieren sollte, gravierende Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen haben kann. Angesichts dieser Bedeutungsvielfalt des Begriffs Sicherheit stellt sich nun die Frage, was Sicherheit i. S. d. Staatsaufgabe Sicherheit ist, welche dieser Bedeutungskategorien und Dimensionen sich in der „Sicherheit“, wie sie der Staatsaufgabe Sicherheit zugrunde liegt, finden lassen. 203 Noch vergleichsweise einfach lassen sich die zeitlichen Dimensionen von Sicherheit bestimmen. Die Staatsaufgabe Sicherheit – so wie sie hier verstanden wird – erfasst nicht die mittel- und langfristigen Dimensionen von Sicherheit. Diese zu gewährleisten, mag zwar auch Aufgabe des Staates sein, seine Verpflichtung folgt aber aus anderen Staatsaufgaben und Staatszielen. So unterfällt die soziale Sicherheit dem aus dem Sozialstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG entstammenden Gestaltungsauftrag des Staates, 204 die Gewährleistung der Sicherheit vor Bedrohung wie Krieg dem Verteidigungsauftrag, der Staatsaufgabe „äußere Sicherheit“, 205 vorbeugender Schutz vor Bedrohungen durch – von Menschen verursachte – Naturkatastrophen resultiert zumindest zum Teil – als Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – aus dem Staatsziel Umweltschutz aus Art. 20a GG. 206 Bei den unterschiedlichen Bedeutungskomplexen von Sicherheit fällt es weitaus schwerer festzustellen, welche Kategorie von Sicherheit sich in der Staatsaufgabe finden lässt. Historisch und von seiner dogmatischen Herleitung ist „Sicherheit“ i. S. d. Staatsaufgabe Sicherheit zunächst auf die Bedeutung Sicherheit als 203 Dabei ist zu bedenken, dass Sicherheit als Wertidee keine auf ewig angelegte verbindlich und allgemein akzeptierte Übereinkunft darüber ist, was dieser Begriff beinhaltet, sondern dass sie angesichts veränderter Umstände und neuer Entwicklungen einer stetigen Neujustierung bedarf; vgl. Glaeßner, Berliner Journal für Soziologie 2001, Heft 3, S. 337 (353). 204 Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 41 ff. Zum Sozialstaatsprinzip s. u. 6. Kap. A.I. 205 Vgl. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 356 ff.; zum Verteidigungsauftrag s. a. BVerfGE 28, 243 (261): „verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die militärische Verteidigung“, welche das Bundesverfassungsgericht aus den Vorschriften Art. 12a, 65a, 73 Nr. 1, 87a GG herleitet; vgl. dazu Herzog, HStR III, § 58, Rn. 30. 206 Vgl. dazu Epiney, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20a, Rn. 69 f.; Steinberg, NJW 1996, 1985 (1987). Zur Risikovorsorge im Staatsziel Umweltschutz vgl. Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, S. 101 ff.; grundsätzlich zum Staatsziel Umweltschutz Murswiek, NVwZ 1996, 222 (223); Geddert-Steinacher, in: Nida-Rümelin / v. d. Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, S. 31 (31 ff.).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

Rechtsgütersicherheit ausgerichtet. Aufgrund des Wandels, dem Staatsaufgaben unterliegen, lässt sich dennoch die Frage stellen, ob sich nicht auch andere Wortbedeutungen von Sicherheit in der Staatsaufgabe Sicherheit, so wie die Gesellschaft sie heute versteht, finden lassen. Sicherheit i. S.v. Verlässlichkeit zu schaffen, zählt allenfalls zum Teil zur Staatsaufgabe Sicherheit. Verlässliche Verhältnisse zu gewährleisten, lässt sich als staatliche Verpflichtung vielmehr anderen grundgesetzlichen Rechtsfiguren entnehmen. Vor allem ist dabei an den dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG entstammenden Grundsatz des Vertrauensschutzes und an das Rückwirkungsverbot zu denken, das für das Strafrecht speziell in Art. 103 Abs. 2 GG und allgemein ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip aus Art 20 Abs. 3 GG geregelt ist. Sicherheit i. S.v. Verlässlichkeit meint damit rechtlich verlässliche Verhältnisse, also Rechtssicherheit und Normenklarheit. 207 Diese Bedeutung von Sicherheit wird insoweit nicht von Sicherheit in der Staatsaufgabe Sicherheit erfasst. Problematischer ist es noch bei den anderen Bedeutungskomplexen „Gewissheit“ und „ohne Sorge“. Denn während die Bedeutungskomplexe „Verlässlichkeit“ und „Rechtsgütersicherheit“ auf äußere Umstände gerichtet sind, beziehen sich „Gewissheit“ und „ohne Sorge“ auf innere Einstellungen. Bei diesen stellt sich die Frage, ob der Staat überhaupt in der Lage sein kann, diese Form der Sicherheit zu gewährleisten. Es geht hierbei um die Einwirkung von subjektiven Vor- und Einstellungen, die dem Staat allenfalls einen mittelbaren Zugriff erlauben. Da es bei Staatsaufgaben allerdings nicht darauf ankommt, ein Maximum zu erreichen, sondern es vielmehr genügt, dass der Staat sich grundsätzlich bemüht, die öffentliche Aufgabe zu erbringen, kann der Staat durchaus mittelbar auch auf die inneren Einstellungen, wie sie den Bedeutungen von Sicherheit i. S.v. „Gewissheit“ und „ohne Sorge“ zugrunde liegen, einwirken. So kann der Staat beispielsweise dem Menschen die Sorge vor Hunger durch Sozialleistungen, die Sorge vor einem Räuber durch Schutz nehmen. Allerdings scheint das Verständnis von Sicherheit als Gewissheit ebenfalls nicht vom Verständnis der Staatsaufgabe Sicherheit erfasst. Gewissheit als Zustand der Plan- und Erwartbarkeit zukünftiger Ereignisse wird zum einen ohnehin schwer herzustellen sein, dazu ist das menschliche (Zusammen-)Leben doch zu komplex. Menschliches Verhalten ist grundsätzlich nicht immer berechenbar. Diese Berechenbarkeit kann der Staat auch nicht schaffen, da er sonst alle Freiheit abschaffen müsste. Gleichwohl kann der Staat für ein gewisses Maß an Gewissheit sorgen, indem er rechtliche Rahmenbedingungen für das menschliche Zusammenleben vorgibt; etwa wie man sich im Straßenverkehr zu verhalten hat – mit dem Auto ist immer die rechte Straßenseite zu befahren. Sicherheit i. S.v. Gewissheit zu gewährleisten, unterfällt daher eher dem dem Rechtsstaatsprinzip entstammenden Gestaltungsauftrag des Staates. 208

207

Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 78 ff.

3. Kap.: Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit

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Hingegen könnte Sicherheit i. S. d. Wortbedeutung „ohne Sorge“ – zumindest wenn es die Sorge vor Rechtsgutsbeeinträchtigungen betrifft – Teil der Staatsaufgabe Sicherheit sein. Die Sorge, dass Rechtsgüter beeinträchtigt werden, ließe sich als subjektive Seite des objektiven Auftrags, für die Sicherheit der Rechtsgüter zu sorgen, verstehen. Es lassen sich demnach zwar bestimmte Dimensionen und Bedeutungskomplexe des Begriffs Sicherheit vom Gewährleistungsumfang der Staatsaufgabe Sicherheit ausschließen. Eines lässt sich jedoch trotz der Bedeutungsvielfalt – oder negativ formuliert: der Vieldeutigkeit – des Begriffs Sicherheit festhalten: Sicherheit kann als gesellschaftlicher Begriff nicht mehr nur als ein Zustand frei von Bedrohung (Gefahr), nicht mehr nur rein objektiv verstanden werden. Das gesellschaftliche Verständnis von Sicherheit hat auch immer einen subjektiven Aspekt. Sicherheit als gesellschaftlicher Begriff hat eine gewisse Versubjektivierung erfahren, die auch einen Wandel der Staatsaufgabe Sicherheit bewirkt haben könnte. 4. Subjektivierung von Sicherheit: Sicherheit als Erwartungssicherheit Die Subjektivierung von Sicherheit ist eine Folge der bereits geschilderten Erkenntnis, dass es absolute Sicherheit nicht gibt und es sie auch nicht geben kann und dass zudem auch lineare Sicherheitszuwächse nicht möglich sind. Der Mensch strebt nach Sicherheit, hat aber zugleich erkennen müssen, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann. Auch seine Hoffnung, dass er sich, wenn er schon keine absolute Sicherheit erreichen kann, dann wenigstens dem Ideal der absoluten Sicherheit immer weiter annähern könne, hat sich mit der Desillusionierung des technischen Fortschritts zerschlagen. Sicherheit wird deshalb nicht mehr nur rein objektiv verstanden. Statt absolut objektiv sicher sein zu wollen, will der Mensch nur noch einen Zustand erreichen, der ihm als sicher erscheint, in dem er sich sicher fühlt. Dies erreicht er durch Erwartungssicherheit. An die Stelle des Strebens nach einer absoluten objektiven Sicherheit ist damit Erwartungssicherheit getreten. Die Idee der Erwartungssicherheit geht auf Niklas Luhmann zurück. 209 Dieser verwendet den Begriff der Erwartungssicherheit im Zusammenhang mit seinen Überlegungen, wie menschliches Handeln in einer Gesellschaft möglich ist. Erwar208 Vgl. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 162 f., nach der berechenbare Verhältnisse dem Gedanken der Rechtssicherheit als Teil des Rechtsstaatsprinzips entstammen: „Die Rechtsordnung [muss] ein verlässliches Fundament für Handlungen und Planungen des Bürgers [bilden]“. 209 Vgl. zur Erwartungssicherheit Luhmann, Soziale Systeme S. 418 ff., 421 ff. Zu Luhmanns Erwartungssicherheit s. a. Bonß, Die gesellschaftliche Konstruktion der Sicherheit, in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 21 (24). Zur Bedeutung des Rechts für die Erwartungssicherheit ders., Recht der Gesellschaft, S. 131 ff.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

tungssicherheiten sind grundlegend für jegliches soziales Handeln. 210 Luhmann geht davon aus, dass die Welt mit ihrer Kontingenz und Komplexität 211, ihrer Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfolgen, für den Menschen unberechenbar ist. 212 Um überhaupt handeln zu können, muss der Mensch diese Vielzahl von Möglichkeiten und Folgen reduzieren. Mittel zur Reduktion dieser Kontingenz und Komplexität sind Erwartungen. 213 Statt alle möglichen Handlungsfolgen in Betracht zu ziehen, berücksichtigt der Mensch bei seiner Entscheidung, wie er handelt, nur die Möglichkeiten, die ihm aufgrund seiner Erfahrungen erwartbar erscheinen. Der Ausschluss denkmöglicher Ereignisse und die Reduktion auf erwartbare Ereignisse erfolgen dadurch, dass der Mensch vergangene Erfahrungen pragmatisch in die Zukunft verlängert. 214 Aus der Erfahrung, dass heute, gestern und davor jeden Morgen die Sonne aufgegangen ist, bildet der Mensch die Erwartung, dass sie dies auch am nächsten Tag tun wird, obwohl dies nicht gewiss ist, kann es doch z. B. durch einen Meteoriteneinschlag zu einer Verdunkelung der Sonne kommen. 215 Für Luhmann ist Erwartungssicherheit damit die Sicherheit, dass das Erwartete eintritt, dass sich die Erwartung als richtig erweist. 216 Luhmanns „Sicherheit“ hat damit nichts mit objektiver Gefahrenbeseitigung zu tun, sondern bezeichnet eine spezifische Strukturbildung zur Bewältigung einer prinzipiell unsicheren Zukunft. 217 Sie dient dazu, (nicht handhabbare) Kontingenz in (handhabbare) Komplexität umzuwandeln. 218 210

Bonß, Vom Risiko, S. 90; Glaeßner, Sicherheit in Freiheit, S. 15. Grundsätzlich zum Begriff des sozialen Handelns Luhmann, Soziale Systeme, S. 580 ff. 211 Vgl. zu den Begriffen Komplexität und Kontingenz Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31: Komplexität heißt, dass es mehr Möglichkeiten gibt, als sich aktualisieren lassen. Kontingenz bedeutet, dass mehr Möglichkeiten bestehen als erwartet wurden; vgl. zu jenem ders., Vertrauen, S. 3 f.; und zu diesem ders., Beobachtungen der Moderne, S. 96. S.a. Japp, Soziologische Risikotheorie, S. 65. 212 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31: „Die Welt zeigt ihm dadurch eine Fülle von Möglichkeiten des Erlebens und Handelns, der nur ein sehr begrenztes Potential für aktuellbewusste Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Handlung gegenübersteht“. 213 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31 ff., 53: „Selektive, Komplexität und Kontingenz abbauende Erwartungsstrukturen sind eine Lebensnotwendigkeit“. Grundsätzlich zu Erwartungen Luhmann, Soziale Systeme, S. 139 ff. 214 Bonß, in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 21 (24). 215 Vgl. Bonß, Vom Risiko, S. 90; ders., in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 21 (24). 216 Luhmann, Soziale Systeme, S. 418; dabei hängt die Sicherheit einer Erwartung, also wie sicher es ist, dass das Erwartete eintritt, von der Genauigkeit der Erwartung, von der „Ambiguität“ der Bestimmtheit der Erwartung ab. Je eindeutiger die Erwartung festgelegt wird, desto unsicherer ist sie in aller Regel. Ausführlich zur „Ambiguität“ von Erwartungen vgl. Luhmann, ebenda, S. 418 f. 217 Vgl. Bonß, in: Lippert / Prüfert / Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der unsicheren Gesellschaft, S. 21 (24). 218 Bonß, Vom Risiko, S. 90.

3. Kap.: Inhalt und Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit

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Diese Idee von der Erwartungssicherheit zur Ermöglichung sozialen Handelns lässt sich auch auf den Sicherheitsbegriff i. S.v. Sicherheit als Rechtsgüterschutz übertragen. 219 Angesichts der grundsätzlichen Unbegrenztheit potentieller Risiken und Gefahren ist absolute Sicherheit nicht möglich. Der Mensch kann einen Zustand absoluter Sicherheit nicht erreichen. Er kann nur Sicherheit im Sinne von Erwartungssicherheit erlangen. Aufgrund seiner Erfahrungen kann der Mensch bestimmte Risiken und Gefahren als zwar möglich, aber nicht erwartbar ausschließen und damit für sich einen Zustand von Sicherheit erreichen, einen Zustand, von dem er erwartet, dass er sicher ist. 220 Begegnet mir beispielsweise auf einem Spaziergang ein Mann mit einem Hund, so erwarte ich, dass mich der Mann nicht beißen wird, ich bin mir dessen sicher. Bei dem Hund hingegen bin ich mir dessen nicht so sicher. Meine Erfahrungen sagen mir, dass ein Mensch mich nicht beißen wird, während dies bei einem Hund durchaus vorkommen kann. Ich habe somit die Erwartungssicherheit, dass der mir entgegenkommende Mensch mich nicht beißen wird, bei dem Hund hingegen habe ich diese Sicherheit nicht. Allerdings kann mich – genauso wie der Hund mich beißen kann – auch der Mann beißen, schließlich hat er ja auch Zähne. Rein objektiv betrachtet bin ich also weder vor dem Hund noch vor dem Mann sicher, denn bei beiden besteht das theoretische Risiko, dass sie mich beißen. Erwartungssicherheit sagt damit nichts über die objektive Sicherheit, also die tatsächliche Gefährlichkeit einer Situation aus. Erwartungssicherheit besagt lediglich, dass ich keine Gefährdung erwarte, dass ich mich sicher wähne. Die Idee, Sicherheit durch Erwartungssicherheit zu ersetzen, ist letztlich die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass es keine absolute Sicherheit gibt, sondern nur Sicherheitsfiktionen, die notwendig und unverzichtbar sind, um ein soziales Handel zu ermöglichen. 221 Sicherheit ist demnach nicht mehr nur ein Zustand frei von objektiven Gefährdungen, sondern ein Zustand, in dem der Mensch sich (subjektiv) aufgrund seiner Erfahrungen in einem solchen glaubt, in dem er sich sicher fühlt. Kurz: Sicher ist, wenn man sich sicher fühlt. 5. „Sichere“ Sicherheit Sicherheit als gesellschaftliche Wertidee ist damit versubjektiviert worden. Sicherheit meint immer (auch) die subjektive Sicherheit, das Sicherheitsgefühl. Allerdings führt diese Subjektivierung des Begriffs Sicherheit nicht dazu, dass die objektive Dimension von Sicherheit völlig außer Acht bleibt. Neben der subjektiven Sicherheit ist noch eine – wenngleich nicht absolute, so doch eine relative – ob219

Vgl. Japp, Soziologische Risikotheorie, S. 62 f.; Bonß, Vom Risiko, S. 93. Vgl. Japp, Soziologische Risikotheorie, S. 63. 221 Bonß, Vom Risiko, S. 91; Luhmann, Vertrauen, S. 1. Zum Sicherheitsbegriff als soziale Fiktion vgl. Luhmann, in: ders., Soziologische Aufklärung, Band 5, S. 126 (128). 220

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

jektive Sicherheit erforderlich. Dies setzt die subjektive Sicherheit voraus. Lebt der Mensch in einem Zustand permanenter Gefahr, kann er auch nicht erwarten, dass ihm keine Gefahren drohen. In einem Zustand absoluter Unsicherheit kann sich der Mensch nicht sicher fühlen. Es bedarf also eines gewissen Maßes an objektiver Sicherheit, um einen Zustand subjektiver Sicherheit zu erreichen. Dieses Maß an objektiver Sicherheit muss dabei keine absolute Sicherheit bedeuten und kann dies – wie gesehen 222 – auch nicht. Gewisse Risiken und Gefahren sind allerdings hinnehmbar, ohne dass man sich deshalb unsicher fühlt. Es genügt, dass man die drohenden Gefahren und Risiken erkennt und sich ihnen gewachsen fühlt. 223 Gleichwohl dürfen nicht zu viele Risiken und Gefahren bestehen, die objektive Sicherheit darf nicht völlig fehlen. Denn dann wäre ein Erkennen von und ein Sichgewachsenfühlen gegenüber Gefahren – außer bei gänzlicher Selbstüberschätzung – nicht möglich. „Sicherheit“ bezieht sich damit zum Teil auf unverrückbare objektive Umstände – also eine relative Freiheit von Gefahren und Risiken –, zum Teil aber auch auf subjektive Einstellungen – das Wissen über diese relative Freiheit von Gefahren und Risiken. 224 „Sichere“ Sicherheit besteht demnach – wie Kaufmann es formuliert – nur dann, wenn man objektiv nicht gefährdet ist und man sich dieses Zustandes auch bewusst ist, 225 wenn also objektive und subjektive Sicherheit zusammenkommen. III. Staatsaufgabe Sicherheit: objektive und subjektive Sicherheit Legt man dieses Ergebnis zugrunde, so ist festzuhalten, dass sich die Vorstellungen der Bürger über das, was Sicherheit ausmacht, gewandelt haben. Der Wertbegriff „Sicherheit“ hat eine Subjektivierung erfahren. Das gesellschaftliche Verständnis von Sicherheit umfasst nun eine relative objektive Sicherheit und zugleich auch eine subjektive Sicherheit. Für die Staatsaufgabe Sicherheit bedeutet dies, dass sich die Verpflichtung des Staates, sich mit der Sicherheit zu befassen, nicht nur auf die Herstellung objektiv sicherer Zustände bezieht, sondern auch auf die Vermittlung eines subjektiven 222

S.o. 3. Kap. C.II.2. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 295 ff.; Japp, Soziologische Risikotheorie, S. 62 f. Mittel um dieses Gewachsenfühlen herzustellen ist Vertrauen. Vertrauen vereinfacht die Lebensführung durch die Übernahme eines Risikos, Luhmann, Vertrauen, S. 25, 30 ff.; s. a. Japp, aaO., S. 48; Glaeßner, Sicherheit in Freiheit, S. 25. Ausführlich zum Vertrauen Luhmann, Vertrauen, S. 1 ff. und passim; s. a. ders., Soziale Systeme, S. 179 ff. 224 Glaeßner, Sicherheit in Freiheit, S. 18. 225 Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 145. 223

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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Gefühls von Sicherheit. Der Schutz des Sicherheitsgefühls ist damit Teil der Staatsaufgabe Sicherheit.

4. Kapitel

Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl Diese Ausweitung der überkommenen Staatsaufgabe Sicherheit ist nur dann bedeutsam und für die daraus folgende Verpflichtung des Staates, auch das Sicherheitsgefühl der Bürger zu schützen, relevant, wenn Sicherheit und Sicherheitsgefühl nicht deckungsgleich sind; mit anderen Worten: wenn da, wo Sicherheit herrscht, nicht zwingend auch das Sicherheitsgefühl intakt ist. Denn die Verpflichtung des Staates, neben der (objektiven) Sicherheit auch für das (subjektive) Sicherheitsgefühl der Bürger zu sorgen, hat nur dann Sinn, wenn es dem Staat ein anderes Handeln abverlangt, als er es beim Schutz der Sicherheit zeigt. Wenn aber Maßnahmen zum Schutz der objektiven Sicherheit zugleich auch das Sicherheitsgefühl schützen und wenn sich der Bürger dort, wo ihm keine Gefahr droht, wo er also sicher ist, auch sicher fühlt, käme der Verpflichtung, das Sicherheitsgefühl zu schützen, keine eigenständige Bedeutung zu. Durch die Abwehr einer Gefahr für die objektive Sicherheit würde dann zugleich die Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls beseitigt. Das Sicherheitsgefühl wäre nur die – emotionale – Konsequenz der objektiven Sicherheitslage: Sicher fühlen sich die Bürger dort, wo sie sicher sind. Oder aus dem Blickwinkel des Adressaten der Staatsaufgabe Sicherheit formuliert: Durch Maßnahmen zur Gewährleistung der objektiven Sicherheit würde dem Bürger zugleich auch ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Maßnahmen zur Herstellung von Sicherheit und solche zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls wären identisch. Erst wenn Sicherheit und Sicherheitsgefühl nicht deckungsgleich sind und erst wenn für den Schutz des Sicherheitsgefühls andere Maßnahmen ergriffen werden müssen als für den Schutz der objektiven Sicherheit, kommt der Ausweitung der Staatsaufgabe Sicherheit auf das Sicherheitsgefühl eine eigenständige Bedeutung zu. Die zentrale Frage ist daher nun, was die objektive von der subjektiven Sicherheit unterscheidet und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Kann der Staat durch die Verbesserung der objektiven Sicherheit auch zugleich das subjektive Sicherheitsgefühl stärken? Oder sind Sicherheit und Sicherheitsgefühl nur unterschiedliche – nämlich die objektive und die subjektive – Seiten der „Medaille“ Sicherheit? Im Folgenden soll daher das Verhältnis von objektiver Sicherheit und Sicherheitsgefühl untersucht werden.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

A. Das Verhältnis von Sicherheitsgefühl und objektiver Gefährdungslage Die begriffliche Verwandtschaft des Sicherheitsgefühls und der objektiven Sicherheit legt zunächst den Schluss nahe, dass auch ein enger tatsächlicher Zusammenhang zwischen objektiver Sicherheit und subjektivem Sicherheitsgefühl besteht, dass also die von dem Einzelnen angenommene Wahrscheinlichkeit, dass eines seiner Rechtsgüter verletzt wird, mit der tatsächlich bestehenden Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutsverletzung übereinstimmt. Ob dieser begrifflich suggerierte Zusammenhang zwischen objektiver Sicherheit und subjektivem Sicherheitsgefühl tatsächlich besteht, war und ist Gegenstand verschiedener soziologischer und kriminologischer Untersuchungen. 226 I. Untersuchungen des Sicherheitsgefühls Um das Verhältnis von Sicherheitsgefühl und objektiver Sicherheit zu bestimmen, muss das von der Bevölkerung geäußerte Sicherheitsgefühl mit der tatsächlichen Sicherheitslage verglichen werden. 1. Untersuchungsgegenstand Kriminalitätsfurcht Es gibt kaum Erhebungen zum Sicherheitsgefühl. Vielmehr fanden die meisten Untersuchungen zum Sicherheitsgefühl der Bevölkerung unter dem Begriff „Kriminalitätsfurcht“ statt. Ursächlich dafür ist, dass die Untersuchungen nicht aus dem Blickwinkel des Gefahrenabwehrrechts, sondern von Kriminologen durchgeführt wurden. Die Kriminologie verwendet den Begriff Kriminalitätsfurcht, während die Polizei und die Literatur zum Gefahrabwehrrecht zumeist den „positiven“ Begriff Sicherheitsgefühl wählen. Es wird in der politischen Sprache für öffentlichkeitswirksamer erachtet, von einer Verbesserung des Sicherheitsgefühls zu sprechen als von einer „Reduzierung der Kriminalitätsfurcht“, zumal sich dabei auch die sprachliche Verwandtschaft von Sicherheit und Sicherheitsgefühl nutzen lässt. Allerdings ist das Sicherheitsgefühl nicht lediglich der positive Gegenpart zur Kriminalitätsfurcht. Denn während unter „Kriminalitätsfurcht“ die persönliche Furcht davor, selbst Opfer einer Straftat zu werden, verstanden wird, 227 reicht der Begriff „Sicherheitsgefühl“ weiter. 228 Er reicht nicht nur deshalb weiter, weil 226 Beispielhaft vgl. nur die Untersuchungen von Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (13); Reuband, Neue Kriminalpolitik 4/1999, 16 (18); Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 38 ff. Für die USA: Ennis, Criminal victimization in the United States, S. 76. Eine umfangreiche Zusammenfassung vieler Studien findet sich auch im 2. PSB 2006, S. 485 ff., insb. S. 506 ff.

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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das Sicherheitsgefühl aufgrund der Bedeutungsreichweite des Begriffs Sicherheit auch andere Bedrohungen als solche durch Kriminalität erfasst, es also neben dem Gefühl der Sicherheit vor Kriminalität auch z. B. ein Gefühl von Sicherheit des Arbeitsplatzes gibt. 229 Das Sicherheitsgefühl erfasst auch Bedrohtseinsgefühle, die zwar mit der Kriminalität in Zusammenhang stehen, die aber selbst nicht zum Begriff Kriminalitätsfurcht zählen. Denn während die Kriminalitätsfurcht nur die Besorgnis vor eigenen unmittelbaren Gefährdungen durch Kriminalität meint, erfasst das Sicherheitsgefühl auch die Beunruhigung durch mittelbare Beeinträchtigungen wie die Besorgnis anlässlich massenhafter Kleinkriminalität sowie demonstrativer und ohne Ahndung bleibender Rechtsbrüche und Ordnungsstörungen. 230 So kann beispielsweise das Sicherheitsgefühl des Einzelnen allein durch offen begangene Sachbeschädigungen an öffentlichen Einrichtungen beeinträchtigt sein, ohne dass sich der Einzelne vor – gegen ihn gerichtete – Kriminalität fürchten muss. Bei der begrifflichen Unterscheidung zwischen Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsfurcht ist allerdings zu berücksichtigen, dass zum einen die kriminologischen Untersuchungen zur Kriminalitätsfurcht oftmals in ihren Befragungen auch diese Beunruhigung vor mittelbaren Beeinträchtigungen mit erfasst haben und zum anderen der Begriff Kriminalitätsfurcht nicht so eng ist, wie sein Wortlaut „Furcht vor Kriminalität“ vermuten lässt. Mit dem Begriff Kriminalitätsfurcht wird in der kriminologischen Literatur das „Gefühl von Beeinträchtigungen der Sicherheit durch Kriminalität“ umschrieben. Dieser Begriff beruht auf der Übersetzung des englischen „fear of crime“, unter dem amerikanische und britische Untersuchungen sich diesem Problem genähert haben. Als sich die Wissenschaft auch in Deutschland mit dem Phänomen der „fear of crime“ beschäftigte, wurde dieser Begriff der amerikanischen und britischen Wissenschaftler übernommen und mit „Kriminalitätsfurcht“ übersetzt. Dabei ist Kriminalitätsfurcht zwar die korrekte Übersetzung des Begriffs „fear of crime“, verkennt aber, dass die deutsche Sprache – anders als das Englische 231 – neben dem Wort Furcht auch noch das Wort Angst kennt und ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden besteht. Furcht gilt als auf eine äußere, klar bestimmbare Gefahrensituation hin ausgerichtet. Angst meint das unbestimmte, nicht auf eine spezifische Gefahrensituation ausgerichtete Bedrohtseinsgefühl. 232 Da die kriminologischen Untersuchungen zur 227

Gabriel, Furcht und Strafe, S. 20; s. a. Sundeen / Mathieu, in: Goldsmith / Goldsmith (Hrsg.), Crime and the elderly, S. 51 (55). 228 Schewe, in: Lange (Hrsg.), Wörterbuch der Inneren Sicherheit, S. 322 (322). 229 Zu den verschiedenen Dimensionen von Sicherheit siehe oben 3. Kap. C.II.3. Dies belegt auch die empirische Untersuchung von Bilsky / Wetzels / Mecklenburg / Pfeiffer, in: Kaiser / Jehle (Hrsg.), Kriminologische Opferforschung, Bd. 2, S. 73 (80 f.). 230 Arzt, JBl. 1978, 173 (175); ders., Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 19 ff. 231 Zwar kennt das Englische auch das Wort Angst, dabei handelt es sich jedoch um eine Sprachentlehnung aus dem Deutschen.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

„Kriminalitätsfurcht“ nicht nur die auf eine klar bestimmte Gefahr ausgerichteten Bedrohtseinsgefühle erfassen, sondern auch unbestimmte Bedrohtseinsgefühle, wäre insoweit der Begriff Kriminalitätsangst präziser und beschriebe das Phänomen besser. 233 Der Begriff der Kriminalitätsfurcht hat sich jedoch etabliert und soll deshalb hier beibehalten werden. Aus diesen Gründen kommt der Bedeutungsgehalt des Begriffs Kriminalitätsfurcht dem des Sicherheitsgefühls sehr nahe. Die Untersuchungen zur „Kriminalitätsfurcht“ lassen sich somit zur Bestimmung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung heranziehen. 2. Vorgehen bei den Untersuchungen In Deutschland ist die Kriminalitätsfurcht seit etwa 30 Jahren Gegenstand zahlreicher kriminologischer Untersuchungen. 234 Sie erfolgen meist nach der gleichen Methode: 235 Es wird eine Anzahl von zufällig ausgewählten Personen – zumeist telefonisch – befragt. Dabei sind manche Untersuchungen so angelegt, dass sie repräsentative Aussagen über das gesamte Bundesgebiet ergeben, d. h., es werden mittels eines Auswahlschlüssels Befragungen im ganzen Bundesgebiet durchgeführt. 236 Andere Untersuchungen beschränken sich hingegen auf bestimmte Gebiete („Stuttgarter Opferbefragung“, Hoyerswerda 237, Studie der Universität Frankfurt 238, Görlitz 239, Bonn 240). 241 Doch auch diese Untersuchungen erzielen 232

Dazu Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 42 f., 198 ff.; Fröhlich, Wörterbuch der Psychologie, S. 230, 1015; Gabriel, Furcht und Strafe, S. 20; Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 31; Oatley / Jenkins, Understanding Emotions, S. 260. S.a. Kaufmann, Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem, S. 288. Zur Unterscheidung von Angst und Furcht sowie den Schwierigkeiten einer Differenzierung zwischen beiden vgl. Floßdorf, in: Asanger (Hrsg.), Handwörterbuch Psychologie, S. 186 (191 ff.); Fröhlich, in: Graumann / Herrmann / Hörmann / Irle / Thomae / Weinert, Enzyklopädie der Psychologie, Motivation und Emotion Bd. 2, S. 114 (114 ff., 118 ff.). 233 Vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 198 ff.; Ahlf, Zeitschrift für Gerontologie 1994, 289 (294). 234 Die ersten deutschen Untersuchungen hierzu dürften die von Schwind / Ahlborn / Eger / Jany / Pudel / Weiß, Dunkelfeldforschung in Göttingen 1973/74, und Stephan, Die Stuttgarter Opferbefragung, sein. Zur Entwicklung der Forschung s. a. 2 PSB 2006, S. 487 ff. 235 Vgl. beispielhaft zu den Methoden Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, S 24 ff.; Dörmann / Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbewertung, S. 3 ff.; Burgheim / Sterbling, Hoyerswerda – Modell kommunaler Kriminalprävention in Sachsen, S. 25 ff.; Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 222 ff.; Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 27 ff. Grundsätzlich zur Erhebungsmethode Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 47 ff. und zur Qualität solcher Erhebungen dies., aaO., S. 59 ff.; Kury / Lichtblau / Neumaier, Kriminalistik 2004, 457 (458 ff.). 236 Vgl. dazu Dörmann / Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbewertung, S. 3; Reuband, Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), 470 (470 ff.); Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland; Dörmann, Wie sicher fühlen sich die Deutschen?. Eine Übersicht zu bundesweit durchgeführten Studien findet sich bei Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 233 ff.

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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Ergebnisse, die von dem befragten Gebiet losgelöst, verallgemeinert und der hier aufgeworfenen Frage zugrunde gelegt werden können. Teilweise wurde der Kreis der ausgewählten Personen auf bestimmte Personengruppen (z. B. ältere Menschen 242) begrenzt. Die Operationalisierung der Kriminalitätsfurcht erfolgt mittels der so genannten Standardfrage: „Wie sicher fühlen Sie sich, wenn Sie bei Dunkelheit in Ihrem Ortsteil oder Stadtteil allein auf die Straße gehen?“. 243 Um ein noch differenzierteres Ergebnis zu erhalten, werden daneben weitere Fragen gestellt, wie etwa „Wie sicher fühlen Sie sich im eigenen, wie in einem fremden Wohngebiet?“, „Gibt es in Ihrer Stadt Gebiete, in die sie nachts nicht allein gehen wollen?“. Zudem werden auch Fragen gestellt, die eine Differenzierung nach der Art der befürchteten Kriminalität (Gewaltkriminalität, „Pöbelei“, Eigentumsdelikte) ermöglichen sollen. 244 Im Einzelnen variierten die Fragen nach den Zielen, die die Untersuchenden erreichen wollen, z. B. Erhebung der Furcht vor Gewaltkriminalität im Alter. 245 Oft werden die Untersuchungen des Sicherheitsgefühls auch mit Fragen nach der Einschätzung der Befragten über die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu 237 Vgl. Burgheim / Sterbling, Kriminalistik 2000, 447 (447 ff.); Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda. 238 Murck, Krim. Journal 1978, 202 (202 ff.); ders., Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 38 ff., der mit Aalen, Coburg, Hadamar und Usingen daneben auch noch Klein- und Mittelstädte untersuchte. 239 Vgl. Burgheim / Sterbling, Kriminalistik 2000, 447(447 ff.). 240 Vgl. Rüther, Die Kriminalprävention 2000, 67. 241 Zu weiteren regionalen Untersuchungen s. a. Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 42, 237 f. weitere kommunale Befragungen finden sich auch unter http://www.difu.de/extranet /kommdemos/ (Stand: Sept. 2006). 242 Ahlf, Zeitschrift für Gerontologie 1994, 289 (289 ff.); Görgen / Grewe / Tesch-Römer / Pfeiffer, Kriminalität und Gewalt im Leben alter Menschen, S. 25; Taschler-Pollacek / Lukesch, Publizistik 35 (1990), S. 443 (445). 243 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 278; Arnold / Teske, in: Kaiser / Geissler (Hrsg.), Crime and Criminal Justice, S. 355 (359); Greve, Praxis der Rechtspsychologie 6 (1996), 11 (12); 2 PSB 2006, S. 503. Diese Standardfrage ist nicht unumstritten. So wird etwa häufig kritisiert, die Frage sei zu unpräzise oder sie betone die Straßenkriminalität zu sehr, vgl. Reuband, MschrKrim 2000, 185 (185 ff.), der den Standardindikator aber trotz aller Kritik als „brauchbar“ bezeichnet, ebenda, S. 194; Sessar, Wiedergutmachen oder strafen, S. 70; Ferraro / LaGrange, Sociological Inquiry 57 (1987), S. 70 (81); Fattah, in: Bilsky / Pfeiffer / Wetzels (Hrsg.), Fear of Crime and Criminal Victimization, S. 45 (49); Boers, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1401 f.); ausführlicher Überblick dazu bei Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 47 ff. Bei „Kriminalitätsfurcht“ geht es deshalb vor allem um die Furcht vor Gewalt- und Sexualdelikten meint Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (12). 244 Vgl. Studie von Dörmann / Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbewertung, S. 59 ff. 245 So etwa bei Ahlf, Zeitschrift für Gerontologie 1994, 289 (289 ff.); Kury / ObergfellFuchs, MschrKrim 1998, 198 (198 ff.).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

werden, ergänzt. So wird zum Beispiel gefragt: „Wie schätzen Sie Ihr Risiko ein, Opfer einer Straftat zu werden?“, „Fürchten Sie sich davor, nachts allein in Ihrer Wohnung zu sein?“, „Wie sicher schätzen Sie Ihre Gegend ein?“. 246 Bei manchen Untersuchungen werden die Fragen zur Kriminalitätsfurcht mit weiteren Fragen verknüpft, von denen die Untersuchenden annehmen, dass sich aus deren Beantwortung Rückschlüsse auf die Entstehung von Kriminalitätsfurcht gewinnen lassen, wie etwa die Fragen: „Sind Sie schon mal Opfer einer Straftat geworden?“, „Kennen Sie jemanden, der Opfer einer Straftat geworden ist?“, „Was empfinden Sie in Ihrem Wohngebiet als Problem?“. Neben den Daten zur Kriminalitätsfurcht werden auch noch Angaben zur Person des Befragten erhoben, wie Alter, Geschlecht, Schulbildung und Wohnort (-größe), die mit den Angaben zur Kriminalitätsfurcht verglichen werden, um so bestimmte Einflüsse auf die Entstehung von Kriminalitätsfurcht gewinnen zu können. Außer kriminologischen Untersuchungen aus Deutschland werden für die Fragestellung, wie das Verhältnis von subjektivem Sicherheitsgefühl zu objektiver Sicherheitslage ist, auch Untersuchungen aus dem Ausland – zumeist aus den USA oder aus Großbritannien – berücksichtigt. Zwar unterscheidet sich die Struktur der Kriminalität in diesen Ländern von der in Deutschland. So ist beispielsweise aufgrund weitaus stärkerer sozialer und kultureller Unterschiede in der Bevölkerung das Aufkommen von Gewaltkriminalität in den USA höher als in Deutschland. 247 Es handelt sich jedoch bei diesen Ländern um westliche Industriestaaten mit ähnlicher Bevölkerungsstruktur, so dass sich trotz aller Differenzen zumindest gewisse Anhaltspunkte für die Entwicklung von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht aus den amerikanischen und britischen Untersuchungen ziehen lassen, die auf die deutschen Verhältnisse übertragbar sind. 248 Dabei haben die amerikanischen Studien einen großen Vorteil: Die „Fear of Crime“ – die Kriminalitätsfurcht – ist dort schon länger Gegenstand kriminologischer Untersuchungen. So stammt die erste maßgebliche Studie zu diesem Thema von Ennis 249 aus dem Jahr 1967. Daher decken die amerikanischen Studien einen breiteren Zeitraum ab, als die vergleichbaren deutschen Untersuchungen. Dies ermöglicht, die Entwicklung der Kriminalitätsfurcht über einen längeren Zeitraum zu betrachten. 246 S. etwa Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 29; Dörmann / Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbelastung, S. 28; Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 52, 55. Zu den Fragen vgl. auch Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 47 ff. 247 Vgl. mit empirischen Belegen Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 29 ff. 248 Zu den sicherheitspolitischen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und den USA Legge, in: Jehle (Hrsg.), Raum und Kriminalität: Sicherheit der Stadt – Migrationsprobleme, S. 69 (70 f.). Zur Vergleichbarkeit deutscher und ausländischer Studien skeptisch Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, S. 381. Die Furchtwerte in Deutschland und den USA sind mittlerweile ziemlich ähnlich, vgl. Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (12 f.). 249 Ennis, Criminal Victimization in the United States.

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II. Die tatsächliche Sicherheitslage Um das Verhältnis von Sicherheitsgefühl und Sicherheitslage zu bestimmen, muss man die Ergebnisse dieser Untersuchungen zur Kriminalitätsfurcht mit der tatsächlichen Sicherheitslage vergleichen. 250 Die tatsächliche Sicherheitslage meint die statistische Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, also die Viktimisierungswahrscheinlichkeit des Einzelnen. Diese lässt sich – ist sie doch auf die Zukunft gerichtet – nicht genau vorhersagen. Ein Abbild der tatsächlichen Sicherheitslage lässt sich jedoch in Deutschland aus amtlichen Erhebungen über bereits verübte Straftaten – wie der polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) 251 oder den periodischen Sicherheitsberichten von 2001 (1. PSB 2001) und von 2006 (2. PSB 2006) 252 – und über die Ergebnisse der Dunkelfeldforschung 253 gewinnen. 254 III. Das Verhältnis von Sicherheitsgefühl und objektiver Gefährdungslage nach den Untersuchungen Entgegen dem durch die begriffliche Verwandtschaft von Sicherheitsgefühl und objektiver Sicherheit bzw. Kriminalitätsfurcht und Kriminalität suggerierten Zusammenhang kommen die soziologischen und kriminologischen Untersuchun250 Allerdings kann nur ein statistischer Vergleich erfolgen. Es können nur die Ergebnisse von Untersuchungen zur Kriminalitätsfurcht und zur Kriminalitätslage verglichen werden. Denn „die“ Kriminalitätsfurcht gibt es ebenso wenig wie „die“ Kriminalität; vgl. 1. PSB 2001, S. 38. 251 Etwa die PKS 2003, 2004, 2005, 2006, 2007. Die PKS misst die Verdachtssituation, wie sie sich aus Sicht der Polizei bei Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft darstellt. 252 Die Periodischen Sicherheitsberichte beruhen im Wesentlichen auf den Daten der PKS und der StVStat, beschränken sich aber – anders als diese beiden – nicht auf die bloße Dokumentation von Zahlen, sondern bemühen sich, die Zahlen zu kommentieren. So wird u. a. auch auf das unterschiedliche Anzeigeverhalten hingewiesen, was dazu führen kann, dass Zahlen der PKS in einem anderen Licht erscheinen. S. etwa die Erläuterungen zum Verhältnis von Raub- und Körperverletzungsdelikten 1. PSB 2001, S. 71. 253 Etwa die Opferbefragungen von Kury, in: Boers / Ewald / Kerner / Lautsch / Sessar (Hrsg.), Sozialer Umbruch und Kriminalität, S. 165; s. a. Greve, Praxis der Rechtspsychologie 6 (1996), 11 (11 ff.). Zum Begriff der Dunkelfeldforschung s. Eisenberg, Kriminologie, § 16, s. a. § 44. 254 Dabei kann es durchaus zu teilweise gravierenden Unterschieden zwischen der amtlich registrierten und der nach der Dunkelfeldforschung ermittelten Kriminalität kommen. Die amtlichen Erhebungen können daher nur Anhaltpunkte für die Kriminalitätsbelastung liefern. Zu den Differenzen zwischen registrierter und vermuteter tatsächlicher Kriminalität Göppinger, Kriminologie, S. 489 ff.; Kaiser, Kriminologie, § 37, Rn. 80 ff. jeweils m.w. N. Grundsätzlich zu den Möglichkeiten und Grenzen von Kriminalitätsstatistiken 1. PSB 2001, S. 31 ff.; Heinz, Kriminalistik 2007, 301 (301 ff.). Kritisch ihnen gegenüber Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 14 ff.

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gen zu einem gegenteiligen Ergebnis: Das Sicherheitsgefühl spiegelt nicht die objektive Gefährdungslage wider. 255 Die von den Befragten geäußerte Kriminalitätsfurcht übertraf die tatsächlich festgestellte Kriminalitätsbelastung deutlich. Es zeigte sich, dass das Sicherheitsgefühl der Bürger stark beeinträchtigt ist, dass sich die Bürger also sehr vor Kriminalität fürchten. 256 Dieses Auseinanderfallen von objektiver Gefährdungslage und subjektiver Kriminalitätsfurcht wird besonders deutlich, wenn man bei der Gegenüberstellung von objektiver Viktimisierungswahrscheinlichkeit und subjektiven Furchtwerten nach demographischen und persönlichkeitsspezifischen Merkmalen differenziert. 1. Unterschiede beim Merkmal „Alter“ Sehr prägnant ist das Abweichen von Verbrechensfurcht und objektiver Viktimisierungswahrscheinlichkeit, wenn nach dem Merkmal Alter unterschieden wird. So haben Untersuchungen gezeigt, dass sich ältere Menschen mehr fürchten als jüngere, obgleich letztere statistisch viel häufiger Opfer von Kriminalität werden. 257 Die höchsten Viktimisierungsraten weisen Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene im Alter von 21 bis 29 Jahren auf, gefolgt von den 30- bis 39-Jährigen. 258 Weit geringer ist die Viktimisierungswahrscheinlichkeit bei jünge-

255 Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (13); Reuband, Neue Kriminalpolitik 4/ 1999, 16 (18); so auch Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 38 ff. Das ist allerdings kein deutsches Phänomen vgl. für die USA: Ennis, Criminal victimization in the United States, S. 76; für die Schweiz: Albrecht, Kunz / Moser (Hrsg.), Innere Sicherheit und Lebensängste, S. 37 (68). 256 Vgl. nur Reuband, Neue Kriminalpolitik 4/1999, 16 (18); Kury / Obergfell-Fuchs, in: Dölling / Feltes / Heinz / Kury (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention, S. 233 (237); 1. PSB 2001, S. 39; Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 33: „emotionale Vervielfachung des bestehenden Risikos“; s. a. Schwind, Kriminologie, § 20 Rn. 29a; Kunz, Kriminologie, § 30, Rn. 28 jeweils m.w. N. 257 Untersuchungen bezüglich des Merkmals Alter: Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 234 ff.; Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 49 f.; Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 286 ff.; Bilsky / Pfeiffer / Wetzels, Persönliches Sicherheitsgefühl, Angst vor Kriminalität und Gewalt, Opfererfahrungen älterer Menschen: Deskriptive Analysen zum persönlichen Sicherheitsgefühl und zur Kriminalitätsfurcht, S. 11 ff. S.a. Obergfell-Fuchs / Kury, in: Dölling / Feltes / Heinz / Kury (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention, S. 32 (38); 2. PSB 2006, S. 508. I. E. ähnlich auch die Untersuchung von Müller / Braun, Kriminalistik 1993, 623 (624), die die Aussage jedoch auf ältere Großstadtbewohner beschränkt. Die geringe Viktimisierung älter Menschen kann auch an deren gesellschaftlichen Aktivität – mehr am Tage und nicht nachts – liegen vgl. Wetzels / Greve / Mecklenburg / Bilsky / Pfeiffer, Kriminalität im Leben alter Menschen, S. 232. 258 Kury, in: Boers / Ewald / Kerner / Lautsch / Sessar (Hrsg.), Sozialer Umbruch und Kriminalität, S. 165 (177); Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 173; Lisbach / Spiess, in: Dölling / Feltes /

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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ren Jugendlichen und Kindern sowie älteren Menschen (ab 40 Jahre). Die niedrigste Viktimisierungsrate besteht bei der Gruppe der über 60-Jährigen. 259 Doch gerade diese Gruppe weist ein gegenüber allen anderen Gruppen (stark) erhöhtes Furchtniveau auf. 260 Die Angehörigen der eigentlich am stärksten gefährdeten Gruppe, die 16- bis 30-Jährigen, hingegen zeigen oftmals die niedrigsten Furchtraten. 261 2. Unterschiede beim Merkmal „Geschlecht“ Ebenfalls sehr deutlich fallen objektive Gefährdungslage und Furcht auch bei einer Differenzierung nach dem Kriterium Geschlecht auseinander. Frauen fürchten sich mehr als Männer. 262 Männer werden aber grundsätzlich häufiger Opfer von Straftaten als Frauen, weisen also eine höhere ViktimisierungsHeinz / Kury (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention, S. 208 (210). Bei der Gewaltkriminalität weisen Jugendliche unter 21 Jahren noch höhere Opferzahlen auf als Erwachsene zwischen 21 und 60 Jahren, vgl. 1. PSB 2001, S. 53; PKS 2005, S. 30, was allerdings zum einen an der großen und, was Opferzahlen anbelangt, heterogenen Vergleichsgruppe der 21- bis 60-Jährigen – die PKS ist für diese Altersgruppe insoweit recht ungenau – und zum anderen an der Einordnung der „jugendtypischen“ gefährlichen Körperverletzung durch gemeinschaftliche Tatbegehung i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu den Gewaltdelikten liegt. 259 1. PSB 2001, S. 30 ff.; Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 177; für Gewaltkriminalität s. a. PKS 2005, S. 30. Nach anderen Angaben ragt das Viktimisierungsrisiko lediglich bei der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen heraus, ist bei den anderen Altersgruppen hingegen im Wesentlichen gleich, vgl. Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (14). 260 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 287; Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 59 ff.; dies., Sicherheit und Lebensqualität in Görlitz, S. 78; Obergfell-Fuchs / Kury, in: Dölling / Feltes / Heinz / Kury (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention, S. 32 (38). Allerdings fürchten sich die älteren Menschen zwar mehr, bei der Einschätzung der Sicherheitslage in ihrer Wohngegend zeigen sie hingegen keine wesentlich stärkere Verunsicherung, vgl. Dörmann / Remmers, Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsbelastung, S. 31. 261 Vgl. Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 59 f.; Sessar, Wiedergutmachen oder strafen, S. 74; Greve / Wetzels, Report Psychologie 9/20 (1995), 24 (29 f.). Interessant ist, dies sich dieses Ergebnis bei einer anderen Fragestellung („Wie sicher fühlen Sie sich nachts im eigenen Wohnviertel?“) so (deutlich) nicht zeigt, vgl. Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 234 ff. 262 Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 233 f.; Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 47; Stephan, Die Stuttgarter Opferbefragung, S. 74 ff.; Sterbling / Burgheim, Sicherheit und Lebensqualität in Görlitz, S. 74; dies., Nochmals Hoyerswerda, S. 56 f.; Kmieciak, Wertstrukturen und Wertewandel in der Bundesrepublik Deutschland, S. 395. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass das Rollenverständnis auch auf die Untersuchungen eingewirkt hat, indem sich Männer in den Untersuchungen als weniger furchtsam darstellen, als es „eigentlich“ der Fall ist; vgl. Obergfell-Fuchs / Kury, in: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, S. 31 (64); s. a. Agnew, Criminal Justice and

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wahrscheinlichkeit auf. 263 Wie schon beim Merkmal Alter besteht also auch beim Merkmal Geschlecht eine starke Diskrepanz zwischen Kriminalitätsfurcht und Viktimisierungswahrscheinlichkeit. 264 Jedoch gibt es auch Fälle, in denen eine solche Diskrepanz nicht vorliegt, nämlich bei der sexuellen Belästigung bzw. der Furcht vor eben derselben: Hier fürchten sich Frauen, entsprechend ihrer Viktimisierungswahrscheinlichkeit, weit mehr als Männer. 265 Diese Ausnahme scheint indes durch die Besonderheit eben dieses Deliktes, dessen Opfer nahezu zu 100 Prozent Frauen sind, zu entstehen. Allerdings ergibt sich auch hierbei ein Auseinanderfallen von subjektivem Sicherheitsempfinden und objektiver Gefährdungslage. Opfer von Sexualdelikten sind zwar regelmäßig Frauen; Täter und Tatorte sind aber andere als die befürchteten. Nicht der „Unbekannte“ ist der Täter, sondern meistens besteht eine Nähebeziehung zwischen Täter und Opfer. 266 3. Unterschiede beim Merkmal „Bildung“ Auch bei dem Merkmal der Bildung lässt sich eine Diskrepanz zwischen Furcht und Viktimisierungswahrscheinlichkeit feststellen. Diese Diskrepanz ist von ihrem Ausmaß aber nicht mit der bei den Merkmalen Alter und Geschlecht vergleichbar. Es lässt sich lediglich feststellen, dass die Kriminalitätsfurcht mit zunehmender Bildung abnimmt, dass also weniger Gebildete höhere Furchtraten aufweisen als höher Gebildete. 267 Das Viktimisierungsrisiko ist bei beiden Gruppen aber nahezu gleich.

Behavior 12 (1985), 221 (234); Smith / Torstensson, British Journal of Criminology 37 (1997), 608 (608 ff.). 263 Dies gilt allerdings nicht so klar für alle Delikte, ausführlich dazu Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 175. 264 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 286 f.; Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 47 f.; Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 233 f.; Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 73. 265 Allerdings wird diese Feststellung durch das Merkmal Alter maßgeblich beeinflusst. Die Furcht vor einer Vergewaltigung nimmt mit zunehmendem Alter der Frauen ab und führt letztlich sogar dazu, dass sich – insgesamt betrachtet – teilweise ältere Frauen weniger fürchten als junge; die Kriminalitätsfurcht nimmt bei Frauen im Alter also ab, wobei sie aber gleichwohl immer noch höher ist als bei ihren männlichen Altersgenossen. Vgl. ObergfellFuchs / Kury, in: Dölling / Feltes / Heinz / Kury (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention, S. 32 (38). 266 Vgl. dazu Kury / Chouaf / Obergfell-Fuchs, Kriminalistik 2002, 241 (245), die aber auch darauf hinweisen, dass bei Sexualdelikten, bei denen Jungen oder Männer Opfer sind, das Dunkelfeld vermutlich sehr hoch ist, da das sich „outende“ Opfer stigmatisiert und oftmals lächerlich gemacht wird; S. 247. 267 Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 51.

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4. Unterschiede beim Merkmal „Soziale Schicht“ Ebenfalls Auswirkungen auf das Unsicherheitsgefühl hat der sozio-ökonomische Status – die Schichtzugehörigkeit – der Befragten. 268 Mitglieder der oberen und mittleren Mittelschicht fühlen sich sicherer als Mitglieder der unteren Mittelschicht und der unteren Schichten. 269 Bezogen auf die gesamte Kriminalität soll das Opferrisiko der Mittelschicht etwas höher sein als das der Ober- und der Unterschicht. 270 Insoweit bestünde ein gewisses Paradox zwischen Furcht und Viktimisierungsrisiko. Aber auch hier gilt dasselbe wie beim Merkmal Bildung: Die Diskrepanz ist – wenn sie überhaupt besteht 271 – weitaus geringer als bei den Merkmalen Alter und Geschlecht. Bezieht man die Viktimisierungswahrscheinlichkeit allerdings nur auf Gewaltdelikte, so ist festzustellen, dass sich eine hohe Gewaltbelastung vor allem in den Wohngebieten der sozial Schwächeren zeigt. 272 Die Furcht vor Gewaltdelikten bei Angehörigen unterer sozialer Schichten scheint insoweit sogar berechtigt. 5. Unterschiede beim Merkmal „Wohnortgröße“ Bei der Wohnortgröße besteht nur teilweise und abhängig von der jeweiligen Untersuchung eine Diskrepanz zwischen Kriminalitätsfurcht und Viktimisierungswahrscheinlichkeit. Die Furchtrate der Bürger nimmt mit der Größe des Wohnortes zu. Je größer die Gemeinde ist, desto mehr fürchten sich deren Bewohner. 273 Die Bewohner von Großstädten über 500.000 Einwohnern zeigen also die höchsten Furchtwerte. Die Viktimisierungswahrscheinlichkeit stellt sich ähnlich dar: In kleinen Städten und Gemeinden ist die Viktimisierungswahrscheinlichkeit zumeist am niedrigsten. Je größer die Stadt bzw. Gemeinde ist, desto höher auch die Wahr268

Ausführlich zu Kriminalitätsfurcht und sozialen Milieus Boers / Kurz, in: Albrecht / Backes / Kühnel, Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität, S. 123 (133 ff.). 269 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 287 f.; s. a. Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 50 f. 270 Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 197 ff. 271 Allerdings stammen die von Kury u. a. verwendeten Daten aus schon älteren Untersuchungen und berücksichtigen zudem die anteilige Verteilung der Bürger zu einer der drei Schichten nur bedingt, vgl. Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 197. Insgesamt ist die Schichtzugehörigkeit bei Opfern von Kriminalität nur unzureichend erfasst; die amtlichen Kriminalitätsstatiken etwa erfassen dieses Kriterium nicht, bezieht also bei der Bewertung des Opferrisikos die Schichtzugehörigkeit nicht mit ein. 272 1. PSB 2001, S. 44. Soziale Belastungen scheinen mit einer Erhöhung des Risikos von Gewaltdelikten einherzugehen, vgl. 1. PSB 2001, S. 46. 273 Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 239 ff.; Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 42 f.

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scheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden. 274 Die höchsten Häufigkeitszahlen ergaben sich für Bewohner von Großstädten über 500.000 Einwohnern. 275 Allerdings gibt es auch Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass die höchste Viktimisierungswahrscheinlichkeit in Städten mit 10.000 bis 100.000 Einwohnern besteht. 276 Die Viktimisierungsrate bei kleineren Städten und Gemeinden liegt teilweise deutlich unter diesen Werten, ist aber auch in Städten zwischen 100.000 und 500.000 Einwohnern und bei Großstädten über 500.000 Einwohnern niedriger. 277 Bei dem Kriterium der Wohnortgröße findet sich daher allenfalls bei Städten über 10.000 Einwohnern – und das auch nur bei bestimmten Untersuchungen – eine Diskrepanz zwischen Kriminalitätsfurcht und Viktimisierungswahrscheinlichkeit, während bei kleineren Städten und Gemeinden sowohl die Viktimisierungs- als auch die Furchtrate niedrig sind. Grundsätzlich scheint sich beim Kriterium Größe des Wohnorts also kein Kriminalitäts-Furcht-Paradox zu zeigen. Zudem lassen sich manche „Ausreißer“, die der Statistik („je größer der Ort, desto gefährlicher“) widersprechen, auch durch bestimmte, gerade an diesem Ort vermehrt auftretende Deliktsarten erklären. So hat beispielsweise das „kleine“ Trier mit seinen knapp 100.000 Einwohnern – statistisch betrachtet als das Verhältnis von Straftaten pro Einwohner – ein ähnlich hohes Straftatenaufkommen wie die Großstädte Frankfurt am Main und Berlin. Dieses für die Größe Triers sehr hohe Straftatenaufkommen lässt sich allerdings wesentlich auf Straftaten gegen das Ausländergesetz und das Asylverfahrensgesetz im Zusammenhang mit der dortigen Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende zurückführen. 278

274 PKS 2003, S. 47; für NRW: PKS NRW 2004, S. 17; zur Häufigkeit von Gewaltkriminalität 1. PSB 2001, S. 44. Dabei kommt es nicht allein auf die Wohnortgröße, sondern auch auf die Enge der Bebauung an, so dass auch Massenansiedlungen, die aus mehreren Städten bestehen, als Großstädte zählen. So weisen die Gemeinden der sog. Rhein-RuhrSchiene weitaus größere Häufigkeitszahlen auf als andere Gemeinden in NRW, vgl. PKS NRW 2004, S. 18. 275 Vgl. PKS 2007, S. 45; PKS 2006, S. 45; PKS 2005, S. 4; PKS 2004, S. 4; PKS 2003, S. 4, die zwar nicht das Straftatenaufkommen noch Stadtgröße differenzieren, denen zufolge aber die „Stadtstaaten“ Berlin, Hamburg und Bremen eine weitaus höhere Verbrechensrate als Flächenbundesländer haben. 276 Kury, in: Boers / Ewald / Kerner / Lautsch / Sessar (Hrsg.), Sozialer Umbruch und Kriminalität, S. 165 (179). 277 Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 203 ff., 208. 278 Vgl. PKS 2003, S. 53.

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6. Unterschiede nach Deliktsart Auch bei der Art der befürchteten und der begangenen Delikte fallen Kriminalitätsfurcht und tatsächliche Gefährdungslage auseinander. Besonders befürchtet werden Gewaltdelikte. 279 Unter Gewaltkriminalität werden dabei eine Reihe von Delikten verstanden, die an das Merkmal der Gewalt anknüpfen und der schweren oder zumindest mittelschweren Kriminalität zuzurechnen sind. 280 Im Einzelnen sind dies die Straftatbestände Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub, räuberische Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Körperverletzung mit Todesfolge, schwere und gefährliche Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme und Angriff auf den Luft- und Seeverkehr. Damit zählen nicht alle Delikte, bei denen „Gewalt“ angewandt wird, zu den Gewaltdelikten. Die Nötigung und die einfache Körperverletzung sowie – als Gewalt gegen Sachen – die Sachbeschädigung werden von dieser polizeilichen Definition nicht erfasst. 281 Die Gewaltkriminalität macht nur einen geringen Prozentsatz der verübten Straftaten aus; in den letzten Jahren waren es etwa 3 Prozent aller polizeilich registrierten Straftaten. 282 Unter der Gesamtzahl der amtlich registrierten Kriminalität in den letzten Jahren machten schwerere Körperverletzungsdelikte etwa 2 Prozent, Raubdelikte 0,9 Prozent aus und die Prozentzahl von Tötungsdelikten liegt unterhalb von 0,1. 283 Der Großteil der verübten Straftaten entstammt vielmehr den kontaktlosen Vermögens- und Eigentumsdelikten. 284 Zwar wird auch befürchtet, das Opfer einer solchen Straftaten zu werden, oftmals ist die Furcht 279 Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (12). S.a. Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 85. Vgl. zu den das Sicherheitsgefühl besonders beeinträchtigenden Deliktsarten Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 26 ff. 280 1. PSB 2001, S. 41; 2. PSB 2006, S. 64. Vgl. auch die Definition von Gewalt der „Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt“ s. Schwind / Baumann / Schneider / Winter, in: Schwind / Baumann (Hrsg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, S. 1 (38 f.). 281 Bezöge man auch die einfache Körperverletzung mit in die Gewaltkriminalität ein, so läge ihr Anteil an dem Gesamtaufkommen der Kriminalität bei 9 Prozent; vgl. 1. PSB 2001, S. 42; PKS 2007, S. 29; s. a. Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 148 ff. 282 Vgl. PKS 2007, Anhangtabelle 01, S. 11; PKS 2005, S. 26; PKS 2004, S. 31; 1. PSB 2001, S. 42; 2. PSB 2006, S. 60. 283 PKS 2003, S. 30. Dabei muss bei den Tötungsdelikten – will man die Kriminalitätsfurcht mit der Viktimisierungswahrscheinlichkeit vergleichen – noch eine zusätzliche Besonderheit berücksichtigt werden: Unter den polizeilich registrierten Tötungsdelikten sind die meisten keine vollendeten, sondern vor allem solche im Versuchsstadium; in letzten Jahren jeweils etwa 65 Prozent; vgl. 1. PSB 2001, S. 42; PKS 2005, S. 26. 284 PKS 2007, S. 29; PKS 2006, S. 29; PKS 2005, S. 6; PKS 2004, S. 6; PKS 2003, S. 30: Diebstahl macht etwa 40 Prozent, Betrug etwa 15 Prozent und Sachbeschädigungen etwa 10 Prozent der Gesamtkriminalität aus. Allerdings ist selbst bei den Eigentumsdelikten

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davor nicht so groß wie die, Opfer von Gewaltkriminalität zu werden. Es besteht damit also eine Diskrepanz zwischen befürchteten Straftaten und tatsächlich drohenden. Zudem lässt sich auch grundsätzlich feststellen, dass bei Gewaltdelikten – unabhängig von den Kriterien Alter oder Geschlecht – die Furcht der Befragten weitaus größer als diese tatsächlichen Häufigkeitszahlen ist, also eine erhebliche Diskrepanz zwischen Furcht vor Gewaltdelikten und der tatsächlichen Viktimisierungswahrscheinlichkeit besteht. 285 Ähnliches gilt auch für den Wohnungseinbruchsdiebstahl nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Dieser wird besonders gefürchtet. 286 Das Risiko, Opfer eines Wohnungseinbruchs zu werden, ist jedoch geringer als etwa Opfer eines Diebstahls aus dem Auto, eines Fahrraddiebstahls oder eines Taschendiebstahls zu werden. 287 Allein vom Opferrisiko her scheint es daher angebrachter, sich vor einem Dieb als vor einem Räuber oder gar Mörder zu fürchten, denn die Häufigkeitszahlen für Diebstahl sind ungleich größer als die für Raubdelikte. Grundsätzlich gilt also: Die Straftaten, vor denen sich die Bürger fürchten, sind nicht die Straftaten, die ihnen am meisten drohen. 7. Unterschiede bei Tat- und Furchtorten Ein weiteres Ergebnis der Untersuchungen zur Kriminalitätsfurcht betrifft das Verhältnis von Furcht- und Tatorten. 288 Die Orte, an denen sich die Befragten fürchten – sog. Furchträume –, sind nicht deckungsgleich mit den Örtlichkeiten, an denen sich tatsächlich die Kriminalität ereignet. 289 So ist der befürchtete dunkle Park weitaus seltener Tatort als die als sicher empfundene eigene Wohnung. Dies zu berücksichtigen, dass bei manchen Delikten zwar ein gewisses statistisches Opferrisiko besteht, der einzelne, „normale“ Bürger aber nur selten oder nicht so häufig Opfer ist. Besonders deutlich wird dies beim einfachen Diebstahl. Ein Großteil aller Diebstähle sind sog. Ladendiebstähle, treffen also nicht den „normalen“ Bürger, sondern die Ladenbesitzer. Dennoch gehen diese Diebstahle alle in die Statistik ein und beeinflussen damit auch die – statistische – Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Diebstahls zu werden; vgl. 1. PSB 2001, S. 117. Das gilt es insbesondere bei solchen Aussagen wie „alle drei Minuten wird in Deutschland ein Diebstahl verübt“ zu berücksichtigen, die beim Hörer eine große Furcht verursachen. 285 Müller / Braun, Kriminalistik 1993, 623 (624 f.). 286 Hawighorst, Die Kriminalprävention 2000, 87 (90). 287 PKS 2005, S. 33 f.; PKS 2004, S. 40 f., so ist die Häufigkeit eines Diebstahls aus dem Auto und eines Fahrraddiebstahls jeweils doppelt so hoch wie die eines Wohnungseinbruchs. Zudem bleiben – wegen entsprechender Sicherungen – Wohnungseinbruchsdiebstähle immer mehr im Versuchsstadium, PKS 2007, S. 166. 288 Ausführlich zu Tat- und Furchtorten Obergfell-Fuchs / Kury, in: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden Württemberg, S. 31 (66). 289 Ahlf, in: Weiß / Plate (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, S. 9 (29); Obergfell-Fuchs / Kury, in: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden Württem-

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gilt insbesondere für Frauen. Frauen werden weitaus häufiger Opfer innerfamiliärer Gewalt als von Gewalt im öffentlichen Raum. 290 Typisches „Straßendelikt“ ist hingegen der Diebstahl; er findet zu einem großen Teil im öffentlichen Raum statt. 291 Aber gerade bei diesem Delikt ist es umgekehrt: Die Menschen fürchten sich vor einem Wohnungseinbruch, nicht aber vor dem Diebstahl auf der Straße – etwa in Form eines Taschendiebstahls oder eines Diebstahls aus dem Auto. 292 Zudem hat sich in den Umfragen gezeigt, dass sich die Befragten im eigenen Stadtgebiet weniger fürchten als in fremden Stadtgebieten. 293 Dies gilt regelmäßig für die Bewohner aller Wohnviertel einer Stadt. Die Furcht im fremden und das Gefühl von Sicherheit im eigenen Wohngebiet besteht also unabhängig von der tatsächlichen Viktimisierungswahrscheinlichkeit in den einzelnen Wohngebieten. 294 8. Vergleich zwischen den ostdeutschen und westdeutschen Bundesländern Ein gewisses Kriminalitäts-Furcht-Paradox ließ sich anfänglich auch beim Vergleich zwischen den „alten“ und den „neuen“ Bundesländern ausmachen. So fürchteten sich Anfang der 1990er Jahre die Ostdeutschen trotz objektiv geringerer Viktimisierungswahrscheinlichkeit mehr als Westdeutsche. 295 Da dieses Phänomen vor allem mit der unterschiedlichen Presseberichterstattung über Kriminalität in der ehemaligen DDR und der heutigen Berichterstattung in Deutschland erklärt wird, 296 dürfte sich dieser Unterschied langsam relativieren und das Furchtaufkommen in Ost und West angleichen. 297 Zudem hat sich auch die Kriberg, S. 31 (66); Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (11); Kasperzak, Stadtstruktur, Kriminalitätsbelastung und Verbrechensfurcht, S. 125. 290 1. PSB 2001, S. 75; s. a. Wetzels / Greve / Mecklenburg / Bilsky / Pfeiffer, Kriminalität im Leben alter Menschen, S. 158; Wetzels / Pfeiffer, Sexuelle Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Raum, S. 12 ff.; Feltes, Kriminalistik 1997, 538 (544). 291 PKS 2003, S. 29; 1. PSB 2001, S. 117 ff. 292 S.o. 4. Kap. A.III.6. 293 Vgl. Obergfell-Fuchs / Kury, in: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, S. 31 (66); s. a. Kasperzak, Stadtstruktur, Kriminalitätsbelastung und Verbrechensfurcht, S. 127. 294 Schweer, Kriminalität und Kriminalitätsfurcht im Alltag der Stadt Cloppenburg, S. 89 f.; s. a. Lewis / Salem, Crime and Delinquency 27 (1981), 405 (418). 295 Vgl. Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 233 ff.; Kury, in: Bilsky / Pfeiffer / Wetzels (Hrsg.), Fear of Crime and Criminal Victimization, S. 213 (225 ff.). 296 Vgl. Kury, in: Boers / Ewald / Kerner / Lautsch / Sessar (Hrsg.), Sozialer Umbruch und Kriminalität, S. 165 (174); vor allem gilt die „offizielle Kriminalsbelastung“ der DDR als unter politischem Druck geschönt, vgl. Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (10).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

minalitätshäufigkeit angeglichen. Zeigte ein Vergleich zwischen den „alten“ und den „neuen“ Ländern 1999 noch für den Westen höhere Opferzahlen, 298 ergab sich nach den Polizeilichen Kriminalitätsstatistiken, die Zahlen aus den Jahren 2003, 2004, 2005, 2006, 2007 zugrundelegten, mittlerweile eine etwas höhere Straftatenhäufigkeit in Ostdeutschland als in Westdeutschland. 299 Die gegenüber den „alten“ Bundesländern leicht erhöhten Furchtwerte im Osten werden daher in letzter Zeit eher auf bestimmte örtliche Gegebenheiten – etwa höhere Arbeitslosigkeit, höheres Durchschnittsalter – als auf grundsätzliche Unterschiede zwischen Ost und West zurückzuführen sein. 9. Unterschiede bei einer Kombination der Merkmale Diese Diskrepanz von Furcht und Viktimisierungswahrscheinlichkeit, die bei den einzelnen Merkmalen zu erkennen ist, wird noch verstärkt, wenn man die bedeutsamsten Merkmale Alter, Geschlecht, Tatort und Deliktsart kombiniert betrachtet. So fürchten sich ältere Frauen am meisten vor Gewaltkriminalität. Sie fürchten sich davor, auf der Straße beraubt zu werden, fühlen sich zu Hause hingegen sicher. Sie werden aber vergleichsweise häufiger Opfer von Betrügern und Trickdieben, die die älteren Menschen zu Hause aufsuchen. Demgegenüber werden ältere Frauen nur sehr selten Opfer eines Raubs oder sonstiger Gewaltdelikte. 300 Opfer von Gewaltkriminalität sind indes regelmäßig junge Männer, die die niedrigsten Furchtraten aufweisen. 301 Grundsätzlich sind die Opfer von Gewaltdelikten eher männlich – 1999 etwa 70 Prozent – und eher jung: 1999 waren 34 Prozent der Opfer Kinder, Jugendliche und junge Heranwachsende unter 21 297 Vgl. Boers / Kurz, in: Boers / Gutsche / Sessar (Hrsg.), Sozialer Umbruch und Kriminalität in Deutschland S. 187 ff., die von Adaptionsprozessen ausgehen; s. a. 2. PSB 2006, S. 530. 298 Vgl. 1. PSB 2001, S. 55, mit Ausnahme der männlichen unter 21-Jährigen, die im Osten höhere Opferzahlen aufwiesen, und der Frauen über 60, bei denen die Zahlen in Ost und West etwa gleichauf lagen. 299 So weisen Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt höhere Häufigkeitszahlen auf als vergleichbare (nord-)westdeutsche Flächenländer und liegen alle deutlich über dem Bundesdurchschnitt; aber auch die südlichen Bundesländer im Osten weisen höhere Häufigkeitszahlen auf als ihre westlichen Pendants, vgl. PKS 2007, S. 48; PKS 2006, S. 48; PKS 2005, S. 4; PKS 2004, S. 4; PKS 2003, S. 4. 300 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht allerdings bei dem sog. Handtaschenraub. Hier ist die Opferbelastung für die über 60-Jährigen Frauen am höchsten, vgl. 1. PSB 2001, S. 30, s. a. PKS 2006, S. 58; PKS 2003, S. 8. Dies kann allerdings auch daran liegen, dass besonders diese Personengruppe Handtaschen trägt. Zur strafrechtlichen Abgrenzung vom „Handtaschenraub“ und Diebstahl vgl. BGH, StV 1990, 205 (206); Wessels / Hillenkamp, Strafrecht Besonderer Teil/2, Rn. 320, 332; Eser, in: Schönke / Schröder, StGB, § 249, Rn. 4a: Kein Raub, wenn Wegnahme durch Schnelligkeit und nicht durch Gewalt ermöglicht wird. 301 Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (14); Stangl, KrimJ 1996, 48 (53); s. a. 1. PSB 2001, S. 77.

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Jahren, während die älteren Menschen über 60 Jahren nur etwa 4 – 6 Prozent der Opfer stellten. 302 IV. Auswirkungen von Veränderungen der objektiven Sicherheitslage auf das Sicherheitsgefühl Neben dieser festgestellten Diskrepanz zwischen Viktimisierungswahrscheinlichkeit und Furcht kommen die Untersuchungen auch noch zu einem anderen interessanten Ergebnis: Veränderungen der objektiven Sicherheitslage, d. h. ein Ansteigen oder Absinken der Kriminalität, haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. 303 So hat die Kriminalität in der Bundesrepublik zwar teilweise deutlich zugenommen, allerdings nicht – wie vielfach angenommen – erst seit Anfang der 1990er Jahre, sondern bereits seit den 1960er Jahren, wobei die größten Zuwächse zwischen 1975 und 1983 erfolgten. 304 Dieser Anstieg der registrierten Kriminalität ging bis Mitte der 1990er Jahre, bis 2000 sank dann die Kriminalität leicht ab, um erst in den Folgejahren wiederum erneut geringfügig anzusteigen. 305 Die Furcht der Bundesbürger vor Kriminalität hat sich jedoch in diesem Zeitraum nicht proportional zur Kriminalität mitentwickelt. 306

302 Vgl. 1. PSB 2001, S. 42; PKS 2007, S. 55; PKS 2006, S. 55; PKS 2005, S. 30; PKS 2004, S. 37. Allerdings ist auch bei den hohen Opferzahlen unter den Jugendlichen und jungen Männern eine Besonderheit des Strafrechts zu berücksichtigen, die zumindest einen Teil der hohen Opfer- (und auch Täterzahlen) in dieser Gruppe erklären kann. Das Delikt „gefährliche Köperverletzung“ ist nämlich nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StBG bereits bei einer „gemeinschaftlichen“ Tatbegehung gegeben, also wenn zwei Täter gemeinsam handeln. Damit liegt eine „gefährliche Körperverletzung“ nicht nur bei besonders brutalen Begehungsformen der Körperverletzung, sondern auch bei „Raufereien“ unter Jugendlichen vor; vgl. 1. PSB 2001, S. 42, 77. Zum Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung durch „gemeinschaftliche“ Tatbegehung s. a. Küper, GA 1997, 301 (303 ff., 320 ff.); Stree, Jura 1980, 289 (290 f.); ders., in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, § 224, Rn. 11. Die höhere Gefährdung jüngerer Menschen gilt allerdings nicht so sehr für Tötungsdelikte. Bei diesen ist die Opfergefährdung in allen Altersgruppen etwa gleich hoch bzw. niedrig, vgl. PKS 2005, S. 30. 303 Feltes, Alltagskriminalität, Verbrechensfurcht und Polizei, Kriminalistik 1997, 538; Reuband, Neue Kriminalpolitik 4/1999, 16 (16); ders., Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), 470 (472); ders., in: Kaiser / Jehle (Hrsg.), Kriminologische Opferforschung, Bd. II, S. 37 (51); Kasperzak, Stadtstruktur, Kriminalitätsbelastung und Verbrechensfurcht, S. 127; 2. PSB 2006, S. 486. 304 1. PSB 2001, S. 28. 305 Vgl. PKS 2003, S. 28. 306 Reuband, Neue Kriminalpolitik 2003, 100 (102); s. a. Kunz, Kriminologie, § 30, Rn. 28.

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In den 1990er Jahren hat die Kriminalitätsfurcht – bis etwa Mitte der 1990er Jahre – stetig zugenommen, 307 also auch zu Zeiten, in denen die Kriminalitätsbelastung abnahm. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre nahm die Furcht etwas ab. 308 Ab 2000, als die Kriminalität wieder leicht zunahm, hat sich die Furcht der Deutschen nicht eindeutig weiterentwickelt. So lässt sich zwar in einigen regionalen Studien ein geringfügiger Anstieg der Furcht entnehmen, andere hingegen berichteten von einem geringfügigen Sinken der Furchtraten. 309 Der Anstieg der registrierten Kriminalität führt damit nicht zwangsläufig zu erhöhten Furchtwerten bei der Bevölkerung. Dieser Befund wird noch verstärkt, wenn man nach den verschiedenen Deliktsarten differenziert. So beruhte die Zunahme der registrierten Kriminalität seit den 1970er Jahren im Wesentlichen auf der Zunahme an Eigentums- und Vermögensdelikten, auf die etwa drei Viertel aller registrierten Straftaten entfallen. 310 In diesem Zeitraum ist zwar grundsätzlich auch die Zahl der Gewaltdelikte gestiegen, jedoch nicht in dem Umfang wie die Zahl der übrigen Kriminalität. Im Einzelnen stieg die Häufigkeit von Gewaltkriminalität bis 1997 nahezu 311 kontinuierlich an, um dann auf etwa gleichem Niveau zu verharren und sogar leicht zu sinken. 312 Erst in den Jahren nach 2002 gab es einen erneuten leichten Anstieg bei der polizeilich registrierten Gewaltkriminalität. 313 Der Anstieg der Furcht vor Gewaltkriminalität, wie er sich insbesondere in den 1990er Jahren abzeichnete, lässt sich damit noch weniger mit der Entwicklung der tatsächlichen Kriminalitätslage erklären. Diese Diskrepanz zwischen der Entwicklung der tatsächlichen Kriminalitätslage und dem Sicherheitsgefühl wird sogar noch größer, wenn man sich vor Augen führt, dass sich die Gewaltkriminalität aus verschiedenen Delikten zusammensetzt und die Tötungs-, Vergewaltigungs- und Raubdelikte gegenüber den 307

Kunz, Kriminologie, § 30, Rn. 28; Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (13). 1. PSB 2001, S. 39; Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (13); Reuband, in: Kaiser / Jehle (Hrsg.), Kriminologische Opferforschung, Bd. II, S. 37 (42 ff.). 309 Einerseits Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (13); Reuband, Neue Kriminalpolitik 2006, 99 (100): „Phase weitgehender Stabilität“; andererseits Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 53. 310 1. PSB 2001, S. 28. 311 Bis auf einen Ausreißer nach unten im Jahr 1994, wo sowohl die Fallzahlen für die Gewaltkriminalität als Ganzes als auch die Zahlen für Raubdelikte absanken. 312 1. PSB 2001, S. 71. 313 Allerdings wird als Ursache für den Anstieg in den letzten Jahren auch ein verbessertes Anzeigeverhalten infolge des am 1. 1. 2003 in Kraft getretenen Gewaltschutzgesetzes in Betracht gezogen. Seitdem wird Gewalt im innerfamiliären Bereich, bei der traditionell ein großes Dunkelfeld bestand, bewusster und konsequenter verfolgt, und es gibt jetzt effektive Maßnahmen zum Schutz der Opfer, so dass deren Anzeigebereitschaft zugenommen und damit das Dunkelfeld abgenommen hat, vgl. PKS 2007, S. 227; PKS 2006, S. 227; PKS 2003, S. 231. Auch der 2. PSB 2006, S. 2, 20, 29, sieht in der Änderung des Anzeigeverhaltens einen Grund für den statistischen Anstieg der Gewaltkriminalität. 308

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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Körperverletzungsdelikten nur einen geringen Anteil am Gesamtaufkommen der Gewaltkriminalität ausmachen. 314 Denn dann wird deutlich, dass auch der geringere Anstieg der besonders befürchteten Gewaltkriminalität vornehmlich auf die – relativ häufigen – Raub- und Körperverletzungsdelikte zurückzuführen ist, während sich bei den – eher seltenen – Tötungsdelikten und bei Vergewaltigungen hingegen kein Anstieg verzeichnen lässt und es zwischen 1973 und 1999 sogar zu einem Absinken gekommen ist. 315 Die Furcht vor diesen Delikten ist allerdings seit der Mitte der 1980er Jahre und besonders Anfang der 1990er Jahre gestiegen. 316 V. Zusammenfassende Ergebnisse der Untersuchungen Für die von mir aufgeworfene Frage lassen sich den Untersuchungen zwei wesentliche Ergebnisse entnehmen: Erstens ist zu beobachten, dass sich in den meisten Fällen kein proportionaler Zusammenhang zwischen der objektiven Gefährdung des Einzelnen und seinem Sicherheitsgefühl herstellen lässt, d. h., dass i. d. R. Personen, die sich besonders fürchten, Opfer von (Gewalt-)Kriminalität zu werden, nicht besonders gefährdet sind und umgekehrt Personen, die statistisch am häufigsten Opfer von Kriminalität werden, sich oftmals am wenigsten fürchten. Für die Entstehung von Kriminalitätsfurcht ist also nicht allein die Viktimisierungswahrscheinlichkeit maßgeblich. Zweitens – und dies ist vor allem für die Frage, mit welchen polizeilichen Maßnahmen sich das Sicherheitsgefühl verbessern lässt, interessant – ist zu erkennen, dass Veränderungen der objektiven Sicherheitslage, d. h. ein Ansteigen oder Absinken der Kriminalität, keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl haben. Polizeiliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls können nicht identisch sein mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität oder zur Gefahrprävention. 314

So machen im Jahr 1999 die Tötungsdelikte etwa 1,5 Prozent, die Vergewaltigungsdelikte 4,1 Prozent und die Raubdelikte ein Drittel am Gesamtaufkommen der Gewaltkriminalität aus; vgl. 1. PSB 2001, S. 42; 2005 liegen diese Prozentzahlen bei 1,2, 3,8 und 25, vgl. 2. PSB 2006, S. 65. Dieses Verhältnis verschiebt sich noch weiter zugunsten der Körperverletzungsdelikte, wenn man die Auswirkungen des Anzeigeverhaltens auf die polizeilich registrierte Kriminalität berücksichtigt. So werden Tötungsdelikte weit aus häufiger erkannt und angezeigt als Körperverletzungsdelikte. In diesem Bereich ist das Dunkelfeld also vermutlich noch größer. Vgl. dazu und zum Anzeigeverhalten bei Gewaltdelikten 1. PSB 2001, S. 71. 315 PKS 2003, S. 133; 1. PSB 2001, S. 55. In den letzten Jahren (2006, 2007) ist sogar bei den Raubdelikten ein leichter Rückgang zu bemerken, PKS 2007, S. 25; PKS 2006, S. 25. Wenn man zudem neben der Art der Delikte auch noch besondere persönliche Merkmale der Opfer mit einbezieht, so zeigt sich noch mehr, wie wenig Einfluss die Veränderung der objektiven Kriminalitätslage auf das Sicherheitsgefühl hat. So ist etwa die Furcht älterer Menschen davor, Opfer von Gewaltstraftaten zu werden, in den 1990er Jahren relativ stark gestiegen, das Opferrisiko dieser Gruppe hat sich aber seit Mitte der achtziger Jahre nicht mehr erhöht; vgl. 1. PSB 2001, S. 54, 77. 316 Vgl. Boers, Neue Kriminalpolitik 2/2001, 10 (12 f.).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

VI. Das so genannte Kriminalitätsfurchtparadox Weil anders, als die begriffliche Nähe von objektiver Sicherheit und subjektivem Sicherheitsgefühl vermuten lässt, zwischen beiden kein eindeutiger tatsächlicher Zusammenhang besteht, wird dieses Verhältnis als „Kriminalitätsfurchtparadox“ bezeichnet. Gerade die größere Furcht älterer Menschen und Frauen wurde als „irrational“ dargestellt. 317

B. Das Sicherheitsgefühl – ein Paradox? Kann das Sicherheitsgefühl wirklich als Kriminalitätsfurchtparadox bezeichnet werden? Die das Sicherheitsgefühl konstituierenden Faktoren und die sie prägenden Einflüsse geben Anlass dazu, dies zu bezweifeln. 318 I. Konstituierende Faktoren des Sicherheitsgefühls Das Sicherheitsgefühl des Einzelnen wird durch drei Faktoren konstituiert: die Einschätzungen des Einzelnen über sein persönliches Viktimisierungsrisiko, über seine Vulnerabilität und über seine Copingfähigkeiten. 319 1. Persönliche Risikoeinschätzung Ein wesentlicher Faktor für die Entstehung von Kriminalitätsfurcht ist die persönliche Risikoeinschätzung. 320 Darunter ist die Bewertung des eigenen Risikos, d. h. der Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer einer Straftat zu werden, zu verstehen. 321 Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass für die Entstehung von Kriminalitätsfurcht nicht die tatsächliche, objektiv feststellbare Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat werden zu können, maßgeblich ist, sondern wie der Einzelne annimmt, dass sie für ihn persönlich besteht. Es geht also nicht um das tatsächliche Vik-

317 Vgl. Boers, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1407). 318 Ausführlich zu anderen denkbaren Erklärungsansätzen für das Entstehen des Kriminalitätsfurchtparadox s. a. Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 25 ff. 319 Vielfach werden die Copingfähigkeiten auch als Teil der Vulnerabilität erfasst, vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 214. 320 Sessar, Wiedergutmachen oder strafen, S. 68 ff. Diese Risikoeinschätzung ist insoweit die kognitive Komponente des Sicherheitsgefühls vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 207; Lisbach / Spiess, in: Dölling / Feltes / Heinz / Kury (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention, S. 208 (211). 321 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 209.

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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timisierungsrisiko des Einzelnen, sondern um dessen Vorstellungen von diesem Risiko. Die Bedeutung der persönlichen Risikoeinschätzung wird in solchen Untersuchungen erkennbar, die neben der Kriminalitätsfurcht auch die Einschätzung des persönlichen Viktimisierungsrisikos erhoben haben. 322 Dabei stellte sich heraus, dass viele der befragten Personen das Risiko, Opfer einer Gewaltstraftat zu werden, viel höher einschätzten, als es der tatsächlichen Viktimisierungswahrscheinlichkeit nach ist. 323 Aufgrund dieser Fehleinschätzungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, fürchten sich die Bürger besonders vor Gewaltkriminalität. Die „Überschätzung“ des Risikos, einem Gewaltverbrechen ausgesetzt zu sein, findet damit seinen Niederschlag in den besonders erhöhten Furchtwerten hinsichtlich dieser Delikte. Die besonders ausgeprägte Furcht vor Gewaltkriminalität lässt sich so mit der persönlichen Risikoeinschätzung erklären. Gleichzeitig ergaben die Untersuchungen aber auch, dass es bei der Entstehung von Kriminalitätsfurcht nicht ausschließlich auf die persönliche Risikoeinschätzung ankommen kann. So kann die persönliche Risikoeinschätzung nicht allein die erhöhten Furchtwerte von Frauen und älteren Menschen erklären. 324 Denn diese schätzten ihre Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, nicht in dem Maße höher ein, als es ihre erhöhte Furcht vermuten ließe. 325 2. Einschätzung der Vulnerabilität Neben der persönlichen Einschätzung des Viktimiersierungsrisikos ist für die Entstehung von Kriminalitätsfurcht die persönliche Einschätzung der Vulnerabilität, der Verletzbarkeit, bedeutsam. 326 Unter der Einschätzung der Vulnerabilität ist die Einschätzung der Verluste zu verstehen, die dem Einzelnen drohen, wenn er Opfer einer Straftat wird. 327 Darunter sind zunächst die finanziellen Verluste zu 322

Ausführlicher dazu oben 4. Kap. A.I.2. Vgl. Dörmann, Wie sicher fühlen sich die Deutschen?, S. 41; Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 255; s. a Lisbach / Spiess, in: Dölling / Feltes / Heinz / Kury (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention, S. 208 (212). Ebenfalls überschätzt wird auch das Risiko, dass in die eigene Wohnung eingebrochen wird, vgl. Burgheim / Sterbling, Kriminalistik 2003, 437 (440). 324 Vgl. etwa die Ergebnisse der Untersuchungen von Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 52 ff., 55; von Schweer, Kriminalität und Kriminalitätsfurcht im Alltag der Stadt Cloppenburg, S. 135. 325 Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 38; Pantazis, British Jounal of Criminology 40 (2000), 414 (415). 326 Killias, Violence and victims 5 (1990), 97 (97 ff.); Skogan / Maxfield, Coping with Crime, S. 69 ff.; Reuband, Neue Kriminalpolitik 2/1999, 15 (15) m.w. N.; ders., Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), 470 (472) m.w. N. 323

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

verstehen, die durch Straftaten entstehen. Damit lässt sich beispielsweise erklären, weshalb sich die Angehörigen höherer sozialer Schichten weniger fürchten als Angehörige der unteren Schichten. Die Angehörigen der unteren Schichten halten sich aufgrund ihrer geringeren Ausbildung und ihres niedrigeren Einkommens für weniger in der Lage, materielle Verluste auszugleichen. 328 Daneben berücksichtigt der Einzelne bei der Einschätzung seiner Vulnerabilität auch, welche gesundheitlichen und psychischen Folgen ein gewaltsamer Angriff für ihn haben könnte. Bei den gesundheitlichen Folgen werden nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen eines Angriffs auf den Körper bedacht, sondern auch die Heilungschancen der Folgen eines gewaltsamen Angriffs. Da bei älteren Menschen diese Heilungsprognose i. d. R. schlechter ausfällt als bei jüngeren, lässt sich – zumindest teilweise – erklären, weshalb sich besonders ältere Menschen (etwa ab dem Rentenalter) so sehr vor Gewaltkriminalität fürchten. 329 Ihnen drohen bei einem gewaltsamen Angriff nicht nur finanzielle Verluste, sondern ihnen drohen bei einem gewaltsamen Angriff vor allem körperliche Verletzungen, die u.U. lebensgefährlich sind und die nur schwer heilen. Die psychischen Folgen spielen insbesondere bei Erklärungen der erhöhten Furchtwerte von Frauen eine wesentliche Rolle. Die höheren Furchtwerte von Frauen beruhen im Wesentlichen auf der Angst vor Vergewaltigung. 330 Zudem ziehen Frauen auch bei anderen (Gewalt-)Delikten stets die Möglichkeit von sexuellen Übergriffen in Betracht. 331 Auch bei anderen Delikten werden – wenngleich in geringerem Maße – die psychischen Folgen in die persönliche Einschätzung der Vulnerabilität miteinbezogen. So ist beispielsweise die Furcht vor einem Wohnungseinbruch größer als vor anderen Formen des Diebstahls, obgleich die finanziellen Verluste vergleichbar sein können. Dennoch kommt der Beeinträchtigung der Privatsphäre eine solch eigenständige Bedeutung zu, die oft schwerer

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Reuband, Zeitschrift für Soziologie 18 (1989), 470 (472 f.); ders., KZfSS 44 (1992), 341 (346); vgl. dazu auch Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 65 ff., 214 ff., der aber die Verletzbarkeit als Teil der Copingfähigkeiten ansieht, S. 214, 340. 328 Vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 66 f. 329 Wetzels / Greve / Mecklenburg / Bilsky / Pfeiffer, Kriminalität im Leben alter Menschen, S. 232. 330 Warr, Social Science Quarterly 65 (1984), 681 (681 ff.); Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 68 f.; Reuband, Neue Kriminalpolitik 2/1999, 15 (18); s. a. ders., Neue Praxis 29 (1999), 147 (156): „Frauen äußern mehr Furcht vor Kriminalität als Männer – sofern es sich um Gewaltdelikte [...] handelt“. Allerdings könnte ein weiterer Grund für die vermehrt von Frauen geäußerte Furcht auch im Rollenverständnis liegen: Männer wollen u.U. Furcht nicht so offen zugeben. Es scheint mit der Auffassung von Männlichkeit schwerer zu vereinbaren, Furcht zu äußern; vgl. 2 PSB 2006, S. 507. 331 Kreuter, Kriminalitätsfurcht, S. 38; vgl. auch Holst, Neue Kriminalpolitik 1/2001, 10 (12); zum Zusammenhang von erhöhten Furchtwerten bei Frauen und sexueller Gewalt ausführlicher Reuband, Neue Praxis 29 (1999), 147 (154).

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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wiegt als die materiellen Verluste und die daher zu einer erhöhten Furcht vor Wohnungseinbrüchen führt. 332 3. Einschätzung der Copingfähigkeiten Schließlich wird das Sicherheitsgefühl neben den Einschätzungen des Viktimisierungsrisikos und der Verletzlichkeit durch die Einschätzung der so genannten Copingfähigkeiten beeinflusst. 333 Der Begriff „Copingfähigkeiten“ kommt vom englischen to cope und meint „mit einer Situation fertig werden“. Bei der Einschätzung der Copingfähigkeiten werden alle Eigenschaften des Einzelnen, eine gefährliche Situation zu bewältigen, erfasst. 334 Dazu zählt zunächst die Fähigkeit, einen Angriff abzuwehren oder sich diesem durch Flucht zu entziehen. Damit lassen sich – neben der Erklärung durch die Einschätzung der Vulnerabilität 335 – die höheren Furchtwerte bei Frauen und älteren Menschen erklären. 336 Sie halten sich aufgrund geringerer Körperkraft für weniger in der Lage, bedrohliche Situationen zu bewältigen. Daneben gehört zu der Copingfähigkeit auch die Fähigkeit, eine gefährliche Situation durch geschicktes, meist verbales Verhalten zu entschärfen. 337 Dies erklärt, wieso sich Personen mit höherer Bildung weniger fürchten als andere. Sie halten sich für fähiger, sich einer gefahrvollen Situation argumentativ zu entziehen. 338 Schließlich wird durch die Einschätzung der Copingfähigkeit auch 332

Vgl. Ahlf, Zeitschrift für Gerontologie 1994, S. 289 (294). Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 208 f., 214 ff.; ders., in: Heitmeyer / Hagan (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1415); Boers / Kurz, in: Albrecht / Backes / Kühnel, Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität, S. 123 (129 f., 136 ff.); Arnold / Teske, in: Kaiser / Geissler (Hrsg.), Crime and Criminal Justice, S. 355 (359). Ablehnend aber Hirtenlehner, MschKrim 2006, 1 (18), der allein die Risikoantizipation als maßgeblich für das Entstehen von Unsicherheitsgefühlen ansieht. 334 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 209; Holst, Neue Kriminalpolitik 1/2001, 10 (10); ausführlich zu den unterschiedlichen Copingfähigkeiten Boers / Kurz, in: Albrecht / Backes / Kühnel, Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität, S. 123 (136 ff.). 335 S.o. 4. Kap. B.I.2. 336 Neben den Ursachen, die den Erklärungen über die Einschätzung der Vulnerabilität und der Copingfähigkeiten zugrunde liegen, kann das Paradox beim Alter auch dadurch entstehen, dass ältere Menschen sich aus Furcht aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und deshalb so geringe Viktimisierungsraten aufweisen, vgl. Wetzels / Greve / Mecklenburg / Bilsky / Pfeiffer, Kriminalität im Leben alter Menschen, S. 232; Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 70. 337 Boers / Kurz, in: Albrecht / Backes / Kühnel, Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität, S. 123 (136); Hirtenlehner, MschKrim 2006, 1 (11). 338 Hirtenlehner, MschKrim 2006, 1 (11); s. a. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 218. Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 50, hingegen vermutet, dass die Copingfähigkeiten beim Merkmal Bildungsstand keinen Einfluss auf die Entstehung hätten, weil die unteren Schichten – nach Murck – über eine größere physische Kraft verfügen, die höher Gebildeten sich aber durch mehr sportliche Fähigkeiten auszeichnen. Dabei verkennt Murck jedoch, 333

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

der Umstand erfasst, aufgrund von sicherem Auftreten gar nicht erst als Opfer in Betracht zu kommen. Durch den Faktor „Einschätzung der Copingfähigkeiten“ lässt sich beispielsweise erklären, weshalb sich die Befragten oftmals im eigenen Wohngebiet weniger fürchten als in anderen Stadtteilen. 339 Da sich die Befragten im eigenen Wohngebiet auskennen und eher wissen, wo und von wem sie Hilfe erwarten können, schätzen sie hier ihre Fähigkeit, einen Angriff abzuwehren höher ein. 4. Zusammenfassung der konstituierenden Faktoren 340 Das subjektive Sicherheitsgefühl bestimmt sich danach aus der persönlichen Beantwortung der drei Fragen: Kann ich Opfer einer Straftat werden? Was kann mir in einem solchen Fall passieren? Und wie kann ich eine gefährliche Situation bewältigen? 341 5. Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl Da die Antworten auf diese Fragen individuell unterschiedlich ausfallen, kann sich jemand, der statistisch objektiv besonders gefährdet ist, trotz allem sicher fühlen, während ein anderer sich fürchtet, obwohl die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, für ihn objektiv gering ist. Die fehlende Proportionalität zwischen Sicherheitsgefühl und objektiver Gefährdungslage erklärt sich damit dass die Copingfähigkeit bzw. deren persönliche Einschätzung nicht nur von den physischen Voraussetzungen abhängt, sondern wesentlich auch von der Fähigkeit geprägt ist, eine mögliche Gefahrensituation ohne Anwendung von Gewalt zu bewältigen, insbesondere verbal und durch ein sicheres Auftreten. Es könnte also sein, dass sich die höher Gebildeten in diesen Belangen als erfolgreicher einschätzen. Darüber hinaus wird die erhöhte Furchtrate bei der Gruppe mit niedrigerem Bildungsstand auch auf der Risikoeinschätzung beruhen. Höher Gebildeten gelingt es aufgrund ihres umfassenderen formalen, institutionalisierten Wissens, Gefährdungslagen besser einzuschätzen und Bedrohungen zu vermeiden. 339 Vgl. Obergfell-Fuchs / Kury, in: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, S. 31 (66). So ist es zu erklären, dass die Furcht der Bewohner selbst in stark kriminalitätsbelasteten Stadtgebieten – verglichen mit den Bewohner „sicherer“ Stadtviertel – noch relativ gering sein kann, denn die Kenntnisse über das eigene Viertel bedeuten, auch zu wissen, welche Orte und Personen gemieden werden sollten, vgl. Lewis / Salem, Crime and Delinquency 27 (1981), 405 (418). 340 Neben den aufgezählten Faktoren lassen sich auch noch weitere finden wie etwa die Lebensform (allein lebend oder in Partnerschaft) oder die Lebenszufriedenheit, vgl. dazu weiter Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (16 f.). 341 Dabei kann es zwischen diesen drei Faktoren zu Rückkopplungseffekten kommen. So fürchtet sich u.U. derjenige, der seine persönlichen Copingfähigkeiten geringer bewertet, mehr und schätzt deshalb auch sein Viktimisierungsrisiko als größer ein. Vgl. Boers / Kurz, in: Albrecht / Backes / Kühnel, Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität, S. 123 (132).

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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durch die das Sicherheitsgefühl konstituierenden Faktoren. Insoweit lässt sich das vermeintliche Kriminalitätsfurchtparadox erklären. II. Beeinflussung der konstituierenden Faktoren Bei diesen das Sicherheitsgefühl konstituierenden Faktoren handelt es sich also um die subjektiven Einschätzungen des Einzelnen, mithin um subjektive Faktoren. Diese sind vom Staat und von der Polizei nur schwer zu beeinflussen. 342 Allerdings haben Untersuchungen und Befragungen zur Kriminalitätsfurcht gezeigt, dass diese subjektiven Einschätzungen ihrerseits von äußeren objektiven Faktoren beeinflusst werden. Für den Staat, für die Polizei, die das Sicherheitsgefühl verbessern will, ist dies äußerst interessant. 343 Denn wenn es neben den subjektiven Einschätzungen auch äußere, objektive Faktoren gibt, die das Sicherheitsgefühl beeinflussen, könnte durch ein Einwirken auf diese das Sicherheitsgefühl verbessert werden. Nach den Untersuchungen zur Kriminalitätsfurcht wird vor allem die subjektive Einschätzung des Einzelnen von seinem Viktimisierungsrisiko durch äußere Faktoren beeinflusst. 344 Der Einzelne bildet seine persönliche Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, nämlich nicht auf Grundlage des tatsächlichen Viktimisierungsrisikos, das ihm zumeist ja auch nicht bekannt ist, sondern aufgrund anderer äußerer Faktoren. Im Einzelnen sind dies: 1. Direkte (eigene) Opfererfahrung Zunächst liegt der Schluss nahe, dass die die Kriminalitätsfurcht konstituierenden Faktoren maßgeblich von den Erfahrungen, die der Einzelne mit Kriminalität gemacht hat, beeinflusst werden. 345 Ist jemand schon einmal Opfer von Straftaten geworden, dann kann er – so könnte man vermuten – auch abschätzen, wie groß sein Viktimisierungsrisiko ist. Aus kriminologischen Untersuchungen geht aber hervor, dass diese als direkte Opfererfahrungen bezeichneten Erkenntnisse nur geringe Auswirkung auf das 342

S.o. 1. Kap. B.I. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich herausgestellt hat, dass sich mit einer Verbesserung der Sicherheitslage nicht zwingend auch das Sicherheitsgefühl verbessert, es also zur Stärkung des Sicherheitsgefühls anderer polizeilicher Maßnahmen bedarf; s. o. 4. Kap. A.IV. 344 Boers / Kurz, in: Albrecht / Backes / Kühnel, Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität, S. 123 (130). 345 Vgl. zur Viktimisierungshypothese mit ausführlichen empirischen Ergebnissen Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 291; Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 243 ff. 343

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

Entstehen von Kriminalitätsfurcht haben. 346 Dafür gibt es zwei Gründe: Zunächst bewirken nicht alle Opfererfahrungen eine erhöhte Kriminalitätsfurcht. Bei Opfern von häufig vorkommenden Eigentumsdelikten ließ sich beispielsweise feststellen, dass diese sogar eine etwas geringere Kriminalitätsfurcht äußerten als Nichtopfer. 347 Lediglich bei Opfern von Gewaltkriminalität und Sexualdelikten – also den Deliktsarten, die für die Entstehung von Kriminalitätsfurcht bedeutsam sind – ließ sich ein leicht erhöhtes Furchtniveau feststellen. 348 Allerdings – und das ist der zweite Grund – macht die Zahl derer, die Opfer einer solchen Gewalt- oder Sexualstraftat geworden sind, unter der Gesamtzahl der befragten Personen und sich vor Kriminalität fürchtenden Personen nur einen geringen Anteil aus. Die Anzahl ist dabei so gering, dass die direkten Opfererfahrungen mit Gewaltkriminalität nicht die Vielzahl der sich vor Kriminalität fürchtenden Personen erklären können. 349 Direkte Opfererfahrungen prägen demnach zwar in gewisser Weise die persönlichen Risikoeinschätzungen und haben so auch Einfluss auf das Entstehen von Kriminalitätsfurcht. Aufgrund der geringen Verbreitung von direkten Opfererfahrungen können sie allein aber nicht die weitverbreitete Kriminalitätsfurcht erklären. 350 346 Boers, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1408). Früher noch anders aber ders., Kriminalitätsfurcht, S. 212. Eine Furcht verstärkende Wirkung von Opfererfahrung bejahend Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 70 f.; Sterbling / Burgheim, Sicherheit und Lebensqualität in Görlitz, S. 85; Obergfell-Fuchs / Kury, in: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, S. 31 (65 f.); Greve / Wetzels, Report Psychologie 9/20 (1995), 24 (30); differenziert Arnold / Teske, in: Kaiser / Geissler (Hrsg.), Crime and Criminal Justice, S. 355 (376), die dies für Deutschland nicht, für die USA aber wohl bestätigen konnten. 347 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 291; Kerner, Der Bürger im Staat 1/2003, 4 (5). Eine Ausnahme besteht allerdings bei Wohnungseinbruchsopfern, diese fürchten sich mehr als Nichtopfer Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 262. 348 Allerdings sind die Untersuchungsergebnisse hierzu nicht einheitlich. Einen furchtverstärkenden Einfluss direkter Opfererfahrungen bejahend Burgheim / Sterbling, Kriminalistik 2003, 437 (440); Murck, Soziologie der öffentlichen Sicherheit, S. 70 f.; zumindest bei „intensiven Viktimisierungen“ Kury / Dörmann / Richter / Würger, Opfererfahrungen und Meinungen zur Inneren Sicherheit in Deutschland, S. 243 ff.; oder bei Mehrfachopfererfahrungen Kury, in: Bilsky / Pfeiffer / Wetzels (Hrsg.), Fear of Crime and Criminal Victimization, S. 213 (227); ablehnend Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 291; Boers / Sessar, in: Sessar / Kerner (Hrsg.), Developments in crime and crime control research, S. 126 (144). Es scheint vielmehr so, dass direkte Opfererfahrungen auf die Kriminalitätsfurcht deliktsspezifisch unterschiedlich wirken, teilweise sogar furchtvermindert, Kunz, MSchrKrim 1983, 162 (169); bei Sexualdelikten eher furchterhöhend, Boers, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1408). 349 Boers, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1409); s. a. ders., Kriminalitätsfurcht, S. 78. 350 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 211 f.; Arnold, in: Albrecht / Sieber (Hrsg.), Zwanzig Jahre Südwestdeutsche Kriminologische Kolloquien, S. 185 (216).

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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2. Indirekte Opfererfahrungen Wenn also nicht die direkten Opfererfahrungen maßgeblich die Kriminalitätsfurcht beeinflussen, so lässt sich vermuten, dass vermittelte Erlebnisse von Kriminalität – so genannte indirekte Opfererfahrungen – die Kriminalitätsfurcht prägen. 351 Bei diesen indirekten Opfererfahrungen erlangt der Einzelne Kenntnisse über die Kriminalität nicht aus eigener Erfahrung, sondern aus von vertrauten Personen übermittelten Erlebnissen aus dem sozialen Nahbereich – dem Freundes- und Bekanntenkreis. 352 Durch diese Nähe ist es für den Betroffenen weitaus schwerer, sich den Erfahrungen zu entziehen, als es z. B. bei medial vermittelten Erfahrungen der Fall ist. 353 Zudem handelt es sich aufgrund der sozialen Nähe regelmäßig um Erlebnisse, in denen sich der Rezipient wiederfindet: „Wenn das schon meinem Nachbarn, meinem Freund passiert ist, kann es auch mir passieren.“ Dadurch wirken indirekte Opfererfahrungen intensiver, wenngleich sie – verglichen mit Medienerfahrungen – weniger auftreten. Anders als die direkten Opfererfahrungen sind die indirekten (zumindest bei der befürchteten Gewaltkriminalität) nicht nur auf einen geringen Bevölkerungsteil begrenzt. So gaben bei Untersuchungen viele Probanden an, dass sie zwar nicht selbst Opfer von Gewaltkriminalität geworden seien, sie wohl aber in ihrer Nachbarschaft, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis Opfer von Gewaltverbrechen kennen würden. Die Zahl derer, die über indirekte Opfererfahrungen verfügen, ist somit ungleich größer als die derer mit direkten Opfererfahrungen. 354 Im Vergleich mit befragten Personen, die keine indirekten Opfererfahrungen besitzen – den so genannten „Nichtkennern“ –, weisen die über indirekte Opfererfahrung verfügenden Personen – die so genannten „Kenner“ – höhere Furchtwerte auf. Teilweise fanden sich unter den „Kennern“ doppelt so viele, die angaben, sich „sehr unsicher“ zu fühlen. 355 Das Phänomen der indirekten Opfererfahrung macht also einen wesentlichen Faktor des Unsicherheitsgefühls deutlich: Das Gefühl von Sicherheit bzw. dessen Fehlen beruht immer auch auf einem Kommunikationsprozess. Die Erfahrungen mit (Gewalt-) Kriminalität folgen nicht aus dem 351 Skogan / Maxfield, Coping with Crime, S. 168; Conklin, Social Problems 18 (1970/ 1971), 373 (374); im Hinblick auf Furchtorte s. a. Obergfell-Fuchs / Kury, in: Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg, S. 31 (66); 2. PSB 2006, S. 514; kritisch Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 291. 352 Vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 79; Greve / Wetzels, Report Psychologie 9/20 (1995), 24 (32 f.). 353 Vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 212; s. a. Mansel, Angst vor Gewalt, S. 24: „stellvertretende Opfererfahrungen“. 354 Vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 79. 355 Vgl. Untersuchung von Skogan / Maxfield, Coping with Crime, S. 168; Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 79; Schweer, Kriminalität und Kriminalitätsfurcht im Alltag der Stadt Cloppenburg, S. 97.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

Kontakt mit der Tat selbst, sondern beruhen auf der Kommunikation über das Geschehen. 356 Es sind also nicht die eigenen negativen Erfahren mit Kriminalität, aufgrund derer sich die Menschen fürchten, sondern die Berichte über die negativen Erfahrungen, die andere, Bekannte oder Freunde, mit Kriminalität gemacht haben. 357 3. Medial vermittelte Wahrnehmung der Kriminalität Besondere Bedeutung kommt einem Unterfall der indirekten Opfererfahrungen zu: der durch die Medien, insbesondere durch das Fernsehen, vermittelten Wahrnehmung der Kriminalität. 358 Zwar sind die medial vermittelten Opfererfahrungen aufgrund der fehlenden sozialen Nähe nicht so intensiv wie die indirekten Opfererfahrungen. 359 Allerdings bemühen sich die Medien, um Konsumenten zu finden und damit ihre Auflage bzw. Quote zu steigern, bei der Berichterstattung über Kriminalität den Opfern einen Namen, ein Gesicht zu geben. So wird in den von den Medien äußerst ausführlich dargestellten Fällen des Missbrauchs von Kindern nicht vom 14jährigen Opfer geschrieben, sondern der Name genannt und dieser durchgehend anstelle des Wortes Opfer verwendet; wenn möglich wird sogar ein Bild des Opfers mitabgedruckt. Dadurch wird es den Lesern bzw. Zuschauern möglich, sich stärker mit dem Opfer und dessen Angehörigen zu identifizieren: „Das eigene Kind hätte das Opfer sein können“. Damit kann sich der Leser bzw. Zuschauer auch ohne die soziale Nähe zum Opfer in die Opfersituation hineinversetzen und sich dem berichteten Geschehen nicht so leicht entziehen. 356 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 79, der den indirekten Opfererfahrungen eine größere Bedeutung zumisst als der Beeinflussung durch die Medien, weil dort nicht nur über fernliegende Sensationsfälle berichtet würde, sondern von einer vertrauten Person Erlebnisse aus dem sozialen Umfeld erzählt würden; ebenda S. 80. 357 Schwind, Kriminologie, § 20 Rn. 17: „Kriminalitätsfurcht ist ansteckend“. 358 Müller / Braun, Kriminalistik 1993, 623 (625); Reuband, ZfS 1989, 470 (472); Beckett / Sasson, The politics of injustice, S. 133 f.; Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (13). Vgl. auch für ältere Frauen: Taschler-Pollacek / Lukesch, Publizistik 35 (1990), 443 (451 f.). Zudem ist der „politisch-publizistische Verstärkerkreislauf“ zu beachten. Die Medien berichten über Kriminalität, die Politik reagiert aufgrund der Berichte darauf und befasst sich mit der Kriminalitätsbelastung, worüber erneut von den Medien berichtet wird; vgl. dazu Becker / Boers / Kurz, in: Kube / Schneider / Stock (Hrsg.), Vereint gegen Kriminalität, S. 79 (95); grundlegend zum „politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf“ Scheerer, KrimJ 1978, 223 (223 ff.); 2. PSB 2006, S. 515 ff. 359 Derwein, Wie wird Kriminalität in der Presse dargestellt, ist die Darstellung wirklichkeitsfremd, und gibt es Entsprechungen im Vorstellungsbild der Bevölkerung?, S. 14; Boers, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1410) sieht daher eine Beeinflussung des Sicherheitsgefühls durch die Medien eher bei „lokalen Medien“, solchen, bei denen die „persönliche, soziale oder räumliche Situation der Leser tangiert wird“; ähnlich auch Löschper, KrimJ 1998, 242 (248).

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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Ihre wesentliche Bedeutung für die Einschätzung des persönlichen Risikos, der Vulnerabilität und der Copingfähigkeiten erlangen die medial vermittelten Opfererfahrungen indes durch die Quantität ihrer Präsenz. Der Einzelne nimmt Kriminalität, insbesondere die befürchtete Gewaltkriminalität, zumeist nicht selbst wahr, sondern er erfährt davon nur aus den Medien. Doch das von den Medien entworfene Bild von der Kriminalität weicht stark von der amtlich registrierten und der durch Dunkelfeldforschung belegten Kriminalitätslage ab. 360 Die Medien sind an spektakulären Geschichten interessiert – solchen Geschichten, die den Leser ansprechen und ihn als Käufer bzw. beim Fernsehen als Zuschauer gewinnen. 361 Dadurch erfolgt in der Berichterstattung eine Schwerpunktsetzung auf medienwirksame Ereignisse. Berichten die Medien über Kriminalität, so findet diese Schwerpunktsetzung auch hier statt. Dabei erscheint den Medien die Gewaltkriminalität attraktiver zu publizieren als andere Formen der Kriminalität. 362 Daher hat die Berichterstattung in den Medien, insbesondere im Fernsehen, ihren Schwerpunkt bei den Gewaltdelikten, obwohl diese den polizeilichen Kriminalitätsstatistiken und der Dunkelfeldforschung zufolge nur einen geringen Anteil an der Gesamtkriminalität ausmachen. 363 Beim Leser bzw. Zuschauer suggeriert diese Fokussierung auf Gewaltdelikte die Vorstellung, dass die Kapitalverbrechen auch in quantitativer Hinsicht die Kriminalitätswirklichkeit darstellen. Der Betrachter erlangt so ein verzerrtes Bild von der Kriminalität. 364 Dies wird auch noch durch unseriöse Berichterstattung verstärkt, die reißerisch und effekthascherisch über Gewaltkriminalität berich360 Müller-Dietz, NStZ 1993, 57 (61); Eisenberg, Kriminologie, § 50, Rn. 8 m.w. N.; empirisch belegt von Derwein, Wie wird Kriminalität in der Presse dargestellt, ist die Darstellung wirklichkeitsfremd, und gibt es Entsprechungen im Vorstellungsbild der Bevölkerung?, S. 68 ff., 190 ff.; Scharf / Mühlenfeld / Stockmann, Kriminalistik 1999, 87 (90). 361 Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (13). 362 Vgl. Rabl, in: Dölling / Gössel / Walto´s (Hrsg.), Kriminalberichterstattung in der Tagespresse, S. 215 (216); Ionescu, Kriminalberichterstattung in der Tagespresse, S. 89 f., 94 ff., 97. Ein interessantes – wenngleich auch mit einer gewissen Vorsicht zu betrachtendes – Beispiel für die Verzerrung durch die mediale Berichterstattung ist der Vergleich der Zahlen von tatsächlich ereigneten Fällen von Sexualtötungsdelikten zu der Häufigkeit der Berichterstattung über Kindesmissbrauchsfälle, den Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (12) darstellen, bei dem man einen massiven Anstieg der Berichterstattung bei gleichzeitigem Absinken der Fallzahlen erkennen kann. 363 Derwein, Wie wird Kriminalität in der Presse dargestellt, ist die Darstellung wirklichkeitsfremd, und gibt es Entsprechungen im Vorstellungsbild der Bevölkerung?, S. 68 ff., 190 ff., insb. 200 f.; Scharf / Mühlenfeld / Stockmann, Kriminalistik 1999, 87 (90). Zur tatsächlichen Verteilung s. o. Kap. 4.A.III.6. 364 Reuband, KZfSS 44 (1992), 341 (346); Müller / Braun, Kriminalistik 1993, 623 (625); Ionescu, Kriminalberichterstattung in der Tagespresse, S. 97; Kury, in: Bauhofer / Bolle / Dittmann (Hrsg.), „Gemeingefährliche“ Straftäter, S. 193 (195 ff.); Löschper, KrimJ 1998, 242 (249). Dabei wird i. d. R. der Tathergang auch in noch nicht abgeschlossenen Strafverfahren als feststehender Sachverhalt dargestellt, obwohl der Täter noch nicht verurteilt ist, vgl. Ionescu, ebenda, S. 101.

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tet. 365 Dabei kann selbst seriös und sachlich darstellende Berichterstattung zur Entstehung von Kriminalitätsfurcht beitragen. So fürchteten sich beispielsweise ältere Frauen, die die Fernsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ – einer Sendung, die zumindest den Eindruck von Seriosität vermitteln will – sahen, mehr als Frauen einer Vergleichsgruppe, die diese Sendung nicht sahen. 366 Dies Beispiel zeigt zugleich auch, dass Maßnahmen, die von ihrer Zielsetzung her der objektiven Sicherheit dienen sollen, d. h. hier der Aufklärung ungelöster Kriminalfälle, zur Entstehung von Unsicherheitsgefühlen beitragen können. Diese indirekte Beeinflussung durch Medien spielt eine wesentlich wichtigere Rolle für das Sicherheitsgefühl als die tatsächliche objektive Sicherheitslage. Deshalb haben Veränderungen der objektiven Gefährdungslage so geringe Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl. Ob eine Straftat mehr oder weniger begangen wird, wirkt sich nicht aus, solange die Medien noch über eine Fülle von Straftaten berichten können. 4. Staatlich vermittelte Wahrnehmung der Kriminalitätslage Allerdings verursachen nicht nur die Medien ein verzerrtes Bild von der Kriminalitätsbelastung. Auch staatliches Informationsverhalten selbst – etwa durch die Veröffentlichung der polizeilichen Kriminalitätsstatistiken – kann zur Entstehung von Kriminalitätsfurcht beitragen. 367 Dies liegt zum einen an der Diskrepanz zwischen der polizeilich registrierten und der tatsächlich vorhandenen Kriminalität. So haben Vergleiche der Dunkelfeldforschung mit der polizeilich registrierten Kriminalität ergeben, dass die polizeilich registrierte Kriminalität nicht immer der durch Ergebnisse der Dunkelfeldforschung ermittelten tatsächlichen Kriminalitätslage entspricht. Es hat sich gezeigt, dass der gesellschaftliche Wandel bei der Bevölkerung zu einer größeren Bereitschaft, Straftaten anzuzeigen, und damit zu einem verbesserten Anzeigeverhalten geführt hat. Je mehr die Bürger aber bereit sind, Straftaten anzuzeigen, desto kleiner wird das von den offiziellen Statistiken nicht abgebildete Dunkelfeld, desto größer wird – selbst bei einer gleichbleibenden Zahl von jährlich verübten Straftaten – aber auch die Zahl der polizeilich registrierten Kriminalität. So ist 365 Wie dies in der sog. Boulevardpresse der Fall ist, vgl. Ionescu, Kriminalberichterstattung in der Tagespresse, S. 101, 106 ff. Zur Objektivität der Berichterstattung in der Bild-Zeitung s. a. ders., in: Dölling / Gössel / Walto´s (Hrsg.), Kriminalberichterstattung in der Tagespresse, S. 45 (71). 366 Taschler-Pollacek / Lukesch, Publizistik 35 (1990), 443 (447 ff.). 367 Zum verzerrten Bild, das die amtlichen Kriminalitätsstatistiken zeichnen, Heinz, Kriminalistik 2007, 301 (301 ff.), der auch einige vermeidbare Fehler der amtlichen Kriminalitätsstatistiken aufzeigt.

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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es beispielsweise in den USA von 1973 bis 1999 zu einem Anstieg der polizeilich registrierten Gewaltkriminalität von 58 Prozent gekommen. Aufgrund der amtlichen Erhebungen könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Gewaltkriminalität in den USA in diesem Zeitraum stark zugenommen hat und damit auch das Viktimisierungsrisiko allgemein gestiegen ist. Dass dem nicht so ist, zeigen die Ergebnisse einer seit 1973 jährlich durchgeführten Befragung – der National Crime Victimization Survey. Diese Dunkelfelduntersuchung ergab für den vergleichbaren Zeitraum, dass die Gewaltkriminalität im Jahre 1999 auf dem niedrigsten Stand seit Beginn dieser Untersuchungen 1973 war und dass sie zwischen 1973 und 1999 um 30 Prozent gesunken ist. 368 Die amtlichen Kriminalitätsstatistiken erweckten somit den falschen Eindruck, dass die Gewaltkriminalität in diesem Zeitraum zugenommen hat. Ähnliches ist auch bei Sexualdelikten zu beobachten. U.a. durch das gewandelte Rollenverständnis der Frau ist deren Bereitschaft gestiegen, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung anzuzeigen. Die Kriminalitätsstatistik weist daher einen Anstieg der Sexualstraftaten aus, die Opferforschung spricht jedoch von einem Sinken. 369 Bei dem Bürger kann so eine offizielle Statistik den (fälschlichen) Eindruck erwecken oder bestätigen, dass die Kriminalität insgesamt oder bestimmte Arten von Kriminalität zugenommen haben, und seine Furcht noch verstärken. Ein weiterer möglicherweise furchtverstärkender Aspekt staatlicher Informationen über Kriminalität ist die Art der Vermittlung der in den amtlichen Statistiken gewonnenen Ergebnisse. Die polizeiliche Kriminalitätsstatistik selbst wird nur von wenigen Bürgern gelesen. Die meisten Bürger erhalten ihre Informationen über die Erkenntnisse der polizeilichen Kriminalitätsstatistik aus der Presse. Üblicherweise wird die jeweils aktuelle polizeiliche Kriminalitätsstatistik (des Bundes) vom Bundesinnenminister in einer Pressekonferenz vorgestellt. Statt differenzierter Informationen wird hier lediglich eine kurze Zusammenfassung gegeben, bei der oftmals nur pauschale Häufigkeitszahlen genannt werden. Die knappen Zahlen der Zusammenfassung machen zumeist dann anschließend auch die Berichterstattung der Presse über die polizeiliche Kriminalitätsstatistik aus. Diese Art des Verkündens schlichter Häufigkeitszahlen ist vor dem Hintergrund der Furchtverursachung nicht unbedenklich. So beziehen sich die meisten Häufigkeitszahlen auf die Anzahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner, so dass allein schon durch die Wahl des Vergleichsmaßstabs eine hohe Zahl – zumeist eine hohe vierstellige – genannt wird, die bestehende Vorurteile („Es gibt so viel Kriminalität“) scheinbar bestätigen und damit Anlass zur Furcht geben. Zudem besagt eine solche Häufigkeitszahl nichts über die Art der verübten Straftat. So kann beispielsweise eine Zahl von 8.000 Straftaten pro 100.000 Einwohner – zumindest theoretisch – bedeuten, dass 8.000 einfache Diebstähle begangen wurden, es kann 368 369

Vgl. 1. PSB 2001, S. 11. Vgl. 1. PSB 2001, S. 71.

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aber ebenso bedeuten, dass 8.000 Morde verübt wurden. 370 Dem Hörer wird nicht deutlich, um was für Straftaten es sich bei diesen „8.000“ handelt, aber er wird diese fehlende Information durch seine eigenen Vorstellungen füllen. Das bedeutet: Je nachdem, welche Vorstellungen sich der Hörer von den Straftaten einer solchen Information macht, desto unterschiedlicher fällt auch seine Reaktion aus. Da die Menschen – wie die Befragungen zeigen – vielfach von Kriminalität als Gewaltkriminalität ausgehen, werden sie vermutlich vielfach die Zahl „8.000“ vornehmlich auf Gewaltkriminalität projizieren und sich deshalb ängstigen. Insoweit können auch staatliche Informationen über Kriminalität zu einer verzerrten Wahrnehmung der Kriminalität beitragen, wobei allerdings auch in diesem Fall den Medien als Vermittler und Transporteur der Informationen eine besondere Bedeutung zukommt. 5. Soziale Desorganisation Ein weiterer Faktor, der Einfluss auf das Sicherheitsgefühl haben soll, ist die sog. soziale Desorganisation. Von einer sozialen Desorganisation spricht man, wenn in einer Gemeinschaft der soziale Zusammenhalt zerfällt und sich zwischen ihren Mitgliedern eine zwischenmenschliche Desorientierung breit macht. 371 Die soziale Desorganisation wird als Folge des durch Bevölkerungsbewegungen, Urbanisierung und Industrialisierung hervorgerufenen sozialen Wandels angesehen. 372 So wirken sich beispielsweise eine unpersönliche Stadtstruktur (Hochhäuser, keine defensible spaces 373), häufige Wohnungswechsel (insbesondere der Wegzug sozialer „Durchsteiger“ 374) und geänderte Verhaltensweisen (der sich Fürchtende hält sich nur noch in seiner Wohnung auf, und was außerhalb geschieht, interessiert ihn nicht mehr) negativ auf den sozialen Zusammenhalt einer Gemeinschaft aus. 375 Zunehmende Anonymität und mangelnde Kommunikation innerhalb der Nachbarschaft führen zu einer Abnahme an zwischenmenschlichen Bindungen 370 Zum Verhältnis der unterschiedlichen Arten von Straftaten je nach ihrem Aufkommen s. o. 4. Kap. A.III.6. 371 Schneider, Kriminologie für das 21. Jahrhundert, S. 46. Zur sozialen Desorganisation s. a. Schwind, Kriminologie, § 7 Rn. 15. 372 Insoweit geht das Konzept der sozialen Desorganisation auf den sozio-ökologischen Ansatz der Chicagoer Schule – insbesondere den von Shaw / McKay, Juvenile Delinquency and Urban Areas, zurück, vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 114; Schwind, Kriminologie, § 7 Rn. 15 m.w. N. 373 Grundlegend dazu Newman, Defensible Space; s. a. Clarke, in: BKA (Hrsg.), Städtebau und Kriminalität, S. 135 (135 ff.); Schubert, Herbert in: ders. (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 13 (14 ff.). 374 Kube, Der Bürger im Staat 1/2003, 65 (66). 375 Skogan, Disorder and Decline, S. 11 ff.; s. a. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 116 ff., 336 ff.

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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und somit zu sozialer Desorganisation. Dabei bedingt die soziale Desorganisation selbst noch nicht einen Verlust an Sicherheitsgefühl. Die soziale Desorganisation schlägt sich aber in drei Phänomenen nieder, denen ihrerseits Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl zugesprochen wird: der Störung der Integration in die Nachbarschaft, dem Verlust der informellen sozialen Kontrolle und den Zeichen von Verfall und Unordnung, den sog. „signs of incivility“. 376 a) Störung der Integration in die Nachbarschaft Eine Folge der sozialen Desorganisation, die sich negativ auf die Einschätzungen des persönlichen Viktimisierungsrisikos, der Vulnerabilität und der Copingfähigkeiten auswirkt, ist die Störung der Integration in die Nachbarschaft. 377 Unter der Integration in die Nachbarschaft ist die Einbindung des Einzelnen in das informelle Netz der nachbarschaftlichen Gemeinschaft zu verstehen. Ein solches informelles Netz entsteht durch die Kommunikation der Nachbarn miteinander. Durch den kommunikativen Kontakt kennen sich die Bewohner eines Wohnblocks, einer Straße oder eines Stadtgebiets und wissen auch übereinander Bescheid. Dadurch entsteht ein Vertrauensverhältnis zwischen den Nachbarn, durch das der Einzelne in die nachbarschaftliche Gemeinschaft integriert ist und aufgrund dessen die Bürger aufeinander Acht geben und sich gegenseitig helfen. 378 Einer gesunden Integration in die Nachbarschaft wird eine positive Wirkung auf die Kriminalitätsverhütung zugeschrieben. 379 Sind die nachbarschaftlichen Beziehungen intakt, werden z. B. fremde, verdächtige Personen bemerkt und können so nicht ungestört einen Einbruch begehen. Oder die Bewohner halten sich auch noch abends auf den Straßen in ihrem Wohnviertel auf, wodurch die Straßen belebt sind und Überfälle auf Passanten nicht stattfinden. Wenn bei einer sozialen Desorganisation diese nachbarschaftliche Integration schwindet, hat das allerdings nicht nur Auswirkungen auf die Kriminalität, sondern vor allem auch auf das Sicherheitsgefühl. So sinkt beispielsweise bei einer defizitären Integration des Einzelnen in seine Nachbarschaft dessen Hoffnung, bei einem Überfall Hilfe von seinen Nachbarn erwarten zu können, sei es, dass sie 376

Vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 117 f.; ders., in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1411 ff.). 377 Skogan / Maxfield, Coping with Crime, S. 98: „Neighborhood Integration“; Hess, KritJ 1999, 32 (43 ff.). Empirisch zur Bedeutung der sozialen Integration in der Gemeinde für das Sicherheitsgefühl Burgheim / Sterbling, Kriminalistik 2003, 437 (441). 378 Dieses Netz ist in größeren Wohneinheiten schwächer als in kleinen, weshalb in jenen die Bewohner größere Furchtwerte aufweisen, vgl. Smith, in: Evans / Herbert (Hrsg.), The geography of crime, S. 193 (203); s. a. Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (14). 379 Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (16).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

selbst tätig werden, sei es, dass sie für ihn Hilfe holen. 380 Als Folge dessen schätzt der Einzelne seine Copingfähigkeiten geringer ein und seine Furcht steigt. 381 b) Verlust der informellen sozialen Kontrolle Negative Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl wird auch der zweiten Folge sozialer Desorganisation, dem Verlust informeller sozialer Kontrolle, 382 zugeschrieben. 383 Soziale Kontrolle bezeichnet jene Prozesse und Mechanismen, mit deren Hilfe eine Gesellschaft versucht, ihre Mitglieder dazu zu bringen, sich so zu verhalten, dass ihr Verhalten den innerhalb der Gesellschaft vorherrschenden Vorstellungen entspricht. 384 Im Gegensatz zur formellen sozialen Kontrolle, d. h. der Kontrolle durch staatliche Institutionen wie etwa die Polizei, werden unter der informellen sozialen Kontrolle die durch die Bürger selbst ausgeübten Mechanismen verstanden. 385 Diese informellen Kontrollmechanismen können dabei von Familienangehörigen und Verwandten, von Freunden oder auch durch die Nachbarschaft ausgeübt werden. 386 Bei der informellen sozialen Kontrolle erfolgt die Durchsetzung erwünschter Verhaltensweisen also durch Instanzen, die nicht eigens zur Verhaltenskontrolle eingerichtet sind. 387 Wie der nachbarschaftlichen Integration wird auch der informellen sozialen Kontrolle zunächst ein positiver Einfluss auf die Kriminalität zugeschrieben. Die informelle soziale Kontrolle hält den potentiellen Täter davon ab, sich delinquent zu verhalten. 388 Daneben werden ihr aber auch Auswirkungen auf das Sicherheits380

Hess, KritJ 1999, 32 (43); Hirtenlehner, MschKrim 2006, 1 (18). Skogan / Maxfield, Coping with Crime, S. 100. Dabei ist nicht nur die objektive Integration in die Gesellschaft von Bedeutung, sondern es ist auch wichtig, ob der Einzelne sich als Teil der Gemeinschaft fühlt, vgl. Burgheim / Sterbling, Kriminalistik 2003, 437 (441): Wer mit seiner sozialen Integration zufrieden ist, fühlt sich tendenziell sicherer. 382 Zur informellen sozialen Kontrolle ausführlicher Lewis / Salem, Fear of Crime, S. 11 ff.; Skogan / Maxfield, Coping with Crime, S. 98 ff.; Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 113 ff. 383 Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121 (125 ff.). Ob das tatsächlich so ist, ist heftig umstritten. Kritisch etwa Lewis / Salem, Fear of Crime, S. 11; dies., Crime and Delinquency 27 (1981), 405 (414 ff.); Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 114; Kube, Der Bürger im Staat 1/2003, 65 (66); Hirtenlehner, MschrKrim 2008, 112 (125). 384 Hess, in: Kerner / Göppinger / Strang (Hrsg.), Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht: Festschrift für Heinz Leferenz, S. 3 (9 f.); s. a. Box, Deviance, Reality and Society, S. 121 ff. 385 Kaiser, Kriminologie, § 28 Rn. 4; Hess, in: Kerner / Göppinger / Strang (Hrsg.), Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht: Festschrift für Heinz Leferenz, S. 3 (13). 386 Hess, in: Kerner / Göppinger / Strang (Hrsg.), Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht: Festschrift für Heinz Leferenz, S. 3 (12); Becker, Informelle soziale Kontrolle, S. 1. 387 Hess, in: Kerner / Göppinger / Strang (Hrsg.), Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht: Festschrift für Heinz Leferenz, S. 3 (12). 381

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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gefühl zugeschrieben. 389 Gingen die informellen Kontrollmechanismen aufgrund sozialer Desorganisation verloren, so führe das – so die Befürworter der These vom negativen Einfluss des Verlusts der informellen sozialen Kontrolle auf das Sicherheitsgefühl – zu einer sozialen Irritation der Bürger. Der durch informelle soziale Kontrolle geschaffene und bewahrte Wertekanon gehe verloren und die Fähigkeit, im Falle von Irritationen innerhalb der Gemeinschaft einen Konsens herzustellen, sinke. 390 Dadurch würden die tagtäglichen Konfliktsituationen für den Einzelnen undurchschaubar und wirkten bedrohlich. 391 Der Einzelne schätze deshalb seine Copingfähigkeiten als geringer ein und fürchte sich mehr. c) Wahrnehmung von Verfall und Unordnung („signs of incivility“) Die Einschätzungen des Einzelnen von seinem Risiko, seiner Vulnerabilität und seinen Copingfähigkeiten werden zudem durch die Wahrnehmung des allgemeinen sozialen Verfalls und der Unordnung – so genannte signs of incivility – beeinflusst. 392 Als Zeichen des sozialen Verfalls und der Unordnung werden „herumlungernde“ Jugendliche, Graffiti, Vandalismus in öffentlichen Verkehrsmitteln, leerstehende Läden und Gebäude, undisziplinierte Autofahrer 393 und Drogenkonsum in der Öffentlichkeit verstanden. 394 Dabei sind es oftmals offen 388

Ausführlich zur kriminalitätssenkenden Funktion der sozialen Kontrolle Kaiser, Kriminologie, § 28 Rn. 4 ff.; Kunz, Kriminologie, § 22 Rn. 2 ff.; für Jugenddelinquenz Becker, Informelle soziale Kontrolle. Zur Bedeutung der Stadtplanung für die soziale Kontrolle Schubert, in: ders. (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 109 (111 f.). 389 Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121 (125 f.), die auch darauf hinweisen, dass Furcht ihrerseits die informelle soziale Kontrolle beeinträchtigt, ebenda, S. 126. 390 Stangl, KrimJ 1996, 48 (54); Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121 (125 ff.); s. a. Becker / Boers / Kurz, in: Kube / Schneider / Stock (Hrsg.), Vereint gegen Kriminalität, S. 79 (101). 391 Reuband, in: Kaiser / Jehle (Hrsg.), Kriminologische Opferforschung, Bd. II, S. 37 (50); Mansel, Angst vor Gewalt, S. 23. 392 Hale, International Review of Victimology 4 (1996), 79 (115); Kasperzak, Stadtstruktur, Kriminalitätsbelastung und Verbrechensfurcht, S. 133; Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121 (126); Hess, KritJ 1999, 32 (43 ff.); Kube, Der Bürger im Staat 1/2003, 65 (67); Kury / Obergfell-Fuchs, Der Bürger im Staat 1/2003, 9 (13 f.); kritisch Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 113, 116 f., 336 f., der nur eine geringe Korrelation zwischen dem Verfall und der Kriminalitätsfurcht feststellen konnte, vgl. S. 336 f., ebenfalls kritisch Hirtenlehner, MschrKrim 2008, 112 (122). Grundlegend zu signs of incivility Hunter, Symbols of Incivility. Die Idee der signs of incivility ist Teil der „broken windows“-Theorie von Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121. Vgl. dazu Leiterer, „Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen?, S. 21 ff. 393 Undisziplinierte Autofahrer wurden in den Befragungen allerdings nur in Deutschland als Problem angesehen, vgl. Boers, Furcht vor Gewaltkriminalität, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1412.). 394 Vgl. Auflistung bei Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 116, Fn. 97; s. a. Lewis / Salem, Fear of Crime, S. 60; Stangl, KrimJ 1996, 48 (61).

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

durchgeführte – etwa der Drogenkonsum – oder offen sichtbare – etwa Spuren von Vandalismus – Rechtsbrüche, die zu den signs of incivility zählen. Daneben werden als Zeichen des sozialen Verfalls und der Unordnung aber auch Verhaltensweisen bezeichnet, die lediglich die „Ordnung“ stören und das „Anstandsgefühl“ der „Normalbürger“ verletzen. 395 Dazu werden etwa die sich in Fußgängerzonen aufhaltenden und teilweise Alkohol konsumierenden Punks sowie (aggressiv) bettelnde Personen gezählt. Diese Zeichen der Unordnung werden als ein allgemeiner Zustand der Normlosigkeit betrachtet. 396 Zugleich wird aufgrund dieser Zeichen der Normlosigkeit den staatlichen Institutionen die Fähigkeit abgesprochen, diese offensichtlichen Normverstöße wirksam zu sanktionieren und zu unterbinden. Der offensichtliche Rechtsbruch zerstört daher das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates und der Polizei zur Rechtsdurchsetzung. 397 Dieser Vertrauensverlust bewirkt zugleich auch beim Bürger, der die Erreichbarkeit obrigkeitlichen Schutzes mit in die Bewertung seiner Copingfähigkeiten einbezieht, eine geringere Einschätzung derselben und eine größere Kriminalitätsfurcht: „Wenn die Polizei schon nicht in der Lage ist, Graffiti, Vandalismus oder andere Formen des offenen Rechtsbruchs zu verhindern und zu ahnden, wie sollte sie mir dann in einer Gefahrensituation helfen können?“ 398 6. Unübersichtliche öffentliche Räume Ein weiterer furchtverursachender Faktor wird in der Unübersichtlichkeit der Bebauung und Gestaltung öffentlicher Räume gesehen. 399 Eine solche Unübersichtlichkeit kann als Folge verschiedener Besonderheiten einer Bebauung und Gestaltung öffentlicher Anlagen entstehen. So können etwa Straßen oder Parkanlagen aufgrund ihrer verwinkelten Bebauung nicht vom Passanten eingesehen werden oder die Bepflanzung von Grünanlagen bietet Versteckmöglichkeiten für potentielle Täter. 400 Ebenfalls zur Unübersichtlichkeit kann auch eine mangelhafte Beleuchtung und eine durch dunkle Anstriche verhinderte 395 Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 19 ff. Im Grunde also alles, was die Bewohner eines Viertels als Problem ansehen, vgl. Boers, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1412). 396 Boers, in: Heitmeyer / Hagen (Hrsg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, S. 1399 (1412); Becker / Boers / Kurz, in: Kube / Schneider / Stock (Hrsg.), Vereint gegen Kriminalität, S. 79 (92); Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 18 f. Auch den „signs of incivility“ werden – wie den anderen Unterfällen der sozialen Desorganisation – Auswirkungen auf die Kriminalität zugeschrieben, vgl. Wilson / Kelling, KrimJ 1996, 121 (128 f.). 397 Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 18. 398 Hirtenlehner, MschrKrim 2006, 1 (9); s. a. Skogan, Disorder and Decline, S. 48. 399 Kube, Der Bürger im Staat 1/2003, 65 (67); Kasperzak, Stadtstruktur, Kriminalitätsbelastung und Verbrechensfurcht, S. 121 ff.; Schnittger / Schubert, in: Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 33 (41 ff., 51 f).

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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Grundhelligkeit führen. 401 Hierbei geht es also nicht um die Zeichen des Verfalls im öffentlichen Raum, sondern schlicht um dessen Unübersichtlichkeit für den Einzelnen aufgrund der baulichen Gestaltung des Raums. Fehlt es einem öffentlichen Raum an Übersichtlichkeit und Einsehbarkeit, wird dieser schnell zu einem Angstraum. Kann der Passant nicht erkennen, wer ihm begegnen kann, weil es etwa zu dunkel ist, empfindet er sich als leichter verletzbar und in seinen Abwehr- und Vermeidungsmöglichkeiten eingeschränkt. Er schätzt damit seine Vulnerabilität größer und seine Copingfähigkeiten als geringer ein. 7. Diffuse Lebensängste Ein gewisser Einfluss auf die Entstehung von Kriminalitätsfurcht wird auch diffusen Lebensängsten und globalen Beunruhigungen über die Sicherheitslage auf nationaler und internationaler Ebene zugeschrieben. 402 Insbesondere die Sorge vor einem islamistischen Terroranschlag hat seit dem 11. September 2001 einen maßgeblichen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, obwohl für den Einzelnen die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines solchen Anschlags zu werden, äußerst gering ist. 403 Aber auch die allgemeine Wirtschaftslage – wirtschaftliches Wachstum oder Rezession verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit – hat Konsequenzen für das Sicherheitsgefühl. Zwar vermag der Bürger zwischen Kriminalität und anderen Unsicherheits- und Gefahrenlagen zu unterscheiden. 404 Jedoch wirken sich allgemeine Lebensängste wie die Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, Angst vor Terrorismus auch unterschwellig insbesondere auf die Einschätzung der Vulnerabilität aus. 405 Wen die Sorge um seinen Arbeitsplatz plagt, der schätzt auch die finanziellen Folgen von Kriminalität als schmerzvoller ein. In wirtschaftlich 400 Schnittger / Schubert, in: Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 33 (41, 51); Kube, Der Bürger im Staat 1/2003, 65 (67); Pohlmann-Rohr, in: Kube / Schneider / Stock (Hrsg.), Vereint gegen Kriminalität, S. 231 (237). 401 Kube, Der Bürger im Staat 1/2003, 65 (67); Kasperzak, Stadtstruktur, Kriminalitätsbelastung und Verbrechensfurcht, S. 130; Pohlmann-Rohr, in: Kube / Schneider / Stock (Hrsg.), Vereint gegen Kriminalität, S. 231 (237). 402 Kunz, MschrKrim 1983, 162, 166; Kerner, Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit, 137 ff., 199; Mansel, Angst vor Gewalt, S. 23; Reuband, Kaiser / Jehle (Hrsg.), Kriminologische Opferforschung, Bd. II, S. 37 (50); Hirtenlehner, MschrKrim 2008, 112 (125); weitere Hinweise bei Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 190; s. a 1. PSB 2001, S. 39. Dass diffuse Lebensängste einen solchen Einfluss auf die Ergebnisse von Befragungen zur Kriminalitätsfurcht haben, ist teilweise auch der Vorgehensweise der Befragungen, insbesondere den Fragestellungen geschuldet, welche deshalb oft kritisiert werden. Vgl. zur Kritik an der Fragestellung Boers, aaO., S. 43; Kerner, aaO., S. 191; s. a. Fattah / Sacco, Crime and Victimization of the Elderly, S. 207 ff.; Garofalo, Journal of Research in Crime and Delinquency 16 (1979), 80 (82). 403 Zu den Auswirkungen des Terrorismus auf das Sicherheitsgefühl vgl. Sterbling / Burgheim, Die Polizei 2003, 181 (181 ff.). 404 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 80, 191.

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2. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Staatsaufgabe

schwierigen Zeiten, geprägt von einer hohen Arbeitslosigkeit, ist das Sicherheitsgefühl geringer als in Zeiten, in denen die gesamtwirtschaftliche Lage „gut“ ist. Zudem besteht eine Wechselwirkung zwischen dem „großen“ Sicherheitsgefühl und dem „kleinen“, d. h. zwischen den Sorgen und Ängsten vor großen, globalen Gefahren (Krieg, Terror) und der Angst vor Kriminalität. Wer sich vor dem Terrorismus fürchtet, zeigt auch mehr Angst vor Kriminalität. 8. Zusammenfassung Abschließend lässt sich festhalten: Bei der Kriminalitätsfurcht werden die subjektiven, das Sicherheitsgefühl konstituierenden Faktoren (Einschätzung des Risikos, der Vulnerabilität und der Copingfähigkeiten) durch objektive Faktoren, insbesondere indirekte und medial vermittelte Opfererfahrungen und die Wahrnehmung von Verfall und Unordnung, in vielfältiger Weise beeinflusst. III. Zwischenergebnis Die objektive Sicherheitslage und das subjektive Sicherheitsgefühl sind demnach nicht deckungsgleich. Dort, wo ein Bürger sicher ist, fühlt er sich nicht zwingend sicher; dort, wo Sicherheit herrscht, herrscht nicht zwingend auch ein Gefühl von Sicherheit. Dies ist durch die Besonderheit des Sicherheitsgefühls bedingt. Die Entstehung von Unsicherheitsgefühlen zeigt: Beeinträchtigungen der objektiven Sicherheitslage und Beeinträchtigungen des subjektiven Sicherheitsgefühls beruhen auf unterschiedlichen Ursachen. Das Sicherheitsgefühl wird durch persönliche Einschätzungen geprägt, die ihrerseits zwar durch äußere Faktoren beeinflusst werden. Unter diesen äußeren Faktoren kommt der objektiven Sicherheitslage aber nur eine äußerst geringe Bedeutung zu. Maßgeblicher sind vielmehr andere Faktoren, zum einen die Kommunikation über Kriminalität und zum anderen Unordnung und Unübersichtlichkeit im öffentlichen Raum (Fremdartigkeit, Andersartigkeit, Normwidrigkeit). Für staatliche Maßnahmen, die darauf abzielen, das Sicherheitsgefühl zu stärken, bedeutet dies: Allein durch die Verbesserung der objektiven Sicherheit kann der Staat nicht auch zugleich das subjektive Sicherheitsgefühl stärken. Vielmehr sind andere Maßnahmen erforderlich als zum Schutz der objektiven Sicherheit. Der Staat muss nicht in erster Linie die Kriminalität senken, um das Sicherheitsgefühl zu verbessern, sondern er muss bei den oben genannten Faktoren der Kommunikation und der Unordnung ansetzen. Sicherheit und Sicherheitsgefühl sind etwas anderes, fordern vom Staat zu ihrer Erhaltung unterschiedliche Maßnahmen. 405 Boers, Kriminalitätsfurcht, S. 191. Vgl. auch Müller / Braun, Kriminalistik 1993, 623, 623 f.; s. a. Kerner, Der Bürger im Staat 1/2003, 4 (4 f.). Allerdings ist der Einfluss diffuser Lebensängste nicht so groß wie ursprünglich angenommen Reuband, MschKrim 2000, 185 (190 f.); Boers, NK 2/2001, 10 (12).

4. Kap.: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl

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C. Ergebnis: Das Verhältnis von Sicherheit und Sicherheitsgefühl Dieses Auseinanderfallen von objektiver Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitsgefühl hat für die Staatsaufgabe Sicherheit damit folgende Konsequenzen: Die aufgrund geänderter gesellschaftlicher Vorstellungen bedingte Ausweitung 406 der Staatsaufgabe Sicherheit ist bedeutsam. Die daraus folgende Verpflichtung des Staates, auch für das Sicherheitsgefühl der Bürger zu sorgen, hat eine eigenständige, von der Gewährleistung der objektiven Sicherheit losgelöste Bedeutung. Der Schutz des Sicherheitsgefühls ist ein eigenständiger Teilaspekt der aus der Staatsaufgabe Sicherheit resultierenden Verpflichtungen des Staates.

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S. o. 3. Kap. C.III.

3. Teil

Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe Die soeben getroffene Feststellung, dass der Schutz des Sicherheitsgefühls ein eigenständiger Teilaspekt der Staatsaufgabe Sicherheit ist und dass sich der Staat daher mit dem Sicherheitsgefühl zu befassen hat, besagt noch nichts darüber, ob sich die Polizei mit dem Sicherheitsgefühl befassen muss, oder auch nur, ob sie es darf. Denn die Anerkennung einer Aufgabe als Staatsaufgabe nimmt zunächst den Staat als Gesamtheit in die Pflicht. „Staatsaufgabe“ besagt nur, dass der Staat etwas tun muss. 1 Die Kategorie Staatsaufgabe sagt aber nichts darüber aus, wer innerhalb des Staates diese erfüllen muss und welcher Institution sich der Staat bedienen kann, um der Verpflichtung, die sich aus der Staatsaufgabe ergibt, nachzukommen. Staatsaufgaben binden grundsätzlich alle Staatsgewalt, richten sich also an alle staatlichen Akteure. 2 Sie müssen bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben immer auch die sich aus den Staatsaufgaben ergebenden Verpflichtungen im Auge behalten. Faktisch richten sich die Staatsaufgaben allerdings zunächst an den Gesetzgeber, der dann Rechtsnormen schafft, die die Erfüllung der Staatsaufgabe einer bestimmten staatlichen Stelle auferlegen. 3 Der Gesetzgeber schafft ihr dafür Aufgaben- und – wenn nötig – Befugnisnormen. 4 Es ist also der Gesetzgeber, der einer staatlichen Behörde die Erfüllung einer Staatsaufgabe auferlegt und der auch den Umfang und die Art und Weise ihrer Aufgabenerfüllung regelt. Für die Staatsaufgabe Sicherheitsgefühl bedeutet das: Die Polizei ist – als handelnder Akteur des Staates – für den Schutz des Sicherheitsgefühls nur dann zuständig, wenn ihr diese Aufgabe vom Gesetzgeber übertragen wurde und ihr für die Erfüllung die notwendigen Befugnisse eingeräumt wurden. Dabei ist zu be1

S.o. 2. Kap. A.III. Bull, Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 122 ff., 126 ff. 3 Oder auch Privaten. Zur Erfüllung von Staatsaufgaben durch private Kräfte s. o. 3. Kap. A. 4 Dabei ist zu beachten, dass die Staatsaufgaben dem Staat zwar die Erfüllung bestimmter Aufgaben auferlegen, die zur Erfüllung notwenigen Befugnisse dafür räumen sie dem Staat nicht ein. Die zur Ausführung von Staatsaufgaben notwendigen Maßnahmen erfordern – zumindest sofern sie in Grundrechte eingreifen – gesetzliche Befugnisnormen. Vgl. dazu auch Isensee, HStR III, § 57, Rn. 141. 2

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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denken, dass die objektive Sicherheit und das subjektive Sicherheitsgefühl nicht identisch sind. Ihre Beeinträchtigungen haben verschiedene Ursachen und die Reaktionen der Polizei sind ebenfalls unterschiedlicher Art. Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit bedingen keinen Zuwachs an Sicherheitsgefühl. Zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls sind vielmehr andere Maßnahmen erforderlich. Damit sich der Staat zur Erfüllung seiner sich aus der Staatsaufgabe Sicherheit ergebenden Verpflichtung zum Schutz des Sicherheitsgefühls der Polizei bedienen kann, muss der Schutz des Sicherheitsgefühls eine Aufgabe der Polizei sein und die Polizei muss über die zur Erfüllung erforderlichen Befugnisse verfügen. Die entscheidende Frage ist demnach, ob es eine polizeiliche Aufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ gibt. Welche polizeilichen Aufgaben gibt es grundsätzlich? Die Aufgaben staatlicher Behörden ergeben sich vornehmlich aus Rechtsnormen. Sie können aber auch anderen Quellen – dem ungeschriebenen Recht – entstammen. Bei der Suche nach den Aufgaben der Polizei lässt sich daher zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Aufgaben unterscheiden.

5. Kapitel

Der Schutz des Sicherheitsgefühls aus den geschriebenen Aufgaben der Polizei Das geschriebene Recht weist der Polizei zwei grundsätzliche Aufgaben zu: Sie hat die Aufgabe, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aufzuklären und zu verfolgen, und die Aufgabe, Gefahren abzuwehren. Die Aufgabe der Polizei zur Strafverfolgung findet ihre Rechtsgrundlage in § 163 Abs. 1 StPO (eigenständige Erforschung von Straftaten durch die Polizei) und in § 161 Abs. 1 StPO (polizeiliche Ermittlungen im Rahmen staatsanwaltlicher Erforschungen von Straftaten); die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten in § 53 OWiG (Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten durch die Polizei). Die Aufgabe der Gefahrenabwehr ist der Polizei durch die Polizeigesetze der Länder übertragen; in NRW findet sich diese Aufgabe in § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW. Weitere Aufgabe der Polizei neben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung ist die Vollzugs- und Amtshilfe. Kann eine Verwaltungsbehörde ihre Maßnahmen nicht selbst durchsetzen, so leistet die Polizei ihr Vollzugshilfe (§§ 47 ff. PolG NRW). Dabei ist die Vollzugshilfe nach § 47 Abs. 1 PolG NRW auf den unmittelbaren Zwang beschränkt. 5 Über die Leistung von unmittelbarem Zwang hinaus ist die Polizei zudem auch zur Amtshilfe verpflichtet (§ 4 Abs. 1 VwVfG NRW, Art. 35 Abs. 1 GG). Bei der Amtshilfe handelt es sich um die Unterstützung ei-

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

ner anderen Behörde bei deren Erfüllung von öffentlichen Aufgaben. Sie besteht typischerweise in der Überlassung von Personal- und Sachmitteln oder in der Übermittlung von Informationen. 6 Daneben hat die Polizei alle Aufgaben zu erfüllen, die ihr durch Rechtsvorschriften zugewiesen sind (vgl. § 1 Abs. 4 PolG NRW). Diese speziellen Aufgaben der Polizei finden sich vor allem im Straßenverkehrs- und im Versammlungsrecht sowie im Bereich des Waffen-, Munitions- und Sprengstoffwesens. 7

A. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als eigenständige Aufgabe der Polizei Eine eigenständige polizeiliche Aufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ findet sich im geschriebenen Recht nicht. Es gibt keine Rechtsnorm, die der Polizei den Schutz des Sicherheitsgefühls auferlegt. Der Schutz des Sicherheitsgefühls kann demnach nur dann eine geschriebene Aufgabe der Polizei sein, wenn er sich unter die Aufgaben- und Befugnisnormen der Gefahrenabwehr, der Strafverfolgung oder der anderen gesetzlichen Aufgaben der Polizei subsumieren lässt.

B. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Teil der Polizeiaufgabe Gefahrenabwehr Das Gefahrenabwehrrecht setzt als Voraussetzung für ein Tätigwerden der Polizei regelmäßig eine Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut voraus. Das Gefahrenabwehrrecht kennt zwei Schutzgüter: die öffentliche Sicherheit (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1, § 8 PolG NRW; § 1 Abs. 1, § 14 OBG NRW) und die öffentliche Ordnung (vgl. § 1 Abs. 1, § 14 OBG NRW).

5 Dies gilt auch für einige andere Bundesländer, nicht aber für alle. Ausführlich zu der unterschiedlichen Rechtslage Denninger, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 218 ff. 6 Vgl. zur Amtshilfe allgemein auch Schlink, Die Amtshilfe. Ausführlich zur Übermittlung von Informationen Denninger, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 226 ff. 7 Vgl. §§ 36, 44 Abs. 2 StVO; § 35 Abs. 5 WaffG; §§ 9 Abs. 2, 12, 12a, 13, 18 Abs. 3, 19 Abs. 4, 19a VersG.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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I. Das Sicherheitsgefühl als Teil des Schutzgutes öffentliche Sicherheit 1. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit Klassische Aufgabe der (rechtsstaatlichen) 8 Polizei ist es, Gefahren für die öffentliche Sicherheit 9 abzuwehren. Dies legte schon § 10 Teil II Titel 17 des PrALR von 1794 fest: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“

Dem traditionellen Kerngedanken der staatlichen Sicherheitsaufgabe entsprechend wurde dabei unter „öffentlicher Sicherheit“ zunächst der Schutz der elementaren Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit verstanden. 10 Die Begründung des § 14 PrPVG vom 31. 6. 1931 schrieb den Begriff der öffentlichen Sicherheit fest, den das PrOVG in seiner jahrelangen Rechtsprechung zu § 10 Titel 17 Teil II Titel 17 des PrALR herausgearbeitet hatte: „Als Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 14 gilt der Schutz vor Schäden, die entweder den Bestand des Staates oder seiner Einrichtungen oder das Leben, die Gesundheit, Freiheit, Ehre oder das Vermögen des einzelnen bedrohen, sei es, dass die Gefährdung ausgeht a) von Ereignissen oder Zuständen in der belebten oder unbelebten Natur, b) von Handlungen oder Unterlassungen von Menschen, insbesondere von dem Bruch einer Norm der öffentlichen oder privaten Rechtsordnung [...]“ 11

Nach dieser Begründung zu § 14 PrPVG zerfällt das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit in zwei Teilkomplexe: den Schutz der Individualrechtsgüter respektive 8 Auf das Polizeiverständnis des Absolutismus, nach dem die Hauptaufgabe der Polizei in der Wohlfahrtspflege bestand, soll hier nicht eingegangen werden; vgl. zur wohlfahrtsstaatlichen Polizei Justi, Natur und Wesen der Staaten; s. a. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Erster Band 1600 –1800, S. 370 ff.; zur Abkehr von der wohlfahrtsstaatlichen Polizei und zum Übergang zur Gefahrenabwehr Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 84 ff. m.w. N. 9 Für die Bewertung polizeilicher Maßnahmen zur Verbessung des Sicherheitsgefühls ist indes nicht der – für Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Staatsaufgabe Sicherheit herangezogene – weitere soziologische Sicherheitsbegriff maßgeblich, sondern der juristische, der Sicherheitsbegriff der entsprechenden Aufgaben- und Befugnisnormen. 10 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 120. Zur historischen Entwicklung der staatlichen Sicherheitsaufgabe Herzog, in: HStR III, § 58, Rn. 26; Link, VVDStRL 48 (1990), S. 7 (27); zur historischen Entwicklung der Polizeiaufgaben Boldt / Stolleis, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. A 1 ff. 11 Siehe Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 232.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

den Schutz des Lebens, der Gesundheit und des Vermögens des Einzelnen, und in den Schutz des Staates und seiner Einrichtungen. Die Rechtsordnung war bei § 14 PrPVG noch nicht eigenes Schutzgut der öffentlichen Sicherheit, sondern deren Bruch war nur eine Möglichkeit, wie es zu Gefahren für die Schutzgüter des Staates oder des Einzelnen kommen konnte. Erst die zunehmende „Verrechtlichung“ aller Lebensverhältnisse hat aus dem „Duo“ der Schutzgüter eine Schutzguttrias werden lassen. 12 Die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung wurde als eigenständiges Schutzgut aufgenommen. Nach der Legaldefinition, die sich in den Polizeigesetzen der Länder Bremen 13, Sachsen-Anhalt 14 und Thüringen 15 findet, ist also öffentliche Sicherheit: „die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt“.

Die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind demnach folgende: a) Die Rechtsgüter des Einzelnen Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist zunächst der Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen. Geschützt werden Güter des Einzelnen wie Leben, Gesundheit, Eigentum, Freiheit, Menschenwürde, Ehre und auch das private Vermögen sowie immaterielle Rechte. 16 Allerdings sind dabei zwei Einschränkungen zu machen: Zum einen ist nicht jedes Gut auch ein Rechtsgut. Um zu einem Rechtsgut zu werden, muss ein Gut von der Rechtsordnung anerkannt werden. 17 Zum anderen werden die Rechtsgüter des Einzelnen nur dann geschützt, wenn an ihnen ein öffentliches Interesse besteht. 18 Ein öffentliches Interesse am Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen besteht immer dann, wenn der Einzelne als Repräsentant der Allgemeinheit gefährdet ist. 19 Dies entspricht schon der Rechtsprechung des PrOVG: Der einzelne Bürger profitiert vom polizeilichen Schutz nur als Repräsentant der Gesellschaft, also im Wege eines „Reflexes“. 20 Der Einzelne wird immer dann als

12 Schoch, JuS 1994, 570 (572); Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 125. 13 § 2 Nr. 2 BremPolG. 14 § 3 Nr. 1 SOG LSA. 15 § 54 ThürOBG. 16 Gusy, Polizeirecht, Rn. 84; Denninger, in Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 28. 17 Gusy, Polizeirecht, Rn. 80. 18 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 56; Wagner, Kommentar zum Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen und zum Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder, § 1, Rn. 50. 19 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 56.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Repräsentant der Allgemeinheit geschützt, wenn der Schutz seiner Rechte dem Staat überantwortet ist. 21 Schutzgut der öffentlichen Sicherheit sind daher zunächst die rechtlich anerkannten Rechtsgüter des Einzelnen. b) Der Schutz des Staates und seiner Einrichtungen Weiteres polizeiliches Schutzgut ist der Schutz des Staates und seiner Einrichtungen. Es zählen dazu der Bestand des Staates sowie der Bestand und die Funktionsfähigkeit seiner Einrichtungen. Zur Bestimmung dessen, was unter dem Bestand des Staates zu verstehen ist, wird regelmäßig auf den Tatbestand des § 92 Abs. 1 StGB aus den strafrechtlichen Staatsschutznormen zurückgegriffen. Danach ist der Bestand der Bundesrepublik beeinträchtigt bei der Aufhebung der Freiheit von fremder Botmäßigkeit, der Beseitigung ihrer staatlichen Einheit oder der Abtrennung eines zu ihr gehörigen Gebiets. Der Bestand des Staates ist also die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit der Bundesrepublik. 22 Zum Schutzgut gehören auch die staatlichen Einrichtungen. Darunter sind sämtliche vom Staat oder anderen Hoheitsträgern unterhaltene Behörden, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen zu verstehen. 23 Der Schutz dieser Einrichtungen besteht zunächst in der Erhaltung ihres Bestands. Daneben – und das ist in der Praxis weitaus bedeutender – umfasst er auch den Schutz der Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen. Gemeint ist der Schutz vor Behinderung des Betriebsablaufs und sonstigen Funktionsstörungen. 24 Als Schutzgut „Bestand des Staates und Funktionsfähigkeit seiner Einrichtungen“ werden demnach staatliche Rechtsgüter geschützt. 25 20

PrOVGE 4, 405 (411 f.); 14, 378 (381 f.); 51, 302 f.; weitere Nachweise bei Wulfenhorst, Der Schutz „überdurchschnittlich empfindlicher“ Rechtsgüter im Polizei- und Umweltrecht, S. 65, Fn. 19. 21 Gusy, Polizeirecht, Rn. 81. 22 Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 34. 23 Weitere Beispiele für solche Einrichtungen bei Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizeiund Ordnungsrecht, § 8 Rn. 34. 24 Erfasst werden nur Formen der rechtswidrigen Beeinträchtigung der Funktions- und Betriebsabläufe. Das Kriterium der Rechtswidrigkeit ist erforderlich, weil Beeinträchtigungen auch rechtmäßig – d. h. gesetzlich gerechtfertigt – sein können. So kann beispielsweise durch Demonstrationen geäußerte öffentliche Kritik an der Tätigkeit einer staatlichen Einrichtung zu einer Funktionsbeeinträchtigung führen; diese ist aber durch die Grundrechte aus Art. 5 und Art. 8 GG gestattet. Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 89; zum Kriterium der Rechtswidrigkeit siehe auch Olivet, Der verantwortungsbezogene Rechtswidrigkeitsbegriff im öffentlichen und bürgerlichen Recht, S. 16 ff., 32 ff. und passim. 25 Allerdings ist der Schutz der staatlichen Rechtsgüter nicht allein der Polizei überantwortet, sondern vielfach sind primär andere Hoheitsträger zuständig. So ist beispielsweise

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

c) Die Rechtsordnung Das jüngste, durch die zunehmende Verrechtlichung – zumindest für durch menschliche Handlungen hervorgerufene Gefahren – in der Praxis bedeutendste Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist die Unversehrtheit der Rechtsordnung. Das Schutzgut Rechtsordnung erfasst das geschriebene Recht: beginnend mit der Verfassung, über Gesetze bis hin zu Satzungen und Rechtsverordnungen. Für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist die Bedeutung des Grundgesetzes eher gering; die größte Bedeutung unter den grundgesetzlichen Vorschriften kommt wohl denen der Grundrechte zu. 26 Wesentlich mehr Relevanz haben die einfachgesetzlichen Vorschriften. Allerdings erfährt das Schutzgut Rechtsordnung eine Beschränkung hinsichtlich der Rechtsbereiche, denen die Normen entstammen. Zum Schutzgut Rechtsordnung zählen nur alle Normen des öffentlichen Rechts, insbesondere Vorschriften des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. 27 Zivilrechtliche Vorschriften hingegen unterfallen nicht dem Schutzgut Rechtsordnung. 28 Denn polizeiliches Schutzgut ist nicht die Sicherheit, sondern die öffentliche Sicherheit. Die Sicherheit ist nur dann eine öffentliche, wenn an deren Erhaltung ein öffentliches Interesse besteht. 29 Dieses öffentliche Interesse am Schutz eines Rechtsgut zeichnet sich – wie schon bei den Rechtsgütern des Einzelnen erwähnt 30 – dadurch aus, dass der Schutz dem Staat obliegt. Für die Frage, welche Bereiche der Rechtsordnung zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zählen, hat das folgende Bedeutung: Nur Normen des öffentlichen Rechts überantworten den Schutz von Rechtsgütern dem Staat. Im Zivilrecht ist dies anders. Der Staat hat mit den Zivilgerichten Einrichtungen geschaffen, derer sich der Bürger zum Schutz seiner privatrechtlichen Rechte bedienen kann. 31 Bei den zivilrechtlichen Vorschriften obliegt es demnach dem Bürger, für die Wahrung seiner Rechte zu sorgen. Ein öffentliches Interesse an der Einhaltung zivilrechtlicher Vorschriften besteht nicht. 32 Dass es kein polizeiliches Schutzgut „die gesamte Rechtsordnung“ gibt, folgt auch aus dem Sinn und Zweck des Schutzes der Rechtsordnung. Bei dem Schutz bei Ordnungsstörungen in staatlichen Behörden für die Ausübung des Hausrechts der Behördenleiter, bei Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung für das Verbot einer Partei das Bundesverfassungsgericht zuständig. Dies bedeutet aber keine Einschränkung des Schutzguts der öffentlichen Sicherheit – und damit der Aufgaben der Polizei –, sondern ist lediglich eine Frage der innerstaatlichen Zuständigkeitsverteilung. 26 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8, Rn. 17. 27 Denninger, in Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 17. 28 Gusy, Polizeirecht, Rn. 81. 29 S.o. 5. Kap. B.I.1.a). 30 S.o. 5. Kap. B.I.1.a). 31 Dabei stehen dem Bürger in dringenden Fällen auch die Instrumente des vorläufigen Rechtsschutzes wie Arrest nach §§ 916 ff. ZPO und einstweilige Verfügung nach §§ 935 ff. ZPO offen.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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der Rechtsordnung geht es nicht darum, die mit dem Rechtsbruch verbundene „Negation des Staatswillens“ 33 als solche zu verhindern, sondern allein um den Schutz der hinter der Rechtsordnung stehenden Rechtsgüter. Der Schutz der Rechtsgüter durch die öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen erfolgt dabei in zweierlei Weise: Einige öffentlich-rechtliche Rechtsnormen verbieten bestimmte Verhaltensweisen, von denen sich erwiesen hat, dass sie eine (konkrete) Gefahr für ein Rechtsgut darstellen. Der Bruch der Rechtsordnung ist dann identisch mit der Verletzung des geschützten Rechtsguts. Dies ist z. B. bei vielen Normen des Strafrechts der Fall. 34 In der Verwirklichung des Straftatbestandes einer Körperverletzung i. S. d. § 223 StGB liegt immer auch eine Gefährdung des Individualrechtsguts Gesundheit. Daneben werden in anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften Verhaltensweisen sanktioniert, die zwar nicht immer, aber in einer nicht (mehr) hinnehmbaren Vielzahl von Fällen zu einer Gefährdung von Rechtsgütern führen; Verhaltensweisen, die also abstrakt gefährlich sind. 35 So untersagt beispielsweise § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO das Halten und Parken vor Grundstücksein- bzw. -ausfahrten, weil sich erwiesen hat, dass dies zu einer Beeinträchtigung der Rechte des Grundstücksbesitzers – er kann sein Auto nicht vom Grundstück fahren – führen kann. Das Schutzgut öffentliche Sicherheit ist dann betroffen, unabhängig davon, ob der Eigentümer und Besitzer des zugeparkten Grundstücks dieses gerade verlassen will oder nicht. Es genügt, dass der Gesetzgeber diese Verhaltensweise als abstrakt gefährlich eingestuft hat. 36 Aus diesen Überlegungen zum Schutz der Rechtsordnung folgt damit: Es werden nur die öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen der Rechtsordnung geschützt und 32 Andere halten die Zivilrechtsordnung zwar für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit, deren Bedeutung für das Polizeirecht aufgrund der Subsidiaritätsklausel aber für begrenzt, vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8, Rn. 16; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 58. 33 Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 236. 34 Dies gilt nicht nur für die Rechtsgüter des Einzelnen, sondern auch für die Rechtsgüter des Staates. Viele Aspekte der Funktionsfähigkeit des Staates werden auch durch die Rechtsordnung – insbesondere durch die Staatsschutzvorschriften der §§ 81 ff. StGB sowie die Vorschriften über den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte §§ 113, 114 StGB – geschützt. Vor allem dem Rechtsgut „Bestand des Bundes“ wird neben §§ 81 ff. StGB keine eigenständige Bedeutung mehr zukommen, zumal das Staatsschutzstrafrecht auch Vorbereitungshandlungen (vgl. §§ 83, 81 Abs. 1, 82 Abs. 1 StGB) mitumfasst. Dies wird umso mehr deutlich, als zur Definition des Begriffs „Bestand des Staates“ regelmäßig auf den Tatbestand des § 92 Abs. 1 StGB zurückgegriffen wird. Vgl. Denninger, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 20. Anders Drews / Wacke / Martens / Vogel, Gefahrenabwehr, S. 233, der den Begriff „Bestand des Staates“ weiter als in § 92 Abs. 1 StGB fassen will. 35 Denninger führt in diesem Zusammenhang §§ 22 Abs. 1 Nr. 4, 24 BImSchG an, ders., in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 19. 36 Denninger, in Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 19 empfiehlt in den Fällen, in denen zwar die Rechtordnung, aber kein Rechtsgut betroffen ist, eine Korrektur mittels des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

diese werden nicht um ihrer selbst willen geschützt, sondern nur zum Schutz der hinter ihnen stehenden und von ihnen geschützten Rechtsgüter. Im Ergebnis bedeutet damit auch der Schutz der Rechtsordnung einen Schutz von Rechtsgütern. d) Öffentliche Sicherheit als Rechtsgüterschutz Der Schutz der öffentlichen Sicherheit ist damit insgesamt als Rechtsgüterschutz konzipiert. 37 Diese Ausgestaltung der polizeilichen Aufgabe als Rechtsgüterschutz entspricht auch dem traditionellen Kerngedanken der Staatsaufgabe Sicherheit: dem Schutz elementarer Rechtsgüter. 38 Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind demnach allein 39 Rechtsgüter. Deren Schutz erfolgt dabei in zweierlei Weise: entweder direkt durch den Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen und des Staates oder mittelbar über den Schutz der ihrerseits Rechtsgüter schützenden (öffentlichrechtlichen Vorschriften der) Rechtsordnung. Für die Frage, ob der Schutz des Sicherheitsgefühls eine Aufgabe der Polizei ist, bedeutet dies Folgendes: Das Sicherheitsgefühl ist nur geschützt, wenn es sich um ein von der Rechtsordnung als schützenswert anerkanntes Gut, mithin ein Rechtsgut, handelt. Der Schutz des Gutes Sicherheitsgefühl muss dem Staat von der Rechtsordnung überantwortet sein. 2. Das Sicherheitsgefühl als eigenständiges Rechtsgut Zunächst lässt sich fragen, ob es ein eigenständiges Rechtsgut Sicherheitsgefühl gibt, so dass der Schutz des Sicherheitsgefühls polizeiliche Aufgabe wird. Um ein Rechtsgut zu sein, muss das Sicherheitsgefühl rechtlich anerkannt sein. Das Sicherheitsgefühl ist vornehmlich ein Begriff des politischen Sprachgebrauchs. So taucht das Sicherheitsgefühl in einigen Parteiprogrammen unterschiedlicher politischer Parteien auf. Vor allem die Christlich Demokratische Union (CDU) scheint sich des Sicherheitsgefühls anzunehmen und wirbt geradezu damit, dieses – im Gegensatz zu anderen Parteien, vornehmlich der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und den Grünen, – auch zum Handlungsmaßstab ihrer (Sicherheits-) Politik zu machen. 40 Auch findet sich das 37

Gusy, Polizeirecht, Rn. 80; ders., DÖV 1996, 573 (577 f.); Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 120. 38 Zur Staatsaufgabe Sicherheit s. o. 2. Kap. B.I.2.c). 39 A. A. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 121; Kirchhof, DÖV 1976, 449 (451); Erichsen, VVDStRL 35 (1977), S. 171 (187), die auch den Schutz der Rechtsordnung selbst als Polizeiaufgabe begreifen. Differenzierter Denninger, in Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 19, der zwar neben den Rechtsgütern die Rechtsordnung als Schutzgut ansieht, dort aber ggf. Korrekturen über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vornehmen will; s. o. Fn. 36.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Sicherheitsgefühl vermehrt in den Gesetzesbegründungen zu Gesetzen im Bereich der Gefahrenabwehr. So wurden beispielsweise in dem nordrhein-westfälischen „Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes und Ordnungsbehördengesetzes vom 8. Juli 2003“ 41 die Änderungen bei der Vorschrift über die Videoüberwachung mit der Bedeutung für das Sicherheitsgefühl begründet, zu dessen Verbesserung die Videoüberwachung beitragen könne. 42 Außerdem verwendet die Europäische Union im Wiener Aktionsplan 43 – einem Paket von geplanten Rechtsetzungsmaßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit – den Begriff des Sicherheitsgefühls: Im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sollen „sich die Menschen völlig sicher fühlen“. 44 Es lassen sich aber keine Normen finden, in denen das Sicherheitsgefühl ausdrücklich niedergeschrieben ist. Das Sicherheitsgefühl ist also nicht (als eigenständiges Rechtsgut) rechtlich anerkannt. Es ist kein eigenständiges Rechtsgut und damit kein polizeiliches Schutzgut. 45 3. Das Sicherheitsgefühl als Teil eines eigenständigen Rechtsguts „Sicherheit“ Der Schutz des Sicherheitsgefühls wird nicht dadurch zu einer polizeilichen Aufgabe, dass es als ein Teil eines eigenständigen Rechtsguts Sicherheit angesehen wird. Grundlegende Voraussetzung dafür wäre nämlich, dass Sicherheit überhaupt ein eigenständiges Rechtsgut ist. Daran fehlt es bereits. Sicherheit ist kein eigenständiges Rechtsgut, sondern lediglich ein Verweisungsbegriff. 46 Si40 Landespolitische Ebene: Landesverband Schleswig-Holstein, Beschluss des Landesausschusses vom 16. 03. 2002. vgl. auch Frank Henkel über das „Aktionsprogramm Innere Sicherheit“ der Berliner CDU-Fraktion, Parlament im Blick, Ausgabe Oktober 2004, S. 2. Aus der Vielzahl der Programme auf kommunaler Ebene siehe beispielhaft nur den Beschluss des 84. Kreisparteitags der Düsseldorfer CDU. Schon als Ausnahme auf kommunalpolitischer Ebene muss der damalige CDU-Kandidat Adolf Sauerland bei der Oberbürgermeisterwahl in Duisburg gelten, für den „nicht das Sicherheitsgefühl unserer Bürger, sondern die tatsächlich vorhandene Sicherheit“ entscheidend ist; vgl. Wahlprogramm zur Kommunalwahl 2004, S. 13. 41 GVBl. NRW S. 410. 42 LT-Drs. 13/2854, S. 54. Vgl. auch Stellungnahme der ständigen Konferenz der Innenminister vom Mai 2000, 161. Sitzung, Beschluss Nr. 23 vom 5. 5. 2000: „Durch den offenen Einsatz der Videotechnik [...] [kann] das Sicherheitsgefühl verbessert werden“. 43 Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. C 19 vom 23. Januar 1999, S. 1. 44 Ebenda, Paragraph 9. 45 So i. E. auch Leiterer, „Zero Tolerance“ gegen soziale Randgruppen?, S. 182. 46 Gusy, Polizeirecht, Rn 80; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 22: „‚Sicherheit‘ ist ein Blankettbegriff, offen für unterschiedliche Schutzobjekte“; ders., in: Müller / Rhinow / Schmid / Wildhuber, Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel – Festschrift für Eichenberger, S. 23 (34); Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

cherheit beschreibt den Zustand, in dem sich Rechtsgüter befinden. 47 Sie sind entweder sicher oder sie sind gefährdet. Sicherheit bedeutet damit nichts anderes, als dass ein Rechtsgut „frei von Gefahr“ ist. Damit ist Sicherheit das Ergebnis des Schutzes verschiedener Rechtsgüter und nicht das Rechtsgut selbst. 48 Zudem fehlt auch dem Gut Sicherheit die für die Eigenschaft als eigenständiges Rechtsgut erforderliche Anerkennung durch die Rechtsordnung. So schützt das einfache Recht nicht „die Sicherheit“, sondern es finden sich nur einfachgesetzliche Rechtsnormen, in denen die Sicherheit von jemandem oder von etwas, d. h. die Sicherheit von Rechtsgütern, geschützt wird. 49 Ebenso schützt auch das Verfassungsrecht nicht „die Sicherheit“. Es wird zwar verschiedentlich versucht, ein „Grundrecht auf Sicherheit“ herzuleiten. 50 Ein solches besteht aber nicht. Der Begriff „Grundrecht auf Sicherheit“ geht zurück auf den Vortrag von Josef Isensee. 51 Bei seiner Vorstellung von einem Grundrecht auf Sicherheit ging es Isensee, wie der Untertitel des Beitrags („Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates“) zeigt, um die grundrechtlichen Schutzpflichten. Die Gesamtheit all dieser grundrechtlichen Schutzpflichten bezeichnete er als „Grundrecht auf Sicherheit“. 52 Ausgehend von dieser Begriffsbildung Isensees wurde vielfach versucht, ein solches Grundrecht auf Sicherheit verfassungsrechtlich und staatstheoretisch zu begründen. Insgesamt lassen sich folgende Begründungsansätze erkennen: Ansatzpunkt der von Isensee selbst vorgenommenen Herleitung eines Grundrechts auf Sicherheit aus der Gesamtheit aller grundrechtlichen Schutzpflichten ist dabei nicht das klassische zweitseitige Rechtsverhältnis von Staat zu Bürger, wie es der grundrechtlichen Abwehrdoktrin zugrunde liegt, sondern ein mehrseitiges und Ordnung, S. 119; vgl. Eichenberger, VVDStRL 35 (1977), S. 296; Häberle, VVDStRL 35 (1977), S. 306. 47 Gusy, Polizeirecht, Rn. 80. 48 Kaiafa-Gbandi, in: Bemmann / Manoledakis (Hrsg.), Der strafrechtliche Schutz des Staates, S. 37 (38). 49 Gusy, Polizeirecht, Rn. 80. 50 Vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit; ders., VVDStRL 37 (1979), 130; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 84 ff.; Pitschas, UTR 1996, 212. Oftmals wird ein Grundrecht auf Sicherheit auch ohne nähere Begründung propagiert vgl. Otto Schily, zitiert in H. Meier, Merkur 2003, 174 (174); Wulff, Kriminalistik 1997, 331 (331); ähnlich auch Robbers, Sicherheit als Menschenrecht; Bethge, DVBl. 1989, (848): „Das Recht auf Sicherheit hat die Konturen eines Menschenrechts erlangt“. Das Grundrecht auf Sicherheit bedeutet den Wandel des Schutzauftrages des Staates von einer objektiv-rechtlichen Staatsaufgabe hin zu einem subjektiven Recht, vgl. Isensee, in: ders. / Kirchhof, HStR V, § 111, Rn. 84. Zur Staatsaufgabe Sicherheit siehe bereits oben 2. Kap. B.I. 51 Gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 24. November 1982, veröffentlich als Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. 52 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 33.

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Rechtsverhältnis in der Form des Rechtsdreiecks Staat – Störer – Opfer. 53 Grundrechte seien ambivalent: Das durch sie geregelte Verhältnis von Staat zu Bürger dürfe nicht mehr nur bipolar, also als grundrechtseingreifender Staat und grundrechtsberechtigter Bürger, aufgefasst werden, sondern vielmehr als Rechtsdreieck von grundrechtsgeschütztem Bürger, grundrechtsbeeinträchtigendem Bürger und dem grundrechtsschützenden Staat. 54 Während es bei der abwehrrechtlichen bipolaren Betrachtung nur auf das Verhältnis von Staat zu durch diesen beeinträchtigten Bürger ankomme und die Position des von nichtstaatlicher Seite beeinträchtigten Bürgers außen vor bleibe, solle durch das Grundrecht auf Sicherheit auch dessen Position Berücksichtigung finden. Das Grundrecht auf Sicherheit verpflichte den Staat zu einem Rollenwechsel vom Grundrechtsgegner zum Grundrechtsschützer. Durch diesen Rollenwechsel solle die verfassungsrechtliche Symmetrie zwischen Störer und Opfer (wieder-)hergestellt werden. Der Position des Opfers müsse eine subjektiv-rechtliche Qualität zukommen. 55 Seine Sicherheit müsse ein Grundrecht auf Sicherheit sein. Ebenfalls auf die Gesamtheit der grundrechtlichen Schutzpflichten greift eine andere, dem soeben dargestellten Ansatz ähnliche Herleitung eines Grundrechts auf Sicherheit zurück. Danach enthielten die Schutzpflichten bereits von vornherein ein subjektives Element, weil sie in den Grundrechten verankert seien. 56 Aufgrund dieser Verankerung in den Grundrechten verfügten die Schutzpflichten über zwei Bindungsgrade: zum einen über einen objektiven, der den Schutz zu einer Staatsaufgabe mache, und zum anderen über einen subjektiven, der die Schutzpflichten zu einem subjektiven Recht mache. 57 Dieser zweite, subjektive Bindungsgrad der Schutzpflichten wird damit begründet, dass die Grundrechte der Gewährleistung von Freiheit dienen. Um seine Freiheit ausüben zu können, bedürfe es nicht nur des Schutzes vor dem Staat – also der Grundrechte als Abwehrrechte –, sondern genauso des „staatlichen Schutzes vor nichtstaatlichen Grundrechtsgefährdungen“ 58 – also des Grundrechts auf Sicherheit. Teilweise wird das Grundrecht auf Sicherheit auch über den Vertrauensschutz begründet. Der Staat habe durch seine Regelung bestimmter Lebenssachverhal53

Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 34; Calliess, DVBl. 2003, 1096 (1102). Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 34 f.; ders., VVDStRL 63 (2003), 197; ähnlich auch Calliess, DVBl. 2003, 1096 (1101 ff.), der noch auf das Rechtsstaatsprinzip zur Begründung des „Doppelauftrags der Begrenzung und Gewährleistung staatlichen Handelns“ zurückgreift, ebenda, 1101. 55 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 34; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 321 ff.; 443 ff.; ders., DVBl. 2003, 1096 (1102). 56 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 85; s. a. Unruh, Zur Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten, S. 64. 57 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 85. 58 Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 88; vgl. auch Murswiek, VVDStRL 63, 192. 54

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

te – durch Verbote, durch den Erlass von Aufgaben- und Kompetenznormen – einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der ein Schutzversprechen seitens des Staates enthält, für die Integrität der Schutzgüter des Bürgers einzutreten. 59 Der Staat habe so die Verantwortung für den Schutz des Einzelnen übernommen. Mit dieser Verantwortungsübernahme für die Integrität eines Grundrechtsgutes korrespondiere das Recht des Einzelnen auf Sicherheit. 60 Neben der grundrechtlichen Herleitung und der Herleitung über den Gedanken des Vertrauensschutzes wird teils auch ein Grundrecht auf Sicherheit staatstheoretisch – über das Gewaltmonopol – begründet. 61 Das Gewaltmonopol des Staates bedeute, dass der Staat über das Monopol legitimer Gewaltausübung verfüge, dem Bürger die Anwendung privater Gewalt mithin untersagt sei. 62 Mit der Einrichtung des Gewaltmonopols des Staates sei der Bürger verpflichtet, sein eigenes Selbstverteidigungsrecht aufzugeben. Dem Gewaltmonopol des Staates entspreche daher eine Friedenspflicht des Bürgers. 63 Mit dieser Friedenspflicht wiederum korrespondiere ein Anspruch des Bürgers auf Schutz seiner Rechtsgüter durch den Staat. 64 Das „Grundrecht auf Sicherheit“ sei demnach die Gegenleistung des Staates für den Gewaltverzicht des Bürgers zugunsten des staatlichen Gewaltmonopols. Das Grundrecht auf Sicherheit ist – unabhängig von seinen verschiedenen Herleitungen – auf vielfache Kritik gestoßen. 65 So wird vor allem die Bezeichnung als Grundrecht kritisiert. Der Begriff Grundrecht steht für subjektive Abwehrrechte 59 Robbers, Sicherheit als Menschrecht, S. 191; Robbers verwendet nicht den Begriff „Grundrecht auf Sicherheit“, sondern den des „(Grund-)Rechts auf Schutz“, meint inhaltlich jedoch dasselbe, vgl. ders., Sicherheit als Menschrecht, S. 121 ff. 60 Robbers, Sicherheit als Menschrecht, S. 191. 61 Isensee selbst greift zwar auch auf das Gewaltmonopol zurück, nutzt dieses aber nur zur Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten, vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 ff.; ders., in: ders. / Kirchhof, HStR V, § 111, Rn. 83. 62 Grds. zur Friedenspflicht des Bürgers aus dem Gewaltmonopol Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56 ff.; kritisch hingegen Mackeben, Grenzen der Privatisierung der Staatsaufgabe Sicherheit, S. 99. S. zum Gewaltmonopol bereits 2. Kap. B.I.1.b). 63 Karpen, JZ 1989, 898 (899). 64 Bethge, DVBl. 1989, (848); Karpen, JZ 1989, 898 (899), der das Grundrecht auf Sicherheit wohl aus Art. 2 Abs. 1 GG gewinnen will. 65 Kniesel, ZRP 1996, 484 (485 f.); Albrecht, Die vergessene Freiheit, S. 39 ff.; ders., DRiZ 1989, 326 (329); Gusy, VVDStRL 63, 168 ff.; Hassemer, Vorgänge 2002, Heft 3, 10 (10); Denninger, KJ 1988, 1 (1, 13 f.); ders., KJ 1985 215 (217) = ders., Der gebändigte Leviathan, S. 33, 47, 377; H. Meier, Merkur 2003, 174 (174 ff.); Limbach, AnwBl. 2002, 454 (455 f.); Roggan, Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 277; Hansen, KJ 1999, 231 (240 ff.); Lisken, NVwZ 1998, 22 (23); Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 91; Rees, VVDStRL 48 (1990), 56 (92); Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 247 f., 309; ebenfalls kritisch J. Ipsen, VVDStRL 48 (1990) 177 (179). Grundsätzlich zur Frage einer „(Re-)Subjektivierung objektiver Grundrechtsgehalte“ Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 351 ff., 354 ff., 364 ff., 383 ff.

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des Bürgers und eignet sich daher nicht als Bezeichnung für eine staatliche Verpflichtung zum Schutz der Rechtsgüter des Bürgers. Zwar wollen viele der Vertreter des Grundrechts auf Sicherheit – allen voran sein „Erfinder“ Isensee – ihr „Grundrecht“ nicht als eines im klassischen abwehrrechtlichen Sinne verstanden haben, sondern lediglich als ein „gesetzesmediatisiertes Grundrecht“ 66, 67 aber durch ihre Begriffswahl „Grundrecht“ bleibt ihrem Grundrecht auf Sicherheit der einem Grundrecht im abwehrrechtlichen Sinne typische Charakter eines subjektiven Rechts, das dem Einzelnen einen Anspruch gegen den Staat vermitteln soll. 68 Durch die Anerkennung eines subjektiven Rechts auf Sicherheit durch ein „Grundrecht auf Sicherheit“ würde die vom Grundgesetz vorgegebene Gewichtung von privater Freiheit und staatlicher Reglementierung zu Lasten der Freiheit aus dem Gleichgewicht gebracht. 69 Sicherheit rücke so vor Freiheit. Die Einräumung dieses Vorrangs der Sicherheit vor der Freiheit könne – so wird befürchtet – dazu führen, dass der Staat nicht mehr den Freiheitseingriff, sondern der Bürger seine Freiheitsausübung rechtfertigen müsse. 70 Ein weiterer Kritikpunkt an einem Grundrecht auf Sicherheit als ein subjektives Recht des Bürgers ist die Unbegrenztheit staatlicher Handlungsmöglichkeiten und – bei einem subjektiven Recht auf Sicherheit – dann auch Handlungspflichten zur Herstellung von Sicherheit. 71 In der heutigen Zeit ist Sicherheit als Zustand frei von jeglicher Gefahr und jedwedem Risiko allenfalls theoretisch möglich. Absolute, d. h. hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. 72 Dem Staat ist es daher unmöglich, die aus einem Grundrecht auf Sicherheit resultierenden Sicherheitsansprüche zu erfüllen. 73 66

Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 44. Alexy, VVDStRL 63 (2003), 195: Grundrecht im „nichttechnischen Sinne“. Vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 33 f.: Mit seiner Bezeichnung der Schutzpflichten als „Grundrecht auf Sicherheit“ wollte Isensee einen Perspektivenwechsel erreichen: Denn während der Begriff Schutzpflicht auf den Staat abstellt, soll der Begriff Grundrecht auf Sicherheit auf den Bürger gerichtet sein. 68 Vgl. zu dieser Einschätzung Kniesel, ZRP 1996, 484 (486); Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 25. 69 Hassemer, Vorgänge 2002, Heft 3, 10 (10): Das Grundrecht auf Sicherheit ist „auf der Gegenfahrbahn unterwegs“; H. Meier, Merkur 2003, 174 (176): Das „herkömmliche Freiheitsverständnis [wird] auf den Kopf“ gestellt; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 25 f.: „der angemessene Ausgleich zwischen der Entfaltungsfreiheit des einen und der Bewahrungsfreiheit des anderen fällt [...] hypertrophierenden staatlichen Schutzpflichten zum Opfer“; Mackeben, Grenzen der Privatisierung der Staatsaufgabe Sicherheit, S. 105: „die Grundrechte [würden] in ihr Gegenteil [verkehrt]“. 70 Kniesel, ZRP 1996, 484 (486); Denninger, KJ 1988, 1 (13); Hassemer, Vorgänge 2002, Heft 3, 10 (10); s. a. Brugger, VVDStRL 63 (2003), 101 (132). Man beachte zu den Befürwortern eines Grundrechts auf Sicherheit nur Calliess, DVBl. 2003, 1096 (1103 f.): „Freiheitsverträglichkeitsprüfung“. 71 Gusy, VVDStRL 63 (2003), 151 (169). 72 S. bereits o. 3. Kap. C.II.2. 67

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Ein Grundrecht auf Sicherheit als Anspruch auf Schutz aller grundrechtlichen Rechtsgüter kann es daher nicht geben. Es lassen sich allenfalls aus bestimmten Grundrechten Schutzpflichten herleiten, denen eine subjektiv-rechtliche Qualität zukommt, aus denen sich ein Anspruch auf staatlichen Schutz herleiten lässt. 74 Schließlich bleibt – selbst wenn man allen grundrechtlichen Schutzpflichten eine subjektiv-rechtliche Qualität zubilligen würde – unklar, was mit der Zusammenfassung der grundrechtlichen Schutzpflichten zu einem Grundrecht auf Sicherheit gewonnen werden sollte. Das Grundrecht auf Sicherheit kann nicht mehr sein als die Summe der den jeweiligen Grundrechten entstammenden Schutzpflichten. 75 Insoweit ließe sich eher von „Grundrechten auf Sicherheit“ für die jeweils einschlägigen grundrechtlichen Schutzpflichten sprechen. 76 Aber auch dann wäre die Bezeichnung nicht korrekt bzw. nicht vollständig. Es müsste vielmehr „Grundrecht auf Sicherheit – oder besser noch: Schutz – der von anderen Grundrechten geschützten Rechtsgüter“ heißen. Bei einer solchen Formulierung würde indes erneut deutlich, dass – auch im verfassungsrechtlichen Sprachgebrauch – Sicherheit bzw. Schutz lediglich ein Verweisungsbegriff ist, der den Zustand, in dem sich ein Rechtsgut befindet, beschreibt, nicht aber ein eigenständiges Rechtsgut, geschweige denn Grundrecht. Es gibt demnach kein Grundrecht auf Sicherheit im klassischen Sinne, 77 das zur Begründung eines Rechtsguts Sicherheit herangezogen werden kann. Es gibt lediglich die grundrechtlichen Schutzpflichten, die den Staat zum Schutz grundrechtlicher Rechtsgüter verpflichten können. Schutzgut ist aber dann das jeweilige vom Grundrecht geschützte Rechtsgut und nicht die Sicherheit an sich.

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Gusy, VVDStRL 63 (2003), 151 (169). Dies wird insbesondere für das Grundrecht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gelten, vgl. BVerfGE 39, 1 (36 ff.); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 187 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 75 f. Bei anderen Grundrechten hingegen darf an der Notwendigkeit und Möglichkeit einer Subjektivierung gezweifelt werden, vgl. Stern, Staatsrecht III/1, S. 952; Gusy, VVDStRL 63 (2003), 151 (169): „für die meisten Freiheitsrechte paradox“. 75 Gusy, VVDStRL 63 (2003), 151 (170); s. a. Alexy, VVDStRL 63 (2003), 195; kritisch Zacher, VVDStRL 63 (2003), 199. 76 Insoweit richtiger E. Klein, NJW 1989 1633 (1636), der von „Grundrechten auf Schutz“ statt von einem Grundrecht auf Sicherheit spricht. 77 Ein Grundrecht auf Sicherheit kann es allenfalls in der politischen Rhetorik geben, Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 248, 309; Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, S. 216; vgl. auch Hassemer, Vorgänge 2002, Heft 3, 10 (10): „Ein ‚Grundrecht auf Sicherheit‘ verdankt sich einer paradoxen Rhetorik“; H. Meier, Merkur 2003, 174 (177): „wohlklingende Phrase für jene Ordnungsrhetorik, in die Innenminister verfallen, wenn etwas Außergewöhnliches passiert“; Gusy, VVDStRL 63 (2003), 151 (170): „Ein ‚Grundrecht auf Sicherheit‘ kann [...] allenfalls appellative Wirkung haben“. 74

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Da Sicherheit also kein eigenes schützenswertes Rechtsgut ist, kann das Sicherheitsgefühl auch nicht als Teil dieses Rechtsguts zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit werden. Der Schutz des Sicherheitsgefühls kann daher nur dann eine polizeiliche Aufgabe sein, wenn sich das Sicherheitsgefühl unter ein von (dem Schutzgut) der öffentlichen Sicherheit geschütztes Rechtsgut fassen lässt. 4. Das Sicherheitsgefühl als Teil eines Rechtsguts „Staatlichkeit“ Der Schutz des Sicherheitsgefühls könnte dadurch eine Aufgabe der Polizei sein, dass das Sicherheitsgefühl Teil eines polizeilichen Schutzguts „Staatlichkeit“ ist. Die Polizei dürfte das Sicherheitsgefühl schützen, wenn erstens „Staat“ ein polizeilich zu schützendes Rechtsgut ist und zweitens eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls zugleich eine Beeinträchtigung des Rechtsguts „Staat“ bedeutet. Um ein polizeiliches Schutzgut zu sein, müsste es sich beim „Staat“ um ein durch das öffentliche Recht anerkanntes Rechtsgut handeln. Der „Staat“ hat seine Anerkennung durch die öffentlich-rechtliche Rechtsordnung sowohl im Grundgesetz, „Bundesstaat“, „Sozialstaat“, „Rechtsstaat“ in Art. 20 Abs. 1 GG, Staatsgewalt in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, als auch in den einfachgesetzlichen Staatsschutzbestimmungen des StGB 78, namentlich in § 90a StGB, gefunden. Bei dem Gut „Staat“ handelt es sich also um ein polizeilich schützenswertes Rechtsgut. Es stellt sich indes die Frage, was – aus dem Blickwinkel des Polizeirechts – unter dem Rechtsgut „Staat“ zu verstehen ist. Denn „Staat“ ist ein mehrdeutiger Begriff, dessen Bedeutungsinhalt je nach seiner Verwendung variiert. Es gibt den Begriff Staat als rein juristische Kategorie und auch als geisteswissenschaftliche, soziologische Kategorie. 79 Staat kann für das staatstheoretische Konstrukt – die Herrschaftsinstitution, die Staatsorganisation – stehen, aber auch für das gesamte Gemeinwesen. Welches dieser beiden Verständnisse vom Begriff Staat bei der Frage nach einem polizeilichen Schutzgut zugrunde gelegt werden muss, richtet sich nach der Rechtsordnung. Denn polizeilich geschützt wird – wie oben festgestellt – nur das Gut, das von der öffentlich-rechtlichen Rechtsordnung anerkannt ist. Wie der Begriff Staat also zu verstehen ist, bestimmt sich nach dessen An78

Zwar spricht der Gesetzeswortlaut nur von „Bundesrepublik“, damit ist aber der „Staat Bundesrepublik Deutschland“ gemeint, denn unter „Bestand der Bundesrepublik“ muss das Bestehen oder die Existenz des Staates Bundesrepublik Deutschland verstanden werden; vgl. Schroeder, Nochmals: Staatsschutzsprache, JZ 1967, 681. S.a. ders., Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 357. 79 Diese Zweiteilung des Begriffs Staat geht auf Jellinek zurück, der beide Begriffe jedoch noch durch die „normative Kraft des Faktischen“ zusammenführen konnte, vgl. ders., Allgemeine Staatslehre, S. 182 f.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

knüpfungspunkten in der Rechtsordnung. Die Begriffe Bundesstaat, Rechtsstaat, Sozialstaat und Staatsgewalt in Art. 20 Abs. 1, 2 GG gehen vom Staat als Staatsorganisation und damit von dem juristischen Staatsbegriff aus. 80 Auch in den strafrechtlichen Staatsschutznormen wird der Begriff Staat – wie sich der Definition in § 90 Abs. 1 StGB 81 entnehmen lässt – im Sinne des engen juristischen Staatsbegriffs verwendet. 82 Dagegen, den weiten soziologischen Staatsbegriff zu Bestimmung des polizeilichen Schutzgutes „Staat“ heranzuziehen, spricht zudem, dass so über das Gemeinwesen das Gemeinwohl und damit die Wohlfahrtspflege wieder in die polizeilichen Aufgaben einbezogen würde. 83 Daher muss bei der Frage nach dem polizeilichen Schutzgut der Begriff Staat eng juristisch verstanden werden. Zur Verdeutlichung, dass polizeiliches Schutzgut nur der Staat als Staatsorganisation ist, soll deshalb statt des Begriffes „Staat“ hier der Begriff „Staatlichkeit“ verwendet werden. Anhaltspunkte dafür, was das so verstandene Rechtsgut Staatlichkeit ausmacht, liefert § 92 Abs. 1 StGB. Dieser definiert als Beeinträchtigung des Bestandes der Bundesrepublik die Aufhebung der Freiheit von fremder Botmäßigkeit, der Beseitigung ihrer staatlichen Einheit oder der Abtrennung eines zu ihr gehörigen Gebiets. Allerdings ist diese Definition für die Bestimmung des Rechtsguts Staatlichkeit zu eng. § 92 Abs. 1 StGB stellt nur auf die äußere Souveränität und die staatliche Einheit ab. Diese Auslegung entspricht der Funktion des § 92 Abs. 1 StGB als Staatsschutzbestimmung. § 92 Abs. 1 StGB soll in Verbindung mit anderen Vorschriften des Staatsschutzrechts bestimmte Handlungen, von denen angenommen wird, dass sie die Staatlichkeit beeinträchtigen, unter Strafe stellen. 84 Er liefert eine Definition, der als strafwürdig erachteten Handlungen. § 92 Abs. 1 StGB soll aber nicht als – abschließende – Definition dessen dienen, was Staatlichkeit ist. § 92 Abs. 1 StGB ist eine Strafnorm und eben keine staatsrechtliche Definition. Bei der Frage, was Staatlichkeit ist, ist daher nicht allein die strafrechtliche Definition entscheidend, sondern vielmehr, was einen Staat zum Staat macht – oder aus umgekehrtem Blickwinkel betrachtet – wann er seine Eigenschaft als Staat verliert. Dies ist nicht nur bei dem Verlust der Freiheit von fremder Botmäßigkeit und der staatlichen Einheit der Fall, sondern immer dann, wenn der Staat aufhört, ein Staat zu sein. Wann der Staat seine Eigenschaft als Staat verliert, lässt sich 80

Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 20, Rn. 7. Zwar wird in § 90 Abs. 1 StGB nur der Begriff „Bundesrepublik“ verwendet, dies meint jedoch den Staat, s. o. Fn 510. 82 Vgl. Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 354 ff., 483 f. 83 Zur Abkehr von der Aufgabe der Wohlfahrtspflege s. a. PrOVGE 9, 353 („KreuzbergUrteil“), ausführlicher dazu Walther, JA 1997, 287 (287 ff.); Kroeschell, VBlBW 1993, 268 (268 ff.). Vgl. BVerfGE 22, 180 (218): „Der Staat hat nicht die Aufgabe, seine Bürger zu bessern“. 84 Dazu, dass andere die Staatlichkeit beeinträchtigende Handlungen nicht erfasst werden, vgl. Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, S. 360. 81

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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nach der im Völkerrecht angewendeten und von Georg Jellinek entwickelten DreiElemente-Lehre bestimmen. Danach machen einen Staat drei Elemente aus: das Staatsgebiet, das Staatsvolk und die Staatsgewalt. 85 Unter dem Staatsgebiet ist dabei ein in seinem Kernbestand gesicherter Teil der Erdoberfläche, auf dem die Staatsgewalt sich behauptet und entfaltet, zu verstehen. 86 Das Staatsvolk ist ein dauerhafter Personenverband, der auf dem Staatsgebiet sesshaft und der der Staatsgewalt unterworfen ist. 87 Diese Staatsgewalt wiederum zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: durch die innere und durch die äußere Souveränität. Der Staat darf nach außen hin keine rechtliche Autorität über sich haben als die des internationalen Rechts (äußere Souveränität). 88 Die innere Souveränität setzt im Innern die effektive und organisierte Herrschaftsgewalt des Staates voraus. 89 Kennzeichen dieser Herrschaftsgewalt ist das Gewaltmonopol. 90 Der Staat muss demnach das Monopol legitimer physischer Gewaltausübung besitzen. 91 Liegt eines dieser drei Elemente nicht (mehr) vor, so fehlt es an der Staatlichkeit, so ist der „Staat“ kein Staat (mehr). Der Schutz des Sicherheitsgefühls wäre demnach eine Aufgabe der Polizei, wenn ein defizitäres Sicherheitsgefühl einen Verlust eines dieser drei den Staat ausmachenden Elemente darstellte. a) Sicherheitsgefühl und Staatsvolk Als durch das defizitäre Sicherheitsgefühl beeinträchtigtes Element der Staatlichkeit kommt zunächst das Staatsvolk in Betracht. Greift man auf die staatstheoretischen Erklärungsmodelle der Staatsentstehung zurück, so zeigt sich, dass für die Vertragstheoretiker, insbesondere für Hobbes, Sicherheit der prägende Motivationsgrund für die Staatsbildung war. 92 Allerdings ist das Bedürfnis nach Sicherheit nicht der alleinige Beweggrund für die Einzelnen, einen Staatsvertrag zu schließen. Im Naturzustand sieht sich der Einzelne nicht nur ständig den Übergriffen durch seine Mitmenschen ausgesetzt, sondern er lebt auch in permanenter Furcht vor solchen Angriffen. 93 Bei dem Abschluss des Staatsvertrags suchen die 85 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 174 ff., 182 f., 394 ff.; vgl. Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 105; Isensee, HStR III (3.A.), § 15, Rn. 49 ff. 86 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 394 ff.; vgl. Isensee, HStR III (3.A.), § 15, Rn. 49 ff. 87 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 406 ff.; vgl. Isensee, HStR III (3.A.), § 15, Rn. 49 ff. 88 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 475 ff., 479 f.; vgl. Isensee, HStR I, § 13, Rn. 34; Randelzhofer, HStR II (3.A.), § 17, Rn. 23 ff. 89 Randelzhofer, HStR II (3.A.), § 17, Rn. 35 ff. 90 Heintzen, Der Staat 25 (1986), 17 (19); Isensee, HStR III (3.A.), § 15, Rn. 53. 91 Zum Gewaltmonopol bereits oben 2. Kap. B.I.1.b). 92 Ausführlicher bereits oben 2. Kap. B.I.1.a)(1)(b).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Vertragsschließenden also nicht nur den Schutz durch den Staat – also Sicherheit –, sondern auch das Vertrauen in den Staat, dass er sie schützt. 94 Sie wollen nicht nur sicher sein, sie wollen sich auch sicher fühlen. Nach den staatstheoretischen Herleitungen zur Staatsentstehung ist damit auch die Gewährleistung des Sicherheitsgefühls ein Staatszweck. Nun stellt sich die Frage, was es für Auswirkungen auf die Staatlichkeit hat, wenn der Staat diesem Staatszweck nicht mehr nachkommt, also das Sicherheitsgefühl nicht mehr gewährleisten kann. Besteht in solchen Fällen dann ein Austrittsrecht des Bürgers aus dem Staat? Nach der Hobbes’schen Staatstheorie ist, wenn der Staat seinen Zweck nicht mehr erfüllt oder erfüllen kann, der Vertrag, der die Entstehung des Staates begründet, für den Einzelnen nicht mehr bindend. 95 Die in dem Staatsvertrag erklärte Verpflichtung des Bürgers gegenüber dem Herrscher erlischt und sein naturrechtliches Selbstverteidigungsrecht lebt wieder auf. 96 Der Bürger kann folglich den Staatsvertrag aufkündigen. Allerdings ist fraglich, ob die Hobbes’sche Vertragslehre auf den heutigen Staat – namentlich auf die Bundesrepublik – anwendbar ist. 97 Denn der heutige Staat wurde nicht durch einen Vertragsschluss der Bürger gebildet, sondern man muss den heutigen Staat als gegeben ansehen. Da der heutige Staat also faktisch besteht und nicht erst – wie in der Theorie von Hobbes – durch den Abschluss eines Staatsvertrages gegründet werden muss, lassen sich die einzelnen vertraglichen Rechte nur schwer übertragen. Wenn kein Vertrag zwischen Bürger und Herrschendem geschlossen wird, kann aber auch keine darin erklärte Verpflichtung des Bürgers gegenüber dem Herrschenden erlöschen und es kann kein Austrittsrecht des Bürgers bestehen. Im heutigen Staat gibt es wohl nur eine einzige Möglichkeit, den Staatsvertrag aufzukündigen: durch ein physisches Verlassen des Staates. Der Bürger müsste das Staatsgebiet verlassen und Anschluss an einen anderen Staat suchen. Dies wird regelmäßig dadurch erfolgen, dass er seinen Aufenthalt in dem bisherigen Staat aufgibt und ihn in einem anderen Staat sucht. Dass ein einzelner Bürger den Staat verlässt, wird die Staatlichkeit allerdings noch nicht beeinträchtigen. Der Staat verliert nur einen seiner Staatsbürger. Anders ist es hingegen, wenn alle oder 93 Hobbes, Leviathan, 13. Kap. (S. 116, 118); vgl. dazu Schelsky, Thomas Hobbes, S. 415, nach dessen Verständnis der Hobbes’schen Staatstheorie der Furcht sogar eine größere Bedeutung für die Staatsbildung zukommt als den tatsächlichen Bedrohungen. 94 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 4 f. 95 Hobbes, Leviathan, Kap. 18; Kap. 21. 96 Hobbes, Leviathan, Kap. 18; Kap. 21; vgl. Staff, Lehren vom Staat, S. 91 f. 97 Handelt es sich doch dabei immer noch um eine Staatstheorie. Es hat zwar durchaus einen Sinn, eine Staatstheorie zur Begründung übergesetzlicher staatlicher Aufgaben heranzuziehen. Detailfragen lassen sich aber nur schwer übertragen. S. zum Wandel des Staatsverständnisses seit Thomas Hobbes auch Voigt, ZfP 2007, 259 (259 ff.).

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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zumindest ein Großteil der Bürger den Staat verlassen. Dann verliert der Staat sein Staatsvolk und damit eines seiner konstituierenden Elemente. Ein historisches Beispiel für eine solche durch Massenauswanderung ausgelöste Gefährdung der staatlichen Stabilität bietet die DDR vor dem Bau der Berliner Mauer. 98 Damit der Schutz des Sicherheitsgefühls als Teil des Rechtsguts Staatlichkeit zu einer Aufgabe der Polizei wird, müsste das beeinträchtigte Sicherheitsgefühl also in Deutschland zu einer so beschriebenen Situation der Massenausreisen führen. Viele Bundesbürger müssten aufgrund des verminderten Sicherheitsgefühls aus der Bundesrepublik ausreisen oder zumindest planen, dies zu tun. Gegenwärtig ruft das geminderte Sicherheitsgefühl in Deutschland in der Bevölkerung zwar Beunruhigung hervor. 99 Auch kommt es vor, dass Bürger ihren Wohnort wechseln. Dabei handelt es sich allerdings zumeist nur um rein innerstaatliche Bewegungen: Beunruhigte Bürger ziehen von einem als kriminalitätsbelastet empfundenen Stadtviertel in ein als sicherer geglaubtes Wohngebiet. 100 Das geminderte Sicherheitsgefühl führt aber nicht dazu, dass (viele) Bundesbürger Deutschland verlassen. 101 Grundsätzlich erscheint eine Ausreise aus der Bundesrepublik auch nicht die geeignete Reaktion auf ein beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl zu sein. 102 Setzt dies doch voraus, dass der aufgesuchte Staat ein höheres Gefühl an Sicherheit als Deutschland vermitteln kann. Das Rechtsgut Staatlichkeit ist durch das defizitäre Sicherheitsgefühl zumindest nicht in seinem Element Staatsvolk gefährdet.

98 Ausführlich zu den Auswirkungen der Massenflucht aus der DDR und der – aus staatlicher Sicht – Notwendigkeit des Mauerbaus Wetting, Beweggründe für den Mauerbau, in: Hertle / Jarausch / Kleßmann (Hrsg.), Mauerbau und Mauerfall, S. 111 (113 ff.). Allerdings bestanden die durch die Ausreisen verursachten Gefahren eher noch für die Gesellschaft und die Industrie als für den Staat als solchen. 99 S.o. 4. Kap. A.V. 100 Vgl. Kube, in: Albrecht (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht – Festschrift für Kaiser, S. 847 (848); grds. zur Bedeutung des Sicherheitsgefühls für die Wohnqualität Breckner, Die Polizei 2005, 217 (222). 101 So haben beispielsweise im Jahr 2002 nur 117.683 Bundesbürger Deutschland verlassen, vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2004 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 60. Zum Vergleich dazu zogen im selben Zeitraum dagegen 1.153.495 Bundesbürger in ein anderes Bundesland und 2.689.875 Bundesbürger innerhalb eines Bundeslandes um; vgl. ebenda, S. 58. Dabei sind bei den innerdeutschen Wohnortwechseln Ortsumzüge, also Wohnortwechsel innerhalb der Gemeinden, nicht erfasst. Zudem ist zu berücksichtigen, dass vornehmlich andere Gründe – wirtschaftliche, steuerliche oder familiäre – für die Ausreise maßgeblich gewesen sein könnten. 102 Anders sieht es hingegen in Staaten aus, in denen Bürgerkrieg oder bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. In solchen Situationen, die nicht nur die Unsicherheit, sondern auch das Unsicherheitsgefühl erhöhen, kann eine Ausreise zu einer geeigneten Maßnahme werden.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

b) Sicherheitsgefühl und Staatsgewalt Zudem scheint die Reaktion der Bürger auf ein beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl auch eine andere zu sein: Statt aus dem Staat auszureisen, beginnen die Bürger selbst für ihre Sicherheit zu sorgen, indem sie Eigenschutzmaßnahmen ergreifen. Solche Eigenschutzmaßnahmen reichen von verbesserten Sicherungssystemen (z. B. neue Türschlösser) über eine Selbstbewaffnung (z. B. durch Schusswaffen oder auch Wachhunde) bis hin zur Beauftragung privater Sicherheitsdienste. Das gesunkene Sicherheitsgefühl beeinträchtigt daher das Rechtsgut Staatlichkeit nicht im Element Staatsvolk, sondern möglicherweise im Element Staatsgewalt. Konkret könnte durch Eigenschutzmaßnahmen das Gewaltmonopol des Staates als Voraussetzung der Staatsgewalt untergraben werden. 103 Vor dem Hintergrund, dass es hier um die Auswirkungen des Sicherheitsgefühls auf die Staatsgewalt geht, stellt sich zunächst die Frage, inwieweit solche Maßnahmen zum Eigenschutz mit dem Sicherheitsgefühl zusammenhängen. Denn primär dienen diese Maßnahmen dazu, die eigenen Rechtsgüter zu schützen, also die eigene objektive Sicherheit zu erhöhen. Dass der Bürger sich damit auch wieder sicherer fühlen will, sein Sicherheitsgefühl erhöhen will, ist für ihn zunächst zweitrangig. Aus Sicht des handelnden Bürgers geht es insoweit bei solchen Maßnahmen um die Herstellung von Sicherheit und – nicht so sehr – um die des Sicherheitsgefühls. Allerdings ist – wie bereits erwähnt 104 – Sicherheit subjektiv. Der Einzelne reagiert mit den von ihm ergriffenen Maßnahmen auf von ihm angenommene Bedrohungen. Befürchtet er beispielsweise einen Einbruch durch eines der Kellerfenster, so wird er diese entsprechend sichern. Eigenschutzmaßnahmen sind demnach weniger durch die tatsächliche Sicherheitslage als vielmehr durch die empfundene Sicherheitslage – das Sicherheitsgefühl – initiiert. Daher kommt dem Sicherheitsgefühl eine maßgebliche Bedeutung zu, wenn vom Bürger Maßnahmen zum Eigenschutz ergriffen werden. Wenn also die Maßnahmen zum Eigenschutz wesentlich durch das beeinträchtigte Sicherheitsgefühl begründet sind, stellt sich die Frage, ob durch das gesunkene Sicherheitsgefühl das Gewaltmonopol des Staates – und damit das den Staat konstituierende Element Staatsgewalt – beeinträchtigt wird. Das Gewaltmonopol dient als Abgrenzungskriterium für die Abgrenzung des Staates von anderen Herrschaftsverbänden. Es bedeutet, dass der Staat der Herrschaftsverband ist, der über das „Monopol legitimer physischer Gewalt“ verfügt. 105 Das staatliche Gewaltmonopol, dieses „Monopol legitimer physischer Gewalt“, gebietet allerdings nicht, dass nur der Staat Gewalt ausüben darf. 106 Vielmehr 103 104 105

S.a. Schwind, Kriminologie, § 20 Rn. 14. S.o. 3. Kap. C.II.4., 5. Ausführlicher zum Gewaltmonopol s. o. 2. Kap. B.I.1.b) und 5. Kap. B.I.4.b).

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kann es – neben der staatlichen – auch andere, private Gewalt geben, wie etwa die Notwehr nach § 32 StGB oder das jedermann zustehende Festnahmerecht des § 127 Abs. 1 StPO. Allerdings setzt das staatliche Gewaltmonopol voraus, dass eine solche private Gewaltausübung vom Staat legitimiert ist. Insoweit bedeutet das staatliche Gewaltmonopol nur das Recht des Staates, über die Legitimität oder Illegitimität von Gewaltanwendungen zu bestimmen. 107 Daher kann auch der Private – sei es, dass er selbst, sei es, dass private Sicherheitsdienste für ihn tätig werden – Sicherheit herstellen, indem er Rechtsgüter schützt. Diese Herstellung von Sicherheit durch Private als Ausübung privater Gewalt ist dabei mit dem staatlichen Gewaltmonopol vereinbar, wenn die private Gewalt staatlich legitimiert ist. 108 Das staatliche Gewaltmonopol verlangt also kein Monopol des Staates auf die Herstellung von Sicherheit. Es gibt kein staatliches Sicherheitsmonopol. 109 Für die vom Bürger ergriffenen Eigenschutzmaßnahmen bedeutet dies: Solange sich die Maßnahmen, d. h. der private Selbstschutz und die Beauftragung von privaten Sicherheitsunternehmen, im Rahmen der gesetzlichen Rechte, insbesondere der Notwehr- und Selbsthilferechte, bewegen, sind sie gestattet und mit dem Gewaltmonopol des Staates vereinbar. Erst wenn die Maßnahmen den vom Staat gesteckten Rahmen überschreiten, kann das Gewaltmonopol beeinträchtigt werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich der Bürger nicht mehr auf den Schutz seiner Rechtsgüter beschränkt, sondern – aus Furcht und dadurch bedingtem mangelnden Vertrauen in den staatlichen Schutz – auch für die Bestrafung der die Rechtsgüter Gefährdenden oder der Personen, die er für solche hält, sorgt, wenn er also Selbstjustiz übt. 110 Denn die Befugnisse des Bürgers im repressiven, strafverfolgenden Bereich beschränken sich auf das Jedermannsrecht aus § 127 Abs. 1 StPO. Danach ist jedermann befugt, eine Person, die auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird, vorläufig festzunehmen, wenn diese Person der Flucht verdächtig ist oder ihre Identität nicht sofort festgestellt werden kann. Das Recht 106

Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 331; Gusy / Schewe, Jahrbuch der öffentlichen Sicherheit 2002/2003, S. 383 (384). 107 Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 326, 333; Gusy, DÖV 1996, 573 (576); ders., Anhörung der Sachverständigen vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 10. März 1997, S. 167; vgl. dazu auch Gusy / Schewe, Jahrbuch der öffentlichen Sicherheit 2002/2003, S. 383 (384). 108 Gusy, DÖV 1996, 573 (576); Gusy / Schewe, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2002/ 2003, S. 383 (384). Zur Vereinbarkeit von privaten Sicherheitsdiensten und Gewaltmonopol Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 332 ff.; Huber, Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Gefahrenabwehr durch das Sicherheits- und Bewachungsgewerbe, S. 132 ff. jeweils m.w. N.; Hammer, Private Sicherheitsdienste, staatliches Gewaltmonopol, Rechtsstaatsprinzip und „schlanker Staat“, DÖV 2000, 613 (620). 109 Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 332. Ausführlich zum Gewaltmonopol Gusy, DÖV 1996, 573 (576). 110 Dazu, dass starke Verunsicherung zu Selbstjustiz führen kann, s. a. 2. PSB 2006, S. 488.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

des Einzelnen, private Gewalt zur Strafverfolgung anzuwenden, reicht dabei in zeitlicher Hinsicht nur so weit, bis obrigkeitliche Hilfe verfügbar ist. 111 Darüber hinausgehende repressive Befugnisse für den Einzelnen sieht die Rechtsordnung nicht vor. Die Grenzen staatlich legitimierter Gewaltausübung könnten auch durch den Einsatz privater Sicherheitsdienste überschritten werden, wenn diese sich nicht mehr auf ihre Befugnisse zum privaten Rechtsgüterschutz beschränken, sondern sich so verhalten, als verfügten sie über polizeiliche oder polizeiähnliche Befugnisse. Ein solches Verhalten kann beispielsweise darin bestehen, dass private Sicherheitsdienste im Rahmen ihrer Bewachungstätigkeiten in Kaufhäusern sich vor dem Kaufhaus im öffentlichen Straßenraum aufhaltende und dort unerwünschte Personen wie Punks oder Obdachlose vertreiben. Besonders problematisch dürfte auch der Einsatz privater Sicherheitsdienste bei der Bewachung so genannter gated communities sein. Bei gated communities 112 handelt es sich um Wohngebiete, in die sich verängstigte Bürger zurückziehen und in denen private Sicherheitsdienste für Sicherheit sorgen sollen. Solange diese bewachten Wohnbereiche nur auf Privatgelände liegen, ist der Einsatz privater Sicherheitsdienste zumindest aus dem Blickwinkel des Gewaltmonopols unproblematisch. 113 Die Sicherheitsdienste nehmen lediglich stellvertretend die Rechte des Grundstückseigentümers oder -besitzers wahr, maßen sich jedoch keine hoheitlichen Befugnisse an. Die Problematik im Hinblick auf das Gewaltmonopol kann dabei daraus resultieren, dass das defizitäre Sicherheitsgefühl zu einer Entstehung großflächiger gated communities, die auch öffentlichen Raum – Straßen und Plätze – mit umfassen, führen kann und dass den sie bewachenden Sicherheitsunternehmen dabei Aufgaben zugewiesen werden, bei denen sie im öffentlichen Raum eine polizeiähnliche Funktion erfüllen müssen. 114 Diese können beispielsweise darin bestehen, dass die Sicherheitsbediensteten jeden, der das fragliche, von ihnen bewachte Wohngebiet betreten will, kontrollieren und über dessen Zugangsrecht und damit auch über das Recht, den öffentlichen Raum zu nutzen, entscheiden. In diesem Fall würden die privaten Sicherheitsdienste den ihnen vom Staat gesteckten Rahmen privater Gewaltanwendung überschreiten. Allerdings gilt für die Beeinträchtigung der Staatsgewalt dasselbe wie für die des Staatsvolks. Der einzelne Fall, d. h. die einzelne durch ein defizitäres Si111 S. zum Jedermann-Festnahmerecht aus § 127 StPO Meyer-Goßner, StPO, § 127, Rn. 7; Boujong, in: Pfeiffer, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 127, Rn. 21. 112 Zu den gated communities allgemein Glasze, Die fragmentierte Stadt; Nitz, VerwA 89 (1998), 306 (312 ff.). 113 Problematisch dürften gated communities auf privatem Boden sein, wenn sie sich über eine große Fläche erstrecken, etwa wenn sie ganze Stadtviertel erfassen. 114 Dies ist vor allem in den USA bereits üblich, vgl. dazu ausführlich Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 200 ff. Zum privaten Sicherheitsdienst als Mechanismus des Ausschließens Wehrheim, Die überwachte Stadt, S. 60 ff.

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cherheitsgefühl hervorgerufene Überschreitung der Notwehrrechte, reicht noch nicht aus, um das Gewaltmonopol und damit die Staatsgewalt zu beeinträchtigen. Erforderlich wird auch hier ein massenhaftes Überschreiten der gesetzlichen Selbstschutzrechte sein. Die Mehrheit der Bevölkerung oder zumindest eine größere Zahl der Bürger muss die Grenzen staatlich legitimierter Gewaltausübung missachten. Dies ist gegenwärtig in Deutschland nicht der Fall. Fälle von „Selbstjustiz“ ereignen sich in Deutschland nur vereinzelt. Und auch die privaten Sicherheitsdienste maßen sich zumeist keine polizeilichen Befugnisse an. Es finden sich zwar vermehrt Wohngebiete 115 und vor allem Einkaufszentren, in denen private Sicherheitsdienste den Zugang regeln, dabei handelt es sich aber nur um Privatraum und nicht um öffentlichen Raum. 116 Großflächige gated communities wurden bislang in Deutschland nicht errichtet. Zudem haben sich staatliche Behörden bislang bemüht, Beschränkungen der Rechte der Allgemeinheit durch abgesicherte Wohnanlagen zu verhindern. So besteht beispielsweise in Deutschlands Vorzeigewohnanlage, den Arkadien in Potsdam, ein Gehrecht zu Gunsten der Allgemeinheit gem. § 9 Abs. 1 BauGB, das jedem gestattet, entlang der Havel über das gesicherte Grundstück zu gehen, so dass der Uferzugang nicht durch die private Anlage unterbrochen wird. 117 Zudem scheint sich das Konzept der gated communities in Deutschland (noch) nicht so sehr durchsetzen zu können wie in anderen Ländern, vornehmlich in den USA und vor allem in den Metropolen auf der Südhalbkugel, wo die Gegensätze von Arm und Reich weitaus gravierender sind und in denen sich das „Ideal“ des „öffentlichen Raums“ nicht so verbreitet hat. 118 c) Ergebnis Das Rechtsgut Staatlichkeit verlangt also kein Gefühl absoluter Sicherheit, kein hundertprozentiges Sicherheitsgefühl, sondern nur ein Mindestmaß an Sicherheitsgefühl. Wie hoch dieses Mindestmaß ist, hängt von zwei Faktoren ab: Die Bürger müssen sich so sicher fühlen, dass sie erstens den Staat nicht – in Scharen – verlassen und dass sie zweitens sich nicht veranlasst sehen, solche Maßnahmen zum 115 Bekanntestes Beispiel sind die Arkadien in Potsdam, vgl. dazu Glasze, in: Roggenthin (Hrsg.), Stadt – der Lebensraum der Zukunft?, S. 39 (48). 116 Zum Problem der Privatisierung öffentlicher Räume Glasze, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 75 Nr. 2/3, S. 160 ff. 117 Glasze, in: Roggenthin (Hrsg.), Stadt – der Lebensraum der Zukunft?, S. 39 (49). 118 Vgl. Glasze, Die fragmentierte Stadt, S. 19 ff.; ders., in: Roggenthin (Hrsg.), Stadt – der Lebensraum der Zukunft?, S. 39 (39 ff.); zur fehlenden Verbreitung des Ideals des „öffentlichen Raums“ als Ursache für gated communities, vgl. Glasze, Die fragmentierte Stadt, S. 266; Caldeira, Public Culture 8 (1996), 303 (315). Zudem scheinen die bewachten Wohnanlagen in Deutschland vornehmlich auf ausländische Interessenten ausgerichtet zu sein, vgl. Glasze, in: Roggenthin (Hrsg.), Stadt – der Lebensraum der Zukunft?, S. 39 (49).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

eigenen Schutz zu ergreifen, die über das vom Staat legitimierte Maß hinausgehen. Weder der eine noch der andere Faktor ist in Deutschland augenblicklich in Frage gestellt. Durch ein defizitäres Sicherheitsgefühl wird die Staatlichkeit nicht gefährdet. Der Schutz des Sicherheitsgefühls wird nicht dadurch zu einer polizeilichen Aufgabe, dass dessen Schutz zugleich dem Schutz des Rechtsgut Staatlichkeit dient. 5. Das Sicherheitsgefühl als Teil eines Rechtsguts „Demokratie“ Die Eigenschaft des Sicherheitsgefühls als Tatbestand der öffentlichen Sicherheit und damit der polizeiliche Schutz des Sicherheitsgefühls könnte sich aus dem Schutz eines Rechtsguts „Demokratie“ ergeben. Bei der Demokratie handelt es sich um ein Rechtsgut. Demokratie hat ihre rechtliche Anerkennung im Grundgesetz und auch in einfachgesetzlichen Vorschriften gefunden. Das Grundgesetz spricht zwar nicht ausdrücklich von der „Demokratie“, es verwendet den Begriff Demokratie aber als Adjektiv in Art. 20 Abs. 1 GG („demokratischer und sozialer Bundesstaat“) und in Art. 28 Abs. 1 GG („des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtstaates“). 119 Zudem findet sich in den Vorschriften über das Parteienverbot (Art. 21 GG) und über die Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG) der von Demokratie abgeleitete Begriff der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Einfachgesetzlich ist die Demokratie – wenngleich zumeist in dem Begriff „freiheitlich demokratische Grundordnung“ – erwähnt, u. a. in § 1 ParteiG, § 7 BBG und § 4 Abs. 1 Nr. 2 BRRG sowie in § 48 Abs. 1 AbgG („Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie“). Vor dem Hintergrund, dass verschiedene Demokratiebegriffe und -verständnisse existieren, 120 muss allerdings festgelegt werden, was unter einem solchen Rechtsgut „Demokratie“ zu verstehen ist. Für die Bestimmung des polizeilich geschützten Rechtsguts Demokratie muss das Demokratieverständnis zugrundgelegt werden, das in den Rechtnormen zum Ausdruck kommt, durch die das Rechtsgut Demokratie seine rechtliche Anerkennung erfahren hat. Besondere Bedeutung wird dabei dem Grundgesetz zukommen. Sein Demokratieverständnis prägt maßgeblich das Rechtsgut „Demokratie“ als polizeiliches Schutzgut. Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes beruht auf westeuropäischen und nordamerikanischen Verfassungstraditionen. Ausgehend von der Übersetzung des griechischen „δημοκρατία“ bedeutet Demokratie zunächst nur Herrschaft des Volkes. 121 Unter dieser Volksherrschaft versteht das Grundgesetz allerdings nicht, 119

Hervorhebungen durch den Verf. Zu den unterschiedlichen Demokratieverständnissen Bäumlin, in: Evangelisches Staatslexikon, Demokratie, S. 458 ff.; Battis / Gusy, Einführung in das Staatsrecht, Rn. 52 ff. 120

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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dass das Volk sich unmittelbar selbst regiert. Die Demokratie des Grundgesetzes ist keine „direkte“ Demokratie. Vielmehr geht das Grundgesetz von einer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie aus. 122 Volksherrschaft heißt daher nicht unmittelbare Selbstregierung des Volkes, nicht, dass die Herrschaft vom Volk direkt ausgeübt werden muss, sondern nur, dass die Herrschaft durch das Volk legitimiert sein muss: 123 „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG). Wesentliches Kriterium der Demokratie des Grundgesetzes ist daher die so verstandene Volkssouveränität. 124 Allerdings beschränkt sich das Demokratieverständnis des Grundgesetzes nicht allein auf die Volkssouveränität. Das Grundgesetz geht vielmehr noch von weiteren grundlegenden Prinzipen aus, die eine Demokratie ausmachen, wenngleich es auch kein vollständiges Modell der Demokratie normiert. 125 So bedeutetet „Demokratie“ nach dem Verständnis des Grundgesetzes zum einen auch freie und gleiche, sich periodisch wiederholende Wahlen. 126 Dies ist bereits durch die Entscheidung des Grundgesetzes für eine repräsentative Demokratie bedingt. Denn nur so gelingt es, die der Volkssouveränität immanente Identität von Regierung und Regierten herzustellen. 127 Eng mit den Prinzip freier und gleicher Wahlen verknüpft sind der Parlamentarismus und das Prinzip der Gewaltenteilung. Kennzeichen für den Parlamentarismus und die Gewaltenteilung ist die Verantwortlichkeit der Regierung und deren Kontrolle durch das Parlament. 128 Parlamentarismus bedeutet zudem, dass das Parlament die wesentlichen den Staat betreffenden Entscheidungen trifft. Die zentrale Stellung des Parlaments im demokratischen Staatsgefüge resultiert aus der hervorgehobenen Bedeutung von Wahlen für die Demokratie. Nach dem Verständnis des Grundgesetzes wird das Parlament als einziges Staatsorgan direkt vom Volk gewählt, ist das einzige Staatsorgan, das unmittelbar vom Volk legitimiert ist. Ein weiteres Element der Demokratie nach dem Verständnis des 121

Vgl. C. Meier, Entstehung des Begriffs Demokratie, S. 8 f.; Böckenförde, Art. Demokratie, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Bd., Sp. 83 f. 122 Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 62; Böckenförde, HStR III (3.A.), § 34, Rn. 12 ff., insb. Rn. 21; s. a. Scheuner, in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, S. 245 (247 ff., 250 ff.). 123 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 18 I 4 (S. 534). 124 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 18 I 4 (S. 593); Peters, Die Problematik der deutschen Demokratie, S. 25. 125 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 129. Allerdings – so Leisner, JZ 2005, 809 (810) – „weiß man eben“, was Demokratie erfordert. 126 Böckenförde, HStR I, § 22, Rn. 21; Thoma, Über Wesen und Erscheinungsformen der modernen Demokratie, S. 6; Leisner, JZ 2005, 809 (810). Die Wahlen dienen dazu, zu gewährleisten, dass das Volk die Kontrolle über die politischen Entscheidungszentren hat, vgl. Mayo, in: Grube / Richter, Demokratietheorien, S. 37 (37 f.). 127 Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 18 I 4 (S. 594); erforderlich ist eine „ununterbrochene demokratische Legitimationskette, vgl. BVerfGE 47, 253 (275); s. a. Böckenförde, in: HStR I, § 22, Rn. 11. 128 Maihofer, in: HVerfR, § 12, Rn. 28 ff.; Strack, HStR III (3.A.), § 33, Rn. 11.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Grundgesetzes ist die Pluralität von Interessen, die sich besonders im Mehrparteienprinzip widerspiegelt. 129 Grundsätzlich gilt also: Demokratie ist eine Staatsform, die dem Volk politische Freiheit und Gleichheit verleiht. 130 Demokratie nach dem Grundgesetz ist daher die Summe dieser Prinzipien: Demokratie zeichnet sich durch Pluralität, Parlamentarismus, freie, gleiche und sich periodisch wiederholende Wahlen, Gewaltenteilung und ein Mehrparteinsystem aus. Der Schutz des Sicherheitsgefühls wäre demnach eine Aufgabe der Polizei, wenn ein defizitäres Sicherheitsgefühl eine Beeinträchtigung des so verstandenen Rechtsguts Demokratie darstellte. a) Die Bedeutung des Sicherheitsgefühls für die Demokratie Es stellt sich zunächst die Frage, welche Bedeutung das Sicherheitsgefühl für die Demokratie hat. Dabei soll von der Prämisse ausgegangen werden, dass die Staatsform Demokratie ein gewisses Maß an Sicherheit und Sicherheitsgefühl voraussetzt. Diese Prämisse lässt sich anhand der Betrachtung verschiedener historischer Beispiele gewinnen. (1) Weimarer Republik Das für Deutschland prägendste Beispiel einer Bedeutung des Sicherheitsgefühls für die Demokratie dürfte der Untergang der Weimarer Republik durch die Machtübertragung an Hitler am 30. Januar 1933 sein. 131 Als wesentlich für den Wahlerfolg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), insbesondere bei den Wahlen im September 1930, im Juli und November 1932 und im März 1933, werden immer wieder die Furcht und das Gefühl von Unsicherheit genannt. 132 Zwar bezog sich dieses Gefühl der Unsicherheit weniger auf Kriminalität als vielmehr auf wirtschaftliche und soziale, insbesondere durch drohende 129

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 135,

166 ff. 130 Thoma, in: Palyi (Hrsg.), Erinnerungsgabe für Max Weber: Die Hauptprobleme der Soziologie, Band 2, S. 42. 131 Dabei erfolgte die Krise des parlamentarischen Systems in Deutschland nicht isoliert, sondern reflektiert eine für das Zwischenkriegseuropa generell geltende Tendenz des Wechsels von der liberalen Demokratie zu autoritären oder faschistischen Regimen, vgl. Mommsen, in: Wirsching (Hrsg.), Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie, S. 21 (32). Der Untergang der Weimarer Republik ist nur der prominenteste Fall. 132 Falter, Hitlers Wähler, S. 313; ders., Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1983, 525 (550 f.); Oesterreich, Flucht in die Sicherheit, S. 170; Wacker, in: Paul / Schoßig (Hrsg.), Jugend und Neofaschismus, 1979, S. 105 (118 f.). Als weiteren Grund für den Erfolg der Nationalsozialisten und das Scheitern der Weimarer Republik

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Arbeitslosigkeit verursachte Unsicherheiten. Gerade der Arbeitslosigkeit kam eine wesentliche Bedeutung bei der Wahlentscheidung der Wähler für die NSDAP zu. Allerdings wurde die NSDAP nicht so sehr von den Arbeitslosen – diese wählten vielmehr die Kommunisten 133 –, sondern eher von denen gewählt, die befürchteten, als nächste von der Arbeitslosigkeit und von den wirtschaftlichen und sozialen Nachteilen betroffen zu sein. 134 Es war das Klima der Angst und der Hoffnungslosigkeit angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Missstände, das besonders zum Erfolg der NSDAP beitrug. 135 Hitlers Wähler einte insoweit die Enttäuschung oder sogar schon der Hass auf die Weimarer Republik, auf das „System“ von Weimar und die es repräsentierenden Parteien, auf das System, das sie verantwortlich machten für ihre Verunsicherung. 136 Zudem kam – insbesondere beim Mittelstand – zu der Angst vor wirtschaftlicher Unsicherheit auch die Furcht vor der organisierten Arbeiterschaft und vor einem Umsturzversuch seitens der KPD. 137 Die u. a. durch solche Unsicherheitsgefühle bedingte Wahl der NSDAP führte zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 31. Januar 1933, zum Erlass wird zudem angeführt, dass sich weite Teile der Bevölkerung nicht von ihren überkommenen autoritären Dispositionen freimachen konnten, vgl. Feldman, in: Winkler (Hrsg.), Die deutsche Staatskrise 1930 – 1933, S. 262 (263 ff.); Kershaw, in: Winkler (Hrsg.), ebenda., S. 277 (277 ff.); ders., Diskussion, in: Winkler (Hrsg.), ebenda., S. 290 f. Allerdings hängen Autoritärismus und Furcht wiederum eng zusammen, s. dazu Oesterreich, Flucht in die Sicherheit, S. 170. 133 Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, S. 96 ff.; vgl. auch Wirsching, in: Winkler (Hrsg.), Weimar im Widerstreit, S. 112 ff. Zugegebenermaßen handelte es sich aber auch bei der KPD nicht um Demokraten. 134 Vgl. zu den Gründen für die Wahl der NSDAP ausführlich Falter, Hitlers Wähler, insb. zur Bedeutung der Arbeitslosigkeit S. 305 ff.; zur Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen allgemein S. 313, die insb. bei den Beamten zu einer „tiefgreifenden Vertrauenskrise zwischen Staat und Beamtenschaft führte“ und damit Grund für die Wahl der NSDAP war S. 243 f. Der geringe direkte Einfluss der Arbeitslosigkeit auf die Wahl der NSDAP zeigt sich besonders daran, dass die NSDAP ihre größten Erfolge in Gebieten erzielte, in denen die Arbeitslosigkeit unter dem Reichsdurchschnitt lag, vgl. Falter, ebenda, S. 303, 373; ders., Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1983, 525 (525 ff.). 135 Falter, Hitlers Wähler, S. 313. Ausführlich zur sozialstaatlichen Dimension der Krise der Demokratie im Europa der Zwischenkriegszeit, Metzler, in: Wirsching (Hrsg.), Herausforderungen der parlamentarischen Demokratie, S. 205 (225 ff.). 136 Vgl. Kershaw, Hitler, S. 402; gerade die Massenarbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Krise bedingten diesen Verlust des Vertrauens in die Leistungsfähigkeit Weimars, s. a. Falter, Hitlers Wähler, S. 373. 137 Winkler, Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, S. 139; Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918 – 1933, S. 367 f.; dass bei der politisch motivierten Gewalt die Furcht vornehmlich vor solcher von kommunistischer Seite bestand, beruhte wohl auch auf der einseitigen Berichterstattung bürgerlicher Zeitungen, die zahlreich und ausführlich über die kommunistische, aber nur selten über die von den Nationalsozialisten ausgehende Gewalt berichteten, vgl. dazu Schumann, ebenda, S. 340.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

des Ermächtigungsgesetzes vom 23. März 1933, zur Auflösung der Parteien und schließlich zum Untergang der Demokratie. Zwar erfolgten viele der Maßnahmen formal auf demokratischem, legalem Weg; das Deutsche Reich konnte sich – auch unter Hitler – formal noch auf die Weimarer Reichsverfassung und damit auf die Demokratie berufen. 138 Nach den nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erfolgten Maßnahmen fehlte es aber an den demokratischen Mindestvoraussetzungen: So wurde durch das Ermächtigungsgesetz das Gewaltenteilungsprinzip aufgehoben. Das als Ermächtigungsgesetz bezeichnete „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 23. März 1933 übertrug die Gesetzgebungsbefugnis einschließlich der Befugnis zum Erlass verfassungsändernder Gesetze – zunächst befristet auf vier Jahre – auf die Reichsregierung. Zwar bedeutet die Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen auf die Exekutive noch nicht zwingend eine Aufhebung der Gewaltenteilung. Auch vor dem Ermächtigungsgesetz gab es Gesetze, die die Reichsregierung zum Erlass von Gesetzen ermächtigten. 139 Das Ermächtigungsgesetz unterschied sich aber gravierend von seinen „Vorgängern“ durch seinen unbestimmten, weitreichenden Inhalt, seine zeitliche Geltungsdauer und vor allem durch das Fehlen eines Einspruchsrechts des Reichstags. 140 Der Reichstag konnte Maßnahmen der Reichsregierung, die auf Grundlage des Ermächtigungsgesetzes ergriffen wurden, nicht aufheben, selbst wenn es sich um Verfassungsänderungen handelte. Dadurch wurde das Machtgefüge einseitig zugunsten der Reichsregierung verschoben und zwar in einem Umfang, der dem Gewaltenteilungsprinzip und dem Prinzip der parlamentarischen Kontrolle der Regierung in einer Demokratie widersprach. Die Auflösung der Länder und – nach dem Tode Hindenburgs – die Übernahme des Amts des Reichspräsidenten durch Hitler vervollständigte die mit dem Ermächtigungsgesetz begonnene Aufhebung der Gewaltenteilung. 141 Aufgrund des Verbotes der Gründung neuer Parteien fehlte es zudem – nach dem Verbot der KPD und der SPD und der teilweisen Selbstauflösung der anderen Parteien der Weimarer Republik – an der für eine Demokratie erforderlichen Mehrparteilichkeit, und die im November 1933 durchgeführten Reichstagswahlen, das im August 1934 abgehaltene Referendum 138 Zur Frage der Legalität der „Machtergreifung“ s. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 459 ff. m.w. N.; Wadle, JuS 1983, 170 (174 ff.); Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, § 39 III. Zu der sich an die Legalitätsfrage anschließende Gegenfrage, ob angesichts des „legalen“ Vorgehens Hitlers seine Machtübernahme von den demokratischen Kräften mit legalen Mitteln hätte verhindert werden können, einerseits Winkler, Weimar 1918 – 1933, S. 594; andererseits Grimm, Mißglück oder glücklos? Die Weimarer Reichsverfassung im Widerstreit der Meinungen, in: Winkler (Hrsg.), Weimar im Widerstreit, S. 157 ff.; ausführlich insbesondere zu den Mitteln der Exekutive Gusy, Weimar – Die wehrlose Republik?, S. 245 ff. 139 Unter den „Vorgängern“ gab das Gesetz vom 13. Oktober 1923 wohl die am weitesten reichende Ermächtigung. Ausführlich zu den „Vorgängern“ des Ermächtigungsgesetzes vom 23. März 1933 vgl. Gross, AnwBl 1993, 146 (147). 140 Wadle, JuS 1983, 170 (173); Gross, AnwBl 1993, 146 (147). 141 Wadle, JuS 1983, 170 (174).

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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über die Vereinigung der Ämter Reichspräsident und Reichskanzler und die in den Folgejahren durchgeführten Abstimmungen genügten – schon aufgrund des Verbots anderer Parteien – nicht mehr demokratischen Anforderungen. 142 Das Beispiel Weimar zeigt zugleich auch den Unterschied zwischen den Schutzgütern Demokratie und Staatlichkeit. Die Demokratie ist weitaus anfälliger als die Staatlichkeit. Das Ermächtigungsgesetz hat nur zum Untergang der Demokratie geführt, nicht aber zu dem der Staatlichkeit. Der Staat, das Deutsche Reich, blieb auch nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und dem Erlass des Ermächtigungsgesetzes formal in seinen drei Elementen Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt bestehen. Die Demokratie hingegen endete. (2) Das Lukaschenko-Regime in Weißrussland Neben dem Untergang der Weimarer Republik finden sich auch noch andere (historische) Beispiele, die die Bedeutung von Furcht und Unsicherheitsgefühlen für die Entstehung undemokratischer Regime belegen. 143 Als weiteres Beispiel für die Bedeutung von Unsicherheitsgefühlen und Angst für die Entstehung autoritärer Regime kann der Wandel Weißrusslands von einer Demokratie zu einer Präsidialdiktatur nach der Wahl Lukaschenkos zum Präsidenten 1994 herangezogen werden. 144 Lukaschenko konnte bei den Präsidentenwahlen am 10. Juli 1994 einen deutlichen Sieg über seine Mitbewerber erzielen. Er gewann diese Wahl vor allem durch populistische Parolen, die besonders bei den „Verlierern“ der Auflösung der Sowjetunion und der Demokratisierung großen Anklang fanden. Dazu zählten vornehmlich die Landbevölkerung, die bildungsfernen Schichten und die Spät- und Postkommunisten. 145 Lukaschenko hatte demnach besonderen Erfolg bei Wählern, die sich von der Demokratie abgewendet hatten, weil sie teilweise erhebliche Sorgen ob ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage hatten; bei Wählern also, die sich unsicher fühlten – zumindest unsicherer als im Vergleich zu Zeiten der Sowjetunion und des Kommunismus. Als bedeutsam für die Wahl Lukaschenkos wird auch der sehr hohe Anteil von Rentnern innerhalb der Bevölkerung – das Verhältnis von Rentnern zur arbeitenden Bevölkerung lag 1994 bei 1 zu 1,6 146 – angesehen, die sich besonders um ihre Zukunft sorgten. Ein weiterer Faktor für die Wahl Lukaschenkos war die Unzufriedenheit der Bevölkerung 142

Vgl. dazu Kershaw, S. 625 ff. Allgemein zum „Gefühl von existenzieller Bedrohung“ als ein Faktor für den Erfolg faschistischer Systeme Winkler, Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, S. 163. 144 Dieses Beispiel zeigt auch, dass Furcht und Unsicherheitsgefühle nicht nur für die Entstehung rechter, faschistischer Regime ursächlich sind, sondern ebenso für autoritäre Regime linker, kommunistischer Ideologie gelten. Zudem dies ist kein historisches, sondern – da Lukaschenko gegenwärtig noch Staatspräsident ist – auch ein noch aktuell gültiges Beispiel. 145 Lindner, Osteuropa 47 (1997), 1038 (1048). 143

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

mit der Verwaltung und vor allem mit der Korruption im Verwaltungsapparat. Die Korruption stellte eine weitere Sorge der Wähler dar, bei der Lukaschenko besonders aufgrund seiner Tätigkeit als Anti-Korruptionsbeauftragter „punkten“ konnte. 147 Grundsätzlich lässt sich also sagen, dass Lukaschenko bei seiner Wahl zum Präsidenten besonders von Verunsicherung und dem Unsicherheitsgefühl profitiert hat. 148 Nach seiner Wahl zum Präsidenten stärkte Lukaschenko kontinuierlich seine Position als Präsident und entmachtete das Parlament, indem er einige Verfassungsänderungen vornahm. So schaffte er zum einen das demokratisch gewählte Parlament („Oberster Sowjet“) ab und eröffnete stattdessen ein neues weißrussisches Parlament, die Nationalversammlung, die aus einem Ober- und einem Unterhaus besteht. Dabei setzt sich das Unterhaus aus 110 Abgeordneten zusammen, die Lukaschenko aus den Reihen der gewählten Abgeordneten des Obersten Sowjet ausgewählt hat; Abgeordnete der oppositionellen bürgerlichen Parteien sind nicht darunter. Die 66 Sitze des Oberhauses besetzte Lukaschenko als Präsident selbst. Zum anderen stärkte Lukaschenko seine Position gegenüber dem neuen Parlament noch dadurch, dass er sich als Präsident auch gesetzgeberische Befugnisse zubilligte. Den Dekreten des Präsidenten kann – „unter besonderen Umständen“ – Gesetzesrang zukommen; vom Parlament können sie nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern aufgehoben werden. 149 Durch diese Verfassungsänderungen wurden die Demokratieprinzipen Gewaltenteilung und Parlamentarismus ausgehöhlt. Als Legitimation für diese Verfassungsänderungen diente ein Referendum, das am 24. November 1996 abgehalten wurde und das von Wahlbeobachtern aufgrund einer Vielzahl von Verstößen als manipuliert bezeichnet wurde. 150 Zudem 146

Im Vergleich dazu hat innerhalb der anderen europäischen Länder nur noch Polen mit einem Verhältnis von 1:2,6 und Ungarn (1:2,8) einen ähnlich hohen Rentneranteil, beide bleiben aber deutlich hinter Weißrussland weit zurück, vgl. Lindner, Osteuropa 47 (1997), 1038 (1048). 147 In dieser Eigenschaft gelang es ihm auch, den Parlamentspräsidenten aus dem Amt zu drängen und sich so eines potentiellen Konkurrenten zu entledigen, vgl. dazu Lindner, Osteuropa 47 (1997), 1038 (1048). 148 Timmermann, Belarus: Eine Diktatur im Herzen Europas?, 1997, S. 13 ff.; Lindner, Osteuropa 47 (1997), 1038 (1048). Ein weiterer Punkt in Lukaschenkos Wahlprogramm war die stärkere Anlehnung an Russland, doch war dies keine Besonderheit Lukaschenkos, sondern auch manche seiner Konkurrenten – vornehmlich solche, die wie Lukaschenko dem kommunistischen Lager zuzuordnen waren, – befürworteten dies. 149 Ausführlich zu den Verfassungsänderungen Sahm, Osteuropa 47 (1997), 475 (476 ff.); s. a. Lindner, Osteuropa 47 (1997), 1038 (1044). Zu der – vor den Verfassungsänderungen demokratischen – Verfassung vom 15. März 1994 Lindner, Systemwechsel und Staatsbildung in Belarus’ und Ukraine, S. 17 ff. 150 OSZE-Pressemitteilung Nr. 67/18. 10. 1996; ausführlich zu den Verstößen Timmermann, Belarus: Eine Diktatur im Herzen Europas?, S. 19 ff., 32 ff.; Sahm, Osteuropa 47

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hob Lukaschenko schrittweise – zumeist ohne gesetzliche Grundlage – die Unabhängigkeit weiterer staatlicher Institutionen wie die des Verfassungsgerichts, der Zentralbank und des Fernsehens auf. 151 Dadurch vervollständigte er die Aufhebung des Prinzips der Gewaltenteilung. Auch in der Folgezeit festigte Lukaschenko seine Macht durch Parlaments- und Präsidentenwahlen, die von einer Beobachtergruppe der OSZE nicht als frei und fair bezeichnet wurden. 152 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Weißrussland unter der Präsidentschaft Lukaschenkos einige der elementaren Grundsätze der Demokratie nicht mehr erfüllt, insbesondere fehlt es am Parlamentarismus, an der Gewaltenteilung sowie an freien Wahlen. Weißrussland hat sich von einer Demokratie zu einer autoritären Präsidialdiktatur gewandelt. 153 (3) Demokratietheoretische Begründung der Prämisse Grundsätzlich zeigen also diese historischen Beispiele, dass die Staatsform Demokratie eines gewissen Maßes an Sicherheitsgefühl bedarf. Diese durch historische Betrachtungen gewonnene These lässt sich auch demokratietheoretisch begründen. So rufen Verunsicherung und Furcht nach Maßnahmen, die einen Gewinn an Sicherheit versprechen und die zu einer Erhöhung des Sicherheitsgefühls beitragen können. Damit ruft Furcht aber zugleich nach Einschränkungen von Grundrechten. Denn – wie sich bereits gezeigt hat 154 – ist die Entstehung von Unsicherheitsgefühlen weniger durch tatsächlich drohende Kriminalität als vielmehr durch andersartige und als fremdartig empfundene Verhaltensweisen anderer Bürger begründet, die der Einzelne nicht kennt und von deren Gefährlichkeit er deshalb ausgeht. Während diese Verhaltensweisen jedoch bei dem Einen Furcht und Verunsicherung auslösen, sind sie doch für den Anderen die Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheiten. Es lässt sich also verkürzt sagen: Die Freiheit des Einen ist die Furcht, ist das Unsicherheitsgefühl des Anderen. Will sich der Eine sicher fühlen, wird er vom Staat verlangen, das furchterregende und beängstigen(1997), 475 (479 f.); Lindner, Systemwechsel und Staatenbildung in Belarus’ und Ukraine, S. 28 ff. 151 Vgl. dazu Mildner, Belarus: Kritische Überlegungen zu Politik und Wirtschaft des Lukaschenko-Regimes, 2000, S. 19; Sahm, Osteuropa 47 (1997), 475 (479 f.). Zu den Maßnahmen gegenüber regimekritischen Medien s. a. Holtbrügge, Weißrussland, S. 64 f. 152 Vgl. zur Präsidentschaftswahl 2001 Sahm, Blätter für deutsche und internationale Politik 2001, 1173 (1173 ff.); zur Parlamentswahl und dem Verfassungsreferendum vom 17. Oktober 2004 dies., Osteuropa 55 (2005), 77 (82 f.). 153 Timmermann, Belarus: Eine Diktatur im Herzen Europas?, S. 31 ff. m.w. N. So ist auch die Beurteilung der OSZE vgl. Bettzuege, Osteuropa 50 (2000), 469 (476); Vogel, Osteuropa 50 (2000), 562 (564); Lorenz, Osteuropa 50 (2000), 249 (251 f.). 154 S.o. 4. Kap. A.IV., B.II.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

de Verhalten zu unterbinden. Er wird Verbote und damit die Einschränkung der grundrechtlichen Freiheit des Anderen fordern. Für die Demokratie, zu deren Wesensmerkmalen die Wahl zählt, hat das furchtbedingte Verhalten wesentliche Bedeutung, wirkt es sich doch besonders auf die Wahlentscheidung aus. Dem furchtsamen, verängstigten Wähler wird es bei seiner Wahlentscheidung nicht so sehr auf die Freiheit – vor allem nicht auf die Freiheit des anderen – ankommen. Er wird vielmehr nach klaren Verhältnissen streben; nach Verhältnissen, die für ihn berechenbar sind und die ihm seine Verunsicherung nehmen und ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Klare, berechenbare Verhältnisse bedeutet aber auch, dass der Wähler wenig Interesse an Pluralität und Meinungsvielfalt hat. Ebenso wie der sich fürchtende Wähler komplexe Lösungen ablehnt und klare, berechenbare Antworten will, so lehnt er auch komplexe Diskussionen zwischen politischen Akteuren, die verschiedener Auffassung sind, ab. Er will kein Parteiengezänk. 155 Er will klare politische Entscheidungen. Bei der Wahl wird er daher für Parteien oder Personen stimmen, die ihm klare Verhältnisse versprechen oder von denen er sich solche erhofft. Damit sucht der sich fürchtende Wähler Autoritäten und ist bereit, sich diesen Autoritäten unterzuordnen. 156 Der sich fürchtende Wähler wird starke Personen wählen, Personen, die Autorität verkörpern. Aufgrund dieses durch Furcht und Verunsicherung bedingten Bedürfnisses nach klaren Verhältnissen und wegen der gleichzeitigen ebenfalls furchtbedingten Geringachtung von Freiheit und demokratischen Teilhaberechten ist der furchtsame Wähler dann auch bereit, autoritäre, undemokratische Regierungen zu wählen und zu akzeptieren. 157 Letztlich führen also u. a. Furcht und Verunsicherung (gestörtes Sicherheitsgefühl) zu autoritären Regimen. Diese Entscheidung für und wider autoritäre Regime ist letztlich auch immer ein Teil des demokratischen Prozesses. Damit werden Wahlen nicht nur zu Abstimmungen über bestimmte politische Programme, Fragen und Grundrichtungen, sondern auch immer zu einer Abstimmung über die Regierungsform. Der Wähler 155 So lässt sich auch der Wunsch vieler Wähler nach großen Koalitionen erklären, von denen erwartet wird, dass sie sich besser einigen und die großen Probleme lösen können. 156 Zur Bedeutung des Autoritarismus für die Entstehung autoritärer und faschistischer Regime ausführlich Oesterreich, Flucht in die Sicherheit, S. 169 ff.; vgl. auch Wacker, in: Paul / Schoßig (Hrsg.), Jugend und Neofaschismus, S. 105 (118 f.). 157 Allerdings ist Verunsicherung und Angst nicht der einzige Faktor für die Entstehung autoritärer Regime. Neben einer Angst und Verunsicherung hervorrufenden Krisensituation muss auch noch ein Versagen des politischen Establishments vorliegen. Vgl. Oesterreich, Flucht in die Sicherheit, S. 171 f. mit Hinweis auf die Situation am Ende der Weimarer Republik. Schließlich hat die Weltwirtschaftskrise von 1929 nicht nur in Deutschland zu Verunsicherung und Angst geführt, sondern in vielen anderen Staaten – wie den USA und Großbritannien – auch. In diesen Staaten konnte sich das parlamentarische System, konnten sich die demokratischen Parteien behaupten.

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trifft bei Wahlen stets auch eine Entscheidung über die Regierungsform. Der Wähler kann sich – je nach seiner Interessenlage – für eine der Parteien des demokratischen Spektrums entscheiden. Indem er jedoch eine undemokratische Partei wählt, eine Partei, die die elementaren Grundsätze der Demokratie – wie grundrechtliche Freiheit, Gleichheit, demokratische Wahlen und Parlamentarismus – ablehnt, entscheidet er sich nicht nur für deren Programm und deren politische Inhalte, sondern auch bewusst gegen die Staatsform Demokratie. Wer wählt, wählt auch immer die Staatsform. Für die Demokratie gilt dabei: Sie muss sich jedes Mal erneut beweisen und den Wähler von ihrer Richtigkeit überzeugen. Unsicherheitsgefühle und Furcht unter den Wählern erschweren dies der Demokratie. Die Demokratie bedarf damit – mehr noch als die Staatlichkeit 158 – eines gewissen Maßes an Sicherheitsgefühl; und zwar so viel, dass sich die Wähler noch zur Demokratie bekennen. b) Reichweite und Grenzen des Schutzes des Sicherheitsgefühls Wenn es so ist, dass die Demokratie also eines gewissen Maßes an Sicherheitsgefühl bedarf, stellt sich die Frage nach den Konsequenzen dieser Feststellung. Darauf gibt es zwei mögliche Antworten: Entweder folgt aus dem Bedürfnis der Demokratie nach Sicherheitsgefühl ein Demokratieauftrag „Pflege des Sicherheitsgefühls“ oder aber das Sicherheitsgefühl gehört zu den Voraussetzungen der Demokratie, derer sie bedarf, die sie aber nicht selbst herstellen kann und darf. Im ersten Fall könnte also eine polizeiliche Aufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ aus dem Schutz des Rechtsguts Demokratie resultieren: Das Sicherheitsgefühl würde dann geschützt, um den Schutz des Rechtsguts Demokratie zu gewährleisten. Im zweiten Fall hingegen wäre der Polizei der Schutz des Sicherheitsgefühls – zumindest abgeleitet aus dem Rechtsgut Demokratie – verwehrt. Eine Aufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ ließe sich dann nicht mit dem Schutz des Rechtsguts Demokratie begründen. Entscheidend ist daher die Frage, ob und inwieweit das Sicherheitsgefühl überhaupt um der Demokratie willen geschützt werden darf. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass es dem demokratischen Staat verwehrt ist, bestimmte Voraussetzungen der Demokratie selbst herzustellen. Denn, wie Böckenförde 159 – und vor ihm bereits Anschütz 160 – festgestellt hat, lebt der demo158

Siehe dazu oben 5. Kap. B.I.4. Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 60, dem es in diesem Zusammenhang allerdings um Religion und den säkularisierten Staat geht, einen Staat, der seine inneren Bindungskräfte nicht mehr aus christlichen Werten, sondern seine Homogenität aus der Existenz der Nation zieht. Denninger greift dieses Zitat später auf und setzt es dann in den 159

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kratische Staat von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Er ist in seiner Existenz auf das Bestehen bestimmter Rahmenbedingungen angewiesen. Diese Rahmenbedingungen kann und darf er auch nicht – zumindest nicht mit Mitteln des Rechtszwangs und des autoritativen Gebots – selbst schaffen, denn sonst verliert er sein demokratisches Selbstverständnis. 161 Diese grundlegende Aussage hat eine maßgebliche Bedeutung für den Schutz des demokratischen Staates oder – in den Begrifflichkeiten der hier zu untersuchenden Fragestellung – für den Schutz des Rechtsguts Demokratie. Denn daraus ergibt sich, dass der Schutz der Demokratie durch den Staat und seine Institutionen beschränkt ist. Der demokratische Staat darf nicht alles unternehmen, was zur Erhaltung der Demokratie und damit zu seiner Existenzsicherung erforderlich ist. Gilt eine solche Beschränkung der die Demokratie erhaltenden Maßnahmen auch für das Sicherheitsgefühl? Zählt das Sicherheitsgefühl zu eben jenen Voraussetzungen der Demokratie, die der demokratische Staat nicht selbst schaffen kann und darf? c) Die Bedeutung der Freiheit für die Demokratie Die Einschränkungen des Schutzes des Sicherheitsgefühls um der Demokratie willen können sich aus der Demokratie selbst ergeben. Denn eine weitere Voraussetzung, derer die Demokratie bedarf, ist die Freiheit. Demokratie setzt nicht nur Sicherheitsgefühl, sondern auch Freiheit voraus. Dies lässt sich anhand der Eigenschaften der Demokratie belegen. (1) Demokratie als Volksherrschaft Bei der Begründung der These, dass Demokratie Freiheit voraussetzt, soll zunächst vom Verständnis der Demokratie als Volksherrschaft ausgegangen werden. Demokratie heißt zwar in seiner Übersetzung aus dem Griechischen „Herrschaft Kontext von freiheitlicher Demokratie und innerer Sicherheit, vgl. VVDStRL 37 (1978), S. 132. 160 Anschütz, Drei Leitgedanken, S. 33, der diese Erkenntnis aber im Zusammenhang mit der Bestenauslese der Demokratie äußerte, „der Auslese solcher Männer, [...] die das Staatswesen, [...] die gute Verfassungseinrichtungen [...] brauchen“, vgl. S. 32 f. 161 Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 60. So bereits schon Kelsen, Verteidigung der Demokratie, in: ders., Demokratie und Sozialismus, S. 60 (67): „Eine Demokratie, die sich [...] mit Gewalt zu behaupten versucht, hat aufgehört, eine Demokratie zu sein“. Anders aber Radbruch, in: Kaufmann, Radbruch Gesamtausgabe, Bd. 3, 1990, S. 21: „Die Demokratie darf alles tun – nur nicht endgültig auf sich selbst verzichten [...] Daraus ergibt sich die Haltung des demokratischen Staates gegenüber antidemokratischen Parteien [...] Dann muss man sie mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen, nicht allein mit der Idee und Diskussion, sondern mit der Macht des Staates“.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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des Volkes“. Diese wörtliche Übersetzung trifft aber nicht genau das, was Demokratie ausmacht. Denn „Volksherrschaft“ bedeutet zunächst nur, dass das Volk die das Gemeinwesen betreffenden Entscheidungen selbst trifft. 162 Es ist der „Volkswille“, der entscheidet. In der modernen Massengesellschaft ist das Volk allerdings keine homogene Einheit (mehr) 163, sondern es findet sich eine Vielzahl von Individuen mit eigenen Interessen und eigenen Meinungen. 164 Die dadurch bedingte Pluralität hat auch Auswirkungen auf den „Volkswillen“. Es stellt sich nämlich die Frage, wie in der pluralistischen Gesellschaft der „Volkswille“, d. h. Entscheidungen über gemeinsame Fragen, zustande kommen sollen. Ein einheitlicher „Volkswille“ als Gemeinwille - so wie Rousseau ihn fordert - setzt ein homogenes Volk voraus. 165 Wenn das Volk aber keine homogene Einheit mehr ist, kann es auch keinen einheitlichen Volkswillen geben. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Interessen ist es schlicht unmöglich, in allen Fragen eine Übereinstimmung zu erzielen. Daher kann der „Volkswille“ nicht mehr mit dem Gemeinwillen gleichgesetzt werden. Das bedeutet aber auch, dass der Volkswille anders ermittelt werden muss: In der pluralistischen Demokratie wird der „Volkswille“ durch das Mehrheitsprinzip ermittelt. 166 Statt des Willens aller soll der Wille der Mehrheit bestimmen. Damit 162

Leibholz, Demokratie und Rechtsstaat, S. 12; ders., in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 142 (143); Kelsen, Demokratie, in: ders., Demokratie und Sozialismus, S. 11 (11). Diese Definition geht zurück auf die Lincoln’sche Formel der Demokratie als „a government of the people, for the people and by the people“. 163 Im Gegensatz zu den Stadtstaaten der griechischen Antike, die von Rousseau als Vorbild für Demokratien herangezogen werden; vgl. Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechtes, S. 110 f. Das Problem der Interessenvielheit in einem großflächigen Staat sahen bereits die Autoren der Federalist Papers, die der Demokratie antiken Vorbilds die Republik entgegensetzten; vgl. Federalist Papers, Art. 10, 14, 39; vgl. dazu auch Oppen-Rundstedt, Die Interpretation der amerikanischen Verfassung im Federalist, S. 49 ff. Zu den Begrifflichkeiten „repräsentative Demokratie“ und „direkte Demokratie“ vgl. auch Bobbio, in: ders., Die Zukunft der Demokratie, S. 35 (35 ff.). Dass das Volk keine homogene Einheit mehr ist, ist nicht zuletzt durch den Wandel des Volks von einer Gemeinschaft zu einer Gesellschaft, genau noch zu einer „Massengesellschaft“ bedingt; Sartori, Demokratietheorie, S. 34; ausführlich zur Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 3 ff., 8 ff., 40 ff. und passim. Zur Demokratie in der Massengesellschaft vgl. auch Kornhauser, in: Grube / Richter (Hrsg.), Demokratietheorien, S. 90 (90 ff.). Zur Frage, ob das Volk überhaupt je eine Einheit war, s. auch Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 14 f. 164 Sartori, Demokratietheorie, S. 34; Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 267, 280 f.; Bobbio, in: ders., Die Zukunft der Demokratie, S. 7 (14). 165 Zur volonté générale Rousseaus Hattenhauer, in: Hattenhauer / Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung, S. 1 (14 f.). Vgl. dazu auch Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 264 ff., 279. 166 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 322; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 24 f.; Sartori, Demokratietheorie, S. 32 f.; Gusy, AöR 106 (1981), 329 (329). Ausführlich zu Kelsens Demokratietheorie Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

ist der „Volkswille“ nicht mehr der unteilbare Gemeinschaftswille, sondern nur noch der Mehrheitswille. 167 Der Volkswille ist daher nicht die Vorgabe, sondern das Produkt demokratischen Handelns. 168 Wegen seiner zentralen Bedeutung für die Entscheidungsfindung in der Demokratie wird das Mehrheitsprinzip als die demokratische Verfahrensregel der Demokratie bezeichnet. 169 Für die Demokratie als „Volksherrschaft“ bedeutet das: Demokratische Herrschaft ist Mehrheitsherrschaft. 170 (2) Demokratie und Mehrheitsprinzip Unter dem Mehrheitsprinzip ist also zu verstehen, dass in allen das Gemeinwesen betreffenden Entscheidungen der Wille der Mehrheit maßgeblich ist. Aus dem so verstandenen Mehrheitsprinzip lässt sich bereits entnehmen, dass Demokratie Freiheit voraussetzt. Denn Mehrheit setzt schon begriffsnotwendig die Existenz einer Minderheit voraus. 171 Eine Minderheit kann indes nur bestehen, wenn einige der Bürger anderer Auffassung sind als die Mehrheit. 172 Sich anders zu verhalten als die Mehrheit und andere Ansichten und Auffassungen als diese zu haben und zu vertreten, ist Zeichen von Freiheit. 173 bei Hans Kelsen, S. 249 und passim. Ausführlich zum Mehrheitsprinzip des Grundgesetzes Gusy, AöR 106 (1981), 329 ff. Allgemein zum Mehrheitsprinzip in der Demokratie Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie. 167 Sartori, Demokratietheorie, S. 32; Kägi, in: Imboden / Kägi / Lautner / Nef / Niederer / Oftinger (Hrsg.), Demokratie und Rechtsstaat – Festgabe zum 60. Geburtstag von Zaccaria Giacometti, S. 107 (108 f.); Leibholz, Demokratie und Rechtsstaat, S. 16; Bobbio, in: ders., Die Zukunft der Demokratie, S. 7 (9). 168 Gusy, in: ders. (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 635 (652); Sartori, in: Grube / Richter (Hrsg.), Demokratietheorien, S. 67 (67): Majorität bezeichnet „eine Prozedur [...] derzufolge die Entscheidungen getroffen werden“. In diese Richtung auch schon Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 29 ff., nach dem der Volkswille durch die Summe der Willensentscheidungen der Bürger entsteht. 169 Sartori, Demokratietheorie, S. 33; Bobbio, in: ders, Die Zukunft der Demokratie, S. 64 (64). 170 So schon Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, S. 197. 171 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53, 57; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 324. Statt des Begriffs „Minderheit“ kann auch der in der Politik heutzutage gebräuchlichere Begriff „Opposition“ verwendet werden. Vgl. zur Notwendigkeit und Legitimation der – parlamentarischen – Opposition grundlegend Schneider, Die Parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, S. 32 ff. 172 Gusy, AöR 106 (1991), 329 (334 ff.); Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 57 ff.; Benda, in: Hattenhauer / Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung, S. 61 (64). 173 Sartori, Demokratietheorie, S. 41. Mehr noch: „Liberty for the individual means nothing if it does not imply the right to pursue a course of conduct and to hold and advocate views which do not have the approval of the majority and which may even be

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Daneben lassen sich dem Mehrheitsprinzip auch noch weitere Anhaltspunkte für die Bedeutung der Freiheit für die Demokratie entnehmen. Das Mehrheitsprinzip geht also zunächst davon aus, dass die Mehrheit über die Minderheit herrscht. Allerdings ist nicht von vornherein vorgegeben, wer über wen herrscht, wer also Mehrheit und wer Minderheit ist. Mehrheiten sind nicht einfach da, sondern sie müssen erst gebildet werden. 174 In der Demokratie ist das Mittel der Mehrheitsbildung der Kompromiss. 175 Der eine geht auf Belange und Interessen des anderen ein und man versucht eine gemeinsame, von beiden akzeptierte Position zu finden. So wird durch eine Vielzahl von Kompromissen eine Mehrheit gebildet. 176 Diese Form der Mehrheitsbildung durch Kompromisse trägt auch zur Legitimation der getroffenen Entscheidungen bei. Durch den Kompromiss wird die Akzeptanzbasis verbreitert, so dass eine Entscheidung den Interessen – mithin der Freiheit – der Mehrheit gerecht wird. 177 Möglichst vielen soll die Ausübung ihrer strongly condemned by that majority.“ Smith, The Growth and Decadence of Constitutional Government, S. 280. („Ohne das Recht, anderer Auffassung als die Mehrheit zu sein, bedeutet Freiheit nichts“). 174 Gusy, AöR 106 (1991), 329 (342); s. a. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 56. 175 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 324; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 57, seiner Meinung nach ist „das parlamentarische Verfahren mit seiner [...] auf Rede und Gegenrede, Argument und Gegenargument abgestellten Technik auf die Erzielung eines Kompromisses gerichtet“, ebenda; Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 61; Sartori, Demokratietheorie, S. 100 f. für den der Konsens das demokratische Mittel der Konfliktlösung in einer Demokratie ist; Dahl, A Preface to Democratic Theory, S. 4: „Democracy [...] rests upon compromise“. Nach der Auffassung von Dahl, ebenda, S. 63 ff., insb. 82 f., stehen sich indes nicht Mehrheits- und Minderheitswille gegenüber, sondern eine Vielzahl von Minderheitswillen, aus denen durch Kompromisse tragbare Lösungen gefunden werden müssen. Es könne aber durchaus sein, dass die letztlich getroffene Entscheidung gar nicht von der Mehrheit der Bürger getragen wird, sich aber die entsprechende Minderheitsgruppe am besten habe durchsetzen können. Dahl bezeichnet dies als „Polyarchie“ der Minderheitswillen. 176 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 56 f.; Gusy, AöR 106 (1991), 329 (342). Aufgrund dieser wesentlichen Bedeutung des Kompromisses für die Mehrheitsbildung – und damit für die demokratische Herrschaft an sich – ist daher nicht das Gegeneinander von Mehrheit und Minderheit, sondern der Ausgleich das prägende Element des Mehrheitsprinzips Kelsen, in: ders., Demokratie und Sozialismus, S. 64; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 57; Gusy, AöR 106 (1991), 329 (343); vgl. zu Kelsen auch Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, S. 258. 177 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 57 f.: „Kompromiss bedeutet: sich vertragen“; ders., in: Koja (Hrsg.), Hans Kelsen oder die Reinheit der Rechtslehre, S. 161 (183); Thoma weist aber gleichzeitig darauf hin, dass der Demokratie die meiste Gegnerschaft daraus erwächst, dass die Demokratie nur „auf dem Wege des Kompromisses zu Entscheidungen und Taten zu gelangen vermag“; vgl. Thoma, Über Wesen und Erscheinungsformen der modernen Demokratie, S. 22. Ebenso Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 290: Bei dem Substantiv Kompromiss stelle sich automatisch die Assoziation zu einem bestimmten Adjektiv ein. „In Deutschland ist das Wort Kom-

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Freiheit ermöglicht werden, ohne den Angehörigen der Minderheit ihre Freiheit zu nehmen. 178 In der Mehrheitsbildung durch Kompromisse zeigt sich die Bedeutung der Freiheit für die Demokratie: Nur wer frei ist, kann bezüglich seiner Interessen Prioritäten setzen und bestimmen, was ihm wichtig ist und wo er dem anderen Zugeständnisse machen kann. Nur wer frei ist, kann so über seine Interessen verfügen und Kompromisse eingehen. Die Freiheit des Einzelnen ermöglicht erst die mehrheitsbildenden Kompromisse und damit die demokratische „Volksherrschaft“ als Mehrheitsherrschaft. (3) Demokratie und Reversibilität politischer Entscheidungen Eine Folge dieses Mehrheitsprinzips ist zudem die Reversibilität politischer Entscheidungen. Mehrheiten sind, weil sie nicht einfach vorhanden sind, sondern erst durch Kompromisse gebildet werden müssen, oftmals inhomogen und instabil. 179 Die Änderungen der Präferenzen und Interessen des Einzelnen können zu einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse führen. Zudem muss eine Mehrheit in der einen Frage nicht zugleich auch eine Mehrheit für eine andere Frage sein. Für das Verhältnis von Mehrheit zu Minderheit bedeutet das aber auch, dass die Minderheit nicht für immer die Minderheit sein muss. 180 So wie die Mehrheit durch Kompromisse zur Mehrheit wurde, kann auch die Minderheit versuchen, ihrerseits durch Kompromisse zur Mehrheit zu werden, indem sie Angehörige der Mehrheit von ihrer Position überzeugt und so auf ihre Seite zieht. 181 In dieser Möglichkeit des Wechsels der Mehrheitsverhältnisse spiegelt sich aber erneut die Bedeutung der Freiheit für die Demokratie wider. Erst die Freiheit des Einzelnen, seine einmal getroffene Entscheidung zu überdenken und zu revidieren, ermöglicht es der Minderheit, selbst zur Mehrheit zu werden. Für das Mehrheitsprinzip bedeutet diese Reversibilität politischer Entscheidungen: promiss notwendigerweise mit dem Wort ‚faul‘ verbunden“. Zur Machtabschwächung und zum demokratischen „Reibungsverlust“ durch Kompromisse in der Demokratie Leisner, Die demokratische Anarchie, S. 139 ff. 178 Kelsen, in: ders., Demokratie und Sozialismus, S. 60 (67); ders., in: Ethics 66 (1955), No. 1 Part II, S. 1 (32); vgl. dazu Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, S. 252; Winkler, Rechtswissenschaft und Rechtserfahrung, S. 102. 179 Gusy, AöR 106 (1991), 329 (342); Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 56 f.; Leibholz, Zum Begriff und Wesen der Demokratie, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 142 (143); Sartori, Demokratietheorie, S. 143: „Mehrheiten“ sind „kurzlebige Aggregate“. 180 Häberle, JZ 1977, 241 (244); Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 57 f.; Sartori, Demokratietheorie, S. 42. 181 Gusy, AöR 106 (1981), 329 (350).

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Mehrheitsentscheidungen sind stets vorläufig und änderbar. Jedes Gesetz, jede Maßnahme kann zu jedem Zeitpunkt aufgehoben oder geändert werden. Damit ist demokratische Herrschaft immer nur Herrschaft auf Zeit. 182 (4) Demokratie als rechtlich begrenzte Herrschaft Nicht nur wegen der fehlenden Kontinuität von Mehrheiten ist die Demokratie keine absolute, keine unbegrenzte Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, sondern die Demokratie geht vielmehr von einem qualifizierten Mehrheitsprinzip aus. 183 Die Rechte der Mehrheit sind zum Schutz der Minderheit begrenzt. Dieser Schutz der Minderheit wird in den demokratischen Verfassungen durch die Grund- und Freiheitsrechte sowie durch das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung, durch das Rechtsstaatsprinzip 184 und die Verfassungsgerichtsbarkeit 185 gewährleistet. 186 Aber nicht nur aufgrund seiner Verankerung in der Verfassung wird die Minderheit in der Demokratie geschützt. Der Schutz der Minderheit gehört zu den wesentlichsten Elementen der Idee der Demokratie. 187 Dabei erfolgt der Minderheitsschutz nicht als Selbstzweck, sondern dient ebenfalls der Demokratie. Denn die Demokratie geht vom ständigen Wechsel von Mehrheit und Minderheit – oder zumindest von der Möglichkeit eines jederzeitigen Wechsels – aus. 188 Die Minderheit vermag indes nur dann Angehörige der Mehrheit auf ihre Seite zu ziehen und so selbst zur Mehrheit zu werden, wenn der Wechsel von der Mehrheitszur Minderheitsposition für den Einzelnen nicht den Verlust seiner Freiheit und seiner Rechte bedeutet. 189 Wären die Minderheit und jeder Angehörige der Min182 Thoma, Über Wesen und Erscheinungsformen der modernen Demokratie, S. 6, Thoma bezeichnet dies als „responsible government“; Zacher, HStR I, § 25, Rn. 89; Gusy, AöR 106 (1981), 329 (348); ders., in: ders. (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 635 (652). 183 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53; Sartori, Demokratietheorie, S. 40 ff.; vgl. auch Lehnert, in: Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 221 (229). Zu den Gefahren der „Tyrannei der Mehrheit“ vgl. Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, S. 289; siehe auch Federalist papers, Art. 10, Art. 52 –66. 184 Grundsätzlich zur Bedeutung und Funktion des Rechtsstaats als Grenze demokratischer Mehrheitsherrschaft Kägi, in: Imboden / Kägi / Lautner / Nef / Niederer / Oftinger (Hrsg.), Demokratie und Rechtsstaat – Festgabe zum 60. Geburtstag von Zaccaria Giacometti, S. 107 (132 ff.). 185 Zur Aufgabe des Minderheitenschutzes durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, insb. durch das Bundesverfassungsgericht, vgl. Scheuner, DÖV 1980, 473 (479 f.). 186 Allgemein zu den verfassungsrechtlichen Mechanismen des Minderheitenschutzes in der Demokratie Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53. 187 Häberle, JZ 1977, 241 (244): „Dem Mehrheitsprinzip ist [...] der Minderheitenschutz immanent.“ 188 Siehe dazu bereits oben 5. Kap. B.I.5.c)(3).

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derheit nicht geschützt, fände sich niemand, der bereit wäre, seine Position in der Mehrheit aufzugeben, weil dies mit dem Verlust seiner Freiheit und seiner Rechte einherginge. Ein Wechsel der Mehrheitsverhältnisse wäre so aber undenkbar. Gleichzeitig käme auch das gesamte demokratische Verfahren der Entscheidungsfindung zum Erliegen. Wenn jede von der Mehrheitsmeinung abweichende Entscheidung zum Verlust von Freiheit führte, würde kaum ein Angehöriger der Mehrheit gegen diese und für die Minderheit stimmen. Damit wären aber weitere Wahlen entbehrlich, da sie zu keiner Veränderung der Mehrheitsverhältnisse führen könnten. So bliebe dann die erste Wahl, die erste Entscheidung, in der sich Mehrheit und Minderheit bildeten, die einzige Wahl. Mehrheit und Minderheit ständen sich statisch gegenüber. Dies hätte auch Auswirkungen auf die Legitimation der Herrschaft. Bei einer statischen Mehrheit repräsentiert die Mehrheitsentscheidung stets nur den Willen der Mitglieder der Mehrheit, nicht aber den des ganzen Volkes. Nur bei einer durch Minderheitsrechte begrenzten Mehrheitsherrschaft entspricht die von der Mehrheit getroffene Entscheidung dem Willen des ganzen Volkes, der Summe von Mehrheit und Minderheit. 190 Denn nur wenn die Minderheit von der Mehrheit getroffene Entscheidungen revidieren kann, ist sie bereit, die Mehrheitsentscheidung als Entscheidung des ganzen Volkes zu akzeptieren. In der gewährleisteten Chance der Minderheit, selbst zur Mehrheit zu werden und damit den Volkswillen zu bestimmten, liegt damit zugleich auch die Legitimation des Mehrheitsprinzips. 191 Minderheitsrechte sind damit eine notwendige Bedingung für den demokratischen Prozess selbst, für das Funktionieren – oder wie Sartori es formuliert – die „Dynamik und Mechanik der Demokratie“. 192 Der Schutz der Minderheit ist so zugleich der Schutz des demokratischen Prozesses. 189

Sartori, Demokratietheorie, S. 43; Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 8 f.; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 323; ders., in: Koja (Hrsg.), Hans Kelsen oder die Reinheit der Rechtslehre, S. 161 (180 f.); Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 194 f.; Gusy, AöR 106 (1981), 329 (350). 190 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 57; Sartori, Demokratietheorie, S. 42 f.; Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 197, nach dessen Auffassung die Minderheit aber nicht nur die rechtliche, sondern auch die tatsächliche Möglichkeit, zur Mehrheit zu werden, haben muss, damit diese die Entscheidung der Mehrheit akzeptiert. Ebenso für die Bundesrepublik auch Schneider, Die Parlamentarische Opposition im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, S. 384. Ganz anders Heller, Europa und der Fascismus, S. 11 f., für den der Mehrheitsentscheid seine für das ganze Volk verpflichtende Kraft nur aufgrund der sozialen Homogenität des Volkes, des verbanderhaltenden Wir-Bewusstseins der Staatsbürger erhält, vgl. dazu auch Robbers, Herrmann Heller: Staat und Kultur, S. 39; grundsätzlich zur sozialen Homogenität des Volkes Heller, in: ders., Gesammelte Schriften, Band 2, S. 421 (421, insb. 426 f.). 191 Gusy, AöR 106 (1981), 329 (350). 192 Sartori, Demokratietheorie, S. 43; Gusy, AöR 106 (1981), 329 (349); Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 54 f.; Thoma, in: Anschütz / Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Erster Band, S. 197, der Kelsen insoweit widerspricht, als Minder-

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Demokratie ist aber nicht nur zum Schutz der Minderheit eine begrenzte Herrschaft. Demokratie ist auch um ihres eigenen Selbsterhalts willen rechtlich begrenzte Herrschaft. Eine Demokratie muss für die Bürger ein attraktives System sein. Sie soll und kann nicht eine verordnete Regierung sein. Der Bürger soll sich bewusst für die Demokratie und gegen eine andere Regierungsform entscheiden. Daher muss die Demokratie dem Wähler Argumente für die demokratische Staatsform bieten. Dies setzt aber voraus, dass der Bürger zwischen verschiedenen Möglichkeiten, verschiedenen Entscheidungen wählen kann. 193 Der demokratische Staat darf dem Wähler nicht alle Alternativen abnehmen. Das Vorhandensein von Alternativen erfordert die Pluralität von Anschauungen, die wiederum nur bei der Freiheit zur Andersartigkeit bestehen kann. 194 Diese Freiheit der Andersartigkeit muss und wird durch die Minderheitenrechte geschützt. Es lässt sich demnach festhalten: Demokratie ist durch Minderheitsrechte beschränkte Mehrheitsherrschaft. 195 In dieser Beschränkung der Herrschaft, insbesondere im Schutz der Minderheit, zeigt sich die wesentliche Bedeutung, die der Freiheit für die Demokratie zukommt. Die Demokratie braucht die Freiheit, damit es Mehrheit und Minderheit und so den demokratischen Prozess der Entscheidungsfindung geben kann; und deshalb schützt die Demokratie die Freiheit des Einzelnen durch das qualifizierte Mehrheitsprinzip. (5) Qualifiziertes Mehrheitsprinzip und Volksherrschaft Das qualifizierte Mehrheitsprinzip hat auch seine Auswirkungen auf die oben angesprochene „Volksherrschaft“. Das Volk ist nicht nur tatsächlich keine Einheit 196, Demokratie als durch Minderheitsrechte begrenzte Mehrheitsherrschaft nimmt das „Volk“ – anders als Carl Schmitt es behauptete 197 – auch nicht als Einheit, sondern begreift es als eine Vielheit von Bürgern mit eigenen Interessen heitenschutz nur Eigenheit der Demokratie liberaler Prägung, nicht aber der Demokratie an sich sei. Der Grad der Sicherheit der Minderheit wird damit zum sichersten Kriterium für die Freiheit eines Landes, wie Lord Acton dies für die Religionsfreiheit feststellte, Acton, in: ders., Essays on Freedom and Power, S. 53 (56). 193 Bobbio, in: ders., Die Zukunft der Demokratie, S. 7 (10). 194 Gusy, AöR 106 (1981), S. 329 (334); Scheuner, in: Häfelin (Hrsg.), Menschenrechte, Föderalismus, Demokratie – Festschrift für Werner Kägi, S. 301 (313 f.). 195 Sartori, Demokratietheorie, S. 33; Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53 ff. 196 Siehe oben 5. Kap. B.I.5.c)(1). 197 Schmitt, Verfassungslehre, S. 223. Schmitt geht indes von einem anderen Demokratieverständnis aus; für ihn ist „Demokratie diejenige Staatsform, die dem Prinzip der Identität des konkret vorhandenen Volkes mit sich selbst als politischer Einheit entspricht“. Vgl. Lepsius, in: Gusy, Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 366 (377). Das würde in der Konsequenz bedeuten, dass aus einem heterogenen Volk ein homogenes werden muss, vgl. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 59, mit

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und Bedürfnissen. Eine solche Demokratie respektiert also die verschiedenen Interessen und Bedürfnisse der Bürger oder – mit anderen Worten – die Freiheit des Einzelnen. (6) Zusammenfassung: Demokratie als Staatsform der Freiheit In diesen charakteristischen Eigenheiten der Demokratie, namentlich dem Mehrheitsprinzip, der Reversibilität politischer Entscheidungen und der durch Minderheitenrechte begrenzten Herrschaft zeigt sich die Bedeutung der Freiheit für die Demokratie: Demokratie setzt Freiheit voraus. Ohne Freiheit kann ein Staat kein demokratischer sein; ohne Freiheit kann es keine Demokratie geben. Oder wie Thoma es formulierte: „Demokratie ist also mit begrifflicher Notwendigkeit ein Staat der politischen und bürgerlichen Freiheit, oder sie ist nicht.“ 198 Die Bedeutung der Freiheit für die Demokratie zeigt sich aber zugleich auch darin, dass die Demokratie durch ihre Verfahrensregeln und Minderheitsrechte die Freiheit des Einzelnen schützt. Dabei ist Freiheit zunächst als politische Freiheit zu verstehen. Freiheit meint die politische Selbstbestimmung des Bürgers, die Teilhabe und Mitwirkung an der Bildung des herrschenden Willens im Staate. 199 Doch ist die demokratische Freiheit nicht auf die politischen Freiheiten – wie Meinungs-, Wahl-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit 200 – beschränkt. Aufgrund der Bedeutung der Pluralität 201 für das demokratische Verfahren der Entscheidungsfindung – also das Mehrheitsprinzip – und damit für die Demokratie selbst, muss demokratische Freiheit zugleich auch bürgerliche Freiheit sein. Die Freiheit darf sich also nicht nur auf den demokratischen Prozess als solchen beschränken, sondern für alle, also auch für unpolitische Handlungen gelten. Nur dies ermöglicht die Meinungsund Interessenvielfalt, von denen die Demokratie lebt. 202

Hinweis auf darauf gerichtete Maßnahmen wie Gleichschaltung und Verbote von Presse und Parteien in der NS-Zeit. 198 Thoma, Über Wesen und Erscheinungsformen der modernen Demokratie, S. 16 f. Dabei folgt die Notwendigkeit von Freiheit unmittelbar aus der Demokratie und nicht erst mittelbar über die Grundrechte; vgl. zur Differenzierung zwischen grundrechtlicher und demokratischer Freiheitsidee Starck, HStR III (3.A.), § 33, Rn. 2. 199 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 5. 200 Zur Bedeutung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für die Demokratie vgl. Bobbio, in: ders., Die Zukunft der Demokratie, S. 7 (10). 201 Siehe dazu oben 5. Kap. B.I.5.c)(2). 202 Zur Bedeutung der Freiheit, „auch das zu tun, was andere für falsch halten,“ für die Demokratie, vgl. Zacher, Freiheitliche Demokratie, S. 129; zur grundrechtlichen Freiheit als Bedingung für Pluralismus s. a. Häberle, JZ 1977, 241 (243); zur Freiheit als „juristische Voraussetzung des demokratischen Staates“ s. a. Bobbio, in: ders., Die Zukunft der Demokratie, S. 7 (11): „Liberaler Staat und demokratischer Staat stehen in

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Demnach ist die Demokratie die Staatsform der – politischen und bürgerlichen – Freiheit. Das qualifizierte Mehrheitsprinzip ermöglicht der Demokratie die größte Annäherung an die Idee der Freiheit. 203 Und zugleich ist die Idee der Freiheit Ausgangspunkt jeder demokratischen Ideologie. 204 Kurz gesagt: Demokratie ist die Staatsform der Freiheit. 205 d) Das Verhältnis von Freiheit und Sicherheitsgefühl Wenn demnach Demokratie die Staatsform der Freiheit ist und sie gleichbedeutend mit Freiheit ist, die Demokratie aber zugleich eines gewissen Maßes an Sicherheitsgefühl bedarf, ist wesentlich, in was für einem Verhältnis Freiheit und Sicherheitsgefühl zueinander stehen. Diese Frage lässt sich aus zwei Blickwinkeln betrachten: Aus der Sicht des Sicherheitsgefühls und aus der Sicht der Freiheit. Mit anderen Worten: Wie wirkt sich die Betätigung von Freiheit auf das Sicherheitsgefühl und wie wirken sich Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls auf Freiheit aus? Die Betätigung von Freiheit kann sich auf das Sicherheitsgefühl auswirken. Denn eine der Ursachen für das Entstehen von Kriminalitätsfurcht sind – wie oben ausgeführt 206 – Verhaltensweisen, die als anders- oder fremdartig empfunden werden, wie das „Herumlungern“ von Jugendlichen, das Betteln von Obdachlosen oder der Aufenthalt von Punks in der Fußgängerzone. Diese Furcht und Unsicherheitsgefühl hervorrufenden Verhaltensweisen stellen indes die Ausübung grundrechtlich gewährleisteter Freiheit dar. Es ist also die Ausübung von Freiheit, die Furcht verursacht. Die Freiheit des einen ist damit zugleich die Furcht des anderen. Es bleibt daher als ein Ergebnis festzuhalten: Freiheit mindert Sicherheitsgefühl! einer doppelten Wechselwirkung zu einander [...] Beweis für diese Wechselbeziehung liegt in der Tatsache, dass demokratischer Staat und liberaler Staat, wenn sie fallen, miteinander fallen“. Grundsätzlich zum Verhältnis von politischer und bürgerlicher Freiheit in der Demokratie Sartori, Demokratietheorie, S. 291 ff. 203 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 54; vgl. dazu auch Lehnert, in: Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 221 (234). 204 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 9, 65, 115; vgl. auch Lehnert, in: Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 221 (228 f.). Im Gegensatz zu Kelsen sah Schmitt den Ausgangspunkt der Demokratie in der Gleichheit, vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 235; vgl. dazu Lepsius, in: Gusy (Hrsg.), Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 366 (377). Zu den unterschiedlichen Demokratiemodellen Kelsens und Schmitts s. a. Prisching, in: Weinberger / Krawietz (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, S. 77 (77 ff.). 205 Vgl. auch Kaltefleiter, in: Hattenhauer / Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung, S. 137 (150): „Demokratie ist ein Organisationsprinzip zur Erfüllung von Staatsaufgaben unter den Bedingungen der Sicherung von individueller Freiheit“. 206 S.o. 4. Kap. B.II.5.c).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Aus dem Blickwinkel der Freiheit stellt sich das Verhältnis anders dar. Maßnahmen zur Verbesserung und Erhöhung des Sicherheitsgefühls haben eine Tendenz zur Freiheitsminderung. Denn wer mehr Sicherheitsgefühl will, ist bereit, Einschränkungen der Freiheit hinzunehmen. Das bedeutet, dass eine Optimierung des Sicherheitsgefühls zugleich eine Bedrohungslage für die Freiheit darstellt. Die „Bedrohung“ der Freiheit kann dabei aus zwei Richtungen erfolgen. Sie kann erstens von unten erfolgen, durch den individuellen Freiheitsverzicht des Einzelnen. Denn eine Reaktion des Einzelnen auf ein beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl kann – wie bereits oben erwähnt 207 – im individuellen Freiheitsverzicht, im so genannten Vermeideverhalten liegen. Der Einzelne übt aus Furcht die ihm durch die Grundrechte eingeräumten Freiheiten nicht mehr aus. Er verzichtet beispielsweise darauf, bestimmte als gefährlich empfundene Orte aufzusuchen oder abends bei Dunkelheit die eigene Wohnung zu verlassen. Dieses Vermeideverhalten betrifft zwar zunächst unmittelbar nur die eigene Freiheit des Vermeidenden, mittelbar beeinträchtigt es aber auch die Freiheit der anderen. Denn – wie oben ausgeführt 208 – führt Vermeideverhalten zu Einschränkungen bei sozialen Kontakten und zu einem Verlust von sozialer Kontrolle, was wiederum sowohl Kriminalität begünstigt als auch Unsicherheitsgefühle hervorruft und verstärkt. Dies kann seinerseits die anderen in ihrer Ausübung der Freiheit beeinträchtigen, sei es, dass sie aufgrund der tatsächlichen Kriminalitätsbelastung ihre Freiheit nicht mehr ausüben können, sei es, dass sie es aufgrund entstandener Furcht unterlassen. Die Bedrohung der Freiheit durch eine Maximierung des Sicherheitsgefühls kann aber auch von oben ausgehen. Der Staat übt mehr Kontrolle aus und schränkt so die Freiheiten seiner Bürger ein. Dies kann beispielsweise dadurch erfolgen, dass staatliche Stellen – zumeist die Polizei oder Ordnungsämter – gegen die furchtverursachenden Personen wie Obdachlose, Punks und „herumlungernde“ Jugendliche vorgehen. Die dabei getroffenen Maßnahmen greifen vielfach in die grundrechtlichen Freiheiten dieser Personen ein. So schränken Bettelsatzungen oder Verbote, Alkohol auf der Straße zu konsumieren, die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG der betroffenen Personen, beispielsweise der sich dort aufhaltenden Punks und Obdachlosen, ein. 209 Bestimmte Maßnahmen können sogar noch weitergehende Eingriffe in die grundrechtlichen Freiheiten bedeuten. 207

S.o. 1. Kap. B.III.1. S.o. 1. Kap. B.III.1. 209 Zu der Eingriffsqualität von Bettelsatzungen Oppenborn, JuS 1997, 480 (480); Bracker, JuS 1996, 1048 (1048); zum Grundrechtseingriff durch Alkoholverbote Terwiesche, VR 1997, 410 (414); Kohl, NVwZ 1991, 620 (623); Vahle, VR 1989, 377 (378). Dabei hat sich gezeigt, dass solche aufgrund des Straßenrechts ergriffenen ordnungspolitisch motivierten Maßnahmen neben Punks und Obdachlosen auch Personen treffen, die zu treffen nicht beabsichtigt war, zu deren Wohl diese Maßnahmen sogar ergriffen wurden. Denn das Verbot, Alkohol in der Fußgängerzone zu trinken, hindert auch die in der Fußgängerzone ansässigen Gastwirte, Biergärten und andere Außengastronomie zu betreiben, zumindest jedoch dort auch alkoholische Getränke auszuschenken. 208

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Die gegen Obdachlose, Punks und die Drogenszene eingesetzten Aufenthaltsverbote beispielsweise begründen oftmals nicht nur einen Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern können u.U. auch ein Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art 11 GG sein, wenn das Verbot einen gewissen räumlichen und zeitlichen Umfang übersteigt, zumindest aber immer dann, wenn sich das Aufenthaltsverbot auf ein Gebiet bezieht, in dem der Betroffene zeitweise seinen Lebensmittelpunkt hat. 210 Schließen sich an das Aufenthaltsverbot noch weitere Maßnahmen zur Durchsetzung wie der Verbringungsgewahrsam an, so können darin weitere Grundrechtseingriffe – etwa in das Grundrecht auf Fortbewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 104 Abs. 2, 4 GG und ebenfalls in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 GG – liegen. 211 Die staatlichen Maßnahmen zur Stärkung des Sicherheitsgefühls können sich allerdings auch gegen Personen richten, die nicht einmal durch ihr Verhalten An210

Gusy, Polizeirecht, Rn. 282; VGH Kassel, NVwZ 2003, 1400 (1401); VG Osnabrück, NdsVBl. 2003, 306 (306); OVG Münster, NVwZ 2001, 459 (460); OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315); a. A. VGH München, DÖV 1999, 520 (521), der das Aufenthaltsverbot an Art. 2 Abs. 2 S. 2 misst, einen Eingriff darin i. E. aber verneint; und VGH Mannheim, NVwZRR 1997, 225 (226), der das Aufenthaltsverbot lediglich an Art. 2 Abs. 1 GG misst. Zu den verfassungsrechtlichen Fragen des Aufenthaltsverbots ausführlich Kappler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, S. 157; Braun, Freizügigkeit und Platzverweis, S. 37 ff., insb. S. 76 f., 165, der aber das Aufenthaltsverbot nicht als aliud, sondern als Unterfall des Platzverweises ansieht und es daher als „aussperrenden Platzverweis“ bezeichnet; Finger, Die Polizei 2005, 82 (86 f.); ders., DVP 2004, 367 (368 f.); Gusy, NWVBl. 2004, 1 (5); ders., Polizeirecht, Rn. 282; ders., vM / K/S, Art. 11, Anm. 34; Micker, VR 2003, 89 (90 f.); Cremer, NVwZ 2001, 1218 (1221 f.). Geradezu klassisch schon zum Verhältnis von Aufenthaltsverbot und Freizügigkeit Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 28 f. 211 Zu den unterschiedlichen grundrechtlichen Eingriffen, die in dem Maßnahmenbündel des Verbringungsgewahrsams liegen, einerseits OVG Bremen, NVwZ 1987, 235 (237); Gusy, NWVBl. 2004, 1 (6); ders., in: vM / K/S, Art. 104, Rn. 23; Lindt, in: Möllers (Hrsg.), Bundespolizei als Teil der Gesellschaft: Interdependenzen der Aufgabenwahrnehmung, S. 57 (66 ff.); Hasse / Mordas, ThürVBl 2002, 101 (101 ff.); dies., ThürVBl 2002, 130 (130 ff.); Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 17, Rn. 4 f.; Kappeler, DÖV 2000, 227 (230 ff.); Stoermer, Der polizeirechtliche Gewahrsam unter besonderer Berücksichtigung des Unterbindungsgewahrsams, S. 132 ff.; Maaß, VBlBW 1987, 287 (287 f.); ders., NVwZ 1985, 151 (155 ff.); und andererseits Mußmann, VBlBW 1986, 52 (53 f., 56 f.), der den Verbringungsgewahrsam nicht als Freiheitsentziehung wertet, sondern als zwangsweise Durchsetzung eines Verbots ansieht und daher nur an Art. 11 GG misst; ähnlich Leggereit, NVwZ 1999, 263 (264). Dass der Verbringungsgewahrsam u.U. neben den erwähnten Grundrechtseingriffen auch noch eine Gefährdung anderer grundrechtlich geschützter Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit bedeuten kann, zeigen „Exzesse“ wie BGH Az. 4 StR 482/03, vgl. Die Polizei 2004, 53. Siehe dazu auch LG Hamburg, NVwZRR 1997, 537, das sogar in einem „folgenlosen“ Verbringungsgewahrsam zugleich die Möglichkeit der Begehung einer Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB und einer Nötigung nach § 240 StGB durch die handelnden Polizeibeamten sieht, und LG Mainz, MDR 1983, 1044 (1044): „Die polizeiliche ‚Verbringung‘ von Stadtstreichern aus dem Stadtgebiet ‚aufs Land‘ ist grundsätzlich Freiheitsberaubung“.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

lass zum Entstehen von Furcht geboten haben. So wird z. B. bei der vermehrt zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls eingesetzten Videoüberwachung jeder, der sich in dem überwachten Bereich aufhält, in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt. 212 Diesem Eingriff kann der Einzelne, vor allem wenn wie in Großbritannien ganze Innenstadtbereiche oder auch nur zentrale Plätze mittels Videokamera überwacht werden, kaum entgehen. Die Paradoxie des Einsatzes der Videoüberwachung zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls entsteht dabei dadurch, dass in die Freiheit derer eingegriffen wird, zu deren – vermeintlichem – Wohl die Maßnahme erfolgt, deren Sicherheitsgefühl die Polizei zu schützen gedenkt. Auch bei den anderen 213 zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls eingesetzten Maßnahmen zeigt sich diese Tendenz zur Freiheitsminderung. Sie sind oftmals mit Eingriffen in die Grundrechte der Bürger verbunden. Dabei begünstigen sich die von oben – durch staatliche Freiheitseinschränkungen – erfolgenden und die von unten – durch den individuellen Freiheitsverzicht – ausgehenden Bedrohungen der Freiheit durch eine Optimierung des Sicherheitsgefühls zudem noch gegenseitig. So kann der individuelle Freiheitsverzicht in dem Ruf nach mehr staatlicher Kontrolle und in der erhöhten Bereitschaft, Grundrechtseinschränkungen zu akzeptieren, bestehen und so staatliche Freiheitsbeschränkungen begünstigen, indem ihnen politisch kein Widerstand entgegengebracht wird. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten: Ein Mehr an Sicherheitsgefühl mindert Freiheit. In der Demokratie kann es daher keinen Maximierungsauftrag zugunsten des Sicherheitsgefühls geben.

212 Zum Grundrechtseingriff durch die Videoüberwachung vgl. BVerfG, NVwZ 2007, 688 (690); VGH Mannheim, VBlBW 2004, 20 (21 f.); Schewe, NWVBl. 2004, 415 (416 f.); Kutscha, LKV 2003, 114 (114); Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 731 (732); Roos, Kriminalistik 2002, 464 (467); ders., Kriminalistik 1994, 674 (675); Fischer, VBlBW 2002, 89 (92); Roggan, NVwZ 2001, 134 (136); Waechter, NdsVBl. 2001, 77 (79); Hasse, ThürVBl. 2000, 169 (170); Kloepfer / Breitkreutz, DVBl. 1998, 1149 (1152); Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung, 2002, S. 139 ff. m.w. N. Ggf. kann die Videoüberwachung auch noch andere Grundrechte – wie z. B. die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG oder die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG – beeinträchtigen, wenn aus Furcht vor einer staatlichen Beobachtung die Grundrechtsbetätigung unterlassen wird; vgl. dazu Schewe, NWVBl. 2004, 415 (417); s. a. VGH Mannheim, VBlBW 2004, 20 (26 f.). Ausführlich zum Einsatz und zur Bedeutung der Videoüberwachung als Maßnahme zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls s. o. 1. Kap. B.II.1. 213 Siehe dazu oben 1. Kap. B.II.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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e) Konsequenzen aus diesem Verhältnis von Freiheit und Sicherheitsgefühl Aus der Erkenntnis, dass mit einer Verbesserung des Sicherheitsgefühls zugleich eine Bedrohung für die Freiheit einhergeht, lassen sich zwei mögliche Konsequenzen ziehen. Entweder ist der Demokratie zu ihrem Selbstschutz ein relativer Schutz des Sicherheitsgefühls gestattet, wobei die Balance zwischen Demokratie und Sicherheitsgefühl gewahrt sein muss. Angesichts der deutschen Geschichte ließe sich dieser Schutz gewissermaßen als „Lehre aus Weimar“ bezeichnen. Oder aber – das wäre die andere Konsequenz – die Pflege des Sicherheitsgefühls ist der Demokratie völlig fremd. Der demokratische Staat darf sich gar nicht um das Sicherheitsgefühl kümmern. Es kann allerdings paradox werden, wenn dem Staat der Schutz des Sicherheitsgefühls um der Demokratie willen verwehrt ist, weil dieser Schutz die für die Demokratie notwendige Freiheit beeinträchtigt. Denn wenn das Unsicherheitsgefühl allzu groß wird, ergreifen die Bürger eigene Maßnahmen zur Erhöhung und Wiederherstellung des Sicherheitsgefühls. Eine solche Maßnahme kann zum einen in dem individuellen Grundrechtsverzicht liegen. Wie oben dargestellt, 214 führt ein defizitäres Sicherheitsgefühl, führt Furcht zu einem Vermeideverhalten. Der sich fürchtende Bürger verzichtet auf die Ausübung grundrechtlich garantierter Freiheiten. Aus Furcht legt sich der Bürger also eine Selbstbeschränkung der Freiheitsausübung auf. Eine weitere Reaktion des Bürgers auf ein defizitäres Sicherheitsgefühl kann – neben dem Grundrechtsverzicht – darin bestehen, dass der furchtsame Bürger selbst für seine Sicherheit sorgt. Der Bürger ergreift eigene Sicherungsmaßnahmen, von denen er sich ein Mehr an Sicherheitsgefühl verspricht. Das Bedürfnis nach Sicherheitsgefühl wird dann außerhalb der staatlichen Organisationsstrukturen befriedigt. Der Schutz des Sicherheitsgefühls wird gleichsam privatisiert. Solche eigenen Sicherungsmaßnahmen können in Form von technischen Sicherungen wie verbesserten Schlössern oder Alarmanlagen erfolgen. Sie können aber auch in der Beauftragung Privater, wie etwa privater Sicherheitsdienste bestehen. Diese von Privaten selbst vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen sind nicht nur ein Problem der Staatlichkeit – genauer des Gewaltmonopols 215 –, sondern auch eines der Demokratie. Durch diese privaten Sicherungsmaßnahmen können auch die grundrechtlich gewährleisteten Freiheiten der anderen Bürger begrenzt und beschränkt werden; etwa indem anderen – wie bei gated communities – der Zugang zu sonst offen zugänglichen Flächen verwehrt wird oder indem öffentlicher Raum privatisiert und bestimmte Personen von dessen Nutzung ausgeschlossen werden.

214 215

S.o. 1. Kap. B.III.1. S.o. 5. Kap. B.I.4.b).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

So führt in der Summe die Privatisierung des Schutzes des Sicherheitsgefühls zu einer Beschränkung der Freiheitsausübung insgesamt. Für die Demokratie, die der politischen und bürgerlichen Freiheit bedarf 216, wirken solche Freiheitsbeschränkungen – sei es, dass sie sich der Bürger selbst auferlegt, sei es, dass sie durch andere erfolgen – genauso wie eine durch den Staat initiierte Freiheitsbeschränkung. Entscheidend ist, dass der Bürger letzten Endes seine Freiheitsrechte nicht ausübt, entweder weil er es aus Furcht unterlässt oder weil er durch andere daran gehindert wird. Ob sich die Beschränkung der Freiheit dabei aufgrund staatlichen Handelns oder aus dem Selbstverzicht oder dem Zwang anderer Mitbürger ergibt, ist letztlich für den Schutz der Demokratie zweitrangig. Die Freiheit wird nicht mehr ausgeübt; die Demokratie, deren zentrale Voraussetzung die Freiheit ist, wird im Kern gefährdet. Es entsteht dadurch die Paradoxie, dass einerseits der Schutz des Sicherheitsgefühls, weil er die Freiheit einschränkt, der Demokratie zuwider läuft, andererseits aber ohne den Schutz des Sicherheitsgefühls die Freiheit auch beeinträchtigt wäre, der Demokratie also ebenfalls ihre Voraussetzung fehlte. Was folgt nun aus dieser Paradoxie von Schutz des Sicherheitsgefühls und Demokratie für den das Sicherheitsgefühl schützenden Staat? Die erste Erkenntnis, die sich daraus gewinnen lässt, ist, dass dem demokratischen Staat das Sicherheitsgefühl seiner Bürger nicht völlig gleichgültig sein darf. Der demokratische Staat (darf und) muss ein gewisses Maß an Sicherheitsgefühl gewährleisten. Er muss sich um das Sicherheitsgefühl kümmern. Die zweite Erkenntnis aus der Paradoxie muss sodann lauten: Staatliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls müssen mit den Grundlagen der Demokratie vereinbar sein. Sie müssen demokratiekonform sein. Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch den Staat um der Demokratie willen ist Aufgabe des demokratischen Prozesses. Er darf nur mit demokratischen Mitteln und nur im Rahmen der Konstitutionsbedingungen der Demokratie erfolgen. Dabei hat der das Sicherheitsgefühl schützende Staat das Freiheitskonzept der Demokratie zu beachten. Diese Schlussfolgerungen betreffen allerdings zunächst nur den demokratischen Staat, nicht sein für die Sicherheit zuständiges Organ, die Polizei. Geht es aber um die Frage, ob sich der demokratische Staat bei der Erfüllung seiner Staatsaufgabe, sich um das Sicherheitsgefühl zu kümmern, der Polizei bedienen darf, gilt jedoch Entsprechendes. Denn die Polizei darf zum Schutz des Sicherheitsgefühls nur das tun, was der Staat tun darf. Das Sicherheitsgefühl, das der demokratische Staat nicht maximieren darf, darf auch die Polizei nicht maximieren. Das bedeutet, dass es einen Maximierungsauftrag „Schutz des Sicherheitsgefühls“ für die Polizei ebenso wenig gibt wie für den demokratischen Staat selbst.

216

S.o. 5. Kap. B.I.5.c)(6).

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei zum Wohle der Demokratie muss die oben dargestellten Vorgaben der Demokratie – insbesondere die wesentliche Bedeutung der Freiheit für die Demokratie sowie den Schutz der Minderheit und des Andersartigen – beachten. Daher hat der polizeiliche Schutz des Sicherheitsgefühls im Hinblick auf die Freiheit rechtlich begrenzt zu sein. Zudem müssen die Verfahren zum Schutz des Sicherheitsgefühls demokratiekonform sein. Eine exzessive Kontrolle der Bürger durch die Polizei – insbesondere durch den Einsatz moderner Technik –, durch die dem Bürger die grundrechtlich gewährleistete und von der Demokratie geforderte Ausübung von Freiheit verwehrt wird, ist damit ausgeschlossen. 217 Vor allem aber lässt sich der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei nicht abstrakt bestimmen, sondern bedarf einer konkreten demokratischen Legitimation. Er kann nicht auf Grundlage allgemeiner Befugnisnormen wie § 8 Abs. 1 PolG NRW oder § 14 OBG NRW erfolgen. Das Sicherheitsgefühl lässt sich nicht einfach über das Rechtsgut „Demokratie“ innerhalb der Generalklauseln schützen. Demokratie ist zu komplex, um ihren Schutz vollkommen der freien Entscheidung und dem Ermessen der Polizei zu überlassen. Demokratie verlangt eine Balance zwischen Sicherheitsgefühl und Freiheit. Die jeweiligen Vorgaben dafür muss entsprechend dem demokratischen Prinzip der Gesetzgeber machen. Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei erfordert somit eine demokratiekonforme und auf das Sicherheitsgefühl konkret ausgerichtete gesetzliche Rechtsgrundlage. Was zum Schutz des Sicherheitsgefühls um der Demokratie willen möglich ist und wieweit ein solcher Schutz gehen soll, muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber bestimmen. Dabei wird er die Vorgaben der Demokratie – das Konzept der Freiheit, den Schutz von Minderheiten und des Andersartigen – berücksichtigen müssen. Insbesondere hat der Gesetzgeber festzulegen, welche Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls unter welchen Voraussetzungen von der Polizei ergriffen werden können. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass Furcht höchst individuell ist. So fürchten sich Personen, obgleich sie relativ stark gefährdet sind, weniger als andere, deren Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, ungleich geringer ist. Angesichts solcher individuell unterschiedlicher Furchtempfindungen und -empfindlichkeiten sind auch die Erwartungen an die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls individuell unterschiedlich. 218 Diesem Umstand wird eine gesetzliche Grundlage zum Schutz des Sicherheitsgefühls um der Demokratie willen Rechnung tragen müssen. Die gegenwärtige Rechtslage sieht diese Differenzierungen und Konkretisierungen aber nicht vor. Auf ihrer Grundlage lässt sich das Sicherheitsgefühl bislang aber nicht einfach über das Rechtsgut „Demokratie“ schützen.

217 218

Zur exzessiven Kontrolle vgl. auch schon BVerfGE 69, 315 (349). Diese Unterschiedlichkeit in den Erwartungen wiederum ist Zeichen von Freiheit.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

f) Ergebnis Das Rechtsgut „Demokratie“ kann auf Grundlage des gegenwärtigen Rechts nicht als Rechtfertigung und Ermächtigung für polizeiliche Maßnahmen, die zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls beitragen sollen, herangezogen werden. Ein Schutz des Sicherheitsgefühls über das Rechtsgut „Demokratie“ bedarf spezieller, demokratiekonformer Regelungen. 219 6. Das Sicherheitsgefühl als Teil eines Rechtsguts „Freiheit von Furcht“ Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Teil der öffentlichen Sicherheit könnte sich aus dem Schutz eines Rechtsguts „Freiheit von Furcht“ ergeben. Dazu müsste die „Freiheit von Furcht“ ein Rechtsgut sein, also ein von der Rechtsordnung anerkanntes Gut. Ausdrücklich ist eine solche rechtliche Anerkennung zwar nicht erfolgt; Freiheit von Furcht ist nicht explizit durch Normen des öffentlichen Rechts unter den Schutz des Staates gestellt. Allerdings könnte sich ein Rechtsgut Freiheit von Furcht aus anderen Rechtsnormen – einfachgesetzlichen Vorschriften und solchen des Grundgesetzes – ableiten lassen. a) Herleitung eines Rechtsguts „Freiheit von Furcht“ aus § 241 Abs. 1 und § 238 Abs. 1 StGB Als einfachgesetzliche Vorschriften, die zur Herleitung eines Rechtsguts Freiheit von Furcht herangezogen werden könnten, kommen die Straftatbestände der Bedrohung nach § 241 Abs. 1 StGB und des Nachstellens nach § 238 StGB in Betracht. (1) Herleitung aus § 241 Abs. 1 StGB § 241 Abs. 1 StGB regelt die Strafbarkeit desjenigen, der vorsätzlich einen anderen mit der Begehung eines gegen diesen oder eine diesem nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht. Als von § 241 Abs. 1 StGB geschütztes Rechtsgut wird gemeinhin der subjektive Rechtsfrieden genannt. 220 Unter dem subjektiven Rechtsfrieden ist dabei das Vertrauen des Einzelnen auf seine durch das Recht gewährleistete Sicherheit zu verstehen. 221 Mit anderen Worten: § 241 219

S.o. 5. Kap. B.I.5.e). Vgl. statt vieler nur Schäfer, in: Leipziger Kommentar (10.A.), § 241, Rn. 2; Eser, in: Schönke / Schroeder, Strafgesetzbuch, § 241, Rn. 2; Spendel, Zum Problem der Bedrohung durch einen Gewalttäter, in: FS Schmitt, S. 205 (207) jeweils m.w. N. 221 Lackner / Kühl, Strafgesetzbuch, § 241, Rn. 1. 220

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Abs. 1 StGB sanktioniert, dass jemand durch das Verhalten eines anderen bedingt Furcht vor einer Straftat empfindet. Insoweit soll § 241 Abs. 1 StGB eine gewisse Freiheit von Furcht gewährleisten. 222 Allerdings ist die von § 241 StGB gewährleistete Freiheit von Furcht aus mehreren Gründen zu eng, um als Rechtsgut zur Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls zu dienen. Erstens erfordert § 241 StGB eine gewisse Konkretheit der Tat. Es ist zwar keine unmittelbare zeitliche Nähe zwischen der Ankündigung und der Begehung des Verbrechens erforderlich, aber es darf sich bei der angekündigten Tat nicht bloß um irgendein, sich irgendwann ereignendes Verbrechen handeln. 223 Dies ist beim Sicherheitsgefühl anders. Wie oben ausgeführt 224 resultiert das Sicherheitsgefühl aus einer unspezifischen Bedrohungslage. Für den sich Fürchtenden sind Täter, Tat und Tatzeit nicht eindeutig bestimmbar. Der Fürchtende hat zwar gewisse Vorstellungen, was ihm drohen könnte und durch wen. Er fürchtet sich aber nicht vor einer konkreten Tat und nicht vor einem konkreten Täter. Zweitens erfordert § 241 Abs. 1 StGB als Tathandlung die Drohung mit einem Verbrechen. Die von § 241 Abs. 1 StGB sanktionierte Beeinträchtigung der Freiheit von Furcht zeichnet sich also dadurch aus, dass sie durch eine Ankündigung des Täters erfolgt. Bei der das Sicherheitsgefühl beeinträchtigenden Furcht ist dies hingegen nicht der Fall. Die Furcht wird nicht dadurch ausgelöst, dass jemand eine Straftat ankündigt, sondern allenfalls dadurch, dass bestimmten Personen – wie etwa Obdachlosen oder „herumlungernden“ Jugendlichen in der Fußgängerzone – die Begehung von Straftaten zugeschrieben wird. Zudem – und das ist der dritte Grund – muss bei § 241 Abs. 1 StGB die Tathandlung, d. h. die Drohung mit dem Verbrechen, vorsätzlich erfolgen. 225 Bei § 241 Abs. 1 StGB wird die Furcht des Opfers vom Täter also bewusst und gezielt hervorgerufen. Auch hier unterscheidet sich die das Sicherheitsgefühl reduzierende Furcht von der durch die Bedrohung i. S. d. § 241 Abs. 1 StGB hervorgerufenen Furcht. Wenn die das Sicherheitsgefühl beeinträchtigende Furcht schon nur in 222 Schroeder, in: FS Lackner, S. 665 (671); ders., GA 2003, 54 (54); Teuber, Die Bedrohung, S. 60 ff.; Träger / Schluckebier, in: Leipziger Kommentar (11.A.), § 241, Rn. 1. 223 BGHSt 17, 307 (308); Schäfer, in: Leipziger Kommentar (10.A.), § 241, Rn. 5; Eser, in: Schönke / Schroeder, Strafgesetzbuch, § 241, Rn. 5; s. a. Träger / Schluckebier, in: Leipziger Kommentar (11.A.), § 241, Rn. 6 ff. 224 S.o. 4. Kap. A.I.1. 225 Dieser dritte Grund kann allerdings nur bedingt als Argument gegen eine Herleitung eines Rechtsguts Freiheit von Furcht aus § 241 StGB herangezogen werden, denn üblicherweise wird es beim Schutzgut „Unverletzlichkeit der Rechtsordnung“ für ausreichend angesehen, dass eine Vorschrift des Strafrechts in ihrem Tatbestand verwirklicht ist, es also auf den Vorsatz und die Schuld nicht ankommt; vgl. BVerwGE 64, 55 (61); VG Karlsruhe, NJW 1988, 1536 (1537); Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8, Rn. 12; Schoch, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Kap., Rn. 68.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

wenigen Fällen unmittelbar durch das Verhalten anderer Menschen ausgelöst wird, so wird erst recht davon auszugehen sein, dass die Furcht nur in ganz seltenen Fällen vorsätzlich hervorgerufen wird. Eine Ausnahme mag der „Bürgerschreck“ sein, der durch seine Andersartigkeit schockieren und Furcht verursachen will. § 241 Abs. 1 StGB garantiert demnach zwar eine gewisse Freiheit von Furcht; der Tatbestand der Bedrohung erfasst aber nur eine bestimmte Entstehung der Furcht. § 241 Abs. 1 StGB schützt die Freiheit von Furcht nur gegen das bewusste und zielgerichtete Hervorrufen von Furcht mittels Ankündigen einer konkreten Straftat. Damit ermächtigt § 241 Abs. 1 StGB die Polizei nur insoweit, Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls zu ergreifen, als die das Sicherheitsgefühl beeinträchtigende Furcht durch eine Bedrohung mit einer relativ konkreten Straftat entsteht und sich die polizeilichen Maßnahmen gegen den Drohenden richten. Darüber hinausgehende Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls lassen sich nicht auf ein von § 241 Abs. 1 StGB geschütztes Rechtsgut stützen. (2) Herleitung aus § 238 Abs. 1 StGB Ebenfalls die Freiheit von Furcht als zu schützendes Rechtsgut hat der am 31. März 2007 neu eingeführte Stalkingstraftatbestand, § 238 Abs. 1 StGB 226. 227 Dieser erfasst Verhaltensweisen des Täters, die beim Opfer in der Weise Furcht hervorrufen, dass dies zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führt. 228 Zwar erfasst der Straftatbestand des Nachstellens gem. § 238 StGB – anders als der der Bedrohung nach § 241 Abs. 1 StGB – gerade auch nonverbale furchtverursachende Verhaltensweisen. Die Furcht, vor der das Opfer durch § 238 Abs. 1 StGB geschützt werden soll, kann auch durch kommunikationslose Verhaltensweisen wie etwa das in § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannte „Aufsuchen der Nähe“ erfolgen. Um jedoch als Herleitung für ein Rechtsgut Freiheit von Furcht zu fungieren, ist auch § 238 Abs. 1 StGB zu eng. Erstens erfasst er nur solche Verhaltensweisen, bei denen der Täter dem Opfer „nachstellt“. Dieses „Nachstellen“ 226 Eingefügt durch das Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (40. Str.ÄndG) vom 22. 3. 2007, BGBl. I S. 354. 227 Kinzig, ZRP 2006, 225 (257); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238); a. A. Valerius, JuS 2007, 319 (320): Freiheit der Lebensgestaltung; ähnlich Vahle, DVP 2007, 233 (233). Zum von § 238 StGB geschützten Rechtsgut ausführlicher Kinzig, aaO.; Meyer, ZStW 115 (2003), 249 (284). 228 Bei der Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB handelt es sich damit – anders als noch im Vorschlag des Bundesrates vorgesehen, nach dem der Stalking-Straftatbestand als Gefährdungsdelikt ausgestaltet war – um ein Erfolgsdelikt, Gazeas, KJ 2006, 247 (253); s. a. Valerius, JuS 2007, 319 (323).

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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setzt voraus, dass der Täter sich dem Opfer aufdrängt, um es einzuschüchtern und um bei ihm Furcht zu erregen. 229 Sein Handeln muss dabei auf ein bestimmtes Opfer ausgerichtet sein, auf dieses abzielen. Zweitens fordert § 238 StGB, dass der Täter dieses Nachstellen „beharrlich“ tut. Darunter ist zu verstehen, dass sich die „nachstellende“ Verhaltensweise wiederholt. 230 Einmalige einschüchternde Handlungen hingegen fallen nicht unter das Tatbestandsmerkmal der „Beharrlichkeit“. 231 Schon an diesen beiden Tatbestandsmerkmalen dürfte es regelmäßig bei den üblichen das Sicherheitsgefühl beeinträchtigenden Verhaltensweisen fehlen. Sie zielen nicht auf den anderen, den sich Fürchtenden ab, sondern erfolgen als Ausübung von Freiheit „einfach so“. Selbst der „aggressive“ Bettler, der sich dem Passanten nähert, mag sich ihm vielleicht noch aufdrängen und er mag dies vielleicht auch deshalb tun, damit der Passant sich fürchtet und ihm aus Furcht Geld gibt. Das Merkmal des wiederholten und gezielten Aufsuchens, wie es das „beharrliche Nachstellen“ fordert, dürfte aber letztlich fehlen. Schließlich ist der Straftatbestand des Nachstellens nach § 238 StGB aber auch noch aus einem dritten Grund zu eng, um als Herleitung eines Rechtsguts Freiheit von Furcht zu fungieren. Denn § 238 Abs. 1 StGB fordert zudem noch, dass das beharrliche Nachstellen „unbefugt“ erfolgt. Durch dieses Tatbestandsmerkmal soll nach Ansicht des Gesetzgebers der Straftatbestand auf strafwürdige Fälle beschränkt werden. 232 Es soll die „sozialadäquaten“ Fälle des „Nachstellen“ von der Strafbarkeit ausnehmen. Denn auch alltägliche Verhaltensweisen könnten sonst den objektiven Tatbestand des Nachstellens erfüllen. 233 Gerade um solche alltäglichen Verhaltensweisen handelt es sich bei den üblichen das Sicherheitsgefühl beeinträchtigenden Verhaltensweisen, wie dem geselligen Aufenthalt von Punks in der Fußgängerzone und dem Betteln. Es sind Verhaltensweisen, die zwar nicht von jedem praktiziert und nicht von jedem toleriert werden, bei denen es sich gleichwohl um die Ausübung grundrechtlich gewährleisteter Freiheit handelt, die nur durch ihre Andersartigkeit hervorstechen, nicht aber strafwürdig i. S. d. § 238 StGB sind. 229

BT-Drs. 16/575, S. 7; Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238); Valerius, JuS 2007, 319

(321). 230 Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); Valerius, JuS 2007, 319 (322); Steinberg, JZ 2006, 30 (32). 231 Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); s. a. Gazeas, KJ 2006, 247 (254): Die wiederholte Begehung ist zwar notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die „Beharrlichkeit“. 232 BT-Drs. 16/575, S. 7; BT-Drs. 16/1030, S. 7; s. a. Gazeas, KJ 2006, 247 (255); Valerius, JuS 2007, 319 (322); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240). Ausführlicher zur Frage der Strafwürdigkeit des Stalkings allgemein Meyer, ZStW 115 (2003), 249 (276 ff.). 233 Als Beispiel wird immer das – zumindest zunächst – erfolglose Werben eines Mannes um eine Frau durch das Schreiben von Liebesbriefen genannt; vgl. Valerius, JuS 2007, 319 (322), s. a. Gazeas, KJ 2006, 247 (255): Wiederholte Telefonanrufe, um in einer Sorgerechtsstreitgkeit eine gütliche Einigung zu finden.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Wie schon § 241 StGB gewährleistet auch § 238 StGB eine gewisse Freiheit von Furcht, erfasst aber nur eine bestimmte Form der Furchtverursachung, nämlich durch das gezielte wiederholte Bedrängen und Kontaktieren einer anderen Person in sozial-inadäquater Weise. Die Polizei kann auf Grundlage von § 238 StGB daher nur solche das Sicherheitsgefühl verbessernde Maßnahmen ergreifen, die auf eben solche Furchtverursachungen abzielen. Weiter gehende, das Sicherheitsgefühl schützende Maßnahmen lassen sich nicht auf ein durch § 238 StGB konstituiertes Rechtsgut stützen. (3) Ergebnis Freiheit von Furcht ist zwar sowohl bei § 241 StGB als auch bei § 238 StGB das geschützte Rechtsgut, seinen Schutz und damit seine rechtliche Anerkennung erfährt es nur in dem engen Rahmen, den die Tatbestände der §§ 238, 241 StGB abstecken. Ein umfassendes Rechtsgut Freiheit von Furcht lässt sich hingegen nicht aus diesen strafrechtlichen Vorschriften ableiten. b) Grundrechtliche Herleitung eines Rechtsguts „Freiheit von Furcht“ Freiheit von Furcht könnte seine rechtliche Anerkennung in Verfassungsbestimmungen finden und dadurch zu einem von der Polizei zu schützenden Rechtsgut werden. Ausdrücklich ist ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht zwar nicht im Grundgesetz aufgeführt, es könnte sich aber aus anderen grundgesetzlichen Bestimmungen ableiten lassen. 234 Es wurde schon vielfach von verschiedenen Seiten versucht, die Existenz eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht zu begründen. Dabei finden sich diese Begründungsansätze in ganz unterschiedlichen Kontexten, wie z. B. bei der Frage der Kernenergie oder bei der Diskussion eines Grundrechts auf Sicherheit. Aufgrund der unterschiedlichen historischen Kontexte, in denen das Grundrecht auf Freiheit von Furcht herangezogen und diskutiert wurde, variieren auch die dogmatischen Herleitungen eines solchen Grundrechts auf Freiheit von Furcht.

234 Oder aus „grundrechtsähnlichem Recht“. So wird auch versucht, ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) herzuleiten, s. u. Dabei handelt es sich genaugenommen nicht um eine grundrechtliche Herleitung. Da die EMRK in der deutschen Rechtsordnung aufgrund des die Ratifizierung durch den Bundespräsidenten ermächtigenden Zustimmungsgesetzes i. S. d. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG verankert ist und – je nach Auffassung – zumindest doch einen übereinfachgesetzlichen Status hat, soll die Herleitung aus der EMRK an dieser Stelle erfolgen. Ausführlich zur Stellung der EMRK im deutschen Recht siehe Giegerich, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), EMRK / GG, Kap. 2, 42 ff.; Haratsch, MenschenRechtsMagazin 2000, S. 62 (62 ff.) jeweils m.w. N.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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(1) Wie muss ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht aussehen? Bevor auf die einzelnen Herleitungsmodelle eingegangen wird, soll zuvor noch die Frage geklärt werden, wie ein solches Grundrecht auf Freiheit von Furcht aussehen muss, damit es für die in dieser Arbeit aufgeworfene Fragestellung, ob die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen darf, hilfreich ist. Für den Schutz von Rechtsgütern durch die Polizei gilt zunächst folgende Grundaussage: Da Rechtsgüter durch die Rechtsordnung geschaffen und konkretisiert werden, wird ein Gut als Rechtsgut nur so weit geschützt, wie seine rechtliche Anerkennung reicht. 235 Die Reichweite, der Schutzumfang und insbesondere die Schutzrichtung eines Rechtsguts bestimmen sich demnach nach der Rechtsnorm, durch die das entsprechende Gut seine Anerkennung und Konkretisierung als Rechtsgut erfahren hat. Bei der Begründung eines von der Polizei zu schützenden Rechtsguts aus grundrechtlichen Bestimmungen kommt dieser Grundaussage wesentliche Bedeutung zu. Denn die Grundrechte sind in ihrer primären Funktion Abwehrrechte. Sie sollen den Bürger vor Eingriffen seitens des Staates schützen. Für ein aus einem Grundrecht als Abwehrrecht abgeleitetes Rechtsgut bedeutet dies, dass die Schutzrichtung des Rechtsguts gegen den Staat gerichtet ist. Die Polizei müsste also das Rechtsgut nur gegen staatliche Eingriffe schützen. Daneben lassen sich den meisten Grundrechten aus ihrem objektiv-rechtlichen Gehalt auch Schutzpflichten entnehmen. 236 Aufgrund ihres objektiv-rechtlichen Gehalts verpflichten diese Grundrechte den Staat, „sich schützend und fördernd vor die in den Grundrechten genannten Rechtsgüter zu stellen“. 237 Anders als in ihrer Eigenschaft als Abwehrrechte richten sich die Grundrechte in ihrer Funktion als Schutzpflichten gegen von Dritten ausgehende Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Rechtsgüter. Der Staat muss demnach auch Gefahren, die von Dritten drohen, abwehren. Für Rechtsgüter, die ihre Anerkennung durch solche Schutzpflichten auslösende Grundrechte finden, bedeutet das: Die Polizei ist befugt, das Rechtsgut gegen Beeinträchtigungen von nichtstaatlicher Seite, also gegen von Dritten verursachte Gefahren zu schützen. Für den polizeilichen Rechtsgüterschutz ist es damit von zentraler Bedeutung, ob ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut aus einem Grundrecht als Abwehrrecht oder auch aus einer grundrechtlichen Schutzpflicht hergeleitet wird. Denn dies bestimmt die Richtung des polizeilichen Schutzes des Rechtsguts. Für den Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei und seine mögliche Rechtfertigung über ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut Freiheit von Furcht, 235 236 237

Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 80. Zur Herleitung der Schutzpflichten siehe bereits oben 2. Kap. B.I.2.c). BVerfGE 46, 160 (164); 53, 30 (57); 56, 54 (78).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

das seine rechtliche Anerkennung aus den Grundrechten bezieht, stellt sich so die Frage, was für eine Schutzrichtung ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht haben muss, damit das davon geschützte Rechtsgut Freiheit von Furcht als Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls dienen kann. Entscheidend dafür ist, gegen wen diese polizeilichen Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls gerichtet sind. Der Fragestellung der Arbeit – Darf die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen? – liegt ein bestimmtes Szenario zu Grunde: 238 Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ist beeinträchtigt, weil sich die Bürger vor Kriminalität fürchten. Sie fürchten sich davor, Opfer von Straftaten wie Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung oder Diebstahl zu werden. Die zentrale Schutzrichtung beim Schutz des Sicherheitsgefühls ist demnach die Furcht vor dem Übergriff durch Dritte, nicht die Sorge vor staatlichen Übergriffen. Diese mag es zwar auch geben – etwa in bestimmten Szenen wie bei radikalen Atomkraftgegnern, die bei ihren Protesten gegen Atomtransporte Übergriffe durch die diese begleitenden Polizisten befürchten. Die Befürchtungen dieser Gruppen bilden aber nicht das hier in Rede stehende „Sicherheitsgefühl“. Deren Sicherheitsgefühl wird daher auch nicht von der Polizei geschützt und ist auch nicht Ziel der polizeilichen Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls. Soll also der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei über den Schutz eines Rechtsguts Freiheit von Furcht gerechtfertigt werden, muss dieses Rechtsgut in seiner Schutzrichtung gegen den Bürger als Verursacher der Furcht gerichtet sein. Für die grundrechtliche Herleitung eines Rechtsguts Freiheit von Furcht bedeutet dies, dass ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht nicht nur in seiner abwehrrechtlichen Dimension bestehen, sondern eine Schutzpflicht begründen muss. (2) Die verschiedenen Herleitungsmodelle eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht Bei der Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht lassen sich verschiedene Herleitungsmodelle finden, die zumeist auf die Grundrechte zurückgreifen. (a) Historische Herkunft des Rechts auf Freiheit von Furcht Die Idee eines Rechts auf Freiheit von Furcht stammt ursprünglich aus der USamerikanischen Verfassungstradition. So hatte sich bereits bei den Gründungsvätern der amerikanischen Verfassung die Erkenntnis durchgesetzt, dass es für die Ausübung von Freiheit bedeutsam ist, dass der Bürger frei von Furcht ist. Denn ohne die Freiheit von Furcht kann die Freiheit nicht ausgeübt werden. Allerdings 238

Ausführlich dazu bereits oben 1. Kap. B.I., II.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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richtete sich diese Freiheit von Furcht – dem amerikanischen Verfassungsverständnis entsprechend, welches stark von der Staatstheorie Lockes geprägt ist 239 – gegen den Staat. Der Bürger sollte in Freiheit von Furcht vor dem Staat leben können. Die Verfassungsväter meinten erkannt zu haben, dass die größte Gefahr für die Freiheit der Bürger von der Furcht vor willkürlicher Bestrafung, vor einer Bestrafung von Handlungen, die keinen Gesetzesbruch darstellen, ausgeht. 240 Deshalb sah die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1787 in Art. 1 Abschnitt 9 (für die Union) bzw. Abschnitt 10 (für die Einzelstaaten) das Verbot sog. ex-post-facto-Gesetze vor, von Strafgesetzen, die erst nach der Begehung der Tat erlassen wurden. Durch das Verbot von ex-post-facto-Gesetzen ist der Staat gehindert, den Bürger für Handlungen zu bestrafen, die nicht strafbar waren, als sie vorgenommen wurden. 241 Der Bürger sollte darauf vertrauen können, dass er nicht morgen für etwas bestraft wird, was er heute rechtmäßig tut. Diese Regelung des Verbots von ex-post-facto-Gesetzen war für die Gründungsväter der amerikanischen Verfassung so bedeutend, dass es – neben dem Recht auf habeas corpus-Schutz und dem Verbot von Einzelfallgesetzen („bills of attainder“) – das einzige „Grundrecht“ war, das in die amerikanische Verfassung aufgenommen wurde. 242 Das Verbot rückwirkender Gesetze war damit schon verfassungsrechtlich verankert, bevor 1791 mit den Verfassungszusätzen („Amendments“) 1 –10 der eigentliche Grundrechtskatalog, die Bill of Rights, in die Verfassung aufgenommen wurde. Seine Bedeutung für die amerikanische Verfassungstradition lässt sich auch daran ablesen, dass das Verbot von ex-postfacto-Gesetzen sogar von den Anhängern der Federalists akzeptiert wurde, die einen Grundrechtskatalog, eine Bill of Rights, in der Verfassung für entbehrlich hielten, weil nach dem Verständnis der Federalists alle Freiheiten beim Bürger bleiben, sie deshalb nicht ausdrücklich genannt werden müssten. 243 239 Zum Einfluss Lockes Dietze, Liberaler Kommentar zur amerikanischen Verfassung, S. 20 ff.; Adams, Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit, S. 192 f. Neben Locke hat auch Pufendorf die amerikanische Verfassungsdiskussion beeinflusst, vgl. auch Augat, Die Aufnahme der Lehren Samuel von Pufendorfs (1632 –1694) in das Recht der Vereinigten Staaten von Amerika; insbesondere zum Rückwirkungsverbot S. 308 ff. 240 Federalist Papers, Art. 84; „Civis Rusticus“, in: The Debate on the Constitution, Part I, p. 361. Vgl. dazu auch die abweichende Meinung des Richters Iredell im Fall Calder v. Bull (1798), 3 Dall., pp. 399. 241 Nowak / Rotunda, Constitutional Law, p. 339; Tribe, American Constitutional Law, pp. 632; Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 501 f. 242 Barron / Dienes, Constitutional Law, p. 147; Gunther, Constitutional Law, p. 406. 243 Vgl. Federalist Papers, Art. 84; „Marcus“ (James Iredell), in: The Debate on the Constitution, Part I, p. 396; nach dessen Auffassung das Verbot rückwirkender Gesetze „worth ten thousand Declarations of Rights“ sei, ebenda. Zur Position der Federalists bei der Frage der Erforderlichkeit einer Bill of Rights vgl. Oppen-Rundstedt, Die Interpretation der amerikanischen Verfassung im Federalist, S. 107 f.; Dietze, Freiheit und Eigentum in

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Dem Verständnis der amerikanischen Verfassungsgeber nach ist die Freiheit von Furcht, die das Verbot von ex-post-facto-Gesetzen gewährleisten soll, also gegen den Staat gerichtet. Die Furcht, von der der Bürger frei sein soll, ist die Furcht vor dem Staat – genauer vor einer rückwirkenden Bestrafung durch den Staat. Von seiner ursprünglichen Idee her bedeutet das Recht auf Freiheit von Furcht damit nichts anderes als den Gedanken des Vertrauensschutzes. Es soll dem Bürger Schutz vor Rückwirkung gewähren, zunächst vor der von Strafgesetzen, später – nach der Aufnahme der Bill of Rights 1791 und vor allem nach der Aufnahme des 14. Zusatzartikels, der due-process-of-law-Klausel, von 1868 – auch von einigen anderen Gesetzen. 244 Das Recht auf Freiheit von Furcht der amerikanischen Verfassungstradition ist insoweit identisch mit dem (speziellen) Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes aus Art. 103 Abs. 2 GG und dem (allgemeinen) aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG. 245 (b) Freiheit von Furcht als Menschenrecht Ein weiteres Mal taucht die Idee einer Freiheit von Furcht 1948 in der „Allgemeinen Erklärung der Menschrechte“ der Vereinten Nationen auf. Dort heißt es in der Präambel „[...] und da die Schaffung einer Welt, in der den Menschen, frei von Furcht und Not, Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird, [...]“. Diese Formulierung eines Rechts auf Freiheit von Furcht geht zurück auf eine Rede des US-Präsidenten F. D. Roosevelt, die dieser am 6. Januar 1941 vor dem USKongress gehalten hat. 246 In dieser als „Vier-Freiheiten-Rede“ bezeichneten Rede der amerikanischen Überlieferung, S. 22 f.; und zur Bedeutung des Verbots von ex-postfacto-Gesetzen vor diesem Hintergrund ders., The Political Theory of the Federalist, p. 180. Zur (Gegen-) Position der Antifederalists Levy, Origins of the Bill of Rights, pp. 1, insb. pp. 28. Grds. zur Entstehung und Annahme der Bill of Rights Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl, S. 792 ff. 244 Vgl. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 70. Zur Entwicklung des Rückwirkungsverbotes in der Rechtsprechung des Supreme Courts s. a. Corwin, The Constitution and what it means today, pp. 97; Tribe, American Constitutional Law, pp. 632, 637. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Wortlaut von Art. 1 Abschnitt 9 und 10 nach das Rückwirkungsverbot an sich nicht nur auf Strafgesetze beschränkt ist. Die Beschränkung auf strafrechtliche Gesetze erfolgte erst durch die enge Auslegung der ex-post-facto-Klausel durch den Supreme Court im Fall Calder v. Bull (1798), 3 Dall., pp. 386; vgl. dazu Kisker, Die Rückwirkung von Gesetzen, S. 71 ff. 245 In diese Richtung bereits Currie, Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 10 f.; vgl. auch Iliopoulos-Strangas, Rückwirkung und Sofortwirkung von Gesetzen, S. 35 ff. Zum Rückwirkungsverbot allgemein Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 163 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 139 ff. jeweils m.w. N. 246 F. D. Roosevelt, Vier-Freiheiten-Rede vor dem Kongress am 6. Januar 1941, abgedruckt in: Schambeck / Widder / Bergmann (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 472 (472 ff.).

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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forderte Roosevelt als vierte der grundlegenden Freiheiten die Freiheit von Furcht. In der Atlantik-Charta vom 12. August 1941, die Roosevelt zusammen mit dem britischen Premierminister Churchill verfasst hat, wird diese Freiheit von Furcht nochmals aufgegriffen. 247 Die Roosevelt’sche Freiheit von Furcht ist dabei – anders als noch die der amerikanischen Verfassungsväter – nicht mehr gegen den Staat gerichtet; zumindest nicht gegen den eigenen Staat, den Staat, dessen Staatsangehörigkeit man besitzt und in dem man lebt, sondern gegen andere Staaten. Roosevelts Forderung nach Freiheit von Furcht entstand vor dem Hintergrund der konkreten historischen Umstände des Jahres 1941 mit den Expansionsbestrebungen Deutschlands und Japans. Daher verstand Roosevelt unter seiner Freiheit von Furcht – wie er es selbst in seiner Rede erklärt – „international gesehen, eine weltumfassende Abrüstung, so gründlich und bis zu einem solche Grade, dass kein Land mehr in der Lage ist, irgendeines seiner Nachbarländer gewaltsam anzugreifen –, und zwar überall in der Welt“ 248. Die Roosevelt’sche Freiheit von Furcht bezieht sich demnach auf die Furcht vor Krieg und seinen Folgen. Insoweit hat die Freiheit von Furcht einen recht engen Anwendungsbereich und ist nur auf die spezielle Furcht vor Krieg gerichtet. Die Menschen sollten von einer solchen Furcht vor Krieg befreit sein. Aufgrund der Bezugnahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) auf die Vier-Freiheiten-Rede Roosevelts und auf die Atlantik-Charta ist davon auszugehen, dass die Freiheit von Furcht in der Präambel damit – wie Roosevelts Freiheit von Furcht – gegen die Furcht vor Krieg gerichtet ist. 249 In diesem Fall zielt die Freiheit von Furcht der Präambel der AEMR in Richtung eines Rechts auf Frieden, so wie es die UNO später in ihrer „Erklärung über das Recht der Völker auf Frieden“ vom 12. November 1984 postuliert hat. 250 Selbst wenn man die Freiheit von Furcht in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte allgemeiner verstehen mag, 251 so lässt sich dennoch daraus kein Grundrecht auf Freiheit von Furcht ableiten, geschweige denn ein entsprechendes Rechtsgut Freiheit von Furcht, das als Rechtfertigung für 247

Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, S. 113. F. D. Roosevelt, Vier-Freiheiten-Rede vor dem Kongress am 6. Januar 1941, abgedruckt in: Schambeck / Widder / Bergmann (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 472 (476). 249 Als weiteres Indiz dafür mag auch gelten, dass die Vorsitzende der die AEMR ausarbeitenden Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen Eleanor Roosevelt, die Witwe F.D. Roosevelts, war. Zur Kodifikationsgeschichte vgl. Kempfler, JA 2004, 577 (577 f.); Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, S. 115 f. 250 In diese Richtung geht auch Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 189. Zum Recht auf Frieden Tomuschat, Europa-Archiv 9/1985, 271 (271 ff.); Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, S. 313 ff.; Pape, Humanitäre Intervention, S. 57 f. 251 So etwa Kriele, Die Menschenrechte zwischen Ost und West, S. 16 ff. 248

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

polizeiliche Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls fungieren könnte. Denn der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte könnte es zum einen an einer völkerrechtlichen Bindungswirkung fehlen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde nur durch eine Resolution der UNO-Generalversammlung verabschiedet. Sie sollte nach dem Willen der Unterzeichner kein völkerrechtliches Rechtsgeschäft sein und daher auch keine Rechte und Pflichten begründen, sondern lediglich einen feststellenden Charakter haben. 252 Gleichwohl wird ihr teilweise als völkerrechtliches Gewohnheitsrecht eine normative Verbindlichkeit zugesprochen, so dass sich aus ihr Rechte ableiten ließen. 253 Dagegen, ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht aus der AEMR abzuleiten, spricht zudem jedoch – unabhängig von der umstrittenen normativen Verbindlichkeit der AEMR – ein Umstand: Die Freiheit von Furcht in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist nicht als ein eigenes Menschenrecht formuliert – so wie etwa das Recht auf Leben in Art. 3 AEMR –, sondern wurde lediglich in der Präambel erwähnt. 254 Freiheit von Furcht ist lediglich einer der Erwägungsgründe für die Erklärung der Menschenrechte. Die in der Präambel beschworene Freiheit von Furcht gibt ein Urbedürfnis des Menschen wieder, ohne es aber zu einem eigenen Menschenrecht zu machen. 255

252

Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, Band I, S. 541 f.; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität: Der Verpflichtungsgrad internationaler Menschenrechte, S. 32. 253 So etwa Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1000, 1007; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1234 ff.; McDougal / Lasswell / Chen, Human Rights and World Public Order, p. 274; Sohn, American University Law Review 1982, 1 (17); a. A. hingegen Henkin, International Law: Politics and Values, p. 177; Kälin, in: ders. / Malinverni / Nowak (Hrsg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 65 (76), der hervorhebt, dass die AEMR nicht neues Recht schaffen, sondern nur den Ausgangspunkt für neues Recht bilden wollte. Grds. zum Streit über die völkerrechtliche Verbindlichkeit der AEMR Hailbronner, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Rn. 223; Daes, Status of the Individual and Contemporary International Law, S. 22; Partsch, EuGRZ 1989, 1 (2) jeweils m.w. N. Allgemein zur Universalität der Menschenrechte Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, insb. S. 227 ff.; Delbrück, in: Zunker (Hrsg.), Weltordnung oder Chaos? – Festschrift zum 75. Geburtstag von Klaus Ritter, S. 551 (551 ff.). 254 Während der Beratungen über die AEMR wurde zwar anfangs angedacht, Freiheit von Furcht zu einem eigenen Menschenrecht auszugestalten, darauf wurde aber später verzichtet, „Freiheit von Furcht (Recht auf Schutz)“, in: Memorandum und Fragebogen für die UNESCO über die theoretischen Grundlagen der Menschenrechte, in: Um die Erklärung der Menschenrechte, S. 357; vgl. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 224, Fn. 124. 255 Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 189. Die Präambel stellt also nur den naturrechtlichen Ableitungszusammenhang der Menschenrechte her, Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte, S. 116.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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(c) Freiheit von Furcht aus dem Recht auf Freiheit und Sicherheit aus Art. 5 Abs. 1 EMRK Einen ebenfalls völkerrechtlichen Ansatz zur Begründung des Rechts auf Freiheit von Furcht greift ein Herleitungsmodell auf, das vornehmlich von Roman Herzog vertreten wird und das sich auf das Recht auf Freiheit und Sicherheit aus Art. 5 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beruft. 256 Nach Herzogs Auffassung gewährleistet Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK neben der Freiheit auch die Sicherheit. Dabei verwende – so Herzog – die EMRK einen weiten Sicherheitsbegriff, der sich nicht auf die persönliche Freiheit beschränke, sondern auf alle Lebensbereiche ausgedehnt werden müsse. 257 Auf diesem weiten Sicherheitsbegriff beruht Herzogs Begründung, wenn er aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK ein Recht auf Freiheit von Furcht herzuleiten versucht. Dabei geht Herzog von der Wortbedeutung von Sicherheit aus. Sicherheit stamme vom lateinischen „securitas“ ab, das „Freiheit von cura“, also von „Sorge“ bedeute. 258 Sicherheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK meine daher die Freiheit von Beunruhigung. 259 Dies bestätige – so Herzog – auch der Rückgriff auf die englische und französische Fassung des Art. 5 EMRK, die die Begriffe „security“ und „sûreté“ verwende, und deren Auslegung im Kontext der jeweiligen Verfassungen und des jeweiligen Verfassungsrechts. 260 Herzog führt dabei besonders Art. 8 der französischen Verfassung vom 24. 3. 1793 an, der diese Verwendung des Begriffs Sicherheit als Freiheit von Beunruhigung bestätige. 261 Herzog kommt so zu dem Ergebnis, dass Sicherheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK wegen der Wortbedeutung die Freiheit von Beunruhigung zum Gewährleistungsgegenstand habe. Einen Anlass, von dieser aus der wörtlichen Übersetzung gewonnenen Auslegung abzuweichen, sieht Herzog nicht, sei doch das Grundrecht der Sicherheit als Voraussetzung freier Entfaltung gedacht. 262 256 Herzog, Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 18. Zu der Frage, wie aus einem aus der EMRK abgeleiteten Recht ein (deutsches) Grundrecht werden soll, äußerst sich Herzog allerdings nicht. Da er daneben auch noch ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2, 3 GG (i.V. m. Art. 1 GG) herleitet, bedarf es für ihn dieser Überleitung nicht; vgl. Herzog, ebenda, S. 19. 257 Herzog, Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 17. 258 Herzog, Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 17 f. 259 Herzog, Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 18. 260 Herzog, Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 17, 18. 261 Herzog, Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 18.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Gegen diesen an Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK anknüpfenden Begründungsansatz Herzogs lässt sich jedoch vorbringen, dass dieser von einem anderen Verständnis des Begriffs „Sicherheit“ in Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK ausgeht, als dies heute gemeinhin üblich ist. 263 Gemeinhin wird heute dem Begriff der Sicherheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 EMRK keine eigenständige Bedeutung beigemessen. 264 Dies legt schon der Wortlaut der weiteren Sätze und Absätze des Art. 5 EMRK nahe, der bei der Einschränkbarkeit des in Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK genannten Rechts auf Freiheit und Sicherheit nur noch von Einschränkungen der persönlichen Freiheit spricht. Sicherheit ist im Zusammenhang mit Freiheit zu sehen und daher wird unter Sicherheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 EMRK lediglich der Schutz vor willkürlichen Freiheitsbeschränkungen verstanden. 265 Sicherheit ist damit letztlich identisch mit der Rechtssicherheit, welche durch die Wahrung der verfahrensmäßigen Beschränkungen von Eingriffen in die Freiheit erreicht wird. 266 Wenn Sicherheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK aber keine eigenständige Bedeutung hat und nicht über die Gewährleistung von Rechtssicherheit und Verfahrensrechten bei der Freiheitsbeschränkung hinausgeht, kann auch nicht von einem weiten Sicherheitsbegriff, der für alle Lebensbereiche gelten und der die Freiheit von Sorgen bei der Grundrechtsausübung nehmen soll, ausgegangen werden. Die Herleitung eines (Grund-)Rechts auf Freiheit von Furcht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 EMRK – so wie Herzog sie vorschlägt – ist damit nicht möglich. (d) Freiheit von Furcht aus der Menschenwürde In der Bundesrepublik ist vielfach der Versuch unternommen worden, ein Recht auf Freiheit von Furcht grundrechtlich zu begründen. Dabei setzen viele Herleitungsversuche bei der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG an. 267 262

Herzog, Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 18. 263 Ausführlich zum heutigen Verständnis von Sicherheit i. S. d. Art. 5 Abs. 1 EMRK in Rechtsprechung und Literatur Trautwein, Freiheitsentzug im Verwaltungsrecht, S. 61 ff. m.w. N. 264 EGMR No. 24561/94, § 57; Dörr, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), EMRK / GG, Kap. 13, Rn. 32; Frowein / Peukert, Art. 5, Rn. 4; Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Rn. 313; Trautwein, Freiheitsentzug im Verwaltungsrecht, S. 61. 265 EGMR Rep. 1998-III, 1152, § 123 – Kurt; Rep. 2000-X, 225, § 58 – Varbanov; MeyerLadewig, Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 5, Rn. 1; Dörr, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), EMRK / GG, Kap. 13, Rn. 32 m.w. N. 266 Dörr, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), EMRK / GG, Kap. 13, Rn. 32. 267 Vgl. Roßnagel, Grundrecht und Kernkraftwerke, S. 42 ff.; Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386 (387); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 143; Häberle, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 37 (1978) S. 127; s. a. Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 308 f., der zur Herleitung Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG heranzieht.

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Die Würde des Menschen gründet in dem, was sein Menschsein, seine Persönlichkeit ausmacht, nämlich in seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Selbstgestaltung; 268 oder – negativ formuliert – in seinem „Wissen um die prinzipielle Unverfügbarkeit seiner Selbst für den anderen“ 269. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert dem Menschen diese Menschenwürde. Der Staat ist verpflichtet, sie zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG). Wann der Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde einschlägig ist und ein Eingriff in diesen erfolgt, bedarf allerdings der Konkretisierung, die – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – in Ansehung des einzelnen Sachverhalts und unter Herausbildung von Fallgruppen zu geschehen hat. 270 Zumeist erfolgt diese Konkretisierung vom Verletzungsvorgang her. Einen solchen Verletzungsvorgang sieht das Bundesverfassungsgericht nach der so genannten Objektformel 271 darin, dass der Einzelne zum Objekt staatlichen Handelns gemacht wird und er so das Bewusstsein seiner selbst als Subjekt verliert. 272 Der Einzelne handelt dann nicht mehr selbstbestimmt, sondern erfährt sich als Objekt des Handelns anderer. Als ein solches Objekt erfährt sich der Mensch beispielsweise, wenn er Angriffen anderer – sei es des Staates, sei es privater Dritter – ausgesetzt ist, denen er wehr- und hilflos gegenübersteht. Hier knüpft die Herleitung des Grundrechts auf Freiheit von Furcht aus der Menschenwürde an. 273 Nach Auffassung ihrer Vertreter empfinde sich der Mensch nicht nur bei einem tatsächlichen Angriff als Objekt, sondern auch dann, wenn er in eine Lage versetzt ist, in der er jederzeit mit einem solchen Angriff zu rechnen habe. 274 Kurz gesagt: Die Furcht vor einem Angriff könne den Menschen ebenso 268 Roßnagel, Grundrecht und Kernkraftwerke, S. 43; Wertenbruch, Grundgesetz und Menschenwürde, S. 27; Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, S. 6, 20; Häberle, Rechtstheorie 1980 389 (404). Ausführlich zum Rechtsbegriff der Menschenwürde Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 10 ff. m.w. N. 269 Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 16. 270 Vgl. BVerfGE 109, 279 (311 f.). 271 Ausführlich zur Objektformel und den „Grenzen ihrer Leistungskraft“ BVerfGE 109, 279 (312 f.); vgl. auch Zippelius, in: BK, Art. 1 Abs. 1 u. 2, Rn. 63 ff.; Herdegen, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rn. 33 ff. Die Objektformel wird zurückgeführt entweder auf Dürig, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rn. 28; vgl. dazu auch Häberle, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, S. 110 ff. m.w. N., oder auf Wintrich, in: Süsterhenn, Adolf (Hrsg.), Verfassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit: Festschrift für Wilhelm Laforet, S. 227 (235 f.); vgl. dazu Herdegen, aaO., Rn. 33, Fn. 8. 272 Vgl. BVerfGE 30, 1 (25 f., 39 ff.); 96, 375 (399); 109, 279 (312). 273 Eine ausführliche Argumentation für die Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit liefert Roßnagel, Grundrecht und Kernkraftwerke, S. 43 – 44. Vgl. auch Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 143, der dessen Argumentation übernimmt. 274 Roßnagel, Grundrecht und Kernkraftwerke, S. 44; vgl. auch Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386 (387).

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zum Objekt machen wie der Angriff selbst. Denn in beiden Fällen – so Alexander Roßnagel – verlöre der Einzelne das Wissen um die Unverfügbarkeit seiner selbst für andere, unabhängig davon, ob er einem Angriff ausgesetzt sei, dem er hilflos gegenüberstehe, oder ob er sich nur vor einem solchen Angriff fürchte. 275 Bestandteil der Menschenwürde sei damit auch die Freiheit von Angst vor Gefahren, denen der Mensch ausgesetzt werde und denen er hilflos gegenüberstehe, weil er sie weder beherrschen noch beeinflussen könne. 276 Diese Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht aus der Menschenwürde ist vornehmlich in der Diskussion über die Nutzung der Kernenergie entstanden. 277 In diesem Kontext vermag sie auch zu überzeugen. Die Gefahren der Kernenergie sind sicherlich geeignet, den Einzelnen ihnen gegenüber hilflos erscheinen zu lassen. Ob allerdings Kriminalität in gleicher Weise wie die Kernenergie geeignet ist, das Opfer in einen hilf- und wehrlosen Zustand zu bringen, in dem es nur noch Objekt des handelnden Täters ist, bedarf zumindest eines gewissen Begründungsaufwands. 278 Grundsätzlich ließe sich diese Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht aber heranziehen, um ein Rechtsgut Freiheit von Furcht zu begründen, das dann Schutzgut der öffentlichen Sicherheit wäre und das einen Schutz des Sicherheitsgefühls ermöglichen könnte. Dabei dürfte es sich als Vorteil dieses Herleitungsansatzes erweisen, dass ein über die Menschenwürde begründetes „Grundrecht auf Freiheit von Furcht“ aufgrund der ausdrücklich in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG normierten Schutzpflicht der Menschenwürde auch Schutz gegen Angriff von nichtstaatlicher Seite bietet. 279 275

Roßnagel, Grundrecht und Kernkraftwerke, S. 44. Roßnagel, Grundrecht und Kernkraftwerke, S. 44; vgl. auch Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, S. 308 f.; Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386 (387), die diese Freiheit von Furcht – entsprechend der Ausrichtung ihrer Beiträge – nur auf die Furcht vor den Folgen neuer Technologien reduziert haben. Ähnlich auch Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 143, der das Ausgeliefertsein besonders hervorhebt, und Mastronadi, Der Verfassungsgrundsatz der Menschenwürde in der Schweiz, S. 283, der den Schutz des Vertrauens in die Freiheit vor Rechtsgutsverletzungen betont. Teilweise wird die Freiheit von Furcht vor der technischen Bedrohung durch Kernenergie mit der Freiheit von Furcht vor extremer materieller Not, die vielfach als grundrechtlich gewährleistet angesehen wird, verglichen, vgl. Dürig, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rn. 43 f.; Zippelius, in: BK, Art. 1 Abs. 1 u. 2, Rn. 102. 277 Vgl. nur die Argumentationen von Roßnagel, Grundrecht und Kernkraftwerke, S. 44 f.; Hofmann, Atomare Entsorgung, S. 308; Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386 (387). 278 Siehe dazu unten 5. Kap. B.I.6.c)(1), (2), (3), (4). Kritisch gegenüber einer Ausweitung des aus der Menschenwürde abgeleiteten Grundrechts auf Freiheit von Furcht auf alle Quellen von Furcht etwa Roth-Stielow, EuGRZ 1980, 386 (387), der dieses Grundrecht nur auf die Freiheit von Furcht vor den Folgen neuer Technologien beschränken möchte. Ähnlich, jedoch etwas weitergehend Mastronadi, Der Verfassungsgrundsatz der Menschenwürde in der Schweiz, S. 245, 283, 293, der es auf die Furcht vor „allen Bedrohungen der modernen Gesellschaft“ ausweiten möchte, vgl. ders., ebenda, S. 292 f. 276

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(e) Freiheit von Furcht aus der Gewissensfreiheit Der Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht aus der Menschenwürde sehr ähnlich ist ein Herleitungsmodell, das die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG zur Begründung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht heranzieht. Nach Heinrich Scholler sei Freiheit von Furcht die „modernste Erscheinungsform“ des Grundrechts der Gewissensfreiheit. 280 Bei diesem Herleitungsmodell ist allerdings zu berücksichtigen, dass es von einem anderen Verständnis der Gewissensfreiheit ausgeht, als es gemeinhin üblich ist. 281 Scholler verwendet statt des üblichen – wie er ihn nennt – philosophischen Gewissensbegriffs einen soziologisch-habitualen. Bei der Bestimmung des Begriffs Gewissen greift Scholler auf das Menschenbild des Grundgesetzes zurück und interpretiert daher das Gewissen im Lichte der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts, die für ihn der Gewissensfreiheit vorausgehen. Seiner Meinung nach bildet das Gewissen den Kern der sich in Freiheit entfaltenden Persönlichkeit und macht die unantastbare Würde des Menschen aus. Die Bedeutung des Gewissens für die Menschenwürde sieht Scholler darin, dass das Wesen des Menschen in der Freiheit der Entscheidung bestehe. 282 Die Gewissensfreiheit solle es dem Menschen ermöglichen, sittliche, den Kern der Persönlichkeit ausmachende Entscheidungen frei nach seinem Gewissen zu treffen. Diese Freiheit der Entscheidung sei jedoch nicht mehr gewährleitstet, wenn der Bürger seine Entscheidung „in sklavischer Angst“ treffen müsse. 283 Die Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht aus der Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG ist demnach der Herleitung des Grundrechts aus der Menschenwürde sehr ähnlich. Scholler geht von der Menschenwürde aus, erweitert den Schutzbereich der Gewissensfreiheit vor dem Hintergrund der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts, um schließlich wieder bei der Menschenwürde und dem Persönlichkeitsrecht zu landen, die nicht mehr gewährleistet seien, wenn der Einzelne aus Furcht keine freien Entscheidungen mehr treffen könne. Damit bringt die Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht aus der Gewissensfreiheit – gegenüber der Herleitung aus der Menschenwürde – keinen weiteren Erkenntnisgewinn. 284 Zudem begründet die Herleitung aus der Gewissensfreiheit – so wie Scholler sie vornimmt – vornehmlich ein gegen den Staat gerichtetes Recht. Ein Rechtsgut 279

Vgl. dazu nur Häberle, Rechtstheorie 1980, 389 (414 f.). Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 136. 281 Zum allgemeinen Verständnis der Gewissensfreiheit statt vieler vgl. nur Starck, in: vM / K/S, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 13; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4, Rn. 81 ff. jeweils m.w. N. 282 Hier beruft sich Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 131, auf Nipperdey, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte II, S. 1 (1 f.), der diese Ausführungen allerdings nicht zur Gewissensfreiheit, sondern zur Menschenwürde i. S. d. Art. 1 Abs. 1 GG macht. 283 Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 137. 280

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Freiheit von Furcht, das als Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls dienen kann, lässt sich so der Gewissensfreiheit nicht entnehmen. (f) Freiheit von Furcht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Daneben wird die Freiheit von Furcht auch als eine Gewährleistung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angesehen. Bei dieser Herleitung des Grundrechts auf Freiheit von Furcht legen die Vertreter dieser Auffassung das Recht auf körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG weit aus und orientieren sich am Gesundheitsbegriff der World Health Organization (WHO). Die Satzung der WHO definiert als Gesundheit „a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity“. 285 Demnach umfasst der von der WHO gebrauchte Begriff „Gesundheit“ sowohl das physische als auch das psychische Wohlbefinden; er soll das gesamte Dasein im umfassenden Sinne erfassen. 286 Für die Vertreter des weiten Gesundheitsbegriffs bedeutet das Recht auf körperliche Unverehrtheit i. S. d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG damit nicht nur den Schutz der physischen Integrität, sondern auch den Schutz des psychischen, also des seelischen und sozialen Wohlbefindens. Das psychische Wohlbefinden ist dabei der Ansatzpunkt für die Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Derjenige, der Furcht empfinde, sei in seinem psychischen Wohlbefinden und damit in seiner Gesundheit beeinträchtigt. Daher zähle auch die Freiheit von Furcht zur Gesundheit und werde deshalb über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt. Diese Argumentation vermag allerdings nicht zu überzeugen. Der von ihr verwendete Gesundheitsbegriff der WHO entspricht nicht den grundgesetzlichen Vorstellungen: Die Grundrechtsgewährleistung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfasst nicht das psychische Wohlbefinden. 287 In Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist nur von 284 Daher verortet Mastronadi, Der Verfassungsgrundsatz der Menschenwürde in der Schweiz, S. 245, das „Grundrecht auf Freiheit von Furcht“ richtigerweise in der Menschenwürde, obwohl er sich ausdrücklich auf Scholler bezieht und auf dessen Argumentationen zum Grundrecht auf Freiheit von Furcht zurückgreift. 285 Constitution of the World Health Organization in: Peaslee, International Governmental Organizations, Bd. 2, S. 1881 ff, Präambel Abs. 2. Zum Gesundheitsbegriff der WHO s. a. Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 66 ff. 286 Vgl. Steiger, Mensch und Umwelt, S. 34. 287 Vgl. dazu Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (179); Lorenz, HStR VI, §128, Rn. 18; Starck, in: vM / K/S, Art. 2 Abs. 2, Rn. 177; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2, Rn. 21; s. a. speziell zum Grundrecht auf Freiheit von Furcht Hofmann, Atomare Entsorgung, S. 308, der deshalb den Weg über die Menschenwürde wählt; s. a. Steiger, Mensch und Umwelt, S. 33 ff. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfasst allerdings auch das Freisein von psychischen Krankheitszuständen, Schmidt-Aßmann, AöR

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der „körperlichen Unversehrtheit“ die Rede, so dass schon die Auslegung nach dem Wortlaut gegen eine Einbeziehung des psychischen Wohlbefindens in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG spricht. 288 Dies bestätigt auch die Entstehungsgeschichte des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Weder beim Herrenchiemsee-Konvent noch bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat wurde zur Bestimmung der Reichweite der Grundrechtsgewährleistung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf den Gesundheitsbegriff der WHO abgestellt, obgleich dieser 1949 bei der Abfassung des Grundgesetzes bereits vorlag. 289 Vielmehr konzentrierten sich die Beratungen auf Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, wie Zwangssterilisationen oder Misshandlungen während der NS-Zeit. 290 Damit widersprechen sowohl Wortlaut als auch historische Überlegungen der Einbeziehung des psychischen Wohlbefindens – und damit auch der Freiheit von Furcht – in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Insoweit lässt sich auch aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kein Rechtsgut Freiheit von Furcht ableiten, das als Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls dienen könnte. (g) Freiheit von Furcht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG Ein weiteres Herleitungsmodell bedient sich zur Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht des Grundrechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. 291 Die Vertreter dieser Auffassung legen Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG weit aus. Für Maunz und Herzog schützt dieser die Freiheit der Person im umfassenden Sinne. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gewährleiste nicht nur die bloße Fortbewegungsfreiheit, sondern die Freiheit von jeglichem staatlichen Zwang. Zu dieser gehöre dann auch die Freiheit von Furcht. 292 Denn staatlicher Zwang könne nicht nur in physischer, sondern auch in psychischer Weise erfolgen. 293 Auch diese Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht vermag nicht zu überzeugen. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ist eng auszulegen; er schützt also nur die 1981, 205 (209); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 223. Ausführlich zum Umfang des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, insbesondere in Abgrenzung zur Gesundheit Jung, Das Recht auf Gesundheit, S. 66 f., 91. 288 BVerfGE 56, 54 (73 ff.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 2, Rn. 35; Dürig, in: Maunz / Dürig, Art. 2 II, Rn. 29 jeweils m.w. N. 289 Bleckmann, Staatsrecht II – Die Grundrechte, § 23, Rn. 15; Starck, in: vM / K/S, Art. 2 Abs. 2, Rn. 177. 290 Vgl. zu den Beratungen des Parlamentarischen Rates JöR 1 (1951), 56 ff.; so z. B. der Abgeordnete v. Mangoldt, JöR 1 (1951), S. 60. 291 Maunz, Staatsrecht, (23. A. 1980), § 14 III 3. 292 So Maunz, Staatsrecht (23. A. 1980), § 14 III 3; dieser Auffassung scheint der neue Bearbeiter Zippelius nicht zu sein, zumindest findet sich dazu keine Aussage mehr, vgl. Maunz / Zippelius, Staatsrecht, § 24 III. Maunz zustimmend Herzog, Grundrechtsbeschränkungen nach dem Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention, S. 14 ff.

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Freiheit der Person vor physischen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit. Zwar spricht Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nur von der „Freiheit der Person“. Man könnte dem Wortlaut nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als umfängliche Freiheitsgarantie verstehen, die Freiheit von jeglichem staatlichen Zwang verspricht. Einer solchen Auslegung widerspricht aber die Gesetzessystematik des gesamten Art. 2 GG. Die weite Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ist mit der Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG als dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit 294 nicht zu vereinbaren. Denn der Schutz vor ungesetzlichem staatlichen Zwang ist gerade Gegenstand dieser in Abs. 1 garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit. 295 Daher lässt sich aus dem Grundrecht auf Fortbewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG kein Rechtsgut Freiheit von Furcht ableiten, durch das sich polizeiliche Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls rechtfertigen ließen. 296 (h) Freiheit von Furcht aus der Gesamtheit der grundrechtlichen Gewährleistungen Ein weiterer Herleitungsansatz für ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht greift nicht auf ein bestimmtes Grundrecht zurück, sondern sieht das Grundrecht auf Freiheit von Furcht in allen grundrechtlichen Bestimmungen verortet. 297 Gegen eine Verankerung des Grundrechts auf Freiheit von Furcht in nur einer grundrechtlichen Norm spräche nämlich – so Robbers –, dass dann aufgrund der fehlenden Bestimmtheit die Freiheit von Furcht ein allgemeines, unspezifisches und nur schwer fassbares Postulat bliebe. 298 Es sei daher sinnvoller, Freiheit von Furcht aus der Gesamtheit aller Grundrechte abzuleiten. 299 Denn die grundrechtlichen Schützgüter selbst setzten eine Freiheit von Furcht vor Beeinträchtigung voraus. Das Vertrauen in die Integrität des grundrechtlich geschützten Rechtsguts sei Teil seiner Integrität. 300 Wer aus Furcht die freie Ausübung der ihm von den Grund293 Maunz selbst liefert keine eigene Begründung, warum die Freiheit von staatlichem Zwang auch die Freiheit von Furcht mitumfasse, vgl. ders., Staatsrecht, (23. A. 1980), § 14 III 3. Einen Versuch der Begründung unternimmt für ihn aber Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 136, insb. Fn. 24. 294 St. Rspr. seit BVerfGE 6, 32. 295 Grabitz, HStR VI, § 130, Rn. 4. 296 So i. E. auch Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 2 Abs. 2, Rn. 181; Grabitz, HStR VI, § 130, Rn. 6; v. Münch, in: v. Münch, GG I, 3. A., Art. 2, Rn. 131. 297 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 223 ff. 298 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225. 299 Im Ergebnis leitet Robbers sein Grundrecht auf Freiheit von Furcht aus einem – von ihm vorher konstruierten – Grundrecht auf Sicherheit her, vgl. ders., Sicherheit als Menschenrecht, S. 226; a. A. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 25 f., der eine solche Ausdehnung eines Grundrechts auf Sicherheit in den Bereich der subjektiven Befindlichkeiten ablehnt; s. a. ders., VVDStRL 37 (1978), S. 130 f. 300 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225.

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rechten garantierten Freiheiten nicht nutze, sei bereits in seiner grundrechtlichen Freiheit beeinträchtigt. Denn die grundrechtlichen Gewährleistungen schafften dem Einzelnen nur einen Freiraum, in dem er sich betätigen könne. Die Nutzung dieses Freiraums obliege der freien Entscheidung des Einzelnen. Die Grundrechte setzten also voraus, dass der Einzelne selbst tätig werde; ohne sein Tätigwerden hingegen blieben sie sonst nur leere „Grundrechtshüllen“. Wenn der Einzelne also durch Furcht davon abgehalten werde, grundrechtlich gewährleistete Handlungen vorzunehmen, bliebe der durch die Grundrechte geschaffene Freiraum leer. Nur wenn auch die Freiheit von Furcht gewährleistet sei, könnten die Grundrechte wahrgenommen werden. Die Freiheit von Furcht sei damit Grundvoraussetzung der Grundrechte und der grundrechtlichen Freiheit insgesamt. 301 Der Schutz der Freiheit von Furcht sei daher zugleich der Schutz der Freiheit, die die Grundrechte dem Einzelnen garantierten. 302 Dieses Herleitungsmodell umgeht das Problem, das sich etwa bei der Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht aus der Menschenwürde stellt, nämlich, dass der sich Fürchtende zum Objekt des Furchtverursachers werden muss, die Furcht also ein gewisses Ausmaß haben muss. 303 Allerdings muss sich diese Herleitung des Grundrechts auf Freiheit von Furcht die Kritik gefallen lassen, dass Reichweite und Schutzumfang unbestimmt sind und auszuufern drohen. Denn das Grundrecht auf Freiheit von Furcht dieser Herleitung will dem Bürger die freie Ausübung der grundrechtlich garantierten Freiheiten ermöglichen, indem es einen Schutz gegen die diese Ausübung verhindernde Furcht bieten soll. Es lassen sich aber eine Vielzahl solcher furchtbedingter Hindernisse für die Grundrechtsausübung denken. Man kann sich vor vielem fürchten. Ein Zustand gänzlicher Abwesenheit von Furcht wird kaum herzustellen sein. 304 Freiheit von Furcht kann daher stets nur ein Idealzustand sein. Irgendeine Furcht wird immer jemanden von der Ausübung grundrechtlicher Freiheit abhalten. Gleichwohl wird die so hergeleitete Freiheit von Furcht von ihren Vertretern nicht als eine Staatsaufgabe, als ein Optimierungsauftrag an den Staat ausgestaltet, sondern als Grundrecht auf Freiheit von Furcht, also als ein subjektives Recht. 305 Diese Ausgestaltung und Formulierung als „Grundrecht“ bedeutet dann aber, dass der Staat sich nicht nur mit der Freiheit von Furcht aller Bürger befassen müsste, sondern dass jeder einzelne Bürger einen Anspruch auf staatlichen Schutz 301

Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225. 303 S.o. 5. Kap. B.I.6.b)(2)(d). 304 Nach Auffassung mancher Philosophen sind Furcht und Angst auch das, was den Menschen ausmacht, vgl. nur Heidegger, Sein und Zeit, S. 180 ff., 184 ff., insb. 188: Angst als Grundbefindlichkeit des Menschen; vgl. dazu Roellecke, VVDStRL 37 (1990), S. 134, der daraus folgert: „‚Freiheit von Angst‘ wäre etwas Unmenschliches“. 305 Vgl. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225 f. 302

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hätte. 306 Dieser Anspruch auf Ermöglichung der Freiheitsbetätigung wäre dabei dann grundsätzlich unbegrenzt. Es wäre für den Staat nahezu unmöglich, ihn zu erfüllen. Für das aus allen Grundrechtsbestimmungen abgeleitete Grundrecht auf Freiheit von Furcht stellt sich damit dasselbe Problem, das sich auch bei dem Sozialstaatsprinzip, dem anderen Institut zur Ermöglichung der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten, stellt. Von seiner Zielrichtung, die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten zu ermöglichen, ist das aus der Gesamtheit der grundrechtlichen Bestimmungen hergeleitete Grundrecht auf Freiheit von Furcht nämlich mit dem Sozialstaatsprinzip vergleichbar, das ebenfalls die Aufgabe hat, dem Bürger die Ausübung grundrechtlich garantierter Freiheiten zu ermöglichen, nur mit dem Unterschied, dass hierbei das Hindernis in der materiellen Ausstattung des Bürgers liegt. 307 Auch hier sind die Hindernisse materieller Art für die Grundrechtsausübung kaum völlig zu beseitigen. Die Möglichkeiten staatlicher Intervention zur Mehrung des Grundrechtsnutzens sind potentiell unendlich. 308 Deshalb besteht bei der durch das Sozialstaatsprinzip intendierten Beseitigung von Hindernissen für die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten nur dann ein Anspruch auf staatliche Zuwendungen, wenn der Betroffene sich in existenzieller materieller Not befindet, es sichert also nur das Existenzminimum. 309 Diese Beschränkung des subjektiven Rechts auf staatliche Zuwendungen zur Ermöglichung der Freiheitsausübung hat 306 Zu den Grundrechten als subjektive Rechte Jellinek, System der subjektiven Rechte, S. 9 ff., 58 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 554 ff.; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Vorb. vor Art. 1, Rn. 83 ff. Zum Begriff des subjektiven Rechts Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 1 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 137 ff., insb. auch zur „Gleichsetzung der Begriffe ‚subjektives Recht‘ und ‚Anspruch‘“, dazu ebenfalls Stern, aaO., S. 555 f. Grundlegend zur Ableitung von subjektiven Rechten aus grundrechtlichen Schutzpflichten Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 234 ff.; Dietlein, aaO., S. 144 ff.; ebenso – wenngleich nur für den Schutz von Leben und Gesundheit – Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 208 ff.; s. a. S. 52 ff. jeweils m.w. N. 307 Zum Sozialstaatsprinzip Sommermann, in: vM / K/S, Art. 20, Rn. 106 ff.; Zacher, in: HStR II (3.A.), § 28, Rn. 114 ff.; Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 36 ff. Zu den wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Ausübung von Freiheit und zum daraus resultierenden Zusammenhang von Sozialstaatsprinzip und Freiheitsrechten Neumann, DVBl. 1997, 92 (96). 308 Zacher, in: HStR II (3.A.), § 28, Rn. 114. 309 Vgl. zum Anspruch auf Sozialhilfe aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V. m. dem Sozialstaatsprinzip BVerfGE 40, 121 (133); 45, 187 (228); 82, 60 (65); BVerwGE 82, 364 (367 f.); BSGE 57, 59 (63 f.); Neumann, DVBl. 1997, 92 (94). Trotz seiner Herleitung aus der Menschenwürde ist der Anspruch auf Sozialhilfe nicht unbegrenzt garantiert, sondern er steht „unter dem Vorbehalt des Möglichen“; vgl. Sommermann, in: vM / K/S, Art. 20, Rn. 125. Vgl. auch Breuer, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe und Bindung, S. 89 (112 ff.). Weitere subjektive Rechte, die aus Grundrechten i.V. m. dem Sozialstaatsprinzip hergeleitet werden können, sind z. B. der Familienlastenausgleich oder das Recht auf Teilhabe an Ausbildungsmöglichkeiten, vgl. Sommermann, in: vM / K/S, Art. 20, Rn. 124 f.

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neben dogmatischen 310 vor allem sachliche Gründe: Es ist schlicht unmöglich, alle Hindernisse materieller Art für die Betätigung der grundrechtlichen Freiheiten zu beseitigen. Ein subjektives Recht auf staatliche Unterstützung kann nur für eine Mindestsicherung bestehen. 311 Dementsprechend stellt sich auch bei dem aus der Gesamtheit der grundrechtlichen Gewährleistungen abgeleiteten Grundrecht auf Freiheit von Furcht, das darauf abzielt, emotionale, furchtbedingte Hindernisse für die Grundrechtsausübung zu beseitigen, das Problem der grundsätzlichen Unbegrenztheit staatlicher Handlungsmöglichkeiten. Ein Zustand gänzlicher Freiheit von Furcht wird sich kaum herstellen lassen – vermutlich noch weniger als ein Zustand gänzlicher Freiheit von materieller Bedürftigkeit. Insoweit ist eine Einschränkung des von Robbers postulierten Grundrechts auf Freiheit von Furcht als Grundrecht zur Freiheitsermöglichung erforderlich. Einen Anspruch auf staatlichen Schutz vor Furcht kann es nur für eine eng begrenzte Furchtfreiheit (Furchtsituationen) geben. Das Grundrecht auf Freiheit von Furcht kann also nur ein Mindestmaß an Freiheit von Furcht gewährleisten. Hierin liegt die Schwäche dieser Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht: Aufgrund seiner – durch die Herleitung aus allen Grundrechtsgewährleistungen bedingten – grundsätzlichen Weite und der daraus resultierenden Unbegrenztheit staatlicher Handlungsmöglichkeiten ist eine Einschränkung des Gewährleistungsumfangs zwangsläufig. Wie diese aber auszusehen hat, dazu lässt sich aus dieser Herleitung nichts gewinnen. Es lässt sich demnach aus allen Grundrechtsbestimmungen insgesamt zwar grundsätzlich ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht herleiten, es bleiben aber immer noch folgende wichtige Fragen offen: Wie weit soll das subjektive Recht des Einzelnen auf Freiheit von Furcht gehen? Vor welchen Ängsten, vor welcher Furcht soll es den Einzelnen schützen? (i) Freiheit von Furcht aus dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG Ein weiterer Begründungsansatz greift nicht auf die Grundrechte zurück, um ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht herzuleiten, sondern zieht das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG heran. 312 Für die Demokratie sei es von 310 Siehe zur (Un-)Möglichkeit, subjektive Rechte aus einem Verfassungsprinzip abzuleiten, ausführlicher unten 5. Kap. B.I.6.b)(2)(aa). 311 Starck, JZ 1981, 457 (459); Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 103 f.; P. Kirchhof, EuGRZ 1994, 16 (21); Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 1 I, Rn. 158 m.w. N. 312 So Arndt, NJW 1961, 897 (898). I. E. wohl auch Denninger, VVDStRL 37 (1978), S. 27 f., der die Freiheit von Angst als „Atemluft lebendiger Demokratie“ bezeichnet, aaO., S. 28.

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wesentlicher Bedeutung, dass der Einzelne frei von Furcht sei. 313 Freiheit von Furcht sei der Grundbaustein rechtsstaatlicher Freiheit, die ihrerseits Voraussetzung des politischen Prozesses der Demokratie sei: 314 Wer nicht frei von Furcht sei, könne nicht am demokratischen Prozess teilnehmen, ohne den es aber keine Demokratie gebe. Bei dieser Herleitung bleibt unklar, ob die Freiheit von Furcht des einzelnen Bürgers nur ein Erfordernis für das „Gedeihen“ der Demokratie ist oder ob sich die für die Demokratie erforderliche Freiheit von Furcht des Einzelnen zu einem individuellen Grundrecht jedes einzelnen Bürgers herausgebildet hat. 315 Soll durch diese Herleitung die Freiheit von Furcht als ein Grundrecht konzipiert werden, so weist diese Argumentation eine ganz entscheidende Unzulänglichkeit auf: Bei dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1, 2 GG handelt es sich um ein Verfassungsprinzip und um kein Grundrecht. 316 Art. 20 Abs. 1, 2 GG verfügt also nur über eine objektiv-rechtliche Wirkung, beinhaltet aber kein subjektives Recht. Es lässt sich auch aus einem Verfassungsprinzip unmittelbar selbst kein Grundrecht i. S. e. subjektiven Rechts ableiten. 317 Zwar können auch Verfassungsprinzipien bestimmte Verhaltensweisen der Bürger voraussetzen, die deshalb als subjektive Rechte des Einzelnen garantiert sind – so wie etwa die Demokratie, zur deren Grundvoraussetzungen freie und gleiche Wahlen gehören, das Recht des Einzelnen auf freie und gleiche Wahl erfordert. 318 Diese Rechte, die deshalb jedem Einzelnen zustehen, 313

Arndt, NJW 1961, 897 (898). Denninger, VVDStRL 37 (1978), S. 27 f. 315 Arndt und Denninger scheinen beide nur zu ersterer Annahme zu neigen; erst spätere Rezipienten machten aus ihrer Voraussetzung für die Demokratie ein Grundrecht, vgl. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225. 316 Volkmann, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20, Rn. 38; teilweise wird statt des Begriffs Verfassungsprinzip auch Strukturprinzip verwendet vgl. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 372 f.; ders., in: vM / K/S, Art. 20 Abs. 1, Rn. 86; Contiades, Verfassungsgesetzliche Staatsstrukturbestimmungen, S. 9 ff., 95 ff. Zur Terminologie des Begriffs der Verfassungsprinzipien Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 19 ff., 24 ff.; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 20 (Einführung), Rn. 6 ff., insb. Rn. 10; Scheuner, in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, S. 223 (233); Badura, HStR VII, § 159, Rn. 35 ff. s. a. Böckenförde, HStR I, § 22, Rn. 81 ff. Zur Abgrenzung des Begriffs Verfassungsprinzip bzw. Strukturprinzip vom Begriff Staatsziel s. a. Sommermann, in: vM / K/S, Art. 20 Abs. 1, Rn. 86 ff. Zu den Grundrechten als subjektive Rechte vgl. nur Dreier, in: ders., Grundgesetz, Vorb., Rn. 83 ff.; Badura, HStR VII, § 159, Rn. 23 ff. jeweils m.w. N. 317 Vgl. dazu für das Sozialstaatsprinzip BVerfG, NJW 1991, 3269 (3269); BVerfGE 33, 303 (331 ff.); 82, 60 (80); 82, 364 (368); s. a. Häberle, VVDStRL 30 (1971), S. 43 (90 ff.): Die objektiven Verfassungsverbürgungen bedürfen der Grundrechte als „Vehikel“, um subjektive Rechte des Einzelnen zu begründen. Grds. zur Möglichkeit, aus Verfassungsprinzipien subjektive Rechte herzuleiten, Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 368 ff., der dies zwar im Prinzip bejaht, aber stets andere Grundrechte unterstützend heranzieht, vgl. nur aaO., S. 370: „Oft wird auch der Menschenwürdesatz als subjektivierende Norm herangezogen.“ 314

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sind dann aber als eigenständige Grundrechte bzw. grundrechtsgleiche Rechte im Grundgesetz festgeschrieben und müssen – oder können – nicht unmittelbar aus dem jeweiligen Verfassungsprinzip abgeleitet werden. 319 So ist beispielsweise die – soeben angesprochene – für die Demokratie elementare Freiheit der Wahl durch Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG als grundrechtsgleiches Recht jedes einzelnen Bürgers ausgestaltet. Für die Herleitung eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht aus dem Verfassungsprinzip Demokratie folgt damit: Allein der Hinweis auf die Bedeutung der Freiheit von Furcht für die Demokratie hilft bei der Herleitung des Grundrechts nicht weiter. Die Tatsache, dass Freiheit von Furcht für die Demokratie bedeutsam ist, genügt noch nicht, um zu begründen, dass aus einem objektiv-rechtlich wirkenden Verfassungsprinzip Demokratie ein subjektiv-rechtliches Grundrecht auf Freiheit von Furcht wird, dass ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht existieren muss. (j) Zusammenfassung Die meisten dieser Herleitungen vermögen nicht zu überzeugen, allenfalls zwei – die Herleitung aus der Menschenwürde und die aus allen Grundrechtsgewährleistungen insgesamt – sind tragfähig, wenngleich auch sie Schwächen haben. So ist die eine – die Herleitung aus der Menschenwürde – aufgrund ihrer hohen Anforderungen an den Auslöser der Furcht, die sich aus der Herleitung ergeben, tendenziell sehr eng, während die andere – aus der Gesamtheit der Grundrechte – hingegen tendenziell sehr weit ist und daher den Schutz der Freiheit von Furcht ausufern zu lassen droht. Dennoch lässt sich als Ergebnis festhalten: Es gibt ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht. Offen ist allerdings noch die Frage, wie weit der Schutz eines solchen Grundrechts auf Freiheit von Furcht reicht bzw. reichen kann. c) Der Gewährleistungsumfang des Grundrechts auf Freiheit von Furcht Es stellt sich demnach die Frage, wie viel Freiheit von Furcht der Staat gewährleisten soll. Bei der Beantwortung dieser Frage nach dem Gewährleistungsumfang des Grundrechts auf Freiheit von Furcht sind zwei wesentliche, der Fragestellung

318 Vgl. dazu auch Rupp, JZ 2005, 157 (157 f.), der ein ungeschriebenes Grundrecht des Bürgers auf Mitbestimmung über das Schicksal des Gemeinwesens unmittelbar aus der Demokratie ableitet und Art. 38 GG nur als in einer Folgewirkung in Erscheinung tretend sieht. 319 Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 484 ff. bezeichnet diese als Subprinzipien.

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zugrunde liegende Prämissen zu beachten, die die Ausgangssituation maßgeblich kennzeichnen. Erstens ist die Komplexität der Umwelt zu bedenken. 320 Die Umwelt ist stets gefährlich. Ein Zustand absoluter Sicherheit ist nicht zu erreichen. Diese Komplexität, diese grundsätzliche Gefährlichkeit der Umwelt, lässt sich auch nicht vermeiden. Sie ist die Konsequenz der Konzeption der bundesdeutschen Staatlichkeit als freiheitliche Demokratie. Das Grundgesetz ist – wie aus den Grundrechten folgt – auf die Freiheit ausgerichtet. Freiheit führt indes stets dazu, dass eine gewisse Unsicherheit herrscht. Die Freiheit des einen ist nämlich – wie oben dargestellt 321 – die Unsicherheit des anderen. Diese Ausübung von Freiheit kann, obwohl sie Unsicherheit hervorruft, auch nicht vom Staat unterbunden werden. Denn es handelt sich dabei um die rechtmäßige Ausübung von Freiheit; also von Handlungen, die trotz ihrer potentiellen Gefährlichkeit vom Recht als zulässig gestattet sind, die der Staat damit auch nicht verhindern kann und darf. 322 Eine solche die Sicherheit beeinträchtigende Ausübung von Freiheit kann dabei nicht nur in der rechtmäßigen Freiheitsausübung der Bürger liegen, sondern auch in der rechtmäßigen Ausübung von Staatsgewalt bestehen. Die rechtmäßige Ausübung von Freiheit bedeutet also immer Unsicherheit. Sie schafft dabei zugleich immer auch ein Gefühl von Unsicherheit. Denn, wenn die Ausübung von Freiheit immer potentiell gefährlich ist, ihretwegen also immer Unsicherheit besteht, dann gibt es auch immer einen Grund, sich zu fürchten. In der auf Freiheit ausgerichteten Demokratie, wie sie das Grundgesetz vorsieht, gibt es daher immer einen Grund für Furcht. Ebenso wenig, wie ein Zustand absoluter Sicherheit zu erreichen ist, gibt es einen Zustand gänzlicher Abwesenheit von Furcht, also die „Freiheit“ von Furcht, und es kann ihn aufgrund dieser auf Freiheit ausgerichteten Konzeption des Grundgesetzes auch nicht geben. Die zweite wesentliche Prämisse, die es bei der Beantwortung der Frage nach dem Gewährleistungsumfang des Grundrechts auf Freiheit von Furcht zu beachten gilt, ist, dass der Staat seine sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten und der Staatsaufgabe Sicherheit ergebende 323 Sicherheitsaufgabe wahrnimmt. Es ist davon auszugehen, dass der Staat alles ihm Mögliche unternimmt, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Er sorgt mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und Kräften für den Schutz der Rechtsgüter seiner Bürger und beseitigt bestehende Gefährdungslagen. 320

S.o. 3. Kap. C.II.4. S.o. 5. Kap. B.I.5.d). 322 Ein Beispiel dafür ist der Straßenverkehr. Er birgt in sich stets das Risiko von Verletzungen, die ohne ihn unterblieben wären. Er ist also potentiell gefährlich und beeinträchtigt die Sicherheit. Gleichwohl ist der Straßenverkehr – zumindest innerhalb bestimmter Regeln – grundsätzlich gestattet. 323 S. dazu bereits oben 2. Kap. B.I., II. 321

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Wenn man diese beiden Prämissen – die Komplexität der Umwelt, die eine grundsätzliche Gefährlichkeit bedeutet und damit immer Anlass für Furcht bietet, und die gleichzeitige grundsätzliche Wahrnehmung der ihm obliegenden Sicherheitsaufgabe durch den Staat – berücksichtigt, stellt sich die Frage, welchen Mehrwert dann ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht haben soll, wo dann noch ein eigenständiger Anwendungsbereich für ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht bestehen soll. Bei der Beantwortung dieser Frage wird üblicherweise zwischen realer und irrealer Furcht unterschieden. 324 (1) Die reale Furcht Bei der realen, der berechtigten Furcht fürchtet sich der Betroffene vor objektiv bestehenden Gefahren, vor Gefährdungen, die also tatsächlich möglich und wahrscheinlich sind. Eine berechtigte Furcht empfindet beispielsweise derjenige, der sich nachts auf der Straße einem Räuber gegenübersieht. Für diese Furcht bringt ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht keinen zusätzlichen Gewinn. 325 Die Beseitigung objektiv bestehender Gefahren ist Teil der staatlichen Sicherheitsaufgabe und der Staat ist bereits aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflichten zum Schutz des Bürgers vor tatsächlichen Gefährdungen verpflichtet. Mit der Beseitigung der Gefahr verhindert der Staat zugleich auch den Eintritt des befürchteten Ereignisses. Bei der berechtigten Furcht ist demnach die Abwehr der Gefahr zugleich auch die Beseitigung des Gegenstands der Furcht. 326 Um im oben genannten Beispiel zu bleiben: Durch die Verhinderung des drohenden Raubs wird dem Betroffenen auch die Furcht vor dem Räuber genommen. Der Schutz des Bürgers vor tatsächlich bestehenden Gefahren und vor der Furcht vor solchen Gefahren erfolgt somit aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflichten. Eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht bedarf es für eine solche berechtigte Furcht nicht. (2) Die irreale Furcht Bei der irrealen Furcht hilft die staatliche Sicherheitsaufgabe hingegen nicht weiter. 327 Unter irrealer Furcht sind die Befürchtungen zu verstehen, die auf eine irreale, tatsächlich nicht vorhandene Gefahr gerichtet sind. Eine solche kann 324 Vgl. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 363 f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225 ff.; Waechter, DVBl 1999, 809 (812 f.). 325 Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 364. 326 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 226.

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beispielsweise im Hexenwahn oder in der Furcht vor einer Überfremdung durch Ausländer bestehen. 328 Hier ist eine Beseitigung der Furcht durch die Abwehr der befürchteten Gefahr nicht möglich, weil es an der dafür erforderlichen tatsächlichen Gefährdungslage gerade fehlt. Die staatliche Sicherheitsaufgabe mit ihren Maßnahmen der Gefahrenabwehr ist demnach nicht geeignet, eine Freiheit von irrealer Furcht zu gewährleisten. Insoweit könnte einem Grundrecht auf Freiheit von Furcht ein neben den grundrechtlichen Schutzpflichten eigenständiger Anwendungsbereich zukommen. Betrachtet man allerdings die Entstehung der irrealen Furcht, so stellt sich dennoch die Frage, wozu ein solches Grundrecht auf Freiheit von Furcht den Staat dann verpflichten soll. Denn die irreale Furcht entsteht und besteht allein in der subjektiven Vorstellung des sich Fürchtenden. Es gibt also keine äußeren Umstände, auf die so eingewirkt werden kann, dass sich der Betroffene nicht mehr fürchtet. In dem oben erwähnten Beispiel kann der Staat ja nicht die Hexen vertreiben, vor denen sich der Fürchtende fürchtet. Um die irreale Furcht zu beseitigen, kann der Staat nur auf subjektive Vorstellungen des sich Fürchtenden einwirken. Dies dürfte nur durch Informations- und Aufklärungshandeln möglich sein und nicht durch Maßnahmen der Gefahrenabwehr, insbesondere nicht durch Zwangsmaßnahmen. 329 Ein weiteres Problem für ein mögliches Grundrecht auf Freiheit von Furcht, das den Staat verpflichten soll, die irreale Furcht des Betroffenen zu beseitigen, stellt sich in der Kollision mit anderen Grundrechten – auch des sich Fürchtenden. Wenn eine Beseitigung der irrealen Furcht nur durch die Einwirkung auf die subjektiven Vorstellungen des sich Fürchtenden erfolgen kann, so schließt sich daran die Frage an, ob der Staat dies überhaupt darf oder ob er damit unverhältnismäßig in andere Grundrechte eingreift. Der dem Grundrecht auf Freiheit von Furcht entstammenden Verpflichtung des Staates, für die Abwesenheit von irrealer Furcht für den Einzelnen zu sorgen, könnte nämlich ein Grundrecht auf Furcht entgegenstehen, ein Recht des Einzelnen also darauf, sich zu fürchten. Denn ein Einwirken auf die Furcht einer Person bedeutet ein Einwirken auf die Gefühle und Vorstellungen dieser Person. Das Informations- und Aufklärungshandeln des Staates darf daher keinen zwingenden Charakter haben. Es muss letztlich gelten: Wer sich unbedingt fürchten will, muss dies auch können, ohne dass der Staat auf seine Gefühle einzuwirken versucht. Wer also – wie im Beispiel – unbedingt an eine Überfremdung durch Ausländer glauben und sich davor fürchten will, muss dies auch dürfen, unabhängig davon, wie unsinnig das anderen erscheinen mag.

327 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 226; s. a. Waechter, DVBl 1999, 809 (812 f.). 328 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 226. 329 Waechter, DVBl 1999, 809 (813); Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 226.

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(3) Die übersteigerte Furcht Diese pauschale Unterscheidung zwischen realer und irrealer bzw. berechtigter und unberechtigter Furcht wird allerdings der Komplexität der Entstehung von Furcht nicht gerecht. Oftmals – das hat gerade das Beispiel der Kriminalitätsfurcht gezeigt – lässt sich Furcht nicht schlicht als real oder irreal bezeichnen. Diese strikte Trennung passt für den Großteil der Fälle nicht. Vielmehr stellt die typische Furchtsituation eine Zwischenstufe zwischen der als real und der als irreal bezeichneten Lage dar. Die Furcht ist zumeist insoweit berechtigt, als sie auf tatsächlich mögliche Gefährdungen gerichtet ist. Andererseits kann die Furcht auch als irreal bezeichnet werden, insoweit als sie über das „normale“ Maß hinausgeht, sie also übersteigert ist. Der Betroffene fürchtet sich vor einer Gefahr, die zwar tatsächlich besteht oder zumindest bestehen kann, deren Eintrittswahrscheinlichkeit aber ungleich niedriger ist, als er es befürchtet. Diese Zwischenstufe zwischen der realen und der irrealen Furcht soll hier als übersteigerte Furcht bezeichnet werden. Eine solche übersteigerte Furcht empfindet beispielsweise derjenige, der nachts auf einer dunklen Straße – in Kenntnis der grundsätzlichen Gefährlichkeit und der Möglichkeit von Straftaten wie Raub und Nötigung – eine ihm unheimliche Person sieht und glaubt, diese wolle ihn überfallen, obwohl dies nicht der Fall ist. Ursächlich für diese übersteigerte Furcht, die sich nicht eindeutig in die Kategorien „real“ oder „irreal“ einordnen lässt, ist, dass der Gegenstand der Furcht, also, wovor sich jemand fürchtet, nicht immer identisch ist bzw. sein muss mit den Anlässen, weswegen sich derjenige fürchtet. 330 Wenn sich also beispielsweise jemand in einer dunklen Gasse davor fürchtet, beraubt zu werden, weil ihm eine unbekannt und bedrohlich erscheinende Gestalt entgegen kommt, so ist der Gegenstand der Furcht, dass man Opfer eines Raubes wird, der Anlass für die Furcht hingegen die unbekannte dunkle Gestalt, die ihm in der dunklen Gasse begegnet. Dabei hat sich gezeigt, dass z. B. bei der Kriminalitätsfurcht die Anlässe und Gründe für das Entstehen von Furcht durchaus ausgesprochen zahlreich und vielfältig sein können. So können beispielsweise bei der Furcht vor Gewaltkriminalität die Gründe für die Furcht Faktoren wie etwa „herumlungernde“ Jugendliche, eine offene Drogenszene oder auch Zeichen des sozialen Verfalls wie Müll oder allgemeine Unordnung im öffentlichen Raum sein. 331 Diese Anlässe für die Entstehung einer übersteigerten Furcht werden nicht durch die Wahrnehmung der allgemeinen Sicherheitsaufgabe durch den Staat beseitigt. Für ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht bedeutet das Folgendes: Die übersteigerte Furcht wird nicht – anders als die reale Furcht – allein durch die 330 Insoweit ist es unpräzise, wenn von „begründeter“ und „unbegründeter“ Furcht gesprochen wird, so wie etwa Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 226; ähnlich Waechter, DVBl 1999, 809 (813): „berechtigte“ Furcht. 331 S.o. 4. Kap. B.II.5.b).

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Wahrnehmung der staatlichen Sicherheitsaufgabe beseitigt. Dies belegen – die schon oben 332 angesprochenen – Untersuchungen zur Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. Ein Absinken der Kriminalitätsrate führt nicht zwingend zu einem Absinken der Kriminalitätsfurcht. Zugleich beruht die übersteigerte Furcht – anders als die irreale Furcht – nicht allein auf subjektiven Vorstellungen des sich Fürchtenden, die von staatlicher Seite nicht beeinflusst werden können, sondern auch auf äußeren, objektiven Faktoren. Es gibt also bei der übersteigerten Furcht einen eigenständigen Anwendungsbereich für ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht jenseits der staatlichen Sicherheitsaufgabe und diesseits der Einwirkung auf die subjektiven Vorstellungen der sich Fürchtenden. Gegen diese Faktoren wäre dann – anders als bei der irrealen Furcht – ein staatliches Vorgehen möglich. Der Mehrwert eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht könnte bei der übersteigerten Furcht in der Einwirkung auf die sonstigen äußeren Entstehungsfaktoren der Furcht bestehen. Bei der Kriminalitätsfurcht sind diese äußeren Faktoren beispielsweise in der Fremd- und Andersartigkeit der Verhaltensweisen anderer Bürger zu sehen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass andersartige und unterschiedliche Verhaltensweisen – auch wenn sie bei anderen Furcht verursachen – als Ausdruck der Komplexität des menschlichen Zusammenlebens vom Staat nur eingeschränkt, also nicht gänzlich unterbunden werden können. Denn – anders als bei der Gefahr – handelt es sich bei diesen äußeren Faktoren nicht um rechtlich missbilligte Verhaltensweisen, sondern um die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten, also um Verhaltensweisen, die gerade vom Recht gebilligt werden. 333 Die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten darf nicht einfach aufgrund einer von anderen empfundenen Furcht eingeschränkt werden. Bei einer solchen Situation der Grundrechtskollision kann ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht Einschränkungen anderer grundrechtlicher Freiheiten nicht rechtfertigen. 334 Denn Freiheit von Furcht ist als grundrechtliches Schutzgut zu subjektiv. Furcht ist ein Gefühl, ein „existentielles, innerseelisches Moment“ 335. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass – wenn andersartige Verhaltensweisen unterbunden werden sollen – auf äußere, objektive Faktoren eingewirkt wird. Denn auch die Wirkung andersartiger Verhaltensweisen ist subjektiv. Der eine mag angesichts solcher Verhaltsweisen Furcht empfinden, der andere hingegen empfindet sie als „normal“. Es fehlt damit ein objektivierter Maßstab für den Staat, an dem er seine Handlungspflichten aus einem Grundrecht auf Freiheit von Furcht orientieren kann und ohne den 332

S.o. 4. Kap. A.III. S. dazu bereits o. 5. Kap. B.I.5.d). 334 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225. Aus diesem Grund ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht ablehnend Isensee, VVDStRL 37 (1978), S. 130 f.; Grabitz, VVDStRL 37 (1978), S. 133; Roellecke, VVDStRL 37 (1978), S. 134. Vgl. auch BVerfGE 59, 231 (261): Die Existenzangst eines freien Rundfunkmitarbeiters begründet keinen Anspruch auf Festanstellung. 335 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 26. 333

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staatliches Handeln die für den Bürger erforderliche Rechtssicherheit vermissen lässt. Auch bei der übersteigerten Furcht besitzt ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht insoweit keinen eigenständigen Anwendungsbereich. (4) Die Furcht vor Risikotechnologien Ein eigenständiger Anwendungsbereich kommt einem Grundrecht auf Freiheit von Furcht allerdings für eine besondere Fallgruppe zu: der Furcht vor Risikotechnologien. Damit ist die Sorge vor Gefährdungen, die aus Risikotechnologien entstehen können, gemeint. Als technisches Risiko wird der mögliche, aber ungewisse Eintritt von unerwünschten Wirkungen bei der Verwendung technischer Systeme bezeichnet. 336 Wenn diese unerwünschten Wirkungen einer Technologie schwere, überregionale Folgen haben können, so wird oft – vor allem von den Gegnern dieser Technologien – von einer Risikotechnologie gesprochen. 337 Bekanntestes Beispiel einer solchen Risikotechnologie ist die Kernenergie. Risikotechnologien zeichnen sich demnach durch eine relative Unbegrenztheit und relative Schwere der möglichen Schäden trotz einer relativ geringen und oftmals ungewissen Schadenswahrscheinlichkeit aus. Unter der Furcht vor Risikotechnologien ist daher die Sorge vor dem Eintritt der unerwarteten Folgen zu verstehen. Dabei sind nicht alle möglichen Folgen solcher Risikotechnologien Gegenstand der Furcht, sondern zumeist nur die schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Folgen, also nur das sog. Störfallrisiko und nicht das Normalbetriebsrisiko. 338 Befürchtet werden demnach vor allem Ereignisse, die massive Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit haben können. Für die so verstandene Furcht vor Risikotechnologien kann ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht einen zusätzlichen Gewinn bringen, denn es verfügt in diesen Fällen über einen eigenständigen Anwendungsbereich. Der Grund für diesen eigenständigen Anwendungsbereich eines Grundrechts auf Freiheit von Furcht folgt aus der Besonderheit von Risikotechnologien: Die staatliche Sicherheitsaufgabe ist tendenziell ungeeignet, die aus der Risikotechnologie resultierenden Gefährdungen abzuwehren. Denn anders als bei klassischen Gefahren können, wenn sich das Risiko einer solchen Technologie realisiert, die unerwünschten Wirkungen 336 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 81; Roßnagel, in: ders., Recht und Technik im Spannungsfeld der Kernenergiekontroverse, S. 198 (209 ff.). 337 Gleich, in: Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (Hrsg.), Die Natur der Natur, IWT-Paper Nr. 23, S. 54 (62). 338 Zum Störfall- und Normalbetriebsrisiko vgl. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 188.

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nicht mehr mit den üblichen Mitteln der staatlichen Gefahrenabwehr beseitigt werden. Eine Kernexplosion entzieht sich den Gefahrenabwehrmaßnahmen von Polizei- und Ordnungsbehörden; die Polizei kann die freigesetzte Strahlung nicht wieder einfangen. Damit reicht die aus den grundrechtlichen Schutzpflichten abgeleitete staatliche Sicherheitsaufgabe nicht aus, um eine Freiheit von Furcht zu gewährleisten. Sie kann keinen Schutz vor den befürchteten Gefährdungen bieten und folglich auch nicht die Furcht davor beseitigen. Maßnahmen im Vorfeld der Entstehung der Gefahr, die möglicherweise einen Schutz vor den befürchteten Gefährdungen bieten könnten, lassen sich nicht auf die staatliche Sicherheitsaufgabe stützen. Aufgrund der fehlenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit und der Ungewissheit des Schadenseintritts liegt nämlich noch keine – für die staatliche Sicherheitsaufgabe notwendige – Gefahr, sondern lediglich ein Risiko vor. 339 Die Furcht vor Gefährdungen der Risikotechnologie könnte allerdings durch die staatliche Risikovorsorge 340 beseitigt oder zumindest gemindert werden. Durch Maßnahmen der Risikovorsorge kann das Risiko dieser Technologien so weit gemindert werden, dass eine Gefährdung – soweit angesichts der grundsätzlichen Komplexität menschlicher Umwelt überhaupt möglich – mit nahezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden und es deshalb auch keinen Grund mehr für die Furcht vor solchen Risiken geben kann. Die Risikovorsorge nimmt einem Grundrecht auf Freiheit von Furcht vor Risikotechnologien aber nur dann den eigenständigen Anwendungsbereich, wenn der Risikovorsorge dieselbe rechtliche Qualität zukommt wie einem Grundrecht auf Freiheit von Furcht, also wenn der Bürger einen Anspruch auf staatliche Risikovorsorgemaßnahmen hat. Dies ist aber nicht der Fall. Eine Pflicht des Staates, Risikovorsorge zu betreiben, besteht nicht. Für die staatliche Risikovorsorge gilt nämlich grundsätzlich: Weil die Risikogestaltung der Gegenwartsgesellschaft derart kontingent ist, obliegt die Entscheidung, welche Risiken mit welchen Mitteln und in welcher Intensität bekämpft werden, der Politik. Es gibt also nur eine politische, aber keine juristische Auswahlentscheidung dafür, ob und wie Risikovorsorge betrieben werden soll. 341 Vor allem lässt sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten grundsätzlich kein subjektives Recht auf eine staatliche Risikovorsorge 339

Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 21, 29 m.w. N. Ausführlich zur Risikovorsorge vgl. nur Preuß, in: Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 537 ff.; Stoll, Sicherheit als Aufgabe von Staat und Gesellschaft, 319 ff., insb. 322; Calliess, DVBl. 2002, 1725 (1727); Breuer, DVBl. 1978, 829 (836 f.), jeweils m.w. N. Zum Begriff des Risikos insb. in Abgrenzung zur Gefahr Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 52 ff.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S, 83 ff.; Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 228 ff.; zum Begriff des Risikos in der Soziologie Luhmann, Soziologie des Risikos; Beck, Risikogesellschaft, weitere Nachweise bei Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 52, Fn. 46. 341 Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, S. 459. 340

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ableiten. Zwar muss es, damit die grundrechtlichen Schutzpflichten eingreifen, noch nicht zum Eintritt eines Schadens gekommen sein; es genügt also bereits eine Gefährdung eines grundrechtlich geschützten Schutzguts. 342 Wann eine solche Gefährdung allerdings hinreichend ist, um die grundrechtlichen Schutzpflichten zu aktivieren, wird gemeinhin nach der polizeirechtlichen „Produktformel“ bezogen auf die Eintrittswahrscheinlichkeit und das mögliche Schadensausmaß bestimmt. 343 Danach bieten die grundrechtlichen Schutzpflichten nur dann Schutz, wenn eine Gefahr für ein grundrechtliches Schutzgut besteht, nicht hingegen für Risiken, die unterhalb der Gefahrenschwelle liegen. 344 Ein Gebot zur Risikovorsorge lässt sich den grundrechtlichen Schutzpflichten also nicht entnehmen. 345 Der Staat kann zwar Maßnahmen zur Risikovorsorge treffen, ein subjektiver Anspruch 342 Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 228; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 105 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 236; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 127; Baumann, JZ 1982, 749 (754); jeweils m.w. N. Vgl. zur Grundrechtsgefährdung als Grundrechtseingriff BVerfGE 51, 324 (346 f.); 52, 214 (220); 53, 30 (51, 57); 56, 54 (78), dabei bezeichnet das BVerfG eine solche Grundrechtsgefährdung als „Grundrechtsverletzung im weiteren Sinne“, vgl. BVerfGE 51, 324 (347). Vgl. zur Grundrechtsgefährdung und Schutzpflichten ausführlicher Murswiek, aaO., S. 127 ff.; Krings, aaO., S. 227 f. jeweils m.w. N. 343 BVerfGE 49, 89 (141 f.); 53, 30 (57), das ausdrücklich für die Kernenergie darauf hinweist, „dass angesichts der Art und Schwere möglicher Gefahren bei der Nutzung der Kernenergie bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen müsse, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers auszulösen.“ Vgl. zum Gefahrenbegriff bei Schutzpflichten auch Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 107; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 85; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 236; Stern, Staatsrecht III/1, S. 740. Bei der Bestimmung des gefährdeten Rechtsguts und der Abwägung mit der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts wird allerdings nur auf das Rechtsgut des Klägers oder Beschwerdeführers abgestellt. Dass möglicherweise der Tod einer Vielzahl von Menschen droht, wird hingegen nicht berücksichtigt, so dass beispielsweise die Gefahr des Todes durch einen Verkehrsunfall der Gefahr des Todes infolge einer Kernexplosion gleichgestellt ist; s. dazu ausführlicher Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 237 m.w. N. Teilweise wird versucht, dieses „Ungleichgewicht“ dadurch zu beseitigen, dass statt eines Individualrisikos auf ein Kollektivrisiko abgestellt wird; vgl. ausführlich dazu Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 151 ff.; s. a. Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 232; zum Teil wird darin nur ein Auseinanderfallen von objektiver Schutzpflicht und subjektivem Schutzanspruch gesehen, vgl. dazu Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 237. 344 Vgl. BVerfGE 49, 89 (142); 53, 30 (57); s. a. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 107; Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 229; a. A. Benda, ET 1981, 868 (868 f.); Brüning / Helios, Jura 2001, 155 (158). Dabei ist das unterhalb der Gefahrenschwelle liegende Risiko größer als das sog. Restrisiko; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 87. 345 Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 229; i. E. auch Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 281; ders., in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 2, Rn. 198 f., nach dessen Auffassung aber eine Pflicht zur „Gefahrenvorsorge“ besteht; ähnlich auch Preuß, in: Grimm, Staatsaufgaben, S. 523

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auf Risikovorsorge besteht nicht. Damit kommt der Risikovorsorge nicht dieselbe Qualität zu wie einem Grundrecht auf Freiheit von Furcht, so dass diesem ein eigenständiger Anwendungsbereich bleibt. Allerdings stellt sich die Frage, warum eine Risikovorsorge bei Risikotechnologien wichtig sein soll, um eine Freiheit von Furcht zu gewährleisten, wenn das Risiko dieser Technologien nur so gering ist, dass die Gefahrenschwelle nicht überschritten ist. Denn dann – so könnte der Einwand sein – müsste man sich doch nicht fürchten, das Risiko sei doch gering. Das Risiko, dass der befürchtete Schadensfall – wie etwa ein Störfall in einem Kernkraftwerk – eintritt, mag zwar sehr gering sein, grundsätzlich ausschließen lässt sich der Eintritt eines solchen Schadensfalls aber nicht, zumal es angesichts der Komplexität der Technik von Risikotechnologien noch den Faktor der Ungewissheit gibt. Es kann daher für den Bürger keine vollständige Gewissheit bestehen, dass ein solcher Schadensfall nicht eintritt. Zugleich sind die Bürger den Folgen eines möglichen, wenngleich auch unwahrscheinlichen Schadensfalls schutzlos ausgeliefert. Es ist dem Bürger nicht möglich, eigene Schutz- und Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. 346 Er ist deshalb auf den Schutz und die Vorsorge des Staates angewiesen. Nur der Staat kann die notwendigen Vorsorgemaßnahmen treffen, nur er kann den Bürger vor möglichen Schäden bewahren. Unterlässt der Staat es aber, entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen, so befindet sich der Bürger in einer Lage, in der er sich einer Risikotechnologie gegenüber sieht, deren nicht auszuschließenden Folgen er hilflos ausgeliefert ist. Insoweit ist die Furcht vor den lebensbedrohlichen Folgen von Risikotechnologien, obgleich die Eintrittswahrscheinlichkeit für entsprechende Schadensfälle unterhalb der Gefahrenschwelle liegt, nicht unbegründet und nicht unberechtigt. Es gibt also durchaus einen Grund, sich vor Risikotechnologien zu fürchten. Ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht besitzt somit einen eigenständigen Anwendungsbereich für staatliche Maßnahmen zur Beseitigung von Furcht vor (541 ff.), der die Risikovorsorge als „Rechtsprinzip“ verstehen will. Anders Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 240, der die grundrechtliche Schutzpflicht – zumindest dem Grundsatz nach – auch auf unterhalb der Gefahrenschwelle liegende Risiken wie u. a. auch das sog. Restrisiko erstrecken will. Dass das BVerfG in seiner Kalkar-Entscheidung – BVerfGE 49, 89 (139 u. 143) – teilweise von einer Pflicht zu „bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ spricht, soll dem oben Gesagten nicht widersprechen, sondern resultiert daraus, dass sich das BVerfG bei seiner Aussage auf die in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG normierte, einfachgesetzliche Pflicht bezieht; vgl. BVerfGE 49, 89 (143): „durch die in ... § 7 Abs. 2 AtomG niedergelegten Grundsätze der bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“. S. dazu auch Krings, Grund und Grenze grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 260. 346 Zwar lassen sich zur Vorsorge eines SuperGAUs Maßnahmen wie die Bevorratung von Jodtabletten oder gar der Bau von Atombunkern denken, ein vollkommener Schutz ist aber nicht möglich; zumal, da selbst wenn man die Kernexplosion in einem Bunker überleben sollte, das weitere Leben ein anderes wäre als das zuvor gelebte.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Risikotechnologien. Allerdings bedeutet damit ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht nichts anderes als ein – außerordentliches – subjektives Recht auf staatliche Risikovorsorge, einen Anspruch gegen den Staat, die Risiken moderner Risikotechnologien zu kontrollieren. Es wird so mittelbar über das Grundrecht auf Freiheit von Furcht die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG auch auf die Risikovorsorge vor solchen Technologien erstreckt, deren Risiken zu einer massiven Verunsicherung und Furcht in der Bevölkerung führen, weil zum einen ihre Folgen gravierend sein können und zum anderen eine individuelle Vorsorge nicht möglich ist. (5) Zusammenfassung Ein eigenständiges Grundrecht auf Freiheit von Furcht kann es demnach nur für ganz spezielle Furchtszenarien wie die Furcht vor Risikotechnologien geben, nicht aber als allgemeines Grundrecht, das vor jedweder Furcht schützen soll. Furcht ist dafür zu unbestimmt und zu sehr von subjektiven Einschätzungen und Empfindungen abhängig und zudem ist ein Zustand der Furchtlosigkeit angesichts der Komplexität des menschlichen Daseins nicht zu erreichen. Unabhängig von einem eigenständigen Grundrecht auf Freiheit von Furcht kann die Freiheit von Furcht aber als Teil einzelner Grundrechte geschützt werden. Die Drohung mit einem Grundrechtseingriff und die Angst vor einem Grundrechtseingriff kann u.U. einer konkreten Grundrechtsverletzung gleichgestellt sein. 347 d) Ergebnis Es lässt sich daher als Ergebnis festhalten: Es gibt ein Grundrecht auf Freiheit von Furcht. Dieses ist allerdings von seinem Gewährleistungsumfang her beschränkt auf ganz bestimmte Furchtszenarien. Die bei Maßnahmen der Polizei zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls betroffene Furcht vor Kriminalität wird von dem Grundrecht auf Freiheit von Furcht jedoch – bislang – nicht erfasst. Anders wäre es erst dann, wenn die Furcht vor Kriminalität so groß wäre, dass die sich Fürchtenden in eine Situation der Hilflosigkeit versetzt wären, die ihnen eine Wahrnehmung der grundrechtlich garantieren Freiheiten völlig unmöglich machte. Solche weitreichenden Auswirkungen zeigt die gegenwärtige Kriminalitätsfurchtsituation (noch) nicht. 348 Zwar unterlassen manche Bürger aus Furcht einzelne ihnen durch die Grundrechte eingeräumte Handlungen, indem sie aus Furcht ein bestimmtes Vermeideverhalten zeigen. Grundsätzlich ist die Situation beim Unsicherheitsgefühl aber (noch) nicht mit der bei der Sorge vor Kernener347 Vgl. BVerfGE 34, 238 (247); 65, 1 (4) zur Sicherung der Privatsphäre vor heimlichen Tonbandaufnahmen s. a. Schewe, NWVBl. 2004, 415 (417) zum Schutz vor dem Zwang zu konformen Verhalten als Folge der Furcht vor einer umfassenden Videoüberwachung. 348 S.o. 1. Kap. B.III.1., 4. Kap. A.III.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

gie vergleichbar. Ein hilfloses Ausgesetztsein wie gegenüber den Risiken der Kernenergie besteht nicht. Zudem ist es bislang noch möglich, eigene Schutzmaßnahmen gegen Kriminalität zu ergreifen. Der Bürger ist der befürchten Kriminalität nicht hilflos ausgesetzt, sondern er kann selbst Vorsorge vor den Gefährdungen von Kriminalität treffen. Er ist dabei nicht allein auf staatliche Maßnahmen angewiesen. 7. Ergebnis: Das Sicherheitsgefühl als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit Das Sicherheitsgefühl hat zwar eine wesentliche Bedeutung für einige von der öffentlichen Sicherheit geschützte Rechtsgüter – für die Rechtsgüter Demokratie, Staatlichkeit und Freiheit von Furcht – und lässt sich als ein Teil dieser Rechtsgüter auffassen. Allerdings wird der Schutz des Sicherheitsgefühls dadurch noch nicht zu einem Teil des Schutzguts öffentliche Sicherheit und damit zu einer Aufgabe der Polizei. Denn die Rechtsgüter Staatlichkeit und Freiheit von Furcht können zwar grundsätzlich auch das Sicherheitsgefühl umfassen, die gegenwärtige Situation, das gegenwärtige Maß an Sicherheitsgefühl führt jedoch noch nicht zu einer Gefahr für diese Rechtsgüter. Demgegenüber ist das Rechtsgut Demokratie bei der gegenwärtigen Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls zwar betroffen, dieses lässt sich aber nicht als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit im Rahmen der allgemeinen Generalklauseln des Polizei- und Ordnungsrechts schützen, da dies den von der Demokratie als wesentlich angesehenen demokratischen Prinzipen zuwiderliefe. Ohne eine auf demokratischem Weg zustande gekommene spezielle, auf die Besonderheiten der Demokratie eingehende Rechtsgrundlage kann das Sicherheitsgefühl nicht unter Berufung auf die Demokratie von der Polizei geschützt werden. II. Das Sicherheitsgefühl als Teil des Schutzgutes öffentliche Ordnung Die Aufgabe und Befugnis der Polizei, das Sicherheitsgefühl zu schützen, könnte sich – neben der Zuordnung zur öffentlichen Sicherheit – auch aus der öffentlichen Ordnung ergeben. 349 Dazu müsste das Sicherheitsgefühl Teil des Schutzguts der öffentlichen Ordnung sein.

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In NRW nur für die Ordnungsbehörden, vgl. §§ 1 Abs. 1, 14 Abs. 1 OBG NRW und §§ 1 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 1 PolG NRW.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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1. Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung Gemeinhin wird die öffentliche Ordnung als die Summe der ungeschriebenen Regeln bezeichnet, deren Einhaltung von der Mehrheit der Bevölkerung innerhalb eines bestimmten Gebiets für ein gedeihliches Zusammenleben als unerlässlich angesehen wird. 350 Entsprechend dem hier zugrundegelegten Verständnis des Schutzes der öffentlichen Sicherheit als Rechtsgüterschutz 351 soll unter dem Schutz der öffentlichen Ordnung der Schutz derjenigen Güter verstanden werden, die nicht durch Rechts-, sondern durch Sozialnormen geschützt werden. Unter Sozialnormen sind Normen zu verstehen, die nicht der parlamentarische Gesetzgeber erlassen hat; es handelt sich vielmehr um ungeschriebene Regeln, die sich die Gesellschaft – oder genauer die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft – selbst gesetzt hat. 352 Diese Regeln, die für das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben relevant sind, sollen die Entstehung sozialer Konflikte verhindern. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen. Er lebt nicht allein vor sich hin, sondern kommt immer in Kontakt mit anderen Menschen. Dies erfordert gegenseitigen Respekt, gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz dem anderen gegenüber, weil sonst der Mensch ständig in Konfrontation mit seinen Mitmenschen gerät und soziale Konflikte entstehen. Die von der öffentlichen Ordnung geschützten Sozialnormen sollen gerade dazu beitragen, die Entstehung solcher Konflikte zu vermeiden. Sie sind also gesellschaftliche Tabus, die für das friedliche soziale Zusammenleben der Menschen wichtig sind. Vor dem Hintergrund des Schutzes der öffentlichen Ordnung durch den Staat ist indes Folgendes zu bedenken: Sozialnormen sind Normen, die sich die Gesellschaft selbst setzt und die der Staat lediglich durchsetzt. 353 Schon daraus ergibt sich die Problematik des Schutzguts der öffentlichen Ordnung. 354 Die durch die öffentliche Ordnung geschützten Sozialnormen werden nicht vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber unter Berücksichtigung der demokratischen Verfahrensregeln, insbesondere dem Schutz der Minderheit, erlassen, sondern von der 350 Vgl. PrOVGE 91, 139 (140); BVerfGE 69, 315 (352); BVerwGE 64, 274 (276 f.); 280 (282 f.); 84, 314 (317 f.); OVG Münster, NWVBl. 1995, 473 (474); aus der zahlreichen Literatur vgl. nur Gusy, Polizeirecht, Rn. 96; Denninger, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 35; Pieroth / Schlink / Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 46 jeweils m.w. N. Vgl. auch die entsprechende Legaldefinition in § 3 Nr. 2 SOG LSA. 351 S.o. 5. Kap. B.I.1.d). 352 Vgl. Kese, Rechtssystematische und grundrechtsdogmatische Aspekte der Durchsetzung entkriminalisierter Verhaltensgebote durch die polizeirechtliche Ordnungsklausel, S. 128. 353 Roos, Die Polizei 2004, 281 (283); vgl. auch Erbel, DVBl. 2001, 1714 (1715). 354 Ausführliche Darstellungen zur (folgenden) Kritik an der öffentlichen Ordnung finden sich bei Störmer, Die Verwaltung 30 (1997), 233 (233 ff.); Peine, Die Verwaltung 12 (1979), 25 (27 ff.) jeweils m.w. N.; s. a. Denninger, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 35 ebenfalls m.w. N.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Gesellschaft selbst; oder genauer: von bestimmten, meinungsbildenden Kräften der Gesellschaft. 355 Der demokratische Staat schützt damit Normen, die nicht demokratiekonform zustande gekommen sind, denen es an dem notwendigen demokratischen Verfahren mangelt und denen es gegebenenfalls an der der Demokratie eigenen Toleranz gegenüber dem Andersartigen fehlt. Die sozialethischen Vorstellungen und Auffassungen der Mehrheit werden dann der Minderheit durch staatliche Stellen aufgezwungen, ohne dass diese die – der Demokratie eigene – Chance hat, selbst ihre Sozialvorstellungen zu derjenigen der Mehrheit zu machen. 356 Diese uneingeschränkte „Herrschaft“ der Mehrheit über die Minderheit widerspricht aber gerade den demokratischen Grundprinzipien. 357 Die Frage nach der Vereinbarkeit der öffentlichen Ordnung mit dem Demokratieprinzip stellt sich insbesondere dann, wenn mit ihr (Sozial-)Normen durchgesetzt werden sollen, die gerade nicht mehr zum positiven Recht zählen, weil der demokratische Gesetzgeber sie als Rechtsnorm gestrichen und so auf ihre Durchsetzung durch den Staat bewusst verzichtet hat. 358 Es wäre mit dem aus dem Gewaltenteilungs- und dem Demokratieprinzip entstammenden Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes nicht vereinbar, wenn die Polizei dann auf Grundlage der öffentlichen Ordnung Verhaltensweisen unterbindet, die der Gesetzgeber ausdrücklich gestattet hat. So darf die Polizei beispielsweise nicht unter Berufung auf Sozialnormen und auf Grundlage der öffentlichen Ordnung gegen die Prostitution vorgehen, wenn der Gesetzgeber diese entkriminalisiert und damit legalisiert hat. 359

355 Vgl. Lisken, ZRP 1990, 15 (17): Die öffentliche Ordnung wurde in der Geschichte der Polizei als „Einfallstor zur polizeilichen Durchsetzung politischer Wertvorstellungen der jeweiligen Inhaber der Staatsmacht“ genutzt. Zur Entstehung von Meinungen in der Gesellschaft und dem Einfluss bestimmter gesellschaftlicher Gruppen und Kräfte allgemein Sartori, Demokratietheorie, S. 101 ff. 356 Denninger, Polizei in der freiheitlichen Demokratie, S. 31 f.; ders., in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 36; Kese, Rechtssystematische und grundrechtsdogmatische Aspekte der Durchsetzung entkriminalisierter Verhaltensgebote durch die polizeirechtliche Ordnungsklausel, S. 133 f.; Waechter, NVwZ 1997, 729 (730 f.); vgl. auch Denninger, in: ders. / Lüderssen (Hrsg.), Polizei und Strafprozeß im demokratischen Rechtsstaat, S. 127 (141): „Öffentliche Ordnung ist keine Kleinstadt-Idylle“. Ähnlich kritisch zum staatlichen Schutz vorherrschender Moralvorstellungen war auch der Bremer Gesetzgeber bei der Abschaffung des Schutzguts der öffentlichen Ordnung, vgl. Plenarprot. der 76. Sitzung der Bürgerschaft v. 27. 1. 1983, S. 5837: „es könne nicht Aufgabe der Polizei sein, gesellschaftlichen Wandel zu verhindern“; s. dazu Albers, NVwZ 1983, 585 (585). Eine Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip hingegen bejahend Peine, Die Verwaltung 12 (1979), 25 (30); Erbel, DVBl. 1972, 475 (478 ff.). 357 Siehe dazu bereits oben 5. Kap. B.I.5.c)(4). 358 Vgl. Waechter, NVwZ 1997, 729 (729); s. a. zur Konkurrenz von Sozialnormen mit dem geschriebenen Recht Störmer, Die Verwaltung 30 (1997), 233 (254 f.); Kese, Rechtssystematische und grundrechtsdogmatische Aspekte der Durchsetzung entkriminalisierter Verhaltensgebote durch die polizeirechtliche Ordnungsklausel, S. 22 ff.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Zudem fehlt solchen durch die öffentliche Ordnung geschützten Sozialnormen die notwendige Transparenz und Bestimmtheit. 360 Sie sind, weil es sich bei ihnen um ungeschriebene Regeln handelt, nicht immer hinreichend bestimmt und sie sind vor allem nicht immer für den Handelnden vorhersehbar. 361 Der Bürger kann nicht mit hinreichender Genauigkeit erkennen, wann und bei welchem Verhalten er mit polizeilichen Eingriffen rechnen muss. Dazu haben auch regionale Unterschiede einen maßgeblichen Einfluss auf die Sozialnormen; was im einen Ort hinnehmbar ist, kann in einem anderen inakzeptabel sein. 362 Zudem bleibt unklar, was die regionale Bezugseinheit („innerhalb eines bestimmten Gebiets“) zur Bestimmung der öffentlichen Ordnung meint: Ist es nur die örtliche Gemeinschaft in einem Dorf oder Stadtteil oder ist es die der gesamten Stadt, der gesamten Region oder gar die des gesamten Bundeslands. 363 Dabei ist zudem zu beachten, dass von einer empirischen Feststellung dessen, was die Bewohner innerhalb eines bestimmten Gebietes für die „öffentliche Ordnung“ halten, keine Rede sein kann. 364 Vielmehr setzt der jeweilige Anwender der öffentlichen Ordnung, die handelnden Polizisten und die über deren Handeln urteilenden Gerichte, ihre Vorstellungen dessen, was die jeweilige „öffentliche Ordnung“ sein soll oder was die jeweilige Mehrheit als 359 Ein Vorgehen gegen unerwünschte Begleitumstände wie Zuhälterei und Menschenhandel oder an unerwünschten Orten – Sperrbezirken – ist aber weiter möglich. Dabei liegt jedoch regelmäßig ein Verstoß gegen Straf- und sonstige Rechtsnormen vor, die ein polizeiliches Vorgehen auf Grundlage der öffentlichen Sicherheit ermöglichen. 360 Zur mangelnden Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit Hill, DVBl. 1985, 88 (89 ff.); Bäumler, NVwZ 1992, 638 (639); Kese, Rechtssystematische und grundrechtsdogmatische Aspekte der Durchsetzung entkriminalisierter Verhaltensgebote durch die polizeirechtliche Ordnungsklausel, S. 138 ff.; ders., Die Polizei 1994, 12 (16 f.); Peine, Die Verwaltung 12 (1979), 25 (49); Kappler, Öffentliche Sicherheit durch Ordnung, S. 132 ff.; Gusy, Polizeirecht, Rn. 99. 361 Man denke nur an den den Entscheidungen zum Quasar-Spiel zugrunde liegenden Sachverhalt, bei dem die Betreiberin des Laserdroms ein in anderen Ländern bekanntes und beliebtes, aber für Deutschland vergleichsweise neues Spiel anbot. Woher sollte die Betreiberin wissen, dass das Quasarspiel deutschen Sozialnormen widerspricht? Interessanterweise sind die entscheidenden Gerichte auf die Vorhersehbarkeit für die Betreiberin nicht eingegangen, s. dazu VG Köln, GewArch 1995, 70 (71 f.); OVG Münster, NWVBl. 1995, 473 (474 f.); BVerwGE 115, 189 (191, 195 f.). Grundsätzlich zum Verbot von Quasarspielen Beaucamp, DVBl. 2005, 1174 (1174). 362 Wie sich etwa bei der Aufführung des Stücks „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth in einer katholischen Gemeinde zeigte. Zur sog. Stellvertreter-Debatte vgl. Berg, Hochhuths „Stellvertreter“ und die „Stellvertreter“-Debatte, S. 20 ff. 363 Vgl. Denninger, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 36 mit Hinweis auf die unklare Lage im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu „Die Sünderin“ in BVerwGE 1, 303 (304); s. a. ders., Polizei in der freiheitlichen Demokratie, S. 32. Eine enge Auslegung vertreten etwa Ott / Wächtler, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, § 15 Rn. 20. 364 Zu den Schwierigkeiten, die jeweiligen Sozialenormen empirisch festzustellen, ausführlicher Hill, DVBl. 1985, 88 (92); Hebeler, JA 2002, 521 (523); Thiele, ZRP 1979, 7 (8 f.).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

„öffentliche Ordnung“ verstehen könnte, an die Stelle einer empirisch gemessenen Auffassung der Mehrheit der Bevölkerung. 365 Aus diesen Gründen – vor allem wegen der Demokratieinkonformität – muss eine Durchsetzung solcher Sozialnormen durch den Staat beschränkt sein. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Anwendungsbereich für den Schutz von Sozialnormen und damit die Bedeutung der öffentlichen Ordnung immer mehr abnehmen dürfte, da die Gesellschaft immer pluralistischer und dadurch auch toleranter wird. 366 So gelten Verhaltensweisen, die noch vor hundert Jahren gegen Sozialnormen verstoßen hätten, heute als tolerabel oder gar selbstverständlich. 367 Hinzu kommt, dass viele Handlungen, die in den Anwendungsbereich der öffentlichen Ordnung fallen und die mittels der öffentlichen Ordnung untersagt wurden, durch die Einführung des § 118 OWiG bereits als „Belästigung der Allgemeinheit“ dem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit unterfallen. 368 Gleichwohl kann es – trotz der soeben genannten Bedenken gegen eine Durchsetzung solcher Sozialnormen durch den Staat – dennoch in bestimmten Fällen geboten sein, Sozialnormen zu schützen. 369 Dabei wird es allerdings nicht ausreichen, dass die geschützten Sozialnormen Verhaltensweisen erfassen, durch die sich ein anderer 365 Waechter, NVwZ 1997, 729 (730); s. a. Denninger, Polizei in der freiheitlichen Demokratie, S. 31; Kese, aaO., S. 135 ff.; Thiele, ZRP 1979, 7 (8). Dabei wird vielfach betont, dass die Polizei die zu schützenden Wertvorstellungen nur ermitteln, nicht aber selbst bilden darf; vgl. Kese, Rechtssystematische und grundrechtsdogmatische Aspekte der Durchsetzung entkriminalisierter Verhaltensgebote durch die polizeirechtliche Ordnungsklausel, S. 136 f. m.w. N.; a. A. etwa das VG Köln, GewArch 1995, 70 (71), das zur Bestimmung der „herrschenden Anschauungen“ auch die Behördenpraxis und Rechtsprechung heranzieht. Grundsätzlich zu den Schwierigkeiten bei der Feststellung zu schützender Sozialnormen Störmer, Die Verwaltung 30 (1997), 233 (253 f.). 366 Würtenberger / Heckmann, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rn. 409; Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 117 f.; Störmer, Die Verwaltung 30 (1997), 233 (237) jeweils m.w. N. 367 Eine solche Verhaltensweise kann beispielsweise die „wilde“ Ehe, also das Zusammenleben von Mann und Frau ohne Trauschein, sein. Gleichwohl findet sich in den Polizeigesetzen teilweise eine gewisse „Renaissance“ der öffentlichen Ordnung. Nach einer Phase, in der viele Bundesländer die öffentliche Ordnung aus den polizeilichen Tatbeständen entfernt hatten, wurde vor allem in den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen der neuen Bundesländer die öffentliche Ordnung wieder aufgenommen. Dabei handelt es sich allerdings um eine politische Entscheidung, von der man annahm, sie eröffne der Polizei mehr Handlungsmöglichkeiten; vgl. dazu ausführlich Gusy / Nitz, in: Hoebrink (Hrsg.) Fokus Europa, S. 23 (23 ff.). 368 Gusy, Polizeirecht, Rn. 99; Erbel, DVBl. 2001, 1714 (1715); Fechner, JuS 2003, 734 (738); dies war auch die Begründung des nordrhein-westfälischen Gesetzgebers für die Streichung der öffentlichen Ordnung aus dem Polizeigesetz, vgl. Kniesel, NVwZ 1990, 743 (743). Allgemein zum Bedeutungsverlust der öffentlichen Ordnung durch zunehmende Verrechtlichung Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 126; Kese, Rechtssystematische und grundrechtsdogmatische Aspekte der Durchsetzung entkriminalisierter Verhaltensgebote durch die polizeirechtliche Ordnungsklausel, S. 15 ff.; Mandelartz, DVBl. 1989, 704 (706 f.).

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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gestört fühlt, bei denen es ihn „ärgert“, dass sich jemand anders als er selbst verhält. Bestimmte Anstands- und Moralvorstellungen können nicht durch die öffentliche Ordnung geschützt werden. 370 Wegen der schweren Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit den demokratischen Grundprinzipien muss es sich vielmehr bei den zu schützenden Sozialnormen um solche handeln, denen eine überragend wichtige Bedeutung für das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben zukommt. Die öffentliche Ordnung soll also den Bruch bedeutender gesellschaftlicher Tabus verhindern; sie soll Verhaltensweisen unterbinden, von denen allgemein bekannt ist, „dass man sie nicht tut“, weil sie dem gesellschaftlichen Grundkonsens und den Wertvorstellungen des Grundgesetzes widersprechen. 371 Beispiele für solche tabuisierten Verhaltensweisen sind etwa Versammlungen von Parteien rechter oder nationalsozialistischer Ideologien am Holocaust-Mahnmal in Berlin oder etwa das Schießen auf Menschen als simulierte Tötungshandlungen zum Spaß, wie es bei sog. Quasarspielen 372 üblich ist. Die Unterbindung solcher tabuisierter Verhaltensweisen obliegt primär dem demokratischen Gesetzgeber. 373 Es ist insoweit eine gesetzliche Normierung erforderlich. Ist das betreffende Verhalten gesetzlich sanktioniert, erfolgt ein staatliches Einschreiten gegen dieses Verhalten dann aufgrund eines Verstoßes gegen eine 369 Tettinger / Erbguth / Mann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 457; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 104; kritisch diesbezüglich Denninger, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 37 m.w. N. 370 VG Köln, GewArch 1995, 70 (71). Insoweit gehen die von Fechner, JuS 2003, 734 (735 ff.) aufgeführten Anwendungsbereiche für die öffentliche Ordnung zu weit. 371 Die Rechtsprechung fordert, dass die zu schützenden Sozialnormen die Wertentscheidungen der Verfassung widerspiegeln, vgl. OVG Münster, NWVBl. 1995, 473 (474): „Die herrschenden Anschauungen über die unerlässlichen Voraussetzungen eines geordneten Gemeinschaftslebens werden geprägt durch die Wertmaßstäbe des Grundgesetzes“; ähnlich OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 30 (31): „Ausdruck der Wertvorstellungen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung sind die im Grundgesetz geschützte Menschenwürde (Art. 1 GG) und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG).“; OVG Münster, DÖV 1994, 966 (966 f.): „elementare Verhaltensregeln, insbesondere das Diskriminierungsverbot gem. Art 3 Abs. 1 GG und das Gebot des Art. 1 Abs. 1 GG, die Menschenwürde zu achten“; VGH München, BayVBl. 1993, 658 (659); VG Halle, NVwZ 1994, 719 (720): „Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist in allen Bestrebungen zu sehen, die geeignet sind, die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, ihr Ansehen im Ausland und das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung zu gefährden.“ 372 Zum Ablauf bei so genannten Quasarspielen vgl. BVerwGE 115, 189 (190 f., 199); Störmer, Die Verwaltung 30 (1997), 233 (239, Fn. 39); Beaucamp, DVBl. 2005, 1174 (1174 f.). Nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen werden solche Unterspielarten des Quasarspiels, die eher dem „Räuber-und-Gendarm-Spiel“ denn einer Kriegssimulation entsprechen; vgl. dazu auch VG Köln, GewArch 1995, 70 (72), das als erstinstanzliches Gericht deshalb sogar für den oben angeführten Fall eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ablehnte. 373 Denninger, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. E 26. Vgl. zur Pflicht des Gesetzgebers s. a. BVerfGE 33, 125 (158 f.); 76, 171 (188).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Rechtsnorm und findet seine Ermächtigung im Schutzgut öffentliche Sicherheit. Gleichwohl muss der Polizei ein schnelles Reagieren bei solchen Tabubrüchen auch dann möglich sein, wenn diese neuartig sind und der Gesetzgeber auf sie noch nicht hat reagieren können; wie es beispielsweise beim Quasarspiel der Fall war, welches neu aus Großbritannien und den USA nach Deutschland gekommen ist. Die öffentliche Ordnung kann daher zum Schutz bestimmter gesellschaftlicher Tabus immer nur temporär herangezogen werden; nur solange der Gesetzgeber braucht, um auf die neue Situation zu reagieren. 374 2. Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch Sozialnormen Für Maßnahmen der Polizei zum Schutz des Sicherheitsgefühls stellt sich damit die Frage, ob das Sicherheitsgefühl durch eine solche Sozialnorm geschützt ist, oder – mit anderen Worten – ob es eine für das gesellschaftliche Zusammenleben überaus wichtige Sozialnorm gibt, die das Sicherheitsgefühl erfasst? a) Die Bedeutung des Sicherheitsgefühls für das menschliche Zusammenleben Das Sicherheitsgefühl ist von grundlegender Bedeutung für das menschliche Zusammenleben. Denn, wenn das Sicherheitsgefühl des Einzelnen beeinträchtigt ist, wenn der Einzelne sich fürchtet, kann das auch Auswirkungen auf das menschliche Zusammenleben haben. Die grundsätzliche Bedeutung von Sicherheitsgefühlen für das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben belegt beispielsweise schon die Sozialpsychologie, namentlich die auf dem Konzept der Bindungstheorie 375 basierende so genannte Bindungsforschung. Nach deren Erkenntnissen bedarf der Mensch für seine freie Persönlichkeitsentfaltung nicht nur – wie oben bereits angesprochen 376 – für sich als Individuum eines gewissen Maßes an Sicherheitsgefühl, sondern das Bedürfnis nach Sicherheitsgefühl ist auch für das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen bedeutsam. So konnte die Bindungsforschung nachweisen, dass bei Kleinkindern Vertrauen und ein Gefühl von Sicherheit einen maßgeblichen Einfluss auf deren Fähigkeiten haben, später soziale Beziehungen einzugehen. Denn das menschliche Bedürfnis nach einem Gefühl von Sicherheit lässt Kleinkinder 374 So hatte sich im Fall des Quasar-Spiel der Gesetzgeber schon mit der Frage einer gesetzlichen Regelung befasst, war aber noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen, vgl. BVerwGE 115, 189 (194 f.). 375 Grundlegend zur Bindungstheorie K. E. Grossmann, in: Ahnert, Frühe Bindung, S. 21 (21 ff.); Grossmann / Grossmann, Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit, S. 29 ff., 65 ff. 376 S.o. 3. Kap. C.II.1.

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danach streben, Bindungen zu ihren Eltern zu entwickeln, die ihnen das notwendige Sicherheitsgefühl vermitteln sollen. 377 Wird dieses Streben nach Bindungen zu den Eltern von diesen nicht erwidert und bieten diese Beziehungen den Kleinkindern nicht das notwendige Gefühl von Sicherheit und das notwendige Vertrauen, so kann dies im Erwachsenenalter zu einer Bindungsunfähigkeit und zu Bindungsängsten führen. 378 Diese Bindungsängste hindern die betroffenen Personen daran, später Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen; zum Teil entwickeln sich sogar schwere Persönlichkeitsstörungen, die von zwanghafter Selbstgenügsamkeit bis hin zu andauernder Delinquenz reichen. 379 Dabei betreffen diese Schwierigkeiten beim Eingehen von Beziehungen zunächst vor allem soziale Nähebeziehungen, insbesondere Partnerschaften 380; sie gelten aber auch für sonstige zwischenmenschliche Beziehungen und damit für das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben. 381 Grundsätzlich sind Sicherheitsgefühle also nicht nur für den einzelnen Menschen als Individuum, sondern auch für sein Zusammenleben mit anderen bedeutsam. Die Bedeutung eines defizitären Sicherheitsgefühls zeigt sich auch im Speziellen bei den Auswirkungen eines mangelnden Sicherheitsgefühls auf die Entwicklung der Kriminalität. Denn die oben bereits dargestellten Untersuchungen zur Kriminalitätsfurcht 382 haben als eine typische Folge eines defizitären Sicherheitsgefühls den Rückzug des sich Fürchtenden in seine Wohnung und – damit einhergehend – den Abbruch sozialer Kontakte insbesondere zu Nachbarn ausgemacht. 377 Bowlby, Trennung, S. 154 ff. Zum Bedürfnis nach Angstfreiheit bei Kleinkindern Grossmann / Grossmann, Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit, S. 603. 378 Bowlby, in: Gregory (Hrsg.), The Oxford Companion to the Mind, S. 57 (57 f.); ders., Elternbindung und Persönlichkeitsentwicklung, insb. S. 121 ff. und passim; Brisch, in: ders. / K. E. Grossmann / K. Grossmann / Köhler (Hrsg.), Bindung und seelische Entwicklungswege, S. 353 (356 ff.); K. E. Grossmann / K. Grossmann / Winter / Zimmermann, in: Brisch / K. E. Grossmann / K. Grossmann / Köhler (Hrsg.), Bindung und seelische Entwicklungswege, S. 125 (125 ff., 160). Auch mit ausführlichen Daten K. Grossmann / K. E. Grossmann, Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit, S. 80 ff., 162 ff. und passim. Zur anthropologischen Bedeutung von Bindung K. E. Grossmann / K. Grossmann, in: Strauß u. a. (Hrsg.), Klinische Bindungsforschung, S. 295 (295 ff.). 379 Dornes, in: Ahnert (Hrsg.), Frühe Bindung, S. 42 (46 ff.); Bowlby, Trennung. Psychische Schäden als Folge der Trennung von Mutter und Kind, S. 57. Zudem lassen sich auch Auswirkungen auf das – für das gesellschaftliche Zusammenleben wichtige – Verantwortungsgefühl feststellen, vgl. Bowlby, ebenda, S. 399 f. 380 Vgl. dazu K. Grossmann / K. E. Grossmann, Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit, S. 575 ff.; Sydow, in: Strauß / Buchheim / Kächele, Klinische Bindungsforschung, S. 231 (231 ff.). 381 Ausführlich dazu, inwieweit Bindung und Gesellschaft sich wechselseitig beeinflussen, Marris, in: Parkes / Stevenson-Hinde (Hrsg.), The Place of Attachment in Human Behavior, S. 185 (185 ff.); s. a. ders., in: Parkes / Stevenson-Hinde / Marris (Hrsg.), Attachment across the life cycle, S. 77 (77 ff.). 382 S.o. 1. Kap. B.III.1.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Aus Furcht davor, „draußen“, d. h. außerhalb der Wohnung, auf der Straße Opfer einer Straftat zu werden, nimmt der Einzelne nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teil. Dieser furchtbedingte Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben und der Abbruch sozialer Kontakte wiederum werden als eine Ursache dafür angesehen, dass die informelle soziale Kontrolle abnimmt, was seinerseits die Begehung von Straftaten erleichtert, also Kriminalität begünstigt. 383 Ein durch Angst vor Kriminalität beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl wirkt sich daher in zweierlei Weise auf das menschliche Zusammenleben aus: Zum einen vernachlässigt der sich Fürchtende seine sozialen Kontakte, so dass zwischenmenschliche Beziehungen abnehmen, und zum anderen erhöht dies die Kriminalität, welche ihrerseits das Zusammenleben stört. Es lässt sich daher festhalten: Das friedliche gesellschaftliche Zusammenleben erfordert demnach ein gewisses Maß an Sicherheitsgefühl, so dass u.U. hier ein Ansatzpunkt für eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung besteht. Grundlage für die Bewertung des Sicherheitsgefühls darf dabei aber nicht die individuelle Betrachtung des Sicherheitsgefühls sein, sondern es muss eine Typisierung erfolgen, ein Querschnittswert für das Sicherheitsgefühl gebildet werden. Denn das Merkmal „gesellschaftliches Zusammenleben“ – wie es das Schutzgut öffentliche Ordnung fordert – setzt mehr als eine individuelle einzelfallbezogene Betroffenheit voraus. Entscheidend ist nicht das, was ein Einzelner für fürchtenswert oder beängstigend hält, sondern was von dem Großteil der Bevölkerung als furchterregend und beängstigend aufgefasst wird. Es kommt also nicht auf das individuelle Furchtempfinden des Einzelnen, sondern auf das durchschnittliche Furchtempfinden des Großteils der Bevölkerung an. Besondere individuelle Befindlichkeiten – besondere Furchtsamkeit oder besondere Ängstlichkeit – können und werden auch nicht von der öffentlichen Ordnung geschützt. b) Das Sicherheitsgefühl schützende Sozialnormen Dem Sicherheitsgefühl kommt demnach für das menschliche Zusammenleben eine gewisse Bedeutung zu. Es könnte damit Schutzgut der öffentlichen Ordnung sein, wenn es von Sozialnormen erfasst wird, die Verhaltensweisen untersagen, weil sie dem gesellschaftlichen Grundkonsens und den Wertvorstellungen des Grundgesetzes widersprechen. Es müsste also eine Sozialnorm existieren, die es verbietet, sich so zu verhalten, dass man das Sicherheitsgefühl anderer beeinträchtigt, dass man bei anderen Furcht verursacht. Dabei wirft der Schutz des Sicherheitsgefühls zwei Probleme auf: Zum einen ist das Sicherheitsgefühl höchst heterogen. So ruft eine bestimmte Situation bei dem einen Furcht hervor, während sie beim anderen zu keiner 383

Vgl. dazu bereits oben 1. Kap. B.III.1.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls führt. 384 Eine für den Schutz durch die öffentliche Ordnung notwendige Typisierung und Querschnittbildung des Sicherheitsgefühls ist kaum möglich. Das „durchschnittliche Sicherheitsgefühl“ gibt es daher nicht. Das andere Problem des Schutzes des Sicherheitsgefühls durch die öffentliche Ordnung besteht in den Ursachen für die Entstehung von Unsicherheitsgefühl und Furcht. Wie bereits dargestellt 385, entstehen Unsicherheitsgefühle oftmals durch als fremdartig empfundene Verhaltensweisen wie beispielsweise das Herumlungern Jugendlicher auf der Straße, das aggressive Betteln von Obdachlosen oder den Alkoholgenuss von Punks in der Fußgängerzone. Bei diesen Verhaltensweisen handelt es sich – wie ebenfalls bereits festgestellt 386 – um die Ausübung von Freiheit; nämlich der Freiheit, sich anders (als die Mehrheit) zu verhalten. Diese Freiheit ist durch das Grundgesetz garantiert, namentlich durch das Demokratieprinzip 387 und die Grundrechte. Ob solche von Rechtsnormen gestatteten Verhaltensweisen einen für einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung erforderlichen „Tabubruch“ bedeuten, also durch Sozialnormen untersagt werden dürfen, ist damit fraglich. 388 Sollen Verhaltensweisen, die bei anderen Furcht hervorrufen, durch Sozialnormen unterbunden werden, so müssen diese Sozialnormen dem Schutz wichtiger gesellschaftlicher Güter dienen, solcher Güter, die auch dem Schutz der Wertvorstellungen des Grundgesetzes unterfallen, d. h. sie müssen den Bruch gesellschaftlich überragender Tabus verhindern. Allein das Verursachen von Furcht und Unsicherheitsgefühlen als solches bedeutet aber noch keinen solchen Tabubruch. Es muss vielmehr ein zusätzliches Moment hinzukommen, wie etwa bei den Quasar-Spielen eine menschenunwürdige Verhaltensweise. An einem solchen dürfte es bei den hier untersuchten das Sicherheitsgefühl beeinträchtigenden Verhaltensweisen aber regelmäßig fehlen. (1) Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die öffentliche Ordnung im Versammlungsrecht Es existiert allerdings ein Bereich polizeilichen Handelns, in dem diese grundsätzlichen Schwierigkeiten beim Schutz des Sicherheitsgefühls durch die öffentliche Ordnung nicht bestehen: das Versammlungsrecht. Im Versammlungsrecht kommt schon allgemein der öffentlichen Ordnung eine ungleich größere Bedeu384

S.o. 4. Kap. A.III. S.o. 4. Kap. B.II.5.c). 386 S.o. 5. Kap. B.I.5.d). 387 Vgl. dazu 5. Kap. B.I.5. 388 Dies gilt insbesondere – vor dem Hintergrund der oben erwähnten Problematik der Vereinbarkeit von öffentlicher Ordnung mit demokratischen Grundsätzen – für die Einschränkung von dem Demokratieprinzip entstammenden Freiheiten. 385

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

tung zu als dies im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht der Fall ist. Und speziell auch das Sicherheitsgefühl lässt sich im Versammlungsrecht durch die öffentliche Ordnung schützen. Dies ist beispielsweise der Fall bei einem Marsch rechtsextremer oder rechtsradikaler Gruppen durch ein nahezu nur von Ausländern bewohntes Stadtviertel. Dabei wollen die Versammlungsteilnehmer durch ihr Auftreten und ihre Verhaltensweisen – Marsch in Blockformation, Landsertrommeln und einheitliche, uniformähnliche Kleidung wie sog. Springerstiefel und Bomberjacken, die der Versammlung ein paramilitärisches Gepräge verleihen – den Eindruck von Gewaltbereitschaft erwecken und dadurch bei den dort wohnenden Ausländern Furcht verursachen. 389 Grundsätzlich ist das Hervorrufen von Verunsicherung und Furcht allerdings für das Versammlungsrecht nicht untypisch, sondern vielmehr schon in der Idee des Versammlungsrechts angelegt. Versammlungen wollen – entsprechend dem Charakter der Versammlungsfreiheit als kommunikatives Grundrecht 390 – eine bestimmte Aussage mitteilen. 391 Insoweit bezweckt die Versammlungsfreiheit dasselbe wie auch die Meinungsäußerungsfreiheit. Maßgeblicher Unterschied ist die Art und Weise der Meinungskundgabe: Bei der Versammlungsfreiheit wird die Aussage nicht – allein – in Schrift, Wort oder Bild, sondern durch die Form als Versammlung, als Ansammlung mehrerer Menschen, die hinter der Aussage stehen, kundgetan. 392 Durch diese spezielle Form der Meinungskundgabe soll der Versammlungsaussage Nachdruck verliehen werden. 393 Die Form der Meinungsäußerung als Versammlung soll zunächst visuell die Zahl derer verdeutlichen, die hinter der Aussage der Versammlung stehen, die sich für das Anliegen der Versammlung einsetzen. 394 Daneben sollen Versammlungen aber auch durch die physische Präsenz ihrer Teilnehmer psychischen Druck erzeugen, sie sollen eine 389

Vgl. Gusy, JZ 2002, 105 (111). Zum Charakter der Versammlungsfreiheit als kommunikatives Grundrecht vgl. nur Hoffmann-Reim, AK-GG, Art. 8, Rn. 16; Blumenwitz, in: Schreiber (Hrsg.), Polizeilicher Eingriff und Grundrechte – Festschrift für Samper, S. 131 (132); s. a. Dietel / Gintzel / Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. A., § 1 Rn. 29 ff.; Köhler / DürigFriedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, Art. 8 GG Rn. 31. 391 Zum Zweck von Versammlungen grundsätzlich vgl. nur Gusy, Art. 8 Rn 9; SchulzeFielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 8, Rn. 24; Hoffmann-Reim, AK-GG, Art. 8, Rn. 16 f. jeweils m.w. N. 392 BVerfGE 69, 315 (345): „[...] der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz [...] kundgibt“. Vgl. auch Frank, in: Stein / Faber (Hrsg.), Auf einem dritten Weg: Festschrift für Helmut Ridder, S. 37 (45); Hoffmann-Reim, AK-GG, Art. 8, Rn. 17. Grundsätzlich zum Verhältnis von Meinungs- und Versammlungsfreiheit Müller, Wirkungsbereich und Schranken der Versammlungsfreiheit, insbesondere im Verhältnis zur Meinungsfreiheit, S. 55 ff., insb. S. 62 ff. 393 Gusy, in: vM / K/S, Art. 8, Rn. 9; Preuß, in: Böttcher (Hrsg.), Recht, Justiz, Kritik: Festschrift für Richard Schmid, S. 419 (436); Ott, Das Recht auf freie Demonstration, S. 46. 394 Dietel / Gintzel / Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. A., § 1 Rn. 29; Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfas390

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Drohkulisse aufbauen. Kurz: Versammlungen sollen beeindrucken. 395 Es ist also bereits in der Idee der Versammlungsfreiheit angelegt, dass Versammlungen Furcht und Unsicherheitsgefühle verursachen (können). 396 Wenn der Versammlungsfreiheit zugleich auch immer ein Furcht- und Unsicherheitsgefühl erregendes Moment innewohnt, ist es erforderlich, dass ein Ausgleich zwischen dem Anliegen der Versammlung – der Aussage möglichst großen Nachdruck zu verleihen – und dem Interesse der Außenstehenden – von Furcht frei zu bleiben – erfolgt. Dabei kann die öffentliche Ordnung gleichsam als „Verkehrsregel“ dafür sorgen, dass die den Versammlungen immanente Verursachung von Furcht und Unsicherheitsgefühlen nur auf das für die wirksame Verdeutlichung der Aussage der Versammlung notwendige Maß beschränkt bleibt. Dabei lassen sich zwei Szenarien denken, in denen furchtverursachende Versammlungen die Grenze der durch die Versammlungsfreiheit zu rechtfertigenden Unsicherheitsgefühle überschreiten und auf Grundlage der öffentlichen Ordnung untersagt werden können. Zum einen sind dies Versammlungen, bei denen die durch eine Versammlung ausgelöste Furcht ein unerträgliches Maß erreicht; wenn die Versammlung also nicht bloß ein beklemmendes, ungutes Gefühl erzeugt, sondern eine konkrete Furcht vor einem gewalttätigen Übergriff auf bedeutende Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit. Eine solche Situation liegt beispielsweise vor, wenn entlassene Arbeiter sich vor der Villa ihres – ehemaligen – Arbeitgebers versammeln und dadurch eine aufgebrachte Menge entsteht, so dass dieser fürchten muss, dass es zu Gewalttätigkeiten gegen ihm eigene bedeutende Rechtsgüter kommt. Aufgrund der für die öffentliche Ordnung erforderlichen Typisierung wird es dabei allerdings nicht ausreichen, dass lediglich der Adressat der Versammlung – im oben erwähnten Beispiel der Arbeitgeber – sich bedroht fühlt, sungsrecht, S. 115; Frank, in: Stein / Faber (Hrsg.), Auf einem dritten Weg: Festschrift für Helmut Ridder, S. 37 (45); Bertuleit, Sitzdemonstrationen zwischen prozedural geschützter Versammlungsfreiheit und verwaltungsrechtsakzessorischer Nötigung, S. 87 ff.; Blumenwitz, in: Schreiber (Hrsg.), Polizeilicher Eingriff und Grundrechte – FS für Samper, S. 131 (138). 395 Gusy, in: vM / K/S, Art. 8 Rn. 9; ders., JZ 2002, 105 (111); Ehrentraut, Die Versammlungsfreiheit im amerikanischen und deutschen Verfassungsrecht, S. 144; Roellecke, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Bd. 5, Sp. 709 (Stichwort „Versammlungsfreiheit“): „Demonstrationen sind wesentlich polarisierende Drohgebärden“; Kang, Der Friedlichkeitsvorbehalt der Versammlungsfreiheit, S. 99 f.; so i. E. wohl auch Huba, JZ 1988, 394 (395); Dietel / Gintzel / Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. A., § 1 Rn. 31; Ridder / Breitbach / Rühl / Steinmeier, Versammlungsrecht, Art. 8 GG Rn. 25; § 15 Rn. 75. 396 Die Versammlung als ein Massenphänomen lässt sich nicht auf die rein geistige Kommunikation reduzieren, so aber BGHSt 23, 46 (56 f.); BGH, NJW 1972, 1571 (1573); NJW 1984, 1226 (1229); Broß, Jura 1986, 189 (195); Bleckmann, Staatsrecht II – Die Grundrechte, § 29 Rn. 32; Brohm, JZ 1985, 501 (510); differenzierender, aber ebenfalls zu eng Förster, Die Friedlichkeit als Voraussetzung der Demonstrationsfreiheit, S. 134 ff.; Götz, DVBl. 1985, 1347 (1347).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

vielmehr muss auch ein objektiver Dritter, in der Situation des Adressaten (also ein „Durchschnitts“-Adressat) sich vor einem gewalttätigen Übergriff fürchten müssen. Das gesamte Verhalten der Versammlung muss – unabhängig von der individuellen Furchtempfindlichkeit des jeweiligen Adressaten – für einen objektiven Beobachter die Furcht vor Übergriffen verursachen. Denn nur dann ist eine furchterregende Versammlung nicht mit dem gesellschaftlichen Zusammenleben vereinbar und damit ein Tabubruch. In der Praxis dürfte diese Situation besonders großer Furcht allerdings kaum einen eigenständigen Anwendungsbereich haben. Wenn ein objektiver Beobachter in der Situation des Adressaten einen Übergriff auf bedeutende Rechtsgüter fürchten muss, wird regelmäßig auch eine Situation vorliegen, bei der ein solcher befürchteter Übergriff sich auch tatsächlich ereignen kann, er also auch objektiv droht. Oder die durch die Versammlung hervorgerufene Verunsicherung ist von den Versammlungsteilnehmern so konkret artikuliert und zudem auch so gewollt, dass von einer Drohung i. S. d. Tatbestands der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB ausgegangen werden kann. In diesen Fällen wird also i. d. R. zugleich auch eine Gefahr für von der Rechtsordnung geschützte Rechtsgüter, kurz, für die öffentliche Sicherheit bestehen, auf deren Grundlage dann polizeiliche Maßnahmen ergriffen werden könnten. Auch hier wird durch die Beseitigung der Gefahr auch das Objekt der Furcht beseitigt. 397 Grundsätzlich wäre aber ein Einschreiten auf Grundlage der öffentlichen Ordnung allein deshalb zulässig, weil eine Situation entsteht, die eine Furcht vor Übergriffen begründet, ohne dass es zu solchen Übergriffen kommen muss – also noch keine Gefahr vorliegt. Zum anderen dürften solche Versammlungen die Grenzen des von der Versammlungsfreiheit gerechtfertigten Maßes an Furchtverursachung überschreiten, die primär auf Provokation angelegt sind, bei denen das Hervorrufen von Furcht und Verunsicherung das Hauptziel und nicht mehr nur das Mittel zur Unterstützung der Versammlungsaussage ist. Um eine solche Versammlung handelt es sich in dem oben angeführten Beispielfall. Der militärisch wirkende Aufmarsch rechter Gruppierungen oder Parteien soll ein „Klima der Gewaltdemonstration und potenzieller Gewaltbereitschaft“ erzeugen. 398 Durch die zudem noch erfolgende Verwendung von Symbolen und Riten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft soll der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes wieder wachgerufen werden. 399 Die in dem betreffenden Gebiet lebenden Ausländer sol397

S.o. 5. Kap. B.I.6.c)(1). BVerfG, NJW 2001, 2072 (2074); s. a. BVerfG, NVwZ 2004, 90 (91); NJW 1982, 1803 (1803); OVG Bautzen, NVwZ-RR 2002, 435 (435). Vgl. zum Versammlungsverbot wegen aggressiv-ausländerfeindlichen Wahlkampfs bereits VG Kassel, NJW 1989, 1448 (1448); s. a. Gusy, JZ 2002, 105 (111); Beljin, DVBl. 2002, 15 (19); ausführlich zum Argument der spezifischen Provokationswirkung Röger, Demonstrationsfreiheit für Neonazis?, S. 59 ff. Zur sog. Berliner Linie, die durch Auflagen rechten Versammlungen den einschüchternden Charakter nehmen will Tölle, NVwZ 2001, 153 (156). 399 BVerfG, NVwZ 2004, 90 (91). 398

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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len aus Furcht vor der Versammlung die Straße verlassen und sich – zunächst – in ihre Wohnung, langfristig aber in ihr „Heimatland“ zurückziehen. Sie sollen sich angesichts dieser Demonstration militärischer Gewaltbereitschaft in ihrem Wohngebiet und in Deutschland nicht mehr sicher fühlen. 400 Auch hier ist ein Einschreiten der Polizei auf Grundlage der öffentlichen Ordnung zum Schutz des Sicherheitsgefühls zulässig. Denn die Unsicherheitsgefühle und die Furcht dienen nicht zur Verdeutlichung des Versammlungsanliegens, sondern sind das – oftmals primäre – Anliegen der Versammlungsteilnehmer. Das Versammlungen grundsätzlich innewohnende Frucht- und Unsicherheitsgefühl erregende Moment steht dann in solchen Fällen außer Verhältnis zu der von der Versammlungsfreiheit gedeckten Meinungskundgabe. Ein Verbot solcher Verhaltensweisen ist auch noch aus einem anderen Grund geboten. Neben der furchtbedingten Flucht in die Wohnung lässt sich auch noch eine andere Reaktion auf solche provozierenden und furchterregenden Versammlungen denken: nämlich die Ausübung von Gegengewalt durch die von der Versammlung Provozierten. Diese mögliche Gegengewalt könnte dann zu nicht hinnehmbaren Folgen führen. Es könnten Zustände offener Gewaltausübung entstehen, wie beim so genannten „Altonaer Blutsonntag“, bei denen es in der Weimarer Republik anlässlich eines Aufmarsches der nationalsozialistischen SA in Hamburg zu Schießereien von Anhängern der KPD mit der Polizei und der Versammlung kam. Provozierende und Gegengewalt auslösende Versammlungen können zu Zuständen führen, die von der Polizei nicht mehr zu kontrollieren sind, zur Unbeherrschbarkeit der Situation. Ein polizeiliches Einschreiten zum Schutz des Sicherheitsgefühls kann im Vorfeld ein Entstehen solcher unbeherrschbaren Situationen verhindern. 401 In den so gelagerten Fällen kann es demnach durchaus sinnvoll sein, die öffentliche Ordnung als Befugnisnorm für Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls heranzuziehen. Das Sicherheitsgefühl könnte dann – im Versammlungsrecht – Schutzgut der öffentlichen Ordnung sein. (2) Der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die öffentliche Ordnung im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht Vor dem Hintergrund der besonderen Situation des Versammlungsrechts stellt sich nun die Frage, ob diese Überlegungen sich auch auf das allgemeine Polizeirecht und den Schutz des Sicherheitsgefühls in allgemeinen Gefahrenabwehrsituationen übertragen lassen. 400 Vgl. zur Beeinträchtigung des Zusammenlebens durch einschüchternde Versammlungen BVerfG, NVwZ 2004, 90 (91). 401 Dass die Unbeherrschbarkeit von Situationen eine Folge eines mangelnden Sicherheitsgefühls sein kann, zeigte sich bereits schon oben 5. Kap. B.I.6.c)(1).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Grundsätzlich dürfte der Schutz des Sicherheitsgefühls im allgemeinen Polizeirecht aber schwierig sein. Die üblichen Furcht verursachenden Freiheiten sind – anders als die Versammlungsfreiheit – nicht auf das Verursachen von Unsicherheitsgefühlen und Furcht angelegt. Falls bei ihrer Ausübung bei anderen Personen Furcht verursacht wird, so ist dies lediglich eine unbeabsichtigte und ungeplante Nebenfolge. Es bedarf daher an sich nicht der öffentlichen Ordnung als „Verkehrsregel“ wie im Versammlungsrecht, so dass eine Übertragung der oben im Versammlungsrecht angestellten Überlegungen auf das allgemeine Polizeirecht nicht möglich ist. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn das furchterregende Verhalten bewusst auf Provokation und Verunsicherung gerichtet ist. Dies mag für Punks gelten, die als „Bürgerschreck“ die in der Innenstadt konsumierenden Bürger verängstigen wollen. 402 Aber bereits das oftmals als beängstigend empfundene aggressive Betteln genügt den Anforderungen für ein Tätigwerden zum Schutz des Sicherheitsgefühls auf Grundlage der öffentlichen Ordnung nicht, ist es doch primär darauf ausgerichtet, Geld von dem „Angebettelten“ zu erhalten. Die erzeugte Furcht ist allenfalls ein Nebenzweck, der dem Hauptzweck der Gewinnerzielung dienen soll, indem der eingeschüchterte Passant sich durch die Gabe von Geld vom furchterregenden Bettler „freikaufen“ soll. Den meisten der üblichen unter Berufung auf das Sicherheitsgefühl untersagten Verhaltensweisen fehlt indes das provozierende Element. Sie verursachen lediglich – als Nebenfolge – durch ihre Fremd- und Andersartigkeit Furcht. c) Ergebnis Die öffentliche Ordnung kann daher – mit wenigen Ausnahmen – nicht als Rechtfertigung für polizeiliche Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls dienen. Eine Ausnahme davon stellt das Versammlungsrecht dar. Hier lassen sich furchterregende und Unsicherheitsgefühle verbreitende Versammlungen mit Verweis auf eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung verbieten. III. Ergebnis: Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Polizeiaufgabe der Gefahrenabwehr Der Schutz des Sicherheitsgefühls lässt sich nur sehr eingeschränkt aus der polizeilichen Aufgabe der Gefahrenabwehr gewinnen. Das Sicherheitsgefühl lässt sich – insbesondere über das Rechtsgut Demokratie – zwar bedingt als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit begreifen, als Rechtfertigung für polizeiliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls kann das Schutzgut öffentliche 402 Wann eine solche Situation vorliegt, wird schwierig zu beurteilen sein, zumal bei einem Bedrohen oder Nötigen bereits ein Eingreifen der Polizei auf Grundlage der öffentlichen Sicherheit zulässig wäre.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Sicherheit nicht dienen, denn dafür bedürfte es spezieller demokratiekonformer Regelungen. 403 Auch das Schutzgut der öffentlichen Ordnung kann nur sehr begrenzt – namentlich im Versammlungsrecht – für Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls herangezogen werden. Für die üblicherweise ergriffenen Maßnahmen kann aber auch dieses nicht als Ermächtigungsgrundlage fungieren.

C. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Teil der Polizeiaufgabe Strafverfolgung Neben der Gefahrenabwehr ist der Polizei als weitere zentrale Aufgabe die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zugewiesen. Die Rechtsgrundlagen dieser Aufgaben finden sich in § 163 Abs. 1 StPO (eigenständige Erforschung von Straftaten durch die Polizei) und in § 161 Abs. 1 StPO (polizeiliche Ermittlungen im Rahmen staatsanwaltlicher Erforschungen von Straftaten) sowie für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten durch die Polizei in § 53 OWiG. Die Befugnisse der Polizei zur Erfüllung dieser Aufgaben richten sich ebenfalls nach der StPO und dem OWiG. Die StPO verfügt über eine Vielzahl von Befugnisnormen, die der Polizei eine Vielzahl von Ermittlungsmaßnahmen gestatten. Dabei entsprechen die zur Strafverfolgung zulässigen Ermittlungsmaßnahmen oftmals den polizeilichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. So ist die Polizei auch nach der StPO u. a. befugt zur Durchsuchung von Personen, Sachen oder Wohnungen (§§ 102 ff. StPO), zur Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen (§§ 94 ff. StPO) sowie zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen (§ 81b StPO). Zumeist einziger Unterschied zwischen den Maßnahmen nach Polizeirecht und denen auf Grundlage der StPO ist der Zweck, der mit der jeweiligen Maßnahme verfolgt wird. Maßnahmen des Polizeirechts dienen der Beseitigung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die Maßnahmen nach der Strafprozessordnung hingegen der Aufklärung und Aburteilung von begangenen Straftaten und damit letztlich der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs. 404 Maßnahmen der Polizei zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls könnten sich als Teil der Polizeiaufgabe Strafverfolgung rechtfertigen lassen, wenn sich das Sicherheitsgefühl unter die Aufgabennormen subsumieren lässt und die zum Schutz des Sicherheitsgefühls ergriffenen Maßnahmen von den jeweiligen strafprozessualen Befugnisnormen und denen des Ordnungswidrigkeitenrechts erfasst sind. 403

Ausführlicher s. o. 5. Kap. B.I.7. BVerfGE 6, 389 (439); 20, 323 (331); 25, 269 (286); 27, 18 (29); Gäditz, Strafprozess und Prävention, S. 176 ff.; Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, S. 242; ausführlicher zu den Zielen strafprozessualer Grundrechtseingriffe Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 396 f.; Amelung, JZ 1987, 737 (738 ff.), der zwischen „echten“, also Maßnahmen, die der Sicherung von Beweismitteln, der Sicherung der Vollstreckung und der Abwehr von Störungen des Verfahrens dienen, und „unechten“, Maßnahmen, die andere Ziele als den Abschluss des Strafverfahrens verfolgen, unterscheidet. 404

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

I. Tatbestandsvoraussetzungen für eingreifende Maßnahmen der Polizei nach der StPO Zunächst soll geklärt werden, was nach der StPO die Tatbestandsvoraussetzungen für ein polizeiliches Tätigwerden zur Strafverfolgung sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es eine Vielzahl von Befugnisnormen gibt, die das Vorliegen der unterschiedlichsten Tatbestandsvoraussetzungen erfordern. Dennoch lässt sich – ungeachtet der grundsätzlichen Verschiedenartigkeit der Befugnisnormen – ein zentrales, allen strafprozessualen Befugnissen gemeines Tatbestandsmerkmal ausmachen: der Tatverdacht. 405 Entsprechend dem oben angesprochenen 406 Zweck der polizeilichen Befugnisse nach der StPO, nämlich der Verfolgung und Aufklärung von Straftaten, ist ein Tätigwerden der Polizei nur dann zulässig, wenn der Verdacht besteht, dass eine Straftat 407 begangen wurde. 408 Allerdings variieren dabei die konkreten Anforderungen, die die jeweiligen Ermächtigungen 409 an den Grad des Verdachts 410 und an die Art der verdächtigten Straftat 411 stellen. Besonders eingriffsintensive Maßnahmen stellen höhere, weniger in die Grundrechte eingreifende Maßnahmen geringere Anforderungen. So erfordert beispielsweise die Telefonüberwachung nach § 100a StPO, dass der Verdacht einer bestimmten, einer sog. Katalogtat besteht und dieser Verdacht 405 Vgl. auch Albers, Determination polizeilicher Tätigkeit, S. 84: „Tatbezogenheit“; Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, S. 242: „begangene rechtswidrige Taten“; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 321: „Der Verdacht bildet [...] die Schwelle, welche überschritten werden muss, um die (Zwangs-) Instrumente prozessualer Ermittlungen auszulösen“, Rn. 413: „allgemeine Zwangsmittel stehen unter dem Vorbehalt des Verdachts“; Benfer, Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren, Kap. 1, Rn. 6. 406 S.o. 5. Kap. C. 407 Zur Definition des Begriffs Straftat muss auf § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB zurückgegriffen werden, vgl. Benfer, Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren, Kap. 1, Rn. 29. 408 Für über den Zweck Strafverfolgung hinausgehende Befugnisse würde es zudem an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes fehlen. 409 In der strafprozessrechtlichen Literatur findet sich für grundrechtseingreifende Maßnahmen nach der StPO oftmals auch der Begriff der strafprozessualen Zwangsmittel. Dieser Begriff ist jedoch nicht so präzise wie der der Eingriffsermächtigungen, vor allem weil durch ihn bestimmte Handlungsformen begrifflich nicht erfasst sind, die gleichwohl einen Eingriff in Grundrechte bedeuten. So fällt es beispielsweise schwer, die heimliche Telefonüberwachung als „Zwang“ zu bezeichnen. Vgl. dazu auch Amelung, Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe; ders., JZ 1987, 737 (737 f.); Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 395. 410 Zu den unterschiedlichen Verdachtsgraden vgl. nur Kühn, NJW 1979, 617 (622); Finke, ZStW 95 (1983), 918 (924 ff.); Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 322 ff. m.w. N. Zum Begriff des Anfangsverdachts insb. in Abgrenzung zu vor dem Stadium des Verdachts liegenden Vorermittlungen Haas, Vorermittlung und Anfangsverdacht, S. 13 ff., 24 ff., 34 ff. 411 Zu den Katalogtaten als Tatbestandsvoraussetzung strafprozessualer Befugnisse Niehaus, Katalogtatensysteme als Beschränkung strafprozessualer Eingriffsbefugnisse.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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zudem auch noch durch bestimmte Tatsachen begründet ist. Ähnlich hohe Eingriffsvoraussetzungen sind z. B. auch an die Rasterfahndung gestellt. Sie ist nach § 98a StPO nur zulässig, wenn „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ für den Verdacht einer „erheblichen“ Straftat bestehen. Weniger stark in die Grundrechte eingreifende Maßnahmen, wie etwa die Sicherstellung nach § 94 StPO oder die Durchsuchung nach § 102 f. StPO, hingegen fordern lediglich den Verdacht einer Straftat, sind also bereits bei einem Anfangsverdacht und unabhängig von der Art der vermuteten Straftat zulässig. Die einzelnen Anforderungen, die die verschiedenen Befugnisnormen an den Tatverdacht stellen, sind zwar äußerst unterschiedlich, im Grundsatz aber gilt: Ohne den Verdacht einer begangenen Straftat, ohne Tatverdacht ist kein strafverfolgendes Handeln, kein Handeln auf Grundlage der StPO zulässig. Polizeiliche Maßnahmen nach der StPO müssen immer einen Bezug zu einer begangenen Straftat haben. II. Das Sicherheitsgefühl und die begangene Tat Die Tatbestandsvoraussetzung eines Verdachts einer begangenen Straftat schränkt die Möglichkeiten der Polizei, auf Grundlage der StPO Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls zu ergreifen, stark ein. Zum einen erfordert das Ergreifen von Maßnahmen auf der Grundlage strafprozessualer Normen das Vorliegen einer Straftat. Schon bei der Untersuchung der Entstehung von Kriminalitätsfurcht hat sich aber gezeigt, dass die das Sicherheitsgefühl beeinträchtigenden Verhaltensweisen sich in erster Linie nicht durch ihre Strafbarkeit, sondern durch ihre Andersartigkeit und Fremdartigkeit auszeichnen. Furcht wird demnach nicht primär durch Straftaten, sondern durch ungewohntes und den gesellschaftlichen Konventionen nicht entsprechendes Verhalten verursacht. Maßnahmen, die das Sicherheitsgefühl verbessern sollen, müssen damit nicht zwingend an Straftaten anknüpfen. Schon insoweit schränkt die Tatbestandsvoraussetzung „Verdacht einer begangenen Straftat“ die Möglichkeit der Polizei, Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls auf Grundlage der StPO zu ergreifen, ein. Zudem genügt es für ein polizeiliches Tätigwerden nach der StPO auch nicht, dass die Begehung einer Straftat droht, sondern die Straftat muss bereits begangen worden sein. Strafprozessuale Maßnahmen sind nur nach der Begehung einer Straftat, nur repressiv möglich. Zum Schutz des Sicherheitsgefühls wird es aber grundsätzlich nicht ausreichen, dass polizeiliche Maßnahmen erst nach Begehung einer Straftat ergriffen werden. So wird eine in einem als gefährlich empfundenen Park und nur auf Grundlage der StPO vorgenommene Videoüberwachung, die nur zur Aufklärung und Verfolgung bereits begangener und aufgezeichneter Straftaten und nicht zu deren Verhinderung eingesetzt wird, dauerhaft das Sicherheitsgefühl nicht verbessern können. 412 Der Bürger mag sich dann zwar über die Aufklärung der Straftat freuen, vor dem Übergriff und dessen unangenehmen Folgen – kör-

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

perliche Schmerzen und finanzielle Verluste – wird er sich aber nicht geschützt fühlen. In dem überwachten Park wird er sich dann dauerhaft nicht sicherer fühlen; allein repressives Handeln wird das Sicherheitsgefühl dort nicht wiederherstellen. Außerdem lässt das Tatbestandsmerkmal „Verdacht einer begangenen Straftat“ bei der Strafverfolgung nur einzelfallbezogene Aktivitäten zu. Strafprozessuale Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls sind aufgrund dieses Tatbestandsmerkmals nur punktuell möglich. Nur wenn konkret eine Tat begangen wurde, kann die Polizei auf Grundlage der Befugnisse der StPO tätig werden. Dies widerspricht aber den Bedürfnissen der Bürger nach einem Schutz ihres Sicherheitsgefühls. Die Menschen fürchten sich zumeist vor der Kriminalität allgemein, nicht vor einer bestimmten Straftat. In dem als gefährlich empfundenen Park ist es nicht eine konkrete bereits begangene Straftat und der sie begehende Straftäter, vor denen sich die Bürger fürchten, sondern sie empfinden den Park unabhängig von der einzelnen Straftat als einen Ort, an dem ihnen verschiedene Straftaten von verschiedenen Tätern drohen können. Polizeiliche Maßnahmen mit dem Zweck, das Sicherheitsgefühl zu verbessern, die nur an eine konkrete Straftat anknüpfen, sind daher wenig geeignet, das in seiner Entstehung komplexe Sicherheitsgefühl zu verbessern. Eine Ausnahme dürfte nur für besondere Fälle gelten, für solche begangenen Straftaten, die aufgrund großer Medienpräsenz oder besonders intensiver Kommunikation unter den Bürgern in der Öffentlichkeit sehr bekannt sind. In diesen Fällen kann es sein, dass sich die Menschen vor einem konkreten Täter fürchten. Um in dem oben genannten Beispiel mit dem Park zu bleiben: Wenn sich dort eine Serie von Überfällen durch ein und denselben Täter ereignet hat, über die in der Presse groß berichtet wurde, können sich die Bürger in diesem Park vor gerade diesem Täter fürchten. Das Sicherheitsgefühl der Bürger wird also aufgrund dieser konkreten Taten beeinträchtigt. In einem solchen speziellen Fall können einzelfallbezogene, punktuelle Maßnahmen auf Grundlage der strafprozessualen Befugnisnormen ausnahmsweise zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls führen. Allerdings ist dabei noch zu berücksichtigen, dass in solchen Fällen die polizeiliche Maßnahme, durch die das Sicherheitsgefühl verbessert werden soll, zugleich auch die Strafverfolgung oder – bei Wiederholungstätern – sogar die Gefahrenabwehr bezweckt. Kommt die Polizei ihrer Aufgabe der Strafverfolgung nach und ermittelt sie den Täter, so wird durch diese Maßnahme zugleich das punktuell, durch diesen Täter beeinträchtigte Sicherheitsgefühl verbessert. Ist der Täter gefasst, gibt es auch keinen Grund mehr, sich – zumindest vor diesem – zu fürchten. Dadurch wird regelmäßig kein eigener Anwendungsbereich mehr für besondere, das Sicherheitsgefühl verbessernde Maßnahmen mehr bestehen. 412 Andere als strafprozessuale Zwecke einer Videoüberwachung, wie etwa die Verdrängung unerwünschter Gruppen, sollen in diesem Beispiel unberücksichtigt bleiben. Allein auf Grundlage der StPO wären sie nicht zu rechtfertigen.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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III. Das Sicherheitsgefühl und die Befugnisse nach der StPO Nicht nur weil der Tatbestand der Befugnisnormen der StPO zumeist nicht erfüllt sein wird, lassen sich das Sicherheitsgefühl schützende Maßnahmen der Polizei nicht auf die StPO stützen, sondern auch weil die strafprozessualen Befugnisnormen dazu zumeist ungeeignet sind. Ein Vorgehen der Polizei gegen die (vermeintlichen) Ursachen des defizitären Sicherheitsgefühls, so wie es üblicherweise erfolgt, ist auf Grundlage der StPO nicht möglich. So lassen sich Maßnahmen gegen das Sicherheitsgefühl störende Obdachlose und Punks in der Fußgängerzone kaum auf strafprozessuale Befugnisnormen stützen. Platzverweise und Aufenthaltsverbote sieht nur das präventive Polizeirecht vor. 413 Allenfalls Maßnahmen mit mittelbarer Verdrängungswirkung wären auf Grundlage der Strafprozessordnung möglich. Beispielsweise können an den üblichen Aufenthaltsorten dieser „furchterregenden“ Personen wiederholt durchgeführte Durchsuchungsmaßnahmen, mit denen eine Verdrängung dieser Personen bezweckt wird, auf §§ 102 f. StPO gestützt werden. Zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls beitragen könnte auch die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 iVm. §§ 112 ff. StPO. Denn jedes Festnehmen führt zugleich auch dazu, dass der Festgenommene während der Zeit seiner Festnahme nicht zur Entstehung von Unsicherheitsgefühlen beitragen kann. Nimmt die Polizei beispielsweise einen Drogenabhängigen wegen des Besitzes von Drogen fest, so kann dieser für die Dauer der Festnahme nicht durch seine Anwesenheit in der Innenstadt – als Teil einer das Sicherheitsgefühl beeinträchtigenden offenen Drogenszene – Furcht bei anderen Bürgern verursachen. Weil jedoch eine Festnahme einen erheblichen Eingriff in die Lebens- und Freiheitsinteressen des Betroffenen darstellt, hat der Gesetzgeber diese Freiheitsentziehung von hohen Anforderungen abhängig gemacht. Für eine längerfristige Haft bedarf es nach §§ 112 ff. StPO eines Haftgrundes, der in der Flucht und der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 1, 2 StPO), in der Verdunklungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO), in der Schwere des Delikts (§ 112 Abs. 3 StPO) 414 und in der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) bestehen kann. 415 Den Haftgrund „der muss von der Straße“ gibt es aber nicht. 416 413

Die StPO sieht zwar auch in § 164 StPO u. a. die Befugnis der Polizei vor, einen Platzverweis – als milderes Mittel zur gesetzlich vorgesehenen Festnahme – auszusprechen. Dieser dient aber nur dazu, Störungen von Amtshandlungen bei der Aufklärung von Straftaten zu verhindern, nicht hingegen der Verfolgung von Straftaten; vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 277; Wache, in: KK-StPO, § 164, Rn. 1, 7. 414 Dieser Haftgrund muss allerdings verfassungskonform ausgelegt werden, BVerfGE 19, 342 (350 ff.); vgl. dazu ausführlicher Wolter, ZStW 93 (1981), 452 (482). 415 Zu den anerkannten Haftgründen ausführlicher Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 417 ff.; Ranft, Strafprozessrecht, Rn. 627 ff.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Nach § 127 Abs. 2 iVm. §§ 112 ff. StPO darf die Polizei jemanden vorläufig festnehmen, wenn die Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft nach §§ 112 ff. StPO vorliegen. Der Betroffene muss demnach nicht nur Tatverdächtigter sein, sondern es muss gegen ihn ein dringender Tatverdacht bestehen und zudem ein Haftgrund gegeben sein. Haftgründe sind dabei Flucht oder Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 1, 2 StPO), Verdunklungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO), die Schwere des Delikts (§ 112 Abs. 3 StPO) und die Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO). 417 Zudem muss die Freiheitsentziehung im Verhältnis zur begangenen Tat stehen, insbesondere ist eine Festnahme bei leichteren Delikten nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 113 StPO zulässig. In den üblicherweise angedachten Fällen der das Sicherheitsgefühl störenden Verhaltensweisen werden die Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft aber regelmäßig nicht vorliegen, allenfalls ist – etwa bei Drogen- und Beschaffungsdelikten – an die Wiederholungsgefahr zu denken. Insoweit mag die Festnahme zwar eine geeignete polizeiliche Maßnahme sein, mit der das Sicherheitsgefühl verbessert werden kann, sie wird aber in aller Regel nicht zulässig sein, um die Unsicherheitsgefühle hervorrufenden Verhaltensweisen zu unterbinden. Wenn also die speziellen Befugnisnormen der StPO die üblicherweise zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls ergriffenen Maßnahmen nicht erfassen, könnte man jedoch versuchen, zur Rechtfertigung solcher Maßnahmen auf die Ermittlungsgeneralklausel aus §§ 161, 163 StPO zurückzugreifen, nach der u. a. die Polizei befugt ist, Ermittlungen anzustellen. Dabei stellt sich allerdings vorrangig die grundsätzliche Frage, inwieweit sich grundrechtseingreifende Maßnahmen überhaupt auf §§ 161, 163 StPO stützen lassen. Ursprünglich handelte es sich bei diesen Vorschriften lediglich um Aufgaben- und nicht um Befugnisnormen. Zwar wurde verschiedentlich versucht, durch eine Auslegung auch eine generalklauselartige Befugnisnorm zu gewinnen; Wortlaut, Systematik und Teleologie sprechen jedoch dagegen. 418 Durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts (StVÄG 1999) vom 2. August 2000 419 wurden §§ 161, 163 StPO dahingehend geändert, dass die Staatsanwaltschaft und die Polizei befugt sind, 416 Zumindest kennen ihn §§ 112 ff. StPO nicht. In der Praxis kann dies allerdings oft der Beweggrund für einen Haftbefehl sein, der dann formal mit dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr begründet wird. 417 Ausführlich zu den Haftgründen Dittmer, Die vorläufige Festnahmen gemäß § 127 Abs. 2 StPO, S. 40 ff.; vgl. dazu – inbs. zur Rechtfertigung der Untersuchungshaft vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung – auch Paeffgen, Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, S. 87 ff. Zur besonderen Problematik des – präventiv wirkenden und nicht der Verfahrenssicherung dienenden – Haftgrunds Wiederholungsgefahr Roggan, Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, S. 126 ff. m.w. N.; Roxin, zit. in: Meyer, ZStW 82 (1970), 1117 (1125). 418 Siehe dazu bereits Albers, Determination polizeilicher Tätigkeit, S. 83; Rogall, Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozess, S. 72 ff. m.w. N. 419 BGBl. I S. 1253.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Ermittlungen jeder Art vorzunehmen. Mit dieser Änderung beabsichtigte der Gesetzgeber, §§ 161, 163 StPO so umzugestalten, dass sie nicht mehr nur Aufgaben-, sondern auch eine generalklauselartige Befugnisnorm – eine „Ermittlungsgeneralklausel“ – sind. 420 Trotz dieser erklärten Absicht des Gesetzgebers ist damit aus §§ 161, 163 StPO aber keine der polizeirechtlichen Generalklausel entsprechende Auffangbefugnis geschaffen worden. 421 Vornehmlich sollte mit der Änderung den Vorgaben des Volkszählungsurteils vom BVerfG 422 Rechnung getragen werden und eine Befugnisnorm für Ermittlungsmaßnahmen geschaffen werden, die zwar nicht eingriffsneutral sind, die aber zugleich auch nicht so schwerwiegend sind, dass dafür eine eigenständige, spezielle Befugnisnorm erforderlich wäre. 423 Demnach werden zumindest tiefergehende Grundrechtseingriffe nicht auf Grundlage des § 161 Abs. 1 StPO zulässig sein, sondern weiterhin einer ausdrücklichen und hinreichend bestimmten Befugnisnorm bedürfen. 424 Damit dürfte der Anwendungsbereich dieser Ermittlungsgeneralklausel eher gering sein. 425 Die Vornahme grundrechtsneutraler Handlungen wird weiterhin auch auf Grundlage der Aufgabennormen zulässig sein, eingriffsintensive Maßnahmen hingegen werden weiter einer eigenen, spezialgesetzlichen Befugnisnorm bedürfen. Allenfalls nahezu eingriffslose Maßnahmen wie Erkundigungen im Umfeld einer gesuchten Person dürften auf Grundlage der „Ermittlungsgeneralklausel“ zulässig sein. 426 Daher dürften auch auf Grundlage der Ermittlungsgeneralklausel nur wenige Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls zulässig sein, allenfalls solche, die keinen schwerwiegenden grundrechtseingreifenden Charakter haben. Maßnahmen, die nicht nur unerheblich in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und für deren präventive Pendants das Polizeirecht über eigenständige spezialgesetzliche Befugnisnormen verfügt, wie Aufenthaltsverbote oder Platzverweise, hingegen lassen sich nicht auf die Ermittlungsgeneralklausel der §§ 161, 163 StPO stützen, zumal auch schwierig sein dürfte, etwa einen Platzverweis als Ermittlungsmaßnahme zu deklarieren. Im Ergebnis sind die strafprozessualen Befugnisnormen damit im Hinblick auf die auf ihrer Grundlage möglichen Handlungsformen wenig geeignet, zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls beizutragen. Polizeiliche Maßnahmen auf Grundlage strafprozessualer Befugnisnormen werden sich regelmäßig allenfalls dazu eignen, das Sicherheitsgefühl durch nach außen 420

BT-Drs. 14/1484, S. 23; BR-Drs. 65/99, S. 32. Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 179. 422 BVerfG 65, 1 (1 ff.). 423 BT-Drs. 14/1484, S. 23. 424 Hilger, NStZ 2000, 561 (564); ders., StraFo 2001, 109 (111); Wohlers, in: SK-StPO, § 161, Rn. 10; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 104. 425 Wohlers, in: SK-StPO, § 161, Rn. 10 ff. mit möglichen Handlungen, zu denen §§ 161,163 StPO ermächtigen könnten; zu weiteren Beispiel vgl. auch Hilger, NStZ 2000, 561 (564). 426 Hilger, NStZ 2000, 561 (564); ders., in: Hanack, (Hrsg.), Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag am 4. Juni 2002, S. 171 (181); Soiné, Kriminalistik 2001, 245 (246). 421

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

erkennbares Tätigwerden der Polizei zu verbessern. Der Bürger sieht, dass die Polizei zur Aufklärung der Straftat handelt. Er fühlt sich dann allein durch die Erkenntnis sicherer, dass die Polizei „etwas tut“. Aber auch hierbei zeigt sich, dass die strafprozessualen Befugnisnormen nicht auf den Schutz des Sicherheitsgefühls, sondern auf die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten ausgerichtet sind. Denn bei polizeilichen Maßnahmen nach der StPO kommt es gerade nicht darauf an, dass sie von anderen wahrgenommen und bemerkt werden; bei manchen ist dies sogar unerwünscht, sie sollen vielmehr heimlich erfolgen. So sind der Lauschangriff (§ 100c Abs. 1 Nr. 2, 3 StPO), die Telefonüberwachung (§ 100a StPO) und der Einsatz Verdeckter Ermittler (§ 110a ff. StPO) darauf angelegt, dass sie vom Bürger unbemerkt bleiben, weil andernfalls der Erfolg der Maßnahme ausbliebe. Diese heimlichen Maßnahmen können zwar bei der Aufklärung einer Straftat helfen, zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls können sie aber nicht beitragen. Der Bürger sieht gar nicht, dass die Polizei tätig wird, er kann also auch nicht erkennen, dass die Polizei „etwas tut“, und er wird sich deswegen nicht sicherer fühlen. 427 Auch die anderen Befugnisnormen der StPO sind auf die Aufklärung von Straftaten gerichtet und dienen nicht dazu, durch offene Aktivität der Polizei das Sicherheitsgefühl zu verbessern. Man könnte allerdings auch hier erwägen, auf die Ermittlungsgeneralklausel (§§ 161, 163 StPO) zurückzugreifen, um Maßnahmen zu rechtfertigen, bei denen es nur am Rande um die Aufklärung einer Straftat geht und die primär den Zweck verfolgen, Präsenz und Aktivität der Polizei zu zeigen. So ist es vorstellbar, dass die Polizei einen DNA-Massentest durchführt, obwohl sie nicht sicher weiß, dass der Täter der untersuchten Gruppe entstammt und andere – ggf. geeignetere, aber nicht so medienwirksame – Ermittlungsmaßnahmen möglich sind. Zwar ist es dann nicht gesichert, dass eine solche Maßnahme zur Aufklärung der Straftat beitragen wird, die Polizei zeigt aber, dass sie aktiv wird. So wird zwar nicht zwingend die Straftat aufgeklärt, das Sicherheitsgefühl aber gestärkt. Aber auch hier stellen sich die oben bereits angesprochenen Probleme: Ein Einsatz ist nur punktuell möglich und die Ermittlungsgeneralklausel gestattet keine tiefgreifenden Grundrechtseingriffe. 428

427 Zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls kann allerdings der Erfolg dieser Maßnahmen, die Ergreifung des Täters, beitragen. Dies ist aber kein Schutz des Sicherheitsgefühls auf Grundlage der StPO, sondern ein Schutz des Sicherheitsgefühls als Folge strafverfolgender Tätigkeit. Vgl. zur Präsentation der Erfolge bei der Strafverfolgung unten mehr 8. Kap. B.II. 428 Vgl. zur Begrenztheit strafprossesualer Ermächtigungen auf punktuelle Maßnahmen Albers, Determination polizeilicher Tätigkeit, S. 85.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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IV. Das Sicherheitsgefühl als Maßstab für die Ressourcenverteilung Wenn sich Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls nur äußerst selten auf strafprozessuale Befugnisnormen stützen lassen, könnte der Schutz des Sicherheitsgefühls gleichwohl eine gewisse Rolle bei der Verfolgung von Straftaten durch die Polizei spielen. Das Sicherheitsgefühl könnte als Maßstab dafür dienen, wie die Prioritäten bei strafverfolgenden Maßnahmen gesetzt werden. Die Polizei könnte die Straftaten stärker verfolgen, die maßgeblich zur Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls beitragen. Sie könnte sich beispielsweise darauf konzentrieren, Straftaten zu verfolgen, die sich im öffentlichen Raum ereignen oder denen eine große Beachtung in den Medien zuteilwird, und hingegen Straftaten, die wenig öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, auch weniger intensiv verfolgen. Allerdings wird im Bereich der Strafverfolgung das Legalitätsprinzip aus § 152 Abs. 2 StPO die Grenze einer solchen Prioritätensetzung sein. Grundsätzlich ist nach § 163 Abs. 1 StPO iVm § 152 Abs. 2 StPO die Polizei verpflichtet, jede Straftat zu verfolgen. 429 Ein Ermessen, ob sie tätig wird, ist ihr – anders als im Polizeirecht – nicht eingeräumt. Dies gilt aber nur für die Theorie. In Zeiten knapper Kassen verfügt auch die Polizei nicht mehr über das Personal und die Mittel, die ihr eine umfassende Befassung mit allen Straftaten gestatten würden. 430 Vielmehr erfordern die knappen Ressourcen eine Schwerpunktsetzung. Bei der Frage dieser Ressourcenverteilung kann dem Sicherheitsgefühl durchaus einige Bedeutung zukommen. Gleichwohl dürfte im Grundsatz gelten: Primärer Maßstab bei der Ressourcenverteilung muss die Schwere der Straftat, nicht deren mögliche oder tatsächliche Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl sein. Die Aufklärung eines im Geheimen verübten Tötungsdelikts darf nicht zugunsten einer in aller Öffentlichkeit verübten Körperverletzung zurücktreten. V. Der Schutz des Sicherheitsgefühls nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht Polizeiliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls lassen sich auch nicht auf die Befugnisse der Polizei zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten stützen. 429

Die Bindung der Polizei an das Legalitätsprinzip folgt gezielt aus § 163 Abs. 1 StPO vgl. BGHSt 15, 155 (159); Schmidt-Jortzig, NJW 1989, 129 (131); Kapahnke, Opportunität und Legalität im Strafverfahren, S. 42 ff. Ausführlich zum Legalitätsprinzip SchmidtJortzig, NJW 1989, 129 (130 ff.); Döhring, Ist das Strafverfahren vom Legalitätsprinzip beherrscht?; Jeutter, Sinn und Grenzen des Legalitätsprinzips im Strafverfahren. Empirisch zum Legalitätsprinzip Dölling, Polizeiliche Ermittlungstätigkeit und Legalitätsprinzip; zur Geschichte des Legalitätsprinzips Schmidt-Jortzig, NJW 1989, 129 (130 f.). 430 Schmidt-Jortzig, NJW 1989, 129 (130 ff.).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Wie auch die polizeilichen Befugnisse zur Strafverfolgung nach der StPO setzen die polizeilichen Befugnisse zur Aufklärung und Ermittlung von Ordnungswidrigkeiten einen Anfangsverdacht voraus. 431 Ohne den Verdacht, dass eine Tat mit ordnungswidrigkeitsrechtlicher Qualität begangen wurde, ist ein polizeiliches Tätigwerden auf Grundlage des OWiG nicht zulässig. Der Versuch, Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls über die Befugnisse des OWiG zu rechtfertigen, sieht sich damit mit denselben Problemen konfrontiert, die sich bereits bei den Befugnissen nach der StPO stellten. 432 Es werden auch hier nur punktuelle, einzelfallbezogene Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls möglich sein. Allerdings weist – zumindest wenn es um den Schutz des Sicherheitsgefühls geht – das Ordnungswidrigkeitenrecht einen Vorteil gegenüber dem Strafprozessrecht auf: Betrachtet man die Ursachen für die Entstehung von Unsicherheitsgefühlen, u. a. Andersartigkeit und Unordnung, so dürfte es einfacher sein, den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit zu begründen als den einer Straftat. „Furchterregende“ Verhaltensweisen wie das Betteln von Obdachlosen oder der Alkoholgenuss von Punks in der Fußgängerzone werden vermutlich eher den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit denn den einer Straftat erfüllen. Vor allem die Ordnungswidrigkeitentatbestände „unzulässiger Lärm“ (§ 117 OWiG), „Belästigung der Allgemeinheit“ (§ 118 OWiG) und „Vollrausch“ (§ 122 OWiG) könnten zur Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls herangezogen werden. Sitzen beispielsweise ein paar Punks über längere Zeit in der Fußgängerzone und trinken dabei ausgiebig alkoholische Getränke, so könnte ein Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit nach § 122 OWiG bestehen; fordert ein Obdachloser lautstark die vorbeigehenden Passanten auf, ihm „mal einen Euro“ zu geben, so könnte dies den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 117 und 118 OWiG begründen. Dabei ist jedoch noch Folgendes zu berücksichtigen: Sollten tatsächlich einen Anfangsverdacht rechtfertigende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen wurde, so wird zumeist auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen und damit schon die Voraussetzungen für ein Handeln auf Grundlage des Polizeirechts. Dies gilt insbesondere für die soeben angesprochenen §§ 117, 118 OWiG, die bereits tatbestandlich eine „Schädigung“ Dritter oder eine Störung der „öffentlichen Ordnung“ fordern. 433 431 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 27, Rn. 3; Wache, in: Boujong (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, vor § 53, Rn. 36; Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, vor § 53, Rn. 27; Bohnert, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 70; ders., Ordnungswidrigkeitengesetz, § 35, Rn. 14. 432 S.o. 5. Kap. C.III. 433 Allerdings ist der Tatbestand des § 117 OWiG bereits erfüllt, wenn die Tathandlung, das Lärmen, geeignet ist, eine Belästigung Dritter herbeizuführen, ob jemand tatsächlich belästigt wird, ist unerheblich, vgl. Rotberg, OWiG, § 117, Rn. 6. Jedoch werden die „Eignung“ zur Belästigung i. d. R. mit der „Gefahr“ übereinstimmen, so dass sich hier keine relevanten Unterschiede ergeben.

5. Kap.: Geschriebene Aufgaben der Polizei

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Dieser bezüglich des Anfangsverdachts bestehende „Vorteil“ mag zwar den Zugriff auf die repressiven Befugnisse des OWiG als Grundlage für polizeiliche Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls erleichtern, aber auch hier stellt sich das Problem der mangelnden Eignung der Rechtsfolgen ordnungswidrigkeitenrechtlicher Befugnisse für den Schutz des Sicherheitsgefühls. Die Befugnisse, die das OWiG der Polizei zur Aufklärung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten einräumt, sind – genauso wie die strafprozessualen Befugnissen – von ihrer Art her wenig geeignet, die üblicherweise ergriffenen polizeilichen Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls zu rechtfertigen. Denn das OWiG selbst verfügt über keine eigenen Vorschriften über die zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässigen Ermittlungsmaßnahmen, sondern verweist diesbezüglich in § 46 Abs. 1 OWiG auf die entsprechenden Vorschriften der StPO, die dann „sinngemäß“ angewendet werden. Der Polizei sind demnach grundsätzlich nur dieselben Maßnahmen gestattet, die ihr auch nach den Befugnisnormen der StPO zustehen. 434 Für den Schutz des Sicherheitsgefühls bedeutet das: Wenn diese Maßnahmen schon im Rahmen der Strafverfolgung nicht zum Schutz des Sicherheitsgefühls geeignet sind, so werden sie sich auch nicht im Rahmen der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten dazu eignen. Außerdem sind der Polizei bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten manche strafprozessualen Befugnisse nach § 46 Abs. 2 – 4 OWiG ausdrücklich verwehrt. In den Einschränkungen dieses § 46 Abs. 2 – 4 OWiG hat das verfassungsrechtliche Übermaßverbot seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden. 435 Bestimmte Befugnisse der Polizei zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten stehen per gesetzlicher Definition außer Verhältnis zu dem mit ihnen angestrebten Zweck, nämlich der Aufklärung und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, und deren Anwendung ist deshalb per se unzulässig. Zu diesen ausgeschlossenen Maßnahmen zählt nach § 46 Abs. 3 OWiG u. a. auch die Festnahme. 436 Gerade diese wäre jedoch eines der wenigen Mittel, das zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls 434

Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 27, Rn. 6; Rosenkötter, Das Recht der Ordnungswidrigkeiten, Rn. 263. 435 Denninger in: Lisken / Denninger, Rn. E 204; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, § 27, Rn. 6. Strafprozessuale Maßnahmen, die nach ihrer Rechtsgrundlage den Verdacht einer erheblichen Straftat voraussetzen – wie etwa die Überwachung der Telekommunikation nach § 100a StPO –, sind schon tatbestandlich der Polizei bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten verwehrt und deshalb auch nicht in § 46 Abs. 2 –4 OWiG erwähnt, vgl. Mitsch, aaO., § 27, Rn. 7. 436 Zulässig sind nur das Festhalten einer Person zur Durchsetzung eines zulässigen Eingriffs in die Rechte des Betroffenen – etwa zur Vorführung oder zu einer körperlichen Untersuchung – und die Festnahme des Betroffenen zum Zwecke der Identifizierung nach §§ 163b, 163c StPO, Lampe, in: Senge (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, § 46, Rn. 20; Rosenkötter, Das Recht der Ordnungswidrigkeiten, Rn. 268. Eine – über § 163b, § 163c StPO hinausgehende – vorläufige Festnahme i. S.v. § 127 StPO ist hingegen ausgeschlossen, vgl. Wache, in: Senge (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, vor § 53 Rn. 139; Göhler, Ordnungs-

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

beitragen könnte. 437 Wenn die Polizei denjenigen, der durch sein Verhalten bei anderen Furcht verursacht, festnimmt, verbessert sie – zumindest kurzfristig – auch das Sicherheitsgefühl. Wer eingesperrt ist, kann auch nicht andere ängstigen, kann nicht das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen. So könnte – eine Zulässigkeit der Festnahme zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten angenommen – beispielsweise der das Sicherheitsgefühl störende Punk aufgrund des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit nach § 122 oder § 117 OWiG festgenommen werden und für die Zeit seiner Festnahme nicht mehr das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen. 438 Im Ergebnis gilt also: Grundsätzlich werden sich Maßnahmen zur Verbesserung und zum Schutz des Sicherheitsgefühls nicht auf die Befugnisse der Polizei zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten stützen lassen. VI. Ergebnis Die zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls üblicherweise ergriffenen Maßnahmen lassen sich zumeist nicht als Teil der Polizeiaufgabe Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten rechtfertigen. Solche Maßnahmen können im Regelfall nicht auf die Befugnisnormen der StPO und des OWiG gestützt werden, sondern allenfalls punktuell, in bestimmten Einzelfällen.

D. Ergebnis: Der Schutz des Sicherheitsgefühls als geschriebene Polizeiaufgabe Den geschriebenen Aufgaben der Polizei – der Aufgabe der Gefahrenabwehr und der der Strafverfolgung – lassen sich nur bedingt eine Aufgabe und Befugnisse zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls entnehmen. Die Polizei kann auf Grundlage des geschriebenen Rechts das Sicherheitsgefühl nur in Einzelfällen und sehr punktuell schützen.

widrigkeitengesetz, vor § 59, Rn. 139; Vogel, NJW 1978, 1217 (1228); Kurth, NJW 1979, 1377 (1379 f.). 437 Zur Festnahme als Mittel zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls auf Grundlage der StPO s. o. 5. Kap. C.III. 438 Anders als in der oben angesprochenen Anwendung auf Grundlage der StPO wäre die Festnahme nach OWiG also leichter zu begründen.

6. Kap.: Ungeschriebene Aufgaben der Polizei

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6. Kapitel

Der Schutz des Sicherheitsgefühls aus den ungeschriebenen Aufgaben der Polizei Wenn der Schutz des Sicherheitsgefühls nicht aufgrund geschriebener Aufgabennormen eine Aufgabe der Polizei ist, so könnte es sich beim Schutz des Sicherheitsgefühls um eine ungeschriebene Aufgabe der Polizei handeln. Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, ob es neben diesen beiden geschriebenen Polizeiaufgaben auch noch weitere – ungeschriebene – Aufgaben der Polizei gibt und ob sich darunter eine Aufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ findet. Ungeschriebene Aufgaben sind neben den bestehenden geschriebenen Aufgaben existierende Aufgaben, die in diesen stillschweigend mitgeschrieben sind. Ihre Existenz muss – da sie nicht ausdrücklich vorgegeben sind – besonders begründet werden. Bei einer ungeschriebenen Aufgabe der Polizei, die sie berechtigt, das Sicherheitsgefühl zu schützen, könnte diese Begründung auf zwei Wegen erfolgen. Zum einen über das Sozialstaatsprinzip und zum anderen als Annexaufgabe.

A. Der Schutz des Sicherheitsgefühls aus dem Sozialstaatsprinzip Zunächst wäre zu erwägen, ob sich eine Aufgabe der Polizei, das Sicherheitsgefühl zu schützen, sozialstaatlich begründen lässt, d. h., ob der Schutz des Sicherheitsgefühls nicht aufgrund des Sozialstaatsprinzips zu einer „Nebenaufgabe“ der Polizei bei der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung wird. Wenn der Schutz des Sicherheitsgefühls nicht zu den geschriebenen Aufgaben der Polizei, zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung, zählt, so könnte der Schutz aber dennoch als stillschweigend mitgeschriebene Aufgabe in den bestehenden Aufgaben enthalten sein. Eine solche stillschweigend mitgeschriebene Aufgabe der Polizei zum Schutz des Sicherheitsgefühls könnte sich mit Hilfe des Sozialstaatsprinzips begründen lassen. Dazu müssten die bestehenden Aufgaben der Polizei aufgrund des Sozialstaatsprinzips dahingehend modifiziert werden, dass sie auch den Schutz des Sicherheitsgefühls erfassen. Durch das Sozialstaatsprinzip ließe sich dann aus den bestehenden Aufgaben der Polizei eine Nebenaufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ herleiten.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Das Sozialstaatsprinzip nimmt den Staat in die Pflicht, für das soziale Wohlergehen seiner Bürger zu sorgen. 439 Der Staat soll seinen Bürgern ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. 440 Dabei ist „das Soziale“ 441 nicht mehr nur alleinige Aufgabe der Sozialämter. Soziale Aufgaben können nicht nur den Sozialämtern, sondern auch anderen Behörden auferlegt werden, auch andere staatliche Stellen können soziale Aufgaben erfüllen. Als eine dieser anderen staatlichen Stellen ist auch die Polizei nicht davon ausgeschlossen, sozial zu handeln. 442 Es ist durchaus nicht unüblich, dass Maßnahmen der Polizei neben der Intention der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung auch sozialstaatlich motiviert sein können. So bezweckt beispielsweise die Einweisung eines Obdachlosen in eine Wohnung nicht nur die Abwehr unmittelbar für das Leben und die Gesundheit des Obdachlosen bestehender Gefahren, sondern soll diesem die Möglichkeit geben, wieder ein „geregeltes Leben“ zu führen. 443 Die Wohnungseinweisung kann also über den bloßen Rechtsgüterschutz hinausgehen und daneben soziale Beweggründe haben. Ähnliches dürfte für die neueingeführte Wohnungsverweisung nach § 34a PolG NRW gelten. Dieser sieht die Verweisung eines gewalttätigen Wohnungsbewohners zum Schutz eines anderen Wohnungsbewohners vor. 444 Die Maßnahme ist dabei nicht auf die reine Dauer der Gefahr – die kann bereits mit dem Eintreffen der Polizei oder im Verlaufe der Nacht entfallen sein – beschränkt, sondern gilt für einen Zeitraum von zehn Tagen. Dieser Zeitraum, in dem i. d. R. keine weitere unmittelbare Gefahr droht, soll dem gefährdeten Wohnungsbewohner die Möglichkeit geben, in ausreichender Zeit und ohne das Risiko von Gewalttätigkeiten über eine grundsätzliche Lösung des Problems und seine künftige Lebensführung nachzudenken, insbesondere, ob er zivilrechtlichen Schutz – vornehmlich nach 439

Ausführlicher zum Sozialstaatsprinzip s. u. 6. Kap. A.I. BVerfGE 40, 121 (133); 43, 13 (19); 44, 353 (375); 45, 187 (228); 82, 60 (85); vgl. Gröschner, in: Dreier, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 26; Zacher, HStR II (3.A.), § 28, Rn. 25 ff. jeweils m.w. N. 441 Zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten von „sozial“ vgl. nur Zacher, HStR II (3.A.), § 28, Rn. 20 f. 442 Bedenken ergeben sich allerdings dann, wenn die Polizei im Rahmen ihres sozialstaatlich motivierten Handelns sich nicht mehr auf ihre Eilzuständigkeit aus § 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW beschränkt; dies dürfte ein Problem bei der Wohnungsverweisung nach § 34a PolG NRW sein, s. a. Ruder, VBlBW 2002, 11 (15); ebenfalls i. E. skeptisch Collin, DVBl. 2003, 1499 (1504); Krugmann, NVwZ 2006, 152 (157); anders BVerfG NJW 2002, 2225 (2225 f.), das die Wohnungsverweisung wohl für verfassungsgemäß hält; allerdings handelt es sich bei dieser Entscheidung um einen Nichtannahmebeschluss einer Verfassungsbeschwerde, die im Kern die Rechtschutzmöglichkeiten gegen eine Wohnungsverweisung rügte. 443 Vgl. zum Anspruch eines Obdachlosen auf Unterbringung aus dem Sozialstaatsprinzip BayVGH, BayVBl. 1995, 729 (730); Sommermann, in: vM / K/S, Art. 20 Abs. 1, Rn. 125. 444 Allgemein zur Wohnungsverweisung Lang, VerwArch 2005, 283 (283 ff.); PetersenThrö, SächsVBl 2004, 173 (173 ff.); Wuttke, JuS 2005, 779 (779 ff.); Stor, ThürVBl 2005, 97 (97 ff.); Kay, NVwZ 2003, 521 (521 ff.). 440

6. Kap.: Ungeschriebene Aufgaben der Polizei

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§ 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG – in Anspruch nehmen möchte. 445 Zudem soll es ihm während dieser Zeit möglich sein, eine entsprechende zivilrechtliche Entscheidung herbeizuführen. Die Wohnungsverweisung hat demnach zwei Funktionen: Die Verweisung aus der Wohnung selbst dient der Abwehr von Gefahren für die Rechtsgüter der verletzten Person, das in der Verweisung enthaltende Rückkehrverbot für die Dauer von zehn Tagen hingegen bezweckt vor allem, die flankierenden Maßnahmen nach dem GewSchG erst zu ermöglichen. Durch die Wohnungsverweisung nach § 34a PolG NRW soll nicht nur kurzfristig die Gefahr im polizeirechtlichen Sinne abgewehrt, sondern die Gefährdung des Opfers auch langfristig beseitigt werden und soll so auch einem sozialen Zweck dienen. Es stellt sich nun die Frage, ob die Polizei neben diesen beiden Maßnahmen auch eine sozialstaatlich motivierte Aufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ hat. Dies setzt zweierlei voraus: Zum einen muss der Schutz des Sicherheitsgefühls vom sozialstaatlichen Gestaltungsauftrag umfasst sein und zum anderen muss sich daraus eine Aufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ ergeben. I. Das Sozialstaatsprinzip als Gestaltungsauftrag Bei dem Sozialstaatsprinzip handelt es sich um eine Staatszielbestimmung. Seine Aufnahme ins Grundgesetz (Art. 20 Abs. 1; Art. 28 Abs. 1 GG) bedeutet die Abkehr vom bürgerlich-liberalen Rechtsstaat, der sich vorwiegend als Rechtsbewahrerstaat, als „Nachtwächterstaat“, verstand. Durch das Sozialstaatsprinzip ist der Staat aufgerufen und legitimiert, auf die bestehende Gesellschaftsordnung einzuwirken. Dabei ist der Staat nicht nur befugt, das Gesellschaftsgefüge zu beeinflussen, sondern das Sozialstaatsprinzip enthält zudem ein wertbetontes Motiv. Der Gestaltungsauftrag der Sozialstaatsklausel ist gerichtet auf die Hilfe für Schwache, die Herstellung erträglicher Lebensverhältnisse, die Förderung der Chancengleichheit sowie die Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins. 446 Das Sozialstaatsprinzip dient damit dem Zweck, die notwendigen Rahmenbedin445 OVG Münster, NJW 2002, 2195 (195); BVerfG, NJW 2002, 2225 (2225); Krugmann, NVwZ 2006, 152 (152); Lang, VerwArch 2005, 283 (287); Hermann, NJW 2002, 3062 (3064); Tegtmeyer / Vahle, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, § 34a, Rn. 29. Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) vom 11. 12. 2001, BGBl. I, S. 3513, sieht vor, dass, wenn „eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt, das [Zivil-] Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen [hat]“. Zu solchen Maßnahmen zählt das Gesetz u. a. das Verbot, die Wohnung der verletzten Person zu betreten, sich in der Nähe der Wohnung dieser Person aufzuhalten und Verbindung zur verletzten Person aufzunehmen oder gar mit dieser zusammenzutreffen. Ausführlich zum GewSchG Viefhues, ZFE 2004, 103 (103 ff.); Schulte-Bunert, RpflStud 2003, 129 (129 ff.); Schweikert, NJ 2003, 617 (617 ff.); Grziwotz, NJW 2002, 872 (872 ff.). 446 BVerfGE 40, 121 (133); 43, 13 (19); 44, 353 (375); 45, 187 (228); 82, 60 (85); s. a. Schnapp, JuS 1998, 873 (877).

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gungen für die Ausübung der grundrechtlich garantieren Freiheiten zu schaffen. 447 Denn die Grundrechte sind ohne die tatsächliche Möglichkeit, sie in Anspruch nehmen zu können, wertlos. 448 Das Sozialstaatsprinzip gibt dem Staat somit Handlungsmöglichkeiten 449 an die Hand, um durch bestimmte Leistungen seinen Bürgern die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten zu ermöglichen. Allerdings beschränkt sich das „Soziale“ zumeist auf das Ökonomische. 450 Die Hindernisse für die Grundrechtsausübung sind i. d. R. wirtschaftlicher Art und die Leistungen, die der Staat zu ihrer Beseitigung erbringt, sind ebenfalls auf wirtschaftliche beschränkt. II. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als sozialstaatlicher Gestaltungsauftrag Für die hier aufgeworfene Frage, ob die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen darf, bedeutet das Folgendes: Ist der Staat – und zwar als für ihn handelnder Akteur die Polizei – aufgrund des Sozialstaatsprinzips berechtigt, auf das Gesellschaftsgefüge in der Weise einzuwirken, dass das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhöht wird? Wie bereits festgestellt, geht es bei der Bekämpfung des Unsicherheitsgefühls zumeist nicht um Rechtsgüterschutz. Das Sicherheitsgefühl ist weder ein eigenständiges Rechtsgut noch Teil eines anderen polizeilich geschützten Rechtsguts. 451 Wenngleich also beim Unsicherheitsgefühl keine Rechtsgüter gefährdet werden, bedeutet es gleichwohl eine Einschränkung der grundrechtlich gewährten Freiheiten. Denn ein starkes Unsicherheitsgefühl führt – wie bereits gezeigt 452 – bei den Betroffenen zu bestimmten Vermeideverhalten, sie nehmen bestimmte grundrecht447

Gröschner, in: Dreier, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 20; Ramm, JZ 1972, 137 (145); Benda, HbdVerfR, § 17, Rn. 158; Dreier, Jura 1994, 505 (508); Schnapp, in: v. Münch / Kunig, Art. 20, Rn. 37; Bethge, Der Staat 1985, 351 (376); Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 160. 448 Katz, Staatsrecht, Rn. 215; Bethge, Der Staat 1985, 351 (376). 449 Diese Handlungsmöglichkeiten können sich zu Handlungspflichten verdichten. Dann entspringen diese allerdings nicht dem Sozialstaatsprinzip, sondern die Handlungspflicht ergibt sich dann aus dem jeweils einschlägigen Grundrecht; vgl. zum Existenzminimum BVerfGE 78, 104 (118 f.); 82, 60 (78 f.); s. a. Herdegen, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rn. 114; Zippelius, in: BK, Art. 1 Abs. 1 u. 2, Rn. 102. 450 Zacher, HStR I, § 25, Rn. 68; ders., in: Stödter, Hamburg, Deutschland, Europa: Festschrift für Hans Peter Ipsen, S. 207 (261); ders., in: Gitter / Thieme / Zacher (Hrsg.), Im Dienst des Sozialrechts: Festschrift für Georg Wannagat, S. 715 (759 ff.); Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, S. 94 ff., 107 ff.; zur Ökonomisierung in der Sozialpolitik s. a. Tennstedt, in: Murswieck, Staatliche Politik im Sozialsektor, S. 139 (139 ff.). 451 S.o. 5. Kap. D. 452 S.o. 1. Kap. B.III.1.

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liche Freiheiten nicht mehr wahr. Ängstliche Personen verlassen bei Dunkelheit nicht mehr ihre Wohnung, sie meiden als gefährlich empfundene Orte, wie z. B. Parkanlagen, U-Bahnen oder Parkhäuser. In seinen ärgsten Ausmaßen kann ein beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl zu einem nahezu vollständigen Verzicht auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten führen. Bei einem defizitären Sicherheitsgefühl liegt damit eine dem Sozialstaatsprinzip typische Situation vor: Die Betroffenen sind nicht in der Lage, die ihnen von den Grundrechten eingeräumten Freiheiten zu nutzen. Insoweit könnten sich polizeiliche Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls als Maßnahmen, die die Beseitigung von Hemmnissen für die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten bezwecken, auf das Sozialstaatsprinzip stützen lassen. Problematisch ist dabei allerdings, dass sich der Schutz des Sicherheitsgefühls schwerlich als Sicherung der Voraussetzungen der Freiheitsausübung durch wirtschaftliche Leistungen fassen lassen wird. Bei den polizeilichen Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls handelt es sich vielmehr um „immaterielle“ Leistungen des Staates zur Beseitigung „immaterieller“ oder „emotionaler“ Hindernisse der Grundrechtsausübung. Zwar haben das Einkommen und das Vermögen, d. h. die materielle Ausstattung des Einzelnen, einen maßgeblichen Einfluss auf dessen Sicherheitsgefühl, 453 die polizeilichen Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls setzen aber nicht bei der materiellen Situation der Betroffenen, sondern eher bei den emotionalen Entstehungsfaktoren des Unsicherheitsgefühls – wie der Unordnung und den Zeichen des allgemeinen Werteverfalls oder „furchterregenden“ Personen wie Punks und Drogenabhängigen in der Innenstadt – an. 454 Die polizeilichen Maßnahmen zur Stärkung des Sicherheitsgefühls lassen sich daher nur dann auf das Sozialstaatsprinzip stützen, wenn dieses neben der Herstellung der materiellen Voraussetzungen für die Freiheitsbetätigung auch die der immateriellen erfasst. Historisch wurde das Sozialstaatsprinzip immer in einen wirtschaftlichen Zusammenhang gestellt. 455 Zunächst zeigte sich die Sozialstaatlichkeit in den gesetzlichen Regelungen zur Kriegsfolgenbeseitigung, dann in den Regelungen zur staatlichen Vor- und Fürsorge für besondere gesellschaftliche Gruppen und später im Steuer- und im Sozialhilferecht. 456 Diese Regelungen sahen den Ausgleich materieller Hindernisse für die Grundrechtsausübung durch materielle Leistungen des Staates vor. Bei späteren Maßnahmen wurden aufgrund des Sozialstaatsprinzips auch immaterielle Hemmnisse der Grundrechtsausübung wie z. B. Krankheit und Alter durch staatliche Leistungen beseitigt. 457 Die gewährten Leistungen blieben aber trotz des immateriellen Charakters der Hemmnisse stets materieller Art. 458 453 454 455 456 457

S.o. 4. Kap. B.I.2. Zu den einzelne Maßnahmen s. o. 1. Kap. B.II. Vgl. zur Entwicklung der Rspr. Neumann, NVwZ 1995, 426 (426 ff.). BVerfGE 15, 126 (150 ff.); 23, 153 (168); s. a. 82, 60 (85); 87, 153 (168 ff.). BVerfGE 28, 324 (348 ff.); 51, 115 (125).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Aber bereits im „numerus clausus-Urteil“ 459 hat das Bundesverfassungsgericht auch Leistungen aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet, die nicht rein wirtschaftlicher Natur sind – wie z. B. in jenem Fall den Zugang zum Studium. 460 Daneben kommt dem Sozialstaatsprinzip auch im Strafrecht eine nichtökonomische Bedeutung zu. So wird der Resozialisierungsanspruch von Straftätern sozialstaatlich begründet. 461 Zudem weisen auch andere sozialstaatliche Leistungen, die primär wirtschaftlicher Art sind, einen immateriellen Gehalt auf. Die sozialen Sicherungssysteme des Sozialstaatsprinzips zielen nicht allein auf die Sicherung der materiellen Voraussetzungen der Grundrechtsausübung ab. So soll beispielsweise die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch Sozialleistungen nicht nur dafür sorgen, dass der Einzelne tatsächlich keine materielle Not leiden muss. Die Sozialhilfe soll dem Einzelnen auch die Angst vor einem „Abrutschen“ in materielle Not nehmen. Die wirtschaftliche Leistung in Form der Errichtung eines sozialen Sicherungssystems beinhaltet damit auch immer die „immaterielle“ Leistung, dass sich der Einzelne nicht vor der materiellen Not fürchten muss. Demnach scheint es nicht ausgeschlossen, dass unter Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip auch immaterielle Hindernisse für die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten durch immaterielle Leistungen beseitigt werden können. 462 Für ein solches weites, nicht auf rein wirtschaftliche Belange reduziertes Verständnis des Sozialstaatsprinzips spricht zudem die Entstehungsgeschichte des Sozialstaatsprinzips. Die mit der Aufnahme des Sozialstaatsprinzips in die Verfassung einhergehende Abkehr vom Nachtwächterstaat liberaler Prägung durch den Grundgesetzgeber war auch eine Reaktion auf die Verhältnisse in der Weimarer Republik. Dort hatte die Wirtschaftskrise ab dem Jahre 1929 zu einer politischen Radikalisierung der Bürger – und damit letztlich zur Wahl Hitlers – geführt. 463 Allerdings trat diese Radikalisierung nicht bei denen auf, die sich in wirtschaftlicher Not befanden, sondern vor allem bei denen, die fürchteten, als nächste betroffen zu sein, die sog. „kleinen Leute“, die es nach dem Ersten Weltkrieg zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatten, wie Handwerker, Beamte der unteren Dienstgruppen und Angestellte. Die politische Radikalisierung ging somit mit dem Verlust der sozialen Sicherheit und vor allem der Verunsicherung und Sorge vor dem Verlust einher. Daraus folgte für die Väter und Mütter des Grundgesetzes, dass der Staat eine solche soziale Ordnung schaffen müsse, in der niemand in 458

Zacher, HStR I, § 25, Rn. 69. BVerfGE 33, 303 (331). 460 BVerfGE 33, 303 (331 f.). 461 Vgl. Lebach-Urteil, BVerfGE 35, 202 (235 f.); s. a. BVerfGE 45, 187 (258). 462 In diese Richtung gehend auch Zacher, HStR I, § 25, Rn. 73; zu den Grenzen ders., ebenda und Rn. 87. 463 Siehe dazu bereits oben 5. Kap. B.I.5.a)(1). 459

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Not leben oder sich auch davor fürchten müsse. 464 Von diesen historischen Erfahrungen ausgehend erschöpft sich die Funktion des Sozialstaats nicht darin, die materiellen Rahmenbedingungen für die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten zu schaffen, sondern er soll zugleich auch die immateriellen Voraussetzungen dafür gewährleisten. Schließlich lässt sich für ein weites, nicht auf rein wirtschaftliche Belange reduziertes Verständnis des sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags ein systematisches Argument anführen: der Vergleich des Sozialstaatsprinzips mit den grundrechtlichen Schutzpflichten. Beide Rechtsfiguren dienen dem Schutz grundrechtlich geschützter Rechtsgüter durch den Staat. Sie unterscheiden sich aber hinsichtlich der Gefahrenquellen. Die aus dem objektiven Gehalt der Grundrechte abgeleiteten 465 Schutzpflichten verpflichten den Staat, sich schützend vor die grundrechtlich anerkannten Rechtsgüter zu stellen. Die den Schutz des Staates hervorrufenden Gefahren gehen dabei von den Grundrechtsausübungen der Mitmenschen aus. Bei den grundrechtlichen Schutzpflichten geht es also darum, von Dritten ausgehende Behinderungen für die Grundrechtsausübung zu beseitigen, die grundrechtliche Freiheitsausübung gegenüber Einflüssen von Dritten abzuschirmen. 466 Das Sozialstaatsprinzip soll dagegen den Einzelnen vor der so genannten „gegnerlosen Not“ 467 schützen. Das Bedürfnis nach Schutz durch den Staat beruht auf allgemeinen Lebensrisiken, auf den „Wechselfällen des Lebens“ 468, wie beispielsweise Krankheit, Alter oder Arbeitslosigkeit, also auf „schicksalhaften anonymen Ursachen“ 469. Das Sozialstaatsprinzip greift also immer dann ein, wenn dem Einzelnen die Wahrnehmung seiner grundrechtlichen Freiheiten aus anderen, nicht von seinen Mitbürgern verursachten Gründen erschwert oder unmöglich gemacht wird. Diese Gründe lassen sich zumeist mit materiellen Mitteln – Geld- oder auch Sachleistungen – beseitigen, sind aber nicht auf diese beschränkt. Eine Reduzierung des Sozialstaatsprinzips nur auf wirtschaftliche Belange wird der Funktion 464 Vgl. Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 766 ff. 465 Zur Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten s. o. 2. Kap. B.I.2.c). 466 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 119; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 123. Ob die grundrechtlichen Schutzpflichten auch vor nicht von Menschen verursachten Gefahren, wie etwa Naturkatastrophen oder auch nur einem wilden Tier, schützen sollen, hängt maßgeblich von der dogmatischen Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten ab; ausführlich zu den unterschiedlichen Begründungen der Schutzpflichten Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 34 ff. 467 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 123 f.; Leisner, in: Leisner / Goerlich (Hrsg.), Das Recht auf Leben, S. 9 (27); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 119. 468 BVerfGE 28, 324 (328); vgl. BVerfGE 21, 363 (375); 27, 253 (283 f.); 36, 247 (250); 45, 376 (385 ff.). 469 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 119.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

des Sozialstaatsprinzips als eines von zwei die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten ermöglichenden Prinzipien nicht gerecht. Der vom Sozialstaatsprinzip ausgehende Gestaltungsauftrag erfasst damit nicht allein die Beseitigung materieller Hemmnisse bei der Grundrechtsausübung mit wirtschaftlichen Mitteln, sondern auch Maßnahmen, welche immaterielle Hindernisse für die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten beseitigen sollen. Da ein starkes Unsicherheitsgefühl zu einem bestimmten Vermeideverhalten führen kann, das in seinem ärgsten Ausmaß zu einem nahezu vollständigen Verzicht auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten führt, könnte sich dem Sozialstaatsprinzip demnach auch ein dahingehender Gestaltungsauftrag entnehmen lassen, Unsicherheitsgefühle als Hemmnisse für die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten zu beseitigen. Diese Feststellung sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob sich aus einem solchen dem Sozialstaatsprinzip entstammenden Gestaltungsauftrag, für das Sicherheitsgefühl zu sorgen, auch die Aufgabe der Polizei – und deren Befugnis – ergibt, Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls zu ergreifen. III. Die Bindungswirkung des Sozialstaatsprinzips für den Staat Ob sich polizeiliche Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls über einen vom Sozialstaatsprinzip abgeleiteten Gestaltungsauftrag gewinnen lassen, hängt maßgeblich von der Bindungswirkung des Sozialstaatsprinzips für den Staat ab. Das Sozialstaatsprinzip ist eine Staatszielbestimmung. 470 Bei Staatszielbestimmungen handelt es sich um Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die den Staatsorganen die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben – sachlich umschriebener Ziele – vorschreiben. 471 Wie bei anderen Staatszielbestimmungen auch, richtet sich das Sozialstaatsprinzip grundsätzlich an alle Staatsorgane, also sowohl an Gesetzgebung als auch an Rechtsprechung und Verwaltung. 472 Primärer Adressat der Sozialstaatsklausel ist aber der Gesetzgeber. 473 Aufgrund der im demokratischen Rechtsstaat zentralen Bedeutung des förmlichen Gesetzes ist die Verwirklichung des Sozialstaates in erster Linie Auf470

Badura, DÖV 1989, 491 (493); Schiek, in: AK-GG, Bd. 2, Art. 20 Abs. 1 –3 (Sozialstaat), Rn. 70; die Bezeichnungen des BVerfG variieren dabei allerdings, vgl. dazu ausführlicher Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 31 m.w. N. 471 Scheuner, in: Schnur, Festschrift für Ernst Forsthoff, S. 325 (335 ff.); Lücke, AöR 107 (1982), 15 (21 f.); Badura, DÖV 1989, 491 (493). 472 Allg. Meinung vgl. nur Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 (VIII), Rn. 6; Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 31 ff.; Zacher, HStR I, § 25, Rn. 106; ders., Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 726 ff. jeweils m.w. N.

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gabe des Gesetzgebers. 474 Der Gesetzgeber hat das „Soziale“ durch Gesetze zu konkretisieren. 475 Für die Rechtsprechung und Verwaltung bedeutet dieser Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers, dass sie dessen gesetzliche Konkretisierungen nachzuvollziehen haben. Nur dort, wo die gesetzliche Ausgestaltung Spielräume zur Interpretation und zur Ermessensausübung belässt, können sie auf das Sozialstaatsprinzip als Auslegungshilfe zurückgreifen. 476 Der Exekutive dient das Sozialstaatsprinzip also in erster Linie als Ermessensmaßstab. 477 Zudem kann das Sozialstaatsprinzip bei grundrechtseingreifenden Maßnahmen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als Prinzip mit Verfassungsrang zur Geltung gebracht und in die Abwägung widerstreitender Interessen einbezogen werden. Ohne eine gesetzliche Grundlage hingegen können die Verwaltungsbehörden nicht zu sozialen Zwecken grundrechtseingreifend tätig werden. Grundrechtseingriffe der Exekutive können nicht durch einen direkten Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip legitimiert werden. 478 Die Verwaltung kann sich bei der Verfolgung sozialstaatlicher Ziele nicht unmittelbar auf das Sozialstaatsprinzip stützen, insbesondere lassen sich Eingriffsbefugnisse nicht unmittelbar aus dem Sozialstaatsprinzip gewinnen. Es ist allein Aufgabe des Gesetzgebers, die notwendigen Befugnisnormen für grundrechtseingreifende Maßnahmen zu schaffen, mit denen soziale Ziele verfolgt werden. 479

473 Zur hervorgehobenen Adressatenstellung des Gesetzgebers s. BVerfGE 1, 97 (105): „Das Wesentliche zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips ... kann nur der Gesetzgeber tun“; vgl. auch BVerfGE 50, 57 (108); 51, 115 (125); 53, 164 (184); 59, 231 (263); s. a. Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 31; Zacher, HStR I, § 25, Rn. 122. 474 Vgl. BVerfGE 1, 97 (100); 43, 213 (226); 50, 57 (108); 53, 164 (184); 65, 182 (193); 69, 272 (314); 70, 278 (288). 475 Zacher, HStR I, § 25, Rn. 108. 476 Grundlegend zum sozialstaatlichen Auftrag der Verwaltung Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 426 ff. und passim; Schachtschneider, Das Sozialprinzip: zu seiner Stellung im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 75 ff.; s. a. Badura, Verwaltungsrecht im liberalen und sozialen Rechtsstaat. 477 Sommermann, in: vM / K/S, Art. 20 Abs. 1, Rn. 119; Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 726 ff. 478 BVerfGE 59, 231 (263): Das Sozialstaatsprinzip eignet sich nicht, „Grundrechte ohne nähere Konkretisierung durch den Gesetzgeber ... zu beschränken“. Vgl. auch Bieback, EuGRZ 1985, 657 (660); Stern, Staatsrecht I, S. 924; Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 31; Sommermann, in: vM / K/S, Art. 20 Abs. 1, Rn. 126. 479 Sommermann, in: vM / K/S, Art. 20 Abs. 1, Rn. 126.

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

IV. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als sozialstaatlich begründete Aufgabe der Polizei Für den sozialstaatlich begründeten Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei bedeutet das: Wenn die Polizei sozialstaatlich tätig wird, so entbindet sie das nicht vom Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Da diese im Polizeirecht zumeist das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erfordert, setzt ein sozialstaatlich motiviertes Handeln der Polizei immer zugleich eine Gefahrenlage voraus. Demnach kann die Polizei beispielsweise durch eine Wohnungseinweisung eines Obdachlosen auch ein sozialstaatliches Ziel verfolgen, möglich ist dies allerdings nur deshalb, weil die Obdachlosigkeit auch eine Gefahr für Rechtsgüter des Betroffenen bedeutet. Wenn aber die Polizei – neben der Gefahrenabwehr – auch eigene sozialstaatlich motivierte Aufgaben wahrnehmen soll, so bedarf sie dafür einer eigenen gesetzlichen Grundlage, wie es beispielsweise bei der Wohnungsverweisung nach § 34a PolG NRW der Fall ist. 480 Bei sozialstaatlich motivierten Maßnahmen der Polizei zum Schutz des Sicherheitsgefühls fehlt es aber – wie bereits festgestellt 481 – an der erforderlichen Gefahrenlage und der Schutz des Sicherheitsgefühls ist der Polizei auch nicht als eigene Aufgabe gesetzlich zugewiesen. Eine Berücksichtigung kann das Sicherheitsgefühl bei polizeilichen Maßnahmen also nur im Rahmen der Ermessensausübung finden. V. Ergebnis Selbst wenn sich der Schutz des Sicherheitsgefühls sozialstaatlich begründet lässt, bewirkt dies noch nicht, dass der Schutz damit auch eine Aufgabe der Polizei ist. Diese mag zwar bei der Anwendung ihrer Befugnisse das Sicherheitsgefühl als sozialen Belang in die Ermessensausübung einbeziehen. Eigenständige Befugnisse folgen daraus aber nicht. Auch werden die bestehenden Befugnisse nicht durch das Sozialstaatsprinzip derart überformt, dass sie ein polizeiliches Tätigwerden zum Schutz des Sicherheitsgefühls unabhängig vom Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestatten. Der Schutz des Sicherheitsgefühls wird auch dadurch nicht zu einer ungeschriebenen Aufgabe der Polizei, dass auf das Sozialstaatsprinzip zurückgegriffen wird.

480 Zumindest für den zweiten Teil der Maßnahme, das sozialstaatlich motivierte Rückkehrverbot für zehn Tage, s. o. 6. Kap. A. 481 S.o. 5. Kap. D.

6. Kap.: Ungeschriebene Aufgaben der Polizei

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B. Der Schutz des Sicherheitsgefühls als Annexaufgabe zu den Polizeiaufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Der Schutz des Sicherheitsgefühls könnte dadurch eine polizeiliche Aufgabe sein, dass er als Annex zu den bestehenden Aufgaben in diesen stillschweigend mitgeschrieben ist. 482 Unter Annexaufgaben sind Verwaltungsaufgaben zu verstehen, die im Zusammenhang mit der Erledigung anderer Verwaltungsaufgaben anfallen. 483 Dem Konzept der Annexaufgaben liegt der Gedanke zugrunde, dass jede sachliche Aufgabe auch die Berechtigung zu ihrer allseitigen Bearbeitung umfasst. In jeder geschriebenen Aufgabe sind zugleich auch stillschweigend die zur Erfüllung dieser Aufgabe notwendigen Vorbereitungs- und Durchführungshandlungen mitenthalten und mitgeschrieben. 484 Eine bestimmte geschriebene Verwaltungsaufgabe umfasst damit nicht nur die Erledigung dieser Aufgabe, sondern auch die für die Erledigung dieser Aufgabe notwendigen „Nebenaufgaben“. Von diesen „implizit“ mitgeschriebenen „Nebenaufgaben“ sind allerdings nur solche Handlungen erfasst, die zur Erfüllung der Hauptaufgabe zwingend erforderlich sind, die untrennbar mit der Hauptaufgabe zusammenhängen. 485 In der Regel sind dies vornehmlich untergeordnete Tätigkeiten. Als klassische Beispiele für eine Annexaufgabe werden die Anlage und Verwaltung von Akten sowie die Ausführung der Korrespondenz und die Bedarfsdeckung der Verwaltungsbehörden genannt. 486 Solche Annexaufgaben liegen in den verfahrensrechtlichen Regelungen und in der Informationsund Arbeitsorganisation der Aufgabenerledigung begründet. 487 Daneben besteht eine weitere typische Annexaufgabe in Ordnungsaufgaben; d. h. darin, für einen ungestörten Ablauf der Aufgabenerfüllung zu sorgen. Bekanntestes Beispiel für eine solche als Annex hergeleitete Ordnungsaufgabe ist das (öffentlich-rechtliche) 482 Zu Annexaufgaben Grimmer, VerwArch 81 (1990), 492 (496 f.); Maunz, DVBl 1974, 1 (3); zu Annexbefugnissen und implied powers Ehlers, Jura 2000, 323 (323 ff.); zu ungeschriebenen Kompetenzen Bullinger, AöR 96 (1971), 237 (237 ff.). Zu Annexkompetenzen im Europarecht Gusy, GA 2005, 215 (216): Annexkompetenzen sind regelmäßig ungeschrieben, notwendig entwicklungsoffen und in besonders hohem Maße den Konjunkturzyklen politischer Bedürfnisse unterworfen; zur Theorie der implied powers im Europarecht s. a. Nicolaysen, EuR 1966, 129 (129 ff.). 483 Grimmer, VerwArch 81 (1990), 492 (496). 484 Vgl. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 431. 485 BVerwG, DVBl. 1997, 954 (954 f.); Stein, Staatsrecht, § 14 II 5. 486 März, in: vM / K/S, Art. 30, Rn. 45; zur Führung von Kriminalakten als Annex der Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen und deren Aufbewahrung durch die Polizei, S. 200. 487 Grimmer, VerwArch 81 (1990), 492 (496).

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Hausrecht des Behördenleiters, d. h. das Recht, über das Betreten und Verweilen in öffentlich-rechtlichen Gebäuden zu bestimmen. 488 Ein weiteres Beispiel einer sich als Annex zur Verwaltungsaufgabe ergebenden Sicherungsaufgabe ist der Schutz der Bahnanlagen der Eisenbahn durch die Eisenbahnverwaltung. 489 Grundsätzlich sind solche Annexaufgaben zulässig. 490 Ihre rechtliche Grundlage finden sie in der Aufgabe, zur deren Erledigung sie erforderlich sind. 491 Sie gelten als in der Hauptaufgabe stillschweigend mitgeschrieben. Ob sich allerdings der Schutz des Sicherheitsgefühls als eine solche stillschweigend mitgeschriebene Annexaufgabe zu den bestehenden Aufgaben der Polizei – der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung – fassen lässt, ist zu bezweifeln. Allenfalls im Bereich der bundesrechtlich geregelten Strafverfolgung sind Annexaufgaben denkbar, nicht aber bei der von den Ländern geregelten Gefahrenabwehr. Denn das Landesrecht verschließt sich einer Herleitung von Annexaufgaben durch den Wortlaut des § 1 Abs. 4 PolG NRW. Danach hat die Polizei „ferner die Aufgaben zu erfüllen, die ihr durch andere Rechtsvorschriften übertragen sind.“ 492 Die Polizei darf demnach neben der Gefahrenabwehr nur die Aufgaben wahrnehmen, die ihr ausdrücklich durch das geschriebene Recht zugewiesen sind. Ein stillschweigendes Mitschreiben einer Aufgabe hingegen genügt nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 4 PolG NRW. Diese Beschränkung auf durch andere Rechtsvorschriften – also durch das geschriebene Recht – der Polizei zugewiesene Aufgaben verbietet allerdings nur eine Herleitung von Annexaufgaben für den Bereich der Gefahrenabwehr. Für Bereiche, in denen der Bundesgesetzgeber über die Gesetzgebungskompetenz verfügt, gilt diese Regelung nicht. Das Landesrecht kann keine Vorgaben für das – nach Art. 31 GG dem Landesrecht vorgehende – Bundesrecht machen. 493 Eine Herleitung von Annexaufgaben aus den bundesrechtlichen Vorschriften, insbesondere denen über die Strafverfolgung, ist demnach grundsätzlich zulässig. Allerdings lässt sich auch aus den bundesrechtlich geregelten Vorschriften über die Strafverfolgung kaum eine stillschweigend mitgeschriebene Aufgabe „Schutz 488

Siehe dazu Ehlers, Jura 2000, 323 (327). Vgl. dazu BVerfGE 97, 198 (222). Dabei wurde diese bahnpolizeiliche Aufgabe dem Bundesgrenzschutz vom für das Eisenbahnwesen zuständigen Bundesgesetzgeber durch Gesetz auferlegt; es ging in dieser Entscheidung also um die Herleitung einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes als Annex zu einer bestehenden Gesetzgebungskompetenz. Zu weiteren Annexkompetenzen s. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 433. 490 Zu den Annexaufgaben des Bundesgrenzschutzes vgl. BVerfGE 97, 198 –228; Soria, NVwZ 1999, 270 (271); Sachs, JuS 1999, 186 (187); Ronellenfitsch, VerwArch 90 (1999), 139 (157 f., 161); kritisch Hecker, NVwZ 1998, 707 (708). 491 Ehlers, Jura 2000, 323 (327); Stein, Staatsrecht, § 14 II 5. 492 Die entsprechenden Regelungen anderer Bundesländer sind zu finden bei Gusy, Polizeirecht, Rn. 156. 493 März, in: vM / K/S, Art. 31, Rn. 16, 40 ff. 489

6. Kap.: Ungeschriebene Aufgaben der Polizei

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des Sicherheitsgefühl“ herauslesen. Damit der Schutz des Sicherheitsgefühls eine Annexaufgabe zur Strafverfolgung wäre, müsste es sich bei dem Schutz des Sicherheitsgefühls um eine Aufgabe handeln, deren Erfüllung notwendig ist, um die Hauptaufgabe – die Strafverfolgung – wahrnehmen zu können. Ein beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl bedeutet nicht nur einen Verlust an Lebensqualität für die sich fürchtenden Bürger, sondern hat auch eigene Auswirkungen auf die polizeiliche Arbeit. So begünstigt ein defizitäres Sicherheitsgefühl die Begehung von Straftaten. Aufgrund von Furcht und furchtbedingtem Vermeideverhalten nehmen soziale Kontakte ab, was seinerseits zu einem Verlust an nachbarschaftlicher Integration und informeller sozialer Kontrolle führt, denen sonst eine wesentliche Bedeutung für eine Verhinderung von Straftaten zukommt. 494 Dies bedeutet aber – abgesehen von der Mehrarbeit – keine Beeinträchtigung für die strafverfolgende Tätigkeit der Polizei. Sie hat schlicht nur „mehr zu tun“. Allerdings ist die Begünstigung von Kriminalität nicht die einzige für das polizeiliche Handeln relevante Folge der Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls. Das Sicherheitsgefühl hat daneben auch Auswirkungen auf die Mithilfe und die Kooperation der Bürger mit der Polizei. 495 Nimmt das Sicherheitsgefühl ab, nimmt auch die Bereitschaft der Bürger zur Mithilfe bei der Strafverfolgung ab. Wenn die Bürger sich nicht sicher fühlen, ist ihr Vertrauen in die Fähigkeit der Polizei, Straftaten aufzuklären, erschüttert, und sie sehen dann keinen Sinn mehr darin, die Polizei durch ihre Mithilfe zu unterstützen. 496 Grundsätzlich erleichtert die Mitarbeit der Bürger der Polizei ihre Arbeit der Strafverfolgung. So erhält die Polizei von dem Großteil der Straftaten überhaupt erst Kenntnis durch die Anzeigen der Bürger. 497 Und auch bei der Aufklärung der Straftaten ist die Polizei auf die Mitwirkung der Bürger angewiesen. Sie machen als Zeugen wesentliche Aussagen zu Tathergang, -zeit und beteiligten Personen und tragen so maßgeblich zur Aufklärung der Straftaten bei. 498 Schließlich bedarf die Polizei der Mithilfe der Bürger auch bei Fahndungsmaßnahmen. Fürchten sich die Bürger, unterlassen sie diese Mitarbeit. Das defizitäre Sicherheitsgefühl erschwert damit die strafverfolgende Arbeit der Polizei. 494

S.o. 1. Kap. B.III.1. S. zur Bedeutung des Sicherheitsgefühls für das Vertrauen der Bürger in die Polizei o. 1. Kap. B.III.3. 496 Zur Bedeutung des Vertrauens der Bevölkerung in die Polizei für eine effiziente Polizeiarbeit vgl. Kühne, in: Jung / Müller-Dietz, Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, S. 47 (47). S.a. zum Ansehen der Polizei und seiner Bedeutung für deren Arbeit Schwind, Die Kriminalprävention 2007, 23 (23 ff.). 497 Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 173; Kerner, Der Bürger im Staat 1/2003, 4 (7); mit empirischen Belegen Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 314: Insgesamt gesehen liegt diese Art der Kenntniserlangung durch Anzeigen bei etwa 90% aller der Polizei bekannten Straftaten. Vgl. zur Notwendigkeit der Anzeige auch Koch, Recht und Politik 2000, 237 (237 ff.). 498 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 314. 495

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3. Teil: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe

Ob sich aus dieser Bedeutung des Sicherheitsgefühls für die Arbeit der Polizei allerdings bereits eine Annexaufgabe zur Strafverfolgung begründen lässt, ist zweifelhaft. Zum einen führt ein Absinken des Sicherheitsgefühls nicht dazu, dass die Bürger ihre Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung gänzlich einstellen 499, und zum anderen verfügt die Polizei auch noch über andere Ermittlungsmethoden, ist also bei der Aufklärung von Straftaten nicht zwingend auf die Mitwirkung der Bürger angewiesen. Zudem handelt es sich bei dem Schutz des Sicherheitsgefühls nicht um eine Aufgabe von so untergeordneter Bedeutung, dass sie als bloßer Annex zur Strafverfolgung angesehen werden kann. Der Schutz des Sicherheitsgefühls ist von seinem Umfang her nicht mit der Anlage von Ermittlungsakten zur Strafverfolgung vergleichbar, sondern eher mit umfangreicheren, die Strafverfolgung erleichternden Aufgaben wie beispielsweise der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten. Diese wird nicht bloß als eine Vorbereitungshandlung und damit als eine Nebenaufgabe zur Aufgabe Strafverfolgung angesehen, sondern als eine eigene Aufgabe der Polizei. 500 Ein Indiz dafür ist auch, dass es für die Vorsorge zur Strafverfolgung eigenständige geschriebene Aufgabennormen wie etwa § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW gibt. 501 Aufgrund des – mit der Vorsorge zur Strafverfolgung vergleichbaren – Umfangs der zum Schutz des Sicherheitsgefühls notwendigen polizeilichen Maßnahmen 502 scheint es daher naheliegend, auch für diese Aufgabe eine eigenständige Aufgabennorm zu fordern. Schließlich hilft es nur bedingt weiter, den Schutz des Sicherheitsgefühls als eine Annexaufgabe zur Strafverfolgung anzusehen. Um das Sicherheitsgefühl zu verbessern, werden – wie bereits dargestellt 503 – nicht nur grundrechtsneutrale Maßnahmen ergriffen, sondern vor allem auch Maßnahmen, die Beeinträchtigungen für die Grundrechte der Betroffenen mit sich bringen. Daher genügt es nicht, dass der Schutz des Sicherheitsgefühls eine Aufgabe der Polizei ist, sondern 499

Manch eine Anzeige einer Straftat wird nämlich nicht in der Hoffnung erstattet, dass die Tat aufgeklärt und der Täter gefasst wird, sondern erfolgt allein aufgrund anderer Umstände, wie etwa, dass die Anzeige Voraussetzung für die Auszahlung einer Versicherungssumme ist; vgl. dazu Schönweiler, Kriminalistik 1984, 270 (270); s. a. 1. PSB 2001, S. 112. Grundlegend zu den Motiven, eine Straftat anzuzeigen oder nicht, Sessar, Wiedergutmachen oder strafen, S. 172 ff. 500 BVerfG, NJW 2005, 2603 (2605); vgl. dazu auch Gusy, NdsVBl. 2006, 65 (65 ff.). 501 Aufgrund des Urteils vom BVerfG, NJW 2005, 2603, bestehen allerdings Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieser Aufgabennorm. Zumindest für die Bereiche, in denen der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht hat – wie etwa in der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegenden Telefonüberwachung –, fehlt es an einer Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers; vgl. Gusy, NdsVBl. 2006, 65 (68). Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten eine eigene Aufgabe der Polizei ist, für die eine eigenständige Aufgabennorm erforderlich ist. 502 S.o. 1. Kap. B.II. 503 S. zur grundrechtseingreifenden Qualität von Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls o. 5. Kap. B.I.5.d).

6. Kap.: Ungeschriebene Aufgaben der Polizei

257

die Polizei muss auch über die für die Durchsetzung erforderlichen Befugnisse verfügen. Zwar mag es Aufgaben geben, die sich als Annex zu bestehenden Aufgaben begründen lassen. Für die zur Durchsetzung der Aufgabe erforderlichen Befugnisse aber gilt: Es ist weder der Rückschluss von der Aufgabe auf die Befugnis zulässig, 504 noch lassen sich die zur Durchsetzung erforderlichen Befugnisse als Annex aus bestehenden Aufgaben herleiten. 505 Der Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG fordert eine gesetzliche Befugnisnorm: Greift der Staat in Grundrechte ein, so bedarf er dafür einer gesetzlich festgeschriebenen Rechtsgrundlage. 506 Annexbefugnisse – sog. implied powers 507 – gibt es demnach nicht. Der Schutz des Sicherheitsgefühls wird demnach auch nicht als Annex zu den bestehenden Polizeiaufgaben – der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung – zu einer Aufgabe der Polizei. Polizeiliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls lassen sich nicht über eine stillschweigend mitgeschriebene Annexaufgabe rechtfertigen.

C. Ergebnis: Der Schutz des Sicherheitsgefühls als ungeschriebene Polizeiaufgabe Der Schutz des Sicherheitsgefühls wird daher auch nicht aufgrund ungeschriebener Aufgabennormen zu einer Aufgabe der Polizei. Polizeiliche Maßnahmen, die der Verbesserung des Sicherheitsgefühls dienen, lassen sich auch nicht über ungeschriebene Aufgaben und Befugnisse rechtfertigen.

504

Zur Unzulässigkeit des Schlusses von der Aufgabe auf die Befugnis allgemein Gusy, Polizeirecht, Rn 165; Denninger, JA 1980, 280 (281 f.); s. a. Isensee, HStR III, § 57, Rn. 142. Zu dem Sonderproblem der Zulässigkeit des Schlusses von der Aufgabe auf die Befugnis bei verfassungsrechtlichen Aufgabennormen einerseits BVerfGE 44, 125 (147); 105, 252 (268 ff.); 105, 279 (301 ff.); andererseits Murswiek, NVwZ 2003, 1 (6 f.); Gusy, NJW 2000, 977 (984 f.); Engel, Die staatliche Informationstätigkeit in den Erscheinungsformen Warnung, Empfehlung und Aufklärung, S. 203 ff. 505 Ehlers, Jura 2000, 323 (327). Die Befugnisse zur Ausübung des oben angesprochenen Hausrechts werden daher entweder aus Gewohnheitsrecht gewonnen oder auf die polizeiliche Generalklausel gestützt; vgl. dazu ausführlicher Ehlers, aaO.; Beaucamp, JA 2003, 231 (233 f.); Ebert, KommunalPraxis BY 2004, 215 (216 f.). 506 BVerfGE 40, 237 (248 f.); 49, 89 (126); Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20, Rn. 26; zum Vorbehalt des Gesetzes vgl. Ossenbühl, HStR III, § 62, Rn. 33 ff.; Voßkuhle, JuS 2007, 118 (118 f.); Ohler, AöR 131 (2006), 336 (341 f.). 507 Zu den implied powers in der US-amerikanischen Verfassung Loewenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 75 ff.

4. Teil

Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen 7. Kapitel

Zusammenfassung: Das Sicherheitsgefühl als Polizeiaufgabe Der Schutz des Sicherheitsgefühls lässt sich nicht ohne Weiteres als eine Polizeiaufgabe begreifen. Das Sicherheitsgefühl ist kein eigenständiges Rechtsgut, gleichwohl wird es teilweise von anderen polizeilichen Schutzgütern mitumfasst und kann so als Teil dieser anderen Rechtsgüter einen Schutz durch die Polizei erfahren. Die Untersuchungen dieser Arbeit haben gezeigt, dass ein aus einem Grundrecht auf Freiheit von Furcht abgeleitetes Rechtsgut das Sicherheitsgefühl ebenso voraussetzt wie das Rechtsgut Staatlichkeit. Insbesondere das Rechtsgut Demokratie bedarf – wie oben dargestellt – eines gewissen Maßes an Sicherheitsgefühl, so dass das Sicherheitsgefühl ein zentraler Teilaspekt des polizeilichen Schutzes des Rechtsguts Demokratie ist. Schließlich wurde auch deutlich, dass der Schutz des Sicherheitsgefühls partiell von der öffentlichen Ordnung umfasst ist. Eine Polizeiaufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“ könnte daher insoweit bestehen, als der Schutz des Sicherheitsgefühls dem Schutz anderer Rechtsgüter – Demokratie, Staatlichkeit und Freiheit von Furcht – dient. Im Versammlungsrecht dürfte das Sicherheitsgefühl zudem auch Anwendung finden, wenn unter dem Merkmal öffentliche Ordnung Versammlungen verhindert werden sollen, die darauf abzielen, Gewaltbereitschaft zu signalisieren und so ein Klima der Angst zu erzeugen. Allerdings ließ sich auch erkennen, dass ein so konstruierter Schutz des Sicherheitsgefühls nicht unproblematisch ist. Vor allem sind die Reichweite und Grenzen der zum Schutz der anderen Rechtsgüter zulässigen Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls nicht bestimmt. Das Sicherheitsgefühl mag zwar ein Teilaspekt des Schutzgutes Staatlichkeit, öffentliche Ordnung oder des Grundrechts auf Freiheit von Furcht sein. Welche das Sicherheitsgefühl verbessernde Maßnahmen deshalb zulässig sind sowie ob und in welcher Intensität Grundrechtseingriffe deswegen ausgeübt werden können, wird dadurch noch nicht eindeutig

7. Kap.: Zusammenfassung

259

definiert. Zudem ergeben sich auch aus dem jeweils zu schützenden Rechtsgut selbst Grenzen für eine Polizeiaufgabe „Schutz des Sicherheitsgefühls“. Gerade beim Schutz des Sicherheitsgefühls als Teilaspekt des Schutzes des Rechtsguts Demokratie ließ sich feststellen, dass ein Zuviel an Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls anderen zentralen konstituierenden Merkmalen der Demokratie zuwider läuft. 1 Das Sicherheitsgefühl mag zwar eine zentrale Bedeutung für die Demokratie haben und daher Teil des Rechtsguts Demokratie sein, zugleich verkürzen jedoch Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls das andere zentrale Konstitutionselement der Demokratie, die Freiheit. Einseitige, allein auf den Schutz des Sicherheitsgefühls ausgerichtete Maßnahmen verkennen daher die Komplexität der polizeilichen Schutzgüter Demokratie, Freiheit von Furcht und Staatlichkeit. Sie verkennen den Umstand, dass das Sicherheitsgefühl jeweils nur ein Teilaspekt des es umfassenden Schutzguts ist und nicht dessen alleiniger Inhalt. Das Sicherheitsgefühl ist also zwar ein Teilaspekt mehrerer Rechtsgüter, als alleinige Rechtsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen ist es nicht ausreichend, weil es zu unbestimmt ist und zudem anderen Elementen der jeweiligen Rechtsgüter widerspricht. Es lässt sich daher festhalten: Es ist rechtlich mehr als bedenklich, wenn die Polizei das Sicherheitsgefühl schützt, insbesondere wenn sie grundrechtseingreifende Maßnahmen auf das Sicherheitsgefühl stützt, dass sie solche mit dem Sicherheitsgefühl zu rechtfertigen sucht. Die bestehenden Rechtsgrundlagen jedenfalls reichen kaum aus, um polizeiliche Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls zu ermöglichen. Die Polizei darf nicht einfach so „das Sicherheitsgefühl schützen“. Grundrechtseingreifende Maßnahmen lassen sich i. d. R. nicht mit dem Sicherheitsgefühl rechtfertigen. 2 Auf der Grundlage des bestehenden Rechts ist der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei nicht möglich, insbesondere lassen sich aus dem Sicherheitsgefühl keine Befugnisse gegenüber Dritten gewinnen.

1

S.o. 5. Kap. B.I.5.d), e). Ausnahmen bestehen allenfalls im Versammlungsrecht, wo auf Grundlage der öffentlichen Ordnung das Sicherheitsgefühl als Grenze des Versammlungsrechts eingesetzt werden kann. Dies ist allerdings nur bei der Form der Versammlung, nicht aber beim Inhalt zulässig, wenngleich erst die Kombination aus beiden Furcht auslöst: etwa wenn Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ mit einem martialischen und den Einsatz von Gewalt ankündigenden Auftreten verbunden werden. Ausführlicher s. o. 5. Kap. B.II.2.b)(1). 2

260

4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

8. Kapitel

Konsequenzen für die Polizei beim Schutz des Sicherheitsgefühls Aufgrund dieser Erkenntnis und der zuvor getroffenen Feststellungen über die Bedeutung des Sicherheitsgefühls zeigt sich ein deutlicher Widerspruch. Auf der einen Seite erweist sich das Sicherheitsgefühl als bedeutsam für die Kriminalitätsverhinderung, für das friedliche Zusammenleben der Bürger und für die Demokratie. Demgegenüber steht die Erkenntnis, dass die Polizei das Sicherheitsgefühl nicht „einfach so“ schützen darf. Angesichts dieses Widerspruchs drängt sich die Frage auf: Wenn der Schutz des Sicherheitsgefühls durch die Polizei auf Grundlage des bestehenden Rechts nicht möglich ist und wenn die Polizei ein so starkes Bedürfnis hat 3, das Sicherheitsgefühl zu schützen, und sie bereits zum Schutz tätig wird, kann man durch gesetzgeberisches Tätigwerden den Schutz des Sicherheitsgefühls zu einer Polizeiaufgabe machen? 4 Im Folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob und wie das Sicherheitsgefühl zu einem Schutzgut der Polizei gemacht werden kann. Die Polizei schützt Rechtsgüter. Denn nur Rechtsgüter sind Schutzgüter des Polizeirechts. 5 Wenn die Polizei also auch weiterhin das Sicherheitsgefühl durch grundrechtseingreifende Maßnahmen schützen will, muss das Sicherheitsgefühl zu einem eigenen Rechtsgut und damit zu einem von der Polizei zu schützenden Schutzgut werden. Das Sicherheitsgefühl mag zwar ein Gut sein, ein Rechtsgut 3

Das zum Teil auch seine Berechtigung hat, wie sich bei den Folgen mangelnden Sicherheitsgefühls für die Kriminalitätsbekämpfung, für die Demokratie und für das friedliche Zusammenleben zeigt, s. o. 6. Kap. B., 5. Kap. B.I.5.a) und 5. Kap. B.II.2.a). 4 Dieses auf den ersten Blick ungewöhnliche Vorgehen – die Polizei handelt erst und der Gesetzgeber schafft dann, wenn sich das polizeiliche Handeln bewährt hat oder es sich bewährt zu haben scheint, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen dafür – ist zwar vor dem Hintergrund des Gesetzesvorbehalts rechtsstaatlich mehr als bedenklich, wird aber im Polizei- und Strafprozessrecht nicht selten praktiziert. Diese Reaktion des Gesetzgebers auf ein Bedürfnis und ein auf die Erfüllung dieses Bedürfnisses gerichtetes Tätigwerden der Polizei zeigen auch andere Beispiele. So wurde die Videoüberwachung in ihren Anfängen ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt oder lediglich auf die Generalklausel gestützt. Erst später sind die jeweiligen Landesgesetzgeber den Forderungen und dem Druck durch das faktische Handeln nachgekommen und haben die gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Dabei wird der Gesetzgeber mit der Begründung, dass die – an sich wegen der fehlenden Rechtsgrundlage rechtswidrige – Maßnahme so große Erfolge gezeigt hätte, zur Schaffung der entsprechenden Rechtsgrundlagen gedrängt, will er nicht als „Bremser“ gelten, der der Polizei die zur effektiven Verbrechensbekämpfung notwendigen Mittel versagt. 5 S.o. 5. Kap. B.I.1.d).

8. Kap.: Konsequenzen für die Polizei

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wird es nur, wenn das Gut „Sicherheitsgefühl“ von der Rechtsordnung dem Schutz durch die Polizei überantwortet wird, wenn es durch die Rechtsordnung als schützenswert anerkannt wird. Soll der Schutz des Sicherheitsgefühls also eine Polizeiaufgabe werden, muss das Sicherheitsgefühl durch eine Rechtsnorm dem Schutz des Staates unterstellt, durch eine Rechtsnorm geschützt werden.

A. Lässt sich das Sicherheitsgefühl zu einem eigenen Rechtsgut machen? Das Sicherheitsgefühl wird ein eigenes Rechtsgut und damit Schutzgut der Polizei, indem man eine Rechtsnorm schafft, die es schützt. Der Gesetzgeber müsste also eine Rechtsnorm schaffen, die das Sicherheitsgefühl zum Gegenstand hat. Eine Rechtsnorm setzt sich zusammen aus Tatbestand und Rechtsfolge. 6 Soll das Sicherheitsgefühl durch eine Rechtsnorm geschützt werden, muss man einen Tatbestand formulieren. Das scheint selbstverständlich. Bei dem Versuch, das Sicherheitsgefühl zu einem Rechtsgut zu machen, bedeutet das Formulieren eines Tatbestands jedoch das zentrale Problem. Denn wie soll eine das Sicherheitsgefühl schützende Norm formuliert sein? Sie könnte entweder als eine Geoder Verbotsnorm, etwa in der Form: „Es ist verboten, einen anderen in seinem Sicherheitsgefühl zu beeinträchtigen“, oder als Straftatbestand, etwa: „Wer einen anderen in seinem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt, wird bestraft“, gestaltet sein. Diese Formulierungsbeispiele zeigen zugleich die Schwierigkeit des Schutzes des Sicherheitsgefühls durch eine Rechtsnorm auf. Während es bei üblichen als Gebote oder Verbote oder als Straftatbestände gefassten Rechtsnormen – etwa bei dem Schutz des Lebens oder Besitzes – vergleichsweise leicht ist, anhand objektiver Merkmale zu bestimmen, wann „Leben“ oder „Besitz“ vorliegt, 7 ist dies beim Sicherheitsgefühl nicht möglich. Das Sicherheitsgefühl ist höchst individuell. Wann sich jemand sicher fühlt, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die zum Teil objektive, die zum Teil aber auch subjektive, emotionale sind. 8 Das Sicherheitsgefühl lässt sich daher nur schwer in abstraktes und generelles Recht fassen. Denn die große Schwierigkeit, die sich stellt, wenn man das Sicherheitsgefühl durch eine Rechtsnorm schützen will, ist die Vorhersehbarkeit. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Bestimmtheitsgebot verlangt, dass gesetzliche Tatbestände so präzise formuliert sind, dass ein Normadressat sein Handeln kalkulieren kann, weil die Folgen der Regelung für ihn voraussehbar und berechenbar sind. 9 Zwar zwingt das Gebot hinreichender Bestimmtheit den 6 Vgl. nur Zippelius, Einführung in die juristische Methodenlehre, S. 25 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 241 f., 260. 7 Das gilt selbst für solche Rechtsgüter, die naturwissenschaftlich nicht bestimmbar sind, sondern ein rechtliches Konstrukt sind, wie etwa das Eigentum. 8 Ausführlicher dazu s. o. 4. Kap. B.I., II.

262

4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

Gesetzgeber nicht, Gesetzestatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. 10 Ein gewisser Grad an Unbestimmtheit der Norm ist durchaus zulässig. Allerdings ist der Gesetzgeber verpflichtet, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. 11 Dabei wird der Grad der rechtsstaatlich gebotenen Bestimmtheit maßgeblich von der Schwere der durch oder aufgrund der Norm möglichen Grundrechtseingriffe bestimmt. So werden an Straftatbestände besonders hohe Anforderungen gestellt, was seinen Ausdruck in Art. 103 Abs. 2 GG gefunden hat. Für eine das Sicherheitsgefühl schützende Rechtsnorm bedeutet das: Der Bürger muss – zumindest ungefähr – wissen können, wann er gegen diese Norm verstößt, d. h. wann sein Verhalten eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls bedeutet. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Norm zu Grundrechtseingriffen bei den das Sicherheitsgefühl Störenden ermächtigt oder ermächtigen soll. Diese von Art. 20 Abs. 3 GG geforderte Vorhersehbarkeit wird eine Norm, mittels derer Beeinträchtigungen des Sicherheitsgefühls untersagt werden sollen, aber nur schwer gewährleisten können. Das Sicherheitsgefühl ist – da es höchst individuell ist – höchst unterschiedlich. Es ist von subjektiven emotionalen Einschätzungen des Einzelnen sowie dessen Persönlichkeit abhängig und variiert daher von Person zu Person. 12 So empfindet der eine Mensch in einer bestimmten Situation Furcht, der andere nicht. Je nachdem, wen man befragt, wird das Sicherheitsgefühl anders empfunden; je nach Betroffenem unterscheidet sich, ob eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls vorliegt. Das bedeutet zugleich aber auch, dass die Frage, ob eine Gefährdung für das Sicherheitsgefühl vorliegt und ob ein Verhalten gegen die das Sicherheitsgefühl schützende Norm verstößt, von den anderen und nicht allein vom eigenen Verhalten abhängt. Dies ist zwar im Polizeirecht nicht ungewöhnlich. Das gilt auch in anderen Konstellationen des Polizei- und Ordnungsrechts. Ob eine konkrete Gefahr besteht, hängt immer von äußeren Umständen ab. So ist beispielsweise ein Betrieb, der giftige Abgase produziert, ungefährlich, wenn er dies auf der freien unzugänglichen Wiese tut, er ist aber gefährlich, wenn dies in einem Wohngebiet geschieht. Der zentrale Unterschied der Konstellation beim Schutz des Sicherheitsgefühls zu den anderen Konstellationen besteht aber in der Vorhersehbarkeit der Reaktion des anderen für den Handelnden. Im Beispielfall ist für den Betreiber klar vorauszusehen, wann sein Betreib gefährlich ist und wann nicht. Wenn er seinen Betreib in der Nähe von Menschen betreibt, dann ist die Betätigung gefährlich. Es 9 BVerfGE 83, 130 (145); 84, 133 (149); 87, 234 (263); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 117. 10 BVerfGE 49, 168 (181). 11 BVerfGE 49, 168 (181); 59, 104 (114); 87, 234 (263); 89, 69 (84). 12 S.o. 4. Kap. B.I.

8. Kap.: Konsequenzen für die Polizei

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ist für ihn relativ klar vorhersehbar, wann sein Verhalten als gefährlich eingestuft wird und wann nicht. Anders ist das beim – möglicherweise – furchterregenden Verhalten. Auch hier ist klar, dass, wenn niemand da ist, der sich fürchten kann, bei dem eine Handlung Furcht hervorrufen kann, ein anderer keine Gefahr für das Sicherheitsgefühl darstellen kann. Übt jemand sein potentiell furchterregendes Verhalten vor anderen Menschen aus, so ist die Konsequenz nicht so eindeutig. Bei dem einen Menschen löst die Situation Furcht aus, bei einem anderen hingegen, der etwa von Natur aus besonders furchtlos ist oder dem das potentiell Furcht erregende Verhalten nicht ungewöhnlich vorkommt, tritt dieses Gefühl nicht ein. Damit kann allein die Unterscheidung, ob die potentiell furchterregende Tätigkeit vor Menschen ausgeübt wird oder ob dabei kein Kontakt mit anderen besteht, beim Sicherheitsgefühl nicht – wie bei vielen anderen Gefahren für bekannte Rechtsgüter – als ein Indiz für die Gefährlichkeit der Handlung dienen. Die Frage, ob ein Verhalten eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls bedeutet, ist also abhängig von der höchst individuellen Reaktion des anderen. Diese Reaktion ist für den Handelnden nur schwer vorhersehbar. Er weiß nicht, wann er – durch sein Verhalten, durch sein Erscheinungsbild – bei einem anderen Furcht verursacht. Dabei bringen ihm auch langjährige Erfahrungen keine Gewissheit, denn auch hierdurch kann keine Vorhersehbarkeit entstehen. Selbst wenn eine Person ein Verhalten ausübt, das bislang niemanden geängstigt hat, kann, weil das Sicherheitsgefühl äußerst subjektiv und höchstpersönlich und damit je nach Betroffenem unterschiedlich ist, doch jederzeit jemand mit diesem Verhalten konfrontiert werden, der sich doch dadurch geängstigt fühlt, dessen Sicherheitsgefühl beeinträchtigt wird. Das bedeutet aber auch, dass grundsätzlich nahezu jedes Verhalten von irgendeinem Menschen als furchtauslösend empfunden werden kann. Wenn eine Norm nun ihrerseits daran anknüpft, dass ein Verhalten bei einem anderen Furcht verursacht, dass dieser sich fürchtet, weiß der Handelnde auch nicht, wann er gegen diese Norm verstößt. „Sicherheitsgefühl“ ist dann nicht mehr nur ein unbestimmter, ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff, sondern ein von subjektiven Einstellungen abhängiger und damit – je nach Betroffenem, der einer Handlung ausgesetzt ist – zufälliger Zustand. I. Vorhersehbarkeit durch objektive Anhaltspunkte Es muss daher ein anderer Ansatz gewählt werden, um die Norm, die das Gut „Sicherheitsgefühl“ zu einem Rechtsgut macht, hinreichend vorhersehbar zu machen. Eine Norm, die an die subjektive Reaktion anderer anknüpft, kann durch die Festschreibung objektiver, für den Handelnden nach außen erkennbarer Anhaltspunkte hinreichend vorhersehbar werden. Ein solches Vorgehen erfolgte auch bei anderen Vorschriften des Polizeirechts, etwa bei der Videoüberwachung nach § 15a PolG NRW („... solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen...“) oder dem Aufenthaltsverbot nach § 34 Abs. 2 PolG NRW („Rechtfertigen Tatsachen die

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

Annahme, dass eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird...“). Bei diesen Formulierungen handelt es sich um den Versuch des Gesetzgebers, den Verdacht – also die subjektive Einstellung – des handelnden Polizeibeamten zu objektivieren. 13 Das den Polizisten zum Einschreiten berechtigende Verhalten muss nicht auf die Begehung von Straftaten abzielen, es muss nur beim handelnden Polizisten diesen Eindruck hinterlassen. 14 Ähnlich müsste man auch bei dem Versuch, das Sicherheitsgefühl in eine hinreichend bestimmte Norm zu fassen, vorgehen. Die das Sicherheitsgefühl schützende Norm muss das Sicherheitsgefühl – die subjektive Sicherheit – objektivieren und sie so messbar und bestimmbar machen. Die Norm muss so objektiv bestimmt ausgestaltet sein, dass sie für den Bürger vorhersehbar und für die Gerichte überprüfbar wird. Dies bedeutet für die – zu bildende – Rechtsnorm, die das Sicherheitsgefühl schützen soll, dass sie objektive Anhaltspunkte für furchtverursachendes Verhalten festschreiben muss. Damit stellt sich zugleich die nächste Frage: Wie kann das Sicherheitsgefühl objektiviert werden? Eine Objektivierung könnte dadurch erreicht werden, dass – im Gegensatz zu den subjektiven Empfindungen – auf das objektiv nach außen erkennbare Verhalten abgestellt wird. Bei einem solchen Vorgehen lassen sich zwei Ansätze denken: Entweder kann an das Verhalten der Furchtverursacher – polizeirechtlich der Störer – oder an das Verhalten der Furchtempfindenden angeknüpft werden. II. Das Verhalten der Furchtempfindenden als Anhaltspunkt Auf den ersten Blick naheliegender scheint dabei der zweite Ansatz: Das Sicherheitsgefühl soll verbessert, also die Furcht beseitigt werden. Um festzustellen, wo das geschehen muss, bietet es sich an, danach zu entscheiden, wo und wann sich jemand fürchtet; also auf den mit Furcht Reagierenden, den sich Fürchtenden zu schauen. Praktikabel dürfte allerdings nur der erste Ansatz, das Anknüpfen an das Verhalten des Furchtverursachers sein. Denn stellt die Norm auf das Verhalten der Furchtempfindenden ab, bedeutet das, dass Verhaltensweisen unterbunden werden dürften, die bestimmte im Gesetz umschriebene Reaktionen beim jeweilig Betroffenen auslösen. Die Norm müsste also an die nach außen sichtbar werdenden Reaktionen der Menschen anknüpfen. Dies in Recht umzusetzen, dürfte aber schwierig sein. Es lässt sich nämlich nicht genau erfassen, welcher inneren subjek13 Ausführlicher zu dieser Funktion des Begriffs „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen“ Rachor, in: Lisken / Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn. F 170 ff. 14 Vgl. zu § 34 Abs. 2 PolG NRW etwa Tegtmeyer / Vahle, Polizeigesetz NordrheinWestfalen, § 34, Rn. 10.

8. Kap.: Konsequenzen für die Polizei

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tiven Empfindung die nach außen erkennbare Reaktion folgt. Sie kann auf Furcht basieren, sie kann aber auch auf ganz anderen Empfindungen oder Entscheidungen beruhen. So kann beispielsweise der Wechsel von der rechten auf die linke Straßenseite als Reaktion auf eine bestimmte, entgegenkommende Person, vor der der Betroffene sich fürchtet, erfolgen; der Wechsel kann aber auch aus anderen Gründen erfolgen, etwa weil der Betroffene in die folgende Querstraße links einbiegen will oder weil sich auf der anderen Straßenseite ein Geschäft befindet, das er aufsuchen will. Die Verhaltensweisen der Menschen sind letztlich so vielfältig und von so vielen Faktoren abhängig, dass von ihnen nicht auf das Vorhandensein einer bestimmten Empfindung – in unserem Fall Furcht – geschlossen werden kann. Hinzu kommt, dass viele menschliche Verhaltensweisen nicht allein und ausschließlich auf einer bestimmten Empfindung oder einem bestimmten Gedanken beruhen, sondern oftmals von ganzen Motivbündeln geprägt sind. So kann der Straßenseitenwechsel im obigen Beispiel durch das Ziel, in eine Querstraße einbiegen zu wollen, bestimmt sein, gleichwohl kann die Entscheidung, die Straße gerade jetzt und nicht erst 50 Meter später zu wechseln, auch durch die entgegenkommende Person motiviert sein. Furcht ist dann nicht der alleinige Beweggrund für ein bestimmtes Verhalten, aber einer von mehreren. Dabei stellt sich die Frage, wie wichtig muss dann das Motiv Furcht sein, wenn es nicht das alleinige ist; oder reicht es schon aus, dass Furcht nur eines von vielen Motiven ist und dabei möglicherweise nur eine völlig untergeordnete Bedeutung hat. Das Anknüpfen an das Verhalten der sich Fürchtenden führte damit letztlich zu weiteren Unklarheiten und Ungewissheiten und trüge nicht zu einer besseren Vorhersehbarkeit bei. Das Verhalten der Furchtempfindenden kann daher nicht als objektiver Anknüpfungspunkt für eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls herangezogen werden. Es ist zu vielschichtig und nur selten hinreichend eindeutig. Oftmals lässt sich das Verhalten der – vermeintlich – Furchtempfindenden nicht zwingend auf Furcht als ausschlaggebende Motivation zurückführen. III. Das Verhalten der Furchtverursacher als Anknüpfungspunkt Nimmt man das Verhalten der Furchtverursacher als Anknüpfungspunkt, muss die das Sicherheitsgefühl schützende Norm bestimmte, objektive und nach außen erkennbare Verhaltensweisen umschreiben, von denen sich gezeigt hat, dass sie üblicherweise Furcht in einem nicht mehr hinnehmbaren Ausmaß verursachen. Greift man das Beispiel aus dem Versammlungsrecht auf, so könnte der Gesetzgeber Versammlungen verbieten, die ein Gefühl der Angst und ein Klima der Gewaltbereitschaft erzeugen. Dieses Gefühl darf nicht nur subjektiv bestehen, sondern es müssen objektive Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, die nicht nur

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

in der Anders- und Fremdartigkeit des Verhaltens bestehen dürfen. Im Versammlungsrecht müsste die das Sicherheitsgefühl schützende Norm dann entweder Regelbeispiele wie „das Mitführen von Landknechtstrommeln“ nennen oder eine Umschreibung des furchtverursachenden Verhaltens wie „paramilitärisches martialisches Auftreten“ oder „Blockmarsch“ liefern. Durch die Umschreibung furchtauslösender Verhaltensweisen lässt sich also – zumindest grundsätzlich – die Norm vorhersehbar ausgestalten. Allerdings bleibt bei der praktischen Umsetzung die schon angesprochene Schwierigkeit, zu entscheiden, welche Verhaltensweisen durch die zu bildende Norm erfasst werden sollen. Waren diese im Versammlungsrecht noch recht einfach zu bestimmen, wird es beim alltäglichen Verhalten, das angeblich furchtverursachend wirkt, schwieriger. Die Frage, welches Verhalten zu Furcht führt, ist nämlich nicht leicht zu beantworten. Furcht ist – wie bereits mehrfach festgestellt – höchst individuell. Man könnte durch Befragungen und Untersuchungen ermitteln, welche Verhaltensweisen bei den Bürgern Furcht auslösen. Damit allein kann man aber noch nicht die zu untersagenden, weil Furcht auslösenden, Verhaltensweisen bestimmen. Wenn sich – infolge einer Untersuchung – ein Verhalten als grundsätzlich Furcht auslösend erwiesen hat, weil es bei jemandem Furcht hervorgerufen hat, so lässt das noch nicht den Rückschluss zu, dass dieses Verhalten bei allen anderen Furcht hervorruft. Denn, wenn sich ein Mensch fürchtet, bedeutet das noch lange nicht, dass sich auch ein anderer zwingend ebenso fürchten muss; dass, wenn neun sich fürchten, sich auch der zehnte fürchten muss. Wenn mithin Verhaltensweisen gefunden werden sollen, die Furcht hervorrufen, und die mittels der das Sicherheitsgefühl schützenden Norm verboten werden sollen, muss man sich mit der Frage auseinandersetzen, wie viele Bürger sich fürchten müssen, damit ein bestimmtes Verhalten als furchtverursachend eingestuft und als Anhaltspunkt für eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls angesehen werden kann. Die Furcht eines Einzelnen dürfte nicht ausreichen. Denn so wie durch eine abstrakte Norm nicht das individuelle Sicherheitsgefühl eines jeden Einzelnen geschützt werden kann, weil zu viele Furchtursachen denkbar sind, so kann auch keinesfalls jedes Verhalten, das bei irgendjemandem Furcht hervorrufen kann, als Tatbestand der zu bildenden Norm herangezogen und so untersagt werden. Wäre es nämlich ausreichend, dass sich lediglich eine Person gefürchtet haben muss, um das betreffende Verhalten zu untersagen, könnte man nahezu jedes Verhalten mit der das Sicherheitsgefühl schützenden Norm erfassen und als Anhaltspunkt für eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls festschreiben. Denn nahezu jedes Verhalten kann bei irgendjemandem Furcht verursachen. Dies wäre nicht nur unpraktikabel, weil nahezu jedes Verhalten verboten werden müsste. Dies würde auch das grundsätzliche Verhältnis von Freiheit und Sicherheitsgefühl ins Gegenteil verkehren, widerspräche es doch der Grundaussage des Grundgesetzes, nach der Freiheit der Normalfall und Schutz des Sicherheitsgefühls die Einschränkung ist. 15 15

Zum grundsätzlichen Verhältnis von Freiheit und Sicherheitsgefühl s.o. 5. Kap. B.I.5.f).

8. Kap.: Konsequenzen für die Polizei

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1. Anzahl der sich Fürchtenden Wenn also eine Verhaltensweise gefunden werden soll, die als Anhaltspunkt für eine Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls herangezogen und die in der das Sicherheitsgefühl schützenden Norm fixiert werden soll, muss diese Verhaltensweise bei mehr als nur einer Person Furcht verursachen. Es muss ein Verhalten sein, das üblicherweise bei Vielen Furcht verursacht. Diese Erkenntnis besagt allerdings noch nichts darüber, wie viele Personen es sein müssen. Man könnte zunächst erwägen, auf den Durchschnitt abzustellen. Das Verhalten müsste beim Durchschnitt der Bevölkerung Furcht verursachen; ein „Durchschnittsbürger“ müsste in der betreffenden Situation bei dem betreffenden Verhalten Furcht empfinden. Eine andere Möglichkeit wäre, auf die überwiegende Mehrheit abzustellen, wie es etwa bei der Bestimmung des Inhalts der öffentlichen Ordnung geschieht. 16 Es müsste sich dann nicht nur ein Durchschnittsbürger in der betreffenden Situation fürchten, sondern die große Mehrzahl aller Bürger müsste sich vor dem betreffenden Verhalten fürchten. Allerdings dürfte die Zahl der Verhaltensweisen, die bei der überwiegenden Mehrheit der Bürger Furcht verursachen, gering sein und immer mehr abnehmen. Denn je pluralistischer die Gesellschaft wird, desto schwieriger wird es, Verhaltensweisen zu finden, die die große Mehrzahl aller Bürger schreckt, von der nahezu alle Betroffenen sagen: „Angesichts solchen Verhaltens empfinde ich Furcht“. Es dürfte schwierig sein, herauszufinden, was bei der überwiegenden Mehrheit der Bürger Furcht verursacht. Das so zu bildende Sicherheitsgefühl der überwiegenden Mehrheit wird nur wenige Verhaltensweisen erfassen. Einen generellen Katalog von allgemein als Furcht erregend eingestuften Verhaltensweisen wird man kaum bilden können, zumindest nicht in der Weise, dass Verhaltensweisen wie der Aufenthalt von Punks in der Fußgängerzone erfasst sind. Allenfalls in einzelnen Punkten wird man eine große Übereinstimmung vieler Bürger erreichen können; etwa im oben ausgeführten Beispiel der Gewaltbereitschaft signalisierenden Versammlung oder im Fall der strafrechtlichen Bedrohung („ich bringe dich um“). Ein Heranziehen der Empfindungen der überwiegenden Mehrheit der Bürger scheitert demnach an der Schwierigkeit, einen klaren, übereinstimmenden Katalog an furchtverursachenden Verhaltensweisen aufzustellen. Ein allgemeines und von der großen Mehrheit getragenes Furchtszenario, das dann in ein Gesetz „gegossen“ werden kann, wird sich kaum konstruieren lassen. Insoweit könnte der Rückgriff auf das Furchtempfinden eines „Durchschnittsbürgers“ vielversprechender sein. Allerdings stellt sich beim Abstellen auf den „Durchschnittsbürger“ seinerseits ein vergleichbares Problem. Fast ebenso schwierig wie ein von der überwiegenden Mehrheit der Bürger getragenes Furchtszenario zu konstruieren, dürfte es sein, herauszufinden, was überhaupt ein „Durchschnittsbürger“ ist. Auch einen 16

Vgl. dazu s. o. 5. Kap. B.II.1.

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solchen „Durchschnittsbürger“ wird man in der pluralistischen Gesellschaft nur noch schwer finden. 17 Zur Definition des „Durchschnittsbürgers“ muss auf das Furchtempfinden der (durchschnittlichen) Mehrheit abgestellt werden, womit man sich mit denselben Problemen konfrontiert sieht, wie sie sich schon bei dem Rückgriff auf die Furchtvorstellungen der überwiegenden Mehrheit stellten: Wann empfindet der „Durchschnitt“ Furcht? Dabei wird es beim Abstellen auf das „Durchschnittssicherheitsgefühl“, bei dem die Extreme, die besonders Furchtsamen und die besonders Furchtlosen, ausgeblendet werden, nur wenig leichter fallen, eine Übereinstimmung zu erzielen. Das „Durchschnittssicherheitsgefühl“ stellt nur geringfügig weniger hohe Anforderungen als das Kriterium der überwiegenden Mehrheit; im Grundsatz ergeben sich aber bei der Füllung des Begriffs „Durchschnittssicherheitsgefühl“ dieselben Schwierigkeiten. Im Ergebnis lässt sich ein „Durchschnittssicherheitsgefühl“ genauso wie ein Furchtszenario, das von der überwiegenden Mehrheit der Bürger getragen wird, allenfalls für ganz bestimmte Einzelfälle bilden. Die Formulierung eines umfänglichen „Gesamtsicherheitsgefühls“ gelingt aber weder über den einen noch den anderen Weg. 2. Freiheit des Fürchtenden gegen Freiheit des Furchtverursachenden Allerdings dürfte nicht allein die schlichte Zahl – ein sich Fürchtender, mehr als 50 Prozent aller Bürger fürchten sich oder nahezu 100 Prozent aller Bürger empfinden Furcht – entscheidend dafür sein, welche Verhaltensweise wegen ihrer furchtverursachenden Wirkung verboten werden kann. Denn bei beiden Ansätzen – Furcht des Durchschnittsbürgers oder Furcht der überwiegenden Mehrheit – stellt sich ein grundlegendes Problem. Selbst wenn sich herausgestellt hat, dass ein bestimmtes Verhalten von einem Durchschnittsbürger oder von der Mehrheit als Furcht auslösend empfunden wird, muss bei der Frage, ob dieses Verhalten verboten werden soll, die Vereinbarkeit des Verbots mit der grundsätzlichen Ausrichtung des Grundgesetzes auf die Freiheit und mit dem dem Grundgesetz zugrundeliegenden Demokratieverständnis überprüft werden. Das Verbot der furchtauslösenden Verhaltensweise darf nicht seinerseits zu unzumutbaren Freiheitsbeschränkungen führen. Es muss eine Abwägung der für und gegen ein Verbot der bestimmten Handlung sprechenden Umstände erfolgen. Dabei werden einerseits neben der Zahl derer, die bei einem bestimmten Verhalten mit Furcht reagieren, insbesondere das Ausmaß und die Auswirkungen der Furcht in die Abwägung einzubeziehen sein. Dem Ausmaß und den Auswirkungen der Furcht müssen andererseits die mit dem Verbot der Verhaltensweise verbundenen Freiheitsbeschränkungen entgegengestellt werden. 17

Den sprichwörtlichen „Otto Normalverbraucher“, mit dem die Marktforschung den Durchschnittsverbraucher beschreibt, zu ermitteln, wird auch immer schwieriger.

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Es ist also zum einen zu berücksichtigen, wie sich die Furcht auswirkt: Führt die Furcht nur zu einer geringen Einschränkung des täglichen Lebens oder bedeutet sie einen großen Verlust an Lebensqualität? So wird ein Verhalten, das zu einem einfachen Wechsel der Straßenseite führt, anders zu beurteilen sein als eine Verhaltensweise, bei der der Betroffene es vor Furcht unterlässt, seine Wohnung zu verlassen, er sich nicht mehr auf die Straße traut. Allerdings stellt sich für den Normgeber hier erneut das Problem der Messbarkeit. Wie groß die Auswirkungen der Furcht sind, die ein bestimmtes Verhalten verursacht, ist schwer zu messen. Dies wurde schon bei Untersuchungen zur Kriminalitätsfurcht deutlich. 18 Die Reaktion auf furchtverursachende Verhaltensweisen zeigt sich zumeist nicht unmittelbar und sofort. Sie prägt aber die persönlichen Einschätzungen der Viktimisierungswahrscheinlichkeit, der Vulnerabilität und der Coping-Fähigkeiten und führt erst danach zu einer Furcht und zu Furcht bedingtem Vermeideverhalten. So reagiert zumeist jemand, der einen bettelnden Obdachlosen in der Fußgängerzone sieht, nicht sofort und unmittelbar mit Furcht auf diesen. Gleichwohl kann dieses für ihn fremdartige Verhalten des Obdachlosen im Zusammenspiel mit anderen äußeren Faktoren – wie etwa Zeichen von Unordnung oder schlechter Straßenbeleuchtung – und inneren Faktoren – wie der persönlichen finanziellen Situation oder der eigenen körperlichen Konstitution – bedingen, dass beim Betroffenen Furcht entsteht. Angesichts der Vielzahl der Entstehungsursachen wird es aber schwer fallen, einen solchen klaren Kausalzusammenhang herzustellen, so dass sich sagen ließe: Dieses oder jenes Verhalten führt zu dieser oder jener Furcht, führt zu einer Furcht mit diesem Ausmaß. Meist sind die Empfindungen der Betroffenen diffus und unbestimmt, ein klarer Kausalzusammenhang wird sich nicht konstruieren lassen, wenngleich bestimmte Verhaltensweisen in der Summe und im Zusammenkommen mit anderen Furcht auslösend sind. Selbst wenn man also einen bestimmten Grad an Furcht messen könnte, ließe sich dieser aber kaum auf eine bestimmte Verhaltensweise, die dann verboten werden könnte, zurückführen. Demgegenüber müssen den Auswirkungen der Furcht auf die Freiheitsbetätigung die Auswirkungen eines Verbots, durch das die freiheitsbeeinträchtigende Furcht vermindert werden soll, entgegengehalten und in die Abwägung mit einbezogen werden: Durch ein solches Verbot werden diejenigen Verhaltsweisen unterbunden, die Ursache für Furcht sind. Allerdings ist bei einem Verbot furchtverursachenden Verhaltens zugleich auch Folgendes zu berücksichtigen: Furchtauslöser ist nicht allein Kriminalität. Die furchtverursachenden Verhaltensweisen bestehen zumeist gerade nicht in kriminellen Handlungen, sondern in Verhaltensweisen, die von den grundrechtlichen Freiheiten gedeckt sind. 19 Es sind in der Regel Handlungen, die nicht verboten sind, die auch nicht völlig unüblich sind. 18 Zu den Kriminalitätsfurcht beeinflussenden äußeren Faktor und deren Wirkung s. o. 4. Kap. B.II. 19 S.o. 4. Kap. B.II.5.c); vgl. auch 1. Kap. B.I.

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Es sind vielmehr „alltägliche“ Verhaltensweisen, Handlungen, die man jeden Tag sehen kann. Sie sind zwar zumeist für den Großteil der Bevölkerung ungewöhnlich und werden von ihm nicht ausgeübt. Wesentlich ist jedoch: Es handelt sich bei diesen Verhaltensweisen – unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz – um die Ausübung grundrechtlicher Freiheit. Es ist also stets zu bedenken, dass die furchtverursachenden Verhaltensweisen zumeist auch Ausübung von Freiheit sind. Diese Freiheitsausübung der „Furchtverursacher“ würde durch ein Verbot zum Wohle der sich Fürchtenden eingeschränkt. Es muss daher bei der Abwägung die Schwere des Eingriffs für die Freiheitsbetätigung des Furchtverursachers berücksichtigt werden. Stellt man die Auswirkungen eines Verbots dem Nutzen gegenüber und wägt diese gegeneinander ab, so ist hinsichtlich der Eingriffsschwere eines Verbots zu bedenken, dass die mit einem Verbot der betreffenden Handlung verbundenen Einschränkungen für die Ausübung der Freiheit der Betroffenen oftmals sehr gravierend seien dürften. Würden durch die Verbotsnorm die Verhaltensweisen untersagt, die als das Sicherheitsgefühl beeinträchtigend eingestuft werden und die daher üblicherweise Gegenstand polizeilicher Maßnahmen zur Stärkung des Sicherheitsgefühls sind, 20 so beträfen die mit dem Verbot einhergehenden Einschränkungen regelmäßig Verhaltensweisen, die eine wesentliche Bedeutung für die Freiheitsausübung der jeweils Betroffenen haben, die einen zentralen Bestandteil ihres Lebens ausmachen. So hat etwa das Betteln in Fußgängerzonen wegen der dadurch erzielten Einnahmen eine zentrale Bedeutung für bettelnde Obdachlose. Ein Verbot des Bettelns in Fußgängerzonen, weil es Furcht verursacht, wird den bettelnden Obdachlosen hart treffen, setzt Betteln doch einen gewissen Kontakt mit – zu Fuß gehenden – Menschen voraus. Bettelnde Obdachlose können ihrer Tätigkeit außerhalb von Fußgängerzonen nur schwer nachgehen. So dürfte das Betteln an einer stark befahrenen Straße in einem Gewerbegebiet ähnlich wenig einträglich sein wie das Betteln in einer menschenleeren Gegend. Bei den anderen für ein Verbot in Betracht kommenden Verhaltensweisen – dem längeren, sitzenden Aufenthalt von Punks in der Fußgängerzone, dem Drogenabhängigen, der sich im innerstädtischen Park aufhält – dürfte hinsichtlich der Eingriffsschwere Ähnliches gelten. Ein Verbot dieser Verhaltensweise träfe die Betroffenen in einem wesentlichen Punkt ihrer Freiheitsausübung, würde i. d. R. ein Verbot ihres Lebensentwurfs bedeuten. 21 Zwar werden Punks auch anderswo gesellig zusammenkommen und sich niederlassen können. Zumeist ist die Nähe zum öffentlichen Leben aber gerade gewünscht – wie sie auch der flanierende „normale“ Bürger, der sich die Schaufensterauslagen ansieht oder einen Kaffee auf der „Terrasse“ eines innerstädtischen Cafes trinkt, sucht. Zudem wird der innerstädtische Bereich auch wegen der günstigen Erreichbarkeit aufgesucht. 20

S. zu den üblicherweise ergriffenen Maßnahmen o. 1. Kap. B.I., II. Gerade diese Andersartigkeit des Lebensentwurfs wird von der Freiheit, derer die Demokratie als Staatsform bedarf, erfasst, s. o. 5. Kap. B.I.5.d). 21

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Dieser Schwere der Eingriffe stehen nur selten ebenso schwere Beeinträchtigen der sich Fürchtenden gegenüber. Zwar kann auch Furcht zu schweren Einschränkungen der sich Fürchtenden führen. Einzelne Ursachen für eine solche Furcht zu ermitteln, wird aber schwierig sein, 22 so dass es kaum möglich sein dürfte, ein bestimmtes Verhalten als furchtverursachend zu identifizieren und zudem als weniger schützenswert einzustufen. Gleichwohl ist es grundsätzlich möglich, in Einzelfällen Verhaltensweisen deshalb durch Normen zu verbieten, weil sie Furcht verursachen. Es muss allerdings eine umfassende Abwägung von Nutzen und Eingriff erfolgen, die aber nicht von öffentlichem Druck und herrschenden Moralvorstellungen beeinflusst werden darf. Das Verbot muss vielmehr in Einklang stehen mit dem Freiheits- und Demokratieverständnis des Grundgesetzes. Das bedeutet vor allem, dass die Einschränkung demokratiekonform erfolgen muss. Zum einen darf sie sich nicht in einem Verbot einer andersartigen Verhaltensweise erschöpfen. Es müssen nicht nur der Mehrheitswille bzw. die Mehrheitsempfindung Berücksichtigung finden, sondern es muss auch das Verhalten derjenigen, die sich anders verhalten wollen, respektiert werden. Demokratiekonform bedeutet zum anderen auch, dass das Verbot nur auf demokratischem Weg ergehen kann. 23 Das Verbot darf nur durch ein hinreichend bestimmtes Gesetz vorgegeben werden. Unbestimmte Rechtsbegriffe oder Verweisnormen – wie etwa die öffentliche Ordnung – sind hingegen nicht zulässig. In Zweifelsfällen wird die grundgesetzliche Wertung ausschlaggebend sein müssen. Das Grundgesetz geht von einem Vorrang der Freiheit aus. Die Freiheitsausübung ist der Normalfall des Grundgesetzes. Dies ergibt sich zum einen aus der Konzeption der Grundrechte als Freiheitsrechte. Dies ergibt sich zum anderen auch aus der zentralen Stellung des Demokratieprinzips in der Verfassung. Demokratie ist die Staatsform der Freiheit, die eben auch die Freiheit des Andersartigen erfasst, und Freiheit ist die Grundvoraussetzung für Demokratie. 24 Die Einschränkung der Freiheit ist hingegen die begründungsbedürftige Ausnahme. Daher muss bei der Suche nach Verhaltensweisen, die als Anknüpfungspunkt für ein Verbot Furcht erregenden Verhaltens normiert werden sollen, gelten: „in dubio pro libertate“ und nicht „in dubio pro senso securitatis“. Eine Ausnahme von der aufgrund der Demokratie gebotenen Toleranz – also ein Überwiegen des Sicherheitsgefühls gegenüber der Freiheit – wird regelmäßig vor allem in solchen Fällen bestehen, in denen die Freiheitsausübung „rechtsmissbräuchlich“ ist, wenn der Handelnde weiß, dass er bei anderen Furcht verursacht (etwa beim Stalking), oder dies gar das Ziel der Freiheitsausübung ist (wie etwa bei der Bedrohung oder bei den oben beschriebenen fremdenfeindlichen Versamm-

22 23 24

S.o. 8. Kap. A.III.2. am Anfang. S.o. 5. Kap. B.I.5.f) und 5. Kap. B.III. S. zur Demokratie als Staatsform der Freiheit o. 5. Kap. B.I.5.c)(6).

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lungen). In diesen Fällen könnte die Abwägung zugunsten des Sicherheitsgefühls und zu Lasten der Freiheitsbetätigung ausfallen. Gerade der neu – in § 238 StGB – geregelte Fall des Stalkings 25 zeigt, was eine solche „rechtsmissbräuchliche“ Freiheitsausübung sein kann und welche Schwierigkeiten sich bei der Normierung stellen können. Dort ist auch das Verfolgen des Opfers durch den Stalker Ausübung von dessen Freiheit, insbesondere der Freiheit, dort hinzugehen, wohin man möchte, nämlich dahin, wo sich die nachgestellte Person aufhält. Die Ausübung der Freiheit durch den Stalker erfolgt aber in einer Weise, in der sie bei der nachgestellten Person Furcht hervorruft. Dies ist in aller Regel auch für den Stalker anhand der Reaktion des Opfers – ablehnende Äußerungen, Flucht oder Wechsel des Wohnorts, der Telefonnummer – ersichtlich. Dennoch wird von ihm an seiner Freiheitsausübung festgehalten. Nicht zuletzt aufgrund dieser „rechtsmissbräuchlichen“ Ausübung der Freiheit überwiegt hier der Schutz des sich fürchtenden Opfers das Recht des Stalkers auf Freiheitsausübung. Zugleich zeigt der Straftatbestand des Stalkings, § 238 StGB, aber auch die Schwierigkeiten, eine das Sicherheitsgefühl schützende Norm zu formulieren. Selbst bei einem vergleichsweise einfachen Sachverhalt – Stalker führt durch sein Verhalten zu Furcht beim Nachgestellten – war es schwierig, objektive Tatbestandsmerkmale zu formulieren. Die Norm erfuhr in ihrer Entstehung zahlreiche Änderungen; Kritik wurde geäußert und Änderungsvorschläge vorgebracht. 26 Die Unsicherheit des Gesetzgebers darüber, ob er alle denkbaren Stalkingverhaltensweisen im Tatbestand des § 238 StGB erfasst hat, zeigt sich in § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB („eine andere vergleichbare Handlung vornimmt“). Er hat damit eine Art Auffangtatbestand geschaffen, der alle nicht erfassten Handlungsweisen erfassen soll. Eine hinreichend bestimmte Norm sieht gleichwohl anders aus. 27 Ebenfalls als rechtsmissbräuchlich dürfte eine Nutzung des Demonstrationsrechts einzustufen sein, die nur erfolgt, um Gewaltbereitschaft zu signalisieren und um andere über das gebotene, mit Demonstrationen üblicherweise verbundene Maß hinaus zu ängstigen. Allerdings gilt gleichwohl: Selbst wenn eine Freiheits25 In das StGB eingefügt durch das Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (40. StrÄndG) vom 22. 3. 2007, BGBl. I S. 354. § 238 StGB ist am 31. 3. 2007 in Kraft getreten. 26 Vgl. die Vorentwürfe „Entwurf eines Stalking-Bekämpfungsgesetzes“, BR-Drs. 48/ 06; „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (StrÄndG)“, BTDrs. 16/575 v. 8. 2. 2006; (rheinland-pfälzischen) RefE eines „Gesetzes zur Bekämpfung unzulässiger Belästigungen“, 2004; (hessischer) Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung unzumutbarer Belästigungen“, BR-Drs. 551/04; s. dazu nur Albrecht, FPR 2006, 204 (205); Gazeas, KJ 2006, 247 (248 ff.); Wagner, FPR 2006, 208 (210 f.); Kinzig, ZRP 2006, 225 (257) jeweils m.w. N. Zur Kritik vgl. nur Gazeas, KJ 2006, 247 (267 f.); Steinberg, JZ 2006, 30 (30 ff.). 27 Vgl. Gazeas, KJ 2006, 247 (257, 265 f.); Valerius, JuS 2007, 319 (324); Vander, KritV 2006, 81 (90).

8. Kap.: Konsequenzen für die Polizei

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ausübung als rechtsmissbräuchlich eingestuft werden kann und der Schutz des Sicherheitsgefühls dann die Gewährleistung der Freiheitsausübung überwiegt, sind auch in diesen Fällen die oben genannten Grundsätze – insbesondere eine demokratiekonforme Ausgestaltung – zu berücksichtigen. Gerade die von den üblichen Maßnahmen zur Stärkung des Sicherheitsgefühls betroffenen Freiheitsbetätigungen – die freiwillige Obdachlosigkeit oder das Niederlassen von Punks in Fußgängerzonen – sind aber nicht solche rechtsmissbräuchliche Freiheitsausübungen. Denn anders als bei der Bedrohung und beim Stalking weiß der auf sonstige Art und Weise Furcht Verursachende nicht um die Folgen seines Tuns, zumindest aber handelt er nicht mit dem Ziel, einen anderen zu ängstigen, sondern sein Verhalten beruht auf einer für ihn alltäglichen Verhaltensweise, die sich aus einem anderen Verständnis, aus einem anderen Lebensentwurf ergibt. IV. Ergebnis Es dürfte letztlich äußerst schwierig sein, eine das Sicherheitsgefühl schützende Rechtsnorm zu formulieren. Um dem Erfordernis der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit gerecht zu werden, werden sich nur einzelne furchtverursachende Verhaltensweisen herausgreifen und in Rechtsnormen fassen lassen. Eine grundsätzliche „Verrechtlichung“ des Sicherheitsgefühls in der Weise, dass es zu einem eigenen Rechtsgut wird, ist hingegen nicht möglich. Es lassen sich allenfalls Normen konstruieren, die bestimmte Aspekte des Sicherheitsgefühls schützen. Das Sicherheitsgefühl steht dann im Hintergrund, hinter dem jeweils geschützten, im Einzelfall spezielleren, Schutzgut. Aber auch bei einem solchen Herausgreifen einzelner furchterregender Verhaltensweisen wird es schwerfallen, die jeweiligen Aspekte des Sicherheitsgefühls in Rechtsnormen zu fassen. Nur sehr selten wird der Schutz des Sicherheitsgefühls die mit ihm verbundenen Beeinträchtigungen für die Freiheitsausübung der Furchtverursacher überwiegen. Zwar kann in den Fällen rechtsmissbräuchlicher Freiheitsausübung die Abwägung eher zugunsten des Sicherheitsgefühls ausfallen. Außer Verhältnis zum erzielten Schutz des Sicherheitsgefühls darf der Eingriff aber auch dann nicht stehen. Letztlich werden die das Sicherheitsgefühl schützenden Rechtsnormen also allenfalls punktuelle Sicherheitsbedürfnisse und Situationen erfassen können. Das bislang polizeilichen Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls zugrundeliegende Szenario „Obdachloser oder Punker stört das Sicherheitsgefühl der ‚anständigen‘ Bürger“ wird solche Rechtsnormen nicht erfassen können. 28 28

Selbst wenn man das Sicherheitsgefühl zu einem Rechtsgut machen könnte, schlösse sich daran das Problem an, dass es schwierig sein wird, im Einzelfall das Vorliegen einer

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B. Andere, grundrechtsneutrale Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls Dass sich das Sicherheitsgefühl als Ganzes nicht zu einem eigenen Rechtsgut machen lässt und damit auch nicht dem Schutz durch die Polizei überantwortet werden kann, sondern allenfalls einzelne Aspekte des Sicherheitsgefühls durch Rechtsnormen zu einem Rechtsgut werden können, die dann auch von der Polizei geschützt werden, hat für die sonstigen – also nicht von Rechtsnormen erfassten – Teile des Sicherheitsgefühls folgende Konsequenz: Sie sind kein Rechtsgut und erfahren deshalb keinen Schutz durch die Polizei. Denn die Befugnisnormen des Polizeirechts setzen eine Gefahr für ein Rechtsgut voraus. Polizeiliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls, die mit Grundrechtseingriffen verbunden sind, sind nicht zulässig und lassen sich auch nur schwer zulässig machen. Da die Polizei also – außer in den oben angesprochenen Ausnahmen – keine mit Grundrechtseingriffen verbundenen Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls ergreifen darf, stellt sich die Frage, ob die Polizei grundrechtsneutrale Maßnahmen ergreifen kann, die auf die Verbesserung des Sicherheitsgefühls abzielen. I. Verbesserung des Sicherheitsgefühls durch mehr Präsenz Als nicht grundrechtseingreifende polizeiliche Maßnahmen, die u. a. mit der Intention vorgenommen werden, das Sicherheitsgefühl zu stärken, kommt vor allem das verstärkte Präsenzzeigen in Betracht. Das Präsenzzeigen kann dabei in drei Arten erfolgen: 29 Es kann erstens durch vermehrte Streifenfahrten geschehen. Dann ist mehr Polizei sichtbar auf der Straße. Es kann zweitens durch vermehrte Fuß- und Fahrradstreifen erfolgen. Der Polizist geht zu Fuß oder fährt mit dem Rad durch sein Viertel und ermöglicht den Bürgern eine leichtere Kontaktaufnahme mit der Polizei. Dadurch wird Distanz, die bei der Benutzung eines Polizeiwagens entsteht, ab- und Nähe zum Bürger aufgebaut. Die dritte Möglichkeit, stärker polizeiliche Präsenz zu zeigen, kann durch das Wachestehen vor gefährdeten Objekten oder an gefährlichen Orten geschehen. Bekannte Beispiele sind die mobile Polizeiwache an Drogentreffpunkten und der Wachtposten vor einer Flüchtlingsunterkunft bei der Sorge vor einem fremdenfeindlichen Anschlag oder vor der amerikanischen oder israelischen Botschaft als Schutz vor einem islamistisch motivierten Terroranschlag. Diese polizeiliche Präsenz demonstrierenden konkreten Gefahr für dieses Rechtsgut hinreichend bestimmen zu können; vgl. Boers, NK 2/2001, 10 (10). 29 Ausführlich dazu bereits s. o. 1. Kap. B.II.5., 6., 7., 8.

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Maßnahmen sollen übliche Polizeiaufgaben erfüllen – Gefahren abwehren – und daneben das Sicherheitsgefühl verbessern. 1. Eignung des Präsenzzeigens für das Sicherheitsgefühl Allerdings ist die Eignung solcher Maßnahmen des Präsenzzeigens für eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls äußerst umstritten. 30 Dabei werden im Wesentlichen zwei Punkte diskutiert: zum einen die Frage, ob polizeiliche Präsenz überhaupt positive Effekte hat, und zum anderen die Kritik, dass mit dem Präsenzzeigen so viele Nachteile verbunden sind, die die möglicherweise bestehenden Vorteile nicht ausgleichen. a) Grundsätzlicher Nutzen des Präsenzzeigens Den grundsätzlichen Nutzen für das Sicherheitsgefühl, 31 den sich die Polizei verspricht, wenn sie Präsenz demonstrierende Maßnahmen vornimmt, besteht vor allem darin, dass bei den Bürgern, wenn sie die Polizei sehen, der Eindruck entsteht, die Polizei werde aktiv und gewährleiste dem Bürger jederzeitige Erreichbarkeit polizeilicher Hilfe. 32 Dem Bürger soll vermittelt werden: „Seht her, wir sind da; wir schützen Euch!“. Grundsätzlich scheint diese Vermutung auch nicht unberechtigt. Die Bürger fühlen sich tatsächlich beschützt, wenn sie die Polizei sehen. Auch ist ihnen – vor allem bei Fuß- und Fahrradstreifen – die Kontaktaufnahme zum Beamten leichter. 33 Gelegentliche Gespräche der Bürger mit dem für sie zuständigen Stadtteilpolizisten erhöhen zudem das Vertrauen in die Bereitschaft der Polizei, sich für die Bürger zu interessieren und ihre Belange ernst zu nehmen, und tragen dazu bei, dass sich der Bürger mit seinen Problemen und Ängsten an diesen wendet.

30 Gleichwohl wird es insbesondere von den Bürgern zur Verbesserung der Sicherheitslage und des Sicherheitsgefühls immer wieder gefordert, vgl. Sterbling / Burgheim, Nochmals Hoyerswerda, S. 117 ff. 31 Ausführlich zu den Auswirkungen von Polizeipräsenz auf das Sicherheitsgefühl Reuband, in: Schöch / Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, S. 255 (255 ff.); ders., in: Liebl / Ohlemacher (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung: interdisziplinäre Perspektiven in einem sich entwickelnden Forschungsfeld, S. 114 (123 ff.); ders., Die Polizei 1999, 112 (112 ff.); Lange, Polizei der Gesellschaft, S. 332 ff. Interessant ist auch der Vergleich des Zusammenhangs von Polizeidichte und Sicherheitsgefühls in anderen europäischen Ländern mit völlig unterschiedlicher Polizeidichte, vgl. dazu ausführlicher 2. PSB 2006, S. 510 ff. 32 Reuband, in: Schöch / Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, S. 255 (255 f.); Frommer / Kimmelzwinger, Die Kriminalprävention 2001, 91 (94); Berka / Sauter, Kriminalistik 1996, 599 (601). 33 Vgl. Berka / Sauter, Kriminalistik 1996, 599 (602).

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

Allerdings lassen sich bei der Frage nach dem grundsätzlichen Nutzen des Präsenzzeigens für das Sicherheitsgefühl zwei wesentliche Problemfelder erkennen. Zum einen muss die vermehrte polizeiliche Präsenz vom Bürger überhaupt zur Kenntnis genommen werden. Daran wird vielfach gezweifelt. Untersuchungen und Befragungen haben ergeben, dass die verstärkte polizeiliche Präsenz vom Bürger gar nicht bemerkt wird. 34 Gerade eine Erhöhung der Zahl der Streifenwagen und eine Intensivierung der Streifenfahrten wird nur selten zur Kenntnis genommen. 35 Dafür fahren in Deutschland tendenziell zu wenige Polizeifahrzeuge durch die Straßen; so werden in Bielefeld, immerhin einer Großstadt mit über 300.000 Einwohnern, durchschnittlich zwölf Fahrzeuge für den Streifendienst eingesetzt. Man müsste die Zahl der Streifenwagen sehr deutlich erhöhen, damit sie überhaupt von den Bürgern gesehen werden. 36 Ähnliches gilt für Fuß- und Fahrradstreifen. Auch hier ist ihre absolute Zahl zu gering, um eine umfassende Wahrnehmung zu erreichen. Allerdings dürfte es im Innenstadtbereich – und dort insbesondere an den „Furchtorten“ und an Orten mit subjektiv hohem symbolischen Stellenwert – anders aussehen. 37 In Fußgängerzonen werden Fuß- und Fahrradsteifen durch die Beengtheit des Raums und die große Zahl der Passanten besser wahrgenommen. Für Bewachungsmaßnahmen der Polizei gilt hinsichtlich der Wahrnehmung und damit bzgl. des Nutzens für das Sicherheitsgefühl Ähnliches. Nur wenn der bewachende Polizist an einem Ort Bewachungsaufgaben wahrnimmt, an dem viele Menschen vorbeikommen, kann er überhaupt positive Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl haben. Insbesondere Einrichtungen wie die mobile Polizeiwache, die etwa in Fußgängerzonen in der Nähe der dort sitzenden Punks aufgestellt sind, werden von den Bürgern wahrgenommen und stärken das Sicherheitsgefühl, weil der Bürger erkennt, dass die Polizei ein „Auge auf Problemherde“ hat. 38 34 Reuband, in: Schöch / Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, S. 255 (271 f.). 35 Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie wenig eine Erhöhung der Polizeipräsenz von der Bevölkerug wahrgenommen wird, zeigt Reuband, in: Liebl / Ohlemacher (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung, S. 114 (116 f.), der für Dresden ermitteln konnte, dass selbst eine – nach Aussagen des Dresdener Polizeipräsidenten – „erhebliche“ Steigerung der Außen- und Fußstreifen nur zu einer geringen Verbesserung der Wahrnehmung der Polizeipräsenz geführt hat. Statt vormals 36 Prozent bestätigten nach der Verstärkung der Präsenz 43 Prozent, dass sie mindestens einmal pro Woche Polizeistreifen sähen. 36 Hermann / Dölling, Kriminalprävention und Wertorientierung in komplexen Gesellschaften, S. 84, fordern daher, dass die polizeilichen Tätigkeiten auch dem Bürger „verkauft“, also mitgeteilt werden müssen. 37 Es könnte sogar sein, dass primär oder gar ausschließlich die Wahrnehmung von Polizeipräsenz in Innenstädten und an zentralen Orten hoher öffentlicher Nutzung wie Bahnhöfen einen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl hat; die Präsenz in Wohngebieten aber zu keiner Verbesserung des Sicherheitsgefühls beiträgt, vgl. Reuband, in: Liebl / Ohlemacher (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung, S. 114 (128). 38 Zugleich geht von den mobilen Polizeiwachen oft auch eine Verdrängungswirkung aus, was teilweise auch beabsichtigt scheint, wodurch die Maßnahme aber auch eine

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Zum anderen hat sich in der Praxis gezeigt, dass auch das Maß an polizeilicher Präsenz Einfluss auf das Sicherheitsgefühl hat. 39 Es ist nämlich nicht so, dass – wie man zunächst vermuten könnte – mehr Polizei immer auch ein Mehr an Sicherheitsgefühl bedeutet. Ein proportionales Anwachsen des Sicherheitsgefühls bei einer Erhöhung der Polizeipräsenz ließ sich nicht erkennen. Im Gegenteil: Studien haben ergeben, dass zuviel Polizeipräsenz dem Sicherheitsgefühl abträglich ist. 40 Wenn der Bürger sehr häufig Polizeibeamte auf der Straße sieht, denkt er, dass es schon einen Grund – nämlich eine Kriminalitätsbelastung – dafür geben muss, wenn sich die Polizei so oft in dieses Stadtviertel begibt. 41 Tendenziell zeigte sich, dass in Wohnvierteln das Sicherheitsgefühl der Bürger bei weniger als zwei Streifenfahrten pro Woche niedriger ist, als wenn die Polizei zwei bis vier Streifenfahrten durchführte. Erfolgten in einem Wohngebiet mehr als vier Polizeifahrten pro Woche, verschlechterte sich das Sicherheitsgefühl wieder. Grundsätzlich muss wohl gelten: Ein gewisses Maß an Polizeipräsenz auf der Straße erhöht das Sicherheitsgefühl, zu wenig, aber auch zu viel Präsenz der Polizei vermindert das Sicherheitsgefühl. Dieses gewisse Maß an Polizeipräsenz dürfte etwa bei drei bis vier Streifenfahrten liegen. Allerdings ist diese Zahl angesichts des individuellen Charakters des Sicherheitsgefühls 42 auch abhängig von der Struktur des jeweiligen Viertels, insbesondere seiner Bevölkerungszusammensetzung. Ein überwiegend von älteren Menschen bewohntes Gebiet bedarf dann mehr Polizeipräsenz als ein studentisch geprägtes Wohnviertel. Darüber hinaus wird es auch durch das bereits angesprochene Problem der geringen Wahrnehmung polizeilicher Präsenz erschwert, das richtige Maß an Polizeipräsenz festzustellen. Denn die angemessene Zahl an Streifenfahrten setzt nicht nur deren tatsächliche Durchführung, sondern auch deren Wahrnehmung durch den Bürger voraus, die – wie oben festgestellt – äußerst unterschiedlich und schwer zu steuern ist. Der grundsätzliche Nutzen einer verstärkten Präsenz der Polizei auf der Straße lässt sich demnach nicht so einfach bestätigen. 43 Eine positive Wirkung polizeili-

grundrechtseingreifende Qualität bekommt, so dass sich die Frage stellt, ob es sich dann noch um eine grundrechtsneutrale Maßnahme handelt. Sofern die mobile Polizeiwache jedoch zur Deeskalation beträgt, ließe sich die Maßnahme dann auf die allgemeinen Befugnisnormen stützen. 39 Reuband, in: Schöch / Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, S. 255 (256); s. a. Dörmann, Wie sicher fühlen sich die Deutschen?, S. 45 ff. 40 Lange / Schenck, Polizei im kooperativen Staat, S. 313 f. 41 Lange / Schenck, Polizei im kooperativen Staat, S. 314; vgl. mit empirischen Nachweisen Reuband, in: Schöch / Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, S. 255 (267 ff.). 42 Zu den unterschiedlichen demographischen Faktoren des Sicherheitsgefühls s. o. 4. Kap. A.III. 43 Reuband, in: Schöch / Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, S. 255 (270 ff.).

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

cher Präsenz ist vielmehr von vielen unterschiedlichen, kaum zu beeinflussenden Faktoren abhängig. 44 b) Mit dem Präsenzzeigen verbundene Nachteile Neben den Bedenken, ob eine verstärkte Polizeipräsenz überhaupt einen positiven Einfluss auf das Sicherheitsgefühl hat, sprechen gegen eine Erhöhung der Polizeipräsenz allein um des Sicherheitsgefühls willen die damit verbundenen Nachteile. So ist die Erhöhung der Polizeipräsenz auf der Straße mit einem größeren Einsatz von Personal und Ausrüstung – vor allem Fahrzeugen – verbunden. Dies verursacht zusätzliche Kosten für die Polizei. Allerdings ist dies, solange es „nur“ um Geld geht, als solches noch kein Nachteil, zumindest nicht, soweit es um die negativen Auswirkungen auf die anderen Polizeiaufgaben geht. Da zumeist jedoch die personellen und vor allem die finanziellen Mittel begrenzt sind, wirft ein vermehrter Personaleinsatz bei dem Sicherheitsgefühl dienenden Präsenzaufgaben die Frage auf, ob sich dies nicht sogar nachteilig auf die Erfüllung der Hauptaufgaben der Polizei – die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung – auswirkt. 45 Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Präsenz zeigende Tätigkeit selbst (meist) nicht zu einer Abnahme der Kriminalität führt. 46 Polizeiliche Präsenz ist also i. d. R. keine geeignete Maßnahme, um das Kriminalitätsaufkommen zu reduzieren, ist damit keine Kriminalitätsbekämpfungsmaßnahme. Außerdem kann ein Polizist meist nur eine Aufgabe gleichzeitig erfüllen: Entweder er geht einer Präsenz zeigenden Tätigkeit nach oder er nimmt Aufgaben der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wahr. Daher fehlt ein Polizist, wenn er für Fuß- und Fahrradstreifen eingesetzt wird, bei anderen Aufgaben. Zwar ist bei der Fuß- und Fahrradstreife der Polizist „auf der Straße“; er zeigt Präsenz und kann sogar auf bestimmte Formen der Kriminalität einen positiven Einfluss haben. Seine Mobilität und Schnelligkeit ist jedoch gegenüber der Besatzung eines Streifenwagens herabgesenkt. Er kann nicht so schnell an Gefahrenorte gelangen, die weiter von seinem Standort entfernt liegen; sein Einsatzradius ist daher stark eingeschränkt. Noch mehr Nachteile für die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung hat der stationäre Wachdienst. Ein vor einem Objekt Wache stehender Polizist kann nur 44 Um festzustellen, wie viel Präsenz in welchen Stadtviertel nötig ist, bedürfte es umfangreicher Untersuchungen, Reuband, in: Schöch / Jehle (Hrsg.), Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit, S. 255 (272). 45 Zustimmend Behrendes, in: Pitschas, Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, S. 109 (116). 46 Diedrichs, Bürgerrechte und Polizei / CILIP Nr. 51 (2/1995), 23 (27) m.w. N.; Beste, Morphologie der Macht, S. 363, der dies eindrucksvoll am Beispiel der Frankfurter Polizei aufzeigt.

8. Kap.: Konsequenzen für die Polizei

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an diesem Ort und nirgendwo anders für Sicherheit sorgen. An Problempunkten – wie der Drogenberatungsstelle oder bei den in der Innenstadt lagernden Punks – mag das sich durch eine erhöhte Zahl an Störungen der Sicherheit und möglicher Konflikte mit anderen Bürgern rechtfertigen lassen, 47 in den meisten Fällen – insbesondere beim Objektschutz – wird dies nicht gelingen. Zudem ist zu bedenken, dass Bewachungstätigkeiten für den dafür eingesetzten Polizisten äußerst ermüdend und frustrierend sind, so dass sich der Wachdienst auch negativ auf die Motivation der Polizei insgesamt auswirkt. 48 Selbst bei einer Maßnahme wie dem Erhöhen der Präsenz der Polizeifahrzeuge auf der Straße durch eine Einer- statt einer Zweierbesetzung lassen sich Nachteile für die Gefahrenabwehr erkennen. 49 Fährt ein Polizist allein und nicht mit einem Kollegen zusammen Streife, so bedeutet das zunächst vor allem für ihn selbst eine Gefahr. Er muss bei Einsätzen selbst und ohne die Unterstützung des „zweiten Mannes“ handeln. Dadurch ist die Möglichkeit der Eigensicherung stark eingeschränkt. Diese Gefahr für den Polizeibeamten bedeutet zugleich aber auch mittelbar einen Nachteil für die Bürger. Ein einzelner Polizeibeamter wird aufgrund der fehlenden Sicherung durch einen Kollegen nicht so tätig, wie er es in einem Zweierteam könnte. Es ist daher zu befürchten, dass er sich aus Gründen des Selbstschutzes bewusst zurückhält. Dieses Problem, dass ein für Präsenzaufgaben zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls eingesetzter Polizist bei der Erfüllung der Hauptaufgaben der Polizei fehlt, gewinnt zudem angesichts der oft geplanten und vorgenommenen Personaleinsparungen im Polizeiapparat noch zusätzlich an Brisanz. 2. Kooperation mit polizeifremden Kräften beim Präsenzzeigen Weil ein umfassendes Präsenzzeigen für die Polizei auf Dauer finanziell und personell ohne negative Auswirkungen auf die (anderen) Polizeiaufgaben nicht möglich ist, gibt es Überlegungen und Versuche, andere „kostengünstigere“ Sicherheit produzierende Akteure bei der Erfüllung dieser Aufgaben einzubeziehen. 50 47 Tatsächlich zeigte sich, dass die erhöhte Kriminalität und Gewalttätigkeiten, die sich an solchen Punkten, wo sich Obdachlose und Punks aufhalten, feststellen lassen, grundsätzlich nur innerhalb der Gruppe, also untereinander, stattfinden; der außenstehende Bürger ist aber – entgegen der allgemeinen Befürchtung – so gut wie nie betroffen. Das zumindest strafrechtlich relevante Konfliktpotential besteht also nur zwischen den Gruppenangehörigen. 48 Daher wird versucht, diese „unbedeutenden“ Polizeiaufgaben durch andere Akteure erfüllen zu lassen; etwa durch den Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten oder durch Bundeswehrsoldaten, s. u. 8. Kap. B.I.2. 49 Dies zeigen Erfahrungen aus den USA, wo dieses System in einigen Städten probiert wurde.

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

Als Kooperationspartner kommen dabei die Bürger selbst, private Sicherheitsdienste und die Bundeswehr in Betracht. Deren Einbindung und Einsatz hat grundsätzlich den Vorteil, dass diese Akteure nicht so „teuer“ sind wie Polizisten, sei es, weil sie – wie etwa Bürger in Sicherheitswachten – freiwillig tätig werden, sei es, weil sie – wie private Sicherheitsdienste und (wehrpflichtige) Bundeswehrsoldaten – nicht so hoch entlohnt werden wie Polizeibeamte. Dabei kann der Einsatz privater Sicherheitsdienste u.U. für die Polizei sogar ganz „umsonst“ sein, wenn diese etwa durch andere, öffentliche oder private, Auftraggeber – etwa die Deutsche Bahn oder die Kaufmannschaft einer Stadt – bezahlt werden. 51 Zudem werden Streifengänge und Wachtätigkeiten nicht als so anspruchsvoll angesehen, dass sie nicht auch von anderen erbracht werden können. Der diesen Erwägungen zugrunde liegende Gedanke ist dabei: „Für Bewachungsaufgaben bedarf es keiner Polizeiausbildung“. Diesen auf den ersten Blick einleuchtenden Erwägungen stehen jedoch einige grundlegende Nachteile gegenüber. Da sind zunächst die zahlreichen rechtlichen Probleme wie etwa die Frage nach den Befugnissen privater Sicherheitsdienste bei Doppelstreifen 52 oder den verfassungsrechtlichen Vorgaben für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren 53. Daneben sprechen auch noch einige sachliche Argumente gegen eine solche Einbeziehung für Präsenz zeigende Aufgaben. 54 Private Sicherheitsdienste oder die Bundeswehr können die Polizei nicht ersetzen. Dies folgt aus ihren Eigenheiten, die sich maßgeblich von der Funktion der Polizei unterscheiden. Private Sicherheitsdienste schützen die Rechtsgüter ihrer Auftraggeber. Dies ist ihre primäre Aufgabe. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit – oder auch nur des öffentlichen Sicherheitsgefühls 55 – ist hingegen (zumeist) nicht ihre Aufgabe. 56 Die Bundeswehr hingegen hat für polizeiliche Sicherungs50

S.o. 1. Kap. B.II.7., 8. Kritisch dazu wegen des damit einhergehenden Rückzugs des Staates aus dem Sicherheitsmarkt Roggan, KJ 2008, 324 (327 f.). 52 S. dazu Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 543 ff. Ausführlich zu den rechtlichen Problemen solcher gemischter Streifen Rixen, Die Polizei 2007, 168 (172 ff.), der insbesondere den „quasi-polizeilichen Anschein“ kritisiert, den die privaten Sicherheitsdienste durch die Präsenz der Polizei erhalten, ebenda S. 173. 53 Vgl. dazu Soria, DVBl 2004, 597 (599); Fischer, JZ 2004, 376 (378 ff.); Schewe, in: Lange (Hrsg.), Wörterbuch der Inneren Sicherheit, S. 40 (43). 54 Dies gilt aber nur, sofern man davon ausgeht, dass sie mehr tun, als nur Präsenz zu zeigen, nämlich dass sie bei einer Gefahr zu deren Abwehr tätig werden. Beschränken sich die Bundeswehr und die privaten Sicherheitsdienste nur auf das Präsenzzeigen, stellen sich die im Folgenden angesprochenen Probleme zwar nicht, das Präsenzzeigen wäre dann aber zugleich auch völlig unsinnig. Ein reines Wachestehen oder Streifelaufen, ohne bei Gefahren einzugreifen, entpuppte sich dann schnell als rein symbolische Maßnahme und würde kein Sicherheitsgefühl mehr schaffen, weil kein Vertrauen in die anwesenden Präsenz zeigenden privaten Sicherheitsdienste oder Bundeswehrsoldaten bestünde. 55 Anders ist es etwa mit dem Sicherheitsgefühl der Kunden, wenn private Sicherheitsdienste ein Einkaufszentrum, eine sog. Shopping-Mall, bewachen. Denn das Sicher51

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und Bewachungsaufgaben nicht die erforderliche Ausbildung. Der militärische Sicherungseinsatz unterscheidet sich stark vom polizeilichen. Landesverteidigung und Einsatz im Krieg sind etwas anderes als Polizeitätigkeit. 57 Nur weil ein Bundeswehrsoldat eine Waffe trägt, kann er noch nicht einen Polizisten ersetzen. 58 Es ist mehr als nur die Waffe, die einen Polizisten ausmacht. 59 Schließlich ist die Wirkung von solchen Präsenz zeigenden Maßnahmen anderer Sicherheitsakteure für das Sicherheitsgefühl äußerst umstritten. Der Nutzen für das Sicherheitsgefühl ist noch zweifelhafter als es bei polizeilichen Maßnahmen sowieso schon der Fall ist. Die Bürger schätzen die Präsenz der Polizei also mehr als die Präsenz der privaten Sicherheitsdienste und anderer Akteure. Das Sicherheitsgefühl steigt – wenn überhaupt – bei vermehrten Polizeistreifen, nicht aber oder nur in Einzelfällen bei Streifen von privaten Wachdiensten 60 oder bei Streifen freiwilliger Bürger im Rahmen des freiwilligen Polizeidienstes oder der Sicherheitswacht. 61 II. Verbesserung des Sicherheitsgefühls durch Informationshandeln Eine weitere Möglichkeit, das Sicherheitsgefühl zu verbessern, kann für die Polizei im Informationshandeln bestehen. Durch informierende und aufklärende Maßnahmen kann die Polizei positiv Einfluss auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nehmen. 62 Der Ansatzpunkt bei solchen Überlegungen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls ist dabei die Feststellung, dass Unsicherheitsgefühle oft heitsgefühl der potentiellen Kunden ist Teil der Verkaufsargumente der Betreiber der Einkaufszentren: „Einkaufen, wo man sich sicher fühlen kann“. 56 Vgl. ausführlich Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 44 ff., 55 ff. 57 Gusy, VVDStRL 63, 151 (186): „Die Polizei soll sichern, dass die Menschen in Frieden zusammen leben können; das Militär soll hingegen sichern, dass die Menschen in Frieden getrennt voneinander leben können“. 58 Schewe, in: Lange (Hrsg.), Wörterbuch der Inneren Sicherheit, S. 40 (43). 59 U.U. ist gerade der Verzicht auf den Waffeneinsatz das richtige Mittel zur Abwehr einer polizeirechtlichen Gefahr. Das Militär hingegen ist in seinem Denken und seiner Ausbildung primär auf den Einsatz der Waffen ausgerichtet, vgl. Gusy, VVDStRL 63, 151 (186). 60 Dörmann, Wie sicher fühlen sich die Deutschen?, S. 48. 61 Kreuzer / Schneider, Freiwilliger Polizeidienst in Hessen, S. 49 ff., 55. Interessant auch zur Frage, ob der Freiwillige Polizeidienst zu einer Ent- oder gar Belastung der Polizei führt, S. 55 ff., wobei Kreuzer / Schneider i. E. feststellen, dass er zumindest keine Mehrbelastung bedeute, ebenda S. 57; anders hingegen Pütter / Kant, Bürgerrechte und Polizei / CILIP Nr. 66 (2/2000), 16 (30), die von einer Mehrbelastung ausgehen. 62 S.a. 2. PSB 2006, S. 691; Giger, Kriminalistik 2008, 191 (194). Zur Bedeutung von Informationshandeln zum „Vermarkten“ polizeilicher Arbeit Hermann / Dölling, Kriminalprävention und Wertorientierung in komplexen Gesellschaften, S. 84.

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

durch den Erfahrungsaustausch mit anderen entstehen und durch weitere Kommunikationsprozesse verstärkt werden. 63 Es sind die indirekten Opfererfahrungen und die mediale Berichterstattung über Kriminalität, die maßgeblich die Einschätzungen des Einzelnen über seine Viktimisierungswahrscheinlichkeit beeinflussen. Könnte man hier durch Informationen positiv einwirken, ließen sich die Befürchtungen vor möglichen Gefahren relativieren und das Sicherheitsgefühl stärken. Ein für das Sicherheitsgefühl positives Informationshandeln der Polizei kann zum einen darin bestehen, dass die Polizei über bestimmte Ängste und deren (Nicht-)Berechtigung aufklärt. 64 Sie kann etwa über als gefährlich empfundene Orte informieren und aufzeigen, dass dort kaum Straftaten verübt werden. Dadurch könnte diesen Orten der Makel der Gefährlichkeit genommen und sie als Furchtorte entschärft werden. Allerdings dürfte es bei solchem Informationshandeln nicht ganz leicht sein, Ängste zu nehmen, denn Angst ist etwas Emotionales und nicht Rationales. Gleichwohl dürften Aufklärungsmaßnahmen, die darauf abzielen, über die tatsächliche Gefährlichkeit bestimmter Orte oder Situationen zu informieren, dazu beitragen, Fehlvorstellungen, die (mit-)ursächlich für das Entstehen von Unsicherheitsgefühlen sind, abzubauen. Zum anderen kann die Polizei auch das Sicherheitsgefühl durch solches Informationshandeln stärken, das in der Aufklärung über mögliche Kriminalitätsgefährdungen besteht. Dabei sind solche über Kriminalitätsgefahren aufklärende Informationen durchaus – zumindest was das Sicherheitsgefühl betrifft – ambivalent zu bewerten. So werden von der Polizei Informationsblätter („die Kriminalpolizei rät“) verteilt, in denen auf Gefahrenquellen hingewiesen wird und Vorschläge gemacht werden, wie der Bürger diese Gefahren vermeiden kann. Dies kann einerseits das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen, weil Gefahren aufgezeigt werden. Gleichzeitig bietet die Polizei aber auch Lösungen an, durch die die Gefahren gemindert werden können, und stärkt so das Sicherheitsgefühl. Wenn die Polizei also beispielsweise auf die Gefahren eines Einbruchs in die Wohnung hinweist, erhöht das zwar einerseits Furcht vor einem Wohnungseinbruchsdiebstahl, indem sich der Bürger aufgrund des Informationsblattes mit der Gefahr des Wohnungseinbruchs besonders auseinander setzen muss und ihm ein – möglicherweise – verdrängtes Risiko wieder vor Augen geführt wird. Durch sachliche Informationen wird der Bürger zugleich aber auch über einfache Maßnahmen (etwa: keine „gekippten“ Fenster, wenn man die Wohnung verlässt) aufgeklärt, mit denen sich die Gefahr eines Wohnungseinbruchs vermindern lässt. Zudem kann der Hinweis, dass solche 63

S.o. 4. Kap. B.II.2. Vgl. Kube, in: Albrecht (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht – Festschrift für Kaiser, S. 847 (856): „Sachgerechte Aufklärung der Wohnbevölkerung über Kriminalität“; s. a. ders., Der Bürger im Staat 1/2003, S. 65 (68). Zu einem Beispiel für solches Informationshandeln s. Zeiser, in: Pitschas, Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, S. 89 (90 ff.). 64

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Einbrüche zumeist tagsüber passieren, dazu beitragen, die Angst vor einem nächtlichen Einbruch, bei dem auch eigene Verletzungen durch einen u.U. überraschten Täter befürchtet werden, zu verringern. Damit ließe sich der oftmals mit dem Wohnungseinbruch verbundenen Vorstellung, der besonders nachts befürchteten Gefahr für das eigene Leben oder die Gesundheit, entgegenwirken und die deswegen besonders hohe Furcht vor einem Wohnungseinbruch relativieren. Solche Informationen über mögliche Gefahren haben demnach nicht ausschließlich einen positiven Einfluss auf das Sicherheitsgefühl. Sie können jedoch dazu beitragen, das Sicherheitsgefühl auf ein notwendiges und angemessenes Maß zu bringen. Denn es ist grundsätzlich beim Sicherheitsgefühl zu bedenken: 65 Ein wenig Unsicherheitsgefühl hat durchaus positive Auswirkungen. So führt beispielsweise die Sorge vor Diebstahl dazu, dass der umsichtige Bürger sein teures Fahrrad mit einem Schloss sichert. Ein gesundes Maß an Unsicherheitsgefühl sorgt dafür, dass keine trügerische Sicherheit besteht, die zu Leichtsinn führt. Grundsätzlich kann die Polizei also durch Informationshandeln das Sicherheitsgefühl positiv beeinflussen. Allerdings zeigt sich auch immer wieder, dass die Polizei durch ihr sonstiges – d. h. nicht gezielt auf das Sicherheitsgefühl ausgerichtetes – informierendes Handeln einen negativen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl haben kann. Oftmals macht die Polizei bei der Erfüllung ihrer Aufgaben Aussagen, die zwar mit der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung im Zusammenhang stehen, die aber das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen. Ein besonderes Beispiel hierfür ist die jährliche Präsentation der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS). 66 Hier werden die Straftaten nur in „nackten“ Zahlen genannt. Ein Bezug zu möglichen Entstehungs- und Begehungsumständen wird nicht hergestellt. So wird beispielsweise nur die hohe Zahl an Gewalttaten ausgewiesen, Hinweise auf die Opfer, die regelmäßig aus dem gleichen Umfeld, vor allem aus der selben Altersgruppe stammen, werden nicht gegeben. Dabei könnten solche Hinweise die hohen Begehungszahlen im Bereich der Gewaltkriminalität relativieren und so deutlich machen, dass sich die älteren Menschen nicht so sehr vor den Gewalttaten der Jugendlichen fürchten müssen, da sie typischerweise nicht als Opfer ausgesucht werden. Auch ein Hinweis darauf, dass der Begriff Gewaltkriminalität die gefährliche Körperverletzung mit umfasst und daher jede „Wirtshausschlägerei“, an der mehrere Täter beteiligt sind, zur Gewaltkriminalität gezählt wird, kann die hohen Begehungszahlen relativieren und die Furcht vor der Gewaltkriminalität, unter der die meisten Menschen Tötungs- und Raubdelikte verstehen, nicht unnötig steigern. 67 Ähnliches gilt für den Hinweis auf das Ergebnis der Tatbege65 Ausführlicher zur kriminalitätsverhindernden Wirkung von Unsicherheitsgefühlen s. o. 1. Kap. B.III.1. 66 Zu der „verzerrten“ Darstellung der Kriminalitätswirklichkeit in den Polizeilichen Kriminalitätsstatistiken s. o. 4. Kap. B.II.3. 67 Ähnliches gilt für den „Schusswaffengebrauch“, der neben den Fällen, bei denen geschossen wurde, auch die Fälle erfasst, bei denen nur mit einer Schusswaffe gedroht wird, vgl. Heinz, Kriminalistik 2007, 301 (303).

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

hung, insbesondere darauf, dass viele Delikte im Versuchsstadium geblieben sind. Gerade bei den befürchteten Tötungsdelikten macht dies etwa zwei Drittel der aufgeführten Delikte aus. 68 Auch der von der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik gewählte Vergleichsmaßstab (Anzahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner) führt zu vordergründig hohen Häufigkeitszahlen, wodurch die bestehenden Vorurteile („Es gibt so viel Kriminalität“) scheinbar bestätigt werden und damit Anlass zur Furcht gegeben wird. Grundsätzlich wäre es vor dem Hintergrund ihrer Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl daher sinnvoll, die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik mit einigen die schlichten Zahlen relativierenden Erläuterungen zu versehen. 69 Ein Beispiel dafür, wie dies geschehen könnte, bietet der Periodische Sicherheitsbericht. Dieser befasst sich ebenso wie die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik zwar grundsätzlich auch mit den insgesamt in Deutschland verübten Straftaten. Die schlichten Häufigkeitszahlen werden aber kommentiert und durch Erklärungen relativiert. So erfolgt beispielsweise im 1. Periodischen Sicherheitsbericht der Hinweis, dass die Zunahme von Straftaten der Gewaltkriminalität auf der Zunahme von Körperverletzungen beruht, die Zahl der – besonders befürchteten – Tötungsdelikte aber abgenommen hat. Ebenso enthält der Periodische Sicherheitsbericht ausführliche Angaben zu den Opfern der Straftaten. Neben der oben aufgeführten – im Hinblick auf das Sicherheitsgefühl – missverständlichen Darstellung der Polizeilichen Kriminalitätsstatistiken trägt zudem die Präsentation ihres Inhalts gegenüber der Öffentlichkeit zu Unsicherheitsgefühlen bei. Bei der offiziellen Bekanntgabe der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik beschränkt sich der sie präsentierende Innenminister zumeist auf einige besonders plastische Deliktsbereiche, i. d. R. die Gewaltdelikte. Dadurch wird das in der Öffentlichkeit schon bestehende verzerrte Bild von der Kriminalität noch verfestigt. Da diese Präsentation zudem von den Medien transportiert wird, ist außerdem noch die schon bei der Kriminalitätsberichterstattung festzustellende Schwerpunkt- und Prioritätensetzung der Presse zu berücksichtigen, die ebenfalls einen verfälschenden Effekt hat und die bereits verzerrte Darstellung noch verstärken kann. Auch hier könnten erläuternde Hinweise des präsentierenden Innenministers die negativen Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl verhindern oder zumindest doch abmildern. Grundsätzlich lässt sich also feststellen: Die Polizei könnte bei ihrem Informationshandeln die Auswirkungen ihrer Darstellung auf das Sicherheitsgefühl stärker berücksichtigen. Sie kann es durch bestimmte Informationen positiv beeinflussen und sie kann andere Informationen, die sie im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung 68

1. PSB 2001, S. 42; PKS 2005, S. 26; s. o. 4. Kap. A.III.6. So i. E. Heinz, Kriminalistik 2007, 301 (307), der zudem auch einige bei der Messung der Kriminalität vermeidbare Fehler der amtlichen Kriminalitätsstatistiken aufzeigt. 69

8. Kap.: Konsequenzen für die Polizei

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veröffentlicht, sachlich korrekt, aber doch so formulieren und präsentieren, dass sie zumindest keine Nachteile für das Sicherheitsgefühl haben. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ein Informationshandeln zwar zu einer Stärkung des Sicherheitsgefühls beitragen kann bzw. es nicht beeinträchtigten muss, sich aber die Frage stellt, ob das auch intendiert ist. Denn zum Teil wird auch von der Polizei versucht, Stimmung mit dem Unsicherheitsgefühl machen. Wenn die Polizei etwa gegen Einsparungen und Stellenabbau protestieren und dies verhindern will, bietet sich das Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung gut als Argument gegen solche Maßnahmen an. Ein gewisses Maß an Furcht bei den Bürgern ist also nicht immer unerwünscht, führt sie doch dazu, dass sich die Öffentlichkeit des Wertes der Sicherheit und damit der Arbeit der Polizei bewusst wird. 70 III. Alternative, nichtpolizeiliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls Die Möglichkeiten, das Sicherheitsgefühl zu verbessern, sind aber nicht nur auf Maßnahmen der Polizei beschränkt. Wenn der Staat die der Staatsaufgabe Sicherheitsgefühl entspringende Verpflichtung, sich mit dem Sicherheitsgefühl zu befassen, erfüllen will, muss dies nicht allein durch die Polizei geleistet werden. Nicht nur Polizei muss sich um das Sicherheitsgefühl kümmern. Denn das Sicherheitsgefühl als eigene Staatsaufgabe verpflichtet alle Organe des Staates, sich darum zu kümmern, sich mit dem Sicherheitsgefühl zu befassen und es im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllungen zu berücksichtigen. 71 Jenseits polizeilicher Aufgaben lassen sich vor allem zwei Betätigungsfelder erkennen, auf denen eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls möglich ist: Dies sind zum einen städtebauliche Maßnahmen und zum anderen sozialstaatliche. 1. Stärkung des Sicherheitsgefühls durch städtebauliche Maßnahmen Als vielversprechend zur Stärkung des Sicherheitsgefühls haben sich städtebauliche Maßnahmen erwiesen. 72 So kann eine bessere Beleuchtung in der Nacht die Übersichtlichkeit von Straßen und anderen Orten erhöhen. 73 Die positive Wirkung 70 Zur „Verbrechensbekämpfung als Bühne zur Selbstdarstellung“ Christie, Wieviel Kriminalität braucht die Gesellschaft?, S. 59 f. 71 Zur Staatsaufgabe Sicherheitsgefühl s. o. 3. Kap. C.III.; allgemein zu Staatsaufgaben als Verpflichtung des Staates s. o. 2. Kap. A.III. 72 Detailliert zu den (bau-) rechtlichen Möglichkeiten der Stadtplanung PohlmannRohr, in: Kube / Schneider / Stock (Hrsg.), Vereint gegen Kriminalität, S. 231 (240 ff.); s. a. Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung.

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

einer Straßenlaterne ist nicht zu unterschätzen und zudem kostet sie weniger als eine Videoüberwachung. 74 Oftmals werden Parks als besonders gefährlich empfunden und entwickeln sich so zu Furchtorten. Auch hier hat sich gezeigt, dass durch Umgestaltungen den Parkanlagen der Makel des Furchtorts genommen werden kann. In übersichtlichen Parkanlagen ist das Sicherheitsgefühl zumeist höher als in dunklen, unübersichtlichen Anlagen. Dabei erwies sich neben der Verbesserung der Beleuchtung die Öffnung der Ränder der Parks zur angrenzenden Wohnbebauung, zu Läden und Straßencafés als ein erfolgreiches Mittel, in Parks das Sicherheitsgefühl zu erhöhen. 75 Die Parkanlangen sind übersichtlicher und die Nähe zu sich in den Cafés und Geschäften aufhaltenden Menschen nimmt die Furcht, denn dort stehen notfalls Hilfe und Schutz zur Verfügung. Außerdem kann auch der Verzicht auf die Anpflanzung hoher, die Sicht versperrender Sträucher zu mehr Übersichtlichkeit und damit zu einem höheren Sicherheitsgefühl beitragen. 76 Auch eine übersichtlichere Wegführung sowie Wegweiser, die eine leichtere Orientierung ermöglichen, können eine Reduzierung von Unsicherheitsgefühlen bewirken. 77 Neben Parks gelten U-Bahnstationen als besondere Furchtorte, als Orte mit einem besonders schlechten Ruf. Diese können auch durch eine übersichtlichere bauliche Ausführung – keine störende Mittelsäulen und dunkle Ecken – sowie durch die Installation von Notrufeinrichtungen besser gestaltet werden, so dass den Nutzern die Ängste genommen werden. 78 Hierbei zeigt sich besonders, dass das Sicherheitsgefühl verbessernde Maßnahmen oft nur eines Anstoßes bedürfen, woraus sich dann eine das Sicherheitsgefühl verbessernde Eigendynamik entwickelt: 79 Wenn mehr Bürger die U-Bahn auch nachts wieder benutzen, sind in den 73 Dabei sollte die Verbesserung der Beleuchtung nicht nur deshalb erfolgen, damit die Videokameras bessere Bilder machen können. So aber etwa beim Bielefelder Pilotprojekt, vgl. Bücking / Kubera, „Eine digitale Streifenfahrt...“, S. 125. 74 Dieses einfache Beispiel zeigt aber auch, wie leicht Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls mit gegenläufigen Interessen kollidieren können: So mag aus Sicht des Sicherheitsgefühls eine Ausweitung der Beleuchtung wünschenswert sein. Der Bewohner, vor dessen Haus die Laterne steht, fühlt sich aber dadurch gestört. Auch aus Umweltschutzgesichtspunkten – Laternen bedürfen Energie, deren Produktion Abgase produziert – und aus Naturschutzaspekten – die helle Erleuchtung der Städte stört Tiere – weisen Straßenlaternen Nachteile auf. 75 Vgl. dazu Schnittger / Schubert, in: Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 33 (44 f., s. a. 51). Vgl. Schubert, in: ders. (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 109 (111 f.). 76 Schnittger / Schubert, in: Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 33 (44 f); s. a. Kube, Der Bürger im Staat 1/2003, S. 65 (67). 77 Schnittger / Schubert, in: Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 33 (41 ff.). 78 Vgl. Kube, in: Albrecht (Hrsg.), Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht – Festschrift für Kaiser, S. 847 (856); ders., Der Bürger im Staat 1/2003, S. 65 (67).

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Stationen, aber auch in den U-Bahn-Zügen selbst mehr Menschen anzutreffen, was wiederum zur Stärkung des Sicherheitsgefühls führt. Eine weitere städtebauliche Möglichkeit, zur Stärkung des Sicherheitsgefühls beizutragen, bieten die Bauleitplanung und das Bauordnungsrecht. Die Kommunen können in detaillierten Bebauungsplänen grundsätzliche Vorgaben für den Häuserbau machen. So kann in den Bebauungsplan aufgenommen werden, dass die Häuserfronten so auszurichten sind, dass keine dunklen, unübersichtlichen Ecken entstehen. 80 Auch der Bau von Hochhäusern, in denen und in deren Nähe das Sicherheitsgefühl oft sehr niedrig ist, kann grundsätzlich durch Bauplanungsrecht verhindert werden. Dies ist insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass sich die informelle soziale Kontrolle und die Integration in die Nachbarschaft als ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Sicherheitsgefühlen erwiesen hat, 81 bedeutsam. 82 Die Art der Wohnbebauung kann zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls beitragen. Hochhäuser erhöhen die Anonymität; kleinere Gebäude, in denen sich die Bewohner kennen, sind – aus Sicht des Sicherheitsgefühls – geeigneter. Selbst bei größeren Anlagen kann durch eine interne Unterteilung der Gebäude ein engeres Nachbarschaftsgefühl gefördert werden. 83 Zur Errichtung einer solchen sicherheitsgefühlfreundlichen Bebauung können die Kommunen bauplanungsrechtliche Vorgaben machen und zudem auch auf den jeweiligen Bauherrn einwirken, beim Hausbau auch das Sicherheitsgefühl im Blick zu haben. Zudem zeigt sich in Innenstädten, dass der Leerstand von Geschäften sich negativ auf das Sicherheitsgefühl auswirkt. Hier können politische Einwirkungen und Appelle an die Eigentümer, für eine rasche Wiedervermietung – notfalls auch auf Kosten einer Minderung der Mieten – zu sorgen, positiv Einfluss nehmen. Eine ebenfalls erfolgreiche Form des Einwirkens und Unterstützens privater Kräfte, damit diese dem Sicherheitsgefühl zuträgliche Handlungen vornehmen, sind kommunale Dienste, die sich um eine schnelle Beseitigung von Graffiti bemühen. 84 Der Eigentümer eines von Graffiti verunstalteten Hauses kann den 79 Genauso wie das Gegenteil der Fall ist; fürchten sich einige Bürger und verzichten auf bestimmte Verhaltensweisen, werden Plätze und U-Bahnstationen menschenleerer, weshalb sich wiederum andere fürchten. S.o. 1. Kap. III.1. 80 Vgl. Schnittger / Schubert, in: Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 33 (51 f.). 81 S.o. 4. Kap. A.II.2.e). 82 Zu den Möglichkeiten durch städtebauliche Gestaltung die Kommunikation und Nachbarschaft zu fördern und so zu mehr sozialer Kontrolle beizutragen, welche wiederum Sicherheit und Sicherheitsgefühl verbessert, ausführlich Wahl / Hammesfahr, in: Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 133 (136 ff., insb. 142 f.). 83 Schnittger / Schubert, in: Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch Stadtgestaltung, S. 33 (54 ff.). 84 S.o. 1. Kap. B.II.9.

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

kommunalen Reinigungsdienst anfordern, der schnell und – da oftmals kommunal gefördert – finanziell günstig die Graffiti vom Haus entfernt. Dadurch wird der Kriminalitätsfurcht auslösende Zustand der „Unordnung“ wieder beseitigt und das Sicherheitsgefühl wieder verbessert. Allerdings sind auch städtebauliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls nicht immer ganz unproblematisch: Manche Maßnahmen bedingen – oder bezwecken gar – eine Privatisierung öffentlicher Räume, wodurch die soziale Kontrolle hergestellt werden soll. Vor dem Hintergrund der Ausrichtung des Grundgesetzes und der Demokratie auf die Freiheit ist dies bedenklich, geht doch mit der Privatisierung eine Ausgrenzung von Personengruppen, die als fremd und andersartig empfunden werden, einher. 85 2. Stärkung des Sicherheitsgefühls durch sozialstaatliche Maßnahmen Daneben bieten sozialstaatliche Maßnahmen eine weitere Möglichkeit, das Sicherheitsgefühl zu verbessern. Dabei lassen sich zwei grundsätzliche Ausrichtungen unterscheiden: zum einen Maßnahmen, die auf die Verursacher von Furcht ausgerichtet sind, und zum anderen solche, die auf die sich Fürchtenden abzielen. a) Sozialstaatliche Maßnahmen für Furchtverursacher Ein Ansetzen bei den Furchtverursachern geht von der Überlegung aus, dass es besser und letztlich erfolgreicher ist, die furchtverursachenden Probleme grundsätzlich zu lösen, statt sie nur aus dem Blick der Bürger zu verdrängen, statt nur ihre Sichtbarkeit zu beseitigen. So soll der Drogenabhängige nicht nur kurzfristig aus dem Stadtbild verdrängt werden, sondern seine Drogenabhängigkeit muss beseitigt werden. Bei Obdachlosen müssen die Ursachen für ihre Situation bekämpft werden. Auch die Schaffung und Unterhaltung von Einrichtungen – Drogenberatungsstellen, Jugendzentren –, in denen die Angehörigen der betreffenden Gruppen sich treffen und in denen sie sich aufhalten können, kann mehr zum Sicherheitsgefühl beitragen als repressive und verdrängende Maßnahmen. 86 Oftmals sind die Probleme mit „Randgruppen“ in Innenstädten sogar „hausgemacht“. So führte die Schließung so manch einer sozialen Einrichtungen im innerstädtischen Bereich und deren Verlagerung in abgelegene Stadtgebiete dazu, dass die neuen, nun abgelegenen Einrichtungen nicht mehr angenommen wurden und vielmehr 85

Ausführlich dazu Wehrheim, Die überwachte Stadt, S. 95 ff. Vgl. Hermann / Dölling, Kriminalprävention und Wertorientierung in komplexen Gesellschaften, S. 84. Dabei können solche integrierenden Einrichtungen auch in Kooperation mit der Polizei betrieben werden; vgl. dazu Behrendes, in: Pitschas, Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, S. 109 (129 ff.). 86

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die Fußgängerzone oder der Bahnhofsvorplatz zum neuen Anlauf- und Treffpunkt gewählt wurde. Allerdings muss bei solchen sozialstaatlichen Maßnahmen auch das Freiheitskonzept des Grundgesetzes berücksichtigt werden. So dürfen sie letztlich nicht gegen den Willen der Betroffenen erfolgen. Wer auf der Straße leben will, muss dies tun können. Dies ist Ausdruck seiner Freiheit, in die auch nicht durch soziale Maßnahmen eingegriffen werden darf. Eine Stärkung des Sicherheitsgefühls durch eine grundlegende Lösung der furchtverursachenden Probleme erfordert demnach kein repressives Tätigwerden, sondern ein soziales; fordert mehr Sozial- als Polizeiarbeit. 87 Dabei ist aber nicht zu leugnen, dass auch sozialstaatliche Maßnahmen, die auf die Beseitigung der Ursachen von Unsicherheitsgefühlen gerichtet sind, nicht immer Erfolg versprechen. So ist teilweise gar nicht klar, warum sich Menschen in einer bestimmten Weise verhalten, die – unbeabsichtigt – bei anderen Furcht verursacht. Und es herrscht erst recht Ungewissheit darüber, wie man ein solches Verhalten ändern kann. So lässt sich das Besprühen von Hauswänden und Zügen mit Graffiti durch Jugendliche vielleicht noch mit mangelndem Respekt gegenüber dem Eigentum, mit eigener Frustration und der Suche nach Anerkennung erklären. 88 Wie man diese Ursachen durch sozialstaatliche Maßnahmen aber abstellt und so Graffiti verhindert, ist – abgesehen von der Erkenntnis, dass sich der Hang zu illegalen Graffiti „rauswächst“ 89 – noch ziemlich unklar. 90 Dass Strafe allein nicht die richtige Lösung ist, dürfte aber mittlerweile klar sein. 91 Allerdings scheiterten auch Versuche, den Graffiti-Sprayern Flächen für ihre Graffiti zur Verfügung zu stellen, also Angebote zum legalen Sprayen zu bieten; verkannten sie doch, dass der „Reiz des Verbotenen“ ein wesentliches Motiv der Graffiti-Sprüher ist. 92 Allerdings scheint die Politik in letzter Zeit grundsätzlich stärker zu polizeilichen und nicht zu sozialen Lösungen zu tendieren, wie sich an den Kürzungen der staatlichen Zuschüsse für soziale Einrichtungen zeigt. 87 S.a. Zeiser, in: Pitschas, Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, S. 89 (90); Behrendes, in: Pitschas, Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, S. 109 (147). Dies gilt auch umso mehr seit dem Scheitern der „zero-tolerance-Bewegung“, woran sich gezeigt hat, dass Kriminalität einer komplexeren Befassung als nur unter Ordnungsaspekten bedarf. 88 Vgl. zu den Erklärungen, warum Jugendliche Graffiti „malen“ Rheinberg / Manig, Report Psychologie 2003, 222 (222 ff.). 89 So gibt es kaum illegale Sprayer, die älter als 21 Jahre sind, vgl. Rheinberg / Manig, Report Psychologie 2003, 222 (234). 90 So auch Eisenschmid, NJW 2005, 3033 (3033). 91 Abgesehen davon, dass das unter Strafestellen des Graffiti-Sprayens angesichts der Unbestimmtheit der entsprechenden Vorschriften § 303 Abs. 2 StGB und § 304 Abs. 2 StGB nicht unproblematisch ist. Vgl. zur Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot Wüstenhagen / Pfab, StraFo 2006, 190 (192 ff.). 92 Vgl. Rheinberg / Manig, Report Psychologie 2003, 222 (227 f.).

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4. Teil: Zusammenfassung, Ergebnis und Konsequenzen

b) Sozialstaatliche Maßnahmen für sich Fürchtende Die andere Möglichkeit, wie sozialstaatliche Maßnahmen zu einer Verbesserung des Sicherheitsgefühls beitragen können, sind Maßnahmen zugunsten der sich Fürchtenden. Da sich gezeigt hat, dass oftmals die soziale Lage, in der sich der Einzelne befindet, maßgeblichen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl – er kann finanzielle Einbußen nicht so leicht kompensieren – hat, 93 kann der Abbau der sozialen Probleme mittelbar zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls beitragen. 94 Daneben sind auch unmittelbarere sozialstaatlich motivierte Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls denkbar. Diese können etwa in dem Angebot von Selbstverteidigungs- oder Selbstbehauptungskursen 95 oder in der Einrichtung staatlicher Beratungsstellen bestehen, die über Möglichkeiten unterrichten, wie man sich beispielsweise vor Einbrüchen schützt. Auch im Unterhalt von Fluchteinrichtungen wie Frauenhäusern kann ein sozialstaatlicher Beitrag zur Stärkung des Sicherheitsgefühls liegen. Die bedrohten Frauen haben eine Anlaufstelle, bei der sie Schutz finden können, wodurch die Furcht vor dem Ausgeliefertsein gegenüber innerfamiliärer Gewalt gemindert werden kann. Schließlich ist im Hinblick auf das Sicherheitsgefühl auch immer zu beachten, dass Einschnitte in den sozialen Sicherungssystemen – unabhängig von der Frage ihrer aus anderen Gründen bestehenden Notwendigkeit und Berechtigung – mittelbar zu einer Verstärkung von Unsicherheitsgefühlen führen. 3. Kritik an städtebaulichen und sozialstaatlichen Maßnahmen Gegen solche städtebauliche und sozialstaatliche Maßnahmen zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls könnte allerdings der Faktor Zeit als Argument vorgebracht werden. Die beschriebenen städtebaulichen und sozialstaatlichen Maßnahmen wirken nur sehr mittelbar und es wird i. d. R. eine gewisse Zeit dauern, bis ihre Erfolge sichtbar werden und sich das Sicherheitsgefühl verbessert. Diese im Grundsatz berechtigte Kritik verkennt jedoch, dass auch die üblicherweise von der Polizei ergriffenen Maßnahmen zum Schutz des Sicherheitsgefühls – etwa die Verdrängung von Randgruppenangehörigen – ebenso nur mittelbar wirken und ebenfalls einer gewissen Zeit bedürfen, bevor sie Erfolge zeigen. Dies ist durch die Entstehungsursachen von Unsicherheitsgefühlen bedingt. 96 Sie entstehen durch die 93

S.o. 4. Kap. A.III.4. Hermann / Dölling, Kriminalprävention und Wertorientierung in komplexen Gesellschaften, S. 83. Zu den Zielgruppen von solchen auf das Sicherheitsgefühl ausgerichteten Maßnahmen Hermann / Dölling, Kriminalprävention und Wertorientierung in komplexen Gesellschaften, S. 81 f. 95 Ein Beispiel dafür bietet Zeiser, in: Pitschas, Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, S. 89 (93). 96 S.o. 4. Kap. B.I. 94

8. Kap.: Konsequenzen für die Polizei

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subjektiven Einschätzungen der eigenen Copingfähigkeiten, der Vulnerabilität und des Viktimisierungsrisikos, die durch äußere Faktoren beeinflusst werden. Das Sicherheitsgefühl wird primär durch innere, subjektive Faktoren gebildet. Die äußeren und damit durch staatliche Maßnahmen beeinflussbaren Faktoren wirken nur mittelbar über die subjektiven Einschätzungen der eigenen Copingfähigkeiten, der Vulnerabilität und des Viktimisierungsrisikos auf das Sicherheitsgefühl. So wie die Faktoren, die der Staat durch seine Maßnahmen beeinflussen kann, nur mittelbar wirken, kann daher auch der Staat durch seine Maßnahmen das Sicherheitsgefühl auch nur mittelbar beeinflussen; unabhängig davon, ob es Maßnahmen der Polizei oder Maßnahmen des Sozialamtes sind. Eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls wird stets seine Zeit brauchen. Schnell geht es auf keinen Fall. Wieder zeigt sich, dass das Sicherheitsgefühl in erster Linie eine emotionale, subjektive Größe ist und sich nur schwer durch äußere – seien es polizeiliche, seien es andere – Maßnahmen positiv beeinflussen lässt. In letzter Konsequenz müssen die meisten Überlegungen und Pläne zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls ihre Grenzen in der Freiheit des Einzelnen finden. Das Sicherheitsgefühl steht in Konkurrenz zum Freiheitsgedanken des Grundgesetzes, muss letzterem aber – wie oben aufgeführt – untergeordnet bleiben. Es muss letztlich der Freiheit, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, ein höherer Rang eingeräumt werden als dem an sich noch so berechtigten Wunsch des Bürgers, sich „richtig“ sicher zu fühlen, und sei dies auch noch so erstrebenswert. Konkret kann dies bedeuten, dass alle Mittel des Rechtsstaates den Punk nicht von seinem Standort vertreiben können und der „Normalbürger“ dies – auch unter Inkaufnahme eines unguten Gefühls – hinzunehmen hat. Das ist der Preis der Freiheit, in einer Demokratie und einem Rechtsstaat zu leben.

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Sachverzeichnis Alkohol- und Bettelsatzung 27 ff., 176 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 190 ff. Annexaufgaben 253 ff. Annexbefugnisse 257 Aufenthaltsverbot 29 f., 177 Bedrohung 182 ff. Bestimmtheitsgebot 261 ff., 273 Betteln 27 ff., 176, 270 Bindungstheorie 222 f. Bundeswehr, Einsatz im Innern 42, 280 f. Copingfähigkeiten, Einschätzung der 115 f. Demokratie 156 ff., 203 f. – als Rechtsgut 156 – als Staatsform der Freiheit 174 f., 271 – als Volksherrschaft 166 f., 173 f. – Demokratieverständnis des Grundgesetzes 156 ff. – Voraussetzungen der Demokratie 166, 180 f. Diffuse Lebensängste 129 DNA-Massentest 34 f., 238

– als Voraussetzung der Demokratie 174 f., 267 f. – politische Freiheit 158, 174 Freiheit der Person, Grundrecht auf 199 f. Freiheit von Furcht 182 ff. – als Rechtsgut 182 ff. – Gewährleistungsumfang des Grundrechts 205 ff. – Grundrecht auf Freiheit von Furcht 186 ff. – Herleitung des Grundrechts 187 ff. Freiheit zur Andersartigkeit 168, 173, 271 Friedenspflicht 66 ff., 144 Furcht – irreale Furcht 207 – reale Furcht 207 – übersteigerte Furcht 209 Furcht vor Risikotechnologien 211 ff. Furchträume 106, 286 Fuß- und Fahrradstreife 32 f., 278 ff.

Ermächtigungsgesetz 160 ff. Ermittlungsgeneralklausel der StPO 236 ff. Erwartungssicherheit 89 ff. Europäische Menschenrechtskonvention 193 f. Ex-post-facto-Gesetze 189 f. Existenzminimum 202, 248

Gated communities 154 ff. Gehlen, Arnold 82 Gesamtheit grundrechtlicher Gewährleistungen 200 f. Gewaltenteilung 157 f., 160, 163 Gewaltkriminalität 97, 105 f., 108 f., 110 f., 114 ff., 283 Gewaltmonopol 66 ff., 144 ff., 152 ff. Grundrecht auf Sicherheit 142 ff. Grundrechte als Abwehrrechte 143 ff.

Fear of crime siehe Kriminalitätsfurcht Freiheit

Hitler, Adolf 158 ff., 248 Hobbes, Thomas 59 ff., 149 f.

Sachverzeichnis Informelle soziale Kontrolle 126 f. Informationshandeln 122 f., 281 ff. Integration in die Nachbarschaft 125, 287 Individualrechtsgüter 135 f. Jellinek, Georg 147 Kaufmann, Franz Xaver 85 Körperliche Unversehrtheit, Recht auf 198 f. Kriminalitätsfurcht 94 ff. – als Untersuchungsgegenstand 94 ff. – Standardfrage zur Operationalisierung 96 ff. Kriminalitätsfurchtparadox 112 ff. – Erklärungsmodelle 112 ff. Kriminalitätswahrnehmung – medial vermittelte 120 ff. – staatlich vermittelte 122 ff. Locke, John 63 ff., 189 Luhmann, Niklas 89 f. Lukaschenko, Alexander 161 ff. Medien 120 ff. Mehrheitsherrschaft 168, 172 f. Mehrparteienprinzip 158 Menschenwürde 194 ff. Minderheitenrechte 172 f. Nachstellen 182 f., 272 Naturzustand 59 ff., 62 f., 63 ff., 149 Neighborhood-watch 36 f. Obdachlose siehe Randgruppenangehörige Objektschutz 42, 279 Objektive Gefährdungslage 99 ff. Öffentliche Sicherheit 135 ff. – als Rechtsgüterschutz 140 Opfererfahrung – direkte 117 f. – indirekte 119 f.

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Ordnungspartnerschaften 36 Ordnungswidrigkeiten 231 ff. Parlamentarismus 157 f., 162 Platzverweis 29 Polizei – Aufgaben der Polizei 133 ff. Polizeiliches Schutzgut 134, 260 ff. Pufendorf, Samuel 61 ff. Punks siehe Randgruppenangehörige Randgruppenangehörige 23, 27 ff., 37, 44, 154, 175 f., 185, 225, 230 f., 240, 267, 270 ff. Rasterfahndung 42 f., 233 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 73 ff., 141 Rechtsgüter – des Einzelnen 136 f. – des Staates 137 f. Rechtsordnung 138 ff. Ressourcenverteilung 239 f. Reversibilität politischer Entscheidungen 170, 174 Risikoeinschätzung, persönliche 112 f. Risikovorsorge 212 Schutzpflicht, grundrechtliche – Gesamtheit der Schutzpflichten 146 ff. – Herleitung 71 f. – Umfang der Schutzpflichten 146 f., 187 f., 249 f. Schutzgut öffentliche Ordnung 217 f. Schutzgut öffentliche Sicherheit 135 ff. Selbstschutz 45, 153 f. Sicherheit – als eigenständiges Rechtsgut 141 ff. – als gesellschaftliche Konstruktion 84 ff. – als Staatsaufgabe 57 ff., 68 ff., 73 ff., 78 ff. – als Verweisungsbegriff 141

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Sachverzeichnis

– gesellschaftliches Verständnis von Sicherheit 81 ff. – Grundrecht auf Sicherheit 142 ff. – Relativität von Sicherheit 83 f. – Verhältnis von objektiver zu subjektiver Sicherheit 94 f., 99 ff. – zeitliche Dimensionen von Sicherheit 86 f. Sicherheitsdienste, private 34 f., 49, 152 ff., 179, 280 f. Sicherheitsgefühl – als eigenständiges Rechtsgut 140 f. – als Rechtsnorm 261 ff. – als Staatsaufgabe 57, 80 ff. – Definition 18 ff. Sicherheitswacht 36, 280 f. Soziale Desorganisation 124 Sozialnormen 222 ff. sozialstaatliche Maßnahmen 288 ff. Sozialstaatsprinzip 72, 87, 202 f., 243 ff. Staat siehe Staatlichkeit Staatlichkeit – als Rechtsgut 147 ff. – Definition 147 ff. Staatsaufgaben – Bedeutung 51 f. – Definition 53 ff., 69 – Herleitung 56 f. – Kategorien 53 f. – Notwendige Staatsaufgaben 53 f. – Wandel der Staatsaufgaben 76 f. Staatsgebiet 149 Staatsgewalt 152 ff. Staatsvertrag 59 ff., 67, 149 f. Staatsvolk 149 ff. Städtebauliche Maßnahmen 285 ff., 290 f. Stadtwache 33 Stalking siehe Nachstellen Strafverfolgung – als Aufgabe der Polizei 231 ff.

Strafverfolgungsmaßnahmen 38 ff., 231 ff., 253 ff. Streifenfahrt 32, 274 ff. Terrorismus 41 ff. – Angst vor Terrorismus 129 Terrorismusbekämpfung 41 ff. Unübersichtlichkeit des öffentlichen Raums 128 ff., 285 f. Verbringungsgewahrsam 30 ff., 177 Verdacht i.S.d. StPO 232 ff. Vermeideverhalten 45, 176, 179, 215, 246, 250, 255, 269 Versammlung 225 ff. – als Provokation 228 f. – Furcht verursachende Versammlungen 225 ff., 265 f., 267 – „rechte“ Versammlungen 226 Versammlungsfreiheit als kommunikatives Grundrecht 226 Videoüberwachung 24 ff., 141, 178, 286 Viktimisierungswahrscheinlichkeit 100 ff. Volkssouveränität 140 Volkswille 157 Vulnerabilität, Einschätzung der 113 ff. Wahrnehmung von Verfall und Unordnung 127 Weber, Max 58, 66 Weimarer Republik 158 ff., 248 Werteordnung 71 Wertvorstellungen des Grundgesetzes 221, 224 Wohnungseinweisung 244, 252 Wohnungsverweisung 244 f., 252 Zeichen der Normlosigkeit 128