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German Pages 238 Year 1971
Schriften zum Strafrecht Band 12
Das Problem der Tötungshemmung beim Mörder Zur Psychologie des Mordes
Von
Stefan Lullies
Duncker & Humblot · Berlin
STEFAN LULLIES
Das Problem der Tötungshemmung beim Mörder
Schriften zum Strafrecht Band 12
Das Problem der Tötungshemmung heim Mörder Zur Psychologie des Mordes
Von
Dr. Stefan Lullies
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1971 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
© 1971 Duncker
ISBN 3 428 02368 4
Vorwort Die Anregung zu dieser Arbeit erhielt ich von meinem sehr verehrten Lehrer, Professor Dr. Dr. h. c. Paul Bockelmann. Ihm danke ich für sein Interesse, das er mit wertvollen Hinweisen dem Zustandekommen dieser Untersuchung entgegengebracht hat. Außerdem bin ich der Stiftung Volkswagenwerk zu Dank verpflichtet, da sie mir für die Zeit der Befragung im Zuchthaus S. ein Stipendium gewährt hat. München, im September 1970
Stefan Lullies
Inhaltsverzeichnis Einleitung
13
Erster Teil Theoretische Grundlegung
Erstes Kapitel: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung 1. Grundbegriffe................................................
2. 3. 4. 5.
6. 7.
a) "Triebe" .................................................. b) "Instinktbewegungen" - "Taxien" ........................ c) "Angeborene auslösende Mechanismen" (AAM's) .......... d) "Appentenzverhalten" .................................... Intraspezifische Aggression und Tötungshemmung ............ Vorläufige Kritik der Erkenntnisse und Thesen der Verhaltensforschung und ihre Anwendbarkeit auf menschliches Verhalten Vorläufige Zusammenfassung ................................ Die Besonderheit des einerseits praktischen, andererseits nur vorgestellten Handelns beim Menschen im Vergleich zum Tier und die Bedeutung dieser Besonderheit für die aTH bzw. das Phänomen der Rückkopplung ................................ Ist Töten überhaupt Auswirkung der Aggression oder muß ein besonderer Todestrieb angenommen werden? ................ Zusammenfassung in Thesen (aTH) ..........................
21 21 21 21 22 22 22 27 31 32
34 39 43
Zweites Kapitel: Kulturhistorische und ethnologische überlegungen: Tötete der Mensch der Frühzeit Artgenossen ohne aTH? Wie ist dies heute bei den Primitivstämmen? ................................ 44 1. Prähistorische Funde ........................................ 2. Vergleich mit heute noch lebenden Primitivstämmen .......... 3. Eine kulturhistorische Theorie . ...............................
44 45 46
Drittes Kapitel: Psychologische überlegungen ..........................
47
1. Sigmund Freud
2. 3. 4. 5. 6.
Kritik an Freud Peter Gast ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Bjerre .............................................. Weitere Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung in Thesen (eTH) ..........................
48 50 50 51 54 56
8
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil Die einzelnen Täter
59
Erstes Kapitel: Wichtige Merkmale auf Grund der Lektüre von 35 Strafakten .......................................................... 59 Zweites Kapitel: Schemata der Befragungen und der Einzeldarstellungen; Methodik der Fragen und der Auswertung der Antworten ........ 62 1. Schema der Befragungen in S ................................ 2. Schema der Einzeldarstellungen .............................. 3. Methodik der Fragen und der Auswertung der Antworten ....
62 62 63
Drittes Kapitel: Die 9 ausführlich befragten Täter.. ..... ...... .. ... .. ..
66
I. Der Täter A .................................................... 66 1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 67 2. Die Tat ...................................................... 68 3. Psychologisches Gutachten .................................... 69 4. Psychiatrisches Gutachten 70 5. Die Befragung des A in S .................................... 71 6. Beurteilung .................................................. 84 a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten .. 84 b) Die aTH .................................................. 87 c) Die eTH .................................................. 87 d) Zusammenfassung ........................................ 89 90 91
11. Der Täter B ................................................... . 1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 2. Die Tat ..................................................... . 3. Gutachten 4. Die Befragung des B in S .................................... 5. Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten .. b) Die aTH .................................................. c) Die eTH .................................................. d) Zusammenfassung ........................................
93 94 102 102 104 105 108
111. Der Täter C .................................................... 1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 2. Die Tat ........................................... .. .......... 3. Gutachten .................................................. 4. Die Befragung des C in S .................................... 5. Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten .. b) Die aTH ..................................................
108 109 110 111 111 120 120 121
92
Inhaltsverzeichnis
9
c) DieeTH 123 d) Zusammenfassung ........................................ 124 IV. Der Täter D .................................................... 125 Lebenslauf und Vorgeschichte . . .............................. Die Tat ...................................................... Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Befragung des D in S ......... . .......................... Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten .. b) Die aTH .................................................. c) Die eTH .................................................. d) Zusammenfassung ........................................
125 127 127 129 141 141 141 143 144
V. Der Täter E .................................................... 1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 2. Die Tat ...................................................... 3. Gutachten.................................................... 4. Die Befragung des E in S .................................... 5. Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten .. b) Die aTH .................................................. c) Die eTH ....................... . .......................... d) Zusammenfassung ........................................
145 145 146 146 147 156 156 157 159 160
VI. Der Täter F .................................................... 1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 2. Die Tat ...................................................... 3. Gutachten ............................. . ...................... 4. Die Befragung des F in S .................................... 5. Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten " b) Die aTH .................................................. c) Die eTH .................................................. d) Zusammenfassung ........................................
160 160 162 163 163 169 169 171 172 172
VII. Der Täter G .................................................... 1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 2. Die Tat ...................................................... 3. Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Die Befragung des G in S .................................... 5. Beurteilung .......................................... . ....... a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten " b) Die aTH .................................................. c) Die eTH .................. . ............................... d) Zusammenfassung ................................ . .......
173 173 174 175 175 179 179 180 182 182
1. 2. 3. 4. 5.
10
Inhaltsverzeichnis 183
VIII. Der Täter H
1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 183
2. 3. 4. 5.
Die Tat ...................................................... Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Befragung des H in S .................................... Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten .. b) Die aTH .................................................. c) Die eTH .................................................. d) Zusammenfassung ........................................
IX. Der Täter I
185 185 185 190 190 191 192 193
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193
1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 194
2. 3. 4. 5.
Die Tat ...................................................... Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . .. Die Befragung des I in S .................................... Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten .. b) Die aTH .................................................. c) Die eTH .................................................. d) Zusammenfassung ................... ;....................
195 196 196 200 200 201 202 203
Viertes Kapitel: Die 3 kurz befragten Täter ............................ 203
X. Der Täter J
.................................................... 203
1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 204
2. 3. 4. 5.
Die Tat ...................................................... Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Befragung des J in S .................................... Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation .................. b) Die aTH .................................................. c) Die eTH .................................................. d) Zusammenfassung ........................................
205 209 209 210 210 211 213 213
XI. Der Täter K .................................................... 213 1. Lebenslauf und Vorgeschichte ................................ 214
2. 3. 4. 5.
Die Tat ...................................................... Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Befragung des K in S ..............................••.•.• Beurteilung .................................................. a) Allgemeine psychologische Interpretation .................. b) Die aTH .................................................. c) Die eTH .................................................. d) Zusammenfassung ........................................
214 215 217 217 217 218 219 220
Inhaltsverzeichnis
11
220
XII. Der Täter L
1. Lebenslauf und Vorgeschichte ........... . .................... 220
2. 3. 4. 5.
Die Tat ...................................................... Gutachten .................................................... Die Befragung des L in S .................................... Beurteilung .......................................... . ....... a) Allgemeine psychologische Interpretation .................. b) Die aTH ............................ . ..................... c) Die eTH .................................................. d) Zusammenfassung ........................................
221 222 223 223 223 223 226 226
Dritter Teil Seblu8folgerongen
227
Llteraturverzeichnls
235
Abkürzungen TH
Tötungshemmung
aTH
genetisch verankerte, angeborene TH
eTH
individuell erworbene TH
AAM
angeborener auslösender Mechanismus
Einleitung Was in dieser Arbeit unter Tötungshemmung verstanden wird, soll folgendes Beispiel von Lorenz veranschaulichen1 : Wenn man eine Salatpflanze aus dem Boden sticht und den Salat kopf zerlegt, denkt man nicht daran, ein Lebewesen zu zerstören bzw. zu töten; auch beim Erschlagen einer Fliege hat man nicht unbedingt ein besonders geartetes Tötungsbewußtsein, man beseitigt nur einen Störenfried. Anders wird dies bereits, wenn man einen Frosch tötet: Man muß sich nun schon überlegen, wie man ein gewisses Allergieempfinden überwindet, wie man mit der größtmöglichen Wirksamkeit und Schnelligkeit, gleichsam unbeteiligt, den Frosch "tötet". Noch stärker bemerkbar macht sich der innerer Wiederstand, wenn es gilt, etwa ein Meerschweinchen, eine Katze einen Hund oder einen Schimpansen vom Leben zum Tode zu befördern. Aus di~sem Beispiel läßt sich eine Relation ablesen: Mit zunehmender Menschenähnlichkeit des Objektes, gegen das sich die Tötungshandlung richtet, wächst eine Scheu, diese Handlung auszuführen. Diese Scheu wird hier "Tötungshemmung" genannt. Bei der Tötung eines Menschen lassen sich nun eine ganze Reihe verschiedener Indizien für das Vorhandensein einer Tötungshemmung aufzählen: Der Nichtmörder kommt im Alltagsleben und selbst in gewissen Krisensituationen gar nicht erst auf den Gedanken, einen anderen Menschen zu töten; wenn er von einer Mordtat hört, erschrickt er; wenn der Nichtmörder dennoch die Tötung eines anderen Menschen erwägt, eine Tötung womöglich ins Stadium der Planung treten läßt, so erfaßt ihn eine allgemeine Angst, der Plan wird verworfen; in unmittelbarer Tatnähe, falls dies Stadium doch noch erreicht wird, kommt es zu Mißtrauen in die eigene Kraft, Nervosität, Ekel, Mitleid mit dem Opfer und schließlich zu einer akuten Kraftlosigkeit, so daß schließlich die Tat nicht ausgeführt werden kann oder zumindest nach dem ersten kraftlosen Erheben der Hand gegen das Opfer ein weiteres Tötungshandeln nicht mehr möglich ist. Letzteres gilt jedoch - dafür spricht jedenfalls viel - nur bei direkter Konfrontation des Tötenden mit dem Opfer, wobei die Tötungshandlung eine gewisse Dauer in Anspruch nehmen muß. Dies ist z. B. beim Erwürgen der Fall, nicht aber beim Erschießen und bei ähnlich distanzierten Begehungsweisen. 1 K. LOTenz, Das sogenannte Böse (weiterhin zitiert als LOTenz b» S. 342.
Zur Naturgeschichte der Aggression
Einleitung
14
Die Annahme anderer Bedingungen, also einer fehlenden, defekten oder momentan nicht eingreifenden Tötungshemmung beim Mörder, mag es sich nun um eine angeborene oder individuell erworbene Tötungshemmung handeln, liegt nahe, da sich unzählige Menschen in Krisensituationen befinden, die den Krisensituationen derer, die dann eine Tötung begehen, sehr ähnlich sind. Auch in ihrer psychischen Bedingtheit können Mörder auf den ersten Blick Nichtmördern sehr ähnlich sein. Dennoch begehen Nichtmörder in einer ähnlichen Krisensituation und bei ähnlicher psychischer Bedingtheit keine Tötung. Dies läßt zunächst den Schluß zu, daß beim Nichtmörder im Ernstfall eine Tötungshemmung wirksam wird, während der Mörder überhaupt erst deshalb töten "kann", weil bei ihm ein entsprechender Hemmungsmechanismus nicht funktioniert. In dieser Arbeit soll nun einerseits nach dem Ort und dem Funktionieren einer Tötungshemmung beim Nichtmörder und andererseits nach den Bedingungen eines womöglich anderen Sachverhalts beim Mörder gefragt werden. Um dies ermitteln zu könnnen, muß die Problematik in mehrere Einzelfragen aufgegliedert werden. Als Überblick seien hier folgende Hauptpunkte genannt: 1. Beruht die Tötungshemmung (TH) beim Nichtmörder auf einem an-
geborenen, d. h. genetisch verankerten Mechanismus (aTH)?
2. Beruht die TH auf einem individuell erworbenen! Mechanismus (eTH)? 3. Verfügt der Nichtmörder über beide Formen, also sowohl eine aTH
als auch eine eTH?
4. Können aTH und eTH zusammen wirksam werden oder stehen sie
zueinander im Verhältnis der Ausschließlichkeit?
5. Welcher Unterschied besteht für das Inaktiontreten der beiden For-
men aTH und eTH, je nachdem, ob die Tötung eines bestimmten Menschen a) nur theoretisch erwogen und geplant wird, b) bereits mit der praktischen Ausführung begonnen werden soll bzw. begonnen wird? Kann es sein, daß die aTH in erster Linie für den Fall b) und die eTH in erster Linie für den Fall a) in Aktion tritt?
6. Welches sind die Bedingungen beim Mörder dafür, daß Planung
und vor allem Durchführung der Tat doch möglich sind, d. h. fehlen
Gedacht wird hier in erster Linie an eine Hemmung aus dem von so benannten "Über-Ich" - vgl. u. Teil I, Kap. 3 -, nicht so sehr an eine nur vernunftmäßige TH. !
s. Freud
Einleitung
15
bei ihm aTH oder eTH oder sogar beide Formen oder sind sie wenigstens defekt? 7. Gibt es Fälle von Tötungen, auf die eine aTH gar nicht zugeschnitten ist und solche, bei denen eine eTH nicht oder nicht voll wirksam wird? 8. Welche Funktion kommt dem Opfer insbesondere für das Wirksamwerden einer aTH zu? Diese Fragen, insbesondere die Frage nach einer genetisch bereits verankerten aTH, wurden mitbestimmt von den Gedanken und Ergebnissen der neueren Verhaltensforschung', die bei Tieren für viele Verhaltensweisen bereits angeborene Koordinationen festgestellt hat. Zwar werden die Ergebnisse der Tierverhaltensforschung von einer weit verbreiteten Meinung', besonders von vielen Humanpsychologen, als auf den Menschen nicht vergleichend anwendbar bezeichnet. Aber schon hier läßt sich sagen, ohne Teil I, der diese Problematik noch ausführlicher behandelt, vorzugreifen, daß es auf dem Hintergrund der Stammesgeschichte der Arten, an der ja auch die spezies Mensch teilgenommen hat und immer noch teilnimmt, nicht zulässig erscheint, den Menschen ganz aus diesen Bedingungen ausklammern zu wollen5 • Auch beim Menschen lassen sich noch eine Reihe von stammesgeschichtlichen Anpassungen in Form von Erbkoordinationen, angeborenen Auslösemechanismen, Auslösern, inneren Antriebsmechanismen und angeborenen Lerndispositionen nachweisen, und zwar gerade auf dem Gebiet des sozialen Verhaltens·. Als angeborene innere Antriebsmechanismen seien der Spiel-, Sammel-, Jagd- und Sexualtrieb7 genannt; als sogenannte Instinkhandlungen - bereits beim neugeborenen Kind - der Suchautomatismus (rhythmisches Suchen der Mutterbrust), Handgreifreflexe und verschiedene Körperschutzbewegungen und Lautäußerungen 8 • Später kommen dazu noch Ausdrucksbewegungen wie Lächeln und Schreiweinen (Ruf der Verlassenheit) und das Zornverhalten'. 3 Als Beispiele seien hier nur die Arbeiten von LOTenz, v. Holst, Leyhausen und Eibl-EibesfeZdt genannt. 4 Vgl. Eibl-Eibesfeldt zu dieser Problematik S. 391, mit weiteren Literaturangaben. 5 LOTenz, Vergleichende Verhaltensforschung (weiterhin zitiert als LOTenz S. 15. 8 Eibl-Eibesfeldt S. 448 f. 7 Vgl. Eibl-Eibesfeldt S. 441. 8 Eibl-Eibesfeldt S. 393 ff.; so unterscheiden sich z. B. in den ersten drei Lebensmonaten die Kinder taubstummer Eltern nicht in ihren Lautäußerungen von Kindern hör- und sprechbegabter Eltern. e Eibl-Eibesfeldt S. 394
a»
Einleitung
16
Darüber hinaus ist anzunehmen, daß in vielen weiteren Verhaltensformen angeborene Verhaltenskoordinationen zusammen mit erlerntem Verhalten zum Ausdruck kommen, die wir nur bisher noch nicht als solche Mischform erkennen. Das liegt vor allem daran, daß die unendliche Vielzahl der menschlichen Einzelhandlungen bislang noch nicht katalogisiert und wiederum in Einzelbestandteile zerlegt worden ist. Genauere vergleichende Analysen fehlen heute noch weitgehend. Ein Anfang wurde kürzlich von Eibl-Eibesfeldt mit Hilfe von Zeitrafferfilmen und ähnlichen Methoden gemacht1o• Auf jeden Fall würde man also eine wesentliche Dimension des Problems "Tötungshemmung" übergeben, wenn man nicht zunächst versucht, nach einer aTH zu fragen. Ebenso muß aber auch nach einer eTH gefragt werden, da der Mensch bei seiner Geburt zwar bereits auf Grund seiner Stammesgeschichte in vieler Hinsicht bedingt ist, jedoch kraft seiner Fähigkeit zu "lernen" gerade während seiner ersten Lebensjahre Eindrücke seiner Umwelt, insbesondere von den ihn zunächst umgebenden Personen, aufnimmt, aufnehmen muß, die wiederum neue Bedingungen für sein Handeln schaffen. Allerdings vollzieht sich diese Neuaufnahme immer schon im Rahmen der genetisch verankerten Bedingungen, d. h. es entsteht wahrscheinlich nicht ein bestimmtes neues Verhaltens-"Programm", völlig getrennt von dem bereits genetisch festgelegten Verhaltensprogramm; vielmehr ist anzunehmen, daß das neue Programm in Koppelung mit dem genetisch verankerten entsteht und weiter wächstl l • Demnach sind Handlungsabläufe grundsätzlich mittelbar Ergebnisse beider Programme, während unmittelbar entweder das eine oder das andere Programm federführend wirksam ist. Was sich in dem Programm, das individuell erworben wird, niederschlägt, wird zu den Informationen und Wirkkräften des Psychischen. Dabei gehört zu den Informationen und Wirkkräften des Psychischen natürlich auch der von S. Freud so benannte Bereich des "Es", der als Bereich der Triebe wiederum gleichzusetzen wäre mit den genetisch bereits verankerten Antrieben und Verhaltenskoordinationen. Freud selbst bezeichnet den Bereich des "Es" als all das, was bei der Geburt bereits mitgebracht sei; dazu gehörten insbesondere die aus der Körperorganisation stammenden Triebeu. In dieser Arbeit muß dieser Bereich also unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten gesehen werden, je nachdem, ob unter dem Aspekt der 10 U
12
ebd. S. 400 n. Vgl. Leyhausen S. 135. S. Freud XVII, S. 7 ff.
Einleitung
17
Verhaltensforschung nach der aTH gefragt wird oder unter dem Aspekt der Psychologie im engeren Sinn nach einer eTH. Erst wenn also die Fragen der TH beim Nichtmörder in ihrer Vielschichtigkeit geklärt sind, können die besonderen Bedingungen beim Mörder untersucht werden. Zur Definition ist noch zu sagen, daß der Begriff "Mörder" nicht im Sinne der strafrechtlichen Terminologie gebraucht wird, da hier der Unterschied "Mörder" - "Totschläger" nicht von Belang ist13 • Außerdem wurden in dieser Abhandlung Triebtäter im engeren Sinn 1" Geisteskranke und Täter im Rahmen kriegerischer Handlungen -mit einer Ausnahme - nicht untersucht. Für künftige entsprechende Arbeiten empfiehlt es sich jedoch, vor allem auch geisteskranke Täter mit einzubeziehen; bei ihnen gelten zum Teil zwar andere Bedingungen, aber gerade das Nichtfunktionieren einig~r normaler Mechanismen könnte eine günstige Versuchsvoraussetzung sein, um aus - an der Norm gemessenen - Fehlhandlungen Schlüsse für die Annahme oder Ablehnung einer aTH zu ziehen. Beim Triebtäter dürfte der Trieb so übermächtig sein, daß zumindest für die Aktualisierung einer aTH und auch einer eTH besondere Bedingungen gelten. Aber gerade auch aus dieser Besonderheit können wiederum Rückschlüsse möglich sein, da es bei der Spontannatur der lustbetonten Tötungshandlung interessant zu erfahren wäre, ob selbst im Vollzug der Tötungshandlung vom Opfer noch Signale auf den Täter treffen, die als Auslösungsmomente für das Inaktiontreten eines Hemmungsmechanismus den Täter spontan bei der Durchführung seiner Tat - wenn auch letztlich nicht endgültig wirksam - hemmen. Das wäre dann als Indiz für das Vorhandensein einer aTH zu werten, die allerdings von einem übermächtig starken, lustbetonten Antrieb überwunden wird. Das hier zur Diskussion stehende Problem der TH beim Mörder konnte erst konkret untersucht werden, als der Verfasser vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz die Erlaubnis erhielt, im Zuchthaus S. Mörder bzw. Totschläger zu befragen. Leider wurde diese Erlaubnis auf die Befragung von 9 Tätern beschränkt. Im Rahmen der Tätigkeit bei einem Strafverteidiger in München hatte der Verfasser jedoch außerdem die Gelegenheit, in S. weitere Mörder, deren Akten ihm bekannt waren, persönlich kennenzulernen und zu befragen. Der Befragung der Täter war das Studium der Strafakten von 35 Mördern vorausgegangen. Unter diesen befanden sich auch die Akten der in S. explorierten Täter. Die Akten enthielten, von Ausnahmen 13 14
den.
Vgl. hierzu auch Steigleder S. 20. Unter Triebtätern im engeren Sinn werden hier die Sexualtäter verstan-
2 Lullles
18
Einleitung
abgesehen, jeweils auch psychiatrische und psychologische Gutachten, deren Erkenntnisse für diese Arbeit mit herangezogen wurden. Für die Befragung in S. wurde ein Fragebogen mit 161 Fragen entwicke}t15, der als Richtschnur diente. Die Befragung der einzelnen Täter dauerte jeweils zwischen 7 und 14 Stunden. Der Fragebogen wird am Anfang des zweiten Teils noch näher erläutert. Dabei muß zur Systematik der Fragen und zur Auswertung der Antworten schon hier kurz auf mehreres hingewiesen werden: Soweit das Vorhandensein und die Besonderheiten einer aTH untersucht werden sollten, ergab sich das Problem, daß man beim Menschen nicht die Möglichkeit des "KasparHauser-Versuchs" hat; d. h. ein Tier kann man sofort nach der Geburt separieren und getrennt von seinen Artgenossen und sonstigen Tieren aufziehen. Damit hat man die Voraussetzung, zu untersuchen, ob sich bei den unter Erfahrungsentzug aufwachsenden Tieren Verhaltensweisen zeigen, die mit Verhaltensweisen der übrigen Artgenossen, die in Gemeinschaft aufgewachsen sind, übereinstimmen. Hat man dies festgestellt, so kann man daraus den Schluß ziehen, daß verschiedene Verhaltenskoordinationen bereits genetisch verankert sind, da das separierte Tier ja nicht von anderen Artgenossen ein bestimmtes Verhalten "lernen" konnte. Beim Menschen, der von vornherein in der Umwelt seiner Familie oder anderer Menschen aufwächst, ist es daher auf den ersten Blick gar nicht möglich, zu bestimmen, ob eine Verhaltensweise auf angeborenen Koordinationen beruht oder individuell erworben wurde. Hier kann man nur aus sogenannten Fehlhandlungen und aus einer Hypothese einen Schluß auf angeborenes Verhalten ziehen, der Hypothese nämlich, daß angeborene Verhaltensweisen automatischer, unreflektierter, gleichförmiger und, bei einer gewissen Gestimmtheit und einer spezifischen auslösenden Situation, vorausberechenbar ablaufen, während dies für erlernte Verhaltensweisen nicht in diesem Maß gilt. Ein Teil der an die Täter gerichteten Fragen beruht also darauf, solche Fragen zu stellen und Modellsituationen vorzuführen, aus deren Beantwortung je nach Art und Inhalt Schlüsse auf entweder angeborenes oder erlerntes Verhalten gezogen werden können. Eine Hauptfehlerquelle ist jedoch darin zu sehen, daß streng genommen nicht "Verhalten" beobachtet werden konnte, sondern auf dem verbalen Umweg vorgegangen werden mußte. Dies ist, um zu wissenschaftlich haltbaren Ergebnissen zu kommen, eine denkbar ungünstige Ausganssituation. Nur soweit in Beispielen nach vergangenem Verhalten gefragt wurde, etwa danach, wie der Täter sich früher in Schlägereien verhalten habe, kann die jeweilige Antwort. als Abbild früheren Verhaltens U
Die Fragen ergeben sich aus dem zweiten Teil.
Einleitung
19
gewertet werden. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß einerseits die damalige Situation nie mehr ganz genau rekonstruierbar ist, und daß auch das jeweilige Verhalten der Bezugspersonen kaum detailliert vom Befragten dargestellt werden kann. Dazu kommt noch, daß die Erinnerung den Befragten trügen kann oder daß er bewußt Korrekturen vornimmt. Bis zu einem gewissen Grad kann man auch aus Antworten auf Fragen nach potentiellem zukünftigen Verhalten "praktisches Verhalten" ablesen, da in solchen Antworten vergangenes Verhalten mit Eingang finden kann. Dies Problem wird auf S. 34 f., insbesondere auf S. 64 f. noch eingehend behandelt. Oftmals haben die Fragen, die auf eine aTH abzielen, gleichzeitig die Aufgabe, im psychologischen Bereich, also für erlerntes Verhalten, Informationen zu liefern, da naturgemäß viele Fragen und Modelle mehrere Dimensionen haben. Im psychologischen Bereich wurde nicht nur die Methode der reinen Exploration angewandt, sondern manchmal auch der Versuch einer psychoanalytischen Deutung unternommen. Dies geschah vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der Frage nach einer aTH, um eventuell Antriebe zu ermitteln, die sich am Handlungsbild selbst nicht ablesen ließen. Damit sollte erkannt werden, ob ein Antrieb und ein ihm entsprechendes Verhalten, dem sonst in bestimmten Fällen ein Hemmungsmechanismus korrespondiert, bei näherem Zusehen von einem anderen Antrieb und entsprechendem Verhalten überlagert wurde, dem in der gegebenen Situation kein genetisch verankerter Hemmungsmechanismus zu korrespondieren pflegt. Als Beispiel sei genannt: Aggression gegenüber einem Artgenossen, die normalerweise, bevor sie zum tödlichen Ausgang führt, durch einen - hier noch nicht näher zu beschreibenden - Mechanismus gehemmt wird. Diese Hemmung tritt aber eventuell nicht in Aktion, wenn das Handeln des "Täters" in erster Linie von einer Art Selbsterhaltungstrieb bestimmt ist, dessen Beteiligtsein man der Handlung und der Situation zunächst gar nicht ansehen würde. Die psychoanalytischen Versuche erheben keinen Anspruch auf letzte Gültigkeit, da dem Verfasser für sorgfältige Einzelanalysen zu wenig Zeit zur Verfügung stand; so wurden u. a. die Träume nicht nach der an sich notwendig anzuwendenden Methode der freien Assoziation analysiert. Nach den obigen Einschränkungen zeigt sich bereits, daß diese Arbeit nur den Anstoß zu weiteren Untersuchungen geben kann. Dabei müßten dann die einzelnen Fragen des Themas nochmals untergliedert werden; vor allem aber müßte man differenziertere Untersuchungsmethoden,
20
Einleitung
weitgehend unter Ausschaltung der verbalen Methode, entwickeln. Aufzubauen wäre z. B. auf den Versuchen von Milgram 18 , auf die im weiteren Verlauf noch eingegangen wird. Außerdem müßte eine weit größere Anzahl von Tätern und auch eine entsprechende Kontrollgruppe von Nichtmördern untersucht werden. Diese Arbeit will kein statistisch auswertbares Material vorlegen. Es wurde vielmehr versucht, bereits aus den Antworten eines jeden Täters Hinweise auf seine besondere, die TH bedingende Struktur zu ermitteln. Erst in zweiter Linie wurde ein Vergleich der einzelnen Täter und ihrer Antworten im III. Teil als Erkenntnismaterial für die Beantwortung der Themafrage herangezogen.
18 Bei den Versuchen von Milgram handelte es sich um Untersuchungen über die Bedingungen des Autoritätsgehorsams, bei denen sich auch höchst interessante Ergebnisse über Aggression und Rückkoppelung, d. h. Kommunikation zwischen Lehrer (Täter) und Lernendem (Opfer) herausstellten.
ERSTER TEIL
Theoretische Grundlegung Erstes Kapitel
überlegungen aus der Tierverhalteusforschung 1. Grundbegriffe
Die Tierverhaltensforschung hat ermittelt, daß es bei Tieren Bewegungsabläufe gibt, die sich nach einem starren Muster richten, wobei die Tiere diese Bewegungsabläufe nicht von ihren Artgenossen ler.nen müssen. Indem man nämlich Tiere sofort nach ihrer Geburt separierte und allein in Käfigen aufzog1, ihnen also nicht die Möglichkeit des "Lernens" gab, konnte man feststellen, daß bei diesen Tieren spezifische Bewegungsabläufe erfolgten, die auch den Artgenossen, die in Gemeinschaft aufwuchsen, eigen sind. Als Beispiele seien Balzbewegungen und Nestbaubewegungen genannt. Weiterhin fand man, daß solche sogenannten "Instinktbewegungen" nicht Reaktion auf einen Außenreiz sind, sondern aus sich heraus auf Grund eines propriozeptorischen Reizes, d. h. eines inneren eigenen Antriebes, beginnen und nach einem bereits genetisch festgelegten Koordinationsschema ablaufen. Hier müssen nun zunächst einige Grundbegriffe erklärt werden:
a) "Triebe" Unter Trieb ist eine spezifische Antriebskraft zu verstehen, deren Produktion rhythmisch-automatisch erfolgt und zu inneren Spannungszuständen führt, die von sich aus, ohne äußeren Anlaß, zur Entladung drängen!. Die Entladung erfolgt in der Regel in Instinktbewegungen.
1 Sog. "Aufzucht unter Erfahrungsentzug" : LOTenz, über tierisches und menschliches Verhalten (weiterhin zitiert als LOTenz e» S. 612. 2 Leyhausen S. 71.
1. Teil:
22
Theoretische Grundlegung
b) "Instinktbewegungen" -
"Taxien"
Von den Verhaltensforschern werden heute unter den arterhaltenden Bewegungsvorgängen zwei grundsätzlich, d. h. physiologisch voneinander getrennt, unterschiedenI: Die auf endogenen Reizerzeugungsvorgängen beruhenden Automatismen, für die allein Lorenz den Ausdruck "Instinkthandlungen'" anwendet, und andererseits angeborene Orientierungsreaktionen, die von steuernden Außenreizen abhängig sind. Sie werden "Taxien" genannt. Nach Lorenz ist das Wesentliche, was bei der Taxis angeboren ist, nicht wie bei der Instinkthandlung eine "Bewegungs"-Norm, sondern eine Norm des "Reagierens auf Außenreize", die in allen bisher exakt analysierten Fällen aus einem System bereitliegender Reflexe besteht5 • c) "Angeborene auslösende Mechanismen" (AAM's)
Diesem System bereitliegender Reflexe kommt noch eine andere Funktion zu, nämlich die "Auslösung" angeborener Verhaltensweisen in bestimmten Situationen, in denen sie ihren biologischen Sinn erfüllen. Dieser Funktionsträger wird "angeborenes auslösendes Schema'" bzw. "angeborener auslösender Mechanismus"7 (AAM) genannt. Das Wort Schema soll kennzeichnen, daß die AAM's nur prägnante Merkmale einer Situation aufnehmen und diese auch vereinfacht an die entsprechende Stelle im Zentralnervensystem weitergeben. Noch deutlicher wird dies, wenn man die AAM's als Schablonen8 bezeichnet. d) "Appetenzverhalten"
Unter Appetenzverhalten versteht man ein zweckgerichtetes Verhalten, dessen Ziel in einer eine Instinkthandlung auslösenden Reizsituation liegt'. Nachdem hiermit einige Hauptbegriffe eingeführt sind, muß noch näher auf die AAM's eingegangen werden, da diese für die vorliegende Arbeit von besonderer Wichtigkeit sind. Durch die AAM's werden nämlich nicht nur die Triebhandlungen ausgelöst, sondern auch andersa 4
5 8 7
8
g
Lorenz a) S. 19. "Instinkt" definiert LaTenz c) S. 463 als "aktionsspezifische Erregungsart" . ebd. Larenz a) S. 19. Leyhausen S. 49. ebd. S. 60. LaTenz a) S. 32.
1.
Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
23
artige Reaktionen, nämlich Steuerungsmechanismen (Taxien s.o.) und Hemmungen. Damit, so sagt Leyhausen, bestimmen AAM's im Bereich des sozialen Lebens der Tiere nicht nur, was getan wird, sondern auch, wann was nicht getan werden darfto . Um dies genauer zu verstehen, müssen mehrere Formen von AAM's voneinander unterschieden werden11 : a) AAM's, die auf bestimmte Schlüsselreize ererbtermaßen eingestellt sind. b) AAM's, bei denen ein gewisser Rahmen bereits genetisch vorgegeben ist, bei denen aber erst eine genauere "Prägung" erfolgen muß. e) AAM's, die nicht aus sich eine Instinkthandlung auslösen können, da erst aus dem Verhalten der alten Tiere gelernt werden muß, welches Objekt eine Instinkthandlung auslösen soll. Im einzelnen ist dazu folgendes auszuführen: Zu a) Bei diesen AAM's stehen prägnanten, einfachen Reizen der Umwelt angeborene rezeptorische Korrelate gegenüber. Dabei reagiert diese Form von AAM's nicht auf Komplexqualitäten bzw. Gestalten, sondern auf einzelne Merkmale einer Reizkombination, die zusammen eine Summe ergeben. Läßt man im Versuch nämlich einige Merkmale weg, indem man z. B. eine Atrappe herstellt, die nur einige wenige Merkmale der Reizsumme enthält, so wird damit doch im AAM der entsprechende Schlüsselreiz ausgelöst. Für diese AAM's gilt also das Gesetz der "Reizsummenwirkung"tz. Hiervon streng zu unterscheiden ist das Reagieren auf Komplexqualitäten, das gerade nicht angeboren ist, sondern erst in Form bedingter Reaktionen erworben werden mußt!. Dieser Unterschied wird sich im weiteren Verlauf der Arbeit noch als bedeutsam herausstellen. Zu b) Diese AAM's sind gleichsam noch nicht genau genug konturiert, sie müssen erst bei jedem einzelnen Individuum nach der Geburt in jeweils bestimmten Zeitabschnitten präzisiert, d. h. durch eine Art Lernvorgang auf das richtige Objekt "geprägt"t' werden. Trifft ein für die Schablone möglicher Reiz auf den AAM, so ist er damit ein für alle Mal geprägt; es kann nicht mehr "umgelernt" werden. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Die junge Graugans betrachtet jeden großen, dunkLeyhausen 5. 60. ebd. 5. 134. 1! Lorenz a) 5. 44. 13 ebd. 14 Vgl. auch Kretschmer 5.107, der das Phänomen der Prägung auch beim Menschen in bestimmten Entwicklungsphasen annimmt. 10
11
1. Teil:
24
Theoretische Grundlegung
len und bewegten Körper, den sie nach dem Schlüpfen aus dem Ei erblickt, als "Mutter" und folgt ihm bedingungslos15 • Versucht man die obigen Erkenntnisse nun auf das menschliche Verhalten anzuwenden, so wäre das nur zulässig, wenn man wenigstens in einigen Versuchen ein Verhalten nachweisen könnte, das z. B. das Vorhandensein des unter a) näher dargestellten AAM voraussetzen würde. Wolfgang Schmid und Leyhausen konnten nun am Beispiel des menschlichen Lachens und der menschlichen Imponier- und Drohbewegungen zeigen, daß auch das unmittelbare Ausdrucksverständnis der Reizsummenregel unterworfen seile. Daraus schließt Leyhausen, daß auch der Mensch für eine Reihe mimischer und pantomimischer Bewegungen ein angeborenes Verständnis, d. h. AAM's habel7 • Außerdem lassen sich eine Anzahl von Handlungen feststellen, die durch ihre bei allen Menschen wiederkehrende Gleichförmigkeit "beweisen", daß es sich um Instinktverhalten handelt. Als Beispiele seien nur die folgenden Verhaltensweisen genannt: Kleinkinder weichen vor großen dunklen Gegenständen aus, sie zeigen Angstreaktionen gegenüber bestimmten Lauten. Kommen Menschen in größerer Anzahl z. B. in einen Schlafsaal oder in ein Gefangenenlager, so belegt jeder als erstes sein Bett, grenzt seinen noch so kleinen eigenen Raum ab, den er gegen jeden Eingriff von anderen verteidigt18• In bestimmten Situationen zeigen alle Menschen ein mehr oder minder starkes Zornverhalten 19 • Nun können die Säugetiere einzelne Glieder verschiedener Instinkthandlungen miteinander verbinden und so völlig neue Bewegungsabläufe erfinden20 • Dabei spielt das Lernenkönnen eine entscheidende Rolle. Dies gilt natürlich in ganz besonderem Maß für den Menschen, so daß an seinen Handlungen in den meisten Fällen gar nicht das Zugrundeliegen eines bestimmten Instinktes zu erkennen ist. Würde man aber die menschlichen Handlungen als von einem abstrakten Willen gesteuert ansehen, so würde man eine Instanz setzen, die physiologisch und auch stammesgeschichtlich ohne Korrelat wäre. Man kann also als Wille definieren das Mit- und Gegeneinander der Triebe, die durch AAM's, in die auch Prägung und Lernen Eingang gefunden haben, ausgelöst werden. Beim Menschen kommt dabei dem aus Lernen entstandenen Element des Kombinierens ein besonders großer, überformender Anteil zu. 15 18 17 18 18
20
Lorenz a) S. 44 (Das Beispiel wurde wörtlich übernommen). Leyhausen S. 50.
ebd. ebd. S. 125. ebd. S. 73. ebd. S. 59.
1.
Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
25
Leyhausen ist mit Lorenz und Tinbergen der Meinung, daß die gesamte spontane Aktivität der Tiere (einschließlich der Menschen) auf der endogenen Rhythmik zentraler Erregungsprozesse beruhe21 . In diesem Zusammenhang ist jedoch noch wichtig, daß beim Tier und - so muß mit Sicherheit angenommen werden - auch beim Menschen den einzelnen Instinktbewegungen bestimmte Erregungsvorgänge zugeordnet sind. Allerdings stünden - so sagt Leyhausen - die den einzelnen Instinktbewegungen zugeordneten Erregungsvorgänge nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bildeten ein sich wechselseitig ausbalancierendes System, in dem die Stärkung oder Schwächung eines Anteils in gesetzmäßiger Weise die Beziehungen aller anderen beeinflußt22 • Dies bedeutet aber auch die Möglichkeit eines gestörten Gleichg~ wichts der Erregungsvorgänge und stellt einen wichtigen Ansatzpuukt für die Frage nach der Korrespondenz Aggression - Hemmung dar, da es denkbar wäre, daß ein einer Instinktbewegung zugeordneter Erregungszustand hypertroph ist, so daß er zur Entladung drängt, während andere Instinktbewegungen, die über die zugehörigen AAM's in einer entsprechenden Situation normalerweise ausgelöst werden müßten, insbesondere ihnen entsprechende Hemmungen, übergangen werden. Ein bestimmter Grad der Instinktstauung kann beim Tier auch zur "Reaktion am Ersatzobjekt" führen, während im Normalfall die AAM's dafür sorgen, daß eine Enthemmung, d. h. ein Abströmen der Instinktenergie nur im biologisch richtigen Moment erfolgtu. Bei dieser Gelegenheit muß noch das sogenannte "übersprungverhalten"24 erläutert werden. Bisher wurde die Übersprungsbewegung folgendermaßen definiert: "Eine bereits ausgelöste spezifische Instinktenergie (ein ,Drang') wird durch innere oder äußere Faktoren am Ablauf in den ihr eigentümlichen autochthonen Bewegungsbahnen verhindert und sucht sich einen Ausweg in allochthonen Bewegungsbahnen, die normalerweise der Abreaktion anderer aktionsspezifischer Energien di enenl!5." Leyhausen möchte statt "übersprungsbewegung" den Begriff "Alternativbewegung" einführen, da er folgende Unterscheidung für notwendig hält: Aktivierte Dränge könnten, wenn ihre Eigenmotorik nicht betätigt werden könne, andere so fördern oder ihre Auslöseschwelle !I
21 !3 24
25
ebd. S. 132. ebd. ebd. S. 133. Kretschmer S. 106 hat dies Phänomen auch beim Menschen beobachtet. Leyhausen S. 133.
1. Teil: Theoretische Grundlegung
26
so weit senken, daß diese jetzt motorisch aktiv würden. Wenn dies zu einer Beseitigung des der ursprünglichen Instinktbewegung entgegenstehenden Hindernisse führe bzw. zu einer ihr günstigeren Situation, so sei das sekundär aktivierte Verhalten "Appetenzverhalten" (s. o. S. 22) zu nennen; sei dies nicht der Fall und scheine das Verhalten somit nicht in die Gesamtsituation zu passen, so sei es "Übersprung" oder eben besser Alternativbewegung zu nennen. Dabei könnten proprio- wie exterozeptorische Reize die auf diese Weise "fremdaktivierten" Bewegungen teilweise mitbestimmen". Auch diese Möglichkeit der Alternativbewegung stellt einen interessanten Aspekt dar, unter dem gerade die Tötungshandlung und die Frage der aTH näher untersucht werden kann. Eine Lebenssituation kann nämlich durchaus so sein, daß über längere Zeit hin eine Triebhandlung nicht aktiviert, d. h. ausgelebt werden kann. Die Tötung kann dann zwar kein sekundär aktiviertes Verhalten sein, aber doch eine "Übersprungs"- bzw. Alternativbewegung. Da diese Alternativbewegung ihren Antrieb. zum Teil aus einer "steckengebliebenen" Instinktenergie erhält, der eventuell keine über einen AAM wirkende Hemmung für die entsprechende Situation korrespondiert, ist für eine so fremd aktivierte Tötungshandlung denkbar, daß eine Tötungshemmung gar nicht erst ausgelöst wird. Nun bilden sich bei den Säugetieren und wohl auch beim Menschen "Verspannungssysteme" von Trieben, d. h. es findet eine Organisierung der Triebauslösung statt, die beim Menschen noch durch eine bewußtverstandesmäßige Situationsverarbeitung unterstützt wird. Ein intaktes Verspannungssystem macht so den Kern der reifen Persönlichkeit ausl!7. Ein solches System kann seine Form aber nur bis zu einer gewissen Grenzsituation bewahren!8; Fehlfunktionen sind also erst recht da zu erwarten, wo ein intaktes Verspannungssystem nicht ausgebildet wurde. Dies kann dadurch bedingt sein, daß die feineren Merkmale der AAM's zu Ausfällen neigen. Ausfälle können dabei so weit gehen, daß genau umschriebene Eindrucks- und Wertblindheiten entstehen!9. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß bei einzelnen Tätern in den psychiatrischen Gutachten eine Vergröberung des dritten Ventrikels festgestellt wurdeso; das könne - so meinten viele Neurologen und Psychiater bis vor kurzem - zur Folge haben, daß es nicht zu einer differenzierten Gemütsausbildung komme. Seit neuestern wird diese ebd. S. 87 f. ebd. S. 70. !8 ebd. S.103 (Dort ist allerdings von "Koordinationssystemen" die Rede). 29 ebd. S. 68. 30 Vgl. die Ergebnisse der letzten neurologischen und psychiatrischen Kongresse. 18
!7
1.
Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
27
Auffassung jedoch nicht mehr vertreten. Man kann also wohl nicht annehmen, daß die entsprechenden "sozialen" AAM's im Bereich des dritten Ventrikels irgendwie repräsentiert oder durch eine besondere Formung desselben beeinträchtigt würden. Eine Parallele zwischen "vergröbertem dritten Ventrikel" und "kaum differenzierten entsprechenden AAM's" muß also nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft abgelehnt werden". Auf dem Hintergrund dieser Ausführungen können nun die spezielleren Gedanken von Lorenz, die er in seinem Buch "Das sogenannte Böse" zur intraspezifischen Aggression und zur Tötungshemmung entwickelt hat, behandelt werden. 2. Intraspezifiscbe Aggression nnd Tötungshemmung
Lorenz untersucht in diesem Buch dasjenige Verhalten der Tiere, das aus dem Aggressionstrieb resultiert bzw. diesen in Erscheinung treten läßt, insbesondere jedoch das Aggressionsverhalten innerhalb der eigenen ArtM. Wichtig ist dabei, welche Schlüsse Lorenz für das menschliche Verhalten zieht. Lorenz stellt zunächst fest, daß der Aggressionstrieb als spontaner, originärer Trieb im Tier wie im Menschen angelegt sei und ständig auf Entladung ziele. Entscheidend für die Themafrage sind die Grenzen der Aggression, die Lorenz beim tierischen Verhalten gefunden hat. Er meint, intraspezifische Aggression gehe beim Tier normalerweise immer nur bis zu dem Punkt, an dem ihr eine Hemmung entgegengestellt werdellll • Intraspezifische Aggression werde beim Tier, von Ausnahmen abgesehen, durch das Eingreifen eines instinktiven Hemmungsmechanismus verhindert. Signale für das Eingreifen der Hemmung bzw. das Einstellen der Aggressionshandlung seien die sogenannte Demutsgebärde des angegriffenen Tieres oder ähnliche Verhaltensweisen34 • Analog sei dies normalerweise auch beim Menschen, indem auch bei höchster aggressiver Erregung ein Mensch dem anderen nur so viel zufüge, daß dieser am Schluß "windelweich. daliegt". So könne sich das Überlegenheits31 LaTenz c) S. 484 f. meint: "Was die Psychopathologie als Gemütsarmut und als Wertblindheit bezeichnet, beruht ganz sicher auf genetischen Grundlagen und sehr wahrscheinlich auf dem Ausfall ethischer und ästhetischer Beziehungsschemata." Diese Aussage muß also weiterhin hypothetisch bleiben. 3! LaTenz b) S. 38; vgl. auch UnTuh S. 25 f. und BTückneT S. 79 f., deren Ausführungen aber zu ungenau sind und sich nicht an den Erkenntnissen der Tierverhaltensforschung orientieren. 33 LaTenz b) S. 164. " ebd., S. 196
28
1. Teil: Theoretische Grundlegung
oder Siegesgefühl des einen über den anderen hinreichend ausleben 35 • Ebenso seien beim Menschen Demutsgebärden zu beobachten, die auf Seiten des Aggressors die Ausführung der Aggressionshandlung in sich zusammensinken lassen. Für die Entstehung und das Wachsen von Aggresivität wird Freud von Lorenz zitiert, der gesagt hat, auch der Mangel an sozialem Kontakt, vor allem sein Verlorengehen (Liebesverlust) gehöre zu den stark begünstigenden Faktoren der Aggressivität. Wenn nun beim Menschen dem Aggressionstrieb die Möglichkeit zum Abreagieren entzogen worden sei - so sagt Lorenz - könne der Schwellenwert der Reizauslösung bis auf Null sinken". In Situationen, in denen der Stau der Aggression wegen fehlender Objekte gesteigert werde, entlade er sich gegen die ganz aufeinander Angewiesenen37 • Lorenz meint, beim Menschen übernähmen die Riten, Umgangsformen und z. B. der Flirt die Rolle, gegen die Aggressivität zu opponieren, sie in unschädliche Kanäle zu lenken. Jene Riten, die im Laufe der Geschichte menschlicher Kulturen entstanden seien und entstünden, sieht Lorenz nicht in der Erbmasse verankert. Vielmehr müßten diese durch Tradition weitergegeben und von jedem Individuum neu erlernt werden38 • Insoweit befindet sich Lorenz in übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht der Psychologen. Jedoch kann bei manchen Mördern festgestellt werden, daß sie durchaus, z. B. durch Flirt, Aggressivität ablenken; insofern sind diese dem Nichtmörder ähnlich. Man muß deshalb annehmen, daß sich nur Teilquanten vorhandener Aggressivität bei ihnen "unschädlich" entladen, während sich der Hauptanteil staut. Wenn nun Aggression einem gewissen Stau unterliege, sich also Aggressivität entwickle, so könne der unvorhersehbare Ausbruch nicht mehr durch die üblichen Hemmungen in den normalen Bahnen gehalten werden. Normalerweise komme es, falls kein Ziel vorhanden sei, zu einem "Übersprungsverhalten" - vgl. oben S. 25 f. Beispiele eines solchen Verhaltens seien das plötzliche Rauchen, das Sich-über-die-Stirn-fahren u. ä.39 • So spricht man auch in der Psychologie die Mordtat u. a. unter dem Gesichtspunkt des Übersprungsverhaltens an40 • ebd., S. 75. ebd. S. 88. 31 ebd. 18 ebd. S. 108 ff. 38 ebd. S. 118. 40 Vgl. Kretschmer S. 106 u. S. 156, der die besondere Rolle des übersprungverhaltens bei Kriminellen betont. 35
36
1. Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
29
Es läßt sich nun folgende Beziehung aufstellen: Einer auf Entladung hinzielenden angestauten Aggression, die über eine niedere Reizschwelle ausgelöst werden kann, muß ein besonders hohes Maß an Hemmung entgegengesetzt werden, wenn es zu keinem negativen Erfolg kommen soll. Dies bedeutet, daß ein Mensch in einem solchen Fall über eine zusätzliche Energie verfügen muß. Wenn nun jemand ohnehin ständigen Belastungen von außen ausgesetzt ist, so wird es verständlich, wenn die an sich schon unter normalen Umständen notwendige Energie auf Grund der Überbeanspruchung langsam verbraucht wird und dann im entscheidenden Moment nicht mehr in dem erforderlich erhöhten Quantum zur Verfügung steht. Lorenz ist der Auffassung, daß die Selektion dem Menschen in grauer Vorzeit ein Maß von Aggressionstrieb angezüchtet habe, für das er in seiner heutigen Gesellschaftsordnung kein adäquates Ventil finde. Nicht ausgelebte Aggressionstriebe führten aber bekanntlich zu Psychopathien und Neurosen41 • In diesem Zusammenhang sei bereits jetzt darauf hingewiesen, daß bei sämtlichen vom Verfasser untersuchten Tätern in den für sie erstellten psychiatrischen und psychologischen Gutachten eine mehr oder minder starke Psychopathie festgestellt wurde. Bisher wurden hauptsächlich die Verhaltensweisen geschildert, die auf an sich intakten Trieben und AAM's beruhen. Es gibt aber auch genetisch bereits bedingte Störungen und noch nicht vollzogene Anpassungen der AAM's an neue Umweltbedingungen. Lorenz spricht hier von "Störmechanismen"4t. Er zählt unter diesem Gesichtspunkt folgende Erscheinungen auf: a) b) c) d)
Die deplazierte Reaktion Inadäquanz angeborener Reaktionsnormen Erfindung von Waffen Pathologische Erbänderungen
Zu a) Die deplazierte Reaktion kommt dadurch zustande, daß eine bestimmte, auf eine sehr spezifische, arterhaltende Funktion zugeschnittene, auf endogener Reizproduktion beruhende Verhaltensweise ihres normalen Anlasses beraubt ist, so daß nun die Kumulation aktionsspezifischer Energie zu ihrem Hervorbrechen in einer völlig inadäquaten Reizsituation führt'3. Zu b) Angeborene Reaktionsnormen sind manchmal deshalb nicht mehr adäquat, weil die den Einzelnen umgebenden Menschen im Laufe der Stammesgeschichte vielfach anonym geworden sind. U
42 43
LaTenz b) S. 364. LaTenz c) S. 481 ff. ebd. S. 481.
1. Teil: Theoretische Grundlegung
30
Zu c) Die Erfindung von Waffen hat beim Menschen das feine Gleichgewicht zwischen Tötungsfähigkeit und den angeborenen Tötungshemmungsmechanismen gestört. Das Opfer, das von weitem mit einem Ge:" wehrschuß getötet werden soll, kann keine Signale (Demutsgebärden u. dgl.) aussenden, welche beim Täter auf Auslöser treffen, die das Erschießen hemmen. Der Hemmungsmechanismus war ursprünglich darauf eingerichtet, daß der Täter die Tat langsam mit der eigenen Hand ausführen mußte. In diesem Fall hatte das Opfer die Möglichkeit und auch die Zeit, entsprechende hemmungsauslösende Gebärden und Töne zu produzieren, die von entsprechenden AAM's des Täters aufgenommen und "verstanden wurden". Die soeben genannten drei Störmechanismen beruhen darauf, daß angeborenes arteigenes Verhalten konservativ und "unbelehrbar" ist und sich deshalb den in der Geschichte der Menschheit neuen Gegebenheiten nicht oder nicht rechtzeitig anpaßt44 • Zu d) Zu pathologischenErbänderungen schließlich kann es auf Grund domestikationsbedingter Veränderlichkeit kommen. Domestikationserscheinungen treten dann auf - dies kann man deutlich bei der Entwicklung der Haustiere ablesen45 - , wenn die angeborenen Verhaltenskoordinationen nicht mehr in vollem Umfang benötigt werden, da Nahrungssuche, Verteidigung und sonstige Verhaltensweisen, die in der freien Wildbahn notwendig waren, überflüssig geworden sind. Die mit spezifischer Aktionsenergie besetzten Triebe sind aber noch vorhanden. Was nun verkümmert, sind die AAM's, d. h. die Schablonen vergröbern, so daß das Tier nicht mehr in einer und nur einer Weise auf Umweltsignale reagiert. Es kommt auf diese Weise zu Verkümmerungen des spezifischen angeborenen Verhaltens. Beim Menschen haben sich die Verhältnisse während seiner Stammesgeschichte entscheidend geändert. Besonders wichtig wurden als verändernde Faktoren die Erfindung von Werkzeugen und die Sprache. So sagt Lorenz in anderem Zusammenhang", das begriffliche Denken habe dem Menschen mit der Wortsprache die Möglichkeit der Weitergabe überindividuellen Wissens gegeben. Dies habe in seinen Lebensbedingungen so schnelle und umwälzende Änderungen bewirkt, daß die Anpassungsfähigkeit seiner Instinkte an diesen Änderungen gescheitert sei. Auf diese Weise ist es zu einer ganzen Reihe von Domestikationserscheinungen gekommenc7 • Als domestikationsbedingt in dem eben aufgezeigten Sinn bezeichnet Lorenz vor allem auch bestimmte patho44 45 48 47
ebd. S. 484.
Eibl-Eibesfeldt S. 200 ff. Lorenz b) S. 358. Lorenz c) S. 466 ff.
1.
Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
31
logische Vermehrungen des aggressiven Verhaltens sowie die sogenannte Geltungssucht; beiden liege eine domestikationsbedingte Hypertrophie der entsprechenden endogenen Reizproduktion zugrunde48 • Für diesen speziell pathologischen Störungsmechanismus sei es kennzeichnend, daß die vernunftmäßige Moral ihn nicht zu kompensieren vermöge4'. 3. Vorläufige Kritik der Erkenntnisse und Thesen der Verhaltensforschung und Ihre Anwendbarkeit auf menschliches Verhalten
An manchen Gedanken der Verhaltensforschung, soweit sie Schlüsse auf das menschliche Verhalten zieht, insbesondere an den entsprechenden Thesen von Lorenz, wurde vielfach Kritik geübt50 • Der Haupteinwand richtet sich gegen die Annahme von Lorenz, der Mensch sei immer noch weitgehend abhängig von seinen Trieben und AAM's, diese seien nur teilweise verkümmert. So meint Kiinzler, der Mensch könne auf Grund seiner Denkfähigkeit und seines Vermögens, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen, unabhängig von irgendwelchen Instinkten agieren; früher einmal vorhandene Instinkte seien durch die zunehmende Denkfähigkeit und Autonomie des Geistes abgelöst worden und daher restlos verkümmert. Künzler übersieht dabei zweierlei: Einerseits, daß auch heute noch beim Menschen autonome spontane Antriebe genetisch verankert sind, die an der von Künzler postulierten Autonomie des Geistes sehr zweifeln lassen. Vielmehr weiß der "Geist" oft gar nicht, daß und wann seine Operationen auf genetisch verankerten Antrieben beruhen und teilweise von AAM's bestimmt oder mitbestimmt werden. Andererseits übergeht Künzler auch die Rolle der AAM's, die man als Bedingungen möglicher Aktionen und Umweltreaktionen des soeben geborenen Menschen voraussetzen muß. Es wird in diesem Zusammenhang nochmals daran erinnert, daß verschiedene Verhaltensweisen des Säuglings und verschiedene Formen des Ausdrucks- und Eindrucksverhaltens als genetisch verankert angesehen werden müssen, da der Mensch sonst gar nicht lebensfähig wäre. Schließlich beobachtete man Kinder beim Spielen, wie sie - ohne dies gelernt zu haben - untereinander eine Rangordnung aufbauen, wie sie sich bei Ringkämpfen und Indianerspielen "ergeben" und um Gnade flehen, und so - unbewußt ernstere Verletzungen vermeiden. 48 48
50
ebd. S. 485. ebd. Künzler S. 1 ff., als der vielleicht strengste Kritiker.
1. Teil: Theoretische Grundlegung
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Daß sich dann auf Grund der sehr offenen, d. h. nur mehr wenig differenzierten AAM's beim Menschen eine weitgehende Freiheit entwickelt, daß Lernenkönnen den Verhaltenskatalog ausweitet, ja zwangsläufig vom kombinierenden Geist neue Verhaltensweisen entwickelt werden, soll keinesfalls geleugnet werden. Lorenz sagt selbst51 , es gehe in den allermeisten Fällen der erste aktive Impuls vom Ansprechen angeborener auslösender Schemata und ererbter Triebe aus; dazu komme dann z. B. im Falle des sozialen Verhaltens noch das moralische vernunftmäßige Ge- oder Verbot. Es sei sogar auf Schritt und Tritt ein zusätzlicher Ansporn eines "du sollst" oder "du sollst nicht" erforderlich. Wo jedoch trotz völliger Einsicht in eine bestimmte lebensnotwendige Situation unaufhaltsam das der Vernunft Zuwiderlaufende geschehe, da sei so gut wie immer die Auswirkung des vernünftigen Denkens durch übermächtige angeborene arteigene Aktions- und Reaktionsweisen blockiert6l!. 4. Vorläufige Zusammenfassung
Für die weitere Bearbeitung des Themas kann man die bisherigen Ausführungen nunmehr zusammenfassen und bereits Anhaltspunkte für eine überhaupt nicht vorhandene, eine defekte oder eine momentan nicht eingreifende aTH feststellen. 1. Der Mensch steht nach der Meinung der Verhaltensforscher grundsätzlich noch unter der spontanen Antriebsdynamik verschiedener genetisch verankerter Triebe; zu diesen Trieben gehört auch die Aggression.
2. Die AAM's haben beim Menschen - wenn man von Ausnahmen beim Säugling, im Rahmen sozialen Verhaltens (s. u. 6.) und in einigen anderen Fällen absieht - weitgehend ihre genauen Konturen verloren. Es handelt sich um Schablonen, die auf fast alles passen. Der Mensch braucht also in sehr vielen Fällen nicht mehr zwangsläufig in vorformulierter Weise zu handeln. Sein Verhalten ist in vielen Situationen nicht mehr "programmiert". 3. Da die meisten AAM's - soweit noch vorhanden - einerseits sehr offen sind, andererseits noch gewisse grobe Konturen haben und in bestimmten Situationen ansprechen wollen, besteht die Möglichkeit des Mißverständnisses: Eine innere Antriebssituation oder eine äußere Signalsituation läßt also für einen AAM eventuell mehrere Möglichkeiten der Auslösung zu. Dabei kann der AAM wegen der mehreren auf seine Schablone passenden Faktoren einer Reizsumme eine biologische 51 5!
LOTenz c) S. 486.
ebd. S. 481.
1.
Kap.: Überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
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Innen- oder Außensituation falsch verstehen und im Extremfall eine Tötungshandlung auslösen, obwohl eine ganz andere Lösung die biologisch richtige gewesen wäre. 4. In den meisten Fällen ist es dem Lernvermögen und dem kombinierenden Verstand des Menschen überlassen, seine Umwelt aufzufassen und zu verstehen, in ihr jeweils individuell neuartig zu agieren, seine inneren Antriebe in von anderen Menschen erlernte und in neu kombinierte Verhaltensweisen umzusetzen und auf äußere Signale in neuer, gerade nicht durch AAM's vorformulierte Weise zu reagieren. Dabei entwickelt sich aber das erlernte bzw. neu kombinierte Verhaltensprogramm höchstwahrscheinlich doch in Kopplung mit dem genetisch verankerten Verhaltensprogramm, da die AAM's zumindest als die Bedingungen möglichen Handelns, Lernens und Denkens angesehen werden müssen. Aus dem Bereich des Lernens und denkenden Kombinierens allein, gleichsam also aus dem Bereich der menschlichen Freiheit, ist ein genetisch verankertet Hemmungsmechanismus nicht herzuleiten. 5. Eine wichtige Rolle dürfte auch beim Menschen das Phänomen der Prägung - s. o. S. 23 f. - spielen, d. h. einige der nicht genau genug konturierten AAM's bleiben nicht immer ungenau, sondern rasten durch eine Art einmaligen Lernvorgang auf eine präzise Kontur ein. Es findet eine Prägung auf ein bestimmtes Objekt oder einen bestimmten Wert statt, die dann starr bestehen bleibt. Hier liegt nun die Möglichk,eit zu - an der Norm gemessenen - Fehlprägungen oder zur nicht rechtzeitigen Prägung, da die Prägungen während bestimmter Entwicklungsstadien des Individuums stattfinden müssen. Gerade im sozialen Verhalten des Individuums kann dies eine bedeutende Rolle. spielen; die Humanpsychologie hat dies unter ihren Voraussetzungen, z. B. bei der Ausbildung des "Über-Ich", schon lange erkannt. 6. Im Rahmen des sozialen Verhaltens sind in der Regel doch noch verhältnismäßig feine AAM's beim Menschen ausgebildet und wirksam. So scheinen der zwischenmenschlichen Aggression noch verschiedene Hemmungsmechanismen, ähnlich wie beim Tier, zu korrespondieren; notwendig dafür ist jedoch eine Rückkopplung zwischen Angreifer und Angegriffenem. 7. Es können allerdings sogenannte "Störmechanismen" - s. o. S. 29 f. - auftreten, die das Handeln beeinträchtigen. Drei Formen kommen dabei für diese Arbeit hauptsächlich in Frage: Die deplazierte Reaktion, die Erfindung von Waffen und die damit fehlende Rückkopplung zwischen Täter und Opfer, sowie die pathologischen Erbänderungen, vor allem in der Form der domestikationsbedingten hypertrophen Vermehrung des aggressiven Verhaltens und der Geltungssucht. Im 3 LulUes
34
1. Teil:
Theoretische Grundlegung
Falle der pathologischen Erbänderung kommt es meist zu keinem intakten Verspannungssystem - s. o. S. 26 - unter den Trieben, so daß eine unorganisierte Triebauslösung stattfinden kann. Ein hypertropher Aggressionstrieb wird also von anderen Trieben nicht im Gleichgewicht gehalten, sondern verschafft sich vorrangig Geltung, so daß eine normale Hemmungsenergie eventuell nicht ausreicht, um einen womöglich sogar durch Signale des Opfers und durch "Verstehen" und Auslösen eines AAM in Aktion gesetzten Hemmungsmechanismus hinreichend wirksam werden zu lassen. 8. Schließlich besteht noch die Möglichkeit des sogenannten "übersprungsverhaltens" - s. o. S. 25 f. -, bei dem ein Drang durch innere oder äußere Faktoren am Ablauf gehindert wird und sich mit sekundärer Antriebsenergie einen Ausweg in Bahnen sucht, die normalerweise der Abreaktion anderer aktionsspezifischer Energien dienen. Ein dem ursprünglich auf Entladung zielenden Trieb korrespondierender Hemmungsmechanismus ist der sekundären Antriebsernergie eventuell nicht zugeordnet, so daß auf diesem Weg eine ungehemmte Tötung möglich wird. 5. Die Besonderheit des einerseits praktischen andererseits nur vorgestellten Handeins beim Menschen im Vergleich zum Tier und die Bedeutung dieser Besonderheit für die aTH bzw. das Phänomen der Rücltkopplung
Bisher wurde immer vorbehaltlos vorausgesetzt, eine aTH könne nur für den Fall der realen, d. h. der sich im praktischen Vollzug der Tötungshandlung ergebenden Rückkopplung zwischen Täter und Opfer in Aktion treten, es müsse also das Stadium des praktischen Handeins erreicht werden, wobei die Handlung des Angreifers durch bestimmte Signale des Angegriffenen, die von entsprechenden AAM's verstanden werden, zum Erliegen komme. Die eTH, so könnte man folgern, komme hauptsächlich im Bereich des theoretischen Handelns bzw. des Planes in Betracht. Im praktischen Vollzug wirke die aTH; möglicherweise aber könne die eTH zur aTH noch hinzutreten. Die These, daß die aTH nur für das praktische Handeln in Frage kommt, muß also noch kritisch untersucht werden. Es mag zwar sein, daß das Tier hauptsächlich oder allein im Vollzug praktischen Handelns und unter dem Einfluß realer Außenweltsignale lebt, während die Vorstellung bei ihm nur eine geringe oder gar keine Rolle spielt. Damit wäre beim Tier eine Differenzierung in theoretisches und praktisches Handeln und ein Suchen nach entspechend verschiedenen oder womöglich gleichen Bedingungen beider Handlungsformen kaum erforderlich. Beim Menschen aber spielt das praktische Handeln nur eine gewisse Rolle, während das theoretische Durchspielen möglichen prakti-
1.
Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
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schen Handeins sehr viel häufiger sein dürfte und oft dem praktischen Handeln vorausgeht. Dies gilt, abgesehen von der Affekttat im engeren Sinn, auch für den Mord. Zwar geschehen Morde oftmals im Affekt im weiteren Sinn. Diesen Taten geht aber durchaus eine mehr oder weniger präzise Erwägung und Planung voraus. Die Affekttat im engeren Sinn, d. h. die vorher noch gar nicht erwogene, sondern aus dem Augenblick heraus "explodierende" Mordtat ist eher selten. Bei ihr taucht das soeben angeschnittene Problem, ob eine aTH auch bereits im Stadium der nur theoretischen Handlung aktualisiert werden kann, nicht auf, da es das theoretische Stadium bei ihr nicht gibt. Präzise muß die Frage jetzt also folgendermaßen gestellt werden: Ist das nur theoretische Handeln des Menschen bzw. das Erwägen von praktischem Handeln dem praktischen Handeln insoweit gleichzusetzen, als auch in diesem Stadium bereits AAM's auf nur vorgestellte Ereignisse und Signale ebenso wie auf Außenweltsignale bei praktischem Handlungsvollzug reagieren? Anders ausgedrückt: Kann sich eine nur vorgestellte Situation einem AAM gegenüber als eine Reizsumme darstellen? Geht man von der Entwicklung des neugeborenen Menschen aus, so sind da einerseits die inneren Antriebe, andererseits die Außenweltreize, mit denen sich das heranwachsende Individuum auseinandersetzen muß. Ein immer zunehmender Bereich Außenwelt wird auf dem Wege der bewußten und unbewußten Erfahrung in die verschiedenen Formen des Bewußtseins hereingenommen und in diesem gespeichert. Mit dieser immer weiter wachsenden "Innenwelt" kann das Individuum durch Abrufen und Sichvorstellen Kontakt aufnehmen und gleichsam Szenen aus einer ursprünglichen Außenwelt vor dem inneren Auge abspielen. Auf diese Weise kann auch eine Mordtat mehr oder weniger konkret durchgespielt werden. In dieser vorgestellten Welt erscheinen dann das Opfer, die erwürgende oder zustechende Hand, sowie die weiteren Aktionen und Umstände der Tötungshandlung, darunter auch die Reaktionen des Opfers. Sendet nun in dieser vorgestellten Situation das Opfer Signale aus, die über entsprechende AAM's eine Tötungshemmung aktualisieren? Um diese Frage beantworten zu können, sollen hier die höchst interessanten Versuche von Milgram herangezogen werden63 • Versuche von Milgram
In den Versuchen wurden Personen gebeten, an einem vermeintlichen Lernexperiment teilzunehmen. Untersucht werden sollte jedoch, inwieweit man einer Autorität ausgeliefert ist, der man sich freiwillig unter53
3"
Milgram,
zit. nach Eibl-Eibesfeldt S.
434
ff., z. T. wörtlich übernommen.
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1. Teil: Theoretische Grundlegung
geordnet hat. Die Versuchspersonen bekamen als Lehrer die Aufgabe, einer anderen Person, die etwas zu lernen vorgab, in Wirklichkeit aber ein Komplize des Versuchsleiters war, für jeden Fehler fortschreitend stärkere elektrische Strafreize zu erteilen. Es wurden vier verschiedene Versuchsanordnungen eingerichtet. 1. Bei der ersten Versuchsreihe wurde der Lernende in einem vom Lehrer getrenntten Raum auf einem Stuhl festgeschnallt, an seinem Körper wurden Elektroden befestigt. Dabei half der Lehrer dem Versuchsleiter. Nun erklärte der Versuchsleiter dem Lehrer, daß er dem Lernenden bei jeder falschen Antwort einen Strafreiz zu gehen habe, wobei er mit einer niedrigen Spannung anfangen und von Fehler zu Fehler stärkere Strafreize erteilen solle. Man würde auf diese Weise die Wirkung von Strafreizen auf den Lernprozeß untersuchen. Die Strafreize erteilte der Lehrer über einen mit Tasten versehenen Apparat, der 30 Stufen von 15 bis 450 Volt aufwies. Außer der Voltbezeichnung standen bei den Stufen noch Hinweise, die von "geringer Schock" bis zu "Gefahr: schwerer Schock" reichten. In dieser ersten Gruppe von Versuchen bestand die einzige Rückkopplung darin, daß der Lernende bei 300 Volt gegen die Wand trommelte und bei 315 Volt überhaupt nicht mehr antwortete.
2. In der zweiten Versuchsanordnung durfte über ein Tonband stimmlich protestiert werden, wobei jeder Reizstärke ab 75 Volt eine bestimmte Antwort zugeordnet war: zunächst nur ein Murren, ab 120 Volt die Mitteilung, daß die Reize schmerzten, zuletzt Proteste mit der Aufforderung, den Versuch abzubrechen und ihn, den Lernenden, herauszulassen. Bei 180 Volt rief das Opfer bereits, es könne den Schmerz nicht aushalten. Ab 315 Volt verweigerte es die Antworten, schrie aber gequält, wenn es angeblich den Schock erlitt. 3. Die dritte Versuchsanordnung ähnelte der zweiten, doch befand sich der Lernende jetzt im gleichen Raum, nur etwa einen halben Meter vom Lehrer entfernt. 4. Die vierte Versuchsbedingung glich der dritten, mit dem Unterschied, daß das Opfer nur dann den elektrischen Strafreiz erhielt, wenn seine Hand auf einer elektrischen Platte ruhte. Es weigerte sich ab 150 Volt, die Hand weiter auf die Schockplatte zu legen, und der Versuchsleiter befahl dann dem Lehrer, die Hand des Opfers mit Gewalt auf die Platte zu zwingen. In jeder Gruppe wurden 40 Personen geprüft.
Auswertung: Die Versuche von Milgram wurden zwar unter dem Gesichtspunkt durchgeführt, zu ermitteln, welche Rolle die Autorität für den spielt, der sich ihr freiwillig untergeordnet hat; für die hier vorliegende Ar-
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Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
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beit jedoch läßt sich aus den Versuchen gleichzeitig sehr viel dafür ermitteln, welche Rolle die Rückkopplung zwischen dem aggressiv handelnden Lehrer (Täter) und dem Lernenden (Opfer) spielt. Vorversuche hatten gezeigt, daß fast alle Versuchspersonen die gesamte Skala der Strafreize durchgingen, solange überhaupt keine Rückkopplung, nicht einmal die des an die Wand Trommelns bei 300 Volt, bestand. Je direkter die Rückkopplung in den einzelnen Versuchen war, bei desto niedrigeren Voltstufen hörten die Lehrer mit dem Erteilen der Strafreize auf. So trotzten beim ersten Versuch (an die Wand Trommeln) nur 34 Ofo der Versuchspersonen dem Versuchsleiter, beim zweiten Versuch (stimmliche Rückmeldung) 37,5 % , beim dritten Versuch (Nähe) immerhin schon 60 % und beim vierten Versuch (Berührungsnähe) 70 Ofo. Je konkreter also das Verhalten des Opfers vom Täter wahrgenommen wurde, desto stärker war beim Täter die Hemmung, Leid zuzufügen. Solange in den Vorversuchen überhaupt keine Rückkopplung bestand, wurde, trotz des theoretischen Wissens um das Leiden des Opfers, fast ausnahmslos bis zur höchsten Voltstufe bestraft. Aus den Versuchen kann man zweierlei ablesen: Erstens: Eine Hemmung, Leid zuzufügen, wird nicht eigentlich im Bereich des Sich-Vorstellens wirksam, und zwar weder auf Grund eines verbietenden "Über-Ich", noch auf Grund einer verneinenden Vernunft. Es ist vielmehr ein konkreter Kontakt zwischen Täter und Opfer notwendig. Über die Rückkopplung "Ausdruck des Opfers - Eindruck des Täters" kommt es zu einer, vom Bewußtsein nicht gesteuerten, sondern physiologisch automatisch wirksam werdenden Beeinflussung des Täters, der gerade Leid zufügt oder zufügen will. Bei einer bestimmten Reizsumme im Ausdruck des Opfers hört der Täter einfach auf, sich weiter aggressiv zu verhalten und zwar zwangsläufig. Wie sich in den Versuchen gezeigt hat, kann dann durch die Einwirkung des Versuchsleiters die aufgetretene Hemmung bis zu einem gewissen weiteren Ansteigen der Reizsumme vom Täter willentlich übergangen werden. Hat die Reizsumme dann aber wieder eine bestimmte neue Höhe erreicht, so weigert sich der Täter endgültig, weitere Strafreize zu erteilen. Allerdings gilt das selbst in der 4. Versuchsanordnung nur für 70 %. Bei den restlichen 30 % muß also wohl ein Störmechanismus - s. o. S. 29 f. - oder eine der sonstigen oben bereits dargelegten Ausnahmen vorliegen. Diese Versuchsergebnisse machen das Vorhandensein einer bereits genetisch verankerten Hemmung evident, da eben gerade nicht bestimmte Bewußtseinsinhalte, auch solche des Unbewußten nicht, sondern die Funktion "Signal des Opfers - AAM - Hemmung" entscheidend wirksam wird.
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1. Teil: Theoretische Grundlegung
In der Stammesgeschichte des Menschen ist also noch nicht die Stufe erreicht, auf der sich die AAM's der Entwicklung des Menschen: seinem "theoretischen Handelnkönnen " angeglichen hätten. Vorgestellte Handlungsbilder und Signale stellen sich den AAM's nicht als Reizsumme dar, wenn aber doch, so mit einer verschwindend geringen Wirkung. (Besondere Bedingungen des "theoretischen Handeins" werden später - s. u. S. 64 f. - nochmals erörtert.) Dies läßt sich möglicherweise auch dadurch erklären, daß AAM's, auch wenn sie im allgemeinen keine präzisen Konturen mehr haben, im Bereich des sozialen Lebens doch noch so genau konturiert sind, daß sie nur durch fest umrissene Umweltsignale in einer ganz bestimmten Weise angesprochen werden. Die nur vorgestellte Umwelt ist aber im Vergleich zur realen Umwelt nicht präzise genug; insbesondere ist der Vorgang des Sichvorstellens ein Prozeß, in dem sich ständige Abweichungen in der Vorstellungsfolge ergeben. Daraus folgt, daß den AAM's in der Vorstellung gar keine starren Signale angeboten werden, auf die allein jedoch die AAM's ansprechen könnten. Zweitens: An den Versuchen von Milgram kann man weiterhin noch die These von der Reizsumme - s. o. S. 23 - bestätigt finden: Es war bereits gesagt worden, daß bei den AAM's prägnanten einfachen Faktoren einer Reizsumme der Umwelt angeborene Korrelate gegenüberstünden. Unter den Faktoren der Reizsumme, die im Aggressor über entsprechende AAM's Hemmungen auslösen, scheint der nur akustische Reiz gering zu sein. Der Reiz des visuellen Leidens, der als Ausdruck des Opfers zum Eindruck des Täters wird, hat in der Reizsumme bereits einen sehr viel höheren Stellenwert. Die direkte Berührung, mit der die Leidzufügung unmittelbar verbunden ist, begleitet eventuell von schmerzlichem Sichwehren des Opfers, stellt den höchsten Faktor der Reizsumme dar. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, ob bereits der Anblick des Opfers, insbesondere sein Gesicht - noch ohne mimische Veränderungen - als Faktor einer Reizsumme wirkt. Aus den Versuchen ergibt sich nich deutlich, ob dies der Fall ist, da bei der dritten Versuchsanordnung das Opfer nicht nur neuerdings im selben Raum zusammen mit dem Täter war, sondern außerdem auch wieder akustisch und wohl auch mimisch seinem Schmerz Ausdruck verlieh. Dennoch muß die bloße Anwesenheit des Opfers als solche in erster Linie als dafür verantwortlich angesehen werden, daß sich eine Unterschiedziffer von Versuch zwei zu Versuch drei von 22,5 G/o ergab. Daraus kann man also schließen, daß das Opfer gar nicht unbedingt Signale mimischer oder akustischer Art setzen muß, sondern daß bereits die Präsenz als Mensch, insbesondere das Gesicht, als Faktor einer Reizsumme angesehen werden
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Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
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kann, der im entsprechenden AAM eine gewisse Hemmung aggressiven Verhaltens auslöst. Den höchsten Stellenwert aber hat, wie gesagt, die körperliche Berührung; das bedeutet für die Mordtat, daß dann vom Opfer die stärkste Hemmung ausgehen dürfte, wenn der Täter das Opfer tatsächlich, ohne Waffen, mit der eigenen Hand berühren muß. 6. Ist Töten überhaupt Auswirkung der Aggression oder muß ein besonderer Todestrieb angenommen werden?
An den Versuchen von Milgram kann man an sich nur ablesen, wann und unter welchen Voraussetzungen menschliche Aggression, die einem anderen Menschen Leid zufügen will, gehemmt wird. Um tödliche Aggression ging es bei keinem der Versuche. Deshalb muß nun gefragt werden, ob zwischen Aggression, die nur Leid zufügen will und einem Verhalten, das von vornherein auf einen tödlichen Ausgang abzielt, ein Unterschied besteht, ob man in letzterem Falle überhaupt von Aggression sprechen kann oder ob es sich beim auf Töten gerichteten Handeln nicht um ein ganz anderes, etwa von einem Todestrieb bestimmtes Verhalten handelt, für das der Funktionskreis "Aggression - Signal des Angegriffenen - Hemmung des Aggressors" überhaupt nicht gilt. Man kann nämlich annehmen, daß der Mensch, der töten will, in der Regel nicht, wie das bei der aggressiven Leidzufügung der Fall ist, mit der Tötung beim Opfer etwas erreichen will. Irgendein spezifischer Kontakt seitens des Tötenden zum Opfer wird in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht intendiert. Weder will der Täter mit seinem Mord das Opfer bestrafen, noch möchte er - für das Bewußtsein des Opfers, das ja ohnehin mit getötet wird - Sieger bleiben. Vielmehr ist Töten eine endgültige, spezifisch motivierte Vernichtungshandlung, die - abgesehen von Sadismustötungen - auch im Durchgangsstadium des Vollzugs nicht auf Schmerzzufügung abzielt. Demutsgebärden und Schmerzensschreie können und brauchen - so möchte man meinen - insofern also gar nicht als Beschwichtigungmittel oder als Voraussetzung für Siegesgefühle des Tötenden auf diesen zu wirken. Dieser will nur einen endgültigen Zustand erreichen, das Opfer zum Tode befördern. Da in diesem Kapitel als Erkenntnisgrundlage vom tierischen Verhalten ausgegangen und nach Parallelen für menschliches Verhalten gesucht wird, soll nochmals kurz die intraspezifische Aggression der Tiere unter dem soeben aufgenommenen Gesichtspunkt betrachtet werden. Es gibt verschiedene Fälle, in denen intraspezifische Aggression vorkommt: zwei Hauptfälle seien erwähnt: Vergleichskämpfe und ökologische Kämpfe. Beide haben arterhaltende Funktion. Die Vergleichskämpfe sollen das stärkste Tier herausstellen, das dann z. B. als Leittier
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1. Teil: Theoretische Grundlegung
und als Erzeuger des Nachwuchses seine biologisch arterhaltende Funktion ausübt. Die ökologischen Kämpfe finden statt, damit die Jagdreviere unter den Artgenossen für die jeweiligen Individuen oder Gruppen groß genug bleiben, um hinreichende Beutemöglichkeiten zu garantieren. Bei den eben genannten Fällen handelt es sich einwandfrei um Aggressionsverhalten. Dieses zielt aber nicht auf Leidzufügung ab, sondern auf Vernichtung des "störenden" Artgenossen und damit auf Arterhaltung. Gerade bei diesen Kämpfen aber sorgen die bereits besprochenen Hemmungsmechanismen dafür, daß die an sich auf tödlichen Ausgang gerichtete Aggression sich mit einem Vorstadium, nämlich dem Sichunterwerfen des anderen Artgenossen, zufrieden gibt. Soweit es beim Menschen auf einer früheren Entwicklungsstufe um ähnliche Situationen ging, in denen aus Gründen der Arterhaltung ein Mensch den anderen töten wollte, kann man durchaus eine Parallele zum tierischen Verhalten annehmen, d. h. diesen Formen einer auf Töten gerichteten Aggression korrespondierte sicher ein genetisch verankerter Hemmungsmechanismus, der durch Signale des Opfers in Gang gebracht wurde. Sieht man sich jedoch an, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Zielen Menschen heute töten, so scheint auf den ersten Blick eine Allzuständigkeit der Aggression nicht einleuchtend. Vor allem kann man verschiedene Tötungen nicht sofort unter dem Gesichtspunkt der Arterhaltung verstehen. S. Freud hat nun versucht, das Töten aus einem Todestrieb zu erklären, der allen lebenserhaltenden Instinkten als zerstörendes Prinzip polar gegenüberstehe". Betrachtet man aber die Voraussetzungen und die tieferen Zusammenhänge, die schließlich zu einem Mord führen, so stellt man - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - fest, daß es dem Täter im letzten nicht eigentlich um den Tod seines Opfers geht; dieser ist vielmehr nur Durchgangsstadium auf einem Weg, auf dem der Täter im Grunde sein eigenes Überleben sucht und gewährleisten will. Diese Erkenntnis wird an den im zweiten Teil zu besprechenden Fällen noch deutlich werden. Fast immer möchte der Täter sich von einem ihn störenden Zwang, den er oftmals im Opfer verkörpert sieht, befreien. Bis zur Tat hin mußte der Täter meist Aggression stauen, wobei dann die Tat selbst vielfach erstes explosionsartiges Freisetzen VOn Aggression ist. Vom Bewußtsein intendiert wird zwar der Tod des Opfers, aber eben nur vom Bewußtsein, während als Triebkraft doch die Aggression dahintersteht. Damit kann man die Morde des Menschen in den meisten Fällen gerade nicht als Leistungen eines Todestriebes verstehen; vielmehr kann man ihnen eine arterhaltende, zumindest eine " Vgl. Lorenzb) S. X und LiLckert S. 198 f.
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Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
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den Täter erhaltende Funktion zumessen, wenn diese auch auf den ersten Blick nicht als solche zu erkennen ist, da die Antriebskraft jeder Tat von den Motiven und vom Tatablauf her meist überdeckt ist. Lorenz stimmt an sich mit der Trieblehre von Freud überein, lehnt aber die Annahme eines Todestriebes, über dessen Existenz Freud selbst sich auch nicht allzu sicher war, ab 66 • Die Hypothese vom Vorhandensein eines Todestriebes sei - so meint Lorenz - in den Augen des Verhaltensforschers nicht nur unnötig, sondern sogar falsch. Töten kann also auch beim Menschen als eine spezifische Auswirkung der Aggression angesehen werden. Einen Unterschied, je nachdem, ob Aggression nur Leid zufügen will oder auf einen tödlichen Ausgang abzielt, kann man also nur in quantitativer Hinsicht annehmen. Damit lassen sich die Versuche von Milgram mit der Maßgabe für die Beantwortung der Themenfrage heranziehen, daß Aggression, die den Tod eines anderen Menschen von vornherein intendiert, in einem sehr viel höheren Quantum freiwerden will, so daß auch nur sehr viel höhere Reizfaktoren eine wirksame Hemmung über entsprechende AAM's auslösen können. Dabei muß jedoch noch bestimmt werden, in welchen Fällen tödlicher Aggression überhaupt eine aTH ausgelöst werden kann, das heißt wann die Voraussetzungen einer wirksamen Rückkopplung zwischen Täter und Opfer gegeben sind. In erster Linie muß also geklärt werden, welche Signalkonstellationen die Chance haben, als Ausdruck des Opfers vom Täter verstanden zu werden. Lorenz nimmt einen verhältnismäßig engen Standpunkt ein, indem er sagt, es müsse eine Tatbegehung von gewisser Dauer, mit der Gelegenheit von Demutsgebärden für das Opfer bestehen. Er folgert dies aus dem frühen Zustand des Menschen, in dem dieser noch keine Waffen besaß, so daß eine Tötung zwangsläufig mit direkter Körperberührung und einer gewissen Dauer erfolgte. Es spricht aber nichts dagegen, daß bereits die bloße körperliche Anwesenheit des Opfers, insbesondere dessen Gesicht, einen Signalfaktor darstellt, auf Grund dessen eine Tötungshemmung ausgelöst werden kann. Dies läßt sich an den Versuchen von Milgram erkennen. Jedoch reicht dieser Signalfaktor nicht für Aggressionshandlungen aus, die unter dem Aspekt von Vergleichs- oder ökologischen Kämpfen ausgetragen werden - Voraussetzungen, unter denen sich oftmals weitgehend analog auch menschliches Töten vollzieht. Dieser besonderen auf Töten gerichteten menschlichen Aggression müssen entsprechend höhere Signalfaktiren entgegengesetzt werden, damit eine wirksame Hemmung ausgelöst wird. Das sind dann z. B. Demutsgebärden oder die direkte körperliche Berührung, mit der dem Opfer Schmerz zuge55
LOTenz b) S. X.
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1. Teil: Theoretische Grundlegung
fügt wird, den dieses wiederum durch Gebärden zu erkennen gibt. Es kommt also beim Menschen darauf an, daß in jeweils verschiedenen biologischen bzw. psychologischen Situationen die jeweils zumindest ausreichenden Signale vom Opfer gesetzt werden können. Außerdem bedeuten verschiedene Begehungsmodalitäten (Erwürgen, Erschlagen, Erschießen) automatisch eine jeweils verschiedene Intensität der Rückkopplung, die dann eventuell in bestimmten biologischen und psychologischen Situationen nicht ausreicht, um eine Tötung zu verhindern. Als Zwischenergebnis kann also davon ausgegangen werden, daß auch beim Menschen das Töten eine Auswirkung der Aggression ist, und daß man keinen qualitativen, sondern nur einen quantitativen Unterschied darin zu sehen braucht, ob Aggression nun allein auf Leidzufügung oder auf Töten abzielt. Als weiteres Zwischenergebnis kann festgehalten werden, daß - von Ausnahmen abgesehen (s. u. S. 64 f.) - nach einer aTH nur im Bereich der praktischen Tatdurchführung gefragt werden kann. Falls die aTH doch im Bereich der theoretischen Handlung eine Rolle spielen sollte, so ist diese so gering, daß man sie wohl kaum nachprüfen kann. Gegen dies Ergebnis spricht auch nicht, daß die meisten Menschen auf die Frage, ob sie einen anderen Menschen töten könnten, spontan mit "nein" antworten, selbst die Mörder antworten so! Die Spontaneität des "nein" weist für sich allein noch nicht auf das Vorhandensein einer aTH hin. Vielmehr ist das Töten eines anderen Menschen auf Grund der meisten Erfahrungen des einzelnen Individuums von Kindheit an als praktische oder auch nur theoretische Möglichkeit vollkommen ausgeschlossen. So wächst das Kleinkind in der Regel bereits im Hinwendungskontakt von Seiten der Mutter und auch von Seiten der meisten anderen Personen auf. Auch sonst ist alles mehr oder weniger auf soziales Zusammenleben ausgerichtet. Schon einen anderen Menschen zu verletzen, ist verpönt. Der Tod aber, der eigene wie der des anderen Menschen, ist mit Angst besetzt und mit dem Geheimnisvollen, welches das menschliche Verstehen übersteigt. Dies sind nur einzelne Punkte einer Gesamterfahrung, die auf den Menschen vom ersten Lebenstag an einströmen. Sie führen dazu, daß dem Einzelnen die Tötung eines Menschen bereits theoretisch als undurchführbar erscheint. So ist das spontane "nein" also als "erlernt" zu erklären, die TH, die aus ihm spricht, eine eTH. Dazu kommt aber noch, daß menschliches Handeln von einigem Gewicht, insbesondere sobald es existentielle Komponenten hat, erst dann evident als für den Einzelnen möglich oder unmöglich nachgeprüft werden kann, wenn es subjektiv notwendig erscheint. Das kann dann
1. Kap.: überlegungen aus der Tierverhaltensforschung
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sein, wenn es von inneren Antrieben oder von äußeren Situationen bestimmt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall, solange man einen Menschen mitten aus dem Alltag heraus danach fragt, ob er eine Hemmung habe, einen anderen Menschen zu töten. So jemand wird - abgesehen von den im vorigen Absatz dargelegten Gründen - schon deshalb mit "nein" antworten, weil fÜr ihn die Tötung eines anderen im Augenblick absolut nicht notwendig und damit sinnlos ist. Das Sinnlose zu tun, das man für sich selbst aber doch verantworten müßte, ohne dies je zu können, stellt sich für den Menschen aber bereits als unmöglich dar, ohne daß es eines längeren Nachdenkens bedürfte. So kann das spontane "nein" also auch auf diese Weise erklärt werden; der Hauptanteil kommt jedoch den im vorigen Absatz dargelegten Lebenseindrücken zu, die aus dem Bewußten und Unbewußten heraus wirksam werden. Interessant ist aber noch, daß mehrere Mörder auf die Frage, ob sie den Mörder ihrer Mutter töten würden, unbedenklich und spontan mit "ja" antworteten. Dies weist darauf hin, welche Rolle der jeweilige Sinn für das Handeln spielt. Eine an sich also für das nur theoretische Handeln vorhandene und eben noch bezeugte TH wird sofort beurlaubt, sobald die neue Tötungshandlung subjektiv, z. B. aus dem Grund, die eigene Mutter zu rächen, "notwendig" wird. Eine solche Beurlaubung ist nur bei einer eTH, nicht aber bei einer aTH denkbar. Dies wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, daß einige Mörder, nach der Modalität der Tötung befragt, antworteten, sie würden den Mörder ihrer Mutter erwürgen oder zertrampeln. Solche Aussagen wären beim Vorhandensein einer aTH im Bereich der Vorstellung nicht gut möglich. Die aTH ist also auf den Bereich des praktischen Handeins beschränkt. 7. Zusammenfassung in Thesen (aTH)
1. Der Mensch als Nichtmörder hat eine aTH. Das Wirksamwerden dieser aTH ist abhängig von einer Rückkopplung zwischen Täter und Opfer, indem vom Opfer Signale ausgehen müssen. Die Signale haben verschiedene Stellenwerte - vgl. o. S. 36 ff. -. Sie können a) akustischer Art sein, ohne daß das Opfer vom Täter wahrgenommen zu werden braucht. Einen wirksameren Faktor stellen b) visuelle Signale dar. Dabei kann bereits das Gesicht des Opfers einReizfaktor sein, auf Grund dessen eine aTH im Täter ausgelöst wird. Nachhaltiger noch wirken c) Demuts- und Schmerzgebärden des Opfers. Die stärkste Hemmung wird im Täter ausgelöst, wenn dieser das Opfer im Rahmen einer Tötungshandlung d) berühren muß. Während die Modalität c) und d) nach der Meinung von Lorenz auf jeden Fall auf genetisch verankerten Verhaltenskoordinationen beruhen, kann dies für die Modalitäten a) und b) nicht mit Sicherheit
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1. Teil: Theoretische Grundlegung
angenommen werden. Letztere entstehen möglicherweise durch derr Vorgang der Prägung - s. o. S. 23 f. und S. 33 -. 2. Die Stärke eines Reizfaktors, auf Grund dessen eine Hemmung ausgelöst wer4en soll, muß je nach der einer intendierten Tötung zugrundeliegenden biologischen und psychologischen Situation des Täters verschieden sein, damit eine Tötung vermieden wird. 3. Mögliche Abweichungen beim Mörder: a) Beim Mörder können verschiedene Formen von Störmechanismen vorhanden sein, was besagt, daß - s. o. S. 29 f. - hemmungsauslösende AAM's nicht hinreichend konkret ausgebildet sind oder sonstige Fehlfunktionen der AAM's bestehen. b) Für das Nichteingreifen einer aTH kann ein Irrtum der AAM's über Situationen der Innen- oder Außenwelt des Täters verantwortlich sein. e) Das Nichteingreifen einer aTH kann auch daran liegen, daß es zu einer sog. Obersprungshandlung kommt. d) Aggression kann sich im Täter so sehr angestaut haben, daß eine normal ausgebildete aTH nicht ausreicht, um eine Tötung zu verhindern. Ein solcher Aggressionsstau ist jedoch höchstwahrscheinlich dadurch bedingt, daß es nicht zu einem ausgewogenen Verspannungssystem der Antriebe in dem betreffenden Menschen gekommen ist. e) AAM's, die für soziales Verhalten zuständig sind, aber erst der Prägung bedürfen, wurden aus irgend welchen Gründen in der entsprechenden Entwicklungsphase nicht oder falsch geprägt, so daß der Täter von bestimmten Signalen gar nicht angesprochen werden kann.
Zweites Kapitel
Kulturhistorische und ethnologische überlegungen: Tötete der Mensch der Frühzeit Artgenossen ohne aTH? Wie ist dies heute bei den Primitivstämmen ? 1. Prähistorische Funde
Als man vor nicht allzu langer Zeit die Funde an den Wohnstätten des Pekingmenschen machte, entdeckte man zertrümmerte, angekohlte Menschenknochen. Neben diesen Knochen brannte gleichsam noch das Herdfeuer. Die Umgebung deutete auf tiefsten Frieden hin. Ein kriegerisches
2. Kap.: Kulturhistorische und ethnologische überlegungen
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Ereignis hatte also offenbar keine Rolle gespielt. Man muß deshalb annehmen, daß ein Mensch "bei Gelegenheit" erschlagen und anschliessend geröstet und verzehrt worden ist. Es wurden mehrere solcher Szenen gefundenli'. Hieraus muß man zwar nicht unbedingt den Schluß ziehen, daß intraspezifische Aggression, also gegenseitiges Sichtöten von Menschen, auf einer frühen Kulturstufe die Regel war, jedoch liegt dieser Schluß nahe. Eine aTH, die ein gegenseitiges Sichtöten von Menschen verhindert hätte, scheint also auf den ersten Blick nicht vorhanden gewesen zu sein. Beachten muß man jedoch bei dem obigen Beispiel, daß der Pekingmensch bereits Schlagwerkzeuge hatte; er brauchte also nicht mehr mit der eigenen Hand sein Opfer langsam vom Leben zum Tode zu befördern. Zwischen beide trat die Waffe als etwas neutrales Drittes. Eine womöglich vorhandene aTH konnte vom Opfer auch aus Zeitmangel nicht mehr durch entsprechende Reize wie Demutsgebärden, Flehen u. ä. beim Tötenden geweckt werden, da durch den Gebrauch der Werkzeuge der Tod zu schnell eintrat57•
Ergebnis: Aus dem obigen Beispiel kann man nicht sicher ablesen, ob der Mensch der Frühzeit, soweit er im Sinn dieser Arbeit als Nichtmörder zu bezeichnen ist, eine aTH hatte, da der uns bekannte Pekingmensch bereits im Besitz von Waffen war. Außerdem ist uns die Vorgeschichte der Tötungen nicht genau genug bekannt. 2. Verlleich mit beute noch lebenden Primitivstämmen
Die kulturhistorischen Überlegungen können noch durch einen Vergleich aus der Etnplogie ergänzt werden, indem man sich an Eingeborenenstämme wendet. Diese sind zwar mit unseren frühesten Vorfahren nicht vergleichbar, da sie eine eigene reife, abgeschlossene Kultur haben 58• Jedoch kann man gewisse Parallelen ziehen: Bei manchen Eingeborenenstämmen findet man Menschenopfer, Kopfjägerturn, Menschenfresserei und ähnliche Verhaltensweisen, die mit unserer Einstellung zum Leben nichts zu tun haben. Dabei ist jedoch festzustellen, daß innerhalb der jeweiligen Stämme keiner nach dem Kopf des anderen jagt58 • Wahllose intraspezifische Aggression ist also bei den Primitivstämmen nicht üblich. Vielmehr vollzieht sich dort Töten meist - z. T. auch das Kopfjägerturn - im Rahmen eines Ritus. An die Stelle der Einzelhand58 57
58 5i
Vgl. LaTenz b) S. 358. ebd. S. 36l. ETikson S. 107. M. Mead S. 108.
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1.
Teil: Theoretische Grundlegung
lung, die von einem einzelnen "über-Ich"tlo kontrolliert würde, tritt die Handlung eines kollektiven "Ich", an die Stelle des einzelnen "ÜberIch" ein kollektives "Über-Ich" in Gestalt des religiösen Ritus. Damit wird aber eine solche Tötung auf eine ganz andere Ebene geschoben: Eine womöglich vorhandene eTH, aber auch eine aTH wird durch den religiösen Ritus aufgehoben. Somit kann man an diesen Fällen gar nicht ablesen, ob die Eingeborenen eine aTH haben. Man müßte außerdem den genaueren Hergang der Tötungshandlung und die Rolle des Opfers untersuchen. Dazu kommt, daß auch die Eingeborenen mit Waffen töten. Ergebnis: Über die im einzelnen vorhandene oder nicht vorhandene aTH beim Eingeborenen läßt sich nichts Definitives sagen. Man könnte höchstens annehmen, daß eine wirklich starke instinktive Tötungshemmung gar nicht erstRitualtötungen und Kopfjägerturn hätte aufkommen lassen. Nur aus diesem Gedanken ließe sich der allerdings nicht zwingende Schluß ziehen, daß die Eingeborenen eher keine aTH haben. Dies Ergebnis ist aber, wie sich im 1. Kapitel gezeigt hat, nicht haltbar.
3. Eine kulturhistorische Theorie
Eine Meinung nimmt antll, daß erst nach einer langen Menschheitsentwicklung Regeln für das Zusammenleben von Menschen aufgestellt wurden. Eine dieser Regeln wurde das Tötungsverbot. Vorher, so wird angenommen, hätten die Menschen ihre Triebe ungehemmt befriedigt und sich gegenseitig u. a. ohne Hemmung getötet. Mit dem Ende dieses Urzustandes aber sei das Tötungsverbot Kulturinhalt geworden. Damit habe sich eine einschneidencle Änderung vollzogen. Jeder Mensch wurde nun von Geburt an in einer Umwelt beeinflußt, in der Töten nicht nur verboten, sondern überhaupt als Möglichkeit· für die meisten Lebenssachverhalte ausgeklammert war. Eltern, Umwelt und dann schließlich das Gewissen des Einzelnen wurden Hüter dieses Tötungsverbotes. Mit dieser Theorie ist nur die Entstehung einer eTH hergeleitet, während das Vorhandensein einer aTH einfach abgelehnt wird. Diese Theorie ist, soweit sie sich auf die aTH bezieht, abzulehnen, da sie nicht differenziert genug fragt, unter welchen Voraussetzungen sich Töten eventuell in einer Frühzeit vollzog. Soweit der jeweiligen Aggression nämlich arterhaltende Leistung zukam und der Gegner dabei getötet wurde, weil er nicht floh bzw. keine Demutsgebärde zeigte, konnte eine aTH analog wie bei den Tieren gar nicht ausgelöst werden. Daß die in 80 61
S. Freud XVII, S. 7 ff. S. Freud XIV, S. 470 f.
3. Kap.: Psychologische überlegungen
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einem Verband zusammen Lebenden sich in grauer Vorzeit wahllos, d. h. also ungehemmt getötet hätten, kann einfach auf Grund der Erkenntnisse der Verhaltensforschung nicht angenommen werden. Die Tatsache, daß ein Tötungsverbot sanktioiert wurde, läßt sich immerhin damit erklären, daß auf Grund der Waffenerfindung das Töten nicht mehr grundsätzlich durch die angeborene Tötungshemmungsfunktion ausgeschaltet war. Vor der Erfindung der Waffen aber war ein solches Tötungsverbot nicht notwendig, da damals noch das notwendige Gleichgewicht zwischen Tötungsantrieb und Tötungsfähigkeit herrschte. Im Ergebnis heißt das, daß man auf Grund der kulturhistorischen und auch der ethnologischen Überlegungen nicht sagen kann, der Mensch habe auf einer Frühstufe keine aTH gehabt, während er später erst mit dem Kulturverbot eine eTH jeweils individuell erwerben mußte. Vielmehr kann man weiterhin davon ausgehen, daß der Mensch für den Fall der echten Rückkopplung, also bei direktem Kontakt mit dem Opfer und ohne schnell wirkenden Waffengebrauch, eine wirksame aTH hat; für den Fall der nicht vorhandenen Rückkopplung fehlt es für das Wirksamwerden einer aTH am notwendigen Funktionskreis. Zur aTH ist, wahrscheinlich in besonderem Maß seit Erfindung der Waffen, eine eTH hinzugekommen, da nunmehr die aTH allein nicht mehr ausreichte.
Drittes Kapitel
Psychologische überlegungen Zunächst wird in wenigen Zügen zusammengefaßt, was die Psychologie bisher über das Töten gesagt hat; wo in der menschlichen Psyche die für das Töten erforderlichen Antriebe lokalisiert werden und welche psychische Konstellation als notwendige Voraussetzung angesehen wird, damit schließlich eine Tötungshandlung möglich wird. Es sollen also aus einem größeren Zusammenhang die Antworten herausgestellt werden, die die Psychologie bisher zum Problem der Tötungshemmung gegeben hat. Die grundlegenden Gedanken hierzu stammen von Freud. Andere Psychologen, wie z. B. Adler, C. G. Jung und moderne Vertreter entwickeln zu einzelnen Problemen der Psychologie eigene Theorien, die hier aber der Klarheit halber nicht berücksichtigt werden. Freud sieht in der menschlichen Aggression die Wurzel bzw. den Antrieb für das Tötene2 • Er nennt zwei Grundtriebe: Die libido und den 82
S. Freud XIV, S. 331.
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1. Teil: Theoretische Grundlegung
Agressionsantrieb (Destruktionsantrieb). Den Organismus kann man damit als "Kraftzentrale sexueller und agressiver Energien"'! bezeichnen. 1. Sigmund Freud
Freud meint, der Mensch habe - s. o. S. 46 - in der Frühzeit in einem Zustand gelebt, in dem er unbeschränkt seine Triebe befriedigte. Erst nach Auflösung dieses animalischen Zustandes habe die Kultur begonnen, d. h. durch Verbote wurde die Triebbefriedigung versagt. Dennoch werden nach Freud die Triebwünsche, die unter den Verboten leiden, mit jedem Kind neu geboren. Solche Triebwünsche seien der Inzest, der Kannibalismus und die Mordluste'. Dieser Meinung kann, wie schon mehrmals dargelegt wurde, nicht gefolgt werden; es ist, wie sich auch später noch zeigen wird, abzulehnen, daß der Mensch allgemein einen Mordtrieb habe, der, heute nur überdeckt, noch aus einem animalischen Urzustand herrühre. Einen solchen "animalischen Urzustand" hat es nie gegeben. Ein solcher Mordtrieb - gegen die eigene Art gerichtet -läßt sich auch bei den Tieren nicht feststellen 85 • Auszugehen ist im psychischen Bereich heute von einem Menschen, für den bereits von vornherein die Kulturgebote und -Verbote gelten. Wie aber verankern sich nun die äußeren Kulturgebote und -Verbote im jeweils einzelnen Menschen, und wie verschaffen sie sich Geltung und aktuelle Wirksamkeit? Freud meint, der äußere Zwang (Eltern, Umwelt) der Ge- und Verbote werde allmählich verinnerlicht, indem eine besondere seelische Instanz: das "Über-Ich" diese in sich aufnehme. Hier ist ein kurzer Abriß der psychologjschen Grundlagen, die Freud zum psychischen Apparat des Menschen entwickelt hat, notwendig. Dabei wird jedoch eine allgemeine Kenntnis der Freud'schen Psychologie vorausgesetzt. Nach Freud besteht der psychische Apparat aus drei Bereichen: Dem "Es", dem "Ich" und dem "Über-Ich"". Den Kern unseres Wesens bilde das "Es", das nicht direkt mit der Außenwelt verkehre und auch unserer Kenntnis nur durch Vermittlung einer anderen Instanz zugänglich werde. In diesem "Es" wirkten die organischen Triebe. Inhalt dieser psychischen Provinz sei alles, was ererbt, bei der Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt sei, vor es Erikson S. 42. 04 S. FTeud XIV, S. 331. 15 LOTenz b) S. X. GI S. FTeud XVII, S. 7 ff., 128 ff.
3. Kap.: Psychologische überlegungen
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allem die aus der Körperorganisationstammenden Triebe, die hier einen ersten, uns in seinen Formen unbekannten psychischen Ausdruck fänden. Dieser älteste Teil des psychischen Apparates bleibe durch das ganze Leben hindurch der wichtigste. Unter dem Einfluß der uns umgebenden realen Außenwelt habe ein Teil des "Es" eine besondere Entwicklung erfahren. Ursprünglich als Rindenschicht mit den Organen zur Reizaufnahme und den Einrichtungen zum Reizschutz ausgestattet, habe sich eine besondere Organisation hergestellt, die von nun an zwischen "Es" und Außenwelt vermittle. Diesen Bezirk unseres Seelenlebens nennt Freud "Ich". Dem "Ich" komme die Verfügung über die willkürlichen Bewegungen zu. Es habe die Aufgabe der Selbstbehauptung, die es erfüllt, indem es nach außen hin die Reize kennenlerne, Erfahrungen über sie aufspeichere (im Gedächtnis), überstarke Reize vermeide (durch Flucht), mäßigen Reizen begegne (durch Anpassung) und endlich lerne, die Außenwelt in zweckmäßiger Weise zu seinem Vorteil zu verändern (Aktivität). Nach innen habe das "Ich" die Aufgabe, die Herrschaft über die Triebansprüche des "Es" zu gewinnen. Dabei habe es zu entscheiden, ob es diese Ansprüche zur Befriedigung zulassen wolle oder nicht. Als Niederschlag der langen Kindheitsperiode, während der der werdende Mensch in Abhängigkeit von seinen Eltern lebe, bilde sich in seinem "Ich" eine besondere Instanz heraus, in der sich dieser elterliche Einfluß fortsetze. Ihr gibt Freud den Namen "Über-Ich". Insoweit sich dieses "Über-Ich" vom "Ich" sondere und sich ihm entgegenstelle, sei es eine dritte Macht, der das "Ich" Rechnung tragen müsse. Die Instanz "Über-Ich" könne mit dem Begriff "Gewissen" gleichgesetzt werden. Ein auftretendes Schuldgefühl sei nichts anderes als die frühere Angst vor den Eltern, die sich nunmehr zu einer Angst vor den Forderungen des "über-Ich" wandelt. Zwei Fundamentalsätze ergeben sich aus den Erkenntnissen von Freud: Erstens: Sämtliche Handlungen des Menschen haben im psychischen Bereich eine Quelle; ihr Ablauf ist psychisch determiniert, d. h. es gilt das Prinzip der Kausalität. Zweitens: Bewußtsein ist eher ein außergewöhnliches Attribut psychischer Prozesse, d. h. unbewußte psychische Prozesse sind häufiger als bewußte81 • Freud meint, daß die Mehrzahl der Menschen die Kulturgebote in ihr "Über-Ich" aufgenommen hätten. Infolgedessen gehorche diese Mehrzahl den Kulturgeboten und schrecke vor Mord, Kannibalismus, Inzest und dergl. zurück. Nur eine bestimmte Art von Menschen, 67
Brenner S. 12.
4 Lullles
1. Teil: Theoretische Grundlegung
50
die Neurotiker, reagierten bereits auf Versagung (während der Kindheit) mit Asozialität'8. Bei den meisten Neurotikern sei die familiäre Situation der Keim der speziellen Wunschversagung. Es komme so nicht zu einem natürlichen Akzeptieren der Verbote im "Über-Ich". Durch die Wunschversagung werde das Kind jedoch frustiert. Auf Wunschversagung reagiere es dann mit Aggressivität. Speziell bei Verbrechern büße das "über-Ich" seinen bestimmenden Einfluß ein, d. h. es bleibe die Sublimierung der Aggressivität aus. Im Ergebnis läßt sich folgern, daß Freud zwar nicht das spezielle Phänomen "Tötungshemmung" genauer untersucht hat; aus seiner Terminologie und seinen Erkenntnissen ergibt sich aber, daß der Ort für die eTH hauptsächlich im "Über-Ich" zu suchen ist und ein Defekt bzw. ein Fehlen der Hemmung in der besonderen Bedingtheit und Entwicklung des psychischen Apparates. Eine aTH würde Freud ablehnen. 2. Kritik an Freud
Freud wird· an verschiedenen Punkten kritisiert, insbesondere dort, wo er von einer strengen Kausalität im psychischen Bereich ausgeht69 • Die hier vorgetragenen Grundgedanken bilden jedoch eine Basis der Psychologie, auf der die überwiegende Mehrzahl aller Psychologen auch heute noch steht. Für diese Arbeit werden also in erster Linie die Freud'schen Gedanken verwendet. 3. Peter Gast
Gast stellt folgende Fragen70 : 1. Gibt es bestimmte Kennzeichen, die allen oder fast allen Mördern gemeinsam sind? 2. Finden sich diese Kennzeichen auch bei anderen Menschen, wenn ja, in welchem Grad? Gast teilt die Mörder in verschiedene Gruppen ein, um ihre Psychologie näher kennenzulernen. Die Einteilung richtet sich im wesentlichen nach den Tatmotiven71 • Gast meint, die Mordtat entspringe entweder aus überschüssiger Kraft oder aus wirtschaftlicher Not72 • Weiterhin 68 68
S. Freud VIV, S. 331. z. B. Heyer, S. 48 ff.
Gast S. 5; so auch andere Autoren. Zum "Tatmotiv" vgl. Gruhle, "Motiv und Ursache", S. 113 ff. Eine Differenzierung der Täter nach Tatmotiven im landläufigen Sinn trägt eigentlich nichts zur Erklärung der Psychologie des Mörders bei. 72 Gast S. 21. 70 71
3. Kap.: Psychologische überlegungen
51
stellt er fest, daß diejenigen, die durch ihren Beruf gezwungen seien zu töten, die Scheu, die der gewöhnliche Mensch vor der Tötungshandlung habe, verlören711. Hieraus ergibt sich, daß Gast anzunehmen scheint, auch der Mörder habe normalerweise eine Tötungshemmung, es sei denn, er habe sie z. B. durch die Art seines Berufes verloren. Interessant ist noch eine statistische Vergleichszahl: Frauen begehen Tötungsdelikte im Vergleich zu Männern nur in seltenen Fällen74 . Dabei überwiegt bei Frauen die Begehungsart durch Vergiften. Die Tatausführung wird also in der Form der direkten Konfrontation mit dem Opfer meist vermieden. Dazu paßt auch, daß Frauen bei Tötungsdelikten sehr oft nicht selbst als Täterinnen, sondern nur als Anstifterinnen eines Mannes auftreten 75 . Hieraus lassen sich natürlich Schlüsse hinsichtlich der Tötungshemmung ziehen. Ein Detail, das sich auch durch das Studium der 35 Strafakten bestätigt hat, ist noch erwähnenswert: Die meisten Mörder, mit Ausnahme der Raubmörder, sind nicht vorbestrafF6. Weiterhin sei bei den Tätern eine starke Eitelkeit, die auf einem Mangel an Intelligenz beruhe, zu beobachten. Von 22 untersuchten jugendlichen Mördern seien nur 12 geistig gesund gewesen77. Im Kriege könne bei manchen Personen ein Blutrausch ausgelöst werden, der einen Rückfall in vorkulturelle Zeit andeute, als das Tötungsverbot wohl noch nicht gegolten habe 78 . Dies ist - wie bereits gesagt wurde - lediglich eine Annahme, die sich durch nichts beweisen läßt. Als Charakterisierung der Psychologie des Mörders seien zu nennen: Gefühlslosigkeit, Egoismus, geistige Unreife, Leidenschaft79 . 4. Anclreas Bjerre
Bjerre hat als entscheidendes Merkmal der von ihm untersuchten Mörder eine "Schwäche" festgestellt. Diese Schwäche umschreibt er mit dem Begriff "Lebensuntauglichkeit"8o. Die Ursache dieser Lebensuntauglil!hkeit könne man in besonderen individuellen psychologischen Defekten nachweisen. Man finde die Lebensuntauglichkeit unter den
73 74 75 76
77 78 79
80
ebd. S. 24. ebd. S. 29. ebd. S. 31. ebd. S. 32; so auch andere Autoren. Baer S. 100 f.; so auch andere Autoren. Gast S. 52.
ebd. S. 61: s. a.
Bjerre S. 5 ff.
Weingart
S. 379 ff.
52
1. Teil: Theoretische Grundlegung
Mördern in verschiedenen Formen, die im Grunde nur Mittel und Wege seien, der Wirklichkeit zu entfliehen. Hier zeigen sich bei Bjerre Gedanken, die der Adler'schen Theorie von der eingebildeten oder tatsächlich erlebten Minderwertigkeit sehr nahestehen81 • Bjerre meint, drei einfache Wege gefunden zu haben, auf denen jeweils ein Mörder seine Lebensuntauglichkeit zu überdecken versucht: a) Selbstbetrug; b) Angst oder auch Selbstaufgabe; c) Scheinleben82 • Bjerre findet an den von ihm untersuchten Tätern, daß Eigenschaften, die beim Durchschnittsmenschen im normalen Leben als mehr oder weniger "unschuldig" erscheinen, beim Mörder wegen des Fehlens aller positiven hemmenden Kräften ungestört hätten wachsen können 83 • Bjerre spricht hier von hemmenden Kräften, ohne diese allerdings im weiteren Verlauf genauer zu untersuchen; vielmehr geht er davon aus, daß bei einem Teil der von ihm untersuchten Leute verschiedene Hemmungen von früherer Kindheit an nicht vorhanden gewesen seien. Zudem meint Bjerre, daß in der Psyche seiner Probanden eine Menge unendlich primitiver, brutaler Vergleichsinstinkte lebe, die sämtlich aus Defekten erwachsen seien. Daß dem keineswegs immer so ist, wird sich bei der Untersuchung im 11. und II!. Teil herausstellen. (Dazu kommt noch, daß man nach heutiger Einsicht hier nicht mehr das Wort "Vergeltungsinstinkt" setzen kann). Bjerre konkretisiert die drei Wege a) Selbstbetrug, b) Angst oder Selbstaufgabe, c) Scheinleben noch wie folgt84 : a) Selbstbetrug: Er setze sich zusammen aus Religiosität, Selbstmitleid des Täters mit seiner eigenen Vergangenheit und Entschuldigungsversuchen des Täters zu seinem Vorleben. Bjerre stellt hier fest, daß anfänglich durchaus weder Gefühlskälte noch ein amoralisches Bewußtsein vorhanden gewesen sein müsse. Hemmende Kräfte, die während der ersten 5-15 Lebensjahre durchaus bestanden hätten, würden erst später abgebaut. Durch einen Umschwung würden plötzlich die moralischen Kräfte schwinden, worin die an sich anfangs schon vorhandene Schwäche sich zeige. Es komme zu einer "psychologischen VerWesung", auf Grund derer bald nichts anderes Zentrales und Dauerhaftes mehr übrig bleibe als eine ebenso ziellose wie grenzenlose Sehnsucht. Zudem sei zu beobachten, daß Verbrecher vor der herannahenden Katastrophe wochen- und monatelang in vollständiger Untätigkeit verharrten und daher immer schwächer würden; sie begäben sich so radikal in die Welt des Selbstbetruges. 81 81
83 84
Adler S. 62 ff. Bjerre S. 8. ebd. S. 10. ebd. S. 31 ff.
3. Kap.: Psychologische überlegungen
53
b) Angst oder Selbstaufgabe: Es liegt hier ein radikaler Mangel an Selbstvertrauen vor. In der Regel hänge dieses Bewußtsein der eigenen Lebensuntauglichkeit mit angeborenen körperlichen Defekten organischer oder nervöser Natur zusammen86 • Nur in den seltensten Fällen dürfte der Defekt auf außerordentlichen Milieueinflüssen oder auf Erlebnissen während der Kindheit beruhen, die zu stark auf normale, aber noch nicht voll entwickelte Seelenkräfte gewirkt hätten und dadurch den Grund zu einer unausrottbaren Furcht vor dem Leben in allen Formen gelegt hätten. Teils sei der Inhalt des unbewußten Seelenlebens bei diesen Tätern fast ganz und gar bedeutungslos, teils sei es gerade wegen des zersplitterten, zermürbten, aufgelösten fließenden Inhalts ihres unbewußten Seelenlebens nie möglich, unmittelbar die tieferen psychologischen Realitäten, die sich darin geltend machten, zu beobachten. Die eigene Seeleninstanz sende bei diesen Leuten keine eigenen notwendigen Impulse aus. Nicht so sehr übermäßig starke Triebe, als vielmehr ganz einfach eine Auflösung der inneren Kräfte, bedingt durch die innere Schwäche seiner Natur, sei hier verantwortlich für die Tat. c) Scheinleben: Sämtliche individuellen Gefühle und Instinkte seien in diesen Fällen entweder von Geburt an oder von frühester Kindheit an zu schwach gewesen, um die Basis für ein persönliches Leben zu bilden. Bei diesen Tätern vollziehe sich nur ein Aneignen äußerer Lebensregeln. Als Einziges lebe in ihnen ein grundlegender Egoismus. Noch einige Details sind erwähnenswert8ll • Es bestehe eine Verwandtschaft des Seelenlebens der Kinder mit dem der intellektuell meist minderbegabten Mörder. Diese Einsicht wird sich im II. Teil noch bestätigen. Weiterhin meint Bjerre, daß die größte Angst der Mörder darin bestehe, sich einmal unverbesserlich zu kompromittieren. Auch dieser Punkt erscheint besonders wichtig, da viele Mörder tatsächlich eher einen Menschen töten, als sich selbst vor der Umwelt kompromittieren zu müssen. Schließlich entwickle sich aus der verschwommenen Erkenntnis des Täters, daß sein Leben sich in einem circulus vitiosus leerlaufe, ein Haß gegen jedermann, der sich dann in irgend einem Brennpunkt konzentriere: im späteren Opfer. Der Haß als solcher involviere natürlich, daß sich die Situation des späteren Täters noch verschärfe. Durch die Tat selbst könne der Täter seinen Haß ein für allemal gegen die Menschen und das Dasein in seiner Gesamtheit abreagieren und sich so überzeugen, daß er stärker war als die ganze Wirklichkeit.
85
s. a. AdleT S. 62 ff.
88
BjeTTe S. 89.
1. Teil: Theoretische Grundlegung
54
Abschließend meint Bjerre, nur das ursprüngliche Gefühl für die moralische Verwerflichkeit des Verbrechens könne auf die Dauer einen Menschen davor retten, zum Verbrecher zu werden. Damit siedelt Bjerre die Tötungshemmung, auf die er mehrmals zu sprechen kommt, einerseits im Bereich des Freud'schen "Über-Ich" an, andererseits führt er ihr Fehlen bzw. ihren Abbau auch auf eine von Geburt an bestehende zu schwache psychische Konstitution zurück. Bjerres Darstellung ist in mancher Hinsicht zu einseitig, da vor allem die Hauptvoraussetzung "Lebensuntauglichkeit" nicht bei allen Tätern zu finden ist87 ; auch läßt sich die Theorie, daß in der Tat ein Haß gegen jedermann zum Ausdruck komme bzw. sich entlade, nicht bestätigen. Dennoch konnten viele Gedanken für die Befragung der 12 Täter und die Interpretation ihrer Antworten verwendet werden. 5. Weitere Autoren
In letzter Zeit sind einige wichtige Arbeiten erschienen, die sich unter verschiedenen Aspekten mit der Psychologie und der Psychopathologie des Mörders beschäftigen; es seien hier einige genannt, deren Gedanken für das vorliegende Thema in Frage kommen: Steigleder88 (1968), Brückner (1961), Ghysbrecht (1967), Rasch (1964), Unruh (1965), Wurmser (1959), Palmer (1963), Lipton (1963), Kahn (1965) und Schipkowensky (1963), sowie die von Wolfgang herausgegebene Aufsatzsammlung (1967). Andere Arbeiten, vor allem solche aus früheren Jahrzehnten, begnügen sich mit eher statistischen Ermittlungen. Jedoch versuchen Lenz (1831), Többen (1932) und Gruhle (1936) die psychologischen Hintergründe bei den einzelnen von ihnen untersuchten Tätern aufzudecken und schließlich Charakteristika herauszuarbeiten. So ist die Erkenntnis von Többen, daß eine bestimmte seelische Tatbereitschaft8' für die zur Tat drängenden und führenden Gedankengänge notwendig sei, sehr wichtig; denn schon die Tatsache, daß jemand in das Stadium einer entfernteren Tatbereitschaft kommt, deutet auf einen Defekt der eTH hin. Nach Többen sind die Seelen- und Charakterzustände für die entferntere Tatbereitschaft verantwortlich. Steigleder stellt die Frage, welche Voraussetzungen erforderlich seien, damit ein Mensch bereit ist, die Existenz eines anderen zu vernichten. Um 87
s. a. Steigleder S. 19.
Bei Steigleder S. 12 findet sich eine ausführliche Auseinandersetzung mit der speziellen Literatur. 88 Többen unterscheidet zwischen entfernterer und näherer Tatbereitschaft. 88
3. Kap.: Psychologische überlegungen
55
diese Frage beantworten zu können, untersucht er die "Persönlichkeit"90 von 111 Mördern und Totschlägern. Er stellt u. a. fest, daß die Persönlichkeit eines Mörders zur Tatzeit das Ergebnis einer vorwiegend daseinsbedingten, früh in Gang gekommenen Fehlentwicklung ist, die zu einer Defektbildung im gefühls- und gemütsmäßigen Bereich und dem Ausbleiben einer ethisch-moralischen Prägung geführt hat91 • Außerdem fänden sich bei fast allen Tätern nicht unerhebliche Minderwertigkeitsgefühle, eine Einsicht, die sich auch in der vorliegenden Arbeit noch bestätigen wird. Weiterhin sei eine Neigung zur Affektstauung zu beobachtenD2 • Ein entsprechend großer innerseelischer emotionaler Spannungszustand könne ohne weiteres auch in der Lage sein, die Schranke, die durch einen fest fundierten ethischen Standpunkt aufgebaut sei, zu durchbrechen83 • Ob allerdings beim Mörder ein solcher fest fundierter ethischer Standpunkt zu finden ist, das muß hier erst noch untersucht werden. Es ist nämlich anzunehmen, daß jemand mit einer verhältnismäßig ungleichgewichtigen Persönlichkeit einen ethisch fundierten Standpunkt gar nicht aufbauen kann. Meist nicht hinreichend durchleuchtet wird auch von den neueren Autoren die Frage, wieso nun gerade bei bestimmten Menschen zwischen gedanklichem Planen einer Tötung und der tatsächlichen Ausführung keine entscheidende Barriere mehr besteht. Unruh" spricht von einer "vis vitalis", der eine Hemmung aufoktroyiert sei; jeder Mord erfordere somit eine Überwindung dieser Hemmung. Indem Ghysbrecht den Mord entweder auf sexuelle, soziale oder existentielle FrustrationD5 zurückführt, nimmt er zum Teil Gedanken von Bjerre wieder auf. Insbesondere beschäftigt er sich mit der Aggression. Wichtig ist auch seine Erkenntnis, daß das Gewissen bei vielen Tätern eine "Dressatsstruktur" aufweistoe. DD Steigleder S. 31 f. nimmt zum Problem, was unter "Persönlichkeit" zu verstehen ist, mit weiteren Literaturbeispielen Stellung. In der vorliegenden Arbeit braucht auf diese Problematik nicht weiter eingegangen zu werden, da die Täter unter den speziellen Gesichtspunkten des Themas umfassend untersucht werden. n ebd. S. 66 f.; Wurmser S. 103. 9! Steigleder S.77 dies gilt insbes. für Steigleders sogenannte Affekttäter. 93 ebd. S. 84; auch hier ist vom "Affekttäter" die Rede. 94 Unruh S. 27 f. 05 Ghysbrecht S. 69 f.; vgl. auch Palmer, der bei der Untersuchung von 51 Mördern physische und psychische Frustrationen in den ersten Lebensjahren feststellte, und zwar in stärkerem Maße als bei den zum Vergleich herangezogenen Brüdern der Mörder. Dies sei ein Beweis dafür, daß schwere Frustrationen zur Bildung besonders starker aggressiver Tendenzen im Individuum führen. 98 ebd. S. 76.
1. Teil: Theoretische Grundlegung
56
Im übrigen stellen fast alle Autoren eine egozentrische Persönlichkeit'7 beim Mörder, manche eine Disposition zur Aggressivität und einer strukturell bedingten Kontaktschwäche'8 fest. Es bedürfe zur harmonischen Entwicklung des Gewissens und des Verantwortungsbewußtseins eines bestimmten Grades der sozialen Anpassung und der affektiven Bindung an andere Menschen". Insofern ist Brückner100 nicht zuzustimmen, der meint, es werde manchmal nicht ganz zu unrecht von genotypisch dumpfen, primitiven und äußerst gewalttätigen Leuten behauptet, sie seien die "geborenen Mörder". Ochinskyl0l stellt noch folgende Hauptgesichtspunkte heraus: Der Mörder habe ein gestörtes Verhältnis zur Realität, ein besonderes Verhältnis zum Tod, eine verneinende Stellung zu den anderen, gegensätzliche Beziehungen zu seiner Persönlichkeitsorganisation, und weiterhin seien bei ihm frühe Frustrationen festzustellen. Schließlich ist noch auf die Faktorenanalyse von Kahn102 hinzuweisen, die jedoch zu allgemein bleibt.
Mit diesem Überblick ist nunmehr ein theoretischer Ausgangsbereich abgesteckt, auf dem die spezielle Untersuchung aufbauen kann. Unter anderem wurden auch die 161 Fragen an die Täter auf diesem theoretischen Hintergrund entwickelt. Die verschiedenen Ansichten wurden absichtlich noch verhältnismäßig kritiklos nebeneinander gestellt, damit der Blick für mögliche Aspekte bei der Befragung der Täter und der Interpretation ihrer Antworten offenblieb. 6. Zusammenfassung in Thesen (eTH) 1. Der Nichtmörder hat eine eTH. Sie ist in erster Linie auf den Be-
reich des "theoretischen Handeins" zugeschnitten, sie kann aber auch noch beim Übergang vom theoretischen zum praktischen und im Vollzug des praktischen Handeins selbst in Erscheinung treten. In diesem Stadium würde sie aber in einer entsprechenden Zwangssituation sogar beim Nichtmörder die endgültige Tötung möglicherweise nicht mehr verhindern können. Diese eTH hat ihren Ort vor
D7
D8
Wurmser S. 234 ff. Ghysbrecht 5.180 f.; ähnlich auch Wurmser S. 237; er spricht dort von
Partizipationsstörungen, Minderwertigkeits- und Ohnmachtsgefühlen, u. a., überdeckt von einer Mehrheit von verschiedenen Ich-Existenzen. " ebd. S. 182. 100 Brückner S. 79; dieser bezieht sicl1 dabei auf von Hentig "Der Mord" 5.5. 101 Ochinsky, a.a.O. 101 Kahn, a.a.O.
3. Kap.: Psychologische überlegungen
57
allem im "Über-Ich" und weiterhin in den affektiven 103 Schichten, die durch Identifizierung angesprochen werden. 2. Mögliche Abweichungen von der Norm beim Mörder: a) Es bestehen habituell im psychischen System Schwächen bzw. Stellen physischer Unterentwicklung oder Minderwertigkeit. Dazu kommen ungünstige Eindrücke auf Grund der Erziehung und der UmweIteinftüsse während der ersten Lebensjahre. Es entstehen Frustrationen. Die Ge- und Verbote werden vom "Ich" und dann vom "Über-Ich" nicht ohne weiteres aufgenommen, so daß es zu einem Aggressionsstau kommt. Schließlich kann sich die Aggressivität in einer Tötungshandlung freisetzen, ohne einem wirksamen Hemmungssystem aus dem "Über-Ich" unterworfen zu sein. Außerdem bestehen Schwächen im affektiven Identifizierungsmechanismus, so daß auch aus diesem Bereich keine nennenswerten Hemmungen fließen. Man kann für diesen Fall sagen, eine Tötungshemmung habe von Anfang nicht oder nur in sehr geringem Maße bestanden. b) Das Tötungsverbot wurde zwar zunächst mit den übrigen Geund Verboten vom "Ich" und dann vom "Über-Ich" aufgenommen. Auch der Identifizierungsmechanismus funktioniert einigermaßen. Im Laufe der Kindheits- und Jugendentwicklung kommt es jedoch zu Wunschversagungen und Minderwertigkeitserkenntnissen. Als Folge eines wohl schon habituell nicht allzu starken psychischen Systems kann sich eine Psychopathie entwickeln, die gleichzeitig einen Abbau und eine falsche Verwendung der psychischen Kräfte bedingt. Auch hier entsteht meist Aggressivität. Bereits vor und insbesondere zur Tatzeit sind dann nicht mehr die ausreichenden psychischen Gegen-Energien vorhanden, so daß das "Über-Ich" nicht mehr hinreichend starke, die Aggressivität hemmende Impulse aussendet. Eine affektive Identifizierung mit dem Opfer findet nicht oder nur kaum statt. c) Schließlich ist noch der Fall eines an sich intakten, der Norm entsprechenden psychischen Systems denkbar, welches das Tötungsverbot aufgenommen und verankert hat. Durch Sorge, Not, Furcht oder ähnliche Einflüsse wird das System jedoch immer wieder überbeansprucht. Habituell ist meist eine gewisse psychische Schwäche anzunehmen. Unterschwellig wurde Aggression gestaut. Im kritischen Fall kann es daher zu einem Ausklinken der sonst funktionierenden Hemmungsmechanismen kommen. Die 103 "Affektiv" wird hier im Sinn von "gefühlsmäßig" gebraucht; vgl. hierzu näher Steigleder S. 76 f.
58
1. Teil: Theoretische Grundlegung
Identüizierung mit dem Opfer findet zwar teilweise statt; sie wird jedoch durch "Entschuldigungen" in ihrer Wirksamkeit umdirigiert. Das "Über-Ich" sendet dann hauptsächlich erst nach der Tat ein ungeheures Schuldgefühl aus; das "Ich" kann sein eigenes Handeln kurz nach der Tat überhaupt nicht mehr verstehen. Diese Thesen, die zunächst noch durch nichts bewiesen sind, bedeuten eine qualitative und eine quantitative Unterscheidung der eTH. Als weiteres Element, das in den bisherigen Erörterungen noch nicht genauer in Erscheinung trat, wurde in ihnen der Grad der affektiven Identifizierung des Täters mit dem Opfer hinzugefügt. Daß hier eine Überschneidung mit genetisch bereits verankertem Verhalten möglich ist, kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Gemeint ist hier vor allem Identifizierung als individuell gewordene und vom Ich dirigierte Reaktionsweise. Die Thesen wurden bei der Befragung der einzelnen Täter jeweils in ihrer Verifizierbarkeit nachgeprüft. Deshalb erschien es besonders wichtig, auch unter dem Gesichtspunkt der eTH nicht nur die Tatumstände, sondern auch die gesamte Lebensgeschichte des einzelnen Täters zu erforschen und durch Modellbeispiele Reaktionsweisen zu ermitteln.
ZWEITER TEIL
Die einzelnen Täter E.,.stes Kapitel
Wichtige Merkmale auf Grund der Lektüre von 35 Strafakten Die wichtigsten Merkmale aus den Strafakten von 35 Tätern werden hier nur kurz zusammengefaßt, da sich entscheidende Gesichtspunkte zum Thema erst aus den Unterhaltungen mit den 12 Tätern in S. ergaben. In fast allen Fällen ging der Tat eine Problemsituation voraus, die sich oft über Jahre hinzog. Fast immer erwuchs die Problemsituation 1 aus der Beziehung des Täters zum Opfer. Sämtlichen Tätern wurde in den psychiatrischen bzw. psychologischen Gutachten die Diagnose einer mehr oder minder starken Psychopathie% gestellt. Die in Frage kommenden Psychopathien sind: Selbstunsicherheit, Geltungsbedürfnis, Stimmungslabilität, Explosibilität, Gemütslosigkeit, leichter Schwachsinn, Willenlosigkei~. Bei den einzelnen Tätern findet man jeweils verschiedene Kombinationen dieser Formen; eine genaue medizinische Diagnose ist jedoch nicht möglich: Die Übergänge im Vergleich zum Nichtpsychopathen sind fließend'. Als im medizinischen Sinn geisteskrank war jedoch keiner der Täter klassifiziert worden. Bei manchen Tätern war eine Schilddrüsenver1 Steigleder S.67, spricht von "Konfliktsituation". Manchmal spiele die Auseinandersetzung mit der sozialen Situation, manchmal der mitmenschliche Kontakt, manchmal der fehlende Kontakt zur Umwelt, manchmal das besondere triebhafte Bedürfnis bei mangelnden mitmenschlichen Kontakten eine Rolle. ! Steigleder S. 28, 44 f., wendet sich mit gewisser Berechtigung gegen den Terminus "Psychopathie" und spricht lieber von "abnormen Persönlichkeiten". Da die entsprechenden Forschungen aber noch kein abschließendes Bild ergeben haben, wird der Terminus hier noch beibehalten. Im übrigen konnte auch Steigleder unter den von ihm untersuchten 111 Tätern keinen als völlig unauffällige, ausgeglichene, harmonisch-konkordante Persönlichkeit klassifizieren. 3 K. Kolle S. 2l. 4 ebd. S. 23.
60
2. Teil: Die einzelnen Täter
größerung festgestellt worden, was eine stärkere Aggressivität zur Folge haben kann 5• Bei einigen Tätern wurde im Elektroenzephalogramm8 eine Abweichung von der Norm festgestellt; so z. B. ein flaches EEG vom Betatyp statt des üblichen Alpha-Rhythmus. Dies stellt jedoch nur eine Variante der Norm ohne Krankheitswert dar. Fast alle Täter gaben auf Befragen der Richter und der sonstigen untersuchenden Personen an, die Tat sei "passiert"7, sie könnten sich ihr Handeln selbst nicht erklären; ein Töten des Opfers sei gar nicht beabsichtigt gewesen. Auch die oft sehr ausführlichen psychiatrischen bzw. psychologischen Gutachten - die Täter wurden in manchen Fällen bis zu sechs Wochen in einer Nervenklinik beobachtet - kommen dem Einzelfall nie eindeutig auf die Spur. Insbesondere konnte nie die Frage geklärt werden, warum nun gerade dieser Täter einen Mord begangen habe, während unzählige andere Menschen in einer vergleichbaren Situation und mit etwa vergleichbarer psychischer Bedingtheit nicht getötet hätten. Nur die besonderen Bedingungen einer eTH erwiesen sich bei den einzelnen Tätern als genauer nachprüfbar, während es Schwierigkeiten bereitete - s. o. S. 18 f. -, die besonderen Bedingungen einer aTH zu ermitteln. Letzteres ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß die Taten in den meisten Fällen mit Hilfe von Waffen durchgeführt wurden, und daß der Tathergang von den meisten Tätern verdrängt worden war oder noch nicht genau genug geschildert wurde. Außerdem liegt, wie schon gesagt, die Schwierigkeit, genaue Aussagen über bereits genetisch verankertes Verhalten zu machen, daran, daß dem Verfasser keine Versuchsanordnungen zur Verfügung standen, mit Hilfe derer sich angeborene Verhaltenskoordination, unterschieden von subjektiv erlernten, mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit erweisen ließen. Dennoch wurde versucht, aus den Antworten Schlüsse zu ziehen. So konnten bei einigen Tätern ziemlich deutliche Anhaltspunkte für das Vorhandensein auch einer gewissen aTH gefunden werden, während bei 5 Jores-Nowakowski S. 39 f. Dies gilt in der Regel nur bei überfunktion der Schilddrüse. 8 Vgl. zur Problematik der Erkenntnisse aus dem EEG, insbes. bei Psychopathien Verdeaux G. und J., Bochnik, Kugter und Silvermann. Silvermann und Verdeaux konnten bei Kriminellen mit aggressivem Verhalten einen relativ großen Anteil von Kurven feststellen, die auf psychische Abweichungen hindeuten. Ghysbrecht S. 163 meint jedoch, daß eine Korrelation eher zwischen Pathologischem EEG und Epilepsie gesucht werden müsse und nicht zwischen dem EEG und kriminellem Verhalten oder Psychopathie. 7 Vgl. Rasch S. 97 f.; die beim Täter bestehende Möglichkeit zur Aktualisierung des Tatvollzuges erwachse aus einer bestimmten psychischen Verfassung, einer speziellen Gestimmtheit ... Diese finde im Erlebnisfeld des Täters nicht Repräsentanz als eine auf einen anderen gerichtete Aggression.
1. Kap.:
Wichtige Merkmale auf Grund der Lektüre von 35 Strafakten 61
anderen viel für ein Fehlen spricht. Es zeigte sich in manchen Fällen, daß eine aTH im Endergebnis doch nicht stark genug ist, um schließlich die tödliche Aggression zu verhindern, vor allem dann, wenn eine innere Antriebslage und eine äußere subjektiv zwanghaft wirkende Umweltsituation eine extreme Konfliktsituation aufbauen. Allerdings handelte es sich in diesen Fällen um psychopathische Persönlichkeiten, bei denen das Verspannungssystem der Antriebe nicht ausbalanciert war - vgl. o. s. S. 26. Der Grad einer eTH bzw. der Grad ihres Nichtvorhandenseins war bei den einzelnen Tätern jeweils verschieden. Ein gänzliches Fehlen einer eTH war nur selten zu beobachten. Viele Täter kostete der übergang vom Plan bzw. vom theoretischen zum praktischen Handeln mehr oder minder starke Überwindung, auch wenn sie dies selbst gar nicht bewußt bemerkten. Dies drückt sich darin aus, daß die Täter sich oft selbst in eine Art unbewußten Zustand versetzten, damit die kontrollierenden Impulse des "Über-Ich" und eventuelle affektive Hemmungen möglichst vom "Ich" nicht wahrgenommen würden. Auf diese Weise konnte sich dann Aggression bei den einzelnen Tätern auf den ersten Blick weitgehend ungehemmt freisetzen, während bei näherem Hinsehen doch ein Wirken verschiedener Hemmungselemente, die allerdings zu schwach waren, erkennbar ist. Die Tat stellte sich dann - ex post - in den Augen des einzelnen Täters gar nicht so sehr als eigenverantwortliches Handeln ihres bewußten "Ich" dar. Meist folgte nach der Tat eine starke Ernüchterung. Nur bei wenigen Tätern fehlte diese Ernüchterung. Letzteres dürfte dann auch als Indiz für eine eher geringe eTH gewertet werden, d. h.: das "Über-Ich" dieser. Täter sendet auch nach der Tat keine Impulse aus, die Nervosität und Reue aufkommen ließen. Für das Fehlen solcher Impulse ist weiterhin in den meisten dieser Fälle mit ziemlicher Sicherheit eine Psychopathie in der Form von Gemütsarmut verantwortlich. Bei der Mehrzahl der Täter lassen sich also auf den ersten Blick nur Kriterien für eine schwache oder defekte eTH, nicht aber für ihr gänzliches Fehlen ermitteln.
2. Teil: Die einzelnen Täter
62
Zweites Kapitel
Schemata der Befragungen und der Einzeldarstellungen Methodik der Fragen und der Auswertung der Antworten 1. Schema der Befragungen in S
Von den 35 Tätern wurden 9 ausführlich und 3 nur kurz befragt. Die Einzelbefragungen richteten sich nach einem Schema von 161 Fragen, welche die folgenden Bereiche betrafen8 : I. 11. 111. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV.
Kindheit, Stellung als Kind in der Gesellschaft Lebenserfahrungen, Lebenspraktiken Biologische Daten Psychologische Struktur, spezielle Reaktionsweisen Besondere Neigungen bzw. Abneigungen Stellung zur sozialen Umwelt Allgemeine Ansichten Identifizierung Selbsteinschätzung Leiterlebnisse' Traumleben Die Tat Eigenmotivierung und Erklärung der Tat Elemente, die bereits auf die Tat hinweisen Die Tötungshemmung
Einige Fragen können auch mehreren Bereichen zugeordnet werden. 2. Sdlema der Einzeldarstellungen
Die Darstellung der einzelnen Täter ist nach folgenden Hauptpunkten gegliedertl°: 8 Insbes. die Fragen der Punkte I, II und X sollen' die Persönlichkeit des Täters, wie sie geworden ist, also ihre Geschichte, aufzeigen; vgl. auch Steigleder S. 45 f. Es kommt entscheidend auf die Eindrücke an, die "das Grundmaterial der Persönlichkeit als formbare Substanz innerhalb mehr oder weniger großer Grenzen erfahren hat." Steigleder S. 58. g Vgl. Lückert S. 466 ff., der die Wichtigkeit der Grund- und Schlüsselerlebnisse betont. 10 Wurmser und auch Lenz bauen, neben einigen anderen, ihre Untersuchungen in beispielhafter Weise auf; hier empfiehlt sich jedoch wegen der Besonderheit der Fragestellung ein anderer Aufbau.
2. Kap.: Befragungs- und Darstellungsschemata; Methodisches
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1. Lebenslauf und Vorgeschichte (aus den Strafakten)
2. Die Tat (aus den Strafakten) 3. Einzelheiten aus den psychiatrischen bzw. psychologischen Gutachten (aus den Strafakten) 4. Die Befragung des Täters in S. a) Kindheit und Jugend b) Wichtige Erlebnisse c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen d) Verhältnis zur Umwelt (allgemein) e) Verhältnis zu Frauen und zur Sexualität f) Einstellung zum Leben, Ansichten g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod h) Die Tat i) Stellungnahme des Täters zur Tat j) Verhalten nach der Tat k) Traumleben; die Erzählung nach vorgegebenen Begriffen 5. Psychologische Interpretation der Antworten und Schlußfolgerungen zur Frage der Tötungshemmung beim einzelnen Täter. a) b) c) d)
Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten Die aTH Die eTH Zusammenfassung 3. Methodik der Fragen und der Auswertung der Antworten
Die 161 Fragen wurden den Tätern absichtlich nicht in einer allzu logisch-systematischen Reihenfolge gestellt, damit diese sich nicht durch soeben gegebene Antworten für die nächstfolgenden präjudizierten. Außerdem konnten nicht alle Fragen den verschiedenen Tätern in der selben Anzahl und in der selben Form gestellt werden, da manche Täter gerade zu den näheren Tatumständen keine genaueren Auskünfte geben konnten oder wollten. Schließlich waren manche Fragen für einige Täter wegen der Besonderheit der Tat nicht zutreffend. Die Fragen haben, abgesehen von den unterschiedlichen Bereichen, zu denen sie gehören, auch noch verschiedene methodische Zielrichtungen: So soll eine Gruppe von Fragen den Täter aus sich heraus zum Erzählen anregen, ihn also nicht durch Modellbeispiele festlegen. Aus dem Erzählten und der Art des Erzählens sind dann entsprechende Schlüsse zu ziehen. Eine zweite Richtung von Fragen geht dahin, vom Täter konkrete Antworten zu erfahren, die ihm in Form von Alter-
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2. Teil: Die einzelnen Täter
nativantworten bereits vorgegeben wurden. Hier sollte er möglichst schnell eine Alternative wählen, damit er gar nicht erst durch langes Überlegen zu einer Antwort kommen konnte, die dann kein echtes Abbild des eigentlichen Denkens und Verhaltens der Person mehr geben würde. Eine dritte Gruppe von Fragen geht dahin, daß der Befragte aus der Sicht Dritter antworten sollte. In solchen Antworten korrigiert bzw. beschönigt der Gefragte in der Regel nicht, da er sich nicht selbst verantwortlich gefragt fühlt. Damit entsprechen diese Antworten oft ganz genau der Einstellung des Befragten. Mit einer vierten Richtung von Fragestellungen sollte betont die Selbsteinschätzung des Befragten auf verschiedenen Gebieten ermittelt werden. Aus dem Vergleich dieser Antworten mit denen der anderen Gruppen ergeben sich interessante Aufschlüsse über den Wahrheitsgehalt der übrigen Antworten. Außerdem kann man aus Über- oder Untertreibungen Anhaltspunkte für etwaige Psychopathien gewinnen. Schließlich unterscheiden sich die Fragen noch dadurch, daß sie zum Teil auf vergangenes, zum Teil auf potentielles zukünftiges Verhalten abstellen. Fragen nach vergangenem, insbesondere aggressivem Verhalten, sollen in erster Linie Aufschluß über die besonderen Bedingungen einer aTH, darüber hinaus aber auch einer eTH geben. Diesem Zweck dienen auch die Fragen nach den genauen Details der Tatbegehung. Aber hier konnten oder wollten die wenigsten Täter konkrete Angaben machen. Die Ausführungen in den jeweiligen Strafakten reichen unter diesem Gesichtspunkt meist überhaupt nicht aus.
Theorie von der Erkenntnismöglichkeit früheren praktischen Verhaltens auch aus Antworten zu nur vorgestelltem, potentiell zukünftigem Verhalten ll • Die Fragen zu potentiell zukünftigem Verhalten können unter folgender Voraussetzung manchmal auch Aufschluß über genetisch verankertes Verhalten, also auch über eine besonders geartete aTH geben: Man kann nämlich annehmen, daß Erfahrungen über eigenes Verhalten auf Grund früherer Situationen und früheren Verhaltens Antworten über potentielles zukünftiges Verhalten mitbestimmen. Dies soll ein Beispiel verdeutlichen: Der Täter wird gefragt, ob er ein Pferd töten könne. Hat der Befragte früher schon einmal eine Hemmung nicht überwinden können, als er eine Katze töten sollte oder wollte, so wird sein "nein" zur Frage, ob er ein Pferd töten könne, sicherlich von der damaligen nicht nur vorgestellten, sondern praktisch wirksam gewordenen Unfähigkeit, eine Katze zu töten, mitbestimmt; dies kann dabei ein bewußter oder auch unbewußter Vorgang sein. 11 Vgl. auch Gehlen S. 164, dessen Meinung vom Menschen als dem vollkommen unangepaßten Wesen nicht akzeptiert werden kann.
2. Kap.: Befragungs- und Darstellungsschemata; Methodisches
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Diese Wechselbeziehung zwischen früherem Verhalten, das Inhalt des Bewußtseins geworden ist, und der Antwort für den Fall potentiellen zukünftigen, wenn auch nur vorgestellten Verhaltens, führt also insofern über nur vorgestelltes Verhalten hinaus und kommt einem Abbild praktischen Verhaltens mit realem Umweltbezug gleich, als auch in der Antwort auf eine Frage nach potentiellem zukünftigen Verhalten durchaus früheres praktisches Verhalten zum Ausdruck kommen kann. Damit ist die Einschränkung - s. o. S. 34 ff. -, daß man an vorgestelltem "theoretischen Handeln" nur subjektiv erlerntes Verhalten nachprüfen könne, soweit es dabei auf Signale der Außenwelt ankomme, im Rahmen der obigen These einzuschränken. Man kann also aus diesen Antworten mit einer gewissen Vorsicht auf praktisches Handlungsverhalten schließen. In diesem Zusammenhang soll, um den Erkenntniswert dieser Operation zu zeigen, noch ein weiteres Beispiel angeführt werden: Ein Mensch, der bereits einmal einen anderen Menschen in direktem Kontakt, also unter gewisser Rückkopplung, getötet hat, kann eigentlich nur dann auf die Frage, ob er den Beruf des Henkers ausüben könne, mit "ja" antworten, wenn bei der damaligen Tötung keine oder nur eine ganz geringe aTH auftrat. Wurde jedoch bei der damaligen Tat eine aTH in einem für den Täter doch deutlich spürbaren Quantum ausgelöst - (wobei Umstände dazukamen, die dieses Quantum zur Verhinderung der Tat nicht ausreichen ließen) -, so kann der Täter nach der These von der Bedingtheit der Antwort durch frühere Erfahrung über eigenes Handelnkönnen auf die Frage nach der Fähigkeit zum Henkerberuf nur mit "nein" antworten. Mit dieser hier entwickelten Theorie soll nicht etwa behauptet werden, daß in den Antworten nicht auch individuell erworbenes Verhalten, Inhalte aus dem "Über-Ich" und rationale Inhalte mit enthalten sind. Diese Ausführungen mögen als Kommentar zum Sinn, zur Systematik und zum Erkenntniswert der Fragen genügen. Im nun folgenden 3. Kapitel werden die Unterhaltungen mit den Tätern in S. nur in Auszügen wiedergegeben. Viele Antworten wurden zusammengefaßt. Dabei erscheinen Antworten, die die spezielle Ansicht des Täters zu einer Frage wiedergeben, - meist gekürzt - in indirekter Rede. Nur zusammenhängende, längere Erzählungen, so vor allem über die Tat, werden - stellenweise gekürzt - in direkter Rede aufgezeichnet. Die Reihenfolge der im Folgenden wiedergegebenen Antworten entspricht, wie dies schon aus dem Unterschied der beiden Schemata - s. o. S. 62 f. - hervorgeht, nicht den Unterhaltungen in S., da die Systematik der Fragen in S. anderen Gesichtspunkten diente - s. o. S.63.
Es beginnt nunmehr die Darstellung der einzelnen Täter. Dabei werden die Antworten der ersten Täter noch etwas ausführlicher behandelt 5 Lullies
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2. Teil: Die einzelnen Täter
als die der folgenden. Damit soll zunächst ein plastischer Eindruck von der Gesprächssituation und den einzelnen Antworten vermittelt werden.
Am Anfang steht der Täter mit der schwächsten Tötungshemmung 12 ; dies gilt sowohl für die aTH als auch für die eTH.
Drittes Kapitel
Die 9 ausführlich befragten Täter L Der Täter A geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
1941 Berufssoldat bei der Bundeswehr ledig Quartier einer Dirne in einer Großstadt 31. 8. 1960, ca. 21 Uhr 18 Jahre und 8 Monate Dirne, 21 Jahre alt gewürgt, geschlagen mit Gummikabel erdrosselt
Vorbemerkung A hat weder eine starke aTH noch eine ausgebildete eTH. Es handelt
sich bei ihm um einen Täter, der seine Tat eine Stunde vor der Begehung plante und dann "sachgemäß" durchführte, ohne dabei auf irgendwelche eigenen inneren Skrupel zu stoßen. A stellt insofern einen besonderen Fall dar, als er seine Tat als vollkommen eigenverantwortlich und bewußt ausgeführt erzählt, ohne die Tatsekunden selbst zu umnebeln. Bei den meisten übrigen Tätern stellte sich nämlich heraus, daß sie die Tatsekunden selbst gar nicht mehr genau rekonstruieren konnten oder wollten, sondern von einer völligen Unklärbarkeit ihres HandeIns sprachen. Sie behaupteten grundsätzlich, noch wenige Minuten vorher gar nicht auf den Gedanken gekommen zu sein, ihr Opfer töten zu wollen. Es sei vielmehr "passiert". 12 Eine Einteilung der Täter nach sogen. Tätertypen vgl. z. B. von Hentig, ist hier nicht sinnvoll. Eine Einteilung etwa in Gewinnsucht-, Deckungs-
und sonstige Täter bleibt zu oberflächlich. Möglich ist jedoch die Einteilung von Stürup in wirtschaftlich bedingte, mehr psychopathologisch bedingte und durch verzögerte emotionale Störungen bedingte Täter; überzeugender noch erscheint diejenige von Steigleder in Affekttäter, Triebtäter und Rationaltäter. Als Rationaltäter könnte man in der vorliegenden Arbeit A, D und J bezeichnen, während die übrigen Täter Steigleders Affekttätern zuzurechnen wären.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Ob dies wirklich durchwegs bei den verschiedenen Tätern der Fall war, muß bezweifelt werden. Jedenfalls können die meisten Täter zu den einzelnen Tatmodalitäten nicht eigentlich Auskunft geben13• Die Frage also nach der Stimmung zur Tatzeit, etwaigen Ekelgefühlen, nach Angst, Gewissensbissen, insbesondere nach der Rolle des Opfers, oder danach, ob eine Hemmung habe überwunden werden müssen, konnte deshalb bei den meisten Tätern gar nicht direkt gestellt werden; vielmehr mußten hier indirekt Schlüsse gezogen werden. Dies ist nur beim Täter A vollkommen anders, da er bereitwillig über jedes Detail Auskunft erteilte. Er gab an, erst nach der Tat in einen äußerst nervösen Zustand geraten zu sein. Erst da sei sein Handeln nicht mehr ganz kontrolliert gewesen. Vor der Tat und zur Tatzeit selbst jedoch sei er seiner Sinne voll und ganz mächtig gewesen. 1. Lebenslauf und Vorgeschichte (aus den Strafakten, zum Teil aus der Unterhaltung ergänzt)
A wuchs bei seinen Eltern in einer Großstadt auf. Der Vater war Angestellter, die Mutter teils berufstätig, teils nur Hausfrau. A hat noch einen 5 Jahre jüngeren Bruder. Der Vater des A kam 1946 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause. Bis 1948 war der Vater meist zu Hause; ab 1948 mußte dieser sich oft monatelang wegen einer Bandscheibenerkrankung im Krankenhaus aufhalten. Seit 1948 arbeitete deshalb die Mutter des A ganztägig. Sie hat mittlere Reife. A besuchte 4 Jahre die Volksschule, 6 Jahre die Realschule. Anschließend ging er in eine Farbdrucklehre, die jedoch abgebrochen werden mußte, da er laufend Hautekzeme an den Händen bekam. 1952 trat er in den christlichen Verein junger Männer ein, mit 14 Jahren zusätzlich in einen Schwimmverein. A sagt, er sei wegen der Berufstätigkeit seiner Mutter ein Schlüsselkind gewesen. Untertags habe die Großmutter für ihn und seinen Bruder gesorgt. Mit 7 Jahren schwänzte er einmal mehrere Tage die Schule. Das Schuleschwänzen wiederholte sich nochmals für 14 Tage, als er 14 Jahre alt war. Mit 13 Jahren begann A abends in der Stadt bis ca. 21 Uhr herumzustreunen; er war dabei viel mit Freunden unterwegs. Mit 14 Jahren wurde A von einer 10 Jahre älteren Bardame oder Angestellten in deren Wohnung verführt. Mit ihr verkehrte er noch ca. 2 Jahre lang alle 14 Tage geschlechtlich. Seit seinem 15. Lebensjahr ging er mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu Prostituierten. Mit 17 Jahren verpflichtete er sich für 3 Jahre bei der Bundeswehr. In den verschiedenen Städten, 13 Vgl. auch Ochsenfahrt S.55; er spricht, wie auch andere Autoren, von der Verdrängung des belastenden Erlebnisses aus der Erinnerung.
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in denen er stationiert war, suchte er weiterhin ca. alle 14 Tage Prostituierte auf. Mit dem Militär war er mehrmals zu Übungen im Ausland, so u. a. in Italien und in der Türkei. 2. Die Tat (aus den Strafakten)
Am Tattag verließ A gegen 16.00 Uhr den Fliegerhorst in X, um in die Großstadt zu fahren. Da erst um 17.15 Uhr ein Zug nach M. fuhr, nahm er ein Taxi. Die Fahrt kostete 36,- DM. Er hatte insgesamt ca. 150,- DM bei sich. In M. ging er zunächst zum Bahnhof, um dort Erkundigungen wegen einer geplanten Privatfahrt nach Rom zu den Olympischen Spielen einzuholen. Anschließend begab er sich in eine Bar, wo er bis ca. 19.00 Uhr blieb. Er trank dort 5 Glas Bier und 5 Steinhäger. Diese Menge an Alkohol war A gewohnt. Die Zeche betrug 75,- DM. Anschließend aß er in einem anderen Lokal Würstchen. Dann begab er sich zu einer Dirne im Zentrum, wo er den GV vollzog. Anschließend ging er durch eine Haupteinkaufsstraße und faßte plötzlich den Entschluß, die Dirne K zu töten und das bei ihr vorhandene Geld mitzunehmen. Er rechnete mit einer Summe von 1 000,- DM. Kurz bevor er zum Quartier der Dirne K. kam, nahm er nochmals einen Imbiß zu sich. Schließlich traf er die Dirne K, bei der er bereits während der letzten Monate dreimal gewesen war, vor ihrem Quartier und ging mit ihr hinauf in deren Wohnung. Sie forderte A auf, Mantel und Schuhe an der Garderobe abzulegen. Außerdem verlangte sie von ihm, daß er ihr das Geld vorher gebe. Er zog daraufhin seine Brieftasche zur Täuschung, klappte sie auf und ging auf die K zu. Als sie sah, daß er das Geld habe, begann sie, sich auszuziehen. A ließ nunmehr die Brieftasche fallen und faßte die K mit beiden Daumen an der Kehle, um sie zu würgen. Die K leistete unerwartet starken Widerstand, konnte sich befreien und einige Schritte durch das Zimmer laufen. Dabei schrie sie um Hilfe. Außerdem rief sie, daß er ihr Geld nicht bekomme. Daraufhin sprang A hinter ihr her, würgte sie brutal von hinten und warf sie anschließend auf das Sofa. Dabei versetzte er ihr auch noch Schläge gegen die Schläfen. Anschließend holte er aus seiner Manteltasche einen Riemen, den er immer bei sich trug und legte ihn der K um den Hals. Vermutlich war die K jedoch bereits auf Grund des Würgens gestorben. A legte der K noch ein Kissen auf den Kopf, angeblich, weil das Gesicht dunkelrot angelaufen war. Dann öffnete er eine Schranktür und suchte erfolglos nach ihrem Geld. In der Handtasche der K fand er 120,- DM. Außerdem nahm er noch ihr Feuerzeug und ihre Zigaretten. Daraufhin zog er sich an, zerriß noch den Schlüpfer der K, den diese noch anhatte und versuchte, ebenfalls den Büstenhalter der K zu zerreißen, was ihm jedoch nicht
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gelang. Schließlich hob er seine Brieftasche auf und lief aus der Wohnung. Mit einem Taxi fuhr er zum Fliegerhorst zurück und gab dem Taxifahrer für besonders schnelle Fahrt noch ein Trinkgeld von lO,-DM. A wurde über 2 Jahre lang nicht ermittelt und stellte sich schließlich selbst der Polizei. Im Anschluß an seine Tat beging er Fahnenflucht und hielt sich u. a. eine zeitlang in Italien auf, bis er an der österreichischen Grenze wegen der Fahnenflucht verhaftet wurde. In Rom hatte er wiederum eine Prostituierte kennengelernt, die ihm eine zeitlang Geld gab, bis er sie wieder verließ. Vor Gericht gab A nicht zu, daß er VOn Anfang an geplant hatte, die K zu töten. Bei der Unterhaltung in S. sagte er jedoch, daß er dies von vornherein vorgehabt habe. 3. Einzelheiten aus dem sehr ausführlidten psydtologisdten Gutadtten von Prof. Dr. Lückert
"A ist mittelgroß, sein Körper füllig, stämmige Gliedmaßen. Gewandte Ausdrucksweise; er erreicht intellektuell nicht immer, was er erreichen möchte. Darunter leidet besonders die Realitätstreue. Rasche Auffassungsgabe. Durchschnittlich sind mehr die reproduktiven Seiten (Beobachtungsgabe, Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit). Logik und Disziplinierung der Denkakte scheinen Schwierigkeiten zu machen. Typisch pubertäre Unausgeglichenheit. Emotionalität und Affektivität sind leicht ansprechbar, aber überwiegend labil egozentrisch, mit den Zügen der Launenhaftigkeit, der triebhaften Unruhe, der Suggestibilität, evtl. auch Sentimentalität, mit gelegentlich kräftigen impulsiv-unbeherrschten Akzenten. Aber daneben auch Anpassungstendenz. Deutliche neurotische Einschläge. Geringe Differenziertheit der emotionalen Schicht. Kaum funktionale Integration zwischen Verstand und Gefühl. Vitalkräftige Grundschicht. Die aus lebhaftem Temperament gespeisten Antriebe gehen keineswegs ungebrochen in die Persönlichkeit ein. Sie erfahren vielmehr das Schicksal, zu wesentlichen Teilen von der Außenwelt überfahren, abgelenkt, umdirigiert zu werden. Ihre Richtung wird nicht vom eigenen Impuls, sondern fremd bestimmt. Es resultiert aus diesem Konflikt von natürlichen expansiven Bedürfnissen und außengesetzter Hemmung ein höchst unsicheres Selbstgefühl, ein irritierbares Vakuum im Zentrum seiner Person. Dieser Mangel an IchHaftigkeit und Persönlichkeit, der mit dem Mangel an Gemüt und Gewissen zusammenfällt, schafft so recht eigentlich das Zustandsbild eines unausgereiften, sich nicht selbst erreichenden und eben darum im Kol-
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lektiv mitschwimmenden jungen Menschen ... Und da er so wenig wie irgend jemand mit einem solchen problematischen Selbstgefühl leben kann, fahndet sein Unbewußtes nach Möglichkeiten der Kompensation: Der rationalisierende Intellekt wird ihm zu einem Ausweg aus dem Dilemma, die aktive und dabei irreguläre Sexualität zu einem anderen ... " " ... Die Ursachen für die Ich-Schwäche sind in der biographischen Genese zu finden ... " 4. Einzelheiten aus dem psychiatrischen Gutachten von Prof. Dr. Ziehen
Der 16jährige Bruder sei ein kontaktschwacher, schizoider Einzelgänger; ausgesprochen retardiert und infantil. Die Tat sei in der Persönlichkeit des A präformiert. Gerade bei von Natur aus hyperthymen Kriminellen finde man nicht selten die Mischung von gehobener Stimmungslage einerseits, Gefühlskälte und Gemütslosigkeit andererseits. Dieser schizoide Einschlag sei bei A sehr deutlich. Man finde vor allem bei jugendlichen Psychopathen 5 Triebanomalien: Kleptomanie; Pseudologie; Poriomanie (Hang zum Davonlaufen); Aggressivität; sexuelle Perversion. Alle diese Anomalien seien bei A deutlich zu erkennen. Es bestehe eine Verwandtschaft unter den 5 Anomalien, die alle auf biologisch fundierten Trieben beruhten. Sie seien in eng benachbarten Zellbereichen des Zwischenhirns repräsentiert. Dabei bestünden zahlreiche Querverbindungen. Nach der Tötung der K sei es zu einem "furioso" von perverser Sexualität und Poriomanie gekommen. Gleich am nächsten Tag habe A den französischen Triolenverkehr mit zwei Prostituierten ausgeübt und anschließend Vorbereitungen zur Fahnenflucht nach Rom getroffen. Übersprungsverhalten des A: Alles, was in Zusammenhang mit der Psychopathie des A zu dem Thema "Verquickung der Triebanomalien" gehöre, stehe unter dem Gesetz des Übersprungs, insbesondere des kommunizierenden, vikariierenden und komplementären Verhaltens der 5 Triebanomalien untereinander. Prof. Ziehen meint, die Tat sei durch kleptophilen Hang und durch sexuellen Andrang, gepaart mit tödlicher Aggressivität, herbeigeführt worden.
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Schließlich führt er an, daß der Mord fast immer aus Schichten und Tiefen der Persönlichkeit komme, die durch Exploration, Psychoanalyse, Testuntersuchungen und psychologische Bemühungen nicht auszuloten seien. Mordgedanken seien ubiquitär, der Mord als Tat jedoch extrem selten. Die Gelegenheit habe im Fall A keinen Mörder geschaffen, da er immer schon mit Prostituierten verkehrt habe. Außerdem sagt er, daß das Opfer der Sündenbock für die unerträglichen Wünsche und Ängste des A sein könne. In der K habe A symbolisch und stellvertretend das, was er brennend gern in sich selbst abgetötet hätte: Die Fesselung an den Prostituiertenverkehr, getötet. Die Meinung von Prof. Ziehen läßt sich nicht in allen Punkten bestätigen, wie sich anschließend zeigen wird. A ist nicht in dem Maße Psychopath, wie Ziehen dies annimmt. Feststellen ließ sich in erster Linie eine fehlende Wahrheitsliebe, sowie ein starker Geltungsdrang. 5. Die Befragung des A in S
a) Kindheit und Jugend
An sich hatte A ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter. Sie sei zwar ziemlich geschäftstüchtig gewesen; dennoch habe er keine sonstigen schlechten Erinnerungen. Er sei von beiden Eltern nicht verwöhnt worden. Seit dem Beginn der Volksschule sei er sich sehr viel selbst überlassen gewesen. Schularbeiten habe er fast nie gemacht. Schon als Kind habe er im Kindergarten einen Freund gehabt, mit dem er sich sehr gut verstanden habe. Auch sonst habe er immer leicht Anschluß gefunden. Seine erste Schlägerei habe er mit 11 Jahren mitgemacht. Vorher sei er Schlägereien ausgewichen; er habe vielmehr andere, die sich schlugen, getrennt. Von 1951 bis 1956 sei sein Vater fast ständig im Krankenhaus gelegen. Sein Vater sei sehr streng, aber zugleich auch gütig gewesen. Das habe manchmal mehr weh getan, als geschlagen zu werden. Als Kind habe er nicht viel gelogen; zumindest sei er kein passionierter Lügner gewesen. Seine Lieblingsbeschäftigungen seien gewesen: Schwimmen, im Wald spazierengehen, im Winter schlittenfahren. Sein 5 Jahre jüngerer Bruder sei sehr schmächtig gewesen; deshalb sei dieser von der Mutter verwöhnt worden. Aus diesem Grunde habe er sich von seiner Mutter distanziert. Seit seinem 12. Lebensjahr sei er nur selten nach Hause gekommen. Mit 13 Jahren habe er einmal eine
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Woche die Schule geschwänzt, weil es sehr heiß war, und er an diesen Tagen lieber habe baden wollen. Entwicklungsstörungen seien in seiner Kindheit nicht aufgetreten. Jähzorniges Temperament gebe es in seiner Familie nicht.
b) Wichtige Erlebnisse Zu seinen wichtigsten Erlebnissen gehörten die Geburt seines 5 Jahre jüngeren Bruders und dessen Bevorzugung durch die Mutter; das eigenmächtige 8tägige Schuleschwänzen und die Verführung im Alter von 14 Jahren sowie der danach regelmäßige GV mit Prostituierten. c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen
A meint, in seinem Denken und Handeln nicht von irgendwelchen Trieben oder inneren Zwängen abhängig zu sein. Er sei zwar leicht erregbar, jedoch würde der Ärger immer sehr schnell vergehen. Im Grunde sei er ein gutmütiger Trottel. Sein Wille sei schwach und zugleich stark. So würde er z. B. in aussichtslosen Situationen durchzuhalten versuchen. Die Intensität seines Erlebens sei mittelmäßig. Er lese viel und denke auch über die Bücher nach. Mitgerissen oder gar zu Tränen gerührt werde er jedoch nicht. So sei dies auch im Kino. Anderen gegenüber versuche er, sich dann durchzusetzen, wenn er glaube, im Recht zu sein. Er könne aber nicht rücksichtslos sein, sondern versuche, möglichst sachgerecht zu handeln. Das sei bei ihm immer schon so gewesen. Zu Hause habe er die Autorität der Eltern nicht immer anerkannt. Das sei ihm damals kaum wichtig gewesen. In der Schule habe er Autorität anerkannt. In der Schule und im CVJM sei er Mitläufer gewesen, da er sich nie an die Spitze habe drängen wollen. Im übrigen sei sein Verhalten so, daß man fast die Uhr danach stellen könne. So hätten das auch seine Kameraden bei der Bundeswehr empfunden. Er lebe sehr gerne. Auch denke er an viele schöne Erlebnisse zurück. Selbstmordgedanken habe er nie gehabt. Er habe als Kind keine besondere Angst vor Strafe gehabt. Es sei ihm klar gewesen, daß er, wenn er etwas getan hatte, Strafe verdient hätte. Meistens seien seine Verfehlungen nicht aufgekommen, weil seine Großmutter nur in den seltensten Fällen sein Verhalten seiner Mutter weitergesagt hätte. Seine Großmutter (mütterlicherseits) sei zu gutherzig zum Bestrafen gewesen. Später habe er keine Angst vor Strafe
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gehabt. Bei den Kaufhausdiebstählen nach seiner Tat sei es ihm egal gewesen, ob man ihn erwischen würde oder nicht. Er lebe nach dem Motto: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen zu." Mit ca. 10 Jahren habe er manchmal um sein Selbstbewußtsein kämpfen müssen. Später habe er gemerkt, daß er ja selbst etwas erreichen könne. Er sei im Leben meistenteils von den anderen unterschätzt worden: So im Sport und auch auf anderen Gebieten. Vielleicht liege das daran, daß man Dicke als weniger geistvoll, als weniger flink einschätze. Er habe dann oft mit seiner Leistung überraschen können. Schon als Junge sei er pummelig gewesen. Er spiele gern Theater. Im Faust würde er lieber den Mephisto als den Faust spielen. Zum erstenmal habe er mit 4 Jahren im Kindergarten im Dornröschen mitgespielt. Den Punkt, an dem ihm alles egal sei, habe es nur bei seiner Verhaftung gegeben, sonst sage er sich immer, es gebe noch ein Weiterkommen. Komplizierte S~tuationen löse er, wenn er es selbst könne, sofort. Wenn dies auf Kosten anderer gehen sollte, dann stecke er meist etwas zurück. Verbote wirkten auf ihn ganz normal: "Es ist verboten -
aus."
Die Regeln der Straßenverkehrsordnung halte er nicht immer ein. Stehlen würde er nur, wenn er in einer Zwangslage sei. Das Stehlen nach seiner Tat in Italien (einige Lebensmittel aus Kaufhäusern) sei durchaus eine Ausnahme gewesen. Bei Kartenspielen spiele er nach den Regeln, weil so am ehesten Streit vermieden werde. Beim Schach spiele er am liebsten mit den schwarzen Figuren, also auf Verteidigung; er verteidige etwa bis zum 15. Zug. Dieses System übertrage er teilweise auch auf das Leben. Wenn er beim Schach weiß habe, dann spiele er auf Angriff, auf Räubern, auf Austauschen. Bei einem Betrug oder Seitensprung seiner Frau würde er folgendermaßen reagieren: Wenn er den betreffenden Mann noch im Zimmer bei seiner Frau vorfände, so würde dieser aus dem Fenster fliegen. Am nächsten Tag würde er wohl anders reagieren. Seine Frau würde er nicht verdreschen, höchstens im Affekt. Ohrfeigen würde sie auf jeden Fall bekommen. Wenn es nur seine Freundin sei und sie in verschiedenen Wohnungen wohnen würden, dann würde er sich auf dem Absatz umdrehen und das Verhältnis abbrechen. Zu einer Fortsetzung wäre er zu stolz. Mit 17 Jahren habe er begonnen, auf Zielscheiben zu schießen. Waffen hätten für ihn jedoch keine Bedeutung gehabt. Allerdings schieße er
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sehr gerne, am liebsten mit Pistolen. Ihm mache nur das Treffen als solches Spaß. Einige Tiere möge er nicht: So z. B. Fliegen, Spinnen und Kaulquappen. An sich sei er ein Tierliebhaber; besonders gern habe er Pferde, Hunde, Katzen und Vögel. Zwar habe er als Kind auch auf Spatzen geschossen; das sei jedoch ein Sport gewesen. Die Leute hätten gar nichts dagegen gehabt. Zum erstenmal habe er einen Hund dadurch getötet, daß er ihn unwissentlich überfahren habe. Mit 4 Jahren habe er einmal ein Pferd mit einer kleinen Nadel gestochen, damit es spränge. Sonst habe er Tiere nie gequält. Wenn er ein Tier töten sollte, so würde ihn das gleiche daran hindern, was ihn daran hindern würde, einen Menschen zu töten. Tiere seien für ihn genauso Lebewesen. Als er kurz nach seiner Tat einmal im Schlachthof gearbeitet habe, habe ihn das Abschlachten der Tiere nicht abgestoßen. Beim Menschen hindere ihn die Strafe daran zu töten; aber das spiele nur am Rande eine Rolle. Um die Antwort ganz klar zu geben, müßte ein entscheidender Punkt herausgestellt werden. Den finde er aber im Moment nicht. An sich dürfte kein Unterschied bestehen, ob man nun eine Fliege, einen Regenwurm, einen Fisch, eine Katze oder einen Hund töte. Allerdings "töte" man eine Fliege, während man einen Regenwurm schon wieder nicht "töte". Wenn schon ein Tier zu töten sei, dann müsse dies möglichst schnell geschehen. Wenn er ein Gewehr hätte, dann würde er es erschießen. Er habe nie die Neigung gehabt, andere Menschen zu ärgern oder gar zu quälen. Er sei, außer im Falle seiner Tat, nie skrupellos gewesen. Eine Mordtat, z. B. an seiner Mutter, würde er womöglich dadurch rächen, daß er den Täter, falls er die Tötung miterlebe, seinerseits töten würde. In dem Moment würde er durchdrehen. Wenn sich bei einer Schlägerei jemand geschlagen gegeben habe, so habe ihn das beeinflußt; er habe dann sofort aufgehört. Auch heute wäre das noch so. Wenn es in einer Schlägerei zu einer gefährlichen Situation komme, würde er ohne Rücksicht auf das Leben anderer zuschlagen. Flucht kenne er sehr selten. Er identifiziere sich nicht mit anderen Menschen und deren Erleben. Er sei nicht so leicht mitleidig, da er zunächst überlege, wie der betreffende Mensch in die jeweilige Situation gekommen sei. Seinen Charakter würde er für die Zeit vor seiner Tat als zeitweise ausgeglichen, zeitweise labil bezeichnen. Unberechenbar habe er fast nie reagiert. Er bezeichne sich nicht als Abenteurer, er richte sich nach den Gesellschaftsordnungen. Illusionen hätten in seinem Leben keine große
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Rolle gespielt. Beruflich habe er seine Ziele zwar immer weiter vorgesteckt, er habe aber nie etwas besonderes werden wollen. Er reise gern; so sei er mit der Bundeswehr in der Türkei, in Italien und in Griechenland gewesen. Als er nach seiner Tat die E kennengelernt habe, habe er sich mit ihr verlobt und ans Heiraten und an Kinder gedacht. d) Verhältnis zur Umwelt
An sich finde er Leute entweder sympathisch oder unsympathisch. Ein Mittelding gebe es für ihn nicht. Er vertrage sich fast mit jedem. So seien ihm auch die Dirnen nie unsympathisch gewesen. Sein Gefühl für andere sei davon diktiert, möglichst mit allen harmonisch auszukommen. Er achte jeden Menschen, unabhängig davon, was er könne und was er sei. Im Kontakt zu manchen Menschen könne er jedoch Ekel empfinden. Das habe meistens etwas mit der Ausdünstung zu tun. Er prüfe sofort, ob er es selbst sei; er nehme dann sofort etwas Odol auf die Zunge. Er habe den anderen in seinem Leben oft etwas vorgemacht; nicht so sehr vor seiner Tat als vor allem nach seiner Tat. e) Verhältnis zu Frauen und zur Sexualität
Die erste Beziehung zu einer Frau habe mit der Verführung durch die N begonnen, als er 14 Jahre alt gewesen sei. Er habe die N nachmittags in einer Wirtschaft getroffen. Sie habe ihn mit in ihre Wohnung genommen und sich langsam ausgezogen. Dann habe sie auch ihn entkleidet. Schließlich habe sie sein erigiertes Glied in den Mund genommen. Er habe damals keinen Erguß gehabt. Daraufhin hätten sie sich beide auf ihre. Couch gelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er niemals eine nackte Frau gesehen. Anschließend hätten sie noch miteinander nackt im Zimmer getanzt und nach 11/2 Stunden nochmals den GV vollzogen. Die Angelegenheit habe ihn damals nicht geekelt. Im Alter zwischen 15 und 17 Jahren sei er sehr oft ins Bordell gegangen. Dort habe er das Geld ausgegeben, das er von seiner Großmutter erbeten hatte. Zu 50 °10 habe er damals den französischen Verkehr vollzogen. Mit 17 Jahren sei er zur Bundeswehr gegangen. Seit dieser Zeit habe er zu 75 °/0 aller Fälle den französischen Verkehr ausgeführt; dies habe daran gelegen, daß sein frenulum verkürzt sei. Er habe jedoch keinerlei perverse Neigungen. Im sexuellen Verkehr werde er nicht brutal und wolle auch nicht brutal behandelt werden. Er sei mehr ein zärtlicher Mensch. Beim GV stehe im Vordergrund die Erfüllung der Frau. Mit den Dirnen habe er allerdings einen rein geschäftsmäßigen Ton unterhalten.
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Teil: Die einzelnen Täter
Zu gleichaltrigen Mädchen und insbesondere zu solchen, die keine Prostituierten gewesen seien, habe er ein rein platonisches Verhältnis gehabt. Ihnen gegenüber sei er eher schüchtern gewesen. Zum erstenmal habe er sich mit 14 Jahren in die G verliebt. Diese habe jedoch mit 16 Jahren einen anderen Mann kennengelernt und die Freundschaft mit ihm deshalb beendet. Anfang 1960 habe er eine Bardame geliebt, zu der er jedoch keine sexuellen Beziehungen unterhalten habe. Die Bardame habe ihm eine Art Mutterliebe ersetzt. Nach seiner Tat habe er sich noch in mehrere andere Mädchen verliebt. 1961 habe er sich schließlich mit der E verlobt. 1) Einstellung zum Leben, Ansichten
Er habe Achtung vor dem fremden Leben, warum, wisse er nicht. Die anderen seien vielleicht Geschöpfe wie er selbst, mit der gleichen Lebensberechtigung. Er habe ein positives Lebensgefühl, er bejahe das Leben voll und ganz. Auch das Schlechte buttere ihn nicht unter. Das habe insbesondere für die 2 Jahre zwischen seiner Tat und seiner Ergreifung gegolten. Er habe nie Selbstmordgedanken gehabt. In seinem Lebensgefühl sei er eher gegenwartsbetont, er hänge nicht an der Vergangenheit. Wenn er sein Leben gedanklich verteidigen müßte, um weiterleben zu dürfen, dann würde er sagen, die Summe seiner Lebenseindrücke sei so positiv, daß er auf jeden Fall weiterleben wolle. Das Töten gehöre leider zum menschlichen Leben dazu. Es gebe immer habgierige Leute, die, nur um sich zu bereichern, einen anderen umbrächten. Er selbst bezeichne sich zum damaligen Zeitpunkt auch als habgierig. Er bejahe die Todesstrafe. Der Mörder habe einem anderen das Leben genommen; damit habe er seine eigene Lebensberechtigung verloren. Bei jedem Täter sei letztlich alles geplant. Es gebe für ihn keine Tötung ohne Vorsatz. Er sei dafür, nie irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Die Abschreckung bei der Todesstrafe reiche nicht aus. Außer den Fehlurteilen gebe es keine Argumente gegen die Todesstrafe. Allerdings würde er die Todesstrafe nur für Fälle vorsätzlicher Tötung verhängen. Den Henker wolle an sich keiner gerne machen. Wer aber dazu bestimmt sei, der müsse seine Pflicht tun. Hier wäre dann BefehlBefehl. Viele Leute würden sich allerdings weigern. Wenn ihm der Job anheimgestellt würde, würde er ihn - so glaube er - ablehnen. Wenn er den Befehl bekäme, würde er es tun. Ein Henker müsse jedoch in einer Weise gefühlskalt sein, sonst könnte er die Vollstreckung nicht ausführen. Ein Scharfrichter könnte im Augenblick der Vollstreckung doch noch Schwierigkeiten zu überwinden haben.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter Unter "gefühlskalt" verstehe er jemanden, der keiner menschlichen Regung fähig sei; besser: der menschliche Regungen unterdrücken könne. Der Mensch sei überhaupt in der Lage, bei vielen Dingen abzuschalten. Das seien seine Erfahrungen, die er bei sich selbst und vor allem bei anderen gemacht habe. Auch für 20 000,- DM im Monat würde er nicht Henker werden. So denke er allerdings erst seit seiner Tat. Vor seiner Tat habe er eine völlig andere Gedankenwelt gehabt. Es sei eine Welt in guten Grenzen gewesen, abgesichert und ausgeglichen. In vieler Hinsicht habe er bei weitem nicht so klar gedacht wie heute. Er sei jetzt 25 Jahre alt. Dazu, daß einige Eingeborene andere Menschen töten, ohne davor womöglich eine Hemmung zu haben, denke er folgendes: Es gehe hier um Opfer, wobei das Handeln hauptsächlich durch die Religion erklärlich werde. Allerdings habe er sich bisher nie Gedanken darüber gemacht. Die Kopfjäger hätten etwas damit zu tun, daß sie mit den Köpfen Götzendienst trieben. Für diese Leute müsse das alltäglich sein, sonst müßten sie am Hungertuch nagen. Ein Priester der einfachen Stämme opfere einen Menschen aus einem religiösen Wahn, es handle sich um eine reine Opferung. Dennoch hätten auch diese Leute eine Achtung vor dem Leben. Normales Töten sei bei vielen Stämmen auch nicht erlaubt. Das Töten im Krieg erkläre er sich so: Die Leute seien teilweise aufgeputscht, teilweise hätten sie den festen Glauben ans Vaterland. Sie glaubten zumindest, sie müßten das Vaterland verteidigen. Deshalb mache ihnen das Töten gar nichts aus. Beim ersten Mal dürfte es einem noch schwer fallen und ein bißchen schummrig werden. Schließlich entwickle sich das aber zum reinen Selbsterhaltungstrieb. Zwischen Planung und Ausführung einer Tat bestehe normalerweise kein großer Unterschied. Zwischen Mord und Selbstmord bestehe allerdings ein Unterschied. Sowohl der Selbstmörder wie der Mörder nähmen sich bzw. einem anderen unberechtigt das Leben; der Mörder sei auch zum Selbstmord fähig, als Folge des Mordes; der Selbstmörder sei aber nicht unbedingt zum Mord fähig. Selbstmörder seien in gewissem Sinne Feiglinge, weil sie einer Entscheidung aus dem Wege gingen. Es müsse nicht unbedingt eine Zwangssituation vorliegen, damit jemand morde; in den meisten Fällen jedoch sei ein äußerer Anlaß Grund dazu. Im Normalfall müßte ein Mörder durch seine erste Tat restlos bedient sein, es sei denn, er sei ein völliger geistiger Tiefflieger. Von der Gesellschaft würden verschiedene Handlungsweisen als verbrecherisch aus folgenden Gründen bezeichnet: Die Maßstäbe entstün-
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2. Teil: Die einzelnen Täter
den durch die Gesetze. Eine Änderung von heute auf morgen sei nicht möglich, da die Gesetze von vor tausend Jahren, die das Leben und die Lebensbedingungen beträfen, heute noch Gültigkeit hätten bzw. haben sollten. Diese Gesetze hätten damals gemacht werden müssen. Es hätten gar keine anderen gemacht werden können. Das hänge für ihn bereits mit der Religion zusammen. Das Tötungsverbot gebe es seit Bestehen der Menschheit, um die Achtung des einzelnen Mitmenschen vor dem anderen zu erhalten. Die Menschen hätten sich auch anfangs nicht getötet. Der Durchschnittsbürger habe Hemmungen zu töten. Das beruhe auf der Scheu oder dem Respekt vor dem einzelnen Leben oder dem Leben überhaupt. Diese Hemmungen habe der Mensch von Natur aus. Dann komme die Erziehung und auch das Religiöse. Aber direkt angeboren sei eine Tötungshemmung nicht. Entscheidend sei die Entwicklung von Kindheit an. Die Realität lehre, daß stupide Menschen weitaus mehr töteten als Intelektuelle. Unbedenklicher begehe eher der einfache Mensch einen Mord. Strafe dürfte einer der größten Hemmschuhe sein. A meint, daß er einen vertrauten Menschen nie töten könnte. Das sei, gerade bei Verwandten, das eigene Fleisch und Blut. Bei der K hätte er auch zehnmal sein können, das hätte ihn nicht abgehalten. Je nach der Art der Ausführung einer Tötung bestünden Unterschiede in der Hemmung, die man überwinden müsse. Es werde wohl so sein, daß jeder den Mord mit dem Werkzeug begehe, dessen Handhabung er beherrsche. Die Nähe zum Opfer könne nicht irgendwie hemmend wirken. Der Anblick des erstickenden Menschen erbarme einen nicht. Wenn eine Hemmung da sei, dann müsse der Wille sie ausschalten. Wenn bei ihm eine Hemmung aufgekommen wäre, so hätte er sie auch willentlich ausgeschaltet. Es bedeutet keinen Unterschied in der innerlichen überwindung, ob sich die Tötung gegen ein Kind, einen jungen Mann oder eine Frau richte. Einen kranken Menschen zu töten, würde ihm schwerfallen. Eine Abtreibung würde er als Arzt nur vornehmen, wenn eine schriftliche Einverständniserklärung der Mutter da sei. Abtreiben sei weniger "töten" als einen schon wirklich lebenden Menschen zu beseitigen. Er sei gegen die Sterbehilfe; das sei eine Entscheidung, die ein jeder mit sich selbst abmachen müsse. Der Arzt, der einem schwerkranken Menschen, der mit Sicherheit nur noch ein paar Tage zu leben habe, die Spritze gebe, werde nicht das Gefühl haben, einen Menschen umgebracht zu haben. Beim ersten Mal werde er wohl noch Schwierigkeiten überwinden müssen.
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Das Maß von Brutalität hänge von den Lebensumständen ab und sei nicht auf Veranlagung zurückzuführen. Jeder Mensch habe eine brutale Ader. Wenn er in Seenot eine Planke erwischen würde, auf die ein anderer zuschwämme, würde er, falls er nicht schwimmen könnte, mit dem anderen um das Brett kämpfen. Wenn sie beide nicht schwimmen könnten, würde er auch auf Tod und Leben um das Brett kämpfen und den anderen ins Wasser tauchen. Erfahrungen veränderten einen sehr. Zu den Ge- und Verboten denke er folgendes: Die Gesetze dürften alle so etwa gleich sein. Jede Nichtbeachtung ziehe ja Strafe nach sich. Jedes Gesetz müsse den gleichen Geltungsanspruch haben. Bei den Gesetzen handele es sich um eine reine Notwendigkeit, um das Zusammenleben der Menschen zu regeln. Er unterscheide nicht verschiedene Geund Verbote. Es gebe für ihn eine ganze Menge Gebote und Verbote, über die er sich nicht hinwegsetzen würde. So würde er nicht mit einer verheirateten Frau schlafen. Das lasse sein Ehrgefühl nicht zu; er würde es nicht tun, auch wenn die Frau es verlangen würde. Er sei evangelisch. Mit 16 Jahren seien ihm religiöse Zweifel gekommen. Die hätten bis heute angehalten. Sein Vater sei Leiter im CVJM gewesen; mit 6 Jahren sei er deshalb auch zum CVJM gekommen. Für ihn gebe es eine höchste Instanz, die er nicht Gott, sondern das Gute nenne. Das sei auch verantwortlich für die Entstehung der Welt. Über sein Leben werde er schon selbst entscheiden können. Kontrollieren werde die Instanz im Leben des einzelnen; es bestimme nur als Kon-:stante die erste und letzte Stunde im Leben. Vor dieser Instanz müsse man zum Schluß Rechenschaft ablegen. Was dazwischen liege, sei des Menschen ureigenste Sache. g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod
Er habe weder Scheu vor Leichen, noch vor dem Tod. Wenn allerdings ein Bekannter gestorben sei, dann habe ihn das immer etwas schockiert. Das erste Mal habe er von einem Mord gehört, als er mit 16 Jahren einen entsprechenden Bericht in der Zeitung gelesen habe. 1958 habe er von einem Bankraub gehört, bei dem ein Mann erschossen worden sei. Den Täter habe man heute noch nicht ermittelt. Leute, die aus guten Verhältnissen kämen, verstünde er nicht, wenn sie einen Mord begingen. Den Fall P habe er bestialisch gefunden.
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Vor seiner Tat habe er nie bei einer Tötung eines Menschen zugesehen. Die Empfindung eines Menschen, der bei Bewußtsein getötet werde, sei Angst und nochmals Angst. Es stehe im Vordergrund der unbändige Trieb, leben zu wollen. Zu seinem eigenen Tod habe er ein natürliches Verhältnis; er sei unabwendbar. Er werde das Sterben so weit wie möglich hinausschieben, weil er so gerne lebe. Mit dem Tod als endgültigem Ende könne er sich nicht abfinden. Wenn man ihn töten wollte, so wäre seine Empfindung: "So, jetzt ist Schluß." Ob er noch Angstgefühle in der letzten Sekunde hätte, wisse er nicht; vorher hätte er solche Gefühle jedoch schon. Wenn man die Todesstrafe an ihm vollstrecken würde, dann würde er sich denken, er habe verspielt, es sei jetzt aus. Dabei sei es möglich, daß er auch noch an etwas schönes denke. Er wolle nicht vorher noch flennen und herumzappeln. Mit Ruhe und Gelassenheit komme man weiter. h) Die Tat
"Ich dusche sehr gerne und lange. Weil ich am Tattag zu lange brauste, versäumte ich den Zug in die Stadt und mußte ein Taxi nehmen ... Ich ging nur 1 bis 2 mal im Monat zu Dirnen, da ich mir häufigere Besuche nicht leisten konnte. (A erzählt nun' den Verlauf des späten Nachmittags; dieser ergibt sich bereits aus der obigen Darstellung - s. o. S. 68 -). Dann ging ich zu der K, wo ich das letzte Mal vor 14 Tagen gewesen war. Sie lehnte den Mundverkehr ab. Ich hatte die Jacke schon ausgezogen, und sie begann auch schon, sich auszuziehen. Ich ließ auf einmal die Brieftasche fallen und faßte sie mit beiden Händen am Hals, um Geld von ihr zu holen. Auf diesen Gedanken war ich auf dem Weg vom S.-Platz zum Quatier der K gekommen. Die K konnte sich nochmals losreißen, lief zur Tür und schrie. Ich sprang nach und faßte sie von hinten und riß sie zurück und schleuderte sie auf die Couch. Es war ein schmaler Raum. D~r Schildknorpel soll dabei gebrochen sein. Als sie auf dem Bett lag, hat sie sich nicht mehr gerührt. Ich legte ihr das Gummikabel um den Hals und schließlich auf den Kopf ein Kissen. Das Kabel hatte ich in der Hosentasche immer dabei, schon in Hamburg, und zwar aus Selbstschutz. Das Kabel hatte ich ihr um den Hals verknotet. Dann ging ich zu ihrer Geldbörse Als ich zunächst vorne auf sie zuging, schaute ich auf meine Brieftasche, ich hob gar nicht richtig den Kopf, schaute nur auf den Hals, konzentrierte mich nicht auf das Gesicht. Deshalb konnte sie sich wohl auch nochmals losreißen. Irgendwo war ein Punkt, wo ich die Brief-
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tasche fallen ließ. Wissentlich gab ich mir nicht den Stoß: So, jetzt machst du es. Bis zu dem Moment, als ich ihr das Kissen auf den Kopf legte, machte ich alles gefühlsmäßig. Es folgte eines aus dem anderen. Warum ich das Kissen auf das Gesicht legte weiß ich nicht." i) Stellungnahme des Täters zur Tat
Er habe damals Geld gebraucht, da er nur noch 60,- DM in der Tasche gehabt habe. Auf seinem Sparkonto seien noch 400,- DM gelegen. Jedoch habe er sich eine Fahrkarte nach Rom zu den Olympischen Spielen kaufen wollen; deshalb habe er Bargeld gebraucht. Die Tat habe er erst etwa eine halbe Stunde vor der Begehung ge," plant. Einzelheiten der Begehung habe er dabei noch nicht erwogen; daß er es mit der Hand machen müßte, sei für ihn klar gewesen. Schlagen wäre ihm zu brutal erschienen. Die K sei ihm sogar ganz angenehm gewesen. Wenn sie den Mundverkehr ausgeführt hätte, hätte er doch danach den Raub und die Tötung begangen. Bei der K sei ihm schon vorher klar gewesen, daß sie sich wehren würde. An sich habe er es nicht zur Gegenwehr kommen lassen wollen. Sein Vorgehen habe blitzartig sein sollen, so daß keine Gegenwehr mehr kommen könnte. Seine Hauptgedanken seien - nachträglich rekonstruiert - die folgenden gewesen: Erstens: Zu vermeiden, daß seine Tat schiefgehe, d. h. daß man ihn entdecke. Zweitens: Eine lange Gegenwehr zu vermeiden. Drittens: Zu erreichen, daß die Durchführung der Tat für ihn erleichtert werde. Er sei sich bereits vor seiner Tat bewußt gewesen, daß er etwas Endgültiges, Irreparables tun würde. Seine Gefühle und Gedanken am Tattag seien nicht irgendwie auffallend gewesen. Er habe keine Nervosität gespürt. Er müsse eine ziemlich fürstliche Ruhe während der ganzen Zeit besessen haben. Der Gedanke, die Tat lieber zu unterlassen, sei ihm gar nicht gekommen. Daran, daß die Unternehmung schiefgehen könne, habe er auch nicht gedacht. Er hätte die Tat selbst dann ausgeführt, wenn es die Todesstrafe gegeben hätte. An die Folgen seiner Tat habe er nicht gedacht. Von hundert Leuten dächten seiner Ansicht nach höchstens zehn an die Folgen. Das seien dann die gefühlskalten, rohen Leute, denen es völlig gleichgültig sei. Sonst denke man nur daran, die Sache möglichst gut auszuführen. Der Mordgedanke sei ihm innerhalb von Sekundenbruchteilen gekommen; das sei wie ein Geistesblitz gewesen. Hier sei die Waage gar nicht richtig hin und hergegangen. Es sei so gewesen, als hätte er schon ·Erfahrung in diesem Geschäft gehabt. G Lullies
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Er sei noch nie vorher in einer Situation gewesen, in der er an die Tötung eines Menschen gedacht hätte. Die Durchführung der Tat habe von ihm nicht die Aufbietung irgendeiner besonderen Energie gefordert. Zwischen Planung und Ausführung der Tat habe bei ihm kein Unterschied gelegen. Meistens komme es anders, als man es plane. An sich bestehe somit im Leben zwischen Planen und Ausführen ein großer Unterschied. In seinem Fall aber dürften Planen und Tun ineinander übergegangen sein. Anders wäre es wohl, wenn man den Plan Tage vorher gefaßt habe. Sein Handeln damals sei ihm so vorgekommen, als würde er völlig unbeteiligt daneben stehen. Er habe einfach in der Zeit, in der er das Haus betreten und wieder verlassen habe, gehandelt. Auch Gnadenschreie der K hätten ihn - ganz gegen sein sonstiges Verhalten - nicht beeinßußt. Wenn die K gesagt hätte, sie gebe ihm alles und zeige ihn auch nicht an, dann hätte er ihr doch nicht geglaubt. Auf Schnelligkeit sei es ihm auch bei der Tatausführung angekommen; das habe schon wieder etwas mit dem Leiden zu tun. Er sei immer dafür, alles kurz zu machen. Das Unterbewußtsein habe bei ihm nur insofern eine Rolle gespielt, als es den Vorgang wie einen Film aufgenommen, nicht aber Impulse ausgesendet habe. Kurz vor der Tatausführung oder während der Tat habe er nicht an irgendein früheres Erlebnis gedacht. Er glaube nicht, daß es in seiner Jugend irgendeinen besonderen Eindruck oder ein Erlebnis gegeben habe, das er später einmal abreagieren wollte. Schon auf dem Gang zur K habe er daran gedacht, daß die Unternehmung tödlich für sie ausgehen könnte. Abenteuerlust habe bei seiner Tat überhaupt keine Rolle gespielt. Bei seiner Tat sei einzig und allein das Geld ausschlaggebend· gewesen. Eine sexuelle Komponente habe nicht mitgespielt. Ein Alkoholeinfluß habe auch nicht bestanden. Nach der Tat habe er sich Vorwürfe gemacht; bereut habe er sie jedoch nicht. Später habe er sich gesagt, es sei doch gar nicht möglich, daß er die Tat begangen habe. Es sei ganz unmöglich, daß er nochmals eine solche Tat begehen könne. Die zwei Jahre nach der Tat könnte er nie mehr durchmachen; manchmal sei er völlig mit den Nerven herunter gewesen. Außerdem könne er heute ohnehin niemanden mehr töten; es würde ihm die Kraft dazu fehlen.
;) VeThalten nach deT Tat Nach der Tat habe er ein Taxi genommen. Während der Fahrt habe er 11 Zigaretten geraucht, die sich in der Packung der K befunden
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hätten. Den Taxifahrer habe er gebeten, ihn besonders schnell zur Kaserne zurückzufahren. Erst 24 Stunden nach der Tat habe sein normales Denken wieder eingesetzt. Zwei Jahre habe er dann täglich darauf gewartet, festgenommen zu werden. Er hätte nie ein Leben lang unentdeckt weiterleben können. Es müsse ein Schuldkomplex gewesen sein, der ihn beeinträchtigt habe. Jedesmal, wenn es geläutet habe, habe er erwartet daß man ihn abhole. Reue habe er erst nach einiger Zeit empfunden, da er nervlich und seelisch anfangs nicht dazu in der Lage gewesen sei. Das Opfer als solches habe dabei allerdings keine Rolle gespielt. An die Todesangst der K habe er nie denken müssen. Ein Bild könne er jedoch nie vergessen: Als sie auf der Couch gelegen habe, und er mit ihrem Gesicht konfrontiert gewesen sei. Es habe merkwürdigerweise ein enormer Friede über dem Gesicht gelegen. So sei es ihm in den folgenden zwei Jahren wenigstens vorgekommen. k) Traumleben; die Erzählung aus 5 vorgegebenen Begriffen
Traumleben: In seinem Leben habe er nur zweimal geträumt. Der erste Traum sei 1954 gewesen, und zwar 8 bis 14 Tage vor seiner Blinddarmoperation, der zweite 1955 oder 1956. Von der K habe er nie geträumt; nur in wachem Zustand habe er immer wieder ihr totes Gesicht vor sich gesehen. Der erste Traum: "Ein weiß gekleideter Mann kam auf mich zu, hatte etwas in der Hand, legte mir etwas auf Mund und Nase wie eine große Hand und sagte: ,Zählen, zählen'. Die Zahl 24 wiederholte ich dann einmal, dann war der Traum zu Ende. In dem Raum war alles strahlend hell erleuchtet, die Birne im Operationssaal brannte. Der Mann hatte keine Ähnlichkeit mit irgend jemand. Das Atmen war nicht unangenehm. Ich wurde bei ,,24" nur schläfrig. " Er habe schon am Anfang des Traumes im Operationssal gelegen. Den Traum habe er gehabt, obwohl er noch nichts von der kommenden Operation gehört hätte. Der zweite Traum: Es sei ein.Traum von einer Gerichtsverhandlung gewesen. Die Zahl 7 habe eine Rolle gespielt; es könnten auch die Zahlen 77 oder 777 gewesen sein. Er sei in dem Traum Angeklagter gewesen. An Worte habe er sich gleich danach nicht mehr erinnern können. (Die Zahl 7 spuke überhaupt bei ihm in Geldsachen herum).
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In dem Gerichtssaal sei es dunkel gewesen. Das Gericht sei mit drei Richtern besetzt gewesen, als Beisitzer rechts eine Frau, links ein Mann. (Vorher habe er nie ein Gericht gesehen; in der Schule sei allerdings vom Gericht die Rede gewesen). Der Traum habe verschwimmend aufgehört. Er sei wohl wach geworden. Danach habe er sich - vielleicht erstaunt - gefragt, was er mit dem Gericht zu tun hätte. Die Geschichte: (Dem A wurden, wie den übrigen Tätern, 5 Begriffe vom Verfasser gegeben; unter Verwendung dieser 5 Begriffe sollte A eine Geschichte erzählen. Die Begriffe lauten: Tiger, Fluß, Haus in der Ferne, Abend, Soldat). 1. "Als Soldat mußte ich eines abends auf Patrouille gehen. Als ich ungefähr eine Stunde gegangen war, sah ich ein Haus in der Ferne. Zwischen diesem lag ein Fluß. Als ich den Fluß überquert hatte, fiel mich ein Tiger an. Rettung kam mir aus dem Haus."
2. "Mein Bruder ging eines abends an den Fluß, um zu baden. Nahe des Flusses war ein großer Tannenhain. Hier lagerten Soldaten. Unser Zuhause, welches fernab war, konnte man nicht sehen. Plötzlich ein starkes Gebrüll. Ein Tiger erschien. Mein Bruder bekam es mit der Angst zu tun und lief auf die Soldaten zu. Einer von ihnen besaß den Mut, den Tiger anzugehen, und er erschoß ihn." 6. BeurteUung
a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten Zunächst wird auf die bereits zitierten Äußerungen aus den Gutach- . ten von Prof. Ziehen und Prof. Lückert verwiesen. Dabei sind jedoch geringe Einschränkungen zu machen, die sich daraus ergeben, daß A sich seit der damaligen Untersuchung inzwischen entwickelt, d. h. also auch geändert hat. Wichtig erscheinen jedoch einige grundsätzliche Korrekturen zu den beiden Gutachten. A ist und war nur bedingt ein Mensch mit "höchst unsicherem Selbstgefühl". Außerdem besteht bei ihm keine echte sexuelle Perversität. Der Mundverkehr als solcher, der von ihm zu ca. 70 °/0 neben dem normalen GV mit den Prostituierten durchgeführt wurde, ist noch nicht als pervers zu bezeichnen. Der Penis bleibt immer noch Zentrum des Lustgewinns. Perverse sexuelle Ersatzvorstellungen oder sonst von der Norm abweichende Praktiken sind bei A nicht feststellbar. Dazu kommt, daß der Mundverkehr für ihn nur eine günstigere Form des GV war, weil sein frenulum etwas verkürzt ist. Sadomasochistische Tendenzen - wie Lückert annimmt - sind bei A nicht gegeben. Die Tötung der K sollte keine speziellen sexuellen Gefühle bei A befriedigen. Es ging ihm einzig und allein um das Geld.
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Ebenso wenig gibt es bei A betont kleptomane Züge. Daß er nach seiner Tat in Italien zweimal aus Kaufhäusern Bedarf für das tägliche Leben entwendete, war eine Ausnahme. Vor seiner Tat nämlich hatte A niemals gestohlen. Nicht wegzudiskutieren sind allerdings die ausreißerisch-streunende Komponente und ein gewisser Hang zum Aufschneiden. Soweit die Gutachten. Auffallend ist, daß A einen sehr relativen Maßstab für sein Denken und Handeln ausgebildet hat. Hierfür sollen einige Gründe gesucht werden. Mit 5 Jahren fühlte sich A durch die Geburt seines Bruders zurückgesetzt, da seine Mutter sich nun hauptsächlich um den Bruder kümmerte. A lockerte deshalb seinerseits den Kontakt zu seiner Mutter und auch die Beziehung zum Vater. Seither führte er ein möglichst eigenes, unabhängiges Leben. Dies wurde noch dadurch unterstützt, daß sein Vater auf Grund seiner Krankheit oft längere Zeit außer Hause war. Außerdem mußte A's Mutter, als der Vater noch kränker wurde, über Tag Geld verdienen. Sein Vater fiel also wegen seiner Krankheit als "Sollens-Instanz" aus, seine Mutter als "Werte-Instanz" 14. Für beide mußte die Großmutter eintreten, ohne jedoch ein echter Ersatz sein zu können. Sie war für A, wie sich aus seinen Aussagen ergibt, keine verbindliche Autorität. Der Gehorsam den Eltern gegenüber war A nun nicht mehr wichtig. Gleichzeitig aber fehlten ihm jetzt die Mutter und der Vater als Identifikations-Personen. Die Tatsache, daß seine Mutter in dieser Richtung weitgehend ausfiel, bedeutete über den Liebesverlust hinaus auch den Wegfall des Objektes, auf das hin sich A's Liebesenergie hätte richten können. Das bedingte aber für A die Notwendigkeit Energien zurückzuhalten und sie kompensieren zu müssen. Da er im Augenblick des Verlustes bereits auf der Entwicklungsstufe des autonomen "Machen-Können"1' stand, konnte er sich aus eigener Kraft neue Objekte suchen. Da andererseits der Vater als die Gesetzes-Instanz fast fehlte, A's " Ich " und damit sein ,,'Ober-Ich" also keine entsprechenden Impulse erhielt, sein "Über-Ich" aber sicher noch nicht endgültig ausgebaut wart8 , konnte er gleichsam im freien Raum, ohne Verbotsvorbehalte, agieren. So also könnte man A's sehr relative Einstellung zu vielen Fragen des moralischen und sozialen Verhaltens erklären. VgI. S. Freud XIV, S. 346; die obigen Begriffe erscheinen dort nicht. Erikson S. 241 !f., insbes. S. 268, 270. Erikson behandelt im 7. Kapitel die 8 wichtigen Entwicklungsphasen des Menschen. Zum besseren Verständnis seien die ersten 6 hier aufgeführt: 1. Vertrauen gegen Ur-Mißtrauen; 2. Autonomie gegen Scham und Zweifel; 3. Initiative gegen Schuldgefühl; 4. Leistung gegen Minderwertigkeitsgefühle; 5. Identität gegen Rollenkonfu8ion; 6. Intimität gegen Isolierung. 18 S. Freud, zitiert nach Brenner S. 48. 14
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Neurotische Aggressionsverdrängungen sind in A's Kindheitsphase nicht deutlich ersichtlich. In gewissem Umfang ist jedoch seine spätere Bereitschaft zu dem für sein Alter etwas abenteuerlichen Umgang mit den Prostituierten als Indiz für nicht ausgelebte Aggessionen zu werten. A fand guten Anschluß an Kameraden in der Schule und auch später in der Bundeswehr. Auch sonst macht er durchaus den Eindruck eines umgänglichen, aufgeschlossenen, nicht ungeschickten jungen Mannes, der sich weitgehend in der Realität zurechtfindet. Auffallend ist allerdings eine übertrieben zur Schau gestellte, "angelernte" Souveränität. Das Schuleschwänzen im Alter von 13 Jahren ist einerseits ein Zeichen des Verlangens nach übertriebener Selbständigkeit, andererseits ein Zeichen für innere Unruhe. Gleichzeitig entspringt aber ein solches Verhalten bei A einem starken Bedürfnis, ungehemmt einer momentanen Laune nachzugeben. Hier macht sich u. a. das schon frühe Fehlen des väterlichen Einflusses bemerkbar, das für die nicht vorhandenen Hemmungsbesetzungen bei A verantwortlich ist. Damit ist also den beiden Gutachtern zuzustimmen, die bei A das Vorhandensein einer Poriomanie festgestellt haben. Bemerkenswert ist noch, daß A wegen des Schuleschwänzens weder Schuld- noch Angstgefühle hatte. A ist an sich nie nach außen hin aggressiv gewesen. Normalerweise anerkennt er Autorität, allerdings nur, weil es sie geben müsse. Dies Anerkennen beruht also eher auf einer späteren Lebenserfahrung, auf Vernunftsgründen, als auf einer früh eingepflanzten inneren Notwendigkeit. Ein Doppelleben beginnt bei A mit der Verführung im Alter von 14 Jahren. Er lebt jetzt für sich nach ganz eigenen Gesetzen und fügt sich eher zum Schein in das Alltagsleben ein. Dabei trägt er immer das Geheimnis seines Doppellebens mit sich herum. Dies bedeutet eine Belastung, die gar nicht unterschätzt werden kann. Gleichzeitig folgt aus einem solchen Leben zwangsläufig -ein weiteres Nivallieren der Maßstäbe, nach denen der Durchschnittsmensch lebt; denn A mußte sich den anderen, insbesondere den Mitschülern gegenüber, als eine Ausnahmeexistenz empfinden und so für sich ein eigenes Maß beanspruchen. Aus verschiedenen Antworten A's und aus seinem Auftreten ergibt sich ein starker Selbstbehauptungswille, hinter dem vieles zurückzustehen hat, wie z. B. die Identifizierung mit anderen Menschen als Voraussetzung für Mitleid. Überhaupt scheinen A's Affekte sich nicht spontan zu äußern. Er sagt selbst, daß er sich erst einmal überlege, ob jemand seine eigene Situation verschuldet habe, bevor er sich gegebenenfalls mit seinem Mitleid engagiere. A's Verhältnis zu gleichaltrigen Mädchen war vor seiner Tat zumindest leicht gestört: Ihnen begegnete er immer nur auf platonische Weise.
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Für seine Liebesidee findet er erst nach seiner Tat eine Normbeziehung. Das Mädchen, mit dem er sich dann auch verlobte, war die erste Frau, zu der er eine wirklich umfassende, die ganze Person umgreifende Liebesbeziehung entfalten konnte. Die etwas älteren Frauen und die Prostituierten sah er hauptsächlich als Objekt seiner Lustbefriedigung an. Im Verhältnis zu ihnen fehlte die Erfüllung der Liebesnorm. Diese Frauen hatten in A's Augen kaum die Qualität "Persönlichkeit", sie waren bei ihm nicht mit differenzierteren Gefühlen besetzt. b) Die aTH
Verschiedene Aussagen, insbesondere die folgenden, sprechen, wenn man von der auf S. 64 f. dargestellten Theorie ausgeht, dafür, daß bei A eine aTH nicht vorhanden ist: Er finde nicht den Punkt, der ihn daran hindern könne, einen anderen Menschen zu töten; als erstes nennt er dann schließlich die Strafe, statt eines Merkmales, welches das Vorhandensein einer aTH nahegelegt. Den Mörder seiner Mutter, dessen Tat er miterlebte, würde er eventuell töten. Bei einer Schlägerei würde er in einer gefährlichen Situation ohne Rücksicht auf das Leben anderer zuschlagen. Das Töten gehöre nun einmal zum menschlichen Leben. Wer zum Henker bestimmt sei, der müsse seine Pflicht tun. Aus der Tatbegehung und den Aussagen zu ihr sprechen auch sehr viele Einzelheiten gegen das Vorhandensein einer aTH. Dies geht bereits aus den meisten Antworten ohne Kommentar hervor. Hervorzuheben ist vor allem, daß für A zwischen Planung und Ausführung der Tat kein besonderer Unterschied besteht. Diese Aussage ist nur so zu erklären, daß trotz der bei A's Tat vorhandenen Rückkopplung zum Opfer keine aktuelle aTH auftrat. Nach den Versuchen von Milgram hätte aber gerade - s. o. S. 35 ff. - die unmittelbare Berührung den höchsten Stellenwert in der Reizsumme haben müssen, so daß bei vorhandener aTH die Durchführung der Tat für A unmöglich hätte sein müssen. Dazu kommt, daß die biologische und psychische Situation an sich so war, daß bereits ein geringer Reizfaktor - also schon die Anwesenheit des Opfers - eine aTH hätte aktivieren müssen. Denn weder ging es bei A's Tat um dessen 'überleben, noch kann man sie sonst unter arterhaltenden Gesichtspunkten sehen. c) Die eTH
A würde - wie schon erwähnt - den Mörder seiner Mutter unbedenklich töten, d. h. auch eine eTH würde hier nicht aktuell werden. Den Mann, den er mit seiner Frau im Ehebett überraschen würde, würde er aus dem Fenster werfen. Die Todesstrafe bejaht er. Ein Mör-
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der hat in A's Augen einfach seine Lebensberechtigung verloren. Der Henker tue eben seine Pflicht. Der Mensch könne ohnehin in bestimmten Situationen abschalten. Jedoch würde A nie das Amt des Henkers übernehmen; das gilt jedoch erst für die Zeit nach seiner Tat. Außerdem fehlt A auch eine natürliche Scheu vor Leichen und überhaupt vor dem Tod, selbst vor dem eigenen. A sagt, er sei Tierliebhaber; dennoch mag er einige Tiere nicht. Diese tötet er unbedenklich, so z. B. Fliegen, Spinnen und Kaulquappen. Aus der Antwort, "die Leute hatten gar nichts dagegen, wenn wir die Spatzen schossen", wird deutlich, wie sehr A vom Urteil der Umwelt abhängig ist, und wie spärlich bei ihm eigene, spontan wirkende Maßstäbe sind. Affekte sorgen bei ihm nur in ganz geringem Maß dafür, Abstand von einer Tötung zu nehmen. Er identifiziert sich nur nach vorangegangener Überlegung mit dem Erleben und den Schwierigkeiten der anderen. A läßt sich gerne auf ungewisse Situationen und Wagnisse ein. So "räubert" er beim Schachspielen und auch in anderen Lebenssituationen, d. h. ihm fehlt die Geduld, er denkt Sachverhalte in ihren Möglichkeiten nicht vorher bis zu Ende durch; er läßt vielmehr den Zufall mitspielen. Die Tat führte A im vollen Bewußtsein ohne das Aufkommen irgendeiner Hemmung aus. Weder Mitleid, Allergiegefühle, das Tötungsverbot, Zweifel, Angst vor Strafe, noch sonstige Indizien für das Vorhandensein einer eTH machten sich bei ihm bemerkbar. Erst nach der Tat befiel A eine Nervosität, die aber bei ihm zu erklären ist wie bei einem Kind, das etwas angestellt hat: Die Tragweite seines Tuns wird ihm noch nicht im vollen Umfang bewußt; es meldet sich in erster Linie die Angst, ertappt zu werden. Dieses mögliChe Ertapptwerden und damit das Bekanntwerden seines Handeins und Vorlebens vor der Gesellschaft bedrückt A während der folgenden zwei Jahre immer mehr, nicht etwa die Tat selbst. Zum Zeitpunkt der Tat bezeichnet A sich als habgierig. Es war bei ihm tatsächlich so, daß er die unbezwingbare Lust hatte, zu den Olympischen Spielen nach Rom zu fahren, um bei seinen Lieblingssportarten, vor allem Schwimmen, zusehen zu können. Hier verengte sich sein Gesichtskreis, und er opferte dieser Idee alles. Ein Menschenleben hatte da kaum Bedeutung, insbesondere nicht das einer Prostituierten, da er die Prostituierten immer schon in erster Linie als Nützlichkeitsobjekte und nicht so sehr als Menschen angesehen hatte. Die Tatsache, daß eine solche Verengung bei A möglich war, spricht allein schon für das Vorliegen einer Psychopathie. Andererseits meint A, Töten komme bei den Eingeborenen nur unter dem Gesichtspunkt des Opfers vor. Auch diese Leute hätten eine Ach-
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tung vor dem Leben; ebenso sei dies wohl auch bei den Menschen in grauer Vorzeit gewesen, die sich sicher auch nicht hemmungslos getötet hätten. Diese Aussagen und einige andere sprechen wieder dafür, daß A doch eine verhältnismäßig fundierte eTH habe. Jedoch überwiegen bei weitem die Aussagen, deren Inhalt und Formulierung eher gegen das Vorliegen einer eTH bei A sprechen. Dazu kommt noch, daß sich die Tat für A gar nicht als Konflikt darstellte, indem er sich nicht vor die Notwendigkeit gestellt sah, zwischen zwei Extremen wählen zu müssen. A's "Über-Ich" sendet also nicht - und das war bei ihm schon seit früher Kindheit so - die notwendigen, der Norm entsprechenden Impulse aus. Wie dies wenigstens teilweise zu erklären ist, wurde - s. o. S. 85 - in der allgemeinen psychologischen Interpretation bereits dargestellt. Wichtig ist hier noch, daß Mechanismen, die sich während der ersten 5 bis 10 Lebensjahre nicht ausgebildet haben, sich auch später nicht mehr nachentwickeln können. Dies gilt besonders für die Entwicklung des "Über-Ich", da dies auf den befehlenden und verbietenden Lebenseindrücken hauptsächlich während der ersten 5 Lebensjahre beruht; an diesen prägenden Eindrücken aber fehlte es weitgehend bei A. Eine solche Entwicklungsstufe wie die der 5 ersten Lebensjahre ist aber nicht mehr nachzuholen17• Korrigieren kann später in ganz beschränktem Umfand nur noch der Intellekt, während die defekten psychischen Schichten nie mehr die ihnen eigentlich zugedachten heilen, dominierenden Funktionen erreichen können. A ist sicher nicht im Sinne Bjerres - s. o. S. 51 ff. - ein Mensch, dem man Lebensuntauglichkeit, d~ h. also Schwäche, attestieren könnte. In seiner Tat ist auch nicht eindeutig die Explosion eines Aggressionsstaues abzulesen. Man kann also nicht etwa annehmen, eine eTH sei durch eine Aggressionsexplosion völlig überdeckt worden. d) Zusammenfassung
Eine aTH ist bei A nicht zu finden. Bei ihm scheinen die entsprechenden AAM's auf Grund eines Störmechanismus, und zwar desjenigen der pathologischen Erbänderung - s. o. S. 30 f. - nicht mehr hinreichend ausgebildet zu sein. Außerdem ist es nicht zu entsprechenden Prägungen gekommen. Hinsichtlich der aTH ist A den Thesen 3 a und 3 e - s. o. S. 44 zuzuordnen. Bei A fehlt weitgehend auch eine eTH: Das Töten eines Menschen war für A keine extreme Handlung. Er hatte weder die früh einsetzende Hemmung, die ein solches Tun automatisch schon im Planung~tadium jenseits möglichen Handeins gestellt 11
ETikson S. 60.
2. Teil: Die einzelnen Täter
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hätte, noch auch schaltete sich eine eTH im Stadium der Tatausführung ein. Vielleicht schon anlagebedingt (habitu~lle psychische Schwäche, leichte schizoide Veranlagung), auf jeden Fall aber auf Grund frühkindlicher Einflüsse hatten sich in seinem "über-Ich" die Komponenten, die eine Tötungshemmung hätten aktualisieren können, nicht wirklichverankert. Auch sein Indentifizierungsmechanismus ließ weder Mitleid noch projizierte Todesangst, noch ähnliche Affekte aufkommen. Nach der Tat wurde allerdings eine Nervosität in A stark, die jedoch nicht so sehr Indiz ist für ein sich anschließend meldendes Gewissen ist, als vielmehr für eine allgemeine Angst, ertappt zu werden. Im Anschluß an seine Tat entwickelte sich durch das Erlebnis der Tat und die notwendige Auseinandersetzung mit ihr vernunftmäßig eine gewisse eTH nach. Viele Relikte des früheren, noch nicht von der Vernunft beeinträchtigten Zustandes lassen sich jedoch heute noch deutlich erkennen. A ist hinsichtlich seiner eTH als Fall der These 2 a - s. o. S. 57 einzugruppieren: Quantitativ fehlt bei ihm eine eTH in hohem Maße, qualitativ muß sie als schon in der Kindheit nicht entwickelt angesehen werden.
U. Der Täter B geboTen: BeTuj: PeTsonenstand: TatoTt: Tatzeit: AlteT des Täten ZUT Tatzeit: OpjeT: Begehungsweise:
1935 Metallarbeiter verWitwet eigene Wohnung 27.4.1961, ca. 24 Uhr 26 Jahre Ehefrau, 20 Jahre alt mit Gewehr erschossen
VOTbemeTkung
Über die aTH läßt sich anhand der Tat wenig aussagen, da Bein Gewehr benutzte und außerdem den Tathergang verschleiert. Aus seinen Aussagen geht jedoch hervor, daß B's aTH Störungen unterworfen ist. Bei B ist schon von Kindheit an eine eTH nur schwach ausgebildet worden. Er ist grobschlächtig, aggressiv, stark emotional, stellenweise kindlich; sein Handeln und seine Äußerungen werden kaum vom Verstand kontrolliert. Während der Unterhaltung - anfangs noch mißtrauisch, später sehr offen - sprang er mehrmals auf, um theatralisch verschiedene Erzählungen durch Gesten zu unterstreichen. Seine Tat ist als Ausbruch angestauter Aggression zu qualifizieren; Eifersucht1 8 auf einen Nebenbuhler spielte nur an der Oberfläche eine Rolle. 18
Vgl. zur Rolle der Eifersucht beim Mord Podolsky, a.a.O.
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1. Lebenslauf und Vorgescbidlte (aus den Strafakten z. T. aus der Unterhaltung ergänzt)
Der Vater des B war Gießer in einer Kleinstadt. B ist einziges Kind. Sein Vater wurde 1943 in Rußland vermißt. Deshalb arbeitete seine Mutter erst als Badefrau, dann als Waschfrau für die in der Stadt stationierten amerikanischen Soldaten. B verrichtete in dieser Zeit häufig Botengänge für seine Mutter. Während seiner Schulzeit mußte er die 7. Volksschulklasse wiederholen. Im Anschluß an die Schule fand er zunächst keine Lehrstelle und wurde deshalb von der Kleinstadt zu Pflichtarbeiten herangezogen. 1950 wurde er wegen Metalldiebstahls zu 2 Wochen Jugendarrest verurteilt, da er kurz vorher schon einmal wegen Diebstahls verwarnt worden war. 1951 begann er in einer Landmaschinenfabrik als Kernmacher zu arbeiten. Wegen Betriebseinschränkung wurde er nach einem Jahr mit vielen anderen Arbeitern wieder entlassen. Zunächst einige Monate arbeitslos, fand er schließlich Arbeit als Bauhilfsarbeiter und kurze Zeit später als Landarbeiter in der Schweiz. 1955 trat er schließlich in eine Autofabrik ein, deren Werk im Vorort einer Großstadt gelegen ist.
B hatte, bevor er seine Frau kennenlernte, verschiedene Freundinnen gehabt, mit denen er meist nach kurzer Zeit den GV vollzog. Ein Mädchen, die M D, liebte er mit einer fast pathologischen Leidenschaft. Mit ihr verlobte er sich auch, mußte sich dann aber wieder von ihr wegen des Widerstandes ihrer Eltern trennen. Die M D war nämlich noch minderjährig. Während seiner Freundschaft mit der M D hatte er, wie das auch sonst seine Gewohnheit war, noch GV mit einem anderen Mädchen. Vor seiner Tat soll B immer wieder gewalttätig geworden sein; so setzte er u. a. der M D einmal ein Messer an den Hals, um von ihr die Einwilligung zur Eheschließung zu erzwingen. Später hatte B auch seine Frau mehrmals geschlagen. Eine andere Frau brachte mehrere uneheliche Kinder von B zur Welt, die dann im Wege der Adoption nach den USA kamen. 1959 heiratete er die F, sein späteres Opfer. Die F war nymphoman. Mit 15 Jahren begann sie, geschlechtliche Beziehungen zu verschiedenen Männern zu unterhalten. Dabei wurde der GV auch mindestens einmal zu viert (2 Männer, 2 Frauen) vollzogen. Das alles war dem B jedoch nicht unbekannt. Er heiratete die F, weil sie ein Kind von ihm erwartete. Zunächst wohnten die beiden bei B's Schwiegereltern. Nach kurzer Zeit kam es jedoch zu Streitigkeiten, so daß sie zur Mutter des B zogen. Im Januar 1960 wurde der erste Sohn geboren; deshalb zog B mit seiner
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Frau und dem kleinen Kind in eine Wohnung in einem Vorort der Großstadt. Um Wohnung und Einrichtung bezahlen zu können, mußte erheblicher Kredit aufgenommen werden. Drei Monate vor der Tat verschaffte sich B's Frau deshalb eine Arbeit als Putzerin bei einer Reinmachefirma. Einen Monat vor der Tat erfuhr B von einem Verhältnis seiner Frau zu einem gewissen T. Daraufhin schlug er seine Frau vor den Augen anderer ganz erheblich, bis sie ihre Verfehlungen eingestand. Damals drohte er ihr auch, er werde sie umbringen. Am nächsten Morgen fuhren die Eheleute in die Stadt, um die Scheidung einzureichen. In der Stadt angekommen, sahen sie dann doch von einer Scheidung ab. B zog immerhin danach für einige Tage zu seiner Mutter. Schließlich aber kam es nach einer Woche wieder zur Aussöhnung mit Vollzug des GV. Inzwischen hatte B, der leidenschaftlich gerne schoß, ein Gewehr gekauft und es wenige Tage vor der Tat mit folgenden Worten einer Mitbewohnerin des Hauses gezeigt: "Wenn ich in diesem Hause keine Ruhe bekomme, dann passiert ein Unglück!" 2. Die Tat (aus den Strafakten)
Die Tat läßt sich in ihrem genauen Ablauf nicht mehr rekonstruieren, da B verschiedene Versionen vor Gericht und auch während der Befragung in S. angab. Die glaubhafteste Version wird im Folgenden wiedergegeben. Am 27. 4. 1961 kam B gegen 17.45 Uhr von der Arbeit nach Hause. Vor dem Verlassen seiner Arbeitsstelle traf er dort noch mit seiner Frau zusammen. Beide unterhielten sich kurz. Es kam zu keinem Streit. Zu dieser Zeit schlief das Kind bereits. Gegen 20.30 Uhr ging er mit einem Arbeitskollegen, einem Spanier, der ihn nach Hause begleitet hatte, wieder fort. Er wollte dem Spanier seinen früheren Arbeitsplatz zeigen. Sie gingen dann aber in ein Lokal. B trank zwei Glas Bier. Um ca. 23.00 Uhr ging B allein wieder nach Hause. Seine Frau war bereits zu Hause. Sie war angeblich noch nicht ausgezogen. Als B durch das Gartentor ging, kam ihm angeblich seine Frau gerade aus der Haustür entgegen und fragte ihn, ob er am Fenster geklopft hätte, und ob er jemanden gesehen hätte. B will dies verneint haben. Nachdem beide im Zimmer waren, in dem auch die Ehebetten standen, will B seiner Frau vorgehalten haben, daß es vielleicht schon wieder der "Kerl" gewesen sein könnte. Seine Frau soll darauf gesagt haben: "Jetzt fängst du schon wieder an!" B habe ihr dann erklärt, daß er so schnell nicht vergessen könne. Sie soll erwidert haben, er solle endlich mit dem "Schmarrn" aufhören. Nach B's Worten soll der Disput noch eine Weile so weitergegangen sein. Schließlich habe er gefragt, wie es mit dem T
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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gewesen sei. Sie habe darauf erwidert: "Wie soll es schon gewesen sein; gut hat es mir getan; von Dir hat man ja auch nichts. Wenn man zu dir ins Bett geht, dann sagst du, du möchtest deine Ruhe haben und wollest schlafen." Er habe darauf erklärt, daß dafür doch das Wochenende zur Verfügung stehe. Er müsse im Akkord arbeiten und sei deshalb abends zu müde. Darauf habe sie ihm erzählt, daß sie bereits viermal mit dem T geschlechtlich verkehrt habe. Während dieser letzten Sätze will B sich bereits ausgezogen haben. Als seine Frau von dem mehrmaligen GV mit dem T erzählt habe, habe sie sich gerade zu Bett gelegt. In diesem Moment habe er, nur noch mit der Unterhose bekleidet, vor seinem Bett gestanden. Er habe mit der rechten Hand die Bettdecke hochgehoben und das darunterliegende Gewehr herausgenommen. Das Gewehr habe er 3 Wochen vorher einschließlich Munition für 41,50 DM gekauft. Beim Kauf sei seine Frau selbst mit dabei gewesen. Mit dem Finger sei er dann irgendwie an den Abzugbügel des Gewehres gekommen. Während er das Gewehr herausgenommen habe, müsse er sich gleichzeitig mit dem Korn am Oberbett verhängt haben. Er habe deshalb das Gewehr gedreht. In diesem Augenblick soll seine Frau gesagt haben: "Immer, wenn der Tda war, hat er mich gemausert; das ist die ganze Wahrheit!" Da müsse er mit dem Gewehr einen Ruck gemacht haben, wobei dann auch schon der Schuß gekracht habe. Beim Anschauen des Gewehrs habe er dann gesehen, daß der Sicherungsflügel nicht nach rechts, sondern nach links herüberlag. Anschließend habe er auch zu seiner Frau geschaut und bemerkt, daß aus ihrem einen Auge das Blut wie ein Springbrunnen geflossen sei. Er sei dann noch eine Weile im Zimmer geblieben, habe sich dann aber entschlossen, sich der Polizei zu stellen. Auf dem Weg zur Polizei kaufte er sich in einer Wirtschaft noch eine Schachtel Zigaretten. Etwa eine Stunde nach der Tat trat er bei der Polizei ein, angeblich völlig verzweifelt, indem er rief: "Ich habe meine Frau getötet!" 3. Einzelheiten aus dem Gutamten von Dr. Gerweck
"B ist wahrscheinlich ein leidenschaftlicher, temperamentvoller, leicht aufbrausender Typ, dem eine gewisse Raffinesse, Schläue und Zielstrebigkeit zu eigen ist. Seine ganzen Handlungen vom Gewehrkauf an könnten wohl durchdacht sein. B's Mutter berichtet nichts über das Vorkommen von Geisteskrankheiten in der Familie ... B gab an, er sei schon seit jeher nervös gewesen. Er habe gehört, daß er einen großen Kopf hatte, als er zur Welt kam. Mit 14 Jahren habe er einmal eine Stirnhöhleneiterung, anschließend eine Mittelohrentzündung
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2. Teil: Die einzelnen Täter
gehabt. Außerdem habe er 7 bis 8 schwere Motorradstürze erlitten. Einmal habe er beim Boxtraining einen Schlag gegen den Kopf erhalten, so daß es ihn seither beim Bücken gedreht habe. Er habe Kopfschmerzen bei Hitze und bei Überanstrengung. 1955 erlebte er einen Vergewaltigungsversuch an seiner Mutter. B trägt einige Narben; seine Schilddrüsenlappen sind vergrößert. Sein Nervensystem zeigt keine Abweichung von der Norm. B faßt alle Fragen, auch etwas kompliziertere, schnell auf. Er gibt rasch und bald völlig ungezwungen, stets lautstark und in einer vehementen Sprechweise Antwort. Er ist ständig affektiv geladen. Er benahm sich nie so, daß man psychotische Erlebnisse im Hintergrund vermutete. Bs' Intelligenz liegt deutlich unter dem Durchschnitt. So wie er spricht, handelt er auch offenbar vorschnell und unbedacht ... Keine Psychose; kein angeborener Schwachsinn; keine Ausfallserscheinungen am Nervensystem; auf psychischem Gebiet keine Defekte, die zur Annahme einer Hirnleistungsschwäche berechtigen würden. B's Mutter ist ähnlich veranlagt wie er selbst ... B ist ungewöhnlich primitiv, indem er höchstens im Moment, aber nie auf längere Sicht seine Intelligenz anzuwenden weiß. Mit solchen, eben charakterisierten Eigenschaften muß B als eine abartige Persönlichkeit bezeichnet werden. Man mag ihn explosiblen, psychopathischen Persönlichkeiten zurechnen. § 51 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB kommt nicht in Frage." 4. Die Befragung des B in S
a) Kindheit und Jugend
B sagt, er sei streng erzogen worden. Seine Mutter sei über Tag nicht zu Hause gewesen, da sie in einem Bad als Wärterin gearbeitet habe. Sie habe ihn nicht oft geschlagen; wenn sie es aber einmal getan habe, dann sehr heftig. Mit 21 Jahren habe er seine letzten Ohrfeigen von ihr bekommen. Seine Mutter habe die Vaterstelle vertreten. Sie sei jähzornig gewesen. Von seinem Vater wisse er das nicht. Er habe seine Mutter sehr gerne gehabt, immer schon; sonst habe er niemanden auf der Welt. Die anderen Leute seien ihm nicht so wichtig. Er sei als Kind rachitisch gewesen. Außerdem habe er später verschiedene Motorradstürze gehabt. Er habe keine Freunde, sondern nur Kameraden gehabt. Das sei auch später so geblieben.
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In der Schule sei er gut in den Fächern Lesen, Sport und Singen gewesen. Er habe als der beste Vorleser seiner Klasse gegolten. Er habe immer einen starken Betätigungsdrang gehabt. Mit 11 Jahren habe er sich bereits bei den im Ort stationierten Amerikanern unentbehrlich gemacht, indem er die verschiedensten Kleinigkeiten für sie erledigt habe. (Dabei hat B ganz gut Englisch gelernt, mit dem typischen amerikanischen Akzent.) Seine Hobbies seien damals Laubsägearbeiten und BriefmarkensammeIn gewesen. Mit 19 Jahren sei er kurze Zeit in einem Boxverein gewesen. Schon als kleines Kind habe er mit einem Maschinengewehr auf Pappfiguren geschossen. Er habe auch Revolver gehabt, die er bei den Amerikanern gefunden hätte. Sie hätten ihn magnetisch angezogen. Heute würde er nie mehr Waffen kaufen. Schon sein Vater habe leidenschaftlich gerne geschossen. Wenn er eine Waffe in die Hand genommen habe, sei ihm jedoch nie der Gedanke gekommen, auf einen Menschen zu schießen.
b) Wichtige Erlebnisse B's erste Erinnerung reicht bis ins dritte Lebensjahr zurück. Damals habe er zusammen mit einem Buben mit einem kleinen Auto gespielt. Als er dem Jungen auf dessen Bitten das Auto nicht gegeben habe, habe dieser mit einem Messer auf sein Auge gestochen. Dabei sei jedoch nichts Besonderes passiert. Einmal sei er beim Indianerspielen von anderen Kindern an einen Baum geschnallt worden. Die Kinder hätten ihn fast die ganze Nacht hängen lassen, bis schließlich seine Mutter gekommen sei und ihn losgebunden habe. Als Kind sei er, da er fremd in der Straße war, oft von anderen Kindern geschlagen worden, und zwar immer gleich von mehreren. An sonstige wichtige Erlebnisse, insbesondere Angsterlebnisse, könne er sich nicht erinnern. c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen
B hat viele Vorurteile. Dessen ist er sich jedoch keineswegs bewußt. Er glaube, in seinem Denken und Handeln frei zu sein. Wut habe er nur momentan. Rache kenne er nicht. Man könne doch niemandem etwas nachtragen. Köperlich fühle er sich ausgewogen. Vielleicht habe er fast zuviel Energie. Als einmal ein Amerikaner sein Bier ausgetrunken habe, habe er ihn mit einem Schlag niedergestreckt. Auch sonst sei er an unzähli-
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2. Teil:
Die einzelnen Täter
gen Schlägereien beteiligt gewesen. Provokationen sei er nie ausgewichen. An sich habe er versucht, bei Schlägereien fair zu sein. Wenn jedoch der Gegner mit krummen Touren geantwortet habe, z. B. die Füße benutzt habe, dann habe er auch mit den Füßen getreten. Wer sich jedoch geschlagen gegeben habe, den habe er auch in Ruhe gelassen. Manchmal könne er sich beherrschen. So sei er in letzter Zeit im Zuchthaus ruhiger geworden. (Immerhin hat B im Zuchthaus S. bereits zehn Hausstrafen, hauptsächlich wegen Schlägereien mit anderen Mitgefangenen, erhalten.) Er gebe zu, daß er sich manchmal hemmungslos abreagiere. Er wolle kein "Lappschwanz" sein. An sich könne er sich auch in aussichtslosen Situationen beherrschen. Er sei nur zeitweise ein Einzelgänger, zeitweise sei er auch eher gesellig. Er lasse sich leicht von den anderen mitreißen. Er sei nur einmal depressiv gewesen, als die Geschichte mit seiner früheren Verlobten, der MD, zu Ende gegangen sei. Damals hätten sie überlegt, gemeinsam aus dem Zug zu springen. In letzter Sekunde habe er dann doch wieder von dem Plan Abstand genommen und auch die MD bei bereits geöffneter Tür festgehalten. Er habe damals sein ganzes Leben in die M D investiert. Er lebe eher gegenwartsbetont, er hänge nicht an der Vergangenheit. Allerdings habe er nach dem Ende seiner Beziehung zur M D oft auf seinem Bett vor ihrem Bild gelegen, das er sich von einer Photographie hätte vergrößern lassen. Dabei habe er geweint und an die vergangenen schönen Zeiten gedacht. Wenn ihm etwas nahegehe,müsse er oft weinen. (So weinte B auch fast bei seiner Erzählung über die MD.) Er erlebe auch sonst alles ziemlich stark mit; dies gelte nicht so sehr für das Kino. Er liebe Heimat- und Bergromane sowie Wildwestfilme, nicht aber Kriminalfilme. Außerdem habe er die Natur sehr gerne. Jede Blume freue ihn. Ameisen könne er stundenlang zusehen. Jeder Grashalm sei ein Wunder, die ganze Natur sei ein Wunder. Er singe sehr gerne und - wie die anderen sagten - auch gut. Hier im Zuchthaus habe er mehrere Schlager gedichtet und komponiert. Er gerate nicht in eine nervöse Stimmung, wenn es gelte, eine schwierige Frage zu lösen. Wenn es möglich sei, dann denke er jedoch zunächst nach. Er weiche Entscheidungen .möglichst nicht aus. Verbote wirkten auf ihn ganz selbstverständlich: Verbot sei Verbot. Das richte sich im Grunde nach dem Sprichwort: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen zu!" An sich handle er Verboten nicht entgegen, insbesondere nicht im Straßenverkehr. Wenn es gelte, andere Menschen zu beeinträchtigen, dann würden seine Entschlüsse und sein Handeln vom Selbsterhaltungstrieb geleitet.
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Zu Tieren habe er ein gutes Verhältnis. Er habe Tiere nie geschlagen, geschweige denn umgebracht. Wenn er eine Fliege töte, so sei dies nur Reflex. Als er einmal zugesehen habe, wie eine Henne getötet wurde, seien ihm die Tränen gekommen. Von der Henne habe er nichts gegessen. Fische könne er schon töten. Er habe das gemacht, indem er ihnen einen Messerknauf auf den Kopf geschlagen habe. Er könne sich das nur so erklären, daß der Fisch ein Kaltblüter sei. Ersticken lassen könne er ihn nicht. Mit 22 Jahren habe er eine Menge Kanarienvögel gehabt. Daran, ein Tier zu töten, hindere ihn die Tatsache, daß es etwas Lebendiges sei. Eine Katze, einen Hund oder gar ein Pferd würde er nie töten. Er habe nicht die Neigung, andere I,.eute zu ärgern, aber er selbst werde oft geärgert. Wenn er mit ansehen würde, wie jemand seine Mutter töte, dann würde er denjenigen wahrscheinlich totprügeln. Da könne man noch so anständig sein. Wenn sich jemand in einer Schlägerei geschlagen gegeben habe, so habe er aufgehört. In einer gefährlichen Schlägerei könne er sich schon vorstellen, daß er ohne Rücksicht auf das Leben anderer zuschlagen würde. Er sei leicht mitleidig. Falsche Illusionen habe er nicht. Er wollte früher nur eine schöne Wohnung haben. Etwas Besonderes habe er nie werden wollen. Er würde sich auch nicht als Abenteurer bezeichnen. Einmal habe er als Fallschirmspringer zur Bundeswehr gehen wollen. Ein anderes Mal habe er sich zur Hochseefischerei angemeldet; er sei aber ohne Antwort geblieben. Hawaü sei das Land seiner Träume. Er habe viele Hawaiifilme gesehen. Da "scheiße" er doch auf die ganze Welt. Er sei sehr sparsam gewesen und habe seiner Frau immer die ganze Lohntüte gegeben. Einen Lottogewinn würde er ganz sorgfältig verplanen. d) Verhältnis zur Umwelt
Er sei zunächst mißtrauisch gegen alle. Mit seinen Arbeitskollegen habe er sich gut verstanden. Manchmal habe er jedoch im Leben Schwierigkeiten gehabt, sich anzupassen. Das gelte vor allem jetzt während seiner Zeit im Zuchthaus. Er lasse jeden erst einmal nach seiner Fasson glücklich werden. Abgeneigt fühle er sich gegenüber Angebern, Frechlingen und Lügnern. Allerdings habe er selbst in seinem Leben auch schon oft gelogen; das seien aber Notlügen gewesen. 7 Lull1es
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Äußerlich seien manche Leute eventuell abstoßend, aber nicht gleich unsympathisch. Eigentlich müsse man jeden Menschen akzeptieren. Unter Fremden habe er sich immer besonders gut benehmen wollen, sei sich aber dabei gespreitzt vorgekommen; deshalb habe er sich dann auch immer geniert. e) Verhältnis zu Frauen und zur Sexualität
Frauen gegenüber müsse man doch normalerweise nachgeben. Für ihn gelte zwar die Gleichberechtigung, doch das letzte Wort Frauen gegenüber habe er selbst. Zunächst habe er ihnen gegenüber immer gute Chancen, da er unternehmungslustig sei und immer etwas zu erzählen wisse. Auch einfach als Mann müsse er wohl ziemlich stark wirken. Besonders beeindruckt habe er durch seine schöne Singstimme und die Schlager, die er vorsang; außerdem könne er gut tanzen. Mit 17 Jahren habe er seinen ersten GV gehabt. Es sei ihm damals etwas peinlich gewesen, daß es nicht besser gegangen sei, aber er habe sich damals vorgenommen, es besser zu lernen. Er habe keine Neigungen zu Perversionen. So liebe er auch nicht den Mundverkehr. Die MD (das Mädchen, mit dem er verlobt war), sei nicht dumm gewesen, aber etwas kindlich. Sie sei das einzige Wesen gewesen, das er geliebt habe. Nach 3 Monaten Bekanntschaft habe er sich mit ihr verlobt und erst da den GV mit ihr vollzogen. Die M D habe man anders behandeln müssen. Dann aber habe er sich doch nebenher wieder von einem anderen Mädchen, die er schon lange kannte, zum GV bewegen lassen. Die M D sei zunächst von ihren Eltern aus dem Hause gewiesen worden, als sie sich mit ihm verlobt habe. Daraufhin habe er hingebungsvoll für sie gesorgt und ein Zimmer für sie beschafft. Jeden Morgen vor Beginn seiner Arbeit sei er zu ihr gegangen, um sie ins Geschäft zu bringen. Nach weiteren 3 Monaten jedoch hätten die Eltern der M D ihre Tochter durch die Polizei wieder nach Hause holen lassen. Von da an hätten ihre Eltern jeden Kontakt zwischen ihnen unterbunden. Die MD habe ein halbes Jahr später einen anderen geheiratet. Danach habe er die Mädchen genommen, wie es gerade kam. Als er gehört habe, daß die M D geheiratet habe, habe er sich einen ungeheuren Rausch angetrunken. Ca. 3 Jahre später habe er seine Frau kennengelernt. Er habe sie schon gerne gehabt. Aber seit seinem Erlebnis mit der M D sei er argwöhnisch und abgebrüht. Er wollte gerne wissen, was die Frauen an ihm fasziniere. Er hätte das schon öfter Frauen gefragt, aber sie hätten es ihm nie gesagt. Viele Frauen hätten ihn nach dem ersten oder zweiten GV wieder verlassen.
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f) Einstellung zum Leben, Ansichten
Er lebe sehr gerne. Welcher Mensch tue das nicht. Mit Selbstmord habe er sich gedanklich nur für den Fall beschäftigt, daß er lebenslang Zuchthaus bekommen hätte. Er achte zunächst einmal jeden Menschen. Jeder könne tun, was er wolle. Er tue auch, was er für richtig halte. Für ihn seien dann innere Gefühle maßgebend. Er stelle auf das Taktgefühl des Gegenüber ab; für so intelligent halte er jeden. Der Zufall, das Unvorhersehbare, habe in seinem Leben eine große Rolle gespielt. Das Töten sei das Verabscheuungswürdigste, was es gebe. Das Leben eines Menschen sei von Gott gegeben. Ein anderer solle sich nicht erheben und jemanden töten. Wer sich zu töten entschließe, der sei schon wieder abwegig. Er sei prinzipiell gegen die Todesstrafe, schon wegen der .Fehlurteile. Aber auch selbst, wenn jemand schuld sei, sei er dagegen. Andererseits sei "lebenslänglich" ja genauso wie die Todesstrafe. Außerdem gebe es unter den Mördern doch noch anständige Leute. Wenn er selbst angenommen hätte, daß es die Todesstrafe gebe, dann hätte er nicht vor~ sichtiger gehandelt. Ein Henker müsse ein ganz gefühlsroher Mensch sein. Wenn er zu oft vollstrecke, müsse er doch nachts träumen: Immer Blut und Tote. Den Henkerberuf würde er nie ergreifen. Lieber ginge er 5 Jahre ins Zuchthaus. Die Eingeborenen seien ganz primitive Leute. Wenn sie jemanden töteten, dann sei das deren Sitte. Die würden anders erzogen. Die fingen mit dem Töten schon bei den Tieren an. Das Töten im Krieg erkläre er sich so, daß man einfach schieße: Aus Selbsterhaltungstrieb und wegen der Ideale; so vor allem wegen der Verteidigung der Heimat. Angriff und Verteidigung seien dabei ein und dasselbe. Insofern seien auch Krieg und Schlägerei vergleichbar. Angriff sei die beste Verteidigung. Er sei jedoch ein strikter Gegner des Krieges. Besser sei da die Geburtenkontrolle, damit die Menschheit nicht zu sehr wachse. Selbstmord zu begehen sei ein Zeichen von Feigheit. Er könne eher Selbstmord begehen, als einen anderen Menschen bewußt töten. Eine Zwangssituation erkläre einen Mord nicht. Das Tötungsverbot habe es unter den Menschen immer schon gegeben. Der Mensch habe eine Hemmung zu töten. Das beruhe auf Anlage und auch auf Erziehung, sowie auf Vemunftsgründen. Jeder Mensch habe eine brutale Ader. Männer seien eher geneigt, einen Mord zu begehen als Frauen. 7·
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Er wisse nicht, ob es leichter sei, einen fremden oder einen vertrauten Menschen zu töten. Wenn es bewußt geschehe, dann sei es sicher leichter, einen Fremden zu töten. Die Art der Begehung könne keine Rolle spielen. Es bestehe kein Unterschied in der Überwindung, ob man nun ein kleines Kind, eine Frau, einen Mann oder einen kranken Menschen töte. Eine Abtreibung sei vielleicht leichter durchzuführen, obwohl er auch strikt gegen die Abtreibung sei. Eine Mordtat zu planen sei leichter als einen Mord auszuführen. Wenn das Opfer weine und um Gnade flehe, dann müßte jemand ganz brutal sein, falls er dann noch weitermache. Auch der totkranke Patient solle, wenn möglich, sein Leiden ertragen. Auch die letzten acht Tage müsse er noch dahindämmern. Alles sei Vorbestimmung. Es gebe für ihn Ge- und Verbote, über die er sich zumindest bewußt nicht hinwegsetzen könne. Er sei nicht fähig, bewußt einen Menschen umzubringen. Das sei ja Idiotie, absurd. Wenn er in der Zeitung von einem Mord gelesen haben, dann habe er das nicht verstehen können. Ein Leben in dauernder Angst, z. B. als Mörder, könne er nicht führen. Zur Moral habe er ein Verhältnis genau wie zur Ehre. Das habe mit Ethik etwas zu tun. Er anerkenne die Moral, das hänge alles mit der Erziehung zusammen. Er glaube an Gott, aber nicht übertrieben stark. Er fühle sich vor Gott auch verantwortlich. Die Seele lebe wohl weiter. g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod
Die Begegnung mit dem Tod sei ihm immer ein unangenehmes Erlebnis. Als er einmal als Kind zu Ende des Krieges verbrannte und verstümmelte Leichen gesehen habe, habe er sich übergeben müssen. Bei der Tötung eines Menschen habe er nie zugesehen, nur im Film habe er das erlebt. Vor dem eigenen Tod grause ihm heute schon. Wahrscheinlich müsse man sich beim Tod vor Gott verantworten, wenn es einen Gott gebe. Wenn man ihn töten wollte, so empfände er in letzter Sekunde Lebensangst; außerdem würde er auf Begnadigung hoffen. h) Die Tat
Hier gibt B auch nur verschwommen Auskunft, wie das schon bei der Schilderung des Sachverhaltes vor Gericht der Fall war. Man hat
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den Eindruck, er wolle auf keinen Fall eine ihn belastende Version geben. Er wisse noch, daß er zu seiner Frau gesagt habe "Du Drecksau!" Dann habe er das Gewehr wohl angelegt. i) Stellungnahme des Täters zur Tat
In seinem Fall sei das Bewußtsein und das Unterbewußtsein ausgeschaltet gewesen. Der Zorn müsse ihn übermannt haben. Er sei vor sich selbst erschrocken, als er die Tat durchgeführt hatte. Beim Anblick seiner toten Frau sei ihm sofort bewußt geworden, daß er etwas Endgültiges getan habe. Er könne sich sein Handeln nicht erklären. Eine Gehirnzellenpartie müsse abgeschaltet haben. Er habe nach der Tat Reue empfunden. Noch heute trage er den Ehering. Wenn er die Tat geplant hätte, dann hätte er nicht erst ein Gewehr gekauft, sondern seine Frau zertreten, sie mit dem Beil erschlagen. Er glaube nicht, daß seine Tat Ausfluß einer damals noch bestehenden Unreife gewesen sei. Er glaube auch nicht, daß irgend ein früheres Erlebnis das Beispiel für seine Tat abgegeben habe; Vielleicht sei bei ihm eine gewisse Veranlagung dafür verantwortlich, daß es so weit kam. j) Verhalten nach der Tat
Nach der Tat habe er bitterlich geweint. Seine Mutter habe er nach der Tat nicht mehr anschauen können. Sein nächster Gedanke sei gewesen: "Jetzt bist du fällig." Eine Stunde später, also ca. um 1.00 Uhr nachts, sei er zur Polizei gegangen und habe sich gestellt. Vorher habe er sich noch Zigaretten in einer Wirtschaft gekauft. k) Traumleben; die Erzählung aus vorgegebenen Begriffen
Traumleben: Er träume jetzt fast jede Nacht; vor seiner Tat sei das nicht so gewesen. Er habe hier im Zuchthaus nur schöne Träume. Dazu gehörten Sexualträume I!Üt seinen früheren Freundinnen und auch mit seiner Frau. Schauplätze seien Wiesen und Flüsse, nie die Stadt. Es sei in seinen Träumen immer Tag. Er mache Spaziergänge, reise in fremde Gegenden. Meist sei alles farbig. Auch Tiere kämen vor, vor allem
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2. Teil: Die einzelnen Täter
schöne Schäferhunde. (Wenn er einen Schäferhund hätte, würde er ihn abrichten lassen.) Als Junge habe er Albträume gehabt. Jemand sei ihm nachgelaufen und habe ihn erstechen wollen. Er selbst aber habe nicht mehr laufen können. Im Moment des Erstochenwerdens sei er schweißgebadet aufgewacht. Er habe im Traum nie getötet oder eine Tötung erlebt. Sonst sei in seinen Träumen nichts Besonderes vorgekommen. Von seiner Tat habe er später noch oft wirr geträumt. Seine Frau sei dabei immer tot geblieben. Nur einmal habe seine Frau ihm kürzlich im Traum verziehen. (Sonst erzählt B nicht detailliert von seinen Träumen zur Tat.) Manchmal habe er auch geträumt, die Tat sei ganz ohne Unterhaltung verlaufen. ' Er habe auch Hawaiilieder im Traum gehört. Dazu sei die Sonne im Meer untergegangen. Die Geschichte: "Ein Soldat sah einen Tiger über den Fluß schwimmen und auf sich zukommen. Es war an einem warmen Sommerabend. Daraufhin ergriff der Soldat die Flucht und lief auf das Haus, das er in der Ferne stehen sah, zu, um sich zu retten." (Auch in zwei weiteren Geschichten flieht der Soldat.) 5. Beurteilung a)
Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten
Aus B's Verhalten und aus seinen Antworten wird deutlich, daß es bei ihm kaum zu einer Ich-Identifikation gekommen ist. Er hat heute noch kein gefestigtes Selbstbewußtsein. Immer wieder muß er mit starken Affekten reagieren und versuchen, seine schwachen Stellen durch große Worte, Gesten und durch Aufschneiden zu kompensieren. Er ist von einer ständigen Ruhelosigkeit besessen, fühlt sich nirgends sicher, glaubt immer vor der Umwelt auf der Hut sein zu müssen. Es gibt bei ihm keinen Punkt, um den herum er sein Ich kristallisieren konnte. All das sind Anzeichen dafür, daß sich in seiner Psyche keine der sonst üblichen Besetzungen, die zu einer Konsolidierung führen, vollzogen haben. Vielmehr bleibt bei ihm fast alles offen, mit Ausnahme einer übertriebenen Mutter-Besetzung. Die Besetzungslücken auf dem psychischen Horizont hat B durch reichhaltige Phantasien, IllUSionen und Ersatzvorstellungen ausgefüllt. Auch sein Traumleben zielt in diese Richtung. Will man dies alles erklären, so muß man wohl annehmen, daß B in den ersten Phasen seiner Kindheit kein "Vertrauen" --". s. o.
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S. 85 - in seine eigenen Funktionen, Erwartungen und in sein MachenKönnen gewonnen hat. Als notwendige Wechselbeziehung kam es auch nicht zu dem entsprechenden Vertrauen in seine Umwelt. Worauf das zurückzuführen ist, kann auf Grund der Exploration nicht mit Sicherheit gesagt werden; dazu müßte man unbedingt noch B's Mutter und sonstige Personen befragen, die den B in seiner frühesten Jugend umgeben haben. Mitverantwortlich könnte - neben Konflikten in der "oral-sensorischen Periode"1' - seine rachitische Erkrankung sein, die eine freie und kräftige Körperbeweglichkeit zunächst beeinträchtigte. Außerdem wurde B auch als Junge von den anderen Kindern gehänselt und gequält (Indianerspielen) und konnte sich nicht durchsetzen, also kein Selbstvertrauen gewinnen. Zu diesen Überlegungen kommt hinzu, daß B von der Mutter und wohl auch vom Vater ein überdurchschnittlich starkes Aggressionsquantum geerbt hat. Auf Grund der frühkindlichen Schwierigkeiten muß es sehr bald bei B zu Aggressionsstauungen gekommen sein. Er fand oft kein Betätigungsfeld, um seine Aggression abzuleiten. Dies machte sich Luft in einem ständigen, unruhigen Betätigungsdrang schon in seiner Jugend und in dem Versuch, in den Augen der anderen etwas zu leisten, sich unentbehrlich zu machen. Gleichzeitig aber hat sich für B die Notwendigkeit gebildet, als Rückversicherung immer wieder Beweise für das Angewiesensein der anderen auf seine Person zu finden. B wollte grundsätzlich die ihm nahen Menschen beherrschen, um ihr "Ja" zu ihm kontrollieren zu können. Selbständigkeit konnte er deshalb bei seinen Bezugspersonen nicht akzeptieren, insbesondere nicht bei Frauen, zu denen er eine Liebesbeziehung unterhielt. Bei seiner ehemaligen Verlobten, der M D, tauchten hier keine Probleme auf, da sie noch verhältnismäßig kindisch war und sich dem B ergeben zeigte. Ihr gegenüber konnte B's Aggression in der .Form von Liebesenergie und Fürsorge nahezu ungehemmt abströmen. Hier waren es die Eltern der M D, nicht die M D selbst, die dem B Widerstand entgegensetzten. Anders liegt der Fall bei B's Frau. Sie hatte schon sehr früh ein selbständiges Leben geführt und sich nie in ein wirkliches Abhängigkeitsverhältnis zu B begeben. Für ihn aber lag - wenn auch seit der gescheiterten Beziehung mit der M D etwas gebrochen - die eigentlich einzige Möglichkeit zur Selbstverwirklichung bzw. Ich-Identifikation in der Beziehung zu einer Frau. Besonders deutlich wurde das in seiner fast monomanischen Liebe zur M D. Das Verhältnis zu seiner Frau konnte aber wegen deren Nichtbeherrschbarkeit nie das werden, was B eigentlich wünschte und wohl auch brauchte. Zudem kam seine Frau auch nicht seiner Mutter-Besetzung gleich. B mußte ihr gegenüber also 19
Erikson S. 66.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
einen großen Bereich seines Identifikationswillens und seiner Liebesenergie unausgelebt lassen. Da Liebe aber weitgehend auch auf Aggression beruht20, mußte B also wieder Aggression anstauen. Besonders, wenn seine Frau Verhältnisse zu anderen Männern unterhielt, erlebte er zwangsläufig, daß er seine Liebesenergie in seine Frau gänzlich fehlinvestiert hatte. Er sah wie bei einern mißlungenen Dressurakt seinen eigenen Mißerfolg, und das auf dem einzigen Gebiet, auf dem er sich hätte verwirklichen können. Dies mußte für ihn also ein Scheitern seiner Existenz auf der ganzen Linie - wenn auch nicht bewußt - bedeuten. Das mehrmalige Verprügeln seiner Frau kündigt bereits Vorentladungen an. Diese erklären sich daraus, daß B Aggression, wenigstens in ihren Spitzenwerten, möglichst sofort zu entladen pflegte. Mit Verprügeln aber war es noch nicht zu einer endgültigen Überwindung der Niederlage gekommen. b) Die aTH
B beging die Tat vorsätzlich, auch wenn er dies abstreitet. Die gesamten Tatumstände und auch seine Handlungsweise vor der Tat sowie seine Ankündigungen deuten darauf hin, daß er die Möglichkeit, seine Frau zu töten, schon erwogen hatte. B war ein geübter Schütze und traf seine Frau nicht zufällig an einer lebensgefährlichen Stelle: dem Auge. Es muß angenommen werden, daß B seine Frau im Schlaf erschoß. Sie wurde nämlich auf dem Rücken liegend, die Hände unter der Bettdecke, in SchlafsteIlung von der Polizei gefunden. Für diese Begehungsweise sprechen außerdem auch B's Träume, in denen seine Frau grundsätzlich nicht redet. (Nur einmal hat sie ihm im Traum verziehen.) Ein Disput vor der Tötung, wie B ihn darstellt, würde sich sicher auch in den Träumen irgendwie niedergeschlagen haben, so daß B auch in seinen Träumen irgendeinen Wortwechsel hätte erleben müssen, der die Situation zuspitzte, wenn dies tatsächlich so gewesen wäre. Damit kann man also davon ausgehen, daßB sein Gewehr nahm, seine schlafende Frau anschaute, zielte und dann den Schuß abgab. So läßt sich auch sein verhältnismäßig ruhiges Verhalten nach seiner Tat erklären. Aus der Tatbegehung selbst kann man, da B seine Frau mit einern Gewehr erschoß, nur soviel für die besonderen Bedingungen eoiner aTH herleiten, daß die unmittelbare Konfrontation des B mit dem Gesicht seiner Frau keinen ausreichenden Reizfaktor darstellte, um von den AAM's des B dahin verstanden zu werden, daß diese eine wirksame aTH ausgelöst hätten. ZO LOTenz b) S. 257 ff.; ein Analogieschluß zum menschlichen Verhalten erscheint hier zulässig, da dieses ohnehin meist von mehreren Trieben gesteuert wird: Liebe also vom Sexual- und vom Aggressionstrieb.
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Folgende Antworten des B sprechen u. a. dagegen, daß bei ihm eine aTH wirksam vorhanden ist: Einen Amerikaner, der aus seinem Bierglas getrunken habe, habe er einmal mit einem Schlag niedergestreckt. Manchmal reagierte er sich hemmungslos ab; so z. B. im Zuchthaus. Wenn es gelte, andere Menschen zu beeinträchtigen, dann werde sein Handeln vom Selbsterhaltungstrieb geleitet. Die Situation der anderen scheint ihn dabei nicht zu berühren, d. h. er sieht sie gar nicht erst. Den Mörder seiner Mutter würde er, wenn er die Tötung mit ansehen müsse, wahrscheinlich totprügeln. Jeder Mensch habe eine brutale Ader. Die Art der Begehung einer Tötung könne für eine etwaige Hemmung keine Rolle spielen. Dabei muß man berücksichtigen, daß diese Antwort unter dem Gesichtspunkt der auf S. 64 f. entwickelten Theorie kaum Rückschlüsse zuläßt, da die Erschießung nur eine sehr· kurzfristige und distanzierte Rückkopplung zuließ, und B bei dieser Begehungsweise keine aTH verspürte. Wie es ihm erginge, wenn er jemanden erdrosseln würde, kann er also nicht mit "Erfahrungseinschlag" sagen. Die Antwort bleibt also insoweit im Bereich nur theoretischen Handelns. Die meisten übrigen einschlägigen Aussagen legen die Annahme nahe, daß bei B doch eine aTH ausgebildet ist. Im Ergebnis muß aber doch ein Störmechanismus von der Art der pathologischen Erbänderung Aggressivität und Geltungssucht - angenommen werden. Denkbar ist auch eine fehlende Prägung, zumal der Reizfaktor "Gesicht" eventuell nicht von einem angeborenen, sondern nur von einem geprägten AAM verstanden wird. c) Die eTH
In der Begehungsweise drückt sich einerseits eine immer schon vorhandene SchieBlust aus, andererseits symbolisch, Herr der Lage sein zu wollen. Eine Tötungshemmung scheint bei der Tatdurchführung auf affektivem Sektor überhaupt nicht vorhanden gewesen zu sein, sonst hätte ein etwaiges Mitleid mit seiner schlafenden Frau ihn an der Durchführung der Tat hindern müssen. Die Wehrlosigkeit seiner Frau hatte ihn nicht im Wege der Identifizierung abgehalten; ebensowenig hatte er sich durch Identifizierung mit dem Sterben seiner Frau konfrontiert. Hemmende Impulse aus dem "Über-Ich" können auch nur sehr schwach vorhanden gewesen sein, wahrscheinlich fehlten sie ganz. In geringem Umfang meldeten sich nach der Tat Impulse aus dem "Ober-Ich", indem B davon spricht, Reue empfunden zu haben. Die Tatsache, daß B zum Gewehr griff, statt eine die Distanz zum Opfer verkürzende Begehungsart zU wählen, .spricht nicht unbedingt für eine
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an sich vorhandene, durch Identifizierung auszulösende eTH, weil für B das Schießen als solches eine magische Anziehungskraft hatte, und insofern gar keine andere Begehungsart für ihn in Frage kam. B hat auch auf dem Weg vom Plan bis zur Ausführung der Tat, während eines Zeitraumes von wohl mehreren Tagen, keine feststellbare Tötungshemmung verspürt, sonst hätte er den Plan verworfen, zumindest aber die Durchführung der Tat. Wegen der Verschleierung des Tatherganges durch B müssen die eben gemachten Ausführungen allerdings in gewissem Umfang hypothetisch bleiben. Die Unterhaltung mit B zeigt, daß er äußerst unbeherrscht ist und im Sinne des einmal eingespielten Ablaufs: Gereiztwerden - Zuschlagen schon einem fast automatischen Zyklus unterlag. Dazu kommt noch, daß B's Schilddrüsenlappen vergrößert sind, wodurch rein physisch eine stärkere Aggression bedingt ist. Auf den ersten Blick ist B stark affektiv; Mitleid, Furcht, Freude, Trauer usw. kommen aber bei ihm nicht aus fest verankerter psychischer Tiefe, sondern - jederzeit zur Verfügung - von der Oberfläche. Dies liegt daran, daß sich bei ihm während seiner frühen Kindheit kaum entsprechende Besetzungen im psychischen Apparat ausgebildet haben. Es handelt sich bei ihm also eher um Sentiments, die seine Handlungsantriebe kaum steuern oder beeinflussen. B ruft sie herbei zur Befriedigung seines Narzismus, um sich selbst tiefes Empfinden vorzuspiegeln. Als äußerst autistischer Mensch ist B also gar nicht empfänglich für Reize der Außenwelt, deren wirkliche Aufnahme und Verarbeitung eine Identifizierung notwendig machen und auf diese Weise u. a. eine eTH aktualisieren könnten. Aus diesem Grunde kommt es bei ihm also nicht zu einer echten Identifizierung mit der Situation des Opfers, so daß die affektiven Elemente einer Tötungshemmung bei ihm nicht "gereizt" werden können. B kann insofern also unberüht von Schrecken, Angst, Hilflosigkeit oder Tod des Opfers handeln. Nimmt man nun B's Aussagen zum Henker, zur Sterbehilfe und zur Todesstrafe, so könnte man meinen, die Indizien sprächen dafür, daß er durchaus eine eTH habe. Dagegen aber muß man verschiedene andere Aussagen halten, die als Insulte gegen das Leben und als Indiz für ein weitgehendes Fehlen einer eTH zu werten 'sind: So sein Verhalten in einer Schlägerei, in der er eventuell nicht auf das Leben Beteiligter Rücksicht nehmen würde; die Tatsache, daß er den Mörder seiner Mutter mit ziemlicher Sicherheit töten würde; seine Aussagen zum Töten im Krieg und vor allem, daß er seine Frau, wenn er den Mord an ihr
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geplant hätte, zertreten oder mit dem Beil erschlagen hätte, statt erst ein Gewehr zu kaufen. An dem Gegensatz der beiden Aussagegruppen zeigt sich das Fehlen einer einheitlichen Linie, wobei die Tendenz eindeutig in die Richtung "sehr schwache, nicht fundierte eTH" geht. Dabei deuten alle vor der Tat liegenden Aggressionshandlungen des B eine Konstellation an, die bei ihm teilweise habituell gegeben ist, teilweise in frühester Kindheit entwickelt und durch die weitere ungehemmte Lebensführung reflexiv immer wieder angereichert wurde. Auch nach seiner Tat trat hier keine Änderung ein. (Schlägereien im Zuchthaus.) Neben der Tötungshemmung aus dem Identifizierungsmechanismus fehlte dem B weitgehend auch die Tötungshemmung aus dem "ÜberIch". Hierfür sprechen verschiedene seiner Aussagen: Er hatte weder Angst vor Strafe, noch regte sich sein Gewissen vor der Tatbegehung, noch auch empfand er wirklich starke Reue nach der Tat. Daß er seine Mutter nicht mehr ansehen konnte, spricht nur dafür, daß es ihm ihr gegenüber peinlich war, als Mörder dazustehen, weil er zu ihr eine Bindung hatte, die er nun durch sein Tun womöglich beeinträchtigt sah. Das Reservoir, in dem sich hemmende Besetzungen hätten entwikkeIn können, war also in B's früher Kindheit nicht aufgefüllt worden. Dies liegt daran, daß B in seiner Kindheit auf irgendwelche Traumen (u. a. wohl auch seine Rachitis) so reagiert hatte, daß sich eine Psychopathie entwickelte. Dazu kommt, daß der Vater fehlte, der von B's Mutter nicht oder nur falsch ersetzt werden konnte. Deshalb konnte B's "Über-Ich" auch· nicht entsprechende, außen gesetzte und von B akzeptierte Maßstäbe verinnerlichen. Das Wirken womöglich doch geringer, aus dem "Über-Ich" kommender Impulse wurde dadurch noch verringert, daß bei B auf Grund des immer wieder auf seinen Nervenbahnen ungehemmten Aggressionsabströmens solche einmal vorhandenen hemmenden Besetzungsenergien verkümmern mußten und deshalb nicht eingreifen konnten. B ist aber gerade jemand, bei dem auf das hohe Quantum an Aggression und Aggressivität ein besonders hohes und tief verankertes Quantum an Hemmung antworten müßte, damit gefährliche Folgen seines HandeIns vermieden würden. Im Alltagsleben ist B an sich ganz gewandt und weiß seinen Vorteil zu wahren. Sein Intelligenzgrad liegt jedoch unter dem Durchschnitt; so konnte er z. B. viele Fragen ihrem eigentlichen Sinn nach nicht verstehen. Er ist in vieler Hinsicht noch auf einer kindlichen Stufe seiner Einsichts- und Denkfähigkeit stehengeblieben. Das heißt aber, daß er sein Handeln in seinen Folgen vorher oft gar nicht ausmessen kann, sondern schließlich nach vollbrachter Tat wie ein Kind vor dem unerwarteten Erfolg steht. Damit scheidet eine Tötungshemmung auf ver-
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nunftmäßiger Basis bei B aus. Eine solche Tötungshemmung kann ohnehin nur eine geringe Wirkung haben, da die Vernunft als solche nicht unabhängig im leeren Raum schwebt, sondern Impulse aus dem psychischen Apparat erhält, mit denen sie sich auseinandersetzen muß. Wenn entsprechende Impulse fehlen, dann kann die Vernunft zwar ein Rechenexempel durchführen, indem sie die Vor- und Nachteile der Tat vorher abwägt. Wenn der Täter aber in seiner von Scheuklappen verengten Mordsituation möglicherweise doch noch einen Rest seiner Vernunft einsetzt, dann reicht dieser gerade nicht mehr aus, ihn von seinem Handeln abzuhalten, ihm eine andere Lösung des Konfliktes zu ermöglichen. Dies gilt nicht nur für B, sondern für die meisten Mörder, da deren Intelligenzgrad in den allermeisten Fällen weit unter dem Durchschnitt liegt; sie sind geistig unreü - s. o. S. 51 -. Sie sind gar nicht fähig, die Folgen ihres Handeins bis zu Ende zu durchdenken. Die heute vernunftmäßig bei B vorhandene Tötungshemmung ist auf Grund des Erlebnisses und des Durchdenkenmüssens seiner Tat nachträglich hinzugekommen. Insofern müssen also seine Antworten unter diesem Gesichtspunkt zum Teil relativiert werden. d) Zusammenfassung
Die aTH ist bei B nur schwach ausgebildet. Möglicherweise tötete B unbewußt gerade deshalb mit einem Gewehr, weil bei einer Begehung mit deutlicherer Rückkopplung bei ihm eine aTH ausgelöst worden wäre. Als Fall ist B der These 3 a und eventuell noch der These 3 e s. o. S. 44 - zuzuordnen. Eine eTH wurde bei B schon seit früher Kindheit kaum ausgebildet. Weder sein "Über-Ich" noch sein Identifizierungsmechanismus funktionieren der Norm entsprechend. B ist hinsichtlich seiner eTH als Fall der These 2 a - s. o. S. 57 - einzugruppieren.
UI. Der Täter eil geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise: !1
1927 kaufmänn. Angestellter geschieden kleine Pension in einer Großstadt 25. 11. 1959, ca. 20.30 Uhr fast 32 Jahre Pensionsinhaberin, 63 Jahre alt gewürgt, mit einem Schürhaken erschlagen, geknebelt
Vgl. zum Täter C auch den von Ghysbrecht dargestellten Fall S. 110 ff.
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Vorbemerkung
C ist ein Täter, bei dem eine aTH kaum vorhanden ist und eine eTH ursprünglich nur schwach, aber doch stärker als bei A und B ausgebildet wurde. Auf Grund langjähriger finanzieller Schwierigkeiten geriet er in eine immer ausweglosere Situation und hatte schließlich im Sinne Bjerres - s. o. S. 51 ff. - auf einem Nullpunkt seiner Existenz überhaupt keine sein Verhalten steuernden psychischen Kräfte mehr. Er tötete sein Opfer fast blindlings, um sich selbst aus seiner Situation zu retten. Dabei spielte auch gestaute Aggression eine wichtige Rolle. Man kann an C das Problem der vom Selbsterhaltungstrieb mitbestimmten Aggression studieren. 1. Lebenslauf und Vorgesdtidtte (aus den Strafakten)
Der Vater des C war Angestellter bei der Straßenbahn. Als C 3 Jahre alt war, wurde die Ehe seiner Eltern geschieden. Das Gericht sprach ihn der Mutter zu. Bis zum 9. Lebensjahr wurde C bei seinen Großeltern mütterlicherseits aufgezogen. Dann kam er in die Familie des Vaters, der inzwischen wieder geheiratet hatte. Die schulische Entwicklung des C verlief ohne Schwierigkeiten; er durchlief 4 Jahre Volksschule und 4 Jahre Hauptschule. Mit 15 Jahren kam er in die Staatsgewerbeschule (Ingenieurschule). 1943 mußte er das Studium unterbrechen, da er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen wurde. Anfang 1944 kam er zur Flak. Er wurde zum Reserveoffiziersbewerber ernannt. Anfang 1945 setzte er sich bei Z. von der Truppe ab und schlug sich wieder nach Österreich durch. Er konnte bei einem Bauern bis zum Einmarsch der Amerikaner untertauchen. Nachher wurde er Dolmetscher bei den Amerikanern. 1946 ging er wieder zurück zu seinen Eltern. 1948 legte er die Abschlußprüfung als Fachschulingenieur ab, konnte aber in seinem Beruf keine Stellung finden. 1952 heirate er; aus der Ehe gingen keine Kinder hervor. Bis 1951 arbeitete als als Korrespondent und Fakturist in einer Textilgroßhandlung, dann wurde er Materialbuchhalter in einer anderen Firma. Bis 1955 war er Verkaufsleiter. Dann wechselte er die Firma wiederum und wurde Vertriebssachbearbeiter bei einer Firma, bei der er bis zum Jahre 1957 20000 Schillinge unterschlug. Der Grund für die Unterschlagung war eine damals beginnende Spielleidenschaft. 1957 wurde er wegen schwerer Veruntreuung zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, die am 1. 12. 1958 zur Bewährung ausgesetzt wurden. 1959 ließ seine Frau sich kurz vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis von ihm wegen der Strafe und wohl auch wegen eines anderen Mannes scheiden.
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Die Gerichtskosten, die Scheidungskosten und die Rückzahlung des unterschlagenen Geldes verschlangen einen großen Teil des Gehaltes, das C nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis verdiente. Deshalb begann er wieder zu spielen und zu unterschlagen. Als der unterschlagene Betrag nunmehr 40000 Schillinge betrug, flüchtete C im September 1959 nach Deutschland. Er mietete sich in einem Privatquartier am 24. 9. bei einer Frau M ein. Dort habe er 4 Wochen an einer Grippe krank gelegen. Darauf sei er einige Male im Spielkasino eines nahegelegenen Ortes gewesen, wo er sein gesamtes Geld verloren habe. Am 1. November entwendete er das Sparbuch der Frau M und hob 900,- DM ab; mit dem Geld gewann er im Spielkasino 4 000,- DM. Daraufhin habe er 950,- DM auf das Sparbuch der Frau M eingezahlt und das Buch, nachdem er ausgezogen war, zurückgeschickt. Am 5. 11. mietete er sich in einem Hotel der Großstadt ein und begab sich wiederum ins Spielkasino, wo er nochmals sein ganzes, inzwischen gewonnenes Geld verspielte. Am 15. 11. verließ er das Hotel heimlich mit 119,- DM Schulden. Daraufhin übernachtete er in einem Männerübernachtungsheim. Am 16. 11. fuhr er zurück nach Wien, um sich von seiner Mutter ca. 400,- DM zu leihen. Am 18. 11. kam er bereits wieder in die Großstadt zurück. Am 20. 11. mietete er sich bei Frau Y, seinem späteren Opfer, ein. Den Rest seines mitgebrachten Geldes verspielte er wiederum im Spielkasino. In der Zeit vom 21. bis 23. 11. trug er verschiedene seiner Kleidungsstücke ins Pfandhaus. 2. Die Tat (aus den Strafakten)
Am 25. 11. traf er kurz vor 20.00 Uhr bei Frau Y ein. Als er in die offenstehende Küche der Frau Y eingetreten sei, habe diese an der Längsseite des Küchentisches gesessen. Sie habe gerade an einer Rechnung geschrieben. Bei seinem Eintritt in die Küche habe ihn Frau Y mit den Worten begrüßt: "Warum schauen Sie denn so belämmert?" Er habe ihr nun eingestanden, daß er die Rechnung nicht bezahlen könne. Daraufhin sei Frau Y aufgesprungen und habe fürchterlich· geschimpft und ihn einen Gauner u. a. geheißen. In seiner plötzlichen Wut, er könne sich selbst nicht erklären, wie er dazu gekommen sei; habe er sich auf Frau Y gestürzt und sie am Hals gefaßt und gewürgt. Dabei sei Frau Y in Richtung auf das Fenster zurückgetreten, habe sich mit den Händen gewehrt und dabei wohl das Fenster eingeschlagen. An das Klirren könne er sich noch erinnern. Was dann geschehen sei, wisse er nicht mehr.
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Er sei sich nicht bewußt, mit dem Schürhaken Schläge ausgeführt und Frau Y geknebelt und gedrosselt zu haben. Auch an einen Telefona.n ruf, den er abgenommen und beantwortet habe, könne er sich nicht erinnern. Als er bemerkt habe, daß er völlig blutig sei, habe er Hände und Gesicht gewaschen. Jetzt erst sei ihm der Gedanke gekommen, daß er völlig mittellos sei, und nachdem die furchtbare Tat schon geschehen war, habe er daran gedacht, nach Geld zu suchen, um von dem Schauplatz wegzukommen. Nach einigem Suchen habe er in einer Handtasche ein Sparkassenbuch, ein Postsparbuch und Geld gefunden. Er habe alles zusammen an sich genommen und sei aus der Pension gegangen. Im Stiegenhaus habe er bemerkt, daß auch seine Hose blutig sei. Er sei noch einmal zurückgegangen und habe seine Hose notdürftig gereinigt. Dann habe er die Küchentür zugeschlossen, sei zum Bahnhof gegangen und um 22.40 Uhr nach F. gefahren. 3. Einzelheiten aus dem Gutamten von RMR Dr. Hofmann
Eine Schwester des Vaters von C soll Selbstmord begangen haben. Sonst seien in C's Familie keine Geisteskrankheiten bekannt. Bei C sei eine erhebliche Schilddrüsenvergrößerung festzustellen, außerdem ein starkes Schwitzen, eine lebhafte Hautschrift sowie ein Fingertremor. C's Stimmungslage sei ausgeglichen, keineswegs niedergeschlagen. Er habe eine gute Intelligenz. Nirgends seien Anhaltspunkte für das Vorliegen formaler Denkstörungen, Sinnestäuschungen oder wahnhafter Ideen feststellbar. Die Schilddrüsenvergrößerung habe iücht zu wesentlichen Störungen geführt. Es seien keine ernsteren Erkrankungen in der Vorgeschichte des C zu finden. C habe nach außen hin keine besonderen Gemütsbewegungen oder Erregungen gezeigt. Man habe bei ihm den Eindruck von Gemütsarmut. Eine Bewußtseinsstörung des C während der Tat sei auszuschließen, da er jeweils Herr der Lage gewesen sei, seine Spuren überlegt verwischt und einen Telefonanruf nach der Tat präzise beantwortet habe. 4. Die Befragung des C in S
a) Kindheit und Jugend
C wuchs seit seinem 3. Lebensjahr bei seinen Großeltern mütterlicherseits auf, da seine Eltern geschieden worden waren. Er hat noch einen Stiefbruder.
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Die Großeltern seien nett zu ihm gewesen. Sie hätten eine Bautischlerei und ein Fuhrunternehmen gehabt. Der Großvater sei zu ihm ein richtig netter Großvater gewesen, keine Autoritätsperson. Zum Vater habe er ein eher gutes Verhältnis gehabt. Dieser sei gelegentlich zu den Großeltern zu Besuch gekommen. Sein Vater habe ihn allerdings manchmal streng bestraft. Dabei sei sein Vater ein Eigenbrödler gewesen und habe in der Ehe als Waschlappen versagt. C habe gerne als Kind gespielt, meist mit einem guten Freund auf den nahen Eisenbahnanlagen. Wegen der Berufstätigkeit seiner Stiefmutter sei er viel allein gewesen. Die leibliche Mutter, die ihn während der Zeit bei den Großeltern noch mit erzogen habe, sei sehr egoistisch gewesen und habe ihm nie Taschengeld gegeben, so daß er sich den anderen Kindern gegenüber immer benachteiligt gefühlt habe. Im Grunde habe er wenig Kontakt zur eigenen Mutter und zur Ziehmutter gehabt. In der Familie sei niemand jähzornig veranlagt. Als Kind habe er ein ganz gutes Verhältnis zu anderen Kindern gehabt. Da er jedoch kurzsichtig und zart gewesen sei, habe er Raufereien vermieden. Stark gefühlt habe er sich erst seit dem Reichsarbeitsdienst. Da er sich den anderen Kindern gegenüber immer schwächer vorgekommen sei, habe er versucht, sich mit Worten zur Wehr zu setzen. Wenn das nicht geklappt habe, habe er resigniert. Nur einmal sei er in Wut geraten und habe plötzlich den Klassenstärksten verdroschen, weil der ihn immer als Brillenträger gehänselt habe. Seither habe er Ruhe gehabt. Er habe als Kind weder Angsterlebnisse noch Angstvorstellungen gehabt. Wegen seines sehr starken Kropfes habe er nie lange gehen oder viel Sport treiben können.
Sein Vater habe gewollt, daß er aufs Gymnasium gehe. Dem habe er sich widersetzt, da er davon ausgegangen sei, daß er sonst später ein knöchernes Beamtendasein hätte führen müssen. Ihm wäre es lieber gewesen, einen technischen Beruf auszuüben. Als Kind habe er gern Flugmodelle gebaut. Um fertig studieren zu können, habe er öfter als Bauhilfsarbeiter gearbeitet. b) Wichtige Erlebnisse
Als wichtiges Erlebnis bezeichnet C den Egoismus seiner Mutter. So habe sie im Krieg z. B. Schokolade und ähnliche Sachen für sich versteckt, ohne ihm etwas davon zu geben. Auch dem Vater habe sie nichts von den Sachen gegönnt. Er habe sich deshalb oft heimlich selbst von
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der Schokolade oder den Süßigkeiten genommen. So habe er sich der Mutter gegenüber einen starken Gleichmut angewöhnt. Sonst habe er eigentlich keine wichtigen Erlebnisse gehabt. c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen
Er sei in seinem Denken und Handeln unabhängig und unterliege auf keinen Fall irgendwelchen Zwängen. Rachegefühle kenne er nicht. Dafür habe er manchmal im Innern gekocht. Gestritten habe er nie, sondern meist nachgegeben. Er gehe den Weg des geringsten Widerstandes. Auf gefährliche Situationen habe er sich nie eingelassen. Wenn er nicht Brillenträger wäre, dann hätte er schon öfter zugeschlagen. Eigentlich sei er gutmütig. Er sei ordnungsliebend; schon als Kind sei er zur Ordnung erzogen worden. Sein Selbstbewußtsein sei eigentlich nur da stark, wo er etwas wisse. sei ihm unangenehm, sich zu blamieren.
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An Beispielen zeigte sich, daß C nicht humorvoll ist. Man hat den Eindruck, daß eine solche Emotion ihn zuviel Kraft kosten würde. Seine Phantasie ist gering, ebenso sein Assoziationsvermögen. In der Schule sei ihm das Aufsatzschreiben sehr schwer gefallen. Erlebnisse wirkten bei ihm nicht nach. Andererseits finde er sich im alltäglichen Leben ziemlich schnell zurecht. Er bemühe sich, irgendwelche Launen nach außen hin nicht zu zeigen. Wenn es schwierige Fragen zu entscheiden gelte, dann denke er erst nach. Er könne abwarten. Er versuche, alles überschaubar zu halten. Den Seitensprung einer Frau, sei es nun seine Freundin oder seine eigene Frau, würde er hinnehmen. Waffen hätten für ihn nie eine Rolle gespielt. Das Töten von Insekten sei für ihn kein Problem. Mit 10 Jahren habe er Fische öfter mit einem Stein erschlagen. Andere Tiere habe er, es sei denn später auf der Jagd, nie getötet. Er sei dazu auch nicht imstande. Wenn er ein Tier getötet habe,dann möglichst rasch, damit es nicht lange hätte leiden müssen. Mit 12 Jahren habe er einmal ein Huhn schlachten sollen; er habe das damals aber nicht tun können. Auf der Jagd habe ihm das Schießen auf Tiere nichts ausgemacht, da keine körperliche Berührung stattgefunden habe. An sich sei er tierlieb. Eine Mordtat, die er etwa an 'einem seiner Verwandten miterlebe, würde er nicht seinerseits durch Töten des Täters beantworten. 8 Lullles
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Wenn sich ein anderer in einer Schlägerei geschlagen gebe, dann wirke das auf ihn. An sich entscheide bei ihm aber eher die Vernunft. Er habe keine Lust am Exzeß. Er identifiziere sich nicht besonders mit den Erlebnissen und Sorgen der anderen. Wenn er zusehe, wie ein anderer Mann geschlagen werde, so empfinde er das nicht als unangenehm. Beruflich sei er zufrieden gewesen. Er habe den Ein- und Verkauf eines mittleren Betriebes geleitet. Durch den Beruf sei er mit besseren Leuten zusammengekommen. Einmal habe man auf einem Herrenabend beschlossen, ins Spielkasino zu gehen. Dabei habe er auch Geld seines Betriebes verspielt. Er habe keine ideellen Interessen. Man lebe nur einmal und sollte alles ausschöpfen können. Seine Leidenschaften seien das Billardspielen, manchmal von 7 Uhr früh bis 8 Uhr abends, und das Tischtennisspielen gewesen. Seit seinem 27. Lebensjahr sei die Periode der Kaffeehauszeit - nach dem Büro - gekommen. Seine Frau sei auch immer ins Kaffeehaus gegangen. Er habe eigentlich keine Illusionen gehabt. Als Kind sei er in einem Segelfliegerklub gewesen, da er gerne geflogen wäre. Zu einem Flug sei es jedoch nie gekommen. Illusionen habe er vielleicht nur beruflich gehabt; insofern könnte sich bei ihm ein soziales Minderwertigkeitsgefühl niedergeschlagen haben. d) Ve,.hältnis zu,. Umwelt
Er habe anderen im Leben oft etwas vorgemacht. Dennoch sei er eher ein zurückgezogen lebender, ruhiger Mensch. Normalerweise sei er mit den Leuten gut ausgekommen. Anderen gegenüber empfinde er meist keine Abneigung. Wenn es doch einmal der Fall gewesen sei, wie im Reichsarbeitsdienst, so sei er solchen Leuten aus dem Weg gegangen. Er finde nicht sehr leicht Kontakt zu anderen Menschen. Er wolle nicht aus der Masse hervortreten. Dennoch schätze er die Anonymität nicht, sondern eher eine kleine Gruppe von Bekannten, weil es da ruhiger sei. Seine Abhängigkeit von Umwelteinflüssen sei gering.
e) Ve,.hältnis zu F,.auen und zu,. Sexualität Er sei im Alter von 17 Jahren von einer 30jährigen Sekretärin mehrmals regelrecht "vernascht" worden. Der Geschlechtsverkehr mit dieser Frau habe ihm wenig gegeben. Mit 19 Jahren habe er mit einem ande-
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ren Mädchen GV gehabt. Die dritte Begegnung sei schließlich die mit seiner Frau gewesen. Er habe seine Frau mit 20 Jahren kennengelernt. Zwei Jahre später hätten sie geheiratet. Seine Frau sei Schneiderin. Die Ehe sei bis zum Zeitpunkt der Scheidung glücklich gewesen. Seine Frau habe sich unmittelbar vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis von ihm scheiden lassen. Sie habe damals einen anderen Mann kennengelernt. Sie seien in aller Freundschaft auseinander gegangen. Später habe sie ihn immer wieder einmal besucht. Seine sexuelle Entwicklung sei normal gewesen. f) Einstellung zum Leben, Ansichten
Er habe eine positive Einstellung zum Leben. Er versuche, immer diplomatisch nivellierend zu sein. Selbstmord liege ihm vollkommen fern. Jeder Mensch hänge am Leben. Man lebe um des Lebens willen, mit allem, was dazu gehöre. An sich habe er keine spontane Achtung vor der anderen Person. Er halte nur von vornherein einen gewissen Abstand, um sich nicht anzubiedern. Er habe eine Scheu vor dem Lebendigen. Die Metzger hätten durch ihren täglichen Umgang mit dem Schlachten weniger Achtung vor dem Lebendigen. Seine Einstellung zur Todesstrafe sei geteilt. Er bejahe die Todesstrafe nur für besonders grausame Fälle und für nicht wesensfremde Taten. Wenn man ihn fragte, ob er Henkerdienste leisten würde, so würde er nur dann ablehnen, wenn daraus kein allzu großer Schaden erwüchse. Zwei Jahre Gefängnis würde er z. B. vielleicht noch auf sich nehmen. Einige Eingeborenenstämme würden deshalb Menschen töten, weil ihnen teilweise das klare Bewußtsein fehle, und weil sie in ihrem religiösen Wahn in Ekstase seien. Sie ständen nur in gewisser Hinsicht über dem Tier. Der westliche Kulturmensch habe im Gegensatz zu den Eingeborenen ein gewisses Schamgefühl und Wertgefühl geerbt. Im Krieg stünden die Feinde sich gegenüber. Befehl und Selbsterhaltungstrieb seien da maßgebend. Eigentlich sei das kein Töten. Beim ersten Mal könnte ein sensibler Mensch im Krieg noch Hemmungen vor dem Töten haben. Er selbst hätte keine Bedenken. Bei einer Einzelbegegnung mit dem Feind würde er diesen nicht kaltblütig abknallen. Den Vorbeischleichenden würde er erschießen.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Zwischen Mord und Selbstmord liege ein entscheidender Unterschied. Not könnte einen ohne weiteres zu äußersten Handlungen bringen. Mord wäre da aber ein ungewöhnliches Extrem. Nach den Ge- und Verboten richte er sich eher automatisch. Zugleich richte er sich vernunftmäßig nach den allgemeinen Regeln des Zusammenlebens. Es sei ziemlich relativ, was von den Menschen jeweils vorgeschrieben und verboten werde. Das sei eine Frage des Niveaus der jeweiligen Kultur. Menschenleben seien früher weniger wert gewesen als heute. Das Tötungsverbot sei unbedingt einzuhalten, sonst wäre das Faustrecht da. Jede Kultivierung würde dann aufhören. Der Mensch sei für alles verantwortlich. So sei auch er selbst für sein Handeln verantwortlich. Hemmungen zu töten habe der Mensch auf Grund seines kulturellen Herkommens. An sich gebe es keinen Grund, aus dem heraus man einen Mord begehen könne. Töten komme einfach nicht in Frage. Das einzelne Leben sei mehr wert als alles andere; man könne es nicht ersetzen. Eine Tötung sei sicher dann einfacher, wenn keine körperliche Berührung mit dem Opfer notwendig werde. Eine Abtreibung sei noch keine Tötung. Einen Säugling zu töten, würde ihm überhaupt schwer fallen, genauso wie es einem schwer fallen würde, kleine Katzen zu ertränken. Ein Mann sei leichter zu töten als eine Frau, ein Kind leichter als ein Erwachsener, weil es keinen so starken Widerstand leiste. Wenn jemand ein Kind getötet habe, so sei der bei ihm unten durch. Nicht so abscheulich sei es, einen Erwachsenen zu töten. Ein großer Unterschied bestehe nicht zwischen Planen und Ausführen einer Tötung. Schon beim Planen melde sich das Unterbewußte. Wenn sich jemand dann entschlossen habe, so folge die Ausführung eher automatisch. Es könne sein, daß jemand dann noch zurückschrecke, wenn sein Gefühl durch irgendetwas angesprochen werde. Er gehöre zu der Gruppe, die einen Mord gar nicht erst plane; wie überhaupt keine Straftat für ihn in Frage komme. Zur Sterbehilfe stehe er positiv. Sein Schwiegervater habe Kehlkopfkrebs gehabt und in den letzten Tagen seines Lebens sehr gelitten. Beim Tier mache man es genauso. Leiden müsse man abkürzen. Es gebe Leute, die von Geburt an brutal seien. Ein brutaler Mensch könne ohne weiteres jemanden töten, da er rücksichtslos auch auf anderen Gebieten sei. Der einfache Mensch erfasse alles nicht so genau und töte deshalb leichter.
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Er sei katholisch; jedoch sei er schon als Kind nicht religiös gewesen. Seine ganze Familie sei überhaupt nicht religiös gewesen. Er sei auch nicht gefirmt worden. g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod
1944 s~ er nach Rostock eingerückt. Es sei jedoch nie zu Schießereien gekommen. Er habe auch nie Erschießungen im Krieg miterlebt. Die Begegnung mit dem Tod eines anderen sei nur momentan ein unangenehmes Erlebnis. Am nächsten Tag sei das wieder mit dem Alltäglichen verwischt. Vom religiösen Standpunkt aus habe er keine besondere Einstellung zum Tod. Nach dem Tod sei alles aus. Er wolle wie sein Großvater im Bett sterben. Wenn man ihn töten wollte, so würde er nicht in Panikstimmung geraten. h) Die Tat
"Ich wollte der Y sagen, daß ich die Miete nicht bezahlen könne. Frau Y regte sich furchtbar auf und schrie. Das Schreien muß mich in Wut gebracht haben. Ich war in einer ,Ich-pfeif-drauf-Stimmung'. Frau Y schlug das Küchenfenster ein. Ich habe sie zunächst am Hals gepackt. Wir müssen dann zu Boden gestürzt sein. Am Boden muß ich dann den Schürhaken erwischt haben. Mein Handeln ist mir nicht mehr rekonstruierbar. Dann soll ich die Y zugedeckt haben. Ich soll sie so stark gewürgt haben, daß der Schildknorpel gebrochen ist. Vorher soll ich ihr 15 Hiebe mit dem Schürhaken versetzt haben. Das verstehe ich nicht." i) Stellungnahme des Täters zur Ta.t
Er glaube nicht, daß er von seiner Veranlagung oder von Erlebnissen her zum Mörder geworden sei. Eine Tötung liege ihm vollkommen fern. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, in dem er die Strafe wegen der damaligen Unterschlagung verbüßt habe, sei er ein Vierteljahr lang arbeitslos gewesen. Vorher habe er die Firma, bei der er die Unterschlagung begangen habe, mit aufgebaut. Nach dem Vierteljahr habe sein alter Chef ihn wieder genommen, ihm aber weniger Lohn als vorher gegeben. Außerdem sei sein Gehalt gepfändet worden, damit der unterschlagene Betrag auf diese Weise langsam wieder hereinkäme. So habe er zwangsläufig wieder zu spielen angefangen. Zum Schluß habe er nochmals umgerechnet ca. 8 000,- DM unterschlagen und sei Hals üqer Kopf weggegangen. Wenn er heute an diese Zeit denke, komme
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2. Teil: Die einzelnen Täter
ihm das Grausen. Die Anspannung sei zu groß gewesen. Er habe immer das Bestreben gehabt, ein ordentliches Leben zu führen. Manchmal hätte er Tage voller Verzweiflung erlebt, insbesondere als er von Wien geflüchtet sei. Er habe Angst vor der Blamage gegenüber seinen Bekannten gehabt. Ihm sei sein Verhalten wesensfremd vorgekommen. Seine Tat sei eine Kurzschlußhandlung gewesen. Damals, zum Zeitpunkt seiner Tat, sei er an einem Punkt gewesen, an dem einem alles egal sei. Er habe da weder klare Gedanken, noch Selbstbeherrschung gehabt. Am Tattag habe er nachmittags noch in die Auslagen geschaut; alles sei ihm so irrsinnig vorgekommen, weil er gar keine echte Existenz mehr gehabt habe. Dennoch sei er an diesem Nachmittag nicht nervös gewesen; dieser sei ganz normal verlaufen. Eigentlich habe er die Nacht im Männerübernachtungsheim verbringen wollen. Als die Y zu schreien angefangen habe, habe er sie erst beruhigen wollen. Das sei jedoch nicht möglich gewesen. An die Reaktionsweisen der Y, die dann gekommen seien, könne er sich nicht mehr erinnern. Er glaube, die Y sei ganz perplex gewesen über sein Verhalten. Die Y habe zunächst wohl keine Todesangst gehabt. Dann müsse sie gleich bewußtlos gewesen sein. Der Gedanke, daß die Y tot sei, sei ihm beim Anblick seines Opfers gar nicht gekommen. Die Tat habe er damals nicht geplant. Zu einer bewußten Tötung sei er nicht imstande. An Strafe habe er damals nicht gedacht. Er habe nicht einmal gewußt, ob die Todesstrafe existiere oder nicht. Sein Handeln bei der Tat erkläre er sich so, daß es sich dabei um Vorgänge gehandelt habe, die eine ähnliche Wirkung hätten wie Alkoholika, indem die Gehirnzentren teilweise lahmgelegt würden. Selbstmord sei zum Zeitpunkt seiner Tat als eine andere Lösung für ihn nicht in Frage gekommen. Vormittags oder besser: bei Tageslicht hätte er vielleicht anders reagiert. Er habe sich mit der Y gut vertragen. Sie hätten oft zusammen geplaudert. Die Y sei ihm nicht irgendwie unangenehm gewesen. Man könne sie als Durchschnittsmenschen bezeichnen. Seine Tat sei eher eine Reaktion gewesen. Er glaube nicht, daß er durch die Tat etwas habe abreagieren wollen. Es könne sein, daß er die Tat aus einer Art Selbsterhaltungstrieb begangen habe. Er habe es vermeiden wollen, auch noch hier von der Polizei gesucht zu werden. In der Stadt, in der er die Tat ausgeführt habe, habe er eigentlich ein sinnloses Leben geführt. Seine Tat sei nicht aus einer Tötungslust heraus geschehen. Das könne er sich jedenfalls nicht vorstellen.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Er sei noch nie in einer Situation gewesen, in der er womöglich einen anderen Menschen getötet hätte. Für seine Tat habe nichts als Vorbild gedient. Reue empfinde er über seine Tat eigentlich nicht. Was sei schon Reue? Das sei ähnlich wie "Es tut mir leid". Die Tat sei nun einmal geschehen. Da lasse sich nichts mehr gutmachen. Das Opfer habe er ja gar nicht näher gekannt. Es müsse im Innern eine Kontrollinstanz geben, die einem sage, was man tun und was man nicht tun dürfe. Diese Instanz könne jedoch ausgeschaltet sein, sonst gäbe es die Affekttötung nicht. Jeder Mensch könne auf Grund irgend eines inneren Kurzschlusses so eine Handlung begehen. Z. B. könne man hier den Schlafwandler anführen: Der stehe auf, weil seinem Gehirn - im Unterbewußtsein - diese Dinge nicht fremd sind. Es gehe dann alles rein automatisch. ;) Verhalten nach der Tat
Nach der Tat müsse er ungeheuer aufgeregt gewesen sein. Sein Hemd sei von oben bis unten durchgeschwitzt gewesen. Allerdings habe er damals wegen seiner Drüsenkrankheit ohnehin leicht geschwitzt. Er habe sich in den Zug nach F. gesetzt und sei sofort eingeschlafen. Mit anderen von der Tat zu sprechen, sei ihm unangenehm gewesen; der Grund hierfür könne Scham sein. k) Traumleben; die Erzählung nach vorgegebenen Begriffen
Traumleben: Manchmal sei er nach einem Traum erschreckt aufgewacht. An Einzelheiten seiner Träume könne er sich nicht mehr erinnern. Sein erster Griff nach dem Aufwachen habe dann immer einer Zigarette gegolten. Seine Träume seien nicht bildlich gewesen. Wenn er sich jetzt erinnere, dann komme es ihm so vor, als sei manchmal alles in die Ferne gerückt, wie bei einer Blutleere. Nach der Tat habe er überhaupt keine Träume gehabt, insbesondere nicht zur Tat selbst. Die Geschichte: (e erzählt erst nach langem Überlegen):
1. "Der Soldat beobachtet in einem Haus in der Ferne einen Tiger, der
am Fluß zur Tränke geht." (Hier fehlt der Abend.) 2. "Der Soldat badet am Abend im Fluß, während aus einem Haus in der Ferne das Heranschleichen eines Tigers beobachtet wird."
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2. Teil: Die einzelnen Täter
3. "An einem Haus in der Ferne, an dem ein Fluß vorbeifließt, steht am Abend ein Soldat und beobachtet einen Tiger." 5. Beurteßung
a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten C ist von durchschnittlicher Intelligenz; sein Kombinationsvermögen ist allerdings gering. Wortkarg wendet er sich nur bedingt der Gesprächssituation zu. Er macht einen in allen Gefühlsäußerungen retardierten Eindruck. Während der Befragung war er der einzige, der skeptisch blieb und vor jeder Antwort genau überlegte, um kein Risiko einzugehen, sich nicht zu verraten. Das wird unter anderem auch an der von ihm erzählten Geschichte (Tiger, Fluß ...) deutlich. Insbesondere wollte er nicht in Gefahr geraten, seine einmal vor Gericht gegebene Tatversion revidieren zu müssen. C ist jemand, der im Leben oft Schaden erleiden mußte, ohne dadurch Lehren für die Zukunft ziehen zu können. Seine Kindheit und seine Erziehung verliefen ohne Kontinuität. Niemand vertrat für ihn klar wahrnehmbar die Vater- und die MutterInstanz. Es konnte sich so bei C kein ausgeprägtes Empfinden für persönlichen Kontakt entwickeln, schon weil es am Beispielkontakt fehlte. Er fand schon sehr früh den Weg des geringsten Widerstandes und der Diplomatie, um sich durchzulavieren. Sein Leben wurde nicht davon bestimmt, wenigstens in der Regel klare Ja-Nein-Entscheidungen fällen zu müssen. Sein "Über-Ich" konnte so nur auf einen sehr relativen Maßstab zurückgreifen, so daß es selbst zu einer ziemlich relativen Instanz wurde. C's Kurzsichtigkeit ist, neben anderen Einzelheiten, ein wichtiger Grund dafür, daß er Aggression unterdrücken mußte, indem ihm als Kind nichts anderes übrig blieb, als viele Hänseleien einzustecken und sich im Hintergrund zu halten. In der dritten Phase - s. o. S. 85, Anm. 15 - seiner Entwicklung hat C kein Vertrauen in sein "Machen-Können" gewonnen, bedingt durch seine Kurzsichtigkeit und eine gewisse körperliche Schwäche. Dieser Defekt zieht sich wiederum durch sein ganzes Leben. Deshalb ist auch sein späteres Reagieren, sein Sichverrennen in ausweglose Situationen unter diesem Aspekt zu verstehen. Darum wuchs auch nur dort sein Selbstvertrauen, wie er selbst sagte, wo er tatsächlich einmal etwas konnte. So muß man C also seit seinen ersten Kindheitsjahren als einen labilen Menschen ansehen, und zwar auf Grund einer angeborenen Willensschwäche, auf Grund starker Kurzsichtigkeit und fehlender Erziehungseinflüsse. Diese Willensschwäche und eine Neigung zu psycho-
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pathischer Entwicklung hat C höchstwahrscheinlich von seinem Vater geerbt. C bezeichnet seinen Vater nämlich als Waschlappen in zwei Ehen, als leidenschaftlichen Spieler und als Eigenbrödler. Im Laufe von C's Leben wuchs nun dessen psychische Kraft nicht; vielmehr brachte ihr Fehlen ihn in immer schwierigere Situationen, in denen seine psychischen Reserven auch noch aufgezehrt wurden. Zum Schluß war C eigentlich gar nicht mehr der Mensch, als den er sich einmal gedacht hatte: Beruflich hatte er nicht genug erreicht, durch seine Unterschlagungen und seine Spielleidenschaft war er sogar abgesunken. Er konnte in seinen Augen vor den anderen nicht mehr bestehen. So ist seine Tat eigentlich die eines anderen: des "Versagers C". Dieser Versager C spielte nicht nur an Spielbanken, unterschlug, kam ins Gefängnis, verlor seine Frau an einen anderen; ihm fehlte auch noch die Kraft, ein Versager zu sein, zumindest während der letzten Monate vor seiner Tat. Es galten für ihn nun überhaupt nicht mehr die Regeln des normalen Lebens, sondern eher die irrealen Gesetze eines Amokläufers, der glaubt, sich durch sein maßstabloses Verhalten zu retten, indem er nur noch sich selbst sieht. Insofern kann auf Bjerre verwiesen werden - s. o. S. 51 ff. -. Es war festgestellt worden, daß C im Laufe seines Lebens immer wieder Aggression angestaut hatte, indem er nach außen sanft und nahezu unverletzbar reagiert hatte. Dieser Stau konnte aber nur zu leicht zur Explosion gebracht werden, sobald C's eigenes Überleben in Gefahr kam. Diese Situation hatte sich in M. in strenger Folgerichtigkeit zugespitzt. Als C gar kein Geld mehr hatte, sondern nur noch Schulden, und außerdem von der ausländischen Polizei gesucht wurde, mußte er irgend etwas zu seiner Rettung tun. Durch seine Lebensumstände bedingt, hatten sich nun Scheuklappen vor seine Augen gelegt, und so wählte er eine sinnlose, unlukrative Möglichkeit: die fast mittellose Pensionsinhaberin Y zu ermorden. (C war der einzige Gast der 3-Zimmerpension.) b) Die aTH
Aus C's Antworten ergibt sich ein Überwiegen der Elemente, die für das weitgehende Fehlen einer aTH sprechen. So ist er, allerdings unter gewissen Einschränkungen, für die Todesstrafe; den Henkerberuf würde er, statt einen allzu großen Schaden erleiden zu müssen, übernehmen; er würde auch im Krieg töten; wer sich zum Töten entschlossen habe, der führe die Tat auch aus, und zwar eher automatisch. Tiere zu töten macht ihm auch nicht allzuviel aus. Die Tat führte C in direkter Be-
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rührungskonfrontation mit dem Opfer aus, ohne durch den Schrecken der Y, deren Hilflosigkeit und deren Todesangst entscheidend beeinflußt zu werden. Verschiedene Indizien sprechen aber auch für das Vorliegen einer aTH bei C: So würde er die Mordtat an einem seiner Verwandten nicht durch Töten des Täters beantworten. Dies kann aber ebenso als Ausfluß einer starken Gleichgültigkeit und einer an sich nur in geringem Maß vorhandenen Aggression gewertet werden. Stichhaltiger ist schon die Antwort, wonach C meint, Töten sei sicher dann leichter, wenn eine direkte Berührung mit dem Opfer nicht notwendig sei. Daraus kann man nämlich schließen - vgl. die auf S. 64 f. entwickelte Theorie -, daß C bei Begehung seiner Tat durchaus eine aTH aufkommen fühlte, die er mit einer gewissen Energie überwinden mußte. Interessant ist, daß es C "überhaupt schwerfallen würde", einen Säugling zu töten. Damit dürfte C die vollkommene Wehrlosigkeit des Menschen, die im Säugling zum Ausdruck kommt, als einen besonders wirksamen Faktor für das Auslösen einer Tötungshemmung erkannt haben. Diese Erkenntnis kommt für C wahrscheinlich aus der Erfahrung, daß er einem Säugling nie etwas zuleide tun konnte. Die Aussage des C, daß zwischen Planung und Ausführung einer Tötung kein besonderer Unterschied bestehe, kann man weder für noch gegen das Vorhandensein einer aTH werten, da C seine Tat möglicherweise vorher nicht geplant, sondern aus dem Affekt heraus gehandelt hatte. Die Antwort auf diese Frage kann also kaum praktisches Verhalten - vgl. o. S. 64 f. - mitenthalten bzw. spiegeln. Zunächst kann man als Ergebnis festhalten, daß die hemmungsauslösenden AAM's bei C nicht sehr präzise ausgebildet sein können. Außerdem hatte sich bei ihm Aggression bereits seit langer Zeit gestaut, hauptsächlich deshalb, weil bei ihm kein ausgewogenes Verspannungssystem entstanden war. Dazu kommt aber als Besonderheit noch folgendes: C's Tat war weitgehend von einem Selbsterhaltungstrieb im weiteren Sinn mitbestimmt, da seine Existenz bereits seit einiger Zeit in Gefahr war. Diese Gefahr spitzte sich unmittelbar vor der Tat noch zu, indem das Opfer - angeblich - um Hilfe schrie. Beim Tier, das sich in Lebensgefahr oder innerhalb der Fluchtdistanz befindet, kann man feststellen, daß dessen intraspezifische Aggression nicht mehr von einem Eingreifen der sonst sich aktualisierenden instinktiven Tötungshemmung verhindert wird!!: Die auf das eigene Überleben gerichtete Aggression strömt in einem solchen Fall unge2!
LOTenz b) S. 45.
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hemmtU ab. Wenn auch beim Menschen ein direkter Vergleich nicht möglich ist, kann man doch insofern eine Parallele ziehen, als auch die menschliche Aggression nicht ohne Impulse und Bedingungen abläuft. Sieht sich ein Mensch aber in seinem Überleben gefährdet, so kommen die stärksten Impulse für sein Handeln aus dem Überlebenwollen, dem Selbsterhaltungstrieb. Die sonst hemmungs auslösenden AAM's werden in einer solchen kritischen Situation übergangen; sie werden im Parlament der Wirkkräfte2' gleichsam zugunsten des Selbsterhaltungstriebes überstimmt. C's Situation kann man nun objektiv nicht spezifisch als die Situation der Fluchtdistanz bzw. als Handeln aus dem Selbsterhaltungstrieb in einer akuten Notwehrlage bezeichnen. Aber Elemente von beiden Modalitäten sind in seiner Situation enthalten. Daß C selbst seine Lage aber weitgehend als von Notwehr und Fluchtdistanz bestimmt verstand, dürfte daran liegen, daß seine AAM's dem auf S. 32 f. Nr. 3 beschriebenen Irrtum unterlagen; denn an sich hätte C auch einfach den Raum verlassen können. Der Irrtum war jedoch nicht umfassend, da C bei Begehung seiner Tat doch eine bestimmte aTH verspürte. Diese war aber beeinträchtigt von Störmechanismen, von gestauter Aggression und vom Aufkommen eines Selbsterhaltungstriebes, der wiederum auf einem "Irrtum" beruhte. c) Die eTH
Hier können viele Einzelheiten, die im Rahmen der Ausführungen zur aTH bereits erwähnt wurden, analog herangezogen werden. Obwohl einige Indizien für eine verhältnismäßig intakte Ausbildung von C's Identifizierungsmechanismus sprechen, sind C's Affekte als solche doch sehr gering, so daß die Wirkung einer affektiv begründeten Tötungshemmung bei ihm zu schwach war, um sich im aktuellen Fall durchsetzen zu können. Aus den sonstigen Antworten und seinem Verhalten bei der Tat geht hervor, daß C sein Opfer ohne das Aufkommen entscheidender Hemmungen aus dem "tlber-Ich" tötete, da aus ihm nur sehr schwache Impulse kamen. Allerdings deuten die starke Nervosität, die sich bei C wohl schon während der Tat, insbesondere aber nach der Tat, bemerkbar machte und seine anschließende Erschöpfung darauf hin, daß die Tötung für 23 Beim Triebtäter im weiteren Sinn, also auch beim vom Selbsterhaltungstrieb diktierten Handeln, ist die Wechselwirkung zwischen vitalem und personalem Bezug aufgehoben; vgl. de BOOT, a.a.O. U LaTenz b) S. 127 ff.; Lorenz spricht hier vom Parlament der "Instinkte".
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ihn doch eine extreme Handlung war, d. h. daß doch Schranken überwunden werden mußten. C's Erschöpfung nach der Tat ist aber auch als Ende einer langen, kraftraubenden Entwicklung anzusehen, die an einem Nullpunkt psychischer hemmender Energien endete. C führte die Tat aus, um sich aus seiner subjektiv extremen Situation zu retten, um überleben zu können. Insofern war sein Handeln einerseits Ausbruch schon sehr lange angestauter Aggression, andererseits war es stark mitbestimmt vom Selbsterhaltungstrieb. Es lassen sich hier Parallelen zu den Ausführungen auf S. 122 f. ziehen. Bei C kommt noch in stärkerem Maße als bei B hinzu, daß seine Psychopathie ihn einerseits langsam in seine extreme Situation treiben ließ; andererseits ist sie mit dafür verantwortlich, daß C seine Situation subjektiv extremer und auswegloser sah, als sie es objektiv war. Man kann also sagen: Die Psychopathie kann schließlich beim Täter - für diesen weitgehend unbewußt - die Wirkung haben, ihm eine Situation vorzuspiegeln, in der er vor einer, den Überlebensweg verbarrikadierenden, unüberwindlich hohen Hürde zu stehen glaubt. Er sieht in seiner psychopathischen Verengung keinen Umweg mehr um diese Hürde. In seinen Augen ist diese Hürde schließlich das Opfer, das aus dem Weg geräumt werden muß, damit der eigene Weg weiterführt. d) Zusammenfassung
C verfügt an sich über eine schwach ausgebildete aTH. Bei ihm finden sich jedoch Störmechanismen verschiedener Formen, die einerseits einen Irrtum über die eigene Situation möglich machten, indem C subjektiv aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus handelte; andererseits ließen die Störmechanismen von vornherein kein intaktes Verspannungssystem entstehen, so daß es zu einem Aggressionsstau und einer nicht hinreichend gehemmten Aggressionsexplosion in der Tat kommen konnte. Für C's aTH kommen die Thesen 3 a, 3 bund 3 d Frage.
s. o. S. 44 -
in
C's eTH ist so geartet, daß die befehlenden ("Über-Ich") und die affektiven Elemente der eTH von Kindheit an nur bedingt ausgebildet wurden. Durch seine psychopathische Entwicklung und durch die Lebensumstände in seinen psychischen Reservekräften geschwächt und zudem mißgeleitet von einer Art Selbsterhaltungstrieb, konnte dem Tötungsimpuls keine ausreichende eTH entgegengesetzt werden. C's eTH ist als Fall der These 2 a - s. o. S. 57 - einzugruppieren, wobei Elemente der These 2 b hinzukommen. Von der These 2 c trifft
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bei ihm noch die Alternative zu, die besagt, daß die psychischen Kräfte durch Sorge, Not und ähnliche Einflüsse überbeansprucht werden können.
IV. Der Täter D geboren: Beruf:
1919
Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
zur Tatzeit Soldat, später kleiner Unternehmer verheiratet Straßenrand im freien Gelände 8. 5. 1945 mittags 25 Jahre 3 Männer und eine Frau, zwischen 40 und 50 Jahre alt mit Maschinenpistole erschossen
Vorbemerkung
D hat eine schwach ausgebildete aTH. Seine Lebensumstände haben mit der Zeit eine ohnehin geringe eTH noch weiter ausgehölt. D ist überdurchschnittlich intelligent. Jedoch vermag seine Vernunft - das gilt vor allem für die Zeit vor seiner Tat - nicht immer seine Strebungen zu kontrollieren. D tötete, drei Tage nach Kriegsende, 4 Privatleute. Mitbestimmend für die Tat war Aggressivität, die gespannte Lage nach dem Zusammenbruch, die auch D's psychische Kräfte überbeansprucht hatte, sowie bereits eine Gewöhnung zu töten auf Grund vieler voraI1gegangener Partisaneneinsätze. Vor und während der Tötungshandlung scheint D weder von einer aTH, noch von einer eTH beeinträchtigt gewesen zu sein, auch wenn er heute erklärt, er könne sein Handeln nicht verstehen. Für die aTH ist jedoch wieder zu berücksichtigen, daß D ein Gewehr benutzte. 1. Lebenslauf und Vorgesddcbte (aus den Strafakten)
D wurde unehelich geboren; wenige Wochen nach seiner Geburt wurde er jedoch von seinem leiblichen Vater und dessen Frau adoptiert. Sein Vater verdiente gut als Oberkellner, so daß zu Hause geregelte Verhältnisse herrschten. D war ein sehr guter Schüler. Nach 4 Jahren Oberschule kam er auf die Aufbauschule und erlangte dort die mittlere Reife. Seine Jugend war überschattet durch die schwere Nervenkrankheit seiner Mutter, die mit der Zeit zu einer erheblichen finanziellen Belastung der Familie wurde und den Vater gelegentlich zu Alkoholmißbrauch trieb.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
1937 wurde D zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, später zum SSRegiment "Deutschland", Garnison M. Er hatte in dieser Zeit mehrere Liebschaften und verkehrte in Schwabinger Künstlerkreisen, nachdem er auf der Ausstellung "Entartete Kunst" einen Maler kennengelernt hatte, von dem auch Bilder ausgestellt waren. Seither führte Dein Doppelleben, indem er über Tag Dienst tat - z. T. auch in der Leibstandarte Hitlers - und abends bis in die Nacht mit den Künstlern diskutierte und deren verbotene Bücher las. In dieser Zeit schrieb D auch selbst Prosa. Beim Garderegiment wurde er wegen seines guten Aussehens und seiner überdurchschnittlichen geistigen und sportlichen Leistungen bevorzugt. In dieser Zeit lernte er auch 1938 eine angeblich sehr gut aussehende Frau F kennen, die er 1940 heiratete. - Ende 1940 wurde er nach Prag versetzt, wo er die 19jährige Halbjüdin H kennenlernte. Er verliebte sich grenzenlos in sie und achtete nicht darauf, daß er durch das Verhältnis mit der H nach den damaligen Gesetzen Rassenschande trieb. Nach einem halben Jahr wurde er wegen dieses Verhältnisses angezeigt, degradiert und nach Finnland strafversetzt. Dann folgte eine sehr wechselvolle Zeit: D wurde nacheinander Infanterist, Artillerist, Panzermann, Sturmpionier und Fallschirmspringer. Er gelangte im Laufe des Krieges zu fast allen Kriegsschauplätzen in Europa. Kurz vor Kriegsende war er im Partisaneneinsatz. Schließlich hatte er die Aufgabe, mit ca. 60 Mann verschiedener Nationalitäten rückflutende eigene Soldaten und Leute aus Untergrundbewegungen zu stellen. Nach seiner Tat gelang es D, sich nach Deutschland durchzuschlagen und seine Frau zu treffen. Es kam jedoch zu Streitereien mit ihr, da D sich, entgegen ihrem Wunsch, nicht den Amerikanern ausliefern wollte, um so einen Entlassungsschein zu bekommen. Darauf verließ er seine Frau und seine 4jährige Tochter und ging nach Thüringen, wo er mit einer anderen Frau unter falschem Namen bis 1946 zusammenlebte. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Waldarbeiter. 1946 lernte er die R kennen, deren Mann im Krieg vermißt war. Diese gebar bald einen außerehelichen Sohn von ihm. D trat schließlich in das Geschäft des Vaters der R ein. Ende 1949 verlegte D mit Hilfe der Familie der R das Geschäft in die BRD. Dort schloß er mit der R unter seinem falschen Namen 1950 die Ehe, nachdem der Ehemann der R für tot erklärt worden war. D's erste Ehe war bereits 1949 auf Antrag der F geschieden worden. Am 2. 5. 1960 verließ D seine zweite Frau - sie stand damals vor der Geburt ihres 6. Kindes -, hob einen größeren Betrag von seinem Bankkonto ab und fuhr zu seiner ersten Frau nach M. Seine 15jährige Abwesenheit erklärte er ihr mit einem Aufenthalt in der Fremdenlegion.
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In der Folgezeit lebte er zeitweilig wieder mit seiner ersten Frau zusammen, bis er zufällig von der Polizei festgenommen wurde. Für die Familie seiner zweiten Frau hatte er bis zu diesem Zeitpunkt als vermißt gegolten. 2. Die Tat (aus den Strafakten)
D lag schon einige Tage vor dem Zusammenbruch mit ca. 60 Mann in einer kleinen Stadt in Österreich, mit dem Auftrag, verschiedene Leute zu stellen und rückflutende Soldaten aufzuhalten. Ca. am 6. 5. 1945 fand beim Direktor des Industriewerkes des Ortes eine Besprechung zwischen D und einigen maßgeblichen Leuten des Orten über D's Rückzug statt. In dem Ort selbst herrschte bereits völliges Chaos. So kam es u.a. zu Schießereien zwischen D's Leuten und den Bewohnern des Ortes. Am 6. 5. fand auch die Übergabe des Volkssturmes in die Landwacht statt. Am 8. 5. morgens schlug eine Gewehrkugel in den Spiegel des Hotelzimmers, in dem D sich gerade rasierte. Er sprang mit seiner Maschinenpistole .auf die Straße und entwaffnete 5 Leute, die gegenüber dem Hotel mit Gewehren standen; einer von ihnen mußte den Schuß abgegeben haben. Daraufhin ging D nochmals zur Fabrikleitung und verlangte, daß man ihm und den wenigen seiner Leute, die noch nicht geflohen waren, einen Lastwagen und Proviant zur Verfügung stelle, damit er den Ort verlassen könne. Dies Verlangen konnte er jedoch erst durchsetzen, als er mit seiner Maschinenpistole drohte. Schließlich forderte er mit vorgehaltener Pistole 3 führende Männer des Werkes und eine Frau auf, als Geiseln auf den LKW zu steigen. Er sicherte ihnen zu, daß er sie freilassen werde, sobald sie heil aus dem Ort herausgekommen seien. Der LKW wurde durch einen von D's Leuten gesteuert. Als der Ort schon ein gutes Stück hinter ihnen lag, ließ D die 4 Geiseln aus einem nicht mehr festzustellenden Grund absteigen, befahl ihnen, sich neben der Straße hinzulegen und erschoß sie mit seiner Maschinenpistole. Als einer von den vieren sich noch rührte, gab er nochmals eine Schußsalve ab. Dann ließ D den LKW weiterfahren, indem er den Fahrer mit vorgehaltener Pistole zur Weiterfahrt zwang. Später stieg er auf einen anderen LKW um und setzte seine Flucht fort. 3. Einzelheiten aus dem Gutadlten von Dr. Heinhold
Körperlicher Befund: Es bestünden weder auf internem noch auf neurologischem Sektor Anzeichen für irgendwelche Erkrankungen. Aus dem flachen Elektro-
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enzephalogramm vom Beta-Typ könne nicht auf pathologische Veränderungen geschlossen werden, da ein flaches EEG vom Beta-Typ als Variante der Norm vorkomme. Psychischer Befund: Der affektive Bereich zeige - nach dem Rohrschachtest - eine Menge an Steigerungsmöglichkeiten auf, da D's Affektivität recht labil sei, wenngleich er immer wieder sehr bemüht sei, diese Affektivität zu steuern. Die Antriebsdynamik sei ziemlich stark. Möglicherweise könnten aus dieser Kombination starker Antriebsdynamik und stärkerer Empfindlichkeit und Beeindruckbarkeit, vor allem, wenn die Eindrücke zu stark würden, Fehlreaktionen folgen. Das Kontaktbedürfnis zu Mitmenschen sei relativ schwach ausgeprägt. In seinem Selbstwertgefühl zeigten sich unterschwellig nicht unbedenkliche Insuffizienzerlebnisse. In seiner Gestimmtheit träten immer wieder dysphorische Stimmungen auf; meist verstehe D diese mehr vorübergehenden Zustände gut zu verarbeiten. Aus dem Farbpyramidentest ergebe sich, daß Deine schizothyme, unausgewogene Persönlichkeit sei. Er habe sich eine ausreichende, aber nicht immer ganz echte affektive Anpassung an die Umwelt erworben. Hinter dieser Anpassung stehe eine Neigung zur Lockerung der Kontrolle bis zur Enthemmung. D habe auch noch eine weitere Verhaltensmöglichkeit, die ihre Ursache wohl in der als Gefahr empfundenen Labilität und Mfizierbarkeit habe. Er könne sich weitgehend verschließen und Eindrücke und Erlebnisse, die ihm entgegenkämen, abwehren und verdrängen. Diese etwas sture Handlungsweise stamme aber nicht etwa aus einer zu starken Triebhaftigkeit, sondern aus einem Selbstbehauptungswillen, der wohl letztlich auf Selbstschutztendenzen zurückgehe. Nach dem Szonditest spiele bei D das unbefriedigte Bedürfnis, "Mann zu sein", vor allem der unbefriedigte aggressive Anspruch eine entscheidende Rolle. Es zeigten sich mitunter deutliche Anzeichen von Zwangssituationen. Das Ich-Bild wechsele, je nach Vermögen der Sozialisierung. Vieles deute auf Grund des Testes auf eine gewisse konstitutionelle Schwäche der Liebesanziehung und des Bindungsbedürfnisses hin. Es komme zu Stauung von Wut, Haß, Zorn und Rache. Dann herrschten beim Durchbruch dieser Affektstauungen Gewissenlosigkeit, Intoleranz und Ungerechtigkeit vor. Immer wieder versuche D, die destruktiven Tendenzen im Innern zu verbergen. Oft werde ein aggressives Betätigungsfeld gesucht. Bewegungsstürme träten bei D dann besonders leicht auf, wenn er sich in größter Angst 'und in ein"e r Katastrophenstimmung befinde. Diese seien vor allem möglich, weil D's Gewissensfunktionen sich noch
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nicht zu einer innerlich tief verankerten, emotional getragenen ethischen Grundhaltung entwickelt hätten. Deshalb stände ihm keine Ichstarke, persönlichkeitsgebundene ethische Bremse für all die Charakter- und Situationsgefährdu,ngen zur Verfügung. Die äußere moralische Haltung reiche dann für kntische massive Belastungen nicht aus. Diagnostisch sei D eine konstitutionell stark schizoide, in seiner Erlebnisverarbeitung neurotisch schwer gestörte und durch Milieu und Umwelt stark geprägte, überaus unausgewogenePersönlichkeit. Der konstitutionell stark schizoide Persönlichkeitsanteil müsse in seiner Dimension als psychopathisch beurteilt werden. Der ,!at liege neurotisierte Aggressivität zugrunde. 4. Die Befragung des D in S
a) Kindheit und Jugend
Er sei einziges Kind gewesen. Seine Adoptivmutter sei schwer nervenkrank gewesen, so daß seine Erziehung in den Händen seiner Großmutter, seines Vaters und einer Schwester seines Vaters gelegen habe. Die Großmutter sei die einzige gewesen, die ihm manchmal eine Ohrfeige gegeben habe. Er habe zu all den Personen ein gutes Verhältnis gehabt. Mit 41/2 Jahren sei er in den Kindergarten gekommen, nach 3 Tagen aber wieder weggelaufen, da ihm das Essen nicht geschmeckt habe. Sein erster Lehrer in der Schule sei. sehr streng, aber nicht unangenehm gewesen. Er sei sehr gern zur Schule gegangen. Die Volksschulzeit sei einmal unterbrochen worden, da er 1/4Jahr in eine Klosterschule gekommen sei. Eine Klosterschwester habe ihn öfter am Ohr gezogen, weil er mit der Kirche nichts zu tun haben wollte; deshalb habe er ihr gegenüber Haßgefühle entwickelt. Mit 6 Jahren habe er sein erstes "Gewehr" bekommen, mit 12 Jahren einen Zimmerstutzen. Mit den anderen Kindern sei er gut ausgekommen. Sie hätten viel Räuber und Gendarm in· den nahen Flußanlagen gespielt. Im Alter von 5-7 Jahren habe er eine Freundin gehabt, die für ihn mehr eine Magd gewesen sei, da sie alles für ihn getan habe. Allerdings habe man auch gut mit ihr spielen können; sie sei tapfer gewesen. Früher habe er nie viel gesprochen, sondern eher zugehört. Sein Vater habe immer verlangt, daß er alles gerade heraus sagen sollte, ohne um das Eigentliche herumzureden. Andernfalls sei dieser aufgebraust. Für ihn habe es als Kind nur 2 Verbote gegeben: ans Wasser zu gehen und mit sogenannten Schmuddelkindern zu spielen. Das erste Verbot habe er nie eingehalten. Je mehr es verboten worden sei, desto 9 Lull1es
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reizvoller sei es geworden. Und mit den Kindern der etwas Asozialen sei er auch zusammen gewesen, da sie fabelhaft Fußball gespielt hätten. Seine Jugend sei unproblematisch gewesen. Er habe weder einen Hang zum Lügen noch zum Stehlen oder zu sonstigen Besonderheiten gehabt. Die Dienstmädchen zu Hause habe er nicht beachtet und auch nie getan, was sie von ihm verlangten. Vor den Dienstmädchen habe er als böses Kind gegolten. Ideale habe er als Kind nicht gehabt. Ihm hätten Leistungen imponiert, die etwas Besonderes darstellten. Leitbilder seien für ihn berühmte Sportler gewesen. Das Kalkül habe in seinem Leben erst mit ca. 12 Jahren begonnen. Vorher habe er kein Doppelleben geführt. Er sei in seinem Leben immer extrem gesund gewesen. Angstvorstellungen habe er als Kind nicht gehabt. b) Wichtige Erlebnisse
Als der Pfarrer einmal anläßlich der schweren Krankheit seiner Mutter gesagt habe, jeder müsse für seine Schuld einstehen, sei der Pfarrer von seinem Vater aus dem Haus geworfen worden. Damals habe erer sei ca. 10 Jahre alt gewesen - auch eine Aversion gegen die Religion bekommen. Er sei seither nie mehr religiös geworden. Später hätten zu seinen wichtigsten Erlebnissen der Eintritt in die SS und die erste Zeit dort gehört; dann die Freundschaft mit der Halbjüdin H und das abrupte Ende dieser Beziehung mit seiner anschließenden Ernüchterung und schließlich die Partisaneneinsätze in der letzten Phase des Krieges. Sein Leben nach 1945 sei dann eine Art Theater gewesen. c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen
Er sei nicht jähzornig. In seinem Leben habe es nur zwei Wutanfälle gegeben: Erstens die Tat und zweitens die verächtlichen Reden eines SS-Mannes über ein Mädchen, das er gekannt habe, woraufhin er den Mann zusammengeschlagen habe. Auch in seiner Familie habe niemand ein jähzorniges Temperament gehabt. Erlebnisse und Eindrücke habe er immer im Leben gefiltert. Er beherrsche sich grundsätzlich. Es komme nie vor, daß er sich hemmungslos abreagiere.
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Er sei in seinem Denken und Fühlen nicht von irgendwelchen Trieben oder inneren Zwängen abhängig. Wichtig sei für ihn "Sauberkeit". Das verlange er von sich selbst und von den anderen. Alles, was er tue, tue er willensmäßig. Das werde auch im Rausch nicht anders. Wenn er sich zu etwas entschließe, dann führe er es auch durch. Irrtümer hätten in seinem Leben eine geringe Rolle gespielt. Dem Zufall komme auch kein besonderer Rang im menschlichen Leben zu. Er habe als Kind nicht so sehr Angst vor Strafe gehabt als vielmehr das Gefühl, im jeweils einzelnen Fall werde eine Rechnung beglichen. Wenn die Maulschelle vollzogen gewesen sei, dann habe er gefunden, daß die Sache nunmehr wieder in Ordnung sei. Trotzreaktionen habe es bei ihm nicht gegeben. Ehrfurcht kenne er nicht. Nach außen sei es ihm im Leben immer leicht gefallen, sich anzupassen. Nach innen sei das oft nicht so leicht gewesen. Hier im ZH habe er 2 Jahre gebraucht, um sich einzugewöhnen. Dabei habe ihm ein gewisses Überlegenheitsgefühl geholfen. An sich sei es ihm lieb, mit Menschen zusammen zu sein; es könnten auch fremde sein. Er wolle sich nie an einen Menschen gänzlich binden, sondern immer weggehen können. Er brauche seinen privaten Bereich. Er sei immer ein Einzelgänger gewesen. Er könne lange Zeit allein leben. Er sei normalerweise nicht nervös, nur ca. 10 Minuten vor Kampfbeginn habe er eine leichte Nervosität gespürt. Einen Selbstmord würde er nur dann begehen, wenn die Situation völlig ausweglos sei und er im Weiterleben keinen Sinn mehr sehen könne; so, wenn er andern nur noch zur Last fiele. Er sei eher ironisch als- humorvoll. Dabei habe er immer schon Selbstironie gehabt. Er habe ein normales Selbstbewußtsein. Im Leben traue er sich möglichst nur das zu, was er hundertprozentig könne. Früher sei es bei ihm so gewesen, daß die anderen zunächst glaubten, er sei der Schwächere. Er habe seine Stärke dann immer erst beweisen müssen. Bei der SS habe er nach der Schwabinger Zeit den Ansager bei Kameradschaftsabenden gemacht, mehr kabarettmäßig. Er weiche Entscheidungen nur dann aus, wenn die Entscheidung andere Menschen belasten könnte. Bei einem Seitensprung einer Freundin oder seiner Frau würde er nichts weiter unternehmen, wenn sie es zugäben. Wenn sie dies nicht täten, dann würde er sie wortlos verlassen, nicht wegen des Seitensprunges, sondern wegen der Unaufrichtigkeit. 9"
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Waffen spielten für ihn keine besondere Rolle; beim Schießen habe es ihm Spaß gemacht, zu treffen. Allerdings könne es sein, daß man mehr Freude am Knallen als am Treffen gehabt habe. Er habe grundsätzlich keine Tiere getötet. Sein Vater habe ihm von klein auf eingepflanzt, daß man Tiere nicht quälen dürfe. Er sei mit Hunden und Katzen aufgewachsen. Je bizarrer ein Tier gewesen sei, desto lieber habe er es gehabt, dazu hätten auch Käfer und Spinnen gehört. Mit 10 Jahren habe er reiten gelernt; er sei einPferdenarr.Schnecken erschlage er nicht mit der glatten Hand; schon als Kind habe es ihn davor geekelt. Man habe dann die Pfoten schmierig von diesem Tierzeug. Je höher die Art des Tieres sei, desto größer sei bei ihm die Hemmung, es zu töten. Er habe einmal ein verletztes Pferd erschießen müssen; das sei eine üble Sache gewesen. Da müsse man eine ganze Menge Sperren überwinden. Wenn er schon ein Tier töten müsse, dann würde er es schnell und schmerzlos machen, am besten erschießen. Wenn jemand eine Mordtat an einem seiner Verwandten beginge, dann würde er dem Täter eine gründliche Abreibung erteilen. Wenn er dabei draufginge, dann wäre ihm das egal. Der andere könne sich ja wehren. Er würde ihm jedenfalls so weh tun wie nur möglich. Schon als Kind habe er es nicht ertragen können, wenn jemand zusammengeschlagen wurde, ohne sich wehren zu können. Er halte gar nichts davon, Kinder zu schlagen. Als Kind habe er sich bei Schlägereien nach den Kampfregeln gerichtet. Größeren gegenüber seien jedoch alle Mittel erlaubt gewesen. Wenn er mitansehe, wie jemand geschlagen werde, dann finde er das unsportlich. Er versuche den Schlagenden zu hindern. Eigentlich werde da bei ihm ein Schamgefühl verletzt. Das sei bei ihm schon als Kind so gewesen, wenn andere Kinder Backpfeifen bekommen hätten. Er identifiziere sich nicht sonderlich mit dem Schicksal anderer Leute. Vielleicht sei er zu faul dazu. Er wolle nicht so gerne von seiner Linie abgebracht werden. Seine Hilfsgefühle seien neutral; es sei ihm völlig gleichgültig, wem er helfe. Krankheit sei ihm persönlich besonders unangenehm. Er sei auch mit Ausnahme seiner Verwundungen - nie krank gewesen. Schon der Besuch eines Krankenhauses sei ihm eine Tortur. Er habe eine Vorliebe für schnelle Autos und Motorräder. Er lese gerne (Brecht, Sarlre, Frisch, Beckett, Ionesco), gehe gerne spazieren, am liebsten nicht auf Wegen, sondern querfeldein; gelegentlich habe er Lokale in M. besucht, manchmal die ganze Nacht durch, dabei mußte es lustig um ihn her sein. Ursprünglich habe er einmal Arbeitsdienstleiter werden wollen: Wasserwege begradigen, Drainagen anlegen und der-
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gleichen. Er habe nie durch irgend eine Tat besonders auffallen wollen. Es habe nichts zu kompensieren gegeben. Er sei bis zu seinem 30. Lebensjahr in starkem Maße ein Abenteurer gewesen. Verantwortlich dafür sei vielleicht ein gewisser Spieltrieb bei ihm und die Frage, ob er durchhalten würde. Illusionen hätten in seinem Leben keine Rolle gespielt. Er sei eher skeptisch und lasse sich nicht von Menschen oder Situationen überrollen. d) Verhältnis zur Umwelt
Er habe ein ganz gutes Verhältnis zur Umwelt und könne sich auch anpassen. Sein Verhalten ändere sich nicht, je nachdem, ob er mit nur einem Menschen zusammen sei, mit mehreren befreundeten oder mit einer großen Gruppe vorwiegend bekannter Leute. Auf Anhieb fühle er sich einem Menschen weder ab- noch zugeneigt. Seine Umwelt sei ihm ziemlich gleichgültig, insbesondere seit der SS-Junkerschule. Ein wirklich freundschaftliches Verhältnis habe er eigentlich in seinem Leben zu niemandem gehabt. Allerdings schaue er sich ein unbekanntes Gegenüber genau an, er mache eine Art Photographie. Er gestehe zunächst jedem seine Existenzberechtigung zu. Eine besondere Achtung vor dem Gegenüber habe er nicht. Vielmehr denke er zunächst, da sei jemand, der etwas von ihm erwarte.
e) Verhältnis zu Frauen und zur Sexualität Mit 17 Jahren habe er seinen ersten GV mit einem etwa gleichaltrigen Mädchen, das er aus dem Schwimmbad kannte, vollzogen. Das Mädchen sei damals die Aktivere gewesen. Seit seiner Militärzeit sei er mit vielen Frauen zusammengekommen. Er müsse der Typ der damaligen Frauen gewesen sein. Seine erste Frau habe er 1938 in M. kennengelernt und dann 1940 geheiratet. Vielleicht habe er das auch ein wenig des Renommees halber getan. Sein tiefstes Erlebnis mit einer Frau sei jedoch die Freundschaft mit der Halbjüdin H in Prag gewesen. Sie hätten sich beide grenzenlos geliebt und sich auch geistig sehr angeregt. Als er dann angezeigt worden sei und diese Freundschaft habe aufgeben müssen, um sein Leben zu retten, habe es in seinem Innern einen Bruch gegeben. Seither habe er die Frauen mehr als Zeitvertreib und Abwechslung im ewigen Einerlei des Krieges benutzt. Er habe so eine gewisse Leere ausgefüllt, um nicht mit anderen Kameraden nächtelang saufen zu müssen.
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Richtig unter die Haut gegangen seien ihm nur drei Frauen: seine erste Frau, die H und vielleicht seine dritte Frau. Ein halbes Jahr lang habe er die Tour gehabt, Mädchen kennenzulernen, nur um zu sehen, wie sie reagierten, wenn er sie wieder fortschickte. Seine erste Frau sei anfangs eher frigide gewesen. Er sei zweimal geheiratet worden. Seine erste Frau habe er geheiratet, weil er eine attraktive Puppe gebraucht habe. Es sei damals schick gewesen, verheiratet zu sein. Seine sexuelle Entwicklung sei normal verlaufen; Perversionen kenne er nicht. Es komme ihm darauf an, die Frauen zu befriedigen. Auf sexuellem Gebiet sei er eher zärtlich gewesen.
f) Einstellung zum Leben, Ansichten Er lebe gerne. Allerdings nehme er das Leben nicht so grausam wichtig, zumindest nicht für sich selbst. Hier im ZH komme er sich allerdings geschändet vor; man lebe wie in einer Latrine und noch dazu mit Leuten, mit denen man nichts zu tun haben wolle. Er habe einen gewissen Haß gegen die bürgerliche, gutsituierte Lebensweise. Sie sei steril. Wichtig sei ihm immer gewesen, nicht zweitklassig zu sein. Aufgefordert, bei dem Stichwort Baum zu assoziieren, nennt D die folgende Reihe: "Groß, hoch, grün, wertvoll, Schatten, Insekten, Früchte, Wald, Ruhe ..... Pathos liebe er nicht. Bei der SS habe er es in Kauf genommen. Dort habe man den Leuten so geschickt Ideale eingepflanzt, daß man die Fragwürdigkeit nicht habe erkennen können. Außerdem habe man jeden Einzelnen so geschickt behandelt und ihn durch Anerkennung in seinen Leistungen gesteigert, daß man durchaus glaubte, am richtigen Platz zu sein. Allerdings habe er bereits 1939 den Ausspruch "über Gräber vorwärts" eher komisch gefunden. Die Todesstrafe sei menschlicher. Dennoch würde er sie nicht bejahen. Man sollte das dem Delinquenten freistellen. Er sei gegen die Todesstrafe, weil sie für denjenigen, der sie ausführe und für denjenigen, an dem sie vollzogen werde, eine Unmöglichkeit darstelle. Es sei nicht menschenwürdig, vor allem, wenn es so programmgemäß geschehe: Das Urteil werde nochmals verlesen. Dabei sei das Ganze anonym. Und außerdem: Mit welchem Recht mache man einen unbedarften Menschen zum Henker, auch wenn er sich selbst dazu bereit erkläre. DasAug'-umAuge-Prinzip lehne er ab; das sei atavistisch.
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Daß jemand Henker wird, sei ihm unbegreiflich. Allerdings könne das Tradition sein; eine Sperre könne schon von klein auf beseitigt sein oder sie werde gar nicht erst aufgebaut. Die Menschen mancher Eingeborenenstämme töteten andere Menschen, weil sie auf einer niedrigeren Kulturstufe stünden. Unsere Menschen seien früher auch nicht viel besser gewesen. Außerdem hätten diese Eingeborenen wenig Fleisch. Weiterhin sei es religiös bedingt. So glaubten sie, daß die Stärke eines umgebrachten Feindes in sie übergehe. Außerdem müsse der Tote dann im Jenseits Diener sein. An sich sei das gar kein Töten, sondern nur Verwirrung, eine unpersönliche Sache. Daß im Krieg beim Nehmen von Stellungen Menschen draufgehen, sei selbstverständlich. Aber es komme zunächst nicht in erster Linie darauf an. Zwischen Mord und Selbstmord liege ein Unterschied. Der Selbstmörder müsse nicht unbedingt zum Mord fähig sein, und umgekehrt. Früher habe er gesagt, Selbstmord zu begehen sei feige. Heute meine er, ihn zu begehen sei letzte Freiheit. Auch Mord - so könne man sagen - sei die letzte Freiheit. Damit jemand morde, müßten eine Zwangssituation und eine Krise zusammenkommen. Er sei der Meinung, daß jeder Mensch in der Lage sei, in einer gewissen Zwangssituation einen anderen Menschen zu töten. Er sei der Meinung, daß es Situationen gebe, in denen ein Mensch töte, einfach weil er in eine solche Emotionalität gekommen sei, daß er nicht mehr normal reagiere. Ein Mensch, der einen anderen wegen Geld umbringe, sei krank. Diese Menschen seien zumindest äußerst primitiv. So eine Tat würde er aus rein logischen Erwägungen nie begehen können. Wer einmal einen Menschen getötet habe, könne das kein zweites Mal tun, es sei denn, er sei krank. Es sei relativ, welche Handlungsweisen von der Gesellschaft als unmenschlich oder verbrecherisch bezeichnet würden. Das hänge mit der Bestimmung durch eine Autorität zusammen: erst die Eltern, dann andere, dann der Staat. Die Erfahrung führe dann noch zu der Differenzierung gut-böse. Doch das sei letztlich relativ. Er glaube nicht, daß die Menschheit schon immer das Tötungsverbot hatte. Dies Gebot sei wohl die erste reifere Oberlegung des Menschen gewesen. Es dürfte auch keinen religiösen Ursprung haben. Wenn man die ganze Zivilisationstünche abwasche, dann bleibe kein besonderer Unterschied zwischen Mensch und Tier. Der Mensch falle in sogenannten Grenzsituationen doch wieder in atavistische Verhaltensweisen zurück. So auch hier im Zuchthaus. Ein gebildeter Mensch könne genauso leicht oder schwer eine Tötung begehen wie ein einfacher Mensch. Vielleicht sei aber ein intelligenter
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2. Teil:
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Mensch eher gebremst. Der Durchschnittsbürger habe auf Grund seiner Kulturstufe Hemmungen, einen anderen Menschen zu töten. Dazu gehöre auch die Religion. Angst vor Strafe spiele sicher keine Rolle. Wenn jemand noch abwiegen könne, dann müsse es für denjenigen eigentlich unmöglich sein, zu töten. Es liege auf jeden Fall ein Unterschied darin, ob sich die Tötung gegen einen fremden oder einen vertrauten Menschen richte. Einen vertrauten Menschen könne man gar nicht töten. In der Auswirkung sei es ein und dasselbe, ob man nun ein Embryo, einen Säugling, einen Mann usw. töte. Man zerstöre - ohne Recht ein anderes Leben. Er wolle an sich keinen Unterschied machen für den Grad der Überwindung VOn Hemmungen, je nachdem gegen wen sich nUn die Tötung richte. Der Sperrmechanismus sei wohl immer gleich. Ebenso bestehe kein Unterschied, ob man das Opfer erwürge, ersteche, ertränke oder erschieße. Zum Erwürgen gehöre noch eine ganze Portion Gemeinheit dazu. Man habe es da noch in der Hand, "den Zug zu machen" wie beim Schach, wenn man eine Figur zunächst einmal nur anfasse. Es sei nicht so unwiderruflich wie ein Schuß. Ob zwischen der Planung und der Ausführung einer Tötung ein Unterschied liege, wisse er nicht. Er könne dies nur aus militärischer Sicht beurteilen. Zum Beispiel 1939 habe er mit einem Stoßtrupp einen Angriff vortragen müssen. Der Gegner habe ihre MGs zusammengeschossen. Er habe gewußt, daß man einzig mit Brachialgewalt habe vorgehen müssen. Sie hätten wild um sich geschossen. Der Ablauf aber sei wohl überlegt gewesen. Man könne dann gar nicht so beeinftußt werden, daß man VOn einer Tötung absehe. Das sei nackte Dressur. Man unterscheide nur den Kittel. Erst in zweiter Linie komme das Gesicht. Deswegen sollte es keinen Krieg geben. Er sei heute Pazifist. Zwischen Planung und Ausführung einer Tötung bestehe insofern doch ein Unterschied, als vor Ausführung der Tat nochmals ein erheblicher Energieaufwand erforderlich sei. Zur Sterbehilfe denke er folgendes: Wenn der Kranke nicht gefragt werde, dann hätten die Ärzte.kein Recht dazu. Er selbst würde die erlösende Spritze nicht geben. Wenn der Patient jedoch einverstanden wäre, dann würde er ihm als Arzt die Spritze geben. Die Brutalität des Menschen sei ein atavistisches Relikt. Die Leute in den Hinrichtungskommandos seien meistens einfache Leute gewesen. Erfahrungen hätten ihn an 3 Punkten verändert: Bis zu seinem Eintritt in die SS sei er ein unbedarftes Bürschchen mit einer gewissen - anerzogenen - Gewandtheit gewesen. Damals sei er geradezu un-
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kompliziert gewesen. Dann sei als erstes Schwabing gekommen, dann die Freundschaft mit der Halbjüdin H, und schließlich die Partisaneneinsätze bzw. der Krieg als Sport. Früher sei er nur Dingen auf den Grund gegangen, die ihn interessiert hätten; heute gehe er auch Nebensächlichkeiten nach. Die Moral sei eine Fiktion. Zu Ge- und Verboten: Komisch finde er die Verbotsschilder in deutschen Gärten. Jeder wolle da ein bißchen seinen eigenen Gesetzgeber spielen. Ansonsten müßten Gesetze sein, um das Zusammenleben zu regeln. Ein Anbeter der abstrakten Gesetze sei er jedoch nicht. An sich habe er eine persönliche Moral: Es gebe Dinge, die man nicht tue und solche, die man tue. Maßstab hierfür sei seine ureigenste Persönlichkeit. So gelte etwa auch der Satz, daß man das, was man selbst nicht wolle, auch anderen nicht zufüge. Dafür, daß Verboten nicht entgegengehandelt wird, sorge eine Sperre; die müsse erst überwunden werden. An sich würde er sagen, der moderne Mensch neige nicht zum Töten. Die Haupthemmung zu töten liege darin, daß man mit der Tötung etwas Irreparables tue. Wenn er ein religiöser Mensch gewesen wäre, dann wäre er vermutlich gar nicht zur SS gegangen, zumindest nicht dort geblieben. In einer Schlägerei, in der es gefährlich werde, sei es eine militärische Grundmaxime, sich ohne Rücksicht auf das Leben anderer zu wehren. g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod
Als er 7 1/2 Jahre alt gewesen sei, sei seine Großmutter gestorben. Man habe ihn an den Sarg geführt. Er sei damals zum Leichenwärter gegangen und habe nochmals in die Totenkammer schauen wollen. Die Tote sei eiskalt und steif dagelegen. Von dem Erlebnis sei er noch tagelang durcheinander gewesen. Badeunfälle hätten ihn nicht so berührt. Nachgedacht habe er über den Tod nicht. Vor dem Krieg habe er einmal die Erschießung eines homosexuellen SS-Mannes erlebt. Das habe ihm zunächst einen natürlichen Schock versetzt. Die Erschießung sei jedoch bewußt auf Schockwirkung inszeniert worden. Aus seiner damaligen Sicht habe er die Erschießung richtig gefunden. Bei der SS sei es später ein Muß gewesen, liegen Gebliebene zu erschießen. Er habe dies öfter erlebt. Einmal habe er auch selbst einem Kameraden, der von einem Bauchschuß zerfetzt gewesen sei, den Gnadenschuß gegeben.
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Bei den Partisanenkämpfen sei die Brachialgewalt so weit gegangen, daß niemand von den Feinden übrig blieb. Man habe sich z. B. feindliche Uniformen angezogen, mit dem Gegner Wachablösung gespielt und ihn dabei erschossen. Das sei nicht mehr ein Kampf mit Menschen, sondern mit Figuren gewesen. Manchmal habe man mit dem nackten Spaten zugeschlagen. Der Tod habe da keine Rolle gespielt. Im Krieg habe er einmal Partisanen aufhängen sollen; er habe sich geweigert, das zu tun. Getötet habe er Leute immer nur im direkten Kampf. Ihnen habe man beim Militär das Schießen auf Menschen durch Schießen auf Pappkameraden beigebracht. KZ-Sachen hätte er auf keinen Fall mitgemacht. Beerdigungen seien für ihn Theater. Todesangst kenne er eigentlich nicht. Angst habe er im Krieg immer nur vor der Gefangennahme gehabt, und vor Verstümmelung. Wenn man ihn töten wollte, dann würde er als erstes eine Möglichkeit suchen, darum herum zu kommen. Wenn das nicht ginge, dann würde er in aller Form sterben. Im Augenblick der Vollstreckung würde der Mensch im allgemeinen sicher Todesangst und Selbstmitleid empfinden. Wenn er aufgehängt werden sollte, dann würde er sich lieber selbst erschießen. Angst vor dem Jenseits habe er nicht. "Wenn's vorbei ist, ist's vorbei!" Andererseits sei er nicht todeshungrig. Unmittelbar im Augenblick etwa der Exekution würde er kaum irgendwelche persönlichen Gefühle haben.
h) Die Tat D erzählte in S. den Tathergang und die Vorgeschichte nochmals in allen Einzelheiten, wie er es auch schon vor Gericht - s. o. S. 127 getan hatte. Wesentliche neue Gesichtspunkte kamen nicht mehr hinzu, da er wichtige Details der Tatbegehung nicht wußte. Das sei damals direkt nach der Tat für ihn schon nicht mehr ganz rekonstruierbar gewesen. i) Stellungnahme des Täters zur Tat
Er habe während der ganzen letzten Tage vor Kriegsende und auch am Tattag eine Menge Alkohol getrunken. Erst 2 Stunden nach der Tat, nachdem er 1-2 Stunden geschlafen hätte, sei ihm die Erkenntnis gekommen, daß er etwas Furchtbares getan habe. Er wisse auch gar nicht, wie er wieder auf den Lkw gekommen sei. Die Getöteten habe er gar
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nicht näher gekannt. Bei zweien von ihnen habe er immerhin gewußt, daß sie verheiratet gewesen seien. Was schließlich der Anlaß zur Tötung gewesen sei, könne er nicht sagen. Sein sonst kaltblütiges Überlegenheitsgefühl sei Dressur gewesen. An sich hätte er leicht verschwinden können. Er habe damals nicht über der Situation gestanden. Sonst habe er auch in Gefahrsituationen nie getrunken. An dem fraglichen Tag habe er aber eine halbe Flasche Whisky getrunken. 24 Stunden nach der Tat sei er in der Situation gewesen, in der einem "alles egal ist". Dann habe sich das wieder gegeben, und es sei eine Neugier aufgekommen zu sehen, wie es weitergehe. Von seiner Veranlagung her sei er sicher nicht zum Mörder geworden. Verantwortlich seien vielleicht die Kriegseinflüsse, so die Partisanenkämpfe, bei denen man geschossen habe, bis der andere weg war. Die SS habe nicht das Killen gelehrt. Das Ausbildungsziel sei nur gewesen, den Feind kampfunfähig zu machen. Das Killen von Mann zu Mann sei erst durch die Partisanenkämpfe notwendig geworden. Seine Tat fasse er als persönliche Niederlage auf. Am Tag der Tat habe er gegenüber den anderen Menschen eine Art Ekel empfunden. Wenn er überlegt gehandelt hätte, dann hätte er die Fabrik in die Luft gesprengt, statt später die 4 Menschen zu töten. Er glaube nicht, daß ihn bei seiner Handlung irgendwelche instinktiven Regungen geleitet hätten. Er kenne bei sich keine instinktiven Handlungen. Er glaube zwar, daß es Atavismus im Menschen gebe, aber er selbst habe nie Lust gehabt, etwa einen Haufen zu erschießen. Vielleicht seien bei ihm auch unterschwellig Rachegefühle wirksam gewesen, weil man ihl'l am Morgen bei den Verhandlungen so lange hingehalten habe und ihm weder den Lkw noch Verpflegung geben wollte. Durch den Partisaneneinsatz sei er zum reinen Landsknecht geworden. Je intakter nach der Tat im Laufe der Jahre seine Verhältnisse geworden seien, gerade auch, als er dann Kinder bekommen hätte, desto stärker sei sein Schuldgefühl geworden. Zunächst seien nach der Tat weder Reue noch Schreck gekommen, sondern nur das Gefühl, total versagt zu haben, etwas grundsätzlich falsch gemacht zu haben. Erst später sei dann Reue gekommen. Er sei nach der Tat total erledigt gewesen. Wenn man ihn damals erwischt hätte, dann hätte er sich wahrscheinlich noch nicht einmal gewehrt. Gegen ein Schlachtfest der Amerikaner hätte er sich allerdings doch gewehrt; dazu sei er noch zu sehr in der Übung gewesen.
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j) Verhalten nach der Tat
Er sei dann wieder auf den Lkw gesprungen und habe den Fahrer zur Weiterfahrt gezwungen. Nach kurzer Zeit habe er sich in einem Heuboden völlig erschöpft hingelegt. Dann sei er mit einem anderen Wehrmachts-Lkw weitergefahren und habe sich schließlich nach Deutschland durchgeschlagen. k) Traumleben, die Erzählung aus den vorgegebenen Begriffen
Traumleben: Er träumte relativ wenig. Es seien meist Träume aus der Erinnerung. Vor seiner Tat habe er noch nie geträumt. Angst- oder Albträume kenne er nicht. An Träume vor der Zeit von 1940 könne er sich nicht erinnern. Die Träume seien wohl nicht gravierend genug gewesen. Hier im Zuchthaus habe er oft reine Sexualträume. Fremde Menschen kämen in seinen Träumen nicht vor. Schauplätze seien: Straßen, die Stadt, Krieg und Kameraden von früher. Hauptinhalt seien Dialoge zwischen 2-4 Leuten. Selten kämen mehr Leute vor. Nur, wenn er im Traum durch eine bekannte Hauptstraße einer Großstadt gehe, biete sich das übliche Bild von Menschen, Lichtern, es sei in diesen Träumen meist abends. Welche Jahreszeiten in seinen Träumen gerade seien, könne er nicht sagen. Die Atmosphäre sei meist friedlich. Häufig komme auch Wasser vor. Flußufer erschienen nicht in der freien Natur, sondern innerhalb der Stadt. Er gehe im Traum auch selbst manchmal ins Wasser. Der Fluß sei immer grasgrün und häufig sehr klar. Er finde dann Steine und komische Gegenstände, Figuren und untergegangene Brieftaschen. Einmal habe er ein Mädchen aus dem Fluß gezogen. Erst sei er noch mit ihr geschwommen und habe mit ihr gesprochen, dann sei sie plötzlich vor ihm im Wasser versunken. Er habe nur noch die ausgestreckten Hände über Wasser gesehen. Das Ganze habe keine Spannung gehabt. Es gebe bei ihm keine bizarren Trauminhalte. Von sich allein habe er wohl noch nie geträumt. Die Geschichte: "Gegen abend in einer waldreichen tropischen Landschaft, die von einem Fluß durchschnitten wird, ging ein Soldat in Richtung einer kleinen Brücke, die über den Fluß zu einem entfernten Haus, das auf einer Anhöhe liegt, führte, zu. Als er die Brücke überschritten hatte, bemerkte er einen Tiger, der eine Ziege geschlagen hatte. Er erstarrte und sah bewegungslos zu dem
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Tiger hinüber. Der Tiger schien keine Notiz von ihm zu nehmen. Er überlegte, ob er sich langsam zurückziehen solle oder ob er durch rasche Flucht dem Tiger zu entrinnen versuchen solle. Er war unbewaffnet. Der Tiger war eingehend mit der Ziege beschäftigt, und der Soldat faßte den Entschluß, schrittweise zur Brücke zurückzugehen, wobei er den Tiger im Auge behielt. Als er die Brücke erreichte, ging er so weit auf die Brücke zurück, um mit Sicherheit eine tiefere Stelle des Flusses unter sich zu haben, und sprang ins Wasser, aus der Überlegung heraus, daß Tiger nicht gerne ins Wasser gehen." 5. BeurteUung
a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten Zunächst kann hier in vollem Umfang auf das Gutachten von Dr. Heinhold hingewiesen werden. Die Unterhaltung mit D hat - wie sich leicht erkennen läßt - konkret das ausgefüllt, was abstrakt bereits in dem Gutachten zum Ausdruck kommt: D ist eine konstitutionell stark schizoide Persönlichkeit. Seine Antworten zeigen einerseits Verständnis für die verschiedensten Lebenssachverhalte, andererseits starke Widersprüche, manchmal rohe Anschauungen, die auch sprachlich zum Ausdruck kommen. Oberste Maxime ist für ihn "Sauberkeit", ein Schablonebegriff, der nicht zuletzt bedeutet, daß man sich nichts vergeben, nicht mit der "unsauberen" Menge mitschwimmen soll. Einige Beispiele aus D's Antworten sollen dartun, welch rohe Stellen er hat: Dem Mörder eines seiner Verwandten würde er eine Abreibung verpassen; es wäre ihm egal, wenn der dabei draufginge. D's Argumente gegen die Todesstrafe sind eher formaler Art: Das Ganze sei unwürdig, geschehe programmgemäß, anonym. Die eigentlich gravierende Tatsache, daß da getötet wird, sieht D kaum. Und dann ein weiterer Ausspruch: "Einen Mord zu begehen, ist die letzte Freiheit". An diesem Satz sieht man außerdem, wie D die von ihm gelesenen modernen Schriftsteller mißverstanden hat, indem er Freiheit nicht in ihrer vom Existenzialismus verstandenen Bedeutung erkannt hat. Menschen sterben bei D nicht, sie "gehen drauf". Diese Beispiele zeigen zugleich, daß die über die affektiven Schichten der Psyche ansprechbaren Elemente der Tötungshemmung bei D nicht vorhanden sind. Zu untersuchen ist nun, ob D immer schon so empfand, oder ob dies erst durch die späteren Kriegseinflüsse bedingt ist. Bereits als Kind reagierte D gelegentlich sehr gefühlskalt und schroff: So wenn er die Dienstmädchen nicht als Personen anerkannte, sie einfach links liegen
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2. Teil: Die einzelnen Täter
ließ, oder wenn er mit 7 Jahren seine Spielgefährtin als Magd behandelte. Bezeichnend ist hier auch die Tatsache, daß er seine - ohnehin nicht allzu tiefe - Religiosität im Alter von 10 Jahren einfach über Bord warf, weil er das Verhalten des Pfarrers seinem Vater und seiner Mutter gegenüber nicht billigte. So wie sein Vater damals den Pfarrer aus dem Hause warf, warf D seinen Glauben ohne Umschweife weg. Außerdem findet man bei ihm schon sehr früh eine übertrieben starke Forderung nach Härte gegenüber sich selbst und gegenüber den anderen. Hier wird ein Kompensationsmechanismus fluf Grund eines Mangels deutlich; in Frage kommt dabei ein Liebesmangel. D sprach nicht von Erlebnissen, die ihn in seiner Kindheit und Jugend besonders stark berührt hätten; d. h. man muß daraus umgekehrt schließen, daß D schon als Kind nicht stark auf Eindrücke reagierte, daß also die Amplituden seiner Affekte niedrig waren. Es fehlt bei ihm und das war wohl immer schon so - die Möglichkeit und die innere Notwendigkeit, sich mit anderen Personen und ihrem Erleben zu identifizieren. Sucht man hierfür eine Erklärung, so könnte die Nervenkrankheit seiner Mutter dafür verantwortlich gewesen sein, indem es zu keinem affektiven Dialog in D's ersten Lebensjahren zwischen ihr und ihrem Sohn kam, da sie womöglich auf Grund ihrer Krankheit nicht zu einer solchen Kontaktaufnahme imstande war. Damit wäre eine gewisse Verkümmerung einer ohnehin schon konstitutionell geringen Gefühlskraft erklärlich. Eine Ausnahme in seinem Leben stellt die Beziehung zur Halbjüdin H dar. Hier wurde der sicher von D empfundene Mangel profunder Affektrealisation in irrationaler Weise übersprungen. Sonst führte D aber ein höchst wechselvolles Leben, in dem Qualität von Gefühlen durch Quantität von wechselnden Eindrücken ersetzt wurde. Das war notwendig, da in seiner Psyche gar keine Besetzungen vorhanden waren, die zum Wachsen tieferer Gefühle im Wege der Identifizierung gezwungen hätten. Nur weil eine solche Identifizierung gar nicht stattfinden konnte, war es für D überhaupt möglich, so viele Begegnungen und Wechselfälle heil zu überstehen, da er nie wirklich beteiligt war. Seine Aggression und sein Bedürfnis nach Selbstbestätigung drängten nach wechselnden "Taten" und "Erlebnissen", da in einem fest gefügten, affektiv gestützten Kontinuum für D nicht die Möglichkeit zum Einsatz bestand. So ist sein Weg vor und im Krieg über an die verschiedenen Stationen verständlich, ebenso wie die Tatsache, daß er dabei nie in Konflikte geriet, sondern sich als Funktion der Forderungen der jeweiligen abenteuerlichen Unternehmungen verhielt.
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b) Die aTH
D's Aussagen, die unter a) soeben teilweise aufgeführt und gewertet wurden, sprechen weitgehend gegen das Vorhandensein einer aTH. Jedoch muß zunächst wieder berücksichtigt werden, daß D die Tat mit Hilfe eines Gewehrs beging. Dies bedeutet, daß nur eine ganz schwache Rückkopplung bestand. Außerdem waren dieser Tat bereits so viele andere Tötungen vorausgegangen, daß eine aTH, wenn sie überhaupt jemals vorhanden war, durch häufiges Nichtbeachtetwerden immer mehr reduziert worden war und zum Tatzeitpunkt wohl nicht mehr funktionierte. Dies kann man so erklären: Auch ein Hemmungsmechanismus bedarf einer Energie, um in Aktion zu treten. Wurde diese Energie, die sich auf Grund früher einmal angesprochener AAM's entfalten wollte, jedoch mehrmals an ihrem Sichumsetzen gehindert, so kann möglicherweise eine ursprünglich vorhandene Funktion zwischen AAM und Hemmungsenergie unterbrochen und schließlich aufgehoben werden. Ob dies bei D tatsächlich der Fall war, kann heute nicht mehr mit Sicherheit nachgewiesen werden, jedoch liegt es nahe. Für soziales Verhalten spielt möglicherweise in gewissem Umfang eine Prägung entsprechender AAM's - vgl. o. S. 23 f. und S. 33 - eine Rolle. Bei D, so kann man annehmen, hat eine solche Prägung nicht in der dafür vorgesehenen Entwicklungsphase in hinreichend deutlichem Maße stattgefunden. Damit könnte man erklären, daß gewisse schwache Umweltsignale, wie die bloße Anwesenheit des Opfers, von seinen AAM's gar nicht verstanden werden, so daß der allerdings ohnehin nicht allzu hohe Signalfaktor "Mensch" bzw. "Gesicht eines Menschen" für D nichts bedeutet. Deshalb war für ihn das Erschießen eines Menschen ohne weiteres möglich, während bei dem höherrangigen Faktor "Berührenmüssen des Opfers" eventuell entsprechende AAM's doch eine Hemmung auslösen würden. Vielleicht hat D sich deshalb, wie er sagte, geweigert, andere Menschen während des Krieges mit der bloßen Hand zu töten oder zu hängen. Denkbar ist es auch, D's Tat als Übersprungshandlung anzusehen, da er keine freie Bahn fand, seine Aggressivität und seine durch die ganze Vorsituation entstandene Nervosität abzureagieren. c) Die eTH
D führte die Tat ohne das Aufkommen einer eTH aus. Er war zwar ganz allgemein in einem nervlich überreizten, von Alkohol beeinflußten, enthemmten Zustand; jedoch stellte das Erschießen von Menschen als solches kein extremes Handeln für ihn dar. Sein "Über-Ich" und sein Identifizierungsmechanismus hatten schon seit längerer Zeit aufgehört, Impulse auszusenden; zumindest waren etwaige Impulse von D
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2. Teil: Die einzelnen Täter
gar nicht mehr zum Bewußtsein vorgelassen worden. Wie dies zu erklären ist, ergibt sich aus der allgemeinen psychologischen Interpretation - s. o. a}. Meist filtert D jedoch die Umwelteindrücke und seine eigenen Handlungsimpulse durch seine Vernunft; er reagiert also im Normalfall kontrolliert. Sein "Über-Ich" macht sich in der Regel bemerkbar, wobei es aber nicht mehr so sehr als ursprüngliche Instanz wirkt, sondern als ein rationalisierter Spiegel der Forderungen der Umwelt und der eigenen Wertentscheidungen. In sehr früher Kindheit war das bei D wohl noch nicht so; vielmehr hat sein Vater ursprünglich als "Gesetzes-Instanz" Einfluß auf D ausgeübt. Sehr bald jedoch muß dieser Einfluß nachgelassen haben, wahrscheinlich als der Vater wegen der Krankheit von D's Mutter gleichgültiger gegen seine Mitwelt wurde. In diesem Moment trat für D eine Lockerung ein; als Beginn dieser Entwicklung kann man ca. D's 4. oder 5. Lebensjahr setzen. Zu dieser Entwicklung kommt noch D's schizoide Veranlagung hinzu, so daß nunmehr sein "Über-Ich" nur noch sehl" relative Maßstäbe verinnerlichen konnte. Eine Parallelentwicklung zeigt auch D's affektiver Bereich. Damit aber war der Weg für ihn frei, ein Leben zu führen, das nie eine echte Ich-Identifikation entstehen ließ. Nur so ist es zu erklären, daß D überhaupt das von ihm so bezeichnete Landknechtsleben führen konnte.
d) Zusammenfassung
Eine aTH dürfte bei D von früh an nur auf hohe Reizfaktoren geantwortet haben. Durch die Lebensumstände ist der Funktionskreis "AAM - Hemmungsenergie - Umsetzung der Energie in Hemmung" immer mehr verkümmert. Die Tat kann auch unter dem Gesichtspunkt der Übersprungshandlung gesehen werden. Auch eine Prägung bestimmter AAM's mag bei ihm nicht stattgefunden haben. Für D's aTH treffen die Thesen 3 a, 3 c, 3 d und 3 e zu - s. o. S. 44 -. Auch D's eTH ist nur schwach ausgebildet. Für normale Umstände hätte diese zwar ausgereicht, um einen Tötungsplan zu verwerfen. Aber wiederum durch die Lebensumstände verloren die Impulse aus dem "Über-Ich" und die Identifizierungsmechanismen ihren Einfluß, so daß das Erschießen von Menschen für D schließlich eine alltägliche Handlungsweise war. D's eTH ist unter der These 2 b - s. o. S. 57 - zu subsumieren, wobei noch die Wirkung der Lebensumstände besonders ins Gewicht fällt.
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v. Der Täter E geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
1928
städt. Arbeiter verwitwet eigene Wohnung 30. 8. 1955 ca. 24 Uhr 26 Jahre Ehefrau, 30 Jahre alt mit Kopfkissen erstickt
Vorbemerkung
Bei E sind verschiedene Kriterien einer aTH und auch einer eTH festzustellen. Eine eTH wurde bei ihm in früher Kindheit ausgebildet; allerdings nicht stark genug, um sich in einem harten Konflikt durchsetzen zu können. Der Konflikt bahnte sich langsam an: Die schwere Krankheit seiner Frau, die er aus Mitleid getötet haben will. Bei E's Tat ist ein interessantes Mischungsverhältnis von gestauter Aggression und Bedingungen, die eine Tötungshemmung umdirigieren, zu beobachten. 1. Lebenslauf und Vorgescllicllte (aus den Strafakten)
E wurde in einem Vorort einer Großstadt geboren. Dort verbrachte er, mit kurzen Unterbrechungen, die ersten 20 Jahre seines Lebens. Er war das drittletzte von 7 Geschwistern. Sein Vater arbeitete als Angestellter im Gaswerk der Großstadt. Auf der Volksschule mußte E die 4. Klasse wiederholen. Nach seiner Schulentlassung 1942 begann er in einer Bäckerei seines Heimatortes zu arbeiten. 1944 kam e. für 4 Wochen in ein Wehrertüchtigungslager. Anschließend nahm er eine Arbeit in einem Rüstungsbetrieb in Niederbayern auf. Sechs Wochen nach Kriegsende kehrte E zu seinen Eltern zurück und fand bereits im Sommer einen neuen Arbeitsplatz als Hilfsarbeiter bei einer Hoch- und Tiefbau-Firma. 1946 trat er eine Stelle bei dem städtischen Gaswerk an, wo bereits sein Vater gearbeitet hatte. Er verdiente dort zum Schluß DM 380,- netto im Monat. Im Herbst des Jahres 1949 lernte E auf der Hochzeit seines Bruders seine spätere Frau kennen. Diese, Fräulein M, war über 4 Jahre älter als der damals 20jährige E. Sie litt seit ihrer Jugend an epileptischen Anfällen. Außerdem hatte sie bereits 2 uneheliche Kinder. Trotz des Hinweises seiner Eltern und seiner Schwiegereltern auf die schwere Krankheit der M heiratete E diese am 21. 2. 1950. Anschließend zog er zu den Schwiegereltern in eine Wohnung im Stadtzentrum. 10 Lullies
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2. Teil: Die einzelnen Täter
In seiner jugendlichen Verliebtheit und aus Mitleid über die von ihrem früheren Liebhaber verlassene Frau glaubte E, sich über die epileptischen Anfälle der M hinwegsetzen zu können. Schon im August 1950 wurde das erste Kind, der Sohn R, geboren. Die Familie wohnte in einem 19 qm großen Zimmer, in dem gekocht, gewaschen, geschlafen und über Tag gelebt wurde. Nach der Geburt des zweiten Sohnes häuften sich die Anfälle der M. Auch die Intensität der Anfälle nahm zu. 2. Die Tat (aus den Strafakten)
Am Tattag, im Sommer 1955, hatte E Frühschicht. Nach Arbeitsende spielte er noch bis 18.30 Uhr mit seinen Kollegen Karten. Dabei trank er ca. 2 Liter Bier. Anschließend traf er seine Geliebte X und ging mit ihr einige Stunden spazieren. Dabei sprach er über die gemeinsame Zukunft mit ihr. Gegen 22.45 Uhr erreichte er seine Wohnung. Er traf seine Frau wach im Bett liegend an und sprach mit ihr noch über die demnächst zu beziehende Wohnung. Dann entkleidete er sich, legte sich in das neben seiner Frau stehende Bett und löschte ca. um 23.30 Uhr das Licht. Kurz darauf begann ein besonders heftiger Anfall der M mit dem charakteristisch gellenden langen Schrei. E sprang aus dem Bett, machte aber kein Licht. Er sah bei schwachem Schein des von der Straße hereindringenden Lichtes, wie sich seine Frau im Bett zu sitzender Stellung aufbäumte und dann nach links auf sein Bett mit dem Gesicht auf sein Kopfkissen fiel. Zunächst war er unschlüssig. In der Wohnung rührte sich nichts. Er zog dann seine Frau an den Schultern von seinem Kopfkissen herunter, bis sich ihr Kopf am äußersten Rand seines Bettes befand. Dabei lag sie auf dem Bauch, die beiden Arme unter der Brust. Nun faßte E plötzlich den Entschluß, seine Frau "sterben zu lassen". Er legte das Kopfkissen auf den Kopf seiner Frau, nahm es dann aber wieder weg. Schließlich drückte er es so .auf das nach links gedrehte Gesicht seiner Frau, daß er mit dem Kissen ihren Mund und ihre Nase verschloß. In dieser Stellung hielt er das Kissen einige Minuten festgedrückt. Als E die Hand von dem Kissen nahm, machte seine Frau keine Bewegungen mehr. Er begab sich zunächst zum Kleiderschrank am fußende des Bettes, dann zum Fenster, wo er 20 Minuten verharrte. In dieser Zeit packte ihn einerseits bereits die Reue über seine Tat, andererseits dachte er an den nun freien Weg für ein neues Leben mit seiner Geliebten X. 3. Gutachten Einzelheiten aus dem medizinischen Gutachten können nicht zitiert werden, da sich in den Strafakten kein Gutachten befand.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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4. Die Befragung des EinS a) Kindheit und Jugend
Er habe ein sehr gutes Verhältnis zu seinen Geschwistern gehabt. Seine Eltern seien überhaupt nicht streng gewesen. Das Verhältnis zu seinem Vater und seiner Mutter sei genau gleich gut gewesen. Er habe immer das getan, was die Eltern von ihm verlangt hätten. Seine Mutter habe abends immer erst um 24 Uhr einschlafen können; deshalb habe er oft mit ihr "Mensch ärgere dich nicht" gespielt, da er seine Mutter abends nicht allein habe sitzen lassen wollen. Abstand von der Mutter habe er eigentlich nie gewonnen; sein Verhältnis zu ihr sei als Kind geauso gewesen wie dann später. Er habe als Kind wenig gelogen. Schwere Krankheiten habe er als Kind und auch später nie gehabt. In seiner Familie gebe es kein jähzorniges Temperament. Sein Leben habe darin bestanden, zur Schule zu gehen und zu Hause zu helfen. In der Schule sei ihm der deutsche Aufsatz schwer gefallen. Sonst sei er ein mittelmäßiger Schüler gewesen. Er habe sehr gerne und gut gesungen und viel Sport getrieben. Mit Leidenschaft habe er Völkerball und Fußball gespielt. Außerdem habe er gerne Laubsägearbeiten gemacht. Als Kind habe er keinen richtigen Freund gehabt; doch habe er immer Anschluß gefunden. Oft sei er im Sommer schon um 17 Uhr ins Bett gegangen, weil er nicht gewußt habe, was er tun sollte. Morgens sei er schon um 11-/26 aufgestanden. Gelangweilt habe er sich jedoch nie. b) Wichtige Erlebnisse
Das schönste Erlebnis sei seine Firmung gewesen. An Angsterlebnisse in seiner Kindheit könne er sich nicht erinnern. Auch sonst habe er nichts Besonderes erlebt. c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen
Er fühle sich in seinem Denken und Handeln frei. Ärgern könne er sich praktisch nicht. Rachegefühle kenne er nicht; er trage ohnehin niemandem etwas nach. Er glaube, einen starken Willen zu haben, doch lasse er sich leicht beeinflussen. Beim Lesen und im Kino lasse er sich leicht zu Tränen rühren. Er lebe eher in der Gegenwart, d. h. er hänge nicht an der Vergangenheit
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2. Teil: Die einzelnen Täter
und schweife auch nicht in die Zukunft. Vor dem Einschlafen phantasiere er oft weitschweifig über die Ereignisse des Tages. Er habe sich immer danach gerichtet, was sein Vater gesagt habe. Das habe er auch richtig gefunden. Sein Vater habe immer gesagt, sie könnten alles tun, bloß mit der Polizei dürften sie ihm nicht kommen. Er habe ein natürliches Verhältnis zur Autorität. Wenn einer etwas könne, so erkenne er das an. Als Kind habe er sehr große Angst vor Strafe gehabt. Er glaube, kein Geltungsbedürfnis zu haben. Bei seinen Geschwistern sei das genauso. Minderwertigkeitskomplexe habe er nicht. Er nehme sich so, wie er sei. Allerdings sei er manchmal feige; so z. B. sicher im Krieg. Problematischen Entscheidungen weiche er eher aus. Wenn sich keine Lösung anbiete, dann könne er auch nervös werden. Einen Seitensprung seiner Frau würde er ihr gegenüber nicht mit Gewalt beantworten; er sei nicht eifersüchtig. Waffen spielten bei ihm keine besondere Rolle, obwohl er gut schieße. Tiere habe er als Kind nie geschlagen. Er könne Tiere auch nicht töten, mit Ausnahme von Fliegen und ähnlichen, eher schädlichen Tieren. Das erste Tier, das er getötet habe, sei ein Spatz gewesen. Sie hätten als Kinder mit Steinschleudern auf Spatzen geschossen. Dabei habe er sich nichts gedacht. Zu Hause hätten sie Stallhasen gehalten. Er habe das Töten der Stallhasen seinem Vater abgeschaut. Er habe die H~sen bei den Hinterbeinen genommen und mit der Handkante auf ihr Genick geschlagen. Sie seien sofort tot gewesen. Niemand, außer seinem Vater, hätte sich in der Nachbarschaft getraut, Hasen zu schlachten; so seien alle zu ihm gekommen. Er habe ein paar hundert Stallhasen getötet. Er habe Tiere gerne, auch den Stallhasen; aber wenn man Fleisch brauche, dann müsse man ihn eben schlachten. Auf einen Wurm trete man manchmal; er habe sie dann den Hühnern vorgeworfen. Hühner wolle er aber nicht schlachten. Wenn man schon ein Tier töten müsse, dann tue man es eben schnell und schmerzlos. Er habe keine sadistische Veranlagung; er reagiere sich auch nie hemmungslos ab. Er habe eine gute Selbstbeherrschung. Wenn er mit ansehen würde, wie ein anderer einen Angehörigen von ihm, etwa seine Mutter, auf der Straße töten würde, so würde er sauer reagieren; er würde ihn bewußtlos hauen oder den Fuß abschlagen, bis die Polizei käme. Er würde auch versuchen, vielleicht einen Hodenschlag zu führen. Wahrscheinlich würde dann der andere das Messer fallen lassen. Töten würde er den anderen nicht.
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Er würde in einer Schlägerei niemals jemanden weiterschlagen, der sich geschlagen gebe und um Gnade flehe. Im Grunde sei er aber nie in eine solche Situation gekommen. Seine Frau habe er mit einer Ausnahme z. B. auch nie geschlagen. In einer gefährlichen Schlägerei würde er nicht ohne Rücksicht auf das Leben anderen Beteiligter zuschlagen. Mitleid empfinde er sehr leicht: Als seine Frau einmal ohne sein Wissen in die Nervenklinik gebracht worden sei, habe er sie sofort wieder herausgeholt. Er habe sie gerne gehabt und Mitleid mit ihr empfunden. Er liebe Heimat- und Bergromane. Illusionen habe er früher einige gehabt. So habe er Sänger oder Schauspieler werden wollen; seine Lehrerin in der Volksschule habe auch immer gesagt, er solle Gesangsunterricht nehmen, aber dazu habe zu Hause das Geld gefehlt. Außerdem hätte er gerne einen eigenen Bauernhof gehabt und eine große Weltreise gemacht, um einmal alles zu sehen. - Auffallende Phantasien habe er nicht. d) Verhältnis zur Umwelt
Die Mehrzahl der Leute sei ihm eher sympathisch. Näher begründen könne er dies Gefühl nicht. Gegenüber anderen Menschen kenne er kein Ekelempfinden. Er versuche, den anderen immer natürlich und aufrichtig zu begegnen. Er fühle sich nicht als Einzelgänger, obwohl er nie einen wirklichen Freund gehabt habe. Nach seiner Arbeit habe er früher oft mit Rentnern auf einer Wiese "Platteln" gespielt. Hier in der Anstalt vertrage er sich sehr gut mit den anderen. e) Verhältnis zu Frauen und zur Sexualität Er habe, bevor er seine Frau kennengelernt habe, noch überhaupt keine Freundschaft zu einem Mädchen gehabt. Er habe, einige Wochen nachdem er seine Frau kennengelernt hätte, den GV mit ihr vollzogen; das sei eher von ihr ausgegangen. Bei diesem GV und auch bei den späteren sei es nicht zu Schwierigkeiten gekommen. Beim GV habe seine Frau nie Anfälle bekommen. Seine sexuellen Bedürfnisse hätten denen seiner Frau entsprochen. f) Einstellung zum Leben, Ansichten
Vor dem fremden Leben habe er Achtung; warum, das wisse er nicht. Wenn er sagen sollte, was ihm an seinem Leben wichtig sei, so würde er sagen, er freue sich über jeden Tag, der komme. Auch wenn seine
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Frau noch kränker geworden wäre, hätte er immer noch gerne weiter an ihrer Seite gelebt. Wenn er weiterleben dürfte, würde er auch Opfer bringen. Seine Einstellung zur Todesstrafe könne er nicht näher erklären. Eine lebenslange Strafe sei mehr als die Todesstrafe. Er würde nach Fällen unterscheiden: Einen Kindermord finde er ganz besonders verwerflich. Ein Erwachsener habe beim Mord die Chance, sich zu wehren, ein Kind nicht; deshalb sei der Mord am Kind noch verwerflicher. Andererseits: Jeder Mensch, auch wenn er jemanden umgebracht habe, müsse leben, denn er sei Gottes Geschöpf. Die Tatsache, daß jemand Henker werde, könne er sich nicht erklären. Ein solcher Mensch müsse kaltblütig sein. Es fehle dem Henker an einer inneren Regung. Er denke nicht an die Gebote Gottes. Der Henker sei der erste Mensch, den er verachten würde. Ein Henker könnte im Augenblick der Vollstreckung wohl nichts Besonderes denken. Er vollstrecke ja nur das Urteil. Wenn der es nicht mache, mache es ein anderer. Wenn er selbst das machen müßte, dann würde er das Schwert wegwerfen. Seiner Ansicht nach töteten einige Eingeborenenstämme andere Menschen aus religiösen Vorstellungen heraus, verbunden mit einem großen Fest. Sie hätten kein Gesetz, das dies verbietet. Es sei schwer zu sagen, warum im Krieg mehr oder weniger bedenkenlos getötet werde. Er würde im Krieg möglichst nicht schießen. Warum sollte er einen anderen Menschen erschießen? Aber jeder schaue, daß er seine Haut heil durchbringe. Sein Bruder habe 6 Jahre Militärstrafe bekommen, weil er nicht auf Feinde geschossen habe. Er glaube nicht, daß die Menschheit schon immer das Tötungsverbot gehabt hätte. Früher sei das Töten gang und gebe gewesen. Erst seit dem Jahre 1 habe sich das geändert. Da es kein Gesetz gegeben habe, das das Töten verboten habe, hätten sich die Menschen wahllos getötet. Von Natur sei der Mensch wohl nicht so veranlagt, einfach zu töten. Früher hätten sich die Stämme untereinander aufgerieben. Wenn es die Gesetze nicht gäbe, dann könnte er jederzeit zum Nachbarn gehen und sich holen, was er brauchen könne. Zu Ge- und Verboten denke er folgendes: Zum Teil handele es sich dabei um reine Notwendigkeit, um das Zusammenleben der Menschen zu regeln. Man müsse verschiedene Ge- und Verbotsgruppen unterscheiden. Es gebe Ge- und Verbote, über die man sich auf keinen Fall hinwegsetzen solle. Es gebe für ihn auch Ge- und Verbote, über die er sich auf keinen Fall hinwegsetzen könnte. Wenn er auf der Autobahn auf
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der Überholspur führe, jedoch nicht überholen könnte, würde er nicht durch Hupen oder dergi. versuchen, zu überholen. Zwischen Mord und Selbstmord bestehe ein Unterschied. Beides liege nicht nahe beieinander. Selbstmord sei eine Verzweiflungstat. Er sei irgendwo feige. Ihn zu begehen, sei wohl nicht verwerflich. Wenn Familie da sei, dann wohl doch. Er selbst würde nie Selbstmord begehen. Nur die Hälfte aller Menschen verhalte sich moralisch. Moral sei nicht angeboren. Sie müsse von jedem Einzelnen erworben werden. Brutalität sei den jeweiligen Menschen angeboren. Es bedürfe nicht immer einer Zwangssituation, damit jemand einen anderen Menschen töte. Bei den meisten sei es so, daß im Körper etwas aussetze. Normalerweise könne man kein 2. Mal töten, wenn das vorkomme, so sei das die Ausnahme. Worin die Tötungshemmungen bestünden, könne er nicht sagen. Ein vernünftiger Mensch tötet eben nicht. Ein einfacher Mensch begehe nicht leichter und unbedenklicher eine Tötung als ein sogenannter Gebildeter. Es liege sicher ein Unterschied darin, ob man einen fremden oder einen vertrauten Menschen töte; den vertrauten zu töten, sei sicher noch schwieriger. Es bestehe ein Unterschied zwischen Planung und Ausführung einer Tötung. Zur Sterbehilfe denke er folgendes: Wenn jemand Tag und Nacht Schmerzen habe und mit Sicherheit nur noch wenige Tage zu leben habe, dann solle er dennoch weiterleben. Man habe nicht das Recht, einem Menschen das Leben zu nehmen. Den Arzt, der es doch tue, würde er nicht verurteilen. Er glaube, ein ganz reines Gewissen habe der Arzt nicht dabei. Er sei immer, ohne Unterbrechung, religiös gewesen. Sein Vater habe gesagt, es sei ihr freier Wille, ob sie glaubten oder nicht. Er bete jeden Tag. g) Verhältnis zum eigenen, zum fremden Tod
Die Begegnung mit dem Tod sei ihm nicht unangenehm. Er sei als Kind öfters ins Leichenhaus gegangen. Es habe ihn geradezu hineingezogen. Er habe wissen wollen, ob sie alt oder jung seien, arm oder reich, ob viel oder wenig Blumen auf ihrem Sarg lägen. Unangenehm sei ihm das nicht gewesen; schockiert habe es ihn allerdings doch etwas. Leichenwäscher würde er nicht machen. Eine Leiche wolle er nicht anfassen.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
1945 habe er einmal im Forst einen Erhängten gesehen. Er sei nicht erschrocken, sondern habe die Polizei verständigt. Als er das erstem al mit 19 Jahren von einem Mord gehört habe, habe er den Mörder verachtet. Die Tatsache des Mordes hätte damals beängstigend auf ihn gewirkt. Er könne sich nicht genau vorstellen, welche Gedanken jemand habe, der bei Bewußtsein getötet werde. Es werde verschieden sein; manche lachten noch, wenn sie am Galgen hingen. Der Gedanke an einen Selbstmord sei ihm überhaupt noch nicht gekommen. Sein eigenes Sterbenmüssen könne er nur vom Glauben aus betrachten. Er habe Angst vor dem Sterben. Vor einer langen Krankheit habe er auch Angst. Vorm Tod selbst habe er keine Angst, weil er in den Himmel zu kommen glaube. Sein Leben sei aufrichtig gewesen. Seine Sünden würden ihm vergeben. So habe er immer gedacht. Heute denke er, daß ihm seine Tat auch vergeben werde. Wenn man ihn töten wollte, so gäbe es nur einen Gedanken: Gott. Wahrscheinlich hätte er jede Menge Empfindungen: Wasserlassen, Kot und dergleichen. Vor seiner Schwurgerichtsverhandlung habe er dauernd aufs Klo gehen müssen; außerdem hätte er sich vollkommen durchgeschwitzt.
h) Die Tat "Meine Frau war 3 Jahre älter; sie hatte 2 uneheliche Kinder. Die Liebe zu ihr war nicht spontan. Bei mir war das mehr Mitleid: Die Frau mit den 2 Kindern. Sie war sehr hübsch, hatte keinen Beruf. Als ich das erste Mal mit ihr zusammen war, kam es noch nicht zu Intimitäten. Ich wurde wieder eingeladen. Sie hat die Intimitäten in die Hand genommen. Nach 4 Wochen kam es zum ersten Geschlechtsverkehr. Der GV verlief harmonisch. Aus diesem ersten GV ging kein Kind hervor. Das Sexuelle spielte etwa folgende Rolle: Bei der ersten Liebe meint man, es gibt nichts anderes mehr. Ich habe während der ersten 4 Jahre unserer Ehe mich mit überhaupt keinem anderen Mädchen eingelassen. Es waren glückliche Jahre. Kurz nach der Hochzeit, an einem Sommerabend, ich schnitt am Abendbrottisch Rettich für meine Frau und meine Schwiegereltern auf, kam es zur ersten Auseinandersetzung. Meine Frau nahm den ganzen Rettich und aß ihn auf. Ich kritisierte. Darauf warf sie mir den Rettich ins Auge. Das habe ich ihr lange nicht vergessen. Nachher lachte sie selbst. Ich stand auf und ging für ein paar Stunden weg - zur Strafe. Meine Frau konnte schlecht kochen. Ich habe oft gekocht. Sie hatte kein Gefühl dafür. Langweilig
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war es für uns nicht. Wir gingen wenig ins Kino. Wenn, dann sahen wir uns Heimatfilme und ähnliche Filme an. Wir hatten ein gutes Verhältnis zu den Schwiegereltern. 7 Wochen vor der Tat lernte ich die X kennen. Ich sah sie im Bus. Es war hier die Initiative des Mädchens. Sie war 2 Jahre jünger als ich. Ihr Beruf war Verkäuferin. Sie hat nett ausgeschaut. Sie hatte im Bus kein Fahrgeld, so daß ich ihr das Fehrgeld lieh. Wir kamen ins Gespräch, stiegen dann gemeinsam aus und gingen spazieren. Am ersten Tag fuhr sie dann allein mit dem Taxi nach Hause. Sie hatte keine Eltern mehr. Nach 8 Tagen fuhr ich wieder zu ihr. Ich habe meine Frau nicht getötet, um die X zu heiraten. Meine Frau hatte schon seit langer Zeit grundlos immer eine ungeheure Eifersucht. Um das wenigstens einmal zu realisieren, machte ich die Bekanntschaft; sie war aber zufällig, diese Bekanntschaft. Erst, als ich die X 7 Wochen kannte, kam es bei ihr zu Hause zum GV. Sie wollte mich heiraten. Bei meiner Tat hatte ich einen Rausch. Wir hatten Karten gespielt, und ich hatte mindestens 9 Maß getrunken. Wir hatten Bier "ausgewattet". Mit 5 Maß Bier habe ich noch nichts gemerkt. Watten war das einzige Spiel, das ich kannte. Nach dem Watten kam ich zur X ins Geschäft. Ich war verliebt in die X. Da sagte ich ihr erst, daß ich verheiratet sei. Sie hat mir das nicht übelgenommen und mir gesagt, ich solle bei Frau und Kindern bleiben. Ich erzählte ihr auch, daß meine Frau so krank sei. Ich sagte, ich wolle mich scheiden lassen. Gegen 21.00 Uhr verabschiedete ich mich von der X. Ich ging zu Fuß zum Hauptplatz der Stadt. Unterwegs habe ich auf einer Anlagenbank kurz geschlafen. Gegen 24.00 Uhr kam ich nach Hause. Frau und Kinder schliefen. Meine Frau hatte früher einmal gesagt, sie wolle bei einem Anfall nicht mehr zu sich kommen. Bestimmte Pläne, etwa meine Frau zu töten, habe ich nicht gehabt. Sie bekam den Anfall, als ich schon schlief. Ich wachte auf, sie bäumte sich, fiel mit dem Kopf aufs Bettzeug, und ich legte ihr das Kopfkissen auf den Hinterkopf und drückte drauf. Nach einer Zeit ließ ich wieder los. Wieder nach einer Zeit nahm ich das Kopfkissen weg. Da war sie schon blau. Später holte ich den Arzt. Der konnte nur noch den Tod feststellen." i) Stellungnahme des Täters zur Tat
Er habe keine Ersatzvorstellung beim Töten seiner Frau zu Hilfe genommen. Hemmungen auf Grund seiner Religiosität habe er nicht verspürt. Vor der Tat sei es ihm nicht voll bewußt gewesen, etwas End-
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gültiges zu tun. Man lasse sich das durch den Kopf gehen, aber das sei alles Hirngespinst. Früher habe er nie daran gedacht, einen anderen Menschen zu töten. Die Tat sei eine Betriebsstörung gewesen; außerdem sei sie auf Grund einer Mitleidsentscheidung geschehen. Bei Tag wäre die Tat nicht passiert. Seine früher vielleicht einmal theoretisch aufgekommenen Überlegungen, bei einem Anfall seiner Frau etwas nachzuhelfen, habe er immer verworfen. Unter anderen Umständen, insbesondere ohne Alkohol, hätte er die Tat nie ausführen können. j) Verhalten nach der Tat
Der Anblick seiner toten Frau habe nicht abschreckend auf ihn gewirkt. Eine Leiche sei für ihn überhaupt nicht abschreckend. An seinen eigenen Tod habe er nicht gedacht. Allerdings sei er momentan vor sich selbst erschrocken, als er die Tat ausgeführt hatte. Dann habe er den Arzt geholt, dem er gesagt hätte, seine Frau habe einen Anfall gehabt. Nachdem der Arzt dagewesen sei, habe er sich in dem in der selben Wohnung befindlichen Zimmer seiner Schwiegermutter auf eine Couch gelegt und sei eingeschlafen. Das müsse völlige Übermüdung gewesen sein. Manchmal sei er auch sonst so übermüdet gewesen, daß er schweißgebadet gewesen sei. Kurz nach seiner Tat sei bereits die Reue gekommen. Erst Stunden danach sei er wieder richtig zum Denken gekommen. Es stürmten so viele Gedanken auf einen ein wie in einem schnellen Film. Während der Handlung sei das anders gewesen. Man tue da etwas ganz Unüberlegtes.
k) Traumleben; die Erzählung aus 5 verschiedenen Begriffen Traumleben: "Ich hatte und habe verschiedene Träume: Kürzlich träumte ich, daß mir ein Dampfheizungskörper in der Anstaltskirche auf den fuß fiel. Ich fluchte im Traum. (Über Tag hatten wir die Dampfheizungen tatsächlich herausgeschnitten.) Dann träumte ich, daß ich begnadigt worden sei. Es wurde mir ein Schriftstück gegeben, in dem eine lange Begründung zu meiner Begnadigung stand: u. a. wegen meiner Kinder, außerdem, weil ich keine Haftstrafe hatte, und weil ich fleißig sei. Mit 11 Jahren hatte ich Verfolgungsträume. Jemlmd verfolgte mich mit einer Mistgabel; ich kam nicht vom Fleck.
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Ein anderer Traum: Jemand schmiß mich vom Fenster von ganz hoch oben. Ich flog lange und hatte eine ganz weiche Landung. 1957/58 hatte ich im Zuchthaus folgenden Traum: Meine Frau kam zu mir ans Bett. Sie weckte mich auf. Ich fragte: Wo warst Du? Sie antwortete: Ich bin wieder da. Ich bin Dir nicht böse, schuld bin ich selber. Sie hatte ein helles Kostüm an. In meinen Träumen bin ich meistens auf dem Lande. Es kommen fast nur unbekannte Personen vor. Ich träume viel vom Arbeiten. Einmal arbeitete ich so stark, daß ich schweißgebadet aufstand. Schon öfter habe ich von der Hühnerfarm geträumt, die ich betreibe. Da sehe ich dann ganz genau die Stallungen und die Einzelheiten auf der Hühnerfarm. Ich bin da immer allein. Ich füttere, miste usw. Von den Eltern und Kindern habe ich nie geträumt. Außerdem träume ich vom Baden, daß ich stundenlang unter Wasser schwimme, ohne zu atmen; das Wasser ist durchsichtig. Ich sehe dann jede Wolke am Himmel. Diese Schwimmträume habe ich allerdings erst, seit ich hier in der Anstalt Schwimmen gelernt habe. Das Wetter in meinen Träumen ist meist trüb. Sonnenwetter war noch nie. Manchmal habe ich auch religiöse Träume: Ich richte alles für die Messe in der Anstaltskirche her und werde einfach nicht fertig, bringe nicht einmal alles her, was auf den Altar gehört. Den Pfarrer kann ich nie fertig anziehen, kann es einfach nicht. Der Pfarrer kommt gar nicht erst bis zum Altar. In der Kirche läuft in meinen Träumen nie etwas wirklich normal ab. Oft träume ich von meiner Frau, wie ich mit ihr Zärtlichkeiten austausche, um später den GV zu vollziehen. Dann kommt aber immer eine dritte Person, bevor es zum GV kommt und stört, steht einfach da, geht wieder; dann kommt womöglich eine andere Person. Ein anderer Traum: Ich ging mit meinem Vater ins Holz, ästelte mit dem Beil die Stämme ab und schlug mir ins Schienbein. Vor Schmerz wachte ich auf. Es war aber nichts los. Als Kind hatte ich einmal folgenden Albtraum: Eine Brandbombe fiel durch das ganze Haus bis in ein Waschwasser im Waschhaus im Keller unseres Hauses. Das Wasser verkochte und das Haus war voller Dampf. Dann wachte ich auf, da ich nach Luft zog. Ich hatte Atembeklemmung. (So etwas sah ich einmal in Wirklichkeit in meinem Heimatort)." Die Geschichte: 1. "Der Soldat steht auf der anderen Seite. Der Tiger springt über den Fluß. Der Soldat würde eiligst schauen, ins Haus zu gehen." (Hier fehlt der "Abend".)
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2. "Der Soldat steht abends auf Posten. Auf einmal hört er auf der anderen Seite des Flusses Gebrüll. Der Soldat sieht den Tiger drüberhalb des Flusses. Er versucht, ihn abzuschießen. Die Angriffslust des Tigers vermehrt sich. Der Tiger versucht den Widersacher - den Soldaten - anzugreifen. Bei dem Versuch, über den Fluß zu springen, springt er zu kurz. Fällt in den Fluß. Treibt ab." (Diesmal fehlt das "Haus".) 5. Beurteilung
a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten Während der Befragung zeigte sich, daß E den Sinn mancher Fragen nicht verstehen und sich in bestimmte Modellsituationen nicht hineindenken konnte. Dennoch war er stets freundlich, aufgeschlossen und der Gesprächssituation zugewandt. Nach zaghaften Anläufen wurde er, wenn er bekanntes Terrain erreichte, immer sicherer, manchmal sogar redselig. Seine Vorstellungswelt ist kindlich, sein Intelligenzgrad liegt unter dem Durchschnitt; Probleme existieren für ihn kaum. Die Religion spielt für ihn eine überragende Rolle; jedoch ist sein Glaube infantil und nicht näher durchdacht. Seine Minderbegabung und seine unkritische Einstellung ist bereits als leichte Psychopathie in der Form des Schwachsinns zu werten. Er wuchs als Kind ohne jegliche Krisensituationen auf. Er brauchte sich nie zu bewähren. Bis zu seinem 21. Lebensjahr wurde er nicht mit den Schwierigkeiten der Umwelt konfrontiert. Er lebte zu Hause wie auf einer Insel. hielt sich von Auseinandersetzungen fern, ging oft nachmittags schon schlafen, statt mit den anderen Kindern zu spielen, zu "leben". Zu seinen Eltern bestand ein absolutes Gehorsamsverhältnis, das aber auf selbstverständlicher Anerkennung ihrer Autorität beruhte. E ist ein Mensch, der niemandem etwas zuleide tun möchte; er ist auf eine unauffällige, gehorsame Lebensführung25 bedacht. Aus der Art der Beantwortung der Fragen und aus seinem Traumleben ergibt sich, daß E subjektiv noch eine "heile" Persönlichkeit ist. Jedoch zeigen sich in den immer wiederkehrenden Verletzungsträumen Anzeichen dafür, daß E im Unterbewußtsein weiß, wie wenig er mit den einfachsten Dingen zurechtkommt. Es werden gleichsam in den Träumen Konflikte nachgeholt. Andererseits sorgen idyllische Träume für eine Kompensation seines Anstaltsdaseins. 25
Ghysbrecht
des Gewissens.
S. 76 spricht bei solchen Menschen von einer Dressatstruktur
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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In frühester Kindheit hatte E die Ge- und Verbote seines Vaters und seiner Mutter nahezu automatisch anerkannt. Gegenreaktionen auf Grund von Strebungen aus dem "Es" und aus seinem nach Selbständigkeit trachtenden "Ich" scheinen kaum vorhanden gewesen zu sein. Damit war es zwischen "Ich" und "Es" sowie zwischen "Ich" und Umwelt nicht zu Auseinandersetzungen gekommen, die für E einen Verhaltensmaßstab hätten bieten können, der auch in Krisensituationen standgehalten hätteu . So wurde auch das "über-Ich" als eine Instanz verinnerlicht, die es nicht gewohnt war, in schwierigen Situationen Verbotsvorbehalte durchzusetzen. E hatte schon immer große Angst vor Strafe und zwar anläßlich der kleinsten Verfehlungen. Dies blieb auch später so. Damit ist also nicht so sehr seine Gewissensinstanz bzw. sein "ÜberIch" Wächter über sein Handeln, sondern die strafende Umwelt, d. h. eine Fortsetzung seiner Eltern in der Außenwelt, nicht in seinem "ÜberIch". Insofern könnte man überspitzt sagen, daß E in seiner Entwicklung teilweise noch auf der Stufe vor Ausbildung des "Über-Ichs" stehengeblieben ist. E hat also ein unterentwickeltes "über-Ich". Er tat deshalb die Dinge, die von der Umwelt nicht verurteilt wurden; auf Impulse aus seinem eigenen Gewissen achtete er kaum, zumal diese auch nur in geringem Umfang vorhanden waren. Unter diesem Gesichtspunkt ist u. a. auch das Töten der Hasen zu sehen. Außerdem hat E auf Grund seiner unkomplizierten Religiosität seine Verantwortlichkeit insofern suspendiert, als jede Fehlhandlung im Grunde schon vergeben ist: Notwendig ist nur ein schnelles, nahezu automatisches Bereuen. b) Die aTH
E's Aussagen, die für die besonderen Bedingungen einer aTH hinweisend sein können, sind nicht einheitlich. So würde er in vielen Beispielsituationen nicht aggressiv handeln oder sich doch zumindest z. B. von einer Unterwerfungsgeste des Gegners in einer Schlägerei beeindrucken lassen. Auch den Mörder seiner Mutter würde er nur bewußtlos schlagen oder ihm - das zeigt aber bereits sadistische Aggressivität - einen fuß abschlagen. Wie jemand Henker werden könne, sei ihm unverständlich. Andererseits meint E, die Menschen hätten sich früher wahllos getötet. Daraus muß man schließen, daß das Töten für E eben doch keine Unmöglichkeit darstellt. Aus der Antwort, normaler28 A. u. M. Mitscherlich S.190, 200; es ist dort die Rede von der "moralischen überangepaßtheit".
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2. Teil: Die einzelnen Täter
weise könne man kein zweites Mal töten, geht aber doch hervor, daß E bei seiner Tat eine Hemmung überwinden mußte. Dafür spricht auch, daß E sagte, es bestehe ein Unterschied zwischen Planung und Ausführung einer Mordtat. Diese Aussage kann man gerade deshalb als für eine aTH relevant ansehen, weil E keine religiös bedingte Hemmung verspürte, so daß eine eTH für diese Antwort nicht bestimmend ist. E beging seine Tat zwar in fast direkter Berührungskonfrontation mit seinem Opfer, so daß eigentlich der höchste Reizfaktor für eine aTH erfüllt war. Dieser Faktor wurde jedoch dadurch herabgesetzt, daß es Nacht war, so daß E seine Frau nicht genauer sehen konnte. Außerdem nahm er ein Kissen, ein Gegenstand, den man fast schon mit einer Waffe gleichsetzen kann, da auf diese Weise das Kissen zwischen E und seine Frau trat, so daß keine körperliche Berührung erforderlich wurde. Demutsgebärden und ähnliches konnte E's Frau bei dieser besonderen Begehungsweise auch nicht aussenden. Dazu kommt noch folgendes: Seit geraumer Zeit hatte sich in E ein z. T. unbewußter Widerwille dagegen festgesetzt, daß er wegen seiner Frau ein stark eingegrenztes Leben führen mußte. Er war darauf angewiesen, selbst zu Hause zu kochen, die Kinder teilweise zu versorgen und, neben seinem Beruf, auch noch in der Großmarkthalle Geld zu verdienen, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Außerdem mußte er oftmals seine Frau pflegen. Nie konnte er sie als vollwertige Mutter seiner Kinder ansehen. Weiterhin bedeuteten die epileptischen Anfälle seiner Frau, verbunden mit dem gellenden Schrei - wenn auch unbewußt - für E immer wieder eine Belastung. Von dieser Belastung wollte er nicht nur seine Frau, sondern auch sich selbst befreien, da er ja immer, wenn seine Frau einen Anfall hatte, bis zu einem gewissen Grad zur Identifizierung mit dem Leiden seiner Frau gezwungen war. Da diese Situation bereits Jahre dauerte, E jedoch jegliche Aggressionsmomente, die evtl. in ihm waren, unbewußt unterdrückte, hatte sich in ihm langsam ein ziemlich hohes Quantum an Aggressionsenergie gespeichert. Wenn er dies auch nicht zugibt, so wurde ihm doch durch die Begegnung mit der X bewußt, wie anders und angenehm man auch leben könne. Damit war die Reizschwelle für eine Auslösung der gestauten Aggression sehr niedrig geworden. Da E außerdem die Entschuldigung gefunden hatte, er müsse seine Frau und sich selbst von dem unerträglichen Leiden befreien, konnten entsprechende AAM's nicht mehr auf eine eindeutige Situation reagieren, so daß sie bei Begehung der Tat sicher nur ganz unbestimmt in Aktion traten bzw. keine wirksame Hemmung auslösten. E's Aggression konnte sich auf diese Weise also ziemlich ungehemmt freisetzen. Da E zusätzlich noch unter Alkohol-
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einfluß stand; war seine Aggression ohnehin schon unter geringerer Hemmung gehalten, wie das allgemein bei Alkoholbeeinflussung der Fall ist. c) Die eTH
E's "Über-Ich" ist nicht hinreichend ausgeprägt, d. h. er richtet sich immer noch eher nach den Forderungen seiner jeweiligen Umwelt als daß er von verinnerlichten Maßstäben geleitet würde. Man kann dies auch etwas anders sehen, indem man sagt, E habe sich immer schon den Forderungen der Außenwelt und dann denen seines "Über-Ich" angepaßt, ohne es zu einer Auseinandersetzung mit seinem "Ich" kommen zu lassen. Damit wäre er als überangepaßt zu bezeichnen, so daß er in schwierigen Situationen gar nicht eine aus dem Persönlichkeitskern kommende Entscheidung treffen kann. Seine Situation kurz vor seiner Tat erschien ihm plötzlich bewußt unerträglich. Sein "Ich" entschied sich für eine Beendigung dieser Situation, mischte Mitleid und Selbsterhaltungsnotwendigkeit und konnte so etwaige Impulse des "ÜberIch" beruhigen. Eine Weile hatte sich E schon mit dem Gedanken beschäftigt, seine Frau zu "erlösen", bei einem der Anfälle seiner Frau "nachzuhelfen". Als dann in der Tatnacht wiederum einer der Anfälle seiner Frau auftrat, verschaffte E sich durch seine Tat gewissermaßen Ruhe und die Voraussetzung für ein eigenes befreites Leben. Hemmungen über einen Identifizierungsmechanismus scheint E kaum verspürt zu haben. Dies dürfte durch die Dunkelheit, die "weiche" Begehungsweise mit dem Kissen und die Erlösungsentschuldigung bedingt gewesen sein. Dazu kommt, daß E sich eher in narzistischer Weise identifizierte und nicht so sehr in echter, auf das Mitleidsobjekt gerichteter Mitempfindung. Dies läßt sich aus mehreren seiner Antworten schließen. An sich löst Krankheit beim Mitmenschen hauptsächlich Mitleidsgefühle aus. Wenn Krankheit jedoch andauert, bilden sich - uneingestandenermaßen - bei demjenigen, der den Krankheitszustand als verwandte Pflegeperson täglich miterlebt, eventuell Gefühle von Allergie und Mißmut; es kann sogar dazu kommen, daß man dem Kranken sein Kranksein vorwirft. Man will sich nicht dauernd mit der Krankheit des anderen identifizieren müssen. Allergiegefühle und Mißmut und das Empfinden des eigenen Eingeschränktseins pervertieren dann womöglich das anfängliche Mitleid in eine Aversion gegen die Krankheit und den kranken Menschen. Nunmehr besetzt mit Aversionsgefühlen, kann die Krankheit nicht mehr Reizauslöser in erster Linie für Mitleid sein; insofern kann sie auch nicht mehr irgendwelche Tötungshemmungen, die an sich mehr oder weniger stark vorhanden sind, aktualisieren.
2. Teil: Die einzelnen Täter
160
d) Zusammenfassung
E's aTH fällt in erster Linie unter die These 3 d - s. o. S. 44 -. Seine eTH ist der These 2 b, kombiniert mit Elementen der These 2 c s. o. S. 57 - zuzuordnen.
VI. Der Täter F geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
1933
Hilfsarbeiter, früher Friseur ledig, jedoch faktisch verheiratet eigene Wohnung 20. 7. 1955, ca. 11 Uhr 21 Jahre Sohn, 1a/, Jahre alt mit Kleiderbügel geschlagen; auf den Boden geworfen
Vorbemerkung
F's aTH ist nur schwach ausgebildet. An sich stellt F einen Ausnahmefall dar, da er eventuell nur mit bedingtem Vorsatz getötet hat. Dies spielt aber insofern keine besondere Rolle, als sein Handeln an die Grenze des vorsätzlichen Tötens heranreicht. Ein solcher Grenzfall soll aber zur Vervollständigung des Bildes auch untersucht werden. Für die Untersuchung einer eTH ist dieser Fall deshalb aufschlußreich, weil gesagt wurde, daß die eTH sich u. a. aus tlen Komponenten Mitleid (Identifizierung mit dem Opfer) und Verletzungsscheu zusammensetzt. Diese Komponenten aber scheinen bei F fast vollkommen zu fehlen. Außerdem ist seine Tat ein deutlicher Fall angestauter Aggression. Als Typ gehört F zu den von Bjerre - s. o. S. 51 ff. - so bezeichneten "Lebensuntüchtigen". 1.
Lebenslauf und Vorgeschichte (aus den Strafakten)
F ist Kind von Schreinermeisterseheleuten. Er hat noch eine Schwester. Der Vater ist im Krieg vermißt; 1954 wurde er für tot erklärt. F kam mit einem halben Jahr zu Pflegeeltern, da die Mutter einen schweren Unfall erlitten hatte. Dort blieb er 2 Jahre. Zu den Pflegeeltern hatte er ein gutes Verhältnis. Sie sollen liebevoll für ihn gesorgt haben. Als die Mutter wieder gesund war, kam F zu seinen Eltern zurück. Sein Vater war sehr streng und verprügelte F oft. Es war F lieber, wenn der Vater nicht zu Hause war. Als der Vater nicht aus dem Krieg zurückkam, übernahm die Mutter auch die Vaterstelle. Sie erschien dem F zu hart, zu wenig mütterlich. Ein besonders gutes Verhältnis hatte F zu seiner Schwester.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
161
Zu Beginn der Schulzeit hatte F Schwierigkeiten mit seiner Lehrerin und schwänzte die Schule kurze Zeit. Eine Tante schlug vor, man solle ihn in ein Heim bringen. Das wollte der Vater, der damals noch lebte, jedoch nicht. F's Leistungen in der Schule waren schlecht. Besonders der deutsche Aufsatz fiel ihm schwer. Die Mutter arbeitete nach dem Krieg bei der Straßenbahn. Seit 1948 lebte ein Freund der Mutter als Quasivater im Hause. Nach der Volksschule ging F zur Berufsschule und erlernte das Friseurhandwerk. 1951 lernte er durch Freunde seine spätere Frau kennen, mit der er jedoch nie legal die Ehe schloß. Sie war Tochter von Zigeunern. Aus diesem Grunde widersetzte sich F's Mutter nachdrücklich dieser Freundschaft. Nachdem F drei Monate mit seiner späteren Frau, der M, verbracht hatte, vollzog er den GV mit ihr. Dann wurde die Freundschaft mit der M für ein Jahr abgebrochen, da F's Mutter ein weiteres Zusammentreffen verbot. Schließlich zog F wegen der Differenzen mit seiner Mutter von zu Hause fort in ein Gartenhäuschen eines Freundes. 1952 erhielt F 2 Strafen von 4 und 2 Monaten Gefängnis, weil er einmal mit einem Freund einen Autodiebstahl begangen und ein anderes Mal allein einen Metalldiebstahl verübt hatte. Nunmehr stellten sich auch die Eltern der M, mit der F wiederum befreundet war, endgültig gegen eine Ehe ihrer Tochter mit F, obwohl die M am 15. 11. 1952 einen Sohn G von F geboren hatte. Nach seiner Gefängnisstrafe fand F Arbeit bei einem Friseur. Dort arbeitete er bis Ende 1954. Am 23. 11. 1953 wurde der Sohn R geboren, den F später tötete. Zunächst wohnte F mit der M bei seinen Schwiegereltern. Nach einem Streit mit ihnen zogen Fund M in einen Wohnwagen. Der Sohn R mußte kurz nach seiner Geburt wegen einer Erkrankung für 6 Monate in ein Heim, da die M nicht zu ausreichender Pflege imstande war. Nach einem kurzen Aufenthalt zu Hause wurde R nochmals für einige Zeit in das Kinderheim gebracht. Zwischen den Eheleuten Fund M kam es oftmals zu Streitereien, da die M den Haushalt überhaupt nicht versorgte und alles verschmutzen ließ. Schließlich zogen Fund M wieder zu ihren jeweiligen Eltern. G wurde von M mitgenommen, R gab man zu einer Familie in Pflege. Nach einiger Zeit versöhnten sich beide wieder und zogen in das Gartenhäuschen eines Onkels, bestehend aus einem Zimmer und einer Küche. Ende März 1955 holte die M den Sohn G, Ende Mai 1955 den Sohn R wieder zu sich. Das tat sie unter anderem auch deshalb, um Geld zu sparen, da für die Pflege ein relativ hoher Betrag bezahlt werden mußte. F arbeitete seit Anfang 1955 in einem Industriewerk, da er dort mehr Geld verdiente als beim Friseur. 11 Lullies
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Zwischen Fund M kam es wiederum häufig zu Streitereien, die aber wegen F's sexueller Abhängigkeit von der M immer wieder ausgeglichen wurden. Die M verbrachte ihre Hauptzeit mit Lesen von Kriminalromanen und Unterhaltungen mit irgendwelchen Besuchern. Oft stand sie erst um 10 Uhr morgens auf und kümmerte sich kaum um die Kinder. Fast immer ließ sie den R stundenlang in seinen schmutzigen Windeln liegen. Die gebrauchte Wäsche wusch sie selten, und abends ging sie am liebsten ins Kino. Das knapp bemessene Haushaltsgeld verbrauchte sie zu einem großen Teil für Kosmetika. Mitte Juni wurde R schon einmal schwer von F mißhandelt, weil er seine Windeln beschmutzt hatte. Kurz vorher hatte F dem R beigebracht, Bescheid zu sagen, wenn er Verdauung habe. Da aber die M sich gar nicht darum kümmerte, wenn R ihr dies zu verstehen geben wollte, hatte er es wieder verlernt. Am 6. 7. schlug F den R in einem entsprechenden Fall mit einem Schürhaken mehrmals über den Rücken, 4 Tage später nochmals in verstärktem Maße. 2. Die Tat (aus den Strafakten) Am 20. 7. 1955 stand die Familie um 9.30 Uhr auf, da F krank gemeldet war. Gegen 10 Uhr verließ die M das Haus, um mit Messern hausieren zu gehen. Die Versorgung der Kinder hatte sie F überlassen. Als F die Kinder versorgt hatte, setzte er G auf sein Fahrrad und fuhr weg, um etwa nach einer Stunde wiederzukommen. Inzwischen hatte R, den F in seinem Kinderbettchen liegen gelassen hatte, seine große Notdurft verrichtet. Dabei hatte er sich und auch das Bett beschmiert. Als F wiederkam und das sah, erfaßte er einen Kleiderbügel mit Hosensteg, nahm R aus dem Bett und schlug mit großer Kraft auf ihn ein, so daß der Bügel schon beim 2. Schlag splitterte. R erlitt dadurch schwerste Verletzungen an Rücken und Kopf. Dann schleuderte F das Kind mit großer Gewalt von sich, so daß es mit dem Nacken auf die Seitenwand des Kinderbettchens aufschlug und dann zu Boden fiel. Dabei zog es sich einen Nackenkapselsprung zu. Die Hirnquetschungen, die durch die Schläge verursacht worden waren, und der Nackenkapselsprung waren tödlich. Der Tod trat aber erst ca. 11 Stunden später ein. Nach der Mißhandlung brachte F das Kind in die Küche und reinigte es. Bei diesen Verrichtungen bewegte R noch matt seine Augen und fiel dann in eine todähnliche Ohnmacht, wobei er Kopf und Glieder hängen ließ. F untersuchte Puls- und Herzschlag, konnte aber kein Leben mehr bei R feststellen. Nun suchte F die M auf den umliegenden Straßen, fand diese aber nicht und versteckte den R unter dem Sofa. Als die M
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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gegen 15.30 Uhr nach Hause kam, täuschte F einen Unfall vor. Die M verlangte die Zuziehung eines Arztes. Dann verzichtete sie jedoch darauf, als F ihr den wahren Sachverhalt erzählt hatte. Sie wollte F nicht gefährden. Um 18 Uhr gaben die beiden eine Vermißtenanzeige bei der Polizei auf. Um 22 Uhr warf F schließlich den R mit Einverständnis der M in die Abortgrube neben dem Haus. Das gerichtsmedizinische Gutachten stellte fest, daß R vorher in einer tiefen Bewußtlosigkeit gelegen habe und erst in der Grube ertrunken sei. Jedoch wäre er auch an den Verletzungen einige Stunden später gestorben. 3. Gutad1ten
Einzelheiten aus dem medizinischen Gutachten können nicht mitgeteilt werden, da sich kein Gutachten in den Strafakten befand. 4. Die Befragung des F in S
F betonte, er habe den R nicht absichtlich töten, sondern ihn nur in seiner unbändigen Wut ins Kinderbettchen zurückwerfen wollen. Diese Darstellung ist kaum wahrscheinlich, da man das Innere eines Kinderbettes, wenn man ein Kind schon hineinwirft, nicht verfehlt. a) Kindheit und Jugend
Mit einem halben Jahr sei er zu Pflegeeltern gekommen, da seine Mutter einen Unfall gehabt und nicht für ihn hätte sorgen können. Die Pflegeeltern hätten ein Milchgeschäft gehabt. Mit 2 Jahren sei er wieder nach Hause gekommen. Seine Schwester sei 1 Jahr älter als er gewesen. Er sei von seinem Vater sehr streng erzogen und oft hart geschlagen worden. Er habe deshalb Angst vor ihm gehabt. Als Kind habe er sich körperlich schwach gefühlt. Als sein Vater nicht mehr aus dem Krieg zurückgekommen sei, habe seine Mutter die Erziehung an Stelle des Vaters mitübernommen. Er sei damals ca. 10 Jahre alt gewesen. Seine Mutter sei ziemlich hart gewesen. Mit der Schwester habe sie sich besser verstanden. Sein Vater sei trotz seiner Strenge wohl gerecht gewesen. Er erinnere sich noch, daß sein Vater sonntags mit der Familie oft Spaziergänge gemacht habe. Aber er sei jähzornig gewesen, während seine Mutter eher nachtragend sei. In der Schule sei er mit dem Fräulein anfangs nicht so gut ausgekommen. In der 2. Klasse habe er einmal 14 Tage die Schule geschwänzt. 11·
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2. Teil: Die einzelnen Täter b) Wichtige Erlebnisse
An wichtige Erlebnisse könne er sich nicht erinnern. c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen
In seinem Leben sei alles mehr zufällig verlaufen. Er habe sich als Spätentwickler gefühlt und sich mehr so treiben lassen. Zwar habe er die Ge- und Verbote als Kind befolgt, jedoch eher trotzig. Er habe sich mehr oder weniger mit der Erziehung abgefunden. An sich sei er eher friedliebend. Jähzornig sei er nur momentan; nachtragend sei er nicht. Erst nehme er eine Menge Kleinigkeiten hin, die ihn ärgerten, dann explodiere er plötzlich. Sein Jähzorn sei manchmal nur gegen ihn selbst gerichtet, weil er sich ungeschickt vorkomme. Es ärgere ihn auch, wenn andere ungeschickt seien, z. B. wenn er voraussetze, daß jemand etwas sofort kapieren müsse. Ihm habe als Kind selbst vieles Schwierigkeiten gemacht: so z. B. das Rechnen und Lesen in der 1. Klasse. Seine Mutter habe dann oft auch wenig Geduld gehabt und habe ihn angeschrieen. Auch jetzt noch wolle er manchmal die ganze Zelle einschlagen. Erst später falle ihm dann ein, daß das ja gar nichts ändere. So habe er auch einmal einen Besen mit aller Wucht nach der M geworfen, ohne daran zu denken, daß dabei etwas hätte passieren können. Als die M den R nicht trockengelegt habe, habe er sie spontan für 2 Monate verlassen. Früher sei er selbst leicht beeindruckbar gewesen, ohne vorher zu überlegen. Als Kind habe er sehr große Angst vor Strafe gehabt. Er habe deshalb zu lügen versucht, wenn es gefährlich geworden wäre. Er habe keine Schwierigkeiten gehabt, sich anzupassen. Ein Einzelgänger sei er nicht gewesen. Tiere habe er nie getötet, nur Vögel mit der Steinschleuder. Das sei mehr der Reiz des Treffens gewesen. Als er aber einmal als Kind eine Henne während des Schlachtens habe halten sollen, sei er davon gelaufen, weil er gedacht habe, der Henne sei eine Träne aus dem Auge gelaufen. Den eigenen Hund habe er höchstens geschlagen, wenn er ihn "narrisch" gemacht habe, wenn er nicht pariert habe; aber nicht sehr. Den Mörder seiner Mutter z. B. hätte er früher ohne Rücksicht auf Verluste geprügelt. Eine persönliche Rache hätte er wohl schon genommen. Ebenso wäre er früher mit einem frisch ertappten Sexualmörder verfahren. Wenn in einer Schlägerei der andere nicht mehr zugeschlagen habe, dann sei es für ihn auch zu Ende gewesen. Im Handgemenge bei star-
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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kem Widerstand gebe er schon alle Kraft her. Das könne man schon brutal nennen. Selbst heute würde er in einer Schlägerei zurückhauen, um vor den anderen und sich selbst kein Renommee zu verlieren. Er selbst betrachte sich nicht als brutal. Er könne heute noch niemanden absichtlich verletzen. Wenn ihm jemand sein Schicksal erzähle, dann ergreife ihn das und er schaue, wie er dem Betreffenden helfen könne. Das sei ihm zu Hause so anerzogen worden. d) VeThältnis zur Umw,elt
Er habe immer ganz guten Kontakt zu den anderen gehabt. Unsympatische Leute habe er gerne abblitzen lassen, und zwar mit Vergnügen. Der Anlaß dafür sei oft gering gewesen. Leute, die die Fahne nach dem Wind hingen, könne er nicht leiden. Verhaßt sei ihm bei anderen Menschen Kindischkeit. e) Verhältnis zu FTauen und ZUT Sexualität Sein Interesse an Mädchen sei erst mit 17 Jahren erwacht. Dann habe sich eine ganz normale Einstellung entwickelt. Eigentlich habe er es als Kind verurteilt, Frauen zu schlagen; aber bei den Zigeunern habe er es so gesehen, und so habe er seine Frau auch geschlagen. f) Einstellung zum Leben, Ansichten
Er achte das Leben der anderen. Er selbst hänge nicht sehr am Leben. Nach dem Tod sei alles aus. Er sei für die Todesstrafe im Falle eines überlegten Mordes. Das sei im übrigen humaner als lebenslänglich Zuchthaus. Andererseits: Wer habe das Recht, einen anderen umzubringen. Er könne sich kaum vorstellen, daß er Henker würde. Für den Scharfrichter bedeute die Exekution keine Überwindung; der werde sich sagen, das gehöre sich so. Bei den Primitiven geschehe das Töten aus einer Ekstase heraus. Das Töten sei hier etwas ganz anderes. Die Religion schreibe das vor. Diese Völker seien sehr primitiv. Sie glaubten vielleicht, die Kraft des Verspeisten zu bekommen. Wenn er jemanden legal im Krieg töten müßte, würde er sich nicht drücken. Der Mensch wäre für ihn eher ein Gegenstand. An sich bedürfe es für einen Mord einer Zwangssituation. Aber auch das sei keine Erklärung. Es gebe keinen Grund zu töten.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Die meisten Menschen hätten Angst vor Strafe. Vielleicht könnten sie auch niemandem etwas antun. Nicht verstehen könne er die Leute, die mehrere Menschen umbrächten, da ihnen doch die erste Begegnung mit dem Tod einen Schock versetzt haben müßte. Angeboren sei das Nichttöten nicht. Früher hätten sich die Menschen auch getötet. Dann sei erst das Gesetz gekommen. Vielleicht sei es dem Menschen da erst bewußt geworden, daß der Mensch ein Wesen ist, das auch leben möchte. Die Achtung vor dem Leben sei gestiegen. Sie steige vielleicht immer noch. Man brauche da nur den Aufwand zur Rettung eines Menschenlebens anzuschauen. Den Aufwand halte er auch für richtig; alles andere sei ja nur materiell. Verbote, die er nicht anerkenne, halte er nicht ein. Tiefgreifende Verbote würde er achten. Über tiefgreifende Gebote und Gesetze könne er sich nicht hinwegsetzen. Das Gewissen sei teilweise vererbt, teilweise anerzogen. Außerdem suche man sich automatisch ein Vorbild, z. B. die Eltern. Moral dürfte heute ein leerer Begriff sein. Es gehe den Leuten zu wenig nahe. Die Lebensangst, bzw. Todesangst des Opfers müsse den Mörder, wenn er noch klar .denken könne, beeinflussen. Wenn er jedoch in Wut sei, sei er wohl eher unbeeinflußbar. Jemanden erdrosseln sei vielleicht schwerer als jemanden erschießen. Das Zappeln und Schreien des Opfers könnte einen abhalten. Bei besonders schweren Verbrechen schienen die Täter überhaupt kein Gefühl zu haben. Die Sterbehilfe durch einen Arzt sei keine Tötung. Der Arzt wolle ja nur helfen. Wenn ein Arzt das zum ersten Mal mache, müsse er sich sein Handeln schon abringen. Seine religiöse katholische Erziehung sei ziemlich offen gewesen. Seit seiner Lehrzeit finde er, der Glaube sei etwas für alte Leute. Heute sei er Mitläufer. Die religiösen Gebote seien für ihn nicht verbindlich. g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod
Früher habe er nur oberflächlich davon Kenntnis genommen, wenn er von einem grausamen Verbrechen gehört hätte. Vor Leichen habe er sich als Kind gegruselt; dennoch sei er gerne ins Leichenhaus gegangen. Der Anblick eines Toten sei für ihn auch heute noch etwas Unheimliches.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Wenn man ihm eröffne, daß er getötet werde, würde er fragen, wie man ihn töten würde. Dann würde er denken, im nächsten Moment sei alles aus. Wenn möglich, würde er jedoch mit jedem Mittel sein Leben zu retten versuchen. Mit 18 Jahren habe er zu Hause versucht, durch Einatmen von Gas Selbstmord zu begehen. Diesen Versuch habe er unternommen, da seine Mutter ihm den Kontakt mit der M verboten hätte. Unmittelbar vor dem Versuch sei deshalb ein Streit mit seiner Mutter vorausgegangen. Seine Mutter habe Bemerkungen über die M geäußert, die nicht zugetroffen hätten. Seine Mutter sei jedoch früher als erwartet wieder nach Hause gekommen und habe das Gas abgedreht. Der Selbstmordentschluß sei für ihn gar nicht so ungeheuer gewesen. Er habe gedacht, er könne so seine Ruhe finden. Sich vergiften solle ja ein schöner Tod sein. Er habe sich damals in der Küche hingelegt und darüber nachgedacht, wie gemein seine Mutter sei, wie sie ihn immer bevormunde. Ans Sterben selbst habe er damals nicht so sehr gedacht. Seine Mutter hätte sich um seinen Tod Vorwürfe machen sollen. Wenn ihn etwas in Anspruch genommen habe, habe er nicht mehr an das Drum und Dran gedacht. Einen zweiten Selbstmordversuch habe er nach seiner Tat im Polizeipräsidium unternommen. Er habe sich in seiner Zelle an einem Gürtel aufgehängt, nachdem ihm am 2. Tag der Vernehmung alles so richtig klar geworden sei. Der Gürtel sei jedoch gerissen. Auf die Vorhaltungen der Polizei hin sei er sich rückständig vorgekommen.
h) Die Tat Es ergaben sich keine neuen Gesichtspunkte in der Befragung zum Tathergang selbst, da F etwa das Gleiche erzählte, was er schon vor Gericht ausgesagt hatte - s. o. S. 162 f. -. i) Stellungnahme des Täters zur Tat
Als seine Kinder noch sehr klein gewesen seien, habe er kein rechtes Verhältnis zu ihnen gehabt. Das sei erst gekommen, als er sie richtig habe anfassen können. An sich habe er seine Kinder möglichst gut erziehen wollen und nicht die Fehler seiner Eltern machen wollen. Vor allem habe er es vermeiden wollen, zu streng mit ihnen zu sein. Den älteren Jungen (G) habe er selten geschlagen. Er habe den R (das spätere Opfer) auch öfter geschaukelt und sei eher netter zu ihm als zu G gewesen.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Jedoch habe er mit seiner "Frau" zu viel Nerven verbraucht. Es habe dauernd Streit gegeben. Die Frau sei so entsetzlich schlampig gewesen. Gegen Schmutz aber sei er direkt allergisch. Bei ihm zu Hause sei alles sehr sauber und ordentlich gewesen. Er selbst sei ordnungsliebend. Manchmal habe er seine Frau verlassen wollen, es dann aber doch nicht getan. Seine Launischkeit erkläre er sich durch ewige Rückschläge und Unzufriedenheit. Es hänge alles von einem Glück ab, das man einfach nicht finde. Wegen seiner Tat habe er ein Schuldgefühl. Das verlange sein Gewissen; er könne dann wieder besser vor sich bestehen. Er würde nie jemanden wissentlich umbringen. Er könne es sich nicht vorstellen, daß er seine Frau umgebracht hätte; lieber wäre er wieder weggegangen. Eine bewußte Tötung komme für ihn schon deshalb nicht in Frage, weil das ja etwas Endgültiges sei; er wolle dem betreffenden Menschen aber nur für die Zukunft etwas zeigen, z. B. daß er anderer Meinung sei.
;) Verhalten nach der Tat Auch hier ergab sich kaum etwas Neues. Es kann deshalb auf S. 162 f. verwiesen werden.
k) Traumleben; die Erzählung aus 5 vorgegebenen Begriffen Traumleben: Er träume viel. Es handle sich meistens um Alltagsträume. Albträume habe er nicht. Er träume öfter Geschichten, die sich von einem zum anderen Tag fortsetzten. Die Personen verwandelten sich im Traum, manchmal auch in Tiere. So sei ein Mädchen plötzlich zu seiner Schwester und eine Frau plötzlich zu einem Mann geworden. Ein Mensch, den er gern habe, sei zu einem Tier geworden, das er auch gern habe. Die Schauplätze seien verschieden. Hier im Zuchthaus träume er, daß er draußen sei. Erregte Szenen spielten sich nur manchmal ab. Manchmal träume er von zu Hause mit seinem Mädchen; es sei idyllisch, wie er es sich immer gewünscht habe. Er habe einen Vogel in der Zelle. Der schreie manchmal so unangenehm laut, daß er ganz wahnsinnig werde, ihm nachlaufe, ihn fange und in den Käfig werfe. Im Traum nun sei dieser Vogel auch einmal
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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vorgekommen und habe sich in eine Maus verwandelt, mit der er nett habe spielen können. Die Geschichte: 1. "Es stand ein Haus in der Ferne, das von einem Soldaten bewohnt wurde. Jeden Abend ging der Soldat an den Fluß, um nachzusehen, ob das Schiff noch nicht bald kommt. Unterwegs begegnete er einmal einem Tiger und konnte sich nur durch einen Sprung in den Fluß vor ihm retten." 2. "Ein Soldat fuhr aufTigerjagd. Er bewohnte ein kleines Haus in der Ferne. Untertags legte er sich auf die Lauer, um den Tiger zu erlegen. Das war für ihn teils aufregend und mitunter aber auch langweilig. Zum Ausgleich für diese Strapazen ging er abends an den Fluß zum Fischen."
5. Beurteilung
a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten F saß zum Zeitpunkt der Befragung bereits 11 Jahre in S ein. In dieser Zeit hat er sich in mancher Hinsicht verändert, er ist ruhiger geworden, er hat Zeit gehabt, über sich nachzudenken. Dennoch ergibt sich aus vielen Details seiner Erzählungen über seine Jugend und aus den Antworten auf manche Fragen, daß er unbeherrscht und aggressiv ist. Ein Hauptgrund hierfür liegt offensichtlich in der zu strengen Erziehung durch seinen Vater. Dazu kommt noch eine aggressive Veranlagung vom Vater her. Der Vater spielte für F keine akzeptable Rolle der Sollenswelt. Er strafte zu hart und unverhältnismäßig, so daß F immer in Angst leben mußte und seine natürliche Aggression nicht auszuleben wagte. Zudem konnte er so keinen klaren Maßstab für "gut" und "böse" finden, so daß später auch sein "Über-Ich" keinen verbindlichen und akzeptierbaren Maßstab für seine Ausbildung vorfand. Seine Mutter war nicht liebevoll zu ihm gewesen; sie hatte sich mehr allgemein um den Lebensunterhalt kümmern müssen und hatte so kein echtes Vertrauen in F aufbauen helfen. Dazu kommt noch die Diskontinuität während seiner ersten Lebensjahre; die Pflegeeltern hatten ihm eine Geborgenheit gegeben, die dann nach der Rückkehr zu den Eltern hart unterbrochen wurde. Das heißt: In einer Periode, in der F zu seiner Umwelt gerade einen selbständigen Kontakt hätte entwickeln müssen, um so Ich-Identität und Selbstgefühl zu erlangen, wurde er durch das Verhalten seines Vaters und seiner Mutter immer wieder zurückgestoßen. Das mußte aber eine Frustrierung des F bewirken, und zwar in erster Linie bezogen auf seine Gefühlswelt und seine spontanen Antriebe.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Wichtig erscheint für F's Tat zu sein, daß er so besonderen Anstoß daran nahm, daß sein Sohn seine Windeln mit seinen Exkrementen beschmutzte. Die folgende Erklärung wäre dazu möglich: Bei F selbst könnten in der "muskuläranalen Phase"27 Schwierigkeiten aufgetaucht sein. Das Kind muß in dieser Phase lernen, die Analzone muskulär zu beherrschen, einen Rhythmus zu finden zwischen Festhalten und Loslassen. Dies ist, wenn es glückt, ein erstes Beherrschen einer Funktion, wenn es nicht glückt, ein Versagen. Hieraus entwickeln sich einerseits Autonomie, andererseits Schamgefühl und Zweifel - s. o. S~ 85, Anm. 15 -; außerdem entsteht so die Wechselbeziehung Urvertrauen-Urmißtrauen28. Dabei werden Schamgefühl und Zweifel außerdem noch von der Mutter evoziert, indem sie die Fäkalien dem Kind gegenüber mit Ekel besetzt, sie als etwas Negatives kennzeichnet. Darüber hinaus werden von Seiten der Sorgeperson an ein rhythmusgerechtes Ausscheiden der Exkremente Anerkennung und Belohnung geknüpft, an ein nicht rhythmusgerechtes Ausscheiden jedoch Kritik der nicht geglückten Leistung, Ekeläußerungen und womöglich Strafe bzw. Züchtigungen. Wenn es in dieser Phase zu Störungen kommt, dann entsteht auch ein falsches Verhältnis von Autonomie einerseits und Scham und Zweifel andererseits. Eine solche Störung aber hat höchstwahrscheinlich bei F vorgelegen, da er - unbewußt - so empfindlich auf das Versagen seines Kindes in dieser Phase reagierte. Bei F hat sich diese Störung weiter fortgesetzt, indem bei ihm deutlich zu beobachten und aus seinen Aussagen abzulesen ist, daß es ihm am nötigen Selbstbewußtsein, am Autonomiebewußtsein fehlte. An dieser Stelle fühlte er sich immer schwach, so daß er meint, er habe nie das richtige Glück gefunden, er sei ein Spätentwickler gewesen und habe ewig Rückschläge erlebt. Bezogen auf die Aggression bedeutet das aber, daß F ständig Aggression, die anlagemäßig ohnehin stark war, anstauen mußte, weil er sie nach außen gar nicht in produktive Kanäle leiten konnte. Zu a11 dem kommt noch eine Steigerung dieses Mangels durch das zu strenge Verhalten seiner Eltern und durch die egoistische, schlampige Lebensführung der M, gegen die er nichts Wirksames unternehmen konnte. In der Berufsschule schlug F einmal im Zorn den Stärksten der Klasse; seitdem, so sagt er, sei er aus seiner Defensive herausgekommen. Jedoch scheint F seit diesem Zeitpunkt nur auf das Zuschlagen zu vertrauen, da ihm andere Methoden nicht zu Gebote stehen. F's Erikson S. 75 ff. Vgl. auch Wurmser S. 237 ff., der meint, in der frühen Kindheitsphase komme es evtl. bereits zu Verletzungen in der Urgeborgenheit, im Urvertrauen. Dies gilt nicht nur für die von Wurmser untersuchten Raubmörder. 27
28
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Handlungen fehlt es also meist an Zweckhaftigkeit; so schlug er im Fall seines Sohnes den Falschen, denn nicht sein Sohn, sondern seine Frau war schuld daran, daß dieser nicht sauber wurde. Dieses unerfüllte, unbewältigte Leben des F zeigt sich übrigens auch sehr deutlich in seiner ersten Geschichte, in der der Soldat jeden Abend zum Fluß geht und nachschaut, ob das Schiff noch nicht bald komme. Nun verstand sich F auch. mit seiner Mutter schlecht; er fand bei ihr nicht die Möglichkeit, Liebe entgegenzubringen und Gegenliebe zu erbalten. Aus diesem Grunde ist es verständlich, wenn er gerade gegen ihren Willen die M liebte und bei ihr blieb. Deshalb konnte er die M auch nicht verlassen, als er bereits deutlich spürte, daß die Reibungspunkte mit ihr für ihn nicht zu bewältigen waren. Er hatte nun einmal bei der M Liebe gefunden, auch wenn sie von ihr aus gesehen nicht viel bedeutete, so daß er - ganz abgesehen von der rein sexuellen Bindung - diesen Bezug zu ihr nicht mehr aufgeben konnte. b) Die aTH
F's aTH unmittelbar oder auch mittelbar aus der Tat zu beurteilen, ist nur bedingt möglich, da er seinen 1 3/4 Jahre alten Sohn womöglich nicht mit direktem Vorsatz töten wollte. Zumindest muß man den Sachverhalt offen lassen, so daß nicht genau feststeht, ob die Vorbedingung "auf tödlichen Ausgang gerichtete Aggression", anzunehmen ist, auf Grund derer dann der Funktionskreis "Aggression - Signal des Opfers - Hemmungsauslösung durch AAM's" sich hätte in Lauf setzen können. Die Schläge, die F gegen sein Kind führte, waren jedoch als solche schon so gravierend, daß sie allein bereits den Tod herbeigeführt hätten. Damit kann man im Rahmen der aTH von einer Aggressionshandlung sprechen, die einer vorsätzlichen Tötung nahezu gleichkommt. Es bestand zwischen F und seinem Sohn ein direkter körperlicher Berührungskontakt. Verschiedene Signale, wie die Wehrlosigkeit, das Schreien und die Verletzungen seines Kindes wären von normal ausgebildeten AAM's verstanden worden, sodaß bei F entsprechende Abweichungen von der Norm bestehen müssen, da er keine Hemmung verspürte. Seine Antworten sprechen für ein weitgehendes Fehlen einer aTH; es seien nur einige Beispiele herausgegriffen: Da F bewußt zumindest bis nahe an die tödliche Grenze aggressiv handelte, kann in seinen Antworten über potentielles zukünftiges Handeln insoweit doch auch Erfahrung über bei ihm vorhandene Aggressionshemmungen mit enthalten sein. Den Mörder seiner Mutter hätte er wohl früher ohne Rücksicht auf Verluste verprügelt. Er ist für die Todesstrafe. Er könne sich nur "kaum" vorstellen, daß er Henker würde. Im Grunde kann er es sich
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2. Teil: Die einzelnen Täter
also doch vorstellen. Für den Scharfrichter bedeute die Exekution keine Überwindung. Wenn er jemanden im Krieg "legal" töten müßte, so würde er sich nicht drücken. Früher, als es noch keine Gesetze gegeben habe, hätten sich die Menschen auch getötet. Für das Vorhandensein einer aTH sprechen bis zu einem gewissen Grad einige andere Antworten, wie z. B. die, daß er in einer Schlägerei aufgehört habe, wenn sich der Gegner geschlagen gegeben habe. Oder: Die Lebens- bzw. Todesangst des Opfers müsse den Mörder, wenn er noch klar denken könne, beeinflussen. Bezeichnend ist dann aber seine Meinung, daß dies nicht mehr der Fall sei, wenn der Mörder in Wut gekommen sei und dann töte. So scheint es auch bei F selbst gewesen zu sein: Da er aus starker Aggressivität heraus handelte, hat sich bei ihm seine ohnehin defekte aTH überhaupt nicht mehr gemeldet. Bei F sind also Störmechanismen, insbesondere in der Form der pathologischen Erbänderung der AAM's vorhanden. Dazu kommt, daß in seiner frühen Jugend keine hinreichende Prägung bestimmer AAM's stattgefunden hat. Und schließlich war das Maß seiner Aggressivität so groß, daß auch die vorhandenen Elemente seiner aTH in der besonders zugespitzten Situation noch ausgeschaltet wurden. c) Die eTH
Aus dem gesamten Mischungsverhältnis der eben angeführten Punkte ergibt sich, daß F einer ganz besonders stark ausgebildeten eTH bedurft hätte, um bei einem Aggressionsausbruch vor einer Tötungshandlung bewahrt zu bleiben. Wie sich aber aus F's Antworten ablesen läßt, sprechen viele Indizien dafür, daß er über eine nur sehr geringe eTH verfügt. Die Elemente einer Tötungshemmung aus dem "Über-Ich" sind schwach, weil F zu streng und unverhältnismäßig als kleines Kind bestraft wurde, so daß es zu einer Psychose kam, sein "Über-Ich" also gar keinen heilen außengesetzten Maßstab verinnerlichen konnte. Die affektiven Elemente sind ebenfalls schwach, weil zwischen ihm und seiner Mutter kein Beispielkontakt entstanden war, der eine normale affektive Hinneigung zu anderen Menschen vorbereitet hätte. Bei der geringsten Störung wird bei ihm jedes affektive Hemmungselement von einem Ausbruch gestauter Aggression überlagert. Dies war insbesondere bei seiner Tat der Fall. d) Zusammenfassung
F ist hinsichtlich seiner aTH den Thesen 3 a, 3 d und teilweise auch der These 3 e zuzuordnen - s. o. S. 44 -.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Bei F ist bereits seit früher Kindheit eine eTH nur in geringem Maße ausgebildet. Der Grad seiner Aggressivität muß schon als psychopathisch bezeichnet werden. Er ist als Mischfall bei den Thesen 2 a und 2 b gruppieren.
s. o. S. 57 -
einzu-
Da mit der Darstellung der ersten 6 Täter nunmehr eine Grundlage geschaffen ist, werden die nächsten 3 Täter kürzer behandelt, um den Umfang der Arbeit nicht zu sehr anwachsen zu lassen.
VII. Der Täter G geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
1924
Zimmerer, früher Landwirt geschieden Garten einer Gastwirtschaft
13. 8. 1962, ca. 21 Uhr 37 Jahre frühere Ehefrau, 35 Jahre alt
mit Messer erstochen
Vorbemerkung
Bei G kann man an sich verschiedene Indizien für, aber auch einige gegen das Vorhandensein sowohl einer aTH als auch einer eTH feststellen. Vor seiner Tat geriet er langsam in eine immer mehr sich verschärfende Krisensituation, die einerseits durch das Verhalten seiner Frau - bereits vor der Scheidung -, andererseits durch eine weitgehende Lebensuntüchtigkeit bedingt war. Nur auf den ersten Blick stellt G's Tat einen projizierten Selbstmord29 dar 30• Eine aTH scheint sich bei der Tatbegehung selbst nicht bemerkbar gemacht zu haben. 1. Lebenslauf und Vorgeschichte (aus den Strafakten)
G wurde als drittes von 6 Kindern ehelich geboren. Sein Vater war Bauer; er starb 1947. Bis zu seinem 9. Lebensjahr lebte G auf dem Bauernhof seiner Eltern. Dann kam er für 6 Jahre auf den Hof eines Taufpaten. Dort mußte er in der Landwirtschaft mitarbeiten. Er besuchte 7 Jahre die Volksschule und 1 Jahr die Feiertagsschule als mäßiger Schüler. G wurde von seinem Vater nicht geschätzt. 2. 30
Vgl. Doprat S. 179 ff. Außerdem spielt das Phänomen der Haßliebe hier eine Rolle; vgl. Leon-
hard, a.a.O.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Auf dem Hof des Taufpaten kam es zu Schwierigkeiten, so daß G nach der Schulentlassung 11-/2 Jahr als Heizer in einer Jugendherberge arbeitete. Danach nahm er wieder eine Arbeit als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft an. Im Alter von 17 Jahren meldete er sich schließlich freiwillig zum Militär; 1942 wurde er zur Marine eingezogen. Später setzte man ihn bei den Ein-Mann-Torpedos ein. Bei Kriegsende kam er in amerikanische Gefangenschaft. Wieder in Freiheit, arbeitete er als Roßknecht. Nach dem Tode seines Vaters half er zunächst zu Hause, lernte dann aber das Zimmererhandwerk. Während dieser Zeit wohnte er noch zu Hause und versorgte die Landwirtschaft mit. Am 4. 5. 1949 heiratete er seine Frau in einem Ort am Chiemsee, obwohl seine Familie gegen diese Heirat war. Aus der Ehe gingen 1950 und 1954 je eine Tochter hervor. Seit 1950 arbeitete G als Zimmerer in einer Großstadt. Er wohnte mit seiner Familie und seinen Schwiegereltern in einer Baracke. Schon in den ersten Ehejahren kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten, da G's Frau angeblich Verhältnisse zu früheren Freunden und zu Amerikanern unterhielt. Bei einer solchen Auseinandersetzung soll G auch einmal einen Anbau der Wohnbaracke in Brand gesetzt haben, wofür er 9 Monate Gefängnis erhielt. In dieser Zeit - 1952 reichte seine Frau die Scheidung ein, nahm sie aber bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis wieder zurück. Nachdem sie aber 1961 wiederum die Scheidung eingereicht hatte, wurde die Ehe am 7.7.1961 geschieden. Dennoch lebten beide in derselben Wohnung weiter, und G nahm auch an der Verpflegungsgemeinschaft teil. An sich sei jedoch verabredet worden, auseinander zu gehen. Später sollte dann der Versuch eines neuerlichen Zusammenlebens gemacht werden. Nur unter dieser Bedingung hatte G in die Scheidung eingewilligt. Auch nach der Scheidung kam G für den Lebensunterhalt der Familie auf. Selbst der GV wurde nach der Scheidung noch mehrmals vollzogen. Seit G's Frau jedoch im Mai des Tat jahres einen Italiener kennengelernt hatte, war sie nicht mehr zum Vollzug des GV mit G bereit. Die enge Beziehung seiner Frau zu dem Italiener machte G so stark zu schaffen, daß er Selbstmord verüben wollte. Nur wegen der Kinder will G dann von seinem Plan Abstand genommen haben. 2. Die Tat (aus den Strafakten) Am Tattag trank G während seiner Arbeitszeit 3 Liter Bier. Er konnte jedoch bis zu 8 Liter trinken, ohne von einer solchen Alkoholmenge wesentlich beeinträchtigt zu sein.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Abends suchte er seine Frau ca. eine Stunde, ohne sie zu finden. Schließlich sah er sie mit dem Italiener in einem Biergarten sitzen. Er habe sich dann eine Jacke holen wollen, um in einer anderen Wirtschaft noch ein Bier zu trinken und auf andere Gedanken zu kommen. In Wahrheit ging G jedoch nach Hause und holte ein feststehendes Messer. Als er wieder zu dem Biergarten zurückkam, stand seine frühere Frau auf und ging mit ihrem leeren Bierglas zur Eingangstür der Wirtschaft. Als sie an G vorbeiging, stach dieser ihr das Messer fünfmal in den Bauch und in die Brustgegend. Als die Verletzte zu dem Italiener zurücklaufen wollte, dabei aber bereits zusammenbrach, stach G noch zweimal in ihren Rücken. Danach hob G seine frühere Frau auf und stützte sie ein Stück weit. Als sie wieder zusammenbrach, telephonierte er, um ein Krankenauto und die Polizei herbeizuholen. Um 23 Uhr verstarb G's Frau im Krankenhaus. Bei G wurde kein Alkoholeinfluß zur Tatzeit festgestellt. 3. Einzelheiten aus dem Gutachten des LG-Arztes
Außer einer leichten Vergrößerung der Schilddrüse weist der körperliche Befund keine Besonderheiten auf. Die Intelligenz liege wohl etwas unter dem Durchschnitt. Für das Vorliegen einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche bestünden keine Anhaltspunkte. Es handle sich bei G um eine primitive, erregbare, abnorme Persönlichkeit. Seine Handlungen seien z. T. stark gefühlsbetont, jedoch in der primitiven Richtung. 4. Die Befragung des G in S
a) Kindheit und Jugend
Er sei von seinem Vater oft brutal verprügelt worden. Einmal habe dieser ihn im Alter von ca. 10 Jahren mit einer Latte halb zu Tode geschlagen. Sein Vater sei überhaupt äußerst jähzornig gewesen. Er habe ihm und auch seinen Geschwistern außer Arbeiten und sonntags Bergsteigen nichts erlaubt. So sei er bis zu seinem 20. Lebensjahr praktisch nicht aus der Gegend seines Geburtsdorfes herausgekommen. Außerdem habe sein Vater nicht gewollt, daß er und seine Geschwister einen Beruf erlernten, da er verlangt habe, daß sie alle in der LandWirtschaft bleiben sollten. Er sei der Prügelknabe gewesen, da immer er, statt der anderen vom Vater als der Schuldige angesehen worden seI. Er habe dafür bei seiner Mutter Zuflucht gesucht. So sei er als
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Kind schon immer morgens um 4 Uhr zu ihr in den Stall gegangen und habe ihr beim Arbeiten zugesehen. Schon als Kind sei er ein Einzelgänger gewesen. b) Wichtige Erlebnisse
An wichtige Erlebnisse könne er sich nicht erinnern. Am deutlichsten stehe ihm noch vor Augen, was sein Vater zu ihm gesagt habe, als er aus dem Krieg nach Hause gekommen sei: Es wäre seinem Vater lieber gewesen, wenn nicht er, sondern sein Bruder lebend aus dem Krieg nach Hause gekommen wäre. c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen
Er habe immer versucht, sich ruhig zu halten; jedoch habe er früher schon schnell aus der Ruhe kommen können. Wenn er beim Schach weiß habe, greife er doch nicht an. An sich lebe er gerne. In der Untersuchungshaft habe er jedoch einen Selbstmordversuch gemacht. Als Kind habe er große Angst vor Strafe gehabt. Er sei als Kind so viel geschlagen worden, daß er sich vorgenommen habe, seine Kinder nie zu schlagen. Er liebe Tiere sehr. Einen Hund könne er niemals töten. Eine Fliege oder einen Regenwurm zu töten, mache ihm nichts aus. Er habe sehr schnell Mitleid. Er habe nie ernste Schlägereien mitgemacht. d) Verhältnis zur Umwelt
Er sei eigentlich ein Einzelgänger, mache aber mit den anderen mit, weil das einfacher sei. So sei das bei ihm auch mit dem Biertrinken. Er komme mit den anderen eigentlich gut aus. e) Verhältnis zu Frauen und zur Sexualität
Bevor er seine Frau im Alter von 24 Jahren kennengelernt habe, sei er noch mit keiner anderen Frau zusammengekommen. Seine Frau habe bereits mit 16 Jahren geschlechtliche Beziehungen zu Männern aufgenommen. Ihm gegenüber habe sie sich jedoch immer frigide verhalten; meist habe er erst lange darum bitten müssen, wenn er mit ihr den GV habe vollziehen wollen. Ihre eigentliche sexuelle
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Befriedigung habe seine Frau bei anderen Männern gesucht. Seine Frau habe ihn wahrscheinlich nur geheiratet, um einern Mann, der sie kurz vorher verlassen hatte, zu zeigen, daß sie nicht auf diesen angewiesen sei. Das alles habe er erst später erfahren. Dennoch habe er seine Frau immer weiter geliebt; er sei einfach nicht von ihr los gekommen. Das Verhältnis zu seiner Frau sei schließlich immer gespannter geworden. Einer anderen Frau habe er sich nie zugewandt. Seine sexuelle Entwicklung sei normal verlaufen.
f) Einstellung zum Leben, Ansichten Er habe eine ganz natürliche Achtung vor dem fremden Leben. Die Todesstrafe sei manchmal ganz gut, z. B. für einen Kindermörder. Einen Henker würde er nie machen. Da ginge er lieber 5 Jahre ins Gefängnis. Der Henker werde auch jedesmal froh sein, wenn es vorbei sei. Im Krieg sei man durch den Befehl gedeckt. Erst schieße man vorbei, dann komme man aber vielleicht selbst in Gefahr und dann gelte der Satz: "Du oder ich". Er habe den Krieg selbst aktiv miterlebt. Während der ganzen Zeit habe er jedoch niemanden erschossen. So habe allerdings auch der Befehl seines Vorgesetzten gelautet. Einmal habe ihn ein Partisan überfallen; da habe er sein Gewehr weggeworfen, ihn mit den Fäusten zusammengeschlagen und ihn zu seinem Chef gebracht. An Ge- und Verbote halte er sich selbstverständlich. Das Tötungsverbot habe es nicht schon immer gegeben. Jeder sei imstande, eine Tötung zu begehen. Früher habe der Mensch sicher keine Hemmung gehabt, einen anderen Menschen zu töten. Da habe das Faustrecht gegolten. Wenn die Tötungsdelikte nicht bestraft würden, dann würden diese Delikte sprunghaft zunehmen. Es sei leichter, einen fremden als einen bekannten Menschen zu töten. Er hätte es wohl nicht über sich gebracht, einen Menschen zu erwürgen. Wenn derjenige einen dann anschaue, dann würde einem das zu nahe gehen. Im übrigen sei es wohl schwieriger, einen Menschen zu erstechen als ihn von einern hohen Punkt herunterzuwerfen oder ihn zu erschießen. Ein Kind oder einen wehrlosen Menschen zu ermorden, sei wiederum schwerer als jemanden, der sich wehren könne. Eine Abtreibung sei vielleicht leichter, als einen bereits geborenen Menschen zu töten; aber 12 Lullles
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2. Teil: Die einzelnen Täter
auch ein Embryo würde er nicht töten. Es könne schon sein, daß jemand, der einmal getötet hat, später nochmals töten könnte. Er selbst könnte das heute sicher nicht mehr. Moral sei nicht verlogen; sie gehöre zum Leben dazu. Zwischen Planung und Ausführung einer Tötung bestehe ein Unterschied. Er würde nie jemandem die erlösende Spritze geben. Er sei nicht besonders religiös. Von der Religion her sei er für seine Tat nicht verantwortlich.
g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod Als er als Kind das erste Mal von einer Tötung gehört habe, sei er nicht weiter davon berührt worden, da er es gar nicht begriffen habe. Als er später wieder einmal von einer Tötung gehört habe, habe er gedacht, das gebe es doch gar nicht. Das Sterben mache ihm nichts aus; das sei doch gleich vorbei.
h) Die Tat Es ergaben sich hier ·keine neuen Gesichtspunkte. G meinte, er habe seiner Frau statt der 7 festgestellten Stiche seiner Erinnerung nach nur 4 Stiche versetzt. i) Stellungnahme des Täters zur Tat
Acht Tage vor der Tat habe er geplant, Selbstmord zu begehen. Er habe erst Tabletten nehmen und anschließend in einen Fluß springen wollen. Wegen seiner Kinder habe er es in letzter Sekunde dann doch nicht getan. Er habe seine Frau bis zum letzten Augenblick geliebt. Seelisch sei er ihr hörig gewesen. Außerdem habe er sich durch seine Ehe seiner Mutter und seiner Familie gegenüber bestätigen wollen. Er habe mit niemandem über seine Probleme sprechen können. Und jetzt eine ganz entscheidende Aussage: "Auf mein Handeln hätte die Existenz der Todesstrafe einen Einfluß gehabt." (Hieraus wird deutlich, daß G seine Tat vorher geplant und in ihren Folgen abgewogen hatte.) Dazu kommt noch die Aussage: Es könne schon sein, daß er sich vorher gesagt habe, jetzt nehme er das Messer. Die Durchführung der Tat habe ihn keine überwindung gekostet. Seine Tat sei aus Eüersucht geschehen, da er gesehen habe, wie seine Frau und der Italiener sich in der Öffentlichkeit abgeschmust hätten.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Seine Tat sei auf Grund einer Betriebsstörung passiert. Wenn es heller gewesen wäre, hätte er die Tat vielleicht nicht ausgeführt. j) Verhalten nach der Tat
Er sei nach der Tat erschrocken und habe das Messer gleich fallen lassen. Erst sei seine Frau zusammengebrochen, dann sei sie nochmals zu sich gekommen. 50 m weit habe er sie daraufhin noch gestützt, dann sei sie wieder zusammengebrochen. Nach der Tat sei er nicht erschöpft gewesen. Eine besondere Energieaufbietung habe die Tat auch nicht von ihm verlangt.
k) Traumleben; die Erzählung aus vorgegebenen Begriffen Traumleben: Er träume selten. (Die Träume, an die G sich erinnert, ergeben nichts Auffälliges.) Die Geschichte: "Wie bringe ich den Tiger über den Fluß in mein fernes Haus?" 5. Beurteilung
a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten G stellt einen Paradefall des "lebensuntüchtigen Menschen" dar, wie er von Bjerre - s. o. S. 51 ff. - geschildert wird. Von frühester Kindheit an wurde G seitens seines Vaters vorgehalten und demonstriert, daß er nichts tauge. Ständig lebte G in der Angst vor Strafe für Verfehlungen, die er - zumindest subjektiv - nicht begangen hatte. So wurde sein Selbstwertgefühl und sein Wertgefühl von vornherein nicht richtig aufgebaut. Da G wohl schon konstitutionell ein wenig energischer Mensch ist, konnte er nicht konstruktiv gegen seine psychischen Defekte angehen; vielmehr resignierte er weitgehend und etablierte31 sich in einem von der Umwelt abgekapselten Dasein. Aggression wurde bei ihm wegen des Verhaltens seines Vaters neurotisiert, z. T. entwickelte sie selbstzerstörerische Tendenzen. Die Mutter bildete die Hauptbesetzung bei G. Sonstige Besetzungen fehlen weitgehend. Aus diesem Grunde dürfte sich erklären, daß G's 31
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Adler S. 63
ff.
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2.. Teil: Die einzelnen Täter
Affekte, vor allem die mit Zuneigung besetzten, betont sind. Seine Sehnsucht nach einer intakten Liebesbeziehung und nach Geborgenheit ist enorm stark; dies kommt besonders deutlich in der von G erzählten Geschichte zum Ausdruck. Diese Geschichte spricht überhaupt Bände: Die Begriffe "Soldat" und "Abend" fehlen. Aggression, die der Tiger eigentlich evoziert, ist überhaupt nicht vorhanden. Sehnsucht nach Kontakt (der Tiger wird als Partner gesehen) und nach Geborgenheit und Ruhe spielen die Hauptrolle. Der Fluß ist derjenige, der das Problem darstellt: Durch ihn ist G vom Tiger getrennt. Wollte man dies tiefenpsychologisch deuten, so wäre es die Sexualität, die zwischen ihm und seiner geschiedenen Frau die Trennung bildete und nicht zuließ, seine Frau ins Haus, d. h. in ein gemeinsames, geborgenes Leben einzubringen. Auf Grund seiner geringen Intelligenz und Lebenserfahrung war G nie in der Lage, Abstand zu sich und seinen Problemen zu gewinnen. Zu einer IchIdentifikation ist es bei ihm kaum gekommen. Aus dieser Sicht wird es verständlich, daß das Verhalten seiner Frau für ihn eine Lebensbedrohung darstellte: Sie hatte er nun einmal als Objekt seiner für ihn selbst nicht realisierbaren Ich-Wünsche ausgewählt. D.i e Beziehung zu ihr war Sinnbild seines projizierten Selbstwertgefühls, seines Doch-Bestehenkönnens vor der Welt. Weder vorher noch nachher war er in der Lage gewesen, einen anderen Menschen als Objekt seiner Ich-Wünsche zu suchen und zu fesseln. Als diese Selbstverwirklichung wegen des Verhaltens seiner Frau immer mehr ins Leere ging, mußte G's mit Liebe und Selbstverwirklichungswillen besetzte Aggression gestaut werden. Da G ohnehin seit früher Kindheit als Psychopath zu bezeichnen ist, konnte der Aggressionsstau bei ihm nicht gesteuert und in unschädliche Bahnen gelenkt werden. b) Die aTH
G führte die Tat ohne das Aufkommen einer spürbaren aTH aus. Die Begehungsweise bedeutete eine verhältnismäßig lange und intensive Konfrontation mit dem Opfer, obwohl G ein Messer, also eine Waffe, benutzte. Mehrmaliges Verletzen durch 7 Messerstiche und die Hilflosigkeit seiner Frau lösten bei G offensichtlich keine Hemmungsmechanismen aus. G hörte allerdings mit dem Zustechen auf, als seine Frau zusammengebrochen war. Aus G's Antworten ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Folgende Aussagen sprechen gegen das Vorhandensein einer aTH: In manchen Fällen sei er für die Todesstrafe. Außerdem meint er, daß ohne Strafdrohung die Tötungsdelikte sprunghaft zunähmen. Jeder Mensch sei imstande, eine Tötung zu begehen. Er selbst hätte wohl nicht getötet, wenn es die
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Todesstrafe gegeben hätte. Vor allem: Die Durchführung der Tat habe ihn keine Überwindung gekostet. Andererseits würde er niemals Henker werden. Im Krieg hat er niemanden erschossen und in einem konkreten Fall sogar sein Gewehr eigens weggeworfen, um einen Partisanen nur mit der Hand zu überwältigen. Er hätte es wohl nicht über sich gebracht, einen Menschen zu erwürgen. Wenn einen derjenige dann anschaue, würde einem das zu nahe gehen. Er selbst könnte heute kein zweites Mal mehr töten. Wenn es heller gewesen wäre, hätte er die Tötung vielleicht nicht ausgeführt. Es ist zunächst schwer zu beurteilen, weshalb die soeben genannten Aussagen, die weitgehend für das Vorhandensein einer aTH sprechen, in so krassem Gegensatz zur Tat und zu der Antwort stehen, daß G bei Begehung der Tat keine Hemmung verspürt habe. Als Signal scheint aber schließlich doch das Zusammenbrechen seiner Frau auf G gewirkt zu haben; denn von diesem Moment an handelte er nicht mehr aggressiv, sondern stützte sie. Um die Gegensätze der Antworten aufzuklären, muß man G's besondere psychologische Situation berücksichtigen. G beging seine Tat aus einer tiefen Verzweiflung heraus. Darauf weist bereits sein Selbstmordplan" eine Woche vor der Tat hin. Daß G den Selbstmord dennoch nicht beging, berechtigt zu der Annahme, daß sein Selbsterhaltungstrieb noch so stark war, daß seine Aggression nicht in Selbstzerstörung ausbrechen konnte. Die Antwort des G, er habe den Selbstmord wegen der Kinder nicht ausgeführt, erscheint nicht glaubwürdig. Auf jeden Fall aber befand G sich in einer Nullpunktsituation, aus der er sich irgendwie befreien mußte. Sein Umweltbezug und damit die Möglichkeit eines Kontaktes zwischen Außenwelt-Signalen und AAM's war zur Tatzeit auf ein Minimum reduziert, so daß hemmungsauslösende AAM's, die bei G vorhanden waren, die Reizfaktoren während der ersten Tatphase gar nicht wahrnahmen. Erst das Zusammenbrechen seiner Frau stellte ein wirksames Signal dar. Daß G überhaupt in diese psychische Situation geraten konnte, beruht darauf, daß er über lange Zeit gezwungen war, Aggression zu stauen. Diese Tatsache folgt - wie bereits mehrmals gesagt - daraus, daß bei G ein Störmechanismus in der Form der pathologischen Erbänderung und, damit verbunden, kein intaktes Verspannungssystem besteht. Man könnte bei G's Tat auch an einen projezierten Selbstmord denken, da er sich eine Woche vor der Tat ja noch selbst töten wollte. Für at
Vgl. zum Selbstmord Amelunxen; zum Verhältnis Mord-Selbstmord
Palmer, a.a.O.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
einen Selbstmord könnten aber andere Hemmungsbedingungen gelten als für einen Mord. So ist ein projizierter Selbstmord z. B. möglicherweise nicht durch außen gesetzte Signale hemmbar. Diese These ist jedoch kaum zu beweisen, auf jeden Fall aber nicht an G's Tat, da es sich bei näherem Zusehen doch nicht um eine selbstzerstörerische Aggression handelte, sondern um eine aus lange angestauter Aggression hervorbrechende Aktion gegen seine Frau, die seinem eigenen Überleben dienen sollte. Seine Tat war also allein die Leistung des Aggressionstriebes, so daß die bei den bisherigen Tätern bereits dargestellten Hemmungsvoraussetzungen gelten. c) Die eTH
Zunächst kann weitgehend auf die unter b) dargelegten Antworten und Beurteilungen der Antworten verwiesen werden, insofern eine analoge Anwendung auf Psychisches im engeren Sinn gerechtfertigt ist. Darüber hinaus ist zu sagen, daß bei G wegen der sinnlosen und brutalen Behandlung durch seinen Vater kein tragender Grundstein gelegt wurde, über dem sich ein intaktes "Über-Ich" hätte aufbauen können. Bereits früh hat sich bei G eine Psychopathie in der Form der Lebensuntauglichkeit (Bjerre) ausgebildet. Indem G von äußeren Umständen, insbesondere von dem Verhältnis zu seiner Frau, ständig überbelastet wurde, mußten seine psychischen Kräfte, die ohnehin nicht in einem starken "Ich" verspannt waren, aufgezehrt werden. Da zwischen G's "Ich" und "Über-Ich" keine kraftvolle Wechselbeziehung herrschte, konnte eine etwa vorhandene Hemmung aus dem "Über-Ich" den Antrieb aus dem "Es" nicht zurückhalten. Außerdem wurde G's Handeln noch von einem Selbsterhaltungstrieb im weiteren Sinn mitbestimmt, so daß möglicherweise für das "Über-Ich" gar kein Tatbestand vorlag, der mit einem Verbot hätte beantwortet werden müssen. Hemmungselemente aus dem affektiven Bereich, der bei G an sich ziemlich gut anspricht, wurden erst wach, als der Hauptanteil von G's Aggression abgeströmt war. Das war der Augenblick, als seine Frau zusammenbrach. Bis zu diesem Augenblick scheint G gefühlsblind gewesen zu sein. d) Zusammenfassung
G's aTH ist den Thesen 3 a und 3 d zuzuordnen - s. o. S. 44 -. Seine eTH ist ein Mischfall der Thesen 2 a, 2 bund 2 c - s. o. S. 57 -, wobei der Hauptanteil auf die These 2 bentfällt.
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
vm. geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
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Der Täter B 1927
Hilfsarbeiter verheiratet verschneiter Bahnkörper am Rande einer Großstadt 31.12.1960, ca. 17 Uhr 33 Jahre Rentner, 77 Jahre alt mit Taschenmesser erstochen
Vorbemerkung
H ist im bisherigen Rahmen als Ausnahmefall anzusehen. Er führte die Tötung zwar vorsätzlich und im Zustande der Zurechnungsfähigkeit durch. Er ist jedoch intelligenzmäßig so unterbegabt und so willensschwach, daß er in dieser Richtung als stark psychopathisch bezeichnet werden muß. Ihm ist zwar klar, daß verschiedene Handlungen verboten sind, jedoch war er oftmals in seinem Leben nicht imstande, nach seiner Einsicht zu handeln. Insofern und in vielen anderen Beziehungen steht H in seiner Entwicklung auf der Stufe eines ca. 7jährigen Kindes. Er ist vollkommen lebensuntüchtig. Bei ihm ist weder eine wirksame aTH noch eine funktionstüchtige eTH vorhanden. Auch seine Tat führte er aus, ohne eine eTH oder aTH zu spüren. Bei der aTH liegt das zum Teil daran, daß der Stich mit dem Messer sehr schnell und treffsicher geführt wurde, so daß keine länger andauernde Rückkopplung stattfand. H's Tat scheint nur bedingt ein Ausbruch gestauter Aggression gewesen zu sein. 1. Lebenslauf und Vorgesdüchte (aus den Strafakten) H wurde als drittes Kind von Schreinereheleuten in einer Großstadt geboren. Als er 2 Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. Man brachte ihn zu Pflegeeltern in ein Dorf. Sein Pflegevater war Schuster und Bauer. Auf der Volksschule mußte H wegen mangelhafter Leistungen 2 Klassen wiederholen. Während seiner Freizeit half er den Pflegeeltern und dem Nachbarn häufig in der Landwirtschaft. Mit 14 Jahren kam er wieder in die Großstadt zu seiner leiblichen Mutter, die inzwischen nochmals geheiratet hatte. Bei einer Optikfirma begann H eine Lehre, die er aber nicht beendete. 1943 wurde er zum Reichsarbeitsdienst einberufen, kurz darauf zum Militär. Kurz vor Kriegsende wurde er durch einen Granattreffer verwundet. Er erlitt Verletzungen an der linken Schulter, der Lunge und der Wirbelsäule. Deshalb mußte er über ein Jahr lang in einem Lazarett bleiben.
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2. Teil:
Die einzelnen Täter
Zur weiteren Behandlung seiner Verletzungen wurde er mehrmals stationär in einem Versorgungskrankenhaus behandelt. Zunächst bestand bei ihm eine Erwerbsminderung zu 60 %, später zu 40 %. Nach der endgültigen Entlassung aus dem Versorgungskrankenhaus arbeitete H zunächst auf einem amerikanischen Militärflugplatz. Dabei erlitt er einmal bei einem Unfall eine Kopfverletzung. Anschließend arbeitete er wieder bei der Optikfirma, bei der er im Krieg seine Lehre begonnen hatte. Aus gesundheitlichen Gründen mußte er jedoch nach kurzer Zeit wieder aufhören. Am 9. 9. 1950 heiratete er eine geschiedene Frau, deren 3 Kinder beim Vater blieben. Am 18.6.1951 wurde die Ehe bereits wieder geschieden. Aus der Ehe ging ein Kind hervor. In der Zeit zwischen 1950 und 1954 wurde H wegen verschiedener kleiner Betrügereien und Diebstähle immer wieder zu kurzen Gefängnisstrafen verurteilt. Außerdem wurde er in den Jahren 1952, 1954 und 1956 jeweils wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht wiederum zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt. Seine letzte Strafe hatte er am 4. 11. 1957 verbüßt, als er kurz darauf neuerdings wegen Eigentums- und Sittlichkeitsdelikten eine Gesamtstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten Gefängnis erhielt. Diese Strafe hatte H. am 8.11. 1959 verbüßt. In der Zwischenzeit war er wiederum mehrmals in Krankenhäusern. Am 11. 4.1960 heiratete et eine Putzerin, die er in einem Krankenhaus kennengelernt hatte. Die Frau brachte mehrere uneheliche Kinder mit in die Ehe, von denen 3 Mädchen im Alter von 10, 6 und 2 Jahren im gemeinsamen Hausha.lt lebten, der in einer Wohnung von 1 Zimmer und 1 Küche geführt wurde. In der Wohnung lebte außerdem noch die Mutter von H's zweiter Ehefrau, die ursprünglich Wohnungsinhaberin gewesen war. In der Ehe gab es schon bald Streit. Zwar trank H gerne; jedoch lieferte er seinen ganzen Verdienst, den er als Hilfsarbeiter bei der Optikfirma wöchentlich erhielt, zu Hause ab. Nur das Geld, das er auf Grund von Überstunden verdiente, verwendete er zum Kauf von Alkoholika, meist in einem bestimmten Stehausschank in der Innenstadt. In der Zeit vom 13. 11. bis 12. 12. befand H sich wieder in einem städtischen Krankenhaus zur Behandlung einer Herz- und Kreislaufschwäche. Dort lernte er auch den Rentner R, sein späteres Opfer, kennen. R erzählte dem H, daß er vor einigen Tagen eine Rentennachzahlung von mehreren hundert DM erhalten habe. H bot dem R, der keine Wohnung hatte, schließlich an, er könne bei ihm zu Hause in einem Zimmer wohnen, das jedoch noch nicht ganz fertig sei. Als beide bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen waren, trafen sie sich mehrmals in dem von H gerne besuchten Stehausschank.
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2. Die Tat (aus den Strafakten)
Auch am 31. 12. kamen sie wieder in dem Stehausschank zusammen. Von dort brachen sie zur Wohnung des H am Stadtrand auf, da H dem R gesagt hatte, das Zimmer sei nun fertig. Von der Straßenbahnendhaltestelle nahm H nicht den Bus, sondern ging zu Fuß mit R über einen verschneiten Bahnkörper, angeblich, um den Heimweg abzukürzen. Die Gegend war vollkommen menschenleer, der Schnee nicht geräumt. Gegen 17 Uhr kamen sie an einem Schwellenstapel vorbei. Dort stach H zweimal mit einem Taschenmesser in R's Hals. R blutete sogleich stark und fiel zu Boden. Dann bückte H sich und nahm R's Brieftasche aus der Brusttasche von dessen Jacket sowie R's Geldbörse aus dessen Hosentasche. R röchelte dabei noch, starb aber alsbald. H ging den Bahnkörper zurück und verbrauchte das Geld am selben und am nächsten Tag zum Bezahlen von Schulden, für Zechen und für Taxifahrten. Am nächsten Nachmittag rief H von einer Telefonzelle in der Nähe des Tatortes bei der Polizei an und erklärte: "Da ist ein Mord." H wurde kurz darauf festgenommen. Er war zu diesem Zeitpunkt betrunken. Anfangs leugnete er seine Täterschaft noch. 3. Einzelheiten aus dem Gutachten des LG-Arztes Dr. Gerweck
Die Diagnose des städtischen Krankenhauses, in dem H vor seiner Tat lag, lautet: "Vegetative Dystonie". 1956 habe H im Gefängnis einen Selbstmordversuch verübt. H sei Astheniker. Von Seiten der inneren Organe seien keine Krankheitszeichen festzustellen. Psychotische Erlebnisse seien H fremd. Seine Intelligenz liege unter dem Durchschnitt. Sein Wissen auf dem Gebiet praktischer Erfahrung gleiche die Minderbegabung bis zu einem gewissen Grad aus. H müsse jedoch im Sinne des § 51 StGB als zurechnungsfähig bezeichnet werden. 4. Die Befragung des H in S a) Kindheit und Jugend
Seine Pflegeeltern seien sehr nett zu ihm gewesen. Er könne sich erinnern, daß er nur 2 mal richtig von seinem Pflegevater geschlagen worden sei und zwar mit einem Schusterriemen. Er habe erst mit 5 Jahren das Laufen gelernt; mit 6 Jahren habe er noch nicht richtig sprechen können. Er sei später als Junge ziemlich stark gewesen. In der Schule sei er von Anfang an nicht richtig mitgekommen. (Er kann z. B. nicht 5 x 9 ausrechnen.) Er habe nur einen Freund gehabt,
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den Nachbarsjungen. Die andern seien immer nett zu ihm gewesen und er auch zu ihnen. Er habe sich immer gefreut, wenn er gelobt worden sei. Schlägereien sei er grundsätzlich ausgewichen. Er habe als Kind gern gebastelt. So malt H im Zuchthaus auch ziemlich begabt33 • Aus seiner Heimatgegend sei er bis zu seinem 14. Lebensjahr nicht herausgekommen. Ihm sei sonst in seiner Jugend nichts unangenehm gewesen; er erinnere sich gerne an diese Zeit. (Es fiel jedoch auf, daß H sich wegen eines besonders schwachen Gedächtnisses nur an wenige Einzelheiten von früher erinnern konnte.) Er habe erst mit 14 Jahren erfahren, daß er ein Pflegekind sei. Zu seiner leiblichen Mutter habe er darum kein herzliches Verhältnis gehabt. b) Wichtige Erlebnisse
Es ist nicht herauszukristallisieren, welche Erlebnisse für H als besonders wichtig anzusehen sind, da sein Gedächtnis zu große Lücken aufweist. Wahrscheinlich gehört hierher seine Verführung im Versorgungskrankenhaus zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen mit einem anderen Patienten. c) Psychische Struktur, Reaktionsweisen
Er habe sich immer frei gefühlt. Seit seiner Verwundung tue er sich geistig schwerer als früher. Rachegefühle kenne er nicht; vielmehr weine er zwei Nächte vor Wut, und dann vergehe es auch wieder. Er ärgere sich selten. Einmal habe er seiner zweiten Frau wegen eines anderen Mannes ein paar Ohrfeigen gegeben. Er sei sonst in seinem Leben nie aggressiv geworden. Er sei nicht schüchtern. Jedesmal wenn er etwas angestellt hatte - schon als Kind - habe es ihn gedrückt. Er richte sich immer nach dem, was man ihm sage; so komme man am weitesten. Er wolle immer alles recht machen. Er arbeite gerne. Er sei im Leben immer einsam gewesen. Er habe sich schon einmal 1957 im Gefängnis die Pulsadern aufgeschnitten. Damals habe man ihm ein Delikt vorgeworfen, das er gar 33 Vgl. Reinhardt, a.a.O., der festgestellt hat, daß sich die Mörder im Zuchthaus häufig den bildenden Künsten zuwenden.
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nicht begangen habe. Die Pulsadern habe er sich mitten während der Vernehmung mit einer Rasierklinge aufgeschnitten. Eine Fliege sei doch kein Tier. Wenn Ziegen auf dem Hof seiner Pflegeeltern geschlachtet worden seien, dann sei er jedesmal weggelaufen. Einmal sei er einen halben Tag weggeblieben und habe wegen seiner lieben schönen Ziegen geweint. Fische, Katzen, Vögel usw. töte er nicht; die habe er ja gerne. Ein Tier würde er, wenn er es schon töten müsse, lieber erstechen als erschießen. Seine Betrügereien seien Ratenzahlungskäufe und ähnliche Kleinigkeiten gewesen. Einmal habe er im Wirtshaus die Zeche nicht bezahlen können. Jemanden, der seine Mutter getötet hätte, müßte man verfolgen; wenn der andere schwächer wäre, würde er ihn zur Polizei bringen. Töten würde er ihn nicht. Sein Wunschtraum sei ein kleiner Bauernhof und eine Familie, bei der er gut aufgehoben sei. d) Verhältnis zur Umwelt
Ihn hätten schon viele Menschen "ausgeschmiert". Dennoch achte er jeden Menschen. Er habe immer Schwierigkeiten gehabt, sich den anderen anzupassen. Zu zweit mit jemandem zusammen zu sein, sei ihm am liebsten. Mit mehreren zusammen werde er schüchtern.
e) Verhält1tis zu Frauen und zur Sexualität Seine homosexuellen Sachen hätten im Versorgungskrankenhaus angefangen, weil ihn ein anderer Patient verführt habe. Das sei ihm damals unangenehm gewesen. Damals habe er noch keinen GV mit einer Frau gehabt. Erst viel später sei es dazu gekommen, daß er homosexuelle Beziehungen brauchte. Seine erste Frau habe er 1950 im Krankenhaus kennengelernt. Er habe ihr vorgemacht, daß er Geld und Wohnung besitze. Nach kurzer Zeit hätten sie geheiratet. Sie sei 3 Jahre älter gewesen als er und habe eine große Erfahrung auf sexuellem Gebiet gehabt. Sie habe von ihm sexuell mehr verlangt als er habe geben können. So habe sie jeden Tag 2 mal stundenlang mit ihm sexuell verkehren wollen. Nach ein paar Monaten sei von ihr die Scheidung eingereicht worden.
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2.
Teil: Die einzelnen Täter
Als sich seine Frau von ihm habe scheiden lassen, sei ihm plötzlich alles egal gewesen. Er habe damals zu trinken angefangen. Seit der Scheidung habe er sich wieder dem Homosexuellenverkehr zugewandt, da er seiner Frau gegenüber einen Ekel empfunden habe. Wegen der homosexuellen Taten habe er sich mehrmals selbst angezeigt, weil er gedacht habe, daß es so nicht weiter gehen könne. Außerdem habe er auch manchmal keine Unterkunft gehabt. (H fühlt sich jetzt im ZH sehr wohl und leidet nicht darunter, daß er womöglich lebenslänglich dort bleiben wird.) 1960 habe er dann endlich wieder eine Frau gefunden, die er habe heiraten können. Er habe damals ganz neu anfangen wollen. Jedoch habe sich diese Frau nach ganz kurzer Zeit einen anderen Freund zugelegt. Auch diese Frau habe, wie seine erste Frau, die Hosen angehabt. Sie habe sein Geld immer restlos verbraucht und außerdem noch bei den umlii!genden Geschäften Schulden gemacht. Er sei so sehr verbittert geworden. f) Einstellung zum Leben, Ansichten
Er lebe an sich gerne. Er würde nie einen Henker machen. Wer das mache, der sei grausam. Wenn im Krieg der Feind direkt vor ihm gestanden hätte, dann hätte er auch schießen müssen. Er würde die Spritze zur Sterbehilfe nicht geben. Der Arzt allerdings werde es schon wissen. "Als Kleiner hat mir meine Pflegemutter gesagt, was gut ist und was nicht. Ich denke heute daran, was ich in meinem Leben gut und schlecht und gut gemacht habe, vor allem an meine Kindheit: da war alles gut. ce Das Tötungsverbot sei ja das Gebot Gottes. Es sei ihm nie eingefallen, daß er töten könnte. Jemanden zu töten, liege ihm vollkommen fern. Eine Tötung könne er nie mehr begehen. Der normale Mensch müsse eine Hemmung haben, einen anderen zu töten. Auch eine Abtreibung sei Tötung. Er würde das nie tun. Es koste die gleiche Überwindung, ob man nun ein Kind oder einen Erwachsenen töte. Er habe immer eine schreckliche Wut, wenn er in der Zeitung von einem Mord lese.
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Eine Tötung zu planen sei leichter als eine Tötung auszuführen. Die Brutalen seien fremde Menschen für ihn. Seine Sünden habe er immer gebeichtet. Er sei dann erleichtert gewesen. Sonntags sei er immer in die Kirche gegangen; das tue er auch jetzt noch.
g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod Er habe schon öfter Leichen gesehen; das sei für ihn abschreckend gewesen. Wenn er wisse, daß er sterbe, habe er keine Angst. Wenn er zu Recht z. B. zum Tode verurteilt sei und enthauptet werde, dann würde er im Augenblick der Vollstreckung nichts denken. Es werde schon gerecht sein. Bei seinem Selbstmordversuch habe er sich nicht vor dem Sterben gefürchtet. Er habe dann geweint, weil er gedacht habe, er müsse sterben. Im Krieg sei er einmal bei Budapest mit anderen Soldaten eingekesselt worden. Er habe das Gewehr fallen lassen, habe geweint und sei dann schließlich von einem deutschen Flugzeug, das zu Hilfe gekommen sei, gerettet worden. Er sei damals fast erschossen worden, weil er Tornister, Gasmaske und Gewehr zurückgelassen habe.
h) Die Tat Hier ergaben sich keine neuen Aspekte. i) Stellungnahme des Täters zur Tat
Er verstehe heute noch nicht, wie er den Rentner habe erstechen können. Er habe ihn nie töten wollen. Bei seiner Tat sei das Zustechen wie rausgerutscht gegangen. Er habe sich nicht überwinden müssen. Danach sei er erschrocken. An irgendeine Bestrafung habe er bei seiner Tat nicht gedacht. Seine Tat beschäftige ihn sehr; er sei nicht mehr der, der er früher gewesen sei. Den Rentner sehe er noch oft vor sich, wie er so daliege.
;) Verhalten des Täters nach der Tat Hier kann auf die Ausführungen unter 2.) verwiesen werden.
2. Teil: Die einzelnen Täter
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k) Traumleben; die Erzählung aus 5 'Vorgegebenen Begriffen Traumleben: Er träume jede Nacht. Vor 3 Wochen habe er geträumt, daß er ins Wasser gefallen und ertrunken sei. "Es war in den Bergen. Die Wellen schlugen so heraus, gingen bis zu meinen Füßen. Das Wasser wurde immer höher." Oft habe er geträumt, daß ihn jemand umbringe. Diese Träume habe er aber erst nach der Tat gehabt. Vor 3 Monaten habe er von einem Blitz geträumt, der ihn erschlagen habe. Vor der Tat habe er von Tieren geträumt. Außerdem habe er Sexualträume mit sehr schönen Frauen gehabt, mit denen es aber immer nicht ganz bis zum GV gekommen sei. Auch von zu Hause (seinen Pflegeeltern) habe er viel geträumt. Vor der Tat habe er auch einmal von einer Rauferei geträumt; der andere sei Sieger gewesen, und er selbst sei am Boden liegen geblieben. Einmal habe er auch geträumt, daß er sehr krank sei und ins Bett gemacht habe. Als er aufgewacht sei, sei das Bett aber trocken gewesen. Die Erzählung: 1. "Wie ich Soldat war, begegnete mir plötzlich ein Tiger. Und der Tiger kommt immer näher. Ich versuche, daß ich mich zu irgendeinem Haus Unterschlupf finde als Soldat." (H fragt: "Ist das nicht gut?" Er hat "Abend" und "Fluß" vergessen.)
2. "Bei kurzer Dämmerung begegne ich einem Tiger, der sich von diesem Hause auf mich zuschlich. (H überlegt jetzt lange.) Ich konnte nicht mehr zurück, weil hinter mir der Fluß ist und ich nicht schwimmen kann. (H hat inzwischen wieder die Worte vergessen, so daß sie ihm nochmals gesagt werden müssen.) Plötzlich blieb er stehen. (H leidet jetzt an seiner ausweglosen Situation: Hinter ihm der Fluß, vor ihm der Tiger.) Aber zum Glück geht er wieder zurück in irgendein Gebüsch, und ich als Soldat bin wieder frei." (H lacht erleichtert: "Jetzt haben wir einen Ausweg gefunden; der Tiger wird auch nicht viel froh gewesen sein!".) 5. Beurteilung
a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten Allein an den beiden von H erzählten Geschichten (Tiger, Fluß ... ) wird bereits deutlich, daß er schwachsinnig ist. Sein Gedächtnis, sein Kombinationsvermögen und sein Abstraktionsvermögen sind so gering, daß man diesen Mängeln bereits Krankheitswert beimessen muß. Als
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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Folge dieser Mängel hat H nicht die Möglichkeit, sich in seiner Umwelt so zu orientieren, daß er wenigstens in durchschnittlich gelagerten Situationen Herr der Lage wäre. Er hat sich ein Leben lang von den auf ihn zukommenden Menschen und Situationen beherrschen lassen, ohne sich seines eigenen Standortes und seiner eigenen Möglichkeiten bewußt zu werden, bzw. einen eigenen Standpunkt einzunehmen und durchzusetzen. Es läßt sich heute nicht feststellen, ob für diese Schwächen bereits habituelle Defekte verantwortlich sind oder .ob er, noch bevor er mit 2 Jahren zu den Pflegeeltern kam, Einflüssen ausgesetzt war, die bei ihm Traumen hinterließen. H lernte erst mit 5 Jahren zu laufen, mit 6 Jahren konnte er noch nicht richtig sprechen, in der Volksschule mußte er 2 Klassen wiederholen. Diese Besonderheiten zeigen deutlich, daß H nicht erst heute, sondern schon seit früher Kindheit in seiner Entwicklung weit zurückgeblieben ist. Er hatte körperlich und geistig also nie die Fähigkeit, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen, weil er sie gar nicht erst in den Griff bekam. Nicht er ging mit ihr um, sondern sie ging mit ihm um. Nur so kann man H's Biographie verstehen: Sein Einzelgängertum als Kind, sein neurotisches Verhalten im Krieg, sein Verführtwerden von einem Homosexuellen im Versorgungskrankenhaus, seine Heiraten, sowie seine Vermögens- und Sittlichkeitsdelikte. In sämtliche dieser Situationen schlitterte H hinein, ohne vorher den nötigen Abstand zu haben, um die jeweiligen Folgen seines Tuns abzuwägen bzw. abwägen zu können. War er aber erst einmal in irgendwelchen Schwierigkeiten, so fehlte ihm jegliche Kraft, sich wieder zu "befreien". H steht auf der Entwicklungsstufe eines etwa 7jährigen Kindes. Man kann bei ihm überhaupt nicht von Ich-Identifikation sprechen. Zur Ausbildung eines "Ober-Ich" ist es bei H kaum gekommen, weil seine Persönlichkeit nie das Alter von ca. 10 Jahren erreicht hat, in dem die Ausbildung des "Über-Ich" ungefähr abgeschlossen ist. Außerdem ist H's Willenskraft so schwach, daß er, auch wenn er das Verbotene seines Tuns sieht, doch nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Dies alles sind Bedingungen, die H als einen Sonderfall erscheinen lassen, da er nicht dem Wirkgefüge eines voll entwickelten psychischen Apparates unterworfen ist. b) Die aTH
Aus den meisten Antworten von H müßte man eigentlich den Schluß ziehen, daß er über eine funktionierende aTH verfügt. So würde er nie Henker werden können. Den Mörder seiner Mutter würde er nicht töten. Eine Tötung könne er nie mehr begehen. Der normale Mensch müsse eine Hemmung haben, einen anderen zu töten. Eine Tötung zu
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2. Teil: Die einzelnen Täter
planen sei leichter als eine Tötung auszuführen. Dagegen steht jedoch wieder, daß er sich bei seiner Tat nicht habe überwinden müssen. Das Töten sei wie "rausgerutscht gegangen". Da die Tötungshandlung nur sehr kurze Zeit in Anspruch nahm und dem Opfer wahrscheinlich keine Zeit mehr blieb, sich zu wehren oder Gesten zu zeigen, die als hemmende Signale hätten wirken können, hätte eine Hemmung, die Tat zu begehen, eigentlich nur unmittelbar vor dem Zustechen für H in Frage kommen können. Ein Signalfaktor war also nur die bloße Anwesenheit des Opfers. Darauf aber sprachen H's AAM's nicht an. Man kann dies nun einerseits so erklären, daß man annimmt, H habe sich doch in einer solchen psychischen Zwangssituation befunden, daß sein Umweltkontakt bereits stark eingeschränkt war. Für eine solche Zwangssituation und einen Aggressionsstau spricht bei H jedoch sehr wenig. Es liegt da die Erklärung näher, daß bei H Störmechanismen auf Grund nicht genau genug konturierter AAM's vorhanden sind, da bei ihm schon in vielen Situationen während seines Lebens ein Verhalten ablief, welches weder von ihm gewollt, noch auch von seinem "ÜberIch" wirksam verhindert werden konnte. Es müssen bei H von vornherein physiologische Fehlfunktionen dafür verantwortlich gewesen sein, daß er in verschiedenen biologischen und psychologischen Situationen nicht die jeweils richtige, gleichsam arterhaltende Leistung vollbringen konnte. So kann man gerade den Fall H als Beispiel dafür sehen, daß weder der sogenannte vom Bewußtsein gesteuerte Wille, noch Impulse aus dem "Über-Ich" allein die biologisch jeweils richtige Leistung bzw. das richtige Verhalten in der Umwelt garantieren können, zumal wenn das "Über-Ich" nicht funktionstüchtig ausgebildet ist. Die führende und wenn auch unbewußt - am wenigsten störbare Funktion scheint für das soziale Verhalten eben doch den automatisch regelnden AAM's zuzukommen. Sind diese aber bei einem Menschen bereits von vornherein nicht hinreichend ausgebildet, so fehlt es außerdem an den sicheren Bahnen, auf denen sich Prägungen, späteres Lernen und Einstellen zur Umwelt vollziehen könnten. Es ist also ein ziemlich konkret formuliertes und funktionstüchtiges, genetisch bereits verankertes erstes Programm notwendig, damit sich das individuell zu erwerbende zweite Programm - s. o. S. 33 -, zu dem auch die Ausbildung des "Über-Ich" gehört, entwickeln kann. Da es bei H bereits am ersten Programm mangelte, konnte sich auch sein "Über-Ich" nicht funktionstüchtig ausbilden. c) Die eTH
Aus dem Bereich des "Über-Ich" wurde H's Handeln offensichtlich von keinen Impulsen gehindert. Erstaunlich ist dies auf Grund der obigen Darlegungen nicht. Verwundert stellt man allerdings fest, daß auch
3. Kap.: Die 9 ausführlich befragten Täter
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aus dem affektiven Bereich keine deutlichen Hemmungselemente wirksam wurden, da dieser bei H an sich leicht ansprechbar ist. Außerdem erstaunt es, woher H das Maß an Aggression zur Verfügung stand, um überhaupt die Tötungshandlung auszuführen, da er an sich sehr unaggressiv ist. Die notwendige Aggression hatte sich aber wohl im Laufe seines Lebens in kleinen und kleinsten Quanten gestaut, da er nie frei aus seiner eigenen Lebensenergie heraus leben konnte, sondern immer wieder durch Außeneinflüsse und Fehlschläge eingedämmt wurde. Besonders in der letzten Zeit hatte er durch die Schwierigkeiten mit seiner zweiten Frau wiederum seine Hoffnungen begraben müssen, endlich ein ruhiges, geordnetes und effektives Leben führen zu können. Dazu kamen noch die Schulden, die seine Frau in Geschäften auf seine Rechnung gemacht hatte. Das alles übte in H einen solchen Druck aus, daß auf diese Weise die Aggressivität entstehen konnte. Das Fehlen von Hemmungselementen aus dem affektiven Bereich läßt sich allerdings nicht so leicht erklären. Man kann das nur wie bei einem kleinen Kind sehen, das mit einem Gegenstand auf einen Menschen sticht und sich dabei noch gar nicht bewußt ist, daß es auf diese Weise Schmerzen und gefährliche Folgen verursacht. Da H tatsächlich noch auf einer kindlichen Entwicklungsstufe steht, auf der eine Prägung noch nicht stattgefunden hat oder nicht stattfinden konnte, könnte man hier eine Parallele ziehen. Dazu kommt, daß das Zustechen so schnell ging, daß bei der Tatbegehung selbst eine Identifizierung zeitlich kaum möglich war, so daß eine Hemmung nicht aufkommen konnte. d) Zusammenfassung
H's aTH ist in erster Linie bei der These 3a und zu einem geringen Teil bei der These 3 d - s. o. S. 44 - einzureihen. Seine eTH ist als Fall der These 2 a - s. o. S~ 57 - einzugruppieren, wobei H jedoch eine Ausnahmestellung einnimmt, da seiner psychischen Bedingtheit bereits Krankheitswert zukommt. IX. Der Täter I geboren: Beruf: Personenstand: TatOlrt: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise: 13 Lullles
1935
Maurerlehrling ledig Kiosk in einer Innenstadt 17.2.1956, ca. 21 Uhr 21 Jahre Kioskinhaber, 43 Jahre alt mit stiellosem, 50 cm langem Messer und Beil erschlagen
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2.
Teil: Die einzelnen Täter
Vorbemerkung
I's Tat stellt einen Notwehrexzeß dar. An seinem Fall kann man das Problem der Fluchtdistanz bzw. der kritischen Reaktion34 studieren35 • I ist der Täter, bei dem die meisten Elemente einer aTH und auch einer eTH vorhanden sind. 1. Lebenslauf und Vorgeschichte (aus den Strafakten)
I wurde als uneheliches Kind einer Hausangestellten in einem Dorf geboren. Zunächst blieb er ein halbes Jahr bei seiner Mutter, dann kam er zu den Eltern seines Erzeugers, die in einer Kleinstadt wohnten. Diese seine Großeltern sorgten 5 Jahre besonders nett für I. Dann kam er zu seinem leiblichen Vater in eine Kleinstadt, da dieser inzwischen eine andere Frau geheiratet hatte und den I bei sich aufziehen wollte. Schließlich aber wurde er VOfl. seiner leiblichen Mutter, die von Anfang an zu seinem Vormund bestellt worden war, in einen Ort am S.-See geholt, da auch sie inzwischen einen anderen Mann geheiratet hatte und einen eigenen Haushalt führte. Nun begann für I eine endlose Leidenszeit, da sein Stiefvater, der immer nur am Wochenende nach Hause kam - er arbeitete auswärts als Krankenwagenfahrer - ihn an den Wochenenden grundsätzlich mit einem Lederriemen brutal schlug und ihn anschließend bis zum Morgen bzw. bis zum Umfallen auf Holzscheiten knien ließ. In dieser Zeit lief I mehrmals von zu Hause fort zu seinen Großeltern, die 15 km entfernt wohnten. Auf diese Weise verwahrloste I: Er schwänzte gelegentlich die Schule und begann herumzustreunen. Seine Eltern warfen in seiner Gegenwart mit den zotigsten Bemerkungen um sich. 1945 ordnete das Vormundschaftsgericht die endgültige Fürsorgeerziehung für ihn an. 1948 kam I auf Antrag seiner Mutter wieder nach Hause. Sein Vater wechselte mehrmals den Arbeitsplatz. 1949 veranlaßte sein Vater ihn wiederholt zu gleichgeschlechtlichen Unzuchtshandlungen. I fand sich hierzu nur aus Furcht vor Mißhandlungen bereit. Als I einmal wieder aus Angst vor Strafe zu den Großeltern floh, erzählte er ihnen von den Unzuchtshandlungen seines Vaters. Der Vater bekam daraufhin 1 Jahr Gefängnis. I war inzwischen wiederum mehrmals in Fürsorgeerziehung. Nach seiner Schulentlassung arbeitete er bei einer Baufirma. Wegen des geringen Lehrlingsgeldes stahl er einmal einem Arbeitskollegen LOTenz b) S. 45; s. a. Erikson S. 28. Ghysbrecht S. 67: Totschlag aus Selbstverteidigung beim eventuell genügend angepaßten Menschen. 34
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einen kleinen Geldbetrag. Später beging er noch 2 weitere Diebstähle; die Strafe für den ersten Diebstahl wurde zur Bewährung ausgesetzt; für die anderen beiden Diebstähle erhielt er eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten. Bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis am 21. 1. hatte I noch DM 7,-. Er übernachtete in einem Neubau einer Großstadt, holte sich ein paarmal Unterstützungsbeiträge von der Gefangenenfürsorge und verdiente sich ab und zu Geld durch Schneeräumen. In den ersten Februartagen beging er gemeinsam mit einem früheren Mithäftling einen Autodiebstahl. Einen erbeuteten Koffer versetzte er an Hehler für DM 90,-. Außerdem beging er noch 2 weitere kleine Diebstähle. 2. Die Tat (aus den Strafakten)
Am 15. 2. hatte I überhaupt kein Geld mehr. Auf der Suche nach einer Einbruchsgelegenheit fiel ihm der Kiosk eines Altwarenhändlers auf. Er streunte noch 2 Tage herum und hatte am Tattag, dem 17. 2., überhaupt nichts mehr gegessen. Ca. um 20 Uhr brach I von hinten durch ein Fenster in den Kiosk ein. In eine vorgefundene Aktentasche füllte er 1 Fernglas, 4 Herren- und 1 Damenarmbanduhr. Dann ging er in den rückwärtigen Raum, nachdem er nichts Mitnehmenswertes mehr fand, wahrscheinlich, um sich noch etwas aufzuwärmen. Plötzlich kam der sehr kräftige Kioskinhaber durch die Vordertür in den Kiosk, um dort, wie es seine Gewohnheit war, zu übernachten, damit er etwaige Einbrecher stellen könne. I versuchte, sich hinter alten Kleidern zu verstecken. Er wurde jedoch nach kurzer Zeit von dem Kioskinhaber entdeckt. Es kam schließlich zu einem Kampf, in dem I darum bat, der Inhaber möge ihn laufen lassen. Als der Inhaber zu einem langen Messer griff, erfaßte den I Lebensangst und er bat den Inhaber, ihn doch wenigstens der Polizei zu übergeben. Dieser ging jedoch nicht darauf ein, sondern verletzte den I mit dem Messer. Schließlich konnte I das Messer ergreifen, worauf er den Inhaber am Kopf verletzte. Da ergriff der Inhaber ein stielloses Beil, mit dem er auf 1's Kopf schlug. I konnte jedoch dem Inhaber auch das Beil entwinden. Er schlug dann seinerseits den Inhaber mit dem Beil auf den Kopf. Dieser stürzte zu Boden. Wahrscheinlich versetzte I dem Inhaber nun noch 2 bis 3 weitere Schläge mit dem ca. 30 cm langen Buschmesser, mit dem die beiden vorher schon gekämpft hatten. Der Inhaber soll sich aber immer noch in Zuckungen bewegt haben. Dann nahm I die Geldbörse, die aus der Hosentasche des Inhabers hervorschaute und einen Anzug mit und floh. In einem Schnellzug13·
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wagen, der auf einem Abstellgleis eines Seitenbahnhofes stand, zog I sich um. Schließlich war er wegen der eigenen Verletzungen am Zusammenbrechen. Ein Bahnpolizist griff ihn auf und brachte ihn zur Sanitätswache. Vor dort transportierte man ihn in ein Krankenhaus. 3. Einzelheiten aus dem Gutachten des LG-Arztes Dr. Gerweck
In der Familie des I seien keine Geisteskrankheiten vorgekommen. I habe zu ihm in der Unterhaltung gesagt: "Wie ich das damals gemacht habe, das war eine Wut. Ich sag Ihnen, ich war wie ein toller Hund. Ich glaube, ich habe dann gar keine Gedanken mehr gehabt, nichts mehr habe ich gedacht. Ich ware noch fähig, daß ich nach der Tat weg bin. Was ich getan habe, ist mir erst im Krankenhaus gekommen." Es handle sich bei I um eine abartige, haltlose, psychopatische Persönlichkeit. Man könne ihm jedoch weder § 51 Abs. I, noch § 51 Abs. 11 StGB zubilligen. 4. Die Befragung des I in S
a) Kindheit und Jugend Trotz seiner fürchterlichen Eindrücke wegen des Verhaltens seines Stiefvaters habe er als Kind keine besonderen Ängste gehabt. Seine ersten 5 Lebensjahre bei seinen Großeltern seien sehr schön gewesen. An das Verhalten seines Stiefvaters habe er sich mit der Zeit gewöhnt. b) Wichtige ETlebnisse
Zu seinen wichtigen Erlebnissen gehöre für ihn die Behandlung durch seinen Stiefvater. Außerdem habe seine leibliche Mutter ihn mit 5 Jahren durch eine List von seinem leiblichen Vater weggeholt. Das sei damals entsetzlich für ihn gewesen. Außerdem hätten seine leibliche Mutter und sein Stiefvater immer vor seinen Augen im Schlafzimmer den GV vollzogen und dabei von Auspeitschen und ähnlichen Dingen gesprochen. c) Psychische StTuktUT, Reaktionsweisen
Er lebe gerne; wer hänge nicht am Leben? An sich kontrolliere er sein Denken und Handeln ziemlich genau. Jähzornig werde er nicht.
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Vor seiner Tat habe er eher einen labilen Charakter gehabt; heute sei er wohl eher ausgeglichen. Sadismusneigungen habe er nicht. Als er einmal seinem Großvater eine Virginia weggenommen habe, sei das unter großen Skrupeln geschehen. Er habe Respekt vor dem Alter. Er sei eher ein Einzelgänger. Dennoch könne er nicht allein leben. Falls seine Frau bzw. seine Freundin einen Seitensprung beginge, würde er weder sie noch den anderen Mann töten. Die Frau würde er wohl nicht einmal schlagen. Er sei tierlieb. Tiere töte er deshalb nicht, weil er sie gerne habe. Es bestehe ein Unterschied in der Hemmung, die überwunden werden müsse, je nachdem, ob man ein niederes oder ein höheres Tier töte. Fliegen habe er nur getötet, wenn sie ihn belästigt hätten. Wenn er schon ein Tier töten müsse, dann tue er es schnell und schmerzlos. Das Töten eines Fisches oder einer Fliege sei für ihn keine Überlegung. Am S.-See habe er als Kind oft Fische gefangen und sie auch getötet. Er identifiziere sich leicht mit den Erlebnissen anderer. Den älteren Leuten gegenüber sei er immer hilfsbereit. Er glaube, nicht brutal werden zu können. Z. B. könnte er nie Metzger werden. Er habe früher keine besonderen Interessen gehabt. Wunschträume habe er als Kind nicht gehabt. Er würde sich in keiner Weise als Abenteurer bezeichnen. d) Verhältnis zur Umwelt
Er reagiere immer ungefähr gleich, unabhängig davon, in welcher Umgebung er sich befinde. Mit den anderen komme er meist gut aus. Bei Diskussionen sei er eher Zuhörer.
e) Verhältnis zu Frauen und zur Sexualität Mit 17 Jahren habe er eine Freundin gehabt, die er sehr geliebt habe. Bei ihr zu Hause sei er sehr nett aufgenommen worden und habe zum erstenmal eine richtige Familie erlebt. Sein Vater habe diese Freundschaft dann aber mit Hilfe des Jugendamtes unterbunden. Später habe er noch andere Freudinnen gehabt. Seit jedoch seine erste Freundschaft unterbunden worden sei, sei er viel allein gewesen. Er habe Skrupel davor, eine Frau zu schlagen. Seine sexuelle Entwicklung sei normal verlaufen.
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2. Teil: Die einzelnen Täter f) Einstellung zum Leben, Ansichten
Er achte zunächst jeden Menschen. Selbstmordgedanken kenne er nicht. Der Zufall habe in seinem Leben keine bedeutende Rolle gespielt. Er sei gegen die Todesstrafe. Früher habe er sie aus Unreife noch bejaht. Es habe jedoch kein Mensch das Recht, über einen anderen Menschen das Todesurteil zu fällen. Das könne nur die Natur. Wer Henker werde, müsse besonders primitiv sein. Ein Töten mit dem elektrischen Stuhl dürfte für den Henker leichter sein als dem Opfer den Kopf abzuschlagen. Für die Primitivstämme gälten andere Sitten. Dort sei das Töten kein Unrecht. Das Töten von Menschen im Krieg sei Gewohnheit. Anfangs koste es noch Überwindung; dann ändere sich das. Mit den Soldaten habe er es nicht. Er sei gegen den Krieg eingestellt. Irgendeiner Zwangssituation bedürfe es nicht, damit jemand morde. Die meisten Morde könne er nicht verstehen. ' So insbesondere nicht den Taxi- oder den Kindermord. Solche Täter könnten nicht normal sein. Das Tötungsverbot habe es schon seit eh und je gegeben. Das liege im Ursprung des Menschen. Das sei der Selbsterhaltungstrieb. Auch vor dem Selbstmord müßte eine Art Scheu bestehen. Wenn ein Mensch wirklich überlege, dann töte er nicht. Er glaube, daß der Durchschnittsbürger Hemmungen zu töten habe. Sie seien vorwiegend im religiösen Bereich verwurzelt. Außerdem seien sie auch anerzogen; weiterhin beruhten sie auf Vernunftsgründen. Der normale Mensch habe den Drang zur Gemeinschaft; darin könnte auch der Drang liegen, nicht zu töten. Wer einmal getötet habe, der könne es wohl ein zweites Mal nicht mehr tun. In jedem werde es arbeiten, was er da angestellt habe; eine gewisse geistige Intelligenz könne die Tötungshemmung verstärken. Es bestehe kein Unterschied, ob man nun einen bekannten oder einen fremden Menschen töte. Es sei einfacher, jemanden zu erschießen als jemanden zu erwürgen. Es fehle da der unmittelbare Kontakt. Es sei leichter, ein Embryo abzutreiben als einen schon geborenen Menschen zu töten. Es bedeute jedoch keinen Unterschied in der Über-
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windung, ob man nun ein Kind, einen Mann, eine Frau oder einen kranken Menschen töte. Er könnte die Spritze zur Sterbehilfe nicht geben. Auch dem Arzt werde es schwer fallen. Verschiedene Handlungsweisen würden von der Gesellschaft aus natürlichen Gründen für gut oder schlecht befunden. Wenn bei uns heute die Gesetze hinfällig würden, dann würden nach kurzer Zeit die gleichen Gesetze wieder entstehen. Wenn es heute aber keine Gesetze gäbe, dann wäre zunächst Mord und Totschlag. Es gälte das Recht des Stärkeren. Es müßte sich erst wieder ein Staat bilden. Zur Moral, wenn man sie als gesittetes Leben verstehe, habe er ein positives Verhältnis. Über einige Gesetze, so über einige der 10 Gebote, könne er sich nicht hinwegsetzen. Mit 15 Jahren habe seine Gläubigkeit aufgehört, vielleicht gerade deshalb, weil es in den Heimen so christlich zugegangen sei. Das In-dieKirche-gehen sei damals eine Fassade gewesen. Das andere Leben habe gar kein Verhältnis dazu gehabt.
g) Verhältnis zum fremden, zum eigenen Tod Die Tötung eines Menschen habe er früher nie miterlebt. Als man ihm vom Tod des Kioskinhabers erzählt habe, habe das einen Schock für ihn bedeutet. Zu seinem eigenen Sterbenmüssen habe er folgende Einstellung: "Wenn' gar ist, ist's gar."
h) Die Tat Die größten Teile der Tat seien im Unterbewußtsein geschehen. Es sei ein Kampf auf Leben und Tod gewesen. Die letzten Schläge habe er ohne Tötungsabsicht geführt. Als er gegangen sei, habe er gedacht, der Mann sei noch am Leben. Einzelne Details seien vom Gericht so konstruiert worden, wie sie gar nicht gewesen seien. i) Stellungnahme des Täters zur Tat
Er fühle sich nicht als Mörder. Er habe ja gar nicht töten wollen. Der Gedanke, Mörder zu sein, peinige ihn. Nach seiner Tat sei Reue gar nicht in Frage gekommen. Früher sei ihm nie der Gedanke gekommen, einen Menschen zu töten.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
k) Traumleben; die Erzählung aus 5 vorgegebenen Begriffen Traumleben: Seine Träume entsprächen eher der Wirklichkeit. Albträume habe er nicht. Er träume von seinen Großeltern, von seiner ersten Freundin dabei kämen auch Sexualträume vor, sowie von anderen Bekannten. Hauptschauplatz seiner Träume sei das Land. Die Erzählung: "Ein Soldat hält abends am Fluß Wache. Seine Blicke streifen zu dem fernen Haus. Seine Gedanken gehen nach Hause zu seiner Frau, seinen Kindern. Er fragt sich, ob sie auch so geborgen wie die Leute in diesem fernen Haus sein werden. (I sagt: "Jetzt lassen wir es platzen!".) Doch das Gebrüll eines Tigers schreckt ihn jäh aus seinen Gedanken zurück." 5. Beurteilung a) Allgemeine psychologische Interpretation der Antworten
I begegnete dem Verfasser als ein verhältnismäßig sensibler, überlegter, offener und auch selbstbewußter Mensch. Nach dem Täter D ist I wohl der intelligenteste der befragten Täter. Er wog seine Antworten vorher oft kritisch ab, nicht so sehr, um sich zu tarnen, sondern aus der Erkenntnis heraus, daß man viele der gestellten Fragen nicht eindeutig beantworten konnte. I kann man nur insoweit als einen leichten Psychopathen bezeichnen, als er überdurchschnittlich willensschwach ist. Bei ihm war es, im Vergleich zu den meisten anderen Tätern, dennoch weitgehend zu einer Ich-Identifikation gekommen. Allerdings muß dabei berücksichtigt werden, daß I zum Zeitpunkt der Befragung bereits 10 Jahre älter war als zum Tatz~itpunkt, so daß inzwischen eine verhältnismäßig starke Nachreifung stattgefunden haben kann. Trotz der unruhigen Kindheit ist bei I keine Neurose festzustellen. Sein "Über-Ich" hat sich verhältnismäßig gesund ausgebildet; das gilt auch für seinen affektiven Bereich. Dies liegt daran, daß seine psychische Konstitution relativ widerstandsfähig sein muß. Außerdem erlebte I während seiner Kindheit bis zum 6. Lebensjahr ein Kontinuum an Liebe, Geborgenheit, Erziehung und sozial gesunder Umwelt, wodurch bei ihm ein Grundstock gelegt wurde, der im Kern nicht mehr zerstört werden konnte. Die folgende Zeit bei seiner leiblichen Mutter und bei seinem Stiefvater konnte natürlich nicht ohne Wirkung bleiben, ebenso wie die Zeit der Fürsorgeerziehung; jedoch hat I sich nie ganz von seinem Kern in seiner Entwicklung getrennt. Seine Diebstähle sind weitgehend situa-
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tionsbedingt, da er manchmal einfach kein Geld mehr hatte, um sich eine Mahlzeit kaufen zu können. Als Lehrling verdiente er anfangs nur DM 30,-. Von zu Hause bekam er keine Unterstützung; er wohnte mit anderen Arbeitern in einer Baubaracke seiner Arbeitgeberfirma. So konnte er nie, wie die anderen Lehrlinge, ausgiebig essen oder ins Kino gehen, da ihm die Mittel fehlten. 1's Vermögensdelikte sprechen für seine Willensschwäche, denn mit etwas Initiative hätte er sich durch Sonderarbeit das notwendige Geld verschaffen können. Jedoch sind sie nicht als Anzeichen eines kriminellen Hanges zu werten. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis konnte er keine Arbeit finden. Gleichzeitig war er zu bequem oder zu stolz, Fürsorgeunterstützung in Anspruch zu nehmen. Wenn er nun aus dem Kiosk einige Gegenstände entwenden wollte, so lag ihm doch ein Körperverletzungsdelikt oder gar ein Mord vollkommen fern. b) Die aTH
1's Kampf mit dem Kioskinhaber war, wenn überhaupt, erst in der letzten Phase von einem Tötungswillen bestimmt. Der Kioskinhaber hatte I in Lebensangst versetzt und ihm jede Fluchtmöglichkeit genommen. So entwickelte sich das Handgemenge zu einem Kampf auf Leben und Tod. In einer solchen Situation dominiert aber so sehr der Selbsterhaltungstrieb, daß Schläge nicht mehr von Elementen einer an sich vorhandenen aTH kontrolliert werden. Es ist hier ein direkter Vergleich mit dem Phänomen der Fluchtdistanz beim Tier - s. o. S. 194 - möglich. Als der Kioskinhaber schon am Boden lag, soll I ihm noch 2 bis 3 weitere Schläge mit dem Messer versetzt haben, obwohl die Notwehrsituation als solche beendet war. Insofern muß doch auch bei I nach dem Vorhandensein bzw. der besonderen Ausgestaltung einer aTH gefragt werden: Einerseits steht sein Handeln insoweit immer noch unter Ausläufern der Wirkung des Selbsterhaltungstriebes; andererseits kann sein Handeln auch als unbewußter stellvertretender Aggressionsausbruch gegen seinen Vater angesehen werden. Der Kioskbesitzer nämlich hatte seine anfängliche körperliche Übermacht dazu ausgenützt, um I brutal und unverhältnismäßig zu behandeln, wie das 1's Vater auch immer getan hatte. Da sich die Situation nun so zuspitzte, daß eher das Unbewußte als das Bewußte dominierte, kann subjektiv für I ein Austausch der Personen stattgefunden haben, so daß er in dem Kioskinhaber seinen Stiefvater sah. Da sich in I jedoch gegen diesen Stiefvater ein ganz enormes Maß an Aggressivität angesammelt haben mußte, ist ein entsprechender Ausbruch dieser gestauten Aggression, den nur ein sehr
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2. Teil: Die einzelnen Täter
hohes Maß an Hemmungsenergie wirksam hätte bekämpfen können, leicht erklärbar. Gezündet wurde dieser Anteil der Aggression auf der zweiten Stufe, nachdem auf der ersten Stufe die Aggression durch die Fluchtdistanzsituation freigesetzt worden war. Ohne diese erste Stufe wäre es bei I jedoch nie zur Zündung der zweiten Stufe gekommen, da seine aTH an sich zu genau funktioniert. Dies wird aus seinen Antworten deutlich, von denen in diesem Zusammenhang nochmals einige genannt sein sollen: Er habe Skrupel davor, eine Frau zu schlagen. Er sei gegen die Todesstrafe. Für den Henker dürfte das Töten mit dem elektrischen Stuhl leichter sein als dem Opfer den Kopf abzuschlagen. Das Tötungsverbot habe es schon seit eh und je gegeben. Es sei einfacher, jemanden zu erschießen als jemanden zu erwürgen. Es fehle da der unmittelbare Kontakt. Diese Antwort kann man speziell als mitbestimmt von I's damaliger Tat sehen, indem die damalige unmittelbare Konfrontation mit dem Kioskinhaber offensichtlich einen Signalfaktor für I darstellte. Daß I noch weiter zuschlug, als der Kioskinhaber bereits kampfunfähig am Boden lag, kann man unter dem Gesichtspunkt des Irrtums der AAM's über die biologische und psychologische Situation ansehen s. o. S. 32 und S. 38 -, wenn man von der eben versuchten tiefenpsychologischen Deutung der Tat in ihrer Endphase: der stellvertretenden Vatertötung, ausgeht. Für diese Modalität stand eine so enorme Aggressivität in I zur Verfügung, daß auch verhältnismäßig hohe Signalfaktoren nicht ausreichten, um eine tödliche Aggression zu verhindern. Diese Deutung muß jedoch als eher hypothetisch gewertet werden. c) Die eTH
Es ist schon gesagt worden, daß sich bei I während der ersten 5 Lebensjahre eine feste, sozialadäquate psychische Grundlage aufgebaut hat, die dann als Maßstab für ein gut funktionierendes "Über-Ich" dienen konnte. Später mußte I's psychischer Apparat zwangsläufig durch das Verhalten seines Stiefvaters negativ beeinflußt werden. Nimmt man nun I's übrige Aussagen, so zeigt sich, daß die meisten für ein auch heute noch intaktes "Über-Ich" sprechen. I ist eher weich (er malt übrigens im Zuchthaus erstaunlich gut und sensibel in der Farbgebung), affektiv leicht ansprechbar, und er versetzt sich schnell in Beispielsituationen. Jedoch ist eine gewisse Labilität bei ihm festzustellen, die in erster Linie auf einer Willensschwäche beruht. Diese Willensschwäche ist möglicherweise auch dafür verantwortlich, daß gelegentlich die durchaus vorhandenen hemmenden Elemente aus
4. Kap.: Die 3 kurzbefragten Täter
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dem "über-Ich" und aus den affektiven Schichten vom " Ich " nicht realisiert werden. Bei der Tat selbst spielte dieser Aspekt jedoch keine Rolle. d) Zusammenfassung
Bei I ist während der ersten Phase das Nichtinkrafttreten einer an sich normal vorhandenen aTH und eTH auf das Phänomen des Handelns innerhalb der "Fluchtdistanz" zurückzuführen. In der letzten Phase der Tat kommt der Ausbruch einer lange schon gegenüber dem Stiefvater gestauten Aggression zum Ausdruck, die sich stellvertreten bzw. " irrtümlich " gegen den Kioskinhaber richtete. Auf I's aTH kann man also, soweit die zweite Phase der Tat zur Diskussion steht, die These 3b, in Verbindung mit der These 3e - s. o. S. 44 -, anwenden, während I im Rahmen der ersten Phase seiner Tat hinsichtlich der aTH einem Nichtmörder gleichzustellen wäre. Soweit I's eTH zu beurteilen ist, kommt keine der auf S. 57 aufgeführten Thesen 2 ff. in Betracht, vielmehr entspricht er hinsichtlich seiner eTH einem Nichtmörder (These 1) - s. o. S. 56 f.
Viertes Kapitel
Die 3 kurz befragten Täter DerStil der Darstellung ändert sich nunmehr, da die Täter J, Kund L nur kurz in S. befragt werden konnten. Den Einzelheiten aus den Strafakten wird deshalb im folgenden der Vorrang eingeräumt.
X. Der Täter J geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
1940 Fliesenleger, Hilfsarbeiter verwitwet Brücke über einer Schlucht, eigene Wohnung 4. 9. 1962, ca. 24 Uhr und 2.30 Uhr 22 Jahre Ehefrau, 23 Jahre alt; Sohn, 7 Monate alt Ehefrau in eine Schlucht gestürzt; Sohn im Bett erstickt und anschließend ebenfalls in die Schlucht geworfen.
2. Teil: Die einzelnen Täter
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Vorbemerkung
Bei J machte sich bei seiner ersten Tat eine aTH bemerkbar, die er jedoch schließlich auf sehr interessante Weise überwand. Bei seiner zweiten Tat ist eine aTH nur schwach aufgetreten, eine eTH scheint J überhaupt nicht zu besitzen. J ist ein stark aggressiver Mensch, roh in seinen Gefühlsäußerungen und von einem ungeheuren Geltungsdrang besessen. Als Typ liegt J zwischen den Tätern A und B. 1. Lebenslauf und Vorgeschichte (aus den strafakten)
J wuchs in einer Kleinstadt auf. Er hat noch einen älteren und einen jüngeren Bruder und eine jüngere Schwester. Die Volksschule besuchte er als mittelmäßiger Schüler. Nach der Volksschulzeit erlernte er das Fliesenlegerhandwerk. Bis 1959 arbeitete er während der Sommersaison in der väterlichen Limonadenfabrik als Hilfsarbeiter. J's Vater besaß den Betrieb bereits seit 25 Jahren. Im Winter verdingte er sich als Hilfsarbeiter im Baugewerbe. Außerdem besuchte J ein Jahr lang die Landwirtschaftsschule, da er ursprünglich die väterliche Landwirtschaft übernehmen sollte. Dieser Plan zerschlug sich jedoch. Im Sommer 1958 lernte er die K, seine spätere Frau, kennen. Sie war damals 19 Jahre alt und arbeitete in einer Pension als Zimmermädchen. Mit 16 Jahren hatte J bereits intime Beziehungen mit Mädchen begonnen, nach kurzer Zeit auch mit verheirateten Frauen. Im Einverständnis mit seinen Eltern, ja sogar auf deren Wunsch, entschloß J sich, im Sommer 1959 von zu Haus fortzugehen. Seine Eltern erhofften sich davon einen erzieherischen Vorteil und das Wachsen einer ernsteren Lebensauffassung bei ihrem Sohn. Deshalb arbeitete J nun in dem einige 100 km entfernten R mit einem Freund auf einer Baustelle. Am 12.11.1959 wurde er wegen Diebstahls zu 25 Tagen Gefängnis verurteilt. Als in R. eine Frau von ihm schwanger wurde, verließ er diese Stadt wieder und kehrte nach Hause zurück. Dort traf er wieder mit der K zusammen. Als die in R von ihm schwangere Frau Briefe schrieb, zeugte J der K absichtlich ein Kind, um für die Frau in R eine Ausrede zu haben, da ihm die K lieber war. Er kümmerte sich anschließend jedoch kaum um die K, sondern lebte sein aufwendiges Leben in Lokalen und mit anderen Frauen weiter. In diese Zeit fiel J's Bekanntschaft mit P, einem ledigen Hilfsarbeiter aus Berlin, der in der väterlichen Limonadenfabrik arbeitete. P hatte sich schon verschiedene Vermögensdelikte zuschulden kommen lassen.
4. Kap.: Die 3 kurzbefragten Täter
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Am 14.10.1960 wurde J's erstes Kind, ein Mädchen, von der K geboren. Einige Wochen nach der Geburt kam das Kind zu den Eltern der K, da J sich nicht um den Unterhalt kümmerte. Das Kind blieb auch in der Folgezeit bei den Eltern der K. Bis zur Tat hatte J seine Tochter 2 oder 3 mal gesehen.
1961 wurde die K ein zweites mal von J schwanger. Auf eindringliches Bitten und Jammern der K und ihrer Eltern heiratete J die K schließlich. Er tat dies auch, weil er keinen Unterhalt für seine uneheliche Tochter zahlen wollte, wozu er, falls er nicht heiraten würde, gezwungen werden sollte. J kümmerte sich jedoch überhaupt nicht um die Hochzeit, sondern lebte wie eh und je sein eigenes Leben. Seine nunmehr ihm angetraute Frau arbeitete und wohnte jetzt bei J's Eltern. Auch in dieser Zeit gab J seiner Frau nur ganz ab und zu 10,- oder 20,- DM. Für seine Vergnügungsfahrten nahm sich J oft einen Leihwagen. Im Frühjahr 1962 kaufte er sich einen gebrauchten Volkswagen für DM 950,-. Die Vergnügungsfahrten unternahm er auch oft zusammen mit dem oben erwähnten P. Am 4.2.1962 kam J's Sohn H auf die Welt. Auch das veranlaßte J nicht, seine Gewohnheiten zu ändern. Der Sohn lebte bei den Eltern des J, die dann auch für dessen gesamten Lebensunterhalt aufkamen. J war zu seiner Frau mehrmals sehr grob und schlug sie mindestens 5 mal erheblich. Die K litt unter ihrer Ehe und kam immer mehr zu dem Entschluß, den J zu verlassen. Dies sagte sie ihm auch; J konnte sie jedoch immer wieder durch ein paar "gute" Worte beschwichtigen. Im Frühjahr 1962 wurde die K zum dritten mal von ihm schwanger. J sprach kaum noch mit ihr und hielt sich auch nur noch selten zu Hause auf. Er sagte ihr, er wolle frei sein und keine Verpflichtungen haben. 2. Die Tat (aus den Strafakten) Im Sommer 1962 begann J, über eine Möglichkeit nachzugrübeln, seinen mißlichen Ehezustand mit allen Begleitumständen zu beenden. Mitte August kam ihm der Gedanke, seine Frau zu beseitigen. Zunächst hatte er folgenden Plan: Er wollte mit seiner Frau zu einem See zum Baden fahren, sie zunächst mit einem Stein betäuben und sie dann, mit einem Stein beschwert, von einem Kahn aus an einer tiefen Stelle im See versenken. Einen geeigneten Stein hatte er sich bereits in seinem VW zurechtgelegt. Damit nach dem Verschwinden seiner Frau kein Verdacht auf ihn fiele, sondern ein Selbstmord angenommen werden könne, war er entschlossen, auch das damals noch 5 Monate alte Kind H mitzunehmen und ebenfalls in den See zu werfen.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Da J mit seinem Auto kurz darauf einen Unfall in angetrunkenem Zustand verursachte, und ihm deshalb der Führerschein abgenommen wurde, kam es nicht zur Ausführung dieses Planes. Daraufhin weihte er P in sein Vorhaben ein und bat ihn, sich eine Fahrgelegenheit mit einem Kraftwagen zu verschaffen. P erklärte sich bereit, mitzumachen. Man dachte daran, einen Leihwagen zu nehmen. Beide gingen von der Vorstellung aus, daß P den Wagen fahren solle. J wollte nun seine Frau "so schnell wie möglich weiter haben". P äußerte jedoch Bedenken, die K im See zu versenken, da der Weg zu weit sei und vielleicht auch kein Kahn zur Verfügung stehe. Er schlug vielmehr vor, die K von einer Brücke aus in eine Schlucht zu werfen. J gefiel dieser Plan zunächst nicht recht, weil er fürchtete, man könne die Leichen dann schneller entdecken. Schließlich war er aber doch mit dieser - auch nach seiner Ansicht nicht so umständlichen - Tatausführung einverstanden. Dieser Plan wurde in der Nacht zum Tattag besprochen. Beide verabredeten, daß P einen Leihwagen beschaffen und dann auch am Abend für J fahren solle. Nach Beendigung ihrer Arbeit fuhren beide ca. um 19 Uhr mit dem Bus in die Stadt, um den Leihwagen abzuholen. In diesen Bus stieg zufällig auch die S ein, eine 23jährige verheiratete Frau, mit der J seit einigen Wochen intim befreundet war. Er verabredete mit ihr für den späten Abend ein Zusammentreffen in einem Lokal, um sich so ein Alibi zu verschaffen. Als J mit P nach Hause kam, forderte er seine Frau auf, ihm die Schuhe zu putzen. Als sie dies nicht gleich tun wollte, packte er sie am Genick, schob sie zur Tür hinaus und erreichte, daß sie ihm tatsächlich die Schuhe putzte. Nachdem er anschließend versucht hatte, seine Frau wieder zu beschwichtigen, indem er zärtlich wurde und sie küßte, verließ er mit P die Wohnung. Von dort aus fuhren J und P zu dem vereinbarten Zusammentreffen mit der S. Bis ca. 22.30 Uhr blieb J mit der S in einem Lokal zusammen, während P in der Zwischenzeit mit einem anderen Mädchen in den S.-Auen geschlechtlich verkehrte.
Als P zurückkam, verließ J mit ihm das Lokal, indem er der S sagte, sie solle ihn gegen Mitternacht in einem anderen Lokal wieder erwarten. J und P fuhren unterwegs noch an einem Imbißstüberl vorbei, in dem J einen doppelten Kognak trank, damit er, wie er sagte, besser in Stimmung sei und sich mehr zutraue. J hatte nun den Einfall, bei einem Neubau eine Eisenstange mitzunehmen, mit welcher die K betäubt werden sollte. Als sich nichts geeignetes fand, brachte P einen Stein in der Größe zweier Fäuste. J fand ihn geeignet und legte ihn hinter den Rücksitz des Wagens. Er wollte seiner Frau kurz vor der Stelle, an der sie dann in die Schlucht geworfen werden sollte, mit dem Stein auf den Kopf schlagen, damit sie bewußtlos sei und die Tatausführung "leichter und schneller gehe".
4. Kap.: Die 3 kurzbefragten Täter
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Als J in seine Wohnung kam, traf er seine Frau und das Kind schlafend an. Er weckte die K und sagte ihr, sie könne die L, die sich mit ihr aussprechen wolle, jetzt treffen. Die K wollte zunächst nicht mitgehen, ließ sich aber dann durch das Drängen des J überreden, stand auf und zog sich an. J, der sich unterdessen auf der im Zimmer stehenden Couch ausstreckte, schlief vor Müdigkeit ein. Als seine Frau fertig war, weckte sie ihn und verließ mit ihm die Wohnung. Draußen wartete P im Auto. Die K nahm hinten rechts, J hinten links im Wagen Platz; P steuerte das Auto. Im Bereich des Gasthauses M, wo der Abfall der Schlucht am steilsten ist, sollte nach dem Plan der beiden die K von einer der dort befindlichen beiden Straßenbrücken hinuntergeworfen werden. Während der Fahrt wurde nicht viel gesprochen. Bei der ersten Brücke ergriff J den Stein - schon während der Fahrt hatte er seinen rechten Arm hinter der K auf die Rückenlehne gelegt - und schlug ihn seiner Frau auf den Hinterkopf, um sie zu betäuben. Die erhoffte Wirkung trat jedoch nicht ein. Seine Frau soll nur verwundert gefragt haben, was er da gemacht habe. P fuhr bereits über die nächste Brücke (späterer Tatort) und auch an dem kurz hinter dem Brückenende gelegenen Gasthaus M vorbei. Dann kehrte er um und hielt etwa auf der Mitte der 80 m langen Brücke. J forderte P nun auf, auszusteigen, im Gasthaus M nachzusehen und die L mitzubringen. P ging die Brücke entlang und auf das Gasthaus zu. Als J den P zurückkommen hörte, stieg er aus und ging ihm ein paar Meter entgegen. P riet J, er solle wieder in das Auto einsteigen und seiner Frau nochmals einen Schlag mit dem Stein versetzen. Als J dies für undurchführbar hielt, schlug P ihm vor, er solle den Wagenheber dazu benützen. Auch dies war nach Meinung des J nicht zu machen, weil es zu auffällig sei. Da schlug P vor, J solle seine Frau aussteigen lassen, mit ihr am Geländer entlang gehen und ihr in einem günstigen Augenblick einen Stoß geben. Während P etwa an der Stelle, wo sie miteinander gesprochen hatten, stehen blieb, forderte J seine Frau auf, auszusteigen. Völlig ahnungslos verließ diese das Auto und ging mit J zu der Stelle, wo P wartete. Dort standen sie dann, halb sitzend, halb angelehnt, an der 68 cm hohen und ca. 50 cm breiten Brüstung. Weil J sich nicht entschließen konnte, die Tat auszuführen, und weil ab und zu Autos vorüberfuhren, forderte er den P auf, den Wagen auf den am Ende der Brücke gelegenen Parkplatz zu fahren. Als P nach einigen Minuten zurückkam, schickte J ihn erneut zum Gasthaus M, damit er nachsehe, ob die L gekommen sei. Nach ca. 5 Minuten kam P mit der Antwort zurück, es sei dort alles finster. Daraufhin gab J dem P den Auftrag, noch in das ca. 2 km entfernte Hotel F zu fahren, um nachzusehen, ob die L dort warte. In der Zwischenzeit wollte J die Tat ausgeführt haben. Als P aber nach 5 bis 8
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Minuten zurückkam, stand J immer noch mit der K am Brückengeländer. Da gelegentlich Autos vorbeikamen, fürchtete er auch, im entscheidenden Moment im Scheinwerferlicht zu stehen. J zählte einmal bis 10, mit der festen Absicht, bei 10 seine Frau hinabzustürzen. P hielt nun den Wagen neben J und seiner Frau an, blieb aber selbst im Auto sitzen. Beide standen nun, immer noch halb auf der Brüstung sitzend, halb an diese gelehnt, Zigaretten rauchend, nebeneinander. Da gab J ihr mit der linken Hand einen kräftigen Stoß vor die Brust, so daß sie, ohne sich wehren oder noch irgendwo festhalten zu können, nach rückwärts über das niedrige Geländer in die Tiefe stürzte. J schaute dem fallenden Körper noch nach, dann hörte er dessen Aufschlagen am Grunde der Schlucht. Schließlich stieg J in das wartende Auto zu P. Es war kurz vor Mitternacht. Daß seine Frau im 4. oder 5. Monat schwanger war, wußte J; dies war vor allem ein Grund für ihn gewesen, seine Frau umzubringen. J ging es nun darum, wie vereinbart die S zu treffen. Er schickte P in das Weinhaus G, wo dieser wieder für die Fahrt mit.dem Kind auf ihn warten sollte. Die Straf J nun in einem Lokal, führte mit ihr den GV im freien Gelände aus und brachte sie nach Hause. Dann holte J den P im Weinhaus G ab, um das Kind aus der Wohnung zu holen. Das Kind sollte nach J's Plan lebend in die Schlucht geworfen werden. P fragte den J während der Fahrt, ob "das mit dem Kind" noch notwendig sei. J überzeugte ihn aber von der Notwendigkeit, indem er ihm erklärte, es glaube sonst niemand, daß seine Frau sich das Leben genommen habe, denn ohne das Kind wäre sie nie fortgegangen. Angeblich gingen J aber nun doch, als er in die Wohnung ging, P's Worte durch den Kopf. Er will dann tatsächlich überlegt haben, ob es nicht eine andere Lösung gäbe. Da begann, als er das Zimmer betrat und Licht machte, das Kind zu schreien. Um dies zu verhindern, hielt er dem Kind mit der rechten Hand den Mund und, als es mit Händchen und Füßen um sich schlug, auch die Nase zu, mit der linken Hand griff er hinter den Kopf des noch in seinem Bettchen liegenden Kindes und drückte fest dagegen, bis die Bewegungen nachließen und das Kind schließlich regungslos dalag. Ihm kam es vor, als hätte es 5-10 Minuten gedauert. Seine Knie zitterten und es brach ihm der Schweiß aus. Dann legte er das Kind, das er nun für "tot hielt, auf die Couch und wickelte es so in zwei Decken ein, daß man nichts mehr von ihm sah. Um den Eindruck eines Selbstmordes der Mutter mit dem Kind zu verstärken und glaubhafter zu machen, packte er noch 2 oder 3 Windeln und ein Strampelhöschen dazu und nahm in einem Karton die von seiner Frau für den nächsten Morgen bereitgestellte Saugflasche mit.
4. Kap.: Die 3 kurzbefragten Täter
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Im Auto legte er das Kind und die Flasche auf den Rücksitz. P fragte, ob das Kind, das sich nicht rührte und auch auf der Fahrt keinen Laut von sich gab, schlafe. J gab ihm zur Antwort, er glaube, daß es schon tot sei. P hielt schließlich wieder auf der Brücke an der gleichen Stelle, wo er um 24 Uhr gestanden hatte. J stieg aus, nahm das in dem Deckenpaket eingewickelte Kind vom Rücksitz des Wagens und warf es über das Brückengeländer in die Schlucht. P blieb unterdessen im Wagen sitzen. P und J fuhren dann wieder nach R zurück und warfen unterwegs die Milchflasche und einen Karton in eine andere Schlucht. Im Gasthaus H tranken beide noch je 1 Glas Bier; außerdem kauften sie sich Zigaretten. Um 3.25 Uhr verließen sie das Lokal und stellten das Auto bei der Leihwagenfirma ab. J wurde am nächsten Morgen um 8 Uhr von P geweckt, da er die übliche Zeit verschlafen hatte. J ging dann wie gewöhnlich zur Arbeit. Nach kurzer Zeit wurde er von der Polizei verhaftet. 3. Einzelheiten aus dem Gutachten des LG-Arztes
J habe verschiedene Unfälle in seiner Jugend erlitten. Keiner dieser Unfälle habe jedoch irgendwelche nachweisbaren Folgen hinterlassen. Es bestünden keine Anhaltspunkte für eine Geisteskrankheit oder einen rechtserheblichen Schwachsinnsgrad. Bei J handle es sich um einen gemütslosen Psychopathen. Menschen dieser Art fehle eine Eindrucksfähigkeit für Gefühlswerte; sie hätten keine Anhänglichkeit an die Familie; oft seien sie von einer zynischen Kälte und kennten weder Mitleid noch Mitfreude. 4. Die Befragung des J in S
J war bei der Befragung aufgeschlossen. Er sprach über sich wie über jemanden, für den es keine besonderen Gefühle gebe, den nichts rühre, der die Welt kenne. Es war deutlich zu spüren, daß er ein Bild von sich geben wollte, das die anderen in seinen Augen von ihm seit seinem ca. 16. Lebensjahr haben: Der Super-Mann, der alles so tut, wie es ihm gerade Spaß macht, der Erfolg hat bei den Frauen und der weiß, daß man durch eine gewisse äußere Härte und Unbeeindruckbarkeit imponieren kann. Er sei mit seinen Eltern, insbesondere mit seinem Vater, schon sehr früh nicht mehr ausgekommen. Als er 16 Jahre alt geworden sei, habe sein Vater es aufgegeben, ihn zu erziehen. Er habe ihm auch gesagt, er übernähme ab jetzt keine Verantwortung mehr für ihn. Er sei als Kind kein Einzelgänger gewesen. An irgendwelche besonderen Erlebnisse könne er sich nicht erinnern. Er habe einmal als Junge 3 Katzen töten sollen. Das sei ihm sehr schwer gefallen, da er Tiere 14 Lull1es
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2. Teil: Die einzelnen Täter
eigentlich sehr gerne habe. Er habe sie dann mit großer Wucht auf den Boden geschlagen, damit sie wenigstens sofort tot seien und nicht hätten leiden müssen. Später habe er einmal ein paar Monate im Schlachthof gearbeitet; das habe ihm jedoch nichts ausgemacht. An die einzelnen Frauen, mit denen er zusammen gewesen sei, habe er sich nicht besonders engagiert. Mit vielen habe er den GV vollzogen, weil die Initiative von ihnen ausgegangen sei. Es habe wahrscheinlich für viele Frauen eine wichtige Rolle gespielt, auch einmal mit ihm zu schlafen, da man von ihm wußte, daß er ein Casanova sei. Seine Frau habe er eigentlich ganz gerne gehabt; er hätte sich zumindest keine bessere für sich vorstellen können. Nachträglich betrachtet, sei seine Frau vielleicht anfangs zu nachgiebig gewesen; andererseits hätte er sich doch nichts von ihr sagen lassen. Später habe sie ihn nachts zweimal ausgesperrt, weil er so lange nicht nach Hause gekommen sei; da habe er die Fensterscheibe eingeworfen und sie ziemlich verprügelt. Regelmäßig geschlagen habe er sie nicht. Als er den Plan gefaßt habe, seine Frau umzubringen, seien ihm keine Bedenken gekommen. Erst als er die Tat ausführen sollte, habe er es nicht gekonnt. Er habe versucht, bis 10 zu zählen; dann habe er sich auf der Brücke vorgestellt, neben ihm sitze nicht seine Frau, sondern sein ärgster Feind. Schließlich habe er sie dann heruntergestoßen, als der P mit dem Auto wieder zurückgekommen sei und gewartet habe, bis er die verabredete Tat ausgeführt habe. Ein Stoß habe ausgereicht. Er bereue seine Tat eigentlich nicht. Seinen Sohn zu töten, sei ihm zwar im ersten Moment nicht schwer gefallen, aber dann habe es ihn doch mitgenommen, ihm immer weiter Mund und Nase zuzuhalten. Allerdings sei so ein kleiner Säugling noch nicht so sehr Mensch, so daß man ihn wohl eher töten könne als einen Menschen, zu dem man schon Kontakt aufnehmen könne. 5. Beurteilung
a) Allgemeine psychologische Interpretation Nach außen hin zeigt J eine ganz besonders rauhe Schale. Vor seiner Umwelt will er das sein, was sie in seinen Augen von ihm erwartet: Ein kleiner Übermensch, ohne alle feineren Regungen. In diese Rolle hat J sich als Kind einmal drängen lassen auf Grund von Vorkommnissen und Eindrücken, die sich in der leider nur kurzen Befragung nicht ermitteln ließen. Ursprünglich aber muß J in den ersten Lebensjahren doch dem Einfluß des Vaters und der Mutter zugänglich gewesen sein; denn J's ganzes Persönlichkeitsbild deutet darauf hin, daß irgendwann
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ein besonderer Wandel stattfand, der dazu führte, daß er seither in Opposition zu seinem früheren Verhalten und zu seinen früheren psychischen Eindrücken lebte. Seither hat er sich zunehmend psychopathisch entwickelt und einem Drang nach übertriebener Selbständigkeit und Selbstbestätigung nachgegeben. Er identifiziert sich nun mit einer Art Wahnbild, einer Romanfigur. Immer mehr wächst er in diese Rolle hinein, aus der er gar nicht mehr heraussteigen kann, da er sich in der Umwelt als diese Romanfigur präjudiziert glaubt. Auf diesem Weg mußte er alle früheren affektiven Regungen und alle Impulse des "Über-Ich" verdrängen und abbauen. b) Die aTH Die Tötung seiner Frau:
An J's erster Tat kann man sehr klar erkennen, wie eine aTH, auch wenn sie nicht allzu stark ausgeprägt ist, bei entsprechender Rückkopplung funktioniert, da bei J eine eTH, die eine Unterscheidung der jeweiligen Anteile an der Gesamthemmung meist erschwert, gerade nicht vorhanden war, - wenn man von einem möglicherweise beteiligten, sehr schwachen affektiven Element einer eTH absieht. Daß das affektive Element einer eTH zum Teil auch auf genetisch verankertem Verhalten beruht, war bereits - s. o. S. 58 - gesagt worden. J brachte es schon im Auto nicht über sich, seine Frau, wie er es geplant hatte, mit dem Stein zu betäuben. Er schlug viel zu schwach zu. Noch deutlicher zeigt sich die aTH während des langen Zögerns an dem Brückengeländer. Hier wirkt deutlich das Signal "körperliche Berührungsnähe mit dem Opfer", indem es von den entsprechenden AAM's des J verstanden wurde. Da J sich nun zunächst in keiner besonders gespannten biologischen oder psychologischen Situation befand, wurde das Signal auch nicht etwa übergangen, d. h. die AAM's waren reaktionsfähig; der Reizfaktor reichte aus, um zunächst eine Tötung bzw. eine Aggressionshandlung zu verhindern. Auch gestaute Aggression konnte dem J nicht "zu Hilfe kommen", da sich Aggression gegenüber seiner Frau bei ihm gar nicht gestaut hatte. J hatte immer rücksichtslos sein eigenes Leben geführt und seine Frau geschlagen, wenn er sich über sie geärgert hatte. Deshalb u. a. mußte J zu der Konstruktion des "Feindes" greifen, damit sich eine mit Aversion besetzte und von Gefahr wachgerufene künstliche Aggression aufbauen und seine aTH überlisten könnte. Aber nicht einmal diese Konstruktion reichte aus, um seine Hemmung zu überwinden. So mußte J außerdem noch auf seine pathologische Abhängigkeit von seinem Bild in der Umwelt festgelegt werden. Dies geschah durch
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2. Teil: Die einzelnen Täter
das Warten des P; denn in seinem Umweltbild, nicht aus sich selbst lebte J. Wenn er aber dieses Bild ins Wanken kommen ließe, würde er sich selbst gefährden: Seine ins Umweltbild projezierte Ich-Identität würde zusammenbrechen. Deshalb ist die Mitwisserschaft des P und dessen Warten darauf, daß J die Tötung begehe, die mitentscheidende Bedingung dafür, daß in J ein hinreichend starker Konflikt entstand. Es ging jetzt für J um eine Art Selbsterhaltung, so daß seine Antriebslage eine neue Dimension erhielt. Erst jetzt konnte J seine aTH überwinden, da er sich - "irrtümlich" im Sinne eines Irrtums der AAM'sin einer Situation befand, in der es um seine Selbsterhaltung ging. Damit waren die AAM's wenigstens teilweise außer Funktion gesetzt. Die Tötung seines 7 Monate alten Sohnes:
Das Ersticken seines Sohnes sei ihm im ersten Moment nicht schwer gefallen. So ein kleiner Säugling sei noch nicht so sehr ein Mensch, so daß man ihn wohl eher töten könne als einen Menschen, zu dem man schon Kontakt aufnehmen könne. Diese Aussagen des J sprechen dafür, daß er bei der zweiten Tötung kaum noch eine aTH habe überwinden müssen. Das Daliegen des hilflosen Kindes scheint für seineAAM's kein hinreichend wirksames Signal gewesen zu sein. Allerdings habe er, unmittelbar nachdem er seinen Sohn erstickt hatte, gezittert und der Schweiß sei ihm ausgebrochen. Daraus kann man doch folgern, daß J eine gewisse aTH überwinden mußte, ohne sich dies nachträglich eingestehen zu wollen. Bei der Tötung des Sohnes kam dem J zur Überwindung seiner aTH die Konfliktsituation zu Hilfe, die dadurch entstanden war, daß er vorher seine Frau getötet hatte. Um seine Tat zu vertuschen und seiner sonst drohenden Festnahme zu entgehen, mußte J seinen Sohn auch in die Schlucht werfen, damit die Behörden an einen Selbstmord der Frau glaubten. Ohne eine solche Situation hätte wohl auch das Signal "hilfloser Säugling" auf J's AAM's gewirkt. Durch die besondere Konfliktsituation verloren die AAM's aber weitgehend ihre Aufnahmefähigkeit und ihre Auslösefunktion einer Hemmung. Dazu kommt noch, daßJ durch die vorausgegangene Tötung schon einmal Quanten einer wirksam werden wollenden aTH überwunden hatte, so daß dies ein zweites Mal für den Organismus bereits kein neuer Vorgang mehr war, gegen den er sich beim ersten Mal noch als etwas Fremdes gesträubt hatte. Man kann also an diesem Fall beobachten, daß Funktionen dann leichter ausgeschaltet oder geändert werden können, wenn dies zum wiederholten Mal geschieht.
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c) Die eTH Eine eTH scheint bei J weder vor noch bei Begehung der beiden Taten vorhanden gewesen zu sein. Ursprünglich waren bei J zwar im "Über-Ich" und auch im Identifizierungsmechanismus (Töten der Katzen) Elemente einer eTH ausgebildet worden. An irgendeinem Punkt in der Kindheitsentwicklung muß es aber zu einem Frustrationserlebnis gekommen sein, auf Grund dessen J in Antireaktion zu seiner bisherigen Persönlichkeit zu leben begann. Dadurch wurden ursprünglich vorhandene Elemente einer eTH immerhin so weit abgebaut, daß J die Tötung seiner Frau ohne das Aufkommen irgend einer Hemmung planen konnte. Bei der Durchführung der Tat selbst zeigte sich - s. o. - hauptsächlich die aTH. Es ist jedoch nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß auch noch Relikte einer ursprünglich vorhandenen eTH - unbewußt - wirksam wurden. Auch beim Ersticken des Säuglings ist dies nicht vollends zu verneinen. d) Zusammenfassung
J's aTH ist bei der These 3 a - s. o. S. 44 - einzuordnen, soweit seine starke Aggression, seine übertriebene Geltungssucht und das fehlende Verspannungssystem seiner Antriebe in Frage steht. Seine hemmungsauslösenden AAM's funktionieren an sich. Aber auf Grund seiner der These 3a zugehörigen Bedingtheit konnte die künstliche, "irrtümliche" Konfliktsituation aufgebaut werden, die dann seine aTH überwand. Hinsichtlich seiner eTH trifft auf J die These 2 b -
s. o. S. 57 -
zu.
XI. Der Täter K geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
1933 Kraftfahrer ledig Vorgarten eines Wohnhauses am Stadtrand 10.10. 1958, ca. 7 Uhr 24 Jahre Freundin, 23 Jahre alt mit Gewehr erschossen
Vorbemerkung
Bei K findet man zunächst verschiedene Elemente einer aTH und auch einer eTH. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, er habe eine Art projizierten Selbstmord begangen, für den andere Hemmungsbedingungen gelten würden. Bei näherem Zusehen war dies jedoch nicht der Fall. K's Tat zerfällt in zwei Phasen. Die erste Phase ließ eine
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Rückkopplung kaum zu, da K aus 10 m Entfernung auf den Rücken des Opfers schoß. Auf eine besonders geartete aTH kann man also aus dieser Begehungsweise nicht schließen. Während der zweiten Phase bestand jedoch eine deutlichere Rückkopplung. Trotz einer ausgeprägten Konfliktsituation meldete sich bei K vor der Tat eine eTH. Schließlich wurde diese eTH und womöglich auch eine aTH während der zweiten Phase durch die gestaute Aggression doch überwunden oder außer Kraft gesetzt. 1. Lebenslauf und Vorgesdlicbte (aus den Strafakten)
K wurde als zweites Kind von Arbeitereheleuten in einem Dorf in Österreich geboren. Er hat noch 7 Geschwister. Die Volksschule besuchte er in seinem Geburtsort. Er mußte 2 Klassen wiederholen. Seine übrigen Geschwister wiederholten zumindest 1 Klasse. Nach der Schulentlassung . arbeitete er bei Bauern in der Gegend; er schlief jedoch immer zu Hause. Am 16.11. 1955 wurde er zum Militär eingezogen. Er war bis zum 1. 4. 1957 Soldat. Danach trat er eine Stelle bei einem Bauern in seinem Heimatort an. Dort blieb er ohne Unterbrechung bis zum Juli 1958. Danach arbeitete er bei einem Obsthändler in einem benachbarten Ort als Kraftfahrer. K hatte sein späteres Opfer, die S, Ostern 1957 in Österreich kennengelernt. Diese, eine Kontoristin, war während der Osterferien aus einer Großstadt Deutschlands nach Meran gefahren. Bereits am 2. Tag versuchte K, mit der S geschlechtlich zu verkehren, nicht zuletzt, weil sie ein sehr einladendes Benehmen an den Tag gelegt hatte. In der Folgezeit besuchte K die S zweimal in Deutschland im Hause ihrer Eltern. Bereits im Mai 1957 machte er ihr einen Heiratsantrag. Die S zögerte und gab ihm keine Zusage, zumal sich ihr Vater gegen K ausgesprochen hatte, da dieser kein Handwerk beherrsche. Seit die beiden sich kennengelernt hatten, wurden dauernd Briefe gewechselt. In letzter Zeit jedoch lieB S die Briefe von K ungeöffnet an ihn zurückgehen. Kund S kannten sich nunmehr über ein Jahr. Dem letzten ungeöffneten Brief lag eine endgültige Absage bei. K drohte daraufhin der S in einem Brief und auch bei einem späteren Besuch mit Selbstmord. 2. Die Tat (aus den Strafakten) K fuhr bereits am 7.10. in Begleitung eines Freundes mit seinem kürzlich gekauften PKW nach X, dem Wohnort der S. Er führte im Kofferraum ein Jagdgewehr mit sich, das er bald nach seiner Ankunft in X in einem Wald versteckte. Am 8.10. abends ging K in das Haus der
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S und hatte mit ihr eine kurze Aussprache. Dabei waren die Mutter der S und ihr Bruder anwesend. Die S sagte ihm deutlich, daß sie ihn nicht heirate. Am darauffolgenden Tag trieb K sich im Wald des Vorortes von X, in dem die S mit ihren Eltern wohnte, herum. Am 10. 10. stand er morgens um 4 Uhr auf, nachdem er in einer Gaststätte des Vorortes genächtigt hatte. Anschließend holte er das Jagdgewehr aus dem Versteck. Sodann ging er zu fuß zum Grundstück der Eltern der S und versteckte sich hinter einem Schuppen. Er wußte, daß die S das Haus gegen 7 Uhr verlassen würde, um ins Geschäft zu fahren. Um 6.50 Uhr - zu dieser Zeit stand er bereits 1 Stunde hinter dem Schuppen - lud er die doppelläufige Flinte mit 2 Patronen. Als er um 7 Uhr hörte, daß die Fahrräder aus dem Schuppen geholt wurden, (die Mutter der S pflegte diese immer mit dem Fahrrad zu begleiten), gab K aus seinem Versteck einen Schuß auf die S ab, die ihr Fahrrad gerade zur Gartentür schob. Die Entfernung zwischen ihm und der S betrug ca. 10 m. Die S brach sofort, vermutlich tödlich getroffen, zusammen. K sprang nun aus seinem Versteck auf die am Boden liegende S zu und gab nochmals einen Schuß auf sie ab, wobei er die Mündung seines Jagdgewehres direkt auf die Brust der Saufsetzte. Ein weiterer Schuß traf in den Boden. Angeblich wollte er sich anschließend auch erschießen38• Dann sprang K hinter dem Haus über einen Zaun, um zu fliehen; das Gewehr warf er fort. Bereits gegen 10 Uhr wurde er in den nahen Flußanlagen verhaftet. 3. Einzelheiten aus dem über 300 Seiten umfassenden psychiatrischen Gutachten von Dr. med. habil. Ziehen
In K's Verwandtschaft seien 2 Selbstmorde vorgekommen. Es gebe in der Familie mehrere Trinker. K habe in seiner Jugend 2 Stürze erlitten, bei denen er sich jeweils eine Gehirnerschütterung mit langdauernden Kopfschmerzen zugezogen habe. Als Kind sei K etwas schwächlich gewesen. Mit 21/2 Jahren habe er Rachitis gehabt. Bis zum 5. Lebensjahr sei er Bettnässer gewesen. Erst mit 9 Jahren habe er vollständig reden können. Auf der Schule habe er Fleiß gezeigt. Bei Herzanfällen während der Militärzeit habe es ihm die "Hände und Füße zusammengezogen". K sei immer ängstlich gewesen; Freunde habe er nicht gehabt. Wenn er in der Schule Stuhl in die Hose gemacht hatte, hätte er sich nicht getraut, nach Hause zu gehen. Nach Aussage der Mutter habe K immer 38 Vgl. zum Selbstmord nach Mord West, a.a.O., die Studie von West befaßt sich speziell mit dieser Fallgestaltung.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
gehorcht. Er habe mehr an der Mutter gehangen. Mit 16 Jahren habe er vielleicht aus Beleidigtsein, vielleicht aus Liebe erst mit einem Seil, dann mit einem Revolver einen Selbstmordversuch begangen. K weine leicht. Seine Aggressivität sei ganz gering. Vor der Freundschaft mit der S habe K nur mit einem Mädchen aus seinem Heimatort ein paar Küsse ausgetauscht. Der neurologische Befund ergebe keine Verdachtsmomente für irgendeine entsprechende Erkrankung oder einen Defekt. Der psychische Befund zeige u. a. eine mäßige Merkfähigkeit, ein geringes Vorstellungsvermögen und einen engen geistigen Horizont. Die Sexualstruktur des K sei normal, eher etwas verzögert. K sei nervös, ängstlich, autistisch und infantil. K sei mit außerordentlicher Vehemenz in die Grenzsituation der Erotik eingestiegen. Während die S aus der Situation wieder ausgeschieden sei, sei K in der Grenzsituation erstarrt; er habe sich ins Nichts treiben lassen. K habe sich in eine aussichtslose sadomasochistische Situation treiben lassen, indem er selbst anfänglich in seinen Briefen mit Trennung gedroht, den Trennungsschmerz übertrieben erlitten und dann immer wieder mit Selbstmord gedroht habe. K's gesamtes Dasein sei diesem Konflikt anheimgefallen. K habe keine Möglichkeit gehabt, einen Ausweg ins Abenteuer: Krieg, Legion, Beruf zu suchen. In K's Briefen komme bereits ein gewisses Quantum an Aggressivität zum Ausdruck. So schrieb K am 26. 8.: "Wenn Du mich losbringen willst ... werde ich auch was erledigen. Es ist mein voller Ernst ... ich werde sonst schon einmal irgendwo auftauchen ... ". Bei K sei nun unter den Gesichtspunkten "Aggressivität", "Übersprungsverhalten" und "Objektwechsel" Folgendes zu sagen: Die lebenslang verdrängte Aggression habe bereits 3 Monate vor der Tat einen Pegel erreicht, der zu einer gewaltsamen Entladung gedrängt habe. Damals nämlich, am 17.8.1958, hatte K, als er mit der S in seinem Auto saß, bereits ein Messer gezogen und Anstalten gemacht, sich zu töten. Die Szene endete dann in einem GV im Auto. Dies stelle ein typisches Übersprungsverhalten von einem Trieb auf den anderen dar, nämlich vom Aggressionstrieb zum Sexualtrieb. Der wahre Gegner, den K im Abfall an den Tod hätte vernichten müssen, wäre er selbst gewesen. Vor dem fälligen Selbstmord hätten sich jedoch unüberwindliche Hemmungen und Hindernisse vor K aufgetürm1;37. Daß die Selbstaggressivität des K so schwach gewesen sei, liege in seiner Ich-Sucht begründet. 37 Es kann also die Art der Hemmung dafür entscheidend sein, ob äußerlich gesehen - ein Mord oder ein Selbstmord begangen wird. Die Art der
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4. Die Befragung des K in S
Während der leider auch nur kurzen Befragung konnten keine Gesichtspunkte gefunden werden, die nicht im obigen sehr ausführlichen Gutachten bereits zum Ausdruck gekommen wären. Es war bei K das bekannte Phänomen zu beobachten, daß er sich inzwischen bereits von seiner Tat distanziert hat, die Tat als reinen Unglücksfall hinstellt. Im übrigen zeigte K 8 Jahre nach der Tat immer noch eine sehr gedrü~te Stimmungslage, als er auf diese zu sprechen kam. Sein Intelligenzgrad und seine Lebenserfahrung sind äußerst gering, so daß er verschiedene Fragen überhaupt nicht verstehen konnte. Die meisten Fragen (Henker, Krieg, Tiere usw.) beantwortete er so, daß man eigenlich annehmen muß, bei ihm seien verschiedene Elemente einer Tötungshemmung aus dem "Über-Ich" und den affektiven Schichten vorhanden. Seine Minderbegabung reicht jedoch an die des Täters H heran, so daß sich gewisse Parallelen ergeben. 5. Beurteilung
a) Allgemeine psychologische Interpretation Zunächst wird auf die oben zitierten Äußerungen aus dem Gutachten von Dr. med. habil. Ziehen verwiesen. Wie schon einige der früher besprochenen Täter ist K von der Lebensuntauglichkeit geprägt, die Bjerre - s. o. S. 51 ff. - bei den von ihm untersuchten Tätern gefunden hat. Auf Grund bereits angeborener Minderbegabung auf dem Sektor der Intelligenz - s. o. S. 53 - und auf Grund weiterer Organminderwertigkeiten38 - K's Bettnässen deutet auf eine Minderwertigkeit des Harn-Apparates und weiterer damit in Zusammenhang stehender Funktionen hin - fehlten K die Voraussetzungen, die ihn umgebende Realität zu durchdringen und zu beherrschen. Allein schon aus diesem Grunde konnten die in ihm vorhandenen Aggressionsenergien nicht in der Außenwelt umgesetzt werden. So erklärt sich dann seine übertriebene starke Beziehung zu S: Er investierte monomanisch seine ganze bisher gedrosselte Aggression und seinen Selbstverwirklichungswillen in seine Liebe zu S. Insoweit zeigt K's Verhalten eine starke Ähnlichkeit zum Verhalten des B. Hemmung dürfte bereits in der Persönlichkeitsstruktur angelegt sein, vgl. Ghysbrecht S. 215. Mord kann also - von der Antriebsseite her gesehen dann ein indirekter Selbstmord sein, wenn in der Persönlichkeitsstruktur Hemmungen vorhanden sind, die einen Selbstmord nicht zulassen. Außenweltsignale können aber in einer solchen, eigentlich auf Selbstmord gerichteten Mordsituation nicht oder nicht ausreichend von den AAM's wahrgenommen bzw. verstanden werden, so daß keine wirksame Hemmmung ausgelöst und der Mord auf diese Weise möglich wird. 38 Adler S. 5 ff.
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2. Teil: Die einzelnen Täter
Als die S den Kontakt, nachdem bereits von Verlobung die Rede gewesen war, wieder abbrach, bedeutete dies fÜr K die Errichtung eines Staudammes, von dem sein eben erst frei gewordener Lebensund Selbstverwicklichungsstrom aufgehalten wurde. Da die S sich schließlich endgültig geweigert hatte, mit ihm zusammenzuleben, konnte K nur noch mit Gewalt den Staudamm durchbrechen, um sich vom Andrang der nachströmenden Aggression zu befreien und zum Schein in der Tat mit seiner Geliebten wiedervereint39 weiterleben zu können4o • b) Die aTH
Obwohl die Begehungsweise - der erste Schuß wurde aus 10 m Entfernung in den Rücken der S abgegeben - so gut wie keine Rückkopplung zuließ, soll doch auch bei K nach den besonderen Bedingungen einer aTH gefragt werden, da K wenigstens beim zweiten und dritten Schuß aus unmittelbarer Nähe auf die S zielte, ja beim zweiten Schuß sogar das Gewehr auf ihre Brust ansetzte. Nach dem ersten Schuß lag die S bereits wehrlos und schwer verwundet auf dem Rücken und hätte so an sich für den herantretenden K bzw. für dessen AAM's ein Signal für eine Hemmungsauslösung weiterer Aggressionsakte sein müssen. Dies war aber nicht der Fall. Zunächst verwundert diese Erkenntnis, da K in der Unterhaltung in S. verschiedene Antworten gab, aus denen man schließen muß, er verfüge über eine aTH. Damit müssen bei Begehung der Tat, insbesondere in den Augenblicken, als K die letzten beiden Schüsse abgab, Bedingungen vorgelegen haben, die eine an sich teilweise vorhandene aTH überwunden oder überhaupt außer Vollzug gesetzt haben. Um dies näher zu klären, muß etwas weiter ausgeholt werden: Schon von früh an hat sich bei K kein ausgewogenes Verspannungssystem herausgebildet. Dies mag einerseits daran liegen, daß bei ihm verschiedene AAM's, die das Verhältnis zur Umwelt regeln, nicht hinreichend konturiert sind; andererseits bestehen bei K auch sonstige Organminderwertigkeiten - s. o. S. 217 - die dafür verantwortlich waren, daß er seine Antriebe nicht in gesundes, die Umwelt "begreifendes" Verhalten umsetzen konnte. Zu Beginn seiner Freundschaft mit der S schien dies zum ersten Mal doch möglich zu sein, so daß das spätere Scheitern der Beziehung den K um so härter traf. Er mußte seine mit Liebe besetzte Aggression, die sich für eine Weile frei hatte entfalten können, stauen. Dies bedeutete aber 39 40
Vgl. auch Dorpat S. 197. Vgl. auch eine - allerdings nur ähnliche -
S.64.
Fallgestaltung bei Lange
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für ihn, da er eine andere Möglichkeit, seine Aggression auszuleben, nicht hatte, daß er gleichsam nicht mehr weiterleben konnte. In diesem Stadium hätte es für K eigentlich nahegelegen, sich selbst das Leben zu nehmen. Jedoch fehlt seiner Aggressivität wohl die Komponente des Selbstzerstörerischen. Schon sein Selbstmordversuch im Alter von 16 Jahren zeigt, daß er damals nicht so sehr an seinen eigenen Tod, als vielmehr an ein Exempel gegenüber seiner Mitwelt gedacht hatte, da er damals "beleidigt" war. Abgesehen davon, daß bei K also wahrscheinlich eine selbstzerstörerische Komponente nicht oder nur schwach vorhanden ist, muß man auch weiter annehmen, daß einem solchen Antrieb bei ihm verhältnismäßig starke Hemmungen entgegengesetzt sind. Daraus und aus der Tatsache, daß K aus nächster Nähe noch zwei Schüsse abgab, ohne sich selbst zu töten, muß man folgern, in K sei kein Selbstmordantrieb - auch kein projezierter - wirksam gewesen. Damit war also beim ersten Schuß aus 10 m Entfernung, hauptsächlich wegen der nur schwachen Rückkopplung, eine aTH in K nicht aktualisiert worden, ohne daß man zu der Konstruktion zu greifen braucht, es habe ein projizierter Selbstmord vorgelegen, für den möglicherweise wegen der besonderen Antriebanlage kein Hemmungsmechanismus beim Menschen genetisch verankert ist. Beim zweiten und dritten Schuß verwundert es zunächst, daß K's AAM's offenbar den Reizfaktor "hilflos daliegende, tödlich getroffene Freundin" nicht erkannten oder zumindest keine Hemmung auslösten. Berücksichtigt man aber das hohe Maß an gestauter Aggression bei K, die sich in seiner Konfliktsituation noch weiter erhöht hatte, dann erscheint die Erklärung zulässig, K's ohnehin nicht voll funktionsfähige AAM's seien nicht mehr aufnahme- und reizleitungsfähig gewesen, da der Aggressionsstau den Funktionskreis "Umweltsignal - AMM - Hemmung" ausgeschaltet hatte. c) Die eTH
Aus K's Antworten und aus den Erhebungen des Gutachters ergibt sich, daß er ein der Norm nahezu entsprechendes "Über-Ich" hat, und daß auch Elemente einer affektiven eTH bei ihm weitgehend vorhanden sind. Sein Verhalten während der letzten 24 Stunden vor der Tat zeigt, daß er äußerst nervös war und lange mit sich ringen mußte, um schließlich die Tat doch ausführen zu können. Sein "Über-Ich" sandte für K z. T. bewußt, zum überwiegenden Teil aber wohl auch unbewußt, erhebliche VerbotSvorbehalte aus. Nur so kann man das Herumirren des
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K in den Wäldern am Tag vor der Tat, seine Schlaflosigkeit in der Nacht und sein frühes Aufstehen um 4 Uhr erklären. Die Tötung zu planen und schließlich in die Nähe der unmittelbaren Ausführung gelangen zu lassen, bedeutete also für K's psychischen Apparat einen harten Kampf, der seine das "über-Ich" überwindende Kraft aus der gestauten Aggression bezog. Die eTH konnte wohl auch schließlich deshalb übergangen werden, weil K seine Freundin aus einer Art Selbsterhaltungstrieb erschoß. Dies ist eine psychische Situation, auf die auch das "Über-Ich" möglicherweise nicht mehr mit einem Tötungsverbot antwortet. d) Zusammenfassung
-
K ist hinsichtlich seiner aTH bei den Thesen 3 a und 3 d einzugruppieren.
s. o. S. 44
Hinsichtlich seiner eTH fällt er am ehesten unter die These 2 b s. o. S. 57-.
xn. geboren: Beruf: Personenstand: Tatort: Tatzeit: Alter des Täters zur Tatzeit: Opfer: Begehungsweise:
Der Täter L 1921 ~asChinensChlosser
verheiratet Waldweg vermutliCh 27. 7. 1947, vormittags 25 Jahre WissensChaftler (Ingenieur) mit Beil ersChlagen
Vorbemerkung:
L ist mit einer fast der Norm entsprechenden aTH und eTH ausgerüstet. Im Laufe mehrerer Wochen wollte er, jeweils von seiner Frau dazu gedrängt, dreimal versuchen, den Wissenschaftler W zu töten. Jedoch war es ihm nicht möglich, mit einer Aggressionshandlung zu beginnen. Immer wieder kehrte er unverrichteter Dinge zu seiner Frau zurück. Schließlich verletzte sie ihn so sehr in seinem Selbstbewußtsein und in . seinem inneren Gleichgewicht, daß er die Tötung dann doch ausführte. In der letzten Phase der Tat zeigt sich eine interessante Rückkopplung zwischen dem Gesicht des bereits verletzten Opfers und den AAM's des L. 1. Lebenslauf und Vorgeschichte (aus den Strafakten)
L stammt aus einer kleinbürgerlichen Familie. Auf der Volksschule leistete er Unterdurchschnittliches. Nach der Volksschulzeit erlernte er
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das Maschinenschlosserhandwerk. Mit 15 Jahren erlitt er einen schweren Motorradunfall, wobei er sich einen Schädelbruch zuzog. Seither klagt er über Vergeßlichkeit und Kopfschmerzen bei Wetterwechsel. 1941 meldete er sich freiwillig zur Waffen-SS. 1944 wurde er schwer verwundet, nachdem er bereits mehrere Auszeichnungen im Krieg erhalten hatte. Am 29. 11. 1945 wurde er aus der amerikanischen Gefangenschaft entlassen. Anfang 1947 lernte er seine spätere Frau, die K, kennen. Im März 1947 kam es zum ersten GV zwischen den beiden. Erst im Oktober - also nach der Tat - fand die Eheschlie~ung statt. Die gegenüber L fast 7 Monate ältere K hatte bereits 3 uneheliche Kinder. L wohnte, seit er die K kennengelernt hatte, bei deren Eltern auf einem Einödhof. Er ging dort keiner geregelten Arbeit nach. Das Gehöft bestand aus zwei Komplexen. Die nächsten Dörfer im Umkreis waren etwa 4 km entfernt. Während in dem einen Haus die Familie der K wohnte, stand das andere Haus längere Zeit leer. Im Frühjahr 1947 mietete sich der Ingenieur W dort ein. In der Folgezeit entwickelte sich ein gutnachbarliches Verhältnis. W befaßte sich mit wissenschaftlichen Studien. Er lebte in sehr guten Verhältnissen, hatte reichlich zu essen und verfügte über 26 000,- RM. Sein Reichtum erregte schon bald den Neid der K, da sie selbst mit ihrer Familie und 3 unehelichen Kindern in dürftigen Verhältnissen lebte. Es fielen von ihr Äußerungen wie: "Der Kerl ist es nicht wert, auf der Welt herumzulaufen; der gehört umgebracht!" 2. Die Tat (aus den Strafakten)
Schließlich drang die Kauf L ein, er solle den W wegputzen. L nahm diese Äußerungen zuerst nicht ernst. Als er jedoch merkte, daß es der tatsächliche Wille der K sei, weigerte er sich, die Ermordung auszuführen. Die K drang jedoch immer weiter in ihn und nannte ihn vor anderen einen Feigling. Einmal nahm L, als er, wie schon oft, mit W zum Beerensammeln ging, in einem Sack einen Knüppel mit. Er brachte es jedoch nicht über sich, den W zu erschlagen. Daraufhin schickte ihn die K eines Tages in die Wohnung des W, damit er diesen in einem dunklen Vorraum erschlage. Damit er, falls die Tatausführung unmöglich sein sollte, einen Vorwand hätte, gab sie ihm Körner mit, die er dann auf der Mühle des W mahlen sollte. L ging dann auch in die Wohnung des W, wobei er ein Eisenstück mitnahm, um diesen damit niederzuschlagen. Als er jedoch das Anwesen betrat, verließ ihn wieder der Mut, und er warf das Eisenstück weg, als er W kommen hörte. Er hielt sich dann noch eine Weile im Anwesen des W
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2. Teil: Die einzelnen Täter
auf. Schon nach wenigen Minuten kam die K, um sich zu vergewissern, ob L die Tat ausgeführt hätte. Als sie den W noch am Leben fand, nahm sie L in ihr Haus zurück und beschimpfte ihn grob. Einige Tage, bevor L die Tat dann tatsächlich ausführte, erzählte W ihm, daß er in die russische Zone verreisen müsse. In der Zwischenzeit wolle er Bekannte in seinem Haus aufnehmen. Als die K davon erfuhr, drang sie energisch in L, er solle den W umbringen, bevor die Bekannten kämen. Nachdem sie erfahren hatte, daß W wieder einmal zum Ährenlesen gehen wollte, vereinbarte sie am Vorabend mit L, daß er bei dieser Gelegenheit die Tat ausführen sollte. Am fraglichen Tag kam W in der Frühe in das Haus des L, um diesen abzuholen. Die K rief L noch zu: "Jetzt muß es geschehen!" L nahm jedoch trotz dieser Mordaufforderung kein Werkzeug mit. Nach einiger Zeit kehrte er wieder zurück, ohne den W getötet zu haben. Daraufhin wurde er von der K aufs heftigste beschimpft. Sie drohte ihm u. a., daß sie ihn nicht heiraten werde. Daraufhin faßte L den festen Entschluß, den W zu töten. Er ging in die Scheune und schnitt den Stiel eines Holzbeiles so kurz ab, daß er es in seine Wehrmachtstasche stecken konnte. Mit dem Beil in der Tasche verließ er dann das Anwesen und traf sich wieder mit W, um mit diesem zusammen zum Äpfellesen zu gehen. Sie begaben sich zunächst zu den ca. 10 Minuten entfernten Obstbäumen. Anschließend kamen sie durch ein Wäldchen. L blieb etwas zurück, zog das Beil aus der Tasche und schlug es dem W kräftig auf den Kopf. Dieser fiel sofort nach vorne zu Boden. Mit dem Gesicht zur Seite röchelte W, wobei er stark aus dem Mund und einer Kopfwunde blutete. Um nun weitere Blutspuren zu verhindern, riß L ein Stück von W's Hemd ab und steckte W dieses als Knebel in den Mund. Außerdem zog er ihm seine Wehrmachtstasche über den Kopf und versetzte ihm über der Tasche noch 2 Schläge auf den Schädel. Die Schläge hatten eine umfangreiche ZertrÜmmerung des Schädels zur Folge, die, zusammen mit der Knebelung, den baldigen Tod des W herbeiführten. Nach der Tat nahm L die Mütze des W an sich, zog dessen Ring ab und schleppte hierauf die Leiche seitwärts in das Gebüsch, damit sie nicht gesehen werden könnte. Anschließend ging er zur K und übergab ihr schweigend den Ring. Dann nahm er einen Spaten und grub den W, nachdem er sich durch Abhören des Herzens von dessen Tod überzeugt hatte, in einem 50 cm tiefen Loch ein. 3. Gutarhten
In den Akten, die dem Verfasser zugänglich waren, befand sich kein medizinisches Gutachten.
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4. Die Befragung des L in S
L ist ein ruhiger, ernster, eher schüchterner Mensch. In S. ist er allgemein beliebt. Er führt dort schwierige technische Facharbeiten an Maschinen aus. Aufgeschlossen und der Gesprächssituation zugewandt, versuchte er, auf die Fragen einzugehen. Aus seinen Standpunkten zu verschiedenen Modellbeispielen muß man schließen, daß L mit vielen Elementen einer aTH, insbesondere aber einer eTH ausgerüstet ist. 5. Beurteilung
a) Allgemeine psychologische Interpretation L hat eine verhältnismäßig normale Biographie. Anhaltspunkte für störende Einflüsse in L's Kindheit konnten während der ziemlich kurzen Befragung nicht ermittelt werden. Dabei ist jedoch festzuhalten, daß L auf der Volksschule mangelhafte Leistungen zeigte. Wenn L auch heute im Zuchthaus eine gute Position inne hat und auch im Krieg mehrmals durch besondere Leistungen hervortrat, so ist er doch ein Mensch ohne ausreichendes Selbstwertgefühl. Im Kontakt zu anderen Menschen stellt er sich eher in den Schatten. Dieser Mangel an Ich-Identität ist auch die Wurzel für sein Verhältnis zur K. Ihr gegenüber konnte er sich nicht durchsetzen, weil er sich selbst nicht von seinem eigenen Ich her determinierte. Sein Maßstab aus dem "Über-Ich" stand ihm immer sofort deutlich vor Augen, wenn eine Situation zu bewerten war. Jedoch scheinen dieser Maßstab bzw. die Impulse aus ihm zu automatisch beachtet worden zu sein, so daß L sich gleichsam vom "Über-Ich" beherrschen ließ, ohne es auf eine Auseinandersetzung mit dem "Ich" ankommen zu lassen. Hier ist eine deutliche Parallele zu dem Täter E festzustellen. b) Die aTH
L unternahm drei Anläufe, den W zu töten, ohne dabei auch nur eine einzige Aggressionshandlung gegen den W zu richten. Erst beim vierten Mal schlug L von hinten mit einem Beil auf den Kopf des ahnungslos dahingehenden W. Diese verschiedenen Stadien der Tat machen den Fall L besonders interessant, um zu versuchen, bei den einzelnen Phasen die jeweiligen Anteile einer eTH und einer aTH voneinander abzugrenzen. Dabei muß jedoch während der hier zunächst zu erörternden aTH auch teilweise vorgreifend auf eine eTH eingegangen werden. Beim ersten Anlauf waren L und W zusammen zum Beerensammeln gegangen. L hatte, um den W zu erschlagen, einen Knüppel in einem Sack mitgenommen. Damit hatte L also auf die wiederholte Aufforde-
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2. Teil: Die einzelnen Täter
rung der K, den W zu töten, dessen Ermordung nicht mehr von sich gewiesen, wie er dies noch auf die erste Aufforderung der K hin getan hatte. Vielmehr hatte L nunmehr die Begehungsweise der Tat bereits genau festgelegt, indem er den W beim Beerensammeln mit einem Knüppel erschlagen wollte. Vs "Über-Ich" hatte also schon nicht mehr den Einfluß, den Tötungsvorsatz und eine genauere Planung zu verwerfen. Allerdings muß man hier fragen, ob L nicht von vornherein nur zum Schein - gleichsam um sich und die K zu beruhigen - einen ersten Anlauf nahm, ohne schließlich die Tat wirklich praktisch ausführen zu wollen. Auf einer solchen Stufe des nur scheinbaren HandeIns brauchte L's "über-Ich" gar nicht mehr verbietend einzugreifen, da er ohnehin unverrichteter Dinge vom Beerensammeln zurückkehren wollte. L hoffte wohl auch, mit dieser Aktion könne er die K davon überzeuge~, daß er alles, was in seinen Kräften stehe, getan habe, und daß eine Tötung für ihn nicht möglich sei. Geht man von dieser Deutung aul', dann brauchte tatsächlich weder eine eTH auf dem Weg zum BeerensammeIn wirksam zu werden, noch auch eine aTH, da L gar nicht die Stufe des praktischen aggressiven HandeIns betreten wollte. Vielmehr hatte sich vorher schon das Verbot aus dem "Über-Ich" durchgesetzt, welches nur eine Scheinaktion zuließ. Geht man nicht von dieser Deutung aus, dann allerdings hatte Leine eTH bereits weitgehend überwunden. In diesem Fall aber wurden, noch kurz vor der Schwelle vom theoretischen zum praktischen Handeln, Elemente der eTH - insbesondere die affektiven - nochmals verstärkt wirksam. Außerdem müßte dann auch bereits eine aTH eingegriffen haben, indem das Signal "Anwesenheit des befreundeten Opfers" auf die AAM's des L wirkte. Da die psychische Situation des L aber in diesem Stadium noch nicht allzu angespannt war, eine Tötung des W für L noch keine arterhaltende Leistung darstellte, konnten die AAM's des L gleichsam ungestört auf den verhältnismäßig niederen Reizfaktor antworten und eine wirksame Hemmung auslösen. Beim zweiten Anlauf ging L, mit einem Eisenstück bewaffnet, in W's Haus. Hier kam - auf den ersten Blick - der überwiegende oder sogar alleinige Anteil einer Hemmung der eTH zu: L verwarf die Tötung bereits in dem Moment, als er den W noch nicht einmal gesehen hatte, sondern ihn erst kommen hörte. Damit scheint eine Rückkopplung, wie sie für die Auslösung einer aTH notwendig wäre, nicht vorhanden gewesen zu sein. Dies stellt sich jedoch deshalb anders dar, weil L bei seinem ersten Anlauf - wenn man von der oben gegebenen zweiten Interpretation ausgeht - eine Rückkopplungserfahrung gemacht hatte. So kann die Tatsache, daß L den Werst kommen hörte, aber noch nicht sah, einer Situation gleichgesetzt werden, in der eine Rückkopplung
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auf Grund tatsächlicher visueller Anwesenheit des Opfers besteht. In L war das Bild des ersten Tötungsanlaufs, bei dem er wegen W's körperlicher Anwesenheit eine Tötungshemmung verspürte, so konkret, daß dies allein dadurch schon zum Signalfaktor in ihm wurde, daß W jeden Moment erscheinen konnte. Damit zeigt sich hier ein interessanter Anwendungsfall der - s. o. S. 64 - aufgestellten Theorie. Der dritte Anlauf stand bereits unter dem wirksamen Verbotsvorbehalt der eTH und der erlebten und damit zur bewußten Erfahrung gewordenen aTH; denn zu diesem "BeerensammeIn" nahm L schon von vornherein keine Waffe mit. Der vierte Anlauf, der dann eigentlich nicht mehr Anlauf war, sondern die zielstrebig durchgeführte Tat darstellt, hat zwei Phasen: Den ersten Schlag führte L mit einem eigens präparierten Beil im Rücken des W auf dessen Kopf, so daß nur eine sehr schwache Rückkopplung möglich war. Dem W blieb zunächst keine Zeit zu Demutsgebärden; L brauchte W's Gesicht nicht zu sehen, und die Aggressionshandlung selbst dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Den zweiten und dritten Schlag führte L erst, als er den Kopf des W mit seiner Wehrmachtstasche verdeckt hatte. Auf diese Weise hatte er also den hohen Signalfaktor "Gesicht des Opfers" beseitigt, er schlug gleichsam nur auf eine Tasche. Dies war für seine AAM's kein Signal, auf das hin sie hätten ansprechen können. Dabei darf man aber natürlich nicht übersehen, daß der Körper des W noch als Signal dalag; aber dieses hatte L ja bereits bei seinem ersten Schlag ausschalten können. Die Tatsache, daß L's AAM's und im Vorstadium auch seine eTH bei den ersten· drei Anläufen wirksam reagiert hatten, während sie nunmehr ausgeschaltet werden konnten, kann nur so erklärt werden: Die K machte dem L immer heftigere Vorwürfe und drohte ihm, sie werde ihn nicht heiraten, wenn er den W nicht töte. So wurde L - wie bereits erläutert - in eine immer ausweglosere Krisensituation gedrängt, aus der er sich schließlich nur noch dadurch befreien zu können glaubte, daß er den W beseitigte. Wie schon in verschiedenen Fällen besprochen, mußte sich Aggression stauen, damit dann schließlich die eTH und vor allem auch die aTH übergangen werden konnten. In der zweiten Phase der Tat zeigt sich interessanterweise, daß L's AAM's sogar noch stark auf den Signalfaktor "Gesicht des verletzten Opfers" ansprachen, sodaß die Rückkopplung von L erst dadurch beseitigt werden mußte, daß er W's Kopf in seiner Wehrmachtstasche verbarg.
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2. Teil: Die einzelnen Täter c) Die eTH
Schon aus der Tatsache, daß L zunächst die Tötung des W kategorisch ablehnte und später dreimal einen Anlauf nahm, den W zu töten, ohne auch nur eine einzige Aggressionshandlung auszuführen, wird deutlich, wie stark an sich L's eTH ist. Zunächst können verschiedene Ausführungen, die soeben bei der Erörterung der aTH gemacht wurden, hier vorausgesetzt werden, da sie teilweise auch die eTH betrafen. L wurde schließlich durch das Verhalten der K, der er hörig war, in seinem Selbstwertgefühl und in seiner Existenz immer mehr eingeengt, so daß seine Lage wiederum fast einer Notwehrsituation im weiteren Sinn gleichkam. Da er selbst nicht aus dem Zentrum seiner Person lebte, sondern hauptsächlich außengesetzter Anerkennung und Unterstützung bedurfte, war er nicht imstande, sich seiner Frau gegenüber durchzusetzen. Seine moralischen Kräfte wurden, da sie ohnehin nicht erprobt waren, ausgehöhlt und konnten so schließlich unmittelbar vor und während der endgültigen Tat so weit ausgeschaltet werden, daß die Tötung dann doch möglich wurde. d) Zusammenfassung
L verfügt an sich über eine der Norm beinahe entsprechende aTH. Durch eine sich immer mehr zuspitzende Konfliktsituation konnte seine aTH, soweit eine AAM-Reaktion auf niedere Reizfaktoren in Frage kam, ausgeschaltet werden. Daß dies möglich war, liegt daran, daß L nicht über ein hinreichend ausgewogenes Verspannungssystem seiner Antriebe verfügt, sodaß es zu einer Aggressionsstauung kommen konnte, die seine AAM's teilweise außer Funktion setzten. L ist also hinsichtlich seiner aTH am ehesten bei den Thesen 3 a und 3 d - s. o. S. 44 - einzuordnen. Hinsichtlich seiner eTH ist L bei der These 2 c gruppieren.
s. o. S. 57 -
einzu-
DRI'ITER TEIL
SchI u13folgerungen Die im Teil I aufgestellten Thesen zur aTH - s. o. S. 44 - und zur eTH - s. o. S. 57 - haben sich für die Untersuchung der Täter und die Schlußfolgerungen zu ihren Taten und Antworten als eine praktikable Arbeitsgrundlage erwiesen. Die einzelnen Täter konnten hinsichtlich der besonderen Bedingungen ihrer aTH und eTH bei jeweils verschiedenen Thesen eingruppiert werden. Jedoch müssen die nunmehr folgenden zusammenfassenden Sätze unter dem Vorbehalt gesehen werden, daß die Untersuchungsvoraussetzungen beim Menschen denkbar ungünstig sind: Man kann am menschlichen Verhalten - mit eingeschlossen ist dabei auch das "theoretische Verhalten" - den jeweils bereits genetisch verankerten Anteil nicht deutlich vom individuell erworbenen Verhalten unterscheiden, ja, man muß sogar einräumen, daß man derzeit nicht einmal mit vollkommener Sicherheit sagen kann, ob es beim Menschen überhaupt noch genetisch bereits verankertes Verhalten gibt. Damit sind also sämtliche hier gewonnenen Erkenntnisse nur als Indizien zu verstehen, die aber manchmal mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad dafür sprechen, daß beim Menschen in gewissem Umfang doch noch genetisch verankertes Verhalten eine Rolle spielt, und daß sich insbesondere in bestimmten Situationen eine aTH zeigt, für die beim Mörder abweichende Bedingungen gelten. Unter dieser Prämisse also kann man die gewonnenen Ergebnisse folgendermaßen zusammenfassen: 1. Töten ist nicht die Leistung eines besonderen Todes-, sondern allein des Aggressionstriebes.
2. Es gibt zwei verschiedene Arten einer Tötungshemmung 1 : Die eine ist bereits genetisch verankert (aTH) , die andere muß von jedem Menschen individuell neu erworben werden. Um dies erkennen und die Funktionskreise der beiden Formen voneinander abgrenzen zu können, muß man drei verschiedene Phasen voneinander unterscheiden: 1
15·
a. A.: A. und M. MitscherHch S. 147 und die meisten übrigen Psychologen.
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3. Teil: Schlußfolgerungen
Erstens: Die Phase des theoretischen Erwägens und Planens einer bestimmten Tötung. Zweitens: Die Schwellenphase unmittelbar vor dem Übergang vom "theoretischen Handeln" zur praktischen Ausführung der Tat. Drittens: Die Phase der praktischen Tötungshandlung selbst. 3. Die beiden verschiedenen Arten der Tötungshemmung lassen sich folgendermaßen beschreiben: a) Die eTH muß individuell von jedem einzelnen Menschen neu erworben werden. Sie besteht einerseits aus den Impulsen des "ÜberIch", in welchem sich die vom Individuum erfahrenen Ge- und Verbote der Umwelt verinnerlichen und dann im jeweils einzelnen, theoretisch zur Entscheidung stehenden Fall ihren Anspruch anmelden. Andererseits baut sich diese eTH aus Elementen in den affektiven Schichten auf, die sich in ihrer speziellen Ausgestaltung ebenfalls in jedem Individuum auf Grund bestimmter Lebenseinftüsse, also durch Lernen im weiteren Sinn, erst formulieren müssen. Eine gewisse Prädisponiertheit dieser Elemente ist allerdings mit ziemlicher Sicherheit bereits genetisch verankert. b) Die aTH ist ein Mechanismus, der bereits genetisch in jedem Nichtmörder festgelegt ist. Dieser Mechanismus beruht darauf, daß angeborene auslösende Mechanismen (AAM's) bestimmte Umweltsignale so verstehen, daß diese als Schlüsselreize auf die spezifisch konturierten AAM-Schablonen treffen, sodaß diese AAM's dann eine Hemmung auslösen. Gewisse AAM's bedürfen wahrscheinlich in einer bestimmten Entwicklungsperiode eines jeden Menschen noch einer genauen Prägung. Zwischen der eTH und der aTH besteht insoweit eine gewisse Überschneidung, als die sogen. affektive eTH nicht inhaltlich, aber doch in der Stärke oder Schwäche ihres Reaktionsvermögens und Lernenkönnens bereits genetisch prädisponiert ist, sodaß dieser Anteil nicht individuell erworben werden kann, sondern bereits bei der Geburt mitgegeben ist. 4. Die aTH und die eTH kann man dadurch voneinander unterscheiden, daß man feststellt, unter welchen Bedingungen und in welchen Phasen diese in Aktion treten und schließlich eine Hemmung auslösen und durchsetzen können. a) Die eTH spricht während der ersten beiden Phasen - s. o. 2. und nur noch hilfsweise während der dritten Phase an, während die aTH nur im Rahmen der dritten Phase und, falls bereits eine konkrete oder früher schon einmal erlebte Rückkopplung besteht, auch während der zweiten Phase ausgelöst werden kann.
3. Teil: Schlußfolgerungen
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Die eTH bedarf weder eines praktischen Vollzuges der Tötungshandlung, noch einer realen Rückkopplung des Täters zum Opfer, um in Aktion treten zu können; sie spricht vielmehr bereits während des Planens und theoretischen Handeins an. Sie ist also signalunabhängig. Bereits das Töten als noch gar nicht näher konkretisierte Vorstellung wird von der eTH mit einem Verbot beantwortet. Dies Verbot hat aber meist nicht die Kraft einer wirksamen Handlungshemmung. b) Die aTH bedarf ganz konkreter akustischer, visueller oder taktiler Signale, um ausgelöst zu werden. Diese Signale sind normalerweise unmittelbar vor oder während der Tat: der Anblick des Opfers, dessen Laut- und Handlungsverhalten oder schließlich die unmittelbare körperliche Berührung. In der aTH sind - von möglichen Prägungen entsprechender AAM's abgesehen - keine erlernten Elemente enthalten. Die Unterschiede zwischen der aTH und der eTH, insbesondere die Tatsache, daß die aTH bereits genetisch verankert ist, lassen sich mit folgenden Argumenten nachweisen: Erstens: Die aTH spricht nur auf ganz bestimmte Schlüsselreize an und löst nur bei deren Vorliegen eine Hemmung aus. Die Signale werden von allen Nichtmördern erkannt. Sie müssen nicht erst bewußt werden, um wirken zu können. Zweitens: Die aTH löst eine Hemmung aus, obwohl der Täter gerade töten bzw. aggressiv handeln will und eine eTH bereits willentlich oder auf Grund eines Aggressionsstaues in einer besonderen Konfliktsituation übergangen oder ausgeschaltet hat. Drittens: Die Schlüsselreize bzw. Signale sind keine ganzheitlichen Gestalten, die sich im Menschen im Laufe seiner Lebenserfahrung zu einer Bildkonstellation gefügt hätten. Vielmehr sind es immer die selben Faktoren einer Reizsumme, die man zum großen Teil bereits bei den Tieren als Signalfaktoren feststellen kann. Viertens: Erlerntes Verhalten ist - im Gegensatz zu genetisch verankertem - immer sehr differenziert und leicht störbar. So zeigt sich bei der eTH auch, daß sie auf sehr differenzierte Vorstellungen anspricht, aber auch sehr viel leichter störbar ist als die aTH. Man kann dies deutlich bei fast allen Tätern erkennen. 5. Den soeben dargelegten Unterschied der Funktionsvoraussetzungen und des Funktionierens der beiden Formen aTH und eTH kann man aus der Stammesgeschichte der species Mensch herleiten: Danach ist die aTH das ältere, die eTH das jüngere System.
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3. Teil: SChlußfolgerungen Auf einer frühen Stufe vollzog siCh der Umweltkontakt beim MensChen - oder, wenn man so will, beim Vormenschen - noch weitgehend durch praktisches Handeln. Das Verhalten wurde weitgehend durch genau konturierte AAM's ausgelöst, wobei eine festgelegte Korrespondenz zwischen Signalen der Außenwelt und verstehenden AAM's bestand. Mit der Zeit verloren sich die genaueren Konturen der AAM's, so daß der Mensch eigenes, jeweils individuell neuesVerhalten am Verhalten der Artgenossen ablesen und zum Teil neu kombinieren mußte, um überleben zu können. Dadurch wurde seine Abhängigkeit von genetisch bereits vorformulierten Verhaltenskoordinationen immer mehr eingeschränkt. Sein "theoretisches Verhalten" in Form des kombinierenden Denkens nahm einen immer breiteren Raum ein, sodaß bereits auf einer vor dem Handeln liegenden Stufe eine Instanz regelnd eingreifen mußte. Die Regeln für diese Instanz, die man als "Über-Ich" bezeichnet, sind die Ge- und Verbote der Gesellschaft, in der das Individuum jeweils aufwächst, d. h. diese Inhalte sind gesellschaftsabhängig und damit variabel. Sie stellen also keinen schon genetisch verankerten "Kodex" dar. Da es sich beim "Über-Ich" und bei dessen Inhalten also um ein aus dem "theoretischen" Sichverhaltenkönnen erwachsenes Gebilde handelt, das nicht mehr vom praktischen Handeln des Menschen abhängig ist, bedarf es auch keiner Umweltsignale, damit diese Instanz "ÜberIch" in Funktion tritt. Da die Inhalte dieser Instanz aber von jedem Menschen jeweils individuell neu und im Verhältnis zum Mitmenschen in nie ganz gleicher Weise aufgenommen werden, verwundert es nicht, daß diese Instanz bei jedem Menschen anders funktioniert, und zwar in Abhängigkeit von seiner Entwicklung, hauptsächlich während der ersten Lebensjahre. Die eTH kann und muß deshalb bei jedem Menschen eine spezielle Entwicklung durchmachen,· während eine aTH von Anfang an definiert ist und damit nur unter bestimmten Voraussetzungen funktioniert. Eine Einschränkung ergibt sich hier nur, soweit für einige AAM's noch eine individuelle Prägung stattfindet.
6. Besonderheiten beim Mörder
Die aTH: Bei einigen Menschen ist eine aTH entweder überhaupt nicht ausgebildet oder defekt oder zur Tatzeit durch besondere Konfliktsituationen,in denen sich der betreffende Mensch befindet, weitgehend oder gänzlich ausgeschaltet. Diese Unterschiede kann man deutlich bei den einzelnen Mördern ablesen. Fälle, in denen eine aTH überhaupt nicht ausgebildet ist, scheinen eher selten zu sein. Nachprüfen kann man dies nur dann, wenn zwischen Täter und Opfer wenigstens eine gewisse Rückkopplung -
3. Teil: Schlußfolgerungen
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s. o. S. 35 ff. - besteht. Die Intensität der Rückkopplung hängt einerseits davon ab, welche Signale bzw. Reizfaktoren vom Opfer ausgehen; die Skala reicht von der bloßen Anwesenheit des Opfers über bestimmte Gebärden bis zum körperlichen Kontakt zwischen Täter und Opfer. Andererseits spielt der Zeitfaktor eine Rolle, ob nämlich die Tat eine gewisse Dauer in Anspruch nimmt oder sehr schnell, wie etwa im Falle des Erschießens, vollzogen ist. Je schneller die Tötungshandlung vollzogen ist, desto schwächer ist die Rückkopplung und desto geringer auch die Tötungshemmung. Eine aTH ist dann bei einem Mörder nicht vorhanden, wenn er ungehemmt eine Tötung ausführt, obwohl eine starke Rückkopplung zwischen ihm und dem Opfer besteht, und er sich weder in einer Krisensituation befindet, noch über eine gewisse Zeit Aggression stauen mußte, deren Ausbruch eine an sich vorhandene aTH übergehen oder ausschalten würde. Einen solchen Fall stellt eigentlich nur der Täter A dar. Dies Fehlen einer aTH ist damit zu erklären, daß bei dem betreffenden Menschen hemmungsauslösende AAM's nicht ausgebildet sind, sodaß Signale des Opfers ins Leere gehen, d. h. vom Täter nicht "verstanden" werden. In den meisten Fällen aber ist eine aTH doch mehr oder weniger funktionsfähig vorhanden. Allerdings sprechen die AAM's bei vielen Tätern nur auf Umweltsignale mit einem verhältnismäßig hohen Reizfaktor an. Wenn solche Täter ihren Mord also mit einer Waffe begehen und durch die Schnelligkeit der Ausführungsweise eine Rückkopplung zwischen ihnen und dem Opfer nur ganz schwach und kurzfristig möglich ist, so kann eine solche Tat nahezu oder völlig unbeeinträchtigt von einer aTH begangen werden, da die Tötungshemmung dieser Täter einer stärkeren Rückkopplung zum Opfer bedarf, um wirksam in Aktion zu treten. Schließlich gibt es noch die Täter, bei denen die spezielle Begehungsweise dann eine aTH wirksam werden ließe, wenn sie sich nicht in einer starken Konfliktsituation befänden und ihr Handeln nicht vom Ausbruch gestauter Aggression bestimmt wäre. Da dies aber bei ihnen der Fall ist, scheint die Reaktionsfähigkeit der AAM's auf Außenweltsignale, insbesondere solche des Opfers, stark herabgesetzt oder sogar ausgeschaltet zu sein. Erst wenn womöglich ein besonders hoher Reizfaktor vom Opfer ausgeht, setzt bei diesen Tätern die Funktion der aTH wieder ein. Dies kann man bei den Tätern G und Lablesen. Man findet auch Situationen, in denen der Täter aus einem Selbsterhaltungstrieb, besonders im Rahmen der Fluchtdistanz, handelt.
3. Teil: Schlußfolgerungen
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Hier scheint eine aTH überhaupt nicht wirksam zu werden die Ausführungen zum Täter 1.
vgl.
Die Tatsache, daß es zu einer hohen Aggressionsstauung kommen kann, beruht wohl u. a. darauf, daß sogen. Störmechanismen - s. o. S. 29 f. - es verhindern, daß sich unter den verschiedenen Antrieben des Menschen ein ausgewogenes Verspannungssystem bildet. Das aber liegt wiederum daran, daß verschiedene AAM's, über die konstruktiv Antriebsenergie abströmen könnte, fehlen oder nicht funktionstüchtig ausgebildet sind. Man könnte auch sagen, es bilde sich wegen fehlender oder defekter AAM's kein genetisch verankertes "erstes Verhaltensprogramm" aus, auf dem dann ein zweites, individuell erst zu erlernendes Verhaltensprogramm störungsfrei aufbauen könnte. Diese Voraussetzungen des Aggressionsstaues treffen - allerdings mit großen quantitativen Unterschieden - auf fast alle Täter zu.
7. Die eTH Alle Täter verfügen über eine mehr oder minder starke eTH, mit der Einschränkung, daß diese wohl nur bei den Tätern I und L nahezu der Norm entspricht. Kurz vor und während der Tatbegehung hat sich jedoch bei einigen Tätern keine eTH gezeigt. Dies scheint insbesondere bei den Tätern A, B, D, E, J und evtl. bei G der Fall gewesen zu sein. Bei ihnen kann man aber aus der jeweiligen Reaktion nach der Tat feststellen, daß eine eTH nur überdeckt oder ausgeschaltet worden war. Dies mag durch die jeweilige Konfliktsituation bedingt gewesen sein. In den meisten Fällen ist beim Mörder eine eTH schon in der frühen Kindheit nicht der Norm entsprechend aufgebaut worden. Dies kann seine Ursache in manchen Fällen bereits in habituellen Organminderwertigkeiten haben (vgl. die oben erwähnte Abhängigkeit des "Zweitprogramms" vom "Erstprogramm"). Dazu kommen aber vor allem Umwelteinflüsse!, die der Psyche des Einzelindividuums während der ersten Lebensjahre zustoßen. Insofern konnten die Täter in der Hauptsache den Thesen 2 a und 2b - s. o. S. 57 - zugeordnet werden. Automatisch versucht das junge Individuum, seine habituellen Defekte und die verletzenden Umwelteinflüsse8 physisch und psychisch Vgl. z. B. Blühm S. 71. spricht von Frustrationen infolge verletzender Umwelteinflüsse. Beim Vergleich der von ihm untersuchten Mörder und deren Brüder fand er Frustrationen bei den Mördern in weit höherem Maße. I
a Palmer
3. Teil: Schlußfolgerungen
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zu kompensieren'. Beim Mörder scheint dies jedoch nicht hinreichend zu gelingen. Energie bzw. Aggression wird .dann nicht mehr konstruktiv verbraucht, sie muß gestaut werden. Auf diese Weise entsteht Aggressivität, deren Existenz lange unter der Oberfläche verborgen bleiben kann. Da es nicht zu einem konstruktiven Ausleben der Aggression kommt, spielen sich auch die Funktionen des psychischen Apparates nicht richtig untereinander ein. Meist fehlt es am Zustandekommen einer zentrierten Persönlichkeit, die den Ansprüchen des "Es", des " Ich " und des "Über-Ich" gerecht werden könnte. Infolgedessen gedeiht auch kein gesunder Kontakt zur Umwelt. Das Leben dieser Leute ist gleichsam auf Sparflamme gesetzt. Mit wenigen Ausnahmen führen sie tatsächlich, wie Bjerre sagt, eine Art Scheinexistenz, indem die immer auf das Objekt bzw. den Menschen warten, auf den hin sie ihren ganzen Selbstverwirklichungswillen ausleben können. Meist unbesonnen wird dann ein solches Objekt aufgegriffen, d. h. sie fallen ihm vielmehr anheim. Da sie aber bisher nicht fähig waren, mit der Realität aus sich selbst heraus fertig zu werden, ist eine solche ungewohnte, neue Beziehung von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das Objekt - oft eine Frau - auf das hin die ganze mit Selbstverwirklichungswillen besetzte Aggression nun eine Weile ausschließlich gerichtet wird, entzieht sich plötzlich wieder oder es wird durch sonstige Umwelteinflüsse entzogen. Der Mörder kann sich jedoch nicht mehr von dem Objekt lösen, da ihm der Spannungspol, auf den hin er plötzlich so unbeschränkt reichhaltig seine Aggression hatte abströmen lassen können, als notwendige Bedingung für sein Weiterlebenkönnen erscheint. In vielen Fällen wandelt sich das Objekt zur Schranke vor dem eigenen Lebensweg. Falls ein Weiterleben gewährleistet werden soll, muß diese Schranke beseitigt werden 5 • Der Schritt an der Schwelle vom Plan zur unmittelbaren Tatausführung selbst scheint unter einer merkwürdigen Eigengesetzlichkeit vollzogen zu werden: Je nachdem ob die eTH beim einzelnen Täter stärker oder schwächer ist, wird Aggression länger oder kürzer, bzw. intensiver oder in geringerem Maße gestaut, damit ungehemmt in den Handlungsvollzug eingetreten werden kann und der Handlungsablauf gewährleistet ist: So muß z. B. eine eher starke eTH erst von 4 Vgl. Wurmser S.240, der dort die Folgen einer Partizipationsunfähigkeit nennt. Beim Mörder werde auf dem Boden des Urhungers, des schweren Vertrauensverlustes ein Ich aufgebaut ohne Zensur, mit egoistischen Machtansprüchen und hintergründigen übergewaltigen Destruktionen. 5 So ist dies nur subjektiv für den Täter. Eigentlich "zielt die Tat nicht auf etwas hinter ihr Liegendes, sondern sie bewirkt die Beendigung der eigenen (gespannten) Zuständlichkeit in der Katastrophe"; Rasch S. 98.
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3. Teil: Schlußfolgerungen
einer Aggressivitätsexplosion übersprungen werden, während eine schwache Tötungshemmung eines solchen Überspringens nicht bedarf. Bevor also diese Relation nicht erfüllt ist, scheint ein Täter gar nicht erst einer praktischen Tatausführung näherzutreten. Die oft auf den ersten Blick nur von außen bedingte Zwangslage, in die der Mörder gerät, so z. B. im Fall L, kann doch nur wegen der mehr oder minder starken Psychopathie des einzelnen Täters auf ihn zukommen und - subjektiv - katastrophale Ausmaße annehmen. Daraus erklärt sich auch, daß die Täter mit der schwächsten oder doch eher schwachen eTH: A, B, D, J und wohl auch H, sich eigentlich nicht aus einer besonders zugespitzten Krisensituation heraus zur Tatdurchführung entschlossen. Auch der Aggressionsstau war bei ihnen nicht allzu groß, da sie Aggression immer wieder hatten abströmen lassen. Nach der Tat erkennen die Täter mit der eher stärkeren eTH die merkwürdige Abstimmung im "Parlament ihrer Antriebe". Sie können ihr Handeln überhaupt nicht mehr verstehen, da sie doch meinten, niemals in der Lage zu sein, einen anderen Menschen zu töten. Deshalb befällt diese Täter dann auch eine verhältnismäßig starke Nervosität und Reue, da einerseits ihr "Über-Ich" doch noch einigermaßen intakt ist, und da sie andererseits ihr Handeln, wenn die Krise durchschritten ist, erst richtig erkennen. 8. Die eTH und die aTH schließen sich nicht gegenseitig aus. Beim Mörder kann man jedoch feststellen, daß die eTH, wenn sie erst einmal während der ersten beiden Phasen überwunden ist, nicht mehr die Kraft hat, eine Tötung während der dritten Phase zu verhindern. In diesem Stadium kommt die Aufgabe, eine Tötung zu verhindern, fast ausschließlich der aTH zu. Dies zeigte sich am deutlichsten bei den Tätern G, J und L. 9. Aus den bisherigen Sätzen geht hervor, daß eine sogar fast der Norm entsprechende eTH nicht absolut hemmend wirken kann, da bei einem Menschen, der sich in einer Krisensituation befindet, die hemmenden Kräfte übergangen oder ausgeschaltet werden können. Dies dürfte sogar für eine der Norm entsprechende eTH gelten. Die aTH ist weniger leicht "störbar". Ob die aTH absolut wirkt, falls sie von keinen Störmechanismen - s. o. S. 29 f. - beeinträchtigt ist, muß dehingestellt bleiben. Im Ergebnis ist anzunehmen, daß für den Mörder eine Tötung nur möglich ist, weil bei ihm ein Defekt der aTH besteht.
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