Das Ministerium Camphausen-Hansemann: Zur Politik der preußischen Bourgeoisie in der Revolution 1848/49 [Reprint 2022 ed.] 9783112619780, 9783112619773


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German Pages 250 [251] Year 1982

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Das Ministerium Camphausen-Hansemann: Zur Politik der preußischen Bourgeoisie in der Revolution 1848/49 [Reprint 2022 ed.]
 9783112619780, 9783112619773

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AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER

DDR

SCHRIFTEN DES ZENTRALINSTITUTS FÜR GESCHICHTE BAND 66

Jürgen Hofmann

Das Ministerium Camphausen-Hansemann Zur Politik der preußischen in der Revolution

AKADEMIE-VERLAG

Bourgeoisie

1848149

• BERLIN 1981

Der Autor promovierte auf der Grundlage dieser Arbeit an der Akademie für Gesellschafts* Wissenschaften beim Zentralkomitee der SED

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR - 1080 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1981 Lizenznummer: 202 • 100/89/81 Umschlaggestaltung: Karl Salzbrunn Korrektor: Gottfried Hemp Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 4450 Gräfenhainichen • 5637 Bestellnummer: 753 6216(2083/66) Printed in GDR DDR 2 4 , - M

Inhalt

Vorwort

5

Abkürzungsverzeichnis 1.

11

Kapitel

Die liberale Opposition bis zur Bildung des Ministeriums Camphausen—Hansemann

. . . .

1. Die preußische liberale Bourgeoisie am Vorabend der bürgerlich-demokratischen Revolution 2. Zwischen Reformverlangen und Revolutionsfurcht — Die Politik der liberalen Großbourgeoisie von der Februar- bis zur Märzrevolution 3. Die Berliner Märzrevolution und die Bildung des Ministeriums Camphausen—Hansemann

13 13 20 40

2. Kapitel Das Ministerium Camphausen—Hansemann und der zweite Vereinigte Landtag 1. Die Auseinandersetzungen um die Einberufung des zweiten Vereinigten Landtages . . 2. Die Entwicklung und Fixierung des innenpolitischen Programms auf dem Vereinigten Landtag 3. Die Ausweitung der Kompetenzen des Vereinigten Landtages und die Sabotage der Beschlüsse des Vorparlaments 3. Kapitel Restriktion der Demokratie und halbe Reform 1. Liberales Märzministerium contra revolutionäre Volksbewegung 2. Die Rückberufung des Prinzen von Preußen 3. Der Verzicht auf durchgreifende Reformen

57 57 65 78

87 87 101 109

4. Kapitel Das Ministerium und die Berliner Versammlung 1. Die Versammlung zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung 2. Der Verfassungsentwurf 3. Vereinbarerversammlung oder Konstituante?

118 118 122 138

5. Kapitel Das Scheitern des Ministeriums der Vermittlung 1. Die zunehmende Isolierung des Ministeriums 2. Krise und Rücktritt des Ministeriums 3. Die „Quadratur des Zirkels" — liberale Politik in der Krise

154 154 162 167

4

Inhalt

Anhang 1. Dokumente 2. Quellenverzeichnis und Auswahlbibliographie

178 178 230

2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.

230 230 231 231 232

Archivalien Quellenpublikationen Zeitungen, Periodika, Protokolle Zeitgenössische Darstellungen und Erinnerungen (Auswahl) Literatur (Auswahl)

3. Personenregister

236

Vorwort

Ein verstärktes Interesse der Geschichtswissenschaft der DDR galt in den letzten Jahren der Erforschung der Rolle der Bourgeoisie in der bürgerlichen Umwälzung im allgemeinen und in der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 im besonderen. 1 Dieser Frage wurde intensiver nachgegangen, nachdem zuvor vorrangig das Wirken der werktätigen Klassen und Schichten in den Kämpfen um den bürgerlichen Fortschritt in Deutschland aufgearbeitet worden war. Mit ihren Forschungen zur Rolle der Bourgeoisie in der Revolution von 1848/49 und zur Geschichte der Bourgeoispolitik konnte die Geschichtswissenschaft der DDR an beste Traditionen der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung anknüpfen, die seit jeher dem Wirken der verschiedenen Klassen und politischen Kräfte in der Revolution, darunter auch der Bourgeoisie, besonderes Augenmerk gewidmet hatte. 2 Karl Marx und Friedrich Engels hatten bereits während der Revolution und später in der Rückschau wiederholt die Politik der Bourgeoisie in den Mittelpunkt historischer Analysen und revolutionstheoretischer Betrachtungen gestellt. 3 Entscheidende Impulse für Forschung und wissenschaftliche Diskussion zur Bourgeoisieproblematik gingen von den Arbeiten am Grundriß der Geschichte des deutschen Volkes, vom V. und VI. Historikerkongreß der DDR 1972 und 1977 sowie von verschiedenen wissenschaftlichen Konferenzen aus, die der Revolution von 1848/49 gewidmet waren. 4 Vgl. Hofmann, Jürgen/Schmidt, Walter, Forschungen zur Geschichte der Revolution von 1848/49, in: Historische Forschungen in der DDR 1970-1980, ZfG-Sonderband, Berlin 1980; Bleiber, Helmut, Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. Zum Stand und zu Problemen der Forschung, in: ZfG, 1977, H. 3, S. 305ff. 2 Vgl. Schmidt, Walter, Die Revolution von 1848/49 in der Traditionspflege der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung, in: 125 Jahre Kommunistisches Manifest und bürgerlich-demokratische Revolution in Deutschland, Berlin 1975, S. 67 ff.; Bleiber, Helmut, Literatur zur Geschichte der Revolution von 1848/49, in: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte, Berlin 1960, S. 257 ff. (ZfG-Sonderheft 1960) Bleiber, Helmut]Schmidt, Walter, Forschungen zur Geschichte der Revolution von 1848/49, in: Historische Forschungen in der DDR 1960-1970. Analysen und Berichte, ZfG-Sonderband 1970, Berlin 1970, S. 408ff. 3 Die erste zusammenfassende Analyse des Revolutionsverlaufs Ende 1848 hatte die Politik der Bourgeoisie zum Gegenstand. Vgl. Marx, Karl, Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution, in: MEW, Bd. 6, S. 102 ff. Vgl. dazu auch Strey, Joachim/Winkler, Gerhard, Marx und Engels 1848/49. Die Politik und Taktik der „Neuen Rheinischen Zeitung" während der bürgerlieh-demokratischen Revolution in Deutschland, Berlin 1972. 4 Vgl. u. a. Grundriß der deutschen Geschichte, Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Klassenkampf-Tradition-Sozialismus, Berlin 1979; Schmidt, Walter/Seeber, Gustav, Probleme der bürgerlichen Umwälzung in der deutschen Geschichte (Hauptperiode XII—XIV), in: Wissenschaftliche Mitteilungen. Historikergesellschaft der DDR, 1975/11; Historikerkongreß 1

6

Vorwort

Aufsätze von H. Asmus, G. Becker, H. Bleiber, M. Kossok, K. Obermann, S . Schmidt, W. Schmidt u. a. 5 stellten erste Forschungsergebnisse vor, bilanzierten den Forschungsstand, machten Schwerpunkte und Forschungsprobleme deutlich und trugen wesentlich dazu bei, daß wichtige methodologische und konzeptionelle Ansatzpunkte sowie Lösungswege für die anstehenden Forschungen gefunden werden konnten. Eine erste Bilanz der Beschäftigung mit der Geschichte der Bourgeoispolitik konnte mit dem 1977 erschienenen Sammelband „Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. 1789—1871" 6 gezogen werden. Trotz nicht zu übersehender Forschungslücken ist der in den letzten J a h r e n erreichte Erkenntniszuwachs zur Geschichte der Bourgeoispolitik hoch einzuschätzen. Das auch deshalb, da die bürgerliche Historiographie konkrete Untersuchungen zu dieser Thematik weiterhin meidet. Anregende, lebhafte und teilweise auch kontroverse Diskussionen theoretischer und konzeptioneller Grundsatzfragen sowie einzelner Forschungsergebnisse trugen dazu bei, die Rolle der Bourgeoisie in der Revolution von 1848/49 weiter aufzuhellen, ein differenziertes Bild der Bourgeoisie und ihrer Politik für diesen Zeitraum zu zeichnen und weitere Ausgangspunkte für vergleichende Revolutionsbetrachtungen zu gewinnen. Die in der Diskussion aufgeworfenen produktiven Ansätze und Lösungsvorschläge bedürfen einer weiteren Fundierung durch konkrethistorische Untersuchungen zur Politik und zum Wirken der Bourgeoisie während der Revolution. Die vorliegende Arbeit, die aus einer 1976 an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der S E D verteidigten Dissertation hervorgegangen ist, versteht sich als ein Beitrag zur anstehenden Diskussion. Untersuchungen zum Wirken und zur Politik der Bourgeoisie in der Revolution können aus verschiedenen Gründen ein besonderes Interesse beanspruchen. Einmal ist die Frage nach der Rolle der zum Hegemon der bürgerlichen Revolution berufenen Klasse eine der Schlüsselfragen einer fundierten Darstellung und Analyse der Revolution. Sie ist geeignet, wichtige Antworten für das Verständnis des Verlaufs und der schließlichen Niederlage der Revolution von 1848/49 zu geben. Hatten doch Leistungen bzw. Versagen der deutschen Bourgeoisie einen entscheidenden Einfluß auf den Gang der Revolution. Zum anderen gewinnen für die weitere Präzisierung unseres Bildes von der bürgerlich-demokratischen Revolution die Fragen an Gewicht, wann, wo und warum die deutsche Bourgeoisie sich nicht dazu verstand, ihrer historischen Aufgabe nachzukommen, unter welchen konkreten Umständen die Revolution von 1848/49 zu einem Wendepunkt in der Entwicklung der deutschen Bourgeoisie wurde, die damit bereits in ihrer Aufstiegsphase die Fähigkeit verlor, die Interessen der gesamten Gesellschaft wahrzunehmen. Untersuchungen dieser Prozesse im einzelnen präzisieren und fundieren die marxistische These vom Verrat der Bourgeoisie als der eigentlichen Ursache des Scheiterns der Revolution. Wenn die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft die Schuld dieser Klasse an der Niederlage der Revolution und ihr Versagen vor ihrem historischen Beruf herausarbeitet, so der DDR, in: BzG, 1973, H. 3; Der V. Historikerkongreß der DDR in Dresden, in: ZfG, 1973, H. 3; Die Arbeitskreise auf dem Historikerkongreß der DDR, in: Ebenda, H. 4; Die Berichte der Arbeitskreisleiter auf dem VI. Historikerkongreß der DDR, in: Ebenda, 1978, H. 4; Die Arbeitskreise auf dem VI. Historikerkongreß der DDR, in: Ebenda, H. 6; VI. Historikerkongreß der DDR, in: BzG, 1978, H. 2, sowie Berichte über weitere Konferenzen in: BzG, 1974, H. 1; ZfG, 1976, H. 3; WZ Rostock, 1974, H. 8. 5 Eine Auswahl dieser Aufsätze vgl. im Literaturverzeichnis der vorliegenden Arbeit. • Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. 1789—1871, Berlin 1977.

Vorwort

7

geht es dabei keineswegs um eine „moralische Wertung" der Bourgeoisie, wie die bürgerliche Historiographie immer wieder glauben machen will. Im Gegenteil werden — die jüngsten Forschungsergebnisse unterstreichen das — die Ursachen der antirevolutionären Haltung der Bourgeoisie, das Wesen und die Genesis ihres Verrats, der Wandel ihrer Stellung zu den Triebkräften der Revolution sowie der Zeitpunkt und die Motive ihres Bündnisses mit den reaktionären Kräften differenziert und sorgfältig erörtert. Fragen der Bourgeoispolitik in der Revolution sind aus naheliegenden Gründen seit jeher ein bevorzugtes Feld vielfältiger Apologien und Fälschungen der bürgerlichen Historiographie. 7 Nachdem diese bis zum Ausgang des vorigen Jahrhunderts das Thema der Revolution von 1848/49 meist gemieden hatte, variierte sie später die These von der Schuld der Massen, die die Bourgeoisie in die Arme der Reaktion getrieben hätten. Nach dem zweiten Weltkrieg und seit den fünfziger Jahren meldeten sich unter dem Eindruck vor allem marxistischer Forschungen vereinzelt kritische Stimmen zu Wort, die nicht mehr bereit waren, die Bourgeoispolitik in der Revolution von 1848/49 uneingeschränkt zu billigen, ohne daß sie jedoch diese einer prinzipiellen Kritik unterzogen hätten. Es handelte sich vielmehr meist um eine Position teilweiser Eingeständnisse und kritischer Distanz zu überlieferten Klischees. Das rief in jüngster Zeit Kräfte auf den Plan, die wieder auf eine vorbehaltlose Verteidigung der Politik der liberalen Bourgeoisie in der Revolution drängen. So wies Thomas Nipperdey kritische Stimmen aus dem eigenen Lager als „unhistorisch" energisch zurück und beharrte darauf, daß die liberale Politik eine realistische und „weder von der Absicht noch von den Folgen her eine verkappte Kapitulationspolitik" gewesen sei.8 Auch die polemisch gemeinte Behauptung, die marxistische These vom Verrat der Bourgeoisie reduziere sich „auf den Vorwurf an die Liberalen, Kompromisse geschlossen und nicht, indem sie allein auf die radikale Demokratie setzten, sich beizeiten aus der Welt geschafft zu haben" 9 , entlarvt sich als Rechtfertigungsversuch bourgeoiser Politik. Sie kann schon deshalb nicht überzeugen, da die liberale Bourgeoisie in keiner Phase der Revolution vor der Entscheidung stand, sich durch ein Bündnis mit der Demokratie aus der Welt schaffen zu müssen. Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft hat der Bourgeoisie nicht schlechthin Kompromisse vorgeworfen, sondern die Frage, ob und wie die Bourgeoisie es verstand oder nicht verstand, sich zur herrschenden Klasse zu erheben und die eigene Macht gegen die halbfeudale Konterrevolution zu behaupten, zum Gegenstand ihres Urteils gemacht. Detaillierte Forschungen zur Geschichte der Bourgeoispolitik werden geeignet sein, bürgerlichen Apologien weiteren Boden zu entziehen. Die andauernde Abstinenz gegenüber Forschungen zur Politik der liberalen Bourgeoisie in der Revolution sowie die Apologie dieser Politik werden stimuliert von dem Interesse herrschender Kreise im Einflußbereich des Imperialismus, angesichts des enormen Verschleißes an bürgerlichen Gesellschaftstheorien und Konzeptionen den Mythos vom Liberalismus als einer angeblich progressiven Ideologie und politischen Strömung der Bour7

8

9

Vgl. Unbewältigte Vergangenheit. Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD, Berlin 1977, S. 264 ff.; Bleiber, Helmut, Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 in Deutschland in der bürgerlichen Geschichtsschreibung der BRD, in: Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung, a. a. O., S. 193 ff. Vgl. Nipperdey, Thomas, Kritik oder Objektivität? Zur Beurteilung der Revolution von 1848, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, Frankfurt a. M. 1974, H. 54. Stürmer, Michael, 1848 in der deutschen Geschichte, in: Sozialgeschichte Heute, Göttingen 1974, S. 229.

8

Vorwort

geoisie für die Gegenwart und Zukunft zu erneuern und den Liberalismus als eine tragfähige Variante gesellschaftlichen Fortschritts anzubieten. Liberalismus kann jedoch heute weniger denn je eine Alternative zum Imperialismus sein. Diese wird ausschließlich vom Sozialismus verkörpert. Gerade die Untersuchung liberaler Politik und liberalen Wirkens in der Revolution von 1848/49 beweist recht deutlich, daß der Liberalismus und die liberale Bewegung sich als unfähig erwiesen, den Anforderungen dieser historischen Entscheidungssituation gerecht zu werden und dem zur Debatte stehenden bürgerlichen Fortschritt politisch dauerhafte Geltung zu verschaffen. Ungeachtet seiner Rolle bei der Mobilisierung der antifeudalen Kräfte im Vormärz und seines unbestrittenen Einflusses in den verschiedensten Klassen und Schichten des Volkes teilte der Liberalismus bereits im 19. Jahrhundert das Schicksal seines Trägers, der Bourgeoisie, er verlor mehr und mehr die Fähigkeit, die Interessen der gesamten Gesellschaft wahrzunehmen. Die vorliegende Monographie ist der Untersuchung der Politik des großbourgeoisliberalen Märzministeriums Camphausen—Hansemann in Preußen gewidmet. Dieser Gegenstand versprach von vornherein interessante Aufschlüsse, da in diesem Ministerium führende Vertreter der liberalen Großbourgeoisie die Regierungsgewalt in einem der Hauptländer des ehemaligen Deutschen Bundes ausübten und auf Grund der exponierten Stellung Preußens und der preußischen Bourgeoisie in der antifeudalen Bewegung hier wichtige Entscheidungen für die Politik der gesamten deutschen Bourgeoisie und den Gang der Revolution fielen. Mit Ludolf Camphausen und David Hansemann gelangte, wie Franz Mehring betonte, „die entschiedenste und mächtigste Schicht der deutschen Bourgeoisie ans preußische Staatsruder" 1 0 . Die exemplarische Analyse ihrer Politik schien geeignet, die Bourgeoispolitik in der deutschen Revolution von 1848/49 generell zu beleuchten. Zudem ist die Geschichte dieses Ministeriums wichtiger Bestandteil einer wesentlichen Etappe der Revolution, die, von der Berliner Märzrevolution eingeleitet, bis zur Pariser Juniinsurrektion reicht. Die Untersuchung wird vornehmlich auf die Innenpolitik des Ministeriums konzentriert, da darin entscheidende Fragen für die Beurteilung der Bourgeoisie in der Revolution, ihre Haltung zur Macht, ihre Stellung zu den Triebkräften der Revolution und zu den Kräften der halbfeudalen Konterrevolution sowie ihre Konsequenz bei der Durchsetzung antifeudaler Reformen und Veränderungen sich besonders deutlich widerspiegeln. Auf eine Darstellung der großbourgeoisen Außenpolitik in dieser Zeit, die Gegenstand einer gesonderten Analyse sein müßte, mußte angesichts des Stoffumfanges verzichtet werden. Wesentlicher erschien es, sich nicht auf eine ausschließliche Geschichte des Ministeriums zu beschränken, sondern das Wirken der regierenden Fraktion der liberalen Großbourgeoisie in Konnex zu den Bestrebungen der Masse der Bourgeoisie und den Forderungen der Volksmassen zu stellen. Vor allem bei Ereignissen, die wichtige Entscheidungssituationen verkörpern, wurde eine solche Gegenüberstellung von Ministerium, nichtregierenden Fraktionen der Bourgeoisie und Volksmassen angestrebt, wobei sich als besonders aufschlußreich die teilweise erstmalig ausführlichere Analyse der verschiedenen Petitionsund Protestbewegungen erwies. Die Einbettung der Geschichte des Ministeriums und der Bourgeoispölitik in den Gesamtverlauf der Revolution wurde dem Anliegen der Untersuchung untergeordnet und mußte, ohne immer das Detail auszusparen, in der Regel auf das Notwendigste beschränkt bleiben. In der vorliegenden Monographie werden, ausgehend von der Reaktion der preußischen 1« Mehring, Franz, Gesammelte Schriften, Bd. 7, Berlin 1965, S. 12.

Vorwort

9

Bourgeoisie auf die Pariser Februarrevolution, die Bourgeoispolitik im März und während der Märzrevolution, ihre Stoßrichtungen und Umschlagpunkte, die näheren Umstände und Beweggründe der großbourgeoisen Regierungsbildung, das Wirken des zweiten Vereinigten Landtages, Umfang und Grenzen großbourgeoiser Reformbemühungen, die antidemokratische Stoßrichtung der Innenpolitik des Ministeriums, die Auseinandersetzungen um eine konstitutionelle Verfassung, die Dialektik von Kooperation und Konfrontation zwischen Ministerium und preußischer Versammlung sowie Ursachen und Umstände des Scheiterns des liberalen Märzministeriums untersucht. Vorangestellt wurde eine kurze Darstellung der Auseinandersetzungen um die Vereinigten Ausschüsse und den Strafgesetzentwurf Ende 1847/Anfang 1848, um den Bogen zwischen Vormärz und März zu schließen und Kontinuität und Wandel in der Politik der Bourgeoisie deutlicher sichtbar zu machen. Aus gleichem Grunde wurde im letzten Abschnitt des 5. Kapitels ein Ausblick auf die Bourgeoispolitik in Preußen bis zum Dezember 1848 versucht, der ohne eigene Forschungen selbstverständlich äußerst fragmentarisch bleiben mußte und lediglich einer Einordnung des Ministeriums Camphausen—Hansemann in den Gesamtverlauf der Revolution dienen soll. Anliegen dieser Arbeit ist es, die Politik und das Wirken der Bourgeoisie in der Revolution von 1848/49 im einzelnen zu untersuchen, allgemeine Einschätzungen der Rolle der Bourgeoisie zu belegen und wo nötig zu modifizieren. Außerdem sollen Zusammenhänge und Umschlagpunkte in der Genesis der Bourgeoispolitik aufgezeigt sowie Gemeinsamkeiten und Gegensätzlichkeiten im Wollen und Wirken der verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie herausgearbeitet werden, um ein differenzierteres Bild von der Bourgeoisie zeichnen zu helfen, als das bei anderen Darstellungen bisher möglich war. Weiterhin erwies sich gerade die Analyse der Politik des Ministeriums Camphausen—Hansemann als geeignet, die komplizierte und vielschichtige Dialektik von Kompromiß und Konfrontation mit Krone und Adel in der Politik der liberalen Großbourgeoisie zu untersuchen und sichtbar zu machen, daß trotz Revolutionsaversion und Antidemokratismus die großbourgeoise Politik von der der halbfeudalen Konterrevolution zu scheiden ist. In diesem Zusammenhang wird verdeutlicht, daß großbourgeois-liberale Politik in dieser Zeit sowohl von antidemokratischen als auch antifeudalen Momenten gekennzeichnet ist. Die Darstellung des Entstehens und der Umsetzung des großbourgeoisen Vereinbarungskonzepts ordnet sich ein in die Untersuchung der genannten Dialektik. Hauptanliegen war es jedoch, am Beispiel des Ministeriums Camphausen — Hansemann den Ansatzpunkten, Motiven und Teilschritten des schließlichen bourgeoisen Verrats an der Revolution, seiner Genesis, und gleichzeitig den Chancen und Bedingungen für eine Korrektur des großbourgeoisen Kurses nachzugehen. Bürgerliche oder marxistische Arbeiten über das Ministerium Camphausen—Hansemann lagen bisher noch nicht vor. Auch ein spezieller Aufsatz von Joseph Hansen aus dem Jahre 1913 wird dem Anliegen nicht gerecht. 11 Trotzdem konnten den verschiedenen Revolutionsdarstellungen und vor allem mehreren Spezialarbeiten zu Teilproblemcn der Revolution in Preußen sowie Biographien führender Bourgeoisvertreter wichtige Aussagen, Details und Hinweise entnommen werden. 12 Als unverzichtbares und unerschöpfliches Reservoir vielfältigster konzeptioneller und methodologischer Anregungen und treffender 11

12

Vgl. Hansen, Joseph, König Friedrich Wilhelm IV. und das liberale Ministerium Camphausen— Hansemann i. J. 1848, Trier 1913. Eine Auswahl der verwendeten Literatur vgl. im Quellen- und Literaturverzeichnis.

10

Vorwort

Analysen erwies sich der reichhaltige Fundus der Arbeiten der Begründer des Marxismus, die als Zeitgenossen die Politik des Ministeriums aufmerksam verfolgten und mehrfach zum Gegenstand von Betrachtungen, Darstellungen und Einschätzungen machten. Das Studium der Arbeiten von W. I. Lenin, in denen er zum bürgerlichen Revolutionszyklus, zur deutschen Revolution von 1848/49 und zu deren Lehren für den Kampf des Proletariats Stellung nahm, trug zum vertieften Verständnis des Wesens, des Charakters und der Grenzen bürgerlicher Revolutionen sowie der Aufgaben der verschiedenen Klassen und Schichten bei. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf umfangreiche Archivalien des Zentralen Staatsarchivs der D D R , Dienststelle Merseburg, das die Akten der damaligen Ministerien verwaltet, und des Historischen Archivs der Stadt Köln, wo die Nachlässe von Ludolf Camphausen und mehrerer seiner Parteifreunde lagern. Beiden Einrichtungen, ihren Leitern und Mitarbeitern ist der Autor zu großem Dank für die erwiesene Unterstützung und für die freundliche Genehmigung des Abdrucks mehrerer Dokumente verpflichtet. Bei der Durchsicht der Merseburger Archivalien wurde zur Gewißheit, daß bis auf zwei Ausnahmen Sitzungs- oder Beschlußprotokolle des Staatsministeriums aus dieser Regierungszeit nicht überliefert sind. Dieser Mangel konnte durch eine intensive Auswertung der Akten wichtiger Einzelministerien und Regierungsbehörden weitgehend ausgeglichen werden. Wesentliche Details waren auch dem Nachlaß David Hansemanns in Merseburg und den Kölner Nachlässen führender Liberaler zu entnehmen. Quellenpublikationen, zeitgenössische Darstellungen, Erinnerungen, die Protokolle des Vereinigten Landtages und der preußischen Versammlung und einige führende Tageszeitungen ergänzten die Quellenbasis. Vor allem die Auswertung der Leitartikel der „Deutschen Zeitung" und der „Kölnischen Zeitung" ermöglichte einen interessanten Einblick in die Entwicklung politischer Konzeptionen und Losungen der liberalen Bourgeoisie. In den Anhang dieser Monographie wurde eine größere Dokumentation aufgenommen. Bei den meist ungekürzt wiedergegebenen 46 Dokumenten handelt es sich bis auf wenige Ausnahmen um bisher unveröffentlichtes Material. Die Dokumente sollen dem Leser ermöglichen, wichtige Ereignisse und Aspekte des dargestellten Gegenstandes anhand von Originalquellen zu verfolgen. Die Auswahl der Dokumente erfolgte in Übereinstimmung mit den behandelten Schwerpunkten und Problemen. Neben der Dokumentierung des behandelten Stoffs sollte zugleich dem Bedürfnis nach Quellenpublikationen zur Bourgeoispolitik in der Revolution für Lehre und Forschung im Rahmen der mit dieser Monographie gegebenen Möglichkeiten entsprochen werden. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle Prof. Dr. Walter Schmidt, Prof. Dr. Helmut Bleiber und Prof. Dr. Gerhard Becker, die in vielfältiger Weise diese Arbeit förderten und mir mit Kritik und Hilfe beistanden. Wertvolle Anregungen empfing ich aijch aus den Diskussionen mit meinen Kollegen des Instituts für Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Z K der S E D , den Kollegen des Zentralinstituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R und meinem Lektor Georg Neuckranz. Berlin, Oktober 1979 Jürgen Hofmann

Abkürzungsverzeichnis

Briefwechsel Camphausen

BzG DZ EuF

Grundriß

GSPr HA Köln Hansen, Mevissen Illustrierte Geschichte JBP JfG KZ LW MEW NRhZ RB Rheinische Briefe 2.1

Rheinische Briefe 2.2

König Friedrich Wilhelm IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen, hrsg. u. erl. v. Erich Brandenburg, Berlin 1906. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin. Deutsche Zeitung, Heidelberg 1848. Einheit und Freiheit. Die deutsche Geschichte von 1815 bis 1849 in zeitgenössischen Dokumenten, dargest. u. eingel. v. Karl Obermann, Berlin 1950. Grundriß der deutschen Geschichte. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Klassenkampf-Tradition-Sozialismus, Berlin 1979. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Berlin 1848. Historisches Archiv der Stadt Köln. Hansen, Joseph, Gustav von Mevissen. Ein rheinisches Lebensbild, 2 Bde, Berlin 1906. Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution 1848/49, Berlin 1973. Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte. Jahrbuch für Geschichte, Berlin. Kölnische Zeitung, Köln 1848. W. I. Lenin, Werke, Berlin 1957ff. Marx, Karl/Engels, Friedrich, Werke, Berlin 1956ff. Neue Rheinische Zeitung, Köln 1848. Revolutions-Briefe 1848/49, hrsg. v. Rolf Weber, Leipzig 1973. Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830—1850, ges. u. hrsg. v. Joseph Hansen, Zweiter Bd.: 1846-1850, Erste Hälfte (Januar 1846April 1848), Bonn 1942. Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830—1850, Zweiter Band, Zweite Hälfte (April—Dezember 1848), unter Benutzung der Vorarbeiten v. Joseph Hansen bearb. v. Heinz Boberach, Köln-Bonn 1976.

A bkürzun gsverzeichnis Revolutionsbriefe 1848. Ungedrucktes aus dem Nachlaß König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, hrsg. v. Karl Haenchen, Leipzig 1930. Verhandlungen der constituirenden Versammlung für Preußen. 1848, 8 Bde., Berlin 1848. Verhandlungen des zum 2. April 1848 zusammenberufenen Vereinigten Landtages, zusammengest. v. Eduard Bleich, Berlin 1848. Vossische Zeitung (Königlich privilegirte Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen), Berlin 1848. Wissenschaftliche Zeitschrift. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin. Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg. GZk Geheimes Zivilkabinett KHA Königliches Hausarchiv Mdl Ministerium des Innern NV Nationalversammlung Stm Staatsministerium 2. VL Zweiter Vereinigter Landtag

1. K A P I T E L

Die liberale Opposition bis zur Bildung des Ministeriums Camphausen—Hansemann

1. Die preußische liberale Bourgeoisie a m Vorabend der bürgerlich-demokratischen Revolution „Das Jahr 1847 war . . . ein vortreffliches Jahr für die politischen Geschäfte der preußischen Bourgeois" 1 gewesen. Sie konnten mit einem gewissen Stolz auf ihr Wirken blicken. Die „ Kölnische Zeitung" stellte fest, daß „gerade für dieses Jahr 1847 ein solcher Rückblick eine ungewöhnliche Befriedigung gewähren" 2 mußte. Die liberale Bourgeoisie in Preußen hatte ihre Forderungen angemeldet, im festen Vertrauen „nicht bloß auf die Macht der Wahrheit, Freiheit und dergleichen ideale Mächte, sondern auch auf die sehr materielle Macht des Geldes".3 Im Bewußtsein dieser Macht war sie auf dem ersten Vereinigten Landtag, den der preußische König wegen latenter Finanzschwierigkeiten 1847 hatte einberufen müssen, erstmalig im staatlichen Rahmen mit ihren Forderungen an die Öffentlichkeit getreten. Die gesamten Verhandlungen des Vereinigten Landtages waren geprägt worden von der Konfrontation zwischen Bourgeoisie und Monarchie. Die Sprecher der liberalen Bourgeoisie hatten in einer Adresse zur Thronrede, einer Erklärung von 138 oppositionellen Abgeordneten um den Aachener Eisenbahnunternehmer David Hansemann an die Krone und in einer ausführlichen Debatte sehr massiv den bourgeoisen Anspruch auf Periodizität des Vereinigten Landtages und nach verfassungsmäßigen Rechten vertreten. Als deutlich wurde, daß die Krone dem berechtigten Verlangen nicht nachkam, verweigerten sie die Garantie für die preußischen Rentenbanken und lehnten auch den Kredit für den Bau der Osteisenbahn ab. Entweder Gewährung der Periodizität für den Vereinigten Landtag und Mitwirkung an der Gesetzgebung — oder kein Geld, so lautete die Entscheidungsfrage, die die preußische Bourgeoisie der Krone stellte. „Diese konsequente Geldverweigerung ist das einzige, worin der Landtag sich energisch benahm . . . " 4 , konstatierte Marx. Sie trug zur Entwicklung der revolutionären Krise bei und verfehlte ihre Wirkung auf die Mobilisierung der revolutionären Kräfte nicht. Der erste Vereinigte Landtag wurde so zum Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Bourgeoisie und halbabsolutistischem Staat in Preußen. Die Bourgeoisie hatte sich in diesem Konflikt ihrer Rolle als Hegemon der antifeudalen Bewegung gemäß verhalten, war mit bourgeoisen Mitteln revolutionär gewesen. Ihre rheinischen Abgeordneten hatten sich bereits in Vorbereitung der Landtagsverhandlungen vorgenommen, mit der Krone nicht als Ständevertretung, sondern als „Reichstag" zu verhandeln. 5 i MEW, Bd. 4, S. 496. 2 KZ, Nr. 1 vom 1. 1. 1848. 3 Ebenda, Nr. 2 vom 2. 1. 1848. 4 MEW, Bd. 4, S. 195. Marx betrachtete die Geldverweigerung als eine gerechtfertigte „reine Bourgeois-Maßregel". „Die Verweigerung der Gelder ist in allen parlamentarischen Versammlungen das Mittel, wodurch die Regierung gezwungen wird, der Majorität nachzugeben." Ebenda. 5 Das geht aus einem anonymen Bericht an das Staatsministerium hervor. Vgl. ZStA Merseburg,

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I. Die liberale Opposition

Obwohl sich die liberalen Abgeordneten insgesamt den vom König zum Abschluß des Landtages befohlenen Wahlen zu den Vereinigten Ausschüssen fügten, die anstelle des Vereinigten Landtages zur Beratung allgemeiner Gesetze zusammentreten sollten, was den Forderungen nach Periodizität des Landtages widersprach, war der Konflikt mit der Krone nicht aufgehoben. Mit der Verweigerung der Wahl beziehungsweise mit einer Wahl unter Vorbehalt bekräftigten 213 von ihnen ihre oppositionelle Haltung. „Die preußische Bourgeoisie . . . hatte einen großen Schritt getan, sie hatte sich ein Forum erobert, dem König einen Beweis ihrer Macht gegeben und das ganze Land in Aufregung versetzt. Die Frage, wer in Preußen herrschen soll, . . . ist jetzt so gestellt, daß sie für die eine oder die andere Seite entschieden werden muß" 6 , umriß Engels das Fazit des Vereinigten Landtages. Diesem Höhepunkt im politischen Wirken der Bourgeoisie an der Spitze der antifeudalen Bewegung war ein längerer Formierungs- und Konsolidierungsprozeß der zum Hegemon der bürgerlichen Revolution berufenen Klasse vorausgegangen, Ausdruck der auch in Deutschland vor sich gehenden ökonomischen Veränderungen. 7 Die kapitalistische Produktionsweise setzte sich in den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts mehr und mehr durch und nahm mit Einsetzen der industriellen Revolution in den dreißiger Jahren einen sprunghaften Aufschwung. Auch auf dem Lande hatten sich erste Ansätze einer kapitalistischen Produktionsweise herausgebildet. Teile des Adels waren verbürgerlicht und durch ökonomische Interessen den politischen Bestrebungen der Bourgeoisie verbunden. Die Bourgeoisie sah sich immer deutlicher in der ungehinderten Wahrnehmung ihrer ökonomischen Interessen gehemmt. Die Notwendigkeiten der kapitalistischen Entwicklung drängten sie deshalb dazu, Forderungen an die politische Verfassung des Landes zu stellen, zumindest einen Anteil an der politischen Macht zu verlangen. Nachdem die Bourgeoisie im Liberalismus eine Ideologie entwickelt hatte, die ihre ökonomischen und politischen Interessen widerspiegelte, und in den dreißiger Jahren vor allem in den deutschen Kleinstaaten als liberale Bewegung politisch stärker in Erscheinung trat, erlebte die gesamte antifeudale Bewegung seit Beginn der vierziger Jahre einen starken Aufschwung. „Die politische Bewegung der Mittelklasse oder Bourgeoisie in Deutschland kann vom Jahre 1840 an datiert werden. Ihr gingen Anzeichen voraus, die zeigten, daß die kapitalbesitzende und industrielle Klasse dieses Landes zu einem Zustand heranreifte, der ihr nicht länger gestattete, den Druck eines halbfeudalen, halbbürokratischen monarchischen Regimes apathisch und passiv hinzunehmen" 8 , resümierte Engels. Das Hauptkampffeld der antifeudalen Kräfte verlagerte sich nach Preußen, einer GZk, 2.1.1. Nr. 185 Bl. 2. Vgl. auch Asmus, Helmut, Die preußische Verfassungsfrage im Frühjahr 1847. Die ständische Gesetzgebung vom 3. Februar 1847 und die Vorbereitungen der großbürgerlichen Opposition zum Vereinigten Landtag, in: JfG, Bd. 7, Berlin 1972, S. 175ff. 6 MEW, Bd. 8, S. 496. 7 Vgl. u. a. Asmus, Helmut, Die „Rheinische Zeitung" und die Genesis des rheinpreußischen Bourgeoisliberalismus, in: Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. 1789—1871, Berlin 1977, S. 135ff.; Zwahr, Hartmut, Zur Herausbildung der deutschen Arbeiterklasse. Ein stadialregionaler Vergleich, Berlin 1977 (Wissenschaftliche Beiträge für den Geschichtslehrer, Hrsg.: Historiker-Gesellschaft der DDR, Nr. 13); Schmidt, Siegfried, Liberale Parteibewegung und Volksmassen während der bürgerlichen Umwälzung in Deutschland 1789—1871, in: ZfG, 1978, H. 5, S. 400 ff. 8 MEW, Bd. 8, S. 14. „Kaum hatten die preußische Bourgeoisie und die mit ihr verbündeten Klassen sich ernstlich entschlossen gezeigt, für ein parlamentarisches Regime in Preußen zu

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der beiden Großmächte des Deutschen Bundes. Die preußische, insbesondere die ökono' misch fortgeschrittene rheinische Bourgeoisie prägte fortan den Charakter der bourgeoisen Opposition in den deutschen Staaten. Sie konsolidierte sich als ernst zu nehmende politische Kraft. Die Forderung nach einer Repräsentativverfassung durch die ostpreußischen Stände auf dem Königsberger Huldigungslandtag 1840, Jacobys „Vier Fragen", die Herausgabe der „Rheinischen Zeitung" als eines Organs der entschiedenen bourgeoisen Opposition, das Auftreten in den Vereinigten Ausschüssen und in den Provinziallandtagen und die Gründung der „Deutschen Zeitung" als Verkünder des politischen Programms der deutschen Großbourgeoisie und Wahrer gemeinsamer Interessen markierten den Weg bis zum Vereinigten Landtag von 1847. Obwohl ihr gemäßigt-liberaler Flügel sich seit 1844, nachdem die Volksmassen deutliche Zeugnisse ihrer Kraft gegeben hatten, nach links abgrenzte und antidemokratische Tendenzen stärker hervortraten, fand die liberale Bourgeoisie 1847 trotzdem an die Spitze der antifeudalen Bewegung, verkündete sie ihre Forderungen nach Reform, Konstitution und nationaler Einheit. Die preußische Bourgeoisie unterstrich dieses Programm auf dem ersten Vereinigten Landtag unüberhörbar und nachhaltig. Nach dem Vereinigten Landtag trafen sich am 10. Oktober 1847 auf Initiative von Hansemann führende Liberale verschiedener deutscher Staaten in Heppenheim, um sich über wesentliche Punkte eines gemeinsamen politischen Programms zu beraten. Sie übten Kritik an der Politik des Deutschen Bundes, sprachen sich für die Förderung der nationalen Einheit durch eine Ausbildung des Zollvereins aus und hielten „die Mitwirkung des Volkes durch gewählte Vertreter hierbei" für „unerläßlich" 9 . In das Programm fanden auch Forderungen nach Pressefreiheit, Schwurgerichten, Beseitigung feudaler Lasten, Selbstverwaltung der Gemeinden und nach Einführung einer Volkswehr Eingang. Das verstärkte Hervortreten der demokratischen Bewegung, die Zuspitzung der Konfrontation mit dem halbfeudalen Regime und die zu erwartenden weiteren Auseinandersetzungen hatten ein deutliches Programm der liberalen Großbourgeoisie notwendig gemacht. „Die Bourgeoisie, im Bewußtsein ihrer Kraft, war entschlossen, nicht länger die Fesseln zu tragen, mit denen ein feudaler und bürokratischer Despotismus ihre kommerziellen Geschäfte, ihre industrielle Leistungsfähigkeit, ihr gemeinsames Handeln als Klasse einengte . .

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„In Preußen war . . . eine Bourgeoisierevolution . . . im Anzug . . .

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Die Bourgeoisie war dabei, „eine ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechende politische Stellung erzwingen zu wollen". 12 Das bestimmte ihre objektive Stellung als revolutionäre Klasse. 13 Daran änderte auch nichts, daß sie den Weg der Volksrevolution abkämpfen, da überließ man ihnen auch schon die Führung der konstitutionellen Bewegung im ganzen nichtösterreichischen Deutschland." Ebenda, S. 24. 9 EuF, S. 216. «> MEW, Bd. 8, S. 27. » Ebenda, S. 39. 12 Ebenda, Bd. 6, S. 105. 13 Marx und Engels, die mehrfach auf die „Revolutionsfeindlichkeit" der Bourgeoisie hinwiesen, haben trotzdem die objektive Möglichkeit ihres revolutionären Wirkens nicht in Abrede gestellt. Besonders in ihren Schriften am Vorabend der Revolution, in ersten zusammenfassenden Auswertungen während und unmittelbar nach der Revolution haben sie deutlich die objektiv revolutionäre Stellung der Bourgeoisie im Vormärz hervorgehoben. Vgl. MEW, Bd. 4—8. Vgl. dazu auch Förder, Herwig, Marx und Engels am Vorabend der Revolution. Die Ausarbei-

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lehnte und nach Reform der bestehenden Herrschaftsverhältnisse und Kompromissen mit Adel und Krone strebte. Ihr Auftreten im Vereinigten Landtag in Preußen hatte dennoch eine neue Qualität der antifeudalen Opposition signalisiert, an deren Spitze unbestritten die Bourgeoisie stand. Trotz ihrer Neigung zu Kompromissen und ihrer Vorliebe für den Reformweg hatte sie offiziell und entschieden Front gemacht gegen das bestehende Gesellschaftssystem und seine Repräsentanten. Die bourgeoisen Vorbehalte gegen das demokratische Element der antifeudalen Bewegung traten zeitweilig zurück hinter die Notwendigkeit, einen Anteil an der politischen Herrschaft zu sichern. Die Gegnerschaft zum halbabsolutistischen System und der offene Konflikt mit der Krone waren das Charakteristische der Bourgeoispolitik im Vormärz, insbesondere im Jahre 1847. Die Bourgeoisie zeigte Ansätze, ihrem historischen Beruf gerecht zu werden. Dabei war ihr so lange Erfolg garantiert, wie die Haüptstoßrichtung ihrer Politik auf die Beseitigung des alten Gesellschaftssystems und die Errichtung der eigenen uneingeschränkten Herrschaft gerichtet war. Das war die Situation am Ende des Jahres 1847. Zum Jahreswechsel 1847/48 wurde die Bourgeoisie in Preußen vor eine erneute Kraftprobe gestellt. Am 22. November 1847 stellte das Staatsministerium den Mitgliedern der Vereinigten Ausschüsse den Entwurf eines Strafgesetzbuches zu. Es war beabsichtigt, in Preußen ein einheitliches Strafgesetz einzuführen und die unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen in den Provinzen aufzuheben. Das hätte auch die Ablösung des bürgerlichen Code penal im Rheinland bedeutet. Dieses wichtige Gesetz sollte lediglich in den Vereinigten Ausschüssen beraten werden, die die Krone für den 17. Januar 1848 nach Berlin berief. Damit brach der Konflikt zwischen Bourgeoisie und Krone in Preußen wieder auf. Es wurde deutlich, daß die Krone die Einberufung eines weiteren Vereinigten Landtages für die nächste Zeit unterlaufen wollte. Außerdem entsprach der Entwurf des Strafgesetzbuches sowohl in der Grundtendenz als auch im Detail nicht den Vorstellungen der preußischen Bourgeoisie von einem einheitlichen Strafrecht. Sie war aufgerufen, die im ersten Vereinigten Landtag so erfolgreich begonnene Auseinandersetzung mit der Krone wieder aufzunehmen. Wollte sie als Führer der antifeudalen Bewegung glaubwürdig bleiben, mußte sie ihre oppositionelle Position auch zu den Ausschüssen praktisch weiter unter Beweis stellen. Über die Konsequenzen einer bourgeoisen Opposition zu den Vereinigten Ständischen Ausschüssen gab es jedoch, wie schon bei den Ausschußwahlen im Vereinigten Landtag, taktische Differenzen unter den Liberalen. Während einige den Boykott der Vereinigten Ausschüsse forderten, um so den konstitutionellen Ansprüchen Nachdruck zu verleihen, sprachen sich andere für eine Teilnahme an den Ausschüssen aus, um dort als oppositionelle Kraft auf den Entwurf des Strafgesetzbuches Einfluß zu nehmen. Es stand die Frage, tung der politischen Richtlinien für die deutschen Kommunisten (1846—1848), Berlin 1960, und Strey, Joachim/Winkler, Gerhard, Marx und Engels 1848/49. Die Politik und Taktik der „Neuen Rheinischen Zeitung" während der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland, Berlin 1972. Davon abweichend konstatiert Oisermann, indem er kritische Momente in der Charakterisierung der Bourgeoisie bei Marx und Engels verabsolutiert, die unvermeidliche konterrevolutionäre Haltung und Entartung der Bourgeoisie bereits am Vorabend der Revolution beim Vorhandensein eines politisch selbständigen Proletariats. Vgl. Oisermann, T. / . , Razvitie marksistskoj teorii na opyte revoljucij 1848 g., Moskva 1955, S. 89, 121. Oisermanns Thesen scheinen doch einseitig und werden der differenzierten Beurteilung der Bourgeoisiepolitik durch Marx und Engels nicht gerecht. Auch die detaillierten Forschungen zur Bourgeoisiepolitik in der jüngsten Zeit haben solche Thesen in keiner Weise bestätigt.

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ob man den Konflikt mit dem halbfeudalen System weiter zuspitzen oder trotz prinzipieller Opposition dem alten Regime eine „goldene Brücke" 1 4 bauen sollte. Führende Vertreter der rheinischen Großbourgeoisie unternahmen den Versuch, die liberalen Abgeordneten der Provinz auf eine gemeinsame Linie festzulegen. Hermann von Beckerath, Bankier aus Krefeld, lud 20 Abgeordnete, die die Ausschüsse unter Vorbehalt gewählt hatten, für den 28. November nach Düsseldorf ein. In dieser Beratung gelang es ihm jedoch nicht, alle Anwesenden für einen gemeinsamen Boykott der Ausschüsse zu gewinnen. Trotzdem war der Auftakt für eine Boykott- und Oppositionsbewegung gegenüber den Vereinigten Ständischen Ausschüssen gegeben. Beckerath richtete am 1. Dezember 1847 einen Brief an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz Eichmann. Er bekräftigte die Auffassungen der liberalen Opposition über die notwendigen Rechte des Vereinigten Landtages und teilte mit, daß ihn seine „unveränderte Überzeugung" hindere, „an einer im Sinne der Verordnung vom 3. Februar dieses Jahres zusammentretenden Ausschußversammlung teilzunehmen". 15 Seinem Beispiel folgten Handelskammerpräsident Bernhard Müller aus Wesel und der Kaufmann Karl Wilhelm Kyllmann aus Weyer. 16 Auch der Versuch der Provinzregierung, Stellvertreter einzuberufen, scheiterte. Die Kaufleute Leopold Schöller aus Düren und Ernst Scheidt aus Kettwig erklärten, durch verschiedene Umstände verhindert zu sein. Camphausen gab dagegen am 5. Dezember eine Erklärung ab, in der er seine Teilnahme an den Ausschüssen begründete. Die kontroversen Standpunkte von Camphausen und Beckerath wurden am 8. Dezember in der „Kölnischen Zeitung" abgedruckt. Damit wurde der Streit um die Teilnahme an den Vereinigten Ausschüssen in die Öffentlichkeit getragen und eine breitere Diskussion gefördert. Das Ausscheren Camphausens und seiner Anhänger mobilisierte die Kräfte der rheinischen Bourgeoisie, die an einer konsequenteren Bourgeoispolitik interessiert waren und auch die Ausübung von Druck auf die Regierung als ein legitimes Mittel betrachteten. Der führende Kopf und der eifrige Organisator dieses Flügels der Bourgeoisie war David Hansemann. Am 12. Dezember 1847 besuchte er gemeinsam mit Gustav Mevissen H. v. Beckerath, um ihn in seiner Haltung zu bestärken und Maßnahmen zur Einigung der liberalen Opposition auf der Position der Ablehnung der Ausschüsse zu beraten. Nach einer Absprache mit dem Gutsbesitzer Aldenhoven aus Zons lud Hansemann alle rheinischen Abgeordneten, die die Ausschuß wahlen verweigerten oder mit Vorbehalt vollzogen und die sich für eine jährliche Einberufung des Vereinigten Landtags ausgesprochen hatten, für den 6. Januar 1848 nach Bonn ein. Der Einladung folgten 27 Abgeordnete. Die Beratung gestaltete sich zu einer Niederlage für Camphausen. Man einigte sich darauf, am Verlangen nach jährlicher Einberufung des Vereinigten Landtages festzuhalten, die Teilnahme an den Vereinigten Ausschüssen abzulehnen und deren Inkompetenz für die Beratung allgemeiner Gesetze zu erklären. Für die weitere Koordinierung der Handlungen wurde eine Kommission gewählt. Die baldige Einberufung einer weiteren Versammlung liberaler Abgeordneter wurde in Aussicht gestellt. 14

A. v. Auerswald wollte diese Brücke „noch . . . nicht abbrechen", und Freiherr v. Mylius war dagegen „ das durch die Wahl übernommene Mandat nur deshalb niederzulegen, weil die gehegten Erwartungen bis jetzt nicht in Erfüllung gegangen sind". Rheinische Briefe 2.1, S. 288 u. 390. »5 ZStA Merseburg, Mdl, Rep. 77 Tit. 496 Nr. 18 Bl. 213.