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German Pages 172 Year 2015
Heike Kirchhoff, Martin Schmidt (Hg.) Das magische Dreieck
2007-02-08 09-56-03 --- Projekt: T609.kum.kirchhoff_schmidt / Dokument: FAX ID 01a1138908934074|(S.
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) T00_01 schmutztitel.p 138908934242
Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler Band 1
Heike Kirchhoff, Büro für Veranstaltungsmanagement, Wirtschaft – Umwelt – Kultur, Hennef, und Martin Schmidt, TexTuRa – Büro für Text, Textiles und Raum, Düsseldorf, sind Mitglieder in der Regionalgruppe Rhein-Ruhr des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. (http://www.b-f-k.de).
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) T00_02 vakat.p 138908934250
Heike Kirchhoff, Martin Schmidt (Hg.)
Das magische Dreieck Die Museumsausstellung als Zusammenspiel von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern
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) T00_03 innentitel.p 138908934258
Ergebnisse einer Studienkonferenz des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. und der Thomas-Morus-Akademie Bensberg im November 2005 Im Vorbereitungsteam wirkten mit: • Peter Ellenbruch und Thomas Hammacher (Scopium, Agentur für Recherche, Gestaltung und Präsentation historischer Bildmedien, Essen) • Heike Kirchhoff (Büro für Veranstaltungsmanagement, Wirtschaft – Umwelt – Kultur, Hennef) • Stefan Nies (Dudde und Nies Geschichtsagentur, Dortmund) • Bettina Schack, Journalistin und Musikwissenschaftlerin, Dinslaken • Martin Schmidt (TexTuRa – Büro für Text, Textiles und Raum, Düsseldorf) • Christiane Syré (Agentur Form und Sinn, Düsseldorf) in Kooperation mit • Andreas Würbel, Referent in der Thomas-Morus-Akademie Bensberg Ein Tagungsprotokoll ist abrufbar unter www.b-f-k.de.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Redaktion: Heike Kirchhoff, Stefan Nies, Martin Schmidt, Christiane Syré Schlussredaktion: Stefan Nies, Christiane Syré Satz: Martin Schmidt Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-609-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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) T00_04 impressum.p 138908934266
Inhalt WOLFGANG ISENBERG Grußwort der Thomas-Morus-Akademie Bensberg
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STEFAN NIES Vorwort des Bundesverbandes freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V.
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MARTIN SCHMIDT – REGIONALGRUPPE RHEIN/RUHR DES BFK E.V. Das magische Dreieck. Zur Einführung
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HEINER TREINEN Das Museumswesen: Fundus für den Zeitgeist
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CHRISTINE BÄUMLER Bildung und Unterhaltung im Museum. Über die Notwendigkeit einer funktionalen Differenzierung und ihre Folgen
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ANGELIKA RUGE-SCHATZ Museumsarbeit ist Teamarbeit. Ein Plädoyer aus museumskundlicher Sicht
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Kuration SUSANNE WERNSING Parole: edutainment? Zum Verschwinden der Kunst aus der Wissenschaft und ihrer beschämten Rückkehr ins Museum
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DIETMAR OSSES Kreative Spannungen. Zur Gestaltung von Bildung, Unterhaltung und Vermittlung in historischen Ausstellungen
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GEFION APEL Die Projekte des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold im Spannungsfeld zwischen Kuration, Museumspädagogik und Gestaltung
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Museumspädagogik NICOLE GESCHÉ-KONING Die diskrete Allgegenwart des Vermittlers im Museum. Aus der Sicht der Museumspädagogik
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HANNELORE KUNZ-OTT Im Interesse des Besuchers. Die Rolle der Museumspädagogik
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FOLKER METZGER Barrierefreiheit und Besucherfreundlichkeit. Neue Anforderungen an die Koordination zwischen Kuratoren, Gestaltern und Pädagogen
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Gestaltung HANS R. WOODTLI Die Demokratisierung kreativer Prozesse
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JÖRG WERNER Das Runde muss in das Eckige. Ausstellungsplanung ist Mannschaftssport
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PETRA MÜLLER Das Verborgene ausstellen. Ein Essay
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Anhang Abbildungsverzeichnis
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Autoren
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Arbeitskreis „Magisches Dreieck“ der Regionalgruppe Rhein/Ruhr des BfK e.V.
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Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. (BfK)
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Grußw ort der Thomas-Morus- Akademie Be ns berg Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Thomas-Morus-Akademie Bensberg in verschiedenen Tagungen und Seminaren mit Fragen der Museumsgestaltung, -konzeption und Museumspädagogik. Anlass dazu sind zum einen aktuelle Ausstellungen in Museen, bei deren Betrachtung neben den Objekten auch die Konzeption der Ausstellungen kritisch beleuchtet wird. Zum anderen hat sich die Akademie in den letzten Jahren auch in mehreren Fachtagungen mit Fragen der Architektur und Gestaltung von Museen auseinandergesetzt, zuletzt zum neu eröffneten Auswandererhaus in Bremerhaven. Begonnen hat die Reihe mit einer Tagung zu Neuentwicklungen in der Museumslandschaft. Sie wurde fortgesetzt mit einer Veranstaltung zum Thema ‚Museum für Kinder‘ in Zusammenarbeit mit dem Rheinischen Landesmuseum Bonn. Aus dieser Veranstaltung entwickelte sich die Konzeption für eine Tagung im Frühjahr 2004, die sich mit der Kooperation von Museen und Schulen beschäftigte, gerade mit Blick auf die Einbeziehung der Museumsarbeit in das Ganztagsangebot der Grundschulen. Diese Tagung in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Museumspädagogik ist in der Zwischenzeit auch dokumentiert und in der Reihe der Bensberger Protokolle als Band 108 erschienen. Fragen nach der Zusammenarbeit von Pädagogen, Gestaltern und Kuratoren in Museen sind eine konsequente Fortführung der Themenlinie. Die Initiative des Bundesverbandes freiberuflicher Kulturwissenschaftler zur Tagung im November 2005 haben wir daher gerne aufgegriffen, da das Tagungsthema sich mit unseren Überlegungen und Planungen gut in Einklang bringen ließ. Der Erfolg der Tagung und die Dokumentation der Beiträge in diesem Tagungsband bestätigen dies. Den Autorinnen und Autoren, die ihre Beiträge zum Teil noch erheblich erweitert haben, danke ich für die Bereitstellung der Texte. Für die Kooperation gilt mein Dank dem Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler, stellvertretend vor allem Heike Kirchhoff und Martin Schmidt sowie Andreas Würbel, der das Projekt in der Thomas-Morus-Akademie betreut hat. DR. WOLFGANG ISENBERG, AKADEMIEDIREKTOR
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Vorw ort des Bundes ve rbandes freiberuflicher Kulturw issenschaftler e.V. Museen sollen vielfältigen Anforderungen gerecht werden: als außerschulische Lernorte Bildungsangebote bereit halten, als Freizeitstätten Menschen Freude und Unterhaltung bieten und als wissenschaftliche Institutionen neue Erkenntnisse erarbeiten sowie diese verständlich aufbereiten. Im Interesse ihrer Träger liegt es, dass ein Besucherrekord nach dem anderen gebrochen wird – und dies trotz oft stagnierender oder rückläufiger öffentlicher Förderung. Der Institution ‚Museum‘ muss es daher gelingen, eine Position im Spannungsfeld von Bildung und Unterhaltung, von Lernort und Freizeitraum, von Bewahren der materiellen Hinterlassenschaft und ihrer gezielten Vermarktung zu finden. Das wichtigste und nach außen wirksamste Instrument dazu sind die vielen Sonder-, Wechsel- aber auch Dauerausstellungen. Um diese zu realisieren, braucht es den Sachverstand von museum professionals: Fachwissenschaftlern, Kuratoren, Museumsdidaktikern und -pädagogen, Ausstellungsdesignern, Grafikern, Architekten, Bühnenbildnern, Mediengestaltern und Textern. Ganz gleich ob diese Funktionen nun von wenigen in Personalunion oder von vielen als Spezialisten wahrgenommen werden – Museen sind auf gute Zusammenarbeit angewiesen, wollen sie erfolgreich agieren. Die angesprochenen Aufgabenfelder ergeben als Eckpunkte ein Dreieck – das „magische Dreieck“. In diesem Dreieck spielen immer häufiger ‚Freie‘ eine entscheidende Rolle. Sie, die vielfältige Dienstleistungen für Museen erbringen, kennen die Museumsarbeit aus unterschiedlichen Perspektiven und beobachten mit distanziertem Blick, wie sich die Praxis besonders bei der Planung und Realisation von Ausstellungen ändert. Neue Leitvorstellungen spielen eine Rolle; Orientierungsmuster verändern sich. Dies hat enorme Auswirkungen auf das Zusammenspiel der Beteiligten – oft ohne dass diese Wandlungsprozesse entsprechend reflektiert werden. Grund genug für den Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. (BfK), zusammen mit der Thomas-MorusAkademie – der an dieser Stelle für die hervorragende Zusammenarbeit zu danken ist – eine entsprechende Tagung zu organisieren. Dass es einen Bedarf für eben diese Reflektion des Zusammenspiels zwischen Kuration, Museumspädagogik und Gestaltung gab und gibt, zeigte die große Resonanz auf die Tagung. Über 100 Teilnehmer aus Österreich, der Schweiz, aus Belgien und Deutschland hatten sich zur Studienkonferenz „Das 9
STEFAN NIES
magische Dreieck. Zum Verhältnis von Kuratierung, Museumspädagogik und Gestaltung“ in der Thomas-Morus-Akademie Bensberg am 30.11./1.12.2005 eingefunden. ‚Freie‘ und fest Angestellte wollten eine Diskussion anstoßen und erörterten, wie Kuratoren, Museumspädagogen und Gestalter angesichts neuer Anforderungen an die Museen besser zusammenarbeiten können. Praktiker aus allen drei Feldern kamen dabei zu Wort, nachdem Sozialwissenschaftler, Kommunikationswissenschaftler und Museologen den theoretischen Rahmen abgesteckt hatten. Nicht zuletzt, da wir als freiberufliche Mitarbeiter auch wirtschaftlich denken müssen und eine gute und zielführende Zusammenarbeit für uns von großem Nutzen ist, halten wir eine klare Analyse sowohl der gesellschaftlichen Rolle von Museen und Ausstellungen als auch der Aufgabenverteilungen innerhalb der Museumsarbeit für unabdingbar. Die rege und hin und wieder heftige Diskussion auf der Studienkonferenz zeigte uns, dass der Dialog miteinander längst überfällig war und ist. Denn natürlich kann in zwei Tagen die Problemlage nicht erschöpfend geklärt werden. Doch die Konferenz eröffnete einen Meinungsaustausch darüber, auf welchen theoretischen, modellhaften und konzeptionellen Überlegungen die Arbeit der verschiedenen Gruppen der museum professionals im oben skizzierten Spannungsfeld beruht und wie ästhetische Umsetzung, fachwissenschaftliche Erkenntnisse und pädagogische Zugänge im Sinne des „magischen Dreiecks“ in eine sinnvolle Einheit gebracht und welche Kriterien dafür entwickelt werden können. Bereits in Bensberg wurde deutlich, dass die begonnene Diskussion weiter gehen sollte. Erfreulicherweise haben alle Referenten und Podiumsdiskutanten der Tagung ihre Vorträge überarbeitet und als schriftliche Fassung für diesen Band zur Verfügung gestellt – nicht zuletzt hierfür gebührt ihnen unser herzlicher Dank! Es ist zu hoffen, dass damit die begonnene Auseinandersetzung dieses Problemfeldes nun im größeren Kreis fortgesetzt wird. Wir freuen uns, dass der transcript-Verlag den nun vorliegenden Band in seine „Schriftenreihe zum Kultur- und Museumsmanagement“ aufgenommen hat; auch hierfür ist zu danken. Noch einmal darf ich unseren besonderen Dank dem Mitveranstalter der Studienkonferenz, der Thomas-Morus-Akademie, insbesondere Herrn Andreas Würbel, ausdrücken. Und auch unserem Kooperationspartner, dem Bundesverband Museumspädagogik e.V. gilt es, für die vielfältige Unterstützung zu danken, ebenso wie dem ehrenamtlichen Engagement der Mitglieder der BfKRegionalgruppe Rhein/Ruhr, ohne die es weder zur Studienkonferenz noch zu diesem Buch gekommen wäre. STEFAN NIES, VORSITZENDER
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MARTIN SCHMIDT – REGIONALGRUPPE RHEIN/RUHR DES BFK E.V. Das magische Dreieck. Zur Einführung 1 1. „Das Museum war monumental, steinern, kalt, und ihm entströmte, als wäre es nicht Sitz der Kunst, sondern die Hölle der Winde, ein frostiger Atem, der die ganze Straße erfüllte. Die Vorstellung, dass ich jetzt den Gesang der Vögel, den Garten, die Sonne, den Fluss und die Brücke verlassen musste, um im dritten Saal links oben ein Segelschiff zu sehen, erfüllte mich mit jenem Grauen, das ich vor langen Jahren auf einem Gang zur Schule an schönen Frühlingstagen gefühlt hatte und das ich noch manchmal träume.“2
In diesem Zitat von Joseph Roth aus der Frankfurter Zeitung spiegelt sich der Alptraum vieler Museumsmacher wider: potentielle Besucher, die schon allein beim Gedanken an ein Museum ‚Grauen‘ anstelle von ‚Lust‘ oder zumindest ‚Interesse‘ empfinden.3 Denn längst seien doch ihre Häuser, davon sind die meisten museum professionals überzeugt, keine kalten und vom Höllenwind reiner akademischer Wissenschaft durchwehte „Gelehrtenspeicher“ mehr.4 Ihre Museen präsentierten sich nicht als „konservatorische Stätten der 1
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Dieser Aufsatz entstand unter Mitarbeit der Regionalgruppe Rhein/Ruhr des BfK e.V.; Peter Ellenbruch, Thomas Hammacher, Heike Kirchhoff, Stefan Nies, Bettina Schack, und Christiane Syré haben vor, während und nach der Tagung zum Gelingen dieser Zeilen mit viel mehr als nur ergiebigen Diskussionen beigetragen. Roth, Joseph: Artikel ‚Museum‘, in: Frankfurter Zeitung, 14.3.1929, Wiederabdruck in: Christoph Stölzl, Menschen im Museum. Geschichten und Bilder, Berlin 1997, S. 4144, hier S. 43. Den Aspekt des Staunens führt in diesem Band Susanne Wernsing, S. 61-73, ein. Vgl. zum Begriff der „museum professionals“ u.a. Bäumler, Christine: in diesem Band, S. 41-56, hier S. 44, dort Anm. 5. In gewisser Weise im Gegensatz dazu steht Heiner Treinen, in diesem Band, S. 27-40, hier S. 32: „Für die entsprechende professionelle Tätigkeit fehlt übrigens ein prägnanter Ausdruck […] man könnte die Ausführenden – also die Ausstellungsgestalter, Designer, Kuratoren und Mitarbeiter – als ‚Wissenschaftskünstler‘ bezeichnen, weil im Museum der Anspruch auf wissenschaftliche Ausrichtung zugleich mit dem Anspruch auf ihre ästhetische Darbietung anhand von Objekten Wirklichkeit werden soll, um dem Publikum kognitiv und phänomenologisch erarbeitete Bedeutungsfelder verständlich zu machen.“ Zum Gedanken des „Gelehrtenspeichers“, der „Raritätenkammer“ und der „Schaubude“ immer noch äußerst lesens-
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MARTIN SCHMIDT – REGIONALGRUPPE RHEIN/RUHR DES BFK E.V.
Bildung“, die lebensfern und geradezu in sakraler Weise die materielle Hinterlassenschaft in Vitrinen vorführten, sondern sie böten zumindest ein wenig von dem, was Susanne Wernsing in diesem Band als „edutainment“ bezeichnet – so zumindest die immer wieder geäußerte Hoffnung.5 Es dürfe zwar kein Zweifel an ihrer kulturbewahrenden Bedeutung bestehen, man wolle jedoch auf keinen Fall „Raritätenkammern“ schaffen und erst recht keine Winkel zur alleinigen „Förderung des Gelehrtenstudiums“ verwalten – so könnte man viele Diskussionen der letzten Jahre unter ‚Museumsmachern‘ zusammenfassen. Auch – und darauf wird gerade unter Museumspädagogen Wert gelegt – sei es darüber hinaus nicht beabsichtigt, aus der alt-ehrwürdigen Institution eine „unterhaltliche Schaubude“ zu machen.6 Was aber erwartet den Museumsbesucher? Wie haben die Museumsleute ihre Versprechen eingelöst? Das Museum, so erklärte es einst einer der großen Vordenker der Zunft, soll als Lernort bzw. als Bildungsanstalt ein klares Konzept verfolgen, um zu entscheiden, wie die „Reichtümer an Gütern ausgewählt, ergänzt, gegliedert und innerlich wieder verknüpft werden müssen, damit das Chaos zu einem Kosmos wird, der nur deswegen ein Kosmos ist, weil sein irgendwie geordnetes System einen objektiv geltenden Sinn bzw. ein ganzes Sinngefüge zum Ausdruck bringt.“7 Genauer wurde der Altmeister in der Präsentation von ‚Wissenschaftskunst‘ nicht. Zwischen Bildung und Unterhaltung schwankte sein Konzept.8 Wird heute über das ‚Museum‘ aus der Innensicht diskutiert, ist nicht mehr nur nach dem ‚Was‘ und dem ‚Wie‘ zu fragen, sondern auch danach ‚Wer‘ das ‚Wie‘ für ‚Wen‘ umsetzt.
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wert die Eröffnungsrede zum Sammlungsbau des Deutschen Museums in München 1925 von Georg Kerschensteiner, zitiert nach Matschoss, Conrad (Hg.): Das Deutsche Museum. Geschichte/Aufgaben/Ziele, Berlin u.a. München 1933, S. 37-44, hier S. 37; vgl. auch Herrmann, Ulrich: Sehen, Nach-denken, Fragen lernen. Mit Studierenden des Höheren Lehramts an Gymnasien im Deutschen Museum und im Kerschensteiner Kolleg des Deutschen Museums, in: Franz Josef E. Becker, Christine Füssel-Gutmann u.a (Hg.), Lernen, Erleben, Bilden im Deutschen Museum – Naturwissenschaft und Technik für Studiengruppen (= Public Understanding of Science: Theorie und Praxis, Bd. 3), München 2001, S. 89-103, hier S. 93-94. Vgl. demnächst Commandeur, Beatrix; Gottfried, Claudia; Schmidt, Martin: Industrie- und Technikmuseen, Schwalbach 2007 (im Druck). Dech, Uwe Christian: Sehenlernen im Museum. Ein Konzept zur Wahrnehmung und Präsentation von Exponaten, Bielefeld 2003, S. 11. „Raritätenkammer“ und „Schaubude“ sind ebenfalls Begriffe von Kerschensteiner, zitiert nach Matschoss, Das Deutsche Museum, a.a.O., hier S. 37. Zitiert aus der Rede Georg Kerschensteiners zur Eröffnung des Sammlungsbaus des Deutschen Museums im Jahre 1925, zitiert nach Matschoss, Das Deutsche Museum, a.a.O., hier S. 37, vgl. auch Herrmann, Sehen, a.a.O., S. 93-94. Der Begriff ‚Wissenschaftskunst‘ ist einerseits in Anlehnung an Heiner Treinens Begriff der „Wissenschaftskünstler“ zu begreifen (vgl. Treinen, Heiner: in diesem Band, S. 27-40, hier S. 32), andererseits beruht er auf der Idee Kerschensteiners, die im Deutschen Museum München ausgestellten Schätze der Ingenieurleistung Kunstwerken gleichzustellen.
DAS MAGISCHE DREIECK
Die gerade verwendeten Begriffe „Raritätenkammer“, „Gelehrtenspeicher“ und „unterhaltliche Schaubude“ sind in der hier zitierten Form fast ebenso alt, wie die eingangs wiedergegebenen Zeilen von Joseph Roth. Sein Artikel aus der Frankfurter Zeitung und die Begriffe von Georg Kerschensteiner (Deutsches Museum München) stammen aus den 1920er Jahren. Liest man sie unvorbereitet, könnte man die Zitate für Abbilder einer höchst aktuellen Diskussion halten. Noch immer wird darüber debattiert, diskutiert und nicht zuletzt mit harten Bandagen gestritten, wie man Museen in ihrem spezifischen Spannungsumfeld ausrichtet. Die Problemlage ist vielschichtig: Schließlich agieren Museen und ihre Mitarbeiter mit der materiellen Hinterlassenschaft der Menschheit, der Natur oder des Kosmos. Sie sammeln, bewahren, ergründen und präsentieren.9 Zudem soll das Museum als außerschulischer Lernort Bildungsangebote bereithalten, als Freizeitstätte Freude und Unterhaltung bieten und als wissenschaftliche Institution neue Erkenntnisse erarbeiten und diese verständlich aufbereiten. Gleichzeitig fordern viele Träger Jahr für Jahr wachsende Besucherzahlen. Mag das bis jetzt Gesagte auch stellenweise ironisch klingen – es ist richtig und gut, wenn immer wieder über den besten Weg guter Museumsarbeit gefochten wird. Lösungen sind – darauf weisen im hier vorliegenden Band unter anderen Heiner Treinen, Angelika Ruge-Schatz und Nicole Gesché-Koning hin – an die Geschichte der Institution ‚Museum‘, die Geschichte der Häuser selbst und im Zuge dessen an immer wieder wechselnde Partner geknüpft (u.a. Träger, Besucher, Fördervereine, Sponsoren). Insbesondere das für Besucher sichtbarste Arbeitsfeld von Museen, das der Ausstellung, war und ist in der Präsentationsform nicht nur abhängig vom jeweiligen Gegenstand, sondern auch von Moden und gesellschaftlichen Strömungen.10 9
Die ‚Dinge‘ stehen zumindest für einen Teil der Museen wieder im Mittelpunkt der Arbeit. Dieser material turn wird intensiv diskutiert; vgl. u.a. die Beiträge von Wernsing, Susanne: in diesem Band, S. 61-73; u. Osses, Dietmar: in diesem Band, S. 74-88, u.a.m.; wichtig kürzlich Heesen, Anke te; Lutz, Petra: Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln u.a. 2005, ein Sammelband, der die Resultate der Tagung ‚Im Reich der Dinge – das Museum als Erkenntnisort‘ (Dresden, Hygiene-Museum, Mai 2004) zusammenfasst. Kritisch mit der Dingwelt im Museum geht der immer noch lesenswerte Aufsatz Zacharias, Wolfgang: Zeitphänomen Musealisierung (1990), in: ders., Kultur und Bildung. Kunst und Leben – zwischen Sinn und Sinnlichkeit. Texte 1970-2000, Essen 2001, S. 276-289, um. Zur Definition Museum vgl. u.a. Murphy, Bernice L.: The Definition of the Museum. From Specialist Reference to Social Recognition and Service, in: ICOM News, Newsletter of the International Council of Museums 57, Heft 2, 2004, S. 3. Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Aufsatz von Treinen, Heiner: in diesem Band, S. 27-40. 10 Die folgenden Ausführungen verdanken die Autoren dieses Beitrags der freundlichen Überlassung des gerade im Druck befindlichen Manuskripts von Commandeur; Gottfried; Schmidt: Industrie- und Technikmuseen, a.a.O.; vgl. zum Begriff der Mode, der
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MARTIN SCHMIDT – REGIONALGRUPPE RHEIN/RUHR DES BFK E.V.
So wurde die Idee der 1970er Jahre, über ein besonders großes Maß an Information auf Texttafeln den Besucher gut zu informieren, in den 1980er Jahren weitgehend aufgegeben und durch zum Teil anspruchsvolle Inszenierungen und szenographische Darstellungen mit vielfältigen Bezügen ersetzt. Rekonstruktionen von Räumen (z.B. der berühmt-berüchtigten ‚Arbeiterküchen‘) und Arbeitssituationen schienen eine bessere Vorstellung von der Geschichte vermitteln zu können, als wenige Objekte und lange Texte. Besonders radikal konnte man diesen Wechsel in der Art der Ausstellungsgestaltung im Ruhrlandmuseum in Essen verfolgen, in dem in der Ausstellung zum 19. Jahrhundert zeitweise fast ganz auf eine Beschriftung verzichtet wurde. Doch solche komplexen Inszenierungen wurden von den Besuchern oft nicht ganz oder nicht so verstanden, wie sie gemeint waren. Denn viele der Inszenierungen wurden als authentisches und wahrhaftiges Abbild der ‚wirklichen Geschichte‘ angesehen und nicht als deren Interpretation. Daher rückte man in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren von dieser Art der Ausstellungsinszenierung ab. Man gab sie zugunsten einer vermeintlich intensiv– handlungsorientierten Gestaltung auf. Klappen und Schubladen mussten plötzlich geöffnet werden, um versteckte Texte und Exponate zu sehen, überall fand man Gucklöcher, die Neugier wecken und zum Entdecken einladen sollten; immer wieder waren Räder zu drehen, Kisten zu öffnen und Vorhänge zur Seite zu schieben, um das Interesse und die Aufmerksamkeit des Besuchers zu aktivieren und ihn so durch Neugier und Spaß am eigenen Handeln an das Haus zu binden. Doch auch diese Museumsmode hat sich mittlerweile abgenutzt. Und tatsächlich: Viele der gerade erwähnten Elemente sind verbraucht, werden da, wo sie noch existieren, von den Besuchern kaum mehr wahrgenommen. Dies liegt und lag sicher auch daran, dass manche dieser Angebote kaum Bezüge zur inhaltlichen Ausrichtung der Ausstellung aufwiesen. Zurzeit findet man in neuen Dauer- und Sonderausstellungen häufig sorgsam kontextualisierte Objekte in einfachen Inszenierungen. Texte spielen wieder eine große Rolle. Dabei kommt der handelnden Auseinandersetzung – eingebunden in die Begegnung mit authentischen Originalen – eine immer wichtigere Rolle zu. Nicht nur deshalb werden zunehmend neue Medien wie beispielsweise computergestützte Infostationen und Angebote, die mit tragbaren ‚Personal Digital Assistenten‘ (PDA’s) und ‚mp3-Player‘ abzurufen sind, integriert. Die Audioguides sind schon längst kaum mehr aus Museen wegzudenken. Der Einsatz von Elementen der living history in Präsentationen ist auf der Basis von Experimenten vielfach in der Diskussion. Doch erst die nächste Generation von Ausstellungen wird zeigen, inwieweit einzelne dieser Elemente trotz einer gewissen Objektgebundenheit entweder nicht unbedingt ‚modern‘ meint, Exposito, Elena: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, Frankfurt/M. 2004, hier S. 13-32 u. 96-113.
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DAS MAGISCHE DREIECK
(A) zu Disneylands der Geschichte führen (vgl. u.a. den Ziegeleipark Mildenberg oder die Ausstellung ‚Wir Rheinländer‘, Freilichtmuseum Kommern) oder (B) zu emotional und atmosphärisch dichten Vermittlungen, die auf der Basis gezielt ausgesuchter Objekte und ihres Zusammenspiels mit anderen Elementen funktionieren (vgl. u.a. die Beiträge von Gefion Apel und Petra Müller in diesem Band).11 Ob eine der beiden gerade herausgehobenen Lösungen oder eine dritte, vierte oder fünfte zumindest eine Zeitlang den Wind des ‚Grauens‘ aus dem Museum vertreiben hilft oder geradezu heraufbeschwört, soll und kann hier nicht diskutiert und schon gar nicht beurteilt werden.12 Dies kann schon deshalb nicht gelingen, weil die Zahl derjenigen Menschen, die durch eine Zunahme von frei verfügbarer Zeit und disponiblen finanziellen Mitteln als Besucher potentiell in Frage kommen, stetig wächst und sich damit immer weiter ausdifferenziert.13 Eindeutig ist, dass nicht von ‚dem Besucher‘ ausgegangen werden kann, der sich ggf. noch einer Altersgruppe zusortieren ließe, sondern dass Besuchertypen zu berücksichtigen sind, deren Gruppenzugehörigkeit von vielen Merkmalen bestimmt wird:14
11 Apel, Gefion: in diesem Band, S. 89-104. Zu der Ausstellung ‚Wir Rheinländer‘ vgl. http://www.wir-rheinlaender.lvr.de (Stand 06.01.2007). Zum Verborgenen in Ausstellungen, was in diesem Fall auch Emotionen meint: Müller, Petra: in diesem Band, S. 159-164. 12 Ein Streit um die richtige Lösung ist u.E. nicht auf der Ebene der Gestaltung zu finden, denn diese ist zeittypischen Kriterien und Moden unterworfen – selbst wenn sie im besten Fall zunächst modern und nicht modisch wirken. Der Konflikt lässt sich u.a. bei Heesen, Dingwelten, a.a.O., mehr als erahnen; deutlich wird er auch in der Habilitation von Schleper, Thomas: Visuelle Spektakel und die Hochzeit des Museums – über Chancen ästhetischer Bildung in der Wissensgesellschaft, Wuppertal 2005. 13 Will man allein die Gruppe der Jugendlichen genauer betrachten – wohl wissend, dass Freizeitforschung nicht mehr nur Alters- sondern Interessengruppen untersucht – müsste man diese differenzieren: so legt beispielsweise das Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) folgende Kriterien zur Untersuchung der Attraktivität von Museen an: (1) gute Unterhaltung, (2) etwas ‚live‘ erleben, (3) Spaß und Action, (4) gute Atmosphäre, (5) Verbesserung der Allgemeinbildung, (6) überraschende Eindrücke / künstlerische Impulse, (7) nette Leute, die mich begleiten / in der Szene sein, (8) neue Ideen bzw. Anregungen, (9) Gefühl, etwas Außergewöhnliches zu tun, (10) erstklassige Umgebung / Ambiente (vgl. Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) (Hg.): Teilergebnisse des Jugend-KulturBarometers 2004 „Zwischen Eminem und Picasso“, Bonn 2004, S. 16f.). 14 Vgl. hierzu auch die von Dietmar von Reeken geschilderte Zielgruppen- und Besucheranalyse am Beispiel des Delmenhorster Fabrikmuseums ‚Nordwolle‘, ders.: Musealisierung der Industriegesellschaft? Pragmatische Überlegungen zum Verhältnis von Geschichtskultur, Denkmalschutz und Industriemuseum am Beispiel des Delmenhorster Fabrikmuseums ‚Nordwolle‘, in: Bernd Mütter, Bernd Schönemann, Uwe Uffelmann (Hg.), Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik (= Schriften zur Geschichtsdidaktik, Bd. 11), Weinheim 2000, S. 217-234, hier S. 227-233. Im Beitrag von Folker Metzger in diesem Band, S. 129-134, wird jedoch deutlich, dass zunächst als trennende Merkmale erscheinende Kriterien durchaus nicht als solche Wirkung entfalten müssen. Betont wird an diesem Beispiel, wie intensive Zusammenarbeit zwischen Museumspä-
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„Zielgruppenspezifische Vermittlungsarbeit versucht, die Ausstellungsinhalte für bestimmte, in ihrer Erwartungshaltung und Wissensstruktur ähnliche Besuchergruppen pädagogisch reflektiert und didaktisch strukturiert aufzubereiten.“15
Für das Fabrikmuseum ‚Nordwolle‘ hält Dietmar von Reeken beispielsweise fest, dass „das Museum durchaus auf diese Situation [reagiert, M.S.], indem es sich mit seinen Angeboten – sowohl seinen Objekt-Angeboten als auch seinen museumspädagogischen Offerten – bemüht, vielfältige Emotionalisierungs-, Identifikations- und Reflexionsanlässe zu bieten, Fragen aufzuwerfen und Erwartungen sowohl zu erfüllen als auch punktuell zu brechen.“ Eine Aussage, die so auf viele Museen zutreffen dürfte. Denn selbstverständlich besitzt jedes Museum seine „spezifischen Stärken und Schwächen, deren Kenntnis nützlich für die Ausgestaltung der Museumsleistung ist.“16 Die Faszination des Museums, die viele dann doch empfinden – nicht jeder spürt ja den Wind der Hölle – beruht dabei auf der ‚Reliktauthentizität‘ seiner Objekte, die von Besuchern um so nachdrücklicher empfunden wird, desto (A) dichter sie an die eigene Geschichte, die eigene vergangene Lebenswelt und -erfahrung rückt, oder (B) desto mehr sie den Träumen von fernen Kulturen und Zeiten nahe kommt. Wer ein Museum betritt, tut dies mit Vorwissen und Erfahrung. Dadurch wird in Museen das, was Gottfried Korff in Bezug auf die Theorie der Massenkommunikation eine face to face-Beziehung nannte, d.h. die Begegnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart vermittelt über das Exponat, so intensiv.17 Denn „das Museumsding ist uns nah und fern zugleich. Von dieser Doppeleigenschaft gehen die Reizwirkungen aus, die die Museumsdinge seit jeher zu Objekten der Faszination gemacht haben.“18 Auch wenn dies hin und wieder bestritten wird, bleiben doch die Dinge das Alleinstellungsmerkmal des Museums.
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dagogen, Kuratoren und Gestaltern Lösungen finden lässt, die für breite Zielgruppen geeignet sind und somit die Diversifikation aufheben. Hagedorn-Saupe, Monika; Noschka-Roos, Annette: Museumspädagogik in Zahlen, Erhebungsjahr 1993 (=Materialien aus dem Institut für Museumskunde, Heft 41), Berlin 1994, S. 47. Manschwetus, Uwe: Kinder und Jugendliche als Zielgruppe für Museen. Entwicklungsschritte für ein Marketingkonzept, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 76, 2006, S. 26-31, hier S. 26f. Vgl. hierzu Korff, Gottfried: Zur Eigenart der Museumsdinge (1992), Wiederabdruck in: ders., Museumsdinge. deponieren – exponieren, Köln u.a. 2002, S. 140-145, hier S. 141; bei Korff auch weitere Hinweise u.a. auf Pomian, Krysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988. Korff, Museumsdinge, a.a.O, S. 141.
DAS MAGISCHE DREIECK
2. Aufgabe dieses Bandes, der die Ergebnisse der Konferenz „Das magische Dreieck – Zum Verhältnis von Kuratierung, Museumspädagogik und Gestaltung“ des Bundesverbandes freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. und der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg wiedergibt, ist es nicht – auf einer einfachen deskriptiven oder phänomenologischen Ebene – Rezepte für perfekte Lösungsoptionen des oben skizzierten Dilemmas aus Ansprüchen bereitzustellen, die – im besten Fall – den potentiellen Besucher bereits beim Gedanken an ‚Museum‘ in Vorfreude erglühen ließen. Vielmehr ging es den Veranstaltern der Tagung darum, diejenigen an einen Tisch ‚zu locken‘, die tatsächlich mit der Arbeit im Museum betraut sind – und dies sind schon längst nicht mehr allein fest angestellte Mitarbeiter. Denn die Diskussionen der letzten Jahre zeigen: Es ist das eine, nach aktuellen Themen, nach modernen Gestaltungslösungen, dem Verhältnis der Dinge zueinander, dem richtigen Licht, dem nötigen Maß an Inszenierung, Szenografie oder Text zu suchen. Es ist jedoch etwas anderes, danach zu fragen, wer denn mit wem diese Lösungen unter welchen Bedingungen erarbeitet. Wichtig ist eben nicht nur das ‚Wie‘, sondern auf welche Weise sich dieses ‚Wie‘ durch eine fruchtbare und intensive Zusammenarbeit der Beteiligten erreichen lässt. Und hier besteht dringender Bedarf an Reflexion – gerade weil Museumsarbeit heute von vielen hoch spezialisierten Beteiligten unterschiedlicher Professionen getragen wird. Die Mitglieder des ‚Bundesverbandes freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V.‘ (BfK) wissen, dass es bei der Konzeption und Umsetzung von Ausstellungen einerseits zu einem Diversifikationsprozess der Professionen gekommen ist und es andererseits eine Verschiebung der klassischen, historisch begründeten Strukturen und Hierarchien gegeben hat. In den letzten Jahren haben Museen ihren Kuratoren häufig Gestalter an die Seite gestellt, die die Verantwortung für die objektbezogene und damit räumliche Präsentation übernehmen sollten. Und auch die theoriegeleitete Arbeit an Themen wurde immer öfter an freiberufliche Mitarbeiter übertragen. Diese übernahmen zunehmend kuratierende und nicht selten auch gestaltende Aufgaben. Gleichzeitig meldete sich die Museumspädagogik zu Wort und forderte, dass ihre Kompetenz in Sachen Vermittlung – und zwar sowohl in pädagogischer als auch didaktischer Hinsicht – frühzeitig in die Arbeiten an einer Ausstellung einbezogen werden müsse. Um es kurz zu machen: Entscheidungen werden heute immer öfter verlagert und Aufgaben zu delegieren ist mittlerweile normal. Dies alles birgt immer neue Konflikte, denn letztlich bleibt häufig nur das letzte Wort und die Finanzhoheit dem Museum, das die gefundenen Lösungen bezahlen, gegenüber seinem Träger vertreten und seinen Besuchern verantworten muss. Gerade 17
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deshalb sollten auf der Tagung in Bensberg nicht nur ‚freie‘ und ‚fest angestellte‘ Museumsfachleute miteinander diskutieren, sondern auch alle drei Perspektiven gegeneinander gestellt werden. Keiner sollte sich allein im Umfeld der eigenen Gruppe bewegen. Damit es über die Fachgrenzen hinweg zu einem Dialog kommen konnte, wurden daher Fachwissenschaftler, Kuratoren, Museumsdidaktiker und -pädagogen sowie Gestalter eingeladen. Fasst man die damit angesprochenen Aufgabenfelder als ‚Eckpunkte‘ zusammen, erkennt man unweigerlich ein Dreieck – das „magische Dreieck“.19 Ganz gleich ob diese Funktionen nun von wenigen – häufig auch in Personalunion – oder von vielen Spezialisten wahrgenommen werden, unerheblich ob es sich um feste oder freie Mitarbeiter handelt, wissend, dass es vertikale und horizontale Hierarchieebenen und weitere Mitspieler (z.B. Träger) gibt – Museen und ihre Ausstellungen sind das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit.20 Es ging der Tagung letztlich darum zu klären, wie sich das „magische Dreieck“ unter den genannten Aspekten ausgestalten ließe, damit in der Zusammenarbeit unter Berücksichtung unterschiedlicher Zielvorgaben hervorragende und zukunftsweisende Ergebnisse voll ‚Lust‘ und nicht ‚Angst‘ und ‚Schrecken‘ produziert werden.21 Das breite Interesse an der Tagung bewies, wie wichtig die Diskussion untereinander über die Grenzen der Professionen hinweg beurteilt wird.
19 Gerade im Text von Osses, Dietmar: in diesem Band, S. 74-88, wird darauf hingewiesen, dass Museen keine hierarchiefreien Räume sind, in denen es um Gleichberechtigung gehen könne – ganz ähnlich Apel, Gefion: in diesem Band, S. 89-104. Auch viele andere Autoren weisen darauf hin, dass das Dreieck sich nicht in einem Leerraum bewegt, sondern in der Regel abhängig ist von weiteren Mitspielern, z.B. den Trägern, von denen viele immer neue Besucherrekorde einfordern. Zum „Mannschaftssport Ausstellungsplanung“ insb. Werner, Jörg: in diesem Band, S. 145-158. 20 Vgl. hierzu auch Werner, Jörg: in diesem Band, S. 145-158, der sehr nachdrücklich Verhaltensregeln vorschlägt. Ähnlich – jedoch ohne die besonderen Möglichkeiten der Mediation wie sie Werner betont – schlägt Kunz-Ott, Hannelore: in diesem Band, S. 119-128, ein idealtypisches Modell zur Zusammenarbeit vor. Dass gerade Museumspädagogen sowohl für die Kuration als auch für die Gestaltung wichtige Aspekte einbringen können, die nachhaltig die Objektauswahl, die Präsentationsformen und damit das Funktionieren von Museen verändern: in diesem Band: Gesché-Koning, Nicole, S. 105-117; aber auch Metzger, Folker, S. 129-134. Wie aktuell der Aspekt ‚Mediation‘ ist – wenn auch unter anderen Vorzeichen, dort nämlich das Museum als Anwältin der Geschichte begreifend und nicht für das Innenverhältnis der Zusammenarbeit gedacht – in ICOM News, Nr. 3, 2006, hier unterschiedliche Beiträge. Damit wird die Aufgabe des Museums aus der Sicht Treinens, Heiner: in diesem Band, S. 27-40, bestätigt. 21 Das Bild des Orchesters als Vergleich zwischen musischer und museumsbezogener Arbeit verdankt dieser Band dem Beitrag von Woodtli, Hans R.: in diesem Band, S. 135-143. Die dort vehement eingeforderte Teamarbeit wird von fast allen Autoren mehr oder weniger konkret verlangt. Die Lösungen unterscheiden sich jedoch.
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3. Der Dialog schien auch schon deshalb dringend geboten, weil die Bedeutung von Museen in den letzten Jahrzehnten weltweit zugenommen hat.22 Nicht erst wegen des PISA-Schocks wird mehr denn je von ihnen Bildungsarbeit erwartet und diese für ebenso wichtig gehalten wie das Sammeln, das Bewahren und Erforschen der materiellen Hinterlassenschaft. Verlangt wird ein Angebot zur sinnlichen Wahrnehmung und konkrete Fassbarkeit von Themen im Dialog mit methodischer und theoretischer Unterfütterung, das durch vielfältige museumspädagogische Angebote ergänzt werden soll.23 Denn Kuratoren, Gestalter initiieren mit ihren Angeboten einen Prozess historischen Lernens, der auf der in jeder Ausstellung umgesetzten Rekonstruktion historischen Geschehens beruht. Und gleichzeitig werden Fragen nach der Vermittlung relevant: Museumsdidaktik und -pädagogik müssen ihren Beitrag leisten. Dies gilt, ganz gleich wie innerhalb des ‚magischen Dreiecks‘ erreicht wird, dass durch die Kombination eines Objektes mit anderen, durch seine bzw. ihre Einbettung in die Dramaturgie einer Ausstellung, es zwischen Museumsbesuchern und Museumsdingen zu einer Subjekt-Objekt-Beziehung kommt, die Fragen und Antworten generiert.24
22 Der Deutsche Museumsbund meldet Mitte des Jahres 2006 etwa 100 Millionen Besucher in den ca. 6.000 deutschen Museen (http://www.br-online.de/alpha/job/2006 0710.shtml, Stand 08.01.2007). Vgl. Kunz-Ott, Hannelore: in diesem Band, S. 119-128, hier, S. 119. 23 Dies bedeutet auch, dass Dauer- und Sonderausstellungen Erinnerung und Auseinandersetzung mit Geschichte im Diskurs erlauben. Es geht längst nicht mehr um die Feststellung „So ist es gewesen!“. 24 Ernst Cassirer begreift in dieser Diktion alle kulturell geschaffenen Objekte als „symbolische Formen“ und damit als eine Ausdrucksweise des Menschen selbst. Vgl. hierzu Cassirer, Ernst: Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt 1993, dort zum Begriff der ‚symbolischen Form‘ bes. S. 174f. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass jede Platzierung eines Objektes im Raum bereits Gestaltung ist und nach Zacharias seine Deutung aus der Verortung in der Abstraktion verändert (Vgl. Zacharias, Zeitphänomen Musealisierung, a.a.O., S. 276-289). Jede Ergänzung mit Modellen, Figuren, Puppen, Dioramen etc. wird zur Inszenierung oder gar Szenographie und verändert weiter die Aussage – eine ‚reine‘ Form ist nicht einmal in einem Depot anzutreffen, denn alle Objekte sind zugleich ‚Semiophoren‘. Als solche werden Zeichenträger verstanden, d.h. im Fall der Museumsobjekte Vermittler zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Erklärt wird dies mit dem Umstand, dass jedes Museumsding, d.h. ein Gegenstand oder ein Gebäude, das aus einer Vergangenheit in die Gegenwart transportiert ist, über zwei Eigenschaften verfügt. Zum einen hat das Objekt einen materiellen Charakter. Zum anderen verfügt es über einen semiotischen Aspekt. Es ist also Träger weiterer Informationen, die nicht ohne weiteres erkennbar sind. Visuell erkennbare Merkmale, wie beispielsweise Gebrauchsspuren, verweisen auf Unsichtbares. Das Museum hat die Aufgabe, sich die semiophorischen Eigenschaften des Museumsdings zu Eigen zu machen und das Objekt gemäß der Museumskonzeption und der daraus abgeleiteten spezifischen Fragestellungen für den Besucher in einer bestimmten Weise entschlüsselbar aufzustellen.
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Der Aufbau des Deutschen Museums in München Anfang des 20. Jahrhunderts hat bereits gezeigt, dass Entscheidungen für bestimmte Methoden der Vermittlung entscheidend sind für die Gestaltung und damit auch für die Akzeptanz eines Hauses bzw. einer Ausstellung. Der vom Gründungsvater des Deutschen Museums – Oskar von Miller – formulierte und explizit auf Technik bezogene Bildungsgedanke wurde zur Grundlage der Museumskonzeption des neu zu gründenden Hauses. Von Anfang an waren die Museumsdidaktik und die Museumspädagogik integrale Bestandteile bei den Arbeiten an der Dauerausstellung.25 Die Maschinen sollten nicht ‚tot‘ bleiben, sondern technische Prozesse, die sich mit Höchstleistungen von Ingenieuren verbinden ließen, anschaulich und nachvollziehbar präsentiert werden. Hands-on, d.h. vom Besucher selbst bedienbare Vorführautomaten, wurden geschaffen und Experimente in einer Weise konzipiert, dass sie durch Museumsmitarbeiter regelmäßig vorgeführt werden konnten.26 Der Gedanke, den Besucher in der Ausstellung Experimente ausführen zu lassen oder ihm diese vorzuführen, war 1903 völlig neu. Unmittelbar nach der vorläufigen Eröffnung des Deutschen Museums 1906 diskutierte man in ganz Europa über den in München verwirklichten neuen Ansatz.27 Das Londoner Science Museum wurde umgestaltet und konnte 1928 in einem neuen Gebäude eröffnet werden. In Warschau entstand ebenfalls nach dem Vorbild Münchens das Technikmuseum (1929). Aber auch Museen in Prag, Wien und selbst in Chicago wurden vom Münchner Beispiel beeinflusst. Nicht nur die Integration von didaktischen und pädagogischen Ideen veränderte die Sicht auf die Objekte, ihre Zusammenstellung als solche wurde überdacht. Hatte man vor München in der Regel eher thematisch und lexikalisch gesammelt und ausgestellt, wurde nun auf eine Präsentation, die bewusst entwicklungsgeschichtlich war, Wert gelegt – was auf andere Häuser mit anderen Schwerpunkten ausstrahlte. Die Institution ‚Museum‘ agierte im gesellschaftlichen Diskussionsprozess und reagierte nicht bloß. Denn Museen sind Teil der Geschichtskultur und stehen als Bildungs- aber auch als Erlebnisorte allen Bevölkerungsgruppen offen. Sie sind als langfristig angelegte Institutionen Teil des kollektiven ästhetischen, kulturellen, sozialen und historischen Gedächtnisses der Gesellschaft; und ihre ‚Macher‘ müssen sich ihrer Rolle in diesem Prozess bewusst sein!28 25 Euler, Peter: Technik ist Bildung, in: Museumspädagogik in technischen Museen. Dokumentation des 1. Symposions, 14.-17. Juni 1999 in Berlin (= Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumskunde, Nr. 20), Berlin 2000, S. 9-23, hier S. 6-7, S. 17. 26 Ebd., S. 18. 27 Die Eröffnung der neuen Räume des Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik erfolgte erst 1925. 28 Vgl. hierzu die Einlassungen von Borries, Bodo von: Geschichtsdidaktik am Ende des 20. Jahrhunderts. Eine Bestandsaufnahme zum Spannungsfeld zwischen Geschichtsunterricht und Geschichtspolitik, in: Hans-Jürgen Pandel, Gerhard Schneider (Hg.), Wie weiter? Zur Zukunft des Geschichtsunterrichts, Schwalbach 2001, S. 7-32, bes. 26-27;
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Gerade viele der jüngeren Museen und neueren Ausstellungen zeigen, was bereits in den 1920er Jahren Thema war: Bildung und Unterhaltung müssen nicht im Widerspruch zueinander stehen; sie können und müssen eine sinnvolle Synthese eingehen. Für alle Museen gilt jedoch – wenn auch in unterschiedlichem Maße –, dass mit Bildung schon lange nicht mehr allein abfragbares thematisches Wissen gemeint ist.29 So war es eine der Fragen, die die Tagung zu beantworten hatte: Wie halten es die durch die Ecken des Dreiecks vertretenden Professionen mit der ‚Unterhaltung‘ und der ‚Bildung‘? Es wurde schnell deutlich, dass die ‚Museumsexperten‘ beides für einen unverzichtbarer Bestandteil der Eigendefinition des Museums halten, und dies nicht allein wegen der zunehmenden Konkurrenzlage auf dem Markt der Freizeitangebote, auf welchem veränderte Konsum- und Freizeitgewohnheiten die Museen in eine Konkurrenz mit Freizeitparks, Science Centern, Weiterbildungseinrichtungen etc. zwingen.30 Vielen Museen erscheint in diesem Spannungsfeld der Status als ‚Bildungseinrichtung‘ kaum mehr ausreichend, um sich zu behaupten und ihre Existenz zu rechtfertigen. Freizeitorientierung und Kommerzialisierung sind die Folge. Unterhaltende Elemente werden zur selbstverständlichen Zugabe der in der Ausstellung zu vermittelnden Inhalte. Das Hauptprodukt des Museums zieht – so möchten es viele ‚Experten‘ – durch intelligente Unterhaltung Besucher, von denen – so vermuten viele Macher – nicht wenige sich mit kulturellem „window-shopping“ beschäftigen möchten.31
Pandel, Hans-Jürgen: Richtlinien im 21. Jahrhundert – Immer mehr Ereignisse, immer weniger Stunden, in: ders., Gerhard Schneider (Hg.), Wie weiter? Zur Zukunft des Geschichtsunterrichts, Schwalbach 2001, S.165-183. Zum Bildungsauftrag der Museen – Stellungnahme des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V., April 2004, dem Kooperationspartner der Tagung „Das magische Dreick“. 29 Vgl. hierzu die Dissertation von Bäumler, Christine: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004, und ihr darauf basierender Beitrag in diesem Band, S. 41-56. Dazu eher kritisch, Wernsing, Susanne: in diesem Band, S. 61-73; vgl. auch Commandeur; Gottfried; Schmidt: Industrie- und Technikmuseen, a.a.O. 30 Das Museum ist gezwungen sich wegen „des in allen westlichen Industrienationen diagnostizierten Anstiegs disponibler Zeit, verbunden mit gesteigerten Ansprüchen und Erwartungen der Besucher an Erlebniswert von Freizeittätigkeiten – zu denen heute auch ein Museumsbesuch zu zählen ist –, […] einem neuen Umgang mit Besucherwünschen“ zu stellen (zitiert aus Bäumler: Bildung , a.a.O., hier S. 10). 31 Diese Sichtweise teilen Wernsing, Susanne; Schmidt, Martin: Sechs Schauplätze – ein Museum, und die Absicht, Industriekultur im Rheinland zum Erlebnis zu machen, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 62, 2002, S. 20-23. Kritisch dazu Werner, Jörg: in diesem Band, S. 145-158.
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Doch gerade über die Auffassung, • was unter diesen Vorzeichen die Begriffe ‚Unterhaltung‘ und ‚Bildung‘ bedeuten, • wie diese das moderne Museum prägen sollen, und daraus folgernd • welche Gewichtung dann den einzelnen Gruppen zur Verhinderung des Höllenwindes zugebilligt werden muss, herrschte – wie zu erwarten war – auf der Tagung keine übereinstimmende Meinung. Und dieser Befund deckt sich mit anderen unlängst gemachten Studien: „Während sich die Fachwissenschaftler letztlich, zumindest nach außen hin […], über den Bildungsbegriff definieren, tun die Ausstellungsdesigner dies über die unterhaltsamen Komponenten, die sie einer Ausstellung hinzufügen, um deren Konkurrenzfähigkeit zu steigern. Und während wiederum die Museumsexperten aufgrund zunehmender Legitimationszwänge und eines sich auflösenden bildungsbürgerlichen Hintergrunds derzeit ernstzunehmenden strukturellen Problemen einer Positionierung entgegenblicken, fällt den Designern eine Argumentation entlang der Unterhaltung ungleich leichter, da dieser Begriff in internen Diskursen oftmals eine positive Bedeutungszuschreibung besitzt (ganz im Gegensatz zur Bildung).“32
Diese Problematik der Eigendefinition der Beteiligen hat selbstverständlich enorme Auswirkungen auf das Zusammenspiel der Kräfte im Museumsensemble. Heiner Treinen kommt in diesem Ringen um Positionen die verdienstvolle Aufgabe zu, das Problemfeld nicht aus der Innenperspektive zu betrachten, sondern aus dem weiteren Abstand des Soziologen. Er bietet die Folie, auf der sich das ‚Wesen des Museums‘ als Teil der säkularen westlichen Gesellschaft beurteilen lässt. Man könnte schlussfolgern: ändern sich gesellschaftliche Strukturen und damit die an das Museum gestellten Anforderungen, transponiert sich auch die Aufgabenverteilung im Museum. Dies bedeutet dann ebenfalls: Ist erst einmal ein solcher Prozess zur Verwandlung des Wesens des Museums im Gange, müssen die „Wissenschaftskünstler“ – wie Treinen die ‚Museumsexperten‘ bzw. museum professionals nennt – reagieren und ihre Zusammenarbeit neu regeln.33 Dass dies gerade heute schwierig ist, klärt im vorliegenden Band der auf den Beitrag von Heiner Treinen folgende Aufsatz von Christine Bäumler. Ihre Untersuchung macht u.a. deutlich, was auch auf der Tagung immer wieder offensichtlich geworden ist, dass nämlich Unsicherheiten untereinander, Unver-
32 Bäumler: Bildung, a.a.O., hier S. 151f. 33 Treinen, Heiner: in diesem Band, S. 27-40.
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ständnis gegenüber der jeweils anderen Position und daraus resultierendes tiefes Misstrauen der Beteiligten das Konzert stören.34 „Museologen“ nennt Angelika Ruge-Schatz die zukünftigen ‚Professionellen‘ im Museum und verweist im dritten Beitrag des Bandes nicht nur auf die Geschichte des Museums als Institution, sondern auf die Lösung des Dilemmas durch eine gezielte Ausbildung, in der es nicht zuletzt darum zu gehen hat, dass die Beteiligten möglichst viel von jeder Art der im Museum geforderten ‚Profession‘ verstehen – eine Meinung, der sich unter anderen Vorzeichen auch Hans R. Woodtli aus Sicht der Gestalter anschließen könnte.35 Schon dieser erste Teil des Sammelbandes zeigt: Die Beiträge dieser Publikation beschränken sich nicht allein auf die Erkenntnis, dass ästhetische Wahrnehmung, Forschungsergebnisse und Objekte Achsen eines Koordinatensystems zur Vermittlung von historischen Themen sind, die entweder mit etwas mehr Bildung oder mehr Unterhaltung aufgeladen werden können. Die Autoren bleiben auch nicht bei dem Postulat moderner ‚Besucherorientierung‘, die die Kenntnisse der Besucherstrukturen, Besuchsmotivationen sowie von Verhaltens- und Aneignungsformen in der Ausstellung voraussetzt, insbesondere dann, wenn eine Ausstellung neu geplant oder umgestellt wird. Vielmehr wird in jedem Beitrag deutlich, dass nach dem Verhältnis und der Zusammenarbeit der drei Gruppen (Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern) und den von ihnen gespiegelten Arbeitsfelder gefragt wird. Dies kann zu einer Besucherorientierung führen – muss es aber nicht. Denn weiß der Besucher eigentlich, was er will, wenn er gar nicht wissen kann, was es zu wissen gibt?36 Der zweite Hauptteil des Buches lässt deshalb jeweils drei Praktiker der an Ausstellungsarbeiten beteiligten Gruppen zu Wort kommen – unter den genannten Fragestellungen. Susanne Wernsing, Dietmar Osses und Gefion Apel haben dies aus der Sicht der Kuratoren geleistet. Die Beiträge von Nicole Gesché-Koning, Hannelore Kunz-Ott sowie Folker Metzger erledigten dies für die Museumspädagogen, und Hans R. Woodli, Jörg Werner und Petra Müller übernahmen die Aufgabe aus der Perspektive der Gestalter. Sie alle setzen aus ihrer Perspektive dort an, wo jene Themenfelder berührt werden, in denen Fachwissenschaftler, Kuratoren, Museumspädagogen, Ausstellungsdesigner, Grafiker, Architekten, Bühnenbildner, Mediengestalter, Texter, Museumsdidaktiker und -pädagogen zusammenarbeiten – bei der Produktion von Ausstellungen. Denn eben dort existiert ‚Museum‘ im Grenzbereich von Wissenschaft, Gestaltung, Didaktik und Pädagogik, und dort scheint die Kunst des Ausstellungsmachens trotz einer zunehmenden Fülle an Sonderpräsentatio34 Vgl. hierzu auch Osses, Dietmar: in diesem Band, S. 74-88, hier S. 78ff. und Werner, Jörg: in diesem Band, S. 145-158., hier S. 156ff. 35 Vgl. hierzu Ruge-Schatz, Angelika: in diesem Band, S. 57-60, s.a. auch Woodtli, Hans R.: in diesem Band, S. 135-143. 36 Intensiv wird dieser Aspekt in den Beiträgen von Müller, Petra: in diesem Band, S. 159164, und von Apel, Gefion: in diesem Band, S. 89-104, behandelt.
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nen von den verantwortlichen Mitarbeitern immer weniger gepflegt zu werden, wie Hartmut Petzold vom Deutschen Museum in München 2003 feststellte: „[…] Ich lernte […], dass das Ensemble von mehreren Objekten, die auf die eine oder andere Weise platziert werden können, unterschiedliche kontextuelle Eindrücke und Assoziationen bewirken. Eine Ahnung bekam ich davon, dass die Kunst des Ausstellungsmachens damit zu tun hat, dass man die Klaviatur der Gestaltung und Nutzung derartiger Kontexte bewusst nutzte. Meine Erfahrung ist aber auch, dass 37 diese Kunst am Museum kaum praktisch und bewusst gepflegt wird.“
Es bleibt zu hoffen, dass die Lektüre der nun folgenden Beiträge zur Diskussion anregt und hilft, den Höllenwind durch eine angenehme Brise zu ersetzen.
Literatur Bäumler, Christine: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004. Borries, Bodo von: Geschichtsdidaktik am Ende des 20. Jahrhunderts. Eine Bestandsaufnahme zum Spannungsfeld zwischen Geschichtsunterricht und Geschichtspolitik, in: Hans-Jürgen Pandel, Gerhard Schneider (Hg.), Wie weiter? Zur Zukunft des Geschichtsunterrichts, Schwalbach 2001, S. 7-32. Cassirer, Ernst: Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt 1993. Commandeur, Beatrix; Gottfried, Claudia; Schmidt, Martin: Industrie- und Technikmuseen, Schwalbach 2007 (im Druck). Dech, Uwe Christian: Sehenlernen im Museum. Ein Konzept zur Wahrnehmung und Präsentation von Exponaten, Bielefeld 2003. Euler, Peter: Technik ist Bildung, in: Museumspädagogik in technischen Museen. Dokumentation des 1. Symposions, 14. bis 17. Juni 1999 in Berlin (=Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumskunde, Nr. 20), Berlin 2000, S. 9-23. Exposito, Elena: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode, Frankfurt/M. 2004. Hagedorn-Saupe, Monika; Noschka-Roos, Annette: Museumspädagogik in Zahlen, Erhebungsjahr 1993 (= Materialien aus dem Institut für Museumskunde, Heft 41), Berlin 1994. 37 Petzold, Hartmut: „Technikmuseum“ – Begegnungen mit historisch-technischen Objekten im Deutschen Museum, in: Science Center, Technikmuseum, Öffentlichkeitsarbeit. Workshop II ‚Public Understanding of Science‘, Dokumentation des 3. Symposions ‚Museumspädagogik in technischen Museen‘, 9. bis 12. September 2001 in München (= Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumskunde, Nr. 26), Berlin 2003, S. 15-21, hier S. 20.
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Heesen, Anke te; Lutz, Petra (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln u.a. 2005. Herrmann, Ulrich: Sehen, Nach-denken, Fragen lernen. Mit Studierenden des Höheren Lehramts an Gymnasien im Deutschen Museum und im Kerschensteiner Kolleg des Deutschen Museums, in: Franz Josef E. Becker, Christine Füssel-Gutmann u.a (Hg.), Lernen, Erleben, Bilden im Deutschen Museum – Naturwissenschaft und Technik für Studiengruppen, München 2001, S. 89-103. Kerschensteiner, Georg: Eröffnungsrede zum Sammlungsbau des Deutschen Museums in München (1925), Wiederabdruck in Teilen in: Conrad Matschoss (Hg.): Das Deutsche Museum. Geschichte/Aufgaben/Ziele, Berlin u.a. München 1933, S. 37-44. Korff, Gottfried: Zur Eigenart der Museumsdinge (1992), Wiederabdruck in: ders., Museumsdinge. deponieren – exponieren, Köln u.a. 2002, S. 140-145. Manschwetus, Uwe: Kinder und Jugendliche als Zielgruppe für Museen. Entwicklungsschritte für ein Marketingkonzept, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 76, 2006, S. 26-31. Murphy, Bernice L.: The Definition of the Museum. From Specialist Reference to Social Recognition and Service, in: ICOM news, Newsletter of the International Coucil of Museums 57, Heft 2, 2004, S. 3. Pandel, Hans-Jürgen: Richtlinien im 21. Jahrhundert – Immer mehr Ereignisse, immer weniger Stunden, in: ders., Gerhard Schneider (Hg.), Wie weiter?: zur Zukunft des Geschichtsunterrichts, Schwalbach 2001, S.165-183. Petzold, Hartmut: „Technikmuseum“ – Begegnungen mit historisch-technischen Objekten im Deutschen Museum, in: Science Center, Technikmuseum, Öffentlichkeitsarbeit. Workshop II ‚Public Understanding of Science‘, Dokumentation des 3. Symposions ‚Museumspädagogik in technischen Museen‘, 9. bis 12. September 2001 in München (= Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumskunde, Nr. 26), Berlin 2003, S. 15-21. Pomian, Krysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988. Reeken, Dietmar von: Musealisierung der Industriegesellschaft? Pragmatische Überlegungen zum Verhältnis von Geschichtskultur, Denkmalschutz und Industriemuseum am Beispiel des Delmenhorster Fabrikmuseums ‚Nordwolle‘, in: Bernd Mütter, Bernd Schönemann, Uwe Uffelmann (Hg.), Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik (= Schriften zur Geschichtsdidaktik, Bd. 11), Weinheim 2000, S. 217-234. Roth, Joseph: Artikel ‚Museum‘, in: Frankfurter Zeitung, 14.3.1929, Wiederabdruck in: Christoph Stölzl: Menschen im Museum. Geschichten und Bilder, Berlin 1997, S. 41-44.
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Schleper, Thomas: Visuelle Spektakel und die Hochzeit des Museums – über Chancen ästhetischer Bildung in der Wissensgesellschaft (Habilitationsschrift), Wuppertal 2005. Schmidt, Martin; Wernsing, Susanne: Sechs Schauplätze – ein Museum, und die Absicht, Industriekultur im Rheinland zum Erlebnis zu machen, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 62, 2002, S. 20-23. Zacharias, Wolfgang: Zeitphänomen Musealisierung (1990), in: ders., Kultur und Bildung. Kunst und Leben – zwischen Sinn und Sinnlichkeit. Texte 1970-2000, Essen 2001, S. 276-289. Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) (Hg.): Teilergebnisse des Jugend-KulturBarometers 2004 „Zwischen Eminem und Picasso“, Bonn 2004.
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HEINER TREINEN Das Museumsw esen: Fundus für den Zeitgeist
Analysen des gesellschaftlichen Standortes betrachten das Museumswesen vorwiegend normativ, das heißt, von Aufgaben, Zielen und Funktionen her gesehen. Im Vordergrund des öffentlichen Auftrags wird die Bereitstellung eines kulturellen Potenzials zum lebenslangen Lernen genannt; bemerkenswert dabei ist, dass die Debatten über auftretende Probleme beim Versuch der Erfüllung dieses selbstgesetzten Zieles zu keinem Ende führen. Ein strukturbezogener Blickwinkel vermag eher den arbeitsteiligen Standort anzusprechen, den das Museumswesen im Rahmen neuzeitlicher kultureller Institutionen tatsächlich, also nachweisbar bespielt. Der Vorzug eines solchen Versuchs besteht darin, Schwierigkeiten bei der Erfüllung des Bildungsauftrags erklären zu können, mit denen Museen durchweg konfrontiert sind. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um Zweifel am Bildungsauftrag der Museen, sondern um den Nachweis, dass aus normativen Aufgabenstellungen die Struktur des Museumswesens und seine Chancen gerade nicht ableitbar sind. Immer dann, wenn von ‚Funktionen‘ des Museumswesens die Rede ist, stoßen wir auf Aporien, insbesondere, wenn es um Lernen und Bildung geht. Institutionalisierte Bildungsaufträge gleich welcher Provenienz setzen präzise, an einem inhaltlichen Kanon orientierte Zielvorstellungen voraus und ferner die Evaluation von Wirkungen bei den Empfängern, um gegebenenfalls den Mitteleinsatz steuern zu können. Gerade diese Kriterien gelten jedoch für Museen nur in äußerst beschränktem Sinn. Die Entschlüsselung von Besuchsmotiven und Besuchswirkungen als Voraussetzung für eine sinnvolle Steuerung gehören nicht zu den normalen professionellen Tätigkeiten der Museumsmitarbeiter; im Gegenteil: Wie im Milieu aller kulturellen Einrichtungen außerhalb des schulischen und wissenschaftlichen Betriebs sind Wir27
HEINER TREINEN
kungskontrollen geradezu verpönt – und das mit gutem Grund: Einheitliche, auf eine präzisierte und nachvollziehbare Funktion, also auf die Erzielung einer spezifischen Wirkung hin bezogene Objektbestände würden eher als Lehrsammlung und nicht als Museum bezeichnet werden. Das Potenzial der Museen ist vielmehr eingerichtet auf eine unbestimmte Vielzahl heterogener, aber vorgängig informierter und interessierter Besucher mit unterschiedlichsten Besuchsabsichten, verträglich mit ästhetisch und inhaltlich variierenden Präsentationsstilen und Nutzungsmöglichkeiten. Museen und ihre Sammlungen sind – selbst jedes für sich betrachtet – heterogen in Inhalten und Ausstattung; ihre Objektbestände bilden nur in Ausnahmefällen einen einheitlichen Sammlungskanon ab. Im Gegenteil verweisen die Sammlungsbestände und ihre Interpretationen auf einen Sinngehalt, der nur unter Hinweis auf das Museumswesen als Institution, also unter stillschweigender Einbeziehung aller Sammlungen und Sammlungsbezüge, objektivierbar erscheint. Der Preis für die Breite der Würdigungsmöglichkeiten musealer Präsentationen ist eine bleibende Diffusität, die sich nicht nur in der Unbestimmtheit vorgegebener Zielgradienten ausdrückt, sondern tatsächlich auch deckungsgleich mit den Erlebnissen der Besucher ist. Nahezu alle empirisch ausgerichteten Studien entdecken in Nachbefragungen vor allem emotionale, aber kaum einheitlich kognitive Erinnerungsspuren des Besuchs. Wirkungen im Sinne einer nachhaltigen und bewussten Übernahme beabsichtigter Bedeutungszuweisungen sind Ausnahmen und treten vor allem bei vorgebildeten und individuell betreuten Besuchern auf. Ganz in Übereinstimmung mit der nie vollständig kommensurablen Vielfalt dargebotener Objekte und ihrer Bedeutungsanreize kommen Besucher nur selten mit speziellen Bildungszielen; „Allgemeinbildung“ ist die häufigste Antwort als Motiv zum Museumsbesuch. Und auch die Hintergründe der Nennung konkreter Besuchsziele unterstützen unser Argument; denn hierbei handelt es sich – sofern sie freiwillig ohne Führung kommen – um Menschen mit Kennerschaft, also um Connaisseure und Mehrfachbesucher mit vorgängig ausgeprägtem Kulturwissen. Wirkungsanalysen zeigen denn auch übereinstimmend, dass Besucher kaum im Sinne einer Bildungsausrichtung lernen, die ja auf Erreichung eines bestimmbaren Ziels gerichtet ist. Stattdessen sind durchweg mit persönlichen Reminiszenzen verknüpfte Erinnerungsspuren nachweisbar, wenn auch unklar bleibt, wie diese Spuren später verarbeitet werden. Hypothetisch anzunehmen ist jedoch, dass auf der Grundlage von erweiterbarem Vorwissen bei einer Vielzahl von Museumsbesuchern der Einfluss von Museumsbesuchen zwar diffus, aber vom Erlebnisgehalt her dennoch beträchtlich ist. Ein Großteil der Besucher im Haus der Geschichte gab mit Blick auf erlebbare Geschichte dem Museum als Institution absoluten Vorrang vor Ge28
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schichtsunterricht, Büchern, Vorträgen, Filmen und Videos; nur das Gespräch mit Zeitzeugen wog gleich viel wie ein Museumsbesuch – ein Anzeichen für die erlebnisstarke Kraft des Museumswesens, wie auch die Angabe der meisten Besucher, das Haus der Geschichte zum Besuch weiter empfehlen zu wollen, und dies auch bei äußerst kritischer Einstellung zur Ausstellung. Die Schlussfolgerung: Museen sind nicht ausgerichtet auf zielgerichtete Bildungsanstrengungen. Sie erlauben vielfältigen und individuellen Umgang mit den Inhalten, anders als in pädagogisch orientierten Einrichtungen mit ausgebildeten Didaktiken, die Lern- oder Bildungsziele auf Dauer befördern. Dem entgegen fehlen in Museen konsekutive Lehrangebote auf der Grundlage vorweg umrissener Bildungsaufgaben. Das Problem ist nicht neu und so wird ständig und von allen Seiten betont, dass die Museen progressive Innovationen tätigen müssten, um ihrer öffentlichen Funktion gerecht zu werden. Museen aber sind ohne den Einsatz von pädagogisch ausgebildeten Mitarbeitern nicht für eine solche Aufgabe eingerichtet. Sie sind mit ihren heterogenen Inhalten und Bezügen auf einheitliche Bildungsaufgaben nicht vorbereitbar. Es stellt sich aufgrund dieser Sachlage umso dringlicher die Frage nach dem ‚Sinn‘ des Museumswesens für die Öffentlichkeit; ganz offensichtlich geben zeitgenössische Zuschreibungen und Konzepte wie ‚Bildung‘ oder gar ‚Lernen‘ einen äußerst unbefriedigenden Beitrag zur Umreißung des Stellenwertes der Museen als charakteristische abendländische kulturelle Institution. Historiker haben längst eine Antwort gegeben: Entstehung und Expansion des Museumswesens (wie der Geschichtswissenschaft überhaupt) seien Folge eines historischen Wandels, nämlich des Verlustes traditionaler Denk- und Verhaltenweisen und einverständlicher Sinnvorgaben; es handele sich beim Museumswesen um eine komplexe Kompensation für das verloren gegangene religiös geprägte Weltverständnis, oder, weniger fundamental ausgedrückt, um eine Kompensation für den Preis des Eintritts in das Zeitalter der Moderne: nämlich den Verlust einer gemeinschaftsstiftenden lebensweltlichen Sinngebung, die bei Einbettung in überkommene Traditionen selbstverständlich sei. So plausibel die gängige Kompensationstheorie auch erscheinen mag, so zweifelhaft ist der Nachweis ihres wissenschaftlichen Wertes. Der Hinweis auf die Zeitgleichheit des Übergangs zur Moderne mit der Entstehung und Ausbreitung des zeitgenössischen Museumswesens reicht zur Begründung eines Kausalzusammenhangs nicht aus, ebenso wenig wie die Behauptung der funktionalen Notwendigkeit, eine erschütterte traditionale Sinngebung mithilfe historischer Objektpräsentationen kompensatorisch ausgleichen zu können.
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Eher trägt der Gedanke, den Zusammenhang zwischen Religiosität, religiösen und demgegenüber modernes Gedankengut repräsentierenden Objektsammlungen zu untersuchen. Offensichtlich wäre eine Aussage zu kurz gegriffen, die behaupten würde, dass religiöse Menschen Museen meiden würden, denn das stimmt natürlich nicht. Gleiches gilt für die Kirchen als Institutionen selbst; traditionelle Sammlungen von Reliquien als Heiltümer existieren bis heute neben den Diözesanmuseen. Anders aber liegt der Fall, wenn Gesellschaften oder Kulturepochen mit homologen, religiös gebundenen, sinnstiftenden Institutionen vergleichend ins Auge gefasst werden. Dort, so scheint es, haben Objektsammlungen mit transzendentem Anspruch Vorrang; Museen in unserem Verständnis als kulturelle Einrichtung gibt es nicht oder nur als seltene Ausnahme. Hier liegt ein argumentativer Kern. Denn in der Tat ist es so: In segmentären Gesellschaften unter zentralem Einfluss identitätsstiftender Institutionen fehlen Museen als selbstverständliche Kultureinrichtungen. Das gilt sowohl für Asien als auch für Afrika weitgehend bis heute. Nach wie vor scheinen Museen flächendeckend vor allem im nordatlantischen Kulturraum sowie in seinen Einflussregionen wie etwa Japan verbreitet zu sein. Außerhalb dieser kontinentalen Regionen finden wir Museen meist auf Metropolen beschränkt; dazu häufig eingerichtet oder unterstützt von Agenten und Mitarbeitern der UNESCO. Verfolgen wir diesen Gedanken weiter, indem wir als Grund für die Abwesenheit von Museen nicht Desinteresse aufgrund fehlender Kompensationsbedarfe, sondern Ablehnung diagnostizieren, so stoßen wir auf eine moderne westliche Werthaltung, die integraler Bestandteil der Museumswelt (und global verkündet durch die UNESCO) darstellt und uns – als kulturelle Werthaltung – selbstverständlich geworden ist. Diese Werthaltung ist nicht sinnstiftend im traditionalen Sinn, sondern sägt im Gegenteil an den Stuhlbeinen klassischer sinnstiftender Institutionen. Es handelt sich um die dem Museumswesen eigene Vorstellungswelt, dass unterschiedslos alle menschlichen Kulturen und ihre Leistungen Gleichwertigkeit beanspruchen können. Eine derartige Werthaltung ist in fundamentalistisch-segmentären Kulturmilieus nicht denk- und haltbar, aber eine, die wir alle, so hoffe ich zumindest, gemeinsam in uns tragen. Die Konsequenz: Museen sind als Einrichtung zur Kompensation verloren gegangener sinnstiftender Traditionen schlecht zu gebrauchen. Es lässt sich eher umgekehrt argumentieren, dass nämlich Museen Teil einer Kulturbewegung darstellen, die – wenn auch indirekt – auf die Schwächung der klassischen sinnstiftenden Institutionen ausgerichtet war und ist. 30
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Im abendländischen Kulturkreis des 16. und 17. Jahrhunderts jedenfalls bedeutete die hinter den Wunderkammern, Kuriositäten- und Naturalienkabinetten stehende wissensbezogene Denkweise den Bruch mit sinnstiftenden Institutionen und ihrem Anspruch auf Kontrolle über Werthaltungen und Bedeutungszuweisungen. Wohlgemerkt: Es handelte sich damals durchaus um direkte Wertkonkurrenzen, wie die Gleichzeitigkeit von Reformation, Sektenbildungen, Gegenreformation und dem Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie bezeugt. Statt ‚Kompensation‘ also lässt sich mit mehr Berechtigung von einer öffentlichen Darbietung der rational-empirischen Durchdringung der physischen und kulturellen Welten sprechen, also vom bewusst gewollten Wandel von traditionalem hin zum wissenschaftlichen oder zumindest wissensbezogenen Weltbild, das allen Willigen, außerhalb jeder autoritären Hierarchie, zur Verfügung stehen sollte – mit dem Museumswesen als Vehikel und als öffentliche Basis objektivierbarer und sinnlich erfahrbarer Nachweise. Eine weitere, ebenso plausible wie falsche Erklärung für Existenz und Expansion des Museumswesens bietet die These, das Museumswesen habe die Funktion der Wiederbelebung verschwundener kultureller Traditionen übernommen. Die Anhänger dieser These verweisen dabei auf die wachsende Vielfalt der kulturgeschichtlich orientierten Museen in Zusammenhang mit der Verbreitung von Folklore-Vereinen, historisierenden Erlebnisräumen und Veranstaltungen der living-history-Bewegung. Ohne Zweifel handelt es sich um eine Form des Historismus mit neuen Vorzeichen – aber um eine Wiederbelebung kultureller Traditionen geht es eben nicht. Kulturelle Traditionen lassen sich nicht von außen einsetzen, da sie das Rückgrat real existierender Gesellschaftsstrukturen darstellen. Living history nimmt eine materielle Kultur als Vorlage für prozessorientierte museale Präsentationen oder sogar als Mittel experimenteller Archäologie und historischer Analysen. Der Versuch einer derartigen Vergegenwärtigung fremder Kulturen und Epochen lässt sich durchaus als Mittel zur Einleitung oder Vervollständigung von Verstehensprozessen einsetzen und damit als Ergänzung des Ziels kulturhistorischer Museumssammlungen begreifen. Um eine kulturelle Wiederbelebung hingegen handelt es sich nicht, wie unmittelbar aus der Tatsache hervorgeht, dass die Teilnehmer abends und auf Dauer in die westliche Kultur zurückschlüpfen. Um den welthistorischen ‚Sinn‘ des Museumswesens und die Art seiner Attraktivität für unsere Zeit zu entschlüsseln, bedarf es übrigens keiner großen gedanklichen Anstrengung; ein Augenmerk auf die Supranationalität seiner Strukturmerkmale genügt zur Ortsbestimmung.
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Die Gesamtheit von Sammlungen dieser Welt unter der Ägide der UNESCODefinition von ‚Museum‘ bilden taxonomisch den Komplex dessen ab, was als universal verbreitetes empirisch-rationales Wissen in akademischen Disziplinen verankert ist: Museen präsentieren Objekte, deren Wert sich an Diskursen fachlich gebundener, akademischer Disziplinen orientiert. Der Zusammenhang von Museumssammlungen und akademischen Disziplinen erschließt sich aus der Ausbildung des wissenschaftlichen Personals und aus der Art der Objektinterpretationen, die überall auf der Welt identische Züge aufweisen, eben weil sie auf den jeweiligen Stand empirisch-rationalen Wissens als Beglaubigung von Authentizität bezogen sind. Museale Darbietungen sind jedoch nicht auf die jeweiligen Einzelwissenschaften oder Künste reduzierbar. Der sensualistische Aspekt von Museumssammlungen wird durch die Mehrdeutigkeit der Objekte verstärkt, die genau deshalb nicht allein auf ihre akademisch angeleitete Interpretation angewiesen sind. Im Gegenteil: Die museumsspezifische Ausblendung der Darstellung des ursprünglichen Bedeutungskontextes der Exponate erhöht das Potenzial für den Betrachter und Analytiker, subjektive wie objektivierbare Bezüge bei der Würdigung von Exponaten zu entdecken. Für die entsprechende professionelle Tätigkeit fehlt übrigens ein prägnanter Ausdruck. Man könnte die Ausführenden – also die Ausstellungsgestalter, Designer, Kuratoren und Mitarbeiter – als ‚Wissenschaftskünstler‘ bezeichnen, weil im Museum der Anspruch auf wissenschaftliche Ausrichtung zugleich mit dem Anspruch auf ihre ästhetische Darbietung anhand von Objekten Wirklichkeit werden soll, um dem Publikum kognitiv und phänomenologisch erarbeitete Bedeutungsfelder verständlich zu machen. Die Institution des Museumswesens, behaupte ich also, ist keine Kompensationseinrichtung; auch dient sie nicht der Wiederbelebung kultureller Traditionen. Sie ist nicht ausrichtbar auf ein spezielles Bildungs- oder Lernziel, sondern gebunden an wissensbezogene Forschungsergebnisse und an kritisch reflektierte Kulturanalysen, die im Wechselspiel von Fachwissenschaftlern und Wissenschaftskünstlern, den Kuratoren also, erarbeitet werden. Die dargebotenen Objekte verweisen auf die emotive Erlebnisfähigkeit von Menschen, denen die Sammlungsgrundlagen als Vermittler kognitiv verarbeiteter kulturelle Bedeutungsfelder vertraut sind, wobei diese anhand redundanter, also mehrdeutiger Objekte Gestalt angenommen haben – in Koppelung mit der Ansprache an die Erlebnisfähigkeit von Menschen, wenn authentische symbolisch besetzte Artefakte und Naturobjekte sinnästhetisch dargeboten werden.
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Der Zusammenhang des Museumswesens mit akademischen Wissensbereichen zeigt sich auch und vor allem daran, wie Forscher und Wissenschaftskünstler auf Forschungsergebnisse und neue kulturelle Analysen reagieren. Die Museumskuratoren und Museumsverantwortlichen sind die ersten, die auf abweichende Forschungsergebnisse zu den Interpretationen ihrer Exponate reagieren. Schulen und Lehranstalten beispielsweise brauchen erheblich länger, bis Forschungsergebnisse im Lehrplan erscheinen. Das Museumswesen ist – nach den elektronischen Medien – die am stärksten expandierende kulturelle Institution im nordatlantischen Kulturkreis; nicht nur nach der Zahl der musealen Einrichtungen, sondern auch mit Blick auf die phantastische Ausweitung der Museumssparten und ihrer Sammlungsgrundlagen: mit direkter Entsprechung zur rasanten Entwicklung von Grundlagenund angewandten Wissenschaften, wie dies im Schlagwort von der ‚Wissensgesellschaft‘ zum Ausdruck kommt. In Zusammenhang mit dem Wechselspiel von ‚Wissen‘ und seiner öffentlichen Darbietung nimmt die mediale Präsenz von Museen und ihren Ausstellungen deutlich zu; es scheint sogar, dass öffentliche Debatten über hochkulturelle Inhalte mehr und mehr über museale Präsentationen statt über andere kulturelle Institutionen verbreitet werden. Die Existenz der Museen ist jedoch nicht durch Einnahmen über Besucher, Kunden oder Nutzer absicherbar. Die Finanzierung erfolgt bekanntlich in erster Linie über Gebietskörperschaften neben anderen Trägern aus öffentlicher Hand und privater Organisationen – ein deutliches Indiz weniger für Exklusivität, sondern für ihre expressive statt einer instrumentalisierbaren Bedeutung; nicht ihre alltägliche Benutzbarkeit wird vorgeführt, sondern anhand von Exponaten die Wiederspiegelung von Bestandteilen einer Wertordnung. Ebenso abgehoben vom Alltagsgebrauch sind die interpretatorischen Bestimmungen der Exponate, also die Begründung für Aufbewahrung und Ausstellung authentischer Objekte, die vorwiegend nach fachwissenschaftlichen Kriterien erfolgt. Skeptikern sei gesagt, dass die Gültigkeit dieser Norm nachprüfbar ist und zwar an den Sanktionen der Fachkollegen, falls gegen fachwissenschaftliche Interpretationsregeln verstoßen wird. Aus alledem geht die Doppeldeutigkeit des Museumswesens zwischen objekthafter Komplexität und wissensbezogener Dimensionalität hervor. Die einzigartige Koppelung von Visualisierungen kultureller Diskurse, der Konkretheit ihrer Darstellung und das Versprechen von Authentizität zusammen mit der Redundanz interpretierter Objekte betont vor allem eines, und zwar die ästhetische und damit die emotionale und wertbezogene Seite des neuzeitlichen,
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wissensbezogenen Weltbildes, dessen instrumentale und emotionale ‚Kälte‘ gegenüber traditionalen Ideologien so häufig kritisiert wird. Seit den Kuriositätenkabinetten und Wunderkammern als Kinderstube des neuzeitlichen Museumswesens nahm die Entwicklung den Gang aller damals jungen Institutionen: Prozesse der Verwissenschaftlichung, der Ausdifferenzierung und Professionalisierung lassen Welten zwischen Kuriositätenkabinetten und heutigen Museumspräsentationen aufscheinen. Und trotzdem haben sich einige strukturelle Tendenzen über Zeit hinweg fortgesetzt. Die Kunst- und Wunderkammern entstehen im Zusammenhang mit dem Beginn der sciencia nuova und sind von deren Entwicklung abhängig; es handelt sich um den bis heute anhaltenden Versuch einer rational-empirischen Welterschließung anhand von abbildenden Darstellungs- und Analyseverfahren. Wissenschaftslogisch gesehen lässt sich die zugrunde liegende Denkweise als ‚sensualistischer Empirismus‘ bezeichnen. Nun muss man wissen, dass der sensualistische Empirismus im Lichte der heutigen Wissenschaftslogik seine Tücken besitzt. Zur Zeit der sciencia nuova war er die Antwort auf theologisch und rationalistisch begründete Aussagen über die Welt, indem sich die Forderung nach direkter, objektbezogener Sinneswahrnehmung als Instanz für die Akzeptierung von Theorien und Hypothesen durchsetzte, statt, wie bisher, zur Begründung der eigenen Ideologie auf bestehende theoretische Konstrukte zurückgreifen zu müssen. Die moderne Wissenschaftslogik verlässt sich zwar auch auf Sinneswahrnehmung als Prüfstein für Hypothesen, jedoch mit der Einschränkung, dass jede Sinneswahrnehmung ebenfalls auf theoretischen Vorerfahrungen beruht: im Falle von Museumserlebnissen als Vergleich zwischen vorgängigen und gegenwärtigen sinnträchtigen Erfahrungen. Im heutigen Museumswesen sind Sensualismus und Theoriebezüge vereint wirksam. Einen Nachhall der älteren empiristisch-sensualistischen Haltung finden wir noch bei manchen Museologen, wenn sie die Wirkung von Exponaten allein aus der Anschauung, ohne begleitende Texte, erreichen wollen: Objekte seien schließlich, anders als Erklärungsmuster, theoriefrei und könnten so als ‚Sache selbst‘ auf den Betrachter ihre Wirkung entfalten. Objekte aber sind vieldeutig: Das macht sie reizvoll, aber auch hinderlich beim Versuch, die im wissenschaftlichen Diskurs notwendige Konzentration auf spezifische Objektmerkmale zu erreichen. Der eher analytisch ausgerichtete zeitgenössische Wissenschaftsbetrieb übrigens benötigt daher musealisierte Objekte kaum noch – es sei denn als symbolisches Kapital neben seiner überragenden Bemächtigung der heutigen kulturellen Entwicklung. Das Museumswesen ist jedoch nicht nur öffentlich sichtbarer Ausdruck der wissensbezogenen Grundlagen ästhetisch dargebotener Objekte; es ist gleich34
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zeitig Repräsentant des gegen jede Form von Fundamentalismus gerichteten neuzeitlichen rational-kritischen Weltbildes und enthält die latente Betonung des damit verknüpften humanistischen Wertverständnisses, vor allem eben das der Gleichwertigkeit aller Kulturen, und zwar unter Ausschluss transzendenter Bedeutungszuweisungen, als geistige Voraussetzung und Legitimierung der westlichen Zivilisation, die religiöse Zuwendungen als frei wählbar und zum individuellen Spielraum gehörig betrachtet. Nichtwestliche Kulturen mit sinnstiftenden Institutionen in Einheit mit Staat und Gesellschaft kennen die Gefahr. Sie wissen zwar, dass die westliche rationale Welterschließung für fast alles Alltagsweltliche gegenüber ihrer eigenen Kultur überlegen ist, jedoch ohne sie unbedingt zu akzeptieren. Die Übernahme rationaler Handlungsbezüge kann infolge von Wertkonflikten trotz kultureller Teilanpassungen Hass erzeugen. Gerade auch die Eröffnung von Wertkonflikten ist ein Erbe der Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts, in der Zeit, als Religion und Religiosität einen unerhörten Aufschwung nahm; man denke nur an Reformation, Gegenreformation, Pietismus, Puritanismus und die mit ihnen verbundenen Religionskriege. Und genau in dieser Zeit der religiösen Übersteigerungen findet sich in den Wunderkammern kaum ein religiöses Stück, kaum ein religiös oder magisch gemeintes Symbol: ein Hinweis darauf, dass Museen Teil einer kulturellen Bewegung waren und sind, die kämpferisch gegen den Anspruch totalitärer Weltanschauungen auf erzwungener Sinnstiftung kollektiver Art gerichtet ist. Und genau aus diesem Grund sind Inhalte und Objektinterpretationen von Museen damals wie heute ungeeignet, Kompensationsbedürfnisse für verloren gegangene sinnstiftende Institutionen zu bedienen: Vor einem musealisierten Altar lässt sich kein Opfer bringen. Die Wertbasis des neuzeitlichen Museumswesens besteht eben nicht nur aus methodisch-museologisch vorgegebenen Vorgehensweisen, sondern ebenso aus inhaltlichen Vorgaben, wie sie etwa von der UNESCO formuliert worden sind und weltweit Geltung beanspruchen. Es ist die Ehrfurcht gegenüber kulturellen Leistungen, ganz gleichgültig wo und unter welchen Umständen sie entstanden sind. Und dazu gehört Akzeptanz trotz aller Fremdheit als Weltoffenheit, nicht im Sinne der Übernahme fremder Kulturelemente, sondern als Voraussetzung für Verstehensprozesse. Die Präsentationspraxis der Museen orientiert sich an den genannten Werthaltungen, die übergreifender institutioneller Natur sind, auch wenn sie keineswegs durchgängig akzeptiert werden. Ausstellungsmacher in Museen richten sich danach, ohne den Sinn hinter ihrer Tätigkeit reflektieren zu müssen; man ist sozialisiert und enkulturiert in diese Präsentationspraxis mit ihren dahinter stehenden Werten. Diese Werte übrigens sind im Begriff, rechtlich kodifiziert zu werden. Erinnert sei an die Diskussion um Kruzifixe und Kopftücher in Schulen, aber auch an den Hin35
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tergrund der Diskussionen um Political Correctness mit dem Ziel, auch abweichende Minderheiten zum Zuge kommen zu lassen; möglicherweise ist dies die Entwicklung hin zu einer neuen Form des Kulturstaats. Sinnstiftende kulturelle Bewegungen und Institutionen – also Kirchen, Tendenzorganisationen und institutionalisierte Weltanschauungen – sind keineswegs ausgestorben oder abwegig geworden: aber staatstragend sind sie nicht mehr. Nichts hindert uns daran, scheinbar verloren gegangene Sinndeutungen selbst zu finden. All diese Wege stehen dem Willen der Subjekte und ihrer privaten Organisationen offen; Sinngebung ist frei. ‚Werte‘ haben sich gewandelt, aber nicht aufgelöst. Im Museum sind Objekte zu besichtigen, die wegen ihrer universalen Bedeutung für die Reflexion über kulturelle Entwicklungen gesammelt und ausgestellt werden; den möglicherweise sinnstiftenden Gehalt ihres Ursprungskontextes haben sie in der musealen Ausstellung verloren; den Aspekt des Ausgangspunktes für kritische Reflexionen über ursprünglich sinnstiftende Bedeutungsfelder aber haben sie gewonnen. Diese Sichtweise – die sich ja auch auf den Umgang mit heiligen Gegenständen bezieht – ist nicht jedermanns Sache. Dazu gehört eine Gesellschaft, deren Kultur tolerante Strukturvergleiche als Werthaltung inhaltlich fordert und die das Museumswesen als Repräsentant solcher Werthaltungen mit universellem Anspruch aufrecht erhält. Die Wirksamkeit dieses Anspruchs wird sichtbar daran, dass Kulturstaaten sich zur Vermehrung ihres symbolischen Kapitals im Konzert der Nationen immer stärker der Inhalte von Museen bedienen: eine friedliche Konkurrenz um kulturellen Status unter Minimierung nationaler Konflikte. Die phänomenologisch erzeugte Nähe zum gemeinsamen rationalen Weltbild wird besonders deutlich am Gleichklang der Museumsarbeit mit wissenschaftlich technischen und mit akademisch-kulturellen Modernisierungsschüben. Kuratoren reagieren (oder sollen es zum Wenigsten) mit wenigen Ausnahmen bei Präsentationen und Objektinterpretationen unmittelbar auf neue Forschungsergebnisse. Museen – so meine Deutung der Befunde – haben genau so viele Funktionen, wie Gestalter und Betrachter den Objekten mitsamt ihren potenziellen Bedeutungshorizonten zumuten. Genau deshalb bleibt die Zuschreibung von Funktionen der Vielfalt von Museen äußerlich; erst die Analyse ihres Erhaltungskontextes lässt den strukturellen Zusammenhang mit wissensbezogenen Instanzen und der ihnen eigenen grundlagenorientierten Sichtweise ohne Anwendungsbezug erkennen. Museen werden deshalb wie Universitäten und Akademien überwiegend vom Kollektiv finanziert, nur zum geringen Teil von
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den Nutzern oder Besuchern, eben weil keine spezifischen, instrumental nutzbar zu machenden Funktionen für die Besucher vorhanden sind. Museen mit ihren Exponaten und Interpretationen sind eben nicht nachfrageorientiert, sondern angebotsorientiert. Ihre Angebote sind expressiver Natur; ‚Bildungserlebnis‘, ‚Erbauung‘ oder ‚kultiviertes Freizeitverhalten‘ sind unterschiedliche Begriffe für identisches, nämlich für die Suche nach absichtslosem Anschluss an kulturelle Leistungen und Entwicklungen. Hierzu allerdings gibt es neben Museumsbesuchen zahllose Alternativen, und dies lässt eine hohe Elastizität der Nachfrage für Museumsangebote entstehen. Museen müssen auch neben der Dauerausstellung aktiv sein, um die Öffentlichkeit und Interessenten zu erreichen und zu motivieren. Die Konsequenz: Erklärungen zur Entstehung und Expansion des Museumswesens über Funktionsbestimmungen wie Kompensation, Bedienung der Suche nach Sinnstiftung oder Bildung führen in die Irre. Die Verwendung des Begriffs ‚Funktion‘ ist schon aus logischem Grund leichtfertig. Aus einer gegenwärtigen oder einer eingeforderten Nutzung kann weder auf ‚Zweck‘ noch auf ‚Ursprung‘ begründet zurückgeschlossen werden. Nur wenn mit ‚Funktion‘ konkrete Ziele zusammen mit ihren darauf ausgerichteten Aktivitäten gemeint sind – ob sie nun wirksam sind oder nicht –, ist der Begriff ‚Funktion‘ sinnvoll. Museumssammlungen, behaupte ich, sind funktionsoffen. Sie ermöglichen aufgrund der Flexibilität ihres Nutzungspotenzials und der Vieldeutigkeit ihrer Exponate die Verfolgung äußerst zahlreicher und unterschiedlicher kultureller Zielvorstellungen. Sie sind aber in der Regel nicht auf die Bedienung spezifischer Funktionen – also auf konkrete Ziele hin – ausgerichtet. Um dies zu tun, bedarf es zusätzlich zur Arbeit an der Sammlung externer didaktischer Mittel, und zwar solcher, die den Sammlungskern unberührt lassen. Diskussionen um jetzige oder anzustrebende Funktionen des Museumswesens sind, wissenschaftslogisch betrachtet, Debatten um teleologisch orientierte Finalisierungstendenzen. ‚Finalisierung‘ heißt die Unterwerfung einer Institution unter eine funktionale Bestimmung, auf ein äußeres Ziel hin, die sich quasi deterministisch vollzieht. Wenn also dem Museumswesen eine säkulare Kulturbewegung im Sinne einer teleologisch bestimmbaren Entwicklung unterstellt wird (wie etwa die der ‚Kompensation‘), dann impliziert eine derartige Unterstellung zweierlei: entweder, dass der wissenschaftliche Kern von Museumssammlungen vollendet ist und die Arbeit nur noch in der Bedienung einer äußeren Zweckbestimmung besteht – oder aber, dass eben dieser wissensbezogene Kern in Auflösung begriffen ist und etwa quasireligiöse Orientierungen Platz greifen, die bislang dem Museumswesen fremd sind.
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Tatsächlich aber kann eine Finalisierung des integral mit einer säkularen Kulturentwicklung verknüpften Museumswesens – nämlich der so genannten Wissensgesellschaft – nur dann konstatiert werden, wenn drei Bedingungen eintreten oder sich erfüllen: a) wenn Ausstellungsexponate explizit und zweckgebunden für das Museumswesen hergestellt werden, b) wenn die Objektinterpretationen sich auf metaphysische Grundlagen oder auf religiöse und ideologische Überzeugungen stützen, c) wenn die Exponate ihre Ursprungsbedeutung und Nutzungsanmutung ohne kritische Reflexion beibehalten. Ist eine dieser drei Bedingungen erfüllt, dann wäre in der Tat die Institution des Museums in Auflösung begriffen; andererseits gäbe es erst dann die Rechtfertigung für eine funktionale Bestimmung des Museumswesens. Die Stärke des Museums ist seine Funktionsoffenheit, die Tatsache also, dass Museumsbesuche für Besucher kaum instrumental verwertbar sind, es sei denn zum emotional stimulierten Nachdenken über das eigene Verhältnis zur äußeren Welt. Scheinbar widersprüchlich ausgedrückt: Die Stärke des Museums ist die Zwecklosigkeit für alltägliche Nutzungen, es sei denn jene der interessenlosen, aber sinnhaft verstärkten Reflexion über die erfahrbare Welt. Unabhängig von Nutzungen sind die Maximen von Museumspräsentationen gleichgeblieben. Als professionelle Norm gilt, die Authentizität der gezeigten Objekte zusammen mit der Authentizität ihrer Interpretation zu gewährleisten, wobei die gewählten Bedeutungsfelder der Exponate offengelegt werden sollen mit dem Ziel, die gegenwärtige Bedeutung der vorgeführten Objekte aus der Analyse ihres ursprünglichen Zusammenhangs zu erklären oder verständlich zu machen. Besucherstrukturen, Besuchsverhalten, das Imago des Museumswesens und seine Wirkungen lassen sich spiegelbildlich zu diesen Strukturprinzipien des Museums erklären und eben nicht aus seinen angeblichen Funktionen. Wir wissen, dass die meisten Besucher nicht mit spezifischen Zielen kommen und wenn, dass sie anschließend den unspezifischen Teil der Präsentation wie die übrigen Besucher auf sich wirken lassen. Besucher kommen mit einer Einstellung, die sich auf den Erwerb von Allgemeinbildung bezieht, auf kulturelle Selbstvergewisserung also. Als Vorzüge des Museums gegenüber anderen Bildungseinrichtungen gilt die Erwartung, anhand von Objekten und ihrer fachmännischen Aufbereitung sinnhaft und konkret Authentizität zu erleben, gleichgültig, um welche Bedeutungsfelder es geht.
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Nach wie vor wird der Großteil der Bevölkerung nicht erreicht. Grund hierfür ist keineswegs die Ablehnung des Werthintergrundes von Museumssammlungen, sondern die Abwesenheit von Empathie, um die Museumsinhalte würdigen zu können – eine Empathie, die vorgängig zum Besuch erworben sein muss, sei es über weiterführende Schulbildung oder über entsprechende persönliche Beziehungen. Da Sammlungsinhalte und ihre Bedeutungsfelder – anders als bei ziel- und zweckbestimmten Besuchen – kommunikativ vermittelt werden müssen, ist die Situationslogik des Besuchs von museumsspezifischen Verhaltensnormen und ihren Spielräumen sowie vom Besuchsumfeld abhängig und entscheidend für Einstimmung, Verständnis, Wirkung und Besuchswiederholung. Pädagogischdidaktische Ziele allerdings bedürfen zusätzlicher Maßnahmen wie fachkompetente Führungen oder Audiohilfen, um Interesse und themenbezogene Konzentration zu wecken und Verstehensleistungen zu fördern. Ebenso unbestimmt und wiederum spiegelbildlich zur Anmutungsqualität des Museums steht es mit nachhaltigen Erinnerungsleistungen und den Wirkungen der ‚Funktion‘ des Museumsbesuchs für das lebenslangen Lernen. Alle Studien zeigen Effekte von Museumsbesuchen, allerdings solcher, die weniger als strukturiertes Lernen zu bezeichnen sind, sondern eher den Wirkungen von Massenmedien ähneln: es handelt sich vorwiegend um Verstärkungen oder Abschwächungen vorgängiger Einstellungen und Wissensbestände. Im Unterschied zu elektronischen Medien aber sind visuelle Erinnerungen an Museumsbesuchen auch im Langzeitgedächtnis nachweisbar, und zwar solcher, die Objekterinnerungen mit persönlichen Vorerfahrungen und musealen Interpretationsvorgaben koppeln. Dabei werden Objektinterpretationen eher dann erinnert, wenn sie mit eigenen Bildungserfahrungen übereinstimmen. Ansonsten dienen Objektbeschriftungen der Vergewisserung des öffentlichen Bedeutungsgehaltes und als Nachweis der eigenen Teilnahme an bedeutsamen Kulturwerten. Die Selektion von Besuchserinnerungen für das Langzeitgedächtnis erfolgt nicht umstandslos; Voraussetzung ist die Einbettung in ein Netzwerk von Freunden und Bekannten mit Austauschmöglichkeiten über kulturelle Erfahrungen. Wo ein solcher Bekanntenkreis fehlt, bleiben die Erinnerungsspuren blass – und umgekehrt gilt: Das Interesse der Gesprächspartner ohne Museumserfahrung wird nach unseren Befunden kommunikativ derart geweckt, dass sie auch unabhängig von museumsbesuchenden Bekannten sich Informationen über das betreffende Haus beschaffen. Wir schätzen, dass auf diese Weise mehr als das fünffache Volumen der Besucher vom Museum indirekt erreicht werden, wenn es um die Diffusion von Sonderaktivitäten eines Hauses geht. Im Unterschied zu Museumsvermeidern ohne Kontakte mit museums39
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besuchenden Bekannten besitzen Besucher und informierte Nichtbesucher übereinstimmende und realistische Vorstellungen über das Imago des Museums und seine Erlebnisqualitäten. Bemerkenswert an diesen Befunden ist die Diffusität und ungeordnete Vielfalt nachträglicher Erinnerungen, was eher gegen die Erfüllung einer Bildungsfunktion spricht, wenn damit die Bindung an einen gemeinsamen Wissenskanon gemeint sein sollte. Derartige diffuse Besuchswirkungen lassen sich aus den Strukturprinzipien des Museumswesens sehr wohl erklären, die weniger spezifische Nutzungen bedienen, sondern den durch emotionale Nähe gespeisten Glauben an die fachlich präzise Bearbeitung von Objekten zusammen mit dem Nachweis ihrer kulturellen Bedeutsamkeit für die sensualistisch gesteuerte, rational durchdachte Durchdringung der Welt. Durch die erlebnisnahe Kenntnisnahme daran entwickelt sich etwas Eigenes, das wir persönliche Bildung nennen können, in Vielfalt und nicht kontrollierbar.
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CHRISTINE BÄUMLER Bildung und Unterhaltung im Museum. Über die Notw endigkeit einer funktionalen Differenzierung und ihre Folgen
Museen ändern sich. Das ist weder neu noch überraschend, denn das haben sie immer schon getan. Was interessiert, sind Fragen, welche Umstände für aktuelle Veränderungen verantwortlich sind und in welche Richtung es nun geht. Der folgende Text soll zur Klärung beitragen. Er wird in das komplexe Thema von Bildung und Unterhaltung in Museen einführen, wobei der Fokus 1 auf der Rolle der an Ausstellungskonzeptionen beteiligten Akteure liegt. Als staatlich geförderte, öffentliche Einrichtungen machen Museen erhaltenswerte Objekte einem breiten Publikum zugänglich. Dabei ist für sie in erster Linie ein gesellschaftlicher Bildungsauftrag und nicht eine kommerzielle Ausrichtung prägend. In einer konsum- und freizeitorientierten Umgebung sehen sich Museen jedoch zunehmend gezwungen, ihre Bildungsinhalte auf kommerzielle Interessen abzustimmen und mit Blick auf die Besucher unterhaltungsorientiert aufzubereiten. Denn ohne Berücksichtigung des Freizeit- und Konsumverhaltens ihrer Besucher, deren Wünsche und Vorlieben, erscheinen Museen nicht mehr konkurrenz- und überlebensfähig. Es ist daher nicht überraschend, dass sich die Institution Museum aufgrund gesellschaftlicher Ansprüche in einer Phase der Umorientierung befindet. In diesem Zusammenhang wird das Verhältnis zwischen bisherigem musealen Selbstverständnis und aktuellen Anforderungen neu verhandelt. Bildung und Unterhaltung erweisen sich dabei als zentrale Begriffe, entlang derer sich das Selbstverständnis der Institution Museum ausbildet. Sie stellen zentrale Eck1
Der folgende Beitrag basiert auf meiner Dissertation: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004.
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CHRISTINE BÄUMLER
punkte fachlicher Argumentationen im Museum dar. Dabei sind diese Begriffe nicht als Gegensatzpaar, sondern als Komplementäre zu begreifen, deren gelungene Ein- und Verbindung über die Zukunftsfähigkeit der Institution 2 Museum mitentscheiden wird. Aus dem Umstand, dass es sich bei Museen um staatlich (mit-)finanzierte Bildungsinstitutionen handelt, die ein offenes Nutzungsangebot für die Freizeit zur Verfügung stellen, lässt sich die konstitutive Notwendigkeit einer Kombination von Bildung und Unterhaltung in musealen Ausstellungen ableiten. Der Umgang mit dem musealen Bildungsauftrag ist daher notwendigerweise zugleich objektzentriert und im weitesten 3 Sinne unterhaltungsbezogen. Die Konsum- und Unterhaltungsorientierung der Besucher, umgreifende Ästhetisierungstendenzen sowie die fortschreitende Professionalisierung des kommerziellen Freizeitsektors führen dazu, dass Museen gut damit beraten sind, ihre bildenden und unterhaltsamen Potentiale gleichermaßen zu betonen. Denn freiwillige Aktivitäten wie etwa der Museumsbesuch fordern als motivierendes Element nachdrücklich die Zugabe unterhaltsamer und ästhetischer 4 Komponenten ein. Eine qualitativ hochwertige Einbindung beider Elemente verlangt jedoch nach einer interdisziplinären Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen, die in einer Großzahl von Museen heute bereits zum Alltag gehört. Die Vermittlung musealer Inhalte und die Inhalte selbst, einschließlich der Objektauswahl, werden vor diesem Hintergrund zunehmend von gestalterischen Überlegungen beeinflusst. Die Entscheidung darüber, was zukünftig in Museen zu sehen sein wird, liegt nicht mehr ausschließlich in den Händen musealer Fachwissenschaftler, sondern wird durch die verstärkte Einbindung von Ausstellungsdesignern, aber auch professionellen Marketingberatern, geprägt und mitbestimmt. Die Zusammenarbeit ist allerdings nicht immer einfach und unproblematisch. Vielmehr entstehen durch sie im Laufe eines Konzeptionsprozesses eine Vielzahl konkreter Reibungspunkte, an denen argumentative Aushandlungen notwendig sind. Im Folgenden werden ausgewählte Konfliktpunkte innerhalb der Arbeit an Ausstellungskonzeptionen vorgestellt, die dieser notwendigen funktionalen Differenzierung geschuldet sind. Darüber hinaus werden unter Bezugnahme 2
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Vgl. Mikos, Lothar: Edutainment und Infotainment. Die lebensweltliche Orientierung des Lernens, in: Ingrid Paus-Haase, Dorothee Schnatmeyer, Claudia Wegener (Hg.), Information. Emotion. Sensation. Wenn im Fernsehen die Grenzen zerfließen, Bielefeld 2000, S. 30-43, hier S. 34. Vgl. Herles, Diethard: Das Museum und die Dinge, Frankfurt/M. 1996, S. 184f. Vgl. Bäumler, Christine: Edutainment und Museum, in: Spektrum Freizeit. Forum für Wissenschaft, Politik & Praxis. Halbjahreszeitschrift Freizeitwissenschaft, Heft 2, 2001, S. 111-118., hier S. 112.
BILDUNG UND UNTERHALTUNG
auf Aussagen von Interviewpartnern aus Museumspädagogik, Kuratierung und Ausstellungsarchitektur alltägliche Problemlagen offen gelegt und aktuelle museale Tendenzen aufgezeigt. Um die konkreten Problemlagen der Praxis verstehen und deuten zu können, werden jedoch zuerst Dimensionen musealer Bildung und Unterhaltung umrissen.
Das Museum und die Bildung Der Begriff ‚Bildung‘, der zentrale Bedeutung für die Institution Museum besitzt, ist ausgesprochen vielschichtiger Natur. Bildung wird als Argument in den unterschiedlichsten Zusammenhängen herangezogen, woraus das Hauptproblem für eine Bestimmung des Begriffs entsteht: Er meint praktisch zu viel Verschiedenes, um außerhalb der konkreten Situation bestimmt werden zu können. Augenfälligstes Merkmal des musealen Bildungsbegriffs ist seine Wandlungsfähigkeit. Die sowohl in der Fachliteratur als auch in der Praxis fehlende konkrete Thematisierung musealer Bildungsziele verweist auf ein fundamentales Problem des Begriffs. In der institutionellen Verwendung des Begriffs wird die Zugehörigkeit des Museums zu den öffentlichen Bildungsinstitutionen vorausgesetzt. Museen erhalten ihre gesellschaftliche Legitimation durch diese Zugehörigkeit. Der Begriff ist tautologisch angelegt und besagt: Das, was in Museen geschieht, ist Bildung, da Museen zu den Bildungsinstitutionen gezählt werden. Erst neuerdings und vor dem Hintergrund extremer Einsparungen wird diese institutionelle Zuschreibung von Bildung hinterfragbar. Museen sehen sich zunehmend dazu angehalten, ihre bildenden Potentiale offen zu legen. Bei der Auseinandersetzung mit Bildung im Museum stößt man unweigerlich auf eine weitere Begriffsdimension, die insbesondere das Alltagsverständnis von Museen prägt. Diese Dimension gründet auf einem idealisierten Bildungsverständnis des Bildungsbürgertums und speist das Selbstverständnis der musealen Akteure, die mit ihrem in der Regel hohen Bildungsgrad diesem Milieu entstammen. Der positive Blick auf Bildung als erstrebenswertes Gut ist dabei Teil eines Lebensstils. Dieser Bildungsbegriff wird unter anderem zur Distinktion verwendet. Als Reaktion auf dieses museale Bildungsverständnis entstehen die allseits bekannten, negativen Assoziationen vieler Menschen, die anderen Milieus angehören, zur Institution Museum. Angesichts der Doppeldeutigkeit musealer Bildung wird die Bestimmung eines einheitlichen, übergreifenden Begriffs insbesondere für die Vertreter der Institution Museum zu einem schwierigen Unterfangen. Denn zum einen wird 43
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die ehemals so selbstverständliche institutionelle Zuschreibung von Bildung zur Institution Museum angesichts dessen stärkerer Marktorientierung und Kommerzialisierung hinterfragbar. Die musealen Institutionen stehen unter erhöhtem öffentlichem Druck, sich überhaupt als Bildungsinstitutionen zu legitimieren. Dies wird durch die derzeit sichtbare Tendenz, Bildung hauptsächlich im Hinblick auf Konkurrenz und Vergleichbarkeit als messbare Einheit zu formulieren, zusehends erschwert (siehe PISA-Vergleichsstudie). Der Museumsbesuch wird in diesem Zuge als bildende Tätigkeit mit kaum zu evaluierenden Erfolgen angreifbar. Zum anderen stellt selbst das idealisierte Bildungsverständnis der fachwissenschaftlichen Akteure keine konsensfähige Basis mehr dar. Es gibt ihnen nicht mehr hinreichend Rückhalt, da sich das bildungsbürgerliche Milieu zunehmend auflöst und das elitäre und ehemals unangetastete, sich selbst genügende Bild des Museums gleich mit. Ausdruck ist unter anderem die in Interviews mit Museumsexperten feststellbare Suche 5 nach einer zeitgemäßen Neuverortung musealer Bildung. Das Fehlen eines einheitlichen Begriffs und die zunehmenden Legitimationsforderungen werden insbesondere dann zum Problem, wenn die Vertreter der Institution Museum mit ihrer Umwelt kommunizieren und ihre Darstellungen musealer Bildungspotentiale an internen Unstimmigkeiten und fehlen6 der Überzeugungskraft zu scheitern drohen. Deutlich ist, dass die weit verbreitete Annahme, museale Bildungsziele könnten eher erreicht werden, wenn den Besuchern eine erlebnisorientierte Atmosphäre offeriert wird, zu einer stärkeren Einbindung emotionalisierender, ästhetischer, erlebnis- und unterhaltungserzeugender Elemente in Ausstellungen ge7 führt hat. Eine Neujustierung der Institution Museum zu einer zeitgemäß erscheinenden, unterhaltsamen Bildungsinstitution ist unter diesen Vorzeichen ohne die verstärkte Berücksichtigung aktueller Besucherinteressen und gesell-
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Im Folgenden wird, in Anlehnung an den auf internationaler Ebene gebräuchlichen Begriff museum professionals, von Museumsexperten gesprochen. Hierunter werden u.a. qualifizierte, professionelle Mitarbeiter von Museen gefasst, wie zum Beispiel Direktoren, Kuratoren, Fachwissenschaftler und Museumspädagogen. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass ein museumsinternes Qualitätsmanagement, das sich mit bildenden Inhalten, Formen und Zielen musealer Ausstellungen beschäftigt (an dieser Stelle besteht noch stets eine eklatante Forschungslücke), an Einfluss gewinnen wird. Denn so groß die Schwierigkeiten professioneller Ausstellungsanalysen auch sind (vgl. u.a. Vogt, Arnold: Einführung. Unveröffentlichter Vortrag, gehalten im Rahmen der Tagung „Zeitzeichen – Leitzeichen. Kommunikation im Museum“, Berlin 4.-7.10.2001), so wenig befreit ihre Feststellung von der reflexiven Beurteilung und der vorbereitenden Zielbestimmung musealer Angebote. Rodekamp, Volker: Ausstellungsmanagement versus Ausstellungspädagogik. Managementstrategien zu professioneller musealer Objekt-Kommunikation. Unveröffentlichter Vortrag, gehalten im Rahmen der Tagung „Zeitzeichen – Leitzeichen. Kommunikation im Museum“, Berlin 4.-7.10.2001.
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schaftlicher Vorlieben kaum noch denkbar. Die starke Akzentuierung der Publikumsresonanz entspricht dabei dem aktuellen Trend.
Die Unterhaltung im Museum Dem Unterhaltungsdiskurs im Museum sind, obschon er zunehmenden Einfluss innerhalb der musealen Praxis hat, institutionelle Grenzen gesetzt. Museen müssen aus eigenem Interesse darauf achten, ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden, um sich deutlich gegen kommerzielle Einrichtungen abzugrenzen. Im Museum sind insbesondere zwei Verwendungen des Unterhaltungsbegriffs anzutreffen: eine additive und eine distinktive. Mit Hilfe des additiven Unterhaltungsbegriffs können aktuelle Anforderungen (zumindest auf sprachlicher Ebene) ins Museum integriert werden, ohne dabei das institutionelle Selbstverständnis in Frage zu stellen. Mit ihm lassen sich herkömmliche museale Angebote zeitgemäß vermarkten. Die Unterhaltung stellt hier eine Ergänzung der Inhalte dar. Eine Einbindung unterhaltsamer, erlebnisorientierter Komponenten in Museen kann als Anpassung an Konsum- und Freizeitgewohnheiten der Besucher und somit als zentraler Bestandteil der Besucherorientierung interpretiert werden. Vor diesem Hintergrund wird die Position von Unterhaltung im Bezugsrahmen der Institution Museum deutlich gestärkt. Dieser additive Unterhaltungsbegriff stellt für die Vertreter des Museums ein wichtiges Vehikel im Umgang mit Modernisierungsanforderungen dar. Als distinktiver Begriff hingegen wird Unterhaltung als negativ belegter Begriff eingesetzt. Er steht dem bildungsbürgerlichen Museums- und Bildungsideal entgegen und wird zur Abgrenzung gegen kommerzielle Freizeitinstitutionen herangezogen. Unterhaltung wird dabei mit Oberflächlichkeit gleichgesetzt. Mit Hilfe des distinktiven Begriffs grenzt sich das Museum als Bildungsinstitution vehement gegen eine vom ‚Entertainment‘ bestimmte Außenwelt ab. Die zunehmende Bedeutung von Unterhaltungsdiskursen im musealen Kontext ist als Reaktion auf aktuelle Modernisierungszwänge zu interpretieren. Der Umgang mit den verschiedenartigen Anforderungen reicht von einer, durch die Einbindung erlebnisorientierter Konzepte forcierten, offensiven Besucherorientierung über die Nutzung von Marketingstrategien bis hin zur verstärkten Kommerzialisierung und Ästhetisierung. Die folgenreichste Herausforderung, mit der Museen aktuell umzugehen haben, kann allerdings in den gestiegenen Ansprüchen erlebnishungriger Besucher ausgemacht werden. Das Erlebnis avanciert zu einem neuen Maßstab, der Art und Anforderungen an
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eine Freizeittätigkeit nachhaltig beeinflusst und die Suche nach Formen der 8 Unterhaltsamkeit im Rahmen eines Museumsbesuchs erklärt. Die in diesem Zusammenhang von den Museen als unausweichlich interpretierte Notwendigkeit zur Steigerung des Erlebniswertes führt zur verstärkten Einbindung unterhaltungsorientierter Elemente in museale Ausstellungen. Diese Elemente werden in der Regel von Ausstellungsdesignern eingebracht, als deren Aufgabe es verstanden wird, aus einem Museum einen besucherorientierten Ort im Sinne eines Erlebnisraumes zu machen. Doch während sich die musealen Fachwissenschaftler entsprechend der öffentlichen Erwartungen über den Bildungsbegriff definieren, tun die extern beauftragten Berufsgruppen (etwa die Ausstellungsdesigner) dies über die unterhaltsamen Komponenten, die sie einer Ausstellung hinzufügen. Da der Unterhaltungsbegriff (im Gegensatz zur Bildung) in der aktuellen Diskussion grundsätzlich positive Bedeutungszuschreibungen besitzt, fällt ihnen die eigene Argumentation und Positionierung ungleich leichter als den Museumsexperten angesichts der dargestellten Legitimationszwänge und eines sich 9 auflösenden bildungsbürgerlichen Hintergrunds.
Die Notwendigkeit einer funktional differenzierten Zusammenarbeit und ihre Folgen Museen müssen sich immer wieder neu zwischen Bildungsidealen auf der einen und Ansprüchen der Besucher auf der anderen Seite positionieren. Die steigende Marktabhängigkeit der Institution übt dabei jedoch nachhaltigen Einfluss auf Ausstellungsstrategien aus. Kernaspekt musealer Praxis, in dem Akteure verschiedener Professionen zusammenarbeiten, ist die Konzeption einer Ausstellung. Im Konzeptionsprozess laufen mindestens zwei unterschiedliche Zugangsebenen zusammen, eine objektorientierte inhaltliche und eine formorientierte ästhetische. In diesen Ebenen spiegelt sich eine bekannte Dichotomie wider, die Museen von jeher begleitet. Als Anwälte von Form und Inhalt im musealen Kontext sind im Wesentlichen zwei große Berufsgruppen auszumachen, die im Vorlauf einer Ausstellung eng zusammenarbeiten und deren Zusammenarbeit ihr Erscheinungsbild prägt. Es handelt sich hier auf der einen Seite um die Kuratoren und Wissenschaftler, die aus fachlicher Perspektive für einen sinnhaften Zusammenhang der Objekte verantwortlich zeichnen; auf der anderen Seite handelt 8
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Vgl. Treinen, Heiner: Das Museum als kultureller Vermittlungsort in der Erlebnisgesellschaft, in: Alfons W. Biermann (Hg.), Vom Elfenbeinturm zur Fußgängerzone, Opladen 1996, S.111-121, hier S. 118. Vgl. Bäumler: Bildung, a.a.O., S. 151f.
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es sich um, meist externe, projektbezogen arbeitende Designer oder Gestalter, die den ästhetischen Ausdruck einer Ausstellung verantworten sollen. Als dritten Personenkreis, der noch immer viel zu selten in Prozesse der Ausstellungsentwicklung einbezogen wird, sind die Museumspädagogen zu nen10 nen. Ihre fundamental wichtige Aufgabe für die Vermittlung kultureller Inhalte wird in der Praxis häufig nicht wirklich ernst genommen, was sich vor allem darin äußert, dass sie in Planungsprozessen oft nicht mit am Tisch sitzen. Museen müssen sich fragen lassen, ob sie dadurch nicht leichtfertig einen erheblichen Teil ihrer Bildungswirksamkeit verspielen. Beste Gestaltung und schönste Objekte taugen wenig, wenn Grundlagen der Didaktik nicht beachtet werden. Museumsobjekte sind (und waren) niemals aus sich heraus evident und bedürfen der professionellen Unterstützung durch zielgruppenspezifisch 11 abgestimmte Informationsvermittlung. Ausstellungen werden – so ist es heute in mittleren und großen Museen weitgehend üblich – in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Fachwissenschaftlern und Designern erarbeitet. Diese arbeitsteilige Differenzierung fördert oft ein unterschiedliches Verständnis von Bildung und Unterhaltung zu Tage. Dies ist insofern relevant, weil die Akteure im Laufe der Zusammenarbeit immer wieder ihre Standpunkte bezüglich bildender und unterhaltsamer Elemente aushandeln müssen – mit konkreten Konsequenzen für das spätere Erscheinungsbild der betreffenden Ausstellung. Wie ausgeführt kann als Besonderheit aktueller musealer Konzepte der starke Einfluss der Besucherorientierung ausgemacht werden. Dass der Besucher im Zentrum steht, wirkt sich nachhaltig auf konzeptionelle Entscheidungen aus. Denn der Erfolg von Ausstellungen wird in erster Linie quantitativ – anhand von Besucherzahlen – gemessen. Insbesondere Kontextmuseen können sich nicht über ihre Sammlung definieren, sondern benötigen eine positive Besucherbilanz, um ihre gesellschaftliche Relevanz glaubhaft unter Beweis zu stellen. Besucher werden insgesamt zu einem wichtigen Instrument der Argumentation, insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung erlebnis- und freizeitorientierter Elemente. Neben der Besucherorientierung hat im Zuge zunehmender Ästhetisierung auch die Inszenierung einen hohen Stellenwert erlangt. Inszenatorische Mittel wurden in Museen lange Zeit ausschließlich zur Unterstützung von Inhalts10 Dieses Phänomen zeigten meine Untersuchungen immer wieder. 11 Doch dies sei hier nur eine Bemerkung am Rande – was sie nicht weniger bedeutsam macht. Vgl. Treinen, Heiner: Multimedia als kulturelles Werkzeug, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 48, 1997, S. 37-40, hier S. 39.
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und Objektebene eingesetzt. Seit einigen Jahren ist allerdings eine schritt12 weise Loslösung von Inszenierung und Objekt zu beobachten. Gerade diese Form der Inszenierung ist zu einem eigenständigen Bereich innerhalb von Ausstellungen geworden. Allerdings macht die Abhängigkeit zwischen erlebnisorientierten, ästhetischen Inszenierungen und Strömungen des Zeitgeists museale Ausstellungen fragil. Denn Ausstellungsgestaltungen dieser Art müssen sich aktuellen Sehgewohnheiten anpassen und können somit schnell überaltern. Dies stellt insbesondere für Dauerausstellungen ein kostspieliges Problem in bisher ungekannten Dimensionen dar. Im Folgenden wird anhand von drei Aspekten verdeutlicht, welche aktuellen Tendenzen in Museen anzutreffen sind und wie diese mit der Beteiligung der unterschiedlichen Akteure zusammenhängen. Dabei kann unter anderem gezeigt werden, dass museale Vermittlungsintentionen in der Praxis deutlich geschwächt und einer ästhetisierten Unterhaltungsorientierung häufig argumentativ unterlegen sind.
Vermittlung, Vergnügen und steigende Marktabhängigkeit Steigende Marktabhängigkeiten und gesellschaftliche Ansprüche wirken sich in umfassender Weise auf konzeptionelle Entwürfe aus. Augenfällig ist, dass es bereits aus kommerziellen Überlegungen nicht mehr möglich ist, ein Museum als reinen Ausstellungsort zu konzipieren. Museumsshop und Café sind heute ein ‚Muss‘. Hier spiegelt sich die Meinung, dass die klassischen Aufgaben ‚Ausstellen‘ und ‚Vermitteln‘ die Institution Museum nicht mehr allein tragen, sondern dass sie durch Zugabe kommerzieller Elemente ergänzt werden müssen. Klare Indizien für eine Verschiebung im institutionellen Selbstverständnis ergeben sich aus der defensiven Verwendung des Begriffs Vermittlung in den geführten Experteninterviews. Auch in Museen wird zunehmend im Sinne einer verstärkten Nachfrage- und nicht mehr einer Angebotsorientierung argumentiert. In einer Ausstellungskonzeption, in der besonderer Wert auf die Komponenten Erlebnis und Unterhaltung gelegt wird, kann die museale Bildungsintention nicht als wichtigstes Element angeführt werden. Ein Ausstel13 lungsdesigner beschreibt diesen Umstand für seine Konzeptarbeit:
12 Vgl. Herles: Das Museum und die Dinge, a.a.O., S. 111. 13 Dieser und die folgenden Interviewauszüge sind der Dissertation Bäumler: Bildung und Unterhaltung, a.a.O. entnommen. Dort werden die Gründe der Anonymisierung diskutiert.
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„Also das ist ja nicht so, dass das undidaktisch, oder gegen eine Didaktik ist, sondern die darf bloß nicht so vorne liegen. Das geht nicht. Da geht das ganze Vergnügen weg.“
Die Vermittlung musealer Inhalte hat sich vor diesem Hintergrund an unterhaltungsorientierten Vorgaben auszurichten. Der Aspekt der Unterhaltsamkeit wird dem musealen Bildungsverständnis als unverzichtbare Ergänzung hinzugefügt. Angesichts der Konkurrenz zu anderen Freizeitinstitutionen besitzt die Vermutung, dass sich ein Besucher wohl kaum noch freiwillig in scheinbar ‚langweilige‘ Museen begeben wird, sichtbare Konsequenzen. Insbesondere der Bereich des musealen Bildens wird daher an aktuelle Anforderungen angepasst. Ein Museumsdirektor formuliert überspitzt: „Ich bin völlig davon abgekommen, zu sagen: ‚Ich will was vermitteln.‘ Natürlich will ich was vermitteln, aber vermitteln kann auch Spaß machen. Die Frage ist: ‚Wie kann ich es denn interessant machen?‘ Und nicht vorauszusetzen, dass es interessant ist und dann aufzustampfen, wenn die Besucher sich nicht dafür interessieren.“
Ausdrücklich wird in diesem Fall die Vermittlungsaufgabe als leitendes Element zurückgestellt, die Unterhaltung als notwendiges Additiv betont. Darüber hinaus rückt der Experte das Interesse-Wecken ins Zentrum musealer Aufgaben. Besucher müssen gezielt umworben und Ausstellungen so angelegt werden, dass Interesse entstehen kann. Museen müssen sich ihre Besucher verdienen. Institutionelle Vermittlungsaufgaben werden vor diesem Hintergrund durch Elemente der Freizeitdidaktik wie etwa „Zerstreuung und Unter14 haltung“ ergänzt. Im Umgang mit den ausdifferenzierten Gründen für einen Besuch greifen Museen auf unterschiedliche Maßnahmen zurück, die das heutige Erscheinungsbild von Ausstellungen beeinflussen und prägen. So setzt sich beispielweise ein themenzentriertes, konzeptionelles Vorgehen über die strengen Klassifizierungspraktiken musealer Fachwissenschaftler hinweg und arbeitet einem assoziativen Umgang mit Objekten zu. Auch die explizit geäußerte Zurücknahme herkömmlicher musealer Vermittlungsintentionen, bei gleichzeitiger Betonung von erlebnis- und unterhaltungsorientierten Elementen innerhalb der Vermittlung, weist auf eine Veränderung in der konzeptionellen Ausstellungspraxis und in der Umgangsweise mit musealen Gütern hin. Ebenso werden den Besuchern zunehmend individuelle Vorlieben und ein durchaus eingeschränktes und fokussiertes Interesse an ausgestellten Objekten zuge-
14 Busse, Gerd: Fachdidaktik als Freizeitdidaktik – an den Grenzen der Didaktisierung, in: Freizeitpädagogik (FZP). Forum für Kultur, Medien, Sport, Tourismus. 16. Jg., Heft 2, 1994, S. 106-112, hier S. 108.
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standen.15 Aus diesem Grunde bemühen sich die mit der Konzeption von Ausstellungen betrauten Akteure ausdrücklich, die Auswahl der Objekte sorgsam auf die (vermuteten) Wünsche der Besucher abzustimmen und die Gegenstände so zu präsentieren, dass sie das Interesse der Betrachter wecken. Wird ein Museumsbesuch als Tätigkeit verstanden, die eine Alternative zu sonstigen Freizeitvergnügen darstellt, liegt es nahe, Vermittlungsintentionen 16 auf die Bedürfnisse der Besucher abzustimmen. Denn aus dieser Perspektive können museale Vermittlungsziele erst über die Einbindung unterhaltsamer Komponenten erreicht werden. Gleichzeitig damit treten diese Ziele in den Hintergrund und werden nicht mehr als konzeptleitend angeführt. Der Umgang mit der musealen Bildungsfunktion hat sich, wie das dargestellte Praxisverständnis zeigt, gewandelt. Bei der Vermittlung von Inhalten stehen heute die Interessen der Besucher und nicht unbedingt die Objekte oder gar die Intentionen der Museumspädagogen an erster Stelle. Museen befinden sich in einer ihnen noch relativ unbekannten Situation, die neue Anforderungen mit sich bringt und vielschichtige Unsicherheiten erzeugt. Ablesen lässt sich dies unter anderem daran, dass die vormals identitätsstiftende museale Bildungsdimension als Selbstzuschreibung und Rückhalt der Akteure geschwächt ist. Die Dimensionen musealer Bildung zerfasern in der Praxis und büßen ihre Funktion als Legitimationsgrundlage ein. Vor diesem Hintergrund muss auch das veränderte Selbstverständnis musealer Akteure interpretiert werden. Das Museum ist heute eine Form des Dienstleistungsbetriebs, bei dem der Besucher mit seinen zeitgeist- und modeabhängigen Wünschen und Vorlieben 17 als Argumentationsfigur im Zentrum steht. Das Schlagwort der Besucheroder Kundenorientierung ist in diesem Zuge zum kaum widerlegbaren, selten hinterfragten und nur schwer zu evaluierenden Argument für das Einbringen verschiedenster unterhaltungsspezifischer Elemente, beispielsweise die Emotionalisierung, in Ausstellungen geworden. Es steht zu vermuten, dass – vergleichbar mit der Marktforschung in der freien Wirtschaft – eine Besucherforschung, die Wünsche und Vorlieben des Publikums untersucht und offen legt, in Zukunft einen zunehmenden Stellenwert innerhalb der Museen einnehmen 15 Individuelles Interesse und spezifisches Vorwissen eines Besuchers stellen heute keine unabdingbaren Voraussetzungen für einen Museumsbesuch mehr dar. Ebenso ist die Begründung zur Beschäftigung mit Sammlungsgegenständen, weil sie nun mal (aus welchen Gründen auch immer) zum Sammlungsbestand zählen, nicht mehr ausreichend (vgl. Herles: Das Museum und die Dinge, a.a.O., S. 232.). 16 Vgl. ebd., S. 95. 17 Der Besucher ist dabei, vergleichbar mit dem Konsumenten, auch ein Konstrukt der Akteure, dem nach Bedarf gänzlich verschiedene Wünsche zugerechnet werden können. Zugleich besitzt er (ebenso wie der Noch-nicht-Besucher) eine reflexive Dynamik (denn es gibt ihn ja tatsächlich und er hat spezifische Wünsche), die auf die konstruierte Argumentationsfigur einwirkt.
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wird.18 Die Institution Museum befindet sich im Wandel, auf dessen prozesshaften Charakter die Unsicherheiten in den Selbstreflexionen der Museumsexperten hindeuten und in dessen Verlauf Museen verstärkt Züge von Unter19 nehmen annehmen werden.
Marginalisierungserfahrungen Die Aussage, bei Museen handele es sich um gesellschaftlich marginalisierte Institutionen, kristallisiert sich in den Interviews mit Museumsexperten immer wieder heraus. Sie ist ein deutlicher Verweis auf die problematische Situation der Institution selbst und kommt ausschließlich in Aussagen ihrer Vertreter vor. Um ihre persönliche Einschätzung von Marginalisierung zu erklären, ziehen die Experten in den Interviews ein ums andere Mal den idealisierten Bildungsbegriff heran. Ein Museumsdirektor äußert beispielsweise im Gespräch: „Nicht so wichtig zu nehmen und zu sagen, wir, die Museen, sind das Wichtigste auf der Welt. Nein! Zu relativieren, dass wir ganz unwichtig sind in der Realität der Gesellschaft, der meisten Menschen. Museum – das ist überhaupt keine Kategorie!“
Die hier konstatierte geringe Bedeutung des Museums für breite Teile der Gesellschaft schlägt sich jedoch nicht nur in einer bloßen Beschreibung der Situation, sondern auch in einer defizitären Selbsteinschätzung der Museumsvertreter nieder. So stellt ein Museumspädagoge fest: „In der Schule setzt man sich mit wichtigen Problemen auseinander und hier mit schönen Problemen. Die Bedeutsamkeit eines Museums, die kann man durchaus kritisch hinterfragen.“
Vor dem Hintergrund dieser Aussagen von Praxisvertretern, die eigentlich aus ureigenstem Interesse Fürsprecher ihrer Institution sein sollten, wird die viel20 beschworene gesellschaftliche Relevanz der Institution Museum fraglich. Es ist davon auszugehen, dass die geschilderten Marginalisierungserfahrungen aus der Reflexion aktueller gesellschaftlicher Wahrnehmungen heraus entstehen. Im Hinblick auf den musealen Bildungsauftrag schadet die vorhandene Zurücknahme der eigenen Relevanz, denn sie schwächt die Argumentationskraft 18 In diesem Zuge ist auch mit einem steigenden Einfluss weiterer kommerzieller Marketingwerkzeuge, wie z. B. dem Controlling, zu rechnen. 19 Vgl. dazu den Aufsatz von Schneede, Uwe M.: Unternehmen Museum. Vom Staat in die Stiftung, in: ders. (Hg.), Museum 2000, Köln 2000, S. 48-57. 20 Vgl. z. B. Herles: Das Museum und die Dinge, a.a.O., S. 219.
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der Museumsvertreter bei der Gestaltung von Ausstellungen. Wie sollten Interessen konsequent und überzeugend vertreten werden, wenn selbst offen gezweifelt wird? In museumsinternen Diskussionen wird die museale Bildungsdimension häufig abgeschwächt und hinter unterhaltungsorientierte Elemente zurückgestellt. Zugleich herrscht Ungewissheit darüber, was ein neu entworfenes, aktuellen Anforderungen genügendes und im Gegensatz zu herkömmlichen Häusern stehendes Museum eigentlich ausmacht. Zumal selbst die Anwälte der Institution nicht so recht wissen, welche Richtung es einzuschlagen gilt. Ein Museumspädagoge formuliert: „Der Begriff Museum ist natürlich zerfasert. Was heute alles Museum sein kann, das ist die Frage.“
Auf den wachsenden externen Druck reagieren viele Museen mit der Ausrichtung ihrer Arbeit an Maßstäben der Effizienz und Rentabilität. Doch mit der Kommerzialisierung erhält auch die Frage nach dem Nutzen und dem Bildungswert von Museen ein öffentliches Forum.
Objektauswahl als Praxisproblem Im Laufe des Konzeptionsprozesses treffen zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen musealer Fachwissenschaftler und Ausstellungsdesigner aufeinander. Die verschiedenen Auffassungen bieten in der Praxis nicht nur positive Synergieeffekte, sondern auch reichlich emotionales Konfliktpotential, das sich unter anderem in pauschalisierenden Urteilen und negativen Kommentaren entlädt. Es besteht ein grundlegendes Spannungsverhältnis, das einerseits auf den unterschiedlichen Arbeitsweisen der Akteure und ihren variierenden Vorstellungen über eine Ausgestaltung des musealen Bildungsauftrags basiert. Andererseits aber auch darauf, dass die Zugehörigkeit zu einem Personenkreis eine klare Positionierung erfordert. Ein Designer eines renommierten Ausstellungsbüros beschreibt seine Sicht der Dinge: „Die Fachwissenschaftler wollen da einfach alle Objekte, die sie irgendwo im Keller finden, zeigen. Also wir sind der Meinung, dass es nicht notwendig ist, jeden Krümel auszustellen, sondern dass es interessanter ist, sowohl für die Besucher, als auch für das Museum, wenn man wenige Ikonen präsentiert, und die dann aber mit so einer nachhaltigen Wirkung.“
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Aus der Perspektive dieses Gestalters geht es bei der Objektauswahl in erster Linie um inszenatorische Wirkung. Die Inhalte stehen dabei hinter der Form zurück bzw. müssen sich einer grundlegenden Ästhetik unterordnen lassen. Ein Kurator reflektiert im Gegenzug die Objektauswahl der Designer mit folgenden Worten: „Und der Designer sagt: ‚Das ist so unansehnlich, das gibt optisch überhaupt nichts her, das nehmen wir nicht‘.“
Vor dem Hintergrund der Spannung zwischen Form und Inhalt tritt hier das Konfliktpotential, das im Prozess der Objektauswahl liegt, offen zu Tage. Die Museumsexperten lassen sich in den Interviews anmerken, wie wenig ihnen dieser rein ästhetische und mittlerweile sehr einflussreiche Auswahlmaßstab zusagt. Denn die Designer greifen hier in einen vormals ausschließlich der inhaltlichen Bearbeitung zugeordneten Kompetenzbereich der Fachwissenschaftler ein. Zudem wird die Leitkategorie des Originalen angetastet. Ein Museumspädagoge entrüstet sich: „Das spielt für die Designer doch keine Rolle, ob das ein Original ist! Das muss die Assoziationen und Emotionen wecken. Die haben gesagt: ‚Verstehen braucht das hier keiner, man muss es erleben.‘ Mittlerweile gibt es in diesem Raum kein einziges historisches Objekt!“
Eindrucksvoll wird hier die Reichweite einer stark inszenatorisch geprägten Ausstellungsgestaltung dargestellt, die sich in einem musealen Raum ohne Objekte niederschlägt. Obschon Objekte zur inhaltlichen Ebene zählen, fließen ästhetische Überlegungen zunehmend als Kriterium in ihre Auswahl mit ein. Die Folie der Besucherorientierung macht deutlich, wie gestalterische Überlegungen zunehmend Gewicht erhalten, mit denen etwa durch Emotionserzeugung eine Erhöhung des Unterhaltungswertes angestrebt wird. Museale Originalobjekte sind nicht mehr der unangefochtene Mittelpunkt einer Ausstellung. An ihrer statt werden die Besucher nachdrücklich im Zentrum platziert. Es wird sichtbar, wie sich die Ausrichtung einer Konzeption von der Objektebene auf die Subjektebene verschiebt. Die genannten unterhaltsamen Elemente reichen über eine rein additive Funktion hinaus und sind unter dem Stichwort der Emotionserzeugung zu einer wesentlichen und konzeptleitenden Komponente geworden. Das Erlebnis wird vor das Verstehen, vor die inhaltliche Ebene, gesetzt. Die Intention einer solchen Inszenierung zielt eindeutig in Richtung Unterhaltung.
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Der Ausgang der unabdingbaren Aushandlungsprozesse besitzt ganz konkrete Konsequenzen für das Gesamtbild einer Ausstellung und ist davon abhängig, wer im langen Prozess der Planung und Gestaltung die durchsetzungsfähigeren Argumente hat. In der aktuellen Situation scheinen das immer öfter die Designbüros zu sein.
Folgen für die Institution Museum Abschließend bleibt festzuhalten, dass Aushandlungsprozesse über Form und Inhalt einer Ausstellung angesichts der notwendigen interdisziplinären Zusammenarbeit funktional angelegt, unausweichlich, aber auch unersetzlich sind. Die Kombination bildendender und unterhaltsamer Elementen ist ein konstitutiver Bestandteil von Museen – ihre Ausgestaltung wird über die Zukunftsfähigkeit der Institution mitentscheiden. Deutlich sichtbar befinden sich Museen in einem Wandel, auf dessen prozesshaften Charakter etwa die Unsicherheiten in den Selbstreflexionen der Museumsexperten hindeuten. Eine Neuverortung des Museums zu einer zeitgemäßen Bildungsinstitution ist ohne die verstärkte Berücksichtigung aktueller Besucherinteressen nicht denkbar. Die Beziehung zwischen musealer Bildung und Unterhaltung kann dabei als Abhängigkeitsverhältnis beschrieben werden. Bildung im Museum, einer Kulturinstitution, der eine bildende Funktion gleichsam institutionell eingeschrieben ist, benötigt heute die ergänzende Komponente der Unterhaltung, um das eigene Fortbestehen zu garantieren. Dabei stellt die museale, objektzentrierte Bildung ein definierendes Element dar, ohne das ein Museum seiner Hauptressource beraubt wäre. Problematisch wird die Beziehung zwischen Bildung und Unterhaltung vor dem Hintergrund zunehmender Legitimationszwänge, in deren Rahmen die Bildungserfolge von Museen unter Beweis gestellt werden müssen, wohingegen sich Unterhaltsamkeit und Erlebnisorientierung über erzielte Besucherzahlen selbst legitimieren. Zudem ist die argumentative Position der Fachwissenschaftler vor dem Hintergrund der zu beobachtenden Verschiebung von einer Angebots- zu einer Nachfrageorientierung deutlich geschwächt. Denn mit der Tendenz zur Nachfrageorientierung werden museale Ziele zunehmend externalisiert und das Vorgehen bei der Konzepterstellung wird in sichtbarem Maße davon geprägt. Die Zielbestimmung der Institution Museum verlagert sich unter der Überschrift der Kundenorientierung ein Stück weit nach außen und erzeugt eine Situation, in der museale Fachwissenschaftler ihre in sich geschwächten, objektbezogenen Interessen immer schwerer gegen ästhetische Vorstellungen externer Designer durchsetzen können.
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Die beobachtbare zunehmende Verwendung unterhaltsamer Elemente innerhalb von Museen kann als eine Form von Kontextualisierung betrachtet werden, mit der Museen sich unter Beibehaltung ihrer historischen Kontinuität als Bildungsinstitutionen auf einen veränderten Freizeitmarkt einstellen. Eine offensiv nach außen kommunizierte Reformulierung musealer Besonderheiten ist vor diesem Hintergrund jedoch unverzichtbar. Denn ohne die gezielte Betonung des eigenen und überaus spezifischen Potentials läuft die Institution Museum Gefahr, ihre Legitimationsgrundlage zu verlieren und sich selbst überflüssig zu machen. Museen brauchen ihre bildenden Inhalte, sie brauchen ihre Objekte und deren komplexe Geschichten. Das objektzentrierte Bildungspotential der Museen ist letztlich die entscheidende Ressource, die sie aus dem vielfältigen Markt der Freizeitangebote hervorhebt und die sie auch vor nicht zu gewinnenden Konkurrenzkämpfen im kommerzialisierten Freizeitsektor bewahren kann. Abschließend bleibt festzustellen, dass an einer professionell begleiteten Sensibilisierung der im und für Museen arbeitenden Personen für die Belange der jeweils anderen Akteure kein Weg vorbei führen wird. Diese Sensibilisierung ist mehr als überfällig, denn die Grabenkämpfe, die wir heute so häufig sehen und miterleben, beruhen auf gegenseitigem Unverständnis, schaden der Institution Museum und verhindern gelungene Ausstellungen. Ein reichhaltiger Erfahrungsschatz und professionelles Potential ist auf beiden Seiten in großer Vielfalt vorhanden. In Zukunft geht es darum, diese Potentiale gemeinsam auszuschöpfen.
Literatur Bäumler, Christine: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004. Bäumler, Christine: Edutainment und Museum, in: Spektrum Freizeit. Forum für Wissenschaft, Politik & Praxis. Halbjahreszeitschrift Freizeitwissenschaft, Heft 2, 2001, S. 111-118. Busse, Gerd: Fachdidaktik als Freizeitdidaktik – an den Grenzen der Didaktisierung, in: Freizeitpädagogik (FZP). Forum für Kultur, Medien, Sport, Tourismus, Heft 2, 1994, S. 106-112. Herles, Diethard: Das Museum und die Dinge, Frankfurt/M. 1996. Mikos, Lothar: Edutainment und Infotainment. Die lebensweltliche Orientierung des Lernens, in: Ingrid Paus-Haase, Dorothee Schnatmeyer, Claudia Wegener (Hg.), Information. Emotion. Sensation. Wenn im Fernsehen die Grenzen zerfließen, Bielefeld 2000, S. 30-43. 55
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Rodekamp, Volker: Ausstellungsmanagement versus Ausstellungspädagogik. Managementstrategien zu professioneller musealer Objekt-Kommunikation. Unveröffentlichter Vortrag, gehalten im Rahmen der Tagung „Zeitzeichen – Leitzeichen. Kommunikation im Museum“, Berlin 4.-7.10.2001. Schneede, Uwe M.: Unternehmen Museum. Vom Staat in die Stiftung, in: ders. (Hg.), Museum 2000, Köln 2000, S. 48-57. Treinen, Heiner: Das Museum als kultureller Vermittlungsort in der Erlebnisgesellschaft, in: Alfons W. Biermann (Hg.), Vom Elfenbeinturm zur Fußgängerzone, Opladen 1996, S. 111-121. Treinen, Heiner: Multimedia als kulturelles Werkzeug, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 48, 1997, S. 37-40. Vogt, Arnold: Einführung. Unveröffentlichter Vortrag, gehalten im Rahmen der Tagung „Zeitzeichen – Leitzeichen. Kommunikation im Museum“, Berlin 4.-7.10.2001.
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A N G E L I K A R U G E -S C H A T Z Museumsarbeit ist Teamarbeit. Ein Plädoyer aus museumskundlicher Sicht
Meine Aufgaben als Hochschullehrerin für Museumskunde an der FHTW Berlin bringen es mit sich, dass ich mich mit den Stärken und Schwächen gegenwärtiger Museumsarbeit beschäftige. Das Thema dieser Tagung, welche das Verhältnis dreier Berufsfelder untersuchen will, hat mich auf den Gedanken gebracht, über Partnerschaft in der Museumsarbeit zu sprechen. Ich erlaube mir, auch in der schriftlichen Fassung auf Zitate und Literatur zu verzichten. Zuerst will ich die Gelegenheit nehmen, etwas über mein Lehrfach mitzuteilen, denn es mag im Kreis von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern weitgehend unbekannt sein. Museumskunde, die Kunde vom Museum, ist die etwas altmodisch anmutende Benennung eines Studienfaches, welches ich an der FHTW Berlin vertrete. Mit dem Erscheinen der Zeitschrift ‚Museumskunde‘ im Jahr 1907 hat der Name in Deutschland eine gewisse Aufmerksamkeit erhalten. Es ist ein akademisches Lehrfach, das interdisziplinär die Theorie und Praxis für zukünftige Tätigkeiten im Museum und museumsverwandten Einrichtungen vermittelt. Da eine Neigung besteht, der Museumskunde die Wissenschaftlichkeit abzusprechen, werden für ähnliche Inhalte auch ‚Museographie‘ oder ‚Museologie‘ verwendet. Die Subtilitäten in den unterschiedlichen Benennungen sind nicht Gegenstand meiner Erörterungen. Vielmehr möchte ich auf die Mittlerrolle eingehen, die Museologen und museologischer Sachverstand in der Museumsarbeit einnehmen. Museologen heißen unsere Absolventen auch nach dem zukünftig dreijährigen Bachelorstudium, welches das erfolgreiche Diplomstudium ablösen wird. Museologischer Sachverstand wird durch das Studium erworben. Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln sind die unverwech57
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selbaren Merkmale der Museumsarbeit. Was, wie, für wen sind die zentralen Fragen der Museumsarbeit. Museumskunde stellt sie in den Mittelpunkt akademischer Lehre und Forschung. Sie lebt vom Austausch mit unterschiedlichen Disziplinen und Methoden. Sie hat das Museum und die umgebende Gesellschaft im Blick. Der zukünftige Museumsmitarbeiter wird durch das Studium mit einem breiten Wissen ausgestattet, auf dessen Basis jede Spezialisierung möglich ist. Um die Besonderheit des Museums nicht aus dem Auge zu verlieren, könnte es zukünftig wünschenswert sein, dass jeder, der dauernd oder zeitweise in Museen arbeitet, dieses museumskundliche Grundwissen mitbringt. Vielleicht ist dies auch ein Beitrag zu Professionalisierung der Museumsarbeit. In den Mittelpunkt meiner Überlegungen stelle ich folgende Feststellung: Museen brauchen Partnerschaften. Besucher, Finanzgeber und Museumsleute sind aufeinander angewiesen. Management heißt nicht, dass etwas funktioniert, sondern dass ein Ziel unter gemeinsamer Anstrengung, zu der jeder seinen Beitrag leistet, erreicht wird. Schauen wir uns an, wie dies bis jetzt funktioniert hat. Da ich mich auch mit Museumsgeschichte beschäftigt habe, erlauben Sie mir einen historischen Ausflug. Bereits im 18. Jahrhundert war der Besuch auf der Galerie ein besonderes Erlebnis. Vorhandenes Wissen wurde vertieft und der gesellige Umgang mit den anderen Besuchern bereitete Vergnügen. Man sah und wurde gesehen. Man erfreute sich an den Gemälden, die häufig durch Abbildungen bekannt waren und sprach miteinander darüber. Als das Königliche Museum in Berlin 1830 eröffnet wurde, war eine geziemende und saubere Kleidung notwendig für den Eintritt in den Musentempel. Doch wer neugierig war, fand immer einen Weg hinein. Schon bevor das Berliner Museum seine Schätze zeigte, war eine Überschwemmungskatastrophe an Oder und Weichsel im Frühjahr 1828 Anlass, das neue Gebäude zu besichtigen. Dafür wurde eine Spende zu Gunsten der Opfer des Hochwassers erbeten, der sich laut Zeitungsbericht keiner verschloss. Der Museumsbesuch konnte auch sehr emotional begründet werden, wie wir aus der Romanliteratur des 19. Jahrhundert wissen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts – angeregt durch den Erfolg der Weltausstellungen – begriff der Staat mehr als die Fürsten des 18. Jahrhunderts, dass Museen mit ihren Ausstellungen ein hohes Maß an Identifikation mit den politischen Zielen verschafften. Die sozialen Umbrüche sollten gemildert und die neuen technischen Errungenschaften besser verstanden werden. So kam es, dass die kunstgewerblichen, technischen und naturwissenschaftlichen Mu58
MUSEUMSARBEIT IST TEAMARBEIT
seen mehr Menschen erreichten als Kunstmuseen. Auf den Weltausstellungen und in den Kaufhäusern hatte man das Inszenieren von Objekten gelernt. Die Museen lebten von der staatlichen Förderung und der Staat nahm sie auch in seine Pflicht weniger als Lernort als vielmehr als Ort der Propaganda. Wie einfallsreich dabei vorgegangen wurde, zeigen Beispiele aus der Öffentlichkeitsarbeit in den Jahren 1933 bis 1939. In dieser Zeit wurden weniger neue Museen gebaut, als vielmehr neue Vermittlungstechniken angewandt durch den Einsatz von Hands-on, von Medien und neuesten technischen Entwicklungen. Wie die Museumsarbeit sich inhaltlich und gestalterisch in der Nachkriegszeit entwickelte, bedarf noch eingehender Untersuchungen. Sicher ist, dass im westlichen Teil Deutschlands das vermeintlich Unpolitische im Vordergrund stand. Kunstmuseen für die Seele und technische und naturkundliche Sammlungen für den Kopf, so könnte die Entwicklung beschrieben werden, während in der ehemaligen DDR die politische Belehrung im Vordergrund stand. Erst mit der Bildungsreform der 1960er Jahre entdeckte man die Museen als Lernort wieder. In den 1970er Jahren wurden die historischen Museen und Ausstellungen zu großen Ereignissen. Dadurch kam die Belebung in die Museumsszene, die aus dem Verhältnis von Kuratierung, Museumspädagogik und Gestaltung entstand. Auf einmal bedurfte es Mitarbeiter mit den verschiedensten Qualifikationen. Der Einstieg in die Kuratorentätigkeit wurde durch Volontariate ermöglicht. Auf der internationalen Ebene entwickelte sich eine Debatte um die Professionisierung der Museumsarbeit. Im Osten Deutschlands wurden die Museologen durch Direkt- und Fernstudium herangebildet und in Museen verschiedener Größe eingesetzt. Der Museumsboom, der bis in die neunziger Jahre anhielt und Deutschland über 6.000 Museen bescherte, zeigt erst heute seine Schattenseite. Die Finanzierung der Häuser ist in Gefahr. Es werden neue Partner gesucht. Ich will nun versuchen aufzuzeigen, wie dies geschehen könnte. Die Museen müssen ihren gesellschaftlichen Ort finden. Sie sollten Politik machen, jedoch nicht von der Politik abhängig sein. Inhalte sollten vermittelt und Zusammenhänge verdeutlicht werden. Die Besucher sollen Fragen stellen. Sie sollen Nutzer werden, welche die musealen Einrichtungen freiwillig und intrinsisch motiviert aufsuchen. Museen müssen einladen und das Besondere des Ortes, an dem das Original gezeigt wird, immer wieder betonen. Dazu gehört mehr als gute Beschriftung der Objekte, dazu gehört ein Umfeld, das die Museumsmitarbeiter mitgestalten. Museen leben davon, dass sie aufgeschlossen mit neuen Ideen und Anforderungen umgehen und dass sie sich 59
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um ihr Personal kümmern, dieses weiterbilden und fordern. Damit kommt der dritte Partner ins Spiel, die Museumsführung. Wir haben in Deutschland ein Defizit an Personalentwicklung in den Museen. Für die meisten Häuser ist dies ein Fremdwort. Hier sollte es mehr als bisher möglich sein, dass örtlich und regional im Personenverbund gearbeitet wird. Nicht jedes Museum kann sich Spezialisten leisten. Aber eine Gruppe von diesen kann für verschiedene Projekte zuständig sein. Auch hierbei ist noch einmal zu unterstreichen, dass alle Mitarbeiter in fester oder freier Anstellung ein museologisches Grundwissen haben sollten. Das Gespräch zwischen Kuratoren, Pädagogen und Gestaltern könnte so partnerschaftlicher verlaufen. Niemand brauchte sich vom anderen in die Ecke gedrängt fühlen. Museumsarbeit muss transparent sein und zwar nach innen und außen. Dabei hilft es, wenn das Museumspersonal sich mit der Direktion über gemeinsame Ziele verständigt und bereit ist, deren Einhaltung zu überprüfen. Um gemeinsame Aufgaben zu ringen, kann ein schwieriger Prozess sein. Doch ein zufriedenes Publikum ist der Gewinn, der sich durchaus auch finanziell auswirkt. Museumsarbeit ist Teamarbeit. Nicht ein Kurator, ein Museumspädagoge und ein Gestalter stehen für das Ganze. Sondern alle zusammen schaffen das Werk. Partnerschaft durch Vernetzung und Professionalisierung, selbstbewusstes Handeln und zufriedene Besucher werden der Museumsarbeit Impulse vermitteln, die auch die finanziellen Engpässe überwinden helfen. Das sich Besinnen auf die eigenen Stärken ist besser als das Hinterherlaufen nach modischen Trends. Den Besucher als Partner zu gewinnen, wird den Museen eine Unabhängigkeit geben, mit der auch finanzielle Engpässe überstanden werden können.
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SUSANNE W ERNSING Parole: edutainment? Zum Versc hw inde n der Kunst a us de r Wiss e nscha ft und ihrer beschämten Rückkehr ins Museum 1
Abb. 1: „Le 30 juin à 5 heures – Hé! monsieur l’amateur!… il est temps des vous réveiller, l’Exposition est finie… on ferme?“; Honoré Daumier: Le public a l’exposition, 2 Kreidelithographie, Paris 1880.
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Im Hintergrund der Überlegungen zu diesem Beitrag steht das Konzept der Dauerausstellung zur Alltagstechnik „Alltag – eine Gebrauchsanweisung“, die die Verfasserin im Technischen Museum Wien kuratiert hat (Gestaltung: Arge Gillmann-Schnegg, Basel). Honoré Daumier: Le public à l’exposition, in: Petit Journal Pour Rire, III, Nr. 202, Paris 1880. Hier als Reproduktion der Kreidelithografie: Kopie vom Stein gedruckt im Museum der Arbeit, Hamburg 2001. Vgl. auch den Diskurs zur Langeweile im Museum seit den 1980er Jahren bei Schuck-Wersig, Petra; Wersig, Gernot: Die Lust am Schauen oder müssen Museen langweilig sein?, Berlin 1986.
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1. „Das Publikum in der Ausstellung“: Die Karikatur nimmt im Jahr 1880 das zeitgenössische Ausstellungspublikum ins Visier und bringt es im Pariser Satiremagazin ‚Petit Journal Pour Rire‘ selbst zur Ausstellung (Abb. 1). Sie zeigt, dass die Beschäftigung mit der Langeweile von Museumsbesuchern gar nicht so neu ist. Warum die Angst der Museen vor dieser Langeweile derzeit wieder besonders groß zu sein scheint und von den Museen entsprechende Abhilfe gefordert wird, ist eine der zentralen Fragen im folgenden Text. Die Vertreibung der befürchteten Langeweile wird Ausstellungsmachern wie Kuratoren, Gestaltern und Museumspädagogen überantwortet. Sowohl in der Arbeitspraxis als auch auf der Tagung „Das magische Dreieck“ zum Thema entspricht das Verhältnis der drei beteiligten Gruppen häufig eher einem Kriegsschauplatz, auf dem um ideologisches Terrain gekämpft wird. Das könnte darauf verweisen, dass es beim Tagungsthema um mehr als die Klärung einer Arbeitsbeziehung geht, vielmehr nämlich um den Streit um eine kulturelle Deutungsmacht. Vorausgesetzt, die Verantwortung der Kuratoren für den Inhalt, der Gestalter für die Form und der Pädagogen für die Vermittlung sind keine getrennten Funktionen, dann ändert sich bei einer Verschiebung des Einflusses zugunsten einer Gruppe, z.B. der Architekten, nicht einfach eine ‚Verpackung‘. Was hier aufscheint, ist eine Verschiebung innerhalb des Diskurses über die kulturelle Sinnstiftung, die in einer Ausstellung geleistet wird und die in wirtschaftlichen und politischen Paradigmen verankert ist. Wie also wird argumentiert und wie könnte eine Aufgabenverteilung in Kooperation aussehen? In erheblichem Maße wird die Diskussion darüber, was das Museum zu leisten hat – oder manchmal auch schlicht: wie man nun Besucher ins Museum ‚bugsiert‘ –, durch die Gegenüberstellung der Begriffe ‚Bildung‘ und ‚Unter3 haltung‘ geführt. Als Wahrer der ersten Kategorie gelten Kuratoren, Fachwissenschaftler und Sammlungskustoden, als Gewährleister der zweiten Ausstellungsarchitekten, Designer und Gestalter. Konstatiert wird eine zunehmende Einbindung von Gestaltern in inhaltliche Entscheidungen über eine Ausstellung, die teilweise bis zur Übertragung der gesamten Konzeption reicht – was nicht nur bei den mehr und mehr entstehenden Firmenmuseen der Fall ist.
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So auch auf der hier zur Debatte stehenden Tagung „Das magische Dreieck“ und in dem an ihre Dissertation angelehnten Einleitungsvortrag von Christine Bäumler. Vgl. dies.: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004, S. 9. Siehe auch den Beitrag Christine Bäumlers in diesem Band, S. 41-56.
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Während die Zunahme von Ästhetisierung, Konsum- und Freizeitorientierung innerhalb der Gesellschaft von wissenschaftlicher Seite kritisch analysiert und im Feuilleton beklagt wird, gilt gleichzeitig der Terraingewinn der Architekten als pragmatische Reaktion auf die ökonomische Schwächung der Museen. Indem dieser als notwendige Anpassung an einen liberalisierten Kulturmarkt gedeutet wird, avanciert die Stillung gesellschaftlicher Bedürfnisse nach Freizeit und Unterhaltung zum wirtschaftlichen Überlebensrezept. Da sich dieser Diskurs immer wieder fragmentarisch auf die Bedingungen der „Erlebnisgesellschaft“ beruft, die der Soziologe Gerhard Schulze als Erscheinung des Wandels von der Armuts- zur Überflussgesellschaft interpretiert, wirkt Schulzes Analyse wiederum affirmativ in der Kultur schaffenden Praxis: Die von ihm konstatierte „subjektive Innenorientierung“ und persönliche Glückssuche, die auf milieugerecht standardisierte „schöne Erlebnisse“ abziele, fordern auch von den Museen, diese Erlebnisse hervorzubringen, was ihre Legitimität nur 4 erneut bestätigen soll. Zerrissen zwischen dem fest geschriebenen Bildungsauftrag und dem ausschließlich wirtschaftlich gedeuteten Zwang zur Unterhaltung, wird nun in einer angeblich postmodernen Zerstörung von Wertehierarchien versucht, den 5 Gegensatz in den Griff zu bekommen. Das Rezept besteht in der Kreation von Begriffskombinationen, die eine dialektische Auflösung leisten sollen: „unterhaltsame Bildung“ bzw. „intelligente Unterhaltung“ oder gar „unter6 haltsames Bildungserlebnis“ und „edutainment“. Fraglich bleibt, ob es sich bei der scheinbaren Synthese nicht um einen ‚schwarzen Schimmel‘ oder zumindest um ein homogenisierendes ‚sowohl-als-auch‘ oder eine marketingkompatible Verschlagwortung handelt, die für neue Ausstellungskonzeptionen vor allem nahe legen: Zeigt etwas anderes, als Ihr habt (nämlich Schaufenster mit Waren statt Sammlungen von Objekten), und macht es mit anderen Mitteln, als Ihr bezahlen könnt (nämlich ferne und vergangene Welten simulierende Architekturszenerien mit üppigen Medieneinsätzen)!
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Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/M. 1992, S. 34f., S. 40 u. 219ff.. Vgl. auch ders.: Kulissen des Glücks. Streifzüge durch die Eventkultur, Frankfurt/M. 1999. Schlagworte aus diesen Publikationen als Argumentationsgrundlage finden sich z.B. bei Bäumler: Bildung, a.a.O., S. 48 oder im Tagungsband Erlebniswelt Volkskunde, Bockhorn, Olaf u.a. (Hg.): Erlebniswelt Volkskunde. Referate der Österreichischen Volkskundetagung 2001 in Spittal/Drau, Wien 2001, in dem die meisten der zwölf Beiträge sich auf Schulze beziehen. Vgl. Bäumler: Bildung, a.a.O., S. 50. Vgl. stellvertretend für die Verwendung und Diskussion der Begriffe: „unterhaltsame Bildung“ und „unterhaltsames Bildungserlebnis“ (ebd., S. 49 u. 52), „intelligente Unterhaltung“ (Einladung und Paper zur Tagung ‚Das magische Dreieck‘, S. 1), „edutainment“ (Beier, Rosmarie: Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte. Ausstellungen und Museen in der Zweiten Moderne, Frankfurt/M. 2005, S. 251-254).
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Noch einmal zurück und mit etwas weniger Polemik: Die wirtschaftliche Zwangslage von immer weniger öffentlich subventionierten Institutionen wird nicht bestritten. Genauso unbestritten prägen politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, zu denen auch die Verhaltensweisen und Bedürfnisse eines potentiellen Publikums zählen, die Ausstellungen und Mu7 seen – und umgekehrt! Als gängiges Besucherverhalten im Museum wird von dem Soziologen Heiner Treinen ein „kulturelles window-shopping“ mit „aktiv dösendem Blick“ 8 diagnostiziert, eine Art passiven Flanierens. Als erfolgreiche Inszenierungsform einer Ausstellung gilt in der Konsequenz eine Erlebniswelt, die Information bereit hält, Emotionen auslöst (die subjektiven Gefühle werden immer 9 betont!) und gleichzeitig Zerstreuung ermöglicht. Damit ist aber nicht einfach ein ‚intelligenter‘ Inhalt in eine leicht konsumierbare Form gepackt. Die Inszenierung nämlich steht in einer Ausstellung für die sinnlich-ästhetische Form der Bedeutungsstiftung. Sie stellt die Bezüge zwischen den Artefakten her, sie legt die Argumentation dar und versinnbildlicht deren Ordnungsstrukturen. Somit ist sie Teil der als „Re-Dimensionierungen“ und „Re-Kontextualisierungen“ bezeichneten Operationen, die den Objekten erst Bedeu10 tung verleihen. Dies macht die Inszenierung zum Bestandteil von Narrativen bzw. von Stilmitteln einer Geschichtserzählung – die eben im Raum stattfindet. Wenn die Mittel dieser Erzählung nun aus der Welt des Warenkonsums übernommen werden, werden also auch deren Argumente übernommen und die Erzählung verändert. Selbst wenn der Inhalt dann ‚intelligent‘ ist, wird der Besucher zu einer Form der Rezeption aufgefordert, die vor allem passiv, emotional und konsumierend ist; das heißt, er wird überredet und akzeptiert dies als Kulturtechnik. Medientheoretisch heißt dies, dass ebensolche Quali7
Davon zeugen zahlreiche Belege, von der frühen Kompensationsthese Joachim Ritters in den 1960er Jahren über die Geisteswissenschaften bzw. Herrmann Lübbes entsprechende Thesen zum Museum von 1982 bis hin zu den neueren Beiträgen von John Urry, Norbert Bolz und Sharon Macdonald im Band Beier, Rosmarie (Hg.): Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt/M. 2000. 8 Treinen, Heiner: Das Museum als kultureller Vermittlungsort in der Erlebnisgesellschaft, in: Alfons W. Biermann (Hg.), Vom Elfenbeinturm zur Fußgängerzone, Opladen 1996, S. 111-121, hier S. 118. 9 Wobei die Kritiker wettern: „Der Einzug der so genannten Event-Kultur in die Museen und den Unterricht wären Beispiele. Man kann das als ein Ernst-Nehmen der Erwartungen und Interessen der Rezipienten auffassen bzw. als die Antizipation ihrer Haltung oder aber als ein das eigene Wesen aufgebendes Sich-Anbiedern von Institutionen, die um ihre Akzeptanz fürchten.“ (zitiert nach: Schreiber, Waltraud: Geschichtskultur – eine Herausforderung für den Geschichtsunterricht? in: Ulrich Baumgärtner, Waltraud Schreiber (Hg.), Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtliche Leitbegriffe in der Diskussion (= Münchner geschichtliches Kolloquium, Heft 3), München 2001, S. 99-136, hier S. 113). 10 Korff, Gottfried: Objekt und Information im Widerstreit, in: Museumskunde 49, 1984, S. 83-93, hier S. 90f.
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täten als ‚Botschaft des Mediums‘ die Identitätsstiftung und die politisch-kul11 turelle Orientierung bestimmen, die ein Museum nach wie vor leisten soll.
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Abb. 2 u. 3: Curatorial Practice: „The Correct Way to Move an Exhibit” und „The Correct Way to Pack an Exhibit” 12
„Curatorial Practice“ (Abb.2 a u. b): Wenn man nun solcherart kultureller Deutungsschemata noch einmal zu entkommen suchte? Ein Versuch, der übrigens nicht bedeutet, einem akademischen Bildungsanspruch mit elitärem Publikumsbegriff zu huldigen, der oft der Gegenpartei unterstellt wird. – Wobei die ständigen Warnungen der ‚Nicht-zu-kompliziert!-Ratgeber‘ die Besucher oft auch zu unterschätzen scheinen. – Plädiert wird hier auch nicht für eine Ausstellung, die asketische Besucher keuchend und notierend durch den LernOrt treibt. Was steht hinter den Strategien, die die Langeweile aus dem Museum verbannen sollen, was bedeutet Unterhaltung, Spaß und Erlebnis und 13 was könnte man daraus machen: Wie entsteht der ‚aktive Besucher‘? Bei den Plädoyers für ‚Unterhaltung‘ und für die freizeitorientierten „Neu14 gierverhalten und Zerstreuungswünsche als Dauerstimulans“ fällt auf, dass ein Aspekt ungenannt bleibt, der doch bisher als konstitutiv für Museen galt: 11 Das gilt auch für Peter Sloterdijks Konzept als „Schule des Befremdens“, deren Aufgabe es sei, „eine Gesellschaft, die sich an Identifizierungen klammert, in einen intelligenten Grenzverkehr mit Fremden zu verwickeln – auch mit dem ‚eigenen‘.“ (vgl. Frankfurter Allgemeine Magazin vom 17. März 1989, S. 56-66, hier S. 62). Auch die Fremdheitserfahrung ist eine Form der Identitätsstiftung, nur nicht in der affirmativen Form durch Identifizierung. 12 Die Abbildung entstammt dem Heft: Bowman, Katy; Thomas, Neil: Museum of Modern Oddities, Melbourne 2001, Fig. 12. – „The Correct Way to Move an Exhibit“, Fig. 3. – „The Correct Way to Pack an Exhibit.“. Der vollständige Text lautet: „Curatorial Practice. MOMO embraces up to the minute curatorial practice and endeavours to treat all exhibits, whether living or otherwise with equal care.” 13 Der Streit um den Inhalt des oben verkürzt zitierten „ästhetisch inszenierte[n], unterhaltsame[n] Bildungserlebnis[ses]“ (Bäumler, Bildung, a.a.O., S. 52) beherrscht weiterhin die Diskussion. 14 Treinen, Vermittlungsort, a.a.O., S. 118.
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die Sammlung von Dingen.15 Diese Unterschlagung unterstellt implizit, dass die Objekte der musealen Sammlungen nicht unterhalten können. Vernachlässigt werden dabei erstens Theoriemodelle im Zuge des material turn, die das „kulturelle Speicherungs- und Gedächtnispotential“ der Dinge erneut aus16 zuloten versuchen. Innerhalb dieser Diskussion wird gar behauptet: „Der Staub, den museale Vitrinen zwangsläufig immer wieder ansammeln, scheint 17 vorerst durch die Dinge selbst gebannt.“
Vergessen wird dabei zweitens ein Begriff, der in den letzten Diskussionen zur Rezeption von Ausstellungen in den Vordergrund rückte: das Staunen. Das Staunen, das durch Inszenierungen prinzipiell – und das heißt nicht nur durch simulierte Erlebniswelten – auszulösen ist, ermöglicht es nach Rosmarie Beier-de Haan: „[…] sich selbst, auch im Zuge einer Selbstvergewisserung, zu dem Gezeigten in Beziehung zu setzen – sei es dadurch, dass das Gezeigte der Identitätsbestätigung dienen kann, sei es, dass das Gezeigte in seiner Fremdheit wenigstens zu einer Deutung herausfordert, die sich aus den Erinnerungen und Konnotationen speist, die sich 18 beim Besucher einstellen […].“
Das klingt nach anderem als passivem Konsum, denn in dieser Form werden eigenständige Verstehensoperationen bei Besuchern in Gang gesetzt. Und Norbert Bolz teilt dem Museum als ‚Ort des Staunens‘ folgende Rolle zu: „Staunen heißt ja, sich irritieren lassen. Und so könnte das Museum der Zukunft (der Zukunft!) aussehen: eine Innovationsmaschine, die immer wieder neue Kontexte für 19 alte Dinge arrangiert.“
Mit dem ‚Spaß‘, der – früher beim Lernen, heute beim Erleben – im Museum gefordert wird, verhält es sich ähnlich ambivalent wie mit der Unterhaltung. Einerseits gilt er als Garant dafür, mit anderen Erlebniseinrichtungen und tou15 Die Auswirkungen der momentanen Debatten von UNESCO und ICOM zur Wahrung des immateriellen Erbes in musealen Sammlungen wären dann eigens zu diskutieren. 16 Vgl. die Tagung „Im Reich der Dinge – Das Museum als Erkenntnis-Ort“, die 2004 vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin und dem Deutschen Hygienemuseum Dresden veranstaltet wurde, und die darauf folgende Tagung „Wahrnehmung und Erkenntnis im Museum“ in der Zeche Zollverein Essen. 17 Vgl. beide Zitate aus Heesen, Anke te; Lutz, Petra: Einleitung, in: dies. (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnis-Ort, Köln 2005, S. 11-24, hier S. 14. 18 Beier: Erinnerte Geschichte, a.a.O., S. 229. Genannt wird im Zusammenhang mit dieser Rezeptionsform auch immer wieder das Prinzip der fürstlichen Wunderkammer als Vorbild eines Inszenierungsstils. 19 Bolz, Norbert: Das Happy End der Geschichte, in: Rosmarie Beier (Hg.), Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt/M. 2000, S. 53-69, hier S. 68.
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ristischen Ereignissen mithalten zu können, andererseits als das oberflächliche, gedanken- und rücksichtslose Amüsement, das schon vor dem Reden von der ‚Spaßgesellschaft‘ im Song der Neuen Deutschen Welle „Ich will Spaß“ 20 gelesen wurde. Nur: Auch hinter dem ungehobelten Gekreische von 1982 steckten Persiflage und Ironie und die theoretischen Ansätze genau hierzu könnten in der museumspädagogischen Literatur häufiger rezipiert werden. Humor (statt Spaß) wäre vor allem in der Haltung des Museums zu sich selbst gefordert: ein selbstironischer Blick auf die Institution, die so ängstlich über ihre Wissenschaftlichkeit wacht, dass sie künstlerische oder ‚bloß assoziative‘ Perspektiven als Existenzbedrohung betrachtet; ein betretenes Lächeln, wenn im Museum mit weißen Handschuhen und Skalpell ‚on ebay‘ bestellte Objekte ausgepackt werden, die sich eben noch in Nutzerhänden befanden; vor allem aber eine ironische Darstellung seiner inhaltlichen Positionen, ohne ständig das drohende Missverstehen zu befürchten, denn genau hierin könnte die Chance liegen. Gottfried Korff sieht eine der Möglichkeiten des Museums in der Wissensund Informationsgesellschaft in der Bedeutungsoffenheit und „diskursiven Unbestimmtheit“ seiner Bilder („symbolisch arrangierten Merkwelten“): „Ironische Wissensvermittlung ist die, die weiß – und wissen lässt –, dass jedes Wissen vorläufig ist und sein eigenes Nichtwissen mit sich trägt wie die Schnecke ihr Haus. […] Die Kombinations- und Konterkarierungsmöglichkeiten [des ironischen Museums, S.W.] zielen auf eine offene Bewusstseins- und Wahrnehmungsfor21 mation […].“ Dies ist eine Haltung, die wiederum mehr dazu geeignet scheint, eigenständige Deutungsoperationen in den Besuchern auszulösen. Umso mehr wird diese Möglichkeit einer aktiven Rolle für den Besucher deutlich, wenn man die Studien des Romanisten Rainer Warning zur „Ordnung des ironischen Diskurses“ auf die Ausstellungssituation anwendet. Warning analysiert mithilfe der Sprechakttheorie die Identifizierung von Ironiesignalen, die ein im Sinne der Linguistik „pragmatisches“ Wissen voraussetzen:
20 Vgl. Zitate aus dem Liedtext auf http://www.lyricsdrive.com/lyrics/markus/440689/ichwill-spa-szlig/ (Stand 31.12.2006). 21 Korff, Gottfried: Merkwelt Wissenschaft, Vortrag auf dem Workshop „Ausstellungen als Instrument der Wissensvermittlung“ am 26./27.4.2002 im Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin. Zitiert nach der schriftlichen Version auf http://www2.hu-berlin.de/hzk/files/Korff.pdf (Stand 31.12.2006), S. 11. Korff entwirft diese Theorie mit Rückgriff auf den britischen Kunsthistoriker Stephen Bann und den amerikanischen Philosophen Richard Rorty.
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„Indem der Hörer die vom Sprecher erschütterte Pragmatik stabilisiert, wird er in die Position dessen hineingespielt, der den Ironieakt überhaupt erst gelingen lässt. Dem 22 Hörer diese Leistung zuzumuten aber heißt zugleich, sie ihm zuzutrauen.“
Und zuletzt zum ‚Erlebnis‘: im Ausstellungskontext – bzw. dem ihrer Vermarktung – erscheint der Begriff häufig in Form eines Versprechens wie: Der Museumsbesuch wird weder so anstrengend noch so trocken wie die Lektüre eines Buches, sondern er bedeutet den Eintritt in eine lebendige Welt, die wahrlich gefühlt werden kann! Bedeutsam ist einerseits die Abgrenzung zu einem ausschließlich kognitiven Unternehmen, das im Entziffern von Texten, Bildern und Gegenständen bestünde. Andererseits erscheint hier eine inszenierte Parallelwelt, die in überschaubarem Rahmen überschaubare Gefühle auslöst – und das ist wahrscheinlich das, was stört: das Konfektionierte und der Konsumcharakter. In der Kritik wird darauf verwiesen, wie innerhalb einer „institutionalisierten Kulturspektakelhaftigkeit“ eine dominante Ästhetik entsteht und nur scheinbar unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche durchdringt und wie vor allem diese ästhetische Praxis von Absatzstrategien bestimmt und 23 damit selbst Teil von Warenproduktion geworden ist. Und ebensolche Konfektionierung würde einmal mehr das oben zitierte, aus Einkaufsstraßen übernommene flüchtige und vor allem passive Flanieren als Rezeptionsmodus nahe legen. Für die Herstellung eines Ausstellungsraumes für einen aktiven Besucher könnten hingegen stärker die Überlegungen einer Theorie bzw. Ästhetik des 24 Performativen auf das Museum übertragen werden. Der Ausstellungsraum entspräche dem Theaterraum in seiner Eigenschaft als „performativer Raum“: „Aus der Eigenart, dass der Aufführungsraum das Verhältnis von Akteuren und Zuschauern, Bewegung und Wahrnehmung jeweils auf besondere Weise organisiert und strukturiert, lässt sich allerdings nicht der Schluss ziehen, dass er diese zu determinieren vermöchte. Der performative Raum eröffnet Möglichkeiten, ohne die Art ihrer Nutzung und Realisierung festzulegen. Darüber hinaus lässt er sich auch in 25 einer Weise verwenden, die weder geplant noch vorher gesehen war.“
22 Die beiden Zitate aus: Warning, Rainer: Die Phantasie der Realisten, München 1999, S. 157. Vgl. auch die anderen Studien von Rainer Warning zum Thema. 23 Vgl. Schober, Anna: Montierte Geschichten. Programmatisch inszenierte historische Ausstellungen, Wien 1994, S. 32 und 42ff. Schober übernimmt das genannte Zitat von Umberto Eco (1985) und entwickelt die Thesen zu einer „inszenierten Kultur“ im Rückgriff auf ein Interview mit Peter Gorsen (1988). 24 Vgl. Siepmann, Eckhard: Die performative Wende erreicht das Museum, in: Museumsjournal. Berichte aus den Museen, Schlössern und Sammlungen in Berlin und Potsdam, Heft 3, 2001, S. 7-11. 25 Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt/M. 2004, S. 188f.
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Die genannte Bewegung und Wahrnehmung im Raum nämlich ist es, die den Besucher jenseits der vorgegebenen Inszenierung die Inhalte verknüpfen und für sich Bedeutung hervorbringen lässt. Die beschriebene Offenheit dieses Raumes entspricht den im folgenden letzten Teil zitierten Ergebnissen zur Besucherrezeption und unterstützt das Verhalten eines Besuchers, „[…] der sich 26 sein Beziehungsgeflecht kreiert und sich in das Gezeigte hinein definiert.“
3. „Nichts ist älter als das gerade Vergangene. Und das heißt eben auch: Was veraltet ist, muss nicht alt sein.“ (Norbert Bolz, 2000)
Zurück zum Verhältnis der Ausstellungsakteure und zu einer Ausstellungsweise, die Kooperation nahe legen würde. Was die Auswahl der oben zitierten Positionen bestimmt hat, war der Versuch, mögliche Ausstellungselemente zu benennen, die jenseits des Effekts von Bildung und/oder Unterhaltung nach dem Aktionsrahmen von Besuchern fragt. Denn nicht eine ‚unterhaltende Inszenierung‘ ist das Problem, sondern eine, die die Besucher in einer passiven Konsumhaltung bestätigt und eine unübersichtlich gewordene – oder einfach komplexe – Außenwelt durch eine simulierte Welt der schönen Erlebnisse kompensieren will. Was bei den inszenierenden Vorgaben der Museumsfachleute und trotz der Verwobenheit gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Paradigmen nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist das gedankliche Aktivitätspotenzial der Besucher. Insofern könnten die Studien zur Besucherrezeption, die von John Urry folgendermaßen zusammengefasst werden und jeden ach so sorgsamen Kurator niederschmettern müssen, eigentlich zu mehr Experimenten ermutigen: „[…] dass die Besucher ihren Aufenthalt durchaus in einer von den Kustoden nicht erwarteten oder vorgesehenen Art und Weise verstehen und gestalten. Sie stellen Verbindungen zwischen Gegenständen her, die nicht dazu gedacht sind, verknüpft zu werden; sie begreifen Exponate als normativ, ohne dass ihnen diese Haltung nahe gelegt worden wäre, und sie beschreiben die Ausstellung meist nicht so, wie es den Absichten ihrer Gestalter entsprochen hätte. Überhaupt wissen wir relativ wenig 27 darüber, wie Menschen museale Stätten genau nutzen und rezipieren.“ 26 Beier: Erinnerte Geschichte, a.a.O., S. 252. 27 Urry, John: Wie erinnern sich Gesellschaften ihrer Vergangenheit?, in: Rosmarie Beier (Hg.), Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt/M. 2000, S. 29-52, hier S. 38.
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Plädiert sei dabei für Konzeptions- und Inszenierungsweisen, die aus abstrahierenden, verfremdenden und irritierenden Strategien der Kunst lernen. Und das heißt nicht, künstlerische Positionen dort in Ausstellungen zu integrieren, wo eine unbequeme kuratorische Stellungnahme nach Stellvertretung sucht. Gemeint sind jene – ja gar nicht neuen – Montage- und Collageverfahren in der Inszenierung, die als Verknüpfungstechniken bzw. Deutungsmedien ursprünglich aus der bildenden Kunst übernommen wurden. Bei dieser Form, bei der die inszenierenden Elemente ausdrücklich Teil der Bedeutungsstiftung – und zwar einer ästhetischen – sind, wäre dann auch die Funktionstrennung von Kuratoren, Gestaltern und Pädagogen aufgeweicht. Kuratoren erschienen den anderen im „magischen Dreieck“ nicht mehr als hasenfüßige Verteidiger der Wissenschaftlichkeit, Gestalter nicht mehr als formbesessene Effekthascher und Pädagogen nicht mehr als die, „die halt am Ende irgendwie durchführen“ müssen. Für Kuratoren reichte es nicht, Zettelchen im Archiv zu finden und den Gestaltern stolz als Exponate auf den Tisch zu knallen, ‚da sie für den Sachverhalt ‚xy‘ stehen könnten‘. Neben ausgewählten Objekten müssten sie ihre Ordnungssysteme und Narrative offen legen und abstrahieren. Mit ihrem Wissen um Bewegung und Wahrnehmung im Raum würden die Gestalter diese in Bilder übersetzen. Die Museumspädagogen wären nicht mehr in die Spielecke verwiesen, sondern versuchten aus ihrer Praxis zusammen mit (Geschichts-)Didaktikern die Rezeptionsanalyse und Erforschung von 28 Lernverhalten voranzutreiben. In pädagogischen Aktionen könnte, statt des handwerklichen Nachvollziehens vorgegebener Lernziele, Raum für die Gestaltung der oben beschriebenen unwägbaren Besucherrezeption geschaffen werden. Grundsätzlich aber würde von allen Beteiligten eine doppelte BegaUrry bezieht sich auf die viel zitierte Studie von Macdonald, Sharon J.: Consuming Science. Public Knowledge and the Dispersed Politics of Reception among Visitors, in: Media, Culture and Society 17, 1995, S. 13-29. Das Gleiche konstatiert Silke Bellanger übrigens für den Umgang mit ‚Hands-on‘-Objekten; vgl. Bellanger, Silke: Wie die Dinge in die Ausstellung kamen und was ihnen dort widerfuhr, in: Wolfgang Essbach u.a. (Hg.), Landschaft, Geschlecht, Artefakte. Zur Soziologie naturaler und artifizieller Alteritäten, Würzburg 2004, S. 191-206, hier S. 199ff. 28 In Übereinstimmung mit der Analyse John Urrys formuliert Waltraud Schreiber das Desiderat für die Geschichtsdidaktik: „Wir wissen viel weniger über Mechanismen des Rezipierens als über die Wege des Rekonstruierens und Darstellens von Geschichte.“ (Schreiber: Geschichtskultur, a.a.O., S. 101). Hier ist von einer Geschichtsdidaktik im Sinne Jörn Rüsens als „Wissenschaft vom historischen Lernen“ die Rede, der es um die Erforschung von „Geschichtskultur als Lernprozess“ geht. Vgl. Rüsen, Jörn: Auf dem Weg zu einer Pragmatik der Geschichtskultur, in: Ulrich Baumgärtner, Waltraud Schreiber (Hg.), Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtliche Leitbegriffe in der Diskussion (= Münchner geschichtliches Kolloquium, Heft 3), München 2001, S. 81-98, hier S. 89. Der Geschichtstheoretiker betont dort die Bedeutung der ästhetischen Dimension von Geschichtskultur neben der kognitiven und einer moralisch-politischen: „Historiker meinen immer, es komme auf Wissen an. Wissen ist aber eine Synthese von Erfahren und Deuten. […] Und zum Erfahren gehört Wahrnehmen, und zur Wahrnehmung die ästhetische Anschauung.“ (ebd., S. 92).
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bung oder zumindest eine Offenheit für scheinbar konträre Denkleistungen gefordert: für kritische Analyse und assoziative Phantasie. In der bisherigen Praxis werden diese Qualitäten auf die Akteure der Konzeptentwicklung verteilt und dienen als Distinktionsmerkmal der Zunft: Kuratoren bangen bei der kleinsten metaphorischen Assoziation um ihre wissenschaftliche Reputation, während Gestalter ihren Einfallsreichtum durch Ablehnung kleinteiliger Genauigkeit unter Beweis stellen müssen. Vielleicht ist es dieses Spiel der Ausschließlichkeit, das die Scheinsynthese edutainment überdecken soll – und sie gerade deshalb so unhandlich macht. Betrachtet man eine Ausstellung noch einmal wie oben als eine ‚Geschichtsschreibung im Raum‘, so ließe sich die Historiografiegeschichte nach Beispielen durchstöbern, die auf den Gegensatz von Bildung und Unterhaltung verzichten und in ihrer Konzeption schon die Rezeption durch den Leser – übertragen: den Besucher – einbeziehen: „Meine Absicht bei diesem Versuche ist mehr als erreicht, wenn er einen Teil des lesenden Publikums von der Möglichkeit überführt, dass eine Geschichte historisch treu geschrieben sein kann, ohne darum eine Geduldprobe für den Leser zu sein, und wenn er einem andern das Geständnis abgewinnt, dass die Geschichte von einer verwandten 29 Kunst etwas borgen kann, ohne deswegen notwendig zum Roman zu werden.“
Das Zitat stammt aus der Zeit des Beginns der modernen Geschichtsschreibung und zwar von jenem Friedrich Schiller, der nicht nur die im Diskurs über Ästhetik und Bildung immer wieder zitierten Briefe geschrieben hat, sondern einige Jahre zuvor mit historischen Vorlesungen an der Jenaer Universität betraut und dort an den Diskussionen um Geschichtsschreibung und -philosophie beteiligt war. In der neueren Historiographiegeschichte, die im Zuge des linguistic turn die narrativen Strukturen und rhetorischen Figuren in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung offen legte und in einer ‚Poetik der Historiographie‘ zu fassen versuchte, spielte genau diese Epoche eine hervorragende Rolle: Imagination und Strukturelemente von Erzählung stehen dabei nicht für Unterhaltungswert, sondern sind konstitutive Elemente von Bedeutungsstiftung. Auch für die Raum-Bilder, die die Erzählungen in einer Ausstellung sind, ist in diesem Sinne die Verbindung von Kunst und Wissenschaft entscheidend, die in der Kooperation der Ausstellungsakteure geleistet 30 wird. 29 Schiller, Friedrich: Abfall der Vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 17, I. Teil, Historische Schriften, hrsg. von Karl-Heinz Hahn, Weimar 1970, Vorrede zur Einleitung. S. 7-9, hier S. 9. 30 Vgl. zum linguistic turn in der Geschichtswissenschaft das umfassend rezipierte Werk von White, Hayden: Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe, Baltimore 1973. Zur Frage nach Geschichtskonstruktion, Bildungsbegriff und
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Literatur Baumgärtner, Ulrich; Schreiber, Waltraud (Hg.): Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtsdidaktische Leitbegriffe in der Diskussion (= Münchener geschichtsdidaktisches Kolloquium, Heft 3), München 2001. Bäumler, Christine: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004. Beier, Rosmarie (Hg.): Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt/M. 2000. Beier, Rosmarie: Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte. Ausstellungen und Museen in der Zweiten Moderne, Frankfurt/M. 2005. Bellanger, Silke: Wie die Dinge in die Ausstellung kamen und was ihnen dort widerfuhr, in: Wolfgang Essbach u.a. (Hg.), Landschaft, Geschlecht, Artefakte. Zur Soziologie naturaler und artifizieller Alteritäten, Würzburg 2004, S. 191-206. Bockhorn, Olaf u.a. (Hg.): Erlebniswelt Volkskunde. Referate der Österreichischen Volkskundetagung 2001 in Spittal/Drau, Wien 2001. Bolz, Norbert: Das Happy End der Geschichte, in: Rosmarie Beier (Hg.), Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt/M. 2000, S. 53-69. Bowman, Katy; Thomas, Neil: Museum of Modern Oddities, Melbourne 2001. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt/M. 2004. Heesen, Anke te; Lutz, Petra: Einleitung, in: dies. (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnis-Ort, Köln 2005, S. 11-24. Korff, Gottfried: Merkwelt Wissenschaft, Vortrag auf dem Workshop „Ausstellungen als Instrument der Wissensvermittlung“ am 26./27. April 2002 im Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin. Schriftliche Version unter http://www2.hu-berlin.de/hzk/files/Korff.pdf (Stand 31.12.06). Korff, Gottfried: Objekt und Information im Widerstreit, in: Museumskunde 49, 1984, S. 83-93. Macdonald, Sharon J.: Consuming Science. Public Knowledge and the Dispersed Politics of Reception among Visitors, in: Media, Culture and Society 17, 1995, S. 13-29. Prüfer, Thomas: Die Bildung der Geschichte. Friedrich Schiller und die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft, Köln u.a. 2002.
Schiller im Kontext der entstehenden modernen Geschichtswissenschaft: Prüfer, Thomas: Die Bildung der Geschichte. Friedrich Schiller und die Anfänge der modernen Geschichtswissenschaft, Köln u.a. 2002.
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Rüsen, Jörn: Auf dem Weg zu einer Pragmatik der Geschichtskultur, in: Ulrich Baumgärtner, Waltraud Schreiber (Hg.), Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtliche Leitbegriffe in der Diskussion (= Münchner geschichtliches Kolloquium, Heft 3), München 2001, S. 81-98. Schiller, Friedrich: Abfall der Vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 17, I. Teil, Historische Schriften, hrsg. von Karl-Heinz Hahn, Weimar 1970, Vorrede zur Einleitung. S. 7-9. Schober, Anna: Montierte Geschichten. Programmatisch inszenierte historische Ausstellungen, Wien 1994. Schreiber, Waltraud: Geschichtskultur – eine Herausforderung für den Geschichtsunterricht? in: Ulrich Baumgärtner, Waltraud Schreiber (Hg.), Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtliche Leitbegriffe in der Diskussion (= Münchner geschichtliches Kolloquium, Heft 3), München 2001, S. 99-136. Schuck-Wersig, Petra; Wersig, Gernot: Die Lust am Schauen oder müssen Museen langweilig sein?, Berlin 1986. Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/M. 1992. Schulze, Gerhard: Kulissen des Glücks. Streifzüge durch die Eventkultur, Frankfurt/M. 1999. Siepmann, Eckhard: Die performative Wende erreicht das Museum, in: Museumsjournal. Berichte aus den Museen, Schlössern und Sammlungen in Berlin und Potsdam, Heft 3, 2001, S. 7-11. Treinen, Heiner: Das Museum als kultureller Vermittlungsort in der Erlebnisgesellschaft, in: Alfons W. Biermann (Hg.), Vom Elfenbeinturm zur Fußgängerzone, Opladen 1996, S. 111-121. Urry, John: Wie erinnern sich Gesellschaften ihrer Vergangenheit?, in: Rosmarie Beier (Hg.), Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt/M. 2000, S. 29-52. Warning, Rainer: Die Phantasie der Realisten, München 1999. White, Hayden: Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe, Baltimore 1973.
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„Geschichte erleben!“ Mit diesem Versprechen versuchen in jüngster Zeit immer mehr historische Museen und Ausstellungen, Besucher anzulocken. Während Politiker und Journalisten gern „Geschichte zum Anfassen“ als Merkmal eines modernen Museums propagieren, geben sich Museen angesichts ihrer 1 konservatorischen Verantwortung hier etwas zurückhaltender. „Nah dran! Industriekultur an 14 historischen Schauplätzen“ lautet beispielsweise das Motto des Rheinischen und des Westfälischen Industriemuseums in einer gemein2 samen Imagebroschüre. Damit reagieren die Museen auf geänderte Ansprüche der Besucher. Das Bedürfnis nach bildender Unterhaltung und unterhaltsamer Bildung in Museen und Ausstellungen scheint stetig zu steigen: „Unter3 halten und Bilden“. Geänderte Medienerfahrungen und Freizeitgewohnheiten stellen die Museen vor neue Herausforderungen. Nach der Bildungseuphorie der Lernausstellungen in den 1970er Jahren, der Entwicklung von historischen Ausstellungen zu Massenmedien im Ausstellungsboom der 1980er Jahre und der anhaltenden Konjunktur szenografischer 1
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Geschichte zum Anfassen. Die Landesregierung präsentiert eine Ausstellung zur Geschichte Hessens. Presseinformation der Hessischen Landesregierung, hg. vom Büro des Regierungssprechers, 27.4.2006. Landschaftsverband Westfalen-Lippe; Landschaftsverband Rheinland (Hg.): Nah dran. Industriekultur an 14 historischen Schauplätzen. Rheinisches und Westfälisches Industriemuseum, Remscheid 2002. Vgl. dazu Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hg.): Unterhalten und Bilden. Anspruch und Wirklichkeit der Industriemuseen. Internationaler Jubiläumskongress 24.26.6.2004, veröffentlicht unter http://www.lwl.org/LWL/Kultur/kongress_industriemuseen/Vortraege/index2_html (Stand 31.12.2006); sowie Bäumler, Christine: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004.
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Ausstellungskonzepte seit Ende der 1990er Jahre rückt der Erlebniswert und 4 Ereigniswert von Ausstellungen immer stärker in den Fokus. Mit dieser Popularisierung haben sich die Museen in den letzten Jahrzehnten von dem Vorwurf des verkopften ‚Musentempels‘ befreit – zugleich haben sie sich jedoch in neue Konkurrenzen gesetzt: Museen werden heute nicht mehr als reine ‚Wissensanstalten‘, sondern zu großen Teilen auch als Freizeitangebot wahrgenommen. Damit stehen sie im Wettbewerb mit anderen Einrichtungen, die um Aufmerksamkeit, Zeit- und Geldpotentiale der Besucherschaft konkurrieren: Freizeitparks, Shopping-Malls, Sportveranstaltungen und Kinos. Gemeinsam ist all diesen Anbietern, dass sie ihrem Publikum etwas Besonderes versprechen: ein einmaliges Erlebnis. Aus der Sicht der Emotionsforschung treffen sie damit ein zentrales Bedürfnis der Menschen in der postindustriellen 5 Gesellschaft: die Notwendigkeit, Lust zu verspüren, Erlebnisse zu haben. Erlebniswelten mit und ohne Bildungsanspruch zu offerieren und dieses Versprechen auch einhalten zu können, ist entsprechend derzeit eine wichtige 6 Strategie der Freizeit- und Konsumindustrie. Gleichzeitig scheint sich die traditionelle Trennung zwischen kommerziellen und kulturellen Ausstellungen in der Gestaltung langsam aufzulösen: „Die Grenzen zwischen diesen Ausstellungstypen verschwimmen zunehmend und dabei werden die Techniken und Bildwelten regelmäßig auch auf andere Typologien 7 übertragen.“
Angesichts der prekären Lage der öffentlichen Haushalte, die zum überwiegenden Teil die Museen und Ausstellungen in Deutschland finanzieren, fällt es den Museen jedoch nicht immer leicht, ihre Stimme im Konzert der Mitbewerber zu erheben und ihren Platz in der Gunst der Besucher zu behaupten.
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Korff, Gottfried: Das Popularisierungsdilemma, in: Landesmuseum für Arbeit und Technik Mannheim (Hg.), Zauberformeln des Zeitgeistes. Erlebnis, Event, Aufklärung, Wissenschaft. Wohin entwickelt sich die Museumslandschaft?, Mannheim 2001, S. 49-63. Grösch, Kurt: Psychologische Aspekte von Erlebniswelten, in: Hans H. Hinterhuber, Harald Pechlaner, Kurt Malzer (Hg.), IndustrieErlebnisWelten. Vom Standort zur Destination, Berlin 2001, S. 69-82. Zum Übergang von einer Dienstleistungs- zur Erlebnisökonomie siehe: Weiermair, Klaus: Von der Dienstleistungsökonomie zur Erlebnisökonomie, in: Hans H. Hinterhuber, Harald Pechlaner, Kurt Malzer (Hg.), IndustrieErlebnisWelten. Vom Standort zur Destination, Berlin 2001, S. 35-58; zum sozioökonomischen Hintergrund mit Bezug auf Industriedenkmäler und Industriemuseen siehe Steinecke, Albrecht: Industrieerlebniswelten zwischen Heritage und Markt: Konzepte – Modelle – Trend, in: Hans H. Hinterhuber, Harald Pechlaner, Kurt Malzer (Hg.), IndustrieErlebnisWelten. Vom Standort zur Destination, Berlin 2001, S. 85-102. Dernie, David: Ausstellungsgestaltung. Konzepte u. Techniken, Ludwigsburg 2006, S. 8.
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Vor diesem Hintergrund scheint die Institution Museum gut beraten, sich auf ihre Eigenheiten und Stärken, ihr ‚Alleinstellungsmerkmal‘ zu besinnen: Das Sammeln und Präsentieren der originalen authentischen Objekte. Sicherlich ist der vom Kulturwissenschaftler und Museumsexperten Gottfried Korff konstatierte material turn nicht als Ergebnis einer simplen Mechanik ökonomischer Gesetze zu sehen, sondern vielmehr als „Indizienbeweis für ein Misstrauen gegenüber einer Welt der Bilder und Begriffe, Modelle und Medien, Simulationen und Konstruktionen, einem Misstrauen gegenüber Prozes8 sen der Entkörperlichung und Immaterialisierung“. Die so skizzierte neue Lust an Bedeutung, diese Suche nach dem Sinn in einer Zeit des anything goes, stellt für das Museum als Institution des Sammelns und des Präsentierens der originalen Objekte eine gute Ausgangsposition dar. Wie kann aber das Museum angesichts der gesteigerten Bedeutung von Markt und Medien, die den Erfahrungshorizont seiner Besucher bildet, gute Ausstellungen konstruieren, die die Ästhetik, Authentizität und Präsenz der Objekte, ihre ‚Aura‘ und Attraktivität herausstellen, sie aber gleichwohl hinterfragen, in einen Kontext stellen, redimensionieren und rekontextualisieren? Wie lassen sich Unterhaltung und Bildung, Erlebnis und Erkenntnis in der Ausstellungspraxis verbinden? Antworten auf diese Fragen lassen sich nur in einer konstruktiven, interdisziplinären Zusammenarbeit von Wissenschaftlern/Kuratoren, Gestaltern und Pädagogen finden. Die Rollenverteilung ist dabei nicht unproblematisch: Am Anfang eines Ausstellungsprojekts stehen oft die Idee, das wissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Interesse sowie die Objekte in ihrer Vielschichtigkeit und Attraktivität. Für das Publikum hat jedoch die Ausstellungsgestaltung zunächst die größte Bedeutung. Sie prägt maßgeblich die Attraktivität und Wahrnehmung der Ausstellung durch die Besucher. Eindrucksvolle Inszenierungen und die Atmosphäre der Ausstellungen bleiben nachhaltig in Erinnerung. Moderiert und erweitert werden die Erfahrungen der Ausstellungsbesucher durch die Angebote der Museumspädagogik. Texte, Medien und personale Vermittlung geben Orientierung in der Ausstellung. Museumspädagogische Angebote für Einzelbesucher und Gruppen, von der Mediengestaltung über personale Vermittlung in Führungen bis hin zu Workshops und Aktionstagen, können die Emotionen wie auch sachliche Erkenntnisse stärken.
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Korff, Gottfried: Vom Verlangen, Bedeutung zu sehen, in: Ulrich Borsdorf, Heinrich Theodor Grütter, Jörn Rüsen (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 81-103.; hier S. 103.
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In der Praxis der Ausstellungsarbeit scheint den Ausstellungsgestaltern derzeit die höchste Bedeutung zugemessen zu werden. Einerseits ist der idealisierte Bildungsbegriff der Museumswissenschaftler in die Kritik geraten und die Position der Fachwissenschaftler im Museum geschwächt. Mit der wachsenden Orientierung an den (Erlebnis-)Bedürfnissen des Publikums „entsteht eine Situation, in der es musealen Fachwissenschaftlern immer schwerer fällt, ihre in sich geschwächten, bildungsbezogenen Interessen gegen das Vorgehen ex9 terner Designer durchzusetzen“. Andererseits befindet sich die Museumspädagogik seit einigen Jahren in der Krise, ist geprägt von „Statusunsicherheit 10 im Berufsbild, im Verhältnis zum Museum und in ihrer Terminologie“. Zudem werden in der Praxis die Museumspädagogen erst in der Endphase einer Ausstellung in die Planung mit einbezogen. Oft gilt es für sie, anhand der fertig gestellten Ausstellung in kürzester Zeit Konzepte für die Vermittlung zu entwickeln. In dem Spannungsfeld zwischen Kuratierung, Gestaltung und Museumspädagogik sind entsprechend Konflikte vorprogrammiert. Ein Ausweg aus dem Dilemma kann in der gegenseitigen Wertschätzung, einer engen Zusammenarbeit und dem intensiven Informationsaustausch liegen. Die gestiegenen Ansprüche der Besucher an Erkenntnis und Erlebnis in Museen stellen hohe Anforderungen an alle, die an der Konstruktion der Ausstellung beteiligt sind. Eine attraktive Ausstellung muss ausgehend vom Thema und den wissenschaftlichen Erkenntnissen mit authentischen Objekten und Medien packende Geschichten gestalten, die eindringliche Erlebnisse im Ausstellungsraum ermöglichen, zum aktiven Aneignen und Hinterfragen anregen und so Erkenntnisse fördern. Emotionen und Erlebnisse stehen dabei im Dienst der Erkenntnis. Dabei kommt dem Raum als konstitutivem Element der Ausstellung eine hohe Bedeutung zu. Hier sind die Kompetenzen aller drei Disziplinen gefragt. So muss einerseits die grundlegende Konstruktion der Ausstellung im Raum mit Sichtachsen und Bezügen zwischen den einzelnen Ausstellungsabtei11 lungen die Dramaturgie der ‚Ausstellungserzählung‘ unterstützen. Andererseits dürfen museumspraktische Fragen wie Aufstellplätze für Gruppen vor wichtigen Exponaten, Plätze für Sitzgelegenheiten und andere Faktoren, die zum Wohlbefinden und damit zum vermittelten Gesamterlebnis der Ausstel9 Bäumler: Bildung, a.a.O., S. 152. Vgl. auch diesl.: in diesem Band, S. 41-56. 10 Treml, Manfred: ‚Ausgestellte Geschichte‘. Überlegungen zur Didaktik in kulturhistorischen Ausstellungen und Museen, in: Sabine Jung (Hg.), Neue Wege der Museumspädagogik. Publikation zu einer Fachtagung des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute e.V. – AsKI im Museumszentrum Lorsch, 25-26.4.2002, Bonn 2003, S. 121-139, hier S. 126. 11 Zur Typologie von Ausstellungen und den Bedeutungsebenen in der Ausstellung siehe v.a. Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004.
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lung beitragen, nicht vernachlässigt werden. Fragen des Einsatzes von audiovisuellen Medien sowie Anzahl, Länge und Gestaltung von Texten sollten aus fachlicher, gestalterischer und pädagogischer Sicht diskutiert und entschieden werden. Im Idealfall ist das Verhältnis von Gestaltern, Museumspädagogen und Kuratoren also ein gleichberechtigtes und gleichwertiges. Entsprechend ist das ideale „magische Dreieck“ somit als ein gleichseitiges Dreieck vorstellbar. In der Praxis kommt es jedoch oft zu Verschiebungen und Verzerrungen. So sind historische Ausstellungsprojekte in der Regel an die Institution Museum gebunden, wobei der Kurator meist Angestellter des Museums ist. Ausstellungsgestalter und zunehmend auch Museumspädagogen sind dagegen oft freiberuflich tätig, Selbständige oder Angestellte eines Ausstellungsbüros oder museumspädagogischen Dienstes. Entsprechend wird das Kräfteverhältnis von Gestaltern, Museumspädagogen und Kuratoren überlagert von der real bestehenden Beziehung zwischen Auftraggebern und Dienstleistern. In dieser Beziehung ist reichlich Konfliktpotential enthalten, das sowohl das formale Verhältnis zwischen den Akteuren berührt wie auch das jeweilige Selbstverständnis als Wissenschaftler, Künstler oder Pädagoge, als Vertreter einer großen Institution im öffentlichen Dienst mit gesellschaftlichem Auftrag oder 12 als professioneller Freiberufler. Letztlich kann eine Ausstellung nur im Team gelingen. Die Verantwortung und Sorge dafür trägt in der Regel der Kurator als Projektleiter und Vertreter des Auftraggebers. Ein allzu offensiver Umgang mit diesen strukturell vorgegebenen Hierarchien ist der Zusammenarbeit jedoch nicht immer dienlich: Dem provokanten Statement der Kuratoren „Das letzte Wort hat der Kurator“ entgegnete entsprechend ein renom13 mierter Gestalter: „aber so, dass es niemand merkt“.
Beispiel aus der Museumspraxis: Die Ausstellung „Schätze der Arbeit“ Zu seinem 25-jährigen Jubiläum zeigte das Westfälische Industriemuseum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe in seiner Museumszentrale Zeche Zol-
12 Die Vehemenz der Diskussion um die Rollenverteilung und Kompetenzen im Verhältnis von Gestaltern, Kuratoren und Museumspädagogen im Rahmen der Tagung „Das magische Dreieck“ hat gezeigt, wie hoch das Konfliktpotential aufgrund der verschiedenen Rollenverständnisse, Selbstverständnisse, realen Hierarchien und institutionellen Zwänge in der Praxis tatsächlich ist. 13 Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V.: Tagungsbericht der Studienkonferenz „Das magische Dreieck – Zum Verhältnis von Kuratierung, Museumspädagogik und Gestaltung“, Bensberg, 30.11.-1.12.2005. Siehe: http://www.b-f-k.de/tagung 2005/tagung2005.html (Stand 31.12.2006).
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lern in Dortmund im Sommer 2004 die Ausstellung „Schätze der Arbeit“.14 Das interdisziplinär besetzte Vorbereitungsteam für die Ausstellung bestand aus den fünf Wissenschaftlern Olge Dommer, Anja Kuhn, Dietmar Osses, Thomas Parent und Evelyn Zerbe sowie der externen Gestalterin Anne Schäfer, HandundKopfwerker Düsseldorf. Museumspädagogische Kompetenz war 15 im Team mit Anja Kuhn und Dietmar Osses vertreten. Das Thema der Ausstellung wie auch die Zielgruppen waren durch den Anlass in weiten Teilen vorgegeben. Zum 25-jährigen Jubiläum des Museums sollte die Ausstellung die wesentlichen Arbeitsbereiche und Branchen des Museums vorstellen: von der Glas-, Textil- und Ziegelherstellung über den Bergbau bis hin zur Eisen- und Stahlindustrie sowie der Binnenschifffahrt. Dabei sollten sowohl die Kombination von Industriedenkmal und Museum als auch der sozialgeschichtliche Ansatz des Museums deutlich werden. Mit der Ausstellung sollte zudem erstmals der Sonderausstellungsraum ‚Alte Werkstatt‘ für museale Zwecke genutzt werden. Ein weiteres Ziel der Ausstellung bestand darin, bedeutende Exponate des Museums in einer Zusammenschau zu präsentieren. Die Ausstellung zielte auf ein breites Publikum, besonders aber entsprechend der Ausrichtung als kinderfreundliches Museum auf Kinder und Jugendliche sowie auf Senioren als Vertreter der Generation, die die ehemaligen Industrieanlagen und Werkstätten noch in Betrieb erlebt haben. In einer ersten Konzeptionsphase einigten sich die Wissenschaftler auf die acht grundlegenden Themenbereiche der Ausstellung und deren grobe Gewichtung. Daraus ergaben sich eine erste Exponatauswahl, die Diskussion über Leitexponate sowie ein erster Gliederungsvorschlag. Außerdem entschied sich das Team, nach Vorbild der Dauerausstellungen auch in der Jubi16 läumsausstellung eine integrierte Rezeptionsebene für Kinder zu realisieren. 14 Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hg.): Schätze der Arbeit. 25 Jahre Westfälisches Industriemuseum, (= Westfälisches Industriemuseum, Schriften, Bd. 23), Essen 2004. Das Westfälische Industriemuseum ist ein Verbund aus acht Museumsstandorten in Westfalen, die jeweils Industriedenkmal und Museum zugleich sind: Textilmuseum Bocholt, Zeche Hannover in Bochum, Zeche Zollern in Dortmund, Zeche Nachtigall in Witten, Henrichshütte Hattingen, Schiffshebewerk Henrichenburg, Ziegelei Lage und Glashütte Gernheim in Petershagen. 15 Anja Kuhn ist Koordinatorin für die Museumspädagogik des Museums, Dietmar Osses ist verantwortlich für das Kinderbergwerk Zeche Knirps der Zeche Hannover in Bochum. Die Stelle des Museumspädagogen ist im Westfälischen Industriemuseum nicht besetzt worden. Die Entwicklung von museumspädagogischen Elementen in den Ausstellungen sowie Programmen liegt in der Hand der jeweiligen Museumsleitungen, die Realisierung der Programme übernehmen in der Regel freie Mitarbeiter. 16 Zur integrierten Museumspädagogik siehe Kuhn, Anja: Bildung mit Spaß?! Museumspädagogik im Westfälischen Industriemuseum, in: Landschaftsverband WestfalenLippe (Hg.), Schätze der Arbeit. 25 Jahre Westfälisches Industriemuseum, (= Westfälisches Industriemuseum, Schriften, Bd. 23), Essen 2004, S. 34-45.
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Danach wurde der Gestalterin das Grobkonzept mit Exponatideen vorgestellt. Die Ausstellungsgestalterin erarbeitete aus den vorgelegten Informationen ein Gestaltungskonzept, das intensiv bis zum Konsens aller Beteiligten diskutiert wurde. Die Erstellung der Feinkonzepte für die einzelnen Abteilungen, die Suche nach Gestaltungsideen und notwendige Nacharbeit auf Exponatebene erfolgte zwischen der Gestalterin und den jeweils zuständigen Wissenschaftlern. Parallel wurde das museumspädagogische Konzept im Dialog mit den Wissenschaftlern der einzelnen Ausstellungsbereiche sowie der Ausstellungsgestalterin bis zur Gestaltung der einzelnen Stationen der Rezeptionsebene für Kinder erarbeitet.
Grundkonzept und Raumgliederung Die Gliederung der Ausstellung folgte einer zeitlichen und thematischen Logik. Während sich der zeitliche Bogen der Ausstellungserzählung vom Ursprung der Kohle bis zum Strukturwandel der Region am Ende des 20. Jahrhunderts spannte, bildeten insgesamt acht große Ausstellungsbereiche den Rahmen für die thematische Gliederung der Ausstellung. Bei der Komposition der Ausstellung wurde großer Wert auf eine kompakte Eingangssituation, klar erkennbare Gliederung sowie die deutlich sichtbare Gestaltung von Bezügen durch Blickachsen gelegt. Im Vordergrund der Präsentation standen die Objekte und Objektinszenierungen zur Kontextualisierung der Exponate und Herstellung von Bezügen. Gemäß dem Ausstellungstitel sollten sie in ihrer vielfältigen Wertigkeit und Bedeutung als Schätze der Arbeit in Szene gesetzt werden. Entsprechend wählte die Gestalterin ein warmes, samtiges Rot als Farbton für Sockel und Zwischenwände, das die Wertschätzung der Exponate betonte und gleichzeitig einen Kontrast zu der rauen Anmutung der nur noch teilweise verputzten Wände des Ausstellungsraums, der alten Werkstatt der Zeche Zollern, erzeugte. Durch den Einbau von zwei Zwischenwänden mit breiten Durchlässen erhielt der Raum eine klare dreiteilige Struktur. Die Durchlässe erzeugten zudem die zentrale Achse der Ausstellung.
Abb. 1: Ausstellung „Schätze der Arbeit“, Eingangssituation mit zentraler Blickachse
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Der Entscheidung für die Klarheit der Gestaltung ging ein intensiver Diskussionsprozess der Wissenschaftler untereinander wie auch zwischen Wissenschaftlern und Gestalterin voraus, in dem sich vor allem die Fachwissenschaftler von dem Hang zu lückenlosen Argumentations- und Objektketten lösen mussten und den Mut zur Plakativität der Argumentation einerseits und der Konstruktion von Konnotationen und Bezügen durch Inszenierungen, An- und Bedeutungen andererseits aufbringen mussten. Die Eingangssituation der Ausstellung wurde durch ein Ensemble von drei Vitrinen gebildet, die im Zentrum des ersten Ausstellungsteils standen und damit den Anfang der Zentralachse der Ausstellung bildeten. Die Vitrinen zeigten die ältesten Exponate des Museums und zugleich die Rohstoffe, die die Basis der Industrialisierung der Region bildeten: Kohlebrocken mit 315 Millionen Jahre alten Pflanzenversteinerungen des Karbonzeitalters sowie das Bruchstück eines 4,5 Milliarden Jahre alten Meteoriten mit 91,4 % Eisengehalt. Die im Karbon als Versteinerungen erhaltenen Pflanzen verwiesen auf die pflanzliche Herkunft des Energieträgers Kohle, während sich im Eisenmeteoriten Natur und Technik der Eisenerzeugung spiegelten: in reiner Form mit Konzentrationen über 90 % kommt Eisen in der Natur nur im Erdkern und im Weltall in Form von Meteoriten vor. Erst mit den Hochöfen des Industriezeitalters konnte hochreines Eisen vom Menschen technisch hergestellt werden. Diese Spannung zwischen Schöpfung, Erdgeschichte und technologischer Machbarkeit durch die Industrialisierung, die durch die recht dunkle Gestaltung des Ausstellungsteils, punktuelles Licht auf die Leitexponate und einen großen Freiraum rund um die Eingangssituation noch betont wurde, wurde im weiteren Verlauf der Zentralachse aufgenommen: Sie führte von den Bodenschätzen Kohle und Eisen über eine Dampfmaschine als Motor der Industrialisierung, die im räumlichen Zentrum der gesamten Ausstellung stand, weiter über eine Stempeluhr zur Zeiterfassung in der Fabrik bis hin zum Monumentalgemälde „Die Krupp’schen Teufel“, einer Allegorie auf die Beherrschung der Schwerindustrie durch das Unternehmen und die Arbeiter. Auf der Rückseite des Gemäldes als Ausdruck des Selbstbewusstseins und Unternehmerstolzes führte die Zentralachse der Ausstellung weiter zu den Ausstellungsbereichen „Arbeitsleben“ und „Zuwanderung“, um nach einer weiteren Wendung mit der Abteilung „Strukturwandel“ zu enden. Abb. 2: Zentralachse der Ausstellung mit Dampfmaschine, Kontrolluhr und Industriegemälde „Die Krupp’schen Teufel“
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Von der Eingangssituation bis zur Allegorie der Naturbeherrschung durch Technik in den „Krupp’schen Teufeln“ war die Zentralachse der Ausstellung als roter Faden der Ausstellungserzählung stets sichtbar und räumlich präsent. Auch die räumliche Gestaltung der Ausstellungsabteilungen auf der Rückseite des Gemäldes sowie die Lichtführung machten die gedankliche Fortführung der Zentralachse deutlich, die zudem im Rahmen von Führungen als konstitutives Element der Ausstellungskonstruktion herausgestellt wurde.
Abb. 3: Ausstellungsbereich „Maschinenzeit“ mit zentraler Dampfmaschine, Maschinen des Industriezeitalters und Allegorien der Industrie
Nach der Einigung auf die Grundprinzipien der Raumgliederung und die Grundstimmung der Ausstellung zeigte sich die Integration der Rezeptionsebene für Kinder als problematisch. Während die für die verschiedenen Standorte des Museums individuell entwickelten museumspädagogischen Figuren in den Dauerausstellungen und auf dem oft weitläufigen Gelände der ehemaligen Industrieanlagen in ihrer comicartigen Gestaltung Wegweiserfunktion haben und auf Auffälligkeit angelegt sind, schien ihre Verwendung in der Gesamtästhetik der „Schätze“-Ausstellung störend. Außerdem ließen sich das erprobte System der Identifikationsangebote der Figuren wie auch eine durchlaufende Erzählung aufgrund der zeitlichen Bandbreite und thematischen Vielfalt nicht ohne weiteres auf die Ausstellung übertragen. Eine angemessene Lösung wurde in der Gestaltung der museumspädagogischen Ebene als Schatzsuche gefunden. Sie korrespondierte in hohem Maße mit der Grundidee der Ausstellung, erlaubte gleichzeitig das ‚Verstecken‘ museumspädagogischer Stationen zugunsten eines ästhetisch stimmigen und stimmungsvollen Gesamteindrucks und ermöglichte mit der zur Schatzsuche gestalteten Schatzkarte eine Wiederholung und Konzentration auf die Abb. 4: Museumspädago- wichtigsten Leitexponate. gische Schatzkarte, Ausstellung „Schätze der Arbeit“ Abb. 5: Schatzsuche in der Ausstellung „Schätze der Arbeit“
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Während im ersten Ausstellungsteil nach der Eingangsinszenierung zu den „Schätzen aus der Vorzeit“ Ausstellungsbereiche zur Handarbeit als vorindustrieller Arbeitsform mit Nachwirkungen bis tief in das Industriezeitalter hinein sowie zur Wissenschaftsliteratur des 18. Jahrhunderts als Fundament des Fortschritts folgten, war der zweite Ausstellungsteil in konzentrischen Kreisen angelegt. Im Zentrum stand die älteste mobile Dampfmaschine des Museums, eine Schiffsdampfmaschine aus dem Jahr 1884. Sie symbolisierte die zentrale Bedeutung der Dampfmaschinen als ‚Motor‘ der Industrialisierung: Als Antrieb für Wasserpumpen und Gebläse machten die Dampfmaschinen erst den industriellen Abbau tief liegender Fettkohlen und die Erzeugung von Roheisen in Hochöfen möglich. Gleichzeitig sind sie selbst aus Eisen und Stahl gefertigt, somit Antrieb und Verbraucher zugleich. Links und rechts neben der Dampfmaschine bildeten die beiden Hälften eines Schwungrades die Begrenzungen der zentralen Sichtachse und rahmten als Exponat und Gestaltungselement zugleich die Ausstellungsabteilung zur Geschichte der Dampfmaschine ein. Die Verwendung der Schwungradhälften als Exponat und Gestaltungselement wie auch die Verdichtung auf eine Maschine als Leitexponat pro Industriebranche wurden im Ausstellungsteam kontrovers diskutiert. Mit Rücksicht auf die räumliche Beschränkung, die Klarheit der Konzeption, die eindrucksvolle Raumwirkung sowie nicht zuletzt den Verweis auf den begleitenden Ausstellungskatalog als zusätzliches Informationsmedium konnte das Ausstellungsteam der gewählten Lösung letztlich klar zustimmen. Um die zentrale Dampfmaschine als Leitexponat herum wurden die weiteren Exponate des Ausstellungsteils in zwei konzentrischen Kreisen arrangiert. Den Außenkreis bildeten mächtige Industriemaschinen, je eine für die im Museum vertretenen Branchen: der Teufenzeiger der Zeche Minister Stein stellvertretend für den Bergbau, eine Bessemer Birne aus der Stahlproduktion für die Eisen- und Stahlindustrie, eine Ziegelpresse für die industrielle Ziegelproduktion, eine automatische Flaschenblasmaschine für die Gebrauchsglasindustrie, ein mit Lochkarten gesteuerter Jacquardwebstuhl für die Textilindustrie sowie das historische Modell des Schiffshebewerks Henrichenburg stellvertretend für das Hebewerk als Maschine im Bereich der Binnenschifffahrt. Den inneren Kreis bildeten Statuetten mit Allegorien der Industrie wie ‚Industrie‘, ‚Handel‘ und ‚Fortschritt‘, die einerseits den Fortschrittsglauben und die Ästhetik des aufstrebenden Industriezeitalters zeigten, andererseits in ihrer filigranen und anmutigen Gestaltung im spannungsvollen Kontrast zur wuchtigen Funktionsästhetik der Maschinen standen. Der dritte Ausstellungsteil verließ schließlich die lineare Ausstellungsachse und führte über ein Gemäldekabinett mit Darstellungen der Industriestätten einerseits und der Industriearbeiter andererseits zu den Ausstellungsabtei84
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lungen über Arbeitssicherheit, Kriegsarbeit, Zuwanderer, Arbeitsbiografien, Frauen- und Familienarbeit und Arbeiterbewegung zu den Ausstellungsabteilungen „Feierabend und Konsum“ sowie „Aufbruch statt Abbruch – Von der Krise zum Wandel“. Mit Ausnahme der Abteilung „Arbeitssicherheit“, die mit einem Sicherheitszaun abgetrennt war, erlaubte der fließende Übergang zwischen den Abteilungen durch die Stellung der Vitrinen und Wände die Gestaltung von Sicht- und Bedeutungsbezügen zwischen Ensembles und Ausstellungsbereichen.
Abb. 6: Inszenierung zur Erinnerung an das Arbeitsleben im Ausstellungsbereich „Ich habe immer feste arbeiten müssen“
Eine große Herausforderung stellte die Gestaltung des Ausstellungsbereichs zu den lebensgeschichtlichen Erinnerungen an das Arbeitsleben dar. Das Westfälische Industriemuseum dokumentiert seit den 1980er Jahren mit den Methoden der oral history die Lebenserfahrungen der Menschen an den industriellen Arbeitsplätzen und bei der komplementären Familienarbeit im Haushalt. Diese Erinnerungen geben Einblicke in die Erfahrungen, Einstellungen, Hoffnungen und Befürchtungen der Menschen, in ihre Gefühlswelt und mentalen Dispositionen. Dokumentiert sind diese Erfahrungen in unterschiedlichen Medien von Mitschriften über verschiedene Arten von Tonbändern bis hin zu digitalen Minidiscs und Videoaufzeichnungen. Die Medien sind vielfältig, genügen nur in Teilen heutigen Qualitätsansprüchen – und sind in keinem Fall objekthafte Exponate. Als ein zentraler Arbeitsbereich des Museums konnte auf die Darstellung in der Jubiläumsausstellung dennoch nicht verzichtet werden. Eine überzeugende Lösung fand die Ausstellungsgestalterin in einer Collage aus quadratischen Texttafeln, die in symmetrischer Anordnung und in räumlicher Tiefe versetzt das Spektrum der Erinnerungen an das Arbeitsleben abbildete. Eingerahmt wurde die Collage von zwei Vitrinen mit Essensträgern bzw. Getränkeflaschen, die als serielle Exponate die individuellen Erinnerungen kontrastierten und gleichzeitig in den Ausstellungsbereich zur Frauenarbeit für die Familie im Haushalt überleiteten.
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Wege zur Gestaltung des „magischen Dreiecks“ Um den gestiegenen Erwartungen und Ansprüchen der Besucherschaft in der Medien- und Erlebnisgesellschaft genügen zu können, sind historische Museen und Ausstellungen auf eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaftlern/Kuratoren, Gestaltern und Museumspädagogen angewiesen. Eine gute Voraussetzung dafür sind die gegenseitige Wertschätzung sowie Kenntnisse und Erfahrungen mit dem Tätigkeitsfeld der jeweiligen Gegenüber. Angesichts der fortschreitenden Differenzierung und Professionalisierung der verschiedenen Teilbereiche des Ausstellungsmachens scheint es in zunehmendem Maße erforderlich, einen Überblick über die Fertigkeiten der verschiedenen Professionen zu erhalten, um sich auf eine gemeinsame Sprache zu einigen und anschlussfähige Konzepte zu erarbeiten. So müssen Kuratoren heute nicht nur die Ergebnisse der Fachwissenschaftler aufgreifen und in die Objektwelt der Museen übertragen können, sondern auch das grundlegende Instrumentarium des Zeigens in Ausstellungen kennen. Erst in der jüngsten Vergangenheit haben Ausstellungsgestalter Einblicke in die Grundtechniken der Ausstellungsgestaltung öffentlich gemacht und damit zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den Professionen 17 wesentlich beigetragen. Ausstellungsgestalter wiederum müssen die professionell bedingte Scheu der Historiker vor einseitiger Zuspitzung und den Hang zur sorgsamen Abwägung, Absicherung und Relativierung erkennen und ernst nehmen. Nur so können sich die viel gescholtenen ‚Wir setzen alles in Szene‘-Mentalitäten der Gestalter und die ‚Alles ist wichtig und unverzichtbar‘-Dispositionen der Wissenschaftler annähern. Und die Museumspädagogen? Mehr noch als die Museumswissenschaftler scheinen die Museumspädagogen im gegenwärtigen Diskurs in die Defensive geraten zu sein. Als ‚Anwalt der Besucher‘ könnten sie sich jedoch selbstbewusst wieder ins Spiel bringen. So bringen Museumspädagogen aus ihrer Praxis der Begegnung mit den Besuchern eine hohe Kompetenz mit, um die Bedürfnisse der Besucher in der Ausstellung nach Orientierung, Wissen und Erlebnissen, aber auch nach Kontemplation, Sitzgelegenheiten, Aufstellplätzen für Gruppen, bis zu den Wünschen nach Cafés und WC-Anlagen einzuschätzen. Damit können sie wesentlichen Anteil an der Gestaltung des Ausstellungserlebnisses erhalten. Auf der anderen Seite können die Museumspä17 Vgl. Schwarz, Ulrich: Entstehungsphasen einer Ausstellung, in: Ulrich Schwarz, Philipp Teufel (Hg.), Museografie und Ausstellungsgestaltung, Ludwigsburg 2001, S. 16-37; Dernie: Ausstellungsgestaltung, a.a.O.
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dagogen ihr professionelles Wissen über Vermittlung und Erkenntnis, von der Objekt-Inszenierung über Ausstellungstexte bis hin zum Medieneinsatz einbringen. Als ‚Anwalt der Besucher‘ stellen sie sich damit in den Dienst der 18 Erkenntnis. In der Kenntnis der jeweiligen professionellen Fertigkeiten, Fähigkeiten und ggf. auch Defizite können Kuratoren, Gestalter und Pädagogen so gemeinsam eine Ausstellung konstruieren, die einer Erzählung und Dramatik folgend mit attraktiven Leitobjekten und Objektinszenierungen im Raum Erlebnisse evo19 ziert, die Erkenntnis beflügelt und damit Bildungserlebnisse initiiert.
Literatur Bäumler, Christine: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004. Dernie, David: Ausstellungsgestaltung. Konzepte und Techniken, Ludwigsburg 2006. Grösch, Kurt: Psychologische Aspekte von Erlebniswelten, in: Hans H. Hinterhuber, Harald Pechlaner, Kurt Malzer (Hg.), IndustrieErlebnisWelten. Vom Standort zur Destination, Berlin 2001, S. 69-82. Hinterhuber, Hans H.; Pechlaner, Harald; Malzer, Kurt (Hg.): IndustrieErlebnisWelten. Vom Standort zur Destination, Berlin 2001. Korff, Gottfried: Das Popularisierungsdilemma, in: Landesmuseum für Arbeit und Technik Mannheim (Hg.), Zauberformeln des Zeitgeistes. Erlebnis, Event, Aufklärung, Wissenschaft. Wohin entwickelt sich die Museumslandschaft?, Mannheim 2001, S. 49-63. Korff, Gottfried: Vom Verlangen, Bedeutung zu sehen, in: Ulrich Borsdorf, Heinrich Theodor Grütter, Jörn Rüsen (Hg.), Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 81-103. Kuhn, Anja: Bildung mit Spaß?! Museumspädagogik im Westfälischen Industriemuseum, in: Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hg.), Schätze der Arbeit. 25 Jahre Westfälisches Industriemuseum, (= Westfälisches Industriemuseum, Schriften, Bd. 23), Essen 2004, S. 34-45.
18 Reust, Hans Rudolf: Ausstellungen vermitteln. Zur medialen Struktur des Museums, in: Thomas Dominik Meier, Hans Rudolf Reust (Hg.), Medium Museum. Kommunikation und Vermittlung in Museen für Kunst und Geschichte, Bern u.a. 2000, S. 59-68. 19 Treinen, Heiner: Bildung, Unterhaltung, Entertainment, in: Forum Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, Heft 1, 2001S. 13-17.
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Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hg.): Schätze der Arbeit. 25 Jahre Westfälisches Industriemuseum, (= Westfälisches Industriemuseum, Schriften, Bd. 23), Essen 2004. Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hg.): Unterhalten und Bilden. Anspruch und Wirklichkeit der Industriemuseen. Internationaler Jubiläumskongress 24.-26.6.2004, veröffentlicht unter http://www.lwl.org/LWL/ Kultur/kongress_industriemuseen/Vortraege/index2_html (Stand 31.12.2006). Landschaftsverband Westfalen-Lippe; Landschaftsverband Rheinland (Hg.): Nah dran. Industriekultur an 14 historischen Schauplätzen. Rheinisches und Westfälisches Industriemuseum, Remscheid 2002. Reust, Hans Rudolf: Ausstellungen vermitteln. Zur medialen Struktur des Museums, in: Thomas Dominik Meier, Hans Rudolf Reust (Hg.), Medium Museum. Kommunikation und Vermittlung in Museen für Kunst und Geschichte, Bern u.a. 2000, S. 59-68. Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004. Schwarz, Ulrich: Entstehungsphasen einer Ausstellung, in: Ulrich Schwarz, Philipp Teufel (Hg.), Museografie und Ausstellungsgestaltung, Ludwigsburg 2001, S. 16-37. Steinecke, Albrecht: Industrieerlebniswelten zwischen Heritage und Markt: Konzepte – Modelle – Trend, in: Hans H. Hinterhuber, Harald Pechlaner, Kurt Malzer (Hg.), IndustrieErlebnisWelten. Vom Standort zur Destination, Berlin 2001, S. 85-102. Treinen, Heiner: Bildung, Unterhaltung, Entertainment, in: Forum Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, Heft 1, 2001, S. 13-17. Treml, Manfred: ‚Ausgestellte Geschichte‘. Überlegungen zur Didaktik in kulturhistorischen Ausstellungen und Museen, in: Sabine Jung (Hg.), Neue Wege der Museumspädagogik. Publikation zu einer Fachtagung des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute e.V. – AsKI im Museumszentrum Lorsch, 25-26.4.2002, Bonn 2003, S. 121-139. Weiermair, Klaus: Von der Dienstleistungsökonomie zur Erlebnisökonomie, in: Hans H. Hinterhuber, Harald Pechlaner, Kurt Malzer (Hg.), IndustrieErlebnisWelten. Vom Standort zur Destination, Berlin 2001, S. 35-58.
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GEFION APEL Die Projekte des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold im Spannungsfeld zw ischen Kuration, Museumspädagogik und Gestaltung
Der Ausgangspunkt: Das Westfälische Freilichtmuseum Detmold Im Rahmen der Studienkonferenz „Das magische Dreieck“, deren Ergebnisse der vorliegende Band wiedergibt, war das Westfälische Freilichtmuseum Detmold – Landesmuseum für Volkskunde – das einzige vertretene Freilichtmuseum. Daher soll es zum Einstieg und besseren Verständnis der folgenden Ausführungen zum Tagungsthema kurz charakterisiert werden. Ausgehend vom Konzept seiner Gründungszeit 1960 und seiner bisherigen Entwicklung werden auch das gegenwärtige Selbstverständnis und einige neuere Vermittlungsansätze skizziert. Der zweite Teil schildert einige Projekte der vergangenen Jahre unter besonderer Berücksichtigung der Aufgaben von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern und ihrem Zusammenwirken. Ergänzend werden die Besucherreaktionen auf diese Projekte zur Sprache gebracht. Sie sind ein wesentlicher Beitrag für die zukünftige Museumsarbeit, um das Freilichtmuseum als ‚erlebnisorientierten Lernort‘ weiter zu qualifizieren bzw. das seinem Bildungsauftrag angemessene Verhältnis zu intelligenter Unterhaltung zu gewinnen.
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Der Begriff ‚Freilichtmuseum‘ ist in der Museumslandschaft nicht geschützt 1 und findet sich als Bezeichnung für sehr unterschiedliche Präsentationen. Bei den wissenschaftlich betriebenen Freilichtmuseen handelt es sich in Deutschland um einen vergleichsweise jungen Museumstyp, der in Skandinavien entstand, seit etwas mehr als 100 Jahren existiert und historische Gebäude und andere Objekte meist ländlicher Herkunft in gestalteter Landschaft erhält und 2 ausstellt. In Deutschland hat dieser Museumstyp seit etwa fünfzig Jahren größere Bedeutung erlangt. • Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat als Träger für das Freilichtmuseum in Detmold seit dem Gründungsbeschluss 1960 die Aufgabe vorgesehen, Gebäude aus Westfalens ländlichen Regionen und Kleinstädten zu sammeln, zu bewahren und zur Anschauung wieder zu errichten. Inzwischen zeigt das Freilichtmuseum Bausubstanz aus allen west3 fälischen Regionen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Bereits damit besteht für das Museum – wie für vergleichbare Museen auch – eine gerade gegenwärtig sehr spezielle Herausforderung: Bauten sind nicht gerade als handlich zu bezeichnende Museumsobjekte. • Der Museumstyp birgt außerdem mit seiner Landschaftsgestaltung, dem Aufenthalt der Besucher unter freiem Himmel und dem Erlebnischarakter, den allein die Begegnung mit historischen Haustierrassen oder alten Pflanzensorten in den Gärten hat, spezifische Chancen und Möglichkeiten. Damit ist eine besondere Wahrnehmung durch das Publikum verbunden, die sich von der in anderen Museumstypen unterscheidet und charakteristische Risiken birgt. Gerade die so genannte Reliktauthentizität wirkt durch die Zusammenstellung der Hauptexponate, der Gebäude in Siedlungs- und 4 Landschaftskontexten, intensiv, ohne in jedem Fall begründet zu sein. • Dazu kommt, dass das Museumskonzept des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold einen didaktischen Rahmen vorgibt, an dem heutige Gestaltungen sich orientieren müssen. So sind beispielsweise die auszustellenden Regionen mit ihren Siedlungsgruppen in verschiedenen Geländebereichen untergebracht und ermöglichen vom Museumseingang bis zum Sauerländer Dorf eine Zeitreise von Darstellungen der Zeit um 1800 bis zu den 1920er 1
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Nur ein Beispiel für ein Freilichtmuseum mit einem ausschließlich technikgeschichtlichen Schwerpunkt ist z.B. das Gaslaternen-Freilichtmuseum in Berlin, siehe www.dtmb.de/Aktuelles/ Kooperationen/Laternen/body.html (Stand: 31.12.2006). Baumeier, Stefan; Carstensen, Jan (Hg.): Westfälisches Freilichtmuseum Detmold: Geschichte – Konzepte – Entwicklungen (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseum Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, Nr. 14), Detmold 1996, insbesondere Baumeier, Stefan: Idee und Realisation, S. 7-68. Siehe dazu knapp Baumeier, Stefan (Hg.): Westfälisches Freilichtmuseum Detmold – Museumsführer, Detmold 2001, S. 166ff. Zur Faszination der historischen Authentizität und zum musealen Objekt siehe auch beispielhaft Hochreiter, Walter: Vom Musentempel zum Lernort. Zur Sozialgeschichte deutscher Museen 1800-1914, Darmstadt 1994, S. 201ff.
PROJEKTE IM SPANNUNGSFELD
Jahren. Die Darstellung der jüngeren Vergangenheit wird gegenwärtig noch konzipiert. • Eine ausgeprägt wissenschaftliche Auffassung der freilichtmusealen Arbeit ist bestimmend für das Museum. Das Detmolder Freilichtmuseum ist das größte Museum dieser Art in Deutschland und gehört zu den bedeutendsten Freilichtmuseen in Europa. Nicht nur knapp 100 Hektar Freigelände und inzwischen 110 Gebäude sind hier der Maßstab, sondern auch die rund 120 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – vom wissenschaftlichen Referenten bis zur Inventarpflegerin – die während der Saison beschäftigt sind. Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle die Tatsache, dass das Haus in seiner Funktion als Landesmuseum für Volkskunde umfangreiche Sammlungen besitzt; es sind etwa 500.000 Objekte westfälischer Alltagskultur, die mittlerweile in den modernen Magazinen und Depots 5 lagern. Was dem Museum nicht zur Verfügung steht – und das ist ein einflussreicher Faktor für die Arbeit – sind adäquate Räumlichkeiten für Sonderausstellungen. Doch auch an diesem Problem wird gearbeitet. Die Personalstruktur – dies gilt insbesondere für die Gruppe der wissenschaftlichen Referenten und Referentinnen – spiegelt im Wesentlichen, welche Kernkompetenzen das eigene Selbstverständnis bestimmen: Volkskunde, historisches Bauen, Landschaftsökologie und Museumspädagogik sind in eigenen Abteilungen organisiert.
Qualitätssicherung der Museumsarbeit? Nimmt man Dauer- und Sonderausstellungen als wesentlichen Kern der Museumskommunikation ernst, bedarf es nachvollziehbarer Maßstäbe und Methoden, um eine Qualitätssicherung bei diesem Tun vornehmen zu können. Dazu gehören neben den fachlichen und theoretischen Erwägungen im Vorfeld die Erschließung und Nutzung von Besuchermeinungen, sicher nicht zuletzt, um die eigene Arbeit reflektieren und vor allem diskutieren zu können. Pragmatisch betrachtet ist jede sprachliche (und auch bildliche) Äußerung neben anderem immer auch eine Handlung. Dabei stellen Ausstellungen mit ihren textlichen, bild- und exponatgebundenen Darstellungsformen Botschaften dar, die zwischen Sender und Empfänger vermitteln und verschiedene Handlungen auslösen können. Das hier zugrunde liegende Prinzip können einige Beispiele illustrieren: Mit einer Gebrauchsanweisung leite ich erst ein5
Carstensen, Jan: Die Sachgutsammlungen, in: Stefan Baumeier, ders. (Hg.), Westfälisches Freilichtmuseum Detmold: Geschichte – Konzepte – Entwicklungen (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseum Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, Nr. 14), Detmold 1996, S. 109-160.
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mal dazu an, wie ein Gerät zu bedienen ist. Mit einer Unterrichtsstunde Mathematik vermittle ich im Idealfall die Fähigkeit, Rechenaufgaben selbständig zu lösen. Mit einem Schild ‚Parken verboten‘ untersage und verhindere ich im Idealfall, dass ungeregelt geparkt wird. Diese Fallbeispiele stehen für vergleichsweise einfache Kommunikationssituationen mit einer eindeutigen Handlungsaufforderung an den Rezipienten. Was aber ist die zentrale Absicht bzw. Handlungsweise, wenn jemand etwas produziert, das unterhält, so etwa einen Roman oder ein Theaterstück schreibt? In diesen Fällen ist die vom Sender beabsichtigte Wirkung viel weniger klar. Seine Handlungsabsicht wäre dann vielleicht irgendwo anzusiedeln zwischen den Polen ‚Ich schildere gesellschaftliche Zustände, um der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten‘ und ‚Ich rege zum Nachdenken über allgemeinere Wahrheiten an‘ oder einfach nur ‚Ich rege die Fantasie an‘? Und welchen Grad an Wirklichkeitsverfremdung nimmt der Unterhaltungsproduzent dabei zur Verwirklichung seines Wollens in Kauf? Übertragen auf den Museumsbesucher und damit auf einen zentralen Fragekomplex der Tagung bedeutet dies: Wie kommunizieren Museen und was tun sie dabei? Wie nehmen Besucher in diesem Kommunikationsprozess denn ihrerseits Museen wahr und was für eine Botschaft erwarten sie? An welchen Stellen kann es dabei zu ‚Störungen‘ kommen und wie kann man damit umgehen bzw. den Verständnisprozess fördern? Oder einfacher: Wer spricht mit welcher Botschaft mit wem? Und wie können Besucher ihre eigenen Fragen 6 einbringen und wie finden und bieten wir passende Antworten? Anhand einiger Museumsprojekte des Freilichtmuseums Detmold der vergangenen Jahre und eines kurzen Ausblicks auf zukünftige Planungen sollen im Folgenden die von uns gefundenen, durchaus unterschiedlichen Antworten auf die angerissenen Fragen skizziert und Lösungen für das Zusammenspiel zwischen wissenschaftlicher Deutung, museumspädagogischer Mitarbeit und gestalterischer Kompetenz umrissen werden. Der Begriff ‚magisches Dreieck‘ – als solcher auch schon in ganz anderem Kontext verwendet, nämlich bei der Abschlusskonferenz des von der IFKA e.V. durchgeführten Aquilo-Projektes u.a. von Prof. Hermann Schäfer auf die Beziehung zwischen Exponat, Konzept und Besucher angewendet – ist auch für die aktuelle Konstellation eine reizvoll offene Wahl: Er enthält nicht nur das Faszinierende der musealen 6
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Jaschke, Beatrice; Martinz-Turek, Charlotte; Sternfeld, Nora: Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005; über das Freilichtmuseum und seine Beziehung zur Gesellschaft siehe auch: Apel, Gefion; Carstensen, Jan: Erdbeerspinat, Lippegans und Apfelbaumalleen – die Thematisierung von Landwirtschaft und Umwelt aus musealer Sicht am Beispiel des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold, in: Karl Ditt u.a. (Hg.), Agrarmodernisierung und ökologische Folgen (= Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 40), Paderborn 2001, S. 657-669, hier S. 657.
PROJEKTE IM SPANNUNGSFELD
Präsentationsmöglichkeiten, sondern auch die schwer einschätzbaren Verlustmöglichkeiten, wie sie uns auch im ‚Bermuda-Dreieck‘ sprichwörtlich be7 gegnen.
Neue Wege der Vermittlung im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold Bereits Ende der neunziger Jahre waren es in der Hauptsache von Besuchern gestellte Fragen, ermittelt über eine Eingangs- und Ausgangsbefragung wäh8 rend der ganzen Saison des Jahres 1998, die unübersehbar deutlich machten, dass das Freilichtmuseum Detmold es im Vergleich zu 1960 sowohl mit einem veränderten Kenntnisstand seiner Gäste zum Museumsthema als auch mit anderen Bedürfnissen zu tun hatte. Obwohl die Antworten in Bezug auf die bisherige Museumsarbeit zum Teil ermutigend waren, gab es doch einige Aspekte, die eindeutig Reaktionen verlangten: Nur 15% der kommenden Besucher hatten beim Museumseingang ‚Spaß‘ erwartet, 42% der Befragten hatten nach ihrem Besuch aber ‚Spaß‘ gehabt. Reine Kontemplation vor dem Objekt war von Seiten der Museumsgäste nicht mehr gefragt. Wir standen vor einer grundsätzlich mit Aspekten der Vermittlung verbundenen Herausforderung. „Man kann Sprache [also auch die der Museumsobjekte, Anm. d. Verf.] nur verstehen, wenn man mehr als Sprache 9 versteht!“ Diese Bemerkung, die viel über Kommunikation im Allgemeinen
aussagt, beinhaltet gerade für Museen eine Verpflichtung: Sie müssen konstruktive Hilfestellungen zum Verständnis der Museumsthemen und -botschaften geben, die aber mit unterschiedlichen Methoden geleistet werden 10 dürfen. Im Rahmen der oben genannten Untersuchung zeigte sich, dass Besucher selbst gut in der Lage sind, nicht nur museale Defizite anzumerken, sondern auch Lösungen für kritische Punkte mitzudenken oder zumindest anzuregen. Hilfreich war hier beispielsweise, dass die Bitte um ‚Aktivitäten zum Mitma7
Freericks, Renate; Theile, Heike; Brinkmann, Dieter (Hg.): Nachhaltiges Lernen in Erlebniswelten? Modelle der Aktivierung und Qualifizierung. Tagungsdokumentation, Bremen 2005, S. 253ff. 8 Baumeier Stefan; Carstensen, Jan (Hg.): Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung 8, Detmold 1999, S. 217f. 9 Hörmann, Hans: Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik, Frankfurt/M. 1976, S. 210. 10 Ein auch heute noch gut lesbarer Beitrag zur Erstellung von Texten in Museen und Ausstellungen – wenn auch noch auf der Basis etwas anderer technischer Voraussetzungen – ist Hoek, Gerard van der: Edukanesisch, für Aussteller, die (andere) Ausstellungen machen, oder Ausstellungen anders, in: Julia Breithaupt, Peter Joerissen (Hg.), Museumspädagogen machen (andere?) Ausstellungen, Nürnberg 1986, S. 68-77.
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chen‘ sehr ausgeprägt vertreten war. Im ersten neuen Museumsprojekt nach der Befragung wurde diese Anregung aufgegriffen und 1999 zum ausschlaggebenden Merkmal bei der Einrichtung des „Haus zum Anfassen“, dem Haupthaus des ‚Osnabrücker Hofes‘, einem niederdeutschen Hallenhaus aus Bram11 sche-Kalkriese (Kr. Osnabrück). Alle Gegenstände im Haus dürfen berührt und ausprobiert, fast alle Ecken des Gebäudes dürfen ohne Absperrungen erkundet werden – Gelegenheiten, die die Museumsgäste gerne nutzen. Denn damit stellt das „Haus zum Anfassen“ einen deutlichen Gegensatz zu den übrigen musealen Objekten im Freilichtmuseum dar. Das Konzept zu diesem ungewöhnlichen Umgang mit Exponaten wurde damals im Zusammenspiel der Abteilungen im Hause, insbesondere zusammen mit der Museumspädagogik, entwickelt und gemeinsam mit den Kustoden umgesetzt. Selbständig erkunden Besucher heute dort die Kammern z.B. mit Holzschuhen an den Füßen und probieren Mausefallen, Waagen oder Butterfässer aus. Sämtliche Objekte wurden speziell für diesen Zweck aus den Sammlungen zur Verfügung gestellt oder aber nach den typischen Einrichtungen dieser Art Haus um 1800 nachgebaut. Um noch einmal auf die theoretische Ebene einzugehen: Aus pragmatischer Sicht betrachtet, verwirklichte das Museum gleich mehrere von den Besuchern und der eigenen Zielsetzung eingeforderte Aspekte. Sie lassen sich folgendermaßen handlungsorientiert beschreiben: • Wir erstellten nachahmend einen Rahmen, wie er um 1800 ausgesehen haben könnte und fordern zur Betätigung auf. • Wir ermöglichen, dass die Besucher aktiv werden und sich Erfahrungen mit den Objekten aneignen, deren Gefährdungspotential natürlich so gering wie möglich gehalten wurde (Mistgabeln, Beile und Sägen gehören nicht zur Ausstattung). Die eigentliche Handlungsanleitung wird meistens schnell begriffen. Eine Hausbetreuung informiert über die Nutzung der Objekte und auf Nachfrage 12 über ihre Geschichte. Diese Konzeption – getragen von der ureigenen Kernkompetenz der Kuratoren und der Museumspädagogen – ließ dementsprechend den Beitrag des Gestalters knapp ausfallen: Lediglich eine Texttafel im Dielentor, die über die Nutzung des Hauses informiert, ein Drehtor zum Einlass und das Haus-Icon im Besucherwegeleitsystem mussten gestaltet werden.
11 Bauermeier: Westfälisches Freilichtmuseum Detmold – Museumsführer, a.a.O., S. 122ff. 12 Allgemein dazu s. auch Apel, Gefion: Lesen – Hören – Begreifen. „Wir brauchen mehr zum Lesen!“, in: Stefan Baumeier, Jan Carstensen (Hg.), Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung 8, Detmold 1999, S. 127-131.
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Die Besucherreaktionen sind hier durchweg positiv – auch mit verschiedensten Varianten der Zweckentfremdung der Objekte, wie zum Beispiel der Nutzung des Himmelbettes als Trampolin, was aber den familiären Alltagserfahrungen in der eigenen Wohnung durchaus entspricht. Sie fühlen sich unterhalten – ohne dass ‚Unterhaltung‘ zu den primären Absichten bei dieser Präsentation gehörte. Vereinzelt geäußerte Kritik bezieht sich auf den durch das Drehtor gelenkten, auf 30 Personen beschränkten Einlass mit seinem moder13 nen Hinweisschild. Parallel zu diesem Projekt hatten sich aus der Besucherbefragung für die wissenschaftliche Arbeit auch im Bereich der Museumsdidaktik neue Thesen ergeben: Das Alltagsleben und die Aktivitäten der Menschen, die beispielsweise ein Haus einmal bewohnt haben oder hätten bewohnen können, sollten stärker im Mittelpunkt der Museumspräsentation stehen. Mit dieser Hinwendung zur direkten Erinnerung an die Menschen aus vergangenen Zeiten und weg von der bisher üblichen vermittelnden Geschichte über und mit Objekten (und den mit ihnen verbundenen Sachinformationen über Material, Hersteller oder ähnlichem) vollzog sich ein Paradigmenwechsel. Bei dem im Folgenden dargestellten Projekt (Umsetzung im Jahre 2002) war zunächst die Einbindung einer Unterstützung von außen ähnlich knapp wie beim ‚Haus zum Anfassen‘. Wiederum spielten didaktische Erwägungen eine zentrale Rolle. Das „Pastorat aus Allagen“, als Wohnhaus für den Pfarrer der dörflichen Gemeinde Warstein-Allagen (Kr. Soest) ursprünglich 1737 errichtet, ermöglichte dem Museum, in einem historischen Gebäude zwei zentralen Anliegen der Besucher entgegen zu kommen. Erstens erlaubte die gute Quellenlage eine individuelle Biographie ins Zentrum der Präsentation zu stellen: Das Haus zeigt eine Einrichtung, wie sie um 1900 bei einem ehemaligen Hausbewohner, Pastor Josef Schafmeister (Pfarrer in Allagen von 18871919), hätte gewesen sein können. Damit war dem mehrfach geäußerten Wunsch der Besucher, mehr über konkrete Menschen früherer Jahrhunderte zu erfahren, entsprochen worden. Zweitens ermöglicht dieser didaktische Zugang für die Museumspädagogik dialogorientierte Führungen – ebenfalls eine Forderung der Besucher, hier nach neuen Vermittlungs- und Präsentationsformen: So entstand mitten im Paderborner Dorf des Museums die Möglichkeit für Besucher, stündlich an einem solchen Dialog über eine historische Person teilzunehmen. Besondere Elemente und Exponate, die für die Führung verwendet werden können – wie beispielsweise eine Zeichnung einer von Pastor Schafmeister geplanten Kirche in seinem Amtszimmer – sind in der 13 Apel, Gefion: „Wir würden am liebsten einziehen!“ Das „Haus zum Anfassen“ in der zweiten Saison, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte an der Universität – GH Paderborn (15. Jg.), 2/2000, S. 129-132.
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Präsentation von museumspädagogischer Seite ergänzt worden. Die Erwägung, den Pastor selbst durch einen Schauspieler darstellen zu lassen, wurde 14 vorerst nicht aufgegriffen. Das Beispiel ‚Pastorat‘ zeigt ganz ähnlich wie im Fall des ‚Hauses zum Anfassen‘: Das „magische Dreieck“ kann funktionieren, wenn eine klare Zielsetzung aus theoretischen und praktischen Überlegungen eine dezidierte Ausgangslage schafft. Die umgesetzte Gestaltung wurde durch die Projekte bestimmt. Lediglich Aufgaben wie knappe Objektbeschilderungen, Hinweistafeln etc. mussten im Sinne von Grafikdesign umgesetzt werden. Alle anderen Aufgaben – beispielsweise die Verteilung der Exponate im Raum – übernahmen Kuratoren und andere Museumsmitarbeiter. Im Falle der Inneneinrichtung des Pastorats war dies ein Kunsthistoriker gemeinsam mit dem Restauratorenteam des Museums. Die Führung konzipierte die Museumspädagogik, die jedoch eng mit dem übrigen Team zusammenarbeiten musste, um ihre Bedürfnisse – das heißt die Praktikabilität des Projekts für die pädagogischen Aufgaben – zu sichern. Ein solches Vorgehen kann jedoch nicht für alle Projekte verallgemeinert werden, selbst in einem Freilichtmuseum wie Detmold nicht, das wie oben geschildert, klar definierte Rahmenbedingungen zu erfüllen hat. So entstand durchaus hoher Gestaltungsbedarf bei den jüngeren Projekten. So sollte zur Saison 2001 ein Tagelöhnerhaus im ‚Paderborner Dorf‘ für die Besucher geöffnet werden. Die Einrichtung, die solche Häuser gehabt haben könnten, fand sich aber bereits anhand mehrerer Beispiele im Museumsgelände. Gerade hier bestand die Chance, etwas Neues zu versuchen: Es waren nur sehr wenige Einrichtungsgegenstände aus dem Haus erhalten, dafür jedoch eine Menge Daten über die ehemaligen Bewohner dieses Gebäudes aus Vinsebeck. Wieder berücksichtigte der entscheidende konzeptionelle Schritt, dass es trotz vieler anschaulicher Präsentationsformen der Wohn- und Arbeitszusammenhänge für Museumsbesucher nicht unbedingt einfach ist, sich den Menschen, die in einem solchen Haus lebten, mit ihren Gefühlen und Lebensumständen anzunähern.
Abb. 1: Innenansicht im „InnenLeben – Haus der Gefühle“ 14 Apel, Gefion; Müller, Christiane: „Das Nothwendige soll immer vor dem Nützlichen den Vorrang haben“. Das Pastorat aus Allagen – Musealisierung eines Wohnhauses im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte an der Universität – GH Paderborn (15. Jg.), 2/2002, S. 72-81; siehe auch Nitschke, Ralf: Das Pastorat (= Einzelführer des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, 17), Detmold 2006.
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Daher wurde das sorgfältig recherchierte Material dem Künstlerteam Gabriele Willpers und Herbert Galle aus Essen übergeben, das auf dieser Grundlage eine inszenierte Annäherung an Mentalitäten, Emotionen und Träume der früheren Bewohner auf ganz subjektive Weise eröffnete. Die Sachinformationen über das Haus, über den Bau und seine Geschichte bleiben wie bei anderen Museumsgebäuden auf Objektschildern vor und neben dem Gebäude, das die Künstler „InnenLeben – Haus der Gefühle“ genannt haben. Im Gebäude selbst findet sich beispielsweise der „Raum der zerrütteten Träume“ ebenso wie im ehemaligen Stall die akustische Beschimpfung mit Tiernamen – zum besonderen Vergnügen der jüngeren Besucher. Dass sich an dieser Darstellung im Museum die Geister der Besucher deutlich scheiden, wie die dort für Fragen zur Verfügung stehende Kraft häufig berichtet, ist nicht erstaunlich, aber lehrreich für uns als Museumsmacher ebenso wie für die Künstler. Denn mit der gewählten künstlerischen Präsentation ist im Haus absolut nicht mehr eindeutig, was wir ausdrücken wollen und was die Botschaft ist. Der Betrachter ist im Inneren des ehemaligen Tagelöhnerhauses weit stärker auf sich selbst, seine subjektive Interpretation und seine eigenen Gefühle zurückgeworfen, obwohl alle aufgegriffenen Fakten wissenschaftlich erarbeitet worden sind und außerhalb des Gebäudes auch zur Verfügung ste15 hen. Auch der Kontext der umgebenden Siedlung ‚Paderborner Dorf‘ mit der dort wiedergegebenen Zeit um 1900 trägt nicht viel zum Verständnis des Kunstobjektes bei. Aus diesem Grund wurde mit der zweiten Saison nach Eröffnung von den Künstlern eine kleine Handreichung als Interpretationshilfe zur Verfügung gestellt. Festzuhalten bleibt die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Museumspädagogik, Kuration und Gestaltung mit dem konkreten Ziel, dass das Museum die Prioritäten vorgibt. Dann sind die Erfolgsaussichten gut, wie das Haus „InnenLeben“ zeigt: Obwohl es einige Fragen aufwirft, sind viele Besucher auch völlig begeistert und erleben alle weiteren Häuser, die sie aufsuchen, neu. Ähnliches – den Einsatz von Gestaltern betreffend – wie für ‚InnenLeben‘ gilt für das im Sommer 2005 eröffnete „Armenhaus aus Rinkerode“. Bei der Konzeption dieses Projektes bestand für das Museum nicht die Gefahr, sich in Abb. 2: Außenansicht des wieder errichteten „Armenhaus Rinkerode“ 15 Siehe dazu auch Baumeier, Stefan: Alte und neue Häuser – alte und neue Präsentationskonzepte. Zur Entwicklung des Freilichtmuseums 1998 bis 2005, in: Baumeier, Stefan;
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seinen Darstellungsinhalten und -formen zu wiederholen; denn das Thema war die Darstellung einer Lebensgemeinschaft von Frauen am Beginn des 19. Jahrhunderts in diesem Armenhaus, das mit Mitteln aus einer religiös motivierten, adeligen Stiftung aus dem frühen 17. Jahrhundert betrieben wurde. Die Voraussetzungen für die Gestaltung waren: Keine personale Vermittlungsmöglichkeit vor Ort, eine schmale Quellengrundlage zu der Einrichtung des Armenhauses um 1820 und keine Objekte aus anderen Armenhäusern in der Museumssammlung. Bekannt waren lediglich mehrere Namen früherer Bewohnerinnen und es stand ferner ein Nachlassinventar zur Verfügung, das anlässlich einer Versteigerung zusammengestellt worden war. Die Versteigerung des geringen Besitzes sollte die Beerdigungskosten ihrer ehemaligen Eigentümerin einbringen, die so erzielten Mittel mussten jedoch trotzdem um einen Zuschuss aus der Gemeindekasse ergänzt werden.
Abb. 3: Nachlass, „Armenhaus Rinkerode“
Die wissenschaftliche Konzeption sah mehrere Darstellungsinhalte vor: Neben der Bedeutung des Gebäudes als historisches Objekt, dass heißt nun als Großexponat, wurde nicht nur die Armut seiner ehemaligen Bewohnerinnen und der Stiftungsgedanke thematisiert, sondern es war auch der von religiösen Ritualen stark bestimmte Alltag der Hausgemeinschaft den Museumsbesuchern nahe zu bringen. Mit Gestaltern wurde demzufolge eine neue Kommunikationsmethode entwickelt, die den Besuchern eine selbständige Ermittlung dieser Inhalte ermöglicht, und zwar mit sparsamen textlichen Informationen, dafür aber mit zahlreichen inszenatorischen Elementen. Das Gebäude selbst gibt mit seiner Aufteilung in Flur, vier Kammern, Küche und Stube im Erdgeschoss bereits Hinweise auf seine Nutzung und diese wurden bei der Gestaltung berücksichtigt. So sind in der Küche beispielsweise zwei übereinander installierte Abb. 4: Tisch der Armen und der Stifter, „Armenhaus Rinkerode“
Carstensen, Jan (Hg.): Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung 9, Detmold 2005, S. 9-34, hier S. 11ff.
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Tische montiert, der eine mit Symbol- und Bildelementen als Armentisch, der andere mit einem Foto, das die Esstafel des Adelshauses der Stifter aufgreift. Die erhaltene Stiftungsurkunde enthält Verhaltensregeln für die Bewohnerinnen, die die religiös geprägte Lebensführung verdeutlichten. Diese findet sich – wiedergegeben in akustischer Form durch Gebete – im Gebäude wieder. Als spannend an diesem Projekt stellte sich unter anderem heraus, dass in den gegenwärtig sozial schwierigen Zeiten schon allein das Thema ‚Armut früher‘ auf großes Interesse stieß. Und dies, obwohl das Gebäude noch nicht 16 eingerichtet war. Wie sich aus Besucherbüchern belegen lässt, fallen die Besucherreaktionen nach Eröffnung des Hauses, vermutlich auch aufgrund der Themenwahl, weitgehend positiv aus. Von Bedeutung ist an dieser Stelle – um wieder zurück auf das diskutierte Spannungsfeld zwischen Unterhaltung und Wissensvermittlung zu kommen –, dass im eigentlichen Sinne Unterhaltung bei diesem Thema weder erwartet noch in den Besucherreaktionen gespiegelt wird. Dies überrascht nicht bei einer Frage wie Armut, die für viele Menschen heute wieder Realität ist. Freude wird angesichts neuer Erkenntnisse oder anhand von Wiedererkennungseffekten geäußert, ebenso Kritik, insbesondere dann, wenn die erwartete Wiedererkennung bei Bürgern aus Rinkerode, die sich an das Gebäude vor Ort erinnern, ausbleibt. Eindeutig feststellbar ist aber auch der Wissensdurst der Besucher, der sich in dieser Intensität aus der gewählten Präsentationsform ableiten lässt. Die Art unserer Antworten passt sich ihr an: So manche Besucherfragen – wie zum Beispiel nach den Ernährungsgewohnheiten der Bewohnerinnen – lassen sich nur sehr allgemein, aber nicht für genau diese Hausbewohner beantworten, gerade dann, wenn man wie in der optisch und akustisch wahrnehmbaren Inszenierung nicht Falsches behaupten will. Am Ende meiner Projektberichte steht eine Sonderausstellung, die zu unserer nicht geringen Überraschung ein grenzüberschreitendes Medienecho erreicht hat. Ausgangspunkt für das Projekt war eine Frage, die unsere eigentliche wissenschaftliche Tätigkeit betraf: Wie ist es möglich, das komplexe und von Massenproduktionen und Globalisierung bestimmte 20. Jahrhundert in einem Landesmuseum für Volkskunde zu sammeln und zu dokumentieren? Die Entscheidung fiel 1999 zugunsten eines Projektes, in dessen Verlauf die Wohnräume einer Altersgruppe junger Menschen (zwischen 7 und 27 Jahre) komplett in die Sammlungen des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold übernommen werden konnten. Im Jahre 2000 schließlich wurden in der Sonder16 Bernhardt, Kirsten: Das Armenhaus (= Einzelführer des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, 16), Detmold 2005; Apel, Gefion, Das Armenhaus aus Rinkerode, in: Heimatpflege in Westfalen (18. Jg.), Nr. 5, 2005, 9-10, hier S. 9.
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ausstellung „ZimmerWelten – wie junge Menschen heute wohnen“ Inhalte zu einzelnen, das Leben Jugendlicher betreffenden Fragen präsentiert. In der Vernetzung mit Schulen, Fachschulen und Universitäten wurde die Ausstellung 17 erarbeitet sowie ein Begleitband veröffentlicht. Abb. 5: Die ‚Museumsarchen‘ für die Ausstellung „ZimmerWelten – wie jungen Menschen heute wohnen“
Schon das Thema – Kinder- und Jugendzimmer des Jahres 1999 – macht sicherlich unmittelbar deutlich, wie schwierig deren Präsentation in einem Gelände sein muss, das in historisch und regional zusammengestellten Siedlungszusammenhängen Objekte der Zeit von etwa 1800 bis um 1925 zeigt. Für das hier diskutierte Projekt wurden von Studierenden der Fachhochschule Lippe eigene farbige ‚Präsentationsarchen‘ mitsamt einem Leitungs- und Beschilderungskonzept, das vom Eingang zum Ausstellungsort lenkte, entwickelt. Auf Pontons im Dorfteich des Freilichtmuseums standen fünf dieser farbig gestalteten ‚Archen‘, die von den ehemaligen Bewohnern und Bewohnerinnen der Jugendzimmer für die Ausstellung eingerichtet wurden. In Beziehung zum didaktischen Konzept des Museumsgeländes war so kontrastiv verdeutlicht worden, dass es sich bei der aktuellen Präsentation um eine völlig andere Zeitebene als die üblicherweise im Museum thematisierte handelt. Die Ausstellung war inhaltlich ebenso aussagekräftig wie sie das museale Handeln transparent machte. Doch aus der Innensicht des Museums war an diesem Projekt besonders eindrucksvoll, dass die Arbeit im Netzwerk ein positives Echo aller, auch der Zimmerstifter, erzielte. Ohne die Netzwerke und ohne die hinzugezogenen Gestalter wären die für das Projekt gefundenen Lösungen mit Sicherheit nicht so erfolgreich geworden. Ein kaum zu umgehendes Element in der Besucherwahrnehmung – nämlich das Erschaffen der idyllisierten Vergangenheit anhand der Museumsdarstellung – wurde hier deutlich irritiert. Dass zahlreiche Besucherkommentare diese Aktivitäten als einen Bruch im Gesamtbild des historischen Dorfes empfanden und damit kritisierten, ist ein Hinweis auf die unterschiedlichen Auffassungen musealer Aufgaben; denn andererseits wurde recht oft der Wunsch geäußert, die ‚Archen‘ auf Dauer stehen zu lassen.
17 Carstensen, Jan; Richartz-Sasse, Claudia; Düllo, Thomas (Hg.): ZimmerWelten. Wie junge Menschen heute wohnen, Essen 2000.
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Zukünftige Chancen Was nutzen diese Erfahrungen für die zukünftige Museumsarbeit? Was nutzt die theoretisch-pragmatische Betrachtungsweise im und für den Arbeitsprozess, was bedeutet sie für die Kompetenzen der Kuratoren, der Museumspädagogen und der Gestalter in einem Projekt? Am Westfälischen Freilichtmuseum Detmold hat der neue Museumsleiter Dr. Jan Carstensen zu Beginn seiner Amtszeit die Weichen gestellt und die Museumspädagogik stärker gewichtet als bisher: Ein eigenes wissenschaftliches Referat, das gleichzeitig die stellvertretende Museumsleitung bildet, ist 2006 eingerichtet worden. Aus den positiven Ergebnissen vergangener Kooperationen haben wir außerdem geschlossen, dass eine frühzeitige Zusammenarbeit aller Beteiligten unter klaren Zielvorgaben notwendig ist. Positiv entwickelt sich – in Kooperation mit Gestaltern – aktuell die Einrichtung eines neuen zentralen Standortes für Beratungen, museumspädagogische Gruppenarbeit und Spielangebote in einem historischen Gebäude mitten im ‚Paderborner Dorf‘. Nach den Erfahrungen der beschriebenen Projekte lässt sich zusammenfassen, dass Museen mit Kuratierung und Museumspädagogik dann von Gestaltern profitieren, wenn sie selbst deutlich und dezidiert ihre Position formulieren können. Pragmatisch betrachtet ist es sicherlich der Idealfall, dass Besuchern der Unterschied der Kompetenzen und der Aussagequalität zwischen Freizeitparks und Museen deutlich wird, schon um die Akzeptanz der Museen als Bildungseinrichtungen zu gewährleisten. Museen wollen auch bei Gegenwartsthemen zu Fragen anregen und Antworten geben – Freizeitparks nicht. Auch wenn heutzutage Freizeiteinrichtungen manchmal durchaus so weit gehen, dass sie zusammen mit mehr oder weniger kompetenten Partnern Bildungsan18 gebote unterbreiten. Allgemein betrachtet kann man mit einigem Recht das Feld Unterhaltung als gut bespielt betrachten. Womit kann ein Museum also hervortreten? Doch nur, indem es in der Hauptsache – und mit guten wissenschaftlichen Standards – Themen mit Sonderausstellungen und Präsentationen aufgreift, an denen in der Gesellschaft eine Nachfrage besteht. Zweifellos eine Aufgabe für Wissenschaftler, die mit der ‚Marke‘ der faktenorientierten, wahrhaftigen Aussage ihre Kernkompetenz platzieren. Die von ihnen gestellten Fragen müssen sie in der didaktischen und museumspädagogischen Positionierung für verschiedene Zielgruppen aufbereiten, so dass auch gehört wird, dass das Museum auf gesellschaftliche Fragen Antwort bieten will und 18 Einen Überblick zu verschiedenen Beispielen geben Freericks u.a.: Nachhaltiges Lernen, a.a.O.
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wird. Eine Freizeiteinrichtung wird dagegen kein Besucher mit der Nachfrage konfrontieren, woher diese ihre Aussagen über mittelalterliche Ritter oder die Entwicklung der Agrarkultur nimmt. Ein Museum – aus welchem Fachbereich auch immer – wird sich davon immer gefordert sehen und sich auch fordern lassen. Der Aspekt, dass Museen unbequeme Themen aufgreifen dürfen und müssen, spielt eine zentrale Rolle für die Museumsarbeit. Das Freilichtmuseum Detmold steht beispielsweise in den kommenden Jahren vor der Aufgabe, das Wohnhaus der jüdischen Familie Uhlmann aus Ovenhausen (Kr. Höxter) einzurichten, dessen letzte Bewohner in das Ghetto in Riga verschleppt wurden, 19 wo sich ihre Spur verliert. Als Museumswissenschaftler – und auch als Museumspädagoge – steht man dem Betrachter, wie es heißt, zu einem solchen Thema ‚zur Verfügung‘. Man informiert, trifft Aussagen auf der Basis von Fakten, orientiert an einem gesellschaftlichen Rahmen, in dem man sich bewegt. Es darf sich immer nur um eine Stellungnahme zu einem Thema handeln, mit dem sich der Museumsbesucher dann konfrontiert sieht, selbst wenn es lediglich das Ziel sein sollte, 20 gemeinsame neue Fragen aufzuwerfen. Inwieweit Museumsgäste sich überhaupt mit kritischen Themen auseinandersetzen, wenn sie bei einem Museumsbesuch in erster Linie Unterhaltung erwarten, bleibt fraglich. In jedem Fall sollten Besucher im Anschluss an eine Konfrontation kompetente Ansprechpartner im Museum finden, die für die inhaltlichen Aussagen Verantwortung übernehmen – und auch dies gehört für viele Menschen tatsächlich zu ihrer Vorstellung von ‚guter Unterhaltung‘. Um diesen Umstand, diese Prozesse in der musealen Präsentation erfolgreich zu machen, sind eine integrative und transparente Kooperation zwischen allen Beteiligten im „magischen Dreieck“ und klare Kompetenzen erforderlich; schließlich gilt es einen Dreiklang zu komponieren, der eine optimale Ausstellungspraxis ergibt und kein ‚Bermuda-Dreieck‘ provoziert – mit unvorhersehbaren Risiken. 19 Kurzbeitrag, in: Baumeier: Beiträge zur Volkskunde; Nr. 9, 2005, a.a.O., S. 210f.; Baumeier, Stefan; Stiewe, Heinrich (Hg.): Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, Bd. 24), Bielfeld 2006; demnächst dazu auch Apel, Gefion in Fund-Stücke (in Vorbereitung). 20 Diese Auffassung in Bezug auf die Aneignung von Geschichte zum Beispiel auch vertreten durch Heyl, Mathias; Redlich, Karin; Walz, Loretta; Gerwers, Knut: Neue Formen jugendgerechter Aneignung von Geschichte, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 72, 2005, S. 32-36.
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Literatur Apel, Gefion: Lesen – Hören – Begreifen. „Wir brauchen mehr zum Lesen!“, in: Stefan Baumeier, Jan Carstensen (Hg.), Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung 8, Detmold 1999, S. 127-131. Apel, Gefion: „Wir würden am liebsten einziehen!“ Das ‚Haus zum Anfassen‘ in der zweiten Saison, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte an der Universität – GH Paderborn (15. Jg.), Nr. 2, 2002, S. 129-132 Apel, Gefion: Das Armenhaus aus Rinkerode, in: Heimatpflege in Westfalen (18. Jg.), Nr. 5, 2005, S. 9-10. Apel, Gefion; Carstensen, Jan: Erdbeerspinat, Lippegans und Apfelbaumalleen – die Thematisierung von Landwirtschaft und Umwelt aus musealer Sicht am Beispiel des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold, in: Karl Ditt u.a. (Hg.), Agrarmodernisierung und ökologische Folgen (= Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 40), Paderborn 2001, S. 657-669. Apel, Gefion; Müller, Christiane: „Das Nothwendige soll immer vor dem Nützlichen den Vorrang haben“. Das Pastorat aus Allagen – Musealisierung eines Wohnhauses im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte an der Universität – GH Paderborn (15. Jg.), 2/2002, S. 72-81. Baumeier, Stefan (Hg.): Westfälisches Freilichtmuseum Detmold – Museumsführer, Detmold 2001. Baumeier, Stefan: Idee und Realisation, in: ders.; Carstensen, Jan (Hg.): Westfälisches Freilichtmuseum Detmold: Geschichte – Konzepte – Entwicklungen (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseum Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, Nr. 14), Detmold 1996, S. 7-68. Baumeier, Stefan: Alte und neue Häuser – alte und neue Präsentationskonzepte. Zur Entwicklung des Freilichtmuseums 1998 bis 2005, in: Baumeier, Stefan; Carstensen, Jan (Hg.): Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung 9, Detmold 2005, S. 9-34. Baumeier, Stefan; Carstensen, Jan (Hg.): Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung 8, Detmold 1999. Baumeier, Stefan; Carstensen, Jan (Hg.): Westfälisches Freilichtmuseum Detmold: Geschichte – Konzepte – Entwicklungen (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseum Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, Nr. 14), Detmold 1996. Baumeier, Stefan; Stiewe, Heinrich (Hg.): Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, Bd. 24), Bielefeld 2006.
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Bernhardt, Kirsten: Das Armenhaus (= Einzelführer des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, 16), Detmold 2005. Carstensen, Jan: Die Sachgutsammlungen, in: Stefan Baumeier, Jan Carstensen (Hg.), Westfälisches Freilichtmuseum Detmold: Geschichte – Konzepte – Entwicklungen (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseum Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, Nr. 14), Detmold 1996, S. 109-160. Carstensen, Jan; Richartz-Sasse, Claudia; Düllo, Thomas (Hg.): ZimmerWelten. Wie junge Menschen heute wohnen, Essen 2000. Freericks, Renate; Theile, Heike; Brinkmann, Dieter (Hg.): Nachhaltiges Lernen in Erlebniswelten? Modelle der Aktivierung und Qualifizierung. Tagungsdokumentation, Bremen 2005. Heyl, Mathias; Redlich, Karin; Walz, Loretta; Gerwers, Knut: Neue Formen jugendgerechter Aneignung von Geschichte, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 72, 2005, S. 32-36. Hochreiter, Walter: Vom Musentempel zum Lernort. Zur Sozialgeschichte deutscher Museen 1800-1914, Darmstadt 1994. Hoek, Gerard van der: Edukanesisch, für Aussteller, die (andere) Ausstellungen machen, oder Ausstellungen anders, in: Julia Breithaupt, Peter Joerissen (Hg.), Museumspädagogen machen (andere?) Ausstellungen, Nürnberg 1986, S. 68-77. Hörmann, Hans: Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik, Frankfurt/M. 1976. Jaschke, Beatrice; Martinz-Turek, Charlotte; Sternfeld, Nora: Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005. Nitschke, Ralf: Das Pastorat (= Einzelführer des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, 17), Detmold 2006.
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N I C O L E G E S C H É -K O N I N G Die diskrete Allgegenw art des Vermittlers im Museum. Au s der Sicht der Museumspädagogik
Museumspädagogik, Kommunikation, Interpretation, Kulturvermittlung – egal welche Benennung wir als Anwalt der Museumsbesucher für unsere Arbeit mit dem Museumspublikum bevorzugen, eines bleibt immer sicher und unveränderlich: Unser Ziel ist es, zusammen mit unserem Publikum die verschiedenen Botschaften der Museumsexponate zu entziffern oder zu ent1 schlüsseln. In unserer multimedialen Gesellschaft sollten die Museen auf zu intellektuelle und wissenschaftliche Erklärungen verzichten – sie gehörten der Vergangenheit der Museen an. Die Museen müssten vielmehr an die Erwartungshaltung und das Vorwissen der Menschen anknüpfen, um sie anzulocken. Oft heißt es, was die Besucher heutzutage brauchten, sei Interaktivität. Aber – diese Frage stellt sich in diesem Zusammenhang unmittelbar – ist Kommunikation nicht schon Interaktivität? Zielgerichtet eingesetzte neue Medien bereichern sicher den Bezug zu den Objekten; aber sie werden niemals ein Ersatz für die sinnliche, menschliche Kommunikation sein können (Abb. 1).
Abb. 1: Haus der Geschichte, Bonn 1
Kunz-Ott, Hannelore: Museumspädagogik und Öffentlichkeitsarbeit, in: Sabine Jung (Hg.), Neue Wege der Museumspädagogik. Publikation zu einer Fachtagung des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Insitute e.V. – AsKI im Museumszentrum Lorsch, 25.-26.4.2002, Bonn 2003, S. 77-85.
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„Die Hinführung des Besuchers zum originalen Kunstwerk muss oberste Priorität haben, solange Museen sich mit Objekten befassen“ – doch schon im 2 Jahre 1984 war von Museen ohne Objekte die Rede. Und dies obwohl gefordert wurde, dass die Achtung vor dem Original unbedingt erhalten werden sollte und durch Einsatz aller Medien nur zu unterstützen sei, selbst wenn „die Faszination der computergestützten Animationen in unmittelbarer Konkurrenz 3 mit dem Original steht.“ Haben denn die Besucher mehr davon, wenn sie den Eindruck erhalten, eine Ausstellung ‚gesehen‘ zu haben, nur weil sie auf alle Bedienungsknöpfe gedrückt haben? Heutzutage entsteht eine neue Gefahr für die Objekte. Haben die Museumsobjekte noch einen Chance gegenüber den neuen Museumsbauten – den Ka4 thedralen des 20. bzw. des 21. Jahrhunderts? Die Aura dieser anspruchvollsten und gleichzeitig spannendsten Bauaufgaben unserer Zeit wie beispielweise die Guggenheim-Museen, Renzo Pianos Werke wie das Paul Klee Zentrum oder das neu eröffnete Museum des Quai Branly, stehen derzeit in Konkurrenz mit der Aura des Kunstwerkes 5 als dem attraktiverem Objekt (Abb. 2).
Abb. 2: Christchurch Art Gallery (Neuseeland)
Die Vermittlungsarbeit in Museen Es ist gleich, ob die Museumsvermittler in einem alten Museum oder in einer Prachtarchitektur angestellt sind oder ob sie freiberuflich arbeiten – ihre wichtigste Aufgabe bleibt die Kommunikation. Aber wie verstehen diese Aufgabe die Museumspädagogen und diejenigen, die sich mit Bildungsarbeit in den Museen beschäftigen? Was bleibt von der alten Pädagogik in der heutigen museumspädagogischen Welt übrig? Was brauchen Museumspädagogen von 2 3
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Vers un musée sans objet: une métamuséologie, siehe: Dagognet, François: Le musée sans fin, Seyssel 1984, S. 152. Treff, Hans-Albert; Krämer, Harald: Neue Medien – ein Ersatz für Museumspädagogen, in: Hans-Uwe Rump, Hildegard Vieregg (Hg.), Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, ICOM-CECA/MPZ Tagung, München 1998, S. 21-38, hier S. 26. Newhouse, Victoria: Wege zu einem neuen Museum. Museumsarchitektur im 20. Jahrhundert, Ostfildern-Ruit 1998, S. 10. Greub, Suzanne u.a. (Hg.): Museen im 21. Jahrhundert. Ideen, Projekte, Bauten, München u.a. 2006.
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den Kuratoren, den Gestaltern und den neuen Medien? Doch die Perspektive lässt sich auch umkehren: Wie und womit können sie die Arbeit der Kuratoren und der Gestalter bereichern oder ihnen hilfreich sein? Ist eine Zusammenarbeit überhaupt möglich? Nach 30 Jahren Tätigkeit in dem Bereich Museumspädagogik und Mitgliedschaft in ICOM-CECA und nach meiner belgischen sowie internationalen Erfahrung ist die Zusammenarbeit und Kooperation in Museen zwischen diesen Gruppen keine Idee, die einem Luftschloss gleicht. Denn meiner Meinung nach braucht gute Kommunikation und damit der Erfolg eines Museums sowohl eine eher kostenreiche Inszenierung als auch gute Kenntnisse im Umgang mit den Objekten und – am wichtigsten – ein Gespür für den Menschen. Gut gemeinte, aber falsch konzipierte Museumspädagogik kann Kunstinter6 esse im Keim ersticken!
Museumspädagogik und Bildungsarbeit in Museen verlangen gute Menschenkenntnisse Diese Seite des Berufsbildes der Museumspädagogik wird zu oft vergessen und durch ein Übermaȕ an Didaktik ersetzt. ‚Menschenkenntnis‘ bezieht sich dabei nicht nur auf die Besucher, mit denen wir im Rahmen unserer Arbeit umgehen. Sie ist auch ausschlaggebend für den Umgang mit den Exponaten. Denn es gilt, die Menschen in den Blick zu nehmen, die hinter den Exponaten stecken. Wir müssen uns in ihre Kultur hineinversetzen, die Rahmenbedingungen verstehen, unter denen sie lebten, und um die geschichtlichen Zusammenhänge wissen, aus denen heraus die Gegenstände des Museums zu interpretieren sind. Wir müssen uns vorstellen, wie diese Menschen, über deren Leben wir uns ‚anmaȕen‘ zu sprechen, reagieren würden, wenn sie heutzutage lebten und uns hörten. Diese menschliche Seite der Museumspädagogik liegt dem Kollegen Michael Cassin sehr am Herzen. „Ein Mann mit Mission“ wurde dieser englische Museumspädagoge in dem Magazin der K20K21 Kunstsammlung Nordrhein7 Westfalen genannt. Nach mehreren Jahren Tätigkeit an der National Gallery in London und an den National Galleries of Scotland in Edinburg ist er derzeit 6
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Bergeron, Yves: Drogues, une exposition qui voyage! Ou Quand le musée prend la route: rapport d’une évaluation sommative, in: Colette Dufresne-Tassé (Hg.), L’évaluation, recherche appliquée aux multiples usages/Ecvaluation: Mumtipurpose Applied Research/La evaluación: investigación aplicada a usos multiples, ICOM-CECA, Québec 2002, S. 285-306. Jansen, Nicole: Mann mit Mission, in: 20_21, Magazin der K20K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Nr. 3, 2005, S. 26-28.
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am ‚Francine and Sterling Clark Institute‘ in Williamstown tätig. Er sieht sich weniger als ‚Pädagoge‘ denn als „Curator of Engagement“: Für ihn beinhalten die Worte ‚Erziehung‘, ‚Bildung‘ und ‚Pädagogik‘ nur die alten Formen von Lehren und Lernen. Der Schwerpunkt der Arbeit des Curator of Engagement ist dagegen das Gespräch, mit dem man sich auf etwas einlassen kann, das Wissen teilt, das Werke entdecken lässt, bei dem die Möglichkeit besteht nachzudenken und zu diskutieren. Wenn der auf diese Weise geleitete Betrachter genau hinsieht, entdeckt er das Wunder, welches das Kunstwerk in sich birgt, die Magie, die es in sein Leben bringt. Kunstvermittlung hat für ihn „nichts damit zu tun, dass uns einer etwas erzählt. Kunstvermittlung lehrt Menschen, sich für Kunst zu begeistern – und eine Art zu denken, die sie 8 überall auf der Welt und bei jedem Werk anwenden können“.
Der Besucher als Partner in einer „Schule des Sehens“ In einer mediendominierten Welt, wo derjenige am produktivsten ist, der am schnellsten sieht, wirken Museen als Oasen der Beobachtung, eine „Schule des Sehens“ wie Christoph Vitali es ausdrückte; Orte, in denen Zeit keine Rolle spielen soll, wo man fünf Minuten, eine Stunde, zwei Stunde bleiben darf, wo 9 man sich Zeit gönnen kann, um anzuschauen und nachzudenken (Abb. 3). Abb. 3: Die ‚British Galleries‘ des Victoria and Albert Museums, London
Jeder Mensch ist fähig zu beobachten. Jedoch versagen noch zu viele Museen mit ihrer Überzeugung, dass die Museumssammlungen nur ‚gebildeter‘ Leuten würdig seien. Laut Cassin sind Museumsbesucher „clever“ und „man sollte ihr Denkvermögen 10 nicht unterschätzen“. Selbst wenn, nach der Forschung der derzeitigen CECA-Präsidentin Professor C. Dufresne-Tassé der Universität Montreal, zu viele Besucher ihre „Intelligenz in der Garderobe lassen“, als ob sie beim Eintreten in das Museum davon überzeugt wären, eine gewisse „Dummheit“ in sich zu tragen – zumindest im Vergleich jedenfalls mit den Wissenschaft-
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Ebd., S.27. Vitali, Christoph: Thesen zur Überpädagogisierung unserer Museen, in: Hans U. Rump, Hildegard Vieregg (Hg.), Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, München 1998, S. 101. 10 Jansen: Mann mit Mission, a.a.O., S.28.
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lern, die im Museum tätig sind.11 Deswegen müssen wir, die Vermittler, mit groȕer Offenheit unsere Aufgabe angehen und die Besucher da abholen, wo sie in Wirklichkeit stehen und nicht wo sie, unserer Meinung nach, stehen 12 sollten, nur weil sie sich in einem Museum befinden. Um dies aber zu gewährleisten, ist es unabdingbar, sich möglichst intensiv in die Lebenswelt der Zeit hineinzuversetzen, aus der die Objekte stammen, die wir vermitteln wollen. Doch ebenso wichtig ist es, die Distanz zwischen der heutigen Zeit und der darzustellenden Zeit – nicht nur die zeitliche, sondern auch die kulturelle im weiteren Sinne – deutlich werden zu lassen, wobei Inszenierung mit Rücksicht auf Authentizität eine Rolle spielen kann. Spannend an der Vermittlungsarbeit ist die ständige Begegnung zwischen den 13 Besuchern und den Museumsobjekten – zum Austausch und zum Dialog. „Dabei geht es um sinnliche Erfahrung, die nicht durch Belehrung zugedeckt werden darf. Schlieȕlich kann auch die Frage, was ein Bild (oder jedes Museumswerk) bedeutet, nicht eindeutig beantwortet werden. Das einzelne Kunstwerk sagt vielmehr, 14 auch in einem Kontext, für jeden Ausstellungsbesucher etwas anderes aus.“
Selbst wenn ein Werk kompliziert ist, es gemeinsam zu entschlüsseln, ist viel interessanter als alles zu vereinfachen. Zu einfache Fragen regen nicht mehr zum Weiterdenken an. Man muss ehrlich mit den Exponaten umgehen und davon überzeugt sein, dass es in jedem etwas gibt, das zu entdecken lohnt. Kunst kann kompliziert sein und mehr verkörpern, als man auf den ersten Blick sieht. Man soll einen „Prozess analytischen Denkens bei den Besuchern anstoȕen, durch Fragen 15 statt Dozieren.“ Schließlich ist „der Prozess des Verstehens immer Anschau16 ung und Reflexion zugleich.“ Nach Cassin sei dies genau wie beim Tanzen. Denn nach Anschauung, Reflexion und Anpassung träte man letztlich nicht 17 mehr auf die Füȕe seines Partners. Und der Tanz könne beginnen.
11 Gespräch auf der CECA Tagung in Nairobi (Kenya) 2002. 12 Demant, David: Hitting the Audience where they really are, in: Annual Conference CECA/ICOM 1997. Proceedings, Rio de Janeiro 1998, S. 47-49, hier S. 48. 13 Vallet, Françoise: Museumspädagogik als Teil der Kulturpädagogik (Korreferat), in: Hans U. Rump, Hildegard Vieregg (Hg.), Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, München 1998, S. 52-54, hier S. 54. 14 Vitali: Thesen, a.a.O., S. 101. 15 Jansen: Mann mit Mission, a.a.O. 16 Treml, Manfred: Thesen zur Überpädagogisierung unserer Museen (Korreferat), in: Hans U. Rump, Hildegard Vieregg (Hg.), Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, München 1998, S. 101-103, hier S.102. 17 Cassin, Michael: Partnering with the Public – Dancing Cheek to Cheek, in: ICOM Education 19, 2005, S. 11-12.
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Muss sich die Museumspädagogik neue Wege suchen? Museumspädagogik in ‚alten‘ Museen kann ‚modern‘ wirken – Zwei europäische Museen, die eher als ‚alte Damen‘ gelten, sind beispielhaft. Sie wurden beide Ende des 19. Jahrhunderts gegründet. Von Anfang an war das Ziel der Ausstellungsmacher, dass die Besucher die Entstehung der Ausstellung begleiten und in den Dialog mit den Exponaten treten können. Die Zeit dazu war günstig: Dank der Bewegung Arts and Crafts war die damalige Gesellschaft in kulturellen Dingen sozial engagiert; man vertrat eine Haltung, die Kultur allen zugänglich machen sollte. In beiden Museen sind Anfang dieses Jahrhunderts groȕe Renovierungsmaßnahmen durchgeführt worden. Beispiel 1: Die British Galleries im Victoria & Albert Museum Die erste Phase der Renovierung des Victoria & Albert Museums in London, das im Jahre 1852 aus der Weltausstellung „Industry of all Nations“ im Crystal Palace hervorgegangen ist, hat zu einer Reflexion über die Konzeption der British Galleries geführt. Ausgezeichnet mit dem European Museum of the Year Award haben diese renovierten Säle einen besonderen Wert für die hier geführte Diskussion: Die Museumspädagogik ist allgegenwärtig. Zwar sind handelnde Personen nicht immer physisch anwesend, aber man spürt ihre Arbeit, ihren Einfluss und ihr Wirken trotzdem überall. Schon vor den eigentlichen Renovierungsarbeiten, das heißt bereits in der Phase der Konzeption, waren die Museumspädagogen in das Projekt involviert. Monatelang waren sie als Besucherforscher unterwegs, haben bei der Formulierung der Fragebögen mitgearbeitet und die Interpretation der Ergebnisse, die im Internet für alle zugänglich sind, begleitet. Ein Ergebnis dieser Untersuchung war, dass das Publikum auf einer klassischen chronologischen Präsentation bestanden hat. Eine horizontale Chronologie kann zwar anregend und lockend sein – so die Feststellung –, aber nur für diejenigen, die bereits die vertikale Chronologie beherrschen. Dies wurde umgesetzt. Das Neue an den British Galleries ist die Art und Weise, wie die Konzentration und Aufmerksamkeit der Besucher aufrechterhalten wird. Und dies, obwohl man beim Betreten der Säle zunächst den Eindruck hat, sich in einer üblichen Galerie mit Vitrinen und schönen Objekten der Vergangenheit zu befinden. Doch gleichzeitig ist man sich als Besucher der diskreten Präsenz des Vermittlers in merkwürdiger Weise bewusst. Vier Themen, die immer wieder den Besucher ansprechen, gliedern alle Säle: • Was ist der Stil der Zeit (‚Style‘)? • Wer bestimmte zu dieser Zeit den Geschmack (‚Who led taste‘)? • Wie lebte man zu dieser Zeit (‚Fashionable Living‘)? • Was war neu (‚What was new‘)? 110
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Wer will, kann beim Verlassen jedes Raumes seine neuen stilistischen Kenntnisse testen. Auch im Detail – jedoch ohne vordergründige Gängelung – ist der Vermittler immer „anwesend“: seine Filigranarbeit spürt man! Sorgfältig mit den Kuratoren und dem Gestalter ausgearbeitete Begleittexte finden sich, die – obwohl alles Mögliche über Texte in Museen diskutiert und publiziert wird – 18 immer wieder anderen Regeln folgen und so lebendig bleiben. Aber auch in Videos oder Bildschirmanimationen, die auf eine Dauer von maximal zwei Minuten begrenzt sind, ist die Handschrift der Museumspädagogik sichtbar. Ob sie der Besucher nutzt oder nicht, ist ihm überlassen. Das vergleichsweise einfache Gliederungsschema und die Gegenwart der Vermittler machen es möglich, dass sich Besucher mit verschiedenen Interessen und aus unterschiedlichen Altersgruppen in die Auseinandersetzung mit den Exponaten einbezogen und ernst genommen fühlen, ohne bevormundet zu werden. Die Philosophie dieser ‚Didaktik‘ steckt wie gesagt im Detail. Das Angebot ist für diejenigen da, die es zu nutzen wünschen. Selbst zerbrechliche Stücke sind für alle zugänglich: sie stecken in Kästchen oder Schiebewänden, die offen bleiben, solange der Besucher sie betrachtet. Selbst zwei Highlights wie das Great Bed of Ware oder das Melville Bed sind zugänglich. Den Museumsmachern ist die Lust, diese wundervollen Objekte anzufassen, bewusst. Deshalb werden von allen Materialien, von den Kissen bis zur Matratze, Kopien ausgestellt und die Zerbrechlichkeit der Originale sowie die Geduld erfordernde Restaurierungsarbeit erklärt. Der Besucher fühlt sich und seine Bedürfnisse berücksichtigt und quittiert dieses Vertrauen positiv. Sollte der Besucher noch Fragen haben, kann er in gemütlich ausgestatteten Räumen mit Sesseln von Moroso weitere Auskünfte erhalten. Dort stehen ihm Bücher und Datenbanken zur Verfügung. Sollte er die Information nach Hause mitnehmen wollen, sind Mitarbeiter bereit, das eine oder andere zu kopieren oder ausdrucken zu lassen. Die Konzentration auf den Besucher und seine Bedürfnisse ist damit jedoch nicht erschöpft. Wandert er weiter, wird er nach der Besichtigung der ersten Hälfte der Säle überrascht. Faltbare Stühle zum Mitnehmen für seine weiteren Entdeckungen werden ihm angeboten, lediglich verbunden mit der Bedingung, die Stühle nach Gebrauch zurückzubringen. Sagte nicht Kenneth 19 Hudson, dass nur „die Museen überleben werden, die Stühle anbieten“? 18 Hütter, Hans Walter; Dennert, Dorothee: Von A wie Evaluation bis Z wie Grafik – Textverarbeitung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Evelyn David, Robert Schlesinger (Hg.), Texte in Museen und Ausstellungen, Bielefeld 2002, S. 153-165; und Bourke, Marie (Hg.): Effective Presentation & Interpretation in Museums. Proceedings of the Symposium held on 7 November 2003 at The National Gallery of Ireland, Series No. 5, Dublin 2004. 19 Für Kenneth Hudson werden nur die Museen überleben, die über „charme and chairs“ verfügen, d.h. mit einer Aura der Vergangenheit und als soziales Diskussionsforum des
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Wie in vielen großen Museen finden sich auch in London eine Reihe von Nebensälen. Auch ihnen galt die Aufmerksamkeit des Projektteams. Denn hier wird das Publikum mit der Frage konfrontiert „Was ist es?“. Auf diese Weise kann Wissen überprüft oder Neugier geweckt werden. Möglich ist aber auch die Konzentration auf das Exponat selbst. Auch hier waren die für die Vermittlung Verantwortlichen bei der Auswahl der ausgestellten ungewöhnlichen Objekte beteiligt. Visitor friendly kann man diese neuen Galerien des Victoria & Albert Museum nennen, die so nie zu Stande gekommen wären, wenn nicht alle Abteilungen gleichberechtigt im Konzert der Macher mitgespielt hätten (Abb. 4). Abb. 4: Die ‚British Galleries‘ des Victoria and Albert Museums, London
Beispiel 2: Die Königlichen Museen für Kunst und Geschichte in Brüssel Wie im Fall der British Galleries kann das „magische Dreieck“ nur entstehen, wenn die Museumsleitung mitspielt. Und dies ist keine Frage der Epoche. Schon im Jahre 1922 war der Ägyptologe Jean Capart, der damalige Direktor der Königlichen Museen, davon überzeugt, dass eine bloß auf die Forschung abzielende Kuratierung zwecklos bleiben müsse, wenn ihre Ergebnisse nicht 20 nach ‚auȕen‘ mitgeteilt werden könnten. Und mehr noch: Er betrachtete die Objekte seiner Museen zunächst als eine menschliche Kreation, bevor er in ihnen das Kunstwerk zu sehen bereit war. Bis heute ist die pädagogische und kulturelle Abteilung der Königlichen Museen für Kunst und Geschichte in Brüssel den Ansprüchen und Forderungen dieses Kurators treu geblieben. Der erste didaktische Raum (1978) über Flügelaltäre ist ein gutes Beispiel einer gelungenen Zusammenarbeit im Museum. Das „magische Dreieck“ war hier eher ein Hexagon. Zu dem Team gehörten neben dem Kurator, dem Gestalter und dem Museumspädagogen auch ein Fotograf, eine Bildhauerin und eine Restauratorin. Geplant wurde sorgfältig – wie bei dem Drehbuch zu einem Film. Auch 25 Jahre später war der so geschaffene Raum noch ‚in‘ und wurde nur renoviert, weil eine allgemeine Instandsetzung der Säle anstand. Im Zuge dieser Arbeiten ergänzten Medienspezialisten und eine Kunsthistorikerin der Universität Brüssel die Arbeit des ursprünglichen Teams. Die Ergebnisse der Forschung wurden über eine Datenbank für das Publikum im Saal zugänglich gemacht. Ein Teil der dort abrufbaren Information konstruktiven Gedankenaustausches; siehe dazu: Treff: Neue Medien, a.a.O., S. 34, dort Anm. 27. 20 Lavachery, Henri; Capart, Jean: Conservateur en chef des Musées royaux d’Art et d’Histoire, in: Bulletin des Musées royaux d’Art et d’Histoire, Nr. 6, 1942, S. 122-126.
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wird auf einer CD verkauft. Die Universität hat ihre Mitarbeit an verschiedenen Veröffentlichungen angeboten, die eine neue Botschaft lieferten, nämlich die der materiellen Geschichte der Werke und der Notwendigkeit, zusammen für das Kulturerbe zu sorgen (Abb. 5). Abb. 5: Didaktische Raum über Flügelaltäre der Königlichen Museen für Kunst und Geschichte (Brüssel)
Was 1978 noch als spontaner Zusammenschluss in einem Team entstanden ist, wurde in einer zweiten Phase institutionalisiert: Die Verantwortung für den Raum trägt die neu gegründete didaktische Arbeitsgruppe museo-didactique, eine offizielle Instanz im Museum. Ihr Ziel ist es, die Gestaltung und den Inhalt der Ausstellung immer weiter zu verbessern und stringenter zu formulieren. Die Koordination ist von zwei Kunsthistorikerinnen übernommen worden, deren langjährige Erfahrung mit dem Publikum für den Gestalter und den Kurator von groȕem Interesse ist. Die Gruppe museo-didactique versucht derzeit, neue Audioführer einzuführen, und bietet Gestaltern und Kuratoren Hilfestellungen bei der Entwicklung neuer Wege der Präsentation. Die so geschaffenen neuen Synergien zwischen mehreren Abteilungen des Museums gehören zu dem, was als die ‚stille Revolution‘ dieses Museums bezeichnet wurde. Die Einbeziehung der Museumspädagogen in das alltägliche Leben und die alltägliche Arbeit des Museums ermöglicht es, dass die Vermittler ihre Arbeit nicht trotz der Gestaltung und der Kuratierung leisten müssen, sondern als gleichwertige Ansprechpartner auftreten. Sie werden heute als pädagogische Berater der Museumsleitung geschätzt.
Betrachter-Objekt Beziehung Beispiel 1: Das Dialogmuseum in Louvain-la Neuve In der Matisse-Ausstellung in Düsseldorf (2005) wurde der Besucher als Betrachter der Werke unmittelbar in eine Beziehung zu den ausgestellten Objekten und dem umgebenden Raum gebracht. Die Rauminstallationen von Dominique Gonzalez-Foerster, Yayoi Kusama, Angela Bulloch und Douglas Gor113
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don waren mit unglaublichen Erlebnissen verbunden. Diese Form des Konzeptes, das heißt die Art, wie der Betrachter einbezogen wird, ist auch das Ziel des Dialogmuseum (Musée du dialogue) in Louvain-la-Neuve (Belgien). Es gibt keine angezeigten Wege. Der Besucher ist hier vielmehr eingeladen, Zeit zu vertrödeln, zu träumen, ein Labyrinth zu durchlaufen, in welchem er sich selbst den Weg und die Umwege ausdenken kann. Die Museumsobjekte haben keinen festen Platz. Sie werden keiner bestimmten Periode oder Kategorie zugehörig ausgestellt. Keine definierte Abteilung kann behaupten, alles über sie sagen zu können. Im Gegenteil werden hier – wie auch in der Tate Modern in London – unerwartete Begegnungen vorgezogen. Der Ausstellungsraum kennt keine Zeitund Weltgrenze. Nur die Materialien, die Farben, die Formen und die Symbole der Kunstwerke rufen einander und antworten sich. Man ist schon erstaunt, wie viele Gemeinsamkeiten zwischen einem Schild aus Neu Guinea und einem mittelalterlichen Bild oder zwischen einer Trommel aus Vanuatu und einem modernen Gemälde zu entdecken sind. Plastische Echos oder visuelle 21 Kalauer führen hier zu Spaȕ und Genuss. Beispiel 2: Das Zeitgenössische Museum der französisch sprechenden Gemeinschaft Belgiens im Grand-Hornu Die Ansprache der Menschen, die ein Museum besuchen oder besuchen könnten, ist der Kern der Arbeit bei der Vermittlung zwischen Objekt und Besucher. Der Dialog mit ihnen steht im Mittelpunkt. Ganz offensichtlich wird dies im Credo des Leiters des Zeitgenössischen Museums der französisch sprechenden Gemeinschaft Belgiens im Grand-Hornu (Wallonischer Museumspreis 2006), Laurent Busine: „Das Museum aller Menschen ist vorerst das Museum von jedem einzelnen. Es ver22 deutlicht erneut die menschliche Seite unserer Arbeit.“
In seinem Haus wird speziell für die Nachbarn des Museums – und nur für sie – bei jeder neuen Ausstellung eine eigene Vernissage organisiert. Und auch die Museumscafeteria hat einen neuen Status. Sie ist heute das Stammlokal für einen dieser Nachbarn geworden, der das Museum dem Dorflokal vorzieht. Selbstverständlich bekommt er freien Eintritt!
21 http://www.muse.ucl.ac.be/pub/index_de.php (Stand 31.12.2006). 22 http://www.mac-s.be (Stand 31.12.2006).
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Schluss Ohne der Tagung „Das magische Dreieck – Das Verhältnis von Kuratierung, Gestaltung und Museumspädagogik“ das Etikett zu geben, man wolle versuchen das Rad neu zu erfinden, muss dennoch darauf hingewiesen werden, dass das CECA-Komitee sich seit mehr als 25 Jahren mit diesem Thema beschäftigt. Schon das ‚ICOM Education Magazine‘ Nr. 9 (1980) thematisierte die Motivation der Besucher, aber auch die Zusammenarbeit in Museen wurde angesprochen. Doch das Thema bleibt aktuell! Die Ausgabe Nr. 10, für die der belgische Künstler Philippe de Gobert das Deckblatt mit Humor entworfen hat (Abb. 6), wurde der Gestaltung und der Museumspädagogik gewidmet. Schon in diesen zwei Heften wurde darauf hingewiesen, dass die Vermittler als Fachleute der Kommunikations-, Lern- und Aneignungsprozesse im Gespräch mit den Fachleuten der anderen Abteilungen sein und mit ihnen im Konzert spielen 23 sollten. Denn sie sind es, die im Museum die Reaktionen, Denkprozesse und Verhaltensweisen des Publikums am Besten kennen. Nur wenn sie Gehör finden, kann die Vermittlungsarbeit den Bedürfnissen der Besucher gerecht werden.
Abb. 6: Philippe de Gobert: Deckblatt für ICOM Education Nr. 10
Am Ende dieser Analyse der Vermittlung in Museen ist eines für mich besonders wichtig: Die menschliche Seite an und in unserem Beruf. Wir sind täglich mit Menschen von heute und gestern konfrontiert. Wir müssen dafür sorgen, dass wir unsere erste Emotion, die wir beim Eintreten im Museum hatten, bewahren und wie in jeder Partnerschaft lebendig halten. Wir, die Vermittler, haben eine enge Beziehung zu den Objekten. Wir müssen diese Beziehung pflegen, mit den Objekten jeden Tag sprechen, mit ihnen im Dialog bleiben. So, wie eine griechische Kollegin, die die Stimme Demosthenes hörte, wenn sie neben seiner Figur vorbei ging. Wir müssen dauernd ein Echo der Exponate wahrnehmen und sicher sein, dass alles, was wir unternehmen, bei unseren Besuchern richtig ankommt. Der Vergleich der Tisch-
23 Zu den Fachkompetenzen der schweizerischen Kunstvermittler zählen noch weitere Punkte.
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tennisspieler trifft zu, denn um das Spiel fortzusetzen, braucht man beim 24 Spielen immer ein ‚Pong‘ nach dem ‚Ping‘. Spaȕ und Wissenschaft sind keine Feinde! Im Gegenteil, wenn Kuratoren, Gestalter und Museumspädagogen ihr Ziel gemeinsam durchdacht haben und dabei Humor nicht ausschlieȕen, wird Wissenschaft zu Spaȕ und Genuss.
Literatur Bergeron, Yves: Drogues, une exposition qui voyage! Ou Quand le musée prend la route: rapport d’une évaluation sommative, in: Colette DufresneTassé (Hg.), L’évaluation, recherche appliquée aux multiples usages/ Ecvaluation: Mumtipurpose Applied Research/La evaluación: investigación aplicada a usos multiples, ICOM-CECA, Québec 2002, S. 285-306. Bourke, Marie (Hg.): Effective Presentation & Interpretation in Museums. Proceedings of the Symposium held on 7 November 2003 at The National Gallery of Ireland, Series No. 5, Dublin 2004. Cassin, Michael: Partnering with the Public – Dancing Cheek to Cheek, in: ICOM Education 19, 2005, S. 11-12. Dagognet, François: Le musée sans fin, Seyssel 1984. Demant, David: Hitting the Audience where they really are, in: Annual Conference CECA/ICOM 1997. Proceedings, Rio de Janeiro 1998, S. 47-49. Greub, Suzanne u.a. (Hg.): Museen im 21. Jahrhundert. Ideen, Projekte, Bauten, München, Berlin, London, New York 2006. Hütter, Hans Walter; Dennert, Dorothee: Von A wie Evaluation bis Z wie Grafik – Textverarbeitung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Evelyn David, Robert Schlesinger (Hg.), Texte in Museen und Ausstellungen, Bielefeld 2002, S. 153-165. Jansen, Nicole: Mann mit Mission, in: 20_21, Magazin der K20K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Nr. 3, 2005, S. 26-28. Kunz-Ott, Hannelore: Museumspädagogik und Öffentlichkeitsarbeit, in: Sabine Jung (Hg.), Neue Wege der Museumspädagogik. Publikation zu einer Fachtagung des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Insitute e.V. – AsKI im Museumszentrum Lorsch, 25.-26.4.2002, Bonn 2003, S. 77-85. Lavachery, Henri; Capart, Jean: Conservateur en chef des Musées royaux d’Art et d’Histoire, in: Bulletin des Musées royaux d’Art et d’Histoire, Nr. 6, 1942, S. 122-126.
24 Woodtli, Hans R.: The Hans’s Corner, in: EMYA Magazine, Nr. 1, 1995, S. 14.
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Newhouse, Victoria: Wege zu einem neuen Museum. Museumsarchitektur im 20. Jahrhundert, Ostfildern-Ruit 1998. Rump, Hans-Uwe; Vieregg, Hildegard (Hg.): Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, ICOMCECA/MPZ Tagung, München 1998. Treff, Hans-Albert; Krämer, Harald: Neue Medien – ein Ersatz für Museumspädagogen, in: Hans U. Rump, Hildegard Vieregg (Hg.), Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, München 1998, S. 21-38. Treml, Manfred, Thesen zur Überpädagogisierung unserer Museen (Korreferat), in: Hans U. Rump, Hildegard (Hg.), Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, München 1998, S. 101-103. Vallet, Françoise, Museumspädagogik als Teil der Kulturpädagogik (Korreferat), in: Hans U. Rump, Hildegard Vieregg (Hg.), Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, München 1998, S. 52-54. Vitali, Christoph: Thesen zur Überpädagogisierung unserer Museen, in: Hans U. Rump, Hildegard Vieregg (Hg.), Berufsfeld Museumspädagogik im Wandel. Annäherungen – Herausforderungen – Visionen, München 1998, S. 101 Woodtli, Hans R.: The Hans’s Corner, in: EMYA Magazine, Nr. 1, 1995, S. 14.
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H A N N E L O R E K U N Z -O T T Im Interess e des Bes uc hers. Die Rolle der Museumspädagogik
Die Tagung „Das magische Dreieck. Zum Verhältnis von Kuration, Gestaltung und Museumspädagogik“ in Bensberg hatte es sich zur Aufgabe gemacht, nach dem Verhältnis der drei Gruppen (Kuratoren, Gestaltern und Museumspädagogen) in ihrer Zusammenarbeit zu fragen und eine Diskussion zwischen diesen drei Professionen anzustoßen. Der Bundesverband Museumspädagogik war sehr gerne Kooperationspartner dieser Veranstaltung, da ein fächerübergreifendes Grundsatzgespräch im Alltag unter Zeitmangel auch nur selten zustande kommt und in Bensberg die Chance zur gemeinsamen Diskussion gegeben war. Bei der Einführung in die Tagung wurde, basierend auf der Publikation von Christine Bäumler, die These formuliert, in Ausstellungen stünden bildende 1 und unterhaltende Aspekte einander konträr gegenüber. Meine Beobachtungen der bundesweiten Museumsszene während einer zwanzigjährigen Tätigkeit in der Museumsberatung belegen das Gegenteil: Unterhaltung und Bildung im Museum stellen keine Gegensätze dar. Wobei ich statt des Begriffs ‚Unterhaltung‘ die Bezeichnung ‚Besucherorientierung‘ vorziehen möchte. Denn jedem Museum sollte es ein Anliegen sein, besucherrelevante Aspekte, wie ausreichende Informationen, Anschaulichkeit, Interaktivität, Lesbarkeit, Verständlichkeit etc., um nur einige Aspekte zu nennen, zu berücksichtigen. Museen müssen sich mittlerweile im Konzert anderer Ausstellungsinstitutionen, Freizeitparks und Science Center behaupten und sich stärker als noch 1
Christine Bäumler: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004.
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vor ein paar Jahren mit Hilfe attraktiver Angebote um ihre Besucher und Besucherinnen bemühen. Ausstellen alleine, das heißt Exponate einfach in Vitrinen und auf Podeste zu stellen, genügt seit langem nicht mehr, eine Vielfalt an begleitenden Maßnahmen (Inszenierungen, Hands-on-Modelle, Theaterszenen, handlungsorientierte Programme etc.) sollen die Attraktivität der Museen steigern und das Publikum ansprechen. Wie können die unterschiedlichen Museumsexperten, Fachwissenschaftler, Gestalter und Vermittler ihr Fachwissen einbringen und sich gegenseitig unterstützen, um bei einem Ausstellungsprojekt ein gelungenes Ergebnis zu erzielen? Um diese Frage beantworten zu können, erscheint es mir sinnvoll, zunächst einmal zu analysieren, welche Aufgaben und Arbeitsschritte bei der Realisierung einer Ausstellung anfallen, um dann in einer zweiten Stufe zu fragen, wer diese Aufgaben am besten lösen könnte. Das Schaubild 1 zeigt – idealtypisch aufgelistet – zwölf verschiedene Arbeitsschritte:
Schaubild 1:
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Realisierung einer Ausstellung idealtypisch aufgelistet in zwölf verschiedene Arbeitsschritte
IM INTERESSE DES BESUCHERS
Aufgaben und Arbeitsschritte Am Anfang steht eine Ausstellungsidee, aus der sich ein Ideenkonzept entwickelt. Die Gründe mögen ganz unterschiedlicher Art sein (historisches Ereignis, Jahrestag etc.). Dabei haben verschiedene Ausstellungsprojekte gezeigt, dass Vorab-Evaluationen bei Besuchern wichtige Erkenntnisse für die 2 Schwerpunktsetzung von Ausstellungskonzeptionen bringen können. Besucher erwarten zu einem bestimmten Thema Inhalte, an die der Spezialist zunächst nicht denken würde. Die Ergebnisse solcher Vorab-Evaluationen, die übrigens in anderen Ländern wesentlich verbreiteter sind als in deutschen Museen, können den Kurator dabei unterstützen, die Idee seiner Ausstellung 3 so umzusetzen, dass sie vom Publikum auch erkannt und verstanden wird. Allmählich entwickelt sich ein Vor- oder Raumkonzept, das einerseits die konkrete Objektsuche zur Folge hat und andererseits zum Gestaltungsvorentwurf führt. In dieser frühen Phase ist es sinnvoll, über Hands-on-Elemente und andere didaktische Module (Computerstationen, Informationstafeln, Modelle etc.) nachzudenken, damit diese bei der gestalterischen Abfolge berücksichtigt werden können. In der Regel erfolgen diese Schritte parallel und die Ergebnisse werden schließlich in einem modifizierten Grobkonzept zusam4 mengefasst. Dieses vorläufige Ausstellungskonzept gilt es nun auf seine Besucherorientierung hin zu überprüfen. Ist die Objektauswahl und -anzahl aussagekräftig und verständlich oder eher verwirrend und erschlagend? Welche Exponate sind für den interessierten Laien besonders sprechend? Ist bei der Raumabfolge auch an Gruppenführungen gedacht oder sind die Plätze vor bedeutenden Ausstellungsstücken zu schmal und zu eng? Solche und ähnliche Fragen können zu Umstellungen, erneuter Objektrecherche und zu einem veränderten Gestaltungsentwurf führen. Schließlich aber entstehen das Feinkonzept und der Entwurf zur Ausstellungsgestaltung und Grafik. Die Anzahl der elektronischen Medien und Informationstafeln, deren Form und Layout, die 2
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Siehe hierzu: Dauschek, Anja (Hg.): „Toll, aber wir haben uns nicht geküsst ...“. Ein Forschungsbericht zur Evaluation der Ausstellung „Verflixte Schönheit“, München 1996; oder die jüngere Arbeit von Noschka-Roos, Annette (Hg.): Besucherforschung in Museen. Instrumentarien zur Verbesserung der Ausstellungskommunikation (= Deutsches Museum (Hg.): Public Understanding of Science: Theorie und Praxis, Bd. 4), Parsdorf 2003. Siehe auch die Beiträge in der Dokumentation des Symposiums „Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft“ (Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft, Dokumentation der Beiträge des Symposiums, Bonn u.a. 1995). Siehe hierzu Gribl, Albrecht A.: Das Museumskonzept: historische Leitlinien und museale Praxis, in: Abteilung Nichtstaatliche Museen am Bayerischen Nationalmuseum (Hg.), 10 Jahre Museumsarbeit in Bayern. Abteilung Nichtstaatliche Museen 19761986, Straubing 1986, S. 33-39; oder ders.: „Rückgrat oder Haut?“ – Zur Funktion des Museumskonzeptes, in: Museumskunde, Heft 3, 1987, S. 151-159, hier 151 ff.
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Art der Inszenierungen oder Form und Technik der Vitrinen und Ausstellungsbeleuchtung werden festgelegt und an die ausführenden Firmen und Handwerker vergeben. Parallel dazu werden nun die Texte (Raum-, Abteilungs- und Sequenztexte bis hin zur Objektbeschriftung) verfasst und von dritter Seite – in einzelnen Häusern von einer eigenen Textredaktion – auf ihre Verständlichkeit hin überprüft. Ebenso sinnvoll ist es, gerade bei technischen oder naturwissenschaftlichen Ausstellungen die geplanten Hands-on-Modelle evaluieren zu lassen. Manchmal ist es dann erforderlich, zusätzliche ‚Gebrauchsanweisungen‘ aufzustellen oder die Handhabung des Modells zu ändern, häufig zu vereinfachen. Zeitgleich werden Medien, Computeranimationen, Filme oder Audioguides konzipiert und realisiert. Nach diesen Schritten, die im Alltag natürlich häufig ineinander fließen und nicht immer in der genannten Reihenfolge abgearbeitet werden, erfolgt die Fertigstellung und Zusammenführung von Inneneinbauten, Exponaten und didaktischen Materialien.
Zuständigkeiten Je nach Größe eines Museums und seiner Personalstruktur werden die genannten Aufgaben von unterschiedlichen Personen bzw. Professionen ausgeführt. In kleineren Einrichtungen, in so genannten Ein-Personen-Betrieben, muss die Museumsleitung notgedrungen meist alle Arbeitsschritte selbst übernehmen. Auch die kleineren Museen wollen ihrem Publikum ein aktives und attraktives wechselndes Programm anbieten. Daher wird auf vorgefertigte Vitrinen und Stellwände zurückgegriffen, werden Textinformationen am Computer geschrieben und mit dem eigenen Drucker erstellt und das Vermittlungsangebot für Schulklassen selber konzipiert und womöglich auch durchgeführt. Mangelnde finanzielle Mittel erlauben es oft nicht, Spezialisten mit der Gestaltung der Sonderausstellung bzw. mit der Konzeption von begleitenden Bildungsangeboten zu beauftragen. Von entscheidender Bedeutung ist es, dass trotz allem die oben beschriebenen besucherrelevanten Fragen gestellt und in der Ausführung möglichst berücksichtigt werden. Größere Museen und Großausstellungen mit einer anderen Personal- und Finanzsituation gehen immer häufiger dazu über, Spezialisten mit der Realisierung der jeweiligen Aufgaben zu betrauen. Natürlich ist eine wissenschaftliche Fachkraft oder ein Kuratorenteam mit der Erstellung des thematischen Ausstellungskonzeptes betraut. Hierüber gibt es meist keinen Dissens. In der Regel wird auch kaum in Frage gestellt, dass ein Innenarchitekt oder Designer 122
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den Auftrag zur gestalterischen Umsetzung erhält. Die Rolle des Museumspädagogen hat sich in diesem Kontext in den letzten Jahren geändert, er nimmt einen wachsenden aktiven Part ein. Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn ist in vielerlei Hinsicht Vorreiter, was sowohl die Besucherorientierung als auch die Besuchererforschung betrifft. Bereits während der Konzeptionsphase zur Dauerausstellung wurde die Museumspädagogin in regelmäßigen Zeitabständen zu konzeptionellen Sitzungen hinzugezogen, um die erarbeiteten Abteilungen auf deren Verständlichkeit und Besucherfreundlichkeit hin zu ‚überprüfen‘. Der damalige Leiter des Bonner Hauses stellte die Besucherorientierung als eine konzeptionelle Grundorientierung dar, die weit über die Didaktik hinaus alle Mit5 arbeiter des Museums in die Pflicht nehmen sollte und forderte sowohl für die Dauer- als auch für die kommenden Sonderausstellungen die Berücksich6 tigung der so genannten Visitors’ Bill of Rights.
Die Rolle des Museumspädagogen7 Im Sinne dieser grundsätzlichen Ausrichtung musealer Präsentationen auf den Besucher ist es ein Zeichen professioneller Museumsarbeit, wenn jene Fachleute, die häufig auch als Anwalt des Besuchers bezeichnet werden, also die Museumspädagogen, in den Entwicklungsprozess der Ausstellungskonzeption von Anfang an eingebunden werden. Auf Grund entsprechender beruflicher Qualifikation und durch langjährige direkte ‚Kundenkontakte‘ verfügen sie über einen breiten Erfahrungsschatz bei zielgruppenspezifischer Vermittlungsarbeit, über vielfältige pädagogische und künstlerische Methoden sowie über Wissen auf dem Gebiet der Kommunikation. Sie sind somit das Sprachrohr des Museumspublikums, das sich aus unterschiedlichen Altersgruppen mit verschiedenen Bildungsgraden zusammensetzt. Ob sie sich nun Museumspädagoge, Bildungsreferent oder Fachkraft für Kommunikation und Vermittlung nennen, sie alle können ihre spezielle Fachkompetenz in das „magische Dreieck“ einbringen. 5
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Nach Kindler, Gabriele; Liebelt, Udo: Museumspädagogik im Konzert der Museumsarbeit, in: Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen (Hg.), Im Dialog – Museumspädagogik für alle Besucher, Tagungsdokumentation des 11. Bayerischen Museumstags in Bayreuth, München 2002, S. 19-29. Die Visitors’ bill of rights nach Judy Rand ist abgedruckt in: Schäfer, Hermann: Anlocken. Fesseln. Vermitteln. Was uns die Besucherforschung lehrt(e), in: NoschkaRoos, Annette (Hg.): Besucherforschung in Museen. Instrumentarien zur Verbesserung der Ausstellungskommunikation (= Deutsches Museum (Hg.), Public Understanding of Science: Theorie und Praxis, Bd. 4), Parsdorf 2003, S. 83-109. Der leichten Lesbarkeit wegen wurde die männliche Form der Berufsbezeichnung gewählt, selbstverständlich ist stets die weibliche Form impliziert.
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An dieser Stelle sei nochmals ganz deutlich ein immer noch vorhandenes Missverständnis ausgeräumt: Museumspädagogik umfasst die Beschäftigung mit allen Besuchern, also nicht nur die Betreuung von Kindern und Schulklassen. Sie entwickelt und realisiert ebenso Programme für Einzel- und 8 Gruppenbesucher, für Familien wie für spezielle Zielgruppen. Immer mehr Museen erkennen die Kompetenzen und nutzen das Wissen und die Erfahrungen ihrer Bildungs- und Vermittlungsspezialisten, beziehen sie in die Ausstellungsvorbereitung ein, lassen von ihnen Besucherevaluationen erstellen oder geben ihnen Ausstellungstexte, die sie – wie die Textredaktion am Deutschen Museum in München – auf ihre Verständlichkeit hin kritisch 9 lesen sollen. Mir geht es in diesem Beitrag vor allem darum, die verschiedenen Aspekte der Besucherorientierung überhaupt bei der Planung und Realisierung von Museumsausstellungen herauszustellen und sie von allen Beteiligten – sowohl vom Kurator wie auch vom Gestalter – einzufordern. Während wir häufig im Ausstellungsarchitekten einen Verbündeten für die Belange des Publikums finden, stößt man manchmal bei Fragen zur Besucherorientierung bei unerfahrenen Kuratoren auf Unverständnis. Nicht die Interessen des Besuchers stehen für sie im Blickfeld, sondern der befürchtete kritische Kommentar des Fachkollegen. Warum sind diese Bemühungen in Richtung Museumspublikum so relevant? Hermann Schäfer, der frühere Direktor des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn, beantwortet diese Frage eindeutig und bedient sich dabei unseres Bildes des Dreiecks, allerdings mit anderen Koordinaten: „Ausstellungsarbeit bewegt sich in einem – wie ich überzeugt bin – ‚magischen Dreieck‘ zwischen Ausstellungskonzeption, Exponaten und Besuchern. Das Exponat spricht keineswegs für sich, es muss zum ‚Sprechen‘ gebracht werden, es ist in un10 terschiedlichen Ausstellungskonzeptionen unterschiedlich kontextualisierbar […].“
Dieses ‚Zum Sprechen bringen der Objekte‘ kann durch kluge Ausstellungskonzeption, unterstützt durch ideenreiche Gestaltung forciert werden. Museumspädagogen können gerade hier wertvolle Dienste leisten und Ideen einbringen, die in die Ausstellung einfließen sollten. Sie stehen sowohl dem wis8
Siehe hierzu Kindler: Museumspädagogik, a.a.O.; sowie Maaß, Karin: Positionspapier Museumspädagogik: Selbstverständnis der MuseumspädagogInnen, in: Standbein/ Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 74, 2006, S. 66-68. 9 Weber, Traudel; Leopold, Anne: Verständliche Texte im Museum – Ein Leitfaden, München 1993. 10 Schäfer: Anlocken, a.a.O., S. 85.
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senschaftlichen Kurator als auch den Gestaltungsexperten (Architekt und Grafiker) zur Seite und lassen dabei ihre Erfahrungen aus dem direkten Kontakt mit dem Besucher in die Beratung einfließen.
Spezialisten und Teamarbeit gefragt Ich möchte die einzelnen Fachkompetenzen nicht gegeneinander ausspielen, sondern sie dort eingesetzt sehen, wo sie sinnvolle Arbeit leisten können. Entscheidend ist die gute Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen beginnend bei der Planung bis zur Fertigstellung der Ausstellung. Teamarbeit ist hier angesagt, notwendig und unerlässlich. Die fruchtbare Auseinandersetzung zwischen Kuratoren, Innenarchitekten und Museumspädagogen auf gleicher Augenhöhe trägt wesentlich zum Gelingen einer Ausstellung bei. Mein Plädoyer heißt daher: Teamarbeit, Teamarbeit und nochmals Teamarbeit! In vielen Projekten, Besprechungen und Terminen meiner Beratungstätigkeit haben häufig alle Beteiligten von dem gemeinsamen Gespräch und Gedankenaustausch sowie von den Fragen profitiert, die von der jeweils anderen Profession, aus einem neuen Blickwinkel heraus gestellt wurden oder von den Ideen, die aus der ‚anderen Ecke‘ kamen. Manche besucherorientierten Vorschläge wurden zwar zunächst abgelehnt, führten dann aber doch das gesamte Projekt einen entscheidenden Schritt weiter, weil man dann gemeinsam an einer akzeptablen Lösung arbeitete. Natürlich kosten diese Sitzungen Zeit. Meist hapert es bei Ausstellungsprojekten genau daran. Aber es lohnt sich langfristig und man vermeidet spätere, aufwändige und oft kostspielige Änderungen, wenn sich im Vorfeld alle Beteiligten einer Ausstellung gemeinsam an einen Tisch setzen. Woran mangelt es bei so komplexen Projekten wie der Konzeption und Realisierung von Ausstellungen? In erster Linie sehe ich die Gründe in einer fehlenden gemeinsamen Grobplanung. Sind alle Beteiligten über Inhalt, Ziel, Zeitvorstellung, über Leitthema und Vermittlungsziel informiert? Kennen alle die Zielgruppen, die erreicht werden sollen? Meist fehlen Besucherbefragungen, die nicht aufwändig sein müssen, aber eine wichtige Grundlage für die Ausstellungskonzeption bilden (siehe weiter oben sowie Anm. 2). Verfügt die Projektleitung über keine oder nur über geringe Entscheidungskompetenz? Sind die Rollen der Beteiligten klar definiert? Wer hat schließlich die letzte Entscheidungsbefugnis?
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Exkurs ‚Texttafeln im Museum‘ Am Beispiel von Texttafeln möchte ich die Probleme exemplarisch verdeutlichen – übrigens ein häufiges Ärgernis auch in neu eröffneten Museen und Ausstellungen. Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen über das Leseverhalten von Besuchern in Ausstellungen bzw. über das Wahrnehmen von Schrift im Stehen scheinen die Forschungsergebnisse in der Museums11 und Ausstellungswelt nicht bekannt bzw. nicht verbreitet zu sein. Abb. 1: Eine Textinformation auf durchsichtigem Plexiglas vor einer gemusterten Wandfläche ist unlesbar.
Der Fachwissenschaftler hat auf Grund von Arbeitsüberlastung meist keine Zeit, die Ausstellungstexte lesefreundlich zu gestalten, zudem fehlt ihm als Insider oftmals der richtige Abstand, um komplexe Inhalte anschaulich zu formulieren. Der Grafiker entwirft häufig nach überwiegend ästhetischen Gesichtspunkten das Layout der Texttafeln. In solchen Fällen kann es dann zu Ergebnissen kommen, die der Museumsbesucher nicht oder nur mühsam lesen kann (Abb. 1) oder die den interessierten Leser zwingen, im Durchgangsbereich als Hindernis für andere Besucher verweilen zu müssen (Abb. 2). In diesen Fällen hätten Museumspädagogen wertvolle Hilfe leisten können. In der Rolle eines interessierten Besuchers hätten sie den Finger auf kritische bzw. unverständliche oder zu wissenschaftlich formulierte Textstellen gelegt oder den ungünstigen Anbringungsort bzw. die fehlende optische Lesbarkeit moniert.
Abb. 2: Ein ungegliederter Text, zu kleine Buchstabengröße und der Anbringungsort an einem Durchgang sind keine besucherfreundlichen Angebote.
Resümee Ob das Bild des „magischen Dreiecks“ für die Zusammenarbeit von Kuratoren, Gestaltern und Museumspädagogen zutrifft oder nicht, sei dahingestellt. 11 Neueste Publikation zu diesem Themenkomplex: Dawid, Evelyn; Schlesinger, Robert: Texte in Museen und Ausstellungen. Ein Praxisleitfaden, Bielefeld 2002.
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IM INTERESSE DES BESUCHERS
Die auseinander liegenden Eckpunkte des Dreiecks sind jedenfalls miteinander verbunden und in gleicher Weise sollten die drei Fachbereiche im Dienste der musealen Sache zusammenarbeiten. Aus der Sicht des Spezialisten für Bildungs- und Kommunikationsfragen sollten alle drei Professionen neben den Ausstellungsinhalten und den Exponaten stets auch den Besucher und dessen Interessen im Blickfeld haben. Im Team und auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizierend, können sie gemeinsam mehr erreichen. Hierarchische Arbeitsebenen führen hierbei nicht zum Ziel. Wobei eine Person, in der Regel jemand aus dem Kuratorenteam, die Federführung und damit die Projektleitung innehaben sollte. Auf jeden Fall müssen im Vorfeld von Ausstellungsprojekten wichtige Faktoren berücksichtigt und grundlegende Leitfragen formuliert werden: Was ist das Hauptthema der Ausstellung, wie lautet unsere Botschaft? Welche Vermittlungsinhalte soll der Besucher mit nach Hause nehmen? Welche Zielgruppen wollen wir erreichen und mit welchen Methoden und Angeboten? Wer hat die Projektleitung und wer die Entscheidungskompetenz? Im Interesse und im Dienste des Besuchers sollte jeder im Ausstellungsteam seine speziellen Kompetenzen einbringen können, dann steht einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen den drei Professionen aus Kuratoren, Gestaltern und Museumspädagogen eigentlich nichts mehr im Wege.
Literatur Bäumler, Christine: Bildung und Unterhaltung im Museum. Das museale Selbstbild im Wandel, Münster 2004. Dauschek, Anja (Hg.): „Toll, aber wir haben uns nicht geküsst ...“. Ein Forschungsbericht zur Evaluation der Ausstellung ‚Verflixte Schönheit‘, München 1996. Dawid, Evelyn; Schlesinger, Robert: Texte in Museen und Ausstellungen. Ein Praxisleitfaden, Bielefeld 2002. Gribl, Albrecht A.: Das Museumskonzept: historische Leitlinien und museale Praxis, in: Abteilung Nichtstaatliche Museen am Bayerischen Nationalmuseum (Hg.), 10 Jahre Museumsarbeit in Bayern. Abteilung Nichtstaatliche Museen 1976-1986, Straubing 1986, S. 33-39. Gribl, Albrecht A.: „Rückgrat oder Haut?“ – Zur Funktion des Museumskonzeptes, in: Museumskunde, Heft 3, 1987, , S. 151-159.
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Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft, Dokumentation der Beiträge des Symposiums, Bonn u.a. 1995. Kindler, Gabriele; Liebelt, Udo: Museumspädagogik im Konzert der Museumsarbeit, in: Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen (Hg.), Im Dialog – Museumspädagogik für alle Besucher, Tagungsdokumentation des 11. Bayerischen Museumstags in Bayreuth, München 2002, S. 19-29. Maaß, Karin: Positionspapier Museumspädagogik: Selbstverständnis der MuseumspädagogInnen, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 74, 2006, S. 66-68. Noschka-Roos, Annette (Hg.): Besucherforschung in Museen. Instrumentarien zur Verbesserung der Ausstellungskommunikation (= Deutsches Museum (Hg.): Public Understanding of Science: Theorie und Praxis, Bd. 4), Parsdorf 2003. Schäfer, Hermann: Anlocken. Fesseln. Vermitteln. Was uns die Besucherforschung lehrt(e), in: Annette Noschka-Roos (Hg.): Besucherforschung in Museen. Instrumentarien zur Verbesserung der Ausstellungskommunikation (= Deutsches Museum (Hg.): Public Understanding of Science: Theorie und Praxis, Bd. 4), Parsdorf 2003, S. 83-109. Weber, Traudel; Leopold, Anne: Verständliche Texte im Museum – Ein Leitfaden, München 1993.
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FOLKER METZGER Barrierefreiheit und Besucherfreundlichkeit. Neue Anforderungen an die Koordination zw ischen Kuratoren, Gestaltern und Pädagogen
Unter das Leitbild von Besucherorientierung und Barrierefreiheit gestellt, zeichnet sich die Zusammenarbeit zwischen Kuratoren, Gestaltern und Museumspädagogen vor allem durch die Heterogenität ihrer Ansprüche und Ideale aus. In der Regel kann dabei nicht auf systematische Richtlinien zurückgegriffen werden und zudem fehlen Dokumentationen beispielhafter Projekte, bei denen die drei beteiligten Gruppen kooperiert und damit qualitativ bessere Leistungen erbracht haben. Die verschiedenen Vorstellungen von Bildung und Unterhaltung, Gestaltung und Didaktik oszillieren um den Gegenstand Ausstellung. Gewissermaßen hat man es mit einer Konkurrenz um die Aufmerksamkeit des Besuchers zu tun und so ist es wohl auch nicht übertrieben darauf hinzuweisen, dass die Durchsetzungskraft auch mit Machtverteilungen im institutionellen Gefüge zu tun hat. Das Verhältnis als eine magische Konstellation („magisches Dreieck“) zu bezeichnen, verstellt nach meiner Einschätzung den Blick auf Hierarchien und Dominanzstrukturen, die die Institutionen des kulturellen Lebens durchziehen wie alle anderen gesellschaftlichen Teilbereiche auch. Dass diese strukturelle Ungleichheit zu Ungunsten der Museumspädagogik ausfällt, hängt mit der Tatsache zusammen, dass Ausstellungen so gut wie nie ohne Kuratoren und auch nur selten ohne Gestalter entwickelt und realisiert werden, wohl aber häufig ohne Museumspädagogen. Das mangelnde Interesse an Fragen besucherorientierter Vermittlung und Didaktik liest man am besten daran ab, dass diese – für den Besucher bedeutsamen – Aspekte des Ausstellungswesens auch in Rezensionen nur selten benannt und zum Kriterium er129
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hoben werden. Kritik an schlechter Gestaltung und mangelnder Besucherfreundlichkeit drückt sich entweder in geringen Besucherzahlen oder aber in individuellen Beschwerden aus und beides gelangt nur höchst selten an die Öffentlichkeit bzw. ins Feuilleton. Der Lernfortschritt der Verantwortlichen bleibt also dem Zufall überlassen, er wird jedenfalls selten systematisch an 1 den Einschätzungen und Bedürfnissen der Besucher ausgerichtet. Ein weiteres strukturelles Hindernis sind die in Deutschland herrschenden Professionalisierungsdefizite im Bereich der Vermittlung. Die Strukturen an vielen Museen sind auf dem Stand der 80er Jahre stehen geblieben. Der Museumspädagoge ist ein Allrounder, der von der Ausstellungsgestaltung über Marketing und Kundenbindung bis zu pädagogischen Programmen und Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene für alles zuständig ist. Solange Ausstellungsdidaktik keine eigene Kategorie ist, bleiben die möglichen Leistungen der Museumspädagogik unterbelichtet und ihre Position gegenüber den Gestaltern geschwächt. Für eine ganz andere Entwicklung der Zuständigkeiten von Museumspädagogik lassen sich im angelsächsischen Raum viele Beispiele finden. So gibt es Pädagogen und Fachdidaktiker, die sich auf Ausstellungsdidaktik spezialisiert haben und Pädagogen, die sich auf Besucherprogramme konzentrieren. Ein Feld, in dem sich das Dreieck von Kuratierung, Vermittlung und Gestaltung neu ordnen könnte, ist die Entwicklung von barrierefreien Ausstellungen, auf die dieser Beitrag näher eingeht.
Barrierefreiheit im Deutschen Hygiene-Museum Dresden Ich werde mich im Folgenden auf die Arbeit für die neue Dauerausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden beziehen. Die Frage nach Besucherfreundlichkeit und Barrierefreiheit war hier der Ausgangspunkt der engeren Zusammenarbeit zwischen Kuratoren, Gestaltern und Museumspädagogen. In diesem Bereich des Ausstellungswesens hat man es mit weitgehend quantifizierbaren Schritten zu tun, so dass leicht zu kontrollieren ist, ob und wie Vorgaben umgesetzt werden. Ergebnisse können daher beschrieben und 2 für zukünftige Projekte verfügbar gemacht werden. Ausgangspunkt der Kon1
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Ein Instrument zur Entwicklung dieses Bereiches wären öffentlichkeitswirksame Wettbewerbe um den Status der besucherfreundlichsten Ausstellung, die auf Dauer zu einer Sensibilisierung aller Beteiligten und zur Zufriedenheit der Besucher führen dürften. Die Deutsche Behindertenhilfe – Aktion Mensch e.V. hat sich um Fragen der Barrierefreiheit im Museum besonders verdient gemacht und wird demnächst in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Hygiene-Museum eine Publikation zum Thema herausgeben. Vgl. Aktion Mensch; Stiftung Deutsches Hygiene-Museum (Hg.): Das Museum für
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zentration aller Teilbereiche auf Besucherfreundlichkeit und Barrierefreiheit waren in Dresden die umfangreichen Erfahrungen des Deutschen HygieneMuseums mit dem Ausstellungsprojekt „Der (im)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit“, das in Zusammenarbeit mit der ‚Deutschen Behindertenhilfe – Aktion Mensch e.V.‘ entstanden ist und im Jahr 2001 in Dresden 3 und dann in Berlin zu sehen war. Der Anspruch der Macher hatte bei diesem Thema selbstverständlich in einer umfassenden Barrierefreiheit zu bestehen: Für alle Besucher mit Behinderung sollte die Ausstellung zugänglich sein. Überraschend war dabei nicht nur die weitgehende Verwirklichung dieses Anspruches, sondern die Tatsache, dass auch jene Besucher sehr davon profitierten, die nicht auf eine barrierefreie Gestaltung angewiesen waren. Die positiven Erfahrungen in dieser Sonderausstellung führten dann zu dem Entschluss, auch die neu zu erarbeitende Dauerausstellung barrierefrei zu gestalten. Nun bedeutet das Ziel der Barrierefreiheit allerdings wesentlich mehr als nur die Umsetzung von Bauverordnungen für Rollstuhlfahrer. Entgegen dieser wurde eine Durchfahrbreite von zwei Metern festgelegt, die sich aus dem Wenderadius eines elektrischen Rollstuhls ergibt. Dass die gute Sicht auf alle Exponate und Texte vom Rollstuhl aus gewährleistet ist, kann zwar mit festgelegten Sichthöhen bestimmt, muss jedoch auch getestet werden. Zu diesem Zweck wurden Testvitrinen mit Texten und Objekten bestückt und vom Rollstuhl aus auf Sichtbarkeit, Unterfahrbarkeit der integrierten Schub4 laden usw. hin untersucht. Abb. 1: Deutsches Hygiene-Museum Dresden
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alle. Universal Design für Museen und Ausstellungen, Bonn/Dresden 2006 (in Vorbereitung). Die weitere Entwicklung von Materialien könnte zur Aufgabe einer Kooperation des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. und des Bundesverbandes freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. werden. Vgl. dazu das Begleitbuch: Stiftung Deutsches Hygiene-Museum, Deutsche Behindertenhilfe – Aktion Mensch e.V. (Hg.): Der (im)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit, Ostfildern-Ruit 2001. Sowie den Sammelband: Lutz, Petra; Macho, Thomas; Staupe, Gisela; Zirden, Heike (Hg.): Der (im)perfekte Mensch. Metamorphosen von Normalität und Abweichung, Köln 2003. Für genauere Angaben zur Barrierefreiheit vgl. Lutz, Petra: Die Erschließung der neuen Ständigen Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums für Besucher mit Behinderungen, in: Informationen des Sächsischen Museumsbundes e.V., Nr. 29, 2004, S. 1520; siehe auch die Beiträge: Lutz, Petra: Der (im)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 59, 2001,
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Wie man sich denken kann, kommen die Ergebnisse dieser Bemühungen auch Kindern zu Gute, für die nicht nur die Exponate gut zugänglich, sondern auch die Texte gut einsehbar sind. Dass diese Vorgehensweise nicht zu einer langweiligen, sondern zu einer auch ästhetisch überaus ansprechenden Ausstel5 lungspräsentation führte, kann in Dresden nachvollzogen werden. Auch für die allgemeine Besucherfreundlichkeit und das museumspädagogische Tagesgeschäft gab es konkrete Vorgaben, die in die Gestaltung einzubeziehen waren. Diese reichten von festgelegten Sitzmöglichkeiten, Freiräumen für temporäre Präsentationen und Besucheraktivitäten, Platz für Gruppen vor zentralen Objekten, bis zu Schubladen mit Hands-on-Objekten und einem Ruheund Leseraum in der Ausstellung. Mehr noch als diese allgemeinen Elemente führt aber die Frage nach den sinnlichen und kognitiven Möglichkeiten der Besucher zu einer ungewöhnlichen und anspruchsvollen Ausstellungsgestaltung. So entsprechen zum Beispiel verkleinerte Modelle als tastbare Objekte nicht nur dem ausgeprägten Tastsinn des sehbehinderten Besuchers, sondern dem Bedürfnis aller Besucher, die Materialität von Objekten nicht nur über den dominanten Sehsinn zu erfahren. Mitunter wurden die berühmten Wachsmoulagen, die in den Werkstätten des Deutschen Hygiene-Museums als Lehrmittel zur Darstellung von Krankheitsbildern gefertigt wurden, zu diesem Zweck nachgebildet.
Abb. 2: Deutsches Hygiene-Museum Dresden. Im Vordergrund die tastbaren Objekte, mit Audioguidenummer in tastbarer Schrift und Blindenschrift, im Hintergrund die taktile Bodenführung. Die Spitzen im Tastpfad weisen den blinden Besucher auf das jeweilige zumeist tastbare Objekt hin, welches zudem über den Audioführer beschrieben wird.
Zur Orientierung Sehbehinderter findet sich eine taktile Bodenführung für den Taststock in den Boden eingelassen. Es gibt tastbare Übersichtstafeln und Nummerierungen, denen selbst wiederum ein gewisser Objektcharakter zukommt. Die Besucher interessieren sich für die ungewöhnliche Ästhetik der Tasttafeln und erfahren dabei mittelbar, dass nur ein kleiner Teil von Blinden die Blindenschrift beherrscht, weswegen an vielen Stellen erhabene bzw. ab-
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S. 27-30; Metzger, Folker: Museumspädagogik in der Ausstellung „Der (im)perfekte Mensch“, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 59, 2001, S. 31-32. Die Ausstellung wurde entwickelt unter der Projektleitung von Bodo-Michael Baumunk (Berlin) und gestaltet durch das Büro Gerhards & Glücker (Berlin).
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gesenkte und damit tastbare Schrift verwendet wird. Selbstverständlich müssen alle Texte und Bilder kontrastreich gestaltet sein, was nicht nur sehbehinderten Besuchern das Lesen erleichtert, sondern ebenso allen anderen. Untertitelte Filme, für schlecht oder nicht hörende Menschen, haben den Vorteil, dass der Besucher nicht erst einen Kopfhörer aufziehen muss oder alle anderen ungefragt mit beschallt werden. Interessant ist der Effekt, dass parallel gesetzte Texte in einfacher Sprache gerne von allen Besuchern gelesen werden und nicht nur von solchen mit Lernbehinderungen. Selbstverständlich gilt auch hier wieder, dass mit diesen Methoden auch Kindern ein weiterer Zugang zu Objekten und Informationen geboten wird. Der Einsatz von Audioguides ist selbstverständlich zu empfehlen, doch sollte das vielfältige Potenzial einer barrierefreien Ausstellung nicht auf ein solches technisches Hilfsmittel reduziert werden. An dieser Stelle wäre eine Vielzahl von Maßnahmen aufzuzählen, die im Falle des Hygiene-Museums in den Ausstellungen und im gesamten Gebäude vorgenommen wurden, um dem Anspruch einer umfas6 senden Barrierefreiheit gerecht zu werden. Schließlich ist die Besucherforschung und die daraus resultierende Erstellung von Richtlinien zur Verbesse7 rung der allgemeinen Besucherfreundlichkeit ein wichtiges Element. Anhand der wenigen Beispiele zeigt sich bereits, welches Potenzial im Anspruch der Barrierefreiheit und der Besucherfreundlichkeit steckt. Die für alle bemerkbare Integration anderer Wahrnehmungs- und Bewegungs-, Erkenntnis- und Orientierungsformen in die Gestaltung von Ausstellungen setzt nicht nur ein Zeichen der Gleichstellung. Insbesondere in der praktisch und ästhetisch anspruchsvollen Ausführung des Deutschen Hygiene-Museums stellt sie für jeden Besucher eine Erweiterung seiner Horizonte durch die Infragestellung der eigenen Weisen dar, die Welt wahrzunehmen und sich Objekte zu erschließen. So geht es beim Thema Barrierefreiheit nicht nur um die Funktionalität in der Erschließung von Inhalten, sondern immer auch um diesen ethischen Anspruch. Die Vorgaben für die Gestaltung müssen, soweit es eben geht, vorher vereinbart und zum Teil des Vertrages zwischen Museum und Gestalter werden. Wie wichtig vorherige Vereinbarungen sind, weiß bereits jeder, der nur genügend Sitzmöglichkeiten in Ausstellungen durchzusetzen hat. Am einfachsten dürfte es sein, einen festen Etatanteil der pädagogisch-didaktischen Ge6
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Die Rahmenbedingungen für Barrierefreiheit und Besucherfreundlichkeit werden allerdings selten so gut sein wie in Dresden. Der Gestaltung der Barrierefreiheit in der neuen Dauerausstellung ist nicht nur die Sonderausstellung „Der (im)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit“ vorausgegangen, sondern auch die Sanierung des gesamten Museumsgebäudes. In diesem Bereich liegt beispielsweise dem Bonner „Haus der Geschichte“ umfangreiches Material vor.
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staltung und der Barrierefreiheit zuzuschreiben, auch wenn die gesamte Ausstellung in bestimmter Hinsicht als ein didaktisches Ensemble zu betrachten ist. In jedem Fall geht mit dem Anspruch der Barrierefreiheit und der Besucherfreundlichkeit eine notwendige Stärkung der Position der Pädagogik im Machtdreieck mit Kuratoren und Gestaltern einher.
Literatur Aktion Mensch; Stiftung Deutsches Hygiene-Museum (Hg.): Das Museum für alle. Universal Design für Museen und Ausstellungen, Bonn/Dresden 2006 (in Vorbereitung). Lindauer, Margaret A.: From salad bars to vivid stories: four game plans for developing educationally successful exhibitions, in: Museum Management and Curatorship 20, 2005, S. 41-45. Lutz, Petra: Der (im)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 59, 2001, S. 27-30. Lutz, Petra: Die Erschließung der neuen Ständigen Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums für Besucher mit Behinderungen, in: Informationen des Sächsischen Museumsbundes e.V., Nr. 29, 2004, S. 15-20. Lutz, Petra; Macho, Thomas; Staupe, Gisela; Zirden, Heike (Hg.): Der (im)perfekte Mensch. Metamorphosen von Normalität und Abweichung, Köln 2003. Metzger, Folker: Museumspädagogik in der Ausstellung ‚Der (im)perfekte Mensch‘, in: Standbein/Spielbein – Museumspädagogik aktuell, Nr. 59, 2001, S. 31-32. Stiftung Deutsches Hygiene-Museum; Deutsche Behindertenhilfe – Aktion Mensch e.V. (Hg.): Der (im)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit, Ostfildern- Ruit 2001.
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H A N S R. W O O D T L I Die Demokratisierung kreativer Prozesse
Mein Traum Mein Traum war einmal, als Solist aufzutreten. So studierte ich nebenbei Musik und spielte Klavier an der Musikakademie in Zürich, ziemlich lange. Zuhause übte ich jeweils täglich eine halbe Stunde, woraus dann meist eine Stunde wurde. Das natürlich reichte schon bald nicht mehr. Mit Czerny-Etüden bringt man es nicht zur Meisterschaft – also drei Stunden. Als ich mich selber wieder einmal auf Band aufnahm, konnte ich kaum zuhören – die reine Katastrophe. Ich beschloss, vier Stunden täglich Beethovensonaten zu üben. Die Mondschein in Cis-Moll, die Pathétique in CMoll, die Waldstein in C-Dur und die Pastorale in D-Dur, etwas Chopin und die Brahms-Walzer. Daneben hatte ich meinen Beruf als Gestalter, war Inhaber einer Zürcher Werbeagentur mit mehreren Mitarbeitern. Und hinzu kam meine Passion für Geschichte. Der kam ich nach, indem ich nebenbei kleinere und größere Museen gestaltete. Nochmals eine Tonbandaufnahme, und ich beerdigte das Solistentum und kaufte mir Schallplatten von Wilhelm Backhaus. Warum ich Ihnen das wohl erzähle? Weil ich Kollegen fand, so genannte Streicher. Die suchten schon lange jemand, der Klavier spielt. So entdeckte ich eine neue Freude an der Musik. Kein Streben danach, ein solistischer Star zu werden, kein Erfolgsdruck, dafür Teamwork. Und wir legten los mit den Klaviertrios von Ludwig van Beethoven. Klavier, Violine, Cello. 135
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Das Können auf allen drei Seiten war ungefähr gleich. Nicht so, dass wir etwa keine Fehler machten. Wir rangen um Ausdruck und diskutierten hart. So entwickelte jeder Verständnis für den andern, im Bewusstsein, dass es nur geht, wenn man den andern hundertprozentig versteht, sich in sein Spiel einfühlen kann. Wenn nur einer falsch spielt, tönt alles falsch. Als wir dann einmal vorspielten, langte niemand daneben und die Zuhörer klatschten Beifall.
Das magische Dreieck Unser Tagungsthema heißt „Das magische Dreieck“. Solange so gut, wenn alle begabt und fähig sind, niemand falsch spielt und alle sich dem einen Ziel unterordnen. In einem Trio sollte das kein großes Problem sein. In der Museumspraxis gibt es nicht nur Trios, sondern auch noch Quartette, Quintette, Sextette, Septette und ganze Orchester. Ich nehme an, dass es beim magischen Dreieck weniger um Kunstmuseen, sondern um die große Masse aller anderen geht.
Werbung und ihre Kreation In der Einladung zu dieser Studienkonferenz fragen Sie sich: „Warum scheint es in der Praxis so schwierig, Formen der Zusammenarbeit ähnlich denen der Werbeindustrie zu finden, wo im Vorfeld einer Kampagne Konzepter (Art Director), Texter und Gestalter zusammenarbeiten?“
Dafür gibt es in der Werbung mehrere Gründe. Erstens: Das Vorgehen bei der Ideenfindung. Ein Kreativteam in einer Werbeagentur besteht normalerweise aus drei Berufen: Konzepter, Texter und Gestalter. In größeren Agenturen arbeiten mehrere Teams, die alle ihre eigenen Kunden betreuen. Es ist in der Werbung nicht denkbar, dass mehr als drei Leute intensiv an der Ideenfindung arbeiten. Zu viele Teilnehmer würden den Kreativprozess stören, weil bekanntlich zu viele Köche den Brei verderben. Diese Fachleute haben zwar unterschiedliche Berufe, aber gesamt gesehen sind sie alle erfahrene Werber, ausgebildet im Kommunizieren mit der Öffentlichkeit. Sie befolgen die Regeln der Kommunikationspsychologie – und die sind recht klar ... 136
DEMOKRATISIERUNG KREATIVER PROZESSE
Gearbeitet wird demokratisch, indem man die Ideen im Brainstorming zu finden sucht. Wir wissen, dass gute Ideen im Kopf eines einzelnen entstehen können, dass aber bessere Ideen auf demokratische Art von Teams erarbeitet werden. Voraussetzung ist allerdings, dass im Team ‚die Chemie stimmt‘. Die kann nur stimmen, wenn alle teamfähig sind. Man darf auch ‚dreinreden‘, ohne dass jemandem ein Zacken aus der Krone fällt. Eigenwillige oder Unflexible, von sich Eingenommene, die auf ihrer Meinung beharren wollen, sind nicht zu gebrauchen. Es ist in der Werbung auch kaum denkbar, dass an der Beurteilung verschiedener Lösungen mehr als drei bis vier Leute mitwirken. In der Wirtschaft ist allgemein bekannt, dass größere Gremien sich tendenziell für eine farblose, flache Lösung entscheiden, bei welcher man nichts riskiert. Jede größere Gruppe hat den Trend, auf Nummer Sicher zu gehen. Mutige Lösungen werden von vornherein als zu riskant torpediert, neuartige nicht erkannt oder zerredet. Zweitens: Der wirtschaftliche Druck. Von den Werbern wird hohe Kreativität verlangt. Gleichzeitig sind Werbung und Public Relations den Gesetzen der Wirtschaft unterstellt. Werbung ist teuer und sie muss etwas bewirken. Friss oder stirb, heißt es da. Die Arbeit ist voller Verantwortung, die Kasse muss klingeln, und zwar laut. Trotz dem scheinbar lockeren Vorgehen nimmt das Kreativteam seine Aufgabe äußerst ernst. Man kann den Kunden auch verlieren. Und damit vielleicht seine eigene Stelle. So geschieht die Wahl der fähigsten Fachleute auf recht geradlinige Art. Die Kreativteams funktionieren am besten, wenn: • der ‚Art Director‘ so viel von Text und Gestaltung versteht, dass er es fast selber machen könnte, • der Texter so viel vom Konzipieren und Gestalten versteht, dass er es fast selber machen könnte, • der Gestalter vom Konzipieren und Texten so viel versteht, dass er es fast selber machen könnte. Es gibt also kaum große Abgrenzungen und es werden keine eigenen Gärtchen gepflegt. Der eine entwickelt Ideen für den anderen und der andere für den einen. Der Kreativprozess ist demokratisch. Man hilft und unterstützt einander.
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Kreation im Museum Sie haben die Studienkonferenz „Das magische Dreieck“ ins Leben gerufen, weil Sie, so scheint es, ein echtes Problem in der Zusammenarbeit sehen. Ich frage mich, was denn so Magisches daran sein soll? Sollen die Empfindlichkeiten mit Magie abgefedert werden? Ich wiederhole Ihre Frage: „Warum scheint es in der Praxis so schwierig, Formen der Zusammenarbeit ähnlich denen der Werbeindustrie zu finden, wo im Vorfeld einer Kampagne Konzepter (Art Director), Texter und Gestalter zusammenarbeiten?“ Lassen Sie mich die Erfahrungen von über dreißig Jahren als Werber/ Konzepter und Museumsdesigner und von über fünfzehn Jahren als Juror des „European Museum of the Year Award“ einbringen. Ich habe in dieser Zeit weit über einhundert neu eröffnete oder gänzlich renovierte Museen aller Kategorien in ganz Europa besucht und Rapporte zu Händen des Europarates geschrieben. Die Kandidaten habe ich immer auch nach den Finanzen und vor allem nach der Teamarbeit gefragt. Gestatten Sie mir darum einige kritische Bemerkungen zum Museum. Ich kritisiere nicht die allgemeine Museumsarbeit, sondern das Erarbeiten dessen, was der Besucher zu sehen bekommt: die Ausstellung. Das Teamwork beim privaten Museum, zum Beispiel einem Firmenmuseum ist dem der Werbung sehr ähnlich. Anders ist es bei vielen Museen der öffentlichen Hand. Ihr Denken ist ein anderes, die Strukturen sind traditionell hierarchisch aufgebaut und oft verkrustet. So wird denn ebenfalls auf Leistung, doch noch viel mehr auf Titel, Status, Dienstjahre und vieles andere geschaut. Strikte Rollenverteilung ist ein Merkmal des Beamtentums. Ich habe große öffentliche Museen in Europa juriert, worin jeder zu bellen beginnt, wenn nur jemand den Zaun berührt. Das Bellen dringt manchmal bis auf die Straße, das heißt bis zu uns Juroren des Europapreises. Jede ‚klare‘ Rollenverteilung heißt Ausgrenzung und ist den kreativen Teams hinderlich. Jedes Meister-Knecht-Verhältnis ist der Sache abträglich. Kreativität verträgt keine Diktatur. Äußerungen wie „Der Kurator hat das letzte Wort“ sind ein Zeichen von Schwäche. Gute, mutige Ideen werden heute in demokratischer Atmosphäre geboren. Vielen Museen fehlt die Demokratisie-
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rung des Ideenfindungs-Prozesses. Entsprechend sehen viele Sonder- und Dauerausstellungen dann auch aus. Eigentlich sollte auch beim Museum: • der Kurator so viel von Design und Museumspädagogik verstehen, dass er es fast selber machen könnte, • der Designer so viel von der Arbeit eines Kurators und der Museumspädagogik verstehen, dass er es fast selber machen könnte, • und der Museumspädagoge vom Design und von der Arbeit eines Kurators so viel verstehen, dass er es ebenfalls fast selber machen könnte. Beim Museum beurteilen Fachleute der einen Gruppe die Vorschläge der andern, und keine hat im Fach der anderen profunde Kenntnisse. Ihre Entschlüsse sind deshalb von Unsicherheit geprägt und Unsicherheit erzeugt Spannung, Misstrauen. Ein weiteres Problem ist die mangelnde Ausbildung, Praxis und Erfahrung der Museumsleute in der professionellen Kommunikation. Erfolgreich mit dem Publikum umgehen lernt man, weil einem gewissen Druck ausgesetzt, am besten in der harten Schule der gewinnabhängigen Aufgaben. Es gibt sehr wenige Museumsverantwortliche, die Einblick in eine professionelle Kommunikationsagentur hatten. Und noch wenigere, die dem Erfolgsdruck in der Wirtschaft ausgesetzt waren.
Der Designer Der zweite wichtige Partner im magischen Dreieck ist der Ausstellungsgestalter, Designer genannt. Von ihm wird viel, wenn nicht gar Wunder erwartet. Er sollte wie oben aufgeführt „so viel von der Arbeit eines Kurators und der Museumspädagogik verstehen, dass er es fast selber machen könnte.“ Der Großteil der Museumsdesigner stammt aus zwei Berufen, dem des Architekten und des Grafik-Designers. Der Architekt arbeitet für die Baubranche und die Bauindustrie. Die Architektenkammer NRW nennt als Aufgabe die gestaltende, technische, wirtschaftliche, ökonomische und soziale Planung von Bauwerken. Auf Grund ihrer Ausbildung denken und gestalten Architekten von der Form her. Die Formgebung steht für sie im Vordergrund, wie ich beim Besuch von Kandidaten immer wieder feststelle. Sicherheit und Erfahrung im Umsetzen von anspruchsvollen kommunikativen Aufgaben fehlen. Das Entwickeln von Ideen aus Sammlung und Thematik passt weniger in die Welt des Architekten. 139
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Solche Ausstellungen können ästhetisch sehr schön, aber gleichzeitig auch uninteressant sein. „In Schönheit sterben“ könnte man oft dabei denken. Vielfach werden persönliche Wünsche in der Art der Selbstdarstellung verwirklicht. Es wird zu wenig versucht, vom Besucher aus zu denken und die Ausstellung entsprechend zu gestalten. Näher an den Aufgaben der Museums- und Ausstellungsgestaltung liegt der Grafik-Designer. Seine Ausbildung erfolgt in enger Anlehnung an Werbung, Kommunikation und Gestaltung verschiedenster Medien. Er verfügt darum über Erfahrung in der Werbepsychologie und auf der gestalterischen Seite über Typografie, Fotografie, Illustration und dreidimensionale Innengestaltung. Beide Berufe, Architekt wie Grafik-Designer, müssen sich in die sehr differenzierte, anspruchsvolle Museumsgestaltung einarbeiten. Ohne vorerst Erfahrungen gesammelt zu haben, besteht die Gefahr, dass irgendwelche Gestaltungsprinzipien, die zwar im Bauwesen oder in der Werbung durchaus richtig sind, unbesehen übernommen werden. Unerfahrene Grafik-Designer laufen Gefahr, irgendwelche persönlichen Designvorlieben von außen ans Museum heranzutragen, anstatt neue Ideen konsequent aus Inhalt und Thematik heraus zu entwickeln, wie sie das zum Beispiel in der Werbung betreffend Produkt und Verbraucher gelernt haben. Statt dass die Gestaltung ihre wichtige dienende Funktion erfüllt, beginnt sie so ein Eigenleben zu führen. Dabei wird meist die Beleuchtung vernachlässigt, weil beide Berufe kaum Erfahrung in Lichtführung und Lichtdramaturgie mitbringen. Mit dem Einbau der Beleuchtung in die Decke der Vitrine und mit Ausleuchten eines Saales erreicht man weder eine dem Objekt dienende, noch den Besucher stimulierende Atmosphäre.
Wettbewerbe Um zu neuen Aufträgen zu kommen, beteiligen sich Museumsgestalter an öffentlich ausgeschriebenen oder an eingeladenen Wettbewerben. Die VOF, die „Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen“ ist in Deutschland für Ausschreibungen von Wettbewerben obligatorisch. Vor allem die öffentlichen Auftraggeber haben sich daran zu halten. Die VOF verlangt vom Wettbewerbsteilnehmer Auskünfte über Seriosität der Firma, Leistungsfähigkeit usw., doch beruht das keinesfalls auf Einseitigkeit. Vom Preisgericht werden zum Schutz der Teilnehmer ebenfalls ganz bestimmte Qualitäten verlangt. Allzu dilettantische Preisgerichte darf es nicht 140
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geben, da mindestens ein Drittel der Richter über dieselbe Qualifikation verfügen müssen wie die Wettbewerbsteilnehmer selbst (VOF § 20, 5). In einem Preisgericht von sechs Personen müssten demnach zwei Personen als unabhängige, erfahrene Gestalter mitwirken. Weiterer Schutz besteht im Verwendungsrecht, im Einhalten von Terminen durch den Wettbewerbsveranstalter, im Festlegen der Preissumme usw. Was wir als Designer in letzter Zeit in dieser Beziehung in Deutschland erlebt haben, grenzt eher an Wildwestmanieren. Vielerorts kennt man die VOF nicht oder will, auch in großen Museen, am liebsten nichts von ihr wissen. Der Druck, der auf selbständigen Kleinunternehmern lastet, stets für sich und die Mitarbeiter genügend Arbeit zu beschaffen, wird ausgenützt, indem die Teilnehmer gegeneinander ausgespielt und die Gleichberechtigungsklauseln nicht eingehalten werden. Man lässt den Teilnehmern ein sehr oft schludriges, eines Wissenschaftlers unwürdiges Briefing zu kommen, um sodann die Teams anspruchsvolle Grundprojekte ausarbeiten zu lassen, die mit einem Hungerlohn abgegolten werden. Man versucht über Bedingungen im Briefing das Urheberrecht zu umgehen, um es auch im Falle der Ablehnung für sich zu beanspruchen, obwohl jedes nationale Recht in Europa den Autor in allen Fällen konsequent schützt. Die Preisgerichte der Museen bestehen sehr oft aus Personen ohne Erfahrung in der professionellen visuellen Kommunikation und ohne Kenntnisse der Psychologie des Besuchers. Ein Beispiel: Im Sommer 2006 wurde im Briefing zu einem eingeladenen Gestaltungswettbewerb eines wichtigen Museums verlangt, dass die Ausstellung ein einheitliches, „stringentes Design“ habe. Im farbig illustrierten Exposé zum Wettbewerb schrieben wir, dass bei allen unseren Arbeiten ein gestalterischer Wille im Design jederzeit spürbar sei, dass aber innerhalb dieser erkennbaren ‚Linie‘ Abwechslung und Differenzierung gefragt sei, die jeden einzelnen Sektor zu einer kleinen Sensation, zu einer Überraschung mache. Anlässlich der Präsentation hat sich dann herausgestellt, dass die ‚stringente Linie‘ sich zusätzlich auf einen gewünschten ‚stringenten‘ Rundgang zu beziehen hatte, wovon im Briefing keine Rede war. Nach jeder Präsentation offenbaren mir Fragen der Jury immer auch den Wissensstand der Fragesteller. Die uns gestellten Fragen lagen im genannten Fall recht daneben. Wir versuchten klar zu machen, dass wir die oft enorm hohen Besucherzahlen unserer Ausstellungen nicht zuletzt deshalb erzielen, weil wir dem Besucher zwar die Möglichkeit geben, einem Rundgang zu folgen, dass jedoch die „Freiheit beim Museumsbesuch“ (Kenneth Hudson), 141
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das heißt in diesem Fall die Möglichkeit zu flanieren, wesentlich zum Publikumserfolg beiträgt; dies mit Geltung auch für sehr hoch frequentierte Sonderausstellungen. Doch das 11-köpfige Preisgericht, darunter kein erfahrener Gestalter (dafür durfte ein Mann aus der Bauabteilung mitbestimmen), beharrte auf seiner Auffassung. Es ist normal, dass Wissenschaftler auf ihrem Gebiet viel wissen. Weniger normal ist es, wenn dieses Wissen dem Besucher in einem ‚Museumsschlauch‘ aufgezwungen werden soll (welchen Ausdruck wir seit Jahren schon als Fachbegriff verwenden) und der Besucher sich in einen Gänsemarsch einzureihen hat. So verloren wir den Wettbewerb. Wer sich in Wirtschaft und Werbung einen ähnlichen Lapsus erlaubt, läuft Gefahr, bald einmal Insolvenz anmelden zu müssen.
Museumspädagogik Ich wünschte mir persönlich nichts anderes, als diese für jedes Museum unverzichtbare Arbeit besser in unsere Planung einbeziehen zu können. Bereits 1983 haben wir in einem Museum in der Schweiz fest installierte Rätselspiele eingebaut, gedacht für Kinder, gebraucht meist von Erwachsenen. Die Idee wurde belohnt, das Museum wurde zum „Museum des Jahres in Europa“. Als Gestalter spüre ich immer wieder ein gewisses Misstrauen der Museumspädagogen mir gegenüber. Man nimmt von vornherein schon an, dass ich als Designer von ihrer Arbeit nicht begeistert sein würde. Es braucht am Anfang mehrere Gespräche, um das Vorurteil abzubauen. Man kann sich fragen, warum dem so ist. Es werden tatsächlich schon am Anfang einer Projektplanung Fehler gemacht. Kuratoren erarbeiten zwar den Inhalt, doch denken sie zu wenig daran, dass Ideen für die spätere Pädagogik schon jetzt aus der Thematik hervor gehen müssten. Der Wille, frühzeitig eine direkte Verbindung zu den verschiedenen Ausstellungskomponenten herzustellen, fehlt. In Briefings zu Gestaltungswettbewerben wird die Pädagogik meist nicht erwähnt oder am Rand als museumseigene Aufgabe bezeichnet, die dann später schon einmal gelöst werden wird. Wenig erfahrene Gestalter wissen oft nicht recht, wie mit Museumspädagogik umzugehen ist. Sie wird eher als Fremdkörper empfunden, der nur schwer in eine Gestaltungslinie einzugliedern ist. Verbannung also in ein abgelegenes Schulzimmer? Bei meinen Reisen durch Europa habe ich diesen Unsinn im142
DEMOKRATISIERUNG KREATIVER PROZESSE
mer wieder angetroffen. Der Museumsbesuch von Schulklassen ist zwar nicht ganz freiwillig, doch wenn sie schon ins Museum dürfen, sollte es ‚Sonntag‘ sein. Da sollten sie nicht schon wieder in einem Schulzimmer landen. Ebenfalls Anfang der achtziger Jahre haben wir in einem städtischen Museum in der Schweiz eine neue Idee ausprobiert, indem wir mitten ins Ambiente der Ausstellung „Feuer und Licht“ einen gläsernen Pavillon für Schulklassen setzten. Er funktioniert heute, 2006, noch bestens. Mit Ideen für originelle museumspädagogische Komponenten haben wir letzthin einen Wettbewerb gewonnen, indem wir für eine Reihe von Sonderausstellungen als verbindendes Element Hexenhäuser vorschlugen. Bei einem Hexenhaus, bedeckt mit Lebkuchenziegeln zum Anknabbern, war dann leider keine Hexe drinnen, sondern ein Zahnarztstuhl. Unter der üblichen Raumnot ist es auch für einen erfahrenen Designer nicht einfach, museumspädagogische Komponenten in den Rundgang einzubauen. Sehr oft sind zu viele Objekte auszustellen. Hier würde sich in der Beschränkung der Meister zeigen und eine exemplarische Auswahl von Exponaten zu Gunsten museumspädagogischer Aktivitäten brächte bessere Gesamtlösungen. Das Problem liegt weniger beim Designer, als vielmehr bei Kurator und Museumspädagoge. Hier sollte der Hebel angesetzt werden. So gesehen ist das museale „magische Dreieck“ wirklich ein Dreieck, das übersinnliche Kraft erfordert; ein Dreieck mit spitzigen Ecken und scharfen Kanten, die verletzen können. Es kann nur entschärft werden, wenn wir uns ein Beispiel am Dreiklang des Klaviertrios nehmen. Wenn dort nur einer falsch spielt, tönt alles falsch. Der Leidtragende dabei ist nur einer: der Zuhörer oder im Falle des Museums der Besucher. Für ihn wollten wir doch alles tun?
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JÖRG WERNER Das Runde muss in das Eckige. Au sstellungsplanung ist Mannschaftssport
Das Dreiecksverhältnis zwischen Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern ist bestimmt durch die Strukturen und Rahmenbedingungen ihres gemeinsamen Arbeitsfeldes, des Mediums Ausstellung einerseits und der Institution Museum andererseits. Soll aus dieser Dreiecksbeziehung eine ‚runde‘ Ausstellung entstehen, käme es einem Wunder gleich, wenn es nicht zahlreiche Widrigkeiten und Hakeleien geben würde – wie immer, sobald „das Runde in das Eckige“ soll. Die gute Nachricht ist aber, dass die Aussicht auf ein gutes (Zusammen-)Spiel nicht zwangsläufig schlecht, sondern eine beeinflussbare Größe ist. Eine Tatsache ist: Die Hauptakteure haben sich meistens noch nie gesehen (und sehen sich danach auch selten wieder). Sind sie zum ersten Mal dabei, können sie nicht wissen, was gespielt wird. Einen Schiedsrichter gibt es in der Regel nicht und die Regeln selbst bilden sich im Laufe des Spiels heraus. Wenn es dann nicht klappt, kommt es allerdings zu einem echten Drama. Das blüht denen, die – allen Umständen zum Trotz – nicht optimal als Mannschaft agieren. Die Stürmer kriegen die Kirsche einfach nicht rein. Aber das ist alles Theorie. Die Spielpraxis sieht meistens noch komplizierter aus – und trotzdem geht es fast immer irgendwie gut aus. Klar ist, das Spiel wird gewonnen, wenn die Besucher erreicht werden und in großen Scharen ins Museum und zu dessen Ausstellungen pilgern. Doch wer sind diese Besucher? Kennt die Equipe ihre Fans? Und ist es wirklich die Konkurrenz auf dem Freizeitmarkt, gegen die angetreten wird? Die Planung einer Ausstellung ist nach aller Erfahrung für die Beteiligten Arbeit, die besonders stark von persönlicher Befindlichkeit und Identität geprägt ist – wie in allen anderen kulturellen und künstlerischen Bereichen auch. Gerade dadurch droht aber die Freund-Feind-Kennung zu verschwimmen, so dass die 145
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Mitspieler der eigenen Mannschaft sich unversehens als Gegner wieder finden können. Der wahre Gegner ist jedoch ein anderer: Es sind letztlich die zunehmend einengenden Arbeitsbedingungen, die institutionellen Redundanzen und natürlich die immer schmaler werdenden Budgets, die ein gefälliges Mannschaftsspiel erschweren. Tatsächlich zeigt die Praxis, dass sich im Projektverlauf das Drei- oder Vieleck auf magische Weise bis zur Unkenntlichkeit verbiegt und sogar zu Bruch gehen kann. Die eben genannten Gründe wirken sich dabei mittelbar aus: Sie lassen nämlich schlichte und eigentlich regelbare Sachkonflikte, die natürlich während des Projektverlaufs auftauchen, unversehens zu persönlichen Kränkungen mutieren. Dann ist es nicht nur vorbei mit dem lockeren Zuspiel, sondern erst recht ist damit der konstruktive Dialog, die fruchtbare Kontroverse, die durchaus nervenzehrende, aber unumgängliche gemeinschaftliche Suche nach dem besten Spielzug unmöglich geworden. Gegen diesen Mechanismus will der nachfolgende Text antreten. Ähnlichkeiten aller Art mit wahren Begebenheiten sind zufällig und (hoffentlich) unwichtig, die grundsätzliche Dimension, die ‚Spielkultur‘ soll im Vordergrund stehen. Also dann: „Anpfiff!“
Die Themen Langjährige Erfahrungen aus Sicht des Gestalters vermögen den Blick zu schärfen und die (Hinter-)Gründe dafür zu lokalisieren und zu illustrieren, dass Ausstellungsplanung in der Praxis auch von den aufgestellten Spielern nicht immer als Mannschaftssport verstanden und synergetisch betrieben wird. In diesem Sinne soll hier der Struktur der Tagung entsprochen werden, die das Dreieck ja multiperspektivisch spiegeln will. Es soll zudem die Gelegenheit genutzt werden, der weit überwiegenden Mehrheit der Dreiecksbeteiligten das unbekannte Wesen ‚Gestaltung‘ näher zu bringen und einen (neuen?) Blick auf die Arbeit der Gestalter, ihre Situation und ihre Perspektive anzubieten. Diese beschleicht nämlich immer häufiger das Gefühl, mit ihrer – zugegebenermaßen schönen – Arbeit eher ein Kreuz zu schultern, als einen Apfelbaum zu pflanzen. Um dabei zu zugespitzten Aussagen wie dieser zu kommen und die Problematik auch für Nichtbetroffene zu verdeutlichen, wird bewusst einseitig und ohne Anspruch auf Vollständigkeit argumentiert. In diesem Sinne sollen die nachfolgenden Überlegungen zu den Aspekten Besucherorientierung und Unterhaltungsfunktion zur Klärung der Frage beitragen, was eigentlich eine gute Ausstellung ausmacht. Etwas handfester sollen 146
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zu dieser Frage zwölf ausgewählte Gestaltungsregeln, welche jedenfalls meine Arbeit bestimmen, vorgestellt werden, um häufige Differenzen über das, was gut und was schlecht für eine Ausstellung ist, zu konkretisieren, abzukürzen und zu versachlichen. Für den Fall, dass dies wirkungslos bleiben sollte, wird abschließend von Meinungsverschiedenheiten als Konflikten gesprochen und diese werden – ganz im Sinne professioneller Konfliktvermittlung – für normal erklärt. Vier einfachen und (und normalerweise hilfreichen) Hinweisen zur so genannten gewaltfreien Kommunikation sowie fünf Wünschen an die Kuratoren (respektive an Museumsleitungen und übergeordnete Instanzen) werden vorbeugende Wirkung nachgesagt.
Die ‚gute‘ Ausstellung Was eine gute Ausstellung ausmacht und wie man sie macht, darüber lässt sich im Dreieck ewig streiten. Was eine schlechte Ausstellung ist, das ist eher konsensfähig: Nämlich dann, wenn die Besucher für ihr – nicht unerhebliches – Eintrittsgeld nur erfahren haben, dass sie eigentlich nichts interessiert hat, sie nichts verstanden haben und zu Hause auch nicht mehr als eben das erzählen können. Und weil der Besucher „doch nicht blöd“ ist, wird er das Museum nicht noch einmal besuchen. Ein Museum oder eine Ausstellung ohne Besucher ist aber schlecht. Der Besucher ist deshalb primärer Bezugspunkt jedes Ausstellungsprojektes. Und weil er eine negative Erfahrung ca. 7-9 mal kommuniziert (ein positives Erlebnis gibt er höchstens dreimal zum Besten!), ist ein Ausblenden des Besuchers aus den planerischen Überlegungen ein erster Schritt auf dem Weg zu einer schlechten Ausstellung, wenn nicht sogar zum Misserfolg eines ganzen Museums. Aber wie bezieht man eine Ausstellung auf den Besucher? Stellt man sich einmal vor, die Besucher würden befragt, wie denn eine Ausstellung zum Thema ‚X‘ ihrer Meinung nach sein sollte, damit sie diese gern besuchen, wird das Dilemma anschaulich. Und selbst für den gewagten Fall, es gäbe so etwas wie einen Planungsbeirat oder einen ausgewiesenen Sprecher, wäre der Erfolg dieses Projektes alles andere als garantiert. Verkürzt und abstrahiert kommt der Besucher zwar als Planungsgröße immer vor: Die Frage nach der Zielgruppe wird so gut wie immer gestellt – aber fast immer zu schnell beantwortet: „Erwachsene... und Kinder natürlich“. Jetzt weiß die Gestaltung schon mal Bescheid, dass möglicherweise Mehrarbeit auf sie zukommt, die eher konzeptioneller als gestalterischer Art ist. Dazu gehört 147
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es naturgemäß, dass der Gestalter die Besucherperspektive einnimmt und (wie im Übrigen auch die Museumspädagogik) als Anwalt des Besuchers fungiert. Ein konfliktträchtiges Geschäft also, selbst dann, wenn Kuratoren im Namen des Besuchers Kurs nehmen auf bunte und unbeschwerte Paradiese: ‚Unterhaltung‘ und ‚Erlebnis‘ steht dick auf der Seekarte. Der Kurs führt in scheinbar sichere, weil flache, Gewässer. Dort schaukeln sich schon die Badeinseln der Freizeitparks zu Maßstäbe setzenden Erfolgen hoch. Soweit Ausstellungen ökonomische Veranstaltungen sind, scheint der Transfer ja nicht dumm. Was bedeutet es aber um Himmels Willen für das Selbstbewusstsein und die Identität der Ausstellungsmacher und Museumsleute? Unterhaltung & Co. sind nach meinem Verständnis keine Bedürfnisse, deren Erfüllung der Besucher primär im Museum sucht. Auch der festgestellte Trend zum window-shopping ist da kein taugliches Gegenargument. Als Unterform des Ausstellungsbesuchs muss das überhaupt nichts mit Unterhaltung zu tun haben: Ich ‚shoppe‘ auch durch einen knochentrockenen Fachartikel, durch eine mäuschenstille Buchhandlung – oder eben eine langweilige Ausstellung. Der Grund: Ich warte darauf, dass es Ernst wird, dass etwas klick macht, dass mich nämlich etwas interessiert, nicht aber unterhält – nicht schon wieder! Ich vermute, dass auch diejenigen, die an der Konstruktion einer expliziten Pflicht des Museums zur Unterhaltung arbeiten, eigentlich andere Absichten treibt als die Verspaßung der Museen. Meines Erachtens ist der Unterhaltungsbegriff des Besuchers durch seine alltagsprägenden Strukturen geformt. In diesem Sinne meint er mit langweiliger Ausstellung nämlich nicht das Gegenteil von unterhaltsam, sondern nichts anderes als ‚uninteressant‘. Gemeint ist also eine schlechte, weil nicht besucherbezogene, Ausstellung. Der Besucher weiß doch, dass er im Museum ein Bildungsangebot besucht – wo auch sonst wird ihm dies so lecker geboten! Selbst wenn dann für solche Ausstellungskonzepte in der Praxis die Rechnung aufgeht (und nichts anderes als die ist es ja, um die es geht) – das Potenzial und die vielen Chancen, die ein so wunderbares Medium wie eine Ausstellung bieten kann, bleibt auf diese Weise links liegen. Hinzu kommt, dass selbst bildungsferne Einrichtungen wie Hotels, Kaufhäuser, Shops sich zunehmend gerade nicht unterhaltsam, sondern museal geben und dazu übergehen, ihre Themen durch Exponate erlebbar zu machen, ihre Waren und Dienstleistungen mit Authentizität aufzuladen. Auch bei den anderen konkurrierenden Medien liegen Themen mit Bildungswert voll im Trend. Im Vergleich mit deren beschränkten Möglichkeiten ist im musealen Rahmen die Bandbreite möglicher Vermittlungsformen und Themen schier unendlich.
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Und das Potenzial, die Kompetenz und die Kreativität von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern sind eigentlich unerschöpflich, oder? Schon deshalb sind die Erfolgsaussichten für das Medium Ausstellung im Ranking mit den ‚gegnerischen‘ Medien nicht schlecht, sondern gut. Profilneurosen sind völlig fehl am Platz, denn: Ausstellungen haben Zukunft!
Der Gestalter als Entertainer? Wie oben ausgeführt, führt der Transfer des Unterhaltungsdogmas auf Museen und Ausstellungen in die falsche Richtung. Erst recht gilt das für die Frage, wer denn im Dreieck primär dafür zuständig oder kompetent ist. Gern wird zur Antwort auf die Ausstellungsgestaltung gezeigt und damit die kommunikative Kompetenz der Gestalter missverstanden. Der Gestaltung die Zuständigkeit für den Unterhaltungswert der Ausstellung zuzuschieben, ist aber ungerecht und zwar in mehrfacher Hinsicht. Abgesehen davon, dass die Ausstellung damit noch nicht zu einer guten und erfolgreichen wird, sondern nur zu einer schlechten mit Unterhaltungselementen, zeugt es zweitens von erstaunlicher Unkenntnis dessen, was Ausstellungsgestaltung eigentlich ist und wie sie funktioniert. Zugleich – und dies kommt im weiten Feld der Gestaltung noch hinzu – wird in der Praxis jeder Versuch von Seiten der Gestaltung, sich dieser Aufgabe trotzdem anzunehmen, mit hohem Risiko unternommen. Sie wird wahrscheinlich auf den Unwillen gerade derer stoßen, die ggf. für die inhaltliche Langeweile verantwortlich sind und deren Projekt es doch eigentlich zu retten gilt. Wenn aber nicht Unterhaltung, was ist dann der Kern des Jobs?
Gestaltung – was ist das? Mangels Bestimmbarkeit ist jede Aussage über das Wesen von Ausstellungsgestaltung subjektiv geprägt. Nach meiner Überzeugung geht es primär dabei weder um Dekoration noch um Technik, Handwerk oder Kommunikation allein. Es handelt sich im Kern um eine Art Übersetzungstätigkeit: Um den Anspruch, die tragenden Gedanken und Vermittlungsziele eines inhaltlichen Konzeptes (das per se spannend zu sein hat) zu überformen und zu Ausstellungsarchitektur werden zu lassen, also zu gebauten, räumlichen und funktionalen Bedeutungsträgern. Erst durch diese transformatorische Leistung der Gestaltung entsteht das Medium Ausstellung überhaupt. Dabei ist es die Kunst, im aktiven Umgang mit dem vorgegebenen Raum möglichst eine verstehbare, begehbare und mit vielen Sinnen wahrnehmbare Situation herzustellen und mit dramaturgischer Spannung aufzuladen. Damit unterstützt die 149
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Ausstellungsgestaltung entscheidend die Vermittlungsziele und -bemühungen der Ausstellungsmacher. Dies wird umso erfolgreicher sein, je nachhaltiger mit dem zentralen Alleinstellungsmerkmal des Mediums Ausstellung gearbeitet wird: Der Besucher ist nicht nur der Bezugspunkt der planerischen Überlegungen, sondern er findet sich letztlich selbst im Medium Ausstellung wieder, wird im Idealfall selbst zu einem Teil der Ausstellung. Welches Medium gibt es sonst, in dem sich der Nutzer live bewegen und sein individuelles Lernprogramm zusammenstellen kann, in dem der Besucher also derart wichtig genommen wird? Gleichwohl: Die eigentliche Ausstellung, das ist letztlich die, die im Kopf des Besuchers entsteht. Und die soll möglichst lange dort bleiben. Darauf legt es gute Gestaltung an. Der Konsens über die nachfolgend vorgestellten zwölf Gestaltungsregeln kann als mannschaftliche Spielvorbereitung hilfreich sein oder vermag zumindest eine zielorientierte Kommunikation über Gestaltung anzustoßen.
Gestalten – wie geht das? Die Auswahl von zwölf zentralen Regeln markiert den Weg dorthin, nicht das Ziel. 1 Von Anfang an: Das Konzept selbst muss interessant sein, seine Vermittlungsziele müssen benannt und gestalterisch übersetzbar sein. Damit Gestaltung konstruktiv Einfluss nehmen kann (und nicht etwa ein ‚eigentlich‘ fertiges Konzept eigenhändig gestalterisch umformen muss), ist die Gestaltung bei einem erfolgreichen Projekt von Anfang an mit im Boot. 2 Dialogisch: Ideen entstehen im kreativen Wechselspiel der Kommunikation der unterschiedlichen Perspektiven von Gestaltung und Konzeption. Die konzeptionellen Vorstellungen werden also aus der Gestalterperspektive, gestalterische Ideen aus der Perspektive der Konzeption gespiegelt. Der Lösungsprozess ist spiralförmig und das Ergebnis kann am Ende von beiden Seiten getragen werden. 3 Anregungen des Raumes aufnehmen: Ohne den Ausstellungsraum wäre die Form der Ausstellung fast beliebig vorstellbar. Der Raum ist daher die erste Einschränkung der gestalterischen Ideen – fördert diese aber zugleich auch durch erste, allgemeine Impulse. Mit dem Raum, nicht gegen ihn, muss gestaltet werden. So wurden zum Beispiel die schräg stehenden Stützen im Forum von Gruner+Jahr in Hamburg nicht als Beschwernis der Ausstellungsplanung in Kauf genommen, sondern gestalterisch genutzt: Als riesige Zeitungshalter wurden sie zur prägenden Struktur der Ausstellung erhoben. 150
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4 Keine gebauten Behauptungen: Alle naturalistisch oder realistisch entworfenen Bilder (etwa ein historischer Innenraum oder ein Diorama) behaupten von sich: „Genau so war es“ und „Genau so sieht es aus“. Realität kann aber nicht überzeugend kopiert werden. Künstlichkeit verrät sich immer. Was wäre zum Beispiel, wenn eine Ausstellung zum Thema Wald denselben täuschend echt nachbaute? Selbst wenn die Täuschung mit viel Aufwand gelänge, wäre sie selbst das Interessante, nicht aber die mit ihr beabsichtigte Botschaft. Und der Kopf des Besuchers wäre auch nicht mehr gefordert. 5 Keine 1:1 Gestaltung: Nichts gestalten, was im Text oder im Bild thematisiert ist (und umgekehrt). Zumal wenn der Besucher sowieso ein eigenes Bild davon hat. Kontraproduktiv ist es deshalb auch, wenn die Ausstellungskonzeption die gerade eben durch die Gestaltung vorgenommene Transformation des Themas selbst noch einmal explizit aufgreift und in Worte fasst. 6 Perspektivenwechsel: Insbesondere alltägliche Themen oder Objekte brauchen einen Perspektivenwechsel. Der bringt den Besucher erst einmal auf Distanz – damit er sich ihnen (wieder) neu nähern kann. Aus der Mäuseperspektive wird eine alte, ausgestopfte Hauskatze plötzlich spannend, übrigens auch thematisch! 7 Besucher ist Teil der Ausstellung: Nur oben, von einem Tellerstapel aus, der im Rheinischen Industriemuseum, Schauplatz Oberhausen ‚Aufgetischt‘ war, konnten die Besucher die gesamte, am hallengroßen Tisch versammelte Konsumgesellschaft überblicken. Dass sie dabei – aus der Perspektive der anderen Besucher unten im Raum – selbst zu sehen waren, wie sie gerade mitsamt der schmutzigen Teller unter sich von den beiden schwarzen, dienstbaren Händen abgeräumt wurden, war ein starkes, schlüssiges Bild. 8 Leerstellen lassen, Schranken einbauen: Der Zensurstreifen im Bild, die Schwärzung im Text machen neugierig auf das, was sich darunter verbirgt. Im Nationalpark Eifel (Nationalparktor Heimbach) sind die Tiere des Waldes geradezu versteckt: Durch kleine Fenster in den Textwänden können sie in dem dunklen Vitrinenraum dahinter entdeckt werden. 9 ‚Fehler‘ machen: Es gibt tatsächlich Besucher, die akribisch nach Fehlern im Text suchen. Einen finden sie fast immer. Dann sind sie froh. Davon lässt sich lernen: Richtig oder falsch, wahr oder gelogen, passend oder unpassend – auch das macht den Besucher zum Subjekt der Ausstellung. Über die Notwendigkeit der Auflösung solcher Zweifel lässt sich dann produktiv streiten. Im Nationalpark Eifel haben wir zu jedem Thema eine „ZwEifelGeschichte“ erzählt und mit einem Exponat bestückt: Die ‚Hirschzunge‘ ist eine echte Eifeler Spezialität auf den Speisekarten der Gourmet-Restaurants. Wahr oder gelogen? 151
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10 Conditio sine qua non: Jedenfalls in der Planungsphase nehmen die Ideen für mögliche Exponate zu, je länger der Planungsprozess dauert. Die Ideologie vom sprechenden Exponat petrifiziert häufig eine Objektfülle, die schlicht unausstellbar ist und provoziert die Formulierung der Gegenposition: „Objekte sprechen nicht. Kein einziges Wort. Das spricht höchstens der Besucher oder der Abteilungstext.“ Hilfreich ist dann die Frage: „Welche Aussage würde eigentlich wegfallen, wenn dieses eine Exponat nicht ausgestellt würde?“ 11 Augenzwinkern gehört zu einer freundlichen Kommunikation auf gleicher Augenhöhe mit dem Besucher. Wenn am Tisch der ‚Geschmackssachen‘ im Rheinischen Industriemuseum Oberhausen der große Immanuel Kant einen Ketchup-Fleck auf dem Anzug hat, kann der Besucher plötzlich ganz vernünftig mit ihm reden. 12 Erster Blick, zweiter Blick: Nicht jeder Besucher muss alles (und dann womöglich noch auf den ersten Blick) sehen – das gibt es im Theater auch nicht. Aber für jeden muss es etwas zu entdecken geben. Gestaltung muss deshalb dazu beitragen, Informationen zu staffeln: Auch auf den zweiten Blick muss immer (noch) etwas zu entdecken sein. Zugegeben: Manches sieht nur der Gestalter selbst. Der Besucher nimmt es aber wahr: Als Teil seines Gesamteindruckes, als stimmig oder als schön. Im Bauernhaus-Museum Bielefeld lebt das Bild von jenem Chaos, das der handfeste Streit zwischen Jung- und Altbauern in der Wohnstube anrichtet, auch davon, dass dort der ‚Haussegen‘ (ein gerahmtes Bild) tatsächlich schief hängt (deshalb gelingt der Putzkolonne auch jede Woche aufs Neue ein Wunder: Mit einem einzigen Handgriff bringt sie die Welt wieder in Ordnung). Das alles können Gestalter zu einer guten, besucherbezogenen Ausstellung beitragen – wenn man sie lässt: Aber keinen einzigen der 12 Leitsätze vermögen Gestalter, Kuratoren oder Museumspädagogen allein umzusetzen! Und trotzdem: Es ist alles andere als selbstverständlich, dass diese drei Professionen magisch voneinander angezogen werden und naturgemäß als ‚Mannschaft‘ agieren.
... und wie ergeht es den Gestaltern selbst? Um die Antwort vorwegzunehmen: Ihre Arbeitsbedingungen im Allgemeinen und im Besonderen machen es ihnen oft eher schwer, in ihren Teamkollegen, (und im gesamten ‚Verein‘, um im Bild zu bleiben) über die gesamte Spieldauer hinweg miteinander verschworene Verbündete zu sehen. Aus ihrer Sicht sieht das häufig so aus: Gestalter kommen in der Regel im Rahmen eines Wettbewerbs oder eines wettbewerbsähnlichen Verfahrens mit 152
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einem Ausstellungsprojekt in Kontakt. An dem wird vielleicht schon seit einem Jahr oder auch länger intensiv gearbeitet. Daraus folgt aber nicht, dass im Rahmen des Briefings die zu lösende Aufgabe besonders klar und verlässlich beschrieben ist. Es bedeutet, dass die Gestalter sich noch vor jeder Beauftragung thematisch-inhaltlich erst einmal auf jene konzeptionelle Höhe hinauf schwingen müssen, die sie gestalten wollen. Es bedeutet auch, dass sich das Team bereits geformt und seine Kommunikation eingeübt hat, vielleicht auch, dass es sich bereits zerstritten hat. Vielleicht sind die Gestalter aber lediglich „gebeten“ worden, ihre Ideen doch einfach einmal unverbindlich zu skizzieren, und diese – wenn sie wollen, natürlich – auch persönlich zu präsentieren. Haben sie Glück, wird diese Variante des ‚fishing for ideas‘ als Ideenwettbewerb bezeichnet und mit einer Art Unkostenerstattung dotiert. 300 Euro für ein solches Ansinnen sind dabei der je gefühlte Tiefpunkt für zum Beispiel fünf Arbeitstage und einen Reisetag. Der Spaß hört aber dann auf, wenn die Auslobung oder Einladung nur glauben macht, es handle sich um einen regelgemäßen Wettbewerb. Gestalter, die daraufhin sorgfältig ihre 30-seitigen Bewerbungen designen, hören nach Abgabe der Unterlagen manchmal nie wieder davon. Erst viel später, auf ihre dringenden telefonischen und schriftlichen Nachfragen, wird zum Beispiel mitgeteilt, dass ihre Bewerbungen in einer Lostrommel gelandet sind (ohne daraus wieder aufgetaucht zu sein). Und das war es dann. Keine Empfangsbestätigung (Originalton: „Wir haben dreihundert Einsendungen... da hätten wir ja viel zu tun!“), keine Spielregeln, was mit den vorgetragenen Ideen geschieht oder nach welchen Kriterien wer entscheidet, keine Versicherung, die Ideen nicht zu nutzen. Eine Begründung der Ablehnung ist gänzlich unüblich. Und eingereichte Unterlagen werden wie selbstverständlich einbehalten: „Für unsere Dokumentation“. Wer will dann auf urheberrechtliche Positionen pochen? Vor Bedingungen wie diesen schützen auch keine Standesvertretung und keine Gewerkschaft. Nicht einmal eine informelle Interessenvereinigung haben wir bislang hingekriegt. Vergessen sind aber die vergeblichen Bemühungen um vielleicht fünf andere Projekte dann, wenn endlich wieder einmal ein ‚richtiger‘ Wettbewerb gewonnen ist und die Unterzeichnung des Gestaltervertrages ansteht. Trotzdem mahnt ein dunkles Gefühl zur Achtsamkeit, denn jetzt geht es um die Ausgewogenheit von Lohn und Mühe, besser gesagt: Um die Bestimmung dessen, was die Gestalter alles fürs (in der Regel feste) Budget zu leisten haben – und was nicht. Bild- und Filmrechte an noch nicht vorhandenem Material, ganze Filmproduktionen, ja selbst die Recherche und der Kauf von Exponaten können via Gestaltervertrag Sache der Gestaltung werden. Zu den zu vermeiden153
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den Fehlentwicklungen gehört es auch, im Ergebnis mehr am Konzept als an der Gestaltung gearbeitet zu haben. Bei aller dialogischen Versessenheit – täglich droht eine unbezahlte Nebentätigkeit. Trotzdem: Die Einarbeitung in das vorgelegte Konzept, dessen Deutung und gestalterische Übersetzung haben sich in diesem Fall gelohnt, obwohl das Briefing vielleicht wieder einmal unklar und unzureichend war und unrealistische Anforderungen formulierte. Erhebliche Vorleistungen waren nicht umsonst: Angebote der Handwerker und Produzenten waren eingeholt, die Realisierung der Ideen war kalkuliert und illustriert worden, oft mit immensem Aufwand (Diese Vorleistung kann auch bei einem mittelgroßen Projekt durchaus mit 8.000 bis 15.000 Euro zu Buche schlagen). Kurz: Bei Arbeitsaufnahme hat der Gestalter das gute Gefühl, die Quadratur des Kreises gelöst, die dafür angedachten Arbeiten zu einem guten Teil bereits jetzt erledigt, dem Inhalt zu seiner Form verholfen zu haben. Die Anerkennung und die Wertschätzung durch das Team steht bevor, nichts kann die Vorfreude auf den Arbeitsbeginn trüben. Alle offenen Fragen lassen sich ja im persönlichen Gespräch klären. „Wir“ alle wollen doch eine gute Ausstellung. Doch dann zeigen die Fragen nach den Vermittlungszielen und der Zielgruppe schnell: „Die“ haben in Wirklichkeit ein Buch geschrieben, aber kein Konzept für eine Ausstellung. Leichte Unruhe kommt auf. Einen Zeitplan? Natürlich haben wir den! Aber der macht die Sache richtig brisant: Das sind die pauschal gefühlten Termine der Projektleitung, ohne Abgleich mit dem konkret vorliegenden Konzept und den Vorstellungen und Erfahrungen der Gestaltung. Eine Ahnung beschleicht jetzt die gesamte Mannschaft, dass das Training doch noch nicht zu Ende ist. Und dass das Spiel nicht leicht wird. Eben noch waren die Kuratoren froh, ihre Arbeit getan zu haben: Je nach Größe des Projektes hat vielleicht ein ganzes Team unterschiedlich spezialisierter und dotierter Fachkräfte das Thema in verschiedenen Facetten ausgestrichelt und ein Grobkonzept erstellt. Jetzt ist ja wohl erst mal die Gestaltung an der Reihe. So ähnlich dachte die Gestaltung aber auch. Und auch deren Lösungen und Entwürfe treffen bei weitem nicht zu 100 % die Vorstellungen der Kuratoren und Sachbearbeiter. Offen liegen die Inkongruenzen auf dem Tisch. Die Bereitschaft zum mannschaftlichen, zum dialogischen Handeln steht auf der Kippe. Über den weiteren Arbeitsverlauf entscheiden jetzt vor allem drei Dinge: (A) Klare Entscheidungsstrukturen, um den Diskussionsaufwand zu begrenzen und keine Gewinner-/Verlierergefühle aufkommen zu lassen, (B) sachorien154
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tiertes Arbeiten mit deutlichem Bemühen aller, Personen- und Sachprobleme getrennt zu halten und (C) Wertschätzung und Respekt vor den Kompetenzen der anderen Mitspieler. Gewinnt stattdessen persönlich motiviertes, interessengeleitetes Denken die Oberhand – zum Beispiel in der Form eines Lagerdenkens ‚Gestaltung contra Konzeption‘ – beginnt die Kommunikation schwierig zu werden. Professionelle Moderation wäre dann ein ratsamer Weg, vor allem, wenn eine Vielzahl differenter Interessen auf den Plan treten. Auch wenn dieser Gedanke noch sehr neu sein mag – Moderation kann bei ‚tiefem Boden‘, vor allem dort, wo von einer besonders ausgeprägten Identität mit den eigenen Arbeitsergebnissen auszugehen ist (wie gerade im gestalterischen und im künstlerischen und kulturellen Bereich insgesamt) eine echte Spielanleitung sein. Wenn dann aber noch hinzukommt, dass die vorgelegten gestalterischen Zugriffe frontal auf die hauseigenen Bildvorstellungen der Kuratoren prallen oder wenn – umgekehrt – die Mitarbeit der Gestaltung am Konzept als Einmischung oder als Besserwisserei verkannt, gar als Kränkung zurückgespiegelt wird, eskaliert das Ganze gerade im musealen Bereich schnell zum Konflikt. Soll jetzt nicht das Spiel im Team kippen, das Ausagieren des Konfliktes vor die eigentliche Arbeit treten und nur noch das Spielende herbeigesehnt werden, bleibt die Mediation, die professionelle Konfliktvermittlung, um das Projekt vor einer sonst unabwendbaren Serie von Eigentoren zu bewahren. Also dann: „Abpfiff“, Ball und Dreieck einkassiert, kalte Getränke und Spielkritik.
Sachkonflikte sind ganz normal Ich gehe davon aus, dass die Arbeit an einem Ausstellungsprojekt unter allen angesprochenen Punkten geradezu davon lebt, dass unterschiedliche Ansichten und Zugriffe aufeinander treffen und sich wechselseitig inspirieren – ein Dogma, dass sich in dieser Allgemeinheit für alle denkbaren Problemlösungsprozesse formulieren lässt. Mit anderen Worten: Ein Konflikt in der Sache ist also schlicht und einfach normal, in Extremfällen sogar hilfreich. Halten wir aber auch fest, dass der Arbeitsprozess im „Dreieck“ höchst konfliktanfällig und extrem empfänglich ist dafür, dass eine völlig normale, ja vielleicht sogar notwendige (weil weiterbringende) Kontroverse in der Sache belastet und verknüpft wird mit individuellen Beschwernissen. So wird z. B. die schlichte Frage „Akustische Einspielungen – ja oder nein?“ unter dem nagenden Eindruck enger Arbeitsbedingungen und situativer Unsicherheiten 155
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und Befindlichkeiten wie der Empfindung mangelnder Wertschätzung schwergängig. Das gilt selbst für den Fall des vereinbarten dialogischen Vorgehens, obwohl gerade das ja auf der Einsicht beruht, dass der Dialog zwischen Konzept (Inhalt) und Gestaltung (Form) nicht nur notwendig ist, sondern sich nur so beide Arbeitsanteile zu einer optimalen Gesamtlösung synergetisch aufschwingen können. Sollte sich das dadurch noch erhöhte Konfliktrisiko dann realisieren, belastet und erschwert dies die Lösung dieser und aller anderen noch offenen Sachfragen: Die Fehlerhäufigkeit wird steigen, seien es Fehler in der Sache oder Fehlleistungen in der Kommunikation. Naturgemäß wird die Verquickung von Sachfragen und Personen folgen. Das Markieren von Sündenböcken wird letztlich den bestehenden Konflikt weiter verhärten, lässt ihn eskalieren und antizipiert neue Konflikte. Dieser enorme Verschleiß von Zeit, Energien und Emotionen geht zwangsläufig zu Lasten des Projektes, das dann unaufhaltbar auf ein mageres, kein magisches, Ende zusteuert. Niemand fragt dann noch, was in diesem ‚worst case‘ zu tun sein könnte. Bestenfalls kann daran gearbeitet werden, dass die Beteiligten sich im weiteren Leben nicht unbedingt aus dem Weg gehen müssen, sondern vielleicht später wieder miteinander arbeiten können.
Konfliktvermittlung ist ebenso normal Der Weg zum Ziel heißt Mediation, also Vermittlung im Konflikt mit Hilfe professioneller Mediatoren. Dabei verleiht die bloße begriffliche Nähe zur Meditation der Mediation zu Unrecht die klamme Aura einer abgehobenen Befindlichkeitstherapie. Dies ist schade, denn tatsächlich verbirgt sich dahinter ein zugleich handfestes und elaboriertes Instrument der US-amerikanischen Streitkultur. Ihr Plus vor den herkömmlichen juristischen Schlusspunkten ist einerseits ein weit effizienterer Bearbeitungsprozess, vor allem aber ein deutlich nachhaltigeres Ergebnis. Im europäischen Raum anfangs erfolgreich vor allem im Reich der Familien- und Beziehungskonflikte, hat die Mediation sich mittlerweile ausdifferenziert und mit Erfolg spezialisiert – jetzt auch auf die Konfliktwelten in Kunst und in kulturellen Einrichtungen. Dort stehen sich zwei Phänomene gegenüber: Einerseits eine signifikante Häufigkeit und Intensität von Konflikten. Andererseits ist eine offenbar ebenso ausgebildete Resistenz festzustellen, Konfliktlagen zu bearbeiten und festgefahrene Konfliktstrukturen zu lösen, um eine Institution oder ein Projektteam wieder arbeitsfähig zu machen. Es scheint nicht übertrieben, im Kulturbereich von einer Leidenskultur zu sprechen, obwohl hier doch eher eine größere Offenheit für kon156
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fliktlösende Strategien zu erwarten wäre. Es bleibt deshalb als Zwischenergebnis nur festzuhalten, dass der Vorschuss, den die Konfliktparteien bei der Mediation leisten müssen – nämlich den Wunsch zur Konfliktlösung explizit zu formulieren und Bereitschaft zur aktiven Konfliktbearbeitung einzubringen – für Kulturschaffende ziemlich hoch ist.
Das Konfliktrisiko lässt sich minimieren Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es womöglich praktisch, für aktuell konfliktverdächtige Situationen vier risikomindernde Regeln der so genannten gewaltfreien Kommunikation (welche die Mediation zu einem guten Teil prägt) für den Eigengebrauch nahe zu legen. Damit kann jeder (im Dreieck) dem Projektverlauf Gutes tun: • Sachprobleme möglichst distanziert, also beobachtend, beschreiben, ohne sie mit persönlichen Wertungen zu verquicken (Falsch: „Ich finde akustische Einspielungen einfach doof.“ Vorschlag: „Gibt es bei akustischen Einspielungen nicht das Problem, dass sie schwer zu begrenzen sind und oft als Störung empfunden werden?“). • Gefühle explizit und davon getrennt formulieren (Falsch: „Wenn ich schon von weitem diese Beschallung höre, habe ich von einer Ausstellung genug.“ Vorschlag: „Ich habe mich als Besucher über solche Einspielungen oft geärgert und hatte immer das Gefühl, dass auf mich keine Rücksicht genommen wird.“). • Wünsche formulieren statt Forderungen stellen (Falsch: „In meiner Abteilung entscheide ich und ich will hier keine akustische Einspielung haben, basta!“. Vorschlag: „Für meine Abteilung wünsche ich mir, dass wir noch einmal in Ruhe über die Vor- und Nachteile dieser Idee sprechen.“). • Verschiedene Optionen und Alternativen aufzeigen, statt die Pistole auf die Brust setzen (Falsch: „Lieber steige ich aus diesem Projekt aus, als diese Idee mitzutragen.“ Vorschlag: „Wir sollten uns mal ein Beispiel anhören, bevor wir uns entscheiden. Bestimmt gibt es unterschiedliche technische Lösungen, die ich jedenfalls noch nicht kenne. Und außerdem ist das doch auch eine Frage des Budgets, oder?“). Damit das wirklich funktioniert (auch bei unserem nächsten Projekt, bei dem ich schwöre, diese Grundsätze auch selbst zu beherzigen!), seien abschließend noch fünf Wünsche an die Kuratoren formuliert.
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Ich wünsche mir Kuratoren, die • die Notwendigkeit und den Wert der Herausbildung einer Wettbewerbskultur erkennen und sich für faire Wettbewerbskonditionen einsetzen; • dialogisches Vorgehen von Projektbeginn an schätzen und durchsetzen; • zugleich für klare Entscheidungsstrukturen sorgen und diese auch nutzen; • wechselseitige Wertschätzung praktizieren und einfordern; • nicht selbst gestalten wollen, aber etwas von Gestaltung verstehen.
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PETRA MÜLLER Das Verborgene ausstellen. Ein Essa y
In der besonderen beruflichen Verbindung der Ausstellungsdesignerin und archäologischen Zeichnerin ist die Möglichkeit zu einem Perspektivenwechsel enthalten, der sich in der Art, Ausstellungen zu betrachten und zu behandeln, wieder findet. Konkret: Wenn man als Zeichner die Artefakte aufnimmt, sie dreht und wendet, ihr Material und ihre Form betrachtet, dann sieht man die feinsten Details wie Farbreste, Fingerabdrücke oder Spuren der Nutzung. Das Artefakt deutet vieles an, weckt Assoziationen zum Umfeld, seiner Nutzung und dem Eigentümer. Ein besonders schönes Beispiel ist ein Anhänger aus Elfenbein, dessen Bauch sein ehemaliger Besitzer beim Tragen mit den Fingern ganz blank rieb (Abb. 1 und 2).
Abb. 1 u. 2: Anhänger aus Elfenbein, Abydos, Ägypten; Umzeichnung (2:1) und Detailaufnahme
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PETRA MÜLLER
Die Artefakte haben nicht nur Funktionen erfüllt. Sie wurden geschaffen und mit Inhalt angereichert und benutzt von Menschen, die sich zwar in vielen Bereichen vom heutigen Menschen unterscheiden, aber auch viele Ähnlichkeiten hatten. Eben das macht Archäologie so spannend für uns. Es ist dieser Blick zurück: Was war gleich, was ist anders gewesen? Während der Arbeit mit Artefakten wird die Begegnung mit dem Menschen der Vergangenheit konkret. Sie funktionieren quasi als Bindeglied zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem; können das eigene Weltbild verändern. In der weiteren Konkretisierung bedeutet dies in Hinblick auf die Gestaltung von Ausstellungen, dass ich genau diese Erfahrungen mit einer kaum bzw. unsichtbaren Ebene der menschlichen Hinterlassenschaften dem Besucher in einer archäologischen oder kunsthistorischen Ausstellung vermitteln will. Mit welchen Ideen und Umsetzungen dieses meiner Meinung nach gelingen kann, wird anhand von drei möglichen Zugangsweisen erläutert.
Das Individuum Ein Problem für Wissenschaftler ist sicher das Benutzen von ‚Fiktivem‘, nicht ‚Bewiesenem‘ als Bestandteil einer Ausstellung. Das liegt in der Natur der wissenschaftlichen Arbeit, die Belege verlangt. Aber kann man ‚nicht bewiesenes‘ nicht einfach kennzeichnen, als Möglichkeit, als Modell? Beispielhaft können dafür die oft visualisierten ‚frühen Menschen‘ in den Blick genommen werden. Kann man nicht davon ausgehen, dass auch unsere Vorfahren Gefühle hatten? Warum sollte man Emotionen nicht zeigen können, wie es die Illustrationen der holländischen Brüder Kennis (Abb.3) tun? Abb. 3: Illustration der Brüder Adrie und Alfons Kennis, Niederlande
Dies fehlt mir in vielen archäologischen Ausstellungen, in denen das Thema letztendlich der Mensch ist. Es reicht nicht aus, dass nur seine Hinterlassenschaften in Vitrinen konserviert werden. Aus beiden Elementen, fiktiven und konkreten, sollte sich ein Gesamtbild zusammensetzen, das uns den prähistorischen Menschen näher bringt. 160
DAS VERBORGENE AUSSTELLEN
Ein weiteres Beispiel für einen solchen anderen Umgang mit Artefakten ist die Arbeit der tschechischen Ausstellungsmacher im ersten Teil des neu gestalteten Landesmuseums in Halle: Juraj Liptak und Karol Schauer. Für sie realisierte das Pariser Atelier Daynès die Figur eines Neandertalers, der auf einem Hocker sitzt und beim Betreten des Ausstellungsraumes jedem Besucher unmittelbar auffallen muss (Abb. 4). Dieser ‚Denker‘ hat individuelle Züge, ist sympathisch und schlägt eine Brücke direkt in unser Zeitalter – schon allein durch die Anlehnung seiner Pose an die berühmte Skulptur Rodins. Der Neandertaler ist jetzt nah an unserer eigenen Geschichte und denkt, ist kein seelenloses Wesen mehr, wie so oft in Ausstellungen dargestellt. Durch diesen Weg bewusster Gestaltung ist der Übergang zu archäologischen Themen wie zum Beispiel Bestattungen und religiöse Vorstellungen des Neandertalers einfacher und von vornherein lebendiger. Abb. 4: Lebensgroße Figur eines Neandertalers im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle; Atelier Daynès, Paris Abb. 5: Illustration einer Homo sapiens Frau; Karol Schauer
Für das gleiche Museum schuf Karol Schauer die lebensgroße Illustration einer ‚Homo sapiens‘-Frau, die er in einem Leuchtkasten inszeniert (Abb. 5). Ihre individuellen Züge und die moderne Anmutung sprechen viele Besucher an. Sie sind zugleich Vorschlag einer archäologischen Rekonstruktion. Mit den beiden Beispielen wird die ‚unüberbrückbare‘ Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart überwunden. Denn je dichter das archäologische Thema auch emotional an uns herantritt, umso faszinierender und stärker werden unsere Empfindungen und damit das Verstehen. Gestaltung und Kuratierung können sich ergänzen.
Vergangenheit oder Gegenwart? Bereits 1999 habe ich mich in meiner Meisterschülerarbeit mit der Frage, was uns vom Menschen der Vergangenheit unterscheidet, aber vor allem, welche grundlegenden Dinge gleich geblieben sind, beschäftigt, zum Beispiel der schmerzhafte Verlust durch den Tod, die Freude am Genuss und das Bedürfnis sich visuell auszudrücken. 161
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Die Bildbeispiele zeugen davon. Sie bewegen sich in einem Zeitraum von 5.300 Jahren, das ‚Alte‘ wird dem ‚Neuen‘ gegenübergestellt (Abb. 6-11):
Abb. 6 bis 11 (oben/unten): • Totenmaske von Valeria Maxima aus Rom/Kinderporträt eines Grabmals von einem Pariser Friedhof • Originalgroße Knoblauchzehe aus ungebranntem Ton aus einem Grab der Frühzeit in Abydos/Knoblauchzehen aus einem Kochbuch • Altägyptisches Graffiti auf einer Tempelwand/Graffiti in Paris
Die nächsten Abbildungen sind sicher einmalig, stehen aber für Details in der Archäologie, die zu erzählen jede Ausstellung aufwertet. Das Gemeinsame ist die Abstraktion der Hände: Jede hat nur drei Finger. Eine Stufe der Darstellungsart, die jedes zeichnende Kind durchläuft. Die zweite Zeichnung ist eine der ältesten erhaltenen Kinderzeichnungen der Welt, von einem koptischen
Abb. 12: Detail eines prädynastischen Gefäßes, Abydos, Ägypten
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Abb. 13: koptische Kinderzeichnung, Luxor, Ägypten
Abb. 14: modernes Selbstporträt eines Kindes
DAS VERBORGENE AUSSTELLEN
Kind ungefähr 600 Jahre n. Chr. in einem antiken Beamtengrab in Luxor (Ägypten) mit roter Farbe in die alte Wandmalerei gepinselt (Abb. 13). Stilistisch unterscheidet sich das folgende moderne Selbstporträt kaum (Abb. 14). Heraus fällt das erste Foto, Ausschnitt einer Szene mit Frau und zwei Kindern auf einem prädynastischen Gefäß aus Abydos in Ägypten (Abb. 12). Sie wurden höchstwahrscheinlich von einem Erwachsenen gezeichnet, das gezeichnete Kind hat aber trotzdem nur drei Finger. Solche Vergleiche von Altem und Neuem innerhalb einer Ausstellung können dem Besucher ebenfalls direkte und sehr persönliche Erfahrungen vermitteln. Weitergedacht sind solche Gegenüberstellungen in der Lage, sofort die Funktion, den Zweck eines Objektes zu illustrieren. Denn man erkennt nur, was man kennt!
Der inszenierte Raum Das Verborgene ausstellen, wie der Titel des Essays sagt, ist ein Anspruch, der erreicht werden kann, wenn man die Atmosphäre und Dimension des Ausstellungsortes respektiert. Das erste Museum, das ich vorstellen möchte, ist eine meiner Arbeiten. Es entstand vor einigen Jahren in den Tempelanlagen von Baalbek im Libanon (Abb. 15). Das Museum beschäftigt sich mit der Geschichte und Architektur der Tempelanlage. Dieses Thema ist zugleich die Hülle, der eigentliche Ausstellungsraum. Deswegen wurde dieser beeindruckende Tunnel selbst als Ausstellungsobjekt behandelt und präsentiert. Er ist ebenerdig gelegen, 90m lang und 6m breit und war vor der Umwidmung zum Museum nahezu im Originalzustand.
Abb. 15 u. 16: Teil der römischen Qualaa, Blick in den zum Museum umgewidmeten antiken Tunnel
Die Wände wurden nur gewaschen, das Licht und das Hängesystem in den Fugen verkeilt. Die Skulpturen der Tempelanlage wurden so angeordnet, dass der Besucher immer bis zum Ende des Tunnels sehen kann (Abb. 16). Die viersprachigen Texte und das Bildmaterial, das hauptsächlich aus Zeichnungen und 163
PETRA MÜLLER
Fotos der ersten Grabungspublikationen bestand, wurden hinter satiniertem Plexiglas gedruckt, welches die historischen Wände durchschimmern lässt und sich mit ihnen zu einer Einheit verbindet. Die zweite Rauminszenierung, die beispielhaft für den hier diskutierten Umgang mit Raum steht, realisierte der Künstler Michael Craig-Martin im Buxtehude-Museum. Ursprünglich als Rauminstallation konzipiert, wurde sie zum ständigen Bestandteil des Museums. Craig-Martin veränderte den neuen Anbau mit sakraler Kunst, er wollte den Akzent der ursprünglich regional geplanten Studiensammlung auf die visuellen Qualitäten des Raumes und der Skulpturen legen. Dadurch will er erreichen, dass die ausgestellten Kunstwerke für ein zeitgenössisches und weltlich orientiertes Publikum zugänglich werden. Michael Craig-Martin griff das Thema der mittelalterlichen Farbgebung auf, deren nicht naturalistische, knallige Farben er modifiziert auf die Wände übertrug. Im Falle der Inszenierung des Kruzifixes mit dem Operationsmikroskop kann der Besucher winzige Farbschichten und Reste auf der Skulptur betrachten (Abb. 17). Durch die direkt auf die Wände gemalten Bilder aus dem Repertoire des Künstlers entsteht eine Wechselwirkung mit dem Raum und den Skulpturen. Für ihn sind es manchmal nur Bilder, manchmal Symbole und manchmal stehen sie in Bezug zu Dingen, die gar nicht abgebildet sind (Abb. 18).
Abb. 17 u. 18: Kruzifix u. Elektronenmikroskop, Madonna mit Hocker
Mit einem Zitat von Michael Craig-Martin zu seiner Installation möchte ich schließen: „Ich hoffe, dass Besucher weiterhin die Erfahrung machen werden, unerwarteterweise in ein Gemälde eingetreten zu sein, in dem vertraute Dinge plötzlich fremd erscheinen, wo das Gewöhnliche etwas Besonderes geworden ist und wo Dinge, die vorher unbemerkt blieben, unausweichlich augenfällig sind, wo die Besucher ihren Vorstellungen freien Lauf lassen, staunen und Vermutungen anstellen können.“
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An ha ng
ANHANG
Abbildungsverzeichnis SUSANNE W ERNSING Abb. 1: Privatbesitz; Abb. 2 u. 3: Thomas, Neil: Museum of Modern Oddities, Melbourne 2001 (Fig. 3 und 12). DIETMAR OSSES Abb. 1-3, 5 u. 6: Dietmar Osses/Westfälisches Industriemuseum; Abb. 4: Anja Kuhn, Anne Schäfer. GEFION APEL Abb. 1: Wilpers/Westfälisches Freilichtmuseum Detmold; Abb. 2: Westfälisches Freilichtmuseum Detmold; Abb. 3 u. 4: Homann Güner Blum Visuelle Kommunikation; Abb. 5: Mark Wohlrab/Westfälisches Freilichtmuseum Detmold. NICOLE GESCHÉ-KONING Abb. 1: Haus der Geschichte der BRD (HdG), Bonn, ICOM-CECA; Abb. 2: Christchurh Art Gallery (Neuseeland), ICOM Education Nr. 19, ICOM-CECA; Abb. 3: Museums Annual (CECA Magazin) Nr. 2, ICOM-CECA; Abb. 4: Victoria and Albert Museums, London; Abb. 5: Nicole Gesché-Koning; Abb. 6: Philippe de Gobert, ICOM Education Nr. 10, ICOM-CECA. HANNELORE KUNZ-OTT Schaubild 1: Entwurf Hannelore Kunz-Ott, Umsetzung Martin Schmidt; Abb. 1 u. 2: Hannelore Kunz-Ott. FOLKER METZGER Abb. 1: Steffen Giersch/Deutsches Hygiene-Museum Dresden; Abb. 2: Werner Huthmacher/Deutsches Hygiene-Museum Dresden. PETRA MÜLLER Abb. 1, 6, 7, 12, 13 u. 14: Petra Müller; Abb. 2, 8 u. 11: Deutsches Archäologisches Institut, Kairo; Abb. 3: Adrie u. Alfons Kennis; Abb. 4: Atelier Daynès, Paris/Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle; Abb. 5: Karol Schauer/ Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle; Abb. 9: Knoblauch Küche, Sophie Hale; Abb. 15 u. 16: Antikenverwaltung des Libanon; Abb. 17 u. 18: Museum für Regionalgeschichte und Kunst, Buxtehude
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ANHANG
Autoren Gefion Apel studierte Mittlere und Neuere Geschichte und ist heute stellvertretende Leiterin des Westfälischen Freilichtmuseums/Landesmuseum für Volkskunde in Detmold. Dr. Christine Bäumler schloss mit einer Dissertation zu Bildung und Unterhaltung im Museum mit einem Schwerpunkt auf das Verhältnis von Kuratoren und Gestaltern ab. Sie ist heute Leiterin der Arbeitsstelle Hochschuldidaktik der baden-württembergischen Universitäten Stuttgart, Hohenheim, Tübingen und Ulm. Nicole Gesché-Koning ist ehemalige Präsidentin des Comité pour l’education et l’action culturelle, Brüssel und arbeitet heute als Assistentin an der Université libre de Bruxelles (ULB) und Dozentin an der Académie royale des Beaux-Arts de Bruxelles/Ecole supérieure des arts. Dr. Hannelore Kunz-Ott ist Kunsthistorikerin; sie arbeitet als wissenschaftliche Referentin bei der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern (Museumspädagogik und Öffentlichkeitsarbeit) und ist Vorsitzende des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. Folker Metzger, Studium der Geschichte und Pädagogik, ist Lehrer für Geschichte und Pädagogik, Fachgebietsleiter Pädagogik der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Petra Müller, als Zeichnerin erfasst sie in vielen Ausgrabungen Objekte. Darüber hinaus gestaltet sie mit ihrer Firma ‚museumsfreunde – Büro für Ausstellungs- und Grafikdesign‘ (Berlin) Ausstellungen. Dietmar Osses ist Historiker und Museumsleiter der Zeche Hannover des Westfälischen Industriemuseums, Bochum. Prof. Dr. Angelika Ruge-Schatz ist Historikerin und lehrt Museologie an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Martin Schmidt studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie, ist heute freier Kurator, Gestalter und Eventmanager und gründete die Firma ‚TexTuRa – Büro für Text, Textiles und Raum‘, Düsseldorf. Prof. em. Dr. Heiner Treinen ist Soziologe mit dem Schwerpunkt Museums- und Publikumsforschung, Professor em. der Ruhr-Universität Bochum, seit 1997 Forschungsprofessor am Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen, Institut für Arbeit und Technik. Jörg Werner ist Ausstellungsgestalter und Konzepter bei ‚museumsreif! Konzeption und Gestaltung von Museen und Ausstellungen‘, Bielefeld. Er arbeitet zudem als Mediator. Susanne Wernsing (freie Kuratorin) studierte Geschichte, Pädagogik u. Romanistik. Nach Arbeiten für verschiedene Industriemuseen und die Ausstellungsagentur ‚a+h & associés‘ (Paris) kuratierte sie die Dauersausstellung zur Alltagsgeschichte im Technischen Museum Wien. Hans R. Woodtli ist u.a. Ausstellungsgestalter und Gründer der ‚Woodtli Design + Communication AG‘, Zürich. Er ist Mitglied im European Museum Forum (EMF) (u.a. Jurymitglied ‚Museum des Jahres‘ in Europa, unter den Auspizien des Europarates) und im International Council of Museums (ICOM). 167
ANHANG
Arbeitskreis „Magisches Dreieck“ der Regionalgruppe Rhein/Ruhr des BfK e.V. Peter Ellenbruch ist Filmwissenschaftler und Mitinhaber von ‚scopium – Agentur für Recherche, Gestaltung und Präsentation historischer Bildmedien‘ und arbeitet als Lehrbeauftragter für Filmgeschichte und Filmanalyse an der Universität DuisburgEssen. Thomas Hammacher ist Kunsthistoriker, Film- und Fernsehwissenschaftler und Mitgründer von ‚scopium - Agentur für Recherche, Gestaltung und Präsentation historischer Bildmedien‘, Essen. Heike Kirchhoff studierte Politische Wissenschaften, Kunstgeschichte und Vergleichende Religionswissenschaften. Sie konzipiert Messen, Ausstellungen und Kulturevents und ist Gründerin des ‚Büros für Veranstaltungsmanagement‘, Hennef/Sieg. Stefan Nies ist Historiker und Mitinhaber der Geschichtsagentur ‚Dudde und Nies‘, Dortmund, sowie Vorsitzender des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. Er forscht zu Themen aus Umwelt-, Arbeits- und Industriegeschichte und konzipiert Ausstellungen u.a. in Freilicht- und Industriemuseen. Bettina Schack, Musikwissenschaftlerin, ist als freischaffende Journalistin tätig und arbeitet in der Kinder- und Erwachsenenbildung. Martin Schmidt studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie, ist heute freier Kurator, Gestalter und Eventmanager und gründete die Firma ‚TexTuRa – Büro für Text, Textiles und Raum‘, Düsseldorf. Christiane Syré ist Kunsthistorikerin und Pädagogin und gründete die ‚Agentur Form und Sinn – wissenschaftliche Konzepte‘, Düsseldorf. Sie arbeitet als freie Kuratorin, Autorin und Museumspädagogin.
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ANHANG
Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. (BfK) Freiberufliche Mitarbeit – Stütze und Ergänzung der Museumsarbeit Welches Museum kommt heute noch ohne sie aus? Die freien Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die kurzfristig eine Archivrecherche übernehmen, Führungen und museumspädagogische Programme entwickeln und anbieten, Sammlungsbestände dokumentieren und inventarisieren, wissenschaftliche Beiträge verfassen, ganze Ausstellungen kuratieren, gestalten oder Begleitprogramme organisieren. Das klassische Berufsbild des angestellten Kulturwissenschaftlers im Museum hat sich seit den 1990er Jahren gründlich gewandelt. Es ist ein neues Berufsbild des freiberuflichen Kulturwissenschaftlers entstanden, eine Folge veränderter Strukturen und der Einsparungsmaßnahmen der Kulturinstitutionen, die zum verstärkten Outsourcing von Leistungen führt. Wissenschaftler unterschiedlicher Fachdisziplinen bieten ihre Dienstleistungen auf dem freien Markt an. Sie stützen, gewährleisten und fördern den immer wieder durch Marginalisierung bedrohten Bereich der Kultur in all seiner Vielfalt. Dieser Entwicklung folgend gründete sich 1998 der Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. (BfK) mit Sitz in Bonn. Unter seinem Dach organisieren sich Archäologen, Historiker, Kunsthistoriker, Volkskundler, Kulturwissenschaftler, Geografen, Ethnologen und Wissenschaftler aus verwandten Disziplinen. Der Verband nimmt die beruflichen und wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder wahr und wirbt in der Öffentlichkeit um mehr Akzeptanz der Freiberufler in den Bereichen Kulturwissenschaft und Kulturvermittlung. Er dient seinen Mitgliedern als Netzwerk, das zum Erfahrungsaustausch und zur gegenseitigen Unterstützung bei gemeinsamen Projekten genutzt wird. Hinzu kommen Serviceangebote wie Muster-Geschäftsbedingungen und -Werkverträge, Tipps zur Honorargestaltung und Unterstützung bei Fragen wie der Sozialversicherung etc.. Tagungen dienen der Fortbildung und Diskussion. Die Mitglieder können sich einem Kodex anschließen und der eigene Geschäftsbereich Archäologie hat Qualitätsstandards für archäologische Grabungsfirmen entwickelt, zu deren Einhaltung sich die Mitglieder verpflichten. Geschäftsstelle: Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e.V. Adenauerallee 10 53113 Bonn Fax: 0228-2420305 [email protected]
www.b-f-k.de
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Kultur- und Museumsmanagement Patrick S. Föhl, Stefanie Erdrich, Hartmut John, Karin Maaß (Hg.) Das barrierefreie Museum Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch Mai 2007, ca. 450 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-576-5
Hartmut John, Bernd Günter (Hg.) Das Museum als Marke Branding als strategisches Managementinstrument für Museen Mai 2007, ca. 200 Seiten, gebunden, durchgängig farbig mit zahlr. Abb., ca. 35,00 €, ISBN: 978-3-89942-568-0
Reinhold Knopp, Karin Nell (Hg.) Keywork Neue Wege in der Kultur- und Bildungsarbeit mit Älteren Mai 2007, ca. 220 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-678-6
Birgit Mandel Die neuen Kulturunternehmer Ihre Motive, Visionen und Erfolgsstrategien März 2007, ca. 128 Seiten, kart., ca. 14,80 €, ISBN: 978-3-89942-653-3
Heike Kirchhoff, Martin Schmidt (Hg.) Das magische Dreieck Die Museumsausstellung als Zusammenspiel von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern März 2007, 172 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-609-0
Roswitha Muttenthaler, Regina Wonisch Gesten des Zeigens Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen Januar 2007, 268 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-580-2
Petra Schneidewind Betriebswirtschaft für das Kulturmanagement Ein Handbuch 2006, 204 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-546-8
Werner Heinrichs Der Kulturbetrieb Bildende Kunst – Musik – Literatur – Theater – Film 2006, 294 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-532-1
Viktor Kittlausz, Winfried Pauleit (Hg.) Kunst – Museum – Kontexte Perspektiven der Kunst- und Kulturvermittlung 2006, 308 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-582-6
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Kultur- und Museumsmanagement Tobias Wall Das unmögliche Museum Zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart 2006, 312 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-522-2
Sonja Vandenrath Private Förderung zeitgenössischer Literatur Eine Bestandsaufnahme 2006, 254 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-417-1
Sabiene Autsch, Michael Grisko, Peter Seibert (Hg.) Atelier und Dichterzimmer in neuen Medienwelten Zur aktuellen Situation von Künstler- und Literaturhäusern 2005, 264 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-314-3
Birgit Mandel (Hg.) Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing Eine Profession mit Zukunft
Stiftung Niedersachsen (Hg.) »älter – bunter – weniger« Die demografische Herausforderung an die Kultur
2005, 270 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 978-3-89942-399-0
2006, 232 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-505-5
Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge Das Museum als Forum für Ethik und Religion
Brigitte Kaiser Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen Museale Kommunikation in kunstpädagogischer Perspektive 2006, 448 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-452-2
Lutz Hieber, Stephan Moebius, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.) Kunst im Kulturkampf Zur Kritik der deutschen Museumskultur 2005, 210 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-372-3
2005, 196 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-398-3
Hartmut John, Ira Mazzoni (Hg.) Industrie- und Technikmuseen im Wandel Perspektiven und Standortbestimmungen 2005, 302 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-268-9
Franziska Puhan-Schulz Museen und Stadtimagebildung Amsterdam – Frankfurt/Main – Prag. Ein Vergleich 2005, 342 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-360-0
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Kultur- und Museumsmanagement Tiziana Caianiello Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese« im museum kunst palast Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre 2005, 262 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-255-9
Kathrein Weinhold Selbstmanagement im Kunstbetrieb Handbuch für Kunstschaffende 2005, 320 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-144-6
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