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German Pages 180 Year 1980
DAS LYRISCHE FEUILLETON DES „VOLKSSTAAT"
TEXTAUSGABEN ZUR FRÜHEN SOZIALISTISCHEN LITERATUR IN DEUTSCHLAND Begründet von BRUNO KAISER und weitergeführt von URSULA MÜNCHOW Herausgegeben
vom
Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR
BAND XXI
Das lyrische Feuilleton des „Volksstaat" Gedichte der Eisenacher
Herausgegeben
Partei
von
REINHARD WEISBACH
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1979
Erschienen im Akademie-Verlag DDR-108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Lektor: Jutta Kolesnyk © Akademie-Verlag Berlin 1979 Lizenznummer: 202 • 100/152/79 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Bestellnummer: 753329 3 (2119/XXI) • LSV 7105 Printed in G D R D D R 18— M
INHALT
IX
EINLEITUNG
1
TEXTE
3
I.
3
Vor zweiundzwanzig Jahren
Freiligrath-Reprisen
5
Brot
7
Zum neunten November
9
Das Lied vom Hemde
11
[Aus: Die Revolution]
13
II. Nach- und Erstdrucke von Georg Herwegh
13
Arbeiterlied
14
Kampfprolog im Himmel
16
Die Ureigentümerin
17
Fiat justitia! Vivat mundus!
18
Schafott — Zuchthaus
18
Epilog zum Kriege
19
Der Siegestrunkene
21
Jesuiten-Feldzug
22
Achtzehnter März
23
Der arme Jakob und die kranke Lise
23
1. Der arme Jakob
24
2. Die kranke Lise
V
27
III. Sozialkritische
und satirische
27
Was wir wollen! (D. . . B. J.)
28
Zeitungsschreiber (M. K-l.)
29
Das „gemütliche" Sachsen
30
Die nächtliche Heerschau
31
Untertan (August Geib)
Zeitgedichte.
31
Sie dürfen sichs erlauben! (Fritz Glogauer)
32
Die Weisen (August Geib)
33
Der Kapitalismus (August Geib)
33
Von der landwirtschaftlichen Ausstellung in Bremen
34
Sozialistengebet
35
Ein Ständchen (Ch. R.)
37
Der Kleinbürger (August Geib)
38
Zur Abwehr (August Geib)
Parodien
38
Reptilien-Hymne (August Geib)
40
Hinweis (August Geib)
40
Der Arbeitsausschluß (August Geib)
41
[Aus: „Neue Stunden der Andacht"] (Johann Philipp Becker)
41
Krupp und Rothschild oder: Wer ist schwerer?
42
Wer ist der Feind? (B. . .)
44
Steuerprojekte
45
National-liberale Hymne
46
[Parodie]
47
Unserm alten Fritz (W.)
49
IV. Gedichte über die Pariser
Kommune
49
1871 (August Geib)
50
Die Kommune (K.)
51
Der Tod des Rebellen (August Geib)
53
Das Volk von Paris
54
Zur Erinnerung an die Pariser Kommune ( G . . . )
55
Auch ein Bild aus dem Paris von Einundsiebzig (Max Vogler)
58
Der Krakeeler
VI
59
V. Parteileben im Gedicht. Polemiken und Parodien
59
Lied der Internationalen (G. . .)
60
Ein Gedankenflug (von 1859) (Johann Philipp Becker)
63
Die Arbeit (Andreas Scheu)
64
Silvester (Andreas Scheu)
66
[Zur Gründung des Gratzer Arbeiterbildungsvereins „Vorwärts"] (Andreas Scheu)
67
Bebel
68
Ein Lied vom Hochverratsprozeß
69
Geh deine Bahn! (H. Greulich)
70
[Festgesang] (W. Gramann)
71
Arbeiterlied (August Geib)
72
Dem Kongreß (Louis Geifers)
73
Arbeiter-Festlied (August Geib)
74
[Aus dem Braunschweiger Gefängnis] (W. Bracke)
75
Ote-toi, que je m'y mette! (Bernhard Becker)
77
Gruß an den Parteikongreß 1874 (Adolph Lepp)
78
Festgesang
80
Unserm treuen Freunde (Philipp August Rüdt)
81
Unsere Gefangenen
82
Den Vertretern der Sozialdemokraten Deutschlands zum Kongreß (H. Havenith)
83
Sonst und jetzt (W.)
84
Georg Herwegh (Otto Hörth)
85
Das Lied vom Krupp (Samuel Kokosky)
87
Konsequenzen der Kapitalherrschafts-Moral (Johann Philipp Becker)
89
[Parodie I]
90
[Parodie II]
91
[Parodie III] (August Kapell)
93
VI. Das soziale Thema: Krieg und Frieden. Armut, Arbeit, Klassenkampf
93
Zum Frieden (B. B.)
94
Barbarossas Auferstehen
95
Einzugslied (Kade)
VII
97
Zum zweiten September
98
Das Lied vom Kriege (G. . .)
99
Völkerfrühling (Rhenanus)
100
Friede! ( R i c h a r d e . )
103
Das Lied vom Typhus (Rhenanus)
104
Das arme Kind (Theodor Curti)
106
Der fliegende Holländer (M. Kegel)
109
Im Winter (August Geib)
110
Weihnachtslied (H. Lauten)
112
Des Sängers letztes Lied (A. Otto-Walster)
114
Lied der Arbeiter (Rhenanus)
115
Der Volksstaat (Rhenanus)
115
Der Schutzgeist (Rhenanus)
116
Volksrecht (Rhenanus)
117
Das Volkslied (Rhenanus)
118
Die Volksdichter (Rhenanus)
119
Der Volksdoktor (Rhenanus)
119
Zum Frühling 1875 (B. . .)
121
Der Bergmann (F.-W. Fritzsche)
124
Soldatenlied (Friedrich August Junghahn)
125
Befreiungs-Lied
125
Des Kriegers Lohn
126
Undemokratisches Soldatenlied
127
An mein Vaterland
129
An euch, Pariser Brüder!
130
Die Marseillaise
132
Das Lied vom Hemd (Thomas Hood)
134
Strike-Lied (Reinhardt)
136
Blusenlied (C. H.)
139
ANHANG
141
Anmerkungen zur Einleitung
143
Anmerkungen zu den Texten
VIII
EINLEITUNG
IX
1. Das Feuilleton des „Volksstaat" 1 ist um einiges umfangreicher als sein lyrischer Teil; dennoch stellt das lyrische Feuilleton dieser Zeitung — gerade auch in seiner Spezifik — ein wesentliches Element der frühsozialistischen Literaturentwicklung dar: Es repräsentiert auf eindrucksvolle Weise eine bestimmte Etappe des Formierungs- und Konsolidierungsprozesses der sozialistischen Literatur im 19. Jahrhundert. Erste Ansätze proletarischer und sozialistischer Dichtung waren bereits in den 30er Jahren (z. B. im Umkreis der Handwerksburschenlieder) entstanden, ehe sie im Vorfeld der Revolution von 1848 in der Poesie Georg Weerths und einer Reihe kommunistischer Arbeiter, Journalisten und Schriftsteller ihr Zentrum fanden. Während der Revolutionsmonate schwoll sie beträchtlich an: In der Dichtung Freiligraths hatte sie ihren kraftvollsten Ausdruck; in den Organisationen der unmittelbaren Arbeiterbewegung und in den Gruppen des Bundes der Kommunisten besaß sie eine interessierte Leserschaft, und aus dieser Leserschaft entwickelte sich eine große Zahl von zeitweiligen Gelegenheitsdichtern, die im Revolutionsjahr sowie auch in der Zeit der Konterrevolution und des Exils der Literatur die Treue hielten. Ausbildung bestimmter literarischer Fähigkeiten und literarische Ambitionen überhaupt entwickelten sich parallel, aber keiner dieser Autoren war lyrischer Dichter im speziellen Sinne. Alle (wir nennen hier: Johann Philipp Becker, Andreas Scherzer, Jakob Audorf und Richard Reinhardt) waren in der politischen Praxis verwurzelt, hatten außerliterarische Berufe und traten eigentlich nur dann aktiv im Literaturprozeß hervor, wenn eine Anthologie (z. B. Schnauffers Liederbuch, London 1858) oder eine Zeitung (z. B. „Das Volk", London 1859, oder später etwa der „Nordstern" in Deutschland) Publikationsmöglichkeiten boten und wenn die politische Bewegung ihrer Stimmkraft bedurfte. Selbst für Lassalle war die Poesie nur eines der Elemente seines Strebens nach Gesamtwirkung. XI
In den 60er Jahren, als Herwegh im wesentlichen auf sozialistische Positionen übergegangen war, traten im Sog des abermaligen Aufschwungs der deutschen Arbeiterbewegung, auch als Echo auf Lassalles Arbeiteragitation und das Wirken der Internationalen Arbeiterassoziation, eine Reihe schreibender Arbeiter hervor und bildeten eine Art Stoßtrupp sozialistischer Schriftsteller in der Hauptwirkungsperiode der I. Internationale sowie im Zeitraum vor der Gründung und Entwicklung der deutschen Arbeiterpartei. Die meisten von ihnen (z. B. Fritzsche, Hasenclever, Frohme) traten in ihrer Dichtung keinesfalls als spezifische Lassalleaner auf, bei anderen (wie August Kapell 2 , Jakob Audorf 3 ) gab es einige prolassallesche Bekundungen, und gelegentlich erschien Poesie auch im sektiererischen Kampf des Schweitzerischen ADAV gegen die Eisenacher und hatte Anteil am Ausbau des Lassalle-Kults. Die Gründung der SDAP (1869) und die Umwandlung des „Demokratischen Wochenblatts" in den „Volksstaat" und dessen Entwicklung als Parteiorgan der Eisenacher bis 1876 (dem Zeitpunkt, wo im Ergebnis der Gothaer Vereinigung von SDAP und ADAV der alte „Vorwärts" als gemeinsames Zentralorgan zu erscheinen begann) schufen für die Entwicklung der sozialistischen Poesie neue Bedingungen, die — im wesentlichen unverändert — bis 1878 fortbestanden. Die Parteigründung und die Fundierung der Partei im Marxismus, der Deutsch-Französische Krieg und seine richtige politische Bewertung, die Pariser Kommune und ihr Echo in der deutschen sowie internationalen Arbeiterbewegung, die Internationale Arbeiterassoziation und ihr Kampf gegen den Bakunismus, die Klassenauseinandersetzungen in Deutschland mit dem Bismarckreich — das waren die wesentlichsten politischen Sujets der Zeitung, in deren Kontext Ideologie-, Bildungs- und Kulturfragen standen. Es gelang dem „Volksstaat", ein regelmäßiges lyrisches Feuilleton zu entwickeln, in dem alle wesentlichen Dichter der Eisenacher Partei zu Worte kamen — die bekannteren Autoren ebenso wie die Mitarbeiter der sozialistischen Provinz- und Lokalpresse — und das selbst bedeutenden Anteil daran hatte, daß diese Dichter in einer relativ einheitlichen Front standen, die man die Parteidichtung der Eisenacher nennen kann. Nachdem 1873 der „Volksstaat-Erzähler" 4 gegründet war, also seit dem Erscheinen eines selbständigen wöchentlichen Feuilleton-Blatts der Zeitung, kam es auch zum regelmäßigen Abdruck von umfangreichen Prosatexten und selbst längeren dramatischen Dialogen. Gemeinsam mit der großen Zahl von Lyrikern standen auch deren Autoren im Lager der sozialistischen Literatur und engagierten sich XII
vorwiegend auf der Seite der marxistischen Eisenacher Partei. Handelte es sich bei den Abdrucken aus Prosa und Dramatik — allein schon aus Gründen des Umfangs — um eine begrenzte, mehr oder minder zufallige Auswahl von Beiträgen, die kaum Einsicht in die Gesamtbewegung dieser Gattungen gestatten, gewährt das lyrische Feuilleton des „Volksstaat" einen solchen Überblick über die sozialistische Lyrik der 70er Jahre durchaus. Immerhin druckte der „Volksstaat" in den sieben Jahren seines Bestehens etwa 400 Gedichte von ca. 50 Autoren, und allein aus quantitativen Erwägungen muß diese Anzahl als repräsentativ für den Lyrikprozeß schlechthin angesehen werden. In wichtigen Fällen war der mehr oder minder regelmäßige Abdruck von Gedichten einzelner Autoren mit deren Buchpublikationen verbunden, so bei Johann Philipp Becker, August Geib, Wilhelm Hasenclever. Auf der anderen Seite gelangten auch Texte von Neulingen in das zentrale Parteiblatt, indem es Gedichte z. B. aus dem Dresdener, Chemnitzer, Braunschweiger, Nürnberger und Berliner Lokalblatt nachdruckte. Öfters auch handelte es sich um vereinzelte lyrische Wortmeldungen von Arbeitern, die keine weiterreichenden literarischen Ambitionen hatten und nur bei besonderen Gelegenheiten in der Fabrik oder im sozialdemokratischen Ortsverein zur Feder griffen. Was hier vom „Volksstaat" gesagt ist, gilt auch für die etwa zweijährige Existenz des sogenannten alten „Vorwärts" (1876—1878), also für den gesamten Abschnitt von Parteientwicklung und sozialistischem Literaturprozeß von 1869 bis zum Beginn des Sozialistengesetzes.
2.
Die literarischen Aktivitäten des „Volksstaat" befinden sich in einem besonders engen Zusammenhang mit seinen übrigen weltanschaulichtheoretischen Publikationen, also mit all dem, was über die journalistische Tagesberichterstattung hinausgeht. An der Spitze solcher Zeitungsbeiträge stehen die Arbeiten von Marx und Engels. In allen Jahrgängen der Zeitung gibt es Nach- oder Neudrucke von Schriften der Klassiker. So bringt das Blatt — um nur Allerwichtigstes zu nennen — u. a. Auszüge aus dem Marxschen „Achtzehnten Brumaire" und vollständig den „Bauernkrieg" von Engels, den „Bürgerkrieg in Frankreich" von Marx sowie die „Wohnungsfrage" und die „Flüchtlingsliteratur" von Engels.5 XIII
Von Belang für die Bildungsarbeit der Partei, für ihr theoretisches Selbstverständnis und auch für ihre Kulturpolitik sind ferner die zahlreichen und bedeutenden Beiträge von Joseph Dietzgen über Ökonomie, über „ D i e Religion der Social-Demokratie (Kanzelreden)", sein „Offener Brief an Heinrich von Sybel", in dem die bürgerliche Geschichtsklitterung polemisch aufgedeckt wird, sein Aufsatz über „ D i e bürgerliche Gesellschaft", über „David Friedrich Strauß und Dr. Alfred D o v e " , über „ D i e Moral der Social-Demokratie" und die „Social-Demokratische Philosophie". Auch andere Autoren arbeiten an der philosophischen Bildung der Parteimitglieder und erläutern Fragen des Darwinismus, Probleme der Religionsgeschichte, die Differenzen von Theismus und Atheismus. In welchem Maße derartige Aufsätze gewirkt haben, zeigen nicht nur die Korrespondenzen über Inhalte des sozialdemokratischen Parteilebens, sondern auch manche Annoncen wie etwa die folgende: „Geburtsanzeige. Allen Parteigenossen die Mitteilung von der am 28. November erfolgten Geburt eines munteren Jungen, welcher als Dissident eingetragen wurde. Möge derselbe durch körperliches und geistiges Aufblühen der vernagelten Menschheit die Überflüssigkeit der Taufe beweisen." 6 Auch in den Artikelfolgen über das Wesen der kapitalistischen Presse, über die Emanzipation der Frau, über Bildungsprobleme und Kindererziehung, in Artikeln, Rezensionen und auch in den Anzeigen zu kulturpolitischen Gegenständen zeigen sich spezifische Wirkungsabsichten der Zeitung und offenbart sich das weltanschauliche und kulturelle Profil der Partei insgesamt. In solchen Arbeiten wie „Durch Bildung zur Freiheit oder durch Freiheit zur Bildung" 7 (gezeichnet: W ; offenbar Vorstudie und Entwurf zu Liebknechts bedeutender bildungspolitischer Schrift), „Kunst und Sozialismus" 8 (als Autorenname fungiert das Pseudonym Philimund), besonders auch in den Debatten über den Rang von (französischer) Troubadour-Dichtung und (deutschem) Minnesang 9 und in den Anzeigen über Sammelbände von „Sozialistischen Theaterstücken" (angezeigt werden die Bände 1 bis 3) 10 offenbart sich der ideologische und kulturpolitische Umkreis, in dem das lyrische Feuilleton des „Volksstaat" seinen Platz gefunden hat. Von bedeutendem theoretischem Stellenwert ist das Material, das die Zeitung zur russischen revolutionären Bewegung und zum Bakunismus veröffentlicht. Bereits am Jahresende 1869 taucht dieser Komplex erstmalig auf, und die Zeitung stellt Platz bereit zur Information über den Herzen-Bakunin-Netschajew-Zusammenhang. Wenig später räumt sie Bakunin selbst Raum ein, ehe sie sich erstmals kritisch äußert. Die Diskussion über Probleme der russischen Bewegung und
XIV
die Rolle Bakunins in der I.A.A. reißt von da an nicht mehr ab. Inzwischen sind der deutschen Parteiführung und auch der „Volksstaat"-Redaktion die entsprechenden Materialien von Marx und Engels zugegangen (zu bestimmten Teilen von Samuel Kokosky übersetzt). Nunmehr wird das Blatt zu einem der Zentren der systematischen Auseinandersetzung mit dem Bakunismus, besonders seit dem Jahre 1873. Zugleich beginnt die Zeitung, sich auch mit dem Problemkreis der russischen revolutionären Demokratie zu beschäftigen. So werden z. B. Tschernyschewskis Arbeiten über politische Ökonomie angezeigt,11 Lawrows Aufsatz „Der Preis des Fortschritts" 12 gebracht, ehe — als Übersetzung aus dem Serbokroatischen angezeigt — eine große Rezension Pissarews über Tschernyschewski13 einige Wochen lang abgedruckt ist. Diese Rußland-Probleme konfrontieren die Partei noch einmal mit den Fragen eines politischen Romantizismus, also mit bestimmten, den Interessen der Arbeiterklasse nicht entsprechenden anti- und nichtkapitalistischen Haltungen und ihrer spezifischen russischen Lesart. Die reale Frage — die auch Marx nur sehr zurückhaltend beantwortet hat — ist die nach der historischen Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit des Kapitalismus in Rußland. Bei Bakunin und seinem Kreis kommt es zum Umschlag von gleichsam letzten Formen der antikäpitalistischen, politisch-romantischen Sezession (als Geheimbündelei und Sekte) und dem modernen Anarchismus. Die Geschichte des Marxismus und der europäischen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert ist in hohem Maße die Geschichte der Bekämpfung des feudalen und kleinbürgerlichen Sozialismus, also des romantischen Antikapitalismus sowohl nach dieser Seite hin, daß der Kapitalismus notwendig und historisch fortschrittlich ist, als auch in jene Richtung, daß keine andere Klasse als das Proletariat den Kapitalismus überwinden kann. Diese Probleme sind von großer Bedeutung für die sozialistische Ideologie und Kulturtheorie, nicht zuletzt auch für die literarische Praxis.
3.
Die bedeutendste Leistung der „Volksstaat"-Redaktion besteht — was das lyrische Feuilleton des Blattes betrifft — zweifellos darin, Raum für wesentliche Teile des Spätwerks von Georg Herwegh bereitgestellt zu haben. Seit Herweghs erneuter, nunmehr auf die Arbeiterklasse gerichteter Radikalisierung um etwa 1860 fehlt es weder an Versuchen des Dichters, in radikal-demokratischen oder XV
sozialistischen Zeitungen zu publizieren (wie etwa im „Nordstern", im „Social-Demokrat", in der Wiener „Neuen Freien Presse"), noch an Bemühungen verschiedenster politischer Führer, Herwegh für die literarische Mitarbeit zu gewinnen. So setzt Lassalle 1863 seine beschwörende Beredsamkeit ein, um von Herwegh schließlich das berühmte „Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" zu erhalten, und Jean Baptist von Schweitzer gründet Ende 1864 den „Social-Demokrat", indem er — zur Ankündigung des Blattes — eine Liste seiner berühmtesten künftigen Mitarbeiter publiziert, auf welcher nicht nur Marx und Engels verzeichnet sind, sondern auch Herweghs Name steht. Und es gereicht Herwegh durchaus zur Ehre, daß er im Frühjahr 1865, nur wenig später als Marx und Engels, die Mitarbeit an dieser Zeitung wieder aufkündigt, als deutlich geworden ist, daß Schweitzer und die nachlassallesche Führerschaft des ADAV darin fortfahren, mit Vehemenz allein die Kapitalistenklasse und deren politische Parteien anzugreifen, dagegen Junkertum und Bismarckpreußen unzweideutig schonen. In der Zeitung der Eisenacher aber findet Herwegh bis zu seinem Tode eine zuverlässige literarische Heimstatt. Der „Volksstaat" bietet nicht nur Raum für Neuproduktionen, also Erstdrucke, sondern reproduziert auch einen wesentlichen Teil des lyrischen Spätwerks überhaupt, also auch Gedichte aus den 60er Jahren sowie Texte, die in den 70er Jahren zuerst in anderen Zeitungen erschienen sind, und liefert darüber hinaus noch einige Reprisen aus Herweghs revolutionär-demokratischer Vormärzproduktion. Als der Dichter 1875 stirbt und Ernst Keil, der Chef der inzwischen bismarckanhänglichen „Gartenlaube", Authentisches aus dem Hause Herwegh drucken will und darum mit Emma Herwegh verhandelt, das von ihr schließlich Eingesandte aber aus politischen Gründen unter den Tisch fallen lassen will, springt der „Volksstaat" ein. 14 Publikumswirksam und parteilich in einem übernimmt das Blatt der Eisenacher die publizistischen Äußerungen von Herweghs Witwe, räumt der Erinnerung an den Dichter beträchtlichen Raum ein und polemisiert geschickt gegen die moralisch-politische Feigheit der „Gartenlaube", in der es eine Form des ideologischen Verfalls der Bourgeoisie erkennt. Dabei war es Herweghs Sache nicht (oder besser: konnte es nicht mehr sein), die moralische und ideologische Physiognomie der klassenbewußten Arbeiter der 60er und 70er Jahre zu gestalten. Dieser Gegenstand ist von Dichtern anderer ideologischer Herkunft und Generation aufgegriffen worden. Was aber Herwegh einbringt und worin er von keinem seiner Zeitgenossen seines letzten Jahrzehnts übertroffen wird, ist die historische Dimension seiner Lyrik, der XVI
neugewonnene und bis zuletzt nicht mehr aufgegebene epochenlyrische Ansatz, der sein Spätwerk charakterisiert. Auch dann, wenn sie mitunter in entsagender Bitterkeit verharrt, verbindet sich in Herweghs Dichtung des letzten Jahrzehnts die große Satire häufig mit einem übergreifenden Geschichtsbild. In seiner Lyrik wird ein geschichtliches Denken entwickelt, in dem wichtige Elemente der sozialanalytischen Funktion sozialistischer Dichtung teils eben entwickelt, teils bereits künftigen Entwicklungsprozessen vorweggenommen sind. Die „eiserne Lerche" hat ihre Heineschen Lektionen gelernt, und es ist ein anderer Herwegh, der jetzt an der Seite der Arbeiterbewegung steht, als jener, der in den 50er Jahren im „Kladderadatsch" allein mit Platzpatronen schoß oder der — nach einem Wort von Marx, 1859 formuliert, — nur eben sichtbar macht, „was aus der einst bewunderten politisch-poetischen Declamation werden kann, wenn sie vom schweizerischen Republikanismus ins Haus geschlachtet wird". 15 Ohne den Themenreichtum und die Vitalität seiner revolutionär-demokratischen Vormärzdichtung wieder zu erreichen, erfährt Herweghs Werk als Dichtung der revolutionären Sozialdemokratie doch eine unübersehbare Renaissance. Klarsichtiger geworden und gereift, ist er der Arbeiterbewegung der 60er und 70er Jahre ein wesentlich zuverlässigerer Partner geworden, als er es den entschieden revolutionären und sozialistischen Kräften im Vormärz und während der Revolution von 1848/49 hatte sein können. Trotz aller Brüche in seiner Entwicklung repräsentiert gerade er für die sozialistische Dichtung der 60er und 70er Jahre den Hauptweg der Entwicklung, die Tradition einer unaufhaltsamen Bewegung. Anders als die eigentlichen Endgestalten der revolutionären Demokratie des 19. Jahrhunderts, anders z. B. als Ludwig Feuerbach und Johann Jacoby, die sich, gleich ihm, zu Beginn der 70er Jahre auch organisatorisch der Arbeiterbewegung anschließen und objektiv imstande sind, dieser wertvolle Bildungselemente zuzuführen (was aber ebenso im Philosophisch-Literarischen bei Feuerbach wie im Politisch-Parlamentarischen bei Jacoby aus bestimmten Gründen unterbleibt), gelingt es Herwegh wirklich, in gewisser Weise Schule zu machen und nachhaltige Wirkung auszustrahlen. So ist Herwegh nicht End-, sondern Übergangsgestalt. Er und andere bedeutende Gestalten des Übergangs von der bürgerlichen Demokratie zum proletarischen Sozialismus sind sich des vollen Ausmaßes des Wechsels ihrer Klassenposition stets nur annähernd bewußt und verharren stärker im Bewußtsein von der Konsequenz und Kontinuität ihrer eigenen Entwicklung, 2
Weisbach. Volksstaat
XVII
als daß sie in vollem Umfang erkennen können, wie erst der Marxismus der umfassende und wissenschaftliche Ausdruck der proletarischen Klasseninteressen ist. Insofern entscheidet ihr Bruch mit dem Bürgertum noch nicht über den Grad ihres wirklich bewältigten, objektiven Anschlusses an die Arbeiterbewegung. Daher handelt es sich bei vielen, besonders aus bürgerlichen Kreisen stammenden Kulturtheoretikern, Schriftstellern und Dichtern der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts im Unterschied zu ihrem eigenen Bewußtsein von sich selbst oftmals nur um eine Art schrittweiser Annäherung an die Arbeiterklasse und um eine begrenzte Aneignung des Marxismus und so auch um ein kompliziertes und konfliktvolles Verhältnis zur Arbeiterbewegung. Das gilt notwendigerweise auch für Herwegh in seinem letzten Lebensjahrzehnt.
4.
Trotz der Zufälligkeit, die allen Lyrikveröffentlichungen in einer Zeitung anhaftet, lassen sich Linien zeichnen, die uns von bestimmten literaturpolitischen Prinzipien der Zeitung zu sprechen erlauben. Ebenso wie die Partei in den 70er Jahren — nach Engels — damit beginnt, ihre eigenständige Partei- und Parlamentspolitik, ihre Innenund Außenpolitik, ihre Militär- und Bildungspolitik erfolgreich zu entwickeln, erweist das Feuilleton des „Volksstaat", daß auch von der Herausbildung bestimmter kultur- und literaturpolitischer Gesichtspunkte gesprochen werden kann. Im Zentrum der Veröffentlichungen stehen Gedichte von sozialdemokratischen Parteigenossen. Neben einer Vielzahl anonymer und pseudonymer Verfasser treten vor allem August Geib, Johann Philipp Becker, Andreas Scheu, Hermann Greulich, F.-W. Fritzsche, Max Kegel, Rudolf Lavant (d. i. Richard Cramer), Adolph Lepp, August Otto-Walster, Samuel Kokosky, Bernhard Becker, Wilhelm Bracke und Richard Reinhardt hervor. Unter den Pseudonymen Autoren sind Rhenanus und Kade häufig vertreten. In den ziemlich regelmäßig publizierten Listen sozialistischer Buchliteratur, zumeist in der sozialdemokratischen Genossenschaftsdruckerei in Leipzig hergestellt, wird außerdem auf Johann Mösts „Neuestes ProletarierLiederbuch" und auf Leopold Jacobys ersten Lyrikband mehrfach hingewiesen. Worin sich nun diese Autoren und ihre Gedichte auch immer voneinander unterscheiden, sie behandeln Sujets aus dem sozialdemokratischen Parteileben, Themen der proletarischen Existenz und der XVIII
gesellschaftlichen Stellung der Arbeiterklasse sowie Motive der sozialistischen Weltanschauung und Ideologie. Insofern organisiert der „Volksstaat" erstmals in der Geschichte der Arbeiterbewegung die frühe sozialistische Literatur als ein Ganzes, führt sie auf zentralem Felde zusammen und konstituiert sie als eine selbständige, vom übrigen Literaturprozeß deutlich unterschiedene Strömung. Die Zeitung versammelt Texte, indem sie zum Schreiben und Einsenden ermuntert, sie liefert Vorab- und Nachdrucke aus lyrischen Buchveröffentlichungen, sie ist Organisator des lyrischen Prozesses, und ihre Leistung als Organ der Literaturverbreitung zeigt sich an ihrer durchschnittlichen Auflagenhöhe, die sich von ca. 2500 (1869) auf ca. 6000 (1875) Exemplare steigert. Unser Eindruck von der kommunikativen Wirkung dieser Zeitungslyrik wird noch vertieft, wenn wir beachten, in welchem Umfang lyrische Texte aus dem unmittelbaren Parteileben (Lieder zu Stiftungsfesten sozialdemokratischer Ortsvereine, Begrüßungs- und Eröffnungsgedichte zu Parteikongressen, Adressen an Inhaftierte usw.) und eine Art Debattenlyrik (Parodien auf bürgerliche Texte, Polemiken gegen bismarckstaatliche Maßnahmen, Denunziationen der Ideologie des Kapitalismus und des Junkersystems) in den Spalten der Zeitung erscheinen. Im Unterschied zu allen vorherigen Phasen der Geschichte der Arbeiterbewegung und der frühen sozialistischen Literatur — dem Vormärz und der 48er Revolution, den Exilzentren der 50er Jahre, der massenhaften Proletarisierung und dem Aufschwung der Klassenkämpfe in den 60er Jahren — gewinnen die sozialistischen Literaturverhältnisse nunmehr einen nationalen Umfang, eine gewisse Geschlossenheit, eine bestimmte Organisiertheit, eine relative Systematik. Zeitung und Leser, Presse und Literatur, Literaturpolitik und Lyrik, Dichter und schließlich wiederum der Leser bilden auf der Grundlage der sie verbindenden sozialdemokratischen Parteisache eine Einheit. Die Kommunikationsprozesse intensivieren sich. Im ersten Umriß beginnt sich das Phänomen der Parteiliteratur abzuzeichnen. Diese Bedingungen prägen sich in den 70er Jahren immer deutlicher aus. Erst mit der Wirkung des Sozialistengesetzes ändern sich die sozialistischen Literaturverhältnisse und die Entwicklungsformen sozialistischer Literatur einschneidend. 5.
Erstmals und in gewisser Weise neu stellt sich auch die Traditionsfrage. Als lebendiges Erbe wird mit wachsender Genauigkeit diejeni2*
XIX
ge Literatur verstanden, die unter den Bedingungen der direkten Politisierung und revolutionären Radikalisierung nach Goethes und Hegels Tod entstanden war: die revolutionär-demokratische Dichtung des Vormärz und der 48er Revolution. Der wichtigste ideologische und ästhetische Bezugspunkt ist Heinrich Heine. Und das nicht so sehr nach der Vielzahl seiner im „Volksstaat" nachgedruckten Gedichte, als vielmehr danach, wie Heinescher Vers als leitendes Zitat und Heinesche Sentenz für Schlußfolgerungen benutzt und verstanden werden: zum Beispiel in Texten von Bebel16, in der Polemik gegen die moderne Borussomanie des einst bei Heine schon als „Kobes I." satirisch abgestraften Jacob Venedey17 und nicht zuletzt in Marx' „Bürgerkrieg in Frankreich", wo Heines Bild von den 1849 triumphierenden „Wölfen, Schweinen und gemeinen Hunden'' 18 als brandmarkende Metapher gegen die Versailler Mörder der Kommune von Paris genutzt ist. Auffallig ist auch die große Zahl von Heine-Adaptionen im Gedicht, die oft, den Intentionen Heines gemäß, als Variationen weitergeführt werden, wie z. B.: Es ist die Jungfrau Germania Eines Königs Maitresse geworden Sie umbuhlt ihn schamlos, und jederzeit Läßt sie ihm offen die Pforten. Zu. Willen ist sie ihm jederzeit, Dem König Wilhelm von Preußen. Da dank ich schönstens für die Ehr, Germanias Sohn zu heißen. 19 Unter den Vormärzreprisen stehen die Texte von Freiligrath mit großem Abstand an erster Stelle. Fast alle seine revolutionärdemokratischen und sozialistischen Gedichte — besonders die aus der „Neuen. Rheinischen Zeitung" und aus dem 1851 erschienenen Sammelband „Neue soziale und politische Gedichte" — gelangen zum Wiederabdruck. Wilhelm Liebknechts Leitartikel anläßlich der Niederwerfung der Kommune, in welchem dem augenblicklichen Sieg der Bourgeoisie die unerschöpfliche Zuversicht der Sozialisten entgegengestellt wird, mündet in ein langes Zitat aus Freiligraths trotzigem Revolutionshymnus von 1851: „Ich werde sein, und wiederum voran den Völkern werd' ich gehn . . ." 20 Auch in der Zeit der zunehmenden Distanzierung gegenüber Freiligrath nach 1870/71 setzt das Blatt den Abdruck XX
von Gedichten aus der revolutionären Periode des Dichters fort, gelegentlich in direkter Konfrontation mit den zeitgenössischen Zugeständnissen Freiligraths gegenüber den Herrschenden. Schließlich ist es der „Volksstaat", in dessen Spalten die seit 15 Jahr ren andauernden Differenzen — seit Ende der 50er Jahre zwischen Freiligrath und der „Partei Marx", nunmehr auch zwischen der SD A P und dem 1868 nach Deutschland zurückgekehrten Dichter — öffentlich ausgetragen werden. Die Vorgeschichte dazu ereignet sich im britischen Exil. Nachdem Freiligrath im August 1870 in der Presse, von englischen Zeitungen schnell übernommen, das in Titel und Redegestus an seinen Sohn adressierte Gedicht „ A n Wolfgang im Felde" und nur wenig später „Hurra, Germania!" veröffentlicht, erfahrt dieser neue Schritt Freiligraths in Richtung auf eine bürgerliche, speziell nationalliberale Haltung im Briefwechsel zwischen Marx in London und Engels in Manchester den verdienten abstrafenden Kommentar. Marx an Engels am 22. August 1870: „Freiligrath: ,Hurra! Germania!' Auch ,Gott' fehlt nicht in seinem mühsam herausgefurzten Gesang und der ,Gallier'. — Lieber wär' ich ein Kätzchen und schrie Miau,/Als solch ein Versballadenkrämer!" 21 — Mit dem Zitat aus dem großen Shakespeare ist für Marx dieser eine Fall erledigt. A m 2. September heißt es dann jedoch abermals an Engels: „Was sagst Du denn zu dem Familiendichter Freiligrath? Sogar historische Katastrophen wie die jetzige dienen ihm nur zur Besingung seiner eignen brats. Dabei wird der volunteer ,Krankenwärter' für die Engländer noch dazu in einen ,Surgeon' verwandelt." 22 Die Hurra-Germania-Frage übergeht Engels in seinem Antwortbrief vom 4. September, weil darüber offenbar während des Kurzbesuchs von Marx in Manchester Ende August ausreichend gesprochen werden konnte. Dafür quittiert er die Ereignisse von Sedan mit einer Variation von Heines „Zwei Grenadieren" aus dem „Buch der Lieder", mit der er den Brief eröffnet: „'Was schert mich Weib, was schert mich Kind, Ich trage höhres Verlangen; Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind — Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!' Die Weltgeschichte ist doch die größte Poetin, sie hat es fertiggebracht, selbst den Heine zu parodieren. Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen! Und von den Stinkpreußen noch dazu . . ," 2 3 Erst am Schluß kommt der direkte Rekurs auf Freiligrath: „Das große Krankenwärter-Gedicht habe ich noch nicht gelesen. Es muß schön sein.
XXI
Dazu sind diese Krankenpfleger die größten Bummler, die, wo es gilt, nicht bei der Hand sind, aber viel fressen, saufen und schwadronieren, so daß man sie bei der Armee schon herzlich satt ist. Ausnahmen nur wenige." 24 Wieder aufgegriffen wird dieser Komplex erst zu Beginn des Jahres 1871 in einem Brief von Marx an den aus Berlin stammenden Sozialdemokraten Sigfrid Meyer in New York. Hier schreibt Marx: „Der edle Dichter Freiligrath ist augenblicklich hier bei seinen Töchtern. Er wagt nicht, sich bei mir zu zeigen. Die 60000 Taler, die ihm der deutsche Philister geschenkt hat, müssen abverdient werden durch Tyrtäus-Gesänge wie: ,Du stolzes Weib Germania' etc." 25 Im März 1871 nun bringt der „Volksstaat" unter der Autoren-Kürzel „ W " und dem Titel „Sonst und jetzt" 2 6 ein Gedicht aus sechs Vierzeilerstrophen, in dem der revolutionäre Demokrat Freiligrath aus dem Vormärz und der Sozialist der Revolutionszeit mit dem nationalliberalen Freiligrath der Jahre 1870/71 verglichen wird. Der Drehpunkt des Gedichts ist, daß Freiligrath die königliche Rente von 1843 in Höhe von 300 Talern ausgeschlagen hatte und Revolutionär geworden war, während er zwanzig Jahre später die bürgerliche Schenkung von 40000 (sie!) Talern angenommen und nunmehr folgerichtig Gedichte zur Preußenfeier angefertigt hat. Der Schlußvers liefert die Pointe: „Dreihundert Taler habens/Natürlich nicht getan." Das Gedicht führt also den Gedanken aus, daß die beträchtliche Geldmenge, „die ihm der deutsche Philister geschenkt hat" (Marx) abverdient werden müsse. Schon im Herbst 1870 hatte der „Volksstaat" in einer Anmerkung zum Abdruck von Freiligraths Nachdichtung von Pierre Duponts „Brot" darauf hingewiesen,27 daß der „ehemalige Dichter des Proletariats nun der Bourgeoisie Spießbürgergedichte" vorsinge. Der „Volksstaat" bezog sich dabei auf das bürgerlich-philanthropische Gedicht „Asyl für Obdachlose" (1870). Nach dem Gedicht „Sonst und jetzt" waren ein Offener Brief und ein Flugblatt gegen den „Volksstaat" erschienen, in welchen Freiligrath von einem gewissen August Lange verteidigt wird, weil „er den Erfolgen unserer Heere und seiner Führer zugejauchzt". Die Parteizeitung wirft Lange daraufhin vor, den Band „Neue soziale und politische Gedichte" von 1851 nicht zu kennen, also nicht zu wissen, daß Freiligrath „alle französischen Revolutionen besungen hat, die Junischlacht nicht ausgenommen", und daß Freiligraths revolutionäre Gedichte, die bislang im „Volksstaat" abgedruckt worden sind, den Herrschenden noch immer ein Dorn im Auge sind und sogar jetzt noch, „nach 22 Jahren als Belastungsmoment gegen den Redakteur des XXII
,Volksstaat' im Hochverratsprozeß seitens der Staatsanwaltschaft geltend gemacht" werden. 28 Die Zeitung verteidigt ihre Linie und argumentiert abermals, „daß der heutige Freiligrath nicht der alte ist", daß sich sein Verhältnis zur Bourgeoisie und das Verhältnis der Bourgeoisie ihm gegenüber wesentlich gewandelt haben. Auf Freiligraths ideologische Wendung kommt der „Volksstaat" — jetzt unter Leitung von A. Hepner, W. Liebknecht verbüßt seine Haftstrafe — nochmals im Sommer 1872 zurück. Gelegenheit dazu bietet ihm das von Lewin Schücking und Freiligrath gemeinsam herausgegebene Heimatbuch „Das malerische und romantische Westphalen" und die darin enthaltene Widmung: „Seiner Majestät dem deutschen Kaiser Wilhelm I." Wieder operiert der „Volksstaat" so, daß Freiligraths nationalliberalem Kompromiß in Richtung Kaisertreue hohenzollern-kritische Texte aus der 48er Lyrik gegenübergestellt werden. 29 Andererseits vertraut das Blatt auf das historische und Klassenbewußtsein seiner Leser und druckt auch jetzt und in späteren Jahren Gedichte aus Freiligraths revolutionärer Zeit. Trotz seines Frontwechsels hält die Redaktion daran fest, die große Dichtung Freiligraths aus den Jahren 1846 bis 1852 durch regelmäßigen Abdruck im Bewußtsein der Leser zu halten und die sozialistische Dichtung Freiligraths als sozialistisches Erbe aus der Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung zu pflegen.
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Man muß annehmen, daß Wilhelm Liebknecht (Kopf und Herz der „Volksstaat"-Redaktion in einem, Bildungs- und Kulturpolitiker aus Profession, Schirmherr des Feuilleton „seiner" Zeitung) in der Freiligrath-Debatte besonders aktiv hervorgetreten ist. Begründer und leitender Redakteur der Zeitung, auch in den Jahren seiner Haft, als für ihn Adolph Hepner und später Wilhelm Bios einspringen, ist er der einzige Mitarbeiter des Blattes, der die frühen Auseinandersetzungen mit Freiligrath an der Seite von Marx miterlebt hat, besonders in den Monaten der Zeitung „Das Volk" (1859), die der Abfassung des „Herrn Vogt" vorangingen. Dabei war es auch zur direkten Konfrontation zwischen Liebknecht und Freiligrath gekommen, und mit Entschiedenheit verteidigte Marx in seiner berühmten Streitschrift den damals völlig unbekannten Londoner Exilkommunisten. Auch die anderen Streitpunkte (Freiligraths Gedicht auf den Tod von Kinkels Ehefrau 1858, seine Aktivitäten bei der Londoner XXIII
Schillerfeier 1859 u. a.) waren Liebknecht als einem der engsten Vertrauten von Marx und unzweideutigem Parteimann im britischen Exil zweifellos genauestens bekannt. Nur er vermag darum auf Grund seiner Kenntnisse das Wissen um die Kontinuität auch dieser Frage in die Redaktionspraxis einzubringen. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, wie schwierig — auch für Marx und Engels — es war, der neuen Generation von Parteileuten ausreichend Informationen über die Klassenkämpfe der 40er und 50er Jahre zu übermitteln. Der Sieg der Konterrevolution und die lange Reaktionsperiode hatten* weitaus mehr als es ein normaler Generationswechsel mit sich bringt, den Schwund des Geschichtsbewußtseins zur Folge gehabt und die Erinnerung an die revolutionären Volksaktivitäten und Kampfzeiten unterbrochen. Indessen bedurfte die Partei für ihre ideologische Formierung und politische Profilierung — auch für ihre literaturpolitische Konzeption — gerade dieses Vorwissens. Unter dem Aspekt der Tradition sind besonders Beiträge jener Autoren von Bedeutung, die bereits in den 40er und 50er Jahren literarisch hervorgetreten waren, wie z. B. Johann Philipp Becker und Richard Reinhardt. Becker hatte Marx bereits 1859 unter anderem auch auf seine lyrische Produktion aufmerksam gemacht und von Marx das Urteil erhalten: „Ihre zwei kleinen Gedichte über Leibniz und .Alles Wurscht' haben mir außerordentlich gefallen . . ." 30 Von da an datiert auch Beckers Zusammenarbeit mit Marx und sein endgültiger Übergang vom radikalen Demokraten zum proletarischen Revolutionär. Auch als Lyriker nimmt Becker fortan am Kampf der Arbeiterbewegung teil, vor allem in der Zeit, als er den „Vorboten" herausgibt und redigiert, und als Mitarbeiter des „Volksstaat". Später tritt er auch mit Prosa hervor. Sein Band „Neue Stunden der Andacht" erscheint 1875/76 im Leipziger „Volksstaat"-Verlag und wird durch Vorabdrucke und Hinweise von der Zeitung unterstützt. Becker ist einer der regelmäßig gedruckten Dichter des „Volksstaat". 31 Richard Reinhardt hatte im Kreis der „wahren Sozialisten" zu schreiben begonnen, offenbar bereits als Achtzehnjähriger. Die von Engels an seinen Gedichten kritisierte Abstraktheit mag zum einen Teil seiner Jugend, nur zum anderen der ideologisch-poetischen Konzeption des „wahren" Sozialismus geschuldet sein. Wir wissen, daß er noch vor der Revolution nach Paris gegangen und sich dort offenbar auch während der Jahre 1848/49 und später aufgehalten hat. Es ist hier nicht der Ort, Genaueres über seine politischen Briefe XXIV
an Marx in bezug auf den bonapartistischen Staatsstreich sowie über seine Tätigkeit als Sekretär Heines und seinen Einfluß auf das Heinesche Prosaschaffen der letzten Jahre auszusagen. Aber es ist im Auge zu behalten, daß der Kontakt zwischen Richard Reinhardt und Marx nie gänzlich abriß und daß der „Volksstaat" im Frühjahr 1870 Reinhardts „Strike-Lied" 32 gedruckt hat. Aber auch von der neuen Generation, von denen, die in den 60er Jahren zur Arbeiterbewegung gestoßen sind, schreibt eine große Zahl von Arbeitern, Journalisten und Schriftstellern für den „Volksstaat". An ihrer Spitze steht — sowohl nach Umfang als auch nach Qualität des lyrischen Beitrages — der Hamburger Parteifunktionär August Geib. Sein lyrischer Beginn, seine Entwicklung als Lyriker und die Herausgabe seines Gedichtbandes ereignen sich synchron zur Geschichte des „Volksstaat". Fast alle Gedichte Geibs sind direkt für diese Zeitung geschrieben, erscheinen auch in dem Parteiblatt und werden schließlich gesammelt. Geib ist der Prototyp des Dichters der Eisenacher Partei. Seine Dichtung kennt im wesentlichen zwei Strukturtypen: das programmatische Kampf- und Zielgedicht sowie die operative, mitunter satirische, Sozialkritik und Zeitanalyse. Einen Höhepunkt in seinem Schaffen bilden seine großen, weltanschauliche Fragen berührenden zeitgeschichtlichen Gedichte, besonders zum Themenkreis der Pariser Kommune. 33 Auch Wilhelm Bracke 34 tritt in der zentralen Parteizeitung gelegentlich als Lyriker auf. Mitunter geht er auch in seinen politisch-journalistischen Texten, aus Gründen der Ausdruckssteigerung, von der Prosa zum Vers über. Aus der Zeit der Inhaftierung des Braunschweiger Parteiausschusses stammt ein Sonett. 35 Häufiger gedruckt sind auch Gedichte von Andreas Scheu36, damals Vertreter der österreichischen Arbeiterbewegung und Redakteur der „Gleichheit" (Wien). Scheu emigrierte 1874 nach England und wirkte in der dortigen Arbeiterbewegung. Zeitweilig gehörte er zur anarchistischen Gruppe um Johann Most. Mit einigen Gedichten tritt auch Samuel Kokosky 37 im „Volksstaat" hervor: Parteimitglied seit 1872, Redakteur bei Brackes Zeitung „Braunschweiger Volksfreund" und deren satirischer Beilage „Die Leuchtkugeln", auch Mitarbeiter am „Volks-Kalender". Kokosky wirkt vor allem als Satiriker. Als lyrischer Dichter im „Volksstaat" fungiert auch Bernhard Becker38. Marx hatte diesen 1865 in dem Aufsatz „Der Präsident der Menschheit" scharf in seiner Rolle als Lassalle-Nachfolger kritisiert. Nachdem Becker bei den Eisenachern zu wirken begann, fragt Engels bei Liebknecht in Leipzig an: „Warum den Lumpen XXV
B. Becker wieder zu Ehren bringen?" 39 Becker war 1870 Parteimitglied geworden und hat 1871 die „Chemnitzer Freie Presse" und danach bis 1874 den „Braunschweiger Volksfreund" redigiert. Seine lyrischen Beiträge sind um weltanschauliche und historische Fragestellungen bemüht, doch in ihrer Bildsprache verquollen und ideologisch unscharf. Nach der Vereinigung von Gotha kommen im „Volksstaat" auch Fritzsche40 und Hasenclever41, bisher im A D A V , zu Wort. Der Schweizer Sozialdemokrat Hermann Greulich und einige Journalisten aus den Reihen der deutschen Partei wie Philipp August Rüdt, Kurt Mook, W. Gramann, H. Havenith, Fritz Glogauer treten relativ selten hervor. Schließlich fördert das Parteiblatt auch den lyrischen Beginn von Leopold Jacoby42, Max Kegel 43 , Rudolf Lavant44, Adolf Lepp 45 und anderen damals etwa Dreißigjährigen. 7.
Die Gedichte des „Volksstaat"-Feuilletons sind in den verschiedensten literarischen Handschriften geschrieben. Es gibt Texte, für den Tag gemacht, denen man die Spuren rascher Produktion deutlich ansieht (viele der kleinen Satiren wie etwa „Krupp und Rothschild oder: Wer ist schwerer?" 46 ), und es gibt andere, ebenso operative Texte von beträchtlicher künstlerischer Fertigkeit (z. B. „Von der landwirtschaftlichen Ausstellung in Bremen" 47 ). Das Gesamtbild ergibt, daß die komisch-satirischen Texte ihre Wirksamkeit in höherem Grade bewahrt haben als die meisten Gedichte erhaben-pathetischer Sprechweise. Zielsetzung und Weg zum Ziel waren und sind für das satirische Gedicht direkter vermittelt. Die Konkretheit des Gegenstandes, an welchem der Text sich reiben will, ist von vornherein gegeben. Die Gefahr der Verflüchtigung in die leere Abstraktion ist gering. Hinzu kommt, daß satirische Verse nicht unbedingt eine weitreichende perspektivische Konzeption ausdrücken müssen; sie erfüllen ihre Funktion in der pointierten Bewältigung ihres begrenzten Sujets und haben nicht notwendigerweise die Aufgabe, es ins Weltanschauliche auszuweiten und philosophisch zu interpretieren. Derartige Texte kommen mit direkten Bildern aus und brauchen keinen besonderen Vortrieb der Metapher. Umgekehrt realisieren sich Gedichte in erhabener Sprechweise und mit pathetischem Gestus oftmals erst in der Dimension einer Bedeutung, die sie ihrem Gegenstand verleihen: Sie müssen etwas meinen, was Gewicht hat, nennenswert ist, über den eigentlichen Gegenstand in seiner Tatsächlichkeit hinausgeht; ohne eine solche zweite BeXXVI
deutungsschicht erreichen sie ihr Ziel nicht. Auch in der sozialistischen Dichtung ist dergleichen aber nur möglich, wenn die künstlerische Erkenntnis, letztlich die Metapher, mit solchem Erfolg angestrebt wird, daß sie nicht hinter der Anstrengung des Begriffs zurückbleibt. N u n leisten Geib, Scheu, Rhenanus, Kade, J. Ph. Becker u. a. im Gedicht sicher das ihnen jeweils Mögliche. Das, was nun aber das Gedicht der 70er Jahre an Sozialanalyse und Perspektivzeichnung leisten kann und worin es von nichts anderem zu ersetzen wäre, ist — verglichen mit der gleichzeitigen wissenschaftlich-theoretischen Leistung des Marxismus — zweifellos relativ gering. Dabei handelt es sich u m mehr als einen Zufall. Die Entwicklung von Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung hat die Schaffung der proletarischen Weltanschauung und Ideologie auf die Tagesordnung der Geschichte gesetzt und in einer Art von Arbeitsteilung den wissenschaftlichen und theoretischen Methoden den Vorrang gegeben. Was von der Arbeiterbewegung an Talenten hervorgebracht und an Begabungen genutzt werden kann, wird von der Geschichte dahin verwiesen, wo der Emanzipation des Proletariats am unmittelbarsten zu dienen ist: Theorie, Politik, Organisation. Die klassische Periode der Ausarbeitung des Marxismus und des Eintritts der Arbeiterbewegung in die Geschichte ist durchaus nicht auch eine Zeit klassischer sozialistischer Literaturentwicklung. Es ist Ausdruck der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der verschiedenen Bewußtseinsformen, d a ß die sozialistische Kunstentwicklung (übrigens die der bildenden Kunst und der Musik noch mehr als die der Literatur) hinter dem außerordentlich hohen Standard der Theorie und der politischen Ideologie zeitweilig in einigem zurückbleibt. Auch innerhalb der Ideologie der jungen Arbeiterbewegung werden die Erfindungen und Entdeckungen zuerst dann und dort gemacht, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Es findet gleichsam eine Konzentration auf das Allerwichtigste statt. Die theoretische Fragestellung ist in der Tat so weit vorgetrieben, daß die sozialistische Dichtung in der Hauptsache Propagandaund Agitationsfunktion übernimmt sowie vorrangig bei der politischmoralischen Festigung (Entwicklung des Selbstbewußtseins) und bei der klassenmäßigen Unterhaltung der proletarischen Leser mitwirkt. Vor allem in den Kommune-Gedichten, wo die besten Elemente sozialistischer Ideologie und Moral in der Sympathie für die K o m munarden und im H a ß gegen die Versailler mobilisiert sind, wird Erhebliches zur Entwicklung des Klassen- und internationalistischen Bewußtseins der Arbeiter beigetragen. XXVII
Andererseits führen die ziemlich schwerfälligen Strukturen der Achtund Sechszeiler (besonders über die Vorbildwirkung Freiligraths in der frühen sozialistischen Dichtung stark verbreitet) oftmals und erst recht bei mechanischer Nutzung in die Richtung der Versund Reimschmiede, so z. B. bei Fritzsche und Geib. Die Mühe und der Aufwand, die solche Techniken erfordern, kommen dem den Übergang vom Handwerk zur Industrie spiegelnden Bewußtsein der Arbeiter, ihrer Vorstellung von Fleiß, Genauigkeit und Maß sehr entgegen. Auch die Versrätsel im „Volksstaat"-Erzähler wirken mit den ihnen innewohnenden Lösungswegen in diese Richtung. Dagegen begegnen die Arbeiter der frischen Inspiration und erst recht der momentanen Intuition mit Mißtrauen, scheinen doch solche poetischen Produktionsweisen (soweit sie überhaupt bekannt sind)allzu sehr dem Visionären und dem Voluntarismus der spontanen Sektenbewegung von einst, nicht aber der Organisiertheit, Disziplin und Bildungsbestrebung der modernen Bewegung zu entsprechen. Sozialistische Journalisten und schreibende Arbeiter vermeiden den Stil der Verkündigung und die Formen der Prophetie, die von den revolutionären Arbeitern in jahrzehntelangem Klassenkampf zugunsten von Bewußtheit und Organisation gerade erst in der revolutionären Massenpartei überwunden worden sind. So erhält in der frühen sozialistischen Lyrik oftmals eine gleichsam meistergesangliche Konvention den Vorzug gegenüber einer forciert subjektiven lyrischen Sprechweise. Die „Volksstaat"-Lyrik hat großen Anteil daran, die neue (politische) Sprache der Arbeiterbewegung in das Gedicht aufzunehmen und mit den Mitteln des Gedichts zu popularisieren. Scheu gegenüber dem Wagnis mit der Metapher, verlassen sich die Dichter der frühen Arbeiterbewegung auf die Leistungsfähigkeit der überkommenen Bildsprache. Die Bildungsbestrebungen der Sozialdemokratie wirken in die gleiche Richtung. Die ziemlich verbreitete Beschäftigung zum Beispiel mit dem Erbe der deutschen Klassik, vor allem mit Schiller, aktualisiert nicht nur eine wichtige Tradition, sondern bereitet auch den Boden für die Rezeption einer Dichtung, die dort anknüpft. Derartiges finden wir vor als Tendenz in den Gedichten August Geibs, aber auch bei Hermann Greulich, der in seinem „Geh deine Bahn!" 4x das Marx-Motto vom „Kapital" (Band I) 49 aufgreift und variiert. Bemerkenswert, vor allem als Demonstration innerparteilicher Entwicklungen, sind auch die Gedichte auf sozialistische Zeitgenossen, wie das Bebel-Gedicht50 und die Verse auf J. Ph. Becker51. Eine große Rulle spielen die Parodien und Travestien bürgerlicher XXVIII
Texte. Oft werden derartige Gedichte, die sich in den Augen der klassenbewußten Proletarier von selbst denunzieren, abgedruckt in der Absicht, sie „tiefer zu hängen", eine Praxis, die Marx schon 1859 im „ V o l k " angewandt hat52, indem er z. B. Vogts Verleumdungen gegen die Arbeiterbewegung und ihn selbst zuerst einmal genau wiedergab, ehe er zur vernichtenden Polemik antrat.
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Das zentrale Ereignis innerhalb der sozialistischen Lyrikentwicklung der 70er Jahre, das auch im „Volksstaat" seinen deutlichen Niederschlag findet, ist ein wesentlicher Funktionswechsel, der von Auswirkung auch auf die lyrischen Strukturen ist. Bislang hatte in der Arbeiterdichtung — und in der sozialistischen Lyrik überhaupt — jener vor allem vormärzliche Gedichttyp dominiert, in dem Elemente des Handwerksburschenliedes, gebunden an das Thema der Armut und der aus ihr hervorgehenden Auflehnung, sich allmählich verbanden mit Formen der politischen Deklamation, die in ihren Spitzenleistungen auch bedeutende historische und weltanschauliche Dimensionen erreichte. Ausgehend von den volkstümlichen und antifeudalen Gedichten der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, von den Wanderliedern der Romantik, von der romantischen Arme-Leute-Thematik (Brentano, Chamisso u. a.), aber auch anknüpfend an die politisch und sozial engagierte Dichtung des englischen Chartismus (Thomas Hood), die ihrerseits an das große Dreigestirn Byron, Shelley, Keats anschließt, und an die poésie engagé, die den französischen utopischen Kommunismus und die unmittelbare Arbeiterbewegung der 30er und 40er Jahre bigleitet hat, formierte sich vor allem im Vormärz ein Gedichttyp von wesentlich romantischer Struktur, der Funktion und Wirkung vorwiegend einer solchen proletarischen Leserschaft gegenüber fand, die noch in Gruppen und Sekten organisiert, in der noch das „Knotentum" bestimmend war und die insgesamt noch im Vorfeld der modernen Arbeiterbewegung existierte. Vom Ideengehalt her ist diese Poesie sehr buntscheckig. In ihr spielen „wahr"-sozialistische und feudal-sozialistische, utopisch-kommunistische und verschieden getönte chartistische, später ebenso auch lassalleanische und ebenfalls noch vulgär-demokratische Ideenelemente eine Rolle, denen gegenüber sich allerdings immer wieder die Wirklichkeit selber durchsetzt, also grundsätzlich Realistisches einfließt, dann um so stärker, wenn bereits Elemente der wissenschaftlichen XXIX
Weltanschauung, des Marxismus also, angeeignet und methodisch genutzt sind. An die Stelle einer solchen Dichtung tritt nunmehr — und das „Volksstaat"-Feuilleton ist der Ort dieses Funktionswandels — ein Typus des sozialistischen Gedichts, der durch die Hereinnahme einerseits von analytischen, andererseits auch von synthetischen Elementen den Vorrang romantischer Strukturen durchbricht. Allerdings dauert dieser Prozeß (als Ablösung des Alten und als Neusetzung) noch Jahrzehnte, erfahrt auch Rückläufiges und findet erst nach 1917 — mit der durch die Oktoberrevolution gesetzten praktisch-realen Perspektive — seinen Abschluß. Im analytischen Bereich geht die sozialistische Dichtung nach 1869/71 den Weg, den ihr das Proletariat als moderne Klasse, die kapitalistische Gesellschaft als nunmehr voll ausgebildete sozial-ökonomische Formation und die proletarische Massenpartei als revolutionärsozialdemokratische Bewegung vorzeichnen. Kann bisher gleichsam nur von einer proletarischen Symptomatik als Thema sozialistischer Dichtung (in ihrer ersten Phase: 1830 bis 1870) gesprochen werden, kommt es nun mehr und mehr zur lyrisch-poetischen Erfassung der historischen Mission des Proletariats. Was zuvor vor allem die Antinomie von arm und reich, etwa die Weber-Thematik, erbrachte, erscheint jetzt immer mehr als poetische Systemanalyse. Die synthetische Leistung der sozialistischen Poesie in ihrer neuen Phase besteht vor allem in der Entwicklung einer poetischen Programmatik, einer Art lyrischen Antizipation, im wesentlichen bereits auf der Basis einer eigenständigen politischen Sprache, obwohl auch hier romantisch gefaßtes Ideal und romantisch eingesetzte Natur-Metaphern noch lange parallel laufen. Darauf, daß und wie vor allem im Spätwerk Herweghs dieser Funktionswandel, auch in Form des Nebeneinanders von Altem und Neuem, eintritt, ist bereits hingewiesen worden. Wie dieser Wandel den ganzen sozialistischen Lyrikprozeß erfaßt, zeigen Gegenüberstellungen: Hier Audorf, Fritzsche, Hasenclever, J. Ph. Becker, dort Geib, Kegel, Lepp, Lavant, Jacoby usw. Im „Volksstaat" stehen die Gedichte aller noch nebeneiriander: Gedichte von Arbeiterrevolutionären der älteren und der jüngeren Generation, von Autoren, die in ihrer Vielseitigkeit auch als Schriftsteller auftraten, und von Autoren, die sich mehr und mehr in einem bestimmten historischen Rahmen zu Dichterpersönlichkeiten entwickelten. Das eigentliche Gelegenheitsgedicht in seiner Zufälligkeit tritt zurück. Es entsteht eine neue, systematischere Art des poetischen Herangehens an die Wirklichkeit. Was Lenin 1905 als Parteiliteratur charakterisiert hat, nimmt hier XXX
seinen Anfang. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß Lenin — durchaus mit Blick auch auf die erst seit kurzem existierende illegale und (seit Beginn der Revolution von 1905) auch legale Presse der russischen revolutionären Sozialdemokratie — vor allem die jahrzehntelang erfolgreiche Entwicklung der Parteiliteratur der revolutionären deutschen Sozialdemokratie im Auge hatte, sicher in demselben Maße, wie er sich oftmals auf von Wilhelm Liebknecht inspirierte politische Bildungsarbeit der Partei, auf die Parlamentspolitik der SPD und auch auf die strategische Prinzipienfestigkeit und taktische Elastizität der deutschen Partei berief. Und diese Parteiliteratur, speziell ihre Lyrik, hat im „Volksstaat"-Feuilleton ihren Beginn.
TEXTE
I. Freiligrath-Reprisen
Vor zweiundzwanzig Jahren
Im Hochland fiel der erste Schuß, — Im Hochland wider die Pfaffen! Da kam, die fallen wird und muß, Ja die Lawine kam in Schuß — Drei Länder in den Waffen! — Schon kann die Schweiz von Siegen ruhn Das Urgebirg und die Nagelfluhn Zittern vor Luft bis zum Kerne! Drauf ging der Tanz in Welschland los Die Scyllen und Charybden, Vesuv und Ätna brachen los: Ausbruch auf Ausbruch, Stoß auf Stoß! — „Sehr bedenklich, euer Liebden!" Also schallts von Berlin nach Wien, Und von Wien zurück nach Berlin — Sogar dem Nickel graut es! Und nun ist denn auch abermals Das Pflaster aufgerissen, Auf dem die Freiheit, nackten Stahls, Aus der lumpigen Pracht des Königssaals Zwei Könige schon geschmissen; Einen von ihnen gar geköpft — Und drauf du lang genug geschröpft Dein Volk, o Julikönig! Anrückt die Linie: Schuß auf Schuß! Und immer frisch geladen! Doch dies ist ein Volk wie aus Eisenguß, Stülpen Karren um und Omnibus —
Das sind die Barrikaden! Stolze, opferfrohe Reihn, Singen sie, in der Hand den Stein: „Mourir pour la patrie!" Die Kugel pfeift, der Kiesel fliegt, In Lüften wallt die Fahne! Ein General am Boden liegt — Qa ira, ?a ira, die Bluse siegt, O Vorstadt St. Antoine! Waffen auf Waffen! Keiner wankt — Schon hat der Guizot abgedankt, Bleich, zitternd mit den Lippen.
„Vive la réforme! Le système à bas!" O treffliche Gesellen ! Der Birne Schütteltag ist da ! Die halbe Linie, ça ira ! Und Amiens sind Rebellen ! Keine neue Kriegsmacht naht : Das Volk zerstörte Schien und Draht — Bahnzug und Telegraphen ! Was weiter wird: — noch harren wir; Doch wirds die Freiheit werden. Die Freiheit dort, die Freiheit hier, Die Freiheit jetzt und für und für, Die Freiheit rings auf Erden ! Im Hochland fiel der erste Schuß, Und die da niederdonnern muß, Die Lawine kam ins Rollen ! Sie rollt — sie springt — o Lombardei, Bald fühlst auch du ihr Wälzen ! Ungarn und Polen macht sie frei, Durch Deutschland dröhnen wird ihr Schrei, Und kein Bannstrahl kann sie schmelzen! Einzig in der Freiheit Wehn Wild und leis wird sie zergehn, des alten Zorns Lawine! 4
Ja, fest am Zorne halten wir, Fest bis zu jeder Frühe! Die Träne springt ins Auge mir, In meinem Herzen singts: „Mourir, Mourir pour la patrie!" Glück auf, das ist ein glorreich Jahr, Das ist ein stolzer Februar — „Allons enfants!" — „Mourir, mourir, Mourir pour la patrie!" VS (1870) 17, S. 1
Brot Nach Pierre Dupont
Wenn am Gestad und in den Lüften Sich keine Mühle mehr bewegt; Wenn müßig weidend auf den Triften, Der Esel keinen Sack mehr trägt: Dann, wie ein Wolf, am hellen Tage Kühn tritt der Hunger in das Haus; Ein Wetter rüstet sich zum Schlage Und durch die Luft geht ein Gebraus. Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten, Des Volkes nicht, das hungernd droht! Denn die Natur hat ihn geboten, Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not! Der Hunger kommt vom Dorf gegangen, Einzieht er durch der Städte T o r ; So haltet ihm doch eure Stangen Und eure Trommelstöcke vor! Trotz Pulver und Kartätschenschauer Rasch wie ein Vogel ist sein Lauf Und auf der allerhöchsten Mauer Pflanzt er sein schwarzes Banner auf. 5
Ihr dämpf den Zornruf, o Despoten, Des Volkes nicht, das hungernd droht! Denn die Natur hat ihn geboten, Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not! Laßt eure Söldnerhaufen kommen In gleichem Schritt, mit gleicher Wehr! Der Scheuer und der Flur genommen, Hat Waffen auch des Hungers Heer; Es reißt die Schaufel aus der Scholle, Die Sense reißt es aus dem Korn; Sogar des Mädchens Brust, die volle, Pocht an die Kolbe ihren Zorn. Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten, Des Volkes nicht, das hungernd droht! Denn die Natur hat ihn geboten, Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not! Packt, in des Volkes mutgen Reihen Wer Sichel oder Flinte trägt! Laßt immer das Gerüst uns dräuen, Auf dem das Beil den Kopf abschlägt! Hat es in finstrer Schauer Mitten, Hat es, die Luft durchzuckend scheu, Der Opfer Leben nun zerschnitten, Dann tut ihr Blut noch diesen Schrei: Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten, Des Volkes nicht, das hungernd droht! Denn die Natur hat ihn geboten, Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not! Brot tut uns not! Brot muß man haben! Wie Luft und Wasser tut es not! Wir sind des alten Herrgotts Raben: Was er uns schuldet, ist das Brot! Doch seht, die Schuld ist abgetragen: Er gab uns Land zur Ährenzucht, Und kann nicht noch zu allen Tagen Die Sonne reifen unsre Frucht? Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten, Des Volkes nicht, das hungernd droht! 6
Denn die Natur hat ihn geboten, Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not! Die Welt ist halb noch Wildnis eben — Und sollte doch aus Korn und Mais Ein blonder Gürtel sie umgeben Vom Pol bis an den Wendekreis! Laßt uns der Erde Schoß zerreißen! Laßt uns — wir schlugen uns genug! — Laßt uns des Krieges schneidend Eisen Verwandeln in den stillen Pflug! Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten, Des Volkes nicht, das hungernd droht! Denn die Natur hat ihn geboten, Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not! Der Kabinette Tun und Lassen, Was gilt es unserm Bienenschwarm? Wozu noch für der Fürsten Hassen Bewaffnen den Zyklopenarm? Das Volk ein Meer! Vom nackten Herde Braust es heran, und schwillt und droht! Erbebt — und gebt dem Pflug die Erde, Und nimmer fehlen wird das Brot. Ihr dämpft den Zornruf, o Despoten, Des Volkes nicht, das hungernd droht! Denn die Natur hat ihn geboten, Den Schrei: Brot! Brot! Brot tut uns not! VS (1870) 86, S. l
Zum neunten November Blum Vor zweiundvierzig Jahren wars, da hat mit Macht geschrien Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knien; Ein Kind mit breiter, offner Stirn, ein Kind von heller Lunge, 7
Ein prächtig Proletarierkind, ein derber Küferjunge. Er schrie, daß in der Werkstatt rings des Vaters Tonnen hallten; Die Mutter hat mit Lächeln ihn an ihre Brust gehalten; An ihrer Brust, auf ihrem Arm hat sie ihn eingesungen: — Es ist zu Köln das Wiegenlied des Knaben hell erklungen. Und heut in diesem selben Köln zum Wehn des Winterwindes Und zu der Orgel Brausen schallt das Grablied dieses Kindes. Nicht singt die Überlebende, die Mutter, es dem Sohne: Das ganze schmerzbewegte Köln singt es mit festem Tone. Es spricht: Du, deren Schoß ihn trug, bleib still auf deiner Kammer! Vor deinem Gott, du graues Haupt, ausströme deinen Jammer! Auch ich bin seine Mutter, Weib! Ich und noch Eine Hohe — Ich und die Revolution, die grimme, lichterlohe! Bleib du daheim mit deinem Schmerz! Wir wahren seine Ehre — Des Robert Requiem singt Köln, das revolutionäre! So redet Köln! Und Orgelsturm entquillt dem Kirchenchore, Es stehn die Säulen des Altars umhüllt mit Trauerflore, Die Kerzen werfen matten Schein; die Weihrauchwolken ziehen, Und tausend Augen werden naß bei Neukomms Melodien. So ehrt die treue Vaterstadt des Tonnenbinders Knaben — Ihn, den die Schergen der Gewalt zu Wien gemordet haben! Ihn, der sich seinen Lebensweg, den steilen und den rauhen, Auf bis zu Frankfurts Parlament mit starker Hand gehauen! (Dort auch, was er allstündlich war, ein Wackrer, kein Verräter!) Was greift ihr zu den Schwertern nicht, ihr Singer und ihr Beter? Was werdet ihr Posaunen nicht, ihr ehrnen Orgeltuben, Den jüngsten Tag ins Ohr zu schrein den Henkern und den Buben? Den Henkern, die ihn hingestreckt auf der Brigittenaue — Auf festen Knieen lag er da im ersten Morgentaue! Dann sank er hin — hin in sein Blut — lautlos! — heut vor acht Tagen! Zwei Kugeln haben ihm die Brust, eine das Haupt zerschlagen! Ja, ruhig hat man ihn gemacht: — Er liegt in seiner Truhe! So schall ihm denn ein Requiem, ein Lied der ewgen Ruhe! Ruh ihm, der uns die Unruh hat als Erbteil hinterlassen: — Mir, als ich heut im Tempel stand in den bewegten Massen, Mir wars, als hört ich durch den Sturm der Töne ein Geraune: Du, rechte mit der Stunde nicht! die Orgel wird Posaune! Es werden, die du singen siehst, das Schwert in Händen tragen — Denn nichts als Kampf und wieder Kampf entringt sich diesen Tagen: Ein Requiem ist Rache nicht, ein Requiem nicht Sühne — 8
Bald aber steht die Rächerin auf schwarzbehangner Bühne! Die dunkelrote Rächerin! Mit Blut bespritzt und Zähren, Wird sie und soll und muß sie sich in Permanenz erklären, Dann wird ein ander Requiem den toten Opfern klingen — Du rufst sie nicht, die Rächerin, doch wird die Zeit sie bringen! Der andern Greuel rufen sie! So wird es sich vollenden — Weh allen, denen schuldlos Blut klebt an den Henkerhänden! Vor zwei und vierzig Jahren wars, da hat mit Macht geschrieen Ein siebentägig Kölner Kind auf seiner Mutter Knieen! Acht Tage sinds, da lag zu Wien ein blutger Mann im Sande — Heut scholl ihm Neukomms Requiem zu Köln am Rheinestrande. VS (1870) 90, S. 1
Das Lied vom Hemde Nach Thomas Hood
Mit Fingern mager und müd, Mit Augen schwer und rot, In schlechten Hadern saß ein Weib Nähend fürs liebe Brot. Stich! Stich! Stich! Aufsah sie wirr und fremde; In Hunger und Armut flehentlich Sang sie das „Lied vom Hemde": „Schaffen! Schaffen! Schaffen! Sobald der Haushahn wach! Und Schaffen — Schaffen — Schaffen, Bis die Sterne glühn durchs Dach! O, lieber Sklavin sein Bei Türken und bei Heiden, Wo das Weib keine Seele zu retten hat, Als so bei Christen leiden! Schaffen — Schaffen — Schaffen, Bis das Hirn beginnt zu rollen! Schaffen — Schaffen — Schaffen, Bis die Augen springen wollen! 9
Saum und Zwickel und Band, Band und Zwickel und Saum — Dann über den Knöpfen schlaf ich ein, Und nähe sie fort im Traum. O Männer, denen Gott Weib, Mutter, Schwester gegeben: Nicht Linnen ists was ihr verschleißt — Nein, warmes Menschenleben! Stich! Stich! Stich! Das ist der Armut Fluch: Mit doppeltem Faden näh ich Hemd, Ja, Hemd und Leichentuch! Doch was red ich nur vom Tod, Dem Knochenmanne! — Ha! Kaum furcht ich seine Schreckgestalt, Sie gleicht meiner eigenen ja! Sie gleicht mir, weil ich faste, Weil ich lange nicht geruht. O Gott, daß Brot so teuer ist, Und so wohlfeil Fleisch und Blut! Schaffen — Schaffen — Schaffen! Und der Lohn? Ein Wasserhumpen, Eine Kruste Brot, ein Bett von Stroh, Dort das morsche Dach und — Lumpen! Ein alter Tisch, ein zerbrochner Stuhl, Sonst Nichts auf Gottes Welt! Eine Wand so bar — 's ist ein Trost sogar, Wenn mein Schatten nur drauf fallt! Schaffen — Schaffen — Schaffen — Vom Früh- zum Nachtgeläut! Schaffen — Schaffen — Schaffen, Wie zur Straf gefangne Leut! Band und Zwickel und Saum, Saum und Zwickel und Band, Bis vom ewigen Bücken mir schwindlig wird, Bis das Hirn mir starrt und die Hand! Schaffen — Schaffen — Schaffen, Bei Dezembernebeln fahl! 10
Schaffen — Schaffen — Schaffen, In des Lenzes sonnigem Strahl! Wenn zwitschernd sich ans Dach Die erste Schwalbe klammert, Sich sonnt und Frühlingslieder singt, Daß das Herz mir zuckt und jammert. O, draußen nur zu sein, Wo Viol und Primel sprießen Den Himmel über mir, Und das Gras zu meinen Füßen! Zu fühlen wie vordem, Ach, eine Stunde nur, Eh noch es hieß: Ein Mittagsmahl Für ein Wandeln auf der Flur! Ach ja, nur eine Frist, Wie kurz auch — nicht zur Freude! Nein, auszuweinen mich einmal So recht in meinem Leide! Doch zurück, ihr meine Tränen! Zurück tief ins Gehirn! Ihr kämt mir schön! Netztet beim Nähn Mir Nadel nur und Zwirn!" Mit Fingern mager und müd, Mit Augen schwer und rot, In schlechten Hadern saß ein Weib, Nähend fürs liebe Brot. Stich! Stich! Stich! Aufsah sie wirr und fremde; In Hunger und Armut flehentlich — O, schwäng es laut zu den Reichen sich! — Sang sie dies „Lied vom Hemde". VS (1871) 3, S. 2
[Aus: Die Revolution] Politische Übersicht Juni 1848, März - Mai 1871 . . .? Am Sonntag, nach achttägiger Straßenschlacht, erlag die Kommune. Die zweite Woge der sozialistischen Springflut ist an den Mauern der Bourgeoisgesellschaft
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zerschellt. Aber neue Sturmwellen, mächtiger als die zerschellte, wälzen sich heran — vielleicht noch eine wird zurückgeworfen, allein kein Gott, kein Mensch kann das Verderben abwenden von dem morschen Bau. Jubelt, ihr „Sieger", so lang ihr die innere Angst zu übertäuben vermögt! Auch wir jubeln, inmitten der Trauer um die gefallenen Brüder, denn der Kampf hat uns gezeigt, wie sehr wir seit 1848 erstarkt sind, und wir können die Zeit berechnen, wo ihr uns nicht mehr besiegen werdet. —
Ich werde sein und wiederum voran den Völkern werd ich gehn, Auf eurem Nacken, eurem Haupt, auf euren Kronen werd ich stehn; Befreierin und Rächerin und Richterin, das Schwert entblößt, Ausrecken den gewaltgen Arm werd ich, daß er die Welt erlöst, Ihr seht mich im Gefängnis bloß, ihr seht mich in der Grube nur, Ihr seht mich bloß als Irrende auf des Exiles dornger Flur. Ihr Toren! Bin ich nicht auch da, wo eure Macht ein Ende hat, Bleibt mir nicht hinter jeder Stirn, jedem Herzen eine Statt? In jedem Haupt, das trotzig denkt, das hoch und ungebeugt sich trägt? Ist mein Asyl nicht jede Brust, die menschlich fühlt und menschlich schlägt? Nicht jede Werkstatt, drin es pocht? Nicht jede Hütte, drin es ächzt? Bin ich der Menschheit Odem nicht, die schmachtend nach Befreiung lechzt? Drum werd ich sein und wiederum voran den Völkern werd ich gehn, Auf eurem Nacken, eurem Haupt, auf euren Kronen werd ich stehn! VS (1871)45, S. 1
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II. Nach- und Erstdrucke von Georg Herwegh
Arbeiterlied
Bet und arbeit! ruft die Welt, Bete kurz! denn Zeit ist Geld. An die Türe pocht die Not — Bete kurz! denn Zeit ist Brot. Und du ackerst und du säst, Und du nietest und du nähst, Und du hämmerst und du spinnst — Sag, o Volk, was du gewinnst! Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht, Schürfst im Erz- und Kohlenschacht, Füllst des Überflusses Horn, Füllst es hoch mit Wein und Korn. Doch Doch Doch Doch
wo wo wo wo
ist dein ist dein ist dein ist dein
Mahl bereit? Feierkleid? warmer Herd? scharfes Schwert?
Alles ist dein Werk! o sprich, Alles, aber nichts für dich! Und von allem nur allein, Die du schmiedst, die Kette, dein? Kette, die den Leib umstrickt, Die dem Geist die Flügel knickt, Die am Fuß des Kindes schon Klirrt — o Volk, das ist dein Lohn. Was ihr hebt ans Sonnenlicht, Schätze sind es für den Wicht; 13
Was ihr webt, es ist der Fluch Für euch selbst — ins bunte Tuch. Was ihr baut, kein schützend Dach Hats für euch und kein Gemach, Was ihr kleidet und beschuht, Tritt auf euch voll Übermut. Menschenbienen, die Natur, Gab sie euch den Honig nur? Seht die Drohnen um euch her! Habt ihr keinen Stachel mehr? Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, Wenn dein starker Arm es will. Deiner Dränger Schar erblaßt, Wenn du, müde deiner Last, In die Ecke lehnst den Pflug, Wenn du rufst: Es ist genug! Brecht das Doppeljoch entzwei! Brecht die Not der Sklaverei! Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit Brot. VS (1871) 25, S. 2
Kampfprolog im Himmel Ach! wo ist der beßre Mann? Wo die beßre Sache? Alles, was ich schauen kann, Ist ein Tag der Rache. Wem von ihnen bleibt das Reich? Frevelhafte Frage! 14
Beider Taten wiegen gleich Auf der großen Waage. Schwarzer Kugel Bleigewicht In der Schalen eine Traurig liegt der Blum und spricht: „Habsburg, das ist deine!" Neben ihm ein junger Held Weist die Wundenmale; Dortus schwarze Kugel fällt In die andre Schale. Um den Schlachtengott im Kreis Schweben die Walküren: Vater, sag, der Siegespreis, Wem wird er gebühren? Sann der Alte hin und her, Hat den Spruch verkündigt: „Beide — haben schwer Sich am Volk versündigt. Freiburg und Brigittenau! Rastatt, Arads Galgen! Zwei — blond und grau — Mögen sie sich balgen. Doch, wenn müde bis zum Tod, Beide sich bestritten — Über sie auf mein Gebot Ruft mir dann den Dritten! Schwert an Schwert und Schild an Schild Mögen wild ertönen! Nur das Recht des Stärkern gilt Bei den Erdensöhnen. Denn ich will in Nacht und Graus, begraben." Sprach es und zum Leichenschmaus Rauschen Odins Raben. VS (1875) 73, S. 1 15
Die Ureigentümerin
Bei Wörth die ersten Prügel schon Erhalten hatte Mac Mahon; Geschlagen war am Sauerbach Die Schlacht, und Berthold Auerbach, Die Seelengröße der Geschütze Bewundernd, in der Preußenmütze, Mit seinem Astronomenchor Drang stammverwandt nach Straßburg vor. Versunken saß ich in Gedanken; Mir war, als hört' ich lautes Zanken; Alldeutschland rief: Nun kann ich holen, Was mir die Welschen einst gestohlen! Gemach, ihr Deutschen, schrien die Kelten, Ihr stahlt es uns, spart euer Schelten! Gemach, ihr Kelten, schrien die Finnen, Ihr stahlt es uns, trollt euch von hinnen! Was habt ihr Finnen hier zu schaffen? Das Land war unser, schrien die Affen. Wir waren vor den Affen hier, Brummt Fisch und Sauriergetier. Und wir, entgegneten die Schnecken, Wir hatten hier in Meeresbecken Schon vor Äonen manches Haus; Hinaus, Eindringlinge, hinaus! — So gings entlang die Stufenleiter Der Wesen ad absurdum weiter. Die Sonne nahm zuletzt das Wort: „O, ihr Gorillentsproßnen dort," — Begann sie — „die ihr euch erfrecht, Zu pochen auf historisch Recht, Und euch dafür, zum Spaß der Kronen, Bekriegt mit Flinten und Kanonen; Ihr Träger herrlichster Kultur, Die ihr in Schillern wohl und Goethen Als höchste Kunst die Kunst zu töten Erlernt habt; eins vergaßt ihr nur: Daß dieser ganze Erdenbettel Einst mein war, Einschlag so wie Zettel, Und wieder mein wird, wenns gelegen 16
Dem unbekannten Weltstrategen. In meiner Sonnenseele leid Tut mirs, daß ihr so töricht seid, Die plumpsten Götzen anzubeten, Die Eisen- und die Blutpropheten — O dürft ich eueren Planeten Mir annektieren vor der Zeit, Dem Mordgebrüll, den Siegesmärschen Ein Ende machen und dem närr'schen Weltherrschaftsdünkel in Berlin, Das ich von je nicht gern beschien! Der Aufschub hat mich oft verdrossen." — Hier wacht ich auf — ich glaub ein Kreuz Ward von den frommen Söhnen Teuts Am Münster just entzwei geschossen: Die Sonne hatte zornerfüllt Am Himmel droben sich verhüllt. VS (1873) 73, S. 4
Fiat justitia! Vivat mundus! Freisprechen den Banditen? — Nun ja, als Kavalier! — Und Frankreich hats gelitten? — Nun, Frankreich machts wie wir! — Ein Raubtier in dem Wappen, Drauf ohne Hirn ein Helm, Ein Dutzend frecher Knappen, Die retten jeden Schelm. Ob Stechen oder Schießen — Die Männer von Geblüt, Die dürfen Blut vergießen; Nimm dirs nicht zu Gemüt! Manch deutscher Strolch von Adel Entschlüpft ja vor Gericht; Den Hausknecht trifft der Tadel Nicht den, der ihn ersticht. VS (1870) 28, S. I 4
Weisbach, Volksstaat
Schafott — Zuchthaus Du frommer Fürst auf Babels Thron, So glaubensstark, so bibelfest, Der, trotzend einer Nation, Nach Gottes Wort uns köpfen läßt; Ihr winzigen Vasallen auch, In eurem Purpur, halb zerlumpt, Die ihr zu souveränem Brauch Bereits die Guillotine pumpt
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Gespenster der Vergangenheit, Die man kaum noch mit Namen nennt; Die ihr von Gottes Gnaden seid, Jawohl, und keine Gnade kennt: Wenn ohne Henker euer Witz Verlegen ist, so gebt im Staat Dem Henker einen Ehrensitz, Und macht ihn zum Geheimrat! Es hat schon mancher schlechtre Mann, Dems nicht an Stern und Orden fehlt, Den Genius, der Wolle spann Im Zuchthaus, langsam totgequält. Langsam, ganz langsam, Glied für Glied — Ich preise des Henkers milde Hand! Bismarck hat Recht — doch schweig, mein Lied: Mal nicht den Teufel an die Wand! VS (1870) 44, S. 1
Epilog zum Kriege Germania, der Sieg ist dein! Die Fahnen wehn, die Glocken klingen, Elsaß ist dein und Lotharingen, 18
Du sprichst, jetzt muß der Bau gelingen, Bald holen wir den letzten Stein. Gestützt auf deines Schwertes Knauf, Lobst du in frommen Telegrammen Den Herrn, von dem die Herren stammen, Und aus Zerstörung, Tod und Flammen Steigt heiß dein Dank zum Himmel auf. Nach vierundzwanzig Schlachten liegt Der Feind am Boden, überwunden; Bis in die Stadt voll Blut und Wunden, Die keinen Retterarm gefunden, Brichst du dir Bahn, du hast gesiegt. Schwarz, weiß und rot! um ein Panier Vereinigt stehen Süd und Norden; Du bist im ruhmgekrönten Morden Das erste Land der Welt geworden — Germania, mir graut vor dir. Mir graut vor dir; ich glaube fast, Daß du, in argen Wahn versunken Mit falscher Größe suchst zu prunken, Und daß du, gottesgnadentrunken, Das Menschenrecht vergessen hast. Schon lenkt ein Kaiser dich am Zaum, Ein strammer, strenger Zepterhalter. Hofbarden singen ihre Psalter Dem auferstandnen Mittelalter Und 89 wird ein Traum. Ein Traum? — Du sahst, wie Frankreich fiel Durch einen Cäsar, sahst die Sühne Vollzogen auf der Schreckensbühne. — Deutschland, gedeihe, wachse, grüne, Geläutert durch dies Trauerspiel! VS (1875) 73, S. 1
Der Siegestrunkene Vorüber ist der harte Strauß, Der welsche Drache liegt bezwungen,
Und Bismarck-Siegfried kehrt nach Haus Mit seinem Schatz der Nibelungen; Stolz blickt auf ihre Kinderschar Germania, die Heldenmutter, Stolz blickt das Denkervolk sogar Auf Döllinger, den Afterluther. Ihr habt ein neues deutsches Reich, Von Junkerhänden aufgerichtet; Redwitz besingt den Schwabenstreich, Und hat ein dickes Buch gedichtet; Ihr habt ein neues Oberhaupt Ihr Elsaß-Lothringen-Verspeiser; Den Papst, an den ihr nicht mehr glaubt, Ersetzt ein infallibler Kaiser. Ihr wähnt euch einig, weil die Pest Der Knechtschaft sich verallgemeinert, Weil täglich noch der kleine Rest Lebendger Seelen sich verkleinert; Ihr wähnt euch einig, weil ein Mann Darf über Krieg und Frieden schalten Und euch zur Schlachtbank führen kann Mit der Parol: das Maul gehalten! Ach, Einheit ist ein leerer Schall, Wenn sie nicht Einheit ist im Guten, Wenn ihr korinthisches Metall Uns mahnt an Mord und Städtegluten; Ach, Einheit ist ein tönend Erz, Wenn sie nur pochend auf Kanonen Zu reden weiß an unser Herz — Und klingt es anders von den Thronen? Einheit des Rechtes ist kein Schild, Der uns bewahrt vor Unterdrückung; Nur wo als Recht das Rechte gilt, Wird sie zum Segen, zur Beglückung. Nur diese wars, die wir erstrebt, Die Einheit, die man auf den Namen Der Freiheit aus der Taufe hebt; Doch eure stammt vom Teufel. Amen! VS (1875) 73, S. 2.
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Jesuiten-Feldzug
Trotz ungeheurer Strategie Und wunderbarer Führung, Trotz Stiebers Polizeigenie Und Attentats-Erspürung; Trotz eurem großen Schlachtengott Und eurem Schlachtengötzen, Trotz Festung, Zuchthaus und Schafott Hubertusburg und Lotzen; Trotz Kanzlerparagraphen und Hochverratsprozessen Trotz eurer Dichter feilem Mund Und eurer feilen Presse; Trotz eurem Militärarrest — In finsteren Verließen Das dulce et decorum est pro patria zu genießen; Trotz allem Rheuma, allem Ruhm Trotz Krupp und allen Krüppeln, Trotz allem Flintenstudium — Und Laskers Zukunftsknüppeln; Trotz allem Heldenübermut Der neuen Weltzerzauser, Trotz allem noch verheißnen Blut Durch Werder oder Mauser; Trotz allem Barbarossaspuk Und anderen Phantomen, Trotz Auerbach im Ordensschmuck Mit seinen „Astronomen"; Trotz Fahnenweihn und Vivatschrein Und Transparent-Verschwendung, Und Siegesfests-Salbaderein Von Zöllerns hoher Sendung; 21
Trotz einer Beute, fabelhaft, Und trotz der Fonds der Weifen, Die beide mit vereinter Kraft Zwing-Deutschland bauen helfen; Trotz allem wär der Fuß von Ton Nicht länger zu verstecken, Trotz allem könnt ein Steinchen schon Den Reichskoloß erschrecken! — Von Nebenbuhlern schwer bedroht, Wär euer Herr und Lenker; Herbei, ihr Freunde in der Not, Ihr wohldressierten Denker! Die ihr Gewalt laßt auf Gewalt Ihn türmen, und dem Fetisch Andächtig alles nachgelallt Im Bierhaus und am Teetisch — Herbei ihr Weisen an der Spree, Ihr unbefleckten Lilien, Erklärt den Krieg zu Land und See Den römischen Reptilien! Erheitert „Ihn" — tut in den Bann Den Syllabus-Verbreiter Und laßt dafür vermehren dann Kanonen, Fußvolk, Reiter! VS (1872) 82, Beilage
Achtzehnter März Achtzehnhundertvierzig und acht, Als im Lenze das Eis gekracht, Tage des Februar, Tage des Märzen, Waren es nicht Proletarierherzen, Die voll Hoffnung zuerst erwacht, Achtzehnhundertvierzig und acht? 22
Achtzehnhundertvierzig und acht, Als du dich lange genug bedacht, Mutter Germania, glücklich verpreußte, Waren es nicht Proletarierfauste, Die sich ans Werk der Befreiung gemacht, Achtzehnhundertvierzig und acht? Achtzehnhundertvierzig und acht, Als du geruht von der nächtlichen Schlacht, Waren es nicht Proletarierleichen, Die du, Berlin, vor den zitternden, bleichen, Barhaupt grüßenden Cäsar gebracht, Achtzehnhundertvierzig und acht? Achtzehnhundertsiebzig und drei, Reich der Reichen, da stehst du, juchhei! Aber wir Armen, verkauft und verraten, Denken der Proletariertaten — Noch sind nicht alle Märzen vorbei, Achtzehnhundertsiebzig und drei. VS (1873) 25, S. 2
Der arme Jakob und die kranke Lise
1. Der arme Jakob Der alte Jakob starb heut Nacht — Da haben sie am frühen Morgen Sechs Brettchen ihm zurecht gemacht Und drin den Schatz geborgen. Ein schmucklos Haus! Man gibt ins Grab Dem Feldherrn doch den Feldherrndegen — Warum nicht auch den Bettelstab Auf diese Bahre legen? Den Degen, den er treu geführt, Der in die Scheide nie gekommen, 23
Bis ihn der letzte Schlag gerührt Und von der Welt genommen. Er war der Welt, sie seiner satt — Zu zwölfen in der engen Stube! Weh ihm! ein überflüssig Blatt, O Lenz, in seine Grube! Als hätt er Großes nie getan, Ist rasch der Glückliche vergessen, Kein Dichter stimmt ihm Psalmen an, Kein Pfaffe liest ihm Messen. Die Heller, die man in den Sand Ihm warf aus schimmernden Karossen Sind alles, was vom Vaterland Der arme Mann genossen. Just die vom Himmel ihm geprahlt, Sahn diese Erde zwiefach gerne, So wird die Schuld ans Volk bezahlt Mit Wechseln auf die Sterne. Und kaum ist uns genug am Joch Der Armut auf gekrümmten Rücken, Man will der Knechtschaft Stempel noch Ihr auf die Stirne drücken. Schlaf wohl in deinem Sarkophag, Drin sie dich ohne Hemd begraben, Es wird kein Fürst am jüngsten Tag Noch reine Wäsche haben!
2. Die kranke Lise Weihnacht, die kranke Lise schreitet Durchs Faubourg hin in banger Flucht, Sie hat zu Haus kein Bett bereitet Für ihres Leibes erste Frucht. Wohl manches prunkt im Fürstensaale, 24
Den stolzer Kerzen Glanz erhellt — Marsch, Lise, weiter, zum Spitale, Dort kommt das Volk zur Welt. „Mein armer Weber mag nur zetteln, Sein Fleiß und Schweiß — was helfen sie? Das Volk muß Sarg und Wiege betteln: ,Allons, enfants de la patrie!' Kind, dem sie unter meinem Herzen Die Lust am Leben schon vergällt, Geduld, bis wir im Haus der Schmerzen! Dort kommt das Volk zur Welt. Sie feiern heut dem Gott der Armen, Die reichen Herrn ein Freudenfest: Doch glaubt nicht, daß sich das Erbarmen An ihrem Tische sehen läßt, Daß je in ihre Festpokale Der Schimmer einer Träne fällt — Marsch, Lise, weiter, zum Spitale! Dort kommt das Volk zur Welt. Du machst mir wahrlich viel Beschwerden, Der Liebe Kind, ich dacht es nie; Das wird ein wilder Junge werden: ,Allons, enfants de la patrie!' Für eurer Prinzen zarte Nerven Ist Daun auf Daune hoch geschwellt: Ich muß in einer Grube werfen — So kommt das Volk zur Welt. Klang noch die Trommel unserm Ohre Und wär noch eine Fahne rein: Der Lappen einer Trikolore, Er sollte deine Windel sein; Du wärst getauft, eh seine Schale Ein Pfaffe dir zu Haupten hält — Marsch, Lise, weiter, zum Spitale! Dort kommt das Volk zur Welt. Wer wird so ungestüm sich melden? Mein kleines Herz, was suchst du hier? Nur noch zum Grabe jener Helden! 25
,Allons, enfants de la patrie!' Dort seh ich in des Frührots Helle Die Julisäule aufgestellt —" Und nieder sank sie auf der Schwelle — So kommt das Volk zur Welt. VSE (1874) 17, S. 4 und 18, S. 4
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III. Sozialkritische und satirische Zeitgedichte. Parodien
D...B.
J.
Was wir wollen! Den Bourgeois gewidmet
Was bebt ihr doch in eurem Angstgewissen, Seit man die Larve euch vom Haupt gerissen! Wir wollen nicht an „Glücklichen" uns rächen, Wir wollen nur die alte Zwingburg brechen, Um aufzubaun der neuen Ordnung Halle, Drin gleicher Raum und gleiches Licht für alle! Wir wollen, daß die Arbeit Köngin werde Und sie allein die Erbin dieser Erde; Daß unser sei, was unser Geist ersonnen, Daß unser sei, was unsre Hand gesponnen, Daß unser sei der Schatz, den wir gehoben, Nicht unser bloß der späte Lohn „da droben!" Wir wollen nichts „erlisten" und „erraffen", Wir wollen nur besitzen, was wir schaffen. Wir wollen nicht die „Freiheit", die ihr „meinet", Die Sonne nicht, die nur in Schlösser scheinet; Wir wollen nicht die Freiheit des Bedrückens, Die Sonne nicht des gnädigen Beglückens; Wir wollen nicht um fremde Güter losen, Doch auch um Dornen nicht von euren Rosen! Wir wollen lösen die mit List Erkauften, Zum Wirken rufen die mit Geist Getauften: Wir wollen retten die im Sumpf Verlornen, Zu Brüdern machen alle Gleichgebornen, Die Trägheit heben aus den weichen Sesseln, Den Menschen in der „Bestie" „entfesseln"! VS (1870) 22, S. 4
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M. K-l.
Zeitungsschreiber Fünfmalhunderttausend Lumpen Wohnten in dem großen Reich, Aber ach, die armen Lumpen Hatten keinen Nahrungszweig. Sprach ein Staatsmann zu den Lumpen: „Euer Schicksal tut mir leid, Meinen Beistand sollt ihr haben, Seid ihr mir zum Dienst bereit. Ihr braucht nicht zum Kampf zu ziehen, Laßt die Waffen nur in Ruh, Einer Feder bloß bedarf es Und ein Tintenfaß dazu. Ich plaziere in der Presse Unsres Vaterlandes euch, Und dann müßt ihr klug belügen Alles Volk im großen Reich. Ohne eigene Gedanken Folget meinem Wink getreu, Lobet alles, was ich tue, Sei es immer, was es sei." Kaum vernahmen dies die Lumpen, Schrieen alle herzlich froh: „Du kannst dich auf uns verlassen, Wir sind Lumpen comme il faut!" Bald fand man nur Blut und Eisen In der ganzen Litratur, Alles Lob und alle Ehre Galt dem „großen Staatsmann" nur. Und an weißgedeckten Tafeln, Nobel in Glaces und Frack, 28
Sitzt bei Austern und Champagner Unser großes Lumpenpack. Beim Verlangen nach Toasten, Da erhebt der Eine sich, Und er spricht mit ernster Stimme: „Meine Brüder, höret mich. Wir sind alle echte Lumpen, Doch ein Höhrer waltet noch: Der uns hat so gut plazieret, Dieser Hohe lebe hoch!" VS (1872) 47, S. 1
Das „gemütliche" Sachsen Daß Sachsen ist ein sehr gemütliches Land, Das läßt sich gewiß nicht bestreiten; Der Stieber hat dort auch im Spiele die Hand Und zieht immer strammer die Saiten. Wird einer verurteilt, dieweil er das Recht, Die Freiheit und Wahrheit tät loben, Ist er im Gefängnis zu Zwickau nicht schlecht Im Züchtlingsgewand aufgehoben. Man schert ihm den Kopf und schert ihm den Bart Und gibt ihm vortreffliche Speise, Damit er sich seine Gesundheit bewahrt Und lang noch das Sachsenland preise. Dann zieht man ihn tüchtig zur Arbeit heran, Denn Streiks werden dort nicht gelitten, Es tut die Regierung, so viel sie nur kann, Um stets zu veredeln die Sitten. O liebliches Sachsen, wenn länger du noch Wirst in dieser Weise florieren, Dann freun dort am Ende die Leute sich doch, Wenn dich wird der Preuß annektieren! VS (1873) 19, Beilage
Die nächtliche Heerschau
Nachts um die zwölfte Stunde Steigt Robert Blum aus dem Grab Er macht im Reichstag die Runde, Geht sinnend auf und ab. Erwacht vom ewigen Schlafe, Hört er, daß lang und breit Man über die Todesstrafe Geraten ist in Streit. Frisch blutet die Todeswunde; Er hält in knöcherner Hand Die Kugel, die vor Jahren Ihn streckte in den Sand. Abwechselnd hört er stimmen Mit „Ja" und auch mit „Nein" — Jetzt muß von gleicher Höhe Die Zahl der Stimmen sein. Und unsichtbar noch immer Wandelt der Tote umher, Und mustert der Freiheitsfreunde So arg geschmolzenes Heer. Nun hebt sich sein Hans vom Stuhle — Des Vaters Geist ist nah, — Und sagt mit lauter Stimme Zur Todesstrafe „Ja!" Da wanken die alten Knochen, Der Tote seufzend ruft: „Auch Du, mein Sohn, mein Brutus — Pfui! Pfui!" und flieht zur Gruft. Im hohen Reichstagssaale War das die nächtliche Schau, Die abgehalten der Tote Aus der Brigittenau. 30
Als später man geöffnet Des Grabes Heiligtum, Lag umgekehrt darinnen Der tote Robert Blum. VS (1874) 129, S. 1
August
Geib
Untertan
Ein Untertan ist ein Trabant Der großen Herrschersonne, Und hat als solcher nie gekannt Der Freiheit süße Wonne, Ein Untertan, versteht mich recht, Zu deutsch, ist weiter nichts als Knecht! VSE (1874) 53, S. 4
Fritz
Glogauer
Sie dürfen sichs erlauben!
Unsre Nachbarn überm Rheine Sinken fast von Jahr zu Jahr, Ihr Verstand ersäuft im Weine, Unzucht bleicht schon früh ihr Haar. Und ihr Schwelgen und ihr Prassen Macht sich breit auf allen Gassen. — So, wenn der Presse man will glauben — Denn diese sagts und darf sich das erlauben.
Wir dagegen treu und bieder, Wir, das ganze deutsche Reich, Singen patriotsche Lieder, Gleichen unsrer „deutschen Eich"; Sind das große Volk der Denker, Auserwählt als Weltenlenker. — So, wenn der Presse man will glauben — Denn diese sagts und darf sich das erlauben. Ja, wir sind ein Staat des Rechtes, Wir, das „fromme" deutsche Reich, Die Person des Herrn, des Knechtes Gilt vor dem Gesetze gleich. Freilich darf es niemand wagen, Seine Meinung frei zu sagen, Soll man der Freiheit ihn nicht bald berauben — Das nennt man „Recht" und darf sich das erlauben! Doch erscheinen unsre Strafen Alle ihm noch zu gering; Edle, Räte, Fürsten, Grafen, Nun, die kümmert nicht das Ding. Schlägts der Gründer-Wagener vor, Leiht ihm Bismarck gern sein Ohr. Dem saubren Wagener? Sollte man das glauben?! Der Bismarck, ja, der kann sich das erlauben. VSE (1875) 42, S. 4
August
Geib
Die Weisen „Allzeit hats Arm und Reich gegeben, Und so wird es auch ewig bleiben",' Ins Stammbuch dies dem armen Manne Jetzt viele weise Männer schreiben. Ich aber, obwohl nie ein Weiser, Seh es auf Erden anders kommen; 32
Was einst der Menschheit in der Jugend, Kann sicher ihr als Mann nicht frommen. Bemüht nach langer Wüstenwandrung Den alten Sünden zu entsagen, Strebt sie mit allgewaltgem Drange, Was sie noch fesselt, zu zerschlagen. An Jahren reif zum eignen Denken, Zeigt jenen Ärzten sie die Pforte, Die ihr statt Brot nur Steine bieten, Und statt der Taten nichts als Worte. Ein Mann — so wird sie endlich handeln, Nicht raufend sich die Zeit vertreiben, Und lächelnd wird sie manchem Weisen Ins Stammbuch ein „Entlassen" schreiben. VSE (1874) 48, S. 4
August
Geib
Der Kapitalismus Keine Schwielen in der Hand, Oft im Kopf nicht viel Verstand Und doch ist er Herr im Land. Gut. Im alten Testament Heißts schon : Alles nimmt ein End — Und auch er wird — insolvent ! VSE (1874) 48, S. 4
Von der landwirtschaftlichen Ausstellung in Bremen
Der Landwirtschaft in Bremen hat Ein Diplomat präsidieret, 5
Weisbach, Volksstaat
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Und die Feldherrn des Reiches haben beim Mahl Das große Wort geführet. Das ist ganz recht: die Steuern muß So Bürger wie Bauer bezahlen, Damit mit dem Zwei-Millionen-Heer Das deutsche Reich kann prahlen. Auf allen Gefilden wächst das Heu Und Hafer in langen Ähren, Mit denen die ganze Reiterei Kann ihre Rosse nähren. In allen Ställen steht Ochs und Schaf, Das Heer kriegt Fleisch von beiden, Aus ihren Fellen kann man getrost Die nötigen Stiefel schneiden. Die Felsen, die romantisch zur Zier Gereichen den ländlichen Fernen, Die Eichen und Buchen im weiten Wald, Wie gibt das schöne Kasernen! Von Pflug und Egge läßt der Staat Die Bauernbuben führen, Auf daß sie fleißig Schildwach stehn Und stramm im Stechschritt marschieren. Und kommt einmal einer als Krüppel zurück, Durch Gottes gnädiges Walten, So fällt er den Bauern wieder zu, Die müssen ihn erhalten. Drum hat in Bremen mit vielem Recht Ein Diplomat präsidieret Und die Feldherrn des Reichs bei der Landwirtschaft Das große Wort geführet. VSE (1874) 31, S. 4
Sozialistengebet Was Gott tut, das ist wohlgetan! Nur scheint er nichts zu tuen, 34
Und seit dem ersten Schöpfungsplan Gemütlich auszuruhen. Drum beten wir auch für und für Trotz Micheln und trotz Matzen: „Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen!" Das große Heer der schwarzen Brut, Die Gottesstellvertreter, Erheben drum in grimmer Wut Ein Höllenmordgezeter. Schreit nur! von uns erhaltet ihr Nicht einen roten Batzen: „Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen!" Es hat die Wissenschaft mit Macht Das Himmelreich entgöttert, Und eures Glaubens blinden Schacht Ein Donnerschlag zerschmettert. Wahrheit heißt unser Kampfpanier Und nicht ein töricht Schwatzen: „Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen." Wir Armen, die mit Blut und Schweiß Die Pfaffen einst gefüttert, Ihr macht uns nicht die Hölle heiß, Vor der kein Weiser zittert. Kommt ihr, wir weisen euch die Tür, Mögt ihr vor Ärger platzen: „Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen." VSE (1874) 6, S. 4
Ch. R. Ein Ständchen Schön ist die Freiheit, Die Demokratie,
Und schön ist der Fortschritt, Der stehen bleibt nie. Aber schöner als alles Und mehr noch dazu: Libralismus, Libralismus, Libralismus bist du! Schön ists, wenn die Presse Vom Stempel befreit, Und nicht korrumpiert wird Von höherer Seit. Aber schöner als alles Und mehr noch dazu: Du Fonds der Reptilien Allein nur bist du! Schön ists, wenn die Kirche Getrennt von der Schul, Und die Jugend befreit ist Aus pfäffischem Pfuhl. Aber schöner als alles Und mehr noch dazu: O Kultusminister Von Preußen bist du! Schön ists, wenn der Reichsbot Bewilligen kann Die Summe, die man für Soldaten legt an. Aber schöner als alles Und mehr noch dazu: Pauschquantum, Pauschquantum, Pauschquantum bist du: Schön ists, wenn das Stimmrecht Direkt wird gewährt, Und wenn der Vertreter Diäten verzehrt. Aber schöner als alles Und mehr noch dazu: O Wille des Kanzlers, Du strenger, bist du! 36
Schön ist der Kulturkampf, Schön ist das Geschrei: Daß Pius der Neunte Unfehlbar nicht sei. Aber schöner als alles Und mehr noch dazu: Du großer, unfehlbarer Bismarck, bist du! Schön ist auch der Schwindel Der Bourgeoisie, Und schön sind die Gründer, Sie haben Genie. Aber schöner als alles Und mehr noch dazu: Nationalliberale Freiheit, bist du! VSE (1874) 5, S. 4
August
Geib
Der Kleinbürger
Nicht arm, nicht reich, so wurde er groß, Kaum ahnend sein hartes Erdenlos, Auf sonniger Halde ein fröhliches Kind — Genug, alltägliche Dinge das sind! Ein Mann jetzt, wankt er mit bleichem Gesicht, Die Schlange „Sorge" ins Herz ihn sticht, Sein harret zu Hause Weib und Kind — Die Menschen nicht alle glücklich sind! Er arbeitet früh, er arbeitet spät, Selbst sonntags er noch in der Werkstatt steht, Er nimmt zu Hilfe Weib und Kind — Nun wohl, wir alle Arbeiter sind! 37
Vergebens hascht er nach grünem Zweig Am Baum des Lebens, so blütenreich, Die Freude flieht ihn, flieht Weib und Kind — Wer weiß, ob sie ihrer würdig sind! Er ringt mit den Schulden, darin er steckt, Die ihn so oft schon im Traum geschreckt, Er wehrt sich verzweifelnd samt Weib und Kind — Schon gut, sie selbst sich das schuldig sind! Aufbäumt sich die Not mit Riesengewalt, Sie peitscht ohn Erbarmen ihn, morsch und alt, Hinein zur Fabrik mit Weib und Kind — Gott Lob, daß sie nicht verhungert sind! VSE (1875) 16, S. 4
August Geib
Zur Abwehr
Sie schelten uns die Gleichheitsmacher, Das ist doch zum Erbarmen! Ganz ihrem Rechtssinn ebenbürtig, Verderbt wie er, bejammernswürdig, Sie selbst die schlimmste Gleichheit fördern: Hier Reiche, dort die Armen! VSE (1875) 16, S. 4
August Geib Reptilien-Hymne Herbei, herbei, der Erbfeind droht, So rufen die Reptile; 38
Aus seinem Aug die Rache loht, Herbei zum letzten Aufgebot, Weh uns, wenn er nicht fiele. Wir wußten jüngst, kaum sinds vier Jahr, Ihn männlich zu bezwingen, Er hats gewollt — mit unsrer Schar War Sieg auf Sieg, und mehr noch war: War Elsaß und Lothringen! Nun macht man streitig, was uns ward Als Preis im Kampfgetümmel; Das ist der Chauvinisten Art, Wir schwören es bei unserm Bart Und bei dem deutschen Himmel! Der Feind nach Bundsgenossen sucht Und hat sie auch gefunden, Dort schmäht uns einer schon: „verflucht!" Hallo, auf ihn mit voller Wucht, Ihm Mund und Hand gebunden! Lang war der uns ein Freund, so gut, Wie selten noch auf Erden, Trank oft mit uns Rebellenblut, Doch jetzt sticht ihn der Übermut Und das muß anders werden! Was scheren uns die Pfaffen auch, Seit alles uns nachbetet? Der „Mauser" ist jetzt im Gebrauch, Der trifft ohn Segen, drum ein Gauch, Wer andre Weisheit knetet. Wir sind die Löwen unsrer Zeit, Wir wissens, wie zu brüllen, Wer mit uns ist: Auf, auf zum Streit! Wer nicht — nun wohl, der sei bereit Den Festungsraum zu füllen! Herbei, herbei, der Erbfeind droht, Hoch unsre Fahn „Reptile", Das Aug in Kampflust glühend loht, Herbei zum letzten Aufgebot, Zum lustgen Waffenspiele! VSE (1875) 15, S. 4
August Geib
Hinweis
Wollt ihr, das Volk soll häuslich sein, So nehmt ihm nicht den Herd, Wollt ihr, das Volk soll lernen viel, Ihm nicht das Essen wehrt — Wer frieren und wer hungern muß, Fühlt selten nur der Bildung Kuß! VSE (1875) 13, S. 4
August Geib
Der Arbeitsausschluß Was zögerst du, rüstiger Arbeitssohn — Ein wenig mehr Hunger, dann reicht der Lohn, Ein wenig mehr Hunger — bedenk, deine Herren Sind nahe daran, dich auszusperren. Du hast eine Frau, hast Tochter und Sohn, Die Kleinen sind sieben und neune schon, Spann sie in den Karren — bedenk, deine Herren Sind nahe daran, dich auszusperren. Wenn viele sich mühen, dann gibts auch Brot, Und Salz und Brot macht die Wangen rot, 's schmeckt bitter zwar, doch — bedenk, deine Herren Sind nahe daran, dich auszusperren. Du willst nicht, du rufst gar: „Es ist genug, Zerbrechen mag meines Leidens Krug!" O, daß du siegtest — ich kenn deine Herren, Sie haben beschlossen, dich auszusperren! VSE (1875) 12, S. 4
40
Johann Philipp Becker [Aus: „Neue Stunden der Andacht"] Und so war seit Adams Zeiten Immer der Geschichte Lauf, Große Diebe läßt man laufen Und die kleinen hängt man auf. Und auch niemals Kirschen esse, Mit gar feinen, hohen Herrn, Weil sie an den Kopf dir werfen Edler Freude Stiel und Kern. Und die Ruh, du mußt es wissen, Ist die erste Bürgerpflicht, Denn wo keine Ruhe waltet, Herrscht auch Gottes Ordnung nicht. Und wo Gottes Ordnung schwindet, Schwindet alles Menschenglück, Und als schrecklichster der Schrecken Kommt die rote Republik. Ach, die rote, welch ein Greuel, Die will machen alle gleich, Keine Fürsten, Herrn und Pfaffen Dulden mehr in ihrem Reich. Kennt nicht Klassen, kennt nicht Rassen Glaubt nur an ein Menschentum; Will für alle hier auf Erden Gründen ein Elysium. VSE (1875) 11, S. 4
K r u p p und Rothschild oder: Wer ist schwerer? Zur neuen Steuereinschätzung
Preisend mit viel schönen Reden Ihrer Millionen Zahl, Saßen Preußens Millionäre Auf der Steuerwaage mal. 41
Strausberg, Borsig und Graf Redern, Hansemann und Mendelssohn, Auch Bleichröder mit dem Kreuze, Der seitdem sich schreibt als „Von". Alle wurden voll befunden, Mark fungierten zentnerschwer, Doch der markigsten Heroen Traten schließlich zwei einher. Rothschild der vom blauen Maine, Der den Fürsten Vorschuß gibt, Und Herr Krupp, der dort in Essen Anders vorzuschießen übt. Und sie stiegen auf die Waage, Deren Balken krachte stark: Anselm schon wog zweiundzwanzig Millionen neuer Mark! Aber Krupp, der kugelrunde, Lachte und sprach: Das ist Quark, Setzte sich und, seht, wog hundert Millionen neuer Mark! Und entzückt ruft Borsig, Strousberg, Hansemann und der vom Main: Vivat Krupp — Kanonengießen Bringt noch mehr wie Gründen ein! VSE (1875) 11, S. 4
B. . .
Wer ist der Feind?
Von Ost und West, von Süd und Nord, Von nah und fern an jedem Ort Wo Menschen wohnen weit und breit Erschallt der Ruf der neuen Zeit: 42
„Erwacht ihr Völker, seid bereit, Bewehrt zum großen heiigen Streit Es gilt im Geisteskampfe heiß Zu ringen um den höchsten Preis. Ihr Völker auf dem Erdenrund Gebt euch die Hand zum Bruderbund, Es gilt die Arbeit zu befrein, Sie soll nicht länger Sklavin sein. Für euch gibts keinen Erbfeind mehr, Euch trennt kein Strom, kein Berg, kein Meer. Es hat den rechten Feind erkannt Ein jedes Volk im eignen Land. Er ists, der euer Blut verspritzt, Zum Brudermorden euch benützt, Für den ihr hungert und entbehrt, Den ihr noch kleidet und ernährt. Der euch den Schatz der Wissenschaft Verschließt, der eure Geisteskraft Gelähmt; mit fadem Pfaffenkram Euch Lüge gab und Wahrheit nahm. Er ists, der euch mit List und Trug Geknechtet und in Banden schlug; Der eure Besten jederzeit Mit kaltem Blut dem Tod geweiht. Er ists, der Blei für Brot euch reicht, Der eurer Kinder Wangen bleicht, Der schwelgt und praßt im Überfluß. Dies ist der Feind, der fallen muß. Ein jeder, der den Ruf gehört Zu unsrer Fahne freudig schwört, Und wanket nicht, bis wir gesiegt, Bis daß der Feind am Boden liegt. VSE (1875) 30, S. 4 43
Steuerprojekte
Und wieder einmal braucht das Reich Mehr Geld — an die dreißig Millionen; Wofür? fragt nicht so lange: für Soldaten und Kanonen. Das Geld muß her; es treibt nicht Spaß Der Kriegsminister Kamecke! Drum mag der Reichstag zusehn, daß Er neue Steuern entdecke. Ihr denkt an das Petroleum? Das Licht wollt ihr besteuern? Ihr wollt dem deutschen Volk das Sehn Verleiden und verteuern? Ach Gott, in Deutschland gehört das Licht Schon zu den seltenen Dingen; Das Sehen ist nicht weit her, es wird Die Steuer nicht viel bringen. Besteuert lieber — das ist eine Zahl — Die Spitzel und Denunzianten, Die Strafanträge, ein ganzer Berg, Und Haftbefehle — Folianten! Besteuert den Reichsfeind! Der Reichsfreund hörts Gewiß mit freudigem Brummen; Reichsfeindlich ist fast schon das ganze Reich, Das gibt gewaltige Summen! Besteuert Wagen und Chaise und Pferd, Das Fuhrwerk in allen Landen, Und jeden, der zu Fuße geht, Bestraft als Defraudanten! Besteuert die Dummheit, das gibt ein Geld! Ihr könnts nicht unterbringen — Besteuert den alten Schlendrian! Hui, wird das Geld erklingen! 44
Doch wollt ihr gehn recht fein zu Werk Und finden große Bereitheit, Legt Zins und Zoll auf den deutschen Verstand, Besteuert die deutsche Gescheitheit! Dann werden die Deutschen, Mann bei Mann, Sich drängen an allen Kassen; Ein jeder bezahlt den höchsten Satz Und keiner die niedersten Klassen! Dann kann der Deutsche — o Glück und Stolz! — Mit Recht gescheit sich heißen: Er kann, daß er kein Esel sei, Mit dem Steuerzettel beweisen! VSE (1875) 37, S. 4
National-liberale Hymne Kennst du das Land, wo üppge Steuern blühn, Im dürren Sand die Heidenröslein glühn, Berliner Wind aus allen Toren weht, Die Mühle still und hoch der Junker steht: Kennst du es wohl? Dahin, dahin, Schwarzweißer Freund, o laß mich mit dir ziehn. Kennst du das Haus mit dem Kasernendach? Von Tabaksqualm ist dunkel das Gemach, Und Korporale stehn und sehn dich an: Was hat man, armes Stimmvieh, dir getan? Kennst du es wohl? Dahin, dahin Treibts mich mit Macht, mit dir, o Freund, zu ziehn. Kennst du das Land, wohin auf sandgem Steg Findt unser Geld im Nebel seinen Weg, Der Salz- und Tabaksteuer goldne Flut Kommt in der Pickelhaube sichre Hut: Kennst du es wohl? Dahin, dahin, Ich halts nicht aus, muß taumelnd mit dir ziehn. VS (1871) 11, S. 4
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[Parodie]
Wer schafft das Gold zu Tage? Wer hämmert Erz und Stein? Wer webet Tuch und Seide? Wer bauet Korn und Wein? Wer gibt dem Arbeiter das Brot? Und hat dabei selbst bittre Not? Das sind die braven, biedren, die Herrn des Kapitals . . . Wer plagt vom frühen Morgen Sich bis zur späten Nacht? Wer schafft für andre Schätze, Bequemlichkeit und Pracht? Wer treibt allein das Weltenrad, Ohn daß er einen Vorteil hat? Das sind die braven, biedren, die Herrn des Kapitals . . . Wer bracht die alte Knechtschaft Des Volks zu ihrem End, Gleichviel, ob ihm geschädigt Werd seine Dividend. O Volk, erkenns zu jeder Zeit, Und widme deine Dankbarkeit Den gar zu braven, biedren, den Herrn des Kapitals . . . Raff deine Kraft zusammen, O Volk, und stimm mit ein, Daß, wo die Herren herrschen, Das Volk muß glücklich sein. Die Sozialisten bringt zu Fall, Denn sie sind meistens ein Skandal Für all die braven, biedren, die Herrn des Kapitals . . . Voll Dankgefühles werde Dein Leben lang beherzt, Selbst wenn im hohen Alter Du auch wirst ausgemerzt, Es lebt der Mensch nicht bloß von Brot, Drum rufe selbst in Hungers Not Ein Hoch den braven, biedren, den Herrn des Kapitals . . . VS (1873) 94, S. 2
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w. Unserm alten Fritz Reuig, Vater, kriechen wir zu Kreuze, Gern entsagend aller Lebensreize Die Fortunas Füllhorn uns beschert. Kurze Arbeitszeit und hohe Löhne, Koalitionsfreiheit und andres Schöne — Sind, o lieber Vater, wir nicht wert! Wir erkennen deines Zornes Deutung: Unser Hochmut wird jetzt von Bedeutung, Denn der Sozialismus bricht sich Bahn. Und doch lehrt uns Dr. Hermann Becker, Mit ihm Kinkel, Schurz und Friedrich Hecker „Sozialismus ist ein eitler Wahn!" Lieber Vater, wir sind die Betörten, Da wir jene Männer nicht mehr hörten Die ob unsres Wohls so oftmals voll! O, sei gnädig du für unsre Sünden. Nimm die Koalition, und du wirst finden, Daß die Zukunft besser werden soll! Unsre Sittlichkeit ist zwar gesunken, Aber, Vater, noch ein Hoffnungsfunken Läßt uns fest auf bessre Zeiten baun. Pückler-Muskaus tugendvolles Leben — Wird ein würdevolles Vorbild geben, Dieser große Freund der schönen Fraun! Auch den deutschen Rechtssinn wolln wir pflegen, Nimmer weichen mehr „von Rechtes Wegen", Unser Wandel sei stets recht und rein. Nur von Aufseß wollen wir nichts wissen, Binding aber Stirn und Stiefel küssen, Von der Golz ein volles Gläschen weihn! Unsre Ehrlichkeit hat viele Mängel, Drum erteilen uns die Börsenengel Durch „Erzengel" Wagener Unterricht,
Wie man bei der Börse goldnem „Krachen", Aktienputschen und noch andern Sachen, Ehrlich handelt, richtig denkt und spricht! Und der lieben deutschen Wahrheit wollen Wir auch stets die höchste Achtung zollen, Sie zu lieben soll uns Ehre sein. Ja, wir pilgern gleich den Preß-Familien — Frommen Sinns zur Quelle St. Reptilien, Wollen auch der Themis Opfer weihn! Sparen wollen wir und streng entsagen, Was nicht paßt für unsern üppgen Magen, Und was unnütz ist, uns streng entziehn. Kein Champagner mehr und Zigaretten — Ferner nicht in seidnen Himmelbetten — Wir logieren nur bei Mutter Grün! Also, Vater, wolln wir künftig handeln, Treu die vorgeschriebnen Wege wandeln, Nur sei gnädig du in deinem Zorn, Wenn auch künftig wieder viele Bösen Reden halten und den „Volksstaat" lesen, Dann — verschütte deines Wissens Born! VS (1873) 70, S. 3
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IV. Gedichte über die Pariser K o m m u n e
August Geib 1871
Zertrümmert liegt der erste Bau, Den unsre Freunde kühn errichtet, Noch war der Frühling allzu rauh Und hat die junge Saat vernichtet, Die junge Saat Zum freien Staat, Zu Ehr und Ruhm Dem Menschentum, Zum gleichen Recht für alle! Ein Kampf war es wie nie vorher, Sein oder Nichtsein klang die Frage, Hier fiel das Vorrecht, liebeleer, Die neue Zeit dort in die Waage, Die neue Zeit, Die uns befreit Von Druck und Last, Die sonder Rast Will gleiches Recht für alle! Der Knechtschaft Schergen siegten ob, Sie wälzen sich im Blut der Roten, Und so wie sie der blaue Mob Zur Rache rufen drum die Toten! Zur Rache? Nein! Zum Sieg allein! Trotz Feindes Wut Mit heiiger Glut Zum gleichen-Recht für alle! Ein andrer Frühling kommt wohl bald, Um allem Schlaf ein End zu machen, 6
Weisbach, Volksstaat
Dann wird, ein Phönix an Gestalt, Aus seinem Traum das Volk erwachen, Aus seinem Traum, Gibt weiten Raum Der Weisheit Rat, Dem freien Staat, Dem gleichen Recht für alle! VS (1871) 49, S. 1
K.
Die Kommune Großartig war es, wie zum Kampf das Volk die rote Fahne trug, Und wie es sank und über ihm ein Flammenmeer zusammenschlug. Ein stolzer Scheiterhaufen wars bei diesem stolzen Untergang; Hei! was im Fall die Rebellion sich eine Leichenfackel schwang! Es strahlte mächtig dieses Licht — ein Schreck den Schurken durch die Welt, Es hat — ein Trost in düstrer Nacht — wohl manches trübe Herz erhellt. Wenn so die Kämpfer untergehn, ists Niederlage nicht, ists Sieg, Es ist das Ende nicht des Kampfs, nur erste Schlacht im großen Krieg. Es wird kein Ende, — zittert nur! ihr Mörder wißt es selber gut! Bevor nicht euer Dolch verspritzt des letzten freien Mannes Blut. Lautdonnernd von der Alpenwand stürzt die Lawine in das Tal. Doch an dem Schutzwall bricht sie sich, und sie zerstiebt mit einem Mal; Allein von Fels zu Fels erdröhnt stets mächtiger der Widerhall; Entfesselt wälzen sich heran Lawinen von den Bergen all. Da kann kein Wall mehr widerstehn, es dämmt kein Damm sie ein, o glaubt! Die Rebellion naht wie der Sturm, schüttelt ihr blutges Lockenhaupt; 50
Ha! Blitz und Donner, Krach auf Krach! in ihren Fugen bebt die Welt, Daß Pfaffentum und Junkertum und Protzentum in Trümmer fällt. VS (1871) 69, S. 1
August Geib
Der Tod des Rebellen
Der Morgen graut — mit bangem Zögern Senkt sich der junge Tag herab, Ob er wohl ahnt, daß heut die Sonne Bescheinen wird manch frisches Grab? Ob er von seiner düstern Schwester, Der Nacht, erfahren, was sie sah, Erfahren, daß das Herz der Erde, Paris, fast dem Verbluten nah? Wohl muß es sein, denn tief in Falten Die sonst so heitre Stirn er legt: „Paris verbluten, welch ein Grauen, Wer ists, der ihm die Wunden schlägt?" So fragt er noch die Nacht, die düstre, Dann ruft er selbst sich Antwort zu: „Sie betten heut den Sohn der Arbeit, Sein Glück, sein Recht zu ewgen Ruh. Ja, höhnend wird es heut begraben, Wonach gestrebt der Arbeit Sohn. Heut wird erdrosselt die Kommune, Ha, unterm Galgen steht sie schon! Horch, nur ein Ächzen noch und Stöhnen, Ein wilder Fluch, ein Todesschrei — Die Henker jauchzen Siegeshymnen — O wärs doch Nacht, o wärs vorbei!" 6*
51
So spricht der junge Tag des Maien, Dann zieht er sinnend seine Bahn, Indes dort an der Seine Strande Dem Morden Einhalt nicht getan; Der Chassepot wütet ohn Erbarmen, Und knatternd tönt sein grauser Sang: „Freut euch, ihr Herren Kommunisten, Kopf hoch, ich prozessier nicht lang!" Sie, die gekämpft für ihre Ziele, Der Freiheit und der Arbeit Heim, Sie, die mit ihrem Herzblut tränkten Der bessern Zukunft Lebenskeim, Vieltausend nun gefangen schreiten In Fesseln sie zum Richtplatz hin, Wo bald, verhüllend ihre Leiber, Die grauen Pulverdämpfe ziehn. Jetzt kommt auch dort die breite Gasse Gemessnen Schritts ein Trupp herauf, Und Todeskandidaten sind es, Bald stehn sie vor der Flinte Lauf; Ob jung, ob alt, 's gibt keine Gnade, Sie flehn auch nicht, trotz aller Not, Sie wissen, daß die Ordnungsschergen Sich letzen gern am Blute, rot! Da plötzlich, als zum Aufmarschieren Der Todesreihn schon kommandiert, Schallt eine Stimme herzzerreißend: „Weh, weh, nun wird er füsiliert!" Und aus des nächsten Hauses Pforte Stürzt flugs ein junges Weib hervor, Ein blasses Weib, auf schwachen Händen Hält zitternd es sein Kind empor. „Sieh dort den Vater! Ach, zum Sterben, Zum Sterben ruft der Offizier, Das kann nicht sein, komm Herz und eile, Den Vater rette du mit mir! Hier, sieh den Vater, hier, o sag ihm, Schnell mög er mit uns heimwärts gehn!" Da droht des Kommandanten Stimme: „Hinweg, sonst ists um euch geschehn!" 52
„Nein, nein, ich will und kann nicht lassen Von ihm, der Böses nie getan", So ruft das Weib in treuer Liebe Und bricht sich zu dem Gatten Bahn, Dann folgt ein innges Herzen, Küssen — Sie hebt das Kind auf seinen Arm — Ein Traum des Glücks, aus dem erwachen Sie nimmer sollt zu neuem Harm. Die Salve kracht — es liegt getötet Das treue Weib in seinem Blut, Der Gatte auch, er liegt im Sterben, Der Schergen Kugeln trafen gut! Nur einen haben sie verschonet — 's ist des Rebellen junger Sohn — O, wenn der einstens groß geworden, Dann zahlt er dafür gern den Lohn! Ein schrecklich Bild dem Blick sich zeiget, Ob es wohl je gen Rache feit? Der Sieger mag dies selbst entscheiden, Er, der sich ganz der Rache weiht, Er, der noch heut die besten Männer In Fesseln schleppt zum Richtplatz hin. Wo über die erschossnen Leiber Nun graue Pulverdämpfe ziehn. VSE (1874) 49, S. 3 f.
Das Volk von Paris Im eignen Blute lag das Volk besiegt, geknechtet fürchterlich, Allein schon wieder regt voll Kraft der tausendarmige Riese sich. Wohl sind ihm Arme abgehaun, und Arme trägt er kettenschwer, Doch zagend senkt vor ihm den Blick der Unterdrücker mächtig Heer. Ja, gebt nur acht! Es wachsen schnell dem Riesen neue Arme nach. Ein Ruck, ein Stoß. Die Erde dröhnt. Zerborsten fallt der Ketten Schmach. 53
So steht er plötzlich neuverjüngt, schlagfertig wieder auf dem Plan. Dann bebet ihr. Dann zittert ihr. Dann bricht der Tag der Rache an. Da wird vor seiner Schläge Wucht wie Spreu zerstieben eure Macht. Es weicht die Nacht. Die Sonne siegt. Wir schlagen unsre letzte Schlacht. Wir schlagen unsre letzte Schlacht, die große Schlacht; der Würfel "fällt. Es siegt das Volk. Die Freiheit siegt. In Trümmer stürzt die alte Welt. VS (1872) 34, S. 2
G. . .
Zur Erinnerung an die Pariser Kommune
Herbei, ihr kräftgen Arbeitsmannen, Das Herz in Glut, die Augen hell, Am Tag der Mahnung den Tyrannen, Heut rufts uns alle zum Appell. Heut soll ein Lied die Welt durchklingen Den Opfern, die an Wunden reich Gefallen sind, so ernst und bleich, Für Volkes Recht im blutgen Ringen. Wohlan denn, Mann für Mann, stimmt ein, zum Schwur die Hand: Die Arbeit hoch Zerbrecht das Joch, So töns von Land zu Land! Ja, lang schon hat das Volk ertragen Der Knechtschaft Joch, so hart und schwer, Als ob das Maß all seiner Klagen Nicht voll zum Überlaufen wär. Doch nein, als unsre Brüder litten, Als sie im Übermaß bedrückt, Kühn haben sie das Schwert gezückt Und kühn bis in den Tod gestritten. Wohlan denn, Mann für Mann. . . 54
Nicht Herren mehr und nicht mehr Sklaven, Der Arbeit Frucht dem Arbeitsmann, — So war die Losung jener Braven, So strebten sie zum Ziel hinan; Und als sie sich gleich Helden schlugen, Durchzuckt ein freudger Hoffnungsstrahl Die Armen, die in Not und Qual Vergebens nach Erlösung rufen! Wohlan denn, Mann für Mann. . . Doch: fiel der Sieg an jenem Tage, Als für das Volk der Kampf erwacht, Dem Feind auch zu, drum keiner zage, Hoch geh der Pulsschlag eurer Macht! Verbrüdert steht in Süd und Norden, Ob Deutschland euer Heimatland, Ob fern ihm eure Wiege stand! Der Menschheit gilts an allen Orten! Wohlan denn, Mann für Mann. . . Und soll dereinstens neu erschallen Der Weckerruf, und muß es sein, So mag der ehrne Würfel fallen, Die Welt vom Unrecht zu befrein. Nicht Klassenhaß wird dann noch trennen Die Menschen, nein, zum Völkerbund, Der Recht und Pflicht macht allen kund, Ein jeder freudig sich bekennen. Wohlan denn, Mann für M a n n . . . VS (1873) 30, S. 1
Max
Vogler
Auch ein Bild aus dem Paris von Einundsiebzig Die Stadt der Freude und des heitern Lebens, Paris war wieder einmal wie schon oft Der Schauplatz worden einer wilden Szene
Des großen lustig-ernsten Dramas, das Wir dummen Menschen „Weltgeschichte" nennen. In Trümmer stürzten prächtige Paläste, Die Straßen rauchten, — nicht allein vom Dampf Der Häuserbrände und der Feuerschlünde, Die immer „praktischer" zum Menschenmord Zu machen unsre „vorgeschrittne" Zeit Bestrebt ist, und daß sies erreicht, zum Ruhm Sich rechnet — nicht allein von diesem Rauch. Die Straßen dampfen : — Menschenleiber decken Die Erde, Leiber, die der Tod genommen Und nehmen will, ihr strömend Blut ists, das Zum Himmel aufraucht, — furchtbar grauses Opfer, Dem unbarmherzgen Gott vom Wahn der Menschen; Der armen Menschen, dargebracht. Und nicht Allein der Donner der Kanonen brüllt, Nicht Flintenknall klingt nur durch diese Straßen, Nicht Trommelwirbel nur und Kriegsgeschrei, — Nein, schreckenvoller ist das Wimmern, Stöhnen, Das Weinen, Klagen, Jammern armer Menschen, Die mit dem Tod und mit dem Hunger ringen. Mit schmerzverzerrten, bleichen Zügen irrt In Lumpen eingehüllet da ein Trupp Und dort, — und dort noch einer Haus zu Haus. Um dürftge Speise fleht das Kind die Mutter, Derweil der Vater vor den Feuerschlund Gestellt, den letzten Blick der Gattin sendet. Da sollen Weiber nicht „Hyänen werden"! Die Mutter reißt das Kind wild an die Brust, Fort stürmt sie in den grausen Kampfesreigen. Sie hat den letzten Blick des Gatten wohl Verstanden: Rächen will sie ihn und fest Im Kampfe stehn für eine heiige Sache! Für eine heiige Sache!? — Wohl, so meint sie! Denn nimmer je schwillt sonst ein Frauenherz Begeisterungsvoll so hoch empor! — Sie meint so! Doch leider sind nicht alle ihrer Meinung, — Und wer Gewalt am meisten hat, wird Sieger: So wars, so ists, so bleibts auf dieser Erde. Und darum haben andre auch das „Recht", Die Menge wundenreicher Männer dort Zum Platz zu treiben, wo die Feuerrohre 56
Schon gierig ihrer Beute harren, wo „Mit Recht" man „kurz" nur die „Prozesse" macht. Die Männer stehn und starren finstern Blicks Auf die Kanonen ihnen gegenüber: O wahrlich, diesen müdgehetzten Menschen Ist mehr nichts als ein schneller Tod zu wünschen! Ein Jüngling steht auch mit bei dieser Gruppe, Die nach Minuten nun den harten Gruß Der Kugeln fühlen soll, ein Jüngling, schön Und kräftig wie ein Jüngling nur von Rom Und Hellas je kann schön gewesen sein. In seinem Antlitz, schwarz vom Pulverdampf, Zuckt auch nicht eine Fiber, freien Blicks Schaut von der Erde er zum Himmel auf. Zum Schluß das Zeichen will man eben geben, — Da fahrt empor der Jüngling, der noch immer Zum Himmel ohne Regung aufgeblickt. „O habt Erbarmen!" — ruft er herzzerreißend — „Nur einen Augenblick noch! Meine Mutter, Sie wohnt in diesem Hause da und nagt Vielleicht am Hungertuche auch! Ich bin Ihr einzger Sohn! Noch eine Uhr hab ich, — Die will ich schnell ihr bringen! O erlaubt!" Der Kommandant, der auch ein menschlich Rühren Einmal in seinem Busen fühlen mag, Er ruft: „Laßt ihn gewähren!" — Wars ja leicht, Den Armen gehn zu lassen, wenn er sich Selbst durch die Flucht dem Tod entziehen sollte, — Man hat der armen Opfer ja genug! — Doch kaum soviel, als Zeit war, das zu denken, Ist mit der Stunden Hast entflohn, — da kommt Der Jüngling, welcher eiligst fortgejagt, Auch schon zurück: Er gab die Uhr der Mutter. „Ich bin bereit zu sterben!" — ruft er laut, Und auf das Zeichen brüllen die Geschütze, Und Männerleichen stürzen in den Sand. — Mich aber rührte, als von diesem Edlen, Von diesem Edlen unter denen, die „Mordbrenner" man geheißen, während doch Die Lumpe anderwärts nicht selten sind, — Mich rührte, als von diesem edlen Jüngling Die Kunde ich vernahm, sein gramvoll Schicksal, 57
Sein männerwürdges Tun, und damit andre Ein Beispiel sich an diesem Braven nehmen, Darum erzählt ich weiter jene Kunde. — VSE (1874) 56, S. 4
Der Krakeeler Hymnus
Ich bin ein echter Kommunist, Betracht die ganze Welt als Mist; Die Menschen hass ich alle, ha! Vom Kaiser bis zum Bourgeois. — Hoch lebe die Kommune! Fort Ehe, Heer, Gelahrtheit, Kunst, Religion und andrer Dunst! Die Fenster werfet alle ein, Denkmäler hauet kurz und klein, Hoch lebe die Kommune! Doch rührt nie 'ne Arbeit an, Es streike, wer da streiken kann. Faulenzen nur ist genial Und wirklich „international". Es lebe die Kommune! Sorgt stets, daß eure Becher voll Und zechet bis ihr voll und toll! Der schönste Zustand bleibt — schramm schrumm, Ja immer das Delirium! — Es lebe die Kommune! Und seid ihr endlich lahm und krumm, So greift nach dem Petroleum! Nehmt einen Fidibus zur Hand Und steckt die lausge Welt in Brand, Dann jauchzet die Kommune! VS (1873) 20, S. 3
58
V. Parteileben im Gedicht. Polemiken und Parodien
G...
Lied der Internationalen
Zum Bund, den keine Macht kann sprengen, Sei sie auch noch so hoch gestellt, Laßt nun in feurigen Gesängen Aufrufen uns die ganze Welt. Die ganze Welt, hurrah, erwache, Was selbstbewußt sich drängt und regt, Was stolz das Menschenantlitz trägt, Auf, auf, zur großen Völkersache! Die Arbeit ists, die diesem Bunde Verleiht sonst nie geahnte Kraft, Sie, die auf unserm Erdenrunde Allein nur alle Werte schafft; Mit ihren Söhnen, ihren Helden Tritt sie nun auf und ruft: ich bin Allein nur eure Königin, Geht, allen Völkern es zu melden! Ein neues Recht der Menschen bring ich, Mein Recht, das alle glücklich macht, Drum zürnend mit dem Vorrecht ring ich, Horcht, wies in seinen Fugen kracht! Die Freiheit steht mit mir zusammen, Sie, die wir sonst von fern nur sahn, Und Liebe ebnet mir die Bahn, Entzündend der Begeistrung Flammen. Die Welt zu wecken, komm ich heute, Die taube Welt, ein schweres Mühn, Die Glocken drum zum Sturmgeläute Muß ich auf allen Türmen ziehn;
Und immer neue Jünger werben Will ich, mein Banner hoch entrollt, Ihr, Unterdrücker, habts gewollt, So sei es: Siegen oder sterben! Wohlan, wir haben es vernommen Und unser Bund ist Antwort jetzt, Den Feinden sein solls nimmer frommen, Ob sie ihn noch so sehr gehetzt; Ihn schlägt man nicht im Waffentanze, Nicht im Gericht, vorm Standrecht nicht, Ein Höhrer einst ihms Urteil spricht: Der Arbeit Volk im Siegeskranze! VS (1873) 56, S. 4
Johann Philipp Becker
Ein Gedankenflug (von 1859)
Gottlos und spottlos
Von Stern zu Sternen flieg ich in Gedanken, Vom Licht zum Lichte mich emporzuschwingen; Der Geist ist frei von allen Erdenschranken, Der Leib allein muß mit der Scholle ringen. Und ob ich rastlos weit und weiter dringe, In Blitzeseile durch den Äther streiche, Erspäh ich nirgends, daß im Ring der Ringe Sich da ein Anfang, dort ein Ende zeige. Wo jeder Punkt ein Punkt des Weltalls Mitte, Wo jede Welt ein Bruchstück und ein Ganzes, Wo Altes sich verjüngt bei jedem Schritte, Wo jeder Kranz die Blume eines Kranzes. 60
Ja, wo in endlos lichterfüllter Halle Wie Bienenschwärme dicht die Welten wogen, Wo Groß und Kleinem in dem weiten Alle Gewicht wie Licht und Wärme zugewogen. Und, wenn herab ich auf die Erde schaue, Sie wie ein Körnlein seh im großen Ganzen, Ich dennoch mich an ihrer Kraft erbaue, Mein winzig Ich in Liebe fortzupflanzen. Verschwimmen will ich in dem Meer der Sonnen, Vom All umschlungen, alles Sein umschließen, Des Himmels Freuden und der Erde Wonnen Nur in und durch Natur allein genießen. Ja, nur im Schöpfungskampf ist wahrer Friede, Und heiige Ordnung nur im regen Streben, In Allmachtsströmung jedem Brudergliede Verjüngungskraft zu frischem Keim gegeben. Von Wahrheit sind die Pfeiler am Alltempel, Die Strengheit dreht den Wellbaum im Getriebe, Und Staub wie Perle trägt der Allmacht Stempel, Was lebt und webt, das Zeichen der Allliebe. Und wer aus dieser Liebe Born getrunken, Den wird auch Leidenschaft zur Tat erregen; Denn ohne Reibung keine Lebensfunken, Wie ohne Saaten keinen Erntesegen. Doch was im Weltenreich einmal geboren, Obs Menschen, Affen, Fliegen oder Spinnen, Geht nie im Tod dem Mutterschoß verloren; Jed Pfund und Lot wird stets er frisch gewinnen, Und nur im Stoffgehalt, dem hart und weichen, Bei rechtem Kräftewechsel reger Glieder, Kann sich ein Geist und eine Seele zeigen, Gibts herben Klageton und frohe Lieder. Nicht seh ich Bäume ohne Wurzeln sprießen, Nicht find ich Seelen ohne Leibeshüllen, 61
Nicht seh ich Bäche auf die Berge fließen, Nicht ohne Kopf und Herze Sinn und Willen. Und alles muß bei jungem Auferstehen Gleich fort und fort mit sicherm Tode streiten, Denn nur im Auf- und wieder Untergehen Läßt sich ein ewigs Leben zubereiten. Und ob elektrisch spucken die Metalle, Und 's in den Wetterwolken kracht und blitzet, Allgrausig braust beim Sturm und Wasserfalle, Die Frage ist: wo denn die Urkraft sitzet? Ich sehe ihre Wucht und große Stärke, Seh die Natur und keine Wundergeister, Seh überall der Allmacht Schöpfungswerke, Doch nie und nirgends finde ich den Meister. Drum ist der Weltbau selbst des Weltbaus Vater, Sind seine Werkleut er und seine Kinder, Und lebt und webt im Pulsschlag seiner Ader Er stets in uns, und wir in ihm nicht minder. Und uns nach seinem Bild heranzuziehen Hat er von seinem Geiste uns geborget, Von seinem Arme uns die Kraft verliehen Mit Last und Liebe reichlich uns versorget. Um uns der Freiheit Paradies zu schaffen, Hat er der Erde Schätze uns geschenket, Und, kämpfen wir mit echten Geisteswaffen, Sich die Geschichte nie zur Knechtschaft lenket. So läßt ein wahrer Himmel nie sich oben, Nur unten mit Gerechtigkeit erringen, Hat sich der Mensch zum Menschentum erhoben, Wird er als Gott das Himmelreich vollbringen. Und wer erforschen will dies Gottes Willen, Muß, was sich regt in der Natur, beraten; Was Gott erdenkt ist plötzlich am Erfüllen, Denn Gotts Gedankenblitze: Gottes Taten! 62
Wohl muß Natur auf die Vernunft verzichten, Ihr ist der Ursach-Wirkung logisch's Streben; Und mit Bewußtsein stets hienach sich richten, Ist Weisheit und Vernunft im Menschenleben. Drum erst, wenn ganz der alte Gottgedanken Im Geist des Menschentumes aufgegangen, Wird die Vernunft, befreit von Unsinns Schranken, Und Arbeitskraft zu ihrem Recht gelangen. Drum fort, ganz fort mit allen Glaubenslehren! Und her, ganz her mit reinen Wissenschaften! Dann kann die Weltgeschicht nie rückwärts kehren, Wird ewger Fortschritt ihr am Fuße haften! VSE (1875) 21, S. 4
Andreas Scheu Die Arbeit Wohin, o Mensch dein Auge sieht, So weit auf reichbebaute Fluren, Der goldne Strahl der Sonne glüht, Schaust du der Arbeit Segensspuren. Sie sät das Korn, sie pflügt die Saat, Und mäht die Frucht der goldnen Ähren, Sie baut der Mühle wuchtig Rad Und liefert Brot, uns zu ernähren. Drum laßt uns ihr Panier entfalten, Stets höher, freier soll es wehn Im Kampf mit feindlichen Gewalten; Die Arbeit hoch! — Sie wird bestehn! Sie schürft das Erz in tiefem Schacht Und bringts der üppgen Welt zu Tage, Sie baut Paläste voller Pracht Und zimmert Toten Sarkophage.
Der Eisenwege fest Geleis, Der Segelschiffe starke Planken; Der Arbeit nur gebührt der Preis, Nur ihrer Hand sind sie zu danken. Drum laßt uns ihr Panier entfalten, Stets höher, freier soll es wehn Im Kampf mit feindlichen Gewalten: Die Arbeit hoch! — Sie wird bestehn! Sie zeugt und schafft, und hält nicht Rast, Indem so viel bequem sich strecken, Sie wirket Seide und Damast, Hat Linnen kaum, sich zu bedecken. Sie wölbt den weichen Pfühl der Lust, Und ruht unsanft auf hartem Bette, Der eignen Kraft noch unbewußt Trägt sie des Goldes schwere Kette. Doch schon bricht an des Morgens Schimmer; Seht ihr das Nachtgewölk verwehn? Die Kette bricht; und fallt in Trümmer; Die Arbeit hoch! — Sie wird bestehn! VS (1871) 85, S. 3
Andreas
Scheu
Silvester Das Jahr verrinnt — im Sterben liegts — es tritt ein neues in den Plan, Mit dunkelwallendem Gewand und nächtgen Schleiern angetan. Doch ob es noch so dicht verhüllt die Züge seines Angesichts, Wir schauen leuchtend unser Ziel im Strahl des reinsten Sonnenlichts ! Ob aus den Falten seines Kleids uns Unglück und Verderben fallt, Ob es für uns in seinem Schoß Gefahr und Not verborgen hält: Wir schreiten stetig unsre Bahn, kein irdisch Hemmnis hält uns auf, 64
Denn so bestimmt ist unser Weg gezeichnet wie der Sterne Lauf! Hat nicht das abgetane Jahr, das Kampf und Mühsal uns gebracht, Und der Verfolgung wilde Jagd uns einig, groß und stark gemacht? Auf allen Linien war entbrannt die heiße Schlacht und ward mit Kraft Begeisterungsglühend durchgekämpft in liebentflammter Leidenschaft. Als Schlag auf Schlag und Stoß auf Stoß uns unsere Fronten dezimiert, Wir haben frischbeherzten Muts „Die Reihen schließen!" kommandiert, Und neue Männer traten vor, die Lücken schlössen Brust an Brust Der Streiter dichtgedrängte Reihn, erfüllt von heiiger Kampfeslust. Und ob Gewalt uns auch bedroht, mit Sturm und Blitz und Donnerschlag — Wir stehen festen, stolzen Blicks, — was auch die Zeit uns bringen mag! So wie des Pharaonenvolks Zwingherrentum am heiigen Nil Vor dem gewaltgen Flügelschlag des Menschengeists in Staub zerfiel; So wie das Joch des Rittertums — deß erznem Druck aus Not und Schmach Des Volkes Kraft sich kühn entrang — wie Glas in Schutt und Scherben brach; So wie des Glaubens Nacht durchbrach der Wissenschaften himmlisch Licht; — O, so gewiß kommt auch der Tag, der unsres Elends Ketten bricht! — Er kommt, er ist nicht ferne mehr, der Tag des Jubels und des Glücks, Der Sühnetag der bittren Qual, der bangen Not des Augenblicks. Der Tag, wo Siegeshymnen singt das Volk, das heute duldend schweigt, Von seines Jammers riesger Wucht in stummem Schmerz dahingebeugt, Der Tag, wo durch die Lüfte braust das Lied des Dankes und der Lust, Aufsteigend aus der Seele Grund, aus qualbefreiter Menschenbrust; Der Tag, an dem aus tiefem Staub, ein neu Geschlecht sich kühn erhebt, 7
Weisbach, Volksstaat
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In dessen Herzen sittge Kraft und reinste Liebe pulst und bebt; Das auf die Fahne des Triumphs, die es erhob, in Flammen schrieb: „Jedweder Arbeit ihr Genuß! — Seid frei und gleich und habt euch lieb!" Indes, — bis diese Finsternis uns jenes Tages Morgenrot Mit seinen goldenen Strahlen hellt — wir harren aus in Kampf und Tod! Wir halten aus und halten hoch der Gleichheit herrliches Panier: Die Fahne unserer Partei; — ihr leben und ihr sterben wir! Ob Sturm und Wetter sie umbraust, ob Feuer ihren Flug umweht, Und ob der Feind in unsre Reihn vernichtende Geschosse sät: Die Fahne hoch! Wir harren aus! Wir wissen doch, es kommt die Zeit, Wo zu Triumph und Sieg sie führt die Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit ! VS (1875) 151, S. 1
Andreas Scheu
[Zur Gründung des Gratzer Arbeiterbildungsvereins „Vorwärts"]
Die Fahn empor, die Fahn voran, Wir alle folgen nach! Errette, was da retten kann, Uns aus des Elends Schmach! Zu lang mit Tränen ward genäßt Der Arbeit hartes Brot; Nun wallt ein feuriger Protest, Hoch unsre Fahne rot!
Die Bourgeoisie setzt Pumpen an und saugt an unsrem Bhit; In Hunger stirbt der Arbeitsmann, Es hungert seine Brut. Zu lange habt ihr uns erpreßt Den Schmerzensschrei der Not: Nun stehn wir treu, nun stehn wir fest, Denn unsre Fahn ist rot!
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Wohlan, die Flamm ist angefacht, Das Eisen ist im Glühn; So laßt uns hin mit unsrer Macht Zur Freiheitsschmiede ziehn! Seht, wie gen Osten hin von West So hell die Flamme loht: Wir halten treu, wir halten fest, Denn unsre Fahn ist rot! Nun vorwärts denn, und schließt euch dicht Und haltet Mann an Mann! Wo ist, der unsre Masse bricht Und der sie sprengen kann? Nicht einer der die Schar verläßt Und ging sie in den Tod! Wir halten treu, wir halten fest, Denn unsre Fahn ist rot! VS (1870) 3, S. 2
Bebel Weil er treu und fest und gut Zu dem armen Manne steht, Und mit ungebrochnem Mut Nur der Reichen Unrecht schmäht; Weil, wos galt des Armen Recht, Bebel niemals hat gefehlt — Darum hat der arme Mann Zum Vertreter ihn gewählt. Doch die Mächtgen und die Reichen, Warfen in den Kerker ihn, Ihre Zwecke zu erreichen, Sie ihm — sein Mandat entziehn. Loszuwerden diesen Dränger Reicht nicht aus die Kerkerpein, Hör es, Armut! nicht soll länger Bebel dein Vertreter sein!
Wie — ? weil Fürsten er beleidigt, Nehmet ihr dem Volk sein Recht? Die ihr aufs Gesetz vereidigt — Ist Gesetz das? ist das „Recht!"? Laßt es nur! schon allzuviele Sind es, die ihr arm gemacht. Auch die Armen, weil es viele, Auch die Armen sind 'ne Macht. Auf zur Wahl! und keiner fehle! Volk, es gilt dein letztes Recht. Volk, den Mann des Volkes wähle, Wähle Bebel! schütz dein Recht! VS (1872) 61, S. 4
Ein Lied vom Hochverratsprozeß Die Hochverratsprozesse zeigen Sich jetzt in allen Weltenreichen Sie machen fast die Runde Im ganzen Staatenbunde. Es ist für uns nur Zeitvertreib; Fest steht der Bund zu jeder Stund Für gleiches Recht und gleiche Pflicht; Er stehet fest und wanket nicht. Und ob die Mücken uns umschwirren, Wir lassen uns doch nicht beirren; Wir kämpfen immer weiter Als furchtlos fröhl'che Streiter, Gestützt auf unser gutes Recht. Es geht die Kund von Mund zu Mund: Sie stehen fest und wanken nicht Für gleiches Recht und gleiche Pflicht. Drum fordern wir von unsern Klassen, Die Fahne niemals zu verlassen; Und schwören heut aufs neue 68
Der Fahne ewge Treue, Die endlich führt zu Sieg und Ehr Ein braver Mann so viel er kann — Tut mit Bewußtsein seine Pflicht Es schreckt ihn nicht das Schwurgericht. VS (1872) 42, S. 2
H.
Greulich
Geh deine Bahn!
Geh deine Bahn und laß die Leute schwätzen, Die Bahn ist lang — die Leute schwätzen viel Mag Unverstand von Ort zu Ort dich hetzen Geh deine Bahn! Denk an dein hohes Ziel! Mag mancher Hieb dich hart und schwer verletzen, Der schonungslos in deine Seele fiel — Wirf ab von dir, was deine Seel umwittert! Geh deine Bahn aufrecht und unerschüttert. Geh deine Bahn, ob sich mit tausend Krallen Der blinde Haß an deine Ferse hängt, Ob die Verleumdung dich, geflohn von allen, Bis an den Rand des tiefsten Abgrunds drängt — Geh deine Bahn! du kannst, du darfst nicht fallen, Obs deine Seele auch zusammenzwängt, Kopf in die Höh! Mit keinem Glied gezittert! Geh Deine Bahn! Aufrecht und unerschüttert! Geh deine Bahn! Laß die Philister schwätzen, Daß dies nicht möglich, das nicht tunlich sei, Laß sie getrost sich hintern Ofen setzen Mit ihrer blöden Kannengießerei — Geh deine Bahn und folge den Gesetzen, In deren Sieg die Welt wird schön und frei, Vor deren Macht das Sklavenjoch zersplittert — Geh deine Bahn aufrecht und unerschüttert! 69
Geh deine Bahn! Sie muß zum Siege führen, Schon weicht die Nacht — der Himmel färbt sich rot, Schon hört man morgenfrisch die Trommel rühren, Der unterdrückten Massen Aufgebot — Schon dröhnen Schläge an der Zukunft Türen, Das Sturmgeheul des Volkes um sein Brot, Das Schloß springt bald, obs noch so stark vergittert — Geh deine Bahn! Aufrecht und unerschüttert! VSE (1874) 32, S. 4
W. Gramann
[Festgesang]
Sind wir vereinet heut zur Festtagsfeier, Zum Bruderbunde, hier in Deutschlands Mark. So töne auch aus unsrer Brust viel freier Dies edle Wort: nur Einigkeit macht stark! Laßt reichen uns die Hände Durch alle Arbeitsstände, Zum heiigen Schwur, der Sache nur allein: Wir wollen Männer freier Arbeit sein! Drum hoch die Fahnen! Laßt sie lustig schwingen Im internationalen Geist der Zeit; Und laßt den Ruf durch alle Länder dringen Und sammelt euch ihr Brüder, weit und breit. Zu einem festen Bande Durch alle, alle Lande, Und dies sei unsre Losung insgemein: Wir wollen Männer freier Arbeit sein! Was kümmert uns der Fürsten Haß und Fehde, Minister-Diplomatenstreiterein ? Wo kann von Eintracht da nur sein die Rede, Da mancher oft der Mächtigste will sein? Wir wollen uns verbinden, 70
Durch Menschenliebe finden, Von niedrer Sucht und allem Truge rein: Wir wollen Männer freier Arbeit sein! Ob sich die Geldmacht fürchterlich wird recken, Ob sie sich strebt zu hemmen diesen Lauf, Kann ihre Drohung uns doch nicht erschrecken, Sie hält das große Rad der Zeit nicht auf. Wir kommen doch zum Ziele In diesem Würfelspiele. Es wächst die Zahl, ob sie auch jetzt noch klein: Wir wollen Männer freier Arbeit sein! Drum säumet nicht, vom Süden bis zum Norden, Sowie ihr Brüder, dort in Ost und West; Verbindet euch! An allen, allen Orten Zu einer Macht, die unbesiegbar fest. Mag sprühn die Geldmacht Blitze Dann auch aus ihrem Sitze; Geeinte Kraft wird uns den Sieg verleihn: Wir werden Männer freier Arbeit sein! VS (1870) 43, S. 4
August Geib
Arbeiterlied
Alldeutschland, das mächtge, erzittert, Europa, das stolze, erbebt, Mit Kräften, so lange zersplittert, Ein neues Geschlecht sich erhebt; Wir sehen es wachsen und ringen, Voll Liebe sich innig umschlingen: Zu leben für der Arbeit heiiges Recht! Dort, wo tief im Schachte der Erde Der Mann in der Bluse sich müht,
Dort, wo vor dem flammenden Herde Das Herz wie das Antlitz erglüht Allüberall schallen die Schwüre, Daß jeder den Wahlspruch erküre: Zu opfern für der Arbeit heiiges Recht! Und wo an der Spindel in Sorgen Sich härmen, ach! Mutter und Kind, Da tagt jetzt ein hellerer Morgen, Da tönets bald laut und bald lind: Macht, Männer, der Not doch ein Ende, Als Brüder, so reicht euch die Hände, Zu kämpfen für der Arbeit heiiges Recht! Im Zeichen des Dampfs, der Fabriken, Der Not, die die Geister empört, Das neue Geschlecht wir erblicken, Hurrah, dem die Zukunft gehört! Die Zukunft, vernehmt es, ihr Massen, Die kühn mit dem Ruf wir erfassen: Zu siegen für der Arbeit heiiges Recht! VSE (1873) 2, S. 4
Louis Geffers
D e m Kongreß
Wo sich mit kräftgem Druck der Hand Zur Tat die Herzen weihen, Und sich für dich, o mein Verein, Zum Bruderbunde reihen, Da bricht es laut hervor im Lied, Was warm für uns im Herzen glüht. Und jeder, der mit heiiger Lust Gekommen ist, sei uns willkommen. Herbei und hebt die freie Brust: 72
Nicht zaghaft, nicht beklommen, Wir trotzen, fest in Treu vereint, in unserm Bunde jedem Feind! Hin zum Verein! das ist das Wort, Das uns so fest verbindet, Die Herzen all in Süd und Nord Zu einer Glut entzündet. Hin zum Verein mit voller Lust! Hin zum Verein! — das hebt die Brust! VS (1870) 52, S. 3
August Geib Arbeiter-Festlied Viele Jahr schon sind entflohn, Viele Jahr voll Sorg und Hohn, Seit der Arbeit Banner wallet Und der Ruf die Welt durchhallet: Brüder seid, denn Herr und Knecht Steht dem Menschenantlitz schlecht! Wer Recht und Freiheit stolz begehrt, Wer aller Lasten kühn sich wehrt, Und wer dem Volk ein wackrer Mann, Der schließe unserm Bund sich an! Wie ein Donner scholl es laut: Wacht, auf eigne Kraft vertraut! Die ihr alles wirkt und schaffet, Endlich männlich euch erraffet, Daß, was sonst des Herrn allein, Mög durch euch für alle sein! Wer Recht und Freiheit stolz begehrt, Wer aller Lasten kühn sich wehrt, Und wer dem Volk ein wackrer Mann, Der schließe unserm Bund sich an!
Und es ging zum harten Streit, Weg zum Ziel wie weit, wie weit, Jener Weg zum bessern „Werde" Hier auf dieser schönen Erde! Doch wir hielten treulich Stand, Hoch das Banner in der Hand! Wer Recht und Freiheit stolz begehrt, Wer aller Lasten kühn sich wehrt, Und wer dem Volk ein wackrer Mann, Der schließe unserm Bund sich an! Mancher hat nicht mitgetan Steht und schaut uns lächelnd an; Feig und träge mag er harren, Nach verborgnem Gute scharren, Während wir mit freiem Blick Streben für der Menschheit Glück! Wer Recht und Freiheit stolz begehrt, Wer aller Lasten kühn sich wehrt, Und wer dem Volk ein wackrer Mann, Der schließe unserm Bund sich an! Hoch das Banner in der Hand Stehn wir mutig, unverwandt, Stehn, die Nacht zu überdauern, Fest wie Eichen, fest wie Mauern, Daß, wenn unser Bund vergeht, Er im Volksstaat aufersteht! Wer Recht und Freiheit stolz begehrt, Wer aller Lasten kühn sich wehrt, Und wer dem Volk ein wackrer Mann, Der schließe unserm Bund sich an! VSE (1875) 4, S. 4
W. Bracke
[Aus dem Braunschweiger Gefängnis] Sonst weilt die Freude rings bei Hoch und Nieder An deinem Wiegenfeste, heiiger Christ, 74
Der du ein Vorbild hoher Liebe bist, Die alle Menschen gleich umfaßt als Brüder. Heut tönt durch herrliche Gefilde wieder Der Lärm des Kriegs, der dein Gebot vergißt, Und manche Teuren treue Liebe mißt, Und manche Träne rinnt durch heiße Lider. Den Meinen aber möcht um mein Geschick Ich heute bannen Kummer, Sorg und Klage, Indem ich auf dein reines Vorbild seh: Du opfertest bereit dein ganzes Glück, Ich mit den Meinen freudig wen'ge Tage Im hohen Dienst der göttlichen Idee! VS (1871) 7, S. 4
Bernhard Becker Ote-toi, que je m'y mette! (Geh weg, damit ich Platz nehme)
Es stammet nicht aus unsern Tagen Des Größenwahnsinns Toben: Seit Fürsten den Purpur tragen Und die Völker zu schirmen geloben . Floß Blut um Blut, um harten Zwang Machtlicher Sklavenkette! Wir kennen den bekannten Klang: Ote-toi, que je m'y mette! Das ist ein unheilvolles Klingen! Ist dieses Schreckenswort gesprochen: Dann kann nur Blut den Frieden bringen! Dies Wort hat manchen Hals gebrochen! 75
Dann donnert in den heißen Kampf Das Rohr auf der Lafette. Laut brüllt es durch den Pulverdampf: Ote-toi, que je m'y mette! Als einst der Willkürherrschaft Sünden Das Volk zur Rebellion gezwungen: Da wo ein Wort vermag zu zünden, Hat gellend dieser Ruf geklungen! Und als das Volk sich Freiheit schuf Auf der zerschellten Kette, Da ward er wahr, der Fahnenruf: Ote-toi, que je m'y mette! Der Sieg mißbrauchte seine Rechte — Ein Blutstrom floß zur Friedenstaufe: Das Volk regierten Henkersknechte, Ein blutberauschter, wilder Haufe. Doch endlich brach des Fallbeils Macht, Die Macht der Bajonette: Zum Schrecken rief der Herr der Schlacht: Ote-toi, que je m'y mette! Der Korse brachte keinen Frieden: Der Völker Herzblut ließ er fließen, Ob Schlacht und Krieg er auch entschieden, Ob ihm Europa lag zu Füßen, Nie hätte dieser Mann geruht, Nicht auf dem Totenbette, Da las er in des Kremeis Glut: Ote-toi, que je m'y mette! Was er in Flammenschrift gelesen, Das hat nur er gefühlt, gesehen — Doch bald darauf ist er genesen Von weltbewegenden Ideen! Dies Beispiel sei für stets genug! Wer gleiche Lüste hätte, Den trifft der Weltgeschichte Fluch: Ote-toi, que je m'y mette! VS (1871) 21, S. 1 76
Adolf Lepp G r u ß an den Parteikongreß 1874
Empfanget meinen Bürgergruß, ihr ernsten Männer unsrer Zeit! Die ihr, für unsrer Kinder Wohl beratend, nun versammelt seid. Ihr habt nur Qual für eure Müh, Verkennung und Verfolgung viel: Doch habt ihr hinter euch das Volk, und vor euch ein unschätzbar Ziel. Ja, hinter euch stehn dicht gedrängt die Millionen all zu Häuf, Die alles schaffen, alles sind, und alles büßen ein im Kauf. Wohl sind noch viele wider uns, für die wir gleichfalls stehn im Streit: Sie wissens nicht, wes reift die Frucht, zu der wir Samen ausgestreut. Sie irren noch in Nacht umher, nicht ahnend, wie man sie belog. Nicht wissend, daß man ihnen frech, zu binden sie, das Licht entzog. Doch dringt das Licht gewaltig vor, und allenthalben wird es Tag; Und ihr, die ihr die Leuchte tragt, ihr rüttelt sie aus trägem Schlaf. Kaum ist der Mensch aus Geistestod an diesem Lichtstrahl auferwacht, So streckt es sich und strebts empor, und wächst und schwillt zu unsrer Macht. Welch seltnen Zauber wirft das Licht? was will das Volk? was wollen wir? An welch ein Ziel führt uns der Weg? was, Fackelträger, wollet ihr? Das Licht zeigt uns die tiefe Schmach, in die man uns getreten hat, Es zeigt, wie man dem Tiere gleich den Menschen lang gehalten hat. Das Volk will sie verwirklicht sehn, die hohe Menschlichkeitsidee, Die bisher eine Phrase war und nur verhüllte Volkes Weh. Der grade Weg, der beste Weg, der uns zum freien Volksstaat führt, Worin der Mensch zu Throne sitzt, worin nicht mehr das Geld regiert. Zwar werfen sie sich in den Weg, die finstern Rückschrittsmächte all; Hoch überschreiten wir den Damm, hoch übersteigt die Flut den Wall. Ihr sucht den Pfad zu ebenen, ihr, die wir wählten in den Rat, Ihr bringt den Zug in ein System, ihr richtet ein den Zukunftsstaat. Kein Wunder drum, wenn, wild erbost, der Feind euch nimmt zuerst aufs Korn, 77
Wenn ihr zuerst empfinden müßt der Gegner Macht, der Gegner Zorn. Doch Mut! Wir stehen hinter euch: fallt einer, tritt ein andrer vor. Fast stündlich wächst und schwillt das Heer, wir dringen kühn ans Ziel empor. Drum an die Arbeit, Pionier! und grabt und schanzt ein tiefes Grab; Und seid ihr fertig, senken wir die faule Gegenwart hinab. Dann singt das Volk ein wahres Lied, denn Knauf und Knebel sind nicht mehr; Dann wird die Menschheit glücklich sein: dann herrscht der Unterschied nicht mehr. Zwar werden wohl der Mängel noch beständig zu bekämpfen sein; Das Übel selbst beseitgen wir, dann muß die Wohlfahrt auch gedeihn. Drum hoch der Volksstaat allezeit, trotz Feind und Feinden allzumal! Empfanget meinen Bürgergruß, ihr Männer aus der freien Wahl! VSE (1874) 33, S. 4
Festgesang zum 13. Stiftungsfeste des Leipziger Arbeiter-Bildungsvereins
Das wäre nicht die rechte Freude, Die vor dem Ernst so völlig schützt, Daß mancher sinnend nicht auch heute Das Haupt in seine Rechte stützt, Daß nicht ein Tropfen Zorn und Trauer Ihm in den Kelch des Jubels fallt, Daß es ins Ohr ihm nicht wie rauher Und wilder Ruf zum Kampfe gellt. Wie, Ruf zum Kampf? Als ob in Waffen Die Welt nicht aller Ort starrt! Die Klinge saust, die Wunden klaffen Und unsre Zeit ist streng und hart. Wohl herrscht für lange Jahre Frieden Im Geistesreich und tiefe Ruh — Üns aber ward der Kampf beschieden Und der Entscheidung treibt er zu. 78
Es ist im Reiche der Gedanken Wie nie zuvor entbrannt der Streit Und auch die stärksten Säulen wanken Am Glaubensbau der alten Zeit. Es schmilzt das Bild der alten Normen In Zweifelsgluten und zerfließt, Damit das Erz in neue Formen Der Geist der Menschheit wieder gießt. Die alten Träume abzustreifen Ist immer schwer und immer Schmerz; Und dennoch gilts: Partei ergreifen Mit Hand und Mund, mit Kopf und Herz. Die Not der Zeit erlaubt kein Säumen Und scheucht uns fort vom warmen Herd Und schreckt uns auf aus sanften Träumen Und drückt uns in die Hand das Schwert. Vor diesem Kampf und seinen Sorgen, Vor seinem Leid und seiner Pein, Kann nur ein kaltes Herz geborgen, Ein stumpfer Sinn behütet sein. Wer aber bricht bei diesem Ringen Die Bahn in stolzem, treuem Mut? Wer muß die schwersten Opfer bringen? Der vierte Stand — die Vorderhut! Die Fahne, die dem dritten Stande Vorangeweht bei kühner Tat, Er gab sie preis zu seiner Schande Durch feigen, tückischen Verrat. Sie lag im Staub — zerfetzt und blutig Das Bannertuch, geknickt der Schaft — Da aber hat sie todesmutig Der vierte Stand emporgerafft. Er läßt im Wind rauschend wehen, die heiige Fahne „Ideal" Und wird mit ihr im Kampfe stehen Und schirmen sie mit blankem Stahl. Er wird sie fest und sicher halten, Und wenn die Freiheit doch verdirbt,
So hüllt er trotzig in die Falten Des heiigen Banners sich und — stirbt. Er wird nicht sterben, er wird siegen! Vorbei der Lüge finstre Zeit, Und ewig kann nicht unterliegen Auf Erden die Gerechtigkeit! Wie Fischer einst zu großen Dingen Der Nazarener ausgesandt, So ist zu herrlichstem Vollbringen Erkoren jetzt der letzte Stand. Wir stehn im ersten Morgengrauen, Und kalt ist alles, trüb und feucht — Wer aber wird die Sonne schauen, Die alle Schatten strahlend scheucht? Wir streun die Saat: von unsern Söhnen Wird einst die Ernte eingebracht — Das ist es, was bei Jubeltönen So manchen ernst auch heute macht! VSE (1874) 12, S. 4
Philipp
August
Rüdt
Unserm treuen Freunde dem ergrauten Kämpfer für Recht und Freiheit, Bürger Johann Ph. Becker in Genf, zu seinem 61. Geburtstage
Wie die junge Rebe aufwärts klimmt am hohen Ulmenbaume, Den sie zum Stab und treuen Schützer weise sich erwählt, So schau auch ich, o Freund, noch in dem frohen Jugendtraume, Zu dir empor, dem steter Kampf die edle Brust gestählt. Den Heldenkampf, ein halb Jahrhundert hast du ihn gefochten, Für heilige Freiheit, wahres Menschenglück, für Licht und Recht; Drum sei dir auch der ewig grüne Efeukranz geflochten Von jedem, der noch Tugend schätzt in unserem Geschlecht. 80
Hast du vielleicht umsonst gekämpft, umsonst dich abgerungen? O nein! Du sahst der Völkerfreiheit fröhlich Morgenrot. Es zu verhüllen, war es auch dem Feind des Lichts gelungen — Du schaust es nochmals, wies die Hülle zu durchbrechen droht. Stehst du allein im Kampf an deinem heutgen Ehrentage? O nein! es hat um dich die Jugend streitbar sich geschart. Kennt sie denn auch das Losungswort? So schau dich um und frage: „Freiheit oder Tod" — so tönt es ernst. — Ist das die rechte Art? Das ist dein Trost. — Ich seh die helle Freudenträne rollen Dir in den vollen Heldenbart, vom harten Kampf ergraut; Du fühlst, daß wir verständig wissen, was wir männlich wollen, Daß wir auf harten Fels, nicht in den eitlen Sand gebaut. VS (1870) 24, S. 3
Unsere Gefangenen Zum Pfingstfest
Wenn rings auch die Natur sich schmückt, Und alles lacht im Frühlingsschein; Zu euch durch Kerkergitter nur Das Sonnenlicht doch dringt hinein. In dumpfen Mauern eingepfercht Ihr träumt den Völkerfrühlingstraum — Daß bald er naht, gebt immerhin Mit frohem Mut der Hoffnung Raum. Arbeitervolk, nach schwerer Pein Mögt ihr an frohem Fest euch weiden, Doch denkt auch ihrer, die für euch Gestritten und die für euch leiden. VSE (1875) 19, S. 4 8
Weisbach, Volksstaat
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H. Havenith Den Vertretern der Sozialdemokraten Deutschlands zum Kongreß
Brüder reichet euch die Hände, Eint zum Bund den vierten Stand! Einigkeit verbürgt das Ende Aller Knechtschaft, Not und Schand! Lasset allen Hader schwinden, Wo es gilt der Arbeit Recht; Daß zum Ziel den Weg wir finden, Daß verschwinde Herr und Knecht. Denket ernst der trüben Stunden, Die der Zwiespalt uns gebracht; Denkt der Kerker, Pein und Wunden, Denkt des Spotts, der uns verlacht. Haltet fest am gleichen Streben, Hebt der Arbeit Banner hoch! Recht zur Arbeit, Recht zum Leben Bleibt der alte Kampfruf noch. Klarer ist der Blick geworden, Weiter auch des Kampfes Feld. Nichts kann den Gedanken morden Der erwachten Arbeitswelt! Sehet hin in alle Lande Auf dem weiten Erdenrund; Überall die gleichen Bande, Überall der Sklave wund. Drum, die ihr zusammentretet, Brüder in der ernsten Stund, Schafft, was ihr so lang erflehtet, Schafft der Arbeit starken Bund! VSE (1875) 19, S. 4
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w. Sonst und jetzt
Im Jahre dreiundvierzig, Da hieß es in Berlin: Dreihunderte von Talern Die kirren sicher ihn.
Der Geibel hats genommen, Der Freiligrath schlugs aus — Drauf wanderte der Sänger Weit in die Ferne aus. Der Freiheit sang er Lieder, Der Revolution; Die Arbeit galt ihm höher Als fürstliche Pension. Und zwanzig Jahre später Hat man den Mann geehrt, Ihm vierzigtausend Taler Auf einem Brett beschert. Da schlug er in die Harfe Hurrah! sich selbst zum Hohn, Er feiert Preußens „Helden", Er feiert Preußens Thron. Er heulte mit den Wölfen Der stolze Freiheitsmann! Dreihundert Taler habens Natürlich nicht getan. VS (1871) 19, S. 1 8*
Otto Hörth
Georg Herwegh
Glaubst du, wir konnten dich schon missen, Daß du zur Grube niedersteigst Und jetzt in harten Bretterkissen Das Haupt zum ewgen Schlummer neigst? Sind denn so dicht gesät die Sänger, Prangt denn von Helden Schar an Schar, Daß uns dein Lied nicht klingt noch länger, Nachdem dein Schwert gebrochen war? Wir wissen es: Du warst es müde, Einsam auf hoher Wacht zu stehn, Und, ob das heiige Feuer glühte, Mit scharfen Blicken auszusehn! Du warst es satt, aus deinen Saiten Umsonst zu locken Klang um Klang, Und fruchtlos auf dem Feld zu streiten, Wo keiner wagt den Waffengang! Was tust du auch noch auf der Erde? Die andern ließen alle dich Und bückten, eine ganze Herde, Vor ihrem neuen Götzen sich. Das Volk in seines Denkens Kleinheit, Weiß nimmer, was es einst geliebt, Vergessen ist, daß nach der Einheit, Daß es noch eine Freiheit gibt! Du warst allein! So treu hat keiner Beim alten Banner ausgeharrt, So trug den Nacken stolz nicht einer, Bis man zur Ruhe ihn gescharrt! So rein hat noch kein Sang geklungen, Gewaltig so kein Wort noch sprach, Bis Sait um Saite war gesprungen Und stückweis auch das Herz ihm brach! 84
So gingst du hin. Nun schlaf in Frieden! Wir wissen, daß dein Geist nicht stirbt! Ist auch kein Lenz uns noch beschieden, Das Samenkorn uns nicht verdirbt! Einst wird der Morgen dennoch tagen, Den du besangst und der dich mied: Ihm unser Wollen, unser Wagen, Und unser Reichtum ist dein Lied! VSE (1875) 14, S. 4
Samuel Kokosky Das Lied vom Krupp
Schlechte Menschen es gar viele gibt, Die das Gute leider nicht verstehn, Und den Menschenfreund es tief betrübt, Wenn den krassen Undank er muß sehn. Bittre Tränen mußte ich vergießen Ob der Kruppschen Proklamation; Ach! den Edlen muß es schwer verdrießen, Wenn der Undank ist der Wohltat Lohn. Krupp, der edelste der Menschenfreunde, Vierzig Jahre hat er sich gequält, Nicht für sich, wie Lästerzungen meinten, Nur fürs Nächstenwohl war er beseelt. Alles tat er nur für seine Leute, Die mit seiner Arbeit er ernährt, Jene sind fast Millionäre heute, Während er der Armut Speise zehrt. Doch die Bösen sind ja nie zufrieden, Satan, ach! die Menschen leicht berückt, Sozialisten gibt es viel hinieden, Und wo die sind, da wird auch gestreikt.
Und zum Krupp sie auch mit Streiken kommen, Wollen unverschämt noch höheren Lohn, Doch das wird bei ihm wohl wenig frommen, Denn er macht 'ne Proklamation: „Ich bin Krupp", so heißt es in dem Schreiben, „Ich bin Krupp, drum sollt ihr mich verstehen, Herr in meinem Hause will ich bleiben, Wer nur muckt, der kann von dannen gehn. Ich bin Krupp, ich denke für euch alle, Ich bin Krupp, bin eurer Herr und Gott, Ich bin Krupp, wems bei mir nicht gefalle, Gut, adieu, er mach sich auf den Trott. Ich bin Krupp, das heißt die Nächstenliebe, Ich bin Krupp, ich hab allein Verstand, Ich bin Krupp, ich nur das Gute übe, Doch ich dulde keinen Widerstand. Volksverführer wollen euch betören, Hört sie nicht, hört nur allein auf mich; Demokraten wollen euch aufklären, Hört sie nicht, denn nur Verstand hab ich. Ich allein ein Herz hab für die Armen, Nur gehorsam will ich jeden sehn, Wer da widerspricht, nun, ohn Erbarmen Meinethalben mag er betteln gehn. Ich bin Krupp, ich laß mich nicht belehren, Ich bin Krupp — zum Teufel, lacht da wer? — Wems nicht paßt, nun gut, der mag sich scheren, Ich bin Krupp, bin euer Gott und Herr." Als die frommen Kruppschen dies gelesen, Ach, da waren sie gar sehr betrübt, Grämten sich, daß sie so frech gewesen Zu dem Herrn, der sie so sehr geliebt. Taten Buße schnell in Sack und Asche, Jeden „Volksstaat" man sogleich verbrennt, 86
Und den letzten Groschen aus der Tasche Sammeln sie zu einem Monument. Und der Vater Krupp, in Erz gehauen, Hoch er über allen Menschen ragt, An dem Postamente kann man schauen Einen Hund, der einen Knochen nagt. Sinnbild der vertrauensvollen Treue! Jeden Mann es, der es ansieht, rührt, Und der ärgste Sozialist fühlt Reue, Daß er gottlos hat das Volk verführt. VS (1872) 55, S. 2
Johann Philipp
Becker
Konsequenzen der Kapitalherrschafts-Moral
Wenn du „gründest", nun so gründe Immer unergründlich tief; Denn bei Kassen ohne Gründe Gehts dem Gründerlohn nicht schief. Nimm die Ofenheim und Strousberg Treulich dir zum Vorbild an, Machs wie Putbus, machs wie Wagner, Und wies Rothschild stets getan. Aber nur mit bloßem Wollen Bringst dus nicht zu gutem End, Hast du nicht auch zum Vollbringen Lügenwitz und Diebstalent. Schlage stets zu deinem Zwecke Konsequente Wege ein; Und zum Zwecke muß dir logisch Jedes Mittel heilig sein. 87
Bist du bloß ein Wechselreiter, Wage stets den kühnsten Ritt; Deck mit materiellem Werte Dein moralisch Defizit. Wie der Liebe Göttin immer Nur die Kühnen gern beschützt, So der Geldgott auch am liebsten Seinen kühnsten Dienern nützt. Wägst du ab dein „Soll und Haben" Stoß hinweg das schwere „Soll"; Sorge, daß du stets im „Haben" Deine beiden Hände voll. Und, so oft gefüllt die Kasse, Mach geschwind geschickt fallit — Ein Geschäft wie jedes andre — Macht dich aller Schulden quitt. Bist du dann auch selbst nicht heilig, O, so grämst du dich nicht drum; Hast du doch genug der Wonne, Weil es ist dein Eigentum. Heilig ists und unverletzlich, Wie des Kaisers Majestät, Drums bei solchen Heiligtümern Großen Schelmen wohlergeht. Und so gehen auch Kamele Eher durch ein Nadelöhr, Als du, Reicher, einmal hättest Für Gerechtigkeit Gehör. Lasse Gott im Himmel walten, Deinen Kaiser stramm im Reich, Und man wird dir gern verzeihen Auch den ärgsten Lumpenstreich. VSE (1875) 43, S. 4 88
[Parodie I] Nachruf zur Sedanfeier der Fr. Zimmermannschen Maschinenfabrik
Erschienen ist der wichtige Tag, Der uns oft wiederkehren mag. Wir feiern heut den größten Sieg Im letzten deutsch-französischen Krieg, Denn heute sind es nun fünf Jahr, Wo Deutschland über Frankreichs Aar Den Sieg bei Sedan hat errungen, Wo der große Gegner ist bezwungen, Die Flügel sind ihm da zerknickt, Drum jeder heut zum Himmel blickt Mit Dank zu Gott in seiner Brust, Denn jeder ist sichs ja bewußt, Daß nur durch Gottes Hilf und Macht Das große Werk dort war vollbracht, Da unser allverehrter Prinzipal Mit seinem ganzen Hause allzumal Ist echter deutscher Patriot, So hats mit uns ja keine Not. Er ist ein echter Biedermann, Wie man keinen zweiten finden kann. Dies war schon lange sein Bestreben, Musik mit Fackelzug zu geben. Durch dieses große Opfer nun wohlauf Setzt er dem schönen Fest die Krone auf. Von uns allen sei er hochgepriesen, Denn er hat von neuem nun bewiesen, Daß keine Kosten er nicht scheut Und sich zu gern nur mit uns freut. Dafür begleitet ihn auch Gottes Segen Auf allen seinen Lebenswegen. Dies beweist die 5000ste Drillmaschine, Denn sie steht heute fertig auf der Bühne. Um nun dankbar gegen uns zu sein, Ließ er selbige heute mit einweihn, Weil er die große Freude uns nun gemacht, Sei ihm ein Lebehoch gebracht. VS (1875) 113, S. 3
[Parodie II] (Tafellied der Hauschildschen Weberei)
Wenn Eckstein mit seinen Konsorten Den Leuten die Köpfe verdreht, Wir glauben nicht gleich ihren Worten Und fragen, obs wirklich so geht. Wohl fordern die Schuster und Schneider, Die Bäcker und Brauer jetzt mehr; Die haben gut streiken, doch leider Beim Weber, da hält es noch schwer. Wir können, trotz Regulatoren, Dem Dampfstuhl mehr halten kaum Schritt, Doch ist noch nicht alles verloren, Geht einer nur rüstig noch mit. Die feindliche Konkurrenz schreckte Uns sicherlich, wenn nicht ein HauSchild uns beschirmte und deckte; Drum freudig ihm jeder vertrau! Und gehet auf friedlichen Wegen Die Arbeit mit dem Kapital, So folgt ihnen Wohlstand und Segen, Zufriedenheit würzet das Mahl. Doch wenn sich die beiden bekriegen Mit starrem und törichtem Sinn, Verzehrt, nach gewonnenen Siegen, Neid, Zwietracht und Haß den Gewinn. Daß Menschen sich sollten vereinen, Drum gibt es hier Arme und Reich! Gott schuf ja den Großen und Kleinen Und machte nicht alle sie gleich! 90
Es nütze ein jeder die Kräfte Und Gaben, die Gott ihm verliehn, In seinem Beruf und Geschäfte Mit redlichem, treuem Bemühn. Nur daß sich nicht blende am Schimmer Des Glückes der Arme im Schmerz, Und wahre im Busen sich immer Der Reiche ein fühlendes Herz. Wohlauf denn, so lasset uns bringen Ein Hoch, aus tiefinnerster Brust! Laßt alle die Gläser erklingen in froher und fröhlicher Lust. Laut jubelt jetzt alles voll Freude, Heil ihm, unserm Fabrikant! Ihm gehet ja endlich auch heute Ein Weibchen treu liebend zur Hand! Mit reichlichem Segen nun kröne Gott ihren Bund, daß durch sie, Der Firma von Hauschild und Söhne Viel künftge Geschlechter noch blüh! VS (1872) 62, S. 4
August
Kapell
[Parodie III] Erinnerungen eines Sozialdemagogen
In Eisenach vor wenig Jahr Da wurds den Volksparteilern klar, Was Arbeiter vermögen Ohn Flinte, Stock und Degen, Sie fühlten sich nur wohl und warm Bei Polizisten und Gendarm
Von Stuttgart macht man groß Geschrei, Von ehrlicher Liebknechterei, Von Bebel und Konsorten Und ihren großen Worten — Doch logen sie auch noch so nett, Sie kriegten alle Jackenfett. VS (1872) 5, S. 4
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VI. Das soziale Thema: Krieg und Frieden. Armut, Arbeit, Klassenkampf
B. B. Zum Frieden
Friede! Friede! jauchzen alle! Millionen jubeln laut! Unter frohem Glockenschalle Hat die Welt den Tag erschaut, Wo des Wahnsinns wüstem Streiten Setzte die Vernunft ein Ziel! Zeige, wem sein alles fiel, Festen Mut in schweren Leiden! Menschlich Fühlen reg sich leise In des Frevlers starrer Brust, Der die Kinder und die Greise Gab des „Ruhmes" schnöder Lust, Der zu „Gottes" höhren Freuden (Dem er zu gehorchen meint), Sengt und nicht gab blutgem Leiden Hilfe, wo die Unschuld weint! Dem sein Herrgott wird gedenken: Ob er Huld und Gnade übt, Dem, der keinem Feind vergibt? Der den Nächsten sucht zu kränken. Seinen Namen täglich schändet Unter Frömmeln! — Wird er leiden Diesen, der verdreht und wendet Ewigkeit geschwornen Eiden?! Lebe Frevler! Lebe lange! Denn dein Tod wird Schrecken sein! Ist dir selbst denn noch nicht bange Vor der letzten Stunde dein? 93
Schrecklich tönen wird dir Alten, Wenn die Unschuld blutend weint, Wahrheit, die du nie gehalten: Wahrheit gegen Freund und Feind! VS (1871) 24, S. 1
Barbarossas Auferstehen
Grad aus dem Kyffhäuser Komm ich heraus, Deutschland, wie wunderlich Siehst du mir aus. Rechter Hand, linker Hand Steht Militär, Als wenn 'ne Kaserne Ganz Deutschland jetzt wär. Was für ein dumm Gesicht, Volk, machst denn du? Die Tasche hast du auf, Den Mund hast du zu. Zu glänzenden Festen Dein Geld gibst du schnell; Du wirst betrogen sein, Das seh ich hell! Und viele Soldaten, O was muß ich sehn! Bedürfen der Krücken, Um grade zu stehn! Doch schmücket von Eisen Ein Kreuz ihre Brust, Dies Kreuz muß ersetzen Den Gliederverlust. Siegesbetrunken ist Groß rings und klein, Nur die Demokraten 94
Sind nüchtern allein. Doch Unheil verkündet Ihr finsterer Blick, Drum kehr zum Kyffhäuser Ich lieber zurück. VS (1871) 80, Beil., S. 2
Kode Einzugslied
Die Straßen sind leer und öde, Kein Laut dringt zu mir empor: Nun ziehen mit Klang der Trompeten Die Truppen ins Hallische Tor. Nun brüllt der Pöbel sein Vivat; Nun reitet der Kaiser vorbei — Ich denke daran mit Vergnügen! Ich bin ja, gottlob, nicht dabei. Ins offene Tor meines Herzens Ziehn andere Truppen ein, Schwermütige Fehdegedanken — Ich lasse sie willig herein. Ich bin ihr König und freundlich Red ich die Soldaten an: Seid mir willkommen, ihr Treuen, Ihr Tapfern, Mann für Mann! Seid mir willkommen, Gedanken, Die ihr schon manchen Sieg Auf jeglichem Schlachtfeld errungen Im gewaltigen Geisterkrieg. Ihr habt sehr gut gefochten! Doch immer gilt es aufs neu Zu bewähren die alte Kühnheit, Die nie erschütterte Treu.
Ihr dürft euch nicht mit Muße Ausruhen auf dem Plan: Auf offnen und heimlichen Wegen Voran! Ich gebiete: Voran! Denn ich hab viele Feinde Und wenig Freunde zur Zeit, Und möchte nicht unterliegen Dem Feinde in diesem Streit. Zwar ist er groß und gewaltig Und hat viel Geld und Macht, Und macht auf meine Gemahlin, Auf meine Königin Jagd. Auf meine Königin Freiheit, Gehaßt bis in den Tod Von den Gewaltgen der Erde Und getrieben in bittere Not. Soldaten, ihr, meine Soldaten, Wir führen gerechten Krieg; Deshalb muß uns einst krönen Der allerfröhlichste Sieg. Zwar kann es lange noch dauern — Jahrtausende rauschen dahin — O bleibet treu der schönen, Unsterblichen Königin! Die Freiheit, jetzt verachtet, Verspottet jetzt mit Hohn, Als legitime Fürstin Besteigt sie einst den Thron, Und wird die Meuterer bannen Aus ihrem himmlischen Reich, Doch die Getreuen beschenken Mit Gütern ewig und reich; Mit den ewigen Gütern der Liebe, Der Schönheit und der Lust, Wie sie die Begeisterung vorahnt Schon jetzt in mannhafter Brust. 96
Soldaten, bleibt treu eurer Kön'gin! Erobert ihr den Thron! Und — eh ichs vergesse — gebt niemals, Niemals dem Feinde Pardon! V S E (1874) 46, S. 4
Zum zweiten September
Wie, deutsches Volk, du willst als Fest begehen, Als Freudenfest den blutgen Sedanstag? Dem Gott der Schlachten willst du Opfer bringen? Ich glaub es nicht, was man auch sagen mag. Du feierst nicht den Tag, wo Menschen, Brüder, Die sich im Leben nichts zu leid getan, Wie wilde Tiere grausam sich zerfleischten, Im Wahn, und auf Befehl von einem Mann. Du feierst nicht den Tag, wo Mutter Erde Das heiße Blut so vieler Söhne trank; Wo selbst die Sonne, trauernd um die Toten, Sich schwarz verhüllte, als sie untersank. Du feierst nicht den Tag, wo rot die Flamme Aus Stadt und Dörfern auf zum Himmel stieg; Wo unter Schutt und Trümmern ward begraben So vieler Menschen jahrelanges Glück. Du feierst nicht den Tag, wo manche Mutter Mit neuem Schmerz, des toten Sohns gedenkt, Der dort im Frankenlande mußte bluten, Den man ins kalte Grab dort eingesenkt. Du feierst nicht den Tag, dem, krumm geschossen, Mit siechem Körper heut der Krüppel flucht, Der alles hat an jenem Tag verloren Und Hilfe nur im nahen Grabe sucht. 9
Weisbach, Volksstaat
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Du feierst nicht den Tag, der deine Ketten Nicht leichter dir, nur schwerer hat gemacht; Der statt der Freiheit, die dir längst versprochen, Die Pickelhaubeneinheit hat gebracht. Doch kommt einmal der Tag, wo alle Völker Zum Bruderbunde reichen sich die Hand — Den wirst du auch von ganzem Herzen feiern Im großen, freien, deutschen Vaterland. VS (1875) 100, S. 1
G.. .
Das Lied vom Kriege Den Kriegsmoloch, ach! hungert sehr, Warum? Welch Frage noch! — die Trommel her, Zum Fragen ist die Zeit nicht mehr, Trum, trum! Es jubelt jetzt so mancher Knecht, Warum? Ha, hä, der Tod, der kommt ihm recht, Das Brot der Sorgen schmeckt so schlecht, Trum, trum! Philister ziehn den Säbel blank, Warum? Am Größenwahnsinn sind sie krank, Durch Wein und Bier berauscht im Schank, Trum, trum! Doch auch das Vorrecht jauchzet heut, Warum? Ob seinem Sohn die Kugel dräut, Das weiß es wohl: ihm wird die Beut, Trum, trum! 98
In Trauer aber pocht mein Herz, Warum? Am Baum der Menschheit niederwärts Hängt Zweig auf Zweig, voll Gram und Schmerz, Trum, trum! Ja, Gram und Schmerz, sie drücken schwer, Warum? Welch Frage noch! — die Trommel her, Zum Fragen ist die Zeit nicht mehr, Trum, trum! Die rote Mütze, setzt sie auf, Warum? Schaut her, wie trieft des Schwertes Knauf, Das Blut ist billig jetzt in Kauf, Trum, trum! Der Kriegsmoloch zieht aus auf Raub, Warum? Was Staub war, werde wieder Staub, Drum trommelt, bis die Welt ist taub, Trum, trum! VS (1870) 70, S. 1
Rhenanus Völkerfrühling
Ja, er naht, — es fallt die Binde — Völkerfrühling freiheitssonnig, Völkermai erlösungswonnig! Hört ihr brausen seine Winde Über die erstarrten Gründe? Frühling kommt, Der uns frommt. Völkerfrühling, brich den Winter, Der das arme Volk bedrücket, 9'
Daß der Lenz das Herz beglücket. Nahet holde Frühlingskinder! Lenzluft wehet lind und linder, Frühlingslust Schwellt die Brust. Ja, der Völkerfrühling regt sich Und das Recht verlangt nach Wahrung, Wie der Leib nach Schutz und Nahrung. Und die Hungerstarre legt sich Und der frische Saft bewegt sich. Junge Kraft Leben schafft. VSE (1875) 18, S. 4
Richard C. Friede !
Es zieht im weiten deutschen Lande Vom Dollart bis zum Bodensee, Vom Rheingeländ bis zur Persante Durch jede Brust ein tiefes Weh. Noch ists ein Seufzen — aber schwellen Wird es zum Murren bald empor, Und als ein Schrei des Jammers gellen Zuletzt ans taubste Fürstenohr. Wie war so schön es erst gelungen, Die Leidenschaften wach zu schrein! Wie brauste hell von tausend Zungen Der Kriegsgesang, die „Wacht am Rhein!" Der Taumelkelch, gefüllt zum Rande, Ward ihm kredenzt ohn Unterlaß — Zu seiner namenlosen Schande Berauschte sich das Volk in Haß. 100
Verräter wurden die gescholten, Die nüchterne Besonnenheit Und Ruhe sich erhalten wollten Und echte schöne Menschlichkeit, Die, unberückt vom Glanz der Siege Und unbeirrt vom blöden Wahn, In diesem „großen heiigen" Kriege Nur eine Fürstenfehde sahn. Der Zug, den man am deutschen Wesen Als seine schönste Blüte pries, Wenn man das deutsche auserlesen Vor allen andern Völkern hieß — Daß brüderlich wir gegen alle Als Bürger uns der Welt gefühlt: Er ward vom trüben Wogenschwalle Der wüsten Rauflust fortgespült. Das war ein Jubeln und Frohlocken Und Fahnenwehn bei jeder Schlacht! Wie glühten zum Geläut der Glocken Die bunten Flammen durch die Nacht, Wenn wieder Tausende im Sande Verscharrt nach heißem Kampfestag, Wenn eine Stadt nach wildem Brande In Schutt und Asche rauchend lag! So feig und dumm war keine Lüge, Daß sie nicht willig Glauben fand; Verbrechen hieß das Wort der Rüge Dem tollgewordnen Unverstand; Und was am Freund mit lauter Stimme Man stets bewundert und gelobt, Dawider ward in blindem Grimme Beim Feind geeifert und getobt. Hat mit der rohen Kraft Entfalten Ein Hauch von Edelmut versöhnt, Und ward das weise Maß gehalten, Das edler Völker Siege krönt? Frankreichs Gloire ertrank im Blute — Doch hat es dich mein Volk, verletzt,
Daß man den Fuß im Übermute Dem Gegner auf den Nacken setzt? Hat nicht ein Wink dich des Despoten Zu dem brutalen Wunsch entflammt, Daß zu dem Schicksal der Heloten Man die Eroberten verdammt? Schriest du nicht Krieg! obgleich der Friede Dir Recht und Sicherheit verhieß, Weil sich von ihrem Grenzgebiete Die Republik nichts nehmen ließ? Und wenn dies Volk in trüben Stunden Sich dennoch auf sich selbst besann, Wenn es allmählich sich entwunden Des Fanatismus finstrem Bann, Wenn auf sein Wollen, auf sein Streben Zum ersten Mal es zweifelnd blickt Wenn vor dem Kampf auf Tod und Leben In tiefster Seele es erschrickt — So ist es, weil der Opfer Größe Mit Tränen jedes Auge füllt, Weil sich in ekelhafter Blöße Der Krieg den Schaudernden enthüllt, So ist es, weil, gemäht vom Schwerte Die Blüte seiner Jugend sank, Weil Ströme Blut die fremde Erde In immer neuen Kämpfen trank. Und wälzt Kolonne auf Kolonne Mit Sang und Klang sich zur Armee — Sie schmilzt, wie vor dem Strahl der Sonne Im Frühling ein Koloß von Schnee. Kolonnen sendet sie uns wieder, Doch siech ist oder todesmatt, Wem nicht die jungen kräftgen Glieder Die Kugelsaat zerschmettert hat! Es ließ die Not, der strenge Richter, Den blutgen Nebel leis zergehn, Durch den die Denker und die Dichter Den unerhörten Kampf gesehn; 102
Schon ist der Fieberrausch verflogen, Der überreizte Haß verschwand Und der Begeistrung hohe Wogen Verebben mehr und mehr im Sand. Ihr seht und fühlt des Volks Erkalten — Darum verspritzt in Wort und Schrift Und in der feilen Presse Spalten Ihr unermüdlich euer Gift. Verlorne Müh! Es naht die Stunde, Wo man auf Frieden stürmisch dringt, Wo euch aus jedem, jedem Munde Ein „Nein!" „Genug!" entgegenklingt! Es zieht im weiten deutschen Lande Vom Dollart bis zum Bodensee, Vom Rheingeländ bis zur Persante Durch jede Brust ein tiefes Weh. Noch ists ein Seufzen, aber schwellen Wird es zum Murren bald empor Und als ein Schrei des Jammers gellen Zuletzt ans taubste Fürstenohr. VS (1871) 7, S. 1
Rhenanus Das Lied vom Typhus
Hoch der Hunger-Typhus lebe, Er, der wahre Volks-Erlöser! Er, der wahre Leid-Entblößer, Hunger-Typhus Trost uns gebe! Volks-Kamerad, Bring uns Rat Und das Elend von uns hebe! Hohle Augen, blasse Wangen, Klapperdürre magre Arme,
Augen rotgeweint im Harme, Grüßen dich, kommst du gegangen, Helfender Bot, Bringst den Tod, Lösest von uns Angst und Bangen! Hungersnot und Pestilenzen Sind des Volkes Staats-Vermächtnis; Aber, präg dirs ins Gedächtnis: Auch das Elend hat ja Grenzen. Hunger zernagt, Kummer plagt — Sollt kein Hoffnungsstern uns glänzen? In Champagner sich besaufen, Austern und Pasteten fressen Und im Frack mit goldnen Tressen Seh ich dort den reichen Haufen. Hungriger Gauch, 's ist so Brauch! — Volk, kannst dir die Haare raufen! VSE (1875) 1, S. 4
Theodor Curti Das arme Kind Sie lag in den Windeln, ein zartes Reis, Wie die schönsten Blumen rot und weiß, Sie war in der Eltern treuer Hut, Sie war der Eltern einziges Gut. Des Vaters Kummer, der Mutter Gram War fort, wenn von ihr ein Lächeln kam; Ein schalkhaftes Lächeln vom kleinen Mund, Und beiden wurde das Herz gesund. 104
Sie waren geworden ein ehelich Paar, Obwohl alle Welt dagegen war. Nun führten sie Haushalt und hatten 'fast Jeden Tag den Hunger zu ihrem Gast. Der Vater kämpfte um aller Brot In rußiger Werkstatt voll Müh und Not. Vom frühen Morgen bis abends spät, Hat er gehämmert, gefeilt, gedreht. Die kärgliche Löhnung war bald vertan, Kaum hielt sie zum nächsten Zahltag an, Doch kam der Zahltag, dann lief er geschwind Etwas Gutes zu kaufen dem lieben Kind. „Dir soll nicht fehlen zum Wachsen die Kost, Deinen schwachen Leib soll nicht plagen der Frost, Wir gehen gern in zerfetztem Gewand Für dich, der treuesten Liebe Pfand." Einst mühte der Vater sich sonder Rast, Da hat seinen Arm ein Rad gefaßt. Er lag auf dem Sterbebett und sprach Zum Kinde, bevor sein Auge brach: „Dir blühe hienieden ein anderer Lauf, Geh wie die Knospe im Frühling auf; Deines jungen Lebens süßen Wahn Rühre kein Hauch des Schicksals an." So sprach der Brave bevor er schied, Es war das schönste Wiegenlied Der letzte Wunsch vor des Vaters End — Es war das schönste Testament. Sie hätten es gerne ausgeführt, Mutter und Kind, doch sie haben verspürt Armut, Hunger, Kälte, Not Das Kind muß zur Fabrik ums Brot. Sie steht an der Spindel für geringen Lohn Des Morgens vor Tagesanbruch schon. 105
Lebend steht sie in einer Gruft Im engen Räume, in der dumpfen Luft. Von der Wange flieht der Purpur fort, Wie das Laub am Ast die Haut verdorrt, Des Auges Glanz ist nicht mehr rein, In der Lunge bürgert der Husten sich ein. Mit jedem Jahr, das vorübergeht, Kürzer und dünner ihr Atem weht, Was lieblicher Duft und Anmut war, Wird welk und welker ein jedes Jahr. Um sie der reichen Kinder Häuf Geht wie die Knospe im Frühling auf. Als sie auf lauter Blüten blickt, Ist ihre Blüte schon geknickt. VSE (1875) 10, S. 4
M.
Kegel
Der fliegende Holländer
Man sagt, ein Schiff, ein schwarzes, Durchstreift den Ozean, Drin säß ein schwarzer Schiffer, Belegt mit schwerem Bann. Das Kap muß er umsegeln, So lang die Woge braust, So lang des Sturmes Odem Um jene Klippen saust. Und nirgends darf er landen, Wo auch ein Eiland lacht, Es treibt ihn weiter, weiter, Der Sturm mit Zaubermacht. 106
Auch glänzt in finstren Nächten Niemals an Bord ein Licht, Niemals aus einer Luke Ein heller Strahl sich bricht. Und sieht ein andrer Schiffer Dies Schiff vorüberfliehn, Da kniet er hin und betet, Denn Unheil trifft nun ihn. So ohne Ruhn und Rasten Durchstreift den Ozean Seit vielen hundert Jahren Der schwarze Schiffersmann.
Ihr fragt: Was soll das Märchen Voll duftger Poesie? Es gab im ganzen Leben Doch solchen Schiffer nie! Ich hab es mir gedeutet, Nach meinem schlichten Sinn: Das Meer, es ist das Leben, Das Stürme oft durchziehn. Und dieses Meer durchsegeln Die Menschen kreuz und quer, Sie finden ihren Hafen Bald leichter und bald schwer. Der Kaufmann sammelt Schätze, Und Reichtum ist sein Lohn, Dem Kriegsherrn winken Ehren Und reiche Dotation. Jedoch der Arme irret Ohn Zweck und Ziel umher, Er ist der schwarze Schiffer Wohl auf dem Lebensmeer. Dem seines Daseins Schatten Kein Freudenblitz erhellt,
Nie winkt ihm Glück und Frieden, Für ihn ist tot die Welt. Auch flieht des Elends Stätte So scheu der reiche Mann, Denn nahes Unheil kündet Der Armut Fluch ihm an . . .
Doch — soll das Wort der Sage Als Wahrspruch stets bestehn — Kann nicht der schwarze Schiffer Einmal den Hafen sehn? Sind seines Schiffes Anker Nicht scharf und spitz genug, Daß sie den Meergrund packen Trotz Sturm und Zauberfluch? Dann wehe den Fregatten, Bewimpelt und beflaggt, Dann weh dem Kauffahrteischiff Mit reicher, schwerer Fracht. Der unheilvolle Segler Schießt auf das Ziel jetzt los, Und trägt der Stürme Schrecken Bis in des Hafens Schoß. Hei, wie die Planken krachen, Hei, wie das Kriegsschiff sinkt, Und wie des Handels Schätze So schnell die Flut verschlingt. . . Der Schwarze ist gewöhnet Das wilde Sturmgebraus — Ihr liegt am Grund des Meeres, Er steigt am Ufer aus. VSE (1874) 8, S. 4 108
August Geib Im Winter
Im Walde dröhnt des Beiles Hieb, Holzfrevler sind es in der Nacht, Doch weh, der Förster hält die Wacht, Und er verschonet keinen Dieb. Halt, ruft er laut, ich kenne euch, Zehn Francs, das ist gerechte Straf! Und wie ein Blitz zerschmetternd traf Dies Schreckenswort die Armen bleich. Es schluchzt der Mann, es schluchzt das Weib, Der Förster singt ein .Liedlein froh: Hast du nicht Holz, so brenne Stroh, So brenne deinen eignen Leib! Sie gehn nach Haus, die Kälte plagt, Sie zünden Licht, die Träne rinnt: Erfroren liegt das einzge Kind, Und Erd und Himmel seis geklagt! Aufschreit das Weib voll wildem Schmerz, Der Vater starrt wie festgebannt, Die Flamm entsinket seiner Hand Und lodert prasselnd himmelwärts. Es qualmt der Rauch, es heult dqr Hund, Vom Turme tönet Sturmgeläut, Und tausend Retter sind bereit, Denn Feuer schallts von Mund zu Mund. Einstürzt das Dach, einstürzt das Haus, Es zischt und kocht der Wasserstrahl, Und wie in banger Todesqual Der letzte Hilfruf hallt heraus. Drei Leichnam zieht man still hervor, Mann, Weib und Kind, verkohlt, verbrannt,
Die faustgeballte Knochenhand Wie flehend ragt sie noch empor. Der Förster kam, sah Mann und Weib, Dann ging er summend: ho, ho, ho, Hast du nicht Holz, so brenne Stroh, So brenne deinen eignen Leib! VSE (1874) 45, S. 4
H. Lauten Weihnachtslied Dumpf brauset der metallne Chor Aus jedes Kirchturms Bauch hervor, Und Halleluja singen Die Christen all im Jubelton, Denn diese Nacht gebar den Sohn, Der Heil uns sollte bringen. Um Mitternacht stand am Altar Der Priester, und die ganze Schar Der Christen kniete nieder; Verdrängt durch Lampen war die Nacht, Es gab des Domes Säulenpracht Der Musik Echo wieder. Und bei des Christbaums hellem Schein Sieht man das Jesuskindelein Zum Schauwerk auserkoren; Geschenke teilt man viele aus, Und jubelnd tönt von Haus zu Haus: Heut ist der Christ geboren! Jawohl, geboren ist der Christ, Doch alle, die ihr jubelt, wißt Und kennt ihr seine Lehre? Was er gewollt, ihr tut es nicht, 110
Ihr übet keine Menschenpflicht Und doch gebt ihr ihm Ehre? Doch nein, nicht Ehre, es ist Spott, Und euer Jubel dringt zu Gott Wie Kains Opfergabe, Bringt auf der Menschheit Sühnaltar Auch jubelnd euren Mammon dar, Daß er Gefallen habe. Macht endlich doch zur Wirklichkeit Sein Reich, und heilt den Schmerz der Zeit Durch Taten, die ihn loben, Das Himmelreich auf Erden schon Erringt durch Assoziation, Dann ist der Schmerz gehoben. Talent und Arbeit hebt empor, Drum ehret nicht den reichen Tor Um seines Geldes willen, Denn was er hat, ist derer Schweiß, Die trotz Talent und strengem Fleiß Sich kaum den Hunger stillen. Erkennt die Menschenwürde an Und ehret auch den armen Mann Denn Gott will keine Knechte, Die bettelnd um Erbarmen flehn; Nein! er will freie Menschen sehn, Die fordern ihre Rechte. Nach seinem Bilde schuf er ihn Und gab ihm seine Erde hin, Für alle reich an Güter; Doch ihr habt Schande ihm gebracht, Zu Knechten habt ihr uns gemacht Und nennet euch Gebieter. Ihr sagt: Vor Gott sind alle gleich; Ihr betet: Zu uns komm dein Reich! Und sitzt auf vollen Säcken In eures Hauses weitem Raum, 111
Und eure Brüder haben kaum Die Blöße sich zu decken. Laßt ab von solcher Heuchelei Gebt uns die Erde wieder frei, Wo Christi Reich gegründet, Und jubelt dann im Feierton: Heil! diese Nacht gebar den Sohn, Der Heil uns hat verkündet! VS (1870) 103, S. 1
A. Otto- Walster
Das Sängers letztes Lied Romanze
Ein Sänger kommt geschritten aus fernen Landen her, Man siehts am müden Gange, ihm wird das Wandern schwer; Die Harfe an der Seite, gelehnt am Wanderstab, Kommt er gewiß zu suchen ein heimatliches Grab. Auf eines Berges Höhe, da bleibt der Wandrer stehn, Da könnt er weit hinunter auf Wald und Wiesen sehn, Da könnt er schaun ein Städtchen, sich spiegelnd in dem Rhein, Halb dunkel, halb beleuchtet vom letzten Abendschein. Und horch! die Saiten klingen mit wundersamem Klang, Die Nachtigallen schweigen und horchen auf den Sang, Der Wind, der läßt sein Rauschen, hält seinen Atem an, Als jetzt der greise Sänger sein zitternd Lied begann: Da, wo der rote Schimmer sich in den Scheiben bricht, Grüßt ich zum ersten Male der Sonne heitres Licht, Da, wo mit seinen Wogen der Rhein zum Meere zieht, Da hab ich einst gesungen mein allererstes Lied. 112
Es war ein Sang der Liebe; was nur mein Herz empfand, Das legt ich tief errötend in der Geliebten Hand. Doch alle süße Hoffnung war nur ein flüchtger Traum, Die Welt hat ihn vernichtet, da er geträumet kaum. Ich nahm gebrochnen Herzens zur Ferne meinen Lauf, Und an dem Hof der Fürsten, da nahm man gern mich auf; Ich sang den schönen Damen von meinem Liebesschmerz, Sie hörtens an und — eilten darauf zu Spiel und Scherz. Da stimmt ich meine Harfe zu einem mächtgern Klang. Für Völkerglück und Freiheit nun laut mein Lied erklang, Doch wollte solches Lied wohl den Herren nicht behagen, Man wies mich fort und weiter mußt ich die Schritte tragen. Dem Dienst des Volks beschloß ich nun meine Kraft zu weihn, Kehrt in der Bürger Häuser, des Landmanns Hütte ein, Sang von der Deutschen Taten, von ihrer Frauen Treu, Von Liebe, Hoffnung, Freundschaft und von des Lebens Mai. Und wo ich sah im Kummer ein einsam Herz vergehn, Und wo ich Sehnsucht, Trauer und stillen Schmerz gesehn, Da scheucht ich sanft mit Tönen von ihrem Aug das Leid, Und gab der Seele Hoffnung auf eine bessere Zeit. So war ich alt geworden, der Stimme Wohlklang schwand, Ein Bettler, zog ich dürftig nun durch das weite Land, Da fand ich keinen Tröster in meiner bittern Not, Das Volk gab seinem Sänger im Alter kaum das Brot. Und jetzt, da schon zu sterben sich sehnt das müde Herz, Fühlt es in seinem Innern den allgewaltgen Schmerz: Dich möge Gott behüten, mein schönes deutsches Land, Wo ich die größte Freude, den größten Kummer fand! Wie stark sind deine Männer, wie herrlich perlt dein Wein, Und deine Frauen schließen die schönsten Herzen ein; Doch wollen deine Völker nicht treu zur Freiheit stehn, Und deine Sänger müssen nach Ruh zu Grabe gehn. Des Sängers Lied klang leise hin durch die stille Nacht, Der Wind mit seinen Schwingen hats weit ins Land gebracht; 10
Weisbach, Volksstaat
Zwar schmückte nicht den Sänger der Eichenkranz im Tod, Doch hat ihn goldumleuchtet das nächste Morgenrot. VSE (1875) 22, S. 4
Rhenanus Lied der Arbeiter
Wer nicht schafft, der ist ein Schuft, Werft den Faulen an die Luft! Arbeit adelt, Arbeit nährt, Arbeit segnet, Arbeit ehrt. Lungr' ich — hungr' ich; Rast ich — rost ich; Wohlstand heiß ich, Arbeit kost ich, Stirnenschweiß und Schwielenhand Sein als Zierde anerkannt. Hundsfott, wer die Arbeit schimpft, Narr, wer drob die Nase rümpft, Wer nicht schafft, muß fasten gehn, Wer nicht schafft, muß Eckenstehn. Hammer, Axt in fleißiger Hand Hat die Armut schnell verbannt, Hacke, Schurzfell, Winkelmaß, Leert auf sie das volle Glas! Wer im Leben schwelgt und praßt Sei zum Tempel naus geschaßt. Wer sich nährt vom Volkesschweiß Gebt ihn der Verachtung preis. Mein sei. was ich hab erschafft, Das ist „Arbeitswissenschaft". Wer das Brot der Arbeit stiehlt, Sorgt, daß er als Dieb sich fühlt! Hut ab vor dem Arbeitsmann! Platz der Arbeit! — Fort vom Plan! Wer im Weg der Arbeit steht, 114
Wer sie foppt, ihr Nasen dreht. Schafft der Arbeit eine Gasse; Weg mit Dünkel, Stand und Klasse. Hoch die brave Arbeitsschar! Drauf und vorwärts immerdar! VSE (1875) 16, S. 4
Rhenanus Der Volksstaat Volksstaat mit der Bürgerkrone, Mit der Freiheit Volks-Standarte Steig hinauf zum Herrenthrone, Schleife unsrer Dränger Warte! Volksstaat, Friedensreich auf Erden Wann wird uns dein Banner werden? Volksstaat, du im Lorbeerkranze, Mit des Wohlstands goldnen Garben Schleif der Habgier Vorrechtsschanze, Ende unser langes Darben. Volksstaat, edler Geister Sehnen Trockne du des Volkes Tränen! Volksstaat, Staat der Bruderliebe, Ende du der Armut Qualen, Du im Auferstehungstriebe Bring des Frühlings Rettungsstrahlen. Deiner Blitze heilig Wettern Mög die Sklaverei zerschmettern! VSE (1875) 14, S. 4
Rhenanus Der Schutzgeist Volkesschutzgeist, breite schützend Über uns die Seraphschwingen, Und zerschmettre wetterblitzend 10*
Unsrer Feinde Schwerterklingen, Hoher Schutzgeist! Da wir litten, Warst ja stets in unsrer Mitten. Erdenmacht fühlt kein Erbarmen Bei des Volkes bittren Leiden, Möcht es Steine auch erbarmen, Sieht mans harren, sieht mans streiten. Schutzgeist, still des Volkes Sehnen, Heb sein Wähnen, seine Tränen! Daß die Freiheit werd errungen Und das Volksrecht, neu erworben, Ruf es aus mit Heroldszungen: Noch sind beide nicht gestorben! Willenskraft und Mut uns sende, Schmach und Hunger von uns wende. Halte hoch die Bruderliebe, Laß die Gleichheit sie entfachen, Mit der Freiheit Blütentriebe Uns zum Streit, zum Sieg erwachen; Laß die Völker glücklich werden, Wie im Traume, so auf Erden. VSE (1875) 18, S. 4
Rhenanus Volksrecht
Mein Recht heißt Freiheit der Gewissen, Mein Recht heißt frei in Rat und Taten, Nur da will ich die Freiheit missen, Wo selbst ich ihrer will entraten. Freiheit, was ihr auch anders sprecht, Ist höchstes Volks- und Staatenrecht. 116
Auf Glück und Wohlstand hab ich Rechte, Wer schaffet, soll auch sorglos leben; Der Volksstaat kennt nicht Arbeitsknechte! Wo Pflichten, muß es Rechte geben. Wohlstand ist erstes Volkesrecht, Wies auch die Selbstsucht deuten möcht. Der Freiheit Wesen liegt verbriefet In freier Schule, freier Lehre. Und wie ihr sie verflacht — vertiefet So welkt, so blüht des Lebens Ähre. Indes, wie ihr den Geist auch schwächt Es lebt, es siegt doch Volkes Recht! VSE (1875) 23, S. 4
Rhenanus Das Volkslied
Es braust der Strom, es rauscht die Linde Bald wehmutsvoll, bald jubelfroh, Im Haine flüstern Zephirwinde, Es hebt das Herz uns himmelhoh! Das ist des Volkslieds frische Weise O habet acht und lauschet leise! Bald frischaufjauchzend, bald in Tränen Erklingt des Volkslieds Melodie, Durchzittert bald von stürmschem Sehnen, Von Wehmut und Melancholie. Das ist des Volkslieds ernste Weise, O habet acht und lauschet leise! Bald schwebt auf leisen Andachtschwingen Das Lied hin zu der Armut Zelt; Bald hört man es begeisternd klingen, Daß Sturm und Drang den Mann befällt. 117
Das ist des Volkslieds Zauberweise O habet acht und lauschet leise! Es rauschts der Eiche Blätterkrone, Der Rhein er brausts durch Tal und Land, Das Lied vererbt von Sohn zu Sohne Das Lied vom freien Vaterland! Des deutschen Volkslieds schönste Weise, Bewahrt sie treu und lauschet leise! VSE (1875) 23, S. 4
Rhenanus Die Volksdichter
Ein Dichter ist von Gottes Gnaden Nur einzig, wer fürs Volk gedichtet. Der Hofpoet des Potentaten Der ist vom Volksmund längst gerichtet. Volksdichter zu der Freiheit Preis, Nur dir das grüne Lorbeerreis! Das Volksgemüt es ist die Quelle, Aus der der Dichtkunst Rosen sprießen, Ins Volksgemüt soll licht und helle Zurück der Dichtkunst Feuer fließen. Volksdichter zu der Gleichheit Preis, Nur dir das grüne Lorbeerreis! Die Rose, die das Volk ihm bietet Sie ist des Dichters schönster Lohn; Das Volk der Dichtkunst Gral behütet, Mag sie verachten Troß und Thron. Volksdichter zu der Liebe Preis, Nur dir das grüne Lorbeerreis! VSE (1875) 23, S. 4
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Rhenanus Der Volksdoktor
Ich bin ein Doktor auf dem Lande Und kenn des Volkes Freud und Leid, Es fesseln mich ans Volk die Bande Der Liebe und der Menschlichkeit. O, könnte ich dir Heilung bringen, Du Volk im heißen Ringen! Ich hab den matten Puls gefühlet Dem Volke und dem Arbeitsmann; Das Volk ist krank und gramdurchwühlet, Die Arbeit liegt in Schmach und Bann. O, könnte ich dir Heilung bringen, Du Volk im heißen Ringen! Die Diebe und die feilen Schranzen Sie zehren Volk an deinem Mark, Sie wolln dir auf dem Kopfe tanzen, Den Leib dir brechen riesenstark! Kein Doktor kann dir Heilung bringen, Du selbst mußt sie erringen! VSE (1875) 23, S. 4
B. . . Z u m Frühling 1875
Die Erde prangt im neuen Frühlingskleid, Die Bäume blühn, die Wälder grünen wieder, Und alle Wesen atmen Lieb und Freud — Die Lerche singt begeistert Jubellieder. Der Mensch allein hat keinen Frühling mehr, Ihm will die goldne Sonne nimmer scheinen, Die Welt ist tot für ihn und liebeleer! Der Frühling lacht — die Menschheit möchte weinen. 119
Ein bleicher Knab, in Lumpen eingehüllt, Hat auf der Straße jüngst mich angegangen, Er war so ganz des bleichen Elends Bild Und klagte mir mit tränenfeuchten Wangen: Der Vater, Arbeit suchend, ging uns fort Und ließ die Mutter krank in jener Hütte, Die kleinen Brüder hungern alle dort — 0 helft und gebt mir Brot, ich bitte, bitte! Dort sitzt vom Morgen bis zur späten Nacht Ein Mädchen zart, bei lärmenden Maschinen, Schon sieben Jahre hat es dort verbracht, Den armen Eltern muß es Geld verdienen; Die Blume ist verwelkt in giftger Luft; Das arme Mädchen trägt den Tod im Herzen. Sei nur getrost, mein Kind, Erlösung ruft, Bald bist du frei von allen Erdenschmerzen. Sieh dort ein junges Weib an Baches Rand Mit ihrem kleinen Knaben Blumen pflücken; Ihr Gatte starb im Krieg im fernen Land, Sie will sein Bild mit bunten Blumen schmücken. Der tiefste Gram ihr aus der Seele spricht! Mit Gold und Silber, allen Erdenschätzen, Mit vielen Milliarden wird man nicht, Was dieses eine Weib verlor, ersetzen. In jenem finstern Turme dort am See Zwei edle Männer harte Strafe leiden. Sie sahn der Brüder Not, des Volkes Weh, Und kämpften mutig an für beßre Zeiten. Doch ungestört sind jene „Gründer" dort, Die Millionen diebisch an sich brachten! Der Mann des Volkes für ein freies Wort Muß Jahre lang im dumpfen Kerker schmachten. Noch bläst der Wind uns kalt und schaurig an, Noch ist es Winter auf der weiten Erde. O kämpfe jeder, kämpfet alle an, Daß uns der lang ersehnte Frühling werde. Dann wird verschwinden Lüge, Gram und Leid, Dann wird die Freiheit uns zum Glücke führen. 120
O komm doch bald; du schöne Frühlingszeit, Wo nur die Wahrheit und das Recht regieren! VSE (1875) 25, S. 4
F.-W. Fritzsche Der Bergmann
Hoch droben im Gebirge, wie lebensmüde, liegt In waldumkränztem Tale, an Felsen angeschmiegt Ein kleines Bergmannsstädtchen, verwahrlost, totenstill, Wie ein verfallner Friedhof voll staubigem Gerüll, Ein Denkmal tiefer Trauer fast jedes Hüttchen ist, Auf dem des Sängers Auge viel Weh und Kummer liest. Es steht auf einem Grabe, das unersättlich bleibt, In das die armen Leute der Kampf ums Dasein treibt. Und draußen, vor dem Städtchen, wo man zur Grube geht, Ein altersschwaches Hüttchen wie gottverlassen steht, Wie Palmenzweig auf Gräbern ums Hüttchen Farren stehn, Die neigen sich wie betend, wenn leise Lüftchen wehn. Die Armut, die es berget, ist unaussprechlich groß, Ihm schaut aus allen Ritzen das Elend nackt und bloß, Das Fenster ist erblindet, so trübe, daß es scheint, Als hätt es sich vor Kummer die Augen ausgeweint. Ein alter Bergmann hauset darin in Einsamkeit, Er ist so alt, als hätte vergessen ihn die Zeit. Das Antlitz voller Furchen, von Wettern ausgespült, Die schwere Schicksalsstürme im Herzen aufgewühlt. Und mutterseeln alleine im öden, engen Raum Sitzt er und flüstert leise für sich, als wie im Traum, Geschichten, die gleich Märchen, voll Lieb und Herzeleid, Sind es, die er verkündet, aus längstverklungner Zeit. Er spricht von all der Liebe, die er gesenkt ins Grab — Von dem Tribut an Schmerzen, den er dem Schicksal gab; Wie mancher schon verschollen, den er einst Freund genannt, 121
Wie oft sein Herz statt Rosen nur blutge Dornen fand. Kaum tönt durch all die Klagen ein freundlicher Akkord, Die Saiten seiner Seele erklingen fort und fort In traurig ernsten Tönen, erzittern leis und bang Zu einer Trauerhymne, zu einem Schwanensang. Ihm lebt nur noch ein Enkel, ein Knabe jung und zart; Was noch in ihm von Liebe, das hat er dem bewahrt. Und der verdient die Liebe, die ihm der Alte schenkt, Weil er, trotz seiner Jugend, gar sorgsam an ihn denkt. Der Knabe zieht im Stollen den Hund voll gleißend Erz Mit sorglos regem Fleiße, ein echtes Bergmannsherz. Ihn kümmern böse Wetter und all die Schrecken nicht, Die gierig auf ihn lauern, er lebt nur seiner Pflicht. Sobald die Schicht beendet, fährt er zu Tage dann, Den greisen Ahn zu pflegen, so gut als er nur kann; Und wenn die Zeit der Ruhe, die kurze Frist vorbei, Eilt er zu neuem Werke, zu neuer Schicht herbei. So spinnt sein junges Leben sich ab in gleichem Lauf, Geteilt in Müh und Liebe — ein freundliches „Glück a u f ' Aus seines Alten Munde, von ihm ein Liebesblick, Das ist ihm Lohn in Fülle, das ist sein höchstes Glück. Heut ist er angefahren, gar ahnungsvoll gestimmt, Ihm wars, als ob der Alte auf ewig Abschied nimmt. Er möcht heut gerne weilen, doch hat er keine Wahl, Noch einen Blick zu Berge, noch einen Blick zu Tal. Dann muß sein junges Leben der Erde er vertraun Obwohl es ihm zu Mute, als sollt er nie mehr schaun Der Sonne goldne Strahlen, des Waldes prächtig Grün, Als sollten nimmer wieder die Blümlein für ihn blühn. Den Greis daheim umschleichen viel Bilder wundersam, Seitdem sein lieber Junge heut Abschied von ihm nahm. Er sieht in langen Reihen die Knappschaft aus dem Tal Mit zahllos blutgen Wunden, das Antlitz bleich und fahl — Voran die Obersteiger — hinaus zum Friedhof ziehn. Der letzte in dem Zuge, der grüßt so traurig ihn Und winkt, dem Zug zu folgen — es ist sein Knäblein fein, Es ist sein letzter Sprosse, der schließt den langen Reihn. 122
Da — von der Grube droben die Glocke laut erschallt, Sie heult, wie in Verzweiflung, daß durch das Tal es hallt. Das Städtchen, das so öde, so still noch eben lag, Wird plötzlich voller Leben, wie durch 'nen Zauberschlag; Und Kinder, Weiber, Greise in ängstlich schnellem Lauf, Sie eilen voller Schrecken zum Schacht den Berg hinauf. Die Glocke gab das Zeichen der atemlosen Schar: Es sind jetzt all die euren in tödlicher Gefahr. Die wurmzerfressnen Balken, sie gaben plötzlich nach, Das ganze Sparwerk krachend in sich zusammenbrach; Das lose Steingerölle stürzt in den Schacht hinab Und schließt für viele Monden ein schauerliches Grab. Die Witwen und die Waisen zu Hunderten umstehn Den Rand des großen Grabes — wie wird es euch ergehn? Denn auch die euch ernährten und schützten sind nun tot, Wer soll euch fürder speisen, wer schützen euch in Not? Die Herren, die seit Jahren sich teilten den Gewinn, Den eure Lieben schufen mit unverdroßnem Sinn? Sie, deren Geiz verschuldet das Unglück, daß euch traf? Die Hunderte gebettet in ewgen Todesschlaf? O glaubt das nicht, ihr Armen! In deren Herzensschacht Ists finstrer als da drunten, ists liebelose Nacht! Sie jammert nur ihr Schaden — was kümmert sie das Pack! Drum geht und zieht von hinnen, geht, nehmt den Bettelsack Der Alte in der Hütte empfangt den Todeskuß, Den in der Glocke Tönen als letzten Scheidegruß Entsendete sein Enkel, als ihm das Auge brach. „Fahr wohl, mein lieber Junge, bald folge ich dir nach! Was soll ich auch auf Erden, wo Liebe nur ein Wahn, Wo Eigensucht nur leitet den Menschen auf der Bahn Zum Glück, das zu erreichen er nimmermehr vermag, Weil ja das Glück doch immer in großem Reichtum lag. Wo blieb das Reich der Liebe, das nach der Priester Wort, Uns Christus einst verheißen? Wir harrten fort und fort, Daß sich das Wort erfülle — doch blieb es unerfüllt! Weil wir gehofft, ein Wesen, das man in Rätsel hüllt, Es schaffe durch ein Wunder dies Reich auf Erden noch, Und uns geduldig fügten und fromm ins Sklavenjoch.
Dies Harren ohne Ende, dies Glauben ohne Tat, Das ist am Heil der Menschheit der schwärzeste Verrat!" Da überkömmt den Alten im Sterben ein Gesicht. Er schaut, wie einst der Sklave das ehrne Joch zerbricht, In das den starken Nacken der Mammon ihm gebeugt, Wie sein erwachter Wille das Reich der Liebe zeugt. Die Arbeit auf dem Throne der schmacherlösten Welt, Die Eigensucht in Schande — zu Füßen ihr — zerschellt. Da tönt aus seinem Herzen ein Jubelruf herauf, Die letzte Schicht anfahrend, ruft er: Glück auf! Glück auf! Glück auf! VSE (1875) 45, S. 3f.
Friedrich August Junghahn Soldatenlied
Ich bin Soldat, muß Tag und Nacht marschieren, Statt in der Arbeit muß ich Posten stehn, Statt in der Freiheit muß ich salutieren, Und muß den Hochmut frecher Buben sehn. Und gehts ins Feld, so muß ich Brüder morden, Von denen keiner was zu leid mir tat, Dafür als Krüppel trag ich Band und Orden Und hungernd ruf ich dann: Ich bin Soldat! Ihr Brüder all, ob Deutsche, ob Franzosen, Ob Ungarn, Dänen, ob vom Niederland. Ob grün, ob rot, ob blau, ob weiß die Hosen, Gebt euch, statt Blei, zum Gruß die Bruderhand, Auf, laßt zur Heimat uns zurückmarschieren, Von den Tyrannen unser Volk befrein, Denn nur Tyrannen müssen Kriege führen, Soldat der Freiheit will ich gerne sein! VS (1871) 28, S. 4
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Befreiungs-Lied
Es ist die Stunde gekommen, Die uns erlösen soll, Die Waffen sind uns genommen, Das Jahr, es ist bald voll. Tage und Wochen sind verflossen, Herrliche Stunden sind dahin, Blut, viel Blut wurde vergossen, Nun ziehen wir dahin. Zurück nach Deutschlands Auen, Fort von dem Waffentum. Wir wollen die Freiheit schauen. Was nützt uns Waffenruhm? Die Freiheit ist zertreten, Vernichtet durch den Krieg; Auf! laßt sie uns jetzt retten, Auf uns beruht der Sieg! Auf, die ihr den Feind geschlagen, Reicht euch die Bruderhand! Dann mögen sie es wagen, Zu trennen unser Band! VS (1871) 59, S. 3
Des Kriegers Lohn
Was lauern wir in Frankreich hier Der Krieg ist ja vorbei. Man hat uns einberufen hier, Als klang das Kriegsgeschrei. Was sollen wir hier exerzieren, Wozu die Instruktion?
Nach Hause sollen sie uns führen, Das wär des Kriegers Lohn. Doch lohnen uns ganz anders jetzt Die Herren Offiziere; Ich glaube, daß wir allzuletzt Noch werden Wundertiere! Schon früh 8 Uhr könnt ihr uns sehn Mit marschmäßgem Gepäck, Da wird geübt: ganz gerade gehn Und zielen um die Eck! Der einz'lne Marsch muß gehn charmant: Die Stiefelspitzen runter; „Gesellschaft"wird man stets genannt, Ein „Ochse" auch mitunter. So geht es von des Morgens Früh Bis in die Nacht hinein, Am Ende exerzieren sie Uns noch beim Mondenschein. „Arrest" spricht auch der Hauptmann gern „Drei Tag Arrest!" Ja, ja! Doch drinnen blüht ein beßrer Stern, Denn man hat Ruhe da. Das Das Das Den
ist der Lohn nach solchem Krieg, sind die „Liebesgaben", sind die Lorbeern für den Sieg, wir errungen haben!
VS (1871) 55, S. 3
Undemokratisches Soldatenlied Ich bin Soldat und bin es mit Vergnügen, Als ich es ward, hat man mich erst gefragt : „Wirst dus auch gern?" Ich sprach: „Ich müßte lügen, 126
Wenn dies Geschäft nicht stets mir zugesagt; Was Schöneres gibts ja nicht, als exerzieren, Patrouillen, Posten, Ordonnanzen sein, Und auf Befehl bald stehen, bald marschieren, O welches Glück, welch Glück Soldat zu sein!" Ich bin Soldat, was kann es Beßres geben? Kommißbrot schmeckt, wie reiner Marzipan, Mein Sold ist reichlich und genügt zum Leben, Leicht mein Gepäck, Behandlung stets human; Und gehts ins Feld, ein Dasein voller Reize Harrt meiner dann im schönen Frankenland; Sind Krüppel wir, so werden Eisenkreuze Als Siegespreis den Helden zuerkannt. Drum hol der Teufel alle Zivilisten, Es lebe nur der edle Kriegerstand, Nur Militärs, ob Juden oder Christen, Sein hochgeehrt im deutschen Vaterland! Auf, laßt als Sieger uns zurückmarschieren, Laßt von der Freiheit unser Volk befrein! Laßt uns alljährlich neue Kriege führen! Soldat des Kaisers will ich gerne sein. VS (1871) 5, S. 1
An mein Vaterland
Lieb Vaterland, was machst du drüben? Da drüben überm schönen Rhein? Die Kunde dringt zu mir hier hüben, Du ließt dich ein in Narretein! Sag an, du herrlich „Volk der Denker"; Sag mir die volle Wahrheit doch! Kennst du denn wirklich nicht die Lenker, Die dich beehren mit dem Joch? Schau her auf uns, uns „deutsche Helden", Wie wir hier stehn im Kaisersold! 127
— So mag es die Geschichte melden! Doch auch, daß ich es nicht gewollt! — Du riefst dein „Hurrah" unsren Siegen, Dein „Hurrah" unsrem Mute zu! Mein Land, du durftest nicht erliegen — Doch, hast du nach den „Siegen" Ruh? Wenn dus geglaubt, bist du betrogen! Dein frommer Glaube wird zum Hohn! Denn neuer Ehrgeiz ist gesogen Aus diesen stolzen Siegen schon! Du wirst die Wunder bald erleben, Mit denen man dich noch beglückt! Erhältst den Lohn fürs „Kronen geben"! Wirst, statt befreit, noch mehr gedrückt! Drum rate ich euch, deutsche Herzen, Die ihr noch recht und bieder denkt: — Nicht Neid — nein, das Gefühl der Schmerzen Ists, was mich zu dem Rate drängt — Seht ab vom äußern Glanz und Scheine, Und dringet auf der Sache Kern! Damit, wenn einst der Tag erscheine, Das Wahre von dem Falschen fern! Drum, deutsche Männer, laßt euch raten Von einem deutschen „Heldensohn": Anstatt der Worte zeiget Taten, Sonst dankt der Enkel euch mit Hohn! Mit eurer oft gerühmten Treue Wirkt für der Freiheit heiiges Gut! Schafft, daß man sich am Recht erfreue! Ein „Hurrah" diesem deutschen Mut! Und du, mein Volk, wirst bald begreifen, Was heute dir noch unklar ist: Daß, wo die schönsten Kronen reifen, Der Wurm dein Recht am stärksten frißt! Du wirst es, wenn du willst, verstehen, Für deine Freiheit fest zu stehn, Wirst, angelangt auf diesen Höhen, Auch ihre schönste Blüte sehn. 128
Dann wirst du nicht mehr frevelnd fluchen Ob diesem oder jenem Land; Wirst schnell das einzig Schöne suchen: — Für alle Welt ein Bruderband! — Wirst dann nicht mehr mit Schrecken hören: „Zerstöret ist des Friedens Ruh!" Wirst, wie aus einem Munde schwören: „Auf ewig das Gewehr in Ruh!" VS (1871) 48, S. 3
An euch, Pariser Brüder!
Ihr Seinebrüder! Rot von Blut ist es auf euren Straßen, Gehalten habt ihr tapfer euch, ein jeder muß es sagen. Für uns habt ihr gekämpfet mit, für uns habt ihr gerungen Die rote Fahne in der Hand — und wiederum bezwungen! — Schon einmal wart die ersten ihr vor dreiundzwanzig Jahren, Heut wiederum voran, im Kampfe gegen die Cäsaren. Der Freiheit Feinde allerorts, sie freun sich eures Falles, Gemordet und erschossen ihr von Mördern aus Versailles. O welch ein Stolz für euch und uns, für alle Sozialen, Zwei Monden habt gehalten ihr Paris vor den Vandalen! Vernichtet habt ihr in der Zeit die Herrlichkeit der Großen, Der Arbeit gäbet ihr ihr Recht, die Armut muß euch loben! Ihr habt des Volkes Wohl gewollt, euch war Mammon nicht heilig, Ihr glaubtet an kein Vaterland, Paris war wiedrum einig. Frei Menschentum war eu'r Panier, ihr edelen Pariser; Ihr standet auf der Höh der Zeit, ihr schlugt die Pfaffenhyder; Ein leuchtend Vorbild gäbet ihr für alle Unterdrückten, Die Hoffnung nahmt ihr mit ins Grab, daß wir dereinst doch siegen. Pariser! Euer Todesschrei erbraust durch alle Länder! Gehöret wird er überall, zur Flamme wird der Bränder; Es glühet in der Asche fort, die Glut ist nicht zu löschen, Bald bricht der Brand von neuem aus, um furchtbar euch zu rächen! Es glüht, es zuckt der Proletar, er knirscht, weil er gefesselt; Der Kaiser-, Pfaffen-, Geld-Altar allüberall hohnlächelt. — Ihr toten Brüder von Paris! Das Rad der Zeit rollt schneller, Eu'r Todesröcheln, euer Ruf ertönet immer greller, 11
Weisbach, Volksstaat
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Und mischet sich mit manchem Schrei von der Brigittenau, von Wien, Von Frankfurt, Dresden, Mannheim, Rastatt, Friedrichshain, Berlin. Für freies gleiches Menschenrecht starb mancher brave Kämpe; — Der sozial-demokratsche Staat, bald kommt er, der ersehnte. Drum schlafet wohl in Mutter Erd, bis wir ihn euch erkämpfen. Ihr brachtet uns das Morgenrot — bald wird die Sonne glänzen. VS (1871) 48, S. 3
Die Marseillaise Ihr Männer auf! im Vaterlande, Es kam des Ruhmes Tag herbei, Die blutbespritzte Fahne wandte Hoch wider uns die Tyrannei! Hört ihr der rohen Söldner Horden Das Feld durchziehen mit Gebrüll? Sogar in euren Armen will Der Feind euch Weib und Kinder morden! Zum Kampf, wer Bürger heißt; Schnell ordnet eure Reihn! Marsch, Marsch! Das falsche Blut saug unser Boden ein. Was fordert die Verräterbande, Was Könge und ihr Sklavenheer? Für wen bringt man der Zügel Schande Und Ketten, längst geschmiedet, her? Für uns, o Schmach, für uns, Franzosen! Fühlt ihr euch nicht in Wut gejagt? Ihr seids, die man zu träumen wagt, Ins alte Sklavenjoch zu stoßen! Zum Kampf, was Bürger heißt; Schnell ordnet eure Reihn! Marsch, Marsch! Das falsche Blut saug unser Boden ein! Was! fremde Kriegerscharen wollen Uns meistern an dem eignen Herd? 130
Was! unsre stolzen Krieger sollen Hinstürzen durch der Knechte Schwert? Gott! unsre Nacken sollten spannen Solch feile Hände in das Joch? Herrn unsres Schicksals werden noch die feigen Söldner der Tyrannen? Zum Kampf, was Bürger heißt-; Schnell ordnet eure Reihn! Marsch, Marsch! Das falsche Blut saug unser Boden ein. Despoten bebt! Verräter zittert! Ihr, aller Reihen Schmach und Hohn. Das Vaterland habt ihr erschüttert, Den Vatermord ereilt der Lohn. Soldat ist alles, euch zu schlagen, Ob unsre Helden untergehn — Frankreich läßt neue auferstehn, Die Waffen gegen euch zu tragen! Zum Kampf, was Bürger heißt; Schnell ordnet eure Reihn! Marsch, Marsch! Das falsche Blut saug unser Boden ein. Als edle Krieger, Brüder schwinget Zur Gnade auch das tapfre Schwert. Die euer Feind zum Streiten zwinget, Die Armen sind des Mitleids wert. Doch nicht der blutige Despote, Von Bouille nicht der Mitgenoß. Kein Tiger, der empfindungslos Der Mutter Brust zu spalten drohte! Zum Kampf, was Bürger heißt; Schnell ordnet eure Reihn! Marsch, Marsch! Das falsche Blut saug unser Boden ein. Stärk Vaterlandeslieb und leite Den Rächerarm, der dir sich weiht! O, Freiheit! süße Freiheit, streite Mit uns, wir führen deinen Streit. Zu unseren Fahnen, Mächtge, kehre ii
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Der Sieg sich auf dein Machtgebot, Daß schau der Feind, mäht ihn der Tod, Dein Siegsgepräng und unsre Ehre. Zum Kampf, wer Bürger heißt; Schnell ordnet eure Reihn! Marsch, Marsch! Das falsche Blut saug unser Boden ein. VSE (1874) 34, S. 4
Thomas Hood Das Lied vom Hemd
Mit Fingern krampfend und wund, Mit brennenden Lidern und Hirn, Saß ein Weib, in schnöde Lumpen gehüllt, Hastend mit Nadel und Zwirn. Stich! — Stich! — Stich. In Armut, Hunger und Pein, Doch mit leiser, schmerzlicher Stimme sang Sie das „Lied vom Hemde" darein. Ans Werk! Ans Werk! Ans Werk! Kräht von Ferne der Hahn mich wach! Und ans Werk! Ans Werk! Ans Werk! Bis die Sterne funkeln durchs Dach! O daß unter Türkenvolk Mich als Sklavin das Schicksal verstieß, Wo das Weib seine Seele nicht retten kann, Wenn christliche Arbeit dies! Ans Werk — ans Werk — ans Werk, Bis Hirn und Sinne sich drehn; Ans Werk — ans Werk — ans Werk Bis die Augen mir Übergehn! Saum und Achsel und Band, Band und Achsel und Saum, 132
Bis über den Knöpfen mich Schlaf befällt, Und ich fest sie nähe im Traum! O Männer mit Schwestern lieb! O Männer mit Müttern und Fraun; Nicht Leinwand ists, die ihr nutzet ab, 's ist menschliches Leben, traun! Stich — Stich — Stich, In Armut, Hunger und Leid Näh ich mit doppeltem Faden zugleich Ein Hemd und mein Totenkleid. Doch nein, was sprach ich von Tod? Dem Gespenste grinsend und bleich? Mir graut nicht vor seiner Schreckensgestalt, Sie scheint mir selber so gleich — Sie scheint mir.selber so gleich, Weil nimmer mein Fasten ruht, O Gott, daß Brot so teuer muß sein, Und so wohlfeil Fleisch und Blut! Ans Werk — ans Werk — ans Werk! Nie kommt zu Ende mein Plack; Und was ist mein Lohn? Eine Kruste Brot — Ein zerlumptes Kleid — ein stroherner Sack — Dieser nackte Flur — ein geborstenes Dach — Ein Tisch — eine morsche Bank — Und die Wand so kahl — daß, streift sie einmal Mein Schatten, ich solches ihm dank! Ans Werk — ans Werk — ans Werk Beim bleiernen Stundenfluß; Ans Werk — ans Werk — ans Werk, Wie am Tretrad der Züchtling muß! Band und Achsel und Saum, Saum und Achsel und Band Bis das Herz erkrankt, und das Hirn erstarrt, So gut wie die müde Hand. Ans Werk — ans Werk — ans Werk, Im trüben Dezemberschein, Und ans Werk — ans Werk — ans Werk, 12
Weisbach, Volksstaat
Wenn das Wetter warm ist und rein; Weil unter der Rinne hin Zum Neste die Schwalbe kreist, Und wie spöttisch als einzigen Lenzgruß mir Ihren sonnigen Rücken weist. O nur zu atmen den Duft Der Veilchen und Primeln hold, Mit den Rasen zu Füßen mir, Und zu Häupten das Sonnengold; Eine kurze Stunde nur Zu fühlen wie dazumal, Eh' mein Herz die Sorge der Armut kannt, Und den Plack um ein einziges Mahl! O um eine Stunde nur! Eine Rast wie kurz auch und klein! Keine selige Muße für Hoffnung und Lieb, Eine Zeit nur für meine Pein! Ein wenig Weinen, zwei Tropfen nur Würden lindern mein fiebernd Hirn, Doch müssen sie hüten ihr salziges Bett, Denn sie hindern Nadel und Zwirn! Mit Fingern krampfend und wund, Mit brennenden Lidern und Hirn, Saß ein Weib, in schnöde Lumpen gehüllt, Hastend mit Nadel und Zwirn. Stich — Stich — Stich, In Armut, Hunger und Pein, Doch mit leiser, schmerzlicher Stimme sang — O daß zu den Reichen tönte der Klang — Sie das „Lied vom Hemde" darein. VSE (1875) 14, S. 4
Reinhardt Strike-Lied Wir wollen auf unserm Recht bestehn, Dem freien Menschenrechte, 134
Und lieber alle zu Grunde gehn, Als dienen wie die Knechte! Wer unser Recht uns vorenthält, Der bringt sich selbst zu Falle; Denn Gottesrecht durch alle Welt Ist: „gleiches Recht für alle!"
Vor dieses Rechtes Freigericht Wolln wir den Bourgeois laden, Das gleiche Recht dem feilen Wicht, Und wärs zu seinem Schaden. Und wie human der Bourgeois girrt Und Schlingen um uns flechte: Uns selber treu, laßt unbeirrt Bestehn uns auf dem Rechte! In Ketten Mannesmark verdirbt, Ummodert stets vom Fluche; Drum besser, wer in Freiheit stirbt, Und wärs im Hungertuche! So sei der Arbeit Feiertag Mit einem Mal geboten; Das schleudert wie ein Donnerschlag Das Kapital zu Boden! Mein Volk der Arbeit, bis aufs Blut Vom Bourgeois du geschunden, Laß flammen nun den Heldenmut Aus deinen Dulderwunden! Die Brüder all, voll Zuversicht Sehn sie auf unsre Waffen, Sie segnen unsern Kampf der Pflicht, Der uns das Recht soll schaffen. Drum steht zusammen, Mann an Mann, Dann muß der Bourgeois wanken, 12*
Nichts ist, das widerstehen kann Den Freiheitsglutgedanken! So wolln wir auf dem Recht bestehn, Dem freien Menschenrechte, Und lieber alle zu Grunde gehn Als dienen wie die Knechte! VS (1870) 35, S. 3
C. H. Blusenlied
Den Frack trägt jeder Scharlatan, Der Stutzer seinen Kittel, Den grauen Rock der Jägersmann, Des Kaisers Rock der Büttel, Schwarz, schwarz erscheint die Geistlichkeit Vom Kopfe bis zum Fuße, Das stolzeste, das schönste Kleid, Das bleibt doch meine Bluse! Von meiner Arbeit Schweiß getränkt, Versteht sie meine Klagen, Und was mein Herz im Stillen denkt, Darf ich ihr alles sagen. Drum, ob zerrissen, ob geflickt, Ob ölig, ob voll Ruße, Mit Liebe stets mein Auge blickt Auf meine treue Bluse. Die Bluse lehrt mich jeden Tag Die Frucht von tausend Jahren: Daß es nicht besser werden mag, Bis einig unsre Scharen! Und seh ich einen Blusenmann, Biet ich die Hand zum Gruße; 136
Denn diesem ich vertrauen kann, Das sagt mir seine Bluse. Den fest geschlossnen Bruderbund Kann keine Macht bezwingen, Durch ihn — das tut die Bluse kund Wird uns das Werk gelingen, Hinweg mit allen Tyrannein, Mehr Brot, mehr Schlaf, mehr Muße, Wir wollen freie Menschen sein, Das kündet unsre Bluse! VS (1871) 35, S. 2
Anmerkungen zur Einleitung
Abkürzungen Der Volksstaat. Organ der sozial-demokratischen Arbeiterpartei und der Internationalen Gewerksgenossenschaften. Unveränderter Nachdruck mit einer Einleitung und einer Bibliographie der Publikationen von Marx und Engels im „Volksstaat" v. Prof. Dr. Erich Kundel. Leipzig 1971. Bd. I bis VIII. VSE Volksstaat-Erzähler. Beilage zu: Der Volksstaat. Organ der sozial-demokratischen Arbeiterpartei und der Internationalen Gewerksgenossenschaften. Unveränderter Nachdruck mit einer Einleitung und einer Bibliographie der Publikationen von Marx und Engels im „Volksstaat" v. Prof. Dr. Erich Kundel. Leipzig 1971. Bd. VIII. Lexikon Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon. Berlin 1973. MEW Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 1—39 (u. Ergänzungsband Teil 1 u. Teil 2; Verzeichnis [Bd. 1] u. Bd. 2). Hg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Berlin 1956—1971. VS
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VS Bd. I bis VIII. Vgl. vorliegenden Bd., S. 91 f. Engels an Bebel, Brief v. 1./2. 5. 1891. In: MEW, Bd. 38, S. 93. VSE. Vgl. die Bibliographie der Publikationen von Marx und Engels im „Volksstaat" v. Prof. Dr. Erich Kundel; VS, Bd. I. VS (1872) 99, S. 4. VS (1871) 26, S. 2. VS (1876) 66, S. 4 (Annonce). VS (1876) 60, S. 2. VS (1876) 29, S. 4; vgl. dazu auch den Aufsatz: „Über die Schaubühne und ihre Zukunft". In: VS (1875) 44, S. 1. VS (1875) 149, S. 4. VS (1876) 64ff., S. 1. VS (1876) 72ff., S. 1. VS (1875) 73, S. 1. 141
15 Das Volk. Londoner Wochenzeitung. Unveränderter Nachdruck. Mit einer Einleitung und einer Bibliographie der Publikationen von Marx und Engels im „Volk" von Richard Sperl. Leipzig 1872; Nr. 13, S. 4. 16 Vgl. z. B. VS (1870) 19, S. 3. 17 VS (1870) 41, S. lf. 18 MEW, Bd. 17, S. 339. 19 VS (1871) 44, S. 3. 20 VS (1871) 45, S. 1. 21 Marx an Engels am 22. 8. 1870. In: MEW, Bd. 33, S. 47. 22 Marx an Engels am 2. 9. 1870. In: Ebd., S. 50. 23 Engels an Marx am 4. 9. 1870. In: Ebd., S. 51. 24 Ebd., S. 52. 25 Marx an Sigfrid Meyer am 8. 1. 1871. In: MEW, Bd. 33, S. 173. 26 Vgl. vorliegenden Bd., S. 83. 27 VS (1870) 86, S. 1. 28 VS (1871) 45, S. 2. 29 VS (1872) 64, S. 2. 30 Marx an J. Ph. Becker am 9. 4. 1860. In: MEW, Bd. 30, S. 527. 31 Vgl. Lexikon, S. 35; Stichwort: J. Ph. Becker. 32 Vgl. vorliegenden Bd., S. 134—136. 33 Lexikon, S. 149, Stichwort: Geib. 34 Ebd. S. 57; Stichwort: Bracke. 35 Vgl. vorliegenden Bd., S. 74—75. 36 Ebd. S. 6 3 - 6 7 . 37 Lexikon, S. 248; Stichwort: Kokosky. 38 Ebd. S. 33; Stichwort: B. Becker. 39 Engels an Liebknecht Mitte August 1871. In: MEW, Bd. 33, S. 269. 40 Lexikon, S. 141; Stichwort: Fritzsche. 41 Ebd. S. 188; Stichwort: Hasenclever. 42 Vgl.: Rudolf Lavant — Gedichte. Hg. v. Hans Uhlig. Berlin 1965. (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, Bd. VI). 43 Vgl.: Leopold Jacoby. Hg. v. Manfred Häckel. Berlin 1971 (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, Bd. X). 44 Vgl. Max Kegel. Auswahl aus seinem Werk. Hg. v. Klaus Völkerling. Berlin 1974. (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, Bd. XIII). 45 Vgl.: Ein deutscher Chansonnier. Aus dem Schaffen Adolph Lepps. Hg. v. Ursula Münchow und Kurt Laube. Berlin 1976. (Textausgaben zur frühen sozialistischen Literatur in Deutschland, Bd. XVI). 46 Vgl. vorliegenden Bd., S. 41—42. 47 Ebd. S. 3 3 - 3 4 . 48 Ebd. S. 6 9 - 7 0 . 49 Segui il tuo corso, e lascia dir le genti — Geh deinen Weg und laß die Leute reden (Dante, Göttliche Komödie). Vgl. Das Kapial. Bd. I. In: MEW, Bd. 23, S. 17. 50 Vgl. vorliegenden Bd., S. 67—68.
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51 Ebd. S. 8 0 - 8 1 . 52 Vgl. Das Volk. Londoner Wochenzeitung. Unveränderter Nachdruck mit einer Einleitung und einer Bibliographie der Publikationen von Marx und Engels im „Volk" von Richard Sperl. Leipzig 1972; Nr. 6, S. 3.
Anmerkungen zu den Texten Die Orthographie der Texte wurde behutsam dem Duden angeglichen. S.
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3 Sämtliche der im „Volksstaat" abgedruckten Gedichte Freiligraths sind zwischen 1846 und 1851 entstanden und zu dieser Zeit auch gedruckt worden, vor allem in den „Neueren socialen und politischen Gedichten" 1849 und 1851. 3 Vor zweiundzwanzig Jahren : In allen Freiligrath-Ausgaben unter dem Titel „Im Hochland fiel der erste Schuß". 4 Mourir pour la patrie: Für das Vaterland zu sterben. 4 Ça ira: Es wird gehen! (Zeile eines Revolutionsliedes von 1789/94). 4 Vive la réforme! Le système à bas!: Es lebe die Reform! Nieder mit dem System! 5 Allons enfants!: Vorwärts, Kinder . . . (Zeile aus der Marseillaise). 13 Arbeiterlied: Das Original und die meisten späteren Drucke erschienen unter dem Titel „Bundeslied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein". Ferner zumeist mit Shelleys Zeile (You are many, the are few) als Motto. 14 Kampfprolog im Himmel: Herweghs Gedicht erinnert an den 1848/49 von Preußen und Österreich ausgehenden konterrevolutionären Terror, als sich Mitte der 60er Jahre der dynastische Gegensatz zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland zuspitzt und der Krieg von 1866 vor der Tür steht. 15 Blum : Robert Blum ; Märtyrer der Revolution von 1848/49, wurde am 4. 11. 1848 erschossen. 15 Dortu: Märtyrer der Revolution 1848/49. 16 Mac Mahon: General Louis Bonapartes. 16 Berthold Auerbach: Deutscher Dichter, bekannt geworden vor allem mit seinen realistischen Dorfgeschichten. 17 Fiatjustifia! Vivat mundus ! : Es geschehe, was recht ist ! Es lebe die Welt ! 19 Und 89 wird ein Traum: Herwegh verweist auf die Abtötung aller demokratischen und republikanischen Traditionen der Revolution von 1789 unter der Herrschaft Louis Bonapartes. 20 Döllinger: Deutscher katholischer Theologe, der nach der Reichsgründung reaktionäre Positionen verfocht.
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51 Ebd. S. 8 0 - 8 1 . 52 Vgl. Das Volk. Londoner Wochenzeitung. Unveränderter Nachdruck mit einer Einleitung und einer Bibliographie der Publikationen von Marx und Engels im „Volk" von Richard Sperl. Leipzig 1972; Nr. 6, S. 3.
Anmerkungen zu den Texten Die Orthographie der Texte wurde behutsam dem Duden angeglichen. S.
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3 Sämtliche der im „Volksstaat" abgedruckten Gedichte Freiligraths sind zwischen 1846 und 1851 entstanden und zu dieser Zeit auch gedruckt worden, vor allem in den „Neueren socialen und politischen Gedichten" 1849 und 1851. 3 Vor zweiundzwanzig Jahren : In allen Freiligrath-Ausgaben unter dem Titel „Im Hochland fiel der erste Schuß". 4 Mourir pour la patrie: Für das Vaterland zu sterben. 4 Ça ira: Es wird gehen! (Zeile eines Revolutionsliedes von 1789/94). 4 Vive la réforme! Le système à bas!: Es lebe die Reform! Nieder mit dem System! 5 Allons enfants!: Vorwärts, Kinder . . . (Zeile aus der Marseillaise). 13 Arbeiterlied: Das Original und die meisten späteren Drucke erschienen unter dem Titel „Bundeslied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein". Ferner zumeist mit Shelleys Zeile (You are many, the are few) als Motto. 14 Kampfprolog im Himmel: Herweghs Gedicht erinnert an den 1848/49 von Preußen und Österreich ausgehenden konterrevolutionären Terror, als sich Mitte der 60er Jahre der dynastische Gegensatz zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland zuspitzt und der Krieg von 1866 vor der Tür steht. 15 Blum : Robert Blum ; Märtyrer der Revolution von 1848/49, wurde am 4. 11. 1848 erschossen. 15 Dortu: Märtyrer der Revolution 1848/49. 16 Mac Mahon: General Louis Bonapartes. 16 Berthold Auerbach: Deutscher Dichter, bekannt geworden vor allem mit seinen realistischen Dorfgeschichten. 17 Fiatjustifia! Vivat mundus ! : Es geschehe, was recht ist ! Es lebe die Welt ! 19 Und 89 wird ein Traum: Herwegh verweist auf die Abtötung aller demokratischen und republikanischen Traditionen der Revolution von 1789 unter der Herrschaft Louis Bonapartes. 20 Döllinger: Deutscher katholischer Theologe, der nach der Reichsgründung reaktionäre Positionen verfocht.
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S. 20 Redwitz: Hohenzollernapologetischer Dichter, der nach der Reichsgründung mit nationalistischen Dichtungen hervortrat. S. 21 Jesuiten-Feldzug: Mit diesem Gedicht reagiert Herwegh auf den vom Bismarck-Regime ausgehenden sogenannten Kulturkampf. S. 21 Stieber: Preußischer Polizeibeamter, leitete u. a. die Bespitzelung der deutschen Kommunisten im Londoner Exil; Initiator des Kölner Kommunisten-Prozesses von 1852; zusammen mit Wermuth Verfasser von „Kommunisten-Verschwörung im 19. Jahrhundert". S. 21 Hubertusburg: Festung, auf der Liebknecht und Bebel ab 1872 eingekerkert waren. S. 21 Lotzen: Ort, an dem der sozialdemokratische Parteiausschuß unter Bracke 1871 eingekerkert war. S. 21 dulce et decorum est pro patria (mori): Glorreich und süß ist's, Sterben fürs Vaterland (Horaz). S. 21 Lasker: Preußisch-deutscher Abgeordneter nationalliberaler Richtung. S. 21 Werder, Mauser: Deutsche Waffenfabrikanten. S. 22 Achtzehnter März: Geschrieben anläßlich des 25. Jahrestages der MärzRevolution in Berlin. S. 27 D... B. J.: Der Name des Verfassers konnte nicht ermittelt werden. S. 28 M.K-l.: Das ist Max Kegel. S. 30 Hans: Sohn Robert Blums; nationalliberaler Reichstagsabgeordneter. S. 32 Gründer-Wageher: Anhänger Bismarcks, nationalliberaler Politiker der Gründerjahre. S. 35 Ch. R.: Der Name des Verfassers konnte nicht ermittelt werden. S. 40 Der Arbeitsausschluß: Das Gedicht warnt vor spontanen Streiks, die in dieser Zeit zumeist erfolglos blieben, weil die Bourgeoisie der vereinzelten Arbeiteraktion die geschlossene Front der Aussperrung entgegenstellen konnte. S. 42 Strousberg, Borsig, Graf Redern, Hansemann, Mendelssohn. Bekannte deutsche Kapitalisten der 70er Jahre. S. 42 Bleichröder: Bankier; auch persönlicher Bankier und Finanzvertrauter Bismarcks. S. 42 B.: Der Verfasser konnte nicht ermittelt werden. S. 47 W.: Der Verfasser konnte nicht ermittelt werden. S. 47 alten Fritz: Gemeint ist Friedrich Harkort, Abgeordneter von 1848 und des späteren Reichstages; predigte die Enthaltsamkeit der Arbeiter. S. 47 Dr. Hermann Becker: Jetzt Liberaler, einst Mitglied des Bundes der Kommunisten. S. 47 Kinkel: Hauptvertreter des kleinbürgerlichen Exils in London. S. 47 Schurz: Kleinbürgerlicher Politiker, emigrierte in die USA. Stand während des Bürgerkrieges auf Seiten der Nordstaaten. S. 47 Friedrich Hecker: Kleinbürgerlicher Politiker von 1848/49. S. 47 Pückler-Muskau: Reiseschriftsteller und Autobiograph von liberaler Gesinnung. S. 47 Binding, von der Golz: Reaktionäre Politiker der Bismarckzeit, die in den 70er Jahren besonders heftig gegen die Arbeiterbewegung auftraten. 144
S. 49 Gedichte über die Pariser Kommune: Nur im Feuilleton des VS erfährt die Pariser Kommune politische Solidarität und literarische Verteidigung. Ihm folgen darin die sozialistischen Lokalzeitungen. S. 50 K . : Der Verfasser konnte nicht ermittelt werden. S. 54 G.: Vermutlich August Geib. S. 58 Der Krakeeler: Hierbei handelt es sich um ein polemisches Zitat aus der bürgerlichen Presse. S. 59 G.: Vermutlich August Geib. S. 60 Den Feinden sein: Altertümlicher Kasusgebrauch ( = seinen Feinden). S. 67 Bebel: Erschien als anonymes Flugblatt, als Bebel in dieser Zeit auf der Festung Hubertusburg inhaftiert war. S. 68 Ein Lied vom Hochverratsprozeß: Es handelt sich um den Leipziger Hochverratsprozeß von 1872 gegen Bebel, Liebknecht und Hepner. S. 72 Dem Kongreß: Gemeint ist der Parteikongreß der S D A P von 1870. S. 77 Gruß an den Parteikongreß 1874: Gemeint ist der Parteikongreß der SDAP von 1874. S. 82 zum Kongreß: Gemeint ist der Vereinigungs-Parteitag in Gotha 1875. S. 83 W.: Der Verfasser konnte nicht ermittelt werden. S. 83 Geibel: Bürgerlicher Dichter des 19. Jahrhunderts; neben volkstümlicher Lyrik auch wirklichkeitsferne Dichtung und Prosa. S. 84 Georg Herwegh: Georg Herwegh starb am 7. 4. 1875. S. 87 Ofenheim, Strousberg, Putbus, Wagner, Rothschild: In den 70er Jahren bekannte Gestalten aus der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft und dem preußisch-deutschen Junkertum. S. 89 Sedanfeier: Anfang September 1870 hatten die deutschen die französischen Truppen bei Sedan vernichtend geschlagen. Der 2. September diente fortan als nationalistischer Fest- und Feiertag. S. 89 Fr. Zimmermannsche Maschinenfabrik: Kapitalistisches Unternehmen im damaligen Chemnitz. S. 90 Hauschildsche Weberei: Kapitalistisches Unternehmen im Vogtland. S. 90 Eckstein: Sozialdemokratischer Agitator. S. 91 August Kapell: Funktionär des A D A V ; zeitweilig fanatischer Lassalleaner und bis zum Gothaer Kongreß Gegner der marxistischen SDAP. S. 92 Sie kriegten alle Jackenfett: U m die Entwicklung der SDAP aufzuhalten, organisierten einige Kreise des ADAV Prügeleien in den Versammlungslokalen. S. 93 B. B.: Vermutlich Bernhard Becker. S. 93 Zum Frieden: Zu verstehen als Warngedicht gegen den bevorstehenden Deutsch-Französischen Krieg. S. 95 Kade: Dieses Pseudonym konnte nicht aufgeklärt werden. S. 98 G.: Vermutlich August Geib. S. 99 Rhenanus: Dieses Pseudonym konnte nicht aufgeklärt werden. S. 100 Richard C.: Das ist Richard Cramer, bekannt unter dem Pseudonym Rudolf Lavant. S. 103 Das Lied vom Typhus: Besonders in der Periode des Kapitalismus der freien Konkurrenz grassierten unter der Arbeiterbevölkerung der rasch wachsen-
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den Städte außer chronischen Krankheiten (Tbc, Rachitis u. a.) auch Epidemien (Typhus, Cholera). 114—119 Rhenanus benutzt die im Gothaer Parteiprogramm enthaltene Forderung nach dem Volksstaat, um die Notwendigkeit der demokratischen Umgestaltung anschaulich zu machen. Dabei übersieht er (siehe: Karl Marx „Kritik des Gothaer Programms") die begriffliche Unschärfe dieses Ausdrucks, der weder die Diktatur des Proletariats als Fernziel noch die bürgerliche Republik als Nahziel erfaßt. 119 B.: Der Verfasser konnte nicht ermittelt werden. 124—130 Demokratische Soldatenlieder: Die als demokratische Soldatenlieder wiedergegebenen Texte drücken eine Skala von Empfindungen und Ansichten aus, die von einfacher Kriegsmüdigkeit bis zu sozialistischen Haltungen reicht. Der „Volksstaat" veröffentlichte sie nach der Kriegswende von Sedan, wo der Charakter des Krieges eine wesentliche Veränderung erfährt und fortan als preußisch-deutscher Eroberungskrieg gegen die französische Republik und gegen das französische Volk angesehen werden muß. Bei den meisten Texten handelt es sich um eine Art Volksdichtung, die den Texten der offiziellen Kriegsbegeisterung entgegengesetzt ist. 131 Bouille: Marquis de; französischer reaktionärer Aristokrat, der 1791 dem französischen König Louis XVI. zur Flucht ins Ausland verhelfen wollte. 134 Strike-Lied: Aus dem englischen „strike" setzte sich die deutsche Schreibung erst allmählich durch. 136 C. H.: Der Verfasser konnte nicht ermittelt werden. 136 Blusenlied: Aus dem Französischen; eines der berühmtesten französischen sozialistischen Gedichte der Mitte des 19. Jahrhunderts.
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ALS NÄCHSTE BÄNDE FOLGEN Frühe sozialistische satirische Prosa Herausgegeben von Norbert Rothe Wilhelm Bracke. Volkskalender für 1878 Herausgegeben von Hans Heinrich Klatt