Das Leben Jesu. kritisch bearbeitet: Band 2 9783534727841

Neben Ludwig Feuerbach ist David Friedrich Strauß (1808-1874) der große innertheologische Religionskritiker und -erneuer

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German Pages 788 [765] Year 2014

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Titel
Impressum
Vorrede
Inhalt des zwelten Bandes
(Zweiter Abschnitt.)
Neuntes Kapitel. Die Wunder Jesu
§. 87. Jesus als Wunderthäter
§. 88. Die Dämonischen, allgemein betrachtet
§. 89. Jesu Dämonenaustreibungen einzeln betrachtet
§. 90. Heilungen von Aussätzigen
§. 91. Blindenheilungen
§. 92. Heilungen von Paralytischen. Ob Jesus Krankheiten als Sündenstrafen betrachtet habe
§. 93. Unwillkührliche Heilungen
§. 94. Heilungen in die Ferne
§. 95. Sabbatheilungen
§. 96. Todtenerweckungen
§. 97. Sturm -, See- und Fischgeschichten
§. 98. Die wunderbare Speisung
§. 99. Jesus verwandelt Wasser in Wein
§. 100. Jesus verwünscht einen unfruchtbaren Feigenbaum
Zehntes Kapitel. Jesu Verklärung und lezte Reise nach Jerusalem
§. 101. Die Verklärung Jesu als wunderbarer äusserer Vorgang
§. 102. Die natürliche Auffassung der Erzählung in verschiedenen Formen
§. 103. Die Verklärungsgeschichte als Mythus
§. 104. Abweichende Nachrichten über die lezte Reise Jesu nach Jerusalem
§. 105. Abweichungen der Evangelien in Hinsicht auf den Ausgangspunkt des Einzugs Jesu In Jerusalem
§. 106. Näherer Hergang bei dem Einzug. Zweck und historische Realität desselben
Dritter Abschnitt. Geschichte des Leidens, Todes, und der Auferstehung Jesu
Erstes Kapitel. Verhältniss Jesu zu der Idee eines leidenden und sterbenden Messias; seine Reden von Tod, Auferstehung und Wiederkunft
§. 107. Ob Jesus sein Leiden und seinen Tod in bestimmten Zügen vorhergesagt habe?
§. 108. Jesu Todesverkündigung im Allgemeinen; ihr Verhältniss zu den jüdischen Messiasbegriffen; Aussprüche Jesu über den Zweck und die Wirkungen seines Todes
§. 109. Bestimmte Aussprüche Jesu über seine künftige Auferstehung
§. 110. Bildliche Reden, in welchen Jesus seine Auferstehung vorherverkündigt haben soll
§. 111. Die Reden Jesu von seiner Parusie. Kritik der verschiedenen Auslegungen
§. 112. Ursprung der Reden über die Parusie
Zweites Kapitel. Anschläge der Feinde Jesu; Verrath des Judas; leztes Mahl mit den Jüngern
§. 113. Entwicklung des Verhältnisses Jesu zu seinen Feinden
§. 114. Jesus und sein Verräther
§. 115. Verschiedene Ansichten über den Charakter des Judas, und die Motive seines Verraths
§. 116. Bestellung des Paschamahls
§. 117. Abweichende Angaben über die Zeit des lezten Mahles Jesu
§. 118. Differenzen in Betreff der Vorgänge beim lezten Mahle Jesu
§. 119. Verkündigung des Verraths und der Verleugnung
§. 120. Die Einsetzung des Abendmahls
Drittes Kapitel. Gang nach dem Oelberg, Gefangennehmung, Verhör, Verurtheilung und Kreuzigung Jesu
§. 121. Jesu Seelenkampf im Garten
§. 122. Verhältniss des vierten Evangeliums zu den Vorgängen in Gethsemane. Die johanneischen Abschiedsreden und die Scene bei Anmeldung der Hellenen
§. 123. Gefangennehmung Jesu
§. 124. Jesu Verhör vor dem Hohenpriester
§. 125. Die Verleugnung des Petrus
§. 126. Der Tod des Verräthers
§. 127. Jesus vor Pilatus und Herodes
§. 128. Die Kreuzigung
Viertes Kapitel. Tod und Auferstehung Jesu
§. 129. Die Naturerscheinungen bei'm Tode Jesu
§. 130. Der Lanzenstich in die Seite Jesu
§. 131. Begräbniss Jesu
§. 132. Die Wache am Grabe Jesu
§. 133. Erste Kunde der Auferstehung
§. 134. Galiläische und judäische, paulinische und apokryphische Erscheinungen des Auferstandenen
§. 135. Die Qualität des Leibs und Wandels Jesu nach der Auferstehung
§. 136. Die Debatte über die Realität des Todes und der Auferstehung Jesu
Fünftes Kapitel. Die Himmelfahrt
§. 137. Die lezten Anordnungen und Verheissungen Jesu
§. 138. Die sogenannte Himmelfahrt als übernatürliches und als natürliches Ereigniss
§. 139. Das Ungenügende der Nachrichten über Jesu Himmelfahrt. Deren mythische Auffassung
Schlussabhandlung. Die dogmatische Bedeutung des Lebens Jesu
§. 140. Nothwendiger Übergang der Kritik in das Dogma
§. 141. Die Christologie des orthodoxen Systems
§. 142. Bestreitung der kirchlichen Lehre von Christo
§. 143. Die Christologie des Rationalismus
§. 144. Eine eklektische Christologie. Schleiermacher
§. 145. Die Christologie, symbolisch gewendet. Kant. de Wette
§. 146. Die speculative Christologie
§. 147. Leztes Dilemma
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Das Leben Jesu. kritisch bearbeitet: Band 2
 9783534727841

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David Friedrich Strauß

Das Leben Jesu kritisch bearbeitet Zweiter Band Mit einer Einleitung von Werner Zager

Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1835

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2012 by WBG (Wissenschaft liche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-24951-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72784-1 eBook (epub): 978-3-534-72785-8

v

0 l"

red e.

Ich könnte mich freuen, dass ich den zweiten und lezten Band dieses \Verkes so hald nach dem er.. sten erscheinen lassen kann, in der Hoffnung, es werden sich, nUll die Übersicht des Ganzen möglich ist, manche Missverständnisse lösen, und manches harte Urtheil mildern.

Allein sowohl miindlich ha-

hen iiber den ersten Band eben diejenigen am lautesten geschrieen, welche lteine Seite Ü1 demselben ge.. lesen hatten, als auch schriftlich his jezt nur solche über denselben geurtheilt, mit w dehen ich keine Verständigung .hoffcn l{aI1Jl, auch "enn sie diesen zweiten 'l'lte il gelesen bahen werden.

So will ich mich

alsu lwiner Freude hingeLen, die mieh doch täuschen

IV

Vor red c.

wUrde, aber ebenso wenig auch fernerhin das Ge.

schrei der Eulen mich verdriessen lassen, die ich denn freilich allzu rücksichtslos mit ungedämpftem Licht geweckt habe. Aus den bis jezt erschienenen Beurtheilungen tiber den ersten Band habe ich rur den zweiten noch keinen Nutzen ziehen können, theils weil er schon grosstentheils abgedruckt war, als sie mir zu Gesicht kamen, theils wegen der Beschaffenheit der Heur.. theilungen selber. Die erste, die ich zu lesen bekam, war eine Recension von Herrn Dr. PAULUS im Literatul'blatt zur allgemeinen Kirchenzeitung.

Dem Urheber derselben

bin ich Dank schuldig für die liberale und anerkennende VVeise, mit welcher er, bei durchaus abweichender Ansicht, doch meine Arbeit behandelt hat.

Sein

gewichtigster Einwand gegen meine Methode ist der: wenn in einer Erzählung einiges Mythische sei, so folge daraus noch nicht, dass Alles in ihr mythisch sein milsse.

Das wäre ohne Zweifel ein sehr falscher

Schluss, aber den habe ich auch nicht gemacht, sondern nur, dass dann auch Alles mythisch sein k ö n-

v

Vor red e.

n c.

Ob es sich wirklich so verhält, muss sich aus

der Beschaffenheit der einzelnen Erzählungen

er~­

ben, und daraus habe ich es auch, wenn mir Alles noch präsent ist, durchaus entscllieden.

Eigene Em.

pfindungen hat es in mir erregt, des würdigen alten Landsmannes Freude ii1Jer die Fortschritte der wissenschaftlichen Freiheit in Würtemberg zu lesen, vermöge welcher man daselbst dergleichen jezt ungef'ahrdet schreiben könne: zu einer Zeit, wo ich bereits auf meine Schrift hin von meiner Repctentenstelle am Tübinger Seminar entfernt war. VVie von seiner Wachsamkeit nicht anders erwartet werden !wnnte, bat sofort auch Herr Dr. 8TEUDEL

geglaubt, den verderblichen Wirkungen mei-

ner Schrift durch ein "Vorläufig zu Beherzigen des" '*') zuvorkommen zu sollen.

Man 11at die-

-) Der volle Titel lautet: "Vorläufig zu Beherzigendes bei 'Vürdigung der Frage iiher die hist~rische oder mythische Grundlage des Lebens Jesu, wie die canonischen Evangelien dieses darstellen, vorgehalten aus dem Bewusstsein eines Glaubigen, der den Supranatllralisten hcigezählt wird, zur B~· ruhigung der Gcmiittler von D. Joh. Christian Friedr. SuuJ)}I;L. Besonders 3bgcdrucltt auS der Tiihinger 'l.eitscllrift für Theologie. Tiihing(ln, hei Llidwig Friedrich lues. 1855."

(88 S.)

VI

Vor red c.

sem Mann schon so oft gesagt, dass es unschicldich ist, wissenschaftliche Verhandlungen auf das moralische Gebiet hinüberzuspielen,

dem GC,'5ner seine

Ansicllten in's Gewissen zu schieben, und den Nichtorthodoxen als Irreligiösen zu hrandmarl{en. Dennoch hat er auch diessmal wieder den gewohnten Ton angestimmt.

Es ist freilich das Leichteste, statt in die

Sache einzugehen, vielmehr vorläufig um sie herum zu reden, lmd beiläufig den Gegner mit gehässigen Insinuationen zu Terwtlnden, zumal wenn einem dergleichen Praktil{en "fon sonst her schon geläufig sind. Dass aber damit nichts ausgerichtet ist, liegt am Tage.

Oder ja, man richtet etwas aus damit, nämlich

den Gegner bci'm grossen Publikum, das die Sache nicht ,'crsteht, recht schwarz zu machen. Dazu brauchte es dann abcl' keinen Doctor der Theologie, sondern man konnte es ruhig dem Gerede der Com'entillel und dem GCllchreibe der Tractätchengesellschaften überlassen. Auch angeblich vom Standpunkt der Philosophie

ist meine Schrift heurtheilt worden durch Herrn Prof. ESCHENMAYER,

in einer Broschüre mit dem Titel: der

VII

Vor red e.

Ischariotismus unsrer Tage.

Diese Ausgeburt der le-

gitimen Ehe zwischen theologischer Ignoranz und rcligiöscr Intoleranz, eingesegnet von einer schlafwandelnden Philosophie, fällt so sehr durch sich selhst in's Lächerliche, dass sie jedes'Vort der Verthcidigung überflüssig macht.

Ihr Titel überdiess ist mir

zu eincr fast gar zu stolzcn Erinnerung Anlass gc",-orden.

An

LESSING

nämlich, den auch einmal \'Vie-

ner Blätter als zweiten Judas Ischariot verldatschten, weil er -

freilich eine noch massivcre Beschul-

digung, als sie Herr E. gegen mich erhebt -

flir die

Herausgabe der Fragmente seines Ungenannten von der Amsterdamer Judenschaft sich 1000 Dukaten sollte haben hezahlen lassen. An ihn hätte mich übrigens schon Herrn Dr.

STEUDEL'S

"orlaufig zu Be-

herzigendes erinnern können, wenn ich es mit Vorbildern und 'V cissagungen leichter nähme, denn auch gegen

LESSING

war "Etwas Vorläufiges" erschienen

vom Hauptpastor GÖZE, gottseligen Anden]{Cils, was der heitere Mann,

der Geschmeidigltcit wegen,

lieher das vorläufige Etwas nannte.

Und so will ich

denn die Y orrede zu diesem zweiten Bande meines

Vlli

Vor red e.

angehlich anstössigen Wer!(s mit den 'Vorten schliessen, mit welchen

LESSIlfG

erklärt hat, warum er es

nicht hei Herausgabe der ersten Probe jener ärgerlichen Fragmente, wie ich nicht hei'm ersten Theile dieses Buchs, hahe hewenden lassen: "darum nicht, weil ich üherzeugt hin, dass diess Ärgerniss überhaupt nichts als ein Popanz ist, mit dem gewisse Leute gern allen und jeden Geist der Prüfung verscheuchen möchten; darum nicht, weil es schlechterdings zu nichts hilft, den Krehs nur halh schneiden zu wollen; darum nicht, weil dem Feuer muss

Luft gemacht werden, wenn es gelöscht werden soll". Ludwigshurg im Oktoher 1835. Der Verfasser.

Inhalt des zweiten Bandes.

Seite

(Zweiter Abschnitt.) Neu n t e s Hai) i tel.

§. §. §. §.

,.

§.

Si. 88. 89. 90. 91. 92.

§.

95. §. 94. §. 95. §. 96. 97. §. 98.

,.

§. §.

!)9.

100.

Die W und e r J c s u

- 1-251

Jesus als "'undertbäter Die Dämonischen, allgemein hetrachtet Jesll Dämonenaustreibungen einzeln betrachtet Heilungen von Aussätzigen Blindenheilungen Heilungen von ParalytiscIlcn. Oh Jesus Hrankhei· ten als Sündenstrafen betrachtet habe Unwilll\iihrlicbc';Hcilungen Heilungen in die Ferne Sabbatheilungen Todtenerweckungen Sturm., Sec· und Fisehgeschichten Die wunderbare Speisung Jesus yerwandelt '''asser in )"ein Jesus verwünscht einen unfruchtbaren Feigenbaum

1 5 21 52 60 83

9l 105 122 133

173 197 219

236

Zeh n te 5 H a p it e 1. Je s u Ver k 1ä run gun d lezte Reise nach Jerusalcm 252-300

§. 101. Die Verklärung Jesu als wunderharer äussercr Vorgang

252

§. 102. Die natiirliche Auffassung der Erzäblung in verschiedenen Formen

§. 103. Die Verklärungsgeschichte als Mythus

256 263

§. 104. Abweichende Nachrichten über die lede Reise Jesu nach Jerusalem

274

x

I

11

h • 1 t. Seite

§. t05. Abweichungen der Evangelien in Hinsieht auf den Ausgangspunkt des Einzug8 Jesu In Jerosalem

281

§. 106. Näherer Hergang hei dem Einzug. Zweck und hiatorische Realität desselben

287

Dritter Abschnitt. Geschichte des Leidens, Todes, und der Auferstehung Jesu 301-685 Erstes Rapitel. Verhältniss Jesu zu der Idee eines leidenden und sterbenden Messias; seine Reden von Tod, Auferstehung und Wiederkunft 303-373

§. 107. Ob Jesus sein Leiden

lmd scinen Tod in bestimmten Ziigen vorhergesagt habe? Jesu Toclesvprlliindigung im Allgemeinen; ihr Verhältniss zu den jiidischen MessiasbegrifFen ; AnssprUche Jesu iiber den Zweck und die \'Virkungen seines Todes Bestimmte AussprUche Jesu tiber seine kUnftige Auferstehung Bildliehe Reden, in welcllen Jesus seine Auferstehung vorhenerkUndigt haben soll Die Reden Jesu von seiner Parusie. Rritik der yer.chledenen Auslegungen Ursprung der Reden iiber die Parusie

§. f08.

§. f09.

§. HO. §. fU. §. fU.

303

311 324

529

341 :>55

Zweites Rapitel. Anschläge der Feinde Je.u; Verrath des Judas; leztes Mahl mit den Jün gern 374-442 ~.

tn.

l':ntwicklung des Vert.ältnhses Jesu zu seinen Feinden 114. Jeaus und lein Verräther §. H5. Verschiedene Ansichten über den Charakter des Judas, und die Mo~ive leInes Verraths §. H6. Bestellung des Puchamahls _ §. U7. Abwej€hende Angaben über die Zeit des leden Mahles Jesu

~.

374380 390 396 402

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hai t.

Seite

§. 118. Differenzen in Betreff der Vorgänge beim le:l.ten Mahle Jesu f19. Verkündigung des Verraths und der Vedeugnung §. 120. Die Einsetzung des Abendmahls

~.

415 425 436

D r i t t es Rap i tel. Ga n g na (h d e Jl'I 0 el bel' g, Gefangennehmung, Verhör, Ver u r· theilung und Hreuzigung J esu 443-li53

§. 121. Jesu Seelenltampf im Garten §. 122. Vel'h!lltniss des vierten Evangeliums zu den Vor-

§.

123. ~. 124. §. 125. ~. 126. §. 127. §. 128.

gängen in Gethsemane. Die johanneiRchen Ab. ~chiedsreden und die Scene bei Anmeldung der Hellenen Gefangennebmung Jesn Jesu Verhör vor dem Hohenpriester Die Verlellgnung des Petrus Der Toel des Verräthers Jesus vor Pilatus und Herodes Die Kreuzigung

V!. e r t e s Kap i tel. Jesu

454 472 480 489 498 511 527

Tod und Auf e r s t c h tI n g 554-663

§. 129. Die Naturel'scheinungen bei'm Tode Jesu §. BO. Der Lanzenstich in die Seite Jesu §. 131. Begräbniss Jesll §. 132. Die Wache am Grabe Jem §. 13::1. Erste Runde der AlifersiellUng §. 134. Galiläische und judäische, raulinis(;he und apokry. phische Erscheinungen des Auferstandenen §. 135. Die Qualität des Leibs und 'Wandels Jesu nach der Auferstehun;>: §. 136. Die Debatte über d;!, Ptealität des Todes und der Auferstehung Jem Fiinftes Kapitel.

443

Die Himmelfahrt

554 565 574 582 590 609 629 645

664-685

§. B7. Die Iezten Anordnungen und Verheissungen Jesu

66~

§. 138. Die sogenannte Himmelfahrt als ühernatürliches und

al~

natiirliches Ereigniss

67%

XII

I n I. alt.

§. U9. Du Ungenügende der Nachrichten über Jesu Himmelfahrt. Deren mythische Auffassung

Schlufsftbhandlung. Die dogmatische Bedeutung des Lebens Jesu ~. f 40. ;. 141. §. 142. §. 143. §. 144. §. H5.

f.

677

686-74~

N'othwendiger ttbergang der Rritik in das Dogma Die Christologie des orthodoxen Systems Bestreitung dp.r kirchlichen Lehre von Christo Die Cbridologie des Rationalismus Eine eklektische Christologie. SCHLIUERItUCHIIR Die Christologie, symbolisch gewendet. HUT. DII 'VETTII

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146. Die speculative Christologie §. 10\7. Leztes Dilemma

-

Seite

686 689 70t 707 7iO

720 729 732

Neu n t es Kap it e f.

Die

Wunder Jesu. §.

87.

Jellls als 'Vunderthäter.

Dars das jüdische Volk zu Jesu Zeit vom l\lessias W underthaten erwartete, ist theiJs an sich schon natürlieh, da ihm der Messias ein zweiter Moses und deI' grörste Prophet war, von Moses und den Propheten ab!'l' die heilige Nationalsage Wunder aBer Art erzählte; thcHs läfst es sich aus späteren jüdischen Schriften wahrscheinlich machen I); theils wird es aus den Evangelien selbst gewifll. Als Jesull einmal einen dämonischen Blindstummen (olme natürliche l\littel) geheilt hatte, wurde das Volk dadurch auf die Vermuthung geführt: p~r;t H~O~ ir;tv vto~ dcwiö (Matth. 12, 23); zum Beweifs, dars man eine wunderbal'e Heilkraft als Attrihut des Messias betrachtete. Johannes der Täufer wurde durch das Gerücht von den EQYOI~ Jesu zu der Frage an ihn veranlafst, ob el' der i!!X6!,evo~ sei? worauf sich Jesns, zum Beleg, dars er es sei, nur wieder auf seine W underthaten berief (Matth. 11, 2 ff. paraH.), Auf dem Laubhüttenfest, das J esus in J erusalem feierte, wurden Viele vom Volk an ihn glaubig, indem sie dachten, ön 0 X(JtS'o~ wal' ü . .[t17'

o

:I) S. die im Hen Band, Einleitung S. 73. Anm., angeführten Stellen, wozu noch genommen werden kann 4 Esdr. 13, 50. (Fabrie. Cod. pseudepigr. V. T. 2, S. 286) und Sohar Exod. fol. 3, col. 1=\ (bei SCHtiTT&II:N, hone, 2, S. 541, auch in BuTHO/.D'j"S Christol. §. 33, not. 1.).

Zweiter Abschnitt.

-

, ')' ",,' , ." In,en ITI.FIQ'Va (J11.lIfl a TIJHrJJI ITOl1;au, (rJ)/ UTOg tITOtr,afV (Joh. 7, 31); Doch nicht blufs, dafs er Oberhaupt Wunder thnn sollte, soncfern auch die verschiedenen Arten von W undern, welt!he der Messias verrichten wiirde, waren in der Volkserwartung vorherbestimmt, Auch diefs dllJ'ch alttestamentliche Vorbilder und Ausspriiche. nurch Moses war eiern Volke auf iiberßfltiirliche Art Speise und Trank gewithl't worden (2 Mos. 16, 17): ein Gleiches enval'tete man, wie die Rabbinen ßllsdriicklich sagen, vom lUessiRs ; Ruf Elisa's Bitten WaI'en den Einen die Augcn rillf iibpl'natiidiche Weise verschlossen, den A"del'n ebenso geöffnet word('" (2 Kön. 6.): auch der lUessias BoHte die Angen dei' Blinden aufthun; selbst Todte hatte der genannte Prophet und sein Lehrer wiederbelebt (1 Kön. 17. 2 Kön. 4): so konnte auch dem Messias die lUacht über den Tocl nicht fehlen 1). Unter den Weissagungen wal' besonders Jes. 35, 5 f. auf diese Seite der lUessiasvorstellullg von Einflufs. Hier war VOll der messianischen Zeit gesagt (LXX.): I '

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~OTe aVOl X:Jr,aovL"at IIq'v'WPOL

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'Z"l'({,Mr)V, xat (rJ'Z"a xwcpwv a;ru-

aonat' 'Z"ou aAtlmtEAt1({'og 0 XCtJAog, T(!t1V~ OE l;at /,I,(uaaa Iw/,t).a).wv, was, bei Jesaias zwar in biJdlichem Zus/lm-

menhang, doch bald eigentlich verstllllden wurde, wie darllus erheUt, dafs Jesus den Boten .-Ies Johannes geg!'lIiiLer (lUatth. 11, 5.) mit offenbarer Beziehung auf .-liese l~l'o­ phetensteUe seine \Vulldel'lhllten b::,schreiht. Diese Er\val'tung tI'at IlIJch J esu, sofern er zllnUchst flh- einen Pl'oJlheten, weiterhin fiir den Messias sich gab lind gehalten wurde, Als I da gen au ebensogut vor als hinter Jericho ein Blinder zu Jasu storsen konnte. Ehel' wird man in Bezug auf die Zahl Grund haben, sich zu entscheiden, und zwar zu Gunsten des Lukas und Mal'kus für blo(s Einen Blinden. Keineswegs zwar aus dem von SCHLEIERMACHER angegebenen Grunde, weil Markus, der durch die Angabe, wie dpr Blinde geheifsen, eine genauere Bekanntschaft mit den Verhältnissen beurkunde, auch nur Einen habe 7), da dem so oft auf eigne Hand individualisirenden Markus am wenigsten bei den ihm eigenthümlichen Namen zu trauen sein dürfte; sondern aus dem Grunde, weil sich denn doch, diesen Fall mit der Erzählnng von dem Gadarenischen Besessenen zusammengehalten, eine Neigung des ersten Evangeliums zu Verdopplungen nicht verl{ennen läfst. Vielleicht war die Verdoppelung des Blinden bei Matthäus durch die Erinnerung an die demselben Evangelisten eigenthümliche Erzählung von einer früheren Heilung zweiel' Blinden (9, 27 ff.) veranlafst. Hier, gleichfalls im Weggehen, nämlich von dem Ort, wo er die Tochter des a(!xw)I wiedererweckt hatte, folgen Jesu zwei Blinde nach, (die hei Jericho sitzen) und rufen ähnlich wie dort den Da"idssohn um Erbarmen an, der sie sofort auch hier, wie dort nach Matthäus, durch Handauflegung heilt. Daneben finden sich freilich nicht geringe Abweichungen: von ei11em Stillegebot der Begleiter J esu steht hier nichts, und während bei Jericho Jesns die Blindeu sogleich zu sich ruft, kommen sie in dem früheren Falle erst zu ihm, als er wieder zu Hause ist; fel'ner, während er dort sie fragt, was sie "on ihm wollen? fragt er hier gleich, ob sie das Vertrauen haben, da!;' er sie beilen könne? endlich das Verbot, Niemand etwas zu sagen, ist dem früheren Fall ';7) a.

3.

o.

S. 237.

66

Zweiter Ahsehnitt.

eigenthlimlieh. Bei diesem Verh!iltnifs beider }:rzähJungen könnte wohl eine Assimilation in der Art stattgefunden haben, dafs dem Matihiius die zwei Blinden und die Beriihrung Jesu aus der ersten Anelidote in die zweite, die Form des Rufs der Kranken aber aus der zweiten in die erste hineingekommen wiil'e. Wie beide Geschichten ang'e!egt sind, scheint fiir eine natürliche Erklät'ung sich wenig darzubieten. Dennoch haben die rationalistischen Ausleger eine sotche zu vel'anstalten gewufst. Dnfs .Jesus in dem friiheren Falle die Blinden fragt, ob sie Vertrauen zu ihm hnben, erklärt man dahin, Jesus habe sich liherzeugen wollen, ob sie ihm wohl bei der Operation festhalten und seine weiteren V 01'schriften }lünktlich befolgen wÜl'den s ); erst zu Hause hierauf, um ungestört zu sein, habe er illl' Übel untersucht, und als er in demselben ein heilbares (nach VENTURINI 9 ) durch den feinen Staub jener Gegenden bewirktes) Übel erkannte, die Leidenden versichert, dafs ihnen nach dem Maars ihres Zutrauens geschehen soUe. Hiel'auf sagt P.wLUS nur kurz, Jesus habe das Hindel'nifs ihl'es Sehens ent. fernt; abet' auch er mufs sich etwas Ähnliches mit VJ:NTURINI denken, weteller Jesum die Augen der Blinden mit. einem scharfen, von ihm vorhm' zubereiteten Wasser bestreichen, und sie so von dem entzündeten Staube reinigen lä{'st, worauf in Kurzem ihr Gesicht zUl'ücligekehrt sei. Allein auch diese natürliche Erkläl'ung hat nicht die mindeste Wurzel im Text; denn weder I,ann in der VOll den Kranken ge forderten rd;lI;; etwas Andres, als, wie immer in ähnlichen FäHen, das Vertrauen auf Jesu W undermacht, gefunden werden, noch in dem ~!.J1a'l;O eine chirurg'ische Operation, sondern lediglich jenes Berühren, welches bei so vielen evangelischen Heilungswundern , sei 8) P AULUS, L. J. 1, a, 5, 249. 9) NatiirlicIle Geschichte des 'Propheten von Nu. 2, S, 216,

Neuntes Kapitel.

~. 91.

67

es als Zeichen oder als Leiter der heilenden Kraft Jesu, e1'. scheint; von weiteren Vorschriften zur völligen Herstellung ist ohnehin nichts zu bemerken. Nicht anders verhält es sich mit der Heilung der Blinden bei Jericho, wo übe~ die{s die zwei mittleren Evangelisten nicht einmal einer Beriihrung gedenken. SolJen ft ber auf diese Weise nach dem Sinne der Re .. ferenten auf das Morse Wort oder dill Berührung Jesu hin Blinde augenblicldich sehend geworden sein: so werden wohl ähnliche ßedenklichkeiten hier eintreten, wie in dein vorigen Fall mit den Aussätzigen. Denn ein Augenübel, es mag noch so leicht sein, wie es nicht ohne manchfache Vermittlung entstanden ist, so wird es noch weniger unmittelbar auf ein Wort oder eine Berührung hin weichen wollen, sondern es erfordert sehr cOlIlplicirte theils chirurgische theils medicinische Behandlung, und so vornehmlich die Blindheit, wenn sie überbaupt heilbarer Art ist. Wie sollten wir uns auch die plözliche heilende Einwirkung eines Wortes und einer Hand auf ein erblindetes Auge vorstellen? rein wunderbar und magisch? das hiefse das Denken übel' die Sache aufgeben; oder magnetisch? allein es ist ohne Beispiel, dafs auf dergleichen Übe) der Mflgnetismus von Einflufs gewesen; oder endlich psychisch? aber die Blindheit ist etwas vom Seelenleben so Unabhängiges, selbstständig Körperliches, dafs an eine, namentlich plözliehe, Hebung derselben von geistigel' Seite hel' nicht zu denken ist. Wir müssen folglich bekennen, dars eine geschichtliche Auffassung dieser Erziihlungen uns mehr als nur schwer fällt, und es kommt nun darauf an, ob wir die Entstehung unhistoriseher Sagen dieser Art wahrschein· lieh machen können. Die Stelle ist bereits angeführt, wo nach dem ersten und dritten Evangelium Jesus den Gesandten des Täufel's gegenüber, welche ihn zu fragen hatten, ob er deI' f.QXofdl'O~ sei, sich auf seine Thaten beruft, und vor allem An-

68

Z weit e r A b se h n it t.

dern hervorhebt, dars 'lvtplol. ul1a{Jlhra(Jt, zum ,Ientlilichen Beweis, da!s uamentlich 'Ruch solche, an ßlinden verrichtete Wunder vom Messias erwartet wurden, wie jA jene Worte aus JfS. 35, 5, einer messianisch gedeuretet. Weissagung, genommen sind, und auch in einer oben angeführten rabbinischen SteHe unter den Wundern , welehe Jehova in der messianischen Zeit ausführen werde, das hervorgehoben ist, dals er oc.:ulos c.:uec.:orullI aperid, id quod pe r Elil'am fec.:it 10). Eine eigentliche ßlindheit nUll hat Elisa nicht geheilt, sondern nllr einmal seinem Diener die Augen für eine \Vahrnehmung aus der übersinnlichen Welt eröffnet, und dann eine in Folge seines Gebets über seine Feinde verhängte Verblendung wieder aufllören lassen (2 Kön. 17-20.). Diese Thaten des Elisa nun farste man, ohne Zweifel in Rücksicht auf die jesaianische SteHe, geradezu als Eröffnung erblindeter Angen auf, wie wit· aus jener rabbinischen SteHe sehen, und so wurden vom Messias auch BHndenheilungen erwartet 1 I). 10) s. Band 1, S. 73, Anm. 11) Auch sonst finden wir, dass in jener Zeit Männern, die fiir J.ieblinge der Gottheit galten, das Vermögen wunderbarer Heilung, namentlich auch der Blindheit, zugeschrieben zu werden pflegte. So erzählen uns Tacitus, Hist. 4, 81., und Sueton, Vespas. 7, in Alexandrien habe sich an den kiirzUch Imperator gewordenen Vespasian ein Blinder, angeblich nach einer Weisung des Gottes Serapis , mit der Bitte gewendet, ihn durch Benetzung seiner Augen mit seinem Speichel zu heilen, was Vespasian mit dem Erfolge gethan habe, dass der Blinde augenblicklich das Gesicht wieder erhielt. Da TacitU! die Richtigkeit dieser Erzählung ganz besonders verbürgt, so diirfte P-'-ULUS wohl nicht Unrecht haben, wenn er die Sache als Veranstaltung schmeichlerischer Priester ansieht, welche durch subornirte Scheinkranke den Raiser in den Ruf des "\Vunderthäters, und dadurch ihren Gott, dessen Rath den Vorgang veranlasst hatte, bei ihm in Gunst setzen 'wollten. Exeg. Handb. 2, S. 56 f. Jedenfalls aber sehen wir

Neun te s Kapitel.

§. !1l.

69

:NRhm nun die urchristliche Gemeinde, wie sie RUS deli Juden JlervorgegRllgen wAr, Jesum für das messi!lnische Subjekt, so mufste sie die Tendenz haben, ihm !luch alle messiAnischen Prädikate, und so auch das in Rede steheude, zuzuschreiben. Die dem Markus eigenthümliche Erzählung von eine.' BlindenheiJung bei Bethsaida (S, 22 ff.) ist, lieben dei' gleichfaHs nur bei ihm zu nndenden von der Heilung eines schwerredenden Tauben (7, 32 ff.), welche wir defilwegen hier mitbe.·ücksichtigen, die Lieblingserz äh! uug aHel' rationalistischen Ausleger. Wären uns doch, rufen sie aus, auch sonst bei den evangelischen Heilungsgeschichten wie hier die erklärenden Nebenumstände aufbehalten, 80 wiirde, dafs Jesus nicht durch blofse Machtsprüehe heilte~ historisch zu erweisen, und für tiefer Forschende sogar die natürlichen Mittel seiner Heilungen zu entdecken sein 11)! So ist, vorzüglich aus Veranlassung dieser Erzählungen, welchen sich dann aber auch einzelne ZUge aus ande.·n TheiJen des zweiten Evangeliums anschli.efsen, Markus in lIeuester Zeit auch von solchen, die sonst dieser Auslegnngsweise nicht eben geneigt sind, als Patron der natül'lichen Erklärung dargestellt worden 13). Was nun unSI·e heiden Heilungen betrifft, so ist den rationalistischen Auslege.·n schon das eine gute Vorbedeutung, dafs Jesus beide Kranke vom Volke weg besonderi Jlimmt, aus keinem andern Grunde, wie sie gJauben, ali um ihren Zustand ärztlich zu untersuchen, und zu sehe .. ; hieraus, was man in jener Zeit auch ausscrhalb l'alästirua', von einem Manne erwartete, welcher, wie Tacitus sich hier Uber Vespasian ausdrUckt, einen favor e coelis und eine inclinatio numinum genoss. 12) So ungefahr P.olULUS, ex. Handb. 2, S. 512. 391. 13) DR 'Vnu, Beitrag zur Charakteristik des }. "\Vil'd hierauf in der Erzählung l'om Tauben die Heilung l1ur einfach ang'egeben, so zeichnet siet. die vom ßiinden noch dadurch flUS, dars sie die Wiedel·her'steHung ~pines Gesichts umständlich als eine SIlCcessh-e beschreibt. Nachdem Jesus die Augen des Kran· 14) PUn. H. N. 28, -;.

ll.

a. St, bei

WUSTEll'i.

Neu nt

!II

Kap i tel.

§. 91.

11

keil Auf die beschriebene Weise behandelt hatte, frAgte er denselben, (:~: u tJ)"!:Jrfl; gar nicht, bemerkt P AULUS, wie ein Wundcl'thäter, der des Erfolges sicher ist, sonderll recht wie ein Arzt, der nach gemachter Operation den Patienten pl'obit'en läfst, ob ihm geholfen sei. Der Kranke el'wiedert, er sehe, aber erst undeutlich, so dars ihm die .Menschen wie Bäume erscheinen. Hier kann nun der rationalistische Erklärer sieg"eich, wie es scheint, den orthodoxen ft'agelt: wenn Jesu die göttliche KrHft zu Bewirkung von Heilungen zu Gebote stAnd, warum heilte el' den Blinden nicht sogleich voJJsUindig? Wenn ihm das Übel einen Widerstand entgegens~zte, den er nicht schon hei'm ersten Versuch zu überwinden vel'mochte, wird dnt'alUi nicht klar, dals seine Kraft eine elltlliche, gewölllllich lIlenschliche gewesen ist? Hierauf legte J esus noch eift~ lIla! Hand an die Augen eies Kranl.en, um der ersten Operation nachzuhelfen, und IIUIl erst war die Kur vollendet 15), nie Freude der rationalistischen Ausleger an diesen Erzählungen des lUal'kus ist durch die trockene Bemel'JiUllg zu stöl'en, dafs auch hicr die Umst~llde, welche die natürliche ErIdiirung möglich machen soHen, nicht vom Evangelisten selbst angegeben, sondern von den Auslegern untel'geschoben sind. Denn bei beiden Heilungen giebt lUllrk IlS nur den ~pcichel hel', das wirI.same Pulver aber sü'euen PAULUS und VENTURINI darein , nie auch nur sie es sind, die alls dem Legen der Finger in (!ie Ohren zuerst ein Sondil'en, dann ein O!leriren, ulld aus dem hu, , "" l' '- ' l ' s t a tt U{)HW 'Cu:; XH[!US cnt 'l8S or[,{)w,!IV:; S]lI'acI lWHll'lg eines Handauflegens ein chirurgisches HllJl();lJ1Jegen machen. Auch das ßeiseitenehmen der Kranken bezieht sich dcm Zusammenhang zufolge (7, 36, S, 2(j.) auf die Absicht JeSlI, den wunderbaren El'folg geheim zu halten, nicht auf 15)

PAUI.US,

a. a. O. S. 312 f. 392ff,; naWrliche Geschichte, 3.

S. ,;1 ff. 216 f.

BÖSTER, Immanl1el, S. 188 ff.

'72

Z weit e r

A bsch

11

it t.

dftfl Verlangen, in Anwendung der natürlichen Mittel ungestöJ1t zu sein: so dars der rationalistischen Erklärung Rlle Stützen sinken und die orthodoxe sich ihr aufs Neue gegenüberstellen kann. Diese nimmt die Berührung und den Speichel entweder als Herablassung zu flen Kranken, welchen dadurch nahe gelegt werden sollte, wessen Macht sie ihre HeHnng zu verflanken hiitten 1 ~), oder als ein leitendes Medium der geistigen Kraft Christi, an dessen Gebrauch er jedoch nicht gebunden gewesen sei l 7); das Successive der Heilung aber sucht man dann theiJs so zu wenden, dars Jesus nurch die halbe Heilung zuvor den Glauben des Blinden habe beleben wollen, und erst als diesel' gewachsen war, den nunmehr Wiirnigen ganz wiederhergestellt habe 19); oder vermuthet man, dem ß!inden, bei seinem tiefgewurzelten Leiden, wlire eine plözliche Heilung vielleicht schärllich gewesen 19). Allein durch diese Versuche, namentlich die lezte Eigenheit der evangelischen Erzlihlung zu deuten, begeben sich die supranaturalistischen Theologen, welche sie vorbl'lngen, selbst Auf Einen Boden mit den Rationalisten, indem sie nicht minder als jene in den Text hineintragen, was in demselben nieht von ferne angedeutet ist. nenn wo ist in dem Heilverfahren Jesu mit dem Kr:mken irgend eine SIJUr, dars er zuerst nur darauf ausgegangen sei, seinen Glauben zu prUfen und zu stiirken? in welchem }'alle statt des nur lIeinen äussern Z;ustanrl betreffenden ln77f!l'~7:et etlJ7:0'JI c~ n {rUm",; vielmehr wie Matth. 9, 28. ein m~c't~W;; (in OV'JICt!tat 7:87:0 nOl~(}Ctt; stehen müfste. Vollends aher die Vermuthung, eine pläzliche Kur mächte schädlich gewesen sein! Her heilende Akt eines W underthiiters ist o

16) HJlS5, Geach:cMe Jcsu, 1, S. ;:;00 f. 1i) OLSHAUSF.N, b. Comm. " S. 510. 18) bei I{UI!{ÖL, in Mare. p. 110. 19) OX.SKAVSII;l\, S. 509.

Neu n t 6!i K ft P i tel.

§. 91.

13

doch (namentlich nach OLSHAUSEN'S Ansicht) nicht als der blofs negative der Wegräumung eines Übels, sondern zugleich als der positive einer MittheiJung neuen Lebens und frischer Kraft an das leidende Organ zu betrRc hten, bei welcher von Schädlichkeit ihres plözlichen Eintritts nicht die Hede sein I,ann. Da somit liein Grund ilich ausfindig machen läfst, aus welchem J esus absichtlich dem augellblicIdichen Wirken seiner W underIn'aft Einhalt gethan hätte, so müfste sie nur ohne seinen Willen von aus sen durch die Macht des eingewurzelten Übels gehemmt worden sein, was aber der gnnzen evangelischen Vorstellung von der selbst dem Tod iiberlegenen Wundermacht Jesu entgegen ist, folglich nicht lUeinung unsres Evangelisten sein kann. Sondern die Absicht des Markus, wenn wir seine ganze schriftstellerische EigenthümJichkeit erwägen, kann auch hier auf nichts Andres als auf Veranschaulichung gehen. Alles Plözliche abeL' ist schwer sich zur Anschauung zu bringen: wer eine geschwinde Bewegung einem Andern deutlich machen wi.l1, deI' macht sie ihm zuerst langsnm vor, und ein schneHer EJ>folg wird nur (lann recht vorsteH baI' , wenn ihn der Erzähler durch alle seine Momente hindurchfiihl't; wefswegen denn ein Referent, dem es darum zu thun ist, iJi seiner Erz;thlung der VorsteHungskraft seinel' Leser möglichst zu Hülfe zu komnll'll, auch die Neigung zeigen wird, wo möglich iiberalt das Unmittelbal>e zu vermitteln und an dem plözJichen Erfolg doch das Successive seines Eintritts hervorzukehren. So glaubte hier lUarkus odel' sein Gewährsmann "iel für die Anschaulichkeit zu thun, wenn er zwischen die Blindheit des Mannes und die völlige Herstellung seiner SehkrRft die halbfertige Heilung oder das Sehen der Menschen wie Bäume einschob, und das eigne Gefühl wird jedem sagen, elars dieSel' Zweck vollkommcn erreicht ist. Darin I\bcr liegt, wic auch Anrll'e bemerkt haben ~ 0), so wenig eiut} 20)

!a hatte. Da jecloch oie drei zulezt an~!'eführten Hei!ung'en von Glieder!.ranken unter andern Rubriken uns wiederkehren werden: so bleibt Ilier nur die Heilung des Paralytischen Mattb. 9, 1 ff. pllrall. zu beleuchten übrig. Da die Definitionen, welche die alten Arzte von der 1&a(!ai.vcItS geben, zwar alle auf Lähmung, aber unentsrhie-

Neu n t 81 Kap it e 1.

I.

0.2.

elen, ob totale oder partiale, gehen 6), und Uberdiers von den Evangelisten kein strenges Festhalten an der medicinisehen Kunstsprache zu erwarten ist, so mUisen wir, was sie unter Paralytischen verstehen, aus ihren eignen Beschreibungen von dergleichen Kranken entnehmen. In lIJ1Sl"er Stelle nun erfahren wir von dem naQalvuxo~, darg Cl" auf einer X},[l'1J getragen werden mufste, und dafs, ihn zum Aufstehen und Tragen seines Bettes zu befähigen, für ein nie gesehenes rrctQaoogov galt, woraus wir also auf ehle Lähmung wenigstens der Fü{se schliefsen müssen. Während von Schmerzen und einem hitzigen Charakter der K"ankheit in unsrem Falle nicht die Rede ist, wird ein solcher in der Geschichte Matth. 8, 6. unverkennbar vorIlUsgesezt, wenn der Centurio von seinem Knechte iagt = ßifn1Jult - naQa~vuxo~, OEl'v(rj~ ßa(Javt~Of.l.eVOg, so dafs wir Rlso unter der naQa~v(Jtg in den Evangelien bald eine schmerzlos lähmende, bald eine schmerzhaft gichtische Glierlerkrankheit zu verstehen hiitten 7). In Schildet·ung der Scene, wie der Paralytische Matth. 9, 1 ff. parai!. zu Jesu gebracht wird, findet zwischen den dl'ei Berichten eine merkliche Abstufung statt. Matthäus sagt einfach, wie Jesus von einem Ausflug an das jenseitige Ufer nach Kapernaum zurückgekehrt sei, habe man ihm einen Paralytischen, auf einem Lager hingestreckt, gebracht. Lukas beschreibt genau, wie Jesus, von einer grofsen Menge, namentlich von Pharisäern und Scln'iftgelehrten, umgeben, in einem Hause lehrte und heilte, und wie die Tl"äger des Paralytischen, weil sie vor der Volksmenge nicht durch die Thüre zu Jesu gelangen konnten, den Kranken durch das Dach zu ihm niederliefsen. Be6) Man sehe sie bei WETSTEIN, N. T. 1, S. 284, und in W.lIlL'S Clavis u. d. A. nach. 7) vgl. WINIIA, Realw. 1 Aufl. S.776. \lnd FRITZSCHB, in Matth. p. 194.

Zweiter AbiChnitt. denkt man die Struktur. mOl'genländischer Häuser, auf deren plattes Dach aus dem oberen Stockwerk eine Öffnung führte 8), und nimmt man den rabbinischen Sprachgebrauch hinzu, in welchem der via per partam (C'nnO Tl') die via per tectum (i'JJ Tl') als nicht minder ordentlicher Weg, namentlich um in das VUEQciJOV zu gelangen, gegenübergestellt wird: so kann man unter dem xaittE-JlaL OllX 'TedV KE(!cXIHdV schwerlich etwas Anderes verstehen, als dafs die Träger, welche entweder mitte1st einer unmittelbar von der Strasse dahin führenden Treppe, oder vom Uache des Nachbarhauses aus auf das platte Dach des Hauses, in welchem Jesus sich befand, gelangt waren, den Kranken tlammt seinem Bette durch die im Dachboden bereits befindliche Öffnung, wie es scheint an Stricken, zu Jesu herabgelassen haben. Markus, der in der Verlegung der Scene nach Kapernn,um mit Matthäus, in Schilderung des grosSen Gedränges und der dadurch veranlafsten Besteigung des Daches mit Lukas zusammenstimmt, geht, ausserdem, dafs er die Zahl der Träger auf viere festsezt, darin noch weiter als Lukas, dllfs er flieseiben , ohne Rücksicht auf die schon vorher vorhandene Thüre, das Dach abdecken und durch eine erst aufgegrabene Öftnung den Kranken hinunterbefördern läfst. Fragen wir auch hier, in welcher Richtung, ob aufwärts oder abwärts, der Klimax wohl eher entstanden sein möge, so hllt die auf der Spitze desselben stehende Erzählung des l\larkus so viel Schwieriges, dars sie wohl kaum für die der Wahrheit nächste wird angesehen werden können. Denn nicht "Hein von Gegnern ist gefragt ,,,'orden, wie denn das Dach hilbe lIufgegraben werden können, ohne die darunter Befindlichen zu beschädigen I 0) ~ sondern 8) 9) 10)

a. a. O. u. d. A. Dach. p. 601. WOOLSl'O)/, Disc. 4. WUiU)

Ll.XTI'OOTj

Neu n tel Kap it e 1. §. 92.

'1

auch OLSHAUSEN räumt ein, dars die Zerstörung der oberen, mit Ziegeln bedeckten Flächu etwas Abenteuerliches habe I I). Diesem auszuweiohen nehmen manche Erkliirer an, Jesus habe entweder im inneren Hofe I:), oder vor dem Hause 13) unter freiem Himmel gelehl·t, und die Träger haben nur von der Brustwehr des Daches ein Stück herausgebrochen, um den Kranken bequemel' herunterlassen zu können. Allein sowohl die Bezeichnung: Dta 1:WY xEQclflW)I bei Lukas, als die Ausdrücke des Markus machen diese Auffassung unmöglich, indem hier weder r;eyr; Brustwehr des Dachs, noch anOr;EY&~(rJ das Durchbrechen Ton dieser, l~oQvnw aber doch nur das Aufgraben eines Loches bedeuten kann. Bleibt hiemit das Aufbrechen des oberen Dachbodens, so wird diefs auch noch defswegen unwahrscheinlich, weil es bei der in jedem Dache befindlichen Thüre völlig überflül'isig war. Dahel" hat man steh durch die Annahme zu helfen gesucht, dars die Tritgel" E\Var die im Dache schon vorher befindliche Thüre ben fist , diese aber, weil sie für die Lagerstatt des Kranken EU eng gewesen, durch Wegbl'echen der omgebenrlen ZiegeJlagen erweitert haben 14); allein fluch hiebei bleibt das Gefährliche, und die Worte lauten von einer eigens gemachten, nicht blos erweiterten Öffnung im Dllche. So gefährlich und überflUssig aber ein solches Beginnen in der WirIdichkeit war, so leicht läfst sich erklären, wie Markus, in weiterer Ausmalung dei Berichtes von Lukas begriffen, auf diesen Zug verfallen konnte. Lukas hatte gesagt, man habe den Kranken hinabgelassen, so dArs er lftITQoa9-8v '[8 'b,a8 herunterkam. Wie konnten die Leute ge· 11) 1, S. 310 f. 12) HÖSTER, Immanuel, S. 166. Anm. 66. 13) So scheint es PAUJ.US zu meinen, L. J. 1, a. S. 2,8. Anders CX. Handb. 1, b, S. 505. 14) SQ LIGItTl'oo'r, HUr;\ÖL, OLSIt.U:Ilo:N z. d. St.

Z '" e i te r Ab. c h n i t t. rade diese SteHe treffen, fragte sich Markus, wenn Jesus nicht zU fäHig unter der Thüre des Daches stand, als da-. durch, dafs sie das Dach in der Gegend, unter welcher sie Jesum befindlich wufsten, aufbrachen, (a1w;erClaClll 'l~V ~Er1}V ön8 ~v I s)? ein Zug, den Markus um so Heber aufnahm, weil er den keine Mühe scheuenden Eifer, welchen das Zutrauen zu Jesu den Leuten einflölste, in das stärkste Licht zu setzen geeignet war. Aber eben aus dem Jezteren Interesse scheint auch schon die Abweichung des Lukas von Matthäus hervorgegangen zu sein. Bei Matthäus nämlich, der die Träger den Paralytischen auf dem gewöhnlichen Wege I'lU Jesu bringen läfst, indem er ohne Zweifel das mlihselige Herbeischleppen des Kranken auf seinem Lager für sich schon als Probe ihres Glaubens ansah, tritt ea doch minder bestimmt hervor, worin Jesus ihre vrl;tg gesehen haben soll. Wurde nun die Geschichte ors})rünglich so, wie sie im ersten Evangelium lautet, vorgetragen, so konnte leicht der Reir; entstehen, ein mehl' hervortretendes Zeichen ihres Zutrauens für die Träger ausfindig zu machen, welches, sofern man die Scene zu· gleich in grofllem Volksgerlrlinge vor sich gehen tiefs, am angemessensten in dem ungewöhnli~hen Wege bestanden EU haben scheinen konnte, welchen die Leute einschlugen, um ihren Krltnken zu Jesu zu bringen. Doch auch die Darstellung des lUatthäus können wir nicht für treuen Bericht Ton einem Faktum hRlten. l\fan hat zwar den Erfolg dadurch als einen natürlichen darzustellen gesucht, dafs mlln den Zustand des KrRllken nur für Nervenschwäche erklärte, bei welcher dRS SclJJimmste die Einbildung des Kraul,en, sein Übel müsse als Siindenstrafe fortd:Hlern, gewesen sei 11\); man hat sich Ruf analoge fälle schneller psychischer Heilung VOll Lähmungen 15) s.

Io'RITZ~r.HE,

in Mare. S. 52.

J6) P J.Ul.liS, cx. Handb. 1, b, S. 498. 501.

Neu ß t es Kap it e J.

§. 93.

berufen J 7), und eine länger fortgesezte Nachkur angenommen r 8) ; allein das Erste und Lezte ist reine WiJIkiihl'; wenn aber an den angeblichen AnaJogieen auch etwas Wahres sein sollte, so ist es doch immerhin ohne Vergleichung leichter möglich gewesen, dafs Heilungsgeschichten von xwloir; und '1UX(!UlVUKOir; den messianischen Erwartungen gemäis sich in der Sage bilden, als dars sie wirklich erfolgen konnten. In der schon angeführten SteUe des Jesaias nämlich, 35, 6, war von der messianischen Zeit auch verheHsen: 'l('U aAliiwt wr; UUCfOr; 0 xwlor;, und in demselben Zusammenhang, V. 3., war den r(~l'UTU nu(JUl8lv{lE'/JU ein laXl;auu zugerufen, was, wie die übrigen damit zusammenhängenden Züge, später eigentlich verstanden und als Wunderleistung vom Messias erwartet worden sein mufs, da sich, wie schon erwähnt, Jesus, zum Beweis, dars er der If.!Xof/8vOr; sei, auch darauf, dars X(t/loG nliQtnuT [jat, berief~

§.

93.

UnwillkiihrJiche Heilungen.

Etlichemale in ihren allgemeinen Angaben iiber die heilende Thätigkeit Jesu bemerken die Synoptiker, dars Kranke aller Art Jesum nur zu berühren, oder am Saam seines Kleides zu fassen gesucht haben, um geheilt zu werden, was dann auf die Berührung hin auch wirklich erfolgt sei (Matth. 14, 3(j. Mare. 3, 10. 6, 5(j. Luc. 6, 19.). Hier wirkte also Jesus nicht, wie wir es bis jezt immer gefunden haben, mit bestimmter Richtung auf einzelne Kranke, sondern, ohne dafs er von jedem be sondre Notiz nehmen konnte, auf ganze Massen; sein Vel'mögen zu heilen erscheint hier nicht, wie sonst, an seinen WiUen, sondern 17)

Gnomon, 1, S. 245. cd. 2. PAULUS. S. 502, nimmt auch hier wieder ein offenbares Mährchen aus LivillS 2, 36, als natürlich erklärbare Geschichte. 18) PAULUS, a. a. O. S. 501. BENGEL,

94

Z w e i t e r A b sc h n it t.

an seinen Leib und dessen Umhüllungen gebunden; 1'1' spendet nicht selbstthätig Kräfte aus, sondern mufs sich dieselben unwiHkührlich abgewinnen Jassen. Auch von dieser Gattung der Heilungswunder ist uns ein detai1lirtes Beispiel aufbehalten, in der Geschichte von der blutflüssigen Frau, welche sämmtliche Synolltiker wiedergeben, und sie auf eigenthümliche Weise mit der Geschieht!! von der Auferweckung der Tochter des Jairus so verflechten) dafs auf dem Hinweg zu dessen Hause Jesus die Frau gelleiJt haben soll (1\latth. 9, 20 ff. Mare. 5, 25 ff. Luc. 8, 43 ff.). Verglcicben wir die Darstellung des Vorgangs bei den verschiedenen Evangelisten, so kiinnten wir die!sll1al versucht sein, die des J. . ukas für die ursprüngliche zu haIten, weil aus ihr die gleichmäfsige V1'1'bindung der bezeichneten zwei Geschichten sich vielleicht erklären Hefse. \Vie nämlich die Leidenszeit der Frau von säll1mtlichen Referenten, so wird von Lukas, welchem l\larkus folgt, auch das Lebensalter des l\fiidchens auf zwölf Jahre gesezt, eine Gleichheit der Zahl, welche wohl im Stande gewesen könnte, die bei den Geschichten in der evangelischen Überlieferung zusall1menzugesel1en. Doch dieses Moment steht viel zu vereinzelt, um für sich eine Entscheidung herbeizuführen, welche nur aus einer durchgeführten Vergleichung der drei Berichte nach ihren einzelnen Zügen hervorgehen kann. Mntthäus nun bezeichnet die Frau einfach als rvv~ a'ipo~~oii(Ja OWOEy.a f7:'l' was pinen so lange andauernden starken Blutverlust, vermuthlieh in jstrebf>n, das WonderbaI'e zn vf>rmindern, der Anerkenntnifs im Wege stehen, dafs der Erzähler in diesem Worte die Ursache jener Veränderung angeben wolle. Bei der synoptischen Erzählung ist mit der Annahme einer hlofsen Prognose nicht abzukommen, da hier der Vater (l\1atth. V. 8.) eine heilende Einwirkung verlangt, und Jeslls ihm (V. 13.) eben diese seine Bitte gewährt. Dadurn, so auch Jesum es nur ein Wort koste, seinem Knechte zur Gesunrlheit zu verhelfen, konnte ml\n möglicherweise so prMst>n, dafs, wie Allf Seiten des Ral1ptmanns, so auch auf Seiten .Jesu an menschliche Mittelspersonen gedacht wurde. Demnach 11011 nun der Haulltmann Jesu haben vorstellen wollen, er dllrfe nur IIlU einem seiner Jünger ein Wort sprechen, so werrte diesel' mit ihm gehen und seinen Knecht gesund ml\chen, was SOfOl't auch wirklich geschehen sein sollt '). Allein, da diefs dei' erste }'all wäre, dafs Jesus durch seine .JUnger heilen tiefs, und der einzige, dafs er sie unmittelbar zu einer bestimmten Heilung abschickte: wie konnte dieser eigenthümliche Umstand sogar in der sonst so IlUsführlichen Erzählung des Lukas stillschweigend vor~us~esezt werden? warnm, da dieser Referent in Ausspinnllng der übrigen Rede deI' Abgesandten nicht sparsam ist, geizt er mit den 111l8l' Worten, welche Alles auf12)

es. Handb. f, b, S. 710 f.; natürliche Geschichte, 2, S. 285 W.

PAULUS,

Neu 11 te s Kap i tel.

§. 1'4.

119

gekliirt haben würden, wenn er niimlich zu dem ElnE ;.dYlj" tJ't 'f,lrj" !ta~}J;C(~'JI (18 oder dergleichcn etwas gest'Zt hätte? V lIlIends abet· am Schlusse der EI'zählung, wo der .Erfolg gemeldet wil'd, kommt diese Deuturtg nicht blos durch dali Stillschweigen dei' Referenten, sowlel'n durch einen positi\'en Zug bei Lukas in die übelste \' erlegenheit. Lukas sl~hliefi;t nämlich mit der Notiz, .laIs die }'reunde des HauptJIlanns bei ihrer Riickkehr in dessen Haus den Knecht beJ'eits gesund gefunden hilben. Soll ihn nun Jesus dadurch wiederhel'gestellt haben, dars er den Abgesandten einen oder mehl'ere seiner Jünger mitgab, 110 konnte es mit dem Kr:lllken el'st von da an, als die Abgesandten mit den Jüngern im Hause ankamen, nllmählig besser werden, nicht abel' konnten sie ihn bei i1wel' Ankunft schon hergestellt finden. PAULUS freilich sezt voraus, die Abgesantlten Jwben sich bei den Reden Jesu no'Ch etwas verweilt, und so seien die J iinger vor ihnen angekommen: aber wie sich jClle so unnöthig haben verweilen mögen, und wie dei' Evangelist nehen der Absendung der Jünger nun Ruch noch eias Zuriicl,bleiben der Abgesandten habe verschweigen können, enthält el' sich zu erl.taren. Mag man nun stMt dessen als rlasjenige, was den Soldaten des HmJI,tIllailnS auf Seiten Jcsu entspricht, KrankheitsdäIDonen 13), odl'\' Ilienstbare Ellgel '4), orler blos das Wort und die lleillu'iifte Jesu ") rlenken: jerlenfaHs bleibt uns eine wllllderbal'e \Vit·ksamkeit in ,He Fel'ne. Diese Art des Wi.'ll.ens Jesu Ilun hat nach dem Zugestiinrlnifs selbst solchet' Ausleger, welehe sonst da:; W Ulloel'bare nicht scheuen, dal'in etwas besonders Schwieriges, dars durch den Manget der persönlichen Gegenwart Jesu und ihres wohltbätigen Eindrucks auf den Kranken 1:)) so 5chon eiern.

14) 15)

horni!. 9, 21; jczt FRITZIlCHE, in Matth. 313. N. T. 1, p. 3.f9; vgI. ÜLSHAUbU, 1, S. 269. lmmanuel, S. 195. Anm.

Wt.;TSTEIN, HÖSTKR,

120

Z w ei t er A b ~ c h ni t t.

.fede l\löglirhkeit genommen ist, die Heilung durch ein Analogon des Natürlichen uns denkbar zu machen 16). Nach OLSHAUSEN zwar hat auch diese Fm·nwirkullg ihre Allalogieen, nämlich im thierischen Magnetismus J 7). Ich wiH diefs nicht geradezu bestreiten, sondern nur auf die Schranken aufmerksam machen, innerhlllb deren sich meines Wissens diese Erscheinung im Gebiete des Magnetismus immer hält. In die Ferne hin wirken 1.lInn nach den bisherigen Erfahrungen nur theils der Mllgnetiseur oder ein anderes im magnetischen Rapport mit ihr stehendes Individuum auf eHe somnllmbüle Person, wo also der Fernwirkung immer eine unmittelbare ßel·ühr·ung vorllusgegantfen sein mufs, was in dem Verhältnifs Jesu zu dem Krllnken unsrer Erzählung nicht gegeben ist; theils kommt eine solche Wirkungsart bei den Somnllmbiilen selbst oder andern in zerriittetem Nervenzustand befindlichen Menschen vor, was wiedel'um allf Jesum I.eine Anwendung findet. Geht also ein solches Heilen entfernter Personen, wie es in unsern Erzählungen Jesu zugeschrieben wird, fibel' jenes Äusserste natül'lichel' Wirksamkeit, wie wir es im l\lagnetismus uncl den verwandten El'scheinungen finden, noch weit hinaus: so wird uns durch jene Erzählungen, sofern sie historische Geltung ansprechen, Jesus zu einem übernatürlichen Wesen, und ehe wir ein solches uns 1\1s wirklich denken, verlohnt es sich auf unserem kritischen Standpunkt, 1iIuvor noch zu untersuchen, ob die betrachtete Erziihlung nicht auch ohne historischen Grund dennoch habe entstehen können? zumal sich, dars sie sAgenhafte Ingl'edienzien enthalte, schon an den verscltiedenen FOl'mationen zeigt, welche sie in den drei evan~ gelischen Berichten erhalten hat. Und hier erhellt es nun von ielbst, da fa das wunderbare Heilen Jesu durch ßerüh· UIlS

16) LUCH!!:, J, S. 55). 17) b. Comm. 1, S, 2G8.

N e 11 n t Ci K a J> lt e 1. §. 94.

121

rung des Kranken, wie wir es z. B. bei dem Aussätzigen JUatth. 8, 3. und den Blinden l\fatth. 9, 29. antreffen, vermöge eines nahe liegenden Klimax zunächst zum Heilen Gegenwiirtiger mitte1st des blofsen Wortes, wie bei den Diimonischen, den Aussätzigen Luc. 17, 14. und andern Kranken, dann aber ZUl' Herstellung selbst Abwesender durch ein Wort sich steigern konnte, wie denn schon im A. T. ein Analogon hievon besonders herausgehoben ist. Wie nämlich nach 2. Kön. 5, !) ff. der syrische Feldherr Naeman vor die Wohnung des Propheten Elisa kam, um sich vom Aussaz heilen zu lassen, gieng dieser nicht selbst IW ihm heraus, sondern sandte ihm einen Boten und Hefs ihn zu siebenmaliger Waschung im Jordan anweisen. Darüber wurde der Syrer so ungehalten, dars er, ohne die Anweisung des Propheten zu berücksichtigen, wieder heimziehen wollte. Er habe erwartet, erldärt er, der Prophet wcrde zn ihm hertreten und unter Anrufung Gottes mit dm' Hand über die lI.ussätzige Stelle fahren; da!;; nun aber dei' Prophet, ohne selbst etwas an ihm vorzunehmen, ihn an den Jordan verweist, das macht ihn muthlos und ärgerlich, weil, wenn es auf Wasser ankäme, er solche zu Hau"e besser als hier hätte haben können. Man sieht aus diesel' A. T.lichen Darstellung: das Ordentliche, was man von einem Propheten erwartete, war, dafs er anwesend mit Ji.öl'perlicher Berührung h6l ilen könne; dafs er es auch entfernt und ohne Berührung vermöge, wurde nicht vorausgesetzt. Dars Elisa dennoch auf die leztere Weise die Kur des aussätzigen Feldhet'rn vollbringt, (denn das Wasehen war es auch hier so wenig als Joh. 9., was den K.'anl\8n gesund machte, sondern die Wundermacht des Propheten, welche ihre WirksRmkeit an diese iiussere Handlung zu knilpfen für gut fand), dadurch bewies er sich als einen besonoet's ausgezeichneten Propheten, - und nun dei' Messias, dlll,fte der auch in diesem Stiicke hinter dem Propheten zurückbleiben ~ So zeigt sicb unSl'e N. T.1icho

Zweiter Abschnitt. Erzählung als nothwendiges Gegenbild jener A. T.lichen. Wie dort der Kranke an die Möglichkeit seiner Wiederherstellung nicht glauben wiH, wenn der Prophet nicht aus seinem Hause heraus zu ihm trete: 80 zweifelt hier nach der einen Redaktion der für den Kranken Bittende ebenso an der Möglichkeit der Heilung, wenn nicht Jesus in sein Haus trete, nach der andern im Gegentheil ist er von der Wh'ksamkeit der Heilkraft Jesu auch ohne das überzeugt, und nach beiden gelingt hier Jesu wie dort dem Propheten auch dieser besonders schwierige Wunderakt.

1$. 95. Sabbatheilungen.

Grofsen Anstofs erregte den evangelischen Nachrichten lIufoJge Jesus dadurch, dafi! er nicht selten seine HeiluJlgswunder am Sabbat verrichtete, wovon ein Beispiel lien drei Synoptikern gemeinschaftlich ist, zwei dem Lukas eigenthümlich, und zwei dem Johannes. In jener den drei ersten Evangelisten gemeinschaftlitlhen Erzählung sind zwei Fälle vermeinter SabbatsentheiJigung verbunden, das Ährenraufen der Jünger (Matth, 12, 1. parai!. ) und die durch Jesum vollbrachte Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand (V. 9 ff, paralJ.). Nach der auf dein Felde VlIrgefaJIenen Verhandlullg übel' das Ährenraufen fahren die beiden ersten Evangelisten so fort, wie wenn Jesus unmittelbar von dieser Scene wPg in die Synagoge desselben nicht näher bezeichneten Orts sich vel'fUgt, und hier aus Anlafs dei' Heilung des Menschen mit der verdorrten Hand abermals einen Streit üLer die Heiligung des Sabbats gehabt hätte. Offenbar' nher '\varen diese beiden Geschichten ursprünglich nur der Ähnlichkeit des Inhalts wegen zusammengestellt, we{swegen hiet' Lukas zu loben ist, dars er durch die W Ol'tC: EJI h('(!(l' aa{1(Jaul.J den chronologischen Zusammenhang zwischell

Neu n t es Kap i tel.

123

§. 95.

beiden ausdrücklich zerschnitten hat I). Die weltere Untersuchung, wessen Erzählung hier die ursprünglichere sei, können wir durch die Bemerkung erledigen, dafs, wenn die von Matthäus den Pharisnern in den Mund gelegte Frage, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, als ein Stiick von gemachtem Dialogisiren bezeichnet wird 1), dessen ebensogut dieselbe Frage beschuldigt werden kann, welche die zwei mittleren Evangelisten Jesu leihen, und noch dazu ihre belobte 3) Schilderung, wie Jesus den Kranken in die Mitte treten heifst, und später strafende Blicke ringsumher wirft, einer gemachten Anschaulichkeit. Das Übel des Kranken war nach den übereinstimmenden Nachrichten eine Xf.1Q ;1jQtX oder i;r;QCtpfIEVr;. So unbestimmt diese Bezeichnung ist, so macht es sich doch die natiirliche Erklärung allzuleicht , wenn sie mit PAULUS nnr eine durch Hitze angegriffene 4), oder gar nach VZNTURINI'S Ausdruck eine verstauchte Hand ~) darunter versteht. Sondern wenn wir, um die Bedeutung der N. T.lichen Bezeichllungsweise zu bestimmen, billig auf das A. T. zurückgehen, so finden wir 1. Kün. 13, 4. eine Hand, welche im Ausstrecken e;r;eav[}J1 (rLr=1'8!), als unfähig geschildert, an den Leib zurückgezogen zu werden, so dars also an Lähmung und Shlrrheit der Hand, und, bei Vergleichung rIes von einem Epileptiscllen gebrauchten ;r;QcdvHJ[)m Mare. 9, 18., zugleich an ein Saftloswerden und Schwinden zu denken ist 1)). Dafür nun aber, dars Je::ns dif'ses und anrll'e Übel mit natürlichen Mitteln behandelt habe, wird aus der vorliegenden Erzählung ein sehr scheinbarei f) 2)

tiber den Lukas, S. 80 f. i.iber den Ursprung u. I. f. ; ) SCIiLKIERM.\CIIER, a. a. O. 4) rx. Handb. 2, S. 48 fF. 5) Natiirliche Geschichte, 2, S. 421. 6) WU\lm, b. Realw. 1, S.796. SCHI,EIIimM.tCHER,

SCIlNKCKENBUJ\GER,

S. 50.

124

Z

vr e i t 61'

Abi C h D it t,

Argument abgeleitet. Nur ein solches Heilen, sagt man, war am Sabbat verboten, welches mit irgend einer Be· schäftigung verbunden wal': also müssen die Pharisäer, wenn sie, wie es hier heifst, von Jeso eine Übertretung der Sabbatsgesetze durch Heilen erwarteten, gewurst haben, dafs er nicht durch das bJofse Wort, sondern durch Medicamente und chirurgische Operationen zu heilen pflegte 7). Da indessen J wie PAVLU8 selbst anderswo anführt, am Sabbat das Heilen auch nur durch eine sonst erlaubte Beschwörung verboten war 11), da ferner zwischen den Schulen Hillel's und Schammai's ein Streit obwaltete, ob auch nur das Trösten der Kranken am Sabbat erlaubt sei 9), und da überdiefs nach PAULUS eigener Bemerkung die iilteren Rabbinen 1m Punkte des Sabbat! strenger waren als diejenigen, von welchen die uns vorliegenden Schriften über diesen Gegenstand herstammen 10): so konnten die Heilungen Jesu, auch ohne dars natürliche Mittel dabei in's Sjliel kamen, von chicanirenden Pharisäern unter die Kategorie von Sabbatsverletzungen gezogen werden. Dem Haupteinwand gegen die l'ationalistische Erklärung, der aus dem Schweigen der Evangelisten Ton natürlichen Mitteln hergenommen wird, glaubt PAULUS für unsern FaU durch die Wendung zu begegnen, dars damals in der Synllgoge l~eine zur Anwendung gelwmmen seien, sondern Jesus habe sich die Hand vorzeigen lassen, um zu sehen, wie die bisher von ihm angeordneten 1\littel (also werlten dergleichen doch fingir·t) geholfen hätten, und da habe er sie bereits völlig geheilt gefunden; denn dafs sie bereits wiederhergestellt g'ewesen sei, nicht dafs sie nun l'lö~lieh gesund geworden, bedeute das cmoy.a7:C~a&r; sämmtHcher Re7) PA.ULl:S, a. a. O. S. 49. 54. HÖS'I'ER, Immanuel, S. 185 f. 8) a. a. O. S. 83., aus tract. Schabbat. 9) Schabbat, f. 12, 1, bei SCHÖ'fT&EN, 1, p. 123. lU) a. d. zulczt a. O.

Neu n t 0

CI

1\ 1\ }l it e I. §. 95.

125

ferenten. .Allerdings sagt dieser Aorist: sie war hergesteHt und wurde es nicht erst während des Ausstreckens, welches ohne vorangegangene Heilung so wenig möglich gewesen wäre als 1. Kön. 13, 4. das Anziehen: aber sie war es geworden durch das Wort Jesu, welches die Evangelisten mittheilen, nicht durch natürliche Mittel, welche nur von den Erklärern ersonnen sind 11). Gleich sehr entscheidend aber für die Nothwendigkeit, hier eine Wunderheilung anzunehmen, wie für die Möglichkeit, die Entstehung tIer Anekdote zu erldSiren, ist die Jlähel'e Vergleichung der bereits erwähnten A. T.1ichen Erzählung 1. Köll. 13, 1 ff. Als ein Prophet aus Juda dem nrn Götzenaltar räuchernden Jerobenm mit dem Ulltergang des Altars und des Götzendienstes drohte, und der König mit nusgestrecktel' Hand den Unglüclispropheten zu greifen befahl, da vertrocknete plötzlich seine Hand, so dars er sie nicht mehr zurückziehen konnte, und der Altar zerfiel. Wie aber auf Ersuchen des Königs der Prophet Jehova um Wiederherstellung der Hand bat, konnte sie jener wieder an sich ziehen, und sie wurde, wie sie vorher gewesen wnr J l). Auch PAULUS vergleicht hier diese Erzählung, nber nur um auch auf sie seine natürliche Erklärungsweise durch die Bemerkung anzuwenden, Jerobearns Zorn habe leicht eine vorübergehende krampfhafte Erstnrrung der Muskeln u. s. w. in der gerade mit Heftigkeit ausgestreckten Hand hervorbringen können. Wem fäHt es 11)

FRITZSCHE,

in Matth. p. 427; in Mare. S. 79.

12) 1 Hön. 13, 4. LXX: ~al lOH

Matth. 12, 10: ~(lfl l"J 11,,-

TJj" Xt'e"

-9'elJ)1CO' ~v T~V Xlie a lXlJ)" ~'l1lr1" (Mare. l~'leappi,,'l")' 13: TJn Ur" Tlji ';,,9-etJ1Ct1'

6: xal l1fi:;et1/Jt

'Ci pa(nJ.'ro~ ne6~ aJT()"',

xat

lrlvlTo xa9-';'. TC) neJneov.

lnu"o" T~" Xlie" aB' ~ai Eii~al anoltau'ir1{i'l "r'~'

TflVt'

w. ~ rtu".

Z w e i t e r A b 5 C h n i tt. aber nicht vielmehr in die Augen, dars wir hier eine Sage zur Verherrlichung des monotheistischen Prophetenthums und zur ßrandmal'kung des israelitischen Gözzendiensts in der Person seines Urhebers Jerobeam vor uns haben? Der Mann Gottes weissagt dem GötzenaJtar schnellen wunderbaren Ruin; der abgöttische König streckt freventlich die Hand gegen den Gottesmann aus; die ltand erstarrt, der Götzenaltar zerfällt in Staub, und nur auf die Fürbitte des Propheten wird der König wiederhergestellt: wer mag hier über wunderbaren oder natül'lichen Hergang rechten, wo man eine ofl'enbare Mythe vor sich hat? Und wer kann ferner in unsrer evangelischen ErzähJung eine Nachbildung jener A. T.lichen vel'kennen, wobei nur dem Geiste des Christenthums gemäfs die VertrocknuJlg der Hand nicht als Strafwunder eintritt, sondern aJs natiil'Jiche K.'illlkheit dargestellt, und Jesu nur die HeiJung zugeschrieben, ebendelswegcn auch nicht wie dort die Ausstl'eeJHmg der Hand zur verbrecherischen Ursache und zum pönaJcn Habitus der Krankheit, das Anziehen derselben aber zum Zeichen der Genesung gemacht wurde, sondern die Hand, welche bis dahin krankhaft angezogen war, nach vollbrachter Heilung wieder ausgestreckt werden kann. Dars auch sonst um jene Zeit im Orient den Lieblingen deI' Götter das Vermögen zu dergleichen Heilungen zugeschrieben wurde, sehen wir aus einer schon früher angeführten Erzählung, in welcher dem Vespasian neben einer ßlindenheilung auch die Wiederherstellung einer kranken Hand zugeschrieben wird 13). Nicht selbstständig übrigens und als Zweck für sich tritt in dieser Geschichte das HeiJungswunder auf, sondern die Hauptsache ist, dars es 11m Sabbat geschieht, und die Spitze der Anekdote liegt in den Worten, durch w('h~he Jesus seine heilende Thätigkeit am Sabbat gegen die Pha13) Tacit, Histor, 4, 81.

Neuntes Kapitel.

§.

9~.

risäer rechtfertigt, bei Lukas und Marku! nlimIich durch die Frage, was am Sabbat eher angehe, Gutes zu thun odel" Böses, ein Leben zu erhalten, oder zu verderben? bei Matthiius, neben einem Stück von dieser Rede, durch das Diktum von der sabbatlichen Rettung des in die Grube gefallenen Schaafs. Lukfls, welcher diese Gnome hier nicht hat', legt sie mit der Abweichung, dafs statt des nQoßenop ein omr; ~ (iHr;, und stntt der Grube der Brunnen steht, bei Gelegenheit der Heilung eines voQw'!Ctxor; Jesu in den Mund (14, 5.), eine Erzählung, an welcher überhaupt die Ähnlichkeit mit der bisher erwogenen auff'äUt. Jesus speist bei einem Pharisäerobersten , wo man, wie dort in der Synagoge nach den zwei mittleren Evangelisten, ßuf ihn lauert (hiel': ~(Jav naQenr;QBpevol, dort: naQe'f~.!!8l'); es ist ein Wassersiichtiger da, wie dort ein Mensch mit verdorrter Hand; wie dort nach Matthäus die Phßrisäer Jesum fragen: Ei ~~E~t 'foir; aaßßaaL .[}EQa7J:EVEtV; nach Markus und Lukas Jesus sie fragt, ob es erlaubt sei, am Sabbat ein Leben zu retten u. s. f.: so legt er ihnen hier die Frage "/: ' , ' d ort, vor: EI-, E:,ES't nI}~ aaßßan!} .[}EQaneVHV; worau f ,Wie die Gefragten schweigen (dort Markus: Ot 158 lau,'J'/l(r)v, hier Lukas: Ot 0'8 11avxaaav); endlich als Epilog der Heilung, wie dort bci lUatthäus ßls Prolog, das Diktum von dem in den Brunnen gefallenen Thiere. Eine natürliche Erklärung, wie sie auch von diesem Heilungswunder gegeben worden ist 14), erscheint hier ganz besonders als verlorene Mühe, wo wir gar keine besondere Geschichte vor uns haben, die auf eigenem historischen Fundßmente ruhte, sondern eine blofse Variation übel' das Thema der Sabbatheilungen lind die Gnome von dem verunglückten Lastthier, welche dem einen (Mattbäus) in Verbindung mit der WiederhersteHung einer dürren Hand, dem andern (Lukas) mit der Heilung eines Wassersüchtigen, einem dl,it14)

PAULlJS,

ex. Handh. 2, S. 341 f.

128

Zweiter Abschnitt.

ten in noch anderer Verhindung zukommen konnte; denn auch noch einer dritten Heilungsgeschichte ist ein ähnlicher Ausspruch beigeseHt. Lukas nämlich erzählt 13, 10 ff. die von Jesu am Sabbat voHzogene Heilung einer dämonisch li!usammengebückten Frau, wo auf die Beschwerde des Synagogenvorstehers Jesus die Frage znriickgiebt, ob denn nicht jeder am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe löse und zur Tränke führe? eine Frage, in welcher die Variation der obigen nicht zu verl,eJlJlen ist. So ganz identisch erscheint diese Geschichte mit der zu!ezt erwähnten, dafs SCHLEIERMACHER daraus, dars bei der zweiten nicht auf die vorhergehellfle zurücl;;gewiesen, und so die Wiederholung durch das EingeständnHs entschuldigt ist, schliefst, es könne Luc. 13, 10 - 14, 5. nicht von demselben Verfasser hintereinander geschrieben sein 15). Haben wir hienach gleich nicht drei wI'ßchiedene VorfüHe hier, sondern nur drei verschiedene Rahmen, in welche die Sage das unvergefsliche, wahrhaft volksthümJiehe Diktum von dem am Sabbat zu rettenden oder zu versorgenden Hausthier gefafst hat: so murs doch, scheint es, wenn wir Jesu eine so originelle und angemessene Rede nicht absprechen wol1en, irgend eine, am Sabbat vorgefallene Heilung zum Grunde liegen. Nur nicht gerade eine wunderbare. Sondern wie Lukas in der zulezt angeführten Stelle jenen Auss)1ruch mit der Heilung einer dämonischen Frau verbindet, so könnte er von Jesu bei Gelegenheit einer jener Heilungen von Dämonischen, deren natürliche Möglichkeit wir unter gewissen Einschl'änlmllgen zugegeben haben, gethan worden sein; oder lumn Jesus auch, wenn er bei KrAnl.heitsfällen unter seiner GeseUschaft in Anwendullg der üblichen Medikamente auf den SAbbat keine Hiicksicht nahm, jene A Pl1ellatioll an den praktischen Menschenverstand zu seiner Hechtfel'tigung' ~5)

a. a. O. S. 196.

Neu n t es Kap i tel.

§. 95.

129

nöthig gehabt haben; oder endlich, wenn an der Annahme rationalistischer Erklärer etwas Wahres ist, dars J eSlls in orientalischer, namentlich essenischer Weise neben dei' SeelenheHung auch mit leiblicher sich befar.~t habe, so liann er hiebei, wenn er der Aufforderung hiezu auch arn Sabbat nicht widerstand, zu einer solchen Apologie vet'anlafst gewcsen sein; nur dals wir dann immer nicht mit jenen Auslegern in den einzelnen übernatürlichen Heilungen, welche die Evangelien melden, die zum Grunde Hegenden natürlichen aufsuchen dürften, sondern wh' miilsten eingestehen, daLs uns diese ganz verloren, und jene an ihre Stelle getreten seien :(6). Übrigens müssen es nicht einmal Heilungen überhaupt gewesen sein, an welche sicb jener Ausspruch Jesu knüpfte, sondern jeder als Lebensrettung oder Lebenserhaltung zu betrachtende und mit äusset'er Geschäftigkeit verbundene Dienst, den er oder seine Jünger leisteten, konnte ihm der pharisäischen Partei gegenüber Anlafs zu einer solchen Vertheidigung ,,('rden. Von den zwei Sabbatheilungen dcs vierten Evangeliums ist die eine schon mit den ßlindenhcilungen betrachtet worden; die andere (5, 1 ff.), welche unter den Heilungen der Paralytischen vorgenommen werden konnte, liefs sich, weil doch der Kranke nicht mit jenem Ausdt'uck. bezeichnet ist, hieher vCl'slJaren, In den HaHen des Teichs Bethesda in Jerusalem fand .Jesus einen schon as Jahre, wie aus dem In. Dcmgemäfs soH nun Jesus an dem Baume neben dem Mangel an Früchten auch sonst noch eine Beschaffenheit bemerkt haben, nus welcher er ein bnldiges Absterben desselben prognosticirte, und dieses Prognostikon soU er ihm in den Worten: von dir wird wohl Niemand mehr Früchte zu essen belwmmen, gesteUt hnben. Als die Hitze des T nges die Voraussage Jesu unvermuthet schneIt verwirklichte, und die J linger die{s am andern Morgen bemerkten, da erst sezten sie diesen Erfolg mit den Worten Jesu vom vorigen Morgen in Verbindung, und begannen diese als Verwünschung aufzufassen; eine Deutung, welche übrigens JeslIs nicht bestätigt, sondern den Jüngern zu Gemüthe führt, mit nur einigem Selbstvertrauen werden sie nicht blofs solche schon physiologisch bemerkbare Erfolge voraussagen, sondern noch viel Schwereres wissen und bewirken können 1). AHein gesezt auch, die Angabe des Markus wäre die richtige, so bleibt doch auch so die natürliche Erkliirung unmöglich. Denn die Worte Jesu bei Markus (V. 14.): Wixin ix oiJ f,lg TO'JI alw'JIa /11joElg xaenov ({ar Ot, mlifsten, wenn sie blofs eine VernlUthung, was wohl geschehen werde, enthalten soUten, nothwendig ein äv bei sich haben, und in dem w;xin ix off xaenog riV1JTat des Matthäus ist ohnehin der Befehl nicht zu verkennen, obgleich P AULUS auch hier mit einem blofsen "mag werden" llbkommen möchte. Auch dafs Jesus den Baum selbst anredet, so wie das feierliche Etg TOV alwl'Cx, welches er hinzufligt, spricht gegen eine simple Voraussage und für die Verwünschung; PAULUS fühlt diefs wohl, und deutet daher mit unerlaubter Gewaltsamkeit das UrH ai'n;fi zu einem Sagen in Beziehung auf ~en Baum um, während er das dg TOV alc~l'a durch die Ubersetzung: in die J ' kaum klarer, als der eben erwogene des Matthäus. Der gewöhnlichen Wortbedeutung nach scheint el' auszusagen, Jesus babe zuerst Samarien, dann GaliJäa, queer durchschnitten, um so nacb Jerusalem zu kommen. Aber diese Aufeinandcrfolge ist verkehrt; denn gieng er von einem galiJäischen Orte aus, so murste el' zuerst ,las übrige GaJiJäa, und dann erst Samarien durch)'eisen. Man hat defswegen dem Ot[,QXHJ.'Jcct OUt !Ihm die Bedeutung eines Hinziehens auf' de)' Grenze zwischen Galiliia und Samarien gegeben 4), und Jlun den Lut,as mit den beiden el'steu Evangelisten durch die Vo)'aussetzung vereinigt, Jcsns sei auf' der gaJiläisch - sama)'ischen Grenze bis znm Jordan hingereist, habe Merauf diesen überschritten, und sei sofOl,t durch Periia nach Judäa und Jel'uslIJem gewandert. Diese Jeztere Voraussetzung vertriigt sich aber mit Luc. 9, 51 ff. nicht; denn wenn dieser SteHe zufolge Jesus nach dem Aufbruch aus GaJiJäa alsbald einem samarischen Dorfe zugeht, und hier übeln Eindruck macht, ön '10 nt)()auJ, - ,. , "J.8Q8aCCMNl: ' , I' %0'1' aV'C8 1)'1' nOQ8VOpl:'I'O'l' Hg so Jautet d·leiS ganz, wie wenn er die Richtung von Galiläa dnrch 8ama3) So z. B. LI&IlTfOOT, Z. d. St. 4) WETSTEIN, OLSHAlJSEN z. d. St,; S. 164. 214.

SCHL&IEJllIUCHEJI,

a. a.

O.

Zeh 11 t e» Kap i tel.

§. 104.

277

rien nach J udäa gehabt hätte, und wir werden am besten thun, mit unbefangenen Exegeten hier eine Abweichung dersynolltischen Evangelien anzuerkennen '). Erst gegen das Ende des Weges Jesu vereinigen sie sich wieder, indem laut ihres übereinstimmenden Berichts Jesus nach Jerusa· lem von Jericho her gekommen ist (Matth. 20, 29. parall.), ein Ort, welcher übrigens mehr dem über Peräa, als dem durcb Samarien gekommenen Galiläer auf der gel·aden Strafse lag. Ist auf diese Weise untel' den Synoptikern zwar in Riicksicht auf den von Jesu eingeschlagenen Weg ein Streit, abel' doch in Bezug auf den Ausgangspunkt und das lezte Stück des Wegs Übereinstimmung: so weicht der johan. fleische Bet'icht in beiden Hinsichten von illflen ab. Ihm zufolge nämlich ist es gar nicht Galiliia, von wo Jesus zur lezteIl Paschareise aufbricht, sondern schon vor dem Laub· tliittenfest des vorigen Jahrs hatte er jene Proyinz, zum leztenmal, wie es scheint, verlassen (7, 1. 10.); dars er zwi· sehen diesem und dem Fest der Tempelweihe (10, U.) wie· der dahin gekommen wäre, wird wenigstens nicht gesagt; nach diesem Feste aber begab er sich nach Peräa und bJieb tlaselbst (10, 40.), bis ihn die Krankheit und der Tod des LauIl'us nach Judäa, und in die nächste Nähe Jerusalems, IlIICh ßethanien, rief (11, S ff.). Der Nachstellungen seiner }'eillde wegen zog er sich von hier bald wieder zurück, doch, weil er das bevol'stehende Pascha besuchen woHte, nur bis in das Städtchen Ephraim, unweit der Wüste (11, 54.), von wo aus er dann, ohne dars eines Aufenthalts in Jericho gedacht würde, das auch von Ephraim aus, wie man dessen Lage gewUhnlich bestimmt, nicbt im Wege lag, nach Jerllsalem zum Feste sich begab. 5) FRI'fZSeHE, in Mare. p. 415: Marcus MaUhaei f9, f. se AUc!ol'ilati h. 1. adstringit, dieitque, Jcsum e Galilaea (cf. 9, 33.)profechtmesse per Pcraeam. Sed auctore Luca17,11. in Judaeam contcndit per Sam a r i am itinere brevissimo.

278

Z weit e .. A b s c h ni t t.

Eine so totale Abweichung mufste die Harmonisten in ungewöhnliche Geschäftigkeit versetzen. Der Aufbruch aus GAliläa, dessen die Synoptiker gedenken, soU nach ihnen nicht der Aufbruch zum lezten Pascha, sondern zum Fest der Tempelweihe gewesen sein 11), unerachtet er von >,. 0. ,4. Vgl. OUHAUSEN, O. S. 159.

SCIlLKUll\l\U.CJllm, a. a.

1, S. 585.

Zeh nt I) s Kap i tel.

§.

j

04.

219

sei s). Allein, wenn die Schriftgelehrten ohnehin nichts beweisen, so ist auch von Bethanien nil'gends die Rede, sondel'n nur von einer Einkehr Jesu bei :MlIl'tha und Maria, welche der vierte Evangelist in jenes Dorf versezt, wot'aus jedoch nicht folgt, dars auch der dl'itte sie ebendaselbst wohnhaft, und also Jesum, wenn er bei ihnen war, in der Nähe von Jerusalem sich gedllcht habe. 1)lIraus IIber, dar... so sehr lange nach der Abreise (9, 51-17, 11.) Jesus erst auf der Gl'enze zwischen GaliJäa und Samarien erscheint, folgt nur, dllfs wir hiC!' keine geordnet fortscht'eitende Erzählung vor uns haben. Doch selbst Mlltthäus soll nach dieser harmonisircnden Ansicht von jenen Zwischen begebenheiten gewufst, und sie für den genauer Zusehenden angedeutet hilben; sein Pf.'Cf!!!EV (~no 1,17!; ral.t}.aia!; nämlich soll als Andeutung der Reise Jesu auf die Enkällien eine Diegese abschliefsen , das "at ~')..,'fGv Elf; 'Ca Ö!!tC! 'l1;{; '[aoala!; ni(!av 'C8 '[Of./oav8 dllgegell mit Angabe der Ausweichung von Jeruslliem nach Pel'äa (Joh. 10, 40.) einen neuen Abschnitt eröffnen; wobei übrigens zugestanden wird, dafs ohne die Data des Johannes Niemand auf eine solche Zerreissung der Worte des Matthäus kommen würde 9). Dergleichen Künsteleien gegenüber ist für denjenigen, welcher die Richtigkeit des johllnneischen Berichts vorllussezt, kein anderer Weg übl'ig, als der von der neuesten Kritil!; eingeschJlIgene, nämlich die Auto}lsie des Matthäus, deI' die Reise nur ganz kurz behandelt, aufzugeben, von Luklls IIbm', der einen l'\usführlicben Reisebericht hat, l\J1zunehmen, dllfs er oder ein von ihm benüzter SlImmlel' !lwei verschiedene Berichte, von welchen deI' eine die frühere Reise Jesu auf dlls .Fest der Tf·mpelweibe, der andre seine Jezte Paschat'eise betraf, zllslIwmengcfügt habe, ohne zu ahnen, dafs zwischen dic Abreise Jesu aus Galiläa und 8) P ,\ULUS, 2, S. 294 w, 9) PAVLVS, a, a. O. 295 f, 584 f,

Z w e i te r A b sc h n i t t. seinen Einzn~ in Jel'usalem vor dem Pascha noch ein frü11e1'el' Aufenthalt in Jel'uslllem, Sllmmt am{ern Reisen und Begeb!mheiten. fiel 10). Allf eig'ent' 'Veise I.ehl't Siell nun aber im Verlauf des Berichts VOll .tCI' oder den lezten Reisen .Jesu das Vel'hältnifs zwischen clen synoptischen Evangelien und dem johanneischen um. Wie nämlich zuerst auf Seite der ersteren eine grofse T.Alclre sich zei/{te, indem sie eine Masse von Zwischenbegebf'llheiten und Zwischenaufenthalten übel'giengen, welche .Johannes gieht: so scheint nun gegen das Ende des Reiseberirhts auf Seiten des lezteren eine, wenn auch Ideinere, LOcke einzutreten, indem er nichts davon hat, dars Jeslls über Jericho nach Jerusalem gekommen ist. Man kann zwar sRgen, Johannes habe, unerachtet den Synoptikern zllfolge eine Blindenheilung und der Besuch hei Zacchäus in dieselbe fiel, doch diese Durchreise fibel'gehen können; allein es fragt sich, ob in seiner Darstellung ein Durch~ang durch Jericho überhaupt Raum habe f Auf dem Wege von Ephraim nach Jel'usalem liegt dle genannte Stadt nicht, sondern bedeutend östlich ab; man hilft sich daher .im·ch die Voraussetzun~, von Ephraim RIlS habe Jesus aUerlei Nebenreisen gemacht, auf einer von die!len sei el' nach .Jericho gekommen, und von hier dann nach Jerusalem ge"ogen I I). Jedenfalls herrscht hienach in den evangelischen Nachrichten von der lezten Reise Jesu eine besondere Uneinigkeit, indem er der vulgären, synoptischen Tradition zufolge aus Galiläa iibel' .Jericho, und zwar nach Matthäus und Markus dlll'ch Peräa, nach Lukas durch Samaria, gereist wäre, dem vierten Evangelium zufolge aber von Ephraim 10)

a. B. O. S. 161 f. SIn'FERT, über den Urspr. S. 104 fF. Dem ersteren stinlmt in Beziehung Buf Lukas auch

SCIILJi:IEKM.'-CHRR.,

OLSHAUSEN

11)

THOLUCK,

hd a. a. O.

Comm. z, Joh. S. 219;

OLSHAUSEN,

1, S. 771 f.

Z e b n t e s Kap it e I.

§. 105.

281

her gekommerl sein miifste: AngRben, zwiscl!en welchen eine Vereinigung unmöglich, aber auch die Wahl sehr schwierig ist. §.

105.

Abweichungen der Evangelien in Hinsicht auf den Ausgangspunkt des Einzugs Jesu in Jerusalem.

Selbst übel' den SchIufs der Reise Jesu, aber die lezte Station vor Jerusalem, sind die Evangelisteu nicht ganz einig. Während es nach den Synoptikern das Ansehen bat, als sei Jesus von Jericho aus ohne längeren Zwischenaufenthalt an demselben Tage bis nRch Jerusalem gekommen (Matth. 20,34. 21, 1 tI. paralI.) : lärst ihn das vierte Evangelium von Ephraim zunächst nur bis ßethanien gehen, hier übernachten, und erst Bm folgenden Tag seinen Einzug in die Hauptstadt halten (12, 1. 12 ff.). Um beide HarstelJungen zu vereinigen, sagt man, bei der nur summarischen Erzählnng der Synoptiker sei es nicht zu verwundern, dars sie das Übernachten in Bethanien nicht ausdrücklich berühren, ohne es defswegen leugnen zu woUen; es finde somit kein Widerspruch zwischen ihnen und Johannes statt, sondern, was jene kurz zusammenfassen, lege dieser in seine weiteren Momente auseinandel' 1). Allein während Matthäus Bethanien gar nicht nennt, thun die beiden andern Synoptiker diesel' Ortschaft auf eine Weise Erwiihnung, welche der Annahme, dars Jesus daselbst übernachtet habe, entschieden widerstrebt. Wenn sie nämlich erzählen, (J~g ijyywev elg Br;.{}q>t bereitet, nur als Verherrlichung seines ersten Eintritts in die Hau}ltstadt einen rechten Sinn hat, bei seiner zweiten Dahinkunft aber IIUl' etwa dann fügHch hätte veranstaltet werden können, wenn Jesus Tags zuvor unbemerkt und ungeehl't hereingekomrJu\I1dnehmenrle Sittenlosigt.eit~ gAlten als die niichsten Vorboten des Messiasreichs : dahel', sagt mAn, finden wh' sie auch hier VOl'ausgesagt, ulIIl ,Inden nieht kleinlich von jedem Zuge die Erfüllung in ,tel' Geschichte auffinden wollen 13). Wil·ldich finden sich nun bei den llropheten in Bezug auf die Tage des Kommens Jehova's (Jes. 13, 9 ft~ Joel 2, 11. 4, 15. Ze}Jh. 1, 14 ft'. Hagg. 2, 7. Zach. 14, 1 ff. 1\1/l1. a, 1 ff.) so analoge Beschreibungen der demselben vOl·angl>hemlen und es begleih·nden Drangsnie , ulld ohnehin in spätel't>11 jüdischen Schl'ifteu Aussprüche, welche mit diesen eVRn13)

l"IlITJ:SCHE,

in MaUlt. p. 699 W.

E gelischen

l' S

t e 8 Kap it e I.

363

§. 112.

viel VeI'wandtschaft haben 14), i!afs man nicht es sei hiel' aus einem Kreise von Zeitvorstellungen heraus über die Zeit det' Ankunft des Mes$ias gesprochen. Aber ob der Haul'tzug in dem \'orliegenden Gemillde, die Zerstörung des Tempels und Verödung del' Stadt, sich ebenso als ein Thei! dei' alJgemeinen Vorstellungen zur Zeit JesD nachweisen lä{st, ist eine andel'e Frage. Zwar findet sich in jüdischen Schriften die Meinung, die Geburt des Messias treffe mit der Zerstörung des Heiligthums zusammen I'): aber fliese Vorstellung hat sich offcnbar erst nach dem Untergang des Tempels gebildet, um aus dem tiefsten Punkte des Unglücks die Quelle des TI'ostes entspringen zu lassen. Josephus findet im Daniel ncben dem auf Antiochus ße:diglichen auch eine Weissagung auf die Vernichtung des jüdischen Staats durch die Römer 16), und, so wenig die!:" die ursprüngliche Beziehung von irgend einem del' Danielischen Gesichte ist: 80

~weifelll kann,

14) s. die Stellen bei SCHihTGEN, 2, S. 509ff.; BERTHOLDT, §. 13; SCHMIDT, Biblioth. 1, S. 24ff. 15) s. bei SCHÖTTGEN, 2, S. 525 f. 16) Antiq. 10, 11, 7. Nachdem er das ldeine Horn auf Antiochus gedeutet, sezt er lmrz hinzu: Ta>' a,ho>' OE 1 ~on 0>' .dal"~2.o. xal nE~;' T~~ TWV cPo)!latwy ~rEpovta; av{y~a1f8, gaL OTt

vn'

au-

7W>' EI!'1~w9-~aETa, (TC: ~'81!0; "~WI).

Auf die Römer bezog er ohne Zweifel die vierte, eiserne Monarchie, Dan, 2, 40, wie ausser dem Y-T/anjan El; üreal', was er ihr zuschreibt, besonders daraus erhellt, dass er ihre ZersWnlng durch einen Stein für etwas noch Zukünftiges erklärt, Antiq. 10, 10, 4: ErJ,}lwaE Je Na. 11"6'(." 'Ci; lt88 dal!,~).or; 7~;j /laal). Ei, aU' Ef'O' f'EV iN

foo;e

'Ciho ,,>oeEil', Ta nal.'E1JJOI'Ta Na. 'Ca rfrn als bewursten Zweck seines Vel'l'athes se7.te. Oiese Betrachtnngsweise finden wir wirklich bei der gnostischen Partei dei' Kainiten, welche rlOl1 alten Häreslologen zufolge den Judas fiir denjenigen hioltSIl, welchel' sich uber die beschriinkte jü-

Z w ei t es Kap i te 1.

§. 11 ä.

391

dische Ansicht der übrigen Jünger zur Gnosis erhoben, und dieser gemäfs Jesum verrathen habe, weH el' erl.auulE', dars dUl'ch seinen Tod das Reich dei' die Welt behel'l'schenden niedet'eu Geister gestül'zt werden wih,de ). AJldere in der älteren Kil'che räumten zwar ein, durs Judall Jesnm aus Gewinnsucht verl'athen habe; doch soH el' uicht erwnt'tet haben, darll Jesus getödtet werden würde, sondern der Meinung gewesen sein, er werde, wie schOll öfwl's J so auch dieLsmal, dm'ch seine übernatürliche MRcht leinen }'einden entgehen 2); eine Ansicht, welche bereits den Übergang zu den neuel'en Rechtfertigungen deli Verräthet's bildet. Wie die bezeichnete supranaturalistische Erhebung des Judas bei den Kainiten zunächst von ihl'Cr Opposition gt>gen das Judenthum ausgieng, kraft del'en sie aicb zum Gl'ulldsaz gemacht hatten, alle von den jiidischen VerfassCl'n des alten, oder den judaisirenden des neuen 'ecstnIlleuts getadelte Personen zu ehren und umgekehrt: &0 verspih·te der Rationalismus, besonders in äeiuem ersten Unwillen über die lange Knechtschaft der Vernunft in den fesseln der Auctorität, einen gewissen Reiz il& sich J wie f) Iren. adv. haer. f, 35: Jud.m proditorem -

soIum prae ceteris cognoscentem veritatem perfecisse proditionis mysterium, per quem et terrena et coelestia omnia dissoluta ditunt. Epiphan. 38, 3: Einige Rainiten sagen, Judas habe Jesum als einen nO"'lI!0Y verr.then, weil er das gute Gesez auflösen wollte; ~.uo, Je. '-';;Y aUTWY, JXl, ,aabsichtigt habe: ebenso wenig kann die des Judas, als el' Jesum ohne Rettung sah, beweisen, daCa er nicht vorausberechnet hlltte, es werde Jesum das Leben kosten. Unmöglicb aber, sagt man ferner, kann Habsucht die TI'iebfedeI' des Judas gewesen sein; denn wenn es ihm um Gewinn zu thun wal', so konnte ihm nicht entgehen, dafs die fortdauernd,; Cassenfülll'ung in der GeseUschaft Jesu 6) t, Band, S. 714. Vgl. noch

HASK,

a. a. O.

Zweites Ka p i teJ.

§. 115.

ihm mehr abwerfen wlirde, als die elenden 30 Silbel'linge, unsres Gelds 20-25 Thaler, die er bel!:am, was bei den .Juden die Vergütung für einen verlezten Sldaven, ein Tag 101m auf 4 Monate war. Allein eben die 30 Silberlinge sucht man vergeblich bei allen Berichterstattern aussei' Matthfius. Johannes schweigt vöJlig über einen dem Judas von den Priestern zu Thei} gewordnen Lohn; Markus und Lukas sprechen unbestimmt von d(J/,V(lLOl" das sie ihm versprochen haben, und auch den Petrus 1ä{st die Apostelgeseichte (1, 18.) nur von einem !1L(j{)Jg reden, dei' dem Judas zu Theit gewOl·den sei. Matthiius aber, der allein jene bestimmte Summe hat, llifst uns zugleich keinen Zweifel ii bel' den historischen Werth seiller Angabe. EI' cith·t nämlich, nachdem er das Ende des Judas bel'iehtet (27, 9 f.), eine Stelle aus Zacharias (11, 12 f.; aus Irrthum schreibt er Jeremias), in welcher ebenfalJs 30 Silberlinge als Preifs vorkommen, zu welchem einer angeschlagoen worden sei. Zwar sind in der ProphetensteHe die 30 Silberlinge kein Kaufpl'eifs, sondern ein Lohn, der damit Bezahlte ist der Jehova's Person vorsteHende Prophet, und durch die geringe Summe wird die Geringschätzung angezeigt, welche die .1 uden gegen so viele göttliche W ohlthaten sich zu Schulden kommen Hefsen 7). Wie leicht aher konnte ein christHcher Lesel' durch diese SteHe, in welcher von einem schmählich geringen Preifse (ironisch 'R:iJ i'~) die Rede war, um welchen die Israeliten einen im Orakel Redenden angeschlagen haben, an seinen Messills erinnert werden, riel' um ein seinem Werthe gegenüber jedenfalls geringes Geld seinen Feinden verkauft worden war, und er kOJlnte nun aus dieser Stelle heraus den PreiCs bestimmen, dei' dem Judas für die Überlieferung Jesu hezahlt worden war. Wenach geben die ~(l,axoJl1:a cX(lrV(!ta durchaus keinen Punkt ab, auf den sich derjenige stUtzen könnte, welcher bewei7)

HOSENlt1Ü.LLEIl,

Schol. in V. T. 7, .\., S. 518 ff.

Dl'ittel' Abscbnitt• • en will, der geringe Lohn könne es nicht gewesen .ein, was den Judas zum Verriither lIJachte; denn wie gering oder bedeutend der Lohn war, welchen Judas bekam, wisNn wir geschichtlich gar nicht. Da aUe andern Gründe, welche für edlere Triebfedel'n de. Judas sprechen soUen, noch schwächer als die unter.uchten sind: so finden wir uns immer wieder auf die Gewinnsucht zurückgewIesen, welche uns durch die evangelischen Nachrichten an die Hand gegeben ist, und sollte diese als Motiv zu einem solchen Schritte nicht genügen, ist es besser gethan, die Unmöglichkeit, hierüber in'8 Klare zu kommen, offen zu bekennen, als durch luftig'ei Pragmatisiren die mangelhaften Data aufzulJUtzen s).

.0

$. 116Bestellung des Paschamahls. Am ersten Tag der ungesäuerten Brote, an dessen Abend das Pascbalamm geschlacbtet werden murs te , also den Tag vor dem eigentlichen Feste, welches aber an demnlben Abend nocb seinen Anfang nahm, d. h. den 14ten Nisan, soll .Jeans, nach den zwei ersten Evangelien auf eine von den Jüngern an ihn gerichtete Anfrage, nach Matthäul unbestimIDt, welche und wie viele, nach Markus zwei Jünger, welche Lukas als den Pett'uII und Johannes beeeichnett Ilnr Stadt geschickt haben (fielleicht von Bethaoien aas) 1 um fOr die Festmahlzeit ein Lokal zu bcstelleJl, und die weiteren Anordnungen zu treffen (lUatth. 26, 17 ff. paralI. ). W llS Je8us diesen Jüngel'n für eine WeisUllg gegeben, darin ,timIlIen die drei ßeriascbafestes, setze; aHein es ist nicht abzusehen, wie die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den Synol)tikern beseitigt werden sollen. Weit a:J1gemeincr ist dahel' in neUel'R Zeiten der Versuch gemacht werden, den .'ohannes auf die Seite der übrigen }leriibl'l'zuziehell 4). Sein 7Cr/J '[1j~ ~O(!,[~~ 'Ci; ?T~(JXCl (13, 1.) glau bte mall dm'eh die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese 2) Eine ungeniigende Auskunft giebt LJGHTFOOT, p. 482 f. 5) Fragm. ex Claudii Apollinaris libro dc Pascha te , in Chron. I'a;sehal. ed. elu li'resne. Paris 1688. p. 6 f. ll racf.

4)

So.

namentlich

l'llOLliCkI

und

ULo;UI.,t;l\,

z. d. Ahsch.

406

Dl'itter Abschnitt.

Worte nicht unmittelbar das rff.;nvnJ', sondern nur die Bemerknng sich anschllefse, dafs Jesus gewufst habe, nun sei spine Stllnr{p g"p!wmmen. nnd dnfs er die Seini~pn bis an's ~~nr{e !!,p!i"ht habe; erst im folgenden Vers sei dann vom Mahle eHe Rerte, auf welches also jene Zeitbestimmung !lich uicht beziehe. Worauf soll sie sich dann aber beziehen? auf "as Wissen, dafs seine Stunrte gekommen sei? flipfs ist nur eine Nebenbemerlmng; oder auf die bis zum T den übrigen SteUen EU erklären sei: sondern all e Zeitbestimmungen der Synoptiker sind von der Art, dafs nach ihnen Jesu8 das wa hre Pascha noch mitgefeiert haben mülste, all e johanneischen dagegen so, dafs er es nicht mitgefeiert haben kann 12). Da sich auf diese Weise zwei unter sich differirende Gesammtheiten evangelischer SteHen gegenüberstehen, die auf zwei verschiedene Grunrlansichten der Referenten über die Bliche hinweisen: so kanll es, wie SIEFFERT sehr wahr bemerl.t, nicht mehr als wissenschaftliche Auslegung, sondern nur als unwissenschaftliche :10) s. P.WLUS, cxcg. Handbuch 3, a, S. 486 W. H) MICH.lEUS, Annt. zu Joh. 13. :12) SU:UEIll', a. a. 0.; l-tm:, L. J. §. :124.

Z weit e s Kap i tel. S. 117.

411

Willkfihr und Eigensinn betrachtet werdt>n, wenn man auf Nichtanerkennung der Differenz zwischen den synolltischen Evangelien und dem viel,ten bestehen wiH. So hat sich denn die neuere Kritik dazu verstehen müssen, auf einer oder der andern Seite einen hrthum anzunehmen, und zwar war es, ausseI' den gang blll'en Vorul'theilen für das johanneische Evangelium, ein bedeutender Grund, welcher zu nöthigen schien, den Irt·thum auf die Seite der Synoptiker zu verJegen. Schon jenes alte, angeblich Apollinarische ll'fIWV 'r' "n • Jlung, d ais esus 7:Ti- f1f:'}'l.11"'!11J,l/fQ,! snu"ev, eIß, dars sie u(J(P(P(r)J!O~ 7:(~ VUPli) sei, und so ist auch neuerlich wiedei' bemerl.t worden, der auf das lezte Mahl Jesu fol" gende Tag werde von aUen Seiten so werktäglich behandelt, dars sich nicht denken lasse, er sei der erste Paschatag, und folglich das Mahl am Abend vorher das Pascllllluahl gewesen. Jesus feh'e ihn nicht, indem er, was in deI' Pascha nacht verboten war, sich aus der Stadt entferne; seine Freunde nicht, indem sie seine Bestattung noch zu besorgen anfangen, und sie nur wegen Anbruchs des nUclIsten Tags, des SalJbats, unvollendet lassen; nocb weniger die Mitglieder des Synedriums, indem sie nicht nu[' iht'e Diener aus det' Stadt zur Verhaftung Jesu senden, sondern auch persönlich Gerichtssitzung, Verhöt·, Urtheil und Klage bei dem Procurator vornehmen; überhaupt zeige sich durchaus nur die Furcht, den folgenden TaA', der am Abend nach deI' Krenzigllng Ilnbrach, zu entheiligen, nirgends eine Sorge für den laufenden: lauter Zeiehen, dars die synoptische Darstellung jenes Mahls als eilies Pascha ein späterer Irrthllm sei, da in der übrigen Erzählung dieser Evangelisten selbst das Richtige, dafs .JeSIlS den Tag vor dem Pascha gekreuzigt worden, noch unverkennbar durchscheine 13). Diese Bemerkungen sind al13) THI.aLE,

a. a. O. 157 fI.; S1l':rvliRT und LiicKE a. a. O.

D ritt e I' A b 6 C h 0 it t.

Jerdings von Gewicht. Zwar die erste könnte man durch deo Widel'sh'eit der jlidischen Bestimmungen fiber jenen Punkt vielleicht entkräften 14); dei' lezten und stärksten die Thatsache entgegenhalten, dafs Verhören und Richten an Sabbaten und Festen bei den Juden nicht nur erlaubt, sondern {ÜI' solche Tage wegen des Volksandrangs selbst ein gröfsel'es Gel'ichtslokal vorhanden gewesen sei, wie denn auch nach dem N, T. selbst die Juden an der ~ftlf.!a pEra),1j des Laubhüttenfests Diener ausschickten, um Jesum zu gl·eifen (Joh. 7, "" f.), und am feste deI' Tempelweihe ihn steinigen wollten (Joh. 10, 31.), Berodes abe.' während deI' ~,df!Ctt 'C(;jJl a;';llwP den Petrus gefangen sezen liest, und vieUeicht in eben diesen Tagen Jakobus deli älteren hatte hinrichten Jassen (A. G. 12, 2 f.) 15). Dars Jesu Hinrichtung am Paschafest habe vorgenommen werden dürfen, dafüt' beruft man sich theHs darauf, dars die Execution dUl'ch römische Soldaten geschehen, übt'igens auch nach jüdischeI' Sitte üblich gewesen sei, die Hinricbtu/lg bedeutendet' Verbrecher auf eine Festzeit zu versJ)aren, UIIl dUl'ch dieselbe nuf eine desto gröfsere Menge Eindruck zu machen 16). Allein nur so viel ist el'\'I'eislich, dars während der Festzeit, also bei'rn Pascha an den fünf mittleren, weniger feierlichen Tagen, Vel'brechl'"r verurtheiJt und hingeI'lehtet Wllrdcll Jwonten, Ilicht aber, dars diels auch am ..'steo und lezten Pascha tag ; welche Sabbatsrang hatten, 14) Pellachin f, 65, 2, bei J..rGHTroo'r, p. 654: Paschate primo teDctur q"uispiam ad pernoctationcDl. Gloss.: Paschatizans tenetur ad pCr'noetandum tn Hierosolynli noete prima. Dagegen Tosaphoth .d tr, Peuehin 8: In Paschatc Aegyptiaco dicitur: nemo exeat - lIsquc ad mane. Sed sie non fuit in sequentihlls generationihlls, - qllibu8 comt'dehatul' id uno loeo ct pernllctabant in aHo. V gl. SCIlNJI;CKENBURGEIl, Beiträge, S, g, 15) TROWCK, S. 244 f. i6) Traet. Sanhedl'. f. 89, 1. bei SCHÖ'f"rGEN, 1, p_ 224, vgl. PAU LUS, a. a, O. S. 492. und TI/OLUell, a. a. 0_

Zweites Knpi tel.

§. 11'7'.

413

gew('sen sei 17 ); wie denn auch nach dem Talmud .Jesus am iiiJE) :l"W d. h. nm Vorabend des "ascha, gekreuzigt worden ist I ' ) . Ein Anderes wäre es, wenn, wie Dr. ßAua nachimweisen sucht, in dem Wesen und der Bedeutung des PMcha als eines Sühnfestes die Hinrichtung von Verbrechern, I\Is blutige Sühne fUr dl\s Volk, gelegen hätte, und die von den Evangelisten angemerl,te Sitte, auf dl\s Fest einen Hefl\ngenen loszulassen, zu der Hinrichtung eines nnrlel'n nur als die Kehrseite, wie die beiden ßöcke ulld Sperlinge jüdischer Sühn - und Reinigungsopfer , sich vel'hielte J / ) . Leicht lwnnte freilich die urchristliche Trl\dition auch auf unhistorischem Wege dazukommen, Jesu leztes Mahl mit dem Osterlamm, und seinen TodestAg mit dem Paschafest zu combiniren. Da nämlich schon in der apostolischen Zeit der Too Jesu mit der Schlachtung des Paschalamms vel'glichen wurde (1. Kor. 5, 7.), das christliche AbendIDl\hl 1\ bel' von selbst an die Paschamahlzeit erinnerte: so lag es nahe genug, die Hinrichtung Jesu auf den ersten l>l\schl\tag zu verlegen, und seine lezte Mahlzeit, bei weIcher el' das Abendmahl gestiftet haben soHte, als OI\S Paschl\mahl zu bett·achten. Freilich, wenn der Vel'fl\sser oes ersten Evangeliums als Apostel und Selbsttheilnehmer an dem lezten Ml\hle Jesu vorausgesezt wird, bleibt es schwer zu el'ldiiren, wie er zu einem solchen Irrthum kommen konnte. Wenigstens reicht es nicht hin, sich mit THEILE dl\rl\uf' zu berufen, je mehr das lezte mit ihrem Meister gehl\ltene l\lahl den Jüngern über alle Paschamahle gegangen sei, desto weniger sei ihnen auf die Zeit desselben, ob es am Paschaabend selbst, oder einen Tag früher gebalten v.nlässi~

17) FRITZSCHJI, in Matth. p. 763f. vgl. 755. LiicRB, 2, S. 614. 18) Sanhedr. f. 43, 1, bei SCHÖTrGKN, 2, S. 700. 19) Uher die ursprüngliche Bedeutung des l'assahfestes u. s. w. 'I'iibinger Zeitschrift f. 'fheol. 1832, 1, S. 9011'.

Dritt e l' A b s c h n i t t.

worden war, angekommen 20). Denn der erste "~vangeHst lifst diefl! nicht etwa nur unbestimmt, sondern el' spricht aUidrücklich von einem Paschamahl , und so konnte sidl ein wirklicher Theilnehmer desselben, wenn er auch noch so lange Zeit nach jenem Abend schrieb, unmöglich täuschen. Die Augenzellgenschaft des el'sten Evangelisten also wird man bei diesel' Ansicht aufgeben, und ihn sam mt den beiden mittleren aus der Tradition schöpfen lassen müssen: '). Der Anstofs daran, dars sämmtliche Synoptiker, also aHe diejenigen, welche uns die vulgäre Evangelientradition der ersten Zeit aufbehalten haben, in einem solchen h-rthum übereinstimmen soHen ll), lälst sich vielleicht durch die Bemerkung aus dem Wege räumen, dars, so allgemein in den judenchristlichen Gemeinnen, in weIehen doch die evangelische UberJieferung sich ul'spriinglich gebildet hat, das jüdische Pascha noch mitgefeiel't wurne, so alJgemein sich auch der Versuch darbieten murste, demselben durch die Beziehunp- auf den Tod und das lezte Mahl Jesu eine christliche Bedeutung zu geben. Ebensowohl aber Herse sich, die Richtigkeit der synoptischen Zeit bestimmung vorausgesezt, denl.en, wie Johannes irrig dazukommen konnte, den Tod Jesu auf den :Nachmittag des 14ten Nisan, und seine lezte Mahlzeit auf den Abend vorher zu verlegen. Wen" nämlich dieser Evangelist in dem Umstand, dafs dem gekreuzigten Christus die Beine nicht zerschlagen wurden, eine Erfüllung des O~8V 8 (Jm''C!!tß~af:uu avuji (2 Mos. 12, 4ft) findet: so konnte ihn diese Beziehung des Tones Jesu auf das Osterlamm zu der VorsteUung veranlassen, dafs um dieselbe Zeit, in welcher die Paschaliimmer geschlachtet wur20) a. a. O. S. 167 fF. 21) SIEl'li'EI\T, a. a. O. S. 144 fF. LÜCKE, S. 628 Ir. 22) I"RITzSCHE, in Ma.ttk. p. 763. RERN, üher den Ursprung des Evang. Matth. in der Tüh. Zeitschrift, 1834, 2, S. 98.

Z w e i te s K R P i te J.

§. 118.

415

den, Rm Nachmittag des 14ten Nisftn, Jesu8 am Kreul1J8 gelitten und den Geist aufgegeben habe 13), also die am Abend vorher gefeierte Mahlzeit noch nicht das PaschaIDllhl gewesen sei l4). Ist auf diese Weise eine mögliche Veranlassung zum Irrthum auf bei den Seiten vorhanden, und findet die innere Schwierigkeit der synoptischen Zeitbestimmung , die ,'ielfache Verletzung des ersten Pascha tags , theils in den angeführten Bemerkungen einigermafsen ihre Erledigung, theils in der Zusammenstimrnung dreier Evangelisten ein Hegengewicht : so ist vor der Hand nur der unauflösliche "",' iderstreit der beiderseitigen DarstelJungen anzuerkennen, eine Entscheidung aber, welche die richtige sei, noch nicht zu wagen. §.

118.

Differenzen in Betreff der Vorgänge beim lezten Mahle Je8u.

Doch nicht allein in Bezug auf die Zeit des Jezten Mahles Jesu, sondern auch auf dasjenige, was bei demselben vorgegalJgen sein soll, gehen die Evangelisten von einander ab. Die Hau!Jtdift'erenz findet zwischen den synoptischen und dem vierten Evangelium statt; näher aber verhält es sich so, dnfs nur Matthäus und Markus gen au zusammenstimmen, Lukas schon ziemlich abweicht, doch im GnlJzen mit seinen bei den Vorgängern immer noch einstimmiger ist, als mit seinem Nachfolger. Gemeinsam ist sämmtlichen Evangelisten, ausser dem Mahle selbst, dars über demselben von dem bevorstehenden Verrath des Judas gesprochen wird, und dars während oder nach demselben Jesus dem Petrus seine Vel'1eugnung vorherverkündigt. Aber abgesehen davon, dars bei Johall23) vgl. SUICU, thesaur. 2, S. 613. 24) Eine andere Ansicht über die Veranlassung des Irrthums im 4ten Evangelium geben die Probahilien, S. 100 ft'.

416

D l'i t t e r A b s c h n it t.

nes die Bezeichnung des Vcl'riithers eine l\lldere und gf'nauere, auch von einf'm Erfolg begleitet ist, von welclwm die übt·jgcn nichts wissen; dafs fernei' bei demselben nach dem Mahle gedehnte Abschiedsreden sich finden, welche den andet'n fehlen: so ist der Hauptunterschied der, dafs, während den Synoptikf'l'n zufolge Jesus bei dieser lezten Mahlzeit das Abendmahl eingesezt hat, er bei Johannes vielmehr eine Fufllwaschung mit den Jüngern vornimmt. Die dl'ei Syn()ptil{(~l' unter sich haben die Stiftung des Ahendmahls sammt det· Verkündigung des Verraths und dei' Verlellgnllng gemein; aber Abweichung findet zwischea den beiden ersten und dem dritten schon in der Anordnung dieser Stiicke statt, indem bei jenen die Vel'kiindigung des Vert·aths, bei diesem die Stiftung des Ahendmahls voransteht ; die Vorhet'sagung der Verleugnung des Petrus aber nach Lukas, wie es scheint, noch im SpeisesaßI, nach den bei den amtern aber erst auf dem Hinweg zum Oelberg vor sich geht. Dann aber bringt Lukas auch einige Stücke bei, welche die beiden ersten Evangelisten entweder gar nicht, oder nicht in diesem Zusammenhang haben: in ganz anderem Zusammenhang steht bei ihnen der Rangstreit lind die Verheifsung des Sitzens auf Thronen; wogegen die Rede von den Schwertern vergeblich bei ihnen gesucht wird. In seiner Abweichung von den beiden ersten Evangelisten hat der dritte einige Annäherung an den vierten. Gemeinsam nämlich ist dem Lukas und .Johannes, dar" wie dieser in der Fufswaschung eine auf Rangstreit sich beziehende symbolische Handlung nebst Ilngehängten Demuthsrl'den hat: so Lukas wirklich einen R,.ngstreit und darauf beziigliche Reden meldet, welche nicht ganz ohne Analogie mit den johanneischen sind; dars ferner auch bei ihm \\ ie bei JohRnnes die Reden vom Verl'äther das Mahl nicht (·röffnen, sondern erst nach einer symbolischen Handlung eintreten; endlich dars auch er die Verleugnung des Petl'lJs noeh im Lokal der Mahlzeit verkündigt werden lüfst.

Z weit e s Kap i tel.

§. 118.

417

Am meisten Schwierigkeit macht bier nAHirlich die Differenz, dals bei Johannes die von den Synoptikern einstimmig berichtete Einsetzung des Abendmahls fehlt, und an ihrer Statt eine ganz andere Handlung Jesu, eine FuCswaschung, gemeldet wird. Freilich, wenn man sich durch den ganzen bisherigen Verlauf der evangelischen Geschichte mit der Annahme hindurchgeholfen hat, Johannes habe den Zweck gehabt, die übrigen Evangelien zu ergänzen, so kommt man auch über diese Schwierigkeit so gut odel' so schlecht wie über die andern aUe hinweg. Die Einsetzung des Abendmahls, heifst es, fand Johannes bei den drei ersten I~vangelisten auf eine Weise erzählt schon vor, welche mit seiner eigenen Erinnerung völlig übereinstimmte, weCswegen er sich denn nicht bewogen fand, sie zu wiederholen 1). Allein, wenn wirklich der vierte Evangelist von den schOll in den drei ersten E,'angeHen aufgezeichneten Geschichten nur diejenigen noch einmal erzählen wollte, an deren DarsteUung er etwas zu berichtigen oder zn ergiinzen fand: warum erzählt er dann die Speisungsgeschichte, an der er nichts irgend Erhebliches zu bessern weifs, noch einmal, die Stiftung des Abendmahls dngegen nicht, bei welcher ihn doch schon die Differenzen der Synoptiker in Anordnung der Scene und Fassung der Worte Jesu, hauptsächlich aber der Umstand, dafs sie, nach seiner DarsteJlung irrig, jene Einsetzung am Pasehaabenrt vorgehen Jllssen, zur Mittheilung eines authentischen Berichts hätte veranlassen müssen? Mit RUcksieht auf diese Schwierigkeit giebt man nun wohl die Behauptung auf, der Verfasser des vierten Evangeliums habe eine KenntniCs von den drei ersten, und die Absicht, sie zu ergänzen und zu berichtigen, gehabt: doch aber soll er die vulgäre mündliche EvangeJientradition gekannt und bei seinen Lesern vorausgesezt, und in dieser Riicksicht die 1)

PAUI.US,

3, b, S. 499.

OLSJUUSEN,

2, S. 294.

418

1> l'i t t er A h s c h n i tt.

Stiftung des Abendmßhls, als ßllgemein bekßnnte Geschichte, libel'gangen habeJl 2). Allein dieser Zweck einer en,"gdischen Schrift, nur das minder ßekßnnte EU er~ählen, das Bekannte abel' zu übergehen, läfst sich eigentlich ga'l" nicht denken. Die ~chriftliche Aufzeichnung geht ja IlUS von Mifstrauen gegen die mündliche Überlieferung; sie will diese nicht blofs ergiinzen, soudern auch befe!tigen, und so I{ann sie gel'lIlle rlie ßßu}ltpunkte, ",'elche, wie sie als die meistbesprochenen dei' ":ntstellung am meisten ausgesezt sind, so die genßueste Aufbe"ahrung wünschenswprth machen, am wenigsten ühergehen: ebenso demnßch aud) Johannes die Stiftung hes Abendmahls nicht, ßn dessen Einsetzungsworten, wenn wir die verschiedenen N. T.lichen Relationen vergleichen, frühzeitig entweder Zusätze oder Weglassungen müssen gemacht worden sein. Aber, sagt Blan weiter, die Stiftung des Abendmahls zu erzählen, war für den Zweck des johanneischen Evangeliums VOll keine.' Bedentung J). Wie? für den aHgemeinen Zweck desselben, seine Leser EU überzeugen, ön 'lljuiJI; it;tl' 0 XQtSO~, CC)l'(UV: so könnte zwar sehr wohl Jesus selbst fül' gut gefunden haben, diesen Ausspruch durch ein wirkliches Ötaxovl!lv inmitten seine.., die RoJJe der «vaKEhlEV()l. spielenden Jünger zu vel'an~chaulichen, ebensogut

irw

tu) SIEFI'ERT, S. 153. J I} 1. Band, S. 699 f.

PAVLVS

und

ÜLSHAVSEN,

z. d. St.

424

Dritter Abschnitt.

aber könnte man, sofern die Synoptiker von einem solchen Vornehmen schweigen, die Vermuthnng fassen, es möge, sei es die Sage, wie sie dem vierten Ev:mgelisten zu Ohren kam, oder er selbst, aus jenem Diktum dieses Faktum herausgesponnen haben 12). Und ohne dars ihm gerade, der Oat'stellung des Lukas gemlifs, jener Ausspruch Jesu als wlilu'end der lezten Mahlzeit gethan zugekommen zu sein brauchte, ergab es sich ans dem avcxl(c;(Jt}CXt und Otal(nv~iv von selbst, dars die Versinnlichung dieses Verhilltnisses an ein Mahl geknUpft wurde, welches dann aus leicht denkbaren Gründen am schicklichsten das lezte gewesen zu sein scheinen konnte. Dars hierauf nach der Darstellung bei Lukas Jesus die JiJnger als solche anredet, welche bei ihm in seinen Bedrängnissen beharrt haben, und ihnen dafür verheifst, dafll sie mit ihm in seinem Reich zu Tische sitzen, und auf Thronen die 12 Stämme Israels richten sollen (V. 2S-30.), das scheint in den Zusammenhang einer Scene nicht zu pft8.en, in welcher er unmittelbar vorher einem der Zwülfe den Verrath, unmittelbar nachher einem andern die Verleugllung vOl'hergesagt haben soU, und in einen Zeitpunkt, in welchem die eigentlichen 1&cl(!CXtJ'lOt erst bevorstanden. So wie Dach einer früheren Betrachtung die Scene bei Lukas von vorne herein angelegt ist, dürfen wir den Grund dm' EInschaltung die.~es Redestücl,s schwerlich in etwas .A.ndel'em, als in einet' zufälligen ldeenassociation, suchen, vermiige welchel' etwa der Rangstreit det· Jiinger den Referente-Il an den timen von Jesu verheifsenen Rang, Ulld die Rede vom Aufwl\rtellden und zu Tische Sitzenden /lJ1 clas ihnen versprochene zu Tische Sitzen im messianischen Reiche erinnern mochte. In Bezug auf das folgende Gespräch, wo Jesus sei12) Zu weit hergeholt ist, was di(' Probabilien, S. 70 f., Ubcr die Entstehung dieser Anekdote verlllllthcn.

Zweites KapiteJ.

§. 119.

nen Jüngern bildlich sagt, von nun an wÜI·de es Noth thun, sie kauften sich Schwerte)', so feindlich werde man ihnen von aHen Seiten entgegentreten, sie aber ihn eigentlich verstehen, und auf zwei in deI' GeseUschaft vorräthige Schwerter verweisen, möchte ich am liebsten SCHLEIERIIAcHER'n beistimmen, welcher der Meinung ist, um das in der folgenden Erzählung vorkommende Bauen des Petrus mit dem Schwert zu bevorworten , habe der Refel'ent dieses Redestück hiehergesteUt I 3). Die übrigen Differenzen in Bezug auf das lezte Mahl werden im Verlauf der folgenden Untersuchungen zur Sprache kommen. §.

119.

Verkündigung des Verraths und der Verleugnung.

Wenn mit der Angabe, dafs Jesu8 von jeher seinen Verräther gekannt und durchschaut habe, der vierte Evangelist allein steht: so stimmen darin alle viere ltusammen, dars er bei seinem lezten Mahle vOl'hergesagt habe, einer seiner JUngel' werde ihn verrathen. Doch tindet zuerst schon darin eine Differenz statt, dars, während den bei den ersten Evangelisten zufoJge die Reden vom Verräther die Scene eröffnen, und namentlich der Stiftung des AbendmahJs vorangehen (Matth. 26, 21 ff. 1\1arc. 14, 18 ff.): Lukas erst naeh eingenommenem Mahl nnd gestiftetel' Gedächtllifsfeier (22,21 ff.) Jesum von dem bevorstehenden Vcrrathe sprechen läfst; bei Johal1l1es geht rias auf den Verräther sich Beziehende während und nacll eier Fufswaschung vor (13, 10-30.). Die an sich uubedeutende Frage, welcher Evangelist hier recht habe, ist den Theologen aus dem Grund überaus wichtig, weil je lIach der Entscheidung derselben sich die andere Frage zu beantworten scheint, ob auch der Verrätber das Abend13) Über den Lukas, S. 2i5.

~26

Dritter Abschnitt.

mahl noch mitgenossen habe f Weder mit der Idee des AbendUUlhJs, "ls des Mahls der innigsten Liebe und VereInigung, schien sich die Theilnahme eines so fremdArtigen Glieds an demselben zu vertragen, noch auch mit der Liebe und BArmherzigkeit des Herrn das, dars er sollte einen Unwßrdigen zur Erhöhung seiner Schuld dRs Abendmahl haben mitgeniefsen lassen I), Diesem gefürchteten Umstand glaubte man dadurch zu entgehen, dafs man, der Anordnung des Matthäus und Markus folgend, die Be~eichnung des Verräthers der Stiftung des Abendmahls yorangehen tiefs, und da man nun aus J8hannes wurste, dRfs, nachdem er sich entdeckt und bezeichnet sah, Jud.as aus der GeseJJschaft gegangen sei: so glaubte man annehmen zu dßI'fen, dAfs erst nach dieser Entfernung des VerI'äthers Jesus die Einsetzung des Abendmahls vorgeuommen habe. Allein diese Abhülfe kommt nur durch unerlRllbte Vermischung des Johannes mit den Synoptikern zu Stande. Uenn von einer Entfernung des JudAS aus der GeseJlschaft weifs eben nur der vierte EVRngeJist, und er IlUl'in hat 8IH'h diese Anuahme lIötbig, weil nll"h ihm Judas erst jezt seine Unterhandlungen mit den Feinden Jesu anknüpft, "Iso, um mit ihnen einig zu ,",'erden, und Bedeckung VOll ihnen zu el'halten, eine etwRs längere Zeit brauchte: bei den SynoIJtikern dagegen ist keine SpUl', dars der Vel'rUther die GeseUschaft verlassen hätte, es ist Alles so erzählt, wie wenn er el'st bel dem allgemeinen Aufbruch, statt direkt in den G"rten, zu den Hohenpriestern gegangen wäre, von welchen er dann, da die Unterhandlungen schon vorher angeknüJ,ft waren, unverzüglich die nöthige Mannschaft I\ur Verhaftung Je.u el'halten konnte. Mllg also in Anordnung der Scene Luklls odel' Matthäus recht haben: nach .ämmtlichen Synoptikern hat Judas, der ihnen zufolge sich f) OUHAUSKN, 2, S. 380, 2) So J.. ÜCKE, PAULUS, Üj,SH",USEN,

Zweites Ka pi tel. §. 119.

'21

gar nicht vor der Zeit aus. der Gesellschaft eutfel'llte, das Abendmahl mitgenossen. Aber auch in der Art und Weise, wie Jesus seinen Verräther bezeichnet haben soU, weichen die Evangelisten nicht unbedeutend von einander ab. Bei Lukas giebt JeSU8 nur kurz die Versicherung, dafs die Hand seines Vel'räther8 mit ihm fiber Tische sei, worauf die Jünger unter sich fl'agen, wer es wohl sein möge, der so etwas zu thun im Stande wäre ~ Bei Matthäus und Markus sagt er zuerst, einer der Anwesenden werde ihn verrathen, und als von den Jüngern ihn jeder einzeln frngt, ob er es sei? erwiedert er: der mit ihm in die Schüssel tauche; bis endlich nach einem über den Verräther ausgesprochenen Wehe dem J\fatthäus zufolge auch Judas jene Frage thnt, worauf ihm Jesus eine bejahende Antwort giebt. Bei Johannes deutet Jesus zuerst während und nach der Fufswaschung an, dafs nicht aHe Anwesenden JUnger rein seien, dafs vielmehr die Schrift erfüllt werden müsse: der mit mir das Urot ifst, erhebt die Ferse gegen mich. Dann sagt er geradezu, einei' von ihneIl werde ihn verrathen, und als die .JÜnger forschend einander anblicken, wen er wohl meine, Jäfst Petl'us durch den zuniichst an Jesu liegenden JO)UIUnes frageu, wer es sei? worauf Jesus erwiedel·t, deI', welchem er den Bissen eintauehe lind gebe, was er sofort dem Judas timt, mit beigefügter Erinnerung, die Ausführung seines Vorhabens zu beschleunigen; worauf diesel' die Gesellsclll\ft verläfst. Die Harmonisten sind auch hier schneH damit fertig gewesen, die verschiedenen Scenen ineinander eim'alschieben und miteinder vel·triiglich zu machen. Da soll Jeslls auf die Frage der einzelnen Jünger, ob sie es seien, If.llerst mit lauter Stimme erklärt haben, einer seiner Tischg('llossen werde ihn vel'I'athen (Matth.); hiel'auf soll .Jnhl1l1nes leise gefl'lIgt haben, wer es näher sei, und JeslJs ihm ebenso leise die Antwlll·t eJ·theilt: (11.'1', dem er den

D ri t t e r A b s c h 11 it t. Bissen gebe (Joh.); dann soll auch Judas, gleichfalls leigefragt haben, ob er es sei, und Jesus ebenso seine Frage bejaht haben (Matth.); endlich aber soll auf eino antreibende Mahnung Jesu deI' Verräther aus dei' Gesellschaft gegangen sein (Joh.) '), Allein dafs die zwischen Jesus und Judas gewechselte }'rage und Antwort, welche Matthäus mittheilt, leise gesprochen worden sei, davon bemerkt der Evangelist nichts, auch läfst es sich nicht wohl denken, wenn man nicht das Unwahrscheinliche voraussezen will, da{s Judas auf der andern Seite wie J ohannes auf der einen neben Jesu gelegen habe; wal' aber die Verhandlung laut, so konnten die Jiingel' nicht, wie Johannes el'zählt, das Ö nou;:~ nob,rJov 'laxLOV auf so wundel'liche Weise mifsvel'stehen, - und mit einer stotternden Frage VOll Seiten des Judas und leichthin gesprochenen Antwort Jesu wird man sich nicht im Er~lst beruhigen I{önnen 4). Auch das ist nicht walll'scheinlich, dars Jesus, nachdem er schon die Erklärung gegeben: deI' mit mh' in die SchUssel taucht, wird mich verl'athen, zur bestimmteren Bezeichnung des V cI'räthers nun noch selbst ihm einen Bissen eingetaucht haben 80Ute: sondern bei des ist wohl dasselbe, nur verschieden referirt. Erkennt man aber einmal diefs mit PAULUS und OLSHAUSEN an, so hat man bereits dem einen oder andcrn Bericht so viel vergeben, dafs man sich auch fiber die Schwierigkeit, welche in der ausdrücklichen Antwort liegt, die Matthälls Jesmn dem Verräther geben läfst, nicht mit Zwang hinübepheJfeD, sondern eingestehen sollte, bier zwei abweichende Bel'ichte vor sich zu habell 'I deren eiue1' nicht darauf berechnet ist, dUl'ch den andern ergänzt !tu werden. Ist man Dlit SIEFFERT und FRITZSCHE zu diesel' Einsicht gekommen: so fl'agt sich nur noch, welchem VOll beiden 86,

:;) HUINöt,

..) Wie

in Matth. p. 707 . 2, S. 402.

ÜLSIIAUSK:-i,

S.

dagegen

SIIII'FBI\T,

S. f48 f.

Zweites Kapitel.

§. 119.

4'9

Berichten HIs dem ul·sl,rünglichen der Vorzug v.u geben sei r SIEFFJmT hat diese t"'rage mit grofser Entschiedenheit lEG (Junsten des Johannes beßntwortet, nicht blofs, wie er bellRllptet, vermöge des Vorurtheils für die nngebJiche Augenzeugenschßft dieses EVßngelisten, sondern auch, weil sich seine Erzählung in diesem Abschnitt durch innere Wahrheit und malerische Anschaulichkeit aUIs Unverkennharste vor der des Mßtthäus auszeichne, welcher leztern die Spuren der Autopsie auch hier durchaus fehlen. Während nämlich Johallßcs das Genaueste über die Art zu sagen wisse, wie Jesus den Verräther bezeichnet habe: klinge die Erzählung des ersten Evangeliums so, als ob seinern Verfassel' nur die allgemeine Notiz, dars Jesus seinen Verräthe.' auch persönlich bezeichnet habe, zugekommen gewesen wäre $). Wenn in dieser Hinsicht allerdings von der runden Antwort, die Jesus bei Matthäus (V. 25.) dem Judas giebt, nicht geleugnet werden kann, dars sie ganz darnach nussieht, nach jener Notiz auf ziemlich trockene Weise gemacht zu sein, und in sofern der verblümteren, IIlso doch immer wahrscheinlicheren Art, wie J ohnnnes diese Bezeichnung wendet, nachsteht: so ist dagegen zwischen dem 0 if.ltJal/Ju~ oder ip(lun'Uhlf.l'O~ W-,c' i!li:J bei den zwei ersten Evangelisten, und dem johanneischen (j1 lytJ (lal/Ju!,; 'Co I/Jwpiov inu}wGw, das Verhältnils ein ganz anMl'es; hiel' nämlich ist offenbar die grölsere Bestimmtheit dei' Bezeichnung, mithin die geringere Wahrscheinlichkeit des Berichts, auf Seiten des vierten Evangeliums. Bei l . ukas bezeichnet Jesus den Vel'räthel' nur als einen der mit ihm bei Tische Sitzenden, und auch von dem «> 1/1u:; x. 1:. ).. bei Matthäus und Markus ist die Deutung, welche KUINÖL und HENNEBERG 6) von demseJben gebe9: ei-

l,,{Ja-

5) a. a. O. S. 14711'. 6) Comm. über die Geschic1tte des Leidens und Todes Jesu, z. d. St.

430

Dritter Abschnitt.

nel" von meinen Tischgenossen , unbestimmt welcher, so irreleikmd nicht, wie OLSHAUSEN sie dafür 8usgiebt. Denn auch auf die Frage der einzelnen Jünger: binich's r konnte Ja .leaDs theils immer noch eine ausweichende Antwol't ~u geben für gut finden, theils verhielt sich zu dem früheren: er~ i; vWi)" na(!aowaet Ile (V. 21.), nach KUINÖL'S richtiger Bemerkung jene Antwort auch in diesem Sinne als angemessene Steigerung, indem sie das den Verrath noch besonders gravirende Moment der Tischgenossenschaft hervorhob. Wenn auch die Verfasser der beiden ersten Evangelien den frllglichen Ausdruck bereits so verstAnden, als ob gerade Judas mit Jesu die Hand in die Schüssel getaucht, ,und somit jene Äusserung ihn persönlich bezeichnet hätte: so ~eigt doch die ParaHele bei Lukas, und bei Markus das dem «> i!ltJan7:0!l8"O~ vorgesezte 8l~ lx -rwv owo8xa, dar, ursprfinglich jenes nur Epexegese von diesem war, wenn es gleich vermöge des Wunsches, eine recht bestimmte Vorherbezeichnung des Verräthers von Seiten Jesu zu haben, frühzeitig in jenem andern Sinne genommen wurde. Haben wir aber so einmal eine sagenhafte Steigerung der Bestimmtheit jener Bezeichnung: so ist auch die Art, wie das vierte Evangelium den Verräther bezeichllet werden läflit, iA diese Reihe zu ziehen, und zwar möfste sie nach SIEFFERT die ursprüngliche gewesen sein, von weleher aUe übrigen ausgegangen wären. Nun aber ist sie, wenn wir das fl1Ca~ des Matthäus zum Voraus preifsgeben, die bestimmteste Bezeichnungsweiie, zu welcher sich der Ausdruck: meiner Tischgenossen einer, nur als ganz unbestimmt verhält, und auch der Wink: derjenige, wel«lher jezt eben mit mir in die Schüssel taucht, war noch weniger direkt, als wenn Jesus selbst ihm den Bissen eintauchte ulld reichte. Ist es denn nun im Geist der aIten Sage, die bestimmteste Bezeichnung, wenn Jesns eine sol«lhe gegeben hatte, fallen zu lassen, und auf unbestimmtere zu reduch·en, also das Wunder des VOl'herwissens Je-

av

Zweites KßIJitel.

S.1I9.

.31

su zu vel'ringern? Gewirs vielmehr das Umgelehrte: 80 dars Matthäns neben dem unhistorischen Bestimmten docb Eugleich noch das ursprüngliche Unbeitimmte aufbewahrt, Jot.annes dagegen dieses ganB \'erloren, und nur jenes b.,.. halten hat. Geben wir Ruf diese Weise dasJenige, WRS von persönlicher Bezeichnung des Verl'äthers durch Jesum erzählt wird, als post t:ventum gebildet, auf, so bleibt uns doch die allgemeine Voraussicht und Vorhersage J esu noch, dars fiberhaupt einer seiner Schüler und 'fischgenossen ihn verrathen werde. Doch auch schon die(s hat Schwierigkeiten. Dafs Jesus auf den im Kreise st-iner Vel'trautesten brütenden Verratt. von Andern aufmerksam gemacht worden wäre, davon findet sich in den Evangelien keine Spur: nur aus der Schrift scheint er auch dieses VerhiingnHs herausgelesen Jt:u haben. Wiederholt erklärt Jesus, dm'ch den ihm bevorstehenden Verrath werde die Schrift erfüllt (Joh. 13, 18. 17, ]2. vgl. Matth. 26, 24. paralJ.), und im viel·ten Evangelium (13, 18.) führt er als diese r(!flq7} aus · W orte an: 0< , , - 'TOV , a(YrOV. " P s. 41 0 d le 'T(!ltJyw'JI /lf'T• l:fUJ iafi(![:'JI ln' EpE. 'T~V n'TfQvav avxii. Die PsalmsteJle bezieht sich entwedel' auf die bekannten treulosen Freunde Davids, Ahitophel und MeJlhiboseth, oder, wenn der Psalm nicht llavirlisch ist, auf Unbekannte, die mit dem Dichter desselben in ähnlichem Verhältnifs standen 7). Von messianischer Beziehung ist so wenig eine Spur, dars selbst THoLUCK und OLSHAUSEN den angegebenen Sinn als den ursprünglichen anerkennen. Nun soU aber nach dem Lezteren in dem Schicksal Davids sich das des Messias abspiegeln; nach dem Erstel'en sogar David selbst auf göttJicheft Antrieb oft Ausdrücke von sich gebraucht haben, welche specielle Hinweisungen auf die Schicksale Jesu enthielten. Wenn aber 'fHi>LUCK dazusezt, David selbst habe in der

,1.

7) s.

DE

WX'I"U,

z. d. 1'•.

Dritter Abschnitt. Begeisterung diesen tiefel'en Sinn seiner Aussprüche nicht immer ganz begriffen: was ist dier..~ anders, als ein ZugeIItändniCs, dars durch die Deutung auf Christum solchen Stellen ein anderer Sinn gegeben werde, als den der Vel"fasser ursprünglich in dieselben gelegt hat? Dars nun Jesus aus dieser PSRlmstl'lIe vor dem Erfolg durch natürliehe Überlegung Bollte herausgelesen haben, ihm stehe Verrath durch einen Freund bevor, ist um so undenkbarer, als sich keine Spur nndet, dafs der Psalm unter den Juden messianisch gedeutet worden 'Wäre: dafs aber das Göttliche in Jesu ihm eine solche Deutung an die Hand gegeben habe, ist defswegen unmöglich, weil es eine falsche Deutung ist. Vielmehr nach dem Erfolg erst wurde der PsalmsteUe eine Be:.>.iehung auf den VerrRth des Judas gegeben. DRs durch den gewaltsRmen Tod des Messias überl'aschte Gemtith seiner ersten Anhänger mufs man sich in ängstlicher Geschäftigkeit denken, dieses Schiclranriicken sehen ~ was allerdings, da sie Fackeln hatten, von einern Garten am Ölberg aus vielleicht möglich war; allein ohne vorher von den Planen seiner Feinde unterrichtet zu sein, konnte Jeaus nicht wissen, dars es auf ihn abgesehen sei, und jedenfalls beriohten es die Evangelisten als Probe des abernattirlichen Wissens .Jeso. Vom höheren Princip in ihm kann nun aber, wenn dem Obigen zofolge nicht das Vorherwissen der Katastrophe überhaupt und ihrei' einzelnen Momente, dan 11 auch nicht das ihres Zeitpunkts, ausgegangen sein ; dafs ihm aber auf natiirJichem Wege, durch geheime FrßlJIlde im Synedrium, oder wie sonst, die Kunde von dem vernichtenden Schlage zugekommen wäre, welchen die .fOdisch1!n Herrscher mit Hiilfe eines seiner .JÜnger in der näch.. ten Nacht gegen fhn zu führen beAbsichtigten, davon haben wir keine Spur in unsern Berichten, und sind also Roch ulcht befugt, dergleichen etwas vorausmsetzen. Sondern so, wie es uns die Referenten als Beweis seines höheren Wissens geben, müssen wir es entweder hinnehmen, oder, wenn wir diefs nicht können, so folgt vorerst nur das Negative, dars sie uns hier mit Unrecht eine sQlcbe Probe erzäblen, woran dann zunächst

Dri ttes Kapitel.

§. J2.2.

471

nicht das Positive grenzt, daLs jenes Wissen wohl nur ein natiirJiches gewesen, Bondel'n das, da(s die evangelischen E";f,ähler ein Interesse getu,bt haben müssen, eine iibernaHit'liche Kunde Jesu von seinem bevol'stehenden Leiden zu behaupten. ein Interesse, welches schun, oben auseinandergesezt worden ist. Was nun aber der Grund war, das Vorhel'wissen zu einem wirklichen Vorgefühl zu steigern, und so die Scene in Hethsemane auszubilden, liegt gleichfaUs JUllle. Einerseits nämlich giebt es keine augenscheinlichere Probe, dars von einem Erfolg oder Zushmd ein Vorberwissen stattgefu nden hat, als wenn es bis zur Lebendigkeit eines VorgefUhls gestiegen ist, andrerseits murs das Leiden um so fm'chtbarer el'scheinen, wenn es schon im bJofsen Vorgefuh! dem dazu Bestimmten Angst bis zum blutigen Schweifs und die Bitte um Enthebung ausprefst. .'erne1' ~eigte sich das Leiden Jesu in höherem Sinn als ein fl'eiwiUiges, wenn er, ehe es äussel'lich an ihn kam, sich innerlich in dasselbe ergab; umt endlich mufste es der urchristlichen Andacht erwiinsl'ht sein, den eigentlichen Kern dieses Leidens den }H'ofanen Augen, welchen el' am Kreuze aDsgesezt war, ZII entziehen, lind als ein Mysterium in den engeren Kreis einig"r (-;eweihten zn verlt>gen. Zur Aussh'ttung dieier Scene bot sich neben der Schilderung des Schmerzens und Gebets, welche sich VOll selbst ergllb, theils das von Jesu selber (Mlltth. 20, 22 f.) ZUl' Bezeichnung seines l .. eirlens gf>bl'auchte Bild eines nnnhllov, theiJs A. T. liehe Stellen in Klagepsalmen, 42, 6. J2. 4:1,5., wo in der LXX. die l/J1I1.~ nCQLAFTwS vorkommt, wobei das {!('Jf: .9-ava'Z'8 Jon. 4, !}. 11m so näher lag, da Jesus hier wirklich dem Tode entgegengieng. .'riihzeitig muLi;; diese DarsteHung entstanden sein, weil sich schon im Hebl'äerbl'ief (5, 7.) eine Anspielung, ohue Zweifel auf diese See'le, findet. - Es war al:;0 zu wenig gesagt, wenn GABLER die Engelsel'scheiuung fiil' III ythische Einkleidung der Thatsache el'kläl·te, da!s

472

Dritter Abschnitt.

Jesus sich im tiefsten Schmerze Jener Nacht plözlich gestärkt gefithlt habe: da vielmehr jener ganze Seelenkampf, weil auf unerweislichen Voraussetzungen ruhend, aufgegeben werden mufs. Hiemit fällt das oben gesteUte Dilemma weg, indem wir nicht bloCs eine von beiden, sondern beide Oarstellungen der lezten Stunden Jesu vor seiner Gefangennehmung als unhistorisch bezeichnen müssen. Nur so viel bleibt von einem Unterschied des geschichtlichen Werths zwischen der synoptischen Erzählung und der johanneischen, daCs, während jene, so zu sAgen, eine mythische Bildung erster Potenz ist, diese die zweite Potenz trAditioneller Gestaltung zeigt, - oder näheI' ist .iene schon eine Bildung zweiten, und somit diese des dritten Grades. Ist nämlich die den Synoptikern und dem Johannes gemeinsame Darstellung, daCs Jesus sein Leiden vorhergewuCst habe, die el'ste Umgestaltung, welche die fromme Sage mit der wirk. lichen Geschichte Jesu vornahm: so ist die Angabe der SynoptikeI', el' habe sein Leiden sogar vorherempfunden, die zweite Stufe des Mythischen; daCs er es aber, obwohl er ee vorhergewuC:"t, und auch früher einmal (Joh. 12, 27ff.) vorhergeschmeckt, doch schon lange zum Vorftus völlig überwunden, und demselben, als es unmittelbar bevorstand, mit unerschütterter Ruhe in's Auge geblickt habe, - diese Darstellung des Johanneischen Evangeliums ist die dritte und höchste Stufe andächtiger, aber ungeschichtlicher, Verschönerung. §.

123.

Gefangennehmung JeSll.

Genft.u zusammentreffend mit der Erklärung Jesu an die sohlafenden Jünger, dars ehen ,jezt der Verräther nahe, soll, während er noch redete, J ndas mit einer bewaffneten Macht heranget'Hckt sQin (Mntth. 26, 47. parai!. V!!1. Joll. 18, 3,). Diese Schaal' kam dl,m Synoptikern zufolge von

Dl·ittes Kapitel. §.123.

'73

den Hohenpriestern und Ältesten, und war nach Lukas von den ~Qcrr1fYoi~ 1:8 tEQ8 angeführt, also wahrscheinlich eine Abtheilung Tempelsoldaten , an welche sich übrigens, aus der Bezeichnung als lJXJ..O!; und ihrer theilweisen Bewaffnung mit SV10I~ EU schliefsen , noch anderes Gesindel tumultuarisch angeschlossen zu haben scheint; der Darstellung bei Johannes Eufolge, welcher neben den -D'!fT)(!i'mtf; 1:WV tX(!XtE(!tlffll xal tpa(!ulallffll von einer o'!fEiQa und einem Xl llaQXo!; , ohne Erwähnnng tumultuarischer Bewaffnung 1 spricht, scheint es, als hätten sich die jüdischen Obern auch eine Abtheilung römischen Militärs zur Unterstützung ausgebeten gehabt J). Während sofort nach den drei ersten Evangelisten Judas vortritt und Jesum küfst, um ihn durch dieses verabredete Zeichen der anrückenden SchaRr als denjenigen kenntlich zu machen, welchen sie zu greifen hätte: geht laut des vierten Evangeliums umgekehrt Jesus ihnen, wie es scheint, vor den Garten hinaus (ig~).:twv), entgegen, und bezeichnet sich selbst als denjenigen, welchen sie suchen. Diese abweichenden Darstellungen zu vereinigen, haben Einige den Hergang sich so gedacht, dafs, um eine Vet·. haftung seiner Jünger zu verhüten, Jesus gleich zuerst dem Haufen entgegengegangen sei, und sich zu erkennen gegeben habe; hierauf erst sei Judas hervorgetreten, und habe ihn durch den Kurs bezeichnet "). Allein, hatte sich Jesus bereits selbst zu erkennen gegeben, so konnte Judas den Kufs ersparen; denn dafs die Leute der Angabe Jesu, er sei es, den sie suchen, nicht geglaqbt, und noch anf die Bekräftigung derselben durch den Knfs des bestochenen Jüngers gewartet haben, kann nicht gesagt werden, wenn nach der Angabe des viel'ten Evangeliums jenes irw ctflf, so starken Eindruck auf sie machte, dafs sie zu Bo1) s. LÜCKE, z. d. St. HUB, L. J. §. 135. 2) PAVLVS c"" Handb. 3, b, S. 567.

474

Dritter Abschnitt,

dl"n sankc>n, nefswegen haben Andere die Ordnung der Scenen in der Art umgekehrt, dalS Iwerst Judas, vorantretend , Jesum durch den Kufs bezeichnet, dann aber, noch ehe (let' Haufe in den Garten eindl'illgen konnte, Jesus zu ihnen hinaustretend sich zu erkennen geg~ben habe 1), Allein, wenn ihn Judas bel'eits durch den Kufs be.zeichnet, lind er den Zweck des Kusses so gut verstanden hatte, wie es sich In seiner Erwierlerung auf denselben Luc, V. 48, ausspricht: so brauchte er sich nicht noch be801llIe.'s zu el'kennen zu geben, da er schon kenntlich gem:,cht Will'; es zum Schutze der Jünger zu thun, wltr ebenI!O iibcl'lliissig, da er an dem verl'ätherischen Kusse merken wulste, es sei darauf abgesehen, ihn aus seinem Gefolge hel'auszufangen; that er es blofs um seinen Muth zu zeigen, so wal' diefs fast etwas sch .. uspieJerlsch; überhaupt allel' kommt danul'cb, dars Jesus zwischen nen Judaskufs und das gewifs unmitteJbar dal'auf erfolgte Eindringen der Schaal' hinein dieSel' 1I0ch mit Frllgen und Anreden entgegengeh'eteu sein soll, in sein Benehmen eine Hast und Ei!fet·tigkeit, welche ihm unte .. diesen Umständen so übel anstellt, dafll "ie Evangelisten schwet'tich beabsichtigen, ihm eiue solche zuzuschreiben. Man sollte demnach IlIlerkenlIeu, dals VOll den beiden Dftl'steJlßllgPIl keine "AI'allf beJ't'chnet ist, .lurch die ftndere ergli.nzt zu werden 4), indem jt'lle die Art, wie Jetlus erknnnt ,,"nrde, und wie Judas dabei thätig war, auf andere Weise fafst. Dars Judas 3) I.rclIF., 2, S. 599. HASE, 11 ••• O. OLSHAUSEN, 2, S. 435. 4) Wic mag LÜCRX die Ausla8sung des Judaskusses im johanneischen Evangelium daraus crUäl'en, dass er ~ar zu hellannt geWe$CA sl'i, und wic hiezu als Analogie das anfUbren, dass Johannes auch die Verhandlung des Verriitbers mit dem Synenrium ühergehe? da zwar dieFe Yerhandlung als etwas hinter d~r Scene Vorgegangenes wohl übergangen werden konnte, Ileine~wegs aher etwas, das, wie jener J{us~, so ganz im Vordet'grund lind Mittelpunkt der Handlung geschehen war.

Dl'ittes Kapitel.

§. 123.

475

oor;rog '&o'ig ;GvHa{1ärtt ,&Oll 'b/Gäll gewesen (A. G. 1, 16.), darin stimmen alle Evangelien zusammen, Nun aber, während nach der synoptischen Darstellung zum Geschäft des JlJ(las ausseI' der Ortsbezeichnung auch noch die Bezeichnnn~ der Person gehört, welche durch den Kurs geschieht: läfst Johannes die Thätigkeit des Verräthers mit der Bev.eichnung des Orts ihr Ende erreichen, und ihn nach der Ankunft an Ort und SteUe mürsig bei den Übrigen stehen s nun von diesem, er habe die c;Q'Yt' (lW lv nJi vel/V hingeworfen, entsprechend dem i1~i1; n'~ ~nN :],~tp~, in der Pl'Ophetenstelle, obwohl gerade diese Worte in der höchst entstellenden Anführung des Matthäus feblen. Nun aber stand neben dem i1ii1' li':.:l, wohin das Geld geworfen worden war, noch d;r' Bei~az:

'~i~n-SN •• 0:

Die LXX. übersezt:

El~

~'O xnnliv't"~(!LOV, in den Schmelzofen; jezt vermuthet man mit Grund, es sei '~i~j-:rS~, in den Schatz, zu lesen 17);

der Verfasser unsres Evangeliums blieb bei der wörtlichen Übersetzung durch Y-l:(!apsvs. Was aber der Töpfer hier thun, warum ihm das Geld gegeben werden solfte , mufste ihm zunächst ebenso unverständlich sein, wie uns, wenn wir bei der gewöhnlichen Lesart bleiben. NUll fiel ihm aber der ßlutacker ein, welchem, wie wir aus der A. G. sehen, die christliche Sage eine Beziehung auf den Judas gegeben hatte, und so ergab sich die willkommene Combillation, je17)

HITZ1&,

in

GESENIUS,

S. 320 tf.

ULLftL\NN'S und UMlIREI'I"S Studien, 1830, 1, S. 35. im Lex., vgl. RosENMi)LLER'S Scholia in V. T. 7, 4,

588

D1'ittel" Abschnitt.

ner Acker sei es wohl gewesen, fHr welchen dem ~EQa!ieV{; die 30 Silberlinge erlegt werden mulsten. Da aber der Tapfer nicht im Tempel zu denken war, und doch laut der ProphetensteIle die Silberlinge in den Tempel geworfen worden waren: so wurde das Hinwerfen in den Tempel von dem Abgeben an den Töpfer getrennt. Mufste jenes dem Judas zugeschrieben werden, hatte el' also einmal das Geld aus der Hand gegeben: so konnte nicht mehr er selbst das Grundstück von dem Töpfer kaufen, sondern diefs mulsten mit dem hingeworfenen Gelde Andere thun. Wer diese gewesen sein mursten, ergab sich von selbst: warf Judas das Geld hin, so wird er es denen hingeworfen haben, von welchen er es erhalten hatte; warf er es in den Tempel, so fiel es dessen Vorstehern in die Hände, auf beide Weise also den Synedl·isten. Der Zweck, welchen diese bei dem Ankauf des Grundstücks gehabt haben mulsten, ergab sich vielleicht aus der wirklichen Benützung jenes öden Platzes. SoUte endlich Judas den Lohn seines Verraths von sich ge~\'orfen haben: so konnte diefs, mufste man schliefsen , nur aus Reue geschehen sein, und wie wird sich diese ferner geiiussert haben? Dft!:' er sich zum Guten zurückgewendet hätte, davon wufste man nichts: folglich wird die Reue in ihm zur Verzweiflung geworden sein, und er das Ende des aus Davids Geschichte belmnnten Vel'räthers Ahitophel genommen haben, von welchem es 2. Sam. 17, 23. heifst: aVE~1J lCat an~M}Ev - lCai an1rsa~o, wie von Judas hier: aV81"WQr;ae lCaL anE'),.{)wv an~rga7:o. Eine auf den Papias zurückgeführte Überlieferung scheint sich mehr nur an die Relation der Apostelgeschichte anzuschliefsen. Ökumenius führt aus dem genannten Traditionensammler an, dars Judas zum abschreckenden Beispiel der Gottlosigkeit dermafsen am Leibe aufgeschwoHen sei, dafs er, wo ein W ligen durchfahren konnte, nicht mehr durchkam, und endlich, VOll einem Wllgen gequetscht,

D r i t t e s K n p i tel.

§. 126.

509

zerborst und alle Eingeweide ausschüttete 18). Die lezte Angabe ist ohne Zweifel ein Mifsverstand der alten Sage; denn der durchfahrende Wagen wal' ursprünglich in keine unmittelbare Beriihrung mit dem Leib des Judas gebracht, sondern nur als Maafs für dessen nicke gebraucht, und diefs wurde später irrig so aufgefafst, als ob ein vorüberfahrender Wagen den aufgeschwollenen Judas zerquetscht hlüte. Wh-klich finden wir daher nicht allein bei Theophylakt und in einem alten Scholion 19) ohne bestimmte ZUl-ückfühl'ung auf den Papias, sondern auch in einer Catene mit genauel- Anführung seiner i§1jr~aEtS;, die Sache ohne jenen Zusaz erzählt lO). Das ungeheure Anschwellen des .Judas, von welchem in dieS'en Stellen die Rede ist, sollte wohl ursprünglich nur eine Erklärung für das Zerplatzen und Ausschütten der Eingeweide sein, und ebenso könnte man die Wassersucht, in welche TheoJ>hylakt ihn verfallen läfst, wiederum nur als eine Erkläl'UlIg 18) Oecumen. ad Act. f. :

TiITo

JE oatpEt;F/lo" ~t;oeEi IIo7/a:JEi. 'tal,' 'ni Toa;ITo" T~I' aal,' I!. a , Wr;E p~ JJpu09a. J'EMhil', Jpa;'1~ eCfJtw~ J.E(!XOp!P'I" ~n~ T~' 6pa;'1'

E1r1id91J, ,ziE T~ fyxaTa aVT8 E'f1tt"Cß9~"a ••

19) s. oben Anm. 6. 20) In Mih'iTER'S F'ragm. Patr. 1, p. 17 W. Die Stelle Jautet übrigens sehr ähnlich der des Oekumenius, und iiberbietet sie zum Thei! noch: THTO Je autplr;F(!OI' [t;0eE;; IIan/a" ~ 'Iwal"I'H paff'lT~" U'tWI' 1fT",. ;" T~'J TETc!eT~" n7' E~~'t~OE"" TWI' XlJe,alfw" U't"'v' !"ra Je JOE/hla; ~7gen die Annahme, dafs er Jesu günstig gewesen, benüzt werden kann 4). Nach Lukas und Markus kam der Mann ge1"ade an' arQH, und wie er am Kreuzigungszug voriibergehen wollte, verwendete man ihn zur Unterstützung Jesu. Markus bezeichnet ihn noch bestimmter als na7:~Q '.A).,E~aJl­ ÖQ8 "al 'Pap8, ohne Zweifel, weil diefs in der ersten Gemeinde bekannte Männer waren (vgl. A. G. 19, 33. Röm. 16, 13. 1. Tim. 1, 20. 2. Tim. 4, 14.) f), an welche er, l;at~(!(f)(JaJl:

o

RUINÖL, THOLUCK und OLSHAUSEN in den Comm. in Marc. 684: Significat Joannes, Jcsum suam cruccm portavisse, donec ad calvariae lOCunl pervcnisset. 3) Joseph. Antiq. 14, 7, 2. 4) Dafiir bcniizt es z. B. GROTlUS; dagegen OLSILWSEN 2, S. 481. 5) VgI. PAULVS und FJ\lTZSCIlE z. d. St.

2)

So P AULUS, l"RITZSCIlE,

Dl'ittes Kapitel.

§.128.

es ist nicht zu entscheiden, ob mit oder ohne geschichtlichen Grund, den Slmon anknüpft. Auf dem Hinweg zum RichtpIaz, meldet Lukas, sei eine grofse Volksmasse , namentlich auch Weiber, wehklagend Jesu nachgefolgt, deren Klagen er aber auf sie selbst und ihre Kinder "erwiesen habe, mit Hinsicht auf die schrecklichen Zeiten, welche bald über sie hereinbrechen würden (23, 27 ff.). Die Züge sind theils aus der Rede über die Parusie, Luc. 21, 23, entlehnt, da, wie dort den Schwangeren und Säugenden in jener Zeit Wehe gerufen war, so hier gesagt wird, es kommen) ~fJ.iQat, in welchen ''1 '

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at ~ELqaL, xaL xOt",Lat at 8X ErElIv1jaav, xaL fJ.a~ot 01. 8X ElF1jÄaaav, werden glücklich gepriesen werden; theils ist aus (N

Hosea 10, 8. geborgt, denn das ,,"O,,"E aQsonat Ur~tll ,,"oi~ oQEat, x. "". l. ist beinahe wörtlich die alexandrinische Übersetzung jener Stelle. Den Plaz der Hinrichtung nennen slimmtliche Evangelisten Golgatha, das chaldäische Nr-J~h~, und erklären diese Bezeichnung durch xq(xlIbl ,,"07fog od~r·;qavlo" (Matth. V. 33. paraU.). Oer lezteren Bezeichnung nach könnte es scheinen, der Ort sei von seiner schiidelförmigen Figur so genannt gewesen; wogegen die erstere Erklärung und wohl auch die Natur der Sache wahrscheinlicher macht, dars er seiner Bestimmung als RichtpJaz und den daselbst befindlichen Gerippen und Schädeln der Hingerichteten seine Benennung verdankte. Wo dieser Plaz gelegen habe, ist nicht bekannt, doch ohne Zweifel ausserhalb der Stadt; auch da{s er ein Hügel gewesen, wird nur vermuthet 6). Den Hergang nach der Ankunft Jesu auf dem Richtplaz erzählt Matthäus (V. 34 ff.) in etwas sonderbarer Folge. Zuerst erwähnt er des Jesu angebotenen Tranks; dann, dafs, nachdem sie ihn au das Kreuz geschlagen, die Sol6)

5. PAULUS

und FII.ITZ8ellli: z. d. Absehn.

d. A. Golgatha.

WINIi:Il, h. Realw.

530

Dritter Abschnitt.

daten seine Kleide)' vf'rtheHt haben; hierAuf, wie sie sich niederseIlten , um ihn zu bewachen; nach diesem die dem Kreuz gegebene Übel'l!Chrift, und nun erst wird, und zwar nicht als Nachholung, sondern durch eine Pal·tikel der Zeitfolge (~O'lE) die Notiz angeknüpft, dars man mit ihm zwei Riiub"r gekreuzigt habe. Während Mtlrkus dem Mfltthäus folgt, nur dafs er statt der Angabe der Bewachung des Kreuzes eine Zeitbf'stimmung hat, berichtet Lukas richtiger lIuerst die Kreuzi~ ung der beiden Verbrecher mit J esu, dann erst die Kleiderverloosung, und in ähnlicher Abfolge auch Johannes. DeI~wegen aber die Vel'se bei Matthäus umzusteUen (34. 37. 3~. 35. 36.), wie schon vorgeschlagen wurde 7), ist unerlaubt, und man murs vielmehl' Imf dem Verfasset' des er.. ten Evangeliums hier die Beschuldigung liegen lassen, daes er iiber dem Bestreben, von den Hauptvorgängen bei der Kreuzigung Jesu nur keinen Z!l übergehen, die natürliche Zeitfolge vernachlässigt habe 8). Was die Art der Kreuzigung betrifft, ist jezt kaum mehr etwas streitig, als nur die FrAge, ob dem Gekreu· zigten ausseI' den Händen auch die Füfse angenAgelt wor· den seien? Die BejAhung dieser Frage liegt ebenso im Interesse der orthodoxen I wie die VeJ'neinung in dem der rationalistischen Ansicht. Von Justin dem Miirtyt'er an 9) bis auf HENGSTENBERG 10) und OLSHAUSEN finden die Orthodoxen in den angenagelten Füfsen Jesu eine El'füllung der Weissagung Ps. 22, 17, wo die LXX. (:;Qv;av XciQJg //8 )Cat noöa~ übersezt: aHein im Grundtext ist schwel'lieh von Durchbohren, in keinem Fllll von einer Kreuzigung die Rede; auch wird die SteHe im N. T. nirgends auf Chri7) von WUSBNBERGH, in der Diss. de trajectionihus N. T. zu Valckenaer's scholae in 11. quosd. N. T. 2, p. 31. 8) Vgl. SCIILEIEll.MACHER, iiber den Lukas, S.295. und FßITZ8CHE, in Matth. p. 814. 9) Apol. I, 35. DiaI. c. Tryph. 97. 10) Christologie des A. T. 1, a, S. 182 W.

Drittes Kapitel.

$.128.

531

stnm angewendet. Den Rationalisten hingegen \\>t1'd es theils leichter, den Tod Jesu für blofsen Scheintod zu el'-' klären, theiJs nur dann möglich, zU begreifen, wie er nach der Auferatehung sogleich wieder gehen konnte, Wenn Iln den Fürsen keine Verwundung stattgefunden hatte: aHein tielmehr, wenn es sich geschichtlioh ergäbe, dafs wit'kJjch auch die Füfse Jesu angenagelt waren, mitfste gefolgert werden, dafs die Wiederbelebung und dlls Wandeln nach derselben entweder auf übernatürliche Welse, oder gar nicht, geschehen sei. Neuestens stehen si('h be~onders zwei gelehrte und gründliche Untersuchungen dieses Punktes, von PAlJLUS und von ßÄHR, jene gegen, diese für die Annagelung der FUfse, gegenübet I t). Aus der evangelischen Erzählung kann die erstere Ansicht vor AUem das für sich geltend machen, dars weder jene PsalmsteJle, die doch unter Voraussetzung einer FufsllnnagE'lung dem Pragmatismus tIer Evangelisten so nahe lag, irgendwo benüzt, noch in der Auferstehun~sgeschichte neben den Niigelnutl!len in den HUnden und der Seitenwunde einer W ullde in den Füfsen gedacht ist (Joh. 20, 20. 25. 27.): wogegen die andere Ansicht sich nicht ohne Grund darauf beruft, dills Luc. 24, 39. Jesus die Jünger auffordert: ~'oE,,;e ,,;«g XEI(lag ~la Kat ";8!; nooa!; !La, wo zwar, dars die Fürse durchbohrt gewesen, nicht gesagt, aber auch schwer zu begreifen ist, wie, blofs um von der Realität sein.es Körpers überhaupt zu überzeugen, Jesns gerade die Fafse vorgezeigt haben soH. Dafs unter den Kirchenvätern auch solche, welche, vor Constantin lebend, die Kreuzigung noch aus eigener Anschauung kennen konnten, wie JUfltin und TertuUian, die Fürse Jesll angenagelt werden lassen, ist von Gewicht, und wenn man auch aus der Bemerkung des lezteren: qui (Christu$) solus a papulo tarn insigniter H)

im exeg. Handbuch 5, h, S. 669 - 754; BÄHR, in TlloLUcn's liter. Anzeiger fiir christI. Theol. 1835, No. 1-6.

PAULUS,

D.,itter Abschnitt, crucifix U3 e&t Il), schliefsen könnte, der PsalmsteIle zulieb haben diese ViHel' angenommen, Christus sei ausnahmsweise mit Durchbohrung auch der Farse gekreuEigt worden: so wird doch, wenn er vorher die Durchbohrung der Hände und t'üfse die propria atrocia crucis nannte, klar, dars jene Worte nicht eine ausgezeichnete Art der Kreuzigung., .sondern die so auffallend mit der Weissagung zusammentreffende Todesart der Kreuzigung bedeuten. Untel' den SteHen der Profanscribenten ist die wichtigste die Plautinische, wo, allerdings als ausnahmsweise verschärfte Kreuzigung, ojfigantur bis pedes, bis brachia vorkommt I 3). Bier fragt es sich: soll das Ungewöhnliche in dem bis bestehen, so dars als das auch sonst Übliche die einfache Anheftung sowohl von Farsen als Händen vorausgesezt wird; oder soH das bis ohigere der Häbde, d. h. dars beide Hände angenagelt wurden, das Gewöhnliche gewesen, das Annageln beider Fülse aber als ausserordentliche Verschärfung hinzugekommen sein? wovon jeder das Erstere den Worten angemessener finden wird. Hienach scheint sich mir dermalen das Übergewicht der historischen Gründe Ruf Seiten derer zu neigen, welche behaupten, dars Jesu am KI'euz bei des , HHude und Fülse, angenagelt worden seien. Noch vor der Kreuzigung war es laut der beiden ersten Evangelisten, dars Jcsu ein Getränk angeboten wurde, welches Matthäus CV. 34.) als ;;§o~ Ite.,;'; xo).~~ WpIYll evO )l, Markus CV. 23.) als EGpVQVlattf.l'O)I oivop bezeichnet, das aber bei den zufolge Jesus, bei l\1atthäus nachdem er es vorher gekostet, nicht zu sich nehmen mochte. Da man nicht begreift, zu welchem Zwecke man unter den Essig GaUe gemischt haben möge, so erklärt man gewöhnlich die X()).~ des Matthiius, aus dem laltVqvlaf/EVOV des Markus, von bittern vegetabilischen Ingredienzien, wie namentlich 12) Adv. Marcion. 3, 19. 13) Mostellaria 2, 1.

Drittes Kß l)i tel.

§. 128.

533

Myrrhe, und liest dann auch statt o~o~ cntweder geradezu 01)10)1, oder versteht doch jenes von sßurem Wein 14) , um so das betäubende Getränk aus Wein und stllrken Sllecereien herauszubringen, welches nach jiirliscl,er Sitte den Hinzurichtenden zur Abstumpfung des SchmerzgefübJs gereicht zu werden pflegte s). Allein wenn auch der Text diese Lesart, und die Worte diese EI'klärungen zuliefseIl, so wiirde doch wohl Mlltthäus gegen die Hinausdeutu/lg det· wirklichen GaUe und des Essigs aus seinet' Erzählung sehr protestiren, weil ihm dadurch die Erfüllung der Worte des auch sonst messianisch gebrauchten Ungllickspsalms 69, V. 22. (LXX): xat. fOWy.a)l El~ '[;0 ßQ();flU pa xol~)I, xat, , '[;'1V '.t ' ,I I "I: . O'lesem 1:11,' utl/Jal' !laElw'[;wav !IE 0sO~, ver Ioren glenge. Ol'akel gemäfs meint Matthäus unstreitig wirkliche Galle mit Essig, und aus der Vergleichung des Markus darf nUt' die Frage genommen werden, ob es wahrscheinlicher sei, dafs der Vorgang, wie ihn Markus darstellt, das UrsprüngHche gewesen, was erst Matthäus zu genauerer Ähnlichkeit mit der Weissagung umgefol'mt, oder ob Matthäus ursprünglich den Zug aus del' PsalmsteJIe geschöpft, Markus abe!." ihn hinterher zu gröfserer geschichtlicher Wahrscheinlichkeit umgebildet habe ~ Um hierüber entscheiden zu können, müssen wir auclt die beiden andern Evangelisten mit in die Betrachtung ziehen. Von einer Tränkung Jesu mit Essig nämlich melden alle viere, und auch jene beiden, welche den mit Galle vermischten Essig, oder den l\1Yl'rhenwl'in, als den ersten Trank, der Jesu geboten wurde, haben, wissen später noch von einer Tränkung mit bJofsem Essig zu sagen. I

14) s. RUINOL, PAULUS, z. d. St. 15) Sanhedrin, f. 43, 1, bei WETSUIN, p. 635: Dixit R. Chaja, f. R. Ascher, dixisse R. Chasdam: exeunti, ut capite plectatur, dant bibendum gran um turis in poculo vini, ut alienetur mens ejus, sec. d. Provo 31, 6: date siceram pereunti et vinum amaris anima.

Drit tel' A b.chn i H. Nach Lukas war das ;;gOg 'ltflOOpeflEt'II eine Verhöhnung, welche die Soldaten gegen Jesum, wie es scheint, nicht lIehr lange nach der Kreuzjgung, noch vor der Finsternifs, vornahmen (V. 36 f.); nach Markus reichte kurz vor dem Ende, drei Stunden nach Entstehung der Finsternifs, einer der Umstehenden auf den Ruf Jesu; mein Gott u. s. w., ihm, gleichfalls in spöttischer Absicht, mitte1st eines auf ein Rohr gesteckten Schwammes Essig dar (V. 36.); nach Matthllus bot ihm einer der Umstehenden auf eben jenen Ruf hin und auf dieselbe Weise den Essig, aber in guter Absicht, wie man daraus sieht, dafs die Spötter ihn davon ftbhalten wollten (V, 48 f.) '''); wogegen es bei Johannes fluf den ausdrücklichen Ruf: ist, dafs einige einen Schwamm in ein in der Nähe stehendes Gefäfs mit Essig tauchten, und auf einem Ysopstengel zum Munde JesD brachten (V. 29.). Man hat daher drei verschiedene Versuche, Jesum·zu tränken, angenommen; deo ersten vor der Kreuzigung, mit dem betäubenden Tranke (Matth. und Markus), den 21826) Confessio Judaei aegroti, bei 'V~TSTl!iIN, p. 820: - da portionem meam in horto Edenis, el memento mei in seculo futuro, quod ahsconditmtl est justis. Andere Stellen s. bei ebendems., p. aHl. 27) Cetuboth f. 10l, bei WUSTIII1i, p. 8t9: Quo die Rabbi moriturus erat, venit \'ox de coclo, dixitque: qui praesens aderit morienti Rabbi, ilIe intrabit in paradisum. 28) s. \VUSTBIN Z. d. St. des Matthäuij.

Dl'ittes KapiteJ.

I. 128.

bezeichnet war. Luk,", und Johalln&s meJden, dafs diese Aufschrift in drei Sprachen zu lesen gewesen sei, und der Jeztere giebt noch die Notiz, dars die jlidischen Obern den Spott, der in dieser Fassung der Überschrift gegen ihre Nation Jag, wohl gefühlt, und defshalb den Pi1atus, jedoch vergeblich, um Abänderung derselben gebeten haben (V. 21 f.). Von den Soldaten, welche Jesum gekreuzigt hatten, deren Zahl Johannes auf vier angiebt, bel'ichten die Evangelisten einstimmig, daCs sie die Kleider Jesu mit Anwendung dei Looses unter sich vertheiJt haben. Nach dem römischen Gesez de bonis damnatorum • ) fielen die KJeidungsstücke der Hingel'ichteten als spolia den VolJstreckern des Urtheils zu, und insofern hat jene Angabe der Evangelisten einen historischen Anhaltspunkt. Doch, wie die meisten ZUge diesel' Jezten Scene im Leben Jesu, hat sie auch einen prophetischen. Bei Matthäus zwar ist die Anführung del' SteHe Ps. 22, IV. ohlle Zweifel eingeschoben, sicher ächt dagvgen dasselbe Citat bei Johannes (19,24.) : t)!a ~ reap~ nlTj(!f1J:tn ~ lir80a (wörtlich nach der LXX)" ..t ' ,(. " (. ':"I'" ( , UlEflE(!WanO ,,-a tltaua 1'8 Eavrot~, Nat Ent 'l0)! t!Ia'Ct(J!IOV ,fair,))!

E{JaloJl xl~(!o)!. Auch hier hat nach der Versicherung de1' orthodoxen Ausleger der Verfasser des Psalms, J)avid, nach einer höheren Leitung, im Zustand der Begeisterung solche bildliche Ausdrücke gewählt, welche bei Christo in eigentlichem Sinne zugetroffen sind 30). Vielmehr aber gab David, oder wer sonst der Urheber des Psalms ist, als ein Mann von dichterischem Geist jene Ausdrücke nur bildlich, im Sinne von gänzlichem Unterliegen; aber die kleinlichte, prosaische Auslegungsweise der späteren Ju-

fl8

29) Angemhrt bei WXTSTJUl'I, p. 536, womit übrigens die Textberichtigung von PAULVS, ex. Handb. 3, b, S. 761, zu vcrglcichen ist. 30) TuoLucx, S. 341.

Dritter Abschnitt. den, welche die Evangelisten ohne ihre Schulrt tht>ilt.. n, lind von welcher sich die orthodoxt>1l Theologen, ab{'l' durch eigne Schuld, nach 18 Jahrhunderten noch immt>r nicht frei gemacht haben, glaubte jene Worte eigentlich nehmen, und in diesem Sinn als am Messias erfüHt nach~ weisen zu müssen. - Ob nun die Evangelisten dit> Klei· de,·verloosung mehr aus historischen Nachrichten, die ihnen zu Gebote standen, oder aus der prophetischen SteHe, welche sie verschiedentlich auslegten, geschöpft haben, muls alls der Vergleichung ihrer Berichte sich ergeben. Diese weichen darin von einander ab, dafs, während den Synoptikern zufolge sämmthehe Kleider durch das Loos vertheilt wut'den, was schon aus dem OlEflEQÜlGVW ,,;a ipa,,;ta W~1:H, ßJ).)'Ol'U.g :X)..~(10V bei Matthäus (V. 35.) und der ähnlichen Wendung des Lukas (V. 34.), am entschiedensten abel' aus dem Zusaz des Markus: ,,;ig ,,;i ~h!:'7 (V. 24.), erhellt: bei Johannes die übrigen StUcke ohne Loos vertheilt, und nur um das Unterkleid geloost wird (V. 2:1 f.). Diese Abweichung wird gewöhnlich viel zu leicht genom~ men, und stillschweigend so behandelt, als ob die DarsteUung der Synoptiker zur johanneischen sich nur wie die unbestimmtel'e zur bestimmteren verhielte. KUlNöt übersezt mit Rücl.sicht auf den Johannes das Matthäisehe oupf(!L;ov7:o {Ja),).ovug geradezu durch: partim dividebant, partim in sortem conjiciebant; allein so läfst sich nicht theilen, sondern das Otl!flEQi'ono giebt an, was, dftS {Ja),).onEg wie sie es gethan haben: ohnehin über das 1:lg ,,;l ~;Qn schweigt KUINÖL stiU, weil hierin unverkennbar liegt, dars sie um mehrere Stücke geloost haben, während sich nach Johannes das Loos nur auf Ein Kleidungsstück bezog. Fragt es sich nun, welche von beiden widersprechenden Angaben die richtige sei, so wird auf dem jetzigen Standpunkt der vergleichenden EvangeJienkt>itik die Antwort ohne Zweifel so lauten, dars der Augenzeuge Johannes das Richtige gebe, den Synoptikern aber sei nur

"Ä..,

D,-ittes Kapitel.

§. 128.

5.13

"0

das Unb~stimmte Ohren gekommen, fiars bei der V.. rtheilung d .. r Kleid ..r Jesu die Soldnt.. n das Loos in Anwendung gebracht haben, und diefs haben sie aus Unkenntnifs der näheren Verhältnisse so verstanden, als ob uber sämmtJiche Kleidungsstücli;e Jesu das Loos geworfen worden witre. Al1ein, wenn schon der Umshmd, fiafs gerade Johannes aHein es ist, der dl~ PsalmsteIle ausdrücklich anführt, eine vorzügliche Berücksichtigung derselben von seiner Seite beweist, so ist iiberhaupt diese Abweichung der Evangelisten eine solche, welche einer vers(lhiedenen Auslegung jenei' Stelle aufs Genaueste entspricht. Wenn der Psalm von einem Vertheilen der Kleider und Verloosen des Gewandes l'ed .. t, so ist im Sinne des hebräischen Parallelismus das zweite nur hähere Bestimmung des ersten, und in richtigem Verstllndnifs hievon setzen die Synoptiker das eine der beiden Verba in's Participium. Wer aber entweder diese Eigenheit des hebräischen Sprachgebrauchs hicht berticksicht'igte, oder ein Interesse hatte, je,den einzelnen Zug der Weissagl1ng als besonders erfüHten herauszuheben, der konnte jene näher bestimmende copula als hinzufügend fassen, und so in dem Verloosen einen von dem Vertheilen verschiedenen Akt finden. Dann mulste auch der tp.anu/-IOr; (TlJUS), welcher ursprünglich



ein synonymum von 'pana (O~'J::l) war, ein von diesen verschiedenes Kleidungsstück werden, dessen nähere Bestimmung, weil sie im Wort auf keine Weise lag, dem Belieben überlassen blieb. Der vierte Evangelist bestimmte es als 'X,t'U.uv, und weil er seinen Lesern auch einen Grund schuldig zu sein glaubte, warum auf dieses Stück ein von der Vertheilullg der übrigen so verschiedenes Verfahren angewendet worden sei, brachte er heraus, der Grund, warum man das Unterkleid lieber verlousen als zertheilen wollte, werde wohl gewesen sein, dafs es keine das Zel"trennen begünstigenden Nähte gehabt (aQ~apo{;.), aus Einem •

T

,

Dritter Abschnitt. StUck gewoben (VpCtVro~ öt' ;;).8) gewesen sei 11). Da haben wh' also bei dem vierten Evangelisten ganz dasselbe Verfahren, wie wir es in der Geschichte des Einzugs auf Seiten des ersten gefunden haben: beidemale die VerdoppJung eines ursprünglich einfachen Zugs aus falscher Fassung der c:opula im hebräischen Parallelismus; nur ist der erste EvangeJist an jener SteUe darin noch weniger willkührlich, als hiel' der vierte, dars er uns wenigstens mit der Aufspürung des Grundes verschont, warum damals für Einen Reiter zwei Esel haben rcquirirt werden müssen. Je mehr sich auf diese Weise die Darstellung des bezeichneten Punkts bei den Evangelisten abhängig zeigt von der Art, wie jeder jene vermeintlich prophetische PsalmsteUe verstand: desto weniger scheint eine sichere historische Kunde an ih]'er Darstellung Theil gehabt zu hilben, und wir wissen demnllch nicht, ob bei der Vertheilung der Kleider J esu das Loos angewendet, ja ob überhaupt unter dem Kreuze Jesu eine KJeidertheilung vorgenommen wQl'den ist; so zuversichtlich sich Justin gerade auch für diesen Zug auf die Akten des PiJatus beruft, ,,'elche er nie gesehen hatte 31 ). Von dem Benehmen der berm Kreuze Jesu anwesenden Juden meldet uns Johannes nichts; Lukas läfst das Volk zuschauend dastehen, und nur die "fllOrU;; und die Soldaten Jesum durch die Aufforderung, sich zu retten, wenn er der Messias sei, wozu von Seiten der lezteren noch das Anbieten des Essigs kommt, verhöhnen (V. 35 ff.); Matthäus und Markus haben von einem Spott der Soldaten hier nichts, dafür aber Illssen sie ausseI' den aflllcflci~, 'i'l!aIlIlUu/it; und nl!cCJ{Jvu,flOL noch die naqanoecVOllc'VOL Lä31) Die Ausleger merken hiezu an, dass auch das Rleid des jüdischen Hohenpriesters von dieser Beschaffenheit war. Joseph. antiq. 3, 7, 4. - Die richtige Ansicht von obiger Differenz ist bereits in den l'robahilien aufgestellt, p. 80 f. 32) Apol. I, 35.

Drittes KApitel.

545

§.128.

sterungen gt>gen Jesum ausstorsen (V. 39 ff. 29 tL). Die Ausserungen dieser Leute beziehen sich theils auf frühere Reden und Thaten Jesu, wie der Spott: 0 Ka-raÄ.vwv 't"ov , \ > \ t, >.1' (M a tth • vaov Kat EV 't"QLOlV 1]flE(!al~ OtKOuO/UrJv, (Jw(JOV (JEamOv N

N

\

Mark.) auf die gleichlautende Rede, die man Jesu zu,. schrieb, der Vorwurf aber: aH8~ iGW(JEV, eavrov 8 ovva't"at (Jw(Jat oder (1w(Jmweamov (bei allen dreien) auf seine Heilungen sich bezieht. Theils aber ist das Benehmen der Juden gegen den Gekreuzigten nach demselben Psalm gezeichnet, von welchem TertuUian mit Recht sagt, dafs er fotam Christi passionem in sich enthalte 3'). Wenn wir nämlich bei Matthäus und Markus lesen: 01. 'I1:aQa'I1:0(!EVO!IEvOt lf1Ä.aacp~!I8V (Lukas von den aQxovrE~: i§E-

Je

!lVK't"1Qt'ov)

mh·ov,

KtvijnE~ n~~ KupaÄ.a~ av't"wv Kat Uro,,-

so ist diefs doch gewifs nichts Anderes, als was Ps. 22, 8. (LXX.) steht: naV7:E~ 01. .:J-EW(!ijn8~ !tE igE!WK7:~(!l, >, ,. > '1 > , 1 ' d h'lerau f (Jav PE, f./.aAl,ac/,v EV XEtIl.f.(1tV, f.KlV1jaav xupall.1jv, un bei Matthäns die den Synedristen gelieheneR Worte: n8.,,' , c' ,.", '] 0.'') ." 't"E~'

not!}cv Ent 10V !)EOV,

(!vaaa!)w )lt)V amo", EI, "\TMEt aV7:O",

sind gan z dieselben mit den Worten des folgenden VerBes P s/\ Im: 1]1I.'I1:taE7 "1 ' , }'T' t ' II aV7:0v' " · i n Jenem Enl l.VQLOV, (!v(Jaa"\TW (J(rJK . (Ja7:W Clt17:0V, on !)f.II.Et a1.-7:Ov. ann nun zwar Jenes S potten und Kopfschütteln der Feinde Jesu, unerachtet die Zeichnung desselben nach einer A. T.lichen SteHe abgeschattet ist, dennoch gar wohl wirklich so vor sich gegangen sein: so verhält es sich dagegen mit dieser den Spöttern geliehenen Rede anders. Worte, die, wie die angegebenen, im A. T. den Feinden des Frommen in den Mund gelegt sind, konnten die Synedristen nicht adoptiren, ohne damit sich selbst als Gottlose hinzustellen, wovor sie sich wohl gehütet haben werden. Nur die christliche Sage, wenn sie einmal den Psalm auf das Leiden Jesu, und namentlich auf seine lezten Stunden, anwandte, konnte auch ,

."

rI

33) Adv. Marcion.

'')

2. 11.

."

O.

546

D.·itter Abscltnitt.

diese Worte den Jiiclhchen Obel'n in den Mund Jegen, und rlarin die Erfüllullg einer Weissagung finden. Darg von den Z" ölfen einer bei der Kreuzigung JesD zugegen gewesen wäre, davon melden die zwei vorde1'en ~~vangeJisten nichts; sie erwähnen bJols mehrerer gllliläischen Frauen, von welchen sie drei namhaft machen, nämlich Maria Magdalena, 1\1 aria, die Mutter des ldeinen J akobus und des Joses, und Matthäus die Mutter der Zebedaiden, nach der gewöhnlichen Ansicht dieselbe, welche Markus Salome nelllacht, wie denn Markus, den Lukas gleichsam auslegend, den Hauptmann dadurch, daLs Jesus H'CW x{!agu!; 19inl't3VaeV, zu dem Ausruf: 0 av:f{!W1W!; UfO!; lJlO!; ~v .:fEii, veranlafst werden läfst (V. 39.). Bei Lululs nun, der als die lezten Laute Jesu ein Gebet giebt, ist wohl etwa zu begreifen, wie durch dieses erbauliche Ende der Hauptmann zu einer vortheilhaften Ansicht von Jesu 24) s. diese Vorstellung weiter ausgeführt im evang. Nicod. cap. 18 11'.

V iel'tes KltlliteJ.

§. 130.

565

g(.lwacht werden mochte: wil" hin!!f>gen ans Ilem Verscheiden mit lautem Gesclll'ei aut' die WÜI'de eines Gottessohlls geschlossen werden konnte, will /tuf keine Weise einleuchten. Die passendste Beziehung abm' giebt dem Ausl'lIt' dl's Centurio Matthäus, welchel' denselben cltll'ch das El'dbeben und die übrigen Vorfälle bei'm Tode Jesu veranla{~t sein lärst: welln nur nicht die histol'ische Realität diesel' llede des Hauptmanns mit del' ihrer all geblichen Veranlassungen stände und fiele. In der Angabe der Worte des Centurio hingegen hat hinwiedel'um Lukas die historische Wahrscheinlichkeit besser, als seinc beiden VOl'münner, beobachtet. Denn JesulD als 'I'l(lg .&I'U erldlid illl jiiclischen Sinne hat der römische K"it'gel' s('hwerlieh: er JWllnte es nur im Sinne der heidnischen Hötterzeugungen; in diesem Sinne abel' meldcn die Evangelisten wenigstens seinen Ausspruch nicht, sondern sie woHen hier selbst einen Heiden für die Messianität Jesu zeogen lassen: wogegen, dars er, wie Lukas berichtet, Jesum als ul''&Qwnog rJixalOg bezeichnet hätte, IIn sich wohl möglich wäl'e, wenn nicht mit der gllnzen D/trstelJung dei' Kreuzigungs - und Todesscene auch diesel' SchIulsstein d('rselben verdächtig würde - zumal bei Lukas, der zu dem Eindl'uck auf den H/tuptmann noch rlen :lUf die fi!-.rige Volksmenge fügt, ullfl. diese mit Zeichen der Reue und Trauer in die Stadt zurückkelll'cJI lärst, ein Zug, welcher nicht sowohl anzugeben scheint, was rlie Juden wirldich empfunden und gethall, als was sie nllch christlicher Ansicht hätten thun und eml1finden io11en. §.

1311.

Der Lanzenslieh in die Seih' Jesu.

\Vährend die Synoptiker Jesum \'on. der wQa l'wa'C'I), d. h. Nachmittags 3 Uhr, wo er verschied, bis zu der oll,la, fi. h, wohl bis {{('g-en 6 Ll/I1' AIJeI\l1s, am Kreuze llängen lassen, ohne daLs weiter etwas mit ibm \orgieuge: schiebt

566

D ritt e r A b 8 C h n i t t.

der vierte Evangelist eine merkwUrdige Zwischeoscene ein. Nach ihm baten nämlich die Juden, um zu verhiiten, dafs nicht durch das ßängenbleiben der Gekreuzigten der bevorstehende besondel's heilige Sabbat entweiht würde, den Procurator, es möchte durch Zerschlagung der Beine ihr Tod beschleunigt, lind sie sofort abgenommen werden. Die hiezu beauftragten Soldaten vollzogen diefs an den beiden neben Jesu gekreuzigten Verbrechern: wie sie aber an JesD die Zeichen des bereits eingetretenen Todes bemerkten, hielten sie bei ihm ein solches Vornehmen für überflilssig, und begniigten sich, in seine Seite einen Speerstich zu machen, worauf Blut lind Wasser herausflofs (19, 31 -37.). Diese Thatsache wh'd gewöhnlich als ßauptbeleg fUr die Wirklichkeit des Todes Jesu angesehen, und im VerhältniCs zu ihr der aus den Synoptil,ern zu führende Beweis für unzulänglich gehalten. Nach derjenigen Rechnung nämlich, w('lche den längsten Zeitraum giebt, der des Markus, hieng J eSlls von der dritten bis neunten, also 6 Stunden, am Krl'mo:e, ehe er starb; wenn, wie Manchen wahrscheinlich gewesen ist, bei den bei den andern Synoptikern die mit der sechsten Stunde eingetretene FinsterniCs zugleich rlen Anfang der Kreuzigung bezeichnet, so hieng nach ihnen Jeslls nur drei Stuurlen lebend am Kreuze, und wenn wir bei .Johannes die jürlische Stundenzählnng vOI'aussetzen. und ihm die glt'iche Ansicht vom Zeitpunkt fies Todes Jesu zURchreiben: so miiCste, da er um die lechste Stunde den Pill\tus erst das Urtheil sprechen läCst, Jesus nach nicht viel iibcr zwei Stunden Kreuzigung bereits gestorben sein. So schnell aber tödtet die Kreuzigung sonst nicht: was theils nus rler Natur dieser Strafe, welche nicht durch starke Verwundung ein schnelles Vt'rbillten ~ sondern mehr nur durch Ausspannung der Glieder .in allmllhliges EI'starren bel'vorbringt, sich ergiebt; theils aus den eigenen Angaben der Evangelisten erhellt, nach

V i e r te s Kap i te 1.

§. 130.

367

welchen Jesus unmittelbar vor dem Augenblick, den sie für den lezten hielten, noch Kraft zum lauten Rufen hatte, auch die beiden Mitgekreuzigten nach jener Zeit noch am Leben waren; theils endlich durch Beispiele von solchen zu belegen ist, welche mehrere Tage lebend am Kreuz rlugebracht haben, und el'st dUl'ch 11 unger u. dgl. aUmählig getödtet worden sind I). Daher haben Kh'chenväter und ältere Theologen die Ansicht aufgestellt, J esu Tod, der auf natÜl'lichem Wege noch nicht so bald erfolgt sein würde, sei auf übernatürliche Weise, entweder durch ihn selber, oder durch Gott, beschleunigt worden "); Ärzte und neuere Theologen haben sich auf die gehäuften körperlichen ulllI Seelenleiden berufen, welche Jesus den Abend und die Nacht vor seiner K,·euzigung zu fluiden hatte 3): doch audl si~ lassen noch dic Möglichkt'it offen, da{s, was den Evangelisten der Eintritt des Todes schien, nur eine durch Stockung des ßlutumlaufs herbeigefühl·te Ohnmacht gewesen sei, und erst der Speerstich in die Seite den Tod Jesu entschieden habe. Doch eben iiber diesen Spcerstich, über den Ort, an welchem, das Instrument, durch welches, und die Art und Weise, wie er beigebracht worden, über seinen Zweck und seine Wirkung, "'aren von jeher die Meinungen sehr vel'schieden. Das Instrument bezeichnet der Evangelist als eine Ä.0YXl1, was ebensogut den leichteren W urfslliefs, als die schwere Lanze bedeuten kann: so dafs wir über den Umfang der Wunde im Ungewissen bleiben. Die Art, wie die W·unde beigebracht wurde, beschreibt er durch 'JIv(JOU'/I: diels bedeutet aber bald eine tödtliche Verwundung, bald 1) Das Hiehergehörige findet sich zusammengestellt bei PAULUS, ex. Handh. 5, h, S. 781 ff.; WU;ER, hibi. Realwörterbuch 1, S. 672 ff.; und Ihn, §. 144. 2) Jenes Tel'tullian, dieses GROTlUS, s. bei PAULUS, S. 784, Anm. 3) so GnuNER 11. A. bei PAULUS, S. 782 ff. HASE, a. a. O.

568

Dl'itter Abschnitt.

ein leichtes Ritzen, ja einen Stors, der nicht einmal Blut giebt; wir wissen also nicht, wie tief die Wunde gieng: wiewohl, wenn Jesns nach der Auferstehung den Thomas in die Niigelmahle zwal' den f'inger, in, oder auch nur an die Seiten wunde aber die Hand legen lälst (Joh. 20, 27.), der Stich eine bedeutende Wunde gemacht zu haben scheint. Doch dabei kommt es vor AHem noch auf die Stelle der Verwundung an. Diese bestimmt Johannes· als die nlEvQa, wo freilich, wenn der Stich an der !in ken Seite zwischen den Ribben bis in das Herz drang, der Tod unausbleiblich erfolgen mufste: aUein jener Ausdruck kann ebensowohl die rechte Seite als die linke, nnd an beiden jeden Ort von der Schulter bis zur Hüfte bedeuten. Die meisten dieser Punkte würden sich freitich von selbst bestimmen, wenn die Absicht des Kriegers mit dem Lanzenstich gewesen wäre, Jesum, sofern er noch nicht gestorben wäre, zu tödten; denn in diesem Falle würde er ohne Zweifel am tödtlichsten Plaz und so tief wie möglich gestochen haben. Allein diese Absicht ist zweifelhaft, und der Zusammenhang der Stelle scheint eher dafür zu sprechen, dars der Soldat durch den Stich VOl'erst nur erforschen wollte, ob dei' Tod wirklich schon eingetreten sei, was er ans dem Hervorfliefllen von Blut und Wasser aus del' W ullde sicher abnehmen zu können glaubte. Aber freilich iiber diese Folge des Speerstichs ist man am allerwenigsten einig. Die Kirchenväter haben, in Bett'acht, dars aus Leichen kein Blut mehr fIierse, in dem aus Jesu Leichnam hervorgequollenen aTwt y.at VOU}Q ein W nnder, ein Zeichen seiner höhern Natur, gefunden 4). 4) Orig. c. Ce!s. 2, 36: Tu;)' p~o)' H)' Jllw)' ),61tI!,J)' owpand), T') aT,utJ mfyvvrat, "ai vJW(! "a9a!!G)' J" anoee{i" Tii JE ",mi TOP '/1]0;;"'- ~t"eii ClWUaT'O~,

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70

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~)' aT,uG .. ai vJW(! anG rw)' nl,ul!'ö)' 'lr1!0;cv9{v. Vgl. ~lIthymius

z. d. St.: ix VE"e;; ra(! a)'geW1lB, ,,~), f'v~ub(l; )'u;n

on., ii"

Viertes Kapitel.

§.130.

569

N euere, von der gleichen Erfahrung ausgehend, haben in dem Ausdruck eine Hendiadys gesehen, und denselben von noch flüssigem Blute, einem Zeichen des Jloch nicht, oder doch eben erst erfolgten Todes, verstanden 5). Da jedoch das Blut für sich schon ein Flüssiges ist, so kann das zu a[fla gesezte VO(tlQ nicht blofs den flüssigen Zustand von jenem bedeuten, sondern mufs eine besondere Beimischung bezeichnen, welche das aus der Wunde Jesu fliefsende Blut enthielt. Um sich diese zu erklären, und zugleich die möglichst sichere Todesprobe zu bekommen, sind Andere auf den Einfall gerathen , das dem ßlute beigemischte Wasser sei wohl aus dem von der Lanze getroffenen HCl'zbeutel gekommen, in welchem sieb, namentlich bei solehen, die unter starker Beängstigung sterben, eine Quantität Flüssigkeit sammeln soU Ii). Allein ausserdem, dafs .ias Eindringen der Lanze in das Pericardium blo(lle Voraussetzung ist, so ist theils, wo keine Wassel'sucht stattfindet, das Quantum jener Flüssigkeit so gering, daIll illl' Ausflufs nicht in die Augen fiele; theiJs ist es nur ein einziger kleiner Fleck \'orn an der ßrust, wo das Pericardium so getroffen werden kann, daIll eine Entleerung nach aussen möglich iit: in aUen andern FäHen würde, was ausfliefst , in das Innere der Brusthöhle sich el'giefsen 7). Ohne Zweifel geht vielmehr der Evangelist von der bei jedel' Aderlässe zu machenden Erfahrung aus, dars das Blut, sobald es aufgehört hat, im Lebensprocesse begriffen zu sein, sich in BlutkuclJCn, placenta, und Blutwasser, serum, zu zersetzen anfängt, und wiU nun daraus, da(s am Blute J esu sich bereits diese Scheidung gezeigt habe, E~E}.et1I1ET/U aTl'a.

tJ7Ct(!tpUE~ TiiTO

TO 7CeäYl'a,

Kal. Teal'W.

8T' ~nEfJ ~"fJewnoJ' 0 'PUrEr,. 5) SCHUSTER, in EICHHORX'S Bibi. 9, S. 1036 fF. 6) GRUXER, Comm. de morte J. Chr. vcra, p, 47. 7) Vgi. HASE, a. a. O. 1tO",

3,3da-

D ri. t tel' A b s c h n i t t.

570

dessen wirklich erfolgten Tod beweisen 8). Ob nun aber dieses Ausflielilen von Blut und \Vasser in bemerkbarer Sonderung eine mögliche Todesprobe ist, ob HASE und WINER recht haben, wenn sie behaullten, bei tieferen Einschnitten in Leichen queUe bisweilen das so zersezte Blut heraus, oder die Kirchenväter, wenn sie diefs fiir so unerhört hielten, da{s sie es bei Jesu als ein Wunder ansehen zu müssen glaubten, ist noch eine andere Frage. Mir hat ein ausgezeichneter Anatom den Stand der Sache folgendermafsen angegeben. }'ür gewöhnlich pflegt binnen einer Stunde IIIICh dem Tod das Blut in den Gefäfsen zu gerinnen, und sofort bei Einschnitten nichts mehr auszufliefsen ; nur ausnahmsweise, bei gewissen Todesarten, wie Nervenfieber, Erstickung, behält das Blut im Leich nam seine Flüssigkeit. Wollte man nun den Tod am Kreuz etwa unter die Kategorie der Erstickung steUen, - was jedoch wegen deI' langen Zeit, welche die Gekreuzigten oft noch am Leben blieben, und bei Jesu insbesondere ~ weil er ja bis zulezt gesprochen haben soll, unthunJich scheint, oder wollte man annehmen, so bAld schon nach dem Augenblick dea Todes sei der Stich in die Seite erfolgt, dafs er das Blut noch flüssig fand, - was den Berichten unangemessen ißt, welchen zufolge Jesus schon Nachmittags drei Ub.. gestorben war, die Leichen aber erst Abends 6 Uhr abgenommen sein mursten: so wäre, wenn der Stich ein grörserea ßlutgefäfs traf, Blut, aber ohne Wa8ser, ausgeflOlsen; wal' aber der Tod JesD vor etwa einer Stunde erfolgt 1 und .eln Leichnam im gewöhnlichen Zustand: so flors gftl' niebt. au.. Also entweder Blut, oder nichts: Wasser und Blut in keinem Fall, weil sich serum und placenta in den (.efä(.en .fes Leichnams gar nicht so sondert, wie im Ge.ehirr nach der Aderlassc. Schwerlich also hat dei" Urheber die88. Zugs 1m \'ierten Evangelium das alflO. 8)

WII"&R,

••••

o.

Viertes Kapitel.

§. ]30.

571

,,"" i;öwQ selbst aus der Seite Jesu als Zeichen des erfolgten Todes kommen sehen: sondern weil er bei Bluttiissell schon jene Scheidung im ersterbenden Blute gesehen hatte, und ihm anlag, eine sichere Probe fÜl' den Tod Jesu zu he kommen , liefs er aus dessen verwundetem Leichnam jene geschiedenen Bestandtheile kommen, Dafs sich diefs mit Jesu wirklich zugetragen habe, und sein Bericht davon, als auf Autopsie gegründet, zuverlässig sei, versichert übrigens der Evangelist aufs Angelegentlichste (V. 35.). Nach Einigen defswegen, um doI,etische Gnostiker, weJche die wahre Leiblichkeit Jesu leugneten, zu widerlegen 9): allein wozu dann die Erwähnllng des VOltJ(! ~ Nach Andern wegen der merkwürdigen Erfütlung zweier Weissagungen durch jenes Vornehmen mit der Leiche Jesu 10): aber, wie LÜCKE selber sagt, wenn atlerdings auch sonst Johannes selbst in Nebenpunkten eine Erfüllung der Schrift sucht, so legt er doch nirgends ein so ausserordentliches Gewicht darauf, wie er hier 118ch dieser Auffassung thun würde. Daher scheint es immer noch die natürlichste Annahme zu sein, dafs Johannes durch jene Versicherungen die Wahrheit des Todes Jesu bekräftigen wolle I J), die Hinweisung auf die SchrifterfülJung Ilber nur als weiteren, erläuternden Zusaz beifüge. Der Mangel einer historischen Spur, dafs schon zur Zeit der Abfassung des johanneischen Evangeliums der Verdacht eines Scheintl)ds Jesu rege gewesen, beweist bei der Mangelhaftigkeit der Nachrichten, die uns über jene Zeit zu Gebote stehen, nicht, dars ein so nahe lieger.der Verdacht nicht wirklich in dem Kreise, in welchem das genannte Evangelium entstand, zu bekämpfen gewesen ist, und dafs dasselbe nicht, wie zur Mittheilung von Auferstehungs-9) fO) iI)

und OtSHA.USBN, z. d. St.; vgl. HASB, a. a. O. z. d. St. Lus, Auferstehungsgeschichte, S. 95 f. THOLUCK Z. d. St.

'VETSTEIN

LÜCHE, &0

672

Dritter Abschnitt.

pl·oben, so auch eine Todesprobe mitzutheilen veranlaCst gewesen sein kann 12). Ist doch auch schon im Evangelium des Markus ein ähnliches Bestreben sichtbar. Wenn dieser von PUatus, als Joseph sich den Leichnam Jesu ausbat, sagt: e[talJ,uUJEV, Ei ~O1] 'd.:hr;xE (V. 44.): so lautet diefs ganz, als wollte er dem Pilatus eine Verwunderung leihen, die er von manchen seiner Zeitgenossen über den 80 gar schnell erfolgten Tod Jesu murste äussern hören, und wenn er sofort den Procurator von dem Centurio sichere Kundschaft einziehen lirst, dars Jesus naACtL ani,[tavE: so scheint er mit der Bedenklichkeit des Pilatus zugleich die seiner Zeitgenossen beschwichtigen zu wollen; wobei er aber von einem Lanzenstich nichts gewu{st haben kann, sonst hätte er ihn, als die sicherste Bürgschaft des wirklich erfolgten Todes, nicht unerwähnt gelassen: so dafs die Darstellung bei Johannes als weitere Ausbildung eines schon bei Markus sichtbaren TI'iebs der Sage erscheint. Diese Ansicht von der johanneischen Erzählung wird auch noch durch die Anführung A. T.licher Weissagungen bestiitigt, welche der Referent in diesem Vorgang erfüllt sieht. Durch den Lanzenstich sieht er Zach. 12, 10. erfüllt, wo das Ton Johannes richtig und besser als von der LXX. übersezte: ~'irl 'tP.~ ntt '1~ ~O'~i':11 von Jehova zu den Israeliten geredet ist', . in dem Sinne; dars sie an ihn, den sie so schwer gekränkt, sich einst wieder wenden würden IJ). Ist schon das 'i21; durchbohren, etwas, das, eigentlich gefafst, eher gegen einen Menschen, als gegen JehOT. scheint unternommen werden zu können, und wird diese Deutung durch die abweichende Lesart: "SN, unT ..

terstftlllt: so murste das Folgende in weser Auffassung be12) Vg1. RUSBR, bibI. TbcoI. 1, S. 253. 13) ROSE~ltlÜLI.BR} Scbol. in V. 'f. 7, 4, p. 540.

Vi e I' t es K. a p it e J. §.

130.

$73

stärken, da nun in der dritten Person fortgefahren wird: und sie wel·den um ihn klagen, wie um ein einziges Kind und um einen Erstgeborenen. Daher wurde diese SteHe von den Rabbinen auf den Messias ben Joseph gedeutet, welcher im Krieg vom Schwert durchbohrt werden sollte J 4), und von Christen konnte sie, wie so manche Stellen in Ungliickspsalmen, auf ihren Messias bezogen werden, indem das Durchbohren zunächst vielleicht entweder tropisch, oder von dem Durchnageln der Hände (und Füfse) bei der Kreuzigung verstanden wurde (vgJ. Offenb. J, 7.), bis es endlieh einer, der eine zuverlässigere Todesprobe, als die Kreuzigung an sich ist, zu haben wünschte, als ein besondres Durchbohren mit der Lllnze faIste. Ist aus den zusllmmentreffenden Interessen, eine Todesprobe , und eine buchstäbliche Erfüllung oer W f'issagung zu gewinnen, der Zug mit dem Lanzenstich hervorgegangen: so gehört rias Übrige nur zur Motivirung oieses Zuges. Ein Stich als Torlesprobe war nur nöthig, wenn .Jesus friihzeitig vom Kreuz abgenommen werden sollte, was nach jüdischem Gesez (5. Mos. 21, 22. Jos. S, 29. JO, 26 f. - eine Ausnahme 2. Sam. 21, Off.) 15) jedenfalls vor Nacht, insbesondere aber dieIsmal, was Johannes aHein heraushebt, vor Anbruch oes Paschafestes, geschehen mufste. War Jesus ungewöhnlich schnell gestorben, und soUten doch auch die beiden mit ihm Geheuzigten abgenommen werden, so mufste man bei diesen den Tod gewaltsam beschleunigen, was etwa durch das crurifragium geschehen konnte, welches sich auch sonst, theils in Verbindung mit der Kreuzigung, theils als Todesstrafe für sich findet ( 6 ). Da diefs an dem bereits gestorbenen Jesus nicht 14) s. bei ROSENMULLER, z. d. St. SCH()TT&RN, 2, p.221. BI;RTHOLDT,

§. 17, not. 12. 15) vgl. Joseph. b. j. 4, 5. 2. Sanhedrin 6, 5. bei LI&H'UOOT, p. 499. 16) s. WETSTEIN und LUCHE z. d. St.

Dritter Abschnitt.

5'7'

zu geschehen brauchte, 80 gab diefs zur Anwendung des 13;-811 aV'nf!b/JE'rE aW8 aus dem Pascharitual ,2 Mos. 12, 42. LXX., um so mehr Veranlassung, als, wie schon früher bl'merkt, der getödtete Jesns mit dem Paschalamm "erglichen zu werden pflegte.

a

an'

§.

131.

Begräbniss

J~u.

Während der Leichnam J esu nach römischer Sitte am Kreuz hätte hängen bleiben müssen, bis Witterung, Vögel und Verwesung ihn verzehrten I); nach jüdischer abel' vor Abend abgenommen auf dem unehrlichen Begräbnifs}Jlaz der Hingel'ichteten verscharrt worden wäre 1) erbat sich den evangelischen Nachrichten zufolge ein angesebener Anhänger des Getödteten vom Procuratol' seinen Leichnam, der ihm nach römischem Gesez ~) nicht verweigel.t, sondern alsbald vel·abfolgt wurde (Matth. 27, 57. pal'eU.). Diesel' Mann, welchen aUe Evang"elien Joseph nenllell und von Arimathäa stammen lassen, war nach Matthäus ein reicher Mann und Schüler Jesu , doch diefs, wie Joh81111es hinzuf'ügt, blofs heimlich, gewesen; die bei den mittleren Evangelisten bezeichnen ihn als ein ehrenwerthes Mitglied des hohen Raths, als welches er übrigens, wie Lukas bemerkt, zu der Verurtheilung Jesu seine Stimme nicht g"egeben hatte, und lassen ihn messianischen Er,,'artungen zogethan sein. Dafs wir hier eine allmählig in's Bestimmtere ausgearbeitete Personalbezeichnung haben, fällt in die Augen. Im ersten Evangelium ist Joseph ein Schüler Jesu - und das mufs wohl derjenige gewesen sein, der sich unter so ungünstig"en Umständen nicht scheute, seines Leichnams sich anzunehmen; dars er nach demselben Evani) Vgl. WINER, f, S. 802. 2) Sanhcdrin, bei I.I&1l1"I!'OOT, p. 499. 3) Ulpian" 48, 24, 1 fr.

ViCl'tQI: Kapitel.

§. 131.

575

gelium ein «v:J-Q(r)1fO~ n'l..aatog gewesen sein soU, färst scholl Jes. 53, 9. denken, wo es heifst: i"~i~ C'm-J"1~ 18:1

1\11

"1'Jb~ .,'~~-n~" was möglicherweise

VOll einem BegrübJlifs bei Reichen vel'standen, und 80 die QueUe wenigstens von diesem Prädikat des Joseph von Arimathiia werden konnte. Dafs er messi/mischen Ideen ergeben war, was Lullas und Marlms hinzufügen, folgte aus seinem VerhiiltnHs zu Jesu von selbst; ,fa(s Cl' ein fJ8lEV1;~~ gewesen, \vas dieselben Evangelisten versichern, ist ti-cilich eine neue No.. tiz: dafs el' aber als sole hel' nicht in die VerurtheHung Jesu eingestimmt haben konnte, ergab sich wiede)' von selbst; endlich, dafs er seine Anhänglichkeit an Jesum bisher geheim gehalten, was Johannes anmel'kt, hängt mit der eigenthilmJichen SteUung zusammen, welche diesel" Evangelist gewissen vornehmen Anhängern, wie namentHch dem im Folgenden dem Joseph beigesellten Nilwdemns, zu Jesu giebt: so da(s nicht eben angenommen werden mufs, was jeder folgende Evangelist weiter als de ... vorhergehende giebt, beruhe auf eben so vielen historischen Notizen, die er vor den übl'igen voraus batte. Während die Synoptiker die Bestattung Jesu durch Joseph aHein verrichten, und nur noch die Frauen zusehen lassen, führt J obannes als Gehülfen dabei, wie gesagt, den Nikodemus auf, eine Notiz, über deren \' erlä(slicbkeit schon oben, wo Nikodemus zum erstenmal vorkam, gehandelt worden ist 4). Dieser bringt zum Behuf der Einbalsamirung Jesu Specereien, nämlich eine l.\HBchung von Myrrhen und Aloe, in der Quantität von UIIgefähr 100 Pfunden, herbei. Vergehlich hat man sich Lemüht, dem von JohaDlles hier gebrauchten lLTQ" die Bedeutung des lateinischen libra zu entziehen und die eiJles kleineren Gewichts unterzuschieben f): inders möge für

4) 1. Band, S. 632. 5) MICHULlS, Begräbniss - und Auferstehungsgeschichte, S. 68

w.

576

D r i t t e r A b s c h n i t t.

jene auffallend grofse Quantität ~~nstweilen die Bt'merkung genügen, dals das Ubel'mafs natürlicher Ausdruck der Verehrung jener Männer für Jesum gewesen sei. Im vierten Evangelium voHziehen nun gleich nach der KI'euznbmlhme die beiden Männer die Einbalsamirung nach Jüdischer Sitte, indem sie den Leichnam mit den Specereien in Leintücher wickeln; bei LukAS sorgen die Frauen nach ihrer Heimkehr vom Grabe Jesu für Specereien und Salben, um nach dem Sabbat die Einbalsamirung vOl'zunehmen (23, 56. 24, 1.); bei Markus l'Aufen sie die af!(~{-fCtw erst nach Verflufs des Sabbats (16, 1.); bei lUatthäus aber ist von einer Einbalsamirung des Leichnams ~Jesu gar nicht, sondern nur von Einwickelung in reine Leinwnnn die Rene (27, 59.). Hier hat man zuerst die Differenz zwischen l\Iarkus und LukAS in Bezug auf die Zeit des Einl'Aufs der Specel'eien dadurch ausgleichen zu können gemeint, dals man den einen von beiden Referenten auf die Seite des amtern herüberzog. Am leichtesten schien l\1l1rlws nach Lul'As umgedeutet werden zu l.önnen, durch die Annahme einer enallage temporum, indem sein vom Tllg nllch dem SabbAt geSAgtes ~roQCtUCtV, als Plusqullmperfectum genommen, rlllsselbe zu sllgen schien, wie des Lukas Angabe, dafs die ll'I'Auen schon vom Begräbnifsabend her die Specel'eien in BereitschAft gehAbt haben 1\). AHein gegen diese Ausgleichung ist bereits vom W olfenbüttler Fragmentisten mit siegreichem Unwillen bemerkt worden, dafs der zwischen eine Zeitbestimmung und die Angabe eines Zwecks hineingestellte Aorist unmöglich etwas Anderes, als das um jene Zeit zu diesem Zweck Geschehene, nlso hier das zwischen OWrEVO!tEJl8 'C8 uaßßeX'C8 und rVCt {)..[}auCtt u),chI'UJOtV Ctl17:0)/ gesteUte ~roQCtUCtV aQ(I)!w'CCt nur einen nach Verflufs des Sabbllts vorgenommenen l!:inkauf bedeuten könne 7). OLSHAUSEN'S

6) So GI\OTIVS; LEss, AuferstehungsgcschicMe, S. 165. 7) s. das fiinftc }ph auf das Grab dei' GI'und, warum man Jesum in dasselbe legte, sondern, weil die Zeit drängte, legte man ihn in die frische Gruft, welche in einem benachbarten Gal·ten sich befand. Auch hier hat die Harmonistik auf hciden Seiten ihre Künste versucht. Matthäus sollte zur Übereinstimmung mit Johannes gebracht werden durch die Obsel'vation, dafs eine Handsclll'ift seines Evangeliums das JW !lVlj!U,Ü:J gesezte av,,;jj weglasse, eine alte Übersetzung '1' ",. 1 ' I haa ber statt ., liA.au"tlYjfJliV 0 1)V A.f,'Ca'rO!IYjPliVOV ge esen be 13): als ob nicht diese Änderungen wahrscheinlich selbst schon dem barmonistischen Bestreben ihr Dasein zu verdanl,en hätten! Daher hat man, auf die andere Seite siel. welHlend, bemet'kt, die johanneischen Worte schliefsen gar nicht aus, dafs nicht Joseph könnte der Eigenthümpl' dei' Grllft gewesen sein, da ja beide Gründe, die Nähe, und dars das GI'ab dem Joseph gehöt·te, zusammengewirkt haben können 14). Vielmehr aber scbBefst die Nähe als hel'ausgehobener Beweggrund das EigenthumsverhäJtniIs aus: ein Haus, in welches ich bei einfallcndem Regen der Niihe wegen trete, ist nicht mein eigenes, ich mürste denn ßesitzer meht'erer Häuser, eines nahen und eines entfernteren, sein, von welchen das Ieztel'e meine eigentliche Wohnung wäre, und ebemo ein (~rRb, in welchps einer einen Verwandten oder f'1'eund, der fiir sich kein GrabmRI hat, der Nähe wegen legt, kann nicht sein eigenes sein, er müfste denn mehrere Gräber besitzen, und den Todten Lt'i besserer Mufse in ein anderes bringen wollen, was aber in unsel'lD t'alle, da das nahe Grab durch seine Neuheit zur Beisetzung .Jesu in demselben VOl' allen sndern sich eignete, nicht wohl denkbal' ist. Bleibt so

°

13) MICH,U:US, a. a. 0., S. 45 ff'. 24) Ih;l1;öL, in Matth. p. 786. HUß, §. 145.

Dritter Absdl n i tt.

582

Ruch hier der Widerspruch, so soheint im Innern heider entgegengesezten Angaben kein Grund zur Entscheidung filr die eine oder andere zu Hegen 1 s'). §.

132.

Die Wache am Grabe Jesu.

Am foI~enden Tag, als am Sabbat J), sollen nun nach Matthäus (27, 62 ff.) die Hohenpriester und Pharisäer bei PiJatus zusammengekommen sein, und ihn, mit Rücksicht auf die Voraussage Jesu, er werde nach dreien Tagen auferstehen, gebeten haben, eine Wache an sein Grab -zu steIlen, damit nicht seine Anhänger von der durch jene Voraussage erregten Erwartung Gelegenheit nehmen, seinen Leichnam zu stehlen, und ihn sofort für auferstanden auslimgeben. Pilatusgewährt ihre Bitte, und so gehen sie hin, versiegeln den Stein, und stellen die Waehe vol' das Grab. AJs nun (diefs murs hier anticipirt werden) die Auferste.hung JesD erfolgte, sezte die mit derselben verbundene Engelerscheinung die Wächtpr so in Furcht, dars sie l!)O'et 'J!eX(>OL wurden, übrigens doch sofort in die Stadt eilten, lind den Hohenpriestern die Anzeige von dem Vorfall machten. Diese, nachdem sie sich in einer Versammlung darü15) Aus einer Verwechslung des dem Ricbtplaz benachbarten xij:rro~. wo Jesus, nach Johannes, begraben wurde, und des Garten~ Geth~emane, wo er gefangen worden war, scheint die Angabe de~ evang. Nieodemi geflossen zu sein, Jesus sei gekreuzigt worden 1" T~;; x-in:~~, Gn:s En:"la9'~. C. 9, p. 580. bei TUILo. 1) T;; .noJII'o". /in; hi ,uH~ 711" :rrallaox~v~lI, ist freilich eine wUllderliche UmHhreihung des Sabbats, da es eine Verkehrung ist, einen feierlichen Tag als den Tag nach dem Vortag zu bezeichnen: docl1 muss man bei dieser Deutung bleiben, 10 lange mllll der8elhen nicht auf natUrlichere 'Veisl', SClllftCKKl'(DI1I\GEB in seiner Chronologie d&r Leidenswoche, Beiträge S. 3 ff., auuuweichen weiss.

.1,

Vi e r t e s Kap it e 1.

§. 132.

583

ber beratJH:'n, bestachen die Soirlahm , dars sie vorgeben soUten, die Jünger hßL{'n Lei :Nacht den Leichnam gestohlen; woher sich, wie der Referent hinzusezt, dieses Gerücht verbreitete, und bis auf seille Zeit el'hielt (28, 4. 11 ff.). Bei diesel', dem ersten Evangelium eigenthumJichen Erzählung hat man aUel'lei Bedellken gefunden, welche der W olfen büttler Fragmentist und nach ihm PAULUS alll scharfsinnigsten in's Licht gesteHt llaben ~). Die Schwierigkeiten liegen zuvördel'st darin, dars wedel' die erforderlichen Bedingungen dieses Vorgangs, noch seine nothwendigen Folgen in der Uhrigen N. T.lichen Geschichte gegt>ben sind. In ersterer Hinsicht ist es nicht zu begreifen, wie die SYIIed.·isten zu der Notiz kommen konnten, dafs drei, Tage nach seinem Tode Jesus wieder in das Leben zurückkehren soUe: da seILst bei seinen JUngern von einer iolchen Kunde keine Spur sich findet. Sie sagen: i!l'JIli(J:J"i~IIl'JI O'lt i;a'i'vo~ 0 nAaJiO~ ehe'JI 8'u ~(;;V K. ~. 1. So11 diefs heifsen, sie erinnel'n sich, ihn selber davon reden gehört ,;u haben: so sprach laut der evangelischen Nachrichten Jesus seinen Feinden gegenliber nie bestimmt von seiner Auferstehun!!; die bildlichen Heden aber, welche seinen vertrauten SchüJern unverständlich blieben, konnten die an seine Denkund Ausdrucksweise weniger gewöhnten jlidischen Hierarchen gewifs noch weniger verstehen. W oUen aber die 8)'11edristen blofs sagen, sie haben von Andern gehört, d8f.~ Jesus jenes Versprechen gegeben habe: so könnte diese Nachricht nur von den Jüngern ausgegllngen sein; aber diese, welche weder vor noch nach dem Tode Jesu eine Ahnung von bevorstehender Wiedel'belebung llatten, konnten auch in Andern diese VorsteHung nicht erregen - abgesehen davon, dars wir die Jesu geJjphenen Vorherverkülldigungen seiner Auferstehung l;ämmtJich als unhil;tOl'isch 2) Ersterer a. a. O. S. 437 {f., lezll rcr im exeg. Handb. 3, S. 837 ff. Vg1. KUSER) bibI. Theol. }, S. 253.

]J,

:;84

Dl'itter Abschnitt.

hilben von der lIand weisen müssen. Wie aber bei den }'einden Jesu diese Kenntnifs, so ist bei seinen Freunden, den Aposteln und übl'igen Evangelisten aUasel" Matthäus, ihr Schweigen von einem ihrer Sache so giinstigen Umstand nicht zu begreifen. Zwar das ist zu modern, was der Wolfenbüttler den Jiingern anmuthet, sie hätten sich darüber, dafs e'ine Bewachung des Grabes angeordnet worden, alsbald Brief und Siegel von Pilatus erbitten miissen: doch 80 viel bleibt, dafs es auffallen mufs, in der apostolischen Verkündigung nirgends eine Berufung auf eine so schlagende Thatsache zu finden, und auch in den Evangelien, ausser dem ersten, jede Spur davon zu vermissen. Man hAt diefs StiUschweigen daraus zu erklären versucht, dafs JR durch die Bestechung der Wache von Seiten des Synedriums die Berufung auf sie eine fruchtlose geworden sei3): allein um solcher offenbaren Lüge willen giebt man die Wahl'heit nicht sogleich auf, und jedenfalls in der Verantwortung der Anhänger Jesu vor dem Synedrium mufste die Erwähnung jener Thatsache eiße schlagende Waffe sein. Halb verloren giebt man schon, wenn man sich dahin zurückzieht, die Jünger haben wohl von dem wahren Het·gang nicht .sogleich, sondern erst spät, als die Wächter anfiengen, denselben auszuschwatzen, Kenntnifs bekommen 4). Denn brachten die Wächter im Augenblick auch blofs das Mährchen von dem Diebstahl vor, und gaben also zu, dars sie bei'm Grabe aufgestellt gewesen: so konnten die Anhänger Jesu sich den wahren Thatbestand schon construiren, und sich dreist auf die Wächter berufen, welche von etwas ganz Anderem, als einem LeichendiebstahJ, mfifsten Zeugen gewesen sein. Doch damit man nicht etwa die Ungiiltigkeit des Arguments aus der blofs negati3)

MICK.\I!LIS, OUIlAUSBN,

4)

MICKAIU,IS,

Begrähniss - und Auferstehungsgeschichte, S. 206. 2, S. 50';. a. a. O.

Vi e l' te s Kap i tel.

§. 132.

ven Thatsache des Stillschweigens anrufe, so wird von einem TheU de.' Anhängerschaft Jesu, nämlich von den Frauen, etwas positiv erzählt, was sich mit der Wache am Grabe nicht verträgt. Nicht blofs wollen nämlich die Frauen, welche am Morgen nach dem Sabbat zum Grabe gien gen, die Salbung vollenden, was sie nicht hoffen kOßlIten, thun zu dürfen, wenn sie wursten, dafs eine Wache VOl' das Grab gesteHt, und dieses noch dazu versiegelt war~): sondern nach Markus besteht ihre ganze Bedenklichl(eit während des Hinausgehens darin, wer ihnen wohl den Stein vom Grabe wälzen werde? zum deutlichen Beweis, dafs sie von den Wächtern nichts wufsten, welche entweder einen auch noch so leichten Stein wegzunehmen ihnen nicht gestattet, oder, wenn die!s, dann wohl aoch den schwereren ihnen hülfreich weggewiilzt, in jedem }'aJI also die Bedenldichkeit wegen dei' Schwere des Steins übel'flüssig gemacht haben würden. 1)a(s abcI' die AufsteHung dei' Wache den Weibern sollte unbekannt geblieben sein, ist bei dem Aufseheu, welches aHes das "'~nde Jesu Betret: fende in Jerusalem machte (Luc. 24, IS.), sehr unwahrscheinlich. Doch auch innerhalb der Erzählung ist Alles voll von Schwierigkeiten, indem llach dem Ausdruck von PAULUS keine einzige dei' in del'selben anftretenden Personen ihrem Charaktel' gemä('s handelt. Schon da(s PHatus den jüdischen Obern ihr Gesuch um eine Wache - ich will nicht sagen, ohne Weigel'ung, abel' so ganz ohne Spott, gewährt haben soll, mn!s llach seinem bisherigen Benehmen gegen sie auffallen 1\); obwohl dieis VOll Matthäu8 in 5) Den lezteren Punkt iihersieht OI.SRAUSEN, wenn er •• a. O. sagt, die \Vache IJabe ja nicht den Befehl gehabt, die vollständige Bestattung Jesu zu hindern. 6)

OI.SRA.USEN freilich ist es auch hier noch immer so schauerlich zu Muth, dass er den Pilatus bei dieser Mittheilung

586

Dritter Abschnitt.

seiner summarischen DarsteUung auch nur übergangen sein könnte, ßefremdender ist, da{s die W ächtel' :tu der bei deI" Strenge römischer Kriegs:tucht sehr gefährlichen Lüge, sie haben ihl'en Dienst durch Schlafen versäumt, sich so leicht hergaben, zumal sie bei dem gespannten VerhäJtnifs des Synedriums zum Procurator nicht wissen konnten, wie viel ihnen die von dem ersteren zugesagte Vermittlung nützen wÜrde. Am undenkbarsten aber ist das angebliche Benehmen der Synedristen. Zwar die Schwierigkeit, welche dlll'in H.. gt, dars sie am Sabbat zu dem heidnischen ProcUl'ator giengen, sich am Gl'abe verum'einigten, und eine Wache ausrücken liefsen , hat der \Volfenbüuler auf die Spitze gesteHt; aber ihr Benehmen, als die vom Grab I zUl·ückgekehrte Wache die Auferstehung Jesu meldete, ist in dei' That ein unmögliches. Sie glauben der Aussage der Soldaten, dais Jesus auf wundervoHe Weise aus seinem Grabe auferstanden sei. Wie konnte die{s der hohe Rath, der eines guten Theils aus Sadducäern bestand, glaublich finden ~ Nicht einmal die Pharisäer in demselben, welche in. tl1esi die Möglichkeit der Auferstehung behaupteten, konnten bei der geringen Meinung, die sie VOll Jesu hlllten, an die seinige zu glauben geneigt sein, zumal die AUisage im Munde der weggelaufenen Wächter ganz wie eine zur Entschuldigung eines Dienstfehlers ersonnene Lüge lautete. Statt dars somit die wirklichen Synedt'isten bei einer solchen Aussage der Soldaten erbittert gesagt haben wOrden: ihr lUgt! ihr hAbt geschlafen und ihn stehlen lassen, aber das werdet ihr theuer bezahlen müssen, wenn es erst vom Procurator untersucht werden wird, - statt dessen bitten .ie die.elben noch !!chön: lügt doch, ihr habt geschJafen alld ihn stehlen IAMt'Il, beZAhlen sie noch dllzu theuer für die!!e Lüge, und versprechen, sie bei'm Procurader Synedristen von unbeschreiblichen Gefühlen durchschauert werden lässt, S, 505.

Vi.ertes l{apitel.

§.132.

587

tor zn entschuldigen. Man sieht, diefs ist ganz aus der christlichen \' oraussetzung von der Re:ditiit der Auferste~ hung Jesu gesprochen, eine VorRussetzlIllg, welche aber ganz mit Unrecht auf die Mitglieder des Synedriums ühergetragen wird. Auch darin liegt eine, nicht blofs vom Fragmentisten Rufgesuchte , sondern selbst von orthodoxen Auslegern 7) anerkannte Schwierigkeit, dafs das Synedl'ium in einer ordentlichen Versammlung und nach förmlicher Berathung sich entschlossen haben soll, die Soldaten zu bestechen, und ihnen eine Lüge in den Mund zu gebcn. Dafs auf diese Weise ein Collegium von 70 Männern ein Falsum zu begehen amtlich beschlossen haben sollte, ist, wie OLSHAUSEN richtig sagt, zu seh .. gegen das Decorum, das natiirliche Anstandsgefühl, einer solchen Versammlung. Die Auslwnft, es sei' eine blo(se Pri\'fltversammlung gewesen, da ja nur von den aQXLEQE'lf; und nQw(1v'lEl!ot, nicht auch von den 'YQupflunir; gesagt sei, sie haben die Soldaten zu bestechen den Beschlufs gefafst S), liefe auf das Wunderliche hinaus, dafs bei dieser Zusammenkunft die ?'(!((pfla1:cir;, bei dem Imrz vorher in (lerselben Angelegenheit gemachten Gang zum Procurator aber, wo die Schrift.gelehrten durch die ihre Mehrheit bilrlenrlpn Pharisäer vertreten sind, die 'Tt:Ql!aßt;u(Jot gefehlt haben müfsten : woraus aber vielmehr erheIlt, dafs das Synedl'ium, weil, es jedesmal durch ,'ollständige Aufzählung seiner ßestandtheile zn hezeichnen, unbequem war, nicht selten durch Erwähnung nur einiger oder Eines von denselben angezeigt wurde. Bleibt es somit dabei, dars nach Matthäus der hohe Rath in förmlicher Sitzung die Bestechung (leI' Wächter beschlossen haben müfste: so konnte eine solche Niederträchtigkeit doch wohl nur die Erbitterung der ersten Christen, unter denen unsre Anekdote entstanden ist, dem Collegium als solchem zutrauen .. 7) S)

OLSHAUSEN, MICHAELIS,

S. 506. a.

8.

O.

S. 198 f.

Dl'itter Abschnitt. Diese Schwierigkeiten der vorliegenden Erzählung des ersten Evangeliums hat man schon so drückend gefunden, dars man sie durch die Annl,hme einer Interpolation zu entfernen suchte 9), was neuerlich dahin gemildet·t worden ist, dars die Anekdote zwar nicht vom Apostel Matthäus selbst, doch auch nicht von einer unsrem Evangelium sonst fremden Hand herrühren, sondern von dem griechischen Übersetzer des hebriiischen Matthiius eingeschoben sein solJte 10). Gegen das Erstere ist der Mangel jeder kritischen Begründung entscheidend; die Berufung der andern Ansicht auf den unapostolischen Chftl'akter der Anekdote wUrde eine Ausscheidung derselben aus dem Context der übrigen Erzählung nur dann begründen, wenn der aJlostolische Ursprung des Übrigen schon bewiesen wlire; Mangel an Zusammenhang mit dem Übrigen aber findet so wenig statt, dars vieJmehl' PAULUS recht hat mit del' Bemerkung, ein Interpolator (oder einschiebender Übersetzer) wiirde sich schwerlich die MOhe gegeben haben, sein Einschiebsel an drei Orte (27,62-66. 28, 4. 11-15.) zu vertheilen, sondern er hätte es an Einer, höchstens zwei StellC:'n zusammengedrängt. Auch sO leichten Kaufs Jäfst sich die Sache nicht abmachen, wie OLSHAUSEN will, .Ials nämlich die ganze Erzählung apostolisch, und im Übrigen richtig sein soll, nur darin habe der Evangelist geirrt, dafs er tHe Bestechung im yollen Rath beschlossen werden Jasse, da die Sache wahrscheinlich von Kaiphas aHein unter der Hand abgemacht worden sei: als ob diese Rathsvel'sammJung die einzige Schwierigkeit der Erzählung wäre, und als ob, lYenn in Bezog auf sie, dann nicht auch in andern ßezlehungen Irrthfimer sich eingeschlichen haben könnten I I). 9) 10)

in EICHHORN'S Repertorium, 9, S. 141. über den Ursprung des Ev. Matth. Tüb. Zeitschrift, 1834, 2, S. 100 f. vgl. 123. 11) HASK, L. J. §. 145. STROTH;

RKRN,

V ie I' te s K 11 piteJ. §. 132. l\lit Recht mncht P ..A.VLUS darauf Aufmerksam, wie Matthäus selbst durch seine Notiz: xai ou:qrl)/tlu:t1} 0 ).0j'0f: 8'COf;; na(!a 'l81)'aiOlg l,f;l.(!t 't~f;; mI/lt(!Ol" auf ein verliiumtierisches jiidisches Gerücht als die QueUe seiner Erzählung hinweise. Wenn nun aber PAULUS der Meinung ist, die Juden selbst haben ausgespl'engt, sie hätten eine Waehe an Jesu GI'ab gestellt, diese aber seinen Leichnam stehJen Jassen: so ist diefs ebenso vel'kelll't, wie wenn HASE vermuthct, das bezeichnete Geriicht sei zuerst von den .Freunden Jesu ausgegangen, und Jlernach von seinen Feinden Illodifich·t worden. nenn was ,Iie el'stel'e Annahme betrifft, so hat schon KUlNÖL richtig dl\l'auf hingewiesen, dals Matthfius blots die Aussage vom Leichendiebstahl, nicht die ganze El'zählung von Aufstellung einet' Wache, als jüdisches Geriicht bezeichne; auch lälst sich kein Grund denJl.en, warum die Juden sollten ausgesprengt haben, es sei nm GI'abe Jesu eine Waehe nufgesteHt gewesen. Wenn 11 AULUS sagt, man habe dadurch die Behauptung, der Leib J esu sei von seinen J üngel'n gestohlen wOl'den, den Leichtgläubigen um so glaublicher mRchen wollen: so müfsten das allel'dings sehr Leichtgläubige gewesen sein, die nicht bemerJ.t hlUten, dals eben durch die aufgesteHte Wache die Entfernung des Leichnams Jesu mitte1st eines lliebstahls unwahrscheinlich werde. PAULUS scheint sich die Sache etwa so vorzusteHen: die Juden haben für die ßehauptong eines Diehstahls gleichsam Zeugen steHen gewoJJt, und hiezu die aufgestellten Wächter fingirt. Aber dals die Wächter mit offenen Augen ruhig zugesehen hätten, wie die Anhänger Jesu dessen Leichnam wegnahmen, konnte doch den Juden Niemand ~lauben; sahen sie aber nichts davon, weil sie schliefen, so gaben sie auch kehlt' Zeugen ab, indem sie dann nUl' dUl'eh einen Schlufs zu dem Resultat kommen konnteA, der Leichnam möge gestohlen worden sein: das aber ll.Onnte man ohne sie ehensogut. Keineswegs also kann die Wache schon zum jüdischen Grulldstock der vor-

590

D I' i t te r A b s c h n it t.

Jif'genden Sage gehö),t haben, somlern rlns unter lien J uden vel'breitete Gerücht bestand, wie auch der Text sagt, nur dal'in, dars die Jünger den Leichnam gestohlen haben soHten. Indem die Chr'isten diese Verläumdung zu widerlegen wiinschten, bildete sich unter ihnen die Sage VOll eie Jlel' am Grab Jesu aufgesteUten Wache, und nUll konllten sie jener Verläumdullg dl'eist durch die Frage entgegentJ'eten: wie kann der Leichnam entwendet wordell sein, da ihr ja eine Wache am Grab aufgestellt, und den Stein versipgelt haUpt ~ Und weil, wie wh' im Verlauf der Untersuchung es selbst e1'(JI'obt haben, einer Silge erst dann ihre Grundlosigkeit völ1ig nachgewiesen ist, wenn es gelingt, zu zeigen, wie sie auch ohne historischen Grund sich bilden konnte: so versuchte man VOll christlicher Seite, lieben del' AufsteHung des vermeintlich wahren Thatbestanries, zugleich die Genesis der falschen Sage nachzuweisen, indem man die verbreitete jüdische Liige aus einer Anstiftung des Synedriums und seiner mit der Wache vOI'genom· menen .Bestechung herleitete, Gerade rias Umge.t.ehrte von dem ist also wahr, was HASE sagt, die Sage sei wohl unter den Ft'eunden Jesu entstanden, und VOll seillen Feinrlen JIIodificil't worden: die .Freunde hatten nur dann erst Veranlassung, eitle Wache zu erdichten, wenn die Feinde vorhet' von einem Diebstahl gesprochen hatten.

§.

133.

Erste Hunde der Auferstehung.

Dars die erste Kunde von dem eröffneten und leeren Grab Jesu am zweiten Morgen nach seinem ßegräbnifs durch Frauenmund an die Jünger gekommen, darin stimmen die vier Evangelisten überein : aber in allen näheren Umständen weichen sie auf eine Weise von einandel' ab, welche dei' Polemik eines W olfenbüttler l.'at Ta f1B-

J pCTa rwv o[)olliwv )tE{pfVOJ-'. 4) Lue. V. 12: Petrlls gicng heim, &nijJJtf neo; letlno". Joh. V. 10: Pctrus und Johanncs giengen wieder heim, ÖC},j'OY

u7ltjl9"oy ndl,v 1Cf!U~ tauTH;. "

V i e r t e S Kap j t e J.

§. 133.

597

beiden Apostel mit dem durch die !lücHeIn' der Weiber vet'anlafsten des Petrus ein und del'selbe: dann ist auch die Riickkehr der }dum ab suis auctoribus aceeperant, literi. mandarunt.

610

DriHer Abschnitt.

-rode bei'm HhUlMgllllg an den Ölberg den .JÜngern die . , pe U(!()U~{I' '1;' , Z..U$8ga mac hen: }I~tlJ."tO,t"i'lo!!:Jl/J!aL VPUf,' Hf,' t~" ra)"J..al«J1 (l\'latth. 26, 32. Marc. 14, 28.); dieselbe Versicherung giebt 8111 Auferstehungsmorgen der Engel deli Weibern mit dem Zusaz: EiUii av~u)1 ö'l'ea:Je (Matth.28, 7. Mare. 16, 7.), und bei Matthiius ertheUt iiber alles dieses Jesus in eigenet' Person den Weibern den Auftl'l1g, deu J angern zu sagen: tva «ueÄ:hcJatv elg 'f1;V ] (,:J.t),cdm', x~r)(ei Ite o%nat (28, 10,). Bei Matthäus wird sofol,t wirklich die Abreise der Jünger nach Galiläa, und flie Erscheinung, welche sie dort von Jesu hatten (die t'inzige (len Jüngern zu Thei! gewordene, deren l\1atthäus gcdcnlu), gemeldet; Markus bt'icht, nachdem er die Bestiirzung beschrieben, in welche die EngeJerscheinuug die Frauen versezt habe, auf die schon erwähnte räthselhafte Art ab, hängt einige Erseheinungen Jesu an, welche, da zwischen der ersten, die als unmittelbar nach der Auferstehung et'· folgt, nothwendig in Jel'Usftlem zu denken ist, und den folgenden keine Ol'tsvel'iindel'ung bemerkt, und der Zusllmmenhang mit der ft'ühereu \VeislIng' nach Galiläa aufgehoben ist, simmtlich als Erscheinungen in und um Jeru~aI em betraehtet werden müssen. Johallnes weifs von eillt'r Weisung der J iinger nach Galiläa nichts, und liifst JesulU am Abend des Auferstehungstages und acht Tage slläter den Jüngern in Jerusalem sich zeigen; doch wird in {lern angehängten SchluCsl{8pitel eine Erscheinung am galiliiischen See beschrieben. Bei Lukas dagegen ist nicht bloCs l'on einer galiläischen trscheinung keine Spur, und Jerusalem mit der Umgegend zum aHeinigen Schauplaz der Christophanieen, welche dieses Evangelium hat, gemacht, sondern es wh,d auch Jesu, wie Cl' am Abend nach der Auferstehung den versammelten Jüngern in Jerusalem erscheint, die Weisung in den Mund gelegt: V!fÜr; OE xa:Jlaau iv 111 nOA.Et (was die A, G. 1, 4, bestimmtet' ncgath' dUl'eh ,lno 'IeQoao),V!lWV !l~ XlcJ(!"w:Jat ausdrUckt), EWS; /j iJ!U'l~'-

V i er t e 8 K R P it e J. m;a.'J-F (ll~va~ltv i~

§. 134.

611

vl/18f; (24, 49.). Hier murs zweierlei ge-

f.·agt werden: 1) wie kann Jesus die Jiinger zu einer neise nach Galiläa angewiesen, und ihnen doch zugleich geboten haben, bis Pfingsten in Jerusalem zu bleiben? und 2) wie konnte er sie darauf verweisen, in Galiläa sich ihnen zu Eeigen, wenn er doch im Sinn hatte, noch am nämlichen Tag ihnen in und bei Jerusalem zu erscheinen? Den ersteren Widerspruch, welcher zunächst zwischen l\1atthäus und Lukas stattfindet, hat Niemand schärfer hingestellt, als der W olfenbüttJer Fragmentist. Ist es wahr, schreibt er, was Lukas sagt, dafs Jesus gl~ich am ersten Tage seiner Auferstehung seinen Jüngern in Jerusalem erschienen ist, und befohlen hat, da zu bleiben, und nicht von da weg zn gehen bis Pfingsten: so ist es falsch, dafs er ihnen befohlen habe, in derselben Zeit nach dem äussersten GlIliläa zu wandet'n, um ihnen da zu erscheinen, und umgekehrt I ). Die Harmonisten gaben sich zwar (Ije Miene, als wiire dieser Einwurf unbedeutend, und bemet·kten nur kurz, die Anweisung, in einer Stadt zu bleiben, sei kein Stlldtarrest, und schliefse also Spaziergänge und Nebenreisen nicht aus, sondern nur die Verlegung des Wohnsitzes von Jel'usalem weg und das Ausgehen in alle Welt zur Predigt des Evangeliums habe Jesus den Jüngern bis zu jenem Termin verbieten wollen 2). Allein ein Spaziergang ist die Reise von Jernsalem nach Galiläa doch wohl nicht, sondern der weiteste Zug, den der Jude im Inland machen konnte; ebenso wenig war es für die Apostel eine Nebenreise, vielmehr eine Rückreise in ihi'e Heimath; was aber Jesus durch jene Weisung den Jüngern untersagen wollte, kann weder das Ausgehen in alle Welt zur Verkündigung des Evangeliums gewesen sein l wozu sie vor der Ausgiefsung des Geistes gar keinen Trieb in 1) In LESSING'S Beiträgen, a. a. O. S. 485. 2) MICHAELIS, S. 259 f. HUINÖL, in Luc. p. 74~

612

Dritter Abschnitt.

sich versJllirten j noch die VCI'l , 40 Tage spätei' , n/lchde.. diese Reise gemacht und IIIIUt in die Haul)tst'Hlt zlIl'iiekgekehrt war, Jlunmehr jede weitere Entfernung von da verboten haben J). Altein so wenig der zu befahrende Widerspruch verschiedener N. T.lichen SchriftsteJle.· ein Grund sein darf, l'on der n .. tDrllehen Deutung ihrer AU8spt'üche Ilbzllgehen, so wenig kann man Mezu dUloch die Furcht berechtigt sein, es möchte sonst ein und derselbe Autor in verschiedenen Schriften sicb "Oidersprechen, da, wenn die eine etwas später als die andere geschrieben ist, der Schriftsteller in der ZwilIchenzeit über Mllnche-s anders berichtet worden se-in kann, als er es bei Abfassung der ersten Schrift war. Dllfs diefs in Bezug auf die Begebenheiten l'or und zunächst nach der A IIfel"Stehung bei Lukas wirklich der Fall war, werden wh' z. ß. aus der Vergleichung von Luc. 24, 53. mit A. G. 1, 13. später noch sehen: womit denn jeder Grund "e1'schwindet, zwischen das E'cpar8~ V. 43. und eInE dA V.44. gegen den Augenschein eines unmittelbaren ZusIlmmellhangs beinahe 6 W oellen Zwischem..eit einzuschieben, eben110 aber auch die Möglichkeit, die entgegengesezten BefehJe Jesu bei Matthlius und Lukas durch Unterscbeidullg deI' Zeiten zu vereinigen. Inders, geselllt auch, dieser Widerspruch Herse sich auf h·gend eine Weise heben, so wftrden dennoch, seJbst ohne jenen ausdrücklichen Befehl, welchen LukAS meldet, aueh die bfofsen Fakta, wie sie bei ihm und seinem Vormllnn und Nachfolger erzählt sind, mit der Weisung, weJ· che .Jeslls bf'i Marthlius den Jiingern er·theilt, unvereinbar bleiben. Denn haben ihn, fragt der W olfenbüttler, die sämmtlichen Jünger zu z,",'eien l\falen in Jerusalem gf'senen, gesllrochen, betastet und mit ihm gf'sreist: "je kann es sl'in, dafll sie, UII1 ihn zu sehen, die ,",'eiteRf'itie nach Galiliia hilben

3)

SGRUUJlM.U;an,

üLcr den Lukas, S. 299 f.

PJ.VLUS,

S. 91Uo

Dritter Abschnitt.

614

thun miiRsen 41 ~ Jlie Harmonisten CJ'wiedern V,WIlI' dl'eist, damit, da{s Jesus deli Jüngern sagen lasse, in Gllliläa weIden sie ihn sehen, sei keineswegs gesagt, da(s sie ihn sonst nirgends, namentlich nicht in Jel'usalem, sehen wiit'den 5). Allein, so wenig, wel' zu mir sagt: geh' nlleh Rom, dort wh'st du den Pabst sehen, meinen kllnn, deI' Pabst werde zwar zuvor noch durch meinen jetzigen Aufenthaltsort lwmmen, und da von mir gesehen werden können, hernach aber soll ich auch noch nach Rom gehen, um ihn dort wieder zu sehen: so wenig würde der Engel bei Matthäus und Markus, wenn er von der jerusalemischen Erscheinung noch am nämlichen Tage etwas geahnt hätte, den Jiingern gesagt hAben: geht nach Galiläa, dort wird sich euch JeSIlS zeigen, sondern: seid nur getrost, hierselbst in JerusaIf'm werdet. ihr ihn VOI' Abend noch zu sehen bekommen. W OZII die Vel'weisung auf das Entferntere, wenn ein gleichartiges Näheres dav,wischenlag? und wozu eine Bestellung der JUnger nach Galiläa durch die Weiber, wenn Jesus ,·orhersah, am nämlichen Tage noch die Jünger persönlich zu sprechen? Mit Recht beharrt die neuere Kritik auf dem, was schon LESSING geltend gemacht hat 6), dars kPin Vernünftiger seinen Freunden durch eine dritte Person eine spätere Zusammenkunft zu freudigem Wiedersehen an einem entfernten Ort anberaumen lasse, wenn er noch an demselben Tag und öfters am gegenwärtigen Orte sie zu sehen gewifs sei 1). Kann mithin der Engel und J('ojiUS selbst, als sie am Morgen durch die Frauen die JüngCl' nach Galiläft. beschieden, noch nichts davon gewurst 4) a. a. O. S. 486. 5)

GRlESB.\.GJ{, Vorlesungen über Hermeneutik des N. T., mit Anwendung auf die Leidcnli - und Auferstehungsgesch. ChriliIi, hel'ausgegeben von S·fEINElI., S. 514. 6) Duplik, Werke, 24. Band, S. 204. 7) SCIINIICKII:\ßuRGJm, über den Ursprung des ersten kanon. Evang.,

S. 17f.

V i e r t e s K II Pi t e 1.

§. 134.

615

JIlIlH'n, .Iafs er nm Abend de~;;elben Tags bei und in Jerusalt'1Il :si..l. italien zeigl'1I wel"~e: so mufs er also am Mol'~t'n lIoch im Sinne gehabt haben, sogleich nach GarHiill zu gehen, im Vel'1aufe des Tags aber anf andre Gedanken gpkommen sein. VOll jenem anfänglichen Vorsaz findet sidl nach PAULUS S) auch bei Lukas eine Spur, in der Wallrlt'I'Ullg Jl'SU nach dem in der Richtung gegen Galiläa hin gelt'gl'nen Euunaus; als GI'und der Abänderuug des Plans aber ,el'lIIuthet dt'l'sf'lhe Ausleger, \Vl'lchem hierin OLSHAU81';N beistimmt 9), rlen Unglauben dei' .J iingl'l', wie er siel. Jesu namentlich bei Gelegenheit des Gangs nach Emmaus ~Il erkennen gegeben hatte. Wie siel. eitle solche irrige ßel'echuung von Seiten Jesu mit der örthotloxen Ansicht von seiner I)cl'son vel'tnlge, möge hiebei OLSilAUSEN zusehen ; a bel' auch rein Illensc.hlidl lwtrachtet, liegt kein gl'Jliigender G.'und jem·r UmstimUlullg vor. Namentlich seil Jesus VOll den beiden Emmauntischen Jüngern erkannt worden wal', durfte er ge\Vifs sein, dars das Zengr'ifs der l\länuer die Aussage der Weiber so beglaubigen "fl' ih'de, UIlI die Jüngel' wenigstens mit glimmenden Funken des Glau· bens und dei' Hoffnung lIach Galihia zu führen. Überhaupt aber, wenn eine Umstimmung, Ulld ehle Versehiedeuheit des Plans Jesu VOl' uUlI nach derselben stattfand: warum giebt dann kein Evangelist von einem solchen Wendepunkt :Nachricht, sondern spricht Lukas so, wie "'enn er von dem ursprünglichen Plan; l\lauhäus, wie wenn er "on einer späteren Abänderung desselben nichts wülste; J ohannes, als ob der Hau!,tschauplaz der Erscheinungen des Aufel'standenen Jerusalem gewesen, und er nur JIIu~hträglich :m~h einmal nach GaJiläa gekomllien wäre; endlich Mark us so, dals man wohl .. ieht, el' hat die Imfängliche Weisling nach GaJÜäa, welche er aus Matthäus, und die 1'01-

8) ex. Handb, 3, b, S, 835. 9) b. Conull, 2, S, 524.

11.

Drittel' Abschnitt.

genden Erscheinungen in JerusRlem und der Umgegend, welche eI' aus Lukas, und woher sonst noch, schöpfte, Rn' keine Wetse zu vereinigen gewurst oder auch nur gesucht, sondern sie roh und widersprechend, wie er sie fand, .msammengestelIt' Murs man demnach mit der neuesten Kritik des MatthäoseVRngelioms den Widerspruch zwischen diesem und den fibri2'en in Bezug auf die Lokalitlt der Erscheinungen Jesu nach der Auferstehnng anerkennen: so fragt PS sich, oh man derselben auch darin beistimmen kann, dars sie ohne Weiteres die Darstellung des ersten Evan~elioms gegen die der fibrillen aofgiebtf 10) Stellen wir, abgesehen von vorao'Jgeseztem apostolischen UrsJll'ong des einen oder andern Rvangelioms, die Frage: welche der beiden abwel. chenden Darstellungen eignet sich mehr dazu, als traditionelle Um - und Weiterbildung der andern angesehen EU werden' so klJnnen wir hier, ausseI' der allgemeinen Beschaffenheit der Erzähfungen, noch aof einen einzelnen Pnnkt sehen, an welchem beide sich auf charakteristische Welse berllhren. Diers ist die Anrede der Engel an die Frauen, in well'hf'!r nach sämmtlichen Synoptikern GaUJäa's erwlfhnt wird, aber auf verschiedene Weise. Bei Matthäus sagt der Engel, wie schon erwähnt, von Jesu: 1l:()oaYllt t~ltii~ IIl~ 'C~v raltlaltn' - M8 EI1foV t~'liv (28, '7.). Bei Markus sagt pr dasselbe, nur dars er statt des leldereu Zusatzes, durch welchen bei Matthlius der Engel seine eignen Worte den Fra1ten einprligen will, den Zusaz hat: y.cc9-wS elrr:~ v,ut", mit welchem er sie Auf die frühere Vorbe"sA~e Jesu fibeT" diesen Ge~enstand zurückweist. Vergleichen wir zunächst diese beiden Darstellungen: so k8nnte leicht das bekrlftigende e7rcov v!liv überflüssig und nichtssagend ersoheInen, und dagegen die Zurflckwelsuog auf 10) Wie SQHUt'l, über das Abendmahl, S. 321. a. a. O.

SCJm&CK&l'IJ1UR&KI\,

Viertes Kapitel. §. 134.

617

Jesu frOhere Vorhersagung do.reh El'/lf)' passender, und dRrRuf könnte man die Vermuthung begl'lInden, dara hier vieHeicht Markus das Richtige und UrsJII·ünglicbe, Matthlius aber ein nicht ohne MiCsverständniCs Abgeleitetes habe 1 I). Ziehen wir nun aber auch den Bericht des Lukal! in die Vergleichong herein: so wird auch hier, wie bei " 1 ., t • PVYjrIv-1)'fE, • Q. 1\1ark us, d ure h em W{; E",a"'7JrIEl' VlttJ' sn WJf El' 'CE raA.tA.aLq, UYWJI x. 'C. l. auf eine frühere VOI·hersAge Jesu latrlickgewiesen, aber nicht auf eine nach Galilb weisende, sondern aof eiue in Galil/ia gegebene. Hier fragt sich: ist es wahrscheinlicher, dafs das ursprlinglich sur Bestimmung des Lokals, in welchem die \Veissagung der Auferstehung gegeben wurde, hinzugesezte Galiläa später irrig als Bestimmung desjenigen Lokals, wo der Auferstandene erscheinen wollte, umgedeutet worden ist, oder umgekehrt? DieCs mufs ~ich dal-nach entscheiden, in weIcher von beiden Stellungt'-n die Erwähnung Galiläa's inniger in den Zusammenhang pafst. Dafs nun bei Verkün .. digllng der Auferstehung Alles darauf ankam, ob und wo der Auferstandene zu sehen sei, erheUt von selbst; weniger lag, wenn auf eine frühere Weissagung zIlJ-iickgewiesen werden sollte, dlll'an, wo diese gegeben worden wal'. Hienach könnte man schon von dieser Vergleichung der SteUen aus es wahrscheinliche.' finden, dafs es Ill's)}rfinglich geheifsen haben möge, der ";ngel habe die Jüngel' nach sam"a gewiesen, um dort den Auferstandenen su sehen (Mattb.); hierauf aber, als die Erzählungen von judäischen Erscheinungen Jesu die galiläischen verdrängt hatten, habe man das Galillia in der Engelrede dahin umgestellt, dafs es nun biefs, schon in Galiläa habe Jesus seine Auferstehung vorhergesagt (Lukas); worauf dann Markus vermittelnd eingetreten su sein scheint, indem er mit w

"

"

,

U) \Vcuwegen MtCILlELIS, s. H8 f., auch bei Matthäus .in,v für die ursprüngliche Lesart hält.

618

D l"i t tel' A b s c h n i t t.

Lnkns das EI1fOl', in eIm:)I verwandelt, auf Jesum bezog, Galiläa aber mit Matthäus als SchaupJaz nicht der früheren Vorhersagung, sonderu der bevorstehenden ErscheiDung Jesu beibehielt. Ziehen wir hierauf die allgemeine Beschaffenheit der heiden Erzählungen und die .Natur der Sache in ßetracbt, 80 stehen dei' Annahme, dafs Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern wirklich melll'eremale in und bei Jerusalem erschienen sei, die Kunde hievon aber aus der Tradition, wie sie dem ersten Evangelium zum Grunde lag, .ich verloren habe, dieselben Schwierigkeiten entgegen, und die entgegengesezte hat eben so viel für sich, wie wir diefs bei einei' früheren Untersuchung in Bezug auf die mehreren Festreisen und judäischen Aufenthalte Jesu gefunden haben J 1). Dafs die jerusalemischen Erscheinungen des Auferstandenen in GaliJäa, wo dieser Voraussetzung nach die Matthäustradition sich bildete, unabsichtlieh, also durch völliges Verschwinden der Kunde von denselben, in Vergessenheit gekommen wären, lälst sich bei der Wichtigkeit gerade dieser Erscl1einungen, welche, wie die vor den versammelten Eilfen und VOl' Thomas, die sichersten Zeugnisse für die Realität der Auferstehung enthielten, und bei dem organisirenden Einflufs der Gemeinde in Jerusalem, nicbt wohl denken; dars man aber in Galiläa ,"on den judäiscben Erscheinungen Jesu zwar gewuCst, der Verfasse)' des ersten Evangeliums aber sie ahsicbtlich verschwiegen haben soU te , um seiner Provinz allein die Ehre derselben zu erhalten, dieCs sezt einen gaHläischen Particularismus, eine Opposition der dortigen Christen gegen die Gemeinde zu Jerusalem voraus, wovon ans jede geschichtliche SIlUr abgeht. Das andre Mögliche hingegen, dafs vieUeicht, nachdem urspl'ünglicb bloCs galiIäische Erscheinungen des Auferstandenen bekannt ge12) f. B.md, S. 4..0 f.

Viertes Kapitel.

§.134.

619

wpspn waren, in deI' Übprliefl'rnng aHmEihUg immer mehr JlHliiische und jerusalemische hinzlIgefligt. und dlll'ch dhse elldlich jene ganz vl'rdrängt worden sein miigl'lI, IMst sida durch mancherlei GrUnde zur Wahrscheiulichkeit erheben. Schon der Zeit nach war die Kunde von der Auferstehung Jl'SU um so schlagender, je unmittelbareI' seine EI'scheinungen auf ßegräbnifs und Wiederbelebung gefolgt wllren: soUte er aber erst in Galiläa erschienen sein, so fand eine solche unmittelbare Aufeinanderfolge nicht statt; ferner war es eine natürliche Vorstellung, dafs sich die Auferstehung Jesu Iln Ort und Stelle seines Todes durch Erscheinungen documentirt haben müsse; endlich Ilber der VOl'wurf, dafs Jesus nach seiner angeblichen Wiederbelebung nur den Seinigen, und zWllr in einem Winkel von GaliJäll, erschienen sei, war dadm'ch einigermafsen zurllckgl'wiesen, wenn man sich darauf berufen konnte, dafs er "iplmehr in der Hauptstadt, mitten unter seinen ergrimmt 11 li'einden, aber freilich von diesen weder zu sehen noch &u greifen, als Auferstandener gewllndelt habe. Hatte man Ilber einmal mehrere Erscheinungl'n Jesu nach Judäa und Jerusalem verJegt, so verloren die galiJäisehen ihre \Vichtigkeit, und konnten hinfort entweder in der untergeolorlneten Weise, wie im vierteu Evangelium, nachgetragen werden, oder :mch, wie im dl'itten, ganz ausfallen. Da diesem, \'om Standpunkt möglicher SagenbHdung aus sich ergebenden Resultat hier nicht wie oben in der Untersuchung iiber den Schauplaz dei' Wit·ksamkeit des leIwnden Jesus vom Gesichtspunkt der Verhältnisse und Absiehten Jesu aus ein umgekehrtes sich entgegensezt: so brauchen wir hier die Entscheidung nicht dahingestellt ~u lassen, sondern dürfen im Widerspruch gegen die jetzige Kt'itik zu Gunsten des ersten Evangeliums entscheiden, rlessen Bericht über das Erscheinen des Auferstandenen ohnehin als der einfachere und minder schwierige sielt empfehlen wird.

620

Dl'itter Abschnitt.

Was nnn dle Erscheinungen des auferstandenen Jesus im Einzeluen betrifft, 80 hat deren das erste Evangelium Bwei: eine am Auferstehungsmorgen vor den Ilne HHnde und Füfse, und f()rrlerte sie zum Betasten Ruf, damit sie d"rch die Wahrnehmung seines uaQKCt KCt~ ö~/Ct enthaltenden Leibes sich Überzeugen klinnten, dars er kein Gespenst sei; auch liefs er sich ein StUck Bratßs('h und etwas von einem Honigkuchen gehen, und ver!!lehrte es vor ihren Augen, worauf sich Petrus in der A. G. elnmR( zu berufen scheint, wenn er sich und die lI"ri~en ,Jftllger Jesu als solche bezeichnet, O~''l:l')iEg UVl'E•

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(10,"41.). Die dem Simon zu Theil gewordene ErEcheinung tUl'st Lukas durch C;;(f'(}7J bezeichnen, was auch Paulus im ersten KOl'intherbl'ief für aUe dort aufgezählten

"8X,}(d-v

f) Dass el die hei'm Brotbrechen sich enthiillenden Nägelmahle

in den Händen gewesen seien, an welchen hier Jesus

el',

kannt wurde (P.lULUI, ell. Handb. 3. b, S. 882. HUlI'tih., in Luc. p. 734.), ist ohne allo Andeutung im Text.

Viertes Kapitel.

§. 135.

631

Christophanleen gebraucht, und siimmtliche Erscheinungen des Aufel'standenen während der vier:;o;ig Tage fafst Lukas A. G. I, 3. in dem Ausdruck om:aVO!If.)'OS,:, A. G. JO, 40. durch il'fj'av11 r~v~a{}ul, zusammen; ähnlich wie l\Iarkus die Erscheinung vor l\lßgdßlena durch E.cral'r;, die vor den wandernden Jüngern und vor den Eilfen durch f,'rpCtl'~(}W­ ~''', Johannes aber die Erscheinung am See Tibel·jas durch ilFctJ,IQLlwEv iav'lo'JI bezeichnet, und siimmtJiche ChristophaJlit'en, die er erzählt hat, unter den Ausdruck I.qCt'JIf(!War; fllCst. Bei Mal'kus lind Luhs kommt hierauf als Schlufs fies irdischen Wandels des Auferstandenen diefs hinzu, dals Cl' VOl· den Augen der Jünger weggenommen, und (durch eine Wolke, nach A. G. 1, 9.) zum Himmel emporgetragen \\ urde. - Jm rierten Evangelium steht Jesus zuerst, als 1\1 al'ia Magdßlena sich vom Grabe umwendet, hinter ihr, doch erkennt sie ihn auch auf eine Anrede hin nicht, sondern hält ihn für den Gärtner, bis er sie (mit dem ihr 10 wohl bekannten Tone) bei Namen nennt. Wie sie ihm hierauf ihre Verehrung bezeigen will, hält lie Jesus durch die Worte 1'-1; !HJ än'C8 ab, und sendet sie mit Botschaft zu den Jüngern. Die zweite johanneillche El'scheinung Jesu fiel untel' besonders merkwürdigen Umständen vor. Die Jünger waren aus FUl'cht vor den feindlich gesinnten Juden bei verschlossenen Thüren versammelt: da kam auf einmal Jesus, stellte sich in ihre Mitte, begrüfste sie, und zeigte ihnen - wahrscheinlich blofs dem Gesicht - seine Hände und seine Selte, um sich als den Gekreuzigten kenntJich "u machen. Als Thomas, der damals nicht zugegen gewesen war, durch den Bericht seiner Mitjünger von der Realitlit dieser Erscheinung sich nicht überzeugen liefs, und zu dem Ende die Wundenmale Jeso selbst zu sehen und zu betasten verlangte: gewährte ihm Jesus bei eine)' acht Tage darauf unter denselben Umständen wiederholten Erscheinung auch diefs, indern er ihn die N ligeJmaJe in seinen Händen und die SticJH\"unde in seiner Seite befUh-

632

D ritter AboS chnitt.

Hefs. Endli('h bei der Erscheinung am galiläischen See stand Jesus in der Morgendämmerung, unerkannt von den im Schiff befindlichen ,Jüngern, am Ufer, fragte sie um ein Get'ieht Fische, und wurde hierauf an dem reichen Fischzug, den er ihnen gewährte, von Johannes erkannt, doch so, dars die an's I.Jlmd gestiegenen Jünger nicht wagten, ihn zu fragen, ob er es wirklich sei. Hierauf v ertheilte el' Brot und Fische unter 8ie, wovon er ohne Zweifel selbst auch mitgenofs, und hatte hernach mit Johannes und Pett'us eine Unterredung 2). Jen

2) Von demjenigen Theil dieser Unterredung, welcher den Jo-

hannes betrifft, ist schon oben die Rede gewesen. Den Petrus anlangend bezieht sich die dreimal wiederholte Frage Jesu: (~ya7Tif. oder ,pd.si. pE; der gewöhnlichen Ansicht nach auf seine Verleugnung; dem ÖTE ~. ytwUeo., ;~WVVVE~ GeavT6Y >la1 7Ttl!"ndu,. 87TH ~9-Els;" STay 8E r,}l!a/J~"

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;Y.TEYEI;; Ta;;

(V. 18 f;) aber wird vom Evangelisten seIhst die Deutung gegeben, JeBUS habe es zu Petrus gesprochen, o'} I'atywy, 7Tot,.o 8aJlaT~~ Jo;aGu T6,. 8tH/V. Diess miisste auf die Hreuzigung gehen, was der kirchlichen Sage zufolge (Tertull. de praescr. haer. 56. Euseb. H. E. 2, 25.) die Todesart des Petrus war, und auf welche im Sinne des Evangelisten auch das ay.o).H,'fet 1'0' V. 20 und 22. (d. h. folge mir in der gleic11en Todesart) hinzuweisen selleint. Allein gerade der Hauptzug bei dieser Deutung, das 11genstand der Jezten Verheissuug JesD dif' O/l'(XP'S ig V.tt'8~, welche el', gemäfs dpr ln:(~;''YfUa.,.r: 1Cltr(!OS, den Apostetn schicken, und derplI Mittheilung sie in JerusRtem abwarten BoUten (24, 49.), und A. G. ,. 5. tf. bestimmt Jesus diese Kraftmittheilung näher als eine Taufe mit dem 'Jr'PfIJIICC ärtO'P, welche nach wenigen Tagen den Jiingern zu Thei! werden, und sie zur Verkündigung des Evangeliums befähi2'en werde. - Mit diesen Stellen des Lukas, welche die Mittheilung des heiligen Geistes in die Tage uRch der Himmelfahrt setzen, scheint die Nachricht des viel·ten Evangeliums im Widerspruch zu stehen, dars JesDs schon in den TageIl seiner Auferstehung, und zwar bei der el'sten Erscheinung im Kreise der Eilfe, ihnen den heiligen He>ist mitgetheilt habe. Joh. 20, 22. f. lesen wir nämlich, dRfs Jesus, bei vel'schlossenen ThOren erscheinend, die Jünger angebtaj;en und gesprochen habe>: ).afJE~E 1l"~V!lCC ä'Ytov, womit er die Befugnifs, Sünden zu erlassen und zu behRlten, verbunden hRbe. Hätte mlln über die Mittheihmg des 'lnlEi!ICC blofs diese Stelle, 80 würde jedermRnn gIRube>n, die J linger haben es schon dRmals von de>m persönlich gegenwärtigen JeSIJS, und nicht erst später nach seiner Erhebung lIum Himmel, mitgetheilt bekommen. Aber in harmonistischem Intpresse hRt schon Theortor von Mopsvestia, wie J"zt THOLUCK, geschlossen, das J..apH:li bei J 0 ha n n es miisse in der Bedeutung von ).,jI/JM9-t genommen wel·den, weil jR na c h Lu k RS dei' heilige Geist den Jüngern erst später, RIß Pfingstfest, mitgetheilt worden sei. Allein, wie wenn er eine>l' solchen Verdrehung vorbeugen wollte, fügt der Johanneische Jesds seinen Worten die sinnbildliche Hllndlung des Anhlluchens hinzu, welche aufs Unverkennblll'ste das ).CC!lpaJ'uv des n'VEvpa als ein gegenwärtiges darstellt 6). Die Ausleger 6) LÜCKE, COlßm. z. Joh. 2, S. 686.

Dritter Abachnitt. freilich , .. bsen :auch dieses Anblasen 110 eludtren, Indem .ie ihm den Sinn unterlegeIl: so gewifs sie Jesus jezt anhauche, so gewifs sollen sie künftig den heiligen Geist beAllein das Anblasen ist eben so entschiekommen 7). den Symbol einer gegenwärtigen Mittbeilung, als die Handautlegung, und wie also diejenigen, auf welche die Apostel die Hände legten, auf der Stelle vom 'lfll~ljpU erfüllt wUl'den: 80 mufs sich dieser Stelle zufolge der Verfasser des vierten Evangeliums gedacht haben, die A})ostel haben eben damals fon JesH den Geist mitgetheilt bekommen. Um nun weder gegen den klaren Sinn des Johannes leugnen zu mlissen, dars wirklich schon nach der Auferstehung eine Geiste8mittheiJulI~ an die Jünger stattgefunden, noch auch mit Lukas in Widerspruch zu kommen, welcher die Ausgiessung des Geistes später sezt nehmen jezt die Ausleger gewöhnlich ßeides an, dars sowohl damals als später den Aposteln 'lfVEVpa verliehen, die frühere Mittheilung am Pfingstfest nur vermehrt und vollendet worden sei. 8) Oder näher, indem schon Matth.l0,20...on dem 'lfVEVpa $8 'lfU'f(!o. die Rede iat, welches die Apostel bei ihrer ersten Missionsreise unterstützen sollte: so wird angenommen, einige höhere K"aft haben sie schon .. or jener Reise, bei Lebzeiten Jesu, bekommen; hier, nach der Auferstehung, habe er ihnen diese Kraft erhöht; die ganze Fülle des Geistes aber sei erst am Pfingstfest über sie ausgegossen worden 9). Aber was nun die Untet'schiede dieser Stufen gewesen seien, und worin namendich die diefsmalige Vel'mehl·ung dei' Geistesgaben bestanden haben solle, ist, wie schon MICHAELIS bemerkt hat, nicht abzusehen. War den Aposteln das ersteomal die Wunderkraft (Matth. JO, 1. 8.) nebst der Gabe der Parrhesie vor Gericht (V. 20.) mitgetheilt worden, so 7) L ..., Auferstehungsgeschichte, S. 281; HVINÖL, z. d. St. 8) I.iiCKII, S. 687. 9) •. bei MICHULlS, Begräbni... und Auferstehungsgeschichte, S. 268. OL$.4VSll~, l.

F il n ftes Kaphel. §. 131. kßnnte eil nur etwa noch die richtigere Einsicht in die Geistigkeit seines Reichs gewesen sein, \,""s ihnen Jt>I1". durch das Anblasen verlieh: allein diese hatten sie ja 1111mittelbar vor der lIimmelfahrt noch nicht, wo sie nach A. G. I, 6. ' ....gten, ob mit der Geistesmittheilullg in dt'n nächsten Tagen die WiederhersteJlung des Reichs ISI'a~l verbunden sein werde r Nimmt man aber an, nicht neue Vermögen seien den JUngern bei jeder folgt>nden Geistesmittheilung verliehen, sondern dlls mit aUen Vermögen schon In ihnen Vorhandene nur t>l'höht worden: so muls es doch auffallen, dafs kein Evangelist neben einer früheren l\Uttheilung noch einer späteren VermehruHg gedenkt, sondern, ausseI' einer beiläuGgeu Er\l'ähnung des apologetischen ßl'lv/la bei Lukas (12, 12.), welche, weil sie hie.. nicht, wie bei Matthäus, mit einer Aussendung zusammenhängt, nur als Hinweisung auf die Zeit nach der späteren Ausgiefsung des Geistes erscheinen kRnn, gedenkt jedl.r Illofs Eine.. solchen, und läfst diese die erste und lezte sei .. : zum deutlichen Beweis, dars jene ZusammensteUung dreier derselben, als verschiedener Stufen, nur du ..ch das bBI'monistische Bestreben in die Urkunden hineingetragen illr. Drei verschiedene Ansichten also tibe.. die Mittheilung des 'lfl'~i5fta an die Jünger Jesu Gnden sich im N. '1'., weIche in zweifacher Hinsicht einen Klimax bUden. Her Zeit nach nämlich sezt Matthäus di., Mittheilung am frühsten: noch in die Periode des natürlichen Lebens Jesu; Lukas am spätesten: in die Zeit nach seinem völligen Abschied von der Erde; Johannes in eine mittlere Zeit: in die Tage der Auferstehung. Die Fassung des Faktums dieser Mittheilung aber ist bei Matthiius die einfachste, am wenigsten sinnliche, indem er keinen besondern und äusserJich anschaulichen Mittheilungsakt hat; Johannes hat bereits einen solchen in der Handlung des Anblasens; bei Lukas in der A. G. ist das sanfte Anhauchen eum heftigen Sturme geworden, der das Haus bewegt, und mit welchem

670

Dritter Abschnitt.

lieh noch Rßflel'e wunderbare Erscheinungen verbinden. Von dielPn beidf'1I Stufenreihen steht die eine zur histori:' lehen Wahrlcheilllichkeit in umgekehrtem Verhältnifs als die andere. Dills so früh, wie Mlltthäus berichtet, dal '1li~"1i,lU, welches, ifbel'lIatürJich odf'r natfirHch gefalst, doch immer die begeisternde Kraft des christlich modificirten Messianismus ist, den Anhängern Jesu zu Theil geworden sei, wird durch seine eigene weitere Darstellung "irtprlegt, Illut welcher sie eben jene christliche ModificatiOIl, das l\J9l11ellt des Leidens und Todes im ßeg"iff des :Messias, noch IlInge nach jener Aussendung Mlltth. 10. nicht begriff'cn hlltten, und da jene Instruktionsrede auch Bonst ßf'stlllulthf'i1e euthält, welche erst auf spätere Zeiten und Vel'hiiltnisse pRssen, so killln leicht auch die fJ'agliche Verheifsung RUS dem späteren Erfolg in jene frühe Zeit zurückgetrage.n sein. Erst nach dem Tod und der Auferstehung Jesu lit('st sich die Entwicklung dessen, was das N. T. das 1fVE.i'il'" ;XY/OI' nennt, in den Jüngern dl'nken, und insofet'n stf'ht die johanneische Darstellung der W IIhrheit näher, als die des Matthäns; doch, da gewifs nicht schon zwei Tilge IIl1ch dem Kreuzestode Jesu der im vol'igen §. bes~hl"iehene Umschwung in der Stimmung seiner Anhänger erfolgt Will'. so trifft auch der Bericht des Johannel die W nhl'heit nicht so nahe, wie der des Lukas, welcher doch wenigstens 50 Tage zur Ausbildung der neuen Ansichten in den Jüngern Frist gieht. - Umgekehrt stellen sich die Et'zähhmgen zur geschichtlichen Wahrheit dUloch den amIern Klimax. Denn je sinnlicher uns die Mittheilung einer geistigen Kraft, je mirakulöser die Ausbildung einer Stimmung, welche allf natürliche Weise entstehen konnte, je momentanei' endlich die Entstehung einer Tüchtigkeit, welche nur allmählig sich ausgebildet haben kRnll, dal'gestellt ist: desto weiter liegt eine solche Darstellung von der Walu'heit Rb, und in diesel' Hinsicht stünde ihr also Ml\ttbäus am Iläch, tell, Lukas am eutfern-

J8 Jt>F.tel'ca die am weitesten fOl,tgeschrittene Tradition, $0 J.Rflß es Wunder nehmen, wie hienach die Übel'lieferung in entgt'gt'ugesezter Weise gewirkt haben mOrste: in Bezug auf die Bestimmung der Art und Form jener Mittheiluflg von del" Wahrheit entfernt>nd, in Betreff der ZeitbestilOßlung aber dem Richtigen annähernd. Doch diefs erklärt sich, sob"ld IIlftn bemerkt, dars auch zu den Änderungen in der Zeitbestimmung die Tradition nicht durch kritisches Forschen nach WAhrheit, wt'lches freHich an ihr befremden lIIüfste, sondern durch dieselbe Tendenz, jene MiUheiJung "Is einliIelnen W undera kt hinzusteJJen, verleitet wurde, wie zu der ,,",fern Abänderung. SoHte nämlich Jesus durch einen besondern Akt seinen Jüngern das 1C'l'EV/-l1X verliehen hilben: so murste es angemessen erscheinen, diesen Akt in den StAnd seiner Verherl'lichung, d. h. also entweder mit Johannes in die Zeit nach der Auferstehung, oder noch lwsser mit Lukas auch noch nach der Himmelfahrt zu v(>\'setzen, wie ja das vierte Evangelium ausdrücklich bemerkt, liIU desu Lebzeiten habe es noch kein 1C"Eii~/a ärlOJi gegeben, ön ' I"'(Jii~ i,OE1fClJ iö()ga(J~'Ij (7, 39). niese Fassung der Ansicht des vierten Evangeliums über die MittheHung des Geistes "n die Jünger bewährt sich als die richtige noch dadurch, dars sie auf eine früher unentschieden gelassene Dunkelheit in diesem Evangelium ein unerwartetes Licht zurfickwirft. In den Abllchierl,,reden Jesu nämlich konnte der Streit nicht geschlichtet werden, ob das, was Jesus dort von seiner Wiederkunft sagt, auf die Tage seiner Aufel'stehung, oder auf die Ausgiefsung fies Heistes lt;U beziehen sei, weH für das Erstt're die Beschreibung jener \Viederkullft als eines Wiedersehens, für das Leztere die Bemerkung, daLs sie in jener Zeit ihn nichts mehr fragen, ihn ganz verstehen wiil'den, gleich entscheidend zu sprechen schien: ein Z"if>slJalt, oer m;fs Erwünschteste geschlichtet ist, wenn nach der Ansicht des

Dritte .. Abschnitt. Referenten die Geistesmittheilung in die Tage der Auferstehung fiel. Zunächst zwa.. sollte man fl'eilich denken, diese Mittheilung, Euma! mit derselben bei Johannes die förmliche Ernennung der Jünger zu seinen Abgesandten und die Ertheilung der Vollmacht zur Vergebung und Hehaltung del' Sünden verbunden ist (vgl. Matth. 18, 18.), möge sich eher an den Schlufs, als für den Anfang der Erscheinungen des Auferstandenen, und in eine Plenarvel'sRmnllung der Apostel eher, als in eine, wo Thomas fehlte, geeignet haben; al1ein defswegen mit OLSHAUSEN anzunehmen, der Evangelist hänge nur der Kürze wegen die Geistesmittheilung gleich der ersten Erscheinung an, während sie eigentlich in eine spätere Zusammenkunft gehöre, bleibt immer eine unerlaubte Willküh,', stRtt deren man vielmehr anerkennen mufs, dRfs der Vel'fasser des vierten Evangeliums diese erste Erscheinung Jesu als die Bllupterscheinung, die nach acht TRgen nur als eine Nachholung EU Gunsten des Thomas angesehen hat, Oie Krscheinung Kap. 21. ist ohnehin ein .Nachtrag, dei' dem Verfa.ser, als er das Evangelium schrieb, entweder noch nicht bekannt, oder doch nicht gegenwäl'tig war. §.

138.

Die sogenannte Himmelfahrt als ühernatiirliches und als natürlichea Ereigniss.

Über die Himmelfahrt Jesu haben wir im :N. T, drei Berichte, welche in Hinsicht der Ausführlichkeit und Anschaulichkeit eine Stufenreihe bilden, Mal'kus, in seinem Jezten Abschnitt überhaupt sehr kurz und abgebrochen, sagt nur, nachdem Jesus zum leztenmal mit seinen Jüngern gesprochen hatte, sei er in den Himmel aufgehoben worden ("J'EÄ.~p:J,,) und habe sich zur Rechten Gottes gesezt (16, H'.). Kaum anschaulicher heifat es im Lukasevangelium : Jesus habe seine Jünger i;w fWf; Elf; Bl,.:Jal·ürv hinausgeführt, und während el' hiel' mit aufgehobenen

FUn ft e s KaI> it e I.

§. US.

673

Hlinden ihnen den Segen ertheiJte, habe er sich VOll ihnen entfernt (Ot8;1/), und sei zum Himmel erhoben worden (aJle· PEQ1;'CO), wOI'auf die Jünger anbetend niedergefallen, und sofort mit Freuden nach Jerusalem umgekehrt seien (24, 50 ff.). Im Eingang der Apostelgeschichte führt diefs Lukas weiter aus. Auf dem Ölberg, wo Jesus seinen JÜn. gern die Jezten Befehle und VerheiLsungen gab, wurde er vor ihren Augen aufgehoben an~(!9-lj), und eine WoHle nahm ihn auf, die ihn ihren Blicken entzog. Die Jünger schauten ihm nach, wie er auf der Wolke in den Himmel hinein sich entfernte: da standen plözlich zwei M änner in weifsen Gewändern bei ihnen, und brachten sie von ihrem Nachsehen durch die Versicherung ab, dafs der ihnen entnommene Jesus auf dieselbe Weise, wie er so eben in den Himmel sich erhohen, wieder vom Himmel kommen werde; worauf sie befriedigt nach Jerusalem umkehrten (1, 1-12.). Der erste Eindruck dieser Erzählung ist offenbart dafs sie einen wunderbaren Vorgang, eine wirkliche Erhebung Jesu in den Himmel, als den W ohnsiz Gottes, und eine Bestätigung desselben durch Engel berichten wolle, wie ältere und neuere Orthodoxe mit Recht bebau}lten. Es fragt sich flUr, ob sie uns auch iiber die SchwierigIteiten hinübel'helfen können, welche es hat, einen solchen Vorgang sich denkbar zu machen. Die eine Hauptschwie~ riglieit ist, wie ein tastbarer Leib, welcher noeh aaQ"a Xal. o;~a hat, und materielle Nahrung geniefst, für einen fiberirrHschen Aufenthalt tauge, wie er sich auch nur dem ('e· sez der Schwere so weit zu entziehen vermöge, um eines Aufsteigens durch die Lüfte fähig zu sein? und wie Gott eine so widernatürliche Fähigkeit dem Leib Jesu durch ein Wunde.' habe geben mögen ')? Das Einzige, was mlln 1)

GABLER, im neuesten theol. Journal 3, S. 417, und in dlli' Vorrede I:U G.IIII>SBACU'S opuse. sead. p. XCVI. Vgl. RUU"ÖI., in Mare. p. 222.

614

Dritter Abschnitt.

hier etwa noch sagen kann, ist, die gröberen TheiIe, weIche der Leib Jesu auch nach der Auferstehung noch hatte, seien vor der Himmelfahrt noch entfernt worden, uncl nur das feinste Extrakt seiner Körperlichkeit als Hülle der Seele mit gen Himmel gefahren 2). AHein da die J iinger, welche bei der Himmelfahrt Jesn zugegen waren, nichts davon bemerkten, dafs von seinem Leib ein Residuum zurückgeblieben wäre: so führt diefs entweder auf die oben erwähnte Absurdität einer Verdunstung des Leibs Jesn ,in Form der Wolke, oder auf den OLsHAusEN'schen Läuterungsprocefs, welcher auch nach der Auferstehung noch nicht, sondern erst im Augenblick der Himmelfahrt vollendet gewesen sei; ein Procefs, welcher nur wunderlich schnell in dieser lezten Zeit mit retrograden Bewegungen gewechselt haben miifste, wenn doch Jesus bei'rn Eindringen in das verschlossene Versammlungszimmer der J iinger einen immatet'iellen, unmittelbar hierauf, als Thomas ihn befiihlte, einen materieJlen, endlich bei der Himmelfahrt wieder einen immaterie1J~n Leih gehabt haben sollte. - Die andet'e Schwierigkeit liegt darin, dars nach richtiger WeltvorsteHllng der Siz Gottes und der Seligen, zu welchem Jesus sich erhoben haben soll, keineswegs im oberen Luftraum, iiberhallpt an keinem bestimmten Orte zu suchen ist, sondern die{s gehört nul' ZUI' kincflich beschränkten Vorstell ungsweise der alten Welt. Wer zu Gott und in den Bezirk der Seligen hommen will, der, das wissen wir, macht einen übel'flüssigen Umweg, wenn er zu diesem Behuf in die höheren Luftschichten sich empOl'schwingen zu müssen meint, und diesen wird Jestls, je vertrauter er mit Gott und göttlichen Dingen war, gewils nicht gemacht haben, noch Gott ihn cfenseJben haben machen la~sen 3). Man müfste also nur etwa eine göttliche 2) SEII,KR, bei RUINÖL, a. a, 0" S. 223. 3) Vgl. r.t.ULUS, ex. Handb. 3, b, S. 921. und Theologie, S. 161.

DE WE'lTE,

!'.cligion

Ffinftes Kapitel.

S. J38.

6,.5

Accommodation an die damalige WeltvorsteUung annehmen, und sagen, um die Jfinger von dem Znrückgang Jesu in die höhere Welt J!:U überzeugen, habe Gott, obgleich dieE9 Welt der Wirklichkeit nach keineswegs im oberen Luftraum zu suchen sei, doch das Sl)ectakel einer solchen Erhebu ng veranstaltet: was aber Gott zum täuschenden Schauspieler machen heifst. Als einen Versuch, solchen Schwierigkeiten und Ungereimtheiten uns zu entheben, müssen wir die natürliche Erklärung dieses }'aktums wiUkommen heifsen 4"). Sie unterscheidet in den evangelischen Erzählungen von der Himmelfahrt das Angeschaute von dem durch Raisonnement Erschlossenen. Freilich, indem es in der A. G. heifst: {JA.EnOVIWV av'fWv in~~&1]: so scheint hier eben die Erhebung in den Himmel als angeschautes Faktum dargestellt zu werden. Hier soH nun aber in~~&1] nicht eine Erhebung über den Boden, sondern nur diefs bedeuten, dafs Jesus, um die Jünger zu segnen, sich hoch aufgerichtet habe, und ihnen dadurch erhabener erschienen sei. Sofort wird aus dem Schlufs des Lukasevangeliums das ÖtE.~1] herübergeholt, in der Bedeutung, dafs Jeaus, indem er sich von seinen J fingern verabschiedete, sich entfernter von ihnen gesteHt habe. Hierauf sei in ähnlicher Weise, wie auf dem Verklärungsberg, ein Gewölk zwischen Jesum und die Jünger getreten, und habe ihn, in Verbindung mit den zahlreichen Ölbäumen des Bergs, ihren Blicken entzogen, was sie dann auf die Versicherung zweier unbekannten l\fänner hin für eine Aufnahme Jesu in den Himmel gehalten haben. Allein, wenn Lukas in der A. G. das in~~&'I] unmittelbar mit der Angabe verbindet: "at vErpfJ.'I] iiniAa(Jev av'fOP: 80 8011 doch wohl jene Erhebung die Einleitung zu dem Aufgenommenwerden durch die Wolke sein, wal 4) Wie sie namentlich i, b, S. 318 ff.

PAVt.t1S

gieht, a. a. O. S. 910 tr. L. 3.

676

nrittel' Abschnitt.

sie nicht ist, wenn sie nur ein Sichaufrichten , sonder;1 l1ur, wenn sie eine Erhebung über den Boden war, da 11111' in diesem f'alle eine Wolke sich ihm tragend und verhüllend unterschieben konnte, was in tl'TC8J.a{1Ev enthalten ist. Ebenso, wenn im Lukasevangelium das Ol8t;1j an' ~·w" als etwas iv Hp EVAOrEiv aVl"Ov aVl"af; Vorgegangenes dargestellt wird, so wird doch Niemand, während er einem Andern den Segen ertheHt, von ihm weggehen: wogegen es sehr passend erscheint, dars Jesus während der El'theilung des Segens an die Jünger in die Höhe gehoben wurde, und so noch von oben herab die segnenden Hiinde über sie breitete. nie natürliche Erklärung des Verschwindens in der Wolke fäHt hiemit von selbst hinweg; in der VOl'aussetzung aber, dars die zwei \Veil'sgekleideten natürliche Menschen gewesen seien, tritt schliefslieh noch einmal besonders stark die ßAHRDTisch-VENTURINlsche, von PAULUS nur verdeckte, Ansicht hervor, dars mehrere Hauptepochen im Leben Jesu, besonders seit seiner Kreuzigung, durch geheime Verbündete bewirkt gewesen seien. Und Jesus selbst, wie soU es ihm denn dieser VorsteHung gemära nach jener lezten Entfernung von seinen J ünget'n weiter ergangen sein? W oUen wir mit ßAHRDT eine Esaenerloge träumen, in welche er sieh nach vollbrachtem Werk zurückgezogen habe? und mit BRENNECKE dafür, dars Jesus noch längel'e Zeit im Stillen zum Besten der Menschheit fortgewirkt habe, auf seille Erscheinung zum Behuf der Bekehrung des Paulus uns berufen, welche doch, die Erzählung der A. G. geschichtlich I!enommen, mit Umständen und Wirkungen verbunden war, die kein natül'licher Mensch, wenn auch Mitglied eines geheimen Ordens, hervorbringen konnte. Oder wiH man mit PAULUS annehmen, bald nach dieser lezten Zusammenkunft sei der angegriffene Leib Jesu den erhl\ltenen Verletzungen erlegen: so kann die(s doch nicht wohl in den niichsten Augenblicken, nachdem el' so eben noch rüstig mit seilIen

av-

,t' ü n t't e s Kap it e 1.

$. 1:19.

677

Jüngern zusammen gewesen war, geschehen sein, 80 dafs die zwei hinzutretenden Männer Zeugen seines VersclH'idens gewesen wßren, welche iibl'igens auch in .liegern }',,11 gar ,nicht dtll" Wahrheit gemii{s gesprochen hätten; lebte et· aber noch längel'EI Zeit, so mü{ste er die Absieht gehabt haben, von jenem Zeitpunkt an bis zu geinem Ende in der Verborgenheit einer geheimen Gesellschaft zu leben, der dann wohl auch die zwei Weifsgekkideten angehöl·ten, welche den Jüngern, ohne Zweifel mit seinem Vorwissen, seine Erhebung zum Himmel einJ'edeten, - ei no VursteIlung , von welche[· sich auch hier, wie immer, dei· gesunde Sinn mit Widerwillen ab" endet.

$.

139.

Das Ungenügende der Nachrichten iihcr JeStl Himmelfahrt, Deren mythische Auffassung.

Am wenigsten unter aUen N. T.lichen WundergciChichteu WIU· bei der Himmelfahrt ein solcher Aufwand unnatül'lichen Scharfsinns nöthig, da die historische Geltung diesel· Erzählung so besonders schwach verbürgt ist. Matthäus und Johannes, der gewöhnlichen Vorstellung nach die heiden Augenzeugen unter den Evangelisten, erwähnen ihrer nicht; lIur Markus und Lukas berichten dieselbe; währeud auch in den übrigen N. T. lichen Schriften bestimmte Hinweisungen auf sie fehlen. Doch eben dieses Fehlen dei· Himmelt'ahrt im übrigen N. T. leugnen die orthodoxen Ausleger. Wenn Jesus bei Matthäus (26, 64.) vor Gel'icht versichere, von Jezt an werde man des Menschen Sohn zur Rechten der Kraft Gottes sitzen sehen: so sei hiebei doch wohl auch eine Erhebung dahin, mithin eine Himmelfahrt, vorausgesezt; wenn er bei J oh8nnes (3, 13.) sage, keiner sei in den Himmel gestiegen, ausseI' dem vom Himmel gekommenen Menschensohn, und ein andermal (6, 62,) die J önger darauf verweise, da{s sie ihn eiust dahin würden aufsteigeIl sehen, wo er vorher ge\\ cscn sei;

678

Dl'itter Abschnitt.

ferner, wenn el' am Morgen nach der Auferstehung erkläre, noch nicht zn seinem Vater aufgesttegen zu Rein, Aber demnRchst sich daMn zu erheben (20, 17.): so könne eR deutlichere Hinweisungen auf die Himmelfahrt nicht wohl geben; ebeoso, welln die Apostel in den Akten so oft von Erhöhung Jesu znr Rechten Gottes sprechen (2, 33. 5, 31. vgJ. 7', 56.), und Paulus ihn als avafJuf; V1l:8t!«vw mlnw'/f 'ErdV 8QavWv (Eph.' 4, 10.), Petrus als 1l:oQlw9-F1r; tl~ Bt!avov darstelle (1 Petr. 3, 22.): so könne kein Zweifel sein, dafs sie nicht alle von seiner Himmelfahrt gewufst haben f). Alle diese SteUen Jedoch, mit Ausnahme etwa der einzigen Joh. (I, 62., welche von einem .9-EWQEiv avafJal')Iflvm -rov 111-0'1' -rä at.,'}()Ctb;a spricht, enthalten nur überhaupt eine Erhebung in den Himmel, ohne Andeutung, dafs sie ein "usseres, sichtbarps, und zwar von den JUngern mih,"~eschautes Faktum gewesen. Vielmehr, wenn wir 1 Kor. 15, 5 W. finden, wie Paulus die ihm zu Theil I{ewordene Ersohelnung Jesu, welche lange nach der voraussezlichen Himmelfahrt stattfand, mit den Christophanieen vor dieser Epoche so ohne aUe Unterbrechung oder Andeutung irgend eines Unt~rschieds zusammensteHt: 80 mufs man .welfeln, nicht b!ofs, ob aHe Erscheinungen, die er ausseI' der seinl~en aufzlihlt, vor die Himmelfahrt fallen 6), sondern, ob der A!)ostel überhaupt von einer Himmelfahrt als Nasserem, dp,'l il'flisohen Wandel des Auferstandenen hMohUefsenden Faktum etwas gewurst haben könne? In Bezug auf den Verfasser des vierten Evangeliums aber zwingt ans bei s~iner Bildersprache das ,9-8WQ~TE schwel'licb, ihm ein Wissen um die siohtbare Himmelfahrt Jesu bei HUINÖL, a. a. 0., S. 221. OLSHAUS&N, S. 591 f. Vgl. GRlIilSBACIC, locarum N. T. ad ascensionem Christi in coelum IIpectantium II,.Hage. In s. OPUS\;. acad. ed. GABLU) Val. 2, S. 484 1l'. 6) SCKIf&CKKNBUI\QU, ilber den Urspr. u. s. f. S. 19. .5) S8IL&I\,

}' ü u f t e s K a jJ i tel,

§,

la!'.

679

zuzuschreiben, da er von einer solchen am Schlusse seines Evangeliums nichts erziihlt. Die Ausleget' f'l'eilich haben sieh alle ersinnliche Mühe gegeben, das Fehlen einer El'Ziihlung von der Himmelfahrt im ersten und viert.en Evangelium auf eine, der Auctoritiit dieser Schriften, wie der IJistorischen GeltUtlg jenes .t'aktums, unschädliche Weise zu erklären, Die Himmelfahrt Jesu zu erzählen, soll den E\'angelisten, welche sie verschweigen, theils als unnöthig, theils als unmöglich e.'schienen sein. Als unnöthig entwerll r an und für sich, wegen dei' minderen Wichtigkeit dps ~:.·eignisses 7), oder mit Uücksicht auf die evangelische Überlieferung, durch welche sie allgemein bekannt war t); Johannes insbesondre soll sie aus Markus und Lukas voraussetzen 9); oder endlich sollen sie dieselbe, als nicht melu' zum irdischen Leben Jesu gehörig, in ihren Schl'iften, die nur der Beschreibung diesel!! Lebens gewidmet waren, übergangen haben 10). Allein zum Leben Jesu, und zwar namentlich zu dem räthselhnften, wie er es nach der Hückliehl' aus dem Grabe geführt haben soll, gehörte die Himmelfahrt so nothwendig als Schlufspunkt, dafs dieselbe, gleichviel, ob allgemein bekannt odel' nicht, ob wichtig odel' unwichtig, schon um des ästhetischen Intel'esses willen, das auch der ungebildete Schriftstellei' hat, seinel' El'ldihlullg einen Schlufs zu geben, VOll jedem Evangelienschreibei' , der von derselben wulste, fllll Ende seines Berichts, wenn auch noch so summarisch, el'wähnt werden mufste, 11m den sonderbaren Ein7) OLSHAUSEN, S. 595 f. 8) Selhst F'RITZSCHE, ermattet am Schlusse seines Geschäfts, schreibt in Matth. p. 835: MatthaFus Jesu in coelum ahitum non commemoravit, quippe nemini ignotum. 9) MICIIAELlS, a. a. O. S. 352. 1U) Die Ahllandlung: Warum haben nicht alle Evangelisten die lIimme fahrt Jesu ausdrücklich miterzäl1lt? in ~'Ul"T'6 Magazin) 8} S. 67,

680

Dritter Abschnitt.

d.'uck zu vermeiden, welchen das E'!l'ste, und noch mehr das vierte Evan2'elium, als in's Unbestimmte auslaufende Erzählungen, machen. Daher sollen nun der erste und der vierte Evangelist einen Bericht tlber die Himmelfahl,t Jesu auch gar nicht für möglich gehalten haben, indem die Augenzeugen, so lange sie ihm auch nachsahen, doch nul' sein Emporschweben auf der Wolke, nicht aber seinf'n Eingan~ In den Himmel und sein Pla,mehmen zur Rechten Gottes haben mit ansehen können 11). AHein in der Vorstellllngsweise der alten Welt, welcher der Himmel näher wal' als uns, galt ein Auffahren in die Wolken schon für eine wirkliche Himmelfahrt, wie wir an RomuJus und Klias sehen. DEls hienach unleugbare Nichtwissen der genannten Evangelien um die Himmelfahrt nun aber mit der neueren K~itl" des erstell Evangeliums diesem als Zeichen nicht IIpostolischen Ursprungs zum Vorwurf zu machen 11), ist hier um so weniger am Ort, da das frag'liche Ereignifs nicht blofs durch. rias Stillschweigen zweiei' Evangelisten, .ondern auch dUl'ch die Nichtübereinstimmung derer, die es beriohteR, verrlächtig wird. Markus stimmt nicht mit Lukas, ja dieser nicht mit sich selbst überein. Nach dem Bericht des ersteren hat es den Anschein, als hätte Je'I1S unmittelbar von dem Mahle, bei welchem er den Eilfen erschien, also von einem Hause in Jerusalem aus, sich in rlen Hhnmel erhoben; denn das aVCtXCl!tf:VOlf; - lcpavE• 0. .,. ' '8V ' 'K' ~1(Jlif1t xw., > (!JVE i.1' vUle - )tat, EtnEV -. '0 flEV VQW~, tIE'CCt, 'I 11 l.a).~f1cu amor~, av8l~cp9r; )t. 'f. ).. hängt unmittelbal' zusammen, und es läfst sich biel' nur mit Gewalt eine Ol'tsyerltnderun~ und Zwischenzeit einschieben 1 3 ), Frei. lieh Ist eine Himmelfahrt vom Zimmer aus nicht gut sich 11) Die 2lulezt angefiihrte Abh. des FLAn'schen Magazins, SCHKBCKUBURG&R, a. a. O. S, 19 f. 13) Wie •• B. RUl1'(OL thut, p. 208 f. ~17. f2)

Fünf t e s Kap it e I.

§. 139.

681

vorzusteHen, daher läest sie Lukas im Freien vor sich gehen. Die Differenz in der Ortsangabe , dars er im Evangelium Jeilum mit den Jüngern fWf; EI> Br;.&w·lw hinausge~ hen lärst, in den Akten aber die Scene auf das C(!Of; Xal8!Ili1'OV ilall~1'a verlegt, kann dem Lukas nicht als Widerspruch al1gereC'hnet werden, da Bethanien am Ölberg lag; wohl aber die bedeutende Abweichung in der Zeitangabe, dars in seinem .Evangelium, wie bei Markus, es den Anschein hat, als wäre die Himmelfahrt noch am nämlichen Tag mit der Auferstehung erfolgt: wogegen in der A. G. ausdrücklich bemerkt ist, dafs beide Erfolge durch eine Frist vo.n 40 Tagen getrennt gewesen. Es ist schon angemerkt wOI'den, dafs die Jeztere Zeitbestimmung dem Lukas in del' Zwischenzeit zwischen der Abfassung des Evangeliums und der A. G. zugekommen sein wufs. Von je mehreren Erscheinungen des Allferstandenen man sich erzählte, und an je verschiedenere Orte man sie verlegte, desto wenigel' rpichte fel'nerhin die kurze Frist eines THgs für den irdischen Wandel des Auferstandene •• zu; dafs abel' die nothwendig gewol'dene längere Zeit gerade auf 40 Tage festgesezt wut'de, hatte in der RoUe seinen Grund, welche bekanntlich diese Zahl in der jüdischen und bereits auch in der christlichen SAge spielte. Wie das Volk Israel 40 Jahre in der Wüste, 1\10.8e8 40 Tage auf dem Sinai gewesen war, el' und EHas 40 Tage gefastet, und ,Jesus selbst vor der Vel'suchung so lange in der Wüste ohne Nahrung sich oufgehalten hotte, wie alle diese geheimnifsvoJleu Mittelzustänrle und Durchgangsperioden durch die Zahl 40 bestimmt wal'en: so bot sie sich ganz besonders auch ~ur Bestimmung der mysteriösen Zwischenzeit &wischen JesD Auferstehung und Himmelfahrt dar 1 4 ).

'ro

14) Die RUcksicht auf eine Danielisohe Rechnung bei ex. Handb. 3, b, S. 923, scheint mir zu kiinstlich.

P.a.ULU8,

D I' i t tel' A b 8 C h n i tt.

68~

Was die Schilderung d.es Vorgangs selber bett·jfi't, so kßnnte man das Schweigen des Markus und Lukas im Evang~linrn VOll \Volke und ":ngeln lediglich deI' Kih'ze ih_ 1"61' Erzählungen zuschreiben woHen; doch da I.ukas am Schlusse seines Evangeliums das Verhalten der .J üngel', wie sie dem in den Himmel entriickten .Jesus fufsfäIlige Verehrung gebl·acht und mit groCser Freude sich nach .Ier Stadt zurückbegeben haben, umständlich genug erzählt: so würde er ohne Zweifel die ihnen durch Engel zu Thei! gewOI·dne Kunde als nächsten Grund ihrer Freude bemerklich gemacht haben, wenn er schon bei Abfassung seiner ersten Schrift etwas von derselben gewuCst hiitte, welche aich hiernach vielmehr aHmählig in der Überlieferung ausgebildet zu haben scheint, um auch diesem Jezten Punkt des Lebens Jesu seine Ehre anzuthun, und das unzulängliche menschliche ZeugnUs über seine Erhebung in den Bimmel durch zweier himmlischen Zeugen Mund bekräf· tigt werden zU lassen. Endlich auch in der Angabe über die Rückkehr der Jünger und was sie nach derselben vorgenommen, findet eine Discrepanz der Berichte statt. Ungerechnet nämlich, daCs man nach dem Schlusse des Markus: i>tfLVOf, Oe 19cA..9-ovUf: llC~!!V;aV x. '&. l., glauben könnte, die Jünger seien unmittelbar von dem Schauspiel der Himmelfahrt zur Verkündigung in alle Welt ausgegangen, WAS doch vielleiollt nur ein Schein ist, der aus der Kiirze und Abgebroohenheit des Schlusses am zweiten EvangeliulD entsteht: bestimmt LukAS den Aufenthalt der Jünger von der Himmelfahrt bis zum Pfingstfest in seinen heiden Schriften auf verschiedene Weise. Nach dem Schlufs des Evangeliums nämlich waren die zurückgekehrten Jiinger iwrr:anof: lv '&{~ L(;!,){~, alviJvZ"cr; ~at IEvJ.0yuJI1;cr; '&1311 {J-c01l: nach dem Eingang dei' A. G. dagegen aVf(1l'j,aav clf: V7tE(uji01l, ~C1av xaux!If-VOvur;. Diese Abweichung könnte man durch die Bemerkung ausgleichen woHen, dais ja der Aufenthalt im Temilel den im oberen Stockwerk eines

a

F ü n f t es Kap i te J.

Se J39.

683

Hauses nieht ausschllef!e: aber, die meiste Zeit im Tempel ,ein (diefs'Iagt doch wohl das «J1Q!1fano~), und, gewöhnlich im oberen Stockwerk sich aufhalten (xcaa!tlyOJ',,"E~) schliefst einander aus. Man kann in dieser Differenz ein Fortschreiten der christlichen Selbstständigkeit erblicken. Zunächst fand man kein Arges darin, die Jiinger nach der Rückkehr von Jesu Himmelfahrt im alten Nationalheiligthum ihre and1ichti~en Zusammenkünfte halten EU lassen; bald aber erscbien diefs zu jüdisch, und sie mufsten zu dem Ende ein eigenes vne~cjiov beziehen: von dem jüdischen Tempel trennte sich der cbristliche Versammlungssaal. Wie hienRch diejenigen, welcbe von einer Himmel. fahrt Jesu wufsten, die8e in Bezug auf die näberen Umstände sich keineswegs auf dieselbe Weise vorstellten: 80 muf. les äberhaupt vom lezten Schlufs des Lebens Jesu zweierlei VorsteUungsweisen gegeben haben, indem die Einen diesen Schlufs als eine sichtbare Himmelfahrt dachten, die Andernnicht 's). Wenn Matthiius Jesum vor Gericht seine Erhebung zur Rechten der göttlichen Kraft vorhersagen (26, 64.), und nach seiner Auferstehung ihn versichern liifst, dafs ihm nun neioa I;aola 6'J1 B(!a'JIcji xal erd r~~ gegeben sei (28, 18.), dennoch aber von einer sichtbaren Himmelfahrt nichts hat, vielmehr Jesu die Versicherung in PE{t' v!/(liv Eh", ncioa~ 'ta~ ~piC!a~ rw~ den Mund Jegt: -ri]~ oV'JIr:dela~ 't8 alwv()~ (V. 20.): 80 liegt hier offenbar .die Vorstellung zu Grunde, dars Jes.s, ohne Zweifel .chon hei der Aulerstehung , unsichtbftr zum Vater aufgestiegen, zugleich unsichtbar immer um die Seinigen sei, und aus dieser Verborgenheit heraus sich, so oft er es nöthig finde, in Christophanien offenbare; aach der Verfas-

erw

15) Hierüber vgl. besonders AMMIIN, Ascensus J. C. ill coelum hi.toria bihlica. In s. opusc. nov. p. 43 fl'.; auch Rusn, hibl. Theol. 1, S. 83 fl'.

684

Dritter Abschnitt.

ser des vierten Evangeliums und die übl'igenN. T.lichen Schriftsteller setzen nur das VOl'aus, ""as nach dem messianischen )(ine Forderung rles Gläubigen an den Kritiker P.U sein, .ledelD dieser beiden für sich aber sich nicht zu steUen: der Gläubige al8 solcher, scheint es, bedarf keiner Wiederherstellung dea GJaubens, weil dieser in ihm durch keine Kritik vernichtet worden ist; der Kritiker als solcher nicht, weil er diese Vernichtung ertragen kann. So gewinnt es das Ansehen, als ob der Kritiker, wenn er aus dem Brande, den seine Kritik angerichtet, doch das Dogma noch retten will, für seinen Standpunkt etwas Unwahre8 unternähme, 80fern er, was ihm selbst kein Kleinod ist, aus Accommodation an den Glauben als solcbes behandelt; in Bezug auf den Standpunkt des Gläubigen aber etwas Überflüssiges, indem er sich mit der Rettung von etwas bemüht, was für den, welchem es Rngehört, gar nicht gefährdet ist. Dennoch verhält es sich bei näherer Betrachtung anders. Wenn gleich nicht entwickelt, so ist doch Rn sich in jedem Glauben, der noch nicht Wissen ist, der Zweifel mitgesezt; der gläubigste Christ hat doch die Kritik Rls verborgenen Rest des Unglaubens, oder besser als negativen Keim des Wissens, in sich, und nur aus dessen bestiindiger l'Iiederhaltung geht ihm der Glaube hervor, der also auch in ihm wesentlich ein wiederhergestellter ist. Ebenso aber wie der Gläubige an sich Zweifler oder Kritiker, ist auch umgekehrt der Kritiker an sich der Gläubige. Sofern er sich nämlich vom l'Iaturalisten und Freigeist untel'scheidet, sofern seine Kritik im Geiste des neunzehenten J ahrhundel'ts wurzelt und nicht in früheren, ist el' mit Achtung vor jeder Religion erfüllt, und namentlich des Inhalts der höchsten Religion, der christlichen, als identisch mit der höchsten philosophischen Wahrheit sich bewulst, und wirrl also, nachdem er im Verlauf der Kritik durchaus nur die Seite des Unterschieds seiner Überzeugung vom christlichen Geschichtsglauben hervorgekehrt hat,

688

Schlufsabhandlung.

§. 140.

das Bediirfnifs fühlen, nun ebenso auch die Seite der Iden .. tität zu ihrem Rechte zu bringen. Zunächst, indem unsre Kritik zwar in aHer Ausführlichkeit vollzogen worden, aber nunmehr an dem ßewulstsein voriibergegangen ist, fäHt sie demselben wieder zur Einfachheit des unentwickelten Zweifels zusammen, gegen welchen sich das glaubige ßewufstsein mit einem ebenso einfachen Veto kehrt, und nach Zurückweisung desselben das Geglaubte in unverkiimmert,:r FüHe wieder ausbreitet. Indem aber Jaiemit die Kritik nur beseitigt, nicht iiberwunden ist, wird das Geglaubte nicht wahrhaft vermittelt, sondern bleibt in seiner Unmittelbarkeit. Scheint so, indem gegen diese Unmittelbarkeit abermals die Kritik sich kehren mufs, der eben vollendete Procefs sich zu wiederholen, und wir zum Anfang der Untersuchung zuriickgeworfen zu sein: 110 thut siel. doch zugleich eine Differenz hervor, welche die Sache weiter führt. Bisher war Gegenstand der Kritik der christliche Inhalt, wie er in den evangelischen Urkunden als Geschichte Jesu vorliegt: nun dieser durch den Zweifel in Anspruch genommen ist, reflectirt er sich in sich, lIucht eine Freistätte im Innern der Glaubigen, wo er aber nicht als blofse Geschichte, sondern als in sich reflectirte Geschichte, d. h. als Bekenntnifs und Dogma, vorhanden ist. Erwacht daher aUerdings auch gegen das in seiner Unmittelbarkeit auftretende Dogma, wie gegen jede Unmittelbarkeit, die Kritik als Negativität und Streben nach Vermittlung: so ist diese doch nicht mehr, wie bisher, historische, sondern dogmatische Kritik, und erst durch beide hindurchgegangen, jst der Glaube wahrhaft vermittelt, oder zum Wissen gcwol'den. Dieses zweite Stadium, welches der Glaube zu durchlaufen hat, mü{ste eigentlich ebenso wie ellIS el'ste Gegenstand eines eigenen Werkes sein: hier soU es IIU1' in seinen Grunelzilgen verzeichnet werden, um die historische

Schlufsabhandlung.

§. 141.

689

K,'jtik nicht ohne Aussicht auf ihr leztes Ziel abzubrechen, ""elches erst jenseits der dogmatischen liegt. §.

lU.

Die Christologie des orthodoxen Systems.

Der dogmAtische Gehalt des Lebens Jesu in seiner Unmittelbarkeit featgehalten und auf diesem Bodeu ausgebil. det, ist die orthodoxe Lehre von Christo. Ihren Grundzügen nach findet sie sich schon im N. T. Die Wurzel des Glaubens an Jesum war die Überzeugung von seiner Auferstehung. Der Getödtete, schien es, wenn auch noch so grofs einst im Leben, könne der Messias nicht gewesen sein: die wundervolle Wiederbelebung bewies Ilm so stärker, dafs er es war. Durch die Auferweckung aus dem Schattenreich befreit, und zugleich übel' die Sphäre iJ'discher Menschheit hinausgehoben , wal' er nUll in die himmlischen Regionen versezt, hatte seinen messianililchen Siz znr Rechten Gottes eingenommen (A. G. 2, 32. ff. 3, 15. ff. ;), 30. tf. und sonst). Nun erschien sein Tod als HAupttheil seiner messianischen .Bestimmung: nach Jes. 53. hatte er ihn für die Sünden des Volks und der Menschheit el'litten CA. G. 8, 32. tf. vgl. Matth. 20,28. Joh. 1, 29. 36. 1 Joh. 2, 2.); sein am Kreuz vergossenes Blut wirkte, wie dasjenige, welches am Versöhnungsfest der Hohepriester gegen den Deckel der BundeslAde sprengte (Röm. 3, 25.); er war das reine LAmm, durch dessen Blut die Gläubigen losgekauft sind (l Petr. 1, 18. f.); der ewige, sündlose Hohepriester, der durch Darbringung seines eigenen Leibes mit Einemmale bewirkt hat, was die jüdischen Priester durch unendlich wiederhulte Thieropfer nicht auszurichten im Stande waren (HebI'. 10, 10, ff. u. s.). Aber auch von jeher schon konnte der jezt zur Rechten Gottes erllühte Messias kein gewöhnlicher Mensch gewesen sein: nicht blols war er mit dem göttlichen Geiste in höherem Maars, als je ein Prophet, gesalbt (A. G. 4, 27.

690

S~hlurSftbhandlung.

§. 141.

10, 38.), ond hatte durch Wundet- und Zeichen sich Als göttlichen Gesandten erwiesen (A. G. 2, 22.), sondern, wie man es sich nun vorstellen mochte, war er entweder übernatü\·lich durch den heiligen Geist erzeugt (Matth. u • .buc. 1.), oder als Gottes Weisheit und Wort in einen irdischen Leib herabgekommen (Joh. 1.). Da er schon vor seinem menschlichen Auftreten im Schoofs des Vaters, in göttlichel' Majestät, gewesen war (Joh. 17, 5.): so war sein Herabkommen in die Menschenwelt und besonders seine Hingabe in den schmachvollen Tod eine Erniedrigung, die er aus freiern Triebe zum Besten der Menschen auf sich nahm tPhil. 2, 5 ff.). J)er Auferstandene und zum Himmel Gefahrene, wie er einst zur Auferweckung der Todten und zum Gerichte wiederkehren wird (A. G. 1, 11. 17, 31.): so nimmt er auch jezt schon als TheiJhaber an der Weltregierung (Matth. 28,18.) der Gemeinde sich an (Röm. 8, 34. 1 Joh. 2, 1.), und wie jezt an der Weltregierullg, so hat er auch schon An der Weltschöpfung Theil genommen (Joh. 1, 3, 10. Kot. 1, 16.). Welche Fülle von beseligenden und erhabenen, ermunternden und tröstlichen Gedanken flofs der ersten Gemeinde 8US diesen Vorstellungen über ihren Christus! Durch die Sendung des Sohnes Gottes in die Welt, durch seine Hingabe für die Welt in den Tod, sind Himmel und Erde versöhnt (2 Kor. 5, 18 ff. Eph. 1, 10. Kot. 1, 20.); durch diese höchste Aufopff'rung ist den Menschen die Liebe Gottes sicher verbliJ'gt (Röm. 5, 8 ff. 8, 31 ff. 1 Joh. 4, 9.), und die freudigste Hoffnung ihnen eröffnet. Ist der Sohn Gottes Mensch geworden: so sind die Menschen seine Brüder, als solche gleichfalls Kinder Gottes, und Miterben Christi an dem Schatze göttlicher Seligkeit (Röm. 9, 16 f. 29.). Das knechtische VerhältnHs der Menschen zu Gott, wie es unter dem Gesez stattfand, hat aufgehört, aß die SteHe der Furcht vor den Strafen, mit weh'hell das Gese70 drohte, ist Liebe getreten (Röm.8, 15. Gal. 4,

SchJnfsabhandlung.

S. 141.

691

J W.). Vom Fluch des GesetEes sind die Glliubigen dRdurch losgekauft, dars Christus sich flir sie demselben hingab, indem er eine Todesart erduldete, auf welche das Gesell den Fluch gelegt hat (Gal. 3, 13.). Nun haben wir nicbt mehr das Unmögliche ~u leisten, dars wir alle Forderungen des Gesetzes erfüllen mflrsten (Gal. 3, 10 f.) ~ eine Aufgabe, welche der Erfahrung zufolge kein Mensch löst (Röm. 1, 18-3, 20.), seiner sündigen Natur nach keiner lösen kann (Röm. 5, 12 ff.), und welche den, der sie zu lösen strebt, nur immer tiefer in den unseligsten Kampf mit sich selbst verwickelt (Röm. 7, 'i fI.): sondern wer an Christum glaubt, der versöhnenden Kraft seines Todes vertraut, der ist von Gott begnadigt; nicht durch Werke und eigene Leistungen, sondern umsonst durch die freie Gnade Gottes wird der Mensch, der sich ihr hingiebt, vor Gott gerecht, wodurch Eugleich alle Selbsterhebung ausgeschlossen ist (Röm. 3, 31 ff.). Indem das mosaische Gesez, dem er mit Christo gestorben ist, den Gläubigen nicht mehr verbinden kann (Röm. 7, 1 ff.), indem namentlich durch das ewige und vollgflltige Opfer Christi der jfldische Opferund Priesterdienst aufgehoben ist (Hebr.), ist die Schei dewand gefallen, welche Juden u41d Heiden trennte: diese, sonst fern und fremd der Theokratie, gottverlassen und hoffnungslos in der Welt, sind zur 'fheilnahme an dem neuen Gottesbunde herbeigerufen, und ihnen freier Zutritt zum väterlichen Gott verschafft worden; so dars nunmehr die beiden , sonst feindlich getrennten Theile der Menschheit in Frieden miteinander Glieder am Leibe Christi, am geistigen Bau seiner Gemeinde sind (Eph. 2, 11 fl'.). Jener rechtfertigende Glaube an den Tod Christi aber ist wesentlich lIugleich ein geistiges mit ihm Sterben, nämlich ein Absterben der Sünde, und \Vie Christus aus dem Tode eu neuem unsterblichem Leben auferstanden ist: so soll auch der an ihn Gläubige aus dem Tod der Sünde zu ei· nem neuen Leben der Gerechtigkeit und Heiligkeit aufer-

G9!

Seblufubhandlung.

§.141.

stehen, den alten Menschen abthun und einen neuen 1111Eiehen (Röm. 6, 1 ff.). Dazu steht ihm Christus selbst mit seinem Geiste bei, welcher diejenigen, die er beseelt, mit geistigem Streben erfüUt und immer mehr von deI' Knechtscbaft der Sünde frei macht (Röm. 8, 1 ff.). Ja nicht blols geiitig jezt, sondern einst auch leiblich werden diejenigen, in welchen der Geist Christi wohnt, durch ihn belebt, indem Gott dUl'ch Christum am Ende dieses Weltlaufs ihre Leiber auferwecken wird, wie er den Leib Christi auferweckt hat (Röm. S, ) 1.). Christus, den die Bande des Todes und der Unterwelt nicht halten konnten (A. G. 2, 24.), hat beide auch fül' UIIS besiegt, und den Gläubigen die Furcht vor diesen höchsten Mächten der Endlichkeit benommen (Röm. 8, 38 f. 1 Kor. 16, 5511'. Hebr. 2, 14 f. '. Seine Auferweckung, wie sie seinem Tod erst die versöhnende Kraft l'edeiht (Röm. 4, 25.), so ist sie zugleich die Bürgschaft unsrer eigenen künftigen Auferstehung ,. unsres Antheils an Christo in einem künftigen Leben, in seinem Inessianischen Reiche, zu dessen Seligkeit er bei seiner Wiederkunft aUe die Seiuiaep einführen wird (1 Kor. 15.). Inzwischen abel' dürfeu wir uns getrtisten, an ihm einen Fürsprecher bei Gott zu haben, der aus eigener Erfahrung von der Schwäche und Gebrechlichkeit der Menschennatur, die er selbst angezogen hatte, und in der er in alJeu Stücken versucht wurde, doch ohne Sünde, weifs, wie vieler Nachsicht und Nachhülfe wir bedürfen (Hebr. 2, 17 f. 4, Ja f.). Den Reichthum dessen, was der Glaube an Christo hatte, in bestimmte Formeln zusammenzufassen, war seinen Anhängern schOll frühe Bedürfnifs. Sie priefsen ihn aJs XQt~O~ 0 ano:fcxvwv, fiiiUov (Jf. KCXt irt(!ifflf;, (;5;' Kut i'~tV iv ÖEgt~ ~H {fEH, ~~ KCX;' invrxavEt vnEQ ~f-lW'/I (Röm, " I' er •"J. X. 0" KVQIO?;, rf1'OpEVO{; , , 8 , 34 "); 0 d er genauer h leiS cl'. '"

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693

Schlu fsabhandlun.g. $. 141.

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3, 16.). Anschliefsend an die Taufformel (Mattb. 28, 19.), weIche durch die Zusammenstellung von Vater, Sohn und Geist gleichsam ein Fachwerk darbot, um den neuen Glanllan in dasselbe einzuordnen, bildete sich in der Kirche der ersten Jahrhunderte die sogenannte regula jidei aus, welcho in verschiedenen Formen, bald summarischer, bald ausfühl'Jichf'l', populärer oder subtiler, sich bei den yerschiedenen Vätel'n findet 1), und nach ihrer populären Form endlieb im sogenannten apostolischen Symbol Z01' Ruhe kam, wel('hes, in der Gestalt, in welcher es auch von der evangelischen Kirche aufgenommen worden ist, im zweiten, 1\118fUhl'lichsten, Artikel vom Sohn folgende GJaubensmomente bet'vorhebt: et (credo) in Jesum Christum, jiUum ejus (Dei patris) unicum, Dominum nostrum ; qui conceptus est de spiritu sancto, natus ex Maria virgine; pa.~­ .ws sub Pontio Pilato, crllcijixu.!, mortll us ct sepultu." descendit ad inferna; tertia die re.surrea:it " mor·juis, ascendit ad coelos, sedet ad dextram Dei patris omni. potentis; iude ventllrus est, judicare vivos et mortuos. Neben dieser volksmäfsigen Form des Glaubensbekenntnisses in Bezug auf Christum gieng aber zugleich die Ausbildung einer schärferen theologischen Fassung desselben her, veranJafst durch die DHferenzf n und Streitigkeiten, welche sich frühzeitig über einzelne Punkte desselben hervOl'thaten. Das Gl'undthema des c11I'istlichen Glaubens, das: c. ." , ~ , , d ,') '"'J , AOr0f,' (JaQ", lircJlli'lO, 0 er: :f8or; Hj a'J'E(!w:J1] cl' (Jetl!KI, war VOll aUen Seiten gefährdet, indem Lald die Gottheit, bald

°

1) Iren. adv. haer. 1, 10. Terlull. de pr3escr. llaer. 13, adv. Prax. 2, dc velaud. virg. 1. Orig de IJrincipp. proecm. 4.

694

SchlufsahhandJung. §.141.

die MeRschheit. bald die wahre Vereinigung helder in Anspruch genommen wurde. Die.fenj~f'n "WAl", welrbf', wie die Eblonlten, die Gottheit, oder, wie die doketischen Gnoatikl'r, die Menschheit Christi durchaus aufhoben l), schlossen sioh zu entschieden von der christlichen Geml'inschaft aus, welohe ihrerseits den Grundsaz fest hielt : dars löE" , I '.t' ,(, 'fOV ,.usa 'f"ll' v-Ell 'fB xat aVifQW7J;lrJV vta Wta~ 1'QO~ EXat;EQ8f: ." ~" \", " , OtXEto'f'1;'L'O~ Et~ q>t~t(xv xat opOVOtaV 'f8~ a!Iq>O'L'EQ8~ (1VJ.'araQ.

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r"lll(Jl(]a& 'TOl' 3EOV 3). Aber wenn etwa btofs die Vollständigkeit der einen oder andern Natur geleugnet wurde, wenn Arius wohl ein göttliches, aber geschaffenes und dem höchsten Gott untergeordnetes We&en In Christo Mensch I{eworden sein Ilefs 4), wenn derselbe Christo zwar einen menschllohen Leib zuschrieb, In welchem aber die SteUe der Se.ele eben Jenes höhere Wesen eingenommen habe $), und Apollinaris aasseI." dem Leib auch noch die Seele JesD wahrhaft mensohlich sein, und nur an die Stelle des dritten Prlnoipa Im Menschen, des vii~, das glittliche Wesen treten liefs 6 ): so konnte solchen Ansichten schon eher ein Sehein des Chrilltlichen gegeben werden. Dennoch wies das 8ewul\t8eln der Kirche sowohl die arianische Vorstellung VOll einem In JesD Mensch gewol'dnen Untel'gott neben audern minder wesentlichen Grlinden aucn defswegen zurIlek, weU aaf (liese Weise in Christo nicht das anschaublll'e Ebenbild dei' Gottheit erschienen wäre 7); als die arillllisch -apollinllristiscne von einer der menschlichen tf.J!)X~ oder des mensohU"hell vii; ermangelnden Mf>nschennatur Christi unter Andrem aus dem Grunde, weil nur durch

11) s, M\J'Nsclu:p,'s DogUlengesch.) herausgeg. 'VOll CtSU.N, f, §. 78. r,) Iren, adv. haer. 3, 18, 7. 4) S. Mi1NsCICSJ\, §. 69 W. ,) Ebendas. §. 79. Anm. 2. 6) Ebendas. Anm. 5. 7) Ehd•• S. 235.

S eh I u fs ab ha n d 10 n g. §. J41.

695

die Vereinigung mit einer ganzen und voHstiindigen Menschennatur diese nach aUen Theilen habe erlöst werden können 8). Doch es konnte nicht blofs die eine oder andere Seite im Wesen Christi zurückgestellt, sondern Rueh in Bezug auf ihre Vereinigung in ihm, und zwar wieder IlUf entgegengesezte Weise, gefehlt werden. Die andächtige Begeisterung Vieler glaubte, das neugesehlungene Band zwischell Himmel und Erde nicht eng genug anziehen zu können: in Chl'isto wollten sie Gottheit uml Menschheit nicht mehr unterscheiden, und erkRnnten in iblll, wie er als Eine Person erschienen wal', anoh nur Eine Natur, die des tleischgewordenen Gottessohnes, an 9). Der Besonnenheit Anderer wa.r eine solche Vermischung des Göttlic-hen und MenschJichen anstössig, es schien ihnen frevelhaft, zu sagen, dafs eine menschliche Mutter Gott geboren habe: nur den Menschen hilbe sie geboren, welchen sieh der Sohn Gottes zum Tempel auserwählt hatte, und es seien in Christo zwei Naturen zwar der Verehrung nach verknüpft, aber dem Wesen nlleh noch immer verschieden J 0). Her Kirche schien auf beide Weise das Mysterium der Menschwerdung gefährdet: wurden beide Natul'en blei! end getrennt gehalten, so wal' die Vereinigung des GöttJiehen und Menschlichen, de.· innerste I .. ebenspunkt des Christellthums, zerstört; wurde eine Vermischung angenommen, so war fteine von beiden Naturen als solche einer Vereinigung mit der andern fähig, somit gleichfalls keine wahre Einheit beider erreicht. Beide Meinungen wurden daher, die leztere in Eutyches, für die erstere nicht ebenso mit necht Nestorius, ver8) Gregor. Nu. Or. 51. p. 740. B. (lei MüncHIiR, S. 275.) : .,-J yae "1reoaJ.'11rTOV t;:;eea1r,IiTOV' ö J~ ~vwTln .,.tji :;,tji, .,.;;7:0 9) h.

MÜN8CHU,

10) Ebendas.

§. 80 W.

SehJuCsabhandlung.

690

§. 141.

dllmmt, lind nAchdem schon im niclinlschen Symbol dIe wahre Gottheit Christt f'estgesezt wordf'n WAr, nunmehr im

ehalcedonensischen IlUch seine wahre und vollständige Menschheit, und die Vereinigung beider Naturen in Einer unzertrennten Person, festgestellt 11). Und als sich später fiber den Willen in Christo eine ähnliche Differenz hervorstellte, wie tiber seine Natur: so wurde auf dieselbe Weise entschieden, dars in Christo als dem Gottmenschen "wei unterschiellpne Willen, aber nicht uneins, sondern der menschliche dem göttlichen sich unterordnend, anzunehmen seien I l). Den Streitigkeiten über das Sein und Wesen Christi gegenfJber gieng die Entwicklung der andern Seite, der Lehre von seinem Thun und Wirken, verhäftnifsmäfsig still und friedlich vor sich. Die umfassendste Anschauung U) - r"a oral TOY aJl01' J,u020r~i1' tI~O" '1'0" "ue'o" ~,uw" 'I. X. fllJ,utp"'IIW, ;:na"n~ ;,,3.3«(/"01"'" TElt.o1 Toll a6T6r t" fteonlrl,

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n

11nschen auch wirklich zu dieser führen will. Diel8 kRnn aber l"ermöge der göttlichen Uerechtigkeie nioht geachehen, wenn nicht Genugthuung für den Menschen geleiatet, und nacb MRafsgabe dessen, was Gott entzogen worden ist, ihm etwas gegeben wh·d, dns gröfser ist, als Alles a08ser Gott. Diefs Rber ist nur Gott selbst, ulld da andl"t'rseits fOr den Mtlnschen nur der Melisch gemlgthun kRnn 2 so mufs es ein Gottmensch sein, der die Genugthuung lelatet. Diese kann näher nicht in thätigem Gehorsam, in silndlosem Lehen, bestehen, weil cHefs jedes ,.... nOnftige Wesen Gott für sich selbst schon schuldig ist; abcl' den Tod, der SUnden Sold, auf sich zu nehmen, ist der Sltndlose nicht schuldig, und besteht also die Genugt1muJI/f fitr die SUnde der Menschen im Tod des Gottmen· sl~hen, deuen Belohnung, weil er als Eins mit Gott nicht selbst belohnt werden kann, der Menschheit zu Gute kommt. Dieses "Itkirchliche Lehrsystem iiber die Person und l'hätigkeit Christi gieng auch in die BekenntnHsschriften

Schlnfsabhandhlng. §. 141.

699

der lutherischen Kirche über, und wurde yon den Theologen derselben noch kUnsllicher ausgebildet 1B ). Die Person Christi betreffend wurde Rn der Vereinigung der göttlichen und menschUchen NRturin Einer Person festgehalten : im Akte derselben, der unitio personalis, welche 8lit der Empfiingnifs zusammenfiel, war es die göttliche Natur des Sohnes Gottes, welche die menschliche zur Einheit ih. rer Persönlichkeit aufnRhm; der Zustand des Vereinigt. aeins, die unio personalis, soUte weder eine wesentliche, noch auch eine Mofs accidenteUe, auch keine mystische, oder morRlische, Rm wenigsten eine nur verbale, sondern eille reale und übernatürliche, ihrer Dauer nach aber eine ewige VereinIgung sein. Vermöge diesel" Verbindung mit der göttlichen kommen der menschlichen Natur geWS..e eigenthümliche Vorzüge zu, namentlich, was zunliebst aI. Mangel erscheint, far sich unpersönlich f!:U sein, und .ur in der Vereinigung mit der giittlichen Natur PersönUeh· keit zu haben; fel'ner Sündlosigkeit, und die Möglichkeit, nicht zu sterben. Doch ausser diesen eigenthümlicheu, hat die menschliche Natur Christi in ihrer VereInIgung mit der göttlichen aucl1 gewisse von dieser geliehene Vorf!:üge. Das Verhältnifs der beiden Naturen ist nämlich nicht ein todtes und äusserJiches, sondern eine gegenseitige Durchdringung, rccQtxwQTj(Jt~, nicht die Verbindung I:weier zusammengeleimten Bretter, sondern wie Ton Feuer und MetaU im glühenden Eisen, oder wie im Mensohen von Leib und Seele. Diese communio naturarum luslert sich als comm unicatio idiomatum, kraft welcher die menschliche Natur an den Vorzügen der göttlichen, die göttliche 18) vgl. Form. COllcord.~ Epit. und sol. decl. VIII. p. 605 fl'. und 761 fl'. ed. B.lSB. CHBlIDIIZ, de duabus naturis in Christo lihellus, und Iod theol., lot. 2, de fiHo. GER/UR)), H. tb. 1, p. 6406. (ed. 1615.). QUKNSTKDT, theol. didact. pol. P. 3. c. 3. Vgl. Da WaTTa, bibI. Dogm. §. 64 fl'.

100

SchJufsabhandlung. §.I·U.

an den die Erlösung betreffenden Th~tigkeiten der mensclllichen Theil nimmt. Dieses VerhältniCs spricht sich in den propo~itionibus pcrsonalibutl und idiomaticis aos; jenes Sätze'1 in welchen das Conm'etum der einen Natur, d. h. die eine Natur, sofern sie in der Person Christi begriffen ist, von dem der andern pl'ädicirt wh'd, wie 1 Kor. 15, 47: der zweite Adam ist de. Sohn des Höchsten; dieBes Sätze, in welchen theils Bestimmungen der einen oder andel'n Natur auf die ganze Person (genus idiomaticum I, theils Thätigkeiten der ganzen Person auf die eioe oder andere Natur (genus apotelesmaticmm) , theils endlich Attribute der eioen Natur aof die andre übergetragen WCI'deo, was aber nur von der göttlichen auf die menschliche, nIcht umgekehrt, möglich ist (genus auchematicum). In der Bewegung seiner Person mit ihren zwei Naturen durch die verschiedenen Momente des Erlösungswerks hat Christus nach dem Rn Phi!, ~, 6 ff. anschliefsenden Ausdruck der Dogmatiker einen zweifachen Zustand, 8tatum e:t:inanitionis und e~'altationi\, durchlaufen, Sofern seine menschliche Natur in ihrer Vereinigung mit der göttlichen gleich bei der Empfiingnifs in den Mitbesiz göttlicher Eigenschaften kam, abeJ' von diesen wähl'end seines El'deulebens keinen v.usammenhiingen!le/l Gebt'lIu"h machte, .10 wird dieses irdische Leben JeslI bis zum Tud und Begräbnifs a($ ein Stand der Erniedrigung mit vet'schiedenen Stationen betrachtet, wogegen mit der Auferstehung, oder schon mit der HöUenfahrt, der Stand dei' Erhöhung eintrAt, welcher mit der sessio ad de;J;tram pat ris seine Vollelldung el"l'eichte. Was das Wel'k Christi betrifft, 80 schreibt ihm die Dogmltik unsrer Kirche ein dreifaches Amt zu. Als Prophet hat er die höchste Wahrheit, den göttlichen Erlösungsl'athschlufs, unter Bekräftigung durch W uuder, der lUenschheit geoffl'l1bllrt, und ist für deren Veddilldigung noch immer besOl'gt; als Hoherpriester hat er theils in seinem

ScblufubhandIang.

§.142.

701

unsträflichen Wandel das Gesez an unsrer Statt erfüllt (ohedientia activtt) , theiJs in seinem LeidclI und Tod die Strafe getragen, die uns gebührte (obedientia pa.y.\iva), und val·tritt uns nun fortwährend bei dem Vater; als K6nig endlich regiert er die Welt und insbesondre die Kirche, welche er aus den Kämpfen der Erde zur Herrlichkeit des Himmels führen, und durch Auferstehung und Weltgericht vollenden wird. §.

142.

Bestreitullg der kirchlichen Lehre von Christo.

In der Lehre von der Person Christi gien gen schon die Reformirten nicht so weit wie die Lutheraner mit, in.. dem sie deren lezte, kühnste Folgerung au. der Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen in ihr, die communicatio idiomatum, nicht zugaben. Die lutherischen Dogmatiker s.elbst Hersen die Eigenschaften der menschlichen Natur sich nicht an die göttliche, und von dit'ser wenigstens nicht alle Eigenschaften, wie e. B. nicht die Ewigkeit, an die menschliche sich miUheHen 1); was die Reformh·ten zu der Einwendung vel'anlafste: die Mittheilung der Eigenschaften müsse eine gegenseitige und voUständige sein, oder sei sie gar keine; übrigens werde auch schon durch die blofs einseitige Mittheilung von Eigenschaften einer unendlichen Natur an eine endliche diese nicht minder in ihrem Wesen aufgehoben, als jene, wenn sie von dieser Eigenschaften annehmen müfste 2). Wenu sich hiegegen die lutherischen Dogmatiker dadurch zu decken suchten, dals sie die eine Natur die Eigenschaften der andern nur so weit mitbesitzen Hefsen, uti per .suam indolem 1) s. die dem locus de pers. et offic. Chr. angehängte Oratio bei tiERHARD, a. a. O. p. 719 ff. 2) s. Gf:RH.\RD, 11. th. 1, p. 685 ff. MARHl!lN1U(I!, instit. symb; §. 71 f.

701

Schlafubhandlung.

I.

142.

poten '): so war hledurch die communicatio idiomatum In der That aufgehoben, wie .ie denn auch leIbst yon den orthodo'1en Ilogmatikeru nach RBINBAR.D fast durchaus .uf. gesehen worden Ist. Aber auch die einfache WarEel dieses verwickelten Idlomentau8ches, die Vereinigung der göttlichen und mensch. liden Natur zu Einer Person, traf der Widerspruch. Schon die Soeinianer leugneten sie, weil Ewei Naturen, deren jede flr sich schon eine Person ausmache, EUlOal wenn ihnen so entgegengeseEte Eigenschaften Eukommel1, wie hier die eine unsterblich, die andere sterblich, die eine anfangs~ 108, die andere entstanden sein solle, sich nicht EU einer Person vereinigen können 4), und ihnen stimmen die Rationalisten bei, indem sie noch besonders hervorheben, thells dats die kirchlichen Formeln, durch welche jene Ve.... einigung bestimmt werden soUe, fast durchaus nur verneinend seien, und die Sache nicht anschaulich machen, theils dars au einem Christus, der mit Hülfe einer einwohnenden göttlichen Natur dem Bösen widerstanden und sich ohne Sünde erhalten hätte, der von solcher Hülfe verlassene Melisch kein wahrhaftes Vorbild haben könnte ~). 3) RBINHARD, Vorles. über die Dogm., S.354. Gemäss dem von den Reformirten gegen die Lutheraner geltend gemachten Grundsaz: nulla natura in se ipsam recipit contradictoria. PUNCH, Gesch. des protest. Lehrh. Bd. VI. S. 782.

4) FausH SOCl:Nl de Christi natura disputatio. Opp. BibI. Fr. Pol. 1, p. 784-. Catech. Racov. Q. 96 ff. V gl. MARHBINBHB, instit ••ymb. §. 96. Auch SPINOz.t., ep. 21. ad Oldenburg. Opp. ed. GrRÖRu, p. 556, sagt: quod quaedam ecclesiae his addunt, quod Deus naturam humanam assumpserit, monui expresse, me, quid dieant, nescire; imo, ut verum fatear, non minus absurde miM loqui videntur, quam si quis mihi diceret, quod circulus naturam quadrati induerit. 5) (Rön) Briefe über den Rationalismus, S. 578 ff. WnscHElPD, Inst. theol. §. 128. BRIITSCHlilllDII\, Handb. der Dogm.

Sc h la Cs a b ha nd 1 D n g.

§. UI.

703

Das Wesentliche und Haltbare der rationalistischen Einwürfe gegen diese Lehre hat am schärf.,ten SCHLEIXIlMACHER Eusammengestellt, ond auch hierin, wie in vielen Stücken, die negative Kritik des kirchlichen Dogm. zom Abschlufs geführt 6). Vor Allem findet er bedenklich, dars durch den Ausdruck: göttliche und menschliche Natu!', Göttliches und Menschliches unter Eine Kategorie gesteUt werde, und zwar unter die Kategorie von Natur, was doch wesentlich nur ein beschränktes, im Gegensaz begriffenes Sein bedeute. Dann aber, statt dars sonst Eine Natur 'fielen Einzelwesen oder Personen gemeinsam sei, solle hier umgekehrt Eine Person an zwei verschiedenen Naturen Theil haben. Sei nUll Person eine stetige Lebenseinheit , Natur aber der Inbegl'iff von Gesetzen, nach welchen die Lebenszustände sich verlaufen: 60 sei nicht zu begreifen, wie zwei durchaus verschiedene Systeme von Lebenszuständen in Einen Mittelpunkt zusammenlaufen können. Besonders klar wird nach SCHLEIERMACHER diese Undenkbarkeit in der Behauptung eines zweifachen Willens in Christo, welchem man folgerichtig auch einen doppelten Verstand zur Seite stellen mOrste, wobei dann, wie Verstand und WiUe die Persönlichkeit constituiren, die Zerspaltullg Christi in zwei Personen entschieden wäre. Zwar sollen die 2, §. 137 fF.; auch RANT, Relig. innerhalb der Grenzen der biossen Vernunft, 2tes Stück, 2ter Absch. b). 6) Glauhenslehre, 2, §§. 96-98. - Indem ich diese SCHLEIJ:RMAcHER'sche Hritik als vollkommen berechtigt anerkenne, stelle ich mich in direkten Widerspruch mit dem Urtheil von ROS.;1\HRANZ, welcher (Jahl·h. für wiss. Hritik. 1831. Dec. S. 935-41.) "seinen Unwillen nicht zurückhalten kann iiher die theologisch seichte und philologisch kleinlichte Manier, mit welcher SCIILEIERMACIlER in diesem Lehrstiick das Hauptdogma des christlichen Glaubens von der Menschwerdung Gottes zu untergrahen sucht." Die Verwechslung, auf welcher dieses Urtheil beruht, wird sich weiter unten aufdecken.

704

Sc h I urs ab h a n d I u n g.

§. 142.

heiden Willen immer dasselbe wollen: aHein theil. giebt diefs nUl' morAlische, nicht persönliche Einheit, theils ist es von göttlichem und mens(!hliehem WiUen nicht einmlll möglich, inrlem ein menschlicher W iUe, der wesentlich nur Einzelnes IlIld eines um de8 andern wiHen will, mit einem göttlichen, dessen Gegenstand das Ganze in seiner Entwicklung ist, '0 wenig das Gleiche wollen kann, als ein discursiver menschlichcr Verstand mit dem intuitiven göttlichen dasselbe denken; woraus Eugleich von selbst herVOI'geht, dafs eine MittheiJung der Eigenschaften Ewischen den beiden Naturen sich nicht annehmen läfst. Einer ähnlichen Kritik entgieng auch die Lehre von der Thtitigkeit Chril;ti nicht. Abgesehen von dem, was in formeller Hinsiellt gegen die EintheiJung derselben in die drei Ämter eingewendet wurde, waren es im prophetischen hauptSMehlich die Begriffe von Offenbarung und Wunder, die man in Anspruch nahm, weil sie weder objektiv mit richtigen VorsteIJungen von Gott und Welt in ihrem gegenseitigen Vel"hältnifs, noch subjektiv mit den Gesetzen des menschlichen Erkenntnifsvermögens sich zu vertragen schienen. Unmöglich könne der voJlkommene Gott eine Natur geschaffen haben, die von Zeit zu Zeit einer ausserordentlichen N Ilcbhülfe des Schöpfers bedürfte, noch insbesondere eine me.n~eh1iche Natur, die nicht durch Entfaltung ihrer mitgegebenen Anlagen ihre Bestimmung zu erreichen vermöchte; unm-öglich k-önne der Unveränderliche bald auf dieae, bald auf jeneWei!le, das einemal mittelhar, das andremal UD mittelbar , auf die Welt einwirken, sondern immer nU1' :wf die gleiche, nämlich an sich und auf das Ganze unmittelbar, für uns aber und auf das Einzelne mittelbar. Eine Unterbrechung des Natnrznsammenhangs und der Entwicklung der Menschheit durch unmittelbares Eingreifen Gottes anzunehmen, hiefse allem vernünftigen Denlien entsagen; im einzelnen Fall aber sei eine Offenbarung lind Wunder als solche nicht einmal zuverläfsig zu erkennen,

Sc h 1 u fa

Rbha

n d J u n g.

§. 142.

705

um sichel' zu sein, daCa gewisse Erscheinungen nicht den Kr'äften der Natur und den AnlRgen des menschlichen Geistes hervorgegangen seien, eine vollstlindige Kenntnifs von diesen, und wie weit sie reichen, erfordert wUrde, deren der Mensch sich nicht rühmen kann 7). Doch der Hauptanstofs wurde an dem hohenpriesterliehen Amte Jesu, an ,der Lehre von der Versöhnung, genommen. Zuniichst war es die anthropopathische Färbung, welche dem Verhältnifs Gottes zur Sünde der Menschen im Anselmischen System gegeben war, was EinwUrfe hervorJ'ufen mulste. Wie es dem Menschen wohl RnstE'hp, Beleidigungen ohne Rache zu verzeihen: so, meinte SOCIN, könne auch Gott ohne Genugthuung die Beleidigungen, welche ihm die Menschen durch ihre Sünden zufiigen, vergeben 8). Dieser Einwurf wurde von Hllgo GROTIUS durch die W f'ndung beseitigt, dars nicht gleichsam in l.rn er nicht anders, als dm'ch das Wort, rlurch Selbstdarstellung überhaupt, die Menschheit an sich ziehen konnte: so

SchJufsabhandlung.

§.lU.

71"3

dars der Hauptgt>genstand seine.· Lehre eht>n seine Person war; "ohel'pt'iestel' und zug'leich Opfer ist er, sofern er, der Sündlose, aus dessen Dasein sich daher auch keilt Übel entwicl.eln konnte, in die Gemeinschaft des siJndlicb.en Lebens der Menschbeit eintrat, und die in d(,I!l!'f"lbt>n er· zeugten Übel auf sich nahm, um sofort UIlS in die (jeweinschaft seines sündlosen und seligen Lebens aufzunehmen, d. h., Sünde und Übpl Ruch in und für uns Ilufzuhe~u, lind uns vor Gott rein dal,zusteHen; König endlich ist er, sofern er diese Segnungen eben in Form eines Gemeinwesens, dessen "auIJt et· ist, an die Menschheit bringt. Aus diesem nun, was Christus wirkt, ergiebt sich, was er gewesen ist. Verdanken wir ihm die immer steigende Kräftigung unsres Gottesbewufstseins: so mufs diefs in ihm in absoluter Kräftigkeit gewesen sein, so dafs es, oder Gott in Form des Bewufstseins, das allein Wirksame in ihm war, und diefs ist der Sinn des kirchlichen Ausdrucks, dals Gott in Christo l\fensch geworlten ifll. Wil·kt f'tlrllel' Chl'istus in uns die immer voJlständigere Übel'winllung der Sinnlichkeit ~ so murs diese in ihm schlechthin iiberwunden gewesen sein, in keinem Augenblick seine. Lebens kann das sinnliehe BewuJstsein dem Gottesbewurstsein den Sieg stl'eitig gemacht, nie ein Schwanken und Kampf in ihm stattgefunden haben, d. h. die menschliche Natur in ihm wal' unsündlich, und Invar in dem 8tt'engeren Sinn, dfll's er, vermöge des wesentlichen Übp,'~ewichts de.. höhel'en Kräfte in ihm ii hel' die niederen, IlIIlIIÖglich sündigen kOlllltl>, Ist er -dm'rh diese EigellthiilRlidlkeit seines Wesells d,,:; Urbild, welchem seine GelDf'illde .!'ich imlI~er nur annähern, nie übel' dasselbe hill:lHskoHlmen kann: so mufs er doch '-. sonst köllnte zwisd\en ihm und uns keine wahrhafte Gemeinschaft stattfinden -- Rllter «Ien gewöhlilichen Bedingungen des mensrhlichen Lehens sich entwickelt haben, das Urbildliehe mufs in ihm vllllkolllmen geschichtlich geworden sein, jeder seiner geschichtlidlcn Mo-

'714

Schhhab'handlung.

j. 144.

mente Ilugleich das Urbildliche In sich geh·agen haben, und dier.~ ist der eigentliche Sinn der kirchlichen Formf'l, dafs die göttliche ond menschliche Natnr in ihm ZII Eiller Pel'son vereinigt gewesen seien. Nur so weit Jlifst sich die Lehre von Christo alls der inneren Erfahrung des Christen ablf'iten, und so weit wi. derstreitet sie, nach SCHLEIERMACHER , auch dei' \Vissenschaft nicht: WAS im kirchlichen Dogma dariibel' hinausgeht, - und gerad'e das ist es, was die Wissenschaft anfechten murs, - wie namentlich die ilbernRtiirliche E"zpngung Jesu und seine W nnder, auch die Thatsa('hen dt>r Auferstehung unrf Himmelfahrt, so wie die VorherslIgulIgen von seiner Wiederkullft zum Hericht, köllllen nicht aJs eigentJiche Bestandtheile der Lehre von Christo ßufge.tellt werden. Denn derjenige, von dessen .Einwirkung uns aHe Krilftigung unsres Gouesbewufstseins kommt, kalill Chl'istus gewesen sein, auch wenn er nicht leiblich aufel'stand und in den Himmel sich erhob u. s. f.: so dars wh' diese Thatsachen nicht de(swegen glauben, weil sie in unserel" inneren EI·fah,·ung mitgesezt wären, sondern nur weil sie in der Schl"ift stehen, also nicht sowohl auf religiöse ulld dogmatische, als vielmehr nur auf histOl'ische Weise. Gewifs ist diese Christologie f'ine sein' schöne Ent'\yick'ung, und in ihr, wie wir später sphen wel',!en, das Möglichste geleistet, um die Vereinigung des GöttJichpll und Menschlichen in Christo als einem Individuum anschaulich zu machen ~); aHein wenn dieselbe Beides , sowohl den Glauben unverkürzt, als die Wissenschaft unvel'lezt zu erhalten meint: so mufs gesagt werden, dals sie sich in Beidem täuscht 4). 3) Auch hier hefinde ich mirh im Gegensaz gegen IloSl\I\HRAI\Z, welcher a, a, O. die Sr.IIU:JKRMAcHlm'sche Christologie eine gequälte Entwicklung nennt, 4) Diess ist auch hereits in den namhaftesten ncurtheilungen dei SCHUIEIllU.UII&II.'schen Systems zum Bewusstsein gekom-

Schlufsabbandlung.

S.

144.

11ä

Der Widerstreit mit der Wissenschaft knöpft .Ich 1'.0nächst an die Formel, in Christus Bt'i das Urbilctliehe EUgleich geschichtlich gewt'sen. Uafs diers ('In gefährlicher Punkt sei, ist SCHLEIERMACHER'U st'lbst nicht entgangen. Kaum hat er den bezeichneten Saz aufgt>stellt, 50 sogt er sich auch s~hon, wie schwer es zu denkt>" ist, dafs das UrbiJdHche in einem geschichtlichen Einzelwesen vollständig zur Wirklichkeit gekommen sein soUte, da wir das Urbild sonst flie in einer einzelnen Erscheinung, sondern DU.' in einem gAnzen Krl'ise von solchen, die sich gegenseitig ergänzen, verwirklicht finden. Zwar soll nun die Ul'bildlicbl.eit Christi I.eineswegs auf die tausenderlei Beziehungen des menschlichen Lebens sich erstrecken, so dafs er Auch fUr alles Wissen, ode.' alle Kunst und Geschick. Iichkeit, die sich in der menschlichen Gesellschaft elltwikkelt, Ul'bildlich sein mörsre, sondern nur für dRS Gebiet des Gottesbewurstseins: allein diefs Hndert, wie SCIlMlD roit Recht bemerkt, nichts, da auch das GotteshewnCstsein in seiner Entwicklung und El'scheiJlung den Bedingungen der Endlichkeit nnd UnvoUkummenheit nntel'wurfen ist, und wenn auch nur in diesem Gebiete das ldeßI in einel' einzelnen historischen Person als wirklich ßnel·/,annt werden soll, diefs nicht geschehen kann, ohne die Gesetze der .N atur durch Annahme eines W undel's EU durchb.'echen. Doch diels schreckt SCHLEIERMACHER'll keineswegs znl'ück, sOI1,lerll' eben hier, meint er, sei dei' einzige Ort, wo die christliche GJaubensleht-e dem Wunder in sich Rßulll geben miisse, indem die Entstehung der Person Christi nur als Resultat eines schöpfel'ischen göttlichen Akts begrafen werden könne. Zwar soU nUll das W undel'bßl'e nur auf den ersten Eintritt Christi in die Reihe des, Damen, vgl. BUNlss, iiber SCHLIIIBRMACHBR'S Glaubenslehre; H. SCHMID, über SCHL. Glaubensl. S. 263 fF. BA.UR, die christi. Gnosis, S. 626 ff., und die anger. Recens. von ROS~NKR.lNZ.

1UI

SoblaCubhandhng.

§. 144.

,.elenden helohrlflkt werden, und aeine ganme weitere Entwicklung allen Bedingungen des endlichen J)lIl1pins unterworfen gewesen sein: aber dieCs ZugeständnHioI luuan den Rifs, der durch jene Behauptung in .He gAflr.e wissenachaftliche Weltansicht gemacht ist, nicht heilen, ond am wenIgsten können vage AnRlogieen etwas hplfen, wie die: 80 gut es noch ,iezt möglich sei, dafs Matelie sich baUe lind im unendlichen Raum zu rotiren beginM", mUsse die Wissenschaft auch einräumen, es gebe eine E1"scheinung Sin Gebiet des geistigen Lebens, die wh!' eben so nur als reinen Anfang einet' höheren geistigen Lebensentwicklung erklären können s). Zumal man durch diese Vergleichung an das erinnert wird, was BRA.NISS besonders geltend gemilcht hllt, dllfs es den Gesetzen IlJlt'r ~~ntwicklung zuwider wäre, den Anfangspunkt einer Reihe als ein Grö{stes zu denken, uud also hier in Christo, dem Stifter des Gesammtlebens, das die Kräftigung des Gottesbewurstseins zum Zwecke hat, .fie Kräftigkeit desselben Ills sehlechthinige vorzusteHen, was doch nur das unendliche Ziel der Entfaltung des von ihm gestifteten Gesammtlebens ist. ZWllr gif'bt Ilueh SCHLEIERMACHER in gewissem Sinn eine l'erfektibilitiit d .. s Chl'istentlllllll~ zu: aber nicht über das Wesen Christi hinaus, sondern nur tiber seine EI·seheinung. D. h., die ß(.,Hngtheit und Unvollkommenheit der Verhältnisse Christi, clel' Spl'aehe, in welcher er sich ßusdl'ückte, dei' Nationalität, innerhalb del'en er stand, habe auch sein Denken und Thun aft'icil,t, aber nur die Aussenseite : der innel'e Kern desaelben sei dennoch wahrhaft nrbildlich gewesen, und wenn 111111 die Christenheit in ihrer fOl'tentwicklung in Lehre 111111 Leben immer melH' jene tf'rnp0l'ellen und JlRtioJlßlen SellJ'anken nied .. rwel'fl', in welchen Jt'SII Thlln lind Reden lieh bewegte: so sei diefs kein Hinausgehen über Christum, 5) Im 2ten Sendschreiben.

Schlufsabhandlung.

So 144.

11'1

sondern nur eine um so vollständigere Darlegung seines inneren Wesens. Allein, wie SCHMID grUndJich nachgt>wiesen hat, ein geschichtliches Individuum ist eben nur das, was von ihm erscheint, sein inneres Wesen wird in seinen Reden und Handlungen erkannt, EU seiner EigenthümJichkeit gehört die Bedingtheit durch Zeit. und Volksverhiiltnisse mit, und was hinter dieser Erscheinung als An sich Ilurükliegt, ist nicht das Wesen dieses Individllums, 80ndern die allgemeine menschliche Natur überhaupt, welche in den Einzelnen durch Individualität, Zeit und Umstäude beschränkt, 'Zur Wh'klichkeit kommt. Über die geschichtliche EI'scheinung Christi hinausgehen, heifst also nkht EU m Wesen Christi sich erheben, sondern zur Idee rlel' Menschheit überhaupt, und wenn es Christus noch sein soll, dessen Wesen sich darstellt, wenn mit Wegwerfung des Temporellen und Nationalen das Wesentlicl'8 aus seiner Lehre und seinem Leben fortgebildet wird: so könnte es nicht schwer fallen, durch ähnliche Abstt'aktion auch einen Sokrates als denjenigen darzustellen, llber wplchen in dieser Weise nicht hinausgegangen werden könne. Wie aber weder überhaupt ein Individuum, noch insbesondre ein geschichtlicher Anfangspunkt zugleich Ul'bifdHch sein kann: so will auch, Christum bestimmt als Menschen gefafst, die urbildHche Entwicklung und Beschaffenheit, welche ihm SCHL&IERMACHER zuschreibt, mit den Gesetzen des menschlichen Daseins sich nicht vel'tragen. Die U nsündlichkeit, als Unmöglichkeit des Sündigens ge~ falst, wie sie in Christo gewesen sein soll, ist eine mit der menschlichen Natur ganz unvereinbare Eigenschaft, da dem Menschen vermöge seiner von sinnJichen "de verntinftisen Antrieben bewegten Freiheit die MöglichJieit des Sündigens wesentlich ist. Und wenn Christus sogal' von allem innern Kampf, von jeder Schwankung des geistigen Lebens zwischen (J ut IIlId Böse, fa'ci gewesen sein solf: so könnte er vollends kein Mensch wie wir gewesen sein,

718

Schlufsabhandlung.

§.1(4.

da die Wechselwirkung, in welcher berm Menschen sowohl die innere Geisteskraft überhaupt mit der auf sie einwirkenden Aussenwelt, als insbesondre die höhere, I'eligiössittliche Kraft mit der sinnlichen Geistesthätigkeit steht, nothwelldig als KRmjlf zur Erscheinung kommt 6). So wenig aber auf dieser Seite der Wissenschaft, 80 wenig thut die in Rede stehende Christologie auf der andern Seite dem Glauben genug. Um VOll denjenigen Punkten abzusehen, wo sie für die kil'chHchen Bestimmungen wenigtem annehmliche 8ul'l'ogate eu bieten weHs, übel' welche sich jedoch gleichfalls IItI'eiten Helse, ob sie völJigen Ersaz gewähren 7), tritt diers am schreiendsten in der Behauptung hervor, die Thatsachen der Aufel'stehung und Himmelfahl't gehören Ilicht wesentlich "um christlichen Glauben. Während doch der Glaube an die Auferstehung Christi dei' Grundstein ist, ohne welchen die christliche Gemeinde sich nicht hätte aufbauen können, auch jezt noch dei' christliche Festcyclus, die äussel'e DarsteHung des clll'istJichen Bewul"stseins, keine tödtlichere. Verstiimmelung el'leiden könnte, als wenn aus demselben das Osterfest ausgebl'ochen wü.'rle; überhaupt im Glauben dei' Gemeinde det' gestorbene Christus nicht sein könnte, was er ist, wenn er nicht zugleich der Wiedererstandene wäre. Zeigt sich an der SCHLEIERMACHER'schen Lehre von der Pel'son und den Zuständen Chriiti besonders ihre doppelte LJnzuliinglichl;.eit, in Bezug auf Kirchenglauben und Wisschaft: so wird aus der Lehre von der Wirksamkeit Christi erhellen, da(s, um dem erstel'en nur so weit genug zu thun, als hiel' geschieht, ein solcher Widerspruch gegen die Gl'llIIrlsätze dei' leztel'en gar nicht nöthig, sondern ein leichtel'es Verfahren möglich war, Nämlich bloes auf den 6)

n

SCHllllD,

V gl.

a. a. O.

ROIBNKUNZ

a. a. 0,

s. a3S fF.

S eh! u fsa b ha nd J u n g.

S. 144.

'119

Rückschlurs von der innern Erfahrung des Christen, als der WiI'kung, auf die Person Chl'isti, al. die Urlacht>, gegründet, steht die SCHLEIERMACHER'sche Christologie Auf schwachen Füfsen, indem nicht bewiesen werden kRun, dar. jene innere Erfahrung nur dann sich erklären lasse, wenn ein solcher Christus \l'irklieh gelebt hat. SCHLEIERMACHER selbst hat den Ausweg bemerkt, dafa man ja sagen könnte, nu .. veranlafst durch Jesu relAtive VortrefiHchkeit habe die Gemeinde ein Ideal absoluter Vollkommenheit en tworfen, uud auf den historischen Christus übel'getragen, aus welchem sie nun fortwährend ihr GotttJbbcwuJstsein stih'ke und neu belebe: doch diesen Ausweg soU die Bemel'kullg abschneiden, die sündhafte Menschheit habe vel'möge des Zusammenhangs von WiJlen und Verstand gar nicht das Vel'mögen, ein fleckenloses Urbild zu erzeug"en. Allein, wie tr'etl'end bemerkt worden ist, wenn SCHLEIERMACHßR fül' die Entstehung seines wil'klichen Chl-istus ein W unocl' postulirt: so könnten ja wh' für die Entstehung des Ideals von einem Chl'istus in de.. menschlichen Seele dasselbe Recht in Anspruch nehmen ll). Indefs, es ist gal' nicht einmal wah.. , dafs die sündhafte menschliche Natul' zur "':..zeugung eines sündlosen Urbilds unfähig ist, Wil·ti untel' diesem Ideal nur die allgemeine VorsteHung vel'fitanden: so ist vielmehl' mit dem ßewufstsein dei' UnvoJJkom. menheit und Sündhaftigkeit die VorsteJJung des Vollkommenen und Sündlosen ebenso nothwendig gegeben, wie mit dem der Endlichkeit die des Unendlichen, indem beide VorsteUungen sich gegenseitig bedingen, die eine ohne die andere gal' nicht möglich ist. Ist aber die concl'ete Ausführung des Bildes mit den einzelnen Zügen gemeint: so kann lBan zugeben, dafs einem sündhaften Individuum uud Zeitalter diese Ausmalung nicht fleckenlos gelingen kann; aUein dessen ist ein solches Zeitalter, weil es selbst nicht 8)

B~lIll,

a. a. 0, S, 653.

7!O

Schlufsabhandlang.

§. 145.

darflber hinaus ist, sich nicht bewurst, und ,venn das BUd pur skizzenhaft ausgeführt ist, und der Beleuchtung Doch viel Spielraum Järst: so kann es leicht auch VOll einer späteren, 8charfsichtige.· gewOl·dellen Zeit, so lange 81e den gnten Willen der gi1 nstigsten Beleuchtung hat, noch fleckenlos betrachtet werden. Hil'mit sehen wir, was an dem Vorwurf ist, der SCHLEIERMACllIi:R'n so ungehalten machte, dars sein {;I1l'iatus kein historischer, sondern ein idealer sei: er ist ungerecht, wenn auf die Meinung SCHLEIERMACHER'S gesehen wird, denn er glaubte steif und fest, der Christus, wie er ihn conStl'uirte, habe wirklich so gelebt; aber gerecht ist er einel'seits in Bezug auf den geschichtlichen Thatbe,tand, weil ein solcher Christus immer nur in der Idee vorhanden gewesen ist, in welchem Sinn freilich dem kirchlichen System derselbe Vorwurf noch stät'ker gemacht wel·den mörste, weil sein Christus noch viel wenigei' exi. stirt haben kann; gerecht endlich riicksichtlich rlel' Consequenz dl's Systems, indem, um das zu bew il'ken, was SCHLKIERMACHEll. ihn bewirken läfst, kein anderer Christus nüthig, lind nach den SCHLEIERMACHER'schen Grundsätzen übel' das Verhältnifs Gottes zur Welt, des Übernatürli. ehen zum N8türlichen, auch kein andrer möglich ist, als ein idealer - und in diesem Sinne trifft der Vorwurf die SCHU;\ERMACIIER's('he Glnubenslehl'e specifisch, da nach den Prämissen deI' Kirchenleht'e allerdings ein historischer Chrisfus sowohl möglich als nothwendig war.

.1,

$. Die Christologie, symbolisch

145. ~ewcndet.

RAl'iT.

DI!! WETTE".

Ist hiemit deI' Versuch gescheitert, das UrbiJdIiche in Ch.·isto mit dem Geschichtlichen zusammenzuhalten: 80 scheiden sich diese heiden Elemente, das leztere fällt als natürliches Residuum zu Boden, das erllltere aber steigt 813 reines Sublimat iA den Äther der Ideenwelt empor. Ge-

Schlufsabhandlung.

§. 145.

721

schichtlich kRnn Jesus nichts Anderes gewesen sein, als eine ZWRr sehr ausgezeichnete, aber darum doch der Beschränktheit altes Endlichen unterworfene Per,sönlichkeit: vermöge dieser ausgezeichneten Persönlichkeit aber rE'gte er das religiöse Gefühl so mächtig an, dafs dieses in ihm ein Ideal der Frömmigkeit anerkannte; wie denn überhaupt eine historische Thatsache oder Person nur dadurch Grundlage einer positiven Religion werden kahn, dafs sie in die Sphäre des Idealen erhoben wird 1). Schon SPINOZ.l hatte diese Unterscheidung gemacht in der BehRuptung, den historischen Christus zu kennen, sei zur Seligkeit nicht nothwendig, wohl aber den idealen die ewige Weisheit Gottes nämlich, welche sich in aUen Dingen, im ßesondern im menschlichen Gemüth, und al.. lerdings in ausgezeichnetem Grad in Jesu Christo geoffenbart habe, und welche aHein den Menschen belehre, was wahr und falsch, gut und böse sei 2). Auch nach KANT darf es nicht zur Bedingung der Seligkeit gemacht werden, dars man glaube, es habe einmal einen Menschen gegeben, der durch seine Heiligkeit und sein Verdienst sowohl für sich als auch für alle andern genoggethan habe; denn davon sage uns die Vernunft nichts; wohl aber sei es allgemeine Menschenpflicht, zu dem Ideal der moralischen Vollkommenheit, welches in der Vernunft liege, sich zu erheben, und durch dessen Vorhaltung sich sittlich kräftigen zu lassen: nur zu diesem 1) So SCHMI.D, a. a. O. S. 267. 2) Ep. 21. ad Oldenburg. Opp. ed. GFIlÖRlm, p. 556: - dico, ad salutem non esse omnino necesse, Christum secundum carnem noscere; sed de aeterno illo filio Dei, h. e. Dei acterna sapientia, quae sese in omnibus rebus, et maxime in mente humana, et omnium maxime in Christo Jcsu manifestavit, longe aliter sentiendum. Nam nemo ahsquc hac ad statum beatitudinis potest pervenire, utpote quac 601a docet, quid ,'erum el falsum, bonum ct malum sit.

722

Schlursabhandlung.

§.145.

moralischen, nicht !tu jenem historischen Glauhen sei del" Mensch verpflichtet 3). Auf dieses Ideal sucht nun KANT die einzelnen Ziiue e der biblischen 111111 Idl'chlichen Leh ..e von Chl,isto umzudeuten. Die Menschheit odel' das ve .. nünftige WeItweseIl übel'haupt in seine.' ganzen sittlichen Vollkommenheit ist es allein, was eine Welt zum Gegenstande des göttlichen Rathschlusses und ZUlU Zweck der Schöllfung machen kann; diese Idee de .. gottwohlgefälligen Menschheit ist in Gott von Ewigkeit h, .. , sie geht von seinem Wesen aus, und ist insoferR kein erschaffenes Ding, sondern sein eingebornel' Sohn, das Wort, durch, welches, d. h. um dessen willen, AUes gemacht ist, in welchem Gott die Welt geliebt hat. Sofern "'on dieser Idee der moralischen VoUkommenheit deI' l\Iensch nicht selbst der Urheber ist, sondern sie in ihm Plaz genommen hat, ohne dars man begriffe, wie seine Natur (Ül" sie habe empfänglich sein I.. önnen: so lärst sich sagen, dars jenes U.. bild vom Himmel zu uns herabgekommen sei, dars es die Menschheit angenommen habe, und diese Vereinigung mit uns kann als ein Stand der E.'niedl'igung des Sohnes Gottes angesehen werden. Dieses Ideal deI' OIOl'aBschen VolJlwmmenheit, wie sie in einem VOll Bedürfnissen und Neigungen abhängigen Weltwesen möglich ist, können wir UIIS nicht anders vorsteHen, als in Form eines l\lenschen, und zwar, weil wir uns von der Stärke einer KI'aft, und so auch der sittlichen Gesinnung, keinen Begriff machen können, als wellll wii' sie mit Hindernissen ringend, und unter den gröfsten Anfechtungen dennoch überwindend uns vorstellen, eines solchen Menschen, der nicht aHein aHe l\lenschenpflicht selbst auszuüben, und du ..ch Lehre und Beispiel das Gute in gröl'stmöglichem Umfang um sich her 3) Religion innerhalb der Grenzen der blassen Vernunft, drittes Stück, He Abthl. VU,

Schlufsabhandlnng. §.145.

7'23

auszubreiten, sondern auch, obgleich durch die stärksten Anlockungen versucht, dennoch alle Leiden bis zum schmählichsten Tode um des Welt besten willen zn übernehmen bereitwillig wäre. Diese Idee hat ihre Realität in praktischer Beziehung vollständig in sich selbst, und es bedarf keines BeL spiels in der Erfahrung, um dieselbe zum verbindenden Vorbild für uns zu machen, da sie als solches schon in unserer Vernunft liegt. Auch bleibt dieses Urbild wesent. lieh nur in der Vernunft, weil ihm kein Beispiel in der äusseren Erfahrung adäquat sein kann, als welche das Innere der Gesinnung nicht aufdeclit, sondern darauf nur mit schwankender Gewilsheit schlielsen läfst. Da jedoch diesem Urbilde alle Menschen gemiirs seiJ1 sollten, und folglich es auch können müssen: so bleibt immer möglich, dals in der Erfahrung ein Mensch vorkomme, der durch Lehre, Lebenswandel und Leiden das Beispiel eines gottwohlgefälligen Menschen gebe; doch auch in dieser Er. scheinung des Gottmenschen wäre nicht eigentlich das, was von ihm in die Sinne fällt, odel' durch Erfahrung erkannt werden kann, Objekt des seJigmachenden Glaubens, sondern das in unsrer Vernunft liegeDlte Urbild, welches wir jener Erscheinung unterlegten, weil wir sie demselben gemiifs fänden, aber freilich immer nur in so· weit, als diefs in äusserer Erfahrung erkannt werden kann. Weil wir alle, obwohl natürlich erzeugte Menschen, uns verbunden und daher im Stande fühlen, selbst solche Bei· spiele abzugeben: so haben wir keine Ullsache, in jenem musterhaften Menschen einen übernatürlich erzeugten zu erblicl,ell; ebensowenig hat er zu seiner Beglaubigung Wunder nöthig, sondern neben dem moralischen Glauben an die Idee ist nur noch die historische Wahrnehmung erforderlich, dars sein Lebenswandel ihr gemäfs sei, um ihn als Beispiel derselben zu beglaubigen. Derjenige nun, weIchet' sich einer solchen morali-

724

Sc h 1u f s a b h an d 1 u n g.

§. 145.

sellen Gesinnung bewnt:'lt ist, da(s er gegriindetes Verh'auen auf sich setzen kann, er würde unter ähnJichen Versuchungen und Leiden, wie sie an dem Urbilde der Menschheit als Probierstein seiner moralischen Gesinnung vorgestel1t werden, diesem unwandelbar anhängig und in treuer Nachfolge ähnlich bleiben, ein solcher Mensch allein ist befugt, sich Hir einen Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens zu halten. Um zu solcher Gesinnung sich zu erheben, murs der Mensch vom Bösen ausgehen, den alten Menschen ausziehen, sein Fleisch kreuzigen; eine Umänderung, welche wesentlich mit einer Reihe von Schmerzen und Leiden verbunden ist. Diese hat der alte Mensch als Strnfen verdient: sie treffen aber den neuen, indem der Wiedergeborene, der sie auf sich nimmt, nur noch physisch, seinem empirischen Charakter nach, als Sinnenwesen, der alte bleibt, moralisch aber, als intelligibJes Wesen, in seiner veränderten Gesinnung, ein neuer Mensch geworden ist. Sofern er nun in der Sinnesänderung die Gesinnung des Sohnes Gottes in sich aufgenommen hat, so I,ann, was eigentlich ein Stell vertreten des alten Menschen für den neuen ist, als Stellvertretung des Sohnes Gottes, wenn man die Idee personincirt, vorgesteUt und gesagt werden, diesel' selbst trage für den Menschen, fUr alle, die Rn ihn praktisch glauben, als Stellvertreter die Sündenschuld , time durch Leiden und Tod der höchsten Gerechtigkeit als Erlöser genug, und mache als Sachverwalter, dars sie hoffen können, vor dem Richter als gerechtfertigt zu el'scheinen, indem das Leiden, weIches der neue Mensch, indem er dem alten abstirbt, im Leben forhviil1l."end übernehmen murs, an dem Repräsentanten der Menschheit als ein für aUemal erlittener Tod vOl'gesteUt wird 4).

4} a. a. O. 2tes Stück, Her Abschn. 5tes Stiick, He AMbIg.

Schlufsabhandlung.

§.145.

'725

Auch KANT, wie SCHLEIERMACHER, dessen Christologie iiberllaupt in manchen Beziehungen an die KANTische erinnert 5), kommt in der AneignuJlg der kirchlichen Christologie nur bis zum Tod Christi: von seiner Auferstehung und Himmelfahrt aber sagt er, sie können zur Religion innerhalb der Grenzen der blorsen Vernunft nicht benüzt wel·den, weil sie auf Materialität aHer Weltvresen führen würden. Wie er inders nuf der nndern Seite diese Thatsllchen doch wiedet' als Symbole von Vernunftideen , als Bilder des Eingangs in den Siz tIer Seligkeit, d. h. in die Hemeinschnft mit nllen Guten, gelten Hifst: so hat noch bestimmter TIEFTRUNK erklärt, oll/lt! die Auferstehung würde die Geschichte Jesu sich in ein widr'iges Ende verJie)'cn, das Auge sich mit Wehmuth und WiderwiUen von einer Begebenheit abwenden, in welcher das Muster der :l\tenschheit als Opfer unheiligel' W uth fiele, und die Scene sich mit seinem ebenso unschuldigen, als schmerzlichen Tod beschlöfse; es müsse der Ausgang dieser Geschichte mit der .ErfüHung der Erwartung gekrönt sein, zu welcher sich die moralische Betrachtung eines jeden uß\viderstehlich hingezogen fühle: mit dem Übergang in eine vel'geltende Unsterblichl,eit 6). Auf ähnliche Weise schrieb DE WETTE, wie jeder (Jeschichte , und insbesondere der Religionsgeschichte, so 81/ch der evangelischen, einen symbolischen, idealen Chal'akte .. zu, vermöge dessen sie Ausdruck und Abbild des nlenschlichen Geistes und seiner Thätigkeiten sei. Die Geschichte von der wunderbaren Erzeugung Jesu stelle den göttlichen Ursprung der Religion dar; die Erzählungen von seinen W underthaten die selbstständige Kraft des l\fenschengeistes und die erhabene Lehre des geistigen Selbstvertrauens; seine Auferstehung sei das Bild des 5) 'Vie diess RWR nachweist, christI. Gnosis, S. 660 ff. 6) Ccnsllr des christl, lll'otestantischen Lchl'hegriffs, 5, S, iSO.

'726

Schlufsabhandlung.

§.145.

Siegs der Wahrheit, das Vorzeichen des künftig zu vollendenden Triumphs des Guten iiher das Böse; seine Himmelfahrt das Symbol der ewigen Herrlichkeit der Religion. Die religiösen Hrundideen, welche Jesus in seiner Lehre ausgesprochen, drücken sich ebenso klar in seiner Geschichte aos. Sie ist Ausdrock det· Begeisterung, in dem mutilVollen Wirl,en J esu und der siegreichen Gewillt seiner Erscheinung; der Resignation, in seinem Kampf mit der Bosheit der Menschen, der Wehmnth seiner wllrnenden Reden, und "01' Allem in seinem Tode; Christus am Kreuz ist das Bild der durch Aufopferung geläuterten Menschheit: wir sollen uns alle mit ihm kreuzigen, um mit ihm EU neuem Leben aufzustehen. Endlich die Idee der Andacht ist der Grundton der Geschichte Jesu, indem jeder Moment seines Lebens dem Gedanken an seinen himmlischen Vater gewidmet ist 7). Besonrlers klar hatte schon früher HORST diese symbolische Ansicht von der Geschichte Jesu ausgesprochen. Ob Alles, was von Christo erzählt wird, sagt er, genau so als Geschichte vorgefallen ist, das kann uns jezt ziemlich gleichgültig sein, auch können wir es nicht mehr ausmitteln. Ja, wenn wir es nns gestehen woHen, so ist dem gebildeten 'fhell der Zeitgenossen dasjenige, was den altgläubigen Christen heilige Geschichte war, nur noch Fabel: die Erziihlungen von Christi übernatiirlicher Geburt, von seinen Wundern, seiner Auferstehung und Himmelfahrt, müssen, Als den Gesetzen unsres Erkenntnifsvermögens widersprechend, verwol·fen werden. Aber man fasse sie nur nicht mehr blueil verständig, Als Geschichte, sondern mit Gefuhl und Phantasie, fils Dichtung, auf: so wird mlln finden, dafs nichts in diesen Erzählungen willkührlieh gemacht ist, &ondern Alles seine Anknüpfungspunkte 7) Religion und Theologie, 2ter Abschnitt, Rap. 3. Vgl. bibi. Dogmatik, §. 255; kirchliche, §. 64 ff.

Schhfsabhandlung.

§.145.

727

in dem Tiefsten und Gottverwandten des menscblichen Gemlithes hat. Von diesem StalHtpunkt !lUS heh'Rchtet, läfst sich an die Geschichte Chl'illti Alles anknüpfen, was für das religiöse Vertrauen wichtig, fÜI' den reinen Sinn belebend, für das zarte Gefühl anziebend ist. Es ist jene {Teschichte eine heilig scbüne Dichtung fies alJgemeinen ~Iellschengeschlechts, in der sich aUe Bedürfnisse unseres religiösen Triebs vereinigen, und diefs ist eben die höchste ~hre und det' Istärl.ste Beweis fUr die allgemeine GUltig keit des Chl'istenthums. Die Geschichte des Evangeliums ist im Grunde die Geschichte det' ideRlisch gedachten allgemeinen l\lenst;henr.atur, und zeigt uns in dem l.eben des ~jnzigen, was der Mensch sein soll, und mit ihm verbunden durch Befolgung seiner Lehre nnd seines Beispiels ",·irklich werden )wnn. Dabei wird nicht geleugnet, dafs dem Paulus, Johannes, Matthäus und Lukas das Thatsache und gewisse Geschichte war, was uns jezt nur noch als heilige Dichtung erscheinen kRnn. Aber eil war ihnen auf ihrem Stllndpunla aus eben dem inneren Grunde heilige Thatsache und Geschis Unendliche ausseI' und über dem Endlichen verharrt, SOIldern in dasselbe eingeht, die Endlichkeit, die Natul' ulld den menschlichen Geist, nur als seine Entäusserung sezt, aus der er ebenso ewig wiedel' in die Einheit mit sich 1) Vorlesungen über die Methode des academischen Studium, S.192. 2) HEGEL'S PIJänomenologie des Geistes, S. 561 ff'.; desselben Vorlesungen iiber die Philos. der Relig. 2, S. 254 ff. MARIIEl~ NERE, Grundlehren der christl. Dogmatik, S. 174 ff. ROSENKRANZ, Encyklopädie der theul. Wissenschaften, S. 3Bff.148 fl'.

730

S«lhlufsabhandJung.

§.146.

selbst Eurflckkehrt. So wenig der Mensch als Wofs endlicher und an seiner Endlichkeit festhaltender Geist Wahrheit hat: so wenig hat Gott als blofs unendlicher, in seiner Unendlichkeit sich abschliefsender Geist Wirklichkeit; sondern wirklicher Geist ist der unendliche nor, wenn er zu endlichen Geistern sich el'schliefst: wie deI' endliche Heist nol' dann wahrer ist, wenn er in den unendlichen sich vertieft. Das wahre und wirkliche Dasein des Geistes also ist weder Gott für sich, noch der l\fellsch für sich, sondern der Gottmensch; weder allein seine Unendlichkeit, noch allein seine EndJichl.eit, sondern die Ue· wegung des Sichhingebens und Zurileknehmens zwischen beiden , welche von göttlicher Seite Offenbarung, von menschlicher Religion ist. Sind Gott und Mensch an sich Einl1, und ist die Religion die menschliche Seite, das werdende ßewufstsein dieser Einheit: so mufs diese in der Religion auch für den Mcnschen werden, in ihm zum Bewufstsein und zur Wirklichkeit kommen. Freilich, so lange der Mensch sich selbst noch nicht als Geist weifs, kann er auch Gott noch nicht 81i Menschen wissen; ist er noch natürlil~her Geist, so wird elf die NRtur vergöttern; als gesezlicher Gcist, der seine Nlltürlichkeit nur erst auf äusserliche Weise bemeistert, wird er Gott als Gese~geber sich gegenüberstellen; aber sind nur einmal im Gedränge der Weltgeschichte beide, jene Natlirlichkeit ihres Verderbens, diese GesezJichkeit ihres Ungllicks, lnne geworden: so wird sowohl jene das Bedfirfnifs empfinden, einen Gott zu haben, der sie tibet' sich erbebe, als diese einen, der sich zu ihr herunterfasse. Ist die Menscllheit einmal reif dazu, die Wahrheit, dafll Gott Mensch, der Mensch göttlichen Geschlechtes ist I als Ihre Religton JEU haben: so mufs, da die Religion die Form ist, 11. welcher die WAhrheit fiir das gemeine Beworstsetn wird, jene \Vahrheit Auf eine gemeinverständliche Weile, all sinnliche Gew ifsheit, erscheinen,

Schlufsabhandlnng.

§.146.

'731

d. h. es mur... ein menschliches Individuum llUftreten, weIches als der gegenwärtige Gott gewufst wird. Sofern dieser Gottmensch das jenseitige göttliche Wesen und das diesseitige menschliclle Selbst in Eins zusammenschliefst, kann von ihm gesagt werden, dafs er den göttlichen Geist zum Vater, und eine menscbliche Mutter habe; sofern sein Selbst sich nicht in sich, sondern in die absolute Substanz reflektirt, nichts für sich, sondern nur für Gott sein will, ist t'r der Siinrllose und Vollkommene; als Mensch von göttlichem Wesen ist er die Macht über die Natur und W underthäter; aber als Gott in menschlicher Erscheinnng ist er von der Nfttur abhiingig, ihren Bedürfnissen und Leiden unterworfen, befindet sich im Stand der Ernied"igung. Wird er deI" Natur auch den Jezten Tribut hezfthlen müssen? Hebt die Thfttsl\cbe, da{s die menschliche Natur dem Tod verfällt, nicht die l\feinung wieder auf, dars sie an sich Eins mit der göttlichen sei? Nein: der Gottmensch stirbt, und zeigt dadurch, dars es Gott mit seiner Menschwel'dung Ernst ist; dars er zu den untersten Tiefen der Endlichkeit hera bzusteigen nicht verschmäht, weil er auch aus diesen den Rückweg zu sieD zu finden weifs, auch in der völligsten Entiillsserun~ mit sich identisch zu bleiben vel'mag. Näher, sofel'" der Gottmensch als der in seine Unendlichkeit reflektirte Geist den Menschen als an ihrer Endlichkeit festhaltenden gegenübersteht: ist hiemit ein Gegensaz und Kampf gpllezt, und der Tod des Gottmenschen als gewaltsamer, durch der Sünder Hände, bestimmt, wodurch zu der physischen Noth noch die moralische der Schmach und Beschuldigung des Verbrechens kommt. Findet 80 Gott den W ('g vom Himmel bis zum Grabe: so mufs fliI" den Menschen auch aus dem Grabe der Weg zum Himmel zn finden sein; das Sterben des Lebensfürsten ist das Leben des Sterbliehen. Schon durch sein Eingehen in die Welt als Gottmensch zeigte sich Gott mit der Welt versöhnt: näher

732

8chlufsabhandlung.

§. 147.

aber, indem er sterbend seine Natürlichkeit abstreifte, zeigte er -den Weg, wie er die Versähnung ewig zu Stande bringt, nämlich durch Entäusserung zur Natürlichkeit und Wiederaufhebung derselben ident.isch mit sich zu bleiben. Insofern der Tod des Gottmenschen lIur Aufhebung seiner Entiiusserung und Niedl'igkeit ist, ist er in der That Erhöhung lind Riickl.ehr zu Gott, und so folgt auf den Tod wesentlich die Auferstehung und HimmeHahrt. Indem der Gottmensch, welcher während seines Lebens den mit ihm Lebenden sinnlich als ein Andl'cl' gegenüberstand, dUI'ch den Tod ilwen Sinnen entnommen wird, geht er in ihre Vorstellung und Erinnerung ein, wird somit die in ihm gesezte Einheit des Göttlichen und lUenschlichen allgemeines llewuL'stsein, und die Gemeinde mufs die Momente seines Lebens, welche el' äusserlich durchlief, in sich auf geistige Weise wiedel'holen. Im Natül'!ichen sich schon vorfindend, mufs der G1aubige, wie Christus, dem Natürlichen - aber nur innerlich, wie er äusserlichstel'ben, geistig, wie Christus leiblich, sich kreuzigen und begraben lassen, um durch Aufhebung der Natürlichkeit mit sich als Geist identisch zu sein, und Rn Christi Seligkeit und Hel'rlichkeit Antheil zu bekommen. §.

147.

Leztes Dilemma.

Hiemit scheint auf höhere Weise, aus dem Begriff Gottes und des Menschen in ihrem gegenseitigen Vel'ilältniCs heraus, die Wahl'heit der kirchlichen Vorstellung von Christus bestätigt, und so zum orthodoxen Standpunkt, wiewohl auf umgekehrtem Wege, zuriickgelenkt zu sein; wie nämlich dOI'f' aus der Richtigkeit der evangelischen Geschichte die W Ilhrheit dei' kirchlichen Begriffe von Christo deducirt wurde: so hiel' aus der Wahl'lu'it dei' Begriffe die Richtigkeit dei' Historie. J)as Verniiuftige ist auch wirWich, die Idee nicht ein KANTiscbes SoU eil MoLs, SOI1-

SchIufsabhandlung.

§.147.

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dern ebenso ein Sein; Als Vernunftirlee nachgewiesen also muls die Idee der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur auch ein geschichtliches Dasein haben. Die Einheit Gottes mit dem Menschen, sagt dAher MARHEINEKE I), ist in der Pp,rson Jesu Christi ofl'enbar und wirkHch als ein (.eschehensein; in ihm war, nach ROSENKRANZ:), die göttliche Macht übel' die Natur concentrirt, er konnte nicht anders wirken, als wunderbar, und dns W unflel·thun, was uns befremdet, war ihm natül'lich; seine Auferstehung, sagt CONRADl 3), ist die nothwendige Folge der VoUendung seiner Persönlichkeit, und darf so v"ellig befremden, da!s es vielmehr befremden mülste, wenn sie nicht erfolgt wiire. AUein sind denn durch diese Deduktion die Wider8 prüche gelöst, welche IIn der kirchlichen Lehre von der Person und Wirksamkeit Christi sich herausgesteHt haben? Man darf nur mit dem Tadel, welchen gegen die SCHLEJERMACHER'sche Kritik der kirchlichen Christologie ROSENKRANZ in seiner Recension ausgesprochen hat, dasjenige vergleichen, was der leztere in seiner Encyklopädie an die Stelle sezt: so wird man finden, dars durch die allgemeinen Sätze von Einheit der göttlichen und menschlichen Natur die Erscheinung einer Person, in welchei' diese Einheit auf ausschliefsende Weise individuell vorhanden gewesen wäre, nicht im Mindesten denl{bal'er wird. Wenn ich mir denken kann, dars der göttliche Geist in seiner Entäusserung und El'lIiedl'igung der menschliche, und der menschliche in seiner Einl{ehr in sich und Erhebung fiber sich der göttliche ist: so kann ich mir de{swegen noch nicht vorsteHen, wie göttliche und menschliche Natur die verschiedenen und doch verbundenen ßestandtheile einer geschichtlichen Person ausgemacht haben können; wenn ich den 1) Dogmatik, §. 326. 2) Encyklopädie, S. 160. 3) Selbstbewusstsein und Offenbarung, S. 295 f.

SchluCsabhandlung, §,147. Geist der Menschheit in seiner Einheit mit dem göttlichen im Vel'lauf dei' Weltgeschichte immer vollstlindiger als die Macht über die .Natur sich bethätigen sehe: so ist diefs etwas ganz Anderes, als einen einzelnen Menschen für einzelne willkiilll'liche Handlungen mit solcher Macht ausgerüstet zu denken; vollends aus dei' Walll'heit, dais die aufgehobene Natü ...lichkeit das Aufer'stehen des Geistes sei, wird die leibliche Auferstehung eines Individuums niemals folgen. Hiemit wären wir also wieder auf den KANTischen Standpunkt zurückgesunken, den wir selbst ungenügend befunden haben; denn wellll dei' Idee keine Wirklichkeit zukommt, so ist sie leeres Sollen und Idelll. Aber heben wir denn alle Wi ... klichkeit der Idee auf? Keineswegs, sondel'n nur diejenige, nE'lche aus den P"iimisst'ß nicht folgt. Wenn de ... Idee der Einheit von göttlichel' und menschliClher Natur Realität zugeschrieben nlrd, heHst die[s S\Iviel, dllCs sie einmlll in eint'm Individuum, wie vorher und hernach nicht mehr, wirklich geworden sein miisse? Das ist ja gar nicht die Art, wie die Idee sich realisil-t, in Ein Exemplar ihre ganze Fülle auszuschütten, und gegen alle andern ZII geizen, sondt'rn in ein!'r ManchfaJtigkeit von Exemplaren, die sich gegenseitig ergänzen, im Wechsel sich setzender und wiederaufhebender Individuen, liebt sie ihren Reichthum auszubreiten. Und (1,,8 soll k(,ille wII11I'e Wirldichkeit der Idee sein? die Idee der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur wäre nicht vielmehr in unendlich höherem Sinn eine reßle, wenn ich die gßnze Menschheit als ihre Verwirklichung begreife, als wenn ich einen ein:llelnen ~Ienschen ßls solche aussondere ~ Eine Menschwerdung Gottes von Ewigli.eit nicht eine wahrere, als eine in einem abgeschlossenen Punkt der Zeit ~ Das ist deI' Schlüssel der ganzen Christologie, dars als Subjekt der Prädikate, welche die Kirche Christo beilegt, statt eines Individuums eine Idee, aber eine reale, nicht K."NTisch unwirkliche, gesezt wird. In einem Individuum,

SchluCsabhandlnng. $.147.

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einem Gottmenschen, gedacht, widersprechen sich die EIgenschftften und Funktionen, welche die KirchenIeh ... Christo zuschreibt: in der Idee der Gattung stimmen .le zusammt>n. Die Menschheit ist die Vereinigong der beiden Naturen, der rnenschgewordene Gott, der zur Endlichkeit entäusserte unendliche, und der seiner Unendlichkeit sich erinnernde endliche Geist; sie ist das Kind der sichtbaren Mutter und des unsichtbaren Vate1'8: des (-~ei­ stes und der Natur; sie ist der W underthlHer: sofel'n im Verlauf der Menscbengeschichte der Geist sich immer l'01lstiindiger dei' Natur bemächtigt, diese ihm gegenüber zum machtJosen Material seiner Thlitigkeit herllnte-rgesezt wh'd; sie ist dei' UnsündJiche: sofern der Gang ihrer Enh"icklung ein tadt>Uoser ist, die Verunreinigung immt>l' nur a.. Individuum klebt, in der Gattung aber und ihrer Geschichte aufgehoben ist; sie ist der Sterbende, Auferstehende und gen Himmel Fahrende: sofern ihr aus der Negation ihrer NatürJichl{eit immer höheres geistigu Leben, aus der Aufhebung ihrer Endlichkeit als persönlichen, nationRlen und weltlichen Geistes ihre Einigkeit mit dem unendlichen Geiste des Himmels hervorgeht. J)urch den Glauben an diesen Christus, namentlich an seinen Tod und seine Auferstehung, wh-d der Mensch vor Gott gerecht: d. h. durch die Belebung der Idee der Menschheit in sich, namentJich nach dem Momente, dafs die NegRtion der Natürlichkeit, weIche selbst schon Npgation des Geistes ist, also die Negation der Negation, der einzige W"eg zum wahren geistigen Leben für den Menschen sei, wird auch der einzeln~ des gottmenschlichen Lebens der Gattung theilhaftig. J)iefs allein ist der absolute Inhalt der Christologie: dafs del"selbe an die Person und Geschichte eines Einzelnen geknüpft erscheint, hat nur den subJekti'ven Grund, dafs dieses Individuum durch seine Persönlichl,eit und seine Schicksale Ant.Cs wurde, jenen Inhalt in das allgemeine Bewufstsein zu erheben, und dafs die Geiatesstufe der al-

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SchlufsabhandIung.

§.147.

ten Welt, lind deR Volks zn jeder Zeit, "ie Idee d.-r Menschheit Jlur in deI' concreten Figur eines Individuums anzuschlluen vermag. In einer Zeit der tiefsten Zerrissenheit, der höchsten leiblichen und geistigen N oth, versinltt ein reines, als güttJicher Gesandtel' verehrtes Individuum in Leiden und Tod, und bildet sich in Kurzem der Glaube an seine Wiederbelebung: da mufste jedem das tua res agitur einfaUen, und Christus als derjenige erscheinen, welcher, wie Clemens von Alexandrien in etwas ,,"derem Sinne sagt, 7:0 or,JiipCt rijs aV.&Qw7to7:7]7:0S v7texQlve7:o. War ia seinem Leiden oie liussere Noth, welche die Menschheit bedrückte, concentril't, und die innere abgebildet: so lag in seiner Wiederbelebung der Trost, dals in solchem Leiden der Geist sich nicht verliere, sondern erhalte, durch die Negation d .. r Natürlichkeit sich nicht verneine, sondern in höherer Weise affirmh·e. Hatte Gott seinen Propheten , ja seinen Liebling und Sohn, in solches Elend d,,hingegeben um der Sünde dei' Menschen wiHen: so wal' auch diese iiusserste Grenze der Endlichkeit Ills Moment im göttlichen Leben erkannt, und lernte der von Noth und Sünde darniedergedrücltte Mensch sich in die göttliche Freiheit aufgenommen fühlen. - Wie der Gott des Plato auf die Ideen hinschauend die Welt bildete: so hat der Gemeinde, indem sie, ver:mlafst dUl'l'h flie PI'I'son und Schicksale Jesu, das Bild illl'es Christus entwarf, unbewurst die Idee dei' Menschheit in ihrem Verhältnifs zur Gottheit vorgeschwebt. Die \Viuenschaft unsrer Zeit aber kann das Bewurstsein nicht IUnger mehr unterdrücl{en, dflfs die Beziehung auf ein Individuum nur zur zeit- und volksmäfsigen Form dieser Lehre gehüI,t. SCHLEIERMACHER hat ganz recht gehabt, wenn er sAgte, es ahne ihm, dafs bei der speculativen Ansicht für die geschichtliche Person des "~rlösers nicht viel mehr als bei der ebionitischen übrig bleibe 4). 4) Zweites Sendsehr.

Schlufsabhandlung.

§. 147.

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Die sinnliche Geschichte des Individuums, sagt REGEL, 1st nur der Ausgangspunkt für den Geist. Indem der Glaube von der sinnlichen Weise anfängt, hat er eine zeitliche Gelichichte vor sich; was er für wahr hält, ist lussere, gewöhnliche Begebenheit, und die Beglaubigung ist did hi,torische, juristische Weise, ein Faktum durch sinnliche Gewi{tiheit und moralische Zuverläfsigkeit der Zeugen zu beglaubigen. Indem nun aber der Geist von diesem Änsseren Veranlassung nimmt, die Idee der mit Gott einigen l\'1ellschheit sich zum ßewufstsein zu brilIgen , und nUll in jener Geschichte die Bewegung dieser Idee anschaut: hat sich der Gegenstand vollkommen verwandelt, ist aus einem sinnlich empirischen zu einem geistigen und göttlichen gewOl'den, der nicht mehr in der Geschichte, sondern in der Philosophie seine Beglaubigung hat. Durch diese» Hinausgehen über die sinllliche Geschichte zur absoluten, wird jene als das Wesentliche aufgehoben, zum Untergeordneten hel'abgesezt, übel' welchem die geistige \Vahrheit auf eigenem Boden steht, zum fernen Traumbild, das nur noch in der Vergangenheit, und nicht wie die Idee iu dem sieb. schlechthin gegenwilrtigen Geiste vorhanden ist !i~. Schon LUTHER hat die leiblichen W uuder gegen die geistlichen, als die rechten hohen Mirakel, herabgesezt: und wir sollten uns für einige KrankenheiIungen in GaJiläa auf höhere Weise interessiren können, ab für die Wunder der Weltgeschichte, für die in'8 Unglaubliche steigende Gewalt des Menschen über die Natur, für die unwiderstehliche M acht der Idee, welcher 1Ioch so grt>[se Massen des Ideenlusen keinen Widerstand entgegenzusetzen verIllogen? uns sollten vereinzelte, ihrer Materie nach unbedeutende Begebnisse mehl' sein, als das universellste G eschehen, einzig defswegen, weil wir bei diesem die Natürlichkeit des Hergangs, wenn !licht begreifen, doch vor5) Bel. Phil. -2, S. 263 fl'.

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Schlufsabhandlung.

§.147.

ausseh:t'n, bei Jenen aber rtns Gegenthl'i1? Das wäre dem besseren ßewufstst'in unSl'rer Zl'it in's Angesicht widersprochen, wl'lches SCHLEIERMACHER richtig und abschlierst'nd so ausgedrückt hat: aus dem Intl'resse dl'r FrölQmigkeit könne nie mehl' das ßedürfnHs entstehen, eine Thatsacbe so aufzufassen, dl!fs durch ihre Abhängigkeit von Gott ihr Bedingtseill durch oen Nnturzusnmmenhang aufgehoben würde, da wir iiber die MeinUJ'g hinausseien , als oh die göttliche Allmacht sich gri.ifser ztigte in der Unterbrerhung des Natul'zus:unmenhangs, als in dem geo,'dneten Verlauf desselben 4). Ebenso, wenn wir das Menselnverden, Sterben lind Wiederauferstehen, das: duplex negatio affirmat, nls den ewigen Kreislauf, den endlos sich wiedl'rholenden Pulsschlag des göttlichen Lebens wissen: was I.ann an einem einzellIeIl Faktum, welches diesen Pl'ocefs dazq blors sinnlich darstellt, noch besonoers gelegen sein? Zur Idee im Faktum, ~ur Gattung im Individuum, wiH unsre Zeit in der Christologie geführt seilI: eine DogDlati1., welche im Locus von Christo bei ihm als Individuum stellen bleibt, ist keine Dogmatik, sondern eine Predigt. Aber eben die .Predigt, wie diese sich I'IsUln zur Dogmatik verhalten soHe, und wie iiberhaupt noch eine c1I1'istliche Predigt möglil~h sei, wen 11 die Dogmatik jene Gestalt angenommen, ist die bedenkliche Frage, die sich uns hier schliefsJich noch entgegensteHt. SCHLEIERl\!ACHEIl hat gesagt, wenn er sie-h die immer mehr heralllwhellde Krisis in deI' Theologie denke, und steHe sich vor, er müfste dann zwischen einem von beiden wähleil , entweder die christliche Vl'geschichte wie jede gemeine Geschichte dei' Kritik preifszugeben, oder seinen Glauben von der Specutation ZII Lehen zu nehmen: so wÜl'de er fur sich allein zwar das Leztere wählen; betrachte el' sich abel' in der Gemeinde, und fOl·züglich als Lehrer derselben: so werde 6) Glaubeftslehre, 1, §, 47,

Schlnfsabhandlung.

§. J.i7.

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er von dieser Seite fort und auf die entgegengesezte hinübergezogen. Denn der Begriff der I,it'e f..lottes und des Menschen, auf welchem nach der speclIlativen Ansicht die \\T ahrheit des christlichen Glaubens beruht, sei freilieh ein I,östliches Kleinod, aber nur \Venige küllnen es besit~eJl, und ein solcher Pl'iviJegirter woHe t'r nicht sein in der Gemeinde, dafs er unter Tausenden den Hrund des Glaubens allein hätte. Hier könne ihm nur wohl sein in der viilligen Weichheit, in dem ßewufstsein, da18 wir alle auf dieselbe Weise von dem Einen nehmen und dasselbe Rn ihm haben. Und als W ortfiihrer und Lehl'er in der Gemeinde könnte er sich doch unmöglich die Aufgabe stellen, Alt und Jung ohne Unterschied den ßegriff der Idee Gottes und des 1\1enschen beizubringen: vielmehr müfste er ihren Glauben Rls einen grundlosen in Anspruch nehmen, und könnte ihn auch nur als einen solchen stärken und befestigen wollen. Indem so in der gemei/lslunen Angelegenheit der Religion eine uJlfibt'rsteiglit'he Klnftbefestigt werde, bedrohe uns die speculative Theologie mit einem Gegensaz von esoterischer und exott'rischer Lehre, welcher den Äusserullgen Christi, es sollen AUe von Gott gelehrt sein, gar nicht gemäfs sei: die Wissenden haben allein den Grund des Glaubens, die Nichtwissenden hilben nur den Glauben, und erhalten ihn nur auf dem Weg der Überlieferung. Lasse hingegen die ebionitische Ansicht nur wenig von Christo übrig, so sei diefs Wenige doch Allen gleich zugänglich und erreichbar, und wir bleiben dAbei bewahrt vor jeder immer doch in's Römische hinüberspielenden Hierarchie der Speculation 7). Hier ist Ruf gebildete Weise dasjenige ausgesprochen, was mlln jezt von Vielen, nur in ihrer Art ungebildet, zu hören bekommt, dafs der speculative und zugleich kritische Theolog der Gemeinde gegenüber zum Liigner wel·de. Der 7) Im zweiten Sendschreiben.

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Schlufsabhandlung.

§.147.

wirkliche Thatb~"tand ist biebei flieser. Die Gemeinde bezieht die kirchliche Christologie auf ein zu gewisser Zeit geschichtlich dagewesenes Individuum: der speculative Theolog auf eine Idet', die nur in deI' Gesammtheit der Individuen zum Dasein gelangt; der Gemeinde gelten die evangelischen Erzählungen al" Geschichte: dem kritischen Theologen guten Theils nur als Mythe. SoU er sich nun der Gemeinde mittheilen, so ste·hen ihm vier Wege offen; El'stiich deI' schon in den obigen Ausserungen SCHLEIERl\fACHER'S abgeschnittene Versuch, die Gemeinde auf 5eiJlen Stllndpunkt zu erheben, das Geschichtliche auch fUr sie in Ideen aufzulösen - ein Versuch, der nothwendig ft'hlschlagen mufs, weH der Gemeillde aUe Prämissen fehlen, durch welche in dem Theologen seine sJleculative Ansicht vermittelt worden ist, den ebendeIswegen nur ein {allatisch geworden er Aufkliirnngstrieb machen könnte. Dei' zweite, cntgegengesezte Ausweg wäre, sich durchaus IIuf den StandllUnkt der Gemeinde zu versetzen, und für die kirchliche MittheiJung sich aus der Sphäre des ßegriffs ganz in die Region der volksthiirnlichen Vorstellung hel·abzulassen. J)ieser Ausweg wird gewöhnlich zu roh gefafst und beurtheilt. Die Differenz zwischen dem Theologen und der Gemeillde wird fUr eine totale angesehen: el' müfste, meint man, auf die ""rage, ob er an die Geschichte Christi ghuJbe, eigentlich nein slIgen, sage aber ja, und diels sei eine Lüge. Allerdings, WCIIJI hei'm geist-: lichen Vortrag und Unterricht das IlItel'esse ein geschichtliches wäl'e, vel'hielte es sich so: nun aber ist das Intel'esse ein r-eli.giösea, es ist wesentlich Religion, was hier mitgetheilt Wjl-d, erscheinend in form von Geschichte, und da kann, wer Ewar an die Geschichte als solche nieht glaubt, doch das Religiöse in ihr ebensogut anerKennen, wie wer nuch die Geschichte als solche annimmt; es ist nur ein Untel'schied der .FOI'lU, von welchem der Inhalt unberührt bleibt. Defswegen ist es ungebildet, es schlecht-

Scblursabhandlung.

§.147.

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weg Lüge zu nennen, wenn ein Geistlicher z. B. von der Auferstehung Christi predigt, indelll er diese "war als einzelnes sinnliches Factum nicht fÖI' wirklich, nber doch die Anschauung des geistigen Lebensprocesses, welche dal'in liegt, för wahl' hält, Näher jedoch ist diese Identität des Inhalts nUI' fiir delljenigen vorhanden, welcher Inhalt und }