Das internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung [1 ed.] 9783428491711, 9783428091713

Die Autorin befaßt sich mit der bislang nur vereinzelt behandelten Frage, nach welchem Recht ein geschädigter Patient Sc

141 90 25MB

German Pages 272 Year 1998

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Das internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung [1 ed.]
 9783428491711, 9783428091713

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

INA WIEDEMANN

Das internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung

Schriften zum Internationalen Recht

Band 96

Das internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung

Von

Ina Wiedernano

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Wiedemann, Ina: Das internationale Privatrecht der Arzneimittelhaftung I von Ina Wiedemann. - Berlin : Duncker & Humblot, 1998 (Schriften zum internationalen Recht ; Bd. 96) Zug!.: Göttingen, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09171-X

Alle Rechte vorbehalten 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

©

ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-09171-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Georg-AugustUniversität Göttingen im Sommersemester 1995 als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript wurde im Frühjahr 1995 abgeschlossen. Danach erschienene Publikationen sowie spätere wesentliche Entwicklungen konnten zu einem großen Teil noch berücksichtigt werden. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Erwin Deutsch gebührt mein besonderer Dank. Durch die langjährige Mitarbeit an seinem Lehrstuhl, durch die ich in allen meinen Vorhaben gestärkt und gefördert wurde, konnte diese Arbeit in der vorliegenden Fassung überhaupt erst zustande kommen. Der Tätigkeit an seinem Lehrstuhl habe ich zahlreiche Anregungen und Denkanstöße zu verdanken. Herrn Prof. Dr. Uwe Diederichsen danke ich fiir die Übernahme der Zweitbegutachtung. Weiterhin danke ich meiner besten Freundin und Kollegin Dr. Meike Stock für die zahlreichen anregenden Diskussionen sowie Raimund Müller-Susemihl, der mich stets in jeder Hinsicht unterstützt hat. Letztendlich gilt mein größter Dank jedoch meinen Eltern, ohne die weder meine Ausbildung noch die Anfertigung dieser Arbeit möglich gewesen wären.

Gifhorn, im Frühjahr 1997

Ina Wiedemann

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einleitung

A. Das Problem .............................................................................................................. 21 B. Zielsetzung der Arbeit ............................................................................................... 23 C. Gang der Darstellung ................................................................................................ 24 Zweiter Teil Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht der Arzneimittelhaftung

A. Länderberichte .......................................................................................................... 26 I. Die Armeimittelhaftung in Deutschland ........................................................... 26 1. Überblick über die Rechtsgrundlagen ........................................................... 26

2. Die Haftung fiir Arzneimittelschäden nach § 84 AMG ................................ 27 a) Entstehungsgeschichte und rechtlicher Hintergrund der Haftungsregelung .................................................................................................... 27 b) Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen, § 84 S. 1 AMG.................... 28 aa) Gegenständlicher Schutzbereich ........................................................ 28 bb) Persönlicher Schutzbereich ................................................................ 29 cc) Das Haftungsobjekt ............................................................................ 30 dd) Der pharmazeutische Unternehmer als Haftungsträger ...................... 30 c) Die Haftung wegen Arzneimittelherstellung, § 84 S. 2 Nr. 1 AMG ......... 31 aa) Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels ................... 31 bb) Die Unvertretbarkeit schädlicher Wirkungen ..................................... 32 (1) Nutzen-Risiko-Abwägung ........................................................... 32 (2) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ........................................... 32

10

Inhaltsverzeichnis (3) Wirkungslosigkeit als Haftungsgrund .......................................... 33 cc) Entwicklungs- oder Herstellungsfehler .............................................. 34 d) Die Haftung fiir Arzneimittelinformation,§ 84 S. 2 Nr. 2 AMG .............. 35 aa) Die den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Instruktion ..................................................................................... 35 bb) Der naheliegende Fehlgebrauch ......................................................... 36 cc) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt und Folgerungen fiir die rechtliche Einordnung ................................................................................ 36 e) Kausalitäts- und Beweislastfragen ............................................................ 37 f) Rechtsfolgen des§ 84 AMG .................................................................... 39

3. Die Haftung für Arzneimittelschäden gemäߧ 823 BGB ............................. 40 a) Grundlagen der verschuldensahhängigen Produzentenhaftung ................ 40 b) Die Anspruchsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB ........................... 41 aa) Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ............................... 41 bb) Kausalität und Verschulden ............................................................... 43 cc) Besonderheiten bei der Beweislastverteilung ..................................... 43 c) Rechtsfolgen des § 823 Abs. 1 BGB mit Hinweis auf die Person des Anspruchsgegners .................................................................................... 46 d) Die Arzneimittelhaftung gemäߧ 823 Abs. 2 BGB ................................. 47 4. Die Haftung fiir Arzneimittelschäden nach dem PHG ................................... 47 a) Allgemeines .............................................................................................. 47 b) Verhältnis zu § 84 AMG und § 823 BGB ................................................ 48 c) Überblick über den Regelungsinhalt ........................................................ 49 5. Zusammenfassung der Grundlagen der deutschen Arzneimittelhaftung........ 49 li. Grundzüge der Arzneimittelhaftung in den USA............................................... 50 1. Grundlagen und Entwicklung der Produkthaftung ........................................ 51

2. Breach ofWarranty ....................................................................................... 52 a) Uniform Commercial Code (UCC) .......................................................... 52 b) Bedeutung der Privity ofContract............................................................ 53 c) Besonderheiten bei der Arzneimittelhaftung ............................................ 54 3. Die Haftung aus Negligence .......................................................................... 55

Inhaltsverzeichnis

11

a) Anspruchsvoraussetzungen ...................................................................... 56 b) Dieres ipsa Joquitur als Beweiserleichterung .......................................... 57 c) Arzneimittelhaftung nach Negligence-Grundsätzen ................................. 58 4. Strict Liability in Torts .................................................................................. 59 a) Entwicklung der Strict Liability in Produkthaftungsfällen ....................... 59 b) Restatement Second ofTorts .................................................................... 59 c) Die Market Share Liability im Arzneimittelrecht ..................................... 60 5. Entwicklung der Arzneimittelhaftung ........................................................... 61 a) Reformtendenzen ..................................................................................... 61 b) Strict Tort Liability für Arzneimittelschäden ........................................... 62

aa) Unavoidably Unsafe Products ............................... ............................. 63 bb) Brown v. Abbott Laboratories ............................................................ 64 III. Grundzüge der Arzneimittelhaftung in Frankreich ..................................... ....... 65

1. Rechtsgrundlagen der französischen Produkthaftung ................................... 65 2. Das Prinzip des non-cumul ........................................................................... 66 3. Die vertragliche Haftung ............................................................................... 67 a) Grundsätzliches ........................................................................................ 67 b) Die action directe ..................................................................................... 68 c) Bedeutung der vertraglichen Haftung im Arzneimittelrecht.. ................... 69 4. Diedeliktische Haftung ................................................................................. 70 a) Die verschuldensahhängige Haftung für Arzneimittelschäden, Art. 1382, 1383 Ce ................................................................................... 70 b) Die Haftung des gardien gemäß Art. 1384 Ce .......................................... 72 aa) Allgemeines ....................................................................................... 72 bb) Anwendungsbereich der gardien-Haftung .......................................... 73 5. Die Haftung für risques de developpement ................................................... 74 IV. Grundzüge der Arzneimittelhaftung in England ................................................ 75 1. Überblick über die Haftungsgrundlagen........................................................ 75 2. Die vertragliche Comrnon-Law-Haftung ....................................................... 76 a) Breach ofContract ................................................................................... 76

12

Inhaltsverzeichnis b) Die Privity-Regel.. .................................................................................... 77 3. Diedeliktische Negligence-Haftung.............................................................. 78 a) Donoghue v. Stevensan (1932) ................................................................ 78 b) Die Regelungen der Beweislast.. .............................................................. 80 4. Consurner Protection Act 1987 (CPA) .......................................................... 81 a) EntwickJungen des englischen Produkthaftungsrechts ............................. 81 b) Regelungsinhalt des Consurner Protection Act ........................................ 82 c) Die Arzneimittelhaftung gemäß Sec. 2 ( l) ............................................... 83 d) Der Haftungsausschluß bei EntwickJungsrisiken- State ofthe Art Defence .................................................................................................... 84

B. Ergebnisse der Rechtsvergleichung........................................................................... 85 I. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Haftungssysteme ................................ 85 Il. Grenzen der Sachrechtsvereinheitlichung .......................................................... 86 III. Bedeutung der internationalen Arzneimittelhaftung .......................................... 87

Dritter Teil

Kollisionsrechtliche Vorgaben f'ür die Beurteilung internationaler Arzneimittelschadensfalle A. Die Einordnung der Arzneimittelhaftung im internationalen Privatrecht... ............... 89 B. Rechtsgrundlagen des internationalen Deliktsrechts ................................................. 90 C. Ausschluß des internationalen Deliktsrechts im Rahmen des § 84 AMG ................. 91 I. Kollisionsrechtliche Bedeutung des§ 84 AMG ................................................ 91

1. § 84 AMG als Kollisionsnorm ...................................................................... 92 2. § 84 AMG als Sachnorm ............................................................................. .. 94 3. Schlußfolgerung fiir die kollisionsrechtliche Bedeutung............................... 95 II. Anwendungsbereich des § 84 AMG in Fällen mit Auslandsbezug .................... 96

1. Der Import eines Arzneimittels ..................................................................... 96 2. Der private grenzüberschreitende Arzneimittelverkehr ................................. 97 3. Reimport und Parallelvertrieb im Inland ....................................................... 98 III. Anwendungsbereich des allgemeinen IPR ......................................................... 98

Inhaltsverzeichnis

13

I. Exporttätigkeit des pharmazeutischen Unternehmers .................................... 99

2. Anwendungsbereich des allgemeinen IPR in sachlicher und persönlicher Hinsicht ......................................................................................................... 99

3. Rechtsfolgen: Umfang des zu ersetzenden Schadens .................................. 100 IV. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ....................................... 100 I. Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen ..................................... 101

2. Gerichtsstand der unerlaubten Handlung .................................................... 101 3. § 94 aAMG ................................................................................................. 102 4. Zusammenfassung ....................................................................................... 103 D. Lösungsansätze zur internationalen Produkthaftung ............................................... 104 I. Rechtliche Ausgangssituation .......................................................................... 104

II. Standpunkt der Rechtsprechung ...................................................................... 106 I. Die instanzgerichtliche Rechtsprechung ..................................................... 106

a) Entscheidungen zur internationalen Produkthaftung.............................. 106 b) Entscheidungen zur internationalen Armeimittelhaftung ...................... 108 2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ............................................ 110 3. Ergebnisse und Würdigung ......................................................................... 111 111. Standpunkt der Literatur .................................................................................. 112 I. Befiirworter des Ubiquitätsprinzips ............................................................. 113

a) Bestimmung des Handlungsortes ........................................................... 113 aa) Produktionsort und Herstellersitz..................................................... 114 bb) Ort der lnverkehrgabe ...................................................................... 115 (1) Erwerbs- bzw. Kaufort ............................................................... 116 (2) Erster Vertriebsort ..................................................................... 117 cc) Verdoppelung der Handlungsorte .................................................... 117 b) Bestimmung des Erfolgsortes ................................................................. 118 aa) Der Verletzungsort ........................................................................... 118 bb) Abweichende Bestimmung des Erfolgsortes .................................... 119 cc) Differenzierung bei sogenannten bystandern ................................... 120 c) Einschränkendes Kriterium der Vorhersehbarkeit.. ................................ 121

14

Inhaltsverzeichnis d) Handlungs- und Erfolgsort bei der internationalen Arzneimittelhaftung 122 aa) Vervielfaltigung der Deliktsorte....................................................... 123 bb) Inverkehrgabe- bzw. Erwerbsort als Tatort ...................................... 124 cc) Firstinvasion ofthe interest.. ........................................................... 125 dd) Maßgeblichkeit des Marktstaates ..................................................... 126 ee) Zwischenergebnis ............................................................................. 126 2. Gegner des Ubiquitätsprinzips .................................................................... 127 a) Ausschließliche Berücksichtigung des Erfolgsortes im Sinne des Kaufortes ................................................................................................ 128 b) Die Anknüpfung an den Erwerbs- bzw. Marktort .................................. 129 c) Regelmäßiger Verbrauchsort .................................................................. 133 3. Ergebnisse und Würdigung ......................................................................... 134 IV. Das Haager Abkommen über das auf die Produkthaftpflicht anwendbare Recht ............................................................................................................... 136 1. Hintergrund ................................................................................................. 136 2. Der Entwurf der Haager Konvention ........................................................... 137 3. Anknüpfungsgrundsätze des Haager-Produkthaftungsabkommens ............. 13 7 4. Würdigung und Kritik ................................................................................. 139

Vierter Teil Ein Anknüpfungssystem für die Arzneimittelhaftung

A. Ausgangsüberlegung ............................................................................................... 140 B. Die Ziele einer Anknüpfungsnorm im IPR ............................................................. 141 I. Die grundsätzliche Fragestellung im IPR ........................................................ 141 II. Maximen der Anknüpfung ............................................................................... 144

1. Die Interessen im IPR ................................................................................. 144 2. Die Wertung der Interessen ......................................................................... 146 3. Der Einfluß des materiellen Rechts auf die Normenbildung im IPR ........... 147 a) Grundsätzliches ...................................................................................... 147 b) Sachrecht und Deliktskollisionsrecht ..................................................... 150

Inhaltsverzeichnis

15

4. Das aUgemeine Prinzip der Rechtssicherheit .............................................. 151 III. Folgerungen fiir die Ausgestaltung einer Anknüpfungsnorm .......................... 152 1. Das Problem ................................................................................................ 152 2. Die Notwendigkeit fester Anknüpfungsregeln ............................................ 153 3. Die Bedeutung differenzierter Regelbildung ............................................... 157 4. Zusammenfassung ....................................................................................... 158 C. Die Tragflihigkeit verschiedener Anknüpfungen ..................................................... 159 I. Die lex-fori-Anknüpfung ................................................................................. 159

1. Bedeutung der Iex fori im heutigen internationalen Deliktsrecht.. .............. 160 2. Die Iex fori im Recht der internationalen Produkthaftung .......................... 161 3. Ergebnis ...................................................................................................... 164 II. Die Anknüpfung an das Personalstatut.. .......................................................... 164 1. SteHenwert im internationalen Deliktsrecht ................................................ 164 2. Das Personalstatut in der internationalen Produkthaftung .......................... 167 3. Ste11ungnahrne ............................................................................................. 168 a) Der gewöhnliche Aufenthalt des Geschädigten ...................................... 168 b) Anknüpfung an ein gemeinsames Personalstatut.................................... 170 III. Die Iex loci delicti conunissi ........................................................................... 173 1. Die innere Rechtfertigung der Tatortregel... ................................................ 174 a) Die typische Interessenlage im Deliktsrecht ........................................... 174 b) Die Interessenlage bei der Arzneimittelhaftung ..................................... 176 c) Die Tatortregel im Lichte in- und ausländischer Gesetze bzw. Gesetzesvorlagen .................................................................................... 177 2. Problematik der Tatortregel im Bereich der Distanzdelikte ........................ 179 3. Das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsort .......................................... 180 a) Entwicklung der Ubiquitätslehre im Überblick ...................................... 180 b) Gleichwertigkeit von Handlungs- und Erfolgsort................................... 184 aa) Die Grundstruktur der unerlaubten Handlung .................................. 184 bb) Die Grundfunktionen der unerlaubten Handlung ............................. 186

16

Inhaltsverzeichnis 4. Berechtigung der Ubiquitätslehre bei der internationalen Arzneimittelhaftung···················· ···················· ··········· ·········· ··················· ························ 187 a) Der Funktionswandel des materiellen Haftungsrechts am Beispiel der Arzneimittelhaftung.......................................................................... 187 b) Kollisionsrechtliche Konsequenzen materieller Entwicklungstendenzen ............................................................................................... 190 aa) Die zweispurige Anknüpfung von Verschuldens-und Gefährdungshaftung .................................................................................... 190 (1) Die Unterscheidung zwischen Verschuldenshaftung und strikter Haftung (Rabe!) ............................................................. 191 (2) Die Unterscheidung zwischen admonitorischer und kompensatorischer Haftung (Ehrenzweig) ................................................. 192 (3) Abweichende Definition des Handlungsortes bei der Gefahrdungshaftung ............................................................................. 193 bb) Stellungnahme.................................................................................. 194 (1) Exkurs: Verhältnis von Verschuldens-und Gefährdungshaftung ....................................................................................... 195 (2) Vielschichtigkeit der Haftungszwecke ....................................... 197 (3) Die Handlungsbezogenheit der Arzneimittelhaftung ................. 199 (4) Ergebnis ..................................................................................... 200 c) Die Verengung des Tatortes auf den Marktort ....................................... 201 aa) Tragende Gründe der Marktortregel... .............................................. 201 bb) Würdigung und Kritik ...................................................................... 203 cc) Stellungnahme.................................................................................. 205 d) Ergebnis ................................................................................................. 206 5. Das Günstigkeitsprinzip .............................................................................. 206 a) Die Rechtfertigung des Günstigkeitsprinzips ......................................... 206 b) Das Günstigkeitsprinzip in der internationalen Arzneimittelhaftung ..... 208 6. Fazit

......................................................................................................... 211

D. Die Bestimmung des Tatortes bei der internationalen Arzneimittelhaftung ............ 212 I. Notwendigkeit einer Konkretisierung .............................................................. 212

II. Die Typik der Arzneimittelschadensfälle ......................................................... 213

Inhaltsverzeichnis

17

III. Die Konkretisierung des Handlm1gsortes ........................................................ 214

1. Die herkönunliche Definition ...................................................................... 214 2. Der tatsächliche Produktionsort .................................................................. 214 3. Der Geschäftssitz des Herstellers ................................................................ 217 a) Tragende ErwägWlgen zugoosten des Herstellersitzes ........................... 217 b) Kritik arn LösWlgsansatz von von Hoffmann .......................................... 220 c) SteiiWlgnahme ........................................................................................ 221 4. Der Inverkehrgabeort .................................................................................. 222 a) Argumente zugoosten des lnverkehrgabeortes ....................................... 222 b) Die Lokalisierung des lnverkehrgabeortes ............................................. 223 aa) Der Inverkehrgabebegriff des Arzneimittelgesetzes ......................... 224 bb) Definitionsansätze im IPR................................................................ 224 cc) SteiiWlgnahme.................................................................................. 225 c) Die ParallelwertWlg in§ 84 AMG .......................................................... 226 5. Das Verhältnis der HandiWlgsorte .............................................................. 227 IV. Die Konkretisierung des Erfolgsortes .............................................................. 229 1. Der VerletzWlgsort als herkömmlicher Erfolgsort im internationalen Deliktsrecht ................................................................................................. 229 2. Die besondere Problematik der Arzneimittelschadensfalle ......................... 230 3. Die Vorverlegoog des Erfolgsortes ............................................................. 232 a) Der Einnahmeort als möglicher VerletZW1gsort ..................................... 233 b) Die Maßgeblichkeil des Erwerbsortes .................................................... 234 4. Sonderfalle .................................................................................................. 237 a) Privater grenzüberschreitender Arzneimittelverkehr .............................. 238 b) Die Anknüpfung bei der VerletZW1g außensteheoder Dritter ................. 239 V. Ergebnis ........................................................................................................... 241 E. Allgemeine Fragen .................................................................................................. 242 I. Die Zulässigkeit einer Rechtswahl... ................................................................ 242

1. Die Rechtswahl im internationalen Deliktsrecht ......................................... 242 2. Anforderungen an eine RechtswahlvereinbarWlg ........................................ 243 2 Wict.lcmann

18

Inhaltsverzeichnis a) Ausdrückliche und stillschweigende Rechtswahl ................................... 243 b) Wählbare Rechtsordnungen .................................................................., 245 c) Nachträgliehe Rechtswahl ...................................................................... 24 7 3. Parteiautonomie im internationalen Arzneimittelhaftungsrecht .................. 247 II. Gesamtverweisung oder Einzelverweisung...................................................... 249 1. Standpunkt in Rechtsprechung und Lehre................................................... 249 2. Stellungnahme ............................................................................................. 250

Fünfter Teil Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Literaturverzeichnis

252

256

Abkürzungsverzeichnis A.

Atlantic Reporter

ABI.

Amtsblatt

A. c.

Law Reports, Appeal Cases

a. F.

alte Fassung

AG

Die Aktiengesellschaft; Amtsgericht

AllER

All England Law Reports

Am. Dec.

Arnerican Decisions

Am. J. Comp. L.

Arnerican Journal of Comparative Law

BBI.

(Schweizerisches) Bundesblatt

Bull. Civ.

Bulletin des arrets de Ia Cour de Cassation, chambres civiles

Cal.L. R.

Califomia Law Review

Ca!. Rptr.

Califomia Reporter (West)

Cass. civ.

Cour de Cassation, chambre civile

cc

Code Civil

Ch.

Chapter

CIIllld.

Command Paper (Paper represented by Command of her Majesty)

Co.

Company

CPA

Consurner Protection Act

D.

Recueil Dalloz

Doc.

Doctrine

Eng. Rep.

English Reporter

F.

Federal Reporter

Gaz. du Palais

Gazette du Palais

Harv. L. R.

Harvard Law Review

lnc.

Incorporation

Int. Enc. Comp. L.

International Encyclopedia of Comparative Law

2*

20

Abkürzungsverzeichnis

IPG

Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht

JBI.

(Österreichische) Juristische Blätter

J. C.P.

Juris Classeur periodique, La Semaine juridique

K.B.

Law Reports, King's Bench

KZa

Kennzahl

LT

Law Times Reports

Ltd.

Limited

L. Q.R.

Law Quarterly Review

Minn. L. R.

Minnesota Law Review

Mod. L. R.

Modern Law Review

N.E.

North Eastern Reporter

N. J.

New Jersey

no.

numero

N.W.

North Western Reporter

N.Y.

New York Reports

N. Y. U. L. R.

New York University Law Review

P.

Pacific Reporter

Q.B.

Law Reports, Queen's Bench

Rec. des Cours

Academie de droit international, Recueil des Cours

Rev. crit.

Revue critique de droit international prive

Rev. trim. dr. civ.

Revue trimestrielle de droit civil

Sec.

section

SJZ

Schweizerische Juristen Zeitung

So.

Southern Reporter

S. W.

South Western Reporter

Trib.

Tribunal

u.c.c.

Uniform Commercial Code

V.

von, versus

Yale L. J.

Yale Law Journal

Im übrigen wird Bezug genommen auf Kirchner, Hildebert: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin/New York 1993.

Erster Teil

Einleitung A. Das Problem Der Umgang mit Arzneimitteln birgt erfahrungsgemäß erhebliche Gefahren in sich. Trotz eingehender Bemühungen, die von Arzneimitteln ausgehenden Gefahren durch umfangreiche Arzneimittelprüfungen im Vorfeld der Zulassung zu minimieren, ist immer wieder deutlich geworden, daß sich Arzneimittelschäden trotz strengster Kontrolle nicht gänzlich ausschließen lassen. Für die Bundesrepublik Deutschland hatte erstmals der Contergan-Fall der 60er Jahre einen Beweis dafür geliefert, welch weitreichende Folgen die Verbreitung - unter Umständen unerkannt - schädlicher Arzneimittel nach sich zieht 1• Die geltenden Haftungsvorschriften für derartige Schadensfälle wurden damals als unzureichend empfunden; der bis dahin größte Arzneimittelschadensfall der Bundesrepublik Deutschland endete mit einem Vergleich der Parteien2. Folge des Contergan-Falles, der die Unzulänglichkeiten der damaligen Haftungssituation offenlegte, war die Schaffung einer als Gefährdungshaftung bezeichneten Haftungsregelung in § 84 AMG3 und damit tendenziell die als notwendig erachtete Verschärfung der Haftung auf diesem Gebid. In jüngerer Vergangenheit zeichneten sich Umfang und Konturen eines neuen Medizinskandals ab: Untersuchungen haben ergeben, daß bis mindestens Mitte der 80er Jahre Gerinnungspräparate aus Blutplasma zugelassen und eingesetzt wurden, die HIV-Viren enthielten und zahlreiche Patienten mit dem todbringenden Virus infizierten5• Bei der Suche nach den Verantwortlichen sind von FacrJeuten insbesondere Vorwürfe gegen das zuständige Bundesmi1 Zur Contergan-Katastrophe in tatsächlicher Hinsicht: Beyer, Grenzen der Arzneimittelhafumg, S. 1 ff. 2 Beyer, S. 190 ff; BGH VersR 1975, 533; der Stratprozeß gegen sieben leitende Angestellte der Firma Grünenthai wurde nach § 153 Abs. 3 StPO eingestellt, LG Aachen JZ 1971, 507. 3 Gesetz zur Neuregelung des Arzneimittelrechts v. 24.08.1976 (BGBI. I 2445); in Kraft getreten am 01.01.1978; zuletzt geändert durch Gesetz v. 09.08.1994 (BGBI. I 2071). 4 BT-Drucksache 7/3060, S. 43. 5 Vgl. Kullmann, PharmaR 1993, 162; Reinelt, VersR 1990, 565.

22

Erster Teil: Einleitung

nisteriwn fiir GeslUldheit lUld hier gegen das damalige BlUldesgeslUldheitsamt6 erhoben worden. Aber auch die Hersteller infizierter Blutpräparate kommen als Adressaten einer Schadensersatzklage in Betracht. Die zahlreich aufgetretenen Fälle HIV-infizierter Blutpräparate haben einmal mehr deutlich gemacht, daß sich Arzneimittelschäden selbst bei weiterer OptimieTilllg der Arzneimittelsicherheit auch in Zukunft nicht vermeiden lassen. Damit gewinnt die Frage nach der Haftung fiir Arzneimittelschäden in der BlUldesrepublik Deutschland erneut an Bedeutilllg. Zu der nationalen Problematik tritt eine internationale Komponente. Nach Aussagen der BlUldesregieTilllg war die BlUldesrepublik Deutschland bis 1983 auf Importe bei der Versorgung mit Gerinnilllgsfaktoren-Konzentraten angewiesen. Hier herrschte insbesondere ein reger Handelsverkehr mit den USA, weil in erster Linie dort gesammelte Plasmen zur Herstellilllg der in der Billldesrepublik Deutschland verwendeten Gerinnilllgsfaktoren-Konzentrate benutzt wurden7• Umgekehrt haben auch deutsche Hersteller derartige Präparate ins Ausland exportiert. Internationale Verflechtilllgen sind hier kennzeichnend. Die damit angesprochene Frage der Haftung fiir Arzneimittelschäden bei Beteiligung ausländischer Staaten hat nicht nur im Zusammenhang mit den AIDS-Fällen Bedeutilllg. Vielmehr erhalten die BestreblUlgen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, durch die Öffnilllg nationaler Märkte einen illlgehinderten Warenverkehr zu ermöglichen, auch seitens der pharmazeutischen Industrie UnterstütZilllg. Folge dieser Entwicklilllg in den letzten Jahren ist ein Zilllehmender grenzüberschreitender Handel auch mit Medikamenten. So exportierte die deutsche Arzneimittelindustrie Mitte der 90er Jahre pharmazeutische Erzeugnisse im Wert von Tillld 16 Milliarden DM8 . Eine besondere Rolle spielt darüber hinaus auch der Parallelimport von Arzneimitteln9 • Angesichts des in Europa vorherrschenden Preisgefälles werden Arzneimittel Zilllehmend in Niedrigpreisländern erworben lUld in anderen Mitgliedstaaten mit höherem Preisniveau importiert. Insbesondere fiir Deutschland ist der Verkauf parallelimportierter Arzneimittel nach der Gesillldheitsreform attraktiv geworden. Hinzu kommt, daß sich die Ausschaltilllg von Arzneimittelgefahren infolge umfangreicher Kontrollmaßnahmen im Vorfeld der Zulassilllg auf internatio-

6 Das Bundesgesundheitsamt wurde aufgelöst durch das Gesetz über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens vom 24.06.1994 (BGBI. I 1416); zu den Nachfolgeinstitutionen Hoppe, NJW 1994,2405 f. 7 BT-Drucksache 12/2323, S. 3. 8 Pharma Daten 1996, 18, herausgegeben vom Bundesverband der phannazeutischen Industrie e. V. 9 Zum Parallelimport Schroeder, EuZW 1994, 78 ff; Reich, NJW 1984, 2000.

B. Zielsetzung der Arbeit

23

naler Ebene als noch schwieriger erwiesen hat als auf nationaler Ebene 10• Aber selbst dann, wenn man dem internationalen unkoutrollierten Handel mit Medikamenten im Interesse der Arzneimittelsicherheit Grenzen setzt, werden sich auch künftig Arzneimittelschäden nicht ausschließen lassen. Es geht dann um die Frage, nach welchem Recht ein Fall der Arzneimittelhaftung zu beurteilen ist, wenn bei einem Arzneimittel Herstellungsland, Inverkehrgabeort, Gebrauchsland und Patientenherkunft auseinanderfallen. Als wesentliche Fallgruppen der Haftung beim Arzneimittelverkehr mit Auslandsberiilirung kommen in Betracht der Import und Export von Medikamenten, sowie der private grenzüberschreitende Verkehr mit Arzneimitteln11 •

B. Zielsetzung der Arbeit Ziel der Arbeit ist es, eine tragfahi.ge Lösung für die Beurteilung arzeimittelrechtlicher Kollisionsfälle zu erarbeiten. Angesichts der Tatsache, daß Fälle der Arzneimittelhaftung mit Auslandsberiilirung regelmäßig ein hohes Maß an Internationalität aufweisen können, gilt es, eine Grundregel zu erarbeiten, die generell zu sachgerechten Ergebnissen fiihrt. Die Untersuchung hat sich dabei zunächst an den Vorgaben des geltenden Rechts zu orientieren. Hier wird ein Teilbereich des genannten Problems bereits durch die Vorschrift des § 84 AMG geregelt. § 84 AMG ordnet die Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers für unvertretbare Nebenwirkungen seines Arzneimittels an, wenn das betreffende Arzneimittel im Geltungsbereich des Gesetzes in den Verkehr gegeben und an den Verbraucher abgegeben wurde. Da aber § 84 AMG seinem Anwendungsbereich nach auf wenige Fälle begrenzt ist und auch in der Praxis nur untergeordnete Bedeutung erlangt hat, verbleibt außerhalb dieser Vorschrift ein großer Bereich internationaler Fälle, für den untersucht werden muß, welche von mehreren beteiligten Rechtsordnungen im Einzelfall zur Anwendung gelangen soll. Der bloße Hinweis auf die Geltung der Tatortregel im Rahmen des hier primär betroffenen internationalen Deliktrechts wird dabei in dieser Allgemeinheit nicht genügen. Die Hauptaufgabe besteht vielmehr darin, aus den vielen der in Betracht kommenden Rechtsordnungen diejenige zu bestimmen, zu welcher der Fall eines Arzneimittelschadens die stärkste Beziehung aufweist. Vor diesem Hintergrund muß angestrebt werden, eine an den Zielen des internationalen Deliktsrechts orientierte sowie der besonderen Interessenlage der Parteien bei der Arzneimit-

10 11

Sander, Phannlnd 40 (1978), 1305. Deutsch, Medizinrecht, S. 626 ff.

Erster Teil: Einleitwlg

24

telhaftungentsprechende Anknüpfi.mgsregel zu entwerfen, die auch den beachtlichen Aspekten des materiellen Rechts Rechnung trägt. Am Ende dieser Arbeit soll ein Regelungsvorschlag zur Lösung von Kollisionsf!illen im Bereich der Arzneimittelhaftung vorgestellt werden.

C. Gang der Darstellung Die Erarbeitung einer Kollisionsregel hat nur dann praktische Bedeutung, wenn die Haftung in verschiedenen Staaten voneinander abweicht. Die Arbeit soll daher zunächst einen rechtsvergleichenden Überblick über bestehende Haftungssysteme verschaffen, um internationale Tendenzen im materiellen Arzneimittelhaftungsrecht aufzuzeigen. Sodann soll eine Einordnung der Arzneimittelhaftung in das IPR erfolgen, die in den Bereich des internationalen Deliktrechts fiihrt. In diesem Zusammenhang sollen die verschiedenen Ansätze zur internationalen Arzneimittelhaftung im einzelnen dargestellt werden. Angesichts der Tatsache, daß sich das Schrifttum bisher nur vereinzelt mit dieser Frage auseinandergesetzt hat 12, und daß Anschauungsmaterial aus der Rechtsprechung praktisch kaum vorhanden ist, erscheint es unerläßlich, den Bereich internationaler Produkthaftung und die im internationalen Deliktrecht vorherrschende Tatortregel insgesamt näher zu betrachten. In diesem Zusammenhang wird insbesondere untersucht, welche kollisionsrechtliche Bedeutung die Vorschrift des § 84 AMG hat, und ob die von Rechtsprechung und Teilen der Literatur befürwortete Ubiquitatslehre auch bei der internationalen Arzneimittelhaftung zu sachgerechten Lösungen fiihrt. Dabei beschränkt sich die Darstellung auf die Haftung des Arzneimittelherstellers bzw. des pharmazeutischen Unternehmers; etwaige Ansprüche gegen den verschreibenden Arzt 13 , die beratende Apotheke oder die Zulassungsbehörde14 sollen außer Betracht bleiben.

12

In jüngerer Zeit jedoch ausführlich Wandt, Internationale Produkthaftung,

s. 193 ff.

13 BGH NJW 1970, 511 bei mangelnder Information über die Einnahmedauer eines Medikamentes. 14 Dazu in materiell-rechtlicher Hinsicht Knothe, Staatshaftung bei der Zulassung von Arzneimitteln, S. 18 ff; zum IPR Mueller, Int. ArntshaftungsR, S. 101 ff.

Zweiter Teil

Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht der Arzneimittelhaftung Eine Untersuchung des Kollisionsrechts der Arzneimittelhaftung sollte aus zweierlei Gründen mit einem Überblick über die Haftungssysteme in verschiedenen Staaten beginnen: Zum einen ist die Frage nach dem anwendbaren Recht nur dann von Interesse, wenn die nationalen Haftungsregelungen Unterschiede etwa im Haftungsgrund bzw. im Umfang der Haftung aufweisen. Für den Patienten ist es nämlich von großer Bedeutung, ob er seine Ansprüche auf eine Rechtsordnung stützen kann, die eine Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers kennt, oder ob ein Verschulden die Haftung auslöst. Zum anderen kann nicht übersehen werden, daß das Kollisionsrecht einer Beeinflussung durch materiellrechtliche Tendenzen unterliegt; die einzelnen materiellen Rechtsordnungen sind sozusagen der "Rohstoff", mit dem es das IPR zu tun hat 1• Die Darstellung soll daher mit einem Überblick über die Arzneimittelhaftung in Deutschland beginnen. Daneben ist die Regelung der Arzneimittelhaftung in den USA von besonderem Interesse. Die USA werden als Mutterland der Produkthaftung bezeichnet2 , so daß sich aus der Betrachtung dieser Rechtsordnung unter Umständen wichtige Aspekte ergeben können. Darüber hinaus sollen einige Regelungen des europäischen Raums betrachtet werden. Das Produkthaftungsrecht ist Bestandteil der Rechtsharmonisierung in der Europäischen Union, so daß hier von Bedeutung ist, ob trotz der Bestrebungen zur Rechtsangteichung Unterschiede in den nationalen Rechten zu verzeichnen sind. In diesem Zusammenhang soll ein Überblick über die Arzneimittelhaftung in Frankreich und Großbritannien gegeben werden.

1 Kropholler, !PR, S. 69; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 99; Deutsch, Internationales Privatrecht und Haftungsrecht, S. 20, unter Hinweis auf Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung, S. 491, 493 f. 2 Marschall von Bieberstein, AG 1987, 105.

26

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

A. Länderberichte I. Die Arzneimittelhaftung in Deutschland

1. Überblick über die Rechtsgrundlagen Ansprüche aus Produkt- bzw. Armeimittelhafumg werden im deutschen Recht regelmäßig auf der Gnmdlage deliktischer Ansprüche gewähre. Abgesehen von der Möglichkeit, daß im Einzelfall direkte vertragliche Beziehungen zwischen Hersteller und Endverbraucher bestehen können4 , haben sich alle übrigen Versuche, Ansprüche aus Vertrag bzw. quasi-Vertrag herzuleiten, nicht durchzusetzen vermocht5• Der BGH war zuletzt in der berühmten Hühnerpest-Entscheidunl eingehend auf diese Problematik eingegangen und hatte im Ergebnis alle (quasi-) vertraglichen Ansprüche der Betroffenen verneint. Das Deliktsrecht bietet demgegenüber gleich mehrere Anspruchsgrundlagen: § 84 AMG statuiert eine Gefährdungshafumg des pharmazeutischen Unternehmers; daneben bleibt das allgemeine Delikstrecht der §§ 823 ff BGB anwendbar7. Andere Gefährdungshaftungen finden neben § 84 AMG grundsätzlich keine Anwendung. So wird sowohl das GenTG nach § 37 Abs. 1 GenTG als auch das PHG gemäß § 15 Abs. 1 PHG von § 84 AMG als spezieller Regel verdrängt. Dennoch sind Fälle denkbar, in denen Ansprüche infolge der Verletzung durch Armeimittel auf das PHG bzw. das GenTG gestützt werden8• Die folgende Darstellung soll sich im wesentlichen auf die Regelungen des § 84 AMG sowie des § 823 BGB beschränken. Daneben soll ein kurzer Überblick über den wichtigsten Inhalt des PHG gegeben werden, das Bestandteil des im europäischen Raum harmonisierten Produkthaftungsrechts ist und daher in einer Arbeit über einen Teilbereich der internationalen Produkthaftung gewisse Bedeutung erlangt. Wegen seiner geringen praktischen Bedeutung soll hingegen das GenTG außer Betracht bleiben.

3 Rechtsvergleichend zur Einordnung der Produkthaftung: Hohloch, ZEuP 1994, 413 fi. 4 BGHZ 64, 46 - Haartonicum; im Arzneimittelrecht denkbar als Vertrag zwischen Apotheke und Patient. s Vgl. Diederichsen, NJW 1978, 1282; ders. Haftung des Warenherstellers, S. 85 ff. 6 BGHZ 51, 91. 7 § 91 AMG. 8 Zum Anwendungsbereich des GenTG Deutsch, FS W. Lorenz 1991, S. 73 fi; ders. VersR 1990, 1045.

A. Länderberichte

27

2. Die Haftungfür Arzneimittelschäden nach§ 84 AMG a) Entstehungsgeschichte und rechtlicher Hintergrund der Haftungsregelung Die Contergan-Katastrophe der frühen 60er Jahre hatte den entscheidenden Anlaß dazu gegeben, die Haftungssituation im Arzneimittelrecht neu zu überdenken. Vor dem Hintergrund des ersten großen Arzneimittelskandals war deutlich geworden, daß der Verbraucherschutz im Rahmen des Arzneimittelrechts mit der geltenden Verschuldenshaftung nicht befriedigend gelöst werden konnte9 • Den Überlegungen zur Neuregelung der Haftung fiir Arzneimittelschäden war eine Rechtsprechung des BGH zur Produzentenhaftung vorausgegangen, die trotzBeibehaltungder Verschuldenshaftung durch Fortbildung des Beweisrechts10 zu einer Verbesserung der Rechtsstellung Geschädigter gefi.ihrt hatte. Dennoch erwies sich eine derart verschärfte Verschuldenshaftung im Arzneimittelrecht als unzureichend: Grund dafiir war zum einen, daß sich ein Verschulden des Herstellers bezüglich etwaiger Nebenwirkungen von Medikamenten dann nicht konstruieren ließ, wenn sie nach dem zum Produktionszeitpunkt vorhandenen Stand von Wissenschaft und Technik nicht vermeidbar und nicht vorhersehbar waren (sogenannte Entwicklungsrisiken) 11 . Auch traf den Hersteller im Bereich des allgemeinen Deliktsrechts eine Haftung fiir Folgeschäden aus seinen Produkten dann nicht, wenn trotz aller zurnutbaren Vorkehrungen unvermeidbare Fabrikationsfehler (sogenannte Ausreißer) auftraten12. Angesichts dieser unzureichenden Haftungssituation und der Tatsache, daß die Begründung einer verschuldeosunabhängigen Haftung im Wege der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung nach überwiegender Ansicht nicht in Betracht kommt13 , kamen Bundesregierung und Bundestag übereinstimmend zu der Auffassung, daß die Opfer eines Arzneimittelschadens einen neu zu schaffenden Entschädigungsanspruch erhalten sollten, der von einem Verschulden des Herstellers unabhängig sein sollte. Obgleich damit von Beginn an eine vom Verschulden unabhängige Haftung fiir Arzneimittel in Aussicht genommen wurde, herrschte zunächst Unklarheit darüber, auf welchem Wege dieses Ziel erreicht werden sollte. Im Vorfeld der geltenden Haftungsregelung waren im Gesetzgebungsverfahren drei Modelle

9

Kullmann, BB 1978, 175; Etmer/Bolck, § 84, Arun. la.

10 BGHZ 51, 91. 11 V. Caemmerer, FS Rheinstein 1969 li, S. 669 f. 12 Etmer/Bolck, § 84, Anm. 2b. 13 BGHZ 51, 91; 54, 336 f; 55, 229; vgl. Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 103 ff.

28

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

erörtert worden14 • Gegenüber den Vorschlägen zur Errichtung eines Arzneimittelentschädigungsfonds im Kabinettsentwurf vom Juli I974 15 , sowie der Bildung eines privatrechtliehen Fonds in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeie 6 , favorisierte der Deutsche Bundestag schließlich das Modell der Gefährdungshaftung mit der Verpflichtung der Hersteller zur Dekkungsvorsorge 17• Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. Juli 1976 enthält in den §§ 84 ff AMG die entsprechenden Vorschriften über die Haftung für Arzneimittelschäden. Die Bestimmungen sind am 1. Januar I978 in Kraft getreten. Damit wurde für die Bundesrepublik Deutschland erstmals auf gesetzlicher Grundlage eine Haftung für Produktschäden herbeigeführt und zwar auf einem Teilgebiet der Produkthaftung, auf dem- wie der Contergan-Fall gezeigt hattedie spektakulärsten und nachhaltigsten Schäden eintreten können. b) Die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen, § 84 S. I AMG Von seiner Systematik her normiert der Tatbestand des § 84 AMG in Satz I die allgemeinen haftungsbegründenden Voraussetzungen. Er umfaßt in diesem Rahmen Regelungen über die geschützten Rechtsgüter, den geschützten Personenkreis, über die von der Haftungsregelung betroffenen Arzneimittel, sowie über die Voraussetzungen der Kausalität.

aa) Gegenständlicher Schutzbereich Die Rechtsgüter, bei deren Verletzung Ersatzansprüche des Betroffenen entstehen können, sind in Anlehnung an § 823 Abs. I BGB formuliert. § 84 AMG erfaßt von seinem gegenständlichen Schutzbereich her Leben, Körper und Gesundheit des Menschen. Die Definition dieser Begriffe weist gegenüber derjenigen im Rahmen des allgemeinen Deliktrechts keine Besonderheiten auf: Eine Körperverletzung ist jeder äußere Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, eine Gesundheitsbeschädigung hingegen die Störung der inneren Funktionsvorgänge des Körpers18. Abweichend von§ 823 BGB erstreckt sich der Schutzbereich jedoch nicht auf Freiheit, Eigentum oder sonstige Rechte des Menschen.

14

131 f.

Zur EntstehlUlgsgeschichte Wolter, ZRP 1974, 260 ff; Weitnauer, ArztR 1977,

BT-Drucksache 7/3060, S. 31 ff, 60 ff. Vgl. dazu BT-Drucksache 7/5091, S. 10. 17 BT-Drucksache 7/5091, S. 9 ff, 20 f; zuvor BT-Drucksache 7/5025, S. 65. 18 Deutsch, Medizinrecht, S. 589; Etmer/Bolck, § 84, Anm. 4 a aa. 15

16

A. Länderberichte

29

Erfaßt werden daher nur primäre Personenschäden19• Sofern in seltenen Fällen infolge der Anwendung eines Arzneimittels ein Sachschaden entsteht, scheidet ein Ersatzanspruch nach § 84 AMG aus20. Weiter darf die Verletzung nicht "unerheblich" sein. Insofern kommt zwn Ausdruck, daß eine Haftung bei sozialadäquaten Schäden ausscheidet21 • Im Einzelfall soll es hier auf Dauer, Ausmaß und Intensität der Beeinträchtigung ankommen; subjektive Überempfindlichkeiten des Betroffenen sollen demgegenüber außer Betracht bleiben22 •

bb) Persönlicher Schutzbereich Im Rahmen des§ 84 AMG kann nur derjenige Verbraucher einen Schadensersatzanspruch geltend machen, bei dem das entsprechende Arzneimittel angewandt wurde23 • Außerhalb des persönlichen Schutzbereiches liegen damit mittelbar Verletzte, also etwa Personen, die sich beim unmittelbar Verletzten angesteckt haben. Diese Regelung kann insbesondere im Zusammenhang mit der AIDS-Problematik an Bedeutung gewinnen. Hier liegt es nahe, daß beispielsweise Bluter, die kontaminierte Blutgerinnungspräparate erhalten und sich mit dem tödlichen HIV-Virus infiziert haben, ihrerseits andere Personen anstecken. Mittelbar Verletzte sind in diesem Falle auf das allgemeine Deliktsrecht zu verweisen. Geschützt ist der Mensch grundsätzlich mit Vollendung der Geburt. Sofern der Fötus schädlichen Arzneimittelwirkungen infolge der Anwendung eines Medikamentes bei der Mutter unmittelbar ausgesetzt ist, können Schadensersatzansprüche nach der Geburt von den gesetzlichen Vertretern geltend gemacht werden24 • Die Einbeziehung solch pränataler Schädigungen in den Schutzbereich des § 84 AMG entspricht der gesetzgebensehen Intention, in den der Contergan-Katastrophe entsprechenden Fallkonstellationen den Betroffenen einen angemessenen Ausgleich zu gewähren25 •

Etmer/Bolck, § 84, Anm. 4 a; Sander, § 84, Anm. 10; Flatten, MedR 1993, 464. Beispiele bei Kullmann, PharmaR 1981, 117- Fn 3. 21 Kullmann, PharmaR 1981, 112; Vogeler, MedR 1984,19. 22 Kloesei/Cyran, § 84, Anm. 11. 23 Kullmann, PharmaR 1981, 112 f; Wandt, Internationale Produkthaftung, S. 201: "Erster Endabnehmer". 24 Deutsch, Medizinrecht, S. 589 f; Kloesei/Cyran, § 84, Anm. 3. 25 BT-Drucksache 7/3060, S. 43; Kullmann, PharmaR 1981, 113. 19

20

30

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

cc) Das Haftungsobjekt Die Haftungsregelung des § 84 AMG betrifft nur solche Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung unterliegen oder die durch Rechtsverordnung gemäß § 36 Abs. 1 AMG von der ZulassWlg befreit sind. Damit gilt § 84 AMG in erster Linie für alle Fertigarzneimittel26 und findet demgegenüber keine Anwendung

auf sogenannte Bulkware und RezepturarzneimitteL Die Gefährdungshaftung konunt ferner nicht in Betracht bei Arzneimitteln, die zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder die die ZusatzbezeichnWlg "homöopathisches Arzneimittel" tragen27. Zudem muß es sich um Arzneimittel handeln, die zum Gebrauch beim Menschen bestimmt sind und die am menschlichen Körper angewendet werden. Vorausgesetzt wird darüber hinaus, daß das Arzneimittel im Geltungsbereich des AMG in den Verkehr gebracht und im Geltungsbereich des Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wird. Diese doppelt-territoriale Voraussetzung bewirkt nach einhelliger Ansicht28 einen Ausschluß der Anwendbarkeit der allgemein für das Deliktsrecht maßgeblichen Vorschriften des IPR. Die kollisionsrechtliche Bedeutung dieser RegelWlg wird an späterer Stelle eingehend erörtert werden29. Ob die Anwendung des § 84 AMG in jedem Fall den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels voraussetzt, erscheint überaus fraglich. § 84 S. 1 AMG enthält die Formulierung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs im Gegensatz zu§ 74 Abs. 1 RefE nicht. Der Gesetzgeber hat damit dem Umstand Rechnung getragen, daß viele Patienten im Hinblick auf ihre psychische und physische Verfassung nicht in der Lage sein werden, das Medikament richtig anzuwenden30• Die Anwendbarkeit des § 84 AMG kommt daher auch bei gelegentlichem F ehigebrauch in Betrache 1•

dd) Der pharmazeutische Unternehmer als Haftungsträger Die Verpflichtung, nach § 84 AMG Schadensersatz zu leisten, trifft den pharmazeutischen Unternehmer. Gemäß § 4 Abs. 18 AMG ist pharmazeutischer Unternehmer derjenige, der das Arzneimittel unter seinem Namen in den VerLegaldefinition in§ 4 Abs. 1 AMG; Alisch, DAZ 1987, 50. Ausführlich zum Anwendungsbereich des § 84 AMG Sander, § 84, Anm. 9 c. 28 Deutsch, VersR 1979, 686; Weitnauer, Phannlnd 40 (1978), 428; Flatten, MedR 1993, 464. 29 Vgl. unten 3. Teil CI. 30 BGHZ 106, 273 - Aerosol Alupent; Deutsch, Medizinrecht, S. 598; a. A. Sander, § 84, Anm. 13; ausführlich Hauke!Kremer, PhannaR 1992, 162 ff. 3 1 Vgl. BGH JZ 1989, 853. 26

27

A. Länderberichte

31

kehr bringt. Insoweit muß der in Anspruch Genommene nicht notwendigerweise auch tatsächlicher Hersteller des betreffenden Medikamentes sein. Bringt etwa ein Vertriebshändler, ein Importeur oder ein Apotheker das Arzneimittel unter seinem Namen in den Verkehr, so kommt ihm die Eigenschaft des pharmazeutischen Unternehmers zu 32 • Neben dem Merkmal der Namenskennzeichnung ist des weiteren das Inverkehrbringen des Arzneimittels erforderlich. Gemäß § 4 Abs. 17 AMG versteht man darunter das Feilhalten, Feilbieten und die Abgabe an andere, sowie das Vorrätighalten von Arzneimitteln zum Zwecke des Verkaufs oder zu sonstiger Abgabe. Das AMG zieht damit die Grenze für Handlungen, die als Inverkehrbringen bezeichnet werden, weit vor dem eigentlichen Inverkehrbringen, wie es dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechen würde33 • c) Die Haftung wegen Arzneimittelherstellung, § 84 S.2 Nr.1 AMG Im Rahmen des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG entsteht eine Ersatzpflicht dann, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben. aa) Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels

Der bestimmungsgemäße Gebrauch34 eines Arzneimittels wird vom Hersteller festgelegt. Er umfaßt alle Angaben auf der Packung oder in der Packungsbeilage und ergibt sich insbesondere aus den dort angegebenen Indikationen und Kontraindikationen35 • Der Hersteller kann demzufolge durch genaue Bezeichnung der Anwendungsgebiete, der höchstzulässigen Dosierung, der Allwendungsdauer und der Kontraindikationen weitgehend zu einer Haftungsbeschränkung beitragen. In diesem Zusammenhang ist jedoch eine klare Abgrenzung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs vom bestimmungswidrigen Gebrauch zu fordern. Die übermäßige Angabe von Kontraindikationen sowie die

Sander, § 84, Anm. 6; Flatten, MedR 1993, 464. Ausfuhrlieh zum Begriff der lnverkehrgabe Horn, NJW 1977, 2329 ff. 34 Dazu Papier, Der bestimmungsgemäße Gebrauch, S. 12ff; Hauke/Kremer, PharmaR 1992, 162 ff. 35 Deutsch, Medizinrecht, S. 591; Vogeler, MedR 1984 19; Wolter, ZRP 1974, 262. 32 33

32

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

bloße Empfehhmg der Nichtanwendung in bestimmten Situationen wird regelmäßig nicht ausreichen, um die Haftung wirksam zu begrenzen36. bb) Die Unvertretbarkeit schädlicher Wirkungen (1) Nutzen-Risiko-Abwägung Die unerwünschten Wirkungen eines Arzneimittels müssen über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. § 84 S.2 Nr.l AMG knüpft damit an eine Formulierung aus § 5 AMG an. § 5 AMG verbietet das loverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel, deren schädliche Wirkungen über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Mit dem Kriterium der medizinischen Vertretbarkeit wird eine Abwägung verlangt, bei der festgestellt werden muß, ob die schädliche Wirkung eines Arzneimittels angesichts seines therapeutischen Wertes in Kauf genommen werden muß 37. Im Rahmen dieser Nutzen-Risiko-Abwägung ist entscheidender Maßstab für die Bewertung der Vertretbarkeil die Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft38. Es wird damit ein objektiver Maßstab zugrunde gelegt39. Kriterien dieser Abwägung werden unter anderem Schwere und Häufigkeit der schädlichen Wirkungen sowie die Dauer der Beeinträchtigung sein. Auch wird es darauf ankommen, ob es alternative Arzneimittel mit einem vergleichbaren Wirkungsgrad aber mit geringerem Schadensrisiko gibt40 • (2) Maßgeblicher Beurteilungspunkt Wie in anderen Bereichen unterliegt auch der Kenntnisstand in der medizinischen Wissenschaft einer ständigen Weiterentwicklung. Es stellt sich daher die Frage, welchen Zeitpunkt man bei der Beurteilung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen zugrundelegen soll. In diesem Zusammenhang muß auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte abgestellt werden. Die Frage schädlicher Wirkun-

36 Deutsch, Medizinrecht, S. 592; Flatten, MedR 1993, 464 tendiert hier zu einer Mitverantwortung des Patienten. 37 Sander,§ 84, Anm. 14; BT-Drucksache 7/3060, S. 45 zu§ 5 AMG. 38 Deutsch, Medizinrecht, S. 592; ders. VersR 1979, 687; Weitnauer, Pharmlnd 40 (1978), 427. 39 Weitnauer, Pharmlnd 40(1978), 427; Deutsch, Medizinrecht, S. 592, will auch die Akzeptanz durch den Patienten berücksichtigen. 40 Deutsch, VersR 1979, 687; Etmer/Bolck, § 84, Anm. 5 c; zur Bedeutung wirtschaftlicher Kriterien Deutsch, Medizinrecht, S. 592 f.

A. Länderberichte

33

gen eines Arzneimittels ist ausgehend vom Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft im Zeitpunkt des Schadenseintritts bzw. der letzten mündlichen Verhandlung zu beurteilen41 •

Im Hinblick auf die Beurteilung der Vertretbarkeit erscheint es demgegenüber sachgerecht, auf den medizinischen Kenntnisstand im Zeitpunkt des Schadenseintritts abzustellen und dieses spätere Wissen bezüglich des pharmazeutischen Umfeldes auf den Zeitpunkt der Ioverkehrgabe zurückzuprojizieren. Es geht dabei um die Frage, ob die schädlichen Eigenschaften des Arzneimittels wären sie damals bekannt gewesen - bei dem betreffenden Arzneimittelangebot zu einem Ausschluß der Zulassung geführt hätten42 • Bei einer solchen Interpretation wird vermieden, daß ein pharmazeutischer Unternehmer durch Weiterentwicklung und Verbesserung seiner Medikamente fiir seine älteren Arzneimittel haftet. Auf der anderen Seite kommt diese Interpretation der Intention des Gesetzgebers am nächsten, dem es in erster Linie um die Bewältigung conterganähnlicher Fälle ging43 • Ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens44 würde der Konstruktion der Gefährdungshaftung, die dem Gesetz ausdrücklich zugrundeliegt, zuwiderlaufen45 . Nur bei Berücksichtigung gegenwärtiger Erkenntnisse trägt man dem Umstand Rechnung, daß es sich bei § 84 S.2 Nr. 1 AMG um die objektive Zurechnung der objektiv vorhandenen Gefahr handelt46 • Letztlich entscheidet also der Zeitpunkt der Beurteilung der Vertretbarkeit über den rechtlichen Charakter des § 84 Satz 2Nr.1 AMG. (3) Wirkungslosigkeit als Haftungsgrund Zweifelhaft erscheint, ob die Wirkungslosigkeit eines Medikaments als schädliche Wirkung im Sinne des § 84 Satz 1 Nr. 1 AMG mit der Konsequenz angesehen werden kann, daß die Unterlassungswirkung eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers auslöst. Diese Frage wird im Rahmen des AMG

Weitnauer, Phannlnd 40 (1978), 426; Reinelt, VersR 1990, 568. Inzwischen wohl h. M.: Kullmann, PharmaR 1981, 116; Eichholz, NJW 1991, 734; Flatten, MedR 1993, 465; Deutsch, Medizinrecht, S. 593 (vgl. zuvor VersR 1979, 687). 43 BT-Drucksache 7/3060, S. 43; Deutsch, Medizinrecht, S. 593; Flatten, MedR 1993,465. 44 So Weitnauer, Phannlnd 40 (1978), 427. 45 Deutsch, VersR 1979, 687; Vogeler, MedR 1984, 133. 46 Zur rechtlichen Einordnung der Arzneimittelhaftung: Deutsch, VersR 1979, 687; ders. VersR 1988, 1197. 41

42

3 Wicdcmann

34

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

überwiegend verneint47. Eine generelle Ablehnung der Haftung fiir wirkungslose Arzneimittel stößt jedoch in den Fällen auf Bedenken, in denen das Medikament gerade den Schutz bestimmter Rechtsgüter vor Gefahren bezweckt hat, die infolge der Unterlassungswirkung dennoch eingetreten sind. Insoweit sind in der Literatur Stimmen laut geworden, die fiir bestimmte Typen von Arzneimitteln, etwa Impfstoffe oder Sera, ein Überdenken der Haftungssituation fordern48. cc) Entwicklungs- oder Herstellungsfehler Eine Ersatzpflicht entsteht nur dann, wenn die schädlichen Wirkungen ihre Ursache im Bereich der Herstellung oder Entwicklung haben. Unter Entwicklungsgefahren versteht man diejenigen Eigenschaften eines Produktes, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens auch bei Anwendung jeder gebotenen Sorgfalt nicht erkennbar und insofern unvermeidbar waren49. Insbesondere in diesem Bereich liegt der entscheidende Unterschied zur Deliktshaftung nach§§ 823 ff BGB: Wegen der objektiven Unvorhersehbarkeit liegt ein Verschulden des pharmazeutischen Unternehmers nicht vor50• Im Bereich der fehlerhaften Entwicklung eines Medikamentes geht es in erster Linie um Fälle unzureichender Pharmakologie oder Toxikologie51 • Aber auch im Bereich der Herstellung können schädliche Wirkungen ihre Ursache haben. In Betracht kommen hier zum Beispiel Fälle fehlerhaften Abfiillens aufgrund maschinellen Versagens. Eine Haftung trifft den pharmazeutischen Unternehmer nach ganz überwiegender Ansicht52 auch dann, wenn ein einzelnes Medikament trotz sorgfältiger Voraussicht und Kontrolle infolge maschinellen Ausfalls schädliche Wirkungen entfaltet. Die Haftung fiir sogenannte "Ausreis-ser" stellt eine weitere wesentliche Besonderheit gegenüber der deliktischen Produzentenhaftung nach § 823 BGB dar. Zwischen der Entwicklung bzw. Herstellung und den schädlichen Wirkungen des Arzneimittels, die zur Rechtsgutsverletzung gefiihrt haben, muß ein besonderer Gefahrenzusammenhang bestehen53 • Verwirklicht sich die Gefahr eines 47 Prütting, DAZ 1978, 258; Kullmann, PharmaR 1981, 116; OLG Celle VersR 1983, 1143. 48 Deutsch, Medizinrecht, S. 594; Flatten, MedR 1993, 465. 49 Diederichsen, NJW 1978, 1285; Voge1er, MedR 1984, 134. 50 Etmer/Bo1ck, § 84, Anm. 5 a; vgl. Sander,§ 84, Anm. 14. 51 Flatten, MedR 1993, 465; Vogeler, MedR 1984, 134. 52 Wolter, DB 1976, 2004; Flanen, MedR 1993, 465; Etmer/Bolck, § 84, Anm. 5 a; a. A. wohl Prütting, DAZ 1978,258. 53 Kulimann/Pfister- Kullmann, KZa 3800, S. 32.

A. Länderberichte

35

Arzneimittels aufgrund eines nach dem lnverkehrbringen eintretenden Umstandes, kommt eine Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 1 AMG nicht in Betracht. Insoweit hat ein Geschädigter keinen Anspruch, wenn das Medikament erst infolge Wlsachgemäßer Lagerm1g schädliche WirkWlgen entfaltet54• d) Die Haftung fiir Arzneimittelinformation, § 84 S. 2 Nr. 2 AMG aa) Die den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechende Instruktion Der zweite Fall, fiir den das AMG eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers vorsieht, betrifft die sogenannten InstruktionsmängeL Der Hersteller ist verpflichtet, sein Arzneimittel mit einer den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden KennzeichnWlg, Fachinformation oder Gebrauchsinformation zu versehen. Insofern nimmt die FormulierWig der HaftungsbestimmWlg Bezug auf die Vorschriften der §§ 10 ff AMG55 • Falsche Angaben des pharmazeutischen Unternehmers etwa in der WerbWlg können demzufolge eine Haftung nicht auslösen56• Die Information muß ZWlächst alle in den§§ 10 ff AMG geforderten Angaben enthalten. Sie muß insbesondere genaue Auskunft über Nebenwirkm1gen, Art Wld Dauer der Anwendung Wld DosierWig sowie Gegenanzeigen Wld WechselwirkWlgen geben. Insgesamt ist der Instruktionspflicht nur dann genügt, wenn alle erkennbaren Gefahren des Arzneimittels durch entsprechende Warnhinweise ausgeschaltet werden, sofern dies nach dem medizinischen Erkenntnisstand erforderlich war57• Angesichts des eindeutigen Wortlauts des§ 84 S. 2 Nr. 2 AMG ist ein Instruktionsmangel auch dann haftungsbegründend, wenn die entsprechenden Erkenntisse im Rahmen einer Nutzen-Risiko-Abwägung als vertretbar angesehen werden. Insofern bleibt das Kriterium der Vertretbarkeit schädlicher Wirkm1gen im Rahmen des§ 84 S. 2 Nr. 2 AMG ohne Berücksichtigungss.

Hager, VersR 1987, 1057; Flatten, MedR 1993, 465. Vgl. BGH JZ 1989, 853 f. 56 Flatten, MedR 1993,465. 57 Weitnauer, Pharmlnd 40 (1978), 427; Vogeler, MedR 1984, 58; BGH JZ 1989, 854; OLG Stuttgart VersR 1990, 631; OLG Frankfurt VersR 1993, 356; OLG Frankfurt VersR 1995, 660. 58 Kullmann, PharmaR 1981, 117; Sander,§ 84, Anm. 17. 54

55

36

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zmn materiellen Recht

bb) Der naheliegende Fehlgebrauch Nach ganz überwiegender Ansicht wird eine Haftung auch dann ausgelöst, wenn der pharmazeutische Unternehmer durch Nichtwarnung vor naheliegendem Fehlgebrauch gegen seine Instruktionspflicht verstoßen hat59• Bei einer solchen Interpretation der Haftungsvorschrift werden auch diejenigen Konstellationen erfaßt, die dem Estil-Fall entsprechen60: Der Hersteller eines Kurznarkotikwns hatte zwar darauf hingewiesen, daß eine intraarterielle Injektion auf jeden Fall vermieden werden müsse; er hatte aber nach Auffassung des BGH nicht deutlich genug vor den Gefahren irreparabler Gefäßreaktionen gewarnt, die bei einem -wenn auch naheliegendem - Fehlgebrauch eintreten könnten. Ähnlich entschied der BGH in einem neueren Fall61 : Der Hersteller von Aerosol Alupent hatte in der Gebrauchsanweisung die höchstzulässige Dosierung gekennzeichnet. Dennoch benutzte der Patient das Spray bei einem akuten Asthmaanfall häufig, vielleicht fünfzigmal oder mehr. Der BGH gelangte zu der Auffassung, daß der Hersteller seiner Instruktionspflicht nicht genügt habe. Diese beschränke sich nicht in jedem Fall auf Warnungen vor Gefahren, die bei Versehentlichern Fehlgebrauch auftreten können. Vielmehr seien bei Arzneimitteln, die dazu bestimmt sind, in dramatischen Situationen vom Patienten selbst angewendet zu werden, auch Warnungen vor dem bei exzessivem Übermaßgebrauch auftretenden Gefahren erforderlich. In einem -wenn auch engen- Fallbereich erfaßt § 84 AMG daher auch Konstellationen des bestimmungswidrigen Gebrauchs62 •

cc) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt und Folgerungenfür die rechtliche Einordnung Anders als im Fall des § 84 S. 2 Nr. 1 AMG kommt es bei der Haftung des pharmazeutischen Unternehmers wegen Verstoßes gegen die Instruktionspflicht auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Arzneimittels an, soweit es um die Frage geht, ob die Instruktion den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprochen hat63 .

59 Kulimann/Pfister- Kullmann, KZa 3800, S. 20 f; Deutsch, Medizinrecht, S. 598; Vogeler, MedR 1984, 58; a. A. Sander,§ 84, Anm. 13. 60 BGH NJW 1972, 2217. 61 BGH JZ 1989, 853- Aerosol Alupent mit Anm. Deutsch. 62 Deutsch, JZ 1989, 856; Vogeler, MedR 1984, 20; Flatten, MedR 1993, 465. 63 BGH JZ 1989, 854; OLG Celle VersR 1983, 1144; Deutsch, VersR 1979, 688; einschränkend OLG Stuttgart VersR 1990, 631.

A. Länderberichte

37

Damit gerät die Haftung für fehlerhafte Instruktionen nach einhelliger Ansicht64 in die Nähe der Verschuldenshaftung. Haftungsbegründend wirkt der Umstand, daß der pharmazeutische Unternehmer den Anforderungen der medizinischen Wissenschaft bei der Kennzeichnung seines Medikamentes nicht genügt und insofern seine ihm diesbezüglich obliegende Verkehrspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Schwerpunkt des Vorwurfs ist damit die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt, wodurch die Nähe zur Fahrlässigkeitshaftung besonders deutlich wird65. In der Literatur wurde zutreffend darauf hingewiesen, daß es sich bei der Vorschrift des § 84 S. 2 Nr. 2 AMG der Sache nach um eine etwas weiter verobjektivierte Haftung für sorgfaltswidriges Verhalten handelt66. e) Kausalitäts- und Beweislastfragen Die bei den Beratungen zur fünften AMG-Novelle vom Bundesrat angeregten Beweiserleichterungen sind im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vom Vermittlungsausschuß verworfen worden67. Damit verbleibt es vorerst bei der bislang geltenden Beweisverteilung: Grundsätzlich hat der Geschädigte den gesamten Kausalverlauf darzulegen. Insofern muß ein Geschädigter, der seinen Anspruch auf § 84 AMG stützt, im Rahmen der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen die Verletzung eines Rechtsgutes infolge der Anwendung eines Arzneimittels darlegen68 . Im Bereich des § 84 S. 2 Nr. I AMG muß er zudem beweisen, daß die schädlichen Wirkungen ihre Ursache im Bereich der Herstellung oder Entwicklung haben69. Für eine Haftung nach § 84 S. 2 Nr. 2 AMG hat der Patient den Beweis zu erbringen, daß der eingetretene Schaden durch die fehlerhafte Information verursacht worden ist, bei ordnungsgemäßer Kennzeichnung also hätte vermieden werden können70. Es liegt auf der Hand, daß der Kausalitätsnachweis mitunter erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. Literatur71 und Rechtsprechung72 lassen daher grundsätzlich die Beweisführung durch

64 Deutsch, VersR 1979, 688; ders. Medizinrecht, S. 597; ders. Unerlaubte Handlungen, S. 149; Vogeler, MedR 1984, 58. 65 Deutsch, VersR 1979, 688; Vogeler, MedR 1984, 58. 66 Deutsch, VersR 1979, 688; Hager, VersR 1987, 1054. 67 Zur 5. AMG Novelle, Deutsch, NJW 1994, 2382 f; ferner Pfeiffer, VersR 1994, 1378; Riedel/Karpenstein, Phannlnd 58 (1996), 201 ff. 68 Kulimann/Pfister - Kullmann, KZa 3800, S. 43 f; Kullmann, VersR 1988, 660. 69 Flatten, MedR 1993, 466; Kullmann, VersR 1988, 660. 70 BGH JZ 1989, 855; Kulimann/Pfister- Kullmann, KZa 3800, S. 45. 71 Flatten, MedR 1993, 466; Deutsch, VersR 1979, 689. 72 OLG Celle VersR 1983, 1143, das jedoch den typischen Geschehensablauf verneinte.

38

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

Anscheinsbeweis zu, wonach prima facie vermutet wird, daß der bewiesene Sachverhalt nach allgemeiner Lebenserfahrung auf einen bestimmten, typischen Geschehensablauf hindeutet. Darüber hinaus ist in der Literatur vereinzelt eine Anwendung der im Bereich der Arzthaftung entwickelten Beweiserleichterungen in Betracht gezogen worden73 • So gilt im Arztrecht eine partielle Beweislastumkehr in den Fällen, in denen auf deutliche Weise gegen eine Norm verstoßen wurde, die gerade den eingetretenen Schaden verhindem sollte74• Im Ralunen des§ 84 S. 2 Nr. 2 AMG obliegt es an sich dem Patienten darzulegen, daß der Schaden bei ordnungsgemäßer Instruktion nicht eingetreten wäre75 • Da der Nachweis dieser sogenannten psychischen Kausalität regelmäßig schwer zu erbringen ist, wäre hier zu erwägen, ob nicht den Hersteller zumindest bei fehlerhafter Gebrauchsanleitung die Beweislast trifft76 • Soweit es um die Ursächlichkeit mangelnder ärztlicher Aufklärung geht, genügt es in Arzthaftungsprozessen zudem, wenn der Patient darlegt, daß er sich im Fall der erfolgten Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befimden hätte77• Wegen der Parallelen des Arztrechts zum Arzneimittelrecht im Bereich der Warnhinweise78 sollte man auch in der Arzneimittelhaftung den Anfang der Bedenklichkeit auf Seiten des Klägers genügen lassen: Er hat dann darzulegen, daß er sich bei ordnungsgemäßer Information über mögliche Gefahren zumindest in einem echten Entscheidungskonflikt befimden hätte79 • Die Rechtsprechung ist diesen Ansätzen bislang allerdings nicht gefolgt. Angesichts der erheblichen Beweisschwierigkeiten, die insbesondere in Fällen der HIV-Infektion besonders deutlich hervorgetreten sind80, sollte ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob nicht über den Anscheinsbeweis hinausgehende Beweiserleichterungen - etwa aus dem Arztrecht - zugelassen werden sollten. Beweisschwierigkeiten ergeben sich auch dann, wenn der Patient infolge der Anwendung mehrerer fehlerhafter Arzneimittel zu Schaden gekommen ist. Wird in diesem Zusammenhang nachgewiesen, daß die vorhandenen Fehler ihrer Natur nach alle fiir den eingetretenen Schaden ursächlich sein könnten, wendet

Deutsch, JZ 1989, 856; ders. VersR 1979, 689; ders. Medizinrecht, S. 597. BGH VersR 1988, 293; NJW 1989, 2332; OLG Stuttgart VersR 1990,385 jeweils zur Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler. 75 BGH JZ 1989, 855; VersR 1987,104; abweichend BGH VersR 1992, 96; Stoll, Karlsruher Forum 1978, 33, 35. 76 Dafür Deutsch, Medizinrecht, S. 597. 77 OLG Oldenburg VersR 1988, 408; BGH NJW 1984, 1397. 78 Deutsch, JZ 1989, 856. 79 Deutsch, Medizinrecht, S. 597; ders. JZ 1989, 856. 80 Vgl. Flatten, MedR 1993, 467; Deutsch, MMG 14 (1989), 16. 73

74

A. Länderberichte

39

die ganz überwiegende AuffassWlg81 die Vorschrift des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB im Bereich der ArzneirnittelhaftWlg entsprechend an. Dem Geschädigten bleibt so der Nachweis erspart, welches Arzneimittel tatsächlich den Schaden zu welchem Anteil verursacht hat82 • f) Rechtsfolgen des § 84 AMG

Die Vorschriften der§§ 86, 87 AMG regeln im einzelnen den Umfang der Ersatzpflicht des pharmazeutischen Unternehmers im Falle des Todes bzw. der Körperverletzung des Arzneimittelanwenders83 • Dabei lassen sich deutliche Parallelen zum allgemeinen Deliktsrecht erkennen84• Im übrigen ist der im AMG festgelegte Umfang der Ersatzpflicht der typischen Ersatzpflicht bei anderen GefährdWlgshaftWlgstatbeständen nachgebildet: § 88 AMG sieht eine Begrenzung der Ersatzpflicht auf HaftWlgshöchstsummen vor; eine summenmäßige Begrenzung des HaftWlgsumfanges ist kennzeichnend fiir viele GefährdWlgshaftWlgen85 • Ein wesentlicher Unterschied zum Bereich der VerschuldenshaftWlg liegt darin, daß das AMG eine GewährWlg von Schmerzensgeld nicht vorsieht86• Insoweit wird der geschädigte Arzneimittelverwender wegen diesbezüglicher Ansprüche auch in Zukunft auf seine Rechte aus § 823 BGB zurückgreifen müssen87• Der Ausschluß von Schmerzensgeld im Bereich des § 84 AMG wird zu Recht als Wlbefriedigend empfunden. Er stellt einen wesentlichen Nachteil der HaftWlgsregelWlg dar Wld ist rechtspolitisch nicht Wlbedenklich88 • Bedauerlicherweise hat auch die fiinfte AMG-Novelle eine SchmerzensgeldregelWlg nicht eingefiihrt. Um sicherzustellen, daß der Verletzte im Schadensfall seinen Anspruch voll realisieren kann, verpflichtet § 94 AMG den pharmazeutischen Unternehmer zur DeckWlgsvorsorge. Dabei steht in der heutigen Praxis der Abschluß einer HaftpflichtversichefW1g im VordergrWld. Hierfiir ist von den Versicherem der sogenannte Pharmapool geschaffen worden, der VersichefW1gsschutz in Höhe

Reinelt, VersR 1990, 566 f; Sander,§ 84, Anm. 12; Deutsch, VersR 1979, 689. Flatten, MedR 1993, 466; Sander, § 84, Anm. 12. 83 Belastung mit Unterhaltspflicht wegen ungewollter Schwangerschaft ist nicht ersatzfähig, OLG Frankfurt NJW 1993, 2388. 84 Im einzelnen Etmer/Bolck, § 86, Anm. 1; § 87, Anm. 1. 85 Kötz, AcP 170 (1970), 36; Etmer/Bolck, § 88, Anm. 1. 86 Vgl. zuletzt OLG Köln VersR 1994, 177. 87 Deutsch, Medizinrecht, S. 599; Weitnauer, Pharmlnd 40 (1978), 428 f. 88 Flatten, MedR 1993, 466; Deutsch, NJW 1994,2382 f. 81

82

40

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

von 200 Millionen DM gewährt und damit über die normale Betriebshaftpflichtversicherung hinausgeht89•

3. Die Haftungfür Arzneimittelschäden gemäߧ 823 BGB § 91 AMG regelt das Verhältnis von § 84 AMG zu der allgemeinen verschuldensahhängigen Produkthaftung der §§ 823 BGB ff im Sinne der Anspruchskonkurrenz. Die Regelung entspricht insoweit dem sonst bekannten Verhältnis von Verschuldens- und Gefährdungshaftung: Beide Haftungen werden für gewöhnlich kumuliert90• a) Grundlagen der verschuldensahhängigen Produzentenhaftung Bei Anwendung der allgemeinen Deliktsregeln der §§ 823 ff BGB kann ein Verbraucher für Rechtsgutsverletzungen, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht werden, nur dann Schadensersatz verlangen, wenn er beweisen kann, daß der Hersteller objektiv pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt hat und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist. Schon früh hatte man erkannt, daß die uneingeschränkte Anwendung dieser Grundsätze zu einer weitgehenden Benachteiligung des Verbrauchers fiihren würde. Im Vordergrund stand dabei die Überlegung, daß dem Produkthersteller bei Zugrundelegung der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln mangels einer Einsichtsmöglichkeit des Geschädigten in den Herstellerbetrieb ein objektiv pflichtwidriges und schuldhaftesVerhalten in den meisten Fällen praktisch nicht nachzuweisen war. Um dem Bedürfuis des Verbrauchers nach umfassendem Schutz hinreichend Rechnung zu tragen, haben Rechtsprechung und Literatur die Grundsätze der sogenannten Produzentenhaftung bzw. Produkthaftung9 1 entwickelt. Anknüpfungspunkt für die Haftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte ist die Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht92• Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß derjenige, der Produkte in den Verkehr bringt, die nach den Umständen des Falles erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutze anderer Personen zu treffen hat93 • Im Laufe der Zeit haben sich dabei herstellerspezifische Verkehrspflichten herausgebildet, die sich heute je nach Art der Deutsch, VersicherungsvertragsR, S. 89. V. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 10. 91 Zum Unterschied beider Begriffe Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 141. 92 Grundlegend v. Bar, Verkehrspflichten, S. 51 ff, 265 ff; Diederichsen, Haftung des Warenherstellers, S. 58 ff. 93 V. Bar, Verkehrspflichten, S. 52 f. 89

90

A. Länderberichte

41

PflichtverletZWlg in typisierten Fehlerquellen niederschlagen. Die verschuldensahhängige Produzentenhaftung ist zudem gekennzeichnet durch zahlreiche Modifizierungen des allgemeinen Beweisrechts zugunsten des Verbrauchers. Die folgende Darstellung soll sich im wesentlichen auf die Besonderheiten der Produzentenhaftung im Rahmen des § 823 BGB beschränken. b) Die AnspruchsvoraussetZWlgen des § 823 Abs. 1 BGB § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus, daß der Anspruchsteller infolge eines Produktfehlers eine RechtsgutsverletZWlg erlitten hat und ihm daraus ein ersatzfahiger Schaden entstanden ist. In Betracht kommen bei der Arzneimittelhaftung in erster Linie die VerletZWlg von Leben, Körper und Gesundheit. Abweichend von§ 84 AMG werden zudem auch Sachschäden erfaßt94, die allerdings bei der Arzneimittelhaftung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zudem ist § 823 Abs. 1 BGB in persönlicher Hinsicht nicht auf den Schutz der Rechtsgüter des unmittelbaren Verbrauchers beschränkt. So kann grundsätzlich jeder, dessen Rechtsgüter infolge eines fehlerhaften Arzneimittels verletzt wurden, seine Ansprüche auf§ 823 Abs. 1 BGB stützen95 . aa) Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht

Der Hersteller eines Produktes ist dazu verpflichtet, bei der Produktion die im Verkehr erforderliche Sorgfalt anzuwenden. Im Vordergrund der Produzentenhaftung steht damit die VerletZWlg einer Verkehssicherungspflicht. Maßstab ist auch hier der jeweilige Stand von Wissenschaft und Technik, der im Zeitpunkt der Ioverkehrgabe vorherrschte96• Im Rahmen der verschuldensahhängigen Produzentenhaftung hat die Konkretisierung der allgemeinen Verkehssicherungspflicht zu einer Herausbildung herstellerspezifischer Pflichten geführt, die eine Typisierung einzelner Fehlerquellen entsprechend dem Herstellungsprozeß zuläßt. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- und Produktbeobachtungsfehlem97. Im wesentlichen kann hier auf die Ausführungen zu § 84 AMG verwiesen werden. Sander,§ 84, Anm. 10. Deutsch, JZ 1989, 466; ders. Unerlaubte Handlungen, S. 148 im Hinblick auf das PHG. 96 V. Westphalen, Jura 1983, 59. 97 Deutsch Unerlaubte Handlungen, S. 144 f; v. Caemmerer, FS Rheinstein 1969 li, S. 663 f; aus der Rspr: BGH NJW 1972, 2217 (Instruktionsfehler); BGHZ 51, 91 (F abrikationsfehler). 94 95

42

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zwn materiellen Recht

Der Hersteller ist demnach dazu verpflichtet, bei Entwicklung und Fabrikation die jeweils nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen98 . Entwickeln sichtrotz sorgfaltiger Prüfung eines Arzneimittels im Laufe der Zeit zuvor nicht erkannbare Gefahren oder unterläuft in der Fabrikationsphasetrotz aller zurnutbarer Vorkehrungen ein einzelner Fehler etwa in der Zusammensetzung, kommt abweichend von§ 84 AMG eine Haftung mangels Außerachtlassung der verkehrserforderlichen Sorgfalt nicht in Betracht99. Die wohl bekannteste Entscheidung des BGH, die einen Fabrikationsfehler betraf, war die Hühnerpest-Entscheidung der 60-er Jahre 100: Bei der Abfiillung eines Impfstoffes gegen Hühnerpest waren die Erreger durch bakterielle Verunreinigung wieder aktiv geworden. Ein Großteil der geimpften Hühner verendete. Der BGH nahm einen Fehler im Fabrikationsbereich an und verlangte vom Hersteller den Beweis, daß der Fehler ohne Verschulden eingetreten sei. Um seiner Instruktionspflicht zu genügen, muß der Hersteller auch im Rahmen des § 823 BGB vor der Möglichkeit eines naheliegenden Fehlgebrauchs warnen 101 • Grundsätzlich müssen die Warnhinweise so beschaffen sein, daß die gefahrdetste Benutzergruppe 102 vor möglichen Schädigungen bewahrt wird. So müssen zum Beispiel die Benutzer von Kindertees auf die Gefahr von Kariesbildung bei Dauernuckeln hingewiesen werden103 • Auch muß ein Hersteller, der die Zusanunensetzung seines Unkrautvernichtungsmittels nach Jahren ändert, diese Änderung besonders deutlich hervorheben104• Aber auch nach der Ioverkehrgabe eines Arzneimittels treffen den Hersteller Pflichten, die sich im wesentlichen auf die Beobachtung des auf dem Markt befindlichen Medikamentes beziehen105 • Dabei kann das Bekanntwerden gefahrlicher Nebenwirkungen nach herrschender Meinung in letzter Konsequenz eine Rückrufpflicht des pharmazeutischen Unternehmers auslösen 106•

BGHZ 20, 61- Thorotrast: zwn Konstruktionsfehler; BGH VersR 1972, 150. BGHZ 80, 186- Apfelschorf; LG Aachen JZ 1971, 507 f- Contergan; BGH VersR 1975,923- zwn Ausreißer; Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 143. 100 BGHZ 51, 91. 101 BGH NJW 1972,2217- Estil; ferner BGH JZ 1989, 855. 102 BGH NJW 1994, 932 - K.indertee; dazu Kullmann, NJW 1994, 1700. 103 BGH VersR 1992, 96; dazu Deutsch, VersR 1992, 521 ; ferner: BGH NJW 1995, 1286 und dazu BVerfG NJW 1997, 249. 104 OLG Frankfurt VersR 1994, 231 f- Anspruch jedoch verneint. 105 BGHZ 80, 202; 99, 167; Kullmann, PharmaR 1982, 6 ff. 106 Schrnidt-Salzer, BB 1981, 1043 f; Deutsch, JZ 1989, 856. 98 99

A. Länderberichte

43

bb) Kausalität und Verschulden Im Ralunen der Kausalität zwischen rechtswidrigem Verhalten und Eintritt der Rechtsgutsverletzung gelten keine Besonderheiten. Die Frage, ob die Ioverkehrgabe eines fehlerhaften Arzneimittels Ursache für die Rechtsgutsverletzung gewesen ist, ist ausgehend von den allgemeinen Gnmdsätzen der haftungsbegründenden Kausalität zu beantworten107. Darüber hinaus muß die Verletzung des Rechtsgutes einen adäquat kausalen, ersatzfähigen Schaden verursacht haben. Der pharmazeutische Unternehmer muß die Verkehrssicherungspflicht zumindest fahrlässig verletzt haben (§ 276 Abs. 1 BGB). Da an dieser Stelle bereits feststeht, daß der Hersteller eine Verkehrssicherungspflicht verletzt und damit objektiv sorgfaltswidrig gehandelt hat, kommt es hier im wesentlichen nur noch auf die Beachtung der inneren Sorgfalt an: Es muß geprüft werden, ob der Produzent bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt den Fehler hätte erkennen und verhindern können108. cc) Besonderheiten bei der Beweislastverteilung Nach den grundsätzlichen Regeln zur Beweislastverteilung muß an sich der Geschädigte das Vorhandensein eines Fehlers bei Inverkehrgabe, die Ursächlichkeit dieses Fehlers für die Rechtsgutsverletzung, sowie die Außerachtlassung der verkehrserforderlichen Sorgfalt darlegen und gegebenenfalls beweisen109. Im Bereich der Produzentenhaftung und speziell bei der Arzneimittelhaftung können nun erhebliche Beweisschwierigkeiten auf verschiedenen Ebenen auftreten: Zum einen ist das betreffende Arzneimittel bei Prozeßbeginn regelmäßig verbraucht, was den Nachweis der Fehlerhaftigkeit bereits bei Inverkehrgabe erheblich erschwert. Zudem wird es dem Patienten oft schwerfallen, das Gericht davon zu überzeugen, daß er bei ordnungsgemäßer Instruktion von der Verwendung des Arzneimittels abgesehen hätte 110• Die wohl größte Belastung des Patienten ergibt sich daraus, daß er grundsätzlich keine Einsichtsmöglich107 Wobei nach zutreffender Ansicht die Anwendung der Äquivalenztheorie ausreicht: Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 25; ders. JZ 1967,641; v. Westphalen/Foerste, Produkthaftungshandbuch I, S. 306 f. 108 Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 135, 140; ders. Fahrlässigkeit, S. 94 f; ders. JZ 1988,995 f; ders. JZ 1990, 737; v. Bar, JuS 1988, 173. 109 Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, § 823 I, Rn. 3 ff; BGHZ 24, 28; wobei sich allerdings die Verschuldensprüfung nur noch auf die innere Sorgfalt bezieht: Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 135. 110 Zur psychischen Kausalität im Rahmen des § 84 S. 2 Nr. 2 AMG: Deutsch, JZ 1989, 856.

44

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zwn materiellen Recht

keiten in den Herstellungsprozeß hat. Es würde daher zu einer unangemessenen Benachteiligung des Geschädigten führen, wenn er die schuldhafte Verletzung einer Verkehssicherungspflicht auf Seiten des Herstellers zu beweisen hätte. Diesem Umstand Rechnung tragend haben Rechtsprechung und Lehre die Beweislastverteilung im Rahmen der Produzentenhaftung zugunsten des Verbrauchers erheblich modifiziert. Seit der führenden Entscheidung des BGH zum sogenannten Hühnerpest-Fall kommt es bei der Produzentenhaftung zu einer ausnahmsweisen Umkehr der Beweislast im Verschuldeosbereich111 • Da-mit ist die Beweislast gestaffelt. Im einzelnen gilt folgendes: Der Geschädigte hat grundsätzlich die Voraussetzungen des Haftungsgrundes darzulegenll2. Er hat also insbesondere zu beweisen, daß das Arzneimittel schon bei Ioverkehrgabe fehlerhaft war und die Rechtsgutsverletzung verursacht hat. Bei typischen Geschehensabläufen kommt ihm hier der Anscheinsbeweis zugutell3, der jedoch schon dann versagt, wenn der Hersteller die ernsthafte Möglichkeit darlegt, daß die schädlichen Wirkungen eines Medikamentes auf einem Umstand beruhen, der erst nach Ioverkehrgabe eingetreten ist114• Angesichts der erheblichen Schwierigkeiten, die bei dem damit angesprochenen Fehlerbereichsnachweis auftreten können, hat der BGH in jüngerer Zeit die Position des Verbrauchers durch Annahme einer Beweislastumkehr entschieden verbessert115 : In Fällen, in denen ein Produktfehler typischerweise dem Herstellungsbereich entstammt, wird vermutet, daß das Produkt bereits bei lnverkehrgabe fehlerhaft war, sofern der Hersteller keine ausreichende Befundsicherung im Hinblick auf den fehlerfreien Zustand bei Ioverkehrgabe vorgenommen hat 116• Aber auch im Bereich der Instruktionsfehler sollten über den Anscheinsbeweis hinausgehende Beweiserleichterungen zugelassen werden. So muß es auch hier genügen, daß der Patient einen echten Entscheidungskonflikt bei ordnungsgemäßer Instruktion darlegtm. Beim Instruktionsfehler ist sogar einmal vom Hersteller der Beweis verlangt worden, daß der Patient den Hinweis nicht befolgt hätte118 • 1u

BGHZ 51, 91. Deutsch, Medizinrecht, S. 606; ders. Unerlaubte Handlungen, S. 143. 113 BGH NJW 1994, 946; Kullmann, NJW 1994, 1706: nur geringe Bedeutung; v. Westphalen/Foerste, Produkthaftungshandbuch I, S. 493 f. ll 4 Vgl. BGH NJW 1987, 1695. 115 BGH NJW 1988,2611: LimonadenflaschenurteiL ll 6 Vgl. auch BGH NJW 1993, 528; zustimmend Deutsch, Medizinrecht, S. 606; Bedenken bei Kullmann, NJW 1994, 1705; Kunz, BB 1994,454. 117 Deutsch, Medizinrecht, S. 579 zu§ 84 AMG. 118 BGH VersR 1989, 157- Vermutung, daß geeigneter Hinweis befolgt worden wäre; der Wampflichtige hat diese Vermutung dann zu widerlegen; anders jedoch OLG Frankfurt VersR 1996, 862. 112

A. Länderberichte

45

Soweit die Fehlerhaftigkeit des Produktes und der Eintritt der Rechtsgutsverletzung feststehen, setzt die Umkehr der Beweislast ein: Der Hersteller muß nun darlegen, daß ihn kein Verschulden trifft. Diese Beweislastverteilung ist zumindest im Bereich der Konstruktions- 119 und Fabrikationsfehler120 anerkannt. Aber auch bei den sogenannten Instruktionsfehlern müssen grundsätzlich die gleichen Regeln zur Beweislastverteilung gelten. Dementsprechend muß der Geschädigte lediglich beweisen, daß der Hersteller seine Instruktionspflichten bei Inverkehrgabe des Produkts objektiv verletzt hat, daß also eine Instruktion des Verbrauchers nötig war121 • Ist dieser Beweis gefiihrt, so ist es Sache des Herstellers, sein mangelndes Verschulden zu beweisen. Er hat insbesondere darzulegen, daß die Gefahren, vor denen er hätte warnen müssen, fiir ihn selbst bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht erkennbar waren 122 • Insofern setzt auch hier die Verschuldensvermutung ein. Allerdings hat das Schrifttum der Entscheidung des BGH im sogenannten Apfe/schorf-Urtei/123 teilweise entnommen, im Rahmen der Instruktionspflicht müsse der Kläger ein Verschulden des Herstellers beweisen124 • Obgleich das Urteil den Fall einer erst nachträglich entstandenen Warnpflicht betraf, erscheint eine Differenzierung hier nicht angemessen. Grundsätzlich befindet sich der Geschädigte im Fall eines Instruktionsfehlers in ähnlicher Beweisnot, wie beim Konstruktions- bzw. Fabrikationsfehler 125 • Dies gilt um so mehr, als es fiir Grund und Umfang der Instruktionspflicht auf die Sammlung und Auswertung brancheninterner Daten ankommt. Auch hier wird es dem Geschädigten kaum möglich sein, eine nachträgliche Warnpflicht des Herstellers aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zu beweisen. Insofern haben hinsichtlich des Verschuldens die gleichen Beweislastregeln zu gelten, die auch fiir Konstruktionsund Fabrikationsfehler anerkannt sind 126•

BGHZ 67, 362. BGHZ 51, 91; BGH NJW 1996, 2507. 121 BGH VersR 1992, 99- Milupa-Urteil; Kötz, DeliktsR, S. 177. 122 BGH VersR 1992, 99; Kötz, DeliktsR, S. 177; Deutsch, VersR 1992, 523; ders. Unerlaubte Handlungen, S. 143. 123 BGHZ 80, 186. 124 Baumgärtel, JA 1984, 668; Soergel/Zeuner, § 823, Rn. 147. 125 Kötz, DeliktsR, S. 177. 126 I. E. ebenso BGH VersR 1992, 99; Deutsch, VersR 1992, 523; Brüggemeier, ZIP 1991, 379; Kötz, DeliktsR, S. 177. 119 120

46

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

c) Rechtsfolgen des § 823 Abs. 1 BGB mit Hinweis auf die Person des Anspruchsgegners Im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz des durch die Rechtsgutsverletzung adäquat kausal entstandenen Vermögensschadens. Anders als die Haftung nach dem AMG ist die allgemeine deliktische Produzentenhaftung der Höhe nach nicht begrenzt und gewährt Schmerzensgeld sowohl in der Ausgleichs- als auch in der Genugtuungsfunktion. Zum Schadensersatz verpflichtet ist grundsätzlich der Hersteller des fehlerhaften Produktes. Da aber an dem Produktionsprozeß und dem Vertrieb regelmäßig mehrere Personen oder Unternehmen beteiligt sind, soll im folgenden ein kurzer Überblick über die Person des Anspruchsgegners gegeben werden. Sofern an der Erstellung eines Produktes mehrere Hersteller beteiligt sind, scheidet die Verantwortung jedes einzelnen für sämtliche Fehler des Endproduktes aus. Die Haftung beschränkt sich hier vielmehr auf den jeweiligen herstellerspezifischen Aufgabenbereich127• Dem Endhersteller obliegt aber letztlich die Pflicht, sich durch ordnungsgemäße Auswahl seiner Zulieferer und hinreichende Analysen des Endproduktes von dessen fehlerfreiem Zustand zu überzeugen. Daneben kommt eine Haftung des Zulieferers dann in Betracht, wenn er die ihm im Hinblick auf sein Teilprodukt obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt128• Abgelehnt wird demgegenüber die Haftung des sogenannten Quasi-Herstellers, der ein Produkt von einem anderen Hersteller erwirbt und sich durch Kennzeichnung mit seinem Warenzeichen, Namen oder anderen Erkennungszeichen selbst als Hersteller ausgibe 29 • Hier kann die bloße Identifizierung mit einem Produkt durch Anbringung eines Warenzeichens noch keine Verkehrssicherungspflicht auslösen130• Gleiches gilt grundsätzlich für Importeure und Vertriebsgesellschaften131 • Nach neuerer Rechtsprechung des BGH132 kann allerdings den Vertriebshändler bzw. den Importeur die Pflicht zur sogenannten passiven Produktbeobachtung treffen133 • 127 BGH VersR 1960, 855; vgl. v. Westphelen/Foerste, Produkthafumgshandbuch I, S. 410; Kötz, DeliktsR, S. 180. 128 BGH NJW 1968, 248; v. Westphelen/Foerste, Produkthafumgshandbuch I, S. 420 f; Kötz, DeliktsR, S. 181;BGH NJW 1996, 2224: Instruktionspflichten des Herstellers eines Zulieferproduktes. 129 Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 143; v. Westphelen/Foerste, Produkthaftungshandbuch I, S. 403. 130 BGH VersR 1977, 839; NJW 1981 , 1609. 131 Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 143; v. Westphelen!Foerste, Produkthaftungshandbuch I, S. 404; BGH NJW 1980, 1219. 132 BGH JZ 1994, 574. 133 Dazu Brüggemeier, JZ 1994, 578 ff; ferner Kullmann, NJW 1994, 1701 f.

A. Länderberichte

47

d) Die Arzneimittelhaftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB Bei einer Verletzung der fiir die Arzneimittelsicherheit geschaffenen Schutzgesetze kann sich zudem ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ergeben, wenn die Verletzung des Schutzgesetzes den Eintritt einer Rechtsgutverletzung verursacht hat. Als Schutzgesetz kommt hier insbesondere das Verbot zur Inverkehrgabe bedenklicher Arzneimittel gemäß § 5 Abs. 1 AMG in Betracht. So hat auch der BGH in seiner Entscheidung zum Hühnerpest-Fall einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB auf einen Verstoß gegen § 6 AMG a. F. - den Vorläufer des heutigen § 5 Abs. 1 AMG - gestützt134. Grundsätzlich hat der Geschädigte den Nachweis eines schuldhaften Verstoßes gegen das Schutzgesetz zu erbringen.. Aber auch hier kommen dem Anspruchsteller Beweiserleichterungen zugute: Steht fest, daß das Schutzgesetz nicht beachtet und damit die äußere Sorgfalt verletzt wurde, so spricht die Vermutung auch fiir die Außerachtlassung der inneren Sorgfalt. Der Hersteller hat in diesem Fall Umstände darzulegen, die geeignet sind, die Verschuldensvermutung zu entkräften135 •

4. Die Haftungfür Arzneimittelschäden nach dem PHG a) Allgemeines Am 01. Januar 1990 ist das PHG in Kraft getreten. Mit Erlaß des PHG kam die Bundesrepublik Deutschland der Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Angleichung der Rechts- und V erwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung fiir fehlerhafte Produkte nach136• Erklärtes Ziel dieser Richtlinie war die Harmonisierung des Produkthaftungsrechtes in Europa. Dabei ließ der zunehmend integrierte gemeinsame Markt, auf dem Waren und Produkte mittels langer Verteilerketten in anonymisierter Weise an den Verbraucher abgegeben werden, einen umfassenden Verbraucherschutz notwendig erscheinen137•

BGHZ 51, 91. BGHZ 51, 103 f; BGH VersR 1985, 452; RGRK/Steffen, § 823, Rn 566; Deutsch, Unerlaubte Handlungen, S. 119 f. 136 Richtlinie des Rates der EG vom 25.07.1985; Amtsblatt EG L 210/29; 85/374/EWG. 137 Deutsch, Karlsruher Forum 1992,2. 134

135

48

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

Gleiche Umsetzungen sind in anderen Staaten der Europäischen Union erfolgt138; zum Teil haben aber auch Staaten außerhalb der Europäischen Union wie zum Beispiel Österreich und neuerdings die Schweiz - diese Richtlinie zum Gesetz erhoben139 • Die auf nationaler Grundlage erlassenen Regeln des PHG sind damit Bestandteil eines harmonisierten europäischen Produkthaftungsrechtes140. Eine solche Rechtsharmonisierung innerhalb der Europäischen Union wird derzeit auch in anderen Bereichen der Haftung angestrebt141 . b) Verhältnis zu§ 84 AMG und§ 823 BGB Dennoch ist der Anwendungsbereich des PHG im Rahmen der Arzneimittelhaftung äußerst gering. Grund dafür ist die in § 15 Abs. 1 PHG angeordnete Exklusivität des AMG: Danach findet das PHG keine Anwendung auf Schäden, die auf die von § 84 AMG erfaßten Arzneimittel zurückzuführen sind. Folge dieser Regelung ist der vollständige Ausschluß des PHG im Bereich des § 84 AMG selbst dann, wenn eine Ersatzpflicht im konktreten Fall ausscheidet142 • Nach allgemeiner Ansicht 143 steht die Regelung des § 15 Abs. 1 PHG damit in offensichtlichem Widerspruch zu Art. 13 der EG-Richtlinie. Diese sah lediglich vor, daß im Zeitpunkt der Bekanntmachung bereits bestehende Haftungsregelungen unberührt bleiben. Damit aber wollte die EG-Richtlinie die allgemeine Produkthaftung für Arzneimittel nach dem PHG neben dem AMG ermöglichen, während das PHG dem AMG Alleingeltung verschafft144. Sollte der Anwendungsbereich des PHG in seltenen Fällen eröffnet sein, bleibt daneben die allgemeine Produzentenhaftung aus § 823 BGB anwendbar. § 15 Abs. 2 PHG regelt das Verhältnis beider Haftungen im Sinne der Anspruchskonkxrrrenz.

138 Vgl. zum Umsetzungsstand Hohloch, ZEuP 1994, 421 f; ferner Littbarski, JZ 1996, 231 ff: 139 Österreich: BWidesgesetz über die Haftung fur ein fehlerhaftes Produkt vom 21.01.1988 (Öster. BGBI. 99), in Kraft getreten am 01.07.1988. Schweiz: Produkthaftpflichtgesetz (BGB11993 I, 884 ff. 981 ft), in Kraft getreten am 01.01 .1994. 140 Deutsch, Unerlaubte HandlWigen, S. 146. 141 Deutsch, Karlsruher Forwn 1992, 1 ff. 142 Sack, VersR 1988, 442; Deutsch, VersR 1992, 524 "negative Exklusivität". 143 Deutsch, VersR 1992, 522; Rolland, FS W. Lorenz 1991, S. 194 ff. 144 Sack, VersR 1988, 442; Marschall v. Bieberstein, PHI 1991, 166 f; Rolland, FS W. Lorenz 1991, S. 194 ff.

A. Länderberichte

49

c) Überblick über den Regelungsinhalt Das PHG statuiert eine - zumindest dem Namen nach - verschuldeosunabhängige Haftung des Herstellers, wenn durch den Fehler eines Produktes ein Mensch getötet, körperlich verletzt oder eine Sache beschädigt wird,§ 1 PHG. Ein Fehler des Produktes ist gemäߧ 3 PHG dann anzunehmen, wenn es im Zeitpunkt der Ioverkehrgabe nicht die Sicheheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden konnte. Da sich das PHG am ehesten wohl als verschuldensunabhängige, objektivierte Haftung einordnen läßt145, steht freilich der Fehler als solcher und weniger menschliches Fehlverhalten im Vordergrund 146• Konsequenz daraus ist, daß der Hersteller im Falle des PHG auch für unvermeidbare Ausreißer einzustehen hat, die im verschuldensahhängigen Bereich eine Haftung mangels Sorgfaltspflichtverletzung nicht auslösen147 • Insofern genügt im Rahmen des PHG die Verletzung der objektiv typisierten Sorgfalt; es handelt sich um eine objektive Zurechnung für den nachgewiesenen Fehler148 • Andererseits wird im Bereich der Entwicklungsrisiken deutlich, daß die Haftung nach dem PHG dem Konzept einer Gefährdungshaftung nicht entspricht: § 1 Abs. 2 Nr. 5 PHG schließt eine Ersatzpflicht aus, wenn der Fehler nach dem Kenntnisstand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Inverkehrgabe nicht erkennbar war 149• Für diesen Bothaftungsgrund obliegt allerdings dem Hersteller die Beweislast (§ 1 Abs. 4 Satz 2 PHG). Insofern hat der Geschädigte nur das Vorhandensein eines Fehlers, eines Schadens sowie den darüber hinaus erforderlichen Ursachenzusammenhang darzulegen150• Als objektive Haftung sieht das PHG nur den Ersatz des materiellen Schadens - begrenzt auf Höchstbeträge - vor. 5. Zusammenfassung der Grundlagen der deutschen Arzneimittelhaftung

Sieht man einmal von den Regelungen des PHG und mehr noch von denen des GenTG ab, so läuft das Recht der deutschen Arzneimittelhaftung zumindest Deutsch, JZ 1989, 470; ders. VersR 1988, 1200. Zurückhaltend Kötz, DeliktsR, S. 179; ders. FS W. Lorenz 1991, S. 109. 147 Buchner, DB 1988, 34; zurückhaltend Kötz, DeliktsR, S. 178. 148 Deutsch, VersR 1988, 1197; ders. VersR 1992, 523. 149 Kötz, DeliktsR, S. 179; Medicus, Bürger!. Recht, S. 392: keine wesentliche Haftungsverschärfung; BGH NJW 1995, 2162: § 1 Abs. 2 Nr. 5 PHG gilt nur für Entwicklungsrisiken. 150 § 1 Abs. 4 S. 1 PHG. 145

146

4 Wicdcmann

50

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

zweispurig: Der Geschädigte kann seine Ansprüche einerseits auf die verschuldensabhängige, den Besonderheiten der Produzentenhaftung angepaßte Haftung aus § 823 BGB stützen; auf der anderen Seite steht ihm ein Anspruch aus dem als Gefährdungshaftung bezeichneten § 84 AMG zur Verfügung. Bei der Einordnung der Regelungen in das geltende Haftungssystem ist nun Vorsicht geboten, da der Übergang von Verschuldenshaftung zu objektiver Haftung und ferner zur Gefährdungshaftung oft fließend 151 , die Begriffsverwendung zudem oft ungenau ist. Grundsätzlich ist auch die verschuldensahhängige Produzentenhaftung im geltenden Recht als objektive Zurechnung ausgestaltet: Sowohl objektiv-typisierte Sorgfaltsmaßstäbe als auch die Umkehr der Beweislast sind deutliche Kriterien für eine objektive Zurechnung. Die Verantwortlichkeit des pharmazeutischen Unternehmers gemäß § 823 BGB folgt dennoch dem Verschuldensprinzip und bleibt trotz objektiver Zurechnung weit von der Gefährdungshaftung entfernt 152 • Sicherlich kommt§ 84 S. 2 Nr. I AMG dem Konzept der Gefährdungshaftung am nächsten, weil auf das Erfordernis der Erkennbarkeit von schädlichen Wirkungen im Zeitpunkt der Inverkehrgabe verzichtet wird. Aber schon bei der Haftung für Instruktionsmängel im Rahmen des § 84 AMG wird die Nähe zur Verschuldenshaftung wieder deutlich: Hat der pharmazeutische Unternehmer bei der Information dem im Zeitpunkt der lnverkehrgabe geltenden medizinischen Kenntnisstand nicht genügt, wird die Haftung ausgelöst. Haftungsgrund ist aber dann nichts anderes als die Verletzung einer Verkehssicherungspflicht153 • So gesehen ist die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung des § 84 AMG als Gefährdungshaftung unzutreffend.

ß. Grundzüge der Arzneimittelhaftung in den USA Die Vereinigten Staaten von Amerika stellen kein einheitliches Rechtsgebiet dar. Abgesehen von relativ wenigen Rechtsmaterien, die bundeseinheitlich geregelt sind, hat jeder Staat sein eigenes Privatrecht. Auch auf dem Gebiet der products liability existierte zumindest bislang kein Bundesreche 54 • Die Produkthaftung fiel vielmehr im wesentlichen in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Gliedstaaten und hat sich dort zum Teil unterschiedlich entwickelt. Gleichwohl sind einige einheitliche Tendenzen durchaus erkennbar, und viele 151 V. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 13; ferner Deutsch, NJW 1992, 73 ffzu den verschiedenen Formen der objektiven Haftung. 152 Deutsch, VersR 1988, 1197 f, 1200 f; ferner v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 12. 153 Vgl. oben, 2. Teil AI 2 d cc. 154 Vgl. aber zum neuen Bundesprodukthaftungsgesetz Röhm, RIW 1992, 203 ff.

A. Länderberichte

51

der anstehenden Fragen werden übereinstimmend gelöst. Die folgende Darstellung soll sich daher auf die Grundzüge der amerikanischen Produkthaftung und einige charakteristische Einzelfragen im Hinblick auf Arzneimittel beschränken155.

1. Grundlagen und Entwicklung der Produkthaftung Die USA sind wohl zu Recht als Mutterland der Produkthaftung bezeichnet worden156• Die Zahl der Entscheidungen aber auch die Fülle wissenschaftlicher Veröffentlichungen lassen sich kaum mehr überschauen. Zur Diskussion stehen sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche. Die drei wichtigsten Anspruchsgrundlagen, die eine Haftung des Herstellers fehlerhafter Produkte begründen, sind die verschuldeosabhängige negligence-Haftung, die Gewährleistungshaftung aus breach ofwarranty sowie die strict liability in tort. Die Produkthaftung der Vereinigten Staaten von Amerika hatte sich traditionelllange Zeit auf die englische Entscheidung in Sachen Winterbotom v. Wright gestützt157, in der der Anspruch gegen den Hersteller auf eine Vertragsverletzung des Herstellers zurückgefiihrt wurde. Seit der grundlegenden Entscheidung des New Yorker Court of Appeal aus dem Jahre 1916 im Fall McPherson v. Buick Motor Co. 158 wurde die vertragliche Haftung durch die Einfiihrung einer vom Vertragserfordernis unabhängigen Verschuldeoshaftung wirkungsvoll ergänzt. Von nun an standen dem Kläger zwei traditionelle Anspruchsgrundlagen zur Verfiigung, zu denen sich im Jahre 1963 anläßlich der Entscheidung des Supreme Court of California in Sachen Greenman v. Yuba Power Products, Jnc. 159 eine dritte gesellte: die strict liability in tort. Bedingt durch das amerikanische Rechtssystem ist diese neuere Haftungsgrundlage vorwiegend durch die Rechtsprechung der einzelnen Bundesstaaten geprägt worden160• Wegen ihrer überaus schnellen Übernahme und Verbreitung durch die amerikanischen Gerichte ist die Einfiihrung der strict liability in tort als spektakulärste Entwicklung des Haftungsrechts in den USA im 20. Jahrhundert bezeichnet worden.

Jss Ausführliche Darstellung der amerikanischen Armeimitte1haftung bei Marinero, Arzneimittelhaftung USA und Deutschland, S. 35 ff. 156 Marschall v. Bieberstein, AG 1987, 105. 157 152 Eng. Rep. 412 (1842). 1s8 217 N. Y. 382, 111 N. E. 1050 (1916). 159 377 P. 2d 897 (1963). 160 V. Westphalen/Debusschere!Kretschmar, Produkthaftungshandbuch II, S. 222. 4*

52

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

2. Breach of Warranty Die historisch älteste Anspruchsgrundlage ist die vertragliche Garantiehaftung - die Haftung wegen breach of warranty 161 • Sie beruht auf der Annahme einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Zusicherung des Verkäufers, die die generelle Tauglichkeit bzw. Eignung des Produktes zu einem bestimmten Zweck betrifft. a) Uniform Commercial Code (UCC) Grundlage der vertraglichen Garantiehaftung sind die Handelsgesetzbücher der einzelnen Bundesstaaten, die im wesentlichen auf dem UCC beruhen162. Der UCC hat im Anschluß an den 2. Weltkrieg eine weitgehende Harmonisierung der bis dahin sehr unterschiedlichen einzelstaatlichen Handelsgesetze bewirkt163. Er trifft wesentliche Regelungen zu Konsumentenkäufen und begründet eine Haftung entweder bei der Verletzung einer ausdrücklichen (vertraglichen) Zusicherung 164 oder bei der Verletzung einer stillschweigenden Zusicherung165. Ungeachtet einiger immer noch bestehender Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesstaaten lassen sich die Anspruchsvoraussetzungen im wesentlichen einheitlich bestimmen. Der Geschädigte, der seinen Anspruch auf breach of warranty stützt, muß zunächst darlegen, daß der Beklagte eine Zusicherung abgegeben hat. Diese Zusicherung muß der Beklagte verletzt haben, was bei der Produkthaftung regelmäßig der Fall ist, wenn das Produkt der Zusicherung nicht entspricht und somit fehlerhaft ist 166. Ferner muß die Fehlerhaftigkeit des Produktes den Eintritt eines Schadens verursacht haben. Bei der Verletzung ausdrücklich zugesicherter Eigenschaften haftet der Verkäufer unabhängig davon, ob ihm eine Sorgfaltspflichtverletzung zur Last fällt 167. Der Anspruch tritt also unabhängig vom Verschulden ein. Aber auch bei der Verletzung einer gesetzlichen oder stillschweigenden Zusicherung wird ein Verschulden des Herstellers bzw. des

161 Zu Einordnungsproblemen Prosser, 69 Yale L. J. (1960), 1126; in jüngerer Zeit Pfeifer, Produktfehler, S. 57 f. 162 Mit Ausnahme von Louisiana, das der französischen Rechtstradition folgt. 163 White/Sununers, UCC, S. 3ff. 164 Expressed warranty 2- 213 UCC; vgl. White/Sununers, UCC, S. 327 ff; Baxter v. Ford Motor Company 12 P. 2d 409 (Wash. 1932). 165 Implied warranty 2-314 UCC; vgl. White/Sununers, UCC, S. 343 ff. 166 Dielmann, AG 1987, 110. 167 V. Westphalen/Debusschere!Kretschmar, Produkthaftungshandbuch II, S. 243.

A. Länderberichte

53

Verkäufers nicht vorausgesetzt 168 • Damit handelt es sich bei der warranty-Haftung wn eine Form der strict liability, die zumindest den gewerblichen Verkäufer fi1r die Sicherheit des Produktes bei gewöhnlichem Gebrauch einstehen läßt169• b) Bedeutung der Privity ofContract Da es sich nach inzwischen gefestigter Ansicht 170 bei dem Anspruch aus breach of warranty wn einen vertraglichen Gewährleistungsanspruch handelt, konnte dieser Anspruch in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des englischen common law zunächst nur im Rahmen direkter Vertragsbeziehungen geltend gemacht werden171 • Angesprochen ist damit das Erfordernis des privity of contract, das fi1r den Geschädigten gerade im Bereich der durch lange Absatzketten gekennzeichneten Produkthaftung erhebliche Nachteile mit sich bringen kann . Von dem stets geforderten Vorhandensein direkter vertraglicher Beziehungen wurden zu Beginn dieses Jahrhunderts zunächst im Lebensmittelund Arzneimittelbereich Ausnahmen zugelassen 172 • In der Leitentscheidung des New Yorker Court of Appeal in Sachen Thomas and wife v. Winchester 173 erkannte das Gericht erstmals auch einen Anspruch solcher Personen an, die mit dem Kauf bestimmungsgemäß in Berührung kamen. Ähnlich wie bei Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter im deutschen Recht waren davon zunächst Familienangehörige sowie Gäste und Angestellte des Käufers betroffen174• In der Folgezeit wurde die warranty-Haftung durch die Zulassung immer weiterer Ausnahmen vom Erfordernis des privity of contract erheblich ausgedehnt. In der Entscheidung Henningsen v. Bloomjieli 15 des Supreme Court of New Jersey aus dem Jahre 1960 erfolgte dann eine generelle Ausweitung der warranty-Haftung fi1r den gesamten Bereich der Herstellerhaftun.g176. Diese Entschei-

168

s. 20.

Dielmann, AG 1987, 110; Marinero, Arzneimittelhaftung USA und Deutschland,

169 So v. Westsphalen/Debusschere!Kretschmar, Produkthaftungshandbuch II, S. 244; Dielmann, AG 1987, 109; Siehr, RIW 1972, 382. 170 Pfeifer, Produktfehler, S. 57 f. 171 Prosser, 27 Minn. L. R. (1943) 120; Winterbotom v. Wright, 152 Eng. Rep. 412 (1842). 172 Prosser, 69 Yale L. J., (1960) 1124; ders. 50 Minn. L. R. (1966) 791 ff. 173 6 N. Y. 397, 57 Am. Dec. 455 (1852). 174 Pfeifer, Produktfehler, S. 59 ff. 175 161 A. 2d 69 (N. J. 1960). 176 Im einzelnen Marinero, Arzneimittelhaftung USA und Deutschland, S. 17 ff.

54

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

dung gab den wesentlichen Anstoß zu einem weitgehenden Verzicht auf das Erfordernis des privity of contract171• Im UCC selbst sind drei Fallgruppen vorgesehen, in denen die Haftung aus breach of warranty auf außerhalb des Vertrages stehende Personen ausgedehnt wird178 • In Anlehnung an eine der im UCC vorgesehenen Alternativen verzichtet heute die Mehrzahl der Einzelstaaten auf das Vertragserfordemis 179• c) Besonderheiten bei der Arzneimittelhaftung Die Anspruchsgrundlage der breach ofwarranty hat in Fällen der Arzneimittelhaftung nur untergeordnete Bedeutung erlangt. Grund dafür mag unter anderem die Auffassung sein, daß Zusicherungen in erster Linie dem Arzt gegenüber, nicht jedoch dem Patienten gegenüber abgegeben werden180 • Dennoch sind Fälle bekannt, in denen ein geschädigter Arzneimittelverwender seine Ansprüche gegenüber dem Hersteller erfolgreich auf die vertraglichen Gewährleistungsgrundsätze stützen konnte: So wurde der Hersteller eines Impfstoffes im Falle Gottsdanker v. Cutter Laboratories 181 wegen breach of implied warranty haftbar gemacht, obwohl der Kläger keine Vertragsbeziehungen zum Hersteller hatte und dem Hersteller eine Sorgfaltspflichverletzung nicht nachzuweisen war.

Im amerikanischen Recht ist jedoch die Tendenz sichtbar, bestimmte pharmazeutische Produkte von der verschuldeusunabhängigen Gewährleistungshaftung auszunehmen. Im Vordergrund stehen hier die sogenannten bad blood cases 182 , bei denen es um die Frage geht, ob die Vornahme einer Bluttransfusion den Verkauf eines Gutes oder vielmehr die Erbringung einer pharmazeutischen Dienstleistung darstellt. Die Rechtsprechung der Bundesstaaten ist hier uneinheitlich: So haben New Yorker Gerichte entschieden, daß ein Patient, der eine Transfusion erhält, Empfänger einer Dienstleistung ist183 • Konsequenz dieser Sichtweise ist, daß die Anwendung der kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche ausscheidet184• Andererseits qualifizierte der Supreme Court of FloProsser, 50 Minn. L. R. (1966) 791 ff; ferner Dielmann, AG 1987, 110. Vgl. 2-313 UCC. 179 V. Westphalen!Debusschere!Kretschmar, Produkthaftungshandbuch II, S. 250 f; Röhm, RIW 1992, S. 201. 180 Marinero, Arzneimittelhaftung USA und Deutschland, S. 39; v. Westphalenl Debusschere!Kretschmar, Produkthaftungshandbuch Il, S. 263. 181 182 Ca!. Rptr. 320 (1960). 182 Ausführlich Marschall v. Bieberstein, FS Schmitthoff 1973, S. 280 ff; Marinero, Arzneimittelhaftung USA und Deutschland, S. 72 ff. 183 Perlmutter v. Beth David Hospital, 123 N. E . 2d 792 (N. Y. 1954). 184 Marschall v. Bieberstein, FS Schmitthoff 1973, S. 282 f. 177 178

A. Länderberichte

55

rida 185 die Übertragung von Blut als sa/e und bejahte einen auf breach ofwarranty gestützten Anspruch des Klägers. In der Folgezeit haben viele Bundesstaaten diese Streitfrage durch Erlaß entsprechender Gesetze dahingehend entschieden, daß Bluttransfusionen ausdrücklich als Dienstleistungen eingeordnet werden. Dahinter stand die offensichtliche Besorgnis, die Einftihrung einer verschuldeosunabhängigen Haftung in diesem Bereich könne die Versorgung mit dem lebensnotwendigen Produkt Blut unnötig erschweren186 •

Aber auch im Hinblick auf die Haftung eines Apothekers vertrat der Supreme Court of California 181 die Ansicht, daß er bei Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikamentes eine Dienstleistung erbringe und den Grundsätzen der strict /iability nicht unterliege. Obgleich sich die Entwicklungen im einzelnen noch nicht absehen lassen, kommt in diesen Entscheidungen das offensichtliche Unbehagen zum Ausdruck, die strict /iability auch auf den gesamten Bereich der Arzneimittel auszudehnen. 3. Die Haftung aus Negligence

Anders als bei der vertraglichen Gewährleistungshaftung, bei der die Brauchbarkeit eines Produktes im Vordergrund steht, ist fiir die negligence-Haftung das Verhalten des Herstellers wesentlich. Der Tatbestand der negligence begründet eine verschuldensahhängige Haftung des Herstellers fiir fehlerhafte Produkte188 • Grundlegend war ein Urteil des New Yorker Court ofAppeal aus dem Jahre 1916 in Sachen McPherson v. Buick Motor Compan/ 89• Der beklagte Hersteller hatte ein Kraftfahrzeug an einen Händler geliefert, der es seinerseits an den Kläger weiterverkaufte. Der Kläger erlitt infolge eines Raddefektes einen Schaden. Das Gericht hob das Erfordernis bestehender Vertragsbeziehungen ausdrücklich auf und stellte fest, daß sowohl Produktbenutzer als auch Dritte einen vom Verschulden abhängigen Anspruch gegen den Hersteller geltend machen können.

Community Blood Bank Inc. v. Russe! ,196 So. 2d 115 (Florida 1967). Ausfiihrlich Marschall v. Bieberstein, FS Schmitthoff 1973, S. 282 f; v. Westphalen!Debusschere/Kretschmar, Produkthaftungshandbuch II, S. 267. 187 Murphyv. Squibb & Sons, Inc., 710 P. 2d 247 (Ca!. 1985). 188 Ausfiihrlich Prosser/Keeton, Torts, S. 681 ff; ferner Röhm, RIW 1992, S. 201 ; v. Westphalen!Debusschere/Kretschmar, Produkthaftungshandbuch li, S. 235; vgl. allerdings Pfeifer, Produktfehler, S. 199. 189 217 N. Y. 382, 111 N. E. 1050 (1916) 185

186

56

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

a) Anspruchsvoraussetzungen Die Verschuldeoshaftung beruht auf der Pflicht des Herstellers, im Hinblick auf die Sicherheit seiner Produkte die gebührende Sorgfalt anzuwenden. Demgemäß muß der Kläger zunächst darlegen, daß der Hersteller ihm gegenüber zur Wahrung der angemessenen Sorgfalt verpflichtet war. An dem Erfordernis der Sorgfaltspflicht gegenüber dem Kläger scheiterten im 19. Jahrhundert die meisten Ansprüche gegenüber dem Hersteller im Rahmen der products liability. Denn bis in das 20. Jahrhundert hinein wendeten die Gerichte durchgängig die privity-rule an und folgerten daraus, daß der Hersteller nur im Verhältnis zu seinem direkten Produktkäufer zur Wahrung gebührender Sorgfalt verpflichtet war 190. Dementsprechend beschränkte sich die Haftung des Herstellers auf Schäden, die der unmittelbare Käufer erlitten hatte. Wie bereits erwähnt 191 , zeiclmete sich eine Wende zunächst im Bereich besonders gefährlicher Produkte ab 192 . So erkannte das Gericht im schon zitierten Fall Thomas and wife v. Winchester 193 einen Anspruch des durch ein giftiges Medikament geschädigten Verbrauchers gegen den Hersteller an, obgleich direkte Vertragsbeziehungen nicht bestanden hatten. Im Bereich der Arzneimittelhaftung wurde so die privity-rule schon früh verdrängt. Einen endgültigen Durchbruch für den gesamten Bereich der Produkthaftung erzielte dann die erwähnte Entscheidung in Sachen McPherson v. Buick Motor Company. Seit dieser Entscheidung aus dem Jahre 1916 konnte jeder, auch der vertragsfremde Dritte, einen auf negligence gestützten Anspruch gegen den Hersteller eines fehlerhaften Produktes geltend machen. Damit war das Bestehen einer Sorgfaltspflicht des Herstellers gegenüber dem Endverbraucher und vertragsfremden Dritten endgültig anerkannt. Älmlich wie im deutschen Recht bezieht sich Pflicht zur Wahrung gebührender Sorgfalt dem Produktionsprozeß entsprechend auf die Konstruktion, die Fabrikation sowie die Instruktion im Hinblick auf die Verwendung des Produktes194. Vereinzelt wird sogar das Bestehen einer Produktbeobachtungspflicht nach der Vermarktung des Produktes mit der möglichen Konsequenz eines Rückrufs anerkannt195 . Weiche Sorgfalt der Hersteller im Einzelfall anzuweden hat, beurteilt die Rechtsprechung anhand verschiedener Kriterien: Von Bedeutung sind unter 190 Winterbotom v. Wright, 152 Eng. Rep. 412 (1842); Prosser/Keeton, Torts, S. 679 ff. 191 Vgl. oben 2. Teil A II 2 b. 192 AusfUhrlieh Marinero, Arzneimittelhaftung USA und Deutschland, S. 4 f. 193 6 N. Y. 397; ferner Blood Balm v. Cooper 10 S. E. 118. 194 Dielmann, AG 1987, 111 m. w. N. 195 Schwarz, 58 N. Y. U. L. Rev. (1983) 901; Dielmann, AG 1987, 111.

A. Länderberichte

57

anderem die AnschauWigen des jeweiligen Industriezweiges oder die Gefahrenträchtigkeit des Produktes 196• Sofern ein Hersteller den branchenüblichen Standards nicht genügt, wird hierin in der Regel die Verletzung von Sorgfaltspflichten gesehen197• Zudem orientiert sich das Maß der Sorgfalt oftmals an behördlichen oder gesetzlichen Sicherheitsvorschriften, die gerade im Pharmabereich eine besondere Rolle spielen 198• Die NichtbeachtWlg solcher Vorschriften kann die VermutWlg einer Sorgfaltspflichtverletzung auslösen Wld wird von vielen Gerichten als negligence per se angesehen199• Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurtei!Wlg einer Sorgfaltspflichtverletzung auf Seiten des Herstellers ist der Zeitpunkt der Ioverkehrgabe des Produktes200 • Hat der Hersteller die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Kenntnisse von Wissenschaft Wld Technik eingehalten, steht ihm der sogenannte state of the art defence zu. Damit scheidet - für die Verschuldeoshaftung üblich - die Haftung für EntwicklWlgsrisiken im Bereich der negligence-Haftung aus. b) Dieres ipsa loquitur als Beweiserleichterung Von dem Grundsatz, daß den Kläger die Beweislast für das Verschulden trifft, läßt das amerikanische Recht eine Ausnahme zu: In Anlehnung an die sogenannte res ipsa /oquitur ist ein Kläger, der den Beweis einer Sorgfaltspflichtverletzung nicht erbringen kann, unter bestimmten Voraussetzungen dazu berechtigt, sich auf eine VerschuldensvermutWlg zu berufen. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß der Geschädigte zunächst das Vorhandensein eines Produktfehlers sowie die Kausalität zum Schaden nachweist201 • Die wesentlichen Grundsätze für die Anwendung der res ipsa loquitur wurden für das amerikanischeRecht im Fall Gherna v. Ford Motor Compani02 aus dem Jahre 1966 festgelegt. Nach Auffassung des Gerichts mußte zunächst feststehen, daß das in Frage stehende Ereignis naturgemäß nur bei einem Verschulden eintreten kann. Daneben wurde vorausgesetzt, daß sich der gesamte Vorgang ausschließlich unter der Kontrolle des Beklagten befand; eine Mitwir-

196 So in McPherson v. Buick Motor Company, 217 N. Y. 382; 111 N. E. 1050 (1916). 197 Dielmann, AG 1987, 111. 198 Hier gilt der Federal Food, Drug and Cosmetics Act, 21 USC 301 - 392. 199 Berkebile v. Brantly Helicopter Corp., 281 A. 2d 707 (Pa. Super 1971). 200 Bzw. der Zeitpunkt der Herstellung des Produktes: Boatland of Houston v. Baily 609 S. W. 2d 743 (1980). 201 Vgl. v. Westpha1en/Debusschere/Kretschmar, Produkthaftungshandbuch li, S. 240 f; Prosser/Keeton, Torts, S. 242 ff. 202 246 Ca!. App. 2d 639, 55 Ca!. Rptr. 94 (1966).

58

Zweiter Teil: Rechtsvergleichender Überblick zum materiellen Recht

kung des Klägers hingegen mußte ausgeschlossen sein. Mit dieser Entscheidung wurde fiir das amerikanische Produkthaftungsrecht die an den Grundsätzen der res ipsa loquitur orientierte widerlegbare Beweisregel eingefiihrt, daß der Beklagte trotz fehlenden Nachweises den Schaden schuldhaft verursacht hat, wenn er die alleinige Herrschaft über den schadensstiftenden Vorgang hatte, und der Schaden gewöhnlich nur durch fahrlässiges Verhalten herbeigefiihrt werden kannzoJ. Durch Übernahme der res ipsa loquitur-Doktrin in das amerikanische Produkthaftungsrecht ist den erwähnten Beweisschwierigkeiten des Klägers in derartigen Prozessen zum Teil Rechnung getragen worden. c) Arzneimittelhaftung nach Negligence-Grundsätzen Die neg/igence-Haftung hat im Bereich des Arzneimittelrechts insbesondere bei Verletzung von Instruktionspflichten große Bedeutung204 • Darüber hinaus sind pharmazeutische Hersteller auch bei der Konstruktion und Herstellung ihrer Medikamente dazu verpflichtet, ein besonders hohes Maß an Sorgfalt anzuwenden und alles mögliche zu unternehmen, um schädliche Eigenschaften des Medikamentes zu erforschen205 . Die Mehrzahl amerikanischer Arzneimittelhaftungsf