Das Internationale Privatrecht der europäischen Verordnungen und Drittstaatsverträge: Eine Analyse aus deutscher Perspektive und zur Stärkung des europäischen Kollisionsrechts [1 ed.] 9783428585526, 9783428185528

Damit die Europäische Union als Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts funktioniert, bedarf es auch der Harmon

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German Pages 194 [195] Year 2022

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Das Internationale Privatrecht der europäischen Verordnungen und Drittstaatsverträge: Eine Analyse aus deutscher Perspektive und zur Stärkung des europäischen Kollisionsrechts [1 ed.]
 9783428585526, 9783428185528

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Schriften zum Europäischen Recht Band 211

Das Internationale Privatrecht der europäischen Verordnungen und Drittstaatsverträge Eine Analyse aus deutscher Perspektive und zur Stärkung des europäischen Kollisionsrechts

Von Lena Franke

Duncker & Humblot · Berlin

LENA FRANKE

Das Internationale Privatrecht der europäischen Verordnungen und Drittstaatsverträge

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 211

Das Internationale Privatrecht der europäischen Verordnungen und Drittstaatsverträge Eine Analyse aus deutscher Perspektive und zur Stärkung des europäischen Kollisionsrechts

Von Lena Franke

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 384 Alle Rechte vorbehalten © 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-18552-8 (Print) ISBN 978-3-428-58552-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt in erster Linie meinem Doktorvater Professor Dr. Wolfgang Wurmnest, LL.M. (Berkeley) für die Anregung zu diesem Thema und die große Unterstützung in jeder Phase meiner Dissertation. Immer offen für Diskussionen hat er durch seine konstruktiven Anmerkungen entscheidend zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Die lehrreiche Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl hat mich nicht nur fachlich, sondern auch menschlich geprägt. Herzlich danken möchte ich auch Professor Dr. Phillip Hellwege M.Jur. (Oxford) für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die hilfreichen Hinweise. Ein großer Dank gebührt außerdem meinen Freunden und Kollegen, die immer ein offenes Ohr hatten und durch ihre guten Ratschläge fachlicher und nicht fachlicher Natur eine große Stütze waren. Mein Dank gilt insbesondere Richard Caja für sein gewissenhaftes Korrekturlesen meiner Arbeit. Außerdem möchte ich mich bei Dr. Maximilian Kübler-Wachendorff, Benedikt Wössner, Dr. Simon Zechmann, Dr. Thomas Vogl und Dr. Hanns-Peter Kollmann für die fachlichen Gespräche und zahlreichen Anregungen bedanken. Größten Dank schulde ich meinen Eltern Cornelia und Dieter Franke, die mir meine Ausbildung überhaupt erst ermöglicht und mich zu jedem Zeitpunkt bedingungslos unterstützt haben. Ihr Zuspruch war für mich von ganz besonderer Bedeutung für die Fertigstellung meiner Arbeit. Von Herzen möchte ich schließlich Ervis Caja danken. Ohne seine scheinbar unendliche Geduld, seinen Zuspruch und seine uneingeschränkte Unterstützung auch in fachlicher Hinsicht würde es diese Arbeit nicht geben. München, Dezember 2021

Lena Franke

Inhaltsverzeichnis Kapitel A Einleitung 19 I.

Anlass und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

II.

Methode und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Kapitel B

Das europäische IPR 23

I.

Entwicklung des IPR in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

II.

Wichtige Ziele des europäischen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Prinzip des Entscheidungseinklangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Europäischer Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Binnenmarktintegration und Schaffung eines europäischen Rechtsraums . . . . 26

III. Das Prinzip der engsten Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Objektive Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Rechtswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Die Union als Mitglied der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht . . . . 30 V.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Kapitel C

Vorrangige Drittstaatsverträge und Kollisionen mit dem europäischen IPR 33

I.

Anwendungsbereich sekundärrechtlicher Vorrangsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 33

II.

Die Erbrechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Kollisionsnormen der Erbrechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Vorrang mitgliedsstaatlicher Drittstaatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Der Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28. Mai 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Kollisionsrecht des Nachlassabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

10

Inhaltsverzeichnis bb) Anwendungsbereich des Nachlassabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (1) Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (2) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 cc) Divergenzen mit der Erbrechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Anwendungsbereich des Niederlassungsabkommens . . . . . . . . . . . . . . 43 (1) Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (2) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Divergenzen mit der Erbrechtsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Der Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25. April 1958 . . . . . . . . 45 aa) Anwendungsbereich des Konsularvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 bb) Divergenzen mit der EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

III. Die Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Kollisionsrecht der Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Das Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Kollisionsnormen des Haager Straßenverkehrsübereinkommen . . . . . . . . . . 52 b) Anwendungsbereich des Haager Straßenverkehrsübereinkommen . . . . . . . 53 c) Divergenzen mit der Rom II-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 IV. Die Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Kollisionsrecht der Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Vorrang mitgliedsstaatlicher Übereinkünfte mit Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Kollisionsnormen der CMNI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Divergenzen mit der Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 V.

Die Europäische Unterhaltsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

VI. Die Rom III-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Kollisionsnormen der Rom III-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiser­ reich Persien vom 17. Februar 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Inhaltsverzeichnis

11

a) Scheidungsrechtliche Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Divergenzen mit der Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Einschränkung der Anwendung des iranischen Sachrechts nach Art. 10 Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 VII. Die Europäischen Güterrechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 VIII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Kapitel D I.

Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR 73 Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge . . . . . . . . . . . 73 1. Verteilung der Außenkompetenzen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Außenkompetenzen der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge vor dem Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (1) Entscheidung in der Sache AETR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (2) Entscheidung in der Sache Kramer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (3) Gutachten zum Stilllegungsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (4) Gutachten zum WTO-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (5) Entscheidung in der Sache Open Skies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (6) Gutachten zum Lugano-Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (7) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 bb) Die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge nach dem Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (1) Art. 216 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (2) Art. 3 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 cc) Anwendung auf das IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 dd) Anwendung auf den Sonderfall der Verstärkten Zusammenarbeit . . . . . 84 b) Kompetenzen bezüglich bereits bestehender Drittstaatsverträge . . . . . . . . . 86 aa) Das Verhältnis der Drittstaatsverträge zum Unionsrecht, Art. 351 AEUV 86 (1) Unberührtheitsklausel Art. 351 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (2) Analoge Anwendung des Art. 351 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . 88 (3) Das Verhältnis von Art. 351 Abs. 1 zu Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . 88 (4) Behebung von Unvereinbarkeiten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV . . 89 (5) Das Verhältnis der unionsrechtlichen Verordnungen zu Art. 351 AEUV 91 (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

12

Inhaltsverzeichnis bb) Das Loyalitätsgebot gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (2) Auswirkung auf die Außenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Umfang der Außenkompetenz der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Handlungsoptionen hinsichtlich der Drittstaatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Anpassung des Drittstaatsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Zuständigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (1) Verfahren auf Unionsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Verfahren auf mitgliedsstaatlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 cc) Formen der Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 dd) Sonderform: Auslegungsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Kündigung des Drittstaatsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Zuständigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 cc) Umfang der Kündigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (1) Entstehung der Kündigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (2) Kündigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 dd) Durchsetzung der Kündigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Abschluss eines neuen Drittstaatsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Zuständigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (1) Verfahren nach Art. 218 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 (2) Beteiligung der Mitgliedsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Hintergründe und Ausgestaltung der Drittstaatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Interessen der Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

II.

Korrektur hinsichtlich des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Anpassung der Kollisionsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Anpassung der Vorrangsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Löschung der sekundärrechtlichen Vorrangsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Beschränkung der sekundärrechtlichen Vorrangsregelungen hinsichtlich bestimmter Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Inhaltsverzeichnis

13

c) Beschränkung der sekundärrechtlichen Vorrangsregelungen hinsichtlich rein innereuropäischer Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Im Speziellen: Annahme einer Gesamtverweisung bei Art. 34 EuErbVO . . . . . 126

Kapitel E I.

Anwendung der Korrekturmöglichkeiten auf die festgestellten Kollisionen 129 Der Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28. Mai 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4. Mögliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation des Nachlass­ abkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Konkretisierung der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (2) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Anpassung des Nachlassabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Änderung der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 bb) Führung der Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 c) Kündigung des Nachlassabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) Bestehen eines Kündigungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 d) Abschluss eines neuen Staatsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 bb) Führung der Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

II.

Der Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25. April 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

14

Inhaltsverzeichnis 3. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Mögliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation des Konsularvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Anpassung des Konsularvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Kündigung des Konsularvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 d) Abschluss eines neuen Staatsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

III. Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4. Mögliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation des Niederlassungsabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Anpassung des Niederlassungsabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 c) Kündigung des Niederlassungsabkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 d) Abschluss eines neuen Staatsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 IV. Das Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4. Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation des Haager Straßenverkehrsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Anpassung des Haager Straßenverkehrsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Kündigung des Haager Straßenverkehrsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . 164 d) Abschluss eines neuen Staatsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Inhaltsverzeichnis V.

15

Das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3. Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 4. Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation der CMNI . . . . 169 b) Anpassung der CMNI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Kündigung der CMNI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Abschluss eines neuen Staatsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

VI. Kategorisierung der Drittstaatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Freundschaft und Diplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Regionale Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Kapitel F

Fazit und Ausblick 176

I.

Das moderne IPR der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

II.

Gefährdung durch vorrangige Drittstaatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

III. Stärkung des europäischen IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Korrekturen im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Korrekturen im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 IV. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht aF alte Fassung ABl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft / Union Abs. Absatz AETR Accord Européen sur les Transports Routiers AG Amtsgericht Alt. Alternative Art. / A rtt. Artikel AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beckOGK beck-online.GROSSKOMMENTAR Begr. Begründer Beschl. Beschluss BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrepublik Deutschland BRD Brüssel I-VO Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Brüssel Ia-VO Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bzw. beziehungsweise CISG Convention on Contracts for the International Sale of Goods CMNI Convention de Budapest relative au contract de transport de marchandises en navigation intérieure DAR Deutsches Autorecht DNotI Deutsches Notarinstitut DNotZ Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt DVBl European Journal of International Law EJIL Europäische Gemeinschaft EG EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EGV ErbR Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis EU Europäische Union EuErbVO Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und

Abkürzungsverzeichnis

17

Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) Europäisches Gericht Erster Instanz EuG Gerichtshof der Europäischen Union EuGH Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung EuGüVO einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung EuPartVO der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften Zeitschrift Europarecht EuR Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die EuUntVO Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen Vertrag über die Europäische Union EUV Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW Europäisches Schuldvertragsübereinkommen EVÜ ehemaliger Artikel ex-Art. Folgende f. / ff. Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten FamFG der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FamRZ Familie Partnerschaft Recht FPR FS Festschrift GG Grundgesetz German Yearbook of International Law GYIL HGB Handelsgesetzbuch Hrsg. Herausgeber(in) Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf StraßenverkehrsunHStÜ fälle anzuwendende Recht Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht HUP 2007 vom 23. November 2007 Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der UnHUÜ terhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 in Verbindung mit i. V. m. Internationales Privatrecht IPR Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPRax Nationales Gesetz über das Internationale Privatrecht IPRG juris Praxiskommentar jurisPK lit. littera Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht MPI MünchKomm Münchener Kommentar North Atlantic Treaty Organization NATO Neue Fassung nF

18

Abkürzungsverzeichnis

Neue Juristische Wochenschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report NJW-RR Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ OLG Oberlandesgericht RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Internationalen Wirtschaft RIW Rn. Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des europäischen Parlaments und des Rates Rom I-VO vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des europäischen Parlaments und des Rates Rom II-VO vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Rom III-VO Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts Rs. Rechtsache S. Seite sog. sogenannt TranspR Transportrecht und andere u. a. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UdSSR United Nations UN Urt. Urteil Var. Variante v versus v. vom VersR Versicherungsrecht vgl. vergleiche VO Verordnung World Trade Organisation WTO Wiener Vertragskonvention WVK Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZaöRV Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensfolge ZEV Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZEuP ZGB Zivilgesetzbuch Zentralkommission für die Rheinschifffahrt ZKR Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft ZVglRWiss Zeitschrift für Verwaltungsrecht ZVR

Kapitel A

Einleitung I. Anlass und Ziel der Untersuchung Der europäische Binnenmarkt und die zugrundeliegenden Grundfreiheiten der Union  – „freier Warenverkehr“, „Personenfreizügigkeit“, „Dienstleistungsfreiheit“ und „freier Kapitalverkehr“ – verlangen nach gemeinsamen Regelungen auf europäischer Ebene.1 Die in den letzten Jahren deshalb vorangetriebene Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts2 ist größtenteils geglückt, in vielen für grenzüberschreitende Sachverhalte besonders wichtigen Rechtgebieten gilt mittlerweile ein einheitliches Kollisionsrecht.3 So wurden für das Vertragsrecht4 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht5 bis hin zum Familien6- und Erbrecht7 Verordnungen erlassen, die Vorschriften für das anwend 1 Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 117. 2 Die Begriffe ‚IPR‘ und ‚Kollisionsrecht‘ werden in dieser Arbeit als Synonyme verwendet; auf das Internationale Zivilverfahrensrecht soll nicht vertieft eingegangen werden. 3 Von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts, in: FS Schröder, S. 29; Wurmnest /  Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (450). 4 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. 2008 L 177/6. 5 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), ABl. 2007 L 199/40. 6 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. 2010 L 343/10; Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. 2009 L 7/1; Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. 2016 L 183/1; Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, AB. 2016 L 183/30. 7 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden („EuErbVO“).

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Kapitel A: Einleitung

bare Recht enthalten. Das europäische IPR steht jedoch in Konkurrenz zu vielen Staatsverträgen, die die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit Staaten geschlossen haben, die keine Mitglieder der EU sind (danach: „Drittstaaten“).8 So enthalten die Verordnungen der Europäischen Union jeweils eine Vorschrift, nach der Staatsverträge zwischen Mitgliedsstaaten und Drittstaaten mit gleichem Regelungsinhalt der Verordnung vorgehen, wenn sie vor deren Erlass geschlossen wurden. Dieser Schutz, der auf dem Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit und dem Grundsatz pacta sunt servanda beruht,9 findet sich auch auf primärrecht­ licher Ebene in Art. 351 Abs. 1 AEUV.10 Die Mitgliedsstaaten geraten somit nicht in Verlegenheit, ihre völkerrechtlichen Pflichten zu verletzten.11 Gleichzeitig entsteht allerdings ein „Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der völkerrechtlichen Vertragstreue einerseits und dem Streben nach einer möglichst umfassenden Vereinheitlichung des Internationalem Privatrechts im europäischen Rechtsraum andererseits.“12 So gelangt man bei Anwendung der verschiedenen Regelungswerke auf europäischer und internationaler Ebene oftmals zu verschiedenen Ergebnissen, wenn diese auf unterschiedliche kollisionsrechtliche Anknüpfungspunkte abstellen. Die Vorrangsregelungen stellen ein großes „Handicap“13 der europäischen Verordnungen auf dem Weg zu einem vollständig einheitlichen Kollisionsrecht dar. Die vorliegende Arbeit hat das Ziel dieses Handicap genauer zu untersuchen, dessen Konsequenzen aufzuzeigen und so Möglichkeiten für die Europäische Union zu finden, um das Europäische IPR zu stärken. In der Literatur in und außerhalb Deutschlands wurde diese Problematik nur wenig behandelt. Zwar behandeln einige Untersuchungen dieses Handicap, die Auseinandersetzung mit möglichen Maßnahmen zum Umgang bleiben jedoch oftmals an der Oberfläche. Soweit ersichtlich, fehlt es bis jetzt an einer verordnungsübergreifenden Darstellung der Divergenzen mit den Altverträgen der Mitgliedsstaaten und gleichzeitig einer intensiven Ausarbeitung von Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich dieser Divergenzen. 8

Von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts, in: FS Schröder, S. 29 (30). 9 Pieper, Abkommen der Mitgliedsstaaten (Altverträge), in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union; Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (451). 10 Pieper, Abkommen der Mitgliedsstaaten (Altverträge), in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union. 11 Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (451). 12 Von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts, in: FS Schröder, S. 29 (30). 13 Sehr passend auch als „Achillesferse“ des europäischen Kollisionsrecht bezeichnet, siehe Dutta, Das neue internationale Erbrecht der Europäischen Union – eine erste Lektüre der Erbrechtsverordnung, FamRZ 2013, S. 4 (15); Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (451).

II. Methode und Gang der Darstellung

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II. Methode und Gang der Darstellung Die Ausarbeitung startet mit einem Abschnitt zum Europäischen IPR (Kapitel B), das die mit der Harmonisierung verfolgten Ziele in den Vordergrund stellt und als Grundlage für die späteren Untersuchungen dient. Es folgen Ausführungen (Kapitel C) zu ausgewählten, vor dem europäischen Kollisionsrecht vorrangigen Staatsverträgen und eine Untersuchung der Divergenzen zwischen den völkerrechtlichen Verträgen und den europäischen Verordnungen. Zu diesem Zwecke werden die Anwendungsbereiche und die jeweiligen Regelungen über das anwendbare Recht gegenübergestellt. Das Kapitel dient vor allem dazu, verschiedene Problemfelder aufzuzeigen, die durch den Vorrang mitgliedsstaatlicher Drittstaatsverträge entstehen, sowie die Schwere der jeweiligen Kollisionen zwischen den Regelwerken und deren Konsequenzen herauszuarbeiten. Dies soll helfen an späterer Stelle Lösungsmöglichkeiten zum Umgang mit den Kollisionen zu finden und anzuwenden. Das Kapitel enthält Ausführungen zu allen bis August 2020 erlassenen Verordnungen zum europäischen IPR. Begonnen wird mit der Europäischen Erbrechtsverordnung, da sich hier die Kollisionen mit vorrangigen Staatsverträgen und vor allem die daraus resultierenden Komplikationen in der Praxis sehr deutlich aufzeigen lassen. Danach erfolgt die Untersuchung der weiteren Verordnungen in chronologischer Reihenfolge. Die Darstellungen beschränken sich vor allem auf Staatsverträge mit deutscher Beteiligung. Da die Untersuchungen möglichst vielseitig Probleme beim Zusammentreffen von europäischem IPR und Drittstaatsverträgen zeigen sollen, findet sich mit dem Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht auch ein Staatsvertrag in der Liste, der nicht von Deutschland unterzeichnet wurde. Im nächsten Schritt werden in Kapitel D Möglichkeiten analysiert, die dabei helfen sollen, mit dem Handicap der kollisionsrechtlichen Verordnungen umzugehen, damit der Vereinheitlichungsprozess des IPR gefördert wird. Unterschieden wird dabei zwischen Maßnahmen, die sich auf die europäischen Verordnungen und deren Vorrangsregelungen beziehen (Kapitel D: II.) und Maßnahmen, die hinsichtlich der vorrangigen Staatsverträge getroffen werden könnten (Kapitel D: I.). Mit den Letzteren startet die Untersuchung, wobei sich bezüglich solcher Handlungen gegenüber den Drittstaaten zunächst die Frage nach der Verteilung der Außenkompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten stellt. Schließlich gewinnt die Europäische Union als internationaler Akteur an Bedeutung,14 während ihre Mitgliedsstaaten jedoch die Vertragsparteien der betreffenden Verträge sind (Kapitel D: II. 1.). Die folgenden Ausführungen (Kapitel D: II. 2.) behandeln mögliche Handlungsoptionen gegenüber den Drittstaaten von der Anpassung des Staatsvertrages über die Kündigung und den Abschluss eines neuen Vertrages. Ihr 14 Bischoff, Notwendige Flexibilisierung oder Ausverkauf von Kompetenzen – Zur Rückübertragung von Außenkompetenzen der EG für privatrechtliche Abkommen durch die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009, ZEuP 2010, S. 321.

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Kapitel A: Einleitung

Zweck ist es außerdem, aufzuzeigen, dass es oftmals einer Zusammenarbeit zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Altverträge bedarf. Ein kurzer Blick am Ende des Kapitels (Kapitel D: II. 3. und 4.) auf die Ausgestaltung von Staatsverträgen, deren Hintergründe und die damit verbundenen Interessen der Drittstaaten zeigt, dass sich keine abstrakte, immer gültige Vorgehensweise ergibt, nach der die Union mit ihrem „Handicap“ im europäischen IPR umgehen kann. Erfolgt keine Anpassung der völkerrechtlichen Verhältnisse an das Unionsrecht, könnte an eine Änderung des Unionsrecht gedacht werden, um mit dem „Handicap“ umzugehen. Im Kapitel D: I. werden verschiedene Möglichkeiten aufgearbeitet, um mit dem Handicap möglichst ohne die Beteiligung der Drittstaaten umzugehen. Angedacht wird eine Änderung der Kollisionsregelungen (Kapitel D: I. 1.) und eine Löschung beziehungsweise Beschränkung der sekundärrechtlichen Vorrangsvorschriften (Kapitel D: I. 2.). Darüber hinaus wird ein genauerer Blick auf Art. 34 EuErbVO geworfen, der eine spezielle Renvoi-Vorschrift enthält (Kapitel D: I. 3.). Nachdem die verschiedenen theoretischen Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR dargestellt wurden, gilt es nun deren Anwendung in der Praxis genauer zu beleuchten (Kapitel E). Es bedarf hinsichtlich der jeweiligen Altverträge einer Analyse aller Umstände und einer Untersuchung der möglichen Maßnahmen. Dem widmet sich der darauffolgende Abschnitt, der zu allen im Kapitel C bereits dargestellten vorrangigen Drittstaatsverträgen versucht, eine Methode zu finden, die das einheitliche europäische IPR stärken. Dabei wird sich zeigen, dass das Verhältnis zu den beteiligten Drittstaaten eine entscheidende Rolle spielt. Am Ende des Kapitels findet sich eine Kategorisierung der untersuchten Staatsverträge (Kapitel E: VI.), die nochmal die unterschiedlichen Gesichtspunkte verdeutlichen soll, die bei der Suche nach einer passenden Maßnahme zur weiteren Harmonisierung des europäischen Kollisionsrecht zu beachten sind. Darüber hinaus soll sie bei der Einordnung anderer Staatsverträge helfen. Abschließend erfolgt eine Übersicht über die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung. Die Arbeit endet mit einem Ausblick.

Kapitel B

Das europäische IPR In den letzten Jahren wurden immer mehr kollisionsrechtliche Verordnungen auf europäischer Ebene beschlossen. Die Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts ist momentan mitunter die wichtigste Aufgabe im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen.1 Im internationalen Vertragsrecht, Deliktsrecht, Erbrecht, Scheidungsrecht, Unterhaltsrecht und Güterrecht ersetzt das europäische IPR immer mehr das nationale Kollisionsrecht.

I. Entwicklung des IPR in Europa Mit zunehmender Annäherung der europäischen Staaten durch Abbau der Binnengrenzen und wirtschaftliche Verflechtung wuchs der Drang nach gemeinsamen privatrechtlichen Regelungen. Die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen hinderten die Unionsbürger an der Wahrnehmung ihrer europäischen Freiheiten.2 Denkbar wären zunächst gemeinsame materielle Regelungen gewesen. Die Europäische Union hat sich jedoch stattdessen für die Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts entschieden, um zumindest die nationalen Rechtsordnungen zu koordinieren.3 Ausgangpunkt der Europäisierung des IPR ist das Römische Übereinkommen über das auf Schuldverträge anwendbare Recht von 1980.4 Dabei handelt es sich um einen klassischen Staatsvertrag zwischen den europäischen Staaten, da der europäische Gesetzgeber noch keine Kompetenz zum Erlass gemeinsamer kollisionsrechtlicher Regelungen hatte.5 Diese Zuständigkeit wurde erst mit dem Vertrag von Amsterdam im Jahr 1999 erlangt.6 Zur Förderung des Gemeinschaftsziels „Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ konnte der Rat nun „Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit 1

Hess, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 81 Rn. 43. Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 117. 3 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 12; Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 117. 4 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 1. 5 Ebenda; Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 118. 6 Kreuzer, Stand und Perspektiven des Europäischen Internationalen Privatrechts, RabelsZ 70 (2006) S. 1 (17); Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 1. 2

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Kapitel B: Das europäische IPR

grenzüberschreitenden Bezügen [treffen], soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind.“7 Seit dem Vertrag von Lissabon gestattet Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV (ex-Art. 65 lit. b) EGV) den Erlass von umfassenden Regelungen zum anwendbaren Recht.8 Dieser Zuständigkeit ist die Union auch mehrfach nachgekommen und hat kollisionsrechtliche Verordnungen zu vertraglichen Schuldverhältnissen (Rom I-VO), außervertraglichen Schuldverhältnissen (Rom II-VO), zum Scheidungsrecht (Rom III-VO), zum Erbrecht (EuErbVO), zum Unterhaltsrecht (EuUntVO) und zum Güterrecht erlassen.

II. Wichtige Ziele des europäischen IPR Wie zuvor angedeutet, möchte die Union mit der Vereinheitlichung des Kollisionsrecht einen europäischen Rechtsraum schaffen. Eng damit verbunden ist das Ziel eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes (Art. 81 Abs. 2 AEUV). Letzterer ist wiederum abhängig von einem europäischen Entscheidungseinklang, da Rechtsunterschiede zwischen den Unionsmitgliedsstaaten die Verwirklichung des Binnenmarktes hemmen und die Bürger in der Ausübung ihrer Freizügigkeitsrecht beschränken können.9

1. Entscheidungseinklang a) Prinzip des Entscheidungseinklangs Soweit kein gemeinsames materielles Recht besteht, ist es bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt unerlässlich zu bestimmen, nach welchem innerstaat­ lichen Sachrecht ein Fall zu beurteilen ist. Ziel des IPR ist es, mehrere potenziell auf diesen Sachverhalt anwendbare nationale Rechtsordnungen zu koordinieren.10 Um solche Kollisionen zu vermeiden, stellt zunächst jeder Staat eigene kollisionsrechtliche Regelungen auf und wendet diese an. Damit hat sich das Problem möglicher Kollisionen jedoch nur verschoben. Sind mehrere internationale Gerichtsstände möglich, die jeweils ihr lex fori, also auch das nationale IPR anwenden, können verschiedene nationale Regelungen über das anwendbare Recht zu unter 7 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Abl. 1997 C 340/1 (30); Kreuzer, Stand und Perspektiven des Europä­ ischen Internationalen Privatrechts, RabelsZ 70 (2006) S. 1 (17). 8 Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 195. 9 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 2; Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 461. 10 Kreuzer, Stand und Perspektiven des Europäischen Internationalen Privatrechts, RabelsZ 70 (2006) S. 1 (60).

II. Wichtige Ziele des europäischen IPR

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schiedlichen Sachrechten führen. Das Ziel ist, einen Entscheidungseinklang herbeizuführen.11 Dieser wird realisiert, wenn dasselbe Rechtsverhältnis, unabhängig welche Rechtsordnung einer Entscheidung zu Grunde liegt, gleich beurteilt wird.12 Das Bedürfnis nach internationalem Entscheidungseinklang hat schon Savigny gesehen.13 Er war der Ansicht, „daß auch die Rechtsverhältnisse, in Fällen einer Collision der Gesetze, dieselbe Beurtheilung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder in jenem Staate das Urtheil gesprochen werde. Der Standpunkt, auf den wir durch diese Erwägung geführt werden, ist der einer völkerrechtlichen Gemeinschaft der miteinander verkehrenden Nationen, und dieser Standpunkt hat im Fortschritt der Zeit immer allgemeinere Anerkennung gefunden, unter dem Einfluß theils der gemeinsamen christlichen Gesittung, theils des wahren Vor­ theils, der daraus für alle Teile hervorgeht.“14

Folglich ist ein Entscheidungseinklang das formale Ideal des internationalen Privatrechts.15 b) Europäischer Entscheidungseinklang Dieses Ideal verfolgt auch die Europäische Union, deren im Laufe der letzten Jahre erlassenen kollisionsrechtlichen Verordnungen zu europäischem Entscheidungseinklang führen sollen. Indem die in den Mitgliedsstaaten geltenden Kollisionsregelungen vereinheitlicht werden und es somit nicht mehr darauf ankommt, welches nationale Gericht international zuständig ist, soll der Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbarer gemacht werden und die Rechtssicherheit gefördert werden.16 Der europäische Entscheidungseinklang ist folglich eine Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt. Die resultierende Rechtsicherheit sowie die Vorhersehbarkeit von Gerichtsentscheidungen fördern den Schutz des Einzelnen.17 Darüber hinaus ist europäischer Entscheidungseinklang auch eine wesentliche Voraussetzung für die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und sonstigen Vollstreckungstiteln.18 11 Thiede / Keller, „Forum shopping“ zwischen dem Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht und der Rom-II-Verordnung, VersR 2007, S. 1624. 12 Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang im europäischen Kollisionsrecht, S. 7; Kropholler, Internationales Privatrecht S. 36; Linke / Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 2 Rn. 2.6; Rauscher, Internationales Privatrecht Rn. 56. 13 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, S. 26. 14 Ebenda, S. 27. 15 Linke / Hau, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 2 Rn. 2.6. 16 Erwägungsgrund (6) zur Rom I-VO; Ähnlicher Wortlaut auch in Erwägungsgrund (6) zur Rom II-VO. 17 Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 643. 18 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Vor Art. 20 Rn. 2.

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Kapitel B: Das europäische IPR

Der angestrebte europäische Entscheidungseinklang kann jedoch gewissermaßen in einem Spannungsverhältnis zum internationalen Entscheidungseinklang stehen.19 Während internationaler Entscheidungseinklang auf der Vereinheit­lichung des Kollisionsrecht sämtlicher Staaten der Welt beruht, beschränkt sich der europäische Entscheidungseinklang auf die Schaffung gemeinsamer unionsinterner kollisionsrechtlicher Regelungen. Bei der Vereinheitlichung des IPR auf europäischer Ebene im Zuge der Förderung des europäischen Entscheidungseinklangs besteht die Gefahr, dass der internationale Entscheidungseinklang gegenüber Staaten, die nicht Mitglieder der Europäischen Union sind, vernachlässigt wird.20 Dem versucht die Union jedoch entgegenzuwirken, indem sie beispielsweise an der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht teilnimmt21 oder internationale Übereinkommen in ihr Kollisionsrecht integriert.22

2. Binnenmarktintegration und Schaffung eines europäischen Rechtsraums Ein einheitliches europäisches Kollisionsrecht und das Streben nach europä­ ischem Entscheidungseinklang sind wichtige Beiträge zur Funktionalität des Binnenmarktes. Dies zeigen auch die Erwägungsgründe (6) zu Rom I-VO und Rom IIVO, denn Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen fördern den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital.23 Die Vorschrift des Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV spricht der Union die Kompetenz für den Erlass von Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Kollisionsrechts zu, wenn dies insbesondere für das „reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist“. Vergleicht man den Wortlaut der alten Regelung des ex-Art. 65 EGV mit dem des Art. 81 Abs. 2 AEUV, fällt auf, dass das Wort „insbesondere“ hinzugetreten ist. Das bedeutet, dass neben einem funktionierenden Binnenmarkt auch andere Gründe treten können, die die Union dazu ermächtigen, das Kollisionsrecht zu vereinheitlichen. So hat sich der Blickwinkel auf nicht-vermögensrechtliche Materien wie das Familien- und Erbrecht erweitert.24 Der Aspekt der Binnen 19

Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang im europäischen Kollisionsrecht, S. 10. Ebenda. 21 Beschluss des Rates 2006/719/EG vom 5. Oktober 2006 über den Beitritt der Europä­ ischen Gemeinschaft zur Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, ABl. 2006 L 297/1; Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang im europäischen Kollisionsrecht, S. 10. 22 Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 643 und Fn. 3378 mit Verweis auf Art. 15 EUUntVO. 23 Vgl. Art. 26 Abs. 2 AEUV; Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 269; Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europä­ ischen Kollisionsrecht, S. 12. 24 Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 270. 20

III. Das Prinzip der engsten Verbindung

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marktintegration scheint außerdem mit dem sekundärrechtlichen IPR etwas in den Hintergrund zu rücken, da dieses kein richtiges „Binnenmarktkollisionsrecht“ darstellt, sondern als loi uniforme geregelt ist.25 So wird die Förderung des Binnenmarktes von dem Ziel eines Rechtsraums überlagert, in dem Bürger aus verschiedenen Unionsmitgliedsstaaten „ohne Binnengrenzen von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen und Bindungen unterschiedlichster Art miteinander eingehen“ können.26 So bietet die Union seit dem Vertrag von Lissabon gemäß Art. 3 Abs. 2 EUV ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen. Ein europäischer Rechtsraum wird somit nicht mehr nur gefordert, sondern vielmehr vorausgesetzt.27 Auch im AEUV ist dieses Ziel normativ verankert. Titel 5 des Dritten Teils heißt „Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, der mit Art. 81 AEUV die Kompetenznorm zur Vereinheitlichung des IPR enthält.

III. Das Prinzip der engsten Verbindung Schon Savigny hat festgestellt, dass zur Beurteilung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts das Rechtsgebiet zu ermitteln ist, „welchem das Rechtsverhältniss seiner eigenthümlichen Natur nach angehört“.28 Im modernen IPR ist damit das Prinzip der engsten Verbindung gemeint.29 Zugrunde liegt diesem ein objektiver Gerechtigkeitsgedanke, demzufolge auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt die materielle Rechtordnung Anwendung finden soll, der er schwerpunktgemäß zugeordnet werden kann.30 Dem Prinzip der engsten Verbindung folgt auch die Europäische Union.31

1. Objektive Anknüpfung Uneinheitlich wird beurteilt, zu welcher Rechtsordnung grundsätzlich die engste Verbindung bestehen soll. Während auf nationaler Ebene oftmals primär an die Staatsangehörigkeit der an dem Sachverhalt beteiligten Personen angeknüpft wur 25 Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 647 ff. 26 Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 270. 27 Trüten, Die Entwicklung des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union, S. 183. 28 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, S. 28, 108. 29 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 22. 30 BGH, Urt. v. 20. Juni 1979 – IV ZR 106/78 = BGHZ 75, S. 32 (41) = NJW 1979, S. 1776 (1778); Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht, in: Arnold, Grundfragen des Europäischen Kollisionsrecht, S. 23 (28, 36); Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 20. 31 Weller, Allgemeine Lehren, in: Weller, Europäisches Kollisionsrecht, Allgemeine Lehren Rn. 117.

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Kapitel B: Das europäische IPR

de,32 ist im europäischen Kollisionsrecht der gewöhnliche Aufenthalt zum zentralen Anknüpfungsmoment geworden.33 Der europäische Gesetzgeber argumentiert mit der wachsenden Mobilität der Unionsbürger.34 Ein ständiger Statutenwechsel könnte schließlich zu einer zunehmenden Rechtsunsicherheit führen. Dies wirft die Frage auf, ob eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit nicht mehr Konstanz bringen würde.35 Im Mittelpunkt der Binnenmarktintegration und der europäischen Mobilitätsförderung steht allerdings nicht nur der Unionsbürger, der sich aus wirtschaftlichem Interesse immer wieder in einen anderen Mitgliedsstaat begibt, sondern derjenige, der seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat verlegen und sich dort integrieren möchte.36 Der Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthaltes fördert somit das Integrationsinteresse. Ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit können Unionsbürger in einem anderen Mitgliedsland rechtlich integriert werden.37 Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt hat somit bezüglich des Rechtsschutzes große Vorzüge.38 Für die Union hat die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt darüber hinaus den Vorteil, dass sie die „Hoheit“ über den Anknüpfungspunkt hat. Würde an die Staatsangehörigkeit angeknüpft werden, läge diese Hoheit bei den Mitgliedsstaaten.39 Schon in den 1980er Jahren ist man bei der Haager Konferenz zu der Erkenntnis gelangt, dass der Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts gegenüber dem der Staatsangehörigkeit zu favorisieren ist.40 Auch der deutsche Gesetzgeber hat das Staatsangehörigkeitsprinzip teilweise relativiert und an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft. Er hat gesehen, dass dies vor allem für die Integration von Ausländern in Deutschland wichtig ist. Hintergrund ist die Schutzbedürftigkeit im Inland, etwa hinsichtlich des Verlobten mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland vor restriktiven Eheschließungsvoraussetzungen (Art. 13 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB).41 Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt findet auch außer 32

Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 72. Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 4 Abs. 2 Rom II -VO; Art. 8 Rom III-VO, Art. 21 EuErbVO; Art. 26 der EuGüVO und EuPartVO; vgl. auch Dutta, Der gewöhnliche Aufenthalt – Bewährung und Perspektiven eines Anknüpfungsmoments im Lichte der Europäisierung des Kollisionsrecht, IPRax 2017, 139. 34 Vgl. Erwägungsgrund (23) der EuErbVO: „In Anbetracht der zunehmenden Mobilität der Bürger sollte die Verordnung […] als allgemeinen Anknüpfungspunkt […] den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt des Todes vorsehen.“; vgl. auch Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 73. 35 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 73 f. 36 Ebenda, S. 74 f. 37 Dutta, Der gewöhnliche Aufenthalt – Bewährung und Perspektiven eines Anknüpfungsmoments im Lichte der Europäisierung des Kollisionsrecht, IPRax 2017, S. 139 (142). 38 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 74 f. 39 Dutta, Der gewöhnliche Aufenthalt – Bewährung und Perspektiven eines Anknüpfungsmoments im Lichte der Europäisierung des Kollisionsrecht, IPRax 2017, S. 139 (143). 40 Dutta, Der gewöhnliche Aufenthalt – Bewährung und Perspektiven eines Anknüpfungsmoments im Lichte der Europäisierung des Kollisionsrecht, IPRax 2017, S. 139 (140). 41 Ebenda, S. 141. 33

III. Das Prinzip der engsten Verbindung

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halb der EU Zuspruch. So reformieren einige Staaten aus Südosteuropa ihr IPR und gleichen es an das europäische Kollisionsrecht an.42 Die Staatsangehörigkeit spielt aber auch in der Europäischen Union weiterhin eine Rolle, da sie oft nachrangiger Anknüpfungspunkt ist, das Heimatrecht regelmäßig über die Rechtswahl gewählt wird und die Staatsangehörigkeit als Indiz zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts dienen kann.43

2. Rechtswahlfreiheit Auch der Rechtswahlfreiheit liegt das Prinzip der engsten Verbindung zugrunde.44 Wird eine Rechtswahlvereinbarung getroffen, dann ist das Rechtsverhältnis dort anzusiedeln, wo die Parteien es lokalisiert wissen wollen. Zu der vereinbarten anwendbaren Rechtsordnung besteht dann grundsätzlich die engste Verbindung.45 Aus diesem Grunde könnte die Rechtswahl deshalb sogar als stärkste Form der engsten Verbindung gesehen werden, da die Parteien die Rechtsordnung selbst ausgesucht haben. Auch auf das Familien- und Erbrecht wurde die Rechtswahlmöglichkeit ausgeweitet. Jedoch stellt das Prinzip der engsten Verbindung in diesen Rechtsgebieten gleichzeitig auch eine Einschränkung dar.46 Beispielsweise in der europäischen Erbrechtsverordnung kann der Erblasser gemäß Art. 22 EuErbVO nur das Recht wählen, dem er im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt seines Todes angehört. Die Rechtswahlmöglichkeit ist Ausdruck der Privatautonomie und betont die Mobilitätsgarantien zugunsten der Unionsbürger.47 So ist sie besonders wichtig für Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit von Gerichtsentscheidungen, Unklarheiten schränken die Mobilität ein, wenn deren Folgen nicht absehbar sind.48 Darüber hinaus erweitert die Rechtswahl den Gestaltungsspielraum.49 Sie verfolgt 42

Ebenda, S. 144. Ebenda, S. 142. 44 Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht, in: Arnold, Grundfragen des Europäischen Kollisionsrecht, S. 23 (28), anders MünchKommBGB /  von Hein, Einleitung zum Internationalen Privatrecht Rn. 34. 45 Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht, in: Arnold, Grundfragen des Europäischen Kollisionsrecht, S. 23 (28). 46 Weller, Allgemeine Lehren, in: Weller, Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 128. 47 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 67; vgl. auch Dörner / L agarde, Rechtsvergleichende Studie der erbrechtlichen Regelungen des Internationalen Verfahrensrechts und Internationalen Privatrechts der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, DNotI, S. 265. 48 Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht, in: Arnold, Grundfragen des Europäischen Kollisionsrecht, S. 23 (34); Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 69 ff.; Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht im nationalen Zivilverfahren, S. 271. 49 Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht, in: Arnold, Grundfragen des Europäischen Kollisionsrecht, S. 23 (33). 43

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Kapitel B: Das europäische IPR

das Ziel der Binnenmarktintegration und der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.50 Mit der Europäisierung des IPR wurde die Rechtswahlfreiheit deutlich ausgeweitet.51 Vor allem im Vertragsrecht ist sie ein Eckpfeiler des Kollisionsrechts,52 aber auch darüber hinaus ist die Rechtswahl ein wichtiges übergreifendes Prinzip des europäischen IPR.53

IV. Die Union als Mitglied der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht Die Haager Konferenz hatte sich bereits zum Ziel gesetzt, das Internationale Privatrecht zu vereinheitlichen, als noch lange keine interne Rechtsetzungskompetenz und keine Außenkompetenz der Europäischen Gemeinschaft für diese Materie in Sicht waren.54 Deshalb waren zunächst alle Unionsmitgliedsstaaten auch Mitglieder der Haager Konferenz.55 Durch die Kompetenzübertragung56 und das Lugano-Gutachten 2006, dass dazu führte, dass die Gemeinschaftskompetenz nach dem Amsterdamer Vertrag weiter als gedacht ausgelegt wurde,57 wurde ein Beitritt der Gemeinschaft zur Haager Konferenz notwendig. Die Mitgliedsstaaten konnten nicht mehr selber hinsichtlich der Übereinkommen, die in Den Haag verhandelt wurden, tätig werden.58 Wichtig ist die Teilnahme der EU an der Haager Konferenz auch aus einem anderen Grund: Da die europäischen Kollisionsregeln loi uniforme darstellen, muss die Union in Den Haag auf gleichlaufendes IPR hinwirken, für anderslautende Regelungen ist aus europäischer Sicht kein Platz.59 Die Union ist als nichtstaatliches Mitglied grundsätzlich den staatlichen Mitgliedern gleichgestellt.60 Für Abstimmungen gilt nicht das Prinzip „one state, one 50

Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, S. 67. Ebenda, S. 64. 52 Erwägungsgrund (11) zur Rom I-VO. 53 Weller, Allgemeine Lehren, in: Weller, Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 128 f. 54 Wagner, Die Haager Konferenz für IPR zehn Jahre nach der Vergemeinschaftung der Gesetzgebungskompetenz, RabelsZ 73 2009, S. 215 (216). 55 Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, ZEuP 2008, S. 334. 56 Siehe infra für weitere Ausführungen zur Kompetenzverteilung, Kapitel D: I. 1. 57 Wagner, Die Haager Konferenz für IPR zehn Jahre nach der Vergemeinschaftung der Gesetzgebungskompetenz, RabelsZ 73 (2009) S. 215 (223). 58 Wagner, Die Haager Konferenz für IPR zehn Jahre nach der Vergemeinschaftung der Gesetzgebungskompetenz, RabelsZ 73 (2009) S. 215 (223); Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, ZEuP 2008, S. 334 (335). 59 Wagner, Die Haager Konferenz für IPR zehn Jahre nach der Vergemeinschaftung der Gesetzgebungskompetenz, RabelsZ 73 (2009) S. 215 (231). 60 Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, ZEuP 2008, S. 334 (346). 51

V. Zwischenergebnis

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vote“, vielmehr wird die Stimmberechtigung nach dem „Alternativitätsprinzip“ entschieden. Das bedeutet, sofern die Union von ihrem Stimmrecht Gebrauch macht, zählt ihre Stimme so viel, wie die Summe der durch sie vertretenen Mitgliedsstaaten. Fällt ein in Verhandlung stehendes Übereinkommen in die gemischte Zuständigkeit von EU und Mitgliedsstaaten ist das „Alternativitätsprinzip“ problematisch, dann müssen entweder die Union oder die Mitgliedsstaaten auf ihr Stimmrecht verzichten.61

V. Zwischenergebnis Seit dem Vertrag von Amsterdam hat die Union die Kompetenz, Maßnahmen zur Vereinheitlichung des mitgliedsstaatlichen IPR zu treffen (nunmehr Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV). Sie verfolgt das Ziel, dass es für eine Entscheidung nicht darauf ankommen soll, in welchem Staat diese ergeht, da gemeinsame Kollisionsregeln gelten und somit immer die gleiche nationale Rechtsordnung anwendbar ist. Dem zugrunde liegt der sogenannte Entscheidungseinklang als formales Ideal des Internationalen Privatrechts. Er führt zur Vorhersehbarkeit des Ausgangs von Rechtsstreitigkeiten und Rechtssicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht. Beides sind wichtige Faktoren für einen funktionierenden Binnenmarkt. Mittlerweile ist das Ziel der Binnenmarktintegration etwas in den Hintergrund gerückt und hat für einen bürgerorientierteren Rechtsraum Platz gemacht, der nicht mehr nur an einen wirtschaftlichen Bezug geknüpft ist. In diesem europäischen Rechtsraum soll allen Unionsbürgern ihre Freizügigkeit garantiert werden und unterschiedlichste Bindungen ermöglicht werden. Wenn in Europa Entscheidungseinklang besteht, hilft dies der Verwirklichung eines europäischen Rechtsraums und eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts. Das Streben nach europä­ ischem Entscheidungseinklang kann jedoch dazu führen, dass der internationale Entscheidungseinklang nicht ausreichend berücksichtigt wird. Diesem widmet sich die EU jedoch als Mitglied der Haager Konferenz für IPR. Die Mitgliedsstaaten der Union sind ebenfalls Mitglieder der Haager Konferenz, jedoch werden sie zumindest hinsichtlich der inhaltlichen Arbeit im Rahmen der Kompetenzverschiebung zu Gunsten der Union und aufgrund des Alternativitätsprinzips durch diese ersetzt. Die Union steht in Den Haag vor einer großen Herausforderung: Zum einen kann sich die Union nicht zu Vereinbarungen verpflichten, die dem europäischen IPR widersprechen, zum anderen hat sie die Möglichkeit, den europäischen Entscheidungseinklang über ihre Grenzen hinaus zu einem internationalen Entscheidungseinklang wachsen zu lassen. Ein weiterer wichtiger Grundsatz des IPR, dem sich auch die EU verschrieben hat, ist das Prinzip der engsten Verbindung. In der europäischen Union wird primär der gewöhnliche Aufenthalt als engste Verbindung gesehen. Dahinter steht 61

Ebenda, S. 347.

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Kapitel B: Das europäische IPR

unter anderem der Integrationsgedanke, wenn Unionsbürger sich in einem anderen Mitgliedsstaat langfristig niederlassen. Die Staatsangehörigkeit ist nur ein nachrangiger Anknüpfungspunkt oder kann als Anhaltspunkt zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts dienen. Außerdem kann das Heimatrecht regelmäßig als anwendbares Recht gewählt werden. Die Rechtswahl hat mit der Europäisierung des IPR an Bedeutung gewonnen, sie ist Ausdruck der Parteiautonomie, die nicht nur im Vertragsrecht, sondern auch im Erbrecht, Familienrecht und Deliktsrecht als wichtig erachtet wird.62 Das Prinzip der engsten Verbindung ist einerseits Grundlage der Rechtswahl, da die Parteien den Ort bestimmen können, wo ihr Rechtsverhältnis zu lokalisieren ist, andererseits bestehen auch Beschränkungen der Rechtswahlmöglichkeit. Dies ist vor allem im Familien- und Erbrecht der Fall, da dort nur eine Rechtsordnung gewählt werden kann, zu der schon außerhalb der Rechtswahl eine enge Beziehung besteht.

62

Weller, Allgemeine Lehren, in: Weller, Europäisches Kollisionsrecht, Rn. 128.

Kapitel C

Vorrangige Drittstaatsverträge und Kollisionen mit dem europäischen IPR Die einheitliche Anwendung des weitestgehend europäischen Kollisionsrechts wird aufgrund von Staatsverträgen mit Drittstaaten, die ebenfalls kollisionsrechtliche Vorschriften beinhalten, gehemmt.1 Die europäischen Verordnungen zum IPR enthalten diesbezüglich Vorschriften, die diesen Staatsverträgen Vorrang gewähren.2 Die Verordnungen lassen die Anwendung der Staatsverträge unberührt, denen ein oder mehrere Mitgliedsstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung angehören und die Kollisionsnormen enthalten, die sich mit dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung überschneiden. Um diese Beeinträchtigungen des europäischen IPR zu untersuchen und bestenfalls zu beheben, ist zunächst der Anwendungsbereich dieser sekundärrechtlichen Vorrangsvorschriften zu beleuchten. Es gilt festzustellen, welche Staatsverträge diesen Vorrang genießen.

I. Anwendungsbereich sekundärrechtlicher Vorrangsregelungen Zunächst einmal ist festzuhalten, dass jedenfalls nur Staatsverträge vor einer Verordnung Vorrang genießen, welche vor Annahme der Verordnung abgeschlossen wurden. Diese Gemeinsamkeit ist allen Vorrangsregelungen der Verordnungen immanent. Darüber hinaus ist erforderlich, dass ein Drittstaat Partei des Staatsvertrages ist. Wurde der Staatsvertrag nur zwischen den an der Verordnung teilnehmenden Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geschlossen, enthalten alle Vorrangs­ regelungen einen zweiten Absatz, der den Vorrang in diesen Fällen ausschließt, sodass zumindest diesbezüglich das vereinheitlichte IPR durchsetzt.3 Das bedeutet jedoch nicht, dass bei Sachverhalten, die lediglich Bezug zu zwei Mitgliedsstaaten 1 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 2; Bonomi, in: Bonomi / Wautelet, Le droit européen des successions, Art. 75 Rn. 5. 2 Art. 25  Abs. 1 Rom I-VO; Art. 28  Abs. 1 Rom II-VO; Art. 19  Abs. 1 Rom III-VO; Art. 75 Abs. 1 EuErbVO; Art. 69 Abs. 1 EuUntVO; Art. 62 Abs. 1 EuGüVO und Art. 62 EuPartVO. 3 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 42.

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

aufweisen, der Vorrang des Staatsvertrages automatisch nicht gilt.4 Voraussetzung ist lediglich, dass an diesem Übereinkommen auch ein Land als Vertragspartei beteiligt ist, das nicht an der Verordnung teilnimmt.5 Zu denken ist in diesem Zusammenhang zunächst an Staaten, die nicht Mitglieder der Europäischen Union sind. Zusätzlich gibt es jedoch auch die Möglichkeit, dass Mitgliedsstaaten der EU nicht an der Verordnung teilnehmen und somit den Drittstaaten im Sinne der Verordnung gleichzustellen sind. Irland und Dänemark sind zwar Mitgliedsstaaten, nehmen aber an einigen Verordnungen nicht teil. Irland ist an Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit nicht gebunden, es besteht jedoch die Möglichkeit, nachträglich eine dementsprechende Opt-In-Erklärung abzugeben.6 Dänemark hat sich von Anfang an nicht an den Arbeiten zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen beteiligt.7 Darüber hinaus werden Verordnungen zum Teil auch im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit geschlossen. Die Grundlage dieses In­struments ergibt sich aus Art. 20 EUV i. V. m. Art. 326 ff. AEUV.8 Ausnahmsweise wird von dem Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Unionsrecht abgewichen und einem begrenzten Kreis von Mitgliedsstaaten die Möglichkeit gegeben, die Inte­ gration weiterzuführen, obwohl sich nicht alle Unionsstaaten beteiligen.9 Die sekundärrechtlichen Vorschriften über den Vorrang von Staatsverträgen zeigen jedoch in ihrem Wortlaut auch Unterschiede auf. Vergleicht man den Wortlaut der verschiedenen Vorrangsregelungen untereinander, fällt auf, dass Art. 69 Abs. 1 EuUntVO und Art. 62 der Güterrechtsverordnungen auf ‚bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen‘ abstellt, während die Regelungen Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO, Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO und Art. 75 Abs. 1 EuErbVO den Begriff „internationale Übereinkommen“ verwenden. Es wird die Frage gestellt, ob trotz dieser Unterscheidung auch bilaterale Verträge in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften fallen.10 Schließlich könnte der Wortlaut „internationale Übereinkommen“ im Gegensatz zur Formulierung „bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen“ lediglich multilaterale Übereinkünfte umfassen.11 Eine solche restriktive Auslegung wäre für die praktische Wirksamkeit der Verord 4

Jakob / Picht, in: Rauscher, Rom II-VO, Art. 28/29 Rn. 4. Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO; Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO; Art. 19 Abs. 2 Rom III-VO; Art. 75 Abs. 2 EuErbVO. 6 Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; auf die Stellung Großbritanniens wird aufgrund des Brexits nicht eingegangen. 7 Protokoll (Nr. 22) über die Position Dänemarks; Dengel, Die europäische Vereinheit­ lichung des Internationalen Ehegüterrechts und des Internationalen Güterrechts für eingetragene Partnerschaften, S. 15. 8 Ebenda. 9 Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, S. 20; Becker, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, EUV, Art. 20 Rn. 1. 10 Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (530). 11 Ebenda. 5

II. Die Erbrechtsverordnung

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nungen freilich förderlich, deutlich weniger Staatsverträge würden den Vorrang vor den Verordnungen Rom I-VO, Rom II-VO, Rom III-VO und EuErbVO genießen und somit Friktionen mit dem europäischen Kollisionsrecht verursachen.12 Eine Beschränkung auf multilaterale Übereinkommen würde jedoch den Zweck der Vorschriften verfehlen. Die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten sollen gewahrt werden und Vertragsbrüche vermieden werden.13 Darüber hinaus sind die Vorrangsregelungen als Ausprägung des völkerrechtlichen Grundsatzes pacta sunt servanda zu verstehen, der sich schon auf primärrechtlicher Ebene aus Art. 351 Abs. 1 AEUV ergibt.14 Die sekundärrechtlichen Regelungen haben insoweit nur deklaratorische Wirkung.15 Alle genannten Vorrangsregelungen umfassen somit sowohl bilaterale als auch multilaterale Übereinkünfte, die der Verordnung zeitlich vorgehen. Der Vorrang gegenüber den Drittstaatsverträgen muss nur gewährt werden, wenn der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist und zumindest eine Überschneidung mit einem Staatsvertrag vorliegt.16 Enthält das Abkommen nur zu Teilbereichen Regelungen, wird ansonsten auf die kollisionsrechtliche Verordnung zurückgegriffen, da diesbezüglich kein vorrangiger Staatsvertrag besteht.17 In den folgenden Kapiteln sollen die kollisionsrechtlichen Verordnungen genauer dargestellt und Konflikte zu den vorrangigen Staatsverträgen geprüft werden.

II. Die Erbrechtsverordnung Im internationalen Erbrecht zeigt sich besonders die zentrale Herausforderung des Internationalen Privatrechts und das Bedürfnis nach einheitlichen Regelungen. Zur Anerkennung eines Erbzeugnisses muss schließlich auch die zugrundeliegende Rechtslage hinsichtlich der Erbenstellung anerkannt werden. In Anbetracht von jährlich 450.000 internationalen Erbfällen in der EU besteht ein besonderes Interesse an einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechts.18 Zunächst war man im internationalen Erbrecht weit von einem europäischen Entscheidungseinklang entfernt. Deutschland und 13 weitere Mitgliedsstaaten folgten bei der Anknüpfung für das 12

Ebenda, S. 532. Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 181 (185). 14 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 31; Kreuzer, Gemeinschaftskollisionsrecht und universales Kollisionsrecht, in: FS Kropholler, S. 129 (137); Bonomi, in: Bonomi / Wautelet, Le droit européen des successions, Art. 75 Rn. 1. 15 Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO, Art. 75 Rn. 1. 16 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75 Rn. 5; MünchKommBGB / Dutta, EuEbVO, Art. 75 Rn. 5. 17 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75 Rn. 20. 18 Lorenz, Erbrecht in Europa – Auf dem Weg zu kollisionsrechtlicher Rechtseinheit, ErbR 2012, S. 39. 13

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

auf den Erbfall anwendbare Recht grundsätzlich dem Staatsangehörigkeitsprinzip. Die Rechtsordnungen elf anderer Mitgliedsstaaten folgten dem Wohnsitz- oder Aufenthaltsprinzip, wovon wiederum die Mehrzahl eine Nachlassspaltung bezüglich beweglichen und unbeweglichen Vermögens zuließ.19 Die unterschiedlichen Kollisionsnormen konnten zu vielen rechtlichen Unsicherheiten führen.20 Zur Etablierung eines modernen Kollisionsrechts und Förderung des Entscheidungseinklangs wurde 2012 die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses erlassen. Die EuErbVO gilt in allen Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Dänemark21 und Irland22. Allerdings hat die Verordnung universellen Charakter, sodass sie auch zur Anwendung eines nationalen Rechts führen kann, das nicht das Recht eines Mitgliedsstaates ist (Art. 20 EuErbVO).

1. Kollisionsnormen der Erbrechtsverordnung Sowohl für den Gerichtsstand für Entscheidungen in Erbsachen, als auch für das anwendbare Recht ist gemäß Art. 4 und Art. 21 Abs. 1 EuErbVO der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers maßgeblich. Bei der Anknüpfung wird nicht zwischen Art und Belegenheit des Vermögens unterschieden, sie erfolgt nach dem Prinzip der Nachlasseinheit.23 Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat hatte, so ist gemäß Art. 21 Abs. 2 EuErbVO dessen Recht anzuwenden. Eine Rechtswahl ist insoweit möglich, dass der Erblasser gemäß Art. 22 Abs. 1 EuErbVO für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen kann, dem er zum Zeitpunkt der Rechtswahl oder zum Zeitpunkt des Todes angehört. Bei Verweisungen auf das Recht eines Drittstaaten handelt es sich gemäß Art. 34 Abs. 1 EuErbVO um Gesamtverweisungen, jedoch lediglich insoweit auf das Recht eines Mitgliedsstaates oder das Recht eines anderen Drittstaates verwiesen wird, der sein eigenes Recht anwenden würde.24 Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die ursprüngliche Verweisung auf das Recht des Drittstaates als 19

Ebenda, S. 40. Dörner / L agarde, Rechtsvergleichende Studie der erbrechtlichen Regelungen des Internationalen Verfahrensrechts und Internationalen Privatrechts der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, DNotI, S. 259. 21 Erwägungsgrund (83) zur EuErbVO. 22 Erwägungsgrund (82) zur EuErbVO. 23 Lorenz, Erbrecht in Europa – Auf dem Weg zu kollisionsrechtlicher Rechtseinheit, ErbR 2012, S. 39 (43). 24 Siehe infra für genauere Ausführungen Kapitel D: II. 3. 20

II. Die Erbrechtsverordnung

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Sachnormverweisung anzusehen.25 Die Verordnung enthält keine grundsätzliche Regelung, ob es sich bei den Vorschriften über das anwendbare Recht um Gesamtoder Sachnormverweisungen handelt. Nach einer solchen Vorschrift besteht regelmäßig auch kein Bedürfnis, da im Hinblick auf Art. 4 ff. EuErbVO grundsätzlich kein Raum für Gesamtverweisungen besteht.26 Neben den Vorschriften hinsichtlich des anwendbaren Rechts und der Gerichtszuständigkeit wurde mit Art. 62 ff. EuErbVO zur weiteren Vereinheitlichung der Nachlassabwicklung in der Union das Europäische Nachlasszeugnis eingeführt. Es dient den Erben als Nachweis ihrer Rechte im Erbfall. Das Europäische Nachlasszeugnis ersetzt nicht nationale Erbnachweise, sondern besteht gemäß Art. 62  Abs. 3  EuErbVO neben ihnen als optionales Instrument.27 Die gemäß Art. 64 EuErbVO zuständige Behörde bestimmt den im Zeugnis zu bescheinigenden Sachverhalt nach dem gemäß Art. 21 Abs. 1 EuErbVO anwendbaren Recht. Das Europäische Nachlasszeugnis entfaltet seine Wirkung gemäß Art. 69 Abs. 1 EuErbVO in allen Mitgliedsstaaten, ohne dass es dort jeweils eines besonderen Verfahrens bedarf.28 Gemäß Art. 69 Abs. 2, 3 und 4 EuErbVO wird die Richtigkeit des bescheinigten Inhalts vermutet und der gute Glaube diesbezüglich geschützt. Darüber hinaus legitimiert das Europäische Nachlasszeugnis gemäß Art. 69 Abs. 5 EuErbVO zur Umschreibung der einschlägigen Register.

2. Vorrang mitgliedsstaatlicher Drittstaatsverträge Auch die EuErbVO führt mit ihren gemeinsamen erbrechtlichen Kollisionsnormen und Zuständigkeitsregelungen nicht zum vollständigen Erreichen des Ziels eines europäischen Entscheidungseinklangs.29 Ursache für die Entscheidungsdifferenzen bei europäischen Erbfällen ist unter anderem Art. 75 EuErbVO, der den Vorrang mitgliedsstaatlicher Übereinkommen mit Drittstaaten regelt, die einen sich zumindest in Teilen mit der EuErbVO überschneidenden Regelungsgehalt haben.30 25

Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 83. 26 Köhler, in: Gierl / Köhler / K roiß / Wilsch, Internationales Erbrecht, Teil 1 EuErbVO, § 4 Internationales Privatrecht, Rn. 121 ff.; Ausnahmen können beispielsweise hinsichtlich Vorfragen bestehen. 27 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 10; Wautelet, in: Bonomi / Wautelet, Le droit européen des successions, Art. 62 Rn. 31. 28 EuGH, Urt. v. 1. März 2018, Rs. C-558/16, ECLI:EU:C:2018:138 Rn. 42 – Mahnkopf. 29 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 13. 30 Art. 75 Abs. 1 S. 2 EuErbVO nennt ausdrücklich das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht in Bezug auf die Formgültigkeit von Testamenten und gemeinschaftlichen Testamenten; auf dieses wird nicht näher eingegangen, da die Vorschriften in der EuErbVO bezüglich der Formgültigkeit von letztwilligen Verfügungen mit denen des Übereinkommens übereinstimmen, Erwägungsgrund (52) zur EuErbVO.

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

Mögliche Konflikte zwischen der Verordnung und den Verträgen haben bei den Verhandlungen über die Verordnung augenscheinlich nur eine geringe Rolle gespielt.31 Leider wurde damit auch nicht berücksichtigt, dass alleine in Deutschland fast 1,5 Millionen türkische Staatsbürger leben32, die grundsätzlich33 von dem zwischen der Türkei und Deutschland geschlossenen Konsularvertrag betroffen sind. Der Anhang dieses Abkommens enthält ein umfassendes Nachlassabkommen mit einer erbrechtlichen Kollisionsnorm. Aus deutscher Sicht fallen neben dem deutsch-türkischen Konsularvertrag auch das deutsch-persische Niederlassungsabkommen und der deutsch-sowjetische Konsularvertrag in den Anwendungsbereich des Art. 75 EuErbVO.34 a) Der Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28. Mai 1929 Der Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28. Mai 1929 trat am 18. November 1931 in Kraft35 und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit Wirkung vom 1. März 1952 für wieder anwendbar erklärt.36 aa) Kollisionsrecht des Nachlassabkommens Der Konsularvertrag enthält im Anhang zu Art. 20 ein Nachlassabkommen mit einer erbrechtlichen Kollisionsnorm. Der Staatsvertrag ordnet gemäß § 14 Abs. 1 für beweglichen Nachlass das Heimatrecht des Erblassers und gemäß § 14 Abs. 2 für unbeweglichen Nachlass das Belegenheitsrecht an. Das Recht des Staates, in dem sich die Nachlassgegenstände befinden, bestimmt gemäß § 12  Abs. 3, was unbewegliches und was bewegliches Vermögen darstellt.37 Die Unterscheidung zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen bezüglich des anzuwendenden Rechts führt zur Nachlassspaltung.38 Die Spaltung setzt sich gemäß § 15 31 Lehmann, Der Referentenentwurf für ein Begleitgesetz für EuErbVO, ZEV 2014, S. 232 (233). 32 Statistisches Bundesamt, Ausländische Bevölkerung nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten, 2020, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/ Migration-Integration/Tabellen/auslaendische-bevoelkerung-geschlecht.html. 33 Zur Frage, ob der deutsch-türkische Konsularvertrag auch für Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit gilt, vgl. infra, Kapitel C: I. 2. a) bb) (1). 34 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 4. 35 RGBl. 1931 II, 539. 36 BGBl. 1952 II, 608. 37 Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO, Art. 75, Rn. 35. 38 Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (184); Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (530).

II. Die Erbrechtsverordnung

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zum Gerichtsstand fort, wobei auch diese nicht einheitlich für beweglichen und unbeweglichen Nachlass bestimmt wird.39 Wie bei staatsvertraglichen Kollisionsvorschriften üblich,40 handelt es sich im Nachlassabkommen um Sachnormverweisungen.41 Eine Rechtswahl oder eine Wahl des Gerichtsstandes ist im deutschtürkischen Nachlassabkommen nicht vorgesehen.42 bb) Anwendungsbereich des Nachlassabkommens Um den Umfang möglicher Divergenzen zwischen der EuErbVO und dem deutsch-türkischen Nachlassabkommen zu bestimmen, ist der Anwendungsbereich des Staatsvertrages genauer zu betrachten. Denn je enger der Anwendungsbereich des Abkommens ist, desto größer ist die praktische Anwendbarkeit der Verordnung. Die Kollisionsvorschrift des § 14 des Niederlassungsabkommen ist jedenfalls auf den Erbfall als Ganzes anwendbar.43 Es stellt sich jedoch die Frage nach dem räumlichen und persönlichen Anwendungsbereich des Nachlassabkommens. (1) Räumlicher Anwendungsbereich Die erbrechtlichen Kollisionsnormen finden gemäß § 18 des Nachlassabkommens auch dann Anwendung, wenn ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei außerhalb des anderen Vertragsstaates verstirbt, aber sich dessen Vermögen in diesem Vertragsstaat befindet. Umstritten ist jedoch der räumliche Anwendungsbereich hinsichtlich des Belegenheitsortes des Nachlasses. Folglich stellt sich die Frage, ob das Abkommen auch dann anwendbar ist, wenn ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei im Staatsgebiet der anderen Partei verstirbt, sein Nachlass aber außerhalb der Vertragsstaaten belegen ist. Das Nachlassabkommen beinhaltet diesbezüglich keine explizite Vorschrift, daher ist der Staatsvertrag nach völkerrechtlichen Regeln auszulegen.44 Ein völkerrechtlicher Vertrag ist gemäß

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Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (184). 40 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75: Anhang III Rn. 13. 41 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 32. 42 Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (530). 43 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (149); Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta /  Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (156). 44 Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (448).

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

Art. 31 Abs. 1 WVK „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.“ Die Türkei ist zwar nicht Vertragspartei des Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, die in Art. 31 Abs. 1 WVK verankerten Auslegungsgrundsätze waren jedoch schon zuvor anerkannt und sind Ausfluss des Völkergewohnheitsrechts.45 Art. 20 des deutsch-türkischen Vertrages beschränkt die Befugnisse des Konsuls jedenfalls auf die im anderen Vertragsstaat befindlichen Nachlässe. Rückschlüsse auf den räumlichen Anwendungsbereich des Nachlassabkommens im Anhang dieser Vorschrift lassen sich hieraus jedoch nicht unbedingt ableiten, da in einem bilateralen Staatsvertrag natürlich die Befugnisse des Konsuls nur mit dem jeweiligen Vertragspartner auf dessen Hoheitsgebiet und nicht für ein Drittstaatsgebiet vereinbart werden können.46 Ein Anhaltspunkt für den räumlichen Anwendungsbereich wird teilweise im Wortlaut des § 14 Abs. 2 des Nachlass­abkommens gesehen. Dort wird der Begriff „Land“ verwendet und nicht von „Vertragsstaat“ gesprochen, weshalb auch Vermögen erfasst werden soll, dass außerhalb der Vertragsstaaten hinterlassen wurde.47 Dagegen kann jedoch eingewandt werden, dass auch in § 14  Abs. 1 der Begriff „Land“ verwendet wird, der in diesem Zusammenhang jedoch offensichtlich nur ein Synonym für „Vertragsstaat“ ist, da er sich nur auf deutsche und türkische Staatsangehörige beziehen kann.48 Für eine enge Auslegung des räum­lichen Anwendungsbereichs spricht der Zweck eines solchen bilateralen Vertrages. Dieser wird unter anderem zur Vermeidung von Konflikten zwischen den Rechtssystemen der Vertragsparteien geschlossen, es besteht keine Notwendigkeit für die Ausweitung der Regelungen auf andere Staaten.49 Ein eindeutiges Ergebnis für den Umfang des räumlichen Anwendungsbereichs lässt sich jedoch nicht finden.

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Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (448). 46 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 21; Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 76. 47 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (150); Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 76. 48 Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (184). 49 Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (184); Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (157); Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (294).

II. Die Erbrechtsverordnung

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(2) Persönlicher Anwendungsbereich Die Anwendung des Nachlassabkommens setzt gemäß Art. 14 voraus, dass der Erblasser die deutsche oder die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, wobei Flüchtlinge und Asylberechtigte nicht in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen. Für sie gelten die Regelungen der EuErbVO.50 Es ist jedoch umstritten, ob der Anwendungsbereich auch eröffnet ist, wenn der Erblasser neben der deutschen oder der türkischen Staatsangehörigkeit noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt. Es wird dabei zwischen zwei Varianten unterschieden.51 Bei Variante 1 hat der Erblasser sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit, bei Variante 2 besitzt der Erblasser neben einer dieser beiden Staatsangehörigkeiten zusätzlich die eines Drittstaates. Im Fall der Variante 1 findet jedenfalls das deutschtürkische Nachlassabkommen keine Anwendung.52 Hintergrund des Abkommens ist der Rechtsschutz und die Erleichterung des Rechtsverkehrs für einen Staatsangehörigen des einen Vertragsstaates im Territorium des anderen Vertragsstaats.53 Dieses Problem stellt sich bei Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit nicht, da diese in keinem der beiden Länder als Fremde behandelt werden würden.54 Bei Variante 2 ist sich die Literatur uneinig. Zum einen wird vertreten, dass auf die effektive Staatsangehörigkeit abgestellt werden kann.55 Nach dieser Ansicht kommt dem Rechtsgedanken des Art. 5  Abs. 1 S. 1 EGBGB folgend56 das Abkommen zumindest bei einem türkischen Erblasser mit einer weiteren Staatsangehörigkeit aus einem Drittstaat zur Anwendung, wenn dieser mit der türkischen Staatsangehörigkeit enger verbunden ist.57 In dieser Konstellation genieße der Mehrstaatler aufgrund der doppelten Staatsangehörigkeit nicht sowieso schon in beiden Vertragsstaaten die Inländerbehandlung.58 Der Schutz des Abkommens müsse folglich 50

Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO, Art. 75 Rn. 38; vgl. auch Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (534). 51 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVo, Art. 75 Rn. 20. 52 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (151). 53 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (151 f.). 54 Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (183); Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (295). 55 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 10, 20; Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (152). 56 Art. 5 Abs. 1 EGBGB ist nicht unmittelbar anwendbar, da die Vorschrift die Bestimmung des anwendbaren Rechts regelt und nicht die Anwendung eines Staatsvertrages, vgl MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 10. 57 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (296); Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO, Art. 75 Rn. 41. 58 Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (449).

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

allen Personen zugutekommen, die aus ihrer Sicht als deutscher oder türkischer Staatsbürger anzusehen sind. Das Prinzip der effektiven Staatsangehörigkeit helfe dabei eine entsprechende Zuordnung vorzunehmen.59 Die Gegenansicht vertritt eine generelle Unanwendbarkeit des Nachlassabkommens auf Doppelstaatler unabhängig von ihren Staatsangehörigkeiten. Bei Anwendbarkeit des Nachlassabkommens auf Erblasser mit doppelter Staatsangehörigkeit könne es zu Konflikten mit anderen Abkommen kommen, wenn aufgrund der Drittstaatsangehörigkeit auch der Anwendungsbereich dieser Abkommen eröffnet wären.60 cc) Divergenzen mit der Erbrechtsverordnung Es zeigt sich, dass auch bei enger Auslegung des deutsch-türkischen Nachlassabkommens offensichtliche Abweichungen zur EuErbVO bestehen. Während das Abkommen für die Bestimmung des anwendbaren Recht gemäß § 14 und der Gerichtszuständigkeit gemäß § 15 an die Staatsangehörigkeit, beziehungsweise an den Belegenheitsort des Nachlasses anknüpft, ist in der EuErbVO sowohl für das ius als auch für das forum zunächst der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers von Belang. Die Staatsangehörigkeit spielt gemäß Art. 5 EuErbVO nur eine untergeordnete Rolle.61 Keine Überschneidungen gibt es bei den Regelungen zu einem Erbnachweis, der Staatsvertrag enthält diesbezüglich keine Regelungen. Deshalb bleiben die Vorschriften über das Europäische Nachlasszeugnis daneben weiter anwendbar.62 Gleiches gilt auch für die Zuständigkeitsreglungen zur Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses, denn § 15 des Abkommens über die Zuständigkeit der Gerichte gilt nur für streitige Verfahren in Erbangelegenheiten.63 Das bedeutet, dass ein Nachlasszeugnis auch dann ausgestellt werden kann, wenn das zugrundeliegende anwendbare Recht nicht nach der EuErbVO bestimmt wurde, sondern nach dem vorrangigen Abkommen.64 Wie bereits festgestellt, entfaltet das Nachlasszeugnis automatisch in allen Mitgliedsstaaten seine Wirkung, der gute Glaube an die inhaltliche Richtigkeit wird geschützt.

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Ebenda. Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75: Anhang II Rn. 3. 61 Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (186). 62 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang S. 35. 63 Ebenda. 64 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 5. 60

II. Die Erbrechtsverordnung

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b) Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 Das Niederlassungsabkommen zwischen dem deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien ist am 11. Januar 1931 in Kraft getreten65 und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg am 4. November 1954 wiedereingesetzt.66 Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen enthält in Art. 8 Abs. 3 eine Regelung zum anwendbaren Recht. Auch bei dieser Kollisionsnorm handelt es sich um eine Sachnormverweisung.67 Sie ordnet die Anwendbarkeit des Heimatrechts unter anderem in Bezug auf erbrechtliche Fälle an. Eine Unterscheidung zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass findet somit nicht statt. Das Niederlassungsabkommen folgt demnach dem Prinzip der Nachlasseinheit, eine Rechtswahl ist nicht vorgesehen.68 aa) Anwendungsbereich des Niederlassungsabkommens Der im deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen verwendete Begriff des Erbrechts umfasst laut des Schlussprotokolls zu Art. 8 Abs. 3 die testamentarische und gesetzliche Erbfolge, die Abwicklung des Nachlasses und Erbauseinandersetzungen, somit fallen grundsätzlich sämtliche erbrechtliche Fragen in den Anwendungsbereich des Staatsvertrages.69 Ausgenommen ist lediglich die formale Gültigkeit von Verfügungen von Todes wegen, da das Abkommen auf das Personalstatut beschränkt ist.70 Umstritten ist jedoch auch der räumliche und persönliche Anwendungsbereich des deutsch- iranischen Niederlassungsabkommens. (1) Räumlicher Anwendungsbereich Der Wortlaut des Art. 8 Abs. 3 enthält keine eindeutige Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs.71 Es wird jedoch vertreten, dass die Formulierung „im 65

RGBl. 1930 II, 1002. BGBl. 1955 II, 829. 67 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 33. 68 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75: Anhang II Rn. 12. 69 Dörner, in: Staudinger, EGBGB, Vorb. zu Art. 25, Rn. 155; Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (152). 70 Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (152); Yassari, The Relations of Iran with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 253 (262). 71 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75: Anhang I Rn. 4; Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 80; Wurmnest, Der Anwen 66

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

Gebiet des anderen Staates“ in Art. 8 Abs. 1 und 3 für eine territoriale Beschränkung auf Nachlassgegenstände auf dem Gebiet des Vertragspartners spricht.72 Darüber hinaus spreche der Sinn und Zweck des Abkommens für eine enge Auslegung des räumlichen Anwendungsbereichs.73 Überdies lässt sich das bereits hinsichtlich des deutsch-türkischen Nachlassabkommens genannte Argument anführen, dass eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf in einem Drittstaat belegenes Vermögen zu Konkurrenzproblemen mit anderen Staatsverträgen führen könnte. Diese Ansicht lässt sich auch mit Art. 967 ZGB des iranischen Kollisionsrecht vereinbaren, das ebenfalls nur auf den im Iran belegenen Nachlass abstellt.74 Die Gegenansicht geht davon aus, dass auch in einem Drittstaat belegene Nachlassgegenstände in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen.75 Der Verweis auf das Gebiet des anderen Vertragsstaates beziehe sich lediglich auf den Aufenthaltsort des Erblassers, eine räumliche Beschränkung hätte deutlicher formuliert werden müssen.76 Darüber hinaus entspricht nur eine weite Auslegung des räumlichen Anwendungsbereichs dem Grundsatz der Nachlasseinheit.77 (2) Persönlicher Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich des Abkommens umfasst jedenfalls keine Erblasser mit deutscher und iranischer Staatsangehörigkeit, in ihren Fällen bedarf es nicht des Schutzes des Staatsvertrages.78 Bei Doppelstaatlern mit einer Staatsangehörigkeit eines Drittstaates kann letztendlich auf die Argumentation zum persönlichen Anwendungsbereich des deutsch-türkischen Konsularvertrages verdungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (450). 72 AG Hamburg – St. Georg, Urt. v. 13. April 2015 – 970 VI 1656/12; Dörner, in: Staudinger, EGBGB, Vorb. zu Art. 25, Rn. 152. 73 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 80; Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (154). 74 Yassari, The Relations of Iran with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 253 (263). 75 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75: Anhang I Rn. 4; Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (534); Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (450). 76 Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (450). 77 Ebenda. 78 BVerfG, Beschl. v. 4. Dezember 2006, 2 BvR 1216/06 = NJW-RR 2007, 577 Rn. 8; ­Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (449); Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (155).

II. Die Erbrechtsverordnung

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wiesen werden. Zwar waren im Iran zum Zeitpunkt des Abschlusses des Niederlassungsabkommen weitere Staatsangehörigkeiten neben der iranischen unerwünscht, aber die verschiedenen Verleihungsprinzipien nach ius soli und ius sanguinis und das Prinzip der effektiven Staatsangehörigkeit waren bekannt und grundsätzlich akzeptiert.79 Auch das AG Hamburg-St. Georg hat 2015 entsprechend entschieden, dass das Niederlassungsabkommen anwendbar ist, wenn der Erblasser neben der iranischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besaß, soweit die iranische Staatsangehörigkeit die effektive Staatsangehörigkeit ist.80 Die Gegenansicht hält wiederum entgegen, dass es unter Umständen zu Konflikten mit anderen Staatsverträgen kommen kann und deshalb bei doppelter Staatsangehörigkeit eine Anwendung des Niederlassungsabkommen generell ausgeschlossen ist.81 bb) Divergenzen mit der Erbrechtsverordnung Auch das Niederlassungsabkommen und die EuErbVO unterscheiden sich bezüglich des Anknüpfungsmerkmals. Während das Abkommen gemäß Art. 8 Abs. 3 auf die Staatsangehörigkeit abstellt, spielt in der EuErbVO grundsätzlich nur der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers eine Rolle. Die Vorschriften über das Europäische Nachlasszeugnis bleiben trotz Art. 75 Abs. 1 EuErbVO bestehen, da auch der deutsch-iranische Staatsvertrag keine Regelungen über einen Erbnachweis enthält. c) Der Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25. April 1958 Der Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25. April 1958 ist am 24. Mai 1959 in Kraft getreten82 Nach dem Zerfall der Sowjetunion gilt der Vertrag noch zwischen Deutschland und Russland83, Armenien84, Aserbeidschan85, Georgien86, Ka 79

Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (449); Y ­ assari, The Relations of Iran with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 253 (264 f.). 80 AG Hamburg-St. Georg, Urt. v. 13. April 2015 – 970 VI 1656/12; vgl. auch Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (155); Wurmnest, Der Anwendungs­bereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (449). 81 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75: Anhang I Rn. 2. 82 BGBl. 1959 II, 469. 83 BGBl. 1992 II, S. 1016. 84 BGBl. 1993 II, S. 169. 85 BGBl. 1996 II, S. 2471. 86 BGBl. 1992 II, S. 1128.

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

sachstan87, Moldawien88, Tadschikistan89, Belarus90, Ukraine91 und Usbekistan.92 Im Verhältnis zu Kirgisistan gilt das Abkommen ausdrücklich nicht mehr.93 Mit den restlichen Nachfolgestaaten der UdSSR wurde die Weitergeltung des Konsularvertrages nicht geregelt, deshalb gilt im Verhältnis zu diesen Ländern und Kirgisistan aus deutscher Sicht die EuErbVO.94 Die erbrechtliche Kollisionsnorm des Konsularvertrages befindet sich in Art. 28 Abs. 3. Die Vorschrift gilt nur für unbeweglichen Nachlass und ordnet diesbezüglich die Anwendung des Rechts des Belegenheitsstaates an. Eine Rechtswahl ist im deutsch-sowjetischen Konsularvertrag nicht vorgesehen.95 aa) Anwendungsbereich des Konsularvertrages Der räumliche Anwendungsbereich ist jedenfalls beschränkt auf Vermögen, das sich in den Vertragsstaaten befindet. Der Streit, der sich beim deutsch-türkischen Konsularvertrag und beim deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen stellt, ist hier nicht relevant. Betrachtet man Art. 28 Abs. 3 systematisch, zeigt sich, dass Absatz 1 und 2 die Kompetenzen des Konsuls im Empfangsstaat regeln, deshalb ist davon auszugehen, dass sich Absatz 3 auch nur auf Vermögen im Empfangsstaat bezieht.96 Bezüglich des persönlichen Anwendungsbereichs ist der Wortlaut, wie auch beim deutsch-türkischen Konsularvertrag und dem deutsch-iranischen Nachlass­ abkommen unklar. Im Gegensatz zu den anderen beiden Staatsverträgen, wird jedoch in der Literatur kaum diskutiert, ob der deutsch-sowjetische Konsularvertrag auch auf Mehrstaatler Anwendung finden soll.97 Nicht anwendbar ist das Abkommen jedenfalls auf Personen, die sowohl die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und zusätzlich eine der Nachfolgestaaten den UdSSR.98 Hinsichtlich der Doppelstaatler mit einer Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates und einer 87

BGBl. 1992 II S. 1120. BGBl. 1996 II S. 768. 89 BGBl. 1995 II S. 255. 90 BGBl. 1994 II S. 2533. 91 BGBl. 1993 II S. 1189. 92 BGBl. 1993 II S. 2038. 93 BGBl. 2016 II S. 128. 94 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 33. 95 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75: Anhang III Rn. 9. 96 Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 181 (188); Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 80 f.; Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (160). 97 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75: Anhang III Rn. 7. 98 Ebenda. 88

II. Die Erbrechtsverordnung

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weiteren eines Drittstaates, kann die Argumentation zum deutsch-türkischen und deutsch-iranischen Abkommen angeführt werden. Auf der einen Seite könnte auf die effektive Staatsangehörigkeit abgestellt werden, sodass das Abkommen den Personen zugutekommt, die aus ihrer Sicht als Staatsangehörige einer der Vertragsparteien anzusehen sind. Auf der anderen Seite könnte auch argumentiert werden, dass es bei Anwendbarkeit des Abkommens auf Erblasser mit doppelter Staatsangehörigkeit zu Konflikten mit anderen Staatsverträgen kommen kann. bb) Divergenzen mit der EuErbVO Auch zwischen dem deutsch-sowjetischen Konsularvertrag als vorrangiges Abkommen gemäß Art. 75 Abs. 1 EuErbVO und der EuErbVO bestehen Konflikte. Während der Staatsvertrag bei unbeweglichem Vermögen an das Recht des Belegenheitsortes anknüpft, stellt die EuErbVO auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers ab. Für bewegliches Vermögen trifft der Konsularvertrag keine Regelung, somit gilt diesbezüglich die EuErbVO.99 Dies führt möglicherweise zu einer Nachlassspaltung hinsichtlich des beweglichen und unbeweglichen Vermögens. Aufgrund fehlender Regelungen über einen Erbnachweis im deutsch-­ sowjetischen Konsularvertrag sind die Regelungen über das Europäische Nachlasszeugnis anwendbar.

3. Folgerungen Die EuErbVO wurde mit dem Ziel geschaffen, in erbrechtlichen Angelegenheiten ein einheitliches Regelwerk mit einem modernen Kollisionsrecht zu schaffen, dass den Rechtsraum Europa stärkt. Die verschiedenen nationalen Anknüpfungspunkte, wie Staatsangehörigkeit des Erblassers oder Belegenheitsortes des Nachlasses wurden durch den gemeinsamen vorrangigen Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts ersetzt. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Verordnung ein Instrument geschaffen, dessen Funktionalität vom Bestehen eines europäischen Entscheidungseinklangs abhängt. Denn das Europäische Nachlasszeugnis kann nur effektiv genutzt werden, wenn die Rechte der Erben in allen Mitgliedsstaaten nach dem gleichen anwendbaren Recht beurteilt werden.100 Diesbezüglich ergeben sich jedoch Probleme, wenn Divergenzen zwischen den gemäß Art. 75 EuErbVO vorrangigen Staatsverträgen und der Verordnung bestehen. Deutschland hat drei solche Abkommen geschlossen, bei denen sich jeweils Konflikte mit der Verord 99 Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV S. 2012, S. 182 (186). 100 Dutta, Die europäische Erbrechtsverordnung vor ihrem Anwendungsbeginn, IPRax 2015, S. 32 (38); Dutta, The Perspective of the European Union, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 319 (320).

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

nung ergeben, da die Abkommen anders als die Verordnung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers beziehungsweise an den Belegenheitsort des Nachlasses anknüpfen. Regelungen, die denen über das Europäische Nachlasszeugnis ähneln, gibt es in den Staatsverträgen jedoch nicht. Dieses kann somit auch dann in vollem Umfang erteilt werden, wenn ein vorrangiges Abkommen andere Zuständigkeitsregelungen und Kollisionsnormen enthält.101 Die Vorschrift des Art. 22 EuErbVO zur Rechtswahl ist trotz entsprechender Regelungslücken in den drei bilateralen Verträgen nicht anwendbar, da die Möglichkeit einer Rechtswahl im Rahmen der Staatsverträge deren Änderung gleichkommen würde.102 Verstirbt beispielsweise ein russischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich mit unbeweglichem Vermögen in Deutschland und in Frankreich, werden französische Gerichte ein Europäisches Nachlasszeugnis ausstellen. Dieses wird gemäß Art. 21 EuErbVO auf französischem Erbrecht beruhen und es wird freilich nicht zwischen dem Vermögen in Frankreich und Deutschland unterschieden.103 Eine Überprüfungspflicht, ob mögliche Drittstaatsverträge anderer Mitgliedsländer tangiert sein könnten, besteht nicht.104 Wollen die Erben aufgrund dieses Nachlasszeugnisses einschlägige Register ändern lassen, ist dieses in Frankreich zwar richtig, in Deutschland jedoch nicht. Dort wäre eigentlich der Konsularvertrag anzuwenden, der zum russischen Erbrecht und damit auch möglicherweise zu einer anderen als in dem Nachlasszeugnis festgelegten Erbensituation führt. Das Europäische Nachlasszeugnis entfaltet seine Wirkung jedoch unabhängig von seiner inhaltlichen Richtigkeit automatisch in allen Mitgliedsstaaten.105 Aufgrund der Richtigkeitsvermutung treten die Wirkungen des Europäischen Nachlasszeugnisses grundsätzlich auch ohne europäischen Entscheidungseinklang ein.106 Der fehlende Entscheidungseinklang schwächt jedoch die Akzeptanz und steigert die Skepsis gegenüber dem Europäischen Nachlasszeugnis im Rechtsverkehr.107 Im Gegensatz zum deutschen Erbschein schadet der Gutglaubenswirkung 101 EuGH, Urt. v. 1. März 2018, Rs. C-558/16, ECLI:EU:C:2018:138 Rn. 42  – Mahnkopf; MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 5. 102 Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (165). 103 Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (469). 104 Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (472 Fn. 123); Nomos­KommentarBGB  /  Magnus, EuErbVO, Art. 75 Rn. 12; im Ergebnis auch Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung S. 181 (192). 105 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 69 Rn. 5. 106 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 63. 107 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S.  69; MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Vor Art. 62 Rn. 10; Dutta, Die europäische Erbrechtsverordnung vor ihrem Anwendungsbeginn: Zehn ausgewählte Steitstandminiaturen, IPRax 2015, S. 32 (38).

II. Die Erbrechtsverordnung

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des Nachlasszeugnisses gemäß Art. 69 Abs. 3 und 4 bereits die grob fahrlässige Unkenntnis der Unrichtigkeit und nicht erst die tatsächliche Kenntnis.108 Damit geht ein Funktionsverlust des Europäischen Nachlasszeugnisses einher, welches eine Schlüsselrolle in der EuErbVO einnimmt, weil es die gesamte Nachlass­ abwicklung bestimmt.109 Es entstehen erhebliche Friktionen, wenn ein Mitgliedsstaat der Union Entscheidungen anerkennen muss, die aufgrund eines nach einem Abkommen anwendbaren Recht getroffen wurden oder wenn ein an einen Staatsvertrag gebundenes Mitgliedsland ein Nachlasszeugnis anerkennen soll, das den Staatsvertrag aus seiner Sicht missachtet.110 Darüber hinaus begeht das an einen Staatsvertrag gebundene Mitgliedsland einen Völkerrechtsbruch, wenn seine Behörden aufgrund eines aus ihrer Sicht inhaltlich falschen Zeugnisses beispielsweise amtliche Register umschreiben.111 Solche Divergenzen, die durch abweichende Rechtsanwendungen entstandenen sind, können darüber hinaus gravierende Folgen für die Eigentumsund Vermögenslage in den Mitgliedsstaaten haben.112 Spannungen im Hinblick auf das Europäische Nachlasszeugnis könnten vermieden werden, wenn in Fällen, wie dem obigen die Ausstellung eines Europä­ ischen Nachlasszeugnisses verweigert werden würde.113 Auf den europäischen Entscheidungseinklang und die Anwendbarkeit der Verordnung hätte dies jedoch keine Auswirkung. Es würde bei Differenzen bezüglich des anwendbaren Rechts bleiben. Außerdem käme eine solche Verweigerung einer Rechtsverweigerung gleich, da die Erben dann ihre Rechtspositionen nicht einheitlich in der ganzen Union geltend machen könnten.114 Ferner müsste die Ausstellungsbehörde prüfen, ob möglicherweise ein Staatsvertrag eines anderen Mitgliedsstaates zu beachten ist.115 Die Informationslage bezüglich des Bestehens von relevanten Staatsverträgen anderer Mitgliedsstaaten ist jedoch sehr unübersichtlich, es müsste zunächst auf europäischer Ebene ein Handbuch mit allen Staatsverträgen erstellt werden.116 Bei Betrachtung der Erbrechtsverordnung und den gemäß Art. 75 EuErbVO vorrangigen Staatsverträgen zeigt sich ganz deutlich, dass die Staatsverträge die ein 108

Ebenda. Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 73. 110 Bauer, in: Dutta / Weber, EuErbVO, Art. 75 Rn. 20. 111 Lehmann, Der Referentenentwurf für ein Begleitgesetz für EuErbVO, ZEV 2014, S. 232 (234); Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung S. 181 (189 f.). 112 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 73. 113 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 5. 114 Ebenda. 115 Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung S. 181 (192). 116 Ebenda. 109

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

heitliche Anwendbarkeit der Verordnung hemmen, wie bei Konflikten zwischen den Abkommen und der Verordnung der europäische Entscheidungseinklang gestört wird und welche schwerwiegenden Folgen dies vor allem in Bezug auf das Europäische Nachlasszeugnis haben kann.

III. Die Rom II-Verordnung 30 Jahre hat die Europäische Gemeinschaft gebraucht, um ein einheitliches IPR für außervertragliche Schuldverhältnisse zu schaffen.117 Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ist trotz ihrer Nummerierung chronologisch gesehen die erste europäische Verordnung auf dem Gebiet des Kollisionsrecht. Sie gilt gemäß Art. 1  Abs. 4 Rom II-VO in allen Mitgliedsstaaten außer Dänemark, wobei viele Staaten Verträge mit Drittländern geschlossen haben, die gemäß Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO der Verordnung vorgehen. Deutschland hat gemäß Art. 29 Abs. 1 Rom II-VO der Kommission acht Übereinkommen übermittelt.118 Viel wichtigere wenn gleich nur mittelbare Bedeutung für die deutsche Rechtspraxis hat das Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht.119 Zwar ist Deutschland kein Vertragsstaat des HStÜ, jedoch sind sämtliche Nachbarländer Deutschlands mit Ausnahme Dänemarks Vertragsparteien des Übereinkommens120 und die Zahl an grenzüberschreitenden Autounfällen ist immens hoch, sodass die praktische Wirksamkeit der Verordnung stark gehemmt wird.

117 Von Hein, Die Kodifikation des europäischen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse vor dem Abschluss?, VersR 2007, S. 440. 118 Abkommen vom 29. Mai 1933 zur Vereinheitlichung von Regeln über die Sicherungsbeschlagnahme von Luftfahrzeugen; Internationales Übereinkommen vom 10. Mai 1952 zur Vereinheitlichung von Regeln über den Arrest in Seeschiffe; Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 7. März 1967 über den Schutz von Herkunftsangaben und anderen geographischen Bezeichnungen; Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Weltraumforschungs-­ Organisation (ESRO) vom 24. September 1968 über das Europäische Operationszentrum für Weltraumforschung; Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen); Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 25. April 1977 über die Straße zwischen Lörrach und Weil am Rhein auf schweizerischem Gebiet; Internationales Bergungsübereinkommen, London, 28. April 1989; Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Weltraumorganisation vom 23. August 1990 über das Europäische Astronautenzentrum (ABl. 2010 C 343/7). 119 MünchKommBGB / Junker, Rom II-VO, Art. 28 Rn. 7. 120 Portal der Schweizer Regierung, Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht, https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1986/2253_2253_2253/de.

III. Die Rom II-Verordnung

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1. Kollisionsrecht der Rom II-Verordnung Die Rom  II-VO enthält IPR-Regelungen zu sämtlichen außervertraglichen Schuldverhältnissen, darunter auch einige spezielle Kollisionsnormen, die das anwendbare Recht beispielsweise für die Produkthaftung gemäß Art. 5 Rom IIVO oder die Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß Art. 11 Rom II-VO regeln. An dieser Stelle soll jedoch nur auf die Vorschriften eingegangen werden, die bei Streitigkeiten über Straßenverkehrsdelikte eine Rolle spielen. Da die Verordnung keine explizite Kollisionsvorschrift zu Verkehrsunfällen enthält, wird auf die allgemeine Anknüpfungsnorm gemäß Art. 4 Rom II-VO zurückgegriffen.121 Gemäß Art. 4Abs. 1  Rom  II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem sich der Schaden verwirklicht hat. Dabei kommt es nicht darauf an, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis eingetreten ist. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO findet jedoch nur Anwendung, wenn nicht die spezielleren Vorschriften Art. 4 Abs. 2 und 3  Rom II-VO anwendbar sind oder eine Rechtswahl gemäß Art. 14  Rom  II-VO getroffen wurde. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO ist einschlägig, wenn Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben, dann ist dieser Ort für die Anknüpfung ausschlaggebend. Hintergrund der Vorschrift ist, dass die Unfallbeteiligten grundsätzlich wieder in den Staat zurückkehren, wo sie sich normalerweise aufhalten.122 Häufiger Anwendungsfall ist der geschädigte Beifahrer im Fahrzeug des Schädigers.123 Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1 oder 2 bezeichneten Staat aufweist, so ist gemäß Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO vorrangig das Recht dieses Staates anzuwenden. Die Vorschrift nennt als Anwendungsbeispiel ein bereits bestehendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. Dabei ist vor allem an einen Beförderungsvertrag zu denken.124 Die Kollisionsregeln des Art. 4 Rom II-VO stellen gemäß Art. 24 Rom II-VO Sachnormverweisungen dar und sind nicht nur auf den haftungsbegründenden Tatbestand, sondern gemäß Art. 15 lit. c Rom II-VO auch auf den haftungsausfüllenden Tatbestand anwendbar.125

121

BeckOGK / Rühl, Rom II-VO, Art. 4 Rn. 44. Ebenda, Rn. 83. 123 Reisinger, Internationale Verkehrsunfälle, S. 45. 124 Reisinger, Internationale Verkehrsunfälle, S. 48; Backu, Internationale Kfz-Schadensfälle: Unfälle mit Auslandsbezug und anwendbares Recht, DAR-Extra 2009, S. 742 (746). 125 Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (629). 122

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

2. Das Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht Das Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht wurde von 13 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unterzeichnet.126 Der Staatsvertrag hat den Zweck die Schadensabwicklung von Straßenverkehrsunfällen mit Auslandsbezug durch vereinheitlichte Kollisionsnormen zu erleichtern.127 a) Kollisionsnormen des Haager Straßenverkehrsübereinkommen Das HStÜ enthält in den Art. 3 ff. mehrere kollisionsrechtliche Vorschriften, dabei stellt Art. 3 HStÜ einen Auffangtatbestand dar, der nur zur Anwendung kommt, wenn keine der Ausnahmen gemäß Art. 4 und 6 HStÜ einschlägig sind. Das Recht des Unfallortes gemäß Art. 3 HStÜ wird somit nur subsidiär angewendet. Eine Rechtswahl ist im HStÜ nicht vorgesehen, allerdings ist diese nach Rückgriff auf die lex fori nicht ausgeschlossen.128 Zunächst knüpft Art. 4 HStÜ an das Recht des Zulassungsstaates an. Die Vorschrift unterscheidet zwischen dem Fall, dass nur eine Person an dem Unfall beteiligt ist (Art. 4 lit. a HStÜ) und dem Fall, dass mehrere Personen an dem Unfall beteiligt sind (Art. 4 lit. b HStÜ). Gemäß Art. 4 lit. a HStÜ ist das Recht des Zulassungsstaates anwendbar auf die Haftung (1) gegenüber dem Fahrzeugführer und dem Halter, (2) gegenüber einem Geschädigten, der Fahrgast war, wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen als dem Staat des Unfallortes hatte und (3) gegenüber dem Geschädigten, der sich am Unfallort außerhalb des Fahrzeuges befand, wenn er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zulassungsstaat hatte. Das Gleiche gilt, wenn gemäß Art. 4 lit. b HStÜ mehrere Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt sind, die alle im gleichen Staat zugelassen sind. Art. 4 lit. a und b HStÜ sind gemäß Art. 4 lit. c HStÜ auch dann anwendbar, wenn mehrere Personen an dem Unfall beteiligt sind, die sich außerhalb der Fahrzeuge befanden, aber alle ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zulassungsstaat haben.

126

Belgien, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik (Stand 2013); Portal der Schweizer Regierung, Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1986/2253_2253_2253/de. 127 Reisinger, Internationale Verkehrsunfälle, S. 4. 128 Oberster Gerichtshof Wien, Entscheidung v. 26. Januar 1995 – 2 Ob 11/94; Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 381; ­Rudolf, Internationaler Verkehrsunfall, ZVR 2008, S. 528 (530); a. A. Schwander, Überlegungen zu Rom-II aus der Sicht des schweizerischen Internationalen Privatrechts (IPR), S. 3, https://www.nbi-ngf.ch/pdf/romii_und_iprg.pdf; jurisPK-BGB / E ngel, Rom II-VO, Art. 28 Rn. 20.

III. Die Rom II-Verordnung

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Das Recht des Zulassungsstaates ist gemäß Art. 5 HStÜ auch auf die Haftung für Schäden an den mit dem Fahrzeug beförderten Sachen anwendbar, die dem Fahrgast gehören oder ihm anvertraut worden sind. Das gilt auch für Schäden an den am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeugen.129 Gemäß Art. 6 HStÜ ist das Recht des gewöhnlichen Fahrzeugstandortes anwendbar, wenn das Fahrzeug nicht oder in zwei verschiedenen Staaten zugelassen ist. Gleiches gilt, wenn weder Halter noch Führer des Fahrzeugs ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zulassungsstaat hatten. b) Anwendungsbereich des Haager Straßenverkehrsübereinkommen Unter dem Begriff Straßenverkehrsunfall ist gemäß Art. 1 HStÜ „jeder Unfall zu verstehen, an dem ein oder mehrere Fahrzeuge, ob Motorfahrzeuge oder nicht, beteiligt sind und der mit dem Verkehr auf öffentlichen Strassen, auf öffentlich zugänglichem Gelände oder auf nichtöffentlichem, aber einer gewissen Anzahl befugter Personen zugänglichem Gelände zusammenhängt.“ Auslandsbezug liegt vor, wenn der Unfallort im Ausland liegt, Zulassung bzw. gewöhnlicher Standort eines beteiligten Fahrzeugs im Ausland ist oder einer der Beteiligten einen ausländischen gewöhnlichen Aufenthalt hat.130 Es kommt für die Anwendung des HStÜ nicht darauf an, ob sich dieser Auslandsbezug auf einen Vertragsstaat bezieht. Das Übereinkommen ist gemäß Art. 11 HStÜ auch anwendbar, wenn das anzuwendende Recht nicht das Recht eines Vertragsstaates ist. Eingeschränkt wird der sachliche Anwendungsbereich jedoch durch Art. 2 HStÜ, der eine Reihe von Fallkonstellationen aufzählt, bei denen das Übereinkommen nicht zur Anwendung kommt. Es sind somit nicht alle Fragestellungen rund um den Verkehrsunfall abgedeckt. Der Anwendungsbereich der Rom II-VO ist in dieser Hinsicht weiter.131 Bezüglich einzelner Gesichtspunkte eines Sachverhalts, der grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt, kann somit trotzdem die Verordnung anwendbar sein.132 Ein Beispiel dafür sind Aufsichtsverletzungen von Eltern, die eine Rolle bei einem Verkehrsunfall spielen können. Während das HStÜ für diesen Fall keine Vorschrift enthält, ist die Rom  II-VO bei Aufsichtsverletzungen anwendbar.133 Ein Rückgriff auf die lex fori ist darüber hinaus auch für die Auslegung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens notwendig. Die uneinheitliche Auslegung und somit auch die uneinheitliche Anwendung der Konvention schränken neben den „Anwendungslücken“ den Entscheidungseinklang innerhalb des HStÜ ein.134 129

Reisinger, Internationale Verkehrsunfälle, S. 53. Ebenda, S. 4. 131 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 380. 132 Ebenda, S. 379. 133 Ebenda, S. 379. 134 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrs-übereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (696). 130

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

c) Divergenzen mit der Rom II-Verordnung An dieser Stelle sind wiederum die Anknüpfungsmerkmale der europäischen Verordnung und des Staatsvertrages zu betrachten. Die allgemeine Kollisionsvorschriften aus HStÜ und Rom II-VO führen bei Straßenverkehrsunfällen grundsätzlich zur Anwendbarkeit des gleichen Sachrechts. Zwar stellt das HStÜ gemäß Art. 3 auf den Ort des Unfalls ab und Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO knüpft an den Ort an, wo der Schaden eingetreten ist, bei einem Verkehrsunfall fallen jedoch grundsätzlich Handlungs- und Erfolgsort zusammen.135 Das führt dazu, dass sich bezüglich des anwendbaren Rechts im Ergebnis keine Unterschiede ergeben. Anders stellt sich die Situation dar, wenn man die vorrangigen Sonderanknüpfungen der Verordnung und des Übereinkommens betrachtet. Die Kollisionsvorschriften der Rom II-VO knüpfen gemäß Art. 4 Abs. 2 und 3 Rom II-VO an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Unfallbeteiligten bzw. an eine offensichtlich engere Verbindung an. Das HStÜ stellt aber gemäß Art. 4 auf den Zulassungsstaat und gemäß Art. 6 auf den gewöhnlichen Standort des beteiligten Fahrzeugs ab.

3. Folgerungen Die angestrebte Kollisionsrechtsvereinheitlichung konnte durch die Rom II-VO zumindest hinsichtlich grenzüberschreitender Verkehrsunfälle kaum erreicht werden. Grund hierfür ist das HStÜ, das in vielen Mitgliedsstaaten der EU gilt und von der Rom II-VO abweichende Kollisionsnormen enthält. Der Entscheidungseinklang innerhalb der EU ist erheblich beeinträchtigt.136 In der Praxis zeigen sich die Folgen dieses Problems sehr stark137. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Zwei österreichische Staatsbürger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Innsbruck und Salzburg verursachen in Deutschland einen Unfall. Während der Unfallbeteiligte aus Innsbruck mit dem eigenen Wagen aus Österreich unterwegs ist, hat sich der Salzburger Fahrer ein Fahrzeug in Deutschland geliehen. Der Kläger aus Salzburg hat die Wahl, ob er gemäß Art. 4 Brüssel Ia-VO138 in Österreich (allgemeiner 135

Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom  II-VO, S. 388; Reisinger, Internationale Verkehrsunfälle, S. 44; jurisPK-BGB / Engel, Rom II-VO, Art. 28 Rn. 14. 136 Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), 624 (633). 137 Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 407; a. A. Adensamer, Der Verkehrsunfall im Licht der Rom-II-Verordnung, ZVR 2006, S. 523 (527), der davon ausgeht, dass HStÜ und Verordnung meistens zu den gleichen Ergebnissen führen. 138 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2012 L 351/1.

III. Die Rom II-Verordnung

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Gerichtsstand) oder gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO am Ort des schädigenden Ereignisses, somit in Deutschland (besonderer Gerichtsstand) klagt.139 Während die deutschen Gerichte sich nach der Rom II-VO richten würden, würde in Österreich das anwendbare Recht nach dem HStÜ bestimmt werden. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO würde der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt zur Anwendung österreichischen Sachrechts führen. Da die beiden Fahrzeuge nicht im selben Staat zugelassen wurden, würde gemäß Art. 3 HStÜ das Recht des Unfallortes, folglich deutsches Sachrecht zur Anwendung kommen. Dem Kläger wird somit die Möglichkeit zum forum und law shopping gegeben.140 Aufgrund des erheblichen grenzüberschreitenden Straßenverkehrs sind viele weitere Fälle dieser Art denkbar,141 insbesondere Unfälle, bei denen mehrere in unterschiedlichen Staaten zugelassenen Fahrzeuge oder Reisebussen beteiligt sind.142 Oftmals kann sich ein forum shopping tatsächlich lohnen, weil die Staaten in ihren Sachrechten verschiedene Entschädigungsniveaus angesetzt haben.143 Der Kläger kann dann das Recht wählen, das ihm die höchste Entschädigung zuspricht. Auch im Hinblick auf die Anwendungsbereiche des HStÜ und der Rom II-VO zeigen sich Schwierigkeiten. Einige Gesichtspunkte bezüglich der Auslegung des Übereinkommens sind in der Literatur umstritten, ein Rückgriff auf die lex fori führt zu einer uneinheitlichen Reichweite des Übereinkommens.144 Auch der Rückgriff auf die lex fori hinsichtlich der Rechtswahl ist heikel, da es so im bereits unklaren Anwendungsbereich des HStÜ zu verschiedenen Entscheidungen zur Rechtswahl kommen kann.145 Verstärkt wird dieses Problem noch durch den lückenhaften Anwendungsbereich des HStÜ. Auch in diesem Zusammenhang bedarf es teilweise eines Rückgriffs auf die lex fori und damit auf die Rom II-VO, sodass auf den gleichen Sachverhalt sowohl das Übereinkommen als auch die Verordnung zur Anwendung kommen kann. Die vielen Autounfälle, die in den Anwendungsbereich des HStÜ fallen, schränken den Anwendungsbereich der Rom II-VO bedeutend ein. Der europäische Ent 139 Thiede / Keller, „Forum shopping“ zwischen dem Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht und der Rom-II-Verordnung, VersR 2007, S. 1624. 140 Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 406, 480; Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (701). 141 Zum Beispiel kann der Kläger bei der Klage gegen die Versicherung des Unfallgegners ebenfalls zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand gemäß Art. 5 Brüssel Ia-VO und dem besonderen Gerichtsstand des schädigenden Ereignisses gemäß Art. 12 Brüssel Ia-VO wählen; dies eröffnet wiederum die Möglichkeit zum forum und law shopping. 142 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (701). 143 Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), 624 (629, 633). 144 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (696). 145 Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 387.

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

scheidungseinklang ist stark geschwächt.146 Sowohl die Möglichkeit zum forum und law shopping als auch die Schwierigkeiten hinsichtlich der Anwendung des HStÜ und der Rom II-VO führen dazu, dass die mit der Rom II-VO verfolgten Ziele Rechtseinheit und Rechtsklarheit nicht erreicht werden.

IV. Die Rom I-Verordnung Mit voranschreitender Globalisierung ist auch die Zahl internationaler Verträge angestiegen, die Verbindungen zu mehreren Rechtsordnungen aufweisen. Infolgedessen wurden zur Vereinheitlichung des Sachrechts und des Kollisionsrechts viele völkerrechtliche Übereinkünfte geschlossen,147 um Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie zu fördern. 1980 wurde das Europäische Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ) geschlossen148, das Regeln zum anwendbaren Recht für vertragliche Schuldverhältnisse mit Auslandsbezug enthält. Seit dem 17. Dezember 2009 gilt auf europäischer Ebene die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, die das EVÜ ersetzt.149 Ihr Anwendungsbereich soll sich zwischen der Brüssel I-VO (mittlerweile Brüssel Ia-VO) und der Rom II-VO einordnen.150 Sie gilt in allen Mitgliedsstaaten der EU mit Ausnahme von Dänemark.151

1. Kollisionsrecht der Rom I-Verordnung Die Rom I-VO enthält eine Reihe kollisionsrechtlicher Vorschriften zum anwendbaren Recht, soweit die Parteien keine Rechtswahl gemäß Art. 3 Rom I-VO getroffen haben. Die Art. 5 ff.  Rom  I-VO enthalten IPR-Vorschriften für spezielle Vertragstypen, wie beispielsweise für Beförderungsverträge gemäß Art. 5 Rom I-VO. Liegt kein Vertragstyp gemäß Art. 5 ff. Rom I-VO vor, bestimmt sich das anwendbare Recht nach der Kollisionsregel des Art. 4 Rom I-VO. Während Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO ebenfalls Regelungen für besondere Vertragstypen formuliert, sind die Art. 4 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO allgemeiner gefasst. Die Verordnung 146

Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 480. 147 Schilling, Materielles Einheitsrecht und Europäisches Schuldvertrags-IPR, EuZW 2011, S. 776. 148 BGBl. II 1986 S. 810. 149 Lein, La nouvelle synergie Rom I / Rom II / Bruxelles, in: Ritaine / Bonomi, Le nouveau règlement européen „Rome I“ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 27. 150 Erwägungsgrund (7) zur Verordnung (EG) zur Rom I-VO; Wilderspin, Le Règlement Rome I: la communautarisation et la modernisation de la Convention de Rome, in: Ritaine /  Bonomi, Le nouveau règlement européen „Rome I“ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles, S. 11. 151 Erwägungsgrund (45) und (46) zur Rom I-VO.

IV. Die Rom I-Verordnung

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folgt dem „Prinzip der charakteristischen Leistung“ und knüpft grundsätzlich an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers an.152 Kann das anzuwendende Recht auf diese Art nicht bestimmt werden oder besteht eine offensichtlich engere Bindung zu einem anderen Staat, so unterliegt der Vertrag dem Recht dieses Staates. Bei sämtlichen Kollisionsvorschriften der Verordnungen handelt es sich gemäß Art. 20  Rom  I-VO um Sachnormverweisungen. Die Reichweite des ermittelten Vertragsstatutes erstreckt sich auf die gesamte Durchführung des Vertrages, unter anderem auf das Zustandekommen des Vertrages gemäß Art. 9 ff. Rom I-VO und der Forderungsübertragung gemäß Art. 14, 15 Rom I-VO.

2. Vorrang mitgliedsstaatlicher Übereinkünfte mit Drittstaaten Den Vorrang von Staatsverträgen mit Drittstaaten regelt Art. 25  Rom  I-VO. Erfasst werden Staatsverträge, die ebenfalls Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Folglich wird beispielsweise das von Deutschland nicht unterzeichnete Haager Übereinkommen über das auf internationale Kaufverträge über bewegliche Sachen anzuwendende Recht von Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO erfasst.153 Es ist jedoch streitig, inwieweit auch sachrechtsvereinheitlichende Übereinkommen wie das von Deutschland unterzeichnete Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. 4. 1980 (CISG) im Rahmen des Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO berücksichtigt werden. Unstreitig ist, dass Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO jedenfalls nicht verlangt, dass nur solche Übereinkommen erfasst sein sollen, die ausschließlich kollisionsrechtliche Regeln enthalten.154 Dies wirft die Frage auf, wie der Begriff der Kollisionsnorm gemäß Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO zu verstehen ist und ob vorangestellte sogenannte Rechtsanwendungsnormen, wie Art. 1 Abs. 1 CISG, unter diesen Begriff fallen.155

152

BeckOGK / Köhler, Rom I-VO, Art. 4 Rn. 6. Von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts, in: FS Schröder, S. 32. 154 Magnus, in: Staudinger,  Rom I-VO, Art. 25 Rn. 12; Jayme / Nordmeier, Multimodaler Transport: Zur Anknüpfung an den hypothetischen Teilstreckenvertrag im Internationalen Transportrecht – Ist § 452a HGB Kollisions- oder Sachnorm?, IPRax 2008, S. 503 (507). 155 Dafür: Jayme / Nordmeier, Multimodaler Transport: Zur Anknüpfung an den hypothetischen Teilstreckenvertrag im Internationalen Transportrecht – Ist § 452a HGB Kollisionsoder Sachnorm?, IPRax 2008, 503 (507 f.); Mankowski, in: Reithmann / Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 2720; Schulze, in: Ferrari / K ieninger / Mankowski u. a., Rom I-VO, Art. 25 Rn. 4; Spickoff, in: Bamberger / Roth / Hau / Poseck, Rom I-VO, Art.  1 Rn.  8; Thorn, in: ­Grüneberg, Rom I-VO, Art. 25 Rn. 2; Dagegen: Magnus, in: Staudinger, Rom I-VO, Art. 25 Rn. 13; Wagner, Normenkonflikte zwischen den EG-Verordnungen Brüssel I, Rom I, Rom II und transportrechtlichen Rechtsinstrumenten, TranspR 2009, S. 103 (107); Schilling, Materielles Einheitsrecht und Europäisches Schuldvertrags  – IPR, EuZW 2011, S. 776 (778 f.); offengelassen: Von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts, in: FS Schröder, S.  33 f.; MünchKommBGB / Martiny, Rom I-VO, Art. 25 Rn. 4. 153

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

Die Ansicht, die Art. 25  Abs. 1  Rom  I-VO weit auslegt, argumentiert zum einen damit, dass Vorschriften, wie Art. 1 CISG der Definition einer Kollisionsnorm entsprechen, da sie bei Sachverhalten mit Auslandsberührung die Anwendung eines bestimmten Rechts verlangen.156 Regelungen über den räumlichen Anwendungsbereich eines Staatsvertrages sind somit „funktionsäquivalent“ zu Kollisionsnormen.157 Diejenigen, die eine enge Auslegung des Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO vertreten, sind wiederum der Ansicht, dass Rechtsanwendungsnormen von Sachrechtsübereinkommen gerade nicht dem europarechtlichen Kollisionsbegriff entsprechen. Gemeint seien nur solche Normen, die ein bestimmtes Rechtsverhältnis anhand verschiedener Gesichtspunkte einer bestimmten Rechtsordnung zuordnen.158 Dafür spricht auch ein Erwägungsgrund des Vorschlags der Kommission zu einer Verordnung über ein Gemeinsames Kaufrecht. Demnach würden Rechtsanwendungsvorschriften der vorgeschlagenen Verordnung Sachnormen darstellen und Kollisionsnormen folglich unberührt lassen.159 Darüber hinaus spricht für die letztgenannte Ansicht, dass es sich bei Kollisionsvorschriften um Verweisungsnormen handelt, die erst im Konfliktfall die Anwendung einer bestimmten Rechtordnung anordnen. Das bedeutet, dass ein Rückgriff auf das IPR nur notwendig ist, wenn mehrere nationale Rechtsordnungen konkurrieren. Dieses Argument wird auch durch den Wortlaut der englischen Fassung des Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO unterstützt, die von „conflict-of-law rules“ spricht.160 Ein solcher Konflikt besteht bei Rechtsanwendungsnormen gerade nicht. Die beiden Ansichten kommen zunächst jedoch zu dem gleichen Ergebnis.161 Denn auch wenn man der zweiten Meinung folgt, gelten „Sachnormübereinkommen“ wie das CISG vorrangig vor der Rom I-VO. Dies ergibt sich jedenfalls schon aus dem Charakter des Einheitsrechts,162 welches – wie bereits dargestellt – einen Rückgriff auf das IPR gerade nicht notwendig macht.163 Jedoch ist an dieser Stelle 156

Spickoff, in: Bamberger / Roth / Hau / Poseck, Rom I-VO, Art.  1 Rn.  8. Thorn, in: Grüneberg, Rom I-VO, Art. 25 Rn. 2. 158 Schilling, Materielles Einheitsrecht und Europäisches Schuldvertrags – IPR, EuZW 2011, S. 776 (778 f.). 159 Erwägungsgrund (10) des Verordnungsvorschlags, KOM(2011) 635 endgültig; von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts, in: FS Schröder, S. 29 (36). 160 Schilling, Materielles Einheitsrecht und Europäisches Schuldvertrags – IPR, EuZW 2011, S. 776 (779); Schilling, Das Internationale Privatrecht der Transportverträge, S. 81. 161 MünchKommBGB / Martiny, Rom I-VO, Art. 25 Rn. 4. 162 Ferrari, in: Schlechtriem / Schwenzer / Schroeter, CISG, Vorbemerkungen zu Artt.  1–6 Rn. 34. 163 Magnus, in: Staudinger, Rom I-VO, Art. 25 Rn. 13; Wagner, Normenkonflikte zwischen den EG-Verordnungen Brüssel I, Rom I, Rom II und transportrechtlichen Rechtsinstrumenten, TranspR 2009, S. 103 (107); a. A.: Kampf, UN-Kaufrecht und Kollisionsrecht, RIW 2009, S. 297 (299), der der Ansicht ist, dass die Verordnung dem CISG vorgehe, da der völkerrechtliche Vertrag noch in nationales Recht umgewandelt werden müsse und dieser nach der Transformationstheorie nur noch einfachen Gesetzesrang habe. 157

IV. Die Rom I-Verordnung

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auf einen erheblichen Unterschied hinzuweisen. Würde man der ersten Ansicht folgen, hieße dies, dass „Sachrechtsübereinkommen“ grundsätzlich den Anwendungsbereich der Rom I-VO berühren und beeinträchtigen können. Folglich hätte die EU auch die ausschließliche Vertragsschlusskompetenz hinsichtlich sachrechtsvereinheitlichender Übereinkommen mit Drittstaaten.164 Im Innenverhältnis hat die Union diesbezüglich jedoch nur eine beschränkte Kompetenz. Eine darüberhinausgehende Ausweitung der Außenkompetenz würde dem Grundgedanken der AETRRechtsprechung zuwiderlaufen, wonach die Außenkompetenz der Ausübung der Kompetenz im Inneren folgt.165 Vorrang gemäß Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO genießt allerdings das ebenfalls von Deutschland unterzeichnete Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (Convention de Budapest relative au contract de transport de marchandises en navigation intérieure; CMNI)166. Zwar hat dieses ebenfalls vor allem sachrechtsvereinheitlichenden Charakter, jedoch enthält es mit Art. 29 CMNI eine allgemeine Kollisionsvorschrift, die den ‚europäischen‘ Anforderungen des Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO entspricht.167

3. Das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) Gemäß Art. 26 Abs. 1 Rom I-VO waren die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, der Kommission bis zum 17. Juni 2009 ihre Staatsverträge, die gemäß Art. 25 Abs. 1  Rom  I-VO Vorrang genießen zu melden. Deutschland hat diesbezüglich die CMNI gemeldet.168 Das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güter­beförderung in der Binnenschifffahrt trat zum 1. April 2005 in Kraft und wurde von elf EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Zusätzlich sind auch Moldawien, Russland, Serbien, Ukraine und die Schweiz Vertragsstaaten des Übereinkommens.169 164

Von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts, in: FS Schröder, Dynamik und Nachhaltigkeit des öffentlichen Rechts, S. 29 (35); Schulze, in: Ferrari / K ieninger / Mankowski u. a., Rom I-VO, Art. 25 Rn. 4. 165 Schilling, Materielles Einheitsrecht und Europäisches Schuldvertrags – IPR, EuZW 2011, S. 776 (779); Schilling, Das Internationale Privatrecht der Transportverträge, S. 71; genauere Ausführungen im Kapitel D: I. 1. a). 166 BGBl. II 2007, 298. 167 Schilling, Materielles Einheitsrecht und Europäisches Schuldvertrags – IPR, EuZW 2011, S. 776 (780). 168 Mitteilungen nach Artikel 26 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europä­ ischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. 2010 C 343/04. 169 Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, Ratifikationsstatus CMNI https://www.ccrzkr.org/files/conventions/etatRatifications_de.pdf.

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

a) Kollisionsnormen der CMNI Wie bereits festgestellt, sind Kollisionsnormen nicht mit Vorschriften über den Anwendungsbereich eines Staatsvertrages zu verwechseln. Art. 2  Abs. 1  CMNI legt fest, dass das Übereinkommen bei der grenzüberschreitenden Beförderung von Fracht auf Binnengewässern Anwendung findet. Zumindest der Staat des Lade­hafens oder der Staat des Löschhafens müssen Vertragspartei der CMNI sein. Ist der Anwendungsbereich der CMNI eröffnet, gelten zunächst die Sachnormen des Übereinkommens. Finden sich für den zugrundeliegenden Sachverhalt keine passenden Vorschriften, werden diese Lücken durch die Kollisionsvorschriften der CMNI geschlossen. Der subsidiär anwendbare Art. 29 CMNI enthält eine allgemeine mehrstufige Kollisionsregel.170 Zunächst ist gemäß Art. 29 Abs. 1 CMNI auf die Rechtswahl der Vertragsparteien abzustellen. Wurde eine solche nicht getroffen, kommt gemäß Abs. 2 das Recht des Staates zur Anwendung, mit dem der Frachtvertrag die engste Verbindung aufweist. Das Merkmal der engsten Verbindung wird durch Art. 29 Abs. 3 CMNI konkretisiert und es wird die Vermutung aufgestellt, dass die engste Verbindung mit dem Staat besteht, „in dem der Frachtführer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine Hauptniederlassung hat, sofern sich in diesem Staat auch der Ladehafen oder Übernahmeort oder der Löschhafen oder Ablieferungsort oder die Hauptniederlassung des Absenders befindet. Befindet sich keine Niederlassung des Frachtführers an Land und hat der Frachtführer den Frachtvertrag an Bord seines Schiffes abgeschlossen, so wird vermutet, dass der Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem das Schiff registriert ist oder dessen Flagge es führt, sofern sich in diesem Staat auch der Ladehafen oder Übernahmeort oder der Löschhafen oder der Ablieferungsort oder die Hauptniederlassung des Absenders befindet.“

Art. 29 Abs. 4 CMNI enthält darüber hinaus eine Kollisionsnorm zur dinglichen Sicherung der Ansprüche des Frachtführers gemäß Art. 10 Abs. 1 CMNI. Anwendbar soll demnach das Recht des Staates sein, in dem sich die beförderten Güter befinden. Art. 29 CMNI regelt somit, wann nicht die CMNI, sondern das allgemeine Vertragsstatut Anwendung findet. Wobei Art. 29 CMNI auch zur Anwendung des Rechts eines Staates führen kann, der kein Vertragsstaat ist.171 Mit dem gemäß Art. 29 CMNI anwendbaren nationalen Recht sind gemäß Art. 1 Nr. 9 CMNI alle Rechtsnormen dieses Staates mit Ausnahme derjenigen des Internationalen Privatrechts gemeint. Es handelt sich somit um Sachnormverweisungen.

170

Mankowski, in: Reithmann / Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 3025. Mankowski, in: Reithmann / Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 3028; MünchKommHGB / Otte, CMNI, Art. 29 Rn. 5. 171

IV. Die Rom I-Verordnung

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b) Divergenzen mit der Rom I-Verordnung Die Verordnung enthält mit Art. 5  Abs. 1 Rom I-VO eine spezielle ebenfalls mehrstufige Kollisionsnorm für Beförderungsverträge über Güter. Soweit die Parteien keine Rechtswahl gemäß Artikel 3 Rom I-VO getroffen haben, „ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Übernahmeort oder der Ablieferungsort oder der gewöhnliche Aufenthalt des Absenders befindet. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist das Recht des Staates des von den Parteien vereinbarten Ablieferungsort anzuwenden.“

Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag bei fehlender Rechtswahl eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist, so ist gemäß Art. 5 Abs. 3 Rom I-VO das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Die Kollisionsvorschrift des Art. 29 CMNI stellt, wie bereits festgestellt, auf erster Stufe auch auf die Rechtswahl der Parteien ab. Fehlt jedoch eine solche, scheint es zunächst so, als würden sich auf zweiter Stufe die Anknüpfungssysteme der beiden Vorschriften Art. 29 Abs. 2 CMNI und Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO bereits grundlegend unterscheiden. Art. 29  Abs. 2  CMNI knüpft nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt des Beförderers, sondern an die engste Verbindung des Frachtvertrages an. Diese Differenz wird jedoch durch die Vermutung des Art. 29 Abs. 3 CMNI revidiert, der das Merkmal der ‚engsten Verbindung‘ konkretisiert und im Wortlaut dem Art. 5 Abs 1 Rom I-VO bezüglich der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Beförderers stark ähnelt. Zwar knüpft Art. 29 Abs. 3 CMNI nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt, sondern an den Ort der Hauptniederlassung an, Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO konkretisiert allerdings den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts für juristische Personen und natürliche Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit handeln. Während es bei Letzteren auf den Ort der Hauptniederlassung ankommt, wird bei juristischen Personen auf den Ort der Hauptverwaltung abgestellt. Die beiden Begriffe können nicht gleichgesetzt werden, da sich der Begriff der Hauptniederlassung durch den „(operativen) Außenbezug“ vom Begriff der Hauptverwaltung abgrenzt.172 Bei natürlichen Personen findet somit auf zweiter Stufe ein Gleichlauf zwischen Art. 29 Abs. 2 CMNI und Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO statt. Bei juristischen Personen gibt es Divergenzen, wenn diese ihre Hauptverwaltung (Art. 5 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO) in einem anderen Staat als ihre Hauptniederlassung haben. Bei diesen Differenzen bleibt es jedoch nicht, denn auch auf den nächsten Stufen der Anknüpfung unterscheiden sich die Normen: Während Art. 29  Abs. 3  CMNI nur noch eine Anknüpfungsregelung bei dinglicher Sicherung der Ansprüche des Frachtführers enthält, bestehen mit Art. 5 Abs. 3 Rom I-VO eine weitere subsidiäre Regelung, die an den Ablieferungsort und zuletzt an eine bestehende offensichtlich engere Verbindung anknüpft. 172

NomosKommentarBGB / Doehner, Rom I-VO, Art. 19 Rn. 9.

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

4. Folgerungen Auch zwischen der Rom I-VO und der CMNI bestehen Divergenzen hinsichtlich der IPR-Regelungen. Diese können jedoch nur in den Lücken des vorrangigen Sachrechts der CMNI auftreten und wenn keine Rechtswahl getroffen wurde. Darüber hinaus muss eine juristische Person als Frachtführer tätig sein, die ihre Hauptniederlassung in einem anderen Staat als die Hauptverwaltung hat. In der Praxis werden diese Differenzen wohl keine große Rolle spielen, jedoch kann der angestrebte Entscheidungseinklang auch beeinträchtigt werden, wenn Mitgliedsstaaten der EU internationales Sachrecht vorrangig vor der Rom I-VO anwenden.173 Auch in diesem Fall kann das Gericht eines Mitgliedsstaates zur Anwendung eines anderen – möglicherweise international vereinheitlichten – Sachrechts kommen als ein Gericht eines anderen Mitgliedsstaates, das die Rom I-VO anwendet.

V. Die Europäische Unterhaltsverordnung Im Unterhaltsrecht hat die Europäische Union die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen verabschiedet. Jedoch enthält die Verordnung keine eigenen Reglungen zum anwend­baren Recht.174 In Art. 15 EuUntVO wird zur Bestimmung des auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht auf das Haager Protokoll vom 23. November 2007 (HUP 2007) über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht verwiesen. In den Mitgliedsstaaten, die nicht Vertragsstaaten des HUP 2007 sind, gelten weiterhin die nationalen Kollisionsvorschriften. Die EuUntVO unterscheidet sich insoweit von den zuvor angesprochenen Verordnungen. Da folglich keine tatsächlichen Divergenzen zwischen der Verordnung und den Drittstaatsverträgen mit Kollisionsnormen bestehen können, soll an dieser Stelle nur auf einzelne ausgewählte Gesichtspunkte eingegangen werden. Auch die Unterhaltsverordnung enthält mit Art. 69 Abs. 1 EuUntVO eine Regelung, die das Verhältnis der Verordnung mit Drittstaatsverträgen regelt. Vorrang genießen somit solche Übereinkünfte der Mitgliedsstaaten, die ebenfalls Vorschriften zum internationalen Unterhaltsverfahrensrecht enthalten. In diesem Zusammenhang sollten das Haager Kinderunterhaltsvollstreckungsübereinkommen von 1958 und das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen von 1973 erwähnt werden.175

173 Von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts, in: FS Schröder, S. 29 (36). 174 Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Europa, S. 139; MünchKommFamFG / Lipp, EuUntVO, Vorb. zu Art. 1 ff. Rn. 19. 175 Andrae, in: Rauscher, EuUntVO, Art. 69 Rn. 5.

VI. Die Rom III-Verordnung

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Im selben Jahr wie das HUP 2007 ist das Haager Unterhaltsübereinkommen (HUÜ) in Kraft getreten. Während in Den Haag die Verhandlungen zu den neuen Übereinkommen stattfanden, wurde in Brüssel über die neue Unterhaltsverordnung diskutiert. Durch die Verknüpfung der Arbeiten der Haager Konferenz und der Union176, bilden das HUÜ, das HUP 2007 und die EuUntVO ein geschlossenes rechtliches System zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen.177 Zwar werden so Störungen aufgrund von Differenzen zwischen EU-Verordnung und Drittstaatsvertrag vermieden, jedoch kann die Ausgliederung des Kollisionsrechts aus dem Gemeinschaftsrecht keine Lösung sein. Die mit der Schaffung eines einheitlichen Kollisionsrecht verbundenen Ziele werden so nicht erreicht. Der europäische Gesetzgeber ist von seinem ursprünglichen Ziel der Kumulation verfahrensrechtlicher und kollisionsrechtlicher Vorschriften in einer Verordnung abgewichen.178 Die Trennung in mehrere Regelungswerke führt zu einer erschwerten Rechtsanwendung und trotz Beteiligung der Union zu Divergenzen zwischen der EuUntVO und dem HUP 2007.179

VI. Die Rom III-Verordnung Auch im internationalen Scheidungsrecht bestand zunächst eine weitestgehend uneinheitliche Rechtslage innerhalb der EU. Während 20 Mitgliedsstaaten an die Staatsangehörigkeit oder den Aufenthaltsort anknüpften, wendeten sieben andere Staaten grundsätzlich einfach ihr eigenes materielles Scheidungsrecht an. Aufgrund der verschiedenen Anknüpfungskriterien hinsichtlich des anwendbaren Rechts und der großen Unterschiede in Bezug auf die Scheidungsvoraussetzungen und -gründe im jeweiligen materiellen Recht war der Entscheidungseinklang nicht gewährleistet.180 Es bestand somit ausreichend Anlass zur Schaffung eines einheitlichen und modernen Kollisionsrechts im internationalen Scheidungsrecht. Auf Grund dessen wurde die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Rechts erlassen. Die Anwendbarkeit der Verordnung richtet sich zunächst nach dem gerichtlichen Scheidungsverfahren. Folglich findet die Rom III-VO Anwendung, wenn das Verfahren nach dem 21. Juni 2012181 vor dem Gericht eines teilnehmenden 176

Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 421. 177 Boele-Woelki / Mom, Vereinheitlichung des internationalen Unterhaltsrechts in der Europäischen Union – ein historischer Schritt, FPR 2010, S. 485. 178 Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Europa, S. 148. 179 Ausführlicher dazu: Ebenda, S. 149 ff. 180 Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, S. 2. 181 Für Scheidungsverfahren in Litauen findet die Rom III-VO seit dem 22. Mai 2014 Anwendung.

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

Mitgliedslandes eingeleitet wurde.182 Der räumliche Anwendungsbereich ist sehr weit. Er erstreckt sich auf sämtliche Scheidungen und Trennungen ohne Auflösung des Ehebandes, die gemäß Art. 1 Abs. 1 AEUV Auslandsbezug haben. Darüber hinaus ist gemäß Art. 4 Rom III-VO jedes nach der Verordnung bestimmte Recht anzuwenden, auch wenn es nicht das Recht eines teilnehmenden Mitgliedsstaates ist. Trotzdem konnte keine vollständige Vereinheitlichung des Kollisionsrecht im Scheidungsrecht erreicht werden,183 da die Verordnung lediglich im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit zustande gekommen sind und nicht alle Mitgliedsstaaten teilnehmen.184 Die Vorschrift des Art. 19  Abs. 1  Rom  III-VO enthält eine Vorrangsregelung für Drittstaatsverträge185. Aus deutscher Sicht genießt nur das bereits im Kapitel C: I. 2. b) behandelte Niederlassungsabkommen mit dem Iran den Vorrang der Vorschrift des Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO.186

1. Kollisionsnormen der Rom III-Verordnung Die Rom III-VO sieht vor, dass die Ehegatten gemäß Art. 5 Rom III-VO zunächst eine Rechtswahl treffen können. Mangelt es an einer solchen, bestimmt sich das anwendbare Recht nach der zentralen Kollisionsnorm in Art. 8 Rom III-VO. Diese knüpft zunächst an den gewöhnlichen Aufenthalt, subsidiär an die Staatsangehörigkeit der Ehegatten und zuletzt an die lex fori an. Die sich so ergebende „Anknüpfungsleiter“ geht davon aus, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten die engste Verbindung zwischen dem zu prüfenden Sachverhalt und dem anwendbaren Recht darstellt. Erst auf der nächsten Stufe soll auf die Staatsangehörigkeit abgestellt werden. Die lex fori stellt insoweit nur den Auffangtatbestand dar.187 Alle Regeln über das anwendbare Recht stellen gemäß Art. 11 Rom III-VO Sachnormverweisungen dar. Zur Klärung von möglichen Vorfragen gemäß Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO gilt die Verordnung und somit auch Art. 8 Rom III-VO nicht.

182 Mörsdorf-Schulte, Europäisches Internationales Scheidungsrecht (Rom III), RabelsZ 77 (2013) S. 786 (793 f.). 183 De Maizière, Das Europäische Scheidungskollisionsrecht nach der Rom III-VO, S. 258. 184 Erwägungsgrund (6) zur Rom III-VO; Teilnehmende Mitgliedsstaaten: Belgien, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Lettland, Luxemburg, Ungarn, Malta, Österreich, Portugal, Rumänien, Slowenien und seit dem 22. Mai 2014 Litauen (Abl EU L 233, 18). 185 In der Terminologie des Europarechts werden unter Drittstaaten grundsätzlich Staaten verstanden, die keinen Mitgliedsstaaten der EU sind; Bei Verordnungen, die im Wege der Verstärk­ten Zusammenarbeit ergehen, sind mit Drittstaaten auch die Staaten gemeint, die zwar Mitglieder der Union sind, jedoch nicht an der Verordnung teilnehmen, vgl. supra, Kapitel C: I. 186 Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, S. 108. 187 BeckOGK / Gössl, Rom III-VO, Art. 8 Rn. 6.

VI. Die Rom III-Verordnung

65

2. Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 a) Scheidungsrechtliche Kollisionsnorm Wie bereits festgestellt, enthält das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen mit Art. 8 Abs. 3 eine Kollisionsnorm. Diese ordnet nicht nur die Anwendung des Heimatrechts in Bezug auf das Erbrecht, sondern auch bezüglich des Familienrechts an. Somit fällt auch das Scheidungsrecht in den Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 3 des Abkommens,188 wenn die Ehegatten entweder die deutsche oder die iranische Staatsangehörigkeit haben.189 Art. 8 Abs. 3 des Niederlassungsabkommen findet keine Anwendung, wenn ein Ehegatte deutscher Staatsangehöriger ist und der andere die iranische Staatsangehörigkeit besitzt oder bei deutsch-iranischen Mischehen.190 b) Divergenzen mit der Rom III-VO Unterschiede zwischen dem deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen und der Rom III-VO ergeben sich vor allem im Anknüpfungsmoment. Während die Rom III-VO an den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts anknüpft, gilt gemäß Art. 8 Abs. 3 des deutschiranischen Niederlassungsabkommens das Staatsangehörigkeitsprinzip. Das führt dazu, dass für in Deutschland lebende Iraner iranisches Sachrecht gelten muss, obwohl nach der Rom III-VO eigentlich deutsches Recht Anwendung findet. Darüber kann grundsätzlich auch nicht Art. 8 lit. c) Rom III-VO hinweghelfen, der eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit der Ehegatten erlaubt, da diese Regelung nur subsidiär gilt, wenn nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft werden kann. c) Einschränkung der Anwendung des iranischen Sachrechts nach Art. 10 Rom III-VO Der Vorrang des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens könnte jedoch möglicherweise durch das Prinzip des ordre public begrenzt werden und somit die 188

RGBl. 30 II, 1012. BGH, Urt. v. 15. Januar 1986 – IVb ZR 75/84 = FamRZ 1986, 345 (346); Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Teil. Internationale Familiensachen im Erkenntnisverfahren, II. Internationales Privatrecht, Staatsverträge Rn. 537; Schotten /  Wittkowski, Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen im Familien- und Erbrecht, FamRZ 1995, S. 264 (265). 190 BVerfG, Urt. v. 12. Dezember 2006 – 1 BvR 2576/04 = FamRZ 07, 615; BGH, Urt. v. 15. Januar 1986 – IVb ZR 75/84 = FamRZ 86, 345 f. 189

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

praktische Anwendbarkeit der Rom III-VO gestärkt werden.191 Da das Übereinkommen keine Klausel zum ordre public enthält, wird diesbezüglich die Verordnung nicht verdrängt, die mit Art. 12 Rom III-VO eine allgemeine ordre public-­ Vorschrift enthält. Dies lässt sich auch mit der Regelung des Art. 8  Abs. 3  S. 2 des Niederlassungsabkommens vereinbaren, welche ausdrücklich ordre public-­ Vorschriften des deutschen und iranischen Rechts für anwendbar erklärt. Die Rom III-VO enthält darüber hinaus die Vorschrift des Art. 10 Rom III-VO. Die Norm regelt die Unanwendbarkeit der nach Art. 5 oder Art. 8  Rom  III-VO eigentlich anwendbaren Rechtsordnung. Voraussetzung ist, dass diese Rechtsordnung eine Scheidung nicht vorsieht oder keinen geschlechterunabhängigen, gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung erlaubt. Es ist umstritten, ob diese Regelung eine besondere Ausformung des Prinzips des ordre public192 oder eine kollisionsrechtliche Eingriffsnorm darstellt.193 Die Ansicht, die in Art. 10 Rom III-VO einen speziellen ordre public-Vorbehalt sieht, führt zu einer Ergebniskontrolle des tatsächlichen Falls.194 Führt eine materielle Vorschrift des anwendbaren Rechts im Konkreten dazu, dass einer der Ehegatten einen schwierigeren Zugang zur Ehescheidung hat, als es der andere hätte, ist die Rechtsordnung unanwendbar. Hat die Regelung keine Auswirkungen im konkreten Fall, ist eine Korrektur nach dem Prinzip des ordre public nicht notwendig.195 Folgt man der Ansicht, dass es sich bei Art. 10 Rom III-VO um eine kollisionsrechtliche Eingriffsnorm handelt, hat dies die abstrakte Unanwendbarkeit der Rechtsordnung zu Folge, wenn eine Norm des materiellen Rechts eine Scheidung nicht vorsieht oder keinen geschlechterunabhängigen, gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung erlaubt.196 Es kommt nicht darauf an, ob diese Norm im konkreten Fall überhaupt Auswirkungen hat. Zur Anwendung kommt dann die lex fori.197 Möchte sich beispielsweise eine iranische Staatsbürgerin von ihrem iranischen Ehegatten vor einem deutschen Gericht scheiden lassen, können die beiden Ansich 191

Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Teil. Internationale Familiensachen im Erkenntnisverfahren, II. Internationales Privatrecht, Rom III-VO, Art. 19 Rn. 529. 192 Helms, Reform des internationalen Scheidungsrechts durch die Rom III-Verordnung, FamRZ 2011, S. 1765 (1771); Tolani, in: Althammer, Rom III, Art. 10 Rn. 1; Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Teil. Internationale Familiensachen im Erkenntnisverfahren, II. Internationales Privatrecht, Rom III-VO, Art. 19 Rn. 529. 193 Winkler, Art. 10 Rom III-VO: Kollisionsrechtliche Eingriffsnorm oder Spezialfall des ordre public?, in: FS Martiny, 595 (599 f.). 194 Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, S. 209; Helms, Reform des internationalen Scheidungsrechts durch die Rom III-Verordnung, FamRZ 2011, S. 1765 (1771); Tolani, in: Althammer, Rom III, Art. 10 Rn. 1. 195 OLG München, Beschl. v. 29. 6. 2016 – 34 Wx 146/14 = FamRZ 2016, 1363. 196 Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, S. 211. 197 Ebenda.

VI. Die Rom III-Verordnung

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ten zu grundlegend verschiedenen Ergebnissen bezüglich des anwendbaren Rechts führen. Der erstgenannten Ansicht folgend muss genau betrachtet werden, ob der iranischen Staatsbürgerin durch eine Norm des iranischen Scheidungsrechts der Zugang zur Ehescheidung tatsächlich erschwert wird. Würde man der zweiten Ansicht folgen, kann eine genauere Betrachtung des Sachverhalts entfallen, vielmehr bedarf es lediglich einer Prüfung des iranischen Sachrechts, ob dieses eine Vorschrift enthält, aus der sich für die Frau ein erschwerter Zugang zur Ehescheidung ergibt. Das iranische Scheidungsrecht sieht vor, dass sich der Mann gemäß § 1133 iranisches ZGB jederzeit von seiner Frau scheiden lassen kann. Die von einer Frau beabsichtigte Scheidung unterliegt weitaus strengeren Voraussetzungen.198 Diese Ungleichbehandlung würde nach der zweiten Ansicht zu einer generellen Unanwendbarkeit des iranischen materiellen Scheidungsrechts führen, während nach der ersten Ansicht nur das Ergebnis korrigiert werden würde, wenn der Frau die Scheidung tatsächlich erschwert wird. Für die abstrakte Prüfung des Art. 10 Rom III-VO spricht der Wortlaut der Vorschrift vor allem im Vergleich mit dem Wortlaut des Art. 12 Rom III-VO, da in Art. 10 Rom III-VO gerade nicht auf die konkrete Anwendung einer Vorschrift abgestellt wird.199 Darüber hinaus wird aufgrund des Nebeneinanders der beiden Normen angenommen, dass Art. 10 Rom III-VO gerade geschaffen wurde, um eine abstrakte Kontrolle zu ermöglichen, schwere ordre public-Wertungen zu umgehen und somit Rechtssicherheit zu schaffen.200 So ist Generalanwalt Saugmands­gaard Øe der Ansicht, dass Art. 10 Rom III-VO im Gegensatz zu einer ordre public-Überprüfung nach Art. 12 Rom III-VO für nationale Gerichte keinen Beurteilungsspielraum zulässt.201 Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 10 Rom III-VO spricht für eine abstrakte Überprüfung. So haben die nordischen Staaten bei den Verhandlungen zur Rom III-VO die potenzielle Anwendbarkeit des islamischen Rechts beanstandet. In der Folge wurde als Kompromiss Art. 10 Rom III-VO eingeführt, woraus man schließen könnte, dass die Vorschrift die Anwendung des islamischen Rechts grundsätzlich verhindern soll.202

198 Fontana, Universelle Frauenrechte und islamisches Recht, S. 213; Winkler, in: FS Martiny, 595. 199 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge vom 14. September 2017 zu Rs. C-372/16 Rn. 75; 82; Helms, Reform des internationalen Scheidungsrechts durch die Rom III-Verordnung, FamRZ 2011, S. 1765 (1772); Tolani, in: Althammer, Rom III, Art. 10 Rn. 4; Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der europäischen Union, S. 212. 200 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge vom 14. September 2017 zu Rs. C-372/16 Rn. 79, 86; Winkler von Mohrenfels, Art. 10 Rom III-VO: Kollisionsrechtliche Eingriffsnorm oder Spezialfall des ordre public?, in: FS Martiny, S. 595 (599 f.). 201 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge vom 14. September 2017 zu Rs. C-372/16 Rn. 82. 202 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge vom 14. September 2017 zu Rs. C-372/16 Rn. 85; Helms, Reform des internationalen Scheidungsrechts durch die Rom III-Verordnung, FamRZ 2011, S. 1765 (1772); Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der europäischen Union, S. 212 f.

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

Beinahe alle wichtigen Aspekte sprechen dafür, dass nach Art. 10 Rom III-VO eine abstrakte Untersuchung der eigentlich anwendbaren Rechtsordnung erfolgen muss.203 Fraglich ist jedoch, ob dieses Ergebnis dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhält. Ehen, die nach dem islamischen Recht geschlossen wurden, würden bei einer Scheidung unweigerlich nach den Vorschriften einer ganz anderen Rechtsordnung beurteilt werden, was durchaus als diskriminierend angesehen werden kann.204 Eine generelle Unanwendbarkeit würde keinen Sinn machen, wenn dazu gar kein Anlass besteht, da im Einzelfall womöglich keine Benachteiligung der Frau vorliegt.205 Außerdem ist eine abstrakte Prüfung und ein darauf beruhender genereller Ausschluss einer Rechtsordnung rechtspolitisch nicht wünschenswert.206 Deshalb ist der Ansicht zu folgen, die auch bei Art. 10 Rom III-VO lediglich eine konkrete Prüfung des Einzelfalls in Form einer Ergebniskontrolle zulässt. Dafür spricht auch ein Kerngedanke des IPR, dass grundsätzlich alle Rechtsordnungen gleichwertig sind.207 Eine generelle Umgehung des iranischen Rechts widerspricht auch der Regelung des Art. 8 Abs. 3 S. 2 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens, der die Unanwendbarkeit des Staatsvertrages nur in Ausnahmefällen zulässt.208 Die Vorschrift des Art. 10 Rom III-VO sollte somit als spezielle ordre publicVorschrift eingeordnet werden und somit nicht zu einer vollständigen Unanwendbarkeit des Abkommens und damit des iranischen Rechts, sondern lediglich im Einzelfall zur Unanwendbarkeit einzelner Vorschriften des iranischen Scheidungsrechts führen.

3. Folgerungen Die Rom III-VO ist der erste Anwendungsfall des Instruments der Verstärkten Zusammenarbeit, Deutschland und 15 weitere Mitgliedsstaaten konnten sich auf gemeinsame Regelungen im Rahmen der Verordnung einigen. Somit konnte das Kollisionsrecht für Ehescheidungen nur teilweise vereinheitlicht werden und der Entscheidungseinklang wurde nur zwischen den teilnehmenden Mitgliedsstaaten gefördert.209 Trotzdem wird dieser geschaffene Entscheidungseinklang aufgrund bestehender Drittstaatsverträge, wie das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen, gestört. 203

Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der europäischen Union, S. 213. Ebenda, S. 214. 205 Tolani, in: Althammer, Rom III, Art. 10 Rn. 4. 206 Hau, Zur Durchführung der Rom III – Verordnung in Deutschland, FamRZ 2013, S. 249 (254). 207 Tolani, in: Althammer, Rom III, Art. 10 Rn. 4. 208 BeckOGK / Gössl, Rom III-VO, Art. 19 Rn. 9. 209 De Maizière, Das Europäische Scheidungskollisionsrecht nach der Rom III-VO, S. 258. 204

VII. Die Europäischen Güterrechtsverordnungen

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Während dieses zur Bestimmung des anwendbaren Rechts an die Staatsangehörigkeit der Ehegatten anknüpft, stellt die Rom III-VO primär auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Möchte sich eine iranische Staatsbürgerin von ihrem Ehemann mit iranischer Staatsbürgerschaft  – beide haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland – vor einem deutschen Gericht scheiden lassen, findet nicht gemäß Art. 8 lit. a) Rom III-VO deutsches Recht Anwendung, sondern gemäß Art. 8 Abs. 3 des Niederlassungsabkommen iranisches Recht. Diese Divergenzen werden auch nicht wegen Art. 10 Rom III-VO ausgeschlossen, da diese Vorschrift lediglich die Ergebniskorrektur nach dem Prinzip des ordre public zulässt.

VII. Die Europäischen Güterrechtsverordnungen Die neuesten Verordnungen auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts sind die Verordnungen zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands ((EU) 2016/1103) und güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften ((EU) 2016/1104). Auch diese beiden Verordnungen enthalten jeweils mit Art. 62 Abs. 1 eine Regelung hinsichtlich des Vorrangs von Drittstaatsverträgen. Wie bei der Rom III-VO ist der Kreis der Drittstaaten erweitert, da die beiden Verordnungen im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit beschlossen wurden.210 Auch die EUMitgliedsstaaten, die nicht an den Verordnungen teilnehmen, müssen als Drittstaaten im Sinne des Art. 62  Abs. 1 gesehen werden.211 Darunter fallen somit neben Dänemark und Irland auch Rumänien, Polen, Slowakei, Ungarn und die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen.212 Zwar erstreckt sich die Geltung der beiden Verordnungen nicht auf diese Staaten, jedoch kann das kraft Rechtswahl oder das nach den beiden Verordnungen anwendbare Recht auch das eines dieser Länder sein.213 Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Iran und Deutschland fällt auch in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2016/1103 (EuGüVO).214 Laut dem Schlussprotokoll des Abkommens sind sich die Vertragsparteien einig, dass das Personalstatut gemäß Art. 8 Abs 3 des Niederlassungs-abkommens auch das eheliche Güterrecht umfasst. Soweit ersichtlich bestehen keine Drittstaatsverträge 210

Vgl. supra, Kapitel C: I. Kohler, Die Güterrechtsverordnungen der Europäischen Union und die vorrangigen Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Dutta / Weber, Die Europäischen Güterrechtsverordnungen, S.  163; MünchKommFamFG / Mayer, EuGüVO, Art. 62 Rn. 3. 212 Erwägungsgrund (11) zur EuGüVO und EuPartVO. 213 Kohler, Die Güterrechtsverordnungen der Europäischen Union und die vorrangigen Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Dutta / Weber, Die Europäischen Güterrechtsverordnungen, S. 163 (164). 214 Ebenda, S. 166. 211

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

mit Kollisionsnormen, die die güterrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften betreffen.215 Haben die Ehegatten keine Rechtswahl bezüglich ihres ehelichen Güterstand gemäß Art. 22  EuGüVO getroffen, stellt Art. 26  EuGüVO die zentrale mehrstufige Kollisionsnorm der Verordnung dar. Auf erster Stufe ist gemäß Art. 26 Abs. 1 lit. a) EuGüVO das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Anderenfalls wird auf zweiter Stufe gemäß Art. 26 Abs. 1 lit. a) EuGüVO an die Staatsangehörigkeit beider Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung angeknüpft. Zuletzt soll es gemäß Art. 26 Abs. 1 lit. c) EuGüVO auf die engste Verbundenheit der Ehegatten zu einem Staat zum Zeitpunkt der Eheschließung ankommen. Die Vorschriften stellen gemäß Art. 32 EuGüVO Sachnormverweisungen dar. Die Regelung des Art. 8 Abs. 3 des Staatsvertrages knüpft stattdessen an die gemeinsame Staatsbürgerschaft der Ehegatten an. Wie bereits festgestellt, sieht das Niederlassungsabkommen keine Rechtswahlmöglichkeit vor. Der Güterstand eines Ehepaars mit iranischer Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt nach ihrer Eheschließung in Deutschland, bestimmt sich aufgrund der Anwendung des Heimatrechts nach iranischem Recht. Folglich wird auch das Streben nach Vereinheitlichung des IPR im Güterrecht von Drittstaatsverträgen, wie dem deutsch-iranischem Niederlassungsabkommen gehemmt. Das iranische Sachrecht geht von Gütertrennung aus.216 Nach der EuGüVO würde deutsches Sachrecht zur Anwendung kommen, was grundsätzlich gemäß § 1363 Abs. 1 BGB zu einer Zugewinngemeinschaft führen würde, wenn durch Ehevertrag nicht etwas anderes vereinbart wurde.

VIII. Zwischenergebnis Die Untersuchung der Verordnungen und der vorrangigen Staatsverträge hat gezeigt, dass diese oft verschiedene kollisionsrechtliche Anknüpfungspunkte enthalten, um das anwendbare Sachrecht zu bestimmen. Soweit keine Rechtswahl getroffen wurde, knüpft das moderne IPR der Europäischen Union grundsätzlich an den gewöhnlichen Aufenthalt an, während die teilweise in die Jahre gekommenen Staatsverträge häufig an die Staatsangehörigkeit anknüpfen. Eine Rechtswahl ist in den internationalen Übereinkünften allgemein nicht vorgesehen.217 Ziel der 215

Kohler, Die Güterrechtsverordnungen der Europäischen Union und die vorrangigen Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Dutta / Weber, Die Europäischen Güterrechtsverordnungen, S. 163 (166). 216 OLG München, Beschl. v. 16. April 2012 – 31 Wx 45/12 = FamRZ 2013, 36; Kohler, Die Güterrechtsverordnungen der Europäischen Union und die vorrangigen Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Dutta / Weber, Die Europäischen Güterrechtsverordnungen, S. 163 (172). 217 Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (474).

VIII. Zwischenergebnis

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Union ist es, durch die Schaffung eines europäischen IPR ein kohärentes System moderner Kollisionsnormen und einen europäischen Entscheidungseinklang zu verwirklichen. Die Altverträge, die die Mitgliedsstaaten mit Drittländern geschlossen haben und vorrangig anwenden, stehen hierbei im Weg. Die Differenzen zwischen den Anknüpfungspunkten verringern den in Europa angestrebten Entscheidungseinklang.218 Die Konsequenzen eines fehlenden Entscheidungseinklangs zeigen sich am deutlichsten, wenn man die EuErbVO und kollidierende Staatsverträge betrachtet. Da Letztere keine Regelungen zu Nachlasszeugnissen enthalten, finden die Vorschriften der EuErbVO über das europäische Nachlasszeugnis Anwendung. Dessen Inhalt kann sowohl auf dem nach der EuErbVO oder einem Staatsvertrag anwendbaren Recht beruhen. Trotz fehlendem Entscheidungseinklang gilt die Richtigkeitsvermutung des Nachlasszeugnisses. Dies schwächt die Akzeptanz des Europäischen Nachlasszeugnisses, das eigentlich die komplette Nachlassabwicklung bestimmen soll. Die Untersuchung der Rom II-VO und des vorrangig anwendbaren HStÜ zeigt, dass die Anwendbarkeit der Verordnung schon gefährdet ist, ohne dass ein Bezug zu einem Drittstaat bestehen muss. Ein Unfall mit Bezug beispielsweise zu den Nachbarstaaten Deutschland und Österreich, das Vertragsstaat des HStÜ ist, reicht aus. Der Kläger, der den Gerichtsstand im Vertragsstaat des HStÜ oder den Gerichtsstand in einem Staat, der nur an der Rom II-VO beteiligt ist, wählen kann, kann sich unter Umständen in der Konsequenz auch das anwendbare Recht aussuchen. Das Gericht bestimmt schließlich das anwendbare Sachrecht nach dem am Ort des angerufenen Gerichts geltenden IPR. Forum und law shopping kann sich aufgrund der verschiedenen Schadensniveaus in den nationalen Schadensrechten im Zweifelsfall lohnen. Es hat sich gezeigt, dass durch die vorrangigen Staatsverträge das europäische IPR geschwächt wird und dies nicht nur zu theoretischen Problemen führt, sondern auch in der Praxis in schwerwiegenden Konsequenzen resultieren kann. Die Komplikationen hinsichtlich des Entscheidungseinklangs können sich noch verstärken, wenn der anzuwendende Staatsvertrag nur Teilbereiche der Verordnung regelt und ein teilweiser Rückgriff auf die Verordnung stattfinden muss. Die einheitliche Anwendung gemeinsamer Kollisionsregelungen in Europa wird nicht nur durch Drittstaatsverträge, sondern auch die Sonderstellung von Irland und Dänemark eingeschränkt, die sich bisher aus der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, folglich auch aus der Vereinheitlichung des Kollisionsrecht heraushalten. Gleiches gilt auch für das Instrument der Verstärkten Zusammenarbeit. Auf diesem Wege kann ein modernes IPR zumindest teilweise in Europa etabliert werden, das einzelnen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit gibt, gemeinsame Rege 218 Dutta, The Perspective of the European Union, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 319 (320).

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Kapitel C: Vorrangige Drittstaatsverträge 

lungen zu schaffen, auch wenn keine Einigung mit allen Mitgliedsstaaten erreicht werden kann. Jedoch hilft die Verstärkte Zusammenarbeit gerade nicht gegen kollisionsrechtliche Rechtszersplitterung. Auch wenn die anderen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit haben der Verordnung beizutreten, auf die man sich im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit geeinigt hat, wird eine gesamteuropäische Einigung möglicherweise immer schwieriger. Der Druck eine gemeinsame Lösung zu finden sinkt. Allerdings ist eine Verordnung im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit jedenfalls besser als keine Lösung, möglicherweise sind andere Mitgliedsstaaten auch eher bereit sich an der Verordnung zu beteiligen, wenn sich diese bereits bewährt hat.219 Die Verordnungen selbst bieten keine eigenen Möglichkeiten, um diese Hemmnisse für das europäische IPR abzubauen. Die EuUntVO trifft keine eigenen Kollisionsregeln, das IPR in Unterhaltssachen wird viel mehr ausgelagert und auf das HUP 2007 verwiesen. Zwar kann es auf diesem Wege nicht zu Kollisionen zwischen Staatsverträgen kommen, jedoch kann ohne gemeinschaftsrechtliche Vorschriften auch nicht der europäische Entscheidungseinklang gefördert werden. Auch spezielle ordre-public-Regelungen wie Art. 10  Rom  III-VO fördern nicht die praktische Anwendbarkeit des europäischen IPR, sondern lassen lediglich im Einzelfall eine Ergebniskorrektur zu. Es gilt also andere Methoden zu finden, um den das europäische IPR zu stärken.

219 Dengel, Die europäische Vereinheitlichung des Internationalen Ehegüterrechts und des Internationalen Güterrechts für eingetragene Partnerschaften, S. 18 f.; Auf die Sonderstellung von Irland und Dänemark, sowie das Instrument der Verstärkten Zusammenarbeit als Schwierigkeiten für den europäischen Entscheidungseinklang soll im Folgenden nicht weiter eingegangen werden, der Fokus liegt auf der Kollision der Verordnungen mit Drittstaatsverträgen.

Kapitel D

Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR Zur Förderung des europäischen IPR und zum Umgang mit den Vorrangsregelungen kommt zum einen die Anpassung der bestehenden völkerrechtlichen Verhältnisse an das Unionsrecht und zum anderen die Korrektur des Unionsrechts in Betracht.

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge Zunächst soll die Anpassung der völkerrechtlichen Verhältnisse an das Unionsrecht betrachtet werden. Hierbei bedarf es grundsätzlich der Beteiligung der Drittstaaten und folglich auch eines Tätigwerdens gegenüber diesen. Es stellt sich insbesondere die Frage der Kompetenzverteilung zwischen der Union und den an dem Übereinkommen beteiligten Mitgliedsstaaten.

1. Verteilung der Außenkompetenzen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten Die Union wird im Bereich der Rechtsvereinheitlichung bezüglich des Internationalen Privatrechts nicht nur durch den Erlass von Verordnungen nach innen, sondern auch durch den Beitritt zu internationalen Organisationen, wie der Haager Konferenz für Internationales Recht nach außen immer aktiver. Die mit dem EU-Sekundärrecht kollidierenden Altverträge bestehen allerdings zwischen den Drittstaaten und den Mitgliedsstaaten und sind oftmals Ausfluss historischer, politischer und kultureller Verbindungen. Die Union ist nicht Partei dieser Abkommen und kann diese Beziehungen auch (noch) nicht ersetzen.1 Ist also die Union als international bedeutsamer Akteur für Maßnahmen zur Förderung des europäischen IPR zuständig oder der Mitgliedsstaat, dessen Staatsvertrag mit einem Drittstaat mit der EU-Verordnung kollidiert?

1

Bischoff, Notwendige Flexibilisierung oder Ausverkauf von Kompetenzen – Zur Rückübertragung von Außenkompetenzen der EG für privatrechtliche Abkommen durch die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009, ZEuP 2010, S. 321 (325).

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

a) Außenkompetenzen der Europäischen Union Die Union besitzt gemäß Art. 47 EUV Rechtspersönlichkeit und kann als Völkerrechtssubjekt Außenbeziehungen zu Drittstaaten oder anderen internationalen Organisationen aufnehmen und unterhalten.2 Zunächst einmal liegt jedoch grundsätzlich die Außenkompetenz bei den Mitgliedsstaaten, denn nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung wird die Union gemäß Art. 5 Abs. 2 EUV nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedsstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Das bedeutet, dass die Union nur aufgrund einer Rechtsgrundlage tätig werden darf. Dies gilt nicht nur für Handlungen im Innenverhältnis zu den Mitgliedsstaaten, auch nach außen darf die Union nur insoweit tätig werden, wie ihr von den Mitgliedsstaaten die Verbandskompetenz übertragen wurde.3 Dieser Grundsatz lässt zunächst darauf schließen, dass sich aus den Verträgen eine ausdrückliche Kompetenzregelung zu Gunsten der Union ergeben muss. Jedoch enthielten die Verträge vor Lissabon keine Regelungen zum Abschluss internationaler Übereinkommen durch die Union.4 Dies hat der EuGH erkannt und hat die sog. Implied Powers-Lehre für anwendbar erklärt.5 Nach diesem Prinzip beinhalten Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages auch solche Regelungen, „bei deren Fehlen sie sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung kommen könnten.“6 Dieses Urteil hat den Weg zur Entstehung impliziter Kompetenzen zum Abschluss internationaler Abkommen frei gemacht und war erst der Beginn einer Reihe von Entscheidungen bezüglich der Außenkompetenzen der Union. Neben der Reichweite der impliziten Kompetenzen beschäftigte sich der EuGH vor allem auch mit der Frage, ob der Union gemäß Art. 2 Abs. 1 AEUV die ausschließliche Kompetenz zum Handeln nach Außen zukommt oder ob die Mitgliedsstaaten weiterhin tätig werden können.

2

Dörr, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 47 Rn. 40–42. Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Konventionen des einheitlichen Privatrechts, S. 126. 4 Lachmayer / von Förster, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art. 216 Rn. 2. 5 EuGH, Urt. v. 16. Juli 1956, Rs. 8/55, Slg. 1955, 297, 310 – Fédération Charbonnière de Belgique / Hohe Behörde. 6 EuGH, Urt. v. 16. Juli 1956, Rs. 8/55, Slg. 1955, 297, 310 – Fédération Charbonnière de Belgique / Hohe Behörde; Calliess, in: Calliess / Ruffert, EUV, Art. 5 Rn. 16; Barrón, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Außenbeziehungen der Europäischen Union, S. 53. 3

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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aa) Die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge vor dem Vertrag von Lissabon (1) Entscheidung in der Sache AETR Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache AETR ist von besonderer Bedeutung. Sie ist die richtungsweisende Grundlage der folgenden Entscheidungen des Gerichtshofs und der Entwicklung der Außenkompetenzen der Union. Der Entscheidung lag die Frage nach der Zuständigkeit für den Abschluss eines internationalen Abkommens zugrunde, das sich mit dem sachlichen Anwendungs­bereich einer unionsrechtlichen Verordnung überschneidet.7 Zunächst stellte das Gericht fest, dass sich die Kompetenz zum Abschluss von Drittstaatsverträgen nicht nur aus ausdrücklichen Kompetenznormen, sondern auch aus anderen Vertragsbestimmungen und in diesem Rahmen ergangenen Rechtsakten ergeben kann. Der Grundsatz der Implied Powers wurde somit konkretisiert.8 Außerdem entschied der EuGH weiter, dass in den Bereichen, in denen die Gemeinschaft bereits Regelungen erlassen hat, die Mitgliedsstaaten keine Verpflichtungen mehr mit Drittstaaten eingehen dürfen, die das Unionsrecht beeinträchtigen.9 Gegenüber Drittstaaten kann dann nur noch die Gemeinschaft tätig werden. Er betont, dass sich eine konkurrierende Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten neben der Gemeinschaftszuständigkeit mit der Einheit des Gemeinschaftsrechts nicht vereinbaren lässt.10 Sie hat in diesen Fällen die ausschließliche Außenkompetenz.11 Das wirft die Frage auf, wann eine solche Beeinträchtigung vorliegt. Dies lässt der Gerichtshof in seinem Urteil offen. (2) Entscheidung in der Sache Kramer Eine weitere wichtige Entscheidung zu den Außenkompetenzen der Gemeinschaft ist die Entscheidung in der Rechtssache Kramer. Hintergrund war wiederum die Frage über die Zuständigkeit für den Abschluss eines internationalen Abkommens, wobei der Gemeinschaft im sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens zwar die ausschließliche Kompetenz im Innenverhältnis zustand, sie diese Kompetenz jedoch noch nicht in Form des Erlasses von europäischem Sekundärrecht ausgeschöpft hatte.

7 Barrón, Der Europäische Verwaltungsverbund und die Außenbeziehungen der Europä­ ischen Union, S. 56 f. 8 EuGH, Urt. v. 31. März 1971, Rs. 22/70, Slg. 1971, 263 Rn. 15/19 – AETR. 9 Ebenda, Rn. 15/19. 10 Ebenda, Rn. 30/31. 11 Ebenda, Rn. 30/31.

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Der EuGH entwickelte den Grundsatz der Implied Powers weiter und entschied, dass sich aus den gemeinschaftsrechtlichen Befugnissen im Innenverhältnis auch die Zuständigkeit der Gemeinschaft zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge ergibt, soweit dies erforderlich ist.12 Eine Ausübung der Kompetenz im Inneren ist keine Voraussetzung für die Entstehung der Außenkompetenz.13 Der Gerichtshof stellte jedoch klar, dass solange die Gemeinschaft im Inneren ihren Aufgaben noch nicht nachgekommen ist, die Mitgliedsstaaten unter Einhaltung ihrer gemeinschaftlichen Verpflichtungen weiterhin nach außen tätig werden können.14 Das bedeutet, dass für die Ausschließlichkeit der Kompetenz der Gemeinschaft grundsätzlich die Ausübung der Innenkompetenz maßgeblich ist. (3) Gutachten zum Stilllegungsfonds Wie in der Rechtsache Kramer und anders als bei AETR lag dem Gutachten zum Stilllegungsfonds für die Rheinschifffahrt noch kein interner Rechtsakt zugrunde. Da dieser in Zusammenwirken mit einem Drittstaat, der Schweiz zustande kommen sollte, war ein Erlass einer Verordnung vor Abschluss eines völkerrechtlichen Abkommens nicht möglich.15 Der EuGH bestätigte seine Entscheidung in der Rechtssache Kramer und führte aus, wenn das Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel im Innenverhältnis den Gemeinschaftsorganen eine Kompetenz verleiht, zur Erreichung dieses Ziels auch eine Vertragsschlusskompetenz begründet werde.16 Diese Annahme dränge sich zwar auf, wenn von der Kompetenz im Inneren bereits Gebrauch gemacht wurde. Jedoch werde auch dann eine Kompetenz nach außen begründet, wenn der Abschluss einer völkerrechtlichen Vereinbarung zur Erreichung eines der Gemeinschaftsziele beziehungsweise zum Erlass einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung erforderlich ist.17 Explizit äußert sich der Gerichtshof nicht zur Ausschließlichkeit der externen Kompetenz, allerdings kann diese denknotwendigerweise nur ausschließlich sein, wenn das völkerrechtliche Abkommen Grundlage für die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften sein soll.18 12

EuGH, Urt. v. 14. Juli 1976, Rs. 3, 4, 6/76, Slg. 1976, 1279 Rn. 30/33 – Kramer. Ebenda, Rn. 35/38 ff. 14 Ebenda, Rn. 39. 15 Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR 2007 Beiheft 3, S. 57 (65). 16 EuGH, Gutachten 1/76 v. 26. April 1977, Slg. 1977, 741 Rn. 3 – Stilllegungsfonds. 17 Ebenda, Rn. 4. 18 Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR 2007 Beiheft 3, S. 57 (65); Kortländer, Die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Altverträge der Mitgliedstaaten für die EU, S. 176 f. 13

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(4) Gutachten zum WTO-Abkommen Im Jahre 1994 konkretisierte der EuGH seine vorangegangene Rechtsprechung und das Gutachten zum Stilllegungsfonds im sog. WTO-Gutachten. Es beruht auf der Frage, ob die Gemeinschaft der WTO beitreten darf. Der Gerichtshof führte aus, dass nach dem AETR-Urteil die Mitgliedsstaaten keine Verpflichtungen in dem Maße eingehen dürfen, „wie gemeinsame Rechtsnormen erlassen werden, die durch diese Verpflichtungen beeinträchtig werden“.19 Sobald auf interner Ebene gemeinschaftliche Normen erlassen werden, wird eine ausschließliche Außenkompetenz der Gemeinschaft in diesem Bereich begründet.20 Für den Begriff der „Beeinträchtigung“ nach AETR kommt es daher nicht auf einen tatsächlichen Widerspruch zwischen Gemeinschaftsrecht und völkerrechtlichen Verpflichtungen eines Mitgliedsstaates an. Es reicht vielmehr aus, wenn gemeinschaftsrechtliches Sekundärrecht erlassen wurde und die Gemeinschaft aufgrund dieser Verpflichtungen in der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts nicht mehr frei wäre.21 Des Weiteren hielt der Gerichtshof fest, dass eine externe Kompetenz auch dann entstehe, wenn das gemeinschaftsrechtliche Sekundärrecht Klauseln über die Behandlung von Drittstaatsangehörigen enthält oder Gemeinschaftsorgane ausdrücklich zu Vertragsschlussverhandlungen ermächtigt werden.22 Außerdem stellte der EuGH bezüglich des Stilllegungsfonds-Gutachtens klar, dass grundsätzlich eine ausschließliche externe Zuständigkeit nur dann begründet werden kann, wenn die entsprechende interne Zuständigkeit bereits ausgeübt wurde. Die Sicht der Kommission, dass eine ausschließliche Vertragsschlusskompetenz bereits dann entstehe, sobald es zur Verwirklichung eines der Ziele der Gemeinschaft erforderlich sei, gehe zu weit.23 Eine Ausnahme bestehe dann, wenn die interne Kompetenz nur gleichzeitig mit der externen Kompetenz ausgeübt werden kann (Vgl. den dem Gutachten zum Stilllegungsfonds zugrundeliegenden Fall).24 Es muss daher eine untrennbare Verbindung zwischen der Innen- und der Außenkompetenz bestehen.25

19

EuGH, Gutachten 1/94 v. 15. November 1994, Slg. 1994, I-5389 Rn. 77 – WTO. Ebenda. 21 Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR 2007 Beiheft 3, S. 57 (65). 22 EuGH, Gutachten 1/94 v. 15. November 1994, Slg. 1994, I-5389 Rn. 95 – WTO. 23 Ebenda, Rn. 84 ff. 24 Ebenda, Rn. 89. 25 Ebenda, Rn. 86. 20

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(5) Entscheidung in der Sache Open Skies Die Entscheidungen des EuGH vom 5. November 2002 beruhen auf Klagen der Kommission gegen Dänemark, Schweden, Finnland, Belgien, Luxemburg, Österreich und Deutschland wegen Vertragsverletzungen durch den Abschluss eines Open Sky-Vertrages mit den USA.26 Der EuGH bestätigte die Entscheidung AETR und das WTO-Gutachten27 und ergänzte seine Erläuterungen zu den Voraussetzungen einer Beeinträchtigung im Sinne des. AETR-Grundsatzes. Mittelbare Auswirkungen einer völkerrechtlichen Verpflichtung der Mitgliedsstaaten stellen keine Beeinträchtigung auf dem Gebiet des Sekundärrechtsakts dar, da die Gemeinschaft so nicht an der Rechtsfortentwicklung gehindert wird und weiterhin im Rahmen der erlassenen Vorschriften völkerrechtliche Verträge abschließen kann.28 (6) Gutachten zum Lugano-Übereinkommen Auch das Lugano-Gutachten aus dem Jahre 2006 ist für die Entwicklung der Außenkompetenz der Union von besonderer Bedeutung. Das ursprüngliche ­Lugano-Übereinkommen wurde 1988 zur Regelung der Zuständigkeiten der Gerichte und der Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschlossen.29 Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde mit Einführung des exArt. 65 EGV (Art. 81 AEUV nF) der Gemeinschaft die Zuständigkeit im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen übertragen, woraufhin die Gemeinschaft die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen erlassen hat.30 Dem Gerichtshof wurde im Folgenden die Frage vorgelegt, ob nun der Gemeinschaft auch die ausschließliche Außenkompetenz zum Abschluss eines neuen Lugano-Übereinkommens zukommt, dessen Ziel die Anpassung an die gemeinschaftsrechtliche Verordnung ist.31 Der Gerichtshof wiederholte die Grundsätze der AETR-Rechtsprechung.32 Weiterhin führte er zur Voraussetzung einer ausschließlichen Vertragsschlusskompetenz der Gemeinschaft aus, dass aufgrund der begrenzten Einzelermächtigung eine „konkrete Analyse des Verhältnisses zwischen dem geplanten Abkommen und des geltenden Gemeinschaftsrechts“ erfolgen muss,33 aus der sich eine Beein 26

EuGH, Urt. v. 5. November 2002, Rs. C-476/98, Slg. 2002, I-9855 Rn. 106, 109 – Open Skies. Ebenda. 28 Ebenda, Rn. 111 f. 29 EuGH, Gutachten 1/03 v. 7. Februar 2006, Slg. 2006, I-01145 Rn. 17– Lugano. 30 Ebenda, Rn. 10, 134. 31 Ebenda, Rn. 134, 138. 32 Ebenda, Rn. 122. 33 Ebenda, Rn. 124. 27

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trächtigung des Gemeinschaftsrechts durch den mitgliedsstaatlichen Abschluss eines solchen Abkommens ergibt.34 Hintergrund dessen ist das Streben nach einer einheitlichen und kohärenten Anwendung des Gemeinschaftsrechts und dem reibungslosen Funktionieren des gemeinschaftsrechtlichen Systems.35 (7) Zwischenergebnis Der Rechtsprechung des EuGH liegt ein Machtkampf zwischen der Kommission und dem Rat beziehungsweise den Mitgliedsstaaten zugrunde.36 Ursache dieses Streits ist das Ringen zwischen Supranationalismus und zwischenstaatlichem Handeln.37 Der EuGH hatte die Aufgabe, den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung der einheitlichen Anwendung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gegenüberzustellen und in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Den Entscheidungen des EuGH lag zugrunde, dass im Hinblick auf die Durchführung der gemeinschaftlichen Verträge die Außenbeziehungen der Gemeinschaft nicht vom System der internen Maßnahmen getrennt werden können.38 Der EuGH entschied, dass die reine Existenz gemeinschaftlicher Befugnisse im Innenverhältnis auch die diesbezügliche Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge begründet. Dies führt zu einer Parallelität von Innen- und Außenkompetenz.39 Die tatsächliche Ausübung der Innenkompetenz ist somit für die Entstehung der Außenkompetenz nicht notwendig. Gleichzeitig schränkt er jedoch ein, dass vor Ausübung der internen Kompetenz die Mitgliedsstaaten grundsätzlich weiterhin nach außen tätig werden können. Damit die Außenkompetenz der Gemeinschaft zu einer ausschließlichen Befugnis erwächst, muss sie daher zunächst von ihrer Innenkompetenz Gebrauch machen. Konkretisiert wird dies dadurch, dass die Mitgliedsstaaten keine Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten mehr eingehen dürfen, soweit die von der Gemeinschaft erlassenen Vorschriften beeinträchtigt werden. Dabei reicht es aus, wenn die Gemeinschaft einen Sekundärrechtsakt erlassen hat und in ihrer Rechtsfortentwicklung gehindert werden würde, weil Mitgliedsstaaten Verträge mit Drittstaaten schließen. Hintergrund ist die Wahrung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts. Deshalb genügen mittelbare Auswirkungen solcher Verträge für die Annahme 34

Ebenda. Ebenda, Rn. 128. 36 Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Konventionen des einheitlichen Privatrechts, S. 157. 37 Eeckhout, EU External Relations Law, S. 117. 38 Eeckhout, EU External Relations Law, S. 73. 39 Mögele, in: Streinz, AEUV, Art. 216 Rn. 32; Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR Beiheft 3/2007, S. 57 (62); Eeckhout, EU External Relations Law S. 118. 35

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einer Beeinträchtigung gerade nicht. Eine Ausnahme hierzu besteht, wenn die Ausübung der externen Kompetenz Grundlage für das Tätigwerden nach Innen ist, folglich eine untrennbare Verbindung zwischen der Innen- und der Außenkompetenz existiert. Dann wird ausnahmsweise eine ausschließliche Außenkompetenz begründet, bevor die Innenkompetenz ausgeübt wurde. bb) Die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge nach dem Vertrag von Lissabon (1) Art. 216 AEUV Um den Streit hinsichtlich der Außenkompetenzen abschließend zu klären, wurde mit dem Vertrag von Lissabon Art. 216 Abs. 1 AEUV, die zentrale Generalklausel für die Kompetenzen zum Abschluss internationaler Übereinkünfte eingeführt.40 Während Art. 216 Abs. 2 AEUV dem ehemaligen Art. 300 Abs. 7 EGV entspricht,41 bestand für Art. 216 Abs. 1 AEUV keine vergleichbare Vorschrift in EUV / EGV aF.42 Nachdem die Verträge vor Lissabon lediglich Normen zu ausdrücklichen Kompetenzen enthielten, sind nun auch implizite Kompetenzalternativen vorgesehen. Mit Art. 216 Abs. 1 AEUV wurden die unterschiedlichen Ermächtigungsaltnativen zum Abschluss internationaler Übereinkünfte erfasst. Die Vorschrift ist letztlich eine Kodifikation der vorangegangenen Rechtsprechung43 und Ausdruck des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung.44 Gemäß Art. 216  Abs. 1  AEUV ist die Union zum Abschluss internationaler Übereinkünfte berechtigt, „wenn [1] dies in den Verträgen vorgesehen ist oder [2] wenn der Abschluss einer Übereinkunft im Rahmen der Politik der Union entweder zur Verwirklichung eines der in den Verträgen festgesetzten Ziele erforderlich oder [3] in einem verbindlichen Rechtsakt der Union vorgesehen ist oder aber [4] [ein Vertragsschluss durch Mitgliedsstaaten45] gemeinsame Vorschriften beeinträchtigen oder deren Anwendungsbereich ändern könnte.“

Während Var. 1 des Art. 216 Abs. 1 AEUV auf die in den Verträgen explizit vorgesehen Kompetenznormen verweist, regeln die Var. 2–4 implizite Kompetenzen.46 40 Vedder, Außenbeziehungen und Außenvertretung, in: Hummer / Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, 267 (274). 41 Art. 216 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 300 Abs. 7 EGV) sieht die Bindung der Union und der Mitgliedsstaaten an von der Union geschlossene Übereinkünfte vor. 42 Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 216 Rn. 1; Terhechte, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo, AEUV, Art.  216 Rn.  1. 43 Terhechte, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo, AEUV, Art.  216 Rn.  6. 44 Ebenda, Rn. 2. 45 Giegerich, in: Frankfurter Kommentar, AEUV, Art. 216 Rn. 94. 46 Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 216 Rn. 9.

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Die Union hat zum einen gemäß Art. 216 Abs. 1 Var. 2 AEUV die Kompetenz zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft, wenn der Vertragsschluss zur Verwirklichung eines in den Verträgen festgelegten Ziels erforderlich ist. Diese Variante geht auf den ersten Blick über den Parallelismus von Innen- und Außenkompetenz hinaus, da sie getreu des Wortlauts der Norm nicht am Bestehen einer internen Kompetenz, sondern eines entsprechenden unionsrechtlichen Ziels ansetzt.47 Dies würde jedoch dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 2 EUV widersprechen,48 somit muss sich zur Begründung einer Außenkompetenz zumindest eine Innenkompetenz aus den Verträgen ergeben.49 Die Formulierung zur „Erforderlichkeit“ ist vielmehr Ausdruck der Subsidiarität für die Ausübung der Zuständigkeit der Union gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 EUV.50 Dies entspricht auch den Voraussetzungen, die der EuGH im Kramer-Urteil und im Gutachten zum Stilllegungsfonds festgelegt hat, woran Art. 216 Abs. 1 Var. 2 AEUV anknüpft.51 Das weiterführende WTO-Gutachten konkretisiert das im Gutachten 1/76 eingeführte Kriterium der Erforderlichkeit dahingehend, dass ein enger Zusammenhang zwischen Innen- und Außenkompetenz bestehen muss. Dies gilt jedoch nur für die Begründung einer ausschließlichen Kompetenz. Für das bloße Bestehen einer Vertragsschlusskompetenz kann das Erforderlichkeitskriterium im Sinne des effet utile-Grundsatzes weiter ausgelegt werden. Erforderlichkeit liegt demnach bereits vor, wenn eine internationale Übereinkunft den Binnenrechtsakt ergänzt, um das Unionsziel zu erreichen.52 Zum anderen erwirbt die Union gemäß Art. 216  Abs. 1  Var. 3  AEUV eine Außenkompetenz, wenn diese der Union kraft verbindlichen Rechtsakts zugewiesen wurde. Diese Alternative des Art. 216 AEUV knüpft an die AETR-Rechtsprechung an. In seinem Urteil hat der EuGH bereits festgestellt, dass sich Kompetenzen der Union nicht nur aus dem Primärrecht, sondern auch aus ergangenen Rechtsakten ergeben können.53 Vor dem Hintergrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung kann dies nicht bedeuten, dass die EU durch Erlass eines Sekundärrechtsakts eine Kompetenz begründen kann. Auch hier ist Voraussetzung das Bestehen einer internen Kompetenz, die durch den Erlass eines Sekundärrechtsakts konkretisiert wurde.54 Des Weiteren steht der Union gemäß Art. 216 Abs. 1 Var. 4 AEUV eine Vertragsschlusskompetenz zu, um die Beeinträchtigung gemeinsamer Vorschriften durch 47

Giegerich, in: Frankfurter Kommentar, AEUV, Art. 216 Rn. 94. Mögele, in: Streinz, AEUV, Art. 216 Rn. 34; Vöneky / Beylage-Haarmann, in: Grabitz /  Hilf / Nettesheim, AEUV, Art.  216 Rn.  9. 49 Mögele, in: Streinz, AEUV, Art. 216 Rn. 35. 50 Schwichtenberg, Die Kooperationsverpflichtung der Mitgliedsstaaten, S. 31. 51 Giegerich, in: Frankfurter Kommentar, AEUV, Art. 216 Rn. 96. 52 Giegerich, in: Frankfurter Kommentar, AEUV, Art. 216 Rn. 101. 53 EuGH, Urt. v. 31. März 1971, Rs. 22/70, Slg. 1971, 263 Rn. 15/19 – AETR. 54 Giegerich, in: Frankfurter Kommentar, AEUV, Art. 216 Rn. 103; Vöneky / Beylage-Haarmann, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art.  216 Rn.  12. 48

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den Abschluss völkerrechtlicher Verträge der Mitgliedsstaaten zu verhindern. Auch diese Kompetenzvariante hat ihren Ursprung in der AETR-Rechtsprechung, wobei der EuGH entschieden hat, dass die Beeinträchtigung gemeinsamer Vorschriften erst für die Beurteilung der Frage der Ausschließlichkeit relevant wird. Diese wird in Art. 3 Abs. 2 Var. 3 AEUV behandelt. Folglich besteht ein Gleichlauf von Art. 216 Abs. 1 Var. 4 AEUV und Art. 3 Abs. 2 AEUV.55 Während es sich bei der sogenannten Zielvariante (Art. 216 Abs. 1 Var. 2 AEUV) und der sog. Rechtsaktvariante (Art. 216  Abs. 1  Var. 3  AEUV) zunächst um geteilte Kompetenzen zwischen Union und Mitgliedsstaaten handelt, liegt bei der Beeinträchtigungsvariante gemäß Art. 216 Abs. 1 Var. 4 AEUV eine ausschließliche Kompetenz der Union vor.56 Bezüglich der Auslegung des Begriffes der „Beeinträchtigung“ kann auf das WTO-Gutachten zum Beeinträchtigungsbegriff zurückgegriffen werden. Demzufolge genügt eine thematische Überschneidung des Binnenrechtsakts und eines potenziellen völkerrechtlichen Vertrages eines Mitgliedsstaates zur Annahme einer möglichen Beeinträchtigung. Selbst inhaltliche Übereinstimmungen können zu einer Beeinträchtigung führen, da durch die völkerrechtliche Bindung gegenüber Drittstaaten der Handlungsspielraum der Union geschmälert wird.57 (2) Art. 3 Abs. 2 AEUV Grundsätzlich handelt es sich bei impliziten Außenkompetenzen um geteilte Zuständigkeiten.58 In diesem Fall können sowohl die Mitgliedsstaaten als auch die Union tätig werden. Die Mitgliedsstaaten haben gemäß Art. 2 Abs. 2 AEUV die Kompetenz zum Abschluss internationaler Abkommen inne, solange die Union noch nicht durch Erlass von Sekundärrecht oder durch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge von ihrer Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat.59 Wann eine gemäß Art. 216  AEUV begründete implizite Außenkompetenz ausschließlicher Natur ist, bestimmt sich gemäß Art. 3 Abs. 2 AEUV. Auch diese Vorschrift schließt an die AETR-Rechtsprechung und die darauffolgenden Entscheidungen des EuGH an.60 Der Union steht für den Abschluss internationaler Übereinkünfte gemäß Art. 3 Abs. 2 AEUV die ausschließliche Zuständigkeit zu, „[1] wenn der Abschluss einer solchen Übereinkunft in einem Gesetzgebungsakt der Union vorgesehen ist, [2] wenn er notwendig ist, damit sie ihre interne Zuständigkeit ausüben kann, [3] oder soweit er gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte“. 55

Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 216 Rn. 13; Vöneky / BeylageHaarmann, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art.  216 Rn.  17. 56 Lachmayer / von Förster, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art. 216 Rn. 8 ff. 57 GA Kokott, Schlussanträge vom 27. Juni 2013 zu Rs. C-137/12 Rn. 100, 101; Giegerich, in: Frankfurter Kommentar, AEUV, Art. 216 Rn. 141. 58 Schwichtenberg, Die Kooperationsverpflichtung der Mitgliedsstaaten, S. 18. 59 Mayr, „Mixed“ oder „EU-only“ – Sind die Investitionsschutzbestimmungen im CETA von der Außhandelskompetenz der EU „gedeckt“?, EuR 2015, S. 575 (581). 60 Mögele, in: Streinz, AEUV, Art. 3 Rn. 2.

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Die Regelung nimmt Bezug auf Art. 216 Abs. 1 AEUV, wobei sich die Vorschriften sprachlich und in der Anordnung der Kompetenzanordnung unterscheiden. Eine ausschließliche Außenkompetenz wird unter anderem begründet, wenn gemäß Art. 3 Abs. 2 Var. 1 AEUV der Abschluss einer internationalen Übereinkunft in einem Gesetzgebungsakt vorgesehen ist. Diese Variante beruht auf dem WTO-Gutachten, das der Union eine ausschließliche externe Kompetenz zubilligt, wenn ihre Organe diese ausdrücklich übertragen haben.61 Während es zur Entstehung einer externen Kompetenz gemäß Art 216 Abs. 1 Var. 3 AUEV lediglich eines „verbindlichen Rechtsakt“ ohne Gesetzescharakter bedarf, verlangt Art. 3 Abs. 2 Var. 1 AEUV einen Gesetzgebungsakt im Sinne des Art. 289 Abs. 3 AEUV, damit eine ausschließliche Vertragsschlusskompetenz entstehen kann.62 Infrage kommen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse, die sowohl als reine Rechtsakte im Sinne des Art. 216 Abs. 1 Var. 3 AEUV als auch als Gesetzgebungsakte im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Var. 1 AEUV zustande kommen können.63 Zwingende Voraussetzung zur Entstehung einer ausschließlichen Außenkompetenz gemäß Art. 3 Abs. 2 Var. 2 AEUV ist der Abschluss eines Übereinkommens zur Ausübung der internen Kompetenz. Die Vorschrift baut somit auf Art. 216 Abs. 1 Var. 2 AEUV auf und knüpft an das Gutachten zum Stilllegungsfonds und das WTO-Gutachten an.64 Folglich muss zur Begründung einer Außenkompetenz ein untrennbarer Zusammenhang zwischen interner und externer Kompetenz bestehen. Nur in diesem Ausnahmefall verlieren die Mitgliedsländer bereits ihre Vertragsschlusskompetenz bevor die Union interne Regelungen erlassen hat.65 Weiterhin steht der Union gemäß Art. 3 Abs. 2 Var. 3 AEUV eine ausschließ­ liche Außenkompetenz zu, soweit gemeinsame Vorschriften beeinträchtigt oder ihre Tragweite geändert werden würden. Die Beeinträchtigungsvariante entspricht zwar nicht ganz dem Wortlaut des Art. 216 Abs. 1 Var. 4 AEUV, jedoch decken sich die beiden Vorschriften nach ihrem Sinn und Zweck.66 Aufgrund des Gleichlaufs kann auf die Ausführungen zu Art. 216 Abs. 1 Var. 4 AEUV und die zugrundeliegende Rechtsprechung des EuGHs verwiesen werden.

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EuGH, Gutachten 1/94 v. 15. November 1994, Slg. 1994, I-5389 Rn. 95 – WTO; Nettesheim, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art.  3 Rn.  22. 62 Obwexer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art. 3 Rn. 38; Mögele, in: Streinz, AEUV, Art. 3 Rn. 15. 63 Schutzerschitz, Rechtsakte und Rechtsetzungsverfahren, in: Hummer / Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, 209 (S. 214 f.). 64 Mögele, in: Streinz, AEUV, Art. 3 Rn. 14; Nettesheim, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 3 Rn. 23. 65 Mögele, in: Streinz, AEUV, Art. 3 Rn. 14. 66 Obwexer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art. 3 Rn. 42.

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cc) Anwendung auf das IPR Der Europäischen Union steht gemäß Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV die Kompetenz zu, Vorschriften im Internationalen Privatrecht zu erlassen.67 Diese Innenkompetenz hat die Union jedenfalls bereits durch den Erlass der kollisionsrechtlichen Verordnungen ausgeübt. Aus dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz des Parallelismus von Innen- und Außenkompetenz ergibt sich entsprechend der Kompetenz aus Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV auch eine Kompetenz zum Abschluss internationaler Übereinkommen.68 Unter anderem ein Vergleich zu dem Fall, der dem Lugano-Gutachten zugrunde lag und zu der diesbezüglichen Entscheidung des EuGH zeigt, dass sich mit der Ausübung der Innenkompetenz gemäß Art. 81  Abs. 2  lit. c)  AEUV (ex-Art. 65 lit. b) EGV) nicht unweigerlich eine ausschließliche Außenkompetenz begründet. Dies ergibt sich auch aus Art. 3 Abs. 2 Var. 3 AEUV, wonach diesbezüglich eine Beeinträchtigung gemeinsamer Regeln durch den Abschluss eines internationalen Übereinkommens notwendig ist. Es bedarf folglich einer genauen Analyse des Verhältnisses zwischen dem geplanten Abkommen und des geltenden Unionsrechts, um eine mögliche Beeinträchtigung durch den Abschluss mitgliedsstaatlicher Völkerrechtsverträge festzustellen.69 Dabei reicht es allerdings aus, den Inhalt der Verordnung und des geplanten Vertrages zu vergleichen.70 Die oben genannten kollisionsrechtlichen Verordnungen lassen in Bezug auf ihren sachlichen Anwendungsbereich keinen Raum für andere Regelungen, sie gelten nicht nur für unionsinterne Sachverhalte und lassen teilweise auch Verweisungen in Drittstaatsrecht zu.71 Folglich steht der Union in den Bereichen der kollisionsrechtlichen Verordnungen grundsätzlich die ausschließliche Außenkompetenz zu. dd) Anwendung auf den Sonderfall der Verstärkten Zusammenarbeit Auf die Verordnungen im Europäischen Scheidungsrecht und Güterrecht kann das eben Gesagte nicht einfach übertragen werden. Sie sind von den Verordnungen im Vertragsrecht, Deliktsrecht und Unterhaltsrecht, bezüglich deren sachliche Anwendungsbereiche soeben die ausschließliche Vertragsschlusskompetenz der Union festgestellt wurde, gesondert zu betrachten. Sowohl die Rom III-VO, als auch die beiden Güterrechtsverordnungen wurden im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 20 EUV geschlossen. Es stellt sich die Frage, welche Folgen die Verstärkte Zusammenarbeit für die Zuständigkeitsverteilung zwischen EU und Mitgliedsstaaten hat. 67

Leible, in: Streinz, AEUV, Art. 81 Rn. 29. EuGH, Gutachten 1/94 v. 15. November 1994, Slg. 1994, I-5389 Rn. 77 – WTO. 69 EuGH, Gutachten 1/03 v. 7. Februar 2006, Slg. 2006, I-01145 Rn. 124 – Lugano. 70 Ebenda, Rn. 125. 71 Wagner, Normenkonflikte zwischen den EG-Verordnungen Brüssel I, Rom I und Rom II und transportrechtlichen Rechtsinstrumenten, TransportR 2009, S. 103 (108). 68

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Wendet man die bereits herausgearbeiteten Grundsätze an, würden nach Erlass der Verordnung alle Mitgliedsstaaten ihre Außenkompetenz an die EU verlieren, unabhängig davon, ob sie sich an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligen oder nicht. Die Mitgliedsstaaten, die nicht an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen, wollen jedoch gerade ihre nationalen Regelungen behalten und dementsprechend auch keine Kompetenzen an die Union abgeben. Darüber hinaus würde eine generelle ausschließliche Außenkompetenz der Union gegen Art. 20 Abs. 4 EUV verstoßen.72 Der Union kommt im Bereich des IPR zunächst eine geteilte Vertragsschlusskompetenz zu. Teilweise wird vertreten, dass diese Außenkompetenz im Verhältnis zu den teilnehmenden Mitgliedsstaaten zu einer ausschließlichen Zuständigkeit der Union erwächst.73 Rechtsakte die im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit zustande kommen, zählen gemäß Art. 20 Abs. 4 EUV nicht zum aquis communautaire der Union und sind somit keine „gemeinsamen Regeln“ im Sinne des Art. 216 Abs. 1 Var. 4 AEUV.74 Somit scheidet die Entstehung einer ausschließlichen Außenkompetenz gemäß Art. 3  Abs. 2  Var. 3  AEUV aus. Darüber hinaus widerspricht eine gespaltene Außenkompetenz der Rechtseinheit, die gerade vom europäischen Gesetzgeber und in EuGH-Urteilen wie AETR bezweckt werden.75 Außerdem ist das Ziel der Verstärkten Zusammenarbeit eine teilweise Integration und nicht eine verstärkte Trennung aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzverteilung.76 Deshalb ist der Ansicht zu folgen, die davon ausgeht, dass weder eine allgemeine noch eine partikulare ausschließliche Außenkompetenz begründet wird.77 Folglich behalten auch die teilnehmenden Mitgliedsstaaten ihre Außenkompetenz neben der EU und können weiterhin im europäischen Scheidungsrecht und Güterrecht Staatsverträge mit Drittstaaten schließen. Die neu abgeschlossenen Übereinkommen der Mitgliedsländer finden jedoch gemäß Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO und Art. 62  Abs. 1 der Güterrechtsverordnungen nicht vorrangig Anwendung.78 Daraus könnten sich jedoch Konflikte für die Mitgliedsländer ergeben. Wenn die Staaten sich an die Verordnung halten, begehen sie möglicherweise einen Verstoß gegen das Völkerrecht, wenn sie sich aber an den Staatsvertrag halten, handeln

72

Haratsch, in: Frankfurter Kommentar, EUV, Art. 20 Rn. 25. Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Teil. Internationale Familiensachen im Erkenntnisverfahren, II. Internationales Privatrecht, Rom III-VO, Art. 19 Rn.  528; NomosKommentarBGB / Nordmeier, Rom III-VO, Art. 19 Rn. 6. 74 Helms, in: Rauscher, Rom III-VO, Art. 19 Rn. 6; Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union S. 111. 75 Blanke, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 20 Rn. 39. 76 Ebenda, Rn. 7. 77 Haratsch, in: Frankfurter Kommentar, EUV, Art. 20 Rn. 26; Blanke, in: Grabitz / Hilf /  Nettesheim, EUV, Art. 20 Rn. 39; Hatje, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo, EUV, Art.  20 Rn. 36; Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union S. 111 f. 78 Helms, in: Rauscher, Rom III-VO, Art. 19 Rn. 6. 73

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

sie europarechtswidrig.79 Deshalb könnte man trotzdem an ein Verbot zum Abschluss weiterer Abkommen durch die Mitgliedsstaaten denken. Grundsätzlich ist allerdings das Bestehen von konkurrierenden Vorschriften aus Sicht der Union unbedenklich.80 Dem steht auch Art. 4 Abs. 3 EUV nicht entgegen. Schädigend wäre erst die Anwendung des konkurrierenden Abkommens.81 Das Loyalitätsgebot des Art. 4 Abs. 3 EUV kann insoweit eine Rolle spielen, als dass die an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedsstaaten gehalten sind, keine uneinheitlichen, mit der Verordnung nicht zu vereinbarenden Maßnahmen zu beschließen.82 Eine internationale Kooperation der Mitgliedsstaaten mit Drittländern ist somit unter Beachtung des Art. 4  Abs. 3  EUV weiterhin möglich, da keine ausschließliche Außen-kompetenz der Union entsteht. b) Kompetenzen bezüglich bereits bestehender Drittstaatsverträge In dieser Arbeit geht es allerdings um bereits durch die Mitgliedsstaaten abgeschlossene Drittstaatsverträge und es gilt vielmehr Lösungsmaßnahmen zur Behebung der bereits bestehenden Konflikte mit dem Unionsrecht vorzunehmen. Zwar steht der EU außerhalb der Verstärkten Zusammenarbeit die ausschließliche Außenkompetenz zu, jedoch könnte sich aus dem Umstand der bereits bestehenden vertraglichen Beziehungen der Mitgliedsstaaten eine Einschränkung der Außenkompetenz der Union ergeben. Dafür könnte das Bestehen des Art. 351 AEUV sprechen. aa) Das Verhältnis der Drittstaatsverträge zum Unionsrecht, Art. 351 AEUV Die Vorschrift des Art. 351 AEUV regelt das Verhältnis der vor Gründung beziehungsweise vor Beitritt zur Union geschlossenen Staatsverträge zwischen Mitgliedsstaaten und Drittstaaten zum Unionsrecht. Während Art. 351 Abs. 1 AEUV diese Abkommen gegenüber Unionsrecht unberührt lässt, verpflichtet Art. 351 Abs. 2 AEUV die Mitgliedsstaaten Unvereinbarkeiten zwischen dem Unionsrecht und den Altverträgen zu beheben. In diesem Zusammenhang könnten sich in zweierlei Hinsicht Ausnahmen hinsichtlich der Außenkompetenz der Union ergeben. Zum einen könnte bereits die Unberührtheitsklausel in Art. 351 Abs. 1 AEUV ein Tätigwerden der Union bezüglich des Altvertrages begrenzen. Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis des Art. 351 Abs. 2 AEUV zu den festgestellten ausschließlichen Außenkompetenzen der Union. 79

Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, S. 112. Ebenda, S. 113. 81 Ebenda. 82 Hatje, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo, EUV, Art.  20 Rn.  36; Blanke, in: Grabitz / Hilf /  Nettesheim, EUV, Art. 20 Rn. 39. 80

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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(1) Unberührtheitsklausel Art. 351 Abs. 1 AEUV Im Falle einer Kollision von Unionsrecht mit Drittstaatsverträgen der Mitgliedsstaaten, die vor dem 1. Januar 1958 beziehungsweise vor dem Zeitpunkt des Beitritts des Staates geschlossen wurden, wird diesen gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV Vorrang gewährt. Die Vorschrift ist Ausdruck der völkerrechtskonformen Inte­ gration83, denn die Union nimmt auf diese Weise den völkerrechtlichen Grundsatz pacta sunt servanda in das Unionsrecht auf.84 Auch eine weitere völkerrechtliche Maxime, geregelt in Art. 30 Abs. 4 WVK, findet sich in Art. 351 Abs. 1 AEUV wieder,85 Art. 30  Abs. 4  WVK bestimmt die Anwendung aufeinander folgender Verträge über denselben Gegenstand, wenn sich die Parteien der Verträge nicht entsprechen. Die Vorschrift sieht vor, dass zwischen einem Staat, der Vertragspartei beider Verträge ist, und einem Staat, der Vertragspartei nur eines der beiden Verträge ist, der Vertrag, dem beide Staaten als Vertragsparteien angehören, ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten regelt. Der EuGH hat dies dahingehend eingeschränkt, dass Art. 351 Abs. 1 AEUV nur die Pflichten der Mitgliedsstaaten gegenüber dem Vertragspartner unberührt lässt.86 Die Rechte der Mitgliedsstaaten aus den Abkommen werden nicht geschützt. Der Schutz des Art. 351 Abs. 1 AEUV findet jedoch seine Grenzen, wenn durch die Erfüllung der Pflichten aus einem Übereinkommen Grundwerte der Union verletzt werden würden.87 Die Regelung des Art. 351 Abs. 1 AEUV ist somit Ausdruck des Ausgleichs zwischen den politischen Interessen der Mitgliedsstaaten und den Interessen der Union.88 Da die Vorschrift lediglich dem Schutz der Rechtspositionen der Drittstaaten dient89 und nicht grenzenlos gilt, führt die Regelung zu keiner Einschränkung der Außenkompetenz der Union.

83 Khan, in: Geiger / K han / Kotzur, AEUV, Art. 351 Rn. 1; Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 351 Rn. 13. 84 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (110); Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 351 Rn. 3; Terhechte, Art. 351 AEUV, das Loyalitätsgebot und die Zukunft mitgliedstaatlicher Investitionsschutzverträge nach Lissabon, EuR 2010, S. 517 (522). 85 Pache, Handlungsspielräume und Verpflichtungskonflikte im Spannungsfeld zwischen internationalen Abkommen und Gemeinschaftsrecht, in: Müller-Graff / Pache / Scheuing, Die Europäische Gemeinschaft in der internationalen Umweltpolitik, S. 117 (134). 86 EuGH, Urt. v. 27. 2. 1992, Rs. 10/61, Slg. 1962, 3 (22 f.); Koutrakos, EU International Relations Law, S. 344 f. 87 EuGH, Urt. v. 3. September 2008, Rs. C 402/05 P, C 415/05 P, Slg. 2008, I-6351 Rn. 304 – Kadi und Al Barakaat. 88 Koutrakos, EU International Relations Law, S. 327. 89 Khan, in: Geiger / K han / Kotzur, AEUV, Art. 351 Rn. 1; Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 351 Rn. 16; Kortländer, Die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Altverträge der Mitgliedstaaten für die EU S. 208.

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

(2) Analoge Anwendung des Art. 351 Abs. 1 AEUV Die Vorschrift des Art. 351 Abs. 1 AEUV ist auch auf solche Drittstaatsverträge anwendbar, die zwar nach Gründung beziehungsweise Beitritt zur Union, aber vor entsprechender Kompetenzübertragung auf die EU geschlossen worden.90 Dies ist jedoch nicht ganz unumstritten. Die Stimmen, die eine solche analoge Anwendung des Art. 351 Abs. 1 AEUV befürworten, setzen zumindest voraus, dass eine Kompetenzverschiebung zugunsten der Union für die Mitgliedsstaaten bei Abschluss des Staatsvertrages noch nicht vorhersehbar gewesen ist.91 Nach dieser Ansicht würde auch das HStÜ, welches erst nach Gründung der Union bzw. nach dem Beitritt einiger Staaten zustande gekommen ist, den Schutz des Art. 351 Abs. 1 AEUV genießen. Gegenwärtig ist die Kompetenz zur Ergreifung von Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedsstaaten geltenden Kollisionsnormen in Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV geregelt. Zum ersten Mal wurde der Union diese Zuständigkeit mit dem Vertrag von Amsterdam zugesprochen, der am 1. Mai 1999 in Kraft getreten ist. Zum Zeitpunkt des Zustandekommens des HStÜ im Jahr 1971 war diese Kompetenzverschiebung noch nicht vorhersehbar. Manzini lehnt eine analoge Anwendung der Vorschrift ab und argumentiert, dass eine spätere Kompetenzausübung der EU nicht behindert werden darf.92 Dagegen spricht jedoch, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses eines solchen Abkommens die Mitgliedsstaaten die entsprechenden Kompetenzen innehatten und nicht am Abschluss des Vertrages gehindert werden können.93 (3) Das Verhältnis von Art. 351 Abs. 1 zu Abs. 2 AEUV Während der erste Absatz vorsieht, dass Drittstaatsverträgen unberührt bleiben, zielt Absatz 2 auf die Behebung der aus der Kollision von Unionsrecht und Staatsverträgen entstehenden Ungereimtheiten ab.94 Auf den ersten Blick besteht 90

Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (451). 91 Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 351 Rn, 8; Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art.  351 Rn.  24; Pache / Bielitz, Das Verhältnis der EG zu den völkerrechtlichen Verträgen ihrer Mitgliedsstaaten, EuR 2006, S. 316 (327); Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 351 Rn. 9; Klement, Kollisionen von Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft und Völkerrecht, DVBl 2007, S. 1007 (1013). 92 Manzini, The Priority of Pre-Existing treaties of EC Member States within the Framework of International Law, EJIL 2001, S. 781 (785 ff.). 93 Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 351 Rn. 24; Pache / Bielitz, Das Verhältnis der EG zu den völkerrechtlichen Verträgen ihrer Mitgliedsstaaten, EuR 2006, S. 316 (327). 94 Manzini, The Priority of Pre-Existing treaties of EC Member States within the Framework of International Law EJIL 2001, S. 781 (788).

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zwischen Art. 351 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV ein „Spannungsverhältnis“.95 Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass die beiden Absätze verschiedene Zielrichtungen haben. Während Absatz 1 lediglich dem Schutz der Rechte der Drittstaaten aus dem völkerrechtlichen Übereinkommen schützt, betrifft Absatz 2 das Innenverhältnis zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten.96 Trotzdem stehen die beiden Absätze offensichtlich in Beziehung und können nicht getrennt voneinander gesehen werden. Der EuGH entschied, dass sich die Mitgliedsstaaten auf ihre Pflichten gegenüber den Drittstaaten gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV berufen können, solange keine Unvereinbarkeit gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV festgestellt wurde oder diese noch nicht behoben wurde.97 Diese Rechtsprechung darf jedoch nicht so verstanden werden, dass es zu einer grundsätzlichen Beschränkung des effet utile des Art. 351 Abs. 1 AEUV durch Absatz 2 kommt.98 Vielmehr sind lediglich völkerrechtskonforme Maßnahmen geeignete Mittel im Sinne des Art. 351 Abs. 2 AEUV99, da in diesem Fall die Rechte der Drittstaaten gewahrt werden.100 Es bestehen also Ausnahmen zu dem durch den Gerichtshof geschaffenen Grundsatz: Zum einen, wenn die Erfüllung des Art. 351 Abs. 2 AEUV völkerrechtlich unmöglich ist. Zum anderen, wenn eine Anpassung des Unionsrechts vorzugswürdig erscheint. In diesen Konstellationen kann es zu keiner Beschränkung des Schutzes des Art. 351  Abs. 1  AEUV kommen, denkbar sind lediglich Sanktionen durch die Union.101 (4) Behebung von Unvereinbarkeiten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV Soweit die Altverträge nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind, sind die betroffenen Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV dazu verpflichtet alle ge 95 Kokott, in: Streinz (Hrgs.), AEUV, Art. 351 Rn. 12; Pache, Handlungsspielräume und Verpflichtungskonflikte im Spannungsfeld zwischen internationalen Abkommen und Gemeinschaftsrecht, in: Müller-Graff / Pache / Scheuing, Die Europäische Gemeinschaft in der internationalen Umweltpolitik, S. 117 (136). 96 Koutrakos, EU International Relations Law, S. 331; Kortländer, Die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Altverträge der Mitgliedstaaten für die EU S. 209; Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (111). 97 EuGH, Urt. v. 18. November 2003, Rs. C-216/01, Slg. I-13617 Rn. 172 – Budvar; Eeckhout, EU External Relations Law, S. 429; Pache / Bielitz, Das Verhältnis der EG zu den völkerrechtlichen Verträgen ihrer Mitgliedsstaaten EuR 2006, S. 316 (330); Terhechte, in: Schwarze /  Becker / Hatje / Schoo, AEUV, Art.  351 Rn.  9. 98 Manzini, The Priority of Pre-Existing treaties of EC Member States within the Framework of International Law, EJIL 2001, S. 781 (791). 99 Lavranos, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art. 351 Rn. 8; Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 351 Rn. 20; EuGH, Urt. v. 4. 7. 2000, Rs. C 62/98, Slg. I-5171 Rn. 34; EuGH, Urt. v. 4. 7. 2000, Rs. C 84/98, Slg. I-5215 Rn. 40 – Kommission / Portugal. 100 Koutrakos, EU International Relations Law, S. 327. 101 Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 351 Rn. 26; Khan, in: Geiger /  Khan / Kotzur, AEUV, Art. 351 Rn. 6; Koutrakos, EU International Relations Law, S. 325.

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eigneten Mittel anzuwenden, um die festgestellten Unvereinbarkeiten zu beheben. Die Vorschrift folgt aus dem Loyalitätsgebot des Art. 4 Abs. 3 EUV.102 Eine loyale Zusammenarbeit zwischen Mitgliedsstaaten und Union kann nur gelingen, wenn die Mitgliedsstaaten alles unterlassen, was die Erfüllung der unionsrechtlichen Zielen vereiteln könnte beziehungsweise alle Maßnahmen ergreifen, die die Erfüllung dieser Ziele unterstützen.103 Ziel der Union ist unter anderem die einheitliche Geltung des Unionsrechts.104 Das Bestehen einer Vielzahl von Staatsverträgen, die mit dem Unionsrecht unvereinbar sind, stört dieses Bestreben. Eine Unvereinbarkeit gemäß Art. 351  Abs. 2  AEUV besteht demnach, wenn gleichzeitige Beachtung des Unionsrechts und des völkerrechtlichen Vertrages nicht möglich ist.105 Vom Anwendungsbereich des Art. 351  Abs. 2  AEUV sind jedenfalls materielle Unvereinbarkeiten umfasst.106 Der EuGH entschied, dass die Mitgliedsstaaten bezüglich der Behebung materieller Unvereinbarkeiten nicht nur das bloße Bemühen, sondern einen tatsächlichen Erfolg schulden,107 um nicht gegen Art. 351 Abs. 2 AEUV zu verstoßen. Schwierige politische Situationen im Drittstaat befreien nicht von den Pflichten des Mitgliedsstaates gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV.108 Eine Abwägung zwischen den außenpolitischen Interessen und dem Gemeinschaftsinteresse nimmt bereits Art. 351 Abs. 1 AEUV vor.109 Ist ein Erfolg im Sinne des Art. 351 Abs. 2 AEUV völkerrechtlich nicht möglich, muss es in diesem Fall bei dem Schutz des Art. 351 Abs. 1 AEUV bleiben. Ist ein Erfolg im Sinne des Art. 351 Abs. 2 AEUV jedoch möglich, kann der Mitgliedsstaat zwischen allen denkbaren Maßnahmen wählen. Art. 351 Abs. 2 AEUV verpflichtet die Mitgliedsstaaten nach Feststellung der Unvereinbarkeit zu einem unverzüglichen Tätigwerden, ein formelles Feststellungsverfahren sieht Art. 351 Abs. 2 AEUV jedoch nicht vor.110 Wenn die sofortige Anwendbarkeit der Unionsvorschriften gewährleistet werden muss, kann teilweise sogar schon ein potenzieller Widerspruch zwischen dem Abkommen und Unions 102

Koutrakos, EU International Relations Law, S. 324. Terhechte, Art. 351 AEUV, das Loyalitätsgebot und die Zukunft mitgliedstaatlicher Investitionsschutzverträge nach Lissabon, EuR 2010, S. 517 (526). 104 Ebenda, S. 525. 105 Kaiser, Geistiges Eigentum und Gemeinschaftsrecht, S. 230. 106 Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 351 Rn. 17; Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 351 Rn. 20; Kokott, in: Streinz, AEUV, Art. 351 Rn. 19; Es ist umstritten, ob auch kompetenzielle Unvereinbarkeiten umfasst sind: Vgl. dafür: Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art.  351 Rn.  31; Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 351 Rn. 19; Dagegen: Kokott, in: Streinz, AEUV, Art. 351 Rn. 22. 107 EuGH, Urt. v. 4. Juli 2000, Rs. C 62/98, Slg. I-5171 Rn. 49  – Kommission / Portugal; ­Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Konventionen des einheitlichen Privatrechts, S. 162; Kaiser, Geistiges Eigentum und Gemeinschaftsrecht, S. 231. 108 Koutrakos, EU International Relations Law, S. 325. 109 EuGH, Urt. V. 4. Juli 2000, Rs. C 62/98, Slg. I-5171 Rn. 50 – Kommission / Portugal. 110 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (119). 103

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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recht die Pflichten aus Art. 351 Abs. 2 AEUV auslösen.111 Dabei darf jedoch nicht der Zweck der Vorschrift außer Acht gelassen werden. Es ist somit nicht ersichtlich, dass jede von einer kollisionsrechtlichen Verordnung möglicherweise abweichende Regelung die Wirksamkeit des Unionsrechts insoweit gefährdet, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Pflicht zur Behebung der Unvereinbarkeit entsteht.112 Bei Streitigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten über das Bestehen solcher Pflichten entscheidet letztendlich der EuGH.113 (5) Das Verhältnis der unionsrechtlichen Verordnungen zu Art. 351 AEUV Des Weiteren ist zu untersuchen, in welchem Verhältnis Art. 351 AEUV zu den im ersten Kapitel angesprochenen Verordnungen steht. Diese Frage stellt sich in zweierlei Hinsicht. Zum einen spricht Art. 351  Abs. 1  AEUV nur vom Vorrang vor den unionsrechtlichen Verträgen. Der Wortlaut der Vorschrift lässt zunächst nicht auf das Verhältnis der Drittstaatsverträge zu Unionssekundärrecht schließen. Zum anderen beinhalten die Verordnungen eigene Vorrangsregelungen, die dem Art. 351 AEUV nachgebildet sind und teilweise explizite Verweise auf Art. 351 AEUV (ex-Art. 307 EGV) beinhalten.114 Wie bereits erwähnt, trifft Art. 351 Abs. 1 AEUV nach seinem Wortlaut keine Aussagen über Konflikte mit Sekundärrecht. Um einen Völkerrechtsbruch zu vermeiden, muss nicht nur gegenüber den Verträgen, sondern auch gegenüber unionsrechtlichen Verordnungen den zeitlich vorausgehenden Drittstaatsverträgen Vorrang gewehrt werden.115 Somit kann sich aus dem Telos der Regelung nur ergeben, dass grundsätzlich auch Kollisionen von Drittstaatsverträgen mit EU-Verordnungen in den Anwendungsbereich des Art. 351 Abs. 1 AEUV fallen.116 Fraglich ist jedoch weiterhin das Verhältnis zu den sekundärrechtlichen Vorrangsregelungen. In den Fällen, in denen die Vorschriften einen ausdrücklichen Verweis auf Art. 351 AEUV enthalten, ist das Verhältnis zunächst unproblematisch. Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass andere Normen den Wortlaut „unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten gemäß Artikel 351 des Vertrags“ nicht enthalten.117 Ansichten, die darin einen Verzicht auf die Verpflichtungen gemäß Art. 351 111

EuGH, Urt. v. 3. März 2009, Rs. C-205/06, Slg. I-1301 Rn. 36, 42 – Kommission / Österreich. Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (121). 113 EuGH, Urt. v. 4. Juli 2000, Rs. C 62/98, Slg. I-5171 Rn. 34; EuGH, Urt. v. 4. Juli 2000, Rs. C 84/98, Slg. I-5215 Rn. 40 – Kommission / Portugal; EuGH, Urt. v. 18. November 2003, Rs. C-216/01, Slg. I-13617 Rn. 172 – Budvar; EuGH, Urt. v. 3. März 2009, Rs. C-205/06, Slg. I-1301 Rn. 36, 42 – Kommission / Österreich. 114 Vgl. Art. 19 Rom III-VO und Art. 69 EuUntVO. 115 Nehne, Methodik und allgemeine Lehren des europäischen Internationalen Privatrechts, S. 158. 116 Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Konventionen des einheitlichen Privatrechts, S. 159; Kaiser, Geistiges Eigentum und Gemeinschaftsrecht, S. 228. 117 Vgl. Art. 75 EuErbVO und Art. 25 Rom I-VO. 112

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

Abs. 2 AEUV sehen118, sind jedoch abzulehnen. Aus den Entscheidungsgründen zu den letztgenannten sekundärrechtlichen Vorschriften ergeben sich keinerlei Unterschiede im Vergleich zu den Normen mit Verweis auf Art. 351 AEUV. Das Fehlen dieses Verweises ist lediglich auf redaktionelle Gründe zurückzuführen und schränkt die Anwendbarkeit des Art. 351 AEUV nicht ein.119 Dieses Ergebnis macht auch im Hinblick auf die Normenhierarchie zwischen Primärrecht und Sekundärrecht gemäß Art. 288 AEUV Sinn.120 Abweichungen des Sekundärrechts von AEUV und EUV sind somit nur schwerlich denkbar, da das Primärrecht sozusagen Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit des Sekundärrechts ist.121 (6) Zwischenergebnis Die Rechte und Pflichten aus Staatsverträgen, die ein oder mehrere Mitgliedsstaaten mit Drittstaaten vor Ihrem Beitritt zur Europäischen Union geschlossen haben, werden gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV von den Verträgen nicht berührt. Die Vorschrift entspricht somit dem völkerrechtlichen Grundsatz pacta sunt servanda. Dies gilt auch bei analoger Anwendung des Art. 351 Abs. 1 AEUV für Staatsverträge, die nach Gründung bzw. Beitritt der Mitgliedsstaaten geschlossen wurden und hinsichtlich deren Abschluss eine Kompetenzverschiebung nicht absehbar war. Der Vorrang gilt nicht nur vor den europäischen Verträgen, sondern auch vor den unionsrechtrechtlichen Verordnungen gelten. Diese enthalten ebenfalls dem Art. 351 Abs. 1 AEUV nachgebildete Vorrangsvorschriften, die teilweise auf Art. 351 AEUV verweisen und teilweise nicht. Dem kommt jedoch lediglich redaktionelle Bedeutung zu. Die Anwendbarkeit des Art. 351 AEUV, insbesondere des zweiten Absatzes, wird dadurch nicht beschränkt. Augenscheinlich steht dieser Art. 351 Abs. 2 AEUV in einer Beziehung zu Absatz 1, auch wenn Letzterer dem Schutz der drittstaatlichen Rechtspositionen dient und Absatz 2 lediglich das Innenverhältnis zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten betrifft. Jedenfalls bedeutet das Zusammenwirken der beiden Vorschriften keine Einschränkung des Absatz 1 durch Absatz 2, sondern vielmehr, dass zur Behebung von Unvereinbarkeiten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV lediglich völkerrechtskonforme Maßnahmen in Betracht kommen, die die Rechte der Drittstaaten wahren.122 Ist eine Behebung der Unvereinbarkeiten nicht möglich, bleibt es bei dem gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV garantierten Schutz.123 118

Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Konventionen des einheitlichen Privatrechts, S. 327; MünchKommBGB / Junker, Rom II-VO, Art. 28 Rn. 30; Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die europäische Erbrechtsverordnung S. 181 (197). 119 Lechner, in: Döbereiner, EuErbVO, Art. 75 Rn. 5; Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO, Art. 75 Rn. 5. 120 Vgl. NomosKommentarBGB / Nordmeier, Rom III-VO, Art. 19 Rn. 5. 121 Streinz, Europarecht, Rn. 445. 122 EuGH, Urt. v. 18. November 2003, Rs. C-216/01, Slg. I-13617 Rn. 172 – Budvar. 123 Koutrakos, EU International Relations Law, S. 331.

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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Eine Unvereinbarkeit im Sinne des Art. 351 Abs. 2 AEUV besteht, wenn die gleichzeitige Beachtung des Unionsrechts und eines völkerrechtlichen Vertrages mit einem Drittstaat nicht möglich ist. In einem solchen Fall schuldet der Mitgliedsstaat einen tatsächlichen Erfolg. Das bloße Bemühen hinsichtlich der Behebung von Unvereinbarkeiten reicht nicht aus. Dabei kann ein Mitgliedsland sich auch nicht auf schwierige politische Verhältnisse mit dem oder in dem Drittstaat beziehen, denn der Ausgleich zwischen außenpolitischen Interessen und dem gemeinschaftsinteresse findet bereits im Rahmen von Art. 351 Abs. 1 AEUV statt. bb) Das Loyalitätsgebot gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV Betrachtet man Art. 351 AEUV, stößt man unweigerlich auch auf Art. 4 Abs. 3 EUV, der unter anderem den Ursprung des Art. 351 Abs. 2 AEUV darstellt124. (1) Grundsatz Das Gebot der loyalen Zusammenarbeit, zunächst als Gebot der Gemeinschaftstreue oder als Loyalitätsgrundsatz bezeichnet125, soll die Funktionsfähigkeit der Union gewährleisten.126 Ziel ist unter anderem die Sicherung der einheitlichen Geltung und Anwendung des Unionsrechts.127 Die Vorschrift richtet sich sowohl an die Mitgliedsstaaten als auch an die Union.128 Vor diesem Hintergrund verlangt Art. 4 Abs. 3 EUV ein Verhalten, das eine gegenseitige Rücksichtnahme und den Einbezug der Interessen des jeweils anderen ermöglicht.129 Trotz der abstrakten Formulierung der Vorschrift begründet diese autonome Pflichten auf beiden Seiten.130 Die Mitgliedsstaaten müssen alles unterlassen, was das erfolgreiche Erreichen der Unionsziele verhindern könnte.131 Darüber hinaus sind die Mitgliedsstaaten zur Unterstützung der Union bei der Er-

124

Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 351 Rn. 32. Terhechte, Art. 351 AEUV, das Loyalitätsgebot und die Zukunft mitgliedstaatlicher Investitionsschutzverträge nach Lissabon, EuR 2010, S. 517 (526). 126 Obexer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, EUV, Art. 4 Rn. 67; Schill / Krenn, in: Grabitz /  Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 4 Rn. 66. 127 Obexer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, EUV, Art. 4 Rn. 99. 128 Obexer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, EUV, Art. 4 Rn. 71; Schill / Krenn, in: Grabitz /  Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 4 Rn. 62. 129 Epiney, Außenbeziehungen von EU und Mitgliedstaaten: Kompetenzverteilung, Zusammenwirken und wechselseitige Pflichten am Beispiel des Datenschutzes, ZaöRV 2014, S. 465 (489); Schill / Krenn, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV, Art.  4 Rn. 62. 130 Schill / Krenn, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 4 Rn. 61. 131 Schill / Krenn, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 4 Rn. 67; Terhechte, Art. 351 AEUV, das Loyalitätsgebot und die Zukunft mitgliedstaatlicher Investitionsschutzverträge nach Lissa­ bon, EuR 2010, S. 517 (526). 125

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

füllung ihrer Aufgaben verpflichtet.132 Des Weiteren werden Exekutive, Legislative und Judikative zur ordnungsgemäßen Durchführung des Unionsrechts verpflichtet. Auch die Union wird zur Kooperation und Unterstützung der Mitgliedsstaaten im Sinne des Loyalitätsgebots verpflichtet.133 (2) Auswirkung auf die Außenbeziehungen Auch auf die Außenbeziehungen hat das Loyalitätsgebot des Art. 4 Abs. 3 EUV konkrete Auswirkungen. Die Mitgliedsstaaten sind dazu verpflichtet im Wege ihrer Rücksichtnahme- und Unterstützungspflichten ihr nationales Recht und somit auch die Drittstaatsverträge unionsrechtskonform auszulegen.134 Hintergrund ist der Einklang der Übereinkommen mit dem Unionsrecht und die Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der unionsrechtlichen Regelungen.135 Wurden diese Übereinkommen von nahezu allen Mitgliedsstaaten unterzeichnet, kann es jedoch auch dem Loyalitätsgebot entsprechen, wenn die Union ihre Regelungen unter Berücksichtigung der Abkommen völkerrechtskonform auslegt.136 Auch auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedsstaaten hat Art. 4 Abs. 3 EUV Auswirkungen. Teilen sich Union und Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit untereinander, müssen beide sowohl bei der Aushandlung als auch bei Abschluss internationaler Übereinkommen eng zusammenarbeiten.137 Schließt ein Mitgliedsstaat ein eigenes Abkommen ab, ist er jedenfalls zur Information und Abstimmung über die Verhandlungen verpflichtet.138 Sogar die ausschließliche Kompetenz kann durch Art. 4 Abs. 3 EUV eingegrenzt werden. Der EuGH hat ausdrücklich festgestellt, dass das Loyalitätsgebot unabhängig davon gilt, ob es sich um eine ausschließliche Unionszuständigkeit handelt und ob die Mitgliedsstaaten weiterhin völkerrechtliche Verpflichtungen eingehen können.139 Sobald die Union ihre Außenkompetenz in einem bestimmten Bereich ausübt und einem 132

Obexer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, EUV, Art. 4 Rn. 128. Ebenda, Rn. 138. 134 Obexer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, EUV, Art. 4 Rn. 117. 135 Ebenda. 136 GA Kokott, Schlussanträge vom 6. Oktober 2011, Rs. C-366/10, ECLI:EU:C:2011:637 Rn. 66. 137 Epiney, Außenbeziehungen von EU und Mitgliedstaaten: Kompetenzverteilung, Zusammenwirken und wechselseitige Pflichten am Beispiel des Datenschutzes, ZaöRV 2014, 465 (498 f.). 138 EuGH, Gutachten 1/94 v. 15. November 1994, Slg. 1994, I-5389 Rn. 108 – WTO; Epiney, Außenbeziehungen von EU und Mitgliedstaaten: Kompetenzverteilung, Zusammenwirken und wechselseitige Pflichten am Beispiel des Datenschutzes, ZaöRV 2014, S. 465 (498); Terhechte, Art. 351 AEUV, das Loyalitätsgebot und die Zukunft mitgliedstaatlicher Investitionsschutzverträge nach Lissabon, EuR 2010, S. 517 (527). 139 EuGH, Urt. v. 20. April 2010, Rs. C-246/07, Slg 2010, I-3317 Rn. 71 Kommission / Schweden; EuGH, Urt. v. 14. Juli 2005, Rs. C-433/03, Slg 2005, I-6985, Rn. 64 – Kommission / Deutschland. 133

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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Übereinkommen der Mitgliedsstaaten beitreten möchte, kann Art. 4 Abs. 3 EUV die Mitgliedsstaaten dazu verpflichten, eine Beteiligung der Union an diesen Abkommen zu ermöglichen.140 Die Vorschrift des Art. 351 Art. 2 AEUV ist lex specialis zu Art. 4 Abs. 3 EUV,141 allerdings könnte Art. 4 Abs. 3 EUV trotzdem im Anwendungsbereich des Art. 351 AEUV von Bedeutung sein. Einerseits könnte Art. 4  Abs. 3  EUV so verstanden werden, dass diese Vorschrift den Druck des Art. 351 Abs. 2 AEUV auf die Mitgliedsstaaten im Innenverhältnis erhöht und ihre Altverträge förmlich „bedrängt“.142 Andererseits könnte Art. 4 Abs. 3 EUV bei Betrachtung der oben festgestellten Grundsätze auch als Auflockerung der in Art. 351 Abs. 2 AEUV sehr strikten Pflichten der Mitgliedsstaaten gesehen werden. Hat ein Mitgliedsstaat Schwierigkeiten bei der Erfüllung seiner Pflichten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV könnte die Union zur Kooperation und Unterstützung dieses Staates gemäß Art. 4 Abs. 3 AEUV verpflichtet sein.143 Es ist jedoch zu beachten, dass Art. 351 AEUV wie oben festgestellt bereits eine Abwägung zwischen den Interessen der Union und der Mitgliedsstaaten vornimmt, eine Anwendung des Art. 4 Abs. 3 AEUV ist demnach nur in Ausnahmefällen möglich.144 cc) Umfang der Außenkompetenz der Union Im Falle sogenannter Altverträge zwischen den Mitgliedsstaaten und Drittländern, deren Anwendungsbereiche sich zumindest teilweise mit dem Anwendungs­ bereich der kollisionsrechtlichen Verordnungen decken, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der ausschließlichen Außenkompetenz der Union zu Art. 351 AEUV als Ausformung des Art. 4 Abs. 3 EUV. Eine Einschränkung der Außenkompetenz der Union durch Art. 351 Abs. 1 AEUV findet jedenfalls nicht statt. Wie bereits festgestellt, schützt die Unberührtheitsklausel lediglich die Rechtspositionen der Drittstatten. Die Union kann somit weiterhin gegenüber den Drittstaaten handeln, jedoch nur insoweit sie die Rechte dieser Länder unberührt lässt. Etwas genauer ist die Beziehung der Außenkompetenz der Union zu Art. 351 Abs. 2 AEUV zu betrachten. Zum Teil wird in der Regelung des Art. 351 Abs. 2 AEUV nicht nur die Verpflichtung, sondern auch gleichzeitig die Ermächtigung der Mitgliedsstaaten zum Tätigwerden gesehen.145 Die Vertreter legen ihrer Ansicht 140

Schill / Krenn, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 4 Rn. 116. Schill / Krenn, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 4 Rn. 79; Kahl, in: Calliess / Ruffert, EUV, Art. 4 Rn. 111. 142 Terhechte, Art. 351 AEUV, das Loyalitätsgebot und die Zukunft mitgliedstaatlicher Investitionsschutzverträge nach Lissabon, EuR 2010, S. 517 (527). 143 Schill / Krenn, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV, Art. 4 Rn. 128. 144 Ebenda. 145 Kokott, in: Streinz, AEUV, Art. 351 Rn. 16; Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 351 Rn. 20; Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (127). 141

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das Gutachten des EuGH zum Stilllegungsfonds zugrunde.146 Trotz ausschließ­ licher Zuständigkeit der Union sollten mehrere Mitgliedsstaaten an den Verhandlungen der Union mit der Schweiz gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV teilnehmen. Die Beteiligung der Mitgliedsstaaten war notwendig, da aufgrund der bestehenden Abkommen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des neuen Übereinkommens erwartet wurden.147 Das Gutachten ist jedoch nicht so zu verstehen, dass die Mitgliedsstaaten zum Handeln ermächtigt waren, vielmehr war die Union auf die Hilfe der Staaten angewiesen. Ein selbstständiges Handeln der Mitgliedsstaaten ist vor dem Hintergrund möglicher Beeinträchtigungen der Rechtsfortentwicklung des Unionsrechts kaum denkbar. Schließlich hat die Union gerade aus diesem Grund gemäß Art. 3 Abs. 2 Var. 3 AEUV (AETR-Gedanke) die ausschließliche Außenkompetenz erlangt.148 Die Verpflichtung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV, die den Mitgliedsstaaten im Innenverhältnis zur Union zukommt, kann keine Einschränkung der ausschließlichen Außenkompetenz darstellen.149 Daraus schließen andere Stimmen in der Literatur, dass bei ausschließlicher Kompetenz der Union auch nur diese bezüglich mitgliedsstaatlicher Übereinkommen mit Drittstaaten nach Außen tätig werden darf.150 Problematisch ist jedoch, dass die Union nicht Vertragspartei der Altverträge mit den Drittstaaten ist. Diese erwarten vertragsbezogene Willenserklärungen vom Vertragspartner und nicht von einer dritten Partei. Dies unterstreicht auch Art. 39 WVK, der vorsieht, dass eine Änderung des Vertrages zwischen den Vertragsparteien erfolgt und der Vertrag zwischen dem Drittstaat und dem Mitgliedsland geschlossen wurde. Daran kann sich grundsätzlich auch nichts ändern, wenn zu Gunsten der Union aufgrund der begrenzten Einzelermächtigung eine ausschließliche Kompetenz begründet wird. Zwar ist in diesem Fall nur noch die Union zum Handeln nach Außen berechtigt, dies kann jedoch nicht bedeuten, dass sie aufgrund dieser internen Ermächtigung und ohne Einbeziehung des Drittstaates Vertragspartner statt dem Mitgliedsstaat wird. Folglich könnte man an ein grundsätzliches Vertretungsverhältnis für Willenserklärungen gegenüber dem Drittstaat denken. Eine dementsprechende Vollmachtserteilung der Mitgliedsstaaten könnte in der Übertragung der Außenkompetenz im Rahmen der begrenzten Einzelermächtigung liegen. Die Union wäre auf diesem Wege dazu ermächtigt im Namen der Mitgliedsstaaten, aber in ihrem eigenen Interesse zu handeln und Unvereinbarkeiten zwischen Unionsrecht und dem betroffenen Abkommen zu beseitigen. In diesem Fall würde Art. 351 Abs. 2 AEUV allerdings leerlaufen, die Entstehung eines grundsätzlichen Vertretungsverhältnisses ist deshalb abzulehnen. 146 Kokott, in: Streinz, AEUV, Art. 351 Fn. 16; Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 351 Fn. 46. 147 EuGH, Gutachten 1/76 v. 26. April 1977, Slg. 1977, 741 Rn. 6–7 – Stilllegungsfonds. 148 Vgl. supra, Kapitel D: I. 1. a) cc). 149 Eeckhout, EU External Relations Law, S. 80. 150 Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 351 Rn. 34; Terhechte, in: Schwarze /  Becker / Hatje / Schoo, AEUV, Art.  351 Rn.  11.

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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Die ausschließliche Außenkompetenz ist somit nicht aufgrund der Existenz des Art. 351 Abs. 2 AEUV eingeschränkt, sondern aufgrund fehlender Handlungsmöglichkeit gegenüber den drittstaatlichen Vertragspartnern der Mitgliedsstaaten. Die Vorschrift des Art. 351 Abs. 2 AEUV ist folglich als eine zwangsläufige Ergänzung zur Vertragsschlusskompetenz der EU zu sehen. Kann die Union selbst nicht gegenüber einem Drittstaat tätig werden, kann sie die an diesen Abkommen beteiligten Mitgliedsstaaten dazu zwingen, Maßnahmen gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zu ergreifen. Im Einzelfall kann sie gemäß Art. 4 Abs. 3 AEUV dazu verpflichtet sein, den Mitgliedsstaat dabei zu unterstützen. c) Zwischenergebnis Nach vielen Streitigkeiten zwischen der Kommission und den Mitgliedsstaaten wurde mit dem Vertrag von Lissabon Art. 216  AEUV als zentrale Kompetenznorm für den Abschluss internationaler Übereinkünfte eingeführt. Die der Union auf diesem Wege erlangte Außenkompetenz muss diese grundsätzlich mit den Mitgliedsstaaten teilen. Sie erwächst erst unter den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 AEUV zu einer ausschließlichen Zuständigkeit. In den Bereichen der kollisionsrechtlichen Verordnungen Rom I-VO, Rom IIVO, EuErbVO, EuUntVO hat die EU bei Zugrundelegung des AETR-Gedankens die ausschließliche Außenkompetenz erlangt. Ausnahmen stellen die Rom III-VO und die Europäische Güterrechtsverordnungen dar, da diese im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit zustande gekommen sind. In diesen Fällen behalten die Mitgliedsstaaten die geteilte Außenkompetenz neben der Union. Nun geht es jedoch in dieser Arbeit um internationale Übereinkommen von Mitgliedsstaaten, welche diese bereits mit Drittstaaten geschlossen haben. Die Rechte dieser Drittländer aus den Staatsverträgen werden durch die Unberührtheitsklausel in Art. 351 Abs. 1 AEUV geschützt. Die Vorschrift des Art. 351 Abs. 2 AEUV verpflichtet die Mitgliedsstaaten im Innenverhältnis zur EU die Unvereinbarkeiten dieser Staatsverträge mit dem Unionsrecht zu beheben. Diese Pflicht ist aus allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen eine denknotwendige Ergänzung der ausschließlichen Außenkompetenz der EU. Durch die ausschließliche Vertragsschlusskompetenz der Union wird diese weder automatisch zur Vertragspartei eines internationalen Abkommens, noch erhält sie dadurch eine Vollmacht zur Abgabe von Willenserklärungen bezüglich des Vertrages. Der Union bleibt folglich nur die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zum Tätigwerden hinsichtlich der Staatsverträge. Dieses Konstrukt kann in der Praxis oftmals ein enges Zusammenarbeiten der Union und der Mitgliedsstaaten im Sinne des Loyalitätsgebots gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV notwendig machen. Das zeigt sich insbesondere im Rahmen der Betrachtung der unterschiedlichen Handlungsoptionen hinsichtlich der Altverträge.

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

2. Handlungsoptionen hinsichtlich der Drittstaatsverträge Scheitert die europarechtskonforme Auslegung der Altverträge durch nationale oder etwaige in dem Übereinkommen vorgesehene Gerichte151, müssen andere, möglicherweise drastischere Maßnahmen gefunden werden, um die Unvereinbarkeiten zwischen den Abkommen und den Verordnungen zu beheben. Um das europäische IPR zu stärken, kommen Maßnahmen, wie die Anpassung des alten Vertrages, der Abschluss eines Auslegungsprotokolls, die Kündigung des internationalen Übereinkommens sowie der Abschluss eines neuen Abkommens in Betracht. a) Anpassung des Drittstaatsvertrages Die Anpassung eines Altvertrages an das Unionsrecht zur Behebung der Unvereinbarkeiten und zur Stärkung des europäischen Kollisionsrechts kann den Vorteil haben, dass neben dem europäischen Entscheidungseinklang auch der internationale Entscheidungseinklang gefördert wird, wenn die europäischen Regelungen durch die Änderung des Staatsvertrages in Drittstaaten transportiert wird.152 aa) Zuständigkeitsverteilung Eine solche Anpassung ist nach Art. 39 WVK zulässig und bedarf erfolgreicher Verhandlungen mit dem Drittstaat. Wenn die Union nicht neben einem oder mehreren Mitgliedsstaaten Vertragspartner des Abkommens ist, sind die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351  Abs. 2  AEUV verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu treffen.153 Das wirft die Frage auf, ob dies die tatsächliche Vornahme der Verhandlungen betrifft oder bereits in der Ermöglichung eines Beitritts der EU zum besagten Abkommen erschöpft ist. Teilweise wird bei ausschließlicher Außenkompetenz der Union vertreten, dass der Mitgliedsstaat gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV lediglich insoweit tätig wird, dass der Union der Beitritt zum betroffenen Übereinkommen ermöglicht wird.154 Ein solcher Beitritt kann entweder durch kumulative Teilnahme der Union neben dem Mitgliedsstaat oder substituierende Teilnahme anstelle des Mitgliedsstaates erfolgen.155 Jedoch ist der Beitritt zu einem bilateralen Abkommen nur in den seltens 151

Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO, Art. 75 Rn. 7. Dutta, The Perspective of the European Union, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 319 (327); Wurmnest /  Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (480). 153 Vgl. supra, Kapitel D: I. 1. b) cc). 154 Booß, in: Lenz / Borchardt, AEUV, Art. 351 Rn. 6; Kaiser, Geistiges Eigentum und Gemeinschaftsrecht S. 232; Terhechte, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo, AEUV, Art.  351 Rn.  11. 155 Kaiser, Geistiges Eigentum und Gemeinschaftsrecht S. 241. 152

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ten Fällen sinnvoll, da zum einen die anderen Mitgliedsstaaten an einen Vertrag gebunden werden, den sie womöglich sogar bewusst nicht unterzeichnet haben.156 Zum anderen ist denkbar, dass die Mitgliedsstaaten durch den Beitritt der EU sich widersprechende Verpflichtungen eingehen.157 Ein weiteres Problem kann sich ergeben, wenn das Abkommen, dem die Union beitritt, Regelungen enthält, bezüglich derer sie keine Kompetenz hat. Dies hätte zur Folge, dass die eingegangene Bindung gemäß Art. 46 WVK ungültig ist, wenn die Verletzung der Kompetenzregelung offenkundig war und diese Regelung von grundlegender Bedeutung ist.158 Ein Beitritt der EU ist daher nur sinnvoll, wenn es sich um ein Übereinkommen handelt, das bereits von allen oder zumindest fast allen Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde und die Kompetenz der Union bezüglich aller Sachbereiche des Übereinkommens sichergestellt ist. Denkbar ist eine zusätzliche Genehmigung der Union zum eigenständigen Handeln der Mitgliedsstaaten.159 Die Mitgliedsstaaten wären dann ermächtigt weiterhin gegenüber ihren Vertragspartnern aufzutreten.160 Im Zuge dessen sind im Innenverhältnis Absprachen zwischen Union und Mitgliedsstaaten denkbar, um die Rechtsfortbildung der Union nicht zu beeinträchtigen. Eine solche Zusammenarbeit erscheint angesichts der Unterstützungspflicht der Union auf der einen Seite161 und der Rücksichtnahmepflicht der Mitgliedsstaaten bezüglich der Interessen der Union auf der anderen Seite erfolgsversprechend. Eine Genehmigung durch die Union ist auch aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 662/2009 im Bereich vertraglicher und außervertraglicher Schuldverhältnisse162 und der Verordnung (EG) Nr. 664/2009 in Ehesachen163 möglich. Die Verordnungen bieten eine Grundlage für den Abschluss und die Änderung völkerrechtlicher Verträge durch Mitgliedsstaaten, obwohl die möglichen Abkommen im Bereich der ausschließlichen Kompetenz der Union liegen. Mit dem Beschluss der Verordnun 156

Pache / Bielitz, Das Verhältnis der EG zu den völkerrechtlichen Verträgen ihrer Mitgliedsstaaten, EuR 2006, S. 316 (319). 157 Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Konventionen des einheitlichen Privatrechts, S. 161. 158 Pache / Bielitz, Das Verhältnis der EG zu den völkerrechtlichen Verträgen ihrer Mitgliedsstaaten, EuR 2006, S. 316 (319). 159 Terhechte, Art. 351 AEUV, das Loyalitätsgebot und die Zukunft mitgliedstaatlicher Investitionsschutzverträge nach Lissabon, EuR 2010, S. 517 (529). 160 Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 351 Rn. 25; Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art.  351 Rn.  39. 161 Terhechte, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo, AEUV, Art.  351 Rn.  13. 162 VO(EG) Nr. 662/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten über spezifische Fragen des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts. 163 VO (EG) Nr. 664/2009 des Rates vom 7. Juli 2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten, die die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Entscheidungen in Ehesachen, in Fragen der elterlichen Verantwortung und in Unterhaltssachen sowie das anwendbare Recht in Unterhaltssachen betreffen.

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

gen (EG) Nr. 662/2009 und (EG) Nr. 664/2009 wurde ein kohärentes Verfahren festgelegt, mit dem einem Mitgliedsstaat der Abschluss oder die Änderung eines Abkommens gestattet wird, insbesondere solange die Gemeinschaft nicht selbst ihr Interesse an der Wahrnehmung ihrer Außenkompetenzen und dem Abschluss eines Abkommens im Wege eines bereits bestehenden oder eines geplanten Verhandlungsmandats bekundet hat.164 Eine Rückübertragung der Außenkompetenz auf die Mitgliedsstaaten zum Abschluss oder zur Anpassung eines internationalen Abkommens erfolgt auf Grundlage der Verordnungen nicht,165 da die ausschließliche Kompetenz der Union trotz möglicher Genehmigung zum Tätigwerden der Mitgliedsstaaten unberührt bleibt.166 Es stellt sich die Frage, ob es einer gesonderten Genehmigung auch dann bedarf, wenn die Mitgliedsstaaten im Rahmen der Anpassung lediglich die Unvereinbarkeiten mit dem Unionsrecht beheben. In diesem Fall würde es ja gerade nicht zu einer Beeinträchtigung des Unionsrechts, sondern lediglich zu einer Angleichung des Staatsvertrages kommen.167 Darüber enthält Art. 351 Abs. 2 AEUV zwar keine Ausnahme zur ausschließlichen Kompetenz der Union, aber eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zum Tätigwerden, soweit die Union keine Handlungsmöglichkeiten hat. Die Ausgestaltung der Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und VO(EG) Nr. 664/2009 lässt allerdings darauf schließen, dass auch Anpassungen, die lediglich der Behebung von Unvereinbarkeiten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV entsprechen, nicht ohne Genehmigung der Union erfolgen können. Dies ergibt sich aus den Erwägungsgründen der Verordnungen, die ausdrücklich auch auf Anpassungen im Rahmen des Art. 351 Abs. 2 AEUV verweisen.168 bb) Verfahren Im Folgenden soll herausgestellt werden, welche Organe auf Unionsebene und auf mitgliedsstaatlicher Ebene an dem Änderungsverfahren beteiligt werden, dabei wird lediglich der Fall der Genehmigung der Union betrachtet. Auf einen möglichen Beitritt der Union zu einem mitgliedsstaatlichen Altvertrag soll aufgrund der oben bereits erläuterten Probleme bezüglich der Kompetenz und der Bindung der anderen Mitgliedsstaaten und der daraus resultierenden geringen Relevanz für die Praxis nicht eingegangen werden.

164

Erwägungsgrund (8) zur Verordnung (EG) Nr. 662/2009 und zur Verordnung (EG) Nr. 664/2009. 165 Dagegen: Bischoff, Notwendige Flexibilisierung oder Ausverkauf von Kompetenzen – Zur Rückübertragung von Außenkompetenzen der EG für privatrechtliche Abkommen durch die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009, ZEuP 2010, S. 321 (327). 166 Erwägungsgrund (8) zur Verordnung (EG) Nr. 662/2009. 167 Dutta, The Perspective of the European Union, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 319 (325 f.). 168 Erwägungsgrund (3) zur Verordnung (EG) Nr. 662/2009 und (EG) Nr. 664/2009.

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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(1) Verfahren auf Unionsebene Eine Genehmigung der Vertragsanpassung kann im Bereich vertraglicher sowie außervertraglicher Schuldverhältnisse und in Ehesache aufgrund der Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und VO(EG) Nr. 664/2009 erfolgen. Darüber hinaus ist in anderen Bereichen eine Genehmigung durch die Union auch ohne das Bestehen einer sekundärrechtlichen Grundlage denkbar. In diesen Fällen stellt sich jedoch die Frage nach dem Verfahren zur Genehmigung der Vertragsanpassung. Mög­ licherweise sind die in den beiden Verordnungen festgelegten Grundsätze auf diese Fälle übertragbar. Die beiden Verordnungen Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009 sehen jeweils in Art. 3 vor, dass die Mitgliedsstaaten ihre Absicht zur Änderung eines bestehenden Abkommens der Kommission mitteilen müssen. Daraufhin prüft die Kommission gemäß Art. 4 VO(EG) Nr. 662/2009 und VO(EG) Nr. 664/2009 dieses Anliegen hinsichtlich des besonderen Interesses des Mitgliedsstaates aufgrund historischer, gesellschaftlicher und politischer Beziehungen des Mitgliedslandes zu dem Drittstaat und hinsichtlich möglicher Beeinträchtigungen des Gemeinschaftsrechts. Erfüllt die geplante Änderung diese Voraussetzungen erteilt die Kommission gemäß Art. 5 der VO(EG) Nr. 662/2009 und VO(EG) Nr. 664/2009 eine Genehmigung zur Aufnahme der Verhandlungen, soweit gemäß Art. 4 Abs. 1 innerhalb der kommenden 24 Monate kein einschlägiges Verhandlungsmandat in Bezug auf den Abschluss eines Gemeinschaftsabkommens mit dem betreffenden Drittstaat geplant ist. Die Kommission kann an den Verhandlungen als Beobachter teilnehmen oder sie wird in allen Verhandlungsstadien über den Fortgang und die Ergebnisse vom Mitgliedsstaat unterrichtet. Nach Abschluss der Verhandlungen muss der Mitgliedsstaat gemäß Art. 8 der beiden Verordnungen den Entwurf des Abkommens an die Kommission übermitteln, woraufhin diese den Entwurf bezüglich der in Art. 4 Abs. 2 lit. b und lit. c und Art. 5 Abs. 2 festgelegten Voraussetzungen prüft und gegebenenfalls die Unterzeichnung des Änderungsvertrages genehmigt. Vor dem Hintergrund des Bestands vieler mitgliedsstaatlicher Altverträge im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit, die besondere Beziehungen zu den Drittstaaten widerspiegeln und der Anpassungspflicht gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV wurde mit den Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und (EG) Nr. 664/2009 ein stimmiges Verfahren zur Anpassung und zum Neuabschluss internationaler Abkommen geschaffen.169 Die Grundlagen des Verfahrens lassen sich auch auf Fälle übertragen, bei denen es um die Anpassung von Abkommen geht, die nicht in den Anwendungsbereich der beiden Verordnungen fallen.170 Eine Änderung sol 169

Erwägungsgrund (8) zur Verordnung (EG) Nr. 662/2009 und (EG) Nr. 664/2009; Bischoff, Notwendige Flexibilisierung oder Ausverkauf von Kompetenzen – Zur Rückübertragung von Außenkompetenzen der EG für privatrechtliche Abkommen durch die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009, ZEuP 2010, S. 321 (325). 170 Bischoff, Notwendige Flexibilisierung oder Ausverkauf von Kompetenzen – Zur Rückübertragung von Außenkompetenzen der EG für privatrechtliche Abkommen durch die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009, ZEuP 2010, S. 321 (336).

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

cher Übereinkommen muss folglich auch aufgrund eines Genehmigungsverfahrens durch die Kommission möglich sein. Die Erwägungsgründe zur VO(EG) Nr. 662/2009 und VO(EG) Nr. 664/2009 enthalten jedenfalls keine Hinweise darauf, dass es sich bei den in den Verordnungen geregelten Genehmigungsverfahren um Ausnahmefälle handeln soll. Hat die Union somit Interesse an dem Bestand eines mitgliedsstaatlichen Altvertrages, ist eine Genehmigung nach einem den Verordnungen nachempfundenen Verfahren denkbar. (2) Verfahren auf mitgliedsstaatlicher Ebene Genehmigt die Union im Rahmen ihrer ausschließlichen Außenkompetenz einem oder mehrerer Mitgliedsstaaten die Anpassung eines Altvertrages, stellt sich die Frage wie eine solche Vertragsänderung auf mitgliedsstaatlicher Ebene erfolgt und beschlossen wird. Da in dieser Arbeit hauptsächlich Drittstaatsverträge der Bundesrepublik Deutschland betrachtet werden, soll im Folgenden das Verfahren auf Bundesebene betrachtet werden. Soweit keine Ausnahme nach Art. 32 Abs. 3 GG vorliegt, ist die Pflege der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten und somit auch der Abschluss völkerrechtlicher Verträge Sache des Bundes. Die völkerrechtliche Vertretung des Bundes erfolgt gemäß Art. 59  Abs. 1  GG durch den Bundespräsidenten. Seine Außenvertretungsbefugnis beschränkt sich nicht auf den Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Namen des Bundes, sondern schließt auch einseitige Rechtsgeschäfte, wie eine Kündigung ein.171 Die Kompetenz des Bundespräsidenten ist auch im Bereich der Außenpolitischen Beziehungen formaler und repräsentativer Natur. Die tatsächliche Gestaltung der Außenpolitik als Ausprägung der Exekutive ist vielmehr Aufgabe der Bundesregierung. Sie trifft die politischen Entscheidungen über völkerrechtliche Verträge.172 Fraglich ist, ob bei der Änderung eines völkerrechtlichen Vertrages im Interesse der Union die Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates erforderlich ist. In Betracht kommt eine Anwendung des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG hinsichtlich der Beteiligung von Bundestag und Bundesrat. Die Regelung des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG sieht vor, dass der Bund Hoheitsrechte nur durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates auf die Union übertragen kann. Die Ansicht, die bei gemischten Verträgen aus Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG aufgrund des engen Unionsrechtsbezug und einer „impliziten Hoheitsrechts-übertragung“ ein Zustimmungsbedürfnis von Bundesrat und Bundestag ableitet,173 können nicht auf die Änderung eines Altvertrages 171

Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge: Eine Rechtsvergleichende Studie – Deutschland, S. 17, https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2018/620232/EP RS_STU(2018)620232_DE.pdf. 172 Ebenda, S. 18; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht S. 118. 173 Pautsch, Der Abschluss des Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) als „gemischtes Abkommen“ – Ein Anwendungsfall des Art. 23 I GG?, NVwZ 2016, S. 1294 (1295).

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im Interesse der Union übertragen werden. Zwar besteht aufgrund der Weisungen, die die Union gegenüber dem Bund vornehmen, ein enger Unionsbezug, eine Hoheitsrechtsübertragung hat jedoch schon vor Änderung des Vertrages stattgefunden. Die Kompetenzen des Bundes und der Länder werden diesbezüglich nicht geschmälert. Eine Mitwirkung des Bundestages und des Bundesrates gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG ist somit nicht notwendig. Sogenannte politische Verträge oder Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG der Mitwirkung der jeweils zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Folglich wird die materielle Vertragsschlusskompetenz zwischen Exekutive und Legislative aufgeteilt.174 Die Vorschrift betrifft nicht nur den Abschluss völkerrechtlicher Verträge, sondern auch die Anpassung dergleichen, jedenfalls wenn die Änderung politische Beziehungen regelt oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht.175 Das wirft die Frage auf, ob es bei der Änderung eines Vertrages, der eigentlich in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt, einer Mitwirkung der Legislative bedarf. Diese Kompetenz hat der Bund der Union unter Mitwirkung der Legislative und Exekutive gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG schon übertragen. Wie bereits oben festgestellt ergeben sich bei der Aushandlung der Vertragsanpassungen keine wirklichen Handlungsalternativen, die einer Mitwirkung der Legislative bedürfen. Die Bundesregierung kann somit eigenständig auftreten, wobei sich ihr Handeln auf die Umsetzung der Entscheidungen der Union beschränkt. cc) Formen der Vertragsanpassung In Betracht kommen neben der Anpassung des Vertrages durch entsprechend geänderte Vertragspraxis176, verschiedene förmliche Vertragsänderungen. Die Wiener Vertragskonvention sieht vor, dass gemäß Art. 39 WVK für die Änderung eines Abkommens die Vorschriften über den Abschluss von Verträgen anwendbar sind, soweit nichts anderes vorgesehen ist. Explizit geregelt ist die Vertragsanpassung bei multilateralen Verträgen. Jede Vertragspartei ist gemäß Art. 40 WVK berechtigt, Änderungsvorschläge zu unterbreiten, die jedem Vertragspartner mit der Möglichkeit zu Verhandlungen mitgeteilt werden müssen. Jede Vertragspartei des ursprünglichen Abkommens kann aber muss nicht Vertragspartei des geänderten Vertrages werden. Im Verhältnis zu den Parteien, die den veränderten Vertrag nicht wollen, gilt der ursprüngliche Vertrag fort.177 Alternativ zu dieser Form der Anpassung des Vertrages ist nach Art. 41 WVK auch eine sogenannte Modifikation möglich, wenn dies im ursprünglichen Vertrag vorgesehen ist. Eine derartige Änderung wird nur zwischen einzelnen Vertragsparteien eines multilateralen Vertra 174

Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 119. Nettesheim, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 59 Rn. 124. 176 Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht Band I/3, S. 673. 177 Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rn. 6. 175

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ges ausgehandelt und abgeschlossen, die Rechtstellung der anderen Parteien wird dabei nicht berührt.178 Folge einer solchen Modifikation ist, dass kein einheitlicher Vertrag mehr besteht. Wenn nicht alle Parteien ratifizieren, kommt eine Änderung eines multilateralen Übereinkommens gemäß Art. 40 WVK letztendlich im Ergebnis einer Modifikation gemäß Art. 41 WVK gleich. Die Änderungen betreffen nur das Verhältnis zwischen einzelnen Parteien, während der ursprüngliche Vertrag im Verhältnis zu den anderen Parteien bestehen bleibt. Die Anpassung eines multilateralen Vertrages mit dem Zweck der vollständigen Behebung von Unvereinbarkeiten ist dementsprechend nur möglich, wenn sich alle Vertragsparteien an den Verhandlungen beteiligen und den angepassten Vertrag annehmen. Ein zur Behebung von Unvereinbarkeiten angepasster Vertrag genießt weiterhin den Schutz der Vorrangsvorschriften. Die Pflicht gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV dient dem europäischen Entscheidungseinklang.179 Dieser wird durch die Änderung nicht zusätzlich beeinträchtigt. Darüber hinaus dienen die Vorrangsvorschriften dem Erhalt der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten. Dieser Zweck würde verfehlt werden, wenn der Schutz für den angepassten Vertrag nicht mehr gilt.180 Aus dem Zusammenhang zwischen Art. 351 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV könnte sich außerdem ergeben, dass nicht nur die Verpflichtungen des Mitgliedsstaates angepasst werden dürfen181, da gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV die Rechte der Drittstaaten unberührt bleiben. Andererseits ist der Drittstaat bei einer Neuverhandlung des Vertrages „Herr“ über seine Rechte und muss auch die Möglichkeit haben, auf seine Rechte aus dem Vertrag zu verzichten. dd) Sonderform: Auslegungsprotokoll Die Auslegung von Staatsverträgen erfolgt vertragsautonom und wird von den nationalen Gerichten der teilnehmenden Ländern oder von in den Übereinkünften vorgesehenen Gerichten vorgenommen. Die Reichweite des völkerrechtlichen Vertrages im Hinblick auf die kollidierende Verordnung und die daraus resultierenden Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV könnte jedoch der EuGH auslegen. Dieser ist jedenfalls für die Auslegung des Anwendungs­ bereichs der Verordnung zuständig.182 Lassen die Regelungen des Übereinkommens Auslegungsspielraum zu, ist zur Vermeidung von Unvereinbarkeiten an die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Übereinkommens183 und an den Abschluss eines Auslegungsprotokolls 178

Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht Band I/3, S. 667. Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, S. 114. 180 Ebenda. 181 Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 351 Rn. 34. 182 Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO, Art. 75 Rn. 7. 183 EuGH, Urt. v. 18. November 2003, Rs. C-216/01, Slg. I-13617 Rn. 169 – Budvar; K ­ outrakos, EU International Relations Law, S. 329 f. 179

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zu denken.184 Ein solches kommt vor allem dann in Betracht, wenn zwischen den Vertragsparteien Uneinigkeit über die Auslegung einzelner Regelungen ihres Staatsvertrages besteht. Im Rahmen eines Interpretationsabkommens wird durch übereinstimmende Erklärung eine gemeinsame, sogenannte authentische Auslegung des Staatsvertrages festgelegt.185 Sie entfaltet im Gegensatz zu einer einseitigen Auslegung des Vertrages zum Beispiel durch nationale Gerichtsentscheidung186 Bindungswirkung für jede künftige Auslegung, insoweit kommt einem solchen Abkommen hinsichtlich der Interpretation der gleiche Rang zu wie dem ursprünglichen Vertrag.187 Dies ergibt sich auch aus Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK, wonach jede weitere Übereinkunft zwischen den Parteien über die Interpretation eines Vertrages bei der Auslegung des betroffenen Abkommens berücksichtigt werden muss. Selbstverständlich kann gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK auch ein Interpretationsabkommen nur zwischen den Parteien des ursprünglichen Vertrages, somit zwischen Mitgliedsstaat und Drittstaat geschlossen werden. Der Grat zwischen einer Vertragsänderung und dem Abschluss eines Interpretationsabkommens ist sehr schmal.188 Unklar ist deshalb, ob die bereits oben herausgearbeiteten Grundsätze zur Vertragsanpassung auch für den Abschluss eines Auslegungsprotokolls gelten oder, ob Letzteres gesondert betrachtet werden muss. Man könnte annehmen, dass im Ergebnis jede Übereinkunft zur Auslegung des Abkommens in der Praxis zu einer Vertragsänderung führt.189 In diesem Fall könnte es wie bei einer Vertragsanpassung immer einer Genehmigung und der Zusammenarbeit mit der Union bedürfen. Allerdings werden mit einem Auslegungsprotokoll keine Regelungen des ursprünglichen Vertrages verändert, vielmehr werden die bestehenden Vorschriften konkretisiert oder ausdifferenziert. Die Interpretation führt lediglich dazu, dass verdeutlicht wird, was bereits im ursprünglichen Vertrag vereinbart wird.190 Wenn tatsächlich keine Fortentwicklung der ursprünglichen Vorschriften vorliegt, kann auch die Rechtsfortentwicklung innerhalb der EU nicht gefährdet werden und es bedarf zur Erfüllung der mitgliedsstaatlichen Pflichten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV keiner gesonderten Genehmigung durch die Union.191

184

Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (481). 185 Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 86. 186 Ipsen, Völkerrecht, S. 407 f. 187 Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 86. 188 Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (482). 189 Fulda, Demokratie & pacta sunt servanda, S. 144. 190 Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (482). 191 Wurmnest, Comparative Report and Policy Perspectives, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 329 (354).

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ee) Zwischenergebnis Die Anpassung des mitgliedsstaatlichen Altvertrages an das geltende Unionsrecht ist die Verhandlungslösung. Nur die Vertragsparteien können die Verhandlungen führen. Die Union kann somit trotz ausschließlicher Außenkompetenz zunächst nicht gegenüber den Drittstaaten tätig werden. Deshalb ist es die Pflicht der Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV die Unvereinbarkeiten zwischen dem Staatsvertrag und dem EU-Recht zu beheben. Es ist unklar, wie weit diese Verpflichtung tatsächlich reicht. Zum Teil wird vertreten, dass bei ausschließlicher Außenkompetenz der Union die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten nur formaler Natur ist. Sie sollen der Union den Beitritt zum betroffenen Staatsvertrag ermöglichen. Dies könnte jedoch zu sich widersprechenden Verpflichtungen der Union führen oder die Kompetenzen der EU überschreiten, ein Beitritt der Union ist deshalb nur selten sinnvoll. Statt einem Tätigwerden der Union ist an eine Genehmigung der Union zum eigenständigen Handeln der Mitgliedsstaaten zu denken. Das Bedürfnis nach einer solchen Möglichkeit wurde bereits erkannt, woraufhin die VO(EG) Nr. 662/2009 und VO(EG) Nr. 664/2009 erlassen wurden. Die Mitgliedsstaaten können unter den Voraussetzungen dieser Verordnungen trotz ausschließlicher Zuständigkeit der EU neue völkerrechtliche Verträge abschließen oder bereits bestehende Abkommen ändern. Eine Rückübertragung der Außenkompetenz erfolgt dadurch nicht. Eine solche Genehmigung, wie sie in diesen Verordnungen vorgesehen ist, ist auch in anderen Bereichen des IPR denkbar, obgleich keine entsprechenden Verordnungen existieren. Es ist davon auszugehen, dass auch bei Änderungen, die lediglich zu einer Angleichung an das Unionsrecht führen, Verhandlungen zwischen dem Drittstaat und dem Mitgliedsstaat genehmigt werden müssen. Dann wird jedoch das Genehmigungsverfahren mit Antrag der Mitgliedsstaaten und anschließender Prüfung durch die Kommission, sowie der Teilnahme an den Verhandlungen oder zumindest der Information über die Verhandlungen wohl in sehr abgeschwächter Form stattfinden und eher formaler Natur sein. Schließlich würde die Versagung dazu führen, dass eine Anpassung dann nicht möglich ist. Es würde möglicherweise nur noch die Kündigung als ultima ratio übrigbleiben, die jedoch zum einen auch an strenge völkerrechtliche Voraussetzungen geknüpft ist und zum anderen unter Umständen nicht wünschenswert ist. Beim Abschluss von Auslegungsprotokollen ist eine Genehmigung ausnahmsweise nicht notwendig, da bestehende Regelungen lediglich ausdifferenziert und interpretiert werden und keine Fortentwicklung der Vorschriften stattfindet. In jedem Fall ergeben sich bei den Verhandlungen zur Vertragsanpassung faktisch keine Handlungsalternativen. Das bedeutet für von Deutschland geführte Verhandlungen, dass die Bundesregierung eigenständig ohne Mitwirkung der Legislative handeln kann. Nicht nur vom Dazutun der Union sind die Mitgliedsstaaten bei der Erfüllung ihrer Pflichten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV abhängig, vor allem bei multilateralen Staatsverträgen kann eine Anpassung an das Unionsrecht bei fehlendem Interesse der Vertragspartner sehr schwierig sein. Zwar kann eine Modifikation gemäß Art. 41 WVK auch nur zwischen einzelnen Vertragsstaaten erfolgen, die

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Unvereinbarkeiten mit dem EU-Recht werden so jedoch nicht vollständig behoben und der Entscheidungseinklang ist eingeschränkt. In diesem Fall können die Mitgliedsstaaten durch ihre Verpflichtungen aus Art. 351  Abs. 2  AEUV nicht erfolgreich erfüllen. Möglicherweise kommt dann nur noch eine Kündigung des Staatsvertrages in Betracht. b) Kündigung des Drittstaatsvertrages Ist eine Anpassung des Altvertrages ausgeschlossen oder hat der Drittstaat kein Interesse an einer Vertragsänderung, kommt die Kündigung des Abkommens in Betracht. Die Kündigung eines Altvertrages löst bestehende Unvereinbarkeiten sicherlich auf die effektivste Weise. Es bedarf keiner Abstimmung mit dem Unionsrecht, die Unvereinbarkeiten verschwinden automatisch mit der Auflösung des Abkommens und das europäische IPR wird durch einheitliche Anwendung wirksam gestärkt. aa) Zuständigkeitsverteilung Genauso einfach erscheint auch die Zuständigkeitsverteilung bezüglich der Kündigung zwischen der Union und des Mitgliedsstaates. Die EU hat zwar die ausschließliche Außenkompetenz inne, sie ist jedoch vor einem potenziellen Beitritt zum betroffenen Abkommen weder Vertragspartner, noch besteht ein Vertretungsverhältnis zu ihren Gunsten. Sie kann somit keine vertragsbezogene einseitige Willenserklärung abgeben. Es ist vielmehr Aufgabe des Mitgliedsstaates seinen Pflichten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV nachzukommen und den Altvertrag zu kündigen.192 Die Kündigung an sich hat weder Auswirkungen auf das Unionsrecht, noch werden neue Vereinbarungen oder Regelungen geschaffen, die die Rechtsfortentwicklung der EU beeinflussen könnten. Ein Tätigwerden der Union ist deshalb nicht notwendig.193 bb) Verfahren Im Folgenden soll betrachtet werden, welches Organ der Bundesrepublik für die Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen zuständig ist. Es stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung zur Kündigung eines Staatsvertrages die Zustimmung des Bundestags gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG braucht, 192

Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 459. 193 Lechner, Die Europäische Erbrechtsverordnung, DNotZ-Sonderheft 2016, S. 102 (113); Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO Art. 75 Rn. 9.

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der dem Wortlaut nach lediglich auf den Abschluss von Verträgen abzielt. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht aufgegriffen und entschieden, dass einseitige völkerrechtliche Willenserklärungen nicht dem Zustimmungserfordernis gemäß Art. 59  Abs. 2 S. 1  GG unterworfen sind. Eine analoge Anwendung des Art. 59  Abs. 2  S. 1  GG scheidet aus, da keine planwidrige Regelungslücke vorliegt.194 Die Bundesregierung bedarf somit nicht der Zustimmung des Bundestags zur Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages.195 cc) Umfang der Kündigungspflicht (1) Entstehung der Kündigungspflicht Die Kündigungspflicht trifft die Mitgliedsstaaten als ultima ratio, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Unvereinbarkeiten zwischen der unionsrechtlichen Verordnung und dem Altvertrag zu beheben.196 Die Kündigung stellt ein besonders scharfes Schwert dar, da sie auch die mit dem Unionsrecht kompatiblen Vorschriften trifft. Während sie auf der einen Seite zu einem europäischen Entscheidungseinklang führt, kann mit der Kündigung andererseits auch eine Abnahme des internationalen Entscheidungseinklanges einhergehen. Grundsätzlich kann eine Kündigungspflicht nur dann entstehen, wenn die Unvereinbarkeit mit Klarheit festgestellt wurde.197 Eine Ausnahme kann bestehen, wenn die sofortige Anwendbarkeit von EU-Regelungen gewährleistet werden muss. In einem solchen Fall kann unter Umständen eine Neuverhandlung als Maßnahme gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV aufgrund der dazu beanspruchten Zeiträume nicht ausreichen. Dann kann eine Kündigungspflicht auch schon bei potenziellem Widerspruch mit den zukünftigen Vorschriften bestehen.198 Diese im Bereich des Kapitalmarktverkehrs getroffene EuGH-Entscheidung lässt sich nur schwerlich auf das Gebiet des Kollisionsrecht übertragen. Es erscheint abwegig, dass eine sofortige Anwendbarkeit des Unionsrechts im Internationalen Privatrecht notwendig ist.199 194

BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1984, Rs. 2 BvE 13/83 = BVerfGE 68, 1 Rn. 149 f. – Atomwaffenstationierung. 195 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 120. 196 Kokott, in: Streinz, AEUV, Art. 351 Rn. 12; Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 351 Rn. 40. 197 EuGH, Urt. v. 1. Februar 2005, Rs. C-203/03, Slg. I-935 Rn. 62 – Kommission / Österreich; Kohler, Die Güterrechtsverordnungen der Europäischen Union und die vorrangigen Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Dutta / Weber, Die Europäischen Güterrechtsverordnungen, S. 163 (178). 198 EuGH, Urt. v. 3. März 2009, Rs. C-205/06, Slg. I-1301 Rn. 36, 39, 42  – Kommission /  Österreich; Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 351 Rn. 21. 199 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (121).

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Wurde eine Unvereinbarkeit festgestellt und scheitert eine Anpassung oder ist diese nicht möglich, ist zu untersuchen, ob die Verpflichtung zur Kündigung gemäß Art. 351  Abs. 2  AEUV einer Verhältnismäßigkeits-prüfung unterzogen werden muss. Eine eventuell schwierige politische Lage in dem Land, das Vertragspartner des Mitgliedsstaates ist, befreit jedenfalls nicht von der Verpflichtung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV.200 Kohler ist der Ansicht, dass die justizielle Zusammenarbeit zwar wichtige Bestrebungen verfolgt, wie etwa einen einheit­ lichen Binnenmarkt,201 aber nicht jede Abweichung in einem Drittstaatsvertrag die Ziele der Union gefährdet oder automatisch zu einer Schwächung der praktischen Wirksamkeit der Unionsmaßnahmen führt.202 Demzufolge müsse eine Prüfung der Unvereinbarkeiten in qualitativer und quantitativer Hinsicht erfolgen.203 Eine Kündigungspflicht gemäß Art. 351  Abs. 2  AEUV könne entstehen, wenn der Kern der Verordnung grundlegend von den Regelungen des Staatsvertrages abweicht. Unter Umständen könne jedoch eine Annäherung der Regelungen des Abkommens an das Unionsrecht ausreichen, wenn die übrigen Unterschiede „systemverträglich“ sind.204 Stellen die von der Verordnung abweichenden Regelungen jedoch nur einen Nebenpunkt des Abkommens dar, könne eine Kündigungsplicht nach Art. 4 Abs. 3 AEUV unverhältnismäßig sein.205 In quantitativer Hinsicht sei die Zahl der Anwendungsfälle relevant. Der effet utile der einheitlichen Regelungen werde verfehlt, wenn der Drittstaatsvertrag oft zur Anwendung kommt.206 Für eine Duldung gewisser Unvereinbarkeiten könnte sprechen, dass die Union explizit in den Verordnungen Nr. 662/2009 und 664/2009 bilaterale Regelungen mit Drittstaaten zulässt. Sonderwege scheinen somit nicht ausgeschlossen.207 Jedoch sieht Art. 4 Abs. 2 lit. b) der Verordnungen Nr. 662/2009 und 664/2009 vor, dass durch geplante Abkommen „das Gemeinschaftsrecht in seiner Wirkung […] oder das reibungslose Funktionieren des durch dieses Recht errichteten System nicht beeinträchtigt“ werden darf. Folglich sind im Ergebnis nur Abkommen denkbar, die das Gemeinschaftsrecht auf Drittstaaten erstrecken.208 Lagoni setzt Art. 351 Abs. 2 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV insoweit in ein Verhältnis, dass er die Gemeinschaftsorgane zur Rücksichtnahme gegenüber den Mitgliedsstaaten verpflichtet und lehnt deshalb einen unbedingten Zwang zur Kündigung ab.209 Zwar kann die Gesetzgebungskompetenz der EU dazu führen, dass „völkerrechtsunver 200

EuGH, Urt. v. 4. Juli 2000, Rs. C-62/98, Slg. I-5171, Rn. 48  – Kommission / Portugal; ­Kokott, in: Streinz, AEUV, Art. 351 Rn. 13. 201 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (121). 202 Ebenda. 203 Ebenda, S. 123. 204 Ebenda, S. 126. 205 Ebenda. 206 Ebenda, S. 124 f. 207 Ebenda, S. 122 f. 208 Ebenda, S. 127. 209 Lagoni, Die Haftung des Beförderers von Reisenden auf See und im Binnenschiffverkehr und das gemeinschaftsrecht, ZEuP 2007, S. 1079 (1095 f.).

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trägliches“ Unionsrecht entsteht, dass wiederum eine Pflicht der Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV entstehen lassen kann,210 aber eine Rücksichtnahmepflicht, wie Lagoni sie sieht, geht zu weit. Die völkerrechtlichen Bindungen der Mitgliedsstaaten dürfen nicht dazu führen, dass die Union diese dauerhaft akzeptieren muss. Der Zweck des Art. 351 Abs. 2 AEUV würde verfehlt werden.211 Der EuGH spricht sich gegen die Möglichkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung aus.212 Seine Rechtsprechung legt nahe, dass sobald eine Unvereinbarkeit zwischen Altabkommen und EU-Verordnung dazu führt, dass ein Mitgliedsstaat sich nicht an Unionsrecht halten kann, die Verpflichtung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV bis hin zur Kündigung als ultima ratio entsteht.213 Der Mitgliedsstaat habe zwar die Wahl zwischen mehreren geeigneten Maßnahmen, wenn jedoch nur ein Kündigung möglich ist, sei diese durchzuführen.214 Die Interessen des Mitgliedsstaates würden dadurch nicht gegenüber den Unionsinteressen zurückgestellt, da die Abwägung bereits durch Art. 351 AEUV vorgenommen wurde.215 Für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich der Kündigungspflicht ist folglich kein Raum.216 Der Pflicht zur Kündigung kann lediglich der Schutz der Rechte des Drittstaaten gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV entgegenstehen. Die Rechte des Drittstaates sind dann gewahrt, wenn der Vertrag aufgrund einer Kündigungsklausel gekündigt wird.217 Das Gleiche muss auch für eine Kündigung nach den völkerrechtlichen Grundsätzen gemäß Art. 56 WVK gelten. Wenn feststeht, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung zuzulassen beabsichtigten oder sich ein Kündigungsrecht aus der Natur des Vertrages herleiten lässt, kommt dies der Vereinbarung einer Kündigungsklausel gleich. Auch in diesem Fall liegt keine Verletzung der Rechte des Drittstaates vor. Enthält das Abkommen keine Kündigungsklausel und besteht kein Kündigungsrecht gemäß Art. 56 WVK, kann sich der Drittstaat grundsätzlich auf den Fortbestand seiner von Art. 351 Abs. 1 AEUV geschützten Rechte berufen.218 Eine Kündigung ist dann grundsätzlich unzulässig.219

210

Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 460. 211 Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Konventionen des einheitlichen Privatrechts, S. 330; Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 460. 212 EuGH, Urt. v. 4. Juli 2000, Rs. C-62/98, Slg. I-5171, Rn. 58 f. – Kommission / Portugal. 213 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht S. 109 (119). 214 EuGH, Urt. v. 4. Juli 2000, Rs. C-62/98, Slg. I-5171, Rn. 58 – Kommission / Portugal. 215 Ebenda, Rn. 59. 216 Richter / Giegerich, in: Frankfurter Kommentar, AEUV, Art. 351 Rn. 74. 217 EuGH, Urt. v. 4.Juli 2000, Rs. C-62/98, Slg. I-5171, Rn. 45 f. – Kommission / Portugal. 218 Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 351 Rn. 41; Lavranos, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art.  351 Rn.  8 Fn.  42. 219 Manzini, The Priority of Pre-Existing treaties of EC Member States within the Framework of International Law, EJIL 2001, S. 781 (791).

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(2) Kündigungsgründe In Betracht könnte allerdings subsidiär auch eine Kündigung unter Berufung auf den Grundsatz clausula rebus sic stantibus220 gemäß Art. 62 WVK kommen. Dieser völkergewohnheitsrechtliche Kündigungsgrund beruht auf dem wesent­ lichen Wandel der Umstände, die dem Vertrag zugrunde liegen und die die Parteien beim Abschluss des Vertrages als unveränderlich vorausgesetzt haben.221 Eine Partei kann sich auf den Kündigungsgrund berufen, wenn ihr die Treue zum Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann.222 In Betracht könnten der Beitritt zur Union und die damit verbundenen Kompetenzverschiebungen kommen. Bei Vertragsschluss gehen die Parteien selbstverständlich davon aus, dass sie während der Laufzeit des Vertrages auch die dementsprechenden Kompetenzen innehaben. Mit der Übertragung von umfassenden Außenkompetenzen der Mitgliedsstaaten auf die Union hat sich dieser Umstand wesentlich verändert.223 Es ist jedoch zu beachten, dass der Anwendungsbereich des clausula rebus sic stantibus-Grundsatzes sehr restriktiv zu beurteilen ist. Die negative Formulierung des Art. 62 WVK zeigt, dass dieser nur in Ausnahmefällen heranzuziehen ist.224 Außerdem stellt die Klausel eine große Gefahr für die Rechtssicherheit und den Grundsatz pacta sunt servanda dar. Daraus muss sich ergeben, dass aufgrund der Kompetenzverschiebung noch kein Kündigungsgrund gemäß Art. 62 WVK entsteht. Zum einen würde der Schutz des Art. 351 Abs. 1 AEUV und das zugrundeliegende Prinzip der Vertragstreue umgangen werden. Zum anderen sind die Kompetenzverschiebungen und die daraus entstehenden Verpflichtungskonflikte von den Mitgliedsstaaten wissentlich herbeigeführt worden.225 Eine Berufung auf die clausula rebus sic stantibus ist aus diesen Gründen nicht möglich. Eines speziellen Kündigungsrechts bedarf es allerdings dann nicht, wenn sich gemäß Art. 54, 57 WVK alle Parteien über die Beendigung des Vertrages oder die Kündigung einer Vertragspartei einig sind. dd) Durchsetzung der Kündigungspflicht Erfüllt ein Mitgliedsstaat seine Kündigungspflicht gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV nicht, kommt Art. 258 AEUV zur Anwendung, welcher das Vertragsverletzungsverfahren regelt. Die Vorschrift sieht vor, dass bei einem mutmaßlichen Verstoß eines Mitgliedsstaates gegen seine Verpflichtungen aus den Verträgen, die Kommission eine Stellungnahme dazu abgibt. Kommt der Staat dieser Stellungnahme

220

Lavranos, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art. 351 Rn. 8. Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 92. 222 Schweisfurth, Völkerrecht, Kapitel 4 Rn. 129. 223 Krück, Völkerrechtliche Verträge im Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 118. 224 Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 93. 225 Krück, Völkerrechtliche Verträge im Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 118. 221

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

innerhalb einer von der Kommission gesetzten Frist nicht nach, so kann die Kommission den EuGH anrufen.226 Da eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich der Kündigungspflicht auszuschließen ist, könnte an eine Korrektur über Art. 258 AEUV gedacht werden. Dies wäre der Fall, wenn die Anstrengung eines Vertragsverletzungsverfahren im Ermessen der Kommission stehen würde. Der Wortlaut der Vorschrift deutet darauf hin, dass die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten muss, soweit sie von einem mitgliedsstaatlichen Vertragsverstoß ausgeht.227 Trotzdem wird dieser Pflicht in der Literatur teilweise widersprochen.228 Diese Ansicht teilt auch der EuGH und das Gericht der Europäischen Union.229 Dem ist zuzustimmen, da die Kommission nur begrenzte Ressourcen hat und deshalb die Möglichkeit haben muss, Prioritäten zu setzen. Gegen eine generelle Pflicht spricht auch, dass aus Unionssicht auch der außenpolitische Zusammenhang berücksichtigt werden muss.230 Der Kommission steht demnach ein Ermessen zu, ob sie das Verfahren einleitet oder nicht.231 Sprechen somit schwerwiegende politische und diplomatische Gründe gegen die Durchsetzung einer Kündigungspflicht, kann die Kommission von einem Vertragsverletzungsverfahren absehen. ee) Zwischenergebnis Die Kündigung eines Altvertrages löst bestehende Unvereinbarkeiten in effektiver Weise und fördert somit die Anwendbarkeit der Verordnung und den europä­ ischen Entscheidungseinklang. Der internationale Entscheidungseinklang bleibt allerdings außer Acht, da die gemeinsamen Regelungen mit den Vertragspartnern „verloren gehen“. Die Kündigungspflicht trifft die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV als ultima ratio. Da im Zuge dessen keine neuen Vereinbarungen oder Regelungen geschaffen werden, die die Rechtsfortentwicklung der EU beeinflussen könnten, bedarf es keiner zusätzlichen Genehmigung durch die Union. Auf Bundesebene kann die Regierung ohne Zustimmung des Bundestags die Kündigung des Drittstaatsvertrages vollziehen. Der Umfang der Kündigungspflicht wird durch die Unberührtheitsklausel gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV beschränkt. Die Rechte eines Drittstaates sind jedoch 226

Ehricke, in: Streinz, AEUV, Art. 258 Rn. 25. Cremer, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 258 Rn. 41. 228 Burgi, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europä­ ischen Union, § 6 Vertragsverletzungsverfahren Rn. 2. 229 EuGH, Urt. v. 23. Mai 1990, Rs. C-72/90, Slg. 1990, I-2181 Rn. 13 – Asia Motor France v Kommission; EuG, Beschl. v. 12. November 1996, Rs. T-47/96, Slg. 1996, II-1559, Rn. 42 – SDDDA / Kommission. 230 Cremer, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 258 Art. 258 Rn. 42. 231 EuG, Beschl. v. 12. November 1996, Rs. T-47/96, Slg. 1996, II-1559, Rn. 42 – SDDDA /  Kommission. 227

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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gewahrt, wenn ein Kündigungsrecht besteht. Dieses kann sich aus einer Kündigungsklausel bzw. Art. 56 WVK ergeben. Darüber hinaus kann nach dem Grundsatz clausula rebus sic stantibus ein Kündigungsgrund bestehen. Letzterer ist jedoch sehr restriktiv auszulegen. Eine Kündigung, die lediglich mit der Kompetenzverschiebung zu Gunsten der EU begründet wird, scheidet aus. Besteht kein Kündigungsrecht, ist eine Kündigung gemäß Art. 54, 57 WVK lediglich mit Einvernehmen aller Vertragsparteien möglich. Die Kündigungspflicht kann keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden, da die Abwägung zwischen den Interessen bereits im Rahmen des Art. 351 AEUV stattfindet. Die Union könnte jedoch auf die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AUEV verzichten, wenn sie den Verstoß gegen die Verpflichtung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV als nicht gravierend sieht. c) Abschluss eines neuen Drittstaatsvertrages Eine weitere Möglichkeit zur Stärkung des europäischen IPR könnte im Abschluss eines neuen Abkommens mit den Drittstaaten liegen, die auch Vertragsparteien des Altvertrages sind. Der anvisierte Entscheidungsklang kann jedoch nur gefördert werden, wenn dieses Abkommen den ursprünglichen Staatsvertrag überlagert. Für den Fall, dass das neue Abkommen durch die EU geschlossen wurde, hat der EuGH entschieden, dass ein neuer völkerrechtlicher Vertrag „die Stelle der völkerrechtlichen Verpflichtung“ tritt.232 Schließt der Mitgliedsstaat ein neues Abkommen mit dem Drittstaat, hat der neue Vertrag gemäß Art. 30 WVK Vorrang. Unabhängig davon, ob die Union oder ein Mitgliedsstaat das Übereinkommen abschließt, bleibt der Altvertrag zwar bestehen, er verliert jedoch seine materielle Wirkung, soweit der neue Vertrag gilt.233 aa) Zuständigkeitsverteilung Im Rahmen der Zuständigkeitsverteilung stellt sich zunächst die Frage nach der Abgrenzung des Abschlusses eines neuen Abkommens von der Anpassung des Altvertrages. Ergäben sich keine Unterschiede, könnten die Grundsätze aus Kapitel D: I. 2. a) aa) vollständig übertragen werden. Eine Vertragsanpassung kommt gemäß Art. 39 WVK gewissermaßen einem neuen Vertragsschluss gleich, da er die Anwendung der Regelungen über den Abschluss eines Vertrages erklärt. Die Abgrenzung ist jedoch bei ausschließlicher Außenkompetenz der Union von großer Bedeutung. Hat die EU ein Interesse an der Kontinuität des Vertrages, ist eine

232

EuGH, Urt. v. 8. Dezember 1981, Rs. 181/80, Slg. 1981, 2961 Rn. 30 – Arbelaiz-Emazabel. Kortländer, Die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Altverträge der Mitgliedstaaten für die EU S. 200 f. 233

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

Anpassung des Altvertrages durch den Mitgliedsstaat – wie gesehen – möglich. Besteht dieses Interesse nicht, kann sie grundsätzlich ein eigenes neues Abkommen mit dem Drittstaat schließen. Vorausgesetzt das geplante Abkommen erweitert nicht den Regelungsbereich des Altvertrages und enthält nur Vorschriften, bezüglich derer die Union die Kompetenz innehat, kommt ihr in diesem Fall die uneingeschränkte Zuständigkeit für den Abschluss des Übereinkommens zu. Die kompetenziellen Schwierigkeiten, die sich bei der Anpassung des Altvertrages stellen, spielen beim Neuabschluss keine Rolle. In der Theorie ergeben sich somit bezüglich der ausschließlichen Kompetenz zum Neuabschluss eines internationalen Abkommens zunächst keine Probleme. Zu prüfen ist allerdings, wie „uneingeschränkt“ diese ausschließliche Außenkompetenz der Union in der Praxis tatsächlich ist. Möglicherweise ist bei bestehenden Altverträgen eine Beteiligung der Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV trotzdem sinnvoll. Wie das Gutachten zum Freihandelsabkommen mit Singapur zeigt, ist eine Beteiligung der Mitgliedsstaaten jedenfalls nicht zwingend notwendig. Zwar werden die bestehenden Abkommen einschließlich der daraus abgeleiteten Rechte und Pflichten unwirksam und durch das neue Übereinkommen ersetzt, einer Beteiligung der Mitgliedsstaaten, die Vertragsparteien dieser Abkommen sind, bedarf es jedoch nicht.234 Anders hat der EuGH in seinem Gutachten zum Stilllegungsfonds entschieden.235 Er ordnete in diesem Gutachten trotz ausschließlicher Zuständigkeit der Union die Beteiligung von sechs Mitgliedsländern an den Verhandlungen mit der Schweiz an. Die Mitgliedsstaaten waren gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV verpflichtet, sich am Abschluss des neuen Abkommens zu beteiligen, da aufgrund der bestehenden Abkommen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des neuen Übereinkommens zu erwarten waren.236 Dabei stellt Art. 351 Abs. 2 AEUV keinen Eingriff in die ausschließliche Kompetenz der Union dar.237 Die Beteiligung der Mitgliedsstaaten ist sehr beschränkt.238 Sie erfolgt ausschließlich aufgrund der Komplikationen, die sich beim Abschluss des neuen Vertrages hinsichtlich der Altverträge ergeben.239 Für die Union kann sich im Rahmen ihrer ausschließlichen Kompetenz das Dilemma ergeben, dass sie zwar als internationaler Akteur akzeptiert wird, aber momentan noch ein Neuling im internationalen Beziehungsgeflecht, insbesondere in historischer und kultureller Hinsicht, ist. Es fehlen der Union teilweise auch noch die entsprechenden diplomatischen Vertretungen. Deshalb kann sie im Einzelfall die Mitgliedsstaaten ermächtigen, in eigenem Namen internationale Ab-

234

EuGH, Gutachten 2/15 v. 17. Mai 2017 Rn. 246 ff. – Freihandelsabkommen mit Singa­

pur.

235

EuGH, Gutachten 1/76 v. 26. Mai 1977, Slg. 1977, 741 Rn. 7 – Stilllegungsfonds. Ebenda. 237 Eeckhout, EU External Relations Law, S. 80. 238 Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 351 Rn. 34. 239 Vgl. supra, Kapitel D: I. 1. b) cc). 236

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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kommen abzuschließen.240 In diesem Zusammenhang wurden die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und VO(EG) Nr. 664/2009 beschlossen,241 um den Abschluss neuer Abkommen trotz ausschließlicher Außenkompetenz der Union durch Mitgliedsstaaten zu ermöglichen. Wie bereits festgestellt242, wird im Falle einer solchen Ermächtigung die Zuständigkeit jedoch nicht zurück auf die Mitgliedsstaaten übertragen. Neben der Ermächtigung auf Basis einer Verordnung kann der Rat auch eine Ermächtigung aussprechen, der zufolge den Mitgliedsstaaten die Aushandlung und der Abschluss eines Abkommens im Interesse der Union erlaubt wird.243 Im Gegensatz zu der oben beschriebenen Variante trifft hier die EU im Innenverhältnis die tatsächlichen Entscheidungen, die Mitgliedsstaaten treten nach außen auf und das zustande gekommene Abkommen ist wie ein gemischtes Abkommen zu betrachten.244 Für die Drittstaaten hat der Abschluss eines Übereinkommens mit der Union den Vorteil, dass einheitliche Regelungen mit der ganzen Union vereinbart werden. Bei Abschluss des Abkommens durch die Union wird es Bestandteil der Rechtsordnung der Union245, gleichwohl behält die Übereinkunft ihren völkerrechtlichen Charakter.246 Das Abkommen nimmt den Rang zwischen primärem und sekundärem Unionsrecht ein.247 Außerdem hat es Vorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten.248

240 Bischoff, Notwendige Flexibilisierung oder Ausverkauf von Kompetenzen – Zur Rückübertragung von Außenkompetenzen der EG für privatrechtliche Abkommen durch die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009, ZEuP 2010, S. 321 (325). 241 Vgl. supra, Kapitel D: II. 1. aa). 242 Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. a) aa). 243 Entscheidung des Rates der Europäischen Union vom 5. Juni 2008 (2008/431/EG) zur Ermächtigung einiger Mitgliedstaaten, das Haager Übereinkommen von 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern. im Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren oder ihm beizutreten, und zur Ermächtigung einiger Mitgliedstaaten, eine Erklärung über die Anwendung der einschlägigen internen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts abzugeben, ABl. 2008 L 151/36. 244 Bischoff, Notwendige Flexibilisierung oder Ausverkauf von Kompetenzen – Zur Rückübertragung von Außenkompetenzen der EG für privatrechtliche Abkommen durch die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009, ZEuP 2010, S. 321 (326). 245 EuGH, Gutachten 1/91 v. 14. Dezember 1991, Slg. 1991, I-06079 Rn. 37 – EWR I. 246 Terhechte, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo, AEUV, Art.  216 Rn.  15. 247 Peters, The Position of International Law within the European Community Legal Order, GYIL 1997, S. 9, 39 f.; Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 216 Rn. 24 f. 248 Hummer, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, AEUV, Art. 216 Rn. 22.

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

bb) Verfahren Im Folgenden soll lediglich auf das Verfahren hinsichtlich der Verhandlung und des Abschlusses eines Vertrages durch die Union eingegangen werden. Bezüglich der Genehmigung eines mitgliedsstaatlichen Vertragsschlusses wird auf die Ausführungen zum Anpassungsverfahren auf Unionsebene verwiesen.249 (1) Verfahren nach Art. 218 AEUV Soweit die Vorschriften Art. 207  AEUV und Art. 219  AEUV keine Anwendung finden, werden internationale Übereinkommen nach dem in Art. 218 AEUV festgelegten Verfahren ausgehandelt und geschlossen.250 Der Kommission steht gemäß Art. 218 Abs. 3 AEUV grundsätzlich das Initiativrecht zu, demnach beginnen die Vertragsverhandlungen nach Empfehlung der Kommission an den Rat, woraufhin dieser einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen erlässt. Hintergrund der Mandats­ erteilung durch den Rat ist, dass dadurch den Verhandlungen der Wille der Mitgliedsstaaten zu Grunde gelegt wird.251 Der Rat fasst einen Beschluss über die Benennung eines Verhandlungsführers. Je nach dem führt die Verhandlungen die Kommission oder der Hohe Vertreter der Union.252 Der Rat kann außerdem gemäß Art. 218 Abs. 4 AEUV Verhandlungsrichtlinien für die Kommission festlegen und einen Sonderausschuss bestellen. Ein Ausschuss wird vor allem bei der Aushandlung gemischter Abkommen bestellt, so steht den Mitgliedsstaaten auch auf Unionsebene eine Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Verhandlungen zu.253 Nach Abschluss der Verhandlungen erlässt der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers zunächst einen Beschluss, mit dem die Unterzeichnung genehmigt wird und einen weiteren Beschluss zum Vertragsabschluss. In allen Phasen des Verfahrens muss gemäß Art. 218 Abs. 10 AEUV das Europäische Parlament umfassend unterrichtet werden. (2) Beteiligung der Mitgliedsstaaten Vor Beschluss über die Ermächtigung zu Verhandlungen prüft der Rat das Mandat hinsichtlich der Vertragsschließungskompetenz und regt gegebenenfalls die Beteiligung der Mitgliedsstaaten an. Das Verhandlungsmandat wird nicht nur recht 249

Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. a) bb) (2). Genaueres zum Verfahren zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge: Vedder, Außenbeziehungen und Außenvertretung, in: Hummer / Obwexer, Der Vertrag von Lissabon, S. 267 (292–296). 251 Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 218 Rn. 25a. 252 Schmalenbach, in: Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 218 Rn. 10 f. 253 Lorenzmeier, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 218 Rn. 30. 250

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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lich, sondern auch politisch überprüft.254 Kommt der Rat zu dem Ergebnis, dass ein oder mehrere Mitgliedsstaaten an dem Verfahren beteiligt werden sollten, gilt es das Ausmaß dieser Beteiligung zu betrachten. Sind sowohl die Union als auch die Mitgliedsstaaten an den Verhandlungen beteiligt, muss jedenfalls der Grundsatz der gemeinsamen Haltung und einer einheitlichen völkerrechtlichen Vertretung der Union beachtet werden. Voraussetzung hierfür ist eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten und der Organe der EU.255 Zur bestmöglichen Umsetzung der gegenseitigen Kooperationspflichten ist eine gemeinsame Delegation denkbar. Der Rat und die Mitgliedsstaaten können die Kommission als gemeinsame Sprecherin ermächtigen, die Verhandlungen zu führen.256 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine Beteiligung der Mitgliedsstaaten nur erforderlich ist, wenn sich Schwierigkeiten bei der Umsetzung des neuen Abkommens aufgrund der bestehenden Altverträge ergeben.257 Ein gemeinsames Auftreten der Union und der Mitgliedsstaaten im Sinne einer einheitlichen völkerrechtlichen Vertretung wird deshalb grundsätzlich gar nicht notwendig sein, da die Beteiligung der Mitgliedsstaaten ausschließlich die „Weichenstellung“ im Sinne formaler Änderungen bezüglich der Altverträge betrifft und die Verhandlungsmacht bezüglich des neuen Abkommens bei der Union liegt. Ratifiziert wird der neue Vertrag schließlich aufgrund der ausschließlichen Außenkompetenz auch nur durch die Union. cc) Zwischenergebnis Der Abschluss eines neuen Abkommens kann die Divergenzen zwischen Unionsrecht und Drittstaatsabkommen auflösen und das europäische IPR stärken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dieses Abkommen durch die Union oder durch die an dem Altvertrag beteiligten Mitgliedsstaaten abgeschlossen wird. In beiden Fällen tritt der neue Vertrag an die Stelle des alten Abkommens, soweit sich die Regelungsbereiche überschneiden. Auch wenn eine Vertragsänderung einem neuen Vertragsschluss gleichkommt, sind Anpassung und Abschluss eines neuen Vertrages gemäß Art. 39  WVK zu trennen, schließlich müssen die Vertragsparteien beim Abschluss eines neuen Vertrages nicht identisch sein. Somit stellen sich bei letzterer Handlung keine kompetenziellen Probleme, wie bei der Vertragsänderung. Die ausschließliche Zuständigkeit zum Abschluss neuer völkerrechtlicher Abkommen liegt bei der EU. Das Verfahren über den Abschluss internationaler Abkommen richtet sich nach Art. 218 AEUV. Eine Beteiligung der Mitgliedsstaaten kann jedoch trotzdem sinn 254

Schwichtenberg, Die Kooperationsverpflichtung der Mitgliedsstaaten, S. 136. EuGH, Gutachten 1/94 v. 15. November 1994, Slg. 1994, I-5389 Rn. 108 – WTO; Bischoff, Die Europäische Gemeinschaft und die Konventionen des einheitlichen Privatrechts, S. 137; Terhechte, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo, AEUV, Art.  216 Rn.  13. 256 Schwichtenberg, Die Kooperationsverpflichtung der Mitgliedsstaaten, S. 143. 257 Vgl. supra, Kapitel D: I. 1. b) cc). 255

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

voll sein, wenn es aufgrund der Altverträge Schwierigkeiten bei der Umsetzung des neuen Vertrages gibt, notwendig ist es jedoch nicht. Werden die Mitgliedsstaaten am Abschluss eines neuen Abkommens beteiligt, ist eine gemeinsame Vertretung – beispielsweise durch die Kommission – denkbar. Sie ist jedoch nicht unbedingt erforderlich, da sich die Beteiligung der Mitgliedsstaaten auf formale Änderungen hinsichtlich der Altverträge beschränkt und der neue Vertrag ausschließlich durch die Union ratifiziert wird. Zu beachten sind die diplomatischen, historischen und kulturellen Verflechtungen der einzelnen Mitgliedsstaaten, die immer noch intensiver sind als die der Union. Im Einzelfall kann die Union die Mitgliedsstaaten ermächtigen völkerrechtliche Verträge abzuschließen. Die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und (EG) Nr. 664/2009 geben den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit in eigenem Namen zu handeln. Daneben können die Mitgliedsstaaten im Interesse der Union neue Verträge auszuhandeln. Die Staaten werden dann zwar nach außen hin tätig, im Inneren trifft jedoch die EU die Entscheidungen. Auf diesem Wege kommt ein gemischtes Abkommen zustande.

3. Hintergründe und Ausgestaltung der Drittstaatsverträge Bei der Erarbeitung möglicher Handlungsvarianten gegenüber den Drittstaaten hat bis jetzt die Ausgestaltung der Verträge nur am Rande Berücksichtigung gefunden. In der Praxis spielt diese selbstverständlich eine sehr große Rolle und beeinflusst unter Umständen die Wahl der ein oder anderen Maßnahme. Angesichts dessen sollten bei der Wahl der Maßnahme unter anderem der historische Hintergrund, der Inhalt des Vertrages und die Anzahl der Vertragsparteien Beachtung finden. Viele Konsular- und Freundschaftsverträge stammen bereits aus dem frühen 20. Jahrhundert. Hintergrund war oftmals die Aufhebung von Kapitulationen. Händlern aus den europäischen Ländern wurden vor allem im Osmanischen Reich und in Persien erhebliche Vorteile eingeräumt. Diese Vorteile kamen jedoch Kaufleuten aus dem Orient in Europa nicht zu. Konsular- und Freundschaftsverträge zwischen den Ländern sollten zu ausgeglichenen Machtpositionen führen und den Staatsangehörigen der einen Vertragspartei im Territorium der anderen Vertragspartei den gleichen rechtlichen Schutz wie deren Staatsangehörigen garantieren.258 Auch das Ende des Zweiten Weltkriegs gab Anlass zum Abschluss solcher Verträge.259 Weitere Verträge beruhen auf der regionalen Verbindung 258 Vgl. deutsch-türkischer Konsularvertrag und deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen; siehe auch Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (459); Wurmnest, Comparative Report and Policy Perspectives, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 329 (333 ff.). 259 Vgl. deutsch-sowjetischer Konsularvertrag.

I. Korrekturen hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Drittstaatsverträge 

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zwischen den Vertragsstaaten. Gemeinsamer Grenzverkehr oder gemeinsame Handelsrouten, wie beispielsweise Binnengewässer veranlassen Staaten im Kollektiv diesbezügliche Regelungen zu erlassen.260 Eng mit dem Hintergrund eines Vertrages ist selbstverständlich dessen Inhalt verbunden. Während Konsular- und Freundschaftsverträge oftmals mitunter grundlegende Regelungen für die diplomatische und außenpolitischen Beziehungen zwischen den Staaten enthalten261, decken andere (regionale) Verträge spezielle Rechtsgebiete ab. Hintergrund und Inhalt hängen auch mit der Anzahl der teilnehmenden Staaten zusammen. Während es sich bei Konsular- und Freundschaftsverträgen grundsätzlich um bilaterale Übereinkünfte handelt, werden regionale Verträge zu speziellen Bereichen oftmals von vielen Staaten – beispielsweise Nachbarsländern oder Anrainerstaaten eines Binnengewässers – geschlossen. All diese Gesichtspunkte haben großen Einfluss auf sämtliche Handlungen hinsichtlich eines Vertrages. Wurde dieser von vielen Staaten unterzeichnet, ist eine kollektive Anpassung schwierig. Einzelne Vertragsstaaten sind möglicherweise bereit zu einer Modifikation, bestehende Unvereinbarkeiten werden dadurch nicht vollständig behoben und der europäische Entscheidungseinklang wird nur im Verhältnis zu den interessierten Staaten gefördert. Leichter durchsetzbar wäre bei entsprechender Vertragsklausel möglicherweise eine Kündigung. Diese drastische Maßnahme ist jedoch bezüglich anderer Umstände bedenklich. In schwierigen politischen Situationen führt die Kündigung möglicherweise zu diplomatischen Schwierigkeiten. Darüber hinaus enthalten solche Verträge im Vergleich zu ihren umfangreichen Anwendungsbereichen oftmals nur bezüglich sehr kleiner Teile Unvereinbarkeiten mit dem Unionsrecht.

4. Interessen der Drittstaaten Eng mit der Ausgestaltung der Drittstaatsverträge verknüpft sind die Interessen der Drittstaaten. Auch sie wurden bei der abstrakten Darstellung der Maßnahmen zunächst außer Acht gelassen, sind aber selbstverständlich von entscheidender Bedeutung. Selbst bei der Kündigung kann die Union beziehungsweise die Mitgliedsstaaten, wenn kein Kündigungsrecht besteht, auf die Zusammenarbeit mit den Drittstaaten angewiesen sein. Haben diese kein Interesse, scheitert das Vorhaben. Die Interessen der Drittstaaten können vielfältig sein und hängen von einer Fülle von Aspekten ab. Eine abstrakte Gesamtschau ist somit nicht möglich, es kann lediglich eine beispielhafte Darstellung erfolgen. Das Interesse der Drittstaaten an einer Anpassung, Neuverhandlung oder Beendigung des Vertrages hängt sicherlich mitunter von der Zahl der Anwendungsfälle 260

Vgl. Haager Straßenverkehrsübereinkommen und CMNI. Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (478).

261

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

ab.262 Gibt es wenige Sachverhalte, die in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen und werden vor den eigenen Gerichten wenige Fälle auf Grundlage des Vertrages entschieden, ist das Interesse an einer Anpassung oder Neuverhandlung möglicherweise eher gering. Hinzu kommt, dass bei einer Vertragsänderung, aber auch beim Neuabschluss möglicherweise wenig Handlungsspielraum für die Drittstaaten besteht. Zum einen ist die Entscheidungsfindung zwischen EU und Mitgliedsstaaten sehr schwierig263, zum anderen bedeutet eine Anpassung wohl lediglich die Angleichung an das EU-Recht.264 Lassen sich diese Angleichung an das EU-Recht oder die Vorschläge hinsichtlich der Neuverhandlung von Seiten der Union nicht mit dem nationalen IPR der Drittstaaten vereinbaren, werden die betreffenden Mitgliedsstaaten einer entsprechenden Maßnahme nicht zustimmen. Auch schwierige innen- und außenpolitische Verhältnisse beeinflussen das Interesse der Staaten. Grundsätzlich haben sicherlich die meisten Staaten ein Interesse an dem Erhalt und dem Ausbau guter Beziehungen zu anderen Staaten, möglicherweise lassen jedoch innerstaatliche Probleme eine Beschäftigung mit mehr oder weniger wichtigen Staatsverträgen nicht zu.265 Aber auch außenpolitische Differenzen können einen Staat an völkerrechtlichen Verhandlungen hindern. Zu bedenken ist außerdem die wachsende Rolle der Europäischen Union als internationaler Akteur. Zwar sind die oft langanhaltenden diplomatischen Beziehungen zwischen den Staaten nicht zu verachten, unter Umständen kann es aber für einen Drittstaat auch von erheblichem Interesse sein, seine Staatsverträge zu reformieren und statt mit den Mitgliedsstaaten mit der ganzen Union neu abzuschließen, vor allem, wenn eine Annäherung und möglicherweise ein Beitritt zur EU angestrebt werden.266

5. Zwischenergebnis Die Europäische Union ist trotz ihrer ausschließlichen Außenkompetenz nicht immer in dem Umfang handlungsfähig, dass sie eigenständig Korrekturen hinsichtlich der völkerrechtlichen Verhältnisse vornehmen und das europäische IPR stärken kann. Bei bereits bestehenden Staatsverträgen zwischen ihren Mitgliedsstaaten und Drittländern ist sie auf die Zusammenarbeit mit den gebundenen 262 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (285). 263 Schwichtenberg, Die Kooperationsverpflichtung der Mitgliedsstaaten, S. 151. 264 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (126). 265 Vgl. den Sachverhalt, der dem Urteil des EuGH, Rs. C-62/98, Slg. I-5171  – Kommission / Portugal zugrunde liegt: Verhandlungen Portugals mit Angola über ein streitiges Abkommen haben sich unter andrem wegen innerstaatlichen Problemen in Angola schwierig gestaltet. 266 Vgl. die Angleichung der nationalen Kollisionsgesetze in den süd-osteuropäischen Staaten, Dutta, Der gewöhnliche Aufenthalt – Bewährung und Perspektiven eines Anknüpfungsmoments im Lichte der Europäisierung des Kollisionsrecht, IPRax 2017, S. 139 (141).

II. Korrektur hinsichtlich des Unionsrechts

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Mitgliedsstaaten angewiesen. Diese sind gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zu einem dementsprechenden Verhalten verpflichtet. Denkbare Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang die Anpassung des Staatsvertrags, der Abschluss eines Auslegungsprotokolls, die Kündigung des Abkommens sowie der Abschluss eines neuen Vertrages, der das alte Abkommen ersetzt. Es zeigt sich, je geringer der Handlungsspielraum der Mitgliedsstaaten beziehungsweise je geringer das Risiko, dass die Maßnahmen Auswirkungen auf die Fortentwicklung des Unionsrecht haben, desto selbstständiger können die Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Verpflichtungen gemäß Art. 351  Abs. 2  AEUV handeln. Bei der Anpassung eines Altvertrages bedarf es grundsätzlich immer einer Genehmigung durch die Union. Bei dem Abschluss eines Auslegungsprotokolls und bei der Kündigung werden keine Veränderungen an dem Altvertrag vorgenommen. Es besteht kein Risiko für die Fortentwicklung des Unionsrechts, somit können die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV ohne zusätzliche Abstimmung mit der Union tätig werden. Beim Abschluss eines neuen Abkommens kann die Union selbst im Rahmen ihrer ausschließlichen Zuständigkeit tätig werden. Die Rechtsprechung des EuGH zeigt jedoch, dass jeweils im Einzelfall entschieden werden muss, ob es trotzdem einer zumindest formalen Mithilfe der Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV bedarf.267 Somit zeigen sich schon bei der abstrakten Betrachtung möglicher Maßnahmen zur Stärkung des europäischen IPR viele Schwierigkeiten. Bei der Untersuchung der einzelnen Staatsverträge und möglicher Handlungsoptionen, um deren Kollisionen mit dem EU-Recht abzubauen, zeigen sich weitere Komplikationen. Schließlich spielen dabei auch die Hintergründe und die Ausgestaltung des Drittstaatsvertrages, sowie die Interessen der Drittstaaten eine große Rolle. Gerade bei fehlendem Interesse der Drittstaaten ist die ein oder andere Vorgehensweise ausgeschlossen.

II. Korrektur hinsichtlich des Unionsrechts Wie das vorherige Kapitel gezeigt hat, kann es schwierig sein, Maßnahmen hinsichtlich der Drittstaatsverträge vorzunehmen. Ist keine Anpassung oder Neuverhandlung möglich, kommt als ultima ratio nur eine Kündigung der Altverträge in Betracht. Damit die Mitgliedsstaaten nicht in die Verlegenheit geraten, langjährige Abkommen kündigen zu müssen, sollte auch ein Tätigwerden der Union hinsichtlich der europäischen Verordnungen in Betracht gezogen werden.268

267

EuGH, Gutachten 1/76 v. 26. April 1977, Slg. 1977, 741 Rn. 7 – Stilllegungsfonds; anders in EuGH, Gutachten 2/15 v. 17. Mai 2017 Rn. 246 ff. – Freihandelsabkommen mit Singapur; EuGH, Gutachten 1/03 v. 7. Februar 2006, Slg. 2006, I-01145 Rn. 122 – Lugano. 268 Eeckhout, EU External Relations Law, S. 434.

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

1. Anpassung der Kollisionsregelungen Um die Divergenzen zwischen den Altverträgen und den europäischen Verordnungen zu beseitigen, könnte man daran denken die Kollisionsvorschriften, die sich nicht mit den Regelungen der Übereinkommen vereinbaren lassen, anzupassen. Problematisch ist jedoch, dass möglicherweise mehrere sich in ihren Regelungen ebenfalls widersprechende Staatsverträge mit einer Verordnung kollidieren. Eine Änderung der Verordnung könnte dann zwar in Bezug auf ein Abkommen Unvereinbarkeiten beheben, aber möglicherweise in Bezug auf ein anderes Abkommen neue Unvereinbarkeiten schaffen. Darüber hinaus hat die Union in den Verordnungen, die Normen des internationalen Privatrechts enthalten, jeweils ähnliche Regelungsregime und einheitliche kollisionsrechtliche Anknüpfungspunkte wie den „gewöhnlichen Aufenthalt“ festgelegt. Eine Abweichung durch Änderung einer Verordnung erscheint vor diesem Hintergrund wenig sinnvoll und würde das Streben nach einem einheitlichen IPR hemmen.

2. Anpassung der Vorrangsregelungen Die Vorschriften, die tatsächlich die Kollisionen verursachen und somit das Handicap des europäischen IPR darstellen, sind diejenigen, die den Vorrang der Drittstaatsverträge vor den europäischen Verordnungen vorsehen.269 Denkbar wäre deshalb auch eine Anpassung dieser Regelungen. Vor allem im Zusammenhang mit der Rom II-VO und dem HStÜ wird diese Möglichkeit diskutiert270, weshalb sich die folgenden Ausführungen oftmals direkt auf dieses Verhältnis beziehen werden. a) Löschung der sekundärrechtlichen Vorrangsregelungen Man könnte daran denken, den Drittstaatsverträgen auf sekundärrechtlicher Ebene keinen Vorrang mehr zu gewähren. Ein strikter Vorrang des sekundärrechtlichen Kollisionsrecht würde die einheitliche Anwendbarkeit der Verordnung vollständig herstellen und zu unionsweitem Entscheidungseinklang führen.271 Ein Beispiel für eine dementsprechende Vorschrift befindet sich in Art. 20 Abs. 1 der Zustellungsverordnung. Diese Regelung besagt, dass die Verordnung in ihrem 269 Vgl. Art. 25  Rom I-VO, Art. 28  Rom II-VO, Art. 19  Rom III-VO, Art. 75  EuErbVO, Art. 69 EuUntVO. 270 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 441, 468 ff.; Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (710); Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (643 f.). 271 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (710).

II. Korrektur hinsichtlich des Unionsrechts

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Anwendungsbereich Vorrang vor den Bestimmungen hat, die in den von den Mitgliedsstaaten geschlossenen bilateralen oder multilateralen Übereinkünften oder Vereinbarungen enthalten sind, insbesondere vor Artikel IV des Protokolls zum Brüsseler Übereinkommen von 1968 und vor dem Haager Übereinkommen vom 15. November 1965. Zu beachten ist jedoch, dass Art. 1 der Zustellungsverordnung, der den Anwendungsbereich der Verordnung regelt, ausdrücklich nur auf die Zustellung eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Schriftstücks in einen anderen Mitgliedsstaat Bezug nimmt. Im Gegensatz zu den kollisionsrechtlichen Verordnungen kommt der Zustellungsverordnung somit kein universaler Anwendungs­ bereich zu, Drittstaaten können von den Regelungen der Verordnung nicht betroffen sein. Es liegt folglich eine klare Abgrenzung zwischen dem Unionsrecht und den Staatsverträgen vor, Kollisionen zwischen den Regelwerken sind nicht möglich und der Schutz des Art. 351 Abs. 1 AEUV ist gewährleistet. Die Zustellungs­ verordnung ist demnach nicht mit den Verordnungen im Internationalen Privatrecht zu vergleichen, die loi uniforme darstellen. Ein Vorrang der kollisionsrechtlichen Regelungen der Union vor den Staatsverträgen wäre mit dem Grundsatz pacta sunt servanda nicht vereinbar. Wird einem Abkommen durch Änderung der Verordnung der Vorrang verwehrt, verliert es seine Anwendung. Ein solcher Vorrang hätte somit in der Praxis die gleichen Konsequenzen wie eine Kündigung.272 Die Außerachtlassung bestehender Verträge führt außerdem zu einem unionsrechtlich verursachten Völkerrechtsbruch.273 Wenn sich die Mitgliedsstaaten trotz Vorrang des EU-Recht an ihre Drittstaatsverträge halten würden, würden sie gleichermaßen gegen Unionsrecht verstoßen.274 Auch die bereits erwähnte Normenhierarchie zwischen Primärrecht und Sekundärrecht275 führt dazu, dass Abweichungen des Sekundärrechts von AEUV und EUV schwerlich vorstellbar sind, da sich das Sekundärrecht sozusagen an den Bestimmungen des Primärrechts messen lassen muss.276 b) Beschränkung der sekundärrechtlichen Vorrangsregelungen hinsichtlich bestimmter Staatsverträge Eine Möglichkeit wäre, bestimmte Übereinkommen von dem Vorrang auszuschließen.277 Vor allem würde dies für multilaterale Übereinkommen wie das HStÜ 272 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, Die richtige Ordnung, S. 691 (710). 273 Lavranos, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art. 351 Rn. 1. 274 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 468. 275 Vgl. supra, Kapitel D: I. 1. b) aa) (5). 276 Streinz, Europarecht, Rn. 445. 277 Vgl. Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, Die richtige Ordnung, S. 691 (710) mit einem Lösungsvorschlag zum Vorrang der Rom II-VO vor dem HStrÜ.

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

Sinn machen, an denen viele EU-Mitgliedsstaaten beteiligt sind.278 Die Vorrangsvorschrift in Art. 28 Rom II-VO könnte um einen dritten Absatz erweitert werden, der besagt: „Die Verordnung hat außerdem vor dem Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht Vorrang; Absatz 1 findet keine Anwendung“. Wie bereits festgestellt, müssten an einer solchen Änderung der Rat, das Europäische Parlament und die Kommission beteiligt werden. Eine entsprechende Änderung der Rom II-VO würde wohl keine ausreichende Zustimmung erfahren.279 Darüber hinaus gelten die gleichen Argumente, die bereits bei der Löschung thematisiert wurden. Eine Änderung der Vorrangsregelungen, die bestimmten Staatsverträgen den Vorrang entzieht, wäre auch aus völkerrechtlicher Sicht nicht durchsetzbar und mit Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht vereinbar. c) Beschränkung der sekundärrechtlichen Vorrangsregelungen hinsichtlich rein innereuropäischer Sachverhalte In der Literatur wird auch eine Beschränkung der Vorrangsregelungen bezüglich rein innereuropäischer Sachverhalte diskutiert.280 Gegenüber Drittstaaten würde es bei der vorrangigen Anwendbarkeit des Staatsvertrages bleiben. So würde das europäische IPR jedenfalls gestärkt und die praktische Wirksamkeit der Verordnung gefördert werden. Diese Maßnahme wäre selbstverständlich nur bei multilateralen Übereinkommen sinnvoll, an denen mehrere Mitgliedsstaaten beteiligt sind. Neben der Einschränkung des Art. 28 Rom II-VO könnte diese Lösung auch für Art. 25 Rom I-VO aufgrund der Kollision mit der CMNI sinnvoll sein. Auf Verträge, die nur sachrechtsvereinheitlichende Vorschriften enthalten, wie das CISG hätte eine solche Änderung keine Auswirkungen, da sich der Vorrang nicht aus Art. 25 Rom I-VO ergibt.281 Fraglich ist jedoch, wie eine solche Vorschrift genau ausformuliert werden müsste und wann hinreichender Bezug zu einem Drittstaat besteht, sodass der 278 Kreuzer, Gemeinschaftskollisionsrecht und universales Kollisionsrecht, in: FS Kropholler, S. 129 (146); Thiede / Keller, „Forum shopping“ zwischen dem Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht und der Rom-II-Verordnung, VersR 2007, S. 1624; Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, Die richtige Ordnung, S. 691 (709). 279 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 470; Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (643). 280 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 441; Graziano, Das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht nach Inkrafttreten der Rom II – Verordnung, RabelsZ 73 (2009), S. 1 (30); Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (643 f.); Hamburg Group for Private International Law, Comments on the European Commission’s Draft Proposal for a Council Regulation on the Law Applicable to Non-Contractual Obligations, RabelsZ 67 (2003) S. 1 (56). 281 Vgl. supra, Kapitel C: IV. 2.

II. Korrektur hinsichtlich des Unionsrechts

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Vorrang greift und der Staatsvertrag zur Anwendung kommt.282 Es besteht die Gefahr der Rechtsunsicherheit, wenn nicht vollkommen klar ist, wann alle Sachverhaltselemente nur mit einem oder mehreren Mitgliedsstaaten im Zusammenhang stehen283 Eine Möglichkeit wäre, den Vorrang auszuschließen, wenn alle an einem Sachverhalt beteiligten Personen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat haben.284 Eine solche Einschränkung des Vorrangs könnte zwar den Entscheidungsklang steigern,285 die Rechtsspaltung zwischen Innenverhältnis und dem Verhältnis zu den Drittstaaten würde jedoch bestehen bleiben.286 Die an das HStÜ gebundenen Mitgliedsstaaten würden weiterhin, wenn Bezug zu einem Drittstaat besteht, das Übereinkommen anwenden. Darüber hinaus wäre es schwierig, eine solche Anpassung unionsintern durchzusetzen, da einige Mitgliedsstaaten an der umfassenden Anwendung des HStÜ festhalten wollen.287 Bei der Aushandlung der Rom  II-VO hatte die Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments bereits den Vorschlag unterbreitet, Art. 28 Rom II-VO um einen dritten Absatz zu ergänzen, der vorsehen sollte, dass die Regelungen der Verordnung den Regelungen des HStÜ vorgehen sollen, wenn alle Sachverhaltselemente zur Zeit des Schadenseintritts in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten belegen sind.288 Dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt, da viele Mitgliedsstaaten, die auch Vertragsstaaten des HStÜ weiterhin die Anwendung der Regelungen wünschten.289 Zuletzt müssten auch die an dem HStÜ beteiligten Drittstaaten in der Haager Konferenz dieser Lösung zustimmen. Eine solche Regelung würde auch die völkerrechtlichen Pflichten aus dem Staatsvertrag beeinflussen, wenn ein Bezug zu einem Drittstaat fehlt.290 282

Jakob / Picht, in: Rauscher, Rom II-VO, Art. 28/29 Rn. 4. Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (709). 284 Graziano, Das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht nach Inkrafttreten der Rom II – Verordnung, RabelsZ 73 (2009), S. 1 (30). 285 Graziano, Das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht nach Inkrafttreten der Rom II – Verordnung, RabelsZ 73 (2009), S. 1 (31). 286 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 441; Kreuzer, Gemeinschaftskollisionsrecht und universales Kollisionsrecht, in: FS Kropholler, S. 129 (146). 287 Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (643). 288 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), (KOM(2003)0427  – C5-0338/2003 – 2003/0168(COD)); P6_TC1-COD(2993)0168. 289 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 22/2006 vom Rat festgelegt am 25. September 2006 im Hinblick auf die Annahme der Verordnung (EG) Nr. …/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom … über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), OJ C289E, S. 68 (79). 290 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 445; Graziano, Das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht nach 283

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

3. Im Speziellen: Annahme einer Gesamtverweisung bei Art. 34 EuErbVO Während die anderen kollisionsrechtlichen Verordnungen Regelungen mit expliziten Sachnormverweisungen enthalten, gibt es in der Europäischen Erbverordnung keine entsprechende Vorschrift.291 Grund hierfür könnte sein, dass es sich bei den europäischen Kollisionsvorschriften denklogisch grundsätzlich um Sachnormverweisungen handeln muss, da die Beachtung eines Renvoi jedenfalls dann sinnlos ist, wenn alle Mitgliedsstaaten die gleichen Kollisionsvorschriften anwenden.292 Demzufolge ist das Fehlen einer entsprechenden Regelung als grundsätzlicher Ausschluss eines Renvoi zwischen den Mitgliedsstaaten zu verstehen.293 Die Erbrechtsverordnung enthält in Art. 34 EuErbVO jedoch eine Regelung, die in bestimmten Fällen Gesamtverweisungen vorsieht. So sind gemäß Art. 34  Abs. 1  EuErbVO unter dem anzuwendenden Recht eines Drittstaates „die in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften einschließlich derjenigen seines Internationalen Privatrechts zu verstehen“, soweit diese „auf das Recht eines Mitgliedstaats oder auf das Recht eines anderen Drittstaats, der sein eigenes Recht anwenden würde“, zurück- oder weiterverweisen. Zur Förderung des europäischen Entscheidungseinklangs und folglich auch der Akzeptanz des Europäischen Nachlasszeugnisses könnte man daran denken, eine Gesamtverweisung anzunehmen, wenn staatsvertragliche Kollisionsnormen anwendbar sind.294 In diesem Fall würden diese bei Verweisung auf das Recht eines an den Staatsvertrag gebundenen Mitgliedsstaat die Erbrechtsverordnung verdrängen.295 Von einer Sachnormverweisung ausgegangen, kommt aus Sicht eines österreichischen Gerichts bei letztem gewöhnlichem Aufenthalt eines Erblassers in Deutschland gemäß Art. 21 Abs. 1 EuErbVO deutsches materielles Erbrecht zur Anwendung. Handelt es sich bei dem Erblasser um einen iranischen, türkischen oder russischen Staatsangehörigen, würde vor einem deutschen Gericht jedoch nach den Kollisionsnormen des jeweiligen Staatsvertrages möglicherweise das

Inkrafttreten der Rom II – Verordnung, RabelsZ 73 (2009), S. 1 (30); Jakob / Picht, in: Rauscher, Rom II-VO, Art. 28/29 Rn. 4; Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (643). 291 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 82 f. 292 jurisPK-BGB / Ludwig, EuErbVO, Art. 34 Rn. 26; MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 34 Rn. 12; MPI, Comments on the European Commission’s Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction, applicable law, recognition and enforcement of decisions and authentic instruments in matters of succession and the creation of a European Certificate of Succession, RabelsZ 74 (2010), S. 522 (658). 293 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 34 Rn. 13. 294 Dutta, The Perspective of the European Union, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 319 (322); Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 81. 295 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 34 Rn. 12.

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Erbrecht einer dieser Drittstaaten anwendbar. Würde das österreichische Gericht eine Gesamtverweisung vornehmen, würde es zum gleichen Ergebnis kommen, wie deutsche Gerichte. Der Wortlaut des Art. 34 Abs. 1 EuErbVO umfasst solche Situationen jedoch nicht.296 Zu prüfen ist, ob eine analoge Anwendung der Vorschrift auf diese Fälle möglich ist. Zweck der Vorschrift ist die Gewährleistung des Entscheidungseinklangs, dieser wäre jedoch ohne Analogie gefährdet.297 Gegen Gesamtverweisungen insgesamt wird eingewandt, dass die Mitgliedsstaaten drittstaatliches Kollisionsrecht ermitteln müssen.298 Jedoch ist nicht ersichtlich, warum es schwieriger sein soll, das nationale IPR als das Sachrecht eines Drittstaates zu ermitteln.299 Darüber hinaus setzt Art. 34 Abs. 1 EuErbVO gerade voraus, dass das drittstaatliche IPR ermittelt werden kann. Gegen ein Renvoi spricht allerdings auch, dass das moderne europäische IPR und der kollisionsrechtliche Vereinheitlichungsprozess nicht von überholtem nationalem Kollisionsrecht durchkreuzt werden sollten.300 Außerdem besteht das Risiko der Nachlassspaltung,301 wenn dies im nationalen Kollisionsrecht oder einem anwendbaren Staatsvertrag vorgesehen ist. Jedoch können diese Argumente zumindest teilweise allein durch die Existenz des Art. 34 Abs. 1 EuErbVO entkräftet werden, da die Vorschrift dies jedenfalls in bestimmten Fällen gerade erlaubt.302 Es darf an dieser Stelle aber nicht vergessen werden, dass Art. 34 Abs. 1 EuErbVO eine Ausnahmeregelung darstellt.303 Der Preis einer solchen erweiterten Anwendung der Regelung wäre sehr hoch: Zum einen würde der Anwendungsbereich der Verordnung eingeschränkt und zum anderen die Regelungen eines Staatsvertrages in andere Mitgliedsstaaten transportiert werden.304 Zuletzt zeigt eine weitere Fallkonstellation, dass eine Gesamtverweisung nicht immer den von Art. 34  Abs. 1  EuErbVO bezweckten Entscheidungseinklang

296

jurisPK-BGB / Ludwig, EuErbVO, Art. 34 Rn. 26. Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 83 f. 298 Hausmann, in: Staudinger, EGBGB, Art. 4 Rn. 20. 299 Solomon, Die Renaissance des Renvoi im Europäischen Internationalen Privatrecht, in: Liber Amicorum Schurig, S. 237 (251)). 300 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 34 Rn. 13. 301 Erwägungsgrund (37) zur EuErbVO; MünchKommBGB / von Hein, EGBGB, Art. 4 Rn. 140; MPI, Comments on the European Commission’s Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction, applicable law, recognition and enforcement of decisions and authentic instruments in matters of succession and the creation of a European Certificate of Succession, RabelsZ 74 (2010), S. 522 (660). 302 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 86 f. 303 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 34 Rn. 13; Odersky, in: Hausmann / Odersky, § 15. Anwendbares Erbrecht nach der Europäischen Erbrechtsverordnung Rn. 55. 304 The Perspective of the European Union, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 319 (322). 297

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Kapitel D: Möglichkeiten zur Stärkung des europäischen IPR

bringt. Hat ein türkischer, iranischer oder russischer Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich, aber Nachlass in Deutschland bringt eine Gesamtverweisung in das österreichische Recht keine Lösung. Ein in Österreich ausgestelltes Europäisches Nachlasszeugnis ist dann in Deutschland aufgrund des vorrangigen Staatsvertrages unrichtig.305

305

Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 82.

Kapitel E

Anwendung der Korrekturmöglichkeiten auf die festgestellten Kollisionen Im ersten Kapitel, das die kollisionsrechtlichen Verordnungen der Europäischen Union und die vorrangigen Altverträgen zwischen den Mitgliedsstaaten und Drittländern verglichen hat, hat sich gezeigt, dass die jeweiligen Regelungen teilweise erheblich voneinander abweichen. Wie in Kapitel D: II. gesehen, erscheinen Korrekturen in den europäischen Verordnungen als nicht besonders erfolgsversprechend. Nachdem im Kapiteln D. I. zur Verteilung der Außenkompetenzen und zu ausgewählten Maßnahmen ein abstrakter Rahmen geschaffen wurde, sollen in diesem darauf aufbauenden Kapitel tatsächliche Lösungsvorschläge zur Stärkung des europäischen IPR gefunden werden. Bevor passende Maßnahmen untersucht werden können, müssen die Hintergründe eines Staatsvertrages und die Interessen aller Akteure genauer beleuchtet werden. Sie spielen für die Zukunft des Staatsvertrages eine große Rolle. Von Bedeutung sind dabei nicht nur die Interessen, die im direkten Zusammenhang mit dem Konsularvertrag stehen, sondern auch Interessen, die sich auf das politische Verhältnis und die Handelsbeziehungen zwischen den Akteuren beziehen. Dabei ist auch auf die Interessen der Europäischen Union einzugehen, die die ausschließliche Außenkompetenz innehat und somit für die Perspektive des Abkommens maßgebend sein kann.

I. Der Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28. Mai 1929 1. Historischer Hintergrund Um Unvereinbarkeiten zwischen dem Staatsvertrag und dem Unionsrecht zu beheben, ist man in vielen Fällen auf die Mitwirkung der Drittstaaten angewiesen. Darüber hinaus möchten die Mitgliedsstaaten, aber auch die Union sicherlich langjährige diplomatische Beziehungen nicht zerstören, deshalb lohnt sich ein Blick auf den historischen Hintergrund, um eine geeignete Maßnahme zu finden. Die völkerrechtlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1761 wurden die ersten Kapitulationen beschlossen. Diese gingen von Preußen auf das Deutsche Reich über und galten bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Kapitulationen gewährten deutschen Staats-

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

bürgern gewisse Rechte auf dem Territorium des osmanischen Reichs.1 Dem deutschen Handel wurden gegenüber den einheimischen Kaufleuten erhebliche Vorteile eingeräumt. Auch dem deutschen Konsul wurden weitreichende Kompetenzen zugesprochen. Beispielsweise konnte er erbrechtliche Angelegenheiten deutscher Staatsbürger bezüglich beweglicher Nachlassgegenstände im Osmanischen Reich regeln. Nur im Hinblick auf Immobilien waren die osmanischen Gerichte zuständig. Der osmanischen Seite standen jedoch auf dem deutschen Territorium nicht die gleichen Rechte zu.2 Das Osmanische Reich beendete die Kapitulationen nach dem Ersten Weltkrieg3 und schaffte eigene Regelungen für Staatsbürger anderer Länder, die auf dem Islamischen Recht beruhten. Da unter anderem Deutschland mit diesen Regelungen nicht einverstanden war, wurden bilaterale Verträge geschlossen.4 Nach dem Ende des Osmanischen Reichs schloss die Türkei eigene Verträge, wie den deutsch-türkischen Konsularvertrag, um internationale Beziehungen aufzubauen und zu intensivieren. Die Verträge enthalten Regelungen und Privilegien hinsichtlich Niederlassungs- und Reisefreiheiten.5

2. Ausgestaltung An den historischen Hintergrund anknüpfend ist die Ausgestaltung des Staatsvertrages zu betrachten. Hier soll hauptsächlich auf das Nachlassabkommen eingegangen werden, das gemäß Art. 20 des Konsularvertrages zwischen der Türkei und Deutschland diesem angehängt ist. Das Nachlassabkommen enthält in §§ 1–13 Befugnisse des Konsuls zur Sicherung, Verwahrung und Vertretung im Erbfall.6 Wie bereits festgestellt, befindet sich die zentrale Kollisionsvorschrift in § 14 des Nachlassabkommens. Für beweglichen Nachlass gilt das Recht des Heimatlandes des Erblassers, für unbewegliches Vermögen das des Belegenheitsortes. §§ 15 und 17 des Nachlassabkommens regeln die internationale Zuständigkeit für Erbstreitigkeiten sowie die Erteilung und Anerkennung von Erbscheinen.

1 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (144). 2 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (289). 3 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (145 f.). 4 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (290). 5 Ebenda, S. 291. 6 Dörner, Das deutsch-türkische Nachlaßabkommen, ZEV 1996, S. 90; Gebauer, Deutschtürkisches Nachlassabkommen im Sog des Europäischen Kollisionsrechts, IPRax 2018, S. 345 (346).

I. Der Konsularvertrag vom 28. Mai 1929

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Die starke Stellung des Konsuls ist auf die Zeit der Kapitulation zurückzuführen.7 Heutzutage ist die Rolle des Konsuls bei der Nachlassabwicklung nicht mehr wichtig, da sowohl Deutschland als auch die Türkei über funktionierende Justizsysteme verfügen. Im Gegensatz zu früher sind die Erben mittlerweile in der Lage selbst ihre Rechte geltend zu machen.8 Es zeigt sich, dass das Nachlassabkommen noch auf den Vorstellungen der europäisch-osmanischen Rechtsbeziehungen beruht. Viele Regelungen des Staatsvertrages sind veraltet und überholt.9 Auch die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit bei der Nachlassabwicklung von beweglichem Vermögen ist bei Betrachtung der deutsch-türkischen Beziehungen nicht mehr zeitgemäß.10 In den sechziger Jahren kamen im Rahmen des Anwerbeabkommens von 1961 viele türkische Staatsbürger als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland. Viele holten ihre Partner und Kinder in die neue Heimat nach und leben seitdem über Generationen mit der ganzen Familie in Deutschland. Obwohl die potenziellen Erblasser und Erben seit Jahrzehnten in Deutschland leben, fallen viele in den Anwendungsbereich des deutsch-türkischen Abkommens, wenn sie weiterhin nur die türkische Staatsbürgerschaft haben. Auf bewegliches Vermögen findet in ihrem Fall bei Zugrundelegung des § 14 des Nachlassabkommens immer noch türkisches Recht Anwendung. Auch eine Erbschaftsbescheinigung bezüglich des beweglichen Nachlasses muss vor einem türkischen Gericht beantragt werden.11 Da das deutsch-türkische Abkommen keine Rechtswahlmöglichkeit vorsieht12, führt es unter Umständen zu einer Schlechterstellung der türkischen Staatsangehörigen in Deutschland.13

7

Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (185). 8 Gebauer, Deutsch-türkisches Nachlassabkommen im Sog des Europäischen Kollisionsrechts, IPRax 2018, S. 345 (346); Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (186). 9 Lechner, Die Europäische Erbrechtsverordnung, DNotZ-Sonderheft 2016, S. 102 (112); Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (530); MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 4. 10 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (115). 11 MPI, Comments on the European Commission’s Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction, applicable law, recognition and enforcement of decisions and authentic instruments in matters of succession and the creation of a European Certificate of Succession, RabelsZ 74 (2010), S. 522 (533). 12 Müller-Lukoschek, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, Rn. 410. 13 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (157 f.), Lorenz, Erbrecht in Europa – Auf dem Weg zu kollisionsrechtlicher Rechtseinheit, ErbR 2012, S. 39 (49).

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

3. Interessen a) Vertragsparteien Wichtig für die Interessenlage der Vertragsparteien ist unter anderem die Anzahl der Anwendungsfälle eines Staatsvertrages. In der türkischen Rechtsprechung sind kaum Fälle mit deutsch-türkischen Erbrechtsproblematiken behandelt worden.14 Selbst wenn ein deutsch-türkischer Erbfall vor einem türkischen Gericht verhandelt wurde, wurde nicht das Nachlassabkommen, sondern das türkische IPRG angewandt.15 Zwar haben deutsche Staatsangehörige teilweise einen Alterssitz an der türkischen West- und Südküste16, aber in Summe leben doch nur 75.000 deutsche Staatsbürger in der Türkei.17 Dazu gehören auch ehemalige türkische Staatsbürger, die nunmehr die deutsche Staatsbürgerschaft haben, aber Immobilien in der Türkei besitzen.18 Es hat den Anschein, dass in der Türkei das Nachlassabkommen in Vergessenheit geraten ist, in juristischen Lehrbüchern wird es nicht einmal mehr erwähnt.19 Im Gegensatz zur türkischen Rechtsprechung hat das Abkommen in Deutschland größte Bedeutung in der Gerichtspraxis.20 Die außenpolitischen Interessen der Türkei unter der Führung von Präsident Recep Tayyip Erdogan sind im Moment schwierig zu durchblicken. Während 2005 offiziell Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union aufgenommen wurden,21 haben die politischen Beziehungen der Türkei zur Union in den letzten Jahren gelitten. Mittlerweile ist der Eindruck entstanden, als seien dem türkischen Präsidenten die Beziehungen zu Europa unwichtig geworden.22 Eine erneute Annäherung der Türkei an Europa scheint im Moment nicht gewollt zu sein. Dies beeinflusst auch das Verhältnis Deutschlands zur Türkei. Die bilateralen Beziehungen zwischen den 14

Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (137). 15 Damar, Deutsch-türkisches Nachlassabkommen: zivilprozess- und kollisionsrechtliche Aspekte, IPRax 2012, S. 278 (280). 16 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131. 17 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (285). 18 Ebenda, S. 314. 19 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (139). 20 Gebauer, Deutsch-türkisches Nachlassabkommen im Sog des Europäischen Kollisionsrechts, IPRax 2018, 345 (346); MünchKommIPR / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 16; Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (138). 21 Auswärtiges Amt, EU-Erweiterung: Türkei, 1. Dezember 2021, https://www.auswaertigesamt.de/de/aussenpolitik/europa/erweiterung-nachbarschaft/eu-tuerkei/202106. 22 Demircan, Erdogan verfolgt neue Ziele – die Beziehung zur EU ist ihm egal, Handelsblatt, 10. März 2020, https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/kommentar-erdoganverfolgt-neue-ziele-die-beziehung-zur-eu-ist-ihm-egal/25627782.html?ticket=ST-8985115-b CdzUmLS6V3JDzeGwFI9-ap2.

I. Der Konsularvertrag vom 28. Mai 1929

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beiden Staaten sind angespannt. Für die Türkei bleibt Deutschland jedoch weiterhin ein wichtiger Handelspartner und einer der größten ausländischen Investoren.23 Trotz der momentan schwierigen Lage hat auch Deutschland großes Interesse an guten Beziehungen zur Türkei. Die Türkei ist als NATO-Mitglied und als „Tor“ zum Nahen Osten wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat und bei der Findung einer Syrien-Lösung.24 Auch im wirtschaftlichen Bereich ist die Türkei ein wichtiger Partner von Deutschland mit einem Handelsvolumen von 37 Milliarden Euro im Jahr 2020.25 Ferner steigt die Zahl deutscher Unternehmen beziehungsweise türkischer Unternehmen mit deutscher Beteiligung in der Türkei.26 b) Europäische Union Auch die Interessen der Europäischen Union sind in zweierlei Hinsicht zu beachten. Auf der einen Seite möchte die EU die Anwendbarkeit ihres modernen Kollisionsrechts erhöhen, den Entscheidungseinklang fördern und für Rechtssicherheit und -klarheit sorgen. Auf der anderen Seite sind auch für sie die diplomatischen Beziehungen zur Türkei von großer Bedeutung. Aus Sicht der Union ist zunächst relevant, dass viele türkische Staatsbürger ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und dies – wie bereits festgestellt – die Anwendbarkeit und den Entscheidungseinklang hinsichtlich der EuErbVO erheblich stört. Darüber hinaus wird die Akzeptanz des Europäischen Nachlasszeugnisses geschwächt, da aufgrund der Richtigkeitsvermutung dessen Wirkungen grundsätzlich auch ohne europäischen Entscheidungseinklang eintreten.27 Auch andere Mitgliedsstaaten haben ähnliche Abkommen mit der Türkei geschlossen.28 Da in diesen Ländern jedoch weitaus weniger türkische Staatsbürger leben, zeigen sich die Auswirkungen in Deutschland am meisten. Nachdem die Türkei offizieller Beitrittskandidat der EU geworden ist, war das Verhältnis von gegenseitiger Annäherung geprägt. Diesbezüglich haben beide Parteien in den letzten Jahren große Rückschritte gemacht.29 Das EU-Parlament hat sich 23

Auswärtiges Amt, Deutschland und die Türkei: bilaterale Beziehungen, 24. September 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/bilateral/201968. 24 Bundesregierung, Merkel: „Türkei ist ein wichtiger Partner“, 23. August 2016, https:// www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/merkel-tuerkei-ist-ein-wichtiger-partner--422792. 25 Statistisches Bundesamt, Außenhandel, 2020, https://www.destatis.de/DE/Themen/ Wirtschaft/Aussenhandel/Tabellen/rangfolge-handelspartner.pdf;jsessionid=D2C07578C1E9 4522F3DA55C0FEA69A70.live712?__blob=publicationFile. 26 Deutsche Vertretungen in der Türkei, Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen, https://tuerkei. diplo.de/tr-de/themen/wirtschaft/-/1673720. 27 Vgl. supra, Kapitel C: II. 3. 28 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (284). 29 Schmid, Wir dürfen die Türkei nicht aufgeben, Handelsblatt, 8. März 2020, https:// www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-wir-duerfen-die-tuerkei-nichtaufgeben/25621666.html?ticket=ST-6935116-dmBiKtx1ZcvQD6YEBpSh-ap4.

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

sogar 2016 für ein „Einfrieren“ der Beitrittsverhandlungen ausgesprochen.30 Trotzdem hat die EU weiterhin großes Interesse an guten Beziehungen zur Türkei, sowohl hinsichtlich der Zusammenarbeit in der NATO als auch im Handel.31 Die Türkei ist immerhin der fünftgrößte Import- und Exportmarkt der Europä­ischen Union.32

4. Mögliche Maßnahmen Die Betrachtung der möglichen Maßnahmen beginnt mit dem Abschluss eines Auslegungsprotokolls, das am geringsten in die „Substanz“ des Vertrages eingreift. Es folgt die Anpassung des Staatsvertrages, die je nach ihrem Umfang schon weitreichende Auswirkungen haben kann und zuletzt werden die Kündigung und die Neuverhandlung des Abkommens mit den drastischsten Konsequenzen untersucht. a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation des Nachlassabkommens Wird ein Auslegungsprotokoll geschlossen, bleibt das eigentliche Abkommen unberührt, seine Regelungen werden durch das Protokoll lediglich konkretisiert.33 Im Rahmen des Nachlassabkommens bietet ein Auslegungsprotokoll die Möglichkeit den Anwendungsbereich des Nachlassabkommens eng zu definieren34 und somit den Anwendungsbereich der EuErbVO zu erweitern. Ein solches Protokoll könnte allein durch die beiden Vertragsstaaten beschlossen werden. Ein Mitwirken der Europäischen Union wäre trotz ausschließlicher Außenkompetenz nicht notwendig.35 aa) Konkretisierung der Regelungen Zu denken ist an die Ausarbeitung eines Auslegungsprotokolls, bei dem sowohl der räumliche als auch der persönliche Anwendungsbereich konkretisiert wird, sodass das Abkommen nur noch auf in den Vertragsstaaten belegenes Vermögen beschränkt ist und nur für deutsche oder türkische Staatsbürger mit keiner weiteren Staatsangehörigkeit gilt. 30

Ümit Yazıcıoğlu, Die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union, Institut für Menschenrechte, http://www.institut-fuer-menschenrechte.eu/internationale-beziehungen/ die-eu-t%C3%BCrkei-beziehungen/. 31 Europäisches Parlament, EU-Türkei-Beziehungen: Zusammenarbeit oder Spannungen?, https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/world/20170426STO72401/eu-turkei-bezie hungen-zusammenarbeit-oder-spannungen. 32 Ebenda. 33 Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. a) dd). 34 Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (481). 35 Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. a) dd).

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(1) Räumlicher Anwendungsbereich Wie sich bereits gezeigt hat36, ist der räumliche Anwendungsbereich des Nachlassabkommens in der Literatur umstritten. Der Streit hat insoweit Konsequenzen, als bei Annahme eines weiten räumlichen Anwendungsbereichs auch Nachlassgegenstände in anderen EU-Mitgliedsstaaten umfasst sein können. Dann zeigen sich die Divergenzen zwischen dem Nachlassabkommen und der Verordnung ganz deutlich: Stellt Deutschland ein auf dem Nachlassabkommen beruhendes Europäisches Nachlasszeugnis aus, ist der Mitgliedsstaat, in dessen Territorium sich ebenfalls Nachlass befindet mit dem aus seiner Sicht unrichtigen Europäischen Nachlasszeugnis konfrontiert. Geht man von einem engen, auf die Vertragsstaaten Türkei und Deutschland begrenzten räumlichen Anwendungsbereich aus, wird es in der Praxis seltener Spannungen mit der EuErbVO gegeben, da in diesem Fall keine Verbindungen zu einem anderen Staat bestehen.37 Der enge räumliche Anwendungsbereich führt jedoch möglicherweise zu weiteren Nachlassspaltungen.38 Angenommen der türkische Erblasser mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland hinterlässt bewegliches Vermögen und unbewegliches Vermögen in Deutschland sowie unbewegliches Vermögen in Frankreich. In diesem Fall würde eine Nachlassspaltung in doppelter Hinsicht stattfinden. Hinsichtlich des Vermögens in Deutschland kommt der Staatsvertrag zur Anwendung, wobei das bewegliche Vermögen nach türkischem Recht vererbt wird und das unbewegliche Vermögen deutschem Recht unterfällt. Der Nachlass bezüglich des unbeweglichen Vermögens in Frankreich würde nach der EuErbVO beurteilt werden. Nimmt man folglich einen weiten Anwendungsbereich an, der auch Nachlassfälle mit in einem anderen Staat belegenen Vermögen umfasst, kann es jedoch möglicherweise zu Abgrenzungsproblemen und Kollisionen mit anderen Staatsverträgen kommen.39 Von besonders großer Bedeutung ist im Europarecht das Prinzip des effet utile. Nach diesem Grundsatz ist das Unionsrecht so auszulegen, dass es die größte Wirksamkeit entfaltet.40 Dies kann so weit gehen, dass der effet utile auch die Auslegung der nationalen Vorschriften und damit die Auslegung der Staatsverträge beeinflusst.41

36

Vgl. supra, Kapitel C: II. 2. a) bb) (1). Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (173). 38 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 13, 21; Vgl zum Niederlassungs-abkommen mit dem Iran: Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (450). 39 Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 181 (188). 40 Wegner, in: Calliess / Ruffert, EUV, Art. 19 Rn. 32. 41 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 77. 37

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Je enger der Anwendungsbereich des vorrangigen Staatsvertrages ist, desto größer ist die praktische Wirksamkeit der EuErbVO.42 Letztendlich sollte deshalb der räumliche Anwendungsbereich des Abkommens auf Nachlassvermögen in den Vertragsstaaten beschränkt werden. Folge dessen wäre, dass in einem Unionsmitgliedsstaat, der nicht Vertragsstaat ist, der Nachlass einheitlich bestimmt wird. Somit würden die Funktionsweise des europä­ ischen Nachlasszeugnisses und der europäische Entscheidungseinklang gefördert werden.43 (2) Persönlicher Anwendungsbereich Auch der persönliche Anwendungsbereich ist umstritten, zumindest hinsichtlich Doppelstaatlern, die entweder deutsche oder türkische Staatsbürger sind und eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen. Teilweise wird bei doppelter Staatsangehörigkeit auf die effektive Staatsangehörigkeit abgestellt, teilweise wird die Anwendung des Abkommens bei doppelter Staatsangehörigkeit ganz abgelehnt.44 Die letztgenannte Ansicht vertritt die unionsfreundliche Lösung. Wird der persönliche Anwendungsbereich der mit der Verordnung kollidierenden Staatsverträge eng ausgelegt, werden – wie auch beim räumlichen Anwendungsbereich – Konflikte minimiert45 und die praktische Wirksamkeit der EuErbVO wird größer. bb) Folgerungen Das Auslegungsprotokoll müsste durch Zusammenarbeit der deutschen und der türkischen Seite beschlossen werden. Aus deutscher Sicht wäre ein solches Protokoll sicherlich wünschenswert, da zumindest teilweise Konflikte mit dem Unionsrecht behoben werden, aber auch der Streit in der Literatur über den Anwendungsbereich des Abkommens beendet werden würde. Schließlich bedeuten die Uneinigkeit über die Anwendung oder Nichtanwendung des Abkommens eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Betroffenen.46 Die Verpflichtung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV könnte jedoch nicht vollständig erfüllt werden, trotz engem Anwendungsbereich des Nachlassabkommens würden die Unvereinbarkeiten mit der Erbrechtsverordnung bestehen bleiben und die praktische Wirksamkeit der Verordnung wäre weiterhin beschränkt. 42

Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung, S. 181 (187 f.). 43 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 79. 44 Vgl. supra, Kapitel C: II. 2. a) bb) (2). 45 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 6. 46 Vgl. Lechner, in: Geimer / Schütze, EuErbVO, Art. 75 Rn. 47.

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Für die Türkei ist keiner dieser Gesichtspunkte von besonderer Relevanz. Der Streit bezüglich des Anwendungsbereichs des Abkommens wird in der Türkei nicht geführt. Wie bereits dargestellt, taucht das Abkommen in der türkischen Rechtsliteratur – soweit ersichtlich – nicht auf. Man könnte daran denken, dass durch die Konkretisierung hinsichtlich eines engen sowohl räumlichen als auch persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens möglicherweise der Schutz der eigenen Staatsangehörigen „beschränkt“ wird. Aufgrund der heutigen, gut funktionierenden Rechtssysteme ist nicht davon auszugehen, dass von einem engeren Anwendungsbereich des Staatsvertrages ausgegangen Schwierigkeiten für türkische Staatsangehörige bestehen. Für einige Türken, die seit Generationen in Deutschland leben, schafft ein klar definierter, engerer Anwendungsbereich des Abkommens vielmehr Rechtsklarheit und -sicherheit. Von einer tatsächlichen Beschränkung kann jedenfalls nicht ausgegangen werden, da keine neuen Regelungen geschaffen werden, sondern Unklarheiten über bestehende Regelungen lediglich behoben werden. Mit größerer praktischer Wirksamkeit der EuErbVO wird auch der europä­ ische Entscheidungseinklang gefördert. Aus der Unionsperspektive ist vor allem die Einschränkung des räumlichen Anwendungsbereichs von Bedeutung. Ist das Nachlassabkommen nicht auf Nachlass anwendbar, der in anderen Mitgliedsstaaten belegen ist, werden diese Staaten grundsätzlich auch nicht mit Europäischen Nachlasszeugnissen konfrontiert, die aus ihrer Sicht unrichtig sind. Für die Akzeptanz des Europäischen Nachlasszeugnis kann dies sehr wichtig sein. Der angestrebte Entscheidungseinklang wäre jedoch durch die weiterhin bestehenden Differenzen noch immer beschränkt, da Deutschland weiterhin den Staatsvertrag auf viele türkische Erbfälle anwenden wird. b) Anpassung des Nachlassabkommens Eine Anpassung bietet sich gerade bei einem bilateralen Vertrag, wie dem Nachlassabkommen an. Gemeinsame Änderungen gestalten sich einfacher, wenn die Verhandlungen diesbezüglich nur zwischen zwei Parteien geführt werden müssen. Im Falle des deutsch-türkischen Nachlassabkommens hat eine dieser beiden Parteien eigentlich nicht mehr die Kompetenz inne, solche Verhandlungen zu führen. Neben daraus resultierenden Konsequenzen sind auch die konkreten inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu untersuchen. aa) Änderung der Regelungen Um Gleichlauf mit der Europäischen Erbrechtsverordnung zu erreichen, könnte das Nachlassabkommen insoweit abgeändert werden, dass das anwendbare Recht zukünftig an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers angeknüpft wird und nicht hinsichtlich des beweglichen Vermögens an die Staatsangehörigkeit des Erblassers und hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens an den Belegenheitsort.

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Sieht man sich das Nachlassabkommen genauer an, fällt auf, dass eine Anpassung durch reine Umformulierung des § 14 des Nachlassabkommens nicht ausreichen kann. Auch § 15 des Nachlassabkommens sollte angepasst werden, damit nationale Gerichte ihr eigenes Recht anwenden können und Parallelität zwischen dem Vertrag und der Verordnung besteht. Schwierigkeiten entstehen, wenn der Erblasser jedoch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat hat, denn dann würde das Gericht dieses Drittstaates zuständig sein und das Recht dieses Staates zur Anwendung kommen. Dies widerspricht jedoch dem bilateralen Gedanken des Konsularvertrags.47 Das Abkommen ist grundlegend auf die Befugnisse des Konsuls abgestimmt, der die Interessen der Staatsangehörigen des jeweiligen Entsendungsstaates wahren soll48 und stellt deshalb selbstverständlich auch auf die Staatsangehörigkeit und den Belegenheitsort des Nachlasses ab.49 Dort ist der Konsul des anderen Staates schließlich auch tätig, um die Interessen seiner Staatsangehörigen zu vertreten. Nötig wäre deshalb eine vollständige Revision, sodass nicht mehr die Aufgaben des Konsuls im Mittelpunkt stehen und eine Angleichung an die EuErbVO zumindest insoweit erfolgt, dass sich die beiden Regelwerke miteinander vereinbaren lassen. Zu denken ist auch an die Ergänzung einer Rechtswahlvorschrift50 und einer Möglichkeit zur Wahl des Gerichtsstandes. Für türkische Staatsangehörige, die gemeinsam mit ihrer ganzen Familie seit Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, hätte dies den Vorteil, dass sie das ihnen mittlerweile mög­ licherweise „nähere“ deutsche Recht wählen können und Nachlassspaltungen vermeiden könnten. Eine Rechtswahlvorschrift würde zwar Spannungen reduzieren,51 die Divergenzen zwischen dem Abkommen und der EuErbVO würden jedoch nicht vollständig behoben werden. bb) Führung der Verhandlungen Möchte man das gesamte Nachlassabkommen reformieren, ist zu untersuchen, wer die diesbezüglichen Verhandlungen führt. Ein Beitritt der EU wäre sicherlich nicht sinnvoll. Zum einen würden andere Mitgliedsstaaten so an den Vertrag faktisch gebunden werden, zum anderen haben auch andere Mitgliedsstaaten Staatsverträge mit der Türkei geschlossen52, die das internationale Erbrecht betreffen 47

Vgl. supra, Kapitel C: II. 2. a) bb) (1). Vgl. Art. 20 des deutsch-türkischen Konsularvertrages. 49 Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung S. 181 (187). 50 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union und die Staatsverträge mit Drittstaaten, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (126). 51 Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (173). 52 Wurmnest, Comparative Report and Policy Perspectives, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 329 (330 ff.). 48

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und möglicherweise widersprechende Regelungen enthalten. Die Verpflichtung Deutschlands gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV kann sich somit darin nicht erschöpfen. Es bedarf somit einer Genehmigung der Union zum selbstständigen Tätigwerden Deutschlands, damit die Verhandlungen mit der Türkei geführt werden können. Die Union hat bezüglich einer solcher Genehmigung im Erbrecht noch kein Verfahren wie in den Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und (EG) Nr. 664/2009 festgelegt. Da durch eine Genehmigung der Union keine Rückübertragung der Außenkompetenz stattfindet, kommt Deutschland jedenfalls kein Spielraum bei den Verhandlungen mit der Türkei zu. Schließlich darf eine Anpassung im Rahmen des Art. 351 Abs. 2 AEUV lediglich Unvereinbarkeiten mit der Erbverordnung beheben. Denkbar sind in diesem Zusammenhang sicherlich interne Rücksprachen mit der Union. Weniger interner Absprachen bedarf es wohl, wenn lediglich eine Rechtswahlklausel eingeführt wird. cc) Folgerungen In der Literatur wird eine Anpassung des Nachlassabkommen durchaus befürwortet.53 Für Deutschland wäre eine Angleichung an die EuErbVO wünschenswert. Nicht nur die Verpflichtung gemäß Art. 351  Abs. 2  AEUV würde erfüllt werden, darüber hinaus würden die veralteten Regelungen an die modernen Rechtssysteme angepasst werden und Anwendungsprobleme würden praktisch hinfällig werden, da es bei einem Gleichlauf des Abkommens und der Verordnung auf eine klare Abgrenzung nicht mehr ankommen würde, soweit beide Regelwerken zum gleichen anwendbaren Recht führen würden. Aus deutscher Sicht würde außerdem nicht nur der europäische Entscheidungseinklang gefördert werden, dieser würde auch auf das Verhältnis zur Türkei „erweitert“ werden. Da das Nachlassankommen in der Türkei von weitaus geringerer Bedeutung ist, besteht dort wohl kein gesteigertes Interesse an einer Anpassung. Außerdem knüpft das nationale IPR auch primär an die Staatsangehörigkeit an.54 Anzumerken ist jedoch an dieser Stelle, dass die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt auch dem türkischen IPR nicht fremd ist.55 Bei einer, wie hier untersuchten Änderung des Abkommens hätte die Türkei keinerlei Verhandlungsspielraum, weil wiederum Deutschland ebenfalls an die Vorgaben des Europarechts gebunden ist. Eine An 53 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States S. 283 (315); Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (126). 54 Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (173). 55 Vgl. beispielsweise Art. 3 des türkischen IPRG, der vorsieht, dass grundsätzlich zur Bestimmung des anwendbaren Rechts der Anknüpfungspunkt zum Zeitpunkt der Klageerhebung zugrunde gelegt wird; als möglicher Anknüpfungspunkt wird neben der Staatsangehörigkeit und dem Wohnsitz auch der gewöhnliche Aufenthalt genannt.

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passung wäre mehr oder weniger nur ein Entgegenkommen der Türkei gegenüber Deutschland. Ob die türkische Regierung dazu in der momentan angespannten Situation bereit ist, ist fraglich. Für die Europäische Union wäre eine Anpassung des Nachlassabkommens an die europäischen Regelungen sehr vorteilhaft und wünschenswert. Das moderne IPR aus der EU würde exportiert werden, es würde im Verhältnis zur Türkei Entscheidungseinklang hergestellt werden und auch außenpolitisch wäre dies ein Schritt der Annäherung. c) Kündigung des Nachlassabkommens Kann eine Angleichung des Nachlassabkommens an die Erbrechtsverordnung nicht erreicht werden, könnte Deutschland gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zur Kündigung des deutsch-türkischen Staatsvertrages verpflichtet sein. aa) Bestehen eines Kündigungsrechts Um den Schutz des Art. 351  Abs. 1  AEUV zu garantieren, muss ein Kündigungsrecht bestehen.56 Art. 30 des Konsularvertrages zwischen der Türkei und Deutschland enthält eine Regelung zur Kündigung. Sie besagt, dass der Vertrag bis zum Ablauf eines Jahres, „gerechnet von dem Tage, an dem er von einem der beiden Staaten gekündigt wird“, in Geltung bleibt. Selbst, wenn man davon ausgeht, dass Art. 30 des Konsularvertrages nur die Geltungsdauer des Vertrages nach Kündigung regelt, lässt die Regelung annehmen, dass die Vertragsparteien eine Kündigung zulassen wollten. Auch in diesem Fall besteht gemäß Art. 56 Abs. 1 lit. a) WVK ein Kündigungsrecht.57 Nun befinden sich die Regelungen, die sich mit dem Unionsrecht nicht vereinbaren lassen allerdings nicht direkt im Konsularvertrag, sondern in dem Nachlassabkommen, auf das in Art. 20 des Konsularvertrages als Anlage verwiesen wird. Das Nachlassabkommen enthält keine eigene Kündigungsklausel, es ist jedoch davon auszugehen, dass sich das hinsichtlich des Konsularvertrages bestehende Kündigungsrecht auch auf das Nachlassabkommen erstreckt. Würde der Konsularvertrag gekündigt werden, würde automatisch auch das Nachlassabkommen beendet werden (vgl. Art. 44 Abs. 1 WVK), da es lediglich die besonderen Befugnisse des Konsuls in Erbfällen regelt. Ohne die grundsätzlichen Regelungen im Konsularvertrag würde das Nachlassabkommen keinen Sinn machen. Eine Kündigungspflicht gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV, die den gesamten Konsularvertrag betrifft, würde auch Vorschriften treffen, die unter Umständen sinnvoll und angemessen 56 57

Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. b) cc). Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. b) cc).

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sind.58 Folglich ist zu fragen, ob eine nur das Nachlassabkommen betreffende Kündigung möglich ist. Grundsätzlich bezieht sich gemäß Art. 44 Abs. 1 WVK ein Kündigungsrecht immer auf den gesamten Vertrag, außer der Vertrag sieht etwas anderes vor oder die Vertragsparteien vereinbaren etwas anderes. Die Regelungen zu den Erbfällen wurden gerade nicht in den eigentlichen Konsularvertrag integriert, sondern als Anhang diesem hinzugefügt. Sie lassen sich somit klar vom eigentlichen Konsularvertrag abgrenzen, ohne dass dieser bei einem Wegfall des Nachlassabkommen tangiert werden würde. Der Konsularvertrag sieht folglich eine gewisse Autonomie des Nachlassabkommens und somit auch eine Trennbarkeit im Sinne des Art. 44 Abs. 1 WVK vor. Eine Kündigung, die sich auf das Nachlassabkommen beschränkt, ist somit zulässig. bb) Folgerungen Die Kündigung des gesamten Konsularvertrages würde ein falsches Zeichen in der momentan angespannten Situation setzen. Schließlich ist der Konsularvertrag auch Ausdruck der seit langem bestehenden diplomatischen Beziehungen. Da das Nachlassabkommen in der Türkei augenscheinlich keine Rolle spielt, würde eine darauf beschränkte Kündigung wahrscheinlich weniger drastische Signale senden.59 Eine Kündigung würde wie eine Anpassung des Nachlassabkommens Erleichterungen für türkische Staatsangehörige mit sich bringen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Sie kann aber auch zu Schwierigkeiten führen, wenn nunmehr deutsche Staatsbürger ihre Rechte als Erben in der Türkei durchsetzen wollen. Die Erbrechtsverordnung sieht in Art. 4 und Art. 10 vor, dass Gerichte den Nachlass als Ganzes behandeln. Dazu gehört selbstverständlich unbewegliches Vermögen in der Türkei. Die Zuständigkeit türkischer Gerichte bei in der Türkei belegenen Immobilien ist jedoch ausschließlich.60 Ausländische Erbscheine sind deshalb in der Türkei nie anerkennungsfähig.61 Art. 20 Abs. 1 des türkischen IPRG legt fest, dass bei unbeweglichem Vermögen in der Türkei immer türkisches Recht Anwendung findet, dies gilt auch für die Erteilung von Erbscheinen.62 Die Verpflichtung zur Kündigung würde gemäß Art. 351  Abs. 2  AEUV ohne Rücksicht auf diese Gesichtspunkte bestehen. 58 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (314). 59 A. A. Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (530). 60 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (314). 61 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (136). 62 Ebenda, S. 137.

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

Eine Kündigung ist der schnellste und effektivste Weg, um die Anwendbarkeit der Verordnung zu steigern und Entscheidungseinklang herzustellen. In Deutschland hat das Nachlassabkommen weiterhin viele Anwendungsfälle, der europäische Entscheidungseinklang wird dadurch in nicht nur geringem Maße beeinträchtigt.63 Dies kann auch beträchtliche Auswirkungen auf die Akzeptanz des Europäischen Nachlasszeugnisses haben.64 Darüber hinaus läuft das Prinzip der Nachlassspaltung im deutsch-türkischen Vertrag dem gesamten System der EuErbVO zuwider.65 d) Abschluss eines neuen Staatsvertrags Die Europäische Union könnte auch selbst tätig werden und ein neues Abkommen mit der Türkei schließen. Dieses würde alle Altverträge zwischen den Mitgliedsstaaten und der Türkei überlagen, soweit es den gleichen Regelungsinhalt hat.66 Neben Deutschland haben auch Italien und Ungarn Abkommen mit der Türkei geschlossen, die erbrechtliche Kollisionsvorschriften enthalten und mit der EuErbVO kollidieren.67 aa) Regelungsinhalt Auch die Union hätte bei den Verhandlungen über ein neues Abkommen mit der Türkei nicht viel Spielraum. Zum einem würden keine dem Unionsrecht widersprechende Regelungen vereinbart werden und zum anderen muss sich die Union im Rahmen ihrer Kompetenzen bewegen, soweit der Vertrag nicht als gemischtes Abkommen zustande kommen soll.68 Möglich wäre eine eventuell „abgespeckte Kopie“ der Erbrechtsverordnung, dann gäbe es auf den ersten Blick keine Schwierigkeiten. Auf den zweiten Blick muss man jedoch feststellen, dass eine solche „Kopie“ die bestehenden Altverträge, die vor allem die Befugnisse des Konsuls regeln, nicht überlagern würde und es zu weiteren Unstimmigkeiten zwischen dem neuen Abkommen und den Regelungen hinsichtlich der Aufgaben und Zuständigkeiten des Konsuls kommen kann. Folglich wäre möglicherweise gleichzeitig eine Anpassung der bilateralen Abkommen zwischen der Türkei und den jeweiligen Mitgliedsstaaten notwendig. 63 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (125). 64 Vgl. supra, Kapitel C: II. 3. 65 Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (124). 66 Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. c). 67 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (284). 68 Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR 2007 Beiheft 3, S. 57 (59).

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bb) Führung der Verhandlungen Die Verhandlungen führt die Union. Sie hat die ausschließliche Kompetenz inne, ein solches Abkommen abzuschließen. Wenn gleichzeitig die überkommenen Regelungen der Altverträge zu den Befugnissen des Konsuls angepasst werden sollen, müssen die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV beteiligt werden. Die Beteiligung der Mitgliedsstaaten wird jedoch auf die Behebung der Komplikationen bezüglich der Altverträge beschränkt. Die Union ist darüber hinaus wohl nicht auf die Unterstützung der Mitgliedsstaaten angewiesen, auch weil die EU trotz der momentanen Spannungen enge Verbindungen zur Türkei hat. cc) Folgerungen Für die Europäische Union hätte ein neues Abkommen zur Regelung des erbrechtlichen Kollisionsrecht mit der Türkei den Vorteil, dass nicht nur der europä­ ische Entscheidungseinklang im Hinblick auf die drei Altverträge von Deutschland, Italien und Ungarn gestärkt wird, sondern auch der internationale Entscheidungseinklang bei Sachverhalten mit Bezug zur Türkei gefördert werden würde. Eine solche Ausweitung des europäischen Kollisionsrecht auf Drittstaaten könnte Schule machen. Auch für die Türkei könnte eine gesamteuropäische Lösung vorteilhaft sein, um sich wieder stärker an die Europäische Union zu binden. Ob das von türkischer Seite momentan gewünscht wird, ist allerdings unklar. Insbesondere weil in den anderen Mitgliedsstaaten weitaus weniger türkische Staatsbürger leben als in Deutschland, könnte das Interesse an einer gesamteuropäischen Lösung geschmälert sein.69 Überdies lassen sich an dieser Stelle die gleichen Gesichtspunkte, wie im Rahmen der Anpassung des deutsch-türkischen Nachlassabkommens anführen. Das türkische IPR kennt zwar die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt, im Rahmen des internationalen Erbrechts ist eine solche Anknüpfung jedoch nicht vorgesehen. Auch bei dem Abschluss eines neuen Abkommens mit der EU würden die Verhandlungen sehr einseitig verlaufen, da auch die EU nur einen sehr geringen Handlungsspielraum hätte. Die Bereitschaft der Türkei vor diesem Hintergrund ein solches Abkommen zu schließen ist im Moment vermutlich eher gering.

5. Zwischenergebnis Zwangsläufig drängen sich in diesem Zusammenhang zwei Fragen auf: Welche der Maßnahmen sollte sich durchsetzen und ist eine Abwägung zwischen den Maßnahmen überhaupt möglich?

69 Güneş, The Relations of Turkey with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 283 (284 f.).

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

Der Abschluss eines Auslegungsprotokolls über den Anwendungsbereich des deutsch-türkischen Nachlassabkommens führt nicht vollumfänglich zum Ziel. Zwar wird die Anwendbarkeit der Verordnung gestärkt, trotz eines engen persönlichen wie auch räumlichen Anwendungsbereich würde der Staatsvertrag aber in Deutschland auf viele türkische Erbfälle angewandt werden. Ein solches Protokoll kommt daher als adäquate Maßnahme nicht in Betracht. Teilweise wird die Anpassung des Abkommens befürwortet.70 Sie stellt verglichen mit der Kündigung das mildere Mittel dar. Die Vereinbarung einer Rechtswahlklausel würde zu einer Besserstellung der türkischen Staatsbürger in Deutschland führen und könnte die praktische Wirksamkeit der EuErbVO fördern, aber die Verpflichtung Deutschlands gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV wäre nicht erfüllt. Vielmehr würde es einer grundlegenden Revision des Nachlassabkommens, die einem Neuabschluss gleichkommen würde, bedürfen, um einen Gleichlauf mit der Erbrechtsverordnung zu erlangen. Weitaus deutlicher wird für die Kündigung des Nachlassabkommens plädiert71, um eine schnelle und scheinbar unkomplizierte Lösung für die Differenzen zwischen EuErbVO und Abkommen herbeizuführen. Darüber hinaus beruht das ganze Abkommen auf überkommenen Rechtsvorstellungen. Teilweise verkennen jedoch die Verfechter der „Kündigungsoption“, dass tatsächlich gar keine echte Auswahlmöglichkeit besteht. Die Kündigung kommt erst als ultima ratio in Betracht, wenn die Anpassung scheitert, nicht möglich oder nicht gewollt ist. Ob eine Kündigungspflicht gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV entsteht, ist somit vor allem davon abhängig, ob die Türkei zu einer Anpassung des Nachlassabkommens bereit ist. Da lediglich eine Angleichung an die Erbrechtsverordnung möglich ist und dies keine ersichtlichen Vorteile für die Türkei hat, ist eine Anpassung momentan schwer vorstellbar. Neben der Kündigung des Nachlassabkommens ist der Abschluss eines neuen Vertrages durch die Union denkbar. Ein neues Abkommen würde eine gesamteuropäische Lösung bieten und Deutschland würde nicht in die Verlegenheit geraten, das Abkommen kündigen zu müssen.72 Für die Union bietet ein neues Abkommen den Vorteil einer einheitlichen Lösung für die Verträge Deutschlands, Ungarns und Italiens. Außerdem würde das europäische IPR auch außerhalb der Unionsgrenzen gelten. Es würde aber auch langwierige Verhandlungen aufgrund der Komplikationen hinsichtlich der Altverträge bedeuten. Zum Abschluss eines 70

Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (126). 71 Krüger, Studien über Probleme des türkischen Internationalen Erbrechts, in: Liber Amicorum Ansay, S. 131 (157 f.); Krüger, Neues zum deutsch-türkischen Nachlassabkommen – Zu einer Initiative des nordrhein-westfälischen Justizministeriums, Informationsbrief der Deutsch-Türkischen Juristenvereinigung, 22 Nr. 1–2 (2013) S. 4 (6 f.); Gebauer, Deutsch-­ türkisches Nachlassabkommen im Sog des Europäischen Kollisionsrechts, IPRax 2018, S. 345 (351); Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus., ZEV 2012, S. 182 (186). 72 Konvalin, Das Europäische Nachlasszeugnis ohne europäischen Entscheidungseinklang, S. 95.

II. Der Konsularvertrag vom 25. April 1958

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neuen Abkommens ist die Union selbstverständlich auch auf den entsprechenden Willen der Türkei angewiesen. Da aber so gut wie keinen Verhandlungsspielraum besteht, halten sich die Vorteile für die Türkei in Grenzen. Einzig die Wiederannäherung an die Union könnte für das Land eine Rolle spielen. Außenpolitische Bedenken gegenüber einer Kündigung73 sind zwar nachvollziehbar, führen jedoch nicht zum Entfallen der Kündigungspflicht.74 Die Union sollte auf eine Kündigung des Nachlassabkommens als effektivstes Mittel zur Stärkung des europäischen IPR bestehen. Kommt Deutschland dieser Verpflichtung nicht nach, sollte ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV eingeleitet werden. Schließlich ist das Nachlassabkommen in seiner Gesamtheit nicht mehr zeitgemäß, wird von der Türkei scheinbar nicht angewendet und der Konsularvertrag zwischen Deutschland und der Türkei könnte weiterhin bestehen bleiben.75

II. Der Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25. April 1958 1. Historischer Hintergrund Bis zum Einmarsch der deutschen Truppen in die Sowjetunion im Sommer 1941 galt der deutsch-sowjetische Konsularvertrag vom 6. Januar 1926 und das als Anlage geschlossene Nachlassabkommen.76 Der bis heute geltende Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion stammt aus einer anderen Zeit. Inmitten des Kalten Krieg, im selben Jahr, in dem die Bundesrepublik Deutschland auch der NATO beigetreten ist,77 reiste Bundeskanzler Konrad Adenauer im Herbst 1955 zur sowjetischen Führung nach Moskau. Diese strebte den Aufbau diplomatischer Beziehungen mit Deutschland an und Adenauer wollte, die Heimkehr deutscher Kriegsgefangener erreichen.78 In den darauffolgenden Jahren arbeiteten beide Parteien 73 Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (530). 74 Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. b) cc) (1). 75 Vgl. supra, Kapitel E: I. 3. a). 76 Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (159). 77 Bundeszentrale für politische Bildung, 1955: Die Bundesrepublik wird NATO-Mitglied, 7. Mai  2015, https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/206006/60-jahre-natomitgliedschaft. 78 Grau / Würz, Adenauers Moskau-Reise, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltesdeutschland-gruenderjahre/weg-nach-westen/adenauers-moskau-reise.html.

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

weiter an dem Aufbau einer Vertrauensbasis. Am 25. April  1958 unterzeichneten Deutschland und die Sowjetunion unter anderem ein Abkommen über allgemeine Fragen des Handels und der Seeschifffahrt und den Konsularvertrag.79 Nach dem Zerfall der Sowjetunion haben sich Anfang der neunziger Jahre einige Nachfolgestaaten für die Weitergeltung der von der ehemaligen UdSSR geschlossenen völkerrechtlichen Verträge entschieden, bis neue Abkommen geschlossen werden.80

2. Ausgestaltung Der Konsularvertrag ist zwar bilateral zustande gekommen, gilt jedoch nun für Deutschland im Verhältnis zu mehreren Staaten. Anders als der Konsularvertrag mit der Türkei, verweist dieser Konsularvertrag nicht auf ein eigenes Nachlassabkommen. Vielmehr enthält der Vertrag direkt in Artikel 25–28 die Befugnisse des Konsuls zur Nachlasssicherung für die Staatsangehörigen seines Entsendestaates. Darüber hinaus wird in Art. 19 des Konsularvertrages die Möglichkeit zur Beurkundung von Verfügungen von Todes wegen durch den Konsul geregelt.81 Die kollisionsrechtliche Regelung hat nicht einmal eine eigene Vorschrift bekommen, sondern ergänzt Art. 28 als dritten Absatz. In diesem Zusammenhang könnte man sich die Frage nach der Wichtigkeit der Kollisionsvorschrift bei den Verhandlungen zu diesem Konsularvertrag stellen. Schließlich beschränkt sich die Vorschrift auf das anwendbare Recht hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens, im alten Konsularvertrag mit der Sowjetunion enthielt das angehängte Nachlassabkommen auch eine Kollisionsvorschrift zum beweglichen Nachlass.82 Nun bestimmt sich das anwendbare Recht für bewegliches Vermögen jedenfalls nach dem nationalen IPR, folglich kann es auch hier – wie beim Nachlassabkommen mit der Türkei – zu einer Nachlassspaltung kommen. Eine Gerichtsstandsregelung und eine Rechtswahlmöglichkeit enthält der Vertrag nicht.

3. Interessen Bei einem Vertrag mit mehreren Vertragsparteien können die Interessen der verschiedenen Staaten sehr vielseitig sein. Fest steht jedenfalls, dass sich in den neun 79

Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland: Von den Anfängen bis zur Gegenwart, S. 55. 80 Dörner, in: Staudinger, EGBGB, Vorb. zu Art. 25, Rn. 194; Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (159 f.). 81 Dörner, in: Staudinger, EGBGB, Vorb. zu Art. 25, Rn. 196. 82 Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (159); Dörner, in: Staudinger, EGBGB, Vorb. zu Art. 25, Rn. 193.

II. Der Konsularvertrag vom 25. April 1958

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ziger Jahren Russland83, Armenien84, Aserbeidschan85, Georgien86, Kirgistan,87 Kasachstan88, Moldawien89, Tadschikistan90, Belarus91, Ukraine92 und Usbekistan93 aktiv dazu entschieden haben, dass die deutsch-sowjetischen Verträge für diese Staaten weiterhin gelten sollen. Zu diesem Zeitpunkt bestand somit jedenfalls ein Interesse an dem Fortbestehen des Konsularvertrages. Kirgistan hat 2014 erklärt, dass es den deutsch-sowjetischen Konsularvertrag nicht mehr anwenden wird.94 Eine entsprechende Interessensänderung der anderen Staaten ist nicht ersichtlich. Da die Beziehungen von Deutschland und der EU zu Russland am ausgeprägtesten sind, werden in den folgenden Ausführungen oftmals nur die Interessen von und gegenüber Russland exemplarisch dargestellt. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass auf diese Weise auf die Belange und mögliche Beweggründe der anderen Staaten geschlossen werden kann. a) Vertragsparteien Hinsichtlich der Anzahl der Fälle, bei denen Art. 28 Abs. 3 des deutsch-sowjetischen Konsularvertrages zur Anwendung kommt, sollte festgehalten werden, dass aus Sicht der Nachfolgerstaaten der UdSSR der Vertrag nur bezüglich deutscher Staatsbürger gilt. Untereinander wird das Abkommen nicht angewandt. Verglichen mit den anderen Nachfolgerstaaten wird es in Russland und Kasachstan95 noch am meisten unbewegliches Vermögen deutscher Staatsbürger geben.96 Vergleicht man die Präsenz des deutsch-sowjetischen Konsularvertrages mit der des türkischen Abkommens in der deutschen Literatur, zeigen sich deutliche Unterschiede. Während es zum türkischen Konsularvertrag sowohl nach als auch vor Beschluss der EuErbVO viel Literatur gibt, hat man sich mit dem Konsularvertrag mit der Sowjetunion nur am Rande beschäftigt. Dies spiegelt auch das Verhältnis der türki 83

BGBl. 1992 II S. 1016. BGBl. 1993 II S. 169. 85 BGBl. 1996 II S. 2471. 86 BGBl. 1992 II S. 1128. 87 BGBl. 1994 II S. 1015. 88 BGBl. 1992 II S. 1120. 89 BGBl. 1996 II S. 768. 90 BGBl. 1995 II S. 255. 91 BGBl. 1994 II S. 2533. 92 BGBl. 1993 II S. 1189. 93 BGBl. 1993 II S. 2038. 94 MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 34. 95 Zuzug von (Spät-)Aussiedlern und ihren Familienangehörigen, 01. 12. 2021, https:// www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61643/spaetaussiedler#:~:text=Im%20Jahr%202016%20lebten%203,)%20und%20Rum%C3%A4nien%20 (223.000). 96 Eine tatsächliche Zahl von Anwendungsfällen des Art. 28 Abs. 3 oder diesbezüglicher Gerichtsurteile konnte nicht ermittelt werden. 84

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schen Staatsbürger zu den russischen Staatsbürgern in Deutschland wider. Momentan leben in Deutschland circa 263.000 russische Staatsangehörige, die die größte Gruppe Staatsbürger eines Vertragsstaates des Konsularvertrags darstellen.97 Die russischen Beziehungen zur EU sind seit den neunziger Jahren ein Auf und Ab zwischen Annäherung und Entfernung. Im Gegensatz zu mittel- und südosteuropäischen Staaten wurde Russland nie ein Assoziierungsabkommen angeboten. Aufgrund der europäischen Nachbarschaftspolitik insbesondere zu Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau, der Ukraine und Belarus entstand der Eindruck eines Integrationswettbewerbs auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.98 Verstärkt wurden die Spannungen, da Russland nicht mehr der „Transformationspolitik“ der EU unterliegen wollte.99 Zu einem neuen Tiefpunkt des Verhältnisses kam es aufgrund der Krim-Krise und den deshalb beschlossenen Sanktionen der EU. Russland stellte im Gegenzug den Import bestimmte Agrarprodukte aus der EU ein.100 Nicht zu vergessen ist jedoch, dass die EU weiterhin ein wichtiger Handels- und Investitionspartner Russlands ist.101 Vor allem Deutschland ist für den russischen Handel von größter Bedeutung. Nach China ist Deutschland zweitwichtigster Handelspartner Russlands.102 Aber auch für Deutschland ist der Handel mit Russland wichtig, 2020 betrug das Handelsvolumen 44,6 Milliarden Euro.103 Neben dem gemeinsamen Handel bestehen eine Reihe gemeinsamer gesellschaftlicher und kultureller Austauschprogramme und Zusammenschlüsse, wie dem Petersburger Dialog zum Austausch der Zivilgesellschaften.104 Die außenpolitischen Beziehungen sind auch gegenüber Deutschland seit der Krim-Krise sehr abgekühlt.105 Beide Staaten sind jedoch auch voneinander abhängig. Deutschland möchte eine weitere Flüchtlingswelle aus Syrien 97 Statistisches Bundesamt, Ausländische Bevölkerung nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten, 2020, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/ Migration-Integration/Tabellen/auslaendische-bevoelkerung-geschlecht.html. 98 Heinemann-Grüder, Russland und die Europäische Union, 30. April 2019, https://www. bpb.de/internationales/europa/russland/47974/europaeische-union. 99 Ebenda. 100 Auswärtiges Amt, Deutschland und die Russische Föderation: bilaterale Beziehungen, 1. Oktober 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/bilaterale-beziehungen/201542?openAccordionId=item-201548-2-panel. 101 Heinemann-Grüder, Russland und die Europäische Union, 30. April 2019, https://www. bpb.de/internationales/europa/russland/47974/europaeische-union. 102 Auswärtiges Amt, Deutschland und die Russische Föderation: bilaterale Beziehungen, 1. Oktober 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/bilaterale-beziehungen/201542?openAccordionId=item-201548-2-panel. 103 Statistisches Bundesamt, Außenhandel, 2020, https://www.destatis.de/DE/Themen/ Wirtschaft/Aussenhandel/Tabellen/rangfolge-handelspartner.pdf;jsessionid=D2C07578C1E9 4522F3DA55C0FEA69A70.live712?__blob=publicationFile. 104 Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland, Russisch-deutsche Kulturbeziehungen, https://russische-botschaft.ru/de/information/bilaterale-beziehungen/die-russischdeutschen-kulturbeziehungen/. 105 Heinemann-Grüder, Russland und die Europäische Union, 30. April 2019, https://www. bpb.de/internationales/europa/russland/47974/europaeische-union.

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vermeiden und ist auf den russischen Einfluss auf Baschar al-Assad angewiesen. Russland wiederum ist beim Wiederaufbau Syriens auf die finanziellen Mittel Deutschlands angewiesen.106 b) Europäische Union Für die EU, die das europäische IPR stärken möchte, ist vor allem die Anzahl der Anwendungsfälle der Kollisionsnorm Art. 28  Abs. 3 des Konsularvertrages in Deutschland relevant, da dies Auswirkungen auf die praktische Wirksamkeit der EuErbVO hat. Wie bereits festgestellt, haben deutlich weniger russische Staatsangehörige als türkische Staatsangehörige ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, folglich kann davon ausgegangen werden, dass auch weniger Immobilien in Deutschland durch russische Erblasser vererbt werden. An dieser Stelle sollte jedoch daran erinnert werden, dass nicht nur russische Staatsbürger, sondern auch die Staatsbürger der anderen Vertragsstaaten, die in Deutschland unbewegliches Vermögen vererben, in den Anwendungsbereich des Konsularvertrages fallen. Die Union dürfte deshalb auch ein großes Interesse an der Behebung der Unvereinbarkeiten zwischen dem Konsularvertrag und der EuErbVO und der Förderung des europäischen Entscheidungseinklangs haben. Außenpolitisch sieht die Union neben dem Verhalten Russlands auf der Krim auch die militärische Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien als sehr problematisch an.107 Aber auch die Union ist auf Russland als viertwichtigster Handelspartner angewiesen108, das Land ist der Hauptlieferant für Energieträger, wie Öl, Gas, Uran und Kohle.109

4. Mögliche Maßnahmen a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation des Konsularvertrages Deutschland könnte mit den anderen Vertragsstaaten ein Auslegungsprotokoll zum persönlichen Anwendungsbereich des Konsularvertrages schließen. Auf diesem Weg könnte festgelegt werden, dass der Staatsvertrag nur auf Personen mit 106

Thumann, Eine Annäherung aus Pragmatismus, 17. August 2018, https://www.zeit.de/ politik/ausland/2018-08/deutsch-russische-beziehungen-angela-merkel-wladimir-putin-ushandelsstrafen. 107 Auswärtiges Amt, Deutschland und die Russische Föderation: bilaterale Beziehungen, 1. Oktober 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/bilaterale-beziehungen/201542?openAccordionId=item-201548-2-panel. 108 Heinemann-Grüder, Russland und die Europäische Union, 30. April 2019, https://www. bpb.de/internationales/europa/russland/47974/europaeische-union. 109 Ebenda.

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

einer Staatsangehörigkeit der teilnehmenden Länder Anwendung findet. Dies würde zwar die praktische Wirksamkeit der Verordnung verbessern, Klarheit bringen und einzelne Divergenzen mit dem EU-Recht vermeiden, der Entscheidungseinklang würde auf diese Weise jedoch nicht vollständig hergestellt werden. Eine zusätzliche Schwierigkeit beim Beschluss eines Auslegungsprotokolls stellen die vielen Vertragspartner von Deutschland dar. Es ist nicht gesagt, dass diese den persönlichen Anwendungsbereich genauso auslegen wollen. b) Anpassung des Konsularvertrages Eine Anpassung des Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages hinsichtlich des Anknüpfungspunkts von Staatsangehörigkeit zu gewöhnlichem Aufenthalt des Erblassers würde theoretisch zu einer Erfüllung der Pflicht Deutschlands aus Art. 351 Abs. 2 AEUV führen und den europäischen Entscheidungseinklang herstellen. Zumindest in Russland ist gemäß Art. 1224 Abs. 1 S. 1 des Zivilgesetz­ buches der Russischen Föderation eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt110 des Erblassers bekannt, bei unbeweglichem Vermögen knüpft das russische IPR gemäß Art. 1224 Abs. 1 S. 2 des russischen ZGB allerdings an den Belegenheitsort an. Gegen eine solche Anpassung spricht jedoch das gleiche Argument, das bereits bei der Anpassung des deutsch-türkischen Nachlassabkommen angeführt wurde.111 Zwar ist der Staatsvertrag aus deutscher Sicht nicht wirklich bilateral, da er im Verhältnis zu mehreren Vertragspartner gilt, trotzdem bleibt der Charakter des Konsularvertrages bestehen und dazu passt die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nicht. Während die Vereinbarung einer Rechtswahlvorschrift beim deutsch-türkischen Nachlassabkommen große Vorteile für Erblasser bringen würde, wäre eine Rechtswahlvorschrift im deutsch-sowjetischen Konsularvertrag zwar auch durchaus nützlich, aber nicht ganz so wichtig. Schließlich ist die Verwurzelung der vielen türkischen Staatsbürger in Deutschland beispiellos. Man könnte auch an die ersatzlose Streichung des Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages denken. Schließlich wurde in den neuen deutsch-sowjetischen Staatsvertrag auch keine Regelung für bewegliches Vermögen aufgenommen. Dies hätte zumindest den Vorteil, dass jeder Staat sein nationales IPR anwenden könnte und kein Widerspruch zwischen staatsvertraglichem IPR, das an die Staatsangehörigkeit anknüpft und dem Staatsvertrag, der an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft, entstehen würde. Möglicherweise könnte sich eine solche Anpassung schwierig gestalten, da alle Vertragspartner Deutschlands zustimmen müssten. Jedoch würde auch eine Modifikation weiterhelfen, sodass Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages 110

Viktorova, Einführung in das internationale Privatrecht in Russland, S. 209 https:// publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/5671/file/belling_online_ S199_221.pdf; Höhmann, Erbrecht in Russland https://www.erbrechtsberater-berlin.de/ deutsch/erbrecht-nach-stichworten/r/russland.html. 111 Vgl. supra, Kapitel E: I. 4. b) aa).

II. Der Konsularvertrag vom 25. April 1958

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zumindest im Verhältnis zu den zustimmenden Staaten wegfallen könnte. Dies würde zwar, je nachdem welche Staaten damit einverstanden wären, Besserung bringen. Eine komplette Herstellung des Entscheidungseinklangs könnte jedoch nur erreicht werden, wenn die Streichung gegenüber allen Vertragspartnern gelten würde. Ob Russland zu einem solchen Entgegenkommen gegenüber Deutschland bereit wäre, damit Deutschland seine europarechtlichen Verpflichtungen erfüllen kann, ist bei den momentanen außenpolitischen Verhältnissen fraglich. c) Kündigung des Konsularvertrags Unter Art. 37 Abs. 2 des Konsularvertrages ist geregelt, dass der Vertrag auf fünf Jahre befristet ist und sich unbefristet verlängert, wenn nicht rechtzeitig gekündigt wird. Der Vertrag bleibt dann bis zum Ablauf eines Jahres ab der Kündigung einer Vertragspartei in Geltung. Die Vorschrift ähnelt der Klausel aus dem deutsch-türkischen Konsularvertrages und ist keine ausschließliche Kündigungsfrist, sondern stellt ein eigenes Kündigungsrecht dar oder setzt zumindest ein bestehendes Kündigungsrecht voraus.112 Auffällig ist, dass lediglich Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages mit der EuErbVO unvereinbar ist. Die anderen Vorschriften sind zwar beispielsweise in Bezug auf die fehlende Rechtswahlmöglichkeit überkommen, stehen aber nicht im direkten Konflikt mit dem EU-Recht. Die Abweichung des Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages von der Verordnung ist jedoch nicht unerheblich. Hinsichtlich des beweglichen Vermögens eines beispielsweise russischen Erblassers mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland würde die EuErbVO Anwendung finden, hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens wird der Staatsvertrag angewandt. Die Nachlasseinheit ist ein wichtiger Grundsatz der Verordnung, die Nachlassspaltung aufgrund des Konsularvertrages verträgt sich mit diesem System nicht.113 In quantitativer Hinsicht ist festzustellen, dass einerseits sich die Anwendungsfälle der Vorschrift in Grenzen halten, andererseits betrifft der Konsularvertrag das Verhältnis Deutschlands zu immerhin zehn Staaten. Der drastische Schritt einer Kündigung des gesamten Konsularvertrages könnte umgangen werden, wenn eine Teilkündigung möglich wäre, die auf Art. 28 Abs. 3 beschränkt ist. Eine Teilkündigungsmöglichkeit müsste jedoch im Vertrag vorgesehen sein oder von den Parteien vereinbart werden (Art. 44 Abs. 1 WVK). Der Konsularvertrag bietet jedenfalls keine dementsprechende Regelung, die Vertragsparteien müssten demnach eine Teilkündigung vereinbaren. Wie bei einer Anpassung müssten alle Vertragspartner Deutschlands zustimmen, damit Deutschland auch gegenüber allen Staaten kündigen könnte. Die Teilkündigung kommt somit einer Anpassung des Vertrages in Form einer Streichung des Art. 28 Abs. 3 gleich. 112

Vgl. supra, Kapitel E: I. 4. c) aa). Kohler, Die künftige Erbrechtsverordnung der Europäischen Union, in: Reichelt / Rechberger, Europäisches Erbrecht, S. 109 (124, 125).

113

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

d) Abschluss eines neuen Staatsvertrages Möglich wäre theoretisch auch ein neues Übereinkommen im internationalen Erbrecht nach dem Vorbild der EuErbVO zwischen der EU und den zehn Vertragspartnern von Deutschland. Dies hätte für die Union den Vorteil, dass ihre Regelungen in zehn Drittstaaten gleichzeitig transportiert werden würden. Die Regelungen des jetzigen Konsularvertrages, die keinen erbrechtlichen Hintergrund haben, würden bestehen bleiben.114 Der Abschluss eines solchen Vertrages wäre mit viel Aufwand verbunden und sehr schwierig, da zehn Staaten das Übereinkommen unterzeichnen müssten. Wäre dies nicht der Fall, würde im Verhältnis zu den Staaten, die kein Interesse an einem Vertrag mit der EU haben, weiterhin Art. 28 Abs. 3 zur Anwendung kommen. Es ist zweifelhaft, ob Russland ein Interesse am Abschluss eines solchen Vertrages mit der Europäischen Union hat. Andere Staaten, die eine weitere Annäherung an die Union erreichen wollen, wären möglicherweise gesprächsbereiter.115

5. Zwischenergebnis Das politische Verhältnis von Russland zu Deutschland und Europa ist schon länger angespannt, durch die Krise auf der Krim wurde jedoch ein neuer Tiefpunkt erreicht. Die Beziehungen Russlands sind nicht repräsentativ für das Verhältnis der anderen Vertragspartner zu Deutschland und der Union. Soll jedoch eine Maßnahme getroffen werden, bei der das Mitwirken aller Vertragsstaaten notwendig ist, genügt es bereits, wenn allein Russland kein Interesse hat, damit der europäische Entscheidungseinklang nicht vollständig hergestellt werden kann. Dies gilt selbstverständlich auch für jedes andere Vertragsland, aber bei fehlendem Interesse Russlands hat das die größten Auswirkungen auf den europäischen Entscheidungseinklang, da im Verhältnis zu Russland die meisten grenzüberschreitenden Erbfälle existieren. Eine Anpassung des Altvertrages wäre wohl am ehesten in Form einer Streichung des Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages denkbar, da bei einer Abänderung des Anknüpfungspunktes von der Staatsangehörigkeit zum gewöhnlichen Aufenthalt sich das russische IPR und der Konsularvertrag insoweit widersprechen würden. Auch der Abschluss eines neuen Staatsvertrages mit der EU könnte unter anderem an diesem Widerspruch und daraus folgendem Desinteresse scheitern. Ist eine Anpassung an den europäischen Anknüpfungspunkt des gewöhnlichen Aufenthalts nicht möglich, wäre Deutschland gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zur 114

Vgl. supra, Kapitel E: I. 4. d) aa). Vgl. die Angleichung der nationalen Kollisionsgesetze in den süd-osteuropäischen Staaten, Dutta, Der gewöhnliche Aufenthalt – Bewährung und Perspektiven eines Anknüpfungsmoments im Lichte der Europäisierung des Kollisionsrecht, IPRax 2017, S. 139 (141). 115

III. Das Niederlassungsabkommen vom 17. Februar 1929

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Kündigung des Konsularvertrages verpflichtet. Das Ergebnis ist äußerst drastisch, für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ist jedoch kein Platz. Dem EuGH folgend kann vor allem das angespannte Verhältnis zu Russland keine Rolle spielen.116 Kommt Deutschland seiner Kündigungspflicht nicht nach, kann die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV einleiten. Davon sollte sie jedoch absehen, die Zahl der Anwendungsfälle in Deutschland ist bei weitem nicht so hoch wie beim deutsch-türkischen Nachlassabkommen. Darüber hinaus müsste anders als im Verhältnis zur Türkei der ganze Konsularvertrag gekündigt werden. Vielmehr sollte zumindest eine Modifikation oder ein neues Abkommen mit zumindest einigen Drittstaaten angestrebt werden, sodass die praktische Wirksamkeit der EuErbVO erhöht und der europäische Entscheidungseinklang zumindest gefördert wird. Auf diesem Wege könnte sogar ein Transport der europäischen Regelungen in ein paar der Vertragsstaaten möglich sein, die sich der Union weiter annähern wollen.

III. Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17. Februar 1929 1. Historischer Hintergrund Ab 1906 hatte die Monarchie im Iran nur noch konstitutionell-repräsentativen Charakter und der Weg war grundsätzlich frei für ein modernes IPR.117 Noch galten im Iran jedoch Kapitulationen. Deutsche Staatsbürger waren beispielsweise komplett von der iranischen Gerichtsbarkeit ausgenommen.118 Mit Ende des Ersten Weltkriegs verlor vor allem Deutschland an Macht und konnte seine extraterritorialen Gerichtsbarkeiten nicht aufrechterhalten.119 Im Jahre 1927 wurden die Kapitulationen offiziell durch den iranischen Außenminister aufgehoben.120 Die westlichen Staaten intensivierten daraufhin ihre diplomatischen Gespräche mit dem Iran, um neue bilaterale Verträge abzuschließen.121 Das Deutsche Reich schloss am 17. Februar 1929 im Zusammenhang mit einem Freundschaftsvertrag mehrere Verträge im Bereich des Wirtschafts- und Handelsrecht, unter anderem auch ein Niederlassungsabkommen.122 Das Abkommen sollte für Gleichberechti 116

EuGH, Urt. v. 4. Juli 2000, Rs. C-62/98, Slg. I-5171, Rn. 58 f. – Kommission / Portugal. Yassari, The Relations of Iran with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 253 (255). 118 Ebenda, S. 253 (255 Fn.6). 119 Ebenda, S. 256. 120 Ebenda, S. 255 f. 121 Ebenda, S. 256. 122 Schotten / Wittkowski, Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen im Familien- und Erbrecht, FamRZ 1995, S. 264. 117

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

gung sorgen, sodass iranische Staatsbürgern in Deutschland gleichermaßen wie deutsche Staatsbürger im Iran geschützt sind.123

2. Ausgestaltung Das bilaterale Niederlassungsabkommen zwischen dem Iran und Deutschland enthält verschiedene Regelungen zum Niederlassungsrecht von natürlichen Personen aber auch zum Betrieb eines Gewerbes oder Handelsgeschäft. Der Vertrag beruht auf Meistbegünstigungsklauseln. Die allgemeine Vorschrift des Art. 1 sieht vor, dass die Angehörigen des einen Vertragsstaates auf dem Gebiet des anderen Staates den Schutz der dortigen Gesetze und Behörden genießen. Die folgenden Artikel enthalten speziellere Vereinbarungen unter anderem zum Betrieb von Handel und Gewerbe, zur Niederlassung von Aktien- und Handelsgesellschaften und zur Zahlung von Steuern und Abgaben. Jeweils wird der gleiche Schutz wie Inländern garantiert. Es fällt auf, dass die Kollisionsregel in Art. 8 Abs. 3 S. 1 in gewisser Weise davon abweicht, denn im Personen-, Familien- und Erbrecht soll das Heimatrecht der Angehörigen der Vertragsstaaten zur Anwendung kommen. Neben der Kollisionsvorschrift enthält Art. 8 Abs. 3 auch eine ordre public-­Vorschrift, eine Rechtswahl ist nicht vorgesehen. Das Abkommen wird durch ein Schlussprotokoll ergänzt. Letzteres enthält eine Konkretisierung des sachlichen Anwendungs­ bereichs des Art. 8 Abs. 3 des Niederlassungs-abkommens.

3. Interessen a) Vertragsparteien Das Niederlassungsabkommen ist in den beiden Vertragsstaaten von unterschiedlicher Bedeutung. Im Iran wird der Vertrag in der juristischen Literatur nicht diskutiert, auch Gerichtsurteile zur Anwendung des Niederlassungsabkommen gibt es nicht.124 Anders sieht das in Deutschland aus. Immer wieder beschäftigt sich die deutsche Rechtsprechung mit der Anwendbarkeit und dem Inhalt vor allem der Kollisionsvorschrift in Art. 8 Abs. 3 S. 1 des Niederlassungsabkommen.125

123

Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (459). 124 Yassari, The Relations of Iran with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 253 (253 f.). 125 Vgl. BGH, Urt. v. 6. Oktober 2004 – XII ZR 225/01 = NJW-RR 205, 81; BGH, Beschl. v. 6. Juli 2005 – XII ZB 50/03 = BGHZ 162, 230; OLG Hamm, Urt. v. 14. Juni 2012 – II-4 UF 136/10 = FamRZ 2012, 1498; OLG Frankfurt, Beschl. v. 27. Januar 2003 – 5 WF 210/02; OLG München, Beschl. v. 1. Februar 2010 – 31 Wx 37/09 = FamRZ 2010, 1280.

III. Das Niederlassungsabkommen vom 17. Februar 1929

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Die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran sind traditionell gut126, das diplomatische Verhältnis hat jedoch immer wieder gelitten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts litt das Vertrauen aufgrund des iranischen Nuklearprogramms.127 Auch das Verhalten des Irans gegenüber Israel führte zu weiteren Spannungen.128 Die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder sind eigentlich eng. Rund ein Drittel „der industriellen Infrastruktur in Iran stammen aus deutscher Produktion“.129 Nach Wiederaufnahme der US-Sanktionen haben sich die Rahmenbedingungen für den deutsch-iranischen Handel verschlechtert und deutsche Firmen haben sich aus dem iranischen Markt zurückgezogen.130 Ein besonderes Verhältnis zwischen den beiden Ländern besteht hinsichtlich des kulturellen Austauschs und der bilateralen Wissenschaftsbeziehungen.131 b) Europäische Union Aus Sicht der Europäischen Union ist im Wesentlichen relevant, inwieweit das Niederlassungsübereinkommen das europäische IPR schwächt. Auf der einen Seite leben in Deutschland lediglich 123.000 iranische Staatsbürger,132 aber auf der anderen Seite kollidiert das Abkommen sowohl mit der EuErbVO als auch mit der Rom III-VO und den Güterrechtsverordnungen. Die Beeinträchtigungen für das europäische IPR sind deshalb nicht zu unterschätzen. Auch die Beziehungen zwischen der EU und dem Iran haben unter dem Atomprogramm gelitten.133 Im Jahr 2015 konnte die „E3/EU + 3“ (China, Russland, die USA, Frankreich, Deutschland, das Vereinigte Königreich und die EU als Koordi 126 IranJournal, Deutsch-iranische Beziehungen, https://iranjournal.org/deutsch-iranischebeziehungen. 127 Auswärtiges Amt, Deutschland und Iran: bilaterale Beziehungen, 14. September 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/bilaterale-beziehungen/ 202402. 128 Lange, Teheran und Berlin – eine schwierige Beziehung, Augsburger Allgemeine, 9. Januar 2020, https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Teheran-und-Berlin-eine-schwierigeBeziehung-id56396171.html. 129 Auswärtiges Amt, Deutschland und Iran: bilaterale Beziehungen, 14. September 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/bilaterale-beziehungen/ 202402. 130 Klein, Deutschland und Iran: Durch gute und schlechte Zeiten, Deutsche Welle, 9. Mai 2019, https://www.dw.com/de/deutschland-und-iran-durch-gute-und-schlechte-zeiten/ a-48676496. 131 Auswärtiges Amt, Deutschland und Iran: bilaterale Beziehungen, 14. September 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/bilaterale-beziehungen/ 202402. 132 Statistisches Bundesamt, Anzahl der Ausländer in Deutschland nach Herkunftsland von 2018 bis 2020, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1221/umfrage/anzahl-derauslaender-in-deutschland-nach-herkunftsland/. 133 Europäisches Parlament, Iran: Kann die EU dabei helfen, die Situation zu entschärfen?, 14. Januar  2020, https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/world/20200109STO69 926/iran-kann-die-eu-dabei-helfen-die-situation-zu-entscharfen.

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Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

natorin) sich mit dem Iran auf die Wiener Nuklearvereinbarung einigen.134 In der Folge wurden die Sanktionen gegen den Iran größtenteils aufgehoben, der Weg war frei für eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen.135 Nachdem Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Nuklearabkommen, hielten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die EU weiterhin an ihren Verpflichtungen fest.136 Im Konflikt zwischen den USA und dem Iran versucht die EU eine Vermittlerrolle einzunehmen.137 Darüber hinaus sollen Maßnahmen entwickelt werden, die Geschäftsbeziehungen mit dem Iran ermöglichen, ohne von den Sanktionen getroffen zu werden.138 Enge Verbindungen zwischen der Union und dem Iran sind für beide Seiten positiv. Durch die Lieferung iranischen Erdöls und Erdgases, könnte die Union die Energieversorgungssicherheit ausbauen. Der Iran könnte von der EU profitieren, um mit Know-how und Technologien aus Europa unter anderem die eigenen Produktionskapazitäten zu verbessern.139

4. Mögliche Maßnahmen a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation des Niederlassungsabkommens Auch mit dem Iran könnte Deutschland ein Auslegungsprotokoll vereinbaren, um sowohl den räumlichen als auch den persönlichen Anwendungsbereich des Niederlassungsabkommen zu konkretisieren.140 Dies würde im Sinne des unionsrechtlichen Grundsatzes des effet utile die effektive Wirksamkeit des Unionsrechts erhöhen.141 134

Auswärtiges Amt, Deutschland und Iran: bilaterale Beziehungen, 14. September 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/bilaterale-beziehungen/ 202402. 135 Klein, Deutschland und Iran: Durch gute und schlechte Zeiten, Deutsche Welle, 9. Mai 2019, https://www.dw.com/de/deutschland-und-iran-durch-gute-und-schlechte-zeiten/ a-48676496. 136 Auswärtiges Amt, Deutschland und Iran: bilaterale Beziehungen, 14. September 2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/bilaterale-beziehungen/ 202402. 137 Europäisches Parlament, Iran: Kann die EU dabei helfen, die Situation zu entschärfen?, 14. Januar 2020, https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/world/20200109ST O69926/iran-kann-die-eu-dabei-helfen-die-situation-zu-entscharfen. 138 Europäisches Parlament, Iran: Kann die EU dabei helfen, die Situation zu entschärfen?, 14. Januar 2020, https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/world/20200109ST O69926/iran-kann-die-eu-dabei-helfen-die-situation-zu-entscharfen. 139 Mogherini, Warum der Dialog mit Teheran so wichtig ist, Handelsblatt, 15. April 2016, https://www.handelsblatt.com/politik/international/gastbeitrag-zur-eu-beziehung-mit-dem-iranwarum-der-dialog-mit-teheran-so-wichtig-ist/13456184.html. 140 Vgl. supra, Kapitel C: II. 2. b) aa). 141 Looschelders, The External Relations of Germany, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 149 (154); Süß, Der Vorbehalt zugunsten bilateraler Abkommen mit Drittstaaten, in: Dutta / Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung S. 181 (188).

III. Das Niederlassungsabkommen vom 17. Februar 1929

157

Das Abkommen wäre dann nur noch für im Iran oder in Deutschland belegenes Vermögen und für Personen anwendbar, die entweder die deutsche oder die iranische und keine weitere Staatsangehörigkeit besitzen. Anzumerken ist jedoch, dass ein enger räumlicher Anwendungsbereich hinsichtlich der Europäischen Erbrechtsverordnung zur Nachlassspaltung führen kann.142 Ein iranischer Erblasser verstirbt mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland und einer Immobilie in Deutschland und einer Immobilie in Frankreich. Bei engem räumlichem Anwendungsbereich würde die Immobilie in Deutschland nach dem Niederlassungsabkommen und die Immobilie in Frankreich nach der EuErbVO vererbt werden. Während im deutsch-türkischen Nachlassabkommen sowieso schon eine Nachlassspaltung vorgegeben ist, gilt im deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen eigentlich Nachlasseinheit hinsichtlich des beweglichen und unbeweglichen Vermögens. Erst der enge räumliche Anwendungsbereich könnte zu Nachlassspaltungen führen. Wie auch schon bei den zuvor besprochenen Staatsverträgen kann ein solches Auslegungsprotokoll zwar zu weniger Anwendungsfällen des Niederlassungs­ abkommen führen, die Unvereinbarkeiten mit der EuErbVO bleiben jedoch bestehen. Auf das Verhältnis zu den anderen europäischen Verordnungen hätte das Auslegungsprotokoll nur bezüglich des persönlichen Anwendungsbereich Auswirkungen. Der europäische Entscheidungseinklang würde jedenfalls nicht vollständig hergestellt werden. b) Anpassung des Niederlassungsabkommens Seine Pflicht zur Behebung der Unvereinbarkeiten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV wird Deutschland nicht durch Anpassung des Niederlassungsabkommen erfüllen können. Das iranische Kollisionsrecht basiert im Familien- und Erbrecht auf der Staatsangehörigkeit. Die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt wird in der Literatur nicht diskutiert.143 Hintergrund ist auch der Wille der iranischen Regierung, dass für alle Iraner weltweit im Familien- und Erbrecht iranisches Sachrecht anwendbar sein soll.144 Auch aus deutscher Sicht könnte eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt problematisch sein. Schließlich würde dies dazu führen, dass beispielsweise bei gewöhnlichem Aufenthalt eines deutschen Erblassers im Iran iranisches Erbrecht Anwendung findet, das auf islamischen Rechtsgrundsätzen beruht und oftmals weit vom deutschen Rechtsverständnis entfernt ist. Auch der ordre public-Grundsatz würde nicht weiterhelfen, wenn iranische Gerichte iranisches Recht anwenden. 142 Wurmnest, Der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen bei erbrechtlichen Streitigkeiten und deutscher ordre public, IPRax 2016, S. 447 (450). 143 Yassari, The Relations of Iran with EU Member States, in: Dutta / Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, S. 253 (266). 144 Ebenda.

158

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

Eine Streichung der Kollisionsregelung in Art. 8 Abs. 3 ist aus iranischer Sicht sicherlich ebenfalls nicht denkbar, da dann Deutschland die EuErbVO anwenden würde und das anwendbare Recht nach dem gewöhnlichen Aufenthalt bestimmt werden würde. Der Iran hätte demzufolge nicht mehr die Sicherheit, dass für seine Staatsangehörigen immer iranisches Familien- und Erbrecht gilt. c) Kündigung des Niederlassungsabkommens Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen enthält in Art. 10 Abs. 3 ein Kündigungsrecht. Dies ist dem Wortlaut der Vorschrift klar zu entnehmen. Neben der Kollisionsvorschrift in Art. 8  Abs. 3 des Niederlassungsabkommens würde eine Kündigung das gesamte Abkommen treffen, da eine Teilkündigung mit Zustimmung des Iran kaum realistisch erscheint. Dies würde schließlich dazu führen, dass eine Anwendung des iranischen Rechts für iranische Staatsbürger nicht mehr garantiert ist. Im Gegensatz zu den beiden bereits besprochenen Konsularverträgen gilt die Kollisionsvorschrift des Niederlassungsabkommen nicht nur für das Erbrecht, sondern auch für das Familienrecht, was dementsprechend die Zahl der Anwendungsfälle erhöht. Demgegenüber ist das Niederlassungsabkommen der Einzige der drei Staatsverträge, der im Erbrecht zu keiner Nachlassspaltung führt, da er sowohl für das unbewegliche als auch das bewegliche Vermögen des Erblassers an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Die Divergenzen zur EuErbVO sind somit als nicht allzu gravierend anzusehen. Diese Gesichtspunkte spielen jedoch keine Rolle, wenn sich der Iran nicht auf eine Anpassung einlässt. Denn dann hat Deutschland keine Wahl und ist zur Kündigung des Abkommens gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV verpflichtet. d) Abschluss eines neuen Staatsvertrages Anders als hinsichtlich der beiden bereits analysierten Konsularverträge könnte Deutschland im sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO und der Güterrechtsverordnungen weiterhin ein eigenes neues Abkommen mit dem Iran abschließen. Da diese beiden Verordnungen lediglich im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit zustande gekommen sind, steht im sachlichen Anwendungsbereich der Verordnungen auch Deutschland weiterhin neben der EU die Außenkompetenz zu. Ein neues Abkommen würden jedoch gemäß Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO und Art. 62 Abs. 1 der Güterrechtsverordnungen keine vorrangige Anwendung finden, sodass sich Deutschland bei Anwendung der Verordnungen gegenüber dem Iran völkerrechtswidrig und bei Anwendung des Staatsvertrages europarechtswidrig verhalten würde (Kapitel D I.1.a)dd)). Um aus europäischer Sicht vollständigen Entscheidungseinklang zu erreichen, müsste ein Abkommen zwischen dem Iran und der Union Kollisionsregeln sowohl

IV. Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen  

159

für das Erbrecht als auch für das Scheidungs- und das Güterrecht enthalten. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass der Iran auch am Abschluss eines neuen Vertrages kein Interesse hat, wenn die Kollisionsvorschriften primär an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers, der Ehegatten oder Partner anknüpft. Das Ziel des Irans, dass für alle iranischen Staatsbürger weltweit immer iranisches Erbund Familienrecht gilt, würde verfehlt werden.

5. Zwischenergebnis Da eine Anpassung oder der Abschluss eines neuen Vertrages unwahrscheinlich ist, wird Deutschland zur Kündigung des Niederlassungsabkommens verpflichtet sein. Diese Maßnahme ist sehr drastisch, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Regelungen des Staatsvertrages zwar alt sind, sind sie für die Niederlassungsfreiheit und die Freizügigkeit zwischen Deutschland und dem Iran dennoch wichtig und Ausdruck der traditionell guten Beziehungen und des Austausches zwischen den beiden Ländern. Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen kollidiert jedoch gleich mit vier europäischen Verordnungen (EuErbVO, Rom IIIVO und die beiden Güterrechtsverordnungen), wobei die Rom  III-VO und die beiden Güterrechtsverordnungen aufgrund ihres Zustandekommens im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit sowieso nicht zu einer vollkommenen Harmonisierung geführt haben, sodass in diesem Fall der Vorrang des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen zu keiner dramatischen Einschränkung der Wirksamkeit der Rom III-VO darstellt. Das Ziel der Vereinheitlichung, das mit der EuErbVO verfolgt wird, wird zwar gestört, jedoch folgt das Niederlassungsabkommen zumindest dem wichtigen Grundsatz der Nachlasseinheit. Die Kommission sollte hinsichtlich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen von der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 258 AEUV absehen, wenn Deutschland seiner Verpflichtung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV nicht nachkommt. Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran sind auch für die Union wichtig und sollten durch eine zwangsweise durchgesetzte Kündigung des Nachlassabkommens nicht aufs Spiel gesetzt werden.

IV. Das Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht  IV. Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen 

Die Europäische Kommission sollte gemäß Art. 30 Abs. 1 ii) Rom II-VO einen Bericht zu den Auswirkungen von Art. 28 Rom II-VO im Hinblick auf das HStÜ vorlegen. Da dies augenscheinlich noch nicht geschehen ist, gilt es auch für dieses Übereinkommen Handlungsmöglichkeiten „durchzuspielen“, um die Differenzen zur Rom II-VO zu beseitigen.

160

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

1. Historischer Hintergrund Ursprünglich wollte die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht ein Übereinkommen schließen, das das anwendbare Recht für alle unerlaubten Handlungen regelt. Damit ist man jedoch gescheitert, man hat sich allerdings auf zwei Übereinkommen zu speziellen Delikttypen zur Produkthaftung und zu Straßenverkehrsunfällen einigen können.145 Das HStÜ sollte die Abwicklung von Schadensersatzansprüchen erleichtern, indem das anzuwendende Recht international einheitlich bestimmt wird. Außerdem wurden neben der traditionellen Anknüpfung an den Deliktort weitere Anknüpfungsmöglichkeiten geschaffen.146 Deutschland hat das Übereinkommen nicht unterzeichnet, da es in der Literatur in Kritik stand. Es sei zu kompliziert und ließe viele Fragen offen, außerdem führe es teilweise zu Ergebnissen, die nicht überzeugend sein.147 Jedoch mehren sich auch die Aussagen, dass die Kritikpunkte unerheblich seien, da die wichtigsten Reiseländer der Deutschen das Übereinkommen unterzeichnet haben.148

2. Ausgestaltung Das HStÜ ist ein multilateraler Staatsvertrag zwischen 24 Vertragsstaaten.149 Es wurde vor allem von Ländern unterzeichnet, deren Staatsgebiete sich auf dem Kontinent Europa und somit in unmittelbarer Nähe zueinander befinden. Folglich gibt es auch viele Vertragsstaaten, die gleichzeitig Mitglieder der Europäischen Union sind und sich auch im Rahmen der Rom II-VO verpflichtet haben. Kompliziert wird es beim Zusammentreffen mit Produkthaftungsfragen. Es gibt EU-Mitgliedsstaaten, die nur das Straßenverkehrsübereinkommen unterzeichnet haben, andere die zusätzlich Vertragsstaaten der Haager Konvention über Produkthaftung sind und andere Mitgliedsländer, für die nur die Rom II-VO gilt. Für bestimmte Sachverhalte können daher mehrere untereinander nicht kompatible Anknüpfungssysteme zur Anwendung kommen, dies kann in Folge zu Angrenzungsproblemen führen.150 Nach den Regelungen zum Anwendungsbereich folgen in Art. 3 ff.  HStÜ die Kollisionsvorschriften. Das nach diesen Normen anwendbare Recht kann gemäß Art. 11 HStÜ auch das eines Staates sein, der nicht Vertragspartei des Überein 145

MünchKommBGB / Junker, Rom II-VO, Art. 28 Rn. 3. Beitzke, Die 11. Haager Konferenz und das Kollisionsrecht der Strassenverkehrsunfälle, RabelsZ 33 (1969) S. 204 (208). 147 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (696). 148 Sieghörtner, Internationales Strassenverkehrsunfallrecht, S. 13. 149 Portal der Schweizer Regierung, Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1986/2253_2253_2253/de. 150 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 408 f. 146

IV. Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen  

161

kommens ist. Die Kollisionsregelungen in Art. 4 und 5 HStÜ sind sehr einzelfallbezogen, mit den zahlreichen Varianten und Ausnahmen werden die Vorschriften schwer zugänglich.151 Vor allem Art. 4 a HStÜ ist als problematisch anzusehen: Wenn bei einem Verkehrsunfall mehrere Personen geschädigt werden, richtet sich das anwendbare Recht jeweils nach den Voraussetzungen der einzelnen Personen.152 Auch der Ort der Zulassung ist als Anknüpfungspunkt im Sinne des IPR nicht geeignet.153

3. Interessen Aus Sicht der Drittstaaten hat ein Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht diplomatisch und außenpolitisch sicherlich nicht das gleiche Gewicht, wie ein Freundschaftsvertrag. Ein einheitliches Kollisionsrecht für Straßenverkehrsdelikte über die Staaten der Europäischen Union hinaus ist aber zweifelsohne sinnvoll, schließlich haben die Grenzen der EU keine Auswirkungen auf den internationalen Straßenverkehr. Jedoch gibt es Staaten, wie Dänemark, die gar kein Interesse an gemeinsamen Regelungen haben. Das Land hat weder das HStÜ unterzeichnet, noch gilt dort die Rom II-VO. Das Kollisionsrecht bezüglich Straßenverkehrsunfällen ist in Europa somit in dreifacher Hinsicht gespalten.154 Während in Deutschland die europäische Verordnung gilt, kommt in keinem der Nachbarsstaaten die Rom II-VO zur Anwendung.155 Im Zuge der Verhandlungen zur Rom II-VO konnte kein Kompromiss für ein einheitliches Deliktskollisionsrecht gefunden werden, wie es der Rat eigentlich vorgesehen hatte. Weder wollten sich die „Gegner des HStÜ“ auf eine besondere Kollisionsnorm mit Verweis auf das HStÜ in der Rom II-VO einlassen, noch wollten diejenigen Mitgliedsländer, die auch das HStÜ unterzeichnet haben, einen Vorrang der Rom IIVO vor dem HStÜ akzeptieren.156 Der Erwägungsgrund (37) der Verordnung sieht zwar vor, dass es für die Mitgliedsstaaten weiterhin möglich sein soll, Staatsverträge mit Bestimmungen über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zu schließen und zu unterhalten. Übereinkommen wie das HStÜ wird die Union jedoch langfristig nicht akzeptieren wollen. 151

Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 478. 152 Thiede / Keller, „Forum shopping“ zwischen dem Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht und der Rom-II-Verordnung, VersR 2007, S. 1624. 153 Thiede / Keller, „Forum shopping“ zwischen dem Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht und der Rom-II-Verordnung, VersR 2007, S. 1624. 154 Rudolf, Internationaler Verkehrsunfall, ZVR 2008, S. 528 (531). 155 MünchKommBGB / Junker, Rom II-VO, Art. 28 Rn. 18. 156 jurisPK-BGB / Lund, Rom II-VO, Art. 4 Rn. 35; Wagner, Das Vermittlungsverfahren zur Rom II – Verordnung, in: FS: Kropholler, S. 715 (726); Gemeinsamer Standpunkt (EG) NRr. 22/ 2006 vom Rat festgelegt am 25. September 2006 im Hinblick auf die Annahme der Verordnung (EG) Nr. …/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom … über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“), ABl. 2006 C 280 E/68 (79).

162

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

4. Maßnahmen a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation des Haager Straßenverkehrsübereinkommen Eine unionsfreundliche Interpretation, um Konflikte zwischen den beiden Regelwerken zu vermeiden oder zumindest zu minimieren, ist nicht möglich. Man könnte daran denken, Art. 15 HStÜ so auszulegen, dass die Rom II-VO als Spezialabkommen dem HStÜ vorgeht. Zwar ist es unschädlich, dass Art. 15 HStÜ von völkerrechtlichen Übereinkommen spricht, aber der lex specialis-Gedanke lässt sich mit dem Verhältnis der Rom II-VO zum HStÜ nicht vereinbaren.157 Schließlich ist der Anwendungsbereich der Verordnung viel weiter, da sie zu nahezu allen außervertraglichen Schuldverhältnissen Regelungen enthält.158 Auch in sonstiger Weise ist eine unionsfreundliche Auslegung des Übereinkommens nicht möglich, denn während die Rom II-VO allgemeine Kollisionsregeln enthält, beinhaltet das HStÜ konkrete, einzelfallbezogene Anknüpfungsregelungen. Das HStÜ und die Rom IIVO unterscheiden sich somit klar in ihrem Inhalt, aber auch in ihrem Zweck.159 b) Anpassung des Haager Straßenverkehrsübereinkommen Einige Stimmen in der Literatur sprechen sich für eine Anpassung des HStÜ aus.160 Bei Anpassung des Übereinkommens durch die Mitgliedsstaaten müssten die Verfahrensvorschriften der Verordnung (EG)  Nr. 662/2009 zugrunde gelegt werden. Teilweise wird auch vertreten, dass eine Anpassung nach Unterzeichnung und Ratifizierung unter Beteiligung der EU erfolgen sollte.161 Es wird jedoch nicht ganz klar, ob die Beteiligung der EU nur aufgrund der Kompetenzverteilung als notwendig für die Anpassung erachtet wird162 oder ob darauf abgezielt wird, dass das HStÜ unionsweit gilt. Ein Beitritt der Union ohne anschließende Anpassung ist jedenfalls nicht empfehlenswert, da die Regelungen des HStÜ zu komplex sind163 157 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (698). 158 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 412. 159 Ebenda, S. 454 f. 160 Adensamer, Der Verkehrsunfall im Licht der Rom-II-Verordnung, ZVR 2006, S. 523 (527); von Hein, VersR 2007, 440 (452); Rudolf, Internationaler Verkehrsunfall, ZVR 2008, S. 528 (532); a. A. Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkraft­treten der Rom II-VO, S. 456. 161 Adensamer, Der Verkehrsunfall im Licht der Rom-II-Verordnung, ZVR 2006, S. 523 (527); Rudolf, Internationaler Verkehrsunfall, ZVR 2008, S. 528 (532). 162 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 456 Fn. 2274. 163 Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (643).

IV. Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen  

163

und sich mit dem System der Rom II-VO nicht vereinbaren lassen. Außerdem würden auf diesem Weg Mitgliedsstaaten an den Staatsvertrag gebunden werden, die sich gerade gegen eine Teilnahme entschieden haben.164 Darüber hinaus würden Verkehrsunfälle vollständig aus dem Anwendungsbereich der Rom II-VO herausgenommen werden und die Verordnung würde „entkernt“ werden.165 Die schwerwiegenden Unterschiede führen dazu, dass für eine Anpassung der Kollisionsregeln des Übereinkommens an die Verordnung eine grundlegende Reform notwendig ist.166 Denkbar wäre anschließend eine ähnliche Lösung wie bei Art. 15 EuUntVO, der explizit auf das Haager Unterhaltsprotokoll verweist. Dies hätte den Vorteil, dass das Kollisionsrecht hinsichtlich Straßenverkehrsunfälle über die Grenzen der Union hinaus vereinheitlicht werden würde.167 Eine grundlegende Reform des HStÜ wäre jedoch kaum konsensfähig.168 Auch viele EU-Mitgliedsstaaten, die gleichzeitig an die Rom II-VO und an das HStÜ gebunden sind, wollen an dem Übereinkommen in seiner jetzigen Form festhalten. Jedoch sind die an dem Staatsvertrag teilnehmenden Staaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zur Behebung der Unvereinbarkeiten verpflichtet und eine drohende Kündigung als ultima ratio kann selbstverständlich auch nicht gewollt sein. Ein geringerer Eingriff wäre eine Anpassung des Art. 15 HStÜ. Die Vorschrift, die momentan einen Vorrang für lex specialis vorsieht, könnte um eine Vorrangsregelung zugunsten der Rom II-VO erweitert werden. Die Vorschrift könnte vorsehen, dass die Rom II-VO Anwendung findet, sofern der zugrundeliegende Sachverhalt lediglich Bezug zu solchen Staaten hat, die auch an die Verordnung gebunden sind.169 Das europäische IPR hinsichtlich Straßenverkehrsunfälle würde gestärkt werden, der europäische Entscheidungseinklang würde jedoch auf diesem Wege nicht vollständig hergestellt werden, da im Verhältnis zu den Drittstaaten weiterhin die Kollisionsregeln des HStÜ zur Anwendung kommen würden. Die „Drei­spurigkeit“ hinsichtlich des anwendbaren Rechts bei Straßenverkehrsunfällen würde weiterhin bestehen bleiben170 und die Mitgliedsstaaten würden ihre Pflicht gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV nicht erfüllen.

164

Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. a) aa). Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (706). 166 Ebenda. 167 Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), 624 (644). 168 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (706); Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 457, 471. 169 Staudinger, Das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Haager Straßenverkehrsübereinkommen und der Rom II-VO, in: FS Kropholler, S. 691 (706). 170 Ebenda, S. 707. 165

164

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

c) Kündigung des Haager Straßenverkehrsübereinkommen Ein Kündigungsrecht ergibt sich aus Art. 20 Abs. 2 HStÜ, wobei dieses an eine zeitliche Komponente geknüpft ist. Die Geltungsdauer des Übereinkommens verlängert sich jeweils stillschweigend um weitere fünf Jahre, wenn nicht gemäß Art. 20 Abs. 3 HStÜ spätestens sechs Monate vor Ablauf von fünf Jahren gekündigt wird. In Kraft getreten ist das Übereinkommen auch für später beigetretene Staaten am 3. Juni 1975.171 Somit wäre der nächste späteste Zeitpunkt zur Kündigung am 3. Dezember 2024, damit die Geltungsdauer zum 3. Juni 2025 beendet ist. Die Pflicht zur Kündigung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV ist auch nicht ausgeschlossen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Europäische Gesetzgeber bei Erlass der Rom II-VO und trotz gleichzeitiger Kenntnis über die Unvereinbarkeiten des HStÜ und der zukünftigen Verordnung bewusst den Vorrang des Staatsvertrages in Kauf genommen hat und somit die Differenzen akzeptiert hat. Art. 28 Rom II-VO ist schließlich nur eine Kopie der primärrechtlichen Regelung des Art. 351 Abs. 1 AEUV.172 d) Abschluss eines neuen Staatsvertrages Statt einer grundlegenden Änderung des HStÜ könnte auch an den Abschluss eines neuen Übereinkommens gedacht werden. Die ausschließliche Kompetenz zum Abschluss eines neuen Vertrages mit Kollisionsnormen zu Straßenverkehrsunfällen hat die Union inne. Würde dieses Abkommen nach dem Vorbild der Rom II-VO zustande kommen, hätte dies den Vorteil, dass die europäischen Regelungen in Drittstaaten transportiert werden würden. Unterzeichnen jedoch nicht alle Drittstaaten den neuen Vertrag, die auch dem HStÜ beigetreten sind, bleibt gegenüber diesen Ländern das alte Übereinkommen anwendbar. Dies würde zwar die Anwendbarkeit der Rom II-VO steigern, aber nicht nur den europäischen Entscheidungseinklang nicht vollständig herstellen, sondern den internationalen Entscheidungseinklang schwächen. Davon ausgegangen, dass nicht alle „HStÜ-­ Drittstaaten“ an dem Abschluss eines neuen Übereinkommens interessiert sein könnten, wäre dies eine nicht ganz unbedenkliche Option zur Förderung eines einheitlichen europäischen Rechtsraums.

171

Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 457, 463. 172 Ebenda.

IV. Das Haager Straßenverkehrsübereinkommen  

165

5. Zwischenergebnis Ein über die Grenzen der Europäischen Union hinaus geltendes Kollisionsrecht hinsichtlich Straßenverkehrsunfälle ist sinnvoll und wünschenswert. Davon ist man jedoch noch weit entfernt. Die Differenzen zwischen dem HStÜ und der Rom II-VO sind groß. Nicht nur die Anknüpfungssysteme der beiden Regelungswerke weichen voneinander ab, die europäische Verordnung folgt – wie bereits festgestellt – einem ganz anderen System als der Staatsvertrag. Während das HStÜ einzelfallbezogene Regelungen enthält, ist der Zweck der Kollisionsregeln der Rom II-VO möglichst viele Fälle nach dem gleichen Schema zu behandeln. Auch der Anwendungs­bereich der Rom II-VO ist hinsichtlich Verkehrsunfälle weiter als der, des HStÜ. Von Maßnahmen, bei denen das HStÜ in seiner jetzigen Form bestehen bleibt, ist deshalb abzuraten. In der Literatur wird sich deshalb häufig für die Kündigung des Haager Straßenverkehrsabkommen ausgesprochen.173 Die Pflicht zur Kündigung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV entsteht, wenn die Anpassung des HStÜ und der Abschluss eines neuen Übereinkommens am fehlenden Interesse scheitern. Kommen alle an das HStÜ gebundenen Mitgliedsstaaten dieser Verpflichtung nach, gilt das Übereinkommen gemäß Art. 20 Abs. 5 HStÜ weiterhin zwischen den beteiligten Drittstaaten fort. Im Verhältnis zu diesen Drittstaaten wird der Entscheidungseinklang somit aufgehoben und auch von einem einheitlichen Kollisionsrecht für Verkehrsunfälle über die Union hinaus ist man weit entfernt. Für die Förderung des europäischen Entscheidungseinklang, der praktischen Anwendbarkeit der Rom II-VO und eines europäischen Rechtsraums ist die Kündigung jedoch die effektivste, aber auch drastischste Maßnahme. Jedenfalls eine Stärkung des europäischen IPR könnte auch durch eine Korrektur an Art. 28 Rom II-VO erreicht werden, sodass die Verordnung zumindest für rein innereuropäische Sachverhalte Anwendung findet.174 Der europäische Entscheidungseinklang würde gefördert, der internationale Entscheidungseinklang jedoch außer Acht gelassen werden. Zu einer solchen Korrektur bedarf es der Zustimmung des Rats, des Europäischen Parlaments und der Kommission. Wie bereits festgestellt, würde eine entsprechende Korrektur nicht genügend Zustimmung erfahren, da viele Mitgliedsstaaten an der Anwendung des HStÜ festhalten wollen. Sollten jedoch die Drittstaaten ihre notwendige Zustimmung175 zu einer Korrektur der Rom II-VO erteilen, sollte der Druck auf die Mitgliedsstaaten erhöht werden. Schließlich sind sie zur Behebung der Unvereinbarkeiten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV verpflichtet. Bei Verletzung dieser Pflicht, kann die Union ein Verfahren gemäß Art. 258 AEUV einleiten. 173 Czaplinski, Das internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO, S. 457, 463; Jakob / Picht, in: Rauscher, Rom II-VO, Art. 28/29 Rn. 11; Kreuzer, Gemeinschaftskollisionsrecht und universales Kollisionsrecht, in: FS Kropholler, S. 129 (146); Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (643). 174 Wurmnest, Die Rom II-VO in der deutschen Rechtspraxis, ZVglRWiss 116 (2016), S. 624 (649). 175 Vgl. supra, Kapitel D: II. 2. c).

166

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

V. Das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt 1. Historischer Hintergrund Schon Mitte des 20. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, das Recht hinsichtlich internationaler Binnenschifffahrtstransporte zu vereinheitlichen. Diese scheiterten zunächst. Im Oktober 2000 ist dann endlich unter der Schirmherrschaft der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt in Straßburg (ZKR), der Donaukommission in Budapest und der Wirtschaftskommission der UN in Genf das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterförderung in der Binnenschifffahrt zustande gekommen. Geeinigt hat man sich nach langen Verhandlungen auf einen Kompromiss, der sowohl vom Seerecht als auch vom Landrecht beeinflusst ist.176 Für Deutschland ist die Konvention erst im November 2007 in Kraft getreten.177

2. Ausgestaltung Die CMNI ist ein multilaterales Übereinkommen, das zwischen den Staaten Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Luxemburg, Moldawien (Republik Moldau), Niederlande, Rumänien, Russland, Serbien, Schweiz, Slowakei, Ungarn, Ukraine und der Tschechischen Republik gilt.178 Das Übereinkommen findet grundsätzlich auf alle für die Binnenschifffahrt geschlossenen Frachtverträge mit grenzüberschreitendem Charakter Anwendung, wobei die Vertragsstaaten das Übereinkommen auch gemäß Art. 38 CMNI für rein nationale Sachverhalte anwendbar erklären können. Es enthält vor allem Sachrecht mit Regelungen unter anderem zu Rechten und Pflichten der Vertragsparteien (Kapitel II), zu Frachturkunden (Kapitel III) und der Haftung des Frachtführers (Kapitel V). Für Fragen, die die CMNI nicht regelt, findet Art. 29  CMNI als allgemeine subsidiäre Kollisionsvorschrift Anwendung. Darüber hinaus finden sich an einzelnen Stellen Regelungen, die ebenfalls spezielle Vorschriften zum anwendbaren Recht enthalten, die ebenfalls vor Art. 29 CMNI Vorrang genießen179, aber in das materielle Einheitsrecht eingebettet sind: Art. 10 Abs. 2 CMNI für die Definition der Ablieferung, Art. 11 Abs. 2 CMNI für die Form der Unterzeichnung von Frachturkunden, Art. 16 Abs. 2 CMNI für die Haftung des Frachtführers für Landschä 176

Hackensteiner, Implementation des Budapester Übereinkommens über den Vertrag über die Güterförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI), S. 1 https://www.ivr-eu.com/wp-content/ uploads/2017/02/Mr._Theresia_Hacksteiner_IMPLEMENTATION_DES_BUDAPESTER_ UBEREINKOMMENS_UBER_DEN_VERTRAG_UBER_DIE_GUTERBEFORDERUNG_ IN_DER_BINNENSCHIFFFAHRT_CMNI_2009.pdf. 177 BGBl. 2007 II S. 298. 178 Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, Ratifikationsstatus CMNI https://www.ccrzkr.org/files/conventions/etatRatifications_de.pdf. 179 MünchKommHGB / Otte, CMNI, Art. 29 Rn. 6.

V. Das Budapester Übereinkommen  

167

den, Art. 19 Abs. 5 CMNI für den Frachtanspruch des Frachtführers bei eigener Schadensersatzpflicht und Art. 24 Abs. 3 und Abs. 4 CMNI für die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung.180

3. Interessen Auch die CMNI ist ein Staatsvertrag, der nicht Grundlage für diplomatische Beziehungen bildet, sondern auf gemeinsamen regionalen Interessen beruht. Den Initiatoren der CMNI-Übereinkommens schwebte ein möglichst breiter Anwendungsbereich vor, um weitgehende Rechtsvereinheitlichung zu erreichen. Für die Binnenschifffahrt ist der Vertrag von enormer Bedeutung. Nachdem es für andere Güterbeförderungsoptionen bereits internationale Regelungen gab, hat die CMNI die bestehende Regelungslücke für die Binnenschifffahrt gefüllt.181 Ein gemeinsames Übereinkommen zwischen den Anrainern großer Binnengewässer wie Rhein, Donau und Schwarzes Meer ist sehr sinnvoll. Gemeinsame Regelungen erleichtern die Einordnung eines Sachverhalts bei Beförderungen über mehrere Landesgrenzen hinweg. Darüber hinaus endet auch die Güterbeförderung per Schiff nicht an den Außengrenzen der Europäischen Union. Der räumliche Anwendungsbereich des Übereinkommens wächst weiter. Im Oktober 2015 hat die Europäische Union die drei Mitgliedsstaaten Belgien, Polen und Österreich dazu ermächtigt, die CMNI zu ratifizieren, obwohl die Rom I-VO zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft war.182 Offensichtlich hat bei dieser Entscheidung die damit sinkende Anwendbarkeit der Rom I-VO nicht schwer gewogen und die Union hat die Bedeutung der CMNI erkannt.

4. Maßnahmen Schon bei der Darstellung zum Vorrang der CMNI vor der Rom I-VO hat sich das besondere Verhältnis der beiden Regelungswerke gezeigt. Die CMNI enthält vor allem Sachrecht zum Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschiff 180 Mankowski, in: Reithmann / Martiny, Internationales Vertragsrecht, Rn. 3024; MünchKommHGB / Otte, CMNI, Art. 29 Rn. 6. 181 Hackensteiner, Implementation des Budapester Übereinkommens über den Vertrag über die Güterförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI), S. 1 https://www.ivr-eu.com/wp-content/ uploads/2017/02/Mr._Theresia_Hacksteiner_IMPLEMENTATION_DES_BUDAPESTER_ UBEREINKOMMENS_UBER_DEN_VERTRAG_UBER_DIE_GUTERBEFORDERUNG_ IN_DER_BINNENSCHIFFFAHRT_CMNI_2009.pdf. 182 Beschluss (EU) 2015/1878 des Rates vom 8. Oktober 2015 zur Ermächtigung des Königreichs Belgiens und der Republik Polen, das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) zu ratifizieren, und zur Ermächtigung der Republik Österreich, diesem Übereinkommen beizutreten, OJ L 276 S. 1–2.

168

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

fahrt. Diese stehen somit nicht in echter „Konkurrenz“ mit Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO, die das anwendbare Recht bei Beförderungs-verträgen über Güter regelt. Trotzdem führen die Sachrechtsvorschriften dazu, dass der europäische Entscheidungseinklang behindert und die Anwendbarkeit der Rom I-VO geschwächt wird. Die Vertragsstaaten der CMNI, die gleichzeitig Mitgliedsstaaten der Union sind,183 wenden bei Verträgen über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt direkt das vorrangige CMNI an, während die Mitgliedsländer, die die CMNI nicht unterzeichnet haben, das nach Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO anwendbare Recht „suchen“. Zu prüfen ist, ob die Union Deutschland und alle anderen Mitgliedsstaaten, die die CMNI unterzeichnet haben, verpflichten kann, die durch die Sachrechtsregelungen der CMNI verursachten Störung des europäischen Entscheidungseinklangs zu beheben. Dies wäre der Fall, wenn sich daraus eine Unvereinbarkeit im Sinne des Art. 351 Abs. 2 AEUV ergibt. Eine Unvereinbarkeit liegt vor, wenn zwischen dem Drittstaatsvertrag und dem Unionsrecht ein Widerspruch besteht.184 Ein solcher Widerspruch kann allerdings nicht bestehen, soweit der Altvertrag nicht den gleichen Regelungsinhalt wie das Unionsrecht hat. Darüber hinaus ist es schwer vorstellbar, dass die Union die Mitgliedsstaaten zu Maßnahmen verpflichten kann, wenn sie selbst im Bereich des materiellen Vertragsrechts gar keine Kompetenzen hat. Zwar ist die Rom I-VO gemäß Art. 1 Abs. 1 auf „vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen“ anwendbar. Eine Außenkompetenz kann jedoch grundsätzlich nur entstehen, wenn der Union auch die entsprechende Innenkompetenz zusteht.185 Die der Rom I-VO zugrunde liegende Kompetenznorm befindet sich in Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV. Diese ermächtigt die Union jedoch lediglich zur Vereinheitlichung des Kollisionsrecht, nicht jedoch zum Erlass von materiellem Vertragsrecht.186 Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 1 EUV lässt ebenfalls kein anderes Ergebnis zu.187 Folglich können die Mitgliedsstaaten weiterhin im Vertragsrecht sachrechtsvereinheitlichende Staatsverträge schließen. Eine Verpflichtung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV, weil mitgliedsstaatliche Sachrechtsübereinkommen den Entscheidungseinklang beeinträchtigen, macht somit keinen Sinn. Die Europäische Union kann somit Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten, die die CMNI unterzeichnet haben, lediglich dazu verpflichten, die Unvereinbarkeiten bezüglich Art. 29 CMNI gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zu beheben. 183

Mit Ausnahme der Länder Dänemark und Irland, die nicht an die Rom I-VO gebunden sind. Lavranos, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje, AEUV, Art. 351 Rn. 8. 185 EuGH, Gutachten 1/76 v. 26. April 1977, Slg. 1977, 741 Rn. 3 – Stilllegungsfonds; Eeckhout, EU External Relations Law, S. 118; Mögele, in: Streinz, AEUV, Art. 216 Rn. 32; Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR Beiheft 3/2007, S. 57 (62). 186 Schilling, Das Internationale Privatrecht der Transportverträge, S. 64. 187 Ebenda, S. 65. 184

V. Das Budapester Übereinkommen  

169

a) Auslegungsprotokoll zur unionsfreundlichen Interpretation der CMNI Wie bereits festgestellt, ähneln sich die Kollisionsvorschriften Art. 5 Rom I-VO und Art. 29 CMNI zwar, es gibt jedoch auch Differenzen.188 Das wirft die Frage auf, ob ein Auslegungsprotokoll über diese Unterschiede „hinweghelfen“ könnte. Während Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO bei fehlender Rechtswahl an den gewöhnlichen Aufenthalt bzw. gemäß Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 Rom I-VO an die Hauptverwaltung bei juristischen Personen und an die Hauptniederlassung bei natürlichen Personen abstellt, knüpft Art. 29 Abs. 2 CMNI an das Recht an, mit dem der Frachtvertrag die engste Verbindung ausweist. Wobei Art. 29 Abs. 3 CMNI die Vermutung aufstellt, dass der Beförderungsvertrag die engste Verbindung mit dem Staat aufweist, in dem der Frachtführer seine Hauptniederlassung hat. Die Vertragsparteien machen damit klar, dass sie zwar wollen, dass grundsätzlich an den Ort der Hauptniederlassung angeknüpft wird, gleichzeitig zeigt Art. 29 Abs. 2 CMNI, der gerade nicht unmittelbar an den Ort der Hauptniederlassung, sondern zunächst an die engste Verbindung anknüpft, dass auch andere Verbindungen in Betracht kommen. Eine Festlegung hinsichtlich des Art. 29 Abs. 2 CMNI, dass zunächst immer an den Ort der Hauptniederlassung angeknüpft wird, kann durch Auslegung folglich nicht erreicht werden. Darüber hinaus bleibt es weiter bei der Differenz zwischen den beiden Regelwerken bezüglich der Anknüpfung an den Ort der Hauptverwaltung bei juristischen Personen. Dieser ist aufgrund des fehlenden Außenbezugs vom Ort der Hauptniederlassung zu unterscheiden.189 b) Anpassung der CMNI Die Anpassungspflicht gemäß Art. 351  Abs. 2  AEUV und eine Anpassung, die den Entscheidungseinklang vollständig herstellt, sind getrennt zu betrachten. Die Pflicht zur Anpassung kann nur die Kollisionsvorschrift des Art. 29 CMNI betreffen. Deutschland und die anderen Unionsmitgliedsstaaten, die die CMNI unterzeichnet haben, haben bei einer solchen Änderung keinen Handlungsspielraum. Es ist lediglich eine Anpassung an Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO möglich. Bei der CMNI handelt es sich um ein multilaterales Übereinkommen, sodass es bei einer Anpassung die Zustimmung aller 16 Vertragsparteien bedarf. Jedoch sind die Mehrheit der Vertragsstaaten auch Mitgliedsländer der EU und somit an Art. 351  Abs. 2  AEUV gebunden. Da das Übereinkommen eine der Vorschrift Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO ähnliche Regelung enthält, ist die Bereitschaft der Drittstaaten zur Anpassung zumindest nicht ausgeschlossen. Jedoch stören nicht nur die Kollisionsvorschriften, sondern auch die Sach­ normen den Entscheidungseinklang. Diesbezüglich treffen die Mitgliedsstaaten je 188 189

Vgl. supra, Kapitel C: IV. 3. b). Vgl. supra, Kapitel C: IV. 3. b).

170

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

doch keine Pflicht zur Anpassung. Würden sie sich dennoch für eine Änderung der Regelungen entscheiden, hätten sie jeglichen Handlungsspielraum, da sie weiterhin die Außenkompetenz haben, um materielles Vertragsrecht zu regeln. Änderungen zur Förderung des Entscheidungseinklangs und zur Stärkung des europäischen IPR sind jedoch kaum vorstellbar, da das Übereinkommen einen ganz anderen Regelungsinhalt als die Rom I-VO hat. Entscheidungseinklang ist nicht möglich, solange das Übereinkommen materielles Einheitsrecht enthält. c) Kündigung der CMNI Praktische Wirksamkeit der Rom I-VO, europäischer Entscheidungseinklang und die Behebung der Unvereinbarkeiten zwischen Art. 29 CMNI und Art. 5 Rom I-VO könnte durch Kündigung des Übereinkommens erreicht werden. Ein Kündigungsrecht ergibt sich aus Art. 35 Abs. 1 CMNI. Eine Verpflichtung zur Kündigung der CMNI gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV wäre besonders drastisch, da Art. 29 CMNI nur subsidiär Anwendung findet, wenn das Übereinkommen keine entsprechende Sachrechtsnorm enthält. Außerdem sind die Unvereinbarkeiten zwischen den beiden Kollisionsnormen überschaubar. Eine Durchsetzung der Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Kündigung wäre aber vor allem aus einem anderen Grund widersprüchlich. Schließlich hat die EU die Länder Belgien, Polen und Österreich 2015 erst dazu ermächtigt, dem Übereinkommen beizutreten, obwohl die Rom I-VO zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft war.190 d) Abschluss eines neuen Staatsvertrages Ein neues Übereinkommen, das weiterhin materielles Einheitsrecht und nur subsidiäres Kollisionsrecht enthält, müsste als gemischtes Übereinkommen zustande kommen.191 Die Union ist für das Kollisionsrecht zuständig und die Mitgliedsstaaten haben die Kompetenz zum Erlass neuer materiellrechtlicher Regelungen. Ein solcher Staatsvertrag würde den europäischen Entscheidungseinklang insoweit fördern, dass alle Mitgliedsstaaten bei Verträgen über die Güterförderung in der Binnenschifffahrt vorrangig das neue Einheitsrecht anwenden würden. Zwar haben sich einige Mitgliedsstaaten für ein solches Einheitsrecht entschieden, andere Staaten wollten aber zumindest bis jetzt nicht Vertragspartner der CMNI sein. Ob diese Staaten ein Interesse an einem solchen Übereinkommen haben, ist fraglich. Entscheiden sich zumindest ein paar Länder gegen den neuen Vertrag, bleibt es dabei, dass in einigen Mitgliedsstaaten das materiellrechtliche Einheitsrecht gilt 190 Beschluss (EU) 2015/1878 des Rates vom 8. Oktober 2015 zur Ermächtigung des Königreichs Belgiens und der Republik Polen, das Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) zu ratifizieren, und zur Ermächtigung der Republik Österreich, diesem Übereinkommen beizutreten, OJ L 276 S. 1–2. 191 Schilling, Das Internationale Privatrecht der Transportverträge, S. 72.

VI. Kategorisierung der Drittstaatsverträge 

171

und andere zunächst die Kollisionsnormen der Rom  I-VO anwenden. Darüber hinaus würde die Anwendbarkeit der Verordnung massiv eingeschränkt werden.

5. Zwischenergebnis In der Praxis ergeben sich nur wenig Unterschiede, wenn Art. 29 CMNI statt Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO angewandt wird. Die Vorschriften sind sich nicht unähnlich und eine Änderung des Art. 29 CMNI nach dem Vorbild des Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO scheint möglich. Die CMNI ist zwar ein multilaterales Übereinkommen, die Mehrzahl der Vertragsstaaten sind jedoch gleichzeitig auch Mitgliedsstaaten der Union, die alle zur Behebung von Unvereinbarkeiten zwischen ihren Drittstaatsverträgen und dem EU-Recht verpflichtet sind. Scheitert eine Anpassung ist eine Verpflichtung zur Kündigung als ultima ratio kaum denkbar. Dies wäre widersprüchlich, da die Union offensichtlich den Beitritt und die Ratifizierung der CMNI auch nach Inkrafttreten der Rom I-VO toleriert. Da die Kollisionsnorm in Art. 29 CMNI jedoch nur subsidiär anwendbar ist und vorrangig das Einheitsrecht der CMNI gilt, bleibt es auch nach einer möglichen Anpassung des Art. 29 CMNI bei einer Störung des europäischen Entscheidungseinklangs und einer Schwächung des europäischen IPR. Dies muss die EU jedoch akzeptieren, da den Mitgliedsstaaten weiterhin die Außenkompetenz im Bereich des materiellen Vertragsrechts zusteht.

VI. Kategorisierung der Drittstaatsverträge Die Anwendung der vorgeschlagenen abstrakten Lösungsmaßnahmen auf die dargestellten Drittstaatsverträge zeigt, dass jeder Staatsvertrag seine eigenen Besonderheiten hat und sich diese auf die Bestimmung der passenden Maßnahme auswirken. Um im Anschluss an dieses Kapitel ein Fazit zu ziehen und einen Ausblick zu wagen, soll an dieser Stelle trotz der Unterschiede eine Kategorisierung der Staatsverträge vorgenommen werden, in die sich auch andere Drittstaatsverträge einordnen lassen. Unterschieden werden soll zwischen Freundschaftsverträgen beziehungsweise Konsularverträgen (1.) und solchen Verträgen, die auf besonderen gemeinsamen Interessen oder regionaler Nähe beruhen (2.).

1. Freundschaft und Diplomatie Bei Freundschafts- und Konsularverträgen handelt es sich grundsätzlich um bilaterale Abkommen192, die auf historischen, kulturellen und diplomatischen Verbindungen beruhen. Die Verträge wurden über allgemeine Regelungen geschlossen, 192

Auch der deutsch-sowjetische Konsularvertrag wurde als bilaterales Abkommen geschlossen, nun gilt er noch zu einigen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion; gleiches gilt für Staatsverträge mit dem ehemaligen Staat Jugoslawien.

172

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

die teilweise grundlegende Fragen des Verhältnisses zwischen den Vertragsstaaten betrafen.193 Wobei vor allem die Regelungen rund um die Befugnisse des Konsuls in der heutigen Zeit an Bedeutung verloren haben.194 Die Regelungen sind folglich oftmals alt und überkommen195 und soweit sie das Internationale Privatrecht betreffen, mit dem modernen IPR der EU nicht vereinbar. Sie enthalten grundsätzlich keine Rechtswahlklauseln, knüpfen nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt an und schränken die praktische Wirksamkeit der europäischen Verordnungen ein.196 Die Untersuchungen in dieser Arbeit zeigen jedoch auch, dass aufgrund des allgemeinen Charakters der Verträge lediglich einzelne Regelungen mit den Unionsvorschriften tatsächlich kollidieren.197 Trotz der ausschließlichen Außenkompetenz der Europäischen Union scheint es aufgrund der Verflechtungen zwischen den Staaten sinnvoller, wenn die Union das Tätigwerden im Hinblick auf die Altverträge gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV den Mitgliedsstaaten überlässt. Die Union könnte zwar theoretisch neue Verträge schließen, kann diese zwischenstaatlichen Verbindungen allerdings (noch) nicht ersetzen.198 Auslegungsprotokolle greifen am wenigstens in die Substanz der Abkommen ein, da lediglich Vereinbarungen über die Interpretation des Abkommens geschlossen werden. Sie können bei enger Auslegung der Anwendungsbereiche der Staatsverträge zwar die praktische Wirksamkeit der europäischen Verordnungen erhöhen, aber eine tatsächliche Angleichung erscheint nicht möglich. Die Staatsverträge kommen aus einer anderen Zeit und sind – wie gesehen – sehr weit vom modernen europäischen IPR entfernt. Da Verhandlungserfolge und Kompromisse bei wenigen Vertragsparteien deutlich wahrscheinlicher sind, erscheint aufgrund des bilateralen Charakters eine Anpassung der Verträge zunächst sinnvoll. Denkbar ist auch der grundlegende Neuabschluss eines Vertrages mit Genehmigung der Union, wenn die Änderungen sehr umfangreich sind. Eine Anpassung oder ein Neuabschluss sind selbstverständlich vom Interesse der Vertragspartner abhängig. Wie bereits festgestellt, ist jedoch der Handlungsspielraum sehr gering, in Betracht kommt lediglich die vollständige Anpassung an das europäische Kollisionsrecht. Man kann somit festhalten, 193

Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (478). 194 Gebauer, Deutsch-türkisches Nachlassabkommen im Sog des Europäischen Kollisionsrechts, IPRax 2018, S. 345 (346); Majer, Das deutsch-türkische Nachlassabkommen: ein Anachronismus, ZEV 2012, S. 182 (186). 195 Mankowski, Gelten die bilateralen Staatsverträge der Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Erbrecht nach dem Wirksamwerden der EuErbVO weiter?, ZEV 2013, S. 529 (530); MünchKommBGB / Dutta, EuErbVO, Art. 75 Rn. 4. 196 Vgl. supra, Kapitel C: II. 3. 197 Vgl. supra, beispielsweise Kapitel C: II. 2. a) cc), C.II.2.b)bb) und C.II.2.c)bb). 198 Bischoff, Notwendige Flexibilisierung oder Ausverkauf von Kompetenzen – Zur Rückübertragung von Außenkompetenzen der EG für privatrechtliche Abkommen durch die Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und Nr. 664/2009, ZEuP 2010, S. 321 (325); Kapitel D: I. 1.

VI. Kategorisierung der Drittstaatsverträge 

173

dass das Interesse der Staaten, die sich der Europäischen Union annähern wollen, größer sein wird, die Unionsregelungen zu übernehmen. Wenn eine Anbindung an die EU nicht angestrebt wird, ist das Interesse an einer solchen Angleichung wohl eher gering. Die Untersuchungen dieser Arbeit haben darüber hinaus gezeigt, dass das nationale IPR der Drittstaaten ebenfalls auf Anknüpfungspunkten, wie der Staatsangehörigkeit beruhen. Widersprechende Regelungen im nationalen IPR und in den Staatsverträgen sind aus der Sicht der Drittstaaten sicherlich auch nicht unbedingt wünschenswert. In vielen Fällen wird deshalb eine Anpassung an das Unionsrecht scheitern. Dann sind die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zur Kündigung der Freundschafts- und Konsularverträge verpflichtet. Diese stellt in diesen Fällen aufgrund der Ausgestaltung der Verträge ein besonders scharfes Schwert dar.199 Zum einen sind sie jedenfalls Teil der diplomatischen Beziehungen, zum anderen kollidiert regelmäßig nur ein kleiner Regelungsanteil mit dem europäischen IPR. Eine Kündigungspflicht kann die Mitgliedsstaaten dementsprechend in große Verlegenheit bringen. Eine oft in der Literatur verlangte Verhältnismäßigkeitsprüfung hat mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH keinen Platz.200 Auch schwierige außenpolitische Situationen können keine Rolle spielen. Die Abwägung zwischen den Interessen nimmt die Vorschrift des Art. 351 AEUV bereits selbst vor.201 Kommt ein Mitgliedsland seiner Verpflichtung zur Kündigung gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV nicht nach, kann die Kommission trotzdem auf die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV verzichten, denn ihr steht diesbezüglich ein Ermessen zu.

2. Regionale Zusammenarbeit Aufgrund gemeinsamer Grenzen oder zumindest örtlicher Nähe besteht oftmals großes Interesse der Staaten an einheitlichen Regelungen für Bereiche, die häufig grenzüberschreitenden Charakter haben. In der Folge werden multilaterale Staatserträge unter der Beteiligung vieler Vertragsstaaten geschlossen, die sich auf einen bestimmten Regelungsbereich beschränken. Diese Übereinkommen können von großer Bedeutung für die Vertragsstaaten sein202 und der Abschluss eines solchen mehrseitigen Vertrages ist ein wahrer Kraftakt, bei dem im Voraus viele Interessen abgewogen und Kompromisse geschlossen werden müssen.203 Die diplomatischen Beziehungen zwischen den Vertragsstaaten werden aber eher selten vom Bestand dieser Verträge abhängen. 199

Vgl. supra, beispielsweise Kapitel E: III. 4. c). Wurmnest / Wössner, Kollisionsrechtliche Staatsverträge mit Drittstaaten in Europa: Ein Blick auf die „Achillesferse“ der EuErbVO, ZVglRWiss 118 (2019) S. 449 (478). 201 Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. b) cc) (1). 202 Vgl. zum Festhalten der europäischen Mitgliedsstaaten an das HStÜ in Kapitel E: IV. 3. 203 Vgl. supra, Kapitel E: IV. 1. und E. V.1. 200

174

Kapitel E: Anwendung der Korrekturmöglichkeiten 

Eine generelle Aussage zum Konfliktpotenzial solcher Verträge mit dem europäischen IPR lässt sich nicht treffen. Die Untersuchungen dieser Arbeit haben jedenfalls gezeigt, dass neben abweichenden Kollisionsregeln auch vorrangiges materielles Einheitsrecht die praktische Wirksamkeit des europäischen IPR und den europäischen Entscheidungseinklang stören.204 Hinsichtlich des materiellen Einheitsrecht sollte jedoch nochmals festgehalten werden, dass dieses nicht im Sinne des Art. 351 Abs. 2 AEUV mit den europäischen Kollisionsrechtsverordnungen unvereinbar sind. Die Mitgliedsstaaten sind somit lediglich zur Behebung der Unvereinbarkeiten zwischen sich widersprechendem IPR verpflichtet. In Betracht kommt zunächst der Abschluss eines Auslegungsprotokolls zwischen den Vertragsparteien. Bei großer Ähnlichkeit der staatsvertraglichen Regelungen und der europäischen Verordnung ist dies zumindest denkbar. Wie bereits festgestellt, werden keine Regelungen geschaffen oder abgeändert, folglich erscheint eine entsprechende Einigung bei vielen Vertragsparteien zumindest nicht vollkommen unwahrscheinlich. Ist ein Auslegungsprotokoll nicht erfolgsversprechend, besteht die Möglichkeit der Anpassung des Drittstaatsvertrages an das geltende Unionsrecht. Die Union kann aufgrund ihrer ausschließlichen Außenkompetenz die Mitgliedsstaaten auch nur zur Ermöglichung des eigenen Beitritts ermächtigen. Ein solcher Beitritt führt zwar zu europäischem und gleichzeitig auch internationalem Entscheidungseinklang, schränkt jedoch die Anwendbarkeit der Verordnung hinsichtlich des Regelungsinhalts des Übereinkommens vollständig ein. Darüber hinaus scheint ein solcher Beitritt nur selten sinnvoll,205 da sich zumindest einzelne Mitgliedsstaaten gerade gegen die Teilnahme an dem betreffenden Übereinkommen entschieden haben. Weitaus geeigneter ist die Neuverhandlung eines Übereinkommens durch die Union, dieses Vorgehen bietet die Möglichkeit das moderne europäische IPR über die Grenzen der Union hinaus zu verbreiten und den internationalen Entscheidungseinklang zu fördern. Das macht schon allein deshalb Sinn, da der grenzüberschreitende Verkehr von Waren und Personen selbstverständlich nicht an den Außengrenzen der Europäischen Union aufhört.206 Allerdings gestalten sich eine Anpassung des alten Übereinkommens oder der Neuabschluss bei multilateralen Verträgen schwierig, da sich viele Interessen gegenüberstehen und sowohl für die Union als auch für die Mitgliedsstaaten kein tatsächlicher Handlungsspielraum besteht. Infrage kommt nur die Angleichung an die EU-Verordnungen und ob daran die beteiligten Drittstaaten interessiert sind, ist äußerst fraglich. Sind sie das nicht, kommt bei einer Anpassung lediglich eine Modifikation des Übereinkommens in Betracht. Eine solche fördert zwar die praktische Wirksamkeit der Verordnung,

204

Vgl. supra, Kapitel C: IV. 4. Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. a) aa). 206 Vgl. supra, Kapitel E: V. 3. 205

VI. Kategorisierung der Drittstaatsverträge 

175

die Unvereinbarkeiten werden jedoch gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV nicht vollständig behoben, da die unangepassten Regelungen weiterhin in Geltung bleiben.207 Der Neuabschluss eines Übereinkommens hat bei Desinteresse einzelner Drittstaaten an den europäischen Regelungen letztendlich nahezu das gleiche Ergebnis. Zu den interessierten Staaten gilt das neue Übereinkommen zu den desinteressierten Ländern der Altvertrag. Beide Varianten fördern zwar den europäischen Entscheidungseinklang, der internationale Entscheidungseinklang bleibt jedoch auf der Strecke. Der internationale Entscheidungseinklang leidet auch bei einer Kündigung eines Übereinkommens durch die beteiligten Mitgliedsstaaten. Allerdings stellt die Beendigung eines Staatsvertrages  – vor allem vor dem Hintergrund langer Verhandlungsdauern  – die effektivste Option dar, um die Anwendbarkeit des europäischen IPR zu fördern und den europäischen Entscheidungseinklang herzustellen. Je nachdem wie schwer die Differenzen zwischen einem multilateralen Übereinkommen und dem europäischen IPR wiegen, kann die Union den Druck auf die Mitgliedsstaaten erhöhen, indem sie bei Nichterfüllung der Pflichten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV einleitet.

207

Vgl. supra, Kapitel D: I. 2. a) cc).

Kapitel F

Fazit und Ausblick I. Das moderne IPR der Europäischen Union Ein einheitliches IPR ist von enormer Bedeutung für die Europäische Union. Tatsächliche Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten bestehen nicht mehr, vielmehr soll das gesamte Gebiet der EU zu einem Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts werden. Um Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen zu garantieren, bedarf es eines europäischen Entscheidungseinklangs. Voraussetzung dafür ist eine europaweite Harmonisierung des Kollisionsrechts. Eine besondere Rolle kommt im europäischen IPR der Möglichkeit der Rechtswahl nicht nur im Vertragsrecht, sondern auch im Familien- und Erbrecht, sowie bei außervertraglichen Schuldverhältnissen zu. Auch die Rechtswahlmöglichkeit verstärkt das Streben nach Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit von Entscheidungen und ist Ausdruck der aufgeführten Mobilitätsgarantien. Außerdem zeichnet sich das europäische IPR durch ein modernes Anknüpfungssystem aus. So wird grundsätzlich zunächst auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt. Ein flexibler Anknüpfungspunkt, der auf den Lebensmittelpunkt abstellt und die Integration der Unionsbürger in fremden Mitgliedsländern fördert. Eine primäre Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit macht in einem Europa, das seinen Bürgern freien Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und freien Kapitalverkehr garantieren möchte keinen Sinn.

II. Gefährdung durch vorrangige Drittstaatsverträge Die einheitliche Anwendbarkeit des europäischen Kollisionsrechts und die damit verfolgten Ziele werden durch Staatsverträge gefährdet, die die Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit mit Drittstaaten geschlossen haben und die vor dem europäischen Kollisionsrecht vorrangig anwendbar sind. Dieser Vorrang ist nicht nur in den europäischen Verordnungen, sondern auch primärrechtlich verankert und ergibt sich außerdem aus dem völkerrechtlichen Grundsatz pacta sunt servanda. Gemeinsam haben die untersuchten vorrangigen Staatsverträge, dass deren Kollisionsregeln in ihren Anknüpfungspunkten vom europäischen Kollisionsrecht abweichen und somit der europäische Entscheidungseinklang gehemmt wird. Aber

III. Stärkung des europäischen IPR 

177

auch vorrangiges Sachrecht, wie es im Vertragsrecht existiert, führt zu solchen Störungen. Mehrere mögliche internationale Gerichtsstände, die jeweils zur Anwendung unterschiedlicher Kollisionsnormen führen, begünstigen außerdem das forum und law shopping. Das haben unter anderem die Untersuchungen zum Zusammentreffen der Rom II-VO und dem HStÜ gezeigt. Im Rahmen der Ausarbeitungen zur Europäischen Erbrechtsverordnung hat sich gezeigt, dass die Differenzen bezüglich des anwendbaren Rechts und die damit verbundenen Störungen des Entscheidungseinklang die Akzeptanz für das Europäische Nachlasszeugnis schwächen, das eigentlich einen wichtigen Beitrag für den europäischen Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts darstellt. Die Einschränkungen des Entscheidungseinklang, das forum shopping, aber auch die in den Altverträgen nicht vorgesehenen Rechtswahlmöglichkeiten führen zu einem großen Verlust an Rechtssicherheit. Darüber hinaus kann die vorrangige Anknüpfung an Staatsangehörigkeit im Familien- und Erbrecht die Integration in einem fremden Land hemmen. Der europäische Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts, der im Grunde im Unionsrecht bereits vorausgesetzt wird, kann deshalb nicht garantiert werden.

III. Stärkung des europäischen IPR Die Möglichkeiten zur Korrektur dieses Ergebnisses können innerhalb des Unionsrecht oder in den völkerrechtlichen Verhältnissen gesucht werden.

1. Korrekturen im Innenverhältnis Korrekturen im Unionsrecht gestalten sich sehr schwierig, in Betracht käme lediglich die Änderung der Kollisionsregeln oder die Anpassung der Vorrangsvorschriften. Die Union hat mit ähnlichen Reglungsregimen in den kollisionsrechtlichen Verordnungen und der grundsätzlichen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt ein kohärentes System im europäischen IPR geschaffen. Eine Abweichung davon wäre wenig sinnvoll, auch vor dem Hintergrund, dass die Wahl neuer Anknüpfungspunkte kompliziert wäre, da sich die vorrangigen Staatsverträge der Mitgliedsländer auch untereinander widersprechen können. Auch eine Einschränkung der Vorrangsvorschriften für multilaterale Übereinkommen, an denen mehrere Mitgliedsstaaten beteiligt sind oder gar eine Löschung verstoßen gegen den Grundsatz pacta sunt servanda. Darüber hinaus kann das Sekundärrecht vom Primärrecht nicht abweichen, der Schutz des

178

Kapitel F: Fazit und Ausblick

Art. 351 Abs. 1 AEUV würde somit trotzdem bestehen bleiben und der Vorrang der Verordnungen könnte sich nicht durchsetzen. Die gleichen Bedenken können auch angeführt werden, wenn eine Beschränkung der Vorrangsregelungen in dem Sinne stattfinden soll, dass bei Sachverhalten, an denen nur Personen beteiligt sind, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der EU haben, kein Vorrang gelten soll. Jedenfalls würde es der Zustimmung der Drittstaaten bedürfen. Darüber hinaus würde das keine Besserung für das europäische IPR im Verhältnis zu den Drittstaaten bringen, lediglich im Innenverhältnis würde die Anwendbarkeit der Verordnung und der europäische Entscheidungseinklang gefördert werden.

2. Korrekturen im Außenverhältnis Im Unionsrecht sind folglich Korrekturen zur Stärkung des europäischen IPR kaum denkbar, deshalb muss auf Revisionen hinsichtlich der völkerrechtlichen Beziehungen zurückgegriffen werden. Trotz der ausschließlichen Außenkompetenz der Union in den Sachbereichen der europäischen IPR-Verordnungen kann sie nicht einfach in Bezug auf die Drittstaatsverträge der Mitgliedsstaaten tätig werden, schließlich ist sie nicht Vertragspartnerin der völkerrechtlichen Verträge. Bestehen Ungereimtheiten zwischen diesen und dem Unionsrecht, ist sie auf ein Tätigwerden der Mitgliedsstaaten angewiesen. Die dementsprechende Pflicht der Mitgliedsstaaten ergibt sich aus Art. 351  Abs. 2  AEUV, welcher keine Ausnahme zur ausschließlichen Außenkompetenz der Union darstellt, sondern vielmehr eine notwendige Ergänzung. Es ergibt sich somit eine Verflechtung von Handlungspflichten der Mitgliedsstaaten und Handlungskompetenzen der Europäischen Union. Je nach Ausgestaltung der Maßnahme, verschiebt sich der Handlungsschwerpunkt zwischen den Mitgliedsländern und der EU. Während der Abschluss eines Auslegungsprotokoll und die Kündigung nur durch die Mitgliedsstaaten erfolgen kann, bedarf es bei der Anpassung eines Zusammenwirkens der beiden. Zwar treten die Mitgliedsstaaten gegenüber den Drittländern auf, im Innenverhältnis sind jedoch Abstimmungen mit der Union notwendig. Soll ein neuer völkerrechtlicher Vertrag den Alten ersetzen, kann die Union grundsätzlich allein tätig werden, soweit sie selbst Vertragspartner werden soll. Interne Abstimmungen in der Union sind in der Praxis aufgrund verschiedener Meinungen und gegenläufiger Interessen sicherlich oftmals schwierig. Entscheidend ist jedoch, dass es zur Verwirklichung vieler Maßnahmen maßgeblich auf das Interesse der Drittstaaten ankommt. Der zur Verfügung stehende Verhandlungsspielraum ist dabei gering, da unter den erörterten Gesichtspunkten nur eine Angleichung der völkerrechtlichen Vereinbarungen an das Unionsrecht infrage kommt. Hoffen Drittstaaten auf einen Beitritt zur Union in nächster Zukunft oder zumindest einer Annäherung, sind sie gewillter das Unionsrecht zu übernehmen. Ist ein Beitritt aber nicht gewollt und weicht das Unionsrecht möglicherweise da-

IV. Ausblick 

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rüber hinaus vom nationalen IPR ab, ist der entsprechende Anpassungswille eher gering. Scheitert folglich eine Angleichung an des Unionsrecht, sind die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV zur Kündigung verpflichtet. Voraussetzung ist das Vorliegen eines Kündigungsrechts, besteht ein solches nicht, ist eine Kündigung vor dem Hintergrund des Art. 351 Abs. 1 AEUV nicht möglich.

IV. Ausblick Die Untersuchungen dieser Arbeit zeigen, dass eine Kündigung als ultima ratio auch vor dem Hintergrund der festgestellten Divergenzen und Störungen nicht immer gewollt sein kann. Die Mitgliedsstaaten ordnen die Vereinheitlichung des IPR anderen außenpolitischen Themen unter.1 Festgestellt wurde allerdings auch, dass die Kündigungspflicht gemäß Art. 351 Abs. 2 AEUV keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden kann. Die Kommission kann jedoch auf die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV verzichten, wenn die Mitgliedsstaaten ihrer Kündigungsplicht nicht nachkommen. Letztendlich ist außerdem zu akzeptieren, dass ein einheitliches IPR für die Förderung der Unionsziele zwar sehr wichtig ist, die EU jedoch politisch gesehen weitaus bedeutendere Themen zu klären hat. Die Union wird sich deshalb wegen der „politischen Brisanz […] derart einschneidender Maßnahmen [nicht] die Finger verbrennen“.2 Es sollte deshalb im Hinblick auf das Kollisionsrecht vielmehr bei geringeren Störungen oder schwerwiegenden Konsequenzen für die diplomatischen Beziehungen der Mitgliedsstaaten im Sinne der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 AEUV darauf hingewirkt werden, dass Maßnahmen ergriffen werden, die zwar die Unvereinbarkeiten nicht komplett beheben, aber jedenfalls zur Stärkung des europäischen IPR führen. Schließlich sollte, um die Unionsziele zu fördern, nur so viel europäische Regionalität wie nötig bestehen und die Universalität sowie der internationale Entscheidungseinklang nicht aus den Augen verloren werden.3 Die Union darf vom Raum der Sicherheit, Freiheit und des Rechts nicht zur Festung werden und die „Chancen eines bereichernden Bilateralismus [sollten nicht] verkannt oder sogar verspielt werden“.4 Dass die Union das auch erkannt hat, zeigt sich unter anderem im Erlass der Verordnungen (EG) Nr. 662/2009 und (EG) Nr. 664/2009. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass die Mitgliedsstaaten vollständig untätig bleiben, wenn ihnen kein Vertragsverletzungsverfahren 1

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Kapitel F: Fazit und Ausblick

droht. Schließlich bleibt die Pflicht zur Behebung von Unvereinbarkeiten bestehen. In Zeiten, die von wieder wachsenden nationalen Tendenzen und einer Krise für die europäischen Integration geprägt sind,5 sind alle Bekenntnisse zur Gemeinschaft von großer Bedeutung. Allerdings bedarf es auch klarer Signale aus Brüssel, inwieweit Unvereinbarkeiten zwischen bestehender Drittstaatsverträge und dem Unionsrecht geduldet werden oder nicht.

5

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Sachwortverzeichnis AETR  75, 77, 78, 81, 82 Anknüpfungsmerkmal, siehe Anknüpfungspunkt Anknüpfungspunkt  28, 32, 70, 71, 122 Anwendungsbereich 33 – persönlicher  41, 44, 46, 136, 149, 156 – räumlicher  39, 43, 46, 135, 137, 157 – sachlicher  35, 53 Aquis communautaire  85 Außenkompetenz  74, 86 – ausschließliche  74, 82, 84, 85, 95, 98, 107, 113 – geteilte  82, 85 – Rückübertragung der  100, 139 Beeinträchtigung  77, 78, 79, 81, 82, 83, 84, 100 Begrenzte Einzelermächtigung  74, 78, 96, 168 Beitritt Staatsvertrag  98, 107, 138, 162, 174 Belegenheitsort  39, 42, 47, 48, 137, 150 Bilateral  34, 40, 98, 119, 150, 171 Binnenmarktintegration  27, 28, 30, 31 CISG 57 Clausula rebus sic stantibus  111, 113 Diplomatie  112, 114, 119, 120, 155, 171 Doppelte Staatsangehörigkeit  41, 45, 47, 136 Drittstaat  33, 69 Effet utile  81, 89, 135, 156 Einheitsrecht  58, 166, 170 Entscheidungseinklang  24, 53 – europäischer  25, 47, 62, 98, 104, 108, 122, 126, 174 – internationaler  98, 108, 174 Ermächtigung  95, 115 Europäisches Nachlasszeugnis  37, 47, 135, 177

Forum, siehe Gerichtsstand Forum shopping  55, 177 Gebot der loyalen Zusammenarbeit, siehe Loyalitätsgebot Genehmigung  99, 101, 105, 139, 172 Gerichtsstand  36, 39, 138 Gerichtszuständigkeit, siehe Gerichtsstand Gesamtverweisung  36, 126 Gewöhnlicher Aufenthalt  28, 31, 36, 51, 52, 54, 61, 64, 122, 143, 150, 157 Haager Konferenz  28, 30, 63 Haager Unterhaltsprotokoll  62, 163 Haager Unterhaltsübereinkommen  63 Heimatrecht  27, 29, 38, 42, 43, 45, 64, 65, 70 Implied Powers  74, 75, 76, 80, 82 Implizite Kompetenz, siehe Implied Powers Interpretationsabkommen 105 Justizielle Zusammenarbeit  23, 34, 78, 109 Kramer  75, 76, 81 Law shopping  55, 177 Lex fori  24, 52, 53, 55, 64, 66 Loi uniforme  27, 30, 123 Loyalitätsgebot  86, 90, 93, 179 Lugano  30, 78, 84 Mehrstaatler, siehe doppelte Staatsangehörigkeit Mitgliedsstaat 33 Modifikation  103, 119, 150, 153, 174 Multilateral  34, 103, 123, 124, 173 Nachlasseinheit  36, 43, 44, 151, 157, 159 Nachlassspaltung  36, 38, 47, 127, 135, 142, 146, 157, 158

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Sachwortverzeichnis

Open Skies  78 Ordre public  65, 154, 157

Teilnahme Staatsvertrag, siehe Beitritt Staatsvertrag

Pacta sunt servanda  35, 87, 111, 123

Unfallort  52, 53, 54 UN-Kaufrecht, siehe CISG Unvereinbarkeit  89, 90, 96, 100, 104, 108, 119, 174

Rechtssicherheit  25, 29, 67, 111, 137 Rechtswahl  29, 36, 39, 43, 46, 52, 55, 60, 138, 150 Renvoi 126 Rücksichtnahme, siehe Loyalitätsgebot Rückverweisung, siehe Renvoi Sachnorm  58, 60, 169 Sachnormverweisung  37, 39, 43, 51, 57, 60, 64, 126 Staatsangehörigkeit, siehe doppelte Staatsangehörigkeit Staatsangehörigkeitsprinzip, siehe Heimatrecht Stilllegungsfonds  76, 77, 81, 83, 96, 114

Verhältnismäßigkeit  112, 153, 173 Verstärkte Zusammenarbeit  34, 64, 69, 84, 85, 158 Vertragsschlusskompetenz, siehe Außenkompetenz Vertragsverletzungsverfahren  111, 145, 153, 159, 165, 173, 175 Vorrangsregelung  33, 87, 122 Vorrangsvorschrift, siehe Vorrangsregelung WTO  77, 78, 81, 83