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German Pages 338 Year 2003
CHRISTIAN VON BUTTLAR
Das Initiativrecht der Europäischen Kommission
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band 99
Das Initiativrecht der Europäischen Kommission Von
Christian von Buttlar
Duncker & Humblot . Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 200212003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de> abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2003 Duncker &
ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-11265-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Vorwort Dieses Buch ist aus einer an manchen Stellen erweiterten und aktualisierten Dissertation hervorgegangen, die im Wintersemester 2002/2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam angenommen wurde. Betreut wurde die Arbeit von Herrn Professor Dr. Eckart Klein. Ihm gilt mein erster Dank für die vielfältige Hilfe bei der Anfertigung und insbesondere für die ebenso freundliche wie dringende Aufforderung, die Arbeit um einen ausführlicheren Vierten Teil zu vervollständigen. Als Zweitgutachter hat sich mein Chef, Herr Professor Dr. Torsten Stein, zur Verfügung gestellt. Obwohl er durchaus darauf verzichtet hat, inhaltlich Einfluß zu nehmen, weiß ich mich ihm verpflichtet, weil er mich über die ersten Monate an seinem Lehrstuhl von beinahe jeder anderen Beschäftigung freigestellt hat. Ohne diese ganz und gar ungewöhnliche Großzügigkeit und Geduld wäre die Arbeit im Umfang und im Anspruch deutlich schmaler ausgefallen. Weiterhin danke ich Herrn Dr. Florian R. Simon für die Aufnahme in das Verlagsprogramm sowie den Herren Professoren Dr. Siegfried Magiera und Dr. Dr. Detiel Merten für die Aufnahme in die Schriftenreihe zum Europäischen Recht. Der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam bin ich für die Auszeichnung der Dissertation mit dem Wolf-Rüdiger-Bub-Preis dankbar und der Vereinigung der Freunde der Universität des Saarlandes e. V. für die großzügige Gewährung einer Druckbeihilfe. Die besonders freundschaftliche Begleitung von Dominique von Brück, nicht nur aber nachgerade in der Schlußphase der Arbeit, bleibt mir in schöner Erinnerung. Mein Lehrstuhlkollege Robin van der Hout hat sich mit der Einladung zu einem anschließenden Urlaub um die endgültige Fertigstellung verdient gemacht. Für ihren intensiven Einsatz beim Korrekturlesen danke ich sehr Claudia Hörrmann und meiner Schwester, Cary von Buttlar. Schließlich und vor allen denke ich mit großer Herzlichkeit an meine Eltern, Vita und Walrab von Buttlar. Sie haben mich beide seit jeher und in jeder erdenklichen Weise unterstützt, und sie haben mit anspornender wie beruhigender Anteilnahme auch dieses Mal zum Gelingen beigetragen. Ihnen ist das Buch gewidmet. Saarbrücken, im August 2003
Christian von Buttlar
Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. .
15
Erster Teil
Das Vorschlagsprinzip im Rechtsetzungssystem der Europäischen Gemeinschaft
21
Kapitell
Das Initiativmonopol der Kommission im Gemeinschaftsrecht
22
I. Das Vorschlagsrecht im EG-Vertrag ...............................................
22
1. Der Ermessensspielraum zur Vorschlagsvorlage ................................
23
2. Die rechtlichen Bindungen des Vorschlagsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
a) Primär- und sekundärrechtliche Rechtsetzungsaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
b) Jahresgesetzgebungsprogramm .............................................
26
c) Subsidiarität und Finanzierbarkeit ..........................................
27
d) Förmliche Aufforderungen zur Vorschlags vorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
3. Zum Inhalt eines Vorschlags. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
H. Die Ausnahmen vom Initiativmonopol der Kommission ...........................
29
1. Die Initiativrechte der übrigen Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten ...
30
a) Initiativrechte des Europäischen Parlaments ................................
31
b) Initiativrechte des Europäischen Gerichtshofs .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
c) Initiativrechte der Europäischen Zentralbank ...............................
33
d) Initiativrechte der Mitgliedstaaten ........................................ . .
34
e) Spezielle Initiativrechte der Kommission ...................................
35
2. Die indirekten Initiativrechte des Rates und der Mitgliedstaaten ................
35
a) Aufforderungsrecht gemäß Artikel 115 EGV ................................
36
8
Inhaltsverzeichnis b) Antragsrecht gemäß Artikel 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV ........................
37
c) Antragsrecht gemäß Artikel 67 Abs. 2 EGV ................................
37
3. Die Initiativrechte in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik .........
38
a) Allgemeinzuständigkeit des Rates gemäß Artikel 14 Abs. 1 EUV .... . ......
38
b) Befassungsrecht der Kommission gemäß Artikel 22 EUV ...................
39
c) Beteiligungsrecht der Kommission gemäß Artikel 27 EUV ..................
39
d) Aufforderungsrecht des Rates gemäß Artikel 14 Abs. 4 EUV ................
40
e) Sonderfall des Artikels 301 EGV ...........................................
40
f) Initiativbefugnis des Europäischen Parlaments ..............................
43
4. Die Initiativrechte in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen..................................................................... ....
44
a) Initiativrecht der Kommission gemäß Artikel 34 Abs. 2 S. 2 EUV ...........
44
b) Sonderfall des Artikels 42 EUV .............................................
45
c) Initiativbefugnis des Europäischen Parlaments..............................
46
5. Zusammenfassung.............................................................
47
6. Das Vorschlagsrecht für Vertragsänderungen ...................................
48
Kapitel 2
Die komplementären Änderungsrechte des Rates und der Kommission gemäß Artikel 250 EGV
49
I. Das Recht des Rates zur Änderung eines Vorschlags .............................. .
50
1. Die unveränderte Annahme eines Vorschlags ...................................
50
2. Die Grenzen des Änderungsrechts ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
a) Standpunkt der Literatur ....................................................
52
b) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.............................
53
c) Stellungnahme .............................................................
57
3. Die Untätigkeit des Rates nach Vorlage eines Vorschlags ...... . . . ........ . .....
58
a) Ermessen des Rates zur Befassung mit der Vorlage .........................
59
b) Pflicht des Rates zur Befassung mit der Vorlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
c) Ausnahmefall des ersatzorganschaftlichen Handeins ........................
61
d) Zwischenergebnis ....................... . .......... . .......................
62
e) Stellungnahme .......................... . .......... . .......................
62
4. Zur Ablehnung eines Vorschlags ...............................................
67
Inhaltsverzeichnis
9
11. Das Recht der Kommission zur Änderung eines Vorschlags ........................
68
1. Zum Verhältnis zwischen den bei den Änderungsrechten ........................
69
a) Motive zur Änderung eines Vorschlags .....................................
69
b) Grenzen des Änderungsrechts ..............................................
72
2. Die Rücknahme von Vorschlägen...............................................
75
a) Rechtsgrundlage für die Rücknahme........................................
75
b) Rücknahme zur Änderung eines Vorschlags.................................
76
c) Ersatzlose Rücknahme eines Vorschlags ....................................
76
aa) Rücknahme nach Untätigkeit des Rates ................................
77
bb) Rücknahme gegen den Willen des Rates ...............................
79
(1) Meinungsstand in der Literatur ....................................
81
(2) Stellungnahme.....................................................
83
Zweiter Teil
Das Spannungsverhältnis zwischen dem Initiativrecht der Kommission und dem Entscheidungsrecht des Rates
94
Kapitel 3
Die Einflußnahme der Mitgliedstaaten auf die Vorschläge der Kommission vor und nach ihrer Vorlage zum Rat
98
I. Die Einbindung der Mitgliedstaaten durch die Kommission: Zum dreiphasigen Verfahren der Ausarbeitung von Gesetzesvorschlägen .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
1. Die Phase der Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
2. Die Phase der Konsultation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
3. Die Phase der Entscheidung.................................................... 101 11. Die Konsultation von nationalen Experten vor der Vorschlagsvorlage: Zum Konflikt zwischen Information und Angleichung ...................................... 102 1. Informationsbeschaffung versus politische Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Zur Konsultationspflicht vor der Vorschlagsvorlage ............................ 106 3. Stellungnahme................................................................. 108 III. Der Primat der Mitgliedstaaten: Zur Ausrichtung des Vorschlags am Entscheidungsverhalten des Rates.......................................................... 113 1. Die Abhängigkeit des Vorschlags vom Abstimmungsverhalten der Mitgliedstaaten ............................................................................. 114
10
Inhaltsverzeichnis 2. Die Entwertung des Vorschlagsrechts im Zuge der Einstimmigkeitspolitik des Rates ........................................................................... 117 3. Zusammenfassung............................................................. 119
Kapitel 4
Der Europäische Rat und die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union
121
I. Der "weite integrationsfördernde Beurteilungsspielraum" auf höchster Ebene: Zur politischen Führungsfunktion des Europäischen Rates............................. 122
1. Das Verhältnis des Europäischen Rates zu den Gemeinschaftsorganen .......... 123 2. Der Einfluß des Europäischen Rates auf das Vorschlagsrecht der Kommission.. 124 11. Die Vorsitzführung im Rat: Zur Kooperation mit der Kommission in den Gesetzesverhandlungen .................................................................... 130 III. Die genuine Vennittlungsrolle der Präsidentschaft: Zum Abschluß von "packagedeals" unter den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Die Entwicklung von kombinierten Vorschlägen................................ 135 2. Zur Übernahme der Vermittlungsfunktion durch die Präsidentschaft ............ 140 3. Die Bürde der Vermittlerrolle am Beispiel der Verhandlungen zur Agenda 2000
141
4. Stellungnahme................................................................. 146 IV. Die Planung des Arbeitsprogramms der Präsidentschaft: Zum Lancieren eigener politischer Initiativen. . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . . .. . . .. . .. 150 1. Der Rahmen für das Arbeitsprogramm der Präsidentschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ISO 2. Zur Abstimmung von Initiativen der Präsidentschaft mit der Kommission ...... 151 3. Die Entwicklung zur strategischen Rechtsetzungsplanung ...................... 153
KapitelS
Das Recht des Rates, die Kommission zur Vorlage von Vorschlägen aufzufordern, Artikel 208 EGV
157
I. An der Schnittstelle zwischen formeller und informeller Einflußnahme: Zum Anwendungsbereich und zur Form einer Aufforderung ............................... 158
1. Der Anwendungsbereich des Artikels 208 EGV ................................ 158 2. Form und Verfahren . . . . . .. . . . . . . . .. .. . .. . . . . .. . .. . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. .. . . 160
Inhaltsverzeichnis
11
11. Zur Verpflichtung, einer Aufforderung nachzukommen: Das Meinungsbild in der Literatur .......................................................................... 162 1. Sinn und Zweck des Aufforderungsrechts ................... .. ................. 162 2. Zur Bedeutung der rechtlichen Bindungswirkung ............................... 163 3. Überblick auf Meinungsstand .................................................. 164 III. Die Rechtswirkung einer Aufforderung: Das Wortlaut-Argument, das fonnale Argument und das systematische Argument.......................................... 166 1. Das Wortlaut-Argument........................................................ 167 a) "Aufforderung" ............................................................ 167 b) Anordnung einer Prüfungspflicht ........................................... 168 c) Stellungnahme ............................................................. 172 2. Das fonnale Argument ...... . ..................................... . ............ 174 3. Das systematische Argument... . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Vorlagepflicht versus Gestaltungsfreiheit ................................... 178 c) Stellungnahme ............................................................. 183 IV. Zusammenfassung und Konsequenz: Zur Durchsetzbarkeit einer Aufforderung mit einer Untätigkeitsklage ............................................................ 186
Dritter Teil
Der Einfluß des Europäischen Parlaments auf das Initiativrecht der Kommission
190
Kapite16
Die Beteiligung des Europäischen Parlaments an den gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren I. Im Überblick: Vom reinen Anhörungsorgan zum partiellen Mitgesetzgeber
192 192
11. Einige Prämissen: Zur wechselseitigen Abhängigkeit von Kommission und Parlament ............................................................................ 203
12
Inhaltsverzeichnis Kapitel 7
Die Initiativberichte des Europäischen Parlaments
207
I. "La consultation prealable et officieuse": Zu den Anfängen parlamentarischer Ein-
wirkung auf die Kommissionsvorschläge .......................................... 209 1. Information versus Konsultation vor der Vorschlagsvorlage ..................... 210
2. Zum status quo der Vorabbefassung des Parlaments ............................ 215 11. Der Kampf um ein indirektes Initiativrecht: Die Initiativberichte des Parlaments. .. 217 1. Allgemeines Beratungsrecht und Selbstorganisationsrecht ...................... 218 2. Einige Beispiele erfolgreicher Initiativberichte ........ . ........ . ........ . ...... 223 3. Zur Rechtswirkung der Initiativberichte ........................................ 226 a) Standpunkt des Europäischen Parlaments ................................... 226 b) Selbstverpflichtung der Kommission........................................ 227 c) Stellungnahme ............................................................. 229
Kapitel 8
Der Anteil des Europäischen Parlaments an den Jahresgesetzgebungsprogrammen der Kommission
234
I. Die Koordinierung der Rechtsetzungsverfahren: Zu den Motiven einer gemein-
samen Legislativplanung .......................................................... 236
11. Die wachsende Einbindung des Parlaments: Zur Evolution der Jahresgesetzgebungsprogramme ............................................................... 239 1. Die Entschließungen des Parlaments zu den Jahresgesetzgebungsprogrammen der Kommission von 1993 bis 2001 ............................................ 242 2. Zur Rechtswirkung der Jahresgesetzgebungsprogramme und des Zeitplans zu ihrer Umsetzung ............................................................... 246 III. Aktuelle Entwicklungen .................................................... . ...... 249
Kapitel 9
Das Recht des Parlaments, die Kommission zur Vorlage von Vorschlägen aufzufordern, Artikel 192 Absatz 2 EGV I. Die erste Einschränkung formeller Initiativen: Zum Anwendungsbereich und zum
254
Verfahren ......................................................................... 255
Inhaltsverzeichnis
13
1. Sinn und Zweck des Aufforderungsrechts ...................................... 255
2. Anwendungsbereich des Aufforderungsrechts .................................. 255 3. Form und Verfahren ............................................................ 256 11. Die zweite Einschränkung formeller Initiativen: Zur tatsächlichen Umsetzung der Entschließungen .................................................................. 257 1. Die formellen Initiativentschließungen der Jahre 1993 bis 2001 ................. 257
2. Zur Bedeutung der rechtlichen Bindungswirkung ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 259 3. Die interinstitutionelle Vereinbarung zum Aufforderungsrecht .................. 259 III. Die Rechtswirkung einer Aufforderung: Das Wortlaut-Argument, das systematische Argument und das politische Argument....................................... 261 1. Das Wortlaut-Argument. . . . . . . . .. . . .. . . . .. . . . . . .. . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . .. 262
2. Das systematische Argument ..... .. ............................................ 262 3. Das politische Argument ....................................................... 267 4. Ergebnis ......................... . ............................................. 272
Vierter Teil
Schlußbetrachtung: Die Reformdiskussion um das Initiativmonopol der Kommission
274
1. Vom Axiom der Gemeinschaftsrechtsetzung hin zu einer "tabufreien Debatte": Das Initiativrecht im Sog der Verfassungsreform ....................................... 275
H. Für und Wider das Vorschlagsverfahren: Neue Initiativen und alte Reaktionen ..... 278 1. Deutschland.................................................................... 279
2. Frankreich, Großbritannien, Spanien ........................................... 281 3. Europäische Kommission ...................................................... 283 4. Benelux-Länder............. . .................................................. 285 5. Europäisches Parlament........................................................ 287 6. Verfassungskonvent ............................................................ 289 III. Unfreiwilliger und freiwilliger Verzicht auf ein eigenes Initiativrecht: Zu den Motiven des Europäischen Parlaments . . .. . . . . .. . .. . .. . . .. . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. .. 291 1. Unfreiwilliger Verzicht als taktisches Opfer .................................... 291
2. Freiwilliger Verzicht als absichtsvolle Selbstbeschränkung ..................... 292
14
Inhaltsverzeichnis
IV. Zwei Leitgedanken für die Justierung der Gemeinschaftsmethode: Förderung der Integration und Vertretung des Gemeinwohls ...................................... 294 1. Geteiltes Initiativrecht zur Förderung der Integration? ........ . ................. 296
2. Initiativrecht als klassisches Parlamentsrecht? ......................... . ........ 302 3. Vorschlagsmonopol und demokratische Legitimation........................... 304
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 308
Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 335
"The originality of the Community system, revolving around the institutional triangle of the Council, Parliament and the Commission, lies without doubt in the Commission and its right of initiative. The Commission is the melting pot into which the various national interests and tensions are poured, and from which emerge proposals that seek to reconcile these often conflicting interests. In this way it provides not only a synthesis and analysis of the problems at issue but also a starting-point for negotiations in which, once national differences have been aired, the common European interest can be identified. This executive, that combines independence with a sensitivity to the balance of powers and interests in all the Member States both large and smalI, is the sine qua non for the effective pooling of sovereignty in the Community."l
Einleitung Der Vielfalt der Gesetzgebungsverfahren des EG-Vertrags gemeinsam ist ihr Anfang: In aller Regel leitet die Europäische Kommission mit einem Vorschlag für einen Gemeinschaftsrechtsakt - der Gesetzesinitiative - die Lesungen des Rates und des Europäischen Parlaments ein. Es hat sich eingebürgert, diese Eigentümlichkeit als das Charakteristikum der Europäischen Gemeinschaft schlechthin2 oder als das spezifische Erscheinungsbild der Gewaltenteilung auf Gemeinschaftsebene 3 zu bezeichnen4 . Die vorliegende Arbeit behandelt das Initiativrecht der Kommission. Die Kommission ist für praktisch alle Gemeinschaftspolitiken das exklusiv vorlageberechtigte Organ. Im Unterschied zur verfahrensrechtlichen Komplexität der Beratungsphase ist somit für das legislatorische Einleitungsverfahren eine gleichermaßen eindeutige wie einfache Regelung getroffen. Nach Artikel 213 Abs. 2 EGV üben die Kommissionsmitglieder ihre Tätigkeit "in voller Unabhängigkeit" und "zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft" aus. Damit ist nicht nur die persönliche Unabhängigkeit der Kommissare gemeint, sondern auch die institutionelle 1 Romano Prodi, Präsident der Europäischen Kommission, in einer Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg am 3. Oktober 2000. 2 Hummer, in: Grabitz/Hilf, EG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 39; Huthmacher, S. 232; Noel, The Commission's Power of Initiative, S. 123. 3 Stabenow, Zweckbündnis von Nationalstaaten oder Rechts- und Wertegemeinschaft?, S. 2; Petzold, S. 60; ähnlich Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 203. 4 Im Rahmen der derzeitigen "Verfassungsdebatte" bezeichnet die Kommission die Trennung von Vorschlagskompetenz und Beschlußfassungsrecht gelegentlich kurz und bündig als Gemeinschaftsmethode. Vgl. Europäische Kommission, Ein Projekt für die Europäische Union, S. 8. Näher hierzu am Ende dieser Arbeit.
16
Einleitung
Unabhängigkeit der Kommission gegenüber den übrigen Gemeinschaftsorganen und gegenüber den Mitgliedstaaten. Die Kommission darf Anweisungen der Regierungen oder des Rates weder anfordern noch entgegennehmen5 . Im Grundsatz ist es allein ihre Sache, mit einem Gesetzesvorschlag den anderen Institutionen die Beschlußfassung zu ermöglichen. Das Vorschlagsverfahren beruht also auf der institutionellen Besonderheit, daß das vorschlagende Organ grundsätzlich nichts beschließen kann und die beschließenden Organe grundsätzlich nichts vorschlagen können 6 . Damit ist der Kommission eine Stellung zugewiesen, die in der vertraglichen Konstruktion über die verfassungsrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten hinausgeht. Nach dem deutschen Verfassungsrecht können Gesetzesinitiativen von der Bundesregierung als Kollegialorgan ausgehen, aus der Mitte des Bundestags? kommen oder aus dem Bundesrat8 . Ebenso ist in allen anderen Mitgliedstaaten das förmliche Gesetzesinitiativrecht auf mehrere Träger verteilt, wobei - bis auf eine besondere Regelung in der Verfassung des Großherzogturns Luxemburg9 - insbesondere alle nationalen Parlamente das Recht zur Gesetzesvorlage besitzen 10. loma, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 213 EGV Rn. 3 f. Bröhmer, S. 208. 7 Gemäß § 76 GO-BT von einer Fraktion oder von mindestens 5% der Mitglieder des Bundestages. 8 Artikel 76 Abs. 1 GG. Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Artikel 76 Rn. 23. 9 In Luxemburg teilt der Großherzog dem Parlament die Gesetzesvorschläge mit, die er seiner Annahme unterbreiten will, wobei das Parlament wiederum das Recht hat, ihm Gesetzesentwürfe vorzuschlagen, vgl. Artikel 47 Verfassung des Großherzogturns Luxemburg. 10 In Belgien hat jedes Legislativorgan - der König, der Senat und die Abgeordnetenkammer - das Initiativrecht, Artikel 75 Die koordinierte Verfassung Belgiens. In Dänemark ist jeder Abgeordnete des Folketing berechtigt, Gesetzesvorlagen einzubringen, § 41 Verfassung des Königreiches Dänemark. Außerdem kann der König dem Parlament Gesetzesvorlagen vorlegen lassen, § 21. In Finnland besitzen ebenfalls alle Abgeordneten des Reichstags das Gesetzesvorschlagsrecht, ebenso die Regierung, § 39 Grundgesetz Finnlands. In Frankreich steht die Gesetzesinitiative sowohl dem Premierminister als auch den Parlamentsmitgliedern zu, Artikel 39 Verfassung der Republik Frankreich. In Griechenland steht das Recht, Gesetze vorzuschlagen, dem Parlament und der Regierung zu, Artikel 73 Verfassung der Republik Griechenland. In Irland können die Regierung, das Parlament und der Senat Gesetzesvorlagen einbringen, Artikel 20 Verfassung der Republik Irland. In Italien steht die Gesetzesinitiative der Regierung, jedem Abgeordneten und weiteren per Gesetz bestimmten Organen zu. Darüber hinaus kann das Volk die Gesetzesinitiative ausüben, indem mindestens 50000 Wahlberechtigte einen Gesetzesvorschlags vorlegen, Artikel 71 Verfassung der Republik Italien. In den Niederlanden können Gesetzesvorlagen vom König oder in seinem Auftrag und von der Zweiten Kammer der Generalstaaten (des Parlaments) eingebracht werden, Artikel 82 Verfassung des Königreichs der Niederlande. In Österreich können die Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates und der Bundesregierung Gesetzesvorlagen einbringen sowie jeder von 100000 Stimmberechtigten oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Bundesländer gestellter Volksbegehren, Artikel 41 Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich. In Portugal liegt die Gesetzesinitiative bei den Abgeordneten, bei den Fraktionen, bei der Regierung und für bestimmte Fälle bei Bürgerinitiativen, Artikel 167 Verfassung der 5
6
Einleitung
17
Allerdings herrschen trotz der Verteilung des Initiativrechts faktisch in den Nationalstaaten die Initiativen der Exekutive vor. In der Literatur wird aus diesem Grund zumeist nicht der institutionelle Unterschied zwischen exklusivem Initiativrecht auf Gemeinschaftsebene und der Verteilung auf mehrere Träger im Nationalstaat betont, sondern die praktische Beobachtung, daß die Regierungen die planerischlenkende Rolle und die Formulierung der gewaltenüberlagernden StaatszieIe übernehmen 11. Wegen des Übergewichts von Regierungsinitiativen ist zum Teil sogar von einer Vorbildfunktion für die Rolle der Kommission die Rede l2 . Der Verankerung des Initiativrechts in einer zentralen, unabhängigen Instanz mit weitreichenden Informationsmöglichkeiten und sachverständigen Vertretern lag die Erwartung der Gründerstaaten zugrunde, die Kommission sei durch die Verpflichtung auf das Gemeinwohl in besonderer Weise geeignet, eine Lenkungsfunktion zu übernehmen 13. Der Exklusivität des Vorschlagsrechts wohnt eine Schutzfunktion inne, die sich in erster Linie mit der fundamentalen Entscheidung erklärt, im Ministerrat Rechtsakte mit Mehrheit zu beschließen. Ihr Hauptzweck besteht darin, nur solche Entwürfe zur Beschlußfassung zuzulassen, die dem Vertrag und dem Gemeinschaftsinteresse Rechnung tragen. Da der Rat im Prinzip nur einstimmig von diesen Vorschlägen abweichen kann, wird hierdurch verhindert, daß eine Mehrheit im Rat ohne Zustimmung der Kommission einen Staat zu einer Regelung zwingt, die einseitig den Wünschen der Mehrheit entspricht 14 • In der Gemeinschaftsrealität herrscht zwischen allen Legislativorganen und den Mitgliedstaaten ein ständiger und intensiver Austausch über die Planung und Initiierung von Gemeinschaftsrecht. Das exklusive Initiativrecht bedeutet also nicht, daß alle Anstöße zu Rechtsaktentwürfen notwendigerweise von der Kommission kommen. Aus diesem Grund konzentriert sich diese Arbeit auf das Zusammenspiel Republik Portugal. In Spanien steht die Gesetzesinitiative der Regierung, dem Kongreß und dem Senat zu, Artikel 87 Verfassung des Königreiches Spanien. In Großbritannien haben die Regierung und die Abgeordneten des Unterhauses das Initiativrecht, siehe Turpin, S. 46. Vgl. zur Initiativberechtigung auch Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 227, der allerdings zu Unrecht davon ausgeht, daß das Schweizer Parlament kein Initiativrecht habe. Nach Artikel 160 Abs. 1 und 181 Schweizer Bundesverfassung sind initiativberechtigtjedes Ratsmitglied, jede Fraktion, der Bundesrat, parlamentarische Ausschüsse und jeder Kanton. . Näher Häfelin/ Haller, S. 526 ff. und Tschannen, S. 266 ff. 11 Bröhmer; S. 209; Pemice, Maastricht, Staat und Demokratie, S. 483, jeweils mit weiteren Nachweisen. Der Deutsche Bundestag geht von der Regierungsinitiative als Regelfall aus, weil über zwei Drittel aller Entwürfe von der Regierung eingebracht werden. Vgl. hierzu die Übersicht unter http://www.bundestag.de/info/gesgeb/gesgeb2.htm. Für das französische Verfassungsrecht vgl. Duhamel, S. 256 ff. und Pactet, S. 424 ff. ("prerogatives gouvernementales"). Nach englischem Verfassungsrecht gilt eine Art Vorfahrtregel zugunsten von Regierungsinitiativen, vgl. Bradley/Ewing, § 4 Rn. 12 und Turpin, S. 46. 12 Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 520. 13 Zur Lenkungs- und Steuerungsfunktion siehe näher sogleich in Kapitel 1 unter I. 1. Zur Entstehung und Begründung des Vorschlagsverfahrens umfassend Remus, S. 261 ff. 14 Näher Gazzo, S. 118 ff.; Klösters, S. 73. 2 von Buttlar
18
Einleitung
zwischen der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament. Im Zentrum dieser Untersuchung steht die Wahrung der Unabhängigkeit der Kommission. Der inter-institutionelle Austausch ist der förmlichen Vorschlagsvorlage zum größten Teil vorgelagert, doch wirkt er bis in die Rechtsetzungsverfahren hinein, weil die Kommission ihre Vorschläge bis zur Beschlußfassung ändern kann. Daher ist die Einwirkung auf ihre Initiativen in Art und Umfang stark von der historischen Entwicklung der Rechtsetzungsverfahren gekennzeichnet. Als gemeinsamer Nenner der bisherigen Vertrags änderungen erscheint der Aufbau und stetige Ausbau von Wechselbeziehungen zwischen den Institutionen. Während vordem Rat und Kommission weitgehend unverbunden nebeneinander standen - die Vorbereitung der Rechtsakte lag bei der Kommission, die Beschlußfassung beim Rat, woraus die Kurzform" The Commission proposes, the Council disposes ,,15 entsprang -, kann unterdessen mit der gewachsenen Beteiligung des Europäischen Parlaments das Zusammenwirken dreier Organe als das Charakteristikum der gemeinschaftlichen Rechtsetzung gelten. Als augenfälligstes Merkmal dieser Wechselbeziehungen stechen die Verhandlungen im Vermittlungsausschuß am Ende des Mitentscheidungsverfahrens heraus, in dem die endgültige Formulierung des Rechtsaktes zwischen Vertretern des Rates und des Parlaments unter aktiver Begleitung der Kommission erfolgt l6 . Wenn gleichwohl nach wie vor die spezifische Funktionenverteilung zwischen der Kommission auf der einen Seite und dem Rat andererseits als das grundlegende Prinzip der Gemeinschaftsrechtsetzung bezeichnet wird 17, so äußert sich darin weniger die mangelnde Beachtung des gewachsenen parlamentarischen Anteils, als vielmehr die gemeinschaftsspezifische Aussagekraft der Interessenvertretung. Die Trennung von Initiativzuständigkeit und Entscheidungsgewalt soll eine ausgeglichene Beteiligung des Rates, der die Interessen der Mitgliedstaaten vertritt, und der Kommission, der die Wahrung der Interessen der Gemeinschaft obliegt, an der Beschlußfassung gewährleisten l8 . Während die Beschlußkompetenz weitgehend in der Souveränität der Mitgliedstaaten belassen wird, soll zugleich dafür Sorge getragen sein, daß der Inhalt der Entscheidungen unter Zurückdrängung der nationalen Einzelinteressen sich an dem von der Kommission zu formulierenden Gemeinschaftsinteresse ausrichtet l9 . Allerdings läßt sich nur für die theoretische Gegenüberstellung eine lupenreine Trennung VOn Gemeinschaftswohl und Ländervertretung vornehmen. In der Wirklichkeit bedeutet sie keinen permanenten AntagoUsher, S. 153. Näher hierzu in Kapitel 2 unter I. 1. 17 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlennann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 34 mit zahlreichen Nachweisen. 18 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlennann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 35. 19 Siehe hierzu van Miert, S. 205 ff.; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 520. Zur Bedeutung des Gemeinschaftsinteresses für die fortschreitende Integration siehe die nach wie vor instruktive Studie von Sasse, S. 341 ff. 15
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Einleitung
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nismus, weil die Kommission bei der Erfüllung ihrer Aufgaben stets die nationalen Interessen zu berücksichtigen hat, nicht zuletzt der Länder, die bei Mehrheitsentscheidungen überstimmt zu werden drohen2o . An der Balance zwischen Gemeinschaftsinteresse und Länderinteressen nimmt das Europäische Parlament weder in der ursprünglichen Verfassung noch nach seiner Rechteerweiterung, auch nicht seit seiner Direktwahl, unmittelbar teil. Das Parlament ist dem Gemeinschaftswohl gerade nicht verpflichtet und ebensowenig sind seine Abgeordneten Interessenvertreter ihrer Herkunftsländer 1 . Das Europäische Parlament stellt sich stattdessen als ein Sammelbecken der unterschiedlichsten Einflüsse dar, welches sich im klassischen Gegenüber von Kommission und Rat einer systematischen Einordnung entzieht. Es kann sich in einer Frage, die bedeutende nationale Interessen berührt, ohne weiteres auf einer Linie mit dem Rat bewegen, während es ansonsten regelmäßig den Anstrengungen der Kommission zur Vertiefung der Integration zur Seite tritt22 • Immer ist es frei, einen unabhängigen und von Fall zu Fall variierenden Standpunkt einzunehmen, ohne sich vorherbestimmt auf eine Seite zu schlagen und auch ohne einen lediglich an der Kontrolle von Rat und Kommission orientierten Standpunkt einzunehmen. Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil werden die Grundlagen des Vorschlagsverfahrens behandelt. Hier stehen die sich im Zusammenhang mit dem Vorschlagsrecht, dem Änderungsrecht des Rates und dem Änderungsrecht der Kommission stellenden Rechtsfragen im Mittelpunkt, weil sie den primärrechtlichen Rahmen für die Einordnung der Kommission in den Rechtsetzungsprozeß - und damit für die Reichweite ihres Vorschlagsrechts - bilden. Im zweiten Teil wird der Einfluß des Rates auf das Vorschlagsrecht der Kommission untersucht. Da die Initiativkraft der Kommission wesentlich von der Integrationsbereitschaft der Mitgliedstaaten abhängt, liegt dieser Einfluß an einer Schnittstelle zwischen Recht und Politik. Aus diesem Grund ist zwischen mehreren 20 Vgl. Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 197: "While it is the duty of the Commission to serve the general interest of the Communities as a whole, this does not mean that it has to neglect national interests in performing its duties. It will, however, have to consider all matters from the viewpoint of the Community interest. Thus, in making its contribution to the policy-making in the Council, where national interests are very much to the fore and frequently c1ash with each other, it will have to try to find, for these antitheses, solutions which do justice to the Community interest. It should be noted, though, that just as the Council, as the natural representative of the various national interests, has nevertheless to protect the essential interests of the Community, the Commission for its part has also to take account of the vital interests of a Member State. The Commission, therefore, should never help to outvote a Member State if the latter's vital interests might - in the opinion of the Commission - be prejudiced. The Commission bears this responsibility because in most cases under the EC and Euratom Treaties qualified majority decisions of the Council can only be reached with its cooperation." Näher hierzu in Kapitel 3 unter H. 2 1 Vgl. hierzu nur Ipsen, Exekutiv-Rechtsetzung, S. 434 ff. 22 Hierzu Frowein, Zur institutionellen Fortentwicklung der Gemeinschaft, S. 94.
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Einflußebenen zu unterscheiden. Zum einen wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Mitgliedstaaten die Kommission zu Gesetzesinitiativen veranlassen, also ihre Arbeit auf bestimmte Integrationsprojekte lenken können. Diesem Aspekt kommt angesichts der politischen Führungsrolle des Europäischen Rates und der speziellen Leitungsaufgaben der Präsidentschaft besonderes Gewicht zu. Hierzu gehört aber auch die juristische Einordnung der vertraglichen Rechte des Rates, die Kommission zur Vorlage von Vorschlägen aufzufordern. Daneben richtet sich die mitgliedstaatliche Einflußnahme auf die konkrete Ausarbeitung der Rechtsaktentwürfe. Auch hier ist ein Spannungsverhältnis zwischen der Unabhängigkeit der Kommission und der Notwendigkeit, nationale Besonderheiten zu berücksichtigen, zu untersuchen. Zudem drückt sich die natürliche Auseinandersetzung zwischen Vorschlagsorgan und Entscheidungsorgan in der Behandlung der Kommissionsvorschläge im anhängigen Rechtsetzungsverfahren aus. Hier ist vor allem die Fähigkeit der Kommission in den Blick zu nehmen, als Vermittlerin zwischen den nationalen Interessen zu wirken. Der dritte Teil geht dem Einfluß des Europäischen Parlaments auf die Initiativtätigkeiten der Kommission nach. Dieser Abschnitt ist wesentlich von der allmählichen Aufwertung des Parlaments im Kräfteverhältnis zwischen den Organen geprägt. Auch das Parlament wirkt mittlerweile auf allen Ebenen auf die Vorschlagsarbeit der Kommission ein. Im Unterschied zum Rat hat sich der parlamentarische Anteil an der Initiierung von Gemeinschaftsrecht in einem langen Prozeß entwikkelt. Schließlich wendet sich die Arbeit der aktuellen Reformdiskussion zu, soweit sie die Stellung der Kommission als Initiativorgan betrifft. Im Fahrwasser des im Dezember 2001 vom Europäischen Rat förmlich eingesetzten EU-Verfassungskonvents, der am 28. Februar 2002 eröffnet wurde und bis Mitte des Jahres 2003 Vorschläge zur künftigen politischen und institutionellen Architektur der erweiterten Europäischen Union erarbeiten soll, könnte die Trennung von Vorschlags- und Beschlußfassungsrecht auf den Prüfstand geraten. Vornehmlich deutsche Politiker haben in jüngster Zeit das Initiativmonopol in Frage gestellt und - ähnlich der deutschen Verfassungsregelung - die Verteilung auf alle drei Legislativorgane Kommission, Parlament und Rat angeregt23 • Damit ist die Frage aufgeworfen, ob sich für die Initiativregelung - und mithin für das Vorschlagsverfahren nach dem bisherigen Muster - eine Neustrukturierung empfiehlt.
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Vgl. Stabenow, Das Initiativrnonopol der EU-Kommission in Frage stellen, S. 7.
Erster Teil
Das Vorschlagsprinzip im Rechtsetzungssystem der Europäischen Gemeinschaft Die fehlende schematische Einordnung des Europäischen Parlaments in das Vorschlagsverfahren folgt nicht allein aus einem Mangel an einseitiger Interessenvertretung, sondern ist vor allem darauf zurückzuführen, daß das Vorschlagsverfahren nach wie vor im wesentlichen auf der vertraglichen Kompetenzverteilung zwischen Kommission und Rat gründet. Neben der Grundregel, daß ohne einen Vorschlag der Kommission ein Rechtsetzungsverfahren nicht beginnen kann, ist das Vorschlags verfahren auf die beiden Eckpfeiler gestützt, wonach zum einen die Kommission ihren Vorschlag so lange ändern kann, als der Rat noch keinen Beschluß gefaßt hat (Artikel 250 Abs. 2 EGV) und zum zweiten der Rat Änderungen am Vorschlag grundsätzlich nur einstimmig beschließen kann (Artikel 250 Abs. 1 EGV). Allerdings gilt keines dieser drei Prinzipien uneingeschränkt. Erstens sehen eine Reihe Rechtsgrundlagen die Einleitung eines Rechtsetzungsverfahrens ohne förmlichen Vorschlag der Kommission vor. Zweitens unterliegen beide Änderungsrechte Einschränkungen, die sich nicht aus dem Wortlaut des Artikels 250 EGV ergeben, sondern aus der systematischen Funktionenverteilung. Und schließlich gilt die Einstimmigkeitsregel für Änderungen durch den Rat seit der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens nicht mehr im Vermiulungsverfahren (Artikel 251 Abs. 4 EGV) und bei der Annahme des gemeinsamen Entwurfs (Artikel 251 Abs. 5 EGV)I. Im folgenden wird auf diese drei Grundsätze im einzelnen eingegangen. Zunächst werden das Recht der Kommission, einen Vorschlag vorzulegen, vorgestellt und die Bereiche, in denen es nicht oder nicht ausschließlich gilt (Kapitell). Im Anschluß werden die wichtigsten Rechtsfragen zu den Änderungsrechten erörtert (Kapitel 2).
1 Vor allem der letztgenannte Fall zeigt, daß sich ohne Beachtung des Anteils des Parlaments das Vorschlagsverfahren nicht (mehr) vollständig beschreiben läßt.
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1. Teil, Kap. 1: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
Kapitell
Das Initiativmonopol der Kommission im Gemeinschaftsrecht Das Vorschlagsrecht der Kommission folgt aus Artikel 211 3. Spiegelstr. EGV, wonach es ihre Aufgabe ist, am Zustandekommen der Handlungen des Rates und des Parlaments mitzuwirken, in Verbindung mit den Einzelermächtigungen, denen zufolge der Rat "auf Vorschlag der Kommission" beschließt2 . Der EG-Vertrag sieht mehr als 100 solcher Fälle vor3 , so daß trotz einiger Ausnahmen4 üblicherweise vom Vorschlags- oder Initiativmonopol der Kommission die Rede ist. Die Anfang der siebziger Jahre von Lasalle angeregte Unterscheidung zwischen dem Vorschlagsrecht der Kommission und einem allgemeinen Initiativrecht - weil die Kommission nur das vertragliche Vorschlagsmonopol besäße, nicht aber ein Monopol darauf, überhaupt initiativ zu werden5 - hat sich nicht durchgesetzt, möglicherweise weil im deutschen wie im niederländischen Sprachgebrauch mit "Initiativrecht" explizit die formelle Einleitung der Rechtsetzung gemeint ist6 • Die Kommission selbst hat es für unschädlich gehalten, beide Begriffe wie Synonyme zu behandeln, nachdem sich auf europäischer Ebene einige terminologische Verwirrung zeigte? Mit Blick auf die politische Wirklichkeit, in der Initiativen von Rat, Mitgliedstaaten oder Europäischem Parlament an der Tagesordnung sind, wird in der englischsprachigen Literatur mitunter zwischen dem formellen "right of initiative" der Kommission und einer allgemeinen "power of initiative" unterschieden8 . I. Das Vorschlagsrecht im EG-Vertrag Das Vorschlagsverfahren gilt praktisch für die gesamte rechtsetzende Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen des Binnenmarktes und der gemeinsamen Politiken und zwar unabhängig von der Abstimmungsform im Rat und der 2 Nach Kluth (in: Calliess I Ruffert, Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 5) folgt das Initiativrecht aus Artikel 211 EGV i. V. m. Artikeln 251 Abs. 2 UAbs. 1 EGV, 252 Abs. 1 lit. a EGV. 3 Bei Gündisch/ Mathijsen sind im Anhang Halle Anwendungsfälle des EG-Vertrages aufgeführt. 4 Dazu sogleich unter H. 5 Lasalle, S. 131. 6 In der französischen Literatur wird nicht zwischen "droit de proposition" und "droit d'initiative" unterschieden und im Englischen nicht zwischen "right of proposition" und "right of initiative". Gegen eine Unterscheidung auch im Deutschen BiebeT; Das Parlament, S. 101. 7 VgI. die Schriftliche Anfrage von Vredeling, Nr. 149/71, ABI. 1971 Nr. C 83, S. 4. 8 Edwards/Spence, The European Commission in perspective, S. 8; Werts, S. 336.
I. Vorschlagsrecht im EG-Vertrag
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Beteiligungsfonn des Europäischen Parlaments. Es reicht von der Handels-, Industrie- und Sozialpolitik über die Agrar-, Umwe1t- und Energiepolitik bis hin zu den Bereichen Regionalentwicklung und Entwicklungszusammenarbeit. Es gilt darüber hinaus im Bereich der steuerlichen9 wie der allgemeinen 10 Rechtsharmonisierung und auch für die Vertragsergänzungsklausel Artikel 308 EGV l1 . 1. Der Ermessensspielraum zur Vorschlagsvorlage Die Wahrnehmung des Initiativrechts, d. h. die Modalitäten jeden Vorschlags über den Zeitpunkt, die Fonn und den Inhalt, stehen im Grundsatz im pflichtgemäßen Ennessen der Kommission 12• Es ist die prinzipielle Ennessensfreiheit in der Ausübung des exklusiven Rechts zur Vorschlagsvorlage, die der Kommission das Instrument in die Hand gibt, sowohl die inhaltliche Ausgestaltung als auch den Rhythmus der Gemeinschaftsarbeit nach ihrem politischen Willen zu bestimmen 13 . Spiegelbildlich besitzt die Kommission grundsätzlich das Recht, durch Abwarten bzw. Untätigkeit zu verhindern, daß es zur Rechtsetzung durch Rat und Parlament kommt, nämlich dann, wenn nach ihrer Auffassung ein bestimmter Vorschlag entweder überhaupt nicht oder nicht im gegebenen Zeitpunkt dem Gemeinschaftsinteresse entsprechen würde. Die Kommission kann somit zwar nicht bestimmen, daß der Rat einen Rechtsakt - mit oder ohne Beteiligung des Parlaments - beschließt. Sie verfügt indes über die Entscheidungsbefugnis, worüber der Rat und das Parlament beschließen können 14. Der Kommission kommt als Initiantin der Gemeinschaftspolitiken eine umfassende Verantwortlichkeit auf mehreren Ebenen zu. Neben dem auf einzelne Rechtsetzungsprojekte bezogenen Vorschlagsrecht ist sie auch zur Fonnulierung strategischer Ziele aufgerufen, wie sich in ihren Legislativprogrammen zeigt, die jeweils für ein Jahr die Gesetzgebungsvorhaben und den Fahrplan zu ihrer Umsetzung vorstellen und dem Parlament und dem Rat zur Stellungnahme übermittelt werden 15. Darüber hinaus kann die Kommission ihre Vgl. Artikel 93 EGV. Vgl. Artikel 94 und 95 EGV. 11 Artikel 308 EGV wird häufig als besonders signifikantes Beispiel für die Weite und Bedeutung des Vorschlagsrechts angeführt, etwa bei Boulois, S. 164; Manin, S. 208; Gilsdorf, S. 92. 12 Siehe nur Manin, S. 208. Aus der Rechtsprechung vgl. EuGE T-571 193, 1995-11, S. 2379 (Lefebvre) und EuGHE C-331/88, Slg. 1988-1, S. 4057 (EE.D.E.S.A.). 13 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 38. 14 Siehe Klösters, S. 71, mit weiteren Nachweisen. 15 Die verschiedenen Ebenen, auf denen die Kommission ihre Lenkungsfunktion für die initiation 0/ policy versieht, betont Ludlow, The European Commission, S. 91. Dazu näher in Kapitel 4 unter III. 3. und in Kapitel 8. 9
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1. Teil, Kap. I: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
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Lenkungs- und planerische Gestaltungsfunktion zur Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts durch allgemeine Programme ausfüllen, als deren berühmtestes Beispiel das Binnenmarkt-Weißbuch von 1985 16 gilt, das die schrittweise Verwirklichung des Binnenmarktes auf den 31. Dezember 1992 festlegte und die Grundlage eines umfangreichen Rechtsangleichungsprozesses mit dem Erlaß von über 300 Rechtsakten bildete. Im weiteren Sinne gehört hierzu auch die Beteiligung der Kommission im gemeinschaftlichen Haushaltsrecht, da sie den Vorentwurf des Haushaltsplanes erstellt und dem Rat vorlegt 17 . Insgesamt soll mit der Einräumung des Initiativrechts der Kommission ein ständiger und nachhaltiger Beitrag zur Struktur der politischen Debatte in der Europäischen Gemeinschaft garantiert sein l8 . Das tatsächliche Gewicht dieser Leitfunktion hängt, wie im folgenden näher herauszuarbeiten sein wird, von einer Reihe von Variablen ab. Keine juristische Begrenzung ihres Vorschlagsrechts, aber eine tatsächliche Bindung folgt daraus, daß es für die Kommission häufig keinen Sinn macht, einen Gemeinschaftsrechtsakt vorzuschlagen, der wegen der erkennbaren Ablehnung im Rat (trotz dessen Änderungsrechts) nach aller Wahrscheinlichkeit nicht beschlußfähig ist. Allerdings kommt es mitunter vor, daß die Kommission Vorschläge einbringt, von denen sie zunächst nicht erwartet, daß sie im Rat die erforderliche Mehrheit finden. Unbeschadet der politischen Gründe, die für ein solches Vorgehen ausschlaggebend sein können, zeigt sich hieran, daß das Vorschlagsrecht auch wörtlich zu nehmen ist. Neben der notwendigen politischen Übereinstimmung mit den übrigen Legislativorganen in der Einschätzung der Opportunität der Rechtsetzungsvorhaben gilt in verfahrensrechtlicher Hinsicht, daß der Einfluß der Kommission grundsätzlich dort am stärksten zur Geltung kommt, wo es Rat und Parlament leichter gemacht ist, den Vorschlag der Kommission anzunehmen als ihn zu verändern oder zurückzuweisen. Es versteht sich mithin, daß der Erfolg der Rechtsetzungsvorschläge der Kommission zu einem entscheidenden Ausmaß von den einschlägigen Beschlußformen abhängig ist. Zudem kann zu einem merklichen Teil auch die zeitliche Vorgabe bzw. Dimension eines Rechtsaktentwurfs seine Durchsetzbarkeit determinieren. Sofern die Kommission einen dringenden Handlungsbedarf erkennt, schwächt sich in vielen Fällen - wie Pollack nachweist - ihre Verhandlungsposition, da sie sich im Rechtsetzungsverfahren früher zu Zugeständnissen an Rat und Parlament und also zu Änderungen ihrer Vorlage bereit zeigt. Umgekehrt kann ihr Einfluß auf die endgültige Fassung wachsen, wenn etwa die Mitgliedstaaten (mehrheitlich) auf eine rasche Beschlußfassung drängen 19. Dok. KOM (85) 310 endg. ("Delors-Plan"). Siehe Artikel 272 Absätze 2 und 3 EGY. Näher hierzu in Kapitel 7 vor 1. 18 Laffan, From policy entrepreneur to policy manager, S. 423 ff.; Raworth, S. 25, mit weiteren Nachweisen. 19 Pollack, S. 121 ff. 16 17
1. Vorschlagsrecht im EG-Vertrag
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Dem Vorschlagsverfahren ist immanent, daß der Vorlage eines Rechtsaktentwurfs ein Informations- und Meinungsaustausch zwischen der Kommission und dem Rat bzw. Vertretern der Mitgliedstaaten vorgeschaltet ist, durch den sich die Kommission von der politischen Erfolgsaussicht ihrer Vorhaben überzeugen kann. Die vorangehende Abstimmung - deren Auswirkungen auf die Entscheidungsfreiheit im Detail herauszuarbeiten sind -, bedeutet deswegen nicht automatisch eine politische Schwächung der Kommission 2o • Mit Blick auf die übliche Praxis der Abstimmung gehen Hummer und Noc!! sogar davon aus, daß zwei grundverschiedene Fälle der Wahrnehmung des Vorschlagsrechts zu unterscheiden seien21 : Zum einen die Vorschläge, mit denen die Kommission die Leitlinien für die Politik in einem bestimmten Bereich festlegen will. In diesen Fällen beschließe die Kommission meist mit alleiniger Unterstützung ihrer Dienststellen und konsultiere nur ausnahmsweise die zuständigen Verwaltungsstellen der Mitgliedstaaten. Zum anderen die Erarbeitung der praktischen Einzelheiten des Gemeinschaftsrechts, die eher technischer Natur sind als politischer. Hierfür lasse sich die Kommission in der Regel von nationalen Sachverständigen unterstützen, die zumeist in eigens eingerichteten Ausschüssen verhandelten, so daß es zu einer intensiven Zusammenarbeit komme, aus der häufig eine gemeinsame, zumindest aber abgesprochene Entscheidung über die Vorlage eines Rechtsaktentwurfs hervorgehe 22 • 2. Die rechtlichen Bindungen des Vorschlagsrechts
Die prinzipielle Ermessensfreiheit der Kommission zur Initiative unterliegt gewissen Bindungen, die aber weder einzeln, noch in der Summe eine Aufweichung des Vorschlagsmonopols bedeuten, sondern lediglich seine rechtlichen Grenzen markieren. a) Primär- und sekundärrechtliche Rechtsetzungsaufträge An erster Stelle ist zu vermerken, daß das Initiativrecht in beachtlichem Umfang inhaltlich bestimmt und eingebunden ist durch vertragliche Zielbestimmungen und weitere Determinanten, die die Vertragsregelungen enthalten und die nach dem Prinzip der Kompetenzabgrenzung zu beachten sind23 . Die Kommission ist zur V gl. Ehlermann, S. 349. Dazu in Kapitel 3 unter 11. und III. Hummer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 40; Noiil, The Commission's Power of Initiative, S. 126. 22 Siehe hierzu ausführlich in Kapitel 3 unter 11. 23 Ipsen, Exekutiv-Rechtsetzung, S. 432 f. Obwohl auch mitgliedstaatliche Verfassungen Staatsziele bestimmen, wird die Gesetzesinitiative aufgrund der staatlichen KompetenzKompetenz nicht genauso eingebunden wie die Kommission durch die Vertragsziele der EG. Vgl. hierzu auch Klösters, S. 70 ff., mit weiteren Nachweisen. 20
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1. Teil, Kap. 1: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
Vorlage verpflichtet, wenn der Vertrag zur Erreichung eines Vertragsziels die Annahme von Rechtsakten vorschreibt24 . In diesen Fällen reduziert sich ihr Ermessensspielraum auf den Zeitpunkt und den Inhalt der Regelung, der aber ebenfalls durch Fristen oder andere Anforderungen präzisiert sein kann25 . Bindende Vorgaben enthalten vorwiegend solche primär- und sekundärrechtliche Bestimmungen, die Fristen zur Rechtsetzung festsetzen. Zahlreiche Beispiele hierfür finden sich im Zusammenhang mit der Vollendung des Binnenmarktes und dem hierfür bestimmten Zeitraum 26 . Die den vertraglichen Bestimmungen zu entnehmende Rechtsetzungspflicht richtet sich zwar häufig nicht direkt an die Kommission, sondern an den Rat27 . In den Fällen aber, in denen der Rat durch präzise Aufträge in der Pflicht und zur Verwirklichung auf die Mitwirkung der Kommission angewiesen ist, verengt sich auch deren Ermessensspielraum zur Vorschlagsvorlage, weil der an den Rat adressierte Rechtsetzungsauftrag auch die Kommission bindet28 • b) Jahresgesetzgebungsprograrnm Von einem Teil der Literatur wird eine Begrenzung der Ermessensfreiheit der Kommission in Form einer Selbstbindung angenommen, indem sie in den jährlichen Legislativprograrnmen ihre Prioritäten samt einem Zeitplan für die Vorlage aller im Programm enthaltenen Vorschläge festgelegt29 . Die Gegenauffassung nimmt aber an, daß die Planung lediglich eine politische Absichtserklärung darstelle, die gerade keine von Rat und Europäischem Parlament einklagbare Verpflichtung der Kommission entstehen lasse 3o . Bei der Untersuchung des parlamentarischen Anteils an der Aufstellung der Legislativprograrnme wird auf die Bindungswirkung näher eingegangen31 • Näher Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 3. Vgl. Ohler; S. 235. 26 Dazu näher Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 409; Gilsdorf, S. 96. 27 Wegen dessen Untätigkeit in der Verkehrspolitik hatte das Europäische Parlament eine Untätigkeitsklage vor dem Gerichtshof erhoben, die erfolgreich war: EuGH Rs. 13/85, Slg. 1985, S. 1513 ff. (Verkehrspolitik). Näher Erdmenger; S. 87 ff. Zum Verkehrsurteil siehe in Kapitel 2 unter I. 3. b. 28 Siehe dazu näher in KapitelS unter III. 3. b). 29 Vgl. Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 3. Ausdrücklich Uiufer in der Vorauflage zu Artikel 138b EGV Rn. 4: Bindung der Kommission an das eigene Jahresgesetzgebungsprogramm, die das Ermessen "auch rechtserheblich" begrenze. 30 Haag, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 20; Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 189a EGV Rn. 6. 31 Siehe hierzu in Kapitel 8 unter 11. 2. 24 25
I. Vorschlagsrecht im EG-Vertrag
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c) Subsidiarität und Finanzierbarkeit Sowohl für die Entscheidung über die Vorlage eines Vorschlages als auch hinsichtlich seiner Modalitäten gelten die allgemeinen Prinzipien der Subsidiarität und der Finanzierbarkeit. Die Kommission ist in ihren Entscheidungen an Artikel 5 EGV gebunden. Gegenüber dem Europäischen Parlament hat sich die Kommission in drei zusammenhängenden Erklärungen zur gesonderten Begründung der Vereinbarkeit ihrer Vorschläge mit dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet32 . Mit dem Vertrag von Maastricht wurde in Artikel 270 EGV 33 der Grundsatz der Haushaltsdisziplin verankert, der die Kommission zur Feststellung verpflichtet, daß die vorgeschlagene Maßnahme im Rahmen der Eigenmittel finanziert werden kann. Zuvor beruhte die Verpflichtung der Organe zu einer disziplinierten Ausgabenpolitik auf Sekundärrecht und interinstitutionellen Vereinbarungen 34 . In der gegenwärtigen Reformdebatte wird eine verbesserte Berücksichtigung und Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch die am Rechtsetzungsprozess beteiligten Organe von verschiedenen Seiten diskutiert. Für die Ausarbeitung und Prüfung eines Vorschlags durch die Kommission wird eine besondere und striktere Begründungspflicht in Form eines sogenannten "Subsidiaritätsbogens" erwogen, der gleichzeitig Angaben zu den voraussichtlichen finanziellen Auswirkungen des Rechtsakts enthalten so1l35. d) Förmliche Aufforderungen zur Vorschlagsvorlage Die beiden Rechte des Rates und des Parlaments, gemäß Artikel 208 bzw. 192 Abs. 2 EGV die Kommission zur Vorlage von Vorschlägen aufzufordern, werden im Schrifttum häufig als Bindung des Vorschlagsmonopols der Kommission bezeichnet 36 . 32 Nachweise und nähere Erläuterung bei Westlake, The Commission and the Parliarnent, S. 260 f. Vgl. Dazu auch Raworth, S. 24. Schon vor der vertraglichen Einführung des Subsidiaritätsprinzips hatte das Parlament die Kommission aufgefordert, Änderungen ihrer Vorschläge mit Rücksicht auf den Subsidiaritätsgedanken vorzunehmen. Der Europäische Rat wiederum hatte auf dem Edinburgh-Gipfel im Dezember 1992 hervorgehoben, daß das in Maastricht in den EG-Vertrag aufgenommene Subsidiaritätsprinzip das Initiativrecht der Kommission nicht in Frage stelle: Siehe dazu die Annex-Erklärung 1 zu Teil Ades "Gesamtkonzepts für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips", S. 10. 33 Artikel 201a EGVa. F. 34 Vgl. Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 270 EGV Rn. 1-17. 35 Vgl. hierzu den Abschlußbericht der vom Europäischen Konvent eingesetzten Arbeitsgruppe I "Subsidiaritätsprinzip" vom 23. September 2003, insb. S. 2-4. Zur Konkretisierung dieser Vorschläge müsste jedenfalls die derzeitige Fassung der Protokolls über die Subsidiarität im Anhang zum EG-Vertrag geändert werden, worauf die Arbeitsgruppe auch ausdrücklich hinweist. Näher hierzu in den Schlussbetrachtungen dieser Arbeit unter IV. 1. 36 Vgl. nur Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 211 EGV Rn. 39; Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 40, mit weiteren Nachweisen.
1. Teil, Kap. 1: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
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Diese Einschätzung beruht auf der Bejahung einer Rechtspflicht der Kommission, einer förmlichen Aufforderung nachzukommen. Diese Verpflichtung ist Gegenstand eines Meinungsstreits, den der Gerichtshof bislang nicht entschieden hat. Beide Vorschriften sind wegen ihrer hervorragenden Bedeutung für das Vorschlagsverfahren an späterer Stelle ausführlich zu besprechen37 , weswegen an dieser Stelle nur kursorisch auf sie eingegangen wird. Eine Bindung würde sich jedenfalls auf die grundsätzliche Entscheidung zur Vorschlagsvorlage auswirken. Mithin wäre bei einer Pflicht, der Aufforderung nachzukommen, der Ermessensspielraum der Kommission jedenfalls hinsichtlich des "Ob" des Tatigwerdens beschränkt. Auch die Befürworter einer Vorlagepflicht gehen aber davon aus, daß die Kommission hinsichtlich des Inhalts des angeforderten Vorschlags ihren Ermessensspielraum behalte und selbst im Falle ihrer vertragswidrigen Untätigkeit weder der Rat noch das Parlament einen eigenen Rechtsaktentwurf einbringen könnten. Mutatis mutandis gilt dieser Überblick auch für die Vorschriften, die für spezielle Bereiche die Aufforderung der Kommission zur Vorlage vorsehen. Es sind dies die dem Artikel 208 EGV für den Bereich des Euratom-Vertrags und des - mittlerweile außer Kraft getretenen - Montanvertrags 38 entsprechenden Artikel 122 EAGV und Artikel 26 UAbs. 3 EGKSV, für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik das Aufforderungsrecht des Rates gemäß Artikel 14 Abs. 4 EUV, das Aufforderungsrecht des Rates und der Mitgliedstaaten nach Artikel 115 EGV sowie die Aufforderungsrechte der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV und Artikel 67 Abs. 2 EGY. Diese Vorschriften werden als spezielle, sog. indirekte Initiativrechte im folgenden Abschnitt behandelt. Hinzu kommen einige weitere Aufforderungsrechte des Rates und der Mitgliedstaaten, die außerhalb des Vorschlagverfahrens liegen und die bei der Erörterung der Artikel 208 EGV und 192 Abs. 2 EGV mitbehandelt werden. 3. Zum Inhalt eines Vorschlags
Der formelle Vorschlag der Kommission im Sinne des EG-Vertrags ist ein vollständig ausformulierter Entwurf eines Gemeinschaftsrechtsakts. Er besteht aus dem Titel, der Bezeichnung der Beschlußorgane, den Erwägungsgründen, dem eigentlichen Text des Rechtsaktes und seiner Rechtsgrundlage. Mit der Wahl der Rechtsgrundlage gibt die Kommission das anzuwendende Rechtsetzungsverfahren vor. Die davon abhängige Beteiligung des Europäischen Parlaments sowie die verschiedenen Mehrheitserfordemisse im Rat haben in der Vergangenheit zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Organen geArtikel 208 EGV in Kapitel 5 und Artikel 192 Abs. 2 EGV in Kapitel 9. Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) wurde am 18. April 1951 in Paris von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden unterzeichnet. Der Vertrag, der für eine Dauer von 50 Jahren geschlossen wurde, trat am 23. Juli 1952 in Kraft und endete am 23. Juli 2002. 37
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H. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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führt 39 . Die Kommission darf aufgrund ihrer Verantwortung für das Gemeinschaftswohl die Ergänzung oder Präzisierung des Vorschlagstextes keinem anderen Legislativorgan überlassen; dieser muß vollständig und abschließend gefaßt sein, so daß er im Fall der Billigung durch Rat und Parlament als Rechtsakt in Kraft treten kann. Im Vorgriff auf die nähere Betrachtung der Rolle des Parlaments ist darauf hinzuweisen, daß die Notwendigkeit einer annahmefähigen Fassung sich indirekt auch aus den Rechtsetzungskompetenzen des Parlaments ableiten läßt4o . Denn das Parlament wäre in seinem Anhörungsrecht verletzt, wenn es nur allgemein zu einem Gesetzesvorhaben, das die Kommission in seinen groben Zügen umreißt, gehört würde41 • Damit wäre auch das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber der Kommission begrenzt, weil deren Haltung zu dem zukünftigen Gesetzesvorhaben nicht eindeutig zu bestimmen wäre. Gleichwohl ist unklar, ob schon der Entwurf eines künftigen Vorschlags, etwa im Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes, ein Vorschlag im Vertragssinne ist42 • Da die Vorschläge der Kommission nach ihrer Vorlage beim Rat förmlich im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in der Serie C veröffentlicht werden43 , spricht wohl mehr dafür, selbst detaillierte Entwürfe in Weißbüchern noch nicht als formellen Vorschlag anzusehen. Die jährliche Anzahl an Vorschlägen ist beträchtlich; sie liegt in den letzten Jahren selten unter 300 Vorschlägen für Richtlinien und Verordnungen44 . Eine Aufstellung der tatsächlich vorgelegten Vorschläge veröffentlicht die Kommission am Ende eines jeden Jahres in ihrem Gesamtbericht45 • 11. Die Ausnahmen vom Initiativmonopol der Kommission Das Gemeinschaftsrecht enthält, vor allem mit der in Maastricht beschlossenen gemeinsamen Währungspolitik, einige Ausnahmen vom Prinzip der Kommissions39 Dazu näher Glaesner; Willensbildung und Beschlußverfabren, S. 5 ff. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muß die Wahl der Rechtsgrundlage auf objektiven, nachprüfbaren Umständen beruhen, insbesondere dem Ziel und dem Inhalt einer Handlung, EuGH Rs. C-155/91, Slg. 1993-1, S. 993 (Kommission I Rat). Näher Bradley, European Court and legal basis of Community legislation, S. 379 ff. 40 So auch Kühner; S. 46. 41 Siehe dazu näher in Kapitel 6 unter I. 42 Dafür Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 45. Dagegen Schmitt von Sydow, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 42. 43 Zur politischen Bedeutung der Praxis, die Vorschläge erst nach Befassung des Rates im Amtsblatt zu veröffentlichen und damit Rücksicht auf den Rat zu nehmen, siehe Kühner; S. 47, und Schaub, S. 76 f. Die Erwägungsgründe werden nicht im Amtsblatt, sondern nur im jeweiligen KOM-Dokument veröffentlicht. 44 Gündisch/ Mathijsen, S. 130. 45 Vgl. Artikel 212 EGY. Zur Transparenzfunktion des Gesamtberichts und der damit verbundenen interinstitutionellen Kooperation zwischen Kommission und Parlament siehe Jorna, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 212 EGV Rn. 5.
1. Teil, Kap. 1: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
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initiative. Die Möglichkeiten, ein Rechtsetzungsverfahren anders als durch ihren Vorschlag einzuleiten, sind gleichwohl eng begrenzt, zumal in den Fällen, in denen die Kommission zur Vorlage berechtigt ist, sie bis auf zwei Ausnahmen stets ein exklusives Vorschlagsrecht besitzt. Die Ausnahmen vom Vorschlagsmonopollassen sich in mehrere Gruppen sortieren, wobei die Fälle der Rechtsetzung durch den Rat allein - wie bei der Regelung der Sprachenfrage für alle Organe der Gemeinschaft46 oder der Festsetzung der gemeinsamen Vorschriften für die See- und Luftschiffahrt47 - oder durch die Kommission allein, insbesondere im Wettbewerbs- und Beihilfenrecht48 , nicht als Ausnahmen gewertet werden, da es im folgenden nur um die vertragliche Zuweisung von Initiativrechten an andere Gemeinschaftsorgane oder an die Mitgliedstaaten geht49 • 1. Die Initiativrechte der übrigen Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten
Die Zuständigkeit für die Einbringung von Rechtsaktentwürfen ist in den Gemeinschaftsverträgen nicht identisch geregelt. Zwar führte schon der EGKS-Vertrag von 1952 das Vorschlagsverfahren ein, aber lediglich für zwei Anwendungsbereiche5o , weil im Prinzip nicht nur die Vorlage, sondern sogar die Beschlußfassung in die Hände der Kommission (früher: Hohe Behörde) gelegt wurde51 • Statt 46 47
Siehe Artikel 290 EGY. Siehe Artikel 80 EGY.
48 Siehe Artikel 86 ff. EGY. Ebenso in Artikel 39 EGV mittels Durchführungsverordnungen zur Regelung des Verbleiberechts von Arbeitnehmern nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats. 49 Anders van Raepenbusch, S. 196, der Rechtsetzungsbeschlüsse des Rates, die ohne Vorschlag der Kommission ergehen, als Ratsakte "de sa propre initiative" qualifiziert. Siehe auch Gündisch/ Mathijsen, S. 129, nach denen es "angesichts der häufig vorgebrachten These vom 'Vorschlagsmonopol' der Kommission verwundert, daß in einer erheblichen Anzahl von Fällen der Rat allein ( ... ) Recht setzen kann." 50 Vgl. Artikel 59 Abs. 2 EGKSV: "Der Rat entscheidet einstimmig auf Vorschlag der Kommission und im Benehmen mit ihr über Verwendungsprioritäten und über die Verteilung des Aufkommens der Gemeinschaft an Kohle und Stahl auf die ihrer Zuständigkeit unterstehenden Industrien, den Export und den sonstigen Verbrauch." Artikel 59 Abs. 5 EGKSV: "Im Falle des § I dieses Artikels kann die Kommission gemäß den Vorschriften des Artikels 57 nach Anhörung des Beratenden Ausschusses und mit Zustimmung des Rates beschließen, daß in sämtlichen Mitgliedstaaten Beschränkungen für die Ausfuhr nach dritten Ländern eingeführt werden; falls sie nicht die Initiative ergreift, kann der Rat auf Vorschlag einer Regierung durch einstimmigen Beschluß diese Beschränkungen einführen. " 51 Auch im EGKS-Vertrag folgte die Beschlußfassungskompetenz der Kommission aus den jeweiligen Einzelermächtigungen und nicht aus einer Generalzuständigkeit. V gl. hierzu nur Oppennann, Europarecht, Rn. 1324 f.
11. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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der Trennung zwischen Vorschlags- und Beschlußfassungskompetenz war in der Montanunion zur Entscheidung der Kommission meistens die Zustimmung des Rates erforderlich, um die Interessen der Mitgliedstaaten zu wahren. Trotz der im Vergleich zum Vorschlagsverfahren integrationsfreundlicheren Konstruktion verlagerten sich in der Praxis die Gewichte auf den Rat, über dessen Willen sich die Hohe Behörde nicht einmal in den Fällen hinwegsetzte, in denen sie die alleinige Entscheidungsbefugnis hatte. Diese Entwicklung wurde als einer der Gründe für die Einrichtung des prinzipiellen Vorschlagsverfahrens identifiziert, mit dem die Römischen Verträge52 die Stellung des Rates in den Vordergrund stellten und den Mitgliedstaaten auch in formaler Hinsicht eine stärkere Stellung sicherten53 • Insgesamt läßt der Blick auf die im EG-Vertrag bestehenden Ausnahmen erkennen, daß der Begriff vom Initiativmonopol der Kommission begründet ist. Für die Fälle, in denen die Initiative zur Rechtsetzung von anderen Organen oder von den Mitgliedstaaten obliegt, wird die jeweilige besondere Sachkompetenz des beauftragten Organs angeführt54 • Sprachlich ist eine Unterscheidung getroffen, da nicht von "Vorschlägen", sondern von "Initiativen", "Entwürfen", "Anträgen" oder "Empfehlungen" die Rede ist. a) Initiativrechte des Europäischen Parlaments Das Europäische Parlament besitzt in Artikel 190 Abs. 4 UAbs. 1 EGVein direktes Initiativrecht für den Entwurf eines einheitlichen Europäischen Wahlrechts. Das Parlament hat von seinem Initiativrecht mit Entwürfen vom 17. Mai 196055 , vom 14. Januar 197556, vom 8. März 198057 , vom 10. Oktober 1991 58 , vom 10. Juni 199259 und vom 10. März 1993 60 Gebrauch gemacht, von denen jedoch keiner die notwendige Einigung im Rat erreichte61 . Die zweite Initiative führte nach ihrer Im Euratom-Vertrag entspricht das Vorschlagsrecht im Prinzip dem EG-Vertrag. Weitere Gründe lagen vor allem in der allumfassenden Zuständigkeit der Römischen Verträge sowie in der politischen Forderung, das supranationale Gewicht der Europäischen Gemeinschaft zu verringern, siehe Schmitt von Sydow, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 Rn. 36 f. 54 Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU -I EG-Kommentar, Artikel 189a EGV Rn. 4 und ders., in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 4. 55 ABI. 1960 Nr. C 37, S. 833. 56 ABI. 1975 Nr. C 32, S. 15. 5? ABI. 1982 Nr. C 87, S. 61. 58 ABI. 1991 Nr. C 280, S. 141. 59 ABI. 1992 Nr. C 176, S. 22. 60 ABI. 1993 Nr. C 115, S. 121. 61 Zwei Entwürfe, von 1982 und 1991, wurden im Rat nicht verhandelt, da dieser aufgrund weitergehender Beratungen des Europäischen Parlaments davon ausging, daß die eingebrachten Vorschläge überholt seien. Über den letzten Entwurf von 1993 hat der Rat Mitte Dezern52 53
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1. Teil, Kap. 1: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
Annahme durch den Rat zu dem Direktwahlakt von 197062 , in dem in Artikel 13 ein zweites direktes Initiativrecht enthalten ist, das die Beschlüsse über die notwendigen Durchführungsakte betrifft. Auf der Grundlage von Artikel 13 Direktwahlakt hat das Parlament bislang eine Initiative zum Statut der Abgeordneten vorgelegt63 • Die Entscheidung über die Annahme des Wahlrechtsvorschlags liegt beim Rat und bedarf der Einstimrnigkeit64 • Der Rat kann aber erst beschließen, nachdem das Parlament mit der Mehrheit seiner gesetzlichen Mitglieder zugestimmt hat65 • Durch das Zustimmungsrecht besitzt das Europäische Parlament die Möglichkeit, den Erlaß von Direktwahlbestimmungen zu verhindern, die seinen Vorschlag in einer für das Parlament nicht akzeptablen Weise verändern würden. Aus dem Wortlaut folgt, daß das Europäische Parlament und der Rat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sind, Vorschriften für ein einheitliches Wahlverfahren vorzulegen und zu beschließen66 . Beide Organe behalten aber ihr Ermessen nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Wahlrechtsbestimmungen67 , sondern auch für den Zeitpunkt der Vorlage und des Beschlusses von Direktwahlvorschriften68 . Zwei weitere direkte Initiativrechte des Europäischen Parlaments finden sich in dem mit dem Amsterdamer Vertrag neueingefügten Artikel 190 Abs. 5 EGV zum Abgeordnetenstatut69 und in Artikel 195 Abs. 4 EGV, wonach das Parlament die ber 1994 beraten, ohne zu einer Einigung zu gelangen. Näher hierzu Haag/Bieber; in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138 EGV Rn. 7 f. 62 ABI. 1976 Nr. L 278, S. 1. 63 ABI. 1983 Nr. C 277, S. 135. 64 Artikel 190 Abs. 4 UAbs. 2 EGY. 65 Das Zustimmungsrecht des Europäischen Parlaments ist erst mit dem Unionsvertrag aufgenommen worden. Im Anschluß an den Beschluß des Rates muß der Vorschlag noch von den Mitgliedstaaten gemäß ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen angenommen werden. Dieses langwierige Verfahren wird häufig als Hauptgrund dafür angeführt, daß bislang kein gemeinsames Wahlverfahren beschlossen werden konnte, vgl. Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 190 EGV Rn. 10. Andere nehmen an, daß sich das Zustimmungsrecht des Parlaments in der Praxis als zusätzliche Hürde erweisen wird. Siehe dazu Constantinesco, in: Constantinesco I Jovar I Simon, Traite sur L 'Union europeenne, Artikel 138 EGV Anm. 3 und 6. 66 So Generalanwalt Darmon im Schlußantrag zu EuGH Rs. C-41 192, Slg. 1993,1-3160, Ziff. 49 (The Liberal Democrats/EP). 67 Die Neufassung der Vorschrift im Amsterdamer Vertrag spricht ausdrücklich davon, daß der Entwurf entweder "nach einern einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen" ausgearbeitet werden soll. 68 Das ergibt sich aus dem Fehlen eines Zieldatums in Artikel 190 Abs. 4 EGY. Siehe dazu Generalanwalt Darmon im Schlußantrag zu EuGH Rs. C-41/92, Slg. 1993, 1-3160, Ziff. 89-91 (The Liberal Democrats/EP). 69 Das Parlament hat am 3. Dezember 1998 den "Entwurf eines Statuts für die Abgeordneten des Europäischen Parlaments" angenommen, ABI. 1998 Nr. C 398, S. 24. Nach intensiven Verhandlungen mit dem Rat hat dieser den Entwurf abgelehnt und im April 1999 einen eigenen Entwurf vorgelegt, den das Europäische Parlament wiederum in einer Entschließung vorn 5.5.1999 abgelehnt hat, ABI. 1999 Nr. C 279, S. 171.
II. Ausnahmen vorn Initiativmonopol
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Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten in einem Entwurf festlegt, zu dem die Kommission eine Stellungnahme abgibt und der Rat seine Zustimmung erteileo. Die Einzelheiten der Ausübung des parlamentarischen Untersuchungsrechts gemäß Artikel 193 Abs. 3 EGV sind vom Parlament, dem Rat und der Kommission in gegenseitigem Einvernehmen festzulegen. Auch hier obliegt es dem Parlament, die Vorlage auszuarbeiten 71 . b) Initiativrechte des Europäischen Gerichtshofs Der Europäische Gerichtshof verfügt gemäß Artikel 225 EGV über die Antragsrechte, die Zuständigkeiten und die Zusammensetzung des Gerichts erster Instanz durch den Rat regeln zu lassen72 sowie Änderungen des Titels III der Satzung des Gerichtshofs vorzuschlagen, vgl. Artikel 245 EGY. c) Initiativrechte der Europäischen Zentralbank Die wichtigsten Ausnahmen vom Initiativmonopol der Kommission sind die Vorschriften in Titel VII des EG-Vertrages zur gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik, nach denen der Rat entweder auf Vorschlag der Kommission oder auf Empfehlung der Europäischen Zentralbank (EZB) beschließt. Nach Artikel 107 Abs. 5 und 6 EGV besitzt die Kommission zwar hinsichtlich der meisten in der Satzung der EZB vorgesehenen Bestimmungen ein Vorschlagsrecht, doch verliert dieses seine Exklusivität, denn der Rat kann ebensogut auf Empfehlung der EZB einen Beschluß fassen, in welchem Fall die Kommission lediglich anzuhören ist. Für den Anwendungsbereich des Absatzes 5 ist vom Träger der jeweiligen Vorlage sogar die notwendige Abstimmungsmehrheit im Rat abhängig gemacht. Ergeht sein Beschluß auf Empfehlung der EZB, reicht die einfache Mehrheit aus (Artikel 205 Abs. 1 EGV). Entscheidet der Rat demgegenüber auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der EZB, muß er mit qualifizierter Mehrheit gemäß Artikel 205 Abs. 2 EGVentscheiden. In beiden Fällen ist zusätzlich die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich. Die EZB besitzt in Artikel 111 Abs. 1 und 2 EGV zwei weitere Empfehlungsrechte, zum einen für die Festlegung von Wechselkursen gegenüber Drittlandswäh70 Vgl. den Beschluß des Europäischen Parlaments vorn 9. März 1994 über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten, ABI. 1994 Nr. L 113, S. 15. 71 Vgl. Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 189a EGV Rn. 4. 72 Vgl. dazu Weatherill/Beaumont, S. 55.
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rungen und zum anderen für die "Aufstellung" allgemeiner Orientierungen für die Wechselkurspolitik. Diese Empfehlungsrechte sind gemäß Artikel 110 Abs. 2 EGV unverbindlich, kommen faktisch aber der Wirkung eines formellen Vorschlagsrechts nahe73 . Umgekehrt bedeuten die in der Wirtschafts- und Währungspolitik geltenden Vorschriften, in denen der Rat auf EmpfehLung der Kommission Rechtsakte beschließen kann74, wegen der Unverbindlichkeit der Empfehlungen eine schwächere Stellung der Kommission als im Vorschlagsverfahren75. d) Initiativrechte der Mitgliedstaaten Die Mitgliedstaaten besitzen zwei direkte Initiativrechte in den Artikeln 259 und 263 EGV für die Kandidaten des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen. In beiden Fällen ernennt der Rat die Mitglieder durch einstimmigen Beschluß. Der Amsterdamer Vertrag hat darüber hinaus für eine neue Gemeinschaftskompetenz eine, wenn auch zeitlich begrenzte Aufspaltung des Vorschlagsrechts zu Gunsten der Mitgliedstaaten eingeführt. Im Bereich des Titels IV, dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, fällt das Vorschlagsrecht für die Dauer von fünf Jahren den Mitgliedstaaten und der Kommission nach Artikel 67 Abs. I EGV konkurrierend zu. Erste Erfahrungen mit dem neuen Verfahren haben gezeigt, daß die Mitgliedstaaten, insbesondere die jeweiligen Präsidentschaften, ein reges Interesse an direkten Rechtsaktinitiativen entwicke1n76 • Die Erfolgsaussichten solcher Vorlagen sind entscheidend davon abhängig, in welchem Maß der Initiant es versteht, die rechtlich und faktisch divergierenden Ausgangssituationen in den anderen Ländern zu berücksichtigen. Vermutlich angesichts der Erfahrungen in der intergouvernementalen Zusammenarbeit, in denen es den Mitgliedstaaten nicht selten schwer fällt, im Rat Beschlußentwürfe mit Aussicht auf Erfolg einzubringen77, ist das Ko-Initiativrecht lediglich als Übergangsregelung vorgesehen, mit dem zwischenstaatlich ausgearbeitete Abkommen dem Rat zum Erlaß von Gemeinschaftsrechtsakten vorgelegt werden können. Nach Ablauf der Übergangszeit, d. h. nach Manin, S. 208. Vgl. für die Wirtschaftspolitik Artikel 99 Abs. 2 und 4 Satz 1 EGV betreffend die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft und Artikel 104 Absätze 6 und 13 EGV zur Haushaltsdisziplin und zur Vermeidung öffentlicher Defizite. Für den Bereich der Währungspolitik siehe die Regelungen in Artikel 111 Abs. 1 - 3 EGV für die Festlegung von Wechselkursen gegenüber Drittlandswährungen und die "Aufstellung" allgemeiner Orientierungen für die Wechselkurspolitik durch den Rat sowie für Vereinbarungen im Zusammenhang mit Währungsfragen oder Devisenregelungen mit Drittstaaten und Internationalen Organisationen. 75 Insbesondere löst ein Abweichen von der Empfehlung keinen Einstimmigkeitszwang aus. Näher Isaac, S. 63 f. 76 Dazu lama, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 211 EGV Rn. 31. 77 So Bardenhewer, in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 67 EGV Rn. 5 mit Nachweisen. 73
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11. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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dem 30. April 2004, wird die Kommission gemäß Artikel 67 Abs. 2 1. Spiegelstr. EGV das alleinige Initiativrecht erhalten78 . Neben der soeben erwähnten Konkurrenzregelung des Artikels 107 Abs. 5 und 6 EGV ist Artikel 67 Abs. 1 EGV der einzige Fall im Gemeinschaftsrecht, in dem ein förmliches Vorschlagsrecht der Kommission nicht exklusiv ist. e) Spezielle Initiativrechte der Kommission Eine weitere Ausnahme vom traditionellen Vorschlagsverfahren stellen jene Vorschriften dar, in denen die Kommission "alle Initiativen" ergreifen kann, um den Bereichen, in denen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten ihre Politiken koordinieren, neue Impulse zu geben. Die Initiativen zur gemeinsamen Industriepolitik gemäß Artikel 157 Abs. 2 S. 2 EGV, in der Forschung und der technologischen Entwicklung auf der Grundlage von Artikel 165 Abs. 2 EGV und in der Zusammenarbeit in der Entwicklungshilfe nach Artikel 180 Abs. 2 EGV sind unverbindlich. Obwohl die Bezeichnung "alle Initiativen" wohl nicht ausschließt, hierunter auch rechtsverbindliche Vorschläge zu fassen 79 , spricht die übliche Sprachregelung des Vertrags dafür, hierin lediglich einen politischen Anstoß zu Verfahren zu verstehen, an deren Ende eine verbindliche Regelung stehen kann, da rechtsverbindliche Akte in der Regel als "Maßnahmen" bezeichnet werden und das Verfahren ihres Erlasses geregelt wird, was hier aber nicht der Fall ist. Ein solches Verständnis kann damit untermauert werden, daß die Kommission in den genannten Bereichen lediglich eine Moderatorenrolle bei der Koordinierung der mitgliedstaatlichen Politiken einnimmt8o . 2. Die indirekten Initiativrechte des Rates und der Mitgliedstaaten
Die Einordnung der Rechte des Rates und der Mitgliedstaaten, die Kommission zur legislativen Initiative aufzufordern, als Ausnahme vom Vorschlagsrecht geschieht in der Literatur nicht einheitlich. Im folgenden werden zunächst die Artikel 115 EGV, Artikel 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV und Artikel 67 Abs. 2 EGVals Aufforderungsrechte im Vorschlagsverfahren des EG-Vertrags vorgestellt. Bei der Betrachtung der Initiativregelungen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wird anschließend auf Artikel 14 Abs. 4 EUV und auf Artikel 301 EGVeingegangen. 78 Allerdings ist vorgesehen, daß nach Ablauf der Übergangszeit die Kommission jeden Antrag zu prüfen hat, mit dem ein Mitgliedstaat sie zur Unterbreitung eines Vorschlages auffordert, Artikel 67 Abs. 2 1. Spiegelstr. EGY. Siehe dazu näher in Kapitel 5 unter III 1. b). 79 So aber Breier; in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 130 EGV Rn. 11. 80 Kallmayer; in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 157 EGV Rn. 17.
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a) Aufforderungsrecht gemäß Artikel 115 EGV Umstritten ist die Würdigung des den Titel VII des EG-Vertrags über die gemeinsame Wirtschafts- und Wahrungspolitik abschließenden Artikels 115 EGV: "Bei Fragen, die in den Geltungsbereich von Artikel 99 Absatz 4, Artikel 104 mit Ausnahme von Absatz 14, Artikel 111, Artikel121, Artikel 122 und Artikel 123 Absätze 4 und 5 fallen, kann der Rat oder ein Mitgliedstaat die Kommission ersuchen, je nach Zweckmäßigkeit eine Empfehlung oder einen Vorschlag zu unterbreiten. Die Kommission prüft dieses Ersuchen und unterbreitet dem Rat umgehend ihre Schlussfolgerungen." Nach Potaci 1 und Schill82 enthält diese Bestimmung ein Initiativrecht des Rates und einzelner Mitgliedstaaten für solche Rechtsakte, die eine Empfehlung oder einen Vorschlag der Kommission zur Voraussetzung haben83 • Das würde bedeuten, daß Artikel 115 EGVals einzige Ausnahme vom Vorschlagsmonopol der Kommission im Bereich des EG-Vertrags ein Initiativrecht des Rates vorsieht. An dieser Einordnung bestehen aber Bedenken, weil Artikel 115 EGV dem Rat (oder einem Mitgliedstaat) kein Vorlagerecht einräumt, sondern lediglich eine Anspruchsgrundlage darstellt, die Kommission zur Abgabe einer Empfehlung oder eines Vorschlags zu veranlassen. Ähnlich den Aufforderungsrechten nach Artikel 192 Abs. 2 und 208 EGV ersetzt eine solche Aufforderung - ungeachtet ihrer Rechtswirkung, also selbst, wenn man von einem Vorlagezwang zulasten der Kommission ausgehen würde - weder den notwendigen Vorschlag noch eine Empfehlung der Kommission. Vielmehr ist Artikel 115 EGV dem Vorschlagsrecht vorgeschaltet und vermag daher kein Initiativrecht des Rates oder eines Mitgliedstaates zu begründen 84 . Aus diesem Grund ist Artikel 115 EGV nicht als Ausnahme vom Vorschlagsrecht der Kommission zu werten. Unbedenklich ist hingegen seine Einordnung als indirektes Initiativrecht, zumal für diese Vorschrift im Schrifttum Einigkeit herrscht, daß die Kommission nicht verpflichtet ist, dem Ersuchen nachzukommen 85 .
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Potacs, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 115 EGV Rn. 1. Schill, in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel109d EGV Rn. 5.
83 Davon sind etwa internationale Abkommen in Wahrungsangelegenheiten oder "allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik" gemäß Artikel 111 EGVerfaßt. 84 Vgl. Haag, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 16; Läufer, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, 2. Auflage, 138b EGV Rn. 4. Richtigerweise ist von einem ,,Aufforderungsrecht" oder von einer "Ergänzung zum Initiativrecht" der Kommission zu sprechen. So auch Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 1 und Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250
Rn. 6.
85 Der Kommission ist insoweit ein Ermessensspielraum eingeräumt. Siehe hierzu Potacs, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 115 EGV Rn. 1; Schill, in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 109d EGV Rn. 5; Häde, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 115 EGV Rn. 3; Keppenne, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 115 EGV Rn. 2.
II. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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b) Antragsrecht gemäß Artikel 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV Laut Artikel 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV ist für die Gründung einer Gruppe zur verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des EG-Vertrags 86 der Kommission ein exklusives Vorschlagsrecht eingeräumt: "Die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, eine verstärkte Zusammenarbeit nach Absatz 1 zu begründen, können einen Antrag an die Kommission richten, die dem Rat einen entsprechenden Vorschlag vorlegen kann. Legt die Kommission keinen Vorschlag vor, so unterrichtet sie die betroffenen Mitgliedstaaten und gibt ihre Gründe dafür an."
Die Mitgliedstaaten richten zwar keine "Aufforderung" an die Kommission, sondern stellen einen "Antrag", doch bleibt diese in ihrer Entscheidung über die Vorlage eines Vorschlags frei, wie aus Satz 1 eindeutig hervorgeht. Für die Qualifikation als Ausnahme vom Vorschlagsmonopol gilt das zu Artikel 115 EGV Gesagte. Auf der Regierungskonferenz von Nizza wurde die Neufassung der Vorschrift beschlossen, so daß es seit Inkrafttreten des Vertrags von Nizza87 heißt: "Die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit in einem der unter diesen Vertrag fallenden Bereiche zu begründen, richten einen Antrag an die Kommission, die dem Rat einen entsprechenden Vorschlag vorlegen kann."
Aus der Neufassung folgt, daß der Vorschlagsvorlage stets ein Antrag der Mitgliedstaaten vorauszugehen haben wird. Die Kommission bleibt in ihrer Entscheidung frei. Überdies ist aus der Neufassung zu folgern, daß die Kommission nur die Antragsteller als Teilnehmer einer Gruppe verstärkter Zusammenarbeit vorschlagen kann, das Vorschlagsrecht mithin auch inhaltlich begrenzt wird. Die geltende Regelung läßt hingegen dem Wortlaut nach zu, daß die Kommission in ihren Vorschlag über die Teilnehmer einer Vertiefungsgruppe auch einen Mitgliedstaat aufnimmt, der sich an dem Projekt gar nicht beteiligen Will 88 . c) Antragsrecht gemäß Artikel 67 Abs. 2 EGV Das Antragsrecht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 67 Abs. 2 1. Spiegelstr. EGV, das nach Ablauf der Übergangszeit in Kraft treten wird, bestimmt: 86 In der Dritten Säule hat die Kommission kein formelles Vorschlagsrecht. Gemäß Artikel 40 Abs. 2 EUV ist für die Ermächtigung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen der Rat auf Antrag der Mitgliedstaaten zuständig, "nachdem die Kommission ersucht wurde, hierzu Stellung zu nehmen". Gleiches gilt von der - mit Inkrafttreten des Vertrags von Nizza möglichen - Begründung einer verstärkten Zusammenarbeit im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, vgl. hierzu Artikel 27c EUV i. d. F. von Nizza. 87 Der Vertrag von Nizza wurde vom Europäischen Rat am 9. 12.2000 abgeschlossen. Am 1. Februar 2003 trat der Vertrag in Kraft, nachdem mit Irland (nach dem erfolgreichen zweiten Referendum vom 19. 10. 2(02) der letzte Mitgliedstaat den Ratifizierungsprozess abgeschlossen hatte. Für einen Überblick siehe Wiedmann, S. 185 ff. 88 Siehe hierzu ausführlich v. Buttlar, S. 670 ff.
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1. Teil, Kap. I: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht "Nach Ablauf dieser fünf Jahre ( .. . ) handelt der Rat auf der Grundlage von Vorschlägen der Kommission; die Kommission prüft jeden Antrag eines Mitgliedstaats, wonach sie dem Rat einen Vorschlag unterbreiten soll ( .. . )."
Die Vorschrift trägt dem Bedürfnis der Mitgliedstaaten Rechnung, wie in der früheren intergouvernementalen Zusammenarbeit justiz- und innenpolitische Gemeinschaftsmaßnahmen selbst initiieren zu können 89 . In der Sache entscheidet die Kommission nach pflichtgemäßem Ermessen über jeden Antrag. Dies schließt die Möglichkeit der Ablehnung ein90 • Die Prüfung des Antrags kann jedenfalls im Wege der Untätigkeitsklage nach Artikel 232 EGV eingefordert werden91 . Für die Qualifikation als Ausnahme vom Vorschlagsrecht der Kommission gilt ebenfalls das zu Artikel 115 EGV Gesagte.
3. Die Initiativrechte in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Außerhalb des Gemeinschaftsrechts im engeren Sinne92 , im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)93 und in den Bestimmungen zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)94, verfügt die Kommission über kein Initiativmonopol, sondern nur über einzelne Initiativrechte, denen keine Rechtswirkung wie dem förmlichen Vorschlag im Sinne des EG-Vertrags zukommt. a) Allgemeinzuständigkeit des Rates gemäß Artikel 14 Abs. 1 EUV Im Rahmen der GASP ist laut Artikel 14 Abs. 1 EUV grundsätzlich der Rat dafür zuständig, gemeinsame Aktionen sowohl zu initiieren als auch zu beschließen. Außerhalb des EG-Vertrages ist somit die Trennung von Vorschlagsberechtigung und Beschlußfassungsrecht aufgegeben. Aus diesem Grund konzentriert sich für den Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit die Untersuchung von "Ausnahmen vom Vorschlagsmonopol der Kommission" weniger auf Vorschlagsrechte der übrigen Organe bzw. der Mitgliedstaaten als vielmehr auf die Frage, inwieweit die Kommission durch Anregungen, Initiativen und Empfehlungen die Arbeiten des Rates lenken kann. Wiedmann, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artike167 EGV Rn. 6. Unklar aber Brechmann, in: Cailiess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 67 EGV Rn. 3 und Wiedmann, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 67 EGV Rn. 6. 91 Thun-Hohenstein, S. 31. 92 Zu dieser Sprachregelung vgl. Oppermann, Europarecht, Rn. 232; Bleckmann, Europarecht, Rn. 25. 93 Siehe Titel V des Unionsvertrages, Artikel 11 - 28. 94 Siehe Titel VI des Unionsvertrages, Artikel 29-42. 89
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11. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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b) Befassungsrecht der Kommission gemäß Artikel 22 EUV Gemäß Artikel 22 EUV ist die Kommission - ebenso wie jeder Mitgliedstaat berechtigt, den Rat mit einer Frage zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu befassen und ihm Vorschläge zu unterbreiten. Einigkeit herrscht in der Einschätzung, daß hiermit nicht das Initiativrecht im Sinne des EG-Vertrages gemeint ist95 . Umstritten ist aber, ob der Rat solche Fragen auf die Tagesordnung setzen und bei Beschlußvorlagen eine Abstimmung durchführen muß 96 . Jedenfalls findet auf Vorschläge der Kommission die Einstimmigkeitsregel des Artikels 250 Abs. I EGV keine Anwendung. Weder ist Artikel 250 Abs. I EGV in Artikel 28 Abs. I EUV - der die Anwendbarkeit von Bestimmungen des EGVertrages im Rahmen der GASP festlegt - erwähnt, noch kommt eine Analogie in Frage97 • c) Beteiligungsrecht der Kommission gemäß Artikel 27 EUV Eine weitere Grundlage, im Rahmen der GASP initiativ zu werden, wird in der Literatur dem Gebot des Artikels 27 EUV, wonach die Kommission in vollem Umfang an den Arbeiten im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu beteiligen ist, entnommen. Hieraus sei der Kommission neben einem weitreichenden Informationsanspruch gegenüber dem Rat die Möglichkeit zu eröffnen, zu allen Fragen Stellung zu nehmen und dem Rat Vorschläge und Empfehlungen, sei es zur Beschlußfassung, sei es zu Maßnahmen der Durchführung von GASP-Beschlüssen, zu unterbreiten 98 . Nur ein umfassendes Beteiligungsrecht ermögliche es der Kommission, ihr Handeln als EG-Organ auf die GASP abzustimmen99 und die Wahrung des acquis communautaire zu sichernJ(JO. Artikel 27 EUV gewährt der Kommission somit ein allgemeines, aber unverbindliches Anregungsrecht.
Algieri, S. 174; Regelsberger, S. 91. Bejahend Cremer, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 14 EGV Rn. 6. Verneinend Streinz, Die Europäische Union nach dem Vertrag von Maastricht, S. 8. Nach Lange, S. 443, muß der Rat sich mit der Vorlage befassen, wenn die Kommission im Rahmen der auswärtigen Kompetenz agiert. 97 Stein, Das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten, Rat und Kommission bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, S. 78. 98 So Fink-Hooijer, S. 191. Vgl. auch Cremer, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 27 EGV Rn. 12 mit weiteren Nachweisen. 99 V gl. zur Abstimmung etwa den Gemeinsamen Standpunkt zu Angola 95/4131 GASP, ABI. 1995 Nr. L 245, S. 1, und Artikel I und 2 der Gemeinsamen Aktion zur afrikanischen Region der Großen Seen, 96/669/GASP, ABI. 1996 Nr. L 312, S. 1. 100 Krück, in: Schwarze. EU-Kommentar. Artikel 11-28 EUV Rn. 61 f. 95
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1. Teil, Kap. I: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
d) Aufforderungsrecht des Rates gemäß Artikel 14 Abs. 4 EUV Eine spezielle Vorschrift, welche der Kommission Einflußmöglichkeiten bietet, obwohl sie Befugnisse des Rates zum Inhalt hat, stellt Artikel 14 Abs. 4 EUV dar. Hiernach steht es dem Rat frei, die Kommission zu ersuchen, geeignete Vorschläge zur Durchführung von gemeinsamen Aktionen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu unterbreiten. Dies kann insbesondere die Verwaltung finanzieller Mittel betreffen, die der Haushalt der Europäischen Gemeinschaft bereitstellt lO1 . Vor dem Hintergrund des Artikels 27 EUV sprechen sich einige Autoren dafür aus, die Kommission nicht auf Vorschläge für Durchjührungsmaßnahmen zu beschränken, da sie nicht daran gehindert sei, beim Rat ein entsprechendes Ersuchen anzuregen 102 und Artikel 14 Abs. 4 EUV entgegen seinem Wortlaut als Soll-Vorschrift zu verstehen sei l03 . Ein solches Verständnis der Beteiligung der Kommission habe für sich, daß auf diese Weise einer harmonischen Abstimmung zwischen gemeinsamen Aktionen der Mitgliedstaaten und Maßnahmen der Gemeinschaft, etwa im Bereich der Entwicklungspolitik, der Boden bereitet, zumindest aber die Gefahr wechselseitiger Behinderungen vermieden werden könne 104. Unbeschadet dieses weitgehenden Verständnisses der Einbindung der Kommission in die Initiierung gemeinsamer Aktionen bleibt festzuhalten, daß rechtstechnisch gesehen Artikel 14 Abs. 4 EUVals Aufforderungsrecht des Rates und nicht als Initiativrecht der Kommission konstruiert ist. Interessanterweise wird aber die Frage, ob die Kommission auf ein Ersuchen des Rates tätig werden muß, vom Schrifttum soweit ersichtlich nicht erörtert. Mit Blick auf den Regelungszweck der Vorschrift, mögliche Synergieeffekte von Durchführungsmaßnahmen im Rahmen der GASP einerseits und EG-Handlungen andererseits zu nutzen, würde im Einzelfall zumindest das Kohärenzgebot eine Handlungspflicht der Kommission nahelegen 105 • Die Frage nach der Verpflichtung der Kommission ist in diesem Fall freilich eher akademischer Natur, da ihr an der Steigerung ihres Einflusses gelegen sein wird, weshalb ihre Untätigkeit nach Aufforderung unwahrscheinlich ist. e) Sonderfall des Artikels 301 EGV "Ist in gemeinsamen Standpunkten oder gemeinsamen Aktionen, die nach den Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Gemeinsame Außen- und Vgl. Artikel 28 Abs. 2 und 4 EUV. So Anton, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 11 - 28 EUV Rn. 60. Ebenso Krück, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 11- 28 EUV Rn. 62. 103 Cremer, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 14 EUV Rn. 6. 104 Cremer, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 14 EUV Rn. 6. 105 Zum Kohärenzgebot und der daraus resultierenden Verpflichtung zur gegenseitigen konzeptionellen Abstimmung politischer Maßnahmen sowie der Vermeidung widersprüchlichen Handeins siehe Blanke, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 3 EUV Rn. 5 f. 101
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11. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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Sicherheitspolitik angenommen worden sind, ein Tätigwerden der Gemeinschaft vorgesehen, um die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern auszusetzen, einzuschränken oder vollständig einzustellen, so trifft der Rat die erforderlichen Sofortmaßnahmen; der Rat beschließt auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit."
Für ein Tätigwerden der Gemeinschaft nach Artikel 301 EGV ist das Zustandekommen einer gemeinsamen Aktion oder eines gemeinsamen Standpunkts Vorbedingung 106 • Ein solcher Beschluß ist gleichzeitig Voraussetzung für die Eröffnung der Gemeinschaftskompetenz und Begrenzung des Inhalts der den Gemeinschaftsorganen möglichen Sofortmaßnahmen J07 • Artikel 301 stellt kein klassisches Aufforderungsrecht dar, ist aber durch die hierarchische Überordnung des GASPBeschlusses über die gemeinschaftsrechtlichen Sofortmaßnahmen und damit das Vorschlagsrecht der Kommission ähnlich konstruiert. Während nach einhelliger Meinung die Kommission nur nach Erlaß des GASPBeschlusses einen Vorschlag für die gemeinschaftsrechtliche Durchführung von Wirtschaftssanktionen machen darf, herrscht keine Einigkeit in der Frage, ob der GASP-Beschluß die Kommission zwingt, entsprechend tätig zu werden. Die Entscheidung, ob das Vorschlagsrecht der Kommission zur Umsetzung eines GASP-Beschlusses eine Vorschlagspflicht ist, hängt mit der vorgelagerten und ebenfalls kontrovers diskutierten Frage zusammen, ob GASP-Beschlüsse auch die Europäische Gemeinschaft und ihre Organe binden oder ob diese (völker-)rechtliche Verbindlichkeit nur gegenüber den Mitgliedstaaten entfalten. Eine Auffassung bejaht unter Berufung auf das Kohärenzgebot die Bindung der Gemeinschaft und ihrer Organe an den vom Rat getroffenen GASP-Beschluß J08 . Demgegenüber ist daran festzuhalten, daß GASP-Beschlüsse als solche nur die Mitgliedstaaten binden, weil nur diese dafür Sorge zu tragen haben, daß ihre Politik mit den gemeinsamen Standpunkten in Einklang steht (siehe Artikel 15 S. 3 EUV), zumal eine automatische Bindung der Gemeinschaft die Eigenständigkeit von EG-Kompetenzen im auswärtigen Bereich bedrohen wÜfde 109 . Da folglich die Kommission durch einen GASP-Beschluß nicht unmittelbar gebunden wird, kann nach einem Teil der Literatur die Kommission über die Vorlage eines Umsetzungsvorschlags nach Ermessen entscheiden und sei konsequenterweise auch berechtigt, etwa aus 106 In der Praxis wird durchgehend das Instrument des Gemeinsamen Standpunktes gewählt, Osteneck, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 8. 107 Außen- oder sicherheitspolitisches Tätigwerden der Gemeinschaft ohne einen GASPBeschluß oder in Widerspruch zu einem solchen sind immer unzulässig, siehe dazu Hummer, Das griechische Embargo, S. 524 f. 108 Gilsdorj'/Kuijper, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 228a EGV Rn. 3 und 7; Zeleny, S. 219; Pechstein/ Koenig, S. 116; Pechstein, S.255. 109 Stein, Das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten, Rat und Kommission bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, S. 74 und 79; Krenzler/Schneider, S. 152; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 9.
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1. Teil, Kap. I: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
handelspolitischen Gründen gegen ein Embargo zu stimmen 110 • Die überwiegende Kommentierung stellt hingegen fest, daß die Kommission - auch ohne unmittelbare Bindung - unter den Voraussetzungen des Artikels 301 EGV eine Rechtspflicht treffe, dem Rat einen Vorschlag zu unterbreiten lll. Diese Pflicht wird aus dem Kohärenzgebot abgeleitet und gründet sich auf die Zielsetzung des Artikels 301 EGV, die außenpolitische Lagebeurteilung den Mitgliedstaaten zu übertragen, während die Gemeinschaft die handelspolitischen Instrumente für die Ausführung der mitgliedstaatlichen Beschlüsse bereit stellt. Das Kohärenzgebot des Artikels 3 EUV wird insoweit von Artikel 301 EGV stillschweigend rezipiert, so daß seine Einhaltung auch vom Gerichtshof kontrolliert werden könnte 1l2 . Die Vorschlagspjlicht ist mit der engen Verbindung zwischen GASP und der ausschließlichen Zuständigkeit der Gemeinschaft für außenpolitische Embargomaßnahmen zu rechtfertigen. Besonders augenfällig wird der Bedarf an einer kohärenten Vorgehensweise zwischen unionsrechtlichem Handeln und gemeinschaftsrechtlicher Durchführung, wenn ein GASP-Beschluß seinerseits völkerrechtliche Verpflichtungen umsetzt, etwa aus einer Resolution des UN-Sicherheitsrats I 13. Trotz ihrer Verpflichtung ist der Kommission ein Ermessens- und Entscheidungsspielraum einzuräumen, im Rahmen der politischen Grundsatzentscheidung die Einzelheiten und Durchführungsmaßnahmen zu regeln 1l4 . Indem die Kommission berechtigt ist, einen Vorschlag zu machen, der nach ihrer Einschätzung in technischer Hinsicht eine volle Umsetzung des GASP-Beschlusses (bzw. einer diesem zugrundeliegenden Resolution des UN-Sicherheitsrates) bestmöglich gewährleistet, stellt sie kein reines Werkzeug der GASP dar, sondern vertritt das Gemeinschaftsinteresse. In dieser Eigenschaft muß sie vor allem prüfen, wie sich die Wirtschaftssanktionen auf den Gemeinsamen Markt auswirken werden. Sofern sie zu der Überzeugung gelangt, daß der GASP-Beschluß Bestimmungen des Europa- oder Völkerrechts verletze oder seiner Umsetzung zwingende Gemeinschaftsinteressen strikt entgegenstehen (namentlich jede marktschonende Umsetzung unmöglich scheint), sollte sie im Extremfall die Vorlage eines Vorschlags auch verweigern können 1l5 . In einer solchen Ausnahmesituation würde dem Rat 110 Schneider, in: Grabitz/Hilf (Hrsg), EU-lEG-Kommentar, Artikel 228a EGV Rn. 10; Hafner, S. 123; Glaesner, Willensbildung und Beschlussverfahren, S. 25. III Stein, Das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten, Rat und Kommission bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, S. 79; Krenzler/Schneider, S. 152; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 9. 112 Stein, Das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten, Rat und Kommission bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, S. 79. ll3 Siehe hierzu Klein, Zulässigkeit von Wirtschaftssanktionen, S. 294. H4 Osteneck, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 10. HS Osteneck, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 10. Zur möglichen Divergenz zwischen GASP-Standpunkt und Erfordernissen des Binnenmarkts siehe Stein, Das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten, Rat und Kommission bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, S. 79. Für einen Extremfall bejahen eine Weigerungsmöglichkeit auch Gilsdorf/ Kuijper, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-I EG-Kommentar, 5. Auflage, Arti-
11. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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der Vorschlag, auf den in keinem Fall verzichtet werden kann II 6, allerdings fehlen, so daß eine Umsetzung des GASP-Beschlusses ausgeschlossen wäre. In der Praxis wird die vertragliche vorgesehene Verfahrens abfolge dadurch umgangen, daß der Kommissionsvorschlag dem Rat schon vor der Verabschiedung des - erwarteten - GASP-Beschlusses unterbreitet wird, wie zum Beispiel bei der Verhängung von Wirtschafts sanktionen gegen Haiti 117. In praktischer Hinsicht ist dieses Vorgehen unbestritten sinnvoll, weil es die dem Verfahren innewohnende Schwerfälligkeit von zwei durch den Kommissionsvorschlag verbundenen Ratsentscheidungen vermeidet 1l8 . In verfahrensrechtlicher Sicht erlaubt eine Zusammenschau der entsprechenden Rechtsgrundlagen ein solches Vorgehen, nämlich die Kombination von Artikel 301 EGV und Artikel 22 Abs. 1 EUV: Die Kommission unterbreitet dem Rat nach Artikel 22 Abs. 1 EUV den Vorschlag zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen, der nach der Festlegung eines gemeinsamen Standpunktes dem Rat automatisch als Vorschlag im Sinne des Artikels 301 EGV dient. Auf diese Weise ist es dem Rat - mit dem stillschweigenden Einverständnis der Kommission - möglich, bereits in seiner ersten Sitzung Wirtschaftssanktionen durch eine EG-Verordnung zu verabschieden; zunächst einstimmig im Rahmen der GASP und dann mit qualifizierter Mehrheit nach Artikel 301 EGV 1l9 . t) Initiativbefugnis des Europäischen Parlaments
Das Europäische Parlament ist in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf eine Beobachterrolle beschränkt. Artikel 21 EUV, wonach der Vorsitz das Parlament lediglich zu den wichtigsten Aspekten und den grundlegenden Weichenstellungen der GASP hört und auf eine gebührende Berücksichtigung der Auffassungen des EP achtet, bleibt hinter den Forderungen des Parlaments deutlich zurück l20 . Hinzu kommt, daß der Vorsitz und die Kommission das Parlament regelmäßig über die Entwicklung der GASP unterrichten - also erst kel 228a EGV Rn. 3 und 7 und Cremer; in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 10. 116 Stein, Außenpolitisch motivierte (Wirtschafts-) Sanktionen der EU, S. 1134. 117 Siehe dazu KOM Dok. (94) 433 endg. vom 12. 10. 1994 und den GASP-Beschluß 94/681, ABI. 1994 Nr. L 271, S. 1. 118 Die Einschätzung von wnge, S. 445, wonach durch die Konstruktion der doppelten Entscheidung "dem Rat ein leicht schizophrenes Verhalten abgenötigt werde", scheint allerdings übertrieben. Sie geht überdies auf die unzutreffende Annahme zurück, daß ein Beschluß nach Artikel 14 Abs. 4 EUV die Mitgliedstaaten nicht verpflichte, den zu seiner Umsetzung erforderlichen Wirtschaftssanktionen nach Artikel 301 EGV zuzustimmen. Siehe hierzu näher Cremer; in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 9 119 Osteneck, in: Schwarze, Artikel 301 EGV Rn. 11; Schneider; in: Grabitz I Hilf (Hrsg), EU-lEG-Kommentar, Artikel 228a EGV Rn. 9. 120 Zu den Forderungen des Parlaments, an der Gestaltung der GASP weitergehend beteiligt zu werden, vgl. Anton, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 11- 28 EUV Rn. 61- 64.
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1. Teil, Kap. I: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
nachträglich informieren, obwohl damit die Vorgabe, die Auffassung des Parlaments gebührend zu berücksichtigen, schlicht ignoriert wird 121. Die Fonnulierung des Artikels 21 EUV ist wohl ein Beispiel dafür, daß dem Parlament eine weitergehende Teilhabe an der Gestaltung der GASP verwehrt wird, wenn es keinen vertraglich garantierten Anspruch darauf hat, zu konkreten Einzelentscheidungen 122 vorab gehört zu werden 123. Allerdings ist das Parlament kraft seines allgemeinen Beratungsrechts berechtigt, auch für den Bereich der GASP Initiativentschließungen zu verabschieden 124. 4. Die Initiativrechte in der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen
Im Unterschied zu den GASP-Bestimrnungen besitzt die Kommission im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) ein umfassendes Initiativrecht, das sie mit den Mitgliedstaaten teilt. Trotz einer fonnal stärkeren Stellung als in der GASP überwiegt aber auch hier der Eindruck, daß die Kommission ihren Einfluß kaum im Sinne einer policy leadership geltend machen kann 125.
a) Initiativrecht der Kommission gemäß Artikel 34 Abs. 2 S. 2 EUV Artikel 34 Abs. 2 Satz 2 EUV räumt der Kommission ein Initiativrecht für die in Artikel 43 Abs. 2 EUV geregelten Handlungsfonnen in den Sachbereichen des Artikels 29 EUV ein, um ihre Vorstellungen zur Verwirklichung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vorzulegen, der den Bürgern der Europäischen Union ein hohes Maß an Sicherheit bieten SOll126. Ein gleichrangiges Initiativrecht steht den Mitgliedstaaten zu, so daß die "Initiativen" zur Koordinierung der gemeinsamen Maßnahmen entweder von einem oder mehreren Mitgliedstaaten oder aber von der Kommission ausgehen können, über welche der Rat einstimmig Beschluß fassen kann. 121 Nach Krück wird mit der Praxis, das Parlament nachträglich zu unterrichten, das Gebot der gebührenden Berücksichtigung ad absurdum geführt, in: Schwarze, EU-Kommentar, ÄItikelll-28 EUV Rn. 63. 122 D. h. zur Festlegung gemeinsamer Strategien (Artikel 13 EUV), gemeinsamer Standpunkte (Artikel 15 EUV) und gemeinsamer Aktionen (Artikel 14 EUV). 123 Ähnlich Krück, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 11- 28 EUV Rn. 63. 124 Zum allgemeinen Beratungsrecht siehe näher in Kapitel 7 unter H. 1. Zum Anwendungsbereich von Initiativentschließungen siehe auch in Kapitel 9 unter I. 1. 125 Nugent, The European Commission, S. 232 f., mit zahlreichen Nachweisen. 126 Vgl. Rouchereau, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 34 EUV Rn. 4, der ebenfalls die Brücke zu Artikel 29 EUV schlägt.
11. Ausnahmen vorn Initiativmonopol
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b) Sonderfall des Artikels 42 EUV Nach Artikel 42 EUV gilt dieselbe konkurrierende Regelung hinsichtlich der Möglichkeit, einzelne Materien der PJZS in Abweichung von Artikel 48 EUV im Wege eines vereinfachten Verfahrens in den EG-Vertrag, namentlich in die Bestimmungen über Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken, die den freien Personenverkehr betreffen, zu überführen!27. Der ebenfalls einstimmig zu fassende Beschluß des Rates setzt eine Initiative der Kommission oder eines Mitgliedstaates voraus. Nach Röben stellt eine solche Initiative der Kommission einen Vorschlag im Sinne des EG-Vertrages dar, mit der Folge der Anwendbarkeit des Artikels 250 Abs. 1 EGV 128 . Hiergegen spricht allerdings nicht nur der Wortlaut ("Initiative der Kommission" und nicht" Vorschlag"), sondern vor allem, daß Artikel 41 EUV, der die auf die PJZS anwendbaren Vorschriften des EG-Vertrages festlegt, auf Artikel 250 EGV gerade nicht verweist. Im übrigen kommt es für diesen Fall nicht so sehr auf die (analoge) Anwendbarkeit des Artikels 250 Abs. 1 EGVan, da der Rat ohnehin einstimmig entscheiden muß. Nach dem Vertragswortlaut fallen mit einer solchen Übertragung die in dem Beschluß bestimmten Materien "unter den Titel IV des EGV,,!29. Daher findet auf den Erlaß von Maßnahmen grundsätzlich das Verfahren nach Artikel 67 Abs. 1 und 2 EGV Anwendung, wobei der Rat befugt ist, von dieser Regelung abzuweichen und das "entsprechende Abstimmungsverfahren" selbst festzulegen 130. Trotz einer gewissen Unklarheit über den Umfang dieser Gestaltungsbefugnis ist davon auszugehen, daß sich diese nur auf die Abstimmungsmodalitäten im Rat selbst, also seine eigene Beteiligung am Verfahren l3l und nicht auf das gesamte Entscheidungsverfahren einschließlich der Beteiligung von Kommission und Parlament bezieht 132. Deswegen behält die Kommission für die anschließend im Rahmen von Artikel 61 ff. EGV zu treffenden Maßnahmen ihr aus Artikel 67 Abs. 1 EGV folgendes Vorschlagsrecht. Das nimmt auch Brechmann an, wonach sich das vom Rat zu wählende Verfahren "in das System des Gemeinschaftsrechts einfügen, namentlich das Initiativmonopol der Kommission wahren muß,,!33. Diese Forderung ist aber insofern unpräzise, als die Kommission im Bereich der Artikel 61 ff. EGV bis zum Ablauf der Übergangszeit gerade kein Vorschlagsmonopol besitzt. Vgl. Titel IV EGV, Artikel 61-69 EGY. Röben, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 42 EUV Rn. 3. 129 Vgl. dazu die Regelungen in Artikel6llit. a und e EGV. 130 V gl. Artikel 42 Satz 1 EUV a. E. 131 So Degen, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, Artikel K.9 EUV Rn. 6, mit dem überzeugenden Hinweis auf den Wortlaut. Ebenso Thun-Hohenstein, S. 50. 132 So aber Hailbronner; in: Hailbronner/Kiein/Magiera/Müller-Graff, Handkornrnentar, Artikel K EUV Rn. 147 und 175. Es erscheint indessen unwahrscheinlich, daß - ohne ausdrücklichen Hinweis - die Beteiligungsrechte von Kommission und Parlament in der PJZS im Rahmen einer Vertragsänderung zur Disposition gestellt sein sollen. 133 Brechmann, in: Cailiess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 42 EUV Rn. 3. 127 128
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1. Teil, Kap. 1: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
Eine zweite Besonderheit einer Vertragsänderung auf der Grundlage von Artikel 42 EUV ist möglicherweise ebenfalls geeignet, sich auf das Vorschlagsrecht der Kommission auszuwirken. Artikel 42 EUV erlaubt nicht nur die Überführung ganzer Sachbereiche aus den Artikeln 29 ff. EUV in das Gemeinschaftsrecht, sondern auch einzelner, ausgesuchter Aspekte. Die Überführung kann auch dann erfolgen, wenn im Rahmen der PJZS bereits Maßnahmen in dem betreffenden Bereich angenommen worden sind. Daraus schließt Röben, daß die Kommission in einem solchen Fall verpflichtet wäre, Vorschläge für den Neuerlaß inhaltsentsprechender Maßnahmen auf der Grundlage der Artikel 61 ff. EGV zu machen, mithin eine Ermessensreduzierung auf Null stattfinde 134 • Doch auch unter der Prämisse der Verpflichtung der Kommission in einem solchen Sonderfall gilt es wiederum zu beachten, daß die Kommission im Bereich der Artikel 61 ff. EGV kein Vorschlagsmonopol besitzt. Daher könnte zumindest während der Übergangszeit ein inhaltsentsprechender Vorschlag ebensogut aus den Mitgliedstaaten kommen, womit für eine Verpflichtung der Kommission ein zwingender Grund nicht ersichtlich ist. Im übrigen setzt die Kommission für den Bereich der PUZ in der Praxis vermehrt das Planungsinstrument der Aktionspläne ein, die in etwa der Funktion des Weißbuches im Bereich des EG-Vertrages entsprechen 135. Mit den Aktionsplänen ist es der Kommission möglich, gewissermaßen pfeilerübergreifende Lösungsvorschläge sowohl auf der Grundlage gemeinschaftlicher Normen wie solcher des Titels VI zu machen. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, daß die Mitgliedstaaten in der Wahrnehmung ihres eigenen Initiativrechts auf solchen Vorarbeiten der Kommission aufbauen 136 . Diese Art der Zusammenarbeit hat dazu beigetragen, daß die entsprechenden Ausarbeitungen gelegentlich auf Empfehlungen von Repräsentanten der Mitgliedstaaten unter Mitwirkung der Kommission beruhen, wie etwa im Fall des Aktionsplans Organisierte Kriminalität 137 . c) Initiativbefugnis des Europäischen Parlaments Auch im Bereich der PJZS ist das Europäische Parlament auf eine Beobachterrolle beschränkt. Artikel 39 EUV verleiht dem Parlament bei dem Erlaß von Rechtsakten ein Anhörungsrecht vor Erlaß jeder Einzelmaßnahme nach Artikel 34 Abs. 2 S. 2 lit. b, c, d EUV. Ebenso ist das Parlament nunmehr bei einer vereinfachten Vertragsänderung nach Artikel 42 EUVanzuhören. Für gemeinsame Standpunkte sowie andere unverbindliche Maßnahmen nach Artikel 42 Abs. 2 ist eine Röben, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artike142 EUV Rn. 3. Röben, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 34 EUV Rn. 6. 136 Zur Asyl- und Einwanderungspolitik vgl. die Mitteilung der Kommission, KOM [94] 23 endg. Weitere Nachweise bei Röben, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 34 EUVRn.6. 137 Röben, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 34 EUV Rn. 6. 134 135
H. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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Beteiligung des Parlaments hingegen nicht vorgesehen 138 . Allerdings ist das Parlament kraft seines allgemeinen Beratungsrechts berechtigt, für den Bereich der dritten Säule Initiativentschließungen zu verabschieden 139 . 5. Zusammenfassung
Im Rahmen der GASP und der PJZS herrscht anstelle des Initiativmonopols der Kommission entsprechend dem intergouvernementalen Charakter der beiden Regelungsbereiche das Initiativrecht der Mitgliedstaaten bzw. des Rates vor. Die Einführung der zeitlich unbegrenzten Initiativkonkurrenz in den Artikeln 22, 34 und 42 EUV zugunsten der Kommission für Vorschläge zur GASP und zur PJZS ist als eine der wichtigsten Neuerungen der Titel VI und VII des EUV gewürdigt worden 140 , die durch das Initiativrecht zur Überführung von Maßnahmen aus dem Bereich der PJZS in den Titel VI des EG-Vertrages zusätzlichen Schub erhält. Aus Sicht der Gemeinschaft (und damit der Kommission) läßt sich die Durchbrechung des Initiativmonopols im Rahmen der zweiten und dritten Säule als Ausdruck der noch unvollständigen Integration ihrer Rege1ungsbereiche werten 141 . Hinsichtlich der Einführung einer Konkurrenzregelung für die Initiativrechte im Rahmen der GASP und der PJZS ist zu bemerken, daß weder Artikel 22 EUV noch Artikel 34 EUV eine Regelung für Konfliktfälle enthalten. Da sich diese Frage bislang in der Praxis nicht gestellt hat, läßt sich nur annehmen, daß bei Vorlage eines Vorschlags - entweder durch die Kommission oder durch einen Mitgliedstaat - zumindest eine Konsultations- und Rücksichtnahmepflicht entsteht, welche eine konkurrierende Initiative des jeweils anderen Berechtigten zu beachten hätte 142 . Aus Sicht der Kommission haben die Vertragsreforrnen von Maastricht durch die erstmalige Einräumung eines Initiativrechts und von Amsterdam durch die Erweiterung auf alle Bereiche des dritten Pfeilers einen wichtigen Fortschritt gebracht. Ohnehin war es der Kommission lange nicht so sehr darum zu tun, das Initiativmonopol in den Gremien des Dritten Pfeilers zu erhalten, sondern überhaupt ein Initiativrecht innezuhaben, um eine aktive Rolle spielen zu können 143 . Mit ihrem ersten Beitrag zu den Arbeiten des Europäischen Konvents hat die Kommission inzwischen allerdings weiterreichende Vorschläge gemacht 144 . 138 Zu den Einzelheiten der Wahrnehmung des Anhörungsrechts des Europäischen Parlaments gegenüber dem Rat siehe Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 39 EUV Rn. 1. 139 Zum allgemeinen Beratungsrecht siehe näher in Kapitel 7 unter H. 1. Zum Anwendungsbereich von Initiativentschließungen vgl. auch in Kapitel 9 unter I. 1. 140 Rouchereau. in: Leger, Union Europeenne, Artikel 34 EUV Rn. 4. 141 Schoo. in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 5 mit weiteren Nachweisen. 142 Vgl. auch Röben. in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artike134 EUV Rn. 5. 143 Siehe de Lobcowicz. S. 46 f. 144 Europäische Kommission. Ein Projekt für die Europäische Union, S. 1 ff. Zum Verfassungskonvent siehe sogleich unter 6. Zu den Reformvorschlägen der Kommission siehe am Ende dieser Arbeit.
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1. Teil, Kap. 1: Initiativmonopol der Kommission im EG-Recht
6. Das Vorschlagsrecht für Vertragsänderungen
Ein konkurrierendes Initiativrecht ist auch für das Vertragsänderungsverfahren nach Artikel 48 EUV vorgesehen: "Die Regierung jedes Mitgliedstaats oder die Kommission kann dem Rat Entwürfe zur Änderung der Verträge, auf denen die Union beruht, vorlegen. ( ... ),,145
Die eigentlichen Änderungen werden zwischen den Mitgliedstaaten als völkerrechtlicher Vertrag ausgehandelt 146 . Im Vorverfahren werden die Unionsorgane aber direkt beteiligt. Gemäß Artikel 48 Abs. 1 EUV besitzen sowohl die Regierungen der Mitgliedstaaten als auch die Kommission das Recht, dem Rat Entwürfe zur Änderung der Verträge vorzulegen. Diese Konkurrenzregel macht deutlich, daß bedeutende politische Initiativen zur Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts nicht nur von der Kommission kommen, sondern auch durch die Mitgliedstaaten erfolgen sollen, vor allem über den Europäischen Rat 147 . Einerseits zeigt dies, daß sich die Mitgliedstaaten - auch insoweit als Herren der Verträge - zur Vorbereitung einer klassisch völkerrechtlichen Regierungskonferenz nicht des Rechts eigener Entwürfe begeben wollen. Andererseits ist die Funktion der Kommission anerkannt, die Gemeinschaftsinteressen unmittelbar in die Verhandlungen miteinzubringen. In der Praxis wurden bislang Entwürfe zu Vertragsänderungen nur von Mitgliedstaaten unterbreitet. Der vorgelegte Entwurf muß inhaltlich so gefaßt sein, daß er wenigstens die großen Linien der geplanten Vertragsänderung erkennen läßt und beratungsfähig ist, da sich in der politischen Realität konkrete Entwürfe ohnehin erst im Verlauf der Regierungskonferenz formen 148 . Im Hinblick auf eine möglichst umfassende und transparente Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz hat der Europäische Rat von Laeken am 14. Dezember 200 1 beschlossen, einen Konvent einzuberufen, dem die Aufgabe zufallt, die wesentlichen Fragen zu prüfen, welche die künftige Entwicklung der Union aufwirft, und sich um verschiedene mögliche Antworten zu bemühen l49 . Der Eu145 Artikel 48 EUV lautet weiter: "Gibt der Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments und gegebenenfalls der Kommission eine Stellungnahme zugunsten des Zusammentritts einer Konferenz von Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten ab, so wird diese vorn Präsidenten des Rates einberufen, um die an den genannten Verträgen vorzunehmenden Änderungen zu vereinbaren. Bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich wird auch die Europäische Zentralbank gehört. Die Änderungen treten in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind." 146 Näher Meng, in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel N EUV Rn. 7 f. 147 Dazu näher in Kapitel 4 unter I. 148 Näher Vedder/ Folz, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel N EUV Rn. 25 ff. 149 Europäischer Rat, Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union, http://european-convention.eu.int/pdf/LKNDE.pdf. Christian Deubner und Andreas Maurer vorn Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP) in Berlin haben ein umfangreiches Dossier zu Phasen, Zielen, Verfahren und Inhalten des EU-Konvents zu-
11. Ausnahmen vom Initiativmonopol
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ropäische Rat hat Valery Giscard d'Estaing zum Vorsitzenden des Konvents und Giuliano Amato sowie Jean-Luc Dehaene zu stellvertretenden Vorsitzenden ernannt 150 . Der Konvent erstellt ein Abschlußdokument, das entweder verschiedene Optionen mit der Angabe, inwieweit diese Optionen Unterstützung gefunden haben, oder - im Falle eines Konsenses - Empfehlungen enthalten kann. Zusammen mit den Ergebnissen der Debatten in den einzelnen Staaten über die Zukunft der Union dient das Abschlußdokument als Ausgangspunkt für die nächste Regierungskonferenz, die die endgültigen Beschlüsse fassen wird. Damit hat der Europäische Rat dem Konvent eine Art Initiativrecht eingeräumt, das rechtlich unverbindlich, politisch indes von besonderem Gewicht ist 151 .
Kapitel 2
Die komplementären Änderungsrechte des Rates und der Kommission gemäß Artikel 250 EGV Abgesehen von der nur ausnahmsweise durchbrochenen Exklusivität zeigt sich die eigentliche Bedeutung des Vorschlagsrechts in den beiden, in Artikel 250 EGV sammengesteIlt, Ein konstitutioneller Moment für die EU: Der Konvent zur Zukunft Europas, http://www.swp-berlin.org/produkte/brennpunkte/eu-brennl.htm. 150 Daneben gehören dem Konvent 15 Vertreter der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten (ein Vertreter pro Mitgliedstaat), 30 Mitglieder der nationalen Parlamente (2 pro Mitgliedstaat), 16 Mitglieder des Europäischen Parlaments und zwei Vertreter der Kommission an. Die Bewerberländer werden in vollem Umfang an den Beratungen des Konvents beteiligt. Sie werden in gleicher Weise wie die derzeitigen Mitgliedstaaten vertreten sein (ein Vertreter der Regierung und zwei Mitglieder des nationalen Parlaments) und an den Beratungen teilnehmen, ohne freilich einen Konsens, der sich zwischen den Mitgliedstaaten abzeichnet, verhindern zu können. Das Präsidium des Konvents bilden der Vorsitzende, die beiden stellvertretenden Vorsitzenden und neun Mitglieder des Konvents (die Vertreter aller Regierungen, die während des Konvents den Ratsvorsitz innehaben, zwei Vertreter der nationalen Parlamente, zwei Vertreter der Mitglieder des Europäischen Parlaments und zwei Vertreter der Kommission). Als Beobachter werden eingeladen: drei Vertreter des Wirtschafts- und Sozialausschusses und drei Vertreter der europäischen Sozialpartner sowie sechs Vertreter im Namen des Ausschusses der Regionen (die von diesem aus den Regionen, den Städten und den Regionen mit legislativer Befugnis zu bestimmen sind) und der Europäische Bürgerbeauftragte. Der Präsident des Gerichtshofs und der Präsident des Rechnungshofs können sich auf Einladung des Präsidiums vor dem Konvent äußern. Das Präsidium wird von einem Konventssekretariat unterstützt, das vom Generalsekretariat des Rates wahrgenommen wird. Experten der Kommission und des Europäischen Parlaments können daran beteiligt werden. 151 Vgl. hierzu Dehaene, S. 136, wonach die Einberufung des Konvents angesichts des vorangehenden Widerstandes der deutschen, französischen und britischen Regierung ein veritables Wunder gewesen sei und die Staats- und Regierungschefs "nicht wußten, was sie taten, als sie einen Konvent für eine tief greifende Reform der EU" einberiefen. Ähnlich Gö[er, Der Gipfel von Laeken, S. 107. Plastisch auch Wesseis, Der Konvent, S. 91 f., mit dem Bild vom Zauberlehrling, den der Europäische Rat rief, und den er nun nicht mehr loswerden kann. 4 von Bunlar
1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
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gemeinsam geregelten Änderungsrechten des Rates und der Kommission, weil sie das Initiativrecht für den Verlauf des Rechtsetzungsverfahrens - unabhängig von der Entscheidungsform - bewahren. Nach Artikel 250 Abs. I EGV gilt: "Wird der Rat kraft dieses Vertrags auf Vorschlag der Kommission tätig, so kann er vorbehaltlich des Artikels 251 Absätze 4 und 5 Änderungen dieses Vorschlags nur einstimmig beschließen. "
In Artikel 250 Abs. 2 EGV heißt es: "Solange ein Beschluß des Rates nicht ergangen ist, kann die Kommission ihren Vorschlag jederzeit im Verlauf der Verfahren zur Annahme eines Rechtsaktes ändern."
Im folgenden werden die wichtigsten im Zusammenhang mit dem jeweiligen Änderungsrecht auftretenden Rechtsfragen behandelt. Sie werden in der Literatur allesamt kontrovers diskutiert. Obgleich damit über fundamentale Regeln der Zusammenarbeit gestritten wird, steht eine Klarheit verschaffende Rechtsprechung nach wie vor aus. Vielleicht aber führt dieser Hinweis unversehens in eine falsche Richtung. Möglicherweise ist es die hervorragende Bedeutung des Artikels 250 EGV für das Gleichgewicht zwischen beiden Organen, die seine Erörterung außerhalb der politischen Arena wohl aufgehoben erscheinen läßt. So äußerte ein früherer Berater des Juristischen Dienstes der Kommission mit Blick auf die Feinheiten des Artikels 250 EGV, daß sich in der Praxis "glücklicherweise bislang solche Streitfragen haben vermeiden lassen" und damit der Gang vor den Gerichtshof, weil in einem solchen Ernstfall - ungeachtet des Ausgangs des Verfahrens - eine institutionelle Krise schwerlich zu vermeiden sei l52 . I. Das Recht des Rates zur Änderung eines Vorschlags
Über den Wortlaut des Artikels 250 Abs. 1 EGV hinaus stehen dem Rat nach der Vorlage eines Vorschlags der Kommission folgende Möglichk~iten offen: Er kann den Vorschlag unverändert annehmen und beschließen (1.). Der Rat kann Änderungen am Vorschlag beschließen, wobei sich die Frage stellt, ob den Änderungen Grenzen gesetzt sind (2.). Wie die Praxis gezeigt hat, bleibt der Rat des öfteren einfach untätig (3.). Dies kommt häufiger vor als die ausdrückliche Ablehnung (4.).
1. Die unveränderte Annahme eines Vorschlags
Es versteht sich, daß der Rat den Vorschlag der Kommission unverändert annehmen kann, dann mit der in der jeweiligen Rechtsgrundlage angegebenen Beschluß152
Gilsdorf, S. 92 f.
I. Änderungsrecht des Rates
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fonn, also zumeist mit qualifizierter Mehrheit, es sei denn, die von der Kommission vorgeschlagene Rechtsgrundlage verlangt einen einstimmigen Beschluß l53 . Die qualifizierte Mehrheit reicht auch dann aus, wenn die Kommission in den Ratsverhandlungen den von den Mitgliedstaaten verlangten Änderungen ihre Zustimmung gibt. Eben diese Zustimmung kommt in der Praxis nicht selten vor, weil die Kommission ihren Vorschlag während der Ratsverhandlungen häufig ändert, wenn sich abzeichnet, daß nur für den geänderten Vorschlag die notwendige Mehrheit zu erreichen ist l54.
2. Die Grenzen des Änderungsrechts
Nimmt der Rat Änderungen am Vorschlag der Kommission vor, so hat er gemäß Artikel 250 Abs. 1 EGV grundsätzlich einstimmig zu beschließen. Als Änderungen kommen nicht nur solche des Inhalts, sondern auch ein Austausch der Rechtsgrundlage, die Änderung der Rechtsfonn oder der Erwägungsgründe, welche ebenfalls wesentliche Bestandteile des Rechtsaktes sind, in Betracht 155 . Ebenso als Änderung ist die teilweise Annahme, die Kürzung oder Ergänzung des Vorschlags zu sehen. In der eingängigen Fonnel von Schmitt von Sydow heißt dies: "Will der Rat auch nur ein Komma im Kommissionsvorschlag abändern, so kann er dies nicht mehr mit der nonnalerweise vorgesehenen Mehrheit tun, sondern ist auf die Einstimmigkeit aller seiner Mitglieder angewiesen,,156. Das Einstimmigkeitserfordernis bezieht sich nicht nur auf die geänderten oder neueingefügten Teile des Vorschlags, sondern auf den gesamten Rechtsakt i57 . Allerdings steht nach Artikel 205 Abs. 3 EGV die Stimmenthaltung von anwesenden oder vertretenen Ratsmitgliedern dem Zustandekommen von einstimmig zu fassenden Beschlüssen nicht entgegen. In diesem Fall muß aber wenigstens die qualifizierte Mehrheit vorliegen, wenn dies der Vertrag zur Annahme des Rechtsaktes erfordert l58 . Seit der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens gilt als Ausnahme von der Einstimmigkeitsregel, daß der Rat im Verrniulungsverfahrens nach Artikel 251 Abs. 4 und 5 EGV Änderungen mit qualifizierter Mehrheit beschließen kann. Diese 153 Siehe dazu Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 11-15. 154 Dazu umfassend in Kapitel 3 unter III. 155 Hummer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, vor Artikel 155 EGV Rn. 19: Der Rat kann eine Änderung der Rechtsgrundlage nur in einer Entscheidung über den gesamten Vorschlag der Kommission beschließen, also nicht getrennt von der materiellen Entscheidung vornehmen. Zur Bedeutung der Rechtsgrundlage und den Überlegungen der Kommission, siehe auch Dewost, S. 85 ff. 156 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 43. 157 Lewis, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 250 EGV Rn. 4. 158 Oder wenn nach den Artikeln 251 und 252 EGVein Gemeinsamer Standpunkt angenommen wird, vgl. Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 12.
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1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
Ausnahme erklärt sich mit der Zusammenarbeit von Parlament und Rat: In der Vermittlungsphase suchen beide Organe auf der Grundlage ihrer Positionen aus der 2. Lesung einen Komprorniß, wobei die Kommission gemäß Artikel 251 Abs. 4 S. 2 EGV auf die Funktion reduziert ist, durch Initiativen 159 auf eine Annäherung beider Standpunkte hinzuwirken l60 . Müßte der Rat auch noch in dieser Phase Änderungen einstimmig beschließen, so würde eine Einigung praktisch unmöglich gemacht l61 . Die Ausnahme von der Einstimmigkeit gilt nach dem eindeutigen Wortlaut nur für die Vermittlungsphase (Artikel 251 Abs. 4 EGV) und die Annahme des gemeinsamen Entwurfs (Artikel 251 Abs. 5 EGV). Mißverständlich ist darum die Formulierung des Artikels 251 Abs. 1 1. Spiegelstr. EGV, wonach der Rat in der 1. Lesung Abänderungen des Parlaments billigen und den "vorgeschlagenen Rechtsakt (der Kommission) in der abgeänderten Fassung erlassen" kann. Denn der Wortlaut suggeriert, daß der Rat die Abänderungen des Europäischen Parlaments auch dann mit qualifizierter Mehrheit annehmen kann, wenn diese vom Vorschlag der Kommission abweichen. Dem steht allerdings die Grundregel des Artikels 250 Abs. 1 EGVentgegen. Hinsichtlich der inhaltlichen Grenzen der Änderungen am Vorschlag der Kommission im Mitentscheidungsverfahren gelten die nachstehenden Feststellungen, weil der Vorbehalt sich nur auf die Beschlußform im Rat bezieht. a) Standpunkt der Literatur In Anerkennung der ihr mit dem Initiativrecht übertragenen, umfassenden Gestaltungsaufgabe der Kommission entspricht es allgemeinem Verständnis, daß die Vorlage eines Vorschlags nicht nur Grundbedingung für jegliches Tätigwerden des Rates im Vorschlagsverfahren ist, sondern sein Inhalt auch die Grenzen der Handlungsbefugnis absteckt. Dem Rat soll auch bei einstimmiger Beschlußfassung nicht erlaubt sein, einen Vorschlag vollkommen neu, also zu einem aliud zu formulieren. Eine solche Beschränkung wird zum einen aus dem Wortsinn gefolgert: Der Bedeutung des Wortes "ändern" sei immanent, daß der Kern des Vorschlags erhalten bleibe l62 . Hierzu gehört auch die Überlegung, daß im Fall eines aliud der Rat einen Rechtsakt annähme, zu dem es gar keinen Vorschlag gibt l63 . Zum zweiten wird die Einschränkung aus dem systematischen Einwand abgeleitet, daß die in159 Diese "Initiativen" haben nicht die Rechtswirkung fonneller Vorschläge der Kommission, vgl. dazu bereits in Kapitel 1 unter H. 1. e). 160 Zur Rolle der Kommission im Mitentscheidungsverfahren siehe loma, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel211 EGV Rn. 33 f. 161 Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 16. 162 Bieber, Legislative Procedure, S. 712: "The very notion of 'amendment' presupposes the continued existence of the identity of a proposal." 163 Schoo, in: Groeben/Thiesing/Ehlennann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 189a EGV Rn. 14.
1. Änderungsrecht des Rates
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haltliche Begrenzung zur Vorbeugung eines Mißbrauchs des Änderungsrechts unabdingbar sei l64 . Eine allgemein anerkannte Definition einer zulässigen Änderung eines Vorschlags durch den Rat gebe es aber nicht. Vielmehr sei im Einzelfall zu prüfen, ob der Rat noch Änderungen vornehme oder schon seine eigene Version an dessen Stelle setze. In der Literatur wird überwiegend formuliert, daß der Rat - bei aller Ungebundenheit in der inhaltlichen Ausgestaltung - nicht das Wesen des Vorschlags l65 bzw. dessen Finalität l66 verändern dürfe. Offenbar ein wenig enger legt Gilsdorf das Änderungsrecht aus, weil nicht nur die Verkehrung in ein aliud bzw. in sein Gegenteil untersagt, sondern "des weiteren anzuerkennen sein (sollte), daß der Rat einen Vorschlag auch nicht ,substantiell' oder ,fundamental' abändern" dürfe 167. b) Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Der Gerichtshof hat die Frage, ob aus Artikel 250 Abs. 1 EGV Grenzen für das Änderungsrecht des Rates abzuleiten sind und wo diese Grenzen gegebenenfalls liegen könnten, soweit ersichtlich bislang nicht entschieden. Die in der Literatur mehrfach als höchstrichterlichen Beleg für ein begrenztes Änderungsrecht des Rates angeführte Entscheidung Kommission / Rat Rs. 355/87 168 läßt diese Frage offen l69 . In dem Verfahren hatte die Kommission vorgetragen, daß ,,( . .. ) der Rat beim Erlaß der angefochtenen Entscheidung die Grenzen der Änderungsbefugnis, die ihm Artikel 149 Absatz 1 EWG-Vertrag einräume, überschritten habe. Nach dieser Vorschrift dürfe er einen Rechtsakt nur erlassen, wenn dieser denselben Gegenstand und denselben Zweck habe wie der Vorschlag der Kommission. Andernfalls sei der Rechtsakt des Rates als ohne jeden Vorschlag ergangen anzusehen." 170
Generalanwalt Lenz sah in seinen Schlußanträgen aufgrund der tatsächlichen Umstände allerdings keinen Anlaß zur näheren Auslegung des Änderungsrechts: 164 So deutlich Bieber, Legislative Procedure, S. 712, der betont, daß auch das Rücknahmerecht der Kommission keine ausreichende Garantie gegen den möglichen Mißbrauch des Änderungsrechts durch den Rat darstelle. Ebenso Gilsdorf, S. 93. Zum Recht der Rücknahme eines Vorschlags siehe sogleich unter II. 2. 165 Vgl. statt vieler Raworth, S. 26; Bieber, Legislative Procedure, S. 712. 166 So Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 13. 167 Gilsdorf, S. 92. (Einschub d. Verf.) 168 Slg. 1989, S. 1517 ff. 169 Zu Unrecht herangezogen von Schoo, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-/EGKommentar, Artikel 189a EGV Rn. 14; ders., in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 13 und von Kühner, S. 86, der überdies die ebenfalls nur zur erneuten Konsultationspflicht ergangenen Urteile EuGH Rs. 41/69, Slg. 1970, S. 661 ff. (Chemiefarma/Kommission) und EuGH, Rs. 1253/79, Slg. 1982, S. 297 (Battaglia 1Kommission) zitiert, die nur zur Wesentlichkeit der Änderungen des Rates Feststellungen enthalten, nicht aber zur grundsätzlichen Reichweite des Änderungsrechts, dazu sogleich. Mißverständlich auch Bieber, Legislative Procedure, S. 712 (Fn. 18). 170 EuGH Rs. 355/87, Slg. 1989, S. 1517, Rn. 42.
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1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
"Da Entscheidungsvorschlag und Entscheidung im Grundsatz übereinstimmen und lediglich bei den Konditionen, unter denen die Ermächtigung erteilt wurde, Abweichungen festzustellen sind, halte ich es im vorliegenden Fall nicht für erforderlich, auf die grundsätzliche Frage einzugehen, ob aus Artikel 149 Absatz I EWG-Vertrag Grenzen für das Änderungsrecht des Rates abzuleiten sind und wo diese Grenzen gegebenenfalls liegen könnten.,,!7!
Dem folgte der Gerichtshof und befand: "Ohne daß es somit erforderlich wäre, sich allgemein zu den Grenzen der in Artikel 149 Absatz 1 EWG-Vertrag vorgesehenen Änderungsbefugnis zu äußern, genügt die Feststellung, daß im vorliegenden Fall der Rat entgegen dem Vorbringen der Kommission jedenfalls nicht vom Gegenstand des Vorschlags der Kommission abgewichen ist, dessen Zweck er im übrigen auch nicht verändert hat.,,!72
Anstatt somit von einer richterlichen Bestätigung eines Verbots der Wesensverletzung auszugehen, erscheint umgekehrt die Prüfung angebracht, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs an anderer Stelle Hinweise darauf enthält, daß substantielle Änderungen am Vorschlag der Kommission gerade nicht unzulässig sind. Seit dem Urteil Chemiefarma entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß im Falle wesentlicher Änderungen des Vorschlags durch den Rat das Europäische Parlament ein zweites Mal anzuhören ist, weil nur eine erneute Konsultation seine wirksame Mitwirkung am Zustandekommen des Rechtsaktes gewährleistet 173 . Sofern eine zweite Anhörung nicht stattfindet, stellt dies eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften dar, die zur Nichtigerklärung des vom Rat beschlossenen Rechtsaktes führen muß; es sei denn, die - wesentlichen - Änderungen entsprechen den in der Stellungnahme geäußerten Wünschen des Parlaments. In den Leitsätzen zu dieser Entscheidung wie in den nachfolgenden bestätigenden Urteilen ist formuliert, daß das Erfordernis einer zweiten Anhörung ausgelöst werde, sobald der "endgültig verabschiedete Wortlaut (des Rechtsaktentwurfs) als Ganzes gesehen in seinem Wesen von demjenigen abweicht, zu dem das Parlament bereits angehört worden ist,,174 bzw. wenn die Änderungen des Rates den Vorschlag der Kommission "im ganzen in seiner Substanz berühren,,175. Bevor sich die Frage der Zulässigkeit eines Rückschlusses von der Rechtsprechung zur Konsultationspflicht auf die inhaltliche Reichweite des Artikels 250 Abs. 1 EGV stellt, ist festzuhalten, daß diese Entscheidungen jedenfalls insoweit !7! EuGH Rs. 355/87, Sig. 1989, S. 1517, Schlußanträge vom 15. März 1989, Rn. 53. 172 EuGH Rs. 355/87, Sig. 1989, S. 1517, Rn. 44. !73 EuGH Rs. 41169 Sig. 1970, S. 661, 3. Leitsatz (Chemiefanna). Dazu in Kapitel 6 unter I. !74 Insoweit gleichlautend: EuGH Rs. C 65/90, Sig. 1992-1, S. 4593, 2. Leitsatz (Kabotage I); EuGH Rs. C 388/92, Sig. 1994-1, S. 2067, 1. Leitsatz (Kabotage 11); EuGH Rs. C-21194, Sig. 1995-1, S. 1827 2. Leitsatz (EP / Rat) (Einschub und Hervorhebung d. Verf.). !75 EuGH Rs. 41/69, Sig. 1970, S. 661, 3. Leitsatz (Chemiefanna). (Hervorhebung d. Verf.)
I. Änderungsrecht des Rates
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die vorgenannte Literatur bestätigen, als der Rat durchaus wesentliche Änderungen vornehmen kann und die Wesentlichkeit mittels eines Vergleichs zwischen dem dem Rechtsakt zugrunde liegenden Vorschlag und dem Inhalt des Rechtsaktes, wie er vom Rat erlassen wurde, zu beurteilen ist 176 . Freilich werden an dieser Stelle die in jeder Einzelfallfeststellung auftretenden, nicht nur terminologischen Schwierigkeiten offenbar: Wenn der Rat "wesentliche Änderungen" vornehmen darf kann er dann, entgegen Gilsdoif, auch "substantielle" oder "fundamentale" Änderungen vornehmen? Auch ohne eine inhaltliche Unterscheidung zwischen zulässigen "wesentlichen Änderungen" und möglicherweise unzulässigen "substantiellen Änderungen" zu versuchen 177 , ist nicht ersichtlich, inwieweit die Urteile zur Konsultationspflicht zur Begründung eines eingeschränkten Änderungsrechts im Sinne eines Substanzerhaltungsgebots respektive zum Schutz der Finalität des Kommissionsvorschlages herhalten können 178. Ganz im Gegenteil lassen sich die zitierten Leitsätze so lesen, daß der Rat sogar solche Änderungen beschließen kann, die den ursprünglichen Rechtsaktentwurf in seinem Wesen bzw. in seiner Substanz berühren: Derartige Umgestaltungen können zwar einen Anspruch des Parlaments auf erneute Konsultation auslösen - ihre Zulässigkeit wird aber dadurch nicht in Frage, sondern nur unter eine aufschiebende Bedingung gestellt. Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, ob das Änderungsrecht nicht nur "wesentliche Änderungen" erlaubt, sondern möglicherweise nicht einmal Schutz vor einer umfassenden Neugestaltung bietet. Indes mahnt zur zurückhaltenden Lesart sicher der Umstand, daß die einschlägigen Entscheidungsgründe sich auf die Wesentlichkeit von Änderungen richten und nicht darauf, welche Änderungen der Rat zulässigerweise vornehmen darf. In keinem Urteil wird das Änderungsrecht ausgelegt, geschweige denn zur Urteilsfindung herangezogen. Auch gehen die Schlußanträge der Generalanwälte Gand 179 , Darmon 180 und Uger l8l an keiner Stelle auf die Reichweite des Artikels 250 Abs. 1 EGVein. Ein Rückschluß ließe sich daher nur dann weiterdenken, wenn aus den Leitsätzen herauszulesen wäre, daß die zu einer erneuten Anhörungspflicht führenden 176 Vgl. statt vieler nur Bieber, Legislative Procedure, S. 712 (Fn. 18); Raworth, S. 26 (Fn. 177). 177 Eine solche Abgrenzung trifft auch Gilsdorf, S. 92, nicht, weswegen seine Forderung, der Rat dürfe einen Vorschlag nicht nur nicht vollständig, sondern auch nicht "substantiell" ändern, zwangsläufig unbestimmt bleibt. Auf diesen Mangel weist er allerdings selbst hin: "Mit der Aussage (wonach auch substantielle Forderungen verboten sein sollten) ist wenig gewonnen", da in jedem Einzelfall festzustellen sei, ob eine fundamentale Umgestaltung vorliege. 178 So aber Usher, S. 156 f. 179 Zu EuGH Rs. C 41/69, Slg. 1970, S. 661 (Chemiefarma). 180 Zu EuGH Rs. C 65/90, Slg. 1992-1, S. 4593, 2. Leitsatz (Kabotage I); EuGH Rs. C 388/92, Slg. 1994-1, S. 2067,1. Leitsatz (Kabotage II). 181 Zu EuGH Rs. C-21/94, Slg. 1995-1,S. 1827 (EP/Rat).
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1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
Änderungen auch solche sein können, die den Vorschlag zu etwas Neuern, eben zu einem aliud umgestalten. Eine solche Feststellung ist den Leitsätzen letztlich aber nicht zu entnehmen. Die Formulierungen des Gerichts von der "Änderung des Wesens" bzw. vom "Berühren der Substanz" des Vorschlags dienen allein der Beurteilung der Wesentlichkeit der Änderungen, die der Rat beschlossen hat, nachdem das Parlament seine Stellungnahme zu dem ursprünglichen Entwurf der Kommission abgegeben hat. Sie beinhalten keine darüber hinaus weisende Aussage, daß die zur zweiten Konsultationspflicht führenden "wesentlichen Änderungen" des Rates gleichsam derart wesentlich sein können, daß sie in Wahrheit keine Änderungen mehr, sondern eine eigene Neufassung darstellen. Dieser Schluß folgt zwar nicht aus dem Wortlaut, aber aus einer Zusammenschau der Leitsätze mit den entsprechenden Entscheidungsgründen: Während der 3. Leitsatz des Chemiefanna-Urteils besagt, daß eine zweite Anhörung des Parlaments dann zu verlangen ist, wenn die Änderungen den Rechtsaktentwurf im ganzen in seiner Substanz berühren l82 , geht aus den einschlägigen Gründen hervor, daß der Gerichtshof in dem betreffenden Fall die Wesentlichkeit von Änderungen mit der Begründung abgelehnt hat, daß die Substanz des Rechtsaktentwurfs unverändert geblieben sei 183. Ebenso verhält es sich im Verfahren Parlament / Rat zur Richtlinie 93/89/ EWG über die Besteuerung von Kraftfahrzeugen, in dem der Gerichtshof die Formulierung von der Substanzerhaltung des Vorschlags im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Änderung als "wesentlich" gebraucht hat, damit aber nur eine spezifische Regelung meint und nicht den gesamten Vorschlag: "Aus einem Vergleich zwischen dem Vorschlag der Kommission und der Richtlinie ergibt sich nicht nur, daß der Rat nicht mehr verpflichtet ist, bis zum 31. Dezember 1998 ein harmonisiertes Abgabensystem für den Straßenverkehr zu erlassen, sondern auch, daß die Kommission nicht mehr verpflichtet ist, in ihrem Bericht Vorschläge für die Einführung einer auf das Territorialitätsprinzip gestützten Regelung zur Anlastung der Wegekosten zu unterbreiten. Diese Änderungen berühren den Kern der getroffenen Regelung und sind daher als wesentlich anzusehen ... 184
182 "Hat der Rat pflichtgemäß das Parlament zu einem von der Kommission vorgelegten Verordnungsentwurf gehört und sodann dessen Wortlaut geändert, so braucht er das Parlament nicht erneut zu hören, wenn diese Änderung den Verordnungsentwurf im ganzen nicht in seiner Substanz berührt.", EuGH Rs. 41/69, Slg. 1970, S. 661 (Chemiefarma). 183 "Die Klägerin erhebt gegen den erwähnten Artikel 15 eine Einrede der Rechtswidrigkeit mit der Begründung, das in dieser Vorschrift vorgesehene Bußgeldsystem unterscheide sich wesentlich von dem Kommissionsvorschlag, zu dem das Europäische Parlament gehört wurde. Der Verordnungsvorschlag, zu dem das Parlament angehört wurde, ist als ganzes gesehen in seiner Substand nicht geändert worden. Die Rechtswidrigkeitseinrede ist daher unbegründet.", EuGH Rs. 41169, Slg. 1970, S. 661, Entscheidungsgründe 177 -179 (Chemiefarma). 184 EuGH Rs. C-21 194, Slg. 1995-1, S. 1827, Entscheidungsgrund 22 (EP 1 Rat). (Hervorhebung d. Verf.)
I. Änderungsrecht des Rates
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Zur Bestimmung des grundsätzlich zulässigen Umfangs von Änderungen kann die Rechtsprechung zur Konsultationspflicht folglich nicht herangezogen werden, da sie hierüber keine Feststellungen enthält. c) Stellungnahme Im Ergebnis erweist sich, daß der Gerichtshof bislang keine die Literatur bestätigende Feststellung getroffen hat, wonach der Rat daran gehindert sei, durch zu weitgehende Änderungen die Finalität eines Vorschlags anzugreifen. Es liegen aber auch keine gegenteiligen Feststellungen vor. Offenbar besteht zwischen der zweiten Konsultationspflicht und der Reichweite des Änderungsrechts insofern eine Verwandtschaft als es jeweils um die Einzelfallfeststellung einer wesentlichen bzw. fundamentalen Änderung des Kommissionsvorschlags geht. Der Rückschluß auf ein unbegrenztes Änderungsrecht bleibt trotzdem verwehrt. Ohne den Zusammenhang zwischen beiden Rechtsfragen zu sehr zu strapazieren, läßt die Erkenntnis, daß der Gerichtshof in den zitierten Entscheidungen nicht auf die generelle Reichweite des Änderungsrechts zu sprechen kommt, wohl lediglich den Schluß zu, daß das Erfordernis einer zweiten Anhörung schon früher einsetzt als Zweifel an der grundsätzlichen Zulässigkeit von im Rat beschlossenen Änderungen. Letztlich ist der Literatur beizupflichten, wonach der Rat durch seine Änderungen nicht etwas völlig anderes als das von der Kommission Gewollte annehmen darf. An dieser äußersten Grenze läßt sich auch nicht mit dem Einwand rütteln, daß sie nicht eindeutig zu markieren sei. Das Manko, daß weder den Rechtsetzungsorganen noch dem Gerichtshof eine allgemeine Definition der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Änderungen zur Verfügung steht, kann nicht die Annahme eines unbegrenzten Änderungsrechts nahelegen. Stattdessen müßte im Konfliktfall ein Vergleich zwischen dem von der Kommission angestrebten Regelungsziel ihres Entwurfs und der zur Beschlußfassung im Rat veränderten Form angestellt werden. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Aspekte, unter denen Änderungen zu einer "Umkehrung des Vorschlags" führen können, lassen sich für die Einzelfallbewertung nur theoretische Vorgaben denken. Auszugehen ist stets vom Entwurf der Kommission, der den sachlich-gegenständlichen Bereich des beabsichtigten Gesetzesvorhabens bestimmt. Der Rat ist verpflichtet, die thematische Vorgabe zu beachten und zur materiellen Grundlage seiner Beratungen zu machen. Die Festsetzung des für regelungsbedürftig erkannten Sachbereichs markiert die äußere Grenze zulässiger Änderungen. Es wäre daher unzulässig, wenn die Vorlage in den Beratungen durch eine andere Materie ersetzt würde, was indes nicht ausschließt, den Entwurf um sachlich verwandte - auch wesentliche - Aspekte zu ergänzen 185 . 185 Ein "kritisches" Beispiel wäre, daß die Kommission in einern Vorschlag zu Fischfangquoten eine bestimmte Größenordnung vorgibt: Wenn der Rat diese Quoten kurzerhand für alle Länder verdoppelt oder gar vervierfacht, stellt sich die Frage, wann nicht mehr von einer
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1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
Dieses Verständnis findet eine Parallele im deutschen Verfassungsrecht. Dort ist, unter dem Stichwort des Verbots der Denaturierung der Gesetzesvorlagen, die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Bundestags als Gesetzgeber ebenfalls durch einen Anspruch des Initianten auf Behandlung seines Entwurfs konkretisiert. Das bedeutet zwar nicht, daß über die Vorlage, so wie sie eingebracht wurde, beschlossen werden muß und also keiner Änderung zugänglich wäre. Immerhin ist aber anerkannt, daß die Gesetzesvorlage während der Ausschußberatungen zumindest in ihren Grundzügen aufrechterhalten bleiben muß 186. Eine solche Begrenzung stützt sich, im Verbund mit dem Wortlautargument, im wesentlichen auf die Überlegung, daß der Inhalt des Vorschlags andernfalls zu einem Spielball in den Verhandlungen würde, den aufzunehmen dem Rat freigestellt wäre. Ohne bereits an dieser Stelle auf die grundlegende Bedeutung des Vorschlagsrechts einzugehen, deutet schon die vertraglich garantierte Trennung zwischen Vorschlagsberechtigung und Entscheidungskompetenz darauf hin, daß eine derartige Entwertung der Vorlage gemeinschaftsrechtswidrig wäre l87 . Schließlich gibt Artikel 250 Abs. I EGVausdrücklich vor, daß der Rat über den Vorschlag der Kommission berät, worin vernünftigerweise nur das Verbot enthalten sein kann, den Rechtsaktentwurf so weit zu entkleiden, daß er sich in der Sache einen eigenen Vorschlag vorlegt l88 . In der gemeinschaftspolitischen Praxis wirkt die Kommission bisweilen mit weitgehenden Zugeständnissen in den Verhandlungen an Veränderungen ihrer Vorschläge mit, welche, wenn sie der Rat aus eigener Macht vornähme, wohl über die von der Literatur gezogenen Grenzen hinausreichen würden l89 . Ungeachtet der politischen Gründe, die zu einer solchen Annäherung führen - dazu in Kapitel 3 -, spiegelt dies die Berechtigung der Warnung vor einem Mißbrauch wider und begründet die Notwendigkeit eines begrenzten Änderungsrechts. 3. Die Untätigkeit des Rates nach Vorlage eines Vorschlags
In der Praxis kommt es nicht selten zur Nichtannahrne von Kommissionsvorschlägen, weil der Rat nach Unterbreitung eines Vorschlages schlicht untätig wesentlichen Änderung gesprochen werden kann, weil es in der Sache zu einer Verformung bis zur Unkenntlichkeit, d. h. zu etwas völlig Anderem als dem ursprünglich von der Kommission Gewollten gekommen ist. 186 Zu den parallelen Problemen einer tragfähigen rechtlichen Beurteilung der Grenzen der Umgestaltung einer Vorlage im deutschen Verfassungsrecht vgl. Schürmann, S. 142 ff., mit zahlreichen Nachweisen. 187 Petite, S. 206: "Il va de soi que le monopole de l'initiative (... ) serait une illusion si la proposition pouvait etre arnendee sans I' accord et la participation de la Commission." Ähnlich lpsen, Exekutiv-Rechtsetzung, S. 432. 188 Ähnlich Usher, S. 156. 189 Vgl. Gilsdorf, S. 93 f., mit dem Beispiel der sog. Agrarpreispakete.
I. Änderungsrecht des Rates
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bleibt, d. h. den Vorschlag weder ausdrücklich ablehnt noch eigene Änderungen vornimmt oder mit Änderungswünschen an die Kommission zurückschickt. So hat die Kommission im Jahre 1999 auf eine Anfrage aus dem Parlament, in wievielen Fällen der Rat in den letzten zehn Jahren nach Vorlage eines Vorschlags (und nach Stellungnahme des Parlaments) weder einen positiven noch einen ablehnenden Beschluß gefaßt habe, ein Dossier von nicht weniger als 280 Vorschlägen übermittelt l90 . In diesem Zusammenhang stehen auch Vorschläge, welche der Rat erst Jahre nach ihrer formellen Vorlage beraten hat. Hinsichtlich der Untätigkeit des Rates sind von den Fällen, in denen aktuelle Gründe eine Beschäftigung unmöglich machen 191 , jene zu unterscheiden, in denen der Rat Vorschläge - etwa mangels Aussicht auf eine erforderliche Mehrheit dauerhaft unbehandelt läßt. Problematisch sind, wenn nicht besondere Gründe für eine rasche Beschlußfassung sprechen, normalerweise nur Fälle aus der zweiten Kategorie. Prominente Beispiele einer solchen Blockade- bzw. Verzögerungspolitik 192 , durch die Gesetzesvorlagen mitunter länger als zehn Jahre unbehandelt bleiben 193 , sind die Kommissionsvorschläge über die rechtliche und steuerliche Stellung europäischer Gesellschaften 194, zur Industriepolitik 195 und, aus jüngerer Zeit, zur Tabak-Werbeverbots-Richtlinie. Die Kommission hatte den ursprünglichen Vorschlag für die am 30. Juli 1997 in Kraft getretene Richtlinie 98/43/ EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen 196 bereits am 7. April 1989 angenommen l97 . a) Ermessen des Rates zur Befassung mit der Vorlage Zur Zulässigkeit, die Vorlage von Kommissionsvorschlägen zu ignorieren, schweigt der EG-Vertrag. Nach überwiegender Auffassung ergibt sie sich daraus, daß der Vertrag keinen Befassungszwang festlegt. Im Anhörungsverfahren sowie in der ersten Lesung der Verfahren der Zusammenarbeit und der Mitentscheidung un190 VgI. die Antwort des Komrnissionspräsidenten Santer im Namen der Kommission vom 20. 11. 1998, ABI. EG Nr. C 297 vom 15. 10. 1999, S. 62, auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Jarzembowski vom 19. 10. 1998 (P-3242/98) betreffend die Untätigkeit des Rates im Gesetzgebungsverfahren. Zu früheren Statistiken siehe Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 45. 191 Etwa weil der Rat anderen Gesetzesvorhaben Priorität einräumt. Zu den Zufäl.ligkeiten, welche die zeitliche Behandlung im Rat bestimmen können, siehe Kühner; S. 94. 192 Näher hierzu Gündischl Mathijsen, S. 137. 193 VgI. Hummer; in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 45. 194 Dazu näher Gündischl Mathijsen, S. 137. 195 VgI. Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 45 mit weiteren Nachweisen. 196 ABI. 1998 Nr. L 213, S. 9. 197 ABI. 1989 Nr. C 124, S. 5.
1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
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terliegt der Rat - den wiederholten Forderungen aus der Literatur l98 , dem Parlament l99 und der Kommission2OO zum Trotz - zur Beschlußfassung keiner Frist. Daher verfügt der Rat im Grundsatz über ein weites Ermessen, ob und wann er einen Vorschlag aUfgreift201 . Nebenbei bemerkt, verlangt dieser Umstand im Grunde eine wenig geläufige Präzisierung: Obwohl nur die Kommission ein Rechtsetzungsverfahren einleiten kann, gilt es erst mit der Befassung des Rates für eröjfner02 . b) Pflicht des Rates zur Befassung mit der Vorlage Die Ermessensfreiheit des Rates ist - ähnlich der Bindung der Kommission bei der Vorlage203 - beschränkt, wenn der Vertrag oder eine Sekundärrechtsnorm innerhalb einer festgesetzten Frist zum Handeln verpflichten. Aber auch wenn dies nicht der Fall ist und das Gemeinschaftsrecht einen Handlungsauftrag ohne Bestimmung eines Zeitpunktes enthält, zu dem das Organ spätestens hätte tätig werden müssen, kann die Ermessensfreiheit beschränkt sein. Im Verkehrsurteil hat der Gerichtshof festgestellt, daß sich eine Pflicht des Rates zur Gestaltung einer Gemeinschaftspolitik - nach Vorlage entsprechender Vorschläge der Kommission - daraus ergeben kann, daß der Vertrag bestimmte Ziele dieser Politik bezeichnet und damit eine hinreichend bestimmte Grundlage bietet, von einem konkreten Handlungsauftrag auszugehen204 . In einem solchen Fall ist dem Rat aufgegeben, innerhalb einer angemessenen Frist die zur Ausfüllung der vertraglich vorgezeichneten Ziele erforderlichen Maßnahmen zu beschließen205 • Die Beurteilung eines "angemessenen Zeitraumes" hängt einerseits von der Beurteilung der Bedürfnisse des Gemeinsamen Marktes und der Einschätzung der Notwendigkeit des Erlasses von Durchführungsmaßnahmen und andererseits von Risiken und Schwierigkeiten ab, die sich durch den Erlaß des Rechtsaktes ergeben können 206 • Im Ergebnis läuft somit die Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Unterlassung auf eine Abwägung hinaus. Siehe Bieber / Pantalis / Schoo, S. 767, mit weiteren Nachweisen. Zu den Forderungen des Parlaments siehe Glaesner, Einheitliche Europäische Akte, S. 149 f. 200 Zu den Forderungen der Kommission siehe Kühner, S. 94. 201 Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 4; Schorkopf, S. 368. 202 Soweit ersichtlich wird diese Unterscheidung in der Literatur nicht getroffen. Von der förmlichen Eröffnung der Rechtsetzungsverfahren durch den Rat sprechen etwa Bieber, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Auflage, Artikel 137 EWGV Rn. 26; Schaub, S. 71; Kühner, S. 48. 203 V gl. bereits in Kapitel 1 unter I. 2. 204 EuGH Rs. 13/83 Slg. 1985, S. 1513 ff. (EP I Rat). 205 EuGHRs. 13/83Slg. 1985,S. 1516 (EP/Rat). 206 So Generalanwalt Lenz in seinen Schlussanträgen zum vorbezeichneten Rechtsstreit, S. 1538. 198 199
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Anders gewendet ist mit diesem Urteil ausgesprochen, daß es keine allgemeine Pflicht des Rates zur Befassung gibt, denn die Kommission hatte sechzehn Vorschläge eingebracht, ohne daß der Gerichtshof deswegen eine Handlungspflicht angenommen hätte. Damit ist wiederum inzidenter klar gestellt, daß das Initiativrecht der Kommission sich darin erschöpft, Gesetzesvorschläge machen zu dürfen, nicht aber als Anspruch auf Weiterbehandlung durch den Rat fortwirkt. Mithin ist ohne eine primär- oder sekundärrechtliche Konkretisierung des Handlungsauftrags die Untätigkeit des Rates sowohl in inhaltlicher wie auch in zeitlicher Hinsicht nicht justiziabel bzw. begründet die Untätigkeit hinsichtlich einer bestimmten Gemeinschaftspolitik - unbeschadet der Aktivitäten der Kommission 207 - im Grundsatz keine verfolgbare Vertragsverletzung 208 . c) Ausnahmefall des ersatzorganschaftlichen Handeins Eine Modifikation dieses Grundsatzes ergibt sich daraus, daß der Gerichtshof in bestimmten Fällen der Kommission eine Art ersatzorganschaftliches Handeln zusammen mit den Mitgliedstaaten zugestanden hat. Blockiert der Rat Kommissionsvorschläge, die ein gemeinschaftliches Vorgehen vorsehen, können sich besondere Pflichten zu einem Verfahren der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten, nicht aber dem Rat, ergeben, damit die Gemeinschaft ihre Verantwortung wahrnehmen kann209 • Diesen Entscheidungen liegen Sachverhalte aus dem Agrarbereich und dem Fischfang zugrunde, in denen befristete Rechtsakte zu einem bestimmten Datum außer Kraft getreten sind, ohne daß der Rat diese rechtzeitig durch neue Rechtsakte ersetzt hat21O • Zur Füllung des so entstandenen "rechtlichen Vakuums" hat die Kommission "vorsorglich und in Erwartung einer Entscheidung des Rates" die entsprechenden Sachentscheidungen getroffen211 • Der Gerichtshof hatte den Umstand, daß der Rat auf einem Gebiet, für das die Gemeinschaft zuständig ist, nicht innerhalb vorgeschriebener Fristen die nötigen Erhaltungsmaßnahmen getroffen hat, zum Anlaß genommen, unter Hinweis auf 207 Allerdings kann die Kommission den ausnahmsweisen Befassungszwang des Rates unmittelbar auslösen, wenn sie - wie im Fall der Verkehrspolitik - geeignete Vorschläge zu vertraglich konkretisierten Teilzielen einer Gemeinschaftspolitik einbringt. 208 Vgl. Erdmenger; S. 89 ff.: Die Feststellungen des Urteils gelten auch für die übrigen Gemeinschaftspolitiken. 209 VgI. EuGH Rs. 332/85, Slg. 1987, 5143 ff. (Seefischereiquoten), seitdem ständige Rechtsprechung. Näher Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 34; Oppermann, Europarecht, Rn. 320 und 354 und umfassend Schramm, insbesondere S. 15 ff. 210 Nachweise bei Schramm, S. 9 ff. m V gI. etwa die Verordnung [EWG] Nr. 1390 180 der Kommission, ABI. 1980 L 136, S. 1. Die Kommission hat dieses Vorgehen seinerzeit in einer gesonderten Mitteilung erläutert und gerechtfertigt, siehe Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 34.
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Artikel 10 EGV212 auf eine besondere Handlungspflicht der Mitgliedstaaten zu erkennen, da die Kommission dem Rat zur Befriedigung der dringenden Erhaltungsbedürfnisse die notwendigen Vorschläge unterbreitet hatte 213 • Gleichzeitig hat der Gerichtshof die Überwachungsaufgabe der Kommission gemäß Artikel 211 EGV hervorgehoben, die diese in der Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zu erfüllen habe. In der Literatur haben die Urteilsbegründungen zu der Einschätzung geführt, daß der Gerichtshof stets Einzelfälle entschieden habe und eine Verallgemeinerung im Sinne ungeschriebener Geschäftsführungsbefugnisse für die Kommission bei Untätigkeit des Rates unzulässig sei 214 . Die gegenteilige Annahme würde über den Rahmen des Vertrags hinausführen und die darin begründete Zuständigkeitsordnung und Kompetenzverteilung sprengen215 • d) Zwischenergebnis Die vorstehende Rechtsprechung scheint nur die Schlußfolgerung zu erlauben, daß eine Befassungspflicht auch nicht aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen216 und dem Zusammenarbeitsgebot gemäß Artikel 218 EGV217 angenommen werden kann. Augenscheinlich ist dem Rat als Beschlußfassungs- bzw. Hauptrechtsetzungsorgan ein derart weiter Spielraum eingeräumt, daß das Initiativrecht der Kommission nicht weiter reicht, als dem Rat Vorlagen zu verschaffen, ohne die er auf der einen Seite zwar nicht tätig werden kann, über die er andererseits aber nicht beraten, geschweige denn Beschluß fassen muß. Ohne daß er dies ausdrücklich festgehalten hätte, scheint der Gerichtshof die Aufgabenverteilung im Rechtsetzungsprozeß im Verbund mit dem Fehlen von Fristen zur Behandlung von Vorschlägen als vertragliche Grundlage der Untätigkeit des Rates anzuerkennen. e) Stellungnahme Dessen ungeachtet legen die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze des institutionellen Gleichgewichts und das Gebot zur wechselseitigen Loyalität BedenArtikel 155 EWG-Vertrag a. F. EuGH Rs. 332/85, Slg. 1987,5143,2. Leitsatz (Seefischereiquoten). 214 Schwarze, Ungeschriebene Geschäftsführungsbefugnisse, S. 133 ff.; Gilsdoif, S. 103; Hummer, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 34. 215 Hummer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 34. 216 Zum Gebot der loyalen Zusammenarbeit vgl. Hummer, in: Grabitz I Hilf, EU-/EGKommentar, Vor Artikel 155 EGV Rn. 14 mit zahlreichen Nachweisen. 217 Artikel 218 EGV: "Der Rat und die Kommission ziehen einander zu Rate und regeln einvernehmlich die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit", näher loma, in: Schwarze, EUKommentar, Artikel 218 EGV Rn. 2 ff. 212
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ken an einem grundsätzlich unbeschränkten Ermessensspielraum des Rates zur Befassung mit Rechtsaktvorlagen der Kommission nahe. Der Europäische Gerichtshof hat, beginnend mit den Urteilen in der Rechtssache
Meroni im Jahre 1958, aus der Zusammenschau der Organisationsprinzipien und
Handlungsermächtigungen der Gemeinschaftsorgane den Begriff des "institutionellen Gleichgewichts" geprägt und hieraus ein normatives, justitiables Gestaltungsprinzip entwickelt218 . Der Gerichtshof verwendet das institutionelle Gleichgewicht in erster Linie zur Beurteilung von Kompetenzverschiebungen zwischen den Organen und hier vor allem, wenn es um Verfahrensrechte der Organe ergeht. Die bislang ergangenen Urteile behandeln zumeist Beteiligungsrechte des Parlaments, entfalten aber darüber hinaus grundsätzliche Bedeutung. In einem Urteil aus dem Jahr 1990 führte der Gerichtshof aus: "Die Verträge haben ( ... ) ein System der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Organen der Gemeinschaft geschaffen, das jedem Organ seinen eigenen Auftrag innerhalb des institutionellen Gefüges der Gemeinschaft und bei der Erfüllung der dieser übertragenen Aufgaben zuweist. Die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts gebietet es, daß jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt. Sie verlangt auch, daß eventuelle Verstöße gegen diesen Grundsatz geahndet werden können.,,219
Im Schrifttum ist diese Rechtsprechung zum Teil auf Kritik gestoßen, weil die praktische Relevanz des Begriffs und eine schlüssige Herleitung in Frage gestellt wird 22o • Daher sind auch die Meinungen über den normativen Charakter des Prinzips geteilt; vereinzelt wird angenommen, daß sich aus dem Prinzip keine Rechtsfolgen herleiten lassen 221 • Verschiedentlich ist gegen den Begriff des Gleichgewichts eingewandt worden, daß die Organe einem dauernden Wandel unterlägen und der Einfluß auf Rechtsetzung und Kontrolle äußerst unterschiedlich verteilt sei, weswegen eher von der vom Vertrag gewollten institutionellen Stellung der Organe zu sprechen sei 222 . Gleichwohl müsse der Begriff nicht aufgegeben werden223 • Der überwiegende Teil stimmt der Rechtsprechung hingegen zu und zieht das institutionelle Gleichgewicht als Grenze der internen und externen Organisationskompetenzen der Gemeinschaftsorgane und als Prüfungsmaßstab für die rechtliche 218 EuGH Rs. 9156, Sig. 1958, S. 36 ff. (Meroni I); Rs. 10156, Sig. 1958, S. 75 ff. (Meroni II); Rs. 138/79, Sig. 1980, S. 3333 Rn. 3 (Roquette Freres - Isoglukose); Rs. C-70 188, Sig. 1990, S. 2041, Rn. 20 ff. (EP/Rat); Rs. C-21194, Sig. 1995-1, S. 1827 Rn. 17 (EP/Rat). 219 EuGH Rs. C-70/88, Sig. 1990-2041, Rn. 20 ff. (EP/Rat). 220 Grundlegend Hummer; Das institutionelle Gleichgewicht, S. 459 ff.; Läufer; Die Organe der EG, S. 220 ff.; Haratsch, S. 199 ff. 221 Nettesheim, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 6. 222 Lenz, in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 4 EGV Rn. 4. 223 Klein, in: Hailbronner I Klein I Magiera I Müller-Graff, Handkommentar, Artikel 4 EGV Rn. 12 mit weiteren Nachweisen.
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Zulässigkeit funktioneller Veränderungen heran224 . Indem das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit auf die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts ausdrücklich Bezug nimmt225 , ist das institutionelle Gleichgewicht mittlerweile primärrechtlich anerkannt und damit zu einem Verfassungsbegriff erstarkt226 . Als Grundnorm dient Artikel 7 EGV, wonach jedes Organ nach Maßgabe der ihm zugewiesenen Befugnisse des EG-Vertrages handelt, in Verbindung mit den jeweiligen spezifischen Kompetenzbestimmungen sowie verschiedenen vertraglichen Grundprinzipien227 . Seine Funktion deckt sich im Prinzip mit dem rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsprinzip im staatlichen Bereich, anders gewendet: Der Europäische Gerichtshof benutzt den Begriff des institutionellen Gleichgewichts als Ersatz für das im Gemeinschaftsrecht fehlende Gewaltenteilungsprinzip 228. Zur KlarsteIlung weist Calliess explizit darauf hin, daß ein solcher Rahmenbegriff nicht etwa vertraglich gedeckte Fortentwicklungen im Bereich der Organe ausschließe; vielmehr könne es nur darum gehen, vom Vertrag nicht gewollte Friktionen im institutionellen Gefüge zu verhindem229 . Angewendet auf die hier zu problematisierende Untätigkeit des Rates läßt sich eine der vertraglichen Konstruktion des Vorschlagsverfahrens widersprechende Einschränkung sowohl der Beteiligung der Kommission als auch des Parlaments ableiten, wenn der Rat einen Kommissionsvorschlag ohne zwingenden Grund unbeachtet läßt. Zum ersten bedroht die Untätigkeit das umfassende politische Gestaltungsrecht der Kommission, das ihr der Vertrag mit der Einrichtung des Vorschlagsmonopols zuweist. Denn wenn der Kommission eine effektive Wahrnehmung des sowohl in inhaltlicher wie zeitlicher Hinsicht grundsätzlich in ihrem Ermessen stehenden Initiativrechts garantiert sein soll, kann es nicht im Belieben des Rates stehen, die Ergebnisse dieser Ermessensausübung entweder zur Kenntnis zu nehmen oder aber zu ignorieren. Vielmehr spricht mehr dafür, daß nur eine grundsätzliche Pflicht des Rates, die Vorschläge zu beraten, das Gestaltungsrecht der Kommission bewahrt, zumal es dem Rat unbenommen bleibt, nach Beratung die Vorlage nicht anzuneh224 Guillermin, S. 322; Pingel-Lenuzza, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 7 EGV Rn. 5; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 7 EGV Rn. 13 ff.; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 359 ff.; Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung, S. 98 f.; Hilf, Die Organisations struktur der EG, S. 312 ff.; Bemhardt, S. 106 f. 225 Protokoll Nr. 30 (Nr. 2) zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Abgedruckt bei Calliess / Ruffert, EU-I EG-Kommentar, im Anhang Teil III Protokolle. 226 Näher Calliess, in: Cailiess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 7 EGV Rn. 14 und Artikel I EUV Rn. 17 ff. 227 Zu den in Betracht kommenden Vertragsprinzipien näher Calliess, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 7 EGV Rn. 14. 228 Klein, in: Hailbronnerl Klein I Magieral Müller-Graff, Handkommentar, Artikel 4 EGV Rn. 11. 229 Calliess, in: Cailiess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 7 EGV Rn. 14. Ebenso Pingel-Lenuzza, in: Leger, Union Europ6enne, Artikel 7 EGV Rn. 5.
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men. In eine solche Sichtweise fügt sich ein, daß nach der vertraglichen Konzeption der Rat in erster Linie Entscheidungsorgan im gemeinschaftlichen Rechtsetzungsprozeß ist, dem die abschließende politische Würdigung der gemeinschaftlichen Rechtsetzung zukommt, nicht aber zuvörderst als Gremium zur Harrnonisierung mitgliedstaatlicher Interessen fungiert 230 ; nicht mehr als eine politische Entscheidung würde dem Rat abverlangt, wenn man eine Befassungspflicht annähme. Der Einwand des Rates, in der Wirklichkeit der Entscheidungsfindung hemmenden Einflüssen ausgesetzt zu sein, weil nationale Bedenken seiner Handlungs- und Beschlußfähigkeit zwangsläufig Grenzen auferlegten, verfängt demgegenüber nicht; umso weniger als interne Schwierigkeiten in der Regel nicht geeignet sind, die Beeinträchtigung der Befugnisse der übrigen Rechtsetzungsorgane zu rechtfertigen 231 . Überdies läßt sich gegen die Zulässigkeit der Untätigkeit des Rates die Rolle des Parlaments in den Rechtsetzungsverfahren ins Feld führen. Erstens steht die Untätigkeit des Rates in Kontrast zu den Fristen, denen das Parlament bei seinen Stellungnahmen in den Verfahren der Zusammenarbeit und der Konsultation unterliegt, weil damit nur ein Rechtsetzungsorgan gebunden wird, während das andere in seiner Befassung zeitlich ungebunden bleibt. Insofern man das Parlament auf dem Weg zu einem gleichberechtigten Mitgesetzgeber sieht - worauf vor allem die Neufassung des Mitentscheidungsverfahren hindeutet232 - stellt sich diese Ungleichheit als ein Systembruch dar, der schon grundsätzlich beseitigt werden sollte 233 , im Falle der Untätigkeit des Rates jedenfalls umso drastischer zum Ausdruck kommt. Zum zweiten ist zu beachten, daß die Freiheit des Rates, sich eines Vorschlags mitunter erst nach mehreren Jahren anzunehmen, einen solchen Abstand zwischen der Stellungnahme des Parlaments und dem endgültigen Beschluß des Rates erzeugen kann, daß der parlamentarische Anteil in Gestalt von Änderungsanträgen oder Empfehlungen jeden politischen Wert verliert. Um des Schutzes der Beteiligung des Parlaments willen ist es ohnehin geboten, den Abstand zwischen Stellungnahme des Parlaments und Beschlußfassung so gering wie möglich zu halten. Dem steht die Möglichkeit der jahrelangen Untätigkeit des Rates krass entgegen. Auch das Gebot zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaftsorganen spricht gegen die uneingeschränkte Berechtigung des Rates, Kommissionsvorschläge schlicht unbeachtet zu lassen. Vgl. Oppemumn, Europarecht, Rn. 318 f. So auch Schorkopf, S. 368. Gleiches gilt von der Neigung des Rates, in vielen Fällen Mehrheitsentscheidungen zu venneiden, und von den Beratungen abzusehen, wenn "wichtige nationale Interessen" geltend gemacht werden. Die Beobachtung, daß der Rat sich häufig erst dann eines Kommissionsvorschlages annimmt, wenn dieser zum Gegenstand einer einstimmigen Vereinbarung zwischen den Mitgliedern der zuständigen Arbeitsgruppe geworden ist, weist sogar darauf hin, daß sich die Untätigkeit des Rates nicht anders als durch eine dem Mehrheitsentscheidungsverfahren zuwiderlaufende Übung erklärt. Im Detail hierzu in Kapitel 3 unter III. 2. 232 Ausführlich Jarzembowski, S. 123 ff. 233 So auch Schorkopf, S. 368, mit weiteren Nachweisen. 230 231
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In Ergänzung des Grundsatzes des institutionellen Gleichgewichts hat der Gerichtshof in seine Rechtsprechung zum institutionellen Recht den Grundsatz der gegenseitigen Loyalität der Organe aufgenommen, wonach im Rahmen des Dialogs zwischen Kommission, Rat und Parlament die gleichen gegenseitigen Pflichten zur redlichen Zusammenarbeit gelten, wie sie die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen prägen 234 . Damit ist der in Artikel 10 EGV verankerte Grundsatz der Gemeinschaftstreue dergestalt auf das Verhältnis der Gemeinschaftsorgane übertragen, daß diese untereinander zur Rücksichtnahme auf die jeweiligen Interessen verpflichtet sind235 . Das Gebot zur Rücksichtnahme bildet die Grundlage für die Entscheidung des Gerichtshofs, daß das Parlament seine Verpflichtung zu redlicher Zusammenarbeit mit dem Rat verletzt, wenn es im Dringlichkeitsverfahren eine bereits vorgesehene und weiterhin mögliche Beschlußfassung absetzt. In dieser Situation kann das Parlament dem Rat kein pflichtwidriges Verhalten vorwerfen, wenn er den umstrittenen Rechtsakt ohne Abwarten auf die ausstehende Stellungnahme erläßt236 . Wie in diesem Fall, kann die Rücksichtnahme nur dann verlangt werden - und ihr Fehlen eine Vertragsverletzung begründen -, wenn der Vertrag dem betreffenden Organ einen Handlungsspielraum gewährt. Ein solcher Handlungsspielraum ist dem Rat hinsichtlich der Entscheidung über die Befassung mit dem Komrnissionsvorschlag eingeräumt, weswegen auch in diesem Fall eine Anwendung des Loyalitätsgrundsatzes naheliegt: Nicht weniger als die unbegründete Verweigerung der Stellungnahme des Parlaments eine Verletzung der Loyalitätspflicht darstellt, ist die jahrelange Untätigkeit des Rates mit dem Rücksichtnahmegebot in den Interorganbeziehungen zu vereinbaren. Wie schon zur Frage der rechtlichen Reichweite des Änderungsrechts kann an dieser Stelle ergänzend auf das parallele Rechtsproblem im nationalen Recht verwiesen werden. Im deutschen Verfassungsrecht hat der Vorschlagsberechtigte237 einen Anspruch gegenüber dem Bundestag auf Befassung mit seiner Vorlage in angemessener Zeit. Das Bundesverfassungsgericht hat die Auffassung bekräftigt, wonach es zum Wesen des Initiativrechts gehöre, daß das Gesetzgebungsorgan sich mit dem Gesetzesvorschlag beschäftigt, d. h. darüber berät und beschließt238 . Die234 EuGH Rs. C-204/ 86, Sig. 1988, 5323, Rn. 16 (Griechenland / Rat) und EuGH Rs. C-65/93, Sig. 1995-1, S. 643, 3. Leitsatz (EP/Rat). 235 EuGH Rs. C-65/93, Sig. 1995-1, S. 643 Rn. 23 (EP/Rat). 236 EuGH Rs. C-65/93, Sig. 1995-1, S. 643 Rn. 24 (EP/Rat). Dazu näher in Kapitel 6 unter I. 237 Artikel 76 Abs. I GG: Die Gesetzesinitiative kann von der Bundesregierung als Kollegialorgan ausgehen, aus der Mitte des Bundestags (gemäß § 76 GO-BT von einer Fraktion oder von mindestens 5% der Mitglieder des Bundestages) oder aus dem Bundesrat. Zu den Einzelheiten siehe Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Grundgesetz, Artikel 76 Rn. 23. 238 Zunächst in BVerfGE 1, 144, insbesondere S. 153 f.; dann in BVerfGE 2, S. 173 f. Siehe näher Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, Kommentar zum Grundgesetz, Artikel 76 Rn. 3; Maunz. in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Grundgesetz, Artikel 76 Rn. 23.
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ser Anspruch, der im Wege des Organstreitverfahrens durchgesetzt werden könnte, läßt sich als Ausprägung des Grundsatzes der Verfassungsorgantreue verstehen und stellt damit auf nationaler Ebene das Pendant zum gemeinschaftlichen Loyalitätsgebot dar239 . Schließlich führt die Freiheit des Rates, gegebenenfalls erst Jahre nach der Vorlage die Beratungen aufzunehmen, zu einer Verlängerung der Rechtsetzungsverfahren, die sowohl die Transparenz der gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesse beeinträchtigt als auch zur Unübersichtlichkeit des Gemeinschaftsrechts beiträge4o . Ohne diesen Gesichtpunkt zu vertiefen, ist zu konstatieren, daß auch die Wahrung der Rechtssicherheit, zu der im weiteren Sinn die Planungssicherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit beabsichtigter Rechtsänderungen zu zählen ist, gebietet, einer Überdehnung des Zeitraumes von der Initiative bis zur Beschlußfassung entgegenzusteuern. 4. Zur Ablehnung eines Vorschlags
Der Rat kann einen Vorschlag der Kommission ablehnen. In der Praxis kommt die Ablehnung selten vor, weil normalerweise solange über den Vorschlag beraten und dieser dabei abgeändert wird, bis die zur Annahme des Rechtsaktes oder des Gemeinsamen Standpunktes erforderliche Mehrheit erreicht ist241 . Gelingt dies nicht, so kann der Rat zu erkennen geben, welche Änderungen die Kommission vornehmen müßte, damit er sich mit ihm weiter beschäftigen würde oder aber der Rat bleibt untätig und läßt den Vorschlag unbehandelt. Fraglich ist immerhin, welche Maßgabe gelten würde, wenn der Rat einen Vorschlag von vornherein ablehnen will 242 . Umstritten ist, ob die Ablehnung eines Rechtsaktes selbst eine Änderung ist und deswegen nur mit einstimmigen Beschluß erfolgen kann 243 . Dagegen sträubt sich zwar der übliche Sprachgebrauch im Gegensatz zu einer Änderung bleibt im Fall der Ablehnung vom Vorschlag nichts übrig -, im Interesse der Rechtsklarheit244 und angesichts der mit der bloßen 239 Zur Herleitung und Begründung der Verfassungsrechtsprechung siehe Schürmann, S. 128 ff. 240 Daran ändert auch die Veröffentlichungspflicht gemeinschaftsrechtlicher Hoheitsakte gemäß Artikel 254 EGV nichts. Ebenso Schorkopf, S. 369. 241 Bieber, Europäische Gesetzgebung, S. 313. 242 Nach Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 189a EGV Rn. 15 und Kühner, S. 88, bildet die Ablehnung das Gegenstück zur Rücknahme des Vorschlags durch die Kommission, weil in beiden Fällen die Standpunkte so weit auseinander lägen, daß kein positiver Abschluß möglich sei. Zur Rücknahme von Vorschlägen sogleich unter H. 2. 243 Bejahend Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU -I EG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel l89a EGV Rn. 15, mit dem Hinweis, daß die Kommentierung von Hamier in der Vorauflage (zum früheren Artikel 149 EGV Rn. 6) noch gegenteilig lautete. 244 Dazu Schorkopf, S. 368 f.
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Untätigkeit verbundenen Unsicherheit über das weitere Schicksal des Vorschlags ist die Forderung eines fönnlichen einstimmigen Beschlusses jedoch nicht von der Hand zu weisen 245 . Das bessere Argument spricht aber gegen das Einstimmigkeitserfordernis. Der Vertrag erwähnt die Ablehnungsmöglichkeit zwar nicht direkt. Allerdings ist dort fonnuliert, daß der Rat den Rechtsakt (oder den Gemeinsamen Standpunkt) mit qualifizierter Mehrheit oder Einstimmigkeit erläßt (bzw. beschließt). Wenn nun der Rat eine fonnelle Abstimmung vornimmt, obwohl die erforderliche Mehrheit nicht erreicht werden kann, läßt der Vertragswortlaut nur den Schluß zu, daß mit Nichterreichen der verlangten Mehrheit der Vorschlag als nicht angenommen und damit als abgelehnt gilt. Einer besonderen Mehrheit - qualifizierte oder gar Einstimmigkeit - zur Ablehnung kann es daher nicht bedürfen 246 . 11. Das Recht der Kommission zur Änderung eines Vorschlags Die Kommission ist gemäß Artikel 250 Abs. 2 EGV berechtigt, ihren Vorschlag jederzeit im Verlauf der Verfahren zur Annahme eines Rechtsakts zu ändern, solange ein Beschluß des Rates nicht ergangen ist. Das gleiche Recht ist in Artikel 119 Abs. 2 Euratom-Vertrag verankert, dort mit dem Zusatz, daß eine Änderung des Vorschlags insbesondere in den Fällen ergehen kann, in denen das Europäische Parlament zu diesem Vorschlag gehört wurde 247 . Im EGKS-Vertrag war ein Änderungsrecht der Kommission zwar nicht ausdrücklich enthalten, wurde aber aus ihrem allgemeinen Handlungsauftrag gemäß Artikel 8 gefolgert248 . Artikel 250 Abs. 2 EGV konkretisiert den Auftrag der Kommission, durch Ausübung ihres Vorschlagsrechts am Zustandekommen der Handlungen des Rates und des Parlaments mitzuwirken 249 . Mit anderen Worten: Das Initiativrecht schließt die Befugnis ein, den Vorschlag bis zur Annahme des Rechtsakts zu ändern, zu ergänzen oder zu kürzen. Diese Befugnis ist in der Praxis von grundlegender Bedeutung, weil sie der Kommission erlaubt, auf die Beratungen im Rat und im Parlament flexibel zu reagieren und ihren Entwurf dem Verlauf der Verhandlungen anzupassen. Im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts stehen zwei Aspekte: Zum einen das Verhältnis zum Änderungsrecht des Rates, wobei auch hier die "Reichweite" des 245 Zu den sich im Rahmen des geltenden Rechts bietenden Möglichkeiten, der Untätigkeit des Rates zu begegnen, insbesondere zur Praktikabilität einer Klage, siehe Schorkopf, S. 372 ff. 246 Kühner, S. 89; ähnlich Dewost, in: Megret u. a., Le Droit de Ia CEE, S. 133 f. 247 Diesen Zusatz enthielt auch die ursprüngliche Fassung des Artikels 149 EWGY. 248 Raworth, S. 25. 249 Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 1.
II. Änderungsrecht der Kommission
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Änderungsrechts im Vordergrund steht, im Unterschied zur Prüfung des Artikels 250 Abs. 1 EGV aber weniger in inhaltlicher als vielmehr in zeitlicher Hinsicht (1.). Zum zweiten wird der in der Praxis nur selten für Aufsehen sorgenden, für die juristische Würdigung des Initiativrechts indes bedeutsamen Möglichkeit der Rücknahme eines Vorschlags nachgegangen (2.). 1. Zum Verhältnis zwischen den heiden Änderungsrechten
Die Regelung des Artikels 250 Abs. 2 EGV wird allgemein als Ausdruck der starken Stellung der Kommission gewertet, weil sich hierin ihr Recht zeigt, eine maßgebliche Rolle auch während des gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahrens und nicht nur zu seinem Beginn zu übernehmen 250. Aufgrund ihres Initiativrechts bleibt sie bis zur endgültigen Annahme des Rechtsakts befugt, ihren Vorschlag zu ändern, zu ergänzen oder zu kürzen; der geänderte Vorschlag tritt an die Stelle des ursprünglichen, der damit hinfallig wird. Die Änderung kann auch in der Vorlage eines neuen Vorschlags liegen. Mithin behält die Kommission die Herrschaft über die Beratungsgrundlage im Rat und im Parlament. Jede Änderung des Vorschlags muß durch die Kommission als Organ beschlossen werden 251 , dies kann allerdings formlos, insbesondere mündlich geschehen, wenn der in den Ratsverhandlungen vertretene Kommissar vom Kollegium entsprechend legitimiert worden ist252 . a) Motive zur Änderung eines Vorschlags Die Motive der Kommission, einen bereits eingebrachten Gesetzesentwurf zu ändern, können vielfältiger Natur sein. Im wesentlichen lassen sich folgende Fälle unterscheiden. Zum ersten kommt es vor, daß die Kommission von sich aus zu der Überzeugung gelangt, daß die Vorlage nachgebessert oder ergänzt werden muß, zum Beispiel um auf den neuesten Stand gebracht zu werden, etwa im Falle der Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Entwicklungen. Eine ähnliche Situation kann sich aufgrund einer veränderten Rechtslage ergeben. So hat die Kommission nach dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte eine große Zahl von Vorschlägen nachträglich auf Artikel 100 a EGV gestützt, die zuvor auf anderen Rechtsgrundlagen des EWG-Vertrages beruhten 253 . 250 Vgl. nur Schoo, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 189a EGV Rn. 18 mit weiteren Nachweisen. 251 EuGEI Rs. T-79 I 89, Slg. 1992-11, S. 315 (BASF I Kommission); EuGH Rs. C-137/92, Slg. 1994-1, S. 2555 (Kommission I BASF). 252 EuGH Rs. 280/93, Slg. 1994-1, S. 5054 (Deutschland I Rat). 253 Nachweise bei Wyatt/ Dashwood, S. 47.
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Zum zweiten kann die Kommission auf die Änderungswünsche reagieren, die das Parlament im Anhörungsverfahren und in den 1. Lesungen des Zusammenarbeitsverfahrens und des Mitentscheidungsverfahrens äußert254 . Wenn das Parlament Abänderungen am Vorschlag annimmt, wird die Kommission zur Stellungnahme aufgefordert, ob sie diese übernimmt 255 . Im Verhaltenskodex vom 15. März 1995 über ihre Beziehungen zum Parlament hat sich die Kommission verpflichtet, die Änderungswünsche des Parlaments soweit wie möglich zu berücksichtigen256 . Die ganz überwiegende Zahl von Änderungen ergehen in dem Bestreben, die Entscheidungsfindung im Rat zu erleichtern. Im Rat wird die abschließende Entscheidung in Verhandlungen zwischen nationalen Delegationen in Arbeitsgruppen, im Ausschuß der Ständigen Vertreter und auf Ministerebene vorbereitet. Die Verhandlungen sind auf die - schrittweise - Annahme des Kommissionsvorschlags unter Berücksichtigung der Interessen der Mitgliedstaaten gerichtet. Durch ihre Vertreter in den Verhandlungen ist die Kommission über deren Verlauf ständig infonniert257 . Auf diese Weise besteht für sie die Möglichkeit, hinsichtlich eines Vorschlags, der etwa im Ausschuß der Ständigen Vertreter auf Widerstand stößt, die Änderungswünsche des Rates zu akzeptieren und ihren Entwurf entsprechend umzugestalten. Tatsächlich übernimmt die Kommission darum zumeist die Rolle eines Verhandlungspartners der Mitgliedstaaten258 • Vor diesem Hintergrund sind die beiden Änderungsrechte der Kommission und des Rates gemeinsam zu betrachten: Der Rat kann nicht ohne weiteres einen Rechtsakt ohne Zustimmung der Kommission beschließen, weil er einstimmig handeln müßte - aber die Kommission kann ihren Vorschlag jederzeit dem jeweiligen Verhandlungsverlauf anpassen und durch eigene Änderungen den Rat vom Einstimmigkeitserfordernis befreien. Diese Kombination verdeutlicht, in welchem Maße die Rechtsetzung durch beide Organe, der Kommission als Vertreterin des Gemeinschaftswohls und des Rates als Sammelbecken der nationalen Interessen, auf Kooperation angelegt ist. Gleichzeitig wird dadurch allerdings auch der Vorstellung Raum gegeben, daß im Idealfall der einstimmige Ratsbeschluß und der in Konformität mit dem Vorschlag der Kommission ergehende Mehrheitsbeschluß gleichwertige Alternativen der Verwirklichung des Gemeinschaftsinteresses unter Wahrung der Staateninteressen seien. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht, zumal wenn sich die Vorschläge der Kommission an den erzielbaren Mehrheiten orientieren259 . Dies ist ausdrücklich in Artikel 119 Abs. 2 Euratom-Vertrag vorgesehen. Vgl. Artikel 67 Abs. 3 Geschäftsordnung des Parlaments. 256 Der den institutionellen Neuerungen 1995 angepaßte Verhaltenskodex von 1990 (BullEG 4-1990, Ziff. 1.6.1.) ist als Anlage zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zum Jahresarbeitsprogramm der Kommission abgedruckt, ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69 Nr. 2. 257 Vgl. ArtikelS Abs. 2 Geschäftsordnung des Rates: "Die Kommission ist zur Teilnahme an den Tagungen des Rates eingeladen. ( ... ) Der Rat kann jedoch beschließen, in Abwesenheit der Kommission ( ... ) zu beraten." 258 Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 410 ff. Näher in Kapitel 3 unter III. 259 Götz, S. 348. 254 255
11. Änderungsrecht der Kommission
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Die praktischen Erfahrungen belegen, daß die Kommission fast immer zur Veränderung ihres Vorschlags bereit ist, wenn hierdurch eine Beschlußfassung ermöglicht wird, ohne den ursprünglichen Sinn und Zweck des Vorschlags zu verfälschen26o • Etwas überspitzt, aber nicht unzutreffend, spricht Petite sogar von der Bereitschaft der Kommission, bis auf seltene Ausnahmefälle nicht ihrerseits (indirekt) vom Änderungsrecht des Rates Gebrauch zu machen, um eine Mehrheitsentscheidung zu verzögern oder aber zu verhindern: "L'examen de la pratique de l'artic1e 189 A paragraphe 1 (Artikel 250 Abs. 1 n. F.) indique que La Commission n'en a fait usage pour retarder ou empecher une decision majoritaire, que de fa~on extraordinairement parcimonieuse.,,261
Tatsächlich sind für den Zeitraum von 1986 - 1996 lediglich vier Vorschläge für Richtlinien zu verzeichnen, welche die Kommission in den Verhandlungen nicht geändert hat, sondern den Rat Änderungen einstimmig beschließen ließ 262 . Der äußerst zurückhaltende Rückgriff der Kommission auf dieses Zwangsmittel ist auf den Bedarf an gemeinschaftspolitischen Resultaten zurückzuführen. Wenn sich im Rat eine beschlußfähige Mehrheit für den Kommissionsvorschlag nicht erzielen läßt, andererseits aber auch keine einstimmigen Änderungen erreichbar sind, liegt es allein an der Kommission, durch entsprechende Änderungen der Beschlußfassung eine Grundlage zu bereiten. Außerdem zeigt sich darin eine grundsätzliche politische Überlegung. Um ihrer Forderung nach einer Ausweitung des Mehrheitsprinzips im Rat nicht das Wasser abzugraben, muß die Kommission den Vorwurf vermeiden, durch zu häufige Nichtänderungen an ihren Vorschlägen den Rat zur Einstimmigkeit zu zwingen. In der Zusammenschau ergibt sich somit die Bestimmung der Kommission, durch eine flexible Haltung in den Ratsverhandlungen eine Mehrheit, nicht aber die Einstimmigkeit für ihren Vorschlag zu gewinnen, was die Vornahme von Änderungen an ihrem Entwurf einschließt. Sofern trotz Änderungen am Vorschlag keine qualifizierte Mehrheit erzielbar ist, zeigt sich häufig, daß die Rolle der Kommission als Moderatorin in den Ratsverhandlungen durchaus nicht exklusiver Natur ist und ihr Vorschlag durch einen vermittelnden Entwurf aus der Mitte des Rates verdrängt wird. In der Praxis kommt es in zahlreichen Fällen, in denen eine Mehrheitsentscheidung scheitert, zu Kompromißvorschlägen vor allem der Präsidentschaft, die anschließend einstimmig im Rat verabschiedet werden 263 . Die Implikationen solcher Kompromißvorlagen für die unabhängige Ausübung des Vorschlagsrechts werden später im Detail behandelt264 • Auch wenn sich die vertragliche Formulierung des Änderungsrechts des Rates im Laufe der Vertragsänderung nicht wesentlich geändert hat265 , ist nicht zu ver260 Vgl. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 520. Näher in Kapitel 3 unter 11. 1. 261 Petite, S. 202 (Einschub und Hervorhebung d. Verf.). 262 Nachweise bei Petite, S. 202. 263 Petite, S. 202; Kapteyn/VerLoren van Themaat/GormLey, S. 411. 264 Siehe näher in Kapitel 4 unter 11.
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1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
kennen, daß die Bedeutung des Einstimmigkeitszwanges einen Wandel erlebt hat, für den neben der Ausweitung der qualifizierten Mehrheitsabstimmung die Erweiterung der Gemeinschaft und die Beteiligung des Parlaments verantwortlich zeichnen266 . Zunächst haben die Erweiterungsrunden einen indirekten Einfluß auf den Gebrauch des Artikels 250 Abs. 1 EGV ausgeübt, indem es schwieriger wurde, mittels einstimmiger Beschlußfassung eine eventuelle Weigerung der Kommission, ihren Vorschlag zu ändern, zu überwinden. Andererseits hat die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen seit der Einheitlichen Europäischen Akte den Anwendungsbereichs des Änderungsrechts vergrößert. Auf diese Weise hat sich die grundlegende Regel des Vorschlagsverfahrens herausgebildet, daß die Kommission das Gewicht ihres Vorschlags gegenüber dem Rat nur dann einsetzen kann, wenn die qualifizierte Mehrheit vorgesehen ist. Wünscht eine Mehrheit im Rat einen Beschluß, der vom Vorschlag abweicht, während ein oder mehrere Mitgliedstaat opponieren, so hängt es nur von der Kommission ab, ob der Beschluß zustande kommt. Umgekehrt hat die Kommission dieses Druckmittel nicht zur Verfügung, wenn der Rat ohnehin einstimmig über die Gesetzesvorlage beschließen muß 267 . Eine gegenläufige Entwicklung ist mit der Einführung und sukzessiven Verbreitung des Mitentscheidungsverfahrens zu beobachten, da in der Vermittlungsphase der Einstimmigkeitszwang aufgehoben, mit anderen Worten: eine Weigerung der Kommission, ihren Vorschlag zu ändern, nur in der ersten Lesung bis zur Festlegung eines gemeinsamen Standpunktes von Belang ist268 . b) Grenzen des Änderungsrechts Das Recht der Kommission zur Änderung ihres Vorschlags kann in bestimmten Fällen verfahrensmäßig oder inhaltlich eingeschränkt sein. Sofern das Parlament zum Vorschlag angehört wurde und die Kommission ihren Vorschlag anschließend wesentlich ändert, ohne damit den Änderungswünschen des Parlaments zu entsprechen, ist nach ständiger Rechtsprechung das Parlament erneut zu konsultieren 269 . Die erneute Konsultationspflicht gilt also auch für we265 Durch den Unionsvertrag ist der Vorbehalt für die Vermittlungsphase im Mitentscheidungsverfahren aufgenommen worden. Zur Geschichte des Änderungsrechts des Rates siehe Petite, S. 198 f. 266 Temple-Lang / Gallagher, The Role of the Commission, S. 12 ff. 267 Eingehend Temple-Lang / Gallagher, The Role of the Commission, S. 12 ff. 268 Hier ist Artikel 251 Abs. 3 EGV zu beachten, wonach der Rat über Abänderungen des Parlaments, zu denen die Kommission eine ablehnende Stellungnahme abgegeben hat, einstimmig beschließen muß. Diese Vorschrift bestätigt die Grundregel des Einstimmigkeitszwangs, indem sie in der zweiten Lesung einen direkten Dialog zwischen Parlament und Rat unter Ausschaltung der Kommission vermeidet. Der Vorbehalt des Artikels 250 Abs. 1 EGV gilt somit, wie vorgesehen, tatsächlich nur für das Vermiulungsverfahren. 269 Vgl. EuGH Rs. C-388/92, Sig. 1994-1, S. 2067 (Kabotage 11), ständige Rechtsprechung. Zur zweiten Befassung siehe Artikel 71 GO-EP.
II. Änderungsrecht der Kommission
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sentliche Änderungen, die nicht der Rat, sondern die Kommission vornimmt. Eine solche erneute Befassung des Parlaments erfolgt in den Verfahren der Anhörung und der Zusammenarbeit durch den Rat, der die Kommission auf die Pflicht zur zweiten Stellungnahme des Parlaments hinweisen muß 270 ; im Mitentscheidungsverfahren wird die geänderte Vorlage direkt von der Kommission an das Parlament übermitte1t271 . In den Verfahren der Zusammenarbeit und der Mitentscheidung unterliegt das Änderungsrecht der Kommission Einschränkungen, die aus dem Zusammenwirken von Rat und Parlament resultieren und eine - zeitliche - Grenze für Änderungen durch die Kommission zur Folge haben. Dabei ist vorab zu beachten, daß der Kommission gemäß Artikel 250 Abs. 2 EGV grundsätzlich Änderungen bis zur endgültigen Annahme des Rechtsaktes möglich sind, denn mit "Beschluß des Rates" im Sinne des Artikels 250 Abs. 2 EGV ist nicht die Festlegung des Gemeinsamen Standpunkts gemeint272 • Sobald sich aber Rat und Parlament über den endgültigen Text einig geworden sind - im Mitentscheidungsverfahren in der 1. Lesung 273 , durch Annahme eines Gemeinsamen Standpunktes durch das Parlament274 , durch Übernahme der Abänderungen des Parlaments in 2. Lesung des Rates 275 oder durch Annahme des gemeinsamen Entwurfs im Vermittlungsausschuß 276 - ist nach ganz überwiegender Auffassung die Kommission daran gehindert, durch eine Änderung 277 ihres Vorschlags den Erlaß des Rechtsaktes zu verhindern. Denn mit der Billigung des Gemeinsamen Standpunktes wird die Beratungs- und damit auch die Änderungsphase der Rechtsetzung beendet; der Gemeinsame Standpunkt verselbständigt sich, während sich der Vorschlag der Kommission erledigt278 . In der Literatur wird argumentiert, daß eine derart späte Änderung des Vorschlags durch die Kommission zum einen die vom Vertrag vorgesehene Rechtsfolge - die Annahme des Rechtsaktes - unmög270 Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage Artikel l89a EGV Rn. 20. 271 Auch hier hat das Fehlen der zweiten Anhörung die Nichtigkeit des Rechtsakts zur Folge. Wird vorn Rat ein Gemeinsamer Standpunkt festgelegt, ohne eine zweite Anhörung des Parlaments abzuwarten, hat der endgültig erlassene Rechtsakt wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften keinen Bestand. Näher Kühner, S. 142. 272 Nach der gegenteiligen Auffassung von Hetmeier (in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 189b EGV Rn. 10) wäre das Änderungsrecht der Kommission auf die Eingangsphase dieser Verfahren beschränkt. Gegen eine solche Beschränkung steht aber sowohl der Wortlaut des Artikels 250 Abs. 1 EGV als auch das Einwirkungsrecht der Kommission gegenüber den Abänderungen des Parlaments in 2. Lesung nach Artikel 251 Abs. 3 EGV. Näher Kühner, S.142. 273 Artikel 251 Abs. 2 2. Spiegelstr. EGY. 274 Artikel 251 Abs. 2 1. Spiegelstr. EGV, Artikel 252 b) EGY. 275 Artikel 251 Abs. 3 1. HS EGV. 276 Artikel 251 Abs. 5 EGV. 277 Oder durch Rücknahme ihres Vorschlags, dazu sogleich unter II. 2. 278 Kühner, S. 142.
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1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
lich machen und zum anderen das Gebot zur loyalen Zusammenarbeit verletzen würde279 . Schließlich ist fraglich, ob die Änderungsmöglichkeiten in beiden Verfahrensarten auch schon vor der Vermittlungsphase bzw. vor der Stellungnahme des Parlaments zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates, nämlich nach der zweiten Lesung des Parlaments inhaltlich eingeschränkt sind. Im Mitentscheidungsverfahren ist nach Artikel 251 Abs. 3 EGV bestimmt, daß die Kommission zu den Änderungen des Parlaments in seiner zweiten Lesung eine Stellungnahme abgibt. Im Zusammenarbeitsverfahren heißt es in Artikel 252 d) EGV, daß die Kommission die vom Parlament vorgeschlagenen Änderungen am Vorschlag überprüft und gegebenenfalls übernimmt. Die Frage, ob bereits in diesem Stadium der Rechtsetzungsverfahren das Änderungsrecht der Kommission darauf beschränkt ist, Änderungen nur noch im Sinne der Änderungswünsche des Parlaments vorzunehmen, ist Gegenstand eines Literaturstreits. Im Ergebnis ist nur für das Zusammenarbeitsverfahren eine solche Einschränkung des Änderungsrechts anzunehmen, nicht aber für das Mitentscheidungsverfahren. Für das Zusammenarbeitsverfahren folgt dies aus der Spezialität der Regelung des Artikels 252 d) EGV gegenüber dem allgemeinen Änderungsrecht aus Artikel 250 Abs. 2 EGV 28o• Eine solche Spezialität wird zu Recht auf den Wortlaut des Artikels 252 d) gestützt, der für ein eingeschränktes Änderungsrecht spriche81 . Auch legt das Gesamtkonzept des Kooperationsverfahrens, mit dem das Parlament eine stärkere Mitwirkung bei der Gestaltung der Rechtsakte eingeräumt werden soll, eine solche Auslegung nahe, denn wenn die Kommission auch nach der zweiten Lesung ihren Vorschlag unbegrenzt ändern könnte, wäre das Parlament doch wieder auf eine unbedeutende Vorbereitungsrolle zurückgedrängt282 • Für dieselbe Frage im Mitentscheidungsverfahren läßt sich der Wortlaut gerade nicht heranziehen; aus diesem Grunde behält hier die Kommission nach herrschender Auffassung ihr Änderungsreche83 . Die Kommission ist hier nur in der Vermitt279 Schoo, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage Artikel 189a EGV Rn. 20; ders, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 19; l\Yattl Dashwood, S. 47; Usher, S. 147; Kühner, S. 142 ff. 280 Louis, in: Louis/Waelbroeck, Le Parlement europeen, S. 93; Glaesner, Das Verfahren der Zusammenarbeit, S. 127 f. Anders Bieber, Das Verfahren der Zusammenarbeit, S. 1402, und de Ruyt, L' Acte Unique Europeen, S. 132. 281 Nach allgemeinem Sprachgebrauch schließt die Aufforderung, eine Stellungnahme "unter Berücksichtigung" der Änderungswünsche des Parlaments abzugeben, nicht zwingend aus, weitere Änderungen vorzunehmen. Vor allem aber die französische Fassung (a partir des amendements proposes) wird überwiegend so verstanden, vgl. dazu Jacque, in: Constantinesco I Jacquet Kovar I Simon, Traite instituant l'Union Europeenne, Artikel 149 EGV Rn. 9. 282 Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage Artikel 189c EGV Rn. 34. 283 Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage Artikel 189b EGV Rn. 44 f.; Kühner, S. 144; Usher, S. 147; Kluth, in: Calliess/Ruffert, EU-/EGKommentar, Artikel 251 EGV Rn. 14.
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lungsphase zwischen Parlament und Rat eingeschränkt, ansonsten bleibt es bei der Änderungsbefugnis nach Artikel 250 Abs. 2 EGV284 . 2. Die Rücknahme von Vorschlägen
Die Kommission hat in der Vergangenheit in bestimmten Situationen und unter bestimmten Voraussetzungen einen dem Rat unterbreiteten Vorschlag wieder zurückgenommen. Unter Rücknahme des Vorschlags wird im folgenden die einseitige Willenserklärung der Kommission verstanden, daß ein fertig ausgearbeiteter Gesetzesentwurf nicht mehr weiter behandelt werden soll, sondern aus dem Rechtsetzungsverfahren genommen wird. Im institutionellen Gefüge kommt einem möglichen Recht auf Rücknahme eine Schlüssel bedeutung zu, weil es damit der Kommission anheim gestellt wäre, aus eigener Kompetenz ein Rechtsetzungsverfahren für beendet zu erklären und sie kraft ihres Initiativmonopols allein über dessen Wiederaufnahme entscheiden kann. Angesichts der gelegentlichen Praxis wurde das Rücknahmerecht auf Gemeinschaftsebene zwar schon diskutiert, ist aber noch nicht konkreter Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen Kommission und Rat vor dem Europäischen Gerichtshof gewesen. In der einschlägigen Literatur wird das Rücknahmerecht zum großen Teil nur am Rande erwähnt, was nicht nur wegen seiner Funktion, sondern auch insofern bemerkenswert ist, als die vereinzelten Auffassungen deutlich auseinanderfallen. a) Rechtsgrundlage für die Rücknahme Von grundlegender Bedeutung ist bereits der Ausgangspunkt, daß der EG-Vertrag285 keine Bestimmung und auch keine eindeutigen Hinweise enthält, ob die Rücknahme eines Vorschlags überhaupt zulässig ist. Usher spricht insoweit von der surprising si/ence of the treatiei 86 und bei Glaesner findet sich der beiläufige Hinweis, daß sich die Rücknahme von Gesetzesentwürfen im Laufe der Zeit in der Praxis der Gemeinschaft entwickelt habe287 . Da nimmt es nicht wunder, daß mehrere Rechtsgrundlagen in Betracht gezogen werden. Nach Schoo und Gilsdorfbildet die Rücknahme die stärkste Form der Änderung eines eigenen Vorschlags und 284 Ein unbegrenztes Änderungsrecht nur für den Zeitraum bis zur Annahme eines Gemeinsamen Standpunktes anzunehmen, ist demgegenüber nicht gerechtfertigt, da nach der Terminologie des Vertrags mit "Beschluß" im Sinne des Artikels 250 Abs. 2 EGV eben nicht der Gemeinsame Standpunkt, sondern die endgültige Annahme des Rechtsakts gemeint ist. A. A. Hetmeier, in: Lenz, EG-Vertrag Artikel 189b EGV Rn. 10. 285 Gleiches gilt für den Euratom-Vertrag und den EGKS-Vertrag. 286 Usher, S. 156. 287 Glaesner, Willensbildung und Beschlussverfahren, S. 26.
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ist in entsprechender Anwendung des Artikels 250 Abs. 2 EGV zu prüfen 288 • Die mehrheitliche Auffassung geht aber davon aus, daß das Rücknahmerecht die Kehrseite des Vorschlagsrechts sei und außerdem das Gegenstück zum Recht des Rates auf Ablehnung eines Vorschlags bilde289 . Schließlich wird das Rücknahmerecht aus der Kombination des Änderungsrechts und eines weit verstandenen Initiativmonopols hergeleitet290 . Ein Umkehrschluß dergestalt, daß aus dem Fehlen eines Verbots die Zulässigkeit der Rücknahme zu schließen sei, wird an keiner Stelle erwogen 291 . Dem würde wohl auch das Gebot der ausdrücklichen Kompetenzzuweisung entgegenzuhalten sein292 • Die unterschiedliche Begründung des Rücknahmerechts setzt sich in einer unterschiedlichen Beurteilung seines zulässigen Umfangs fort. b) Rücknahme zur Änderung eines Vorschlags Unbestritten ist, daß die Kommission - im Rahmen der umrissenen Grenzen berechtigt ist, einen Vorschlag zur Änderung zurückzunehmen und einen neuen Vorschlag an seiner Statt vorzulegen. Hiermit macht die Kommission lediglich von ihrem Änderungsrecht Gebrauch, denn die sogenannte Totaländerung ist durch Artikel 250 Abs. 2 EGV gedeckt293 . Die Unbedenklichkeit einer Rücknahme zur Änderung folgt auch daraus, daß es für das weitere Verfahren wohl keinen Unterschied machen kann, ob die Kommission einen bereits vorgelegten Entwurf entsprechend umformuliert oder diesen durch einen neuen Vorschlag ersetzt. c) Ersatzlose Rücknahme eines Vorschlags Die eigentliche Frage ist, ob die Kommission einen bereits eingebrachten Vorschlag ersatzlos zurückziehen kann, weil dann dem Rat und dem Parlament die Grundlage zur Beschlußfassung fehlen würde. Mithin schwebt über der Untersuchung des Rücknahmerechts die Entscheidung darüber, ob die Kommission ein ungeschriebenes Vetorecht besitzt, um ein laufendes Rechtsetzungsverfahren zu 288 Schoo, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 189b EGV Rn. 18; Gilsdorf, S. 91. 289 Harnier; in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EG-Kommentar, 4. Auflage, Artikel 149 EGV Rn. 11; Wyatt/Dashwood, S. 48; Schorkopf, S. 373; Dewost, in: Megret u. a., Le Droit de la CEE, 1979, vol. 9, S. 135 f.; Schweitzer; in: Grabitz/Hilf, Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Auflage, Artikel 149 EGV Rn. 11; Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 45. 290 Kühner; S. 120. 291 Vgl. aber Troßmann, S. 773 (Rn. 8), zur Parallelfrage im deutschen Verfassungsrecht. Siehe hierzu am Ende dieses Abschnitts. 292 Vgl. dazu Oppermann, Europarecht, Rn. 516 ff. 293 Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 14.
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stoppen, denn der von ihr vorgelegte Vorschlag ist gleichermaßen für die Ingangsetzung conditio sine qua non wie für eine abschließende Entscheidung. Zur Untersuchung eines solchen - versteckten - Vetorechts ist zwischen den verschiedenen Situationen zu unterscheiden, die die Kommission zur Rücknahme veranlassen können. aa) Rücknahme nach Untätigkeit des Rates Die erste Fallgruppe betrifft die Rücknahme solcher Vorschläge, nach deren Vorlage der Rat untätig geblieben ist. Die Kommission nimmt seit Ende der 70er Jahre reihenweise Vorschläge, die im Rat oder seinen Gremien nicht innerhalb einer ihr angemessen scheinenden Frist behandelt wurden, zurück und gibt hierüber per Mitteilung im Amtsblatt formell Auskunft294 . Den Beschluß über den Rückzug eines Vorschlags fällt nicht ein einzelnes Kommissionsmitglied, sondern genauso wie über die Vorlage das Kollegium295 . In zwei Antworten auf schriftliche Anfragen aus dem Europäischen Parlament hat die Kommission zunächst dargelegt, daß sie die Weiterbehandlung der Vorschläge durch den Rat regelmäßig überprüfe, dem Parlament über das Ergebnis der Prüfung Mitteilung mache und anschließend über die eventuelle Zurückziehung entscheide296 . Wenig später hat die Kommission erklärt, daß sie die Rücknahme als eine Begleiterscheinung des Initiativrechts betrachte, zu deren Ausübung ebenfalls das Gemeinschaftsinteresse das entscheidende Kriterium see97 . Dieser Erklärung ist entnommen worden, daß die Kommission sich in jedem Verfahrensstadium zur Rücknahme berechtigt sehe: "La Commission defend une conception large de son monopole d'initiative; elle considere que son droit d'initiative est assorti d'un ,droit de retrait', a tous les stades de la procedure, de sa proposition. ,,298
Die Übung der Kommission, vom Rat nicht behandelte Vorschläge wieder zurückzunehmen, ist in rechtlicher Hinsicht nie in Frage gestellt worden. Schon die Formulierung des Motivs - die Kommission sehe sich angesichts der Untätigkeit des Rates zur Rücknahme genötigt299 - weist darauf hin, daß als wahrer Urheber 294 Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission vom 11. 12.2001 über "Vorschläge, die von der Kommission zurückgezogen werden - Überholte Vorschläge", KOM-Dok. 2001 Nr. 763 endg. Zum Beginn dieser Praxis vgl. Ehlermann, S. 345 (Fn. 26). 295 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 47. 296 Schriftliche Anfrage Nr. 154 I 85 von Toksvig an die Kommission: Position der Kommission zu alten Vorschlägen für Rechtsakte, ABI. 1985 Nr. C 233, S. 23. 297 Schriftliche Anfrage Nr. 2422 I 86 von Herman an die Kommission: Rücknahme von Vorschlägen durch die Kommission, ABI. 1987 Nr. C 220, S. 6. 298 Doutriaux, S. 176. Ebenso Raworth, S. 25 (Fn. 172). 299 So Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 45.
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dieses Phänomens nicht die Kommission, sondern der Rat ausgemacht wird. In der Tat kann die Rücknahme unbehandelter Vorschläge nicht den Vorwurf der Blokkade des Rechtsetzungsverfahrens begründen, da nicht diese Entscheidung, sondern die Untätigkeit des Rates das Zustandekommen des Rechtsaktes verhindert. Bereits aus diesem Grunde scheint es gerechtfertigt, ohne das Bestehen eines Rücknahmerechts im einzelnen zu prüfen - mithin ohne das in den Stellungnahmen der Kommission geäußerte Selbstverständnis zu würdigen -, das Zurückziehen für diese Fallgruppe für zulässig zu halten. Zwar ließe sich einwenden, daß ohne grundsätzliche Klärung der Rechtslage eine Beurteilung unzulässig sei, weil das Verhalten der Kommission insofern nicht ohne jede Wirkung bleibt, als es nach der Rücknahme dem Rat verwehrt ist, von sich aus die Verhandlungen - zu einem ihm passend erscheinenden Zeitpunkt - aufzunehmen. Allerdings geht dieser Einwand wohl zu weit, nämlich an der rechtspolitischen Wirklichkeit vorbei. Wenn der Rat die Beratung nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht eröffnet hat und auch nicht zu erkennen gibt, daß er Verhandlungen aufnehmen will, stellt die Rücknahme eine Formalität dar, zu deren Anerkennung eine Entscheidung über das Rücknahmerecht nicht vonnöten ist. Zur Untermauerung eines solches Verständnisses läßt sich hinzufügen, daß die Rücknahme liegengebliebener Vorschläge wohl regelmäßig geeignet ist, die durch die Untätigkeit des Rates entstehende Unsicherheit zu beseitigen, weil zumindest darüber Klarheit herrscht, daß es in absehbarer Zeit zu keiner Rechtsetzung in dem vom Vorschlag umfaßten Bereich kommt. Im übrigen machte es schlechterdings keinen Sinn, wenn die Kommission solche Entwürfe nicht aus eigener Kraft vom Tisch nehmen dürfte, die offenkundig nicht zur Beratung angenommen werden, weil nicht erkennbar ist, wer ein Interesse daran haben sollte, daß sie wie zum Schein auf der Tagesordnung bleiben. In diesem Zusammenhang ist schließlich auf jene zahlreichen Fälle hinzuweisen, in denen die Kommission Rechtsaktentwürfe aufgrund von - im Rat oder von Seiten der Mitgliedstaaten geltend gemachten - Bedenken an ihrer Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip zurücknimmt, wobei es an dieser Stelle nicht darauf ankommt, ob die Kommission die Bedenken für stichhaltig erachtet, sondern nur darauf, daß diese die Beratung und Beschlussfassung über die Vorlage praktisch ausschließen. Nach der Einführung des Subsidiaritätsgebots mit dem Maastrichter Unionsvertrag hatte die Kommission von sich aus eine ganze Reihe von Vorschlägen zurückgezogen 3OO • In ihrem an den Europäischen Rat adressierten Bericht "Gemeinsam Verantwortung übernehmen" über eine bessere Rechtsetzung hatte die Kommission unter anderem ausgeführt, daß sie das Subsidiaritätsprinzip und die Vorgaben des mit dem Amsterdamer Vertrag in Kraft getretenen Subsidiaritätsprotokolls strikt einhalte301 . Die deutsche Bundesregierung hat der Kommission Vgl. hierzu Schröter; S. 20 ff., mit zahlreichen Nachweisen. Darin erklärt die Kommission, daß sie die Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips und des hierzu ergangenen Protokolls als "Anweisungen" verstehe. Eine bessere Rechtsetzung: "Gemeinsam Verantwortung übemehmen", Europäische Kommission, KOM (1998) 715 endg., S. 15. 300 301
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beispielsweise in ihren Subsidiaritätsberichten für die Jahre 1999 und 2000 bescheinigt, daß seit 1995 die Verstöße kontinuierlich zurückgegangen seien. Außerdem ist den jährlichen Berichten der Bundesregierung regelmäßig dokumentiert, welche Vorschläge auf Subsidiaritätsbedenken hin abgeändert und ganz oder in Teilen von der Kommission zurückgezogen worden sind302 • bb) Rücknahme gegen den Willen des Rates Eine gründlichere Ausleuchtung erfordern die Fälle, in denen die Kommission ihren Gesetzesvorschlag nach Beginn der Verhandlungen im Rat und, mehr noch, gegen dessen Willen zurückgenommen hat. Anders als bei liegengebliebenen Vorschlägen beendet ein solches Verhalten einseitig ein anhängiges Rechtsetzungsverfahren. Am Anfang steht die grundsätzliche Berechtigung der Kommission. Noch vor der Begründung der Rücknahme als extremster Form der Änderung eines Vorschlags dominiert hier eine weite Auslegung ihrer MonopolsteIlung. Da alleine die Kommission ein Rechtsetzungsverfahren in Gang setzen kann, so heißt es bei Kühne?03 und Schorkopl04, sollte sie auch in der Lage sein, als actus contrarius ein Verfahren abzubrechen. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, das exklusive Vorschlagsrecht bliebe unvollständig, wenn die Kommission einen Vorschlag, den sie nach seiner Einbringung nicht länger für angemessen erachte, nicht zurücknehmen dürfe 305 . Ebendiese Überlegung scheint das Urteil Fediol des Gerichtshofs an versteckter Stelle zu bestätigen, ohne allerdings für den Verfahrensausgang von Relevanz gewesen zu sein. Im Zusammenhang mit der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission, dem Rat Vorschläge für Maßnahmen zum Schutz vor gedumpten oder subventionierten Einfuhren aus Drittstaaten vorzulegen, fügt der Gerichtshof an, es sei der Kommission ,,( ... ) im übrigen unbenommen, ihren Vorschlag zurückzuziehen oder zu ändern, solange der Rat noch nicht entschieden hat, wenn sie aufgrund einer neuen Beurteilung der Interessen der Gemeinschaft den Erlaß von Schutzmaßnahmen für überflüssig hält.,,306
Trotz seiner Kürze lassen sich diesem Hinweis - der soweit ersichtlich bislang vereinzelt geblieben ist - zwei Feststellungen entnehmen, auf denen eine ausführ302 Vgl. hierzu die Berichte vom 18. 8. 2000, Bundestag-Drucksache 14/4017, S. 1, und vom 5.10.2001, Bundestag-Drucksache 1417130, S. 9 f. Näher hierzu in der Schlussbetrachtung dieser Arbeit unter IV. I. 303 Kühner, S. 120. 304 Schorkopf, S. 373. 305 So ausdrücklich Wyatt/Dashwood, S. 48. 306 EuGH Rs. 188/85, Sig. 1988 S. 4193, Entscheidungsgrund 37 (FEDIOLI Kommission). (Hervorhebung d. Verf.)
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liche Betrachtung aufbauen kann. Grundlegend ist, daß die Kommission sich bei ihrer Entscheidung zur Rücknahme vom Gemeinschaftsinteresse leiten lassen muß. Sie muß "aufgrund einer neuen Beurteilung der Interessen der Gemeinschaft" Veränderungen feststellen, die zum Wegfall des Regelungsbedarfs führen. Zum zweiten weist die Formulierung "solange der Rat noch nicht entschieden hat" darauf hin, daß eine solcherart begründete Rücknahme in zeitlicher Hinsicht, genau wie der Einsatz ihres Änderungsrechts, bis zur endgültigen Beschlußfassung gestattet ist. Freilich werfen beide Folgerungen mehr Fragen auf als sie beantworten; da der Gerichtshof den Rückzug nur en passant erwähnt hat, ist nicht ausgeschlossen, daß es weitere Grenzen zu beachten gilt, deren Überschreitung eine einseitige Rücknahme unzulässig machen würde. Die Verpflichtung, eine Rücknahmeentscheidung am Gemeinschaftsinteresse auszurichten, wird auch im Schrifttum betont307 . Positiv formuliert folgt hieraus, daß der Rückzug nicht nach Gutdünken, sondern mit der objektiv nachvollziehbaren Begründung vorzunehmen ist, der geplante Rechtsakt sei durch eine Veränderung der zugrundegelegten Ausgangslage entweder entbehrlich oder aber gegenstandslos geworden. Darüber hinaus konkretisiert sich die Bindung an das Gemeinschaftsinteresse im Verbot der Provokation vertragswidriger Untätigkeit. Die Rücknahme kann dann zu einem Untätigkeitsvorwurf führen, wenn sich für die Kommission aus dem Gemeinschaftsrecht die Pflicht zur Vorlage ergibt. Dann würde die ersatzlose Rücknahme den Vorwurf der Vertragsverletzung begründen, da hierdurch der gemeinschaftsrechtliche status quo ante wiederhergestellt, also die Vorlagepflicht wiederaufleben würde. Aber nicht nur im Falle ihrer eigenen Verpflichtung läßt sich argumentieren, daß die ersatzlose Rücknahme ausgeschlossen bleibt. Auch wenn der Rat zur Beschlußfassung verpflichtet ist, dürfte die Kommission nicht ersatzlos zurückziehen, da sie dem Rat die zur Erfüllung seiner Verpflichtung notwendige Vorlage verweigern würde 308 . Nach Schmitt von Sydow würde in einem solchen Fall auch dem Rat selbst eine Vertrags verletzung vorzuwerfen sein können: "Der Rückzug (eines Vorschlags) darf nicht zu einer vertragswidrigen Untätigkeit der Kommission oder auch des Rates führen, weil beispielsweise eine Pflicht zum Handeln sich aus den sachlichen Umständen oder aus einem anderen Rechtsakt ergibt.,,309 Dies scheint indessen zumindest dann zweifelhaft, wenn dessen Untätigkeit nachweislich auf das Verhalten der Kommission zurückzuführen ist, da es dem Rat möglich sein muß, sich mit der fehlenden vorrangigen Mitwirkung der Kommission zu exkulpieren3\O. Auch hatte der GerichtsWyatt/Dashwood, S. 48; Petite, S. 202. Siehe hierzu bereits unter I. 2. a). 309 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 45 (Einschub d. Verf.). 310 Vgl. hierzu Rengeling / Middeke / Gelle111UJnn, Rn. 239, wonach bei einer Untätigkeitsklage die Mitwirkungspflicht eines anderen Organs keine Frage der Begründetheit, sondern eine der Zulässigkeit ist: "Fehlt es an der vorrangigen Mitwirkung, scheitert die Klage bereits in der Zulässigkeit, wenn das nachfolgend tätig werdende Organ verklagt wird." 307
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hof im Verkehrsurteil die Verurteilung des Rates wegen vertragsverletzender Untätigkeit damit begründet, daß sich aus dem Vertrag eine objektiv bestimmbare Handlungspflicht ergebe und die Kommission die erforderlichen Vorschläge vorgelegt habe 311 • Die weder im Schrifttum noch im Fediol-Urteil präzisierte Bindung einer Rücknahmeentscheidung an das Gemeinschaftsinteresse löst eine Folge von Rechtsfragen aus, die um ihre Begründung und den Zeitpunkt ihrer Vornahme kreisen. Die Feststellung des Gerichtshofs, daß die von der Kommission konstatierte Überflüssigkeit des geplanten Rechtsakts eine Rücknahme erlaubte, gibt nicht zu erkennen, ob diese auch anders gerechtfertigt werden kann als mit dem Wegfall des Handlungsbedarfs. Und die zeitliche Eröffnung einer Rücknahme bis zur Beschlußfassung deutet darauf hin, daß die Kommission noch nach den Gesetzeslesungen und gegebenenfalls im Rat einstimmig vorgenommenen Änderungen ihren Vorschlag zurücknehmen berechtigt ist. Beide Feststellungen zusammen kulminieren in concreto in der Frage, ob die Kommission zurücknehmen darf, wenn und weil sie mit im Rat vorgenommenen Änderungen nicht einverstanden ist. An diesem Punkt bildet sich eine grundSätzliche Auseinandersetzung zwischen der Position des Rates auf der einen Seite und der ihren Vorschlag verteidigenden Kommission andererseits heraus. Im Widerstreit stehen das Änderungsrecht des Rates und ein eventuell fortbestehendes Rücknahmerecht. Wenn die Kommission ihren Vorschlag aus Unzufriedenheit mit der Weiterbearbeitung zurücknehmen dürfte, liefe dies auf die Anerkennung eines Vetorechts ohne ausdrückliche vertragliche Grundlage hinaus. Vor allem aber wäre ihr mit einem solchen Rücknahmerecht ein Mittel bereit gestellt, unter Androhung der Rücknahme den Rat von Änderungen abzuhalten und zur Verabschiedung ihres ursprünglichen Entwurfs zu veranlassen. Damit gerät das für das Rechtsetzungssystem stil bildende Gleichgewicht zwischen den nationalen Interessen und dem Gemeinschaftsinteresse auf den Prüfstand. An den wenigen Stellen, an denen in der Literatur ein solches Szenario Andeutung findet, wird interessanterweise nicht von der Rücknahme aufgrund weggefallenen Handlungsbedarfs unterschieden, sondern kurzerhand die nämliche Lösung empfohlen. (1) Meinungsstand in der Literatur
Mit der gleichen Begründung, mit welcher der Gerichtshof zur Entbehrlichkeit führende Umstände als möglichen Rücknahmegrund erwähnt hat, erklärt eine Reihe von Autoren den Rückzug auch für zulässig, wenn der Rat im Begriff sei, den Vorschlag so zu ändern, daß dieser über das ursprüngliche Ziel hinausschießt und ihn in einer Richtung verformt, die dem Gemeinschaftsinteresse widerspriche 12 . EuGHRs. 13/85,Slg. 1985,S. 1513 (EP/Rat). Vgl. Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, ÄItikel 155 EGV Rn. 45; Gilsdorf, S. 92; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zum EWG311
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1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
Dieses Zusammenlesen erscheint insofern überraschend, als nur im ersten Grund dem fehlenden Handlungsbedarf - eine objektive Komponente sichtbar wird, die eine Parallele zum Wegfall der Geschäftsgrundlage nahe legt und insgesamt nicht auf einen inter-institutionellen Konflikt hinweist. In offenbarem Kontrast hierzu bedeutet die Annahme einer Rücknahmeberechtigung nach Änderungen des Rates, diese auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht - namentlich mit der aus Artikel 250 Abs. I EGV zu folgernden begrenzten Zulässigkeit von Änderungen zu untersuchen und zu verwerfen. Ein solches Prüfungsrecht ist aber auf einen inter-institutionellen Konflikt geradezu angelegt. Diese Problematik wird von der einschlägigen Literatur nicht übersehen, sondern au contraire in das Zentrum der Argumentation gerückt. Die Gleichstellung von Rücknahmen infolge der Veränderung objektiver Umstände und aufgrund einer subjektiven Rechtsauffassung der Kommission erklärt sich mit der Absicht, eine echte Gleichberechtigung herzustellen und hierfür ein System der gegenseitigen Abschreckung zu installieren: Es diene das Rücknahmerecht in erster Linie dazu, ein Gegengewicht zu der Gefahr eines Mißbrauchs des Änderungsrechts des Rates zu schaffen313 • Sofern die Kommission die Überzeugung gewinnt, daß der Rat seine Änderungsbefugnis überschreitet, soll sie nicht nach Abwarten der endgültigen Beschlußfassung auf den Klageweg verwiesen sein, sondern den Erlaß des Rechtsaktes aus eigener Kraft verhindern können. Es überrascht nicht, daß die Kommission sich diese Auffassung zu eigen gemacht und in der Vergangenheit Vorschläge mit der Erklärung zurückgenommen hat, die vom Rat vorgenommenen Änderungen entzögen ihrem Entwurf jeden beabsichtigten Inhalt und seien darum unzulässig 314 . Ein Beispiel ist der Vorschlag über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten (Erasmus-Programm), den die Kommission erst zurückgezogen 315 und später, nach einer schriftlichen Anfrage aus dem Parlamene 16, in veränderter Form erneut vorgelegt hat 317 . Und obgleich die Rücknahme für einige Verärgerung sorgte - auch nachdem Kommissar Marin die Motivation der Kommission in einer Erklärung vor dem Rat erläuterte318 -, wurde sie in rechtlicher Hinsicht bislang nicht ausdrücklich angezweifelt.
Vertrag, 2. Auflage, Artikel 149 EGV Rn. 11. Differenzierend Wyatt/ Dashwood, S. 48; Dewost, in: Megret u. a., Le Droit de la CEE, S. 135 f. 3I3 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlennann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 35; Bieber; Legislative Procedure, S. 712; Gilsdorf, S. 92 f.; Schorkopf, S. 373. 314 Raworth, S. 25. 315 ABI. 1987 Nr. L 166, S. 20. 316 Schriftliche Anfrage Nr. 2421 186 von Herman an die Kommission: Neuvorlage des Vorschlags für das ERASMUS-Programm, ABI. 1986 Nr. C 157, S. 40. 317 ABI. 1987 Nr. C 157, S. 40. 318 Siehe Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 416 (Fn. 457).
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(2) Stellungnahme
Dabei scheint nicht selbstverständlich zu sein, daß die mit rechtswidrigen Änderungen des Rates begründete Rücknahme vor dem Gerichtshof Bestand haben würde. Jedenfalls genügte es sicher nicht, allein auf die Rolle der Kommission als "Hüterin der Verträge" abzustellen. Zwar zählt zu ihren Aufgaben, mittels ihrer justiziellen und sonstigen Kontrollrechte für die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts Sorge zu tragen 319 , doch steht bei genauem Hinsehen nicht bloß ein ungeschriebenes Kontroll- oder Blockaderecht zur Debatte, welches mit dem Änderungsrecht des Rates in Kollision gerät. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Kommission allein mit der Erklärung, der Rat handele rechtswidrig, ihren Vorschlag zurücknehmen darf. Die Rechtmäßigkeit der Rücknahme kann nämlich nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Rat tatsächlich seine Änderungsbefugnis verletzt hat, weil nicht die Kommission, sondern allein der Gerichtshof zuständig ist, eine abschließende Beurteilung vorzunehmen. Mithin wäre im Zeitpunkt ihrer Vornahme die auf angeblich rechtswidrige Änderungen gestützte Rücknahmeentscheidung - welche vollendete Tatsachen schafft, da sie das Rechtsetzungsverfahren beendet - gar nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprütbar. Folglich ließe sich von Seiten der Kommission im Verfahren auch nicht isoliert vortragen, daß sie zur Verhinderung des Mißbrauchs des Änderungsrechts zur Rücknahme berechtigt sein müsse. Trotz dieser Bedenken spricht manches dafür, daß die Kommission eine Rücknahmeentscheidung zulässigerweise auf die Behauptung der Verletzung des Änderungsrechts stützen kann. Denn in der damit erforderlichen Begründung liegt eine Entscheidungsbindung, die sich letztlich als Ausrichtung am Gemeinschaftsinteresse interpretieren läßt, wie sie im Fediol-Urteil erkennbar und im Schrifttum zu Recht gefordert wird und wie sie auch mit der Rolle der Kommission als Hüterin der Verträge in Einklang steht. Der Konflikt mit dem Interesse des Rates an einer Verabschiedung des von ihm abgeänderten Gesetzesentwurfs läßt sich zumindest teilweise durch die Annahme einer Konsultationspflicht entschärfen, damit der Rat rechtzeitig auf die Bedenken der Kommission aufmerksam gemacht ist und sie in seine Verhandlungen einbeziehen kann. Ohne Zweifel stellt die Bindung der Kommissionsentscheidung an das Gemeinschaftsinteresse die Kardinalfrage der Rücknahmeproblematik dar, weil dieses an keiner Stelle definiert ist und daher für den Einzelfall ausgelegt werden muß. Das von Schmitt von Sydow als negative Folge ausdrücklich hierunter gefaßte Verbot vertragswidriger Untätigkeit des Rates 320 bedeutet ja nicht mehr als den AllFür einen Überblick siehe Oppermann, Europarecht, Rn. 365 ff. Schmitt von Sydow in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 46. 319
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gemeinplatz, daß eine Rücknahme nicht in Frage kommen kann, wenn die Kommission dadurch ihre eigenen Pflichten verletzte und würde mit Sicherheit auch gelten, wenn einer Rücknahmeentscheidung im übrigen keinerlei Einschränkung vorgegeben wäre. Die Maßgabe, eine Entscheidung im Sinne des Gemeinschaftsinteresses zu treffen, kann deswegen nicht nur die Beachtung eigener Vertragstreue umfassen, sondern weist darüber hinaus auf einen Beurteilungsspielraum hin. So kristallisiert sich heraus, daß mit dem Auftrag, im wohlverstandenen Interesse der Gemeinschaft zu entscheiden, nur die umfassende Aufgabe bezeichnet sein kann, die zu einem Ausgleich zu bringenden Belange Rechtsetzungsbedarf und Rechtsetzungsinhalt aus Sicht der Gemeinschaft gegeneinander abzuwägen. In diese Abwägung fließt automatisch die Würdigung der Änderungen mit ein, die der Rat vornimmt, da ein Mißbrauch des Änderungsrechts dem Gemeinschaftsinteresse widersprechen würde. Im Ergebnis bedeutet diese Schrittfolge, daß die Kommission trotz der in der Vorlage eines Vorschlags zum Ausdruck kommenden Bejahung des Rechtsetzungsbedarfs dann von ihrem Rücknahmerecht Gebrauch machen kann, wenn sie dafür hält, daß der endgültige Rechtsetzungsinhalt wegen vertrags verletzender Abänderungen nicht mehr im Interesse der Gemeinschaft stehen würde. Die Koppelung der Rücknahme an eine solche Begründung wird auch der hinter der Bindung an das Gemeinschaftsinteresse stehenden Vorsorge gerecht, einen Vorschlag nicht nach Belieben zurücknehmen zu können und die bisherige Arbeit des Rates zur Makulatur werden zu lassen. Für die praktische Zusammenarbeit ist allerdings zu verlangen, daß die Kommission den Rat stets rechtzeitig auf ihre Bedenken aufmerksam macht und ihn auffordert, durch Streichung der kritisierten Änderungen Abhilfe zu schaffen. Für einen Anspruch des Rates auf vorherige Konsultation fehlt zwar eine passende Rechtsgrundlage, genauso wie die Kommission den Rat auch nicht konsultieren muß, bevor sie einen Vorschlag vorlegt. Doch läßt sich die Konsultationspflicht damit begründen, daß diese - schon wegen der Bedeutung des Rückzugs - politisch unerläßlich ist und sich im Grunde auch aus der Natur der Sache ergibt; schließlich kommt nur die rechtzeitige Drohung mit einer Rücknahme dem eigentlichen Ziel der Kommission entgegen, den Rat zur Verabschiedung des ursprünglichen Vorschlags zu bewegen 321 . Es ist nicht klar, ob die Kommission zu einer generellen Konsultation des Rates vor Rücknahme bereit ist. Im Verhaltenskodex vom 15. März 1995 hat sie ohne jede Spezifikation kundgetan: "Die Kommission verpflichtet sich, das Europäische Parlament und den Rat vorab von der Zurückziehung ihrer Vorschläge zu unterrichten.,,322
321 So auch Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 47. 322 ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69 (Nr. 3.9).
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In der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Parlament und der Kommission vom 5. Juli 2000323 , die den Verhaltenskodex aktualisiert und in der Anlage I spezifische Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in den Legislativverfahren enthält324, ist diese Passage wortgleich übernommen worden325 . Die Absolutheit der Formulierung läßt - ungewollt oder ganz bewußt zwei Lesarten zu. Vermutlich ist sie darauf zurückzuführen, daß die verschiedenen Motive zur Rücknahme nicht berücksichtigt und in erster Linie solche Vorschläge gemeint sind, die wegen Untätigkeit des Rates liegengeblieben sind. Es läßt sich deshalb annehmen, daß die Selbstbindung der Kommission ihre Bereitschaft einschließt, vor jeder wie auch immer veranlaßten Rücknahme Rücksprache zu halten. Gewiß nicht erklärt ist aber, daß die Kommission umkämpfte Gesetzesvorlagen nur im Einverständnis mit den übrigen Legislativorganen zurücknehmen würde. Vielmehr läßt sich die vordergründig zu begrüßende Bereitschaft zur Vorabinformation durchaus auch als Fingerzeig in die entgegengesetzte Richtung interpretieren; die Selbstverpflichtung zur Unterrichtung erscheint dann vor allem als die Demonstration des Selbstbewußtseins, die Mitgliedstaaten beizeiten von der bereits gefallten Entscheidung zum Abbruch des Rechtsetzungsverfahrens in Kenntnis zu setzen. Unbeschadet dieser ambivalenten Interpretationsmöglichkeiten hat die Annahme einer Konsultationspflicht für sich, daß auf diese Weise dem Rat Gelegenheit gegeben wäre, eine Kompromißlösung anzustreben. Die Suche nach einem sachgerechten Ausgleich soll indessen nicht verschleiern, daß die Prüfung bis hierher zum Zwischenergebnis führt, daß sich zumindest theoretisch die Kommission in einer starken Position befindet, weil sie grundsätzlich mit der definitiven Ablehnung des Gesetzesvorhabens drohen kann. Die zugunsten der Kommission ausfallende juristische Bewertung aber darf wiederum nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich in der politischen Wirklichkeit auf beiden Seiten erhebliche Kräfte entfalten, um es gar nicht erst zu einem solchen showdown kommen zu lassen. Wie im nächsten Kapitel skizziert werden soll, reduziert die praktische Zusammenarbeit die Gefahr eines solchen Konflikts auf extreme Ausnahmefalle wie den ErasmusVorschlag, weil die Kommission eine Rücknahme immer nur als ultima ratio erwägen kann326 . Bulletin EU 7/8 - 2000, Teil 2 (Dokumentation). Ziel der Vereinbarung, durch die der 1990 angenommene und 1995 geänderte Verhaltenskodex angepasst werden soll, ist die Stärkung der Verantwortlichkeit und Legitimität der Kommission, der Ausbau des konstruktiven Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen den heiden Organen, die Verbesserung des Informationsflusses und die Konsultation und Unterrichtung des Europäischen Parlaments zu den administrativen Reformen innerhalb der Kommission. Der Vereinbarung sind drei Anlagen beigefügt, die das Legislativverfahren, internationale Übereinkommen und die Erweiterung sowie Übermittlung der vertraulichen Informationen an das Europäische Parlament betreffen. Näher hierzu in Kapitel 8. 325 Anlage I: Spezifische Vereinbarungen über das Legislativverfahren, Punkt 9. 326 Siehe sogleich in Kapitel 3 unter 11. 323
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Hinzu kommt, daß selbst in den raren umstrittenen Fällen sich zumindest mit Verzögerung fast immer eine gemeinsame Lösung erzielen läßt, wie nicht nur der alsbald erneuerte Vorschlag zum Erasmus-Prograrnm illustriert. Der Rat hat es jedenfalls bislang vermieden, juristisch gegen eine mit zu weitgehenden Änderungen begründete Rücknahme vorzugehen. Vielleicht hat er sich dabei von der Einsicht leiten lassen, daß die eingangs erwähnte Gefahr einer ernsthaften institutionellen Krise beträchtlich wäre. Wahrscheinlicher scheint jedoch - wie gesagt -, daß sich die Gefahr einer Rücknahme im Dissens praktisch ausschließlich in der politischen Sphäre zwischen Rat und Kommission bewegt und ebendort gebannt bzw. ausgetragen wird. Gleichwohl ist es nicht ohne Reiz, einen juristischen Streit zu Ende zu denken. Denn bei den Überlegungen des Rates könnte auch eine Rolle spielen, daß - ähnlich den Urteilen zu einer erneuten Konsultationspflicht des Parlaments - eine gerichtliche Auseinandersetzung wohl nicht die eigentliche Frage klären würde, welche Änderungen an einem Gesetzesvorschlag noch zulässig sind und welche nicht. Sofern die Geltendmachung unzulässiger Änderungen genügt, d. h. die Kommission ihre Entscheidung zum Schutz des Gemeinschaftsinteresses mit der Gefahr eines Mißbrauchs begründet, wäre die Rechtmäßigkeit nicht in Frage gestellt, wenn sich vor Gericht die behauptete Überschreitung nicht bestätigt finden würde 327 . Aus diesem Grund würde es der Gerichtshof vermutlich bei dem Hinweis belassen können, daß die Bestimmung der Grenzen der Änderungsbefugnisse des Rates nicht entscheidungserheblich sei, weil die Rücknahmebegründung die notwendige Orientierung an den Interessen der EG als Rechtsgemeinschaft erkennen lasse. Wenn es aber möglicherweise nicht einmal der Überprüfung der von der Kommission vorgebrachten Begründung bedürfte, um die Rücknahme für unbedenklich zu halten, drängt sich die Frage auf, ob die Kommission darauf beschränkt werden kann, Vorlagen nur bei Verdacht auf rechtswidrige Änderungen zurückzuziehen zu dürfen. Es ist daher weiter zu untersuchen, ob die Kommission eine Rücknahme auch dann als am Gemeinschaftsinteresse ausgerichtet rechtfertigen kann, wenn sie mit den Änderungen des Rates inhaltlich nicht einverstanden ist, sie aber nicht für unzulässig hält. Dafür spricht vorderhand, daß die Bindung an das Gemeinschaftsinteresse die Kommission nicht auf die Prüfung von Rechtsfragen festlegt. Ganz im Gegenteil stellt das Fediol-Urteil mit der Rücknahmebefugnis aufgrund fehlenden Handlungsbedarfs ausdrücklich eine Verbindung zwischen Rücknahmeberechtigung und der politischen Opportunität des Vorhabens her, die in die Befugnis zur umfassenden Abwägung zwischen Rechtsetzungsbedarf und Rechtsetzungsinhalt mündet. Es scheint daher an sich nur konsequent, wenn die Kommission ihre Rücknahme mit der Begründung verteidigen kann, die geplanten Änderungen entsprächen nicht dem von ihr zu hütenden Gemeinschaftsinteresse. 327 Möglicherweise käme es hier darauf an, ob die Kommission die Änderungen des Rates für mißbräuchlich halten durfte, also für die Würdigung einen Spielraum hat.
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Allerdings würde ein Rücknahmerecht wegen Meinungsverschiedenheiten über die endgültige Gestalt des Rechtsaktes über die bislang anerkannten Gründe wesentlich hinausreichen. Diese Option würde ein deutlich empfindlicheres Verhältnis in den Verhandlungen provozieren können, als wenn die Kommission ihre Entscheidung auf den Vortrag stützen müßte, vertragswidrige Änderungen zu verhindern. Obgleich sie zwar nicht die Überschreitung der Änderungsbefugnis aus eigener Kompetenz feststellen kann, ist der Rechtfertigungsaufwand nicht zu unterschätzen, wenn die Kommission sich auf eine unzulässige Ausübung des Änderungsrechts berufen muß. Umgekehrt wären einem Rücknahmerecht aufgrund eines Dissenses in Detailregeln gar keine Grenzen mehr gesetzt, da die Kommission theoretisch immer erklären könnte, nur ihr ursprünglicher Entwurf entspreche dem Gemeinschaftsinteresse, weswegen sie nach ordnungsgemäßer Abwägung zu dem Schluß komme, einen Abbruch des Verfahrens dem vom Rat anvisierten Inhalt vorzuziehen. In einer solchen Freiheit der Kommission erkennen Dashwood und Dewost eine unzulässige Beschränkung der Rechtsetzungsbefugnisse des Rates. Sie halten es für einen Bruch des Systems der Zusammenarbeit, wenn die Kommission die nach dem Vertrag zugelassenen Änderungen am Vorschlag konterkarieren könnte: "The power of withdrawal must not be used to prevent other institutions from performing the roles the Treaty has given them in the legislative procedure. Thus it would be an abuse of power for the Commission to withdraw a proposal which is on the point of being adopted by the Council, in order to prevent that institution from exercising its own power of amendment. ,,328
Dieser grundsätzlichen Erwägung zum Gleichgewicht zwischen den Legislativorganen - dieses Mal zulasten der Kommission - ist ein zweiter Einwand an die Seite zu stellen, der sich aus der Rechtfertigung der Rücknahme aufgrund unzulässiger Änderungen ergibt. Das dort von der Literatur postulierte Mißbrauchsargument läßt sich nicht auf die Rücknahme wegen politischer Meinungsverschiedenheiten übertragen; es geht nicht mehr um die Gefahr der Überschreitung der Änderungsbefugnis. Dennoch überwiegt im Schrifttum die Ansicht, daß die Kommission ihren Vorschlag nicht nur bei Wegfall des Handlungsbedarfs oder übermäßiger Veränderung zurückziehen kann, sondern frei ist, den Abbruch des Rechtsetzungsverfahrens herbeizuführen, sofern hierfür sachliche Gründe vorliegen 329 . Im Klartext bedeutet dies, daß die Kommission ihren Vorschlag normalerweise zurückziehen kann, es sei denn, ihr würde mangels Geltendmachung sachlicher Gründe willkürliches Verhalten vorzuwerfen sein. Die von Schoo und SchmUt von Sydow gezogene Parallele zum Ablehnungsrecht des Rates zeigt, daß es bei der Bestimmung des Rücknahmerechts nicht nur darum geht, den Vorschlag vor einer Verformung bis zur UnkenntWyatt/Dashwood, S. 48; Dewost, in: Megret u. a., Le Droit de la CEE, S. 135 f. Schorkopf, S. 373; Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-/EGKommentar, Artikel 155 EGV Rn. 46; Kühner, S. 120; Gilsdorf, S. 92 f. 328
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lichkeit zu schützen. Es geht darum, eine echte Ausgewogenheit zwischen nationalen und gemeinsamen Interessen herzustellen, zu deren Garantie die Option eines ultimativen Machtworts in der Hinterhand bleibt. Sofern nach den Verhandlungen die Standpunkte so weit auseinander liegen, daß kein positiver Abschluß möglich ist, soll nicht nur dem Rat die Ablehnung möglich sein: "Im Ergebnis bedeutet dies (die Möglichkeit des Rückzugs), daß nichts gegen den Willen des Rates geschieht, aber auch nicht gegen den Willen der Kommission .• .330 Dieser Meinung ist aus grundsätzlichen Erwägungen zu folgen, weil dem Vorschlags verfahren die Vorstellung einer gleichgewichtigen Teilhabe an der gemeinschaftlichen Gesetzgebung immanent ist und das Rücknahmerecht - mehr als Verhandlungsmiuel denn als tatsächlich gebrauchte Waffe - eine dem Rat ebenbürtige Stellung im Legislativverfahren sichert33 ). Dogmatisch gesehen, ist das umfassende Rücknahmerecht als Korrelat der autonomen Entscheidung der Kommission einzuordnen, dem Rat eine Vorlage zu unterbreiten. Es ist zutreffend, der Kommission die Möglichkeit einzuräumen, ihre Vorlage gegebenenfalls zu verwerfen. Denn wenn sich die Kommission entschließt, eine Vorlage einzubringen, behält sie die Verfügungsgewalt über ihren Entwurf, ohne sich selbst zu binden. Diese Freiheit ist als Ausfluß der fakultativen Natur des Initiativrechts anzuerkennen - und sie ist in der Tat wesentlicher Bestandteil des Gleichgewichts im Verfassungssystem der Gemeinschaft. Dies folgt nicht zuletzt daraus, daß diese Handlungsfreiheit nicht nur die Stellung der Kommission selbst kräftigt, sondern vor allem auch Minderheiten im Rat zu schützen geeignet ist und insofern wesentlich zur Akzeptanz von Mehrheitsabstimmungen beiträgt332 . Vielsagenderweise haben insbesondere die kleinen Mitgliedstaaten in der Vergangenheit immer wieder den Wunsch geäußert, das Initiativrecht nicht - durch die Einräumung eines Ko-Initiativrechts der Mitgliedstaaten - zu beschneiden, sondern zu erweitern333 • Obwohl somit der mehrheitlichen Auffassung gefolgt werden kann, ist die bereits erwähnte Bejahung einer Konsultationspflicht nicht zu vergessen, denn in dem Recht zur Rücknahme ist das Gebot zur Rücksichtnahme enthalten. Ferner sind aus dem Charakter der Rücknahme als actus contrarius zur Einbringung auf gewisse Grenzen zu schließen. Das von Dashwood und Dewost geäußerte Bedenken greift zwar nicht durch, weil es die Natur des Änderungsrechts und damit die Bedeutung des Gleichgewichts zwischen der Interessenvertretung durch Kommission und Rat im Rechtsetzungsprozeß verkennt. Das Änderungsrecht des Rates dient nicht dazu, der Kommission die Ver330 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 46 (Einschub d. Verf.). Ähnlich auch Schoo, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 189a EGV Rn. 15. 331 Usher, S. 147. 332 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 62; Temple-Lang / Gallagher, The Role of Ihe Commission, S. 20 ff. 333 ]ustus Lipsius (Pseudonym), S. 251. Ausführlich hierzu am Ende dieser Arbeit.
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fügungsgewalt über ihren Vorschlag zu entziehen, sondern ist das Mittel, der Willensbildung auf Ratsebene Ausdruck zu verleihen. Dieses Mittel wird nicht untauglich gemacht, wenn der Kommission das Recht vorbehalten ist, ihren Entwurf zurückzunehmen. Allerdings ist dem Bedenken an einer Beschränkung des Rates und auch des Parlaments - insoweit Rechnung zu tragen, als überzeugende Gründe eine Festlegung der zeitlichen Grenze des Rücknahmerechts vor dem endgültigen Rechtsaktbeschluß gebieten 334 . Selbst wenn man annimmt, hierfür sei nicht das Änderungsrecht der Kommission die passende Rechtsgrundlage - weil die Rücknahme einen Vorschlag nicht bloß ändere, sondern vernichte -, sondern die Anerkennung eines actus contrarius zur Vorschlags vorlage, spricht die Funktionenverteilung zwischen den Organen gegen eine zeitlich unbeschränkte Rücknahmemöglichkeit. Wie die Besprechung des Änderungsrechts der Kommission deutlich gemacht hat, ist davon auszugehen, daß im Mitentscheidungsverfahren aufgrund der Verselbständigung des Gemeinsamen Standpunktes nach Billigung durch das Europäische Parlament eine Rücknahme genauso wenig zulässig wäre wie eine Änderung. Wenn sich Rat und Parlament einig geworden sind, sollte der Kommission - die nach dem Vertragswortlaut in diesem Stadium die Rolle einer Vermittlerin einnimmt335 - nicht länger die Möglichkeit offen stehen, den Rechtsetzungsbeschluß unmöglich zu machen 336 . Ebenso sollte der Kommission im Zusammenarbeitsverfahren die Rücknahme verwehrt sein, wenn das Parlament den Gemeinsamen Standpunkt gebilligt hat, da hier der Vertrag die Folgen des Verhaltens des Parlaments - den Erlaß des Rechtsakts durch den Rat - explizit festlegt 337 . Kühner weist außerdem darauf hin, daß eine Rücknahme im Mitentscheidungsverfahren ausgeschlossen sei, wenn das Parlament den Gemeinsamen Standpunkt ablehne, weil mit der Ablehnung der jeweilige Rechtsakt nach dem ausdrücklichen Vertragswortlaut als nicht angenommen gelte 338 . Dem ist zwar beizupflichten, allerdings ist hier kein Motiv ersichtlich, den Vorschlag zurückzuziehen, weil dies keine Veränderung der Rechtslage zur Folge hätte 339 . 334 Nach dem endgültigen Rechtsaktbeschluß ist eine Rücknahme nicht mehr möglich. Eine förmliche Aufhebung kommt dann nur durch einen Aufhebungsrechtsakt in Betracht, wobei es der Kommission vorbehalten bleibt, den notwendigen Vorschlag vorzulegen. 335 Artikel 251 Abs. 4 S. 2 EGV: "Die Kommission nimmt an den Arbeiten des Vermittlungsausschusses teil und ergreift alle erforderlichen Initiativen, um auf eine Annäherung der Standpunkte des Europäischen Parlamentes und des Rates hinzuwirken ... 336 Kühner, S. 120, Bieber, Europäische Gesetzgebung, S. 303 (Fn. 35); Glaesner, Willensbildung und Beschlussverfahren, S. 3. Von einer solchen Beschränkung geht auch der Rat aus, siehe dazu Raworth, S. 25 f., der selbst für ein unbeschränktes Rücknahmerecht eintritt. 337 So auch Wyau/ Dashwood, S. 48. Artikel 252 b) Satz 2 EGV lautet: "Hat das Europäische Parlament diesen gemeinsamen Standpunkt binnen drei Monaten nach der Übermittlung gebilligt oder hat es sich innerhalb dieser Frist nicht geäußert, so erlässt der Rat den betreffenden Rechtsakt endgültig entsprechend dem gemeinsamen Standpunkt." 338 Kühner, S. 120. 339 Vgl. Artikel 251 Abs. 5 S. 2 EGV: "Nimmt eines der beiden Organe den vorgeschlagenen Rechtsakt nicht innerhalb dieser Frist an, so gilt er als nicht erlassen."
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Ein anderes Bild ergibt sich im Fall der Ablehnung des Gemeinsamen Standpunktes durch das Parlament im Zusammenarbeitsverfahren. Obgleich der Kommission hiernach kein Änderungsrecht mehr zusteht340, sollte dennoch eine Rücknahme des gesamten Vorschlags möglich sein, namentlich um gegebenenfalls dem Willen des Europäischen Parlaments Rechnung tragen zu können341 • Im Unterschied zum Mitentscheidungsverfahren hat im Zusammenarbeitsverfahren keine schützenswerte Einigung zwischen Rat und Parlament stattgefunden, die einen Eingriff der Kommission als Verletzung des vertraglich vorgezeichneten Verfahrensfortgangs oder des Loyalitätsgrundsatzes zwischen den Organen erscheinen lassen würde. In Artikel 79 Nr. 4 der Geschäftsordnung des Parlaments ist deshalb vorgesehen, daß im Fall der Ablehnung des Gemeinsamen Standpunktes der Präsident des Parlaments die Kommission auffordert, ihren Vorschlag zurückziehen. In der Praxis ist die Kommission einer solchen Aufforderung gelegentlich nachgekommen, etwa bei dem Vorschlag für eine Richtlinie über Kakao und Schokoladenerzeugnisse342 oder dem Vorschlag für eine Richtlinie über Süßstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, welchen die Kommission zunächst vorgelegt hatte 343 , nach der ablehnenden Stellungnahme des Parlaments344 zurückgezogen und zwei Jahre später, in abgewandelter Form, erneut eingebracht hae45 . Freilich bleibt zu beachten, daß eine solche Rücknahme keinem Automatismus folgen kann. Vielmehr verbleibt es bei der Grundregel, daß sich die Kommission mittels eines Vergleichs zwischen dem ursprünglichen Entwurf und den im Gemeinsamen Standpunkt erkennbaren Inhaltsveränderungen Gewißheit verschaffen muß, ob die endgültige Fassung dem Gemeinschaftsinteresse entspricht. In diese Beurteilung ist die - ablehnende - Stellungnahme des Parlaments mit aufzunehmen, keinesfalls aber als Präjudiz zu betrachten. Die Auffassung von Schorkopf, die Kommission habe sich gegenüber dem Parlament in dem Verhaltenskodex vom 15. März 1995 verpflichtet, jeden Vorschlag zurückzuziehen, den das Parlament in den Verfahren der Zusammenarbeit oder Anhörung ablehnt346 , spiegelt deswegen ein nicht unwesentliches Mißverständnis wider. Erstens gibt schon der Wortlaut Siehe hierzu unter 1. b). So Kühner, S. 120. 342 Schriftliche Anfrage Nr. 145/86 von Cottrell an die Kommission: Richtlinie über Kakao und Schokoladenerzeugnisse, ABI. 1987 Nr. C 31, S. 5. 343 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Süßstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, ABI. 1990 Nr. C 242, S. 4. 344 Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments nach dem Verfahren ohne Bericht zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Richtlinie über Süßstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, ABI. Nr. C 305 vom 23.11. 1992, S. 109. 345 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Süßstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, ABI. 1992 Nr. C 206, S. 3. Weitere Nachweise bei Raworth, S. 26 (Fn. 178). 346 Schorkopf, S. 373. 340 341
II. Änderungsrecht der Kommission
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des Kodex' eine solche Verpflichtung nicht her, sondern lediglich die Zusage einer gebührenden Prüfung: "Um zur harmonischen Arbeitsweise der Organe beizutragen und der demokratischen Legitimität des gewählten Europäischen Parlaments Rechnung zu tragen, verpflichtet sich die Kommission, einen vom Europäischen Parlament abgelehnten Legislativvorschlag gegebenenfalls zurückzuziehen. Sofern die Kommission aus wichtigen Gründen und nach Prüfung durch das Kollegium beschließt, ihren Vorschlag aufrechtzuerhalten, legt sie die Gründe dafür in einer Erklärung vor dem Europäischen Parlament dar.,,347
Zweitens - und dieser Punkt ist noch dringender festzuhalten - sollte die Forderung nach einer gebührenden Berücksichtigung der parlamentarischen Stellungnahmen nicht den Blick darauf verstellen, daß eine derartige Verpflichtung gar nicht wirksam vereinbart werden könnte, weil sie eine Verschiebung der vertraglich detenninierten Funktionenteilung zur Folge hätte, welche indes - wie an späterer Stelle ausdrücklich erörtert wird348 - nur im Wege einer fonnellen Vertragsänderung herbeigeführt werden kann. Obgleich das Parlament in der Vergangenheit wiederholt die automatische Rücknahme im Fall seiner ablehnenden Stellungnahme einforderte - vor allem im Anschluß an seine erste Direktwahl, aber auch bei der Generaldebatte zum Maastrichtvertrag 349 -, erhellt sich vor diesem Hintergrund die souveräne Berechtigung der Replik des damals für die Beziehungen zum Parlament zuständigen Kommissars Pinheiro, wonach die Kommission die Ablehnung des Gemeinsamen Standpunktes durch das Parlament mitsamt einer Aufforderung zum Zurückziehen als starkes politisches Signal einer gewählten Vertretung wertet, ohne dieses mit dem Gemeinschaftsinteresse gleich zu setzen und ohne eine Verpflichtung zum Rückzug zu akzeptieren: "The Commission regards arequest to withdraw aproposal, or rejection of aproposal, as a very important expression of parliamentary opinion, on which the Commission deliberates, giving all due political weight to the position of Parliament, without accepting any automaticity. The Commission exercises its right to withdraw with the Community interest in mind.,,350 347 ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69, Nr. 3.8. (Hervorhebung d. Verf.) In der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission vom 5. Juli 2000 (Bulletin EU 7/8 - 2000, Teil 2 Dokumentation) ist diese Passage beinahe wortgleich übernommen worden. In Anlage I: Spezifische Vereinbarungen über das Legislativverfahren heißt es: "Die Kommission verpflichtet sich, gegebenenfalls einen vom Europäischen Parlament abgelehnten Legislativvorschlag zurückzuziehen. Sofern die Kommission aus wichtigen Gründen und nach Prüfung durch das Kollegium beschließt, ihren Vorschlag aufrechtzuerhalten, legt sie die Gründe dafür in einer Erklärung vor dem Europäischen Parlament dar." Diese Vereinbarung gilt nur für Legislativverfahren, die keine Mitentscheidung des Parlaments beinhalten. 348 Näher dazu in Kapitel 7 unter II. 3. c). Vgl. hier nur Hilf, Bedeutung des Verfassungsprinzips, S. 9 ff. 349 Nachweise bei Raworth. S. 50. 350 Verhandlungen des Europäischen Parlaments v. 14. 9. 1993, ABI. 1993 Anh. Nr. 3 - 434 / 54, S. 54. Vgl. hierzu Nicoll. Le dialogue legislatif, S. 241.
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1. Teil, Kap. 2: Änderungsrechte von Rat und Kommission
In diesem Zusammenhang ist zuletzt klarzustellen, daß das Recht zur Rücknahme sich grundsätzlich nicht in eine - gerichtlich überprüfbare - Pflicht zur Rücknahme verkehrt, auch dann nicht, wenn die Kommission Zweifel an der Rechtmäßigkeit von im Rat beschlossenen Änderungen hegt oder die Gründe einer ablehnenden Stellungnahme des Parlaments für stichhaltig erachtet. Über ihre Rücknahmeentscheidung behält die Kommission ihre Ermessensfreiheit, wie sie aus der parallelen Frage zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens bekannt ist351 . In der Gesamtschau ergibt sich ein weitreichendes Recht der Kommission, ein Rechtsetzungsverfahren zu beenden und dies auch gegen den Willen des Rates oder des Parlaments. Die spärlichen Gelegenheiten bestätigen allerdings die Einschätzung von Gilsdorf352 und von Rometsch und Wessels 353 , daß die Kommission nicht dazu tendiert, bei schwierigen Verhandlungen im Rat ihren Vorschlag zurückzunehmen. In den seltensten Fällen ist der das Kollegium vertretene Kommissar legitimiert, mit der Rücknahme auch nur zu drohen. Diese Zurückhaltung ist nicht juristisch bedingt, denn der Vorwurf vertragswidriger Untätigkeit drohte lediglich, wenn das Gemeinschaftsrecht einen konkreten Handlungsauftrag zur Vorlage des in Frage stehenden Vorschlags enthalten würde. Sie ist aber politisch geboten und zudem Ausfluß des vertraglichen Gebots der Zusammenarbeit zwischen den Organen im Legislativverfahren. Höchste Priorität hat im Normalfall für die Kommission der positive Abschluß des Rechtsetzungsverfahrens. In der Abwägung zwischen Rechtsetzungsbedarf und Rechtsetzungsinhalt überwiegt in aller Regel der Rechtsetzungsbedarf. Die Verhinderung von Rechtsetzungsentscheidungen birgt zudem für die Kommission das Risiko, für die daraus resultierende Untätigkeit der Gemeinschaft verantwortlich gemacht zu werden. Kontroverse Rücknahmen sind daher nur in den exzeptionellen Fällen denkbar, in denen sich im Rat eine verabschiedungsfähige Mehrheit für eine bestimmte Fassung eines Gesetzesentwurfs abzeichnet, welche die Kommission partout nicht akzeptieren kann. Selbst in diesen Ausnahmesituationen aber zeigt sich, daß die Kommission durch ihre Beteiligung an den Verhandlungen stets auf der Höhe des jeweiligen Entwurfs steht, so daß eine sie gleichsam überrumpelnde Fassung ihres Entwurfs im vom Rat gefaßten Gemeinsamen Standpunkt praktisch ausgeschlossen ist. Abgesehen von den juristischen Argumenten, die für eine zeitliche Beschränkung des Rücknahmerechts in den Stadien der Gemeinschaftsgesetzgebung streiten, in denen der Vertrag selbst das Zustandekommen eines Rechtsakts als automatische Rechtsfolge benennt, belegen somit auch die realen Verhältnissen keinen Bedarf für ein totales Rücknah351 Ob und wann die Kommission bei einer mutmaßlichen Vertragsverletzung Klage beim Gerichtshof erhebt, steht in ihrem Ermessen, das nicht der Überprüfung durch den Gerichtshof unterliegt, EuGH Rs. C-422!92, Slg. 1995, 1-1097, Rn. 18 (Kommission! Deutschland). Siehe dazu näher Schwarze, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 226 EGV Rn. 22. 352 Gilsdorf, S. 92. 353 Rometsch/Wessels, S. 230.
11. Änderungsrecht der Kommission
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merecht. Der Standpunkt von Götz354 und Raworth 355 , auch nach Billigung des Gemeinsamen Standpunktes der Kommission noch die Rücknahme des Vorschlags offen zu halten, selbst wenn dies zwangsläufig die Brüskierung von Rat und Parlament nach sich ziehen würde, reicht deswegen nicht nur in rechtlicher Hinsicht zu weit. Zum Abschluß richtet sich auch hier der Blick auf die parallele Frage im deutschen Verfassungsrecht. Das Grundgesetz erwähnt die Rücknahme von Gesetzesvorschlägen nicht, die von der Literatur dennoch einhellig als actus contrarius zur Einbringung für zulässig gehalten wird356 . Hierfür werden meist praktische Überlegungen wie die Notwendigkeit geltend gemacht, einen Entwurf einer veränderten rechtlichen, tatsächlichen oder politischen Situation anzupassen 357 . Darüber hinaus findet sich - ähnlich der Problematik im Gemeinschaftsrecht - die Anerkennung eines Rücknahmegrundes für der Fall einer Denaturierung der Vorlage im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens. Sofern hierdurch eine Inhaltsveränderung auftrete, die der Initiant politisch nicht gewollt habe, diene ihm die Rücknahmebefugnis als "Notbremse,,358. Die somit grundsätzlich unbeschränkte Dispositionsbefugnis des Initiativträgers reicht in zeitlicher Hinsicht bis zur Schlußabstimmung im Bundestag gemäß Artikel 77 Abs. I S. 1 GG. Nach der Eröffnung der Schlußabstimmung ist der Gesetzentwurf der Verfügungsrnacht des Einbringenden entzogen359 . Eine materielle Beschränkung wird bei einer Pflicht zur Einbringung von Gesetzesvorlagen erwogen, wie etwa bei der Vorlage eines Haushaltsentwurfs gemäß Artikel 110 GG i.Y.m. der Bundeshaushaltsordnung360 . Auch hier wird man indes die Einschränkung machen können, daß nur die ersatzlose Rücknahme ausgeschlossen ist, nicht aber die mit der Rücknahme verbundene Einbringung eines neuen Entwurfs, mit dem der zuständige Initiant seiner Pflicht letztlich nachkommt.
Götz, S. 348 Raworth, S. 25 f. 356 Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu I KIein, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 76 GG Rn. 6; ebenso Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Grundgesetz, Artikel 76 GG Rn. 9. 357 Wobei als Beispiel für ein rechtliches Motiv (ironischerweise) auf die Möglichkeit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen wird, welche die Unvereinbarkeit des Entwurfs mit geltendem Recht befürchten lasse, vgl. Goppel, S. 140. 358 Abmeier, S. 135. 359 Bryde, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Artikel 76 GG Rn. 7; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/KIein, Kommentar zum Grundgesetz, Artikel 76 GG Rn. 6, Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Grundgesetz, Artikel 76 GG Rn. 9. 360 Ritzel! Bücker, § 76 Anm. I e. 354 355
Zweiter Teil
Das Spannungsverhältnis zwischen dem Initiativrecht der Kommission und dem Entscheidungsrecht des Rates Die große Mehrzahl von Kommissionsvorschlägen zur Entwicklung der Gemeinschaftspolitiken entsteht nur im formellen Sinn im Innern ihrer Dienststellen und geht auf zuvor empfangene Anregungen von außen und auf Rechtsetzungsaufträge des Primär- und des Sekundärrechts zurück. Viele Entwürfe resultieren aus Kontakten zu nationalen Regierungs- wie Verwaltungsstellen und aus vorgeschalteten Initiativen anderer Gemeinschaftsorgane. Jeweils ein Teil der von der Kommission eingebrachten Vorschläge kann auf direkte Anfragen des Rates und des Europäischen Parlaments zurückgeführt werden, häufig auch des Europäischen Rates oder einzelner Mitgliedstaaten. Der Kommission ist die Umsetzung dieser Anregungen und Aufträge in beschlußfähige Rechtsaktentwürfe aufgetragen. Mit ihrem exklusiven Vorschlagsrecht erfüllt sie die Funktion des agenda-setters für die legislativen Aktivitäten des Rates und des Parlaments. Demgegenüber werden vergleichsweise wenig politische Initiativen direkt aus der Bürokratie der Kommission geboren. Eine Reihe von Schätzungen und internen Untersuchungen aus den letzten Jahren geben den Anteil ihrer eigenen, unabhängigen Initiativen zu neuen Gesetzesvorhaben mit weniger als 15 % an 1. Mit Blick auf diesen geringen Eigenanteil am Gesamtausstoß von Vorlagen haben Edwards und Spence befunden: "The Commission is more a vehicle than an originator of initiatives. ,,2 Dieser Befund wurde im Kabinett des früheren Kommissionspräsidenten Santer allerdings durchaus nicht als Belastung empfunden, weil darin keine Geringschätzung ihrer Legislativtätigkeit Ausdruck finde, sondern eine zutreffende Analyse der Genese von gemeinschaftlichen Legislativvorhaben. Die Notwendigkeit des Zusammenspiels lasse eine Katalysatorrolle der Kommission, was die Berücksichtigung der politischen Präferenzen der beiden Beschlußfassungsorgane bei der Rechtsetzungsvorbereitung angeht, ausdrücklich zu. Und der Erfolg ihrer Vorschlagstätigkeit sei nicht so sehr an der Beobachtung zu messen, wieviel genuin eigene Vorhaben sie beisteuere als vielmehr daran, wieviel vom
1 Fitzmaurice, S. 186; Grant, S. 220; Peterson, Jacques Santer: The EU's Gorbachev, S. 4 ff. 2 Edwards/Spence, The European Commission in perspective, S. 14.
2. Teil: Spannung zwischen Vorschlags- und Entscheidungsrecht
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Gehalt ihrer konkreten Vorschläge das mehrstufige Rechtsetzungsverfahren im Rat und im Parlament überstehe 3 . Besitzt somit der Anteil von im materiellen Sinne eigenen Entwürfen der Kommission ohnehin nur einen begrenzten Aussagewert für deren Initiativkraft, so kommt noch hinzu, daß die Bemessung von "neuen, spontanen Initiativen,,4 auch deshalb nur zu geringen Anteilen am Gesamtvolumen führen kann, weil die Kommission in wachsendem Maße ihre Vorlagen auf der Grundlage zuvor veröffentlichter Programme ausarbeitet. Es versteht sich von selbst, daß mit zunehmender Dichte dieser Programme und ihrer Anpassung an die Prioritäten der übrigen Legislativstellen der Bedarf an spontanen Rechtsetzungsvorhaben sinkt. Das Arbeitsprogramm für das Jahr 19985 illustriert, in welchem Umfang die Kommission ihr Vorschlagsrecht an Gesetzesplänen ausrichtet, die sie zuvor entworfen hat. Von den in der "Liste neuer Rechtsetzungsinitiativen,,6 aufgeführten, lediglich 31 Vorhaben dienten allein vierzehn zur Umsetzung der Agenda 2000 zur Stärkung der Union und Vorbereitung der Erweiterung7 , namentlich zur Änderung von Grundverordnungen zu Marktorganisationen der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik und für Verordnungen zur Regelung von Strukturfonds, während die restlichen zur Entwicklung der Umwelt- und Sozialpolitik ergingen. Die Agenda 2000 wiederum bietet ein plastisches Beispiel für die typische Art und Weise, in der die übrigen Organe die Kommission über ihre Gesetzgebungswünsche in Kenntnis setzen und um deren Berücksichtigung werben können. Die Kommission hatte vor der Veröffentlichung darauf hingewiesen, daß die wichtigsten darin befindlichen Vorhaben unter Berücksichtigung der ihr bekannten Haltung der übrigen Gemeinschaftsorgane ausgearbeitet worden seien, insonderheit die Vorschläge zur zukünftigen Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft und die Reformvorschläge zur Gemeinsamen Landwirtschaftspolitik und zu den Strukturfonds 8 . Unmittelbar nach der Veröffentlichung, also noch vor Vorlage des ersten formellen Vorschlags zu ihrer Umsetzung, wurde die Agenda 2000 im Ministerrat, im Europäischen Parlament und im Wirtschafts- und Sozialausschuß beraten, wobei die Kommission zur Erläuterung der Vorhaben in allen Sitzungen vertreten war. Allein der Rat der Landwirtschaftsminister tagte in vier Sitzungen im Juli, September, Oktober und November 1997 und verabschiedete schließlich eine fünfseitige gemeinsame Stellungnahme, mit der die Kommission aufgefordert wurde, ihre Vorschläge im Lichte der detaillierten Positionen des Rates und des Ausschusses der Ständigen Vertreter zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzureichen9 . Diese Er3 4 5
6
7 8 9
Vgl. Peterson, Jacques Santer: The EU's Gorbachev, S. 4 ff. FitV1Ulurice, S. 186. http://europa.eu.int / en / cornrn / co98pr / en / corn517 .htrnl. http://europa.eu.int / cornrn / off / work /1998/ de / sec 1852.htrnl. http://europa.eu.int / cornrn / agenda2000 / index_de.htrn. http://europa.eu.int / cornrn / agenda2000 / index_de.htrn. Pressernitteilung des Rates vorn 19. 11. 1997 zur Agenda 2000 der Kommission, S. 8.
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2. Teil: Spannung zwischen Vorschlags- und Entscheidungsrecht
klärungen griff auch der Europäische Rat in seinen Schlußerklärungen auf dem Luxemburger Gipfeltreffen von Mitte Dezember 1997 auf und schloß sich dem an die Kommission gerichteten Auftrag an, wie er auch den Ministerrat selbst zur anschließenden zügigen Rechtsetzung aufforderte 10. Ebenso gaben das Europäische Parlament und der Wirtschafts- und Sozialausschuß ins Detail reichende Stellungnahmen ab J1 • Die Praxis, die Vorhaben nicht vollständig autonom auszuarbeiten, sondern die übrigen Organe in die Erstellung von Grundlagenprogrammen einzubinden, ist verantwortlich dafür, daß neue Gesetzesinitiativen, verstanden als spontane Impulse für die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts, eher die Ausnahme bilden, ohne daß hieraus der Rückschluß auf eine politische Schwächephase der Kommission zu ziehen wäre. Es hat sich überdies immer wieder gezeigt, daß der ursprüngliche Anstoß für Legislativvorhaben in den Hintergrund tritt, sobald der fertige Entwurf geschaffen ist. So werden auch solche Rechtsetzungsvorlagen, welche als Auftragsarbeit der Mitgliedstaaten entstanden sind, nach ihrer Veröffentlichung zu Recht als "Eigenleistung" der Kommission wahrgenommen l2 • Auch das Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarkts mit seinen über dreihundert konkreten Gesetzesvorhaben hatte die Kommission nach einer Aufforderung des Europäischen Rates erarbeitet 13. Neben diesen interinstitutionellen Verbindungen gründet sich die Vorlage mancher Gesetzesvorschläge mitunter auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts Erster Instanz. Ein Beispiel ist die Entscheidung BarberlGuardian Royal Exchange l4 , die einzelne Vorschriften der Richtlinie 86 I 613 IEWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen 15 für gemeinschaftsrechtswidrig erklärte, woraufhin die Kommission mit einem Vorschlag für eine Änderungsrichtlinie, explizit zur Anpassung an die Vorgaben des Urteils, reagierte 16 . 10 European Council, Presidency Conclusions on Luxembourg Summit, 12-13 December, Brussels, General Secretariat of the Council, S. 4: "The European Council request the Commission to submit relevant proposals ( ... ). It further invites the Council to take the necessary steps, where appropriate on the basis of further proposals by the Commis si on, to reach the widest possible agreement by early 1999." 11 Die Stellungnahmen des Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses sind abrufbar unter europa.eu.int 1comm 1 archives 11995 - 991 work 11998/ en 1sec 1854.html. 12 Dies gilt auch für Legislativvorschläge, die aus Verpflichtungen in internationalen Abkommen entstehen oder zur Änderung und Aktualisierung geltenden Gemeinschaftsrechts ergehen. 13 Rideau, S. 477; Edwards/Spence, The European Commission in perspective, S. 11. Die Kommission hat dem Europäischen Rat das Weißbuch zur Verwirklichung des Binnenmarktes am 14. Juni 1985 formell vorgelegt. 14 EuGH Rs. 262/88, Slg. 1990-1, S. 1889. 15 Richtlinie des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit - auch in der Landwirtschaft ausüben, sowie über den Mutterschutz, ABi. 1987 Nr. L 32, S. 36.
2. Teil: Spannung zwischen Vorschlags- und Entscheidungsrecht
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Einen fonnellen Weg zur Aufforderung der Kommission durch Einzelne oder nationale Verbände bietet das Gemeinschaftsrecht hingegen nicht an. Gelegentlich führen aber infonnelle Kontakte zur Entstehung von Gesetzesvorhaben, wie etwa der Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 80/390/EWG hinsichtlich der gegenseitigen Anerkennung der Prospekte für öffentliche Angebote als Börsenprospekte 17 , der im Anschluß an langjährige Diskussionen mit den zuständigen nationalen Stellen zustande kam und den der Rat als Richtlinie 90 I 211 I EG verabschiedet hat lS . Im folgenden wird der Einfluß der Mitgliedstaaten auf das Vorschlagsrecht der Kommission unter verschiedenen, untereinander eng verknüpften Aspekten untersucht. Für die Beteiligung des Rates oder der Mitgliedstaaten an der prinzipiellen Entscheidung der Kommission, einen Vorschlag einzubringen und für die Frage, ob und in welcher Fonn der Rat nach einer solchen Entscheidung die Ausarbeitung des konkreten Entwurfs beeinflussen kann, finden sich kaum vertragliche Vorgaben. Es ist darum zuvörderst zu fragen, inwieweit die Kommission politischem Einfluß unterworfen ist oder sich aussetzt. Gleiches gilt von ihrer Funktion als Maklerin zwischen den Interessen der Nationalstaaten, wenn es darum geht, eine endgültige konsens- bzw. mehrheitsfahige Fassung auszuhandeln. Die vertraglich gestützte Aufforderung zum legislativen Ta.tigwerden ist hingegen - neben ihrer politischen Wirkung - auch von der Entscheidung geprägt, ob sie die Kommission zur Vorlage verpflichtet. Die Darstellung der politischen Abstimmung über den Inhalt der Vorschläge wird der Untersuchung der - logisch vorangehenden - Veranlassung zur Vorlage vorangestellt, weil sie für die juristische Beurteilung des Aufforderungsrechts von zentraler Bedeutung ist. Zunächst steht das Spannungsverhältnis zwischen dem Vorschlagsrecht der Kommission und dem Entscheidungsrecht des Rates unter dem Blickwinkel der politischen Kräfteverhältnisse auf dem Prüfstand (Kapitel 3). Hierzu zählt wesentlich die allgemeine politische Führungsrolle des Europäischen Rates und die spezielle Vermittlungsrolle der Präsidentschaft (Kapitel 4). Im Anschluß hieran wird Artikel 208 EGV besprochen (Kapitel 5).
16 Richtlinie 96/97 lEG des Rates zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männem und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, ABI. 1999 Nr. L 151, S. 39. 17 ABI. 1989 Nr. C 101, S. 7. 18 ABI. 1990 Nr. L 70, S. 24. Ausführlich zur Zusammenarbeit Einzelner mit den Gemeinschaftsorganen Gündisch/Mathijsen, S. 158 ff.
7 von Buttlar
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
Kapitel 3
Die Einflußnahme der Mitgliedstaaten auf die Vorschläge der Kommission vor und nach ihrer Vorlage zum Rat Für die Beziehungen zwischen Rat und Kommission im Vorschlagsverfahren ist in erster Linie die wechselseitige Abhängigkeit charakteristisch, da keine Institution ohne die Unterstützung der anderen Rechtsakte erlassen kann. Bei aller gebotenen Loyalität und dem Willen zur Zusammenarbeit de bonne foi begründet diese Abhängigkeit inter-institutionelle Spannungen, sobald das eine Organ das andere durch eine einseitige Durchsetzung seiner Position zu dominieren versucht. Der Kommission liegt daran, ihren am Gemeinschaftsinteresse auszurichtenden Vorschlag durchzusetzen, während der Rat interessiert ist, Entwürfe zu verhandeln, welche die nationalen Positionen miteinander vereinbar machen. In der gemeinschaftspolitischen Wirklichkeit ist es darum gebräuchlich, in informellen Kontakten den Inhalt der Vorschläge noch vor ihrer formellen Vorlage abzustimmen. Das Ausmaß dieser Abstimmung wiederum erlaubt einigen Aufschluß über die politischen Kräfteverhältnisse zwischen den beiden Organen insgesamt. Dies spiegelt sich auch in der Befähigung der Kommission wider, in den Abschlußberatungen einen die divergierenden Interessen der Staaten umfassenden Kompromiß anzubieten. In einem ersten Schritt wird das typische Verfahren der Ausarbeitung von Legislativvorschlägen durch die Kommission vorgestellt (1.), um sodann die üblichen Konsultationen nationaler Stellen vor der formellen Vorlage in Augenschein zu nehmen (11.). Abschließend wird die Abhängigkeit des Vorschlags vom Abstimmungsverhalten im Rat behandelt (III.). I. Die Einbindung der Mitgliedstaaten durch die Kommission: Zum dreiphasigen Verfahren der Ausarbeitung von Gesetzesvorschlägen
Ungeachtet des ursprünglichen politischen Anstoßes zu einem Rechtsetzungsvorhaben vollzieht sich die konkrete Ausarbeitung in aller Regel in einem mehrstufigen Verfahren. Im Anschluß an einen ersten Referentenentwurf aus der zuständigen Generaldirektion wird dieser innerhalb der Kommission und unter Einbindung von externen Stellungnahmen beraten und weiterentwickelt, bevor er durch das Kollegium verabschiedet wird. Im allgemeinen werden die drei Phasen der Information (Dokumentation), der Konsultation und der Entscheidung unterschieden 19 . 19 Zum folgenden vgl. die im wesentlichen gleichlautenden Kurzdarstellungen von Kühner, S. 44 ff.; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 521 ff.; Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gonnley, S. 413 ff. Eingehend Spence, S. 111 ff.
1. Einbindung während Ausarbeitung
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1. Die Phase der Information Die Erarbeitung von Rechtsaktentwürfen nimmt ihren Anfang mit dem Zusammentragen der Auskünfte, Unterlagen und aller sonstigen Informationen, die die betraute Fachabteilung der zuständigen Generaldirektion für geboten und nützlich hält. Hierzu können interne Kontakte zu anderen Generaldirektionen zählen, deren Aufgabenbereich das zu behandelnde Gebiet ebenfalls berührt20 sowie Sammlungen der einschlägigen Gesetzesbestimmungen der Mitgliedstaaten und sonstige Berichte und Statistiken aus den Ländern, die über die passende Formulierung des Projekts weiteren Aufschluß geben können. Unter der Verantwortung des Abteilungsleiters fertigt der zuständige Referent sodann einen Entwurf an, dessen erster Sinn es ist, den beabsichtigten Regelungsgehalt von allen Seiten zu betrachten und die gegebenenfalls vielfältigen Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Sobald auf diese Weise ein Überblick gewonnen ist, erstellt die Fachabteilung nach allgemeinen Weisungen, die entweder der zuständige Kommissar selbst oder sein Kabinettchef erteilt, ein allgemeines Memorandum (working document), das alle notwendigen Daten und die möglichen Lösungswege enthält. 2. Die Phase der Konsultation Auf dieser Basis schließt sich die Phase der Konsultationen an, während der Treffen mit Vertretern interessierter Berufsgruppen ebenso wie Beratungen mit Experten der nationalen Verwaltungen und Regierungen stattfinden. Soweit es der Generaldirektion geboten scheint, kann in der Konsultationsphase der Vorentwurf geändert werden, um den Stellungnahmen Rechnung zu tragen. Die Konsultationsphase sorgt dafür, daß die Entwürfe nicht abstrakt und losgelöst von den Verhältnissen in den Mitgliedstaaten konzipiert werden, sondern unter Berücksichtigung der nationalen Bedürfnisse. Ihre Bedeutung für die praktische Arbeit der Kommission und die Akzeptanz der Entwürfe ist kaum zu überschätzen und spiegelt sich schon in der gewaltigen Häufigkeit der hierfür stattfindenden Treffen; es sind dies deutlich über zweitausend Tagungen in jedem Jarn2 1 . Die Konsultationsphase, die in zeitlicher Hinsicht kaum zu präzisieren ist - je nach Bedeutung und Inhalt eines Vorschlags kann die Ausarbeitung zwischen mehreren Wochen und einigen Jahren liegen -, wird zu Recht als mostjluid stage des gesamten Rechtsetzungsprozesses bezeichnet, da sich in dem Stadium, in dem die Kommission in Richtung einer konkreten Lösungsentscheidung arbeitet, am wirkungsvollsten auf die Grundausrichtung Einfluß nehmen läßt22 • 20 Zu den Anforderungen, welche die Ausarbeitung von hunderten Legislativvorlagen pro Jahr an die interne Struktur der Kommission, insbesondere die Kooperation und Koordination zwischen den Dienststellen stellt, siehe die instruktive Darstellung von Spence, S. 114 ff. 21 Raworth, S. 29. 22 Raworth, S. 31.
7*
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
Für die Kontakte zwischen der Kommission und Vertretern der Mitgliedstaaten ist ein mittlerweile unüberschaubares, komplexes Netzwerk von Ausschüssen und Arbeitsgruppen entstanden, in denen Kommissionsbeamte mit solchen der Mitgliedstaaten zusammenarbeiten. Die nationalen Beamten nehmen in dieser Phase zwar nicht in offizieller Funktion als Regierungsvertreter teil, sondern beteiligen sich als neutrale Sachverständige. Gleichwohl ist mit ihrer Einbeziehung ein Gegengewicht zur Sichtweise der Kommission zugelassen, denn - wie es Constantinesco ausgedrückt hat - "es ist klar, daß diese Fachleute nicht eine völlig objektive Meinung vertreten, sondern die Probleme eher von dem Standpunkt ihrer nationalen Verwaltungen her darstellen.'.23 Einen speziellen Fall der Konsultation stellt die Veröffentlichung von Weißbüchern und Grünbüchern dar, welche die Kommission verschiedentlich nutzt, um einen eigenen Beitrag in der Integrationsdebatte zu leisten und gleichzeitig eine weitreichende Partizipation der Institutionen und der interessierten Wirtschaftsund Interessenverbände zu ermöglichen24 • Weiß- und Grünbücher sind nicht legaldefiniert und auch nicht trennscharf zu unterscheiden. In der Praxis hat sich eingerichtet, daß in Grünbüchern umfassende Konzepte zur Ausgestaltung einer bestimmten, im Vertrag genannten Gemeinschaftspolitik entwickelt werden, ohne aber bereits eine Liste detaillierter Gesetzesvorschläge zu deren Umsetzung vorzustellen 25 . Die Weißbücher haben im allgemeinen einen Ausschnitt einer Gemeinschaftspolitik zum Gegenstand und weisen einen spezifischen Maßnahmenkatalog auf26 . Mit ihren Weiß- und Grünbüchern eröffnet die Kommission den genannten Stellen einen direkten Zugang in die Debatte um die Konzeption und Erneuerung der Gemeinschaftspolitiken, ohne jedes Organ oder Institut formell zur Stellungnahme einzuladen27 • Die Stellungnahmen von Parlament und Rat, auch des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen sowie der beteiligten Verbände und Interessengruppen, sind immer wichtige Anhaltspunkte für die Kommission, was besonders augenfallig wird, wenn sie diese Stellungnahmen in einer gesonderten Mitteilung als Diskussionsergebnis über ein konkretes Legislativvorhaben zusammenfaßt28 • Insgesamt steht im Zentrum der Weiß- und GrünConstantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 522. loma, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 211 EGV Rn. 23. 25 Grünbücher aus letzter Zeit hat die Kommission etwa zum öffentlichen Auftragswesen (KOM (96) 583 endg. vom 27. 11. 1996) und zur zivilrechtlichen Haftung für fehlerhafte Produkte (KOM (99) 396 endg. vom 28.7. 1999) vorgestellt. 26 Daher werden sie zum Teil als Gesetzesvorschlagsliste im Sinne des Vorschlagsrechts klassifiziert. Siehe dazu bereits in Kapitel 1 unter I. 3. Aus letzter Zeit sind das Weißbuch über Lebensmittelsicherheit (KOM (99) 719 endg. v. 12. 1. 2(00) und das Weißbuch zur Umwelthaftung (KOM (2000) 96 endg. v. 9. 2. 2(00) auf besonderes öffentliches Interesse gestoßen. 27 Es entspricht der Praxis des Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses, Stellungnahmen zu Weiß- oder Gründbüchern abgeben, ohne von der Kommission förmlich konsultiert worden zu sein, Raworth, S. 29. 28 Siehe dazu loma, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 211 EGV Rn. 24. 23
24
I. Einbindung während Ausarbeitung
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bücher das Interesse der Kommission, zur Fundierung ihrer Vorschläge einen umfassenden Überblick auf die wirtschaftliche und rechtliche Ausgangslage in den Mitgliedstaaten zu gewinnen 29 . Generell gilt, daß die Kommission bzw. die jeweils handelnden Generaldirektionen ein starkes Interesse an der Konsultation beider Gruppen haben, der Interessenvertreter wie der nationalen Experten, um deren Sachverstand zu nutzen, etwaige Bedenken und Anregungen rechtzeitig kennenzulernen und in ihre eigene Lösungsentwicklung miteinzubeziehen. Informationen aus der Wirtschaft und Stellungnahmen der betroffenen Interessengruppen werden von der Kommission im allgemeinen mit Aufgeschlossenheit entgegen genommen. Die Kommission hat ihre hohe Bereitschaft hierzu in der Mitteilung "Ein offener und strukturierter Dialog zwischen der Kommission und den Interessengruppen,,3o publik gemacht und in der öffentlichen Diskussion um die Transparenz des Handeins aller Gemeinschaftsorgane mehrfach ausdrücklich bestätigt. Im Laufe der letzten Jahre ist der Umfang der Lobbyarbeit der verschiedenen Verbände beträchtlich angewachsen; mittlerweile arbeiten in Brüssel mehr als zehntausend Interessenvertreter31 . 3. Die Phase der Entscheidung In der Entscheidungsphase formuliert die Generaldirektion unter Berücksichtigung der gesarnrnelten Informationen und Konsultationen einen Vorentwurf, der den übrigen beteiligten Generaldirektionen und den Kabinettchefs der zuständigen Kommissare vorgelegt wird. Diese bilden eine Arbeitsgruppe (working party), der häufig der Generalsekretär der Kommission vorsteht und die den Vorentwurf redigiert. Der so überprüfte und gegebenenfalls geänderte Entwurf wird an den Juristischen Dienst zur Begutachtung weitergeleitet und schließlich dem Kollegium vorgelegt. Sofern in der Arbeitsgruppe Übereinstimmung hinsichtlich des Entwurfs erreicht wurde, kann der Text ohne weitere Diskussion im sogenannten "A-PunkteVerfahren" verabschiedet werden 32 . Andernfalls wird der Entwurf in der wöchent29 Eine Übersicht über ihre sämtlichen Weiß- und Grünbücher hat die Europäische Kommission im Internet unter http://europa.eu.int/comm/off/white/index_de.htm und unter http://europa.eu.int / cornm / off / green / index_de.htrn veröffentlicht. 30 ABI. 1993 Nr. C 63, S. 2. Darin heißt es in der Einleitung: "Die Kommission ist gegenüber Anregungen von außen stets aufgeschlossen gewesen. Diese Haltung ist für sie ganz wesentlich bei der Ausarbeitung der Politiken. Der Dialog hat sich für alle Beteiligten als wertvoll erwiesen. Die Beamten der Kommission anerkennen seine Notwendigkeit und begrüßen ihn." Siehe auch die ähnlich lautende Erklärung über verstärkte Transparenz in der Arbeit der Kommission, ABI. 1993 Nr. C 63, S. 3. Zu beiden siehe Mazey/Richardson, S. 169 ff.; Rideau, S. 476. 31 Ausführlich Mazey/Richardson, S. 169 ff. Siehe hierzu die Mitteilung der Europäischen Kommission, "Ein offener und strukturierter Dialog zwischen der Kommission und den Interessengruppen", ABI. 1993 Nr. C 63, S. 2. 32 Spence, S. 116.
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
lichen Kommissionssitzung erörtert und nach den endgültigen Änderungen offiziell als Vorschlag verabschiedet. Hierbei entscheidet die Kommission als Kollegium grundsätzlich mit einfacher Mehrheit, wobei in den meisten Fällen nicht per Abstimmung, sondern durch allgemeine Zustimmung beschlossen wird 33 . Die offizielle Vorlage des Vorschlags beim Rat obliegt dem Generalsekretär34 •
n. Die Konsultation von nationalen Experten vor der Vorschlagsvorlage: Zum Konflikt zwischen Information und Angleichung Die Praxis der Kommission, vor der Vorlage von Gesetzesentwürfen mittels Stellungnahmen, Berichten oder Konsultationsrunden die an der Rechtsetzung teilnehmenden Organe und weitere, nationale Stellen mit den Lösungsmöglichkeiten zu konfrontieren, fördert eine breite Diskussion und trägt ebenso zur Akzeptanz wie zur Information über die Fortentwicklung der gemeinschaftlichen Politiken bei. Ihre Verantwortung für das Gemeinschaftsinteresse beinhaltet schon der Natur der Sache nach, die notwendigen Informationen aus den Mitgliedstaaten zu gewinnen. Es ist offensichtlich, daß in der Tagespolitik das Gemeinschaftsinteresse unmöglich apriori definierbar ist, denn die Kommission ist nicht in der Lage, alle direkten und indirekten Auswirkungen ihrer Vorhaben auf nationale Interessen zu übersehen, die zu diesem Zeitpunkt häufig noch gar nicht eindeutig oder endgültig gefaßt sind35 . Die Orientierung am übergeordneten Gemeinschaftsinteresse, das durch die Verträge umrissen wird, legt es zwar häufig nahe, daß sie Regelungen mit dem höchstmöglichen Integrationsgrad anstrebt und nicht ein bloßes Konglomerat von Sonderwünschen der Nationalstaaten. Allerdings muß die Kommission die Eigenheiten von derzeit fünfzehn verschiedenen Ländern berücksichtigen, wenn sie ihre Vorschläge formuliert - und dennoch eine sachlich optimale Lösung finden. Mitunter kann sie dasjenige staatliche System zur Grundlage ihres Entwurfs nehmen, das den betreffenden Gegenstand nach ihrer Überzeugung am fortschrittlichsten regelt. In anderen Fällen muß sich die Kommission schon bei der Vorlage mit einer Kompromißlösung auf niedrigem Niveau begnügen, auch wenn sie die Ausrichtung an partikularen Interessen an sich ablehnt. Wenn somit das Gemeinschaftsinteresse von Fall zu Fall zu bestimmen ist, so wird hieran deutlich, daß die beschriebene open-door policy gleichermaßen angemessen wie unabdingbar ist. Der Kommission dienen die Vorabkontakte der Informationsbeschaffung, auf die sie zur Sachentscheidung angewiesen ist, zumal sie 33 In der Geschäftsordnung der Kommission sind neben dem ordentlichen Beschlussfassungsverfahren zwei summarische Verfahren, das schriftliche Verfahren und das Ermächtigungsverfahren, vorgesehen. Vgl. hierzu Artikel 4, 12 und 13 GO-Kommission. 34 Siehe Artikel 15 GO-Kommission. 35 Ähnlich Janz, S. 61.
11. Konsultation vor Vorlage
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eine Art Prognose treffen muß, auf welche Weise und in welchem Umfang die Umsetzung ihrer Vorschläge in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wirken wird, nachgerade unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Aus ebendiesem Grund unternimmt es die jeweils betraute Arbeitsgruppe, vor der Vorlage an das Kollegium ihren Entwürfen regelmäßig eine fiche d'impact hinzuzufügen, die über die ökonomische Wirkung des Vorhabens im allgemeinen wie auch insbesondere über den Verwaltungsaufwand für kleinere und mittlere Unternehmen Auskunft gibt. Es entspricht der internen Übung, auch solchen Vorhaben eine Prognose anzugliedern, von denen keine oder geringe wirtschaftlichen Auswirkungen auf nationale Unternehmen erwartet werden 36 . 1. Informationsbeschaffung versus politische Abstimmung
Der aufgrund des Informationsbedarfs natürlicherweise entstehende Kontakt zu den zuständigen nationalen Einrichtungen ist darüber hinaus von dem im folgenden im Brennpunkt stehenden politischen Zweck motiviert, die Auffassungen derjenigen Stellen miteinzubeziehen, welche innerstaatlich die durch den Rat erlassenen Rechtssätze anzuwenden haben. Der Kommission bietet sich auf diesem Wege die Chance, sich der Zustimmung der nationalen Stellen zu versichern noch bevor der Rat mit dem Vorhaben formell bekannt wird, und damit die Erfolgsaussichten ihrer Initiativen zu steigern. Dieses Anliegen, dem nicht nur Noifl mit der Charakterisierung als "starker Versuchung" eine skeptisch-zurückhaltende Haltung entgegengebracht hat37 , kann zunächst für sich in Anspruch nehmen, daß sich die Verantwortung der Kommission natürlich nicht darin erschöpft, Vorschläge zu machen, sondern darauf erstreckt, ihre Annahme im Rat zu ermöglichen. Durch die Befassung der nationalen Delegationen mit einem Arbeitsdokument, das den konkreten Regelungsgehalt vorzeichnet, unternimmt es die Kommission, erst auf der Basis solcher Beratungen den eigentlichen Vorschlag auszuarbeiten. Im Mittelpunkt der näheren Betrachtung dieser Verbindungen steht die Unabhängigkeit der Kommission und ihre Verantwortlichkeit für das Gemeinschaftsinteresse. So sehr schon in den Anfangsjahren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Einschätzung laut wurde, die Kollaboration zwischen den Dienststellen der Kommission und den nationalen Verwaltungsstellen zur Ausarbeitung von Gesetzesvorschlägen sei gleichsam in der Dynamik des Vertrags begründet und widerspreche weder seinem Wortlaut noch seinem Geist38 , so sehr wurde auch die Kehrseite der Medaille ins Licht gedreht, nach der die Kommission ihre eigenen Präfe36
Rawonh, S. 34.
37
Noel, The Comrnission's power of initiative, S. 127: "There is a great temptation for the
Comrnission's services to try to work out compromise formulae at this stage, even though the national experts consulted take part in these debates as independent persons." 38 So der frühere Generalanwalt Lagrange, S. 16 f.: ,,( ... ) contenu ,en puissance' dans le Traite et n' est contraire ni a sa lettre ni a son esprit."
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
renzen verdeutlichen und den politischen Willen bewahren sollte, in eigener Verantwortung Vorschläge zu entwickeln, um sich nicht davon abhängig zu machen, was voraussichtlich im Rat konsentiert wird. Aus dieser Warte ist die Konsultation nicht an erster Stelle geboten, sondern bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich, wobei davor zu warnen ist, den informellen Austausch zum Einfallstor für nicht vorgesehenen Druck auf die unabhängige Entscheidungskompetenz aufreißen zu lassen 39 . Von Anbeginn hat die Kommission deutlich, wenn auch nicht lupenrein zwischen den Vorlagen, die eher technische Fragen zum Gegenstand haben, und Vorschlägen von hoher politischer Bedeutung unterschieden40. Hinsichtlich der ersten Gruppe stimmte sich die Kommission seit jeher in breiter Form mit den Ländern ab, indem sie deren Vorstellungen Rechnung getragen und den Vorschlag häufig auf die geltend gemachten Bedürfnissen zugeschnitten hat41 . Diese Bereitschaft war bei Vorlagen von erhöhtem politischen Gewicht nicht in gleichem Maße festzustellen, obwohl auch hier frühzeitige Kontakte zu Regierungsstellen nicht ausblieben42 . Mitunter hat die Kommission allerdings den "leichteren, einfachen Weg,,43 gewählt, bereits die Ausarbeitungsphase zu regelrechten Verhandlungen werden lassen und auch in Dokumenten von hervorragender politischer Bedeutung wie ihrer Stellungnahme an den Rat von 1967 betreffend die Beitrittsanträge Englands, Irlands, Dänemarks und Norwegens mitgeteilt, "en ce qui conceme les decisions que le Conseil prend sur proposition de la Commission, les difficultes ne devaient pas etre considerables si la Commission est en mesure de jouer pleinement son role de conciliation des interets nationaux au stade de l' elaboration des propositions ...44
Solche Zusammentreffen mit nationalen Experten, die gewissermaßen unverhohlen zur Vorbereitung der Beschlußfassung des Rates dienen, sind schon früh auf Kritik gestoßen, zumal sich (auch ohne entsprechende Regelungen im EWGVertrag) von Anfang an ein reger Austausch zwischen den Dienststellen der Kommission und Beamten aus den Regierungen etabliert hatte45 . Vor allem im Europäischen Parlament, dessen marginaler Anteil an der Rechtsetzung in den Anfangsjahren der Gemeinschaft gelegentlich den Eindruck einer beinahe objektiven BeKapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 414 ff. Siehe dazu bereits in Kapitel 2 unter I. 41 Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 414. 42 Siehe hierzu die Stellungnahme der Kommission auf die schriftliche Anfrage von MüllerNr. 196/67, ABI. 1967 Nr. C 312, S. 11 f. 43 van Miert, S. 210. 44 Supplement au Bulletin de la C.E.E., 1967, N° 11, S. 13, Punkt 15. (Hervorhebung d. Verf.) 45 Siehe hierzu die instruktive Darstellung bei van Miert, S. 208 f., wonach schon Anfang der sechziger Jahre pro Jahr im Schnitt über 1.300 Sitzungen von Kommissionsbeamten und nationalen Experten stattfanden. 39
40
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obachterstellung auf das Zusammenwirken von Kommission und Rat erwecken mochte, wurde schon zu Mitte der 60er Jahre gerügt, eine solche Kollaboration stifte die Kommission an, Kompromißlösungen mit den nationalen Regierungen anzustreben, bevor eine gemeinschaftliche Lösung überhaupt erarbeitet und als Vorlage verhandelbar gemacht werde. Diese einvernehmliche Zusammenarbeit verstoße gegen das Vertragssystem, weil die Kommission Vorschläge in autonomer Verantwortung unter Anleitung des von ihr in eigener Kompetenz zu formulierenden Gemeinschaftsinteresses vorzubereiten und einzubringen habe46 . Solchen Vorwürfen beigegeben war sicherlich die ja auch nicht aus der Luft gegriffene Befürchtung einer Vorabübereinkunft, bevor das Parlament im Anhörungsverfahren überhaupt die Möglichkeit habe, seinen Standpunkt darzulegen. Nichtsdestoweniger hat das Parlament auch nach Einführung des Mitentscheidungsverfahrens in einer Entschließung zu der "Rolle der nationalen Experten und dem Initiativrecht der Kommission" an der Auffassung festgehalten, daß die spezielle Gewaltenteilung im Legislativprozeß keine Vorabübereinkunft zwischen Kommission und Rat erlaube und seine Forderung nach größerer Transparenz der Vorkonsultationen mit der mahnenden Ankündigung unterstrichen, daß es "bei der künftigen Anwendung von Artikel 159 des EG-Vertrages (Artikel 214 EGV n. F.), soweit er sich auf die Zustimmung des Parlaments zur Ernennung neuer Kommissionsmitglieder bezieht", über der Wahrung der Unabhängigkeit der Kommission wachen werde47 . Die Kommission hat demgegenüber stets hervorgehoben, ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit gründe sich auf die Notwendigkeit, ausreichend über die Länderpositionen informiert zu sein, um die Vorhaben vorzubereiten, die das Gemeinschaftsinteresse soweit wie möglich fördern und gleichzeitig Aussicht auf Bestätigung im Rat behalten48 . Die Vorabbefassung verschaffe der Kommission im Planungsstadium nicht nur den Sachverstand, sondern, mehr noch, die Zustimmung der Mitgliedstaaten - ohne ihr die Fähigkeit zu einer eigenständigen Entscheidung über die endgültige Form zu nehmen49 . In den ersten Jahren der Wirtschaftsgemeinschaft von nicht unerheblichem Gewicht war auch das Argument, die frühzeitige Einbindung würde das Verständnis auf Staatenebene für gemein46 Remus, S. 270 ff., mit Auszügen aus Verhandlungen des Parlaments. Vgl. insbesondere den Bericht des Abgeordneten Deringer zum 5. Generalbericht der Kommission, Sitzungsdokument Nr. 74 von 1964, S. 38 ff. 47 Entschließung vom 16. 12. 1993 zu der Rolle der nationalen Experten und dem Initiativrecht der Kommission, ABI. C 1994 Nr. 20, S. 174. Nach der Rahmenvereinbarung zwischen dem Parlament und der Kommission vom 5. Juli 2000 trägt die Kommission mittlerweile ,,( ... ) dafür Sorge, die Instanzen des Rates rechtzeitig darauf hinzuweisen, daß sie kein politisches Einvernehmen über ihre Vorschläge erzielen sollen, solange das Europäische Parlament seine Stellungnahme nicht abgegeben hat. ", Bulletin EU 7 / 8 - 2000, S. 11 (Punkt 12). Zu dieser Entwicklung ausführlich in Kapitel 7 unter I. 48 Remus, S. 272. 49 Vgl. Raworth, S. 30.
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
schaftliche Anliegen verstärken, zumal die psychologische Integration von mindestens der gleichen Bedeutung sei wie die Integration der verschiedenen Rechtssysteme50 . 2. Zur Konsultationspflicht vor der Vorschlagsvorlage
Das somit im institutionellen Gefüge angelegte Spannungsverhältnis zwischen der reinen Informationsbeschaffung und der damit einhergehenden, zumindest aber potentiell beförderten Anpassung der Entwürfe ist unter der Prämisse einzuordnen, daß Konsultationen externer Stellen vor der formellen Vorlage, insbesondere von bestimmten Ausschüssen, dem System des Vorschlagverfahrens und mithin der Unabhängigkeit der Kommission nicht per se entgegenstehen. In den Gemeinschaftsverträgen ordnen einige Vorschriften Konsultationsverfahren an, wonach die Kommission bestimmte Ausschüsse hören muß, wie etwa den Wirtschaft- und Sozialausschuß zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Gestaltung und Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik51 , den beratenden Ausschuß für Verkehrsfragen52 oder nach dem - mittlerweile allerdings aufgehobenen - Artikel 69 EGV den Wahrungsausschuß zu den geplanten Vorschlägen für die Durchführung der schrittweisen Liberalisierung des Kapitalverkehrs 53 . In ähnlicher Form ist im Euratom-Vertrag die vorhergehende Konsultation des Ausschusses für Wissenschaft und Technik für Vorschläge zum Gesundheitsschutz vorgeschrieben 54 und im Montanvertrag die Anhörung eines beratenden Ausschusses für die Aufstellung von Quotensystemen55 . Diese Ausschüsse setzen sich aus Regierungsvertretern (Wahrungsausschuß56), von den Regierungen ernannten Experten (Beratender Ausschuß für Verkehrsfragen57 ) oder einem breiten Spektrum von Interessengrup50 Hallstein, La Commission, nouvel eil~ment dans la vie internationale, Londoner Rede vom 25. März 1965, S. 7, zitiert nach van Miert, S. 209. 51 Artikel 37 Abs. 2 EGV. Vgl. Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar Artikel 37 EGV Rn. 29 ff.: Neben der Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses gehen den Vorschlägen der Kommission regelmäßige Konsultierungen der nationalen Landwirtschaftsbehörden und der betroffenen landwirtschaftlichen Kreise durch ihre Interessenvertretungen voraus. 52 Siehe hierzu Artikel 79 EGY. 53 "Der Rat erläßt während der beiden ersten Stufen einstimmig und danach mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission, die zu diesem Zweck den in Artikel 105 vorgesehenen Währungsausschuß hört, die erforderlichen Richtlinien für die schrittweise Durchführung des Artikels 67." Der Währungsausschuß war bis zu Beginn der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion gemäß Artikel 114 EGV mit der Beobachtung der Währungs- und Finanzlage in den Mitgliedstaaten betraut. Mittlerweile ist der Wirtschafts- und Finanzausschuß an seine Stelle getreten, Artikel 114 Abs. 2 EGV. 54 Siehe Artikel 31 EAGV. 55 Siehe Artikel 58 Abs. 3 EGKSY. 56 Siehe Artikel 69 EGVa. F. 57 Siehe Artikel 79 EGY.
II. Konsultation vor Vorlage
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pen (Wirtschafts- und Sozialausschuß58 ) zusammen. Folglich ist zumindest für die ausdrücklich benannten Fälle die Einwirkung auf die laufenden Kommissionsarbeiten im Gemeinschaftsrecht selbst angelegt. Es versteht sich auch, daß die genannten Ausschüsse nicht auf die bloße Kommentierung der Vorstellungen der Kommissionsvertreter beschränkt sind, sondern eigene Ideen einbringen können. Dies ist überdies den Vorschriften zu entnehmen, denen zufolge die wichtigsten Ausschüsse und weitere Stellen von sich aus Stellungnahmen an die Kommission zu richten berechtigt sind, namentlich der Wirtschafts- und Finanzausschuß59 , der Wirtschaft- und Sozialausschuß60 , der Ausschuß der Regionen61 , das Europäische Währungsinstitut62 und der Rechnungshof3 . Außerdem werden auch manche im Vertrag nicht genannten, sondern durch Beschlüsse des Rates eingerichteten beratenden Ausschüsse ausdrücklich legitimiert, Vorstellungen für Vorschläge zu machen, die den Arbeitsgruppen der Kommission unterbreitet werden können64 •
In dieses Bild fügen sich die allgemeinen Aufforderungsrechte des Rates und des Europäischen Parlaments gemäß den Artikeln 208 und 192 Abs. 2 EGV (und die für spezielle Politiken bestehenden Aufforderungsrechte 65 ) ihrer Systematik nach nicht unmittelbar ein, weil sie keinen Anspruch begründen, an der Ausarbeitung beteiligt zu werden, sondern darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der Kommission auf bestimmte Projekte zu lenken. Gleichwohl ist eine enge Verbindung unverkennbar. Zum einen reichen die Aufforderungen in ihrer Wirkung noch über die Konsultationen hinaus, weil hier schon das zu regelnde Projekt Gegenstand der förmlichen Einflußnahme ist und nicht bloß die zur Formulierung eines - von der Kommission in eigener Initiative geplanten - Entwurfs erfolgenden Vorarbeiten. Vor allem aber wird bei einer förmlichen Aufforderung zur Vorlage auch eine Beteiligung an der konkreten Ausarbeitung die Absicht des auffordernden Organs sein, dem schließlich an einer Abstimmung mit der Kommission über das avisierte Projekt gelegen ist. Diese Zielrichtung ist den Artikeln 208 und 192 Abs. 2 EGV sogar vorgegeben, indem es heißt, daß die Kommission zur Vornahme derjenigen Untersuchungen aufgefordert wird, die der Rat bzw. das Parlament für geeignet hält. Ein ähnlicher, seit dem Maastrichter Unionsvertrag vertraglich niedergelegter Einfluß auf die Initiativtätigkeit der Kommission ist den Mitgliedstaaten über den Siehe Artikel 257 EGV. Siehe Artikel 114 EGV. 60 Siehe Artikel 262 EGY. 61 Siehe Artikel 265 EGY. 62 Siehe Artikel 117 Abs. 4 EGY. 63 Siehe Artikel 248 EGV. 64 Vgl. Artikel 81 g) va Nr. 1408171 des Rates vom 14. 6. 1971 zur "Verwaltungskommission" für die soziale Sicherheit von Wanderarbeitnehmern, ABI. Nr. L 1971, S. 2 (Nr. 149). 65 Artikel 14 Abs. 4 EUV, 115 EGV, 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV, 67 Abs. 2 EGV. Vgl. dazu Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 1. Siehe hierzu bereits in Kapitel 1 unter I. 2. Vgl. zu den Aufforderungsrechten in Kapitel 5 unter III. I. 58
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
Europäischen Rat eröffnet, der gemäß Artikel 4 EUV die politischen Zielvorstellungen für die Entwicklung der Europäischen Union festlegt und damit Impulse auch für die den Gemeinschaftsverträgen unterfallenden Bereiche geben kann und soll - also in den Bereichen, in denen der Kommission das exklusive Vorschlagsrecht eingeräumt ist. Die Mitgliedstaaten nutzen nicht selten über den Europäischen Rat - im Kollektiv, aber auch einzeln - die Bühne der höchsten politischen Instanz der Europäischen Union, um von der Kommission die Vorlage von Gesetzesvorschlägen zu verlangen 66 . Ohne bereits an dieser Stelle auf die Leitungsfunktion des Europäischen Rates einzugehen67 , gilt auch hier, daß die konkret gefaßten Aufforderungen aus dem Europäischen Rat bis in die Details der Ausarbeitung durch die Kommission hineinwirken können. Indem das Gemeinschaftsrecht in bestimmtem Umfang die Einwirkung ausdrücklich anerkennt, findet sich die eingangs wiedergegebene Einschätzung, Konsultationen nationaler Stellen verletzten nicht die Unabhängigkeit der Kommission und nicht ihre Verantwortung für das Gemeinschaftswohl, bestätigt. In dieser Einschätzung ist unausgesprochen die Sicherheit enthalten, daß die Kommission, dem Charakter von Anhörungen gemäß, in keinem Fall verpflichtet ist, Änderungswünsche einzuarbeiten und sich hierzu wegen ihrer autonomen Stellung weder selbst verpflichten dürfte noch verpflichtet werden könnte68 . Die jeweilige Arbeitsgruppe berücksichtigt zwar sämtliche Stellungnahmen und gibt darüber Auskunft, da jede Anhörung in der Präambel des endgültigen Vorschlagstexts festgestellt wird. Es steht der Kommission aber frei, sich von den Stellungnahmen der nationalen Experten wie unabhängigen Sachverständigen zu distanzieren und einer anderen Lösung den Vorzug zu geben. Diese inhaltliche Freiheit besitzt die Kommission nicht nur bei den freiwilligen Anhörungen, sondern uneingeschränkt auch bei der obligatorischen Konsultation. 3. Stellungnahme
So wenig zwischen den zwingenden Anhörungen und den freiwillig entgegengenommenen Stellungnahmen zu unterscheiden ist, was ihre mögliche Bindungswirkung angeht, vielmehr deren Unverbindlichkeit Voraussetzung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit ist, so eindeutig führen die nur ausnahmsweise geregelten Konsultationspflichten vor, daß die Kommission ihr Vorschlagsrecht in Unabhängigkeit ausüben muß. Der Schutz dieser Unabhängigkeit bedeutet in concreto, daß in allen Fällen, für die keine vorherige Anhörung vorgesehen ist, die 66 Beispielsweise hat Frankreich 1988 im Europäischen Rat die Vorlage eines Vorschlags über eine gemeinsame Quellensteuer verlangt. Die Richtlinie 88/3611EWG (ABI. 1988 Nr. L 178, S. 5) enthielt in Artikel 6 Abs. 5 einen entsprechenden Gesetzgebungsauftrag. Die Kommission hat dem Verlangen mit dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein gemeinsames System einer Quellensteuer auf Zinsen entsprochen, ABI. 1989 Nr. C 141, S. 5. 67 Siehe hierzu in Kapitel 4 unter I. 68 Zu dieser Frage näher in Kapitel 7 unter 11. 3. c).
11. Konsultation vor Vorlage
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Kommission nicht an Verfahrensregeln gebunden sein darf, die nicht im Vertrag stehen69 • Um diese Regel für die Konsultationen mit den nationalen Verwaltungen zu betonen, läßt sich an dieser Stelle zusätzlich auf Artikel 218 Abs. 1 EGV verweisen, wonach die Kommission und der Rat ihre Zusammenarbeit im Einvernehmen regeln 7o . Diesem Gebot entspricht die praktische Verfahrensweise in den allermeisten Fällen71. Entsprechend der geringen Anzahl obligatorischer Anhörungen von den Regierungen gesandter Fachbeamten machen die Stellungnahmen der gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Ausschüsse nur den geringsten Teil der Beteiligung nationaler Verwaltungen aus. In der Mehrzahl dominieren die von der Kommission geleiteten Anhörungen. Vor dem Hintergrund ihrer Herrschaft über Form und Gestalt der Konsultationen erklärt sich die Neigung der Kommission, zumeist beratende ad hoc-Ausschüsse zu bilden, in die sie nach ihrer Vorstellung neben Beamten aus den nationalen Administrationen auch unabhängige Experten aus der Wissenschaft einlädt72 . Die Kommission steht in keiner Verpflichtung, für den informellen Austausch jene ständigen Ausschüsse zu konsultieren, die nach der formellen Vorlage beim Rat befaßt werden oder die sonst vom Rat gebildet worden sind. Es ist vor allem die übliche Zusammensetzung dieser Ausschüsse, wegen der sie die Kommission nicht für geeignete Foren für eine engere Abstimmung im Vorfeld hält. Die Kommission ist darin meist gar nicht vertreten, von der Ausnahme des mittlerweile aufgelösten Währungsausschusses und des an seine Stelle getretenen Wirtschafts- und Finanzausschusses abgesehen73. Aber selbst jene vom Rat eingerichteten Ausschüsse, denen formell ein Kommissionsmitglied vorsteht, wie im Ausschuß für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz74 und Noel, The Commission's Power ofInitiative, S. 125 f. Noel, The Commission's Power of Initiative, S. 125; Schmitt von Sydow, in: Groebenl Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 162 EGV Rn. 3 f. 71 Gelegentlich hat der Rat aber die Beratungen von Vorschlägen abgelehnt, wenn diese nicht in bestimmten Ausschüssen vorbereitet wurden. Zu dieser Problematik vgl. näher Raworth,S.31. 72 Vgl. Artikel 4 des Beschlusses 87/305 EWG der Kommission zur Einsetzung eines Beratenden Ausschusses für die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens, ABI. 1987 Nr. L 152, S. 32 ("unabhängige Sachverständige"). 73 Artikel 114 Abs. 2 und 3 EGV sieht vor, daß die Mitgliedstaaten, die Kommission und die EZB jeweils zwei Mitglieder ernennen. Der Kommission steht damit, wie den Mitgliedstaaten und der EZB, ein Benennungsrecht zu. Weitere Vorschriften über die Zusanunensetzung sind vom Rat zu erlassen, der entsprechende Regelungenjm Beschluß 743/98 getroffen hat, ABI. 1998 Nr. L 358, S. 109. Danach ist vorgesehen, daß die Mitglieder des Ausschusses aus einem Kreis von Personen mit herausragender Sachkunde im Wirtschafts- und Finanzbereich gewählt werden, vgl. Artikel 2. 74 Siehe hierzu Artikel 6 § 1 des Beschlusses des Rates 74/325 EWG zur Einsetzung eines Beratenden Ausschusses für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, ABI. 1985 Nr. L 185, S. 15, wonach den Vorsitz ein Mitglied der Kommission führt, ausnahmsweise im Falle seiner Verhinderung auch ein von ihm benannter Kommissionsbeamter. 69
70
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kornrnissionsvorschläge
im Pharmazeutischen Ausschuß75 , oder in deren Verfahrensordnungen die Einrichtung von durch Kommissionsbeamte geführte Arbeits- und Studiengruppen vorgesehen ist, wie im Fall der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit von Wanderarbeitnehmern 76, bezieht die Kommission nicht in die Kommunikation vor der Vorschlags vorlage ein, da sie ausschließlich mit Experten besetzt sind, die der Rat oder die Mitgliedstaaten benennen77 und in denen sogar die vorsitzenden Kommissionsmitglieder oder -beamten nicht selten von den Abstimmungen ausgeschlossen sind78 . Hinzu kommt, daß die Ausschüsse des Rates ihre Stellungnahmen überwiegend in fönnlicher Abstimmung beschließen und also eine Entscheidungsfonn pflegen, die eher der Annahme eines endgültigen Textes angemessen ist als der Diskussion über einen vorläufigen Entwurf79 • Trotz der fonnellen Verfahrensfreiheit führt politischer Druck häufig dazu, die Konsultationen zu einem veritablen Forum der Abstimmung mit den nationalen Stellen über den vorzulegenden Entwurf auszubauen. Und auch wenn die Kommission nicht ohne Berechtigung geltend gemacht hat, daß die Herrschaft über die Konsultationen ihre Unabhängigkeit eher betone als aufhebe 8o , läßt der Ziel- und Interessenkonflikt zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten keinen Zweifel an der Doppelköpfigkeit der Präkonsultationen, umso markanter noch als diese ihrer Struktur nach in der Motivation der Kommission selbst angelegt ist. Das sachlich gerechtfertigte Bedürfnis der Kommission, die potentielle Haltung der Regierungen kennenzulernen, um ihre Arbeit nicht im theoretischen Raum zu verrichten, und zu diesem Zweck den Austausch mit Beamten zu pflegen, die nicht als Vertreter ihrer Länder, sondern als Experten zu den Sachfragen gehört werden, 75 Siehe hierzu Artikel 3 § 3 des Beschlusses des Rates 75/320 EWG betreffend die Einsetzung eines Pharmazeutischen Ausschusses, ABI. 1975 Nr. L 147, S. 23. 76 Vgl. Artikel 4 der Satzung der bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingesetzten Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, ABI. 1982 Nr. C 61, S. 31. 77 Vgl. Artikel 6 § 4 des Beschlusses des Rates 74/325 EWG zur Einsetzung eines Beratenden Ausschusses für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, ABI. 1985 Nr. L 185, S. 15; Artikel 1 der Satzung der bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingesetzten Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, ABI. 1982 Nr. C 61, S. 31 i. V. m. der Verordnung Nr. 1408171 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABI. 1971 Nr. C 149, S. 2. 78 Vgl. Artikel 6 § 1 des Beschlusses des Rates 74/325 EWG zur Einsetzung eines Beratenden Ausschusses für Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, ABI. 1985 Nr. L 185, S. 15. 79 So auch Raworth, S. 31. 80 Siehe hierzu die Erklärung des früheren Kommissionspräsidenten Rey vor dem Europäischen Parlament in einer Aussprache vom 20. September 1967, Dok. Nr. 94/67, S. 13: "Une cooperation plus personnelle et plus constante entre les membres de I'Executif europeen et les gouvernements nationaux en dehors meme du Conseil des ministres ( ... ) la Commission n'envisageait nullement de demander a qui que ce soit, une permission sur n'importe quel sujet, avant des se prononcer sur ce qui est de sa responsabilite."
11. Konsultation vor Vorlage
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verträgt sich mit der parallellaufenden Erwartung, mittels einer flexiblen Haltung in diesem Stadium die Erfolgsaussichten der Vorschläge zu verbessern, nur bedingt. Es kann sogar einen echten Widerspruch in sich bergen. Denn es ist ein ungewisses Unterfangen, aus dem Verlauf von Konsultationen (und deren "Ergebnissen"), die außerhalb der Rechtsetzungsverfahren im informellen Bereich angesiedelt sind, eine verläßliche Prognose über die spätere Weiterbehandlung zu gewinnen. Die praktischen Erfahrungen hinsichtlich der Übereinstimmung von vorangehenden unverbindlichen Stellungnahmen und späterem Abstimmungsverhalten haben denn auch, wie die Kommission von sich aus mitgeteilt hat, häufig nur von "Enttäuschung"Sl bis zu "Irritation"S2 gereicht, weil ungeachtet der gefundenen Kompromißlösungen mit Eröffnung der offiziellen Verhandlungen die Vorlage zum Gegenstand neubeginnender Diskussionen geriet und substantielle Änderungsverlangen nicht ausblieben. Die solcherart zu Tage tretende Kluft zwischen unverbindlichem Austausch im Vorfeld und formellen Verhandlungen verbreitert sich noch dadurch, daß in einer Vielzahl von Verhandlungen es ein und dieselben nationalen Beamten und Sachverständige sind, die auf beiden Ebenen unterschiedliche Auffassungen vortragen. Es gehört zur täglichen Erfahrung, daß die eben noch im informellen Austausch angehörten Beamten in den Arbeitsgruppen des Ausschusses der Ständigen Vertreter, diesmal als Repräsentanten ihrer Länder mit entsprechenden Weisungen versehen, den zuvor entworfenen Komprornißentwurf ablehnen und die Verhandlungen von Neuem beginnen lassen s3 . Gegen die Wiederaufnahme der Beratungen von Grund auf ist die Kommission aber machtlos. Aus ihrer Sicht besitzt die soeben noch als Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit der Vorabkonsultationen identifizierte Unverbindlichkeit der Anhörungen mithin im Fall erfolgreich verabredeter Kompromißlösungen die unangenehme Nebenwirkung, daß sie die vorab eingeholten Stellungnahmen nicht gegen die jeweiligen Regierungen geltend machen kann. Unter diesem Eindruck einer häufig erfolglosen Kompromißbereitschaft richtet sich das Augenmerk auf das von der Kommission angeführte Argument der notwendigen Informationsbeschaffung. Ebenso aber wie die Unsicherheit über die Halbwertzeit informell abgesprochener Entwürfe den Vorteil einer frühzeitigen Zustimmung mit einem Fragezeichen versieht - die Legitimität des Strebens nach vorangehender Zustimmung einmal dahingestellt -, kann sich die Kommission auch nicht ohne Einschränkung auf das Erfordernis eines neutralen Informationsaustausches berufen. Es ist nicht zu übersehen, daß die Einbindung sachverständiger nationaler Beamten, auch wenn sie nicht als offizielle Vertreter auftreten, den Wunsch aller Regierungen erfüllt, bereits so früh wie möglich beteiligt zu werden. Dieser Wunsch wiederum steht der Unverbindlichkeit des Austausches, wenn nicht rechtlich, so 81
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Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 523. Spence, S. 112. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 523.
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
doch in der gemeinschaftspolitischen Realität, entgegen. Zwar ist gelegentlich angesichts der Fülle gleichzeitig in den Verhandlungen befindlicher Vorhaben und der Überfrachtung der Konsultationen in zahllosen Ausschüssen, Arbeitsgruppen und sonstigen Komitees die Vermutung geäußert worden, die nationalen Regierungen würden darauf verzichten, an allen informellen Vorabrunden teilzunehmen und sich erst in den Schlüsselverhandlungen mit der formellen Vorlage befassen, weil es gleichsam noch nicht an das Eingemachte gehe84 . Diese Annahme ist in der Praxis allerdings von der Erkenntnis überholt worden, daß es für jede Regierung eine riskante Strategie bedeutet, an Vorkonsultationen nicht teilzunehmen, in denen sich - unbeschadet ihres informellen Charakters - die Hauptlinien der später in den Ratsverhandlungen abspielenden Verhandlungen bereits herauszubilden beginnen. Ganz im Gegenteil hat sich aus staatlicher Sicht vorzugswürdig erwiesen, so früh wie möglich um die Berücksichtigung der eigenen Position zu werben und sich nicht auf die Ratssitzungen zu verlassen, die womöglich doch einmal - wie von der Kommission intendiert - nur der Bestätigung einer vorab konsentierten Fassung dienen könnten. Die Bereitschaft der Kommission, einen ungebundenen Meinungsaustausch einzurichten, der gleichzeitig zur Abschätzung eines beschlußfähigen Entwurfs führen soll, hat deswegen eine Entwicklung vorangetrieben, in der die vertragliche Trennung zwischen Vorschlagsphase und Beratungs- und Entscheidungsphase zu verschwimmen droht. Je mehr die Regierungen frühzeitig auf die Kommission einwirken, umso weiter verlagert sich der Entscheidungsprozeß aus den offiziellen Ratssitzungen in das komplexe Netzwerk von Ausschüssen und Arbeitsgruppen, mit der Folge, daß es in praxi immer schwerer fällt, zwischen der Vorschlagsphase der Kommission und der Verhandlungsphase im Rat zu unterscheiden 85 , womit nicht zuletzt die institutionellen Verantwortlichkeiten gegenüber der Öffentlichkeit sowie speziell dem Europäischen Parlament verwischt werden 86 • Mithin bieten die Anhörungen ein ambivalentes Bild. Die Konsultationen hindern die Kommission zwar nicht zwangsläufig daran, ihre Verantwortlichkeit wahrzunehmen. Der Antagonismus zwischen purem Informations- und Meinungsaustausch und dem Versuch einer aussichtsreichen Abstimmung kann rasch aber in eine Konfliktatmosphäre führen. Sofern aufgrund der Bereitschaft der Kommission, eine im Rat mehrheitsfähige oder sogar allgemein konsentierte Fassung vorzulegen, die Konsultationen ein Ausmaß annehmen, in denen ihr Entwurf nur noch als Arbeitspapier fungiert, dem die nationalen Beamten eigene Entwürfe entgegenstellen, ist die Rolle der Kommission und ihre Wahl der Problemlösung beeinträchtigt und im politischen Machtverhältnis zum Rat geschwächt. Nicht nur unter rechtspolitischen Maßstäben tut sich ein Spannungsfe1d auf. Auch aus der juristischen Warte läuft die weitgehende Abstimmung wider die 84
85 86
Vgl. Spence, S. 112. Janz, S. 62; ähnlich Wallace, S. 44. Gilsdorf, S. 95.
III. Primat der Mitgliedstaaten: Entscheidungsrecht
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Konstruktion des exklusiven Vorschlagsrechts und damit in ein für das institutionelle Gleichgewicht erhebliches Dilemma. Nach dem Vertragssystem ist vorgesehen, daß der Rat auf Vorschlag der Kommission beschließt, also verpflichtet ist, seine Verhandlungen auf jene Vorlage zu beziehen, welche die Kommission geliefert hat. Diese Maßgabe droht konterkariert zu werden, wenn die informellen Kontakte Entwürfe zum Ergebnis haben, die in Wahrheit nicht von der Kommission stammen, sondern das Produkt einer Anpassung an die - ihrerseits untereinander divergierenden - Positionen der nationalen Beamten darstellen. So wie Artikel 250 Abs. 1 EGV das Verbot von die Finalität des Vorschlags mißachtenden Änderungen zu entnehmen ist87 , läßt sich erkennen, daß diese Vorschrift ihres Sinnes beraubt wäre, wenn die Mitgliedstaaten sich im Wege der vorvertraglichen Einflußnahme auf die Kommission mehr oder weniger einen eigenen Vorschlag vorlegen dürften. An dieser Schnittstelle zwischen rechtspolitischer und juristischer Würdigung rücken die Konsultationen, die auch ohne Bindungswirkung unverkennbar von undertones of negotiations gezeichnet sind, die genuin politische Bedeutung des Vorschlagsrechts in den Mittelpunkt des Zusammenspiels von Kommission und Rat.
Irr. Der Primat der Mitgliedstaaten: Zur Ausrichtung des Vorschlags am Entscheidungsverhalten des Rates
Der Gebrauch des Vorschlagsrechts dient seit ehedem als wichtigster Indikator für die Machtverhältnisse zwischen der Kommission und dem Rat. In überaus charakteristischer Weise hatte schon Ehlermann seine Anfang der achtziger Jahre erschienene Studie über "Das schwierige Geschäft der Europäischen Kommission"s8 mit der Einschätzung eröffnet: ,,In den letzten Jahren hat die Initiativkraft der Kommission nachgelassen. Sie wirkt auf viele als eine dem Rat ,dienendes' Organ, eine Art ,Generalsekretariat' des Rates, während der Vertrag sie nachdrücklich dem Rat gleichgestellt hat.,,89
In der Tat findet sich die Verortung der Kommission in der institutionellen Balance beinahe ausschließlich nach ihrem Erfolg als Initiator und Motor des gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses bemessen. Der Einsatz ihrer autonomen oder vom Rat übertragenen Entscheidungsbefugnisse, ihre Aufgaben als Hüterin des Gemeinschaftsrechts und als Vertreterin der Gemeinschaft in den Außenbeziehungen werden hingegen zum größten Teil nur am Rande berücksichtigt, häufig auch 87 Siehe bereits in Kapitel 2 unter I. 2. 88 Ehlermann, S. 336. 89 Diese Feststellung Ehlermanns ist ihrerseits ein Zitat, nämlich dem Lehrbuch von HaI/stein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 87, entnommen. S von Buttlar
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
überhaupt nicht mit ins Kalkül gezogen 90 . Mit einem Wort: Es geht fast immer um eine Art Statistik, inwieweit die Kommission in welcher Zeit erfolgreiche Initiativen zur Weiterentwicklung der Gemeinschaft bzw. Europäischen Union auf den Weg gebracht hat. Als Ausfluß der Trennung von Vorschlags- und Entscheidungskompetenz ist die Kommission hierfür allerdings auf den Konsens und die Entscheidungsfreudigkeit des Rates angewiesen 91 . Aus dieser Abhängigkeit konnte jene typische Kurzformel entstehen, laut der zur Würdigung der Kommissionsarbeit im Grunde nur noch die Alternativen entweder einer Blütezeit oder aber ihrer Belastung durch das politische Übergewicht des Rates übrig zu bleiben scheinen: "La qualite des hommes et les circonstances permettent de distinguer des periodes ou la Commission exerce pleinement son pouvoir d'initiative et d'autres ou son initiative s'efface et ou elle peut apparaitre, ason corps defendant, comme le serviteur du Conseil.'.92
Dieser Abschnitt und das folgende Kapitel enthalten sich weitgehend einer historischen Schilderung der so bemessenen starken wie schwachen Phasen der Kommission. Eine auf ihre Erfolge als Initiatorin ausgerichtete Einordnung der jeweiligen Kommissionen haben - ausführlich - Cini93 und - in einer Übersicht Nugent94 geliefert. Im Vordergrund stehen stattdessen jene Implikationen, welche die Legislativvorlagen in ihrer tatsächlichen Bedeutung über einen formal-technischen Akt hinausreichen lassen. Obwohl die Mehrzahl von Initiativen zur Entwicklung der Gemeinschaftspolitiken außerhalb der Kommission ihren Ursprung finden, kommt ihrer Transformation in Rechtsaktentwürfe eine genuin politische Bedeutung zu.
1. Die Abhängigkeit des Vorschlags vom Abstimmungsverhalten der Mitgliedstaaten Wie sich schon bei der Untersuchung der juristischen Reichweite der Änderungsrechte gemäß Artikel 250 EGV herausgestellt hat, hängt die politische Tragweite des Vorschlagsmonopols wesentlich von der Beschlußfassung des Rates ab 95 . Wenn dieser mit qualifizierter Mehrheit beschließt, erlangt die Kommissionsvorlage ihre stärkste Bedeutung für die Ratsentscheidung, da der Vorschlag dann entweder unverändert angenommen wird oder die Kommission selbst Änderungen 90 Auf diese typische Schwerpunktsetzung der Kritik hat Ehlermann, S. 336, selbst hingewiesen. 91 Schmitt von Sydow, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 162 EGV Rn. 4. 92 Rideau, S. 476. 93 Cini, S. 36-95. 94 Nugent, S. 225 - 233. 95 Siehe bereits in Kapitel 2 unter 1.2. Ausführlich Temple-Lang/Gallagher, The Role of the Commission, S. 20 ff.
III. Primat der Mitgliedstaaten: Entscheidungsrecht
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vornimmt. Umgekehrt verliert der Vorschlag seine prägende Wirkung, wenn der Rat einstimmig - auch wesentliche - Änderungen beschließt. Ausgehend von dieser Grundlage, die mit dem Mitentscheidungsverfahren die Ergänzung erfahren hat, daß im Vermittlungsverfahren Rat und Parlament gemeinsam Änderungen beschließen können, ohne daß der Rat auf Einstimmigkeit angewiesen ist96 , zeigt sich - wie bereits angedeutet - die besondere Bedeutung des Änderungsrechts der Kommission darin, ihren Entwurf jederzeit korrigieren zu können. Auch wenn die Position der Kommission in rechtlicher Hinsicht recht komfortabel scheint, und in der Literatur die Kombination aus Vorschlagsrecht und Änderungsrecht als Beleg für ein echtes Kräftegleichgewicht hervorgehoben wird97 , erlaubt sie nicht immer, das enorme Gewicht unterschiedlicher Interessen der Länder durch ihr angemessen erscheinende Verbesserungen respektive Anpassungen auszubalancieren. Die Kommission hat sich im Prinzip stets bereit gezeigt, ihren Entwurf im Sinne der im Rat verlangten Fassung umzugestalten anstelle den Einstimmigkeitszwang für den Rat auszulösen98 . Diese Bereitschaft hat sie mit den Folgen eines Beharrens auf der ursprünglichen Version, oder umgekehrt: mit einem Zwang zur Anpassung begründet. Würde die Kommission sich nicht der mehrheitlichen Stimmung fügen, so blieben am Ende nur zwei Alternativen übrig. Entweder würde der Rat mangels Einstimmigkeit über das vorgelegte Gesetzgebungsprojekt überhaupt nicht beschließen, in welchem Fall es zu einer Verzögerung der Integration komme. Es spreche die Vermeidung eines Stillstands mithin schon grundsätzlich dafür, im Zweifel einer beschlußfähigen Fassung den Vorzug zu geben. Hieraus erkläre sich im übrigen auch ihre gelegentliche Taktik, sich der notwendigen Mehrheit für ihren Vorschlag bereits durch Zugeständnisse an einzelne Mitgliedstaaten im Ausarbeitungsstadium zu versichern. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß sie erheblichen Rechtfertigungsbedarf auf sich laden würde, wenn sie die Entscheidungsfindung der Mitgliedstaaten behindere oder gar vereitele an statt die ihr zugewiesene Moderatorenrolle auszuüben99 . Oder aber der Rat beschließe tatsächlich einstimmig und ändere den eingebrachten Entwurf im Sinne eines unter den Mitgliedstaaten erzielten Konsenses. Dieser Fall, den der Vertrag ausweislich Artikel 250 Abs. 1 EGVan sich als Normalfall vorsieht, konfrontiere die Kommission mit der politischen Komplikation, daß ihre Weigerung zur Nachbesserung den Rat zu substantiellen Änderungen veranlassen könnte, welche wiederum auf der Grundlage von Gegenentwürfen ergehen und da96 Auch hier bleibt die Kommission nicht unbeteiligt, sondern nimmt eine Vermittlerrolle ein, Artikel 251 Abs. 4 S. 2 EGV. Siehe hierzu bereits in Kapitel 2 unter 1.2. 97 Lewis, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 250 EGV Rn. 4; Usher, S. 147. 98 KapteynlVerLoren van ThemaatlGormley, S. 410; Temple-LangIGaliagher, The Role of the Commission, S. 39 f. 99 Hierzu SmithlKelemen, S. 10; Nugent, The European Commission, S. 205 f.; Kapteynl VerLoren van ThemaatlGormley, S. 410.
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
mit das Vorschlagsmonopol der Kommission in Frage stellen könnten loo. Wie als Mahnruf hatte das Europäische Parlament schon wenige Jahre nach Gründung der Gemeinschaft in einer Entschließung von der Kommission in vielsagender Formulierung verlangt, daß sie ,,( ... ) wenn nach Lage der Dinge eine Änderung ihrer Vorschläge erforderlich und vertretbar ist, ihre Vorschläge selbst abändert und es nicht dem Ausschuß der Ständigen Vertreter überlässt, neue Vorschläge auszuarbeiten... 101
Ohne im einzelnen auf diese beiden, wenn nicht zur Absolution der Kommission so doch zur Erläuterung ihres Verhaltens angeführten Konsequenzen einzugehen kritische Betrachtungen hierzu finden sich bei Ipsen 102 -, ist anzumerken, daß diese Bedrohungsszenarien zumindest nicht für jene Fälle verfangen, in denen die Kommission durch frühzeitiges Einschwenken auf eine sich abzeichnende Einheitsfront im Rat eine Lösung mitträgt, die sie eigentlich nicht stützt und mit der sie vor allem erreichen will, eine langwierige Debatte zu vermeiden. Hier ist mit Recht eingewandt worden, daß der Kommission schon im Interesse einer klaren Abgrenzung der Verantwortlichkeiten aufgegeben ist, die ihr durch ihr Änderungsrecht eingeräumte Stellung voll auszunutzen, um sich Lösungen zu widersetzen, die sie nicht verantworten kann, und gegebenenfalls erst einmal abzuwarten, ob der Rat (nicht doch) in der Lage ist, ihre Vorschläge abzuändern 103 • Schließlich ist nicht einzusehen, weswegen der Kommission automatisch ein Schaden entstünde, wenn sie sich - mit Ausnahme von besonders gelagerten, hochpolitischen Fragen lO4 - vom Rat überstimmen ließe, zumal dann, wenn es darum geht, wider der eigenen Überzeugung Kompromißtexten ihr Plazet zu geben, die manchesmal nicht mehr als das berüchtigte Konglomerat von Sonderwünschen der staatlichen Bürokratien enthalten,05. Trotz dieser Kritik hat die Kommission immer wieder ihre Bereitschaft signalisiert, Vorschläge im Sinne der im Rat verlangten Umstellungen zu ändern, "wenn dadurch nicht sein Sinn und Inhalt denaturiert wird und die Änderungen den Beschluß des Rates erleichtern.'" 06 Obwohl in dieser Nachgiebigkeit die Einsicht mitschwingt, daß dann, wenn der Rat sich über die Ausgestaltung eines GemeinHierzu van Miert, S. 213. Entschließung über die Stellung des Parlaments im Hinblick auf die neuere institutionelle Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften, ABI. 1966 Nr. C 201, S. 3467 (Punkt 12) (Hervorhebung d. Verf.). 102 Ipsen, Die EG in der Reformdiskussion, S. 817 ff. 103 Auch hierauf hatte das Europäische Parlament hingewiesen, ABI. 1966 Nr. C 201, S. 3467 (Punkt 13). 104 Gilsdorf, S. 96. 105 Ähnlich Gilsdorf, S. 96. 106 Auf diese Bereitschaft hat - wiederholt und nicht ohne Kritik - vor allem Noel, der erste Generalsekretär der Kommission, hingewiesen, in: The Commission's Power of Initiative, S. 126. Ebenso Gilsdorf, S. 91 ff. Vgl. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 528; Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 409. 100
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III. Primat der Mitgliedstaaten: Entscheidungsrecht
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schaftsprojekts auf einer neuen Grundlage einig wird, das juristische Vorrecht der Kommission häufig ohnehin nur noch theoretisch besteht, ist damit auch kundgetan, daß die Kommission eigentlich keine Gegen- und Alternativentwürfe zu ihrem Vorschlag tolerieren kann, weil diese ihre Autorität schwächen können. 2. Die Entwertung des Vorschlagsrechts im Zuge der Einstimmigkeitspolitik des Rates
Ebendiese Schwächung ist als Ausfluß der systematischen Einstimmigkeitspolitik des Rates nach den Luxemburger Beschlüssen der EWG-Außenminister vom 29. Januar 1966 107 beobachtet worden, zumal in ihrer Folge in den Beratungen der Ratsausschüsse den Kommissionsvorschlägen regelmäßig von Seiten der Mitgliedstaaten in gleichsam synoptischen Darstellungen Alternativlösungen gegenübergestellt wurden. In der Vereinbarung, von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen zugunsten von einstimmigen Beschlüssen Abstand zu nehmen, sofern ein Mitgliedstaat sich auf einem Mehrheitsbeschluß entgegenstehende vitale nationale Interessen beruft woraus für lange Jahre eine allgemeine Scheu vor Mehrheitsbeschlüssen resultiertelOS -, lag auch der Verlust der in der Verständigung auf Mehrheitsentscheidungen liegenden Prädisposition, gegebenenfalls Kompromißlösungen der Kommission zu akzeptieren. Unbeschadet ihrer von Anfang an in Frage gestellten rechtlichen Bindungskraft lO9 zeitigte die Luxemburger Vereinbarung krasse politische Nachwirkungen, welche die Möglichkeiten der Kommission, europäische Interessen voranzubringen, massiv schmälerten, weil sie die minimale Position jeden Mitgliedstaats berücksichtigen mußte. Die auf umfassenden Konsens ausgerichtete Grundhaltung des Rates drängte die Kommission nolens volens in eine Mittlerrolle, in der ihre erste Aufgabe darin bestand, die Interessenlage aller Mitgliedstaaten zu erkunden, andernfalls ihren Initiativen kaum Aussicht auf Erfolg beschieden sein würde l1o . Anders gewendet: Die Kommission sah sich weitgehend gezwungen, ihre Arbeit nicht ausschließlich an gemeinschaftlichen Interessen auszurichten als vielmehr den kleinsten gemeinsamen Nenner zu wählen, der die einstimmige Be107 Abgedruckt in EG-Bulletin 3/ 1966, S. 8 f. Ausführlich Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung. 108 Eingehend Ehlermann, S. 345. Vgl. auch Oppermann, Europarecht, Rn. 30. 109 Selbst nach der Auffassung des Rates gibt es keine gemeinschaftsrechtlich verbindliche Vetobefugnis der Mitgliedstaaten, siehe Generalsekretariat, Rat der Europäischen Union, Handbuch für den Rat, II. Erläuterungen zur Geschäftsordnung des Rates, 1996, S. 22. Nach überwiegender Meinung ist die Luxemburger Vereinbarung nicht verbindlich, da die Abstimmungsregeln des EG-Vertrages nur mit einer Vertragsänderung hätten modifiziert werden können. Näher Mosler; S. 1 ff. Umfassend Streinz, Die Luxemburger Vereinbarung. 110 Hierzu Klösters, S. 74; ebenso Constantinesco, Die Institutionen der Gemeinschaften, S. 209; lpsen, Die EG in der Reformdiskussion, S. 817, unter Hinweis auf den Vedel-Bericht in EG-Bulletin, Beilage 4/72, S. 77.
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
schlußfassung gewährleisten würde: "It was no longer a question of unanimity in the Council to amend a Commission proposal but unanimity to achieve acceptance. "lll So verengte sich das Initiativrecht auf eine vorbereitende, in den Worten Ehlermanns: dienende Tätigkeit, ohne welche in formaler Hinsicht der Rat zwar kein Recht setzen konnte, das aber seiner Funktion als Ausdruck und Gestaltungsmittel eines dynamisch voranschreitenden Integrationsprozesses verlustig gegangen war 112• Bezeichnenderweise enthielten die Luxemburger Beschlüsse zusätzlich das direkt an die Kommission adressierte Verlangen, fürderhin keine Initiativen ohne vorangegangene Konsultation des Ausschusses der Ständigen Vertreter einzubringen und keine Vorschläge zu veröffentlichen, bevor der Rat offiziell befaßt wurde 113 . Durch die Verhinderung der Veröffentlichung sollte zuallererst vermieden werden, daß die Kommission gemeinsam mit Interessengruppen und anderen Institutionen politischen Druck auf den Rat entfalten könnte. Dieser Anspruch hing mit der für den seinerzeitigen Konflikt zwischen Rat und Kommission mitursächlichen Tatsache zusammen, daß die Kommission dem Europäischen Parlament in einigen Fällen Entwürfe vorgelegt hatte, bevor sie dem Rat die formellen Vorschläge unterbreitet hatte 114• Die Kommission hat sich diesem Verlangen zwar offiziell nicht gebeugt, sondern unter Hinweis auf ihre Unabhängigkeit zurückgewiesen 1I5 . Immerhin aber belegt die Forderung, die vornehmlich die damalige französische Regierung forcierte, den Versuch der restriktiven Auslegung ihrer Befugnisse und in diesem Kontext nachdrücklich das Gewicht staatlichen Einflusses auf die konkrete Fassung der Entwürfe. Überdies hat die Weigerung der Kommission, die Luxemburger Vereinbarungen offiziell anzuerkennen, keineswegs verhindert, daß sie ihnen Rechnung tragen und die Erklärungen zu ihrer eigenen Unabhängigkeit deutlich reduzieren mußte. Der auf der Kommission in der Folgezeit lastende Druck, mittels frühzeitigen Sondierens die nationalstaatlichen Positionen zur Basis der eigenen Arbeit zu nehmen, steigerte sich rasch zu der regelmäßigen Übung der Mitgliedstaaten, die Kommissionsvorschläge im Ausschuß der Ständigen Vertreter durch alternative Konzepte zu ersetzen oder das Ratssekretariat oder den "Vorsitz" zu beauftragen, ein Arbeitsdokument zu erstellen, das die bislang erreichten Ergebnisse oder Mehrheitsauffassungen in einem neuen Textentwurf zusammenfaßt, häufig ergänzt durch Vorbehalte einzelner Regierungen, Bedingungen und Annexerklärungen. Edwards/Spence, The Commission in perspective, S. 9. Janz. S. 65. 113 Vgl. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, S. 526. 114 Siehe van Miert, S. 213 ff. Vgl. auch Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften. S. 526. Näher hierzu in Kapite14 unter III. 1. 115 Noel, The Commission's power of initiative, S. 126; van Miert, S. 218: "La Commission a toujours traite les accords de Luxembourg comme des choses qui lui sont etrangeres." III
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III. Primat der Mitgliedstaaten: Entscheidungsrecht
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Um mit diesem Verhandlungsfortgang Schritt zu halten, sah sich die Kommission nicht selten gezwungen, ihrerseits ein Arbeitsdokument vorzulegen, mit dem sie allerdings nicht automatisch die Federführung zurückgewann und auch nicht das Nebeneinander konkurrierender Entwürfe aufhalten konnte. Es blieb der Kommission häufig nichts anderes mehr übrig, als mittels ihres Sachverstandes und von Einzelinteressen befreiten Taktierens sich auf der Suche nach einer tragfahigen endgültigen Fassung zumindest als "ehrlicher Maklerin" Geltung zu verschaffen. Freilich brachte dieser Strategiewechsel nur zu häufig mit sich, daß die formellen Änderungen ihrer ursprünglichen Vorschläge im Sinne der sich abzeichnenden konsensfahigen Lösung kaum mehr auf ihrer eigenen Initiative in Verfolgung des Gemeinschaftsinteresses beruhten, sondern zur Besiegelung von Gesetzesentwürfen, die zuvor im Wege der intergouvernementalen Einigung entstanden waren 1l6 . 3. Zusammenfassung
Das Vorschlagsrecht hatte durch das in freier Selbstbeschränkung ausgesuchte Einstimmigkeitsprinzip der Mitgliedstaaten empfindlich an politischer Relevanz eingebüßt und ist gegen Ende der 70er Jahre sowohl in dem vom Rat in Auftrag gegebenen Bericht der Drei Weisen über die Europäischen Institutionen 117 als auch in von der Kommission initiierten Analysen, wie dem Bericht der SpierenbergGruppe 118 , sowie in der Literatur 119 als eine der wichtigsten Ursachen identifiziert worden, die die Stellung der Kommission geschwächt und viel von ihrem Prestige gekostet haben. Erst das Wiedererstarken des Integrationsprozesses Mitte der 80er Jahre und die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahre 1986 führten zur Revitalisierung der Mehrheitsentscheidungen. Das weitreichende Binnenmarkt-Projekt löste einen Aufschwung aus, in dessen Sogwirkung die Mehrheitsbeschlüsse gleichsam Wiedereinzug im Rat feierten, noch bevor die Einheitliche Europäische Akte im Jahre 1987 in Kraft trat 120. Damit war zwar Einstimmigkeitsbeschlüssen unter Berufung auf die Luxemburger Beschlüsse nicht für alle Zeiten entsagt l21 , allerdings verlangte das ehrgeizige Programm von selbst, zur VerwirkGilsdorf, S. 93. Bericht der Drei Weisen über die Europäischen Institutionen von 1979 (Barend Biesheuvel, der frühere niederländische Premierminister, Edemund Deli, früherer britischer Handeisminister und Robert Majolin, früherer französischer Kommissar). 118 Bericht der Spierenberg-Gruppe "Vorschläge für eine Reform der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Dienststellen" vom 24. 9. 1979. 119 Siehe Edwards/Spence, The Commission in perspective, S. 2 f.; Ehlermann, S. 345; Klösters, S. 74 f. 120 Vgl. Edwards/Spence, The Commission in perspective, S. 12, die besonderen Wert auf die Feststellung legen, daß der Wiedergebrauch der Mehrheitsentscheidungen bereits unter der britischen Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 1986 gelang. 121 Beispielsweise hat sich im Jahre 1988 die griechische Regierung noch ausdrücklich auf sehr wichtige nationale Interessen berufen und eine einstimmige Entscheidung im Rat 116
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2. Teil, Kap. 3: Einfluß der Staaten auf Kommissionsvorschläge
lichung des Gemeinsamen Marktes qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zur Regel zu machen und einstimmige Beschlüsse zur Ausnahme werden zu lassen 122• Daß sich seit Mitte der 80er Jahre auch die Aufgaben der Kommission insgesamt und damit ihr Stellenwert im Verhältnis zum Rat wandelten 123, hat nicht nur mit dem wiederbelebten Mehrheitsprinzip und dem straffen Binnenmarkt-Fahrplan zu tun, sondern war nicht minder an die Einführung neuer Gemeinschaftspolitiken in den EG-Vertrag gebunden. In ähnlicher, nur spiegelbildlicher Weise, in der die für die 70er Jahre konstatierte Phase der "Eurosklerose" auch damit erklärt wurde, daß die Politiken und Handlungsaufträge der Gründungsverträge weitgehend ausgefüllt und erschöpft waren 124, kräftigte die Einfügung neuer Aufgaben in den Vertrag, insbesondere zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts innerhalb der Gemeinschaft 125 , in der Forschungs- und Technologiepolitik 126 und im Umweltschutz 127, die Initiativfunktion der Kommission, da sie erzwungen, siehe dazu Lecheler, S. 72. Ebenso hat Frankreich 1992/93 beim Abschluß der GATT-Uruguayrunde mit seinem Veto gedroht, siehe dazu Oppermann, Europarecht, Rn. 289. Beide Beispiele sind aber auch dafür Beleg, daß die Einstimmigkeitsvereinbarung von 1966 sich mittlerweile weniger auf die legislative Arbeit der Kommission auswirkt als vielmehr ein Hindernis in der Entscheidungsfindung des Rates darstellt. In der Praxis spielt die Luxemburger Vereinbarung jetzt kaum noch eine Rolle. Vgl. hierzu Generalsekretariat, Rat der Europäischen Union, Handbuch für den Rat, Il. Erläuterungen zur Geschäftsordnung des Rates, 1996, S. 22. Müller-Huschke weist gleichwohl darauf hin, daß im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik das Konsensprinzip nach dem Luxemburger Komprorniß vorherrsche, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 133 EGV Rn. 234. Der Sache nach ist für das Beschlussfassungsverfahren für den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik eine an den Luxemburger Kompromiß erinnernde Regelung getroffen: In Artikel 23 Abs. 2 UAbs. 2 EUV ist vorgesehen, daß jedes Ratsmitglied die Möglichkeit besitzt, "aus wichtigen Gründen der nationalen Politik" zu erklären, daß es die Absicht hat, einen mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschluß abzulehnen, und damit eine Beschlussfassung im Rat zu verhindern. In einem solchen Fall kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit verlangen, daß die Frage zur einstimmigen Beschlussfassung in den Europäischen Rat verwiesen wird. Vgl. hierzu Krück, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 11-28 EUV Rn. 70, der diese Vetomöglichkeit als "Neuauflage des Luxemburger ,Kompromisses' von 1966" charakterisiert und sie zu Recht für einen "Systembruch" hält, weil der von Art. 23 EUV vorgesehenen Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit notwendigerweise bereits eine einstimmige Entscheidung nach Artikel 13 EUV vorausgegangen sein muß. 122 Näher hierzu Götz, S. 342 f. 123 Vgl. hierzu nur Cini, S. 25 ff. 124 Siehe Oppermann, Europarecht, Rn. 40 ff. Es versteht sich, daß die Ursachen für die Schwächung der Kommission seit Mitte der 60er Jahre nicht alleine in der mangelnden Bereitschaft des Rates zu einer an den Gemeinschaftsinteressen orientierten Willens bildung zu suchen sind. Ipsen (Die EG in der Reformdiskussion, S. 815 f.) und Constantinesco (Die Institutionen der Gemeinschaften, S. 216 f.) weisen nach, wie sehr die effektive Erfüllung der Initiativaufgaben der Kommission davon abhängt, in welchem Umfang und in welcher Präzision die Verträge die Verteilung der Kompetenzen, die Festlegung von Zeitfenstern und klare Handlungsaufträge zur Implementierung der Gemeinschaftspolitiken enthalten. 125 Siehe Artikel 158 ff. EGV (Artikel BOa EWGVa. E). 126 Siehe Artikel 163 ff. EGV (Artikel 130 f. EWGVa. E). 127 Siehe Artikel 174 ff. EGV (Artikel l30r EGWVa. E).
III. Primat der Mitgliedstaaten: Entscheidungsrecht
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zur ihrer Implementierung Gesetzesvorlagen entwickeln und gegenüber dem Rat auf rasche Behandlung dringen konnte. Insgesamt hatte das Aufleben qualifizierter Mehrheitsentscheidungen im Verbund mit der Ausweitung der Gemeinschaftstätigkeiten dem Vorschlagsrecht einen Auftrieb verschafft, der nicht nur die Formulierung breitangelegter Initiativen erlaubte, sondern bis in ihre Beteiligung in den Gremien des Rates ausstrahlte: Schritt für Schritt konnte die Kommission ihre Rolle als Motor der Integration wiederherstellen, bei der Justierung ihrer Entwürfe die notwendige Mehrheit unter den Mitgliedstaaten in den Blick nehmen und blockierende Minderheiten auflösen, nötigenfalls mit nachbesserndemfine-tuning über ihr Änderungsrecht.
Kapitel 4
Der Europäische Rat und die Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union Der Europäische Rat gibt der Europäischen Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen fest. Diese Aufgabe entspricht der historischen Entwicklung der Tagungen der Staatsund Regierungschefs auf der europäischen Ebene 128 . Auch ohne eine eigene legislative Funktion zu besitzen, spielt der Europäische Rat in der Gemeinschaftswirklichkeit die entscheidende Rolle für die europäische Integration. Im folgenden wird einleitend nach der grundsätzlichen Bedeutung dieser Leitfunktion für das Vorschlagsrecht der Kommission gefragt (I.). Innerhalb des Europäischen Rates werden die politischen Aktivitäten maßgeblich von der Präsidentschaft eines Mitgliedstaates bestimmt, wobei dem persönlichen europapolitischen Engagement der vorsitzführenden Staats- und Regierungschefs eine zentrale Bedeutung zukommt. Zu ihren Kemaufgaben gehört, auf einen positiven Verhandlungsabschluß unter den Mitgliedstaaten hinzuwirken. In ihrer Aufgabe einer dynamischen Kompromißfindung sieht sich die Kommission somit unterstützt von der Präsidentschaft, deren wachsende Vermittlerrolle vielfach zu erfolgreichen Abschlüssen beigetragen hat 129, speziell bei umfangreichen Legislativprogrammen wie der Agenda 2000 13 Obwohl hiermit ein Gegengewicht zur angestammten Rolle der Kommission gesetzt ist, die Annäherung zwischen den nationalen Posi-
°.
Ausführlich Werts, S. 1 ff. Zur Rolle der Präsidentschaft, ihren Aufgaben und ihrer Entwicklung siehe ausführlich Vombäumen, S. 1 ff. Siehe zur früheren Rolle der Präsidentschaft auch den Bericht von Wallace, The Presidency, S. 1 ff. Zum wachsenden Umfang der Aufgaben, siehe Kirchner; S. 72 ff. Einen Überblick auf die Entwicklung der Präsidentschaft von den Anfängen der Europäischen Gemeinschaften bis zum Vertrag von Amsterdam geben Hummer/Obwexer; Die "EUPräsidentschaft", S. 414 ff. 130 Zum Verlauf der Verhandlungen zur Agenda 2000 siehe sogleich unter 11. 3. 128 129
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
tionen zu betreiben, hat das Nebeneinander in toto nicht so sehr Spannungen zwischen zwei Konkurrenten erzeugt, sondern ein für beide Seiten vorteilhaftes Kooperationsverhältnis begründet \3l. Nachdem die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip eine flexiblere Haltung ermöglicht und die Vermittlungsarbeit sich nicht gezwungenermaßen auf die Austarierung des kleinsten gemeinsamen Nenners beschränkt, ist der Kommission mit der Schlichterrolle des vorsitzführenden Landes nicht selten sogar ein potentieller Partner in der Suche nach mehrheitsfähigen Lösungen an die Seite gestellt (11.). Daher besitzt die Kommission grundsätzlich ein lebhaftes Interesse an einer erfolgreichen Präsidentschaft. Auf der anderen Seite zeigt sich, daß spektakuläre Schlußrunden in den Gesetzgebungsverfahren, die erst in letzter Minute Erfolge zeitigen, eine gleichsam schleichende politische Schwächung der Kommission nach sich ziehen können, wenn die Vertiefung der Integration in der allgemeinen Wahrnehmung nur noch als Verhandlungsgeschick und Kompromißbereitschaft der Regierungen erscheinen und der Anteil der Kommission hieran unsichtbar wird oder tatsächlich ausbleibt (III.). Abschließend wird untersucht, inwieweit es dem Vorsitz möglich ist, eigene politische Initiativen auf die Tagesordnung zu setzen (IV.). I. Der "weite integrationsfOrdernde Beurteilungsspielraum" auf höchster Ebene: Zur politischen Führungsfunktion des Europäischen Rates Dem Europäischen Rat kommt nach Artikel 4 EUV eine doppelte Funktion zu. Zum einen gibt er der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse: der Europäische Rat soll als Integrationsmotor wirken 132 . Außerdem legt der Europäische Rat die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung fest. Diese zweite Funktion läßt sich als Steuerungskomponente erfassen, mit der dem Europäischen Rat - ähnlich dem Bundeskanzler im deutschen Verfassungsrecht nach Artikel 65 Satz 1 GG - eine Art Richtlinienkompetenz zugewiesen wird 133 • Die damit eingerichtete, genuin politische Führungsposition geht unmittelbar von der höchsten politischen Autorität der Mitgliedstaaten aus. Sie soll sich nicht auf einzelne Bereiche oder Politiken beschränken, sondern aus einer übergeordneten Gesamtschau die kohärente Gestaltung und Entwicklung der Europäischen Union insgesamt umfassen 134 . Aus diesem Grund sind nur wenige konkrete Zuständigkeitszuweisungen erfolgt 135 • Die Aufgabenbeschreibung ist bewußt offen gehalten, Ludlow, Preparing for 1996, S. 41 ff.; Kirchner, S. 74. Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artike14 EUV Rn. 4. 133 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 4. 134 HilflPache, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 2. 135 Über die Funktionsbeschreibung in Artikel 4 EUV hinaus weisen die Verträge dem Europäischen Rat bestimmte Koordinierungsaufgaben zu: In der GASP (Artikel 13 Abs. 1 und 2), der Wirtschaftspolitik (Artikel 99 Abs. 2 EGV) und in der Beschäftigungspolitik (Ar131
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I. Politische Führungsfunktion des Europäischen Rates
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damit der Europäische Rat selbst bestimmen kann, was er für bedeutsam erachtet 136 . 1. Das Verhältnis des Europäischen Rates zu den Gemeinschaftsorganen
Artikel 4 EUV gilt auch in Bezug auf die Europäische Gemeinschaften, da diese nach Artikel lAbs. 3 EUV Grundlage und damit Bestandteil der Europäischen Union sind. Der Europäische Rat kann und soll Impulse für die den Gemeinschaftsverträgen unterfallenden Bereiche geben 137. Der Europäische Rat ist, wie sich aus der fehlenden Nennung in Artikel 7 EGV ergibt, aber kein Gemeinschaftsorgan 138. In Abgrenzung zum Rat setzt er sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten und dem Präsidenten der Kommission zusammen. Damit unterscheidet sich der Europäische Rat auch personell vom Rat der Gemeinschaft und zwar selbst dann, wenn dieser als Rat der Staats- und Regierungschefs tagt. In rechtlicher Hinsicht steht der Europäische Rat außerhalb der beiden nach wie vor selbständigen Gemeinschaften l39 . Artikel 4 EUV legt keine Verfahren für Beschlüsse des Europäischen Rates fest, insbesondere enthält er keine Angaben über Form, Rechtswirkung und Zustandekommen der "Impulse" und ,,zielvorstellungen". Schon hieraus ist zu schließen, daß die Beschlüsse lediglich politische Wirkung entfalten und das Handeln der Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorgane durch die Autorität ihrer Urheber bestimmen sollen 140. Aus der fehlenden Einordnung als Gemeinschaftsorgan folgt, tikeI 128 EGV). Seine Rolle bleibt aber darauf beschränkt, Grundsätze, Leitlinien oder Schlußfolgerungen zu formulieren. Näher Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 4 ff. 136 Wichard, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 3; Engel, S.62. 137 Vgl. hierzu Klein, in: Hailbronnerl Klein I Magiera I Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUV Rn. 3; HilflPache, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 13. 138 Vgl. Artikel 7 EGKSV, Artikel 3 EAG. Die organschaftliche Trennung ergibt sich auch aus Artikel 5 EUV. 139 In der Literatur ist umstritten, ob der Europäische Rat als ein Organ der Europäischen Union anzuerkennen ist. Nach einer Auffassung hängt die Organqualität von der Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union ab. Wer dieser keine Rechtspersönlichkeit zuerkenne, könne auch keine Organqualität des Europäischen Rates annehmen, so Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 3 und PechsteinlKoenig, Rn. 171. Nach anderer Auffassung ist der Europäische Organ selbst dann das originäre Organ der Europäischen Union, wenn diese keine Rechtsfähigkeit erhalten hat. Siehe hierzu Dörr; S. 337; Streinz, Europarecht, Rn. 279. Klein spricht von einern Vertragsorgan der Mitgliedstaaten, in: Hailbronner I Klein I Magieral Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUV Rn. 3. Ebenso HilflPache, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 9.
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
daß der Europäische Rat keine Beschlüsse nach den Verfahrensvorschriften des Gemeinschaftsrechts faßt 141 . Daraus ergibt sich wiederum, daß den Beratungsergebnissen - außerhalb der Spezialzuweisungen - keine rechtlich bindende Wirkung gegenüber den Gemeinschaftsorganen zukommt 142 . Dasselbe folgt aus Artikel 47 EUV. Hiernach wird das Gemeinschaftsrecht durch den Unionsvertrag nicht geändert, soweit er keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Änderung der Verträge enthält. Nach dem Unionsvertrag greifen nur die Titel 11, III und IV in die Gemeinschaftsverträge ein, nicht aber die allgemeinen Bestimmungen über die Europäische Union. Somit bleiben die Regeln über die Unabhängigkeit der Gemeinschaftsorgane in Kraft und mithin auch für den Europäischen Rat verbindlich 143 . Der Europäische Rat kann dem (Minister-)Rat keine verbindliche Weisungen erteilen l44 . Für das Verhältnis zwischen Europäischem Rat und Rat spielt die Frage einer rechtlichen Bindung praktisch keine Rolle, da sich kein Minister von den Orientierungs beschlüssen, die sein Regierungschef mitgetragen hat, ohne dessen Zustimmung lösen wird 145 . Umgekehrt bedeutet dies, daß über die politische Kohärenz der Mitglieder beider Gremien ihre politische Bedeutung für den Ministerrat offenkundig ist 146 . 2. Der Einfluß des Europäischen Rates auf das Vorschlagsrecht der Kommission
Nach dem Eindruck der meisten Beobachter zeigt die Errichtung des Europäischen Rates eine generelle politische Schwächung der Gemeinschaftsorgane an 147 . 140 Ausführlich Everling, Die Rolle des Europäischen Rates gegenüber den Gemeinschaften, S. 44. Zusätzlich läßt sich auf Artikel 46 EUV verweisen, wonach der Europäische Rat von der Jurisdiktionskompetenz des Europäischen Gerichtshofs ausgenommen ist, woraus im Umkehrschluß auf die allgemeine politische Funktion gefolgert werden kann, näher hierzu Klein, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUV Rn. 5. 141 Ausführlich Glaesner, Der Europäische Rat, S. 31 ff. 142 Im Bereich der GASP wird für Artikel 13, 17 Abs. 1, 23 Abs. 2, 40a Abs. 2 EUV die Bindungskraft von Beschlüssen des Europäischen Rates bejaht. Allerdings sind diese nicht justitiabel. Näher Klein: in: Hailbronner / Klein / Magiera / Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUV Rn. 8. Auch im Rahmen des EG-Vertrags ist für die Spezialzuweisungen die rechtliche Verbindlichkeit anzunehmen. Dazu näher Wichard, in: Calliess / Ruffert, EU - / EGKommentar, Artikel 4 EUV Rn. 11. 143 Ausführlich Everling, Die Rolle des Europäischen Rates gegenüber den Gemeinschaften, S. 45. 144 Glaesner, Der Europäische Rat, S. 23. 145 Everling, Die Rolle des Europäischen Rates gegenüber den Gemeinschaften, S. 45. 146 Näher Glaesner, Der Europäische Rat, S. 32. 147 Klein, in: Hailbronner / Klein / Magiera / Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUV Rn. 5; Capotorri, S. 86 ff.; Tindemans, S. 171; Glaesner, Der Europäische Rat, S. 28; Oppermann, Europarecht, Rn. 268.
1. Politische Führungsfunktion des Europäischen Rates
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Stumpf scheint eine solche Schwächung im Prinzip sogar jeder subjektiven Wertung zu entziehen: "Da die politische Führungsrolle vor der Schaffung des Europäischen Rates vollständig, wenn auch in unterschiedlicher Weise, von den Gemeinschaftsorganen wahrgenommen werden mußte, bringt die Einrichtung des Europäischen Rates insoweit notwendig einen Funktionstransfer mit sich.,,148
Tatsächlich ist nicht zu bezweifeln, daß der Europäische Rat als politische Antriebskraft längst ein unverzichtbares Gewicht gewonnen hat, indem sich die Europäische Union die oberste Regierungsgewalt der Mitgliedstaaten in formalisierter und regulierter Weise eingegliedert und sich ihrer politischen Leitung unterstellt hat l49 • Im Verhältnis zur Kommission ist dieses Gewicht indes ambivalenter Natur. Der Annahme ihrer automatischen Schwächung steht zunächst entgegen, daß der Präsident der Kommission Mitglied des Europäischen Rates ist l50. Zwar wird in der Literatur teilweise keine volle Mitwirkung des Kommissionspräsidenten im Bereich der GASP angenommen, weil insoweit Artikel 19 EUV gegenüber Artikel 4 EUV lex specialis sei 151. Doch kommt eine solche Beschränkung nicht für den EG-Bereich in Betracht. Hier ist der Kommissionspräsident vollberechtigtes Mitglied, zumal der EU-Vertrag keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung, auch nicht für die Versagung eines Stimmrechts, bietet l52 . Seine Zugehörigkeit gewährleistet, daß in die Beratungen und Entscheidungen der spezifische Sachverstand der Kommission eingebracht werden kann. Sie bedeutet überdies die demonstrative Rücksichtnahme auf ihre Initiativrolle im Rahmen der Gemeinschaftsverträge und das von ihr zu artikulierende Gemeinschaftsinteresse 153 • Die juristische Einordnung des Europäischen Rates unterstützt ebensowenig den Eindruck einer automatischen Schwächung der Kommission. Der Europäische Rat besitzt keine Kompetenz zum Erlaß von Rechtsakten und hat auch noch nie einen 148 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 4 149 Umfassend Werts, S. 177 ff.; Westlake, The Council of the European Union, S. 26 ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 150 Hinzu kommt gemäß Artikel 4 Abs. 2 S. I EUV ein weiterer Kommissar, der aber nicht Mitglied des Europäischen Rates ist, sondern nur eine unterstützende Funktion hat, Wichard, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 7. 151 Klein, in: Hailbronnerl Klein I Magiera I Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUV Rn. 15. Dagegen Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 7; Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 12. 152 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 12; Wichard, in: Calliessl Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 7; HilflPache, in: Grabitz I Hilf, EU-/EGKommentar, Artikel D EUV Rn. 19. A. A. PechsteinlKoenig, Die Europäische Union, Rn. 167 ff., die nur ein Anwesenheitsrecht, aber kein Stimmrecht bejahen. 153 Klein, in: Hailbronnerl Klein I Magieral Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUV Rn. 15; Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 12; Tindemans, S.170.
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
fönnlichen Rechtsakt erlassen i54 . Für solche vom Europäischen Rat beschlossenen Maßnahmen, die nach dem EG-Vertrag die Vorlage von Rechtsaktvorschlägen vorsehen, gilt das übliche Gemeinschaftsverfahren, so daß die Kommission vorlageberechtigt bleibt. Die Vorlage eines Rechtsaktentwurfs entfallt auch dann nicht, wenn der Kommissionspräsident entsprechenden Beschlüssen zugestimmt hat, da die Zustimmung außerhalb des Gemeinschaftsvertrags erfolgt und die Entscheidung der Kommission nicht ersetzen kann. Fraglich ist, ob solche Beschlüsse des Europäischen Rates die Kommission zur Mitwirkung und also zur Vorlage verpflichten. In rechtlicher Hinsicht herrscht aber kein Zweifel, daß der Europäische Rat kein Weisungsrecht besitzt 155 . Vielmehr hat Glaesner dargelegt, daß die Kommission aufgrund ihrer Unabhängigkeit als Kollegium nicht einmal dann eingebunden wird, wenn sich ihr Präsident im Europäischen Rat mit den beschlossenen Maßnahmen einverstanden erklärt. Zwar ist davon auszugehen, daß sich die Kommission in einem solchen Fall politisch den Ersuchen kaum entziehen kann, doch bleibt sie rechtlich gesehen in ihrer Entscheidung frei 156. In diesen Zusammenhang gehört, daß der Europäische Rat an die Kommission gerichtete Ersuchen nicht auf das Aufforderungsrecht nach Artikel 208 EGV stützen kann. Unbeschadet der umstrittenen Bindungswirkung belegt die organschaftliche Trennung, daß auf aus dem Europäischen Rat stammende Ersuchen Artikel 208 EGV schon gar nicht anwendbar ist 157 . Zwar findet Artikel 208 EGV über Artikel 28 EUV auch für die GASP Anwendung, und über Artikel 41 EUV auf die PJZS, doch erstreckt sich das Aufforderungsrecht nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf Aufforderungen des Rates. Der Europäische Rat kann hingegen Vorlageersuchen nur auf Artikel 4 EUV stützen, der ihn wiederum lediglich ennächtigt, politische Aufträge an die Kommission zu richten l58 . Der Einfluß auf das gemeinschaftsrechtliche Vorschlagsrecht der Kommission ist darum rein politisch. Zu dessen Gewichtung ziehen einige Autoren das gemeinschaftsinteme Verhältnis der Kommission zum Ministerrat vergleichend heran und heben hervor, daß im Rahmen des Europäischen Rates (auch) die Kommission außerhalb des gemeinschaftlichen Verfahrens handele und hier kein Vorschlagsmonopol besitze: "Der Europäische Rat kann also, anders als der Rat der Gemeinschaft, auch ohne Vorschlag der Kommission die Initiative ergreifen.,,159 Diese Wichard, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. I. Glaesner, Der Europäische Rat, S. 23; HilfI Pache, in: Grabitz I Hilf, Artikel D EUV Rn. 36; Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 15. 156 Glaesner, Der Europäische Rat, S. 32. 157 Glaesner, Der Europäische Rat, S. 30; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 10. Ausführlich Werts, S. 144 ff. 158 HilflPache, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 32. A. A. Oppermann, Europarecht, Rn. 301 und 302, wonach Artikel 208 EGVauch auf den Europäischen Rat anwendbar sei. Allerdings geht Oppermann lediglich von einer politischen Verpflichtung der Kommission aus. 154 155
I. Politische Führungsfunktion des Europäischen Rates
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Unterscheidung ist um die Feststellung zu ergänzen, daß der Europäische Rat ein praktisch unbegrenztes Handlungsfeld bestellen, nämlich in alle Gemeinschaftsbereiche hineinwirken kann, wobei er über einen weiten integrationsfördernden Beurteilungsspielraum verfügt l60 . Rechtliche Beschränkungen ergeben sich lediglich aus der Sicherungsklausel für den acquis communautaire gemäß Artikel 2 Abs. I 5. Spiegelstrich EUV, wonach der status quo der erreichten Integration eine qualitative Grenze fixiert, die nicht unterschritten werden darf161 • Hieraus folgt, daß die "Impulse" und "Orientierungen" des Europäischen Rates nur insoweit von den Gemeinschaftsorganen berücksichtigt werden können, als sie das geltende Primär- und Sekundärrecht respektieren l62 . Damit wird deutlich, daß seine Führungs- und Inspirationsfunktion sich für den EG-Bereich mit der Initiativrolle der Kommission überschneidet, weil sich die allgemeine politische Steuerungsfunktion nicht ohne weiteres von der konkreten Gestaltungsaufgabe der Kommission abgrenzen läßt l63 • Klein hat darauf hingewiesen, daß die Formulierung des Artikels 4 Abs. 1 EUV nicht so verstanden werden kann, daß es dem Europäischen Rat verwehrt wäre, konkrete politische Entscheidungen zu treffen. Es sei die Bedeutung eines Vorhabens maßgebend; ein Beschluß könne in seiner konkreten Form ein Präzedenzfall sein, dem zugleich eine allgemeine politische Wirkung im Sinne des Artikels 4 Abs. I EUV zukomme l64 . Ob sich auf diese Weise eine Unterscheidung herbeiführen (und begründen) läßt, ist aber nicht nur eine Einzelfallfrage, sondern auch eine Frage der Auslegung. Insgesamt wird man trotz der weitgefaßten Führungsrolle annehmen können, daß hinter einem konkreten Anliegen eines Beschlusses des Europäischen Rates zumeist auch ein dahinterstehender allgemeiner politischer Zielgehalt festzustellen sein wird, so daß in der Regel von der funktionellen Zuständigkeit des Europäischen Rates auszugehen ist l65 . Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, daß die Einbindung der Kommission zu einer direkten Vermittlung der Auffassungen der Mitgliedstaaten und 159 Glaesner, Der Europäische Rat, S. 23. Ebenso HilflPache, in: Grabitz/Hilf, EU-/EGKommentar, Artikel D EUV Rn. 36; Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 15. 160 Klein, in: Hailbronner I Klein I Magiera I Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUV Rn. 7; HilflPache, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 14; Capotorti, S. 87. 161 Näher Blanke, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 2 EUV Rn. 14 f.; Everling, Die Rolle des Europäischen Rates gegenüber den Gemeinschaften, S. 45. 162 Sofern der Europäische Rat vom Gemeinschaftsrecht abweichen will, muß er eine Regierung veranlassen, ein Vertragsänderungsverfahren einzuleiten, oder er muß auf die Gemeinschaftsorgane einwirken, damit sie das geltende Recht nach den in den Verträgen vorgeschriebenen Verfahren ändern. Hierzu näher Everling, Die Rolle des Europäischen Rates gegenüber den Gemeinschaften, S. 45. 163 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 8. 164 Klein, in: Hailbronner I Klein I Magiera I Müller-Graff, Handkommentar, Artikel D EUVRn.6. 165 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 4 EUV Rn. 7.
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
damit zu einer weitgehend reibungs- und verlustfreien Umsetzung der Vorstellungen des Europäischen Rates in das Gemeinschaftsrecht über die insoweit initiativberechtigte Kommission beitragen S01l166. Entsprechend versucht einerseits die Kommission, durch Mitteilungen an den Europäischen Rat dessen Tagesordnung wie auch dessen Entscheidungen zu beeinflussen. Auch der dem Europäischen Rat angehörende Präsident der Kommission kann entsprechende Versuche unternehmen. Andererseits wirken die Regierungen über den Europäischen Rat unmittelbar auf die gemeinschaftsrechtlichen Tatigkeiten der Kommission ein, nicht zuletzt über die politische Einbindung ihres Präsidenten 167 . Im Lichte dieser wechselseitigen Inspiration aber ist nicht eindeutig zu entscheiden, ob die Kommission durch die vertragliche Verankerung des Europäischen Rates neben den Gemeinschaftsorganen politisch eher geschwächt oder gestärkt wird l68 . Jede Einschätzung scheint weitgehend davon abhängig zu sein, ob man ihre gestalterischen Aufgaben in den Vordergrund stellt und zu dem Ergebnis kommt, daß die Kommission an Führungs- und Gestaltungskraft Einbußen erlitten hat oder die mit der Teilnahme verbundenen, direkten Einwirkungsmöglichkeiten unterstreicht. Angesichts seines intergouvernementalen Charakters hatten Bonvicini und Regelsburger die Verankerung des Europäischen Rates in der Einheitlichen Europäischen Akte gewertet ,,( ... ) as a further grave blow to the prestige and power of the Cornrnission. Orientation towards the process of integration that leaned more towards intergovemmental philosophy did not objectively leave much hope for the political future of the Comrnission.,,169
Obgleich mit der Einheitlichen Europäischen Akte das Mitwirken der Kommission im Europäischen Rat offiziell bestätigt wurde 170, konnte sich diese pessimistische Prognose auf bis dahin gemachte Erfahrungen stützen. Die Kommission hatte seit Anfang der 70er Jahre, als sich die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zu etablieren begannen 171, gewarnt, durch ein übergeordnetes Europäisches Leitorgan die Gemeinschaftsinstitutionen beiseite zu schieben und die Entwicklung der Gemeinschaft aufzuhalten. Werts hat dokumentiert, wie die Präsidenten der Kommissionen ihre Auftritte auf den Gipfeltreffen Ende der 60er und in den 70er Jahren genutzt haben, um das im EG-Vertrag verankerte institutionelle Gleichgewicht zwischen Kommission und Rat zu verteidigen 172.
HilflPache, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 19. HilflPache, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 36. 168 Ebenso HilflPache, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 36. 169 BonvicinilRegelsberger, S. 191. 170 Jacque, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 6 ff. 171 Jacque, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 6. 172 Werts, S. 139 ff. 166 167
I. Politische Führungsfunktion des Europäischen Rates
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Andererseits hat Ehlermann Anfang der 80er Jahre beschrieben, daß die Kommission - nach anfänglichen Befürchtungen - mit dem Europäischen Rat und ihrer Beteiligung zufrieden sei, weil sie in einer neuen Umgebung neue Wege fande, ihre traditionelle Rolle zu spielen 173. In dieselbe Richtung urteilte mit Notil ein weiterer Insider, die Kommission könne im Europäischen Rat ihr politisches Gewicht sogar stärker als im Ministerrat einbringen.
a
"La participation de la Commission toutes les deliberations du Conseil europeen, meme les plus restreintes (par la presence de son President ou d'un Vice-President), de meme que la presence de son President aux 'Sommets' occidentaux, ont renforce sa position politique. La Commission et son President ont su s'inserer dans les multiples rencontres entre les principaux acteurs du Conseil Europ6en (les Chefs d'Etats ou de Gouvernements) ou se passe l'essentiel de la preparation politique de ces reunions, bien plus que dans le cadre officiel du Conseil.,,174
Auch Harnier hat vertreten, daß die Kommission durch ihren Anteil an den die großen Linien ziehenden Beratungen gestärkt worden sei 175. Die deutlich positivere Beurteilung des Europäischen Rates aus Sicht der Kommission erklärt sich auch damit, daß seine auf die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts gerichteten Beschlüsse der Kommission die Handlungs- und Rechtsetzungsaufträge verschafft haben, die in den Anfangsjahren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch dem EWG-Vertrag direkt zu entnehmen waren l76 . Diesem Gesichtspunkt hat Wessels erhebliche Bedeutung beigemessen und bilanziert, daß mit dem Europäischen Rat die faktischen Möglichkeiten der Kommission, im Gemeinschaftssystem zu wirken, letztlich zugenommen haben 177. An der Mehrdeutigkeit des Einflusses des Europäischen Rates auf die Initiativtätigkeit der Kommission hat sich bis heute nichts geändert. Die gründliche Untersuchung von Westlake führt vor, daß jeder einseitigen Würdigung Gegenbeispiele entgegengehalten werden können und veranschaulicht zudem, in welchem Umfang große Initiativen des Europäischen Rates mit Unterstützung der Kommission ergehen 178 . Andererseits hat der Europäische Rat in der Vergangenheit besondere Ausschüsse eingesetzt, um Untersuchungen vorzunehmen, für die an sich die Kommission allein zuständig gewesen wäre. Ein Beispiel ist die Einsetzung des "Ausschusses zur Untersuchung und Vorbereitung konkreter Schritte zur Wirtschafts- und Wahrungsunion" auf dem Gipfeltreffen in Hannover Ende Juni 1988. Zwar stand dem Ausschuß der damalige Kommissionspräsident Delors, flankiert von einem weiteren Kommissar, vor, doch setzte er sich im übrigen aus den 12 Direktoren der 173
Ehlennann, S. 355.
174
Noel, Conseil- Commission, S. C 39.
175 Hamier; in: Groeben/Boeckh/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Auflage, Vorbemerkung Fünfter Teil, Rn. 54. 176 Siehe dazu bereits in Kapitel 3 unter III. 3. 177 Wesseis, Der Europäische Rat, S. 310. Ähnlich Ehlennann, S. 355. 178 Westlake, The Council of the European Union, S. 27 ff.
9 von Buttlar
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
Zentralbanken der Mitgliedstaaten und drei unabhängigen Experten zusammen. Wie Weatherill ausführt, erscheinen am Ende die Empfehlungen im "Bericht des Delors-Ausschusses" weniger als Initiative der Kommission denn als Auftragsarbeit für den Europäischen Rat 179 . Vor diesem Hintergrund soll die Frage, inwieweit das politische Gewicht des Europäischen Rates bzw. die unionsrechtliche Etablierung einer übergeordneten Leitstelle das Vorschlagsrecht der Kommission zur Initiierung von Gemeinschaftsrecht unterwandert, offen bleiben. Die weitere Untersuchung wendet sich der in Artikel 4 EUV nicht erwähnten Funktion des Europäischen Rates zu, zur übergreifenden Kompromißbildung und zur Lösung schwieriger Verhandlungslagen im Rat beizutragen, die auf der jeweils gegenständlich beschränkten Ebene der Fachministerräte nicht bewältigt werden l8o . Diese Funktion steht in untrennbarem Zusammenhang mit der Vorsitzführung im Europäischen Rat, welche der Kommissionspräsident gerade nicht einnehmen kann, so daß von der allgemeinen politischen Führung auf die konkreten Lenkungsaufgaben der Präsidentschaft überzublenden ist.
11. Die Vorsitzführung im Rat: Zur Kooperation mit der Kommission in den Gesetzesverhandlungen In organisatorischer Hinsicht bedeutet die Präsidentschaft den Vorsitz im Rat der Europäischen Union, der turnusgemäß alle sechs Monate, jeweils am 1. Januar und am 1. Juli, zwischen den Mitgliedstaaten wechselt l81 • An den Vorsitz im Rat ist auch der Vorsitz im Europäischen Rat 182 , in den besonderen Gremien der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten l83 und in der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten 184 sowie in den Hilfsorganen, Ausschüssen und Arbeitsgruppen des Rates, insbesondere im Ausschuß der Ständigen Vertreter, geknüpft. Die Präsidentschaft stellt aber keine eigene Institution dar; es handelt sich um die Summe der vom jeweiligen Vorsitz im Rat wahrzunehmenden Funktionen l85 , deren Rechtsgrundlagen im EG-Vertrag I86 , dem WeatherilllBeaumont, S. 55 f., 90 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. HilflPache, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel D EUV Rn. 14. 181 Siehe hierzu den Beschluß 95/2/EG des Rates zur Festlegung der Reihenfolge des Vorsitzes, ABI. 1995 Nr. L 1, S. 220. 182 Artikel 4 Abs. 2 Satz 3 EUV: "Der Europäsche Rat tritt mindestens zweimal jährlich unter dem Vorsitz des Staats- oder Regierungschefs des Mitgliedstaats zusammen, der im Rat den Vorsitz hat." 183 Näher Streinz, Europarecht, S. 89 f. 184 Siehe hierzu Oppermann, Europarecht, Rn. 285. 185 "The Presidency is neither an institution nor a body, but a function and an office.", Westlake, The Council of the European Union, S. 37. Vgl. dazu die Antwort des Rates vom 18. 8. 1992 auf die schriftliche Anfrage Nr. 1157/92 von Lord O'Hagan, ABI. 1992 Nr. C 247, S. 49. 179
180
II. Vorsitzführung im Rat
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Unionsvertrag 187 und in der Geschäftsordnung 188 niedergelegt und im Laufe der Zeit in der Praxis des Rates 189 hinzugekommen sind. An erster Stelle steht ihre Verantwortlichkeit für die Gesamtheit der sitzungsvorbereitenden und -leitenden Aufgaben (Management-Funktion) 190. Als übrige Kategorien sind das Lancieren politischer Initiativen, das Aushandeln von "Verhandlungs-Paketen", die Kontaktnahme mit anderen Gemeinschaftsinstitutionen und die Außenvertretungsfunktion zu nennen 191 • Ganz im Sinne der üblichen Anschauung eines Ausschußvorsitzenden als Verantwortlichem für die Entwicklung einer konsensfähigen bzw. mehrheitsfähigen Kompromißlösung, entspricht es dem Verhandlungsverständnis auf EG-Ebene, daß das vorsitzführende Land die konkrete Sitzungsleitung in den Ratsgremien inklusive der Aufgabe der Förderung einer Einigung innehat 192 . Aufgrund der klassischen Rolle der Kommission als "ehrlicher Maklerin" zwischen den nationalen Interessenlagen ging man ursprünglich indes davon aus, daß ihr die aktive Verrnittlungsarbeit obliege 193 • Darüber hinaus ist die erfolgreiche Ausübung des Vorschlagsrechts unmittelbar mit der Wahrnehmung ihrer Vermittlerfunktion verknüpft 194. Der Umstand, daß es seit der Einheitlichen Europäischen Akte immer mehr die Präsidentschaft übernimmt, auf der Grundlage der bisherigen Beratungsergebnisse einen Kompromißentwurf vorzulegen, der auf die Mehrheitsauffassungen wie auf die abweichenden Wünsche, auf Alternativlösungen wie auf Vorbehaltserklärungen eingeht, ist daher als "shift of attention to the Presidency as an alternative architect of compromise" gedeutet worden 195. Obgleich aber mit der 186 Artikel 99 Abs. 4 UAbs. 2, 104 Abs. 11 UAbs. 2, 111 Abs. 1, 113 Abs. 1 UAbs. 1 und 2, 114 Abs. 3, 203 Abs. 2, 204, 251 Abs. 3 und 254 Abs. 1. 187 Artike14 Abs. 2, 18 Abs. 1 und 3, 21 Abs. 1,22 Abs. 2, 24, 25, 26, 38, 39 und 48 Abs. 2. 188 Geschäftsordnung des Rates vom 31. 5. 1999, ABI. 1999 Nr. L 147, S. 13 ff.: Artikel 1 Abs. 1,2 und 3, 2 Abs. 1,2 UAbs. 2, 6 Abs. 1,7 Abs. 1 und 2,8 Abs. 1 und 4, 9 Abs. 1, 11, 19 Abs. 3, 20, 25 Abs. 1,26. 189 Hierzu zählen die Erklärung zum Dritten Teil Titel VI EGV in der Schlussakte des Maastrichter Vertrages (ABI. 1992 Nr. C 191, S. 98), die interinstitutionellen Vereinbarungen zwischen Parlament, Rat und Kommission für die Abwicklung der Arbeiten des Vermittlungsausschusses im Mitentscheidungsverfahren (ABI. 1993 Nr. C 329, S. 141) und mehrere Beschlüsse des Europäischen Rates zur Gestaltung seiner künftigen Tagungen, vgl. etwa den Beschluß vom 29. 6. 1997, Bull. EG 6-1977, Ziff. 2.3.1. Für einen kompletten Überblick siehe Hummer/Obwexer, Die "EU-Präsidentschaft", S. 422 ff. 190 Jacque, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 146 EGV Rn. 33. 191 Hummer/Obwexer, Die "EU-Präsidentschaft", S. 432 ff.; Wallace, The Presidency, S. 10 ff. 192 Wallace, The Presidency, S. 15 f. 193 Zur ursprünglichen Anschauung der Kommission als der "berufenen Vermittlerin zwischen den Regierungen" siehe Remus, S. 234 ff.; Hummer/Obwexer, Die "EU-Präsidentschaft", S. 436; Wallace, The Presidency: Tasks and Evolution, S. 15 ff. 194 Ehlermann, S. 351 ff. 195 Kirchner, S. 74.
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
Erarbeitung eines neuen Gesetzesentwurfs durch die Präsidentschaft im Grunde in einer ähnlichen Weise verfahren wird, wie sie als Folge der Einstimmigkeitspolitik problematisiert worden war, hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt konkurrierender Textentwü!fe, hat die Übernahme der Vermittlungsfunktion kaum vergleichbare Kritik ausgelöst, nicht einmal von Seiten der Kommission 196 . Dies wird jedenfalls vordergründig daran begreiflich, daß die Vorlage von Arbeitsdokumenten der Präsidentschaften sich idealtypischerweise in zwei wichtigen Aspekten von der konfliktiven Praxis der Gegenentwürfe unterscheidet, die zu Zeiten der systematischen Einstimmigkeitspolitik vorherrschte. Zum einen zielen die Vermittlungsanstrengungen in der Regel nicht darauf ab, einen von allen Mitgliedstaaten konsentierten Entwurf vorzulegen. Stattdessen bedeutet die Möglichkeit einer Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit eine deutliche Beschleunigung des Beschlußfassungsverfahrens, nicht nur weil diese erlaubt, Blockaden einer Minderheit zu überwinden, sondern weil allein die Aussicht, andernfalls überstimmt zu werden, einen erheblichen Anreiz für einen Mittelweg setzt und somit selbst einstimmig gefaßte Beschlüsse nicht länger von vomeherein auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner stehen bleiben 197 • Zum zweiten ist unterstrichen worden, daß die vom Vorsitz geleiteten Vermittlungsgespräche die Kommission miteinbeziehen und sich nicht als ein Feilschen um Sonderwünsche präsentieren, das die Mitgliedstaaten unter sich ausmachen 198 . In diesem Zusammenhang heben mehrere Beobachter die hervorragende Bedeutung des früheren Kommissionspräsidenten Velors hervor, dessen Persönlichkeit insbesondere in der ersten Amtszeit vom Jahre 1985 an deutliche Zeichen gesetzt und die Kommission zurück in das Führungszentrum geführt habe, was in institutioneller Hinsicht gewissermaßen zur Kohabitation mit der jeweiligen Präsidentschaft führte; in einem Wort: "Neither institution working alone could provide the Community with the leadership that it needed: both together could and did."l99 Auch ohne im weiteren den kaum präzise zu durchleuchtenden Zusammenhang zwischen den Führungsqualitäten der jeweiligen Kommission und der hier interessierenden Abstimmung mit der Präsidentschaft zu würdigen - weder die SanterKommission noch die derzeit amtierende Kommission unter Prodi verbuchen ein Engel! Bormann, s. 25 ff. Die Auswirkungen des Wandels im Entscheidungs- bzw. Abstirnrnungsverhalten ist für das Zustandekornrnen von Kompromißlösungen von kaum zu überschätzender Bedeutung. Siehe hierzu die Untersuchung von Engel! Bormann, S. 45 ff. Vgl. auch den Bericht des Rates über das Funktionieren des Vertrags über die Europäische Union, Brüssel 1995, S. 16, Punkt 19: "Berücksichtigt man die "motivierende Wirkung" der Mehrheitsabstirnrnung, so gibt die tatsächlich mit qualifizierter Mehrheit getroffenen Beschlüsse nicht in vollem Umfang die Rolle wieder, weIche die qualifizierte Mehrheit als Effizienzfaktor bei der Durchführung der Politiken der Gemeinschaft spielt." 198 Westlake, The Council of the European Union, S. 43. 199 Ludlow, The European Cornrnission, S. 3 ff.; Ludlow, Preparing for 1996, S. 154. Vgl. auch Edwards/Spence, The Cornrnission in perspective, S. 13; Dinan, S. 212. 1%
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11. Vorsitzführung im Rat
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Ansehen, das dem beinahe legendären "De1ors-Faktor" entsprechen würde200 -, kann festgehalten werden, daß in den drei aufeinanderfolgenden Amtszeiten unter Delors ein Klima vorherrschte, in dem die Kommission in den Gesetzesberatungen typischerweise keine Einschränkung ihres Initiativrechts samt der hierzu gezählten Verrnittlerrolle beklagte, sondern in den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten von dem natürlichen Gewicht des Vorsitzes profitierte201 . Aber selbst wenn sich in der Ära intensiver Integrationsfortschritte so etwas wie ein politisches team work zwischen supranationaler Interessenvertretung und der unter den Mitgliedstaaten rotierenden Vorsitzführung herauszubilden schien, spiegelt die Stärke der Präsidentschaft - und dies bildet den Ausgangspunkt der nachstehenden Überlegungen - häufig doch auch unweigerlich die Schwäche, oder präziser: die Schwächung der Kommission wider, den Ausgleich unter divergierenden nationalen Interessen zu betreiben. Je weniger ihr dieser Ausgleich unter Anleitung des Gemeinschaftsinteresses gelingt, umso unaufhaltsamer wächst der Präsidentschaft als primus inter pares die institutionelle Autorität zur Unterhandlung zu. Und je entschlossener der Vorsitz die Gesetzesberatungen auf allen Ebenen, im Rat wie im Ausschuß der Ständigen Vertreter und in den übrigen Hilfsorganen und Arbeitsgruppen aufeinander abstimmeo2, umso anspruchsvoller gestalten sich die Anforderungen, die mehr und mehr wie von selbst zugewiesene Verrnittlerrolle erfolgreich auszufüllen. Diese hat zur ersten Bedingung, in allen strittigen Punkten die einzelnen nationalen Standpunkte aller Mitgliedstaaten zur Kenntnis zu nehmen. Hierfür wird der Vorsitz vornehmlich durch den Ausschuß der Ständigen Vertreter und das Generalsekretariat des Rates unterstützt, das eigentlich in einer "kollektiven Loyalität zum Rat als solchen steht"203, sich in praxi aber zum "Sekretariat der Präsidentschaft,,204 entwickelt hat. Neben dem briefing der Präsidentschaft durch das Generalsekretariat und dem Informationsaustausch auf der Ebene der Ständigen Vertreter hat sich mittlerweile der gleichsam persönliche Einsatz der Präsidentschaft in 200 EdwardslSpence, The Commission in perspective, S. 13, und Dinan, S. 212. Auch wenn die von Januar 1995 bis Januar 2000 amtierende Santer-Kommission wie auch die derzeitige Kommission unter der Präsidentschaft von Romano Prodi von einer Fülle politischer Würdigungen begleitet wurden bzw. werden, die sich ohne Zweifel maßgeblich auf ihr Verhältnis zum Rat auswirken, ist an dieser Stelle kein Raum für eine breitere Darstellung. Einen Überblick auf die Amtsperiode der Santer-Kommission gibt Peterson, The Santer Era, S. 46 ff., und ders., Jacques Santer: The EU's Gorbachev, S. 1 ff. Unter besonderer Berücksichtigung der Umstände ihres Rücktritts, HummerlObwexer, Rücktritt der Europäischen Kommission, S. 77 f. Stellvertretend für die derzeit eher negative Berichterstattung über die amtierende Kommission siehe HortlStabenow, Schatten über der Kommission, S. 3; Koch, Romano schläft, S. 46 f. 201 So ausdrücklich EdwardslSpence, The Commission in perspective, S. 13. Siehe hierzu auch die grundsätzlichen Überlegungen von Wal/ace, The Presidency, S. 11 ff. 202 Wal/ace, The Presidency, S. 15. 203 Egger, S. 4. 204 HummerlObwexer, Die "EU-Präsidentschaft", S. 433.
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Form von Visiten in den Mitgliedstaaten etabliert: So unternahm während der deutschen Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 1999 Bundeskanzler Schräder eine Hauptstadtrundreise mit dem Ziel, Kompromißmöglichkeiten in den strittigen Bereichen der Agenda 2000 auszuloten205 . Auch für die eigentlichen Übereinkünfte im Rat hat sich für den Vorsitz der Präsidentschaft unterdessen eine Reihe von informellen Verfahrenstechniken etabliert, von denen das "Beichtstuhlverfahren" das bekannteste ist206 . Um einzelne Staatenvertreter auf den Kurs einer einvernehmlichen oder mehrheitsfcihigen Entscheidung zu bringen, lädt der Ratspräsident zu Vier-Augen-Gesprächen ein, in denen die abweichenden Staats- oder Regierungschefs zur Angleichung ihres Stimmverhaltens - häufig durch die Ankündigung entsprechender Konzessionen 207 - veranlaßt werden sollen. Das Beichtstuhlverfahren ist beispielsweise auf dem Treffen des Europäischen Rates in Berlin am 24. März 1999 zur Anwendung gekommen, als Bundeskanzler Schröder zuvor - und auf der Rundreise - nicht ausräumbare Meinungsverschiedenheiten zur Agenda 2000, besonders zur Strukturpolitik und den entsprechenden Finanzierungen, in Einzelgesprächen mit seinen Amtskollegen beizulegen versuchte208 .
In. Die genuine Vennittlungsrolle der Präsidentschaft: Zum Abschluß von "package-deals" unter den Mitgliedstaaten In unmittelbarer Verbindung zu den Beichtstuhlverfahren, die als spektakulärste Anstrengungen den Höhepunkt der Vermittlungsarbeit markieren, steht die Organisationsherrschaft der Präsidentschaft über den Abschluß von package-deals (Paketlösungen). Die package-deals stellen ebenso eine Form der nicht vertraglich geregelten Entscheidungsfindung dar, wie die frühere Konsensfindungspraxis nach dem Luxemburger Kompromiß, denn sie sind direkt mit den Abstimmungsmodi im Rat verbunden. Um die allfällige Schwierigkeit zu überwinden, daß von der Kommission vorgelegte Rechtsaktentwürfe nicht die erforderliche Mehrheit finden, werden in den Verhandlungen mehrere Einzelvorschläge untereinander verknüpft, die bei getrennter Abstimmung keine Aussicht hätten, angenommen zu werden, im Paket jedoch eine Beschlußfassung ermöglichen. Diese Art der Verbindung - die gelegentlich auch als impliziter Stimmentausch gekennzeichnet wird 209 205 Die Rundreise Schröders diente darüber hinaus dem Zweck, die seinerzeit anstehenden, wichtigen Personalentscheidungen über den Hohen Repräsentanten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ("Mister GASP") und den nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission abzustimmen, vgl. Bulletin Quotidien Europe Nr. 7422 vom 11. 3. 1999, S. 8. Näher dazu im nächsten Abschnitt. 206 Näher Hummer/Obwexer, Die "EU-Präsidentschaft", S. 436. 207 Siehe dazu näher im nächsten Abschnitt. 208 Vgl. Bulletin Quotidien Europe Nr. 7434 vom 27.3. 1999, S. 6. 209 Die Bezeichnung von durch die Kommission initiierten package-deals als ,,implizitem Stimmentausch" soll die Unterscheidung von zwischen den Mitgliedstaaten in eigener Regie
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- kommt sowohl für fachspezifische Pakete, d. h. mehrere Einzelschläge zu einer Gemeinschaftspolitik, als auch für fachübergreifende Lösungen in Betracht. Die package-deal-Politik illustriert auf der einen Seite die Gefahr eines Kontrollverlusts der Kommission über die Behandlung ihrer Vorlage und damit ein weiteres potentielles Konfliktfeld zwischen Vorschlagsrecht und Beschlußfassungsrecht. Andererseits bietet sie den Weg zu einer erleichterten Entscheidungsfindung auf Ratsebene, welche den Erfolg der Initiativarbeit der Kommission fördern kann. 1. Die Entwicklung von kombinierten Vorschlägen
In den Anfangsjahren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und insbesondere im Vorfeld der Luxemburger Beschlüsse fand die Verknüpfung von Gemeinschaftsrechtsakten nahezu ausschließlich als taktisches Instrument der Kommission Beachtung21O • Im Laufe der Ausweitung der Tätigkeitsfelder und der zunehmenden Komplexität der Gesetzesplanung auf der europäischen Ebene hat sich der Schwerpunkt auf die Verhandlungsführung im Rat verlagert, also auf die Einigung zu Paketlösungen unter den Mitgliedstaaten211 • Der Einfluß der Kommission auf die gemeinsame Behandlung mehrerer Vorlagen ist auf eigentümliche Weise gespalten. Einerseits ist ihr Einfluß von dem einzuhaltenden bzw. gewählten Abstimmungsverhalten im Rat determiniert und damit fremdbestimmt. Andererseits ist die Kommission zur Vorbereitung einer kombinierten Verhandlungsführung prädestiniert, weil sie das formell initiativberechtigte Organ ist. Als nicht stimmberechtigtes Mitglied in den Ratssitzungen liegt ihre Beteiligung an Paketlösungen in der Fähigkeit begründet, im Falle eines Verhandlungsengpasses durch Zugeständnisse in anderen Bereichen die Zustimmung von Ratsmitgliedern gewissermaßen dadurch zu erkaufen, daß sie ihre Vorschläge entsprechend modifiziert. Unter dem Einstimmigkeitserfordernis bewegt sich dieser Handel in engen Grenzen, da sowohl die Annahme als auch eine Änderung der Vorlage nur im Konsens erfolgen kann. Im Falle der qualifizierten Mehrheitsentscheidungen aber und nach dessen sukzessiver Ausweitung auf die meisten Gemeinschaftspolitiken ausgemachten "expliziten Stimmtauschgeschäften" veranschaulichen, wenn anstelle der "Abwerbung" durch die Kommission das gleiche Ergebnis durch direkte Vereinbarungen zwischen den Ratsmitgliedern zustande kommt. Hier einigen sich zwei oder mehrere Mitgliedstaaten auf ein koordiniertes Abstimmungsverhalten, indem der erste Mitgliedstaat oder eine Koalition von Mitgliedstaaten entgegen den eigentlichen Präferenzen einem Vorschlag zustimmt, damit im Gegenzug eine zweite Entscheidung in seinem/ihrem Sinne beschlossen wird. Zur Terminologie Lindberg / Scheingold, S. 94. Zum expliziten Stimmtausch siehe Wilming, S. 107 ff. und die Hinweise aus der Praxis bei Engel! Bomumn, S. 91. 210 Vgl. Noel, The Commission's Power of Initiative, S. 131. 211 Edwards/Wallace, The Council of Ministers, S. 36. Zur jüngeren Entwicklung Hummer/Obwexer, Die "EU-Präsidentschaft", S. 436.
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- vergrößert sich der Spielraum beträchtlich. Für die Annahme eines Vorschlags, den die Kommission ändert, genügt eine Mehrheitsentscheidung, während eine Änderung gegen den Willen der Kommission einstimmig sein muß. Unter diesen Voraussetzungen ist es der Kommission theoretisch anheim gestellt, gezielt um Mitglieder des Rates zu werben, um die notwendige Mehrheit zu erreichen. Und da sie als Initiativorgan die Fäden zur Verknüpfung ihrer Vorlagen in den Händen hält, kann die Kommission eine Paketlösung ins Auge fassen, sowohl übergreifende als auch auf bestimmte Fachbereiche beschränkte Gesamtentwürje kreieren, die vom Rat als Ganzes verhandelt und anschließend einzeln mit der jeweils vorgeschriebenen Mehrheit angenommen werden können. Der Kombination mehrerer Initiativen durch die Kommission liegt - wenn nicht materielle Verbindungen eine gemeinsame Beschlußfassung nahelegen 212 - fast immer ein taktisches Moment zugrunde. Hier steht eindeutig das Bemühen um einen Ausgleich von nur wenig kompatibel scheinenden oder auch diametral entgegenstehenden Interessen der Nationalstaaten im Vordergrund. Insofern lassen sich die verbundenen Vorlagen fast immer als Mittel zur Behebung von Interessenskonflikten auf der intergouvernementalen Ebene charakterisieren. In der Geschichte der von der Kommission in die Wege geleiteten Verknüpfungen finden sich indes auch Exempel, deren Anliegen nicht in einem vermittelnden Entgegenkommen in Richtung der nationalen Prioritäten bestand, sondern in einer gesteigerten Verfolgung von Gemeinschaftsinteressen. Als berühmtestes Beispiel ist nach wie vor auf das am 31. März 1965 vorgelegte Paket dreier Vorschläge über die Finanzierung der Agrarpolitik, die eigenen Einnahmen der Gemeinschaft und die Verstärkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments zu verweisen213 , obschon dieses aufgrund seiner Nichtannahme im Rat und der Nachwirkungen als historischer Mißerfolg par excellence gehandelt wird214 . Mit dieser Vorlage, die zumindest in der Bedeutung der verknüpften Einzelvorschläge keinen Präzedenzfall kannte215 , hatte die Kommission im Sinn, hinsichtlich des ersten Teils den Wünschen der französischen Regierung zu entsprechen und gleichzeitig eine Abhängigkeit zu zwei thematisch unabhängigen Vorhaben herzustellen, denen sich dasselbe Land im Vorfeld verweigert hatte, von den seinerzeit fünf übrigen Mitgliedstaaten aber für akzeptabel gehalten wurden. Der damalige Kommissionspräsident Hallstein hatte die Bündelung der drei Vorschläge als ein "tout coherent, organique et logique,,216 präsentiert und konnte Zur inhaltlich gebotenen gemeinsamen Behandlung siehe sogleich. Siehe Beiheft zum Bulletin der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1965, Nr. 5, S. 2 ff. Der zweite Vorschlag hatte die Ergänzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel zum Gegenstand, bei der Rechteerweiterung zugunsten des Europäischen Parlaments ging es um ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht bei der Verabschiedung des Haushaltsplans der Gemeinschaft. 214 Gilsdorf, S. 94. Anders aber Notil, The Commission's Power of Initiative, S. 133. 215 Notil, The Commission's Power of Initiative, S. 131. 212 213
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sich bei diesem Vorgehen der Unterstützung des Europäischen Parlaments wie der Mehrheit der Mitgliedstaaten sicher sein217 . Indessen lehnte die französische Regierung die Vorlage als ein politisch Ganzes ab, bestand darauf, nur den ersten Vorschlag zur Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik zu behandeln, und nahm das Vorgehen zum Anlaß, in einem "Heptalog zum Wohlverhalten der Kommission" eine für die Zukunft straff reglementierte Ausübung des Vorschlagsrechts zu verlangen, was zu den bereits beschriebenen Einschränkungen im Luxemburger Komprorniß führte 218 . Die ebenso ingeniöse wie fragile Erfindung, mehrere von keinem Sachzusammenhang gekennzeichneten Initiativen kurzerhand zu einer unite indivisible zu erklären, fand zunächst, nach dem spektakulären Echo des Rates, ihre Einordnung unter die Wirklichkeit der politischen Machtverhältnisse in der Gemeinschaft. Nüchtern im Ton, aber ernüchternd in der Sache, hielt Pescatore fest: "Cette fa~on de pn:senter les choses a constitue une erreur d'appreciation dans la mesure ou elle reposait sur la speculation que le gouvernement fran~ais pourrait pour ainsi dire «acheter» un reglement financier favorable au moyen de concessions sur le plan politique.,,219
Zudem wurde vorgetragen, daß der Verknüpfung von Vorschlägen auch rechtliche Bedenken anhafteten, weil der EG-Vertrag keinerlei Hinweis darauf enthalte, daß die Kommission den Rat zur von ihr bestimmten gemeinsamen Verhandlung von Legislativvorlagen verpflichten dürfe, vielmehr grundsätzlich jede einzeln das vorgeschriebene Rechtsetzungsverfahren durchlaufen müsse 220 . Da jedoch in zahllosen Fällen die gemeinsame Behandlung mehrerer Vorlagen aus inhaltlichen Gründen gerechtfertigt oder sogar sachlogisch erforderlich ist, weil sich eine Vielzahl von Gesetzesvorlagen nicht unabhängig von der Beschlußfassung zu einer weiteren Vorlage beurteilen läßt - als simples Beispiel lassen sich zwei verbundene Vorschläge zur Regelung einer Marktorganisation für ein Landwirtschaftsprodukt und zu ihrer Finanzierung denken, weil die Ablehnung der zweiten Vorlage unvermeidlich die Unanwendbarkeit der ersten nach sich ziehen würde -, wurde die kombinierte Vorlage zu keiner Zeit als juristisch erhebliches Phänomen virulent, sondern ganz im Gegenteil durch die Beiläufigkeit ihrer Anerkennung zu einem politisch-taktischen Axiom des Vorschlagsrechts erhoben: "D'un point de vue pragmatique et politique par contre, la possibilite de presenter une combinaison d'initiatives s'inscrit pour ainsi dire tout naturellement dans la pratique du droit de proposition. Il y a en effet des initiatives qui, par leur nature ou en raison des 216 Rede des Kommissionspräsidenten Hallstein vom 24. März 1965 vor dem Europäischen Parlament, Verhandlungen, Dokument Nr. 77/1965, S. 153. Hierzu van Mien, S. 220. 217 Lamben, S. 206 ff. Näher Remus, S. 279 f. 218 Zur Vorgeschichte siehe van Mien, S. 217. 219 Pescatore, in: Cartou, Perspectives, S. 65. 220 So van Mien, S. 221 f., der allerdings darauf hinweist, daß damit nur ein Prinzip statuiert sei, das Ausnahmen zulasse.
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circonstances, se completent d'une teile varie sensiblement.,,221
fa~on
que, prises individuellement, leur portee
Vorausgesetzt also, daß die Gesetzesvorschläge materielle Verbindungen aufweisen, ist für Bedenken an ihrer Zusammenknüpfung kein Raum. Sofern die inhaltliche Kohärenz natürlicherweise eine gemeinsame Behandlung verlangt, bleibt ohnehin kaum Potential für ein Ringen zwischen der Kommission und dem Rat oder innerhalb des Rates, weil kein Interessenkonflikt erkennbar ist. (Zur KlarsteIlung sollte hierfür die Bezeichnung "package-deal" vermieden und von einer "Kombination mehrerer Gesetzesvorlagen" gesprochen werden. 222) Umgekehrt wächst in dem Maße, in dem die Kombination zur Erleichterung der Beschlußfassung hergestellt wird, ihre politische Bedeutung und zwar umso markanter, je weniger sich in der Sache Zusammenhänge erkennen lassen und es geradeheraus um wechselseitige Konzessionen geht. Wie das Schicksal der Vorlagen vom März 1965 nicht nachdrücklicher vor Augen führen konnte, ist die von taktischen Überlegungen geprägte gemeinsame Behandlung mehrerer Gesetzesvorhaben in ihren Erfolgsaussichten der politischen Verständigung zwischen der Kommission und dem Rat bzw. den Mitgliedstaaten untereinander unterworfen. In der Praxis hat - unter dem mit der schrittweisen Erweiterung der Gemeinschaft und der Ausweitung ihrer Tatigkeitsgebiete stetig wachsenden Druck zur Berücksichtigung der vielfliltigsten Interessen - die künstliche Herstellung von Abhängigkeiten zwischen an sich zusammenhanglosen Gesetzesvorhaben permanent zugenommen. Zwar hatte Anfang der 70er Jahre Noel notiert, daß derlei Händel in einer rundum harmonierenden Gemeinschaft überflüssig wären, doch wurde diese erkenntnistheoretische Anmerkung schon damals von der - im Begriff des package-deal im Grunde bereits mitschwingenden - Gewißheit überlagert, daß sich die Verbindungen als nützlich und hilfreich erweisen können, wenn alle Beteiligten anerkennen, daß eben diese Perfektion nicht zu erreichen ist: "The most extreme form of these connections is the 'package-deal' of which the Commission (and the Council) have made considerable use since 1958. Such a procedure would doubtless be useless in an ideal Community, but our community is man-made and the linking together of problems may be a useful means of getting round its imperfections. ,,223
Obschon sich von Zeit zu Zeit unter den Mitgliedstaaten auch Widerstand gegen eine systematische package-deal-Politik geregt hat224 , ist es bezeichnenderweise der erreichte hohe Integrationsstand innerhalb der Europäischen Union, der mittvan Mien, S. 222. Unterschiedslos verwandt von Wilming, S. 48 und Lindberg / Scheingold, S. 94. Differenzierend Noel, The Commission 's power of initiative, S. 131, ("Links with other proposals" und "package-deals") und van Mien, S. 221 ("combinaison de plusieurs propositions"). 223 Noel, The Comrnission's power of initiative, S. 131. 224 Wallace, The Presidency, S. 41. Nachweise auch bei Kirchner, S. 84. 221
222
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lerweile wie selbstverständlich als vornehmstes Argument für die Zulässigkeit großzügiger Interessenverknüpfungen ins Feld geführt wird; dergestalt, daß nur eine flexible Handhabung der wechselnden Mehrheitsverhältnisse die Integration einer immer komplexer werdenden Gemeinschaft erlaube225 . Die Nähe zwischen Integrationsniveau und Opportunität von kombinierten Gesetzesvorlagen hatte, mit Blick auf die heikle Lage der Kommission, schon im Jahre 1969 der spätere Wettbewerbskommissar van Miert ausgemacht: "En definitive seules la coherence des solutions et la force des circonstances et non un droit pn:sume de la Commission peuvent rendre certaines propositions indissociables. ( ... ) Ce serait, en effet, une arme tactique dans les mains de la Commission dont l'utilisation ne semble guere compatible avec ['etat actuel de ['integration communautaire. ,,226
Auch Schmitt von Sydow neigt der Auffassung zu, daß "bei dem jetzigen Stand der Integration die Verbindung mehrerer Streitfragen zu einer Neutralisierung der einzelnen Probleme führen und das aktive Interesse aller Mitgliedstaaten wecken kann", weil die Europäische Union keine perfekte Gemeinschaft mit idealen Mitgliedern sei 227 . Ob es nun wirklich die Kombination aus Komplexität des fortgeschrittenen Entwicklungs stands bei gleichzeitiger Fehlbarkeit der Akteure ist, die verknüpfte Vorlagen als Verhandlungsinstrument nahelegt - immerhin stellt sich bei einer solchen Lesart die Frage, ab welchem Meilenstein zur ever closer Union ein derart mustergültiges Stadium zu erreichen wäre, um hiervon Abstand zu nehmen228 -, die zahlreichen package-deals in wichtigen Gesetzesverhandlungen, die schließlich wesentlich zur Vertiefung des allgemeinen Integrationsniveaus beitragen, haben jedenfalls nicht dafür gesorgt, daß ihr Management der Obhut der unabhängigen und dem Gemeinschaftswohl verpflichteten Kommission anvertraut wurde.
225 So im Ergebnis auch Gilsdorf, S. 93, der auf der anderen Seite die Kommission gewarnt hat, der package-deal Politik des Rates durch sachlich nicht gerechtfertigte Verknüpfungen Vorschub zu leisten. 226 van Miert, S. 221. (Hervorhebung d. Verf.) 227 Schmitt von Sydow, in: Groeben / Thiesing / Ehlermann, EU - / EG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 40. 228 Unbeschadet der Kritik an einer (systematischen) package-deal-Politik erscheint das Kriterium vom ausbaufähigen Integrationsstand und der Fehlbarkeit der Akteure wenig überzeugend, weil es nicht näher zu bestimmen und, mehr noch, grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt ist. Die Verknüpfung sachlogisch nicht zusammenhängender Gesetzesvorhaben ist auch der bundesstaatlichen Praxis nicht fremd, kommt also in einem Staatswesen ebenfalls vor, und macht damit deutlich, daß sie zumindest nicht nur eine Frage des aktuellen Entwicklungsstandes der Europäischen Union sein kann. Möglicherweise ist deswegen auch hier die Würdigung von package-deals auf die ebenso praktische wie schlichte Einsicht zu reduzieren, daß der Zweck häufig die Mittel heiligt.
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2. Zur Übernahme der Vermittlungsfunktion durch die Präsidentschaft
Die Anleitung zu den bedeutendsten Gesetzespaketen ist beinahe vollständig in die intergouvernementale Auseinandersetzung im Rat unter Steuerung des jeweiligen Vorsitzes zurückgefallen 229 • Hinsichtlich des Schnürens von fachübergreifenden Paketen ist von Anfang an problematisch gewesen, daß der Rat als Ministerrat an sich ressortübergreifende Tagungen abhalten müßte, die sich aber als unpraktikabel erwiesen haben. Schon wegen dieser organisatorischen Hindernisse, mehr noch aber wegen der hohen politischen Bedeutung, wird mit der Aushandlung fachübergreifender package-deals immer häufiger der Europäische Rat als höchste Instanz betraut23o • Viele der wichtigen Verhandlungsrunden der letzten Jahre auf der europäischen Ebene geben ein beredtes Zeugnis von der Bereitwilligkeit, pakkage-deals immer mehr zur normalen Verhandlungsführung werden zu lassen. Anstelle ihres ursprünglichen Anstoßes - der flexiblen Antwort auf festgefahrene Verhandlungen oder Blockaden durch opponierende Länder - hat sich ein generelles, nachgerade präventives Einverständnis zur komplexen Verhandlungsführung durchgesetzt. Und mit der zunehmenden Selbstverständlichkeit der Beratung von umfangreichen Gesetzespaketen hat sich herausgeschält, daß es hierzu nicht einer konstitutiven Kombination von Vorschlägen bedarf. Es ist daher in hohem Maße bezeichnend, daß der Beitrag der Kommission an den package-deals zurückgegangen ist und sie in den entscheidenden Phasen häufig nur noch am Rande und selten in einer vermittelnden Rolle in Erscheinung treten kann. Dieser Verlust an Einfluß ist umso beachtlicher, als die Mittleraufgabe des Vorsitzes von dem übergeordneten Interesse einer kollektiven oder zumindest mehrheitlichen Übereinkunft geleitet wird und sich mithin als die einzige von den Mitgliedstaaten ausgefüllte Rolle darstellt, der ein supranationales Moment innewohnt. Es liegt geradezu in der Logik der Interessenvertretung, daß in dem wachsenden Maße, in dem die Übernahme der Präsidentschaft den Nationalstaaten für ihre Amtszeit die Position eines europäischen Schlichters zuweist, eine Doppelfunktion zutage tritt: "Countries in the presidency playadual role in Council meetings and have a split personality. They seek both to advance their own positions and to act as impartial arbiters; they are biased and neutral at the same time.,,231
In diesen Kontext gehört schließlich, daß es der Autorität der Kommission schaden kann, an Paketlösungen aktiv mitzuwirken oder diese auch nur zu dulden, wenn sie damit ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge vernachlässigt. Ein jüngeres Beispiel stellt das Vorgehen der fünfzehn Mitgliedstaaten von Anfang Mai 2002 dar, die vier, inhaltlich in keiner Weise zusammengehörige Themen zu einem Paket geschnürt haben. Die Regierungen haben sich darauf verständigt, 229 Laffan, The Agenda 2000 Negotiations, S. 4. 230 Siehe hierzu ausführlich Wilming, S. 48 f. 231 Dinan, S. 240. Vgl. dazu auch Scott, S. 24 f.
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daß Frankreich, Italien und die Niederlande auch künftig während des sprunghaften Anstiegs der Ölpreise Ende 2000 zugunsten der Straßentransporteure beschlossene Steuererleichterungen für Dieselöl gewähren können. Deutschland und Spanien können im Gegenzug darauf vertrauen, ihre heimische Steinkohle bis zum Jahr 2010 mit staatlichen Geldern unterstützen zu dürfen. Die österreichische Regierung hat dem in der Erwartung zugestimmt, daß Italien nicht den von der Kommission vorgelegten Plänen widersprechen werde, den Straßentransitverkehr auch künftig zu drosseln. Die belgische Regierung hat angekündigt, dem Gesamtpaket zuzustimmen, sofern ihr von Seiten der Kommission eine Zusicherung gegeben werde, auch künftig Nachsicht bei gewissen Erleichterungen der Unternehmenssteuern zu üben232 . Daß sich die Mitgliedstaaten an einer solchen Übereinkunft beteiligen, mag keine besondere Aufregung verursacht haben. Jeder Mitgliedstaat vertritt in der Europapolitik seine eigenen Interessen und das aus Steuererleichterungen, Subventionen und sonstigen Vergünstigungen zusammengebundene Knäuel stellt einen Ausgleich zwischen verschiedenen Positionen dar. Anders als die Mitgliedstaaten muß die Kommission indes stets das Gemeinschaftsinteresse im Blick halten. Deswegen ist es als "erstaunlich" bezeichnet worden, daß auch die Kommission "gute Miene zum bösen Spiel der Regierungen" gemacht habe, weil die verabredeten Vergünstigungen und Sonderbehandlungen der Wettbewerbsordnung entgegenstünden und überdies nicht einmal einen Komprorniß im europäischen Interesse bedeuteten233 . Im Ergebnis ist der Handel als Indiz dafür gewertet worden, daß die Mitgliedstaaten mit ihrem "Kuhhandel" die Autorität der Kommission untergraben und diese durch mehr oder weniger stillschweigende Duldung an ihrer eigenen Schwächung mitwirkt234 . 3. Die Bürde der Vermittlerrolle am Beispiel der Verhandlungen zur Agenda 2000
Die Verantwortung für Verhandlungen mit dem Ziel einer ausgewogenen Ergebnisfindung kann das vorsitzführende Land in eine Zwickmühle führen. Die nähere Betrachtung der deutschen Präsidentschaft beim Management der Agenda 2000 in der ersten Jahreshälfte 1999 beleuchtet nicht nur den Januskopf der Präsidentschaft, sie zeigt, in welcher Weise die gewachsenen Erwartungen an das vorsitzführende Land die Verteidigung der eigenen Interessen präponderieren kann. In den Verhandlungen zur Agenda 2000 wuchsen sich die Meinungsverschiedenheiten um die zukünftige finanzielle Perspektive der Europäischen Union zu einem Zum Ganzen siehe Stabenow, Kuhhandel mit Folgen, S. 12. Stabenow, Kuhhandel mit Folgen, S. 12: "Es wäre aber fatal, dies mit einem Kompromiß im europäischen Interesse zu verwechseln. Leiden nicht andere Verkehrsträger unter den Steuergeschenken für die Brummis, und wer zahlt die Zeche für die Kohlesubventionen? Mit ihrer Kungelei haben die Regierungen verhindert, daß solche legitimen Anliegen überhaupt geprüft werden." 234 Stabenow, Kuhhandel mit Folgen, S. 12. 232
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umfassenden Handel über mehrere an sich unabhängige Dossiers aus. Am Ende wurden für den Zeitraum 2000 bis 2006 die Höhe der EU-Agrarsubventionen und der Brüsseler Hilfen für die ärmeren Mitgliedstaaten festgeschrieben, um zu verhindern, daß die Ausgaben der Gemeinschaft nach der Aufnahme der eher ländlich geprägten Staaten Osteuropas explodieren. An erster Stelle ging es freilich um eine Reform des Beitragssystems. Die Reform der Eigenmitte1beschlüsse haben den Finanzrahmen der Europäischen Union - die Höhe des Haushalts - neu festgelegt und das Beitragssystem - die Kriterien für die Abführung der Mittel durch die Mitgliedstaaten - neugestaltet. Die Kommission hatte im Juli 1997 mit dem Vorschlag zur Änderung der Verordnung über das System der Eigenmitte1 den Auftakt gemacht235 . In Deutschland war die Reform des Eigenmittelsystems das alle übrigen Aspekte der Agenda 2000 dominierende Thema, weil Deutschland zuletzt (1997) 46 Milliarden DM (das entsprach in etwa 1,3% des nationalen Bruttosozialprodukts) in den EU-Haushalt eingezahlt, aber nur 24 Milliarden DM in Form von Strukturfondsmitteln, Subventionen für die Landwirtschaft usw. zurückbekommen hatte und damit absolut gesehen mit 22 Milliarden DM der größte Nettozahler in der Gemeinschaft war. Das deutsche Verhandlungsziel, eine deutliche Reduzierung dieses Beitrags zu erreichen, wurde durch einen Zwischenbericht vom Oktober 1998 über das Funktionieren des Eigenmittelsystems 236 unterstützt, in dem die Kommission so objektiv wie möglich die Überweisungen jeden Landes und die Rückflüsse analysiert hatte und nach Feststellung einer Belastung Deutschlands, der Niederlande, Österreichs und Schwedens - des Nettozahlerc1ubs - mehrere Maßnahmen zum Ausgleich bzw. zur Rückführung der überproportionalen Beiträge erwog 237 . Die deutsche Regierung unter Bundeskanzler Kohl hatte vertreten, daß nur eine Kombination der Modelle zur Regelung der Kofinanzierung der Direktbeihilfen in der Landwirtschaft, eine deutliche Verminderung des sog. Briten-Rabatts und eine allgemeine Reduzierung der Nettozahlerbeiträge eine befriedigende und gerechte Lösung erlaubte238 . Die 235 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1552/89 des Rates zur Durchführung des Beschlusses 94/728/EG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften, KOM/97/0343 endg., ABI. 1997 Nr. C 267, S. 64. 236 "Die Finanzierung der Europäischen Union: Bericht der Europäischen Kommission über das Funktionieren des Eigenmitte1systems", im Internet abrufbar unter http:/ 1europa.eu.int 1 scadplus /leg 1 de Ilvb 113400 l.htm. 237 Erstens die Kofinanzierung der Direktbeihilfen in der Landwirtschaft, die bislang als die Hauptursache für die deutsche Nettozahlerposition ausgemacht worden war. Zweitens die Einführung einer sog. Kappungsgrenze, mit der im Prinzip der Britenrabatt für alle Mitgliedstaaten mit "starkem Ungleichgewicht" (also den größten Nettozahlern) eingeführt worden wäre: Im Jahre 1984 hatte Premierministerin Thatcher unter der Parole "I want my money back" eine Regelung durchgesetzt, nach der Großbritannien zwei Drittel der Differenz zwischen EU-Beiträgen und Rückflüssen erstattet werden. Schließlich erwog die Kommission einen stärkeren Bezug der Einnahmen auf das Bruttosozialprodukt der Mitgliedstaaten. 238 VgI. hierzu das Interview mit dem kurz zuvor aus dem Amt geschiedenen Bundesfinanzminister Waigel. Financial Times vom 18. 10. 1989, S. 2.
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Ende September 1998 ins Amt gekommene Regierung unter Bundeskanzler Schröder übernahm diesen Standpunkt. Auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates in Wien vom 11. und 12. Dezember 1998 präsentierte der österreichische Vorsitz eine 615 Seiten umfassende Zusammenstellung der Positionen aller fünfzehn Mitgliedstaaten zur Agenda 200(j239, ohne indes den Finanzrahmen vorzuzeichnen, womit automatisch die primäre Verantwortlichkeit für einen umfassenden package-deal der nachfolgenden deutschen Präsidentschaft zufiel. Mit der Vorsitzübernahme zum Jahreswechsel erklärte die deutsche Regierung, die Verhandlungen angesichts der angestrebten Erweiterung der Europäischen Union baldmöglichst abschließen zu wollen die "neue finanzielle Vorausschau der Union" wurde für eine Geltungsdauer von sieben Jahren konzipiert, wobei als Arbeitshypothese der Beitritt neuer Mitgliedstaaten vom Jahre 2002 an zugrundegelegt wurde 240 - und komprimierte die wesentlichen Verhandlungspunkte in einem 22-seitigen Papier, in welchem sie zugleich das Treffen des Europäischen Rates am 24. und 25. März in Berlin zur deadline für eine alle Fragen umfassende Einigung festsetzte. Dieses Arbeitsdokument umzeichnete den Rahmen, innerhalb dessen sich die Verhandlungen über die Reform der Eigenmittel, der Finanzierung der Landwirtschaftspolitik und der Strukturfonds bewegen sollten, und sah vor, daß es auf der Grundlage der im Ausschuß der Ständigen Vertreter weiterlaufenden Verhandlungen bis zum Gipfeltreffen regelmäßig aktualisiert werde. Mit der Bestimmung zur negotiation box wollte der deutsche Vorsitz die Verbindung der verschiedenen Dossiers sicherstellen, damit sämtliche Verhandlungen zu einer gesamtheitlichen Lösung beitrügen241 . Ein nicht unwesentlicher Aspekt war, daß mit dieser Verknüpfung der Landwirtschaftsministerrat vom Rat für allgemeine Angelegenheiten und dem Ecofin-Rat gewissermaßen an die lange Leine genommen wurde, weil nach der deutschen Vorstellung die Agrarverhandlungen keinesfalls isoliert geführt werden sollten242 . Und schließlich nutzte die Präsidentschaft ihre Organisationshoheit durch die Aufstellung eines äußerst dichten Zeitplans für die Verhandlungen auf allen Ebenen, um von vorneherein auszuschließen, daß ein etwaiger Mangel an Beratung das Scheitern einer alle Punkte umfassenden Übereinkunft würde rechtfertigen können. Parallel zur Verhandlungsorganisation wiederholte die deutsche Regierung ihre Forderung nach einer deutlichen Reduzierung des eigenen Beitrags und verteilte bereits Mitte Januar einen sieben Punkte umfassenden Katalog, an dem eine gerechtere Aufteilung zu orientieren sei. Allerdings begegneten praktisch alle UnterIm Internet unter www.bmf.gv.at/service I publikationen I download I berichte leu. pdf. Siehe hierzu die Schlußfolgerungen des Vorsitzes, im Internet abrufbar unter http:// europa.eu.int I councill off I conc1u I mat99_de.pdf. 241 Laffan, The Agenda 2000 Negotiations, S. 8. 242 Der Rat für allgemeine Angelegenheiten agierte während der gesamten Verhandlungen gleichsam als Filter des Europäischen Rates, dazu Galloway, S. 14. 239 240
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punkte ernsthaften Widerständen von jeweils verschiedenen Ländern243 . Ende Februar, einen Monat vor dem Gipfel von Berlin, kamen im Petersberger Schloß in Königswinter die Staats- und Regierungschefs zu einem informellen Treffen zusammen, nachdem Bundeskanzler Schröder seiner Überzeugung Ausdruck verliehen hatte, daß nunmehr auf höchster Ebene die Konturen für ein Gesamtpaket vereinbart werden müßten. Um die Verhandlungen zu beschleunigen, hatte der Vorsitz die zulässige Zahl der anwesenden Berater auf vier begrenzt und die Außenminister sozusagen ausdrücklich nicht eingeladen244 • Das Treffen blieb zwar ohne konkrete Ergebnisse, bestätigte aber den Willen aller Teilnehmer, in Berlin den Abschluß eines Gesamtpaketes vorzunehmen. In den Beratungen zur Reform der Landwirtschaft und ihrer Finanzierung hatte sich unterdessen nach gescheiterten Einigungsversuchen und der Ablehnung eines Kompromißvorschlags der Kommission eine Pattsituation ergeben, die durch den Vorwurf der französischen Regierung verschärft wurde, die deutsche Regierung würde den Vorsitz zur einseitigen Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen und ihre vermittelnde Funktion außer acht lassen245 • Ungeachtet ihrer Berechtigung führten die Anschuldigungen den Spagat zwischen Vorsitzrolle und einfachem Mitglied nur zu offensichtlich vor Augen. Nicht eben zu ihrer Abwehr trug die mehrheitliche Ablehnung eines weiteren, von der Präsidentschaft vorgelegten und alle strittigen Fragen umfassenden Kompromißpapiers bei. Anfang März brachte die Kommission einen zweiten Reformvorschlag für die Landwirtschaft ein, der aber lediglich von Finnland, Dänemark und dem Vereinigten Königreich gestützt wurde und postwendend in einem zweiseitigen Gegenvorschlag der deutschen Regierung Konkurrenz fand. Obgleich dies nicht eigens hervorgehoben wurde, wurde der deutsche Vorschlag, der sich dieses Mal auf die Landwirtschaft beschränkte, als nationales Positionspapier akzeptiert246 • Fast ein wenig überraschend fand dieser Entwurf in der Sitzung des Landwirtschaftsrates vom 11. März die erforderliche qualifizierte Mehrheit, wobei mit Rücksicht auf den Widerstand des Vereinigten Königreichs und Schwedens der Komprorniß, wiewohl an sich beschlossen, zum Bestandteil des für Berlin anvisierten umfassenden package-deals und folglich vorsorglich die Wiedereröffnung der Verhandlungen für möglich erklärt wurde 247 . Dieses Vorgehen des Rates, das der französische Agrarminister Glavany mit der Bemerkung quittierte, der gefundene Komprorniß bedeute auch für Frankreich nicht mehr als ein unerledigtes Geschäft248 , wird wohl nur angesichts der allseitigen Bemühungen verständlich, nach den zähen BeratunEinzelheiten bei Galloway, S. 14. Was zu der bemerkenswerten Konstellation führte, daß nur Bundesaußeruninister 10seph Fischer auf dem Gipfel zugegen war. 245 Galloway, S. 14. 246 Laffan, Tbe Agenda 2000 Negotiations, S. 12. 247 Laffan, Tbe Agenda 2000 Negotiations, S. 13. 248 Le Monde vom 12. März 1999, S. 2. 243
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gen zur Landwirtschaft noch vor dem Gipfel zur - vorläufigen - Klärung der übrigen Finanzierungsfragen überzugehen. Das Übereinkommen vom 11. März überstand dann auch nicht das Endspiel von Berlin. Auf dem im Schatten des Ausbruchs des Kosovo-Krieges eröffneten Gipfeltreffen wurde der Komprorniß wegen der Forderung nach erheblichen Nachbesserungen aufgelöst und neu ausgehandelt, zumal der französische Staatspräsident Chirac gedroht hatte, andernfalls die Verhandlungen über alle übrigen Reformen abzubrechen. Hinsichtlich des sogenannten Briten-Rabatts setzte sich die englische Regierung weitgehend durch, obwohl Bundeskanzler Schräder im Beichtstuhlverfahren am ersten Tag eine deutlichere Rückführung verlangt hatte 249 . Der Erfolg der britischen Delegation veranlasste die Franzosen zur Kritik an der Ausgewogenheit des Verhandlungspakets 25o. Tatsächlich war die Beibehaltung des Briten-Rabatts im Rahmen der Reform der Eigenmittel größtenteils als Überraschung empfunden worden, weil nach der Feststellung im Zwischenbericht der Kommission, die Finanzierung sei in der bestehenden Form aufgrund der bestehenden Haushaltsungleichgewichte nicht länger gerechtfertigt, kaum jemand erwartet hatte, daß sich die britische Position würde behaupten können. Nach dem Eindruck manchen Beobachters kam der Beharrlichkeit, mit der Premierminister Blair die bestehende Rabattregelung lange Zeit für nicht verhande1bar erklärt hatte, die angespannte außenpolitische Situation zugute, weil sie die Präsidentschaft unter zusätzlichen Erfolgsdruck setzte; der deutsche Vorsitz befürchtete offenbar umgekehrt, das Scheitern des gesamten Gipfels zu riskieren, wenn er auf einem weiteren Nachgeben Großbritanniens bestanden hätte251 . In den finalen Vereinbarungen zur Größe und Verteilung der Regionalhilfen, dem letzten großen Anteil des package-deals, die zu Auseinandersetzungen bis in die Morgenstunden führten 252 , zeigte sich die Entschlossenheit des deutschen Vorsitzes, den Gipfel nicht an den bis zuletzt umkämpften Geldern für Strukturhilfen scheitern zu lassen und im letzten Moment ein verabschiedungsfähiges Gesamtpaket zu schnüren. Unter Anleitung des Bundeskanzlers wurden sweeteners verteilt, die in den Schlußfolgerungen des Vorsitzes als "Übergangsunterstützungen für besondere Situationen (2000 - 2006)" ausgewiesen sind und die sich die Präsidentschaft sozusagen als Verpackungsschleife aufgehoben hatte, weswegen sie in 249 Die Finanzierung des Britenrabatts durch die anderen großen Nettozahler (Schweden, Niederlande, Österreich, Deutschland) erfolgt nur noch zu 25% statt bisher 100%. Die Differenz muß künftig von den anderen Mitgliedstaaten getragen werden. 250 So beklagte Staatspräsident Chirac öffentlich, daß die Engländer "alles bekommen hätten, was sie wollten", während der französische Europa-Minister Moscovici vor einer Vergiftung der Beziehungen zwischen beiden Ländern warnte, Le Monde vom 25.3.1999, S. 4. 251 Laffan, The Agenda 2000 Negotiations, S. 15. 252 Der spanische Premierminister Amar resümierte arn Tag nach dem Gipfel seine Verhandlungsbemühungen in dem Satz: "I said ,no' at midnight, 1 said ,no' at 2 arn and finally 1 said ,yes' at 5.30.", Herald Tribune vom 27. März 1999, S. 1.
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den vorangegangenen Kompromißvorschlägen nicht einmal erwähnt waren253 . Die sweeteners reichten von einer Zahlung in Höhe von 500 Millionen Euro an die Lissabonner Region über die Bereitstellung eines Betrages in derselben Höhe mit Blick auf die besondere Beschäftigungslage in den Niederlanden bis hin zur Zuweisung von 100 Millionen Euro an Irland als Sonderauslaufregelung und ebenfalls 100 Millionen Euro an die Bundesrepublik zur Linderung der Probleme Ostberlins im Rahmen des Umgestaltungsprozesses. Zum Schluß sahen sich alle Mitgliedstaaten mit einer zusätzlichen Gabe zur Bewältigung einer "besonderen Situation" versehen 254 , bevor das Gesamtpaket als Ganzes verabschiedet wurde 255 . 4. Stellungnahme Der Verlauf der Verhandlungen zur Agenda 2000 wirft ein Schlaglicht auf die herausgehobene Stellung des vorsitzführenden Landes, wenn eine breite politische Erwartung auf den Abschluß eines mehrschichtigen Reformvorhabens gerichtet ist und hierzu die Verknüpfung mehrerer Vorhaben zu einem großen package-deal allgemeine Zustimmung unter den Mitgliedstaaten findet. Von wesentlicher Bedeutung war zunächst das Setzen einer deadline, bis zu der die Verhandlungen abgeschlossen werden mußten. Die deutsche Präsidentschaft konnte sich bei ihrem Drängen auf eine rasche Abfolge der Verhandlungen auf ein Mandat des Europäischen Rates von Cardiff vom Juni 1998 berufen, der die Dringlichkeit der Verabschiedung der Agenda 2000 bekräftigt hatte256 . Die Festlegung der Zeitspanne, innerhalb derer eine Übereinkunft erfolgen muß, hat sich bewährt; sie ist sogar zu einem zentralen Bestandteil der organisatorischen Aufgaben der Präsidentschaft geworden. Der deutsche Vorsitz hatte somit allein auf der Grundlage seiner Management-Funktion eine starke Handhabe, die Verhandlungen aus ihrem Vorbereitungs stadium während der österreichischen Präsidentschaft in die Aushandlung konkreter Einzelfragen zu führen, wobei die negotiation box dafür sorgte, daß eine ständig aktualisierte Fassung aller Dossiers zur Grundlage der 253 Die Schlußfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat in Berlin, 24./25. März 1999 sind abrufbar unter http://europa.eu.int/council/ off 1conclu 1mar99_de.pdf. 254 Schlußfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat in Berlin, Punkt 44. 255 Die Festschreibung einer Haushaltsobergrenze von jährlich maximal 1,27% des EUweiten BSP. Die grundsätzliche Beibehaltung des Briten-Rabatts, der allerdings bei Zahlungen für die Ost-Erweiterung künftig nicht mehr angewendet wird. Eine Absenkung des Mehrwertsteueranteils von bisher 1,0 auf 0,75% ab dem Jahr 2002 und auf 0,5% ab dem Jahr 2004. Damit steigt der Anteil der BSP-Abführungen an den Gesamtabführungen an die EU. Keine Kofinanzierung der Direktbeihilfen für die Landwirtschaft. Die Deckelung der Ausgaben beim Kohäsions- und den Strukturfonds- sowie bei der Landwirtschaft. Siehe die Schlußfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat in Berlin, 24. und 25. März 1999, http:// europa.eu.int 1councill off 1conclu 1mar99_deo pdf. 256 Europäischer Rat von Cardiff, 15. und 16. Juni 1998, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, S. 2, abrufbar unter http://europa.eu.int/council/ off 1conclu 1jun98de. pdf.
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technischen wie politischen Erörterungen der Ministergespräche ebenso wie in den wöchentlichen Beratungen im Ausschuß der Ständigen Vertreter diente. In der direkten Vorbereitung der Berliner Konferenz, angefangen mit dem Treffen in Bonn vier Wochen zuvor, intensivierte der deutsche Vorsitz in bilateralen Gesprächen den Kontakt zu allen Akteuren, um den Spielraum abzustecken, in dem sich das endgültige Resultat würde bewegen müssen. Sämtliche Komponenten des package-deals wurden auf diese Weise ausgelotet, bevor sie in Berlin zueinander ins Verhältnis gesetzt werden und letzten Anpassungen unterliegen sollten. Gleichzeitig hob die deutsche Regierung mit Blick auf die Wahrung der Stabilität des Euro und die bevorstehende Erweiterung die Wichtigkeit eines Verhandlungsergebnisses hervor und warnte vor den Folgen eines Scheiterns. Im Zuge der Wahrnehmung ihrer Vermittlerrolle behielt die deutsche Regierung trotz der erheblichen Differenzen mit den anderen großen Mitgliedstaaten ihre anfängliche Forderung nach einer deutlichen Reduzierung der eigenen Beiträge zwar bei, verlieh dieser aber offenkundig weniger Nachdruck, als sie es unter dem Vorsitz eines anderen Landes betrieben hätte 257 . Nachdem folgerichtig auch in Berlin die Gesamteinigung zur Agenda 2000 keine wesentliche Rückführung des deutschen Anteils gebracht hatte, überwog in der deutschen Presse die Einschätzung, daß Deutschland als Verlierer aus den Verhandlungen hervorgegangen war. Es dominierten Überschriften, denen zufolge Deutschland entgegen den Versprechen der Regierung auch weiterhin Zahlmeister der Europäischen Union bleiben werde 258 . Die oppositionellen Parteien warfen der Regierung die Vernachlässigung der nationalen Interessen und voreiliges Nachgeben vor. Vor dem Deutschen Bundestag gestand Bundeskanzler Schröder ein, daß die Bundesrepublik das "Lotteriespiel auf dem Gipfel" zwar nicht gewonnen habe, hob im seIben Atemzug aber die Verrnittlungsleistung der Präsidentschaft beim Zustandekommen des package-deals hervor259 . Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, daß die deutsche Regierung für jene Anstrengungen Anerkennung verlangte, deren Ergebnisse sie als Niederlage werten lassen mußte. Für die Bereitschaft der deutschen Regierung, am Ende für eine Lösung gestimmt zu haben, die dem Erfolg der Präsidentschaft in Form einer Gesamtlösung den Vorzug vor einem Beharren auf einer deutlicheren Reduzierung des deutschen Nettobeitrags gab, ist im Nachgang eine Kette von Faktoren geltend gemacht und sogar die Prognose aufgestellt worden, daß sich die Zurückhaltung auf lange Sicht bezahlt machen könne 26o• Ungeachtet ihrer Einzelwürdigung und Überzeugungskraft illustrieren diese Analysen die Doppelköpfigkeit der Präsidentschaft. Als zentraler Verhandlungsführer sah sich der Vorsitz in der Pflicht, seinen Einsatz auf das Laffan, The Agenda 2000 Negotiations, S. 17. So der Tagesspiegel vom 27. 3. 1999, S. 1; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.3. 1999, S. 1. 259 http://dip.bundestag.de I cgi-bin I dipwww _nofr I continue. 260 Laffan, The Agenda 2000 Negotiations, S. 18 f. 257
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Zustandekommen einer Übereinkunft zu konzentrieren. Das bedeutet zwar nicht, die eigenen Interessen aufzugeben. Aber der Ausgang der Verhandlungen - und zuvor die Kritik der französischen Regierung - hatte deutlich erkennen lassen, daß die Vermittlungsrolle der Verfolgung eigener Interessen Grenzen zieht. Laffan hat ihre Rekonstruktion des Verhandlungsverlaufs mit der zweizüngigen Frage überschrieben: "The Agenda 2000 Negotiations: La Presidence coiite cher?" Am Ende wird sie eindeutig bejaht. Ob hieraus ein allgemeines Muster abzuleiten, Laffans Frage eigentlich nur rhetorischer Natur ist und die Präsidentschaft sich bei Lichte besehen per definitionem als Bürde entpuppt, kann hier nicht geklärt werden. Schon die bloße Frage führt aber zurück an den Ausgangspunkt, daß das vorsitzführende Land die Kommission aus ihrer ursprünglichen Vermittlerfunktion verdrängt hat. Im Verlauf der Beratungen zur Agenda 2000 tritt die Kommission, obgleich sie den Vorschlag über das System der Eigenmittel, einen Zwischenbericht und den Kompromißentwurf zur Landwirtschaftsfinanzierung eingebracht hatte, nur noch an der Peripherie auf. Bei Laffan findet ihr aktiver Anteil nur unter dem Hinweis Erwähnung, daß ihr Kompromißentwurf kaum Unterstützung fand, weil er auf dem Tagungstisch unter einem Gegenentwurf der deutschen Regierung verschwand. Es ist zwar ein Zufall, oder besser: eine kaum anfechtbare Erklärung für ihren schwachen Einfluß, daß die Mitglieder der Kommission ausgerechnet unmittelbar vor dem Europäischen Gipfel in Berlin, am 16. März 1999, geschlossen zurücktraten, nachdem wenige Stunden zuvor der Bericht des "Ausschusses unabhängiger Sachverständiger" über Anschuldigungen betreffend Betrug, Mißmanagement und Nepotismus in der Kommission an den Präsidenten des Europäischen Parlaments lose Maria Gi/-Robles und an den Präsidenten der Kommission selbst, lacques Santer, übergeben worden war261 . Die Kommission selbst ging, wie dem Rücktrittsschreiben ihres Präsidenten zu entnehmen ist, davon aus, daß sie gemäß Artikel215 Abs. 4 EGV bis zur Neubesetzung weiter im Amt bleibe 262 , weswegen ihre Befugnisse zur Weiterführung der Geschäfte an sich nicht beschränkt gewesen wären263 . Um ihrem Rücktritt aber entsprechenden Nachdruck zu verleihen, hatte die Kommission im Sinne eines politischen Selbstbeschränkungsaktes beschlossen, nur die laufenden und dringlichen Geschäfte zu erledigen sowie die institutionellen Hummer / Obwexer, Rücktritt der Europäischen Kommission, S. 77 ff. Bulletin Quotidien Europe Nr. 7431 v. 24. 3.1999: Mise en reuvre de la Declaration de la Commission du 17 mars 1999. 263 Der Fall des 215 Abs. 4 EGV ist an sich für das Ausscheiden einzelner Mitglieder vorgesehen; diese sind nach Absatz 4 zum Verbleib in der Kommission nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet. Siehe dazu Ruffert, in: Cailiess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 215 EGV Rn. 1. Hummer/Obwexer, Rücktritt der Europäischen Kommission, S. 84, weisen nach, daß der Rückgriff auf Artikel 215 Abs. 4 EGV (damals noch der gleichlautende Artikel 159 Abs. 4 EGV) als Rechtsgrundlage eigentlich ausscheidet. Vgl. dazu auch Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehiermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 159 EGVRn.2l. 261
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und rechtlichen Verpflichtungen zu achten, aber keine neuen politischen Initiativen mehr zu ergreifen264 . Auf dem Berliner Gipfeltreffen, auf dem sich die Mitgliedstaaten auf Romano Prodi als Nachfolger einigten265 , konnte der geschäftsführende Präsident Santer keine Rolle mehr spielen und ebenso bedarf es keiner weiteren Erläuterung, daß die zu ihrem Rücktritt führenden, inkriminierten Sachverhalte der Öffentlichkeit schon vor Vorlage des Berichts bekannt waren und das Ansehen der Kommission belastet hatten. Vor diesem Hintergrund ist die deutsche Präsidentschaft selbstverständlich in einer anderen Weise mit dem Status der Kommission konfrontiert worden, als er den Ausgangspunkt dieses Abschnitts bildet. Trotzdem liefert gerade dieser Fall einer nicht nur geschwächten, sondern am Ende ihrer Möglichkeiten angekommenen Kommission einen symptomatischen Hinweis auf den Verlust an Teilhabe bei der Aushandlung verknüpfter Gesetzesvorhaben, ganz zu schweigen von deren Initiierung. Obgleich nur unter dem neutralen Gesichtspunkt behandelt, daß der Rücktritt der Santer-Kommission neben dem Ausbruch des Kosovo-Krieges das Verhandlungsmanagement zusätzlich forderte, muten die knappen, resümierenden Betrachtungen von Laffan wie eine Verabschiedung der Kommission an, weil für eine entschlossene, ihre Führungsverantwortlichkeit ausfüllende Präsidentschaft nicht einmal die Handlungsunfähigkeit der Kommission ein ernstliches Hindernis darstellt: ,,lust before the Gerrnan chancellor began the customary pre-sumrnit tour of capitals, the presidency was confronted by an additional political and institutional problem following the mass resignation of the Santer Commission as a result of the publication of the report by the Three Wise Men into the Commission's systems of financial management. The resignation of the Commission was unlikely to underrnine the actual negotiations themselves as the preparatory phase was now over and the issues were essentially political, requiring the agreement of the heads of governments. That said, the resignation of the Commission meant that the Gerrnan presidency had to begin to canvass names for Santer's successor and not just conc1ude the Agenda 2000 negotiations ...266
264 Mise en reuvre de la Dec1aration de la Commission du 17 mars 1999, Lignes directrices, Bruxelles, le 23 mars 1999, S. 1. 265 Nach dem Vertragswortlaut benennen die Mitgliedstaaten den nächsten Kommissionspräsidenten: Es bedarf gemäß Artikel 215 Abs. 2 EGV der Zustimmung des Europäischen Parlaments, damit die Benennung zur Ernennung erstarkt. In den Schlußfolgerungen des Vorsitzes ist gleichwohl eine Erklärung zur Ernennung des Präsidenten der Kommission abgegeben. Darin heißt es: "Entsprechend dem Verfahren des Vertrags von Amsterdam wird dieser Beschluß dem gegenwärtigen Parlament zur Zustimmung vorgelegt. Nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments sollte Herr Prodi versuchen, so früh wie möglich versuchen, in Zusammenarbeit mit den Regierungen der Mitgliedstaaten die Ernennung einer Kommission vorzubereiten ( . . . ). Nach den Wahlen im Juni sollte das Europäische Parlament seine Zustimmung in bezug auf den Präsidenten und die designierten Kommissionsmitglieder erteilen." Siehe hierzu auch Teil 11 der Schlußfolgerungen des Vorsitzes, http: 11 europa.eu.int I councill off I conc1u I mar99_de.pdf. 266 Laffan, The Agenda 2000 Negotiations, S. 13.
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
IV. Die Planung des Arbeitsprogramms der Präsidentschaft: Zum Lancieren eigener politischer Initiativen
Die Präsidentschaft legt die Tagesordnung und den Sitzungskalender für alle formellen wie informellen Tagungen der Ministerräte wie der Ausschüsse und Arbeitsgruppen seiner halbjährigen Amtszeit fest. Hinsichtlich des abzuarbeitenden Themenkatalogs sind ihr die Hände aber weitgehend gebunden267 •
1. Der Rahmen für das Arbeitsprogramm der Präsidentschaft
Gemäß Artikel lAbs. 2 der Geschäftsordnung des Rates (GO-Rat) hat der Vorsitz sieben Monate vor Aufnahme seiner Tatigkeit die Tennine mitzuteilen, die er für die Tagungen des Rates während seiner Amtszeit vorsieht. Es hat sich eingebürgert, die Kommission und das Generalsekretariat des Rates an der Aufstellung einer Agenda der für das nächste Halbjahr avisierten Aufgaben zu beteiligen, zumal die vorrangigen Themen ohnehin zum überwiegenden Teil gemäß dem auf der EU-Ebene herrschenden Grundsatz der Kontinuität, wonach die nachfolgende Präsidentschaft die nicht abgeschlossenen Aufgaben des vorangegangenen Vorsitzes übernimmt, vorgegeben sind268 . Neben diesem Pflichtprogramm bleibt der Präsidentschaft in aller Regel zur Kür nur übrig, solche Vorhaben in Angriff zu nehmen, die nach ihrer Überzeugung für die Europäische Union von besonderer Wichtigkeit sind oder kurzfristig hinzugenommen werden können, weil sie ein konkretes Ergebnis erwarten lassen - also über ihre Behandlung weitgehende Einigkeit herrscht26,9. Beide Teile zusammen bilden das "Arbeitsprogramm der Präsidentschaft", das zu Beginn der jeweiligen Amtszeit veröffentlicht wird27o . Auch ohne daß es an einer Stelle ausdrücklich festgehalten wäre, ist anzunehmen, daß für die Beurteilung der politischen Dringlichkeit respektive Realisierbarkeit solcher Projekte dem Vorsitz eine Prärogative eingeräumt ist, allerdings von beschränktem Umfang. Dies ergibt sich indirekt aus dem "Leitfaden für den Vorsitz", in dem der Europäische Rat der jeweiligen Präsidentschaft zur Vorschrift gemacht hat, unter Wahrung ihrer neutralen und unparteilichen Stellung nicht einseitig nationale Anliegen voranzutreiben, sondern die Themenwahl von der Suche nach dem Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessenlagen der Mitgliedstaaten bestimmen zu lassen271 . Wie zur Wahrung der Neutralität der Präsidentschaft ist darum in der Vergangenheit bei Gelegenheiten, in denen ein Vorsitz seine Amtszeit auch zu nutHummer/Obwexer, Die ,,EU-Präsidentschaft", S. 432 f. Bonvicini, S. 21 ff.; Pflüger, S. 53 ff. 269 Hummer/Obwexer, Österreich übernimmt "EU-Präsidentschaft", S. 114 f. 270 Vgl. hierzu das Arbeitsprogramm der belgischen Präsidentschaft: "Der belgische Vorsitz der Europäischen Union. 1. Juli - 31. Dezember 2001. Arbeitsprogramm", http://www.eu2001.be/lmages I pdf I Arbeitsprogra_4Ju. pdf. 271 Rat der Europäischen Union, I. Leitfaden für den Vorsitz (1997), S. 5. 267 268
IV. Arbeitsprogramm der EU-Präsidentschaft
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zen versuchte, um spezielle eigene Interessen auf die Tagesordnung zu setzen, postwendend Widerstand seitens anderer Länder entbrannt272 . Diese Konflikte belegen die von Ludlow auf die Gestaltung des Kür-Programms bezogene Feststellung, "the Presidency is first and foremost an office of the Union: it is not an instrument with which to pursue national objectives.,,273 Auch die französisch-deutschen Spannungen im Vorfeld des Berliner Gipfeltreffens bestätigen dies, wenngleich es dort nicht um die Agenda, sondern um Sachfragen ging, die einvernehmlich auf die Tagesordnung gesetzt waren; auch hier hat sich ein Land auf die Verletzung der Neutralitätspflicht des Vorsitzes berufen. Allerdings kommen zumindest die spiegelbildlichen Fälle, in denen Präsidentschaften ihr unliebsame Entscheidungen oder Vorhaben verzögern und mithin eine Art negative Führungskraft entfalten, nicht eben selten vor. Das Europäische Parlament hat wiederholt vorsitzführenden Ländern die Retardation oder Blokkade von im Gemeinschaftsinteresse liegenden und bereits anberaumten Projekten vorgehalten, die nach seiner Überzeugung auf die Tagesordnung gehört hätten274 . 2. Zur Abstimmung von Initiativen der Präsidentschaft mit der Kommission
Trotz der recht streng gezogenen Limitierungen einer eigenmächtigen thematischen Gestaltung der Sitzungs- und Tagungsordnungen geht mit der Institutionalisierung der Vermittlerrolle die Hoffnung nicht weniger Präsidentschaften einher, die Gemeinschaftsagenda auch inhaltlich nachhaltig zu beeinflussen und nach entsprechender Vorbereitung "spektakuläre Durchbrüche" zu erzielen. Diese Hoffnungen stützen sich nach Hummer und Obwexer in der Hauptsache auf die durch das politische Gewicht der Präsidentschaft gesteigerte Wirkung von an die Kommission gerichteten Aufforderungen, initiativ zu werden - mit oder ohne Bezug auf Artikel 208 EGV - sowie auf die Steuerungsmöglichkeiten, die der Präsidentschaft durch die Einberufung der formellen wie informellen Tagungen des Europäischen Rates an die Hand gegeben sind, etwa durch die Versendung von "Hirtenbriefen", mit denen sich Tagesordnungen und in gewissem Umfang auch der Verlauf der Verhandlungen präjudizieren lassen 275 . 272 Wallace, The Presidency S. 15; Jungwirth, S. 22; Laffan, The Agenda 2000 Negotiations, S. 11. 273 Ludlow, Preparing for 1996, S. 157. 274 Europäisches Parlament, Plenum aktuell, Tagungswoche 12.-16. 1. 1998, S. 5, zur britischen Präsidentschaft des ersten Halbjahres 1998. Vgl. Wallace, The Presidency, S. 13. 275 Hummer/Obwexer, Die "EU-Präsidentschaft", S. 435. Ein typisches Beispiel eines solchen Hirtenbriefes ist das Rundschreiben des Bundeskanzlers Schröder zur Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates vom 3./4. Juni 1999 in Köln, abgedruckt in Bulletin Quotidien Europe Nr. 7477 vom 3. 6. 1999, S. 3 f.
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
Die Initiativen, die eine Präsidentschaft lancieren will und die noch während der eigenen Amtszeit Eingang in das fonnelle Rechtsetzungsverfahren finden sollen, sind natürlicherweise auf eine frühzeitigen Abstimmung mit der Kommission angewiesen, sofern zu ihrer Verwirklichung die fonnelle Vorlage von Vorschlägen erforderlich ist, deren Vorlaufzeit wiederum deutlich über der Gesamtlänge der Amtszeit eines Vorsitzes liegen kann. Es überrascht darum nicht, daß die Staatsund Regierungschefs auf den Gipfeltreffen des Europäischen Rates in Birrningham und Edinburgh im Jahre 1992 das Angebot der Kommission zur verstärkten Konsultation, vor allem vor der Aufstellung von umfassenden Legislativprogrammen, angenommen haben 276 . Untersuchungen von WestZake und von Smith und KendeZen weisen verstärkte Bemühungen der Mitgliedstaaten um eine Koordination ihrer Arbeitsprogramme mit der Kommission vor Beginn der eigenen Amtszeit nach277 . Und obwohl sich der Vorsitz auch immer wieder aufgrund objektiver Umstände und des Pflichtprogramms als nur begrenzt planbar herausstellt - bei Jungwirth sind die Zwänge zur Behandlung ad hoc aufkommender Ereignisse während der österreichischen Präsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 1998 anschaulich geschildert278 -, wachsen in den letzten Jahren die infonnellen Kontakte, um jene Vorarbeiten zu forcieren, welche die anstehende oder übernächste Präsidentschaft in ihre Agenda aufzunehmen beabsichtigt279 . Dieser vorauslaufende Kontakt wird mit Beginn der eigenen Amtszeit intensiviert. So treffen sich zum Wechsel der Präsidentschaft die Mitglieder der Regierung des vorsitzführenden Mitgliedstaates mit der Kommission als Kollegium zu einer gemeinsamen Arbeitssitzung, bei der zunächst das allgemeine Programm der Präsidentschaft und anschließend die zu seiner Umsetzung vorgesehenen Vorhaben erörtert werden 28o . Außerdem finden regelmäßige Kontaktgespräche zwischen dem Präsidenten des Rates und dem Präsidenten der Kommission ebenso wie zwischen dem Vorsitzenden des Ausschusses der ständigen Vertreter und dem Generalsekretär des Rates mit der Kommission statt. In der Praxis übernimmt der Vorsitzende des Ausschusses der Ständigen Vertreter die Funktion einer Schaltstelle zwischen der Präsidentschaft, dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission 281 . Ungeachtet der überwiegenden Einschätzung, daß es dem Vorsitz aufgrund der geschilderten Rahmenbedingungen nach wie vor in lediglich beschränktem Umfang möglich sei, auch eine "eigene Politik zu machen,,282, kann somit fest276 Siehe Anlage 1 zu den Schlußfolgerungen des Vorsitzes - Binningham vom 16. 10. 1992, Erklärung von Birmingham - Eine bürgernahe Gesellschaft, abgedruckt in EG-Bulletin 1992, Heft Nr. 10, S. 9; Schlußfolgerungen des Vorsitzes-Edinburgh, 12. 12. 1992, S. 5. 277 Westlake, The Council of the European Union, S. 45 -47; Smithl Kendelen, S. 5. 278 Jungwirth, S. 29 f. 279 Smithl Kendelen, S. 5. 280 HummerlObwexer; Die "EU-Präsidentschaft", S. 437. 281 Wallace, The Presidency, S. 24; HummerlObwexer; Die "EU-Präsidentschaft", S. 437. 282 HummerlObwexer; Die "EU-Präsidentschaft", S. 435; Vornbäumen, S. 76 ff.; Wallace, The Presidency, S. 17 f.; Kirchner; S. 124 ff.
IV. Arbeitsprogramm der EU-Präsidentschaft
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gehalten werden, daß die Einigkeit unter den Mitgliedstaaten, die politische Führungsrolle der Präsidentschaft zu kräftigen, den Bedarf an einer ständigen Abstimmung mit der Kommission und damit den Umfang der wechselseitigen Konsultationen stetig gesteigert hat. Die Intensivierung der Absprachen schließt weder Meinungsverschiedenheiten über den Handlungsbedarf noch inhaltliche Differenzen in der Sache aus und überwindet diese selbstverständlich auch nicht automatisch. Doch ist es - um an den Anfang der Betrachtungen zurückzukehren - offensichtlich, daß die Kommission diese Entwicklung ebenso positiv bewertet wie die Mitgliedstaaten, die in naher Zukunft den Vorsitz übernehmen. Pointiert bilanzieren Smith und Kendelen den formellen wie informellen Kontakt in einem einzigen Satz: "The Commission views the Presidency as a necessary ally in the legislative process and is perfectly willing to see it take on an active role in the agenda-setting process. ,,283 Sicherlich kann eine solche Zuspitzung das in weitem Umfang von der Tagespolitik abhängige Verhältnis nicht abschließend charakterisieren. Die Annahme, daß sich die Einrichtung eines Forums zur Schmiede fester Koalitionen zwischen der Kommission und der jeweiligen Präsidentschaft verfestige, würde deswegen übertrieben oder zumindest allzu idealtypisch erscheinen. Unter dem Strich bleibt gleichwohl zu notieren, daß mit ihrem Anteil an der Vorbereitung und Durchführung der Arbeitsprogramme der Präsidentschaften ein permanenter Austausch und ein Abgleich mit der eigenen legislativen Planung gesichert ist. 3. Die Entwicklung zur strategischen Rechtsetzungsplanung
Parallel zur Beteiligung der Kommission an den Arbeitsprogrammen des Vorsitzes hat sich in den letzten zehn Jahren auch die Aufstellung von Jahresgesetzgebungsprogrammen der Kommission fortentwickelt, so daß die Abstimmung zwischen der Kommission und den vorsitzführenden Ländern des nächsten Jahres eine immer wichtigere strategische Komponente erhält. Die jährliche Legislativplanung der Kommission ist ein verhältnismäßig neues Instrument. Ihre Genese geht auf eine aus dem Jahr 1988 datierende Vereinbarung zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament zurück, mit der dem Parlament im Zuge seiner Mitwirkung im Kooperationsverfahren die Vorbereitung seiner Lesungen erleichtert werden sollte. Die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens und die Ausweitung seines Anwendungsbereichs hat den Bedarf an der inter-institutionellen Abstimmung über die zeitlichen Abläufe noch erhöht und dazu beigetragen, daß das Europäische Parlament eine gewichtigere Rolle bei der Ausarbeitung der Legislativvorhaben übernimmt, ohne das Initiativrecht der Kommission an sich anzutasten. Die Einzelheiten der Aufstellung der Jahresgesetzgebungsprogramme berühren vor allem das Verhältnis zwischen Kommission und 283
Smithl Kendelen, S. 5.
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2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
Europäischem Parlament, weswegen hier nur kursorisch auf sie Bezug genommen werden soll. Obwohl die Jahresgesetzgebungsprogramme von der Kommission in eigener Verantwortung ausgearbeitet werden, sind ihre Möglichkeiten, die politische Agenda und den Umsetzungszeitplan zu bestimmen, in ähnlicher Weise determiniert wie die Programmatik der Präsidentschaften. So gilt auch für die Jahresgesetzgebungsprograrnme, daß der Löwenanteil von Sachzwängen bestimmt ist und gleichsam das Pendant zum Pflichtprogramm der Präsidentschaft bildet. An dieser Stelle rückt ein Aspekt des formellen Vorschlagsrechts der Kommission in den Mittelpunkt, welcher bislang nur gestreift wurde, im Kontext der Abstimmung der Arbeitsprograrnme aber entscheidend ist. Wie eingangs angedeutet, kann außer der Wahl des Inhalts eines Rechtsaktentwurfs auch der richtige Zeitpunkt der Vorlage eine wichtige Entscheidung der Kommission sein. Dort nämlich, wo keine verbindliche Datierung vorgegeben ist - durch primär- oder sekundärrechtliche Konkretisierungen -, präsentiert sich die Wahl des Zeitpunkts nicht nur als Auswahl der Opportunität, sondern auch der politischen Verantwortlichkeit. Die Macht, über den Zeitpunkt der Vorlage zu entscheiden - die auch in der Verknüpfung mehrerer Vorlagen zum Ausdruck kommt - ist trotz der phasenweisen institutionellen Schwächung der Kommission stets von einer konstanten praktischen Bedeutung geblieben, weil sie im Prinzip der Kommission erlaubt, den "Rhythmus der Gemeinschaftsarbeit in den betreffenden Bereichen nach ihrem politischen Willen" anzugeben284 . So kann sie auf das Verhandlungsklima im Rat und im Parlament oder die öffentliche Meinung in den Ländern oder auf politische Zwänge wie einen bevorstehenden Wahlkampf Rücksicht nehmen. Sie kann umgekehrt einen bestimmten Zeitpunkt zu ihren Gunsten auszunutzen versuchen, da die öffentliche Diskussion über den Vorschlag, je nach seiner politischen Bedeutung, eine Eigendynamik entwickeln kann. Die Wahl des Zeitpunktes muß nicht unbedingt taktischer Natur sein - die freilich im Vordergrund steht, weswegen verschiedentlich die Forderung laut wurde, daß die Rücksichtnahme auf die Mitgliedstaaten nicht überhand nehmen und die Kommission nicht ihren Handlungsspielraum von selbst unangemessenen einengen möge 285 -, sondern kann beispielsweise auch wirtschaftspolitische Auswirkungen haben, vor allem im Bereich währungs- und konjunkturpolitischer Maßnahmen. Die Kommission hat solche äußeren Umstände häufig geltend gemacht286 . Es finden sich unzählige Beispiele für zurückgehaltene Vorschläge oder umgekehrt schnell entwickelte Vorhaben, um zu einem bestimmten Zeitpunkt vorlagebereit zu sein. Generell gilt, daß die Kommission in den Fällen, in denen das Datum zur Vorlage eines Vorschlags nicht präzisiert ist, den Zeit284 Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlennann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, ArtikeliSS EGV Rn. 38. Siehe bereits in Kapitell unter 1. 1. 285 Gilsdorf, S. 94 f. 286 Vgl. hierzu die Nachweise bei Nugent, The European Commission, S. 217 ff.; Schmitt von Sydow, Die Kommission, S. 51; van Miert, S. 215.
IV. Arbeitsprogramm der EU-Präsidentschaft
155
punkt wählen muß, den sie für am geeignetsten hält, um das Vorhaben zu verwirklichen 287 . Die Aufstellung der Jahresgesetzgebungspläne, insbesondere der integrierte Zeitplan, verlangt nun, die Entscheidung über den Zeitpunkt der Vorlage bereits in einem Stadium zu treffen, in dem sich die Arbeiten zum Großteil noch in der Vorbereitung befinden. Mit dem Zeitplan läßt sich eine strategische Reihenfolge bestimmen und die Tagesordnung der Rechtsetzungsverfahren von langer Hand planen. Das Nebeneinander der Arbeitsprogramme der Präsidentschaften und der Arbeitsprogramme der Kommission erzeugt einen Bedarf an reziproken Zugeständnissen. Nicht weniger als die Abhängigkeit der vorsitzführenden Länder vom Vorschlagsrecht der Kommission ist auch deren Planungsfreiheit gebunden an die Rücksichtnahme auf die Arbeitsprogramme der kommenden Präsidentschaften288 . Diese strategische Kooperation zwischen den vorsitzführenden Ländern und der Kommission hat nicht von Anfang an Bestand gehabt. In den ersten Phasen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dominierte der Wille der Mitgliedstaaten, dem Ministerrat das Recht zur Gesetzesplanung vorzubehalten und - sei es auf Empfehlung der Kommission, sei es (ebenso gut) auf Initiative der Mitgliedstaaten - die großen Linien der Aktivitätenprogramme zu ziehen, jeweils für eine bestimmte Zeitspanne, und anschließend die Kommission zur Vorbereitung der entsprechenden Vorschläge zu ersuchen. Schon im Vorfeld der Luxemburger Beschlüsse und in erheblich verstärktem Umfang in der Folgezeit haben Vertreter der Regierungen in mehr oder minder offizieller Form den angeblichen Primat der Mitgliedstaaten hervorgehoben, um die Kommission auf die Funktion eines Zuarbeiters festzulegen: "Rien ne saurait remplacer le role d'initiative et de commandement qui revient aux Etats interesses; ils sont les mieux meme de Mtenniner les terrains sur lesquels le progres est possible et le rythme auquel peuvent s'operer les evolutions necessaireS.,,289
a
Die Kommission hat sich dem commandement zwar immer wieder entzogen, aber gerade das damit erregte Aufsehen belegt, daß es um die Durchsetzung von Einzelfällen in einer Konfliktphase ging, in der eine eigenständige strategische Planung ihrer Initiativtätigkeit weitgehend unmöglich blieb. Mittlerweile haben die Arbeitsprogramme der Kommission an Gewicht derart gewonnen, daß sie zu einem Kernstück der inter-institutionellen Zusammenarbeit angewachsen sind29o • Das erste Arbeitsprogramm der Prodi-Kommission für das Jahr 2000, das als "Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der RegioGilsdorf, S. 94 f. Nugent, The European Commission, S. 224 f. 289 So der frühere französische Außenminister Debre in einer Pressekonferenz am 16.9. 1968 in Paris, Le Monde vom 18. September 1968, S. 2, zitiert nach van Miert, S. 219. 290 Westlake, The Commission and the Parliament, S. 24. 287 288
156
2. Teil, Kap. 4: Europäischer Rat und Präsidentschaft der EU
nen,,291 veröffentlicht wurde, illustriert, in welchem Umfang ihre Gesetzesplanung den Rahmen für die gesetzgeberischen Aktivitäten in der Europäischen Gemeinschaft vorgeben soll. Darin führt die Kommission, im Anschluß an eine kurze Beschreibung der legislativen und politischen Prioritäten für das Jahr 2000, in einem "Verzeichnis der detaillierten Programmplanung" 257 konkrete Gesetzesvorschläge auf292, 176 sog. nicht-legislative Vorhaben 293 und 70 sog. autonome Akte294. Der strategische Ansatz wird noch dadurch unterstrichen, daß dieses Arbeitsprogramm die ersten Schritte zur Umsetzung der vier Zielsetzungen der Kommission für 2000-2005 ("Das Neue Europa gestalten"295) festlegt, welche die Kommission am selben Tag wie das Arbeitsprogramm veröffentlicht hat296 und für die Kommissionspräsident Prodi in einer Grundsatzrede vor dem Europäischen Parlament am 15. Februar 2000 um Unterstützung warb297 : Der Konzipierung neuer Fonnen europäischer Entscheidungsprozesse, der Forderung nach einem Europa mit einer stärkeren Stimme in der Welt, einer neuen wirtschafts- und sozialpolitischen Agenda und dem Bemühen um eine höhere Lebensqualität. Diese Verkündung der Ziele für ein halbes Jahrzehnt und der Anfang ihrer Umsetzung steht nicht notwendigerweise in einem Konfliktverhältnis zur vorstehend beschriebenen Abstimmung der strategischen Gesetzesplanung. Sie ist einerseits Ausdruck des politischen Gestaltungs- und Führungswillens der Kommission und signalisiert andererseits ihre Bereitschaft zu einer engen Zusammenarbeit mit den übrigen Gemeinschaftsorganen und mit den Mitgliedstaaten298 . Die strategische Gesetzesplanung auf Gemeinschaftsebene befindet sich derzeit im Fluß, denn weder ist die gegenwärtige Praxis in der Aufstellung der Jahresgesetzgebungsprogramme der Kommission endgültig etabliert, noch wird die akIm Internet unter http://europa.eu.int/comm/off/work_progranune / index_de.htm. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der Regionen. Das Vorschlagsverzeichnis umfaßt die Spalten "Areas of activity", "Tide", "Lead service(s)", "Procedure for adoption by the Commission", "Date estimated for adoption by the Commission", "Type of action", "Treaty legal basis envisaged at this stage", "Probable adoption procedure in Parliament". Die meisten Vorschläge sind keine neuen Initiativen, sondern Übernahmen bereits veröffentlichter Vorhaben: "Wenn es in einigen Bereichen nur wenig neue Vorschläge für das Jahr 2000 gibt, so hängt dies zum einen damit zusammen, daß sich zahlreiche laufende Initiativen im Übergang von der Konsultationsphase zur Rechtssetzungsphase befinden und/ oder bereits gefaßte Beschlüsse umgesetzt werden. Zum anderen wird die konzeptionelle Kernplanung durch die vielfältigen Aufgaben ergänzt ( ... )", http://europa.eu.int/comm/off/work_progranune / index_ de.htm. 293 Vorwiegend Weißbücher, aber auch alle anderen Formen von Mitteilungen und Berichten. 294 Damit sind Rechtsakte gemeint, welche die Kommission aus eigener Kompetenz erlassen kann, siehe hierzu bereits in Kapitel 1 unter 1. 1. 295 http://europa.eu.int/comm/off/work/2000-2005/index_de.htm. 296 http://europa.eu.int/comm/off/work/2000-2005/index_de.htm. 297 http://europa.eu.intlcomm/off/work/2000-2005/index_de.htm. 298 Nugent, The European Commission, S. 232. 291
292
IV. Arbeitsprograrnm der EU-Präsidentschaft
157
tuelle Praxis der Arbeitsprogramme der Präsidentschaften außer Diskussion gestellt. Die Gesetzesplanung hat in ihrer strategischen Bedeutung in letzter Zeit erheblich an Aufmerksamkeit gewonnen und ist in einen engen Zusammenhang mit den im Umlauf befindlichen Modellen für die Europäische Union geraten. Die Anregungen etwa des französischen Premierministers Jospin, zur Herstellung einer Föderation der Nationalstaaten in Zukunft eine "melujähriges Legislaturprogramm" einzurichten, das - auf der Grundlage eines gemeinsamen Vorschlags der Kommission und des Parlaments - der Europäische Rat höchstselbst verabschieden solle299, weisen auf die langfristige Perspektive im legislativen Bereich hin. Sie stehen möglicherweise in Widerspruch zur Stärkung der Autorität und der Legitimität des Kommissionspräsidenten, der dann nicht mehr die Aufgabe hätte, seine eigenen politischen Prioritäten zu bestimmen, wie es noch der Vertrag von Amsterdam mit der Neufassung des Artikels 219 EGV betont3OO - und führen damit die kontinuierliche Auseinandersetzung um die Entscheidung zur Einbringung von Rechtsaktvorlagen, die Intensität der Vorabkonsultationen und die Vereinbarkeit der Prioritäten der Präsidentschaften und der Gesetzgebungsprogramme der Kommission fort 301 .
KapitelS
Das Recht des Rates, die Kommission zur Vorlage von Vorschlägen aufzufordern, Artikel 208 EGV Im Zentrum der vertraglichen Regelungen zur Einwirkung der Mitgliedstaaten auf das Initiativrecht der Kommission steht Artikel 208 EGV: "Der Rat kann die Kommission auffordern, die nach seiner Ansicht zur Verwirklichung der gemeinsamen Ziele geeigneten Untersuchungen vorzunehmen und ihm entsprechende Vorschläge zu unterbreiten."
Artikel 208 EGV wird in der Literatur gelegentlich als "Initiativrecht des Rates" bezeichnet302, doch stellt die Vorschrift kein Recht zur Einleitung eines Rechtsetzungsverfahrens dar, sondern nur eine Ergänzung zum Vorschlagsrecht der Kommission; unabhängig von der Wirkung der Aufforderung stellt schon der Wortlaut fest, daß der Rat sich keinen eigenen Vorschlag vorlegen kann, sondern auf eine Vorlage der Kommission angewiesen bleibt. lospin, S. 2. Siehe dazu den Kommentar von Barbier, S. 5 ff. Näher hierzu loma, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artike1219 EGV Rn. 1. 301 Näher hierzu am Ende dieser Arbeit. 302 Schweitzer, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 1; lpsen, Gemeinschaftsrecht, 13/13 - 14. 299
300
158
2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
Das Aufforderungsrecht reiht sich in gewissem Sinne in die Besprechung der Änderungsrechte gemäß Artikel 250 Abs. I und 2 EGVein, denn auch über seinen Inhalt bestehen in der Literatur kontroverse Auffassungen, zu denen der Gerichtshof noch nicht Stellung genommen hat, obwohl - oder gerade weil - die Vorschrift für das institutionelle Gleichgewicht von potentiell hoher Bedeutung ist, in der Praxis aber bislang eine Konfrontation zwischen Kommission und Rat vermieden wurde 303 . Im folgenden wird zunächst der Gegenstand der Aufforderung und ihre Form dargestellt (I.). Nach einem einführenden Überblick auf das Meinungsbild im Schrifttum (11.) wird die Rechtswirkung der Aufforderung umfassend erörtert (III.).
I. An der Schnittstelle zwischen formeller und informeller Einflußnahme: Zum Anwendungsbereich und zur Form einer Aufforderung
Die Bestimmung regelt das Recht des Rates, die Kommission zur Vornahme von Untersuchungen und zur Unterbreitung von Vorschlägen aufzufordern. Sie stimmt wörtlich mit Artikel 122 EAG-Vertrag überein304 . 1. Der Anwendungsbereich des Artikels 208 EGV
Nach Artikel 208 EGV kann die an die Kommission gerichtete Aufforderung Vorschläge oder Untersuchungen betreffen, die nach Ansicht des Rates zur Verwirklichung der gemeinsamen Ziele geeignet sind. Diese Formulierung bezieht sich freilich nicht auf gemeinsame Ziele der beiden Organe. Vielmehr sind damit die Ziele der Europäischen Gemeinschaft gemeint, wie es in der insoweit geglückteren Formulierung des Artikels 308 EGV zum Ausdruck kommt. Ebenso aber wie nicht unumstritten ist, ob alle in der Präambel und den in Artikeln 2, 3, und 4 EGV genannten Aufgaben als Ziele im Sinne des Artikels 308 EGVaufzufassen sind305 , wird auch der Anwendungsbereich des Artikels 208 EGV von der Literatur nicht einheitlich abgesteckt. Zwar wird nach einhelliger Auffassung der Begriff der gemeinsamen Ziele so verstanden, daß das Aufforderungsrecht sich nicht auf etablierte Gemeinschaftspolitiken beschränkt, sondern auch potentielle Felder umfaßt, 303 Gilsdoif, S. 93: "Die Vorschrift ist von Brisanz ( ... ). Glücklicherweise ist auch diese Vorschrift bisher nur Gegenstand theoretischer Erörterungen geblieben." 304 Artikel 26 Abs. 3 EGKS-Vertrag war, entsprechend dem institutionellen Gefüge der Montanunion, abweichend formuliert: "Der Rat kann die Kommission auffordern, Vorschläge und Maßnahmen aller Art zu prüfen, die er zur Erreichung der gemeinsamen Ziele für zweckmäßig und erforderlich hält." 305 Vgl. Schreiber, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 308 EGV Rn. 9 ff.
1. Anwendungsbereich und Form
159
für die nach Artikel 308 EGVeine Abrundungskompetenz besteht306 . Doch bleibt die Einbeziehung der Ziele des Vertrags über die Europäische Union klärungsbedürftig. Nach Hix bezieht sich die Formulierung des Artikels 208 EGV "insbesondere auf die in Artikel 2 - 4 EGV und Artikel 2 EUV niedergelegten Ziele der Gemeinschaften oder der EU,,307. Auch Wichard nimmt an, daß das Aufforderungsrecht den Bereich des Unionsvertrages mitumfasse und bezieht darüber hinaus die Präambeln beider Verträge mit ein 308 , während Lange und Schweitzer dafür halten, daß die Anwendung des Artikels 208 EGV auf den EG-Vertrag beschränkt sei, da mit "gemeinsamen Ziele" nur die in den Artikeln 2, 3, 14 und 174 EGV genannten Ziele gemeint seien309 • Festzuhalten ist zunächst, daß Artikel 208 EGV - im Gegensatz zum Parallelrecht des Parlaments - keine eindeutige Beschränkung auf Ziele des EG-Vertrages festschreibt. Wahrend nach Artikel 192 Abs. 2 EGV das Parlament zur Ausarbeitung von Gemeinschaftsakten zur Durchführung dieses Vertrages auffordert31O, schließt die Formulierung eine Einbeziehung der Ziele des Unionsvertrags nicht zwingend aus. Gegen eine Ausweitung auf sämtliche in Artikel 2 EUV (und der Präambel) niedergelegten Ziele der Europäischen Union ließe sich geltend machen, daß dann die Verweisungen auf die Anwendbarkeit des Artikels 208 EGV im Bereich der GASP (über Artikel 28 EUV) und im Bereich der PJZS (über Artikel 41 EUV) überflüssig wären. Trotzdem ist der weiten Auslegung zuzustimmen, weil anzunehmen ist, daß nach dem Willen der Vertragspartner das Aufforderungsrecht auf alle vertraglich vorgegebenen Ziele der Gemeinschaft wie der Europäischen Union Anwendung finden solt3 l1 • Hix weist darüber hinaus darauf hin, daß dem allgemeinen Aufforderungsrecht die übrigen, besonderen Aufforderungsrechte im EG-Vertrag und EU-Vertrag "funktionell vergleichbar" seien312 • Diese Erkenntnis läßt allerdings das Verhältnis von Artikel 208 EGV zu den Aufforderungsrechten nach Artikel 14 Abs. 4 EUV 306 Hamier, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 2. Zum Begriff der Abrundungskompetenz siehe Pechstein/Koenig, Rn. 105, und Röttinger, in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 235 EGV Rn. 1. Als "Lückenschließungsklausel" bezeichnet von Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 339. 307 Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 3. (Hervorhebung d. Verf.) 308 Wichard, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Vertrag, Artikel 208 EGV Rn. 2. 309 Lange, S. 443 f.; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 8. 310 Das Aufforderungsrecht des Parlaments gilt auch in der Atomgemeinschaft und (früher) in der Montanunion, vgl. Artikel 108 Abs. 3 EAGV und Artikel 21 Abs. 3 EGKSY. 3II Im Bereich der GASP und der PJZS ist das Aufforderungsrecht (bislang) freilich von nur geringer Bedeutung, da die Kommission hier nur eine eingeschränkte Rolle spielt, siehe hierzu Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 1. 312 Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 1: Aufforderungsrechte des Rates gemäß 14 Abs. 4 EUV, des Rates oder der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 115 EGV, der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV und 67 Abs. 2 EGV, des Parlaments gemäß Artikel 192 Abs. 2 EGY.
160
2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
und Artikel 115 EGV unbestimmt. Hinsichtlich Artikel 14 Abs. 4 EUV ist festzustellen, daß dieser als Aufforderungsrecht zur Durchführung einer (bereits beschlossenen) gemeinsamen Aktionen spezieller ist als das allgemeine Aufforderungsrecht des Rates (Artikel 28 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Artikel 208 EGV) und dieses damit verdrängt3J3 . Auch Artikel 115 EGV geht in seinem Anwendungsbereich dem Artikel 208 EGV VO?14. Es ist zwar nicht geregelt, ob die Vorschrift die Anwendung des Artikels 208 EGV im gesamten Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion ausschließt; zumindest aber tritt Artikel 208 EGV hinter dem ausdrücklich genannten Artikel 104 Abs. 14 EGV zurück315 . Artikel 208 EGV kommt dort besondere Bedeutung zu, wo es um die Einholung eines Vorschlags geht, ohne den der Rat nicht beschlußfähig ist. Er gilt aber auch für alle übrigen Bereiche, in denen der Rat Beschlüsse aus eigener Initiative316 oder Initiative der Mitgliedstaaten317 fassen kann, oder auch für unverbindliche Akte der Kommission. Ausgeschlossen dürften aufgrund der vertraglichen Funktionenteilung allerdings Initiativen für administrative Einzelfallentscheidungen der Kommission sein318 . 2. Form und Verfahren Die knapp gehaltene Bestimmung enthält keinen Hinweis auf das einzuhaltende Verfahren und die notwendige Rechtsform. Aus dem Wortlaut ergibt sich nur, daß die förmliche Aufforderung durch den Rat selbst erfolgen muß; eine Aufforderung durch die vorbereitenden Gremien des Rates, etwa den Ausschuß der Ständigen Vertreter, genügt nicht. Mangels einer speziellen Anordnung gilt die Grundregel des Artikels 205 Abs. 1 EGV, wonach der Rat mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Hinsichtlich der einzuhaltenden Rechtsform ist lediglich nach einer vereinzelten Auffassung nur der Beschluß angemessen 319 , während die ganz überwiegende Meinung jede Form für zulässig hält, also auch Entschließungen oder informelle Stellungnahmen32o, und zum Teil auf eine Berufung auf Artikel 208 EGV ganz verzichtee 21 . 313
Das allgemeine Aufforderungsrecht käme somit bei einer Aufforderung zur Vorberei-
tung einer gemeinsamen Aktion als Rechtsgrundlage in Betracht. 314 Siehe dazu bereits in Kapitel 1 unter 11. 2. 315 Häde, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Vertrag, Artikel 115 EGV Rn. 3.
Z. B. gemäß Artikel 210 EGV bei der Festsetzung der Vergütungen. Z. B. gemäß Artikel 67 Abs. 1 EGV. 318 Vgl. Haag, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel138b EGV Rn. 16. 319 Dewost, in: Megret u. a., Droit CEE, Artikel 152 EGV Rn. 1. 320 Lenaerts, in: Constantinesco I Jacque I Kovar I Simon, Traite instituant I'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 2; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 9. 321 Schweitzer, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artike1152 EGV Rn. 9. 316 317
I. Anwendungsbereich und Form
161
In der Praxis überwiegen eindeutig informelle Kontakte zwischen Rat und Kommission. Da nimmt es nicht wunder, daß über den Einsatz des Aufforderungsrechts widersprüchliche Aussagen vorliegen. Bieber meint, daß in der Praxis auf Artikel 208 kaum Bezug genommen werde, sein Grundgedanke aber in vielen Projekten auftauche 322 . Edwards und Spence stellen hingegen fest, daß der Rat regelmäßig auf das förmliche Aufforderungsrecht rekurriere323 , während Klösters mitgeteilt hat, daß von Artikel 208 EGV noch überhaupt kein Gebrauch gemacht worden sei 324. Der Rat hat auf Anfrage aus dem Europäischen Parlament bestätigt, daß er sich der Bestimmung nur selten bediene325 . Tatsächlich finden sich zum Teil mit formellen Beschlüssen an die Kommission gerichtete Aufforderungen, wie in dem "Beschluß des Rates über die künftige europäische Tatigkeit im Kulturbereich und über grenzübergreifende Buchpreisbindung in europäischen Sprachräumen,,326. Gelegentlich nutzt der Rat auch informellere Formen, vor allem durch Schlußfolgerungen 327 , Entschließungen328 oder auch mit Erklärungen zum Ratsprotokoll 329 . Das bislang spektakulärste Beispiel einer formellen Aufforderung liegt schon geraume Zeit zurück. So geht der Vorschlag der Kommission zur Verordnung Nr. 17 von 1962330 zur Anwendung der Artikel 81 und 82 EGV 331 im Wettbewerbsrecht auf eine Aufforderung des Rates zurück, nachdem die Kommission lange gezögert hatte, den Umsetzungs auftrag aus Artikel 83 EGV 332 auszuführen und einen Vorschlag für eine Durchführungsverordnung zu den Wettbewerbsregeln vorzulegen 333 .
Bieber, Europäische Gesetzgebung, S. 303. Edwards/Spence, The European Commission in perspective, S. 9; Constantinesco, Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 520. 324 Klösters, S. 71. 325 Antwort des Rates auf eine Anfrage des Abgeordneten Radoux, ABI. 1992 Nr. C 152, S.64. 326 ABI. 1997 Nr. C 305, S. 1. 327 V gI. hierzu die Schlußfolgerungen des Rates zur Kulturwirtschaft und Beschäftigung in Europa, ABI. 2000 Nr. C 8, S. 10. 328 V gI. hierzu die Entschließung des Rates über die Förderung der Freizügigkeit von im Kulturbereich tätigen Personen, ABI. 2000 Nr. C 8, S. 3. 329 Siehe Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 4. 330 "Kartellverordnung" VO 17/62, ABI. 1962 Nr. L 13, S. 204. 33l Artikel 85 und 86 EGVa. F. 332 Artikel 87 EGVa. F. 333 Zu den Einzelheiten siehe van Miert, S. 205; Houben, S. 206 f.; Dewost, in: Megret u. a., Droit CEE, Artikel 152 EGV Rn. 2. 322 323
11 von Buttlar
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
11. Zur Verpflichtung, einer Aufforderung nachzukommen: Das Meinungsbild in der Literatur
Im Mittelpunkt der Vorschrift stehen die Reaktionsmöglichkeiten der Kommission, auf eine Aufforderung hin aktiv zu werden. Ausgehend von Sinn und Zweck der Vorschrift wird zunächst in abstrakter Form nach der Bedeutung der rechtlichen Qualität der Aufforderung gefragt, um einen Überblick auf den Meinungsstand im Schrifttum zu gewinnen. 1. Sinn und Zweck des Aufforderungsrechts
Obwohl Artikel 208 EGV in seinem Anwendungsbereich über das Vorschlagsverfahren hinausreicht, wird er seinem Sinn und Zweck nach in erster Linie als Ergänzung zum Initiativmonopol der Kommission angesehen334 . Da der Rat auch nach der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens und dessen Ausweitung als das entscheidende rechtsetzende Organ gilt - vor allem, weil das Parlament Beschlüsse des Rates nur verhindern, nicht aber eigene Beschlüsse durchsetzen kann 335 - und gleichzeitig im Vorschlags verfahren die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts von der Aktivität der Kommission abhängig ist, schafft das Aufforderungsrecht eine Art "Gegengewicht zum Vorschlagsmonopol,,336, um eine etwaige Untätigkeit der Kommission überwinden zu können. Dem Aufforderungsrecht liegt aber nicht lediglich dieser Schutzzweck zugrunde. Ebenso zeigt es die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Kommission und Rat an, wie sich unmittelbar daraus ergibt, daß das Aufforderungsrecht auch in den Bereichen der GASP und der PJZS zur Anwendung gelangt, obwohl dort kein Initiativmonopol der Kommission besteht, es also nicht um die Vermeidung einer Blockade gehen kann. Mithin dient das Aufforderungsrecht sowohl als Lenkungsinstrument als auch zur Kontrolle der Kommission. Hinsichtlich seiner zweiten Funktion steht es damit in einer Reihe weiterer (indirekter) Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Gesetzestätigkeit der Kommission, wie der Untätigkeitsklage nach Artikel 232 EGV oder der Androhung eines Mißtrauensvotums durch das Europäische Parlament gemäß Artikel 201 EGY. Mit der Ermächtigung zur Aufforderung, die zur Verwirklichung der gemeinsamen Ziele geeigneten Untersuchungen vorzunehmen, ist darüber hinaus bezweckt, daß der Rat zur Beschaffung der für seine Willensbildung erforderlichen Informationen auf den bei der Kommission geschaffenen Beamtenapparat mit allen 334 335
Kühner; S. 51, mit Nachweisen. Siehe Maurer; Pouvoir renforce du Par1ement europeen, S. 31 f.; Boest. S. 189; Ress.
Europäische Union und Europäische Gemeinschaften, S. 988. 336 Gilsdorj. S. 93.
11. Vorlagepflicht der Kommission: Meinungsbild in der Literatur
163
seinen Möglichkeiten - wie dem Auskunftsrecht nach Artikel 284 EGV - zurückgreifen kann 337 . Die Aufforderung zur Untersuchung kann sich auf wirtschaftliche, soziale, rechtliche oder sonstige Umstände beziehen. Der Rat ist allerdings nicht gehindert, zugleich auch eigene Untersuchungen vorzunehmen, etwa durch sein Generalsekretariat, oder in Auftrag zu geben 338 . Umgekehrt wird das Recht der Kommission, aus eigener Initiative Untersuchungen durchzuführen oder Vorschläge auszuarbeiten, durch eine förmliche Aufforderung nicht berührt339 . 2. Zur Bedeutung der rechtlichen Bindungswirkung
Bislang hat in der Praxis die Frage nach der Verpflichtung der Kommission zur Gesetzesinitiative noch keine Rolle gespielt, da diese sich in den seltenen Fällen der Berufung auf Artikel 208 EGV nicht verweigert hat, sondern jeder ausdrücklichen Bitte um Vorlagen nachgekommen ist34o . Ihre allgemeine Bereitschaft hierzu hat die Kommission gelegentlich auch ohne besonderen Anlaß erkennen lassen. So hat sie auf Anfragen aus dem Europäischen Parlament erklärt, im Grundsatz Initiativen aus dem Rat aufgreifen zu wollen 341 • Lediglich hinsichtlich ihrer Neigung, informelle Anregungen der nationalen Regierungen in Gesetzesinitiativen umzusetzen, findet sich eine zurückhaltendere Stellungnahme. Auf dem Gipfeltreffen von Edinburgh hatten die Vertreter der Kommission angekündigt, im Zuge der Anstrengungen einer Politik des "do less better" in Zukunft nicht mehr automatisch auf alle Anstöße von Mitgliedstaaten positiv reagieren zu wollen 342 . Da der informelle Kontakt den Schwerpunkt der Einflußnahme bildet, konzentrieren sich die Auseinandersetzungen über die Initiativen der Kommission auf den politischen Bereich. Die mögliche pflicht zur Vorschlagsvorlage ist gleichwohl nicht nur von theoretischem Interesse, was sich schon daran zeigt, daß Befürworter wie Gegner einer rechtlichen Verbindlichkeit mit der Auslegung der Vorschrift im Lichte des im Vertrag niedergelegten institutionellen Systems argumentieren. Aus juristischer Sicht kommt dem Aufforderungsrecht sogar eine Schlüsselrolle bei der Bestimmung des Gleichgewichts zwischen der Kommission Für praktische Beispiele siehe Nugent, The European Commission, S. 239 f. Smit/Herzog, Law ofthe EEC, Artikel 152 EGV Rn. 7. 339 Hamier, in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 3. 340 loma, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 211 EGV Rn. 30; Kühner, S. 52; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 6; Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 410. Die zitierte Auseinandersetzung über die Umsetzung der Kartellvorschriften in Sekundärrecht erscheint somit als einziger Problemfall. 341 Siehe hierzu die schriftliche Anfrage von Radoux und die Antwort der Kommission vom 12. 7.1982, ABI. 1982 Nr. C 298, S. 9. 342 Schlußfolgerungen des Edinburgh-Vorsitzes, Anhang 2 zu Teil A, S. 5. Dazu Raworth, S. 28, mit der Einschätzung, daß diese Erklärung ihrerseits zu unbestimmt sei, um für die Zukunft eine Vorhersage zu erlauben. 337
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
als Vertreterin des Gemeinschaftsinteresses und dem Rat als Institution der Mitgliedstaaten zu. Beide sind verpflichtet, die Befugnisse des anderen Organs zu beachten; deswegen bündelt sich in der Aufforderung zur Gesetzesvorlage nicht weniger als eine allgemeine Würdigung der Funktionenverteilung im Vorschlagsverfahren. Wenn man die Kommission für verpflichtet erachtet, jede Aufforderung des Rates in einen verabschiedungsfähigen Vorschlag umzusetzen, dann ist ihre grundsätzliche Ermessensfreiheit zur Einbringung von Gesetzesvorlagen erheblich beschränkt. Im Schrifttum reicht die Beurteilung der Aufforderung nach Artikel 208 EGV von der Bejahung eines Vorlagezwanges bis zur Qualifizierung als rein deklaratorische Erklärung, die der Kommission jede Entscheidungsfreiheit beläßt. Die ebenfalls von Artikel 208 EGVerfaßten Aufforderungen zur Durchführung von Untersuchungen sind - sofern sie nicht ihrerseits die Vorlage von Gesetzesvorschlägen zum Ziel haben sollen - nicht in derselben Weise umstritten. Hier handelt es sich um "eine andere Konstruktion des Verhältnisses zwischen Rat und Kommission,,343, nämlich gewissermaßen um Hilfestellungen der Kommission, da der Rat gezwungenenfalls auch ohne ihre Mitwirkung agieren könnte. Aus diesem Grund stellt sich das Problem der Verbindlichkeit nicht im selben Ausmaß wie bei den förmlichen Vorschlägen zur Einleitung eines Rechtsetzungsverfahrens. 3. Überblick auf Meinungsstand
Das Schrifttum geht mehrheitlich von der rechtlichen Verbindlichkeit einer Aufforderung nach Artikel 208 EGV aus, jedenfalls in den Fällen, in denen der Rat nur auf Vorschlag Recht setzen kann 344 . Die Begründung variiert; sie orientiert sich weniger am Wortlaut als zumeist an einer Einordnung der Vorschrift in das Gefüge des Vorschlags verfahrens. Im wesentlichen stützt sie sich auf nachstehende Argumente: Um eine etwaige Untätigkeit der Kommission im Interesse der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts verhindern zu können bzw. da diese andernfalls ein Gesetzesvetorecht hätte, das Schweitzer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, 4. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 7. Bleckmann, Europarecht, Rn. 262; Kühner; S. 51 f.; Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 3; Hamier; in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 4; Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 7; Geiger; EUV IEGV, Artikel 208 EGV Rn. 2; Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 39; Dewost, in: Megret u. a., Le Droit de la CEE, vol. 8, S. 149 f.; Smit/Herzog, Law ofthe EEC, Artikel 152.05; Breier; in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 152 EGV Rn. 2; Lenaerts, in: Constantinescol Jacque/Kovar/Simon, Traite instituant l'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 4; Gilsdoif, S. 93; Kapteyn I VerLoren van Themaat / Gormley, S. 410; Ruffert, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 211 EGV Rn. 13; Weatherill/Beaumont, S. 55; offenbar auch Beutler / Bieber / Pipkom/ Streil, S. 128. Differenzierend Hummer; in: Grabitz I Hilf, EU-I 343
344
EG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 40.
II. Vorlagepflicht der Kommission: Meinungsbild in der Literatur
165
ihr nicht zustehe 345 ; unter Berufung auf das institutionelle Gleichgewicht zwischen den Organen346 ; weil die Kommission die notwendige technische Hilfe leisten müsse, wenn der Rat die politische Entscheidung über die Vornahme einer bestimmten Maßnahme getroffen habe 347 ; weil die Bestimmung ansonsten überflüssig sei, da der Rat unverbindliche Anregungen auch ohne besondere Ermächtigung geben könne348 .
In der Summe führen diese Argumente - wie gesagt - dazu, einen Vorlagezwang grundsätzlich nur für das Vorschlagsverfahren anzunehmen. Dort, wo der Rat auch ohne förmlichen Vorschlag zu handeln berechtigt ist, reicht es nach mehrheitlicher Überzeugung aus, das Aufforderungsrecht als bloße Anregung auszulegen, da hier keine Blockade durch die Kommission zu befürchten see49 . Einschränkend weisen einige Stimmen darauf hin, daß trotz der Rechtsverbindlichkeit die Untätigkeit der Kommission in schwerwiegenden Fällen des Gemeinschaftsinteresses gerechtfertigt sein könne, namentlich falls ein vom Rat angeforderter Vorschlag (oder ein entsprechender Untersuchungsauftrag) vertragswidrige Ziele verfolge 35o . Schließlich betont die Mehrzahl der Autoren, daß die Kommission zwar zur Vorlage eines Vorschlags verpflichtet, hinsichtlich seines Inhalts aber ungebunden sei 351 ; freilich werde der Rat sie in der Regel wissen lassen, "welche Orientierung der angeforderte Vorschlag haben sollte, damit eine Zustimmung seinerseits möglich ist. ,,352 Die Gegenauffassung verneint eine Vorlagepfliche 53 . Hiernach beschränkt sich die Wirkung einer Aufforderung darauf, daß die Kommission dieselbe ernst zu nehmen hat bzw. politisch verpflichtet sein kann, ihr nachzukommen 354. Auch diese Auffassung stützt sich wesentlich auf das institutio345 Kühner, S. 51; Lenaerts, in: Constantinesco/Jacque/Kovar/Simon, Traite instituant l'Union Europeenne, Artikel 152 Rn. 6. 346 Dewost, in : Megret u. a., Le Droit de la CEE, vol. 8, S. 149 f. 347 Smit/Herzog, Law ofthe EEC, Artikel 152.05. 348 Geiger, EUV I EGV, Artikel 208 EGV Rn. 2. 349 Vgl. nur Kühner, S. 51 , mit Nachweisen. 350 Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 7; Hamier, in: Groebenl Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 4; Dewost, in: Megret u. a., Le Droit de la CEE, vol. 8, S. 149 f. 351 Vgl. statt vieler Wichard, in: Caliiess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 4; Hamier, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 7. 352 Hamier, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 5. 353 Oppermann, Europarecht, Rn. 110; Glaesner, Der Europäische Rat, S. 31 ; Isaac, S. 63; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 13/13-14; van Raepenbusch, S. 197; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 250 EGV Rn. 6; ders., in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 189a EGV Rn. 5; Heising, S. 138 f.; Rideau, S. 475; Lenaerts, in: Constantinesco/Jacque I Kovarl Simon, Traite instituant l'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 6; offenbar auch Joma, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 211 EGV Rn. 30.
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2. Teil. Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
nelle Gleichgewicht: Es könne nicht Sinn und Zweck der grundsätzlichen Aufgabenverteilung sein - weitgehendes Vorschlagsrecht einerseits und weitgehendes Beschlußrecht andererseits -. die Kommission in jedem Fall zur Vorlage von Vorschlägen zu verpflichten, welche sie aus wirtschaftlichen, politischen oder gemeinschaftsrechtlichen Gründen nicht unterstütze 355 . Offizielle Standpunkte haben, soweit ersichtlich, weder die Kommission noch der Rat eingenommen. Immerhin ist bemerkenswert, daß Angehörige der Juristischen Dienste beider Organe in nicht offiziellen Stellungnahmen jeweils gewissermaßen einen seitenverkehrten Ansatz vertreten. Während der frühere Berater des Juristischen Dienstes der Kommission Gilsdorf die Verbindlichkeit bejahe 56 wenngleich mit einer gewissen Einschränkung357 -, lehnt sie der ehemalige Generaldirektor des Juristischen Dienstes des Rates Glaesner rundheraus ab 358 .
m. Die Rechtswirkung einer Aufforderung: Das Wortlaut-Argument, das formale Argument und das systematische Argument Der Meinungsstreit soll ausführlich erörtert werden. Hierfür ist vorauszuschikken, daß von den Befürwortem einer Bindungswirkung keine Unterscheidung zwischen einer PrüjUngspflicht und einer Pflicht zur Vorlage eines ausformulierten Vorschlags getroffen wird. Mit Verbindlichkeit ist stattdessen zumindest für das Vorschlagsverfahren immer der Vorlagezwang gemeint. Umgekehrt wird von der Gegenauffassung zwar der Vorlagezwang abgelehnt - aber nicht die Pflicht zur Befassung mit dem den Gegenstand der Aufforderung bildenden Sachverhalt. Die fehlende Differenzierung hinsichtlich des Inhalts einer etwaigen Verpflichtung der Kommission überrascht, weil sich eine Art Stufenverhältnis in der Bindung an die Aufforderung geradezu aufdrängt: Muß die Kommission auf die Aufforderung reagieren? Muß sie eine begründete Stellungnahme abgeben? Muß sie einen Vorschlag für einen Rechtsakt machen? Muß sie einen Vorschlag für einen Rechtsakt 354 Schoo, in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann. EU -I EG-Kommentar, Artikel 189a EGV Rn. 5; Lenaerts, in: Constantinesco I Jacque I Kovar I Simon. Traite instituant I 'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 6. 355 van Raepenbusch, S. 197; differenzierend Hummer; in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 155 EGV Rn. 40. 356 Gilsdorf, S. 93. 357 ,,Im Extremfall (könne die Kommission) ihrer Verpflichtung auch dadurch nachkommen. daß sie dem Rat nach Untersuchung des Gegenstandes begründet vorschlüge, in einem konkreten Fall keine Maßnahme zu erlassen", Gilsdorf, S. 93 (Einschub d. Verf.). Näher dazu unter III. 3. b). 358 Glaesner; Der Europäische Rat, S. 30 f. An anderer Stelle meint Glaesner; daß "nach bisher unbestrittener Auffassung durch eine solche Aufforderung keine Rechtspflicht der Kommission (entstehe), einen Vorschlag zu machen.... in: Willensbildung und Beschlußverfahren, S. 2 (Einschub und Hervorhebung d. Verf.).
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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vorlegen, der den in der Aufforderung erkennbaren inhaltlichen Vorstellungen Rechnung trägt? Im folgenden wird die Vorschrift zunächst isoliert betrachtet und anschließend in den Gesamtzusammenhang der maßgebenden Vorschriften zum Vorschlagsverfahren gestellt. Zweckmäßigerweise ist mit der Frage zu beginnen, ob schon der Wortlaut Auskunft für oder wider die Rechtswirkung gibt. Des weiteren ist der formalen Bedeutung nachzugehen: Bedeutet die bloße Aufnahme eines förmlichen Rechts zur Aufforderung in den Vertrag, daß ihnen zu entsprechen ist? Und schließlich wird Artikel 208 EGV im Lichte des institutionellen Gleichgewichts zwischen den beiden Organen ausgelegt. Alle drei Abschnitte - das Wortlautargument, das formale Argument und das systematische Argument - untersuchen zuerst die Verbindlichkeit im Sinne einer Befassungspflicht und gehen anschließend auf die Verpflichtung zur Vorlage ein.
1. Das Wortlaut-Argument
Nach Artikel 208 EGV kann der Rat die Kommission zur Vornahme von Untersuchungen und zur Unterbreitung von Vorschlägen auffordern. Diese Formulierung weist auf den ersten Blick nicht auf die Verbindlichkeit der Aufforderung hin, denn über die Reaktion(spflicht) der Kommission schweigt sich die Bestimmung aus. Umgekehrt schließt die offene Fassung der Vorschrift die Verbindlichkeit auch nicht aus. Zum ersten ist zu fragen, ob sich aus dem Verb "auffordern" auf die Verbindlichkeit oder umgekehrt auf die Unverbindlichkeit schließen läßt. Zum zweiten wird untersucht, ob der Umstand, daß Artikel 208 EGV keine Befassungsbzw. Vorlagepflicht zulasten der Kommission statuiert, gegen die Annahme der Verbindlichkeit spricht. Hierfür werden die übrigen Aufforderungsrechte im EGVertrag vergleichend herangezogen. a) "Aufforderung" Der Begriff der "Aufforderung" impliziert weder im allgemeinen noch im juristischen Sprachgebrauch eine Befolgungspflicht, denn das bloße Recht, eine Aufforderung auszusprechen, enthält für sich genommen weder ein Recht auf Antwort (bzw. eine Pflicht zur Antwort) noch gar einen Automatismus, demzufolge der Aufforderung zu entsprechen wäre. Dessen ungeachtet geht ein Teil der Literatur davon aus, daß aus der deutschen Formulierung ein Hinweis auf die Verbindlichkeit zu ziehen sei, während die entsprechenden Fassungen in englischer ("request"), französischer ("demander") und italienischer Sprache ("chiedere") eher neutral gehalten seien, also für die Unverbindlichkeit sprächen. Und obwohl damit von vier untersuchten Fassungen nur eine für die Verbindlichkeit spricht und drei dagegen. wird die Wortlautuntersuchung offenbar pro Verbindlichkeit zusammen-
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
gefaßt359 . Nach Hamier deutet sich umgekehrt nicht in der deutschen, wohl aber in der englischen, französischen und italienischen Fassung die Verbindlichkeit der Aufforderung an 360. Für die französische Fassung hat dies auch Wohlfarth vertreten361 . Richtig ist wohl, daß die genannten Fassungen sämtlich neutral gehalten sind und eine "Aufforderung" in keiner Sprache eine automatische Befassungspflicht nach sich zieht362 . (Umso weniger sie sich im Sinne einer Umsetzungspflicht liest.) Obwohl die wechselseitigen Verweisungen dafür gesorgt haben, daß zumindest aus einzelnen Fassungen jeweils ein Befassungszwang geschlossen wird, hat bezeichnenderweise kein Autor "auffordern" in seiner Muttersprache für verbindlich erklärt363 • Für die deutsche Fassung gilt jedenfalls, daß "auffordern" durchaus nicht im Sinne des französischen "ordonner" zu verstehen ist, wie es Lenaerts mutmaßt, der deswegen "demander" für eine zu zurückhaltende Übersetzung hält und hieraus ein unzutreffendes Argument für eine Umsetzungspflicht ableitet364 . Vielmehr müßte es stattdessen "verpflichten" oder "verlangen", zumindest aber "fordern" heißen. Gleichwohl folgt allein aus der Wahl des Begriffs "auffordern" auch kein eindeutiges Argument gegen die Verbindlichkeit der Aufforderung; er ist der Tatsache geschuldet, daß Artikel 208 EGV kein selbständiges, sondern ein indirektes Initiativrecht darstellt, das dem Vorschlagsrecht der Kommission vorgeschaltet ist, die notwendige Vorlage für das Rechtsetzungsverfahren also nicht ersetzen kann. b) Anordnung einer Prüfungspflicht Artikel 208 EGV legt keine Prüfungspflicht der Kommission fest. An dieser Stelle ist ein Vergleich mit dem Wortlaut der übrigen - im Überblick bereits auf359 SmitlHerzog, EC Law, 152.05; Lenaerts, in: Constantinesco/JacquetKovar/Simon, Traite instituant I 'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 3, jeweils mit Nachweisen. 360 Hamier, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 4. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 4. In der Vorauflage hatte Hamier nur die französische und italienische, nicht aber die englische Fassung angeführt, in: Groeben I Boeckh I Thiesing I Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Auflage, Artikel 152 EWGV Rn. 3. 361 Wohlfarth, in: Wohlfarth I Everling I Glaesner I Spreng, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag, Artike1152 EWGV Anm. 3. 362 So auch Heising, S. 139, der zusätzlich die niederländische Fassung ("verzoeken") heranzieht und zutreffend feststellt, daß keine Fassung im Sinne von "verpflichten" gebraucht wird. 363 Auch Wohlfarth, in: Wohlfarth I Everling I Glaesner I Spreng, Kommentar zum EWGVertrag, Artikel 152 EGWV Anm. 3, hat nicht aus der deutschen, sondern aus der französischen Fassung auf die Verbindlichkeit geschlossen. Zu Unrecht herangezogen von Smitl Herzog, EC Law, 152.05 und Lenaerts, in: Constantinesco I Jacque I Kovar I Simon, Traite instituant l'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 3. 364 Lenaerts, in: Constantinesco I Jacque I Kovar I Simon, Traite instituant I 'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 3.
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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geführten - Aufforderungsrechte im Gemeinschaftsrecht von Interesse, weil einige von ihnen der Kommission ausdrücklich eine Prüfungs- bzw. Untersuchungspflicht auferlegen, andere hingegen keine Reaktionspflicht festschreiben. Artikel 67 Abs. 2 1. Spiegelstr. EGV gibt - vor dem Hintergrund des für den Übergangszeitraum von fünf Jahren bestehenden Ko-Initiativrechts der Mitgliedstaaten gemäß Abs. 1 - der Kommission die Prüfung eines Antrags ausdrücklich auf: "Nach Ablauf dieser fünf Jahre ( ... ) handelt der Rat auf der Grundlage von Vorschlägen der Kommission; die Kommission prüft jeden Antrag eines Mitgliedstaats, wonach sie dem Rat einen Vorschlag unterbreiten soll ( ... )."
Aufgrund der expliziten Verpflichtung, jeden Antrag zu prüfen, bezeichnet Brechmann Artikel 67 Abs. 2 1. Spiegelstr. EGVals "verstärktes Aufforderungsrecht,,365. In ähnlicher Form war im früheren Artikel lODc Abs. 4 EGV zum Visumzwang und zur einheitlichen Visagestaltung die Prüfungspflicht angeordnet: "In den in diesem Artikel genannten Bereichen hat die Kommission jeden von einem Mitgliedstaat gestellten Antrag zu prüfen, in dem sie ersucht wird, dem Rat einen Vorschlag zu unterbreiten."
Artikel I ODc Abs. 4 EGV ergänzte das allgemeine Aufforderungsrecht des Rates um ein spezielles Aufforderungsrecht jedes einzelnen Mitgliedstaates. Hintergrund hierfür ist die hohe Sensibilität, die innenpolitische Fragen im allgemeinen und Visafragen im besonderen haben; dies drückt sich auch darin aus, daß in den Materien der früheren Artikel K.l Nr. 1 bis 6 EUV 366 ein Ko-Initiativrecht der Mitgliedstaaten und der Kommission, in Artikel K.l Nr. 7 bis 9 EUV 367 gemäß Artikel K.3 Abs. 2 EUV sogar ein Initiativmonopol der Mitgliedstaaten vorgesehen war. Auch Artikel 115 EGV legt für seinen Anwendungsbereich die Reaktionspflicht fest: "Bei Fragen, die in den Geltungsbereich von Artikel 99 Absatz 4, Artikel 104 mit Ausnahme von Absatz 14, Artikel 111, Artikel 121, Artikel 122 und Artikel 123 Absätze 4 und 5 fallen, kann der Rat oder ein Mitgliedstaat die Kommission ersuchen, je nach Zweckmäßigkeit eine Empfehlung oder einen Vorschlag zu unterbreiten. Die Kommission prüft dieses Ersuchen und unterbreitet dem Rat umgehend ihre Schlußfolgerungen."
Ein Ersuchen des Rates oder eines Mitgliedstaates, in bestimmten Bereichen der Wirtschafts- und Wlihrungspolitik initiativ zu werden, muß die Kommission also nicht nur prüfen; ihr ist sogar aufgetragen, ihre Schlußfolgerungen umgehend mitzuteilen und mithin ihre Entscheidung zu begründen. 365 366 367
Brechmann. in: Calliess 1Ruffert, EU-I EG-Kommentar, Artikel 67 EGV Rn. 2. Artikel 29 bis 34 EUV. Artikel 35 bis 37 EUV.
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
Ein besonderes Beispiel für eine Prüfungspflicht, die sich aus dem Gesamtwortlaut ergibt, obwohl die Vorschrift sie nicht expressis verbis statuiert, ist Artikel 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV: "Die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, eine verstärkte Zusammenarbeit nach Absatz 1 zu begründen, können einen Antrag an die Kommission richten, die dem Rat einen entsprechenden Vorschlag vorlegen kann. Legt die Kommission keinen Vorschlag vor, so unterrichtet sie die betroffenen Mitgliedstaaten und gibt ihre Gründe dafür an."
Die Pflicht zur Prüfung ergibt sich aus Satz 2, weil die Kommission entweder einen Vorschlag vorlegen oder ihre Gründe für die Ablehnung mitteilen muß. In der in Nizza beschlossenen Neufassung fällt zwar die ausdrückliche Feststellung der Begründungspflicht für den Fall einer ablehnenden Entscheidung weg, doch ergibt sie sich daraus, daß ohne einen Antrag die Kommission keinen entsprechenden Vorschlag mehr vorlegen darf: "Die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit in einem der unter diesen Vertrag fallenden Bereiche zu begründen, richten einen Antrag an die Kommission, die dem Rat einen entsprechenden Vorschlag vorlegen kann. ,,368
Ähnlich der Neuregelung des Artikels 11 Abs. 2 UAbs. 3 EGV stellt auch Artikel 301 EGV die Prüfungspflicht nicht ausdrücklich fest, die ein Teil der Literatur gleichwohl aus dem Wortlaut folgert: "Ist in gemeinsamen Standpunkten oder gemeinsamen Aktionen, die nach den Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union betreffend die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angenommen worden sind, ein Tätigwerden der Gemeinschaft vorgesehen, um die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern auszusetzen, einzuschränken oder vollständig einzustellen, so trifft der Rat die erforderlichen Sofortmaßnahmen; der Rat beschließt auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit."
Nach herrschender Meinung ist die Kommission aus systematischen Gründen verpflichtet, einen GASP-Beschluß in einen entsprechenden Vorschlag umzusetzen369 . Uneinigkeit herrscht aber in der - vorgelagerten - Frage, ob der Wortlaut für oder gegen die Verpflichtung der Kommission spreche, auf einen GASP-Beschluß hin entsprechend aktiv zu werden. Hajner370 und Schneider371 betonen mit Blick auf die institutionelle Unabhängigkeit der Kommission und ihr Initiativmonopol, daß die Grundsätze dieses Erlaßverfahrens nur durch eine eindeutig abweichende Formulierung aufgehoben werden könnten. Demgegenüber macht Osteneck aus einem Vergleich mit dem - gleichzeitig in den Vertrag aufgenomVgl. in Kapitell unter 1.2. Näher v. Buttlar; S. 670 ff. Stein, Das Zusammenspiel von Mitgliedstaaten, Rat und Kommission bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, S. 79; Cremer; in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 9 f. Siehe näher in Kapitel 1 unter 1. 2. 370 Hafner; S. 123. 371 Schneider; in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 228a EGV Rn. 10. 368 369
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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menen - Artikel 60 EGV 372 , welcher ausdrücklich ein Ermessen der Gemeinschaftsorgane begründe, geltend, die in Artikel 301 EGV gewählte Formulierung (" trifft der Rat ( ... ) auf Vorschlag der Kommission") weise auf eine Handlungspflicht beider Organe hin 373 . Auch im Haushaltsrecht, im Wettbewerbsrecht und im Verkehrsrecht sieht der EG-Vertrag (in Artikel 276 Abs. 2374, in Artikel 85 375 und in Artikel 76 Abs. 2376 , jeweils außerhalb des Vorschlagverfahrens) verschiedene Aufforderungs- bzw. Antragsrechte vor, die die Kommission ausdrücklich verpflichten, den Aufforderungen nachzukommen bzw. die Anträge zu prüfen. Außerhalb des EG-Vertrags schreiben Artikel 76 Satz 2 Euratomvertrag377 , Artikel 85 Euratomvertrag378 und 372 "Falls ein Tätigwerden der Gemeinschaft in den in Artikel 301 vorgesehenen Fällen für erforderlich erachtet wird, kann der Rat nach dem Verfahren des Artikels 301 die notwendigen Sofortmaßnahmen auf dem Gebiet des Kapital- und Zahlungsverkehrs mit den betroffenen dritten Ländern ergreifen." Artikel 60 EGV ist im Bereich des Kapital- und Zahlungsverkehrs lex specialis zur Embargo-Vorschrift des Artikels 301, obwohl es dieser Sonderregelung nicht bedurfte, da auch der Kapital- und Zahlungsverkehr zu den in Artikel 310 genannten "Wirtschaftsbeziehungen" gehört. Siehe Bröhmer; in: Calliess/Ruffert, EU-/EGKommentar, Artikel 60 EGV Rn. 1. 373 Osteneck, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 301 EGV Rn. 10. 374 Nach Artikel 276 Abs. 2 EGV kann das Parlament vor der Entlastung der Kommission sowie auch zu anderen Zwecken im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Haushaltsbefugnisse die Kommission auffordern, Auskunft über die Vornahme der Ausgaben oder die Arbeitsweise der Finanzkontrolle zu erteilen. Die Kommission ist nach Absatz 2 Satz 2 verpflichtet, alle notwendigen Informationen vorzulegen. Gemäß Absatz 3 ist die Kommission sogar verpflichtet, alle zweckdienlichen Maßnahmen zu treffen, um den Bemerkungen des Parlaments nachzukommen und diesem hierüber Bericht zu erstatten. Hier ist also nicht nur eine Prüfungs-, sondern sogar eine Umsetzungspflicht angeordnet. 375 Nach Artikel 85 EGV ist die Kommission verpflichtet, auf Antrag eines Mitgliedstaats die Fälle, in denen Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Wettbewerbsregeln für Unternehmen vermutet werden, zu untersuchen und gegebenenfalls die geeigneten Mittel zur Abhilfe vorzuschlagen. 376 "Die Kommission prüft von sich aus oder auf Antrag eines Mitgliedstaates die in Absatz 1 bezeichneten Bedingungen, hierbei berücksichtigt sie insbesondere sowohl die Erfordernisse einer angemessenen Standortpolitik, die Bedürfnisse der unterentwickelten Gebiete und die Probleme der durch politische Umstände schwer betroffenen Gebiete als auch die Auswirkungen dieser Frachten und Beförderungsbedingungen auf den Wettbewerb zwischen den Verkehrsarten." Aus Artikel 76 Abs. 2 EGV folgt die Verpflichtung zur Prüfung von Anträgen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Befreiung vom Verbot von Unterstützungstarifen im Bereich der gemeinsamen Verkehrspolitik; hier ist der Prüfungsinhalt durch vertragliche Vorgaben konkretisiert. Die Kommission hat (aufgrund der bewusst offen gefaßten Begriffe in Artikel 76 Abs. 2 EGV) einen weiten Beurteilungsspielraum und zu ihrer Entscheidung ein ebenso weites Ermessen, das nach "Maßgabe der Gemeinschaftsziele" auszuüben ist, dazu Jung, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 76 EGV Rn. 6. 377 "Die Vorschriften dieses Kapitels können, insbesondere falls unvorhergesehene Umstände eine allgemeine Mangellage hervorrufen, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments durch einstimmigen Beschluß des Rates geändert werden; die Veranlassung dazu kann von einem Mitgliedstaat oder von der Kommission ausgehen. Die Kommission hat jeden Antrag eines Mitgliedstaates zu untersuchen."
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
Artikel 90 Euratomvertrag379 die Verpflichtung fest, jeden Antrag zu untersuchen. In Artikel 72 EGKSV 380 war eine solche Untersuchungspflicht hingegen nicht enthalten. c) Stellungnahme Manin zieht aus den Formulierungen des früheren Artikels lOOc Abs. 4 EGV und aus Artikel 115 EGV den Schluß, daß eine Untersuchungspflicht angeordnet sein müsse, andernfalls die Kommission ihre Ermessensfreiheit nicht nur über den Inhalt ihrer Vorschläge behalte, sondern auch über das Tätigwerden. Daher verneint Manin eine grundsätzliche Prüfungspflicht für Artikel 208 EGV 381 . Zur Unterstützung dieser Auffassung ließe sich noch auf die Formulierungen in Artikel 67 Abs. 2 1. Spiegelstr. EGV, 11 Abs. 2 UAbs. 2 EGV und - mit einer gewissen Einschränkung, da außerhalb des Vorschlagverfahrens gelegen - auf Artikel 76 Abs. 2 EGV, 85 EGV und 276 Abs. 2 EGV verweisen. Trotzdem ist der Umkehrschluß nicht zwingend, da sich eine Prüfungspflicht wie bei Artikel 11 Abs. 2 EGV - auch aus dem Gesamtwortlaut ergeben kann. Hinzu kommt, daß der Vergleich als entscheidendes Kriterium wohl nicht taugt, zumal die beiden von Manin zitierten Vorschriften erst nachträglich in den Vertrag aufgenommen wurden. Immerhin aber kann der Vergleich als Indiz gegen die Prüfungsverpflichtung aufgefaßt werden. Scheinbar neigten dieser Ansicht auch Teilnehmer der Reflexionsgruppe zur Vorbereitung der Amsterdamer Konferenz zu, als sie über eine Neufassung der Aufforderungsrechte des Rates und des Parlaments berieten: "Monopol der Gesetzgebungsinitiativen: Die Gruppe betrachtet die Beibehaltung des Monopols der Kommission für Gesetzgebungsinitiativen als grundlegenden Aspekt des institutionellen Gleichgewichts der Gemeinschaft. Es wird unbeschadet des im Vertrag vorgesehenen Aufforderungsrechts und einer etwaigen Antwortpflicht ausgeübt...382 378 "Die Einzelheiten der in diesem Kapitel vorgesehenen Überwachung können, falls neu eingetretene Umstände es erfordern, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments durch einstimmigen Beschluß des Rates diesen Umständen angepasst werden; die Veranlassung dazu kann von einem Mitgliedstaat oder von der Kommission ausgehen. Die Kommission hat jeden Antrag eines Mitgliedstaates zu untersuchen." 379 "Die Vorschriften dieses Kapitels über das Eigentumsrecht der Gemeinschaft können, falls neu eingetretene Umstände es erfordern, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments durch einstimmigen Beschluß des Rates diesen Umständen angepasst werden; die Veranlassung dazu kann von einem Mitgliedstaat oder von der Kommission ausgehen. Die Kommission hat jeden Antrag eines Mitgliedstaates zu untersuchen." 380 "Mindest- und Höchstsätze für Zölle können auf Grund eines Vorschlags der Kommission, den sie von sich aus oder auf Antrag eines Mitgliedstaates vorbringt, durch einstimmigen Beschluß des Rates festgesetzt werden; die Staaten verpflichten sich, diese Zollsätze für Kohle und Stahl im Verkehr mit dritten Ländern nicht zu unter- oder überschreiten." 381 Manin, S. 208.
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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Die kryptische Übersetzung verdeutlich wohl nur die Bestätigung der Bedeutung des Initiativmonopols. Die englische Fassung deutet hingegen die Empfehlung einer expliziten Antwortpflicht an und bestätigt damit indirekt Manins Umkehrschluß: "The Group considers that the maintenance of the Commission's monopoly of initiative is a fundamental aspect of the institutional balance of the Community. It will be exercised without prejudice to the right of request under the Treaty and the possible inclusion of a right of reply. ,,383
Gleichwohl scheint die textliche Gegenüberstellung von Artikel 208 EGV und den Aufforderungs- und Antragsrechten des EG-Vertrags, die eine ausdrückliche Prüfungspflicht anordnen, nur von bedingter Aussagekraft, nämlich nicht als ausschlaggebendes Wortlautargument gegen die Prüfungspflicht geeignet. Im Gegenteilläßt ein weiterer Vergleich zwischen Artikel 208 EGV und den beiden Aufforderungsrechten in Artikel 26 EKGSV und Artikel 67 Abs. 2 EGV sich als Verpflichtung nicht nur zur Prüfung, sondern sogar zur Umsetzung der Aufforderung heranziehen: Die Aufforderung nach Artikel 208 EGV bezieht sich auf die "Vorlage" eines Vorschlags und nicht lediglich auf die "Prüfung" eines entsprechenden Antrags. Im letzteren Fall läßt der Wortlaut offen, ob die Prüfung ein Ergebnis ergibt, das die Unterbreitung eines Vorschlags opportun erscheinen läßt, während im Fall von Artikel 208 EGV die Unterbreitung eines Vorschlags (oder mehrerer) im Vordergrund steht. Die gleichsam zielgerichtetere Formulierung kann als Hinweis auf eine Rechtspflicht zur Vorlage verstanden werden 384 , welche die Prüfungsverpflichtung miteinschließen würde. Mehr noch: Im Rahmen der systematischen Auslegung könnte die Feststellung, wonach Artikel 208 EGV nicht einmal eine Prüfungspflicht statuiert, sogar eher für eine weitergehende Verbindlichkeit sprechen als dagegen. Für solche Ersuchen, die auf der Grundlage jener um eine ausdrückliche Prüfungsanordnung "verstärkten Aufforderungsrechte" ergehen, scheint nämlich der Rahmen abgesteckt zu sein, denn wenn der Kommission extra die Prüfung des Antrags aufgegeben ist, kann sie kaum - über den Wortlaut hinaus - automatisch zur Umsetzung verpflichtet sein. Eine solche Argumentation drängt sich vor allem bei Artikel 67 Abs. 2 EGV auf, dessen Übergangsregelung den Zweck verfolgt, den Mitgliedstaaten die im Wege intergouvemementaler Zusammenarbeit ausgearbeiteten und noch nicht in Kraft getretenen Abkommen dem Rat zum Erlaß in der Form eines Gemeinschaftsrechtsaktes zuzuführen 385 . Nach Ablauf der 382 Bericht der Reflexionsgruppe, Dok. SN 520/95, Dezember 1995, Rn. 109 (Hervorhebung d. Verf.). 383 Bericht der Reflexionsgruppe, Dok. SN 520/95, Dezember 1995, Rn. 109, im Internet unter www.europarl.eu.int/ enlargement / cu / agreements / pdf / reflex I_en. pdf. (Hervorhebung d. Verf.). Vgl. dazu auch Craig/Harlow, S. 37; Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 6. 384 Vgl. hierzu Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 6. 385 Wiedmann, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 67 EGV Rn. 3.
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
Übergangszeit weicht diese Regelung dem Initiativmonopol der Kommission, so daß eine selbständige Einführung dann nicht mehr möglich ist. Die zeitliche Begrenzung des Ko-Initiativrechts spricht dafür, daß die Kommission nach Ablauf der Übergangszeit selbständig darüber entscheiden soll, ob sie dem Antrag eines Mitgliedstaates folgt, also gerade nicht gehalten ist, jeden Antrag umzusetzen 386 . Damit ist zu konstatieren, daß aus dem Wortlaut kein stichfestes Argument für die Rechtswirkung - weder im Sinne einer Prüfungs-, noch für eine Vorlagepflicht - zu ziehen ist387 • Die isolierte Betrachtung spricht nicht für eine automatische Prüfungspflicht. Der Vergleich mit den übrigen Aufforderungsrechten spricht sogar gegen eine solche Verpflichtung. Und indem schon keine Prüfungspflicht verankert ist, begründet der Wortlaut erst recht keine Verpflichtung, auf jede Aufforderung einen Vorschlag vorzulegen. Abgesehen von Artikel 301 EGV (und auch dies ist umstritten) schreibt kein einziges Aufforderungsrecht eine Vorlagepflicht fest - ohne daß diese deswegen ausgeschlossen wäre. Somit verfestigt sich der Eindruck, daß der Wortlaut der Aufforderungsrechte typischerweise nicht mehr als ein Indiz für oder wider ihre rechtliche Wirkung liefert. 2. Das formale Argument
Ein Teil der Befürworter einer Vorlagepflicht stützt sich auf die Überlegung, daß Artikel 208 EGV andernfalls überflüssig wäre, zum Teil mit dem Zusatz, daß der 386 Auch dieser Schluß ist wohl nur eine von zwei möglichen Sichtweisen. Vgl. dazu die umgekehrte Argumentation von Nanz/Schmahl zum früheren Artikel lOOc Abs. 4 EGV, in: Groeben/Boeckh/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Auflage, Artikel lOOc EGV Rn. 25: "Wenn man - wie die herrschende Meinung - das Aufforderungsrecht gemäß Artikel 208 EGVaus Gründen des institutionellen Gleichgewichts für verbindlich hält, dann müßte dies erst recht für ein Aufforderungsrecht gelten, das zusätzlich eine Prüfungspflicht enthält." (Hervorhebung d. Verf.) 387 Dieser Eindruck wird noch dadurch bekräftigt, daß der EG-Vertrag (allerdings außerhalb des Vorschlagsverfahrens) in Artikel 143 EGV und Artikel 145 EGV für das Feld der Sozialpolitik zwei Auskunftsrechte des Europäischen Parlaments gegenüber der Kommission vorsieht, die als bindend erachtet werden, ohne daß die Verpflichtung ausdrücklich normiert ist. Artikel 143 EGV lautet: "Die Kommission erstellt jährlich einen Bericht über den Stand der Verwirklichung der in Artikel 136 genannten Ziele sowie über die demographische Lage in der Gemeinschaft. Sie übermittelt diesen Bericht dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuß. Das Europäische Parlament kann die Kommission um Bericht zu Einzelproblemen ersuchen, welche die soziale Lage betreffen." Artikel 145 EGV stellt fest: "Der Jahresbericht der Kommission an das Europäische Parlaments hat stets ein besonderes Kapitel über die Entwicklung der sozialen Lage in der Gemeinschaft zu enthalten. Das Europäische Parlament kann die Kommission auffordern, Berichte über besondere, die soziale Lage betreffende Fragen auszuarbeiten." In beiden Fällen ist die Kommission zur Berichterstattung verpflichtet, Rebhahn, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 143 EGV Rn. 1; Krebber, in: Calliess/Ruffert, EU-/EGKommentar, Artikel 143 EGV Rn. 1. Das Nebeneinander beider Auskunftsrechte ist gesetzestechnisch nicht über alle Zweifel erhaben. Nach Krebber wirkt "die abweichende Formulierung der zweiten Absätze beider Artikel geradezu absurd."
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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Rat unverbindliche Anregungen auch ohne besondere Ermächtigung geben könne388 . Dieser Gesichtspunkt steht außerhalb der systematischen Einordnung in das Vorschlagsverfahren und soll deshalb vorab geprüft werden. Zum ersten ist festzustellen, daß die bloße Existenz des Aufforderungsrechts kein überzeugendes Argument für eine Vorlagepflicht darstellt, weil darin nur zum Ausdruck kommt, daß die Mitgliedstaaten die Integrationsplanung der Kommission auf einen bestimmten Sachbereich lenken können 389 • Das Aufforderungsrecht ist - wie eingangs kurz beschrieben - dem gemeinschafts spezifischen Vorschlagsverfahren angepasst und dokumentiert das interinstitutionelle Zusammenspiel. Die Auffassung, daß ein ausdrücklich vertraglich verankertes Recht zur Aufforderung per definitionem bindend sein müsse, überspannt die grundsätzliche Wirkung einer Aufforderung: Gegen ein solches Verständnis sperrt sich nicht allein der Wortlaut, sondern nachgerade die Gegenüberstellung mit jenen parallelen Aufforderungsrechten, die ausdrücklich nur die Prüfungspflicht zum Gegenstand haben. Überdies bestätigt sich hierin, daß eine genauere Untersuchung nicht ohne die Klarstellung der möglichen Bindungswirkung auskommt. Das allgemeine Aufforderungsrecht ist nämlich durchaus nicht überflüssig, wenn man eine Umsetzungspflicht verneint, weil es seinem Sinn und Zweck nach nicht hierauf beschränkt ist, vielmehr die Prüfungspflicht einen selbständigen Regelungsgehalt darstellt. Aus diesem Grunde ist die formale Einordnung zunächst auf die Frage zu richten, ob die Kommission auf eine Aufforderung reagieren muß. Und obgleich die vergleichende Wortlautanalyse diese Pflicht offen gelassen hat, liegt sie allein unter formalen Gesichtspunkten 390 zumindest nahe, weil die Vorschrift zumindest dann überflüssig wäre, wenn die Kommission eine Aufforderung schlichtweg unbeachtet lassen dürfte. Eine solche Prüfungspflicht wird von der herrschenden Meinung hingegen nicht eigens thematisiert, sondern durchweg vorausgesetzt bzw. mitumfaßt, da die formale Bedeutung des Aufforderungsrechts allein in dem Vorlagezwang zulasten der Kommission gesehen wird: Ebendiese Pflicht begründen Geige?91 und Wichard392 damit, daß der Rat auch ohne Rekurs auf den Artikel 208 EGV zu nehmen die Kommission über seine Rechtsetzungsabsichten in Kenntnis setzen und die Vorbereitung entsprechender Gesetzesvorlagen nahe1egen könne - und daß nur solche 388 Ha, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 6; Geiger; EUV IEGV, Artikel 208 EGV Rn. 2; Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 3. Zurückhaltender Hamier; in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artike1152 EGV Rn. 4.: Förmliche Aufforderung hätte "nur wenig Sinn", wenn unverbindlich. 389 Zutreffend Klösters, S. 77. 390 Auch die wechselseitige interinstitutionelle Loyalitätspflicht gebietet der Kommission, Aufforderungen des Rates zu prüfen. Dazu sogleich unter 3. 391 Geiger, EUV I EGV, Artikel 208 EGV Rn. 2 mit weiteren Nachweisen. 392 Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 3 mit weiteren Nachweisen.
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
Anregungen unverbindlich seien. Die Stichhaltigkeit des Rückschlusses auf die Bindungskraft "förmlicher" Aufforderungen steht und rallt also mit der Abgrenzung zu formlosen Anregungen. Anstelle aber davon auszugehen, daß nur auf Artikel 208 EGV gestützte Aufforderungen verbindlich seien, ist an dieser Stelle in Erinnerung zu rufen, daß der Vertrag für eine solche Unterscheidung keinen Anlaß gibt und es die herrschende Meinung selbst ist, die jede Fonn - Beschluß, Schlußfolgerung, Entschließung oder Erklärung zum Ratsprotokoll - für eine Aufforderung im Sinne von Artikel 208 EGVausreichen läßt. Wenn aber die Aufforderung in beliebiger Gestalt ergehen kann, ist die juristische Trennung zwischen verbindlicher und informeller Aufforderung nicht ohne weiteres einsichtig. Auch unterstützt die Praxis eine solche Differenzierung nicht. Es findet sich kein Beleg dafür, daß der Rat wichtige Aufforderungen formell an die Kommission adressieren und weniger bedeutsame Vorhaben als schlichte Anregung übermitteln würde. Stattdessen ist die Form der Aufforderung je nach Gelegenheit zufällig. Noch fragwürdiger erscheint es, die Bindung an der Unterscheidung festzumachen, ob der Rat ausdrücklich auf das Aufforderungsrecht Bezug nimmt, mit anderen Worten die Rechtswirkung danach zu bestimmen, ob - unabhängig vom eigentlichen Inhalt der Erklärung - in dem Beschluß, der Schlußfolgerung, der Entschließung oder der Erklärung zum Ratsprotokoll in der Präambel, der Einleitung, im Haupttext oder am Rande ein expliziter Hinweis auf Artikel 208 EGV enthalten ise 93 . Abgesehen davon, daß hierdurch nicht einmal im klassischen Sinne eine Formalie zum Entscheidungskriterium gemacht würde 394 , gibt es wohl gar keinen durchschlagenden Grund für eine solche Zitierpflicht: Da der Rat unbestritten das Recht hat, die Kommission zur legislativen Initiative aufzufordern, scheint der Hinweis auf die vertragliche Grundlage schlicht überflüssig. An diesem Punkt erweist sich die Prämisse, wonach der Rat jederzeit Anregungen geben könne, weswegen der Anwendung von Artikel 208 EGVeine gesteigerte Bedeutung zuzuerkennen sei, als nicht stichhaltig. Denn an statt ein ungeschriebenes Recht zur unverbindlichen Einflußnahme in den Vordergrund zu rücken, ist zu beachten, daß das Aufforderungsrecht die Einwirkung des Rates als Bestandteil des gemeinschaftlichen Rechtsetzungssystems umfassend legitimiert, indem es schließlich die Grundlage sowohl für Aufforderungen zur Vorschlagsvorlage als auch zur Vornahme jeder anderen Untersuchung bildet. Wenn schon eine außervertragliche Einflußnahme anzuerkennen wäre, so würde diese eher für das Verhältnis der Kommission zu den Mitgliedstaaten anzunehmen sein, welche gerade kein allgemeines vertragliches Aufforderungsrecht besitzen, nicht aber zur Bestimmung der Zusammenarbeit der beiden Gemeinschaftsorgane. Aus diesem Grunde spricht mehr dafür, in Artikel 208 EGV nicht nur nach dem Wortlaut, sondern auch in der Substanz die Regelung für alle aus dem Rat an die Kommission gerichteten AufVgl. Weatherill/Beaumont, EG Law, S. 55. Dies wäre der Fall, wenn man wie Dewost ausschließlich einen Beschluß des Rates für zulässig befände, in: Megret u. a., Droit CEE, Band 9, Artikel 152 EGV Rn. 1. 393
394
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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forderungen zu sehen, als umgekehrt zu seiner rechtlichen Qualifizierung eine weitere Verbindung zu konstruieren. Wenn es sich aber so verhält, erscheint es als künstliche Aufspaltung, nur Erklärungen, die extra auf Artikel 208 EGV verweisen, für verpflichtend zu halten, zumal die Aufforderungen - in welcher Fonn auch immer gehalten - grundsätzlich denselben Charakter tragen sollten. Artikel 208 EGV steht damit nicht per se für eine Pflicht der Kommission, jeder Aufforderung nachzukommen. Die fonnale Betrachtung spricht aber dafür, daß die Kommission Aufforderungen zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen hat. 3. Das systematische Argument
Die fonnale Betrachtung schließt eine stärker Rechtswirkung aus systematischen Gründen nicht aus. Im Meinungsstreit argumentieren beide Seiten mit der Auslegung der Vorschrift im Kontext des Zusammenspiels zwischen Vorschlagsrecht der Kommission und Entscheidungsrecht des Rates, mithin im Lichte des im Vertrag niedergelegten institutionellen Gleichgewichts. a) Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit An erster Stelle ist - in Ergänzung der fonnalen Betrachtung - zu konstatieren, daß es auch der gegenseitigen Loyalitätsverpflichtung, wie sie vom Gerichtshof in Ergänzung des Grundsatzes des institutionellen Gleichgewichts entwickelt wurde 395 , widersprechen würde, wenn die Kommission auf eine Aufforderung des Rates hin vollkommen untätig bleiben würde. Sofern man Artikel 218 EGV, wonach Rat und Kommission ihre Zusammenarbeit einvernehmlich regeln, als Grundlage der Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme396 oder als eine besondere Ausprägung des Loyalitätsgrundsatzes 397 auffaßt, ergibt sich hieraus, daß die Kommission eine Anfrage jedenfalls nicht ohne zwingenden Grund ignorieren darf. Da das Loyalitätsgebot generell gilt, beschränkt sich die hieraus ableitbare Prüfungspflicht nicht auf die Bereiche, in denen der Rat gemäß der einschlägigen Rechtsgrundlagen nur auf Vorschlag handeln kann. Gerade die Loyalitätspflicht kann den Rat veranlassen, die Kommission um Mitarbeit usw. auch in Bereichen zu bitten, in denen er rechtlich nicht auf ihre Vorleistung angewiesen ist. Entsprechend hat der Rat auch wiederholt außerhalb des Vorschlagsverfahrens Bezug auf Artikel 208 EGV genommen 398 • 395 EuGH Rs. 204/86, Slg. 1988,5323, Rn. 16 (Griechenland/Rat); EuGH Rs. C-65/93, Slg. 1995-1, S. 643, 3. Leitsatz (Parlament/Rat). Siehe zum Gebot der gegenseitigen Loyalität und den hieraus resultierenden Pflichten bereits in Kapitel 2 unter I. 3. und 11. 2. 396 Noel, The Commission 's Power of Initiative, S. 132. 397 Favret, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 208 EGV Rn. 1. 398 Beschluß des Rates über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG) von EWG-Staaten vom 16. 12. 1980, ABI. 1980 Nr. L 361, S. 1. Für weitere Nachweise
12 von Buttlar
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
Auch unter dem Gesichtspunkt der interinstitutionellen Loyalitätsverpflichtung ist die Kommission verpflichtet, eine Aufforderung des Rates zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen. b) Vorlagepflicht versus Gestaltungsfreiheit "Das Vertragssystem ist so zu verstehen, daß die Weigerung der Kommission, der Aufforderung nachzukommen, jedenfalls dort vertragswidrig erscheint, wo der Rat nur auf Vorschlag der Kommission handeln kann - denn dann würde die Nichtvorlage eines Vorschlags die rechtliche Umsetzung des in der Aufforderung zum Ausdruck kommenden politischen Willens der Mitgliedstaaten unmöglich machen und die Kommission hätte ein veritables Vetorecht, das ihr nicht zusteht. ,,399
Ähnlich dem formalen Argument, wonach Artikel 208 EGV verbindliche Aufforderungen meine, weil unverbindliche Anregungen keiner vertraglichen Anspruchsgrundlage bedürften, wird die Ablehnung eines Vetorechts häufig als definitives Argument pro Vorlagepflicht ins Feld geführt4OO • Der gewählte Begriff des Vetorechts, den der Vertrag in der Tat nicht enthält, ist mißverständlich und vielsagend zugleich. Mißverständlich insofern, als der Begriff des Vetos eigentlich als Abwehrrecht gegen die Verabschiedung eines Gesetzes gebraucht wird, es hier aber um die Vorbereitung einer Gesetzesvorlage geht. Vielsagend insofern, als hierin die bereits skizzierte Auffassung von einer lediglich für die technische Vorbereitung der Gemeinschaftsrechtsakte zuständigen Kommission rhetorisch gewürzt zum Ausdruck kommt. Ob vom - politischen - Veto oder, wohl präziser, von der Blockade der gemeinschaftlichen Rechtsetzung40l die Rede ist - auch hier gilt wie bei der formalen Betrachtung, daß die Verhinderung der Untätigkeit zwar ein erhebliches Argument, wohl aber keinen durchschlagenden Grund für die Bejahung eines Vorlagezwanges abgibt. Das Blockade-Argument bietet deswegen nicht mehr als den Ausgangspunkt für eine Ausleuchtung des Vorschlagsverfahrens, wobei nur die Grundbedingung unstrittig ist: Der Rat ist auf die Mitwirkung der Kommission angewiesen und Artikel 208 EGV dient als Hebel zur Ingangsetzung dieser Mitwirkung. Obwohl dieser Mechanismus aufgrund seiner Garantiefunktion hinsichtlich der nach dem Vertrag in voller Unabhängigkeit handelnden Kommission unverzichtbar scheint, resultiert hieraus nicht anstandslos eine Umsetzungsverpflichtung. Ipsen widmet der Aufforderung des Rates in eisiehe Smit/Herzog, The Law of the EEC, Artikel 152.05; Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EU-/ EG-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 6. 399 V gl. Lenaerts, in: Constantinesco / Jacque / Kovar / Simon, Traite instituant I 'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 5. Ähnlich Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 6; Kühner, S. 51. 400 Vgl. die Nachweise bei Lenaerts, in: Constantinesco / Jacque / Kovar / Simon, Traite instituant l'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 5. 401 Kühner, S. 51.
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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nem einzigen Satz die bündige Feststellung: "Sie ist notwendiges Korrelat zum Initiativrecht der Kommission, bewirkt indes keine Bindung der Kommission an den Rat. ,,402 Einer rechtlichen Vorlagepflicht steht zum ersten das Prinzip der Ermessensfreiheit über den Zeitpunkt und den Inhalt einer Rechtsaktvorlage gegenüber. Eine automatische Bindung würde die Unterscheidung zwischen den Bereichen, in denen der Vertrag den Zeitpunkt eines Vorschlags der Kommission überläßt und jenen Vorschriften, die (in zeitlicher Hinsicht) ausdrückliche Rechtsetzungsaufträge bestimmen403 , verwischen. Da das Aufforderungsrecht uneingeschränkt einsetzbar ist, würde die Ermessensfreiheit der Kommission theoretisch immer eingeschränkt werden können. Somit steht der Schutzzweck, eine etwaige Untätigkeit im Interesse der Entwicklung des Gemeinschaftsinteresses überwinden zu können, mit dem prinzipiellen Ermessensspielraum in einem aus der Funktionenverteilung des Vorschlagsverfahrens zwangsläufig folgenden Spannungsverhältnis. Und in der damit notwendigen Abwägung begründet das Blockade-Argument zunächst einmal nur die Verpflichtung zur Prüfung der Aufforderungen, wie sie bereits aus der formalen Einordnung der Vorschrift und dem Loyalitätsgrundsatz abzuleiten ist404 . Unbeantwortet ist aber noch, ob mit einer allgemeinen Pflicht, auf jede Aufforderung hin einen Vorschlag zu machen, stärker in das Initiativmonopol eingegriffen wird, als es zur Vermeidung einer eventuellen Blockade erforderlich ist. Hier gehen offenbar die Befürworter unausgesprochen davon aus, daß nur der rechtlich sanktionierte Vorlagezwang den nötigen Gegendruck sichert. Im folgenden soll das Aufforderungsrecht in das Spannungsfeld zwischen dem gemeinsamen Interesse der Mitgliedstaaten an der gesetzgeberischen Umsetzung im Rat abgesprochener Vorhaben und der Exklusivstellung der Kommission eingeordnet werden. Im gleichen Maße nämlich, wie die mögliche Blockade zur Begründung der Bindung herhält, ist die Gefahr beachtlich, daß umgekehrt die Kommission zu Vorschlägen verpflichtet werden könnte, die sie nicht machen will. Das Aufforderungsrecht stellt eine Ergänzung des Vorschlagsrechts dar. Richtigerweise ist deswegen vom eigentlichen Umfang des Initiativrechts auszugehen. Ausgangspunkt ist der inhaltliche Spielraum der Kommission: Das alleinige Initiativrecht läßt keine Auslegung zu, wonach sich der Rat an ihre Stelle setzen und verbindliche Weisungen hinsichtlich des Vorschlagsinhalts machen kann405 . Denn der Rat ist der Kommission nicht übergeordnet und besitzt kein allgemeines Weisungsrecht, welches im übrigen mit ihrer unabhängigen Stellung ohne Zweifel unIpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 13/13, S. 345. (Hervorhebung d. Verf.) Siehe hierzu bereits in Kapitel 1 unter I. 1. 404 Dies beinhaltet die Pflicht der Kommission zur Mitteilung, warum sie nicht tätig werden will. 405 Siehe hierzu die Amtlichen Erläuterungen zu Artikel 152 EGV, Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, Bundestags-Drucksache Nr. 3440, S. 142. 402
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
vereinbar wäre406 • In der inhaltlichen Ausgestaltung von Gesetzesvorschlägen ebenso wie in der Durchführung von Untersuchungen - bleibt die Kommission rechtlich gesehen jedenfalls frei 407 . Dieses Prinzip ist keiner Ausnahme zugänglich; daß es bei einer Bindung an die Aufforderung nicht um die detailgetreue Umsetzung in einen förmlichen Vorschlag gehen kann, folgt indirekt auch aus Artikel 250 Abs. 1 EGV: Wenn es dem Rat unmöglich ist, die Substanz des Kommissionsvorschlags zu verändern, kann er erst recht nicht befugt sein, ihr den ganzen Inhalt zu diktieren. Steht nun dieser Grundsatz gegen eine Vorlagepflicht? Nach einer Auffassung ist diese Frage zu verneinen. Stattdessen wird die inhaltliche Freiheit der Kommission geradezu als Beleg für eine Vorlagepflicht angeführt: "Die Gefahr, daß die Kommission zu einer von ihr nicht gewünschten Rechtsetzungsinitiative gezwungen werden könnte, erscheint demgegenüber nicht sehr groß. Denn die Kommission ist dabei in keiner Weise hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung des Vorschlags an die Vorstellungen des Rates gebunden...408
Diese Ableitung scheint aber schon deswegen bedenklich zu sein, weil das Initiativrecht auch die Entscheidung zur Nichtvorlage von Vorschlägen umfaßt409 und es deshalb doch einen Eingriff in die inhaltliche Entscheidung der Kommission darstellt, dort Vorschläge vorzulegen zu sollen, wo sie von sich aus keine Initiative ergreifen würde. Dieser Einwand erstreckt sich zwar nicht auf die Fälle, in denen der Rat aufgrund von Primär- oder Sekundärrecht zur Rechtsetzung verpflichtet ist und die notwendige Mitwirkung der Kommission einfordert. In diesen Fällen ist die Kommission nach dem Vertrag gehalten, aktiv zu werden, weil die Rechtsetzungspflicht des Rates auch ihre Ermessensfreiheit einschränkt4JO . Noch eindeutiger gilt dies dort, wo der Rat die Kommission auffordert, ihre unmittelbaren vertraglichen Vorlagepflichten zu erfüllen. In einer großen Zahl belassen die Rechtsgrundlagen im EG-Vertrag hingegen einen breiten Spielraum für die Entscheidung zur Gesetzesinitiative. Darum ist zu klären, ob eine Vorlagepflicht auf Aufforderung mit diesem Spielraum vereinbar ist. Hier ist nur der Ausgangspunkt selbstverständlich, daß der Rat "die Kommission wissen läßt, welche Orientierung der angeforderte Vorschlag 406 Zu den wenigen Weisungsrechten Hamier, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-I EG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 5; Bleckmann, Europarecht, Rn. 262. Im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik kann der Rat nach Artikel 133 Abs. 3 EGV der Kommission für Verhandlungen Weisungen erteilen, Hahn, in: Calliess I Ruffert, EU-I EGKommentar, Artikel 133 EGV Rn. 27. 407 Wichard, in: Cailiess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 208 Rn. 4; Hamier, in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 5. 408 Kühner, S. 51. 409 Siehe in Kapitel 1 unter I. 410 Siehe dazu bereits in Kapitel 2 unter 11. 2. b).
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haben sollte, damit eine Zustimmung seinerseits möglich ist. ..411 Für Kühner, der eine umfassende Bindung der Kommission bejaht, ist der Einwand der möglichen inhaltlichen Beschränkung augenscheinlich unproblematisch, denn es könne ,,( ... ) die Kommission den (in der Aufforderung) gewünschten Inhalt ablehnen, selbst wenn der Rechtsakt dann nicht oder nicht mit der gewünschten Orientierung zustande kommt. Diese Gefahr besteht bei jeder Rechtsetzungsinitiative...412
Indes scheint eben diese Freiheit ungewiß, wenn man einen Vorlagezwang annimmt bzw. umgekehrt die Vorlagepflicht zweifelhaft, wenn der Vorschlagsinhalt im Ermessen der Kommission bleibt. Wenn nämlich die Kommission vorlegen muß, ohne von sich aus einen Regelungsbedarf zu sehen, könnte sie durch einen abweichenden Inhalt - der das Zustandekommen eines Rechtsaktes wegen der aktuellen Mehrheitsverhältnisse praktisch unmöglich macht - ihrer Vorlagepflicht formal genügen und zugleich die Verabschiedung eines im Rat möglicherweise schon weitestgehend vereinbarten Rechtsetzungsprojektes untergraben. Dieser Konflikt zwischen Vorlagepflicht und inhaltlicher Gestaltungsfreiheit wird evident bei einer Aufforderung zur Änderung eines bereits vorgelegten Vorschlags. Ein solcher Fall ist aus der Praxis zwar nicht bekannt, scheint aber nicht unrealistisch zu sein, dann nämlich, wenn sich die notwendige Einstimmigkeit zur Änderung des Vorschlags nicht erzielen läßt. Wäre die Kommission zur Vorlage verpflichtet, könnte der Rat mit einer Aufforderung die Rücknahme des ursprünglichen Vorschlags verlangen und hätte das Mittel in der Hand, eine zweite Vorlage zu fordern. Dieser Konstellation steht nicht nur die Beschneidung der Ausgestaltungsfreiheit entgegen. Sie setzt sich darüber hinaus dem Einwand aus, daß sich der Rat auf diese Weise durch einen mit einfacher Mehrheit gefaßten Beschluß gemäß Artikel 208 EGV über das Einstimmigkeitserfordernis des Artikels 250 Abs. I EGV hinwegsetzen könnte. Um ein solches Dilemma zu vermeiden, ohne die Bindung an die Aufforderung aufzugeben, wollen Gilsdo,f13 und Lenaerts414 der Kommission die Möglichkeit einer Empfehlung offenhalten, die bestehende Rechtslage beizubehalten. Dieses Schlupfloch - den Vorschlag vorzulegen, keinen Rechtsakt zu erlassen - ist aber kein Vorschlag mehr im Sinne von Artikel 208 EGV, nämlich nicht mehr zur Einleitung eines Rechtsetzungsverfahrens, sondern im Gegenteil zur Ablehnung seiner Eröffnung. Der Bindung an die Aufforderung würde pro fonna Genüge getan. De facto würde sie auf eine Prüfungspflicht heruntergeschraubt415 . Daher überzeugt 411 Hamier, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 152 EGV Rn. 5. 412 Kühner, S. 52 (Fn. 58 - Einschub und Hervorhebung d. Verf.). 4\3 Gilsdorf, S. 93. 414 Lenaerts, in: Constantinesco I Jacque I Kovar I Simon, Traite instituant I 'Union Europeenne, Artikel 152 EGV Rn. 5.
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
dieser Kunstgriff nicht, umso weniger, als er ausgerechnet zur Bewältigung eines Sachverhalts dienen soll, der nicht unwahrscheinlich ist. Die Kritik verschärft sich noch insofern, als nicht nur dieses Beispiel zum Spagat zwischen Bejahung eines Vorlagezwangs und Anerkennung der Gestaltungsfreiheit zwingt. Es macht für die Beurteilung einer Vorlagepflicht keinen Unterschied, ob es um die Änderung eines alten oder um die Vorlage eines neuen Vorschlags geht. Die bindende Aufforderung würde das Vorschlagsrecht trotz fonneller Wahrung der inhaltlichen Freiheit auch dann zu einer Fonnalität degradieren, wenn die Ratsmitglieder (voraussichtlich) einstimmig eine bestimmte Maßnahme beschließen wollen, welche die Kommission aus Gründen des Gemeinschaftsinteresses ablehnt. Die Kommission wäre gezwungen, ihren Teil zur Verwirklichung einer Ratsentscheidung beizutragen, welche sie für außerhalb des Gemeinschaftsinteresses stehend ansieht und der Rat könnte die Vorlage seinen - im Vorfeld erkennbaren - Vorstellungen entsprechend umwandeln. Da den Aufforderungen des Rates in der Regel eine Verabredung über die zu treffenden Maßnahmen vorausgeht, wäre auch diese Konstellation eher ein Nonnalfall als eine Ausnahmeerscheinung. Eine etwaige Vorlagepflicht berührt schließlich das fundamentale Recht zur Rücknahme eines Vorschlags. Denn dieses ennöglicht - unter den aufgezeigten Voraussetzungen416 - in der Tat den Abbruch eines laufenden Rechtsetzungsverfahrens, während das Aufforderungsrecht umgekehrt der Verhinderung einer Blokkade dienen soll. Dürfte die Kommission auch bei einem nach Aufforderung eingebrachten Vorschlag von ihrem Rücknahmerecht Gebrauch machen - etwa sobald der Rat jene Änderungen vornimmt, die in der Aufforderung schon erkennbar waren und die sie mit einer abweichenden Vorlage venneiden wollte? Hier liegt die Argumentation nahe, daß das Rücknahmerecht in keinem Fall, auch nicht nach einer Aufforderung, aufgehoben sein kann, weil es explizit der Kontrolle über die inhaltliche Gestalt des Rechtsaktes dient, welche doch unangetastet bleiben soll. Wenn die Kommission aber legitimiert bliebe, einen erzwungenen Vorschlag wieder zurückzunehmen, wäre eine unbedingte Vorlageverpjlichtung nur umso schwerlicher einzusehen. Diese Konsequenzen belegen den potentiellen Konjlikt zwischen Bindung hinsichtlich des "Ob" der Vorlage und Ennessensfreiheit hinsichtlich des "Wie". Insgesamt würde eine Bindung an die Aufforderung die Unabhängigkeit der Kommission und damit den Schutz des Gemeinschaftsinteresses beeinträchtigen. Der Vorlagezwang ist an sich schon fragwürdig, wenn die Kommission einen Vorschlag unterbreiten dürfte, auf dessen Grundlage der Rat nicht beschlußfähig ist - entweder mit einem den Zweck der Aufforderung konterkarierenden Inhalt oder mittels eines "Vorschlags zur Nichtänderung der Rechtslage" - oder wenn sie die Vorlage 415
Auch hierin zeigt sich die Notwendigkeit, Prüfungs- und Vorlagepflicht zu unterschei-
416
Siehe in Kapitel 2 unter 11. 2.
den.
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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wieder zurücknehmen darf. Alle drei Varianten gehören zu ihrem formal nicht in Frage gestellten inhaltlichen Spielraum, bergen aber gleichwohl die Gefahr, daß die Bindung praktisch leer laufen würde und die mit der Befolgung einer Aufforderung scheinbar zugunsten des Rates entschiedene Machtfrage sofort nach der Eröffnung eines Rechtsetzungsverfahrens erneut aufgeworfen wäre. Schon angesichts dieser Implikationen rechtfertigt das Blockade-Argument alleine keinen Vorlagezwang, ganz zu schweigen von den gravierenden politischen Spannungen zwischen Kommission und Rat, welche eine den Zweck einer Aufforderung bewußt vereitelnde Reaktion provozieren könnte. c) Stellungnahme Die Beurteilung der Rechtswirkung einer Aufforderung nach Artikel 208 EGV spitzt sich letztlich in einer definitiven Würdigung der Funktionenverteilung im Vorschlags verfahren zu. Keinesfalls vertragswidrig ist es, die Integrationsplanung der Kommission auf einen bestimmten Sachbereich zu lenken. Einigkeit besteht auch darüber, daß der Rat "die Kommission zu - inhaltlich bestimmten! - Vorschlägen auffordern darf', wie es Bleckmann zu Recht betont417 . Die Kompetenzverteilung bettet das Vorschlagsrecht dergestalt in den Entscheidungsprozeß ein, daß die Kommission nicht bestimmen kann, ob es zu einer Rechtsetzungstätigkeit des Rates kommt, sondern nur die Vorlage zu liefern vermag, worüber der Rat beschließen kann. Die überwiegende Auffassung betont in diesem Gegenüber das Entscheidungsrecht des Rates und entnimmt dem EG-Vertrag die Wertung, daß die Ablehnung einer Vorlage sich als Mißbrauch des Initiativmonopols erweisen würde, weil dieses der Kommission zur Sicherung einer hohen Qualität der Gesetzesvorlage eingeräumt sei, nicht aber zur Einrichtung einer politisch motivierten VetosteIlung hinsichtlich eines Projektes, das der Rat als Vereinigung der Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene verwirklichen will418 . Dem steht das Postulat der Gleichberechtigung beider Organe im Vorschlagsverfahren gegenüber, mit der Konsequenz, daß der Kommission nicht zwangsläufig die Umsetzung der im Rat artikulierten Interessen obliegt. Hernach verkörpert das Initiativmonopol die Garantie, daß eine unabhängige, nur dem Gemeinschaftswohl verpflichtete Instanz autonom über die Opportunität gemeinschaftlicher Rechtsetzung entscheidet. Folglich habe die Kommission das Recht, sich auch im Streitfall für eine Nichtvorlage zu entscheiden, wenn sie befindet, daß eine gemeinschaftliche Regelung nicht adäquat sei 419 . Bleckmann, Europarecht, Rn. 262. Smit/Herzog, Law ofthe EEC, ArtikeI152.05. 419 Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 4; Schmitt von Sydow, Die Kommission, S. 50. 417 418
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
Augenscheinlich ist der von den Befürwortern einer Vorlagepflicht zugestandene Wegfall einer Bindung bei einer (offensichtlich) vertragswidrigen Aufforderung keine echte Ausnahme und daher bei der grundsätzlichen Abwägung außen vor zu lassen. Wenn der angeforderte Vorschlag oder eine solche Untersuchung vertragswidrige Ziele verfolgt, ist die Untätigkeit der Kommission selbstverständlich gerechtfertigt. Abgesehen davon, daß es ohnehin ein gedachter Extremfall ist, daß der Rat die gemeinschaftliche Rechtsetzung in einem Fall anstrebt, für den beispielsweise die Kompetenz der Gemeinschaft bestritten oder die Kommission prinzipiell gegen eine Vergemeinschaftung ist, kommt die sachgerechte Lösung eines solchen Konfliktes auch ohne die Beurteilung der Rechtswirkung der Aufforderung aus. Hier käme die Kommission in ihrer Eigenschaft als Hüterin der Verträge ins Spiel, die sich stets auf die mögliche Rechtswidrigkeit einer Maßnahme oder eines Vorhabens des Rates berufen und ihre Beteiligung ablehnen könnte. Schwerer wiegt die diametral auseinanderlaufende Interpretation des Vorschlagsrechts an sich. Mit der Herstellung und Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen den beiden Organen, wie es en detail zur Erörterung der Änderungsrechte, speziell der Rücknahme eines Gesetzesvorschlags, entwickelt wurde42o, paßt es tatsächlich nicht zusammen, die Kommission zu verpflichten, auf jede Aufforderung einen formellen Gesetzesvorschlag vorzulegen zu müssen, welchen sie aus politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen, auch rechtlichen, Gründen nicht vorlegen will. Anstatt also wie die herrschende Meinung den Vorlagezwang aus der Blockadegefahr abzuleiten, scheint umgekehrt die Prüfung von der Folgenseite her geboten, weil das Aufforderungsrecht in seiner Anwendung nicht limitiert ist, sich also das exklusive Vorschlagsrecht potentiell in eine immer wiederkehrende Vorschlagspflicht wandeln könnte. Diese Schwächung der Kommission erscheint nur auf der Grundlage der in der Literatur zum Teil vertretenen Anschauung des Initiativrechts als technischer Hilfeleistung zur Verwirklichung der im Rat anvisierten Vorhaben konsequent. Eine solche Interpretation ist mit der vertraglichen Funktionenverteilung aber nicht vereinbar. Ihr steht die der Kommission übertragene Gestaltungsaufgabe fundamental entgegen. Diese ist nicht nur durch die einzelfallorientierte Zuweisung des Vorschlagsrechts belegt, obgleich bereits damit dargetan ist, daß das Gemeinschaftsrecht insgesamt vom Interessengegensatz zwischen Rat und Kommission beherrscht wird und seine Weiterentwicklung bewußt davon abhängig gemacht ist, daß beide Organe einen Ausgleich zwischen mitgliedstaatlichen und gemeinschaftlichen Vorstellungen finden 421 • Sie tritt deutlicher noch durch die mit dem Initiativmonopol einhergehende zentrale Stellung als Planungsorgan hervor, wonach die Kommission eben nicht nur für die Bereitstellung VOn Detailwissen Sorge zu tragen hat, sondern daneben Leitlinien entwickelt, welche sie durch konkrete Umsetzungsmaßnahmen für einzelne Politikfelder wiederum für die Rechtsetzungsver420 421
In Kapitel 2 unter H. 2. Hahn, S. 86 f.
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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fahren verhandelbar machen soll. Die Reduzierung des Vorschlagsrechts auf eine technische Leistung, wie sie nicht von ungefähr in der überholten Auffassung wurzelt, wonach politische Entscheidungen der Kommission generell aus Gründen fehlender demokratischer Legitimation unzulässig seien422 , verkennt die grundlegende Bedeutung der vom Gerichtshofs bestätigten mission generale d'initiative der Kommission423 . Wenn überhaupt das Vorschlagsverfahren in einer Kurzforme1 erfaßt werden kann, dann ist daran festzuhalten, daß es der Kommission eine dem Rat ebenbürtige Stellung verleiht424 . Auch das - in Kapitel 3 und 4 beschriebene - politische Übergewicht der Nationalstaaten liefert keinen Grund für eine Rechtspflicht der Kommission, die Aufforderungen wie eine weisungsabhängige Beauftragte durchzuführen. Im Gegenteil ist Artikel 208 EGV vor dem Hintergrund der Überlegenheit des Rates umso dringlicher in der Weise auszulegen, daß mehr als eine politische Verpflichtung mit der Übertragung eines umfassenden und exklusiven Initiativrechts unvereinbar ist, weil die entgegengesetzte Interpretation dem Schutz, den der Vertrag dem Vorschlagsrecht bietet, zuwiderlaufen würde425 . Umgekehrt folgt hieraus, daß die Kommission dort, wo ihr das Gemeinschaftsrecht keine Handlungspflicht auferlegt, in der Tat ein potentielles politisches Vetorecht besitzt. Dieses Vetorecht ist aber schließlich schon in der Legitimation zur Rücknahme eines Gesetzesvorschlags enthalten, weil darin die Berechtigung zum Ausdruck kommt, nötigenfalls eine gemeinschaftliche Regelung zu versperren. Wenn aber im Vorschlagsverfahren ohne die Kommission keine Rechtsetzung zustande kommen soll, dann wäre die rechtliche Bindung an jede Aufforderung eine Umgehung ihrer Gleichberechtigung426 • Im Ergebnis bleibt die primär- oder sekundärrechtliche Grundlage für die Pflicht der Kommission, einer Aufforderung des Rates nachzukommen, maßgeblich. Nur dort, wo das Gemeinschaftsrecht einen Handlungsauftrag erteilt, kann das Ermessen eingeschränkt sein und eine rechtserhebliche Untätigkeit der Kommission begründen. Eine Aufforderung des Rates nach Artikel 208 EGV löst eine Pflicht der Kommission zur Prüfung und zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über die Vorlage eines Gesetzesvorschlags aus.
In diesem Sinne laenicke, S. 101 f. EuGH Rs. 90175, Slg. 1976, S. 323 (Sadarn). Vgl. Isaac, S. 61, mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung. 424 Vgl. nur Schmitt von Sydow, Die Kommission, S. 51 ff.; ders., in: Groeben/Thiesingl Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 48, mit weiteren Nachweisen. 425 van Raepenbusch, S. 197; lama, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 211 EGV Rn. 30. 426 Ähnlich Lauwaars, S. 109. 422 423
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
IV. Zusammenfassung und Konsequenz: Zur Durchsetzbarkeit einer Aufforderung mit einer Untätigkeitsklage Mit der Verneinung eines Vorlagezwanges ist auch insofern ein echtes Gleichgewicht hergestellt, als beide Rechtsetzungsorgane nur durch Gemeinschaftsrecht zur gesetzgeberischen Aktivität gezwungen werden können. Für die in rechtlicher Hinsicht gleichstellende Auflösung spricht zuletzt, daß die Gefahr einer Stagnation des Gemeinschaftsrechts nicht verlangt, eine automatische Befolgungspflicht anzunehmen. Denn die Gesetzesaktivitäten der Kommission entkommen keinesfalls einer effektiven Kontrolle. Aus rechtspolitischer Sicht ist diese Gefahr nicht erheblich, weil nach allen Erfahrungen in der Gemeinschaftswirklichkeit das Zusammenspiel der Rechtsetzungsorgane der Kommission nicht erlaubt, "in trotziger Streikhaltung durch Obstruktionen Rechtsetzungsakte überhaupt zu verhindern. ,,427 Im Verhältnis zum Rat ist dies durch die grundsätzliche Bereitschaft der Kommission, den Aufforderungen nachzukommen, belegt. Ihr Kooperationswille gründet sich selbstverständlich auf den Umstand, auf die Integrationsbereitschaft der Mitgliedstaaten angewiesen zu sein. Die gegenseitige Abhängigkeit im Vorschlagsverfahren schafft also eine enge Bindung an den Rat, die es der Kommission ohnehin verbietet, ohne zwingenden Grund untätig zu bleiben428 . Hinzu kommt die direkte Verantwortlichkeit der Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament, welche ebenfalls verhindert, daß die formale Unabhängigkeit der Kommission sich zur praktischen Untätigkeit in der Rechtsetzung verkehren könnte. Auch in diesem Verhältnis ist der politische Einfluß stark genug, Initiativen der Kommission zu provozieren, ohne daß es der ultima ratio in Gestalt der Androhung eines Mißtrauensvotums bedürfte429 . Abschließend ist die Möglichkeit der rechtlichen Durchsetzung einer Aufforderung gemäß Artikel 208 EGV mittels einer Untätigkeitsklage nach Artikel 232 EGV in den Blick zu nehmen. Die enge Verbindung zwischen Artikel 208 EGV und einer Klage wegen Untätigkeit ist unverkennbar; nach einer Reihe Autoren hat das Aufforderungsrecht sogar "in erster Linie die Funktion, eine eventuelle Untätigkeitsklage gegen die Kommission zu erleichtern. ,,430 Die Untersuchung der gerichtlichen Kontrollierbarkeit wird keinesfalls obsolet, wenn man einen automatischen Vorlagezwang verneint. Es bleibt die Verpflichtung zur ermessensfehlerfreien Entscheidung. Außerdem könnte - abgesehen von einer Vertragsänderung - nur ein gerichtliches Verfahren einen Konflikt über eine nach einer Aufforderung des Rates umstrittene Vorlagepflicht abschließend entscheiden. Siehe Schmitt von Sydow, Die Kommission, S. 50. Zudem wird die Kommission einer gemeinschaftlichen Regelung im Prinzip eher zugeneigt sein als der Rat. Hierzu näher Schmitt von Sydow, Die Kommission, S. 50. 429 Näher dazu im Dritten Teil. 430 Klösters, S. 71 (Fn. 7), mit zahlreichen Nachweisen (Hervorhebung d. Verf.). 427 428
IV. Zusammenfassung
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Grundsätzlich gilt, daß der mit einfacher Mehrheit beschließende Rat über ein weites Ermessen verfügt, ob und mit welchem Inhalt er Aufforderungen gemäß Artikel 208 EGVan die Kommission richtet431 . Daher hat das Gericht Erster Instanz Klagen Einzelner gegen den Rat wegen unterlassener Aufforderungen gegenüber der Kommission für in der Regel unzulässig erklärt432 . Über die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage des Rates gegen die Kommission mußte der Gerichtshof noch nicht urteilen. Auszugehen ist von dem Grundsatz, daß die Übereinstimmung der Handlungen der Gemeinschaftsorgane mit dem Vertrag der gerichtlichen Kontrolle unterliegt433 . Auch ist mit dem Verkehrsurteil klargestellt, daß der Klageweg nicht nur bei Nichterlaß eines bestimmten Rechtsaktes eröffnet ist, sondern auch dann, wenn es sich um eine weniger präzise Untätigkeit handelt. Voraussetzung ist lediglich, daß mit der Klage das Unterlassen von Maßnahmen gerügt wird, deren Tragweite so weit bestimmbar ist, daß sie konkretisiert und letztlich vollzugsfähig im Sinne von Artikel 233 EGV sind434 • Auch ermessensmißbräuchliches Nichthandeln kann als vertragswidrige Untätigkeit angesehen werden. Ein Ermessensspielraum des betreffenden Organs schließt die Zulässigkeit der Klage nur dann aus, wenn das Organ offensichtlich nicht zur Vornahme der begehrten Handlung verpflichtet ist435 . Hieraus folgt, daß die Untätigkeitsklage die richtige Klageart ist und unter "Beschluß" im Sinne der Vorschrift ohne weiteres ein formeller Gesetzesvorschlag der Kommission subsumiert werden kann. Mithin wird die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage zu Recht einhellig bejaht, wenn die Kommission einer Aufforderung des Rates nicht Folge leistet436 . Ob im konkreten Fall tatsächlich eine Handlungspflicht besteht und ob diese durch Untätigbleiben verletzt wurde, ist dagegen eine Frage der Begründetheit437 • Klärungsbedürftig bleibt aber die Einordnung der Aufforderung nach Artikel 208 EGV in den Verfahrensablauf der Untätigkeitsklage, weil diese gemäß Artikel 232 Abs. 2 EGV die Aufforderung zum Tätigwerden als Sachvoraussetzung verlangt: "Diese Klage ist nur zulässig, wenn das in Frage stehende Organ zuvor aufgefordert worden ist, tätig zu werden. Hat es binnen zwei Monaten nach dieser Aufforderung nicht Stellung genommen, so kann die Klage innerhalb einer weiteren Frist von zwei Monaten erhoben werden." Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 8. EuG Rs. T-167/95, Slg. 1996-11, S. 1607 Rn. 25 (Kochlenz-Winter/Winter). 433 EuGH Rs. 294/83, Slg. 1986, S. 1339 Rn. 23 (Les Verts/EP). 434 EuGH Rs. 13/83, Slg. 1985, S. 1513, Rn. 36 f. (Verkehrspolitik). 435 Dies ist vom Gerichtshof etwa bei der Frage der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission angenommen worden: EuGH Rs. 247/87, Slg. 1989, S. 291 Rn. 11 (Star Fruit/Kommission); EuG Rs. T-201l96, Slg. 1997-II, S. 1083 Rn. 23 (Smanur u. a.1 Kommission). 436 Wichard, in: Calliess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 208 EGV Rn. 4; Breier, in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 208 Rn. 2 mit weiteren Nachweisen. 437 Schwarze, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 232 EGV Rn. 10. 431
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2. Teil, Kap. 5: Aufforderungsrecht des Rates nach Art. 208 EGV
Das Zusammentreffen beider Aufforderungen hat in der Literatur zu einer unzutreffenden Verknüpfung geführt. Vorab ist deswegen festzustellen, daß die Aufforderungen rechtlich auseinander zu halten sind. Heising geht demgegenüber davon aus: "Daß keine Verpflichtung der Kommission besteht, ergibt sich aus dem EWG-Vertrag selbst. Nach Art. 175 Abs. 2 EWGV ist die Untätigkeitsklage nur zulässig, wenn das in Frage stehende Organ zuvor aufgefordert worden ist, tätig zu werden. Die Aufforderung gehört damit zur Zulässigkeit und nicht zur Begrundetheit der Klage. Wollte man der Meinung von Wohlfarth folgen (d. h. die Verbindlichkeit der Aufforderung bejahen), so müßte die Aufforderung des Rates die Begrundetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage beruhren; denn die Aufforderung wäre als der Rechtsgrund für die Verpflichtung der Kommission anzusehen. Art. 173 Abs. 2 EWGV läßt aber erkennen, daß die Aufforderung nur eine Verfahrensvoraussetzung ist ( ... ).,,438
Diese Schlußfolgerung übersieht, daß die Aufforderung nach Artikel 232 Abs. 2 EGVeinen anderen Regelungszweck verfolgt als Artikel 208 EGY. Während Artikel208 EGV die Einwirkung des Rates auf die Gesetzestätigkeit der Kommission legitimiert, verlangt Artikel 232 Abs. 2 EGV aus Rechtssicherheitsgründen die Vorbereitung eines Streitverfahrens439 . Schon aus diesem Grund können die beiden Aufforderungserklärungen nicht in eins gesetzt werden. Umso weniger ist folglich das Vorverfahren der Untätigkeitsklage zur Beurteilung der Rechtswirkung des Artikels 208 EGV heranzuziehen. Eine andere Frage ist, ob eine Aufforderung nach Artikel 208 EGV die besondere Aufforderung des Vorverfahrens überflüssig macht. Dies wird von Schweitzer und Hix pauschal bejaht: Wenn der Rat die Kommission mit einer Untätigkeitsklage überziehen wolle, brauche es keine zweite Aufforderung nach Artikel 232 Abs. 2 EGV440. Indes ist darauf hinzuweisen, daß das Vorverfahren bestimmten Anforderungen unterliegt. Da die Aufforderung nach Artikel 232 Abs. 2 EGV Fristen in Gang setzen kann und außerdem gemäß Artikel 19 Abs. 2 der Satzung-EuGH bei Erhebung der Untätigkeitsklage der Klageschrift eine Unterlage beigefügt sein muß, aus der sich der Zeitpunkt der Aufforderung ergibt, muß die Aufforderung - obgleich sie als außerprozessuale Willenserklärung nach Artikel 232 Abs. 2 EGV an sich keiner bestimmten Form unterliegt - schriftlich abgefaßt441 und inhaltlich so klar und deutlich sein, daß das Organ in konkreter Weise Kenntnis vom Inhalt der beantragten Heising, S. 139 (Einschub d. Verf.). Geiger, EUV IEGV, Artikel 232 EGV Rn. 4. 440 Schweitzer, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 152 EGV Rn. 4: "Der Rat hat die Möglichkeit einer Untätigkeitsklage gern. Art. 175 EGY. Die dort in Abs. 2 S. 1 vorgesehene formale Voraussetzung der Aufforderung zum Tätigwerden ist durch eine Aufforderung gemäß Art. 152 EGVerfüllt." Ebenso Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 208 EGVRn.9. 441 EuGH Rs. 17 157, Sig. 1958/59, S. 27 (Gezamen lijke Steenkolenmijnen I Hohe Behörde). 438 439
IV. Zusammenfassung
189
Entscheidung nehmen kann442 • Die Aufforderung muß auch die Gründe nennen, die nach Auffassung der Kläger eine Handlungspflicht des Organs begründen443 • Vor allem aber hat der Gerichtshof entschieden, daß dem Schreiben deutlich erkennbar die Funktion zukommen muß, ein Streitverfahren vorzubereiten und zu diesem Zweck Fristen in Gang zu setzen, was mit einer bloßen Aufforderung zum latigwerden nicht erfüllt wird444 • Aufgrund dieser besonderen Anforderungen kann eine allgemeine Aufforderung nach Artikel 208 EGVeine spezielle Aufforderung nach Artikel 232 Abs. 2 EGV nicht automatisch ersetzen. Deren Entbehrlichkeit setzt vielmehr voraus, daß die Aufforderung nach Artikel 208 EGV ihrem Inhalt nach allen Voraussetzungen genügt, was aber insbesondere im Hinblick auf die Ankündigung eines Streitverfahrens in den vorstehend aus der Praxis herausgegriffenen Aufforderungen des Rates durchweg nicht der Fall ist445 . Tatsächlich erweist sich die Annahme der pauschalen Ersetzbarkeit, die dem Rat die Durchsetzung seiner Aufforderung erleichtern soll, möglicherweise sogar als kontraproduktiv. Würde eine Aufforderung nach Artikel 208 EGV in ihrer Rechtswirkung die Aufforderung nach Artikel 232 Abs. 2 EGV mitumfassen, so würde sich dies nicht zum Vorteil, sondern zum Nachteil auswirken, wenn eine Aufforderung zum Ttitigwerden als Einleitung eines Vorverfahrens mißverstanden werden könnte. Dann könnte der Rat unversehens in Zugzwang geraten, nämlich vor die Entscheidung gestellt, zur Fristwahrung die Kommission tatsächlich zu verklagen oder die Klagefrist verstreichen zu lassen, in welchem Fall der Kommission ein starkes Argument gegen die Umsetzungspflicht an die Hand gegeben wäre. Im Falle einer erfolgreichen Klage stellt der Gerichtshof die vertragswidrige Untätigkeit fest, die darin besteht, daß die Kommission eine Vorschlagsvorlage unterlassen hat, obwohl sie durch Gemeinschaftsrecht dazu verpflichtet gewesen wäre. Die Kommission ist dann gemäß Artikel 233 EGV verpflichtet, die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu treffen und einen Vorschlag zu unterbreiten, wobei sie hierfür über einen angemessenen Zeitraum verfügt446 • Auch durch ein stattgebendes Urteil aber würden weder der Gerichtshof noch der Rat an die Stelle der Kommission rücken. Da mithin selbst die Feststellung vertragswidrigen Unterlassens die formelle Vorlage eines Vorschlags nicht ersetzen kann, bestätigt sich am Ende die Notwendigkeit, die Kommission vor einer inhaltlichen Bindung, wie sie bei einem Vorlagezwang nach Aufforderung für den Einzelfall nicht auszuschließen wäre, konsequent zu schützen. 442 EuGH verb. Rs. 21 bis 26/61, Slg. 1962, S. 166 (Meroni u. a./Hohe Behörde); Rs. 81/85 und 119/85, Slg. 1986, S. 1777 Rn. 15 (Usinor/Kommission). 443 Koenig/Sander; Rn. 346 f. 444 EuGH Rs. 84/82, Slg. 1984, S. 1451 (Deutschland/Kommission). 445 Siehe hierzu bereits unter I. 2. 446 Vgl. EuGH Rs. 13/83, Slg. 1985, S. 1513 Rn. 69 (Verkehrspolitik).
Dritter Teil
Der Einfluß des Europäischen Parlaments auf das Initiativrecht der Kommission Die Funktionen und die Bedeutung keines der übrigen Gemeinschaftsorgane haben sich seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 so sehr gewandelt wie die des Europäischen Parlaments. Im Verhältnis zu den Gründerjahren, in denen es über kaum nennenswerte Rechte im Rechtsetzungsverfahren verfügte, hat sich mit den bisherigen Vertragsrevisionen - der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986\ dem Unionsvertrag von 19922 , dem Amsterdamer Vertrag von 19973 und dem Vertrag von Nizza4 - ein Zuwachs an Kompetenzen ergeben, der insgesamt zu einer deutlichen Stärkung der parlamentarischen Grundlagen der Europäischen Gemeinschaft geführt hat5 . Dieser Machtzuwachs aber und insbesondere der mit der ersten Direktwahl von 1979 erhobene und seitdem ausgebaute Anspruch, als Repräsentationsorgan der Völker der Gemeinschaft und einer so vermittelten demokratischen Legitimation auch die traditionell begründete Legislativgewalt wahrzunehmen 6 , haben dazu beigetragen, daß die aktuelle Positionsbestimmung des Europäischen Parlaments immer häufiger aus der Perspektive eines nationalstaatlieh vorgeprägten Verständnisses vorgenommen wird7 • Gemessen an der herausragenden Stellung der Parlamente in den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten erscheint indessen nicht nur sein ursprünglicher Status als relativ machtloses, zudem von den staatlichen Parlamenten beschicktes Organ, sondern auch der unterdessen erreichte Entwicklungsstand rasch in einem anderen Lichte: Die über die Jahrzehnte erworbenen Rechte werden im Vergleich oftmals als unzureichend bewertet und in der Gesamtbeurteilung werden "parlamentarische Defizite der Gemeinschaft" ausgemacht, deren genauere Analyse wiederum das Fundament der Forderungen nach weiteren Kompetenzübertragungen bilden8 . Vgl. nur Corbett, Verfahren nach der Einheitlichen Europäischen Akte, S. 185 ff. Vgl. nur Dauses/Fugmann, S. 24 ff. 3 V gl. nur Simm/ Heber; S. 331 ff. 4 Vgl. nur Wiedmann, S. 211 f.; Hatje, S. 151 f. 5 Vgl. nur Jarzembowski, S. 123 f. 6 Vgl. Zieger; S. 951; Frowein, Verfassungsprinzip, S. 303 ff.; Westlake, The European Parliament, the National Parliament and the 1996 Intergovemmental Conference, S. 61. 7 Vgl. nur Bieber; Einflüsse der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Stellung des Europäischen Parlaments, S. 193 ff. und Klein, Entwicklungsperspektiven für das Europäische Parlament, S. 105 ff. 1
2
3. Teil: Einfluß des EP auf das Initiativrecht der Kommission
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Da der Europäischen Union die staatliche Souveränität fehlt, kann die Übertragung des nationalstaatlichen Modells demokratischer Parlamentssouveränität aber nur von eingeschränkter Aussagekraft sein9 . Artikel 189 EGV legt fest, daß das Europäische Parlament nur diejenigen Befugnisse ausübt, die ihm nach dem Vertrag zustehen. Insbesondere in den Rechtsetzungsverfahren ist es nicht das - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne - entscheidende Organ, sondern je nach Sachgebiet auf verschiedene Weise an der Entscheidung beteiligt. Unterscheiden lassen sich die bloße Teilnahme durch Anhörung und Mitwirkungsbefugnisse im Verfahren der Zusammenarbeit und im Mitentscheidungsverfahren. In einigen Fällen ist zur gemeinschaftlichen Rechtsetzung auch die Erteilung der Zustimmung des Parlaments erforderlich. Damit fehlt dem Europäischen Parlament sowohl das Gesetzgebungsinitiativrecht als auch die Befugnis zur endgültigen Beschlußfassung. Das fehlende Initiativrecht des Europäischen Parlaments hat im Matthews-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 18. Februar 1999 eine Rolle gespielt, in dem der Gerichtshof prüfte, ob das Europäische Parlament als "gesetzgebende Körperschaft" im Sinne des Artikels 3 des 1. Zusatz protokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK) qualifiziert werden kann. Das Vereinigte Königreich (als Beklagte) und dem in einem Minderheitenvotum folgend zwei Richter verneinten diese Eigenschaft - neben dem Hinweis auf die fehlende Alleinbefugnis in der Beschlußfassung - auch mit der Begründung, dem Europäischen Parlament fehle das Gesetzgebungsinitiativrecht. Der EGMR sah indes - zusammen mit den übrigen Rechtsetzungskompetenzen - das Aufforderungsrecht gemäß Artikel 192 Abs. 2 EGV als ausreichende Rolle im Gesetzgebungsverfahren an und bejahte den Status des Europäischen Parlament als "gesetzgebende Körperschaft". Die Tatsache, daß das Europäische Parlament weder das Recht besitzt, eigene Gesetzesvorhaben einzubringen noch die Gesetze allein zu beschließen, ist somit vom Gerichtshof nicht als entscheidender Mangel gewertet worden lO •
8 Näher dazu am Ende dieser Arbeit. Zur Diskussion um das sog. demokratische Defizit der Europäischen Gemeinschaft siehe umfassend Kluth, S. 1 ff. Zur Rolle des Europäischen Parlaments siehe die Beiträge von Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, S. 581 ff.; ders., Mit einer Aufwertung des Europa-Parlamentes ist es nicht getan, S. 13 ff.; ders., Mangel an europäischer Demokratie, S. 59 f.; ders., Krisensymptome parlamentarischer Repräsentation, S. 3 ff. Vgl. noch Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 219 f.; Zuleeg, Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, S. 1069 ff. 9 Classen, S. 238 ff. ; Du, S. 237 ff.; Ress, Europäische Union und Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften, S. 985 f.; Zuleeg, Anwendbarkeit des Parlamentarischen Systems, S. 1 ff. 10 EGMR, Urteil vom 18. Februar 1999, Matthews/Vereinigtes Königreich, im Internet abrufbar unter http://www.dhcour.coe.fr / eng / Judgments.htm, auszugsweise in Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1999, S. 308 ff. Dazu Bröhmer; S. 208 ff.; Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 226 ff.
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3. Teil, Kap. 6: Beteiligung des EP an EG-Rechtsetzung
Im Zentrum der folgenden Untersuchung stehen die parlamentarische Einflußnahme auf die Rechtsetzungsvorschläge der Kommission und die Durchsetzung von Initiativen aus der Mitte des Europäischen Parlaments. Mit seinem wachsenden Gewicht in der Gemeinschaft insgesamt, nicht nur im Bereich der Rechtsetzung, wirken die im Verhältnis zum Rat beschriebenen Verengungen des Vorschlagsrechts zunehmend auch zwischen Kommission und Parlament. Im Unterschied zum klassischen Spannungsverhältnis zwischen Vorschlagsrecht und Entscheidungsrecht, das sich aus der Abhängigkeit der Initiativen der Kommission vom politischen Umsetzungswillen der Nationalstaaten ergibt, ist hier der interinstitutionelle Hintergrund ein anderer. Zumindest bis zur Einführung des Mitentscheidungsverfahrens vermochte das Parlament aufgrund seiner unterlegenen Position nicht, die Kommission kraft der ihm zugewiesenen Legislativrechte zum Gebrauch des Vorschlagsrechts nach seinen Vorstellungen zu veranlassen. Stattdessen ist in dieser Hinsicht eine Art negative oder umgekehrte Wirkung zu registrieren: Gerade wegen der schwach ausgebildeten Rechte fand sich die Kommission oftmals dort zur politischen Kooperation bereit, wo das Parlament nach dem Vertrag noch keine Handhabe hatte. Im folgenden wird, nach einem Überblick auf die Entwicklung der parlamentarischen Legislativrechte, mit dem die Interdependenzen zwischen Parlament und Kommission aufgezeigt werden sollen (Kapitel 6), den jahrzehntelangen Bemühungen des Parlaments um ein indirektes Initiativrecht nachgegangen (Kapitel 7), welche in der wachsenden Beteiligung am Jahresgesetzgebungsprogramm mittlerweile einen strategischen Durchbruch erzielt haben (Kapitel 8) und für die richtige Einordnung des seit Maastricht vertraglich garantierten Aufforderungsrechts unverzichtbar sind (Kapitel 9). Kapitel 6
Die Beteiligung des Europäischen Parlaments an den gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren Die historische Entwicklung der gemeinschaftlichen Legislativverfahren hat das heutige Kooperationsverhältnis zwischen Parlament und Kommission im Stadium der Rechtsetzungsplanung entstehen lassen, umso nachdrücklicher, als die wachsende Einbindung des Parlaments traditionell von der politischen Unterstützung der Kommission abhing. I. Im Überblick: Vom reinen Anhörungsorgan zum partiellen Mitgesetzgeber In den ersten zwanzig Jahren besaß das Parlament in der Rechtsetzung der Europäischen Wirtschafts gemeinschaft keine Mitwirkungsrechte, sondern wurde nur in
I. Vom Anhörungsorgan zum Mitgesetzgeber
193
etwa zwanzig Fällen angehörtlI . Die Anhörung ist - abgesehen von der seltenen nachträglichen Unterrichtung 12 - die schwächste Form parlamentarischer Beteiligung. Sie gilt auch heute noch für wichtige Bereiche wie die Agrarpolitik 13 , im Wettbewerbsrecht 14 oder beim Abschluß von Abkommen mit Drittstaaten 15 . Die Kommission legt dem Rat ihren Vorschlag vor, der diesen an das Europäische Parlament weiterleitet 16 . Dessen Stellungnahme geht an den Rat, der erst nach ihrem Eingang über den Rechtsakt beschließen kann, an die Stellungnahme aber in keiner Weise gebunden ist: Eine den Vorschlag ablehnende Stellungnahme hindert daher nicht die endgültige Entscheidung, sondern erfüllt das Erfordernis der Anhörung vor Beschlußfassung. Der Rat konnte folglich ohne weiteres etwa die Verordnung über die radioaktive Belastung von Lebensmitteln beschließen, obgleich das Parlament eine Woche zuvor den Vorschlag der Kommission mit großer Mehrheit abgelehnt hatte 17 • Die ursprüngliche Rolle des Parlaments war damit denkbar schwach, zumal der Vertrag auch keine optionale Anhörung vorsah, so daß in vielen Fällen die Rechtsetzung vollständig ohne seine Einbeziehung erfolgte 18 • Aus der ursprünglichen Ausgestaltung des Anhörungsverfahrens resultierte eine spezielle Abhängigkeit des Parlaments vom Verhalten der Kommission, weil diese mit der Formulierung des Vorschlags einen weitaus stärkeren Einfluß auf die vom Rat zu beschließende endgültige Gestalt des Rechtsakts nehmen kann 19 • Bis zur Beschlußfassung steht es der Kommission frei, ihren Vorschlag im Sinne der Stellungnahme des Parlaments zu ändern. Sofern sie die Änderungswünsche nicht berücksichtigt, können diese nur noch durch einstimmigen Beschluß des Rates in den Rechtsakt aufgenommen werden. In der Praxis ist diese Konstellation allerdings eine seltene 11 Für eine Auflistung der Fälle, in denen im Gründungsvertrag die Anhörung vorgeschrieben war, vgl. Grabitz/Läufer; S. 124. Für den aktuellen Anwendungsbereich vgl. Gündisch/ Mathijsen, im Anhang, Tabelle I, S. 227 f. 12 Artikel 99 Abs. 2 EGV (Unterrichtung über die Koordinierung der Wirtschaftspolitik); Artikel 300 Abs. 2 EGV (Unterrichtung über Anwendung und Aussetzung eines Abkommens mit Drittstaaten). 13 Vgl. Artikel 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGY. 14 Vgl. Artikel 83 Abs. 1 EGY. 15 Vgl. Artikel 300 Abs. 3 EGY. 16 Das Anhörungsverfahren umfaßt zumeist die Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen, die im folgenden aber unberücksichtigt bleiben. 17 Vgl. ABI. 1988 Nr. L 371, S. 4 und ABI. 1988 Nr. C 13, S. 32. Das Europäische Parlament griff anschließend die Verordnung Nr. 3945/87 vor dem Europäischen Gerichtshof an, stützte die Nichtigkeitsklage nicht etwa aber auf seine Zurückweisung des Kommissionsvorschlags, sondern auf die seiner Meinung nach falsche Rechtsgrundlage, Europäisches Parlament/Rat Rs. 70/88, teilweise abgedruckt in Common Market Law Review 1992, S. 91 ff. IS Siehe dazu Grabitz/ Läufer; S. 124. 19 Vgl. Bieber; Einwirkung des Europäischen Parlaments auf die Rechtsetzung, S. 76.
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3. Teil, Kap. 6: Beteiligung des EP an EG-Rechtsetzung
Ausnahme geblieben2o • Selbst aber wenn die Kommission nach der Stellungnahme ihren Vorschlag entsprechend ändert, bleibt es dem Rat möglich, seinerseits die Kommission wiederum zur Streichung dieser Änderungen zu bewegen oder diese durch Einstimmigkeit zu überstimmen. In jedem Fall ist darum das Parlament auf eine enge Verbindung zur Kommission angewiesen. Im Laufe der ersten Jahre gemeinschaftlicher Rechtsetzung hat das Parlament aus dieser marginalen Beteiligung durch zähe Kleinarbeit ein Zusammenwirken aller drei Rechtsetzungsorgane vorangetrieben, das zwar weder zu einem bindenden Charakter seiner Stellungnahmen geführt noch die Abhängigkeit von der Kommission beseitigt hat, insgesamt aber eine stärkere politische Berücksichtigung seiner Änderungswünsche zeitigte21 • Auf diesem Weg erscheint die Umbenennung von "Versammlung" in "Europäisches Parlament" als erster Schritt; nicht nur, weil die Namensänderung Identität und Selbstverständnis symbolisiert, sondern weil die Geschichte der Bezeichnung des Parlaments nachgerade parallel zu seiner schrittweisen Aufwertung im institutionellen Gefüge der Gemeinschaft verlaufen ist. Da das Parlament in den Gründungsverträgen einheitlich als "Versammlung" bezeichnet wurde22 , hatte es bereits im Jahre 1962 die Bezeichnung "Europäisches Parlament" mit der ausdrücklichen Absicht angenommen, seinem politischen Anspruch auf Verstärkung und Erweiterung seiner Befugnisse Ausdruck zu verleihen 23 . Während die Kommission und der Gerichtshof den neuen Namen ohne förmliche Erklärung übernahmen 24 , bestanden die Mitgliedstaaten für alle Rechtsakte auf der ursprünglichen Bezeichnung. Auch ohne offizielle Bestätigung setzte sich der neue Name im allgemeinen Sprachgebrauch aber relativ rasch durch. Und nachdem der Rat noch fünfzehn Jahre später die Übernahme in die Verträge abgelehnt hatte25 , erkannten die Mitgliedstaaten den neuen Namen mit der Einheitlichen Europäischen Akte - offenbar auf Drängen der damaligen deutschen Bundesregierung26 - förmlich an. Gemäß Artikel 3 Abs. 1 i. V. m. Artikel 32 EEA wurde die Bezeichnung "Versammlung" im primären Gemeinschaftsrecht durch "Europäisches Parlament" ersetzt. Dieser jahrzehntelange Streit, der stets im Lichte der allgemeinen Wertschätzung des ParKapteynlVerLoren van ThemaatlGormley, S. 218. Würmeling, Legislativer Trilog, S. 4. VgL auch Oppermann, Europarecht, Rn. 264. 22 Nach Abschluß des EGKS-Vertrags trat das Parlament zum ersten Mal am 10. September 1952 unter dem Namen "Gemeinsame Versammlung" zusammen. 23 Entschließung des Parlaments vom 30.3. 1962, ABI. 1962, Nr. 31, S. 1045. Der Begriff der Versammlung wurde aus dem französischen "assemblee" übernommen, in dem er keinen abwertenden Unterton enthält, während im englischen der Begriff der "assembly" mit einem "Debattierc1ub", einer talking chamber, in Verbindung gebracht werden kann, dazu Lodge, The European Parliament, S. 59. 24 BieberlPantalislSchoo, S. 767. VgL auch EuGH Rs. 3/66, Slg. 1966, S. 437 (Altieril EP). 25 VgL dazu die Erklärung des Rates in Bulletin-EG 4-1976, S. 88. 26 VgL Lodge, Single European Act, S. 214. 20
21
1. Vom Anhörungsorgan zum Mitgesetzgeber
195
laments geführt wurde 27 , mündete somit neben der tatsächlichen Rechteerweiterung in der Einheitlichen Europäischen Akte endlich in einer symbolkräftigen pqlitischen Anerkennung. Absurderweise wurde die Umbenennung aber nicht konsequent vollzogen. In der für den Status grundlegenden Vorschrift des Artikels 137 EWGV 28 blieb weiterhin von "Versammlung" die Rede, so daß zwischen den Jahren 1987 und 1993 im Primärrecht zwei Bezeichnungen für ein und dasselbe Organ nebeneinander Bestand hatten 29 . Erst mit dem Unionsvertrag von Maastricht setzte sich die neue Bezeichnung endgültig durch. Gleichzeitig änderte sich der primärrechtliche Auftrag des Parlaments: Bestand dieser bis dahin nach Artikel 137 EWGV in "Beratungs- und Kontrollbefugnissen", so verweist der heutige Artikel 189 EGVauf die "Befugnisse, die ihm nach diesem Vertrag zustehen", und dies sind nicht nur Beratung und Kontrolle, sondern Mitentscheidung bei der Rechtsetzung und bei der Feststellung des Haushaltsentwurfs. Auch diese Neufassung versinnbildlichte die Fortentwicklung, indem sie anzeigt, daß sich die Beteiligung des Parlaments nicht mehr auf Beratung und Kontrolle beschränkt, selbst allerdings keine Kompetenznorm darstellt3o. Mit dem Unionsvertrag von Maastricht hat die politische Auseinandersetzung um die Benennung der Volkervertretung auf Gemeinschaftsebene vertragstechnisch ihren definitiven Ausgang erreicht. Seitdem weisen die Stellen, an denen sich im Primärrecht bis heute Spuren des ursprünglichen Namens finden - wie in Artikel 107 Euratom-Vertrag31 - eigentlich nur mehr auf das redaktionelle Bedürfnis um eine einheitliche Fassung hin. Ein wenig aber zeugen sie weiterhin vom Symbolcharakter und dem für das Selbstbewußtsein des Parlaments bedeutenden Erfolg, sich gegen den Willen der Mitgliedstaaten durchgesetzt zu haben. Die stärkere Einbindung des Parlaments in den Anhörungsverfahren folgte anfangs aus seiner Ausweitung auf Handlungsermächtigungen im EG-Vertrag, die keine Parlamentsbeteiligung vorsahen. So erreichte das Parlament bereits Mitte der sechziger Jahre, daß sich die fakultative Anhörung für alle wesentlichen Rechtsakte und Programme einbürgerte. Diese Ausweitung konnte sich wenig später zusätzlich auf eine Selbstverpflichtung der Kommission stützen, dem Rat die Anhörung des Parlaments generell in allen Fällen vorzuschlagen, in denen der Vertrag keine Anhörung vorschreibt32 . Wenngleich anfangs nicht in dem geforderten 27 Die frühere britische Premierministerin Margret Thatcher hat auch nach der offiziellen Anerkennung weiterhin beharrlich von der "assembly" gesprochen, dazu Lodge, The European Parliament, S. 59. 28 Artikel 189 EGV n. F. 29 Heintzen, S. 378. 30 Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 222. 31 "Das Europäische Parlament besteht aus Vertretern der V6lker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten; sie übt die Beratungs- und Kontrollbefugnisse aus, die ihr nach diesem Vertrag zustehen." (Hervorhebung d. Verf.). 32 Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament vom 30.5.1973, abgedruckt bei Grabitz/Läujer; S. 644.
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3. Teil, Kap. 6: Beteiligung des EP an EG-Rechtsetzung
Umfang, hat der Rat dem konzertierten Drängen mit der Zeit nachgegeben und leitet mittlerweile sämtliche Kommissionsvorschläge dem Parlament zu - allerdings ohne diese Praxis in den EG-Vertrag aufzunehmen 33 . Ende der 70er Jahre konnte die Anhörung, wiewohl weiterhin ohne inhaltlichen Berücksichtigungszwang, zu einem taktischen Mittel ausgebaut werden, um die Übernahme von Änderungswünschen nachdrücklicher zu verlangen. Mit dem bereits angesprochenen Urteil Chemiefanna bestätigte der Gerichtshof die in Artikel 62 der Geschäftsordnung des Parlaments34 zum Ausdruck kommende Auffassung, wonach dieses bei einer wesentlichen Änderung des Beschlußtextes durch die Kommission oder den Rat nach Abgabe der Stellungnahme erneut zu konsultieren sei, bevor der Rat den Rechtsakt verabschieden dürfe 35 . Dieses Urteil kräftigte die rechtlich unverbindliche Stellungnahme - obwohl sich in seiner Folge gelegentlich Streit um die "Wesentlichkeit" einer Änderung entzündete36 -, weil es verdeutlichte, daß der Stellungnahme aufgrund des politischen Gewichts des Parlaments gebührend Rechnung zu tragen sei. Wichtiger noch als die Handhabe einer zweiten Stellungnahme wurde die Erklärung der Kommission, grundSätzlich sämtliche Änderungswünsche des Parlaments in ihren Vorschlag aufzunehmen, mit denen sie sich einverstanden erklärte37 • Dies erlaubte dem Parlament, zumindest einen Teil seiner Änderungsvorschläge in die Vorlage einfügen zu lassen, über die der Rat zu beschließen hatte - womit ausnahmsweise ein indirekter Weg deutlich mehr Wirkung erzielte als die direkte Stellungnahme. Auf der politischen Ebene beförderte dieses Zusammenspiel mit der Kommission den Wandel des Abhängigkeitsverhältnisses zu einem Klima der politischen Kooperation, das es dem Parlament ermöglichte, auch auf den Rat merklich mehr Einfluß zu nehmen, als es das ursprüngliche Prozedere getreu dem Vertragswortlaut verheißen hatte 38 . Der Stellenwert der parlamentarischen Stellungnahmen wurde ein weiteres Mal durch die Rechtsprechung gekräftigt. In zwei verbundenen Rechtssachen - der Isoglukose-Rechtsprechung - traf der Gerichtshof die Feststellung, die Anhörung des Parlaments 33 Diese Praxis hat das Europäische Parlament bislang erfolglos in den EG-Vertrag aufzunehmen gefordert, vgl. dazu Raworth, S. 38. 34 Artikel 71 GO-EP n. F. 35 EuGH RS 41/69 Sig. 1970, S. 661 (Chemiefarrna), 3. Leitsatz: "Hat der Rat pflichtgemäß das Parlament zu einem von der Kommission vorgelegten Verordnungsentwurf gehört und sodann dessen Wortlaut geändert, so braucht er das Parlament nicht erneut zu hören, wenn diese Änderung den Verordnungsentwurf im ganzen nicht in seiner Substanz berührt." Seitdem ständige Rechtsprechung, siehe dazu bereits in Kapitel 2 unter I. 2. b). 36 Vgl. dazu die Auseinandersetzung zwischen Parlament und Rat im Fall der Verordnung betreffend die gemeinsame Marktorganisation für Wein. Nachweise bei Bieber; Einwirkung des Parlaments auf die Rechtsetzung, S. 78. 37 Vgl. zur Bereitschaft der Kommission die Erklärung vom 9. Juli 1981 über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat, Punkt 8, S. 2. Dazu näher Westlake, A modem guide to the European Parliament, S. 135, der auf die politischen Interessen der Kommission eingeht. 38 Ausführlich Westlake, A modem guide to the European Parliament, S. 135 f.
I. Vorn Anhörungsorgan zum Mitgesetzgeber
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"ist für das vom Vertrag gewollte institutionelle Gleichgewicht wesentlich. Sie spiegelt auf Gemeinschaftsebene ( ... ) ein grundlegendes demokratisches Prinzip wider, nach dem die V6lker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind,,39. Diesem Prinzip sei nur Genüge getan, wenn das Parlament seiner Auffassung tatsächlich Ausdruck verleihe, nicht bereits dann, wenn der Rat es um Stellungnahme ersuche. Die Anhörung wurde mithin als ein wesentliches Formerfordernis im Sinne der Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 230 EGV anerkannt, deren Verletzung die Nichtigkeit des Rechtsaktes zur Folge hat. Da die Stellungnahme aber nicht innerhalb einer festgesetzten Frist erfolgen mußte, sah sich das Parlament befugt, auf die Kommission verstärkten Druck auszuüben, seine Änderungswünsche zu übernehmen: In der Geschäftsordnung ist vorgesehen, eine Stellungnahme zu einem Kommissionsvorschlag erst abzugeben, wenn diese ihrerseits zu den Änderungsvorschlägen des Parlaments Position bezogen hat4o . Sofern die Kommission die geforderten Änderungen ablehnt, kann das Parlament mit der Verzögerung seiner Stellungnahme drohen, die Angelegenheit an den zuständigen Ausschuß zurückverweisen und dadurch die Beschlußfassung durch den Rat aufhalten. Obgleich der Gerichtshof offen ließ, inwieweit aus dem Erfordernis der Anhörung umgekehrt eine Pflicht zur Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist abzuleiten ist41 und trotz einiger Gelegenheiten auch in der Folge diese Frage nicht entschied42, wurde in der Literatur die Berechtigung zu einer unbegrenzten Verweigerung verneint43 . Entsprechend hatte das Parlament vermieden - wenngleich es bisweilen bei dringenden oder fest terminierten Gesetzesvorhaben die Möglichkeit einer Verzögerung (power of delay) gelegentlich durchaus als Druckmittel eingesetzt hat44 -, zu häufig eine Blockadehal39 EuGH Rs. 138/79 (Roquette/Rat) und 139/79 (Maizena/Rat), Slg. 1980, S. 3333, 3399, teilweise abgedruckt in Europarecht 1981, S. 49, mit Anmerkungen von Beutler. 40 Zum Verfahrensablauf siehe Artikel 69 GO-EP. 41 In beiden Fällen hat der Gerichtshof die Festsetzung von Produktionsquoten auf dem Isoglukosemarkt für nichtig erklärt. Der Rat hatte die Verordnung ohne Anhörung des Parlaments beschlossen, ohne von der Möglichkeit einer Sondersitzung des Parlaments respektive des Dringlichkeitsverfahrens Gebrauch zu machen. 42 VgI. die Nachweise bei Westlake, A modem guide to the European Parliament, S. 136. 43 Der Rat ging davon aus, daß er bei einer unberechtigten Verweigerung des Parlaments befugt sei, nach Ablauf einer bestimmten Frist auch ohne Stellungnahme des Parlaments zu beschließen, siehe dazu die Präambel VO Nr. 1992/83, ABI. 1983 Nr. L 196, S. 1. Das Parlament hat diesen Standpunkt bestritten. Dagegen wurde in der Literatur geltend gemacht, daß eine unbegrenzte Verweigerung einern absoluten Veto gleichkomme, welches wegen der Unterscheidung zwischen Entscheidungs- und Anhörungsbefugnissen weder mit dem Wortlaut noch der Systematik des Vertrags vereinbarer wäre. Im einzelnen Freestone / Davidson, S. 77 und 98. Anderer Ansicht ist Bleckmann, Demokratieprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 169 f., wonach das Demokratieprinzip verlange, daß sich die Entscheidung des Rates in seiner Grundlinie auf die Zustimmung des Parlaments stützen müsse. 44 Etwa in Zusammenhang mit dem für den 1. Juli 1990 bestimmten Eintritt in die erste Phase der Wirtschafts- und Wlihrungsunion. Siehe dazu mit Beispielen näher Corbett / Jacobs / Shackleton, S. 192.
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3. Teil, Kap. 6: Beteiligung des EP an EG-Rechtsetzung
tung einzunehmen, um die Übernahme seiner Änderungswünsche durchzusetzen45 . Es ist denn auch mehr die Zurückhaltung des Parlaments, dieses Mittel nicht auszureizen46 , als das Machtpotential, das Legislativverfahren unter Umständen empfindlich zu verzögern, das zu seiner Stärkung vis-a-vis dem Rat und zur verbesserten Zusammenarbeit mit der Kommission beigetragen hat. Mittlerweile hat der Gerichtshof die Auffassung bestätigt, daß das Parlament seine Verpflichtung zur redlichen Zusammenarbeit zwischen den Organen verletzen würde, wenn es trotz anerkannter Dringlichkeit seine Stellungnahme nicht abgibt. Eine solche Pflichtverletzung kann den Rat berechtigen, den Rechtsakt ausnahmsweise zu erlassen, ohne die Stellungnahme abzuwarten47 • Ein weiterer Fortschritt gelang mit der Verständigung auf das Konzertierungsverfahren im Jahr 1975, wenn der Rat bei Anhörungsverfahren von allgemeiner, vor allem finanzieller Tragweite von der parlamentarischen Stellungnahme abweichen möchte48 . Das Konzertierungsverfahren hängt eng mit den Haushaltsrechten zusammen, die das Parlament in zwei Schritten zwischen 1970 und 1975 übertragen bekam. Im Konzertierungsverfahren verpflichteten sich Kommission, Rat und Parlament, in einem gemeinsamen Gremium, dem "Dreier-Ausschuß", binnen dreier Monate ihre Standpunkte anzunähern. Sofern die Annäherung gelingt, gibt das Parlament eine zweite Stellungnahme ab, und der Rat beschließt anschließend endgültig. Obgleich das Konzertierungsverfahren selbst nicht den Erfolg zeitigte, den seine Einrichtung aus Sicht des Parlaments erwarten ließ49 , ging vom ihm eine wichtige Initialwirkung aus. Zum einen führte das Konzertierungsverfahren zu direkten Verhandlungen mit dem Rat, wodurch das Parlament seine Haltung nachdrücklicher zur Geltung bringen konnte und zum anderen diente es der Vorbereitung des zehn Jahre später eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit5o . Vgl. Westlake, A modern guide to the European Parliament, S. l36. In seiner Geschäftsordnung hat das Parlament vorgesehen, daß der zuständige Ausschuß innerhalb von zwei Monaten seinen Bericht abgeben muß, wenn die Kommission ankündigt, den Änderungsvorschlägen nicht nachzukommen, Artikel 69 GO-EP. Das Parlament kann sich diese Frist selbst verlängern, Artikel 68 Abs. 4 GO-EP. 47 EuGH C-65193, Slg. 1995-1, S. 643 (EP/Rat). Generalanwalt Tesauro hat in seinen Schlussanträgen die gegenteilige Auffassung vertreten. In dem zwischen dem Parlament und der Kommission im März 1995 vereinbarten Verhaltenskodex hat sich das Parlament verpflichtet, zur Verbesserung der legislativen Rahmenplanung "eine angemessene First einzuhalten, um seine Stellungnahme in der ersten Lesung der Verfahren der Zusammenarbeit und der Mitentscheidung oder seine Stellungnahmen im einfachen Konsultationsverfahren abzugeben", ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69 Punkt 9. 48 Gemeinsame Erklärung des Parlaments, des Rates und der Kommission vorn 4. März 1975 über die Einführung eines Konzertierungsverfahrens, ABI. 1975 Nr. C 89, S. 1. Siehe Artikel 72 GO-EP. 49 Eine Annäherung der Standpunkte scheiterte regelmäßig, wenn der Rat bereits einen Komprorniß gefunden hatte. Siehe näher Bieber, Einwirkung des Europäischen Parlaments auf die Rechtsetzung, S. 82. 50 Vgl. Kühner, S. 29. 45
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Dem Verfahren der Zusammenarbeit ging die Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Parlaments voraus 51 , die eine erhebliche Verstärkung seines Ansehens schuf, ohne daß sich dieses schon primärrechtlich bemerkbar machte. Im Zusammenarbeitsverfahren, das in die Einheitliche Europäische Akte von 1986 speziell für den Erlaß von Rechtsakten zur Vollendung des Binnenmarktes aufgenommen wurde, sind die parlamentarischen Befugnisse stärker als bei der Anhörung. Allerdings hat es mit der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens und dessen Ausweitung durch den Amsterdamer Vertrag und den Vertrag von Nizza stark an Bedeutung verloren und gilt heute nur noch in vier Bereichen des Titels VII über die Wirtschafts- und Wahrungspolitik52 . Im Zu sammenarbeitsverfahren legt der Rat nach der Stellungnahme des Parlaments zunächst einen gemeinsamen Standpunkt fest, zu dem sich das Parlament noch einmal äußern kann. In der zweiten Lesung kann das Parlament den gemeinsamen Standpunkt zurückweisen, wenn der Rat seine Änderungsvorschläge nicht berücksichtigt. Auch durch die Ablehnung aber kann das Parlament den Rechtsakt nicht verhindern, wenn der Rat daraufhin einstimmig beschließt; die Beschlußfassungskompetenz verbleibt daher beim Rat. Trotz der formal unterlegenen Stellung räumt die Möglichkeit der Zurückweisung des gemeinsamen Standpunktes dem Parlament de facta eine starke Stellung ein. In der Praxis hat sich die Ablehnung des gemeinsamen Standpunktes gelegentlich als unüberwindbar und somit als verkapptes Vetorecht erwiesen53 . Im Vergleich zum Anhörungsverfahren gewinnt die Stellungnahme schließlich auch dadurch an Bedeutung, daß sowohl die Kommission als auch der Rat die Nichtübernahme von Änderungswünschen des Parlaments begründen müssen. Das Zusammenarbeitsverfahren hatte zwar das Gewicht des Parlaments und damit auch seiner Änderungsvorschläge in den Konsultationsverfahren gesteigert, aber nicht die Abhängigkeit vom Wohlverhalten der Kommission beseitigt. Wenn die Kommission die Änderungswünsche nicht übernimmt, ist deren Einfügung auch weiterhin nur durch einstimmige Vorschlagsänderung im Rat möglich. Die Kommission blieb daher der entscheidende Partner des Parlaments54 • Vor allem aus diesem Grund war das Parlament mit der Konstruktion des Zusarnmenarbeitsverfahrens nicht zufrieden und hatte mit dem "Entwurf eines Vertrages zur Grün51 ABI. 1976 Nr. L 278, S. 1. Die erste Direktwahl entsprach im wesentlichen dem Entwurf des Europäischen Parlaments aus dem Jahre 1975, ABI. 1975 Nr. C 32, S. 15. 52 Artikel 99 Abs. 5 EGV: Festlegung der Einzelheiten des Verfahrens der multilateralen Überwachung der wirtschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedstaaten. Artikel 102 Abs. 2 EGV: Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Maßnahmen zur Untersagung des bevorrechtigten Zugangs zu den Finanzinstituten. Artikel 103 Abs. 2 EGV: Festlegung von Definitionen für die Anwendung der in den Artikeln 101 und 103 vorgesehenen Verbote (Überziehungskredite, Haftung für Verbindlichkeiten). Artikel 106 Abs. 2 EGV: Festlegung von Maßnahmen, um die Stückelung und technischen Merkmale der Münzen zu harmonisieren. 53 Siehe etwa die Zurückweisung in Zweiter Lesung des Entwurfs einer Richtlinie zum Schutz von Arbeitern vor dem Kontakt mit Benzol im Oktober 1988, dazu Raworth, S. 40. 54 Kapteyn/VerLoren van Themaat/Gormley, S. 218 f.
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dung der Europäischen Union" vom 14. Dezember 1984 als zukünftiges Gesetzgebungsmodell die gleichberechtigte Mitentscheidung von Rat und Parlament vorgeschlagen55 • Nachdem es sich damit nicht durchsetzen konnte, kündigte das Parlament in einer Entschließung an, zumindest die ihm zur Verfügung stehenden Einflußmöglichkeiten in vollem Umfang auszuschöpfen56 . Diese Ankündigung hat das Parlament - nach eigener Einschätzung - auch wahr gemacht und die Kompetenzen im Zusammenarbeitsverfahren bis zur Maastrichter Vertragsrevisionskonferenz im großen und ganzen wirkungsvoll ausgenutz~7. Ein veritabler Durchbruch in den Bemühungen um eine dem Rat vergleichbare Stellung im Rechtsetzungsverfahren gelang mit dem in den Unionsvertrag eingeführten und seitdem in seinem Anwendungsbereich ausgeweiteten Mitentscheidungsverfahren, das der Einrichtung eines Zwei-Kammer-Systems, wie es vom Parlament im Vorfeld der Verhandlungen gefordert worden war58 , bereits sehr nahe kommt59 • Ursprünglich hatten einige Mitgliedstaaten sogar beabsichtigt, für die gesamte Gesetzgebung generell eine Mitentscheidung des Parlaments einzurichten, um das demokratische Defizit auf Gemeinschaftsebene zu vennindem60 • Das Mitentscheidungsverfahren geht in entscheidenden Elementen über das Zusammenarbeitsverfahren hinaus und führt zum Erlaß eines gemeinsamen Rechtsaktes von Parlament und Rat. Bei unterschiedlichen Standpunkten zwischen Rat und Parlament über die endgültige Gestalt des Rechtsakts tritt ein Vermittlungsausschuß zusammen, so daß nur noch bei einer Einigung der Vertreter beider Organe eine Gemeinschaftsregelung zustande kommt. Symptomatisch für diese Entwicklung ist, daß das neue Rechtsetzungsverfahren auf den auf den bereits gemachten Erfahrungen im Zusammenspiel der Organe aufbaut. Die Verfahren der Zusammenarbeit und der Mitentscheidung sind bis zur Festlegung des gemeinsamen Standpunktes im Rat mit dem Anhörungsverfahren nahezu identisch61 . Im Vergleich zu den bislang bekannten Rechtsetzungsverfahren ist die Abhängigkeit von der Kommission deutlich zurückgeführt worden, da 55 ABI. 1984 Nr. C 7, S. 33. Umfassend hierzu Schwarze/Bieber; Verfassung für Europa; Capotortil Hilf/ Jacobs / Jacque, Vertrag zur Gründung einer Europäischen Union. 56 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. 1. 1986, ABI. 1986 Nr. C 36, S.142. 57 Bericht des Institutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments über die Ergebnisse der Regierungskonferenz von Maastricht, A 3 - 0 123/92, S. 227 f. 58 Siehe hierzu die Martin-Berichte ABI. 1990 Nr. C 96, S. 114 ff. (Martin I), ABI. 1990 Nr. C 231, S. 97 ff. (Martin 11); ABI. 1990 Nr. C 324 S. 219 ff. (Martin III). 59 von Wogau, S. 459 ff. 60 Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 251 EGV Rn. l. 61 Die einzige Abweichung folgt aus Artikel 251 Abs. 2 EGV, wonach die Kommission ihren Vorschlag nicht mehr nur dem Rat, sondern gleichzeitig dem Parlament unterbreitet. Praktisch bringt dies kaum Veränderung, doch ist der symbolische Wert gewürdigt worden, Dashwood, Community Legislative Procedures, S. 352. Die gleichzeitige Vorlage soll die Gleichberechtigung von Rat und Parlament versinnbildlichen.
I. Vom Anhörungsorgan zum Mitgesetzgeber
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das Parlament seine Änderungswünsche selbst vorträgt und verteidigt. Hinzu kommt die in Kapitel 2 bereits gewürdigte Neuheit, daß die Änderung von Kommissionsvorschlägen nicht mehr nur durch einstimmigen Ratsbeschluß erfolgen kann62 . Im Vertrag von Maastricht lag der Anwendungsbereich schwerpunktmäßig auf dem Binnenmarkt, vor allem der Freizügigkeit, der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit und der Rechtsangleichung, aber auch in weiteren Politikfeldern wie im Bildungs-, Kultur- und Gesundheitssektor63 . Der Amsterdamer Vertrag von 1997 hat zwar - zum ersten Mal in der Geschichte der großen Vertragsrevisionen - kein neues Rechtsetzungsverfahren eingeführt, aber dennoch die parlamentarischen Mitwirkungsbefugnisse massiv gestärkt, zum ersten durch die vom Parlament zuvor in zahlreichen Entschließungen64 eingeforderte Strukturvereinfachung des Mitentscheidungsverfahrens 65 und zum zweiten mit der Ausweitung von 15 auf 38 Anwendungsfälle66 • Vor diesem Hintergrund ist die These, der Vertrag von Amsterdam habe zuallererst eine deutliche Stärkung des Europäischen Parlaments bewirkt67 , sicher begründet68 • Im Vertrag von Nizza69 , der nach teilweise unbefriedigenden Ergebnissen des Gipfels von Amsterdam70 die Voraussetzungen für eine Erweiterung der Europäischen Union schaffen sollte, indem die Gemeinschaft einer institutionellen Refonn und einer den Anforderungen an eine über zwanzig Mitglieder zählende Union gerecht werdende Anpassung der EntVgl. Artikel 251 Abs. 3 EGV, siehe dazu bereits in Kapitel 2 unter I. 1. Gündisch/Mathijsen, S. 149 f. 64 Nachweise bei Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 251 EGV Rn. 4 ff. 65 Vgl. hierzu die gemeinsame Erklärung zu den Durchführungsmodalitäten des neuen Verfahrens der Mitentscheidung, ABI 1999 Nr. C 279, S. 165. Die wesentlichen Neuerungen sind: Ein Rechtsakt nach Artikel 251 EGV kommt nur bei Einigung zwischen Parlament und Rat zustande. Parlament und Rat können bereits in der 1. Lesung den Rechtsakt annehmen. Der Verhandlungsspielraum des Vermittlungsausschusses ist präzisiert worden. Näher hierzu Simm/Heber, S. 332 ff.; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 251 EGV Rn. 4 ff.; Bieber, Reformen der Institutionen und Verfahren, S. 244. 66 Die bisherigen Anwendungsfalle konzentrierten sich auf einige Teile der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie, als wichtigstem Gebiet, auf die Harmonisierung der Rechtsvorschriften für die Errichtung des Binnenmarktes. Die erstgenannten Bereiche wurden in Amsterdam erweitert. Neu hinzugekommen sind unter anderem die Verkehrspolitik, das Gesundheitswesen und Zuständigkeiten grundsätzlicher Art, wie im Bereich der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und im Bereich der Unionsbürgerschaft. Nach einer fünfjährigen Übergangsphase, also ab 2004, kommen Teile der Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik und andere Politiken betreffend den Personenverkehr hinzu. Für eine komplette Übersicht siehe Gündisch/Mathijsen in der Anlage. 67 Neuhold, S. 97. 68 Nickel, S. 219 ff.; Simm/Heber, S. 332. Differenzierend Hilf, Amsterdam, S. 358. 69 Für einen Überblick siehe Wiedmann, S. 185 ff. 70 Damit sind die sog. left-overs angesprochen: Die mögliche Ausweitung von Mehrheitsbeschlüssen, die Frage nach einer stärkeren Berücksichtigung der Bevölkerungszahl der Länder bei Entscheidungen im Rat, die Struktur der Kommission und die Vorbereitung der Vergemeinschaftung weiterer Materien aus der Dritten und Zweiten Säule. 62
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scheidungsverfahren unterzogen wird, ist im Zuge der umfassenden Ausweitung von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen des Rates 7 ! die Einführung von sechs weiteren Mitentscheidungsverfahren beschlossen worden72 . Die das Parlament betreffenden institutionellen Änderungen konzentrieren sich im übrigen auf die Anpassung der Abgeordnetenzahlen an die Erweiterung 73. Ein bislang noch wenig beachtetes, gleichwohl für die interinstitutionelle Standortbestimmung erhebliches Ergebnis bedeutet die Gleichstellung des Parlaments mit dem Rat und der Kommission sowie den Mitgliedstaaten im Klagesystem des Gemeinschaftsrechts. Das Parlament ist danach berechtigt, gegen Handlungen der Organe eine Nichtigkeitsklage zu erheben, ohne ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis nachweisen zu müssen74 . Nach jahrzehntelangem Ringen um Waffengleichheit im Rechtsschutzsystem hat das Parlament damit auch auf dieser Ebene eine wesentliche Stärkung erfahren, die umso beachtlicher ist, als sich auch im Klagerecht des Parlaments bzw. in seiner Entwicklung seit Mitte der 80er Jahre die Veränderungen widerspiegeln, die insgesamt im Gefüge der europäischen Institutionen beobachtet werden75 . Schließlich ist das Zustimmungsverfahren zu nennen, in dem das Parlament einem Beschluß des Rates zustimmen muß. Änderungen kann das Parlament allerdings nicht vornehmen. Das Zustimmungsverfahren wurde mit der EEA eingeführt und galt zunächst für den Beitritt neuer Mitgliedstaaten76 und bei Assoziierungsabkommen 77 . Durch den Maastricht-Vertrag ist es für bestimmte Kooperationsabkommen78 und in der Währungspolitik für einen Fall ausgedehnt worden79 . Auch hier handelt es sich um eine wichtige Positionsstärkung, um die das Parlament bereits seit den 60er Jahren gerungen hatte 8o .
Hatje, S. 154 f. Siehe Artikel 13 Abs. 2 EGV; Artikel 67 Abs. 5 1. Spiegelstrich EGV; Artikel 67 Abs. 5 2. Spiegelstrich EGV (allerdings unter einer Bedingung); Artikel 157 Abs. 3 EGV; Artikel 159 Abs. 3 EGV; Artikel 191 EGV, jeweils in der Fassung von Nizza. 73 Zu den Einzelheiten siehe Hatje, S. 151 ff. 74 Artikel 230 Abs. 2 EGV in der Fassung von Nizza. Außerdem kann das Parlament, wie die Kommission und der Rat, künftig ein Gutachten des Gerichtshofs einholen, um die Vereinbarkeit eines internationalen Abkommens mit dem EG-Vertrag prüfen zu lassen, Art. 300 Abs. 6 EGV n. F. 75 Näher Hatje, S. 176; Hilf, KIagerecht, S. 273 ff. 76 V gl. Artikel 49 EUV. 77 V gl. Artikel 300 Abs. 3 EGV. 78 Vgl. Artikel 310 EGVi.Y.m. Artikel 300 EGV. 79 Artikel 105 Abs. 6 EGY. 80 Oppermann, Europarecht, Rn. 270. Die Zustimmung des Europäischen Parlaments ist auch für die Neuordnung von Strukturfonds gemäß Artikel 161 EGV und für den Entwurf eines einheitlichen Walilrechts nach Artikel 190 EGVerforderlich. 71
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11. Wechselseitige Abhängigkeit zwischen Kommission und EP
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11. Einige Prämissen: Zur wechselseitigen Abhängigkeit von Kommission und Parlament
Die Refonnen durch die Einheitliche Europäische Akte, den Maastricht-Vertrag und den Amsterdamer Vertrag haben auch insofern eine kontinuierliche parlamentarische Aufwertung bewirkt, als sie das Parlament in die Position eines klassischen Kontrollorgans gegenüber der Exekutive gebracht haben 8 !. Das Investiturrecht nach Artikel 214 EGy82, das Recht zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 193 EGy83 , die beide erst mit der Maastrichter Yertragsrefonn eingeführt wurden, das Fragerecht nach Artikel 197 EGY, die Möglichkeit eines Mißtrauensvotums gegen die Kommission nach Artikel 201 EGY und die Entlastung für die Ausführung des Haushaltsplans nach Artikel 206 EGy84 sind seine wichtigsten Kontrollrechte. Die für die interinstitutionellen Beziehungen im Legislativverfahren kennzeichnende Abhängigkeit des Parlaments vom Wohlverhalten der Kommission hat daher gleichsam eine Spiegelseite, nämlich deren parlamentarische Yerantwortlichkeit85 . Das wichtigste alltägliche Kontrollmittel ist das Fragerecht gemäß Artikel 197 UAbs. 3 EGY, das die Kommissare verpflichtet, auf Anfragen eine schriftliche oder mündliche Stellungnahme abzugeben 86 . Pro Jahr werden im Schnitt nicht weniger als 5000 Anfragen an die Kommission gerichtet87 • Ferner erörtert das Europäische Parlament den jährlichen Gesamtbericht der Kommission 88 , sonstige Jahresberichte 89 und inzwischen gewohnheitsrechtlich auch das laufende jährliche Tätigkeitsprogramm der Kommission90 • Die seit 1973 eingerichteten Fragestunden sowie Einladungen der Parlamentsausschüsse an Kommissionsmitglieder zu bestimmten Aufgabenkomplexen runden das Bild der umfassenden Interpellationsrechte des Parlaments ab. Mit diesen Rechten korrespondiert der Anspruch der Westlake, The European Parliament's emerging powers of appointment, S. 431 ff. In Verbindung mit Artikel 32 GO-EP. 83 Beckedorf, S. 237. 84 Artikel 276 Abs. 1 EGV sieht an sich nur vor, daß das Parlament auf Empfehlung des Rates der Kommission die Entlastung zur Ausführung des Haushaltsplans erteilt. Erst durch eine weite Auslegung dieser Vorschrift durch das Parlament beinhaltet diese Entlastungsbefugnis eine Ermächtigung zur Vertagung der Entlastung und umfasst sogar ein Recht zur Verweigerung der Entlastung, Hecker, in: Lenz, EG-Vertrag Kommentar, Artikel 206 EGV Rn. 1. Ausführlich Hummer / Obwexer, Rücktritt der Europäischen Kommission, S. 77 ff. 85 Ress, Democratic Decision-Making, S. 153 ff. 86 Ott, S. 240. Die Einzelheiten sind in Artikel 40 ff. GO-EP geregelt. Siehe hierzu Westlake, The Commission and the Parliament, S. 240. 87 Oppennann, Europarecht, Rn. 276 mit Nachweisen. Die Anfragen werden im Anhang bzw. in Teil C des Amtsblatts veröffentlicht. 88 Artikel 200 EGV i. V. m. Artikel 45 GO-EP. 89 Vgl. Artikel 145 EGV i. V. m. Artikel 47 GO-EP: Jahresbericht der Kommission über die soziale Lage. 90 Oppennann, Europarecht, Rn. 276. 81
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3. Teil, Kap. 6: Beteiligung des EP an EG-Rechtsetzung
Kommission auf Zutritt und Rederecht in den Sitzungen des Parlaments nach Artikel 197 UAbs. 2 EGY. Dem Europäischen Parlament ist es allerdings gelungen, diese Bestimmung, die ein Recht der Kommission verankert, in eine Pflicht umzudeuten: Kommissionsmitglieder nehmen regelmäßig an Sitzungen des Parlaments und dessen Ausschüssen teil und antworten auf die Fragen der Abgeordneten91 . Das Recht zum Mißtrauensvotum gegen die Kommission nach Artikel 201 EGV, die bei einer Annahme mit zwei Dritteln der Parlamentsmitglieder zurücktreten muß, bildet das Fundament der Kontrollrechte des Europäischen Parlaments und stellt die unmittelbare Vertrauensabhängigkeit der Kommission her. Diese berührt aber nicht die in Artikel 213 EGV verankerte Unabhängigkeit der Kommission, deren Mitglieder keinen Weisungen unterliegen und die ihre Tätigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft auszuüben haben. Daher ist ausdrücklich zu unterstreichen, daß aus der Vertrauensabhängigkeit keine Bindungen des Vorschlagsrechts der Kommission an Willensäußerungen des Europäischen Parlaments erwachsen92 • Auch ohne einen Zwang zur Übernahme parlamentarischer Initiativen zu begründen, haben die Kontrollrechte die Bemühungen um mehr Einfluß in der Ausarbeitungsphase stets flankiert. Die seit Bestehen der Gemeinschaft "lebhaft ausgenutzte Interpellation gegenüber der Kommission,,93 wie auch deren regelmäßige Kooperationsbereitschaft haben dazu beigetragen, daß sich sowohl der Anteil an den Kommissionsarbeiten als auch das Einbringen eigener Initiativen im Lauf der Jahrzehnte entwickeln und aus dem Geflecht wechselseitiger Abhängigkeiten in eine nach und nach engere Kooperation zur Vorbereitung legislativer Vorschläge münden konnte. Vor diesem Hintergrund sind aus der vorstehenden Übersicht des legislativen Rechtezuwaches zwei Attribute hervorzuheben, die für die Initiativtätigkeiten des Europäischen Parlaments besonders kennzeichnend sind. Es sind zum ersten die beharrlichen Bestrebungen des Parlaments selbst, die die Entwicklung der Rechtsetzungsverfahren als die Geschichte von der parlamentarischen Rechteerweiterung auf Gemeinschaftsebene erscheinen lassen. Dies wurde zunächst in den Bemühungen sichtbar, bei unveränderter Vertragslage den unverbindlichen Stellungnahmen solchen politischen Nachdruck zu verleihen, daß entgegenstehende Beschlußfassungen des Rates weitgehend unterbleiben. Die etappenweise Ausweitung der fakultativen Anhörung, ebenso wie die an die Kommission gerichtete Forderung, Änderungswünsche zu übernehmen, markieren weitere Fortschritte auf diesem Weg. Besonders plastisch wird der Erfolg 91 Bleckmann, Europarecht, Rn. 320. Nach Bleckmann hat dieses umgedrehte Kontrollrecht an Bedeutung stark verloren, weil "die Kommission sich an der Auffassung der Staaten ausrichten muß, die ihrerseits die Meinung des Parlaments nicht berücksichtigen, und weil der Sachverstand des Parlaments hinter dem der Exekutive zurückbleibt." In dieser Schärle dürften indes beide Behauptungen kaum haltbar sein. 92 Ehlermann, S. 357; Ipsen, Exekutiv-Rechtsetzung, S. 433. 93 Oppermann, Europarecht, Rn. 276.
11. Wechselseitige Abhängigkeit zwischen Kommission und EP
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nachdrücklich vorgetragener Refonnansprüche bei der Betrachtung der Verfahren der Zusammenarbeit und der Mitentscheidung, denn beide gehen maßgeblich auf Parlamentsinitiativen zurück94. Dieser Zusammenhang zwischen politischen Ansprüchen und nachfolgendem, tatsächlichen Kompetenzausbau ist von der Eigentümlichkeit geprägt, daß das Parlament zur Begründung seiner Forderungen stets auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen maximaler Nutzung der ihm eingeräumten Befugnisse und einer funktionierenden Zusammenarbeit mit den anderen Organen bedacht war. Das Spannungsverhältnis zwischen der eigenen Positionierung im Rechtsetzungsprozeß und der Abhängigkeit vom Verhalten des Rates und der Kommission führt dies exemplarisch vor Augen. Erwiesenennaßen hat das Parlament stets die stärkere Berücksichtigung seiner Stellungnahmen im Anhörungsverfahren angestrebt, ohne diese jedoch um jeden Preis zu verfolgen, wie die zurückhaltende Nutzung der Verzögerungsmöglichkeiten erkennen läßt. In der Literatur wird darauf hingewiesen, daß die Bemühungen des Parlaments, seine Stellung im Institutionengefüge zu verbessern und seine Machtbefugnisse zu vergrößern, immer verlangt haben, mit den übertragenen Rechten verantwortungsvoll umzugehen, um sich als regierungsfähiger Partner des Ministerrates zu projilieren 95 . Zu dieser taktischen Überlegung gehört, daß die Gesetzesarbeit des Europäischen Parlaments - für dessen Willensbildungsprozesse ohnehin typisch ist, daß ein die Fraktionsgrenzen übergreifender Konsens von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängt96 - davon geprägt ist, Positionen zu venneiden, die als destruktiv interpretiert werden könnten und umgekehrt die konstruktive Mitarbeit im institutionellen Zusammenspiel den Nachweis liefern soll, die Übertragung weiterer Kompetenzen mit Fug und Recht zu fordern. Da in der öffentlichen Meinung - wie Neßler überzeugend dargelegt hat97 - ablehnende Entschließungen tendenziell als destruktiv gewertet werden, Zustimmung hingegen regelmäßig als konstruktiver Beitrag erscheint, steht das Parlament als Ganzes98 in vielen Fragen unter einem erheblichen Konsensdruck. Allein aufgrund dieser Zwänge schien und scheint es dem Parlament ratsam, sich seiner faktischen wie vertraglichen Befugnisse grundsätzlich zurückhaltend zu bedienen, wenn andernfalls Spannungen mit den übrigen Institutionen zu befürchten sind99 . Im speziellen Verhältnis zur Kommission gehört nicht zuletzt in diesen Kontext, daß es für die Durchsetzung seiner Forderungen nach weiteren Kompetenzübertragungen traditionell auf ihre Fürsprache angewiesen ist, zumal das Parlament in den Regierungskonferenzen bis Amsterdam nicht einmal durch eigene Abgeordnete vertreten war HJO • Nachweise bei GündischlMathijsen, S. 152; Bieber; Europäische Gesetzgebung, S. 300. Siehe hierzu Falkner; S. 246; KapteynlVerLoren van TherrmatI Gormley, S. 223. Am Beispiel des Haushaltsverfahrens TheatolGraf, S. 50. 96 Hierzu Neßler; Willensbildung im Europäischen Parlament, S. 157 ff., insb. S. 164 ff. 97 Neßler; Willensbildung im Europäischen Parlament, S. 157 ff., insb. S. 166. 98 Dieser Druck wirkt natürlich auch auf den einzelnen Abgeordneten und die Fraktionen. 99 Kritisch hierzu aber Boyce, S. 148, die mit bedenkenswerten Argumenten vor einer zu weitgehenden Zurückhaltung bei der Ausübung der übertragenen Zuständigkeiten warnt. 94 95
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3. Teil, Kap. 6: Beteiligung des EP an EG-Rechtsetzung
Ein zweites Merkmal gilt der Unterscheidung von politischer Einflußnahme auf die endgültige Gestalt eines Gemeinschaftsrechtsakts und echten Legislativrechten, weil auch insofern Parallelen zwischen der parlamentarischen Rechteerweiterung in den Verfahren und Einfluß auf deren Einleitung auszumachen sind. Das Anhörungsrecht hatte die effektiven Gestaltungsmöglichkeiten auf ein Minimum begrenzt. Die Verfahren der Zustimmung und der Zusammenarbeit sind zwar als substantieller Einstieg in die angestrebte gemeinsame Beschlußfassung mit dem Rat gewertet worden, doch blieb es im letzteren für das Parlament entscheidend, entweder die Kommission zur Änderung ihres Vorschlags zu bewegen oder den Rat direkt zu veranlassen, den Vorschlag durch einstimmige Beschlußfassung abzuändern. Nicht von ungefähr hat deshalb das Parlament bis zum Maastrichter Unionsvertrag stets von den ihm zur Verfügung gestellten Einflußmöglichkeiten gesprochen und damit auf den Abstand zu echten Mitwirkungs- bzw. Gestaltungskompetenzen angespielt 101 • Mit der direkten Verhandlungsebene mit dem Rat haben sich seine Gestaltungsmöglichkeiten schlagartig erheblich vergrößert 102 , wobei an dieser Stelle nicht auf das Ablehnungsrecht bei Scheitern einer Einigung abzuheben ist, sondern auf die Einrichtung des Vermittlungsveifahrens zur Annäherung unterschiedlicher Standpunkte. Weitgehend unberührt von den mannigfachen Rechteerweiterungen ist aber augenscheinlich die Initiativphase geblieben, da durch die Vertragsrevisionen das Vorschlagsrecht der Kommission nicht abgeschafft, insbesondere nicht auf mehrere Träger verteilt worden ist. Nach dem Wortlaut der Verfahrensvorschriften setzt die parlamentarische Rechtsetzungsbeteiligung immer erst mit und das bedeutet an sich: nach der Vorlage eines Vorschlags ein. Trotzdem richtet sich ein großer Teil der parlamentarischen Arbeiten darauf, bereits in der frühesten Legislativphase gestalterisch tätig zu werden und auch hier kann eine stufenweise Entwicklung politischer Einflußnahme mittels vielfältiger Initiativberichte über die Beteiligung an den Jahresgesetzgebungsprogrammen bis hin zu vertraglich implementierten Mitwirkungsrechten ausgemacht werden. Bezeichnenderweise ging es - ähnlich wie bei den Stellungnahmen im Anhörungsverfahren - auch bei den Initiativberichten lange nicht um die Beanspruchung eines zusätzlichen Rechts, das der Vertrag nicht enthält, sondern darum, bestehende Kompetenzen so effektiv wie möglich zu nutzen. Aufgrund der besonderen Fragestellung dieser Arbeit wird der parlamentarische Druck zur Änderung von Rechtsaktvorschlägen nach der fonnellen Vorlage nur 100 Westlake, "The style and the machinery", S. 137 ff. Ausführlich Basedahl, S. 79 ff. Siehe hierzu auch die Rahmenvereinbarung vom 5. Juli 2000 über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission unter Punkt 6: "Die Kommission stellt im Rahmen ihrer Mittel sicher, dass das Europäische Parlament regelmäßig unterrichtet und in vollem Umfang in die Vorbereitung und den Ablauf der Regierungskonferenzen einbezogen wird.", Bulletin EU 7/8-2000. 101 Vgl. Corbett / Jacobs / Shackleton, S. 8 102 Bieber, Institutionen und Verfahren, S. 240. Vgl. dazu die statistische Übersicht bei Maurer, Regieren nach Maastricht, S. 213 ff.
H. Wechselseitige Abhängigkeit zwischen Kommission und EP
207
am Rande berücksichtigt. Ein Charakteristikum aber wird im Blick zu behalten sein: Im Anhörungsverfahren war und ist das Parlament hauptsächlich darauf bedacht, daß seine Änderungswünsche von der Kommission übernommen werden, weil der Rat den Vorschlag nur durch einstimmigen Beschluß ändern kann. Auf diese Wirkung kommt es im Verfahren der Zusammenarbeit und der Mitentscheidung nicht mehr an, weil das Parlament mit der Ablehnung des gemeinsamen Standpunktes aus eigener Kraft den Rat zur Einstimmigkeit zwingen kann, wenn die Kommission seine Änderungswünsche nicht übernimmt, und im Mitentscheidungsverfahren Rat und Parlament sogar gemeinsam über den Vorschlag beschließen. Gleichwohl hat der Vorschlag der Kommission an seiner ursprünglichen Bedeutung nicht eingebüßt. Für das Parlament bleibt es auch im Mitentscheidungsverfahren elementar, die Kommission zur Übernahme seiner Änderungen zu bewegen. Anstelle des dadurch bislang bewirkten Einstimmigkeitszwangs rückt die intensivere Kooperation mit der Kommission im Gegenüber zum Rat in das Zentrum der gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren.
Kapitel 7
Die Initiativberichte des Europäischen Parlaments Im Kontext der Mittel und Wege, Legislativinitiativen selbst einzubringen oder durch die Kommission zu veranlassen, soll vorab - und anstelle eines Exkurses ein kurzer Seitenblick auf die Haushaltsrechte fallen. Die Parlamentsrechte haben sich am raschesten bei der Budgetgewalt entwickelt. Mit der in zwei Schritten vollzogenen Ersetzung der mitgliedstaatlichen Finanzbeiträge durch Gemeinschaftsmittel wurde die Beschlußfassung über den Haushaltsplan 1970 und 1975 im Sinne einer stärkeren parlamentarischen Mitbeteiligung geregelt. Während bei den obligatorischen Ausgaben, die den bei weitem größten Teil des Haushalts bilden, der Rat die Vorhand behält, hat das Parlament bei den nicht-obligatorischen Ausgaben innerhalb bestimmter Margen das letzte Wort 103 . Ein spezielles parlamentarisches Mittel, auf die Durchführung von Gemeinschaftspolitiken einzuwirken, ist daher der Einsatz seiner Haushaltsbefugnisse 104 • So haben die drei Legislativorgane vereinbart, daß das Parlament indirekt Initiativen auslösen kann, indem es Mittel für neue EG-Tätigkeiten in den Haushaltsplan einsetzt. In einer Gemeinsamen Erklärung von Juni 1982 105 wird für nicht-obliga103
104
Umfassend Rossi, S. 72 ff.; Theato/Graf, S. 105 ff. BiebeT; Die Einwirkung des Europäischen Parlaments auf die Rechtsetzung S. 79.
105 Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission über verschiedene Maßnahmen zur Gewährleistung einer besseren Abwicklung des Haushaltsverfahren, ABI. 1982 Nr. C 194, S. 1.
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
tori sehe Ausgaben die Bereitstellung der für die Rechtsaktausführung erforderlichen Mittel für das jeweilige Haushaltsjahr präzisiert 106 ; "Die Verwendung der in den Haushalt für neue bedeutende Gemeinschaftsaktionen eingesetzten Mittel kann nur nach Erlaß einer Grundverordnung erfolgen. Werden diese Mittel in den Haushaltsplan eingesetzt, bevor ein Verordnungsvorschlag vorliegt, so ist die Kommission ersucht, bis spätestens Ende Januar einen Vorschlag vorzulegen. Der Rat und das Parlament verpflichten sich, alles zu tun, damit die betreffende Verordnung spätestens Ende Mai verabschiedet werden kann.,,107
Diese Einigung kann als spezielles Initiativrecht des Europäischen Parlaments interpretiert werden, weil die Mitteleinsetzung Kommissionsvorschläge auslösen und überdies den Rat zur zügigen Umsetzung verpflichten S01l108. In rechtlicher Hinsicht blieb ihre Wirkung allerdings beschränkt, da die Vereinbarung weder die freie Entscheidung der Kommission ausschließt noch den Rat zur notwendigen Einstimmigkeit verpflichtet 109 . Die Haushaltsbefugnisse des Parlaments, deren Hauptschwierigkeit unverändert in der zum Teil undurchschaubaren Unterscheidung zwischen obligatorischen und nicht-obligatorischen Ausgaben gesehen werden 110, bleiben im folgenden, obwohl sie für die Ausgestaltung leistungsgewährender Rechtsakte erheblich sind, unberücksichtigt, da sie - wie das Recht zur Haushaltsentlastung - eher zum Kontroll- als zum Gestaltungsinstrumentarium des Parlaments zählen. Das Europäische Parlament hat bis in die 90er Jahre auf das Initiativrecht der Kommission vor allem von zwei Seiten Einfluß genommen. In den Anfangsjahren war das Bemühen praktisch ausschließlich darauf ausgerichtet, von der Kommission frühzeitig über die Legislativplanung in Kenntnis gesetzt zu werden. Unter dem Eindruck, daß der EWG-Vertrag als einzige Beteiligungsform die Anhörung bestimmte, ging es der Versammlung darum, zumindest so früh wie möglich mit den Vorhaben der Kommission befaßt zu werden (I.). Mit der Zeit ist das Parlament dazu übergegangen, zusätzlich einen eigenen pouvoir d'initiative indirect geltend zu machen und die Kommission zur Umsetzung von aus dem Parlament kommenden Entschließungen zu drängen (lI.).
V gl. Artikel 272 Abs. 9 EGV, Art. 203 Abs. 9 EWGVa. F. Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission über verschiedene Maßnahmen zur Gewährleistung einer besseren Abwicklung des Haushaltsverfahren, ABI. 1982 Nr. C 194, S. 3 (unter IV. 3. c). 108 Im einzelnen Dewost/Lepoivre, S. 524; Dankert, S. 704; Strasser; S. 323. 109 Ausführlich Jacque / Bieber / Constantinesco / Nickel, S. 150 ff. 110 Neuhold, S. 60. 106 107
1. "La consultation prealable et officieuse"
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I. "La consultation prealable et officieuse": Zu den AJÜängen parlamentarischer Einwirkung auf die Kommissionsvorschläge Das Europäische Parlament hatte bereits wenige Monate nach Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verlangt, vor der Vorlage von Legislativvorschlägen zum Rat von der Kommission konsultiert zu werden, damit es dieser seine Haltung bekannt machen könne. Die früheste Forderung nach einer consultation prealable et officieuse, die der Anhörung durch den Rat vorangehen und in Abgrenzung zur consultation officielle gleichsam halbamtlichen, offiziösen Charakters sein sollte, ist in einem Bericht von Juni 1958 artikuliert, der die Bedeutung des Schulterschlusses zwischen der Versammlung und den damals noch nach den Gemeinschaften getrennten Kommissionen im Verhältnis zum Ministerrat herausstellt: " ... que la conception parlementaire serait davantage satisfaite si les Commissions europeennes provoquaient un avis de I' Assemblee avant de faire 1eurs propres propositions. Seules, en effet, les Comrnissions europ6ennes sont responsables politiquement devant I' Assemblee et il est evident que cette consultation prealable aboutissant a une proposition commune «Assemblee-Comrnissions europeennes« aurait vis-a-vis des Conseils un poids indiscutable. ,,111
Im Anschluß an einige ähnlich lautende Entschließungen und Resolutionen 112 bekräftigte der Furier-Bericht von 1963 113 dieses Verlangen und fügte über die politische Bedeutung der Vorabkonsultation hinaus eine Einschätzung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Unbedenklichkeit an. Die prinzipielle Ermessensfreiheit und Autonomie der Kommission sei nicht in Frage gestellt, weil es sich um einen bloßen Meinungsaustausch (echange de vues) handele, welcher der Kommission Gelegenheit zur Anpassung der Vorlage an den Willen der Versammlung gebe l14 . In dieser als offizielle Entschließung verabschiedeten Erklärung ist nicht die Geltendmachung eines aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Anspruchs auf Vorabbefassung zu sehen, wie sich wohl aus der Einordnung als rein politischem Meinungsaustausch ableiten läßt. Immerhin aber fällt auf, daß der bis heute gleichlautende Wortlaut der vertraglichen Vorschriften, wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments beschließt, an sich nicht die Auslegung ausschließt, daß hiermit tatsächlich die Anhörung durch die Kommission und nicht durch den Rat gemeint sei. Bei einem solchen Verständnis hätte sich das Parlament sogar direkt auf den Vertrag stützen können. Das Parlament hat diesen 111 Rapport de van Kauvenbergh sur le reglement de l' Assemblee Par1ementaire Europ6enne, Europäisches Parlament, Dok. Juni 1958 Nr. 17, S. 24. 112 Siehe hierzu den lanssens-Bericht über die Beziehungen zwischen der parlamentarischen Versammlung und den Ministerräten der Europäischen Gemeinschaften, Europäisches Parlament, Dok. November 1959, Nr. 71, S. 4. Dazu van Miert, S. 228. 113 ABI. 1963 Nr. C 106, S. 616. 114 Lasalle, S. 129.
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
Standpunkt aber nie offiziell eingenommen, vielleicht auch deswegen, weil es dann Gefahr gelaufen wäre, sein Recht zur Stellungnahme gegenüber dem Rat zu verlieren bzw. aufzugeben. Nichtsdestoweniger bleibt bemerkenswert, daß im Schrifttum die Offenheit des Vertragswortlauts in diesem Punkt nie beanstandet wurde 11 5. Obwohl die Kommission das Argument einer politischen Unterstützung bei der Verteidigung ihrer Vorschläge im Rat als gewichtig einstufte 1l6 , hat sie der Konsultation wegen grundlegender Bedenken die Anerkennung versagt. Allerdings haben diese Bedenken nicht die vollständige Zurückweisung verlangt, sondern zur Einrichtung eines modus vivendi geführt, der den Interessen beider Organe Rechnung tragen sollte; die Kommission hat in ihrer Antwort zwischen pre-consultation und Information über den Stand ihrer gesetzgeberischen Tätigkeiten unterschieden. I. Information versus Konsultation vor der Vorschlagsvorlage
Einem Anspruch auf Vorabkonsultation hatte die Kommission entgegengehalten, daß dies eine Bindung ihrer grundsätzlichen Ermessensfreiheit bedeuten würde, die mit dem Charakter und der Substanz des Vorschlagsmonopols unvereinbar sei. Die in den Forderungen zum Ausdruck kommende Vorstellung von gemeinsamen Gesetzesvorschlägen der Kommission und des Parlaments stehe im Widerspruch zu ihrer Unabhängigkeit und würde zu einer Vermischung der Verantwortlichkeiten führen, die der vertraglichen Funktionenverteilung zuwiderlaufen würde ll7 . Obschon ihr Vorschlagsrecht an kein Vorverfahren gebunden sei und auch nicht gebunden werden dürfe, fand sich die Kommission in Reaktion auf den Furier-Bericht bereit, das Parlament regelmäßig und frühzeitig über den Stand ihrer Gesetzesplanung und Projekte zu informieren 118 • Die Ablehnung der Vorkonsultation bei 115 Dies gilt umso mehr, als das Parlament wenige Jahre später in einem Bericht über die juristischen Probleme der Konsultation den Umfang seiner Rechte wie folgt umrissen hat: "Schließlich ist hervorzuheben, daß das Parlament auf jeden Fall, um welchen Textvorschlag es sich auch immer handelt und in welchem Stadium der Ausarbeitung er sein mag, die Initiative ergreifen und der Kommission oder dem Rat eine Stellungnahme übermitteln kann.", Bericht Jozeau-Marigne, Europäisches Parlament, Verhandlungen 1967, Dok. Nr. llO, Ziff. 34. Diese Auffassung einer identischen Reichweite von Selbstbefassung und Konsultation ist Bedenken ausgesetzt, weil sich das Selbstbefassungsrecht des Parlaments zusätzlich und neben den vertraglichen Anhörungsrechten entwickelt hat und im Rang unterhalb der eigentlichen Konsultationsfälle steht. Dies gilt auch für die fakultative Anhörung. Vgl. BiebeT; Das Parlament, S. 102. 116 Lasalle, S. 129. 117 Siehe die Antwort des Kommissionspräsidenten Hallstein auf den Furier-Bericht, ABI. 1963 Nr. C 106, S. 616. Ähnlich Lasalle, S. 129. 118 Siehe die Antwort des Kommissionspräsidenten Hallstein auf den Furier-Bericht, ABI. 1963 Nr. C 106, S. 616.
I. "La consultation prealable et officieuse"
211
gleichzeitiger Zustimmung zur Vorabinformation hat die Kommission aus ihrem besonderen Verhältnis zum Europäischen Parlament abgeleitet. Im Unterschied zur mit einer halbformellen Frühkonsultation verbundenen Tendenz zur Kooperation, die mit der parlamentarischen Kontrolle gerade nicht in Übereinstimmung stehe 119, sei die rechtzeitige und umfassende Information unmittelbar auf ihre Verantwortlichkeit sowie den Umstand gegründet, daß die Kommission über ihre gesetzgeberischen Initiativen im selben Maße informieren muß, wie über ihre sonstigen Aktivitäten in den übrigen Bereichen des Vertrages. Es stehe mithin die Vorabinformation im System der Auskunfts- und Kontrollrechte, wie es etwa in der Aussprache zum jährlichen Generalbericht zum Ausdruck komme l2o . Eine Zweifelsfragen ausschließende Abgrenzung zwischen Vorkonsultation und Vorabinformation war damit allerdings nicht getroffen, umso weniger, als die Information nach Auffassung der Kommission durchaus einen wechselseitigen Austausch beinhaltete, der ihren Dienststellen - nicht unähnlich der Einbindung nationaler Experten - erlaube, bei der Ausarbeitung der Kritik Rechnung zu tragen. Hinzu kommt, daß das Vorgehen der Kommission, die Vorabinformation in Form von "Mitteilungen" zu betreiben, gelegentlich für Verwirrung sorgte, weil dies die Unterscheidung von der Stellungnahme des Parlaments zum förmlichen Vorschlag erschwerte l21 . Im Grunde war mit diesen Anfangen dem Parlament trotz der Ablehnung der Vorabkonsultation und ohne eine vertragliche Grundlage die frühzeitige Einflußnahme auf die Ausarbeitung und Formulierung von legislativen Vorschlägen eröffnet l22 . Der ohnehin fließende Übergang zwischen einseitiger Information und Gelegenheit zur Diskussion in den Ausschüssen war natürlich zu einem wesentlichen Teil von der Erwartung der Kommission bestimmt, durch eine Einbindung des Parlaments dessen Beihilfe bei der Durchsetzung ihrer Vorhaben zu erhalten. Daher hat die Kommission in der Tat bei zahlreichen Gelegenheiten die Unterstützung des Parlaments gesucht, lange bevor dieses mit stärkeren Mitsprache- und Entscheidungsrechten ausgestattet wurde. Im Dehousse-Bericht von 1964 ist dokumentiert, in welchem Umfang das Parlament schon in den Anfangsjahren als der beste Verbündete auf dem Weg zu einer europäischen Lösung gewirkt und so dazu beigetragen hatte, den Einfluß des Rates auf die Rechtsetzungsbeschlüsse auszugleichen I23 . Neben den beiden Formen der Anhörung - obligatorischer und freiJacque, Le Parlement europeen, S. 525. Jacque, Le Parlement europeen, S. 525, mit Nachweisen zur Kommission. 121 Vgl. Jacque! Bieber / Constantinesco / Nickel, Le parlement europeen, S. 148: "L'information prealable a laquelle se livre la Commission prend parfois l'aspect de «communications». Celles-ci, bien que n'etant pas des propositions au sens formel, peuvent contenir des invitations adressees au Conseil et au Parlement d'avoir prendre position sur les initiatives de la Commission. S'agit-il ici d'une demande de «consultation» ou simplement d'une recherche d' opinion en vue de presenter une proposition qui serait, elle, sournise pour avis au Parlement?" 122 Ähnlich Jacque! Bieber / Constantinesco / Nickel, S. 148. 119
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
williger Natur -, die für Jahrzehnte den Normalfall parlamentarischer Beteiligung darstellte, und dem Umstand, daß die ursprüngliche Fassung des Artikels 149 EWGV das Änderungsrecht der Kommission ausdrücklich auf Änderungswünsche des Parlaments ausrichtete l24 , hatte die Vorabbefassung mit Gesetzesvorhaben keinen geringen Anteil an dieser Entwicklung. Ungeachtet seiner rudimentären verfahrensrechtlichen Einbindung hatte sich gezeigt, daß es die Position der Kommission verschlechtern kann, wenn das Parlament seine Unterstützung für eine Initiative verweigert und damit ein zweites, europäisch ausgerichtetes - wiewohl nicht exklusiv dem Gemeinschaftsinteresse verpflichtetes - Organ die Lösungsidee der Kommission verwirft 125 • Umgekehrt blieb zwar weniger deutlich zu bestimmen, inwieweit die zustimmende Haltung die Annahme des Vorschlags durch den Ratfördern kann, welcher dem Parlament gerade nicht verantwortlich ist. Auch in diesem Verhältnis aber hatten die Anfangsjahre einen Eindruck davon gegeben, wie sensibel eine oder mehrere Regierungen auf eine gemeinsame Haltung von Kommission und Parlament reagierten 126 . Dessen frühe Vorstöße entbehrten daher keiner rechtspolitischen Fundierung, sondern konnten sich darauf stützen, daß die mit der frühzeitigen Befassung erzielbare Bündelung der Autorität zweier Gemeinschaftsinstitutionen in sich selbst ein beachtliches Element des Einflusses verbürgen würde. Neben dieses politische Motiv trat die vom Parlament immer wieder geltend gemachte Klage, sein vertragliches Anhörungsrecht werde in der praktischen Handhabung durch den Rat häufig auf eine Formalie reduziert, weswegen seine frühzeitige Einbindung über die Kommission als Ausgleich zu betrachten sei l27 • In dem wachsenden Maße, in dem die Kommission tatsächlich die Partnerschaft mit dem Parlament suchte, hatten sich im Rat die Bedenken gegen eine gemeinsame Front von Kommission und Europäischem Parlament verstärkt, weswegen der Rat wiederholt informelle Kompromissvereinbarungen mit der Kommission anstrebte, bevor er die Stellungnahme des Parlaments einholte, wodurch diese wiederum praktisch jede Bedeutung für die finale Fassung des Rechtsakts zu verlieren drohte 128• Der erste zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung führende Streit betraf den nach einer förmlichen Aufforderung 129 ergangenen Vorschlag für eine Durchführungsverordnung zur Anwendung der Wettbewerbsartikel85 und 86 EWGV 13o. 123 Dehousse-Bericht, Europäisches Parlament, Verhandlungen, Dok. Nr. 33 vom 14.5. 1964, S. 9. 124 Siehe bereits in Kapitel 2 unter I. I. 125 Lagrange, S. 16. 126 Vgl. van Miert, S. 225. 127 Siehe hierzu bereits in Kapitel 3 unter H. I. 128 Zumal auch die Kommission in vielen Fällen Änderungswünschen des Parlaments gegenüber kaum mehr offen stand, wenn damit ein zuvor anvisierter Kompromiß mit dem Rat in Frage gestellt würde. Zu diesem Aspekt siehe van Miert, S. 225. 129 Siehe dazu bereits in Kapitel 5 unter 1. 2. 130 Vorschlag der Kommission zur Verordnung Nr. 17 von 1962, VO 17/62, ABI. 1962 Nr. L 13, S. 204 ("Kartellverordnung").
I. "La consultation prealable et officieuse"
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Einige Tage, nachdem die Kommission am 31. Oktober 1960 den Vorschlag vorgelegt hatte, entschied der Ausschuß der Ständigen Vertreter, diesen nicht an das Parlament weiterzuleiten, sondern den Rat über die Übermittlung entscheiden zu lassen. In der Sitzung vom 14. November 1960 drängten mehrere Minister, auch weil die Kommission den Vorschlag einige Zeit zurückgehalten hatte l31 , auf eine rasche Einigung über die endgültige Fassung. Im Klartext bedeutete dieses Ansinnen, dem Parlament nicht den ursprünglichen Entwurf zur Stellungnahme zu unterbreiten, sondern eine geänderte Vorlage, nämlich das Resultat einer zwischen der Kommission und den verschiedenen Positionen der Regierungen ausgehandelten Kompromissfassung. Der den initialen Vorschlag verteidigende Wettbewerbskommissar von der Groeben widersprach diesem Vorgehen, weil es in offensichtlichem Gegensatz zum EG-Vertrag stehe. Daraufhin beschloß der Rat zwar, den ursprünglichen Vorschlag zu übermitteln, allerdings erst nachdem er in der Sitzung vom 29. November eine grundsätzliche Debatte über die Kartellverordnung geführt hatte 132 • Und obgleich eine prinzipielle Entscheidung zugunsten der Weiterleitung des Vorschlags vor einer Entscheidung über die endgültige Form des Legislativakts gefallt zu sein schien, setzten sich die Auseinandersetzungen über die Art und Weise, in welcher die Übermittlung zu vollziehen sei, fort. So äußerten einige Delegationen den Wunsch, dem Kommissionsvorschlag einen RatsbrieJ beizufügen, um dem Parlament die Auffassungen der nationalen Regierungen zur Kenntnis zu bringen. Diese Anregung wurde zwar aufgrund des Einwandes, daß hiermit dem Parlament letztlich nur der aktuelle Dissens über das Vorhaben dargetan würde, nicht verwirklicht. Allerdings wurden die Arbeiten in den Ratsgremien fortgesetzt, während der Kommissionsvorschlag dem Parlament vorlag; deklariert als "informelle Sitzungen", bis das Parlament seine Stellungnahme abgegeben hatte 133. Eine ähnliche, nicht weniger wirksame Stutzung der Anhörung war obendrein in einigen Verfahren offenbar geworden, in denen der Rat die Zeit für die Stellungnahme besonders kurz gehalten hat. In den eindeutigsten Fällen hatte das Parlament nicht gezögert, aufgrund der praktischen Verhinderung einer angemessenen Befassung eine Stellungnahme ganz abzulehnen, wodurch die umstrittene Rechtsfrage entstand, ob damit die Konsultation als abgeschlossen anzusehen und der Rat nunmehr zur Entscheidung befugt sei 134. Der damalige Kommissionspräsident Hallstein ergriff in dieser Angelegenheit Partei für das Parlament und trat öffentlich für eine gebührende Berücksichtigung der Stellungnahme ein 135. Siehe dazu in Kapitel 5 unter I. 2. Hauben, S. 206 f. 133 van Miert, S. 226. 134 Bieber; Einwirkung des Europäischen Parlaments auf die Rechtssetzung S. 81. 135 "Nous nous sommes resolument ranges du cöte de ceux qui demandent non seulement que le Parlement soit consulte, mais qu' il le soit en temps utile, lorsque sa consultation a encore une valeur politique veritable.", Europäisches Parlament, Verhandlungen, Dok. Nr. 95, S. 30 f. 131
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
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Ohne ausreichende Aussicht auf ein Einlenken fühlte sich die Kommission in der Folge gleichermaßen gezwungen wie ermuntert, dem Parlament den Inhalt ihrer Initiativen immer häufiger vorab bekanntzumachen. Im Lichte der Haltung der Mitgliedstaaten gewann diese Geste die brisante Note, um des Gewichts der parlamentarischen Beteiligung willen nicht vor einer die institutionellen Grundlagen berührenden Konfrontation mit den Regierungen zurückzuschrecken. Außerdem machte sich die Kommission nicht nur zur Fürsprecherin des Parlaments, sondern demonstrierte nicht minder entschlossen ihre eigene Stellung, indern sie die Übermittlung ihrer Vorschläge nicht dem Belieben des Rates anheim zu stellen gewillt war. Den Höhepunkt dieses Konfliktes markiert das - in Kapitel 3 als ersten großen package-deal vorgestellte - Paket der drei Vorschläge von 1965 über die Finanzierung der Agrarpolitik, die eigenen Einnahmen der Gemeinschaft und die Verstärkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments 136. Auch hier war es Hallstein in Person, der in Straßburg das Kommunique vorstellte, das den Tenor der drei Vorschläge enthielt - eine Woche vor der offiziellen Befassung des Rates 137 . Der in einem "Heptalog zum Wohlverhalten der Kommission" postwendend formulierte Widerstand der französischen Regierung ließ an Klarheit nicht viel zu wünschen übrig: ,,11 doit etre pose en regle qu'en aucun cas, la Comrnission ne doit devoiler la teneur de ses propositions l' Assemblee avant que le Conseil en ait ete saisi officiellement.,,138
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Im ganzen erschien die parlamentarische Vorabbefassung einigermaßen delikat, weil sie auf ein Terrain führte, auf dem alle drei Legislativorgane effektiv nur in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens operieren können. Auf der einen Seite führte die Kommission ihre Verpflichtung an, das Parlament über ihre Aktivitäten auf dem laufenden zu halten. Andererseits beharrte der Rat darauf, daß nach dem Vertrag er den Vorschlag zur Stellungnahme vorlegt. Und indem die Verbindung der drei Vorschläge von 1965 zum Ziel hatte, dem Rat die gemeinsame Behandlung vorzuschreiben und die Kommission diesen Druck durch die Vorkonsultation des Parlaments noch erhöht hatte, war es bei nüchterner Betrachtung nicht verwunderlich, daß das widerstrebende Land sich einer unangemessenen Behandlung ausgesetzt sah. Im Prinzip hatten deshalb die übrigen fünf Mitgliedstaaten die Position Frankreichs übernommen. Hatte aber das aide-memoire die Untragbarkeit angeprangert, dem Parlament den Gehalt der Vorschläge vorab zu enthüllen, so wurde in den Beschlüssen von Luxemburg am Ende nur die Veröffentlichung der Vorschläge vor der formellen Vorlage abgelehnt. Wegen dieser Unterscheidung ist gemutmaßt worden, daß die Kommission wohl selbst im Geiste der Luxemburger Beschlüsse in einem gewissen Rahmen einen Meinungsaustausch mit den parSiehe dazu bereits in Kapitel 4 unter 11. 1. 137 Rede des Komrnissionspräsidenten Hallstein vom 24. März 1965 vor dem Europäischen Parlament, Verhandlungen, Dokument Nr. 77, S. 153. 138 Aide-memoirefran~ais, Bulletin de la CEE, mars 1966, N" 3, S. 6, Punkt 2. 136
I. "La consultation prealable et officieuse"
215
lamentarischen Ausschüssen würde fortführen können 139. Wie auch immer: Politisch richtungweisend war zweifelsohne, daß der Rat seine Vormachtstellung festigte und vorführte, daß die Kommission das Vorschlagsrecht nicht ausüben konnte, ohne in erster Linie ihr Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedstaaten zu hüten. Darum wurde größtenteils resümiert, die Kommission habe ein taktisches Mittel eingesetzt, ohne seinen Bumerang-Effekt in Betracht gezogen zu haben l40 . Klargestellt war nicht zuletzt, daß die Hoffnung der Kommission, in den Gesetzgebungsverfahren auf die frühzeitig erworbene Zustimmung der europäischen Abgeordneten zu bauen, kaum mit der aktuellen Verteilung der Macht im Zentrum der Gemeinschaft harmonierte 141. Nach der Übertragung der Haushaltsrechte in den Jahren 1970 und 1975 und der ersten Direktwahl von 1979 hat das Parlament den Anspruch auf Vorabkonsultation nicht weiter aufrecht erhalten, sondern durch die Forderung ersetzt, vor jeder wichtigen Initiative über Inhalt und Reichweite, insbesondere über die finanziellen Auswirkungen im zuständigen Parlamentsausschuß in Kenntnis gesetzt zu werden. Im Andriessen-Bericht von 1982 hat die Kommission in einer umfassenden Bestandsaufnahme der "Rolle des Europäischen Parlaments im Beschlußfassungsprozeß" ihre Absicht angekündigt, in verstärktem Umfang bei wichtigen Fragen vorherige Kontakte - in der Plenarsitzung oder in Ausschüssen - zu pflegen und diese Praxis zu intensivieren, um ihre Vorschläge im Lichte der auf diese Weise eingeleiteten politischen Debatte auszuarbeiten 142 • Mit dieser Erklärung war ein bemerkenswertes Etappenziel erreicht, das es den Parlamentariern in der Folge erlaubte, in einem frühen Stadium Kontakt zu den Dienststellen der Kommission aufzunehmen. Den Anregungen die gebührende Bedeutung beizumessen, hieß allerdings auch, den zwischenzeitlich erhobenen Forderungen nach einem indirekten Initiativrecht 143 abzusagen, denn das Entgegenkommen zum Informationsaustausch enthielt nach wie vor den Vorbehalt der unabhängigen Würdigung der parlamentarischen Stellungnahmen. 2. Zum status quo der Vorabbefassung des Parlaments
Im Zuge seiner schrittweisen Rechteerweiterung in den Rechtsetzungsverfahren wurde die gleichsam vorvertragliehe Befassung des Parlaments in interinstitutionellen Vereinbarungen bekräftigt, vertieft und zuletzt in einen engen Zusammenhang mit den parallelen Konsultationen von Experten aus den Mitgliedstaaten gestellt. 139 van Miert, S. 226: "Cela semble indiquer que meme dans l'esprit de ces accords, la Comrnission pouvait encore avoir, bien que discretement et a condition d'en user a bon escient, des echanges de vues sur ses initiatives avec les comrnissions parlementaires." 140 Pescatore, in: Cartou, Perspectives, S. 65. Siehe bereits in Kapitel 4 unter 11. 1. 141 Pescatore, in: Cartou, Perspectives, S. 65. 142 Andriessen-Bericht, Bulletin EG Beiheft 3/ 1982, S. 10, Punkt 17. 143 Dazu näher sogleich unter 11.
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
Nachdem die Kommission Anfang der 80er Jahre auf eine schriftliche Anfrage erneut bekundet hatte, das Parlament mit wichtigen Vorhaben rechtzeitig zu befassen l44 , begann sich der regelmäßige Austausch zwischen den zuständigen Kommissaren bzw. Fachbeamten und den Parlamentsausschüssen zu etablieren. Etwa seit Mitte der 80er Jahre ist die Kommission in gleichem Umfange in den Ausschüssen des Parlaments präsent, um ihre Vorschläge zu erläutern und zu verteidigen, wie in den Arbeitsgruppen des Rates l45 . Unter Hinweis auf die während des Europäischen Rates von Edinburgh im Jahre 1992 146 bestätigte Verpflichtung forderte das Parlament in der "Entschließung zu der Rolle der nationalen Experten und dem Initiativrecht der Kommission" von 1994 147 die Kommission von neuem auf, ihre Zusage zur Vertiefung der Konsultationen im Vorfeld der Ausarbeitung von legislativen Vorschlägen ernst zu nehmen, insbesondere mittels einer engeren Kooperation mit den zuständigen Ausschüssen l48 , und gleichzeitig ihre Beratungen mit den nationalen Behörden und den Interessenvertretern transparenter zu gestalten, unter anderem durch umfassende Information des Parlaments l49 . In dem gemeinsamen Verhaltenskodex von 1995 hat die Kommission diesen Forderungen für alle wichtigen Initiativen, womit vornehmlich strategische Initiativen in Form von Grünbüchern und Weißbüchern gemeint waren l50 , entsprochen und diese Verpflichtung als "allgemeinen Grundsatz" allen weiteren Vereinbarungen vorangestellt: "Die Kommission verpflichtet sich, alle ihre Legislativvorschläge, die im Rahmen des Haushaltsverfahrens vorgelegten Vorschläge sowie jedes andere Dokument der Kommission, das sich auf die genannten Vorschläge bezieht, die dem Rat im gesamten Verlauf der Beschlußfassungsverfahren vorgelegt werden, dem Europäischen Parlament zu übermitteln. Die Kommission trägt dafür Sorge, daß die Unterrichtung des Europäischen Parlaments unter Einhaltung der Bestimmungen des Vertrags in absoluter Gleichbehandlung mit dem Rat erfolgt. Darüber hinaus trägt die Kommission dafür Sorge, daß wichtige Initiativen erst dann bekannt gemacht werden, wenn das Europäische Parlament zuvor in angemessener Weise darüber unterrichtet wurde.,,151
In der Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission vom 5. Juli 2000 wurde die rechtzeitige Unterrichtung schließlich auf sämtliche Rechtsetzungsvorhaben ausgedehnt 144 Schriftliche Anfrage Nr. 157/83 von Pearce an die Kommission: Beziehungen Europäisches Parlament - Kommission, ABI. 1983 Nr. C 177, S. 29. 145 Westlake, The Commission and the Parliament, S. 242. 146 Schlußfolgerungen des Vorsitzes-Edinburgh, 12. Dezember 1992, S. 8. 147 ABI. 1994 Nr. C 20 S. 174. 148 ABI. 1994 Nr. C 20 S. 175, Punkt 4. 149 ABI. 1994 Nr. C 20 S. 175, Punkt 5. 150 Vgl. den Verhaltenskodex v. 15.3.1995, ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69, Punkt 3.1. 151 Verhaltenskodex v. 15.3. 1995, ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69, Punkt 1.
Ir. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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und direkt mit der Zusammenarbeit zwischen Kommission und Rat verbunden, so daß nunmehr eine vollkommen gleichrangige Behandlung vereinbart ist: ,,12. Die Kommission unterrichtet das Europäische Parlament rechtzeitig und umfassend über ihre Vorschläge und Initiativen in den Bereichen Rechtsetzung und Haushalt sowie, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, über die die Bereiche der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffenden Vorschläge und Initiativen. In sämtlichen Bereichen, in denen das Europäische Parlament in legislativer Eigenschaft oder als Teil der Haushaltsbehörde handelt, wird es in jedem Stadium des Legislativ- und Haushaltsprozesses gleichrangig mit dem Rat unterrichtet. 13. Die Kommission veröffentlicht keine legislative Initiative bzw. keine Initiative und keinen anderen bedeutenden Beschluss, ehe sie das Europäische Parlament schriftlich darüber unterrichtet hat, und schlägt bei politisch wichtigen Fragen in Rücksprache mit dem Europäischen Parlament diesem vor, es zu unterrichten: • entweder im Plenum, wenn das Europäische Parlament zu einer Tagung zusammentritt, • oder vor der Konferenz der Präsidenten, der bei dieser Gelegenheit die Mitglieder des Europäischen Parlaments beiwohnen können, • oder durch Unterrichtung der Vorsitzenden der zuständigen Ausschüsse in geeigneter Form; die Vorsitzenden können eine Sitzung des betreffenden Ausschusses einberufen. ,,152
11. Der Kampf um ein indirektes Initiativrecht: Die Initiativberichte des Parlaments Das Europäische Parlament hat seit jeher parallel zu seinen Bemühungen, in Vorkonsultationen auf die Initiativen der Kommission Einfluß zu nehmen, versucht, das Funktionsdefizit eines fehlenden eigenen Rechts zur förmlichen Gesetzesinitiative dadurch zu kompensieren, daß es sich mit aktuellen Themen befaßt und diese in seinen Ausschüssen in Form von Initiativberichten aufbereitet. Die Initiativberichte und die Frage der Vorabbefassung lassen sich klar unterscheiden. Hier handelt es sich nicht um die Forderung nach einem Recht, das der Vertrag dem Parlament nicht zuerkennt, sondern um das Bemühen, aus übertragenen Kompetenzen durch besonderen Einsatz ein indirektes Initiativrecht zu entwickeln. Mit diesen Berichten, die regelmäßig als Entschließungsanträge mit Begründung verabschiedet und daher auch "Initiativresolutionen" genannt werden, strebt das Par152 Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission, Bulletin EU 7/8 - 2000, S. 11. Darüber hinaus ist in derselben Vereinbarung festgelegt, daß die Kommission den zuständigen Parlamentsausschuß regelmäßig über die wesentlichen Ergebnisse der Beratungen in den Instanzen des Rates unterrichtet, vor allem dann, wenn diese vom ursprünglichen Vorschlag abweichen. Ferner verpflichtet sie sich, jede eigene Änderung des Vorschlags mitzuteilen, auf deren Grundlage der Rat seine Beratungen fortführt. Die Kommission unterrichtet das Europäische Parlament möglichst rasch über ihre positiven Stellungnahmen zu den Änderungen, die der Rat an ihren Vorschlägen vorgenommen hat.
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
lament an, die Kommission durch politischen Druck zur Vorlage von Legislativvorschlägen zu bewegen. 1. Allgemeines Beratungsrecht und Selbstorganisationsrecht
Das Parlament hat von Anfang an das Recht in Anspruch genommen, sich zu allen die Gemeinschaft bzw. die Europäische Union betreffenden Fragen äußern zu dürfen 153. Der Gerichtshof hat dieses Selbstverständnis bestätigt und entschieden, daß das Parlament uneingeschränkt befugt sei, Entschließungen über derartige Fragen anzunehmen 154 . Das Beratungs- und Entschließungsrecht steht dem Parlament also nicht nur in den von den Verträgen ausdrücklich vorgesehenen Fällen zu, sondern gilt vermittels seiner Funktion, auf Unionsebene ein Forum für die politische Diskussion und Willensbildung zu bilden 155, für alle Angelegenheiten, die eine aktuelle oder potentielle Tätigkeit der Europäischen Union zum Gegenstand haben l56 . Ebenso kann das Parlament die Modalitäten der Beratung bestimmen. Diese kann die verschiedensten Formen annehmen und sowohl andere Gemeinschaftsorgane als auch Dritte einbeziehen. Zu den auf das allgemeine Beratungsrecht gestützten Aktivitäten zählen neben Debatten und der Annahme von Entschließungen etwa Anhörungen, Informationsbesuche oder Gemeinsame Erklärungen mit der Kommission und dem Rat. Das Europäische Parlament besitzt außerdem, wie die anderen Gemeinschaftsinstitutionen auch, das Selbstorganisationsrecht, d. h. das Recht, selbständig die Art und Weise der Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgaben zu regeln. Dieses umfaßt den Erlaß einer Geschäftsordnung und findet in Artikel 199 EGV seinen vertraglichen Ausdruck. Mangels einer speziellen vertraglichen Vorschrift bildete stets das allgemeine Beratungs- und Entschließungsrecht die Rechtsgrundlage für die Initiativberichte l57 • In Artikel 163 GO-EP hat das Parlament dieses Recht für die Verabschiedung von Initiativberichten wie folgt konkretisiert: ,,1. Beabsichtigt ein Ausschuß, ohne daß er mit einer Konsultation, einem Ersuchen um Stellungnahme oder einem Entschließungsantrag befaßt worden ist, zu einem Gegenstand seiner Zuständigkeit einen Bericht zu erstatten und dem Plenum darüber einen Entschließungsantrag vorzulegen, bedarf es hierzu der Genehmigung der Konferenz der Präsidenten. Ein etwaiger abschlägiger Bescheid muß stets begründet werden. Die Konferenz der
Cot, Le Parlement Europeen, S. 121 f.; Terrenoire, S. 77 ff. EuGH Rs. 230/81, Slg. 1983, S. 225, Ziff. 39 (Luxemburg I EP). 155 Jacobs/Corbett/Slulckleton, S. 271 ff.; Neßler, Willensbildung im Europäischen Parlament, S. 179 f. 156 Haag/Bieber, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 137 EGV Rn. 11. 157 Haag, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 15, Bieber, Struktur und Befugnisse des Europäischen Parlaments, S. 167. 153
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11. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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Präsidenten kann zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung festlegen, daß die Entscheidungsbefugnis gemäß Artikel 62 übertragen wird. ( . .. ) 2. Die Bestimmungen dieses Artikels finden entsprechende Anwendung in Fällen, in denen die Verträge dem Parlament das Initiativrecht zuerkennen.,,158
Ein Initiativbericht entsteht regelmäßig im federführenden Ausschuß l59 . Zu einem geringeren Teil gehen Initiativberichte auf Entschließungsanträge einzelner Abgeordneter 160 und auf Debatten über aktuelle, dringliche und wichtige Fragen 161 zurück. Die größten Erfolgsaussichten, von Kommission und Rat aufgegriffen zu werden, haben freilich jene Initiativen, die nach Beratung im zuständigen Ausschuß vom Plenum unterstützt und offiziell verabschiedet werden l62 . Die Vorlage eines Berichts ist vorab von der Konferenz der Präsidenten zu genehmigen, die sich aus dem Parlamentspräsidenten und den Vorsitzenden der Fraktionen zusammensetzt l63 . Diese kann auf eigene Initiative oder auf Antrag des zuständigen Ausschusses einen Initiativbericht an den federführenden Ausschuß zur Entscheidung überweisen l64 • In diesem Fall kann die Beschlußfassung des Plenums über die Entschließung entfallen 165. Klärungsbedürftig bleibt, ob auch nach der Aufnahme des Aufforderungsrechts gemäß Artikel 192 Abs. 2 EGV in den Vertrag das allgemeine Beratungsrecht unverändert die richtige Rechtsgrundlage für die Initiativberichte ist. Im Unterschied zur vormaligen Rechtslage scheint nunmehr der Rahmen für ein indirektes parlamentarisches Initiativrecht ausdrücklich festgelegt zu sein, weswegen Artikel 192 Abs. 2 EGV möglicherweise das allgemeine Beratungsrecht abgelöst hat. Die Konsequenz wäre beträchtlich, denn dann wären legislative Initiativberichte nur mehr als Aufforderungen mit der Mehrheit der Mitglieder zu ver158 In Artikel 163 Nr. 1 UAbs. 3 heißt es weiter: "Die im ersten Unterabsatz festgelegte Bedingung, daß dieser Artikel nur angewandt wird, wenn der beantragende Ausschuß nicht mit einer Konsultation, einem Ersuchen um Stellungnahme oder einem Entschließungsantrag befasst worden ist, muß schon deshalb genauestens eingehalten werden, weil sie das Initiativrecht der Mitglieder schützt, indem sie die Anwendung der Bestimmungen nach Artikel 48 (GO-EP) erlaubt, und weil dieser dem zuständigen Ausschuß jedwede Freiheiten hinsichtlich der an ihn überwiesenen Entschließungsanträge gibt." Laut Artikel 48 GO-EP kann jedes Mitglied des Parlaments zu einer Frage, die den Tätigkeitsbereich der Europäischen Union betrifft, einen Entschließungsantrag einreichen, wobei der federführende Ausschuß über das weitere Verfahren entscheidet. 159 Siehe Jacobs/Corbett/Shackleton, S. 218. 160 Siehe hierzu Artikel 48 GO-EP. 161 Siehe hierzu Artikel 50 GO-EP. 162 Ausführlich Neßler, Willensbildung im Europäischen Parlament, S. 181 f.; Boyce, S. 148; Weidenfeld, Europäische Verfassung, S. 37. 163 Siehe Artikel 23 Nr. 1 GO-EP. Die fraktionslosen Abgeordneten entsenden zwei nicht stimmberechtigte Mitglieder zu den Sitzungen, Artikel 23 Nr. 3 GO-EP. 164 Vgl. Artikel 62 GO-EP. 165 Stattdessen wird in der nächsten Tagung des Plenums die Entschließung als angenommen betrachtet, Artikel 62 Nr. 5 S. 1,2 GO-EP.
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
abschieden, während die Initiativberichte als einfache Entschließungen gemäß Artikel 198 Abs. 1 EGV mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen ergehen l66 . Dieser Unterschied ist für das Innenleben des Parlaments von entscheidender Bedeutung: Während im Fall der absoluten Mehrheit die beiden großen Fraktionen der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokratischen Partei Europas gemeinsam abstimmen müssen, um eine Position des Parlaments zu vertreten l67 , vermögen beide Gruppierungen einfache Initiativberichte, mit denen sie der Öffentlichkeit und den übrigen Legislativorganen ihre Vorstellungen im einzelnen präsentieren können, mit den eigenen Stimmen vorzulegen. Das Europäische Parlament geht von einem Nebeneinander beider Mittel, die Kommission zur Vorbereitung von legislativen Vorschlägen aufzufordern, aus. Neben Artikel 163 GO-EP sieht eine weitere Geschäftsordnungsregel vor, daß eine förmliche Aufforderung im Sinne von Artikel 192 Abs. 2 EGV - über das besondere Abstimmungsquorum hinaus - zusätzliche formelle und materielle Anforderungen erfüllen muß, die für einen Initiativbericht nicht gelten. Allerdings besteht zwischen den beiden Instrumenten insofern eine enge Verbindung, als eine förmliche Aufforderung auf einem Initiativbericht aufbaut. Laut Artikel 59 Nr. 1 GO-EP ,,( ... ) kann (das Parlament) die Kommission durch Annahme einer Entschließung auf der Grundlage eines gemäß Artikel 163 genehmigten Initiativberichts des federführenden Ausschusses gemäß Artikel 192 Absatz 2 des EG-Vertrags auffordern, ihm geeignete Legislativvorschläge zu unterbreiten. Die Entschließung wird mit der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments angenommen. ( ... )"
In den nachfolgenden Absätzen des Artikels 59 GO-EP sind die zusätzlichen formellen und materiellen Anforderungen präzisiert l68 , wodurch deutlich wird, daß das Parlament nicht jeden legislativen Initiativbericht als förmliche Aufforderung an die Kommission richtet. Obwohl die Unterscheidung von legislativen Initiativberichten und förmlichen Aufforderungen an sich keine Abgrenzungsprobleme aufwirft, erscheint die Regelung in der Geschäftsordnung nicht vollkommen unproblematisch, weil Artikel 192 Abs. 2 EGV abschließend gemeint sein könnte und deswegen auf die legislative Tätigkeit der Kommission zielende Beschlüsse kraft primärrechtlicher Anordnung vom Parlament nur noch mit der Mehrheit seiner Mitglieder zu fassen sein könnten. Gegen eine solche Auslegung kann zumindest nicht mit der Unterscheidung zwischen formeller und informeller Einflußnahme argumentiert werden, da die Initiativberichte ebenso wie die auf Artikel 192 Abs. 2 EGV gestützten Aufforderungen insofern förmlicher Natur sind, als sie auf 166 Zu den Anforderungen an die Beschlußfähigkeit und Abstimmung des Parlaments siehe Artikel 126 ff. GO-EP. 167 Das ist vor allem im Verfahren der Mitentscheidung bedeutsam. Das Parlament kann den Gemeinsamen Standpunkt des Rates nur mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder zurückweisen bzw. Abänderungen vorschlagen, Artikel 251 Abs. 2 b) und c) EGV. 168 Dazu im Detail in Kapitel 9 unter I. 2.
II. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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nach einem bestimmten Verfahren zustande gekommenen Entschließungen beruhen. Überdies ist hier in Erinnerung zu rufen, daß das parallele Aufforderungsrecht nach Artikel 208 EGV als umfassende Grundlage für die Einwirkung des Rates (wenn auch nicht der Mitgliedstaaten) auf die legislativen Vorschläge anzusehen ist 169 • Folglich ließe sich annehmen, daß auch Artikel 192 Abs. 2 EGV im selben Umfang als vertragliche Basis auszulegen sei. Ohne aber im weiteren auf die Problematik zuzusteuern, welche Konsequenzen eine primärrechtswidrige Aufspaltung zwischen den mit einfacher Mehrheit beschlossenen Initiativberichten und gegebenenfalls einzig zulässigen förmlichen Aufforderungen nach sich ziehen würde, ist trotz der genannten Bedenken die Beibehaltung der bisherigen Praxis als zulässig anzusehen. Hierfür spricht entscheidend, daß mit Artikel 192 Abs. 2 EGV dem Parlament ein Mehr an Rechten gegeben werden sollte und nicht das unbestritten bestehende Recht zu Initiativberichten beschnitten werden sollte 170. Wäre demgegenüber Artikel 192 Abs. 2 EGVals einzige Rechtsgrundlage für legislative Aufforderungen anzusehen, so wäre das Beratungsrecht erheblich begrenzt anstatt ausgebaut worden, wovon angesichts seiner vom Gerichtshof bestätigten prinzipiellen Bedeutung jedoch nicht ausgegangen werden kann. Im Unterschied zu Artikel 208 EGV stellt Artikel 192 Abs. 2 EGV mit dem Erfordernis der Beschlußfassung mit der Mehrheit seiner Mitglieder strenge Anforderungen an legislative Aufforderungen. Daher verursacht es keinen Systembruch, in Artikel 208 EGV für den Rat eine abschließende Regelung zu sehen, im Fall der parlamentarischen Einwirkung aber ein Nebeneinander zwischen Initiativberichten und formellen Aufforderungen zuzulassen. Nebenbei bemerkt kommt ein praktisches Argument hinzu: Die seit Inkrafttreten des Unionsvertrags übliche Praxis des Parlaments, sowohl legislative Initiativberichte zu verabschieden als auch auf Artikel 192 Abs. 2 EGV gestützte (und aus Initiativberichten hervorgegangenen) Aufforderungen auszusprechen, hat keinen Protest geweckt, weder von Seiten der Kommission noch aus dem Rat. Eine andere, hier nicht weiter nachzugehenden Frage ist, ob es aus politischen Gründen ratsam wäre, legislative Entschließungen in Zukunft nur noch auf der Grundlage von Artikel 192 Abs. 2 EGV (i. V. m. Artikel 59 GO-EP) zu beschließen und die auf das allgemeine Beratungsrecht gestützten Berichte auf nichtlegislative Initiativen zu beschränken. Offenbar kursieren in der Tat ebensolche Überlegungen im Parlament, das gegenwärtig seine Geschäftsordnung überarbeitet. Im Rahmen der mit dem Arbeitsdokument des federführenden Ausschusses für konstitutionelle Fragen eröffneten Beratung l7l hat der Ausschuß für Recht und Binnenmarkt empfohlen, die Verbindung von förmlichen Aufforderungen und Initiativberichten aufzulösen. Dies würde bedeuten, daß auf der Grundlage des allgemeinen Siehe hierzu in Kapitel 5 unter III. 2. Dazu näher in Kapitel 9 unter III. 2. 171 Siehe hierzu das Arbeitsdokument des Ausschusses für konstitutionelle Fragen vom 26. März 2001 zur Überarbeitung der Geschäftsordnung, im Internet abrufbar unter http:// www.europarl.eu.int/ meetdocs / committees / afco / 200 10409/ 431998DE.pdf. 169
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
Beratungsrechts ergehende Initiativberichte nur noch nichtlegislative Themen betreffen und sämtliche legislativen Anstöße mit absoluter Mehrheit ergehen sollen l72 • Um sich mit einer solchen Neuregelung nicht zu sehr selbst zu fesseln, regt der Ausschuß die Streichung der in Artikel 59 GO-EP selbstauferlegten speziellen Anforderungen an. Der Ausstoß des Parlaments und seiner Ausschüsse an Initiativberichten ist nach wie vor beträchtlich. Es sind dies im Schnitt der letzten zwölf Jahre zwischen 150 und 250 Initiativberichte und Entschließungsanträge 173 • Davor bewegte sich die jährliche Anzahl der Berichte sogar regelmäßig in höheren Größenordnungen l74 . Die Initiativberichte werden gelegentlich als Indikator des Interesses der europäischen Abgeordneten herangezogen, aktuelle Fragen der Europapolitik in die Öffentlichkeit zu bringen 175. In den Zeiten der schwach ausgebildeten Parlamentskompetenzen fungierten die Resolutionen tatsächlich im wesentlichen als Mittel, die politische Agenda der Gemeinschaft mitzubestimmen, wobei sie für die Fraktionen das wichtigste Instrument darstellten, ihren Standpunkt zu einer speziellen Frage zu veröffentlichen. Selbst wenn diese Stellungnahmen nicht zur Annahme neuen Sekundärrechts führten, eröffneten sie doch den Weg, das kollektive Gestaltungsinteresse zu artikulieren. In der Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre fallt auf, daß die Konzentration der parlamentarischen Initiativen mit den konstitutionellen Veränderungen der Gemeinschaft bzw. der Union korrespondiert 176• Für die Jahre 1984 bis 1986 ist ein deutlicher Zuwachs zu registrieren, vor allem das Bemühen um die Weiterentwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in eine Europäische Union. Die mit der Einheitlichen Europäischen Akte eingeführten Verfahren der Zusammenarbeit und der Zustimmung hatten anschließend eine Rückführung parlamentarischer Initiativen gebracht, die erst wieder mit der Debatte um den Unionsvertrag von 1992 angestiegen sind. Nach Inkrafttreten des Maastrichter Vertragswerks hat sich der Einsatz von Initiativresolutionen erneut merklich verringert und wenn man in dieses Bild den Zuwachs an Abgeordneten jeweils nach dem Beitritt Spaniens und Portugals im Jahre 1985 und Finnlands, Schwedens und Österreichs im Jahre 1995 aufnimmt, so ist insgesamt der Prozentsatz von Initiativberichten pro Abgeordnetem beträchtlich gesunken. Eine Erklärung hierfür könnte in der Aufwertung des Parlaments in den Gesetzgebungsverfahren zu sehen sein. Angesichts der mit der Rolle als Mitgesetzgeber gestiegenen Belastung und Verantwortung l77 richtet das Parlament seine Tagesordnungen im wesentlichen auf die Beteiligung an laufenden Rechtsetzungsverfahren aus, so daß 172 Vgl. Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 13. 9. 2001, S. 7 I 18, http://www.europarl.eu.intl meetdocs I committees I afco I 200 11218 1448763de.pdf. 173 Vgl. die graphische Übersicht bei Maurer; Pouvoir renforce du Parlement europeen, S.62. 174 Läufer; in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 137 Rn. 11. 175 Maurer; Pouvoir renforce du Parlement europeen S. 61. 176 Zu den genauen Zahlen Maurer; Pouvoir renforce du Parlement europeen, S. 63. 177 Dazu ausführlich Maurer; Regieren nach Maastricht, S. 213 ff.
11. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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zur Initiierung neuer Vorhaben weniger Zeit und Ressourcen zur Verfügung stehen 178 • 2. Einige Beispiele erfolgreicher Initiativberichte
In der Literatur werden die Initiativberichte zumeist abstrakt dargestellt, ohne einzelne Resolutionen im Detail zu betrachten. Dies hat nicht nur mit der Vielzahl der Berichte zu tun, sondern hauptsächlich mit der Schwierigkeit, ihren tatsächlichen Einfluß auf die gemeinschaftliche Rechtsetzung nachzuzeichnen 179. Die Verbindung zwischen parlamentarischen Initiativen und ihrer Umsetzung in formelle Vorschläge bis hin zur Beschlußfassung ist fast nur durch Informationen von Insidern aufzudecken. So gibt Corbett darüber Auskunft, daß der STABEX-Fonds und die Menschenrechtsklauseln im Vierten Lome-Abkommen von 1989 maßgeblich auf Initiativen der zuständigen parlamentarischen Ausschüsse zurückgehen, desgleichen der Kommissionsvorschlag zum Verbot der Tabakwerbung l8o . Da diese Vorarbeiten weder an sich noch gar ihre substantielle Berücksichtigung im Kommissionsvorschlag l81 , im Lome-Abkommen und in der Richtlinie zum Tabak-Werbeverbot 182 und auch nicht in den Stellungnahmen dokumentiert sind, ist dieser political impact von außen kaum zu bemerken, geschweige denn zu verifizieren. Gelegentlich werden die parlamentarischen Ursprünge in den Kommissionsvorschlägen genannt, oder aber die Stellungnahmen des Plenums nehmen auf Vorarbeiten der eigenen Ausschüsse Bezug. Mitunter lassen sich prägende Vorarbeiten auch durch einen Vergleich zwischen Entschließungen und der endgültigen Gestalt eines Rechtsakts erkennen. Insgesamt hat das Parlament im Laufe der Jahre unzählige Berichte auf den Weg gebracht, denen gesetzgeberische Vorschläge der Kommission folgten, welche zuletzt als Gemeinschaftsrechtsakte verabschiedet wurden. Im folgenden sind einige Initiativen aufgeführt. Eine aufgrund ihrer starken Öffentlichkeitswirkung bekannt gewordene Initiative, die trotz anfänglichen Widerstands der Kommission wie auch des Rates Erfolg hatte, richtete sich Anfang der 80er Jahre auf ein Verbot, Felle von jungen Seehunden in die Gemeinschaft zu importieren. Das Parlament unterstützte eine länderübergreifende Unterschriftenkampagne, die 1982 zu mehr als einer Million Unterschriften führte. Die Kommission legte Ende 1982 einen Vorschlag für ein Verbot 178 Maurer, Pouvoir renforce du Parlement europeen S. 61. ("Diminution des initiativescodecision en tant que facteur depolitisant. ") 179 Vgl. dazu Judge/ Eamshaw/Cowan, S. 29. Näher hierzu sogleich am Ende dieses Abschnitts. 180 Corbett/Jacobs/Shackleton, S. 218. 181 Vorschlag für die am 30. Juli 1997 in Kraft getretene Richtlinie 98/43/ EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, ABI. 1989 Nr. C 124, S. 5. 182 ABI. 1998 Nr. L 213, S. 9.
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
vor 183 , der als "Richtlinie 83/129/EWG des Rates betreffend die Einfuhr in die Mitgliedstaaten von Fellen bestimmter Jungrobben und Waren daraus" verabschiedet wurde l84 . In der Stellungnahme hat das Parlament auf seinen wegbereitenden Anteil hingewiesen 185. Im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktprogramms stieg die Zahl der Initiativberichte massiv an, so daß sich nach der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte zahlreiche Beispiele parlamentarischer Anregungen finden, die von der Kommission übernommen und vom Rat im Verfahren der Zusammenarbeit umgesetzt wurden 186. Ein Exempel ist die "Richtlinie 89/552/ EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit", die als Richtlinie für ein ,Fernsehen ohne Grenzen' bekannt wurde l87 . Auch hier vermerkt die Stellungnahme zum Vorschlag 188 die eigene Pionierarbeit l89 . In aller Regel hat es das Parlament - auch bei besonders wichtigen Initiativen vermieden, vollständige Gesetzesentwürfe auszuarbeiten und sich darauf beschränkt, die Grundlinien der zu treffenden Regelungen zu ziehen, der Kommission aber die Ausarbeitung der Einzelheiten, insbesondere technischer Details, zu überlassen. Diese Regel wird, nach dem geflügelten Wort, durch die seltenen Einzelfälle kompletter Entwürfe bestätigt. So ging, ebenfalls zur Verwirklichung des Binnenmarkts, aus einem detaillierten Initiativbericht die praktisch verabschiedungsfähige "Entschließung zur Rechts- und Amtshilfe der Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten bei lebensmittelrechtlichen Vorschriften und Qualitätsnormen,,190 hervor, die das Parlament der Kommission übermittelte und die als in großen Teilen unveränderter Vorschlag vom Rat akzeptiert und als Richtlinie umgesetzt wurde l91 . Zuvor waren im Parlament wohl lediglich zwei vollständige Entwürfe für Verordnungen des Rates ausgearbeitet worden. Im Jahr 1970 hatten die beiden französischen Abgeordneten Armengaud und Jozeau-Marigne dem Parlament den Entwurf für eine "Europäische Kooperationsvereinigung" vorgelegt l92 . Die Kommission hatte diesen Entwurf aber nicht übernommen, sondern mehrere Jahre später ein eigenes Modell vorgelegt l93 . Einen ähnlichen Versuch unternahm KOM 82/0639 endg.; ABI. 1982 Nr. C 285, S. 7. Richtlinie vorn 28. März 1983, ABI. 1983 Nr. L 91, S. 30. 185 ABI. 1982 Nr. C 334, S. 132. 186 Haag, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 15. 187 Richtlinie vorn 3. Oktober 1989, ABI. 1989 Nr. L 298, S. 23. 188 KOM 86/0146 endg.; ABI. 1986 Nr. C 179, S. 4. 189 ABI. 1988 Nr. C 49, S. 53. 190 Entschließung vorn 7.7. 1988, ABI. 1988 Nr. C 235, S. 132. 191 Richtlinie 88/599/EWG des Rates, ABI. 1988 Nr. L 315, S. 55. 192 Europäisches Parlament, Verhandlungen 1970, Dok. 113, S. 71. 193 Lasalle, S. 127 ff.; Patijn, S. 12 f. 183 184
11. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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das Parlament mit einer direkt an den Rat gerichteten "Entschließung zu im Rahmen der Entwicklung der Fischzucht in der Gemeinschaft zu treffenden Maßnahmen,,194. Dieser Entschließung fügte das Europäische Parlament einen ausformulierten "Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über gemeinsame Maßnahmen zur Entwicklung der Fischzucht in der Gemeinschaft,,195 bei und empfahl der Kommission seine unveränderte Vorlage zum Rat. Wie eingangs angedeutet, nimmt die Kommission bisweilen von sich aus in den formellen Vorlagen direkt Bezug auf Vorarbeiten aus den entsprechenden Ausschüssen. Dies mutet dann meistens geradezu spektakulär an, weil der vorangehende, informelle Kontakt typischerweise nicht in offiziellen Dokumenten festgehalten wird l96 . Vor allem der Umweltausschuß des Parlaments hat in dieser Disziplin die Maximierung seines Einflusses betrieben l97 . So nimmt der Ausschuß mit Berichten auf der Grundlage des Artikels 163 GO-EP an der aktuellen Arbeit der Generaldirektion Umwelt regelmäßig Anteil, indem er sowohl die laufenden Kommissionsarbeiten mit eigenen Untersuchungen begleitet als auch neue Aktionen anregt l98 . Die traditionell intensive Kooperation im Umweltbereich illustriert die Initiative des Umweltausschusses von Dezember 1988 unter dem Vorsitzenden Ken Collins, dessen Vorarbeiten schließlich in einem umfassenden Grünbuch der Kommission über die städtische Umwelt mündeten l99 . Der damalige Kommissar Carlo Ripa di Meana stellte das Grünbuch der Öffentlichkeit mit der Bemerkung vor, es handele sich um eine "practical response to the resolution tabled in December 1988 by a Member of the European Parliament, Ken Collins, urging that the problems facing the urban environment be studied in greater detail. ,,200 Solche Verknüpfungen sind aber nur selten in derart markanter Form publik gemacht. In einer auf mehrere Fallstudien gegründeten Untersuchung haben Judge, Eamshaw und Cowan vorgeschlagen, das Ausmaß, mit dem das Parlament bzw. seine Ausschüsse die Arbeit in den Fachabteilungen der Generaldirektionen beeinflussen können, mithilfe von vier Variablen zu bestimmen 201 . Zum ersten durch die Charakterisierung der Gemeinschaftspolitik. Hiernach eigneten sich sog. low-visibility-Politiken, welche durch einen hohen Grad an Kooperation zwischen den beteiligten, zuständigen Akteuren gekennzeichnet seien, weniger für eine nachhaltige Einwirkung durch das Parlament, während sog. Durchführungspolitiken (regulatory policies), wie der Umweltschutz, der als offener, wenig ABI. 1979 Nr. C 140, S. 117. ABI. 1979 Nr. C 140, S. 120. 196 van Sehendelen, Das Geheimnis des Europäischen Parlaments, S. 418. 197 Dazu näher Neuhold, S. 101. 198 Judge/Eamshaw, S. 262 ff. 199 Griinbuch der Kommission über die städtische Umwelt: Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Parlament KOM (90) 218 endg. vorn 6.7. 1990. 200 Zitiert nach Judge / Eamshaw, S. 266. 201 Judge/Eamshaw/Cowan, S. 27 ff. 194
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15 von BUldar
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
spezialisierter und nicht durch einen geschlossenen Teilnehmerkreis von Akteuren gekennzeichneter Sektor eingeordnet wurde, deutlich mehr Platz für parlamentarische Anregungen böten. Zum zweiten fungiert als wichtiger Maßstab die Beschlußfassungsform im Rat (dominance by intergovemmentalism). In den Gemeinschaftspolitiken, in denen der Rat einstimmig Beschluß faßt, erscheine der Einfluß von Gemeinschaftskompetenzen tendenziell schwächer, weswegen das Parlament seinen Einfluß in besonderer Weise gegen nationale Widerstände geltend machen müsse. Zur Untersuchung der inter-institutionellen Beziehungen schließlich wird je nach dem vorgeschriebenen Rechtsetzungsverfahren zwischen den formellen Ebenen und den informellen Kontakten zwischen Parlament, Kommission und Rat unterschieden. Für die Einbindung des Parlaments in die Aufstellung der Jahresgesetzgebungsprogramme sei von Bedeutung, daß das Parlament unmittelbar im Anschluß an die Veröffentlichung des Jahresplans durch die Kommission für alle aufgeführten Legislativvorschläge die Berichterstatter der zuständigen Parlamentsausschüsse benenne (und nicht erst nach der offiziellen Vorlage), um auf diese Weise den frühzeitigen, direkten Kontakt zwischen den Kommissionsstellen und den zuständigen Ausschüssen herzustellen (inter-institutional relations). Schließlich beziehen die Autoren die zur Verfügung stehenden Mittel und Ressourcen mit ein und stellen fest, daß hinsichtlich der Quantität und der Qualität des auf Parlamentsseite eingebundenen Personals erhebliche Unterschiede zwischen den Ausschüssen bestünden (institutional resources). 3. Zur Rechtswirkung der Initiativberichte
Die Initiativberichte sind nach ganz herrschender Auffassung unverbindlich und begründen keine Pflicht der Kommission, ihre Inhalte in formelle Vorschläge zu übertragen und Rat und Parlament als Rechtsaktentwürfe vorzulegen202 . Die Frage nach der Rechtswirkung richtet sich deswegen auf die Bestrebungen des Parlaments, die Kommission an seine Initiativen zu binden und auf deren Reaktion. a) Standpunkt des Europäischen Parlaments Die Reformvorstellungen des Parlaments zielten seit den 70er Jahren darauf ab, den Initiativresolutionen Bindungscharakter zu verschaffen und reichen bis zur Einheitlichen Europäischen Akte. Mit der Entschließung vom 14. September 1981 betreffend das Recht auf gesetzgeberische Initiative und zur Rolle des Europäischen Parlaments im Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft203 und mit der 202 Siehe Haag, in: Groeben/Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 15; liiufer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 137 EGV Rn. 23. Anders nur Bleckmann, Demokratieprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 175. Dazu näher unter c). 203 ABi. 1981 Nr. C 234, S. 64.
11. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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Entschließung vom 8. Oktober 1986 betreffend die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission im institutionellen Rahmen der Verträge204 wurde die Kommission aufgefordert, sich zu verpflichten, gesetzgeberische Initiativen des Parlaments als eigene Initiativen im vertraglichen Sinne dem Rat zu übermitteln. Dieselbe Forderung hatte das Parlament schon in den Entwurf eines Vertrags zur Gründung der Europäischen Union von 1984205 eingebaut, der ein umfassend angelegtes neues Modell für die Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse zwischen Parlament, Rat und Kommission enthielt206 . Nach der Einheitlichen Europäische Akte, besonders im Vorfeld der Verhandlungen zum Maastrichter Unionsvertrag, ist das Parlament dazu übergegangen, ein eigenes, unmittelbares Initiativrecht zu fordern 207 .
b) Selbstverpflichtung der Kommission Die Kommission hatte bis zur ersten Direktwahl die automatische Übernahme von Initiativen stets abgelehnt208 , genauso wie die Verpflichtung zur Vorkonsultation oder zur Übernahme der Änderungsanträge209 . Dies galt sowohl für das Prinzip, ob ein Vorschlag gemacht werden soll, wie auch für die Modalitäten, welchen Inhalt ein Vorschlag haben S011 21O . Andererseits hatte sie sich im politischen Zusammenspiel meist bemüht, den Anliegen des Parlaments so weit wie möglich zu entsprechen 211 . Diese Haltung entsprach der Gewißheit, daß die Kommission mit der Unterstützung des Parlaments ihren Vorschlägen mehr Gewicht verleihen, insbesondere ein Maximum an Legitimität leihen konnte, um "ihre eigene, fragile, nur auf den Erfolg gegründete (Legitimität) zu verstärken.,,212 Nicht nur aus denim Verhältnis zum Rat bereits erörterten - juristischen Gründen, sondern nachgerade aus politischen Motiven blieb die Kommission gleichwohl darauf bedacht, auch ABI. 1986 Nr. C 283, S. 39. ABI. 1984 Nr. C 77, S. 33. 206 Artikel 37 des Entwurfs. Siehe ausführlich Bieberl Jacque/Weiler, An ever c10ser union. Weitere Nachweise bei Läufer, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 137 EGV vor Rn. 1. 207 Entschließung zu der auf der Madrider Tagung des Europäischen Rates beschlossenen Regierungskonferenz, ABI. 1989 Nr. C 323, S. 111; Entschließung zu der Regierungskonferenz im Rahmen der Strategie des Europäischen Parlaments im Hinblick auf die Europäische Union, ABI. 1990 Nr. C 96, S. 117. Näher in Kapitel 10 unter III. 3. 208 V gl. hierzu die Antwort der Europäischen Kommission auf die Anfrage Nr. 279/1979, ABI. 1979 Nr. C 253, S. 8. 209 V gl. hierzu bereits unter I. 1. 204 205
Ehlermann, S. 357. Vgl. hierzu andererseits die Kritik im Bericht der Drei Weisen über die Europäischen Institutionen von Oktober 1979, wonach die Kommission den Entschließungen besser Rechnung tragen sollte, S. 79. 212 Ehlermann, S. 358 (Einschub d. Verf.). 210
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
gegenüber dem Parlament ihre Autonomie zu wahren. Diese Grundhaltung blieb für die Kommission für ihre Verfahrensweise mit den parlamentarischen Initiativen die wichtigste Maxime, zumal sich in den Initiativberichten nicht nur der politisch unanfechtbare Wunsch der Abgeordneten äußerte, die Gemeinschaftsagenda nachdrücklicher mitzubestimmen. Vielmehr rührten die immer nachdrücklicher geltend gemachten Ansprüche, diese Anstöße auch ernst zu nehmen, ganz beträchtlich an das Verhältnis der Kommission zum Rat, weil die Mitgliedstaaten - wie schon bei der Frage der Vorabkonsultation - für das Verhältnis zum Parlament auf der vollkommen unabhängigen Ausübung des Vorschlagsrechts bestanden. Die Behandlung von parlamentarischen Initiativen barg darum einiges Konfliktpotential, wenn es nicht gar um die Vermeidung eines Verfassungskonflikts ging: "Wichtigste Überlegung ist, daß der Rat auf Vorschläge der Kommission angewiesen ist. Würde die Kommission dem Parlament gegenüber Verpflichtungen des Ob und des Wie ihrer Vorschläge eingehen, so würde sie nicht nur den Entscheidungsprozeß im Rat enorm erschweren. Sie würde auch die Grundlagen für einen - bereits früher erwähnten - Verfassungskonflikt schaffen, dessen Folgen nicht abzusehen wären. Denn wie würde der Rat darauf reagieren, wenn sich die Kommission mit Rücksicht auf die Haltung des Parlaments weigern würde, einen vorn Rat - oder vorn Europäischen Rat - erbetenen Vorschlag zu machen? Und würde nicht außerdem in Kürze mit einern - ebenso fundamentalen - Verfassungsstreit über die Grenzen des Änderungsrechts des Rates nach Art. 149 Abs. 2 EWGV zu rechnen sein? Daß die Kommission im übrigen ihre Maklerfunktion im Rat verlieren würde, scheint demgegenüber nahezu zweitrangig. Das gleiche gilt für die Aufgabe, zwischen Rat und Parlament zu vermitteln (eine Aufgabe, die in Zukunft eher wichtiger werden wird.),,213
Nur wenige Monate, nachdem Ehlennann so auch die Initiativen des Parlaments als wahrlich schwieriges Geschäft der Kommission geschildert hatte, erklärte sich diese in einer Mitteilung an den Rat und das Parlament vom 14. November 1981, dem Andriessen-Bericht über die inter-institutionellen Beziehungen, bereit, die Initiativen des Parlaments zu prüfen und auch aufzugreifen, soweit keine substantiellen Einwände bestehen. Dabei nahm die Kommission unmittelbar Bezug auf die mit der Direktwahl gewonnene Legitimität: "Die Kommission hält es für recht und billig, daß ein in unmittelbarer Wahl gewähltes Parlament über die Initiativen berät, die ergriffen werden sollen, um die Gemeinschaft weiter voranzubringen, und daß es die konkrete Durchführung seiner Schlußfolgerungen fordert. Nach den Aussprachen in der Plenarsitzung überdenkt die Kommission die Initiativen stets sorgfaItig und ist bereit zu prüfen, inwieweit sie ihnen bei der Ausübung ihrer Tatigkeit Folge leisten kann. Die Kommission mißt den vorn Parlament in Form förmlicher Vorschläge unterbreiteten Ideen größte Bedeutung bei. Soweit sie keine substantiellen Einwände hervorrufen, ist sie bereit, sie aufzugreifen, andernfalls verpflichtet sie sich, dem Parlament innerhalb einer angemessenen Frist die Gründe für ihre Haltung im einzelnen darzulegen.,,214
Ehlemwnn, S. 358. 214 Bulletin EG, Beilage 3/1982, S. 10 f. (Punkt 18). 213
H. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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Obgleich damit ohne Zweifel ein großer Schritt für das Parlament getan war215 , widerlegte diese Mitteilung nicht etwa die Überlegungen Ehlermanns, sondern bestätigte sie sogar, wenngleich auf indirekte Weise. Wie schon bei der Behandlung der Vorkonsultationen hatte die Kommission die eigentliche Forderung abgewehrt und mit ihrer Zusage zugleich die äußersten Grenzen der parlamentarischen Einflußnahme abgesteckt. Die Selbstverpflichtung bedeutete nicht mehr als eine, wenn auch in ihrer Reichweite beachtliche Prüjungszusage und schloß eine automatische Bindung aus. Wie sehr der Kommission an dieser KlarsteIlung gelegen war, geht auch aus einer weiteren Passage derselben Mitteilung hervor, in der die Unverletzlichkeit ihres formellen Vorschlagsrechts unterstrichen ist: "Die Kommission wünscht infolgedessen zwar, daß das Parlament eigene Initiativen entwickeln kann, und sie hat die feste Absicht, es darin nach Möglichkeit zu unterstützen, doch muß sie auch unmißverständlich klar machen, daß die Beteiligung des Parlaments am Beschlußfassungsprozeß im formellen Sinn nur auf Kosten des Quasimonopols gehen darf, das der Rat auf diesem Gebiet innehat.,,216
Seit März 1983 gibt die Kommission, nach einem Briefwechsel zwischen dem Parlamentspräsidenten Dankert und dem Präsidenten der Kommission Thom, in halbjährlichen Berichten über die Behandlung der Initiativen vor dem Plenum Auskunft, insbesondere auf welche Initiativen hin die Kommission konkrete Aktionen in Gang gesetzt hatte217 • Der 1985 ins Amt gekommene Präsident der Kommission Delors bekräftigte diese Bereitschaft218 . Seitdem ist es übliche Praxis, die Halbjahresberichte durch monatliche Mitteilungen über den Stand der parlamentarischen Initiativen in der Kommission zu ersetzen und diese im zuständigen Ausschuß zu behandeln219 • c) Stellungnahme Die Auseinandersetzung um Initiativen aus dem Parlament ist, so sehr vor und hinter den Kulissen um ihre Verwirklichung in Rechtsaktvorschlägen gerungen wird, stets auf der Grundlage einer gemeinsamen Rechtsauffassung ausgetragen worden. Eine Bindung der Kommission an die Initiativen bestand zu keinem Zeitpunkt, vielmehr bestanden die Bestrebungen des Parlaments gerade darin, eine solche Bindung herzustellen. Trotz dieser prinzipiellen Übereinstimmung soll die Ausgangsforderung, nach der die Kommission verpflichtet werden sollte, parBieber, Struktur und Befugnisse des Europäischen Parlaments, S. 167. 216 Bulletin EG, Beilage 3/ 1982, S. 9 (Punkt 13). 217 Corbettl Jacobs/Shackleton, S. 218. 218 Verhandlungen des Parlaments vom 15. 1. 1985 (Anhang), ABI. 1985 Nr. C 42, S. 3231; Verhandlungen des Parlaments vom 16. 1. 1986 (Anhang), ABI. 1986 Nr. C 217, S. 334. 219 CorbettlJacobslShackleton, S. 218. 215
3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
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lamentarische Initiativen als eigene fonnelle Vorschläge dem Rat vorzulegen, im Lichte der Prüfungszusage von 1981 einer kurzen Nachbetrachtung unterzogen werden. Es fragt sich, ob ein solcher Automatismus überhaupt zulässig wäre. Diese Frage wäre möglicherweise zu bejahen, wenn die Direktwahl als Ausgangspunkt einer Neubewertung der parlamentarischen Kompetenzen heranzuziehen wäre. So hat Bleckmann Anfang der 80er Jahre eine auf der Grundlage des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips neugestaltende Interpretation des institutionellen Primärrechts gefordert und unter anderem ein parlamentarisches Initiativrecht angenommen: "Das Demokratieprinzip verbietet eine Auslegung des Vertrages, nach welcher die Initiative zur Gesetzgebung in der EG nur bei der Kommission liegt. Gerade auch das Europäische Parlament besitzt ein Initiativrecht, dem die Kommission und der Ministerrat grundsätzlich folgen müssen.'.220
Die Wirkung eines solchen Initiativrechts müßte konsequenterweise für die üblichen Initiativresolutionen gelten - zumal die Form nicht bestimmt ist -, so daß diese doch, zumindest seit der Direktwahl, Bindungskraft entfalten221 • Daher könnte anzunehmen sein, daß die Kommission dem parlamentarischen Initiativrecht folgen und dessen Entschließungen als ihre Vorschläge einbringen müßte. In der Literatur findet diese Auslegung, soweit ersichtlich, nur an einer Stelle Unterstützung. Bereits zehn Jahre zuvor, noch vor der Direktwahl, hatte Lasalle als Ausfluß des Demokratieprinzips ein Initiativrecht des Parlaments bejaht, das neben dem fönnlichen Vorschlagsrecht der Kommission bestehe.
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"Quant !'initiative, elle n'est reservee par le traite aucune institution deterrninee. 11 est, certes, logique que l'institution proposante en beneficie. Mais le meme droit appartient l'assemblee, car, dans la mesure Oll ses comp6tences ne sont pas expressement lirnitees par le traite, elle a une vocation naturelle exercer toutes les competences generalement attribues la representation democratique dans les Etats membres. Affirmer le droit d'initiative de l'assemblee en matiere normative, ce n'est pas rec1amer pour ceIle-ci une extension de ses pouvoirs actuels. C'est simplement lui reconnaitre une competence qui est l'essence meme de la democratie. ,,222
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Gegen die Ableitung eines solchennaßen verbindlichen Initiativrechts hat sich Klein mit der Feststellung gewendet, daß die unter den Gemeinschaftsinstitutionen exklusive unmittelbare demokratische Legitimation des Parlaments zwar die politische Basis biete, mehr einzufordern als ihm bislang an Funktionen und Befugnissen rechtlich zugestanden wurde, daß aber mit der Direktwahl kein automatischer Zuwachs an Kompetenzen zu verzeichnen sei: "Nun ist - wie dargestellt - unbestreitbar, daß das Demokratieprinzip sich gerade im Parlament widerspiegelt. Zwingend läßt sich hieraus aber eine Kompetenz nicht herleiten. Ein Mehr an demokratischer Legitimation wirkt nicht für sich schon kompetenzbegründend. 220
221 222
Bleckmann, Demokratieprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 175. Die Ausführungen Bleckmanns enthalten in diesem Punkt keine Festlegung. Lasalle, S. 136.
H. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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Die Initiativberichte des Parlaments, die im Zusammenhang mit seiner mitwirkenden Tätigkeit gesehen werden können, stoßen an die Grenze dessen, was das geltende Gemeinschaftsrecht zuläßt. Aus denselben Gründen ist es nicht möglich, die Parlamentarisierung der Gemeinschaften durch Einschaltung des Europäischen Parlaments in den Bestellungsprozeß der Kommissionsmitglieder unmittelbar dem Demokratieprinzip zu entnehmen. Zwingend wäre dies nur, wenn allein das Europäische Parlament als Legitimationsspender in Frage käme. Dies ist jedoch, wie ein Blick auf den Ministerrat zeigt, nicht der Fall. Der Doppellegitimation, auf der die Gemeinschaften gründen, würde zwar die gemeinsame Verantwortung strukturell entsprechen. Ihr Fehlen widerspricht jedoch nicht den an eine demokratische Gemeinschaft von Staaten zu stellenden Anforderungen. Die Einflußnahme des Volkes oder der unmittelbar von ihm gewählten Vertreter auf die Bestellung der Exekutive ist im Staat allerdings zum festen Bestandteil von Volksherrschaft geworden. Die Übertragung dieser Sicht auf die Gemeinschaften verabsolutiert unzulässig scheinbar parallele Verfassungserscheinungen ohne zu bedenken, daß der Rahmen eine völkerrechtliche Vertragsgemeinschaft ist, in der - anders als im Staat - die Souveränität nicht allein im Volk zentriert ist. ..223
Wenn somit nachgewiesen ist, daß die direkte demokratische Legitimation für sich genommen keinen - zwingenden - Grund für Kommission und Rat darstellt, Gesetzgebungsinitiativen des Europäischen Parlaments nachkommen zu müssen, so ist hieraus weiter zu folgern, daß die Direktwahl die Befugnis zur legislativen Verfahrenseröffnung nicht umgestülpt hat. In einer Untersuchung der rechtlichen Bedeutung des Verfassungsprinzips der parlamentarischen Demokratie für den Integrationsprozeß betont auch Hilf die vertragliche Kompetenzzuweisung: "Im Bereich des Initiativrechts im engeren Sinne kann sich das Parlament nicht auf die gemeinsame parlamentarische Tradition der Mitgliedstaaten berufen, um ein Initiativrecht zu beanspruchen. Die Verträge sind insoweit eindeutig, die Kommission hat sich aufgrund ihres Initiativmonopols zu Recht allem Verlangen des Parlaments widersetzt. Die interinstitutionelle Zusage der Kommission, Initiativen des Parlaments aufzugreifen, zu denen sie keine substantiellen Einwände hat, schränkt das Initiativmonopol in keiner Weise ein. Auch darf die Kommission auf das Verlangen einer vorherigen Anhörung des Parlaments vor der Beschlußfassung über einen Kommissionsvorschlag nur insoweit eingehen, als sie ihre ungeteilte Verantwortung behält. Die von der Kommission gegebene Berücksichtigungszusage hält sich in diesem Rahmen. Allein ein völliges Ausscheiden des Parlaments aus den Vorüberlegungen der Kommission würde auch aufgrund der von der Kommission gegebenen Absichtserklärungen gegen die Rechtspflicht zum loyalen Zusammenwirken verstoßen ... 224
Damit gewinnt die generelle Frage an Interesse, inwieweit die Organe untereinander eine Zusammenarbeit vereinbaren können, die zu einer Änderung der vertraglich vorgesehenen Funktionenteilung im Rechtsetzungsverfahren führen würde, denn es ist schlicht zu induzieren, daß sich die Kommission mit einer weitergehenden Zusage ihrer grundsätzlichen Ermessensfreiheit über das "Ob" der Vorlage begeben hätte. 223 224
Klein, Entwicklungsperspektiven für das europäische Parlament, S. 107. Hilf, Die Bedeutung des Verfassungsprinzips, S. 26 f.
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3. Teil, Kap. 7: Initiativberichte des EP
Die Möglichkeiten und Grenzen interinstitutioneller Vereinbarungen, deren Grundlage wiederum das Selbstorganisationsrecht ist, das auch eine Kompetenz zur Regelung des Verhältnisses zwischen den Organen begründet225 und deren grundsätzliche Zulässigkeit einer Reihe von Hinweisen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen ise 26 , sind im Schrifttum im einzelnen ausgelotet worden. Zu den interinstitutionellen Vereinbarungen zählen auch einseitige Verpflichtungen, die ein Gemeinschaftsorgan gegenüber dem anderen eingeht227 . Ungeachtet der im Zentrum der juristischen Analyse stehenden - und nicht einheitlich beurteilten228 - Bindungskraft interinstitutioneller Vereinbarungen hat Schwarze dargelegt, daß de lege lata der EG-Vertrag mit seinen Kompetenzzuweisungen und dem besonderen System des institutionellen Gleichgewichts inhaltliche Grenzen setzt, die durch den Abschluß interinstitutioneller Vereinbarungen nicht verschoben oder unterlaufen werden können. Daher sind insbesondere Vereinbarungen, welche die geltende Kompetenzordnung bei der Gesetzgebung zugunsten des Europäischen Parlaments verschieben würden, gemeinschaftsrechtlich unzulässig, selbst wenn die Ausweitung der parlamentarischen Gestaltungs- und Kontrollrechte verfassungspolitisch noch so wünschenswert sein - oder erscheinen229 - mag. Andererseits ist es nach geltendem Vertragsrecht durchaus erlaubt, daß die Gemeinschaftsorgane unterhalb der Schwelle der Vertrags änderung Vereinbarungen zur Abstimmung ihrer gegenseitigen Kompetenzen eingehen, auch wenn diese auf eine Selbstbindung ihres jeweiligen Ermessens hinauslaufen23o • Auf die Forderung zur Umsetzung von Initiativen angewendet, kann aus dieser Vorgabe aber nur ein ebenso eindeutiges wie überraschendes Urteil folgen: Da eine solche Verpflichtung keinen Spielraum über die Vorlageentscheidung gelassen hätte, würde die vertragliche Zuweisung des Vorschlagsrechts praktisch aus den Angeln gehoben. Dieser Befund trifft unabhängig von der zusätzlichen - hier nicht 225
Schwarze, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 53.
Siehe hierzu EuGH Rs. 34/86, Slg. 1986, S. 2212 (Rn. 50) (Rat/Parlament). In diesem Verfahren ging es um die Befugnis des Parlaments, bestimmte Ausgabenansätze des EGHaushalts letztverbindlich anzuheben, was nur zulässig gewesen wäre, wenn es sich um sogenannte nichtobligatorische Ausgaben gehandelt hätte. Der Gerichtshof hatte sich zur Entscheidung dieser Frage auf die Gemeinsame Erklärung von Parlament, Kommission und Rat vom 30. Juni 1982 bezogen. Näher dazu unter III. 2. 227 Eingehend Schwarze, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 49 ff. 228 Umfassend Gauweiler; Qualifikation interorganschaftlicher Absprachen. Speziell aus Sicht des Parlaments Hilf, Die rechtliche Bedeutung des Verfassungsprinzips, S. 18 ff. 229 Fundamentale Einwände gegen die Gleichstellung von Parlament und Rat sowie gegen die Vorhaltung, die Exekutiv-Rechtsetzung des Rates sei demokratisch defizitär und beeinträchtige dem Parlament zustehende "Parlamentsvorbehalte" der Normsetzung, finden sich z. B. bei Ipsen, Exekutiv-Rechtsetzung, S. 425 ff., insb. S. 431. Die Feststellungen sind auf die Entscheidungs- und Beschlußfassungskompetenzen gerichtet und behandeln nicht das Gesetzesinitiativrecht. Vgl. auch Oppermann, Parlamentarisierung der Europäischen Gemeinschaft?, S. 449 ff. 230 Schwarze, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 66. 226
II. Kampf um ein indirektes Initiativrecht
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einschlägigen - Problematik zu, inwieweit der Kommission ein inhaltlicher Spielraum verblieben wäre. Auch auf die rechtliche Würdigung der Verpflichtung, mithin die Frage, ob das Parlament sich im Fall einer Weigerung der Kommission auf die Zusage berufen könnte, kann es hier nicht ankommen. Die von Schwarze gezogene Schwelle ist schon zuvor überschritten, weil die Forderung des Parlaments nicht auf eine unterhalb einer Vertragsänderung liegenden Kompetenzabstimmung, sondern auf eine Kompetenzverschiebung abzielt. Schwieriger zu beurteilen wäre dies nur, wenn eine Vereinbarung des Inhalts getroffen worden wäre, im Falle der Umsetzung auch die in den Initiativen vorgegebene Marschroute zu beachten, und die Kommission zugesagt hätte, gegebenenfalls keine wesentlichen Änderungen an den Parlamentsempfehlungen vorzunehmen. Hier ließe sich argumentieren, daß eine zulässige Selbstbindung vorliege, weil die Verpflichtung nicht die grundsätzliche Vorlageentscheidung einschränke und der Kommission einen ausreichenden Spielraum belasse. Und erst wenn die Vereinbarkeit der interinstitutionellen Vereinbarung mit dem geltenden Gemeinschaftsrecht geklärt wäre, könnte es darauf ankommen, ob eine Selbstverpflichtung - und aus welchen Gründen 231 - vom Gerichtshof als bindend qualifiziert würde. Aus diesen Gründen spricht viel dafür, daß eine Einigung zu einem Umsetzungszwang über die zulässige Abstimmung der gegenseitigen Kompetenzen hinausgegangen wäre und das Parlament nicht nur keinen solchen Anspruch geltend machen kann, sondern daß eine Selbstverpflichtung der Kommission ihrerseits gemeinschaftsrechtswidrig gewesen wäre oder nur durch eine formelle Änderung des Vertrags zulässigerweise erfolgen könnte 232 • Diese Überlegungen sollen nicht den Blick auf die gemeinschaftspolitische Wirklichkeit verzerren, in der die Behandlung von Initiativen der Parlamentsausschüsse und von im Plenum verabschiedeten Entschließungen durch die Dienststellen der Kommission letztlich immer eine politische Auseinandersetzung geblieben ist. Eine rechtliche Verpflichtung zur Umsetzung stand demgegenüber zu keinem Zeitpunkt im Mittelpunkt, auch dann nicht, wenn das Parlament unter Berufung 231 Zur - in der Literatur umstrittenen - Einordnung einseitiger Erklärungen wie gegenseitiger Verhaltensabreden zwischen den Organen, insbesondere der Frage, ob eine Selbstbindung rechtliche Verhaltenspflichten nach sich ziehen würde, siehe Hilf, Bedeutung des Verfassungsprinzips S. 18 ff. Zur speziellen Frage, ob eine vertragliche Verpflichtung anzunehmen sein würde, siehe Läufer, der die Annahme vertraglicher Pflichten für problematisch hält, weil die Organe untereinander nicht vertragsfähig seien und die Gemeinschaftsverträge die Gestaltung des Entscheidungsverfahrens nicht den Organen zur vertraglichen Abgrenzung ausliefern wollten, in: Das Europäische Parlament als Partner im interinstitutionellen Dialog S. 19 ff. Ähnlich Tomusehat für das deutsche Verfassungsrecht, wonach für Kompetenzabgrenzungen die Rechtsfigur des Vertrags nicht zur Verfügung stehe, weil sie nicht zur Verfügung ihrer Träger eingeräumt seien, in: Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 135. 232 Gleiches gilt mutatis mutandis von der Forderung gegen die Kommission, jeden Vorschlag zurückzuziehen, den das Europäische Parlament in den Verfahren der Zusammenarbeit oder Anhörung ablehnt. Siehe dazu bereits ausführlich in Kapitel 2 unter II. 2. c) aa) (2).
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
auf seine besondere demokratische Legitimation sowie die parlamentarische Verantwortlichkeit der Kommission mit allem Nachdruck die Vorlage von Vorschlägen verlangt hat. Da liegt es nahe, daß selbst der Anspruch auf automatische Umsetzung mehr als politische Forderung denn als kompetenzrechtliches Problem verhandelt wurde. Möglicherweise gingen sogar beide Seiten einvernehmlich davon aus, daß mit einer solchen Verabredung lediglich eine politische Verpflichtung getroffen und keine mit einer Untätigkeitsklage verfolgbare Handlungspflicht begründet worden wäre. Schließlich enthalten die Stellungnahmen der Kommission keinen Hinweis, daß sie die Forderungen für von vorneherein unzulässig hielt. Vielleicht ist die rechtliche Analyse deshalb zu relativieren. Gleichwohl hat sie deutlich gemacht, daß der Rückgriff auf die vertraglichen Grundlagen auch in einem Bereich, in dem die tatsächlichen Verbindungen auf den informellen Kontakt konzentriert sind, von grundlegender Bedeutung bleibt. Dies wird dann unübersehbar, wenn die möglichen Konsequenzen für einen Augenblick weitergedacht werden. Gleichviel, welchen rechtlichen Gehalt beide Organe einer derartigen Selbstverpflichtung beimessen würden, hätte die einmal erklärte Bereitschaft zur Umsetzung einen fait accompli geschaffen, von dem sich die Kommission kaum mehr hätte befreien können, ohne erhebliche Spannungen zu provozieren. Anders gewendet wäre das Versprechen unweigerlich als Einrichtung eines direkten Initiativrechts verstanden worden, das der Kommission die Verteidigung ihres Vorschlagsmonopols für die Zukunft praktisch unmöglich gemacht hätte. Da die Kommission eine Teilung des Vorschlagsrechts aber immer zurückgewiesen und auch in der Mitteilung von November 1981 abgelehnt hat233 , war im Grunde von vornherein entschieden, daß sie in diesem Punkt nicht nachgeben würde und - nach dem soeben Gesagten - auch gar nicht nachgeben konnte, ohne an den Grundfesten des institutionellen Gleichgewichts zu rühren, zumal ein Vorlageautomatismus von den Mitgliedstaaten aller Wahrscheinlichkeit nach als inakzeptabel abgelehnt worden wäre. Kapitel 8
Der Anteil des Europäischen Parlaments an den Jahresgesetzgebungsprogrammen der Kommission Die Absage von 1981 an eine automatische Übernahme seiner Initiativen hatte die Ambitionen des Parlaments, die Legislativarbeiten der Kommission schon in der Planungsphase zu begleiten, nicht geschmälert, umso weniger als diese ihre Zusage wahr machte, die Initiativen zu prüfen und aufzunehmen, wenn keine Be233 Indem die Kommission klarstellte, daß die weitergehende Beteiligung des Parlaments in der Rechtsetzung nur auf Kosten des Quasimonopols gehen dürfe, das der Rat in der Beschlußfassung innehabe, Bulletin EG, Beilage 3/1982, S. 9 (Punkt 13). Siehe dazu bereits unter 3.
3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
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denken entgegenstünden, und auch die Delors-Kommission ankündigte, diese Praxis beizubehalten234 . Ab Mitte der 80er Jahre gewann diese Kooperation sogar eine neue Qualität, da die Kommission das Parlament an ihrer systematischen Legislativplanung zu beteiligen begann. Mit der Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte trat ein umfassendes Rechtsetzungsprogramm in Kraft. Gleichzeitig wurde das Verfahren der Zusammenarbeit eingeführt. Aufgrund der vertraglich fixierten Zeitvorgabe zur Vollendung des Binnenmarktes235 verlangten die Rechtsetzungsvorhaben eine straffe Koordinierung der legislativen Aktivitäten, sowohl innerhalb jeden Organs als auch im interinstitutionellen Zusammenspiel. Das Parlament paßte seine internen Regeln der neuen Rolle im Gesetzgebungsprozeß entsprechend an. Zusätzlich bereitete es ein Verfahren zwischen dem Erweiterten Präsidium236 und der Kommission für ein Jahresgesetzgebungsprogramm vor: "Nach der Vorlage des Jahresprograrnrns der Kommission und der Aussprache darüber im Parlament einigen sich das Erweiterte Präsidium und die Kommission auf ein Jahresgesetzgebungsprogramm und einen Zeitplan für die Vorlage durch die Kommission und die Prüfung durch das Parlament von Vorschlägen, die die Kommission dem Rat unterbreiten will. ,,237
Die Kommission nahm die durch die Geschäftsordnungsänderung vom Parlament gewissermaßen als bereits konsentiert betrachtete Anregung auf. Präsident Delors unterstrich die an die Legislativorgane als Kollektiv gerichtete Herausforderung, die Gesetzgebungsaufträge bis zum Ziel termin auszuführen, und versprach vor dem Plenum die bestmögliche Kooperation, welche eine gemeinsame legislative Planung zur Vorbereitung der Rechtsetzungsverj"ahren einschließe238 . Kurz darauf wurde das erste vom Parlament gebilligte Kommissionsprogramm für 1988 verabschiedet239 . Seitdem bauen die Institutionen ihre Zusammenarbeit stetig aus. Seit 1993 beteiligt sich hieran auch der Rat. Trotz ihrer wachsenden Bedeutung finden die Jahresgesetzgebungsprogramme bislang noch keine Erwähnung im EGVertrag. Sie beruhen auf einer interinstitutionellen Vereinbarung und gehen aus einem entsprechenden Interorganverfahren hervor. Durch das Jahresgesetzgebungsprogramm werden die Prioritäten im legislativen Bereich für das folgende Jahr sowie ein Zeitplan für die Vorlage aller im Programm enthaltenen Vorschläge durch 234 Verhandlungen des Europäischen Parlaments vorn 15. 1. 1985, ABI. 1985/2, Nr. C 42, S. 3231. Siehe bereits in Kapitel 7 unter 11. 3. b). 235 Artikel 8a EGVa. F. Artikel 14 EGV n. F. nennt für die Herstellung des Binnenmarktes auch in seiner Neufassung noch das Zieldatum des 31. 12. 1992. 236 Das Erweiterte Präsidium ist der Vorläufer der heutigen Konferenz der Präsidenten. Siehe dazu näher Corbettl JacobslShackleton, S. 96 ff. 237 Artikel 29 Abs. 3a GO-EP a. F., ABI. 1987 Nr. C 7, S. 84. 238 Erklärung des Kommissionspräsidenten Delors vor dem Europäischen Parlament, ABI. 1987 Anh. Nr. 2-349, S. 112. 239 Das erste Gesetzgebungsprograrnrn wurde als Anhang zur Tagesordnung der Sitzung des Europäischen Parlaments vorn 7. März 1988 veröffentlicht, PE 120.606/ endg.
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprograrnm
die Kommission und für deren Prüfung durch das Europäische Parlament und den Rat festgelegt. Die Verhandlungen zur Aufstellung wie zur Aktualisierung der Jahresprogramme bilden mittlerweile ein Kernstück in den Beziehungen zwischen Europäischen Parlament und Kommission, das die primärrechtlich verankerte Aussprache zu den jährlichen Gesamtberichten an politischer Bedeutung überholt hat24o • Im folgenden werden die Anfange der Gesetzesplanung nachgezeichnet (1.), um nach einem Überblick auf die Intensivierung der Zusammenarbeit in den letzten Jahren (11.) die aktuellen Reformvorschläge zusammenzufassen (III.). I. Die Koordinierung der Rechtsetzungsverfahren: Zu den Motiven einer gemeinsamen Legislativplanung
Das erfolgreiche Funktionieren des Zusammenarbeitverfahrens hing wesentlich von der Koordinierung der jeweiligen "Rechtsetzungsbeiträge" der Organe ab. Darum führten der Rat und die Kommission zunächst ein rolling programme ein, um die Gesetzgebungsaktivitäten zwischen den Präsidentschaften und den internen Rechtsaktvorbereitungen der Kommission in Einklang zu bringen241 • Das Parlament mußte die Verteilung der Zuständigkeiten in die einzelnen Ausschüsse, die Ausschußberichte und die Berichterstatter, die Zeitpläne der Ausschüsse sowie die zur Abgabe der Stellungnahmen in der ersten und zweiten Lesung erforderlichen Plenarsitzungen im voraus planen. Kommission und Rat hatten von Anfang deutlich gemacht, daß die Beratungsdauer durch das Parlament die fristgerechte Annahme der Vorlagen nicht gefährden dürfe242 • Diese organisatorischen Anforderungen und der Umstand, daß das Parlament Herr seiner Tagesordnung ist, überzeugten die Kommission von den Vorteilen eines konsentierten Programms, mit dem der Gesetzesfahrplan des Binnenmarkt-Weißbuchs eingehalten werden sollte 243 . Während es somit der Kommission darum ging, einen Kalender der jeweiligen "Rechtsetzungsbeiträge" zu erstellen, der ganz im Zeichen der objektiven Notwendigkeit einer gegenseitigen Abstimmung stand244 , interpretierte das Parlament das Verfahren zusätzlich von Anfang an als eine Chance, die Rechtsetzungsprioritäten aktiv mitzugestalten und war darauf bedacht, mit der internen Organisation seiner Arbeit den größtmöglichen Einfluß auf die Ausgestaltung der Programme zu gewinnen245 • Und wenngleich sich in den ersten Jahren dieser Einfluß in engen Gren240 Westlake, The Commission and the Parliament, S. 229. Zur Aussprache über die Jahresgesamtberichte gemäß Artikel 200 EGV siehe Westlake, Partners and Rivals, S. 5. 241 Näher Westlake, A modern guide to the European Parliament, S. 153 f. 242 Ausführlich hierzu Constantinesco, Institutionelle Entwicklung des Europäischen Parlaments, S. 125 ff. 243 Westlake, Partners and Rivals, S. 97. Vgl. Corbettl JacobslShackleton, S. 219. 244 Constantinesco, Institutionelle Entwicklung des Europäischen Parlaments S. 125 ff. 245 Näher Westlake, A modern guide to the European Parliament, S. 154.
I. Koordinierung der Rechtsetzungsverfahren
237
zen hielt, weil die Kommission ihre Jahrespläne größtenteils in eigener Regie verfaßte 246, ist seit dem Maastricht-Vertrag der parlamentarische Anteil an der Gesetzesplanung der Kommission stetig gestiegen. Das Bündel von neuen Rechten - hauptsächlich die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens, die "Hochstufung der Mitwirkungsintensität,,247 in vielen Gesetzgebungsbereichen, das Aufforderungsrecht nach Artikel 138b EGVa. F. 248 und das parlamentarische Untersuchungsrecht gemäß Artikel138c EGVa. F. 249 - hatte insgesamt eine deutliche Aufwertung des Parlaments in den interinstitutionellen Kräfteverhältnissen bewirkt25o . Während die Mitentscheidungsrechte in der Gesetzgebung die Beziehungen zwischen Kommission und Parlament wie von selbst intensivierte, weil beide Organe die damit einhergehende Stärkung der demokratischen Strukturen erfolgreich auszufüllen entschlossen waren251 , konnte das Parlament seinen Einfluß auf die Gesetzesplanung mittelbar auch durch sein neues Beteiligungsrecht bei der Ernennung der Kommission erhöhen. Mit Artikel 158 EGVa. F. 252 hatte das Parlament das Recht erhalten, nicht nur angehört zu werden, bevor die Regierungen der Mitgliedstaaten ihren gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten benennen, sondern dem ganzen Kollegium seine Zustimmung zu erteilen253 . Dieses Zustimmungsrecht nutzt das Parlament, um das Programm der Kommission zu kontrollieren. Die im September 1993 angepaßte interne Regelung demonstriert das Selbstbewußtsein des Parlaments, die generelle politische Ausrichtung der Kommission kontrollieren zu wollen. Ohne daß Artikel 158 EGVa. F. ein solches Vorgehen vorgeschrieben hätte, trennt das Parlament zwischen der "Wahl des Präsidenten", von dem es die Abgabe einer Erklärung über seine politischen Zielvorstellungen verlangt, und den übrigen Kommissionsmitgliedern, für die Anhörungen vor den entsprechenden Ausschüssen vorgesehen sind254 . Auf diese Weise nutzte das Parlament bei der Benennung der Santer-Kommission sein Zustimmungsrecht extensiv und unterzog alle designierten Mitglieder einer regelrechten Prüfung, wobei die Ausschüsse eine Abstimmungsempfehlung an das Plenum geWestlake, Partners and Rivals, S. 97. Damit ist der Wechsel von der Nichtbeteiligung zur Anhörung, von der Anhörung zur Zusammenarbeit, von der Zusammenarbeit zur Mitentscheidung gemeint. Zu den betreffenden alten und neuen Aktionsbereichen siehe Boest, S. 190 ff. 248 Artikel 192 Abs. 2 EGV n. F. 249 Artikel 193 EGV n. F. 250 Boest, S. 182 ff. 251 Corbettl lacobslShackleton, S. 219. Vgl. auch Pemice, Maastricht, Staat und Demokratie, S. 470 ff. 252 Artike1214 EGV n. F. 253 Zu den Einzelheiten des Investiturrechts siehe loma, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 214 Rn. 1 ff. Das Ernennungsverfahren ist in den letzten Jahren mehrfach geändert worden und hat die Rolle des Parlaments kontinuierlich gestärkt, zunächst in Maastricht, dann mit dem Amsterdamer Vertrag und zuletzt auch in Nizza. Kritisch aber Ott, Kontrollfunktionen, S. 238 f. Zu den Änderungen in Nizza siehe Hatje, S. 203; Wiedmann, S. 149. 254 Westlake, A modem guide to the European Parliament, S. 154. 246
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
ben. Den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Rechteerweitung und der Jahresgesetzgebungsplanung hatte Noel schon vor der letzten Ratifizierung des Maastricht-Vertrags vorausgesehen: "Tbis group of measures considerably increases the Parliament's ability to exercise political control over the work of the Commission: the part played by the Parliament in the appointment of the Commissioners will probably be made on the basis of a legislative programme which will in turn give full significance to any possible motion of censure. These measures will lead also and perhaps especially to the accentuation of the political character of the Commission. Very soon the preliminary approval of its membership by the Parliament will be the decisive factor; the final appointment by the governments will retain only a formal character. ,,255
Hinzu kommt noch, daß die Amtszeit der Kommissare von vier auf fünf Jahre verlängert und damit der Legislaturperiode des Parlaments angepaßt wurde, wobei sich dieses zur Selbstorganisation und zur Aufstellung der politischen Prioritäten sechs Monate früher konstituiert, wohl auch um die Kommission enger an die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu binden 256 . Insgesamt zeitigte die Kombination von Ernennungsrecht, potentiellem Entlassungsrecht und der Mandatssynchronisierung einen Machtzuwachs, der die Aspirationen, die Jahresgesetzgebungsprograrnme aktiv mitzugestalten, stark vorantrieb. "It is no exaggeration to say that the extension of the term of office of the Commission from four to five years and the acquisition by Parliament of a veto over the appointment of the new Commission have transformed the constitutional balance of power between Parliament and the Commission. If we have the political courage to use this new weapon and we have drafted a pro-appointment advice and consent procedure in these revised Rules - it should in future be impossible for the European Commission to pursue a legislative programming which does not reflect the will of Parliament.,,257
Entsprechend wandelte das Parlament den ursprünglichen Ansatz, seine internen Arbeitsgänge nach einem von der Kommission vorgegebenen Zeitplan zu regeln, endgültig in den Anspruch auf eine gemeinsame Verabschiedung um. Zur Behandlung der zukünftigen Jahresgesetzgebungsprograrnme legte das Parlament fest, nach Vorlage des Kommissionsprograrnms eine eigene Entschließung zu verabschieden, mit der es seine politischen Prioritäten bestimmt258 . 255 Noel, Reflections on the Maastricht Treaty, S. ISS. 256 Vgl. etwa Westlake, A modern guide to the European Parliament, S. 43. 257 So der Abgeordnete Sir Prout in einer Debatte zum Unionsvertrag, Verhandlungen des Europäischen Parlaments, Anhang ABI. 1993 Nr. C 3-434, S. 39 f. 258 Artikel 57 GO-EP, in den das Parlament neben seinen Verfahrensregeln auch Bestimmungen aufgenommen hat, die den Handlungsspielraum des Rates umreißen sollen, lautet wie folgt: ,,1. Das Parlament nimmt gemeinsam mit der Kommission und dem Rat an der Festsetzung des Gesetzgebungsprogramms der Europäischen Union teil. 2. Die Kommission legt im Oktober das Jahresgesetzgebungsprogramm mit einer Beurteilung des Gesetzgebungsprogramms des VOIjahres vor.
11. Einbindung des EP
239
11. Die wachsende Einbindung des Parlaments: Zur Evolution der Jahresgesetzgebungsprogramme
Das im März 1988 veröffentlichte Arbeitsprogramm enthielt einen von der Kommission aufgestellten, vorläufigen Zeitplan für die Vorschlagsvorlage samt der Zeiträume, innerhalb derer das Parlament seine Stellungnahme abgeben sollte259 . Das Programm von 1989 war bereits weiterentwickelt und enthielt eine Präambel, aus der die Einigung beider Organe hervorging, bestimmte Politiken im kommenden Jahr voranbringen zu wollen, hauptsächlich im Binnenmarkt und in der Sozial- und Umweltpolitik. Außerdem wurde eine Verfahrensverbesserung durch eine frühzeitige Abstimmung zwischen den Organen - den Rat eingeschlossen - angeregt, mit regelmäßigen Treffen des jeweils zuständigen Kommissars, des Ratspräsidenten und des Vorsitzenden des Parlamentsausschusses sowie des Berichterstatters. Im Jahre 1990 faßten Parlament und Kommission die Intensivierung der gegenseitigen Abstimmung ins Auge. Nachdem Kommissionspräsident Velors in einer Erklärung die beiderseitigen Vorteile dargestellt hatte 26o, kamen die Organe in einem "Gemeinsamen Verhaltenskodex ..261 überein, daß das Parlament die Berichterstatter der Ausschüsse benennen sollte, sobald das Gesetzgebungsprogramm angenommen ist, um die Vorbereitung im Parlament und damit auch den Dialog mit den Dienststellen der Kommission möglichst frühzeitig zu beginnen. Zudem sollte der von der Kommission aufgestellte Zeitplan nach sechs Monaten aktualisiert und mit den Arbeitsprogrammen der Präsidentschaft abgeglichen wer3. Im Jahresgesetzgebungsprogramm sind: a) sämtliche Vorschläge legislativer Natur, b) Abkommen mit Drittländern aufgeführt. Im Programm sind ferner alle vom Parlament oder Rat geforderten Legislativvorschläge und -dokumente, zu deren Vorlage sich die Kommission bereit erklärt hat, aufgeführt. Zu jedem im Programm enilialtenen Akt sind die Rechtsgrundlage und der Zeitplan für die Verabschiedung anzugeben. 4. Bis Ende jeden Jahres nimmt das Parlament eine Entschließung an, in der es die politischen Prioritäten bezüglich des Gesetzgebungsprogramms festlegt. 5. In dringenden und unvorhergesehenen Fällen kann ein Organ gemäß den in den Verträgen vorgesehenen Verfahren in eigener Initiative die Hinzufügung einer Legislativmaßnahme zum Gesetzgebungsprogramm vorschlagen. 6. Der Präsident übermittelt die vom Parlament angenommene Entschließung den übrigen Organen, die im Rahmen des Legislativverfahrens der Europäischen Union zusammenarbeiten, und den Parlamenten der Mitgliedstaaten. Der Präsident ersucht den Rat um eine Stellungnahme zum Jahresgesetzgebungsprogramm der Kommission sowie zu der Entschließung des Parlaments. 7. Kann ein Organ den festgelegten Zeitplan nicht einhalten, so teilt es den anderen Organen die Gründe für die Verzögerung mit und schlägt einen neuen Zeitplan vor. 8. Das Parlament überprüft den Stand der Durchführung des Jahresgesetzgebungsprogramms alle sechs Monate. Das Programm kann zu Beginn des zweiten Halbjahres überprüft werden." 259 Außerdem sah das Programm vor, alle drei Monate eine Zwischenbilanz zu ziehen, siehe dazu näher Jacobs/Corbett/Shackleton, S. 218. 260 Europäisches Parlament, Verhandlungen, ABI. 1990 Nr. C 3 -386, S. 29, in Auszügen abgedruckt bei Westlake, Partners and Rivals, Appendix 6, S. 124 ff. 261 Verhaltenskodex, EG-Bull. 4-1990,1.6.1., Nr. 5.
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
den. Außerdem verpflichtete sich das Parlament ausdrücklich, zu allen den Binnenmarkt betreffenden Vorschlägen so rasch wie möglich seine Stellungnahmen zu liefern262 . Als Hemmnis für die planmäßige Umsetzung der Programme stellte sich die Haltung des Rates dar, dessen fehlende Beteiligung an der Aufstellung ein erfolgreiches Zusammenwirken auch der beiden anderen Legislativorgane behinderte. Ein zweiter Nachteil war die erhebliche Dauer, bis die Kommission das Arbeitsprogramm und den Zeitplan aufgestellt hatte. Als dritte Schwäche erwies sich der Mangel an Genauigkeit. So war stets nur die Marschroute der einzelnen Gemeinschaftspolitiken vorgewiesen, nicht aber führte die Kommission ihre Vorschläge in den Einzelheiten und damit auch nicht den Zeitpunkt ihrer Vorlage auf. In den folgenden Jahren verstärkten sich die konzertierten Bemühungen um Abhilfe. In der Mitteilung über "Eine verstärkte Transparenz bei der Arbeit der Kommission,,263 von 1993, die gleichzeitig mit der Erklärung "Ein offener und strukturierter Dialog zwischen der Kommission und den Interessengruppen,,264 erging, analysierte die Kommission den status quo der Kooperation mit dem Parlament und empfahl eine engere Einbindung des Rates sowie Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung und Transparenz: "Das jährliche Arbeitsprogramm entspricht der Notwendigkeit, Prioritäten zu setzen. Das Programm legt vordringlich Gebiete fest und zeigt die wichtigsten Maßnahmen auf, die die Kommission vorschlagen will oder deren Durchführung durch andere Organe sie wünscht. Nach der gegenwärtigen Praxis wird das Arbeitsprogramm von der Kommission am Jahresanfang verabschiedet, bevor es im Europäischen Parlament Gegenstand einer Debatte und einer Abstimmung ist. Mit Blick auf eine größere Transparenz wird vorgeschlagen, die bestehende Praxis zu ändern, so daß das Arbeitsprogramm bis Oktober vorliegt. Zusätzlich zum Arbeitsprogramm der Kommission wird ein interinstitutionelles Legislativprogramm festgelegt. Der Ministerrat könnte künftig stärker an der Umsetzung dieses Programms beteiligt werden. ( ... ) Sowohl das Arbeitsprogramm der Kommission als auch das interinstitutionelle Legislativprogramm sollten weitere Verbreitung finden. Es wird daher vorgeschlagen, daß künftig beide Programme im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht werden. Daneben sollten in regelmäßigen Abständen aktualisierte Fassungen des Legislativprogramms veröffentlicht werden.,,265
In den ersten fünf Jahren hatte der Rat die Arbeitsprogramme der Kommission und die Stellungnahmen des Parlaments zwar aufmerksam zur Kenntnis genommen, sich aber nicht direkt beteiligt266 . Erst Ende 1992 erkannten die Mitgliedstaa262 263 264 265 266 ment,
Verhaltenskodex, EG-Bull. 4-1990,1.6.1., Nr. 6. ABI. 1993 Nr. C 63, S. 8. ABI. 1993 Nr. C 63, S. 2. ABI. 1993 Nr. C 63, S. 8 Dazu Jacobs/Corbett/Shackleton. S. 218; Westlake, The Commission and the ParliaS. 244.
H. Einbindung des EP
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ten den Nutzen einer gemeinsamen Gesetzesplanung an. In den Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats von Edinburgh ist festgehalten: "Der Europäische Rat begrüßte die von der Kommission kürzlich beschlossenen Maßnahmen auf dem Gebiet der Transparenz. Hierzu gehören folgende Punkte: Erstellung des jährlichen Arbeitsprogramms im Oktober, damit eine breitere Debatte möglich ist, und zwar auch in den nationalen Parlamenten; Bemühen um engere Abstimmung mit dem Rat über das jährliche Legislativprogramm; breitere Konsultationen vor der Ausarbeitung von Vorschlägen, und zwar auch mit Hilfe von Grünbüchern. ,,267
Mit dieser Erklärung war der Weg für eine gemeinschaftliche Vorgehensweise geebnet. Im folgenden Jahr fand sich der Rat bereit, seinerseits zu den Legislativprogranunen Stellung zu nehmen und sagte überdies in der interinstitutionellen Erklärung über Demokratie, Transparenz und Subsidiarität vom 25. 10. 1993 die rasche Ausführung wichtiger Vorhaben zu: "Sobald das Europäische Parlament seine Entschließung zu dem von der Kommission vorgeschlagenen jährlichen Legislativprogramm verabschiedet hat, nimmt der Rat mittels einer Erklärung zu diesem Programm Stellung; er verpflichtet sich, die von ihm als vorrangig erachteten Bestimmungen dieses Programms so rasch wie möglich auf der Grundlage förmlicher Kommissionsvorschläge unter Einhaltung der in den Verträgen festgelegten Verfahren umzusetzen. ,,268
In derselben Erklärung kamen die Organe überein, daß die Kommission in Zukunft das Arbeitsprogramm bis Oktober fertigsteIlt und mitsamt dem dazugehörigen Legislativprogramm im Amtsblatt veröffentlicht269 • Im Gegenzug erklärte das Parlament, seine Stellungnahmen bis zum Jahresende abgeben zu wollen. Obwohl die Kommission in der Erklärung zur verstärkten Transparenz in erster Linie konkrete sachlich-technische Verbesserungen zur Diskussion gestellt hatte, welche mit der Erklärung über Demokratie, Transparenz und Subsidiarität auch vollumfänglich verwirklicht werden konnten, markiert im Rückblick die eher beiläufige, zumindest nicht näher definierte Formel von einem "inter-institutionellen Legislativprogranun", das neben dem bisherigen Arbeitsprogranun der Kommission aufzustellen sei, den eigentlichen Auftakt zu einer in den folgenden Jahren stetig ausgebauten Kooperation: Die Ankündigung eines inter-institutionellen Legislativprogramms wurde als Angebot zur gemeinsamen Planung angenommen und die Erklärung über Demokratie, Transparenz und Subsidiarität nährt seitdem auf Seiten des Europäischen Parlaments die Erwartung einer weitgehend gleichberechtigten Partnerschaft. EG-Bulletin 12-1992, Ziff. I. 5. (Hervorhebung d. Verf.) ABI. 1993 Nr. C 329, S. 133. Ein wichtiger, hier jedoch nicht zu vertiefender Nebeneffekt der frühzeitigen Abstimmung mit dem Rat liegt darin, daß diese den nationalen Parlamenten Gelegenheit verschafft, eine Debatte über die von der Regierung als vorrangig erachteten Bestimmungen des Legislativprogramms zu führen. Für die Parlamente war es bislang mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, die jährlichen Arbeits- und Legislativprogramme zu verfolgen. Vgl. hierzu ausführlich Seider, S. 164 ff. 269 ABI. 1993 Nr. C 329, S. 133. 267
268
16 von Butt1ar
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
Dabei war von der Kommission zunächst lediglich beabsichtigt gewesen, ihr jährliches Arbeitsprogramm um ein reines Legislativverzeichnis zu ergänzen, damit das Parlament und der Rat detailliertere Stellungnahmen abgeben können. Seit 1993 fügt die Kommission in der Regel im Anhang zum Arbeitsprogramm eine präzise Verfahrensplanung zu, die zwischen Legislativvorschlägen, nicht-legislativen Projekten und sonstigen, sogenannten unabhängig getroffenen Regelungen unterscheidet. Die Aufstellung erfolgt in Tabellen, die nach Politikbereich, Titel des Vorschlags, federführender Generaldirektion, dem internen Annahmeverfahren und dem voraussichtlichen Datum der Beschlußfassung der Kommission, der Natur des Rechtsakts, der Rechtsgrundlage und der Verfahrensart im Parlament sortiert sind. Allerdings wird nicht durchgängig zwischen Arbeitsprogramm und Jahresgesetzgebungsprogramm unterschieden. Auch die Entschließungen des Parlaments beziehen sich nur teilweise auf die Arbeitsprogramme, zum Teil allein auf die Jahresgesetzgebungsprogramme und gelegentlich auf beide gemeinsam. Im Jahr 1994 erging die parlamentarische Stellungnahme als "Entschließung zum Vorschlag für das Gesetzgebungsprogramm", im Jahr 1995 als "Entschließung zum Arbeitsprogramm der Kommission und zum Jahresgesetzprogramm der Kommission", im Jahr 1996 als "Entschließung zum Arbeitsprogramm der Kommission", im Jahr 2000 als "Entschließung des Europäischen Parlaments zum Jahresgesetzgebungsprogramm" und im Jahr 2001 als "Entschließung des Europäischen Parlaments zur Vorlage des Programms der Kommission". In der uneinheitlichen Bezeichnung spiegelt sich die permanente Verfahrensausbildung wider; umso mehr als das Parlament neben der Artikulierung der eigenen Gesetzgebungswünsche seine Entschließungen traditionell zum Vortrag seiner Ansprüche an die angemessene Verfahrensgestaltung nutzt und die Stellungnahmen einen Eindruck von den beständigen Kontroversen um eine harmonische Abstimmung und von den Schwierigkeiten in der Durchführung der Programme vermitteln. 1. Die Entschließungen des Parlaments zu den Jahresgesetzgebungsprogrammen der Kommission von 1993 bis 2001
Auf den "Vorschlag der Kommission für das Gesetzgebungsprogramm des Jahres 1994,.210 befand das Europäische Parlament ,,( ... ) in der Erwägung, daß das Jahresgesetzgebungsprogramm ein wichtiges Instrument für die Planung der legislativen Tätigkeiten ist, um sie transparenter zu machen, ( .. . ) I. stellt fest, daß das vorgeschlagene Gesetzgebungsprogramm in einigen Bereichen der notwendigen Dynamik entbehrt, ohne die die gesetzgeberischen Aufgaben der Gemeinschaften/Union nicht bewältigt werden können, und fordert die Kommission auf, seine nachstehenden Vorschläge zu übernehmen und zum Zentrum der gesetzgeberischen Aktivitäten zu machen ( . .. ). 270
ABI. 1994 Nr. C 60, S. 4.
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7. bedauert über die inhaltlichen Aspekte hinaus die weiterhin bestehenden fonnalen Mängel, was der notwendigen Transparenz abträglich ist und die Effizienz des Jahresprogramms als Arbeitsgrundlage reduziert, insbesondere - die verspätete Vorlage des Vorschlags: Die Kommission hatte eine Vorlage im Oktober zugesagt, - die unkorrekte Bezeichnung: Gemäß der genannten Interinstitutionellen Erklärung handelt es sich um das von der Kommission vorgeschlagene Jahresgesetzgebungsprogramm, was auch der Praxis der vergangenen Jahre entspricht, die diesen Text jeweils als Vorstufe des gemeinsamen Programms bewertet hat, - die fehlende Angabe der voraussichtlichen Rechtsgrundlage, ohne die eine umgehende Arbeitsaufnahme der zuständigen Ausschüsse des Parlaments erschwert wird und interinstitutionelle Streitigkeiten zur Rechtsgrundlage befördert werden, - die fehlende Angabe des voraussichtlichen Zeitpunkts der Vorlage der angekündigten Vorschläge; 9. nimmt Kenntnis von der Übermittlung einer Übersicht über die Kodifizierungsvorhaben sowie der Übermittlung einer Übersicht über die Termine der Vorlage der für das erste Vierteljahr geplanten Dokumente, was als konstruktiver Ansatz für die zu erzielende Vereinbarung über das gemeinsame Jahresgesetzgebungsprogramm gewertet wird, das dann im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zu veröffentlichen ist;( ... ) 13. schlägt seinerseits die Ergänzung des Vorschlags der Kommission durch die folgenden Initiativen vor, um dem Anspruch der Gemeinschaften/Union und den an sie gestellten Herausforderungen gerecht werden zu können: ( ... ) [Es folgt eine Liste von 28 Initiativen, in der sowohl allgemein gehaltene Aufforderungen für "Vorschläge zur steuerlichen Harmonisierung (MwSt., Verbrauchsteuern) und Vollendung des Binnenmarkts" bzw. "Maßnahmen zur Freizügigkeit der Personen, um die symbolträchtigste Freiheit zur Vollendung des Binnenmarktes zu verwirklichen" aufgestellt sind wie auch detaillierte Anregungen, etwa zu "Vorschlägen zur Verkehrssicherheit, insbesondere von und in Reisebussen, und zur Regelung der Arbeitszeit für im Verkehrswesen Beschäftigte".] 14. beauftragt seinen Präsidenten, auf dieser Grundlage eine Einigung über das gemeinsame Jahresprogramm mit der Kommission zu erzielen, und erinnert den Rat an seine in der Interinstitutionellen Erklärung vom 25. Oktober 1993 zugesagte Stellungnahme sowie an seine ebenda versprochene umfassende Mitwirkung an den Verhandlungen zwecks endgültiger Festlegung des Gesetzgebungsprogramms.,.271
Auf die Kritik des Parlaments, insbesondere die fehlende Angabe des voraussichtlichen Zeitpunkts der Vorlage angekündigter Vorschläge, der voraussichtlichen Rechtsgrundlage und der unkorrekten Bezeichnung, reagierte die Kommission positiv und willigte in eine "Gemeinsame Erklärung von Parlament und Kommission zum Gesetzgebungsprogramm 1994" ein, die erkennen läßt, in welchem Ausmaß das Parlament seine Vorstellungen von einer im Konsens ergehenden Legislativplanung durchsetzen konnte. 271 Entschließung des Europäischen Parlaments zur Erklärung der Kommission zum Vorschlag für das Gesetzgebungsprogramm des Jahres 1994, ABI. 1994 Nr. C 60, S. 26. 16*
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
"Das Europäische Parlament und die Kommission, in Anwesenheit des Rates ( ... ), vereinbaren I. für 1994 die nachstehenden gemeinsamen Prioritäten: [Zum einen die Durchführung der Gemeinschaftsmaßnahmen zur Verwirklichung der Ziele des Weißbuchs über Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung und zum anderen die Anwendung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte und des Protokolls über die Sozialpolitik]
11. das von der Kommission vorgeschlagene Programm wie folgt zu ergänzen: [Es folgen sowohl allgemeine Abreden, etwa die Bestimmung, "daß das Parlament seine Rolle bei der Durchftihrung der im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres vorgesehenen Maßnahmen und Initiativen effizienter erftillen kann" als auch präzise Absichtserklärungen, wie "die Annahme der Rechtsmaßnahmen, die die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen und eine wirksamere Kontrolle an den Außengrenzen gestatten" und die "Prüfung einer Richtlinie über die Gurtpflicht in Bussen"] ( ... ).
v. ( ... ) Die Generalsekretäre der drei Institutionen werden beauftragt, ( ... ) - den vorläufigen Zeitplan zu aktualisieren sowie die Rechtsgrundlage der von der Kommission vorzulegenden Vorschläge zu ermitteln, die konkrete Durchführung der Vereinbarungen auf administrativer und operationeller Ebene sicherzustellen, damit zwischen den direkt betroffenen Dienststellen sowie innerhalb der Arbeitsgruppe für interinstitutionelle Koordinierung ein effizienter Dialog stattfindet ( ... ). ,,272
In den folgenden Jahren etablierte sich die Feinabstimmung der weiterhin größtenteils in Richtlinien festgelegten Vorhaben in der Arbeitsgruppe "Interinstitutionelle Koordinierung", in der Vertreter der drei Organe sich mindestens einmal im Monat beraten, um aktuelle Schwierigkeiten in den laufenden Verfahren auszuräumen bzw. drohende Probleme abzuwenden (Neunreither-Gruppe). In den Entschließungen zu den Arbeitsprogrammen und zu den Jahresgesetzgebungsprogrammen für die Jahre 1995 und 1996 wiederholte das Parlament seine Aufforderung, jedes Gesetzgebungsprogramm in enger Zusammenarbeit mit seinen Ausschüssen ab Herbst des vorangehenden Jahres auszuarbeiten und die dort formulierten Prioritäten in das Gesetzgebungsprogramm zu integrieren sowie seine Effizienz dadurch zu erhöhen, daß der Zeitplan durch Angaben zu den Rechtsgrundlagen der Vorschläge und zum voraussichtlichen Termin der Vorlage ergänzt wird. Außerdem richtete das Parlament an den Rat das Ersuchen, ihm bis Dezember die Prioritäten für das folgende Jahr mitzuteilen und einen engeren Dialog einzuleiten273 . Im Verhaltenskodex vom 15. März 1995, der mit der Entschließung zum Arbeitsprogramm für 1995 vereinbart wurde, bekräftigten die Organe die Zusammenarbeit der Neunreither-Gruppe. Das Parlament bestätigte darüber hinaus seine Verpflichtung, nach Möglichkeit unmittelbar nach der Verabschiedung des 272 273
ABI. 1994 Nr. C 60, S. 1. ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69; ABI. 1996 Nr. C 17, S. 169.
H. Einbindung des EP
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Legislativprogramms die Berichterstatter für die künftigen Vorschläge zu benennen, bei der Planung seiner Tätigkeiten die von Kommission und Rat geprüften Prioritäten zu berücksichtigen und die legislativen Teile seiner Tagesordnungen so zu planen, daß sie mit dem geltenden Legislativprogramm in Einklang stehen274 • In den beiden Entschließungen zur Durchführung der Arbeitsprogramme für 1997 und 1998 rügte das Parlament die mangelnde Umsetzung seiner Initiativen und forderte die stärkere Berücksichtigung seiner Prioritäten275 • Aufgrund der lükkenhaften Umsetzung der Arbeitsprogramme kam das Parlament überdies zu der Schlußfolgerung, daß die Zusammenarbeit weiterhin mit erheblichen Mängeln behaftet sei und die Kommission den von ihr selbst eingegangenen Verpflichtungen nicht nachkomme. Daher schlug das Parlament eine regelmäßige Bewertung der Umsetzung des Legislativprogramms vor76 . Da die Kommission einem Überprüfungssystem, mit dem der Stand der Durchführung der Arbeitsprogramme einer Kontrolle durch das Parlament unterworfen wird, nicht im geforderten Umfang zustimmte, forderte das Parlament in der Entschließung zum Arbeitsprogramm für das Jahr 1999 die Kommission auf, ihre eigenen internen Koordinationsmechanismen zu überprüfen 277 . Mit dem Arbeitsprogramm für das Jahr 2000 278 legte die Kommission die ersten Schritte fest, um die in der "Mitteilung über die strategischen Ziele für die Jahre 2000 bis 2005" formulierten Vorhaben umzusetzen279 , wobei sie darauf hinwies, daß die im Verhältnis zu den Vorjahren geringere Zahl an neuen Vorschlägen damit zusammenhänge, daß sich zahlreiche laufende Initiativen im Übergang von der Konsultationsphase zur Rechtsetzungsphase befänden und bereits gefaßte Beschlüsse umgesetzt würden. Auch auf das Arbeitsprogramm der Kommission für das Jahr 2000 reagierte das Parlament mit der Feststellung, daß es gleichermaßen an der FestABI. 1995 Nr. C 89, S. 60. Entschließung zur Durchführung des Jahresgesetzgebungsprogramms für 1996 und zum Arbeitsprogramm der Kommission für 1997, ABI. 1997 Nr. C 20, S. 58, Entschließung zur Durchführung des Legislativprogramms und anderer Aktivitäten für 1997 und zum Arbeitsprogramm der Kommission fUr 1998, ABI. 1998 Nr. C 14, S. 185. 276 Entschließung zur Durchführung des Legislativprogramms und anderer Aktivitäten für 1997 und zum Arbeitsprogramm der Kommission für 1998, ABI. 1998 Nr. C 14, S. 185. 277 ABI. 1999 Nr. C 98, S. 163. 278 ABI. 2000 Nr. C 81, S. 9. 279 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Strategische Ziele 2000 - 2005 "Das Neue Europa gestalten", ABI. 2000 Nr. C 81 S. 1. Darin hat die Kommission vier zentrale Themen ermittelt: Die Förderung neuer europäischer Entscheidungsstrukturen; ein stabiles Europa mit einer stärkeren Stimme in der Welt; die Festlegung einer neuen wirtschafts- und sozialpolitischen Agenda, ein bessere Lebensqualität für alle. Die strategischen Ziele für 2000-2005 (Mitteilung KOM (2000) 154 endg.), das entsprechende Arbeitsprogramm, die vorläufige Liste der entsprechenden Aktionen sowie die Rede von Kommissionspräsident Prodi vor dem Europäischen Parlament am 15. Januar 2000 sind abrutbar unter http://europa.eu.int/comm/off/work/index_en.htm. 274 275
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
legung der politischen Prioritäten und der Kontrolle der Ausführung der erforderlichen Maßnahmen eng zu beteiligen sei. Zugleich verlangte es die Erweiterung der Jahresgesetzgebungsprogramme um sämtliche Vorschläge und Aktionen der Kommission, alle derzeit anhängigen Legislativvorschläge und den Bericht über die Durchführung des Kommissionsprogramms des vorangegangenen Jahres 280 . Diese Forderung ist auch in der Entschließung des Europäischen Parlaments zum Jahresgesetzgebungsprogramm der Kommission für das Jahr 2001 wiederholt281 • 2. Zur Rechtswirkung der Jahresgesetzgebungsprogramme und des Zeitplans zu ihrer Umsetzung
In der Rahmenvereinbarung über die gegenseitigen Beziehungen vom 5. Juli 2000 hat die Kommission mittlerweile die stärkere Berücksichtigung der vom Parlament artikulierten politischen Prioritäten zugesagt und angekündigt, zur Verbesserung der legislativen Programmplanung alle Einzelheiten der Vorschläge zu liefern, worunter in der Praxis auch die Angabe der Rechtsgrundlage flillt, wenngleich dies aus dem Wortlaut nicht eindeutig hervorgeht: "Bei der Ausarbeitung ihres jährlichen Legislativprogramms berücksichtigt die Kommission soweit irgend möglich die vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Leitlinien. Sie legt dieses Programm so rechtzeitig vor, dass eine breite öffentliche Debatte über seinen Inhalt möglich ist. Sie liefert genügend Einzelheiten zu dem, was genau unter jedem Punkt des Programms angestrebt wird, um dem Europäischen Parlament zu ermöglichen, dies bei seiner eigenen legislativen Planung zu berücksichtigen. Die Kommission setzt die Arbeitsgruppe "Interinstitutionelle Koordinierung" unverzüglich von Verzögerungen bei der Vorlage eines spezifischen Vorschlags oder Dokuments in dem angenommenen Programm in Kenntnis, ohne daß damit die Zuständigkeiten der Kommission beeinträchtigt werden.,,282
Diese Erklärung beläßt der Kommission ihren Ermessensspielraum bei der Aufstellung des Programms, weil sie keine Übernahmeverpflichtung, sondern nur eine Prüfungspflicht bedeutet. Bemerkenswerterweise ist der Zusatz, die Leitlinien "so280 Entschließung des Europäischen Parlaments zum Jahresgesetzgebungsprogramm der Kommission für 2000, Bull-EG 1/2000, S. 122. 281 ABI. 2000 Nr. C 377, S. 18. Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2001 ist abrufbar unter http://europa.eu.int / comm / off / work_programme / com28 - Lde.pdf. Das Legislativprogramm der Europäischen Kommission ist im Internet abrufbar unter http: /I europa.eu.int/ comm / off / work_programme / com28 - 2_de.pdf. 282 Rahmenvereinbarung, Bulletin EU 7/8 - 2000, Anlage I Punkt 2. Für das Europäische Parlament sind hingegen nur die schon geltenden Verpflichtungen wiederholt, nämlich nach Möglichkeit bereits unmittelbar nach der Verabschiedung des Legislativprogramms die Berichterstatter für die künftigen Vorschläge zu benennen; bei der Planung seiner Tätigkeiten die von der Kommission und dem Rat geprüften Prioritäten zu berücksichtigen und die legislativen Teile seiner Tagesordnungen so zu planen, dass sie mit dem geltenden Legislativprogramm und den von ihm hierzu angenommenen Entschließungen in Einklang stehen, siehe Anlage I Punkt 7 iv).
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weit irgend möglich" zu berücksichtigen, wohl kein Zugeständnis an das Parlament, sondern eine versteckte Einschränkung. Obwohl "soweit irgend möglich" in dem Sinne als Entgegenkommen zu interpretieren sein kann, daß die Kommission bereit sei, den Anregungen des Parlaments gleichsam nicht nur an der Peripherie, sondern im Kern zu entsprechen, erschließt sich bei näherem Hinsehen seine ambivalente Bedeutung. Würde die Kommission erklärt haben, "die vom Parlament vorgeschlagenen Leitlinien zu berücksichtigen", so wäre hierin tatsächlich eine Verpflichtung zur Anpassung ihrer Jahresgesetzgebungsprogramme zu sehen. "Soweit irgend möglich" läßt hingegen jederzeit den Standpunkt der Kommission zu, daß die Berücksichtigung der Parlamentsinitiativen nicht möglich und eine Ergänzung des Programms inadäquat sei. Trotz des auf den ersten Blicks weiterreichenden Gehalts, die strategische Gesetzesplanung mit dem Parlament abzustimmen, reicht die Erklärung in der Rahmenvereinbarung daher in der Substanz nicht weiter als die im Andriessen-Bericht von 1981 getroffene Zusage, Initiativen des Parlaments aufzugreifen und in Legislativvorschläge zu transformieren, sofern keine substantiellen Einwände entgegenstehen283 . Für ihre Einordnung gelten daher im Prinzip die hierzu gemachten Ausführungen 284 . Zu klären bleibt aber, ob die Aufstellung der Legislativvorhaben in den Jahresgesetzgebungsprogrammen die Kommission gegenüber dem Parlament und dem Rat zur Vorlage der darin aufgeführten Vorschläge verpflichtet. Ausdrückliche Erklärungen der Organe hierzu sind nicht ersichtlich. In der Literatur finden sich bislang nur vereinzelte und ohne Begründung versehene, allerdings divergierende Stellungnahmen. Nach Haag sind die Vorgaben der Gesetzgebungsprogramme für die beteiligten Institutionen rechtlich nicht verbindlich285 • Schoo geht demgegenüber davon aus, daß sich die Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament "in Form eines Arbeitsprogramms sowie durch ein gemeinsam mit dem Parlament vereinbartes Jahresgesetzgebungsprogramm" binde286 . Auch liiufer scheint einer solchen Wirkung zuzuneigen. Unter der Prämisse, daß eine förmliche Aufforderung nach Artikel 192 Abs. 2 EGV grundsätzlich zur Vorlage eines Legislativvorschlags verpflichte 287 , der Kommission in zeitlicher wie in inhaltlicher Hinsicht aber ein breites Ermessen verbleibe, stellt er fest: "Sie kann jedoch im Verhältnis zum Parlament speziell im Jahresgesetzgebungsprogramm Bindungen eingegangen sein, die das Ermessen auch rechtserheblich begrenzen.,,288 In Fortführung der Kommentierung von liiufer hat Hölscheidt diesen Bulletin EG, Beilage 3 11982, S. 10 f. (Punkt 18). Siehe in Kapitel 7 unter H. 3. c). 285 Haag, in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138 EGV Rn. 20. 286 Schaa, in: Schwarze, EU-Kommentar Artikel 250 EGV Rn. 3. 287 Zu dieser Frage siehe ausführlich im nächsten Kapitel. 288 liiufer; in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 138b EGV Rn. 5 (Hervorhebung d. Verf.). 283
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
Passus übernommen, die entscheidenden Worte "auch rechtserheblich" aber gestrichen. Damit bleibt freilich die Frage offen, ob die Bindung der Kommission nur politisch sein soll, in welchem Fall es wiederum mißverständlich erscheint, eine Ermessensbegrenzung zu bejahen289 . Im Ergebnis wird man nur eine wechselseitige politische Verpflichtung zur Umsetzung der Jahresgesetzgebungsprogramme annehmen können, aber keinen gegen die Kommission durchsetzbaren Anspruch auf Vorlage eines Legislativvorschlags zum vorgesehenen Zeitpunkt. Da die Legislativplanung auf der Grundlage einer interinstitutionellen Abrede ergeht, ist für die Beurteilung einer Umsetzungspflicht der Bindungswille der Organe maßgeblich 290• Ein gemeinsamer Bindungswille im Sinne einer Vorlagepflicht der Kommission muß aber deswegen ausgeschlossen werden, weil die Organe Verabredungen für den Fall der Nichteinhaltung des Zeitplans getroffen haben und überdies das derzeitige Verfahren der ständigen Aktualisierung gegen die Annahme einer rechtlichen Bindung der Kommission spricht. Zum ersten ist festzuhalten, daß die Organe übereinstimmend die Regelung getroffen haben, wonach ein Abweichen von den Vorgaben rechtzeitig mitzuteilen sei. In der Rahmenvereinbarung ist vorgesehen, daß die Kommission die Arbeitsgruppe "Interinstitutionelle Koordinierung" unverzüglich von Verzögerungen bei der Vorlage eines spezifischen Vorschlags oder Dokuments in dem angenommenen Programm in Kenntnis setzt. 291 Bereits hieraus geht hervor, daß die Kommission nicht an die Vorgaben des Zeitplans gebunden sein soll. Vielmehr haben sich die Organe auf dessen Anpassung geeinigt. Diese - auch aus der interinstitutionellen Kooperationspflicht ableitbare - Verpflichtung obliegt nicht nur der Kommission, sondern auch dem Rat und dem Parlament. Entsprechend hat das Parlament in seine Verfahrensregeln den folgenden Punkt mitaufgenommen: "Kann ein Organ den festgelegten Zeitplan nicht einhalten, so teilt es den anderen Organen die Gründe für die Verzögerung mit und schlägt einen neuen Zeitplan vor. ,,292 Indem für den Fall der Verzögerung die Aktualisierung der Legislativverfahren vorgesehen ist, scheidet die Annahme eines Anspruchs gegen die Kommission auf eine dem Zeitplan entsprechende Vorschlagsvorlage aus. Wohl um in dieser Frage keine Zweifel aufkommen zu lassen, ist in der Rahmenvereinbarung ausdrücklich klargestellt, daß die Infonnationspflicht im Verzögerungsfall die Zuständigkeiten der Kommission im übrigen unbeeinträchtigt lasse293 • Wenn aber der Zeitplan der Jahresgesetzgebung keine Rechtspflicht entfaltet, kann auch die Auflistung der Vorschläge nur unverbindlich sein, weil die umgekehrte Annahme, daß zwar der Zeitpunkt varia289
Hölscheidt, in: Grabitz I Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 31.
Calliess, in: Cailiess/Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 7 EGV Rn. 21, mit weiteren Nachweisen. Näher dazu in Kapitel 7 unter Ir. 3. c). 291 Bulletin EU 7 18 - 2000, vom 5. Juli 2000, Anlage I Punkt 2. 292 Artikel 57 Nr. 7 GO-EP. 293 Bulletin EU 7 I 8 - 2000, Anlage I Punkt 2. 290
III. Aktuelle Entwicklungen
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bei sei, eine Vorlagepflicht aber Bestand habe, offensichtlich zu einer künstlichen Aufspaltung des Programms führen würde. Anders gewendet: Wenn die Unterbreitung eines Vorschlags beliebig oft verschoben werden darf, macht es keinen Sinn, die Kommission rechtlich zur Vorlage zu verpflichten. Letztlich weist schon der Charakter dieser interinstitutionellen Erklärung darauf hin, daß ihr keine rechtliche Bindungskraft zuzuerkennen ist. Die Vorgaben dienen zur Verfahrensvorbereitung und sollen permanent den tatsächlichen Verhältnissen angepaßt werden. Sie sind also ihrer Natur nach vorläufig. Daran ändert auch die zunehmende Einwirkung von Parlament und Rat auf die inhaltliche Ausgestaltung nichts. Es bleibt entscheidend, daß die Organe zur praktischen Durchführung der Programme keinen Automatismus vorgesehen haben, wenngleich unverkennbar ist, daß mit der intensivierten Zusammenarbeit die politische Verpflichtung zur Beachtung der Vorgaben zunimmt. In rechtlicher Hinsicht aber erübrigt sich die weitergehende, in der Besprechung der Initiativberichte bereits angeklungene Problematik einer Vorlageverpflichtung - welche hier von der Besonderheit gekennzeichnet wäre, daß die Kommission sich zur Vorlage eigener und von außen kommender Vorschläge verpflichten würde -, solange die Organe nichts anderes vereinbaren. Im Ergebnis trifft die Kommission mithin auch nach der Veröffentlichung der Jahresprogramme die endgültige Entscheidung über jede Vorlage nach ihrem Ermessen. Diese Schlußfolgerung wird durch die praktische Handhabung der Organe bestätigt. Das Parlament betont zwar in wachsendem Maße einen Anspruch auf Berücksichtigung seiner Prioritäten. Hinsichtlich der fehlenden Vorlagen der Kommission und der damit einhergehenden teilweisen Nichterfüllung der Programme beschränkt es sich aber auf die Forderung nach erneuter Vorlage294 oder auf die Bitte um Mitteilung der Gründe für die endgültige Streichung aus dem Kalender295 •
In. Aktuelle Entwicklungen Ende des Jahres 2001, anläßlich der Vorstellung des Arbeitsprogramms für das Jahr 2002296 , ist das Gesetzplanungsverfahren zum Gegenstand einer grundsätzlichen Reformdebatte geworden, weil die Kommission, anders als in den Jahren zuvor, im Oktober kein Jahresgesetzgebungsprogramm vorgelegt, sondern erst Mitte Dezember, am Vorabend einer Rede des Kommissionspräsidenten Prodi vor dem Parlament, eine Liste der für 2002 anvisierten Legislativvorhaben per e-mail an alle Abgeordneten geschickt hatte. 294 Entschließung zur Ausführung des Legislativprogranuns und anderer Tätigkeiten 1995 sowie zum Arbeitsprogramm der Kommission für 1996, ABI. 1996 Nr. C 17, S. 169, Nr. 2. 295 Entschließung zur Durchführung des Jahresgesetzgebungsprogranuns für 1996 und zum Arbeitsprogranun der Kommission für 1997, ABI. 1997 Nr. C 20, S. 58; Entschließung zur Durchführung des Legislativprogramms und anderer Aktivitäten für 1997 und zum Arbeitsprogranun der Kommission für 1998, ABI. 1998 Nr. C 14, S. 185. 296 Arbeitsprogramm der Kommission für 2002, KOM / 200 1 /0620 endg.
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
In einer knapp gehaltenen "Entschließung zur Vorlage des Programms der Kommission" formulierte das Parlament seinen Widerstand: "Das Europäische Parlament - sehr besorgt darüber, daß weniger als die Hälfte des geltenden Gesetzgebungsprogramms am 30. November 2001 verwirklicht und die Hälfte der legislativen Initiativen von 2001 im ursprünglichen Programm nicht vorgesehen war, - in Kenntnis des von der Kommission für 2002 vorgelegten Arbeitsprogramms - unter Hinweis auf die Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission - unter Hinweis darauf, daß es seine Mitentscheidungsbefugnis unter bestmöglichen Bedingungen wahrnehmen muß 1. betrachtet das Arbeitsprogramm 2002 nicht als ein Gesetzgebungsprogramm und bedauert, daß die Kommission nicht fristgemäß einen Vorschlag für ein Gesetzgebungsprogramm für 2002 vorgelegt hat; 2. beauftragt seine Präsidentin, diese Entschließung der Kommission und dem Rat zu übermitteln ... 297
Die Kommission hatte im Frühjahr 2001 - wie sie es im Weißbuch "Die Reform der Kommission" vom März 2000 angekündigt hatte 298 - ein neues System zur Planung ihrer Agenda eingeführt, dessen wichtigste Neuerung in der Aufstellung von Dreimonatsprogrammen besteht, die jene Maßnahmen präzisieren sollen, denen sie besondere Priorität einräumt. Im Februar 2001 nahm die Kommission ihre erste jährliche Strategieplanung an299 . Darin wurden die wichtigsten politischen Prioritäten festgelegt, die im Jahre 2002 besonders berücksichtigt werden sollen, vorrangige Maßnahmen bestimmt und entsprechende Ressourcen zugewiesen. Die jährliche Strategieplanung gibt den Rahmen für den vorläufigen Haushaltsentwurf und die operationelle Planung der Kommissionsdienststellen im Rahmen der jährlichen Managementpläne vor. Diese setzen die politischen Vorgaben der Kommission in Aktionen, Zielsetzungen und erwartete Ergebnisse der internen Programmplanung der Dienststellen um und enthalten operationelle Vorschläge für das Arbeitsprogramm. Damit werden - worauf im Arbeitsprogramm 2002 explizit hingewiesen ist300 - Kontext und Wesen der Arbeitsprogramme verändert. Das Verzeichnis legislativer und sonstiger Aktionen - d. h. das bislang für ein Jahr aufgestellte Gesetzgebungsprogramm - soll ersatzlos wegfallen. Das Arbeitsprogramm konzentriert sich stattdessen auf eine Skizze der wesentlichen politischen Parlament Dok. Nr. B5 - 0821/2001 (nicht veröffentlicht). Die Kommission hatte in dem Weißbuch angekündigt, dass sie ihre politische Agenda auf andere Weise festlegen werde als bisher, um sich auf Kernaufgabengebiete und -ziele zu konzentrieren, die Umsetzung politischer Prioritäten zu verbessern und die Transparenz gegenüber sonstigen Institutionen der Europäischen Union, nationalen Parlamenten und den europäischen Bürgern zu erhöhen, vgl. KOM (2000) 200 endg. 299 SEK (2001) 268 endgültig vom 21. 2. 2001. 300 Arbeitsprogramm der Kommission für 2002, KOM / 2001/0620 endg. 297
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III. Aktuelle Entwicklungen
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Aktionen, mit denen die Kommission ihre Prioritäten umzusetzen gedenkt 30I • Das fortlaufende Dreimonats-Programm (3-month rolling programme) soll monatlich auf den neuesten Stand gebracht und den anderen EU-Organen zugesandt werden, um ihnen die Organisation ihrer Aktivitäten zu erleichtern. Soweit möglich soll diese Programm eine kurze Beschreibung der Initiativen der Kommission und den zugrunde liegenden politischen Erwägungen enthalten, etwa dazu, wie die einzelnen Maßnahmen mit den politischen Prioritäten der Kommission zusammenhängen und sich in deren jährliches Arbeitsprogramm einfügen 302 • Aufgrund der im Laufe des Jahres 2001 aus dem Parlament laut gewordenen Kritik verteidigte Kommissionspräsident Prodi den Strategiewandel vor dem Europäischen Parlament am 11. Dezember 2001 in Straßburg und warb um Zustimmung, indem er den neuen Stellenwert der Arbeitsprogramme als Grundlage in die Einzelheiten gehender Vierteljahrespläne herausstrich: ,,( ... ) Bevor ich zu den Tätigkeiten der Kommission im ablaufenden Jahr und den geplanten Arbeiten des Jahres 2002 komme, möchte ich einmal mehr darauf hinweisen, daß für mich die enge und transparente Zusammenarbeit zwischen den Institutionen wesentliche Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren der Union ist. Eben deshalb habe ich im Januar dieses Jahres an dieser Stelle angekündigt, dass die Kommission an der Art der Zusammenarbeit zwischen den bei den Gemeinschaftsorganen etwas ändern möchte, um sie noch effizienter und transparenter zu gestalten. ( ... ) Bevor ich näher auf diese geplanten Neuerungen eingehe, möchte ich noch einmal auf die Grundprinzipien zurückkommen, an denen sich nach meinem Verständnis unsere Zusammenarbeit orientieren muss: Die Kommission behält das Initiativrecht, das einer der Grundpfeiler des europäischen Hauses ist und dessen Weiterbestand sichert. Eine starke Kommission ist eine Rückversicherung für das Europäische Parlament. Die Dreierarchitektur der interinstitutionellen Zusammenarbeit bleibt erhalten. Letztere ist nämlich nur dann wirklich von Nutzen, wenn die beiden Rechtsetzungsorgane - der Rat und das Parlament - mit der Kommission einen auf Transparenz und Solidarität basierenden Dialog führen können. ( ... ) Ich möchte Ihnen jetzt meine Reformvorschläge vorstellen, die - da bin ich zuversichtlich - entscheidend zur Verbesserung des Dialogs zwischen unseren drei Organen beitragen werden: Zunächst ist das Arbeitsprogramm von jetzt an nicht mehr nur ein reiner Katalog von geplanten Rechtsetzungsinitiativen, sondern ein echtes politisches Programm, das ein301 Das neue Arbeitsprogramm der Kommission hat folgende Funktionen: Es dient dazu, die im laufenden Jahr erreichten Fortschritte zu bewerten; das politische und wirtschaftliche Umfeld für das nächste Jahr zu umreißen, die politischen Prioritäten für das folgende Jahr auf der Grundlage der jährlichen Strategieplanung im einzelnen festzulegen, die jedoch, falls erforderlich, an wichtige neue Entwicklungen angepaßt werden sollen; die wichtigsten politischen Aktionen für das Jahr 2002 herauszustellen, insbesondere diejenigen, mit denen die politischen Prioritäten dieses Jahres umgesetzt werden. Es wird allerdings nicht der Versuch unternommen, ein umfassendes Bild der Tätigkeit der Kommission zu zeichnen, die zum großen Teil aus laufenden Arbeiten im Zusammenhang mit den vertraglichen Verpflichtungen der Kommission besteht. 302 Der erste Vierteljahresplan der Kommission für die Periode März - Mai 2001 ist abrufbar unter http://europa.eu.int/comm/off/work_programme I index_de.htm.
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3. Teil, Kap. 8: EP und Jahresgesetzgebungsprogramm
zuhalten sich die Kommission Ihnen gegenüber verpflichtet. In diesem Programm werden sowohl die Prioritäten für das nächste Jahr festgelegt als auch die für ihre Umsetzung nötigen Initiativen. Sie werden sich sicherlich wundem, dass das Arbeitsprogramm für 2002 nicht wie in der vorherigen Jahren eine Liste geplanter Rechtsetzungsinitiativen enthält. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass wir ( ... ) diese Liste durch ein sehr viel zuverlässigeres Instrument ersetzen, nämlich einen Vierteljahresplan, mit dessen Hilfe die Kommission ihre Tätigkeit programmiert und den Sie in regelmäßigen Abständen erhalten. Um völlige Transparenz zu schaffen, habe ich den Generalsekretär der Kommission gebeten, dem Generalsekretär des Parlaments so schnell wie möglich eine möglichst vollständige Liste mit den Vorschlägen der Kommissionsdienststellen zuzuleiten, die die Grundlage für das Arbeitsprograrnrn 2002 bilden. Sollte sich dieses Vorfahren bewähren, sind wir bereit, auch in Zukunft so vorzugehen. Sodann ist es mindestens ebenso wichtig, dass die Vorbereitung eines solchen Programms in den nächsten Jahren in einen ausführlicheren Dialog zwischen unseren beiden Organen eingebettet wird. Für das nächste Jahr haben wir daher ein Vorgehen in mehreren Etappen geplant, das am Anfang des nächsten Jahres mit der Vorbereitung des Arbeitsprogramms für 2003 beginnen soll. Wichtige Momente in diesem politischen Dialog werden die Monate Februar und Dezember sein, wenn die Kommission Ihnen ihre politischen Prioritäten für das Jahr 2003 vorstellt bzw. Ihnen das von der Kommission auf dieser Grundlage erstellte Arbeitsprogramm präsentiert ( ... ). ,,303
In der anschließenden Aussprache dominierte die Kritik am Strategiewechsel der Kommission. Die meisten Parlamentarier gingen nur am Rande auf den Inhalt des Arbeitsprogramms ein, rügten die verspätete Vorlage und betonten, daß die Kommission nicht eigenmächtig existierende Vereinbarungen übergehen könne. Insgesamt sprach sich das Parlament entschieden für die Beibehaltung der Jahresgesetzgebungsprogramme aus und betonte den in der Erklärung über Demokratie, Transparenz und Subsidiarität sowie der Rahmenvereinbarung vom 5. Juli 2000 verankerten Anspruch auf Vorlage eines Jahresgesetzgebungsprogramms im Oktober einschließlich der Zusage, soweit irgend möglich die vom Parlament vorgeschlagenen Leitlinien zu berücksichtigen. Die Fraktionsvorsitzenden betonten die Notwendigkeit, zusätzlich zum Arbeitsprogramm ein detailliertes Gesetzgebungsprogramms zu erstellen, weil andernfalls die Ausschüsse nicht ihre Arbeit aufnehmen, insbesondere nicht die Berichterstatter ernennen könnten, die in der prälegislativen Phase mit der Kommission zusammenarbeiteten304 • Auch aus Sicht des Parlaments ist das bisherige Verfahren aber nicht in jeder Hinsicht zufriedenstellend. Vor allem entbehrt die Jahresaussprache der gewünschten Wirkung, weil die Kommission in ihrem Programm nicht zwischen langfristigen politischen Prioritäten und technischen Anpassungen unterscheidet, sondern strategische Ziele gemeinsam mit jährlichen Überprüfungen und Aktualisierungen behandelt. Unter diesen Umständen hält das Parlament eine zielgerichtete Aussprache für kaum möglich. Nach eigener Einschätzung beschränken sich die Entschließungen weithttp://europa.eu.int/comm/commissioners/prodi/speeches/index_de.htm. Verhandlungen des Europäischen Parlaments, Sitzung vorn 11. 12. 2001, im Internet abrufbar unter http://www.europarl.eu.int/plenary/default_de.htm. 303
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III. Aktuelle Entwicklungen
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gehend auf "Einkaufslisten", mit denen es seine eigenen Vorstellungen formuliert. An erster Stelle der Verbesserungsforderungen steht weiterhin die stärkere Einbindung der Ausschüsse und Fraktionen in die Vorbereitung des Jahresprogramms. Darüber hinaus fordert es die stärkere Berücksichtigung seiner Prioritäten und verlangt, daß die Kommission jeweils erläutern müsse, warum Vorschläge für neue Gesetzesinitiativen, die vom Parlament vorgelegt wurden, nicht aufgenommen worden sind. Vor diesem Hintergrund hatte der Ausschuß für konstitutionelle Fragen im Sommer 2001 einen Reformvorschlag entworfen305 , den die Konferenz der Präsidenten Anfang Dezember 2001 zur Grundlage eines Entwurfs zur gemeinsamen Jahresplanung mit der Kommission genommen hat (schema d'echeancier?06. Hiernach soll zum Jahresbeginn, vorzugsweise in der ersten Plenartagung im Januar, eine gemeinsame Aussprache über die Lage der Union abgehalten werden, verbunden mit einer Bewertung des Vorjahres und einem Ausblick auf künftige Perspektiven sowie die wesentlichen Herausforderungen. Einen Monat später, im Februar, soll die Kommission der Konferenz der Ausschußvorsitzenden ihre strategischen Prioritäten für das betreffende Jahr vorlegen, über die das Plenum in einer gemeinsamen Aussprache berät. Anschließend sollen die Dienststellen der Kommission während der Monate März bis Mai eine detailliertere Programmplanung ausarbeiten, in die die Parlamentsausschüsse einzubeziehen sind, um Prioritäten und Einzelheiten des Programms zu besprechen. In dieser Phase können Fragen im Hinblick auf die Rechtsgrundlage, den Zeitplan oder die haushaltspolitischen Auswirkungen geklärt werden. Die Bewertung des Gesetzgebungsverfahrens für das erste Halbjahr, die in einem Verfahren zwischen den Ausschußvorsitzenden des Parlaments und einem Vizepräsidenten der Kommission stattfinden könnte, soll in den Monaten Juni und Juli vorgenommen werden. Im Oktober, spätestens im November, soll eine weitere Aussprache stattfinden, in der das Europäische Parlament das jährliche Arbeitsprogramm und das Gesetzgebungsprogramm annehmen kann. Dieser Zeitpunkt hat sich für das Parlament als günstig erwiesen, da dann regelmäßig die erste Lesung des Haushalts stattfindet. Das endgültige Legislativprogramm soll dem Plenum gemeinsam mit dem Arbeitsprogramm vorgelegt werden, nachdem es zuvor mit der Konferenz der Präsidenten sowie den Ausschußvorsitzenden debattiert wurde. Im Unterschied zur bisherigen Praxis legt das Parlament Wert darauf, daß das endgültige Dokument eine Rangordnung der Vorschläge vorsieht, wobei die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu wahren sind und jede Maßnahme sorgfältig zu beschreiben, insbesondere die Rechtsgrundlage anzugeben ist. Schließlich ist vorgesehen, daß die Konferenz der Präsidenten den Entwurf 305 Ausschuß für konstitutionelle Fragen, Arbeitsdokument vom 31. August 2001 über das Jahresgesetzgebungsprogramm der Kommission (Artikel 57 der Geschäftsordnung), http:// www.europarl.eu.int/ meetdocs / committees / afco / 200 11119/446174de. pdf. 306 Parlament Dok. Nr. 311.739 vom 6.12.2001 (unveröffentlicht).
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3. Teil, Kap. 9: Aufforderungsrecht des EP nach Art. 192 Abs. 2 EGV
einer Entschließung vorbereitet, damit im nächsten Jahr ein Bezugsdokument zur Verfügung steht, und die Bewertung erleichtert wird, wobei der Ausschuß für konstitutionelle Fragen betont, daß die Hauptverantwortung sowie die endgültige Ausarbeitung des Programms weiterhin der Kommission obliegt und Teil ihres im Vertrag niedergelegten Initiativrechts ist307 .
Kapitel 9
Das Recht des Parlaments, die Kommission zur Vorlage von Vorschlägen aufzufordern, Artikel 192 Absatz 2 EGV Seit dem Unionsvertrag verfügt das Parlament über eine primärrechtliche Anspruchsgrundlage, von der Kommission die Vorlage von Legislativvorschlägen zu verlangen. Artikel 192 Abs. 2 EGV (Artike1138b Abs. 2 EGVa. E) lautet: "Das Europäische Parlament kann mit der Mehrheit seiner Mitglieder die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge zu Fragen zu unterbreiten, die nach seiner Auffassung die Ausarbeitung eines Gemeinschaftsakts zur Durchführung dieses Vertrags erfordern."
Damit hat die parlamentarische Praxis der Initiativberichte ihren vertraglichen Niederschlag gefunden. Artikel 192 Abs. 2 EGV begründet kein eigenes Gesetzesinitiativrecht, sondern ist dem formellen Vorschlagsrecht der Kommission vorgeschaltet. In der Literatur wird Artikel 192 Abs. 2 gleichwohl häufig als "Initiativrecht,,308 angeführt, zum Teil wird die besondere Konstruktion der Aufforderung zum Tätigwerden als "Initiativaufforderungsrecht,,309, als "Initiative der Initiative,,310 oder als "eine Art Initiativrecht,,311 veranschaulicht. Im folgenden wird die Bezeichnung "indirektes Initiativrecht" bzw. "Aufforderungsrecht" beibehalten. Artikel 192 Abs. 2 EGV ist seiner Struktur nach dem Aufforderungsrecht des Rates nachempfunden. Daher ähnelt die folgende Besprechung im Aufbau der Besprechung des Artikels 208 EGY. In der juristischen Beurteilung dominieren hingegen die Unterschiede, die sich aus dem anders gelagerten, systematischen Verhältnis zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission ergeben.
307 Ausschuß für konstitutionelle Fragen, Arbeitsdokument vom 31. 8. 2001 über das Jahresgesetzgebungsprogramm der Kommission, im Internet abrutbar unter http: 11 www.europarl.eu.int I meetdocs I committees I afco 1200 11119/446174de.pdf. 308 Decker, S. 887; Sedemund/Montag, S. 626. 309 Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 29. 310 Hakenberg, S. 49. 3ll Nentwich, S. 237; Cloos/Reinesch/Vignes/Weyland, S. 394: "Une esquisse de droit d' initiative."
I. Anwendungsbereich und Verfahren
255
I. Die erste Einschränkung formeller Initiativen: Zum Anwendungsbereich und zum Verfahren
In seiner Funktion ähnelt Artikel 192 Abs. 2 EGV dem Aufforderungsrecht des Rates. Die Anwendungsbereiche sind aber nicht deckungsgleich. Auch hat sich das Parlament selbst bestimmte, seiner Anwendung Grenzen setzende Regeln auferlegt. 1. Sinn und Zweck des Aufforderungsrechts
Das parlamentarische Aufforderungsrecht ist, anders als Artikel 208 EGV, seinem Anwendungsbereich nach auf das Vorschlagsverfahren und damit auf die Ergänzung des Initiativmonopols der Kommission beschränkt. In dieser Hinsicht fungiert das Aufforderungsrecht wie Artikel 208 EGV gleichermaßen als Kontrollwie als Lenkungsinstrument, nämlich sowohl zur Animation, um einer etwaigen Untätigkeit der Kommission in der Rechtsetzung entgegenzuwirken, als auch zum Vortrag eigener Rechtsetzungswünsche. 2. Anwendungsbereich des Aufforderungsrechts
Das Aufforderungsrecht erstreckt sich auf den gesamten Tatigkeitsbereich der drei Gemeinschaften. Artikel 192 Abs. 2 EGV stimmt wörtlich mit den Parallelbestimmungen in Artikel 107a EAG-Vertrag und Artikel 20a EGKS-Vertrag überein. Die nicht in die Gemeinschaftsverträge fallenden Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sind hingegen ausgenommen. Artikel 28 und 41 EUV verweisen zwar auf Artikel 208 EGV, nicht aber auf Artikel 192 EGV, so daß das Parlament in der Zweiten und Dritten Säule keine förmlichen Aufforderungen aussprechen kann 312 • Das Parlament kann aber auf der Grundlage seines allgemeinen Beratungsrechts auch in diesen Bereichen Initiativentschließungen erlassen313 • Als Aufforderungsgegenstand kommen nach dem eindeutigen Wortlaut nur Gemeinschaftsakte in Betracht, für die ein Vorschlagsrecht der Kommission besteht. Allerdings können hierunter neben den in erster Linie gemeinten Rechtsaktvorschlägen auch sonstige Akte der Kommission fallen, wobei administrative EinzeIentscheidungen wiederum ausscheiden, da insoweit die vertragliche Funktionenteilung vorrangig ist314 . Das übersieht Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Artikel 41 EUV Rn. 2. Zutreffend Haag, in: Groeben I Thiesing I Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 16. Siehe dazu bereits in Kapitel 1 unter 11. 3. f) und 4. c). 314 Haag, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 16. 312 313
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3. Teil, Kap. 9: Aufforderungsrecht des EP nach Art. 192 Abs. 2 EGV
3. Form und Verfahren
Artikel 192 Abs. 2 EGV verlangt zur Annahme einer Initiativentschließung eine Zustimmung mit absoluter Mehrheit, d. h. mit der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Weitere formelle oder materielle Anforderungen enthält der EG-Vertrag nicht. Damit ist es dem Parlament überlassen, ob und wie detailliert es die Einzelheiten regelt. Möglich ist sowohl die allgemeine Aufforderung, in einem bestimmten Politikbereich tätig zu werden, als auch die Vorlage eines vollständigen Entwurfs, mit dem es von der Kommission die förmliche Einleitung eines Rechtsetzungsverfahrens fordert. Das Parlament hat kraft seines Selbstorganisationsrechts Regelungen getroffen, welche die Aufforderungen im Sinne des Artikels 192 Abs. 2 EGV in einen unmittelbaren Zusammenhang mit den einfachen Initiativberichten und mit den Jahresgesetzgebungsprograrnmen stellen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist vorgesehen, daß eine Aufforderung nach Artikel 192 Abs. 2 EGV stets auf der Grundlage eines Initiativberichts im Sinne von Artikel 163 GO-EP ergeht, welcher von der Mehrheit der Mitglieder als Entschließung angenommen wird. In materieller Hinsicht ist vor allem bestimmt, daß eine förmliche Aufforderung nur dann an die Kommission gerichtet werden soll, wenn der federführende Ausschuß feststellt, daß entweder im aktuellen Jahresgesetzgebungsprogramm kein entsprechender Vorschlag vorgesehen ist, oder die Vorbereitungen für einen solchen Vorschlag noch nicht angelaufen sind oder sich verzögern, oder wenn die Kommission auf eine vorangehende Initiative nicht reagiert hat. Im einzelnen legt Artikel 59 GO-EP fest: ,,1. Das Parlament kann die Kommission durch Annahme einer Entschließung auf der Grundlage eines gemäß Artikel 163 genehmigten Initiativberichts des federführenden Ausschusses gemäß Artikel 192 Absatz 2 des EG-Vertrags auffordern, ihm geeignete Legislativvorschläge zu unterbreiten. Die Entschließung wird mit der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments angenommen. Das Parlament kann zugleich eine Frist für die Vorlage eines solchen Vorschlags festlegen.
2. Vor Einleitung des Verfahrens gemäß Artikel 163 vergewissert sich der federführende Ausschuß, daß aus einem der folgenden Gründe kein derartiger Vorschlag in Vorbereitung ist: a) Ein derartiger Vorschlag ist im Jahresgesetzgebungsprograrnm nicht aufgeführt. b) Die Vorbereitungen für einen solchen Vorschlag sind noch nicht angelaufen oder verzögern sich übermäßig. c) Die Kommission hat auf frühere Ersuchen, die vom federführenden Ausschuß an sie gerichtet wurden oder in vom Parlament mit einfacher Mehrheit angenommenen Entschließungen enthalten waren, nicht positiv reagiert. 3. In der Entschließung des Parlaments ist die angemessene Rechtsgrundlage angegeben. Ferner enthält sie detaillierte Empfehlungen über den Inhalt des angeforderten Vorschlags unter Wahrung der Grundrechte und des Grundsatzes der Subsidiarität.
11. Umsetzung förmlicher Aufforderungen
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4. Hat der angeforderte Vorschlag finanzielle Auswirkungen, so gibt das Parlament an, wie eine ausreichende finanzielle Deckung bereitgestellt werden kann. 5. Der federführende Ausschuß überwacht die Fortschritte bei der Ausarbeitung eines Legislativvorschlags auf der Grundlage eines besonderen Ersuchens des Parlaments.,,315
Indem stets die Erstellung eines Initiativberichts vorgeschaltet ist, bedarf der zuständige Ausschuß für eine förmliche Initiative der Genehmigung durch die Konferenz der Präsidenten. Im Unterschied zu den Initiativberichten ist wesentlich, daß der federführende Ausschuß detaillierte materielle Anforderungen zu beachten hat, namentlich die Angabe der Rechtsgrundlage, ausführliche Empfehlungen zum Inhalt des Vorschlags einschließlich seiner Finanzierbarkeit, sowie eine Überprüfung der Entschließung anband des Subsidiaritätsprinzips und der Gemeinschaftsgrundrechte316 . Dies verlangt allerdings nicht einen kompletten, vorlagefähigen Entwurf317 .
11. Die zweite Einschränkung formeller Initiativen: Zur tatsächlichen Umsetzung der Entschließungen Die bisherigen Gelegenheiten, bei denen das Parlament die Kommission zur Vorlage von Legislativvorschlägen förmlich aufgefordert hat, lassen sich im einzelnen benennen, weil - im Gegensatz zu den Aufforderungen des Rates - jeweils in der "Präambel" der Entschließungen auf Artikel 192 Abs. 2 EGV 318 Bezug genommen wird. Seit Inkrafttreten des Unionsvertrags sind erst wenige förmliche Aufforderungen ergangen. 1. Die formellen Initiativentschließungen der Jahre 1993 bis 2001
Das Parlament hat in den folgenden Entschließungen von seinem Aufforderungsrecht Gebrauch gemacht: Entschließung vom 9. März 1994 zu Ermittlungs- und Untersuchungsbefugnissen im Rahmen des rechtlichen Schutzes der finanziellen Interessen der Union 319 , Entschließung vom 20. April 1994 zur Verhütung und Behebung von Umweltschäden32o , Entschließung vom 4. Mai 1994 zum Brandschutz in Hotels 321 , Entschlie315 Artikel 59 GO-EP. 316 Damit hatte das Europäische Parlament die Erklärungen des Edinburgh-Gipfels eingearbeitet. Vgl. Hierzu näher Westlake, Partners and Rivals, S. 96 und 99. 317 Dazu näher Westlake, A modem guide to the European Parliament, S. 153. 318 Bzw. Artike1138 bEGVa. F. 319 ABI. 1994 Nr. C 91, S. 334. 320 ABI. 1994 Nr. C 128, S. 165. 321 ABI. 1994 Nr. C 205, S. 163. 17
von Buttlar
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3. Teil, Kap. 9: Aufforderungsrecht des EP nach Art. 192 Abs. 2 EGV
ßung vom 26. Oktober 1995 zur Regulierung von Verkehrsunfällen außerhalb des Herkunftslandes des Geschädigten 322 , Entschließung vom 17. April 1996 zum Europäischen Gesundheitsausweis 323 , Entschließung vom 30. Januar 1997 zur Strategie der Europäischen Union für den Forstsektor324 und Entschließung vom 17. Juni 1998 zu der Einspeisung von Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen in der Europäischen Union325 • Die Kommission hat bislang kaum eine dieser Initiativen aufgegriffen. In den Entschließungen zu den Jahresgesetzgebungsprograrnmen der letzten Jahre hat das Parlament darum regelmäßig die Vorlage entsprechender Vorschläge angemahnt. ,,(Das Parlament) drängt darauf, daß das Legislativprogramm die gemäß Artikel 138b EGVertrag vom Europäischen Parlament ergriffenen Initiativen umfaßt.,,326 In der Entschließung zur Durchführung des Jahresgesetzgebungsprogramms für das Jahr 1996 war es dem Parlament einen ausdrücklichen Hinweis wert, daß die Kommission eine der bis dahin ergangenen Aufforderungen aufgegriffen hat. ,,(Das Parlament) stellt fest, daß die Kommission erstmals einem Ersuchen stattgeben will, das es im Rahmen von Artikel 138 b EG-Vertrag in seiner Entschließung vom 26. Oktober 1995 ( . .. ) zur Regulierung von Verkehrsunfällen, die außerhalb des Herkunftslandes des Geschädigten erlitten werden, an die Kommission gerichtet hat. ,,327 In der Entschließung zum Jahresgesetzgebungsprogramm für das Jahr 2000 hat das Parlament zuletzt sein Bedauern über die mangelhafte Bereitschaft der Kommission zur Übernahme seiner förmlichen Aufforderungen ausgedrückt. ,,(Das Parlament) bedauert, daß die Kommission trotz des Rechts des Parlaments, von ihr die Vorlage geeigneter Vorschläge zu Fragen zu fordern, bei denen es der Auffassung ist, daß ein Gemeinschaftsakt zur Durchführung des Vertrags erforderlich ist, bislang sehr wenig geneigt war, den vom ihm in Legislativvorschlägen gemachten Forderungen nachzukommen. ,,328
322 ABI. 1995 Nr. C 308, S. 108. 323 ABI. 1996 Nr. C 141, S. 104. 324 ABI. 1997 Nr. C 55, S. 22. 325 ABI. 1998 Nr. C 210, S. 143. 326 Entschließung zum Arbeitsprogramm der Kommission für 1999, ABI. 1999 Nr. C 98, S. 163; Entschließung zur Ausführung des Legislativprogramms und anderer Tätigkeiten 1995 sowie zum Arbeitsprogramm der Kommission für 1996, ABI. 1997 Nr. C 17, S. 169 (Nr. 4); Entschließung zur Durchführung des Legislativprogramms und anderer Aktivitäten für 1997 und zum Arbeitsprogramm der Kommission für 1998, ABI. 1998 Nr. C 14, S. 185 (Nr.9). 327 ABI. 1996 Nr. C 20, S. 58 (Nr. 6). 328 Entschließung des Europäischen Parlaments zum Jahresgesetzgebungsprogramm der Kommission für 2000, Bulletin-EG 1/2000, S. 122.
II. Umsetzung fönnlicher Aufforderungen
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2. Zur Bedeutung der rechtlichen Bindungswirkung
Die möglicherweise aus einer Aufforderung resultierende Pflicht zur Vorschlagsvorlage stellt eine Schlüsselfrage für das interinstitutionelle Zusammenspiel dar, weil sie dem Parlament eine über die bislang beschriebenen Einwirkungsmöglichkeiten hinausreichende Beteiligung an der Initiierung von Gemeinschaftsrecht verschaffen würde. Der Gerichtshof hat über die Rechtswirkung des Artikels 192 Abs. 2 EGV noch nicht entschieden, da bislang kein Verfahren anhängig gemacht wurde. Zwar hat das Europäische Parlament im Jahre 1993 eine Untätigkeitsklage gegen die Kommission wegen fehlender Vorschläge zu Verwirklichung der Freizügigkeit erhoben 329 und darin auch auf eigene Initiativen zum freien Personenverkehr Bezug genommen 330, doch finden sich darunter keine auf das Aufforderungsrecht gestützte Entschließungen; außerdem hat der Gerichtshof, nachdem die Kommission in den Jahren 1994 und 1995 mehrere entsprechende Vorschläge für Richtlinien zum Personenverkehr eingebracht hatte, das Verfahren für erledigt erklärt33 !.
3. Die interinstitutionelle Vereinbarung zum Aufforderungsrecht
Das Parlament hat im Jahre 1993, noch vor Inkrafttreten des Unionsvertrags, vertreten, daß die Kommission förmliche Aufforderungen befolgen und in formelle Gesetzesvorschläge umwandeln müsse 332 . Der für die Beziehungen zum Parlament zuständige Kommissar Pinheiro wies diese Auffassung zurück, kündigte aber die Bereitschaft an, entsprechende Initiativen gebührend zu beachten. "The Commission cannot accept that there should be anything automatie about the legislative initiatives pursuant to Article 138b. However, a legislative initiative adopted in Parliament by an absolute majority, as required in the Treaty, will be a very important political signal which the Commission will undoubtedly take into account.,,333
Der Weigerung, so etwas wie einen Automatismus zu akzeptieren, welche augenscheinlich an den Andriessen-Bericht erinnert, mit dem die Kommission die An329 EuGH Rs. C-445 193, Slg. 1996, Beschluß vom 11. 7. 1996 (unveröffentlicht). 330 Vor allem auf die Entschließungen vorn 12. März 1987 zum Asylrecht, ABI. 1987 Nr. C 99, S. 167; die Entschließung zum freien Personenverkehr im Binnenmarkt, ABI. 1990 Nr. C 96, S. 274 sowie auf die Entschließung vom 13.9. 1991 über den freien Personenverkehr und die Sicherheit in der Europäischen Gemeinschaft, ABI. 1991, Nr. C 267, S. 200, Klageschrift des Europäischen Parlaments, Rn. 18 ff. (unveröffentlicht). 331 EuGH Rs. C-445 193, Slg. 1996, Beschluß des Gerichtshofs vorn 11. 7. 1996 (unveröffentlicht). 332 Verhandlungen des Europäischen Parlaments vorn 14. 9. 1993, ABI. 1993 Anh. Nr. 3434/54, S. 48. 333 Verhandlungen des Europäischen Parlaments vorn 14. 9. 1993, ABI. 1993 Anh. Nr. 3434/54, S. 48. 17*
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3. Teil, Kap. 9: Aufforderungsrecht des EP nach Art. 192 Abs. 2 EGV
fang der 80er Jahre geforderte automatische Umsetzung von Parlamentsinitiativen abgelehnt hatte 334, hätte das Parlament eigentlich widersprechen müssen, wenn es von einer Rechtspflicht der Kommission ausgegangen wäre. Stattdessen scheint es sich mit der Antwort nolens volens abgefunden zu haben. Dies geht zumindest aus einer Reaktion des Vizepräsidenten und Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion Martin hervor, der den Anspruch auf Vorschlagsvorlage nicht als Streitgegenstand divergierender Rechtsauffassungen behandelt, sondern als politische Verhandlungssache. "Leider empfindet die Kommission den Artikel 138 b als nichts Neues; sie argumentiert, ihr verbleibe das Recht zu entscheiden, wie sie auf entsprechende Forderungen des Parlaments reagieren wolle. Ich hoffe, daß die Kommission ihre Einstellung bis 1996 ändern wird und daß die Kommission als Gegenleistung für die Unterstützung des Parlaments bei der vollen Integration der Außenpolitik und der Zusammenarbeit in der Rechts- und Innenpolitik in den Rechtsrahmen der Gemeinschaft dann sich mit dem Parlament auf ein System einigen kann, daß gewählten Volksvertretern erlaubt, ihre Programme in die Praxis umzusetzen. ,,335
Vermutlich hatte Martin der Hoffnung, die automatische Übernahme im Einvernehmen zu vereinbaren, nach allen bisherigen Erfahrungen, wonach die Kommission stets auf ihre formelle Unabhängigkeit in der Ausarbeitung von Legislativvorschlägen geachtet hatte, von vornherein keine sonderlichen Erfolgsaussichten eingeräumt. Sie erfüllte sich auch nicht. Noch vor Beginn der Verhandlungen zur Amsterdamer Vertragsrevision legten die Organe im Verhaltenskodex von März 1995 den nachstehenden modus vivendi fest: "Fordert das Europäische Parlament die Kommission gemäß Artikel 138 b auf, Legislativvorschläge vorzulegen, so berücksichtigt die Kommission diese Aufforderungen soweit irgend möglich. Die Stellungnahmen der Kommission zu diesen Aufforderungen werden von Fall zu Fall, gegebenenfalls auch im Plenum, ordnungsgemäß begründet. •.336
Ungeachtet der näheren Würdigung dieser Einigung, die förmliche Aufforderungen zumindest nicht als rein politisches Signal qualifiziert, hatte das Parlament offenbar die Forderung auf direkte Umsetzung fallengelassen und sich mit der Verankerung einer Garantie beschieden, eine begründete Stellungnahme zu bekommen. Auch die Rahmenvereinbarung vom Juli 2000, die zu einem Zeitpunkt erging, da das Parlament bereits acht Entschließungen verabschiedet hatte, von denen kaum eine Beachtung gefunden hatte, deutet nicht auf das Begehren eines Automatismus' hin, sondern präzisiert lediglich die Anforderungen an die Stellungnahme der Kommission: "Die Kommission wird allen Aufforderungen des Europäischen Parlaments, gemäß Artikel 192 des EG-Vertrags legislative Vorschläge zu unterbreiten, Rechnung tragen, und sie verpflichtet sich, auf jede derartige Aufforderung eine umgehende und ausreichend detaillier334
335 336
Siehe dazu im Detail in Kapitel 7 unter 11.3. b) und c). Martin, Die Kommission muß durchgreifend reformiert werden, S. 55 f. ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69, Punkt 3.3.
ur. Rechtswirkung einer Aufforderung
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te Antwort im zuständigen Ausschuß des Europäischen Parlaments, falls erforderlich auch im Plenum, zu geben.,,337
IH. Die Rechtswirkung einer Aufforderung: Das Wortlaut-Argument, das systematische Argument und das politische Argument Eine starke Auffassung im Schrifttum bejaht die Rechtspflicht der Kommission, auf eine förmliche Aufforderung hin einen Legislativvorschlag zu machen, wobei einige Autoren anmerken, daß die inhaltliche Ausgestaltung hiervon unberührt bleibe und sie insoweit ihr Ermessen behalte338 . Fast alle Stellungnahmen ergehen ohne Begründung. Nur vereinzelt wird argumentiert, daß eine förmliche Aufforderung bindend sein müsse, weil die Vorschrift sonst funktionslos se?39. Die Gegenmeinung hält die auf Artikel 192 Abs. 2 EGV gestützten Aufforderungen für rechtlich unverbindlich34o . Auch hierfür finden sich kaum Erläuterungen. Einige Autoren merken an, die Kommission sei gleichwohl politisch verpflichtet, die Initiativen zu beachten341 .
337 Bulletin EU 718 - 2000, Punkt 4. 338 Bieber; Europäische Gesetzgebung, S. 303; ders., Struktur und Befugnisse des Europäischen Parlaments, S. 149; Cini, S. 20; ConstantinescolKovarlSimon, Le Traite sur I'Union Europeenne, Artikel 138b Rn. 5; Nentwich, S. 237; Pemice, Maastricht, Staat und Demokratie, S. 469; Haag, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 18; Hölscheidt, in: Grabitz/Hilf, EU-lEG-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 29 (ebenso liiufer in der Vorauflage, Artikel 138 b EGV Rn. 7); ders., Parlamentarische Mitwirkung bei der europäischen Rechtsetzung, S. 408; Kluth, in: Calliess I Ruffert, EU-lEG-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 11; Kaufrnann-Bühler; in: Lenz, EG-Vertrag, Artikel 138b EGV Rn. 9; Reich, S. 289; Ohler; S. 227; Grams, S. 148. Wohl auch Geiger; EUV I EGV, Artikel 192 EGV Rn. 2 und Suski, S. 171. Differenzierend Ress, Europäische Union und Europäische Gemeinschaften, S. 988, der die Verbindlichkeit nur für solche Vorschläge der Kommission bejaht, die im Mitentscheidungsverfahren behandelt werden. 339 Haag, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn 18. 340 Maurer; Pouvoir renforce du Parlement europeen, S. 64; Streinz, Europarecht, Rn. 324; Boest, S. 184; ClooslReineschlVigneslWeyland, S. 395; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 18; Corbett, The Treaty of Maastricht, S. 60; Glaesner; Willensbildung und Beschlussverfahren, S. 28; Kühner; S. 53; Hartley, S. 32; Godet, in: Leger, Union Europeenne, Artikel 192 EGV Rn. 21; Manin, S. 208; Isaac, S. 72; Klösters, S. 71; Bono, S.89. 341 So ausdrücklich Schao, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 18; ClooslReineschlVigneslWeyland, S. 395; Manin, S. 208.
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3. Teil, Kap. 9: Aufforderungsrecht des EP nach Art. 192 Abs. 2 EGV
1. Das Wortlaut-Argument
Für die Textanalyse kann auf die parallele Prüfung des Artikels 208 EGV verwiesen werden, da die Vorschriften im wesentlichen identisch sind342 . Aus diesem Grunde ist das Ergebnis vorwegzunehmen, wonach der Wortlaut nicht mehr als ein Indiz für und gegen die Rechtswirkung gibt. Artikel 192 Abs. 2 EGV ist seiner Formulierung nach in beide Richtungen auslegbar, sowohl zugunsten einer Vorlagepflicht der Kommission - die eine Prüfungspflicht umfassen würde - als auch dagegen. Der Begriff der "Aufforderung" ist ambivalent. Er deutet nicht auf eine Befolgungspflicht hin, für sich genommen nicht einmal auf ein Recht auf Antwort, spricht aber auch nicht direkt gegen die Verbindlichkeit. Hinsichtlich der fehlenden Anordnung einer Prüfungspflicht ist zu beachten, daß in Maastricht weitere, ähnliche Vorschriften in den Vertrag aufgenommen wurden, die eine solche explizit festlegen und somit einen unmittelbaren Umkehrschluß erlauben. Artikel 100 c Abs. 4 EGVa. E (mittlerweile aufgehoben) und Artikel 109 d EGV (Artikel 115 EGV n. E) ordnen expressis verbis an, daß die Kommission Anträge der Mitgliedstaaten bzw. Ersuchen der Mitgliedstaaten oder des Rates prüfen muß 343 . Auch der in Maastricht eingefügte Artikel 228 a EGVa. E (Artikel 301 EGV n. E) ist so zu verstehen 344, so daß sich eine Tendenz gegen eine Prüfungs- und Reaktionspflicht ergibt. Auf der anderen Seite richten sich die Aufforderungen, ebenso wie die des Rates, unmittelbar auf die Vorlage von Vorschlägen und nicht lediglich auf die Prüfung der Aufforderungen, was umgekehrt als Hinweis auf eine Vorlagepflicht zu interpretieren sein kann, welche die Prüfungspflicht umfassen würde 345 . 2. Das systematische Argument
Als Ausgangspunkt der systematischen Verortung des Artikels 192 Abs. 2 EGV ist die von Haag ins Feld geführte Feststellung zu nehmen, demzufolge das Aufforderungsrecht funktionslos wäre, wenn sein Gebrauch die Kommission nicht zur Vorlage von Legislativvorschlägen verpflichten würde 346 . 342 Vgl. hierzu in Kapitel 5 unter III. 1. a. Während in der deutschen, französischen, englischen und italienischen Fassung in Artikel 208 EGV und Artikel 192 Abs. 2 EGV jeweils dasselbe Verb gebraucht ist ("demander", "request", "chiedere"), weicht die spanischsprachige Fassung ab: In Artikel 208 EGV heißt es "pedir" und in Artikel 192 Abs. 2 "solicitar". Richtigerweise läßt sich aber auch hieraus kein stichfestes Argument pro oder contra einer Befolgungspflicht zulasten der Kommission ziehen, da "pedir" mit "bitten" und "solicitar" mit "auffordern, beantragen" zu übersetzen ist, Langenscheidts Wörterbuch Spanisch, 8. Auflage. 343 Vgl. hierzu bereits in Kapitel 5 unter III. 1. b). In Artikel 109 d EGV ist darüber hinaus bestimmt, daß die Kommission ihre Schlußfolgerung umgehend dem Rat zu unterbreiten hat. 344 Vgl. hierzu in Kapitel 5 unter III. 1. b). 345 V gl. hierzu in Kapitel 5 unter III. 1. c).
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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Dieser Befund ist in seiner Absolutheit schon deswegen angreifbar, weil das bloße Recht, zur Vorschlagsvorlage aufzufordern - wie bei der insoweit parallelen Erörterung des Artikels 208 EGV im einzelnen begründet - durchaus keine Befolgungspflicht impliziert, sondern lediglich Ausdruck der spezifischen Rollenverteilung im Vorschlagsverfahren ist347 . Um festzustellen, unter welchen Umständen Artikel 192 Abs. 2 EGV funktionslos wäre, ist vielmehr eine differenzierende Funktionsbestimmung Voraussetzung. Mithin ist vor der Prüfung - und erst recht vor der Bejahung - eines Vorlagezwangs die einen selbständigen Regelungsgehalt bildende PrüjUngspflicht zu klären. Und insoweit ist tatsächlich umstandslos zu konstatieren, daß eine Aufforderung die Kommission bindet. Trotz des nicht eindeutigen Wortlauts ist eine Reaktions- und Prüfungspflicht mit der doppelten Begründung zu bejahen, daß das Aufforderungsrecht ansonsten leer laufen und das Gebot zur loyalen Zusammenarbeit verletzt würde 348 • Da Artikel 192 Abs. 2 EGV folglich gerade nicht funktionslos wäre, wenn man eine automatische Befolgungspflicht verneint, ist die Feststellung von Haag nur dann zutreffend, wenn aus dem systematischen Zusammenhang ein weitergehender Regelungsgehalt zu folgern ist. Für einen solchen Ansatz bietet sich ein Vergleich zu Artikel 208 EGV an, weil das dort vorgetragene Argument, wonach eine Vorlagepflicht anzunehmen sei, da der Rat unverbindliche Anregungen ohnehin geben könne, auf das Parlamentsrecht übertragbar ist. Wenn das Parlament vor Maastricht auf der Grundlage des allgemeinen Beratungsrechts rechtlich unverbindliche Initiativen lancieren konnte und nunmehr ein vertragliches Aufforderungsrecht erhält, dann könnte dies für eine Befolgungspflicht sprechen, weil Artikel 192 Abs. 2 EGV ansonsten keine über die bisherige Praxis hinausreichende Bedeutung zukäme, mithin die Vorschrift ohne eigene Funktion bliebe. Für diese Interpretation ließe sich zusätzlich anführen, daß die förmlichen Aufforderungen mit der Mehrheit der Mitglieder verabschiedet werden müssen und damit im Gegensatz zur bisherigen Praxis die Mehrheit der abgegebenen Stimmen nicht ausreicht349 . Für Artikel 208 EGV war einer solchen Schlußfolgerung zwar schon im Ansatz nicht zu folgen, weil die Vorschrift richtigerweise als umfassende Grundlage für die prä-legislative Einwirkung auf die Kommission auszulegen ist3so . Für Artikel 192 Abs. 2 EGV ist diese Überlegung aber insofern von Gewicht, als seit 1993 ein Nebeneinander von Initiativberichten und von auf das indirekte Initiativrecht gestützten Aufforderungen zu verzeichnen ise S1 • 346 Haag, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 18. 347 Vgl. hierzu in Kapitel 5 unter III. 2. 348 Vgl. die parallele Prüfung des Regelungsgehalts von Artikel 208 EGV in Kapitel 5 unter III. 2. und 3. a). 349 V gl. Artikel 198 Abs. 1 EGY. Siehe hierzu näher in Kapitel 7 unter 11. 1. 350 V gl. hierzu in Kapitel 5 unter III. 2. 351 Vgl. hierzu in Kapitel 7 unter II. \.
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Gleichwohl folgt hieraus nicht ohne weiteres, daß die fonnellen Aufforderungen eine Vorlagepflicht begründen. Hier ist zu beachten, daß dem von Haag gezogenen Umkehrschluß unausgesprochen die Annahme zugrunde liegt, dem Aufforderungsrecht müsse eine solche Rechtswirkung zukommen, damit es überhaupt einen eigenen Regelungsgehalt besitze. Ebendiese Prämisse aber ist ihrerseits Zweifeln ausgesetzt, weil das Aufforderungsrecht seinem Sinn und Zweck nach möglicherweise nur die bislang bestehenden Kompetenzen bestätigen soll. Eine solche - dem Umkehrschluß von Haag prinzipiell entgegenstehende - Auslegung kann ebenfalls mit der Praxis untennauert werden. Das Parlament verfügt seit Anfang der 80er Jahre über die außervertragliche Zusage der Kommission, seine Initiativen gebührend zu berücksichtigen. Es übte folglich einen Einfluß auf das fonnelle Vorschlagsrecht aus wie ihn nach Primärrecht eigentlich nur der Rat beanspruchen konnte. Vor diesem Hintergrund könnte dafür zu halten sein, daß mit Artikel 192 Abs. 2 EGV die ungleiche Vertragslage den tatsächlichen Verhältnissen angeglichen und das Parlament mit dem Rat auf eine Stufe gestellt werden sollte, ohne eine über die Berücksichtigungszusage hinausreichende Wirkung zu begründen, d. h. ohne dem Vertragsartikel einen neuen Regelungsgehalt hinzuzufügen. Mithin kann das Aufforderungsrecht in zwei Richtungen interpretiert werden, sowohl zur Weiterentwicklung der bisherigen Praxis als auch zu deren Verfestigung. Da sich auf diese Weise mehrere Auslegungsvarianten anbieten, rückt seine unmittelbare Entstehungsgeschichte in das Zentrum der systematischen Einordnung. Im Vorfeld der Maastrichter Konferenz hatte das Parlament unter Berufung auf seine unmittelbare demokratische Legitimation ein eigenes, unmittelbares Initiativrecht gefordert, das neben dem der Kommission bestehen und also zu einer Teilung des fonnellen Vorschlagsrechts führen sollte352 . In den Vertragsverhandlungen wurde - am Rande der Debatte um die Ausgestaltung des Mitentscheidungsverfahrens und der parlamentarischen Beteiligung an der Investitur der Kommission ein parlamentarisches Initiativrecht als Bestandteil seiner generellen Stärkung erwogen. Die Forderung nach einem direkten Initiativrecht ist allerdings von keinem der Mitgliedstaaten unterstützt worden. Stattdessen haben einige Länder die parlamentarische Beteiligung am Vorschlagsrecht der Kommission angeregt. Die belgische und die griechische Regierung schlugen ein subsidiäres Initiativrecht vor. Bei fonneller Aufrechterhaltung des Initiativmonopols könne dem Parlament ein "Recht auf Gesetzesinitiative bei Untätigkeit der Kommission,,353 bzw. ein Initiativrecht eingeräumt werden, mit dem das Parlament "im Fall der Weigerung oder der übennäßigen Verzögerung der Kommission" Gesetzesvorschläge einbringen 352 Entschließung vom 3.9. 1989 zu der auf der Madrider Tagung des Europäischen Rates beschlossenen Regierungskonferenz, ABI. 1989 Nr. C 323, S. 111; Entschließung vom 14. 3. 1990 zu der Regierungskonferenz im Rahmen der Strategie des Europäischen Parlaments im Hinblick auf die Europäische Union, ABI. 1990 Nr. C 96, S. 117. 353 Belgisches Aide-memoire zur Politischen Union vom 20. März 1990, abgedruckt bei WeidelJ!eld, Reform der Europäischen Union, S. 98.
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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könne 354 . Auch Dänemark stimmte im Prinzip zu, lehnte ein subsidiäres Initiativrecht aber ab und favorisierte ein ausdrücklich bindendes Aufforderungsrecht355 • Mangels ausreichender Unterstützung sah sich das Europäische Parlament gezwungen, von einem eigenen, unmittelbaren Initiativrecht abzurücken. Der Martin lI-Bericht brachte eine Kombination von Aufforderungs- und subsidiärem Initiativrecht in die Debatte ein. Sofern die Kommission einer Aufforderung nicht Folge leistet, soll das Parlament an ihrer Stelle einen Gesetzesvorschlag einbringen können. ,,(Das Parlament fordert, daß ihm) auch das Recht zur Vorlage von legislativen Vorschlägen für den Fall eingeräumt wird, daß die Kommission innerhalb einer bestimmten Frist auf eine bestimmte Aufforderung der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments ausgesprochenen einschlägigen Aufforderung zur Vorlage nicht innerhalb einer festgesetzten Frist nachkommen sollte; in diesen Fällen würde der von einer Mehrheit der Mitglieder des Parlaments angenommene Vorschlag die Grundlage für das weitere Gesetzgebungsverfahren bilden ...356
Die meisten Mitgliedstaaten lehnten diese Konstruktion ab. In einem Zwischenbericht des Allgemeinen Rates ist für die Frage der parlamentarischen Legislativinitiative notiert: "Nr. 4. Zum Recht des Parlaments, unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. bei Untätigkeit der Kommission) Vorschläge für Rechtsakte zu initiieren. Bei den Beratungen zeigt sich, daß bei einer eventuellen Weiterverfolgung diese Konzepts (dies wurde lediglich von einer Delegationenminderheit befürwortet, von der Kommission jedoch strikt abgelehnt) Schutzmechanismen zur zahlenmäßigen Begrenzung der Vorschläge erwogen werden müßten. Dagegen wurde der Vorschlag positiv aufgenommen, wonach das Rechts des Parlaments, die Kommission zur Vorlage von Vorschlägen zu bestimmten Themen an den Rat aufzufordern, förmlich verankert werden sollte...357
Obwohl noch anschließend eine deutsch-italienische "Initiative zur Stärkung der demokratischen Legitimität der Gemeinschaft" unter anderem auch ein parlamentarisches Initiativrecht befürwortete, welches an Bedingungen zu knüpfen sei, damit die Rolle der Kommission gewahrt bleibe358 , wurde ein subsidiäres Initiativ354 Griechisches Memorandum vom 19. März 1990, abgedruckt bei Laursen/Vanhoonakker, The Intergovernmental Conference, S. 278. 355 Memorandum der dänischen Regierung vom 4. Oktober 1990 zu den laufenden Vorbereitungen der Regierungskonferenzen über die Politische Union und die Wirtschafts- und Währungsunion, abgedruckt bei Weidenfeld, Reform der Europäischen Union, S. 108. 356 Entschließung vom 11. Juli 1990 zu der Regierungskonferenz im Rahmen der Strategie des Europäischen Parlaments im Hinblick auf die Europäische Union, ABl. 1990 Nr. C 231, S. 97 (Nr. 34). 357 Zwischenbericht des Allgemeinen Rates vom 22. 10. 1990 an den Europäischen Rat betreffend die Vorbereitung der Regierungskonferenz über die Politische Union am 27. /28. 10. 1990, abgedruckt bei Weidenjeld, Reform der Europäischen Union, S. 203. 358 Gemeinsame Erklärung der Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Gianni de Michelis vom 10.4. 1991 zur Stärkung der demokratischen Legitimität, Punkt 3: "Ferner muß
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recht noch vor den Schlußverhandlungen verworfen, weil die meisten Delegationen darin einen Eingriff in das Exklusivrecht der Kommission sahen, welches als Pfeiler des Rechtsetzungssystems erhalten bleiben müsse359 . Stattdessen wurde die von der niederländischen Präsidentschaft vorgeschlagene Version eines allgemeinen Aufforderungsrechts verabschiedet36o •
Im Ergebnis deutet dieser Verhandlungsverlauf darauf hin, daß die Mitgliedstaaten nicht die Absicht verfolgten, mit dem Aufforderungsrecht einen Automatismus einzurichten, über den das Parlament von der Kommission die Vorlage von Vorschlägen verlangen kann. Daher spricht die Genese des Artikels 192 Abs. 2 EGV gegen einen Rechtsanspruch auf Vorschlagsvorlage. Ausgangspunkt dieser Schlußfolgerung ist, daß ein rechtlicher Anspruch auf Umsetzung in seiner Wirkung einem subsidiären Initiativrecht sehr nahe käme, das in Maastricht indes abgelehnt worden war. Im Falle eines subsidiären Initiativrechts wäre die Kommission praktisch gezwungen, jeder Aufforderung zu folgen, um zumindest einen eigenen Vorschlag vorzulegen, da andernfalls das Parlament eine Gesetzesinitiative einbringen könnte, in welchem Fall sie unweigerlich die Kontrolle über den Verlauf der Gesetzeslesungen, nämlich ihr Änderungsrecht inklusive des Rücknahmerechts verlieren würde. Ein bindendes Aufforderungsrecht ohne subsidiäre Initiativberechtigung würde der Kommission zwar die formale Vorlage belassen, de facto aber dem Parlament die Kontrolle über die Gesetzesinitiativen in einem Umfang zuweisen, der gerade verhindert werden sollte. Ein Vorlagezwang würde die Ermessensfreiheit der Kommission über die Vorschlagsvorlage aufheben und darüber hinaus auf die inhaltliche Ausgestaltung ausstrahlen. Denn selbst wenn das Parlament nicht das entscheidende Rechtsetzungsorgan ist und die für das Verhältnis zwischen Kommission und Rat dargestellten Einwände nicht spiegelbildlich zu übertragen sind, vor allem nicht außerhalb des Mitentscheidungsverfahrens, gelten die aufgezeigten Implikationen im Prinzip auch für die parlamentarischen Forderungen. Das Spannungsverhältnis zwischen Vorlagezwang und Gestaltungsfreiheit käme zwangsläufig auch hier zum Ausbruch: Je häufiger das Parlament von seinem Aufforderungsrecht Gebrauch machen würde, desto nachhaltiger würde die Rolle der Kommission als Motor der Gemeinschaft beeinträchtigt, da sie nicht von sich aus über die Opportunität der Vorhaben befinden könnte 361 . Diese Gefahr wurde ausweislich des Zwischenberichts des Alldas Europäische Parlament, wie alle unsere nationalen Parlamente, über ein eigenes Initiativrecht verfugen, wobei es bei dem Prinzip bleiben muß, daß dieses Recht grundsätzlich der Kommission zukommt. Dieses Recht könnte an Bedingungen geknüpft sein und von bestimmten Garantien abhängen, damit die besondere Rolle der Kommission gewahrt bleibt.", abgedruckt bei Weiden/eid, Reform der Europäischen Union, S. 123. 359 Cloos/Reinesch/Vignes/Weyland, Traite de Maastricht, S. 394. 360 Vgl. Artikel 137a des "Vertragsentwurf(s) der niederländischen Präsidentschaft vom 24. September 1991 - Auf dem Weg zur Europäischen Union", abgedruckt bei Weiden/eid, Reform der Europäischen Union, S. 330 f. 361 Ebenso Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 18.
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gemeinen Rates schon für das subsidiäre Initiativrecht erkannt, weswegen zumindest eine zahlenmäßige Begrenzung gefordert wurde 362 . Je detaillierter das Parlament seine Aufforderungen fassen würde, umso stärker geriete die Kommission unter Druck, auch in der Sache zu folgen 363 . Vor einem solchen Einfluß sollte die Kommission jedoch geschützt werden, da es in Maastricht das erklärte Ziel der Mitgliedstaaten war, das Initiativmonopol der Kommission unangetastet zu lassen 364 . Für diese Haltung der Mitgliedstaaten spricht - indirekt - auch die Position der Kommission. Diese hatte die Ausweitung der Rechte des in den Verhandlungen nicht vertretenen Europäischen Parlaments mit Nachdruck gefordert; am entschiedensten im Legislativverfahren durch Einräumung eines Mitentscheidungsrechts, ein Zustimmungsrecht bei internationalen Abkommen, ein umfassendes Informations- und Konsultationsrecht im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die Stärkung im Haushaltsrecht sowie die Einbeziehung in die Nominierung der Kommission365 . Vielsagenderweise enthält ihr Katalog aber keinen Hinweis auf ein wie auch immer ausgestaltetes indirektes oder subsidiäres Initiativrecht. Stattdessen hatte sie sich vehement und zwar, wie ebenfalls aus dem Zwischenbericht des Allgemeinen Rates erkennbar wird, mit Unterstützung der meisten Mitgliedstaaten gegen jede Beteiligung des Parlaments an ihrem Vorschlagsrecht gewehrt. Deswegen spricht viel dafür, daß die Kommission gegen das Aufforderungsrecht nicht opponierte, weil damit keine Beeinträchtigung ihres Initiativmonopols beabsichtigt war, nämlich nicht so etwas wie ein Automatismus eingerichtet werden sollte. 3. Das politische Argument
Abschließend ist zu entscheiden, wie sich die zwischen Parlament und Kommission getroffenen interinstitutionellen Vereinbarungen über die Behandlung formeller Initiativen auf die Beurteilung des Artikels 192 Abs. 2 EGV auswirken. Die Vereinbarung im Verhaltenskodex aus dem Jahre 1995 lautete: "Fordert das Europäische Parlament die Kommission gemäß Artikel 138 b auf, Legislativvorschläge vorzulegen, so berücksichtigt die Kommission diese Aufforderungen soweit 362 Zwischenbericht des Allgemeinen Rates vom 22. 10. 1990 an den Europäischen Rat betreffend die Vorbereitung der Regierungskonferenz über die Politische Union am 27./28. 10. 1990, abgedruckt bei Weidenfeld, Reform der Europäischen Union, S. 203. 363 Siehe ausführlich in Kapitel 5 unter 3. b) und c). 364 Vgl. Wester, S. 208 f. Schoo (in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 192 EGV Rn. 18) und eloos (in: Cloos/Reinesch/Vignes/Weyland, Traite de Maastricht, S. 394) weisen eigens darauf hin, daß die Mitgliedstaaten nicht eine mit einer Untätigkeitsklage durchsetzbare Pflicht zum Handeln schaffen, sondern lediglich den Rang förmlicher Aufforderungen, unterstrichen durch das Erfordernis der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments, hervorheben wollten. 365 Siehe hierzu Vanhoonacker, S. 215 f.
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3. Teil, Kap. 9: Aufforderungsrecht des EP nach Art. 192 Abs. 2 EGV
irgend möglich. Die Stellungnahmen der Kommission zu diesen Aufforderungen werden von Fall zu Fall, gegebenenfalls auch im Plenum, ordnungsgemäß begründet.,,366
In der englischsprachigen Übersetzung heißt es: "Where, pursuant to Article 138 b, Parliament requests the Commission to submit legislative proposals, the Commission shall take the utmost account thereof. The Commission decisions on such requests shall be duly reasoned on a case-by-case basis, if necessary even in a sitting of Parliament."
Die Zusage entspricht den Erklärungen, die die Kommission im Andriessen-Bericht für die Behandlung der Initiativberichte und in der Rahmenvereinbarung vom Jahr 2000 hinsichtlich ihrer Jahresgesetzgebungsplanung für die Beachtung der Leitlinien des Parlaments abgegeben hat. Obwohl der Wortlaut nicht vollkommen eindeutig ist, beläßt die Vereinbarung der Kommission ihren grundSätzlichen Ermessensspielraum, weil die Berücksichtigung sich nur auf die Prüfung der Aufforderungen bezieht, nicht aber auf ihre inhaltliche Verwirklichung. "Soweit irgend möglich" bezieht sich nicht auf die materielle Umsetzung der Parlamentsinitiativen, sondern nur auf ihre Beachtung an sich. Würde sich stattdessen "soweit irgend möglich" auf das "Wie" eines Vorschlags beziehen, so wäre in der Erklärung implizit enthalten, die Aufforderungen jedenfalls zu befolgen. Dieser Auslegung steht aber die Position der Kommission, jeden Automatismus abzulehnen, entgegen. Auch ist der zweite Satz so formuliert, daß er sinnvollerweise nur auf die Prüfung der Aufforderung bezogen sein kann. In der Rahmenvereinbarung von Juli 2000 wurde die Vereinbarung neu gefaßt: "Die Kommission wird allen Aufforderungen des Europäischen Parlaments, gemäß Artikel 192 des EG-Vertrags legislative Vorschläge zu unterbreiten, Rechnung tragen, und sie verpflichtet sich, auf jede derartige Aufforderung eine umgehende und ausreichend detaillierte Antwort im zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments, falls erforderlich auch im Plenum, zu geben.,,367
Neben der bereits angesprochenen Präzisierung der Stellungnahmen ist die Feststellung der Berücksichtigungspflicht durch eine einseitige Verpflichtungszusage der Kommission ersetzt worden. Allerdings ist darin in der Sache kein weiterreichendes Zugeständnis zu sehen: Auch das Versprechen, einer Aufforderung Rechnung zu tragen, heißt nicht, ihr stets nachzukommen, sondern bedeutet nur eine Prüfungszusage. In der englischen Fassung scheint sie sogar abgeschwächt worden zu sein, denn aus "shall take the utmost account" wurde "utmost" herausgestrichen: "The Commission shall take account of any requests made pursuant to article 192 of the EC Treaty by the European Parliament to the Commission to submit legislative proposals, and undertakes to provide a prompt and sufficiently detailed response to any such request within the relevant parliamentary committee and, if necessary, at a plenary sitting of the European Parliament." 366 ABI. 1995 Nr. C 89, S. 69, Punkt 3.3. 367 Bulletin EU 7/8-2000, S. 11, Punkt 4.
III. Rechtswirkung einer Aufforderung
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Für die praktische Behandlung der formellen Entschließungen besteht somit die folgende Zusage: Die Kommission muß sich mit der Auffassung des Parlaments gebührend auseinandersetzen und eine Begründung abgeben, falls sie der Aufforderung nicht folgt. Damit ist im Kern dieselbe Vorgehensweise vorgesehen wie für die Behandlung der normalen Initiativberichte. Fraglich ist, welche Rechtswirkung dieser Erklärung zuzumessen ist. Für die Abgrenzung von unverbindlichen Äußerungen zu einer in einer interinstitutionellen Vereinbarung getroffenen, verbindlichen Rechtshandlung stellt der Gerichtshof auf einen objektiven Maßstab ab 368 . Dazu hat Schwarze ausgeführt: "Danach ist entscheidend, ob die fragliche Äußerung des Organs vom Standpunkt eines objektiven Beobachters dazu bestimmt ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen. Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann nur anhand der konkreten Maßnahme und mit Hilfe einer sorgfältigen Auslegung entschieden werden. ( ... ) Freilich läßt sich vor allem der älteren Judikatur des EuGH der Grundsatz entnehmen, daß für jeden atypischen Willensakt eines Gemeinschaftsorgans die widerlegbare Vermutung der rechtlichen Unverbindlichkeit gilt. Denn die Organe wählen häufig den Weg der Beschlußfassung außerhalb der vertraglich geregelten Verfahren, damit gerade kein Rechtsakt entsteht, der sie bindet und einer gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH unterliegt. Es muß daher durch sorgfältige Auslegung der betreffenden Maßnahme ermittelt werden, ob das Organ oder die Organe sich objektiv selbst binden oder lediglich eine unverbindliche politische Erklärung abgeben wollten. ,,369
Das Vorliegen eines atypischen Willensaktes kann ausgeschlossen werden, zumal das Gebot der loyalen Zusammenarbeit die Prüfung der Aufforderung gebietet. Auf der Grundlage der genannten Kriterien bietet der Wortlaut den ersten Anhaltspunkt für oder gegen einen normativen Gehalt. Der erste Satz ist hinsichtlich der Berücksichtigung "soweit irgend möglich" und der Zusage, den Aufforderungen "Rechnung (zu) tragen" zwar vage gehalten. Doch kommt es an dieser Stelle nur darauf an, daß sich die Kommission - im zweiten Satz - ausdrücklich zur Prüfung verpflichtet und somit nur die Vorlage eines Vorschlags offengelassen ist, nicht aber die entsprechende Untersuchung. An der Eindeutigkeit dieser Erklärung besteht kein Zweifel, so daß ein bindender Charakter angenommen werden muß 370 . Dies folgt zusätzlich aus der äußeren Form, da die Prüfungszusage in einer mit "Rahmenvereinbarung" (jramework agreement) überschriebenen, vertragsähnlichen Vereinbarung getroffen ist37 !. Als Zwischenergebnis steht damit fest, daß die interinstitutionelle Vereinbarung ein weiteres Argument für die Rechtspflicht der Kommission liefert, die Aufforderungen zu prüfen und dem Parlament über den Ausgang der Prüfung Rede und Antwort zu stehen. 368 EuGH Rs 60/81 Slg. 1981, S. 2651 (IBM/Kommission). Vgl. dazu bereits in Kapitel 7 unter 11. 3. c). 369 Schwarze, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 56. 370 Vgl. hierzu Schwarze, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 56. 371 Die äußere Form schließt freilich nicht aus, daß andere darin enthaltene Abreden lediglich als politische Deklarationen zu werten wären, zum Beispiel, weil sie primärrechtlich verankerte Pflichten wiederholen.
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3. Teil, Kap. 9: Aufforderungsrecht des EP nach Art. 192 Abs. 2 EGV
Zu klären bleibt, ob diese Vereinbarung einen weitergehenden Anspruch des Parlaments auf automatische Befolgung der Aufforderungen ausschließt. Dies könnte anzunehmen sein, wenn die Organe mit der Prüfungszusage der Kommission deren Reaktionspflicht abschließend regeln wollten. Denn dann könnte die Kommission geltend machen, das Parlament habe auf einen - möglicherweise bestehenden - Anspruch auf Vorlage verzichtet. Ein solcher Verzicht ist gemeinschaftsrechtlich zulässig. Der Gerichtshof hat die Möglichkeit der Se1bstbindung der Gemeinschaftsorgane zur Abstimmung ihrer gegenseitigen Kompetenzen in einem Verfahren zwischen dem Rat und der Kommission aus dem Jahre 1973 bestätigt372. Das Parlament kann sich also verpflichten, die automatische Umsetzung seiner Aufforderungen nicht zu verlangen und nicht mit einer Untätigkeitsklage durchzusetzen versuchen, denn der Verzicht steht in seinem Ennessen und würde keine die vertragliche Kompetenzordnung verschiebenden Folgen nach sich ziehen 373 . Für eine solche Interpretation müßte erstens die von der Kommission abgegebene Berücksichtigungszusage gleichzeitig eine Verzichtserklärung des Parlaments darstellen. Dies ist insofern problematisch, als das Parlament keine eigene Zusage gemacht und folglich auch keine explizite Verzichtserklärung abgegeben hat. Es steht jedoch fest, daß die Kommission die Prüfungszusage abgegeben hat, um einen automatischen Vorlagezwang auszuschließen. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn die Organe eine Prüfungspflicht der Kommission fönnlich vereinbaren, das Parlament dem damit intendierten Ausschluß eines Vorlagezwangs aber nicht zustimmt. Damit die Erklärung ihren Zweck erfüllt, muß in der Selbstverpflichtung der Kommission implizit ein entsprechendes Zugeständnis des Parlaments enthalten sein. Zweitens müßte ein entsprechender Bindungswille des Parlaments festzustellen sein, auf den sich die Kommission im Streitfall berufen könnte. Die konkludente Verzichtserklärung müßte also dieselbe Bindungskraft entfalten wie die Prüfungsverpflichtung. Für eine solche Auslegung spricht, daß die Erklärung im Rahmen einer umfassenden Vereinbarung getroffen wurde, mit der die wechselseitigen Beziehungen ausgebaut, insbesondere das gegenseitige Vertrauensverhältnis gestärkt und für eine Wahlperiode auf eine feste Grundlage gestellt werden sollen. Dies geht unmittelbar aus der Präambel hervor, in der es heißt: "Das Europäische Parlament und die Kommission ( ... ), in der Erwägung, daß die Zustimmung des Europäischen Parlaments für die Kommission das gegenseitige Vertrauens verhältnis verdeutlich, das diese beiden Organe für die Dauer der Wahlperiode miteinander verbindet, ( ... ) erzielen folgende Vereinbarung ( ... )."
372 EuGH Rs. 81/72 Sig. 1973, S. 585. Siehe Schwarze, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 54. 373 Siehe hierzu bereits in Kapitel 7 unter III. 3. c).
111. Rechtswirkung einer Aufforderung
271
Auch dieser Zweck würde verfehlt, wenn das Parlament sich auf einen Vorlagezwang berufen könnte, der die Prüfungszusage praktisch wertlos machen würde. Hinzu kommt, daß außerhalb einer interinstitutionellen Abrede liegende Indizien ebenfalls zur Feststellung ihres Regelungsgehalts herangezogen werden können374 • Und für den hier in Rede stehenden Bindungs- bzw. Verzichtswillen spricht entscheidend, daß das Parlament - entgegen seiner anfänglichen Position - (mehrheitlich) ohnehin nicht von einem Anspruch gegen die Kommission auf Umsetzung der Entschließungen ausgeht. Einen ersten Beleg für diese Rechtsauffassung liefert das parlamentarische Vorgehen bei der Investitur der Kommission. Sowohl in den Anhörungen der Mitglieder der Santer-Kommission als auch bei der Befragung der designierten Mitglieder der Prodi-Kommission hat das Parlament darauf bestanden, von allen Kommissaren das Versprechen zu erhalten, etwaigen Ersuchen nach Artikel 192 Abs. 2 EGV nachzukommen 375 . Damit hat das Parlament sein indirektes Initiativrecht aber nicht als automatisch bindendes Vorgaberecht, sondern zur politischen Verpflichtung der Kommission eingesetzt376 . Diese Haltung spiegelt sich auch in einer Stellungnahme zur Revisionskonferenz von Amsterdam wider. Wie bereits dargestellt, wurde im Vorfeld über eine Neufassung der Aufforderungsrechte gemäß Artikel 208 und Artikel 192 Abs. 2 EGV beraten. In einem Zwischenbericht der Reflexionsgruppe ist dokumentiert, daß einige ihrer Mitglieder die Einfügung einer Prüfungs- bzw. Antwortpflicht der Kommission (bzw. ein right of reply) vorschlugen 377 • Ob diese Diskussion - wegen der Beibehaltung der ursprünglichen Fassung - sogar gegen eine Prüjimgspflicht der Kommission (und damit erst recht gegen eine Befolgungspflicht) spricht, kann hier dahingestellt bleiben. Viel entscheidender ist, daß auch das Europäische Parlament eben eine solche Neufassung gefordert hatte. In der "Entschließung zur Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996 - Verwirklichung und Entwicklung der Union" hatte das Parlament im Rahmen seiner Reformvorschläge zur Verwirklichung eines angemessenen institutionellen Gleichgewichts unter anderem angemahnt: "Die Kommission sollte verpflichtet sein, auf Initiativen zu antworten, die das Parlament gemäß Artikel 138 b Absatz 2 ergreift.,,378
Die Erklärung datiert vom 17. Mai 1995 und ist somit nur wenige Wochen nach der Verabschiedung des Verhaltenskodexes ergangen. Sie belegt, daß nach Auffassung des Parlaments die Pflicht der Kommission, auf eine Aufforderung zu reagie374 Schwarze, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 58. 375 lama, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 211 EGV Rn. 30. 376 Vgl. hierzu Maurer; Pouvoir renforce du Parlement europeen, S. 64. 377 Bericht der Reflexionsgruppe, Dok. SN 520/95, Dezember 1995, Rn. 109 (Hervorhebung d. Verf.). Siehe hierzu bereits in Kapitel 5 unter 111. 1. c). 378 ABI. 1995 Nr. C 151 S. 56, Rn. 21, 23.
272
3. Teil, Kap. 9: Aufforderungsrecht des EP nach Art. 192 Abs. 2 EGV
ren - ein parlamentarisches Recht auf Antwort - trotz der gerade erhaltenen Berücksichtigungszusage einer vertraglichen Klarstellung bedürfe. Hieraus wiederum kann aber nur zu folgern sein, daß das Parlament nicht mehr als einen Anspruch auf Prüfung seiner Initiativen im Sinn hat. Denn hätten die Mitgliedstaaten Artikel 192 Abs. 2 EGV tatsächlich entsprechend neugefaßt, könnte das Parlament kaum mehr eine automatische Vorlage verlangen, da die Revision der Vorschrift offensichtlich zur Klarstellung ihrer Rechtswirkung erfolgt wäre. Ein dritter deutlicher Hinweis folgt schließlich aus den freiwilligen, verschärften Anforderungen an die Verabschiedung formeller Initiativen. Das Parlament hat - wie gezeigt - den Einsatz formeller legislativer Initiativaufforderungen von einer Reihe von Bedingungen abhängig gemacht. So sollen gemäß Artikel 59 Nr. 2 a) GO-EP Aufforderungen unterbleiben, wenn ein entsprechender Vorschlag bereits im Jahresgesetzgebungsprogramm enthalten ist. Bereits diese Einschränkung steht der Annahme einer Umsetzungspflicht der Kommission systematisch klar entgegen, da die Jahresgesetzgebungsprogramme insgesamt rechtlich unverbindlich sind und die darin aufgeführten Vorhaben gerade keinen einklagbaren Vorlagezwang auslösen 379 . Vor allem aber läßt der Katalog des Artikels 59 GO-EP in seiner Gesamtheit nur den Schluß zu, daß sich das Parlament die strengen formellen und materiellen Anforderungen aufgebürdet hat, um einer Entwertung seiner förmlichen Aufforderungen durch übermäßigen Gebrauch vorzubeugen 38o• Der (Selbst-)Schutz vor einer solchen Entwertung aber wäre jedenfalls überflüssig, wenn das Parlament von einer Umsetzungspflicht der Kommission ausgehen würde. Insgesamt belegt somit auch die prinzipielle Haltung des Parlaments die Annahme einer - zumindest konkludenten - Verzichtserklärung in der Rahmenvereinbarung mit der Kommission. Aufgrund der wechselseitigen Bindungswirkung ist das Parlament an diese Erklärung in der gleichen Weise gebunden wie die Kommission. 4. Ergebnis Die abschließende Würdigung führt zu dem Ergebnis, daß auf Artikel 192 Abs. 2 EGV gestützte Entschließungen des Europäischen Parlaments die Kommission nicht zur Umsetzung in formelle Gesetzesvorschläge verpflichten. Obgleich der Wortlaut einen Vorlagezwang nicht ausschließt, ergibt die systematische Einordnung des Aufforderungsrechts in das Gesamtsystem des Vorschlagsverfahrens, daß Siehe hierzu näher in Kapitel 8 unter 11. 2. So Westlake, A modern guide to the European Parliarnent, S. 153; ders., Partners and Rivals, S. 96 ("conditional and filtering mechanisms"). Davon geht auch Haag (in: Groebenl Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 138b EGV Rn. 16) aus, der allerdings die Vorlagepflicht der Kommission dennoch bejaht. 379
380
111. Rechtswirkung einer Aufforderung
273
eine rechtliche Bindung weder von den vertragschließenden Parteien gewollt war noch mit der unabhängigen Ausübung des Vorschlagsrechts durch die Kommission vereinbar ist. Die entgegenstehende Literaturauffassung bliebe allerdings in der Abwägung der für und wider streitenden Argumente ebenfalls - wenngleich nur unter der Annahme der in Kapitel 5 problematisierten Vereinbarkeit eines Vorlagezwanges mit der unabhängigen Stellung der Kommission - im Prinzip begründbar. Der Wortlaut läßt sich entsprechend deuten, vor allem im Umkehrschluß aus der fehlenden Prüfungsanordnung. Auch die systematische Auslegung schließt ein solches Verständnis nicht aus. So läßt sich dafür halten, daß das Parlament denselben gegebenenfalls einklagbaren Anspruch erhalten sollte, wie ihn nach der herrschenden Auffassung der Ministerrat besitzt. Auch die bisherige Haltung des Europäischen Parlaments stünde einer solchen Beurteilung nicht zwingend im Weg. Obwohl das Parlament nur auf politischer Ebene der Kommission beizukommen versucht, folgt hieraus nicht der Verlust des Rechtsanspruchs, zumal es aus den vielfaltigsten Gründe von der gerichtlichen Durchsetzung absehen kann381 . Mit der Rahmenvereinbarung aber - und wohl auch schon mit dem Verhaltenskodex von 1995 - sind die Weichen deutlich gegen einen Vorlageanspruch gestellt: Beide Organe haben sich geeinigt, daß die Kommission die Parlamentsentschließungen gründlich würdigen, nicht aber unbedingt zur eigenen Sache machen muß. Damit hat das Parlament inzidenter einen möglichen Rechtsanspruch aufgegeben. Die Kommission könnte sich auf die entgegenstehende Vereinbarung berufen. Möglicherweise würde der Gerichtshof bei einer Untätigkeitsklage des Parlaments nach Feststellung der Zulässigkeit und der Rechtsverbindlichkeit der Erklärung auf die Erörterung der übrigen Argumente für und gegen eine Pflicht, die Entschließungen umzusetzen, sogar verzichten können. Aus diesem Grunde erscheint derzeit die den Vorlagezwang bejahende Auffassung kaum haltbar. Dieses Ergebnis schließt nicht aus, daß sich in Zukunft die Verhältnisse ändern und die rechtliche Beurteilung entsprechend anzupassen ist. Mit der Aufhebung der Rahmenvereinbarung - oder möglicherweise auch mit einer Erklärung des Parlaments, daß es sich an die Vereinbarung nicht mehr gebunden fühle, weil eine die Abweichung rechtfertigende, besondere Fallkonstellation gegeben sei382 - wäre der Weg offen, eine umfassende Klärung der Rechtswirkung des Artikels 192 Abs. 2 EGV herbeizuführen. Bis dahin gilt die im Rahmenvertrag niedergelegte Verpflichtung der Kommission, auf die Aufforderungen begründet zu reagieren, wie sie unmittelbar auch aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sowie dem Prinzip der Organtreue zu verlangen ist.
381 Zum Beispiel um seinen Einfluß auf die Jahresgesetzgebungsprogramme nicht zu gefährden. 382 Vgl. Schwarze, Interinstitutionelle Vereinbarungen, S. 61. 18 von Buttlar
Vierter Teil
Schlußbetrachtung: Die Reformdiskussion um das Initiativmonopol der Kommission Im Laufe der Untersuchung des Initiativrechts der Kommission hat sich gezeigt, in welchem Umfang eine Abkehr vom Vorschlagsverfahren nach dem bisherigen Muster inter-institutionelle Veränderungen nach sich ziehen würde. In dem Maße, in dem nach der geltenden Vertragslage eine (einklagbare) Pflicht der Kommission zur Umsetzung parlamentarischer Initiativen oder Aufforderungen des Rates ihr exklusives Vorschlagsrecht verletzen würde!, wäre mit der Einführung von konkurrierenden Initiativrechten unweigerlich eine Verschiebung des institutionellen Gleichgewichts zulasten der Kommission verbunden. Wie insbesondere die Prüfung von Artikel 192 Abs. 2 EGV gezeigt hat, gilt dies bereits für ein subsidiäres Initiativrecht und zwar selbst dann, wenn dieses durch weitere Einschränkungen qualitativer oder quantitativer Art konditioniert würde 2 • In der bestehenden Ausgestaltung der Rechtsetzungsverfahren gründet sich die Stellung der Kommission auf die Exklusivität ihres Vorlagerechts, weil hiermit verbürgt ist, daß der Rat und das Parlament nicht ohne die Kommission handeln und entscheiden können. Umgekehrt wäre im Falle konkurrierender Initiativen diese dem Vorschlagsverfahren immanente Abhängigkeit zwischen den Organen aufgegeben. Denn bei Vorlagen aus dem Rat oder dem Europäischen Parlament - und ansonsten unveränderten Rechtsetzungskompetenzen - wäre die Kommission in verfahrensrechtlicher Hinsicht sowohl von der Initiierung als auch von der Beschlußfassung von Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund sollen die Ergebnisse dieser Arbeit abschließend in Beziehung zu der aktuellen Auseinandersetzung um eine mögliche Revision der Initiativberechtigung gesetzt werden.
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III.
Ausführlich hierzu in Kapitel 7 unter II. c), in Kapitel 8 unter 11.2. und in Kapitel 9 unter
2 Anders Doutriaux, S. 176, der ein subsidiäres Initiativrecht des Parlaments charakterisiert als "empietement meme marginal au monopole du pouvoir de proposition legislative detenu par la Comrnission."
I. Initiativrecht im Sog der Verfassungsreform
275
I. Vom Axiom der Gemeinschaftsrechtsetzung hin zu einer "tabufreien Debatte": Das Initiativrecht im Sog der Verfassungsreform Seit Mitte der 80er Jahre ist, in unregelmäßigen Abständen und von verschiedenen Seiten, der Reformvorschlag ins Spiel gebracht worden, das Vorlagemonopol der Kommission abzuschaffen und dem Europäischen Parlament ein eigenes, paralleles Initiativrecht einzuräumen. Die ersten wichtigen Stationen auf diesem Weg waren die entsprechenden Forderungen des Parlaments selbse. Ausgehend von drei Entschließungen aus den Jahren 1981, 1984 und 1986, denen zufolge die Kommission sich verpflichten sollte, dem Rat parlamentarische Gesetzesinitiativen als eigene Vorschläge zu übermitteln4 , hatte das Parlament Anfang der 90er Jahre ein direktes Initiativrecht verlangt5 . Und bis zu den Abschlußverhandlungen von Maastricht waren einige Mitgliedstaaten zumindest einem subsidiären Vorschlagsrecht nicht abgeneigt6 . Gleichwohl haben sich die vertraglichen Grundlagen des Vorschlagsverfahrens seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 bis heute kaum verändert. Die in Maastricht für Teile der Wirtschafts- und Währungspolitik in den EG-Vertrag aufgenommenen Empfehlungsrechte der Europäischen Zentralbank und die abweichenden Konstruktionen in der Zweiten und Dritten Säule sind bereichsspezifische Ausnahmen, die das gemeinschaftsrechtliche Prinzip der Kommissionsvorlage als Grundbedingung für jegliches Tätigwerden von Rat und Parlament unberührt lassen 7 • Die beiden Regierungskonferenzen von Amsterdam und Nizza haben dieses Prinzip bestätigt. In Amsterdam beschloß der Europäische Rat, abgesehen von einem übergangsweisen Ko-Initiativrecht der Mitgliedstaaten8 , nicht nur keine weitere Ausnahmen 9 • Stattdessen bekannten sich die Regierungen in ihren PositionsZu weiteren Nachweisen siehe Westlake, Partners and Rivals, S. 85. Entschließung zum Recht auf gesetzgeberische Initiative und zur Rolle des Europäischen Parlaments im Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft vom 14.9. 1981, ABI. 1981 Nr. C 234, S. 64; Entwurf eines Vertrags zur Gründung der Europäischen Union von 1984, ABI. 1984 Nr. C 77, S. 33; Entschließung vom 8. 10. 1986 betreffend die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission im institutionellen Rahmen der Verträge, ABI. 1986 Nr. C 283, S. 39. Siehe hierzu näher in Kapitel 7 unter H. 3. a). 5 Entschließung zu der auf der Madrider Tagung des Europäischen Rates beschlossenen Regierungskonferenz, ABI. 1989 Nr. C 323, S. 111; Entschließung zu der Regierungskonferenz im Rahmen der Strategie des Europäischen Parlaments im Hinblick auf die Europäische Union, ABI. 1990 Nr. C 96, S. 117. Dazu in Kapitel 7 unter H. 3. a). 6 Näher hierzu in Kapitel 9 unter III. 2. 7 Näher hierzu in Kapitel 1 unter H. 1. 8 Artikel 67 Abs. 1 EGV. 9 Vielmehr erhält die Kommission mit der - gemäß Artikel 42 EUV vereinfachten - Überführung von Materien aus der Dritten Säule in den EG-Vertrag das alleinige Initiativrecht. 3
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4. Teil: Reformdiskussion
papieren durchweg zum Initiativmonopol und würdigten dieses als Pfeiler des vertraglichen Gleichgewichts zwischen den drei Legislativorganen, so daß ein parlamentarisches Initiativrecht überhaupt nicht mehr auf die Tagesordnung gelangte lO • In Nizza wurde zwar die Reform der Kommission beschlossenlI. An ihrem exklusiven Vorschlagsrecht wurde indessen nicht gerührt, so daß die Vertragsrevisionen insgesamt den Eindruck hinterlassen, nach dem Willen der Mitgliedstaaten solle das Initiativmonopol gleichsam als Axiom der Gemeinschaftsrechtsetzung erhalten bleiben l2 . Mit der in Nizza im Dezember 2000 verabschiedeten Erklärung zur "Aufnahme einer eingehenderen und breiter angelegten Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union,,13 waren zunächst ebenfalls nur solche Themen auf die Agenda gesetzt, die nicht auf eine Abkehr vom Initiativmonopol hindeuten: Die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Mitgliedstaaten und Europäischer Union, der Status der Grundrechtscharta, die Vereinfachung der Verträge und die Rolle der nationalen Parlamente l4 . Im Anschluß an die sog. Humboldt-Rede des deutschen Außenministers Fischer 15 und einem Beitrag von Großbritanniens Premierminister Blair16 kamen indes rasch weitere Aspekte für eine Vertragsrevision hinzu, namentlich die Kompetenzverteilung zwischen den Gemeinschaftsinstitutionen und die Effektivierung der Verfahrensabläufe 17 sowie - nach einer Rede des französischen Premierministers ]ospin l8 - auch eine grundlegende institutionelle Reform. Auf dieser Grundlage hat der Europäische Rat von Laeken im Dezember 2001 19 trotz anfänglicher Vorbehalte20 einen Konvent mit einem inhaltlich beinahe allumfassenden Mandat21 eingesetzt und damit - in den Worten des belgisehen PreNäher hierzu bereits in Kapitel 5 unter Ur. 1. c). Zu den Einzelheiten siehe Batje, S. 148 ff. 12 Vgl. hierfür die von der Europäischen Kommission zusammengestellten "Themenbezogenen Arbeitsunterlagen zur Regierungskonferenz 2000", im Internet abrufbar unter http://europa.eu.int'comm'archives'igc2000'index_de.htm. 13 http://europa.eu.int'futurum'informations_de.htm. Siehe hierzu näher Fischer; Vertrag von Nizza, S. 254. 14 Diese Themen sind in der Erklärung von Nizza ausdrücklich benannt. 15 Fischer; Vom Staatenverbund zur Föderation, S. 149 ff. Ausführlich hierzu MüllerGraff, Europäische Föderation, S. 157 ff. 16 Blair; Europas politische Zukunft, S. 1 ff. Vgl. dazu Marhold, Die neue Europadebatte, S. 248 f. 17 Angestoßen vor allem durch das Weißbuch der Kommission "Europäisches Regieren", im Internet abrufbar unter http://europa.eu.int'comm'governance' index_en.htm. 18 Jospin, S. 1 ff. Siehe hierzu das Arbeitsprogramm der belgischen Präsidentschaft, im Internet abrufbar unter http://www.eu2001.beunddieSchlußfolgerungen des Vorsitzes von Göteborg, http://www.europa.eu.int.council.off.conc1u.index.htm. 19 Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union, im Internet abrufbar unter http:// european-convention.eu.int' pdf' LKNDE. pdf. 20 Ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen Wesseis, Der Konvent, S. 87 ff. 10 11
I. Initiativrecht im Sog der Verfassungsreform
277
miemumsters Verhofstadt - den "Start zu einer tabufreien Debatte über die Zukunft Europas,,22 freigegeben. Der Konvent erörtert die Einzelfragen in mehreren sog. Fragebündeln23 . Das erste Bündel hat die Transparenz der Union mitsamt der KlarsteIlung der Zuständigkeiten zum Gegenstand. Hier geht es insbesondere um die Unterscheidung eindeutiger Kompetenzarten und die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips inklusive einer möglichen Rückverlagerung von Gemeinschafts- bzw. Unionskompetenzen an die Mitgliedstaaten. In einem zweiten Komplex wird die Vereinfachung der Gesetzgebungsinstrumente erörtert, darunter eine Art Rahmengesetzgebung, die den Mitgliedstaaten "mehr Spielraum zur Erreichung ihrer politischen Ziele bietet. ,,24 Das dritte Fragenbündel gilt den institutionellen Reformen. Hier wird an erster Stelle darüber beraten, ob der Kommissionspräsident in Zukunft "vom Europäischen Rat, vom Europäischen Parlament oder - im Wege direkter Wahlen - vom Bürger,,25 gewählt werden so1l26. Außerdem wird die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens (und dessen Vereinfachung) sowie die stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente diskutiert. In bezug auf den Ministerrat prüft der Konvent, ob die exekutiven und legislativen Befugnisse neugestaltet, weitere Mehrheitsentscheidungen eingeführt und die Ratsformationen vereinfacht werden können - insbesondere das rotierende System der Präsidentschaften - sowie schließlich die Frage, ob die Sitzungen öffentlich gemacht werden sollten. Zwar geben auch diese Fragebündel keinen direkten Hinweis darauf, daß das Initiativmonopol der Kommission zur Diskussion gestellt werden soll. Doch wird den beiden ersten Komplexen eine Tendenz zur Stärkung der Mitgliedstaaten entnommen, "insbesondere wenn man die in den Fragen mitschwingenden impliziten Antworten in die Bewertung miteinbezieht.,,27 Dieser Eindruck wird noch durch den von den Regierungen Spaniens, Frankreichs und Großbritanniens getragenen Vorstoß erhärtet, in Zukunft von den Staats- und Regierungschefs einen EU-Präsidenten wählen zu lassen, um der Europäischen Union in der Außen- und Sicherheitspolitik "Gesicht und Stimme,,28 zu geben. Dieser Vorschlag wird überwiegend 21 Siehe hierzu die Website des Konvents, http://european-convention.eu.int.DerUmfang des Mandats geht wesentlich auf die belgische Präsidentschaft zurück. Vgl. Roth, S. 8; Göler, S. 104 f. und Ricardi, S. 4. 22 Zitiert nach Roth, S. 8. 23 Mittlerweile hat der Konvent elf Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen besondere Themen vertieft werden. Jedes Mitglied des Konvents (und sein Stellvertreter) gehört einer Arbeitsgruppe an. Siehe hierzu auch die individuellen Beiträge der Konventsmitglieder, zusammengestellt von der Delegation des Europäischen Parlaments, im Internet unter http:// www.europarl.eu.int/ meetdocs / delegations / conv / 20020514 / 468320de.pdf. 24 Näher Göler, S. 105. 25 Göler, S. 105. 26 Lohse, Glotz: Kommissionspräsident wählen, S. 2. 27 Göler, S. 105, mit weiteren Nachweisen. 28 Didzoleit / Koch, S. 40; vgl. auch Wesseis, Der Konvent, S. 88 ff.
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4. Teil: Refonndiskussion
als Gegenvorschlag zu einer Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament interpretiert29 und hat die grundlegende Ausrichtung der Europäischen Union, inwieweit und für welche Fälle eine stärkere intergouvernementale Zusammenarbeit zur Anwendung kommen soll, in das Zentrum der Finalitäts- und Reformdiskussion gerückt 3o • Gleichzeitig ist damit eine Debatte um die zukünftige Rolle und die Kompetenzfülle der Kommission insgesamt entbrannt, zumal sich die Regierungschefs der genannten drei Länder dafür ausgesprochen haben, in Zukunft durch den Europäischen Rat ein Gesetzgebungsprogramm aufzustellen, das für die Gemeinschaftsinstitutionen verbindlich sein S01l31.
In das Spannungsfeld dieser Auseinandersetzungen ist nunmehr auch die vertragliche Regelung des Initiativmonopols geraten, weil einige Mitgliedstaaten, am entschiedensten die Benelux-Länder, an ihrer traditionellen Unterstützung einer starken Kommission festhalten, während insbesondere Großbritannien, Frankreich und Spanien einer Aufwertung des Ministerrates zuneigen. 11. Für und Wider das Vorschlagsverfahren: Neue Initiativen und alte Reaktionen
Unbeschadet der fundamentalen Auseinandersetzung um eine stärkere Vergemeinschaftung im Gegenüber zum Ausbau zwischenstaatlicher Zusammenarbeie 2 geht es, im Unterschied zu den früheren Reformvorschlägen, nicht länger nur um ein parlamentarisches Initiativrecht, das in Konkurrenz zu dem der Kommission treten könnte. Es geht um eine vollständige Neustruktur der Initiativberechtigung. Eindeutige Vorschläge hierzu kommen aus Deutschland. Aus den übrigen Mitgliedstaaten fehlen indessen bislang - zumindest von Regierungsseite Forderungen, das Initiativmonopol der Kommission abzuschaffen.
29 So etwa der luxemburgische Premierminister Juncker, vgl. dazu Hort, Die Innenpolitik vergemeinschaften, S. 2; Lohse, Glotz: Kommissionspräsidenten wählen, S. 2; Stabenow, Belgien und Luxemburg gegen "Doppelspitze" der EU, S. 6; Hort / Stabenow, Konventspräsidium verändert Giscards Vorschläge stark, S. 4. Siehe zum gegenwärtigen Stand der Debatte die ständig aktualisierten Beiträge auf der Forumseite der Europäischen Kommission, http:// europa.eu.int I futurum I answerfonn_de.cfm. 30 Vgl. dazu Brok, Monnet oder Metternich, S. 1, und Göler, S. 105. 31 Aznar, S. 1 ff.; Blair, S. 1 ff.; Jospin, S. 3. 32 An dieser Stelle kann es nicht um eine allgemeine Würdigung der beiden konkurrierenden Integrationsansätze gehen. Vgl. hierzu aber die instruktiven Diskussionsbeiträge zur Tagung "Shaping Europe's future - The balance between intergovernmentalism and the Community method" vom 23. 11. 2001 am European Policy Centre Brüssel, Brüssel, im Internet abrufbar unter http://www.theepc.be/services I search_result.asp.
11. Für und Wider das Vorschlagsverfahren
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1. Deutschland In Deutschland hat die CDU / CSU-Arbeitsgruppe "Europäischer Verfassungsvertrag" unter Leitung des früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden Schäuble und des bayerischen Europaministers Bocklet empfohlen, das Vorschlagsverfahren komplett aufzugeben. Die am 26. November 2001 vorgelegten "Vorschläge für einen Verfassungsvertrag mit einer Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten,,33 sehen ein Zwei-Kammer-System vor, in dem das Europäische Parlament und der Rat im Mitentscheidungsverfahren gemeinsam beschließen. Neben der Kommission sollen das Europäische Parlament und der Ministerrat das Recht zur Vorlage von förmlichen Rechtsaktentwürfen erhalten34 . Eine solche Dreiteilung des Initiativrechts fordert auch der bayerische Ministerpräsident Stoiber, weil die Kommission nicht als einzige Sachwalterin des Gemeinschaftsinteresses anzusehen sei und der mittlerweile erreichte Entwicklungsstand der Europäischen Union einer aktiveren Gestaltung der Gemeinschaftspolitiken bedürfe 35 . Etwas zurückhaltender haben in einem gemeinsamen Positionspapier die Europaminister der deutschen Bundesländer angeregt, über eine Ergänzung des Initiativmonopols der Kommission um ein Initiativrecht von Rat und Parlament nachzudenken36 . CDU /CSU-Arbeitsgruppe, Nr. 5. Institutionelle Reformen, Nr. 5 c. Für die Zweite und Dritte Säule sieht der Entwurf konkurrierende Initiativrechte des Parlaments und der Kommission vor. Damit würde der Rat bzw. die Mitgliedstaaten - im Unterschied zur bisherigen Regelung - ausgerechnet in den beiden intergouvernemental dominierten Bereichen keine Initiativrechte besitzen (unter 5. "Institutionelle Reformen", Nr. 5). 35 Stoiber; Eckpunkte des europäischen Reformprozesses, S. 2. Ähnlich hat sich Stoiber in einer weiteren Rede am 16. 11. 2001 in Berlin geäußert, Europa in Vielfalt, S. 3. Näher hierzu unter IV. 1. 36 30. Europaministerkonferenz der Länder am 10. und 11. Oktober 2001 in Goslar, im Internet abrufbar unter http://www.text.europaminister.de/beschluesse / ernk30. pdf. In der Erklärung heißt es mit Blick auf das Vorschlagsrecht der Kommission weiterhin: "Eine bessere Kompetenzordnung (zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten) bedarf verfahrensrechtlicher Sicherungen: Auf der Basis einer klaren Kompetenzordnung sollte im Rahmen der nächsten Regierungskonferenz grundsätzlich zur Mehrheitsentscheidung übergegangen und das Einstimmigkeitserfordernis im Rat auf wenige Ausnahmen beschränkt werden. Zugleich sollte eine Ergänzung des Initiativmonopols der Kommission um ein Initiativrecht von Rat und EP geprüft werden. ( ... ) Damit die EU-Kommission schon beim Entwurf ihrer Vorschläge die Kompetenzordnung stärker als bisher berücksichtigt, sollte sie dazu verpflichtet werden, die Mitgliedstaaten bereits im Entwurfsstadium anzuhören. Die Anhörung sollte vor allem die Möglichkeiten prüfen, ob das verfolgte Ziel durch mitgliedstaatliche Regelungen zu erreichen ist. Die Ergebnisse der Anhörung sollten in der Begründung des Kommissionsvorschlags dargestellt werden. ( ... ) Rechtsvorschriften der EU sollten künftig vor Befassung der Rechtsetzungsorgane einer internen, aber unabhängigen und förmlichen Normprüfung unterzogen werden, deren Ergebnisse den Vorschlägen beizufügen sind." (Einschub d. Verf.). 33
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4. Teil: Reformdiskussion
Auch der baden-württembergische CDU-Ministerpräsident Teufel, der vorn Bundesrat für den Konvent nominiert worden ist, hat die Abkehr vorn Initiativmonopol gefordert. Allerdings hat er sich nicht den Entwurf der CDU /CSU-Arbeitsgruppe zu eigen gemacht, sondern nur ein parlamentarisches Initiativrecht vorgeschlagen, nicht aber des Rates 37 . Von diesen Initiativen abgesehen, ist der Vorstoß der CDU /CSU in Deutschland bislang ohne Unterstützung geblieben. Interessanterweise hat sich ausgerechnet der neugegründete CDU-Auslandsverband Brüssel-Belgien mit den sog. "Brüsseler Thesen" dagegen gewandt38 . Die SPD hat - ebensowenig wie die Bundesregierung - (noch) keine eindeutige Position bezogen, scheint aber der Beibehaltung des Initiativmonopols zuzuneigen 39 • Die Grünen hingegen haben sich ausdrücklich dazu bekannt4o • Ebenso hat Bundespräsident Rau in einern "Plädoyer für eine Europäische Verfassung" vor dem Europäischen Parlament das Initiativmonopol der Kommission als "Anker des Einigungsprozesses" bezeichnet, das für die Zukunft beibehalten werden müsse41 . Obwohl - wie erwähnt - in der gegenwärtigen Reforrndiskussion von den Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten bislang weder ein parlamentarisches Initiativ37 Teufel hat dem Generalsekretär des Konvents am 9. 4. 2002 eine "Skizze für eine Verfassung" vorgelegt, Constitutional Treaty for the European Union. 38 Der CDU-Verband Brüssel-Belgien ist im Jahr 1996 als erster Auslandsverband in der Geschichte der CDU aus der Taufe gehoben worden. In der Erklärung der Mitgliederversammlung vom 26. 2. 2002, dem Vorabend der Konstituierung des Europäischen Konvents, heißt es: "Wir plädieren dafür; dass die Europäische Kommission, deren Initiativrecht bestätigt und gestärkt werden muss, vom Europäischen Parlament bestellt wird, und dass das Recht des Europäischen Parlaments auf Mitentscheidung auf alle Fragen der Gesetzgebung ausgedehnt wird. Im gleichen Sinne treten wir entschieden dafür ein, dass der Ministerrat in allen Fragen der Gesetzgebung mit qualifizierter Mehrheit entscheidet. Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs muss nach den Regeln der Gemeinschaftsverträge beraten und beschließen, wenn er Materien behandelt, die die in diesen Verträgen geregelt sind. Mit anderen Worten: der Verfassungsvertrag muss die erfolgreiche Gemeinschaftsmethode durch Weiterentwicklung und Anpassung an den inzwischen erreichten Stand der Integration dauerhaft sichern." Im Internet abrufbar unter http://www.cdu-bruessel.org/Thesen.doc. (Hervorhebung d. Verf.). 39 Der auf dem Nürnberger Bundesparteitag am 23. 11. 2001 verabschiedete Leitantrag "Verantwortung für Europa" stellt das Initiativmonopol nicht in Frage, bestätigt es aber auch nicht. In bezug auf die zukünftigen Aufgaben der Kommission heißt es lediglich, daß diese "zu einer starken Exekutive" ausgebaut werden müsse, S. 6. Bundeskanzler Schröder hat vor der Eröffnung des Konvents erklärt, Deutschland bleibe an einer starken Kommission interessiert, was indirekt für die Bejahung des Vorschlagsmonopols sprechen könnte, vgl. Stabenow, Glotz: Deutschland nicht an einer Schwächung der Kommission interessiert, S. 1. Dafür spricht auch die eher ablehnende Haltung in der Frage eines von den Staats- und Regierungschefs gewählten EU-Präsidenten, weil sich hierin die Unterstützung der parlamentarischen Direktwahl des Kommissionspräsidenten andeutet, vgl. Lohse, Glotz: Kommissionspräsidenten wählen, S. 2. Vgl. aber die gegenteilige Einschätzung von Didzoleit / Koch, S. 40. 40 Vgl. Thesenpapier der Grünen, Die EU umfassend reformieren, S. 4. 41 Rau, S. 4. Vgl. dazu Hausmann, S. I ff.
11. Für und Wider das Vorschlagsverfahren
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recht noch ein direktes Vorschlagsrecht zugunsten des Ministerrates gefordert wird, heißt es in der deutschen Presse, daß die Äußerungen Bocklets und Stoibers "in Paris, Madrid und London mit großem Interesse und wohl auch mit Zustimmung aufgenommen worden sein (dürften)."42 Diese Einschätzung soll den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtung bilden. Denn mit Blick auf die tendenziell intergouvernementale Linie Frankreichs, Spaniens und Großbritanniens wird gemutmaßt, daß die Staats- und Regierungschefs zum gegebenen Zeitpunkt auch das Europäische Parlament mit einem eigenen Initiativrecht "ködern" werden, um die Rolle der Kommission einzuschränken und im inter-institutionellen Machtgefüge den Rat zu stärken43 . 2. Frankreich, Großbritannien, Spanien
Ebenso wie der französische Staatspräsident Chirac, der in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag für eine "institutionelle Neugründung der Europäischen Union" warb und schwerpunktmäßig die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in Form einer möglichen Pioniergruppe von Mitgliedstaaten anregte, die "notfalls außerhalb der Verträge" - und damit ohne Beteiligung der Gemeinschaftsinstitutionen handeln könne44 , haben Großbritanniens Premierminister Blair und der spanische Ministerpräsident Aznar eine deutliche Präferenz für die Stärkung der Mitgliedstaaten erkennen lassen. Blair empfiehlt, neben der Wahl eines EU-Präsidenten, eine verstärkte Richtlinienkompetenz gegenüber den Gemeinschaftsorganen: "Ich schlage heute eine Jahresagenda für Europa vor, aufgestellt vom Europäischen Rat und zwar auf allen wichtigen Feldern europäischen Handels: Wirtschaft, Außenpolitik, Verteidigung und Kampf gegen die internationale Kriminalität. Dies wäre ein klares legislatives und politisches Programm, das den einzelnen Räten ihr Arbeitspensum vorgeben würde. ( ... ) Wir hätten eine klare politische Richtung, ein Programm und einen Zeitplan, als Richtschnur für alle Institutionen ...45
Auch Aznar unterstützt die Wahl eines EU-Präsidenten, inklusive einer Richtlinienkompetenz der Mitgliedstaaten. Darüber hinaus sollte der Europäische Rat das Recht zur Auflösung des Parlaments erhalten. "Presided over in this way, the European Council should continue to be the political apex of the Union. This institution would be responsible for deciding the Union's political gui42 Stabenow, Das Initiativmonopol der EU-Kommission in Frage stellen, S. 7 (Einschub d. Verf.). 43 Didzoleitl Koch, S. 40. 44 Chirac, S. 2. 45 Blair; S. 4 (Hervorhebung d. Verf.). Eine gleichlautende Erklärung hat Großbritanniens Außenminister Straw in seinen Vorschlägen "Reforming Europe: new era, new questions" (S. 2) am 21. 2. 2002 in Den Haag abgegeben: Der Europäische Rat solle künftig jeweils zum Jahresbeginn ein "klares legislatives und politisches Programm" festlegen, das der Gemeinschaft die notwendige Orientierung vorgebe.
282
4. Teil: Reformdiskussion
delines and strategies and for safeguarding the fundamental balance between all the institutions. In this respect, and with a view to ensuring this balance, I think it might be a good idea to consider the possibility of empoweringthe European Council to dissolve the European Parliament, on the initiative ofthe Commission.,,46
Von den Vorstellungen Blairs und Aznars sind, wie in der Betrachtung der strategischen, aufeinander abgestimmten Rechtsetzungsplanung von Kommission und Rat deutlich geworden ist, die Initiativaufgaben der Kommission und damit ihr Vorschlagsrecht unmittelbar betroffen47 • Auf dem Gipfeltreffen von Sevilla im Juni 2002 haben die Staats- und Regierungschef den Beschluß gefasst, daß zukünftig der Europäische Rat auf Vorschlag des Rates für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen jeweils drei Jahre umfassende "Strategieprogramme" annehmen wird, auf deren Grundlage die genannte Ratsformation jeweils im Dezember operative Jahresprogramme (für die beiden folgenden Präsidentschaften) festlegen wird48 . Der amtierende Kommissionspräsident Prodi hat umgehend seiner Sorge um das Vorschlagsrecht der Kommission Ausdruck verliehen. Verbindliche politische Leitlinien in Form eines Gesetzgebungsprogramms des Europäischen Rates würden der Kommission die Aufstellung von eigenen Jahresgesetzgebungsprogrammen praktisch unmöglich machen. In einem unveröffentlichten Vermerk warnt der Kommissionspräsident davor, mit einer Ausweitung der Planungstätigkeit des Ministerrats die effektive Ausübung des Initiativrechts einzuschränken49. In diesem Kontext ist festzustellen, daß weder Blair noch Aznar mit ihren Reformvorstellungen die Aufgabe des bisherigen Vorschlagsverfa.hrens verbinden. Vielmehr ist in beiden Entwürfen ein Bekenntnis zur Integrationsaufgabe der Kommission enthalten, zu ihrer Verrnittlerfunktion und zum Initiativmonopol. Blair fügt an die Vorstellung einer politicalleadership des Europäischen Rates an: "Wir brauchen aber eine starke Kommission, die in der Lage ist, unabhängig zu handeln, mit ihrem Initiativrecht: und zwar erstens deshalb, weil das kleinere Staaten schützt; und zweitens deshalb, weil das Europa in die Lage versetzt, rein partikularistische Interessen zu überwinden. Alle Regierungen empfinden die Macht der Kommission zuweilen als unbequem, aber der Binnenmarkt, zum Beispiel, könnte ohne sie niemals vollendet werden. ( ... ) Die Kommission und der Rat haben unterschiedliche, aber einander ergänzende Aufgaben. ( .. . ) Die Unabhängigkeit der Kommission als Hüterin der Verträge bliebe unangetastet. Und die Kommission würde nach wie vor zusätzliche Vorschläge einbringen, wo 46 Aznar, S 3. Für ein Auflösungsrecht gegenüber dem Europäischen Parlament hat sich auch der (frühere) französische Ministerpräsident Jospin, S. 6, ausgesprochen. 47 Siehe hierzu näher in Kapitel 4 unter IV. 3. 48 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Sevilla vorn 21. und 22. 6. 2002, im Internet abrutbar unter http://europa.eu.int/comm/seville_council/ index_en.html. 49 Vgl. hierzu die Pressemitteilung "Kommission fürchtet um ihr Initiativrecht", Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. 9. 2002, S. 6. Darüber hinaus hat Prodi die Frage aufgeworfen, ob die Strategieprogramme überhaupt mit Artikel 4 EUV vereinbar seien, weil dieser die Führungs- und Leitungsfunktion des Europäischen Rates auf allgemeine politische Zielsetzungen beschränke.
II. Für und Wider das Vorschlagsverfahren
283
ihre Rolle als Hüterin der Verträge es erforderlich machen würde, ( ... ) allerdings steht daneben die Jahresagenda, die der Europäische Rat vorgibt.,,50
Nicht weniger nachdrücklich hat Aznar klargestellt, daß mit einer Reform des Präsidentschaftssystems und trotz einer verstärkten politischen Führung durch den Europäischen Rat das vertragliche Initiativmonopol unangetastet bleiben solle. "Ensuring the effectiveness of the Union does not only involve reforming the system of presidencies. It is likewise essential to preserve the powers of the European Commission, in order that it may continue to be the engine for integration, the guardian of the Treaty and the guarantor of the general interest - from a position of neutrality and independence relative to the other institutions. ( ... ) The pursuit of this general interest can at the same time be enormously facilitated if the Treaty upholds the collegiality and the monopoly of the Commission's legislative initiative."SI
Auch die französischen Zukunftsentwürfe von Chirac und Jospin enthalten keine Forderung, vom alleinigen Vorschlagsrecht der Kommission abzurücken. 3. Europäische Kommission
Die Europäische Kommission hat im Frühjahr 2002 angekündigt, den drohenden Verlust ihrer dominierenden Stellung im institutionellen Gefüge mit einer Kampagne abwenden zu wollen52 . Damit ist nicht nur die Beeinträchtigung oder gar Beseitigung ihres Vorschlagsmonopols gemeint, sondern die generelle Befürchtung, daß die von ihr so bezeichnete "Gemeinschaftsmethode" durch die vielfältigen Forderungen nach stärkerer zwischenstaatlicher Zusammenarbeit zurückgedrängt werden könnte 53 . Daher wirbt die Kommission - an vorderster Front Präsident Prodi und die Kommissare Bamier und Vitorino, die beide Mitglieder des Konvents sind - dafür, die inter-institutionelle Gewaltenteilung aufrecht zu erhalten. "What is unique about the way our institutions work is the Community method. The Community method is a democratic process that upholds the rights of all Member States, big and small, and guarantees the rights of the peoples and of every citizen. The Community method is a decision-making mechanism based on a unique separation of powers. The Commission puts the proposals forward and the Council and Parliament debate and decide on them. The Council represents the interests of the Member States. Parliament represents the peoples of the Union. The Commission represents the general interest of the Union and acts as guardian of the Treaties. That is why it has the exclusive right of initiative in the areas assigned to it under the Treaties. ( ... ) Subject to democratic control at all times,
Blair, S. 4. Aznar, S. 6. 52 Vgl. hierzu Prodi, Europas Zukunft liegt in gemeinschaftlichen Institutionen. Dazu Stabenow, Europäische Kommission fordert Beibehaltung der Gemeinschaftsmethode, S. 4; Grevi, Die parlamentarische Dimension der EU-Integration, S. 1 ff. 53 Schon im Govemance-Weißbuch (KOM (2001) 428 endg. vom 25. Juli 2001) hatte die Kommission vor einer Ausweitung der intergouvernementalen Zusammenarbeit gewarnt. 50
51
284
4. Teil: Refonndiskussion
this ( ... ) interplay between the institutions represents an entirely new fonn of political organisation. The Community's process of integration has achieved great successes over the years. These achievements depended on the determination of the Member States and the will of the people. But I am convinced they can be put down in large part to the Community method. The Community method can be improved. It needs simplifying and consolidating. It needs to be made more effective. But it would be a grave mistake to weaken it and revert to intergovernmental cooperation. It would be a backward step to downgrade the Commission's role to that of a secretariat for the Council or Parliament. It must not be reduced to a c\earing-house for national interests or a costly think-tank. ,,54
In ihrem ersten Beitrag für den Verfassungskonvent "Ein Projekt für die Europäische Union,,55 vom 22. Mai 2002 ist die "Gemeinschaftsmethode" als Beschlußfassungsverfahren definiert, das auf dem "Zusammenspiel zwischen drei eigenständigen Organen" beruhe: "Die Kommission hat das Initiativmonopol, Legislativvorschläge zu machen. Sie tut dies im allgemeinen europäischen Interesse. Der Ministerrat, der die Mitgliedstaaten vertritt, beschließt in den meisten Fällen mit qualifizierter Mehrheit. Das Europäische Parlament, das von den europäischen Bürgern direkt gewählt wird, ist Mit-Gesetzgeber oder wird zumindest konsultiert. Der Ministerrat kann die Vorschläge der Kommission nur einstimmig ändern.,,56
Die auf dem Einstimrnigkeitsprinzip beruhende zwischenstaatliche Zusammenarbeit brandmarkt die Kommission hingegen als "Quelle der Ohnmacht" und die diversen Bestrebungen, sie auszuweiten, als "Quelle von Blockaden und Spannungen.,,57 Zur Ergänzung ihres Konventsbeitrags hat die Kommission in der Mitteilung "Erläuterungen zur Gemeinschaftsmethode" ausführlich ihre Sicht von den Vorteilen der Gemeinschaftsmethode den Nachteilen der intergouvernementalen 54 Prodi, The shaping of tomorrow's Union, S. 2. Vgl. dazu auch die Redebeiträge von Bamier, Kommissar für Regionalpolitik und die Refonn der Institutionen, auf der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments vom 15. 5. 2002, im Internet abrufbar unter http://europa.eu.int!futurum!doc_instbis_de.htm; Vitorino, EU-Kommissar für Justiz und Inneres, Redebeitrag auf der Plenartagung des Europäischen Konvents in Brüssel am 6. 6. 2002, http://europa.eu.int!futurum!doc_instbis_de.htm. Ähnlich auch Bolkestein, S. 3, Kommissar für Binnenmarkt, Steuern und Zollunion. Weitere Nachweise bei Grevi, Die künftige Rolle der Europäischen Kommission, S. 1 ff. 55 Europäische Kommission, Ein Projekt für die Europäische Union, S. 3. 56 Europäische Kommission, Erläuterungen zur Gemeinschaftsmethode, S. 2. Als weitere "Merkmale der Gemeinschaftsmethode" sind genannt: "Die Mitgliedstaaten setzen grundsätzlich die EU-Politik um. Die EU-Organe können bei der Umsetzung mitwirken, insbesondere, wenn es eines harmonisierten Ansatzes bedarf. Der Kommission werden vom Ministerrat Durchführungsbefugnisse übertragen, wobei sie häufig von Ausschüssen nationaler Beamten unterstützt wird. Die EU-Organe, die Mitgliedstaaten und die Beteiligten können einen Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Die Europäische Kommission nimmt insofern eine zentrale Funktion wahr, als sie die Mitgliedstaaten wegen Mängeln bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts beim Gerichtshof verklagt ('Hüterin des Vertrages') ... 57 Europäische Kommission, Ein Projekt für die Europäische Union, S. 8.
H. Für und Wider das Vorschlagsverfahren
285
Zusammenarbeit gegenüber gestellt und sich demgemäß dafür ausgesprochen, die bisherige Integrationsmethode beizubehalten und auf weitere Anwendungsfelder auszudehnen, insbesondere nach einer entsprechenden Fusion der drei Vertragssäulen in der Innen- und Rechtspolitik, in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie zur Abstimmung der Wirtschaftspolitik58 • 4. Benelux-llinder
Mit demselben Nachdruck haben sich der Premierminister von Luxemburg Juncker und der belgische Regierungschef Verhofstadt für eine Stärkung der Gemeinschaftsmethode ausgesprochen59 und davor gewarnt, "den Rückwärtsgang in Richtung zwischenstaatliche Zusammenarbeit einzulegen.,,6o Juncker und Verhof58 Europäische Kommission, Erläuterungen zur Gemeinschaftsmethode. Darin heißt es zu Beginn: "Die Gemeinschaftsmethode ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Souveränität auf demokratische Weise gemeinsam auszuüben und im allgemeinen Interesse der Europäischen Union tätig zu sein. Verglichen mit der Art und Weise, wie eine 'klassische' internationale Organisation arbeitet, bietet die Methode folgende Vorteile: Die Maßnahmen der Entscheidungsträger orientieren sich stärker an klaren rechtlichen Regeln (Rechtsstaatlichkeit). Die Beschlussfassung ist transparent und umfasst eine öffentliche Debatte im Europäischen Parlament. 15 Länder können nach außen hin durch eine einzige Instanz vertreten werden, was wiederum ein zügiges und wirksames Vorgehen gestattet. Im institutionellen Zusammenspiel wird das allgemeine europäische Interesse ausgelotet, wobei auch dem Schutz von "Minderheitenrechten" (zum Beispiel den Rechten kleinerer Mitgliedstaaten) Rechnung getragen werden. Neben der Debatte über die nationalen Interessen kann auch eine politische Debatte stattfinden. Transparenz und Rechtsverfahren dieser Methode gewährleisten verantwortliches Handeln. Durch die Schlüsselrolle der Kommission, die die Interessen der verschiedenen Politikbereiche miteinander in Einklang bringt, ist ein höheres Maß an politischer Kohärenz sichergestellt. Da diese Methode vorsieht, dass die Kommission als Hüterin der Verträge handelt, und dem Gerichtshof Befugnisse zuweist, ist gewährleistet, dass Entscheidungen getroffen werden, die Wirtschaftsbeteiligten und Bürgern Rechtssicherheit bieten.( .. . )" Weiter heißt es: "Die Blockierungen im Rat führen zu einem Ausufern der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten außerhalb des EU-Rahmens. Das wiederum erschwert unter Umständen die Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt. Einen wichtigen institutionellen Wandel hat der Europäische Rat erfahren. Dadurch, dass dieser zunehmend Entscheidungen in Einzelfragen getroffen hat, hat das reibungslose Zusammenspiel der drei Hauptorgane Schaden genommen. Der Europäische Rat sollte die Autorität des Ministerrates stärken und nicht untergraben; er sollte Rat, Kommission und Parlament die eigentlichen Entscheidungen überlassen und lediglich die Grundzüge der Politik vorgeben." (Hervorhebungen und Einschübe im Original.) Vgl. dazu noch Europäische Kommission, Ein Projekt für die Europäische Union, S. 2: "Die Kommission schlägt vor, das System des Initiativrechts auf neue wichtige Bereiche (z. B. Außen- und Sicherheitspolitik, Justiz und Inneres und Governance im Euro-Gebiet) auszuweiten." Ebenso Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 22. 5. 2002, Fragen und Antworten zu ,Ein Projekt für die Europäische Union', S. 1 ff. Um Effizienz und Kohärenz der außenpolitischen Instrumente zu gewährleisten, schlägt die Kommission vor, das politische Initiativrecht dem Hohen Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu übertragen und dieses Recht in die Kommission zu überführen. Vgl. hierzu auch den umfassenden Kommentar von Durand, S. 1 ff. 59 Juncker, Gestaltungsraum für Gefühlsstarke, S. 5; Verhofstadt, S. I.
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4. Teil: Refonndiskussion
stadt haben übereinstimmend erklärt, daß die Gemeinschaftsmethode ohne Beibehaltung des Initiativmonopols nicht funktionieren könne, weil diesem eine Garantiefunktion innewohne 61 . Auch in den Niederlanden wird dieser Schutzmechanismus betont, "denn für uns Holländer ist das Initiativrecht der Kommission die einzige Garantie, daß unsere Interessen mehr oder weniger objektiv berücksichtigt werden. Ich glaube, daß wir diese Aufteilung beibehalten müssen. ,,62
In dieser Linie ist auch der finnische Premierminister Lipponen der Kommission zur Seite getreten: "The community method has brought enonnous benefits. A commitment to tbe community method should be the foundation of tbe future of the Union as weIl. The key role of initiator beIongs to the Commission, which also serves as a guardian of the Treaties. A strong and independent Commission is of paramount importance: if the Commission's role is weakened, who is going to guarantee that the Member States adhere to tbeir commitments? ( ... ) The tendency of some Member States to deepen tbe integration process outside the current institutional framework, on the basis of tbe intergovernmental method, is aIarming. The intergovernmentaI method is often inefficient, lacks transparency and leads to the domination of some over the otbers. The present tendency towards intergovernmentalism threatens not only tbe institutional balance and the cIarity of rules, but basicaIly the equality of Member States, European citizens and European companies. Intergovennentalism is also potentiaIly destabilising because strong institutions are less prone to pressure from political change and crises in Member States. ,,63
Insgesamt halten vor allem die Benelux-Länder entschieden an ihrer traditionellen Unterstützung einer starken Kommission fest und haben in mehreren gemeinsamen Memoranden dargelegt, daß angesichts der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union die Bedeutung eines dem gemeinsamen Interesse verpflichteten Organs noch weiter wachse. Es liege deswegen geradezu in der Logik der europäischen Entwicklung, der Kommission und ihrem Präsidenten zusätzliche Kompetenzen zuzuweisen64 • Daher sei das Initiativmonopol weiter auszubauen, vor allem in der Innen- und Justizpolitik65 . 60 Vgl. Hort, Die Innenpolitik vergemeinschaften, S. 2. In Deutschland hat in diesem Sinne etwa Bundespräsident Rau geäußert, daß die intergouvernementale Methode die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht habe, S. 3. 61 Hort, Die Innenpolitik vergemeinschaften, S. 2. Ebenso Juncker, Gestaltungsraum für Gefühlsstarke, S. 5; Verhofstadt, S. 2. 62 So van Eekelen, S. 4 f., der in den 90er Jahren verschiedene Regierungsämter innehatte und nun den Vorsitz der Europäischen Bewegung in den Niederlanden führt. 63 Lipponen, S. 4 f. 64 Hort, Die Innenpolitik vergemeinschaften, S. 2. 65 Siehe hierzu die beiden gemeinsamen Memoranden vom 29. 9. 2000 und vom 21. 6. 200 I, im Internet abrufbar unter http://www.theepc.be/europe / strandOne_Iist. ("In an enlarged Union, strong European institutions will be even more important tban before. The EU is a legal community. In a larger Union, the Commission's role in initiating and moving forward tbe decision-making process should be strengtbened, while preserving its legitimacy.") Dazu näher Hort, Die Innenpolitik vergemeinschaften, S. 2. Siehe außerdem das Memo-
H. Für und Wider das Vorschlagsverfahren
287
5. Europäisches Parlament
Schließlich ist zu konstatieren, daß selbst das Europäische Parlament in der Frage eines eigenen Initiativrechts seit dem Maastrichter Unionsvertrag eine Kehrtwendung vollzogen hat. Das Europäische Parlament hatte zwar in Amsterdam ein verstärktes Aufforderungsrecht verlangt, doch beschränkte sich diese Forderung auf eine Antwort- und Prüfungspflicht der Kommission und zielte damit schon nicht mehr auf eine automatische Umsetzung parlamentarischer Initiativen in formelle Rechtsaktvorschläge ab66 • Noch bedeutsamer ist freilich, daß das Parlament in Amsterdam und in Nizzaalso in den ersten beiden Revisionskonferenzen, in denen es seine Reformvorstellungen durch eine eigene Abgeordnetendelegation vertreten durfte 67 - die Forderung nach einem eigenen Initiativrecht fallengelassen und sich stattdessen, in Übereinstimmung mit den Mitgliedstaaten und der Kommission, für das Vorschlagsverfahren ausgesprochen hat. In der "Entschließung des Europäischen Parlaments zur Funktionsweise des Vertrags über die Europäische Union im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996" heißt es schlicht: "Die Rolle und Unabhängigkeit der Kommission sollte bestätigt werden, vor allem durch die Beibehaltung ihres Initiativrechts mit den im Vertrag bereits vorgesehenen Anpassungen...68
Ebenso hat das Parlament in seiner Stellungnahme zum Vertrag von Nizza das Initiativrecht der Kommission anerkannt: "Das Parlament hält es für notwendig, insbesondere durch die Stärkung der politischen Rolle des Kommissionspräsidenten, die vollständige Unabhängigkeit der Kommission sowie ihre Rolle als Hüterin der Verträge und ihre Kollegialität zu gewährleisten. ( . . . ) Das Parlament schlägt in bezug auf die Funktionsweise und die Zuständigkeiten der Kommission folgendes vor: ( . . . ) Die Kommission verfügt unbeschadet der Bestimmungen von Artike1192 EG und von Titel V (Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) und VI (Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen) sowie von Artikel 48 des Vertrags über die Union über das Recht auf gesetzgeberische Initiative ...69
An dieser Position hält das Europäische Parlament nach allen Anzeichen in der gegenwärtigen Reformdebatte fest. randum of the Benelux: A balanced institutional framework for an enlarged, more effective and more transparent Union, Brüssel, vorn 4. 12. 2002, abrufbar unter http: / www.diplobel.fgov.be / press. 66 Siehe hierzu näher in Kapitel 9 unter III. 3. 67 Siehe hierzu näher in Kapitel 6 unter H. 68 ABI. 1995 Nr. C 151, S. 56 (Rn. 21, 23). 69 Stellungnahme des Europäischen Parlaments für die Regierungskonferenz vorn 27.3.2000, S. 2. (Einschub im Original.)
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4. Teil: Refonndiskussion
Im Plenum haben Abgeordnete aller Parteien das Positionspapier der Kommission "Ein Projekt für die Europäische Union" begrüßt7o . Insbesondere die EVP-ED unterstützt die Kampagne zugunsten der Gemeinschaftsmethode71. Entsprechend sieht der Entwurf einer "Verfassung für ein starkes Europa", den die EVP-Arbeitsgruppe "European Policy" am 6. 12. 2001 vorgelegt hat, kein parlamentarisches Initiativrecht vor72 . Auch die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas stimmt mehrheitlich für die Beibehaltung des Initiativmonopols73. Ihre Konventsvertreter haben sogar in einem gemeinsamen Positionspapier erklärt, daß darin die wichtigste Stärkung der Kommission liege 74 . Die Liberalen neigen zwar überwiegend einem parlamentarischen Vorlagerecht zu 75 - einigen Abgeordneten zufolge sollte sogar jeder einzelne Parlamentarier Legislativvorlagen einbringen können 76 -, andererseits melden sich auch hier Stimmen, die Kommission gegen den Rat zu verteidigen, weil dieser ihr Initiativrecht unterminiere77. Insgesamt tritt eine deutliche Mehrheit für das Initiativmonopol ein. Die als Beitrag zur Konventsdebatte verabschiedete "Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Abgrenzung der Zuständigkeiten und zur Reform des Rates" vom 16. Mai 2002 enthält folgerichtig die Festlegung: 70 Vgl. hierzu "Positive Reaktionen des Parlaments auf den Beitrag der Kommission zum Konvent", unter http://www.europarl.eu.int/europe2004/index_de.htm. Siehe dazu auch Constitutional Affairs Committee: Meeting with Commissioners Bamier and Vitorio, S. 1. 7l Insbesondere der EVP-Fraktionsvorsitzende Pötte ring tritt für das Initiativmonopol der Kommission ein, in: Das Gemeinschaftsrecht stärken, S. 2 f. Siehe auch Stabenow, Europäische Kommission fordert Beibehaltung der Gemeinschaftsmethode, S. 4, und den Redebeitrag von Mendez de Vigo bei der Vorstellung der Kornrnissionsbeitrags "Ein Projekt für die Europäische Union", im Internet abrufbar unter http://www.europarl.eu.intleurope 2004 / textes / dcp_22052002_en.htm. 72 "Eine Verfassung für ein starkes Europa", beschlossen von der Arbeitsgruppe "European Policy" der EVP am 6. 12. 2001, vorgelegt auf der Vorstandssitzung am 6. 12. 2001 in Brüssel. Der Verfassungsentwurf ist unter Leitung von Wolfgang Schäuble und Wilfried Martens, Vorsitzender der EVP, entstanden und der Öffentlichkeit als Schäuble/Martens-Papier präsentiert worden. Damit trägt Schäuble im hier interessierenden Punkt zwei unterschiedliche Konzepte mit: Den Entwurf der CDU / CSU für eine Dreiteilung des Initiativrechts und den insoweit entgegenstehenden Entwurf der EVP. 73 Sozialdemokratische Partei Europas, Der Politische Antrag zur Zukunft der Europäischen Union, S. 3. Vgl. auch Stabenow, Wenig Hoffnung auf EU-Refonn, S. 7. Der Fraktionsvorsitzende Baron Crespo befürwortet allerdings ein parlamentarisches Initiativrecht, siehe dazu den Redebeitrag im Institutionellen Ausschuß vorn 27. 5. 2002, im Internet unter http:// www.europarl.eu.int/europe2004/textes/ dcp_22052oo23n.htrn. 74 Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas, Für einen Erfolg des Konvents zur Zukunft Europas, S. 2. 75 European Liberal Democrats, Erklärung vorn 11.12 2001 zu Laeken, S. 2. 76 Nachweise bei Grevi, The parliamentary dimension of EU integration, S. 2 f. 77 Siehe hierzu den Redebeitrag der Abgeordneten Riis-Jorgensen bei der Vorstellung der Kommissionspapiers "Ein Projekt für die Europäische Union", im Internet unter http://www.europarl.eu.int/europe2004/textes/dcp_220520023n.htm.
11. Für und Wider das Vorschlagsverfahren
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,,(Das Parlament) ist der Auffassung, dass die legislative Norm - das "Gemeinschaftsrecht" - einzig auf Initiative der Kommission von den beiden Teilen der Legislative, Rat und Parlament, denen die politischen Entscheidungen obliegen, angenommen werden muß.,,78
6. Verfassungskonvent
Zur Vorbereitung der Plenarsitzung zu den gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahren hat das Präsidium des Europäischen Konvents im Juli 2002 allen Mitgliedern ein Arbeitspapier vorgelegt, daß das derzeitige System zusammenfasst und einige Denkansätze liefert, die als Grundlage für die Aussprache des Konvents dienen sollen. Mit Blick auf das Initiativrecht hebt das Arbeitspapier die "Schlüsselrolle" der Kommission hervor, die durch ihr Vorlagemonopol den Verhandlungsrahmen für die Beschlußfassung durch Rat und Parlament abstecke, da diese den Kommissionsvorschlag über das darin genannte Ziel hinaus weder ändern noch ohne Vorlage eines Vorschlags durch die Kommission beschließen dürften. Eine mögliche Reform der Vorlageberechtigung ist in dem Arbeitspapier nicht erwähnt; unter den "Denkansätzen" finden sich nur zwei allgemein gehaltene Hinweise zur Überprüfung der Zahl der im EG-Vertrag vorgesehenen Verfahren und ihrer Vereinfachung79. Noch vor der Generaldebatte am 12. und 13. September 2002 hatten sich einige Mitglieder des Konvents explizit für die Beibehaltung des Vorschlagsverfahrens nach bisherigem Muster ausgesprochen, neben anderen die Parlamentsvertreter Brok, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, der frühere Parlamentspräsident Hänsch und Mendez de Vigo, Mitglied des Ausschusses für institutionelle Fragen, sowie der Repräsentant des irischen Parlaments Bruton 80 • 78 Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Abgrenzung der Zuständigkeiten (Lamassoure-Bericht), Bulletin Quotidien Europe, Nr. 2275 vom 23. Mai 2002 (Punkt 12) (Einschub und Hervorhebung d. Verf.). 79 Präsidium des Europäischen Konvents. Die Rechtsetzungsverfahren, S. 5: Insgesamt sei die Kommission "sehr intensiv" am Rechtsetzungsprozeß beteiligt, vor allem weil sie "ihren Vorschlag während des Prozesses jederzeit ändern und sogar zurückziehen (könne), womit ihr eine wesentliche Rolle bei der Suche nach einem Kompromiss" zukomme. 80 So Thomas Oppermann. Tübingen, in einem Gespräch mit dem Verfasser vom 10. 6. 2002. Professor Oppermann berät den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel im EU-Konvent. Vgl. zur Position von Brok auch Brückner, S. 222. Hänsch hatte sich bereits in seiner Amtszeit als Parlamentspräsident gegen ein parlamentarisches Initiativrecht ausgesprochen, um die Kommission nicht zu schwächen, vgl. dazu die Stellungnahme in der Salzburger Landeskorrespondenz vom 20. 7. 1995, Tourismuspolitik soll Aufgabe der Regionen bleiben, im Internet unter http://www.land-sbg.gv.at/lkorr /19951 07 120 1 11 526.htrnl. Mendez de Vigo tritt seit längerem für das Initiativrnonopol ein, siehe dazu den Redebeitrag zur Vorstellung der Kommissionsbeitrags "Ein Projekt für die Europäische Union", im Internet abrufbar unter http://www.europarl.eu.int/europe2004/textes/dcp_22052002_en.htm. Im Konvent hatte sich Bruton. S. 2, gegen den entgegenstehenden Vorschlag des Ministerprä19 von Buttlar
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4. Teil: Refonndiskussion
Im Rahmen der zweitätigen Aussprache, die im wesentlichen vier allgemeine Fragen der gemeinschaftlichen Rechtsetzung zum Gegenstand hatte8!, wurde mehrfach auf die Initiativberechtigung eingegangen. Fast alle Redner haben sich für die Beibehaltung der bisherigen Regelung ausgesprochen. Nur wenige Mitglieder, namentlich die zwei deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments Kaufmann (PDS) und Würmeling (CSU) regten an, auch dem Rat und/oder dem Europäischen Parlament ein Initiativrecht einzuräumen. In den übrigen Stellungnahmen überwog deutlich die Einschätzung, daß unbeschadet sonstiger Veränderungen der Rechtsetzungsverfahren das Initiativmonopol den besten Schutz der Interessenvertretung der kleinen Mitgliedstaaten darstelle und auf diese Garantiefunktion in einer erweiterten Europäischen Union nicht zu verzichten sei 82 . Zu diesem - aus Sicht der Kommission erfreulichen - Verlauf der Debatte mögen die von ihren Vertretern Bamier und Vitorino eine Woche zuvor an den Konvent ausgegebenen Arbeitspapiere "Le droit d'initiative de la Commission,,83 und "La methode communautaire,,84 beigetragen haben; wie die Kommissare im Vorwort zum ersten Beitrag mitteilen, sei dieser auf die wiederholt vorgetragene Bitte einer Reihe Konventsmitglieder um Erläuterung des Initiativrechts im Gemeinschaftssystem entstanden. In beiden Beiträgen wird, neben der doppelten Schutzfunktion im Hinblick auf überstimmte Minderheiten im Rat und im Hinblick auf die Verpflichtung auf das Gemeinschaftswohl, nachdrücklich herausgestellt, daß mit dem sidenten Teufel gewendet. Für weitere Stellungnahmen siehe Müller; Die Herren der Verträge,
S.5.
81 Präsidium des Europäischen Konvents, Synthesebericht über die Plenartagung 12./13. September 2002, S. 5: ,,1. Wie kann die Zahl der Rechtsakte, die der Union zur Ausübung ihrer Zuständigkeiten zur Verfügung stehen, verringert werden, und wie kann ihre jeweilige Rechtswirkung verdeutlicht werden? 2. Müssen die Rechtsakte nach ihrem jeweiligen Rang deutlich klassifiziert werden (Nonnenhierarchie)? 3. Wie können die geltenden Rechtsetzungsverfahren so rationell wie möglich gestaltet werden? Wie kann ihre Zahl verringert werden? 4. Können bestimmte Verfahren vereinfacht werden? Beispielsweise das Mitbestimmungsverfahren?" 82 Für die Beibehaltung des Initiativmonopols haben sich in der Plenartagung vom 12. September 2002 vor allem Rack, Stellvertretendes Mitglied des EP, (S. 13); Hänsch, MEP, (S. 14); Famleitner; Vertreter der österreichischen Regierung, (S. 25); Moscovici, Vertreter der französischen Regierung, (S. 30); Duff, MEP, (S. 30); Bamier; Vertreter der Kommission, (S. 31) und Beres, Stellvertretendes Mitglied des EP, (S. 33) ausgesprochen sowie am Folgetag Kuneva, Vertreterin der bulgarischen Regierung, (S. 7); McDonagh, Vertreter der irischen Regierung, (S. 13); Severin, Stellvertretendes Mitglied des rumänischen Parlaments, (S. 15); De Rossa, Vertreter des irischen Parlaments, (S. 18); Bamier; Vertreter der Kommission, (S. 19); Maij-Wegen, MEP, (S. 20) und Bruton, Vertreter des irischen Parlaments, (S. 20). Für ein parlamentarisches Initiativrecht plädierten die beiden Deutschen Kaufmann, MEP, (S. 17), vor allem aufgrund der Blockademöglichkeit der Kommission, und Würmeling, MEp, (S. 18), der ein geteiltes Initiativrecht zumindest für die Änderung geltender Gemeinschaftsrechtsakte anregte. Vgl. dazu noch Würmeling, EU-Refonn: Fragen an das Initiativmonopol der EUKommission. 83 BamierlVitorino, Le droit d'initiative de la Commission, S. 1 ff. 84 BamierlVitorino, La methode communautaire, S. 1 ff.
III. Unfreiwilliger und freiwilliger Verzicht des EP
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de jure-Monopol der Kommission kein de facto-Monopol an Initiativen einhergehe. Ganz im Gegenteil beschränke sich der Anteil exklusiver Vorlagen auf 5 bis 10%, während die überragende Mehrheit auf Ersuchen des Rates, des Europäischen Parlaments, auf vertragliche oder sekundärrechtliche Bestimmungen und auf Anregungen weiterer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher, Akteure zurückgehe85 •
Im "Vorentwurf des Vertrages über eine Verfassung für Europa", den das Präsidium den Mitgliedern des Konvents am 28. Oktober 2002 vorgelegt hat und der anstelle einer Präambel den Hinweis enthält, daß damit die "Struktur eines etwaigen Vertrags veranschaulicht werden soll" noch bevor die "Beratungen des Konvents über die Aufnahme bzw. Nichtaufnahme bestimmte Artikel sowie über den genaueren Inhalt mehrerer Vorschriften entschieden" habe, ist in Titel IV "Institutionen der Union" für Artikel 18 eingetragen: "Dieser Artikel würde die Bestimmungen über die Zusammensetzung und die Befugnisse der Kommission (einschließlich des ausschließlichen Initiativrechts) enthalten. Entsprechend den künftigen Beratungen des Konvents würden entweder ein beschränktes Kollegium oder eine zahlenmäßig größere Kommission in Betracht gezogen und sodann die Vorschriften für die Beschlußfassung festgelegt. ,,86
ill. Unfreiwilliger und freiwilliger Verzicht auf ein eigenes Initiativrecht: Zu den Motiven des Europäischen Parlaments
Für die - auf den ersten Blick durchaus überraschende - Bereitschaft des Europäischen Parlaments, das Initiativmonopol der Kommission unangetastet zu lassen, sind im wesentlichen zwei Motive auszumachen. 1. Unfreiwilliger Verzicht als taktisches Opfer
Erstens dürfte dem Verzicht auf die Forderung nach einem eigenen Initiativrecht eine taktische Überlegung zugrunde liegen. In rechtspolitischer Hinsicht scheint es nämlich sehr unwahrscheinlich, daß die Mitgliedstaaten - als die "Herren der Verträge" - dem Europäischen Parlament ein Initiativrecht zugestehen würden, ohne dem Rat, und damit sich selbst, ebenfalls ein Vorschlagsrecht einzuräumen. Es ist an dieser Stelle nicht zu beurteilen, ob ein Zwei-Karnmer-System mit verteiltem Initiativrecht - wie es der CDU /CSU-Entwurf im Blick hat 87 - als ein 85 Vgl. hierzu die Redebeiträge von Bamier, abgedruckt im Synthesebericht des Präsidiums des Europäischen Konvents über die Plenartagung 12. /13.9. 2002, S. 5. 86 Präsidium des Europäischen Konvents. Vorentwurf des Verfassungsvertrags. (Hervorhebung d. Verf.) 87 Im Schrifttum treten etwa Ress und Janning für Initiativrechte des Parlaments und des Rates ein. Vgl. Ress. Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 228; Janning. Das Ende der Unverbindlichkeit, S. 8. Dazu näher sogleich unter IV. 1. und 2.
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4. Teil: Refonndiskussion
erheblicher Schritt zur Bildung einer eigenen Staatlichkeit aufzufassen wäre88 • In der Wirklichkeit weist jedenfalls, im Angesicht der intergouvernementalen Präferenzen einiger großer Mitgliedstaaten zumal, nichts darauf hin, daß dem Parlament mehr Gesetzgebungsrechte verliehen werden könnten als dem Rat. Umso unwahrscheinlicher ist es, daß das Parlament als einziges Rechtsetzungsorgan gleichzeitig ein Vorschlagsrecht und ein Mitentscheidungsrecht erhalten könnte 89 . Das CDU /CSU-Konzept bestätigt dies indirekt, denn es zielt darauf ab, das Vorschlagsverfahren komplett abzuschaffen. Für eine solche Reform aber macht sich im Parlament derzeit nicht einmal eine Minderheit stark, weil mit einer vollständigen Trennung von Initiativ- und Beschlußfassungskompetenzen vor allem der Rat enorm gestärkt würde. Zwar tritt das Europäische Parlament insgesamt für den Ausbau eines Zwei-Kammer-Systems ein - doch nicht um -den Preis eines deutlichen Übergewichts der Mitgliedstaaten, die überdies im Europäischen Rat die Linien für die Gemeinschaftspolitiken in einem ausgelagerten Gremium vorgeben9o. Schmitt von Sydow hatte aus diesem Grund schon nach der Amsterdamer Regierungskonferenz von einer Falle gesprochen, in die das Parlament klugerweise nicht gelaufen sei91 . 2. Freiwilliger Verzicht als absichtsvolle Selbstbeschränkung
Es spricht gleichwohl manches dafür, daß die Zurückhaltung des Europäischen Parlaments nicht nur als taktisches Opfer zu interpretieren ist. Mit anderen Worten: Es handelt sich nicht allein um den Verzicht auf eine Forderung nach einem Recht, sondern zu einem Gutteil um den freiwilligen Verzicht auf ein Recht. Den meisten Abgeordneten dürfte die Selbstbeschränkung durch die praktische Erfahrung wesentlich leichter fallen, daß das Parlament sowohl auf die Jahresgesetzgebungsplanung direkten Einfluß nehmen als auch einzelne, sachbezogene Initiativberichte an die Kommission adressieren kann. Aufgrund der engen Abstimmung mit der Kommission - nicht zuletzt bei ihrer Investitur, hauptsächlich aber über ihre Zusage, die parlamentarischen Prioritäten soweit wie möglich zu übernehmen - sieht das Parlament als Ganzes zumindest keinen zwingenden Bedarf, eigene Entwürfe direkt in den Rechtsetzungsprozeß einzuführen92 • Der Europa-Abgeordnete Duff hat in der Plenarsitzung des Verfassungskonvents am So Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 228; Ohler, S. 233. V gl. hierzu insbesondere die Refonnentwürfe von Chirac und Jospin, wonach eine Föderation, bei der alle Legitimation vom Europäischen Parlament ausginge, für Frankreich niemals in Frage käme; Chirac, S. 3; Jospin, S. 4. Vgl. hierzu auch Uhl, S. 4 ff. 90 Vgl. hierzu die instruktive Gegenüberstellung bei von Hunnius, S. 1 ff. 91 Schmitt von Sydow, in: Groeben I Thiesing I Ehlennann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 57 und 61. 92 Ausführlich hierzu in Kapitel 8 unter 11. 88 89
III. Unfreiwilliger und freiwilliger Verzicht des EP
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12. September 2002 zwar den taktischen Anlaß für den Verzicht des Parlaments bestätigt, gleichzeitig aber die Zusammenarbeit mit der Kommission sehr gelobt. "Mr President, I was just anxious to pick up the point ( ... ) that concems the right of initiative. The European Parliament has resisted the obvious temptation to seize or demand the right of legislative initiative, because we fear that if we had it, it would also be seized at once by the Council; and our experience of the Council in initiating proposals for law has been unsatisfactory. We see it in the third pillar at present, and it is broadly accepted that it is not a system that is working very weIl. We are also satisfied that the provision in the Treaty that allows us to request the Commission to start the initiation process for law is working extremely well.,,93
Nicht von ungefähr ist es dem Parlament traditionell nicht darum zu tun, die Kommission mit kompletten, verabschiedungsfähigen Entwürfen zum legislativen Tätigwerden aufzufordern94 . In der Geschichte der unzähligen Initiativberichte finden sich lediglich zwei ausformulierte Rechtsaktentwürfe95 und auch die Entschließungen zu den Jahresgesetzgebungsprogrammen enthalten in der großen Mehrzahl allgemein gehaltene Anregungen und nur wenige präzise Vorschläge96 . Ein schlichter, wiewohl von einigen Beobachtern speziell in den Vordergrund gestellter Grund mag schließlich darin begründet sein, daß dem Europäischen Parlament - und erst recht dem einzelnen Abgeordneten - der notwendige Unterbau fehlt, um in allen es interessierenden Fragen eigene, beschlußfähige Entwürfe zu entwickeln97. In der Zusammenschau wird damit sichtbar, daß sich das Europäische Parlament mit dem Ausbau seiner Beschlußfassungskompetenzen in eine Rolle hineinwachsen sieht, die für die Einwirkung auf die Initiativarbeit der Kommission immer mehr dem Verhältnis zwischen Rat und Kommission entspricht. In der "Entschließung zur Reform des Rates und zur Transparenz" und in der "Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Abgrenzung der Zuständigkeiten und zur Reform des Rates" bekräftigte das Parlament seine Forderung, daß die 93 Duff, http://www.europarl.eu.int/europe2004/textes/verbatim_020912.htm(S.30).Es ist recht bemerkenswert, daß Duff ausgerechnet die Reaktion auf formelle Aufforderungen als hervorragend qualifiziert (und nicht die Kooperation in der Jahresgesetzgebungsplanung), da die Kommission auf Artikel 192 Abs. 2 EGV gestützte Anfragen bislang nur sehr spärlich aufgegriffen hat. Siehe hierzu in Kapitel 9 unter 11. 1. 94 Vgl. Lasalle, S. 134: "Si, depuis ses origines, I'assemblee s'est reconnu une comp6tence d'initiative et si elle a concretise cette competence dans de nombreuses resolutions, elle lui a toujours attribue un caractere abstrait et general. Pour I'assemblee, la comp6tence d'initiative a ete celle de se saisir de problemes communautaires, de les etudier et d'inviter generalement la Commission ou le Conseil aleur donner une solution concrete." 95 Siehe hierzu in Kapitel 7 unter 11. 2. 96 Siehe hierzu in Kapitel 8 unter 11. 1. 97 In diese Richtungen gingen die Kommentare von Angehörigen des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments, die der Verfasser am 18. Januar 2002 in Luxemburg interviewt hat. Zur Ausstattung des Europäischen Parlaments vgl. Corbett / Jacobs / Shackleton, S. 119 ff. Vgl. hierzu noch Brückner, S. 222, und Bröhmer, S. 210.
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4. Teil: Reformdiskussion
Gemeinschaftsmethode in allen Aktionsbereichen den Vorrang vor einem zwischenstaatlichen Vorgehen erhalten und die Reform des Rates im Einklang mit dem allgemeineren Ziel einer Neugewichtung der Befugnisse der EU-Organe stehen müsse, namentlich dem Rat und dem Parlament gemeinsam die Legislativentscheidung zu übertragen und zugleich der Kommission die Initiative zu überlassen98 . Mit der wachsenden Kontrolle über die Gemeinschaftsrechtsetzung als dem Rat gleichberechtigter Gesetzgeber im Mitentscheidungsverfahren verlagern sich die parlamentarischen Akzente mithin von eigenen Rechtsaktinitiativen hin zur Beteiligung bei der Auswahl der verantwortlichen Stellen99 • Diesen Einfluß zu verstärken ist das erklärte Ziel des Parlaments, das in breiter Mehrheit für eine parlamentarische Direktwahl des Kommissionspräsidenten stimmt 1OO • IV. Zwei Leitgedanken für die Justierung der Gemeinschaftsmethode: Förderung der Integration und Vertretung des Gemeinwohls "Über das Initiativrecht für das EP sollte in Zukunft ernsthaft nachgedacht werden. Es würde den gesamteuropäischen politischen Prozeß durch die Entwicklung von europäischen Gesetzesvorhaben durch europäische Parteien oder Parteizusarnmenschlüsse höchstwahrscheinlich befruchten. Das Gesetzesinitiativrecht gehört normalerweise zu den Befugnissen des Parlaments, weil es die Volkssouveränität ausdrückt ( ... ). Warum sollte nicht auch der Rat im Gesetzgebungsverfahren der EG ein Initiativrecht haben? Dies wäre allerdings nur ein mittelbarer Ausfluß der demokratischen Legitimationskette, die zu den nationalen Parlamenten zurückführt. Insofern könnte ebenfalls über eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kommission und Rat nachgedacht werden. Die angeblich starke SteIlung, die das Initiativmonopol der Kommission verleiht, hat sich in der Praxis als nicht "durchschlagend" erwiesen. Denkbar wäre es, dieses Initiativrecht des Rates auf bloße Gesetzesvorschläge zu beschränken, die durch die Kommission und das Europäische Parlament laufen und von diesen in der Form eines Gesetzesvorhabens aufgegriffen werden könnten. Es erscheint evident, daß derartige strukturelle Veränderungen ein weiterer erheblicher Schritt zur Bildung eines europäischen Bundesstaates wären."lOl
Der Einschätzung von Ress, das Vorschlagsmonopol habe sich in der Gemeinschaftswirklichkeit als nicht "durchschlagend" erwiesen und könne (schon) deswegen zugunsten eines verteilten Initiativrechts aufgegeben werden, wie es in den Nationalstaaten üblich ist, stehen die vielfältigen Bekenntnisse entgegen, die in der 98 ,.Entschließung zur Reform des Rates und zur Transparenz", PE 318.651 (P5 TAPROV (2002)0246). Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Abgrenzung der Zuständigkeiten, Bulletin Quotidien Europe, Nr. 2275 vom 23. 5. 2002. Gleichlautend in der ,.Entschließung zur Reform des Rates vom 25. 10.2001 ", A5-0308/2001. Ebenso der EVP-Entwurf "Eine Verfassung für ein starkes Europa". 99 So bereits Pemice, Maastricht, Staat und Demokratie, S. 483 ff. 100 Vgl. nur Martin, Die Kommission muß durchgreifend reformiert werden, S. 56; Lohse, Glotz: Kommissionspräsidenten wählen, S. 2. Dazu näher sogleich unter IV. 3. 101 Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 227 f.
IV. Zwei Leitgedanken für die Justierung der Gemeinschaftsmethode
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exklusiven Berechtigung der Kommission die wichtigste politische Voraussetzung für weitere Integrationsschritte erkennen, weil diese in ihren Vorlagen das Gesamtinteresse anstelle von nationalen oder anderweitigen Einzelinteressen zum Ausdruck bringe 102 . Wenn demgegenüber Vorlagen aus dem Europäischen Parlament oder dem Rat dieses Gesamtinteresse nicht widerspiegeln würden und gleichzeitig die Kommission sowohl von der Initiierung als auch von der Beschlußfassung ausgeschlossen wäre 103 , so liegen die weiteren Konsequenzen auf der Hand. Beide Organe würden ihre Rechtsaktentwürfe jeweils mit Mehrheitsbeschluß vorlegen und diese Mehrheiten könnten anschließend auch den Rechtsakt beschließen, jeweils zusammen mit dem anderen Organ. In solch einem Fall würden mithin Minderheiten im Rat und im Europäischen Parlament überstimmt werden, ohne daß die Kommission ihre ausgleichende Rolle als Hüterin des Gemeinschaftsinteresses wahrnehmen könnte: Das Vorschlagsrecht der Kommission ist unmittelbar mit ihrem Änderungsrecht inklusive des Rückzugsrechts verbunden, so daß sie im Falle von konkurrierenden Rechtsaktentwürfen des Europäischen Parlaments und des Rates beide Rechte verlieren würde 104 • Wie in der Darstellung der Positionen der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments deutlich geworden ist, herrscht in der gegenwärtigen Debatte ein breiter Konsens, daß ein solcher Rechteverlust gleichermaßen inakzeptabel wie unnötig ist. Spiegelbildlich zu der von der Kommission an vorderster Stelle vorgetragenen Befürchtung, eine geteilte Ausübung des Initiativrechts würde einige wenige Länder in die Lage versetzen, die Beschlußfassung zu dominieren 105 , liegt den Appellen insbesondere der kleinen Mitgliedstaaten, am Initiativmonopol nicht zu rühren, die Überzeugung zugrunde, daß dieses Mehrheitsentscheidungen des Rates für die überstimmten Länder erträglicher macht, weil die Kommission im Konfliktfall das allgemeine europäische Interesse ausloten könne, um so dem Schutz von "Minderheitenrechten" Rechnung zu tragen 106. Zu diesem Schutz wird nicht nur 102 V gl. Europäische Kommission, "Fragen und Antworten zu ,Ein Projekt für die Europäische Union''', S. 4. Vgl. dazu Pemice, Vertragsrevision oder Europäische Verfassungsgebung?, S. 7. 103 Siehe soeben unter I. 104 Vgl. Zepter; S. 3. Ebenso Schmitt von Sydow, in: Groeben/Tbiesing/Ehlerrnann, EU-/ EG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 61. Vgl. dazu auch die Überlegungen von Raworth, S. 124, dem Parlament ein Initiativrecht einzuräumen, das Rückzugsrecht der Kommission aber auf solche Vorlagen zu erstrecken. 105 Europäische Kommission, "Erläuterungen zur Gemeinschaftsmethode", S. 3. Vgl. auch Europäische Kommission, Fragen und Antworten zu ,Ein Projekt für die Europäische Union' , S.4. 106 Temple-Lang und Gallagher haben dokumentiert, in welchem Umfang der Erfolg von Mehrheitsentscheidungen auf dem Vorschlagsmonopol der Kommission gründet, in: Tbe Role of the Commission, S. 20 ff. Siehe dazu bereits in Kapitel 111. unter 3. Auf diesen Zusammenhang weist auch die Europäische Kommission immer wieder hin, zuletzt in den "Erläuterungen zur Gemeinschaftsmethode". Vgl. hierzu noch Lipsius, Julius (Pseudonym), Tbe 1996 Intergovemmental Conference, S. 251.
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4. Teil: Refonndiskussion
das alleinige Vorlagerecht als unabdingbar betrachtet, sondern zusätzlich das Änderungsrecht und noch mehr das Rückzugsrecht als unverzichtbares Verhandlungsmittel verstanden 107 • Auch die von Ress angedeutete Reformvariante, ein zukünftiges Initiativrecht des Rates auf Gesetzesvorschläge zu beschränken, welche anschließend vom Parlament und der Kommission als - verabschiedungsfähige? - Gesetzesvorhaben aufgegriffen würden 108 , hilft diesen Bedenken wohl nicht ab. Zum einen würde auch eine solche Abstufung in der Initiativphase die Einwände gegen die Zu sammenführung von Vorschlagsrecht und Beschlußfassungsrecht in den Händen des Ministerrates nicht ausräumen, solange nicht der Kommission gleichzeitig wirksame Kontrollrechte eingeräumt würden 109 . Zum andern belegt die vorstehende Untersuchung, daß der von Ress empfohlene Zustand zwar nicht verfahrensrechtlich, aber doch in tatsächlicher Hinsicht bereits verwirklicht ist, weil die Mitgliedstaaten der Kommission jederzeit und ohne weiteres Gesetzesvorhaben vorstellen, um diese in formelle Vorschläge umwandeln zu lassen. Diese praktische Erkenntnis liegt auch den Entwürfen der Regierungen Großbritanniens, Spaniens und Frankreichs zugrunde, die eine übergeordnete politische Planungskompetenz des Europäischen Rates vorsehen, ohne das Vorlagerecht der Kommission aufzugeben. Damit sind zuletzt die beiden Hauptargumente in den Blick zu nehmen, die für eine Reform des Vorschlagsverfahrens ins Feld geführt werden. 1. Geteiltes 1nitiativrecht zur Förderung der 1ntegration?
An erster Stelle steht der Vortrag, daß das mittlerweile erreichte Integrationsniveau in der Europäischen Union die Aufgabe des Vorschlagsverfahrens gebiete. So stellt etwa Stoiber fest: "Das Gesetzesinitiativrecht muß neben der Kommission auch dem Europäischen Parlament und dem Rat zustehen. Es gibt kein Organ, das allein - gleichsam kraft Amtes das Gemeinschaftsinteresse verkörpert. Alle Organe sind aufgerufen, daran mitzuarbeiten. Eine Beschränkung des Initiativrechts auf die Kommission mag in der Gründungsphase, als es um das Einreißen von Grenzen ging, gerechtfertigt gewesen sein. Dem erreichten Ausbau der EU wird es nicht mehr gerecht.,,11O 107 Ein Überblick auf die Positionen der kleineren Mitgliedstaaten zur Refonn der Europäischen Kommission und zu ihrer zukünftigen Rolle im institutionellen Gefüge ist im Internet unter http://www.europa-digital.de/aktueli I dossier I reden I kommission.shtmi abrufbar. Vgl. hierzu auch Schmitt von Sydow, in: Groeben I Thiesing I Ehlennann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 61. Die besondere Bedeutung der Rücknahmemöglichkeit als Voraussetzung für die Dynamik des Integrationsprozesses hatte schon der frühere Kommissionspräsident Delors immer wieder betont, vgl. hierzu Fitvnaurice, S. 184. 108 Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 227. 109 Die Überlegungen von Ress enthalten hierzu keine weiteren Feststellungen. 110 Stoiber; Eckpunkte des europäischen Refonnprozesses, S. 3.
IV. Zwei Leitgedanken für die Justierung der Gemeinschaftsmethode
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Ebenso haben Bayerns Europaminister Bocklet und Janning befunden, daß die Initiativbündelungsfunktion mit der weitestgehenden Vollendung des gemeinsamen Marktes überflüssig geworden sei, weil es primär nicht länger um den Abbau von Hindernissen gehe, sondern um die dynamische Gestaltung von Politikbereichen!!!. Die Dynamisierung der Gemeinschaftspolitiken als Argument für ein verteiltes Vorschlagsrecht in die Reformdiskussion einzubringen, erscheint zunächst insofern bemerkenswert, als die Forderung nach stärkerer Integration in der Vergangenheit nicht eben gegen das Initiativmonopol in Stellung gebracht worden ist. Vielmehr ist das alleinige Vorschlagsrecht immer wieder als angebliche Quelle der Überregulierung und einer durch die Kommission provozierten Normenflut auf europäischer Ebene angegriffen worden II 2. Diesem Vorwurf wiederum stand und steht entscheidend entgegen, daß die Entscheidungen im Rat und Parlament getroffen werden und das vorschlagende Organ nicht aus eigener Kraft die europäische Gesetzgebung ins Uferlose vorantreiben kann. Nicht zufällig hat die Kommission in ihren bisherigen Beiträgen zur Reformdebatte gesteigerten Wert auf die KlarsteIlung gelegt, daß ihr mit einer Ausweitung der Gemeinschaftsmethode gerade keine weiteren Beschlußfassungskompetenzen entstünden 1l3 . Konsequenterweise bemerken eine Reihe Kommentare, daß ein etwaiges "Überregulierungs-Argument" kaum tauge, um die Abkehr vom Initiativmonopol zu begründen. Sofern als eigentliches Problem europäischer Rechtsetzung eine zu aktive Gestaltung auszumachen wäre, würde dem nicht durch eine Verteilung des Vorschlagsrechts abgeholfen, weil eine solche Verteilung in der Tendenz zu noch mehr Regelungen führen würde, wohingegen eine strikte Unterscheidung von Vorschlags- und Beschlußfassungskompetenz gesetzgeberischem Aktionismus entgegen wirke 1l4 . 111 Stabenow, Das Initiativmonopol der EU-Kommission in Frage stellen, S. 7; Pressemitteilung der Bayerischen Staatskanzlei, Bocklet: Demokratische Legitimation in der EU, S. I. Ebenso Janning, Das Ende der Unverbindlichkeit, S. 8: "Beide Kammern (Rat und Parlament) sollten zudem das Initiativrecht besitzen. Was früher als Monopol der Kommission für die Entwicklung supranationaler Integration nötig schien, behindert die Weiterentwicklung in der Zukunft." 112 Vgl. hierzu nur Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 58. 113 Europäische Kommission, Ein Projekt für die Europäische Union, S. 8: "Die Kommission schlägt vor, das System des Initiativrechts auf neue wichtige Bereiche (z. B. Außen- und Sicherheitspolitik, Justiz und Inneres und Governance im Euro-Gebiet) auszuweiten. Das bedeutet nicht, dass die Kommission in diesen Bereichen Beschlüsse fassen wird. Es bedeutet, dass die Kommission Beschlüsse vorschlagen wird. Die endgültige Entscheidung wird bei den im Rat vereinigten Mitgliedstaaten liegen. In einigen Fällen, z. B. bei Angelegenheiten des Bereichs Justiz und Inneres, sollte das Mitentscheidungsverfahren zur Anwendung kommen; das bedeutet, dass Rat und Parlament die Beschlussfassungsbefugnisse gemeinsam ausüben." (Hervorhebung im Original.) 114 Schmitt von Sydow hält das Überregulierungs-Argument sogar für "logisch falsch", weil eine Ausweitung des Vorschlagsrechts zwangsläufig zu mehr Regelungen führe: "Wer die Zahl der Vorschläge verringern will, darf nicht die Zahl der Vorschlagsberechtigten erhö-
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4. Teil: Refonndiskussion
Die Erwartung einer Förderung der Integration durch ein geteiltes Initiativrecht ist in der Tat erheblichen Bedenken ausgesetzt. Konkurrierende Initiativrechte des Rates und des Parlaments würden nicht nur das Risiko einer beträchtlichen Zunahme an Gesetzesvorlagen bergen, die zur Überlastung der Rechtsetzungsverfahren führen könnten. Nach den bisherigen Erfahrungen erhöhen sie zugleich das Risiko von inhaltlich inkohärenten Vorschlägen, mit der Folge, daß die gemeinsamen Interessen bei der Ausarbeitung - und damit auch in der Beschlußfassung - nicht angemessen berücksichtigt werden 115 • Zum ersten ist hier auf die Fälle zu verweisen, in denen konkurrierende Entwürfe eher den Eindruck von Konfusion und Widersprüchen hinterlassen haben als eine dynamische Fortentwicklung von Gemeinschaftsprojekten. Petite führt eine Reihe von Vorlagen aus der Innen- und Justizpolitik an.
"L'initiative a disposition d'une multiplicite d'acteurs, que ce soient les Etats membres ou les autres institutions, serait une certitude de confusion. Des exemples en ont ete foumis dans la courte histoire du 3 pilier, dans sa configuration d'avant Amsterdam qui pennettait la multiplicite d'initiatives: il en est notamrnent resuIte des propositions concurrentes et contradictoires sur des textes tels que ceux concemant la protection des interets financiers de la Communaute, ou Europol, qui eurent pour effet de compliquer ou de retarder I' adoption de la proposition de la Commission.,,1l6
In ähnlicher Weise urteilt Monar, daß nach der Überführung von Teilen der Innen- und Justizpolitik in den EG-Vertrag und der Einrichtung eines geteilten Initiativrechts gemäß Artikel 67 Abs. 1 EGV viele mitgliedstaatliche Initiativen ,,( ... ) oft durch kurzfristige politische Erwägungen oder aktuelle Entwicklungen motiviert (seien), die längerfristige Strategien und Prioritäten erschweren. Oft werden in sehr offenkundiger Weise rein nationale Interessen verfolgt. Außerdem kann eine Flut nationaler Initiativen die Entscheidungsprozesse belasten und überlasten. Und schließlich lässt auch die rechtliche Qualität der Initiativen arg zu wünschen übrig - gemessen am Niveau der Vorschläge der Kommission."ll7 hen.", in: Groeben I Thiesing I Ehlennann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 58. Vgl. auch Temple-LanglGallagher, What sort of European Commission does the EU need?, S. 3; Bröhmer, S. 209. 115 Ausführlich Temple-Lang I Gallagher, What sort of European Commission does the EU need?; Bröhmer, S. 209; Schmitt von Sydow, in: Groeben/Thiesing/Ehlennann, EU-/EGKommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 58; Pemice, Vertragsrevision oder Europäische Verfassungsgebung?, S. 7; Petite, S. 205; Europäische Kommission, Erläuterungen zur Gemeinschaftsmethode, S. 2 f. In ähnlicher Weise hat die Kommission in ihrem ersten Konventsbeitrag betont, daß mit dem alleinigen Vorschlagsrecht zuallererst die Kohärenz der Gemeinschaftsregeln gesichert würde, Ein Projekt für die Europäische Union, S. 8. 116 Petite, S. 205 (Hervorhebung d. Verf.). 117 Monar, Auf dem Weg zu einem Verfassungsvertrag, S. 39. Allerdings erscheint Monar eine gänzliche Aufhebung des nationalen Initiativrechts im Bereich der Innen- und Justizpolitik nicht notwendig. Stattdessen sei die Einführung eines Quorums für mitgliedstaatliche Initiativen ein gangbarer Weg, etwa ein Viertel aller Mitgliedstaaten, oder aber die Einführung einer "Stillstands-Klausel", nach der die Mitgliedstaaten nationale Initiativen im selben Bereich nur in einem gewissen zeitlichen Abstand voneinander einbringen können.
IV. Zwei Leitgedanken für die Justierung der Gemeinschaftsmethode
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Zu diesem Fazit gelangt auch Santer; der als ehemaliger Kommissionspräsident und früherer Premierminister Luxemburgs gleichsam beide Seiten in seiner Person vereint und als Vertreter der luxemburgischen Regierung dem Konvent angehört. "It is for the sake of the general interest that the Commission enjoys the exc1usive power of initiative. This is the only way of securing equilibrium between the Commission on the one side and the Council and Parliament on the other. There is no other way of guaranteeing institutional equilibrium while avoiding the cacophony that would flow from multiple sources of legislation. ( ... ) This right of initiative has been a major motive force behind European integration. If the Commission exercises it responsibly, then that in itself offers the other institutions an assurance. The Commission has agreed, for instance, to take the fullest account of Parliament's requests. And since I took up office as President, I have underscored the need to act less but act better, for which purpose I have laid great store by extensive consultations with all interested circ1es upstream of formal legislative proposals. Incidentally, in those areas where the Commission has no monopoly of the right of initiative, in justice and horne affairs cooperation for example, the Member States regularly ask it to make proposals all the same. That, in a nutshell, is my view of the defence of the general interest." 118
Ein wesentliches Ergebnis dieser Arbeit bestätigt diese Zusammenfassung von Santer. Die Kommission berücksichtigt die politischen Prioritäten der beiden Entscheidungsorgane in breitem Umfang und zieht sie zur Grundlage ihrer eigenen Initiativarbeiten heran. Diese enge Verknüpfung wiederum deutet sogar darauf hin, daß das Balanceverhältnis des Vorschlagsverfahrens eigene Initiativrechte der Mitgliedstaaten und des Parlaments nicht nur systemwidrig, sondern in praktischer Hinsicht auch weitgehend überflüssig macht. Bereits zur Beurteilung der Opportunität von Rechtsakten ist die Kommission auf intensive Kooperation angewiesen, weil die Erfolgsaussichten ihrer Initiativen unbedingt vom Umsetzungswillen der Regierungen und - nachgerade im Mitentscheidungsverfahren - des Europäischen Parlaments abhängig sind. Ihre Vorlageberechtigung ist daher nicht vordringlich von der vertraglichen Exklusivität, sondern von der politischen Notwendigkeit gekennzeichnet, Anregungen der Entscheidungsträger aufzugreifen. Aus diesem Grund kommt es in der Rechtsetzungsplanung, sowohl hinsichtlich einzelner Entwürfe als auch bei der Ausarbeitung der Jahresprogramme, insgesamt nur zu relativ wenigen Konflikten 119. Dies gilt schließlich auch für die konkrete Ausarbeitungsphase durch die Kommissionsdienststellen, die wesentlich von der Informationsbeschaffung und der inhaltlichen Abstimmung mit den nationalen Stellen geprägt ist 12o. Überdies weist das Ausmaß der wechselseitigen Abstimmung mit den Mitgliedstaaten, wie auch im Verhältnis zum Europäischen Parlament, darauf hin, daß auch Santer; S. 4 (Hervorhebung d. Verf.). Ausführlich hierzu in Kapitel 3 unter III. Anders Würmeling, Fragen an das Initiativmonopol der EU-Kommission, S. 3. 120 Ausführlich hierzu in Kapitel 3 unter 11. 118
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4. Teil: Refonndiskussion
unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips das Alleinvorschlagsrecht der Kommission die gemeinschaftsspezifischen Anforderungen an die Rechtsetzung besser erfüllen kann, als es ein auf alle Organe verteiltes Vorlagerecht erwarten lässt. Denn die weitreichende Bereitschaft der Kommission, Anregungen von außen aufzunehmen, stößt ohnehin vielfach unter Berufung auf das Subsidiaritätsgebot auf Kritik 121 . Und im Falle eines verteilten Vorschlagsrechts würden sich die Schwierigkeiten in der Anwendung und Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips eher noch verschärfen: In dem eben erwähnten Arbeitspapier "Le droit d'initiative de la Commission,,122 gehen die beiden Kommissare Bamier und Vitorino detailliert auf die Zwänge ein, die der Kommission unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips entstehen. Während einerseits Mitgliedstaaten - in Ermangelung einer vorgreifenden Kontrollmöglichkeit 123 - auf inhaltlich umstrittene Vorschläge gelegentlich mit der Forderung nach Rücknahme reagieren 124, verzichten andererseits Regierungen, die eine bestimmte Vorlage an sich anzweifeln, mitunter in der Erwartung auf einen Protest, daß im Gegenzug die Kommission ihrem Verlangen nach einer Vorlage in einem anderen Fall entspreche. Es versteht sich, daß auf diese Weise der Druck zur Gesetzgebung beträchtlich anwachsen kann, insbesondere wenn (mehrere) Mitgliedstaaten sich nur unter der Bedingung mit einer Vorlage zu befassen bereit erklären, daß die Kommission desgleichen ein Gesetzesprojekt vorlege, dem andere Länder oder die Kommission selbst wegen Bedenken an seiner Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip skeptisch gegenüberstehen 125 . Es kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden, ob die bessere Berücksichtigung und Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch die Kommission durch eine striktere Begründungspflicht in Gestalt eines "Subsidiaritätsbogens" herbei121 Zur Pflicht der Kommission, ihre Vorschläge unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsgebots zu fonnulieren, siehe bereits in Kapitel I unter 1. 2. c). 122 Bamier/Vitorino, Le droit d'initiative de la Commission, S. 5. Siehe hierzu bereits unter 11.6. 123 Bamier/Vitorino, Le droit d'initiative de la Commission, S. 5: "Toutefois, il n'existe pas de mecanisme de contröle judiciaire prealable pennettant de constater qu'une action legislative ne respecte pas le principe de subsidiarite : les Etats membres se prononcent sur le respect du principe de subsidiarite lors de l' examen de substance de la proposition de la Commission et non pas de maniere prealable. " 124 Zur Praxis der Kommission, Vorschläge aufgrund von Bedenken an ihrer Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip zurückzunehmen, siehe bereits in Kapitel 2 unter 11.2. c) aa). 125 Bamier/Vitorino, Le droit d'initiative de la Commission, S. 5: "Cette situation conduit indirectement a maintenir une pression legislative importante sur la Commission, car les Etats membres peuvent accepter que la Commission propose des initiatives legislatives dans des domaines non-prioritaires, ou meme juges contestables au titre de la subsidiarite, a la condition que la Commission en fasse de meme dans d'autres domaines juges prioritaires pour eux. De plus, la Commission est souvent conduite a proposer de nouvelles legislations jugees ,intrusives' ex-post afin d'assurer la liberte de circulation des produits au sein du marche interieur."
IV. Zwei Leitgedanken für die Justierung der Gemeinschaftsmethode
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geführt werden kann, wie es die Arbeitsgruppe I des Konvents vorschlägt l26 • Immerhin ist bemerkenswert, daß Bamier und Vitorino angesichts der Schwierigkeiten einer effizienten Selbstkontrolle der Kommission, insbesondere aufgrund politischen Drucks der Regierungen, ihren Konventsbeitrag zum Initiativrecht mit der Empfehlung schließen, einen (allerdings nicht näher präzisierten) ex-ante-Kontrollmechanismus einzurichten, um zusätzlich zur nachträglichen Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu besorgen I 27. Sofern nun ein verteiltes Vorschlagsrecht - wie dargestellt - eine deutliche Zunahme an formell eingebrachten Vorlagen besorgen läßt, und diesen Vorlagen zumindest teilweise auch die beschriebenen inhaltlichen Mängel anhaften, scheint eine Abkehr vom exklusiven Vorlagerecht geeignet, die bereits bestehende Subsidiaritätsproblematik noch zu verschärfen. "Par consequent, le probleme est moins celui de partager le droit d'initiative avec d'autres institutions ou avec les Etats membres que celui d'exercer le droit d'initiative de maniere plus selective et davantage conforme au principe de subsidiarite.,,128
Aus diesem Grunde ist eher umgekehrt dafür zu stimmen, das Initiativrecht der Kommission sogar noch zu bekräftigen, nicht zuletzt um auf diese Weise den politischen Tauschgeschäften zwischen den Regierungen Einhalt zu gebieten l29 .
126 Abschlußbericht der Arbeitsgruppe I "Subsidiaritätsprinzip", S. 4. Siehe auch in Kapitell unter!. 2. c). 127 Bamier/Vitorino, Le droit d'initiative de la Commission, S. 6. Die Arbeitsgruppe I hält hingegen die Schaffung einer "Ad-hoc-Instanz" auf europäischer Ebene nicht für wünschenswert, weil die damit erzielbaren Verbesserungen die Beschlußfassung in den Rechtsetzungsorganen übermäßig in die Länge zu ziehen oder gar zu blockieren drohe, S. 2 ff. Hingegen sei eine politische ex-ante-Überwachung durch Einschaltung der einzelstaatlichen Parlamente wünschenswert, die freilich die Schwierigkeit mit sich bringt, doch einen flexiblen "Ad-hoc-Mechanismus" zu schaffen, der den Parlamenten ermöglicht, stärker in die Überwachung einbezogen zu werden. Ferner brachte die Gruppe die Benennung eines bzw. einer "Herm oder Frau Subsidiarität" zur Sprache, um für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch seine bzw. ihre Institution Sorge zu tragen. Er bzw. sie müsste mit jedem Vorschlag für einen Rechtsakt befasst werden und würde die von den Kommissionsdiensten erstellten Vorschläge mit dem Blick eines Außenstehenden betrachten. Er bzw. sie könnte gegebenenfalls von den einzelstaatlichen Parlamenten gehört werden. Dieser Vorschlag traf in der Gruppe nicht auf ausreichende Zustimmung. Insbesondere wurde betont, dass jedes einzelne Kommissionsmitglied für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips in den Bereichen, für die es zuständig ist, verantwortlich sein sollte und die Festlegung ihrer Organisationsstruktur Sache der Kommission sei. 128 Bamier/Vitorino, Le droit d'initiative de la Commission, S. 6. 129 In diesem Sinne hat zuletzt der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten Hänsch eine nachdrückliche Bestätigung der Aufgaben der Kommission durch die Mitgliedstaaten gefordert. Vgl. Stabenow, Berlin gegen "schleichenden Kompetenztransfer" nach Brüssel, S. 5. Siehe hierzu bereits ausführlich in Kapitel 4 unter 11. und III.
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4. Teil: Refonndiskussion
2. Initiativrecht als klassisches Parlamentsrecht?
Zugunsten eines parlamentarischen Initiativrechts, das neben das der Kommission treten soll - so daß nur das Parlament, nicht aber der Ministerrat gleichermaßen über Rechtsaktvorschläge wie über ihre Verabschiedung entscheiden kann wird weiterhin geltend gemacht, daß eine solche Vertragsänderung den gestalterischen Willen des einzigen unmittelbar demokratisch legitimierten Gemeinschaftsorgans unterstreichen würde und die Gesetzesinitiative als klassisches Parlamentsrecht der Straßburger Versammlung nicht länger vorzuenthalten sei 130. Die Einreden gegen die Verbindung von Initiativrecht und Beschlußfassungsrecht in einem Legislativorgan gelten indessen nicht nur für den Ministerrat, sondern im Prinzip auch für das Europäische Parlament. Zwar weist ein mögliches parlamentarisches Initiativrecht nicht in gleicher Schärfe auf eine unausgewogene Interessenvertretung hin, wie sie etwaigen Entwürfen aus dem Ministerrat unterstellt werden 131. Doch fehlt auch dem Europäisehen Parlament die dem Initiativmonopol der Kommission zugrundeliegende Verpflichtung auf das Gemeinschaftswohl 132 : Der von Ress für höchstwahrscheinlich erachteten "Befruchtung des Integrationsprozesses durch die Entwicklung von europäischen Gesetzesvorhaben durch europäische Parteien,,133 ist darum vorzuhalten, daß es umgekehrt die bislang fehlenden Voraussetzungen eines "europäischen Volks" und "europäischer Parteien" sind, die einer Übertragung klassischer Parlamentsrechte nach nationalstaatlichem Vorbild widersprechen 134. In dem Maße aber, in dem die Abgeordneten nicht als Repräsentanten einer europäischen Partei, sondern als "freie Delegierte" und Sprecher gesellschaftlicher Gruppen - die eigene nationale Partei eingeschlossen - in Erscheinung treten, würde die Europäische Union in ihrer derzeitigen Verfasstheit durch ein parlamentarisches Initiativrecht selbst nach Einschätzung einflußreicher Verfechter einer Aufwertung des Europäischen Parlaments nicht an entscheidender Handlungsfähigkeit gewinnen 135 . 130 Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 227; Raworth, S. 124. Ebenso Martin, Progress towards European Union, S. 293; Janning, Das Ende der Unverbindlichkeit, S. 8; Martin, Die Kommission muß durchgreifend reformiert werden, S. 55 ff.; Lamers, Warum die EU ihre Institutionen stärken muß, S. 39 f. 131 Vor allem die notwendige - fraktionsübergreifende - Konsensfindung steht dieser Befürchtung entgegen. Anders wäre dies zu beurteilen, wenn für parlamentarische Initiativentwürfe keine besonderen Hürden zur Beschlußfassung aufgestellt würden, ganz zu schweigen von einer Initiativberechtigung des einzelnen Abgeordneten. 132 Siehe hierzu bereits in der Einleitung. 133 Ress, Das Europäische Parlament als Gesetzgeber, S. 227. 134 Vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen Kielmannsegg, S. 47 ff.; Lepsius, S. 19 ff.; Kießling, S. 283 ff. 135 Vgl. hierzu die verschiedenen, bereits zitierten Stellungnahmen des Europaabgeordneten und Vertreters im Konvent Elmar Brok, der in der Reflexionsgruppe zur Regierungskonferenz für Amsterdam und in der Parlamentsdelegation in Nizza vertreten war. Nach Brok ist unter der gegenwärtigen Verfassung der Europäischen Union das Initiativmonopol
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Ohnedies ist der Vergleich mit den nationalen Parlamenten angesichts der Einsicht zu relativieren, daß auf Staatenebene faktisch durchweg ein Initiativmonopol der Ministerialbürokratie 136 herrscht, weil die Anzahl der Exekutivinitiativen die parlamentarischen Gesetzgebungsinitiativen deutlich übersteigt 137 • Dieses Ungleichgewicht wird dadurch noch einseitiger, daß zu den Initiativen der Exekutive ein Großteil an Parlamentsvorlagen hinzugezählt werden (können), wenn diese zwar im Parlament von der die Regierung tragenden Mehrheit eingebracht, tatsächlich aber von der Exekutive ausgearbeitet werden 138 . Hinzu kommt, daß die nationalen Parlamente in der Rechtsetzung grundsätzlich weniger politisch kreativ als vielmehr und in erster Linie kontrollierend wirken 139 . Dies wiederum spräche dafür, daß auch eine Aufwertung des Europäischen Parlaments - und mithin eine Verfestigung der demokratischen Grundlagen der Gemeinschaft - nicht zuvörderst ein eigenes Initiativrecht verlangt, sondern den Ausbau seiner Entscheidungsbefugnisse, vor allem durch die konsequente Ausdehnung des Mitentscheidungsverfahrens 140. Fernerhin ist, wie dargelegt, der Einwand eines fehlenden eigenen Initiativrechts wegen der vielfältigen, gemeinschaftsspezifischen Möglichkeiten, die Kommission zur Vorlage von Rechtsaktentwürfen zu veranlassen, ebenfalls nur eingeschränkt anzuerkennen 141. An erster Stelle steht die Beteiligung an der strategischen Gesetzesplanung der Jahresgesetzgebungsprograrnme l42 • Darüber hinaus nutzt das Parlament, gestützt der Kommission für alle Legislativorgane von größtem Nutzen Dies schließt freilich eine Fortentwicklung nicht aus. Allerdings setze - in einer Art Krönungstheorie - ein parlamentarisches Initiativrecht eine vollständige Umstrukturierung der Gemeinschaftsrechtsetzung voraus, für die derzeit keine Mehrheit zustande komme. Siehe dazu Brückner, S. 222. 136 Schulze-Fielitz, S. 79. 137 Siehe hierzu bereits in der Einleitung: Der Deutsche Bundestag geht von der Regierungsinitiative als Regelfall aus, weil über zwei Drittel aller Entwürfe von der Bundesregierung eingebracht werden, http://www.bundestag.de/info/gesgeb/gesgeb2.htm. Für das französische Verfassungsrecht vgl. Duhamel, S. 256 ff. und Pactet, S. 424 ff. ("Prerogatives gouvernementales"). Für das englische Verfassungsrecht vgl. BradleylEwing, § 4 Rn. 12 und Turpin, S. 46. Vgl. auch CorbettlJacobslShackleton, S. 217; Bröhmer, S. 209. 138 Selbst in den USA, wo die Regierung kein förmliches Initiativrecht besitzt, sondern nur Anregungen geben kann, herrschen die von Regierungsseite empfohlenen Entwürfe vor. Siehe hierzu Schneider, § 5 Rn. 92 ff. mit Nachweisen. In Deutschland läßt die Bundesregierung gelegentlich ihren Entwurf von der Regierungsfraktion einbringen, um den (zeitraubenden) ersten Durchgang beim Bundesrat zu vermeiden. Näher hierzu Degenhart, §lOIl. 139 Zum deutschen Verfassungsrecht siehe Bischoffl Friedrich, § 54 Rn. 48; Bryde, § 30 Rn. 28; Schneider, § 5 Rn. 92 ff.; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis, S. 292 ff.; ders., Das Parlament als Organ der Kontrolle, S. 71 ff. 140 Pemice, Maastricht, Staat und Demokratie, S. 483 ff. Schmitt von Sydow, in: Groeben I Thiesing/Ehlermann, EU-lEG-Kommentar, 5. Auflage, Artikel 155 EGV Rn. 57; Vibert, S. 82 f.; Petite, S. 205. 141 Ebenso Bröhmer, S. 208 ff. 142 Ausführlich hierzu in Kapitel 8 unter 11. und IlI.
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4. Teil: Refonndiskussion
auf sein umfassendes Beratungs- und Entschließungsrecht, allgemeine oder bestimmte Fragen behandelnde Initiativberichte, mit denen seine Ausschüsse - gegebenenfalls als Entschließung vom Plenum verabschiedet - die Kommission zum Tätigwerden in allen Gemeinschaftsbereichen anregen 143. Die Kommission hat in einer inter-institutionellen Vereinbarung zugesagt, solche Entschließungen grundsätzlich aufzugreifen, soweit keine erheblichen Einwände dagegen sprechen. Diese weitgehende Bereitschaft erklärt sich mit der Absicht, das Europäische Parlament als politischen Partner zu gewinnen und der Anerkennung als einziges unmittelbar demokratisch legitimiertes Gemeinschaftsorgan l44 . Dieselbe Vereinbarung haben die beiden Organe zur Behandlung fönnlicher, auf Artikel 192 Abs. 2 EGV gestützter Aufforderungen getroffen 145 • Im Ganzen steht sonach die vergleichende Gegenüberstellung nicht dafür, von der institutionellen Besonderheit der Gewaltenteilung in der Gemeinschaftsrechtsetzung abzurücken. 3. Vorschlagsmonopol und demokratische Legitimation
Die derzeitige Kommission erwartet, daß es mit der bevorstehenden Erweiterung um zehn mittel- und osteuropäische Länder in einer über zwei Dutzend Mitglieder zählenden Gemeinschaft mehr denn je auf ein gleichsam in der Mitte plaziertes, dem gemeinsamen Interesse verpflichtetes Organ ankommen werde 146 • Die große Mehrzahl der bislang zur Verfassungsdebatte ergangenen Beiträge teilt diese Erwartung. Nicht nur die traditionell integrationsfreundlichen Länder bestehen deswegen darauf, an ihrer Initiativ- und Vermittlerfunktion festzuhalten, nachgerade um Mißtrauen und Majorisierungsängsten unter den Ländern zu begegnen 147 . Selbst jene Regierungen bekennen sich dazu, die für die Zukunft den Einfluß der Mitgliedstaaten erhöhen wollen 148 . Die Aussicht auf eine wachsende Verantwortung der Europäischen Kommission hat die Debatte um ihre demokratische Legitimation neu in Gang gesetzt. Stellvertretend für viele hat Luxemburgs Premierminister Juncker geäußert, daß zur Übertragung weiterer Kompetenzen - wozu das Vorschlagsrecht für neue Gemeinschaftsbereiche und den Bereich der Gemeinsamen Außenpolitik zählen könnte zwingend eine stärkere demokratische Legitimation gehöre 149 . Näher hierzu in Kapitel 7 unter II. Näher hierzu in Kapitel 7 unter II. 3. 145 Näher hierzu in Kapitel 9 unter H. 3., III. 3. und 4. 146 Stabenow, Barnier: Konvent braucht Kühnheit und Realismus, S. 1: "Wenn es in der Mitte keine unabhängige Institution gibt, die Vorschläge unterbreitet, politische Anstöße gibt, Entscheidungen ausführt und über die Verträge wacht, dann wird das Ganze explodie143
144
ren,"
147 148
Vgl. dazu Hort, Die Innenpolitik vergemeinschaften, S. 2. Blair; S. 1 ff. Näher Marhold, Die neue Europadebatte. S. 248 f.; Aznar, S. 1 ff.
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Hierfür sind mehrere Modelle zur Ernennung des Präsidenten sowie der Kommissare denkbar, wobei eine Direktwahl des Präsidenten durch das Europäische Parlament die stärkste Unterstützung findet l50 . Dieser Vorschlag wurde mit einer Art Unterschriftensammlung über die deutschen Vertreter in den Konvent eingebracht und ist unter den Vertretern der kleineren Mitgliedstaaten, der Beitrittsländer und des Europäischen Parlaments sowie zahlreicher Delegierter aus den nationalen Parlamenten auf besonderen Zuspruch gestoßen. Angesichts des Gegenvorschlags der Wahl eines Präsidenten der Europäischen Union scheinen seine Aussichten gleichwohl ungewiß 151. Das Ziel der stärkeren demokratischen Legitimierung der Kommission steht in einem Spannungsverhältnis zu ihrem Charakter als unabhängige, dem europäischen Gemeinwohl verpflichtete Institution. Auf der einen Seite hat die Untersuchung des Initiativrechts erkennbar werden lassen, daß die Kommission mittels ihrer Monopolstellung, des Rechts zur Rücknahme und ihres Änderungsrechts insgesamt in einem Umfang auf die Rechtsetzungsbeschlüsse des Rates und des Europäischen Parlaments Einfluß nimmt, der deutlich über die Möglichkeiten eines lediglich die technische Vorlage liefernden Organs hinausreicht. Vor diesem Hintergrund spricht manches dafür, die Frage, ob die Kommission aufgrund der politischen Reichweite ihres Vorschlagsrechts auf eine stärkere demokratische Grundlage gestellt werden sollte, zu bejahen. Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, daß in dem Spannungsfeld zwischen vertraglicher Verantwortung für das Gemeinwohl und politischer Verantwortlichkeit gegenüber den übrigen Rechtsetzungsorganen die Unabhängigkeit der Kommission durch eine Wahl des Präsidenten durch das Europäische Parlament in Frage gestellt werden könnte und damit indirekt auch das Fundament des alleinigen Initiativrechts. Temple-Lang und Gallagher, die sich für die Beibehaltung des Initiativmonopols aussprechen, warnen deswegen vor einer Wahl durch das Parlament: "The independence of the Commission in framing policy is more important than giving it a stronger democratic mandate.,,152 Damit also die Kommission ihre not149 Vgl. dazu Hort, Die Innenpolitik vergemeinschaften, S. 2. Umgekehrt hat der bayerische Europaminister Bocklet vertreten, daß die Kommission als das am "wenigsten demokratisch legitimierte Organ" keine zusätzlichen Kompetenzen beanspruchen könne, vgl. dazu die Pressemitteilung der Bayerischen Staatskanzlei, Bocklet: Demokratische Legitimation in der EU, S. 1. 150 Neben der Direktwahl des Präsidenten durch das Europäische Parlament wird auch eine Direktwahl durch die Unionsbürger erwogen oder eine Lösung, bei der die einzelstaatlichen Volksvertretungen hinzugezogen werden. Vgl. hierzu nur Stabenow, Die Kommission will Motor der EU bleiben, S. 5. Luxemburgs Premierminister Juncker schlägt vor: "Das Europäische Parlament sollte den Kommissionspräsidenten in geheimer Wahl ermitteln - ohne Vorschlag der EU-Regierungen.", vgl. Hort, Die Innenpolitik vergemeinschaften, S. 2. Belgiens Premierminister Verhofstadt, S. 3, favorisiert hingegen eine Direktwahl durch die Unionsbürger. 151 Vgl. Lohse, Glotz: Kommissionspräsidenten wählen, S. 2. 152 Temple-LangIGallagher; What sort ofEuropean Comrnission does the EU need?, S. 2 f.
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von Bun1ar
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wendige Unabhängigkeit von nationalen und parteiischen Interessen wahren kann, wäre jedenfalls im Vertrag zu präzisieren, wie das Parlament einen Vorschlag für die Präsidentschaft unterbreiten könnte 153. Die Europäische Kommission hatte anlässlich der Einsetzung des Verfassungskonvents verlautbaren lassen, daß sie über eine "relative politische Neutralität,,154 verfügen müsse, um das angestammte Initiativrecht und die Rolle der Vertragshüterin wahrzunehmen. Im Vorfeld des Gipfels von Laeken hatte sie in eigener Sache gleichermaßen salomonisch wie unentschieden befunden: "Was die Kommission anbelangt, so muss sie sich vor allem auf ihre strategischen Aufgaben konzentrieren und ihr Initiativrecht beibehalten. Bei dieser Institution sollten die Vor- und Nachteile einer etwaigen Änderung des Verfalrrens zur Ernennung des Kommissionspräsidenten sorgfältig abgewogen wären, wobei die besondere Rolle, die der Kommission durch das aktuelle System im allgemeinen Interesses Europas verliehen wurde, im Auge behalten werden muss.,,155
Auch für ihren ersten Konventsbeitrag hatte die Kommission eine Festlegung vermieden und stattdessen ohne nähere Präzisierung von der Konsolidierung ihrer demokratischen Legitimität gesprochen. "Die Europäische Kommission muß ihre demokratische Legitimität konsolidieren, ohne ihre Unabhängigkeit gegenüber nationalen und parteiischen Interessen aufzugeben, die ja gerade eine der Grundlagen ihrer Legitimität darstellt. •.156
Gleichwohl führen inzwischen auch die Reformpläne des derzeitigen Kollegiums in Richtung einer Parlamentswahl des Präsidenten; nach manchen Anzeichen nicht zuletzt von der Absicht getragen, damit ein Gegengewicht zu dem von ihm abgelehnten Reformvorschlag der Wahl eines EU-Präsidenten zu setzen I57 • Anläßlich der Vorstellung der "Mitteilung zur zukünftigen institutionellen Architektur,,158 vor dem Europäischen Parlament am 5. Dezember 2002 hat der amtierende Präsident Prodi die Verantwortlichkeit für das Gemeinschaftswohl in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Wahl seiner Nachfolger gestelIt I59 • Damit die 153 Dazu haben die dreizehn Mitglieder des Präsidiums des Konvents, einschließlich der Kommissionsvertreter Bamier und Vitorino, den Vorschlag gemacht, den Präsidenten der Kommission künftig unter Berücksichtigung der Europawahlen mehrheitlich durch die Staats- und Regierungschefs benennen und anschließend vom Europäischen Parlament wählen zu lassen. Vgl. HortlStabenow, Konventspräsidium verändert Giscards Vorschläge stark, S. 4, und Stabenow, EU-Kommission lehnt Vorschläge des Konventspräsidiums ab, S. 5. 154 Stabenow, Die Kommission will Motor der EU bleiben, S. 5. 155 Mitteilung der Europäischen Kommission, Über die Zukunft der Europäischen Union, S.3. 156 Europäische Kommission, Ein Projekt für die Europäische Union, S. 4. 157 Die Direktwahl des Kommissionspräsidenten hatte das derzeitige Kollegium bereits auf einer Klausurtagung im April 2002 als erwägenswerte Möglichkeit anerkannt. V gl. dazu näher Stabenow, Die Kommission will Motor der EU bleiben, S. 5. 158 KOM (2002) 728 endg.
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Kommission für die Fonnulierung der gemeinsamen Interessen Verantwortung übernehmen könne, müsse die Legitimation in Zukunft gleichzeitig vom Rat und vom Europäischen Parlament ausgehen. Die Kommission solle eine demokratischere Grundlage erhalten, indem ihr Präsident vom Europäischen Parlament gewählt wird. Im Anschluß sollte der Europäische Rat die Ernennung des Präsidenten bestätigen und die übrigen Kommissionsmitglieder im Einvernehmen mit diesem benennen, woraufhin zuletzt das Europäische Parlament dem Kollegium seine Zustimmung erteilt.
159 Prodi, Die institutionelle Struktur der Kommission, S. 4. Die Kommission hat diese Mitteilung am nächsten Tag dem Präsidium des Verfassungskonvents über ihre beiden Vertreter als zweiten Beitrag übermittelt. 20*
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Sachverzeichnis Abkommen mit Drittstaaten 193 - Assoziierungsabkommen 202 - Lome-Abkommen 223 acquis communautaire 39, 127 Agenda 2000 95, 142, 143, 146 Agrarpolitik 106, 136, 137, 193,214 AsyI45,46,201 Ausschuß der Regionen 107, 156 Ausschuß der Ständigen Vertreter 70, 116, 118, 130, 133, 143, 147, 160,213 Beichtstuhlverfahren 134, 145 Beihilfenrecht 30 Beitritt 143, 202, 222 Bericht der Drei Weisen 119, 227 Binnenmarkt 24, 119, 120, 201, 221, 222, 236,239,259,282,284,285 - Fahrplan 120 CDU - Auslandsverband Brüssel 280 - Brüsseler Thesen 280 - CDU / CSU-Arbeitsgruppe 279, 280 Deutschland - Bundeskanzler Kohl 142 - Bundeskanzler Schröder 134, 143, 145, 147,151,280 - Bundespräsident Rau 280, 286 - Bundesrat 16, 17,66,280,303 - Bundesregierung 16, 66, 78, 194, 280, 303 - Bundestag 17,66,79,93, 147, 179,281, 303 - Bundesverfassungsgericht 66 - Die Grünen 280 - SPD 280, 301 - Verfassungsrecht 16, 17, 58, 66, 76, 93, 122,233,303
Ecofin-Rat 143 EGKS-Vertrag 30, 68, 75, 158, 159, 194, 255 Einwanderung 45 ersatzorganschaftIiches Handeln 61 EU-Erweiterung 72, 138, 143,201,286,304 Euratom-Vertrag 28, 31, 68, 70, 75, 106, 195 Europäische Menschenrechtskonvention - EGMR 191 - EMRK 191 Europäische Zentralbank 33, 48, 109 fakultative Anhörung 195,210 Fernsehen ohne Grenzen 224 fiche d'impact 103 Finanzen, EG - Eigenmittel 27, 142, 143, 145, 148 - Eigenmittelbeschlüsse 142 - Einnahmen 136, 142, 214 - Haushalt 40, 142,208,217 - Haushaltsdisziplin 27, 34 - Haushaltsplan 207, 208 - Konzertierungsverfahren 198 Frankreich - Staatspräsident Chirac 145,281,283,292 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) 28, 41, 170, 255, 287 Gemeinschaftspolitiken - Agrarpolitik 106, 136, 137, 193,214 - Beihilfenrecht 30 - Forschungs- und Technologiepolitik 120 - Handelspolitik 120, 180 - Landwirtschaft 96, 142, 144, 146 - Sozialpolitik 23, 95, 174,244 - Umweltschutz 120,225 - Wettbewerbsrecht 161, 171, 193 Gemeinschaftstreue, Loyalitätsgrundsatz 66, 88, 179
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Sachverzeichnis
Gerichtshof, Europäischer - Gericht Erster Instanz 187 - Klageschrift 188,259 - Nichtigkeitsklage 193, 197,202 - Untätigkeitsklage 26, 38, 80, 162, 186, 189,234,259,267,270,273 - Urteil Barber 96 - Urteil Cherniefarrna 53,56, 196 - Urteil Fediol 79,81,83,86 - UrteilIsoglukose 63, 196 - Urteil Meroni 63, 189 - Verkehrsurteil26, 60, 81, 187 - Vorverfahren 48, 188, 210 Gewaltenteilung, interinstitutionelle 15, 105,283,304 Gleichbehandlung, Männer und Frauen 96, 97,216 Gleichberechtigung, interinstitutionelle 82, 183,185,200 Großbritannien - Briten-Rabatt 142, 145, 146 - Premierminister Blair 145,276,278, 281, 283,304 Grundrechtscharta 276 Handelspolitik 120, 180 Herren der Verträge 48, 290, 291 Humboldt-Rede 276 Initiativrecht - indirektes 36, 168, 192,217,254,271 - konkurrierende 34, 88, 169, 174,275 - subsidiäres 264, 266, 267, 274 - verstärktes Aufforderungsrecht 169, 287 interinstitutionelle Vereinbarung - Kommission - EP, Rahmenvereinbarung 85,91,105,206,216,217,246,248,250, 252,260,268,269,272,273, - Kommission - EP, Verhaltenskodex 70, 84, 85, 90, 198, 216, 239, 240, 244, 260, 267,273 Jahresgesetzgebungsprogramm - rolling programme 236, 251 Justiz- und Innenpolitik (PJZS) 38, 44, 47, 126, 159, 162 - Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 34
Kartellverordnung 161,212,213 Kohärenzgebot 40, 41 Kommission, Europäische - A-Punkte-Verfahren 101 - Andriessen-Bericht 215, 228, 247, 259, 268 - Beiträge zum EU-Verfassungskonvent 298,301,306 - Direktwahl, Kommissionspräsident 19, 91, 190, 199, 215, 227, 228, 230, 231, 280,294,305,306 - Generalsekretär 101, 116,252 - Gesamtbericht 29, 203 - Grünbuch 100, 101,225 - Hohe Behörde 30, 188, 189 - Hüterin der Verträge 83, 140, 184, 282, 285,287 - Investiturrecht 203 - Juristischer Dienst 50, 101, 166 - Mißtrauensvotum 204 - Präsident De10rs 24, 129, 132, 229, 235, 239,296 - Präsident Hallstein 106, 113, 136, 137, 210,213,214 - Präsident Prodi 15, 132, 133, 149, 155, 245,249,251,271,282,284,306,307 - Präsident Santer 59, 94, 95, 132, 133, 148,149,237,271,299 - Rücktritt 133, 148,203 - Vetorecht 76,178,185,199 - Weißbuch 24, 29, 96, 100, 236, 250, 276, 283 Landwirtschaft, Agrarsubventionen 142 low-visibility-Politik 225 Luxemburger Beschlüsse 117, 119, 135, 155,214 Ministerialbürokratie 116,303 negotiation box 143, 146 Nichtigkeitsklage 193, 197,202 Normenflut 297
Österreich 16, 145, 150 Parlament, Europäisches - Abgeordnetenstatut 32
Sachverzeichnis - Ausschuß für konstitutionelle Fragen 253, 254 - Dehousse-Bericht 211, 212 - demokratische Legitimation 197, 226, 230 - Direktwahlakt 32 - europäische Parteien 294, 302 - Fragerecht 203 - Furier-Bericht 209, 210 - Juristischer Dienst 293 - Konferenz der Präsidenten 217,219,235, 253,257 - Lamassoure-Bericht 289 - Martin lI-Bericht 265 - Neunreither-Gruppe 244 - power of delay 197 - Umweltausschuß 225 - Untersuchungsrecht 237 Personenverkehr 45,201,259 Rat, Europäischer - Gipfeltreffen 96, 128, 129, 143, 145, 149, 152,163,282 - Richtlinienkompetenz 122, 281 - sweeteners 145 Rechtsetzung, gemeinschaftliche - Anhörungsverfahren 59, 70, 105, 193, 195,198,200,205,207 - Konsultationsverfahren 106, 198, 199 - Konzertierungsverfahren 198 - Vermittlungsausschuß 18,73,200 - Zusammenarbeitsverfahren 74, 89, 90, 199,200 - Zustirnrnungsverfahren 202 Selbstbindung, Gemeinschaftsorgane 26, 85, 232,233,270 Selbstorganisationsrecht, Gemeinschaftsorgane 218, 232 Sozialpolitik 23, 95, 174, 244 Spanien, Ministerpräsident Aznar 145, 278, 281,283,304 Spierenberg-Gruppe 119 Subsidiarität 27,64,241,252,253,256,301 - Arbeitsgruppe 27,301 - Bericht79 - Bogen 27, 300
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- Prinzip 27, 78, 300, 301 - Protokoll 78 Tabak-Werbeverbot 59,223 Übergangszeit 34,35,37,45,46, 174 Umweltschutz 120,225 Untätigkeitsklage 26, 38, 80, 162, 186, 189, 234,259,267,270,273 Verfassungskonvent - Arbeitsgruppe 27, 301 - EU-Präsident, Wahl 277, 280, 281, 306 - Kommissionspräsident, Wahl 277, 304, 306 - Plenarsitzung 91, 289 - Präsident 49 - Präsidium 49,235,289,291,307 - Vorentwurf des Verfassungsvertrags 291 Verfassungsvertrag, Europäischer 279, 280, 298 Verhältnismäßigkeitsprinzip 64, 253 verstärkte Zusammenarbeit 37,170 Vertrag von Amsterdam - Reflexionsgruppe 172, 173,271,302 Vertragsänderung 45, 46, 48, 71, 91, 117, 186,232,233,302 Visa 45,201 Völkerrecht 42, 231 - UN-Sicherheitsrat 42 Währungsausschuß 106 Wegfall der Geschäftsgrundlage 82 Weißbuch 24, 29, 96, 100, 236, 250, 276, 283 Wettbewerbsrecht 161,171,193 Wirtschafts- und Sozialausschuß 95, 107, 155, 156, 174 Wirtschafts- und Währungsunion 106, 129, 160,197,265 Wirtschafts sanktionen 41, 43 - Embargo 41, 42, 171 - Haiti 43 Zwei-Kammer-System 200,279,291,292 zwischenstaatliche Zusammenarbeit 34, 38, 173,281,283,285