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German Pages 186 [183] Year 2007
Dieter Specht (Hrsg.) Insourcing, Outsourcing, Offshoring
GABLER EDITION WISSENSCHAFT Beiträge zur Produktionswirtschaft Herausgegeben von Professor Dr.-Ing. habil. Dieter Specht
Die Reihe enthält Forschungsarbeiten und praxisrelevante Schriften zu aktuellen Themenstellungen in der Produktion. Sie unterstützen Management und Forschung bei der Aufgabe, die Produktion in Planung, Organisation, Prozessen und Logistik zu optimieren und weiter zu entwickeln. Behandelt werden sowohl das Management des Betriebes als auch methodische und betriebswirtschaftliche Fragestellungen einschließlich der Schnittstelle zur Technik. Die Schriftenreihe ist als offene Plattform für hervorragende Arbeiten in den genannten Gebieten konzipiert.
Dieter Specht (Hrsg.)
Insourcing, Outsourcing, Offshoring Tagungsband der Herbsttagung 2005 der Wissenschaftlichen Kommission Produktionswirtschaft im VHB
Deutscher Universitäts-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage August 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Nicole Schweitzer Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0830-4
V Vorwort _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Vorwort Dieser Band enthält eine Schriftfassung der Beiträge, die während der Herbsttagung der wissenschaftlichen Kommission für Produktionswirtschaft im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre im September 2005 vorgetragen und erörtert wurden. Die Thematik des Insourcing, Outsoursing, Offshoring ergab sich aus den nachhaltigen Veränderungen der Warenströme sowie der Produktion, die im Zuge der Globalisierung entstehen. Für Unternehmen ist von essenzieller Bedeutung, wie die Gütererzeugung in globalen Wertschöpfungsketten optimiert werden kann und mit welchen Maßnahmen sich die enormen Differenzen in den Kostenstrukturen, aber auch in den Arbeitskulturen der beteiligten Länder zu Erhaltung und Optimierung der eigenen Leistungsangebote nutzen lassen. Das Buch ist für alle von Interesse, die an der wissenschaftlichen Diskussion über das angesprochene Thema teilhaben wollen. Es beschreibt in 8 Beiträgen praktische und grundsätzliche Fragen der Gütererzeugung in einer globalisierten Wirtschaft. Ich danke den Autoren und Kollegen Gerhard F. Knolmayer (Universität Bern), Horst Wildemann (TU München), Andreas Größler (Radboud University Nijmegen), Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals (European Business School OestrichWinkel), Rudolf O. Large (HTW des Saarlandes), Christiane Mauch (TU München), Norbert Gronau und Claudia Müller (Universität Potsdam) für die Anfertigung der Beiträge.
Dieter Specht
VII Inhaltsverzeichnis _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Inhaltsverzeichnis Gerhard F. Knolmayer Sourcing-Entscheidungen aus den Perspektiven des Produktions- und Informationsmanagements ....................................................................................................1 Horst Wildemann Unternehmensstandort Deutschland: Auch in Deutschland lässt sich Geld verdienen! ..............................................................................................................................31 Dieter Specht, Markus Lutz Outsourcing und Offshoring als strategische Handlungsalternativen ........................43 Andreas Größler Effekte des In- und Outsourcing in einem systemdynamischen Modell strategischer Fähigkeiten ....................................................................................................61 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals Offshoring: Analyse der Hintergründe und Potenziale .................................................85 Rudolf O. Large Outsourcing von komplexen logistischen Dienstleistungen: Dokumentenanalyse und Überlegungen zum Erfolg der Kontraktlogistik auf Basis des Beziehungsmarketings und der Transaktionskostentherie ..........................................107 Christiane Mauch Outsourcing von IT-Leistungen: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung im deutschsprachigen Raum .............................................................................................131 Norbert Gronau, Claudia Müller Multiperspektivischer Ansatz zur Analyse von Wissen in Wertschöpfungsnetzwerken ............................................................................................157 Autorenverzeichnis ...........................................................................................................179
Sourcing-Entscheidungen 1 _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Sourcing-Entscheidungen aus den Perspektiven des Produktionsund Informationsmanagements Gerhard F. Knolmayer
Problemstellung In den letzten Jahrzehnten zeigt sich eine Tendenz zu immer stärkerer Arbeitsteilung: Die Wertschöpfung der Unternehmen sinkt, entsprechend steigt der Anteil zugekaufter Leistungen.1 Im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft werden sowohl Sachgüter als auch Dienstleistungen zunehmend aus fernen Regionen bezogen. Dieser Sachverhalt ist zu einem zentralen betriebswirtschaftlichen, wirtschaftspolitischen und gesellschaftlichen Phänomen geworden und wird unter Schlagworten wie Globalisierung, Produktions(stätten)verlagerung und Offshoring (als Spezialform des Outsourcings) breit diskutiert. In der „Purchasing Performance Excellence“-Studie 2006 gaben 92% der antwortenden Unternehmen an, den Anteil der auf globalen Märkten beschafften Güter und Dienstleistungen ausbauen zu wollen.2 Der Begriff Outsourcing wird überwiegend für die externe Erfüllung von Informationsverarbeitungs (IT)-Aufgaben verwendet. Das damit verbundene Phänomen bildet einen wichtigen Untersuchungsgegenstand der Theorie des Informationsmanagements. Bei seiner Analyse werden Erfahrungen, die bei der Auslagerung anderer betrieblicher Aufgaben gemacht wurden, wenig berücksichtigt. Handkehrum vernachlässigen Arbeiten, die sich mit dem Fremdbezug von Sachgütern beschäftigen, die in der Theorie des Informationsmanagements erzielten Ergebnisse weitgehend. Dibbern et al. erwarten, dass bei Analyse von Auslagerungsphänomenen andere wissenschaftliche Disziplinen das Gebiet des Informationsmanagements erstmals als „leader and key resource on a subject“ wahrnehmen würden.3 Angesichts der Berührungsängste, welche in der traditionellen Betriebswirtschaftslehre gegenüber in der Wirtschaftsinformatik erarbeiteten Ergebnissen zu bestehen scheinen, ist jedoch anzunehmen, dass sich diese Prognose kaum erfüllen wird. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die bisher weitgehend unabhängig voneinander betrachteten Phänomene der Auslagerung industrieller Produktionsprozesse und von IT-Aufgaben und vergleicht die in Verbindung mit ihnen in der Betriebs1 2 3
Vgl. etwa Sinn (2005), S. 96ff.; Wildemann (2005b), S. 196ff. Stölzle, Kirst (2006) Dibbern et al. (2004), S. 90
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wirtschaftslehre artikulierten Sichtweisen, die referenzierten Theorien, die entwickelten Erklärungs- und Entscheidungsmodelle und die vorliegenden Erfahrungen.
Sourcing-Alternativen Unter Sourcing verstehen wir die Bereitstellung von Sachgütern und Dienstleistungen, die sowohl intern als auch extern erstellt sein können. Bei Betrachtung der Dienstleistungen konzentrieren wir uns auf die Informationsverarbeitung. Den Begriff Outsourcing und seine Spezialisierungen als Co-Sourcing, Rightsourcing, Outtasking, Offshoring oder Nearshoring verwenden wir ausschließlich im Zusammenhang mit der Auslagerung von IT-Aufgaben.
Bereitstellung von Sachgütern Die ältere Betriebswirtschaftslehre erörtert Entscheidungen über die Beschaffung von Sachgütern unter den Begriffspaaren „Eigenfertigung oder Fremdbezug“ bzw. „Make or Buy“. Neuere Sichtweisen vermitteln ein differenzierteres Bild von den organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten und berücksichtigen auch hybride Organisationsformen. Soll die Produktion von Sachgütern in kostengünstigere Regionen verlagert werden, so kommen neben einem Fremdbezug auch Direktinvestitionen in Betracht, die zu einer Verlagerung der Leistungserstellung an andere, meist neue Konzernstandorte führen. Direktinvestitionen können auch in Form von Joint Ventures mit einem Partner erfolgen, der in der gewählten Region Erfahrungen besitzt. Kooperationen zwischen Lieferanten und Kunden werden vor allem im Supply Chain Management betrachtet; dabei wird eine zumindest mittelfristige Zusammenarbeit angestrebt und es können über Kaufverträge hinausgehende Vereinbarungen bestehen. Lockere Partnerschaften können einen Know-How-Transfer zu den Lieferanten, aber auch zu den Kunden bewirken4 und zu Abhängigkeiten und Verschlechterungen der künftigen Wettbewerbsposition führen. Die Bedeutung produktionstechnischer Auslagerungen ist branchenspezifisch unterschiedlich.5 Teilefertigung wird häufiger als Montage ausgelagert und mit der externen Aufarbeitung gebrauchter Produktkomponenten sind spezielle AgencyProbleme verbunden.6
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Manche internationale Großaufträge erfordern, dass den Kunden Unterstützung beim späteren Aufbau eigener Produktionsprozesse zugesagt wird; vgl. etwa Leixnering (2005) Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 23ff. Atasu, van Wassenhove (2005)
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Bereitstellung von IT-Leistungen Outsourcing ist ein 1989 in Verbindung mit dem Entschluss von Eastman Kodak, die IT-Aktivitäten an IBM, Digital Equipment und Businessland auszulagern, entstandenes Kunstwort.7 Selbstverständlich wurden aber bereits vor diesem Zeitpunkt externe IT-Dienstleister beschäftigt.8 Die Vorgehensweise von Kodak hat unter folgenden Gesichtspunkten großes Fach- und Medieninteresse ausgelöst: • Mit Kodak lagerte ein Großunternehmen mit unbestreitbaren Kompetenzen im IT-Bereich seine Informationsverarbeitung aus. • Die Auslagerung erfolgte überwiegend an Hersteller von Kodak betriebener Hardware-Systeme. • Es wurden mehrere Dienstleister unter Inkaufnahme der dadurch zusätzlich entstehenden Schnittstellen gewählt. Bemerkenswert ist, dass heute insbesondere Großunternehmen Outsourcing anwenden; früher waren vor allem KMU als Kandidaten für eine „Datenverarbeitung außer Haus“9 angesehen worden. Nach herrschender Auffassung sollten strategische IT-Aufgaben nicht an Dritte übertragen werden; aber auch bei den operativen Aufgaben erfolgt oft nur eine selektive, deshalb zuweilen als „Outtasking“ bezeichnete Auslagerung. Ein Know-howTransfer über die betroffenen IT-Systeme an den Dienstleister ist bei Outsourcing unumgänglich. Werden die Wissensträger nach dem Übergang auf Outsourcing frei gestellt, kann dieses Know-how zu einem späteren Zeitpunkt fehlen. Wird eine IT-Aufgabe (aus Sicht der USA) jenseits der großen Meere ausgelagert, so wird der Begriff Offshoring verwendet. Aus westeuropäischer Perspektive werden insbesondere Auslagerungen nach Osteuropa als Nearshoring bezeichnet. Am vor allem von Outsourcing-Anbietern verwendeten Begriff „Managed Services“ missfällt, dass auch intern erbrachte Leistungen „gemanaged“ werden müssen. Weiter werden Kooperationen wie „Shared Service“- oder „Shared-ServiceBroker“-Organisationsformen betrachtet und in diesem Zusammenhang Anzahl und Standortwahl der Organisationseinheiten erörtert.10 Unterschieden wird zwischen dem Brownfield Approach, bei dessen Umsetzung das Shared Service Center an einem bereits bestehenden Standort eingerichtet wird, und dem (wesentlich seltener anzutreffenden) Greenfield Approach.11 7 8 9 10 11
Zu frühen Veröffentlichungen zu Outsourcing vgl. Caldwell (1989); Kirkley (1989); Kelly (1990); Knolmayer (1991) Zu (anders benannten) frühen Outsourcing-Aktivitäten in den USA vgl. Dibbern et al. (2004), S. 7ff. Vgl. etwa Heinrich (1969) Für eine Übersicht vgl. Hermes, Schwarz (2005); Keuper, von Glahn (2005) Hermes, Schwarz (2005), S. 109
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„Application Service Providing“ (ASP) ist eine Spezialform des Outsourcings,12 bei der über ein Netz stark standardisierte IT-Leistungen bezogen werden können. Ein ASP-Anbieter stellt für mehrere Kunden eine sehr ähnliche, meist branchenspezifische Applikation bereit und passt diese nur geringfügig den jeweiligen Anforderungen der Anwender (etwa bei der Formular- und Briefgestaltung) an. ASP ist primär für kleinere Unternehmen gedacht, die aus Ressourcengründen keine komplexe SoftwareLösung betreiben können, aber von solchen Systemen bereitgestellte Leistungen nutzen möchten. Direktinvestitionen besitzen bei Auslagerung der IT in andere Regionen geringe Bedeutung. Dies kann darin begründet sein, dass oft nicht nur Kostenvorteile, sondern auch Qualitätsverbesserungen angestrebt werden. Die spätere Übernahme eines im Ausland angesiedelten externen Dienstleisters wird mit dem Begriffstripel „Build Operate - Transfer“ umschrieben.13 Zuweilen gehen Unternehmen in Verbindung mit IT-Offshoring Joint Ventures ein; dies wird darauf zurückgeführt, dass die Transaktionskosten bei Offshoring wesentlich höher als bei einem lokal ausgerichteten Outsourcing seien.14 Joint Ventures können aber auch in jener Region angesiedelt sein, in denen die IT-Leistungen benötigt werden; so wurde z.B. in der Startphase der Outsourcing-Beziehung das Unternehmen ITpro als (nur vorübergehend bestehendes) Joint Venture zwischen Novartis und IBM gegründet.15
Vergleichende Gegenüberstellung ausgewählter Sachverhalte Gründe für externe Leistungserstellung Die ältere Betriebswirtschaftslehre sieht die Entscheidung zwischen Eigenfertigung und Fremdbezug von Sachgütern vor allem unter dem Gesichtspunkt, ob die interne oder externe Bereitstellung bestimmter Vorprodukte kostengünstiger ist.16 Dabei können Grenzkosten, Vollkosten oder auch Opportunitätskosten angesetzt werden. Die Berücksichtigung von Fixkosten erlaubt die Berechnung kritischer Mengen, bei deren Überschreiten Eigenfertigung kostengünstiger wird.17 Da überwiegend operative Entscheidungen betrachtet werden, wird primär ein Bezug der Güter bei bereits existierenden Anbietern unterstellt. 12 13 14 15 16 17
Vgl. etwa Knolmayer (2000) Reupert (2005), S. 17 Qu, Brocklehurst (2003), S. 65 Diemer (2000), S. 64f.; zu weiteren Joint Ventures im IT-Bereich vgl. Söbbing (2002), S. 46 Vgl. etwa Lücke (1960), S. 71f.; Kilger (1973), S. 283ff.; Männel (1981), S. 89ff. Lücke (1960), S. 72
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Qualitätsgesichtspunkte werden meist als vernachlässigbar angesehen, weil (zumindest implizit) unterstellt wird, die eigenerstellten und fremdbezogenen Güter seien homogen und damit qualitativ gleichwertig.18 Erst in den letzten Jahren werden der Charakter der Make-or-Buy-Entscheidung als multikriterielles Entscheidungsproblem betont und entsprechende Modelle präsentiert.19 Entscheidungen für Outsourcing werden sowohl mit Kosteneinsparungen als auch mit strategischen Konzepten begründet. Die relative Bedeutung dieser beiden Einflussgrößen wird kontrovers beurteilt. Outsourcing biete die Möglichkeit, fixe Kosten der Informationsverarbeitung durch mit der Inanspruchnahme externer Dienstleistungen variierende Kosten zu ersetzen. Aus strategischer Sicht wird argumentiert, dass für viele Anwender die IT keine Kernkompetenz darstelle, das Management wegen der Komplexität der IT-Aufgaben überfordert sei und einen unangemessen großen Teil seiner knappen Kapazitäten IT-Geschäften widmen müsse. Erörtert werden auch die mit Auslagerungen verbundenen Kompetenzverluste und die daraus resultierenden Abhängigkeiten von Externen. Es wird aber auch diskutiert, ob Auslagerungen eine Professionalisierung der Informationsverarbeitung und damit sowohl eine qualitative Verbesserung als auch eine Kostenreduzierung ermöglichen. Bei Einschätzung der Qualität der extern zu erbringenden Leistungen besteht ein deutlicher Unterschied zwischen dem Fremdbezug von Sachgütern und ITLeistungen, weil beim Übergang zur externen Herstellung von Sachgütern kaum Qualitätsverbesserungen erwartet werden; vielmehr werden eher Qualitätseinbussen befürchtet und es stellt sich die Frage, ob diese aus Sicht der Weiterverarbeitung und der Kunden akzeptabel sind. Im Gegensatz dazu wird von einem externen ITDienstleister oft eine gegenüber der internen Leistungserstellung verbesserte Qualität der Dienstleistung gefordert. Bemerkenswert ist, dass rund 75% der Unternehmen, deren IT nach dem höchsten Level des CMMI20 zertifiziert ist, in Indien domiziliert sind.21 Gleichwohl ist ein kritischer Aspekt von Outsourcing das Erwartungsmanagement: Es sollte sichergestellt werden, dass die Benutzer nicht zu hohe Erwartungen an die der Auslagerung zugeschriebene Professionalisierung der Informationsverarbeitung hegen, da diese (unter Berücksichtigung der meist ebenfalls vereinbarten Kostenreduzierung) oft nicht erfüllt werden und daraus negative Einschätzungen des Dienstleisters und der von ihm erbrachten Leistungen resultieren können. 18 19 20 21
Zu möglichen Qualitätsunterschieden und ihren Auswirkungen vgl. insbes. Männel (1981), S. 49ff., S. 291ff. Vgl. etwa Padillo, Diaby (1999); Akarte et al. (2001); Platts, Probert, Cáñez (2002) sowie für IT-Outsourcing Godwin (2000) Zum Capability Maturity Model (CMM) und seiner Weiterentwicklung zu CMMI vgl. Carnegie Mellon Software Engineering Institute (2005) Vgl. Deutsche Bank Research (2005), S. 6: Von 80 Software-Unternehmen, die 2003 weltweit mit Level 5 bewertet wurden, stammen 60 aus Indien.
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Durch Auslagerung zuvor intern erfüllter Aufgaben können Fixkosten abgebaut werden und Erlöse für die Übertragung des nicht mehr im eigenen Eigentum stehenden Anlagevermögens anfallen. Hinter manchen IT-Auslagerungen werden wirtschaftliche Probleme vermutet; durch Auflösung stiller Reserven sollen attraktivere Jahresabschlüsse und Liquiditätsverbesserungen resultieren.22 Mit der Übernahme von Anlagen liegt in Deutschland typischerweise ein Betriebsübergang vor, der einen besonderen Kündigungsschutz bewirkt.23 Bei Verlagerung industrieller Produktion werden hingegen bestehende Produktionsanlagen eher selten vom künftigen Lieferanten übernommen und auch bei Direktinvestitionen wird oft von aufwändigen Transfers gebrauchter Anlagen Abstand genommen. Beim Abbau von Ressourcen am bestehenden Standort sind mögliche Kostenremanenzen zu berücksichtigen.24 Outsourcing-Dienstleister versuchen oft, die ihren Kunden zu erbringenden Leistungen zu vereinheitlichen, um Economies of Scale realisieren zu können. Bei Beschaffung von Sachgütern dürfte dieser Sachverhalt geringere Bedeutung besitzen. Allerdings kann z.B. durch Verwendung von Normteilen die Spezifikation der gewünschten Leistungen vereinfacht werden. Einigen Spielraum in der Diskussion um Outsourcing nehmen Risiko-Aspekte ein.25 Als wichtigste Risikofaktoren von Offshoring werden genannt:26 • Politische Risiken • Rechtliche Probleme, Einhaltung der Regelungen über geistiges Eigentum und der Verträge • Verletzbarkeit der Information, Sicherheitsgesichtspunkte • Unreife Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit • Soziokulturelle Probleme. Die Abhängigkeit vom Dienstleister kann zudem bei einer Vertragsverlängerung zu überhöhten Entgeltforderungen führen. Auch die Möglichkeit zur Auslagerung der für bestimmte Compliance-Nachweise erforderlichen Kontrollschritte kann ein Motiv für IT-Outsourcing sein. Allerdings müssen die geforderten Nachweise auch durch die Dienstleister (z.B. in Form von SAS 70 Reports) erbracht werden.27 Insbesondere im Bankenbereich werden die Möglichkeiten zu Offshoring durch Regulatoren beschränkt.28 Ähnliche Beschrän-
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Vgl. etwa Goo, Kishore, Rao (2000), S. 605; Kleiner, Müller, Köhler (2005), S. 13; Blöse (2006) Vgl. etwa Höhmann (2006) Vgl. Lay et al. (2001), S. 93 Vgl. etwa Loh, Venkatraman (1995); Earl (1996); Bahli, Rivard (2001) Djavanshir (2005), S. 35 Knolmayer (2007) Vgl. Hadding, Hopt, Schimansky (2001); Basel Committee on Banking Supervision (2004)
Sourcing-Entscheidungen 7 _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
kungen im Sachgüterbereich sind z.B. bei Importverboten ausländischer Lebensmittel denkbar.
Vertragstypen und Komplexität der Leistungsbeziehung Extern beschaffte Sachgüter werden in der Regel auf Basis von Kaufverträgen bereitgestellt. Die Anforderungen können meist klar spezifiziert und ihre Erfüllung bei Lieferung lässt sich zumindest stichprobenweise prüfen. Bei enger Zusammenarbeit können Rahmenverträge existieren, die beiden Seiten erhöhte Planungssicherheit gewähren. Konzepte aus dem Supply Chain Management sehen zudem unterschiedliche Formen eines Informationsaustauschs zwischen kooperierenden Partnern vor.29 Outsourcing ist ein komplexerer Vorgang als der Kauf von Sachgütern30 und erfordert auf Grund der langjährigen Zusammenarbeit mit kontinuierlichem Leistungsaustausch u.a. den Aufbau von Vertrauen und besonders sorgfältig formulierte Verträge. Bei Outsourcing-Beziehungen werden über die Zeitdauer der meist mittel- bis langfristigen Vertragsperiode hinweg quantitativ und qualitativ unterschiedliche Leistungen erbracht, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wegen der sich ändernden Benutzeranforderungen und wegen des rasanten technischen Fortschritts in der IT noch gar nicht präzise definiert werden können. Outsourcing-Verträge umfassen eine Vielzahl von Service Levels,31 wobei Messprobleme auftreten können. Unter anderem werden auch weiche Faktoren z.B. auf Basis von Zufriedenheitsanalysen bei den Kunden berücksichtigt. Wesentlich sind regelmäßige Kommunikationsbeziehungen auf allen Unternehmensebenen, insbesondere aber zwischen dem Account Manager des Dienstleisters und dem auf Seiten des Kunden für die Outsourcing-Beziehung verantwortlichen Mitarbeiter. Bei Betrachtung der Auslagerung von IT-Aufgaben wird sehr differenziert argumentiert, welche Arten von Aufgaben sich für Offshoring eignen. Ähnlich differenzierte Betrachtungen liegen, nicht zuletzt wegen der größeren Heterogenität industrieller Produktionsprozesse, für die Verlagerung von Sachgüterproduktionen nicht vor. Dem Outsourcing des IT-Betriebs ist bei der Sachgüterherstellung das Betreibermodell verwandt, in dem der Produzent die von ihm erstellte Anlage beim Kunden betreibt.32 Bei einem Outsourcing des IT-Betriebs werden von den Dienstleistern aber in der Regel nicht eigenerstellte Produkte, sondern von Dritten hergestellte Hard- und Software eingesetzt. Das „Pay-on-Production“-Modell wird als Spezialfall des Betreibermodells interpretiert, bei dem der Lieferant zusätzlich noch das Personalrisiko 29 30 31 32
Vgl. etwa Li (2002); Dudek (2004), S. 35ff. Davies (2004) Vgl. etwa Hiles (2002a); Hiles (2002b) Vgl. etwa Wildemann (2005c)
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trägt.33 Bei Outsourcing des IT-Betriebs wird vielfach vom Dienstleister das Personal des Kunden übernommen, woraus eine spezielle Form des Personalrisikos resultiert. Zunehmend findet sich die Befürchtung, qualifizierte Tätigkeiten wie Forschung und Entwicklung könnten der Abwanderung der Fertigungsprozesse folgen.34 Beim IT-Outsourcing stand von vornherein die Auslagerung qualifizierter Aufgaben im Vordergrund.
Standorte der externen Partner Die Standorttheorie beschäftigt sich bevorzugt mit der räumlichen Positionierung von Unternehmen als Ganzes und nicht mit der Positionierung kleinerer Organisationseinheiten.35 Sie geht zudem häufig von neu zu gründenden Unternehmen aus; die Verlagerung eines bestehenden Unternehmens mit am derzeitigen Standort anfallenden Auswirkungen wird in der traditionellen Standorttheorie selten analysiert. Mit der Standortwahl verbundene Entscheide, ob und welche Leistungen in eigene Organisationseinheiten ausgelagert und wo diese gegebenenfalls loziert werden sollten, werden ebenfalls kaum erörtert. Die klassische Standorttheorie stellt Kostengesichtspunkte in den Vordergrund; besondere Bedeutung wird den Transportkosten beigemessen. Eine Verlagerung industrieller Aktivitäten wird insbesondere mit erheblichen Unterschieden in den Arbeitskosten begründet. Zwar machen Lohnaufwendungen in Verlust- und GewinnRechnungen von Industrieunternehmungen nur einen kleinen Teil des Aufwands aus. Allerdings sind in den Anschaffungskosten fremd bezogener Teile ebenfalls Lohnkostenanteile enthalten, so dass der Prozentsatz der in einer Supply Chain anfallenden Arbeitskosten nicht durch isolierte Betrachtung eines Unternehmens unterschätzt werden darf. Wenngleich auch innerhalb eines Staates Lohnkostenunterschiede (z.B. zwischen attraktiven Agglomerationen und abgelegenen Gebieten) bestehen, bilden doch meist international bestehende Lohnkostenunterschiede den Auslöser für Standortverlagerungen. Innerhalb einer Region werden dabei nicht nur die direkten Lohnkosten pro effektiv geleistete Arbeitsstunde, sondern auch die Lohnnebenkosten verglichen, wodurch unterschiedliche Arbeitszeiten, Ausfallzeiten und Sozialabgaben relevant werden.36 Zudem werden die Lohnkosten auf die erbrachte Leistung bezogen, um unterschiedliche Produktivitäten zu berücksichtigen.37 33 34 35 36 37
Weissenberger-Eibl (2003), S. 12f. sowie Bellmann (2002) Wildemann (2005a), S. 21f. Zur aktuellen Umsetzung solcher Konzepte vgl. Han (2006) Eine Ausnahme bildet die in der Distributionslogistik betrachtete Positionierung von Lagerstätten; vgl. etwa Hummeltenberg (1981) Vgl. etwa Schröder (2005a), S. 17ff. Vgl. etwa Schröder (2005b)
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Lange Listen von „Standortfaktoren“38 und „Location Control Scorecards“39 zeigen, dass neben Kostenunterschieden viele weitere Kriterien in Standortentscheidungen zu berücksichtigen sind. Zunehmend besitzt auch der Einfluss von Finanzanalysten und der Medien Bedeutung, die den Verzicht auf eine Verlagerung als Indiz für eine nicht an den Interessen der Shareholder ausgerichtete Unternehmensführung interpretieren.40 Betrachtet man die Zielregionen von Produktionsverlagerungen, so wird die omnipräsente Vorstellung von Verlagerungen nach Asien oder Osteuropa überschätzt: Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Nähe zu den Absatzmärkten erfolgen auch Verlagerungen nach Westeuropa und Nordamerika.41 Allerdings werden für Verlagerungsentscheidungen Kostengesichtspunkte im Vergleich zur Marktnähe immer wichtiger. Bei Outsourcing von IT-Aufgaben stand ursprünglich nicht die Verlagerung der Leistungserstellung in andere Regionen im Vordergrund. Vielfach werden IT-Mitarbeiter von den Dienstleistern übernommen und Rechenzentren teilweise am bisherigen Standort weiter betrieben. Beispielsweise erfordert ein Outsourcing des Benutzer-Supports,42 dass ein Teil der Leistungen direkt an den Standorten der Benutzer erbracht wird und eine synchrone Kommunikation möglich ist. Bei einer Sachgüterproduktion im fernen Ausland können erhebliche Transportzeiten entstehen, die insbesondere bei sich rasch wandelnden Kundenpräferenzen (etwa bei modischen Produkten der Textilbranche) ein Hemmnis darstellen. Mit dem Seetransport sind erhebliche Verzögerungen und Risiken verbunden.43 Aus ökologischer Perspektive wird kritisiert, dass die heute entstehenden Transportkosten nicht die gesamten sozialen Kosten der Mobilität umfassen44 und damit die globalisierte Leistungserstellung günstiger erscheint als sie bei ganzheitlicher Betrachtung ist. Der Nachteil der räumlichen Entfernung lässt sich durch Produktpolitik teilweise kompensieren. So nehmen japanische Automobilproduzenten durch großzügige Ausstattungspakete (zum Zeitpunkt der Produktion noch nicht artikulierte) Ausstattungswünsche der Kunden vorweg und operieren mit einer geringeren Variantenvielfalt als die europäischen Hersteller; diese Produktpolitik hat zur Konsequenz, dass der Kunde auch (jedenfalls zunächst) nicht gewünschte Produktfunktionen erwirbt.45 Neben 38 39 40 41 42 43 44 45
Vgl. etwa Hummel (1997), S. 85ff. Für eine Übersicht über empirische Untersuchungen zu Standortfaktoren vgl. Bankhofer (2001), S. 54ff. Kinkel (2004), S. 324ff. Vgl. Boes (2004), S. 133ff. Vgl. etwa Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 13. Vgl. etwa Knolmayer (1994). Nach Hogan (2004), S. 78 gehen jährlich etwa 10.000 Container verloren. Vgl. etwa Steininger (2001), S. 110ff.; INFRAS/IWW (2004), S. 23ff. Zur damit verbundenen Problematik Vgl. Knolmayer (2002), S. 4f.
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der räumlichen Distanz sind aber auch sozioökonomische Formen der Distanz relevant.46 In den letzten Jahren hat Offshoring und Nearshoring in Länder, in denen bei vergleichsweise niedrigen Löhnen gute IT-Qualifikationen vorliegen, an Bedeutung gewonnen. Im Gegensatz zu Sachgütern können viele IT-Leistungen über leistungsfähige Netzwerke innerhalb von Sekunden(bruchteilen) transportiert werden. Bei bestimmten Entwicklungs- und Support-Aufgaben beeinträchtigen aber unterschiedliche Zeitzonen eine synchrone Kommunikation. Gegen eine Verlagerung von Call Centers spricht, dass viele Kunden bevorzugt von einem Agenten mit ähnlichem soziokulturellen Hintergrund betreut werden wollen;47 ähnliches gilt wohl auch für virtuelle Help Desks zur IT-Unterstützung der Anwender. Bei der Standortwahl besitzen die Höhe von Steuern und Abgaben sowie gewährte Subventionen erheblichen Einfluss. Staaten und Regionen liefern sich einen Wettbewerb, der Verlagerungsentscheidungen beeinflusst. Die diffizilen Details der steuerrechtlichen Bestimmungen, ihre Variabilität und die in Verhandlungen mit der öffentlichen Hand auszulotenden Ermessensspielräume machen eine wissenschaftlich fundierte Berücksichtigung von Steuern und Abgaben in Standortentscheidungen schwierig. Steuerliche Auswirkungen von Outsourcing sind besonders heikel zu beurteilen und werden nur selten im Detail erörtert.48
Erklärungsmodelle und theoretische Analyse Arbeitsteilung ist ein Grundprinzip ökonomischen Denkens. Die Außenhandelstheorie beschäftigt sich mit den wechselseitigen Vorteilen, die aus der internationalen Arbeitsteilung resultieren können, und favorisiert einen freien Welthandel, durch den (wie letztlich bei jedem Vertrag aus subjektiver Sicht der Vertragspartner) „Win-WinSituationen“ geschaffen werden.49 Komparative Kosten entscheiden darüber, an welchen Standorten welche wirtschaftlichen Aktivitäten ausgeführt werden. Vor diesem Hintergrund hat eine Veröffentlichung von Samuelson große Aufmerksamkeit gefunden, in der er formal zeigt, dass der durch Freihandel bewirkte Produktivitätsanstieg unter bestimmten Voraussetzungen ausschließlich einer Volkswirtschaft zugute kommt, während die andere am Freihandel beteiligte Wirtschaft Einbußen erleidet.50 In einem wenig systematischen Überblick über Theorien zur Erklärung von Direktinvestitionen im Ausland werden 46 47 48 49 50
Ghemawat (2001) Vgl. etwa Lakshmi (2005) Vgl. zu derartigen Analysen z. B. Staudacher (2000), S. 302ff.; Söbbing (2002), S. 337ff.; Klafs (2004); Zwingel (2004); Hirshman (2005) Vgl. auch McKinsey Global Institute (2003) Samuelson (2004)
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• die klassische Kapitaltheorie, • die makroökonomische Theorie der Direktinvestionen von Kojima, • der Währungsraumansatz von Aliber, • die internationale Handels- und Investitionstheorie von Hirsch, • Ansätze der Industrieökonomik, • die Theorie oligopolistischen Parallelverhaltens von Knickerbocker, • die Produktlebenszyklustheorie von Vernon, • die behavioristische Theorie von Aharoni und • die Transaktionskostentheorie von Coase und Williamson51 als partialanalytische Erklärungen betrachtet und zur Erklärung der Verlagerungsneigung zusätzlich • Konzepte des Standortwettbewerbs, • der Ansatz von Hirschman, • Theorien der räumlichen Mobilität und • der situative Ansatz der Organisationstheorie herangezogen.52 Fremdbezug kann durch auf Economies of Scale oder Economies of Scope beruhenden Kostenvorteilen gekennzeichnet sein.53 Allfällige Vorteile werden jedoch durch vielfältige Formen von Transaktionskosten reduziert, deren Höhe in der Entscheidungsphase schwierig abzuschätzen ist. Dies gilt insbesondere für Auslagerungen in fremde Kulturräume. Zu den Transaktionskosten zählen • Suchkosten, • Anbahnungskosten, • Informationskosten, • Verhandlungskosten, • Entscheidungskosten, • Vereinbarungskosten • Abwicklungskosten, • Kosten des Wissenstransfers, • Reisekosten, • Absicherungskosten, • Restrukturierungskosten, • Durchsetzungskosten, • Governance Kosten, • Kontrollkosten,
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Vgl. Hardock (2000), S. 59ff., die allerdings den Abschnitt über die Transaktionskostentheorie mit Internalisierungstheorie überschreibt. Hardock (2000), S. 104ff. Baumol, Panzar, Willig (1982), S. 67ff.
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• Anpassungskosten und • Beendigungskosten.54 In der mikroökonomischen Transaktionskostentheorie werden insbesondere die Spezifität der zu erbringenden Leistungen, die Unsicherheit und die Häufigkeit der Leistungserstellung als Einflussgrößen betont. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive besitzen auch die strategische Bedeutung der Leistungen und die internen Kompetenzen zur Aufgabenerfüllung hohe Bedeutung.55 An der Transaktionskostentheorie wird ihre antagonistische Sichtweise kritisiert, die Formen der langfristigen Zusammenarbeit und Netzwerk-Organisationsformen zu wenig berücksichtige.56 Weiterführende Analysen ergeben z.B., dass bei Vorliegen von Lerneffekten die Modularität der Produktzusammensetzung, Abzinsungsraten, technischer Fortschritt und Nachfrageeigenschaften das Ausmaß des Fremdbezugs beeinflussen können.57 Die Transaktionskostentheorie ist der wohl wichtigste Ansatz zur Erklärung des Fremdbezugs sowohl von Sachgütern als auch von IT-Dienstleistungen. Zu Unrecht wird behauptet, dass sich die Transaktionskostentheorie fast ausschließlich mit der Bereitstellung von Sachgütern beschäftige und Dienstleistungen vernachlässigt würden.58 In der Regel analysiert die Transaktionskostentheorie aus der Perspektive des Nachfragers; es werden aber auch die bei Verlagerung von IT-Dienstleistungen in verschiedenen Staaten (konkret: in Indien und China) anfallenden Transaktionskosten verglichen. Zur Reduzierung dieser Transaktionskosten in OffshoringBeziehungen arbeiten oft zahlreiche Mitarbeiter der Dienstleister am Ort der Kunden;59 zunehmend gründen z.B. asiatische Anbieter kundennahe Tochtergesellschaften oder kaufen in lokalen Märkten tätige Unternehmen.60 Entscheidungen über die Auslagerung von Produktionsaktivitäten wurden auch aus dem Blickwinkel der Agency-Theorie erörtert.61 Eine wichtige Determinante des Ausmaßes des Fremdbezugs ist die Möglichkeit, alle relevanten Gesichtspunkte in Verträgen vollständig festlegen zu können;62 dies dürfte bei Fremdbezug von Sachgütern erheblich einfacher sein als bei jenem von IT-Leistungen.
54 55 56 57 58 59 60
61 62
Vgl. Windsperger (1983), S. 80; Albach (1988), S. 1160; Benkenstein, Henke (1993), S. 896; Carmel, Tjia (2005) Picot, Maier (1992), S. 22 Qu, Brocklehurst (2003), S. 55 Vgl. Anderson, Parker (2002) Qu, Brocklehurst (2003), S. 55 Qu, Brocklehurst (2003), S. 59ff. Vgl. United Nations (2004), S. 300; Pohl (2005), S. 202. In den USA hat sich von 1987 bis 2002 die Zahl der von ausländischen Unternehmen bereitgestellten Arbeitsplätze mehr als verdoppelt; vgl. Slaughter (2004), S. 3 Vgl. etwa Sridhar, Balachandran (1997); Chalos, Sung (1998); Iyer, Schwarz, Zenios (2005) Grossman, Hart (1986)
Sourcing-Entscheidungen 13 _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Alpar/Saharia beklagten 1995 Defizite in der theoretischen Analyse des Outsourcing-Phänomens.63 Die Beseitigung dieser Defizite war in der Zwischenzeit Anliegen vieler Forschungsbemühungen. De Looff beschäftigt sich mit Implikationen von sechs von ihm als „Organisationstheorien“ bezeichneten Gebiete • Arbeitsteilung, • Mikroökonomie, • Koordinationstheorie, • Transaktionskostentheorie, • Agency-Theorie und • Machttheorie zur Erklärung von IT-Outsourcing.64 Als Grundlage empirischer Forschung wird ein auf • der Resource-based theory, • der Resource-depence theory, • der Transaction cost theory und • der Agency cost theory beruhendes Framework vorgeschlagen.65 Ein anderes Framework entsteht durch Kombination der Resource-Based-View-Analyse mit einer auf Produktions- und Transaktionskosten beruhenden Effizienzanalyse.66 Dibbern, Güttler und Heinzl untersuchen 9 Theorien der Unternehmung im Hinblick auf ihre Eignung zur Erklärung selektiven Outsourcing-Verhaltens in der Informationsverarbeitung; betrachtet werden • die neoklassische Theorie, • die traditionelle Industrieökonomik, • die moderne Industrieökonomik und Spieltheorie, • die Verhaltenswissenschaften, • die Theorie der Verfügungsrechte, • die Principal-Agent Theory, • die Transaktionskostentheorie, • die Evolutorische Theorie und • die Resource-Based Theory.67 Als geeignete Erklärungsansätze werden insbesondere die Transaktionskostentheorie und die Resource-Based Theory angesehen und sechs Konstrukte • Umweltunsicherheit, • Verhaltensunsicherheit, 63 64 65 66 67
Alpar, Saharia (1995), S. 197f. De Looff (1995), S. 286 Cheon, Grover, Teng (1995), S. 211ff. Lammers (2004), S. 206ff. Dibbern, Güttler, Heinzl (2001), S. 679ff.
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• Human Asset Spezifität, • Spezifische Ressourcen und Fähigkeiten, • Strategische Bedeutung sowie • Ressourcen- und Fähigkeits-Defizite als Basis für einen multitheoretischen Bezugsrahmen einer konfirmatorischen empirischen Untersuchung definiert.68 Dibbern berücksichtigt später zusätzlich zu den 9 oben genannten Theorien die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Machttheorien, Ressourcen-Abhängigkeiten, Institutionellen Behaviorismus und die Theorie unvollständiger Verträge und analysiert damit 14 Theorieansätze.69 Outsourcing-Entscheidungen über die Entwicklung von IT-Systemen betrachten Amberg et al. aus der Perspektive • ressourcen-/kompetenzbasierter Modelle, • transaktionskostenbasierter Modelle, • risikobasierter Modelle sowie • multitheoretischer Modelle und bewerten diesen Ansätzen zugeordnete Veröffentlichungen inhalts- und prozessbezogen. Allerdings wird keines der Modelle im Hinblick darauf, ob es eine differenzierte Aussage über Outsourcing unterstützt, positiv beurteilt.70 Auch im Innovationsmanagement entwickelte Diffusionstheorien sind Kandidaten für eine Analyse des Outsourcing-Phänomens, weil dieses eine erhebliche organisatorische Innovation darstelle.71 In mehreren Arbeiten werden mögliche Weiterentwicklungen der theoretischen Analyse von Outsourcing-Phänomenen vorgeschlagen.72 Bemerkenswert ist, dass zum Outsourcing von IT-Aufgaben umfassendere empirische Forschungsergebnisse vorliegen als zur Auslagerung von Produktionsaufgaben.73 Zahlreiche Veröffentlichungen beschreiben die mit diesem Vorgehen verbundenen Erfahrungen,74 oft in Form von Lessons Learned oder so genannter Fallstudien, die aber oft eher Interview-Charakter besitzen. Es liegen aber auch hohen An-
68 69 70 71 72 73 74
Dibbern, Güttler, Heinzl (2001), S. 681ff. Dibbern (2004), S. 29ff. Amberg, Graf, Wiener (2005) Vgl. insbes. Loh, Venkatraman (1992); Hu, Saunders, Gebelt (1997) Vgl. Lee et al. (2000); Goo et al. (2000), S. 607f; Matiaske, Mellewigt (2002), S. 654f; Lee et al. (2003); Dibbern et al. (2004), S. 86ff. Dibbern et al. (2004), S. 90 Vgl. etwa Willcocks, Fitzgerald (1993); Hirschheim, Lacity (1998); Lacity, Willcocks (1998); Lacity, Willcocks (2000); Lacity, Willcocks (2003)
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sprüchen genügende empirische Studien vor,75 obwohl diese angesichts der unternehmenspolitischen und gesellschaftlichen Brisanz der Fragestellungen schwierig durchzuführen sind. Eine ähnlich breite und heterogene empirische Forschung liegt für die Sachgütererstellung nicht vor. Der informelle Informationsaustausch in Netzwerken von Vorständen und Aufsichtsräten besitzt erhebliche Bedeutung für Auslagerungsentscheidungen.76 Das Fehlen einer systematischen Sammlung von Fallstudien und Erfahrungen wird beklagt und wegen der Komplexität internationaler Standortentscheidungen bei Direktinvestitionen eine „Historieninventur“ der gemachten Erfahrungen gefordert.77
Entscheidungsmodelle Zur Unterstützung von Auslagerungsentscheidungen wurden unterschiedlich anspruchsvolle Methoden entwickelt. So werden für eine Beurteilung der kostenmäßigen Konsequenzen von Standortschließungen spezifische Methoden der Kostenrechnung vorgeschlagen.78 Zur Entscheidung zwischen Direktinvestition und Fremdbezug wurde ein gemischt-ganzzahliges Programmierungs (MIP)-Modell entwickelt, das in einer vierstufigen Supply Chain Produktions-, Lager- und Transportkosten berücksichtigt.79 Für den Entscheid über die Bereitstellung von Sachgütern sollen Flussdiagramme Hilfe leisten.80 Am häufigsten werden aber Make-or-Buy-Entscheidungen mit Kostenvergleichen vorbereitet. Zur Berücksichtigung von Engpässen werden Modelle der Linearen Programmierung (LP) formuliert, die von Homogenität und damit übereinstimmender Qualität der intern und extern erstellten Produkte ausgehen.81 Lösungen derartiger Modelle können vorschlagen, bestimmte Zwischenprodukte sowohl intern herzustellen als auch extern zu beschaffen.82 Bei einem solchen Splitting können Probleme der Rückverfolgbarkeit der Bereitstellungswege der einzelnen Teile 75
76 77 78 79 80 81
82
Dibbern et al. (2004), S. 99ff. ordnen 23 (durchwegs bereits vor dem Jahr 2000 erschienene) Veröffentlichungen zu IT-Outsourcing der positivistisch-empirischen Forschungsrichtung zu. Zu empirischer Forschung in Deutschland vgl. insbes. Dibbern, Heinzl (2001); Dibbern (2004), S. 135ff.; Dibbern (2005) Tuschke et al. (2006) Jung Erceg, Lay (2004) Gabriel, McGillivray (2002) Viswanadham, Balaji (2005) Vgl. etwa Luczak, Klaus, Hinschläger (1994), S. 198; Tayles, Drury (2001), S. 613ff. Vgl. etwa Reinfeld, Vogel (1958), S. 206ff.; Kruschwitz (1971); Kilger (1973), S. 271ff.; Uyar, Schoenfeld (1973), S. 101ff.; Baker, Taylor (1979); Knolmayer (1980), S. 166ff.; Männel (1981), S. 204ff.; Ellis (1993); Coman, Ronen (1995); Coman, Ronen (2000); Gaonkar, Viswanadham (2001), S. 369ff. Auch auf Basis von Lernkurven können Vorschläge resultieren, einen Teil der Vorprodukte intern und den verbleibenden Teil extern zu beschaffen; vgl. Anderson, Parker (2002)
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entstehen. Soll dies vermieden werden, so kann durch Binärvariablen in einem MIPModell sichergestellt werden, dass nur eine der beiden Bereitstellungsvarianten realisiert wird. Zur Beurteilung der Auslagerung einzelner Arbeitsgänge wurde ein auf genetischen Algorithmen basierender Ansatz vorgeschlagen, der zugleich die Wahl zwischen verschiedenen Arbeitsplänen und die Inanspruchnahme von Lohnarbeit berücksichtigt.83 Auch Methoden der künstlichen Intelligenz sollen Make-or-Buy-Entscheidungen bzw. die Lieferantenauswahl bei Sachgütern unterstützen; ein dafür vorgeschlagenes Expertensystem unterscheidet • die Identifikation und Gewichtung der Zielgrößen, • eine Analyse technischer Fähigkeiten, • den Vergleich interner und externer Kompetenzprofile, • eine Analyse der organisatorischen Fähigkeiten der Anbieter und • die Analyse der gesamten Bereitstellungskosten.84 Mit Case-based Reasoning wird eine weitere Methode der künstlichen Intelligenz für einen Einsatz im Beschaffungswesen empfohlen; dabei wird ein Bereitstellungsproblem mit einer Menge ähnlicher Fälle verglichen, wofür der Entscheidungsträger dem System mehrere Fragen beantworten muss. Angestrebt werden raschere, genauere, konsistente und billigere Entscheidungen von besserer Qualität.85 Wird nur ein Teil miteinander verbundener Aufgaben ausgelagert, so entstehen Schnittstellenkosten zwischen internen und externen Leistungsträgern. Dieser im ITOutsourcing wichtige Fall kann in einem quadratischen Zuordnungsmodell berücksichtigt werden, in dem die Höhe der Schnittstellenkosten von der Zuordnung der Aufgaben auf interne oder externe Leistungserstellung beeinflusst wird.86 In der Transaktionskostentheorie erörterte Zuordnungskriterien wurden in eine Vielzahl von Portfolio-Modellen transformiert, die sich in Achsenbezeichnungen, Sektoren und Empfehlungen unterscheiden. Dabei werden starke Vereinfachungen notwendig, um die Vielfalt realer Gegebenheiten auf zwei Dimensionen zu reduzieren. Bemerkenswert sind Darstellungen, in denen die zu positionierenden Objekte im dreidimensionalen Raum zu schweben scheinen, was eine Zuordnung zu den Ausprägungen der an den Koordinaten abgetragenen Einflussgrößen verunmöglicht,87 oder in denen eine Achse mit mehreren Einflussgrößen beschriftet wird, für die ein bestimmtes Objekt wohl kaum übereinstimmende Ausprägungen besitzt.88 Daneben fin83 84 85 86 87 88
Lee, Jeong, Moon (2002) Humphreys, McIvor, Huang (2002) Cook (1997) Vgl. Knolmayer (1991), S. 334ff.; Knolmayer (1993), S. 77ff.; Mertens, Knolmayer (1998), S. 21ff. Hinterhuber (1999), S. 119 Vgl. etwa Picot, Maier (1992), S. 22
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den sich in manchen Portfolio-Modellen auch Elemente der Resource-based Theory, wenn z.B. auf einer Achse Know-how-Barrieren für interne bzw. externe Aufgabenerfüllung aufgetragen werden.89 Eine weitere Unterstützung bei Sourcing-Entscheidungen bieten Argumentenbilanzen, welche Gesichtspunkte, die für oder gegen bestimmte Entscheidungen sprechen, anführen und gruppieren. Derartige Zusammenstellungen machen die Existenz von Zielkonflikten deutlich. Die wohl umfangreichste Argumentenbilanz zum Outsourcing von IT-Aufgaben formulieren Knolmayer/Mittermayer, die 60 Pro- und Contra-Argumente in den Kriteriengruppen Strategie, Leistung, Kosten, Personal und Finanzen umfasst.90 Daneben existieren Checklisten, welche die Dringlichkeit einer Auslagerung nach der Zahl der in einer bestimmten Weise beantworteten Fragen beurteilen wollen.91
Lieferantenwahl Für die Lieferantenwahl sind neben Kosten zweifellos weitere Ziele relevant.92 Dies berücksichtigen u.a. auf dem Analytical Hierarchy Process (AHP) und Goal Programming beruhende Entscheidungsmodelle.93 In den Lösungen von Kostenvergleichen und LP-Modellen werden extern beschaffte Vorprodukte immer bei einem einzigen externen Anbieter beschafft, sofern dieser nicht an Kapazitätsgrenzen stößt. Wenngleich sich die Zahl der Lieferanten für ein bestimmtes Vorprodukt in Verbindung mit der Umsetzung von Just-in-Time- und Supply-Chain-Management-Konzepten reduziert hat (Tendenz von Multiple Sourcing zu Single Sourcing), kann unter Risikogesichtspunkten zur Vermeidung zu großer Abhängigkeiten eine Berücksichtigung von zwei oder mehreren Anbietern zweckmäßig sein;94 gleichzeitig kann mit einem der Lieferanten als „preferred supplier“ eng zusammen gearbeitet werden. Eine gegenläufige Entwicklung ist für das Outtasking von IT-Aufgaben zu beobachten. Anfangs wurde die Problematik der Koordination mehrerer Dienstleister als sehr hoch angesehen und z.B. im Hinblick auf das oben beschriebene Vorgehen von Eastman Kodak gefragt: „Can Kodak really deal with three separate vendors? Will the vendors conflict among themselves?“;95 diese Problematik besteht bei Koordination 89 90 91 92 93 94 95
Vgl. Picot (1991), S. 349ff. Knolmayer, Mittermayer (2000), S. 12ff. Für weniger detaillierte Zusammenstellungen vgl. Knolmayer (1991); Knolmayer (1993); Mertens, Knolmayer (1998), S. 33ff. Kador (1990); Deloitte (2005), S. 15f. Vgl. etwa Weber, Current, Benton (1991); Weber, Current (1993) Tullous, Utecht (1994); Kumar, Vrat, Shankar (2004) Vgl. etwa Klotz, Chatterjee (1995), S. 1320ff.; Rost (2006), S. 151ff. Computer Technology Research (1993), S. 94
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mehrerer Lieferanten für das gleiche Sachgut in geringerem Masse. Neuerdings wird aber im IT-Outsourcing verstärkt auf Multisourcing gesetzt.96 In der Regel sind die Schnittstellenkosten bei Beschäftigung mehrerer Dienstleister höher als bei Beschäftigung eines einzigen Anbieters. Das Problem der Koordination mehrerer Dienstleister kann ausgelagert werden, wenn ein Generalunternehmer verpflichtet wird. Auch bei Single Sourcing muss festgelegt werden, ob der Dienstleister Aufträge an Subunternehmer weitergeben, Kooperationen mit anderen Unternehmen eingehen und/oder Freelancer beschäftigen darf; ein Ausschluss solcher Optionen kann zu geringerer Flexibilität und höheren Kosten führen. In den meisten Entscheidungsmodellen zum Outtasking wird die Frage der Lieferantenwahl ausgeklammert und damit einer untergeordneten Planungsebene zugeordnet.97 Dies erweckt den unzutreffenden Eindruck, als sei der Entscheid über Outtasking unabhängig von Qualität und Kosten der extern angebotenen Leistungen.98 Die theoretisch denkbare Simultanplanung der Outtasking-Entscheidung mit der Lieferantenwahl stößt an Grenzen der Datenbeschaffung und der rechentechnischen Handhabbarkeit. Daher wurde (in Anlehnung an Hax und Meal)99 ein hierarchisches Planungsmodell entworfen, in dem die Entscheidung über Outsourcing und die Auswahl der zu beschäftigenden Dienstleister iterativ abgestimmt wird. In Stufe 1 dieses Modells lassen sich strategische Vorgaben berücksichtigen. So kann etwa ein Prozentsatz für Kompetenzen vorgegeben werden, die jedenfalls intern verbleiben sollen. Sodann werden Annahmen über die Konditionen eines nicht näher spezifizierten Dienstleistungspartners getroffen und durch das quadratische Zuordnungsproblem unter Vernachlässigung der Lieferantenwahl ein erster Vorschlag für die Zuordnung zu interner und externer Leistungserstellung unterbreitet. In Stufe 2 wird für die dem Fremdbezug zugeordneten Aufgaben nach verfeinerter Berücksichtigung lieferantenindividueller Beschaffungskonditionen ebenfalls in einem quadratischen Zuordnungsproblem bestimmt, welche Anbieter welche Aufgabe erfüllen sollen. Falls die Kosten der vorgeschlagenen Auswahl mit den in Stufe 1 getroffenen Annahmen hinreichend übereinstimmen, wird das Verfahren beendet. Andernfalls werden die in Stufe 1 vorgenommenen Kostenschätzungen angepasst und für diese Datenkonstellation eine Neuzuordnung zu Eigenerstellung und Fremdbezug vorgenommen. Das Verfahren kann z.B. in Abhängigkeit von der Veränderung der Zielfunktionswerte oder der Zahl durchgeführter Planungsiterationen abgebrochen werden.100 96 97 98
99 100
Vgl. etwa King (2003); Wesseler (2005) So explizit Schäfer-Kunz, Tewald (1998), S. 138: „Der Fremdvergabeentscheidung nachgelagert ist die Auswahl des geeignetsten Dienstleisters ...“ Zur Problematik dieser Sichtweise vgl. etwa Ketler, Walstrom (1993), S. 456: “The difference between successful outsourcing and a disaster may simply be determined by the selection of the vendor … .” Hax, Meal (1975) Zu einer formalen Darstellung des Planungssystems vgl. Knolmayer (1997), S. 106ff.
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Vorgehensmodelle Für die externe Beschaffung von Sachgütern wurden kaum Vorgehensmodelle formuliert. In einem auf strategischer Planung basierenden Vorgehensmodell zur Auslagerung von Produktionstätigkeiten werden für die sequentiell angeordneten Schlüsselaktivitäten phasenbezogene Ergebnisse formuliert und Performance-Maße vorgeschlagen.101 Weitere Vorgehensmodelle existieren für die Auslagerung von LogistikAufgaben.102 Für den Übergang zu Outsourcing-Lösungen wurden mehrere Vorgehensmodelle vorgeschlagen, welche die wichtigsten Schritte der Entscheidungsvorbereitung und Umsetzung festlegen.103 Diese werden insbesondere von Beratungsgesellschaften und Outsourcing-Anbietern definiert und sehen klare Rollenteilungen vor. Hingegen liegen kaum Vorgehensmodelle vor, wie sich Unternehmungen auf das Ende der Vertragslaufzeit vorbereiten sollen, um zu große Abhängigkeiten von den Dienstleistern zu vermeiden und rechtlich vorhandene Entscheidungsspielräume auch faktisch nutzen zu können. Eine häufig anzutreffende Empfehlung ist, Outsourcing nur für solche IT-Aufgaben in Betracht zu ziehen, die intern zumindest auf einem qualitativen Mindestniveau erfüllt werden; andernfalls könnten die Dienstleister kein sinnvolles Angebot abgeben und wären im Fall eines Vertragsabschlusses mit „Aufräumarbeiten“ überfordert. Bei Auslagerung der Sachgüterherstellung dürfte diese Überlegung keine Rolle spielen.
Rückverlagerungen und Backsourcing Mehrere Untersuchungen verweisen auf eine nicht unerhebliche Zahl von Rückverlagerungen.104 Zuweilen werden die kritischen Erfolgsfaktoren der Standortwahl vor der Entscheidung und nach ihrer Umsetzung deutlich anders gesehen.105 Unerwartet hohe Transaktionskosten können ein Grund dafür sein, dass von Auslagerungen enttäuschte Unternehmungen die Leistungserstellung rückverlagern.106 Allerdings bleibt das Geschäftsvolumen der Rückverlagerungsfälle im Vergleich zu jenem der Auslagerungen unklar und manche vermuten in den Veröffentlichungen ein Wunschdenken, das die Dramatik der Arbeitsplatzverlagerungen verschleiere. 101 102 103
104 105 106
Momme (2002) Schweizerische Gesellschaft für Logistik (1996); Zimmermann (2004), S. 122ff.; Marshall et al. (2005) Vgl. insbes. Buchowicz (1991); Wildemann (1998), S. 125ff.; Halvey, Melby (2000), S. 19ff.; Söbbing (2002), S. 53ff.; Cornils (2003); Krause (2004); Kleiner, Müller, Köhler (2005), S. 17ff.; Schwarz (2005); Jemili (2006) Vgl. etwa Kinkel, Lay (2004); Jacquemart (2005) Herrmann (2004), S. 77ff. Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 30ff.
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Auch ein „Backsourcing“ zuvor ausgelagerter IT-Aufgaben107 ist in Einzelfällen zu beobachten, jedoch wegen der damit verbundenen Notwendigkeit eines Neuaufbaus interner Kompetenzen schwierig zu bewerkstelligen. Aus dieser Perspektive wird empfohlen, weiterhin gute Kontakte zu vom Outsourcing-Anbieter übernommenen Mitarbeitern zu pflegen, um diese erforderlichenfalls für das Unternehmen zurückgewinnen zu können. Eine derartige Vorgehensweise dürfte bei Auslagerung einer Sachgüterproduktion kaum verfolgt werden.
Zusammenfassung Sachgüter und Dienstleistungen werden zunehmend aus dem (teilweise fernen) Ausland bezogen. Dieser Sachverhalt wird unter Schlagworten wie Globalisierung, Produktions(stätten)verlagerung und Offshoring breit diskutiert. In diesem Beitrag geben wir einen Überblick zum Stand der Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen einer Auslagerung der Sachgüterproduktion und von IT-Aufgaben. Zu beiden Phänomenen existiert eine umfangreiche Literatur. Dabei sind trotz ähnlicher theoretischer Grundlagen nur wenige Querbezüge zwischen den beiden Forschungsströmen zu finden. Damit bleiben einerseits Synergiepotenziale ungenutzt. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Phänomenen bestehen. Diese in Tabelle 1 zusammengefassten Unterschiede haben u.a. zu verschiedenen Formen von Erklärungsmodellen und Entscheidungshilfen geführt. Trotz dieser Unterschiede bleibt zu wünschen, dass zukünftig die im jeweils anderen Untersuchungsbereich entwickelten Modelle und Aussagen mehr als bisher berücksichtigt werden.
107
Vgl. etwa Overby (2004); Kaplan (2005)
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Eigenschaft
Terminologie Objekt Standort Eigentumsverhältnisse Ziele
Qualität Beschreibbarkeit der Leistung Zeitbezug Fristigkeit der Verträge Vorhandene Ressourcen Finanzielle Auswirkungen Transportkosten Erfolg des Leistungserbringers Sourcing-Strategie Rückverlagerungen, Backsourcing Aufmerksamkeit in Fachwelt und Öffentlichkeit Theoretische Grundlagen Beurteilungskompetenz Konzeptkompetenz Integrationskompetenz Systemkompetenz Account Management Zertifizierung / Compliance
Produktionsmanagement
Informationsmanagement
Make or Buy; Eigenfertigung oder Fremdbezug
Outsourcing
Sachgüter Dienstleistungen Weltweit, oft Ausland; begrün- Bestimmte Regionen, oft auch im det u.a. mit Nähe zu Kunden Inland oder sogar am gleichen Standort Oft Ausgliederung, Tochterge- Oft Auslagerung (an Dritte) sellschaft im Ausland Kosteneinsparungen, insbes. Kosteneinsparungen und/oder Qualidurch niedrige Löhne tätsverbesserungen durch niedrige Löhne und/oder höhere Automatisierung des Systembetriebs Gut messbar Schwierig messbar Einfach Schwierig, auch wegen hoher Dynamik der Technikentwicklung Zustand Ereignis; Change Management Eher kurz- und mittelfristig; Mittel- und langfristig; aber auch Rahmenverträge "Transitional Outsourcing" Abbau Oft Übernahme, teilweise am gleichen Standort Oft Abbaukosten Oft Verkaufserlöse Sinken tendenziell Fast unbedeutend Gewinn Gewinnteilung bei Co-Sourcing denkbar Single Sourcing oder Multiple One Stop Shopping, bei Best of Sourcing; Preferred Supplier Breed eventuell GU Manchmal In Europa bisher selten Insbesondere bei BetriebsSehr intensive Diskussion schliessungen bzw. erheblichen Arbeitsplatzabbau Komparative Kosten; AußenTransaktionskostentheorie; Agency handelstheorie Theorie; Ressourcen-Theorie; Strategische Theorie; ... Große Bedeutung; Kernkompe- Bei Dienstleistungen eher schwierig tenz des OEM Große Bedeutung; ev. durch IT-Strategie durch LeistungsempSystemlieferanten fänger; Konzeptentwicklung in enger Zusammenarbeit mit Dienstleister Große Bedeutung; ev. durch IT-Strategie durch LeistungsempSystemlieferanten fänger; Integration der IT-Systeme durch Dienstleister Höchste Kompetenzstufe; ev. Durch Dienstleister Durch Systemlieferanten Mittlere Bedeutung Regelmäßige, intensive Koordination auf verschiedenen Ebenen erforderlich Zertifizierung (z.B. ISO 9000) Dienstleister muss Complianceoft vom Lieferanten gefordert Nachweise erbringen (SAS 70 Reports)
Tab. 1: Gegenüberstellung der Fremdbeschaffung von Sachgütern und IT-Dienstleistungen
22 Gerhard F. Knolmayer _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
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Unternehmensstandort Deutschland 31 _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Unternehmensstandort Deutschland: Auch in Deutschland lässt sich Geld verdienen! Horst Wildemann Während in den vergangenen fünf Jahren der Trend zur Verlagerung leicht abgenommen hat, planen heute wieder mehr Unternehmen Verlagerungsmaßnahmen. Insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen planen die Verlagerung von Wertschöpfungsstufen. Erst durch eine Kombination von Kostenoptimierung und einer Steigerung der Leistungsfähigkeit sind Standortnachteile Deutschlands wettzumachen. Eine systematische Vorgehensweise und Anwendung der entwickelten Bewertungssystematik unterstützt den Entscheidungsprozess im Unternehmen. Anhand von Unternehmenstypen lassen sich Leitlinien für eine wettbewerbsfähige Wertschöpfungsgestaltung entwickeln.
Die Rolle industrieller Wertschöpfung in Deutschland Das produzierende Gewerbe besitzt für Deutschland eine besonders hohe Bedeutung. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten und den USA ist der Anteil von Industrie und produzierendem Handwerk an der gesamtwirtschaftlichen Produktion noch immer überdurchschnittlich hoch. Ihr Beitrag zur Bruttowertschöpfung in Deutschland beträgt rund ein Drittel. Mit mehr als der Hälfte der insgesamt im verarbeitenden Gewerbe beschäftigten Personen ist die Metall- und Elektrobranche einer der wichtigsten Industriezweige für die deutsche Wirtschaft. An jedem Arbeitsplatz der Metall- und Elektroindustrie hängen 1,27 weitere Arbeitsplätze in anderen Branchen (Abbildung 1). Aufgrund der immer stärkeren Verflechtung des industriellen Sektors mit anderen Wirtschaftsbereichen wirkt sich ein Beschäftigungsabbau in der Industrie auch maßgeblich auf andere Sektoren aus. An jedem der insgesamt 3,5 Mio. Arbeitsplätze in der Metall- und Elektroindustrie hängen durchschnittlich 1,27 weitere Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftsbereichen. Die größten Interdependenzen bestehen mit anderen Industrieunternehmen, von denen industrielle Vorleistungen bezogen werden und mit öffentlichen und privaten unternehmensnahen Dienstleistern.
32 Horst Wildemann _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ 1) Metallverarbeitung, Maschinenbau, Elektroindustrie, Fahrzeugbau u.a. 2) Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Energieversorgung, Baugewerbe
Sonstige Industrie2) und produzierendes Handwerk
Von der Metall- und Elektroindustrie abhängige Arbeitsplätze
...
1,1 Mio. Mio. 1,1 5,6 Mio.
Multiplikator
0,9 Mio.
Land-und Forstwirtschaft, Fischerei
0,0
0,14 Metall- und Elektroindustrie 1) 3,5 Mio.
0,8 öffentliche und private unternehmensnahe Dienstleister
9,3 Mio.
0,32
8,5 Mio.
2,8 Mio. 2,8
0,5 Mio.
Handel, Gastgewerbe und Verkauf
0,01 Finanzierung und Vermietung 6,16 Mio.
0,04 Mio.
Abb. 1: Rolle industrieller Wertschöpfung
Der Dienstleistungssektor ist bisher leider nicht in der Lage den Verlust industrieller Arbeitsplätze auszugleichen. Der Verlust an industrieller Wertschöpfung kann daher nicht durch den Dienstleistungssektor aufgefangen werden. Von 1970 bis 2004 sank der Einkommensanteil der Industrie von 34 % auf 21 %. Obwohl dieser Rückgang teils auf das Outsourcing durch die Industrie zurückzuführen ist, konnte er im Dienstleistungsbereich nicht völlig ausgeglichen worden. Dies liegt zum einen an der engen Verknüpfung der Sektoren und zum anderen am Wachstumspotenzial unseres Dienstleistungssektors.
Die Renaissance der Verlagerung Innerhalb der vergangenen fünf Jahre wurden von 32 % der befragten Unternehmen Verlagerungsmaßnahmen durchgeführt. Dabei handelt es sich um einen kontinuierlichen Trend, bei dem pro Jahr zwischen 7 % und 16 % der Unternehmen eine Verlagerung durchführten. Dieser Trend hatte in Deutschland seit 1998 eine leicht rückläufige Tendenz, so dass 2004 nur 7 % der Unternehmen eine Verlagerung durchführten. Die aktuellen Planungen der Unternehmen sind allerdings alarmierend. Über 60 % der befragten Unternehmen planen, in den nächsten Jahren mindestens eine Verlagerungsmaßnahme durchzuführen, was einer Steigerungsrate von annähernd 90 % entspricht (Abbildung 2). Damit wird deutlich, dass nach einer Phase der Beruhigung der Abwanderungstendenzen nun neuerlich eine Verlagerungswelle zu erwarten ist. Die Verlagerungspläne betreffen dabei sowohl die Unternehmen, die bereits eine Verlagerung durchgeführt haben als auch Unternehmen, die bisher noch nicht zu
Unternehmensstandort Deutschland 33 _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Fertigungstiefe [%]
diesem Mittel gegriffen haben. 80 % der Unternehmen, die in den vergangenen fünf Jahren eine Verlagerung durchgeführt haben, planen dies auch für die kommenden fünf Jahre und bereits 52 % der Unternehmen, die bisher nicht verlagert haben, werden dies zukünftig tun. 1. Welle
2. Welle
3. Welle
Lokales Outsourcing
Internationalisierung des Outsourcing & Verlagerung
Umverlagerung von Beschaffungsströmen
70% 60%
43%
50% 40% 30% 1980
1990
2000
68,1% Durchgeführte Verlagerungen 2000-2004
2004
2010 60,4%
31,9%
+ 89,3
% 39,6% Geplante Verlagerungen 2005-2009
Abb. 2: Wellen der Verlagerung
Ein weiteres alarmierendes Signal für den Standort Deutschland ist, dass zukünftig vermehrt klein- und mittelständische Unternehmen zum Mittel der Verlagerung greifen. Speziell durch die zunehmende Erweiterung der europäischen Union und dem damit einhergehenden Abbau von Handelsbarrieren bieten sich für diese Unternehmen nun ähnliche Möglichkeiten, wie sie den großen Industrieunternehmen mit Asien und Osteuropa bereits seit längerem zur Verfügung standen. Von den bereits international tätigen mittelständischen Unternehmen begreifen mehr als 60 % die EUOsterweiterung vor dem Hintergrund der Erschließung neuer Absatzmärkte als Chance. Vorteile wie geographische Nähe, kulturelle Verwandtschaft oder qualifizierte und kostengünstige Arbeitskräfte machen eine Verlagerung dabei besonders attraktiv. Während Unternehmen mit einem Umsatz kleiner 10 Mio. EUR bisher nur zu 8 % Verlagerungsmaßnahmen durchführten, haben dies nun 42 % geplant. Mit einer Vervierfachung des Verlagerungsvolumens weisen diese Unternehmen die größten Zuwachsraten auf. Weiterhin zeichnet sich bei den Unternehmen der mittleren Umsatzklassen in den nächsten Jahren eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Verlagerungsmaßnahmen ab. Dem gegenüber zeigen die Ergebnisse, dass gerade die großen
34 Horst Wildemann _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Unternehmen (mit einem Umsatz größer 250 Mio. EUR) geringere Bestrebungen besitzen, weiter zu verlagern.1
Hauptziele und Wellen der Verlagerung erkennen Die Wahl der Zielregion von Verlagerungen hängt sowohl von den Faktorkosten und den strukturellen Rahmenbedingungen eines Standorts als auch von den strategischen Zielsetzungen des Unternehmens ab. Neben der Zielsetzung einer Kostenreduktion kommen als weitere Strategien die Erschließung von Absatzmärkten, die Erschließung von Technologie und Know-how oder eine „Following-the-Costumer“Strategie in Betracht. Diese strategischen Ansätze spiegeln sich auch in den Zielregionen durchgeführter Verlagerungen wider. Schwerpunkte bildeten in den letzten 5 Jahren hierbei die EU-Beitrittsstaaten Osteuropas mit einem Anteil von 24 %, WestEuropa mit 22 % sowie China und Indien mit 19 % der Verlagerungen. Während in Westeuropa und Asien die Markterschließungsstrategie und die Kostenreduktion eine gleich bedeutende Rolle spielen, dominieren bei der Verlagerung nach Osteuropa Kostenmotive. Die Strategien der Technologieerschließung und des „Following-theCustomer“ besitzen insgesamt eine geringere Bedeutung bei Verlagerungsentscheidungen. Die Bedeutung Osteuropas als „verlängerte Werkbank“ deutscher Unternehmen wird deutlich angesichts der Verteilung der Importe aus Osteuropa, China, Mercosur und Asien. 2001 stammten bereits 63 % der Importe aus diesen Niedriglohnregionen aus Osteuropa, im Vergleich zu 18 % aus China.2
1 2
Wildemann (2005a) Wildemann (2005b)
Unternehmensstandort Deutschland 35 _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ [Anteil an geplanten Verlagerungen 2005-2009]
Sonstige
Osteuropa (EU-Betritt)
1%
Osteuropa (nicht EU-Beitritt) 23% 8%
15%
15%
Asien (ohne China, Indien)
9%
USA, Kanada Westeuropa 21% 7%
Mittel- und Südamerika
China, Indien
Abb. 3: Zielregionen
Anfang der 80er Jahre wurde zunächst die Fertigungstiefe reduziert und lokale Zulieferer wurden mit der Produktion der Teile beauftragt. Der steigende internationale Kostendruck führte in der nächsten Stufe zu stärker international ausgerichteten Beschaffungsaktivitäten. Entweder wurde direkt aus dem Ausland beschafft oder die lokalen Zulieferer verlegten ihre Produktion ins Ausland, was zu einer ersten großen Verlagerungswellen in den 90er Jahren führte. Heute stellen wir fest, dass die meisten großen Unternehmen bereits Standorte im Ausland besitzen. Daher findet nun eine Umverlagerung von Beschaffungsströmen statt, die den sich wandelnden Lohnkostenvorteilen folgt. Standorte bleiben dabei immer solange attraktiv, bis ein noch günstigerer Standort gefunden wird, der vergleichbare Rahmenbedingungen bieten kann. Gleichzeitig planen auch kleine und mittelständische Unternehmen eine Verlagerung ihrer Wertschöpfung. Deutsche Unternehmen nutzen dabei zunehmend ihre zentrale Lage innerhalb Europas, was dazu führt, dass in den kommenden 5 Jahren vor allem osteuropäische Staaten Ziel von Verlagerungen sind. Dominierten in den vergangenen Jahren die osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten, so werden in den kommenden Jahren alle weiteren osteuropäischen Staaten verstärkt Ziel von Verlagerungen (Abbildung 3).3
3
Wildemann (2005a)
36 Horst Wildemann _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Die Effekte von Verlagerungsmaßnahmen bedenken Die Wirkungen zunehmender Verlagerungen auf Unternehmen und die Volkswirtschaft in Deutschland sind zweischneidig. Unternehmen erhoffen sich insbesondere eine Reduzierung der internen Kosten. Das größte Potenzial liegt hierbei im Personalbereich mit Kosteneinsparungen von durchschnittlich 38 % bei den direkten Personalkosten. Dem steht eine Steigerung der Logistikkosten gegenüber, die jedoch bei einem durchschnittlichen Industrieunternehmen durch die Einsparungen überkompensiert wird. Auf der Leistungsseite rechnen Unternehmen im Durchschnitt mit einer Verschlechterung der Durchlaufzeit um 6 % und einem Sinken der Produktqualität um 4 %. Die Studienergebnisse zeigen deutlich, dass die Personalkosten und die zu geringe Flexibilität im Personalbereich die primären Verlagerungsgründe darstellen. Verheerend sieht die volkswirtschaftliche Bilanz der Verlagerungen aus. Werden die von den Unternehmen geplanten Verlagerungen tatsächlich durchgeführt, ist mit einem verlagerungsbedingten Abbau von 760.000 Arbeitsplätzen in der deutschen Industrie für die kommenden fünf Jahre zu rechnen. Berücksichtigt man die möglichen Folgeeffekte in anderen Wirtschaftszweigen, multipliziert sich dieser Rückgang mit dem Faktor 2,5. Dies würde bedeuten, dass sich die verlagerungsbedingten Arbeitsplatzrückgänge auf 1,9 Mio. in diesem Zeitraum summieren.4
Kostenoptimierung und Leistungssteigerung anstreben Optimierungen am bisherigen Standort können zur Realisierung erheblicher Kostenpotenziale führen. Fallstudien zeigen, dass sich insbesondere diejenigen Unternehmen am Markt behaupten, die ständig in großem Umfang Optimierungsmaßnahmen durchführen. Daher gilt das Primat der Optimierung, das nicht nur kontinuierliche, sondern auch sprunghafte Verbesserungen mit einschließt. Eines machen die Vergleichsrechnungen zu Niedriglohnstandorten wie Polen jedoch deutlich: Das Kostendelta kann nicht allein durch Kosteneinsparungen getilgt werden, insbesondere nicht allein durch Einsparungen im Personalbereich. Den Lohnkosten von 26,50 EUR pro Stunde in Deutschland stehen 4,48 EUR in Polen gegenüber. Der Produktivitätsunterschied zwischen beiden Ländern lässt sich auf 1,78 EUR zusätzliche Kosten in Polen quantifizieren. Unter dem Strich bleibt damit eine produktivitätsbereinigte Lohnkostendifferenz von 76 %. Bezogen auf die Gesamtkosten eines Standortes lässt sich durch Maßnahmen im Bereich von Material, Prozessen und Produkt die Hälfte des Kostenunterschiedes durch Einsparungen wettmachen. Die andere Hälfte kann jedoch mittel- und langfristig nur durch Leistungsvorteile wettgemacht werden. Leistungsvorteile beziehen sich auf die Entwicklung von Fähigkeiten, die im Markt als 4
Wildemann (2005b)
Unternehmensstandort Deutschland 37 _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Wettbewerbsvorteile wahrgenommen werden. In der Vergangenheit konnten deutsche Produkte vor allem durch ihre Qualität, Langlebigkeit und technische Perfektion überzeugen.5
Ansätze und Methoden zur Gestaltung erfolgreicher Wertschöpfung Im Rahmen der Studie wurden sechs Hebel identifiziert, die sowohl eine Kostenoptimierung als auch eine Leistungssteigerung ermöglichen: Die Reduzierung der Faktorkosten der Arbeit ist bei den erheblichen Lohnkostendifferenzen ein wesentlicher Hebel. Hierzu bedarf es der Verbesserung der Arbeitsflexibilität durch eine strukturelle Erneuerung des Arbeitsmarktes. Gleichzeitig gilt es, die Produktivität in den Unternehmen weiter zu steigern.6 Zwar steht Deutschland hier mit an der Weltspitze, jedoch bestehen immer noch weitere Steigerungspotenziale. Ein großer Hebel der Kostenoptimierung liegt in einer kosten- und anforderungsgerechten Produktgestaltung. Eine Verknüpfung von interner Standardisierung und externer Individualisierung der Produkte stellt hierbei eine zentrale Herausforderung dar.7 Eine Verbesserung der Innovationsfähigkeit und Innovationsleistung erfordert sowohl eine bessere Vernetzung und Bündelung der Know-how-Träger als auch eine langfristige Förderung von Hochtechnologien. Wissen und Qualität sind Schlüsselfaktoren zur Entwicklung neuer Wettbewerbsvorteile. Die Fähigkeit zur Gestaltung und Koordination globaler Wertschöpfungsstrukturen wird zur Schlüsselkompetenz der Wertschöpfungsgestaltung von Unternehmen.8
5 6 7 8
Wildemann (2005a); Wildemann (2005b) Wildemann (1997a) Wildemann, H. (1997b) Wildemann (1997b); Wildemann (1997c)
38 Horst Wildemann _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ 1.
2.
Positionsbestimmung
3. Strategieplanung
qualitativ
Standortauditierung Benchmarking Ex-PostBetrachtung/ -Analyse Erfahrungssicherung
4. Szenariobildung und Bewertung
Markt-/ Wettbewerbsanalyse Kernkompetenzanalyse
Marktstrategie
Strategische Erfolgspositionen
Retrospektive
5.
Strukturplanung
Umsetzung und Controlling
quantitativ
Auswahl der Wertschöpfungsstufe
Statische Investitionsrechnung
Checklisten
Dynamische Investitionsrechnung
Argumentenbilanzen / ScoringModelle
Sensitivitätsrechnung
Scoringmodelle
Risikobewertung
Roadmapping/ Technologiekalender Wertstromdesign
Projektmanagement
Balanced Score Card
Netzwerkgestaltung
Abb. 4: Methoden der Standortplanung
Unternehmen benötigen valide Entscheidungsgrundlagen. Die Entscheidung für eine Verlagerung ist in Unternehmen nach wie vor keine Routineentscheidung, sondern meist eine zwar zahlengetriebene, jedoch letztlich strategische Entscheidung auf oberster Ebene. Dabei liegt die Schwierigkeit darin, die einzelnen Abschätzungen von Kosten, qualitativen und quantitativen Chancen und Risiken realistisch zu einem Gesamtbild zu verknüpfen. Dies kann durch eine kombinierte Anwendung mehrerer Bewertungsinstrumente gelingen. Wichtig ist, dass der Entscheidungsprozess im Unternehmen eindeutig definiert wird. Dies führt zur Transparenz im Entscheidungsprozess, was letztlich der Objektivität und der Vermittelbarkeit der Ergebnisse zu Gute kommt. Eine Standortentscheidung durchläuft dabei die Phasen der Positionsbestimmung, der Strategieplanung, der Szenarioplanung, der Strukturplanung sowie der Umsetzung und des Controllings.9 Für jede dieser Phasen werden Instrumente gezeigt, die zu einer besseren Fundierung der Entscheidung führen (Abbildung 4). Fallstudien zeigen den Einsatz der Instrumente und machen deutlich, dass Standortentscheidungen manchmal zu voreilig getroffen werden, ohne die Risiken und Eintrittswahrscheinlichkeiten von strukturellen Veränderungen ausreichend zu berücksichtigen. Unsicherheiten entstehen meist bei der Bewertung der möglichen Synergien von Standortentscheidungen, der Remanenzkosten am deutschen Standort und der Quantifizierung von internen und externen leistungswirtschaftlichen Risiken. Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, die geeigneten Methoden und Ansätze zu identifizieren, die angesichts der aktuellen Unternehmenssituation am
9
Wildemann (1997b); Wildemann (2000); Wildemann (2004)
Unternehmensstandort Deutschland 39 _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
effektivsten sind. Anhand von vier Unternehmenstypen wurden Leitlinien für eine optimale Orchestrierung der Wertschöpfungskette formuliert (Abbildung 5): Die Kernkompetenz des „risikobewussten Wertschöpfungsoptimierers“ liegt innerhalb der eigenen Wertschöpfungsprozesse. Die ständige Innovation in Produkten und Prozessen ermöglicht ihm die Entwicklung wertschöpfungsgebundener Wettbewerbsvorteile. Der „globale Kostenoptimierer“ legt seinen Schwerpunkt auf eine kostenorientierte Gestaltung der Wertschöpfungskette. Vorwiegend lokale Kunden werden in einem umkämpften Markt bedient. Durch ein globales Beschaffungs- und Logistiknetzwerk gelingt es, die eigenen Produkte konkurrenzfähig zu produzieren und sie in der Nähe der Kunden zu konfigurieren. Der „internationale Individualisierer“ konzentriert sich auf die Entwicklung und Vermarktung innovativer, kundenindividueller Produkte. Seine Erfolgsfaktoren liegen vor allem in der Konzentration auf der Gestaltung innovativer Produkte sowie im Aufbau einer globalen Vertriebs- und Servicestruktur. Der „beschaffungsorientierte Produktvermarkter“ fokussiert sich auf eine weltweite Vermarktung von Großserien- und Standardprodukten. In der kosten- und kundenorientierten Gestaltung einer globalen Beschaffungs- und Vertriebsstruktur liegen seine Erfolgsfaktoren. Hohe Verlagerungs- Motive risiken
Risikobewusster Wertschöpfungsoptimierer
Globaler Kostenoptimierer Prozesstyp Produkt
Internationaler Customizer
Starke Verlagerungsmotive
Beschaffungsorientierter Produktvermarkter Wettbewerbsstrategie
Differenzierung
Abb. 5: Typen der Wertschöpfung
Kosten
Einzelfertigung individuelle Produkte
Großserien Standardprodukte
40 Horst Wildemann _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Mit Hilfe dieser Typisierung wird es möglich, die Gestaltungskonzepte für den Aufbau globaler Wertschöpfungsketten aufzuzeigen und Erfolgsfaktoren bei der Wertschöpfungsgestaltung zu spezifizieren. Mit einem internetbasierten Bewertungstool kann sich jedes Unternehmen bewerten und erhält profilspezifische Hilfestellungen.
Unternehmensstandort Deutschland 41 _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Literatur Wildemann, H. (1997a): Produktivitätsmanagement: Handbuch zur Einführung eines Produktivitätssteigerungsprogramms GENESIS. München 1997. Wildemann, H. (1997b): Fertigungsstrategien: Reorganisation für eine schlanke Produktion und Zulieferung. München 1997. Wildemann, H. (1997c): Die modulare Fabrik: Kundennahe Produktion durch Segmentierung. München 1997. Wildemann, H. (2000, Hrsg.): Produktion und Controlling. München 2000. Wildemann, H. (2004): Der Wertbeitrag der Produktion – Entwicklungspfade von Produktionssystemen, in: ZfB, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 74. Jg., H.4, Gabler Verlag, S.1-20. Wildemann, H. (2005a): Wertschöpfung und Wettbewerb: Haben Unternehmen eine Heimat? München 2005. Wildemann, H. (2005b): Unternehmensstandort Deutschland: Wege zu einer wettbewerbsfähigen Wertschöpfungsgestaltung. München 2005.
Outsourcing als strategische Handlungsalternativen 43 ____________________und _______Offshoring ____________________________________________________________________________________________________ ________________________
Outsourcing und Offshoring als strategische Handlungsalternativen Dieter Specht, Markus Lutz
Überblick Der vorliegende Aufsatz skizziert die strategischen Auswirkungen von Outsourcing- und Offshoring-Maßnahmen. Er stellt Outsourcing und Offshoring als Handlungsalternativen gegenüber und bewertet sie. Er zeigt, wie sich strategisch relevante Größen verändern, welche Ziele aus Sicht der Produktionswirtschaft durch die beschriebenen Maßnahmen erreicht werden können und welche Grundlagen für eine Entscheidung über Veränderungen der Wertschöpfungskette beachtet werden müssen.
Problemstellung Um die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens zu erhalten oder zu erhöhen, müssen bestehende Produktionsstandorte auf ihre Vorteilhaftigkeit hin überprüft werden. Sie konkurrieren mit eigenen Produktionsstandorten sowie mit externen Wettbewerbern. Eine umfassende strategische Bewertung der Standorte umfasst: • Produktionskosten • Fertigungsqualität • Wissen und Ausbildung der Mitarbeiter • Personal • Logistik • Finanzierung • Recht1 Besitzt ein bestehender Standort nicht das Potential, einen entscheidenden Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu leisten, ist über eine Verlagerung der Produktion zu entscheiden. Die Alternativen Outsourcing und Offshoring bieten die Möglichkeit, situationsgerecht die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Gleichzeitig beinhaltet ihre Durchführung ein hohes Risikopotential.
1
Vgl. hierzu auch: Heimbrock (2001), S. 219
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Gründe für Produktionsverlagerungen In einer globalisierten Wirtschaft sehen sich Unternehmen mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert: • Steigende Rohstoff- und Vorproduktpreise erhöhen die Faktorkosten für die industrielle Produktion. • Unternehmen sind durch den zunehmenden Einfluss der Kapitalmärkte gezwungen, eine hohe Eigenkapitalverzinsung zu erwirtschaften. • Die Globalisierung führt zum Auftreten neuer Wettbewerber. Der Markteintritt neuer Konkurrenten führt zu Preissenkungen und Substitutionseffekten. • Die Kunden können aus einem größeren Anbieterkreis auszuwählen. Die Ansprüche der Abnehmer hinsichtlich Preis, Qualität und Lieferzeit steigen.
Kapitalmarkt
Steigende Rohstoffund Vorproduktpreise
Lieferanten
Unternehmen
Wettbewerber
Postulat hoher Kapitalrendite, „Shareholder Value“
Kunden
Höhere Anforderungen: • Preis • Qualität • Lieferzeit
Globaler Wettbewerb: • Preisdruck • Substitutionseffekte
Abb. 1: Anforderungen an das Unternehmen (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Porter, 1999, S. 23)
Auf äußere Einflüsse kann ein Unternehmen selbst meist nur begrenzt einwirken. Eine Anpassung der Produktionsstrategie ist oft die einzige Möglichkeit, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Entscheidend ist hierbei die Kompatibilität der Produktionsstrategie mit der Gesamtstrategie des Unternehmens. Beispielsweise stellt die Senkung der Produktionsfaktorkosten die größte Motivation bei Produktionsverlagerungen dar.2 Allerdings steht die starke Kostenorientierung oft nicht im Einklang mit der gewählten Unternehmensstrategie. Strebt das Unternehmen nach der Kostenführerschaft, sind Kostensenkungsmotive zielkonform. Oft läuft die reine Kostenorientierung Strategien wie zum Beispiel Qualitäts- oder Technologie-führerschaft zuwi2
Vgl. Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 15; Wildemann (2005), S. 28; Stremme (2000), S. 151
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der.3 So sind Qualitätsprobleme der Hauptgrund für Rückverlagerungen. Doch auch hohe Faktorkosten veranlassen viele Unternehmen, ihre Verlagerungsentscheidung zu revidieren.4 Dies ist auf Fehleinschätzungen der Kosten am neuen Standort zurückzuführen. Die meisten Produktionsverlagerungen deutscher Unternehmen spielen sich innerhalb Europas ab. Während kleine und mittlere Unternehmen vor allem die neuen EUMitgliedsstaaten für ihre Auslandsverlagerungen wählen, bevorzugen große Unternehmen die Staaten Westeuropas und Asiens.5 Die Elektro- und Elektronikindustrie hat in den letzten Jahren bezogen auf einen Branchenvergleich am meisten verlagert. Die chemische Industrie und Produzenten von Metallerzeugnissen behielten die meisten Teile ihrer Wertschöpfung in Deutschland.6 Ein weiterer Anstieg der Produktionsverlagerungen ist zu erwarten. 48% aller deutschen Unternehmen, die bisher noch keine Verlagerung durchgeführt haben, planen eine Verlagerung in den nächsten fünf Jahren. 80% aller Unternehmen, die in den letzten fünf Jahren verlagert haben, planen eine weitere Verlagerung. Offenbar sind die meisten Verlagerungen erfolgreich und regen zu Nachahmung und weiteren Verlagerungen an.7
Umgestaltung der Wertschöpfungskette Outsourcing- und Offshoring-Maßnahmen verändern die bestehende Wertschöpfungskette des Unternehmens mit langfristigen Auswirkungen auf die Gewinnsituation und die Überlebenswahrscheinlichkeit. Die Art einer Umgestaltung eines Prozessschrittes kann nach den Determinanten der Prozesseignerschaft und des Ortes der Leistungserstellung klassifiziert werden. Eine aktive Veränderung der Wertschöpfungskette wird so in die Klassen interne Prozessoptimierung, Spin off, Offshoring und Outsourcing unterteilt. Einen Überblick über die Klassifizierung der Handlungsalternativen gibt Abbildung 2.
3 4 5 6 7
Vgl. Kinkel, Lay, Jung Erceg (2004), S. 25 Vgl. Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 30 Siehe hierzu: Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 13; Tholen, Hemmer (2004); DIHK (2003); Wortmann (2002) Vgl. Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 10-11 Vgl. Wildemann (2005), S. 17
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Prozesseignerschaft Aufgabe
Beibehaltung Beibehaltung Interne Prozessoptimierung
Spin off
Offshoring
Outsourcing
Standort
Aufgabe
Abb. 2: Klassifizierung der Handlungsalternativen zur Umgestaltung der Wertschöpfungskette
Der Begriff Outsourcing leitet sich aus dem englischen „Outside Resource Using“ ab. Er beinhaltet die Übertragung der Verantwortung für benötigte Ressourcen auf externe Anbieter. Outsourcing-Aktivitäten wirken über die Verringerung der Wertschöpfungstiefe auf die Wertschöpfungskette ein und basieren auf einer Make-orBuy-Entscheidung zu Gunsten der Fremdfertigung. Seit den 60er Jahren ist der Begriff Outsourcing definiert. In der ersten Hälfte der 90er Jahre betrachtete die Forschung insbesondere den Fremdbezug von Informationsverarbeitungstätigkeiten.8 Das Outsourcing logistischer Dienstleistungen ist weit verbreitet.9 Offshoring beinhaltet die Verlagerung von Prozessschritten oder ganzen Produktionsprozessen an eigene Standorte im Ausland. Hauptmotive sind die Erreichung von Kostensenkungspotentialen und die Gewinnung neuer Kundengruppen bis hin zur Erschließung neuer Märkte.10 Im deutschsprachigen Raum wird unter Offshoring teilweise nur die Verlagerung von Dienstleistungsfunktionen und –prozessen verstanden.11 Die Verlagerung von Kernprozessen der verarbeitenden Industrie wird als Produktionsverlagerung definiert. Im Weiteren wird von der weiten Auslegung des Offshoring-Begriffs als Synonym auch für Produktionsverlagerungen ausgegangen. Vor der Entscheidung für eine Verlagerung oder Fremdvergabe sind die Produktionsprozesse umfassend zu analysieren. Zunächst werden die Prozessschritte einer 8 9 10 11
Vgl. Schott (1997), S. 5-9 Vgl. Mansch (2003), S. 3 Vgl. Farrell (2004), S. 82 Siehe hierzu beispielsweise: Campenhausen (2005), S. 5
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Wertschöpfungskette, die im Verantwortungsbereich des Unternehmens liegen, einer Prüfung unterzogen.12 Idealerweise werden diese Prüfungen zyklisch durchgeführt. Ergibt sich Handlungsbedarf hinsichtlich der Ergebnisverbesserung eines Prozessschrittes, kann dies durch eine unternehmensinterne Prozessoptimierung oder durch externe Problemlösungsstrategien erfolgen. Im Folgenden wird auf externe Strategien eingegangen. Zur Umgestaltung von Wertschöpfungsketten greifen Unternehmen auf die strategischen Alternativen Outsourcing und Offshoring zurück. Im Mittelpunkt einer Offshoring-Entscheidung steht die Auswahl eines geeigneten Produktionsstandortes. Der Fokus beim Outsourcing ist auf die Wahl eines geeigneten Lieferanten gerichtet. Einen Überblick über die Auswahl des neu zu definierenden Prozessschrittes gibt Abbildung 3. Entscheidung über Neuausrichtung des Prozesses
Prozess 1
Spin off
Prozess 2
Prozess 3
Prozess 4
Prozess 5
Prozessoptimierung intern
Prozess 6
Prozess 7
Prozessoptimierung extern
Offshoring
Outsourcing
Standortwahl
Lieferantenwahl
Abb. 3: Auswahl des neu auszurichtenden Prozessschrittes
Die Handlungsalternativen unterscheiden sich. Beim Outsourcing verliert ein Unternehmen die Prozesseignerschaft über den betrachteten Prozessabschnitt. Es muss zwar bestehende Probleme nicht intern lösen, aber es begibt sich in die Abhängigkeit von einem Zulieferer. Beim Offshoring kann das Unternehmen Problemen, mit denen es am bestehenden Standort konfrontiert wird, ausweichen. Als Prozesseigner behält es die volle Kontrolle über den ausgelagerten Prozess. Es wird jedoch mit neuen unternehmensinternen Problemlagen konfrontiert, die es intern zu lösen gilt. So ist die Entscheidung zwischen der Beibehaltung des angestammten Produktionsstandorts, dem Outsourcing und dem Offshoring mehrdimensional. Hinsichtlich der strategischen Entscheidung zwischen Outsourcing und Offshoring ist es hilfreich festzustellen, ob es sich bei dem betrachteten Prozess um eine Kernkompetenz des Unternehmens handelt. Ein Prozessschritt wird als Kernkompetenz gewertet, • wenn er einen wesentlichen Teil der Wertschöpfungskette umfasst, 12
Vgl. Helmes (1996), S. 72; Femerling (1997), S. 44
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• wenn er nachhaltig zum Kundennutzen beiträgt, • wenn er die Grundlage für den Zugang zu unterschiedlichen Märkten schafft, • wenn er schwer von Wettbewerbern zu imitieren ist, • wenn er durch einen gemeinsamen Lernprozess innerhalb des Unternehmens entwickelt wurde.13 Handelt es sich beim betrachteten Prozessschritt um eine Kernkompetenz, sollte das Unternehmen die Leistung im eigenen Unternehmen erstellen, was die Möglichkeit des Offshoring einschließt. Verfügen Zulieferer über entscheidende Wettbewerbsvorteile wie beispielsweise größere Lose oder kostengünstigeren Zugang zu Rohstoffen, erscheint eine Integration dieser Vorteile in die eigene Wertschöpfungskette durch Fremdbezug vorteilhaft.14
Einflussgrößen bei der Auswahl der Handlungsalternative Produktionskosten Die Produktionskosten eines per Offshoring ausgelagerten Produktionsprozesses sind in begrenztem Umfang steuerbar. Die strategische Entscheidung über den neuen Produktionsstandort beinhaltet die Abwägung der Kostenvorteile hinsichtlich Personal, Material, Energie, Grund und Boden sowie der Steuern gegen die qualitativen Standortfaktoren.15 Wichtig ist insbesondere eine möglichst genaue Vorhersagbarkeit der langfristigen Kostenentwicklung. Steigende Löhne, Energie- und Materialkosten sowie Veränderungen in der Steuergesetzgebung des Ziellandes können die Rentabilität eines Offshoring-Projektes senken oder aufzehren. Viele Ansätze zur Entscheidung zwischen Fremdbezug und Eigenfertigung sind kostenorientiert.16 Prinzipiell bildet die Entscheidungssituation zwischen Outsourcing und Offshoring einen Sonderfall der Make-or-buy-Entscheidung. Sie vergleicht die Kosten der unternehmensinternen Herstellung und deren Koordination mit den Kosten der Preisfindung und des Einstandspreises des fremdbeschafften Gutes.17 Die Risiken der Steigerung der Faktorkosten trägt das Unternehmen beim Outsourcing nur indirekt. Das Unternehmen kann bei steigenden Produktionskosten, die als Preissteigerungen weitergegeben werden, einen anderen Zulieferer wählen. 13 14 15 16 17
Nach: Boutellier, Eagner, Wehrli (2003), S. 459 Vgl. Heimbrock (2001), S. 219 Vgl. Haas, Neumair (2006), S. 244 Vgl. Femerling (1997), S. 20 Vgl. Boutellier, Wagner, Wehrli (2003), S. 455
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Kostenvorteile des Outsourcings ergeben sich für den Abnehmer durch • Effizienzvorteile, die der Zulieferer realisiert und weitergibt, • Skaleneffekte, die zu niedrigeren Produktionskosten beim Zulieferer führen, wodurch die Grundlage für Preissenkungen geschaffen ist, • die Aushandlung von vorteilhaften Einkaufskonditionen, • die Senkung seines Fixkostenanteils, • verbesserte Kalkulationsmöglichkeiten, • und ein erhöhtes Kostenbewusstsein.18 Nach dem Outsourcing verliert das Unternehmen zunehmend die genaue Kenntnis über die Produktionskosten. Es verlernt einzuschätzen, wie hoch die Gewinnmarge seiner Zulieferer ist. Das kann sich bei Vertragsverhandlungen als Nachteil erweisen. Ferner hängt die Preisgestaltung des Zulieferers von seiner Marktmacht ab. Gibt es nur wenige Zulieferer, die das gewünschte Vorprodukt liefern, sind die Margen tendenziell hoch. Nimmt das outsourcende Unternehmen hohe Stückzahlen dieses Produkts ab, sinkt der Preis tendenziell. Die langfristige Entwicklung der Kosten kann die Kostenvorteile schnell relativieren. Ist die Kostenentwicklung der Produktionsfaktoren hoch volatil, ist die Überwälzung des Risikos durch eine Outsourcing-Maßnahme vorteilhaft. Dieses Risiko ist in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, da langfristig Produktionskostensteigerungen durch den Zulieferer weitergegeben werden und die Vorteilhaftigkeit einer Outsourcing-Maßnahme so auf lange Sicht in Frage gestellt wird.19 Outsourcing eignet sich vor allem bei einem standardisierten Produkt, das viele Hersteller anbieten. Ist das Produkt wenig standardisiert, ist eher eine Eigenfertigung im Ausland sinnvoll. Der potentielle Zulieferer könnte seine Marktmacht gegenüber dem outsourcenden Unternehmen ausspielen. In diesem Zusammenhang ist die Wechselwirkung des Herauslösens eines Prozessschrittes auf die gesamte Kostenstruktur des Unternehmens zu untersuchen und zu bewerten.20 Werden beispielsweise hohe Anteile der Gemeinkosten eines Unternehmens durch den betrachteten Prozessschritt getragen, ist zu prüfen, ob eine Fremdvergabe die Gemeinkosten um einen dem Prozessschritt entsprechenden Anteil senkt. Falls sie weniger sinken, müssen sie langfristig von den übrigen Prozessschritten erwirtschaftet werden. Hinsichtlich der Entscheidung für das Outsourcing muss die Differenz zwischen eingesparten und bisher gedeckten Kosten vom Kostenvorteil der Fremdvergabe abgezogen werden. Hinsichtlich der Kosten birgt Offshoring höhere Risiken. Beim Outsourcing wird das Risiko steigender Faktorkosten auf den Zulieferer überwälzt. Es reduziert sich auf 18 19 20
Vgl. Müller (2001), S. 182 Vgl. Lang (2005), S. 26-27 Vgl. Lorth (2000), S. 73
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Beschaffungsrisiken, die abhängig von der Verhandlungsmacht des Unternehmens gegenüber seinem Zulieferer sind. Beim Offshoring trägt das verlagernde Unternehmen die vollen Risiken hinsichtlich der Entwicklung der Faktorkosten. Während das Unternehmen seine Standortentscheidung schwer und langfristig revidieren kann, ist der Wechsel zu einem günstigeren Anbieter schnell und verhältnismäßig leicht möglich. Ist jedoch einmal die Entscheidung zu Gunsten des Fremdbezugs gefallen, ist eine Rückkehr zur Eigenfertigung in den meisten Fällen nur mit hohem Aufwand möglich.
Qualität Offshoring- und Outsourcingentscheidungen setzen voraus, dass die Produktqualität zumindest gehalten werden kann. Ein effizientes Qualitätsmanagement muss neue Standards und Lieferanten einschließen. Alle Stufen der inner- und außerbetrieblichen Leistungserstellung sollen festgelegte Qualitätsstandards erreichen. Dies entspricht der Philosophie des Total Quality Management Ansatzes.21 Da Qualitätsprobleme den Hauptgrund für Rückverlagerungen darstellen,22 muss vor einer Veränderung der Wertschöpfungskette durch eine Produktionsverlagerung ein schlüssiges Qualitätsmanagementkonzept vorliegen. Wird die Produktion oder ein Teil des Prozesses verlagert, so hat das Unternehmen weiterhin Einfluss auf das Qualitätsmanagement der gesamten Prozesskette. Je nach Anspruch an die Qualität des Produkts und seiner Komponenten kann das Unternehmen das Qualitätsmanagement gestalten. Eine sorgfältige Planung der Qualitätskontrolle wird qualitätsbeeinflussende Schwachstellen identifizieren und zeitnahe Korrekturen initiieren. Das Unternehmen trägt die für die Sicherstellung der Qualität entstanden Kosten selbst. Beim Outsourcing schwindet der direkte Einfluss des Unternehmens auf die Sicherstellung der Qualität. Bei der Vertragsgestaltung können zwar Qualitätsstandards definiert und vertraglich festgelegt werden. Vertragsstrafen motivieren den Zulieferer, die geforderten Qualitätsnormen einzuhalten. Das outsourcende Unternehmen sichert die Produktqualität durch Wareneingangskontrollen, wodurch zusätzliche Kosten entstehen. Bei mehreren Anbietern entscheidet sich das Unternehmen für Zulieferer, die durch ihr Image, Zertifizierungen sowie weitere Signale ihren hohen Qualitätsstandard dokumentieren. Zudem besteht die Möglichkeit, vertraglich das Recht des Abnehmers festzuschreiben, Qualitätskontrollen im Produktionsprozess des Zulieferers durchzuführen. Ist die Qualität des Produkts nach seiner Produktion leicht, kostengünstig und nachhaltig überprüfbar, ist der Prozessschritt aus der Sicht des Qualitätsmanage21 22
Vgl. Specht, Berger, Scheithauer (1997), S. 154 Vgl. Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 30
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ments für das Outsourcing geeignet. Oft ist eine Qualitätsprüfung nach der Produktion nur schwer möglich. Beispielsweise kann eine Prüfung des Produkts Zweifel an der Qualität nicht zerstreuen, wenn Mängel aus technischen Gründen verborgen sind oder erst langfristig zu Tage treten. In diesem Fall erscheint ein lückenloses Qualitätsmanagement über den gesamten Fertigungsprozess hinweg angebracht. Entscheidet sich das Unternehmen für das Outsourcing, ist die Anwendung des TQMAnsatzes über die Unternehmensgrenzen hinaus von Vorteil. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Implementierung von Lieferanten-Kunden-Beziehungen auch innerhalb des eigenen Unternehmens. Konzepte wie das Supply Chain Management, das Customer Relationship Management, Supplier Relationship Management, ECommerce und Category Management liefern Grundlagen für die Gestaltung eines unternehmensübergreifenden TQM.23 Dies setzt jedoch die Bereitschaft aller Kooperationspartner voraus, intensiver als in einer klassischen Lieferanten-AbnehmerBeziehung zusammenzuarbeiten. Ist diese Bereitschaft nicht vorhanden oder sind nur kurzfristige Lieferverträge möglich, ist das Offshoring dem Outsourcing vorzuziehen.
Wissensmanagement Ein weiteres Kriterium bei der Wahl der Handlungsalternative Outsourcing oder Offshoring ergibt sich aus der strategischen Relevanz des mit dem Projekt oder Prozess verbundenen Wissens. Handelt es sich beim Prozessschritt um eine Tätigkeit, die durch eine Vielzahl von Wettbewerbern ausgeführt wird, die über das gleiche Know-how verfügen, ist Outsourcing vorzuziehen. Verfügen Wettbewerber über mehr Erfahrung in diesem Prozessschritt, ist Outsourcing ebenfalls von Vorteil. Das verlagernde Unternehmen integriert durch die Beschaffung einer Komponente oder eines Produktes den Wissensvorsprung des Zulieferers in seine eigene Wertschöpfungskette. Langfristig besteht die Gefahr, dass das Unternehmen beim Outsourcing sein Fertigungs-Know-how verliert. Offshoring ist vorzuziehen, wenn das Unternehmen über einen hohen Wissensstand im betrachteten Fertigungsprozess verfügt. Es kann dieses Wissen auf den neuen Fertigungsstandort transferieren und dort weiterentwickeln. Auch dieser Weg beinhaltet ein Risiko. Beim Transfer geht Wissen möglicherweise verloren. Falls ein Wissensverlust existenzbedrohend für das Unternehmen sein kann, steht die Sinnhaftigkeit beider strategischer Handlungsalternativen in Frage. Ein Verbleib der Fertigung am angestammten Standort wäre unter dieser Voraussetzung zu bevorzugen. Eine Entscheidungshilfe bei der Bewertung des unternehmensinternen FertigungsKnow-hows liefert Abbildung 4.
23
Vgl. Dehr (2001), S. 125
52 Dieter Specht, Markus Lutz _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ schwer transferierbar
Transferierbarkeit des FertigungsKnow-hows
leicht transferierbar
Verbleib am Verbleib am Verbleib am alten Standort: alten Standort: alten Standort: Nutzung des Nutzung des Nutzung des WissensWissensWissensmonopols monopols monopols Offshoring: Nutzung des Wissensmonopols
Offshoring: Gezielter Wissensaufbau
Outsourcing: Integration überlegenen Wissens
Wissensmonopol
Wissensoligopol
Wissenspolypol
Verbreitung des Fertigungs-Know hows bei Wettbewerbern
Abb. 4: Wissensbewertung als Grundlage für Aus- und Verlagerungsentscheidungen
Outsourcing zieht den Abfluss von Wissen nach sich. Die Abhängigkeit vom Wissen des Zulieferers erhöht sich. Je länger der Fremdbezug andauert, desto schwieriger wird es für das Unternehmen, die Aktivitäten seiner Zulieferer aus einer Position eigener Kompetenz zu überwachen und Vertragsverhandlungen zu führen. Offshoring transferiert vorhandenes Wissen an einen anderen Standort. Der Verlust impliziten Wissens droht. Durch Qualifizierungsmaßnahmen der Mitarbeiter kann der Wissensabfluss zumindest teilweise gestoppt werden. Bei der Übertragung des Wissens auf den neuen Produktionsstandort stehen vier hilfreiche Komponenten des Wissenstransfers zur Verfügung: • Elektronische Netze ermöglichen einen schnellen und günstigen Wissenstransfer auch über große Entfernungen hinweg. • Durch eine angemessene Strukturierung des Unternehmens wird ein Rahmen geschaffen, in dem Informationen zwischen den Mitarbeitern über Länderund Statusgrenzen hinweg ausgetauscht werden. • Durch den Aufbau organisatorischer Parallelstrukturen am neuen Standort ist es möglich, Lerneffekte durch Imitation zu beschleunigen. • Personelle Netzwerke zwischen bestehender und neuer Fertigung ermöglichen den Transfer impliziten Wissens.24
Personal Sowohl Offshoring als auch Outsourcing sind mit dem Verlust von Arbeitsplätzen am bisherigen Produktionsstandort verbunden, sofern die frei gewordenen Personal24
Vgl. Oelsnitz, Hahmann (2003), S. 134
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kapazitäten nicht für alternative Tätigkeiten eingesetzt werden können.25 Der Abbau von Personalkapazitäten ist langfristig zu planen. Der Personalbestand kann mittels Kündigungsanreizen wie Abfindungen, fallweisen Vorruhestandsregelungen und betriebsbedingten Kündigungen reduziert werden. Möglicherweise ist die Aufstellung eines Sozialplanes notwendig. Neben den rechtlichen Risiken betriebsbedingter Kündigungen entstehen durch Abfindungen, rechtliche Auseinandersetzungen und weitere Maßnahmen im Rahmen des Personalabbaus Kosten, die in die Entscheidung über einen neuen Standort oder Fremdbezug einfließen müssen. Auf die Motivation der Mitarbeiter der verbleibenden Fertigung wirken sich sowohl Offshoring- als auch Outsourcing-Maßnahmen häufig negativ aus.26 Hinzu kommt meist ein Imageverlust des Unternehmens bei seinen heimischen Kunden. Insbesondere in bestimmten Teilen der Konsumgüterindustrie legen Abnehmer Wert auf die Leistungserstellung im Inland. Beim Offshoring wird das Unternehmen zusätzlich mit Problemen beim Aufbau und der Qualifizierung ausländischen Personals am neuen Produktionsstandort konfrontiert: • Es besteht das Risiko, nicht in ausreichendem Maß qualifiziertes Personal rekrutieren zu können. • Der Markt für Arbeitskräfte verändert sich insbesondere in Schwellenländern sehr schnell. Trotz hoher Arbeitslosigkeit weisen viele Zielländer für Verlagerungen einen Mangel an Fach- und Führungskräften auf. Die Versetzung von Mitarbeitern aus dem Stammland des Unternehmens löst dieses Problem kurzfristig. Dies ist aber mit hohen Personalkosten verbunden. • Die Entwicklung von Löhnen und Gehältern ist in klassischen Zielländern für Verlagerungen sehr dynamisch. Beispielsweise zeigt ein EU-weiter Vergleich der Arbeitskosten, dass diese in den alten EU-Staaten weniger stark ansteigen als in den neuen EU-Mitgliedsländern.27 Schon wenige Jahre nach Durchführung eines Offshoring-Projektes können sich die Personalkosten gravierend ändern. Die Vorteil-haftigkeit der Maßnahme ist dann oft nicht mehr gewährleistet. Diese Veränderung der Rahmenbedingungen muss bei einer Standortentscheidung mit einbezogen werden. Eine Verlagerung wegen geringer Personalkostendifferenzen kann sich so schon nach wenigen Jahren als Fehlentscheidung herausstellen. • Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede sind ein weiteres Hemmnis. Missverständnisse in der Kommunikation und Verletzungen kultureller Gepflogen-heiten senken die Mitarbeitermotivation. Die kulturelle und religiöse 25 26 27
Siehe zu Alternativen zur Entlassung nach Restrukturierungen Hoffmann, Mahler (2005) Vgl. Lang (2005), S. 28 Vgl. EUROSTAT (2005), S. 168-169
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Prägung der neuen Mitarbeiter wirkt sich auf deren Arbeitsverhalten aus. Arbeitszeitmodelle und die Fertigungsorganisation müssen auf den neuen Standort angepasst werden. Mitunter widersprechen solche Neuregelungen jedoch der Unternehmenskultur oder stehen im Widerspruch zur Unternehmensstrategie. Offshoring birgt gegenüber Outsourcing höhere personelle Risiken. Während beide strategischen Alternativen in gleicher Weise Probleme des Arbeitsplatzabbaus am bestehenden Standort beinhalten, kann beim Outsourcing das Problem der Personalauswahl und -führung auf das Zulieferunternehmen überwälzt werden.
Logistik Die Lösung logistischer Probleme kann im Falle eines Outsourcings durch die Vereinbarung von Lieferungen frei Haus nahezu komplett auf den Zulieferer übertragen werden. Durch Vertragsstrafen wird der Zulieferer motiviert, die Bestellungen dem Wunsch des Abnehmers gemäß zu bedienen. Beim Offshoring sind logistische Probleme ein wichtiger Grund für ein Misslingen. Beispielsweise spielen bei Rückverlagerungen die mangelnde Flexibilität und Lieferfähigkeit (39,5%), die schlechte Infrastruktur des Ziellandes (28,5%) und Kapazitätsengpässe (13,3%) eine große Rolle.28 Flexibilität und Lieferfähigkeit sowie die schlechte Infrastruktur stellen hohe Anforderungen an die Unternehmenslogistik. Bei Produktionsverlagerungen ist die Logistik ein kritischer Erfolgsfaktor.29 Sie hat den geänderten Rahmenbedingungen der Unternehmensstrategie bei einer Produktionsverlagerung Rechnung zu tragen: • Ist die Verlagerung an der Senkung der Kosten für die Leistungserstellung orientiert, ist eine Verlagerung vor allem dann sinnvoll, wenn durch die Neuansiedlung in geographischer Nähe zu Schlüssellieferanten oder -kunden die Logistikkosten gesenkt werden können. • Durch geschickte geographische Standortwahl können Logistikkonzepte wie „just-in-time“ oder „just-in-sequence“ umgesetzt werden. • Ein neuer Standort erhöht die Flexibilität. Das Unternehmen kann vor Ort schnell und nachhaltig auf veränderte Kundenbedürfnisse eingehen. • Die Komplexität bei der Steuerung der Unternehmenslogistik steigt stark an. Der Koordinationsaufwand und die Kosten dafür erhöhen sich bei einer geographisch verteilten Produktion deutlich.30 Vor einer Verlagerung ist ein Konzept zu entwickeln, das die Herausforderungen der Verlagerung an die Logistik antizipiert und der Logistikplanung des Unterneh28 29 30
Vgl. Kinkel, Lay, Maloca (2004), S. 30 Vgl. Specht, Lutz, Nagel (2005), S. 247 Vgl. Zentes, Swoboda, Morschett (2004), S. 390-398
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mens operative Handlungsempfehlungen für eine Vielzahl wahrscheinlicher Szenarien an die Hand gibt. Eine abgestimmte Logistikstrategie berücksichtigt die Rahmenbedingungen, die durch die Unternehmensstrategie und die Verlagerungsstrategie geschaffen werden.31 Dennoch kann auch ein sorgfältig geplantes und professionell durchgeführtes Logistikkonzept den Erfolg nicht garantieren. So muss das Unternehmen, das Offshoring betreibt, ein tendenziell höheres Risiko eingehen als das Unternehmen, das sich für den Fremdbezug entschieden hat und damit das Logistikrisiko vollständig auf seinen Zulieferer überwälzen kann.
Finanzierung Gibt ein Unternehmen seine eigene Fertigung zu Gunsten des Fremdbezugs auf, setzt es gebundene Mittel frei. Es hat die Möglichkeit, die liquide gewordenen Finanzmittel in seine Kernkompetenzen zu investieren und damit seine Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu steigern. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen können so Mittel für die Stärkung ihres Kerngeschäfts erlösen. Das Unternehmen erhält im ausgelagerten Abschnitt der Wertschöpfungskette auch zusätzliche Sicherheit durch die genauere Vorhersagbarkeit der Finanzströme auf mittlere Sicht. Durch langfristige Verträge können die Kosten für den betrachteten Prozessschritt stabil gehalten werden. Das Zulieferunternehmen ist dann gezwungen, die Leistung zum vereinbarten Preis zu erstellen. Offshoring birgt eine höhere Wahrscheinlichkeit für Liquiditätsengpässe. Das Unternehmen bindet durch den Aufbau eines weiteren Produktionsstandortes langfristig liquide Mittel. Bei der Auflösung des bestehenden Standorts werden zwar Finanzmittel freigesetzt. Allerdings übersteigen die Neuinvestitionen in den neuen Standort in der Regel die Erlöse der Auflösung. Diese werden vor allem durch Kosten für die Personalfreisetzung vermindert. So benötigt das Unternehmen zusätzliches Kapital. Großunternehmen können sich die Finanzmittel am Kapitalmarkt beschaffen. Kleinere und mittlere Unternehmen sind zur Durchführung einer OffshoringMaßnahme in der Regel auf Fremdkapital, meist durch Bankkredite, angewiesen. Viele Standorte, vor allem in Mittel- und Osteuropa, gewähren Investoren Subventionen und Steuervergünstigungen. Hierbei ist in Betracht zu ziehen, auf welchen Zeitraum sich die Fördermaßnahmen beziehen. In die Überlegungen ist daher die Möglichkeit sich ändernder Steuersätze und Förderrichtlinien einzubeziehen. Unternehmen, die über wenig liquide Mittel verfügen, sollten daher Outsourcing zur Umgestaltung ihrer Wertschöpfungskette vorziehen. Freiwerdende liquide Mittel können so in den Ausbau der Kernkompetenzen investiert werden. So wird die Wett31
Vgl. Specht, Lutz, Nagel (2005), S. 253-258
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bewerbsfähigkeit des Unternehmens nachhaltig gestärkt. Unternehmen mit hohen liquiden Mitteln oder mit Zugang zu den Kapitalmärkten sind am ehesten fähig, Offshoring-Projekte durchzuführen.
Recht Outsourcing-Maßnahmen ziehen beträchtliche vertragsrechtliche Risiken nach sich. Ein Vertrag muss vollständig hinsichtlich aller die Vertragsbeziehung betreffenden Tatbestände sein. Es besteht das Risiko, dass in der Vertragsgestaltung nicht alle Anforderungen des Abnehmers explizit ausgedrückt werden können. Das Verhalten der Vertragspartner ist im Vertrag ebenso eindeutig festzulegen wie die Konsequenzen bei Vertragsverletzungen. Vertragsverletzungen ziehen unter Umständen lange gerichtliche Verfahren nach sich, die die Problemlösung verzögern. Problematisch ist weiterhin die Abwicklung der Rechtsgeschäfte im Ausland. In der Regel stellen rechtliche Vorteile in anderen Staaten keinen Verlagerungsgrund dar.32 Rechtliche Fragestellungen bedeuten in diesem Zusammenhang eher ein Risiko für das Unternehmen. Das rechtliche Risiko des Offshoring hängt von der Rechtsform des neuen Produktionsstandortes ab. Geht das Unternehmen eine Partnerschaft mit einem lokalen Unternehmen ein, beispielsweise in Form eines JointVentures, können Probleme bei der Vertragsgestaltung und –erfüllung eintreten. Beim Aufbau eines Tochterunternehmens stellt sich die Frage der Wahl der richtigen Rechtsform. Prinzipiell ist das Unternehmen bei der Entscheidung über die Rechtsform des Tochterunternehmens frei, allerdings nur im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten des Ziellandes. In den für Offshoring-Projekte attraktiven neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wirkt beispielsweise die Harmonisierung des Gesellschaftsrechts. So regelt speziell die elfte Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem EU-Staat von Unternehmen gegründet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen.33 Dagegen ist die Wahl der Rechtsform in Staaten, deren Rechtssystem vom Mutterland des Unternehmens abweicht, mit Schwierigkeiten verbunden. Viele Unternehmen übernehmen bestehende ausländische Betriebe als Tochterfirma. Vorteilhaft ist hierbei, dass kein neues Unternehmen aufgebaut werden muss. Allerdings können Verbindlichkeiten oder Altlasten bestehen. Die Entscheidung, welche der strategischen Handlungsalternativen in rechtlicher Hinsicht vorteilhaft ist, ist nicht eindeutig. Die Höhe der Risiken der Vertragsgestaltung mit einem Zulieferer ist abhängig von der Zuverlässigkeit und Verhandlungsmacht des Partners. Idealerweise kann beim Outsourcing auf Partner zurückgegriffen werden, mit denen das Unternehmen bereits auf anderen Gebieten kooperiert und zu 32 33
Vgl. Koller, Raithel, Wagner (1998), S. 179 Vgl. Europäischer Rat (1989), S. 36-39
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denen Vertrauen besteht. Die Risiken eines Produktionsaufbaus im Ausland hängen im Wesentlichen von der Rechtssicherheit des Ziellandes ab. Tendenziell bieten hier Staaten in geographischer Nähe und mit kompatiblen Rechtssystemen die größte Sicherheit.
Zusammenfassung und Ausblick Entscheidungen über Offshoring oder Outsourcing von Produkten und Prozessen bedürfen einer umfassenden Planung. Im Rahmen einer Unternehmens- und Umfeldanalyse sind Wertschöpfungsschritte zu identifizieren, die das Potential haben, bei einer Verlagerung Kostenvorteile und strategische Wettbewerbsvorteile zu realisieren. Ein Unternehmen sollte analysieren, welche Handlungsalternativen sich zum Umbau der Wertschöpfungskette aus strategischer Sicht eignen. Eine umfassende Analyse berücksichtigt die Problemfelder Produktionskosten, Qualität, Wissensmanagement, Personal, Logistik, Finanzierung und Recht. Ist ein Verbleib der Fertigung am bisherigen Fertigungsstandort nicht sinnvoll, bildet die Analyse die Grundlage für eine strategische Entscheidung zwischen Outsourcing und Offshoring. Gewöhnlich sind die Risiken des Offshoring größer als die des Outsourcings. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Vor- und Nachteile der beiden Alternativen, die im Entscheidungs-fall durch eine systematisierte Bewertung zu vertiefen sind.
58 Dieter Specht, Markus Lutz _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Kostenaspekte Faktorkosten Fixkosten Vorhersagbarkeit Qualität TQM Qualitätsführerschaft Wissensmanagement Wissensintegration Wissenstransfer Wissenserhalt und -weiterentwicklung Personal Motivation (alter Standort) Künftiger Personalbestand Logistik Komplexität Entwicklungspotentiale Finanzierung Liquidität Planbarkeit Recht vertragliche Risiken gesellschaftsrechtliche Risiken
Outsourcing
Offshoring
+ + +
+ -
-
+ +
+ -
o + +
+
-
+ o
+
+ +
-
+
o -
+ spricht für die Handlungsalternative o hat keinen Einfluss auf die Entscheidung - spricht gegen die Handlungsalternative
Tab. 1: Gegenüberstellung der Eigenschaften der strategischen Handlungsalternativen Outsourcing und Offshoring
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Outsourcing ist vorzuziehen, wenn Kosten- und strategische Gesichtspunkte zu einer besseren Bewertung führen. Hat der Wissenserhalt aus strategischen Gründen hohe Priorität oder untersucht man Produkte mit einem hohen Spezifikationsgrad, ist Offshoring vorteilhafter. Erweisen sich Offshoring und Outsourcing als in gleicher Weise geeignet, Wettbewerbsvorteile zu generieren und Kostenpotentiale zu heben, ist wegen des geringeren Risikos dem Outsourcing der Vorzug zu geben.
Outsourcing als strategische Handlungsalternativen 59 ____________________und _______Offshoring ____________________________________________________________________________________________________ ________________________
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Effekte 61 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
Effekte des In- und Outsourcing in einem systemdynamischen Modell strategischer Fähigkeiten Andreas Größler Ziel des Beitrags ist, die Auswirkungen von In- oder Outsourcing-Entscheidungen auf die Entwicklung der strategischen Fähigkeiten in produktionswirtschaftlichen Unternehmen zu untersuchen. Nach einer Literaturübersicht wird ein systemdynamisches Modell der Beziehungen zwischen vier strategischen Fähigkeiten im Fertigungsbereich vorgestellt, das auf Grundlage einer empirischen Untersuchung parametrisiert ist. Simulationsergebnisse dieses Modells werden herangezogen, um Effekte von In- und Outsourcing zu diskutieren. Bei Annahme einer Verzahnung der betrachteten Fähigkeiten zeigt das Modell nach Durchführung von Ein- oder Ausgliederungsvorgängen kontra-intuitives Verhalten hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Fähigkeiten. Die Auswirkungen auf die Gesamtperformanz des Produktionssystems variieren je nach struktureller Einbettung der hauptsächlich von In- bzw. Outsourcing betroffenen Fähigkeit.
Strategische Fähigkeiten in der Produktion Das Konzept strategischer Fähigkeiten nimmt in der gegenwärtigen Literatur zum strategischen Management eine wichtige Rolle ein.1 Dieser Beitrag schließt sich der Definition strategischer Fähigkeiten von Amit und Schoemaker2 an, die feststellen, dass strategische Fähigkeiten darin bestehen „to deploy resources, usually in combination, using organizational processes, to effect a desired end. They are informationbased, tangible or intangible processes that are firm-specific and are developed over time through complex interactions among the firm’s resources.” Spickers und Lechner3 fassen die Charakteristika strategischer Fähigkeiten in vier Punkten zusammen: (1) sie sind als organisationale Routinen zu verstehen, die Handlungen koordinieren; (2) sie beruhen auf einer „Tiefenstruktur“ der Organisation und sind daher einfacher Beobachtung nicht zugänglich; (3) sie besitzen Potenzialcharakter und schlagen sich daher nicht zwangsläufig in geändertem organisationalen Verhalten oder gar im Ergebnis nieder; und (4) sie können und müssen sich im Zeitverlauf verändern, wenn 1 2 3
Vgl. Burmann (2001); Warren (2002); Makadok (2001); Hammann, Freiling (2000); Eisenhardt, Martin (2000); Teece et al. (1997); Amit, Schoemaker (1993); Grant (1991) Amit, Schoemaker (1993), S. 35 Spickers, Lechner (2000), S. 366f.
62 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
sie einen wettbewerbsrelevanten Vorteil darstellen sollen. Strategische Fähigkeiten erlauben es Unternehmen, ihren Aktivitäten effizient und effektiv nachzugehen. Sie ermöglichen, was Lippman und Rumelt4 mit „’production’ of a new production function“ im Sinne einer unternehmerischen Innovation beschreiben.5 Gewöhnlich benötigt ein Unternehmen Ressourcen,6 um seine Fähigkeiten zu entwickeln und aus ihnen Vorteile zu ziehen. Strategische Fähigkeiten entstehen durch die komplexe Interaktion von Ressourcen angereichert mit implizitem oder explizitem Wissen über deren effektive Kombination. Obwohl strategische Fähigkeiten notwendig für den Wettbewerbserfolg des Unternehmens sind, sind sie nicht hinreichend.7 Beispielsweise wird ein Unternehmen, das zu geringen Kosten zu produzieren in der Lage ist, nicht notwendigerweise erfolgreich sein. Wenn der Preis des Produkts nur ein Eintrittskriterium für die Teilnahme am Wettbewerb ist,8 können Wettbewerber bessere Ergebnisse erzielen, in dem sie sich auf andere Wettbewerbsfaktoren konzentrieren, etwa die Produktfunktionalität oder Werbemaßnahmen („order winner“, also auftragsgenerierende Wettbewerbsfaktoren). Einen direkten Zusammenhang zwischen dem Unternehmenserfolg und den strategischen Fähigkeiten zu ziehen ist daher schwer. Fähigkeiten stellen eine notwendige Bedingung für die strategische Relevanz der Unternehmung dar, ohne die Erfolg nicht zu erreichen ist; hinreichend für den Eintritt von Erfolg sind sie nicht, da das tatsächliche Ergebnis noch von vielen anderen Faktoren beeinflusst wird. Aus der Perspektive der Produktion stellen strategische Fähigkeiten den Beitrag des Produktionssystems dar, den dieses für den Erfolg des Unternehmens im Wettbewerb leistet, d. h. die Stärken der Produktion, mit denen sie über die funktionale Produktionsstrategie die Unternehmensstrategie unterstützt. Die Entwicklung und Pflege (gegebenenfalls auch die bewusste Vernachlässigung) strategischer Fähigkeiten stellen zentrale Aufgaben einer Produktionsstrategie dar.9 Basierend auf Wheelwright10 werden in diesem Beitrag vier strategische Fähigkeiten in der Produktion betrachtet, nämlich die Fähigkeiten mit (1) niedrigen Kosten, (2) in hoher Qualität, (3) mit zuverlässiger und schneller Lieferung und (4) mit Flexibilität bezüglich des Produktionsvolumens und -mixes zu produzieren. Obwohl teilweise auch andere Fähigkeiten diskutiert werden, z. B. Innovationsfrequenz, Umweltverträglichkeit, Störungsfreiheit 4 5
6 7 8 9 10
Lippman, Rumelt (1982), S. 419 Wie nicht selten bei unternehmerischen Aufgaben steht das Management strategischer Fähigkeiten in Konflikt zu den alltäglichen Problemen und „fire fighting“-Aktivitäten des Managements. vgl. Trought (1994), S. 49ff.; St. John und Young (1992); vgl. auch March und Simon (1958) Vgl. Wernerfelt (1984) Siehe Corbett, van Wassenhove (1993) „qualifier“ in der Terminologie Hills, (2000), S. 36ff. Vgl. Slack, Lewis (2002), S. 5ff. Wheelwright (1984)
Effekte 63 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
des Produktionssystems,11 und diese in spezifischen Fällen auch relevant sein können, sind es doch diese vier Fähigkeiten, denen generelle Bedeutung zugeschrieben wird.12 Die Bedeutung und die Anzahl der erfolgsrelevanten strategischen Fähigkeiten können sich im Zeitverlauf ändern, wenn beispielsweise wechselnde Rahmenbedingungen interne Anpassungsmaßnahmen der Unternehmen erfordern. Insbesondere die Fähigkeit zur Innovation kann als zukünftig zunehmend wichtige strategische Fähigkeit angenommen werden. Sowohl die empirischen als auch die modellgestützten Analysen, von denen in den folgenden Abschnitten berichtet wird, müssten dann an eine veränderte Fähigkeitsmenge angepasst werden. Unter der Annahme unbegrenzt vorhandener Ressourcen könnten alle strategischen Fähigkeiten beliebig stark verbessert werden; den Unternehmen eröffneten sich grenzenlose Möglichkeiten im Wettbewerb. Da die finanziellen, personellen und organisatorischen Mittel faktisch aber beschränkt sind, gestaltet sich Unternehmensführung realiter immer als Entscheidungsfindung unter dem Diktat finiter Ressourcen.13 Das Management des Produktionsbereichs muss daher die finanziellen und anderen Investitionen (z. B. die Aufmerksamkeit des Managements) auf einige Fähigkeiten konzentrieren; es können nicht alle strategischen Fähigkeiten mit beliebig hohem Aufwand unterstützt werden. Mittel, die z. B. zur Steigerung der Qualitätsfähigkeit eingesetzt werden, können nicht gleichzeitig für eine andere Fähigkeit aufgewendet werden. Zusätzlich können Trade-offs bestehen, wenn Fähigkeiten negativ miteinander gekoppelt sind: die Verbesserung in einer Fähigkeit verhindert dann die Verbesserung in einer anderen oder führt gar zu deren Verschlechterung. In der Literatur existieren einige Aussagen zu den Effekten einzelner strategischer Fähigkeiten auf die Performanz der Fertigung.14 Hinsichtlich der Beziehungen zwischen den Fähigkeiten hat sich eine allgemein akzeptierte Ansicht noch nicht herausgebildet. Als extreme Sichtweisen lassen sich zwei Konzepte identifizieren: die Trade-off-Perspektive15 und der Ansatz des World Class Manufacturing.16 Zudem existieren kumulative Modelle strategischer Fähigkeiten, die eine Mittelposition zwischen vollkommener Antinomie und vollkommener Komplementarität darstellen.17 Allen drei Sichtweisen ist aber gemein, dass strategische Fähigkeiten nicht unabhängig voneinander betrachtet werden dürfen, sondern eine zusammenhängende, von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägte Struktur bilden. 11 12 13 14 15 16 17
Für ein Beispiel siehe Boyer/Pagell (2000) Vgl. Boyer, Lewis (2002); Ward et al. (1998); Ward et al. (1996); Swink, Way (1995) Vgl. St. John, Young (1992) Z. B. Swamidass, Newell (1987), bezüglich Flexibilität; Capon et al. (1990), bezüglich Qualität. Siehe Porter (1996); Skinner (1974); Skinner (1969) Siehe Schonberger (1996); Corbett, van Wassenhove (1993); Schonberger (1986) Siehe Schmenner, Swink (1998); Ferdows, De Meyer (1990)
64 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
Insourcing und Outsourcing stellen Möglichkeiten dar, die zeitliche Entwicklung strategischer Fähigkeiten zu beeinflussen. Insourcing spielt dabei eine entscheidende Rolle beim Aufbau von strategischen Fähigkeiten; Outsourcing bewirkt deren Abbau. Grundsätzlich müssen sich Unternehmen dabei dem Problem stellen, dass vermehrtes Insourcing und damit der ebenfalls vermehrte Aufbau von strategischen Fähigkeiten zu Ineffizienz führen kann. Im Gegensatz dazu bewirkt verstärktes Outsourcing, dass Fähigkeiten beschädigt werden und die Unternehmung nicht mehr strategisch vorteilhaft agieren kann. Die Problemstellung, ein effektives und effizientes Gleichgewicht zwischen abzubauenden und aufzubauenden Fähigkeiten zu erhalten,18 wird dadurch erschwert, dass es sich bei In- und Outsourcing um dynamische Prozesse handelt, deren Auswirkungen oft erst verzögert oder an „anderer Stelle im System“ auftreten. In diesem Artikel werden zunächst In- und Outsourcing als komplexe, dynamische Sachverhalte diskutiert. Anschließend wird ein Simulationsmodell strategischer Fähigkeiten entwickelt und anhand empirischer Daten untermauert. Auf Grundlage des Modells werden szenario-basiert die Auswirkungen des abrupten Auf- oder Abbaus strategischer Fähigkeiten untersucht, wie sie beim In- oder Outsourcing auftreten. Der Artikel schließt mit einer Diskussion der Analyseergebnisse und mit weiteren Forschungsfragen zu den Effekten von In- und Outsourcing auf strategische Fähigkeiten.
In- und Outsourcing als komplexer, dynamischer Prozess Outsourcing bezeichnet das dauerhafte Herauslösen von Prozessen und Strukturen aus dem Betrieb und die daraus resultierende, vertraglich geregelte Vergabe an Drittunternehmen; Insourcing das gegenteilige Verhalten. Beide stellen viel diskutierte Handlungsweisen für die Führung von Produktionsunternehmen dar.19 Im Zuge einer fortschreitenden Internationalisierung der wirtschaftlichen Verflechtungen und unterschiedlicher Kostenstrukturen in verschiedenen Wirtschaftszonen erscheint die Auslagerung von Geschäftsprozessen als ein Erfolg versprechender Weg, um Wettbewerbsvorteile zu erhalten oder zu generieren und um ineffiziente Strukturen abzubauen. Darüber hinaus wird postuliert, dass Outsourcing die betriebliche Komplexität reduziert.20 Vor allem in Bezug auf die Funktionen betrieblicher Informationstechnologie – für die die Idee des Outsourcing sich weit durchgesetzt hat21 – ist aber auch 18 19 20 21
Vgl. Lanza (2005) Vgl. Wildemann (2005); Dittrich, Braun (2004); Heywood (2001); für einen terminologischen Überblick siehe von Jouanne-Diedrich (2005) Vgl. Fiege (1998); Waldmann (1998) Siehe Heinzl, Roßbach (2004); Deutsche Bank Research (2004)
Effekte 65 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
eine gegenläufige Entwicklung zu bemerken: Unternehmen bauen wieder interne Kapazitäten und Ressourcen auf, um einen Kompetenzverlust auf diesem Gebiet zu verhindern.22 Trotz der eventuellen Komplexitätsreduktion nach erfolgter Auslagerung, stellen In- und Outsourcing-Vorgänge an sich komplexe Aktivitäten dar. Einem systemtheoretischen Ansatz folgend kann Komplexität in die zwei grundlegenden Komponenten Detailkomplexität und dynamische Komplexität aufgespaltet werden.23 Die Detailkomplexität ergibt sich aus der Anzahl der Systemelemente, der Anzahl der Verknüpfungen zwischen den Elementen und den Typen funktionaler Beziehungen zwischen den Elementen.24 Die Detailkomplexität führt zu der dynamischen Komponente der Komplexität: das Systemverhalten und die Systemstruktur ändern sich im Zeitverlauf, wobei Verzögerungen und Nicht-Linearitäten zu beobachten sind.25 Ein- oder Ausgliederungsaktivitäten betreffen regelmäßig eine Vielzahl von organisationalen Faktoren, beispielsweise strategische Ressourcen wie Mitarbeiter, Produktionsanlagen und Fertigungsprozesse. Die Ressourcen hängen in teilweise nichttransparenter und nicht-trivialer Art zusammen und bilden strategische Fähigkeiten, die zusammen genommen der Unternehmung einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.26 Diese nicht-triviale Vermaschung der Faktoren führt dazu, dass das Herauslösen (aber auch die Hinzunahme) einzelner Faktoren zu schwer prognostizierbarem und auch schwer nachvollziehbarem Verhalten des Systems führt. Solcherart Undurchschaubarkeit zeigt sich darin, dass Effekte erst nach substanzieller Verzögerungszeit evident werden oder als linear und mono-kausal angenommene Zusammenhänge sich als rückgekoppelte und funktional schwierige Relationen erweisen.27 Übertragen auf strategische Fähigkeiten heißt das, dass diese durch das Herauslösen oder das Hinzufügen von ihnen zugrunde liegenden Ressourcen durch Outsourcing oder Insourcing in komplexer Weise beeinflusst werden. Strategische Fähigkeiten an sich werden nicht ein- oder ausgelagert, sondern die Ressourcen auf denen sie basieren. In diesem Beitrag wird die Wirkung von In- und Outsourcing auf einzelne strategische Fähigkeiten der Produktion als auch auf die Fähigkeitsstruktur als Ganzem untersucht und nicht die detaillierte Ebene der strategischen Ressourcen.
22 23 24 25
26 27
Siehe Chapman, Andrade (1998) Vgl. Senge (1990), S. 71; Sterman (2000), S. 21ff. Vgl. Milling (2002), S. 85; Simon (1996), S. 183f.; Milling (1981), S. 91ff. Die Steuerung komplexer dynamischer Systeme stellt einen „dynamic decision task“ im Sinne Brehmer und Allards (1991) dar; zu Entscheidungsverhalten in komplexen Situationen im Allgemeinen siehe Funke (2003); Frensch, Funke (1995); Dörner (1992). „causal ambiguity“; Dierickx, Cool (1989), S. 1508f.; Vgl. auch Barney, 1991. Solche komplexen, dynamischen und rückgekoppelten Systeme werden von Adam (2002) als mit konventionellen betriebswirtschaftlichen Instrumenten nur schwerlich zu analysieren angesehen.
66 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
Insbesondere in den „Verbundeffekten“ zwischen den Fähigkeiten liegen Risiken und Chancen des In- und Outsourcing, die von klassischen Verfahren häufig nur am Rande behandelt werden.28 Grundannahme hierbei ist, dass durch die Ausgliederung strategischer Ressourcen wie Mitarbeitern, Produktionsanlagen und -prozessen auch strategische Fähigkeiten der Produktion verloren gehen; durch die Eingliederung können Fähigkeiten dagegen hinzugewonnen werden. Fällt beispielsweise aufgrund eines Outsourcing-Vorgangs eine besonders effizient arbeitende Maschine aus dem Produktionssystem heraus, so sinkt die Fähigkeit zu niedrigen Kosten zu produzieren (wobei die Kostensituation des Betriebs durch den Outsourcing-Vorgang kurzfristig verbessert sein kann). Ein gegenteiliges Beispiel ist das Insourcing eines bisherigen Zulieferers, wodurch besonders motivierte und qualifizierte Mitarbeiter im Produktionssystem verfügbar werden und dadurch die Qualitätsfähigkeit gesteigert wird.29 Allerdings beschränken sich die Effekte nicht auf die explizit adressierten Fähigkeiten, sondern Auswirkungen von In- und Outsourcing zeigen sich auch bei strategischen Fähigkeiten, die eigentlich durch die Verlagerungsaktivitäten gar nicht tangiert werden sollten. In diesem Zusammenhang stellen Black und Boal30 fest, dass strategische Ressourcen (und Fähigkeiten) häufig erst dann identifiziert werden, wenn sie (unbeabsichtigt) zerstört wurden.
Ein dynamisches Modell strategischer Fähigkeiten Zur Analyse der Auswirkungen von In- und Outsourcing auf die Struktur der strategischen Fähigkeiten wird im Folgenden ein Simulationsmodell auf Grundlage der systemdynamischen Modellierung herangezogen.31 Strategische Fähigkeiten sind kumulative Größen.32 Sie verändern sich nicht instantan, sondern Zuflussraten erhöhen sie und Abflussraten vermindern sie; die Differenz zwischen Zu- und Abfluss innerhalb eines Zeitraums bestimmt, ob die Fähigkeit in dem Zeitraum wächst oder fällt; in den Bestandsgrößen manifestiert sich die Historie des Produktionssystems. Daraus ergibt sich die Konzeption von strategischen Fähigkeiten als Bestandsgrößen (Level) im Sinne der systemdynamischen Modellierung (siehe Abbildung 1). Dem Level ist je eine Zufluss- und eine Abflussrate zugeordnet: der Bestandswert wächst an, indem die Unternehmensleitung der Fähigkeit finanzielle, zeitliche oder andere Einsatzfaktoren zuweist und eine positive Beeinflussung von anderen Fähigkeiten 28 29 30 31 32
Siehe beispielsweise Hinterhuber, Stuhec (1997), für eine Diskussion des In- oder Outsourcing einzelner Fähigkeiten und der Idee eines Fähigkeitenportfolios. Vgl. auch Hall (1992), zur Personenabhängigkeit von strategischen Fähigkeiten. Black, Ball (1994) Vgl. Forrester (1961); Sterman (2000) Siehe Dierickx, Cool (1989); vgl. auch Warren (2006)
Effekte 67 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
stattfindet; Fähigkeiten verringern sich kontinuierlich als Folge von Erosion (bspw. Verlernen) und bewusster Vernachlässigung.33 Unterstützende oder behindernde Verbindungen zwischen einer Fähigkeit A und einer Fähigkeit B hängen vom Bestand der Fähigkeit A im Verhältnis zum Bestand von Fähigkeit B ab.34 Diese unterstützende oder behindernde Wirkung moderiert den Effekt der vom Management eingesetzten Mittel. Einsatzfaktoren
wachsen
Initialwert
strategische Fähigkeit
Einfluss von anderen Fähigkeiten
schrumpfen Abnutzung/ Vernachlässigung
Abb. 1: Strategische Fähigkeiten als Bestandsgrößen
Die Struktur der vier strategischen Fähigkeiten Qualität, Lieferzuverlässigkeit, Kosten und Flexibilität, also deren Verknüpfungen untereinander, wird in dem hier verwendeten System-Dynamics-Modell entsprechend der Untersuchung von Größler und Grübner35 modelliert. Die Modellstruktur bildet damit die in einer empirischen Analyse gefundene Hierarchie der Fähigkeiten ab. Abbildung 2 zeigt die vier strategischen Fähigkeiten mit den zwischen ihnen herrschenden Effektstärken, den TWerten der Effekte und den wichtigsten Gütekriterien des Strukturgleichungsmodells. Qualität steht hierbei auf der ersten Ebene, Lieferzuverlässigkeit auf der zweiten und Kosten und Flexibilität in einer Trade-off-Beziehung auf der dritten Ebene. Positive Effektstärken bedeuten, dass eine strategische Fähigkeit die Entwicklung einer anderen positiv unterstützt, was oben als kumulative Struktur der Fähigkeitenstruktur beschrieben wurde; der schwach negative Zusammenhang zwischen der Kosten- und der Flexibilitätsfähigkeit entspricht einer Trade-off-Beziehung zwischen diesen beiden Fähigkeiten. Diese Struktur wurde auf Grundlage einer im Jahre 2002 durchgeführten
33 34 35
„asset erosion“; Dierickx, Cool (1989), S. 1508 Vgl. Ferdows, De Meyer (1990) Größler, Grübner (2006)
68 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
Fragebogenerhebung36 bei 465 Fertigungsunternehmen mit Hilfe der Strukturgleichungsmethode identifiziert. -0,08 (-0,74)
Flexibilität
Kosten
0,58
0,63
(4,41)
(8,76)
Lieferzuverlässigkeit 0,54 (16,91)
Qualität Gütekriterien des Strukturgleichungsmodells (Lisrel 8.54): Chi-Quadrat = 100,78 (df = 40); Chi-Quadrat/df = 2,519; RMSEA = 0,061; RMR = 0,045; GFI = 0,99; AGFI = 0,98; CFI = 0,99
Abb. 2: Strukturgleichungsmodell der Zusammenhänge zwischen strategischen Fähigkeiten (TWerte in Klammern)
Der Zweck des systemdynamischen Modells ist es, dynamische Effekte des Inund Outsourcing auf die Entwicklung der vier Fähigkeiten zu analysieren. In Abbildung 3 ist das zugehörige Level-Raten-Diagramm in System-Dynamics-Notation angegeben; das Modelllisting wird auf Anfrage vom Autor zur Verfügung gestellt. Im Gegensatz zu klassischen System-Dynamics-Studien erhebt das hier präsentierte Modell nicht den Anspruch, auf kausalen Erklärungen für das Auftreten bestimmter Zusammenhänge zwischen Fähigkeiten oder für die zugrunde liegenden Mechanismen zu beruhen, da auch die Strukturgleichungsanalyse keine solchen Kausalitäten wiedergibt, sondern nur das korrelierte Auftreten von Effekten in einer Stichprobe beschreibt. Der Transfer des Strukturgleichungsmodells in ein systemdynamisches Modell hat daher das Ziel – unter der Annahme, dass die in der statistischen Analyse gefundenen Ergebnisse stabil sind – das dynamische Verhalten der Fähigkeitenstruktur unter verschiedenen Randbedingungen zu testen. Im vorliegenden Fall sind diese Randbedingungen die Ein- und Auslagerung von Unternehmensteilen, die sich auf den Bestand von strategischen Fähigkeiten auswirken. 36
International Manufacturing Strategy Survey, IMSS-3
Effekte 69 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
Die strategischen Fähigkeiten werden durch die Einsatzfaktoren vermehrt, die das Management für ihre Entwicklung zuweist. Wie effizient der Faktoreinsatz allerdings zum Tragen kommt, hängt – gemäß des Konzepts der kumulativen Fähigkeiten – von einem Vergleich des Bestands der betrachteten strategischen Fähigkeit mit den Bestandsgrößen der mit ihr verbundenen Fähigkeiten ab. Als Beispiel seien die Lieferzuverlässigkeit und die Kostenfähigkeit herangezogen. Die Fähigkeit der Lieferzuverlässigkeit unterstützt die Entwicklung der Kostenfähigkeit, was bedeutet, dass immer wenn die Lieferzuverlässigkeit größer ist als die Kostenfähigkeit, ein Faktoreinsatz, der für das Wachstum der Kostenfähigkeit eingesetzt wird, effizient ist und durch die unterstützende Beziehung zwischen den beiden Fähigkeiten verstärkt wird. Ist allerdings die Kostenfähigkeit größer als die Fähigkeit der Lieferzuverlässigkeit, fehlt die Basis zur Weiterentwicklung der Kostenfähigkeit, was sich im Modell s o auswirkt, dass der Faktoreinsatz nur gedämpft und damit ineffizient zum Wachstum des Bestands beiträgt. Die Lieferzuverlässigkeit wird von der Kostenfähigkeit nur dann beeinflusst, wenn der Bestand an Kostenfähigkeit größer als der Bestand der Lieferzuverlässigkeitsfähigkeit ist. Die dahinter stehende Annahme ist, dass Betriebe mit starker Kostenposition nur schwer ihre Lieferzuverlässigkeit verbessern können. Auch in diesem Fall kommt es also zu einer Dämpfung des Wachstums. Zwischen der Kostenfähigkeit und der Flexibilitätsfähigkeit existiert eine hemmende Verbindung: eine Verbesserung in einer der beiden Fähigkeiten schwächt die Verbesserungen in der anderen ab. Als Einheiten werden für alle Variablen abstrakte Indexpunkte verwendet. Obwohl dadurch eine Interpretation der absoluten Werte nicht möglich ist, erlaubt diese Vorgehensweise, verschiedene Variablen und Szenarien miteinander zu vergleichen und eine relative Betrachtung der einzelnen Fähigkeiten zueinander in einem Szenario zu vollziehen. Die Initialwerte der vier Fähigkeitsbestände werden ebenfalls aus der zur Verfügung stehenden Datenbasis des IMSS-3-Projekts abgeleitet. Die Verhältnisse zwischen den Initialwerten der strategischen Fähigkeitsbestände betragen 4,13 : 3,61 : 3,74 : 3,31 für Qualität, Lieferzuverlässigkeit, Kosten und Flexibilität. Um anfängliche Unterschiede auszudrücken, wurden die Bestandsgrößen mit den so ermittelten Werten initialisiert.37 Insgesamt stehen zu jedem Zeitschritt vier Faktorpunkte zur Verfügung, die als Einsatzfaktoren auf die Fähigkeitsbestände verteilt werden können. In den hier vorgestellten Simulationen wird nicht von dieser Gleichverteilung des Faktoreinsatzes abgewichen. Prinzipiell werden Faktor- und Fähigkeitspunkte als äquivalent angesehen, in dem Sinne dass ein Faktorpunkt den Fähigkeitsbestand um einen Fähigkeitspunkt erhöht. Allerdings wird die tatsächliche Effektstärke durch die unterstützende
37
Für eine detaillierte Beschreibung der Vorgehensweise siehe Größler (2005)
70 Andreas Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
beziehungsweise hemmende Wirkung der anderen Fähigkeiten (wie oben beschrieben) beeinflusst. Im Simulationsmodell findet keine autonome oder ungewünschte Entwicklung von Fähigkeiten statt; nur durch eine bewusste Zuweisung von Einsatzfaktoren können die strategischen Fähigkeiten vergrößert werden. Strategische Fähigkeiten wachsen nicht ausschließlich aufgrund von Übertragungseffekten von anderen, unterstützenden Fähigkeiten: eine bewusste Managemententscheidung in Form einer Faktorzuweisung ist notwendig, um strategische Fähigkeiten zu vergrößern. Der Vorgang sich verlagernder Managementaufmerksamkeit und sich wandelnder Faktorszuweisung kann als organisationaler Lernprozess gesehen werden.38 Wenn also der Einsatz, der einer Fähigkeit zugewiesen wird, den Ertrag einer anderen Fähigkeit verstärkt, ist das Lernen effizient; wenn hemmender Einfluss überwiegt, ist der Lernprozess ineffizient. Tabelle k/f
EINSATZ K
ABNUTZUNG K
EINSATZ F
k/f ratio
Kosten K wachsen Tabelle k/l
Tabelle f/l
K schrumpfen
INI K
ABNUTZUNG F
F wachsen
Flexibilität
Tabelle f/k
K/l ratio
f/l ratio
EINSATZ L
L wachsen Tabelle l/q
INI F
ABNUTZUNG L
Tabelle l/k Tabelle l/f
F schrumpfen
Lieferzuverlässigkeit
L schrumpfen
INI L l/q ratio
EINSATZ Q ABNUTZUNG Q Qualität Q wachsen Tabelle q/l
Q schrumpfen INI Q
Abb. 3: System-Dynamics-Modell der Fähigkeitenstruktur
Die Erosion der Fähigkeiten wird als konstanter Anteil des aktuellen Fähigkeitsbestands angenommen und beträgt ein Prozent dieses Bestands in jedem Zeitschritt. Ohne diesen Abnutzungseffekt würden die Fähigkeiten unendlich anwachsen; die Fähigkeitsabnutzung bewirkt, dass ein asymptotisches Verhalten entsteht, welches die grundsätzliche Beschränkung von Wachstumsprozessen in einer begrenzten Welt widerspiegelt. Das Modellverhalten ist nicht sensitiv bezüglich dieser Ein-
38
Vgl. Milling (1995); Senge (1990); Argyris, Schön (1978)
Effekte 71 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
Prozent-Annahme. Andere Werte – solange sie für alle Fähigkeiten gleich sind – erzeugen prinzipiell ähnliche Simulationsergebnisse, wie die im Folgenden berichteten. Um verschiedene Simulationsläufe zu vergleichen, wird eine Gesamtleistungskennzahl durch die Addition aller vier Bestandsgrößen gebildet. Hierbei liegt die Annahme zugrunde, dass die strategischen Fähigkeiten der Produktion die Marktstrategie und Unternehmensziele unterstützen.39 Die Leistungskennzahl kann nur zum Vergleich der Leistungsfähigkeit der Produktionssysteme in unterschiedlichen Szenarien herangezogen werden. Die Leistung des Unternehmens am Markt wird dadurch nicht ausgedrückt. Um dies zu erreichen, wäre es notwendig, die Fähigkeiten in Wettbewerbsfaktoren zu transferieren (z. B. die Fähigkeit, zu geringen Kosten zu produzieren, in niedrige Marktpreise) und diese mit den entsprechenden Faktoren der Wettbewerber und den Kundenanforderungen abzugleichen. Die Leistungskennzahl beinhaltet keine abnehmenden Grenzerträge; insofern wird die Faktorzuweisung in eine Fähigkeit ohne Einschränkung honoriert. Basierend auf den Ergebnissen des Strukturgleichungsmodells werden die verstärkenden oder hemmenden Koeffizienten zwischen den Fähigkeitsbeständen parametrisiert. Dieser beträgt zwischen Qualität und Lieferzuverlässigkeit 0,54, zwischen Lieferzuverlässigkeit und Kostenfähigkeit 0,63, zwischen Lieferzuverlässigkeit und Flexibilität 0,58 und zwischen Flexibilität und Kostenfähigkeit -0,08, wobei das negative Vorzeichen eine Trade-off-Beziehung anzeigt. Die Annahme bei der weiteren Quantifizierung ist, dass diese empirisch ermittelten Koeffizienten die Stärke der unterstützenden Funktion zwischen zwei Fähigkeiten angeben. Entspricht das Verhältnis zwischen zwei Fähigkeitsbeständen dem Anfangswert (oben beschrieben), dann erfolgt eine Verstärkung in Höhe des Koeffizienten. In Abhängigkeit davon, ob eine unterstützende oder hemmende Funktion abgebildet ist, wird der Koeffizient bei Verschiebung des Verhältnisses zwischen zwei Fähigkeiten größer oder kleiner. Ein Beispiel soll zur Illustration dieses Parametrisierungsvorgangs dienen. Das anfängliche Verhältnis zwischen Lieferzuverlässigkeit und Qualität ist 3,61 zu 4,13 (= 0,87). Dieser Quotient dient als Referenzpunkt, an dem die Qualität die Lieferzuverlässigkeit mit 0,54 (dem Koeffizienten aus dem Strukturgleichungsmodell) unterstützt; außerdem findet keine hemmende Wirkung von Lieferzuverlässigkeit auf Qualität statt. Wächst der Qualitätsbestand gegenüber der Lieferzuverlässigkeit noch weiter an, wird Lieferzuverlässigkeit noch mehr durch Qualität unterstützt, bis zu einem Maximum des zweifachen Koeffizientenwerts, also 1,08. Qualität wird in dem Fall nicht von der Lieferzuverlässigkeit beeinflusst. Wenn in umgekehrter Weise Lieferzuverlässigkeit gegenüber Qualität ansteigt, nimmt die unterstützende Wirkung von Qualität auf Lieferzuverlässigkeit immer mehr ab, bis zu einem Minimum von Null bei zweifachem Bestand der Lieferzuverlässigkeit gegenüber dem Ausgangswert und kon39
Vgl. Vickery et al. (1993); Devaraj et al. (2004)
72 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
stantem Qualitätsbestand. In diesem Fall kommt die hemmende Wirkung durch die Nichteinhaltung der Sequenz in der Fähigkeitsentwicklung zustande und die Entwicklung der Qualitätsfähigkeit „leidet“ unter einer zu hohen Lieferzuverlässigkeit. Die maximale Hemmung kommt zustande, wenn Lieferzuverlässigkeit doppelt so groß (oder größer) ist wie Qualität.40 Die interne Validität des Modells ist zufrieden stellend: es produziert replizierbare Ergebnisse; Resultate von Extremwerttests und Sensitivitätsanalysen zeigen konsistentes und robustes Modellverhalten; Parametervariationen über große Wertebereiche resultieren in grundsätzlich ähnlichem Verhalten. Bezüglich der externen Validität ist insbesondere der Modellzweck zu beachten. Dieser beinhaltet nicht die Abbildung eines konkreten Realwelt-Problems oder die möglichst genaue Reproduktion empirischer Zeitreihen. Stattdessen ist der Zweck des System-Dynamics-Modells, eine dynamische Instanz einer betriebswirtschaftlichen Theorie – der kumulativen Fähigkeitsentwicklung – darzustellen. Für diesen Zweck ist das Modell geeignet.41 Mit Hilfe eines in dieser Weise quantifizierten Simulationsmodells ist die Untersuchung verschiedener Szenarien der Entwicklung strategischer Fähigkeiten möglich. In den folgenden Simulationsexperimenten wird analysiert, welchen Einfluss In- und Outsourcingaktivitäten auf die Fähigkeitsstruktur besitzen. Dazu wird an jede Bestandsgröße eine zusätzliche Flussgröße angehängt, die als einmaliger Abfluss oder einmaliger Zufluss parametrisiert werden kann. Der in einer Periode auftretende Insourcing- oder Outsourcing-Vorgang wirkt dabei verzögert auf die zugeordnete Bestandsgröße; die Größe des Zu- oder Abflusses wird als Anteil am momentan vorhandenen Bestand der Fähigkeit ausgedrückt.
Simulationsergebnisse zum In- und Outsourcing von strategischen Fähigkeiten In den folgenden Simulationsexperimenten wird jeweils davon ausgegangen, dass die Zuweisung aus den kontinuierlich zur Verfügung stehenden Mitteln des Betriebs konstant und gleich groß für alle Fähigkeiten ist (in Höhe von einem Faktorpunkt pro Fähigkeit und Periode). Aus Gründen der Vereinfachung wird außerdem nur untersucht, welchen Einfluss die direkte Wirkung von In- oder Outsourcing in genau einer strategischen Fähigkeit im Simulationszeitraum hat; das simultane Auftreten von Änderungen in mehreren Fähigkeiten ist nicht Gegenstand der Analyse. Die Insourcing
40
41
Die Verwendung des Faktors zwei bei der Formulierung der Verstärkungs- bzw. Hemmungsfunktion ist willkürlich. Ein größerer Wert verstärkt die auftretenden Effekte, ein kleinerer Wert vermindert sie. Am grundsätzlichen Systemverhalten ändert sich jedoch nichts. Vgl. Oreskes et al. (1994); Barlas, Carpenter (1990)
Effekte 73 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
und Outsourcing-Ereignisse finden jeweils in der fünfzigsten von einhundert Simulationsperiode statt. Strateg. Fähigkeit [Punkte] 250
Qualität
Insourcing Qualität 500%
187,5
125 Insourcing Qualität 100% 62,5
Basislauf Outsourcing Qualität -50%
0 0
10
20
30
40 50 60 Zeit [Perioden]
70
80
90
100
Abb. 4: Entwicklung des Qualitätsbestands bei In- oder Outsourcing von Qualitätsfähigkeit
In Abbildung 4 sind die Simulationsergebnisse für die Entwicklung der Qualitätsfähigkeit für den Fall angegeben, dass Insourcing oder Outsourcing-Aktivitäten auf die Qualität wirken. Linie 1 entspricht dabei dem Basislauf ohne Insourcing oder Outsourcing. Linie 2 zeigt die Wirkung einer Verdopplung der Qualitätsfähigkeit durch Eingliederung entsprechender Produktionsprozesse. Linie 3 beschreibt auch Insourcing, allerdings um den extremen Wert des fünffachen des bereits vorhandenen Bestands. Linie 4 zeigt die Resultate für die Abgabe der Hälfte des Qualitätsbestands. Gemäß der Modellformulierung steigt die Qualitätsfähigkeit an, wenn Insourcing betrieben wird, und fällt bei Outsourcing. Allerdings zeigt die extreme Hinzunahme zusätzlicher Qualitätsfähigkeiten einen Erosionseffekt: die Fähigkeit wächst nach dem starken Anstieg ausgelöst durch das Insourcing nicht weiter an, sondern fällt im Folgenden – anders als bei moderatem Insourcing – ab. Die Abbildung 5 beinhaltet ähnliche Szenarien, jetzt allerdings bezogen auf die Kostenfähigkeit, d. h. die Graphen zeigen die Entwicklung des Bestands der Kostenfähigkeit und auf diesen wirken auch Insourcing- und Outsourcing-Effekte. Neben dem Basislauf (Linie 1) stellt Linie 2 wieder ein Insourcing mit einer Verdopplung des Bestands und Linie 3 ein Insourcing mit einer einmaligen Bestandsteigerung um 500% dar. Linie 4 zeigt wieder die Resultate eines Outsourcing-Vorgangs, der dem Betrieb 50% seiner Kostenfähigkeit nimmt. Grundsätzlich ergibt sich ein ähnliches Bild wie in Abbildung 4, allerdings fallen die Zuwächse beziehungsweise die Abnah-
74 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
me geringer aus. Die Gründe hierfür liegen einerseits darin, dass zum Zeitpunkt der Veränderung (in Periode 50) der Fähigkeitsbestand für Kosten unter dem von Qualität liegt; andererseits fehlt aber auch die Unterstützung für große Zuwächse durch die grundlegenden Fähigkeiten Lieferzuverlässigkeit und Qualität,42 so dass diese geringer ausfallen, als im Fall der Qualitätsfähigkeit, die von keinen anderen Fähigkeiten abhängig ist. Strateg. Fähigkeit [Punkte] 250
Kosten 187,5
125
Insourcing Kosten 500%
62,5
Insourcing Kosten 100% Basislauf Outsourcing Kosten -50%
0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Zeit [Perioden]
Abb. 5: Entwicklung des Kostenbestands bei In- oder Outsourcing von Kostenfähigkeit
Als zweiter erwähnenswerter Effekt ist zu nennen, dass ein auf die Kostenfähigkeit wirkendes Insourcing oder Outsourcing – wiederum anders als im Fall der Qualität, wo dies nur für das extreme Insourcing galt – immer zu einer Abnahme des Bestands der Fähigkeit während des restlichen Verlaufs der Simulation führt. Die Begründung ist für die beiden Insourcing-Varianten wieder darin zu sehen, dass aufgrund der fehlenden Basisfähigkeiten (Lieferzuverlässigkeit und Qualität) die vermehrte Abnutzung nicht durch kontinuierlichen Faktoreinsatz in die Kostenfähigkeit ausgeglichen werden kann. Beim Outsourcing liegt der Grund für die Abnahme darin, dass aufgrund der Trade-off-Beziehung die Flexibilitätsfähigkeit von dem einmaligen Ereignis der Auslagerung so profitiert, dass sie im Folgenden immer mehr gegenüber der Kostenfähigkeit wächst.
42
Vgl. nochmals Abbildung 2.
Effekte 75 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________ Strateg. Fähigkeit [Punkte] 60
Insourcing Qualität 100%
Lieferzuverlässigkeit
Basislauf / Outsourcing Kosten -50%
45
Insourcing Kosten 100% Outsourcing Qualität -50% 30
15
0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Zeit [Perioden]
Abb. 6: Entwicklung der Lieferzuverlässigkeit bei In- oder Outsourcing anderer Fähigkeit
Abbildung 6 zeigt die Entwicklung der Fähigkeit der Lieferzuverlässigkeit, wenn die oben angesprochenen In- oder Outsourcing-Maßnahmen bei der Qualitäts- oder Kostenfähigkeit vorgenommen werden. Linie 1 zeigt wieder den Basislauf ohne Inoder Outsourcing. Beim Insourcing von Qualität (Linie 2) zeigt sich der positive Effekt der von der grundlegenden Fähigkeit der Qualität auf die darüber gelagerten Fähigkeiten ausgeht: die Lieferzuverlässigkeit wächst mit. Allerdings tritt der Effekt auch in umgekehrte Richtung auf: ein Absinken der Qualität aufgrund von Outsourcing-Effekten hat auch negativen Einfluss auf die Lieferzuverlässigkeit (Linie 3). Die Linien 4 und 5 zeigen den Einfluss der Ein- oder Ausgliederung bei der Kostenfähigkeit auf die Lieferzuverlässigkeit. Wächst die Kostenfähigkeit gegenüber der Lieferzuverlässigkeit aufgrund von Insourcing an, hat dies zur Folge, dass die Lieferzuverlässigkeit in ihrer Entwicklung gehemmt wird. Dagegen hat eine Schwächung der Kostenfähigkeit – zumindest für den hier abgebildeten Fall, in dem der Kostenbestand aufgrund der Anfangsbedingungen der Simulation kontinuierlich kleiner ist als der Bestand der Lieferzuverlässigkeit – keine Auswirkungen auf die vorgelagerte Fähigkeit: die Lieferzuverlässigkeit bleibt unverändert gegenüber dem Basislauf. Abbildung 7 zeigt die Simulationsergebnisse für die Flexibilitätsfähigkeit bei In- oder Outsourcing-Wirkung auf die Kosten- oder die Qualitätsfähigkeit. Außer dem Basislauf in Linie 1 ist an Linie 2 zu erkennen, dass eine Stärkung der Qualität durch Insourcing selbst auf die Flexibilitätsfähigkeit Auswirkungen hat, die nicht direkt miteinander verbunden sind. Der positive Effekt des Wachstums der grundlegenden Fähigkeit pflanzt sich über mehrere Ebenen hinweg fort und beeinflusst auch Fähigkeiten, die nicht benachbart sind. In Linie 3 ist wieder der gegenteilige Effekt bei der Abnahme der Qualitätsfähigkeit zu erkennen: dann ist die Flexibilitätsfähigkeit nega-
76 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
tiv betroffen. Linie 4 zeigt die stark negative Entwicklung von Flexibilität, wenn die Kostenfähigkeit aufgrund von Insourcing plötzlich wächst. Wegen der zwischen den beiden Fähigkeiten existierenden hemmenden Beziehung, wächst die eine Fähigkeit (hier die Kostenfähigkeit) zu ungunsten der anderen (hier der Flexibilität). Linie 5 schließlich stellt das Ergebnis von Outsourcing in der Kostenfähigkeit dar. Davon profitiert die Flexibilität allerdings nicht in dem Maße, wie sie durch ein Insourcing bei der Kostenfähigkeit verliert. Der Grund hierfür liegt darin, dass für ein Wachstum der Fähigkeit auch die Grundlage in den Basisfähigkeiten Lieferzuverlässigkeit und Qualität vorhanden sein muss. Strateg. Fähigkeit [Punkte] 50 Insourcing Qualität 100% Basislauf / Outsourcing Kosten -50% Outsourcing Qualität -50%
Flexibilität 37,5
25 Insourcing Kosten 100% 12,5
0 0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Zeit [Perioden]
Abb. 7: Entwicklung der Flexibilitätsfähigkeit bei In- oder Outsourcing anderer Fähigkeit
Tabelle 1 enthält die Performanzergebnisse für die unterschiedlichen Simulationen. Im Wesentlichen bestätigen sich die bereits bei der graphischen Darstellung der Verläufe gewonnenen Erkenntnisse. Insourcing erhöht die Gesamtperformanz (d.h. die Summe der vier Fähigkeitsbestände in der 100. Simulationsperiode), Outsourcing vermindert sie. Mehr Insourcing (500% anstatt 100%) führt auch zu höherer Performanz. Der oben beschriebene Effekt, dass diese Steigerungsraten nicht nachhaltig sind, kann aufgrund des zeitpunktbezogenen Kriteriums für die Performanz nicht festgestellt werden. Insourcing in der grundlegenden Fähigkeit der Qualität führt zu höherer Leistung als die Erhöhung der Kostenfähigkeit durch Insourcing, da außer der Qualität auch die anderen Fähigkeiten aufgrund der unterstützenden Beziehungen in der Fähigkeitenstruktur in ihrer Entwicklung gefördert werden. Die Kostenfähigkeit hat demgegenüber keine benachbarten Fähigkeiten, mit denen sie in einer unterstützenden Beziehung steht.
Effekte 77 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
Simulationslauf Basislauf
Gesamtperformanz in der 100. Simulationsperiode 193,49
Insourcing Qualität 100%
235,18
Insourcing Qualität 500%
346,66
Outsourcing Qualität -50%
155,41
Insourcing Kosten 100%
173,02
Insourcing Kosten 500%
204,35
Outsourcing Kosten -50%
162,49
Tab. 1: Gesamtperformanz in den verschiedenen Szenarien
Während also die Steigerung einer grundlegenden Fähigkeit durch Insourcing zu besseren Ergebnissen führt, ist aber auch das Risiko einer insgesamt verschlechterten Performanz größer, wenn eine Basisfähigkeit durch Outsourcing geschwächt wird. Dies ist an dem Vergleich der Performanz für Outsourcing in der Qualitätsfähigkeit gegenüber der Kostenfähigkeit zu erkennen. Der Verlust des jeweils gleichen Anteils an vorhandener Fähigkeit führt im Falle der Qualität zu einem schlechteren Ergebnis, als wenn der Anteil bei der Kostenfähigkeit wegfällt. Dies liegt wiederum an den vorhandenen kumulativen Beziehungen zwischen den Fähigkeiten, so dass ein Wegfallen der Qualitätsfähigkeit zu einer mangelnden Unterstützung der anderen Fähigkeiten führt; ein Verlust an Kostenfähigkeit hat demgegenüber weniger Auswirkungen auf die restliche Fähigkeitenstruktur, da keine unterstützenden Beziehungen zu anderen Fähigkeiten vorhanden sind.
Diskussion der Ergebnisse Das vorliegende systemdynamische Simulationsmodell ist so konzipiert, dass Insourcing kurzfristig zu einem Gewinn und Outsourcing kurzfristig zu einem Verlust des Bestands in den betroffenen strategischen Fähigkeiten führt. Die Simulationsergebnisse zeigen, dass langfristig ein Zuviel an Eingliederung (und damit Bestandserhöhung) dazu führt, dass der Bestand nicht erhalten werden kann und verstärkt erodiert, was als ineffizient anzusehen ist. Für die nicht direkt von den In- oder Outsourcing-Aktivitäten betroffenen Fähigkeiten ergibt sich ein gemischtes Bild: sowohl aus
78 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
der Insourcing- als auch aus der Outsourcing-Wirkung auf andere Fähigkeiten kann entweder ein positiver oder ein negativer Effekt auf diese Fähigkeiten resultieren. Wie sich der Ein- oder Ausgliederungsprozess auswirkt, hängt von der Stellung in der Fähigkeitenstruktur ab, von der Art der Beziehung zu der direkt betroffenen Fähigkeit und vom gegenwärtigen Verhältnis der Bestandsgrößen der beiden Fähigkeiten. Ein Kompetenzverlust auch bei nicht direkt betroffenen Fähigkeiten ist allerdings durchaus möglich. Trotz Effizienzvorteilen kann es durch Outsourcing zu Fähigkeitsverlusten kommen, die zu einer „hollow corporation“43 führen können, d. h. auftretenden Problemen und Verlusten in Unternehmensbereichen, die scheinbar von den OutsourcingAktivitäten überhaupt nicht betroffen sind. Die reine Orientierung an finanzwirtschaftlich geprägten Portfolio-Theorien zur Entscheidung über die Auslagerung von Unternehmensteilen erscheint daher bei Betrachtung strategischer Fähigkeiten wenig Erfolg versprechend, da diese unternehmensweite Strukturen und Prozesse nicht berücksichtigen.44 Aus der Perspektive strategischer Fähigkeiten ist beim Insourcing oder Outsourcing die Struktur der Fähigkeitsmenge zu beachten. Aufgrund der komplexen Beziehungen zwischen den Fähigkeiten ist das Auftreten kontra-intuitiven Verhaltens zu erwarten. Als Möglichkeit steht der Unternehmensleitung die Durchführung „konzertierter Aktionen“ zur Verfügung, d. h. dass versucht wird, mehrere Fähigkeiten gleichzeitig zu beeinflussen, um negative Auswirkungen zu vermeiden. Bezüglich der Performanz der gesamten Fähigkeitenstruktur ergibt sich die Aussage, dass in den grundlegenden Fähigkeiten (Qualität und Lieferzuverlässigkeit) die wichtigsten Hebelpunkte liegen.45 Einerseits lässt sich hier die Gesamtleistung des Systems durch Insourcing (also eine Erhöhung des Bestands der Fähigkeiten) positiv beeinflussen; andererseits haben Verluste in diesen Fähigkeiten durch Auslagerungsaktivitäten stärker negative Folgen, als wenn diese bei den beiden anderen Fähigkeiten (Flexibilität und Kostenfähigkeit) ansetzen. Um eine insgesamt schlechte Performanz des Systems zu verhindern, ist Outsourcing also insbesondere dahingehend zu bewerten, ob es die Qualitätsfähigkeit als grundlegendes Element der Fähigkeitenstruktur schwächt, was zu vermeiden ist. Anzumerken ist, dass strategische Fähigkeiten ein abstraktes organisationales Konstrukt darstellen, welches nur indirekt von Maßnahmen der Unternehmensleitung adressiert werden kann. Stattdessen haben die unternehmerischen Tätigkeiten einen Effekt auf die den Fähigkeiten zugrunde liegenden Ressourcen – fallen diese weg oder kommen hinzu, ändern sich die aus ihnen resultierenden strategischen Fähigkeiten eines Unternehmens. Insofern bedürfen die hier vorgestellten Simulationsmodelle 43 44 45
Vgl. Dosi et al. (1992) Vgl. Rasche und Wolfrum (1994) Dies bestätigt die grundsätzlichen Aussagen von Ferdows und De Meyer (1990) zur Existenz kumulativer Fähigkeitenstrukturen.
Effekte 79 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
zur praxisnahen Anwendung noch einer Interpretation im Kontext strategischer Ressourcen, da eben nicht Fähigkeiten aus- oder eingelagert werden, sondern die Ressourcen, auf denen sie basieren. Deutlich werden jedoch die Interdependenzen zwischen den unterschiedlichen strategischen Faktoren. Durch die Transformation von verbalen oder graphischen Modellen in ein konzeptionelles Simulationsmodell werden Übersimplifizierungen und mangelnde Präzision der Basisaussagen deutlich. Es ist ein wichtiger Vorteil formaler, quantifizierter Modelle, dass sie notwendigerweise präziser und detaillierter sein müssen als verbale oder graphische Modelle. Allerdings spielt für den Erkenntnisgewinn bezüglich des modellierten realen Systems nicht nur das Resultat der Modellierungsbemühungen (also das Simulationsmodell per se) eine Rolle, sondern der gesamte Prozess seiner Entwicklung.46 Einige „blind spots“ der Literatur zu strategischen Fähigkeiten traten während des Modellierungsprozesses klar hervor, beispielsweise Fragen nach dem Einfluss nicht-benachbarter Fähigkeiten aufeinander oder nach Verzögerungszeiten. Das vorliegende Simulationsmodell ist insofern kein „klassisches“ SystemDynamics-Modell, dass es wenig kausale Erklärungen für die zu beobachteten dynamischen Effekte liefert. Das Modell in seiner gegenwärtigen Form repräsentiert den kumulativen Entwicklungsprozess strategischer Fähigkeiten und vorhandene Tradeoffs. Insofern ist das Simulationsmodell ein Abbild der „Oberflächenstruktur“ des Phänomens strategischer Fähigkeiten der Produktion, nicht eine Interpretation der „Tiefenstruktur“ des Phänomens.47 Es macht beispielsweise keine Aussagen darüber, welche Ursachen zu unterstützenden Beziehungen zwischen Fähigkeiten führen und wie dieser Prozess gesteuert werden kann. So legen weitergehende statistische Untersuchungen nahe, dass Verbesserungsprogramme und die Existenz spezifischer organisatorischer Ressourcen den Prozess der Fähigkeitsentwicklung beeinflussen. Dem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass die Fähigkeitenstruktur und die Art der Beziehungen über den Simulationszeitraum stabil bleiben. Über einen längeren betrachteten Zeitraum ist diese Annahme jedoch nicht aufrecht zu halten. Um Strukturänderungen im Modell zu berücksichtigen, müssen entweder andere Simulationsverfahren verwendet werden48 oder die dynamischen Strukturen müssen durch sich im Zeitablauf ändernde Dominanz einzelner Rückkopplungsschleifen ausgedrückt werden.49 Beide Alternativen erscheinen insbesondere dann sinnvoll, wenn kausale Annahmen, wie es zu Änderungen der Fähigkeitenstruktur kommt, in das formale Modell eingeflossen sind.
46 47 48 49
Vgl. Lane (1995) Vgl. Lamnek (2005) Z. B. agenten-basierte Simulation; vgl. Schieritz (2004); Schieritz, Milling (2003); Axelrod (1997) Vgl. Ford (1999); Richardson (1995)
80 Größler _______________________________________________________________________________________________________________________________Andreas ________________________
Die Parametrisierung des Modells folgt empirisch gewonnenen Erkenntnissen, die auf Durchschnittswerten und prototypischem Verhalten einer großen Stichprobe von Betrieben beruhen. Die tatsächlichen Funktionen und Koeffizienten für einen spezifischen Betrieb können daher abweichend sein. Der strategische Wert der Analysen liegt daher einerseits im Wissen darum, welche Dynamiken bei einem durchschnittlichen Wettbewerber bezüglich der Fähigkeitsentwicklung zu erwarten sind, und andererseits darin, von diesem durchschnittlichen Verhalten bewusst abzuweichen und eine spezifische Menge und spezifische Beziehungen von Fähigkeiten zu gestalten. Zu diesem Zweck kann das Modell mit tatsächlichen betrieblichen Parametern getestet werden. Dadurch können überlegene Fähigkeitsstrukturen erkannt und geeignete Pfade zur Fähigkeitenentwicklung identifiziert werden.
Effekte 81 _____________des ______In_____und _______Outsourcing ________________________________________________________________________________________________________________________
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Offshoring: Hintergründe und Potenziale 85 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________
Offshoring: Analyse der Hintergründe und Potenziale Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals
Einleitung Offshoring hat sich zu einem Schlagwort entwickelt, unter dem vielfältige Szenarien in Forschung und Praxis diskutiert werden. Es stellt sich die Frage, ob es sich wirklich um ein neues Phänomen oder um einen neuen Begriff für Outsourcing handelt. Wäre letzteres der Fall, so würde es sich nur um alten Wein in neuen Schläuchen handeln. In der Tat beginnen Zeitschriftenbeiträge, die sich mit Offshoring befassen, selten mit einer eindeutigen Definition. Stattdessen vertiefen sie sich in Diskussionen über den optimalen Ablauf und/oder die Konsequenzen von Offshoring. Tabelle 1 veranschaulicht, dass es in vielen Fällen keinen expliziten Schwerpunkt auf theoretisch fundierte Betrachtungen gibt. Dafür beschäftigen Artikel sich eher mit praxisorientierten Auswirkungen von Offshoring, wie bspw. den Implikationen für die Produktivität und Innovationsfähigkeit eines Unternehmens.1
1
Robinson, Kalakota (2005); Smith, Mitra, Narasimhan (1996); Sathyanarayan (2003); Mol et al. (2005); Kotabe (1990); von Campenhausen (2005)
86 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ Deskriptiv
Präskriptiv
Empirie
Theorie
Kotabe (1990)
Autoren (Jahr)
Einfluss auf Innovationsfähigkeit
++
+
n=30
./.
Smith et al. (1996)
Rahmenbedingungen (e.g. Ressourcen und Projekte)
+
+
./.
./.
Lowson (2001)
Einfluss auf Flexibilität und Kosten
++
+
n=78
./.
McKinsey Global Institute (2003)
Makroökonomische Ursachen
++
+
./.
./.
Morstead/Blount (2003)
Phasenkonzept
+
++
n=3
./.
Sathyanarayan (2003)
Managementkonzept
+
++
n=5
./.
Davies (2004)
Anwendungsbeispiele in Indien
++
+
./.
./.
Mol et al. (2005) Robinson/Kalakota (2004) Thondavadi/Albert (2004) Praxisorientiert
Inhaltlicher Schwerpunkt
Einfluss auf Produkinnovationsrate
+
++
n=189
“Technological contingency perspective”
Vorgehenskonzept
+
++
n=7
./.
Vorgehenskonzept
++
++
n=6
./.
Forschungsorientiert
+ = behandelt ++ = intensiv behandelt ./. = nicht behandelt n = Anzahl analysierter Unternehmen
Tab. 1: Auszug der gegenwärtigen Literatur zu Offshoring
Wie die Literaturanalyse zeigt, gibt es bisher nur wenige empirische Untersuchungen zum Thema Offshoring. Nur drei Studien mit einer Stichprobengröße von mehr als 30 Teilnehmern konnten identifiziert werden.2 Momentan bleiben viele wichtige Fragen immer noch unbeantwortet. Diese lauten beispielsweise: Wie kann das Offshoring-Thema theoretisch von ähnlichen Themen wie Outsourcing abgegrenzt werden? Was sind die treibenden Faktoren für diese Entwicklung? Wie können Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft das OffshoringPhänomen erklären? Wie kann die Unterschiedlichkeit verschiedener Begriffe, welche im Kontext von Offshoring genannt werden, systematisiert werden? Im zweiten Teil des Beitrages wird erläutert, wie sich Offshoring zunehmend global manifestiert und welche definitorischen Aspekte in der Literatur vorhanden sind. Auf Basis dieser Grundlagen wird abschließend ein Definitionsraster vorgestellt, welches den Offshoring- vom allgemeinen Outsourcing-Begriff abgrenzt. Um des Weiteren Ursprünge dieses Phänomens zu identifizieren, werden im dritten Teil vier Hauptkategorien von Einflussbereichen und ihre Relevanz für das Offshoring-Phänomen vorgestellt. Dabei handelt es sich in Anlehnung an Hitt3 um makroökonomische, politisch-rechtliche, soziodemografische und technologische Einflussbereiche. Im vierten Teil des Beitrags werden verschiedene Organisationstheorien in 2 3
Kotabe (1990); Lowson (2001); Mol et al. (2005) Hitt et al. (2002)
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 87 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________
Bezug auf ihren Erklärungsbeitrag zur Zunahme von Offshoring-Aktivitäten hin analysiert. Im fünften Teil folgen eine Zusammenfassung der Ergebnisse und der Entwurf einer Systematisierung von Offshoring-Aspekten. Abschließend werden im sechsten Teil Ansatzpunkte für die weitere Forschung diskutiert.
Offshoring in Theorie und Praxis Offshoring hat sich während der letzten Jahre zu einem intensiv diskutierten Thema im Bereich des Einkaufs und Supply Managements entwickelt. Das Institute for Supply Management (ISM) hat eine allgemeine Definitionen von Offshoring erstellt,4 die wie folgt lautet: „being located or operating outside a country’s boundaries”. Outsourcing wird definiert als „being a version of the make-or-buy decision in which an organization elects to purchase an item that was previously made or a service that was performed in-house; often utilized for services. It involves sourcing and using a supplier that provides the completed item or service rather than buying the components and manufacturing them in-house”.5 Trotz dieser Definitionen existiert jedoch kein klares Verständnis über den Zusammenhang dieser beiden Begriffe und erfordert eine detaillierte Diskussion, die im Folgenden dargestellt wird. Der Begriff Offshoring wird in Wissenschaft und Praxis häufig für Outsourcing, genauer gesagt Business Process Outsourcing (BPO) an abgelegenen Standorten,6 genutzt. Jedoch ist Offshoring kein Synonym für Outsourcing. Ganz im Gegenteil: Wenn die „Make-or-Buy Entscheidung” als Ausgangspunkt genommen wird, dann beinhaltet Outsourcing im engeren Sinne nur die „buy” Alternative, das heißt das Beziehen einer bisher unternehmensintern ausgeführten Tätigkeit von einem externen Anbieter.7 Offshoring-Modelle können hingegen sowohl eine „buy” Entscheidung repräsentieren, das heißt, dass Dienstleistungen an einen externen Dienstleister übertragen werden, als auch eine „make” Entscheidung. In letzterem Falle heißt dies, dass die Aktivitäten weiterhin unternehmensintern ausgeführt werden werden.8 Die letztere Möglichkeit repräsentiert eine Form des so genannten Outsourcing im weiteren Sinne9 oder auch „internal Outsourcing”. Das heißt, dass die Aktivitäten der Leistungserstellung von einer dem Unternehmen zugehörigen Entität, zum Beispiel einem Tochterunternehmen, übernommen werden.10 4 5 6 7 8 9 10
Monczka et al. (2005) Monczka et al. (2005) Shamis et al. (2005); Pfannenstein, Tsai (2004); Dibbern et al. (2004) Matiaske, Mellewigt (2002); Klingebiel (2005) Robinson, Kalakota (2005) Klingebiel (2005) Matiaske, Mellewigt (2002)
88 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Manche Autoren definieren dies als Unterscheidung zwischen „Captive Offshoring”, wenn Aktivitäten immer noch unternehmensintern ausgeführt werden, jedoch auf Offshore-Märkten, und „Outsourcing & Offshoring”, für den Fall, dass Aktivitäten von Outsourcing-Anbietern an Offshore-Standorten ausgeführt werden.11 Diese Unterscheidung zeigt bereits, dass diejenigen, die Offshoring lediglich als Synonym von Outsourcing im engeren Sinne als reine „buy“ Alternative sehen, einen Aspekt mit gewichtigem Potenzial übersehen. Der Begriff „Outsourcing” an sich wird auch als Kombination der Begriffe „outside, resource, using”12 oder „outside, resourcing”13 verwendet. Es stellt sich die Frage was genau mit „offshore” gemeint ist. Dieser Punkt ist auch der Grund für eine beachtliche Heterogenität in der Literatur, da Interpretationen von „outside a country’s boundaries”,14 über nicht inländische oder nicht angrenzende Länder15 über abgelegene, kostengünstige Standorte16 bis hin zu vagen Beschreibungen wie „outside the first world”17 reichen können oder, dass es sich auf etwas bezieht, dass sich „outside of the continent” befindet.18 Um eine Aktivität wirklich als Offshoring zu bezeichnen, erscheint es notwendig, dass sich Küsten zwischen den Standorten, an denen die Prozesse vorher ausgeführt wurden, und den Standorten, zu welchen sie übertragen werden, bestehen. Dieses geografische Kriterium wird für sinnvoll erachtet, da im Falle geografischer Nähe zwischen dem vorherigen und neuen Ort der Leistungserbringung Bezeichnungen wie „Nearshoring” für diesen Vorgang treffender wären. Tatsächlich ist die Wahl von Lieferanten in potenziellen Niedriglohnländern („low cost countries”), mit dem Fokus auf Kostenunterschiede,19 ein wichtiger Aspekt des Offshorings. Kosten zu reduzieren ist einer der wesentlichen Gründe für Offshoring, deshalb findet die Verlagerung in eigene Einrichtungen oder an externe Drittanbieter hauptsächlich in Ländern statt, die als „low-cost countries“ angesehen werden. Bei der Betrachtung, welche Aktivitäten durch Offshoring verlagert werden, lässt sich feststellen, dass der klare Schwerpunkt auf Dienstleistungen liegt. Unternehmen versuchen Kosten zu reduzieren indem sie sog. „white collar jobs“, wie Call-Center und IT-Arbeiten in entsprechende Länder, wie zum Beispiel Indien,20 verlagern. 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Monczka et al. (2005); Klingebiel (2005) Hiemstra, van Tilburg (1993); Koppelmann (1996); Schätzer (1999) Meyer, Leuppi (1992); Eversheim et al. (1993); Dillerup, Foschiani (1996) Monzcka et al. (2005) Shamis et al. (2005) Pfannenstein, Tsai (2004); Robinson, Kalakota (2005) Dibbern et al. (2004) Kotabe (1990); Smith, Mitra, Narasimhan (1996); Lowson (2001) Morstead, Blount (2003); La Londe (2004) Robinson, Kalakota (2005); Sathyanarayan (2003); Smith, Mitra, Narasimhan (1996)
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 89 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________
Abbildung 1 zeigt einen Überblick über die Abgrenzung von Outsourcing und Offshoring anhand der Parameter „wie”? („make“ oder „buy“) und „wo“? (onshore, nearshore, offshore). Die zwei Arten von Offshoring repräsentieren die interne und externe Leistungserbringung und werden als „Captive Offshoring” und „Outsourcing & Offshoring” nach Monczka et al.21 bezeichnet.
Wie?
Buy
Outsourcing im engeren Sinne Onshore,
Nearshore,
“Captive Offshoring”
Offshoring
Make
Outsourcing im weitesten Sinne
“Outsourcing & Offshoring” Offshore
Wo?
Abb. 1: Abgrenzung von Offshoring und (Business Process) Outsourcing von Dienstleistungen (in Anlehnung an: Monzcka et al., 2005)
Beachtet man diese Abgrenzungen, so kann der Begriff „Offshoring“ als Abkürzung von „offshore resource using” gesehen werden, indem die Aspekte von Outsourcing oder Verlagerung von Dienstleistungen („white collar jobs“) in OffshoreStandorten mit einbezogen werden. Auf Basis dieser definitorischen Grundlagen werden im nächsten Abschnitt Ausführungen zu Offshoring in der Praxis diskutiert. Das Auftreten des Offshoring-Phänomens hat in den letzten Jahren zugenommen, wie folgende Zahlen belegen. Indien beispielsweise hat in den Jahren 2000 bis 2004 ein Wachstum von mehr als 330% bezüglich der Beschäftigung im Dienstleistungssektor erlebt. Im Jahr 2004 waren insgesamt 505.000 Beschäftigte in diesem Sektor beschäftigt, davon ungefähr 47,5% im IT-Bereich.22 Die Exporte der indischen ITDienstleistungen haben in den Jahren 1995 bis 2002 eine Steigerung von 675% erfahren, dies entspricht einem Volumen von insgesamt 13,5 Mrd. Euro im Jahr 2002.23 21 22 23
Monzcka et al. (2005) Hilsenrath 2004 Bhende et al. 2003
90 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Dennoch sind nicht nur IT-Dienstleistungen Gegenstand von Offshoring-Prozessen, sondern eine breite Spanne von Aktivitäten. Abbildung 2 gibt einen kurzen Überblick über entsprechende Aktivitäten nach funktionalen Bereichen. Es erscheint überraschend, dass zunehmend komplexe Transaktionen, die einen hohen Grad an Qualifikationen erfordern, ebenfalls Gegenstand von Offshoring sind.24 Diese Entwicklung kann als Hinweis gesehen werden, dass sich die Dienstleistungsindustrien in Offshoring-Ländern weiter entwickelt haben.25 Dass zudem Veränderungen in den Rahmenbedingungen in Offshoring-Zielländern und sinkende Spezifitäten der Aktivitäten eine wichtige Ursache für diese Entwicklung sein können, wird im dritten und vierten Teil dieses Beitrags näher erläutert. Offshoring-Möglichkeiten innerhalb eines Unternehmens Back office
Kundenkontakt
Gewöhliche Unternehmensfunktionen
Fachwissen und Entscheidungsanalyse
Forschung und Entwicklung
„Low-cost“ Arbeit Zugang zu hochqualifizierten Arbeitskräften
Zunehmend hochwertige Transaktionen • Einfache Dateneingabe - Bewerbungsformulare - Datenumwandlung • Transaktionsbearbeitung • Dokumentenmanagement
• Gemeinsame • KundenUnternehmensbeziehungen dienstleistungen - Call center (inbound und - Finanzen/Buchhaltung outbound) - Personal - Online Beschaffung Kundenservice • Telemarketing - IT · Help desk • Inkasso · Wartung · Infrastruktur · Anwendungsentwicklung
• Recherchearbeiten • Inhaltliche Entwicklung, • Kunden Analyse Herstellung und Design • Portfolio Analyse • Neues Produktdesign • Anspruchsbearbeitung - Designspezifizierung • Risikomanagement - Pilot- / Prototypen - Kredit Risikoein- Testen schätzung - Produktionsdesign und -optimierung
Abb. 2: Die Offshoring-Leistungen und -Objekte werden immer hochwertiger (Quelle: McKinsey Global Institute, 2003)
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich in den neu entstandenen und entstehenden Industrien neue Möglichkeiten ergeben, auf welche Unternehmen entsprechend reagieren müssen.
Charakterisierung des Offshoring-Phänomens Die Zunahme von Offshoring kann als ein globaler Prozess der Spezialisierung interpretiert werden. Die Nutzung komparativer Wettbewerbsvorteile hilft Ländern Pro-
24 25
McKinsey Global Institute (2003); Klingebiel (2005) von Campenhausen (2005)
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 91 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________
duktivitätssteigerungen zu erlangen.26 Eine Beispiel in dieser Hinsicht ist Outsourcing im Allgemeinen, welches Unternehmen bereits heute vielfach ermöglicht hat, ihre Aktivitäten international auszubauen und ihre Produktionsstrategien nach idiosynkratischen Merkmalen lokaler Produktionsstätten auszurichten.27 Ausgehend von dieser Perspektive ist Offshoring eine Konsequenz der internationalen Arbeitsteilung und Globalisierung, in der wirtschaftliche Aktivitäten des Dienstleistungssektors in Regionen mit höheren Renditeerwartungen verlagert werden. Die Offshoring-Alternative „Outsourcing & Offshoring” repräsentiert eine besondere Form des Outsourcing zu speziellen Standorten, in denen die Spezialisierung und Kostenvorteile von Drittanbietern zum eigenem Vorteil genutzt werden können. „Captive Offshoring” hingegen erlaubt Unternehmen Zugang zu den Ressourcen dieser Standorte zu erhalten, während sie weiterhin die komplette Kontrolle über ihre Prozesse und ihr Know-how behalten. Es folgt eine detaillierte Betrachtung der Gründe, welche diese Entwicklungen ermöglicht haben. Bezüglich der Einflussfaktoren, die zu einem vermehrten Auftreten von Offshoring geführt haben, werden vier Hauptkategorien unterschieden – makroökonomische, politisch-rechtliche, soziodemografische und technologische Einflussfaktoren.28 Diese Kategorien werden in den folgenden Abschnitten erläutert, bevor anschließend eine Betrachtung verschiedener Organisationstheorien erfolgt, um auf deren Basis Einblicke in das Phänomen des Offshorings zu gewinnen.
Makroökonomische Einflussfaktoren Makroökonomische Einflussfaktoren umschließen Aspekte wie Lohnunterschiede, niedrigere Steuer- und Zinsraten, Entwicklung des Kapitalmarktes, Kapitalkosten und die Entstehung von technologischen Clustern. Ein Beispiel für Lohnunterschiede ist der Vergleich der Stundenlöhne für Ingenieure im Jahre 2000. Während ein deutscher Ingenieur ungefähr 36 $ und ein amerikanischer Ingenieur 31 $ kosteten, waren es bei ihren chinesischen und indischen Kollegen 9 $ und 6,5 $.29 Demnach überrascht es nicht, dass Unternehmen versuchen diese Kostenvorteile für sich nutzbar zu machen, indem sie die Verlagerung von Unternehmensprozessen in die oben genannten Länder praktizieren.
26 27 28 29
Ricardo (1817) Burda, Dluhosch (2002) Hitt et al. (2002) United Nations Secretary and Industry Labor Office (2002)
92 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Politisch-rechtliche Einflussfaktoren Politisch-rechtliche Einflussfaktoren betreffen hauptsächlich verschiedene Handelsbarrieren, zum Beispiel Zollbarrieren und zollfremde Handelshemmnisse, Quotenregelungen, aber auch Handelsabkommen wie WTO, MERCOSUR, NAFTA und ASEAN sowie nationale Gesetze (z.B. Arbeitsrecht). Handelsbarrieren wurden in Entwicklungs-/Schwellenländern in den letzten zehn Jahren zunehmend abgebaut. Vier Beispiele für diese Entwicklung sind in Abbildung 3 ersichtlich. Diese Veränderungen erleichtern Unternehmen grenzüberschreitende Aktivitäten und ebnen damit den Weg für Offshoring. Brasilien
Mexiko
• Im Jahr 2000 sind in Brasilien die Zölle um 3 % zurückgegangen. • Die Regierung hat große Vergünstigungen angeboten einschließlich Land, Infrastruktur, Steueraussetzungen und Kredite mit niedrigen Zinsraten um „Foreign Direct Investments (FDI) im Auto-Sektor zu fördern.
• Die Regierung ist 1994 NAFTA beigetreten. Dieses Freihandelsabkommen hat Zölle auf nordamerikanische Industrieprodukte, die zwischen Kanada, Mexiko und den USA innerhalb von 10 Jahren gehandelt werden, abgeschafft. • Bis 1999 sind 65 % aller industriellen amerikanischen Exporte in Mexiko zollfrei.
China
Indien
• Der durchschnittliche Importzoll ist von 43 % in 1991 auf 20,1 % in 1997 gesunken. • China ist 2001 der WTO beigetreten. • Die 40% nationale Auto-Erforderung auf dem Automarkt wurde 2001 abgeschafft. • Die Regierung fördert verschiedene Projekte in der Infrastruktur um FDI anzuziehen.
• Die Autolizenzvergabe wurde 1991 abgeschafft. • Der durchschnittliche Importzoll ist über 60 % zurückgegangen von 87 % in 1991 auf 20,3 % in 1997. • Im Jahr 2001 hat die Regierung AutoImportquoten abgeschafft und 100 % FDI Investitionen in diesem Sektor erlaubt.
Abb. 3: Vier Beispiele für das Verschwinden von Handelsbarrieren (in Anlehnung an: McKinsey Global Institute, 2004, S. 3)
Derzeit gibt es in den Industriestaaten politisch geführte Diskussionen, wie man mit dem zunehmenden Offshoring umgehen soll, da es häufig als nachteilig für die nationale wirtschaftliche Situation und die Arbeitsmarktsituation angesehen wird. Bisher konnte jedoch noch kein Konsens zu dieser Fragestellung erreicht werden.30 Einige Forschungsarbeiten zeigen, dass die Flexibilität der Arbeitspolitik eines Landes dafür verantwortlich ist, ob der Wohlstandseffekt, der durch Offshoring erreicht wird, für eine Gesellschaft insgesamt positiv oder negativ ist.31 Solche Diskussionen
30 31
von Campenhausen (2005) McKinsey Global Institute (2004)
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 93 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________
können auf das politisch-rechtliche Umfeld einwirken, da Regierungen auf diese Bedenken mit veränderten Gesetzen oder Verordnungen reagieren können.
Soziodemografische Einflussfaktoren Soziodemografische Einflussfaktoren betreffen Aspekte wie Bildungsstand, Altersstruktur und die Motivation der Arbeitskräfte. Ein Beispiel bezüglich der Motivation ist das soziale Prestige, das Call Center Jobs für die nationale Belegschaft innerhalb eines Offshore-Landes (z. B. Indien), aufgrund weniger guter Arbeitsplätze und der Aussicht auf einen international bekannten Arbeitgeber, haben können. Dies kann zu einer größeren Anzahl von Bewerbungen für eine Position und einem höheren Anteil an Akademikern in diesen Positionen im Vergleich zu ähnlichen Centern in Europa, und somit zu hochwertigeren Leistungen,32 führen. Solche Faktoren steigern zusätzlich zum Kostenfaktor die Attraktivität für die Unternehmen, Personal in solchen Ländern zu beschäftigen.
Technologische Einflussfaktoren Technologische Einflussfaktoren beziehen sich in diesem Kontext hauptsächlich auf Entwicklungen in der Kommunikations- und Transporttechnik. Beispiele sind hier Entwicklungen im Telekommunikationsbereich sowie das Vorliegen einer verbesserten logistischen Infrastruktur in einigen Offshoring-Zielländern. Im Allgemeinen sind einige der wichtigsten Entwicklungen in der Informationsund Kommunikationstechnik der enorme Anstieg der Kapazität von Mikroprozessoren und Speichermedien, die Miniaturisierung bei der Komponentenfertigung sowie die zunehmende Integration von Informations- und Kommunikationstechnik.33 Diese Entwicklungen relativieren organisatorische und nationale Grenzen, wenn es um die Standortentscheidung der Leistungserbringung geht.34
Beitrag von Organisationstheorien zur Erklärung des OffshoringPhänomens Aus verschiedenen Organisationstheorien wurden drei ausgewählt (dargestellt in Abbildung 4), um einen Erklärungsbeitrag zum Auftreten des Offshoring-Phänomens zu leisten. Da sich alle drei Theorien mit den Determinanten der Integration und Grö-
32 33 34
von Campenhausen (2005) Picot, Reichwald, Wigand (2003) McKinsey Global Institute (2003)
94 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
ße von Unternehmen auseinandersetzen, werden diese für die vorliegende Thematik des Offshorings als besonders geeignet erachtet. Organisationstheorien
Gewählte Vertreter
Neoclassical Theory
Marshall (1980); Cournot (1838)
Traditional Industrial Economics
Bain (1948, 1951, 195 9 )
Modern Industrial Economics
Scherer (19 75, 1980); Shepherd (1972, 1980, 1985)
Behaviou ral Approach
Simon (1957); Cyert/ March (1963)
Property Rights Theory
Commons (1934); Demsetz (1967); Alchian / Demsetz (1972)
Principal -Agent Theo ry
Berle / Means (1932); Jensen / Meckling (1976)
Transaction Cost Theory
Coase (1937); Williamson (1975, 1979)
Evolution Theory
Schumpeter (1911); Nelson / Winter (1982); Rumelt (1991)
Resource based View
Penrose (1959); Wernerfelt (1984); Prahalad/Hamel (1990) Barney (1991)
Market based View
Andrews (1980); Porter (1979, 1980, 1985, 1990)
Abb. 4: Eine Synopse von Organisationstheorien (in Anlehnung an: Dibbern, Güttler, Heinzl, 2001)
Im Folgenden werden die relevanten Aspekte der Transaktionskostentheorie,35 des „Resource-based View”36 und des „Market-based View”37 für die Thematik des Offshorings erläutert.
Transaktionskostentheorie Die Transaktionkostentheorie kann dazu beitragen, das Offshoring-Phänomen zu erklären, indem sie zeigt, wie die Spezifität einer Transaktion, die strategische Bedeutung, die Transaktionshäufigkeit, die Vertragsdauer, und die Transaktionskosten beeinflussen. Zudem können mit ihr Fragen der internen und externen Leistungserstellung geklärt werden.38 Wie im zweiten Teil dieses Beitrags erläutert wurde, umfasst Offshoring sowohl „make“ und „buy“. Das Kriterium der Faktorspezifität in der Transaktionskostentheorie wird als interessanter Aspekt für die Erklärung steigender
35 36 37 38
Coase (1937); Williamson (1975, 1979) Barney (1991); Penrose (1959); Wernerfeldt (1989) Andrews (1971); Porter (1979, 1980, 1985, 1990) Williamson (1979)
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 95 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________
„Outsourcing & Offshoring” (das heißt „buy“) und „Captive Offshoring” (das heißt „make“) Aktivitäten erachtet, wie im folgenden Absatz erläutert wird. Ein hoher Spezifitätsgrad einer Transaktion ist im Rahmen der Transaktionskostentheorie einer der Gründe, dass eine hierarchische Koordination (das heißt „make”) als geeigneter Koordinationsmechanismus angesehen wird. Umgekehrt wird eine marktliche Koordination („buy“) als geeigneter angesehen, wenn geringere Spezifität vorliegt. Unter Berücksichtigung dieses Arguments kann festgehalten werden, dass die Standortspezifität international einen Rückgang erlebt hat, da Technologien immer weniger an bestimmte Standorte gebunden sind und sich die Bedingungen der Infrastruktur oftmals verbessert haben. Betrachtet man die technologische Faktorspezifität, wobei die Technologie als eine Voraussetzung für die Erbringung von Dienstleistungen gesehen wird, verhält es sich ähnlich, da eine große Anzahl von Materialen und technischen Waren heute leichter verfügbar geworden sind. Auch die Spezifität der Arbeitskraft ist als geringer einzuschätzen, da sich (gute) Englischkenntnisse, wie bspw. in Indien, weiter verbreitet sind. Zudem gibt es eine höhere Verfügbarkeit, eine hohe Motivation und verbesserte Bildungsniveaus (zum Beispiel im IT-Bereich in Indien) in den potenziellen Offshoring-Ländern. Die Unsicherheit, als Kriterium der Transaktionskostentheorie, ist insofern gesunken, da sich die Bedingungen in Offshoring-Ländern immer mehr an westliche Standards angeglichen haben und weiter angleichen. Des Weiteren bieten Rechtssysteme zunehmend Schutz und die Kosten zur Rechtssicherung sinken auf ein vergleichbares Niveau mit denen der westlichen Industrieländer. Daher gehen Informations- und Koordinationskosten zurück. Bezieht man die vier Kategorien der Einflussfaktoren in diese Überlegungen ein, s o können diese zu sinkender Spezifität führen. Auf diese Weise wird die marktliche Koordination günstiger und schlägt sich in einer Zunahme des „Outsourcing & Offshoring“ von bestimmten Aktivitäten nieder. Abbildung 5 zeigt wie dieser Mechanismus funktionieren könnte.
96 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ Marktliche Koordination
Transaktionskosten (TK)
Hierarchische Hybride Koordination Koordination
TK Markt
TK Hierarchie
Ursachen: Makroökonomische, politisch-rechtliche, soziodemografische, technologische Umwelteinflüsse
TK Hybrid
S2
SX
S3
Spezifität
SX = hybride Form der Koordination: niedrigste Transaktionskosten (Beispiel) S2 = Übergang zur hybriden Form der Koordination S3 = Übergang zur hierarchischen Form der Koordination
Abb. 5: Möglicher Einfluss der Umweltbedingungen auf die Spezifität der Transaktion (in Anlehnung an: Picot, Reichwald, Wigand, 2003)
Für ein bestimmtes Maß an Spezifität gibt es eine geeignete Koordinationsform,39 die minimale Gesamttransaktionskosten bietet. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist dies im Punkt S3 der Fall, und somit bei hierarchischer oder hybrider Koordination. Wenn die erwähnten Einflussfaktoren zu einem Rückgang der Spezifität geführt haben, könnten andere Koordinationsmechanismen an Attraktivität gewinnen, da sie insgesamt geringere Transaktionskosten bieten. So bspw. wenn die Spezifität von S3 auf SX sinkt und eine hybride Koordination kostengünstiger wird oder weiter auf S2, sodass eine marktliche Koordination den Mechanismus mit den insgesamt geringsten Transaktionskosten darstellt. Obwohl gezeigt wurde, wie die genannten Einflussfaktoren den Rückgang der Spezifität gefördert haben können, was sich in einer Zunahme des „Outsourcing & Offshoring” widerspiegelt, ist ein weiterer wichtiger Aspekt aus dem zweiten Teil dieses Beitrags, dass zunehmend komplexe Aktivitäten mit höherer Spezifität dem „Offshoring“ unterliegen. Hier könnte eine eindeutige Unterscheidung zwischen Offshoring im Sinne von „Outsourcing & Offshoring” und „Captive Offshoring” hilfreich sein. Die weniger komplexen Aktivitäten, welche zunehmend handelbar werden, könnten dem zunehmenden Gebrauch der „Outsourcing & Offshoring” Alternative unterlie39
marktliche, hybride oder hierarchische
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 97 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________
gen. Im Einklang mit der Transaktionskostentheorie könnten Unternehmen für komplexere und von höherer Spezifität gekennzeichnete Aktivitäten häufiger die „Captive Outsourcing” Alternative häufiger wählen, die eine „make”-Entscheidung reflektiert und es dennoch erlaubt, die geringeren Kosten in dem Land zu ihrem Vorteil zu nutzen. Dies könnte, obwohl es wesentliche Unterschiede zum „Outsourcing & Offshoring” aufzeigt, derzeit wenig beachtet unter den allgemeinen Begriff „Offshoring” fallen. Ein weiterer Aspekt, der vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen beachtet werden sollte, ist die Feststellung, dass die Definition der Höhe der Spezifität Veränderungen unterliegt. Mit sich wandelnden Ausprägungen der Einflussfaktoren in den oben genannten Bereichen verändert sich im Zeitablauf auch die Transaktionskosten, sodass im Zeitablauf zunehmend vormals komplexere Aktivitäten über den Marktmechanismus („Outsourcing & Offshoring”) gehandelt werden können. Wie Entwicklungen in der Kategorie der technologischen Einflussfaktoren die Transaktionskosten entsprechend senken können, ist in Abbildung 6 dargestellt. Moderne Informations- und Kommunikationstechnik beeinflusst die Höhe der fixen und variablen Transaktionskosten. Marktliche Koordination
Transaktionskosten
Hybride Koordination
Hierarchische Koordination
Veränderung der fixen und variablen Transaktionskosten
Einfluss Informations- und Kommunikationstechnik S1 S1‘
S2
S 2‘
Spezifität
Ohne moderne Informations- und Kommunikationstechnik Mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik
Abb. 6: Einfluss moderner Informations- und Kommunikationstechnik auf die Höhe der Transaktionskosten und auf die Spezifität der Transaktion (in Anlehnung an: Picot, Reichwald, Wigand, 2003)
98 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Dennoch wird die Höhe der Transaktionskosten von spezifischen Schwierigkeiten beeinflusst, die Offshoring im Gegensatz zu Outsourcing im Allgemeinen aufzeigt. Diese umfassen Probleme in der Kommunikation, bei technischen Fragen, aber auch Probleme hervorgerufen durch Kulturunterschiede, Akzente und Sprachfähigkeiten.40 Weiterhin sind Koordinationsschwierigkeiten aufgrund von Zeitunterschieden41 und einer problematischen Durchdringung von Fachwissen in Teams, z. B. in Softwareentwicklungsteams,42 nach wie vor ein wichtiges Thema. Alle diese Faktoren können potenziell zu einem Anstieg der Transaktionskosten führen.
Resource-based View Der „Resource-based View“ kann einen Erklärungsbeitrag dazu leisten, wie Unternehmen danach streben, strategische Ressourcen zu erwerben und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Diese Ressourcen können physische Ressourcen, Humanressourcen und organisatorische Ressourcen sein.43 Im Wesentlichen beinhaltet der „Resource-based View“, dass ein Wettbewerbsvorteil nicht Resultat der Nutzung von strategischen Optionen im externen Umfeld ist, sondern auch ein Ergebnis dessen, welche Ressourcen das Unternehmen identifizieren, entwickeln, anwenden und schützen kann.44 Der Zugang zu Ressourcen kann nicht nur alleine durch eine direkte Erwerbung von Ressourcen erlangt werden, sondern auch durch das Knüpfen von Beziehungen mit Lieferanten in verschiedenen Regionen. Somit können beide Alternativen des Offshorings, „Outsourcing & Offshoring” sowie „Captive Offshoring”, aus der Perspektive dieser Theorie betrachtet werden.Während die erste Alternative Zugang zu den Ressourcen von Lieferanten in Offshore-Standorten ermöglicht, werden Ressourcen in der zweiten Form direkt durch das Unternehmen erworben. Im Kontext von „Outsourcing & Offshoring” kann eine „2 Unternehmen/2 LänderPerspektive” eingenommen werden. Abbildung 7 stellt den entsprechenden Prozess dar.
40 41 42 43 44
Walsham (2001) Carmel (1999) Sahay, Nicholson, Krishna (2003) Barney (1991) Barney (1991); Penrose (1959); Wernerfeldt (1989)
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 99 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________ „Filling gaps“ Anbieter (Markt in Entwicklungsländern)
Unternehmen in Entwicklungsländern Schritt
Neue Anbieter = OffshoringAnbieter
Markteintritt
Schritt
Einzigartige Ressourcen (Wettbewerbsvorteile neuer Unternehmen)
Führt zu Veränderung von Umwelteinflüssen in Offshoring-Ländern
Abb. 7: Die „2 Unternehmen/2 Länder-Perspektive”
Der erste Beitrag des „Resource-based View“ bezieht sich auf den ersten Schritt einer Outsourcing Entscheidung. Wenn Ressourcen weder knapp noch schwer imitierbar oder substituierbar sind, können mögliche Kostenvorteile durch Fremdbezug entstehen und der Markt kann zum Ausgleich von “filling gaps”, d.h. Defiziten die Unternehmen nicht mit ihren eigenen Ressourcen ausgleichen können,45 dienen. In einem zweiten Schritt, wenn es zur Standortwahl kommt, kann der „Resourcebased View“ folgenden Erklärungsbeitrag zum Offshoring leisten: Da die oben genannten Kategorien der Einflussfaktoren sich in Offshoring-Ländern verändern, entstehen gerade dort einzigartige Ressourcen, welche die Möglichkeit bieten, Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Es entstehen zunehmend Offshoring-Anbieter die Leistungen auf Basis dieser Ressourcen anbieten. Somit können Unternehmen einen dieser neuen Anbieter wählen („Outsourcing & Offshoring) und sind in der Lage die neu entstandenen, einzigartigen Ressourcen zu ihrem Vorteil zu nutzen. Bezüglich der „Captive Offshoring” Alternative eignet sich der „Resource-based View“ ebenfalls als theoretischer Hintergrund, da die Unternehmen, die sich an Offshore-Standorten positionieren, dort auch neue Ressourcen erwerben (wie zum Beispiel qualifiziertes Personal zu niedrigen Kosten) und gleichzeitig die direkte Kontrolle über die neu entstehenden, einzigartigen Ressourcen besitzen.
Market-based View Schließlich ermöglicht der „Market-based View“ Einblicke in die Frage, inwiefern Offshoring eine Notwendigkeit zur Bearbeitung von Märkten darstellt. Die Theorie betrachtet eine überlegene Marktposition als eine wichtige Quelle für Wettbewerbsvorteile. Die im dritten Teil dieses Beitrags diskutierten Einflussfaktoren beeinflussen die Attraktivität sowohl des Anbieter- als auch des Abnehmermarktes in OffshoreStandorten. Aus der Perspektive des „Market-based View“ betrachtet, kann „Outsourcing & Offshoring” als ein Hilfsmittel gesehen werden, neue und interessante Anbietermärkte zu erschließen. Die Unternehmen sind in der Lage Aktivitäten aus ihrem eigenen 45
Grant (1991)
100 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Wertschöpfungsprozess zu Gunsten geringerer Kosten auszugliedern. Wird die „Captive Offshoring”-Alternative gewählt, so ermöglicht sie es den Unternehmen die verlagerten Aktivitäten in ihrem eigenen Wertschöpfungsprozess zu behalten, während sie sich direkt in einem potenziellen Abnehmermarkt positionieren. Abhängig von der verfolgten Unternehmensstrategie kann dies wichtige Implikationen haben. Verfolgen Unternehmen eine Differenzierungsstrategie,46 kann Offshoring erste Differenzierungsmöglichkeiten auf dem Inlandsmarkt bieten. Besitzt das Unternehmen ein „follow the sun concept“, so ist es in der Lage, Markteinführungszeiten zu verkürzen, neue Dienstleistungskonzepte (z. B. 24/7) zu entwickeln und Dienstleistungen schneller zu erbringen. Wenn der Strategie einer Kostenführerschaft nachgegangen wird,47 können Unternehmen neue Möglichkeiten einer Kostenführerschaft für den Inlandsmarkt erzielen, indem sie durch die Verlagerung Kosten einsparen.
Diskussion der Ergebnisse und Entwurf einer Systematisierung Es wurde gezeigt, dass Offshoring klar von Outsourcing abgegrenzt werden kann. Zudem wurden die beiden Alternativen des „Outsourcing & Offshoring” und „Captive Offshoring” herausgearbeitet. Einflussfaktoren wurden aufgezeigt und mit Organisationstheorien analysiert. In Abbildung 8 werden die Erklärungsansätze der Transaktionskostheorie und des „Resource-based View“ zusammengeführt. Die Spezifität der Aktivität, die strategische Bedeutung, sowie die Frage, ob Ressourcen und Know-how für den Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens entscheidend sind, führen in ihren Ausprägungen zu unterschiedlichen Empfehlungen bezüglich des institutionellen Designs. Es erfolgt ein Vergleich der Kosten auf Basis der Transaktionskostentheorie zwischen „make“ („Internal Outsourcing”, d.h. „Captive Offshoring”) und „buy“ („External Outsourcing”, d.h. „Outsourcing & Offshoring”), unter Berücksichtung von Spezifität, strategischer Bedeutung, sowie der Betrachtung, ob (Nicht-) Kernkompetenzen, aus Sicht des „Resource-based View“, der „make“ oder „buy“ Entscheidung unterliegen.
46 47
Porter (1980) Porter (1980)
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 101 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________ Institutionelles Design der Outsourcing Alternativen
„Internal Outsourcing“
Insourcing „Make“
„Center“ approach
Cooperation
Common service company
„External Outsourcing“ Formal coworking
Capital investment hybride Formen
nur Hierarchie
hoch
hoch
„Spot transaction“
nur Markt Grad der marktlichen Koordination
Grad der Hierarchischen Koordination
Transaktionskostentheoriebasierte Empfehlungen für das Outsourcing-Design
Co-working without formal agreement
Spezifität der Aktivität
Strategische Bedeutung der Aktivität
niedrig
niedrig
Kernkompetenz-basierte Empfehlungen für das Outsourcing-Design Vorhandene Ressourcen und Know-how sind …
… KernKompetenz
Nachhaltiger Wettbewerbsvorteil
… dauerhaft
Wettbewerbsvorteil
… relevant für Kunden
Durchschnittliche Wettbewerbsfähigkeit im Geschäftsfeld
… schwach/ irrelevant
Wettbewerbsnachteil
Abb. 8: Ein mögliches Modell für ein Offshoring-Design unter Berücksichtigung von Transaktionskostentheorie und „Resource-based View“ (in Anlehnung an: Arnold, 2000)
Die Ausführungen von Prahalad und Hamel48 zu der Frage inwiefern Kern- und Nichtkernkompetenzen outgesourct werden sollten, sind an dieser Stelle besonders interessant. Wenn vorhandene Ressourcen und Know-how dauerhaft oder für verschiedene Unternehmensbereiche nützlich sind, so kann es besser oder unter Umständen sogar die einzig mögliche Alternative sein, diese unternehmensintern zu belassen, da sie auf dem Markt nicht bezogen werden können.49 Dies reflektiert im Offshoring-Kontext die „Captive Offshoring” Alternative. Wenn die Ressourcen und das Know-how für Kunden relevant sind, müssen sorgfältige Überlegungen über „make“ oder „buy“ erfolgen. Sind die Ressourcen jedoch schwach oder irrelevant in Bezug auf die Generierung von Wettbewerbsvorteilen, so wird die „Outsourcing & Offshoring” Alternative attraktiver. Insgesamt sind empirische Untersuchungen in diesem Bereich immer noch selten und das Thema bedarf weiterer Erforschung. Die Frage, wie stark Unternehmen Outsourcing betreiben sollen, findet in der Literatur bisher nur wenig Resonanz.50 Erste Arbeitsergebnisse der Entwicklung einer Systematisierung von OffshoringAspekten sind in Abbildung 9 dargestellt. Diese Systematisierung beinhaltet die vier 48 49 50
Prahalad, Hamel (1990) Dibbern, Güttler, Heinzl (2001) Harland et al. (2005)
102 Christopher Jahns, Evi Hartmann, Lydia Bals _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Kategorien der genannten Einflussfaktoren, welche das Umfeld prägen. Anschließend werden beeinflussende Aspekte, wie die verfolgte Strategie und die Charakteristika der Leistungen von den Unternehmen aufgeführt, da diese einer Harmonisierung mit dem institutionelle Design, der Organisation und dem Ort der Leistungserbringung bedürfen („Conduct“). Auf unterster Ebene liegt die Bewertung der Entscheidung („Performance Measurement“). Dort können Schlussfolgerungen für zukünftiges Verhalten („Conduct“) gezogen werden. Durch das Verhalten aller Marktteilnehmer können jedoch auch Veränderungen im Umfeld („Structure“) initiiert worden sein, weshalb die jeweiligen Feedback-Loops eingetragen sind. Wettbewerbsdruck
Umfeld („Structure“)
Strategie
Macroökonomisches Umfeld
Technologisches Umfeld
Politisch-rechtliches Umfeld
Sozi-demografisches Umfeld
„Resource-based View“
„Market-based View“
Vertikale Integration
Unternehmen („Conduct“)
Berechnung
Kostenkalkultion Annäherung
Leistungscharakteristik
Spezifität
Institutionelles Design
Insourcing
Organisation
„Performance“
Onshore
Leistung
F&E
„Performance Measurement“
Strategische Bedeutung
„Internal Outsourcing“
Eigene Tochtergesellschaft
Standort der Leistungsausführung
Ausgewogenheit der Argumente
Joint Kooperation Venture
Portfolio Annäherung
Unsicherheit
Häufigkeit
„External Outsourcing“ Lang-/ kurzfristige Veträge
Nearshore
Qualitätssicherung/ -kontrolle
Spotgeschäft
Offshore
IT
Qualitität Service Kosten Risiken Wirtschaftlicher Steuerungseffizienz Wohlstand
Abb. 9: Erste Arbeitsergebnisse der Entwicklung eines „Offshoring-Analyserasters“
Es ist zu beachten, dass im Rahmen des Offshorings „Internal Outsourcing“ (an einen Offshore-Standort) die „Captive Offshoring“ Alternative repräsentiert, während „External Outsourcing“ die Alternative „Outsourcing & Offshoring” widerspiegelt. Abschließend kann festgestellt werden, dass Offshoring eine fundamentale Strukturanpassung und nicht nur ein kurzfristiges Konjunkturphänomen ist.51 Weiterhin ist es eindeutig abgrenzbar von Outsourcing und hat einen größeren Anwendungsbereich. Diejenigen, die Offshoring nur als Synonym von Outsourcing im engeren Sinne und in abgelegenen Standorten sehen, sind sich nur eines Teils der Möglich51
Robinson, Kalakota (2005)
Offshoring: Hintergründe und Potenziale 103 ___________________Analyse ______________der ______________________________________________________________________________________________ ________________________
keiten, die dieses neue Geschäftkonzept ihren Unternehmen bietet, bewusst. Die Alternative des „Captive Offshoring”, mit der Möglichkeit die Wertschöpfungskette zu kontrollieren, während mögliche Kosten- und Ressourcenvorteile zum eigenen Vorteil genutzt werden können, bliebe beim reinen Verständnis von Offshoring als Synonym für „Outsourcing & Offshoring“ unberücksichtigt.
Ansätze für weitere Forschung Offshoring bedarf einer weiteren Systematisierung. Vorzugsweise indem eine Taxonomie entwickelt wird, die ähnliche und überschneidende Begriffe weiter differenziert. Die Abgrenzung von Offshoring und Outsourcing im zweiten Teil dieses Beitrags könnte als Ausgangspunkt für eine tiefer gehende Analyse der momentanen Entwicklung von Offshoring herangezogen werden. Ein Aspekt erscheint für weitere Forschungsarbeiten zudem insbesondere wertvoll: Die Frage, welche Koordinationsmechanismen von Unternehmen gewählt werden, wenn unterschiedlich komplexe Leistungen Gegenstand des Offshorings sind. Hier bietet sich die Möglichkeit, Präferenzen für „Outsourcing & Offshoring” oder „Captive Offshoring” für bestimmte Dienstleistungen zu belegen. Dies ist insbesondere in Verbindung mit dem „Resource-based View“ ein interessantes Forschungsgebiet. Empirische Untersuchungen in diesem Feld sind notwendig, um gesicherte Erkenntnisse über die verschiedenen Facetten des Offshorings zu gewinnen.
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Outsourcing von komplexen logistischen Dienstleistungen: Dokumentenanalyse und Überlegungen zum Erfolg der Kontraktlogistik auf Basis des Beziehungsmarketings und der Transaktionskostentheorie Rudolf O. Large
Überblick Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Einflussgrößen des Erfolgs von Kontraktlogistikbeziehungen. Im Mittelpunkt stehen die Wirkungen von partnerspezifischen Anpassungen mit Hilfe spezifischer Investitionen des Kontraktlogistikdienstleisters und des Auftraggebers. Auf Basis von Literaturstudien und einer Dokumentenanalyse von Ausschreibungsunterlagen werden die potentiellen Erfolgswirkungen, der Umfang und die Einflussgrößen spezifischer Investitionen untersucht. Als Ergebnis dieser Betrachtungen wird ein hypothetisches Strukturgleichungsmodell formuliert, welches die Beziehungen zwischen dem Grad der Leistungsüberwachung, der Komplexität der Kontraktlogistikleistung, der Höhe gebundener Vermögenswerte des Auftraggebers, den spezifischen Investitionen des Kontraktlogistikunternehmens, den spezifischen Investitionen des Auftraggebers, dem Erfolg der Beziehung und der Zufriedenheit der Vertragspartner beschreibt.
Gegenstand der Kontraktlogistik Getrieben von Kostendruck und der strategischen Orientierung auf Kernkompetenzen verfolgen viele Industrie- und Handelsunternehmen die Strategie einer zunehmenden Fremdvergabe logistischer Leistungen.1 Die Zusammenarbeit mit Unternehmen der Verkehrswirtschaft gehört seit jeher zum Tagesgeschäft von Industrie und Handel. Neben den traditionellen Verkehrlogistikleistungen werden jedoch heute auch Leistungen angeboten und genutzt, welche die logistischen Kernaktivitäten des Lagerns und Transportierens in ein komplexes Paket von Logistikleistungen und sonstigen Sach- und Dienstleistungen einbinden.2 Komplexe Logistikdienstleistungspakete bestehen aus mehreren logistischen Dienstleistungsarten und umfassen 1 2
Pfohl (2003), S. 24 Bretzke (1999), S. 221
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als wesentliches Element die kundenspezifische Koordination dieser Einzelleistungen. Weitere Merkmale sind die enge vertragliche Bindung zwischen dem Auftraggeber und dem Dienstleister, ein hohes Maß an Vertrauen, die regelmäßige Leistungsüberwachung und die Einbindung einer Vielzahl von Organisationseinheiten in die Vergabeentscheidung.3 Diese komplexen Dienstleistungsangebote ermöglichen somit prinzipiell das weitgehende Outsourcing der Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik und die Integration von Logistikunternehmen in die Wertschöpfungsketten von Industrie- und Handelsunternehmen.4 Für die Auftraggeber ergibt sich hierdurch die Möglichkeit, ohne Einsatz eigener Ressourcen übergreifende Logistiksysteme mit hoher Leistungsfähigkeit zu schaffen.5 Das Spektrum fremd bezogener Logistikdienstleistungen reicht von klassischen Leistungen, wie z.B. der Auswahl von Transporteuren und der Abwicklung von Transportdienstleistungen bis hin zur selbständigen Auftragsabwicklung, der Abwicklung von Retouren, der Lohnfertigung und dem Entwurf und Betrieb von DV-Systemen.6 Bekanntes Beispiel für die vollständige Vergabe komplexer Logistikleistungspakete an externe Dienstleister ist das Outsourcing der Logistik der Karstadt Warenhaus AG an DHL Exel Supply Chain mit einem jährlichen Geschäftsvolumen von 500 Mio. . Ein weiteres Phänomen ist die „Ausgründung“ von bisherigen Logistikabteilungen zu selbständigen Logistikunternehmen, die für den Konzern und darüber hinaus für Drittkunden komplexe logistische Leistungen anbieten. Ein erfolgreiches Beispiel dafür ist die Bertelsmann-Tochter Arvato Logistics Services. Derartige komplexe und kundenspezifische Logistikdienstleistungen werden in der Praxis häufig mit dem Begriff „Kontraktlogistik“ belegt.7 Der Begriff „Kontraktlogistik“ wird in Wissenschaft und Praxis nicht einheitlich verwendet. Zudem liegt keine rechtliche Normierung der Kontraktlogistik im Gegensatz zu den rechtlichen Konstrukten Spediteur, Lagerhalter oder Frachtführer vor. Klaus und Kille8 führen vier konstitutive Merkmale von Kontraktlogistikleistungen an: • eine individuell zwischen dem Dienstleister und dem Auftraggeber vereinbarte Beziehung, • die Integration von mehreren logistischen Funktionen, • eine längerfristige vertragliche Absicherung, • ein Geschäftsvolumen mit einem erheblichen Mindestjahresumsatz. 3 4 5 6 7 8
Large, Kovács (2001), S. 48-49 Mentzer et al. 2001), S. 6-7 Bolumole (2001), S. 88 Lieb, Kendrick (2002), S. 4 Giesa, Kopfer (2000), S. 45 Klaus, Kille (2006), S. 117
Outsourcing logistischen Dienstleistungen 109 ____________________von _______komplexen ____________________________________________________________________________________________________ ________________________
Während sich die ersten drei Merkmale mit den bereits angeführten decken, ist fraglich, ob ein Mindestjahresumsatz, dessen Grenze Klaus und Kille9 bei 0,5 bis 1 Mio. sehen, ein taugliches Kriterium darstellt. Die Höhe des Umsatzes wird nicht nur durch die Bedeutung der Geschäftsbeziehung bestimmt, sondern ist wesentlich von der Unternehmensgröße des Auftraggebers abhängig. Eine Grenze in der genannten Höhe würde Kontraktlogistikbeziehungen kleinerer und mittlerer Auftraggeber per Definition unmöglich machen.10 Andererseits erfordern Kontraktlogistikbeziehungen Investitionen, die ein gesichertes und ausreichendes Geschäftsvolumen bedingen. Unabhängig von einem bestimmten Geschäftsvolumen sollen im Folgenden mit dem Begriff „Kontraktlogistik“ die Angebote von solchen Logistikunternehmen bezeichnet werden, die auf Basis von langfristigen Verträgen einzelne Logistikleistungsarten und ggf. ergänzende Leistungen kundenspezifisch zu einem komplexen Leistungspaket integrieren. Den Kern von Kontraktlogistikleistungen bilden in der Regel Lager- und Transportleistungen, die durch eine Vielzahl weiterer Logistikleistungen und darüber hinaus durch sonstige Sach- und Dienstleistungen (z.B. Montage und Etikettierung) ergänzt werden. Der Begriff „Kontraktlogistik“ deckt sich mit der im angelsächsischen Raum üblichen Bezeichnung „Third-Party-Logistics“ (3PL).11 Allerdings wird auch dieser Begriff sehr uneinheitlich verwendet. Die Ursache für diese begriffliche Unschärfe liegt vor allem in der hohen Dynamik des Logistikmarktes, denn auch traditionelle Anbieter, wie Speditionen und frühere Staatsunternehmen des Bahn- und Postbereichs, versuchen in das neue Segment der Kontraktlogistik vorzustoßen.12 Hertz und Alfredsson definieren beispielsweise ein 3PL-Unternehmen zunächst allgemein als „provider who manages, controls, and delivers logistics activities on behalf of a shipper“.13 Dieser Definition würde auch ein klassischer Spediteur genügen. Als weitere Merkmale werden von den beiden Autorinnen die Problemlösungsfähigkeit und die Fähigkeit der Anpassung an den Kunden angeführt. Erst damit können 3PLUnternehmen von reinen Transportunternehmen, KEP-Diensten und Sammelgutspeditionen mit standardisierten Netzen sowie von traditionellen Lagerhausbetreibern abgegrenzt werden. In ähnlicher Weise führen Africk und Calkins14 als charakteristische Merkmale von Kontraktlogistikleistungen die im Vergleich zu anderen Formen logistischer Leistungen höhere Kundenspezifität, das breitere Spektrum an Einzelleistungen, die längere Laufzeit der Beziehung und den höheren gegenseitigen Nutzen an. 9 10 11 12 13 14
Klaus, Kille (2006) Zimmermann (2004), S. 26 Knemeyer, Murphy (2004), S. 35 Klaus (2004), S. 31-32 Hertz, Alfredsson (2003), S. 140 Africk, Calkins (1994), S. 49
110 Rudolf O. Large _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Zuweilen wird in der Literatur auch versucht, die 3PL-Unternehmen von den so genannten Forth-Party-Logistics-Providers (4PL) zu unterscheiden. Pfohl15 zählt zu den 3PL-Unternehmen nur solche, die über eigene Einrichtungen zur Erstellung logistischer Leistungen verfügen, während so genannte Fourth-Party-Logistics Providers als reine Koordinatoren auf operative Kapazitäten anderer Logistikunternehmen zurückgreifen müssen. Darüber hinaus seien diese in der Lage, nicht nur einen Teilbereich, sondern eine gesamte Supply Chain zu unterstützen. Beiden Differenzierungen soll in der vorliegenden Abhandlung nicht gefolgt werden. Zum einen werden auch 3PL-Unternehmen bestimmte Logistikleistungen, insbesondere Transportleistungen, bei anderen Logistikunternehmen beschaffen und zu kundenspezifischen komplexen Leistungspaketen kombinieren.16 Zum anderen handelt es sich bei vielen so genannten 4PL-Unternehmen um Tochtergesellschaften klassischer Logistikunternehmen, die angehalten sind, auf die operativen Kernleistungen der Muttergesellschaft zurückzugreifen.17 Statt einer Dichotomie von zwei Unternehmenstypen (3PL und 4PL) zeigt sich in der Realität deshalb ein Kontinuum von Logistikunternehmen mit unterschiedlicher Leistungstiefe. Zum zweiten müssen die Leistungen eines 3PLUnternehmens nicht notwendigerweise auf einen Teilbereich einer Supply Chain begrenzt sein und ebenso werden Unternehmen ohne eigene operative Kapazitäten nicht zwingend nur vollständige Supply Chains unterstützen. Die Leistungen von 3PL- und 4PL Unternehmen, sollen deshalb im Sinne der oben angeführten weiten Definition der Kontraktlogistik verstanden werden. Klaus und Kille18 unterscheiden hinsichtlich des Leistungsgegenstandes zwei Teilbereiche der Kontraktlogistik: die Konsumgüterdistribution und Konsumgüterkontraktlogistik sowie die so genannte Industrielle Kontraktlogistik. Das Segment „Konsumgüterdistribution und Konsumgüterkontraktlogistik“ umfasst in Deutschland ein potentielles Nachfragevolumen von 21,5 Mrd. , wovon bereits Leistungen im Wert von etwa 6,5 Mrd. an Logistikunternehmen vergeben sind. Die „Industrielle Kontraktlogistik“ weist ein potentielles Marktvolumen von 45,5 Mrd. auf. Dieses Segment beinhaltet vor allem die Produktionsversorgung und die Ersatzteildistribution. Von diesem potentiellen Marktvolumen werden etwa 9,1 Mrd. von Logistikunternehmen erbracht.19 Die Anbieterstruktur auf den Kontraktlogistikmärkten ist sehr vielfältig. Großspediteure (z.B. Nagel, Fiege, Dachser), Ausgründungen von Industrie- und Handelsunternehmen (z.B. Arvato, MGL, Infracor) und Tochterunternehmen von Bahn- und Postunternehmen (z.B. Schenker, DHL) betrachten die Kontraktlogistik als interessanten 15 16 17 18 19
Pfohl (2003), S. 30 Pfohl, Large (1992), S. 38 Africk, Calkins (1994), S. 58-59 Klaus, Kille (2006), S. 121-130 Klaus, Kille (2006), S. 121-130
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Markt, der im Vergleich zu den traditionellen Transportmärkten, die durch starken Wettbewerb und Kostendruck gekennzeichnet sind, höhere Renditen verspricht.
Problemstellung und Forschungsfragen Auf den ersten Blick stellen Kontraktlogistikbeziehungen eine Form der Partnerschaft zwischen Dienstleistungsunternehmen und ihren Kunden dar.20 Allerdings enthalten Kontraktlogistikverträge häufig detaillierte Ausführungen über die Pflichten des Logistikdienstleisters.21 Dazu gehören vor allem spezifische Anpassungen an die Systeme und Abläufe des Auftraggebers sowie umfangreiche Kontroll- und Berichtspflichten. Dies ist nicht erstaunlich, denn die Anpassungsfähigkeit der Dienstleister wurde im vorangegangenen Abschnitt gerade als konstitutives Merkmal der Kontraktlogistik eingestuft.22 Um diese Anpassungen vornehmen zu können, sind kundenspezifische Investitionen des Kontraktlogistikers notwendig.23 In ihrer Studie des nordamerikanischen 3PL-Marktes identifizieren Lieb und Bentz24 die hohen Kosten für kundenspezifische IT-Anpassungen als großes Problem für die Effizienz der Kontraktlogistik, zumal nach Bekunden der Kontraktlogistikunternehmen die Bereitschaft der Auftraggeber, sich an diesen Kosten zu beteiligen, gering ist. Viele Dienstleister berichten auch in persönlichen Gesprächen über diese einseitigen Anpassungen an die Prozesse und Systeme des Auftraggebers sowie über extrem schwierige Geschäftsbeziehungen, die durch kurze Laufzeiten von teilweise nur 3 Jahren und eine detaillierte Überwachung auf Basis von Leistungskennzahlen geprägt sind. Ein wesentlicher Schlüssel zum Verstehen dieser Problematik ist die Tatsache, dass Kontraktlogistikbeziehungen in aller Regel die Folge von aktuellen oder früheren Outsourcing-Entscheidungen sind. Die Kontraktlogistikleistung besteht aus einem komplexen Bündel von Logistikdienstleistungen, das bestehende Prozesse und Systeme des Auftraggebers ersetzen soll. Folglich wird der Auftraggeber in den meisten Fällen ein hohes Interesse daran haben, die Eigenschaften des Kontraktlogistiksystems wesentlich zu beeinflussen, um eine reibungslose Weiterführung seiner Aufgaben zu gewährleisten. Aus diesem Grund schreibt der Auftraggeber z.B. den Standort, die operativen Abläufe und bestimmte Kennzahlen vor und erwartet die Nutzung vorhandener Betriebsmittel, wie z.B. Lagerhallen und Logistikeinrichtungen. Aus diesen Überlegungen resultieren die ersten beiden Forschungsfragen: 20 21 22 23 24
Mohr, Spekman (1994), S. 135 Mohr, Spekman (1994), S. 135 Hertz, Alfredsson (2003), S. 140 Knemeyer, Murphy (2005), S. 712 Lieb, Bentz (2005), S. 602
112 Rudolf O. Large _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
• Welche Anpassungen und welche spezifischen Investitionen treten in Kontraktlogistikbeziehungen auf? • Welches sind die Bestimmungsgründe dieser Anpassungen und Investitionen? Darüber hinaus soll der Einfluss solcher Anpassungen auf den Erfolg von Kontraktlogistikbeziehungen und auf die Zufriedenheit der beiden Partner untersucht werden. Knemeyer und Murphy25 konnten keinen Einfluss von spezifischen Investitionen auf die durch den Auftraggeber wahrgenommene Leistung feststellen. Andererseits konnten Cannon und Perreault26 im Falle von allgemeinen LieferantenAbnehmer-Beziehungen einen positiven Einfluss spezifischer Anpassungen auf die Kundenzufriedenheit nachweisen. Insgesamt ist jedoch das wissenschaftliche Wissen über diesen Zusammenhang gering. Vorliegende Studien liefern ein eher widersprüchliches Bild. Weiterhin findet sich häufig eine Verknüpfung dieser Fragestellung mit der Outsourcing-Problematik, wodurch die Kundenperspektive bei der Betrachtung von Kontraktlogistikbeziehungen dominiert.27 Nur wenige Untersuchungen beschäftigen sich mit den Kontraktlogistikunternehmen und deren Handlungsmöglichkeiten.28 Deshalb soll eine weitere Forschungsfrage beantwortet werden: • Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Grad spezifischer Anpassungen und der Zufriedenheit des Auftraggebers bzw. des Kontraktlogistikdienstleisters? Um einen Beitrag zur Beantwortung der ersten beiden Forschungsfragen zu leisten, werden im folgenden Abschnitt zunächst bisherige Beiträge aus den Bereichen Kontraktlogistik, Beziehungsmarketing und Transaktionskostentheorie ausgewertet. Weiterhin sollen erste Überlegungen zur Operationalisierung von Erfolgsgrößen in Kontraktlogistikbeziehungen angestellt werden. Im ersten Abschnitt werden die Ergebnisse einer Dokumentenanalyse vorgestellt, in deren Rahmen mehr als 20 Ausschreibungen von Kontraktlogistikprojekten untersucht wurden. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem die geforderten spezifischen Anpassungen und Investitionen sowie die Erwartungen der Auftraggeber hinsichtlich der Leistungsüberwachung. Im darauf folgenden Abschnitt werden darauf aufbauend erste Hypothesen und ein Strukturgleichungsmodell formuliert.
25 26 27 28
Knemeyer, Murphy (2004), S. 46 Cannon, Perreault (1999), S. 454 Z.B. Large, Kovács (2001); Lieb, Kendrick (2002) Z.B. Hertz, Alfredsson (2003); Lieb, Bentz (2005)
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Literaturstudie Erfolg von Kontraktlogistikbeziehungen Der generelle Zweck dieser Untersuchung liegt darin, potentielle Einflussgrößen auf den Erfolg von Kontraktlogistikbeziehungen zu ermitteln. Voraussetzung einer solchen Studie ist die Abgrenzung des Erfolgsbegriffs in der Kontraktlogistik. Zunächst kann Erfolg ganz allgemein als das Erreichen der eigenen Zielsetzung verstanden werden. Von Ausnahmen abgesehen,29 wird dabei üblicherweise der Blickwinkel des Auftraggebers eingenommen. Knemeyer und Murphy30 definieren den Erfolg von Kontraktlogistikbeziehungen mit Hilfe der wahrgenommenen Leistungsverbesserungen aus Sicht des Auftraggebers. Solche Leistungsverbesserungen können sich im weiteren Sinne auf unterschiedliche Aspekte, wie z.B. auf reduzierte Logistikkosten, verbesserte Servicegrade, verringerte Durchlaufzeiten oder eine gesteigerte Endkundenorientierung, beziehen.31 Eine weitere Möglichkeit der Operationalisierung des Erfolgs ist die Messung der aktuellen Qualität der erbrachten Leistung, die mit den entsprechenden Serviceerwartungen der Kunden verglichen werden kann. Hierfür eignet sich trotz verschiedentlich geäußerter Kritik32 die so genannte SERVQUAL-Skala von Parasuraman, Zeithaml und Berry,33 welche die Dimensionen Zuverlässigkeit, Reaktionsfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und Erscheinungsbild unterscheidet. Die SERVQUAL bietet die Möglichkeit, die Qualität einer Kontraktlogistikleistung zu messen, ohne auf die Erreichung konkreter Zielsetzungen Bezug nehmen zu müssen. Interessant ist dabei der Zusammenhang von wahrgenommener Qualität und Zufriedenheit. Einerseits kann die wahrgenommene Servicequalität als Folge der Zufriedenheit verstanden werden. Dementsprechend führen Parasuraman, Zeithaml und Berry34 aus: „incidents of satisfaction over time result in perceptions of service quality“. Andererseits kann eine hohe Kundenzufriedenheit als Ergebnis einer wiederholt positiv wahrgenommenen Dienstleistungsqualität verstanden werden. Im weitesten Sinne können zur Bestimmung der Kundenzufriedenheit alle Erfahrungen mit einem Anbieter und dessen Produkten herangezogen werden.35 In diesem Sinne verwenden
29 30 31 32 33 34 35
Z.B. Knemeyer, Murphy (2005) Knemeyer, Murphy (2004), S. 39 Sinkovics, Roath (2004), S. 53 Z.B. Gounaris (2005) Parasuraman, Zeithaml, Berry (1988) Parasuraman, Zeithaml, Berry (1988), S. 16 Homburg, Giering, Hentschel (1999), S. 176-177
114 Rudolf O. Large _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Stank36 das Konstrukt der Kundenzufriedenheit in der Kontraktlogistik, um die Zufriedenheit des Auftraggebers mit seiner Beziehung zu einem bestimmten Kontraktlogistikunternehmen zu bewerten. In ähnlicher Weise nutzen Cannon und Perreault37 fünf allgemeine Aussagen zur Messung der Zufriedenheit eines Abnehmers mit seinem Lieferanten. Im Folgenden sollen beide Ansätze zur Messung des Erfolgs von Kontraktlogistikbeziehungen verwendet werden. Als erfolgreich werden in dieser Studie deshalb solche Kontraktlogistikbeziehungen betrachtet, die sowohl durch eine hohe Qualität der Leistung als auch durch eine hohe Zufriedenheit mit dem Geschäftspartner gekennzeichnet sind. Natürlich verfolgen Anbieter und Nachfrager der Kontraktlogistik unterschiedliche Ziele. Deshalb müssen im Rahmen einer empirischen Überprüfung unterschiedliche Messmodelle der Leistungsqualität und der Zufriedenheit des Auftraggebers und des Logistikdienstleisters verwendet werden.
Beziehungsmarketing Da es sich bei der Kontraktlogistik um wiederholt auszuführende Leistungen handelt und die zugrunde liegenden Verträge in der Regel Laufzeiten von drei bis fünf Jahren aufweisen, können grundlegende Überlegungen des Beziehungsmarketings auf Kontraktlogistikbeziehungen übertragen werden. Das Beziehungsmarketing ist auf individuelle Geschäftsbeziehungen statt auf anonyme Märkte ausgerichtet.38 Da das Beziehungsmarketing von einer starken Individualisierung und Integration des Kunden ausgeht,39 stellt die Anpassung der Verkäuferseite an die Anforderungen der Kunden ein konstitutives Element dieser Forschungsrichtung dar. Bei solchen Anpassungen handelt es sich um Investitionen zur Anpassung von Prozessen, Produkten oder Verfahren an die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Geschäftspartnern.40 Anpassungen des Kunden an die Systeme des Anbieters, die aus Gründen der Standardisierung und damit Kostensenkung sinnvoll sein könnten, finden dagegen weniger Beachtung. Morris, Brunyee und Page41 stellten eine geringe Bereitschaft von Abnehmern fest, ihr Verhalten und ihre Prozesse zu verändern, um hierdurch die Zusammenarbeit mit den Lieferanten zu verbessern. Auf Basis einer Befragung von Mitgliedern des amerikanischen Einkäuferverbandes NAPM haben Cannon und Per-
36 37 38 39 40 41
Stank et al. (2003), S. 30, 54 Cannon, Perreault (1999), S. 448 Diller (1995), S. 442 Diller (1995), S. 443-444 Cannon, Perreault (1999), S. 443 Morris, Brunyee, Page (1998), S. 366
Outsourcing logistischen Dienstleistungen 115 ____________________von _______komplexen ____________________________________________________________________________________________________ ________________________
reault42 sechs so genannte „relationship connectors“ identifiziert, mit denen unterschiedliche Formen von Geschäftsbeziehungen beschrieben werden können: • Intensität des Informationsaustausches (information exchange), • Grad der Prozessintegration (operational linkages), • Intensität der vertraglichen Bindung (legal bonds), • Umfang kooperativer Normen (cooperative norms), • Umfang der Anpassung des Lieferanten (adaptations by sellers), • Umfang der Anpassung des Abnehmers (adaptations by buyers). Diese sechs Merkmale waren Grundlage für die Ableitung einer Typologie von Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen.43 Dabei wurden zwei Typen mit ausgeprägten Anpassungen ermittelt. Der erste Typus („customer is king”) umfasst Geschäftsbeziehungen, die auf einseitigen Anpassungen des Lieferanten beruhen. Die zweite Form („mutually adaptive“) erfordert beiderseitige Anpassungen des Lieferanten und des Abnehmers. Auf den ersten Blick würde man eine positive Auswirkung dieser Anpassungen auf den Geschäftspartner vermuten. Im Gegensatz dazu, konnten Cannon und Perreault nur einen sehr geringen Einfluss eines hohen Anpassungsgrads des Lieferanten auf die Zufriedenheit des Kunden feststellen. Die Kundenzufriedenheit mit Geschäftsbeziehungen, die dem Muster des “customer is king” folgen, war beinahe ebenso niedrig, wie die elementarer Einkaufsbeziehungen.44 Darüber hinaus war die Kundenzufriedenheit bei solchen Geschäftsbeziehungen besonders niedrig, die auch eine Anpassung des Kunden an seinen Lieferanten erfordern („mutually adaptive“).
Transaktionskostentheorie Anpassungen in Geschäftbeziehungen werden, wie die angeführte Definition von Cannon und Perreault45 zeigt, durch spezifische Investitionen vorgenommen. Damit kann als weitere Quelle zur Untersuchung spezifischer Anpassungen in Kontraktlogistikbeziehungen auf die Literatur zur Transaktionskostentheorie zurückgegriffen werden, die in spezifischen Investitionen eine wesentliche Einflussgröße auf das Transaktionskostenniveau und damit die Wahl der Vertragsform zur Abwicklung einer Transaktion sieht. Sind für eine Transaktion spezifische Faktoren erforderlich, s o steigen die Transaktionskosten extrem an, sofern nicht angemessene, d.h. langfristige und offen formulierte, Verträge verwendet werden.46 Mit solchen Vertragsformen können spezifische Faktoren abgesichert werden. Hierdurch ist es möglich, die spezi42 43 44 45 46
Cannon, Perreault (1999), S. 441-444 Cannon, Perreault (1999), S. 442 Cannon, Perreault (1999), S. 454 Cannon, Perreault (1999), S. 443 Williamson (1979), S. 246-247
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fischen Anforderungen des Kunden zu erfüllen und die wiederkehrenden Transaktionen in effizienter Art und Weise abzuwickeln.47 In Anlehnung an Williamson48 und Pfohl und Large49 zeigt die Abb. 1 den Zusammenhang zwischen dem Grad der Faktorspezifität, der Transaktionshäufigkeit und den in der gewerblichen Logistik üblicherweise vorzufindenden Vertragsformen.
wiederholt gelegentlich
Häufigkeit
Faktorspezifität keine
gemischt
hoch
Speditionsvertrag Frachtvertrag Lagervertrag
Speditionsvertrag
Speditionsvertrag Arbeitsvertrag
Frachtvertrag Lagervertrag
Speditionsvertrag Kooperationsvertrag Arbeitsvertrag
Kontraktlogistikvertrag Arbeitsvertrag
Abb. 1: Einflussgrößen der Vertragswahl in der Logistik (Quelle: In Anlehnung an Pfohl, Large, 1992, S. 38.)
Langfristige und detaillierte Verträge sind notwendig, um spezifische Investitionen gegen das Risiko des Untergangs oder zumindest der Entwertung durch unspezifische Weiterverwendung zu schützen. So konnte Hoek50 aufzeigen, dass im Falle von hochspezifischen Kontraktlogistikleistungen, die beispielsweise auch Endmontagetätigkeiten, das Errichten von Displays oder das Lagerhausmanagement umfassen, mit hoher Wahrscheinlichkeit detaillierte Verträge verwendet werden. Gleichzeitig sollten Kontraktlogistikverträge Nachverhandlungsmöglichkeiten bieten, die eine ex post Anpassung der Beziehung ermöglichen. Mit anderen Worten sollten Kontraktlogistikverträge Merkmale relationaler Vertragsbeziehungen aufweisen.51
47 48 49 50 51
Williamson (1984), S. 202 Williamson (1979), S. 247 Pfohl, Large (1992), S. 38 Hoek (2000), S. 21 Pfohl, Large (1992), S. 30
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Ursprünglich hat Williamson52 vier Arten der Faktorspezifität vorgeschlagen. In späteren Abhandlungen53 kommen zwei weitere Arten dazu. Von Bedeutung für die folgenden Aussagen sind die vier ursprünglichen Typen von Faktorspezifität: • Standortspezifität (site specificity): Durch den Gegenstand der Transaktion wird der Ort, an dem der Vermögensgegenstand, der zur Erstellung der Leistung notwendig ist, errichtet werden soll, verbindlich vorgegeben. Die Nutzung des Vermögensgegenstandes an einem anderen Ort ist unmöglich oder mit sehr hohen Verlagerungskosten verbunden. Ein Beispiel ist die Errichtung einer Produktionsstätte eines Zulieferers in der unmittelbaren Nähe des Montagewerks eines Kunden. • Spezifität des Sachvermögens (physical asset specificity): Durch den Gegenstand der Transaktion werden die physischen Eigenschaften des Vermögensgegenstandes, der zur Erstellung der Leistung erforderlich ist, vorgegeben. Die Nutzung des Vermögensgegenstandes zur Erstellung einer anderen Leistung oder einer Leistung für einen anderen Geschäftspartner ist unmöglich oder mit sehr hohen Änderungskosten verbunden. Beispiele sind kundenspezifische Presswerkzeuge von Automobilzulieferern oder Vormaterial, das speziell für einen Auftrag beschafft wurde. • Spezifität der Mitarbeiterpotentiale (human asset specificity): Durch den Gegenstand der Transaktion werden die Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeiter, die zur Erstellung der Leistung erforderlich sind, vorgegeben. Die Beschäftigung der Mitarbeiter zur Erstellung einer anderen Leistung oder einer Leistung für einen anderen Geschäftspartner ist unmöglich oder mit sehr hohen Qualifikationskosten verbunden. Ein Beispiel ist die spezifische Auswahl und Schulung von Mitarbeitern für die Produktion eines Zulieferteils. • Zweckgebundene Sachwerte (dedicated assets): Für eine Transaktion werden unspezifische Betriebsmittel- oder Personalkapazitäten aufgebaut und reserviert. Diese Kapazitäten stehen während der Zusicherungsdauer nicht für andere Nutzungen zur Verfügung. Beispiele sind langfristige Kapazitätszusicherungen von Zulieferern gegenüber den Automobilherstellern. Diese allgemeinen Aussagen der Transaktionskostentheorie über spezifische Investitionen können auf die Kontraktlogistik übertragen werden. Im Vordergrund stehen spezifische Investitionen der Kontraktlogistikunternehmen. Von großer Bedeutung ist die Standortspezifität, da der Kontraktlogistikdienstleister die Lagerhauskapazitäten häufig an einem vorgegebenen Ort oder in einer vorgegeben Region schaffen muss. Im Falle von Sequenzlagern oder Warenausgangslagern kann sogar ein 52 53
Williamson (1984), S. 214-215 Williamson (1991), S. 281
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Lager auf dem Werksgelände des Auftraggebers gefordert sein. Nur zum Teil können diese Forderungen durch die Nutzung bestehender Lagerhäuser des Auftraggebers oder durch die Einbeziehung von Logistikimmobilienunternehmen erfüllt werden, ohne dass erhebliche spezifische Investitionen des Kontraktlogistikdienstleisters notwendig sind. Auch die Spezifität des Sachvermögens ist ein übliches Phänomen in der Kontraktlogistik.54 Dieses tritt dann auf, wenn die Lagerlayouts, die Kommissioniertechnik oder die Informations- und Kommunikationstechnologie speziell auf die Kundenanforderungen ausgerichtet werden. Spezifische Sachinvestitionen fallen in der Regel auch bei der Übernahme von Zusatzleistungen im Bereich Montage oder Konfektionierung an. Wiederum kann der Umfang spezifischer Investitionen durch die Übernahme von bestehenden Einrichtungen des Auftraggebers reduziert werden, wobei in diesem Falle die Verantwortung für Ersatzinvestitionen und Instandhaltung geklärt werden muss. Spezifische Betriebsmittel eines Logistikdienstleisters können definitionsgemäß nicht ohne Wertverlust in anderen Verwendungen eingesetzt werden. Williamson55 führt dazu aus: “Inasmuch as the value of this capital in other uses is, by definition, much smaller than the specialized use for which it has been intended, the supplier is effectively “locked into” the transaction to a significant degree”. Deshalb wird ein Kontraktlogistikunternehmen sich nicht opportunistisch verhalten und zögern, die Geschäftsbeziehung vorzeitig abzubrechen. Ebenso kann der Auftraggeber nicht beliebig oft zu einem neuen Kontraktlogistikdienstleister wechseln, da bei jedem Wechsel erneut spezifische Investitionen erforderlich sind.56 Die Transaktionskostentheorie geht deshalb von einer gegenseitigen Bindung der Geschäftspartner in Kontraktlogistikbeziehungen aus. Ein großes Problem sind spezifische Investitionen in die Mitarbeiter von Kontraktlogistikunternehmen. Für die Kontraktlogistik ist eine enge Vernetzung mit den Prozessen und Systemen des Auftragsgebers konstitutiv. Die eingesetzten Mitarbeiter müssen deshalb anforderungsgerecht ausgewählt und intensiv geschult werden, damit sie in der Lage sind, die spezifischen Anforderungen des Auftraggebers zu erfüllen.57 Die Folge davon sind hohe Kosten der Personalentwicklung. Dies gilt in besonderem Maße für die Übernahme von Zusatzleistungen. Verbunden mit der Spezifität von Mitarbeiterpotentialen ist oft auch ein gewisser Grad an Standortspezifität, da vor allem die operativen Mitarbeiter nur begrenzt mobil sind und deshalb bei Beendigung eines Kontraktes an einem Standort nur zum Teil an anderen Orten eingesetzt werden können. 54 55 56 57
Knemeyer, Murphy (2004), S. 42 Williamson (1979), S. 240 Williamson (1979), S. 240 Artz (2000), S. 120
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Auch zweckgebundene Sachwerte sind in der Kontraktlogistik nicht unüblich. Dies betrifft vor allem zugesicherte Lagerkapazitäten in allgemeinen Lagerhäusern des Kontraktlogistikunternehmens und Fahrzeugkapazitäten im Rahmen der Kontraktdistribution. Zum Teil werden unspezifische Einrichtungen exklusiv für einen Auftraggeber reserviert. Zweckgebundene Sachwerte treten auch dann auf, wenn existierende unspezifische Lagerhäuser für einen bestimmten Kunden erweitert werden. Ein wichtiger Grund für eine hohe Faktorspezifität in der Kontraktlogistik ist der Wunsch nach einer kundenspezifischen Leistungsüberwachung.58 Üblicherweise verlangen die Auftraggeber eine detaillierte Messung und Berichtserstattung auf Basis vorgegebener Leistungskennzahlen. Um diesen Anforderungen nachzukommen, müssen die Kontraktlogistikdienstleister in vielen Fällen neue Erfassungs- und Kontrollsysteme aufbauen oder zumindest bestehende Systeme hinsichtlich der Kundenerwartungen modifizieren. Verbunden damit ist die Qualifikation von Mitarbeitern, damit diese in der Lage sind, die spezifischen Leistungsberichte für den Auftraggeber zu erstellen. Fasst man diese Gedanken zusammen, so wird deutlich, dass die Transaktionskostentheorie aufgrund der Eigenschaften von Kontraktlogistikbeziehungen umfangreiche spezifische Investitionen der Kontraktlogistikunternehmen erwarten lässt. Mit anderen Worten erscheinen einseitige Anpassungen des Dienstleisters plausibel. Darüber hinaus liefert die Transaktionskostentheorie Belege für einen positiven Einfluss der Faktorspezifität auf die Leistungsfähigkeit von Kontraktlogistikbeziehungen. Eine hohe Faktorspezifität bindet beide Vertragspartner für einen längeren Zeitraum, wodurch sich eine fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickeln kann. Allerdings konnten Knemeyer und Murphy59 keinen Zusammenhang zwischen dem Umfang spezifischer Investitionen eines Kontraktlogistikunternehmens und dem Vertrauen, das diesem Dienstleister von seinem Auftraggeber entgegen gebracht wird, nachweisen. Weiterhin konnte in dieser Untersuchung auch kein Einfluss spezifischer Investitionen auf die durch den Auftraggeber wahrgenommene Logistikleistung festgestellt werden. Ebenso liefert die Untersuchung von Sinkovics und Roath60 entgegen der üblichen Annahme Hinweise, dass die kooperative und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Auftraggeber und Kontraktlogistikdienstleister nicht notwendigerweise zu einer Leistungsverbesserung der Logistik führt. Dagegen zeigen Kwon und Suh61 in Übereinstimmung mit der Transaktionskostentheorie einen positiven Zusammenhang zwischen dem Grad spezifischer Investitionen des einen Partners und dem Vertrauen des anderen Partners auf. Das Vertrauen in den Partner sinkt jedoch, wenn eigene spezifische Investitionen erfor58 59 60 61
Large, Kovács (2001), S. 49 Knemeyer, Murphy (2004), S. 46 Sinkovics, Roath (2004), S. 54 Kwon, Suh (2004), S.6
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derlich sind. Dementsprechend kann ein negativer Einfluss hoher Investitionen eines Kunden auf dessen Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Geschäftsbeziehung vermutet werden.62 Gegenseitige Investitionen können positive Effekte auf die Zufriedenheit ausüben. Eine Erklärung dafür könnte in der von der Transaktionskostentheorie postulierten gegenseitigen Abhängigkeit der beiden Partner liegen.63
Kontraktlogistik Im ersten Teil dieser Abhandlung wurde die Anpassung an die konkreten Erwartungen der Auftraggeber als konstitutives Merkmal der Kontraktlogistik eingeführt. Beispielsweise nennen Klaus und Kille64 als wesentliches Element der Kontraktlogistik die individuell zwischen dem Dienstleister und dem Auftraggeber vereinbarte Beziehung. Hertz und Alfredsson65 betonen die allgemeine Problemlösungsfähigkeit von Kontraktlogistikunternehmen und deren Fähigkeit, sich an den Kunden anzupassen. Beide Eigenschaften können verwendet werden, um Kontraktlogistikunternehmen gegenüber anderen Typen von Logistikunternehmen abzugrenzen (den. Abb. 2). Darüber hinaus entwickeln die beiden Autorinnen mit Hilfe dieser Merkmale eine tiefer gehende Typologie von Kontraktlogistikunternehmen.66 So genannte Kundenanpasser mit relativ hohen Problemlösungsfähigkeiten und hohen Anpassungsfähigkeiten übernehmen üblicherweise bestehende Logistiksysteme von Kunden und versuchen dabei, die Leistung der Prozesse zu verbessern. Ein zweiter Typus, bei dem beide Merkmale sehr stark ausgeprägt sind, wird als Kundenentwickler bezeichnet. Diese Unternehmen entwerfen aktiv spezifische Logistiksysteme für ihre Kunden.
62 63 64 65 66
Artz (1999), S. 122; Heide, Stump (1995), S. 62 Artz (1999), S. 122 Klaus, Kille (2006), S. 117 Hertz, Alfredsson (2003), S. 140 Hertz, Alfredsson (2003), S. 141
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Ability of customer adaptation Low High General ability of problem solving
Low
Integrators
High
DHL, Fedex, TNT
Third Party Logistics firms
Standard Transportation firms
Traditional house brokers or warehousing firms
Abb. 2: Abgrenzung von Kontraktlogistikunternehmen (Third Party Logistics Firms) (Quelle: Hertz, Alfredsson, 2003, S. 141)
Der Grad der Anpassung an den Auftraggeber kann mit verschiedenen Indikatoren gemessen werden. Knemeyer, Corsi und Murphy verwenden beispielsweise drei Indikatoren um den Umfang der Anpassung eines Kontraktlogistikunternehmens an seinen Auftraggeber zu messen: “The third party has gone out of its way to link us with its business, This third party has tailored its services and procedures to meet the specific needs of our company, This third party would find it difficult to recoup its investment in us if our relationship were to end”.67 Darüber hinaus zeigt sich der Grad der Anpassung des Kontraktlogistikunternehmens an den Auftraggeber nicht nur an den erforderlichen spezifischen Sachinvestitionen, sondern auch an kundenspezifischen Qualifikationsmaßnahmen für das eigene Personal.68
Dokumentenanalyse Aus der Literatur zum Beziehungsmarketing, zur Transaktionskostentheorie und zur Kontraktlogistik lässt sich übereinstimmend eine hohe Bedeutung spezifischer Investitionen bzw. Anpassungen ableiten. Solche spezifischen Investitionen bzw. Anpassungen sind demnach erforderlich, wenn der Auftraggeber detaillierte und spezifische Anforderungen gegenüber dem Kontraktlogistikdienstleister formuliert. 67 68
Knemeyer, Corsi, Murphy (2003), S. 102 Kwon, Suh (2004), S. 14
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Es ist deshalb zu prüfen, in welchem Umfang solche Forderungen tatsächlich erhoben werden. Aus diesem Grund wurden ausführliche Dokumentenstudien durchgeführt. Grundlage der Analyse waren Ausschreibungs- und Anfragedokumente, die dem Autor von zwei europäischen Kontraktlogistikunternehmen zur Verfügung gestellt wurden. Primäres Ziel der Analyse war es, den geforderten Umfang der Standortspezifität, der Spezifität des Sachvermögens, der Spezifität der Mitarbeiterpotentiale und der zweckgebundenen Sachwerte zu ermitteln. Weitere Fragestellungen bezogen sich auf die erforderlichen Verfahren und Kennzahlensysteme zur Leistungsüberwachung, die erwarteten Anpassungen des Kontraktlogistikers und die Bereitschaft des Auftraggebers zu eigenen Anpassungen. Grundsätzlich sollten auch spezifische Merkmale der untersuchten Fälle erfasst werden, um daraus ggf. potentielle Einflussgrößen auf das Anpassungsverhalten der Partner abzuleiten. Insgesamt wurden 22 Ausschreibungen bzw. Anfragen mit den zugehörigen Pflichtenheften und Anlagen analysiert. Davon hatten 8 Fälle die physische Distribution und 7 weitere die Beschaffungslogistik zum Gegenstand. Die restlichen Projekte bezogen sich auf das Outsourcing von komplexen Transportleistungen. Die folgenden Aussagen beziehen sich primär auf die erstgenannten 15 Fälle, die im engeren Sinne der Kontraktlogistik zuzuordnen sind. Die meisten Auftraggeber gehörten der Automobilindustrie an. Auffallend ist zunächst ein hohes Maß an Standortspezifität. Der überwiegende Teil der Auftraggeber fordert einen bestimmten Standort oder erwartet zumindest, dass sich das zu betreibende Lagerhaus in einer eng umrissenen Region befindet. Im Falle von Versorgungslagern wird in aller Regel die Ansiedlung auf dem eigenen Werksgelände oder in der direkten Umgebung gefordert. Die meisten Auftraggeber erwarten spezifische Investitionen in Lagerhäuser, Lagereinrichtungen und ITSysteme. Erwartungsgemäß ist deshalb der Grad der Spezifität des Sachvermögens nicht unerheblich. Im Falle von Outsourcing-Projekten, d.h. bei der Erstvergabe der Kontraktlogistikleistung, wird in aller Regel die Weiterverwendung vorhandener Anlagen verlangt. Hierdurch entsteht für den Dienstleister häufig das Problem kundenspezifischer Ersatzinvestitionen und Instandhaltungsleistungen. Zu erkennen ist auch eine vergleichsweise hohe Spezifität der Mitarbeiterpotentiale. Aufgrund der hohen Standortspezifität müssen die Personalkapazitäten an den vorgegebenen Standorten aufgebaut werden. Es kann deshalb nur bedingt auf Stammpersonal des Dienstleisters zurückgegriffen werden. Zusätzlich besteht im Falle der Weiterverwendung von Systemen des Auftraggebers ein erheblicher Personalentwicklungsbedarf, da auch das Stammpersonal des Kontraktlogistikunternehmens kundenspezifisch trainiert und geschult werden muss. Erwartungsgemäß legen die meisten Auftraggeber detaillierte Vorschriften hinsichtlich der Verwendung von Leistungskennzahlen, Berichtsintervallen und Be-
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richtsstrukturen vor. Die in den untersuchten Fällen verlangten Kennzahlen unterscheiden sich erheblich. Auch der geforderte Umfang und die Häufigkeit der Berichterstattung variiert stark. Die Folge davon ist eine weitgehende Anpassung der Überwachungssysteme des Dienstleisters. Verbunden damit sind spezifische Investitionen in IT-Systeme und Personal. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist eine geringe Bereitschaft der Auftraggeber zu erkennen, standardisierte Kontrollsysteme der Logistikunternehmen zu akzeptieren. Auf Basis der Ausschreibungsunterlagen muss deshalb von einer weitgehend einseitigen Anpassung der Kontraktlogistikunternehmen ausgegangen werden. Zwischen der Komplexität und Spezifität der zu erstellenden Kontraktlogistikleistung und dem Grad der von den Dienstleistern geforderten Anpassungen bzw. Investitionen scheint ein positiver Zusammenhang zu bestehen. Wenn die Komplexität und Spezifität der zu erstellenden Leistung gering ist, dann gibt es wenig Veranlassung für spezifische Investitionen in Anlagen oder in Personal. In diesen Fällen könnten die Logistikunternehmen ihre eigenen Anlagen verwenden und ihre standardisierten Prozesse zum Einsatz bringen, um die Anforderungen ihrer Kunden zu erfüllen. Weiterhin scheint auch vom Umfang existierender Einrichtungen des Auftraggebers ein wesentlicher Einfluss auf den Bedarf spezifischer Investitionen beider Partner auszugehen. Wenn der Auftraggeber keine Möglichkeit hat, vorhandene Betriebsmittel einer anderen Verwendung zuzuführen, dann entstehen aus seiner Sicht sunk cost. Deshalb wird in aller Regel die Weiternutzung vorhandener Anlagen und Einrichtungen verlangt. Der Dienstleister muss sich in diesen Fällen an die vorhandenen Systeme anpassen und entsprechende Investitionen, z.B. für Systemschnittstellen oder Personalentwicklung, tätigen. Verlangt der Auftraggeber zusätzlich die Übernahme von Personal, dann entstehen nicht unerhebliche Kosten der Personalintegration. Die Dokumentenanalyse deutet darauf hin, dass bei vorhandenen Vermögenswerten des Auftraggebers die spezifischen Investitionen des Dienstleisters zuund die des Auftraggebers abnehmen.
Hypothesen und Modellbildung In diesem Abschnitt sollen die bisherigen Erkenntnisse aus der Literaturstudie und der Dokumentenanalyse in Form von Hypothesen zusammengefasst werden. Diese Hypothesen bilden die Grundlage für ein Strukturgleichungsmodell, welches am Ende diese Abschnitts aufgestellt wird. Wie in Abschnitt 0 gezeigt, liefert die bisherige Forschung zum Einfluss von Anpassungen bzw. von spezifischen Investitionen auf den Erfolg von engen Geschäftsbeziehungen widersprüchliche Ergebnisse. Beispielsweise konnten Knemeyer
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und Murphy69 keinen Nachweis für einen Einfluss spezifischer Investitionen eines Kontraktlogistikdienstleisters auf die Erfolgswahrnehmung seines Auftraggebers erbringen. Auch im Beziehungsmarketing gibt es Hinweise für einen geringen Einfluss spezifischer Anpassungen des Lieferanten auf die Kundenzufriedenheit.70 Im Gegensatz dazu lassen Überlegungen auf Basis der Transaktionskostentheorie positive Wirkungen spezifischer Investitionen auf den Erfolg von Kontraktlogistikbeziehungen erwarten. Schließt man sich den Aussagen der Transaktionskostentheorie an und betrachtet zunächst die Erfolgswahrnehmung des Auftraggebers, dann kann die folgende Hypothese formuliert werden: H1a: Die Erfolgswahrnehmung des Auftraggebers wird durch den Umfang spezifischer Investitionen des Kontraktlogistikdienstleisters positiv beeinflusst. Ziel dieses Forschungsvorhabens ist es nicht nur die Sicht des Auftraggebers, sondern auch die des beteiligten Kontraktlogistikunternehmens einzunehmen. Aus Sicht des Logistikdienstleisters verursachen spezifische Investitionen und einseitige Anpassungen zusätzliche Kosten und verstärken seine Abhängigkeit. Daraus ergibt sich die folgende Hypothese: H1b: Die Erfolgswahrnehmung des Kontraktlogistikdienstleisters wird durch den Umfang spezifischer Investitionen des Kontraktlogistikdienstleisters negativ beeinflusst. Folgt man der bisherigen Forschung, so ist von einem negativen Einfluss spezifischer Investitionen des Auftraggebers auf dessen Erfolgswahrnehmung auszugehen.71 Eigene spezifische Investitionen werden als Kosten der Geschäftsbeziehung wahrgenommen und erhöhen die Abhängigkeit von dem ausgewählten Dienstleister. Im Gegensatz dazu stärken aus dem Blickwinkel der Transaktionskostentheorie spezifische Investitionen des Auftraggebers dessen Wille, auf opportunistisches Verhalten zu verzichten und die Kontraktlogistikbeziehung nach Ablauf der Vertragslaufzeit zu verlängern. Diese Situation wird von dem Kontraktlogistikunternehmen positiv wahrgenommen. Aus diesen Überlegungen können die beiden folgenden Hypothesen abgeleitet werden. H2a: Die Erfolgswahrnehmung des Auftraggebers wird durch den Umfang spezifischer Investitionen des Auftraggebers negativ beeinflusst. H2b: Die Erfolgswahrnehmung des Kontraktlogistikdienstleisters wird durch den Umfang spezifischer Investitionen des Auftraggebers positiv beeinflusst. 69 70 71
Knemeyer, Murphy (2004), S. 46 Cannon, Perreault (1999), S. 454 Z.B. Artz (1999), S. 122
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Wie in Abschnitt 0 gezeigt, sollte die Kundenzufriedenheit als Ergebnis einer wiederholten Bewertung wahrgenommener Dienstleistungsqualität verstanden werden. Deshalb kann ein positiver Zusammenhang zwischen dem Erfolg der Kontraktlogistikbeziehung und der Zufriedenheit der Partner angenommen werden. H3a: Die Zufriedenheit des Auftraggebers wird durch die Erfolgswahrnehmung des Auftraggebers positiv beeinflusst. H3b: Die Zufriedenheit des Kontraktlogistikdienstleisters wird durch die Erfolgswahrnehmung des Kontraktlogistikdienstleisters positiv beeinflusst. Die durchgeführte Dokumentenanalyse liefert Hinweise für einen Zusammenhang zwischen der Komplexität einer Kontraktlogistikleistung und den spezifischen Investitionen des Dienstleisters. Ein breites Spektrum logistischer Aufgaben und kundenspezifische Besonderheiten, z.B. bei der Auftragsabwicklung oder hinsichtlich der Vormontage von Baugruppen, erfordern von dem Kontraktlogistikdienstleister ein hohes Maß an Anpassung an die Wünsche und Anforderungen seines Kunden. Der Umfang spezifischer Investitionen des KontraktlogistikH4: dienstleisters wird positiv durch den Grad der Komplexität der angebotenen Kontraktlogistikleistung beeinflusst. In ähnlicher Weise zeigt die Dokumentenanalyse die Bedeutung bereits durch den Auftraggeber getätigter Investitionen auf. Im Falle des Outsourcings verfügt der Auftraggeber über umfangreiche Einrichtungen, wie zum Beispiel Lagerhäuser, Lagerverwaltungssysteme und ggf. einen Fuhrpark bestehend aus Spezialfahrzeugen. Falls dies zutrifft, wird der Auftraggeber die weitgehende Anpassung des Kontraktlogistikdienstleisters erwarten. Aus Sicht des Auftraggebers würde der Kontraktlogistikdienstleister am besten diese Betriebsmittel vollständig übernehmen. Generell kann somit ein Einfluss des Umfangs vorhandener Vermögenswerte des Auftraggebers auf den Grad spezifischer Investitionen durch den Logistikdienstleister vermutet werden. Der Umfang spezifischer Investitionen des KontraktlogistikH5: dienstleisters wird positiv durch den Umfang gebundener Vermögenswerte des Auftraggebers beeinflusst. Im Gegensatz dazu werden gebundene Vermögenswerte des Auftraggebers dessen Bereitschaft herabsetzen, zusätzliche Investitionen zur Anpassung an einen Dienstleister zu tätigen. Der Auftraggeber erwartet vielmehr eine Weiterverwendung seiner Vermögenswerte und die Anpassung des Kontraktlogistikunternehmens. Die folgende Hypothese nimmt deshalb einen negativen Zusammenhang an. Der Umfang spezifischer Investitionen des Auftraggebers wird H6: negativ durch den Umfang gebundener Vermögenswerte des Auftraggebers beeinflusst.
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Wie im Rahmen der Dokumentenanalyse gezeigt, finden sich in den meisten Ausschreibungstexten detaillierte Vorgaben zur Verwendung spezifischer Kennzahlen und zur Form und Häufigkeit von Leistungsberichten. Die Einhaltung dieser Regeln erfordert eine einseitige Anpassung des Kontraktlogistikunternehmens. Deshalb können spezifische Investitionen des Dienstleisters zur Anpassung von DVSystemen und zur Schulung von Personal erwartet werden. Der Umfang spezifischer Investitionen des KontraktlogistikH7: dienstleisters wird positiv durch den Umfang der Leistungsmessung und Leistungsüberwachung beeinflusst. Die mit Hilfe dieser Hypothesen dargestellten Zusammenhänge sind komplex und es ergeben sich mehrstufige kausale Vernetzungen. Zudem handelt es sich bei den eingeführten Konstrukten72 um Größen, die sich einer direkten Messung entziehen und deshalb eine indirekte Messung erfordern. Es liegt deshalb nahe, die vermuteten Zusammenhänge in Form eines linearen Strukturgleichungsmodells abzubilden und mit Hilfe einer Kausalanalyse empirisch zu überprüfen. Beim Entwurf von Strukturgleichungsmodellen wird zwischen einem Strukturmodell aus latenten Variablen und dem Messmodell, welches den Zusammenhang zwischen den latenten Variablen und messbaren Indikatoren abbildet, unterschieden.73 Das Strukturmodell bildet die theoretische Struktur des Modells als Satz von Hypothesen ab und wird durch mehrere vernetzte Regressionsgleichungen modelliert. Abb. 3 zeigt das Strukturmodell als Pfeildiagramm.
Gebundene Vermögenswerte des Auftraggebers
Spezifische Investitionen des Kontraktlogistikunternehmens
H1
H2
H4
H5
Komplexität der Leistung
H7
Grad der Leistungsüberwachung
H6
Spezifische Investitionen des Auftraggebers
Erfolg der Beziehung
H3 Zufriedenheit
Abb. 3: Hypothetisches Strukturmodell.
72 73
Komplexität der Leistung, Umfang von spezifischen Investitionen, Zufriedenheit usw. Homburg, Pflesser (2000), S. 635-636; Hair et al. (2005), S. 711-712
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Erste Schlussfolgerungen und weitere Forschungen Hauptziel dieser Untersuchung war es, die Einflussgrößen des Erfolgs von Kontraktlogistikbeziehungen besser zu verstehen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde zunächst eine Literaturstudie durchgeführt. Als erstes Ergebnis konnte gezeigt werden, dass die erforderliche Faktorspezifität, der Grad der Leistungsüberwachung und der Umfang der spezifischen Anpassungen der Vertragspartner potentielle Einflussgrößen des Erfolgs von Kontraktlogistikbeziehungen darstellen. Die sich anschließende Dokumentenanalyse lässt darüber hinaus vermuten, dass der Umfang spezifischer Investitionen durch die Höhe vorhandener Vermögenswerte und durch die Komplexität der geforderten Kontraktlogistikleistung beeinflusst wird. Als Ergebnis beider Analysen wurden Hypothesen aufgestellt, welche die Zusammenhänge zwischen dem Grad der Leistungsüberwachung, der Komplexität der Leistung, der Höhe gebundener Vermögenswerte des Auftraggebers, den spezifischen Investitionen des Kontraktlogistikunternehmens, den spezifischen Investitionen des Auftraggebers, dem Erfolg der Beziehung und der Zufriedenheit der Vertragspartner wiedergeben. Die aufgestellten Hypothesen wurden verwendet, um ein erstes Strukturgleichungsmodell zu formulieren. Diese Abhandlung hat den Charakter eines Zwischenberichts aus einem laufenden Forschungsprojekt. Mit der Literaturstudie und der durchgeführten Dokumentenanalyse konnten bereits erste Hinweise zur Beantwortung der drei formulierten Forschungsfragen gefunden werden. Um diese jedoch befriedigend beantworten zu können, muss das vorgeschlagene Strukturgleichungsmodell einer empirischen Überprüfung mit Hilfe einer Kausalanalyse unterzogen werden. Voraussetzung dafür sind geeignete Messmodelle für alle einbezogenen Konstrukte. Durch schriftliche Befragungen von Kontraktlogistikunternehmen einerseits und Auftraggebern bestehender Kontraktlogistikbeziehungen andererseits soll die notwendige Datenbasis geschaffen werden. Die durchzuführende Kausalanalyse wird zeigen, inwieweit das vorgeschlagene Modell einen Beitrag zur Beantwortung der in der Problemstellung formulierten Forschungsfragen leisten kann.
128 Rudolf O. Large _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
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Outsourcing 131 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
Outsourcing von IT-Leistungen: Ergebnisse einer empirischen Untersuchung im deutschsprachigen Raum Christiane Mauch
Überblick • Dieser Beitrag befasst sich mit der Verlagerung (Outsourcing) von ITDienst-leistungen aus Unternehmen an externe Dienstleistungsunternehmen (Outsourcer). • Der Beitrag versucht auf Basis einer empirischen Untersuchung von 65 Unternehmen im deutschsprachigen Raum, erste Erkenntnisse über Ziele und Gestaltungsfelder von Verlagerungen wie beispielsweise Art der verlagerten IT-Leistungen, Verlagerungsprozesse und Lokalitäten zu gewinnen und darauf basierend Ansatzpunkte für Optimierungen zu entwickeln. • Die empirischen Daten zeigen, dass die wesentlichen Ziele von Verlagerungen die Kostenreduktion und die Konzentration auf das Kerngeschäft sind. • Am meisten werden die IT-Leistungsbereiche der Anwendungsentwicklung und der Produktion mit Auslagerungsgraden von ca. 30% fremd erstellt. • Ins Ausland, insbesondere nach Nearshore Westeuropa und Offshore, wird wenig verlagert und auch für die nächsten drei Jahre sind hier keine signifikanten Steigerungen zu erwarten. • Die Untersuchung zeigt auch, dass die Verlagerungen umso erfolgreicher waren, je umfangreicher die Analyseprozesse vor der OutsourcingEntscheidung waren.
Einleitung Immer mehr Unternehmen lagern Teile oder ihre gesamte IT aus. Dabei kommen unterschiedlichste Formen der Verlagerungen zum Einsatz, die vom selektiven Verlagern einzelner IT-Wertschöpfungskettenmodule bis hin zum Total Outsourcing ganzer ITGeschäftsprozesse reichen. Am häufigsten werden Wertschöpfungsschritte aus den Leistungsbereichen Anwendungsentwicklung und Produktion verlagert. Die Verlagerungen erfolgen dabei an Dienstleister im Inland und Ausland, sowohl in benachbar-
132 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
te europäische Länder (Nearshore) als auch in Länder anderer Kontinente (Offshore).1 Die betriebswirtschaftliche Forschung hat diese Veränderungen in der Praxis aufgegriffen und der steigenden Bedeutung durch eine Vielzahl von Fallstudien, häufig in unternehmensspezifischem Kontext, Rechnung getragen. Die Veröffentlichungen zum IT-Outsourcing sind überwiegend anwendungsorientiert und fokussieren auf spezifische Aspekte, wie z. B. rechtliche, umsetzungsorientierte oder technische Sichtweisen des IT-Outsourcing. Eine äußerst umfangreiche Darstellung der rechtlichen Aspekte von IT-Outsourcing findet sich z.B. in Bräutigam.2 Eine wissenschaftliche Systematisierung von Begriffen sowie fundierte und empirisch valide Verfahren und Instrumente zur Identifikation, Umsetzung und Steuerung von Verlagerungsmaßnahmen fehlen bisher. Empirische Untersuchungen, die die Grundlage für die Ableitung von allgemeingültigen Aussagen bilden könnten, sind bisher noch nicht erfolgt. Dies könnte vor allem daran liegen, dass Unternehmen erst in den letzten 5-7 Jahren verstärkt begonnen haben, IT-Outsourcing zu betreiben und daher zu einem früheren Zeitpunkt empirische Untersuchungen nicht sinnvoll erschienen. Vor diesem Hintergrund hat die Redaktion der Computerwoche gemeinsam mit dem Lehrstuhl für BWL – Unternehmensführung, Logistik und Produktion der TU München eine empirische Studie zur Praxis der Leistungstiefengestaltung durchgeführt. Diese Studie ist Teil einer umfangreicheren Studie zum IT-Management im Allgemeinen. Dabei wurde das Ziel verfolgt, IT-Outsourcing auf Basis einer umfassenden Datenbasis zu erforschen. Themenschwerpunkte der Untersuchung sind: • Inhalt, Umfang, Entscheidungsbasis, Gründe und Zielländer des ausgelagerten und geplanten IT-Leistungsumfanges • Aspekte der Umsetzung (Wahl des Outsourcers, Outsourcing-Verträge, Management von outgesourcten IT-Leistungen) • Ergebnisse der Auslagerungen (Ausmaß und Gründe für erfolgreiche/ nicht erfolgreiche Auslagerungen, Umfang und Gründe für Rückverlagerungen) Im Folgenden wird zunächst die Konzeption und Durchführung der Untersuchung erklärt (Abschnitt B). In Abschnitt C – Gestaltung der Leistungstiefe – werden die empirischen Ergebnisse der Untersuchung dargestellt und diskutiert. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung, die Implikationen für Theorie und Praxis aufzeigt (Abschnitt D).
1 2
Vgl. Dibbern, Güttler, Heinzl (2001) Vgl. Bräutigam (2004)
Outsourcing 133 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
Konzeption und Durchführung der Untersuchung Bezugsrahmen Zu Beginn der Entwicklung der empirischen Studie musste zunächst ein konzeptioneller Bezugsrahmen geschaffen werden. Hierzu wurde auf eine Veröffentlichung von Mauch und Wildemann3 zurückgegriffen und erforderliche Erweiterungen vorgenommen. Im Wesentlichen umfasst der Bezugsrahmen die vier Bereiche Rahmenbedingungen, Ziele der Verlagerungen, Gestaltungsfelder der Verlagerungen sowie die Effizienz der Verlagerungen.
Rahmen-
Gestaltungsfelder der Verlagerungen
bedingungen • Verlagerte IT-Leistungen • Prozesse Ziele der
Effizienz der Verlagerungen
• Lokalitäten
Verlagerung
Abb. 1: Theoretischer Bezugsrahmen der Untersuchung
Im zentralen Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Gestaltungsfelder der Verlagerungen. Hierzu zählen die verlagerten IT-Leistungen (z. B. Anwendungsentwicklung, Produktion), die Lokalität (z. B. deutschsprachiger Raum, Offshore) sowie die Prozesse (z. B. Entscheidungsprozess der IT-Verlagerung, Migration der Verlagerung). Die Konkretisierung dieser Gestaltungsfelder erfolgt unternehmensspezifisch und wird wesentlich beeinflusst durch die Rahmenbedingungen und die Ziele der Verlagerungen. Die Rahmenbedingungen beinhalten sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Faktoren. Zu den unternehmensinternen Faktoren zählen unter anderem Branche, Unternehmensgröße und Umsatz; aber auch strategische Faktoren wie Standortpolitik (z. B. Einbetriebsunternehmen, mehrere gleichwertige Standorte), Differenzierungsstrategie (z. B. Technologie, Kosten, Qualität) und IT-Investitionspolitik. Zu den unternehmensexternen Faktoren zählen Marktgegebenheiten (z. B. Existenz und Güte des Dienstleistungsmarktes für verschiedene IT-Leistungen) und 3
Mauch, Wildemann (2004)
134 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
gesetzliche Vorschriften. Wie der Begriff „Rahmenbedingung“ schon vermuten lässt, wird dadurch der Rahmen beschrieben, innerhalb dessen die Verlagerungsaktivitäten erfolgen. Demzufolge haben die Rahmenbedingungen auch Einfluss auf die Ziele der Verlagerungsaktivitäten. Zu den Zielen der Verlagerungen zählen beispielsweise Kostenreduktion, Vereinheitlichung der IT-Landschaft4 oder die Verbesserung der Eigenkapitalquote.5 Die Ziele sind als übergeordnete Handlungsmaxime der Gestaltungsfelder zu verstehen und beeinflussen diese damit wesentlich. Um nun Hinweise für die Optimierung der Gestaltung von Verlagerungsprozessen zu gewinnen, wurden Effizienzbetrachtungen in die Untersuchung integriert. Die Effizienz der Gestaltung und Durchführung der Verlagerungen wurde in der Untersuchung anhand von Indikatoren wie der Zufriedenheit mit den Verlagerungen oder dem Rückverlagerungsgrad beschrieben. Auch wurden die Probanden nach Gründen für Erfolge bzw. Misserfolge bei Verlagerungen befragt. Darüber hinaus wurden die Probanden nach den eingesetzten Methoden des Entscheidungsprozesses für Verlagerungen befragt. Durch die Analyse der vier Bereiche des Bezugsrahmens der Untersuchung und deren Beziehungen untereinander lassen sich erste Aussagen über Gestaltungskonstellationen, die den Erfolg beeinflussen, treffen.
Vorgehensweise zur Erhebung und Auswertung der Daten Die empirische Untersuchung wurde auf Basis einer schriftlichen Befragung durchgeführt. Die Befragung erfolgte mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens, der überwiegend geschlossene Fragen umfasste. Der Fragebogen wurde im Zeitraum Dezember 2004 bis April 2005 entwickelt. An der Entwicklung waren Wissenschaftler, Techniker, Vertreter von IT-Fachzeitschriften sowie Unternehmensvertreter beteiligt. Die Entwicklung erfolgte über mehrere Runden um inhaltliche Relevanz, Konsistenz, Verständlichkeit der Formulierungen und Vollständigkeit zu gewährleisten. Nach Fertigstellung des Fragebogens wurde dieser nochmals einem Pre-Test bei bisher nicht involvierten Unternehmensvertretern unterzogen. Der Fragebogen wurde auf verschiedenen Kanälen zur Verfügung gestellt: Papiergebunden, als pdf. Download im Internet sowie als Onlineversion im Internet. Insgesamt umfasste der Teil des Fragebogens zur Leistungstiefengestaltung 20 Fragen. Die Merkmale der jeweiligen Unternehmen und ihre Strategien wurden mit weiteren 20 Fragen erfasst. Die Grundgesamtheit der Befragung bilden Unternehmen aller Größen und Branchen. Befragt wurden ausschließlich IT-Entscheidungsträger. Um Verzerrungen zu vermeiden wurden Unternehmen, die IT lediglich als Dienstleistung anbieten, in der 4 5
Vgl. Mauch, Wildemann (2004) Vgl. Mauch (2005)
Outsourcing 135 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
Studie nicht berücksichtigt. Ende Juli 2005 wurden ca. 200 IT-Entscheidungsträger per Post durch die TU-München angeschrieben. Gleichzeitig wurde auf der Homepage und in einem Newsletter der Computerwoche ein Hinweistext verfasst und ein Link auf die Studie gesetzt. Mitte August bis Mitte September 2005 wurde darüber hinaus eine telefonische Nachfassaktion durchgeführt. Bis Ende Oktober 2005 wurden 65 inhaltlich sinnvoll ausgefüllte Fragebögen zurückgesandt. Insgesamt lehnten 16 Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen (Zeitmangel, Kapazitätsprobleme, Vertraulichkeit, IT ausgelagert) die Teilnahme an der Untersuchung ab. Zur Messung der Merkmale werden schwerpunktmäßig fünf- und sechsstufige Ratingskalen eingesetzt. Zur Auswertung und Beschreibung der Merkmale werden überwiegend Standardabweichungen und arithmetische Mittelwerte genutzt. Um Beziehungen zwischen zwei Variablen zu messen, werden Hypothesentests durchgeführt. Die Nullhypothese wird nur dann verworfen, wenn sich mindestens ein Signifikanzniveau von = 5% ergibt. Zusammenhänge auf einem Niveau von = 5% heißen signifikant, Zusammenhänge auf einem Niveau von = 1% hochsignifikant. Ist das Signifikantniveau nur gering größer als 5%, werden mit Hilfe von Kontingenztabellen tendenzielle Zusammenhänge und Trends analysiert, andernfalls wird explizit kein Zusammenhang ausgewiesen.
Gestaltung der Leistungstiefe Rahmenbedingungen Die Grundgesamtheit der Untersuchung bilden Unternehmen aller Branchen. Abb. 2 zeigt die Verteilung der teilnehmenden Unternehmen nach Branchen. Der größte Teil der Unternehmen ist dem Industriesektor zuzuordnen (53%), gefolgt vom Dienstleistungssektor (45,4%). Dem Bereich „Sonstige“ sind 1,6% der Unternehmen zuzuordnen.
136 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
In welcher Branche ist Ihr Unternehmen schwerpunktmäßig tätig? 4,6% 7,7%
Maschinenbau 12,5%
Elektroindustrie Nahrungsmittel
7,8% Sonstige 17,3%
Beratung Dienstleister
14,1% 3,1% 1,6% 4,7%
26,6%
Handel, Banken & Versicherungen Automobil TK & Energie Chemie & Pharma
Abb. 2: Zusammensetzung der Stichprobe nach Branchen
Die Stichprobe enthält Unternehmen jeder Unternehmensgröße. Abb. 3 zeigt die Verteilung der Stichprobe. 46,9% der Unternehmen haben bis zu 500 Mitarbeiter und sind gemäß der bisher gültigen Mittelstandsdefinition des IfM Bonn den KMUs zuzuordnen.6 53,1 % der teilnehmenden Unternehmen beschäftigen dementsprechend mehr als 500 Mitarbeiter. Damit ergibt sich eine leichte Tendenz der Stichprobe zu Großunternehmen. Dies erscheint sinnvoll, da Kleinst- und Kleinunternehmen7 häufig aufgrund ihrer Größe kein umfassendes IT-Management benötigen und damit die Grundlage für die Teilnahme an der Studie entfällt.
6 7
IfM (2005) Vgl. Mauch (2005)
Outsourcing 137 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________ Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie? 10,9%
1 bis 10 Mitarbeiter
14,1%
11 bis 50 Mitarbeiter 9,4%
51 bis 100 Mitarbeiter 101 bis 500 Mitarbeiter 501 bis 1.000 Mitarbeiter 7,8%
1.001 bis 10.000 Mitarbeiter über 10.000 Mitarbeiter
28,1%
18,8%
10,9%
Abb. 3: Zusammensetzung der Stichprobe nach Unternehmensgröße
Die Umfrage wurde gezielt an Entscheidungsträger gerichtet. 50 % der Mitarbeiter, die den Fragebogen ausgefüllt haben, sind Vorstand, Geschäftsführer, CIO oder begleiten eine CIO-ähnliche Position. 23% sind Abteilungsleiter einer IT-Abteilung, 10% sind Abteilungsleiter einer Fachabteilung. Die restlichen Teilnehmer der Studie begleiten Positionen wie Administrator, Projektleiter oder sind Fachmitarbeiter einer IT- oder Fachabteilung. Bei den befragten Unternehmen handelt es sich überwiegend um Unternehmen mit mehreren Standorten (71%) und einer internationalen Absatzmarktausrichtung (63%). Um die von den Unternehmen verfolgten wesentlichen Merkmale zur Differenzierung von den Wettbewerbern zu eruieren, wurden 9 Merkmale zur Wahl angeboten. Diese konnten in prozentualen Abstufungen angegeben werden. Abb. 4 zeigt die Ergebnisse.
138 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ Nennen Sie die wesentlichen Differenzierungsmerkmale ihres Unternehmens! Differenzierungsmerkmal * Marke
14,8
Service
21,5
Liefertreue
9,1
Lieferzeit
6,3
Time to market
*) Prozentzahlen in der Summe ungleich 100 aufgrund der Berechnung aus Einzelfragen und den sich nicht zu 100% addierenden Angaben der Probanden
13,8
Flexibilität
8,6
Qualität
24,6
Kosten
15,1
Technologie
21,9 0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
Angaben in %
Abb. 4: Differenzierungsmerkmale der Unternehmen
Die wichtigsten Differenzierungsmerkmale sind Qualität, Technologie und Service. Erst als viertwichtigstes Merkmal werden Kosten genannt. Damit zeigt diese Untersuchung, dass die von Porter aufgestellten Wettbewerbsstrategien um neue Aspekte erweitert werden müssen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Kajüter8 in seiner Untersuchung über Kostenmanagementsysteme.
Ziele der Verlagerungen Um ihre übergeordneten Unternehmensziele – wie etwa Steigerung der Profitabilität oder stärkerer Qualitätsfokus - besser zu erreichen, führen Unternehmen Verlagerungen in einzelnen oder mehreren Bereichen ihrer Wertschöpfungskette durch. Bereiche, in denen häufig verlagert wird, sind z. B. der Einkauf, die Produktion, die Logistik oder die IT. Die Hauptziele der Verlagerungen sind häufig die Konzentration auf das Kerngeschäft, die Erzielung von Kostenreduktionen oder der Zugang zu Kompetenz. Aus diesen Hauptzielen lassen sich differenziertere Ziele für die einzelnen Bereiche wie in vorliegendem Fall für die IT ableiten. Gemeinsam mit den Rahmenbedingungen wirken die Ziele auf die Ausgestaltung der Verlagerungen.9 In der Abb. 5 sind die wesentlichen Ziele für Verlagerungen im IT-Bereich aufgezeigt sowie die entsprechende Bewertung durch die Probanden (umfragetechnisch wurden die Unternehmen nach den Gründen für ihre Verlagerungen gefragt). Dabei konnten mehrere Ziele gleichzeitig angegeben werden. Konzentration auf das Kerngeschäft, Kostenredukti8 9
Kajüter (2005) Aalders (2001)
Outsourcing 139 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
on und Zugriff auf Technologie und Know-how sind erwartungsgemäß die wichtigsten Ziele der Verlagerungen im IT-Bereich.10 Diese wurden in anderen empirischen Untersuchungen ebenfalls als wichtigste Ziele von den Unternehmen angegeben.11 Interessant ist allerdings, dass die Kostenreduktion als wichtigstes Ziel von Verlagerungen genannt wird und mit deutlichem Abstand der Zugriff auf Technologie und Know-how, bezüglich der Frage der Differenzierungsstrategie12 sich allerdings ein umgekehrtes Bild zeigt und Technologie von deutlich mehr Probanden als Differenzierungsmerkmal eingeordnet wird als die Kosten. Ein weiteres interessantes Ergebnis ist, dass das häufig in der Literatur genannte Ziel von IT-Verlagerungen, die Reduktion der aktivierungsfähigen Assets und damit die Verbesserung der Eigenkapitalquote13 in vorliegender Untersuchung nicht bestätigt werden kann. Dieses Ziel wird von den Unternehmen am niedrigsten priorisiert. Ein Grund hierfür könnte in den verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten von IT-Assets innerhalb der letzten Jahre liegen. So hat insbesondere IT-Leasing stark an Bedeutung gewonnen.14 Was waren in der Vergangenheit die wesentlichen Gründe für Ihre Entscheidungen, ITFunktionalitäten auszulagern? Mögliche Gründe für Outsourcing * 20,0
Schnelle Modernisierung der IT Reduzierung von Risiken durch Überwälzen von Risiken an den Outsourcer
13,8
Verbesserung der Eigenkapitalquote, weil sich durch Outsourcing die aktivierungspflichtigen Assets reduzieren
6,2
Vereinheitlichung und Standardisierung der IT-Landschaft
30,8
Einführung neuer Anwendungen, weil sich Eigenerstellung nicht lohnt, bzw. die kritische Masse fehlt
*) Ergeben nicht 100% in der Summe, aufgrund der Möglichkeit von Mehrfachnennungen.
33,8
Zugriff auf Technologie und Know-how
47,7 61,5
Kostenreduktion
58,5
Konzentration auf das Kerngeschäft 9,2
Sonstige 0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Abb. 5: Ziele der Verlagerungen
10 11 12 13 14
Vgl. Craig, Willmott (2005) Moczadlo (2005); Zahn, Soehnle (1996); Nagengast (1997); Meckl (1999) Vgl. Abb. 4 Vgl. Bräutigam (2005); Krcmar (2005); Matiaske, Mellewigt (2002) IHK (2003)
Angaben in %
140 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Eine weitere Differenzierung nach großen15 und kleinen und mittelständischen Unternehmen16 zeigt deutliche Unterschiede. Für kleine und mittelständische Unternehmen ist der Zugriff auf Technologie und Know-how17 sowie die Einführung neuer Anwendungen, bei denen sich die Eigenerstellung nicht lohnt bzw. die kritische Masse fehlt,18 viel wichtiger als für große Unternehmen. Demgegenüber ist die Vereinheitlichung und Standardisierung der IT-Landschaft19 den großen Unternehmen erheblich wichtiger als den kleinen und mittelständischen Unternehmen.20 Sind die Rahmenbedingungen und Ziele definiert, so sollten die Unternehmen auf deren Basis die auszulagernden IT-Leistungen bestimmen. In der Untersuchung wurde erhoben, wie der Entscheidungsprozess zur Bestimmung der auszulagernden ITLeistungen in den Unternehmen erfolgt. Abb. 6 zeigt, dass über 61% der befragten Unternehmen kerngeschäftsrelevante und stark zur Wettbewerbsdifferenzierung beitragende IT-Leistungen nicht auslagern. Über 35% führen immer Kosten-NutzenAnalysen durch, 20% untersuchen die für Verlagerungen in Betracht gezogenen Leistungen, Prozesse und Wertschöpfungsschritte vorab detailliert nach Kerngeschäftsrelevanz. Mindestens jedes 4. Unternehmen führt keine Kosten-Nutzen-Analyse durch, Benchmarkanalysen führt fast jedes 2. Unternehmen nicht durch.21 In diesem Ergebnis spiegelt sich offenbar wieder, dass nur wenige Unternehmen vor den Verlagerungen umfangreiche Analyseprozesse ihrer Unternehmens- und ITWertschöpfungskette durchführen. Verlagert wird daher möglicherweise auf Basis eines unzureichenden Wissensstandes über Leistungen, Prozesse, Wertschöpfungsschritte und korrelierende Kosten. Dies zeigt sich dann tendenziell auch im Ergebnis der Verlagerungen.22
15 16 17 18 19 20 21 22
Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern Große Unternehmen 38,2%, kleine/mittelständische Unternehmen 58,1% Große Unternehmen 29,4%, kleine/mittelständische Unternehmen 38,7% Große Unternehmen 44,1%, kleine/mittelständische Unternehmen 16,1% Vgl. hierzu auch Linder (2004) Nein-Antworten bei Entscheidungsgrundlage 1-4 Siehe IV
Outsourcing 141 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________ Wie haben Sie die Entscheidungen, welche Leistungen ausgelagert werden sollen, getroffen? Angaben in % ja 61,8
61,8
zum Teil
60%
nein 49,1
50% 41,8 40%
38,2
48,2
38,2 32,7
35,7
30% 20%
39,3
25,0 20,0
25,0
21,8
26,8
16,4 12,7
10%
5,5
0% Die für das Outsourcing in Betracht gezogenen ITLeistungen, Prozesse und Wertschöpfungsschritte wurden detailliert nach Kerngeschäftsrelevanz untersucht.
Mit unternehmensexternen Benchmarks wurden die Potenziale des Outsourcing einzelner ITLeistungen eruiert.
Wir sind den Trends gefolgt, d.h. wir haben die Markt-trends und die Aktionen unserer Wettbewerber analysiert.
Durchführung einer KostenNutzen-Analyse des Outsourcings einzelner ITLeistungen.
Kerngeschäftsrelevante und stark zur Wettbewerbsdifferenzierung beitragende ITLeistungen werden nicht ausgelagert.
Kosteneinsparung en stehen im Vordergrund.
Entscheidungsgrundlage
Abb. 6: Entscheidungsgrundlage der Verlagerungen
Spezifika der Verlagerungen Verlagerte IT-Leistungen Welche IT-Leistungen werden nun verlagert? Hierzu wurden die IT-Leistungen entlang der IT-Wertschöpfungskette23 zunächst in die Leistungsbereiche ITStrategie und Definition, Anwendungsentwicklung und Produktion unterteilt. Abb. 7 zeigt, welche IT-Leistungen die Unternehmen in den letzten drei Jahren an einen Dienstleister vergeben haben und welche sie planen, in den nächsten drei Jahren zu verlagern. Erwartungsgemäß werden Bereiche, die die Schnittstellenfunktion zwischen Geschäft und IT wahrnehmen, nur in geringem Maße verlagert.24 Die Untersuchung bestätigt die Erwartung, dass die IT-Strategie und Definition selten unternehmensextern erstellt wird. Bei der Anwendungsentwicklung und Produktion ist derzeit ein Auslagerungsgrad von 29,8% bzw. 30,8% vorhanden. Während die Unternehmen zukünftig nur 2% mehr im Bereich Anwendungsentwicklung verlagern möchten, steigt der Verlagerungsgrad im Bereich Produktion immerhin um 6% an. Die wesentlichsten Gründe für die moderaten Zuwächse dürften darin liegen, dass einerseits die Unternehmen, die auslagern wollten, dies schon getan haben und dass andererseits die Erwartungen an die Verlagerungen häufig nicht eingetreten sind. 23 24
Vgl. Mauch, Wildemann (2004) Vgl. auch Zarnekow, Brenner, Grohmann (2004)
142 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ Welche IT-Leistungen haben Sie in den letzten drei Jahren an einen Dienstleister vergeben (Outsourcing) und zu wie viel Prozent? Welche planen Sie in den nächsten drei Jahren zu verlagern?
Ausgelagerte IT- Leistung
IT-Strategie & Def. heute
9,6
Anwendungsentwicklung heute
29,8
30,8
Produktion heute
IT-Strategie & Def. zukünftig
9,6
31,8
Anwendungsentwicklung zukünftig
36,8
Produktion zukünftig
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
Auslagerungs100% grad in %
Abb. 7: Heutige und zukünftige Verlagerungen von IT-Leistungsbereichen
Eine weitere Untergliederung der Leistungsbereiche25 in Wertschöpfungsschritte zeigt, dass die wesentlichen Zuwächse an Verlagerungen beim Benutzersupport, dem Anwendungsbetrieb (Hosting) und der Software, Wartung/Pflege liegen. Absolut betrachtet wird heute und in Zukunft am meisten bei Telekommunikation/Netzwerke ausgelagert. Der wesentliche Grund dürfte darin zu sehen sein, dass Telekommunikation/Netzwerke eine stark standardisierte Leistung darstellt und vergleichsweise einfach zu verlagern, insbesondere zu steuern und zu kontrollieren ist.
25
Ohne IT-Strategie und Definition, da keine Veränderung im heutigen und zukünftigen Auslagerungsgrad festgestellt werden kann
Outsourcing 143 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________ Welche IT-Leistungen haben Sie in den letzten drei Jahren an einen Dienstleister vergeben und zu wie viel Prozent? Welche planen Sie in den nächsten drei Jahren zu verlagern? Auslagerungsgrad in Prozent 50% 45%
41,4 37,5
40%
43,0 37,5
35% 25% 20%
22,5
21,2
37,0 32,5
29,7
29,1
30%
39,7 36,0 32,9
30,9
24,4
23,8
15% 10% 5% 0%
Grob- und Fachkonzepte
Datenverarbeitungskonzepte
Softwareerstellung und -test
Betrieb Anwendungen (Hosting)
Systembetrieb/ Rechenzentrum
Telekommunikation/ Netzwerke
BenutzerSupport
Software, Wartung/ Pflege
Ausgelagerte IT- Leistung
In Zukunft Anwendungsentwicklung
Produktion
Heute
Abb. 8: Heute und zukünftige Verlagerungen von IT-Wertschöpfungsschritten (ohne IT-Strategie und Definition)
Eine Differenzierung nach kleinen/mittelständischen sowie großen Unternehmen zeigt, dass ein signifikanter, wenn auch nur schwach positiver Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße und dem Auslagerungsgrad besteht. Je größer das Unternehmen, desto höher der Auslagerungsgrad des Unternehmens.26 Dies erscheint plausibel, da kleinere Unternehmen häufig keine klar abgrenzbaren Aufgaben im IT-Bereich haben, die verlagerungsfähig sind. Darüber hinaus haben kleine und die meisten mittelständischen Unternehmen zu wenig IT-Mitarbeiter, die sich strategischer IT-Fragestellungen annehmen könnten und in der Lage wären, ITVerlagerungen zu steuern. Die Intensivierung des Wettbewerbs und das damit verbundene Erfordernis einer stringenten Effizienzorientierung, nicht nur in den Kern-, sondern auch in den Unterstützungsfunktionen wie sie die IT darstellt, wird dazu führen, dass auch KMUs ihre IT effizienter, z. B. durch Verlagerung von nicht Kern-ITFunktionalitäten, gestalten.27 Welche IT-Leistungen werden erfolgreich verlagert? Die Untersuchung zeigt, dass die Unternehmen als am erfolgreichsten die Verlagerung des Systembetriebes und der Rechenzentrumsleistungen beurteilen. 71,8% der befragten Unternehmen bezeichnen diese Verlagerung auf einer 5-stufigen Ratingskala als erfolgreich. Dies erscheint plausibel, denn es handelt sich hierbei um eine klar abgegrenzte IT-Leistung, deren Qualität und Performance gut über Service Level Agreements abgesichert werden 26 27
zweiseitige Signifikanz = 0,002, Korrelation nach Pearson r = 0,387 Vgl. Mauch (2005)
144 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
kann. Am häufigsten als nicht erfolgreich wird die Verlagerung des ITWertschöpfungsschrittes Anforderungsdefinition genannt. Ein wesentlicher Erklärungsgrund hierfür könnte sein, dass eine qualitativ hochwertige Anforderungsdefinition eine genaue Kenntnis der Unternehmensprozesse sowie einen hohen Interaktionsgrad mit dem Unternehmen erfordert und dies durch externe Dienstleister nur mit erheblichem Aufwand oder nach jahrelanger Zusammenarbeit geleistet werden kann. Prozesse Die Prozesse der Verlagerungen sind ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Verlagerungen insgesamt.28 Eine sorgfältige Auswahl des Outsourcers,29 gezielte Verhandlungen, eine detaillierte Vertragsgestaltung sowie ein kontinuierliches Management der ausgelagerten Leistung erhöhen den Erfolgsgrad von Verlagerungen, gemessen am Zielerreichungsgrad der vorab berechneten potenziellen Effizienzgewinne.30 Die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen, dass bei der Auswahl des Outsourcers das mit Abstand wichtigste Kriterium ein umfangreiches Angebot des Outsourcers auf einer 5er-Skala ist (4,5). Danach folgen die Kriterien Flexibilität, d.h. der Outsourcer verfügt über eine hohe Anpassungsgeschwindigkeit und ausreichend Kapazitäten sowie Sustainability, d.h. der Outsourcer ist hinreichend ausgestattet mit finanziellen und technologischen Ressourcen. Auch der kulturelle Fit wird als wichtig erachtet (3,2) und damit unterstützen die Probanden mit ihrer Einschätzung die Ergebnisse empirischer Studien. Diese zeigen, dass durch kulturelle Unterschiede erhebliche, nicht direkt sichtbare Kosten entstehen können.31 Eine Differenzierung zwischen kleinen/mittelständischen und großen Unternehmen zeigt deutliche Unterschiede. So ist der kulturelle Fit für kleine/mittelständische Unternehmen (3,6) erheblich wichtiger als für große Unternehmen (2,8), die Flexibilität demgegenüber ist für große Unternehmen (4,0) wichtiger als für kleine/mittelständische Unternehmen (3,6). Ein Erklärungsansatz für die Unterschiede beim kulturellen Fit könnte sein, dass große Unternehmen ihre Fähigkeiten bzw. ihr Wissen ausreichend hoch einschätzen, um den Outsourcer zu steuern und daher einen geringeren Wert als kleine/mittelständische Unternehmen auf den kulturellen Fit legen. Interessanterweise wird eine vorhandene Offshore-Komponente von den Unternehmen nur als geringfügig wichtig betrachtet (2,0), obgleich der wichtigste Grund für Verlagerungen die Kostenreduktion32 war. Ein Erklärungsgrund für dieses Ergeb28 29 30 31 32
Aalders (2001) Vgl. Cullen, Willcocks (2003) Wildemann (2005); Moritz (2004); Meyer (2003) Vgl. Loeser, Richter (2004) Vgl. Abb. 5
Outsourcing 145 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
nis könnte sein, dass der Wettbewerb auf dem IT-Outsourcing-Dienstleistungsmarkt mittlerweile so hoch ist, dass intern optimierte Produktionsprozesse beim Outsourcer33 als selbstverständlich betrachtet werden und somit separate OffshoreKomponenten im Vertrag nicht mehr erforderlich erscheinen. Wenn Sie Ihre IT- Verlagerungen der letzten drei Jahre betrachten: Was waren die entscheidenden Kriterien bei der Wahl des Outsourcers? Kriterien für Wahl des Outsourcers Offshore: Der Outsourcer bietet eine OffshoreKomponente in seinem Vertrag an
2,0
Internationale Präsenz: Der Outsourcer verfügt über die gewünschten internationalen Produktionsstandorte
2,3
Lokale Präsenz: Der Outsourcer verfügt über die gewünschten lokalen Produktionsstandorte
3,4
Kultureller Fit: Der Outsourcer passt hinsichtlich seiner Normen und Werte zum auslagernden Unternehmen
3,2
Sustainability: Outsourcer ist hinreichend ausgestattet mit finanziellen und technologischen Ressourcen
3,7
Flexibilität: Outsourcer hat hohe Anpassungsgeschwindigkeit und ausreichend Kapazitäten
3,8
Angebot: Outsourcer verfügt über alle erforderlichen Prozessschritte
0 0,5 unwichtig
4,5 1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
4,5
Kriterium ist … 5 sehr wichtig
Abb. 9: Kriterien für die Wahl des Outsourcers
Nach Vertragsabschluss und Migration der IT-Leistungen zum Outsourcer, die an dieser Stelle nicht näher betrachtet werden, gilt es, ein effizientes Management der Fremderstellung im „Tagesbetrieb“ zu etablieren.34 Die Effizienzverluste, die durch unzureichendes Schnittstellenmanagement erfolgen können, sind erheblich. Sie begründen die enorme Wichtigkeit eines funktionierenden Schnittstellenmanagements. Du Ponts Global Alliance Manager fasst dies prägnant in die Worte: „Outsourcing requires a massive handson effort every day. You must manage suppliers daily or outsourcing will either fail, or the customer will incur higher costs“.35 Die Befunde zum Management von ausgelagerten Leistungen zeigen, dass von den Probanden alle Aspekte als wichtig erachtet werden (jeder Aspekt 3,7). Als wichtigste Aspekte werden eindeutige Eskalationswege (4,5) sowie gegenseitiges Verständnis zwischen Outsourcing-Geber und -Nehmer (4,4) eingeordnet. Auch hier zeigt sich die Wichtigkeit des kulturellen Verständnisses zwischen den Vertragspartnern für die teilnehmenden Unternehmen. Diese Ergebnisse stützen die Vermutung, dass auf Grund der 33 34 35
D.h. Outsourcer hat intern einen Teil seinen Produktionsprozesses bereits nach Offshore verlagert Vgl. Mauch, Wildemann (2004) Lacity, Willcocks (2003)
146 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Komplexität der meisten Outsourcing-Vorhaben nur ein Teil der Inhalte und potenziellen Problemfelder vertraglich geregelt werden können und daher beim tatsächlichen Eintreten von Problemen die Problemlösungsfähigkeit auf beiden Seiten sehr wichtig erscheint. Lokalitäten Je nachdem, welche Zielsetzung mit den Verlagerungen erreicht werden soll (z. B. Zugang zu Technologie und Kompetenz versus Zugang zu Niedrigkostenproduktion)36 eignen sich unterschiedliche Verlagerungsstandorte. Verlagerungen von ITLeistungen können dabei in den deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) oder in das nicht deutschsprachige Ausland erfolgen. Im nicht deutschsprachigen Ausland wird im Rahmen dieser empirischen Studie weiter differenziert in Nearshore Westeuropa, Nearshore Osteuropa und Offshore, in der Annahme, dass diese Differenzierungen aufgrund der hohen Anzahl an Verlagerungen ins Ausland notwendig sind. Grund für diese Annahme sind die in der Literatur häufig genannten Personalkostenvorteile, insbesondere in Nearshore-Osteuropa und OffshoreLändern, die die Verlagerungen positiv beeinflussen.37 Vorliegende empirische Untersuchung zeigt allerdings, dass die Unternehmen im IT-Bereich insgesamt wenig ins Ausland verlagert haben. Wie Abb. 10 zeigt wurde am häufigsten, d.h. von 15,4% der Probanden, die Softwareerstellung/-test ausgelagert, gefolgt von Software, Wartung/Pflege mit 7,7%.
36 37
Vgl. Friedli, Loeser, Elben (2005) Bitkom (2005); Apargaus (2003)
Outsourcing 147 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________ Haben Sie schon IT- Leistungen ins Ausland verlagert und wenn ja, welche? Angaben in % 18% 16%
15,4
14% 12% 10% 7,7
8% 6,2
6,2
6%
6,2
6,2 4,6
4,6
4% 2%
1,5
1,5
0% Anfor1 derungsdefinition
Grobund2 Fachkonzept
Daten3 verarbeitunskonzept
Software4 erstellung und - test
Betrieb 5 Anwendungen (Hosting)
System6 betrieb/ Rechenzentrum
Telekom- Benutzer7 8 munikation/ support Netzwerke
Software, 9 Wartung/ Pflege
Andere 10 IT-Leistungen
ITLeistungen
Abb.10: Verlagerungen von IT-Leistungen ins Ausland
Eine Betrachtung der Lokalitäten zeigt, dass bisher eindeutig in den deutschsprachigen Raum verlagert wurde. 87,9% der Verlagerungen erfolgen nach Deutschland, Österreich oder der Schweiz. In Zukunft38 wollen die Unternehmen verstärkt nach Offshore und Nearshore Osteuropa verlagern, dementsprechend zu Lasten des deutschsprachigen Raumes und Nearshore Westeuropa. Über alle IT-Leistungen hinweg wollen die Unternehmen dann knapp 20% ihrer Verlagerungen in das nicht deutschsprachige Ausland tätigen. Die Untersuchung stützt damit nicht die vor allem in den öffentlichen Medien diskutierte These, dass es in den letzten zwei bis drei Jahren zu einer erheblichen Beschleunigung der IT-Offshore-Aktivitäten der Unternehmen gekommen ist.39 Eine genauere Betrachtung in Abb. 11 der verlagerten IT-Leistungsbereiche und Wertschöpfungsschritte zeigt, dass zukünftig vor allem im IT-Leistungsbereich Produktion, speziell bei Software, Wartung/Pflege, beim Benutzer-Support und bei Telekommunikation/Netzwerke Zunahmen an Verlagerungen ins Ausland zu erwarten sind. Demgegenüber sind in den IT-Wertschöpfungsschritten der Anwendungsentwicklung, die eine starke Verzahnung mit den Fachbereichen des auslagernden Unternehmen aufweisen und daher kommunikationsintensiv sind, wie Grob- und Fachkonzepterstellung und Datenverarbeitungskonzept, so gut wie keine Zunahmen zu erwarten. Die Untersuchung kann daher die in der Literatur genannte These, dass ITEntwicklungsleistungen typische Offshore-Funktionen sind, nicht uneingeschränkt 38 39
In den nächsten drei Jahren Vgl. Boes, Schwemmle (2004)
148 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
stützen40 und allenfalls für den Bereich Softwareerstellung und -test, bei dem in Zukunft Zunahmen zu erwarten sind, anerkennen.41 Wohin wurde in den letzten drei Jahren schwerpunktmäßig verlagert und wohin soll in den nächsten drei Jahren verlagert werden? IT-Leistungen* Produktion: Software, Wartung, Pflege
Heute
Produktion: Benutzer-Support
Heute
Produktion: Telekommunikation, Netzwerke
Heute
Produktion: Systembetrieb, Rechenzentrum
Heute Zukunft
82,77
Produktion: Betrieb Anwendungen (Hosting)
Heute
84,37
Anwendungsentwicklung: Softwareerstellung und -test
Heute
86,16
Zukunft
3,5 8,57
8,57
4,35
95,65
Zukunft
3,0 6,06
81,82
9,09 5,88
94,12
Zukunft
2,9
82,82
8,57
2,9
5,56 5,71
77,13 5,41
70,27
Anwendungsentwicklung: Datenverarbeitungskonzept
Heute Zukunft
84,42
Anwendungsentwicklung: Grob- und Fachkonzept
Heute
85,72
Zukunft
86,16
IT-Strategie und Definition: Anforderungsdefinition
Heute
3,1
3,5 3,5
9,38 7,14
3,5
Deutschsprachiger Raum (BRD, A, CH) Nearshore Westeuropa (z.B. F, GB, NL, ES) Nearshore Osteuropa (z.B. PL, CZ, SI, RO) Offshore (z.B. UA, RU, CN, BR, IN)
5,71 13,51
6,90
3,1 7,14
*) Summen marginal different von 100% aufgrund von Rundungsdifferen zen
10,34 4,55
95,45
40%
5,56
11,43
10,81
4,00 4,00
92,00
20%
6,25
11,11
86,10
Zukunft
2,9
11,43 9,38
77,78
Zukunft
5,71 3,0 3,0 3,0
91,0
Zukunft
0%
10,34 8,57
74,29
60%
80%
Angaben in % der Verlagerungen 100%
Abb. 11: Lokalitäten bisheriger und zukünftiger Verlagerungen
Zusammengefasst heißt dies, dass Nearshore und Offshore auch zukünftig eine untergeordnete Rolle bei den IT-Verlagerungen spielen werden und ihr Potenzial möglicherweise schon ausgereizt ist. Gründe hierfür könnten Kulturunterschiede, Sprachbarrieren, eine schlechtere Qualität als erwartet sowie hohe Koordinationskosten sein,42 die insgesamt die Einsparungen bei den Personalkosten so gut wie aufzehren. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass die Unternehmen zukünftig von ihren deutschen IT-Dienstleistungsunternehmen nearshore-offshore-konkurrenzfähige Preise erwarten. Jüngere Studien über die Tagessätze von IT-Dienstleistungen in Deutschland zeigen, dass diese bereits43 fallen. Dabei zeichnet sich der Trend ab, dass ITDienstleister intern ihre Produktion in Niedriglohnländer an Tochterunternehmen oder externe Partner verlagern, jedoch an der Schnittstelle zum Kunden vor Ort deutschsprachige Mitarbeiter einsetzen, die die Prozesse und Problemstellungen
40 41 42 43
Vgl. von Campenhausen (2005) Vgl. Gold (2005) Forrester Research (2001) O.V. (2005)
Outsourcing 149 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
beim Kunden ohne Koordinationsverlust nachvollziehen können.44 Dieser Sachverhalt sollte in weiteren Studien erforscht werden.
Effizienz und Effektivität der Verlagerungen Messgrößen für die Güte von Verlagerungen sind Effizienz und Effektivität. Diese lassen sich in der Regel nicht direkt messen sondern nur indirekt anhand von Parametern ableiten. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden die Parameter Zufriedenheit mit den Outsourcing-Aktivitäten und Rückverlagerungen als Indikator für die Güte von Verlagerungen gewählt. Eine Analyse der Zufriedenheit mit den Outsourcing-Aktivitäten zeigt, dass 48% der Befragten zufrieden oder sehr zufrieden mit ihren Verlagerungsaktivitäten sind. Mehr als ein Viertel der Befragten (26%) sind unzufrieden bis sehr unzufrieden, weitere 26% etwas zufrieden. Dies bedeutet, dass bei mehr als der Hälfte der Unternehmen die Erwartungen an die Verlagerungen nicht oder nicht in vollem Maße erfüllt werden. Eine detailliertere Betrachtung der Zufriedenheit gibt Aufschluss darüber, wie zufrieden die Unternehmen bezüglich der Kriterien Vertragsauslegung, Reaktionszeit, Zusammenarbeit, Leistungsqualität und Kosten sind. Die Kosten erreichen im Ranking die stärkste Zufriedenheit mit 58%.45 Am wenigsten zufrieden sind die Unternehmen mit den Reaktionszeiten.46 Der Zufriedenheitsgrad bei Leistungsqualität, Zusammenarbeit und Vertragsauslegung liegt im Bereich von 47% bis 52,9%. Am stärksten unzufrieden sind sie mit den Reaktionszeiten und der Leistungsqualität.47 Eine detaillierte Darstellung findet sich in Abb. 12.
44 45 46 47
Vgl. Arvato Systems (2005) Summe aus zufrieden und sehr zufrieden 36%, Summe aus zufrieden und sehr zufrieden 28% bzw. 27,5%, Summe aus unzufrieden und sehr unzufrieden
150 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________ Bilanzieren Sie Ihre Outsourcing- Aktivitäten! Wie hoch ist ihre Zufriedenheit bezüglich … Kriterium 4,1 Vertragsauslegung
38,8
12,2
2,0 8,0
28,0
Reaktionszeit
26,0
2,0
28,0
18,0
2,0
sehr zufrieden zufrieden etwas zufrieden
36,0
unzufrieden sehr unzufrieden
14,0 Zusammenarbeit
42,9
38,0
9,8 Leistungsqualität
43,1
19,6 21,6
5,9 8,0 Kosten
0%
10%
50,0
24,0
10,0 8,0 20,%
30%
40%
50%
60,%
Angaben in %
Abb. 12: Zufriedenheit mit den Outsourcing-Aktivitäten
Konkret nach den erwarteten und dann tatsächlich eingetretenen Kostenreduktionen befragt, zeigt sich ein überraschendes Ergebnis. Wie Abb. 13 zeigt, haben sich nur sehr wenige Unternehmen a priori konkrete Überlegungen zu den erwarteten Kostenreduktionen gemacht. Dies lässt im Rückschluss vermuten, dass die Unternehmen die oben genannte Zufriedenheit bezüglich der Kosten ihrer Verlagerungsaktivitäten überwiegend nicht auf Basis einer fundierten GAP-Analyse zwischen erwarteten und eingetretenen Kosten, sondern eher auf Basis eines positiven Gesamtgefühles treffen. Wenn Kostenreduktion ein wesentlicher Grund Ihrer Verlagerungen in den letzten drei Jahren war – wie viel Kostenreduktion haben Sie a priori erwartet? Anzahl Unternehmen 61
60
60
59
57
55
54
57
53
55
50 40 30 20 10
4
5
6
8
10
11
12
8
10
Antwort keine Antwort IT-Leistungen
0 Anforderungsdefinition
Grobund Fachkonzept
Datenverarbeitunskonzept
Softwareerstellung und - test
Betrieb Anwendungen (Hosting)
Abb. 13: Aussagen über erwartete Kostenreduktionen
Systembetrieb/ Rechenzentrum
Telekommunikation/ Netzwerke
Benutzersupport
Software, Wartung/ Pflege
Outsourcing 151 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
Eine Analyse der Rückverlagerungen zeigt, dass 18,5% der Unternehmen, die in den letzten drei Jahren IT-Funktionalitäten ausgelagert haben, diese oder Teile davon wieder reintegriert haben. Vergleicht man diese Zahl mit Rückverlagerungen im produzierenden Gewerbe, wo die Quote schwerpunktmäßig im Bereich von 7-11% liegt, ist diese Zahl als sehr hoch einzuschätzen. Dies könnte darauf hindeuten, dass Unternehmen, die unzufrieden mit ihren Verlagerungsaktivitäten waren, wieder ins eigene Unternehmen rückverlagern. Um diesen Sachverhalt näher zu untersuchen, wurden Hypothesentests durchgeführt. Es konnte jedoch kein signifikanter Zusammenhang zwischen Rückverlagerungen und der Zufriedenheit der Verlagerungen bezüglich der Gesamtbilanz der Verlagerungen festgestellt werden. Auch eine differenziertere Betrachtung bezüglich der Zufriedenheit einzelner Kriterien, wie beispielsweise des Kriteriums Kosten, und dem Reintegrationsgrad lieferte keinen signifikanten Zusammenhang. Dies bedeutet, dass die Zufriedenheit keine signifikant erklärende Variable für die Rückverlagerungen ist und es an dieser Stelle weiteren Forschungsbedarf gibt. Ansatzpunkte für weitere Forschung liefert zum einen die Interpretation der in der Umfrage gestellten offenen Frage nach den drei wichtigsten Gründen für die Rückverlagerungen. Ein Clustering der Antworten ergibt, dass die drei wichtigsten Ansatzpunkte eine schlechte Qualität beim Outsourcer, stark gestiegene Kosten sowie eine Zunahme der strategischen Relevanz der outgesourcten Leistung sind. Zum anderen ist die offene Frage nach den drei wesentlichen Gründen für den Misserfolg der Outsourcing-Aktivitäten ein weiterer Ansatzpunkt. Hier nennen die Probanden mit abnehmender Häufigkeit Kommunikationsprobleme zwischen dem verlagernden Unternehmen und dem Outsourcer, Inkompetenz auf Seiten des Outsourcers sowie schlechtes Projektmanagement. Geht man der Frage nach, welche Gestaltungsparameter die Zufriedenheit mit den Verlagerungen erhöhen, so zeigt sich, dass es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Outsourcing-Entscheidung, die auf Basis einer umfangreichen Analyse getroffen wurde, und der Zufriedenheit bezüglich dem Ergebnis der Kosten gibt. Das Ergebnis zeigt einen Zusammenhang auf einem Signifikanzniveau von = 5%. Tendenziell sind Unternehmen, die ihre Outsourcing-Entscheidung auf Basis umfangreicher Analyseprozesse im Vorfeld getroffen haben, mit den sich später realisierenden Kosten zufriedener als diejenigen, die keine oder nur geringfügige Analysen durchgeführt haben. Dieser Zusammenhang ist aus der Literatur bekannt, allerdings bisher noch nicht empirisch belegt.48
48
Vgl. Elsener (2005); Vgl. Mauch, Wildemann (2004)
152 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
Implikationen für Theorie und Praxis Die empirischen Analysen zur Verlagerungen von IT-Leistungen in deutschen Unternehmen zeigen, dass Kostenreduktion das wichtigste Ziel von Verlagerungen, die damit verbundene Konzentration aufs Kerngeschäft das zweitwichtigste Ziel ist. Großunternehmen verlagern mehr IT-Leistungen als kleine und mittelständische Unternehmen. Gleichzeitig zeigt sich eine deutliche Differenzierung zwischen kleinen und mittelständischen Unternehmen und Großunternehmen in den Bereichen Anforderungen, Ziele und Kriterien bei der Outsourcer Wahl. Es ist daher zu erwarten, dass sich die Outsourcing-Vorhaben hinsichtlich Inhalten, Zielen und Dienstleistern stärker ausdifferenzieren werden. Am meisten werden die IT-Leistungsbereiche der Anwendungsentwicklung und der Produktion mit aggregierten Auslagerungsgraden um die 30% fremd erstellt. Zukünftig wollen die Unternehmen vor allem im Bereich der Produktion mehr fremd erstellen lassen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass im Bereich der Produktion eine Reihe von IT-Leistungsbereichen beinhaltet sind, die standardisiert und klar abgegrenzt sind, wie z.B. Telekommunikation/Netzwerke. Diese Bereiche lassen sich vergleichsweise einfach verlagern, steuern und kontrollieren. Daher erscheint es auch plausibel, dass genau diese Leistungsbereiche von den befragten Unternehmen derzeit am erfolgreichsten ausgelagert werden. Insgesamt wird weniger als erwartet ins Ausland verlagert, insbesondere nach Nearshore Osteuropa und Offshore wird weniger verlagert als die Studie der aktuellen Literatur vermuten lässt. Gründe hierfür könnten darin liegen, dass deutsche ITDienstleister mittlerweile wettbewerbsfähige Preise anbieten und Erwartungen an Verlagerungen ins Ausland nicht erfüllt wurden. Letztlich ist in weitergehenden Forschungen auch zu überprüfen, ob es einen kritischen Verlagerungsgrad bei den Unternehmen gibt. Wie vermutet, hat ein umfangreicher Analyseprozess vor der OutsourcingEntscheidung positive Implikationen auf den realisierten Verlagerungserfolg. Am erfolgreichsten sind diejenigen Unternehmen, die ihre Outsourcing-Entscheidung auf Basis eines umfassenden Analyseprozesses, der die IT-Wertschöpfungskette detailliert nach Kerngeschäftsrelevanz mit Hilfe von Wettbewerbs-, Wertschöpfungsketten-, Prozess-, Kernkompetenz-, Erfolgsfaktor- und Stärken/Schwächen-Analysen untersucht, treffen. Interessanterweise zeigt die vorliegende Studie einen erstaunlich hohen Rückverlagerungsgrad in Höhe von über 18% und liefert hierzu erste Erklärungsansätze. Hier besteht weitergehender Forschungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der rückverlagerten IT-Leistungsbereiche und der hierfür verantwortlichen Ursachen. Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse der Studie, dass IT-Verlagerungen auf Grund der immer stärker werdenden Verzahnung von Geschäftsmodell und IT stark
Outsourcing 153 ____________________von _______IT-Leistungen ____________________________________________________________________________________________________________________________
unternehmensindividuelle Prozesse sind, die zum einen eine sorgfältige Analyse und zum anderen gerade wegen ihrer Komplexität Flexibilität und kulturelles Verständnis an der Schnittstelle zum Outsourcer erfordern. Die beschriebenen Befunde leisten einen Beitrag zur empirischen Forschung des IT-Outsourcing und sind als erster Ausgangspunkt für weitergehende Forschungen zu verstehen. Bei der Untersuchung ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Antworten teilweise um Perzeptionsdaten handelt, die die subjektive Meinung der befragten Probanden zu den verschiedenen Aspekten des IT-Outsourcing widerspiegeln. Weitergehende Forschungen könnten sich zum Beispiel auf spezifische Branchen, die einen hohen Anteil an IT in ihrer Wertschöpfungskette aufweisen, wie z.B. die Finanzdienstleistungsindustrie, konzentrieren. Darüber hinaus hat die vorliegende Studie einige Themenfelder aufgegriffen, die eine empirische Vertiefung sinnvoll erscheinen lassen. Hierzu zählen Nearshore und Offshore Verlagerungen und Rückverlagerungen.
Zusammenfassung Vorliegende Studie zeigt, dass beim Outsourcing von IT-Leistungen die Unternehmen primär die Ziele Kostenreduktion sowie Konzentration auf das Kerngeschäft verfolgen. Es zeigt sich, dass insbesondere in den Bereichen Anwendungsentwicklung und Produktion IT-Leistungen fremd erstellt werden und in Zukunft Zuwächse insbesondere in der Produktion zu erwarten sind. Der Bereich der IT-Strategie und Definition wird aufgrund seiner hohen strategischen Bedeutung und seiner starken unternehmensinternen Verzahnung überwiegend eigen erstellt. Der größte Anteil der Verlagerungen erfolgt in den deutschsprachigen Raum – auch für die Zukunft sind nur geringfügige Zuwächse für Nearshore und Offshore zu erwarten. Die Ergebnisse der Studie zeigen weiterhin, dass die IT-Verlagerungen aufgrund der immer stärker werdenden Verzahnung von Geschäftsmodell und IT stark unternehmensindividuelle Prozesse sind, die neben einer sorgfältigen Analyse Flexibilität und kulturelles Verständnis an der Schnittstelle zum Outsourcer erfordern.
154 Christiane Mauch _______________________________________________________________________________________________________________________________ ________________________
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Wissen 157 _____________in ____Wertschöpfungsnetzwerken ______________________________________________________________________________________________________________________________________
Multiperspektivischer Ansatz zur Analyse von Wissen in Wertschöpfungsnetzwerken Norbert Gronau, Claudia Müller
Gründe für die Bildung von Wertschöpfungsnetzwerken Der Unternehmenswandel ist infolge der turbulenten Umwelt zu einem Dauerzustand avanciert.1 Dies ist unter anderem auf die Globalisierung der Märkte und die Verknappung der Ressourcen zurückzuführen. Unternehmen müssen flexibel auf die Bedürfnisse der Kunden nach individuellen Produkten reagieren und der Herausforderung nach kürzeren Produktentwicklungszyklen gerecht werden. Aufgrund der zunehmenden Konzentration der Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen erfolgt die Leistungserstellung zunehmend durch interagierende Wertschöpfungspartner. Neue Technologien wie das Internet, EAI (Enterprise Application Integration) oder WebServices verändern die Gestaltung der Wertschöpfungsprozesse und sie ermöglichen die Integration mit Lieferanten und die Kommunikation mit Kunden.2 Der Prozess der Leistungserstellung erfolgt daher über eine weitgehende Mitwirkung externer Partner und Kunden. Aus dieser kooperativen Leistungserstellung resultiert ein Wertschöpfungsnetzwerk, dessen Ziel zum Beispiel das Angebot hybrider Leistungsbündel oder der Zugriff auf Wissen und Know-how des Partners ist.3 So erfolgt derzeit verstärkt im Bereich der Investitionsgüterindustrie die Erweiterung des Kerngeschäfts um Dienstleistungsangebote zur Schaffung hybrider Leistungsbündel. Die integrierte Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen ist auf die Kundennachfrage nach Komplettlösungen, auf die gestiegenen Qualitätsansprüche der Kunden und auf die zunehmende Individualisierung der angebotenen Leistungen zurückzuführen. Das Produkt wird individualisiert, indem es auf die spezifischen Wünsche des Kunden und auf den Kontext, in dem sich der Kunde bewegt, ausgerichtet wird. Nur durch ein im Hintergrund agierendes Wertschöpfungsnetzwerk kann die in der Regel kostenintensive Bereitstellung der erforderlichen Personalressourcen und die hohe Lieferfähigkeit sichergestellt sowie die kurzen Innovationszyklen eingehalten werden.4 Der Gesamterfolg steht dabei in starker Korrelation zur engen Bindung von Produkt und Dienstleistung. Durch die Zusammenfassung der 1 2 3 4
Krüger (1998), S. 228ff. Frese, Stöber (2002); Scheer, Kirchmer (2003) Frink (2004), S. 145 Zahn, Stanik (2003)
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Leistungen wird ein höherer Wert beim Kunden als durch die bloße Addition der einzelnen Bestandteile geschaffen. Bei komplexen Problemlösungen ist eine Trennung zwischen dem jeweiligen Produkt- und Dienstleistungsanteil nahezu unmöglich. Ergab die frühere Sichtweise im Produktgeschäft ein Nebeneinander von Produkt und Dienstleistung, erfolgt im heutigen Systemgeschäft eine ergänzende Betrachtung. Diese Entwicklung führt zu einem kundenindividuellen Lösungsgeschäft, in welchem das Produkt und die Dienstleistung integriert betrachtet werden. Daher wird von einem Paradigmenwechsel in der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung gesprochen.5 Durch eine solche Sichtweise wird das traditionelle Verständnis, in welchem das materielle Produkt und die Dienstleistung (immaterielles Produkt) als getrennte Objekte gesehen werden, überwunden. Um dieser Forderung gerecht zu werden, muss als Voraussetzung die Zusammenarbeit zwischen den Wertschöpfungspartnern, eine auf Vertrauen und Dauer ausgerichtete Kooperation sein.6
Händler
Automobilhersteller Systemzulieferer Komponentenzulieferer
Abb. 1: Modell eines Unternehmensnetzwerks (Quelle: Windeler, 2005, S. 215)
Aufgrund der Vernetzung entstehen durch das Zusammenwirken von bisher getrennt miteinander agierender Akteure Synergieeffekte. In diesen Wertschöpfungsnetzwerken stehen Unternehmen über Material-, Informations- und Wissensflüsse miteinander in Beziehung. Die Transparenz und das Wissen über die Fähigkeiten eines Unternehmens sind nicht nur Voraussetzung, um Wertschöpfungsnetzwerke zu betreiben, sondern auch um neue Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln.7 Aufgrund der daraus erwachsenden Vorteile, werden Netzwerke als die relevanteste 5 6 7
Spath, Demuß (2003), S. 469 Sydow (2003) Fleischer et al. (2005), S. 554
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Organisationsform des 21. Jahrhundert angesehen.8 Netzwerkartige Organisationsformen werden vor allem von stark internationalisierten Unternehmen mit Erfolg zur flexiblen Integration komplexer Leistungsprozesse eingesetzt.9 Da sich noch keine einheitliche Auffassung herausgebildet hat,10 wird hier ein Wertschöpfungsnetzwerk als Integration von Wertschöpfungsprozessen verstanden. Es handelt sich bei Wertschöpfungsnetzwerken um eine spezielle Ausprägung von Unternehmensnetzwerken.11 Ein Unternehmensnetzwerk ist eine auf Wettbewerbsvorteile abzielende Organisationsform, die komplex-reziproke, eher kooperative und relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen, aber wirtschaftlich abhängigen Unternehmen aufweist.12 Innerhalb eines Unternehmensnetzwerks verfolgen autonom agierende Unternehmen ein gemeinsames Ziel und ordnen ihre Individualziele zumindest teilweise dem Kollektivziel des Netzwerkes unter.13 Unternehmensnetzwerke als interorganisationale Netzwerke müssen von virtuellen Unternehmen abgegrenzt werden. Eine virtuelle Unternehmung geht genauso wie ein Unternehmensnetzwerk eine Kooperation ein, um eine bestimmte Problemlösung gemeinsam mit dem am besten geeigneten Partner zu erarbeiten. Aufgrund dieser möglicherweise sogar auf einen Auftrag begrenzten Zusammenarbeit kommt in Virtuellen Unternehmen das für Unternehmensnetzwerke charakteristische Prinzip der Reziprozität nicht zum Tragen.14 Bei Unternehmensnetzwerken handelt es sich um soziale Systeme mit gewisser Ausdehnung, die mehrere Unternehmungen in ihren Handlungskontexten in Zeit und Raum konstituieren.15 Der als Netzwerk rekonstruierbare Untersuchungsgegenstand kann das einzelne Individuum, eine Gruppe, einzelne Organisationen oder eine beliebige Anzahl von Unternehmen sein.16 Grundsätzlich ist der Netzwerkbegriff dem Systembegriff untergeordnet.17 Ein System ist eine Menge von Objekten (Elementen), die miteinander in Wechselwirkung (Beziehung) stehen, wobei jedes Objekt mit einem anderen Objekt selbst oder über Drittobjekte verbunden ist.18 Der Netzwerkansatz geht aber im Gegensatz zum Systemansatz noch einen Schritt weiter, da auch die Verbindungen hinsichtlich ihres Charakters hinterfragt werden. 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Windeler (2001), S. 14 Schreyögg (2003), S. 197 Frink (2004), S. 142 Als Beispiel dazu siehe Abbildung 1 Sydow (1992), S. 79 Sydow (2003), S. 9 Struthoff (1999), S. 52 Windeler (2001), S. 233 Sydow (2002), S. 75 Frink (2004), S. 114 Grochla (1972), S. 15
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Trotzdem gibt es auch Stimmen, die darauf hinweisen, dass die Netzwerkbetrachtung bereits veraltet sei.19 Die Beschreibung der Beziehungen zwischen den Beteiligten über deren Verbindungen, sollte nach dieser Meinung um eine Beschreibung des Raumes zwischen den Beteiligten erweitert werden.
Wissen in Wertschöpfungsnetzwerken Innerhalb des kooperativen Prozesses der Leistungserstellung in Wertschöpfungsnetzwerken findet zwischen den Wertschöpfungspartnern ein Wissensaustausch statt. Dies bedeutet, dass Wissensmanagement nicht vor den Unternehmensgrenzen halt macht. Neben dem internen Wissen muss auch das externe Wissen vom Unternehmen als strategische Ressource begriffen werden.20 Um den Zielen eines Wissensaustauschs und der gemeinsamen Wissensgenerierung gerecht zu werden, muss das Wertschöpfungsnetzwerk zu einem Wissensnetzwerk erweitert bzw. umgebaut werden. Der Unterschied dieser Netzwerkausprägungen liegt in der fokalen Ausrichtung. Während ein Wertschöpfungsnetzwerk auf die Integration von wertschöpfenden Prozessen ausgerichtet ist, dient ein Wissensnetzwerk der Integration und dem Wachstum von gemeinsamen Wissensressourcen. Nach dem Konzept der Wissensnetzwerke21 werden Organisationen als offene Systeme betrachtet, die nicht nur Produktionsfaktoren kombinieren, sondern in einer dynamischen organischen Beziehung mit anderen wissensproduzierenden Einheiten stehen.22 Diese Wissensnetzwerke dienen unter anderem der Diffusion und der kollaborativen Generierung von Wissen. Die verteilten Wissensnetzwerke werden dahingehend interpretiert, dass sie so genannte Wissensorganisationen darstellen, die die Arbeit ihrer Mitglieder in Wertschöpfung ummünzen.23 In der Wissensorganisation ist das, was die Wertschöpfung an Wissen zu verwerten in der Lage ist, eng mit dem verzahnt, was Wissensarbeiter wissen.24 Daher kann die Wertschöpfung innerhalb einer Wissensorganisation über die Identifikation des Wissens der Netzwerkmitglieder und deren Aktivitäten ermittelt werden. Wissens- und Wertschöpfungssystem sind unmittelbar miteinander verknüpft, und es kann eine enge Wechselbeziehung festgestellt werden.25 So setzt zielorientiertes Handeln im Wertschöpfungssystem ein
19 20 21 22 23 24 25
Lattka (2003), S. 122 Wildemann (2002), S. 8 Back et al. (2005); Graggober et al. (2003) Spender (1996) Roehl (2002), S. 24 Roehl (2002), S. 32 Ritsch (2004), S. 116
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entsprechendes Wissen voraus. Aus diesem konkreten Handeln ergeben sich Anstöße für Lernprozesse, sowohl auf individueller als auch auf organisationaler Ebene. Nunmehr ist die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung des Wissensmanagements schon innerhalb eines Unternehmens eine anspruchsvolle Aufgabe. Dies erweist sich jedoch als noch anspruchsvoller, wenn das Wissensmanagement nicht an den Unternehmungsgrenzen endet. In Kratzke26 sind eine Vielzahl von Potenzialen des Wissensmanagements in Netzwerken vorgestellt. So können Wissensabflüsse, z.B. durch Mitarbeiterfluktuation, durch den Zugriff auf Expertise im Netzwerk kompensiert werden. Die Zusammenarbeit der Netzwerkakteure auf allen Ebenen wird erleichtert, weil vorhandenes Wissen netzwerkübergreifend bereit steht. Durch die Kooperation mit anderen Unternehmen und Akteuren werden Innovationsimpulse gegeben und die betrieblichen Routinen auf ihre Nützlichkeit hinterfragt. Zur Nutzung der Potenziale ist es notwendig, dass im Wertschöpfungsnetzwerk vorhandene Wissen und die bestehenden Beziehungen zu analysieren und gegebenenfalls Anpassungen bei der Ausgestaltung des Netzwerkes durchzuführen. Der Ansatz der KMDL® (Knowledge Modeling and Description Language), welcher nunmehr kurz eingeführt wird, wird als Grundlage für die Definition eines Ansatzes genutzt, der die Abbildung und Analyse von Netzwerken ermöglicht. Die KMDL® wird zunächst eingesetzt, um die wertschöpfenden wissensintensiven Prozesse innerhalb eines Netzwerks zu beschreiben und zu analysieren.
Modellierung von Wissensflüssen in Wertschöpfungsnetzwerken Im Netzwerkkontext entstehen für die beteiligten Organisationen Herausforderungen, die das Wissen innerhalb der Wertschöpfungsprozesse betreffen und für erheblichen Koordinationsbedarf sorgen. Wertschöpfungsprozesse basieren auf den Kernkompetenzen eines Unternehmens, somit bilden sie die Wissensplattform des Unternehmens.27 Es ist daher erforderlich, die Wissensmanagementaktivitäten entlang von Geschäftsprozessen zu planen, zu initiieren und zu evaluieren. In den letzten Jahren etablierte sich darauf basierend das prozessorientierte Wissensmanagement in Wissenschaft und Praxis als Verbindung von Geschäftsprozess- und Wissensmanagement. Dabei sind insbesondere wissensintensive Geschäftsprozesse Betrachtungsgegenstand.28 Somit kann prozessorientiertes Wissensmanagement direkt zur operativen Wertschöpfung eines Unternehmens beitragen, indem operative Geschäftsprozesse verbessert werden.29 26 27 28 29
Kratzke (2005), S. 46 Abecker et al. (2002), S. 4 Gronau et al. (2005) Remus (2002)
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Die Knowledge Modelling and Description Language (KMDL®) wurde zur Modellierung, Analyse und wissensorientierten Gestaltung von wissensintensiven Geschäftsprozessen entwickelt.30 Die Motivation zur Entwicklung der KMDL® war das Fehlen einer hinreichenden Methode zur Modellierung wissensintensiver Geschäftsprozesse.31 Zur Identifikation der im Unternehmen zu erhebenden Prozesse kann deren Wissensintensivität aus bestimmten Eigenschaften dieser Geschäftsprozesse abgeleitet werden. Eine Klassifikation der Eigenschaften wissensintensiver Geschäftsprozesse kann über die folgenden Merkmalsklassen erfolgen: prozessübergreifende Merkmale (z.B. Umfeld), prozessbezogene Merkmale (z.B. Komplexität, Variabilität und Strukturierungsgrad), aufgabenbezogene Merkmale (z.B. Aufgabentyp), mitarbeiterbezogene Merkmale (z.B. Entscheidungsspielraum) und ressourcenbezogene Merkmale (z.B. Wissensart).32 Beispielhaft werden an dieser Stelle die Merkmalsausprägungen hohe Komplexität, schwache Strukturiertheit, kommunikationsorientierte Aufgaben, hohe Mitarbeiterautonomie und wissensintensive Branche als Indikatoren für eine hohe Wissensintensität des analysierten Prozesses genannt. Es bestehen bekannte und etablierte Methoden, um Geschäftsprozesse hinreichend zu modellieren33 Mittlerweile haben sich auch weitergehende Ansätze entwickelt, die Wissen als eine Komponente einer Unternehmung bzw. Organisation betrachten.34 Diese beschränken sich aber zumeist auf das einfache Abbilden statischen Wissens, wodurch die Anforderungen eines umfassenden und integrierten Ansatzes für das prozessorientierte Wissensmanagement nicht erfüllt werden. Nur die Koordination von Geschäftsprozessen mit den Prozessen der Wissensverarbeitung garantiert einen effizienten Wissensfluss.35 Bei der KMDL® stehen die Mitarbeiter im Unternehmen und deren Wissen im Mittelpunkt der Betrachtung. So kann unter anderem die Entstehung und Verteilung des an die Mitarbeiter gebundenen Wissens analysiert werden. Neben der Modellierungstechnik wurden ein Vorgehensmodell sowie Mechanismen zur Potenzialanalyse entwickelt.36
30 31 32 33 34 35 36
Vgl. dazu Gronau et al. (2004); Gronau, Müller (2005) Gronau et al. (2004a) Remus (2002a) Z.B. Allweyer (1998); Goesmann (2002); Karagiannis, Woitsch (2002) Goesmann (2002); Remus (2002a) Remus (2002a) Gronau, Müller (2005)
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Theoretischer Rahmen der Modellierungsmethode Basierend auf den Theorien von Nonaka und Takeuchi37 und Polanyi38 werden in der KMDL® zwei Wissensausprägungen unterschieden – das explizite und das stillschweigende Wissen.39 Explizites Wissen liegt in artikulierbarer, transferierbarer und archivierbarer Form vor. Es ist nicht an ein Subjekt, z.B. an eine Person oder Maschine gebunden. Stillschweigendes Wissen stellt eine Kombination aus technischen und kognitiven Elementen dar. Der technische Teil des Wissens umfasst die spezifischen individuellen Fähig- und Fertigkeiten, die in konkreten Kontexten zur Anwendung gelangen. Der kognitive Teil beinhaltet mentale Modelle von Individuen wie Schemata, Paradigmen, Überzeugungen, mit denen „sich Menschen durch Erzeugung und Handhabung von Analogien in der Welt zurechtfinden“.40 Daher ist diese Wissensform schwer kommunizierbar. Wissen besitzt verschiedene Zustände und eine genaue Zuordnung zum Wissenstyp ist unter Umständen nicht eindeutig möglich. In der KMDL® erfolgt aus pragmatischen Gründen eine vereinfachte Zuordnung. Das im Unternehmen dokumentierte Wissen wird in der KMDL® in Form von Informationsobjekten (explizites Wissen) dargestellt. Die persönlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter, ihre Erfahrungen und Begabungen umfassen das stillschweigende Wissen und werden durch Wissensobjekte abgebildet. Beispielsweise nutzt der Produktmanager zur Erstellung des Grobkonzepts einer zu entwickelnden Software auf der einen Seite die dokumentierten Kundenanforderungen (explizites Wissen) und auf der anderen Seite Wissen über Entwicklungsumgebungen, Kundenpräferenzen sowie Methodiken zur Konzepterstellung (stillschweigendes Wissen). Durch gezielte Interaktion und der daraus resultierenden Umwandlung der beiden Wissensformen wird im Unternehmen Wissen generiert und verwendet. Daher müssen beide Wissensformen gemeinsam betrachtet werden. Die Wechselwirkung wird als Wissensumwandlung bezeichnet und innerhalb des so genannten SECI-Modells definiert.41 Vier Formen der Wissensumwandlung werden unterschieden:42 Sozialisation, Externalisierung, Kombination und Internalisierung. Sozialisation ist ein Erfahrungsaustausch, bei dem stillschweigendes Wissen, wie etwa gemeinsame mentale Modelle oder technische Fertigkeiten, entstehen. Dies kann in einem persönlichen Gespräch, bei einer Konferenz, durch Erfahrungsaus-
37 38 39 40 41 42
Nonaka, Takeuchi (1995) Polanyi (1958) Gronau (2004a) Nonaka, Takeuchi (1995), S. 72 Nonaka, Takeuchi (1995), S. 61 Vgl. Abbildung 2
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tausch oder Nachahmung geschehen. Den Schlüssel zum Erwerb von stillschweigendem Wissen bildet die Erfahrung. Externalisierung ist der Prozess der Artikulation vom stillschweigenden Wissen in explizite Konzepte. Unter Nutzung von Metaphern, Analogien oder Modellen kann stillschweigendes Wissen so ausgedrückt werden, dass es durch Dritte verstanden wird. Bei der Kombination wird bestehendes explizites Wissen durch deren Verknüpfung zu neuen expliziten Wissen zusammengesetzt. Verschiedene Formen von explizitem Wissen können durch Medien, wie z.B. dem Telefon, E-Mail, erneuter Konfiguration, Kategorisierung und Hinzufügen neuer Informationen zu dem bestehenden Wissen erweitert werden. Internalisierung ist der Prozess zur Eingliederung von expliziten in stillschweigendes Wissen, stark verwandt zum „Learning-by-doing”. Erfahrungen und Fähigkeiten („Know-how“), die auf Basis von Sozialisation, Externalisierung oder Kombination gesammelt werden, werden in das individuell bestehende mentale Modell integriert. Sozialisation
Externalisierung
Person
Person
S
Person
S Sozialisation (atomar)
Wissensobjekt
Wissensobjekt
Wissensobjekt
E
Externalisierung (atomar)
Kombination
E
Informationsobjekt
Internalisierung
Person K Informationsobjekt
Informationssystem
K Kombination (atomar)
Informationsobjekt
Unbestimmte Person
Informationsobjekt
I
Internalisierung (atomar)
I
Wissensobjekt
Abb. 2: Wissenskonversionen in der KMDL® (vgl. Gronau, 2006)
Die ablauforientierte Beschreibung eines wissensintensiven Geschäftsprozesses wird in der KMDL® durch eine Beschreibung dieser Wissensumwandlungen ersetzt. Zusätzlich wird die Dimension der Wissensträger (Wissensebene) unterschieden. Diese wird als ontologische Dimension, die vom Individuum über die Gruppe bis zur
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Gesamtorganisation und den Verbund mehrerer Organisationen reicht, bezeichnet.43 Abhängig von der Wissensebene existiert individuelles, kollektives oder organisationales Wissen.44 Einerseits kann kollektives Wissen als das gemeinsame Wissen aller Kollektivmitglieder angesehen werden. Damit würde nur das Wissen dargestellt werden, dass alle Kollektivmitglieder gemeinsam haben, aber nicht das zusätzliche individuelle Wissen jedes Einzelnen. Auf der anderen Seite kann kollektives Wissen als das gesamte Wissen des Kollektivs angesehen werden. Dies würde das individuelle Wissen jedes Einzelnen als auch das Wissen das lediglich im kollektiven Kontext verwendet wird beinhalten. Für die KMDL® wurde der zweite Ansatz genutzt, da für die KMDL® einerseits das individuelle Wissen, als auch das kollektive Wissen eine große Rolle spielt. Das bedeutet auch, dass im kollektiven Kontext gegebenenfalls individuelles Wissen abgebildet werden muss.
Beschreibung von Wertschöpfungsnetzwerken mit der KMDL® In der KMDL werden die in der Abbildung 3 aufgeführten Objekte zur Modellierung der wissensintensiven Geschäftsprozesse auf Basis von Wissenskonversionen eingesetzt. Derzeit existiert die KMDL® in der Version 2.0.45
Abb. 3: Modellierungsobjekte der KMDL® v2.0
Ein Wertschöpfungsnetzwerk kann als Wertschöpfungssystem verstanden werden, welches aus Personen, als Aufgabenträger, und Werkzeugen, als technische Einrichtungen, besteht.46 Es kann somit in ein technisches und ein soziales Teilsys43 44 45 46
Nonaka, Takeuchi (1995), S. 72 Meyer (2004), S. 12 Korf, Fröming (2006); Gronau, Fröming (2006) Wohinz (2002), S. 38ff.
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tem unterschieden werden.47 Beide Subsysteme weisen bestimmte Strukturen auf. Diese technischen und sozialen Strukturen sind voneinander abhängig, prägen sich gegenseitig und bilden ein gemeinsames Ganzes gegenüber einer gemeinsamen Umwelt.48 Das technische Subsystem repräsentiert die Summe aller informationstechnischen Einrichtungen, d.h. die gesamte Infrastruktur, die innerhalb des Wertschöpfungsnetzwerks genutzt wird. Das technische Subsystem wird in der KMDL® über die Objekte Information und Informationssystem dargestellt. Das soziale Subsystem wird durch Personen als Wissens- und Aufgabenträger gebildet, welche miteinander und mit dem technischen Subsystem in Verbindung stehen. In der KMDL® erfolgt die Beschreibung des sozialen Subsystems über die Objekte Person und Wissen. Eine Verbindung mit dem technischen Subsystem findet indirekt über die jeweiligen Konversionen statt. Die wesentlichen Dimensionen der Gestaltung von Wertschöpfungsnetzwerken bilden die Strategie, Struktur und Kultur der einzelnen Netzwerkpartner.49 Diese Dimensionen müssen harmonieren, um den Erfolg des Wertschöpfungsnetzwerks sicherzustellen. Die KMDL® eignet sich neben der Wissensstrukturanalyse ebenfalls zur Analyse der Wissenskultur innerhalb des Netzwerks. Für Nichtmitglieder des Netzwerks sind Sprache, Handlungen und Artefakte wahrnehmbare Symbole der Wissenskultur.50 Zur Sprache, als Summe verbaler Symbole, gehören die kommunikativen Äußerungen der Organisationsmitglieder. Diese können, falls sie innerhalb des wertschöpfenden wissensintensiven Prozess notwendig sind, über die Konversionstypen erfasst werden. Handlungen als zwischenmenschliche Symbole kann z.B. über die Tendenz zur Gruppen- oder Einzelarbeit abgeleitet werden. Zu den Artefakten zählen z.B. Organigramme, Rollenbeschreibungen, aber auch Leistungsstandards, Firmenlogo und Designelemente. Mit Hilfe der KMDL® können diese Artefakte über Informationsobjekte, soweit innerhalb der erhobenen Prozesse verwendet, abgebildet werden. Der Ansatz des SECI-Modells wurde von Back et al.51 zur Definition von Referenztypen für Wissensnetzwerke genutzt. Dieser intraorganisationale Ansatz soll auf interorganisationale wissensintensive Wertschöpfungsnetzwerke erweitert werden, um den entsprechenden Netzwerktypus zu bestimmen. Die Referenztypen können zur Identifikation der „idealen“ Ausgestaltung und Ausrichtung des Netzwerkes genutzt werden, um die spezifischen wirtschaftlichen Ziele zu verwirklichen.52 47 48 49 50 51 52
Ritsch (2004), S. 111 Hermann (2003) Ritsch (2004), S. 61 Lehner (2000), S. 69 Back et al. (2005), S. 30ff. Back et al. (2005), S. 61
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Es werden vier unterschiedliche Ausprägungen53 unterschieden: Experiencing Network, Materializing Network, Systematizing Network und Learning Network. Es gibt innerhalb eines Netzwerks immer dominierende Formen der Wissensumwandlung. Zum Beispiel, wenn innerhalb eines Wissensnetzwerks hauptsächlich explizites Wissen ausgetauscht wird, findet innerhalb dieses Netzwerkes insbesondere eine Transformation von expliziten zu neu systematisierten, expliziten Wissen statt.54 Die bestehenden KMDL® Modelle eines Netzwerks können nun zur Analyse genutzt werden. Die jeweilige Netzwerkausprägung wird über den relativen Anteil der verwendeten Basiskonversionen abgeleitet. Experiencing Network
stillschweigend
>>>
Materializing Network
stillschweigend
Learning Network
stillschweigend
stillschweigend
>>>
explizit
Systematizing Network