Das Gleiche anders: Studie zur Formästhetik des Romans um 1700 [1 ed.] 9783737014649, 9783847114642


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Das Gleiche anders: Studie zur Formästhetik des Romans um 1700 [1 ed.]
 9783737014649, 9783847114642

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Literatur- und Mediengeschichte der Moderne

Band 10

Herausgegeben von Ingo Stöckmann Reihe mitbegründet von Hermann Korte

Simon Wilkens

Das Gleiche anders Studie zur Formästhetik des Romans um 1700

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Zgl. Dissertation, Universität Bonn. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Bayerische Staatsbibliothek München, P.o.germ.661 r, Frontispiz, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10111707-7. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-5227 ISBN 978-3-7370-1464-9

Dem Andenken meines Vaters

Inhalt

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Begriffliche Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Reflexive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Einheitsbezogene Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Verfahren zur Bildung eines Einheitsbezuges und zu dessen Vermittlung. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Einheitsbezogene Handlungsreihen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Typologie der anderen einheitsbezogenen Reihen . . . . . . . 2.4. Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen . . 2.4.1. Reihung hinreichend weniger Handlungsreihen . . . . 2.4.1.1. Verfahren zur Finalisierung koordinierend vervielfachter Reihen . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2. Einheitsbezogene Handlungsreihen anderer Handlungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Figurenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.1. Die räumliche Struktur auf der für die einheitsbezogenen Reihen relevanten Ebene . . 2.4.4. Einheitsbezogene Motivreihen . . . . . . . . . . . . . 2.4.5. Unterteilungen des discours . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6. Veränderungen im Verhältnis Szene/Raffung . . . . . 2.4.7. Wechsel in der Abfolge häufigerer discours-Unterteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8. Wechsel im Handlungsbezug der Analepsen . . . . . . 2.4.9. Änderungen im zeitlichen Verhältnis von histoire und discours . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.4.10. Änderungen im räumlichen Medium (Verhältnis histoire/discours) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.11. Wechsel der Integrationsformen . . . . . . . . . . . . . .

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5. Einzelanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Offene Kombinatorik der Handlung im Raffinirten Statist, textlokale und sachliche Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Motivische Fülle im Schelmuffsky . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Latente Kausalität und Exemplarizität in der Reise einer höflichen und geschickten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4. Unter- und Beiordnung im Konflikt in Amor auf Universitäten . 5.5. Motivische Varietät dank struktureller Redundanzen im Carneval der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6. Die Doppelanlage der Haupthandlung im Satyrischen Roman . . 5.7. Motivische Dominanz der Geselligkeit im Adelphico . . . . . . . 5.8. Effekte nahezu vollständiger Integration in der Liebenswürdigen Adalie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9. Überlastung der Haupthandlungsreihe in der Römischen Octavia? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Vermittlung des Einheitsbezuges . . . . . . . 3.1. Subordinierende Multiplikation . . . . . 3.1.1. Variationen der Liebeshandlung 3.2. Assoziationen . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät . . . . 4.1. Das Gegenbild: Ermöglichungsbedingungen unkontrollierter Varietät – Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. ›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen im gesamten Korpus . . . . . . . . . . 4.3. Motivische Varietät anschaulicher Angaben im räumlichen Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Reihenbildung in den Bereichen Freundschaft, Religion, Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2. Die religiöse Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3. Ansätze zu einem Medium ›Individualität‹? – Die Ausbildungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . .

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295 298 309 314 318 323 330 338 343

Inhalt

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5.10. Der politische Handlungsbereich der Römischen Octavia . . . . . 5.10.1. Grundlagen: Möglichkeiten der Reihenbildung im politischen Handlungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10.2. Konkurrierende Handlungsschemata in der römisch-politischen Handlung . . . . . . . . . . . . . . . 5.10.3. Variationen in der außerrömischen politischen Handlung 5.10.4. Strukturelle Marginalisierung des Militärischen . . . . . . 5.11. Struktur des zeitlichen Mediums der Römischen Octavia und basale Reihenbildung anhand der Tagesgrenzen . . . . . . . . . . 5.11.1. Struktur des zeitlichen Mediums . . . . . . . . . . . . . . 5.11.2. Basale Reihenbildung anhand der Tagesgrenzen . . . . . 5.12. Struktur des räumlichen Mediums der Römischen Octavia und basale Reihenbildung auf Grundlage der Leitfigurenregel . . . . . 5.12.1. Politisch-räumliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.12.2. Die Ortsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.12.3. Basale Reihenbildung auf Grundlage der Leitfigurenregel .

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Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stellenindex der Romane des Untersuchungskorpus . . . . . . . . . . . .

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Der Online-Anhang ist verfügbar unter: http://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/wilkens_gleiche (unter Downloads) Passwort: QGiJCvrJJ6

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Vorbemerkung

Die hier vorgelegte Studie zum deutschen Barockroman steht der Schriftenreihe, in der sie erscheint, auf den ersten Blick fern. Für eine Literatur- und Mediengeschichte der Moderne ist der Roman der Zeit um 1700 schon deswegen ein wenig geeignetes Objekt, weil er einem frühneuzeitlichen Begriff von ›Literatur‹ verpflichtet ist, in dem noch alles ›anders‹ ist. Das betrifft seine gelehrten Grundlagen, seine rhetorischen Stil- und Bauformen und die irritierende Fülle seiner zahllosen Haupt- und Nebenhandlungen. Nichts könnte den Lese- und Deutungsgewohnheiten der Moderne fremder erscheinen als ein Erzählen, das das Lesen zu einer labyrinthischen Erfahrung macht. Dass Simon Wilkens Studie zum Roman um 1700 dennoch in der Schriftenreihe »Literatur- und Mediengeschichte der Moderne« erscheint, hat einen Grund, der in der evolutionären Struktur des Romans selbst begründet ist. Sein um 1700 spürbar unübersichtlich werdendes Gattungsspektrum zwischen galantem, historischem und politischem Roman hängt eng mit den Transformationsprozessen zwischen Früher Neuzeit und Moderne zusammen. Sie sind – trotz einer breiten sozial- und rhetorikgeschichtlichen Forschung zur Frühen Neuzeit und trotz der in jüngerer Zeit gewachsenen Einsichten in die evolutionäre Bedeutung einer ›ersten Sattelzeit‹ zwischen 1690 und 1730 – strukturgeschichtlich noch immer nicht erschöpfend beschrieben. Welchen Anteil der Roman um 1700 an diesem ›Weg‹ in die Moderne besitzt, zeigt die Studie, indem sie einerseits die eminenten Ordnungszwänge dieses Erzählens rekonstruiert, andererseits den unkontrollierten Variationen und strukturellen Überschüssen nachspürt, die die Texte aus ihrem funktionalen Zusammenhang herauslösen und für die späteren Erzählverfahren der Moderne ab 1800 öffnen. Diese Öffnung vollzieht sich in Modalitäten blinder bzw. nicht zielgenau gestreuter Strukturen und Vorwegnahmen. So entsteht ein Reservoir an Strukturbildungsmöglichkeiten, an die das spätere Erzählen des 18. Jahrhunderts anknüpft – allerdings nicht unmittelbar, sondern auf dem Weg von Rückwendungen, Rekombinationen und Synkretismen. Wollte man den Sachverhalt in der Sprache der Komplexität zum Ausdruck bringen, hätte man es mit der Frage zu tun, wie ein romanhaftes

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Vorbemerkung

Syntagma seine von ihm selbst erzeugte Komplexität bewältigt und was es evolutionär bedeutet, wenn ihm diese Selbstbewältigung nicht gelingt. Die Antwort lautet: Es wird evolutionär folgenreich, indem es seine Strukturen für spätere Entwicklungen dieser Moderne, d. h. für einen Komplexitätstyp anderer Art, freistellt. Weil kein literaturgeschichtlicher Gegenstand ohne die analytischen Instrumentarien, die ihn rekonstruieren, denkbar ist, besitzt der frühneuzeitliche Roman in gewisser Weise eine moderne Signatur. Selbstverständlich geht es nicht um eine Deutung, die am barocken Roman eine bislang ungeahnte Modernität seiner Weltauffassung oder seiner Anthropologie bloßlegt. Gemeint ist keine verblüffende geistesgeschichtliche These. Gesagt ist damit lediglich, dass die Instrumentarien, die seine Strukturen zur Sprache bringen, selbstverständlich Instrumentarien der modernen Literaturwissenschaft sind. Das gilt in Wilkens Studie für den relationalen Formbegriff, der ihr zugrunde liegt, und für die narratologischen Konzepte, die ihre Analysen anleiten. Nicht zuletzt ist hier ein Formalismus am Werk, der sich entschieden auf die Strukturen des Erzählens richtet und der Inhalten und Semantiken in dem Maße misstraut, wie dies bereits die klassischen Formalismen und Strukturalismen des 20. Jahrhundert getan haben. Auch in ihrem Licht ist der frühneuzeitliche Roman das Produkt einer methodologischen ›Auffassung‹, die nur modern genannt werden kann. Ingo Stöckmann, im März 2022

Einleitung

Die Operationalisierung im Formalismus und im Strukturalismus geschaffener theoretischer Grundlagen im Sinne einer allgemeinen Formgeschichte ist ein Forschungsdesiderat, das zuletzt in einer Monographie mit dem programmatischen Titel Formgeschichte der deutschen Erzählkunst doppelt aktualisiert wurde.1 Zum einen adressiert der Autor die bisherigen, gescheiterten Versuche und begründet ihr Scheitern zutreffend mit dem Mangel eines hinreichend leistungsfähigen, hinreichend abstrakten Formbegriffes als konsequenten Anleiter des formgeschichtlichen Zugriffes;2 zum anderen bleibt, bedauerlicherweise, seine eigene Untersuchung ebendiesem Mangel verhaftet. Dies wird bereits in der Einleitung deutlich: es müsse sich, in einer Formgeschichte der Erzählkunst, »um alle Elemente, die einen poetischen Text als solchen erscheinen lassen, also um Bauformen und Darstellungsstrukturen, um sprachlich-stilistische Eigenheiten, um den Umgang mit dem Leser, die Organisation der Handlungsdetails, der Figurenkonstellationen, der Aussageabsichten und also um den Zusammenhang von poetischer Thematik und ästhetischer Textzurichtung [handeln].«3 Diese Aufzählung heterogener, narratologischer Analysekategorien ohne leitenden Gesichtspunkt bricht, als Beobachtungsprogramm, vor dem enormen Untersuchungskorpus in sich zusammen.4 1 Jürgen H. Petersen: Formgeschichte der deutschen Erzählkunst. Von 1500 bis zur Gegenwart. Berlin 2014. 2 Ebd., S. 12–18. Die Auseinandersetzung erfolgt vor allem anhand der Formgeschichte der deutschen Dichtung Paul Böckmanns. 3 Ebd., S. 18. 4 Die Darstellung leiten dann doch weitgehend unreflektiert die gängigen Verallgemeinerungen der Literaturgeschichte. Die Beschreibungen der behandelten Romane sind, notwendigerweise, äußerst knapp und theoretisch uninformiert. Hinsichtlich des Arminius Lohensteins begnügt der Autor sich mit dem Hinweis, man dürfe über den Verschlüsselungstechniken den Kunstcharakter des Romans nicht außer Acht lassen (ebd., S. 61f); der Römischen Octavia attestiert er, aufgrund der Einlagen in Versform, »einen außerordentlich barocken Anstrich« (ebd., S. 60). Es gehe in dem Roman »nicht etwa um die adäquate poetische Vermittlung historischer Zusammenhänge, sondern um die Kombination des Heroischen mit der Dar-

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Einleitung

Nicht theoretische Innovation, sondern die methodische Operationalisierung bekannter, ja kanonischer Theoreme ist Anliegen dieser Arbeit. Der dabei geltende Formbegriff kann also, durchaus konventionell, als »Anordnung und Organisation der materialen, sprachlichen oder thematischen Teile eines Kunstwerk bzw. eines lit. Textes«,5 definiert werden. Es geht, innerhalb gesetzter Grenzen, um die Gesamtheit der Relationen – ohne die Unterscheidung ›formaler‹ von ›inhaltlichen‹ Elementen.6 Um in der so der Beobachtung zugänglich gemachten, letztlich inkommensurablen Fülle eine diachron verwertbare Perspektive zu gewinnen, bedarf es aber weiterer Spezifikationen. Die Anregung hierzu entnehme ich den maßgeblich an der Unterscheidung von Redundanz und Varietät orientierten Ausführungen Niklas Luhmanns zur Evolution und Ausdifferenzierung des Kunstsystems; Ausführungen also, die in ihrer Anlage und dank ihres soziologischen Kontextes geeignet sind, einen hinreichend abstrakten Bezugspunkt zu entwickeln. Übernommen wird, heuristisch, die Annahme, Formevolution auf der Ebene der Werkformen kennzeichne im Zuge der langwierigen Umstellung auf funktionale Differenzierung des Gesellschaftssystems eine wechselseitige Steigerung von Redundanz und Varietät.7 Die Leitunterscheidung zeichnet somit aus, dass sie makrohistorisch in Stellung gebracht stellung des Erotischen: Am Ende kann sich Octavia mit dem armenischen König Tyridates verbinden.« (Ebd.) Die Integration historischer Fakten im Barockroman insgesamt diene dazu, »sich in den Augen des Lesers den Anstrich des historisch Authentischen [zu verschaffen].« (Ebd.) Man findet Sätze wie: »Das Zeitalter des Barock wurde poetisch eher vom Drama, vor allem aber von der Lyrik geprägt, gewiss nicht vom Roman. Indes handelt es sich bei ihm andererseits auch nicht um ein Nebenprodukt, das nur geringe Beachtung fand.« (Ebd., S. 63) Und: »Zwar ist Goethe mit der Arbeit an diesem Werk nach eigenem Bekenntnis den Bedrückungen durch die nachrevolutionären Kriegshandlungen bei Valmy und Mainz aus dem Weg gegangen, aber ohne seine gesellschaftskritischen Komponenten ist Reineke Fuchs auch nicht zu verstehen.« (Ebd., S. 149). Die Darstellung reproduziert auch die berühmte Lücke der Literaturgeschichtsschreibung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das zweite Kapitel, »Arten des Barockromans«, schließt mit dem Schelmuffsky 1697, das dritte Kapitel, »Vernunftsdarstellung und Gefühlsdarstellung in der Epik des 18. Jahrhunderts« setzt mit der Insel Felsenburg 1731 wieder ein, wohl bemerkend: »Erst Christoph Martin Wieland kann man als herausragenden Prosaisten bezeichnen, weil er seit 1764 […] zahlreiche und bedeutende Romane vorgelegt hat, die man der Aufklärung zurechnen kann.« (Ebd. S. 90). 5 Dirk Werle: Form. In: Dieter Burdorf / Christoph Fasbender / Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Literatur Lexikon. Stuttgart 2007, S. 246–248, hier: S. 246f. 6 Die theoriegeschichtlichen Ursprünge dieses relationalen Formbegriffes liegen in der HerbartTradition. Vgl. Ingo Stöckmann: Form. Theorie und Geschichte der formalistischen Ästhetik. Stuttgart-Bad Canstatt 2022. 7 Welche Steigerung womöglich mittlerweile ihren Abschluss gefunden habe: vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/Main 1995, S. 507: »Ob die alte Aufgabenstellung, für mehr Varietät immer noch Redundanz zu beschaffen, nach wie vor gilt, werden manche bezweifeln.« Vgl. ferner ebd. die Seiten 139, 180–184, 228, 239–241, 353–360. Für eine linguistische Applikation der Unterscheidung vgl. Rudolf J. Stöber: Ohne Redundanz keine Anschlusskommunikation. Zum Verhältnis von Information und Kommunikation. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 59 (2011), S. 307–323.

Einleitung

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werden, aber auch die Analyse einzelner Werkformen anleiten kann; dort nämlich im Sinne eines doppelten, paradoxen Bezugsproblems ästhetischer Formgebung überhaupt: wenn die außerhalb des Kunstwerkes sichergestellte Rahmung desselben gewährleistet sei, so Luhmann, müsse »aber das Kunstwerk selbst für eine eigene Konfiguration von Überraschung und Redundanz sorgen, also das Paradox eigenwillig erzeugen und auflösen, wonach Information zugleich nötig und überflüssig ist.«8 Die theoretischen und methodischen Konsequenzen dieses Ansatzes sollen unten erläutert, und dann, am Untersuchungskorpus dieser Arbeit, erprobt werden. Jedenfalls erhält die Fachterminologie der je untersuchten Kunstgattung – der Narratologie in diesem Falle – die spezifische Funktion, Relationen sichtund beschreibbar zu machen. Kontinuitäten über die Werkform hinaus werden mit Hilfe des Verfahrens- und des Medienbegriffes adressiert – letzterer wiederum von Luhmann übernommen. Das basale Verfahren zur Erzeugung von Redundanz und Varietät wird in der hier sogenannten Reihenbildung vermutet: der Verknüpfung also mehrerer Textelemente durch Identität in einer bestimmten Hinsicht, bei gleichzeitiger Freigabe anderer Aspekte zu mehr oder weniger beliebiger Variation. Die Wahl des Untersuchungskorpus unterlag mehreren Anforderungen. Die Methode verlangte bei der Analyse der ausgewählten Werkformen eine Berücksichtigung prinzipiell aller Relationen. Eine Überblicksdarstellung wie die eingangs vorgestellte schied damit aus: zur Bewältigung der Arbeit wäre ein Rückgriff auf anders perspektivierte Beschreibungen und auf literaturgeschichtliche Kategorien notwendig geworden, der erst erfolgen dürfte, wenn ihr spezifisches Verhältnis zu dem oben genannten Bezugsproblem geklärt wäre. Die eigentlich erstrebenswerte, historisch weite Streuung des Korpus hätte dann, bei gewahrter methodischer Strenge, nur eine Auswahl exemplarischer Texte gewährleisten können; welche behauptete Beispielhaftigkeit viel und berechtigtes Misstrauen auf sich gezogen, die zu zahllosen Korrekturbewegungen Anlass gegeben hätte. Schließlich ging eine Vermutung dahin, dass sich Aussagen zur Formevolution erst bei einer hinreichenden Dichte einander nahestehender Befunde treffen lassen: erst dann werden die gestaffelten Kontingenzen bei der Formenwahl rekonstruierbar, die ja, im gelungenen Kunstwerk, ihre eigenen anderen Möglichkeiten zusehends limitiert, ja hinter ihrer artifiziellen Notwendigkeit zum Verschwinden bringt.9 Den Roman empfehlen als Untersuchungsgegenstand der geringe Grad poetologischer Reglementierung, seine mit der beginnenden Moderne verknüpfte, besondere Karriere, vor allem aber seine Möglichkeiten zu wuchern. Ohne versifikatorische oder inszenatorische Beschränkungen könne hier – so die Ver8 Vgl. ebd., S. 249f. 9 Vgl. ebd., S. 193.

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Einleitung

mutung – an beiden Schrauben besonders weit und hemmungslos gedreht, könnten erdrückende Eintönigkeit und überwältigende, inkommensurable Vielfalt in besonderer Weise erzeugt, und in ihren Wechselwirkungen besonders präzise beobachtet werden. Bezieht sich die formgeschichtliche Heuristik, die genannte wechselseitige Steigerung von Redundanz und Varietät bei den Werkformen, auf den die zweite Hälfte des letzten Jahrtausends umfassenden Modernisierungsprozess insgesamt, dann besteht die Versuchung darin, sie im gleichsam ›fruchtbaren Moment‹ treffen zu wollen, in dem nämlich an noch überschaubaren Beständen die erwarteten Transformationen sich in einer bestimmten Deutlichkeit schon zeigten, ohne doch bereits zur zeitgenössischen Reflexion gelangt zu sein. Ein Moment etwa, in dem die Regelpoetik als verbindliches Bezugssystem noch nicht verabschiedet wäre, der Zugriff aber in Form gezielter, temporalisierter Abweichungen erfolgte.10 Weiter müssen Extreme das Interesse reizen: das ist die durch Europa gewanderte, im deutschsprachigen Raum zum Ende eine schmale Produktion zeitigende Mode höfisch-historischer Großromane von mehreren tausend Seiten, die 1670 besonders prägnant in Frankreich, zugunsten der historischen Novelle und des kurzen Intrigenromans, abbrach, und die im Zusammenhang gerade mit den Versuchen zu stehen scheint, den Roman Forderungen der aristotelischen Poetik doch unterzuordnen, dadurch zu legitimieren, ihm Einheit zu

10 Vgl. Dirk Rose: Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin/Boston 2012, S. 463, Anm. 27: »Die Frage, die hinter dem Epochenübergang ›Barock / Aufklärung‹ steht, ist natürlich die nach dem Übergang von ›Vormoderne / Moderne‹ […]. Folgt man dieser Perspektive, käme der galanten Literatur, die unmittelbar vor dieser Epochenschwelle [Vormoderne / Moderne] neben anderen kulturellen Institutionen den Übergang zu organisieren hätte, eine äußerst wichtige Funktion zu.« Vgl. auch Ingo Stöckmann: Vor der Literatur. Eine Evolutionstheorie der Poetik Alteuropas. Tübingen 2001, S. 315f. Die Entwicklungen in Rhetorik und Poetik sind breit aufgearbeitet – vgl. Joachim Dyck: Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. Tübingen 1966; Wilfried Barner: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 1970; Ludwig Fischer: Gebundene Rede. Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland. Tübingen 1968; Hans-Peter Herrmann: Naturnachahmung und Einbildungskraft. Zur Entwicklung der deutschen Poetik von 1670–1760. Bad Homburg/Berlin/Zürich 1970; Volker Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat. Sozialgeschichtliche Bedingungen des Normenwandels im 17. Jahrhundert. Göttingen 1978; und die genannte Arbeit von Ingo Stöckmann. Für die jüngere Erschließung der notorisch unübersichtlichen, evolutionär ›heißen‹ Phase zentral ist der Sammelband Sylvia Heudecker, Dirk Niefanger, Jörg Wesche (Hrsg.): Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt. Tübingen 2004.

Einleitung

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verschaffen und sein Wuchern, im Sinne der beliebigen Fortsetzbarkeit der Amadis-Romane, zu unterbinden.11 Weiter ist in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung und bezogen vor allem auf den Roman wiederholt eine Lücke konstatiert worden – etwa von 1680 bis 1730 –, die der Etablierung eines nationalliterarischen Diskurses unmittelbar vorausliege und mit ihr in einen ursächlichen Zusammenhang zu bringen sei.12 Was immer in dem Zeitraum geleistet wurde, konnte in eine neu zu konstituierende Überlieferung lange Zeit offenbar nicht eingespeist werden. In einigen Anläufen ist dieses Feld, und unter verschiedenen Gesichtspunkten, mittlerweile aber erschlossen worden; und mit Rückgriff auf die Ergebnisse dieser Forschung kann ein grobes formgeschichtliches Profil der Romanproduktion der Epoche skizziert werden, um dem engeren Korpus dieser Arbeit als Kontext zu dienen.

11 Vgl. Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung 1570–1740, München 2009 (Geschichte der deutschen Literatur. Hrsg. v. Helmut de Boor / Richard Newald. Bd. 5), S. 537–567. 12 Für Erklärungen des Phänomens vgl. also Rose: Conduite und Text, S. 458–461; Simons: Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. Amsterdam-Atlanta 2001 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Bd. 52), S. 19–23; ders.: Verlagerte Problemhorizonte und produktive Problemlösungen. Alternativen zur Epochengeschichte. In: Daniel Fulda, Jörn Steigerwald (Hrsg.): Um 1700: Die Formierung der europäischen Aufklärung. Zwischen Öffnung und neuerlicher Schließung. Berlin/Boston 2016, S. 43–69, hier: S. 46f, 54–56; ders.: Zum Korpus ›galanter‹ Romane zwischen Bohse und Schnabel, Talander und Gisander. In: Günther Dammann / Dirk Sangmeister (Hrsg.): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 2004, S. 1–34, hier: S. 1–6; und Steigerwald: Galanterie. Die Fabrikation einer natürlichen Ethik der höfischen Gesellschaft (1650–1710). Heidelberg 2011, S. 496f. Prägnant die Formulierung bei Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik. Spannendes Erzählen in Menantes’ »Satyrischem Roman«. In: Cornelia Hobohm (Hrsg.): Menantes. Ein Dichterleben zwischen Barock und Aufklärung. Bucha bei Jena 2006, S. 9–49, hier: S. 12: »Mit der Wende ins 18. Jahrhundert wandten wir uns der Belletristik zu. Dramen, Romane und Gedichte beschäftigten uns dabei nicht grundsätzlich, sondern mit einem deutlichen Reformangebot. Wir traten gegenüber einem skandalösen Markt auf, den pseudonyme Autoren wie Menantes beherrschten – und forderten Werke von Verantwortung. Wir traten gegenüber einem internationalen Markt auf – und forderten Werke, die sich nationaler Traditionslinien bewusst zeigten. Wir traten gegenüber einem Markt auf, der Verantwortungslosigkeit als ›galante Conduite‹ zur Schau trug – und forderten diesem Markt gegenüber ›Kunst‹. Was wir forderten, wurde ab Mitte des 18. Jahrhunderts geschaffen, um von uns diskutiert und verbreitet zu werden. Wir etablierten im selben Geschehen gegenüber der aktuellen Produktion eine neue hohe Produktion, die wir mit einer eigenen hohen Vergangenheit ausstatteten. Wir schufen im selben Prozess zwischen 1730 und 1750 eine Lücke für die Zeit 1680–1730, dort, wo die verheerende Produktion lag, der gegenüber wir eine bessere soeben initiierten.«

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Der in einer ersten, umfangreichen Studie die ›hohen‹ Romane der Zeit zwischen 1680 etwa und 1750 gesichtet und geordnet hat, Herbert Singer,13 musste, mit Romangattungen hantierend, anerkennen, eine »konsequente Fortentwicklung des höfischen Romans von Lohenstein und Ziegler bis zu Gellert oder gar Wieland« nicht aufzeigen, versteckte Vorläufer des empfindsamen oder des Entwicklungsromans nicht entdecken zu können.14 Vergeblich habe er »scharfgeprägte Formen gesucht, eindeutige und geschlossene Gattungen, wie sie das 17. Jahrhundert kennt.« Kaum etwas habe den Gang seiner Untersuchung so sehr gehemmt, »wie der Zerfall und der Synkretismus der überlieferten Gattungen, die oft planlosen Modifikationen, Umdeutungen, Funktionsverschiebungen der tradierten Gattungselemente.«15 Ein ganzes Glossar derjenigen Wendungen Singers ließe sich erstellen, die die Abweichungen vom »vorbildlichen Typus«16 des höfisch-historischen Roman beschreiben: da gibt es ein »Sammelsurium von Nachahmungen, Versimpelungen, Verballhornungen und Modifikationen«;17 die »bewunderten Riesengebäude der barocken Großromane« werden von Bohse und weiteren als »Steinbrüche« betrachtet, »denen sie wahllos Materialien entnehmen, um ihre geschäftige Produktionsmaschinerie damit in Gang zu halten«;18 von Veräußerlichung, Verzerrung, von der Entkleidung von ihrem ursprünglichen Sinn ist die Rede,19 von der allzu absichtsvollen Nachbildung bedeutender Beispiele, vom »kunstvolle[n] Zusammenspiel der Elemente zur toten Maschinerie«, der Entartung herkömmlicher Gattungsgehalte zu hohlen Formeln, von äußerlichen Kennzeichen, Schemata, Formeln, Techniken und Requisiten; hier gibt es »sklavische Nachahmung des höfisch-historischen Romans«,20 seltsamste Mischungen und Verbindungen von Elementen der überlieferten Gattung mit ganz heterogenen Komponenten, kurioseste Zwitterformen,21 leere Hülsen, bloße Vorwände, dekorative Einkleidungen, Umbildungen und Ausbeutungen.22 13 Vgl. Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln/Graz 1963. Zur Abgrenzung einer anderen Entwicklungslinie des ›niederen‹ Romans vgl. ebd., S. 1f. 14 Ebd., S. 2. 15 Ebd., S. 5. 16 Ebd., S. 7. 17 Ebd. 18 Ebd., S. 8. 19 Ebd., S. 88. 20 Ebd., S. 95. 21 Ebd., S. 96. 22 Ebd., S. 99. Von einem Verlust der ursprünglichen Form, einem Absinken in die Unterschichten spricht, mit Blick auf »die Erzeugnisse der Happel, Bohse, Rost« auch Günther Müller: Barockromane und Barockroman. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 4 (1929), S. 1–29, hier: S. 4. Und ebd., S. 21, heißt es bezüglich der Romane Happels: »Die plumpe, kalibanhafte Stofflichkeit dieser Erzeugnisse läßt ahnen, wie bedroht der Grund war, über dem die späten Wunderbauten des höfisch-barocken Romans errichtet wurden.« Vgl., zum Fortbestand des höfisch-historischen Romans bis in die Mitte des

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Die copiose Synonymie erweckt den Eindruck einer involutiven Phase23 der deutschen Romanliteratur, in der wesentlich nicht erweiterte Bestände weitgehend regellos rekombiniert werden.24 Auch Florian Gelzer, der noch einmal in vergleichbarer Breite sich den Zeitraum vornahm, kommt, bei neutralerer Haltung, wesentlich zu keinem anderen Ergebnis, wenn er feststellt, es handele sich bei der Entwicklung des deutschsprachigen Romans in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts »um ein Spiel mit verschiedenen Konventionen romanesken Erzählens, die kontrastierend oder amalgamierend miteinander verbunden werden.«25 Und Olaf Simons formuliert mit Blick auf den deutschsprachigen urbanen Schlüsselroman der 1710er Jahre: »[e]s gibt komplexe Handlungsgefüge, Verschachtelungen von Hauptgeschichten mehrerer Paare, gleichzeitig gibt es beliebig einfache Handlungsmuster, nur eines gibt es nicht, ein typisches Muster.«26

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18. Jahrhunderts, ferner Hans Geulen: Erzählkunst der frühen Neuzeit. Zur Geschichte epischer Darbietungsweisen und Formen im Roman der Renaissance und des Barock. Tübingen 1975, S. 165: »Die Substanz scheint verwässert, das Publikum hat sich verändert. Bauformen und Auffassungen sind Gegenstand eines anspruchslosen und merkantilen Spiels. Die ›durchlauchtigen‹ Helden und Heldinnen werden zum merkantilen Objekt wendiger Verleger, die sie, gebrauchsliterarisch verpackt, einem bedenkenlos konsumierenden Publikum offerieren, das sich nicht darum kümmert, was die Literaturkritik der Zeit über derartige Produkte und ihre Vorbilder inzwischen hat verlauten lassen.« Vgl. zu dem Konzept Niklas Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 1. Frankfurt/Main 1993, S. 96–99 und ders.: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Bd. 4. Frankfurt/Main 1999, S. 18, mit der knappen Definition: »Wiederholung, Ausarbeitung, Betonung, Verstärkung der schon nicht mehr adäquaten Formen.« Das offene Eingeständnis des Scheiterns seiner durchaus zielorientierten Suche bedeutete so immer noch einen Erfolg des Forschungsunternehmens Singers – es bleibt weiterhin anschlussfähig. Wirklich gescheitert ist hingegen der Versuch, gegen dieses Eingeständnis dennoch den Typus des Komödienromans zu etablieren. Hierzu Dirk Rose: Conduite und Text, S. 154f: »Abgesehen davon, daß er mit diesem Typus seine eigene Gattungskonzeption des galanten Romans wieder verunklarte, hypostasierte er ihn mit einem literarhistorisch unhaltbaren Rück- bzw. Vorausgriff, indem er die ›bürgerliche Komödie‹ aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf den Roman zu Anfang des Jahrhunderts zurückprojizierte. Diesen ›Komödienroman‹ stellte er dem höfisch-historischen Roman gegenüber, der seinerseits neben der Tragödie seinen Platz zu finden hätte. Auf diese Weise sollte der galante Roman schließlich doch noch als transitorisches Phänomen zwischen den Epochen konstruiert werden: Aus der Vergangenheit nimmt er die Tradition des höfisch-barocken Romans auf, um sie in die Zukunft der ›bürgerlichen Literatur‹ – die Komödien Gellerts und Lessings – zu entlassen.« Vgl. auch, zur Etablierung der Adalie als typischem Vertreter der neu erfundenen Gattung, Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 41. Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer. Romaneskes Erzählen zwischen Thomasius und Wieland. Tübingen 2007, S. 444. Simons: Marteaus Europa, S. 309. Vgl. auch Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 587f.

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Diese kombinatorischen Leistungen27 ermöglichten offenbar nicht die, und bildeten keinen Übergang zu den sich später etablierenden Gattungen der stärker ausdifferenzierten Literatur – sie fielen in die oben erwähnte, den Ausgangspunkt auch von Singers Untersuchung bildende ›Lücke‹ der Literaturgeschichtsschreibung, die selber als Bestätigung dieses Befundes erscheint. Kann sie schlüssig anhand der Absatzbewegungen erklärt werden, die die Etablierung eines nationalliterarischen Diskurses begleiteten, ja ermöglichten; zu ›schließen‹ ist sie auch bei einer diese ungünstigen Startbedingungen in Rechnung stellenden Revision des Materials im Sinne einer kontinuierlichen Entwicklung nicht.28 Florian Gelzer lässt seine Arbeit in ein Kapitel über die produktive Rezeption romanesker Erzählmodelle bei Wieland münden;29 gerade Wieland jedoch, so betont er, schließt »an Hamilton, Crébillon fils und den roman libertin, nirgends aber an die einheimische Tradition an.«30 Die die Aufarbeitung des Materials leitende Begrifflichkeit von Gattungstypen auf Erzählmodelle umstellend, versucht er, nun nicht mehr fokussiert auf die besonders ›reine‹ Ausprägung, ein flexibleres Instrument zur Erfassung gerade der Durchmischung dieser vier Erzählmodelle oder, wie es dann öfter heißt, Register zu gewinnen.31 »Natürlich handelt es sich auch hierbei letztlich um idealtypische Abgrenzungen«,32 konzediert er, die in der Tat wie die Gattungstypen Merkmale ganz unterschiedlicher Provenienz bündeln.33

27 Vgl. das Urteil bei Günther Dammann: Liebe und Ehe im deutschen Roman um 1730. In: ders. / Dirk Sangmeister (Hrsg.): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 2004, S. 35–90, hier: S. 40, Anm. 8, zu dem Roman Die unvergleichliche Darine des Jahres 1730: »Floranders Roman schneidet auf gut 300 Seiten eine so erstaunliche Anzahl von Topoi und Motiven der einschlägigen Romangeschichte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zusammen, daß es wiederum nicht erstaunlich ist, wenn man dieses (keineswegs konfuse) Buch nicht auf entfaltbare Bedeutungen hin auslegen kann.« 28 Günter Dammann: Fakten und Fiktionen im Roman bei Eberhard Werner Happel, Schriftsteller in Hamburg. In: Johann Anselm Steiger (Hrsg.): Hamburg. Eine Metropolregion zwischen früher Neuzeit und Aufklärung, Berlin 2012, S. 461–474, hier: S. 474, bezeichnet, resümierend, und einzig Hunolds Europäische Höfe ausnehmend, Happel als »einen Autor ohne Wirkungsgeschichte« – schon hier, in den Achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts, also ein Abbruch. Einen Einblick in eine schleichende Transformation des Liebes- und Ehediskurses anhand eines Korpus von 10 Romanen des Zeitraumes von 1726–1735 (davon fünf höfisch-historische, fünf ›Wirklichkeitsromane‹) gibt Dammann in ders.: Liebe und Ehe. 29 Vgl. Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 382–442. 30 Ebd., S. 175, Anm. 90. 31 Vgl. Ebd., S. 256–260. Unterschieden werden ein galant-heroisches, ein galant-höfisches, ein galant-moralisches und ein galant-akademisches Modell. 32 Ebd., S. 258. 33 Kritisch dazu vgl. Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 42f; vgl. auch, ebenso mit Bezug auf den Satyrischen Roman, Rose: Conduite und Text, S. 155, Anm. 671.

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Es lag nahe, angesichts der »poetologischen Anarchie«34 der Epoche zur Ordnung der Romane nach anderen Gesichtspunkten zu suchen, als die unter die Regie eines Literaturbegriffes fallen, der gerade noch nur anachronistisch auf sie angewandt werden konnte. So lassen sich Forschungsbemühungen verstehen, die in dezidierter Abgrenzung von dem Vorhaben Singers ihren Gegenstand der ›Literaturgeschichte‹ im engeren Sinne entziehen wollen. Olaf Simons, der diese Position mit einiger Emphase vorträgt, schlägt, in einem breiten Überblick über den deutschen und englischen Romanmarkt der 1710er Jahre, eine Gliederung nach solchen Kriterien vor, die für Produktion und Rezeption der Romane tatsächlich relevant gewesen seien: nur in einem Mittelfeld könne nach poetologischen Kriterien, im Sinne höherer und niederer Gattungen, beobachtet werden – selbst hier irritiere die poetologisch weitgehend unkontrollierte Tradition der Novelle; links und rechts davon träten Fiktion und Wahrheit, seis als vorgeblich fiktionale Darbietung wahrer Sachverhalte, seis als vorgegebene Wahrhaftigkeit fiktionaler Sachverhalte, und zusätzlich informiert durch die Unterscheidung in »Privat- und Publiq-Affairen«,35 je in Verhältnisse der Verdeckung.36 Offeriert wird außerdem ein dreiphasiges, diachrones Modell des ›galanten‹ Romans, mit einer ersten, durch Talander und Meleaton, durch heroische, ›asiatische‹ Romane dominierten Phase (1685–1700);37 mit einer durch Auf- und Abtritt Christian Friedrich Hunolds (Menantes) markierten, mittleren Blüte (1700–1713), in der der Schlüsselroman einheimischer, privater Materie an die entscheidende Position rückt;38 und einer etwas diffus auslaufenden dritten Phase: Das Galante verlor auf dem deutschen Markt nach 1713 – nach einer letztlich sehr kurzen Blüte – seine Attraktivität. Im privaten Leben und im studentischen Milieu behauptete es sich noch bis in die 1730er Jahre. Der Roman privater urbaner Materien blieb als mögliches Vorbild im Raume stehen. Mit den neuen Romanen, zu denen Defoes Robinson Crusoe die Vorgabe lieferte, wurden jedoch ganz andere Optionen denkbar, private Historie in den Roman einzubringen, gegenüber dem Amadís Abstand zu wahren und doch zu dessen heimlichen Genüssen, der großen Abenteuerlichkeit, zurückzufinden. Eine Rückkehr zu Romanen mit großen Helden hatte sich bereits mit Fénelons Télémaque angekündigt. Robinson Crusoe löste das Versprechen als einfacher Mann auf abenteuerliche Weise ein, ohne dabei einen satirischen Helden abzugeben. 34 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 5. 35 Vgl. Simons: Marteaus Europa, S. 679–690. 36 Vgl. auch Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 10f, und ders.: Zum Korpus ›galanter Romane‹, S. 6–8. 37 Vgl. Simons: Zum Korpus ›galanter Romane‹, S. 20–22. 38 Vgl. ebd., S. 22–27. In diesen Zeitraum gehören, mit der Ausnahme des Adelphico (1715), den Meid noch, mit dem Cupido des Selamintes, als »letzte[n] Höhepunkt« des galanten Romans bezeichnet (vgl. Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 587), alle ›galanten‹ Romane unseres Korpus.

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Seeleute, Frauen von der Straße wie Moll Flanders, bekehrte Verbrecher öffneten nach 1720 neuen Raum gegenüber der novellistischen ›chronique scandaleuse‹. Diese vereinigte sich bald mit dem neuen Roman. Samuel Richardsons Pamela or Virtue Rewarded kam 1740 bezeichnenderweise mit einem Titel auf den Markt, der die Novellentypik zurückgewann, statt Abenteuer eine exemplarische Geschichte mit zweiteiligem Titel anbot und sogar das potentiell skandalträchtige Sujet von Verführung und ihr folgender Verantwortungslosigkeit erneut riskierte. Die Heldin selbst reformiert nun den tugendlosen Helden und mit ihm den skandalösen Roman.39

Dirk Rose, der dem ›galanten Roman‹ jenseits eines ästhetisch konfigurierten Schlüsselprinzips jede poetologische Konsistenz abspricht,40 schließt an das synchrone Modell Simons’ zur Sortierung der vier Romane Christian Friedrich Hunolds an, wenn er sie denjenigen Kontexten oder Öffentlichkeiten zuordnet, »auf [die] die Texte durch ihren ›Schlüssel‹ jeweils referentialisiert werden konnten.«41 Eine Gattungstypologie des ›galanten Romans‹ verbiete sich, weil das Attribut ›galant‹ eine Funktion markiere; über diese Funktion würde ein Textzusammenhang begründet, der verschiedene Textsorten verband und füreinander durchlässig machte; gerade die gattungstypologische Unterbestimmtheit des Romans habe ihm eine besondere Stellung in diesem Textzusammenhang ver39 Vgl. ebd., S. 29f. Ähnlich phrasiert Volker Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 575–587: auf ein Kapitel »August Bohse« (S. 575) folgen die Kapitel »Christian Friedrich Hunold« (S. 579) und »Der galante Roman nach Hunold« (S. 584). »Späte Beispiele« weist Meid noch in den Dreißiger Jahren nach (S. 587). Singer: Der galante Roman. Stuttgart 1961, S. 20, datiert die Blüte seines Gegenstandes auf die Jahre 1700–1720; auch er setzt, aber aufgrund des Erscheinens des Redlichen Mann bey Hofe Loens 1740 eine Zäsur: ab hier habe der höfisch-historische Roman, dem doch erst seit dem Auftreten Wielands der Atem ausgehe, seine Existenzberechtigung vollends verloren (ebd.). Dirk Rose: Conduite und Text, S. 455, – der freilich nicht vom galanten Roman, sondern vom galanten Modell spricht –, unterscheidet in der Spanne von 1680 bis 1730 die Kernjahre 1695–1715. 40 Vgl. auch Simons: Zum Korpus ›galanter Romane‹, S. 5f: »Der galante Roman war kein Genre, er kannte keine spezifische Materie und keine spezifische Struktur. Der galante Roman zeichnete sich weit mehr durch eine Haltung aus, durch einen spezifischen Umgang zwischen dem Autor und seinem Publikum, durch eine besondere Position männlicher Autorschaft gegenüber weiblicher Leserschaft […]. Sitten zeichnen ihn aus: ›Conduite‹, wie sie unter Maskenträgern auf Festen angebracht war und unter anonymen Duellanten. Europäische Moden bestimmten ihn […].« 41 Rose: Conduite und Text, S. 144. Vgl. auch ders.: Galanter Roman und klassische Tragödie. Hunolds Europäische Höfe und Schillers Prinzessin von Zelle im gattungsgeschichtlichen Kontext. In: Andre Rudolph, Ernst Stöckmann (Hrsg.): Aufklärung und Weimarer Klassik im Dialog. Tübingen 2009 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Bd. 135), S. 1–27, hier: S. 7–13. Dort (S. 24) auch die zugespitzte Formulierung: »Der Referenzrahmen für die Gattungskonzeption des galanten Romans lag außerhalb seiner selbst.« Die Eingliederung eines ›galanten Romans‹ in poetologische Unterscheidungen scheint bei Thomasius aber doch eine Möglichkeit gewesen zu sein – vgl. Niefanger: Romane als Verhaltenslehren. Zur galanten Poetik von Christian Thomasius und Erdmann Neumeister. In: Ruth Florack, Rüdiger Singer (Hrsg.): Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin/Boston 2012, S. 341–353.

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schafft.42 Auf dieser Grundlage findet Rose eine plausible Antwort auf die Frage, warum die galante Textproduktion, die selber in der zunehmenden sozialen Differenzierung ihrer Einheit verlustig ging,43 für den sich ausbildenden, sozialen Funktionsbereich ›Literatur‹ nicht anschlussfähig war – obwohl einiges für einen An- oder Einschluss gesprochen habe: Schließlich gründete sich eine galante Textproduktion ja auf die Wertschätzung der galanten Welt, die ihr Urteil unter anderem anhand ästhetischer Kriterien des Geschmacks und des Gefallens gewann. Die spezifische Manier, die ein galantes Interaktions- und Kommunikationsmodell als konstitutive Differenz produzierte, konnte also durchaus als eine spezifisch ästhetische Manier verstanden werden, und hätte somit in der Folge auch ein literarästhetisches Interesse wecken können. Immerhin dürften einige Impulse in dieser Richtung auf das spätere 18. Jahrhundert gewirkt haben. | Problematisch war allerdings, daß sich die galante Literatur eben nicht ausschließlich auf diesen Gegenstandsbereich beschränken ließ, sondern ihn stattdessen der Modellierungsfunktion für eine galante Conduite unterordnete, mithin für ein Modell primär sozialen Interagierens und Kommunizierens in Anspruch nahm. Ein galantes Literaturmodell reichte so weit über die Bereiche einer genuin ästhetischen Textproduktion hinaus […]. In einer kunstphilosophischen Perspektive, die der Galanterie um 1700 freilich noch nicht zur Verfügung stand, ließe sich immerhin die Vermutung aussprechen, das galante Modell hätte nichts weniger als eine ›Ästhetisierung der Lebenswelt‹ zum Thema gehabt. Darin dürfte im wesentlichen auch die Ursache für die – im übrigen europäische – Renaissance der Galanterie in der ästhetizistischen Literatur um 1900 liegen, die freilich erst durch Ausblendung ihrer pragmatischen Relation möglich war. | Der nationalliterarischen Bewegung in der Mitte des 18. Jahrhunderts konnte an einem solchen generalisierenden Anspruch, der zudem ihren sich eben erst etablierenden Moral- und Leistungsvorstellungen inhaltlich zuwider lief, wenig gelegen sein.44

Die Voraussetzungen, ja der gewonnene Spielraum dieser Untersuchung zeichnen sich auf der Grundlage solchen Forschungsbefundes folgendermaßen ab. Die Suche nach einer kontinuierlichen, typologisch greifbaren Entwicklung erübrigen die Arbeiten Singers und Gelzers, die außerdem den rekombinierten Bestand annähernd umrissen, ja, bei aller zwangsläufigen Diffusität der über Merkmalsbündel gebildeten Begriffe, sortiert haben. Die Bemühungen um die Rekonstruktion des tatsächlichen Gebrauchs der nur anachronistisch ›literarisch‹ zu nennenden Texte haben, orientiert am Spannungsverhältnis von Fiktion und wahrer, öffentlicher oder privater Begebenheit, oder an einer Modellierungs42 Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 160f; und ders.: Galanterie als Text. Methodologische Überlegungen zu Funktion und Status galanter Textproduktion. In: Ruth Florack, Rüdiger Singer (Hrsg.): Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin/Boston 2012, S. 355–375. 43 Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 453–456. 44 Rose: Conduite und Text, S. 459f. Für eine Erklärung der Wiederentdeckung des Simplicissimus Teutsch, Cotala und Battalus in den 1760er Jahren, aber nicht des Menantes, vgl. Simons: Marteaus Europa, S. 525.

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funktion für ein galantes Interaktions- und Kommunikationsmodell, weitere Ordnungskriterien etablieren, vor allem aber bestimmen können, im Hinblick worauf die, oder wenigstens einige Romane der ›Lücke‹ nicht beliebig variieren. Wenn hierbei die ästhetische Dimension berührt wird, dann in stilistischer Hinsicht;45 das ästhetisch konfigurierte Schlüsselprinzip immerhin mag kompositorische Verfahren als »Masquen« funktionalisieren;46 kontrollieren wird die Modellierungsfunktion die Gestaltung einzelner Kommunikationssituationen, kaum einen gesamten Handlungszusammenhang, erst recht nicht die Anordnung vieler Handlungen.47 Umgekehrt lässt die schon erwähnte Stelle zu den vielen Handlungsmustern des urbanen Schlüsselromans bei Olaf Simons erkennen, dass die Art und Weise dieser Anordnung auf den angeordneten Stoff nicht zurückwirkt: »Es spielt keine Rolle, ob man eine Geschichte erzählt bekommt und dann die nächste, oder ob eine Geschichte anhebt, die Protagonisten auf andere Helden treffen, diese zuerst ihre Geschichten erzählen und dann ganz am Ende die erste Geschichte ihre eigentliche Erzählung findet. In jedem Fall

45 Vgl. Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 76–145. Die von Gelzer: Thesen zum galanten Roman. In: Ruth Florack, Rüdiger Singer (Hrsg.): Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin/Boston 2012, S. 377–392, weiter vorgestellten Strukturmerkmale (Zweideutigkeit des Begriffs ›galant‹, Strukturanalogie zur galanten Konversation, Verpflichtung auf das ›romaneske‹ Erzählmodell, Nutzung breiten Gattungsmateriales, Rolle der Maskierungen) bedürften hinsichtlich ihrer tatsächlichen Kontrollfuntkion noch eines Beleges. 46 Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 154: »Erinnert werden sollte auch daran, daß Hunold die Erzählmuster des höfisch-historischen Romans möglicherweise adaptiert, um dahinter das Schlüsselprinzip besser verstecken und im Zweifelsfall behaupten zu können, »bloß einen Roman ans Licht gestellet« zu haben.« 47 Charakteristisch ist folgende Bemerkung bei Steigerwald: Galanterie, S. 348: »Orientiert man sich allein an der gebotenen ›histoire‹ der Romane, so stellen diese in der Tat hybride Ausformungen dar, die keinerlei Antizipation späterer Erzählmodelle erkennen lassen. Konzentriert man sich hingegen auf die galante (Liebes-)Ethik als Strukturprinzip, erkennt man, daß der Schwerpunkt der Romane auf der deiktischen Darstellung eines Modells von Mimesis und Performanz der Galanterie liegt, innerhalb dessen ideales Verhalten genauso ausgestellt wird wie dessen Mimikryvarianten.« Ähnlich, ebd., S. 414, – nun aber bezogen auf eine vorangegangene, ausführliche Analyse: »Die Aneinanderreihung separater Szenen ermöglicht zwar auch die Darstellung vergnüglicher Erlebnisse der Figuren, sie erlaubt jedoch vorzugsweise, einen permanenten Galanterietest für die Akteure durchzuführen, um ihre Distinktion zu überprüfen.« Und ebd., S. 491f: »Im Speziellen erweisen sich die exemplarisch analysierten Romane Hunolds als hybride Erzählungen, die zwischen philosophischem Roman und Dialogroman changieren, ohne daß ihnen ein ›roter Faden‹ beigegeben wäre, der die eigentliche Handlung organisiert. Gleichwohl bedürfen diese Romane eines Leitfadens, da sie um die deiktische Darstellung einzelner Episoden herum organisiert sind, die Auskunft geben über die spezifischen Formen der Subjekttechnologien der Protagonisten, damit deren positive Qualitäten dem Leser vor Augen gestellt werden. Die Romane kennen indes ein strukturelles Ziel, die Darstellung eines vorbildlichen Paares, das die Galanterie idealiter repräsentiert […].«

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kommen Intrigen in Reihung.«48 Einen Befund, den Singer für das ›HeliodorSchema‹, dem er als einer Quintessenz des höfisch-historischen Romans eine besondere Zählebigkeit attestiert, bestätigt, wenn er es seiner Verbindlichkeit beraubt und den Reduktionen, Verzerrungen und Ausbeutungen unterworfen sieht, die oben zitiert wurden. Die Grundvoraussetzung der Beobachtung von Werkformen, ihre feste Umrissenheit, scheint hinfällig, wenn auch für Romane die Zugehörigkeit zu einem umfassenderen Textzusammenhang entscheidend ist, der seine Einheit einer Funktion verdankt, und, neben der vergleichsweise unproblematischen Praxis der Fortsetzung, die umstandslose Einsetzung unterschiedlicher Textsorten ineinander gestattet. Wenn das Gattungssystem, wenn die einzelnen Gattungen in der Auflösung begriffen sind, kann in ihm und ihnen, über diesen Befund hinaus, das begriffliche Repertoire zur Beschreibung der die Auflösung betreibenden Texte nicht gefunden werden – und auch nicht in Typisierungen, die anhand ähnlich heterogener Merkmale gebildet sind. Wenn die effektiveren Ordnungskriterien auf der Ebene der diskursiven Einbettung und Funktionalisierung liegen, auf die ästhetische Dimension der Texte aber nur marginal zugreifen; dann lohnt vielleicht, zur Erfassung gerade der unkontrollierten Variationen, ein offensiv anachronistischer, die jeweiligen diskursiven Verflechtungen der Texte vorsätzlich ausblendender, das heißt aber: sie anderer Forschung getreulich anheimstellender Ansatz.49 Die Argumentation führte so, im Zirkel, zur ihrem frei gesetzten, methodischen Ausgangspunkt zurück und diente einem doppelten Ertrag der Arbeit zur Gewähr: wenn auch das formgeschichtliche Experiment misslänge – ein nicht unwahrscheinlicher Fall –, behielte die Untersuchung für die epochenspezifische Forschung doch einen gewissen Wert. Der oben formulierten Forderung eines zur Skizzierung eines formevolutionären Profils notwendigen engen Beieinanderstehens der Befunde kann mit Blick auf die ›galanten Romane‹ leicht genüge getan werden. Eine zentrale Stellung nimmt in ihnen – das sollte deutlich geworden sein – das erzählerische Werk Christian Friedrich Hunolds (1681–1721) ein, also die Romane der Verliebten und galanten Welt (1700/1707),50 Liebenswürdigen Adalie (1702),51 Europäischen Höfe (1705),52 48 Simons: Marteaus Europa, S. 311. 49 Sowohl Rose: Galanterie als Text, S. 375, als auch Gelzer: Thesen zum galanten Roman, S. 391f, skizzieren übrigens die umfänglichere Anwendung ihrer theoretischen Überlegungen in der Analyse der betroffenen Texten als Forschungsdesiderat. Es wird zu sehen sein, inwieweit die Analysen dieser Arbeit sich als daran anschlussfähig erweisen. 50 Zitiergrundlage: Hunold, Christian Friedrich (Menantes): Die Verliebte und Galante Welt In vielen annehmlichen und wahrhafften Liebes-Geschichten / Welche sich in etlichen Jahren her in Teutschland zugetragen. Curieusen Gemüthern zu beliebter Ergetzung Itzo in zwey Theilen ans Licht gestellet von Menantes. Hamburg, bey Christian Wilhelm Brandt, im Thum 1730. Sigle: VW I, VW II. Im Fließtext abgekürzt als Welt. Eine Inhaltsangabe bei Wagener:

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des Satyrischen Roman (1706)53 und des in die Verhaltenslehre der Manier Höflich und wohl zu Reden und Leben (1710) eingebetteten, ›versteckten‹ Romans der Reise einer höflichen und geschickten Person;54 alle werden in das Untersuchungskorpus aufgenommen, ausgenommen ist einzig die um eine Fortsetzung erweiterte und umgearbeitete zweite Fassung des Satyrischen Romans.55 Allen diesen Texten, die doch unterschiedliche ›Öffentlichkeiten‹ bespielen,56 attestiert Rose eine Modellierungsfunktion für das galante Interaktions- und Kommunikationsmodell. Darum gruppieren sich, das Tableau ergänzend, einige weitere: der Roman Des glückseeligen Ritters Adelphico Leben und Glücks-Fälle (1715) von Michael

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Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds. Berkeley und Los Angeles 1969, S. 16–19. Zitiergrundlage: Hunold, Christian Friedrich (Menantes): Die liebenswürdige Adalie. Stuttgart 1967 (= Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1702). Sigle: LA. Im Fließtext abgekürzt als Adalie. Eine Inhaltsangabe bei Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 24–27. Zitiergrundlage: Hunold, Christian Friedrich (Menantes): Der Europaeischen Höfe / Liebesund Helden-Geschichte / Der Galanten Welt zur vergnügten Curiosité ans Licht gestellet. Von Menantes. Hamburg / Bey Gottfried Liebernickel / 1705. 2 Bde. Nachdruck Bern 1978. Sigle: EH. Im Fließtext abgekürzt als Höfe. Eine Inhaltsangabe bei Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 42–51. Zitiergrundlage: Hunold, Christian Friedrich (Menantes): Satyrischer Roman. Bern und Frankfurt a. M., 1973 (= Reprographischer Nachdruck der Ausgabe: Hamburg, 1706). Sigle: SR. Im Fließtext abgekürzt als Satyrischer Roman. Eine Inhaltsangabe bei Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 34–38, und bei Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 308f. Zitiergrundlage: Hunold, Christian Friedrich (Menantes): Die Manier Höflich und wohl zu Reden und Leben / So wohl Mit hohen, vornehmen Personen, seines gleichen und Frauenzimmer, Als auch / Wie das Frauenzimmer eine geschickte Aufführung gegen uns gebrauchen könne, Ans Licht gestellet Von Menantes. Hamburg / Bey Christian Wilhelm Brandt / Buchhändlern im Dohm, 1730. Sigle: RE. Im Fließtext abgekürzt als Reise. Eine Inhaltsangabe bei Rose: Conduite und Text, S. 311–315. Vgl. dazu Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 28–40. Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 144f: »Die Liebenswürdige Adalie und Die Europäischen Höfe suchten die Referenz auf Ereignisse des ›galanten Europa‹, die in einer europäischen Öffentlichkeit bereits durch andere Texte, vor allem auf dem Zeitungsmarkt, bekannt waren. Durch das Schlüsselprinzip konnten auch diese beiden Romane an jener Öffentlichkeit und dem damit verbundenen Modellcharakter der galanten Welt Europas partizipieren. Zwischen einer solchen europäischen und einer eher lokalen bzw. sogar ›privaten‹ Öffentlichkeit ist Die Verliebte und Galante Welt angesiedelt. Immerhin referierte auch sie auf Geschehnisse eines Hofes (Sachsen-Weißenfels), der zwar nur eine begrenzte europäische Ausstrahlung hatte, dennoch aber Teil der europäisch ausgerichteten Herrschaftsverhältnisse war. Daneben rekurrierte Die Verliebte und Galante Welt auf eine ›private Öffentlichkeit‹ bzw. eine Öffentlichkeit von Privatpersonen, da sich unter anderem Hunolds eigene Liebesgeschichte darin befindet. Der Satyrische Roman schließlich konzentrierte sich ganz auf solche ›Privat-Affairen‹.«

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Erich Franck (Melisso)57 ist von Herbert Singer aufgrund einer inneren Übereinstimmung seiner Elemente als einzig reiner Typus des deutschsprachigen ›Komödienromans‹ ausgezeichnet worden;58 Simons hingegen urteilte, der Roman sei »langweiliger Mißbrauch der Erwartungshaltung, mit der man einen Roman urbanen Sujets kaufte«59 – das weitere publizistische Verhalten des Autors beweise, dass er sich dessen bewusst gewesen sei;60 die Unterlassung des Skandals habe ihm, wie Hunold auf anderer Bühne schon mit den Europäischen Höfen,61 die Möglichkeit besonders profilierten Lobes gegeben. Gelzer greift die Kontroverse auf,62 und führt die Eigenart des Romans auf die Überlagerung des ›galant-akademischen‹ und ›galant-höfischen‹ Erzählmodelles zurück.63 Es bleibt zu sehen, was eine Annäherung dem hinzuzufügen hat, die nicht mit Typologisierungen arbeitet und die die Verteilung fiktionaler und dechiffrierbarer Anteile unberücksichtigt lässt. In seinem Schlusswort bezeichnet Florian Gelzer als Eigentümlichkeit der deutschen Entwicklung die unerwartet produktive Überführung des galanten Diskurses in »in ›akademische‹ Niederungen«:64 in denen Lizenzen zur Missachtung von Restriktionen gelten, die im decorum der an traditionellen Romanformen ausgerichteten Erzählweisen noch verankert seien. Ein Maximum an kompositorischer Beliebigkeit suggeriert auch die schon erwähnte, auf ›akademische‹ Romane sich hauptsächlich beziehende Stelle bei Olaf Simons.65 Im

57 Zitiergrundlage: Melisso: Des glückseeligen Ritters Adelphico Lebens- und Glücks-Fälle / In einem Liebes-Roman Der Galanten Welt vorgestellet / von Melisso, Frankfurt am Main 1970 (= Reprographischer Nachdruck der Ausgabe: Christian-Erlang / Zu finden in dem Lorderischen Buchladen 1715). Sigle: AP. Im Fließtext abgekürzt als Adelphico. Inhaltsangaben bei Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 116–119, Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 281–283, und Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso, der Autor des »Adelphico«? Zur Verfasserfrage und zum Gattungsproblem eines galanten Romans. In: Gerhart Hoffmeister (Hrsg.): Europäische Tradition und deutscher Literaturbarock. Internationale Beiträge zum Problem von Überlieferung und Umgestaltung. Bern, München 1973, S. 449–469, hier: S. 450f. 58 Mit diesem Roman breche eine Entwicklung ab, die ein halbes Jahrhundert später, auf unvergleichlich höherer künstlerischer und intellektueller Ebene, von Wieland wieder aufgenommen werde – vgl. Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 116–118, und ders.: Der galante Roman, S. 57–59. Auf Grundlage der Entschlüsselung einschränkend gehen darauf ein Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso. 59 Simons: Marteaus Europa. S. 325. 60 Ausdrücklich entschuldigt Melissus seinen Erstling im Vorwort seines zweiten Romans mit finanzieller Not – vgl. ebd., S. 318. 61 Vgl. ebd., S. 249–255. 62 Vgl. Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 281, Anm. 283. 63 Vgl. ebd., S. 281–285. 64 Ebd., S. 444. 65 Vgl. Simons: Marteaus Europa, S. 309.

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Carneval der Liebe (1712) von Johann Gotlieb Corvinus (Amaranthes)66 überraschen, folgt man der Typologie Singers, Merkmale des (französischen) Intrigenromans. Im Amor auf Universitäten (1710) von Johann Michael Fleischer (Sarcander)67 sieht Florian Gelzer »den Prototyp des galant-akademischen Erzählens verkörpert.«68 Der verliebte Studente von Celander (1709)69 reklamiert eine weit gehende erotische Lizenz. Zwei Romane unterschiedlicher Prominenz sind an das Korpus eher lose angegliedert, um einer zu großen Homogenität desselben zu wehren und die Leistungsfähigkeit des methodischen Ansatzes für die Vergleichbarmachung stark differierender Texte zu erproben. Der randständigste, beinahe noch gänzlich unerforschte70 Roman des Korpus ist der anonym erschienene Raffinirte Statist (1709),71 in dem nun doch, stellenweise, die Darstellung eines Wissens- und Sachzusammenhanges den discours dominiert; interessant ist aber die Bandbreite darstellerischer Verfahren, die, obwohl für eine Grundkohärenz der histoire gesorgt ist, nur in lockerer Koordination nebeneinander stehen: jeder Sachbereich erzeugt sein eigenes narratives Profil, ohne etwa im Reiseschema des 66 Zitiergrundlage: Corvinus, Johann Gottlieb (Amaranthes): Das Carneval der Liebe, Oder Der in allerhand Masquen sich einhüllende Amor, in Einer wahrhafftigen Liebes-Roman Der Curiösen Welt entdecket von Amaranthes. Leipzig [1712]. Nachdruck Frankfurt/Main 1970. Sigle: CL. Im Fließtext abgekürzt als Carneval. Eine knappe Zusammenfassung bei Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 94. Corvinus (1677–1747) ist bekannt eher aufgrund seines Nutzbaren, galanten und curiösen Frauenzimmer-Lexicon (Leipzig 1715). 67 Zitiergrundlage: [Rost, Johann Leonhard (Sarcander):] Amor Auf Universitäten / In unterschiedlichen Liebes-Intriguen, Zu vergönnter Gemüths-Ergötzung vorgestellet von Sarcandern. Cöln / Anno M DCC X. Sigle: AU. Im Fließtext abgekürzt als Amor. Eine Inhaltsangabe bei Simons: Marteaus Europa, S. 316f, und bei Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 265f. 68 Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 261. 69 Zitiergrundlage: [Celander:] Der Verliebte Studente / In einigen annehmlichen / und wahrhafftigen Liebes-Geschichten / welche sich in einigen Jahren in Teutschland zugetragen. Der galanten Welt zu vergönter Gemüths-Ergetzung Vorgestellt / von Celander. Cölln, Bey PIERRE MARTAUX, 1709. Sigle: VS. Im Fließtext abgekürzt als Student. 70 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 93, Anm. 30, erwähnt ihn in einer Fußnote, verweisend auf die dort anzutreffende, weitläufige Beschreibung eines bestimmten Intriganten-Typs – hiermit ist wohl der Präsident gemeint, der die Regierungsgeschäfte nach dem Tod des ersten Fürsten in die Hände bekommt. Allerdings: in ders.: Der galante Roman, S. 25, wird der Intrigant mit »dem Helden des Romans Der Raffinirte Statist …« identifiziert, und diese Bezeichnung für den Präsidenten würde ob seines verspäteten Einsatzes, ob der offensichtlichen Konkurrenz mit dem auch kompositorisch defizitären Erzähler überraschen. 71 Zitiergrundlage: [Anonym]: Der Raffinirte Statist, Nach seiner Regiersucht in Politicis, Verkehrten Art in Oeconomicis Und Passionirtem Wesen und in Judiciariis: Andern Zur ergötzenden Warnung und reifferm Nachdencken aufgeführt. Nebst einer Vorrede. Hamburg / Bey Samuel Heyl und Gottfried Liebezeit / Anno 1709. Sigle: RS. Im Fließtext abgekürzt als Statist.

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politischen Romans72 aufzugehen. Dann der Schelmuffsky (1696–97) Christian Reuters73 erweist sich, vielleicht gerade aufgrund seiner unmittelbar pasquillantischen, biographischen Bezüge, als Kreuzungspunkt einer Vielzahl von Gattungen, ohne einer derselben eigentlich zugeordnet werden zu können;74 er kann, dank der Totalherrschaft des in spezifischer Weise defizitär beobachtenden, fiktionalen Verfassers dennoch überzeugend integriert, als Manifest eines quasi-modernen Subjektivismus und ästhetischer Autonomie verstanden75 – oder missverstanden werden.76 Nicht den divergierenden Deutungen eine weitere hinzufügen, sondern die so vielseitige Anschlussfähigkeit mit erklären soll die Analyse. Das Romanwerk Hunolds ist innerhalb des ersten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts entstanden,77 zusammenfallend schon, in der von Simons vorgeschlagenen Phrasierung, mit der mittleren und Blütephase des in Deutschland insgesamt also recht kurzlebigen ›galanten Romans‹. Nach seiner Flucht aus Hamburg, die die Veröffentlichung seines letzten, des Satyrischen Roman, erzwungen hatte, begibt sich der Autor in der vergeblichen Hoffnung nach Braunschweig, am Wolfenbütteler Hof, unter Herzog Anton Ulrich »Employ zu finden / wie ihm ehemals darzu Hoffnung gemacht worden.«78 Dieser hörte noch kurz vor seinem Tode im Jahr 1714, der dann freilich den Abbruch bedeutet, nicht auf, an einer letzten, jetzt achtbändigen Fassung der Römischen Octavia zu schreiben, seines 72 Vgl. dazu Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 642–654. 73 Zitiergrundlage: Reuter, Christian: Schelmuffsky. Halle, 1885 (= Abdruck der vollständigen Ausgabe 1696, 1697). Sigle: SM. Im Fließtext abgekürzt als Schelmuffsky. Eine Inhaltsangabe bei Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 672f. 74 Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 672–674, nennt Pikaroroman, politischen Roman, Reisebeschreibung, Literatursatire, Lügengeschichte, galanten Roman, die höfisch-galante Barockkultur. 75 Vgl. Alice Villon-Lechner: Der entschwindende Erzähler. Zur Selbstreflexion des Mediums in Christian Reuters Roman Schelmuffsky. In: Simpliciana VIII (1986), S. 89–96. 76 Vgl. für stärker historisch orientierte Deutungen Fechner: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen. Neue Forschungsaspekte zu Christian Reuter. In: Euphorion 76 (1982), S. 1–26, und Bergengruen: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky. Zur Parodie des Reiseberichts und zur Poetik des Diabolischen bei Christian Reuter. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 126 (2007), S. 161–184. Burkhardt Wolf: Ein Rattenmann auf Kavalierstour. Phantastische Aufklärung in Chistian Reuters »Schelmuffsky«. In: Poetica 48 (2016, 3/4), S. 305–331, hier: 326–331, argumentiert vermittelnd und charakterisiert den Roman als »ein[en] Schwellentext, der mit den Bedingungen barocken Erzählens bereits souverän zu walten vermag, Aufklärung aber noch nicht im Sinne vernünftiger Belehrung, sondern vielmehr als Einübung in die Regeln des Fiktionalitätsspiels betreibt.« (Ebd., S. 327). 77 Vgl. Olaf Simons: Menantes. Dichter zwischen Barock und Aufklärung. In: Palmbaum 13 (2005, 1. u. 2. Heft), S. 6–29, hier: S. 18f. 78 [Benjamin Wedel:] Geheime Nachrichten und Briefe von Herrn Menantes Leben und Schrifften. Cöln / bey Johann Christian Oelschnern. 1731, S. 97 und 118; sowie Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 29f.

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vierzig Jahre früher, um 1673, begonnenen zweiten Romans. Der Beginn von dessen Entstehung liegt somit noch vor dem der Entstehung des Arminius Lohensteins,79 und die Qualifizierung als letzter europäischer höfisch-historischer Großroman muss in dieser Hinsicht relativiert werden.80 Die Gattungsgeschichte jedenfalls, die 1714 abbricht, und an der Hunold mitzuwirken wohl aus finanziellen Gründen versagt blieb,81 umfasst, beginnend bei der neulateinischen Argenis John Barclays (1621), mit einer französischen Blütephase zwischen 1630 und 1660 und einer eigenständigen deutschen Produktion erst ab 1659,82 ein ganzes Jahrhundert. Wenn das Textkorpus dieser Arbeit also hinsichtlich der Erscheinungsdaten der benutzten Fassungen in den engen Zeitraum von 1696 bis 1715 gefasst bleibt; und wenn alle bisher genannten Romane alleine aufgrund ihres Schlüsselcharakters auf ihren unmittelbaren Entstehungskontext, auf ihre akut interessierte Rezeption hauptsächlich verwiesen bleiben – auf dem Buchmarkt als Autor sich zu bewegen,83 in einem Roman verschlüsselt zu erscheinen, 79 Thomas Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik. Eine Rekonstruktion des Lohensteinschen Arminiusromans. Tübingen 1993, S. 19, Anm. 6, datiert »Konzeption und Abfassung des ersten Teils nach dem Beginn des Reichskriegs 1674, die des zweiten Teils nach 1679, dem Frieden von St. Germain en Laye.« 80 Vgl. das Schlusswort bei Günther Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 259, dessen Implikationen die Arbeit Stephan Krafts dank der Berücksichtigung der Romanerweiterungen freilich revidieren konnte: »Seine [der Ordnungssysteme des Barockzeitalters] letzte und umfassendste, unbedingte dichterische Gestaltung haben sie in der ›Octavia‹ erfahren. Sie läßt zu Beginn des neuen Jahrhunderts noch einmal das eigenste jener […] Zeitspanne aufleuchten; letztes Gestirn einer Sternenwelt, die ein neuer Morgen für immer unter den Horizont ins Vergangene dreht.« Das zeitliche Verhältnis zum Arminius hebt hervor Ètienne Mazingue: Anton Ulrich. Duc de Braunschweig Wolfenbüttel (1633–1714) un prince romancier au XVIIème siècle. Berne 1978, S. 472. 81 Vgl. noch einmal Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 29f. 82 Nach einer mehrere Jahrzehnte dauernden, übersetzerischen Aneignung der europäischen Vorbilder (skizziert bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 464–471), liegt die originäre deutsche Produktion zeitlich eng beieinander. Zu nennen sind eigentlich nur vier Romane: Des Christlichen Teutschen Gross-Fürsten Herkules Und Der Böhmischen Königlichen Fräulein Valiska Wunder-Geschichte (1659–1660) und die Fortsetzung Der Christlichen Königlichen Fürsten Herkuliskus Und Herkuladisla Auch Ihrer Hochfürstlichen Gesellschafft annmuthige Wunder-Geschichte (1665) von Andreas Heinrich Bucholtz; Die Durchleuchtige Syrerin Aramena (erschienen 1669–1673) von Anton Ulrich; der Ariminiusroman Lohensteins (sechs Jahre nach dem Tod des Autors erschienen 1689 und 1690) und eben die Römische Octavia. Geschieden sind in dieser Auswahl die höfisch-historischen Großromane von der bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts fortgesetzten Produktion geringeren Umfanges, und es lohnte vielleicht, diese Unterscheidung nicht allzu stark zu machen. 83 Vgl. den Kommentar zum Vorwort von Amor auf Universitäten bei Simons: Marteaus Europa, S. 300f: »Es ist Merkmal aller Romane der zweiten Sparte [vorgeblich Romane – tatsächlich Historien von Privat-Affairen], daß sie nicht im Raum der späteren Literaturgeschichtsschreibung agieren, sondern in der Gegenwart des Lesers und gegenüber Ebenbürtigen, die jederzeit reagieren können. Es herrscht bei aller Ebenbürtigkeit zwischen Autoren und Lesern jedoch kein freundschaftlich gleichberechtigter Diskurs. Sarcander bedenkt die Feigheit der Leser mit Hohn und verfaßt eine erniedrigende Herausforderung. Die Satis-

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sich über dies Erscheinen zu beschweren,84 all dies war hoch riskant –; so weisen die Entstehungsgeschichte und die gattungsgeschichtlichen Voraussetzungen der Römischen Octavia weit über den gesetzten, zeitlichen Rahmen in das 17. Jahrhundert zurück. Diese Voraussetzungen sind in der dem Herzog insgesamt gewidmeten Monographie Étienne Mazingues am gründlichsten herausgearbeitet worden;85 auf sie sei ausdrücklich verwiesen und an dieser Stelle, zur groben Orientierung, nur weniges bemerkt. Erstens ist der Roman auf der Ebene seiner Handlung vollständig integriert; was sonst zur Amplifikation der Gattung maßgeblich beigetragen hatte, die sachbezogene, meist in Gesprächen realisierte Digression, fehlt.86 Mit Hilfe eines Schlüssels referentialisierbare Passagen finden sich, zweitens, nur gelegentlich, ohne also die Handlung insgesamt zu determinieren;87 und selbst in den betreffenden Passagen, Binnenerzählungen etwa, kann die verschlüsselte unvermerkt in erfundene Handlung übergehen, kann der Schlüssel an späterer Stelle wieder greifen.88 Das über die Verschlüsselung abgebildete Feld

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faktionsfähigkeit und die Präzision des gezielt gesetzten Stoßes sind Momente der Conduite. Vor dem Stoß steht Desinteresse am Duell, aus dem heraus der Stoß um so unvermittelter geführt werden kann, nach dem Stoß muß man sich retiriren. Gelingt die Aktion, darf man den Getroffenen und die Umstehenden verspotten.« Vgl. [Wedel:] Geheime Nachrichten und Briefe von Herrn Menantes Leben und Schrifften, S. 95f: »Es ist nicht zu sagen / was dieser Roman [der Satyrische Roman] für einen Alarm in Hamburg machte / und wie ein jedweder diesem oder jenem darinnen eine Historie zueignete; Insonderheit / solte der Calender der Mademoiselle C…. zugehören. Nichts lächerlichers war / als daß sich diese Leute selbst prostituirten und blos gaben / und bey den Richtern ihn [Hunold] und den Verleger verklagten. Hätten sie stille geschwiegen / so wären sie nicht so viel in der Leute Mäuler gekommen / und verursacht haben / daß hernach ein Exemplar für 1. Ducaten verkaufft wurde.« Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 464–884, Vgl. nur die Skizze zum Arminius bei Müller: Barockromane und Barockroman, S. 21–23; in Vergleichung mit dem Arminius formuliert Müller dann, ebd., S. 26: »Intellektuelles Erfassen der ›Sachen‹ und Vorkommnisse auch hier [in Anton Ulrichs Romanen]. Der dichterische Strom aber, der das strahlende und düstere, stahlharte und geschmeidige Gefüge zur ästhetischen Wirklichkeit macht, ist der Atem epischen Geschehens.« Zugespitzt in einer Aufzählung all dessen, was nicht vorkommt, illustriert Karin Hofter: Vereinzelung und Verflechtung in Herzog Anton Ulrichs »Octavia. Römische Geschichte«. Diss. Masch. Bonn 1954, S. 19–25, das »Fehlen der Abschweifung« in einem eigenen Kapitel. Dies, wie Stephan Kraft: Geschlossenheit und Offenheit der »Römischen Octavia« von Herzog Anton Ulrich. »der roman macht ahn die ewigkeit gedenken, den er nimbt kein endt.« Würzburg 2004 (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft, Band 483), S. 87f, darlegt, entgegen älteren Einschätzungen, die in den Verschlüsselungen gar den Schwerpunkt des Romans ausmachten. Vgl. die entsprechenden Kapitel bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 464–616, und Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 87–115. So in der Geschichte des Corrillus (16–50), analysiert bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 595–616, wo es etwa heißt (S. 603): »Anton Ulrich a changé de registre: après s’être appuyé sur les faits,

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betrifft den Autor in seinem politischen Wirken oder einzelne, skandalöse Schicksale, nicht also größere, politisch-historische Zusammenhänge.89 Drittens kennzeichnete die Romangattung seit der Argenis und in Differenz zum spätantiken Vorbild der Aithiopica Heliodors die Hinzufügung eines politischen Handlungsbereiches zu demjenigen der obligaten Liebeshandlungen und der in ihrem Rahmen zu bewältigenden Abenteuer. Die politische Handlung ging dabei in einer auf die Liebeshandlungen bezogenen, amplifikatorischen Funktion weitgehend auf.90 War das antike, mediterrane Dekor der Romane Madeleine de Scudérys und La Calprenèdes politisch unverbindlich, da sich eine Identifikation des französischen Königs allenfalls mit den römischen Kaisern anbot, ergab sich im Zuge der deutschen Aneignung die Möglichkeit zum Eintrag patriotischer Werte in die Gegenüberstellung der eigenen, gegen die Fremdherrschaft rebellierenden Vorfahren und eines mit dem expansiven Frankreich gleichgesetzten Rom.91 In seinem zweiten Roman nimmt Anton Ulrich diese patriotischen Implikationen weitgehend zurück. »L’histoire allemande se présente […] telle qu’on la trouve chez Tacite: marginale, éparpillée, décevante.«92 Aber er nutzt die um das Vierkaiserjahr überreiche Quellenlage zu einer beispiellosen Amplifikation des politischen Handlungsbereiches und zur Entwicklung neuer, Fiktion und Historie integrierender Techniken.93 Die Eigen-

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quitte à les rectifier, à les interpréter, il suit maintenant son imagination et insère dans le récit une tranche fictive qui, chronologiquement, correspondrait aux années 1676–1685.« Eine Paraphrase der Feststellung bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 485: »Quant aux clefs majeures […], elles vont nous permettre de constater que la réalité ›chiffrée‹ par Anton Ulrich, à la différence de ce que révèlent les récits à clefs des romans de l’époque, a pour lui une signification directement, immédiatement personelle.« Am ehesten einer politischen Großlage nachgebildet ist die unten sogenannte Donaudeltahandlung der Bände V und VI – vgl. hierzu ebd., S. 591–594. Vgl. ebd., S. 820. Vgl. ebd., S. 624. Als einzige Ausnahme behandelt Mazingue den letzten Roman La Calprenèdes Faramond ou l’Histoire de France, zu dem es abschließend, die Regel bestätigend, jedoch heißt (S. 629): »La Calprenède a pris soin de faire état de sources érudites: en fait son imagination est souveraine, si bien que cette fresque ambitieuse de l’histoire ancienne des nations de l’Europe et particulièrement de la France, qu’il annonce au lecteur, apparaît en fin de compte comme parfaitement arbitraire. Réduite à des intrigues amoureuses, elle est la simple répétition d’un univers romanesque stéréotypé qui s’accommode de n’importe quel cadre.« Ebd., S. 658. Die abschließende Einschätzung Mazingues auf S. 675f. Vgl. ebd., S. 788: »En éliminant pour le récit principal toute clef – fût-elle seulement psychologique et non pas étendue aux événements eux-mêmes –, il accroît le poids de l’histoire pragmatique, déjà rendu plus considérable par le fait qu’il exploite des sources abondantes, ce qui ne pouvait être le cas pour une période primitive comme les débuts de la république romaine. De plus, en renonçant aux digressions, conversations et débats galants, moraux ou savants, si nombreux dans la Clélie, l’auteur d’Octavia concentre tout l’interêt sur l’action.« Die Passage verdeutlicht gut die gegenseitige Bedingtheit der oben einzeln aufgeführten Aspekte. – Drei Techniken zur figurenbezogenen Vermittlung von Historie und Fiktion listet

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komplexität des Politischen – das sind die Folgen – gibt der eigentlich heldenund abenteuerhaften Betätigung kaum noch Raum;94 die politische Handlung kann, ohne Obergrenze des in sie verstrickten Personals, bequemer zur Integration der vielen Liebespaare herangezogen werden; und die getreulich respektierte, die politische Dimension hauptsächlich berührende Historiographie stattet die Handlung insgesamt mit der Vorgabe einer an wichtigen Stellen exakt datierbaren, die Tagesebene noch berührenden Ereignisfolge aus.95 Die Marginalisierung chevaleresker Motivik in den komplexen, politischen Verhältnissen macht, viertens, den also weitgehend ohnmächtig agierenden männlichen Helden zum Repräsentanten eines christlichen Heroismus, der in der deutschen Aneignung der Gattung gefordert wird, ungeeignet. Folgerichtiger ist, in diesem Umfeld, die weibliche Trägerschaft der von Anton Ulrich für den heroischen Roman laut Mazingue erst erfundenen »aventure chrétienne«.96 Verlöre die Handlung der Aramena bei Wegnahme der religiösen Elemente nichts von ihrer Wahrscheinlichkeit, sei die Römische Octavia ohne den christlichen Geist, der ihre Heldin belebte und ihr Leben über die Abenteuer der traditionellen Galanterie weit heraushöbe, schwer vorstellbar.97 In der Tat strukturieren die Hauptliebeshandlung Hindernisse, die auf christlichen Geboten fußen, die sich räumlich nicht manifestieren und mittels beherzten, ritterlichen Handelns nicht beseitigen lassen: ja gerade dies, die Rache, die Tyridates an Nero nähme, gilt es als dann definitives Hindernis zu verhindern; und dies Zurückhalten des heroischen Vorpreschens alten Stiles liegt als Aufgabe alleine bei der Titelheldin: nicht nur ist die christliche Wertegemeinschaft in den Katakomben buchstäblich überdeckt von der römischen, politisch geprägten Öffentlichkeit; gegenüber ihrem Geliebten selbst ist Octavia ob ihres moralischen Dilemmas stillzuschweigen, es in sich auszuhalten gezwungen.98

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Mazingue (ebd., 801ff): (1) historische Figuren ›überleben‹ ihren historiographisch verbürgten Tod, (2) fiktive Figuren erscheinen temporär als historische Figuren – die Buhle Neros, Acte, ist ›in Wirklichkeit‹ die fiktive Figur Parthenia, (3) das Leben einer historischen Figur war ›in Wirklichkeit‹ anders, als in der Historiographie dargestellt – die tugendhafte Messalina das Opfer von Intrigen. Vgl. ebd., S. 821: »Ainsi le héros est lancé non pas dans le tumulte des événements violents, mais dans les hypothèses, les calculs, la perplexité.« Mazingue: ebd., S. 788, sieht in dem der Romanhandlung zugrundegelegten Kalender die Ablösung der Genealogie als des wichtigsten, Fiktion und Historie integrierenden Moments. Vgl. ferner ebd., S. 825–846. Vgl. ebd., S. 739. Ebd., S. 740. Ebd., S. 743f, Anm. 3: »Anton Ulrich ne renonce pas aux aventures traditionnelles, aux épreuves de la séparation physique […] ou psychologique […]. Mais ce sont des données en définitive secondaires par rapport à la séparation purement morale qui fait le torument d’Octavia.«

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Diese gewissermaßen in synchroner Perspektive skizzierte, in hohem Maße interdependente Anlage ist nun auf die Zeitachse der über vierzigjährigen Entstehungsgeschichte zu projizieren, in der drei Textschichten und zwei Fassungen unterschieden werden können, von denen die zweite unvollendet geblieben ist.99 Auf die in ihrem Vergleich zu beobachtenden Transformationen, die doch die Integration des Romanes insgesamt nicht ernsthaft gefährden, lenkte in einer unveröffentlichten Dissertation zuerst Maria Munding den Blick,100 nachdem lange Zeit die mit einem Schluss tatsächlich versehene, dann aber wieder ›aufgeschnürte‹ erste Fassung, als ein streng geschlossenes Gebilde, die Perspektiven auf das Werk bestimmt hatte.101 Konnte Stephan Kraft die entstehungsgeschichtliche Wandlung von einem ›geschlossenen‹ zu einem mehr ›offenen‹ 99 Die Entstehungsgeschichte findet sich rekonstruiert ebd., S. 387–463; in Kurzform bei Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 15–18. 100 Maria Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia.« Diss. Masch. München 1974. 101 Den entscheidenden Anstoß zu einer neueren und positiv wertenden Beschäftigung mit Anton Ulrich gab, wie Stephan Kraft: Der Barockroman als »toll gewordene Realencyclopädie«. Zu einem Diktum Eichendorffs und seiner Karriere. In: Mathias Herweg, Johannes Klaus Kipf, Dirk Werle (Hrsg.): Enzyklopädisches Erzählen und vormoderne Romanpoetik (1400–1700) (Wolfenbütteler Forschungen Bd. 160), Wiesbaden 2019, S. 77–92, hier: S. 89– 92, herausstellt, Günther Müller. Früh, in ders.: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 246–259, liefert er eine wohlkomponierte und -nuancierte Beschreibung des ersten Romans Anton Ulrichs, der Durchleuchtigen Syerinn Aramena. In einem ausführlicheren Artikel – ders.: Barockromane und Barockroman, S. 27, Anm. 51 – bemerkt Müller in einer Fußnote: »Eine Analyse des Aufbaus beider Romane [d.i. der Aramena und Octavia], wie sie dieser Aufstellung zu Grunde liegt, kann hier aus Raummangel nicht ausgeführt werden« – dabei bleibt es leider. In dem programmatischen Aufsatz über die morphologische Poetik wird die vorgestellte Methode am Romaneingang der Octavia, als einem kontra-intuitivem Beispiel, vorgeführt (ders.: Morphologische Poetik, S. 236–237) – für die Analyse des Romanganzen kann dabei aber nicht viel gewonnen werden. Viele Arbeiten sind aber auf diese Anregungen hin entstanden, die allesamt die Fassung A, als eine ›geschlossene‹, zur Grundlage haben: Clemens Heselhaus: Anton Ulrichs Aramena. Studien zur dichterischen Struktur des deutschbarocken »Geschichtgedicht«. Würzburg-Aumühle 1939, nimmt sich noch die Aramena vor, und in einer geistesgeschichtlichen, formalästhetisch wenig ergiebigen Perspektive; Karin Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, arbeitet pointiert allgemeine Gesetzmäßigkeiten der histoire der Octavia heraus, vor allem aber die psychologischen Unwahrscheinlichkeiten; Wolfgang Bender (ders.: Verwirrung und Entwirrung in der »Octavia/Roemische Geschichte« Herzog AntonUlrichs von Braunschweig, Köln 1964) konzentriert sich allein auf den Motivkomplex der »Verwirrung und Entwirrung«; Hanna Wippermann (dies.: Herzog Anton Ulrich von Braunschweig. »Octavia. Römische Geschichte.« [Zeitumfang und Zeitrhythmus]. Diss. Masch. Bonn 1948) entwirft erstmals ein vollständiges chronologisches Gerüst, bleibt aber in vielen Dingen unscharf; die Arbeit Haslingers (ders.: Epische Formen im höfischen Barockroman. Anton Ulrichs Romane als Modell. München 1970) hat Arminius, Octavia und Aramena zum Gegenstand und generalisiert entsprechend, und entlang von Unterscheidungen, die sich mit der hier gewählten Herangehensweise nur selten decken (die ›Lebensgeschichten‹, wie Haslinger sie nennt, als eigene ›Bauformen‹ zu behandeln, unterläuft etwa die konsequente Unterscheidung von histoire und discours).

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Roman anhand zentraler inhaltlicher Aspekte schlüssig belegen,102 steht eine umfassende Analyse der in diesem Wandel betroffenen ästhetischen Verfahren noch aus. Leider ist die Textgrundlage hier gegenüber dem, was Kraft erschließen konnte, wieder etwas schmaler:103 das Studium der von Anton Ulrich für den geplanten siebten und achten Band hinterlassenen Manuskripte war nicht zu leisten, die Nutzung des im Rahmen der historisch-kritischen Ausgabe erschienenen siebten Bandes auf Grundlage der Bearbeitung von Alberti verbot dessen signifikantes Abweichen von den Diktatniederschriften des Herzogs;104 immerhin ist über die sechs ersten Bände der Fassung B, die also der Untersuchung 102 Vgl. Kraft: Geschlossenheit und Offenheit. 103 Benutzt wird für die Bände I und III–VI die historisch-kritische Ausgabe. Nur für den zweiten Band wird auf den Erstdruck von 1713 zurückgegriffen. Die Sigle ist durchgängig RO, gefolgt von der Angabe des Bandes. Im Einzelnen sind das also: Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Die Römische Octavia. Erster Band in drei Teilbänden. Bearbeitet von Rolf Tarot und Maria Munding. Stuttgart 1993 (= Werke: historisch-kritische Ausgabe, III, 1–3, und = Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, 314–316). [RO I] [Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel:] Der Römischen Octavia Zweyter Theil. Braunschweig/ Gedruckt und verlegt durch Johann Georg Zilligern Hochfürstl. privil. HofBuchdrucker. [RO II] Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Die Römische Octavia. Dritter Band in drei Teilbänden. Bearbeitet von Julie Boghardt. Stuttgart 1997 (= Werke: historisch-kritische Ausgabe, V, 1–3, und = Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, 319–321). [RO III] Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Die Römische Octavia. Vierter Band in drei Teilbänden. Bearbeitet von Maria Munding. Stuttgart 2009 (= Werke: historisch-kritische Ausgabe, VI, 1–3, und = Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, 339–341). [RO IV] Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Die Römische Octavia. Fünfter Band in vier Teilbänden. Bearbeitet von Dieter Merzbacher. Stuttgart 2011 (= Werke: historisch-kritische Ausgabe, VII, 1–4, und = Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, 342–344, 347). [RO V] Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Die Römische Octavia. Sechster Band in drei Teilbänden. Bearbeitet von Dieter Merzbacher. Stuttgart 2002. (= Werke: historisch-kritische Ausgabe, VIII, 1–3, und = Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, 328, 332–333). [RO VI] Im Fließtext abgekürzt als Octavia. Eine Inhaltsangabe der behandelten Fassung ist der Dissertation Maria Mundings: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«. Diss. Masch. München 1974, beigegeben. Eine Inhaltsangabe der Fassung A liefert Cholevius: Die bedeutendsten deutschen Romane des siebzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 1866. Nachdruck Darmstadt 1965, S. 235–285. Zur Erschließung des Romans finden sich unten u. a.: eine Liste sämtlicher Liebeshandlungen, ihrer Handlungsausgänge, geographischen Zugehörigkeiten und besonderen Merkmale (Anhang); Darstellungen aller politischen Handlungen (Kap. 5.10 und Anhang); Darstellungen der wichtigsten, nur über Berichte zu erschließenden Figurenbewegungen (Anhang); eine Rekonstruktion der Vorgeschichten hinsichtlich ihrer zeitlichen Erstreckung und Verknüpfungen (Anhang). 104 Vgl. ebd., S. 16. Und Kraft: … denn sie sagen nicht, was sie tun. Zur Edition des siebten Bandes der Römischen Octavia Herzog Anton Ulrichs, Rez. zu: Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Werke. Historisch kritische Ausgabe. Die Römische Octavia. Siebenter Band, in IASLonline, 25. Januar 2010, .

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zugrunde liegen, zu sagen, dass sie den avanciertesten, dem zeitgenössischen Publikum noch zugänglichen, vom Autor gutgeheißenen Textstand darstellen. Da die drei Textschichten in der Linearität der letzten Fassung weitgehend im Sinne einer Abfolge greifbar sind, und bei Bedarf auf die früheren Fassungen zurückgegriffen wird, muss die Wahl überhaupt einer Fassung, die der methodische Ansatz erzwingt, keinen Rückschritt zur geschlossenen Konzeption der älteren Forschung bedeuten; sie ermöglicht aber auch die Sichtbarmachung der Integrationsleistung, dank derer der Roman trotz seiner internen Transformationen zusammenhält. Was der methodische Ansatz erfordert, beschreibbar im Sinne Roland Barthes’ als unermüdliches Zerlegen und Neuarrangieren,105 als Rekonstruktion eines »›interessierten‹ Simulacrum[s]«,106 bedeutet, angewandt auf gleich zwölf Romane, auch für den interessierten Leser zweifellos eine Zumutung; Humor, erotischer Reiz, Spannung, Riskanz der auf dem zeitgenössischen Markt der Reputationen platzierten Unternehmungen – all dies bleibt erst einmal auf der Strecke. Und die geringe Prominenz des Textkorpus selbst in den wissenschaftlichen Lektürelisten mag seiner Erforschung und Erschließung nun in formästhetischer Hinsicht ein Verdienst zuschlagen: die Darstellungsproblematik verschärft sie. Seinen Reiz gewinnt das häufige Durchlaufen desselben Textes entlang aller, oder wenigstens aller wichtigen internen Verknüpfungen, wenn die lineare Lektüre gedächtnisbildend und orientiert am Offensichtlichen bereits gewirkt hat und die Orientierung nun an einer partikularen Abfolge von Relationen, befreit von der Aufgabe, überhaupt ein Bild des Romans zu entwerfen, eine unbemerkt in die Lektüre eingeflossene Assoziation und Ordnung des Textes bewusst macht. Immerhin – man sollte von Literaturwissenschaftlern erwarten, eine Vorstellung von einem Roman auch anhand von Angaben bilden zu können, die in einer Inhaltsangabe gewöhnlich nicht zu finden sind. Dennoch seien die oben in den Fußnoten zu den einzelnen Romanen aufgeführten Inhaltsangaben ausdrücklich zum Gebrauch empfohlen; die schlankeste und eleganteste, bezogen auf drei der Liebeshandlungen im Adelphico, in Gänze zitiert: Amoene liebt Adelphico, er läßt es sich halb unwillig gefallen. Bald taucht ein heiratswilliger Bewerber auf. Adelphico rät ihr zu, die Werbung anzunehmen. Das kränkt sie, aber nicht lange – sie ist vernünftig und heiratet. | Helene hat einem Rittmeister Treuer geschworen, zieht aber dann doch einen Oberstleutnant seines höheren Ranges wegen vor. Die Herren duellieren sich ein wenig, einigen sich dann aber und lassen beide

105 Vgl. Roland Barthes: Die strukturalistische Tätigkeit. In: Dorothee Kimmich, Rolf G. Renner, Bernd Stiegler [Hrsg.]: Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart. Stuttgart 1996, S. 214–222, hier: S. 218. 106 Ebd., S. 216.

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die ehrgeizige Dame sitzen. | Ein Student liebt ein Mädchen. Der Hofmeister kommt dahinter, und sein und der Eltern Einspruch bringt den Jungen zur Vernunft: er ergibt sich ins Unvermeidliche.107

Um auch einen Eindruck von den Proportionen der zwölf Romane zu geben: die Römische Octavia kommt in der sechsbändigen Fassung B – geplant waren, wie gesagt, acht Bände – auf etwa 1.921.752 Wörter, das ist ungefähr die Länge des längsten französischen Romans Artamène ou le Grand Cyrus, von Madeleine de Scudéry; die Recherche zählt, zum Vergleich, ›nur‹ 1.267.069 Wörter.108 Der zweitlängste Roman des Korpus, die Europäischen Höfe kommen auf dreizehn Prozent der Octavia, der drittlängste, Das Carneval der Liebe, liegt bei 5,2 % und der kürzeste, Amor auf Universitäten, beläuft sich gerade auf ein Hundertstel dieser freilich außergewöhnlichen Referenzgröße. Der Humor des Schelmuffsky ist weit gepriesen und er und der Raffinirte Statist und die Reise einer höflichen und geschickten Person ausgenommen begegnen überall Liebeshandlungen, mit schlechtem oder offenem Ausgang einzig in den studentischen Romanen Amor auf Universitäten und Das Carneval der Liebe, ansonsten von Heiraten beschlossen. Die Europäischen Höfe strukturiert, in transparenter Verschlüsselung, die für die Romanzwecke zugerichtete Kavalierstour Augusts des Starken, großen Raum nimmt Wilhelm von Oraniens Thronbesteigung in England ein, ansonsten sind weitere und skandalöse Vorkommnisse verschlüsselt, unter anderem die Königsmarck-Affäre,109 der man auch in der Römischen Octavia begegnet;110 in diesem Roman erzählt in einer verschlüsselten Binnenerzählung Aurora von Königsmarck von ihrer Zeit als Mätresse Augusts des Starken;111 die in dieser Geschichte den Namen »Dynamis« erhält, ist diejenige »Marquinergis«, der »Gustavus« in den Europäischen Höfen auf dem winterlichen Wiener Ball begegnet, die ihn im Heerlager an der polnischen Grenze besucht – Anna Wilhelmine von Königsmarck, Schwester Auroras, Gemahlin Carl Gustavs von Löwenhaupt, der hier »Reinald«, in der Octavia 107 Singer: Der galante Roman, S. 59. 108 Weitere Vergleich lassen sich mit Hilfe einer auf der englischen Wikipedia aus unterschiedlichen Quellen erstellten »List of longest Novels« anstellen. – vgl. , aufgerufen am 10.6.21. 109 Die Zusammenhänge werden von Hans Wagener dargestellt im Vorwort der benutzten Ausgabe, EH 23*-71*. 110 Vgl. Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 96–101. 111 Vgl. ebd., S. 101f, sowie ders.: Galante Passagen im höfischen Barockroman – Aurora von Königsmarck als Beiträgerin zur »Römischen Octavia« Herzog Anton Ulrichs. Daphnis 28 (1999), S. 323–345; und ders.: Literarisiertes Leben und gelebte Literatur – Interferenzen von Autobiographie, Briefkultur und galantem Roman um 1700. In: Das ›Ich‹ in der Frühen Neuzeit. Autobiographien – Selbstzeugnisse – Ego-Dokumente in historiographischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive. Hg. von Stefan Elit, Stephan Kraft und Andreas Rutz. zeitenblicke 1, Heft 2 (2002), , zuletzt aufgerufen am 10.6.21.

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»Lentulus« heißt.112 Die Liebenswürdige Adalie ist eine erweiterte und modifizierte Übertragung einer Novelle von Jean de Préchac mit dem Titel L’illustre Parisienne, die wiederum den skandalösen Aufstieg der landadligen Éleonore d’Olbreuse zur Gemahlin Herzog Georg Wilhelms von Celle zur Vorlage hat113 – Mutter derjenigen Sophie Dorothea, deren nachgesagtes Liebesverhältnis mit dem plötzlich verschwindenden Graf Philipp Christoph von Königsmarck im Zentrum der seinen Namen tragenden Affaire steht.114 Die Dinge hängen also zusammen. Die übrigen Romane, mit Ausnahme des Raffinirten Statist, zu dem aber ein Schlüssel noch nicht vorliegt, bieten ›Privat-Affairen‹: eine entsprechende Referentialisierung musste den betroffenen Kreisen vorbehalten bleiben, übrigens genügte die Gewissheit, dass eine solche möglich war.115 Hunold nutzt seine Romane zur Stilisierung auch seiner eigenen Person und Karriere116 und habe, so die Vermutung, im Satyrischen Roman sich in die beiden Protagonisten Tyrsates und Selander aufgespalten.117 Das waghalsigste Stück des Korpus ist zweifellos der Abdruck eines Kalenders oder Tagebuches »Venerischer Avanturen« (SR 207) in diesem Roman, der denn auch in der überarbeiteten zweiten Fassung fehlt.118 Die Darstellungsproblematik manifestiert sich an beiden Polen der für diese Arbeit gewählten Leitunterscheidung auf entgegengesetzte Weise. Der Nachweis der die Lektüre zuvörderst orientierenden Redundanzen kann knapp erfolgen und wird das an die betreffenden Phänomene geknüpfte Interesse weitgehend unbefriedigt lassen; die Beschreibung überschüssiger, unkontrollierter Varietät hingegen kann auf verkürzende Darstellungsformen nur zurückgreifen, wenn

112 Vgl. die Schlüssel zu den Europäischen Höfen (EH 66*) und zur Geschichte der Solane (Mazingue: Anton Ulrich, S. 561, Anm 1). 113 Vgl. Herbert Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln/Graz 1963, S. 16–19. 114 Vgl. ders.: Die Prinzessin von Ahlden. Verwandlungen einer höfíschen Sensation in der Literatur des 18. Jahrhunderts. In: Euphorion 49 (1955), S. 305–334. 115 Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 140–159. »Denn entscheidend war, daß jeder Text jederzeit als Schlüsseltext auftreten konnte, und damit – wie sehr ›Roman‹ auch immer – ins Feld der ›wahren Historien‹ ausgriff. Daß Die Verliebte und Galante Welt auf die Weißenfelser Begebenheiten hin hätte entschlüsselt werden können, aber von den Lesern in Hamburg wohl kaum daraufhin entschlüsselt werden konnte, machte für diese womöglich den ästhetischen Reiz aus und trug wohl nicht unwesentlich zum Erfolg des Textes bei.« (Ebd., S. 151). 116 Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 40, 43, 51–53, 315f. 117 Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 144; sowie Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 17; und ders.: Zum Korpus ›galanter‹ Romane, S. 27. 118 Vgl. [Wedel:] Geheime Nachrichten und Briefe von Herrn Menantes Leben und Schrifften, S. 102: »Den Calender und andere Historien / die ihm Verdruß gemacht hatten / striche er weg.« Vgl. auch Rose: Conduite und Text, S. 146f; und Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 28f.

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nun doch Regelmäßigkeiten, wenn nun doch Ordnung in dem umrissenen Feld wieder beobachtet werden. Der Zuschnitt der Arbeit und der Zuschnitt des Korpus in seinem engen zeitlichen Korridor verbieten ferner, dass die Darstellung einem diachronen Leitfaden folgte, etwa den Leser aus der barocken in eine früh-aufklärerische Formenwelt führte. Die formevolutionäre Perspektive ist je neu in die ihrem Verlauf nach systematisch orientierter Darstellung einzutragen und ihre Marginalisierung steht angesichts des enormen analytischen Aufwandes, der vorerst zu leisten ist, zu befürchten. Es wird versucht, zwischen der systematischen Entfaltung der Methode, dem korpusübergreifenden und dem textspezifischen Zugriff einen Ausgleich zu erzielen. Behandelt werden zunächst (Kap. 1) im weitesten Sinne reflexive Verfahren, mithilfe derer die Einheit eines Werkes, oder seine Verlaufsregel, oder seine Grenzen als Element des Werkes selbst erscheinen, so einen unmittelbaren Zugriff auf seine Totalität, eine unmittelbare Beherrschung seiner Varietät suggerierend. Dann dient der mit Kriterien zur Diskriminierung von Relationenketten ausgestattete Begriff des Einheitsbezuges zur Identifikation der strukturell wichtigsten Elementfolgen (Kap. 2) – zur Beantwortung der Frage also, welcher Anordnung von welchem Typ Element eine wesentliche integrative Leistung in den Romanen des Textkorpus zugetraut wird. Der Ordnungsgewinn dieser Reihen kann mithilfe spezifischer Verfahren in die übrige Masse an Elementen projiziert, gewissermaßen verlängert werden (Kap. 3). Erst dann rückt das Feld weitgehend unkontrollierter Varietät in den Blick (Kap. 4). Gefragt wird nach ›grundrhythmischen‹ Reihen – nach der Absatzbildung, nach der integrativen Funktion von Analepsenreihen, von Verseinlagen und Briefen. Eine synoptische Darstellung entwickelt den motivischen Vorrat, der über anschauliche Angaben im räumlichen Medium entsteht. Die Möglichkeiten zur Bildung von Handlungsreihen, die nicht Liebes-, nicht politische Handlungen sind und keine wesentliche integrative Funktion erfüllen, sind zu skizzieren. Etwas weniger nur als die Hälfte der gesamten Arbeit nimmt dann das fünfte Kapitel ein, in dem einzelnen Romanen sich, mit ihrer je spezifischen Problematik, zugewandt wird. Die Kapitel zur Römischen Octavia erstrecken sich über die letzten 120 Seiten. Unumgänglich war, zur Entlastung des Fließtextes, die Einrichtung eines Anhanges vor allem mit Blick auf diesen Roman. Ohne eine separate Differenzierung der Vielzahl von Liebeshandlungen auch der übrigen Romane und die Bereitstellung ihrer Stellen und discours-bezogenen Daten wäre die Analyse der Verfahren zur Multiplikation einheitsbezogener Reihen sehr erschwert worden. Beigegeben sind ferner Darstellungen je einer Strukturebene des räumlichen und zeitlichen Mediums: die Liste aller zur räumlichen Differenzierung gebrauchter, generischer Begriffe und Tabellen zur Verteilung transparenter Tagesfolgen und handlungsgeleiteter Passagen ohne Tagesgrenzenmarkierung über den discours.

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Ein Stellenregister schließlich erlaubt die Zusammenschau aller die einzelnen Romane des Korpus berührenden Passagen.

Begriffliche Präliminarien

Ästhetische Verfahren, wie sie hier verstanden werden sollen, beziehen sich auf die Anordnung und Relationierung von Elementen innerhalb einer von der Außenwelt abgrenzbaren Einheit – auf ihre ›ornamentale‹ Funktion.1 Zum einen werden die Elemente in ein finites Verhältnis zu der oder zu den Grenzen der Einheit gesetzt – sie besetzen eine bestimmte Stelle. Zum anderen bilden sie vermittelte oder unvermittelte Relationen zu anderen Elementen. Erst diese Relationen erlauben die Identifikation von Elementen. Unmittelbare Relationen beruhen auf Gleichheit; in ein unmittelbares, aber bereits der Spezifikation zugängliches Verhältnis treten Elemente außerdem hinsichtlich der Größe der von ihnen beanspruchten Stellen. Da alle Elemente Stellen belegen, können in dieser Hinsicht alle Elemente mit allen Elementen relationiert werden. Spezifiziert wird die Relation dabei durch das bestimmte Verhältnis der beiden Stellengrößen, und durch das Verhältnis der Stellengrößen zum Ganzen. Wo Zeichen benutzt werden, liegt eine Klassifizierung der Elemente nach Zugehörigkeit zum Bezeichnenden (dem discours), zum Bezeichneten (der histoire) und dem Verhältnis beider nahe.2 Lässt sich für zwei Elemente ein selbes Medium denken, d. h. eine selbe, lose gekoppelte, über eigene Unterscheidungen strukturierte Menge möglicher Elemente,3 kann es sein, dass ihre Relationierung unter Berücksich1 Vgl. Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/Main 1995, S. 185: »Ornamente setzen einen durch sie selbst definierten und gleichsam von innen geschlossenen Raum voraus; und Entsprechendes gilt für die Ornamentalisierung von Zeit […].« 2 Vgl. Tzvetan Todorov: Les catégories du récit litteraire. In: Communications 8 (1966), S. 125– 151, hier: S. 126f. Der Unterschied zu dem ersetzten Begriffspaar liegt unter anderem darin, dass unmittelbar die Gesamtheit des in einer Erzählung Bezeichneten, die Gesamtheit der bezeichnenden Rede gemeint sind. Für eine Zurückweisung der Dreiteilung in histoire, récit und narration bei Genette und eine Auflistung der terminologischen Alternativen vgl. Martinez, Matias / Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München 2007, S. 24–26. Die Beibehaltung der französischen Termini erlaubt die Nutzung der sonst begrifflich zu fixierenden deutschen Wörter in der freien Beschreibung. 3 Die Textelemente sind also, in der luhmannschen Terminologie, Formen, die sich von ihrem Medium unterscheiden. Vgl., noch einmal, Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 165–173;

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Begriffliche Präliminarien

tigung dieser Strukturen geschieht. Es handelt sich dann um eine über das Medium vermittelte Relationierung. Auf gleiche Weise miteinander relationierte Elemente werden als Reihe bezeichnet.4 Was immer so als Reihe erscheint, garantiert dem Text im Umfang der betreffenden Reihe die Redundanz der in der Reihe zusammengefassten, nämlich gleichgearteten Relationen.5 Gleichzeitig wird diese Vorgabe die relationierten Elemente6 nicht vollständig determinieren, also einen spezifischen Spielraum für Variation ausbilden. Reihenbildung kann daher als ein basales Verfahren der Redundanzerzeugung und der Erzeugung spezifischer, also teilweise gebundener Varietät gesehen werden. Beginnt man bei der inkommensurablen Varietät und setzt ihre Bewältigung durch Einfügung von Redundanzen als Bezugsproblem, fallen, als Lösungsbeitrag, diejenigen Reihen aus, die erwartungsgemäß den gesamten discours umfassen und noch die Ebene nicht betreffen, die dem Beobachter zum Problem wird: er weiß, dass er einer langen Reihe von Buchstaben, Lauten, Silben, Wörtern, Sätzen begegnen wird, aber dies ist nicht, was ihn verstört, dies hatte er, als derselbe sieht die Reproduktion bestimmter medialer Strukturen in Kunstwerken in unmittelbarem Zusammenhang zu dem in ihnen möglichen Verhältnis von Redundanz und Varietät. Vgl. ebd., S. 183f: »Der vielleicht wichtigste Beitrag der Medien Raum und Zeit zur Evolution von Kunst liegt in der Möglichkeit, Redundanzen zu straffen und dadurch ein höheres Maß an Varietät zu garantieren. Wenn es gelingt, die Einheit von Raum und/oder die Einheit von Zeit dem Kunstwerk als Redundanzgarantie, als formale Selbigkeit aller Stellen zu Grunde zu legen, kann das Kunstwerk sehr viel mehr Varietät aufnehmen, ohne daß der Beobachter die Übersicht, die Möglichkeit des Fortgangs vom Einen zum Andern verliert und das Kunstwerk deshalb als mißlungen betrachtet werden müßte.« 4 Wo immer der Begriff im Folgenden gebraucht wird, ist also die Positionierung der in der Reihe begriffenen Elemente in der (zeitlichen) Linearität des discours bezeichnet. Das ist vor allem mit Blick auf die zu bildenden Komposita (Bewegungsreihe, Handlungsreihe etc.) entscheidend: ist die Rede von einer Romanfigur, ist diese (vermutlich) in einer abstrakten Gesamtheit und auf der Ebene der histoire gemeint, eine Figurenreihe hingegen bezeichnet die über die Identität der Romanfigur relationierten Elemente als Stellen im discours. Die hohe Frequenz des Begriffes wird stilistisch gelegentlich missfallen – was wäre aber zweckmäßiger? Der Begriff der Folge etwa wäre, eher temporal und akustisch konnotiert, vorzuziehen, lässt sich aber, vielleicht gerade deshalb, wenn ›Folgen‹ abstrakt als Einheiten zu bezeichnen wären (etwa: einheitsbezogene Folge, Vervielfachung von Folgen), noch schwieriger handhaben. 5 Roland Barthes schließt an das Phänomen, bezeichnet als »regelmäßige Wiederkehr der Einheiten und Assoziationen von Einheiten« einen, an der Linguistik angelehnten, Vorschlag zu einer engen Definition des Formbegriffes an: der den entsprechenden Kombinationsregeln vorbehalten bleiben solle. Vgl. Roland Barthes: Die strukturalistische Tätigkeit. In: Dorothee Kimmich, Rolf G. Renner, Bernd Stiegler (Hrsg.): Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart. Stuttgart 1996, S. 214–222, hier: S. 219f. 6 Mit Barthes könnte man sagen: die paradigmatischen Elemente – vgl. ebd., S. 218: »[…] das paradigmatische Objekt wird dadurch charakterisiert, daß es zu den anderen Objekten seiner Klasse in einer bestimmten Beziehung der Affinität und Verschiedenartigkeit steht: zwei Einheiten eines Paradigmas müssen sich in einigem gleichen, damit die Verschiedenheit, die sie trennt, Evidenz gewinnen kann: […].«

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er das Buch zur Hand nahm, weil er ein Buch zur Hand nahm, schon begriffen.7 Diejenigen Reihen, die Abhilfe schaffen sollen, müssen in der problematischen Varietät selber gebildet, aber doch weniger sein, als diese; ihr Umfang und ihre Erstreckung dürfen aber auch – so wäre die These – ein gewisses Maß nicht unterschreiten: bestenfalls unterhalten sie engen Kontakt zu beiden Werkgrenzen; bestenfalls enthalten sie selbst nur eine überschaubare Menge von Elementen oder lassen sich entsprechend subsumieren; bestenfalls vermitteln sie den so gebildeten Bezug zur Einheit des Werkes der um sie liegenden Varietät; und wird offensichtlich schon im Vollzug ihre integrative Leistung, lässt sich früh genug ihre Verlaufs- und Stoppregel, das heißt aber die Stoppregel des gesamten discours, erschließen. Dies also wäre die Skizze zu einer Kriteriensammlung, die die Diskriminierung integrativ besonders leistungsfähiger, ›einheitsbezogener‹ Reihen erlaubte und unten, im zweiten Kapitel, erprobt werden soll. Ein anderes Verfahren stellt den Bezug zur Einheit des Werkes, die, wurde das Werk von anderen Werken, oder überhaupt anderen Gegenständen unterschieden, so selbstverständlich war, innerhalb der Werkgrenzen aber im fortlaufenden Spiel der Unterscheidungen uneinholbar geworden ist, noch offensichtlicher her: sie kann im Werk in einem oder mehrerer ihrer Elemente bezeichnet werden. Die Varianten dieses Verfahrens sind bekannt: die Bezugnahme mag über die Instanz laufen, die für den Verlauf insgesamt verantwortlich gemacht wird;8 über die tatsächliche oder imaginierte materielle Beschaffenheit des Werkes;9 über Außenteile des Werks, die seine Unterscheidbarkeit in der Welt organisieren;10 über die Werkgrenzen;11 es kann, von einem Punkt privilegierten Zugriffes aus, in Form einer Ankündigung oder Rekapitulation die Bildung einer Reihe im obigen 7 Zur notwendigen und extern gewährleisteten Einstellung des Beobachters auf eine kunstspezifische Beobachtung vgl. noch einmal Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, S. 249f. 8 Nur einige Beispiele: Die Muse (Odyssee, I, 1); Wolfram: Parzival, I, 12, 3: »als uns diu âventiure saget«; Cide Hamete Benengeli im Quijote (etwa Teil I, Kapitel 9); der Sultan in Crébillon: Le Sopha. In: Patrick Wald Lasowski (Hrsg.): Romanciers libertins du XVIIIe siècle, Bd. 1, Paris 2000, S. 86: »En un mot, puisque c’est à moi qu’on fait des contes, j’entends qu’on les fasse à ma fantaisie.« Unmittelbar unser Korpus berührend vgl. Anton Ulrich: Aramena, Bd. 5, S. 880. 9 Mme de Villedieu: Le Portefeuille. In: Raymond Picard (Hrsg.): Nouvelles du XVIIe siècle, Paris 1997, S. 584: »[…] un portefeuille de velours noir, qu’apparemment quelqu’un qui s’était promené avant nous avait oublié.« Anton Ulrich: Aramena, Bd. 5, S. 880. Jean Paul: Hesperus. In: ders.: Werke (Hg. v. Norbert Miller), München 1960, Bd. 1, S. 584: »Ich wollte, die Historie wäre aus, damit ich sie könnte drucken lassen; denn ich habe schon zu viele Pränumeranten darauf unter dem gemeinen Volk.« Goethe: Werther [FA, Bd. 8], S. 10: »laß das Büchlein deinen Freund seyn«. 10 Jean Paul: Hesperus, S. 506: »[…] warum ich auf dieses Buch den tollen Titel setzte: Hundposttage.« 11 Jean Paul: Hesperus, S. 512: »Beim Tor des ersten Kapitels fragen die Leser die Einpassierenden: ›Wie heißen Sie? – Ihren Charakter? – Ihre Geschäfte?‹«

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Begriffliche Präliminarien

Sinne vorgeschlagen, ja die Verlaufs- und Stoppregel selbst ausgeplaudert werden12 – immer ist zu bedenken, dass die so, auf der Ebene des signifié, gewissermaßen über einen Kurzschluss der Notwendigkeit allgemeiner Integration enthobenen Elemente auf der Ebene des signifiant als innerhalb des Werks unterscheidbare und zu relationierende Elemente auf einer bestimmten Stelle Teil der zu bewältigenden Varietät dennoch bleiben. Die diesem paradoxen Verhältnis innewohnende Spannung kann bei hinreichender Konventionalisierung, das heißt bei einer erwartbar gemachten Platzierung der Selbstbezeichnungen und bei gewährleisteter Verlässlichkeit der in der Selbstbezeichnung gemachten Verweise, praktisch neutralisiert werden.13 Es sind, entsprechend, die häufige Anwendung des Verfahrens und die Unzuverlässigkeit der dabei gemachten Angaben, die sein disruptives Potenzial zur Geltung bringen – ein Potenzial, das, bekanntlich, das spätere 18. Jahrhundert vermehrt beschäftigte: durch die Bezugnahme auf die souveräne Willkür des Verfassers im Umgang mit seinem Stoff und den diesem Stoff inhärenten Verlaufsregeln ließ sich, bis auch hier ein Gewöhnungseffekt eintrat, ästhetische Autonomie vorführen.

12 Vgl. Vergil: Aeneis, V. 1–7; Wittenwiler: Der Ring, V. 15–31; Voisenon: Le Sultan Misapouf. In: Patrick Wald Lasowski (Hrsg.): Romanciers libertins du XVIIIe siècle, Bd. 1, Paris 2000, S. 632, 634; Crébillon: Le Sopha, S. 79: »[…] que mon âme ne commencerait une nouvelle carrière que quand deux personnes se donneraient mutuellement, et sur moi, leurs prémices.« Goethe: Faust I, V. 1769–1706 (die Wette); Goethe: Die Wahlverwandtschaften, 4. Kapitel (die Gleichnisrede); Beckett: En attendant Godot, S. 16: »[…] Allons-nous-en. | Vladimir. – On ne peut pas. | Estragon. – Pourquoi? | Vladimir. – On attend Godot.« 13 Vgl. Bernd Häsner: Metalepsen: Genese, Systematik und Funktion transgressiver Erzählweisen. Diss. Berlin 2005, S. 39.

1.

Reflexive Verfahren

Die Verfahren, die eine Bezeichnung der zweiten, ›hinteren‹ Werkgrenze regeln und den Umgang mit den für diese Grenze konventionellen Markierungen, können, in den gewählten Romanen, mit den übrigen ästhetischen Verfahren in keine Abhängigkeit gebracht werden, erscheinen entsprechend frei und, für die Romanintegration insgesamt, unbedeutend, sollen aber doch nicht unterschlagen werden. Die Ankündigung, immerhin, in der Reise einer höflichen und geschickten Person, der Rede des »Canzler Schröders […], darinnen die Nutzbarkeit der Reisen, der Education der Kinder, und wie solche Erb-Printzen und dergleichen hohen Personen vornemlich profitabel«, als letzte Anfügung des Erzählers, »[e]he nun die Reise einer höflichen und geschickten Person schliesse« (RE 417), reagiert auf die Auflösungstendenzen am Schluss derselben: alle wichtigen Reihen – die Bewegungsreihe Seladons, seine biographische Reihe, die Episodenreihe – enden bereits auf Seite RE 410, hinzugefügt werden aber noch das Hofprotokoll der Audienz eines vornehmen Reichsfürsten bei dem Regensburger Reichstag des Jahres 1652 (RE 410–417) und die erwähnte Rede. Während ersteres, ausgewiesenermaßen (RE 410f), an die Stelle einer nun möglichen genauen Beschreibung der Tätigkeiten Seladons auf dem Regensburger Reichstag als Secretair tritt, wird in letzterer die Reise- und Ausbildungsthematik in anderer diskursiver Form noch einmal aufgegriffen.1 Der den Titel wiederholende, aus1 Vgl. Rose: Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin/Boston 2012, S. 315: »An dieser Stelle endet Seladons Reise; er ist gewissermaßen auf der obersten ihm erreichbaren Stufe der Verwaltungslaufbahn angekommen. Das soll die Beschreibung einer Audienz beim deutschen Kaiser Ferdinand III. auf dem Regensburger Reichstag von 1652 verdeutlichen, die noch einmal den Fokus auf Fragen des decorum und der angemessenen Conduite lenkt. Zum Schluß wird die Rede des Hessen-Darmstädtischen Kanzlers Schröder auf dem Landtag von 1706 abgedruckt, die Prinzipien der (höfischen) Erziehung zusammenfaßt und zugleich als Mustertext für den künftigen Aufgabenbereich Seladons zu verstehen ist.« Ruth Florack und Rüdiger Singer: Politesse, Politik und Galanterie. Zum Verhältnis von Verhaltenslehre und galantem Roman um 1700. In: Gisela Engel, Brita Rang, Susanne Scholz, Johannes Süßmann (Hrsg.): Kon-

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drückliche Bezug auf die Einheit, nämlich den Schluss der »Reise einer höflichen und geschickten Person« (RE 417), in der ankündigenden Qualifizierung der Schröder-Rede als ihr letztes Element, dokumentiert und kompensiert, dass der Text sich mit Abschluss des die letzte Tätigkeit Seladons immerhin indirekt illustrierenden Audienzprotokolles außerhalb der Reichweite der die Einheit der Erzählung bisher vermittelnden Reihen befindet; entweder, heißt das, eine neue, den abgeschlossenen Reihen äquivalente Reihe hebt jetzt an, oder der Text schließt. Die Ankündigung des einmaligen Aufschubes dieses Schlusses bildet die gewählte dritte Möglichkeit. Konventionell ist die Markierung der zweiten Werkgrenze durch eine wörtliche Bezeichnung,2 eine spitz zulaufende Zentrierung des Satzes3 und ein graphisches Zierstück.4 Während die graphischen allenfalls mit vorangegangenen, ähnlichen Markierungen Relationen bilden – in der Octavia etwa erfolgt eine Zentrierung des Satzes auch vor den mit Titelkupfer markierten Geschichten (etwa RO II/46) –, kann die wörtliche Bezeichnung des Textendes, weil sie im selben Medium gebildet wird wie der Text, doppelt beansprucht werden: das faktische Textende und seine graphischen Markierungen, auch die Kapitalien und, gegebenenfalls, der Fettdruck, garantieren die Funktion als Grenzsignal; die syntaktische Eingliederung des Wortes aber weist ihm auch einen Sinn noch im Rahmen der histoire zu. Seine doppelte und widersprüchliche Beanspruchung – es ist gleichzeitig innerhalb des Textes und seine Außengrenze – lädt zum virtuosen Spiel ein: im Amor wird für die im Rahmen der biographischen Reihe Fortunatos, entsprechend den Erörterungen in den ersten beiden reflexiven Passagen (AU 91f, 101–105) entscheidende Frage, ob Fortunato die Alternanz von Phasen der Liebe und Phasen ohne Liebe zugunsten einer beständigen Liebe wird beenden können, einem »Ende« anheimgestellt, das von dem Erzähler so zwar bezeichnet, aber inhaltlich, weil diese Bezeichnung die Grenze des Romanes

junkturen der Höflichkeit in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main, 2009. S. 300–322, hier: S. 306, Anm. 28, vermuten, dass die an Standespersonen gerichteten Belehrungen einer höheren Autorität bedurften, als der Erzähler bieten kann. Hunold nutzt, könnte man sagen, die Wiederanfügung des eingeschobenen Romans an das Anleitungsbuch zur Einlassung einer zitativen Thematisierung desselben Gegenstandes durch noch eine dritte (Audienzprotokoll) und vierte (Rede) Textform, die auf beide Seiten anschlussfähig werden. 2 Das Wort »Ende«, in der Regel vom letzten Textblock abgesetzt und in Kapitalien, in den Romanen Student, Satyrischer Roman, Adalie, Amor, Höfe; am Ende jedes Teilbandes in den Romanen Welt, Schelmuffsky, Octavia, in der Octavia in der Form: »Ende des Ersten Theiles«; das Wort »Finis« steht am Ende des Statist. 3 Am Ende aller Romane des Korpus. In den Romanen Octavia und Welt auch am Ende der Teilbände, im Schelmuffsky nur am Ende des ersten Teilbandes. 4 Fehlt nur in den Romanen Student, Statist, Adelphico; in der Welt und in der Octavia auch am Ende der Teilbände. Peter von Polenz erwähnt für die Drucke des Schelmuffsky nur »Zierleisten vor den beiden Anreden und Seitenzahlenumrahmung in allen drei Ausgaben« (SM XIV).

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ist, nicht mehr spezifiziert werden kann.5 In der Adalie bezieht sich der propositionale Gehalt des Schlusssatzes auf die, nach Erreichung des Handlungszieles, unendliche Fülle möglicher Erzählgegenstände; freilich sind diese Erzählgegenstände von der zurückliegenden Erzählung her redundant: sie alle bestätigten die Endgültigkeit der erreichten Glückseligkeit, des erreichten Handlungszieles; auf die Endlosigkeit einer solchen Bestätigung zu verweisen bietet einer Beendigung des Erzählens also in Wahrheit die sicherste Legitimation.6 Etwas schwächer platziert ist, bei derselben Grundbewegung, das entscheidende Wort am Ende der Höfe, bezogen hier auf das Ende der von einer imaginären, nämlich unwahrscheinlichen Vergleichsperson Gustavens vollbrachten Sachen.7 Im ersten, ja zunächst unabhängig erschienenen Teil der Welt – nur hier wird das Schlusswort syntaktisch integriert –, bekundet der Erzähler, auf die immer noch ungenügende Imagination des Lesers verweisend, die Unzuständigkeit seiner »Feder« für die Schilderung der in der ersten Liebesnacht von Amor mitgeteilten »Schätzbarkeiten« – ihr bleibe nur die Berührung des glückseligen Endes (VW I/192). Im Satyrischen Roman wird eine Doppelung des Schlusswortes vorgenommen: nur das verdoppelte »Adjeu« erscheint syntaktisch integriert,8 sodass das konventionelle Schlusswort seine einseitige Funktion beibehält; die Werkgrenze entsprechend zwischen den beiden Wörtern gezogen werden kann.9 Verfahren der Selbstbezeichnung nicht mehr, oder nicht mehr nur auf die zweite Werkgrenze bezogen verwenden Carneval und Schelmuffsky. In letzterem lassen sich die Titel der beiden Teile dank der Angabe der Druckorte; die Widmung an 5 »Er hat daselbst seinen Vorsatz / sich aller Liebe ferners zu entschlagen / ziemlich geändert / er liebet wieder / wie viel er aber Krafft haben wird beständig zu seyn / davon wird am besten zeigen können das ENDE.« (AU 136) 6 »Ja weil seine Fürstenmäßige verrichtungen eines einigen Tages weit fürtrefflicher / als daß sie die geschickteste Feder in einem gantzen Jahre nach Verdienst abfassen könne: so würde ausser einen mit getreuen Unterthanen vereinigten Wunsch vor dessen hohes Wohlergehen / weit unmöglicher gewesen seyn / die künfftigen gloriösen Handlungen dieses Durchlauchtigsten Hauptes zubeschreiben: denn man findet deren / die sich mit der Unsterblichkeit vermählen / kein ENDE.« (LA 461) 7 »Und erwiese selbige in künftigen Zeiten dergestalt / daß weil die Welt noch keines solchen Potentatens gewürdiget worden / auch hinführo wohl schwerlich einer herrschen wird / der mit so genereuser Standhafftigkeit die Mächtigsten Feinde überwindet / und Sachen / woran die Tapffersten verzweifeln / zu dem aller- glückseeligsten ENDE bringet.« (EH 1216) 8 Simons: Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. Amsterdam-Atlanta 2001 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Bd. 52), S. 328, formuliert: »Ihr Abschied – Selander reist mit Arismenien nach ›Engel-Land‹ – wird der Abschied des Romans von seinem Leser.« 9 »Und sein eintziges Mißvergnügen / so ihm ehmahls da begegnete / war / die Trennung zwischen ihnen und Tyrsates, und von dem allerliebsten Freunde ein zärtliches Adjeu. ENDE.« (SR 256)

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den »Grossen Mogol […] Keyser in Indien« (SM 2) und die Widmung des Eingangsgedichtes an seinen »gewesene[n] Schiff-Compan bey dem Härings-Fange vor Rom auff der Tyber in einer Dreck-Schüte« (SM 80) dank der Verknüpfung mit diesen Figuren der Reisebeschreibung selber und der Unterzeichnung der Widmungen mit dem Namen Schelmuffsky (SM 60–66, SM 115–117); schließlich die beiden Vorworte dank ebenfalls der stilistisch evidenten Verfasserschaft ›Schelmuffskys‹ eindeutig der histoire zurechnen. Schelmuffsky, heißt das im Sinne der histoire, hat, in Schelmerode wieder angekommen, bereits nach seiner zweiten und vielleicht noch mehreren ›Reisen‹ (SM 81), seine Reisebeschreibungen mit den entsprechenden Widmungen zum Druck gebracht. Die Bücher sind somit als discours Element der histoire, können also doppelt, in der Welt und in der histoire als Einheiten unterschieden werden.10 Das bedingt einen Einschluss der fiktionalen Paratexte in die Werkgrenzen bei bestehen bleibendem Ausschluss aus der Reisebeschreibung und, gemäß den Konventionen der jeweiligen Paratexte, privilegiertem Zugriff auf dieselbe (SM 7–77, 83–120). Dieser wird genutzt in der Thematisierung des Zustandekommens und der Veröffentlichung der Reisebeschreibung als eines einheitlichen Textes (SM 3f, 5f, 81) sowie seiner Abgrenzung von anderen, ähnlichen Veröffentlichungen (SM 5f); und in den Erwähnungen einzelner Elemente der jeweils folgenden Erzählung, denen insofern besonderes Gewicht zugemessen werden darf, als, fiktionsgemäß, Schelmuffsky sich in Widmung und Vorwort an die chronologische Reihenfolge der Ereignisse nicht mehr bindet, sondern frei auf das bereits entwickelte Material zugreifen kann. Tatsächlich wird mit der IndienEpisode und dem »Grossen Mogol« ein räumliches und politisch-soziales Extremum der Reisebeschreibung des ersten Teiles markiert und der übrige Verlauf der Reise, anhand seiner Stationen, knapp und vollständig resümiert (SM 5f); die Ankündigung aber bereits des zweiten Teiles ist fehlerhaft (SM 6): Italien und Polen zwar bilden sehr ungleich proportionierte Reisestationen (25 Seiten gegen einen Satzteil – SM 94–119), von den »Orientalischen Ländern und Städten« (SM 6) aber ist nichts zu lesen. Das dem Räuber Barth geltende, dem römischen SternGucker gewidmete Schmähgedicht des zweiten Teiles (SM 80) markiert nur eine, nicht eben herausgehobene Episode; und war die Angabe von Schelmerode als Druckort für die histoire noch plausibel (SM 1), Verknüpfungen mit Anfang und Ende der Reisebeschreibung bildend, verweist die Angabe »Gedruckt zu Padua eine halbe Stunde von Rom« (SM 79) zwar auf eine Station der nachfolgend gedruckten Reisebeschreibung, impliziert aber, streng genommen, eine

10 Nicht Teil der histoire der Fassung B hingegen wird die vorangegangene Fassung A.

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weitere Italienreise des Verfassers oder eine Veröffentlichung fern desselben, auf welche Bedingungen in dem entsprechenden Vorwort nicht eingegangen wird.11 Insofern scheint die Nutzung der mit der Titel-, Widmungs- und Vorwortfiktion gegebenen Möglichkeiten12 im ersten Teil besser auf die Form der nachfolgenden Reisebeschreibung abgestimmt, die Fiktionalisierung derselben folgerichtig. Andererseits verfügt der zweite Teil in der Entlarvung der gesamten (innerfiktionalen) Reisefiktion durch den Vetter Schelmuffskys (SM 87) und in der Begegnung mit dem, wie Schelmuffsky, Reisen erlügenden »Frembden« (SM 108) in Padua über zwei prominente, einheitsbezogene Elemente, die, vielleicht, die fiktionalen Paratexte ein Stück weit entlasten. Die abgekürzte Nennung des Buchtitels durch den Erzähler am Schluss beider Teile (SM 77, 120) jedenfalls ergibt sich unmittelbar aus der Fiktionalisierung des Titels; die Einbindung des typographischen Grenzsignales in den letzten Satz bleibt ohne Widersprüche und Komplikationen. Die Zuverlässigkeit der paratextlichen Vorstellung liegt im Falle des Schelmuffsky, so könnte man die Sache zuspitzen, in ihrer Unzuverlässigkeit. Im Carneval der Liebe kommt eine die Einheit des Romans nur bestätigende Zurechnung von Widersprüchen auf die Erzählerfigur nicht in Frage – mit ihnen bleibt der Leser allein. Es lohnt vielleicht, weil der Textsinn selbst nicht eindeutig ist, ein komplettes Zitat der vier Eingangssätze: ALles was dieses weite Rund der Erden in seinem Umfang heget, muß zwar dem Wechsel seinen gewöhnlichen Erbzins abgtragen, keine Creatur aber wird sich selbigen mehr 11 In der ersten Fassung A war als Druckort noch St. Malo angegeben worden: was, innerfiktional, noch die unwahrscheinlichste Angabe ist; vgl. Fechner: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen. Neue Forschungsaspekte zu Christian Reuter. In: Euphorion 76 (1982), S. 1– 26, hier: S. 17. 12 Geulen: Noten zu Christian Reuters Schelmuffsky. In: Wolfdietrich Rasch / Hans Geulen / Klaus Haberkamm (Hrsg.): Rezeption und Produktion zwischen 1570 und 1730. Festschrift für Günter Weydt. Bern/München 1972, S. 481–492, hier: S. 482, sieht in ihnen vor allem, durch die ironische Betonung ihres Wahrheitsgehaltes, eine Vorbereitung auf die folgende Lügengeschichte. Auch Müller: Einfallslosigkeit als Erzählprinzip. Zu Christian Reuters Schelmuffsky. In: Hans Esselborn / Werner Keller (Hrsg.): Geschichtlichkeit und Gegenwart. Festschrift für Hans Dietrich Irmscher zum 65. Geburtstag. Köln 1994, S. 1–12, hier: S. 4f, sieht die Paratexte als »deutliche Leseanweisung«, indem sie das Interesse des Lesers vom vorgeblich Erlebten auf die Figur verlagerten, deren Vorstellungshorizont der eigentliche Erzählgegenstand sei. Interessant ist, dass in den Inhaltsangaben etwa von Fechner (ders.: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen, S. 5f), Villon-Lechner (dies.: Der entschwindende Erzähler. Zur Selbstreflexion des Mediums in Christian Reuters Roman Schelmuffsky. In: Simpliciana VIII (1986), S. 89–96, hier: S. 90f) oder Meid (ders.: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung 1570–1740, München 2009 (Geschichte der deutschen Literatur. Hg. v. Helmut de Boor / Richard Newald. Bd. 5), S. 672f) die Veröffentlichung der Reisebeschreibung nicht eingebaut wird. Zum Verhältnis der angegebenen Druckorte und den wahrscheinlichen Umständen des tatsächlichen, von Reuter zu besorgenden Druckes, vgl. Fechner: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen, S. 17f.

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unterthänig machen müssen als ein Liebhaber. Der Anfang seiner Liebe ist insgemein mit Zucker-süsser Benzoe überzogen, das Amen aber hingegen schmecket nach lauter bittern Coloquinten. Und gewiß ein iedweder, der in Amors Schule gesessen, und seine Classen durchwandert, wird diesen Schluß, wofern er sich noch auf die ersten Zeiten seiner Liebe besinnen kan, vor mehr als gerecht halten; denn ob er gleich seinen erwünschten Zweck endlich erlanget, so wird er doch nicht läugnen können, daß ihm die Mißgunst, ehe daß er selbigen erreichet, im währenden Lauf viel Masquen in den Weg geworffen habe. Der wunder-volle Liebes-Lauff nachstehender Amanten, deren ehemals verwickelten Zufälle gegenwärtige Blätter der Welt vor Augen stellten, wird solches mercklich bekräfftigen. (CL 1)

Es gibt in diesen Sätzen ein glissando des propositionalen Gehaltes: die erste Regel, dass alles unter der Herrschaft des Wechsels stünde, wird, bei Festlegung nun der Reihenfolge des Glückswechsels, auf den spezifischeren Fall der Liebe appliziert; um auf die Bestätigung der neuen Regel – Liebesgeschichten begännen gut, endeten schlecht – durch in diesen Dingen erfahrene Zeugen setzen zu können, wird eine Konzession eingebaut: die Regel bestätige sich nicht notwendig in einem schlechten Ende, sondern es genüge dazu bereits, dass es im Verlauf der Liebeshandlung zu missgünstigen Täuschungen gekommen sei.13 Ist der Referent des letzten, die Exemplarizität der nachfolgenden Handlungen ausweisenden Pronomens die letzte Version oder Regel, lässt sich in der Tat kaum eine Liebeshandlung vorstellen, die zu ihrer Manifestation nicht erklärt werden könnte. Doch überraschenderweise liefert der Roman selbst, nachdem die ersten vier ausführlich geschilderten Liebeshandlungen, gemäß der zweiten Version oder Regel, schlecht geendet sind, in der fünften und abschließenden, nur einen Satz umfassenden Liebeshandlung zwischen Sylvander und einer adligen Witwe ein durchweg glückliches und maskenloses Exemplar.14 Nur über den »Amanten« Sylvander, der in der vierten Liebeshandlung bereits Saladines Liebender gewesen war, lassen sich die für die eingangs gegebene Definition notwendigen »Masquen« verknüpfen (besonders drastisch etwa die vorgetäuschte Schwangerschaft Saladines, CL 412f), so als müsse der Regel noch hinzugefügt

13 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln/Graz 1963, S. 94, zitiert zum Beleg seiner Feststellung, der Roman erhebe den unglücklichen Ausgang aller Begebenheiten zum Prinzip, nur die ersten beiden Eingangssätze und übergeht bei seiner Zusammenfassung den für Sylvander glücklichen Ausgang; dabei den Text in die Nähe des französischen Intrigenromans rückend. Noch etwas summarischer: ders.: Der galante Roman. Stuttgart 1961, S. 26f. 14 Das vollständige Zitat: »Sylvander aber war indessen von seiner Reise glücklich wieder auf seinen Gütern angelanget, und weil er wegen seines wohlverhaltens einen ansehnlichen Character mit sich brachte, auch von grossen Mitteln war, machte er sich an eine junge adeliche Wittbe aus einen vornehmen Hause, vermählte sich kurtz darauf, und führet mit selbiger noch biß diese Stunde eine höchst-vergnügte Ehe.« (CL 440)

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werden, dass ein Liebender, wenn er nur eine schwierige Liebeshandlung hinter sich habe, in einer nächsten nun geradewegs sein Ziel durchaus erreichen könne. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die letzte Liebeshandlung, in ihrer Regelwidrigkeit, einzeln gegen die durch die Eingangsstelle verbundenen anderen Liebeshandlungen zu stellen. Die sehr unterschiedlichen Elemente der Ankündigung und der letzten Liebeshandlung leisteten dann an den beiden Werkgrenzen auf je unterschiedliche Art eine Relationierung der wichtigsten Handlungsreihen: durch die metaleptische Nennung einer Gemeinsamkeit dieser vier Reihen zu Beginn; und durch die Unterscheidung einer weiteren Liebeshandlung von diesen vier Reihen gerade in dem in der Ankündigung genannten Gesichtspunkt zum Schluss.15 Ein solches Verfahren erscheint umso bedeutender, als die koordinierte Reihe der vier ersten Liebeshandlungen zwar Steigerungstendenzen aufweist, über eine eigene Stoppregel aber nicht verfügt. Eine konsequente Umstellung auf eine Beobachtung zweiter Ordnung provoziert alleine die auf die Defizite seines Verfassers hin transparente Mangelhaftigkeit des fiktionalen Entwurfs von Schelmuffsky.16 Beobachtet wird ein Missverhältnis der in der Reisebeschreibung zu erwartenden Varietät und der tatsächlich sich

15 Auch Simons betont eine im Ausgang der letzten Liebeshandlung liegende Umkehr – hier aber der Hoffnungen selber des Lesers, bedingt durch den Funktionswechsel Siradors. »Der Roman hat an dieser Stelle [nach der dritten Liebeshandlung Selimor-Scintille] immer noch Seiten frei, was es erlaubt, die Geschichte dessen zu beenden, der in der letzten als Feind agierte. Sirador heißt der junge Mann, dem man bislang nur ein Scheitern in allen seinen Wünschen wünschte. Nun aber müssen wir auf sein Glück hoffen, tun es und sind beglückt, da der Roman für ihn ein gutes Ende findet. Sirador heiratet eine reiche, junge Witwe und lebt mit ihr bis an das Ende seiner Tage – Hohn auf die höhere Gerechtigkeit?« (Simons: Marteaus Europa, S. 268) 16 Vgl. noch einmal, in aller wünschenswerten Deutlichkeit, Müller: Einfallslosigkeit als Erzählprinzip, S. 5: »Das Interesse muß sich deshalb vom vorgeblich Erlebten auf die Figur verlagern, deren Vorstellungshorizont der eigentliche Erzählgegenstand ist.« Der Befund kann aber als unbestritten gelten; vgl. ferner Fechner: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen, S. 10f, Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 673, Geulen: Noten zu Christian Reuters »Schelmuffsky«, S. 483, Villon-Lechner: Der entschwindende Erzähler, S. 92–95, Tatlock: Quixotic Marvel: Emesis and the Miscarriage of Subjectivity in Christian Reuter’s Schelmuffsky. In: James Hardin, Jörg Jungmayr (Hrsg.): »Der Buchstab tödt – der Geist macht lebendig«. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans-Gert Roloff. S. 297–320, hier: S. 310f. Der von Bergengruen in: ders.: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky. Zur Parodie des Reiseberichts und zur Poetik des Diabolischen bei Christian Reuter. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 126 (2007), S. 161–184, vorgetragenen Deutung von der teuflisch-sprachlichen Abstammung Schelmuffskys und den daraus resultierenden ödipalen Konflikten fehlt eine Zuordnung zu den Beobachtungsebenen: handelt es sich um Schelmuffsky bewusste Phänomene? Warum verschlüsselt er sie dann erzählerisch? Oder ist er ›wirklich‹, in der von Reuter verantworteten Fiktion, des Teufels Sohn, und gibt darüber unwillkürlich Aufschluss?

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aufdrängenden Redundanz,17 resultierend aus dem beschränkten lebensweltlichen oder bibliothekarischen Erfahrungshorizont eines Erzählers, der aber doch den Eindruck des Weitgereistseins mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln erwecken will. Beides, die Erfahrungsdefizite des Erzählers und sein Wille zu ihrer Transgression, wirken als produktive Beschränkungen dessen, was gesagt werden kann, und bleiben den gesamten Roman über wirksam, eine wohlaustarierte Mischung von Wahrscheinlichem und Unwahrscheinlichem hervorbringend.18 Ja hinzu kommt, als drittes, eine räumliche Einschränkung der vom Erzähler sich selbst gebilligten Freiheiten, die nämlich zu Hause, in Schelmerode, mit Folgen für die mögliche Handlungsführung – alle Beweise der spektakulären Reise müssen bis zur Heimkehr vernichtet sein –, geringer sind.19 Insofern ist auf dieser Ebene die Ostentation ästhetischer Autonomie, oder nur subjektiver Willkür der Erzählinstanz, gerade nicht zu erwarten. Sie besteht, wenn überhaupt davon in sinnvoller Weise gesprochen werden kann, in der Freiheit Reuters, seiner defizienten Erzählerfigur die Alleinherrschaft über seine Reisebeschreibung, ja über deren Publikation, inklusive der Paratexte, zu überlassen, sodass selbst seine Demaskierung nicht anders erfolgen kann, als durch ihn und zu 17 Müller: Einfallslosigkeit als Erzählprinzip, S. 7f, unterscheidet denn auch konsequent zwei Ebenen in der histoire: »Es ist offensichtlich, daß sich die Darstellung auf unspezifische, von lokalen Momenten unabhängige Standardsituationen beschränkt, und daß die Schilderung der vornehmen Welt stets durch ein triviales, grobianisches, unappetitliches Detail gebrochen ist. Solche Details betreffen auch die Lokalitäten, wenn etwa die luxuriös ausgestatteten Gesellschaftsräume (mit Gold, Silber und Edelsteinen ist nicht gespart) nur über baufällige Treppen nach Kaschemmenart zu erreichen sind.« 18 Vgl. mit einer beispielhaften Analyse der Tanzszene in Hamburg Geulen: Noten zu Christian Reuters »Schelmuffsky«, S. 488f. Auch Bergengruen: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky, S. 161–172, betont ja die diskursive Absicherung in der zeitgenössischen Reiseliteratur gerade der exotischsten, indischen Episode. Vgl. ferner Villon-Lechner: Der entschwindende Erzähler, S. 92. 19 Das Phänomen findet in der Forschung auffallend wenig Beachtung, obwohl es für die Bewertung der ›Entlarvung‹ durch den kleinen Vetter zentral ist. Ausführlich integriert es nur Klaus-Detlef Müller in seine Deutung von der Phantasiearmut Schelmuffskys als des zentralen Moments: die naive Selbstentlarvung – die der Bericht der Entlarvung durch den Vetter darstellt – sei kein Bruch des Erzählverfahrens und keine indirekte Autoreinmischung, »sondern Bestandteil der Figurenzeichnung. Die Substanzlosigkeit des Gegenständlichen führt dazu, daß Schelmuffsky jede konkrete Erfahrung variierend einbeziehen muß, um überhaupt erzählen zu können. So sind die missglückte Heimkehr und die familiären Spannungen, die den erneuten Aufbruch motivieren ebenso wie zuvor die glanzlose Jugendgeschichte die unverzichtbare Folie der Lügengeschichte, die von Reuter auf eine für den Leser kontrollierbare Weise aus der sozialen Existenz des Aufschneiders entwickelt wird und diese zur Anschauung bringt.« (Müller: Einfallslosigkeit als Erzählprinzip, S. 9) Bei der Beschreibung der Zeugenvernichtung vor der Heimkehr konstatiert Fechner: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen, S. 11: »Nach solcher systematischer Zurücknahme personaler wie objekthafter Zeugenschaft bleibt als Zeugnis nur die Literarizität des worthaft Berichteten übrig« – ohne die die Zurücknahme erzwingenden anderen Bedingungen in der Heimat zu explizieren.

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seinen auch sonst geltenden, zwischen Wahrscheinlichkeit und Fiktion manövrierenden Regeln; und mithin im vollständigen Verschwinden der eigentlich verantwortlichen Instanz hinter ihrer der Korrektur dringend bedürfenden Erzählerfigur.20 So gesehen fehlen im Schelmuffsky in beeindruckender Konsequenz Durchstiche zu einer der histoire insgesamt souverän gegenüberstehenden Beobachtungsebene.21 Sie gibt es im Korpus – der Begriff der narrativen Metalepse greift hier22 – in verschiedener Ausprägung. Interessant würden sie, im Sinne eines Verweises auf die Einheit des Werkes in einem seiner Elemente, wenn auf der erreichten Ebene ein Vertreter dieser Einheit anzutreffen wäre – seis in Form des Erzählers, dessen souveräner Wille über die Hervorbringung der histoire insgesamt verfügte, seis in Form einer dem Roman insgesamt eignenden Lehre. Der Carneval nähert sich, mit den beschriebenen Unschärfen, der letzten Variante noch am ehesten an, hat aber mit der Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit beständiger Liebesbeziehungen, die man, die wenigen reflexiven Passagen (AU 91f, 101–105) mit der beschriebenen Schlusswendung zusammengenommen, für den Amor unterstellen könnte, die Trivialität, das heißt die mangelnde Einschränkung dessen gemein, was zu ihrer Beantwortung oder zur Exemplifizierung der Regel zu erzählen wäre. Umgekehrt sind die didaktischen Metalepsen der Romane Welt, Höfe, Satyrischer Roman, Reise und Adelphico23 zu eng an die jeweils kommentierte oder verallgemeinerte Situation gebunden, um noch auf einen Fluchtpunkt der gesamten histoire zu verweisen.24 Tatsächlich kommen verschiedene Verfahren zum 20 Dies in Abgrenzung zu Villon-Lechner: Der entschwindende Erzähler, S. 94, die ein SichEntziehen ins Unfassbare schon der Erzählerfigur zuschreibt. 21 Schelmuffsky, wohlgemerkt, flicht in seine Erzählung Metalepsen durchaus ein; vgl. etwa SM 115: »Derselbe Stern-Gucker war ein vortreflicher Calendermacher / er lernete mir dieselbe Kunst auch / ich habe auch sehr viel Calender gemacht / welche noch alle geschrieben unter der Banck liegen / und treffen doch der Tebel hohl mer noch bißweilen ziemlich ein. Solte ich wissen / daß Liebhaber darzu möchten gefunden werden / wolte ich mit der Zeit etwan einen herfürsuchen / und zur Probe heraus geben. Doch kommt Zeit / kömmt Rath.« 22 Vgl. Genette: Figure III. Paris 1972, S. 243–245. 23 13 Elemente in der Reise: RE 294, 299–303, 314f, 321f, 325, 329f, 331f, 339, 350, 351, 362f, 391f, 396. 13 Elemente in der Welt: VW I/11, 16, 54f, 80f, 82f, 134, 138, 150, II/3–5, 101–103, 116, 143f, 158. 11 Elemente im Adelphico: AP 11f, 22f, 27, 28f, 59, 60, 62, 70, 92f, 115. 11 Elemente in den Höfen: EH 13, 13, 17, 213, 274f, 278, 279, 280, 537–539, 577f, 798f. 3 Elemente im Satyrischen Roman: SR 73, 126, 214f. 24 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 98f, geht auf das Phänomen mit Blick auf den Bellerophon des Ethophilus aus dem Jahre 1743 ein, hier allerdings eine vollständige Verselbständigung der Didaxe konstatierend. »Die einzigen Fremdkörper in diesem nachgeborenen höfisch-historischen Roman sind die zahlreich eingestreuten, durch Fettdruck herausgehobenen moralisierenden Erläuterungen, die manchmal einer der Romanfiguren in den Mund gelegt, öfter noch vom Autor ausdrücklich angefügt werden.« Das Fazit:

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Einsatz, die gleichzeitig die rasche Erfassung der didaktisch verwertbaren Stellen und ihre zwanglose Einarbeitung in den sonst der histoire unmittelbar zugewandten Text gewährleisten: das sind die typographische Hervorhebung durch den Fettdruck;25 die argumentative, über Konjunktionen bewerkstelligte Eingliederung in das textliche Umfeld, das heißt die gerade aktuelle histoire;26 und das ist die Verteilung so markierter und eingebundener Passagen nicht alleine auf die extradiegetische, metaleptisch die histoire unterbrechende Erzählstimme, sondern auch auf Figurenreden, und auch, in Form von Metalepsen zweiten Grades, auf die metadiegetischen Erzähler.27 Den Raffinirten Statist durchziehen paargereimte Spruchweisheiten, die, entsprechend, dem Erzähler und Figuren

»das Schema des höfisch-historischen Romans ist zur leeren Hülse geworden, zum bloßen Vorwand und zur dekorativen Einkleidung für didaktische Absichten, die keinerlei organische Beziehung zu ihm haben.« – Steigerwald: Galanterie. Die Fabrikation einer natürlichen Ethik der höfischen Gesellschaft (1650–1710). Heidelberg 2011, S. 395–398, 411, der überhaupt in seiner Studie zu Hunolds Romanen auf die Erzählstimme differenziert eingeht, sieht, in der Verliebten und galanten Welt, in den Unterbrechungen Heraldos und Charlottes durch den Sturz Charlottes, den Donner und den Fall Fridelos noch gezieltere, ›korrigierende‹ Eingriffe des Erzählers in die histoire. 25 Nicht in den Romanen Adelphico und Reise: der Adelphico ist funktional, als Lob seines Titelhelden, anders ausgerichtet, die Reise hingegen, als unmittelbarer Teil der Manier Höflich und wohl zu Reden und Leben, muss die didaktische Funktion nicht erst noch markieren; hier kommt es auch zu direkten, abkürzenden Verweisen auf das umliegende Werk: »Wie die Abschieds-Complimenten bey seiner Inclination gefallen, ist hier zu erörtern nicht mein propos, indem besonders von der Conversation mit Frauenzimmer wird gehandelt werden.« (RE 350) Zu beachten ist für die übrigen Romane die Verwendung derselben Art von Markierung mindestens auch für wörtliche oder indirekte Redewiedergaben. Implizit werden durch diese Überschneidung die wiedergegebenen Repliken der Aneignung und Nachahmung empfohlen – allerdings nicht immer, wie auch die Markierung durch den Fettdruck nicht zwingend gegeben ist (zum Beispiel: SR 73). 26 Ein Beispiel aus der Verliebten und galanten Welt: »Doch hätte sie gewust / wie er indessen bey einer andern seine Gunst verspielet / sie würde sich kein so vortheilhafftes Concept von seiner Ergebenheit gemacht haben. | Allein es ist unnöthig / daß das Frauenzimmer alle LiebesAngelegenheiten ihrer Amanten weiß; Denn wie die wenigsten gar zu getreu / so würde es derjenigen Vergnügung nur Abbruch thun / die sie sich von ihrer Unschuld machen. Merine war ihrer Meynung nach hierinnen auch glücklich / und die Begierde nach einem so verpflichteten Liebhaber erweckte bey ihr den Entschluß / ihn in kurtzen schrifftlich zu citiren.« (VW I/80f, der Fettdruck im Original). 27 Die vollständige Reihe didaktisch-reflexiver Passagen der Verliebten und galanten Welt umfasst demnach 43 Elemente, hinzukommend zu den oben gelisteten 13 Elementen Elemente auf den Seiten I/41–43, 48f, 52f, 61, 90f, 101f, 105, 110, 120f, 167–172, II/7–15, 20–22, 27f, 30, 35, 35f, 42–45, 48, 49f, 51f, 58, 68, 78f, 87, 95–97, 117–120, 127–137, 144–146, 175–181. Ein Beispiel aus den Höfen illustriere die Beweglichkeit des Instruments: »Unter Weges / da Gustavus nach dem Ober-Rheinstrom zu seinem Herrn Vater Wittekindo gieng / vertrieb er sich mit Lesung einiger Geschichts-Beschreibungen die Zeit / wovon er ein überaus grosser Liebhaber war. Er schätzte diejenige deswegen Ruhm-würdig / welche den Ruhm anderer durch Beschreibung erhalten / und so reine Spiegel abgeben / darinnen die Augen der Nachwelt die Schönheit und Flecken der Helden erkennen können.« (EH 277, der Fettdruck im Original).

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zugerechnet werden können.28 Greift der Erzähler ersten Grades zu einer ausdrücklichen, also pronominalen Selbstbezeichnung, ist die Bindung des Verfahrens an bestimmte, konventionell dafür vorgesehene Gelegenheiten so stark und so offensichtlich, dass von der Erzählerinstanz her ein eigenständiger, freierer Zugriff auf die histoire nicht zu imaginieren ist: das sind örtliche Wechsel, Wechsel der in den Fokus gerückten Figur oder Zeitsprünge29 und auf eine erhöhte erotische Intensität reagierende, oder sonst eine Auslassung entschuldigende Figuren der Retizenz.30 Im Adelphico, der in die Synchronisation des temps de l’histoire und der Erzählgegenwart mündet,31 dessen Erzähler also ausdrücklich der erzählten Welt auch angehört, begegnen schließlich zwei besonders eklatante Transgressionen der Erzählebenen: als eine Amplifikation der fingierten ›Ortswechsel‹ des Erzählers kann betrachtet werden, wenn dieser, zum Mitvollzug des Ortswechsels einer Figur, so tut, als müsse er seine Begleitung bei ihm erst anmelden, als müsse sie erst gestattet werden;32 und zur Hochzeit Cassandres steuert er selbst »aus tiefen Gehorsam« (AP 96) einen gereimten Glückwunsch bei.33 28 48 werden als Verse im Druckbild abgesetzt, charakteristisch ist aber, dass auch die Prosa gelegentlich ins Reimen fällt. 29 Vgl. AU 106, LA 113, 227f, 328, 334, EH 212, 742, AP 26, 30, 45, 51, 93, 114, 118, 141. Zu dem Phänomen vgl. Bernd Häsner: Metalepsen: Genese, Systematik und Funktion transgressiver Erzählweisen. Diss. Berlin 2005. Zu vergleichbaren Fällen bemerkt er (ebd., S. 39), dass »die paradoxalen Sinnressourcen eines strukturell bereits metaleptischen Erzählens stumm oder neutralisiert bleiben. Den Grund wird man darin sehen dürfen, daß in diesen noch diskret semantisierten transgressiven entrelacement-Formeln die integrative und vergegenwärtigende Funktion das paradoxe Sinnpotential gleichsam unter Kontrolle hält; in den Begriffen der Rhetorik können diese Formeln als eine dem aptum erzählerischer elocutio noch genügende Ausgestaltung des Erzählakts gelten: Die spatialisierende Erzählmetaphorik bleibt auf ihre erzählrhetorische und dispositionell-integrative Funktion hin transparent und ist mit dieser zu verrechnen – der Funktion eines Appells an die Imaginationsbereitschaft des Lesers, das Geschehen als ein Quasi-Gegenwärtiges und solchermaßen die Segmentierung und ›Logik‹ des Diskurses diktierendes zu konzipieren.« Das Fehlen von Strangwechsel-Metalepsen in der Römischen Octavia dürfte, als Ausweis der kausalen Kohärenz ihrer histoire, folgende Vermutung Häsners (ebd., S. 103, Anm. 156) bestätigen: »Der Einsatz expliziter narratorialer Integrationsformeln als ›Scharnieren‹ einer vielgriedrigen und figurenreichen histoire dürfte sich aber gerade dann aufdrängen, wenn deren Textur prinzipiell inkohärent und ihr Zusammenhalt eher additiv als handlungslogisch motiviert ist.« 30 Vgl. SR 197f, 199, 203, 206, VW I/192, II/151, 158, LA 159, EH 1215, AP 3, 4, 70, 93f, 147. 31 Vgl. den Schlusssatz, AP 152: »Welcher nunmehro würcklicher Sub-Vice–Commendant von Petralto genennet wird.« 32 Vgl. AP 93: »Wir wollen vor dieses mahl Adelphico und Aspasien zu Petralto lassen / und uns als Reise-Gefehrten bey Cassandern anmelden / ob wir die Erlaubniß haben mit nach Lignose zu reisen / damit wir der verliebten Amoenen eine Visite geben können. Cassandre schläget unsere Bitte auch nicht / als ein höflicher Herr / ab.« 33 Es wäre wohl unpassend gewesen, Musano, der den Autor sonst im Roman ›vertritt‹ (vgl. Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso, der Autor des »Adelphico«? Zur Verfasserfrage und zum Gattungsproblem eines galanten Romans. In: Gerhart Hoffmeister (Hrsg.): Europäische

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Neben der metaleptischen oder paratextlichen Explikation einer Verlaufsregel des discours gibt es Möglichkeiten zu ihrer camouflierenden Einarbeitung in die histoire. In der Reise einer höflichen und geschickten Person begegnet der seltene Fall, dass die Hauptfigur im Rahmen ihrer die Romanhandlung anstoßenden, einleitenden Überlegungen einen Plan fasst, der für den weiteren Verlauf verbindlich bleibt.34 Sonst müssen stärker verstrickte Romanfiguren, wollen sie Einsicht in den zukünftigen Handlungsverlauf gewinnen, eine die einzelnen Intentionen der Akteure transzendierende Autorität adressieren, deren Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit histoire-intern diskutiert und extradiegetisch, vom Autor oder Leser, festgestellt werden kann. Arione traut dem Echo nicht, das ihr in der Eröffnungsszene der Europäischen Höfe, im Nachklang aller vier Strophen ihrer Arie, den nahe bevorstehenden, nämlich morgigen Glückswechsel prophezeit (EH 6–8),35 und daraus ergibt sich eine schöne funktionale Aufteilung der Prophetie: in der Unmittelbarkeit der Szene motiviert sie, indem das notwendige Widerbild der Klage, der erwünschte Zustand, kurz Substanz gewinnt, einen dreiteiligen Affekt-Zyklus, der der Szene Geschlossenheit verleiht; als glaubhafte Information aber bleibt sie in der histoire ohne Wirkung und ganz dem Leser vorbehalten.36 Später im Roman begegnet, wenn Gustavus ebenfalls Tradition und deutscher Literaturbarock. Internationale Beiträge zum Problem von Überlieferung und Umgestaltung. Bern, München 1973, S. 449–469, hier: S. 460–463), auch, wie die Schlusscantate (AP 148–152), diesen Glückwünsch in den Mund zu legen. – Vgl. auch die zutreffende Bemerkung Singers: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 118: »Es entspricht dem unernsten, ironisch-verspielten Charakter dieses Romans, daß die plaudernden Zwischenreden des Erzählers hier besonders ausgebildet sind.« 34 Dabei geht es allerdings nur um die, auf zufällige Begegnungen ja geradezu getrimmte, Reiseroute zunächst zu deutschen, dann erst zu ausländischen Höfen (RE 291). Rose: Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin/Boston 2012., S. 311, sieht in dem itinéraire Seladons die adlige Kavallierstour »behutsam an bürgerliche Lebensumstände angepaßt: […].« 35 Simons: Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. Amsterdam/Atlanta 2001 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Bd. 52)., S. 254f, beschreibt die gesamte Szene als typisch opernhaft; durch das Echo werde »auf die Handlung vorbereitet, die wie in (fast) jeder Oper auf ein festliches Ende hinausläuft.« 36 Wieland spricht von einer ähnlichen Konstellation am Beginn des Singspieles »Alceste, in einer Opera, mit Kurfürstlich Sächsischer Verwilligung auf dem neu erbauten Schauplatze zu Leipzig in der Ostermesse des 1693. Jahres vorzustellen« (Wieland, Christoph Martin: Über einige ältere deutsche singspiele die den Namen Alceste führen. Ein Beytrag zur Geschichte der Sprache und Litteratur der Deutschen in der zweyten Hälfte des XVIIten Jahrhunderts bis gegen das zweyte Viertel des XVIIIten. Aufgesetzt im Jahre 1773. In: ders.: Sämmtliche Werke. Sechs und zwanzigster Band. Singspiele und Abhandlungen. Leipzig bey Georg Joachim Göschen. 1796. Nachdruck Hamburg 1984, S. 269–320, hier: S. 274) – einer Übersetzung einer Oper von Aurelio Aureli –: »Im ersten Auftritte sehen wir, im königlichen Gemach, den Admet bettlägerig. Lesbus, sein Liebling, schläft und träumt neben ihm. Der König sucht sich eine Erleichterung seiner Schmerzen durch eine Arie zu verschaffen. Lesbus im Schlaf singt mit;

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ein bevorstehender Glückswechsel angekündigt wird, eine merkwürdige Kombination und Aufeinanderschichtung von Geltungskriterien: Reinald ist natürlicherweise in Kenntnis der Entführung Siliberts und es liegt nahe, dass er Gustavus davon, um die Rettung des Freundes zu befördern, Mitteilung machen will; er ist aber von Adina, mittels der giftigen Dämpfe in Pozzulo und einer von ihr verabreichten »Artzeney« (EH 909), der Vernunft beraubt worden, und hat, in diesem Zustand, von einem mutmaßlich losen Studenten »alle die Bärenheutereyen / damit man abergläubischen Leuten die erste blaue Dunst vor die Augen machet / wenn sie uns in der Zauber-Kunst vor erfahren halten sollen« (EH 911), gelernt. Als Zauberer also macht er bei einer zufälligen Begegnung in Denaruta Gustavus die handlungsentscheidende Mitteilung (EH 774–777) mit einem leichten prophetischen Überschuss: wenn Gustavus seinen Freund rettete, werde er glücklich werden, werde er, nach Besiegung seiner Feinde (EH 777), seine »Liebe auf lauter Rosen des Vergnügens betten« (EH 775). Für diese Konditionalisierung des guten Ausganges und die Andeutung einer vorausgehenden Kampfhandlung allein, so scheint es, war die doppelte Zurichtung Reinalds zum prophetischen Medium notwendig, auch hier aber kontrastiert die Zuverlässigkeit der Information, die der Leser feststellt, mit dem in die histoire gelegten Bestreben, die Etablierung einer zuverlässigen Informationsquelle über den Handlungsverlauf für die Romanfiguren dennoch zu unterbinden: so wenig Arione am nächsten Tag ihre Skepsis gegenüber dem Echo revidiert, so wenig sehen sich Gustavus und seine Freunde zu einer Revision ihres Urteils über die Zauberkunst genötigt, als alles so gekommen ist, wie vorhergesehen. Im Satyrischen Roman übrigens wird dann nicht nur die histoire-interne Würde prophetischer Praktiken diskreditiert, sondern auch ihre kompositorisch-proleptische Funktion getilgt.37

und daraus entsteht eine Art von possierlichem Duett; denn Lesbus, dem von Wiedergenesung des Königs träumt, singt grosse Freude, und der König, der in Schmerzen liegt, beklagt sich über grosse Plagen.« (Ebd., S. 278f) Und ebenfalls eine antithetische, expositorische Funktion ordnet Hans Geulen: Erzählkunst der frühen Neuzeit. Zur Geschichte epischer Darbietungsweisen und Formen im Roman der Renaissance und des Barock. Tübingen 1975, S. 75f, dem Tyridates sich bietenden Rom-Panorama zu: »Der Bedrängnis verwirrender Zustände steht die Möglichkeit des vollkommenen Rundblicks, der olympischen Überschau gegenüber; das wiederum impliziert die epische Vorausdeutung vollkommener Aufklärung des jetzt noch Ungeklärten, […].« (S. 76) 37 Der Befund bei Hans Wagener: Vorwort, SR 23*; Fischer: Ethos, Konvention und Individualisierung. Probleme des galanten Romans in Chr. F. Hunolds Europäischen Höfen und im Satyrischen Roman. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 63 (1989), S. 64–97, hier: S. 96; Werner: Erzählte Zeiten im Roman der Frühen Neuzeit. Eine historische Narratologie der Zeit. Berlin/Boston 2018, S. 96–99. Lukas Werner führt als Belege das Handlesen des lindenfeldischen Studenten an (SR 42–45), das ihm zur Verdrängung des Liebhabers der Kaufmannsfrau verhilft und die astrologischen Schriften,

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Warum überhaupt an dieser Stelle auf Prophezeiungen geschaut wird, mögen die von Haslinger bemühten Beispiele aus den Aithiopika Heliodors, der Assenat Grimmelshausens und, vor allem, der Asiatischen Banise Ziglers verdeutlichen:38 jeweils werden in leicht verrätselter Form Handlungsziel und wenige darauf hinführende Schritte gegen Anfang des Romanes vorgestellt; der Eintritt auch des letzten prophezeiten Ereignisses fällt mit dem Romanende zusammen. Die Orakelsprüche, durch ihre Versform und die paraphrastischen Figuren vom übrigen Text abgesetzt, bieten, auf Grundlage derselben histoire, einen alternativen, einen Miniatur-discours, der, dank der in dem winzigen Maßstab zwangsläufig hohen Selektivität und dank seiner Übersichtlichkeit, über die Verlaufsbedingungen des eigentlichen discours zuverlässig informiert. Seine Wirkung verdankt dies Verfahren seiner einmaligen Anwendung und seiner Platzierung etwas hinter den Beginn des discours.39 In der Römischen Octavia kommen von den insgesamt 69 prophetischen Elementen40 in diesem Sinne nur zwei in Betracht: der Weltweise Cosdroes bindet Tyridatens Erlangung der medischen und parthischen Krone offenbar – der Leser wird nur indirekt, durch die Folgerung Vononens informiert41 – an dessen Beförderung zunächst des Vologeses und Pacorus (RO I/94f). Die in Aussicht gestellte Ereigniskette ist also: Tyridates muss die ihm angetragene Königswürde

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die für Selander und Tyrsates lediglich als Vorlage für eine »Application in Versen« (SR 146) mit werbender Intention taugen. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman. Anton Ulrichs Romane als Modell. München 1970, S. 221–223. Vgl. Mazingue: Anton Ulrich. Duc de Braunschweig Wolfenbüttel (1633–1714) un prince romancier au XVIIème siècle. Berne 1978, S. 692: »Les prophéties et prédictions sont utilisées, comme le veulent la tradition et la convention romanesques, et indépendamment de toute idée religieuse, pour jalonner l’intrigue: […].« Konventionell ist also gerade die kompositorische Funktionalisierung, ›neu‹ wäre, gesehen etwa von der Entstehung der ersten deutschen höfisch-historischen Romane her, die präzisere, gewissenhaftere religiöse Begründung prophetischer Leistungen. Vgl. auch ebd., S. 701, Anm. 1. Wie immer, wenn nicht anders vermerkt, in den sechs Bänden der Fassung B. Die Stellen: RO I/15f, 94f, 111, 702, II/319f, 336, III/89, 114, 145, 284, 285, 326f, 344, 365, 668, 852, 894–897, 921, 923, 931–933, 935, 936, 940, 950, 954, 981f, IV/67, 183, 204, 207, 254, 254, 255, 321f, 348, 348, 437, 666, 717, 756, 804, 839, 839, 843, 904f, 905, 932, 932f, 943, 944, V/180, 205, 335, 686f, 705, 745, VI/220, 462f, 484, 484f, 517, 562f, 573, 648, 668, 700, 735, 750, 780. Es lohnt vielleicht, in Gegenüberstellung zu den von Haslinger angeführten Beispielen, das vollständige Zitat: »Es triebe seine [Tyridatens] unvergleichliche Großmuth und Tugend ihme zwar wohl eines Theils [für Vologeses sich einzusetzen] / jedoch aber auch ein heimlicher Befehl von dem sterbenden Könige Vonones dazu / der kurtz für seinem Ende den Printzen in Beyseyn seiner Frau Mutter und des Cosdroes für sich kommen liesse / und durch dieses Weltweisen Propheceyung dazu bewogen war geworden / dem Tyridates durch einen theuren Eyd dahin zu vermögen / alles anzuwenden / daß Vologeses die Parthische / und Pacorus die Medische Kron erlangte / welche beide Reiche zu seiner Zeit dem Tyridates nicht könten entstehen / wann er nur diesmahl seinen beiden Brüdern darunter behülfflich seyn würde.« (RO I/95)

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in beiden Reichen ablehnen und die Erhöhung seiner Brüder durchsetzen; Vologeses und Pacorus müssen ihrer Königswürde verlustig gehen, dann wird Tyridates ihr Nachfolger. Das Ende der Fassung A entspricht diesen Vorgaben: die ›Beseitigung‹ von Tyridatens Nebenbuhler und politischem Gegner Pacorus und die Übernahme der medischen Krone bereiten keine Probleme – sie wird auch in der Fassung B übernommen, in der Vologeses allerdings den Giftanschlag Vardanens und des pontischen Nero überlebt, die beiden Komponenten der Erfüllung also auseinandergezogen werden müssen. Natürlich ist eine Erneuerung der Rochade des Finales der Fassung A am hypothetischen Ende der Fassung B denkbar: das Problem, dass Vologeses, anders als Pacorus, einen legitimen männlichen Erben vorzuweisen hat, den Tyridates auch und ohne Aggression verdrängen muss, war dort durch die Verfügung des sterbenden Partherkönigs gelöst worden, in der er »den König Tyridates zu seinem nachfolger im reich ernennet / zur erkänntlichkeit / daß der ehmalen ihm den Parthischen thron erworben hätte / wobey er dann den König von Armenien bitten lassen / sein bißher beherrschtes reich dahingegen dem Artabanus zu überlassen« (RO A VI/1016). Gerade die Nebenhandlung um Vologeses und seine widersinnige Liebe zu Claudia kommt auch in den weitest fortgeschrittenen Aufzeichnungen des Herzogs und jenseits selbst der erfolgten Hochzeit des Hauptpaares zu keinem befriedigenden Abschluss und kann, in ihrer schwierigen Anlage, für die Verhinderung des Romanabschlusses insgesamt haftbar gemacht werden.42 Ob die Prophezeiung des Romanbeginns auf diese Textschicht noch einen kompositorischen Druck übt, kann also nur gemutmaßt werden; half jedenfalls das zeitliche Zusammenfallen beider Krönungen am Textende der strukturellen Asymmetrie ab, die durch die unterschiedlichen Charaktere und Funktionen beider betroffenen Könige entstand, bedeutet das Auseinanderziehen der Erfüllung eine Betonung der Asymmetrie und, durch die Loslösung einer Erfüllungskomponente von der zweiten Textgrenze, eine Schwächung der integrativen Funktion der Reihe insgesamt. Komplementär bezieht sich die andere Prophezeiung – eigentlich eine Verfluchung – auf die Hauptliebeshandlung: Zenobia die Ältere wünscht Tyridates vor ihrem Tode, selber ungeliebt, »daß er dereinst die Gewalt der Liebe völlig entfinden / und daß es ihm darüber gantz wiederlich ergehen möchte« (RO I/111). Das ist zu allgemein gesprochen, und deckt sich überdies mit den an die Gattung ohnehin gerichteten Erwartungen des Lesers, als dass es im obigen Sinne als Selbstbezeichnung gelten könnte. Tyri42 So argumentiert Stephan Kraft: Geschlossenheit und Offenheit der »Römischen Octavia« von Herzog Anton Ulrich. »der roman macht ahn die ewigkeit gedenken, den er nimbt kein endt.« Würzburg 2004 (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft, Band 483), S. 150f. Vgl. auch ders.: Ein Fürst, ein Philosoph und ein Roman. Herzog Anton Ulrich und Gottfried Wilhelm Leibniz im Gespräch über »Die Römische Octavia«. In: ossa leibnitii. 10. und 11. Leibniz-Festtage 2013/2014, S. 99–120, hier: 118f.

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dates verliebt sich bald darauf tatsächlich (RO I/118f), die Schwierigkeiten nehmen ihren Lauf – gerade auf die Bedingungen für deren Beendigung aber wäre es angekommen. Bei grundsätzlich ermöglichtem Zugriff auf ein Verlaufswissen also, und trotz einer verfahrensgerechten Platzierung zweier Prophezeiungen mit der ›richtigen‹ Bezugsgröße – dem Haupthelden in beiden Handlungsbereichen –, mangelt es dem Roman doch an der gleichsam, im Sinne eines Schmuckstückes, ›gefassten‹ Miniatur seiner selbst. Viele der übrigen Prophezeiungen beziehen sich dann auf den dem Leser ohnehin bekannten, historischen Verlauf, bestätigen also die implizite Vorgabe an die histoire des Romans, da, wo historiographische Zeugnisse vorliegen, von diesen nicht abzuweichen.43 Einige andere werden, im Rahmen etwa einer Geschichte, so schnell erfüllt, dass sie erwartungsbildend kaum wirken können.44 Etwas vereinzelt steht, mitten im vierten Band, die Prophezeiung Phraortens über Ariaramnens baldigen Tod (RO IV/348) und auffällig ist die häufige Wiederholung der von Sulpitia Prätextata missverstandenen Prophezeiung, sie werde einen alten Kaiser heiraten.45 Ansonsten besteht eine prophetische Drift hin zu den Enden der beiden Fassungen, verbunden mit einer zunehmenden Problematisierung des Kurzschlusses von providentiellem Verlaufswissen und kontingenter Handlung.46 Weitgehend auf das Finale der Fassung A, die scheiternde Entführung Octavias und Parthenias durch Pacorus und ›Nero‹,47 beziehen sich die prophetischen Auslassungen des Phraortes,48 in denen eine Handlungsalternative für ihn und Daria durchaus schon eingebaut ist, den selbst ein schwieriges Verhältnis zu seiner Sehergabe kennzeichnet: dank ihr weiß er, dass er mit Daria in Ruhe würde leben können, wenn er seiner Liebe zu Octavia sich entschlüge; dank ihr weiß er, dass er gerade dazu nicht in der Lage sein wird.49 Den Fokus seiner Prophetie 43 Hier geht es vor allem um Abfolge und Schicksale der römischen Kaiser; die Prophezeiungen sind teilweise selbst historiographisch belegt; viele von ihnen beziehen sich auf Ereignisse weit jenseits des für die histoire erwartbaren zeitlichen Rahmens: vgl. RO I/15f, 702, II/319f, III/89, 114, 284, 285, 326f, 344, 365, 668, 852, 921, 923, 940, 950, 854, 981f, IV/183, 204, 207, 321f, 437, 484, 666, 756, 804, 839, 843, 932, 932f, V/335, VI/220, 562f, 573, 648, 700, 750. 44 Teilweise: RO I/94f, III/163, 931–933, 940; vollständig II/319f, III/284, 285, 326f, 935, 950, 954, IV/908f, V/705, VI/485. 45 RO III/668, 921, IV/321f, 839, VI/484, 562f – sie heiratet Coccejus Nerva auf Seite RO VI/562f, der zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht Kaiser ist. 46 Vgl. Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 142–155, und ders.: Ein Fürst, ein Philosoph, ein Roman, S. 116–120. 47 Die einfachen Anführungszeichen bedeuten, wenn sie Personal der Römischen Octavia markieren, hier und im Folgenden die aktuell von den jeweiligen Figuren geführten, aber falschen Namen. Die wichtigsten: ›Nero‹=pontischer Nero oder Claudia; ›Jubilius‹=Beor; ›Drusus‹=Italus; ›Italus‹=Drusus. 48 RO III/894–897, 923, 931–933, 936, IV/348, 717, V/180, 686f, 745. 49 Vgl. Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 146f; er zitiert RO V/975f.

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bildet letztlich – er selber; er ist es, der an dem besagten Tage sein Leben beschließt und weit davon entfernt, die Abgelöstheit des Verlaufswissens zu repräsentieren, wird er vom Leser, mitsamt seiner Wahrsagung, eher als eigenständiges, in sich verschlungenes Phänomen verfolgt, als für die Stellvertretung einer dem Roman insgesamt gegenüberstehenden Instanz gehalten werden.50 Wenn in der dritten Textschicht, entgegen dieser Tendenz, die Prophetie in die Immanenz der Handlung zu bannen, ein Orakelspruch in seinem Desinteresse und seiner Abgelöstheit noch einmal inszeniert wird, dann nur einhergehend mit einem Abstraktionsschub und einem Einbau von Kontingenz in den Ausspruch selber. Beides gehört zusammen: schon die Prophezeiung des Cosdroes, schon die Prophezeiungen des Phraortes hatten Handlungsalternativen, im Sinne für die Erfüllung der Prophezeiung notwendiger Bedingungen genannt: Cosdroes verfolgte nur einen Pfad, Phraortes stand in der Alternative, seine Liebe zu überwinden, ein eigenwertiges anderes, ja das präferable Handlungsziel vor Augen. Das Carmel-Orakel prophezeit zunächst »unüberwindlich scheinende Verwirrungen«; dann aber, »daß, obschon der Schluß des Himmels unwandelbar scheinen sollte, derselbe jedennoch sich werde lenken lassen, wenn die wahre Vernunft für andern Gemütsbewegungen den Vorzug wird behalten«; abschließend: »wenn nicht eigenwillige Menschen freventlicher Weise es werden verhindern.«51 Der Bezugsrahmen der Prophezeiung ist örtlich definiert: »auf deinen Gränzen, du heiliger Berg Gottes!«, den zeitlichen Bezugsrahmen muss, in der histoire, die Konkretisierung der geschilderten Abfolge von Verwirrung und neuer Glückseligkeit erst ausmessen; Stephan Kraft aber formuliert unbemerkt, was für den Leser gilt, wenn er sagt, das Neue bestünde darin, »daß der Ausgang der Geschichte hiernach zu allererst in den Händen der Menschen selbst liegt.«52 50 Vgl. die Einschätzungen zu dieser Figur bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 698: »Celui-ci, qui possède le don de prophétie et sait que son amour pour Octavia sera toujours malheureux, se refuse pourtant à utiliser sa science de l’avenir; il assiste, volontairement impuissant, aux événements que le conduisent inexorablement à sa perte. Trop sage, ou trop désabusé pour s’engager dans l’intrigue et l’action, il est en même temps trop pénétré de son amour pour s’élever au-dessus des événements. Il incarne une sorte de fatalisme mélancolique qui apporte une note tout à fait originale et ce personnage, secondaire dans l’économie du roman, est attachant.« Interessant sind die Ähnlichkeiten der Figur mit Velleda – vgl. ebd., S. 707: »bien qu’elle se range dans le camp des intrigants et des tyrans, dans le camp de Pacorus, de Crispina et de Néron l’Imposteur, Velleda incarne une certaine sagesse, qui n’est pas sans s’apprenter à celle de l’Oriental Phraortes, encore qu’elle se situe à un niveau inférieur.« 51 Zitiert bei Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, 147f, und bei Munding: Christentum als absolute Religion und religiöse Toleranz in der späten ›Octavia‹ und im Leben Anton Ulrichs zu jener Zeit. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta‹. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 105–133, hier: S. 119f. Die Quelle bei Munding ist: »Der Römischen Octavia Siebender Theil, Korrekturbogen und Reinschrift, Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel: Cod. Guelf. 194 Extrav., S. 27–29.« 52 Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 148.

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[Hervorhebung durch mich, S.W.] Tatsächlich formuliert das Carmel-Orakel im Roman, was als generische Voraussetzung für den Roman immer schon gilt: ›Wenn die Guten sich bewähren und die Schlechten es nicht verhindern, geht die Geschichte gut aus.‹ Kontingent scheint von dieser Formel her nicht so sehr der gute Ausgang: dagegen spricht der vorweggenommene Jubel und die Angabe der Alternative in der Form bloßer Negation; sondern alles, was auch dem Leser, der der Gattung traut, noch ungewiss ist, und worüber er von dem Orakel sich Aufschluss erhofft hatte. Verblüffend allemal ist eine derart unspezifische Verlaufsformel zu einem Zeitpunkt, wo gewaltige Verwirrungen schon zurückliegen und sich klar abgezeichnet hat, worin die neue Glückseligkeit zu bestehen hätte – so als räume der Autor das Feld noch einmal frei. Dabei ist unbedingt die Mannigfaltigkeit prophetischer Elemente in der dritten Textschicht zu berücksichtigen: »Die ›klassische‹ Wahrsagerei erlebe gegen Ende der Überlieferung in den handschriftlichen Aufzeichnungen noch eine überraschende Renaissance«53, konstatiert Kraft, und sieht darin eine Reaktion auf die steigende Unsicherheit, »die auch die Figuren in dieser verfahrenen Lage über das Ende der Geschichte zu verspüren scheinen«54 – da ist noch einmal die bezeichnende Metalepse: als wüssten die Figuren, dass sie Romanfiguren sind. Entscheidend jedenfalls wird für die jetzt gewichtige indische Handlung die noch gänzlich ohne eingebaute Kontingenz operierende, paraphrastisch verrätselnde und auf einer Weissagung des Confutius aufbauende Prophezeiung des Jarchas (RO IV/943f), die, in herkömmlicher, und in diesem Falle politisch höchst brisanter Weise, einen Erkenntnis- und Identifikationsprozess in Gang setzt.55 Zu nennen sind, in unserem Untersuchungsbereich, ferner die Weissagung an Vologeses zu Olympia, er werde bald von allen Sorgen befreit sein (RO VI/462f), die Weissagung an Antiochus, er werde einen seiner Söhne einbüßen, wenn er sie zusammen ins Feld ziehen lasse (RO VI/517) und die Weissagung an Candace, sie werde bald völlig vergnügt ihren Sohn wiedersehen (RO VI/668) – alle am Ende des sechsten Bandes noch ausstehend. Keine Selbstbezeichnung, aber doch eine reflexive, ironische Bezugnahme auf die eigenen fiktionalen Verfahren begegnet in der Römischen Octavia: für die Einlage der Fiktion in die Historie konstitutiv, und deshalb für den Leser wahrscheinlich,56 ist das in der histoire unwahrscheinliche Überleben einiger Personen über ihren in der Historiographie bezeugten Tod hinaus. Die Häufung solcher Fälle fällt histoire-intern schließlich auf, sodass ein weiteres Überlebt-Haben, das des 53 54 55 56

Ebd., S. 151. Ebd. Vgl. Munding: Christentum als absolute Religion, S. 112–118. Mazingue: Anton Ulrich, S. 801, weist auf die Konventionalität des Verfahrens hin und belegt sie mit Beispielen aus dem Werk La Calprenèdes.

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Britannicus, den Figuren selbst, durch einige Indizien gestützt, nun, mit dem Leser, wahrscheinlich wird;57 gerade hier aber – wir halten uns noch an die Fassung A – behält die Historie recht. Mazingue: Le romancier n’oppose plus sa version à celle des historiens, mais se contente de faire mettre en doute par certains de ses personnages la vérité historique, qu’il reprend à son compte. Le jeu de la réalité et de l’illusion, qui se jouait jusque là entre le romancier et l’histoire, se joue cette fois à l’intérieur même du roman. Le romancier fait que certains personnages du roman deviennent en quelque sorte romanciers, tandis que lui-même redeviendrait historien: suprême raffinement de l’illusion baroque! La mort de Britannicus équilibre ainsi dans l’économie du roman la survie d’Octavia. Il pourrait sembler que le romancier veut seulement, en admettant pour Britannicus l’hypothèse des historiens, faire admettre pour Octavia sa propre hypothèse. En fait la fiction démentie (survie de Britannicus) vient plutôt corriger la fiction admise (survie d’Octavia) ou la compenser, de telle sorte que le lecteur, tout en étant pris par le jeu, garde la conscience du jeu. La confirmation de la mort de Britannicus rétablit l’illusion romanesque comme illusion. Le lecteur n’est ni la dupe du romancier, ni son censeur incrédule: il devient son complice.58

Die hier festgestellte Symmetrie zwischen fiction admise und fiction démentie hebt die Fassung B, in der Britannicus dann doch überlebt hat, wieder auf, aber eher als doppelte Negation, als nochmalige Überlagerung der bekannten Fakten durch eine weitere Informationsschicht,59 denn als Umformung oder gar Zer57 Es ist bezeichnenderweise die Erzählung vom Überleben Antonias, die zuerst den Gedanken eines Überlebens Britannicens wachruft, nicht also die zur Stütze dieser Hypothese dann gefundenen Indizien: »Ach wolte Gott! sagte die betrübte Caledonia / daß auch ich also sagen könte. Aber dem armen Britannicus hat es so gut nicht ergehen müssen / daß der Locusta Betrug ihm hätte sein Leben fristen mögen. Wer weiß / fienge Flavia Domitilla an / ob Gott diesen Printzen nicht ja so wunderbahr / als andere von seinen Verwandten / hat erhalten wollen? Wer weiß / ob Trebellius Maximus / der den Printzen in seinen Pallast zu sich genommen / ihn nach dem Holtz-Hauffen wahrhafftig bringen lassen? Wer weiß / wer dieser Galgacus ist / von deme man jetzt aus Britannien so viel höret / und der auch eben mit dem Trebellius Maximus / als jetzigem Stadthalter / sowol daran ist? Ich weiß nicht / was mir hiervon schwahnet. Die Zeiten / so wir jetzt erleben / sind so wundersam / daß uns nichtes unmüglich scheinen darff.« (RO II/362f, Hervorhebung durch mich, S.W.) 58 Mazingue: Anton Ulrich, S. 804f. 59 Die Plausibilisierung aller Versionen, also: der erfolgten Hinrichtung (1), des Entkommens als Galgacus (2), des Entkommens als Britannicus (3), ist auf engstem Raume, nämlich anhand der Berichte der Hinrichtung und ihrer Vorbereitungen zu leisten. Relevant sind fünf, weit über den Roman verstreute Aussagen (RO I/747–752, II/356–359, IV/75–83, 640f, 707 VI/ 751f), die sich, tatsächlich, zu einem kohärenten Bild zusammenfügen lassen. Eine knappe Zusammenfassung der Dramaturgie der Informierung des Lesers, bezogen auf den je durch die Berichte erworbenen Informationsstand: (1) Britannicus wurde hingerichtet und verbrannt; (2) mit Britannicus wurde Galgacus hingerichtet; (3) einer wurde gerettet, einer verbrannt; möglich, dass Britannicus gerettet wurde; (4) sicherlich wurde Britannicus gerettet, da Galgacus verbrannte; (5) nein, Galgacus wurde gerettet; also muss Britannicus verbrannt sein; (5) nein, Britannicus wurde zwar zum Scheiterhaufen gebracht und angezündet, dann aber noch in eine unterirdische Kammer herabgezogen und gerettet. Vgl. auch

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störung des in der Fassung A entwickelten, ironischen Konstruktes: für Rom bleibt Britannicus auch in der Fassung B gestorben, auf die Entscheidung des römischen Bürgerkrieges aber war der Glaube an sein Überleben funktional bezogen gewesen; als prophezeiter indischer Herrscher wird er jenseits des historiographisch prädeterminierten Raumes versetzt, in dem also zur Kombination von Historie und Fiktion Geschick und Intelligenz des Romanciers gefordert waren. »Fiktionalitätsdurchbrechungen«60 markiert Olaf Simons im Satyrischen Roman zwei, an Stellen nämlich, da die histoire inkohärent zu werden droht: da Selander nach Salaugusta wie in eine fremde Stadt zurückkehrt (SR 17f), und anlässlich der mehrstündigen, venezianischen Kutschfahrt (SR 138). Fiktionsironisch können ferner zwei schon immer hervorgehobene Stellen im Schelmuffsky gedeutet werden: die Entlarvung durch den Vetter (SM 89–91) und die Begegnung mit der Doppelgängerfamilie in Padua (SM 102–113). Die durchgängige Provokation einer Beobachtung zweiter Ordnung61 garantiert romaninternen, entsprechenden Beobachtungsverhältnissen die helle Aufmerksamkeit des Lesers, der nicht nur sich und sein Beobachten wiederzufinden, ja greifbar zu finden, sondern die allgemeine Skepsis, mit der er Schelmuffskys Erzählung folgt, in ein spezifischeres Verhältnis von Lüge und histoire-intern gültiger Realität zu setzen hofft. Genau das verspricht die Aussage des Schelmuffsky auch nicht glaubenden Vetters, der jedoch als unabhängiger Teil der histoire auf sie einen direkten, das heißt über Schelmuffsky nicht vermittelten Zugriff hat: seine Bemerkung von den 14 Tagen im Wirtshaus eine halbe Meile vor Schelmerode bleiben denn auch der einzige Anhaltspunkt für die Konstruktion einer wahrscheinlicheren Version der histoire. War die Wiedergabe dieser den Erzähler doch zu kompromittieren drohenden Information durch denselben in Schelmerode aufgrund der dort für die Erfindung offenbar geltenden Beschränkungen62 plausibel gewesen, ist die Thematisierung der eigenen Aufschneiderei auf Reisen erstaunlicher. Schelmuffsky besetzt gegenüber der Paduaner Wirtsfamilie und gegenüber seiner eigenen Kopie eine Position, die in Schelmerode Hofter: Vereinzelung und Verflechtung in Herzog Anton Ulrichs »Octavia. Römische Geschichte«. Diss. Masch. Bonn 1954, S. 104–123. 60 Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik. Spannendes Erzählen in Menantes’ »Satyrischem Roman«. In: Cornelia Hobohm (Hrsg.): Menantes. Ein Dichterleben zwischen Barock und Aufklärung. Bucha bei Jena 2006, S. 9–49, hier: S. 17. 61 In der Formulierung Hans Geulens: Noten zu Christian Reuters »Schelmuffsky«, S. 483: »Obwohl der Roman somit selbst keine Spannung von Ich und Welt bereithält, entsteht sie gleichwohl für den Leser. Er bemerkt, daß alles Erlogene der erzählten Welt vor dem Hintergrund des durch ihn selbst produzierten Wahrscheinlichen auf eine verborgene Wahrheit anspielt.« 62 Vgl. Geulen: Noten zu Christian Reuters »Schelmuffsky«, S. 486: »Die Erzählung der Rückkehr in die Heimat gibt sich durchaus wahrscheinlich.«

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sich noch gar nicht abzeichnete: die eines nicht mehr nur naseweißen, unterlegenen, sondern ebenbürtigen, ja überlegenen Herausforderers des Aufschneiders. Die Kopie auch der skeptischen Position des Vetters – der Fremde sei, laut seinem Bruder, »über eine Meile Weges von Padua nicht gekommen« (SM 107) – in den Schelmuffskys Erfindung nun wieder zuzuschreibenden Teil der histoire jedenfalls nimmt der so dankbar aufgenommenen Information über den Wirtshausaufenthalt etwas von der Zuverlässigkeit, die ja daher rührte, dass man den Eindruck bekam, Schelmuffsky sei die Aufnahme der ihn entlarvenden Information in die Erzählung nur unterlaufen.63 Die Versuchung liegt, paradoxerweise, nahe, gerade bei Betrachtung des fiktionsironischen Verfahrens die Beobachtung zweiter Ordnung aufzugeben, die Erfindung der Paduaner Episode oder nur die Motivation zu ihrer Mitteilung also nicht, in aller Konsequenz, dem Erzähler Schelmuffsky zuzurechnen. Die Deutungen sind vielfältig: Volker Meid sieht in dem Duellsieg Schelmuffskys über den Fremden eine pointenhafte (Selbst-)Bestrafung der eigenen Lügenexistenz;64 Peter von Polentz in der gesamten Episode, wegen ihrer Bezüge zur Familie Müller und zur Universität Leipzig, eine gegenüber dem ersten Teil nun wieder stärkere Hinwendung ins Pasquillantische;65 Hans Geulen betont die Parallele zur Spiegelung Simpliciens im Jäger von Werl;66 Jörg-Ulrich Fechner sieht, vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Hofmann-Literatur, in den drei Parallel- oder Gegenfiguren des Bruder Grafen, des kleinen Vetters und des Paduaner Fremden eine allein mit darstellerischen Mitteln geleistete Darstellung der Untugend des Ehr-Geitzes;67 Alice Villon-Lechner meint, etwas vage, das Doppelgängermotiv, »zugespitzt zum Duell, zur Spiegel-Fechterei«, sei immer »Zeichen gefährdeter Identität, Zeichen der Brüchigkeit des Selbstbewußtseins, das auf sich selbst zurückblickt – und somit Zeichen der Reflexion.«68 Maximilian Bergengruen kann in der Doppelgänger-Episode einen spiegelbildlich verschlüsselten Verweis auf die »ödipale Konkurrenzsituation« zwischen Schelmuffsky und seinem Vetter sehen – als die er sie deutet.69

63 Fechner: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen, S. 16, weist auf zwei Stellen hin (SM 54, 98f), in denen Schelmuffsky den bewussten Einsatz seiner lügenhaften Berichte als Mittel zum Zweck reflektiert, und konstatiert: »Über die dabei einfließenden Mittel, die ihn für den Leser entlarven oder zumindest entlarven können, besitzt Schelmuffsky keine Kontrolle.« Auch Müller: Einfallslosigkeit als Erzählprinzip, S. 9, spricht von »naiver Selbstentlarvung«, die »kein Bruch des Erzählverfahrens und keine indirekte Autoreinmischung« darstelle. 64 Vgl. Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 673. 65 Vgl. Polentz: die Einleitung unserer Ausgabe, SM XII. 66 Vgl. Geulen: Noten zu Christian Reuters »Schelmuffsky«, S. 486. 67 Vgl. Fechner: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen, S. 25. 68 Villon-Lecher: Der entschwindende Erzähler, S. 93. 69 Vgl. Bergengruen: Der Große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky, S. 175f.

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Nur bei Klaus-Detlef Müller und Jörg-Ulrich Fechner finden sich Versuche, die Erzählung der Paduaner Episode durch Schelmuffsky zu plausibilisieren: jener sieht darin eine besonders pointierte Vorführung der Einfallslosigkeit des Erzählers, in diesem Sinne für symptomatisch haltend, »daß es dem Ich-Erzähler nicht gelingt, das Selbstportrait durch zusätzliche Erfindungen auch nur ein wenig von sich selbst zu distanzieren und daß er die bis ins Detail gleichen Szenen im Abstand von wenigen Seiten lediglich mit einem Wechsel der Perspektive noch einmal erzählt.«70 Eine Bemerkung etwas weiter oben – Schelmuffsky brauche in Padua nichts zu erfinden, hier könne er »unverstellt unrühmliche Erfahrungen mitteilen, indem er sie einer fremden Familie zuschreibt«71 – könnte dahingehend verstanden werden, dass neben die Geltungssucht des Erzählers ein einfaches Mitteilungsbedürfnis als treibende Motivation zu stellen sei. Fechner schließlich zieht, gängige Deutungen referierend, die beiden Beobachtungsebenen so auseinander, dass der Paduaner Fremde von Schelmuffsky als Kontrastfigur angeführt werde, vor der er sich auszeichne, vom Leser aber als entlarvende Spiegelung begriffen werde.72 Die meisten der nun besprochenen Phänomene – das waren, vereinfacht: Bezeichnungen der Werkgrenzen; paratextliche, aber in die histoire integrierte Ankündigungen; Ankündigungen von Exempla einer eingangs explizierten Lehre; die Forcierung einer Beobachtung zweiter Ordnung für den gesamten discours; Metalepsen; Auskünfte über den Verlauf der histoire durch Figurenintentionen und durch Prophezeiungen; fiktionsironische Verfahren – bleiben, hinsichtlich ihres Strukturwertes in den Romanen insgesamt, sicher unter der Schwelle, die sie für das Bezugsproblem der Bewältigung von Varietät interessant machte. Hilfreich wäre, für einen Moment die Lösung des Problems suggerierte ja das Angebot einer textinternen Positionsnahme dem Textganzen gegenüber. Die Bezeichnungen der Werkgrenzen begleiten in ornamentaler Komplikation nur, und ohne einen textspezifischen Zugriff auf die zurückliegende Varietät anzuleiten, den ohnehin erfolgenden Austritt des Lesers aus dem Text. Den Metalepsen mangelt es zur Beweglichmachung des kompositorischen Materials, auf der Ebene, auf die hin die histoire ›durchstochen‹ wird, an einer hinreichend souveränen Instanz. Zu allgemein sind die über die Figurenintention in der Reise und die Ankündigungen in Carneval und Schelmuffsky gewonnenen Informationen über den zu erwartenden Verlauf und gleich am Beginn zu konventionell platziert: die geregelte Vorwärtsbewegung des discours, aus der die Selbstbezeichnung schleudern, gegen die sie sich jäh richten müsste, hat den Leser da 70 Müller: Einfallslosigkeit als Erzählprinzip, S. 11. 71 Ebd., S. 10. 72 Fechner: Schelmuffskys Masken und Metamorphosen, S. 20.

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noch nicht erfasst und eingelullt. Und die Beobachtung zweiter Ordnung, die der Schelmuffsky provoziert, betrifft dann doch wieder den gesamten Roman. Gerade die Konsequenz, mit der dem fiktiven Schelmuffsky die Herrschaft über den discours mitsamt seiner Ränder überlassen bleibt, bereitet freilich den fiktionsironischen Verfahren den fruchtbaren Boden, den die oben aufgeführten Deutungsansätze illustrieren: die allgemeine Spannung, die durch die Aufspaltung der Beobachtung in den einfachen Nachvollzug der Varietät der gebotenen Geschichte und die redundante Bestätigung ihrer Produktionsbedingungen über den Text gleichmäßig gebreitet liegt, konzentriert und entlädt sich doch, alle möglichen Elemente mit sich in die Konzentration raffend, wo die Ebenen gebrochen werden, ein Ebenenbruch nur vorzuliegen scheint. Das ist in der Octavia anders: selbst wenn ihr Personal auf Unwahrscheinlichkeiten, die der Einarbeitung der Fiktion in die Historie geschuldet sind, gewissermaßen nachahmend reagiert – Zurechnungs- und Deutungsprobleme wie im Schelmuffsky sind im Falle des Überlebens oder Sterbens des Britannicus ausgeschlossen und Anton Ulrich bleibt nach der ironischen und amplifikatorischen73 Zuspitzung seines Verfahrens frei zur wieder einfachen Verwendungen desselben, ja, wie gesehen, zur nachträglichen Rücknahme der ironischen Pointe. Verstörend ist an der Paduaner Episode, im Unterschied zu der Bemerkung des kleinen Vetters und erst recht zur Figur des Bruder Grafen, ihre Abgeschlossenheit, ihr – syntagmatisch – weitgehend unvermitteltes Herausstehen aus der übrigen histoire, während die Entdeckung, dass Britannicus doch in Wirklichkeit Galgacus ist, kausal im Moment der Entscheidung des Bürgerkrieges die weitläufigsten Bezüge aufweist: nicht zuletzt war eben aufgrund der für die Einarbeitung der Fiktion in die Historie geltenden Bedingungen ein Scheitern der zur Restitution des claudischen Hauses betriebenen Verschwörung, deren kaiserlicher Kandidat Britannicus werden sollte, unbedingt zu erwarten. Die Prophetie, die in dem Roman die stabile Funktion der Bestätigung des historiographisch verbürgten Verlaufes trotz der fiktiven Unterwanderung wahrnimmt, die in vielen ihrer Elemente nur kurze, strukturell unbedeutende Reichweiten bildet, kann, in den oben ausführlicher beschriebenen Fällen, als Indikation eines sich im Entstehungszeitraum wandelnden Selbstverhältnisses gedeutet werden; jedenfalls zeichnen sich in den drei Textschichten, ohne die Kohärenz der histoire insgesamt zu gefährden, unterschiedliche Verfahren zur Einbindung eines die Figurenperspektiven transzendierenden Verlaufswissens in die Handlung ab. Noch der ungeschriebene Abschluss der Fassung B hätte die Prophezeiung des Cosdroes, die, konventionell, ein konkretes Handlungsziel dem Helden zu Beginn mit auf den Weg gab, bestätigen können, wenn auch in der 73 Vgl., für einen Eindruck der erreichten Komplexität, noch einmal Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 104–123.

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Reflexive Verfahren

Aufgabe des Schlusses der Fassung A die gute Proportion, die Symmetrie der doppelten Erfüllung geopfert wurde. Das durch die nur indirekte Informierung über die Prophezeiung und ihren starken Handlungsbezug schon verschliffene Verfahren garantierte dank ihrer Platzierung zu Beginn und ihrer Einmaligkeit zwischen der sich entfaltenden histoire und ihrer Miniatur eine gewisse Hygiene, und dank der Ausrichtung auf nur diese histoire bestätigte es, paradoxerweise, ihre Immanenz. Beides wird in den Erweiterungen in Frage gestellt. Die Prophezeiungen des Phraortes haben einen kleineren Bezugsrahmen als ihn die histoire bildet, sie gruppieren sich um ihn als Mittelpunkt. Nicht ein gleichsam keuscher Kuss ist ihre Berührung mit der Handlung, gleich sich im Bewusstsein der Betroffenen verflüchtigend, allenfalls zum Zeitpunkt der Erfüllung im Gedächtnis wiedererscheinend, sondern dauerhafte Bestimmung der in eine Handlungsalternative gestellten Person; das Prophetenwort nicht dinghaftneutral, sondern tragisch, drohend, lamentierend, ja in der exzessiven Wiederholung drohen die Verschleifung, die Lächerlichkeit. Schließlich das CarmelOrakel abstrahiert von den Spezifika der histoire, in die es gebettet ist, auf die selbstverständlich der Romangattung vorgeschriebenen Gesetze, erweitert und verallgemeinert also den Bezugsrahmen zur Verwirrung der betroffenen Figuren – so als bekämen sie gesagt: ›Verhaltet euch nur wie Romanfiguren, dann wird schon alles gut‹ – so als wäre die Vorfestlegung durch den zurückliegenden discours für das, was noch möglich ist, getilgt. Tatsächlich zeichnen sich auf diese Weise zwei für die Formevolution markante Verfahren ab: die Normalisierung wiederholter Selbstbezüge und Ebenenbrüche durch histoire-bezogene Spezifikationen, durch eine Einrichtung einer dazu geeigneten Instanz innerhalb der histoire – und also die Verfügbarmachung des wiederholten Ebenenbruchs für die Formgewinnung überhaupt; und die Bezeichnung einer Position, von der aus allein die ästhetischen Vorgaben gesetzt sind, ihre konkrete Umsetzung aber kontingent erscheint – also, im Extremfall, die histoire, zur Erfüllung der selben ästhetischen Vorgabe, unterwegs vollständig ausgetauscht werden könnte. Das ist, freilich, eine sehr forcierte Deutung der in der Römischen Octavia angetroffenen Phänomene. Ihre histoire jedenfalls zeichnet eine Komplexität und eine Elastizität aus, die sie unverdächtig macht, im Abgrund zweier einander gegenübergestellter Spiegel zu verschwinden.

2.

Einheitsbezogene Reihen

2.1. Verfahren zur Bildung eines Einheitsbezuges und zu dessen Vermittlung. Überblick Reihenbildung, die geordnete Relationierung der Elemente des ästhetischen Objekts, ist das für seine Integration grundlegende Verfahren. Die wiederholte, Sulpitia Prätextata gemachte Prophezeiung über ihre Heirat eines alten Kaisers bildet selber eine sich über etwa die Hälfte des discours erstreckende Reihe aus sechs Elementen.1 Die Paduaner Episode ist der mittlere Aufenthalt auf Schelmuffskys zweiter Reise, fungiert also als Element in der Reihe aller übrigen Reiseaufenthalte und ist, kompositorisch, in diesem Zusammenhang zu bewerten. Die Abhängigkeit der meisten Metalepsen von ihrerseits in Reihen eingebundenen Elementen der histoire – der Exemplarizität von Repliken, der erotischen Brisanz – bedeutet, dass der Wert ihrer Stellen nur nachrangig der Beurteilung freisteht, nur etwa, wenn plausibel gemacht werden kann, dass das betroffene Element der histoire um ihretwillen diese seine Position gefunden hat. Offerieren die reflexiven Verfahren eine bestimmte, die Varietät des Kunstwerks in eine Formel bringende, oder wenigstens hierarchisierende Außenperspektive auf dasselbe – der Leser kann sie ablehnen und in die Immanenz des Kunstwerkes wieder bannen: der kleine Vetter lügt;2 die zu Beginn des Carnevals postulierte Lehre spaltet sich in drei Postulate auf, zu denen die letzte Liebesgeschichte nicht im Verhältnis des Exempels, sondern des Kontrastes steht; dass Britannicus für Rom nicht überlebt hat, bedeutet keinen ironischen Bruch der bisher angewandten Fiktionalisierungsverfahren, sondern, im Gegenteil, weil so der historische Verlauf unangetastet bleibt, ihre Bestätigung; und die Frage, ob und wie Tyridates parthischer und medischer König wird, ist in Wirklichkeit für 1 RO III/668, 921, IV/321f, 839, VI/484, 562f. 2 Vgl. Bergengruen: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky. Zur Parodie des Reiseberichts und zur Poetik des Diabolischen bei Christian Reuter. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 126 (2007), S. 161–184, hier: S. 163, 181.

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Einheitsbezogene Reihen

die Integration des Romanes von nachrangigem Interesse, leitet die Beobachtung also nicht zur Bildung einer Reihe an, in der und in Abhängigkeit derer eine kritische Masse an Varietät dem Gedächtnis verfügbar wird. Der Bildung dies leistender Reihen – sie wurden oben bereits skizziert – wendet sich die Untersuchung nun zu. Gesucht werden Möglichkeiten zur Charakterisierung je des gesamten Kunstwerkes im Sinne von Aussagetypen, die als Bezugsgröße das Kunstwerk als Einheit führen. Formelhaft geradezu erscheinen solche knappesten Zusammenfassungen, die in einem einfachen Hauptsatz Handlungsziel und -träger benennen: Puisque tout récit – fût-il aussi étendu et aussi complexe que la Recherche du temps perdu – est une production linguistique assumant la relation d’un ou pluiseurs événement(s), il est peut-être légitime de le traiter comme le développement, aussi monstrueux qu’on voudra, donné à une forme verbale, au sens grammatical du terme: l’expansion d’un verbe. Je marche, Pierre est venu, sont pour moi des formes ninimales de récit, et inversement l’Odysée ou la Recherche ne font d’une certaine manière qu’amplifier (au sens rhétorique) des énoncés tels qu’Ulysse rentre à Ithaque ou Marcel devient écrivain.3

In substantivierter Form finden sich ähnliche Reduktionen im Vorwort des Ibrahim Madeleine de Scudérys: J’ay donc vû dans ces fameux Romans de l’Antiquité, qu’à l’imitation du Poème Epique, il y a une action principale, où toutes les autres sonst attachées; qui regne par tout l’ouurage; & qui fait qu’elles n’y sont employées, que pour la conduire à perfection. Cette action dans l’Iliade d’Homere est la ruïne de Troye: dans son Odyßée, le retour d’Vlisse à Itaque: dans Virgile, la mort de Turne, ou pour mieux dire la conqueste de l’Italie; plus prés de nous dans le Tasse, la prise de Hierusalem; & pour passer du Poème au Roman, qui est mon principal objet, dans l’Heliodor, le mariage de Chariclée & de Theagenes.4

Vorausgesetzt wird in den meisten dieser Sätze5 eine metonymische Überschreitung des alleine genannten Handlungszieles: mitgemeint sind vom Handlungsziel aus kausal zu relationierende Elemente – aber nicht unbedingt alle. Tatsächlich ist Kausalität im Hinblick auf gleichartige Relationierung unterschiedlicher Elemente zu leistungsfähig, um allein, im Sinne einer oder mehrerer konsequent verfolgter Kausalketten – und wie sähe das aus? –, einen Einheitsbezug zu stiften: in ihr gibt es weder nach vorne, noch nach rückwärts hin Stoppregeln, die der gleichgültigen Häufung von Elementen Einhalt geböten. Die Setzung eines fixen Bezugspunktes in Form eines Ereignisses erst erlaubt eine 3 Genette: Figures III, Paris 1972, S. 75. 4 [Scudéry, Madeleine de:] Ibrahim, ou l’Illustre Bassa. Dedié A Mademoiselle de Rohan. Premiere Partie. A Rouen. Pour la Compagnie des Libraires du Palais A Paris. M. DC. LXV, Préface. 5 Die Rückkehr nach Ithaka erlaubt eine metaphorische Überschreitung, wenn nicht nur die Bewegung im Raum gemeint ist, sondern auch die Wiedereinsetzung des Helden in die bei Abreise innegehabten Rollen.

Verfahren zur Bildung eines Einheitsbezuges und zu dessen Vermittlung. Überblick

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Strukturierung des kausalen Mediums, und damit die plausible Diskriminierung hinreichend weniger kausal relationierter Elemente zur Bildung einer einheitsbezogenen Reihe: indem die Doppelseitigkeit jedes Elementes als verursacht und verursachend akzentuierbar wird, indem, neben der faktischen Kausalkette, Projektionen von Kausalverhältnissen im Sinne von Verhinderungen oder Bedingungen die Elemente zusätzlich qualifizieren. Ist die Menge der so in eine Ordnung gesetzten Elemente immer noch zu groß, wird die nächste, jetzt eher pragmatische Orientierungsgröße sein, wer oder was von dem gesetzten Ereignis zuvörderst betroffen ist.6 Skizziert ist damit, was weiterhin als Handlungsreihe – genauer: als finalisierte, also mit einem Handlungsziel versehene Handlungsreihe geführt werden soll. Ihr Vorhandensein und ihre integrative Leistung ist sicherlich, was den oben zitierten, formelhaften Zusammenfassungen ihre Plausibilität verleiht, die also schwindet, wo diese Voraussetzung in geringerem Maße gegeben ist, oder gar fehlt. Alle sieben finalisierten Haupthandlungsreihen des Korpus – Haupthandlungsreihen, weil mit größtem Einheitsbezug – werden, das sollte nicht verwundern, im Liebesbereich gebildet, und alle weisen das einfacher zu handhabende Handlungsziel der Vereinigung (Hochzeit) auf.7 Die definitorische Rekonstruktion dieses Reihentyps anhand von Setzungen und Beschränkungen im kausalen Medium sollte darüber nicht hinwegtäuschen, dass die Plausibilisierung der Aufeinanderfolge von Ereignissen in der Regel allein die Vorbildhaftigkeit, oder einfach die Bekanntheit ähnlicher Handlungsfolgen leisten: je stärker daran die Orientierung ausfällt, desto größere Spielräume ergeben sich für Auslassungen, desto unnötiger werden ohnehin immer verdächtige explizite kausale Relationen.8 Arbeit an der Haupthandlung, im Sinne forcierter, anschlussfähiger Veränderung, ist am ehesten dort zu erwarten, wo diese für andere (Handlungs)Reihen die integrative Hauptlast nicht mehr zu tragen hat: in der 6 Nötig wurde bei der Sammlung der zu den Handlungsreihen gehörenden Stellen, wie sie im Anhang dokumentiert ist, eine solche Einschränkung nur in der Römischen Octavia – nur dort also geht die kausale Integration unterschiedlicher Handlungsreihen so weit, dass deren Grenzen, bei alleiniger Orientierung am Handlungsziel, sich aufzulösen drohten. Vgl. die Überlegungen dazu im Anhang, bei der Stellenliste für die Liebeshandlung Tyridates-Octavia, und vgl., mit Bezug auf die Aramena, die Überlegungen zur kausalen Motivation von Lugowski: Die märchenhafte Enträtselung der Wirklichkeit im heroisch-galanten Roman (zuerst 1936). In: Richard Alewyn (Hrsg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln/Berlin 1966, S. 372–391, hier: S. 387–391. 7 Bei Liebeshandlungen mit dem Handlungsziel der Trennung ist die Behelfsannahme eines intermediären Handlungsziels der größten Annäherung sinnvoll, ab dem sich die Bezugsrichtung umkehrt. Sonst müssten, kontraintuitiv wegen der wahrscheinlichen Differenz zur Motivation der Handlungsträger, alle Schritte der Annäherung als vorläufige Verhinderungen der Trennung gewertet werden. 8 Vgl. noch einmal Lugowski: Die märchenhafte Enträtselung der Wirklichkeit im heroischgalanten Roman, S. 387–391.

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Einheitsbezogene Reihen

Novelle, im kleinen Roman,9 oder, vorbereitend, in nicht einheitsbezogenen, finalisierten Handlungen, deren Variationen dann für Haupthandlungen selegiert werden können.10 Das zweite, letzte Ende der Verliebten und galanten Welt kann sicher, wie einhellig bekundet,11 für ein Beispiel einer reduktiven, die integrative Leistung einer mit dem Handlungsziel der Hochzeit versehenen Liebeshandlung nurmehr anzitierenden Variante gelten. Verfahren der gleichberechtigten, oder beinahe gleichberechtigten Verdoppelung auf der Ebene der Haupthandlung werden im Satyrischen Roman und in der Liebenswürdigen Adalie interessieren. Und der besondere Zuschnitt der Reihe Tyridates-Octavia vor allem in der ersten Textschicht des Romans kann vielleicht doppelt verstanden werden: zum einen, dank der religiösen Motivierung der zentralen Hindernisse, als Ausdruck einer die Religion ›verinnerlichenden‹12 Christianisierung des höfisch-historischen Romans, die, in unterschiedlichen Ausprägungen, von Beginn an die Adaption der Gattung im deutschen Sprachraum kennzeichnete;13 zum anderen aber als Reaktion auf die enorme integrative Beanspruchung der Reihe.14 Bedingt zu vergleichen ist mit der Strukturierung des kausalen Mediums durch die Setzung eines Handlungsziels und Handlungsträgers die Inanspruchnahme des – ungleich differenzierter vorstrukturierten – räumlichen Mediums durch Bewegung; und die Bildung einer einheitsbezogenen Bewegungsreihe15 mag ihre unbestreitbare Attraktivität dem Umstand verdanken, dass sie auch, vor allem durch das Kappen oder Konditionieren kausaler Bezugsmöglichkeiten entlang räumlicher Unterscheidungen, das kausale Medium auf gewissermaßen

9 Man denke an die unmittelbar an die Haupthandlung anknüpfenden Diskussionen über die Princesse de Clèves. 10 Vgl. Kap. 3.1.1. 11 Vgl. Steigerwald: Galanterie. Die Fabrikation einer natürlichen Ethik der höfischen Gesellschaft (1650–1710). Heidelberg 2011, S. 461, und Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, Berkeley und Los Angeles 1969, S. 21. Entscheidend ist dabei nicht so sehr die Kürze der auf diese Hauptliebeshandlung im zweiten Teil noch fallenden Stellen – sie wird durch die Prominenz der Reistedter Handlung zu Beginn des ersten Teiles ausgeglichen –, noch das Ausbleiben einer ausführlicheren ›inneren‹ Motivierung des Helden, in Form etwa von Detaillierungen seines Wieder-Verliebens – er könnte ja etwas singen; entscheidend ist, was Jörn Steigerwald herausarbeitet (ders.: Galanterie, S. 391–414), die Defizienz Charlottes mit Blick auf das galante Kommunikations- und Interaktionsmodell, die als ›eigentliche‹ Voraussetzung für das Fortgehen Heraldos und seine Überwindung dieser Liebe für den ersten Teil hatte geltend gemacht werden können. 12 Vgl. Mazingue: Anton Ulrich. Duc de Braunschweig Wolfenbüttel (1633–1714) un prince romancier au XVIIème siècle. Berne 1978, S. 747. 13 So die Deutung bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 677–748, besonders S. 730–748. 14 Vgl. Kap. 5.9. 15 Für sie braucht es hinreichend wenige Ortsveränderungen; oder Wiederkehrten, wenn nicht eine vollständige Unterteilung in Hin- und Rückreise.

Verfahren zur Bildung eines Einheitsbezuges und zu dessen Vermittlung. Überblick

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transzendentaler Ebene strukturiert.16 Die Analyse verlangt gerade hier eine saubere Trennung: das ›Heliodor-Schema‹ in seiner schon reduzierten Form17 etwa bezeichnet eine Kombination einer bestimmten Abfolge von Handlungsfunktionen18 und von Elementen einer doppelten Bewegungsreihe (Kontakt/ Trennung) und erweist sich dann als ungeeignete Generalisierung, wenn die Kombinationsregeln beider Reihen variiert werden oder überhaupt wegfallen.19 Die meisten Haupthandlungen des Korpus sind jedenfalls durch eine einheitsbezogene Bewegungsreihe gestützt und profitieren von ihren kausale Latenzen bereinigenden Eigenschaften. Ohne diese sekundierende Funktion ist allein die Bewegungsreihe Schelmuffskys. Günther Müller bezeichnet in seiner Beschreibung der Aramena »die ungeheure politisch-militärische Verwirrung des ganzen westlichen Asien und ihre Entwirrung« als den »eigentliche[n] Stoff des Romans«.20 Tatsächlich können neben einer Haupthandlungsreihe weitere einheitsbezogene Handlungsreihen gebildet, und als Kandidaten für eine ›eigentliche‹ Handlung in Stellung gebracht 16 Vgl. unten (Kap. 2.4.3.1) den Exkurs zur räumlichen Struktur auf der Ortsebene. 17 Möglich ist auch die Hereinnahme des medias-in-res Beginn, damit also der Ebene des Verhältnisses von histoire und discours. Vgl. Fischer: Ethos, Konvention und Individualisierung. Probleme des galanten Romans in Chr. F. Hunolds Europäischen Höfen und im Satyrischen Roman. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 63 (1989), S. 64–97, hier: S. 64, Anm. 2: »Der Zusammenhang besteht auch in der Erzähltechnik, für die im höfischen Roman das ›Heliodor-Schema‹ kanonisch ist mit dem ›medias-in-res‹-Beginn, mit dem Strukturelement der nachgeholten Vorgeschichte, mit der dynamischen Durchführung der Handlung, die sich in die Momente der Begegnung, der schicksalhaften Trennung und der endlichen glücklichen Vereinigung der Liebenden gliedern läßt.« 18 Der Begriff bezeichnet mit Blick auf die kausale Struktur generalisierte Handlungselemente, für die Liebeshandlung etwa: Verlieben, Geständnis, Verlobung, Heirat; Entführung, Unwissen über die Identität des Geliebten etc. Entscheidend ist die Stellung in der kausalen Struktur (fördernd, hindernd), nicht die motivische Ausgestaltung (Geständnis per Brief, per Geste etc.). Für das ›Heliodor-Schema‹ konstitutiv gelten kann: eine Konzentration förderlicher Handlungsfunktionen zu Beginn, dann Hindernisse, dann das Handlungsziel. 19 Dann können immer nur Abweichungen und Insuffizienzen registriert werden. Vgl., bezogen auf die Europäischen Höfe, Fischer: Ethos, Konvention und Individualisierung, S. 66: »Dabei verändert sich auch der Charakter der Trennungen der Liebenden selbst; ihr schicksalhafter Ernst wird bei Hunold aufgelöst durch die eine bloß räumliche Distanz überspielenden Briefe, durch die freie Entscheidung zur Trennung, also zur Reise, und durch den galanten, nahen Umgang mit anderen.« 20 Müller: Deutsche Dichtungen von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock. Potsdam 1927 S. 248. Vgl. auch Disselkamp: Barockheroismus. Konzeption ›politischer‹ Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 2002, S. 305: »Das zentrale Programmanliegen des Romans ist die Begründung einer legitimen Fürstenherrschaft durch die (Re-)Konstruktion der wahren genealogischen Zusammenhänge.« Und ebd., S. 307: »Obwohl in der Aramena das Fachgebiet der Politik hinter die Liebeshandlung zurücktritt, beschäftigt sich Anton Ulrich mit der Suche nach einer legitimen, tugendorientierten und in diesem Sinn ›gerechten‹ Weltordnung.«

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Einheitsbezogene Reihen

werden. Typisch ist dabei, wie im zitierten Fall, der Wechsel des Handlungsbereiches: nicht die Geschichte Tyridatens und Octavias ist ›eigentlich‹ der Stoff der Römischen Octavia, sondern, wie die »alte Bemerkung« bekundet, die Leo Cholevius einleitend zitiert, »die Geschichte der römischen Kaiser von Claudius bis Vespasian«.21 Auch hier ist zu vermuten, dass die sekundäre, einheitsbezogene Handlungsreihe einen größeren Variationsspielraum aufweist, als die in der Lektüre zur Erwartungsbildung stärker beanspruchte Haupthandlung.22 Umgekehrt kann sie ihren Einheitsbezug durch Textgrenzennähe und dauerhafte Latenz sicherstellen, in sich aber, hinsichtlich der eigenen kausalen Struktur, unterkomplex bleiben: die Metapher der Rahmung griffe.23 Bei der Bestimmung von Motiven ist das Absehen von Kausalität, von räumlicher oder zeitlicher Kontiguität, die Relationierung alleine durch Verhältnisse der Ähnlichkeit entscheidend.24 Dass auf diese Weise einheitsbezogene Reihen gebildet werden, ist vor allem in längeren Erzähltexten unwahrscheinlich. Dafür, dass ein handlungsnahes Motiv genügend Eigenkomplexität aufbaut; nicht einfach in der es zunächst enthaltenden Handlungsreihe aufgeht, sondern Überschüsse in andere Handlungsreihen oder gar Handlungsbereiche hinein bildet, bedarf es grundsätzlich einer hohen Handlungsdichte: über die Römische Octavia ließe sich sagen, ihre ›eigentliche‹ Einheit finde sie in ›Nero‹ – nicht Domitius Nero, sondern dem Namen ›Nero‹, seinen Verwendungen und Derivaten. Häufiger aber findet sich die Identifizierung eines motivischen ›Grundmusters‹, das ›eigentlich‹ den Fortgang bestimme, dem also zum Einheitsbezug nach den hier aufgestellten Kriterien die Subsumierbarkeit zu hinreichend wenigen Elementen fehlt.25 21 Cholevius: Die bedeutendsten deutschen Romane des siebzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 1866. Nachdruck Darmstadt 1965, hier: S. 231. 22 Das gilt sicherlich für die römisch-politische Handlung der Octavia – vgl. dazu unten, Kap. 5.10.2, den entsprechenden Abschnitt. 23 So die Freundschaft Tyrsates-Selander im Satyrischen Roman; oder auch die biographische Skizze im Adelphico. 24 Übernommen wird so, in etwas anderer Fassung, das bei Werner: Erzählte Zeiten, S. 40f, explizierte Konzept der »Äquivalenz«. Zu betonen ist: die Relationierung beruht allein auf Ähnlichkeit, das relationierte Element kann aber durchaus ein Handlungselement sein, als solches also kausale Bestimmungen enthalten. 25 Vgl. Steigerwald: Galanterie, S. 445, der für den Satyrischen Roman, auf allerdings recht hohem Abstraktionsniveau, reklamiert, »das Dickicht der Handlungsverläufe« entwirre sich, nimmt man von der reinen histoire etwas Abstand, leicht, »da es nach einem klaren Muster verläuft, das aus dem situativen Zusammenspiel von Neugier, Beobachtung und Handlung besteht.« Vgl. ferner, zum Arminius Lohensteins, Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 259: »Die eigentliche Bewegung dieser ungeheuren geschichtlichen Weltdichtung und Weltdeutung ist die Disputation des Einzelnen im Ganzen und des Ganzen im Einzelnen, und sie führt zur männlich schweigsamen Desillusionierung dieser ganzen disputatorischen Kultur.« Und Hans Geulen: Erzählkunst der frühen Neuzeit. Zur Geschichte epischer Darbietungsweisen und Formen im Roman der Renaissance und des

Verfahren zur Bildung eines Einheitsbezuges und zu dessen Vermittlung. Überblick

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Trivial, und dann doch nicht so trivial, sind die abstrakten, allenfalls über geregelte Assoziationen mit der histoire verknüpften Unterteilungen des discours, die niemand zur Charakterisierung eines Erzählwerkes alleine anführen wird, die zu unterschlagen dennoch, zumal wenn sie den Kriterien des Einheitsbezuges genügen, sträflich wäre. Und umgekehrt: Das Carneval der Liebe sieht sich auf 440 Seiten zur Bildung nicht eines einzigen Absatzes genötigt. Dies zeitgenössisch wohl noch völlig unproblematische Abstellen alleine auf die histoire, ihre inhärente Gliederung und die ausdrücklichen Gliederungsmarker der fortlaufenden Rede müsste in einem modernen Roman von einem modernen Leser als forcierte Abweichung gedeutet werden: die Lektüre würde einer lieb gewordenen Stütze beraubt; auf das ästhetische Potenzial, das darin liegt, dass Ebenenunterschiede der histoire-Gliederung in der discours-Gliederung nivelliert, oder wiederum in abstrakte Ebenenunterschiede übersetzt, dass feine rhythmische Abweichungen, Effekte der Entsprechung, Beschleunigung und Verlangsamung möglich werden, willentlich verzichtet; und diese Wahrnehmung deutete auf einen historischen Befund der in Richtung Moderne zunehmend verlässlichen und zugleich flexiblen, individuell angepassten Nutzung. Was noch folgt, sind definitorisch aufwendigere Reihentypen, die, als Orientierungsgröße, dem Gedächtnis umso lieber werden können, als sie auf Phänomene abstellen, die die Aufmerksamkeit etwa bei einer ersten Lektüre nicht vordergründig beschäftigen, aber doch unbemerkt lenken und das Nacherzählbare roman-individuell einfärben mögen. Das sind rhythmische Veränderungen häufigerer discours-Unterteilungen, Änderungen im Verknüpfungsmodus der unterschiedlichen Handlungen, Änderungen bei den Handlungsbezügen der selber eine Reihe bildenden Analepsen, Änderungen im Verhältnis und in den Funktionen von szenischem und raffendem Erzählen, Änderungen in den Medien Raum und Zeit, die nicht an eine Figur, sondern an das Verhältnis von histoire und discours gebunden, und schließlich Änderungen der Binnenintegration von Romanpartien, die nur noch über Aspektbündel zu definieren sind. Die Anapher weist darauf hin, dass in all diesen Fällen nicht-einheitsbezogene Reihen die Grundlage bilden: erst die hinreichend seltene Änderung der Erzähltechnik – grob gesagt – schafft die Orientierung. Verschiedene Verfahren ermöglichen nun einen Anschluss der nicht einheitsbezogenen Reihen an diejenigen, die dies Kriterium erfüllen: sie können, auf Basis einer je zu benennenden Generalisierung, vervielfältigt werden. Der geringere, oder nicht vorhandene Einheitsbezug der vervielfältigten Reihe kann, Barock. Tübingen 1975, S. 70–89 und 297, sieht die »unübersehbare Kette der Geschehenseinheiten in Anton Ulrichs ›Octavia‹ […] nach dem Prinzip der Scheinherstellung und Scheinaufhebung [strukturiert], die in Wahrheit den Schein vertieft. Jede Einheit gewinnt von daher ihre Konstitution und Geschlossenheit.« (S. 88)

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Einheitsbezogene Reihen

mit Blick auf die einheitsbezogene Reihe, und also alleine bemessen an ihrer integrativen Leistung, als Verhältnis der Unterordnung verstanden werden. Nur bestimmte Reihentypen eignen sich zu solch einer subordinierenden Multiplikation: am auffälligsten sind, natürlich, vervielfältigte Handlungsreihen,26 also etwa, um einen sehr hohen Grad der Generalisierung anzusetzen, mehrere Handlungsreihen desselben Handlungsbereiches. Wichtigstes Kriterium einer Subordination ist der stellenmäßige Einschluss der subordinierten Reihe in die höhergeordnete Reihe, oder, anders gesprochen, ihr geringerer Textgrenzenbezug. Das andere Verfahren zur Vervielfältigung von Reihen, die koordinierende Multiplikation, erzeugt hingegen eine übergeordnete, aus den vervielfältigten Reihen gebildete, nur womöglich einheitsbezogene Reihe. Das andere Verfahren zur Vermittlung des Einheitsbezuges und, grundsätzlicher, zur Integration unterschiedlicher Reihen, besteht in der punktuellen oder regelmäßigen Assoziation ihrer Stellen. Hinsichtlich der subordinierenden Multiplikation von Handlungsreihen sind einige weitere Bestimmungen sinnvoll. Bleiben die vervielfältigten Reihen einstellig, werden sie im Lektüreprozess als Digression, als Pause derjenigen Größe aufgenommen werden, die hinsichtlich des Fortganges des discours orientiert. Sie können selber nicht wiederum Reihen einschließen, besetzen also notwendigerweise, rein formal, unter den vervielfältigten Reihen einen untersten Rang und bilden zu anderen, ebenfalls einstelligen, vervielfältigten Reihen Verhältnisse der Koordination. Hingegen mehrstellige vervielfältigte Reihen können andere einschließen, rangmäßig differenzierter beurteilt werden, vor allem aber orientieren sie selber, in Arbeitsteilung nun mit der einheitsbezogenen Reihe, über den Fortschritt des discours. Da es sich um Reihen der histoire handelt, entstehen notwendig inhaltliche Bezüge, für die in unterschiedlicher Form die rein formalen, hierarchischen Verhältnisse funktionalisiert werden können. Entweder die Rekonstruktion einer übergeordneten Rangordnung wird provoziert, die in der formalen Rangordnung der vervielfältigten Reihen sich abbildet: dann erscheint die einheitsbezogene, selbstverständlich die Spitzenposition in beiden Hinsichten einnehmende Reihe als von dorther, von der gewissermaßen außerhalb der histoire liegenden, aber inhaltlich definierten hierarchischen Ordnung her bestimmt, die sich – dieselbe Ordnung – ihren Abstufungen gemäß auch in den untergeordneten Reihen manifestiert; oder die untergeordneten Reihen dienen unmittelbar, dank ihrer Differenzen, der schärferen, inhaltlichen Profilierung der einheitsbezogenen Reihe. Zwischen beiden getroffenen Unterscheidungen kann ein Zusammenhang hergestellt werden, wenn der Bedeutungsgewinn der Haupthandlung durch die 26 Für ein anderes Beispiel: die Bewegungsreihe des Telemachos könnte als subordinierte Multiplikation der Bewegungsreihe des Odysseus aufgefasst werden.

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Unterscheidbarmachung von anderen, ähnlichen Reihen selber Ereignis in der histoire sein soll: dann bietet sich die einstellige, vervielfältigte Reihe vorzüglich an.27 Umgekehrt bedarf es zur Abbildung mehrerer Rangstufen einschließender Reihen, sind die Verfahren direkter Unterordnung in Textgrenzennähe besonders effektiv. Endlich eine historische Perspektive bietet sich an, unterstellt man dem fortgeschrittenen 18. Jahrhundert die Entwicklung eines Mediums der Individualität: soll der individuelle, selbstkonstitutive Weltbezug einer Person oder, ähnlich, die Selbstprogrammierung einer nur noch tautologisch begründeten Liebe durch ihre eigene Geschichte narrativ zur Darstellung gebracht werden, besteht die Möglichkeit zur Aufnahme einer Fülle sonst funktionslos erscheinenden Stoffes;28 und zwar auch aus anderen Handlungsbereichen, ohne dass in ihnen eigenständige Handlungsreihen gebildet werden müssen. Die parallele oder hierarchisch organisierte Führung mehrerer so zu determinierender Größen zwänge zu einer ausdrücklichen Zuordnung der bestimmenden Konkreta, verspielte also die letztlich noch am ehesten überzeugende Lösung des Problems der Darstellung von Individualität im generalisierten Medium Sprache, das Kunstwerk selber, in seiner spezifischen Relationalität, in ein latentes Verhältnis der Entsprechung zur darzustellenden Individualität zu setzen. Weiter geraten die Erlebnisinhalte für das nur noch relational, nicht mehr sachlich konstante Individuum als Determinanten in eine so entscheidende Stellung, dass die Indifferenz der erlebenden Figur gegenüber koordinierend gereihten Episoden, funktional zugeordnet einer erst am Schluss der Reihe sich einstellenden Erkenntnis, unplausibel wird, oder wenigstens die rekursive Leistungsfähigkeit des neuen Mediums, in dem die zweite Episode als Erlebnis schon andere Konstitutionsbedingungen vorfände als die erste, unausgeschöpft lässt. Die kompakte, einstellige Darstellung einer anderen Handlung desselben Handlungsbereiches hingegen kann, wenn sie bei der Hauptfigur eine Neujustierung der Beobachtung hervorruft, oder, als Vorgeschichte derselben, über die 27 Vgl. nur die Gretchen am Brunnen erzählte Geschichte Bärbelchens im Faust, oder, im Nachsommer, die Liebesgeschichte Risachs und Mathildes. 28 Vgl. Johann Karl Wezel: Lebensgeschichte Tobias Knauts, des Weisen, sonst der Stammler genannt. Aus Familiennachrichten gesammelt. Berlin 1990, S. 34: »Gewiß ist es, daß die Gegenstände, an welchen wir unsre ersten Erfahrungen machen, die Art, wie sie auf uns wirken – daß die Personen, von welchen wir die ersten Elemente der Sprache und zugleich auch der menschlichen Erkenntnis lernen, ihr Betragen gegen uns und andre, sogar ihre Gebärden, ihre Mienen – daß endlich der Fluß, in welchen unsre Lebensgeister zufälligerweise durch die äußerlichen Ursachen der Luft, der Witterung usf. oder durch die innern Bewegungen der Maschine, durch die Wirkungen der Speisen in den ersten Jahren gesetzt werden – daß alle diese Umstände zusammengenommen und vielleicht noch viele andre, die ich übersehen oder die in den genannten enthalten sind und itzt nicht so umständlich auseinandergesetzt werden können – daß alle diese Umstände, sage ich, der erste Boden und folglich auch der erste Nahrungsstoff für unsern Charakter sind.«

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Einheitsbezogene Reihen

wahrscheinliche Ausrichtung ihrer Beobachtung informiert, als multiplikatorisches Verfahren in dem neuen Kontext sehr wohl eingesetzt werden. Der höfisch-historische Roman hat bekanntermaßen die subordinierende Multiplikation im Sinne der Abbildung einer allgemeinen hierarchischen (Welt-) Ordnung29 exzessiv beansprucht und sich gleichzeitig legitimatorisch bemüht, den Forderungen der aristotelischen Poetik nach Wahrscheinlichkeit, nach Einheit der Handlung, des Orts und der Zeit Rechnung zu tragen. Die Verpflichtung auf den medias-in-res Einsatz – dass der Leser in die Handlung mittenhinein versetzt wird, an eine bestimmte, hinsichtlich ihrer Abstände zu Beginn und Abschluss der histoire zu bewertende Stelle derselben also – garantiert das Ende, und damit, ein Stück weit, die Einheit: die Fortsetzung des Romans müsste jenen Wert mindern, die Fortsetzbarkeit verwehrte seine Feststellung; die Amplifikation kann, gewissermaßen, nur nach innen, durch gestaffelte Einschlüsse erfolgen. Gleichzeitig aber entlastet die Etablierung eines anderen, eines politischen Handlungsbereiches die hierarchische Verhältnisbildung in ihrer integrativen Funktion: die in sich ja relativ abgeschlossenen Liebeshandlungen können über das politische Feld zueinander in bestimmte (kausale) Relationen treten, ohne über durchskalierte Abweichungen vom Ideal, durch soziale Rangunterschiede gekennzeichnet werden zu müssen. Auch die didaktische Funktion, das Einbringen von Wissensbeständen, kann die hierarchische Konstruktion entlasten. Für die Römische Octavia, am Ausgang dieser Gattungsgeschichte, wird jedenfalls nur in einer kleinen Spitzengruppe die Zuweisung von Rängen sich als sinnvoll erweisen, der überwältigende Rest der Liebeshandlungen erscheint, abgesehen von den immer anzulegenden Kriterien des Umfangs und der Stellenstreckung, im Verhältnis lockerer, tatsächlich über die politische Handlung weitgehend integrierter Koordination: zu vermuten wäre, dass auch in den übrigen Vertretern der Gattung die Differenzierbarkeit der Rangfolge überschätzt wird.30 29 Günter Dammann: Liebe und Ehe im deutschen Roman um 1730. In: ders., Dirk Sangmeister (Hrsg.): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 2004, S. 35–90, hier: S. 44f, sieht in den neuplatonischen Grundlagen der den höfisch-historischen Roman dominierenden Liebeskonzeption die hierarchische Ordnung vorgegeben: »Unter dem Postulat der Ähnlichkeit wird die Liebe in einem prinzipiell vertikal strukturierten, also hierarchisch verfaßten Kosmos, in dem alle Dinge allen anderen Dingen gegenüber höher oder niederer oder gleich sind, zu einer notwendigen Liebe aufgrund gleichen Ranges. Die Offenheit der Partnerwahl ist bis zum äußersten reduziert, die Chancen auf Gegenliebe sind systematisch geregelt und gesichert. Was sich in ›eodem ordine‹ gegenübersteht, sich also ähnlich ist, liebt im jeweils anderen den mit ihm selbst gleichen Grad an Göttlichkeit. In dieser fundamental metaphysisch konzipierten Eroslehre ist Liebe eine Affektion durch Qualitäten innerhalb eines Systems ontologisch bestimmter Hierarchien.« 30 Weitgehend entfällt in dem Roman auch der Zwang zur Manifestation einer »Systematizität« der Liebeshandlungen, die, laut Günter Dammann: Liebe und Ehe, S. 48f, durch die Ein-

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Beeindruckend sind, und viel Raum beanspruchen werden unten die in der Römischen Octavia zu registrierenden Folgen der Bemühungen um eine Beschränkung der Nutzung des räumlichen und zeitlichen Mediums (Kap. 5.11– 12). Sie gehen einher mit einer Differenzierung und Strukturierung beider Medien, die weit über das hinausgeht, was die narrative Ausrichtung auf ein individuelles Erleben dieser beiden Dimensionen nahelegte, und bleiben romangeschichtlich folgenlos. Die Differenzlogik des galanten Verhaltens- und Interaktionsmodelles, in der eine positive Setzung sich unmittelbar selbst verbraucht,31 verbietet die Annahme einer konstanten, hierarchisch durchskalierten Ordnung, die sich mit Mitteln subordinierender Multiplikation abbilden ließe; ohne dass doch auf Idealität, auf die fiktionale Modellierung gelungener galanter Kommunikation und Interaktion und die Abgrenzung von Verfehlungen verzichtet würde. Gerade dazu bedarf es aber der Variation erst ermöglichenden Wiederholungen, die die subordinierende Multiplikation bereitstellt: »das System der Distinktion [kann] nur dann vor Augen gestellt werden, wenn es weitgehend aufgefächert wird. Das heißt aber auch, daß die Erzählung sowie die Gespräche der Figuren um einzelne Handlungen oder Verhaltensweisen kreisen, die auf immer neue Weise problematisiert werden und damit scheinbar Redundanz produzieren. […] Die scheinbare Redundanz erweist sich folglich als bewußter Differenz- bzw. Distinktionsmarker.«32 Die Liebeshandlungen, als vollständige, verlieren sich ins skizzenhafte,33 hauptsächlich nämlich als Vehikel der »Handlungen oder Verhaltensweisen« dienend, die der eigentlich bewertete Gegenstand sind. Nicht die fein differenzierte, theologisch fundierte Hierarchie, in der jedes, auf seinem Platze, am Ganzen teilhat, gilt – ausgedrückt in dem gleichen, glücklichen Handlungsziel aller relevanten Paare –, sondern eine binäre Unterscheidung von In- und Exklusion gewinnt Profil, zurückgreifend auf das krudere Mittel der Differenzierung von Handlungsausgängen, der poetischen Gerechtigkeit also. Es folgt nun die möglichst konzise Darstellung des gesamten, die einheitsbezogenen Reihen, ihre Multiplikationen und Assoziationen betreffenden Befundes.

bindung oder Eliminierung von ›Überzähligen‹ Liebenden gewährleistet werden müsste. »Da Überzählige als Subjekte unglücklich sind, da von ihrem nicht befriedigten Begehren eine stete Potenz der Unruhe ausgeht und sie mithin den Widerspruch zum Gleichgewicht und zur Erhaltung des Systems verkörpern, müssen auch die ungeliebten Liebenden jeweils zum Paar gebunden werden.« (S. 49) 31 Vgl. Rose: Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin/Boston 2012, S. 16. 32 Steigerwald: Galanterie, S. 493f. 33 Auf eine mangelnde Motivierung vor allem des Abschlusses der Liebeshandlungen in der Verliebten und galanten Welt weist hin Steigerwald: Galanterie, S. 461.

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Einheitsbezogene Reihen

In die Präsentation des Befundes werden drei Exkurse eingefügt; das sind die Ermittlung der Verfahren zur Finalisierung koordinierender Vervielfachung (Kap. 2.4.1.1), die Vorstellungen der räumlichen Differenzierung der Romane auf Ortsebene als Voraussetzung der einheitsbezogenen Bewegungsreihen und, teilweise, der Multiplikation von Handlungsreihen (Kap. 2.4.3.1); und des Variationsspektrums der Liebeshandlung im Hinblick auf die multiplikatorischen Verfahren (Kap. 3.1.1).

2.2. Einheitsbezogene Handlungsreihen Berücksichtigt wird das gesamte Korpus. Keine einheitsbezogene Handlungsreihe Carneval, Statist, Schelmuffsky Kommentar: In diesen Romanen rücken also andere Reihentypen zu die Hauptlast der Integration tragenden Reihen auf. Im Raffinirten Statist ist das die Aneinanderreihung mehrerer stark heterogener Handlungsreihen; im Carneval die Aneinanderreihung gleichartiger Handlungsreihen; im Schelmuffsky die Figurenbewegungsreihe des Helden. Noch einmal anders gewendet: in allen drei Fällen lassen sich diese Größen, wiewohl kausale Relationen zwischen ihnen bestehen mögen, in Form einer übergeordneten Handlungsreihe nicht integrieren. Offensichtlich sind, in Carneval und Statist, die Wechsel der Handlungsträger; Schelmuffskys erste Reise scheint noch im Rahmen der Ausbildung des Helden funktionalisiert, für die zweite Reise entfällt dieser Bezug aber. Einheitsbezogene Handlungsreihe ohne einmaliges Handlungsziel Amor, Reise Reihe

Anzahl an Mögliche Stellen Subsumption zu … Elementen

AU: Liebeshandlung Fortunato34

80

5

Seitenumfang/Gesamtseitenumfang des Romans 80/136

Deckung des Romanumfanges 0,588

Abstand der ersten Stelle zum Romananfang in Seiten 0

Abstand zum Romanende 0

34 Zusammengesetzt aus: Fortunato Ardorea (6 Stellen, 59 Seiten: AU 1, 13–17, 19–63, 69–71, 83– 90, 105f), Fortunato Eleonore (1 Stelle, 7 Seiten: AU 3–10), Fortunato-Unbekannt (1 Stelle, 2 Seiten: AU 10–12), Fortunato-Spinosa (2 Stellen, 2 Seiten: AU 90, 92f), Fortunato-Aurora (1 Stelle, 9 Seiten: 92–101), Fortunato-Unbekannt (2) (1 Stelle, 1 Seite: AU 136).

81

Einheitsbezogene Handlungsreihen

(Fortsetzung) Reihe

Anzahl an Mögliche Stellen Subsumption zu … Elementen

RE: Anstellung Seladon

6

2

Seitenumfang/Gesamtseitenumfang des Romans 6/138

Deckung des Romanumfanges 0,043

Abstand der ersten Stelle zum Romananfang in Seiten 83

Abstand zum Romanende 16

Kommentar: In Amor auf Universitäten ist die Möglichkeit der Finalisierung mehrerer Liebeshandlungen derselben Figur durch eine abschließende Heirat, oder nur eine abschließende Entscheidung in Liebesdingen nicht gegeben:35 der Roman endet mit der Nachricht, Fortunato liebe nun wieder, die Frage, ob diese Liebe beständig sei aber an ein Ende verweisend, das nicht erzählt wird. Kein Satz kann formuliert werden, der sowohl die Bedingung des Romanendes, wie auch die vorhergegangene Handlung ausdrückte.36 Gegenüber den zusammengesetzten Liebeshandlungen von Satyrischem Roman und Adelphico (s. u.) zeichnet sich diejenige Fortunatos außerdem dadurch aus, dass die Phasen, in denen nicht geliebt wird, von den Liebeshandlungen deutlich unterschieden werden (AU 12, 101–105). Die Haupthandlung kann mithin als Alternation von Phasen der Verwicklung in Liebeshandlungen und Phasen ausdrücklicher Liebesabstinenz aufgefasst werden. Weil hier eine reflektierte Entscheidung (AU 91f, 101–105, 110–112) mit besonderem Bezug zur Ausbildung des Helden vorliegt (AU 12), verweist die Reihe auf den biographischen Handlungsbereich; die Phasen der Liebesabstinenz wären im Liebesbereich allenfalls als Negation desselben zu registrieren. Erfüllt sind für die so gebildete, unten im Rahmen der Einzelbesprechung (Kap. 5.9) noch zu problematisierende Haupthandlungsreihe die Kriterien der Textgrenzennähe (Fortunato erscheint, mit Bezug auf seine Liebessituation, im ersten und letzten Satz, AU 1, 136), damit der hinreichenden Erstreckung (es gibt keine ›überstehenden Ränder‹); des hinreichenden Umfanges (80 Seiten, etwa drei Fünftel des Gesamtumfanges); und der möglichen Subsumption zu weniger als sieben Elementen (es gibt zwei Phasen der Liebes-

35 Symptomatisch der in die Zusammenfassung einleitende, auf die Freundesgruppe abstellende Satz bei Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer. Romaneskes Erzählen zwischen Thomasius und Wieland. Tübingen 2007, S. 265: »Erzählt wird von den Abenteuern einer Gruppe von Studenten aus ›Friedrichsstadt‹ (Halle), ›Lindenstadt‹ (Leipzig) und ›Norinde‹ (Nürnberg).« 36 Denkbar wären ja, bei etwas verändertem Ende, Sätze wie: »Fortunato kommt zu dem Entschluss, sich der Liebe zu enthalten.« Oder: »Fortunato findet zur Beständigkeit im Lieben.«

82

Einheitsbezogene Reihen

abstinenz und drei Phasen amouröser Verwicklung, das sind also 5 Elemente in der Alternationsreihe). In der Reise wird die Haupthandlung nicht im Liebes-, sondern im biographischen Bereich gebildet. Das Handlungsziel, die Anstellung, wird dupliziert (RE 373–376, 410).37 Auch Heraldo, in der Welt, heiratet zweimal, auch die erste Ehe, wie die erste Anstellung Seladons, endet rasch. In der Reise aber wird die zweite Anstellung nicht zu Beginn des Textes schon anvisiert, und dann, durch ein intermediäres Handlungsziel, in Latenz versetzt;38 und explizit wird keine Qualität der zweiten Anstellung, die sie gegenüber der ersten Anstellung deutlich genug hervorhöbe – so etwa, dass die erste Anstellung als notwendiger Schritt für das Erreichen der zweiten Anstellung erschiene.39 Textgrenzennähe ist für die zweite Anstellung gegeben: mit ihrer Nachricht endet die Erzählung im eigentlichen Sinne.40 Die Reise des Helden (RE 288–411) kann als Handlungsfunktion41 im biographischen Bereich, als Reise zum Zweck der Ausbildung, und damit in funktionalem Zusammenhang mit den beiden Anstellungen gesehen werden (RE 289–291); schlägt man sie, in diesem Sinne, zur Haupthandlung dazu, ergibt sich eine vollständige Deckung des discours durch die Haupthandlung, sofern er Erzählung ist, also abzüglich der letzten sechzehn Seiten. Die Zielsetzung der Reise ist aber unbestimmter, als das dann erreichte Ziel einer Anstellung. Unmittelbar kausal relationiert sind mit den beiden Anstellungen lediglich zwei Episoden (RE 373–375, 409f), damit beliefe sich die Haupthandlung auf sechs Seiten, bei einer Deckung des discours von 0,043. Eine dritte Möglichkeit bestünde in der Aussonderung derjenigen Interaktionen, die potenziell zu einer Anstellung führen könnten:42 dann läge die Haupthandlung bei 29 Seiten Umfang und einer Deckung von 0,210. Nur die tatsächlichen Anstellungsverhältnisse 37 Das Patronatsverhältnis, in das Seladon zu dem königlichen Abgesandten in Elbipolis tritt, verschafft ihm Aufträge, lässt seinen Vorsatz weiterzureisen aber unberührt (RE 353–355, 361). 38 Dies freilich nur vom Ende des zweiten Teiles her gesehen; im Horizont allein des ersten Teiles ist die Sache mit Charlotte für Heraldo so erledigt, wie für Seladon im Satyrischen Roman die Geschichte mit Inconstantia. 39 Rose: Conduite und Text, S. 315, formuliert bezüglich des Schlusses immerhin: »[Seladon] ist gewissermaßen auf der obersten ihm erreichbaren Stufe der Verwaltungslaufbahn angekommen.« 40 Es folgen nurmehr – darauf wurde oben schon hingewiesen – das zur Illustration der neuen Tätigkeit zitierte Reichtstagsprotokoll (RE 410–417) und die Rede des Canzlers Schröder über den Nutzen der Reisen bei der Fürstenausbildung (RE 417–426). 41 Der Begriff bezeichnet mit Blick auf die Funktion innerhalb der kausalen Struktur generalisierte Handlungselemente. 42 Das sind die Interaktionen mit höherrangigen Personen: RE 292, 303–305 (Briefzustellung), 307f, 317–319 (Briefzustellung), 326–332 (Mittagessen), 343–346, 348f (Dankesbrief), 353– 355 (Leichen-Carmen, geheim. Dienst), 361–363 (Hochzeits-Carmen), 373–375 (Gedichtkorrektur), 375–377 (Dienstreise), 381–383 (Kaufmann), 409f. Insgesamt 28 Seiten.

83

Einheitsbezogene Handlungsreihen

seien aber hier als Haupthandlung bezeichnet; mit den erwähnten, mehr latenten kausalen Zusammenhängen kann erklärt werden, warum eine so knappe, gewissermaßen nur zweifach-punktuelle Handlung die mit ›Haupthandlung‹ gemeinte integrative Funktion erfüllen kann. Offensichtlich ist die Zweiteilung der Reihe. Ihr erstes Element liegt, mit 83 Seiten Abstand zum Textbeginn, bereits im dritten Fünftel des discours, ist also eher auf sein Ende, als auf seinen Anfang bezogen. Intern multiplizierte, einheitsbezogene Handlungsreihen Adelphico, Satyrischer Roman Reihe

Anzahl an Mögliche Stellen Subsumption zu … Elementen

AP: Adel- 4 phico-(Irenie)43

3

Seitenumfang/Gesamtseitenumfang des Romans 96/152

SR: Tyrsa- 3 tes-(Aste- 11 rie) SR: Selander-(Arismenia)

2 3

56/256 123/256

Deckung des Romanumfanges 0,632

Abstand der ersten Stelle zum Romananfang in Seiten 2

0

0,219 0,480

88 0

6 0

Abstand zum Romanende

Kommentar: Integriert werden in diesen Reihen durch das Handlungsziel einer Heirat mehrere Liebeshandlungen eines selben, männlichen Handlungsträgers; streng genommen wäre das Handlungsziel also in die Formel ›x findet eine Frau‹ zu bringen. Subordinierend vervielfacht wird in beiden Romanen nicht die so gebildete, zusammengesetzte Handlungsreihe, sondern die einzelne, letzte Liebeshandlung – vervielfacht also bereits in der einheitsbezogenen Handlungsreihe. Im Satyrischen Roman liegt außerdem der – unten (Kap. 5.6) näher zu besprechende – Sonderfall einer verdoppelten Haupthandlungsreihe vor, eines, mit Blick auf die integrative Funktion, annähernd gleichrangigen Verhältnisses beider Reihen.

43 Die Klammer zur Verdeutlichung, dass es bei der genannten, weiblichen Person, nur um die letzte Partnerin des männlichen Protagonisten handelt, dessen gesamte Liebeshandlungen durch die Reihe integriert werden.

84

Einheitsbezogene Reihen

Folgende Subsumptionen können vorgenommen werden: AP Adelphico-(Irenie): die vorläufigen sind von der finalisierenden Liebeshandlung (AP 118–152) zu unterscheiden. SR Tyrsates-(Asterie), Selander-(Arismenie): für die Reihen einzeln wäre, analog zum Adelphico, die Unterscheidung der finalisierenden Liebeshandlung das Kriterium. Zusammengenommen ergibt sich, wie unten (Kap. 5.6) erläutert, aufgrund des verzögerten Beginns von Tyrsates-Asterie eine Dreiteilung nach dem Muster AA, AB, BB. Einheitsbezogene Handlungsreihen (einfache Liebeshandlungen) Octavia, Adalie, Welt, Höfe, Student Reihe

Anzahl an Mögliche Stellen Subsumption zu … Elementen

RO: Tyridates-Octavia

160

EH: Gustavus-Arione LA: RosantesAdalie

Deckung des Romanumfanges

2

Seitenumfang/Gesamtseitenumfang des Romans 599/5859

19

2

5

VW: He6 raldoCharlotte VS: Infort- 4 unio-Bellandra

Abstand zum Romanende

0,102

Abstand der ersten Stelle zum Romananfang in Seiten 1

374/1213

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Zur Grenze von Band VI: 0

Kommentar: Das Handlungsziel ist die Heirat, dadurch integriert wird nur die Liebeshandlung des betreffenden Paares. Betrachtet man den ersten Teil der Verliebten und galanten Welt als den abgeschlossenen Roman, der er sieben Jahre lang war, muss, für diesen, die Reihe Heraldo-(Selimene) als einheitsbezogene Handlungsreihe gesehen werden, mit folgenden Daten. Die Stellen: VW I/2–37, 41–47, 50f, 60–70, 81–89, 104f, 134–143, 141–191. 8 Stellen, 120/191 Seiten, also 0,628 des Umfanges, die Abstände zu den Textgrenzen: 1, und 0; mögliche Subsumption zu drei Elementen (HeraldoCharlotte, Heraldo-Sirene, Heraldo-Selimene).

Einheitsbezogene Handlungsreihen

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Die vorgeschlagenen Subsumptionen betreffen: RO Tyridates-Octavia: als entscheidendes Kriterium dient der Wechsel der Integrationsform bei den Hindernissen nach der zweiten, der gültigen Verlobung auf den Diomedischen Inseln, die auch den endgültigen Abschluss der Werbungsphase markiert (RO IV/882–885). Für eine nähere Erläuterung dieser Einschätzung siehe unten, Kap. 5.9. EH Gustavus-Arione: möglich ist eine Ausrichtung alleine auf die Trennungs- und Kontaktphasen: gezählt würden dann sieben, die Reihe gerade noch übersichtlich gliedernde Elemente (EH 45–101, 101–212, 212–277, 277–935, 935– 998, 998–1214, 1214–1216).44 Die Werbungsphase (bis zum wechselseitigen Geständnis auf EH 77–79) könnte von der von Hindernissen dominierten Phase und der Hochzeit abgegrenzt werden – so entstünde eine Dreiteilung, die die zu Beginn schon verdeckte Identität Gustavens unberücksichtigt ließe. Enger an den Werdegang, gewissermaßen die Karriere Gustavens würde die Paarreihe eine Zweiteilung anschließen, die die Erfüllung der an ihn gestellten Bedingungen zum Kriterium erhöbe; er agiert in Presarxia ja inkognito, um sich zuerst durch seine Tapferkeit berühmt zu machen (EH 51); und es bedarf, neben dem gestifteten Liebesverständnis, der Teilnahme an einem ersten Feldzug (EH 277–289), damit er sich Thurabe um Arione anzusprechen voll berechtigt fühlt (EH 292). Was folgt, die Gallienreise zu dessen Befreiung, die Kriegsteilnahme gegen die Türken und die Überwindung Baucosis, sind supererogatorische Empfehlungsgründe. Möglich ist diese auf Bedingungen und überflüssige Empfehlungsgründe abstellende Unterscheidung wegen der ausgesprochenen Harmlosigkeit der ›äußerlichen‹ Hindernisse, vor allem der Entführungen, die alle mittels Täuschungen amplifiziert werden.45 LA Rosantes-Adalie: die Reihe lässt sich, mit leichten Verschiebungen, in eine Werbungs- (LA 6–59), eine Hindernis- (LA 59–455) und eine Auflösungsphase (LA 455–461), und, leicht verschoben, in eine Kontakt- (LA 12–59), Trennungs- (LA 59–422) und Kontaktphase (LA 422–461) dreiteilen. Eine mögliche Zweiteilung beruhte auf dem Identitätshindernis, das von Anfang an besteht und, nach mehreren Verwandlungen, erst in der letzten Kontaktphase 44 Das entspricht der Verdreifachung des ›Kompositionsschemas‹, die Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 57f, dem Roman attestiert. Zuerst heißt es: »Das gesamte Geschehen ist eingespannt zwischen Begegnung des Paares und ihr Wiederfinden.« Dann aber auch: »Prinzipiell ließe sich die Reihe unendlich fortführen.« 45 Die Verwechslung der nur von Thurabe nach Hause ›entführten‹ Arione mit einer von einem torgapulischen Graf entführten welschländischen Dame (EH 267); die spät Gustavus erst erreichende Nachricht von der früh gelingenden Befreiung Thurabes (EH 588f); die überhaupt zweifelhafte kausale Relationierung der Entführung Siliberts mit der Hauptpaarreihe durch den ›Propheten‹ Reinaldo (EH 775); und wiederum die früh glückende Selbstbefreiung Ariones (EH 1164–1165) und die verzögert darüber eintreffende Nachricht an Gustavus (EH 1152f). Vgl. Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 56f.

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Einheitsbezogene Reihen

ganz beseitigt wird (LA 423). Pertinenter sind aber gewiss die oben vorgeschlagenen Dreiteilungen. VW Heraldo-Charlotte: die intermediäre, voll wirksame Verhinderung durch die andere Ehe Charlottes (VW I/67-II/153) bewirkt eine Dreiteilung. VS Infortunio-Bellandra: hier gilt dasselbe mit Blick auf Bellandras andere Ehe (VS 50–182).

2.3. Typologie der anderen einheitsbezogenen Reihen Insgesamt konnten im Korpus elf Möglichkeiten zur Bildung einheitsbezogener Reihen ermittelt werden, die nicht Haupthandlungsreihen sind. Davon fallen zwei auf die Ebene des discours, fünf auf die Ebene der histoire, und wieder fünf auf das Verhältnis von histoire und discours. Nähere Erläuterungen und Kommentierungen finden sich in den folgenden Abschnitten. discours a) Die Unterteilung des gesamten discours in hinreichend wenige Teile. Octavia, Höfe, Schelmuffsky, Statist, Welt b) Im Rhythmus der Abfolge häufigerer Unterteilungen hinreichend wenige Änderungen. Octavia histoire c) Die Bildung einer einheitsbezogenen Handlungsreihe in einem anderen Handlungsbereich als dem, in dem die Haupthandlungsreihe gebildet wurde. Octavia, Welt, Satyrischer Roman d) Eine Motivreihe mit sehr vielen Elementen, einer großen Erstreckung und einem großen Umfang kann zu hinreichend wenigen Elementen subsumiert werden. Octavia e) Hinreichend wenige, finalisierte Handlungsreihen folgen aufeinander. Carneval, Statist f) Das räumliche Medium bietet auf der Ebene der histoire, etwa in Form von Figurenbewegungen, Möglichkeiten zu einer Reihenbildung mit hinreichend wenigen Elementen Schelmuffsky, Student, Höfe, Reise, Satyrischer Roman, Adelphico, Amor, Statist, Adalie, Welt

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Typologie der anderen einheitsbezogenen Reihen

discours/histoire g) Wiederum sind Reihenbildungen im räumlichen Medium denkbar. Octavia, Carneval h) Änderungen im temporalen Verhältnis von histoire und discours. Octavia. i) Änderungen im Handlungsbezug der Analepsen. Octavia. j) Änderungen in der Aufeinanderfolge szenischer und raffender Passagen. Adelphico, Satyrischer Roman, Schelmuffsky, Reise, Welt k) Eine Aufeinanderfolge über ein ganzes Aspektbündel definierter Integrationsformen. Welt, Höfe, Octavia So ergibt sich für das Korpus folgende Übersicht (FH = Finalisierte Haupthandlungsreihe, H = sonstige Haupthandlungsreihe): Roman RO

FH x

H

EH LA

x x

x

VW SR

x x

x

VS AU

x

AP CL

x

b x

c x

d x

e

f

x x

h x

i x

x x

x x

k x

Anzahl 9

x

4 2

x

6 4 2 2

x x x x 2

j

x x x

7

g x

x x

x

RS SM RE Anzahl

a x

5

x

1

3

1

2

x

3 2

x x x x 10

3 3

x 2

1

1

x 5

3

3 43

Mithin weisen alle Romane mindestens zwei einheitsbezogene Reihen auf, es gibt aber keinen Reihentyp, der in allen Romanen vertreten wäre. Am häufigsten sind Haupthandlungsreihen (7 mit Handlungsziel, 2 ohne) und im räumlichen Medium auf der Ebene der histoire gebildete Reihen, in der Regel figurenbezogene Bewegungsreihen (9). Mit Abstand am meisten einheitsbezogene Reihen weist die Römische Octavia auf (9), gefolgt von der Welt (6) und dem Satyrischen Roman (4).

88

Einheitsbezogene Reihen

2.4. Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen 2.4.1. Reihung hinreichend weniger Handlungsreihen Die Reihen können einander ähneln, als koordinierte Multiplikate also erscheinen; oder starke Unterschiede aufweisen, etwa in mehreren Handlungsbereichen gebildet sein. Im Raffinirten Statist, zunächst, folgen aufeinander äußerst heterogene Handlungsreihen. Eine erste, noch kategorienlose Inhaltsübersicht: Seite

Umfang 9

Inhalt

1

3–12

2 3

12–22 10 22–77 55

Bewerbungsverfahren um den Ratsposten. Einsetzung des neuen Rats Doctor Lindenmuth; Unterweisung durch den Schwiegervater.

4

77– 131 131– 137

54

Annexion eines Nachbargebiets des Fürstentumes.

6

Tod des Fürsten.

5

Vorgeschichte des Erzählers; sein Aufbruch; seine Ankunft in der Fürstenresidenz.

6

138– 144

6

7

144– 210

66

Etablierung der ruinösen Regierung des neuen, jungen Fürsten; Einsetzung des Präsidenten als Regierungschef; Problem: wie Geld herbeigeschafft werden kann. Vergebliche Versuche, Geld herbeizuschaffen.

8

210– 214 214– 224

4

Tod des jungen Fürsten.

10

Etablierung der neuen Regierung: Bestätigung des Präsidenten; Herrschaft des freigelassenen Herzoges über das zurückerlangte Gebiet; sein Anspruch auf Vormundschaft über den minderjährigen Erben.

64

Konflikt zwischen Präsident und Doctor Lindenmuth; Prozess.

9

10 224– 288

Es lassen sich biographische Reihen,46 Reihen des politischen Handlungsbereiches47 und Verfahrensreihen48 unterscheiden. In keiner der Kategorien liegen Reihen vor, die die Gesamtheit des discours abdeckten: der Beginn (RS 3–12) kann nur biographisch, die große Mittelpartie, aufgrund der ausbleibenden 46 Die biographische Reihe des Erzählers: RS 3–12, 140f, und des Doctor Lindenmuth: RS 12–77, 224–288. 47 Die politische Handlung des von der Residenzstadt (RS 11) regierten Fürstentums: RS 54–224. 48 Die Bewerbung um eine Ratsstelle (RS 12–22), die Einführung in die Ratsstelle (RS 22–77) und der Gerichtsprozess (RS 224–288).

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

89

politischen Funktionalisierung der bisher biographisch eingeführten Personen (RS 77–224), nur politisch aufgefasst werden. Am meisten Überschneidungen gibt es noch in den drei Verfahrensreihen, die allesamt in die biographische Reihe des Doctor Lindenmuth integriert werden können; und der Prozess hat auch politische Relevanz. Auf dieser Grundlage bietet sich eine Vierteilung nach dem Schema a-b-c-b’ an, mit einem ersten rein biographischen Element (RS 3–12), und dann einer Folge eines multifunktionalen Elementes (RS 12–77), eines rein politischen Elementes (RS 77–224) und wieder eines multifunktionalen Elementes (RS 224– 288); die Multifunktionalität bezieht sich jeweils auf den politischen, den biographischen und den Verfahrensbereich, wobei die hierbei beanspruchte biographische Reihe eine andere als die des ersten Elementes ist. Die Proportionen sind: sehr kurz – kurz – lang – kurz. Bei den fünf Liebeshandlungen des Carneval49 hingegen kann von koordinierender Multiplikation in einem engeren Sinne gesprochen werden. 2.4.1.1. Verfahren zur Finalisierung koordinierend vervielfachter Reihen Im Unterschied zur subordinierenden Multiplikation, wo die ranghöchste Reihe mit einem Einheitsbezug versehen wird, der unabhängig von der Anzahl der vervielfachten Reihen bestehen bleibt und insgesamt eine Finalisierung der Handlung ermöglicht, hängt der Einheitsbezug der Reihe koordinierter Handlungsreihen allein an ihrer geringen, überschaubaren Anzahl und muss, prinzipiell, ohne Finalisierung auskommen, da vom Ende einer einzelnen Reihe aus nicht zu beurteilen ist, ob die Aneinanderreihung von Handlungen zum Ende kommt. So drängt sich die Frage auf, ob nicht doch Verfahren identifiziert werden können, die eine Finalisierung der Koordination suggerieren und so den zunächst rein discours-bezogenen Einheitsbezug der Reihe koordinierter Handlungen über die Kriterien der Textgrenzennähe, des großen Umfanges, der hohen Deckung und der genügend geringen Anzahl von Elementen hinaus absichern. 49 Floramor-Rosinde (CL 2–212), Floramor-Belline (CL 212–301), Selimor-Scintille (CL 301– 364), Sylvander-Saladine (CL 364–440), Sylvander-Unbekannt (CL 440) – der Umfang jeweils: 210, 89, 63, 76 und 1 Seite. Die knappe Zusammenfassung bei Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln/Graz 1963, S. 94, kann vollständig zitiert werden: »Corvinus erzählt von einer Dame, die ihren Anbeter endlos schmachten läßt, einer maîtresse curelle, die, als sie endlich nachgibt, den Geliebten betrügt, schließlich von beiden Männern verlassen wird und einsam zurückbleibt; von einem Liebenden, dessen Geliebte ein Kind von ihm bekommt und ihn quält, bis er im Irrenhaus endet; von einem Mädchen, das ihren Geliebten unter der falschen Vorspiegelung, das Kind, das sie erwartet, sei von ihm, zur Ehe zwingt, ihn dann dennoch verliert und nach verzweifeltem Umherirren ins Kloster geht.« Ausgelassen wird hier seltsamerweise Floramor-Belline; und unerwähnt bleibt die letzte Heirat Sylvanders, der unerwartet glückliche Ausgang für diesen also.

90

Einheitsbezogene Reihen

Der Blick geht, dies zu ermitteln, auch auf nicht einheitsbezogene Fälle koordinierender Multiplikation im Korpus. Drei Verfahren kommen in Betracht: – Erstens eine Rahmung der koordinierten Reihen durch Elemente eines anderen Handlungsbereiches oder durch einen Ebenenwechsel im Verhältnis von discours und histoire. Im Korpus finden sich die oben bereits besprochenen Erzählerankündigungen (CL 1, SM 1–5, 77, 120) und gesellige Kontexte (RO II/172–244, III/835– 859; AU 71–83, 112–135; VS 75–114, 134–150). – Zweitens durch Relationen, die von den durch die Vervielfachung ohnehin gegebenen Relationen signifikant abweichen. Im Carneval sind Zweiteilungen der koordinierten Reihen über Figurenreihen und über Schauplatzwechsel möglich. Die Figurenreihe Floramors (CL 2–301) verbindet die Liebeshandlungen Floramor-Rosinde und Floramor-Belline – in beiden ist Floramor der Liebende. Sylvander wird auf der Folgeseite CL 302 das erste Mal erwähnt; er fungiert in Selimor-Scintille als Nebenbuhler, in den letzten beiden Liebeshandlungen aber als Liebender. Der Schauplatz wechselt mit Einsatz von Sylvander-Saladine von Pindaris nach Velcoris (CL 364). Möglich wäre auf dieser Grundlage allenfalls eine Dreiteilung nach Muster: 1.–2. Liebeshandlung (Floramor/Pindaris); 3. L. (Sylvander/Pindaris); 4.–5. L. (Sylvander/Velcoris). Eine Möglichkeit zarter Finalisierung ergibt sich für die Abfolge der ersten vier Liebeshandlungen, wenn man auf die Gewichtung der in der Liebeshandlung vorgesehenen Handlungsphasen schaut. Die Werbungsphase in FloramorRosinde umfasst alleine mehr Seiten (CL 2–102) als je die folgenden Liebeshandlungen insgesamt. Etwa das letzte Drittel von Sylvander-Saladine (CL 413–440) schildert die Zeit nach der erfolgten Heirat und führt als einzige zeitlich weit über die eigentlich geschilderte Beziehung hinaus – im einen Fall gar in eine nächste, nun glückliche Ehe (die 5. Liebeshandlung). Über Floramor-Belline und Selimor-Scintille kann nun etwas Entsprechendes nicht gesagt werden. Das Ende wird jeweils recht zügig abgehandelt; in der Werbung kommt es nicht zu dem in der ersten Partie erlebten reichlichen Hin-und-her von Abweisung und Anziehung. Man könnte auf die besonders markanten Komödienelemente verweisen, insbesondere die Figur des Leporander (CL 334–350), aber auch das Wiederauftauchen Rosindes und das lange, auf Verwechslungen beruhende Gespräch zwischen Floramor und Belline hierauf (CL 237–249). Egal, wie man dies bewertet, bestätigt sich die zu erhärtende These aber bereits dadurch, dass in den Mittelteilen nicht auch weit über die Beziehung hinausgegriffen oder ausführlich die Werbungsphase geschildert wird; es bleibt dann ja bei zwei gewissermaßen rahmenden Elementen, bei

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

91

einer finiten Variationsreihe, die ihre Beendbarkeit dem endlichen Verlauf des variierten Handlungsmusters entnimmt. – Drittens durch Steigerungen oder Abnahmen z. B. des Umfanges, Kontinuierliche Steigerungen oder Abnahmen im Umfang sind in keinem Falle zu bemerken. Novellenrunde Crispinas: 6, 4, 3, 3, 3, 33 Seiten; Liebeshandlungen im Carneval: 211, 89, 63, 75, 1; Novellenrunde im Amor: 12, 8, 2. Reisen Schelmuffskys: 70, 37. Das sind also drei deutliche Abnahmen und nur eine noch deutlichere Zunahme. In beiden Romanen, in denen der Einheitsbezug nur über die koordinierende Multiplikation gestiftet wird, liegen Abnahmen des Umfanges vor. – der Ähnlichkeit der Handlungen untereinander, eines bestimmten Aspektes auf der Ebene der histoire. Im Carneval können zwei Steigerungen ähnlichen Zuschnittes unterschieden werden, hinsichtlich der Beziehungsenden, und hinsichtlich der ›ernsthaften‹ Handlungselemente, Autoritätsfragen also und solcher Ereignisse, die über die Dauer der Beziehung hinaus das Leben der Partner beeinflussen: Liebeshandlung 1: Trennung ohne Konsequenzen/Keine, L. 2: Zwangsheirat (CL 279), Tod beider durch Kummer (CL 296–299)/Elternzwang (CL 273–291), L. 3: Glückliche Heirat auf weiblicher (CL 358f, 363), Tollhaus auf männlicher Seite (CL 363f)/Schwangerschaft (CL 350–353), Heirat (CL 363), Wahnsinn durch Drogen (CL 359–364), L. 4: Verarmung und Tod auf weiblicher (CL 436), glückliche Heirat auf männlicher Seite (L. 5)/vorgetäuschte Schwangerschaft (CL 412f), erzwungene Heirat (CL 413), Erbe (CL 414f), Untreue mit Schwangerschaft und Totgeburt (CL 420–430), Verstoßung, Verarmung und Tod (CL 436), glückliche Heirat (L. 5). Die Steigerung bei den ernsthaften Elementen ist offensichtlich; aber auch für die Handlungsausgänge lässt sich eine durchgehende Steigerung im Hinblick darauf denken, wie groß die Diskrepanz in den Schicksalen der Liebenden nach der Trennung wird. Die einander auf dem niedrigsten Rang tendenziell beigeordneten Liebeshandlungen 3–6 der Adalie können anhand des Grades ihrer Öffnung gegenüber dem politischen Handlungsbereich und der Haupthandlung, mit der nicht die über temporäre Nebenbuhlerschaft laufende funktionale Verschränkung erfolgt, in eine Steigerungsperspektive gesetzt werden: L. 3: Politik – nein; Rosantes-Adalie – nein; L. 4: Politik – ja; Renard-Barsine – nein. L. 5: Politik – nein; Rosantes-Adalie – ja; L. 6: Politik – ja; Renard-Barsine – ja. Für die zweite Reise Schelmuffskys kann auch in einigen inhaltlichen Hinsichten eine Abnahme gegenüber der ersten Reise konstatiert werden. Sie hat weniger Stationen (3 statt 7), führt nicht so weit (nur bis Rom, statt bis nach Indien), wird mit nur einer Reiseart bestritten (über Land, statt über Meer und über Land) und enthält keine Liebeshändel (statt ihrer fünf).

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Einheitsbezogene Reihen

Für Ordnungsmöglichkeiten der nicht in die Spitzengruppe gehörenden Liebeshandlungen der Römischen Octavia siehe die – Handlungsausgang, geographische und soziale Zugehörigkeit, Stellenverteilung betreffenden – Vorschläge im Anhang. Im Studenten, in dem, auf niedrigstem Rang, am meisten Liebeshandlungen koordiniert werden, ergeben sich vielfache Ordnungsmöglichkeiten: wird binär nach Handlungsausgängen unterschieden, zeigt sich eine leichte Konzentration schlechter Enden gegen die Mitte des Romans,50 eine Tendenz, die auch für Geschichten mit ›lebensverändernden‹ Ereignissen gilt.51 Weitere, das ganze Geschichtenkorpus umfassende Unterscheidungen richteten sich danach, ob der Erzähler selbst in seiner Geschichte vorkommt (sofern es sich um metadiegetische Analepsen handelt),52 oder ob der Schauplatz einer ist, den Infortunio auf seiner Reise aufsucht.53 Das sind alles etwas konstruierte, für die akute Lektüre wenig evidente Kriterien, die Orientierung eher an besonders auffälligen Geschichten suchen wird, um von dort aus das Feld zu ordnen: es gibt die ›Mönchs‹- (8) die ›Judengeschichte‹ (16), vielleicht noch die ›ausschweifender Prinz‹-Geschichte (21) – eine Zuordnung nach solchen Milieus versagt aber sonst. Nr. 7 enthält die komplette Bildungsgeschichte eines jungen Mannes – von der ersten Abweichung bis zur glücklichen Versöhnung – und schweift in räumlichem und zeitlichem Medium am weitesten aus, während andere Handlungen sich auf eine Situation beschränken (23). Es gibt motivische Auffälligkeiten – den beim Liebesspiel unbeholfenen Tollpatsch (13), den einzigen Rachemord (8), Entführungen (8, 10), die Motive größerer, erotischer Brisanz (5, 6, 9, 11, 12, 16, 17, 19, 21, 23) – aber was ist dabei gewonnen, da selbst diese, die doch den ›Grundton‹ des Romans am ehesten auszumachen scheinen, nur der Hälfte der gereihten Liebeshandlungen mitgegeben sind?

2.4.2. Einheitsbezogene Handlungsreihen anderer Handlungsbereiche Den Haupthandlungen des Liebesbereiches können einheitsbezogene Freundschaftsreihen im Satyrischen Roman und in der Verliebten und galanten Welt, und eine einheitsbezogene politische Handlung in der Octavia beigesellt werden. Die integrative Funktion der Freundschaft zwischen Tyrsates und Selanders soll unten (Kap. 5.6) genauer erläutert werden. 50 Gutes Ende: 5–7, 11–12, 16–24 (die Ziffern beziehen sich, wie im Folgenden auch, auf die Nummerierung der Liebeshandlungen im Anhang). Schlechtes Ende: 8, 9, 10, 12, 14, 15. 51 5, 7, 8, 11, 12, 14, 15, 24. 52 6, 11, 16, 17. 53 Das ist nicht der Fall be 7, 8, 9, 13, 16, 22.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

93

In der Welt handelt es sich nicht um eine Einzelfreundschaft, sondern um die Reihe der einander ablösenden Freundschaften Heraldos, gebunden jeweils an einen Ortswechsel und einhergehend mit einem Wechsel des Freundschaftstyps: keine Freundschaft (Reistedt), Gruppenfreundschaft (Salamoena),54 Einzelfreundschaft (Amosina). Der Einheitsbezug der politischen Handlung Roms in der Römischen Octavia aufgrund von Textgrenzennähe, hinreichendem Umfang und hinreichender Erstreckung, sowie hinreichend herausgehobener Stellung im politischen Handlungsbereich ist offensichtlich – nur die Wahl einer Leitunterscheidung, die in ihr hinreichend wenige Elemente unterscheidbar machte, ist angesichts ihrer enormen Komplexität schwer zu beantworten. Eine entsprechende Problematisierung und ein Vorschlag finden sich unten (Kap. 5.10.2).

2.4.3. Figurenbewegungen Der Einheitsbezug einer Figurenbewegungsreihe wird im Korpus auf vier verschiedene Weisen erzeugt: – durch eine hinreichend geringe Anzahl von Ortsveränderungen: Statist: Erzähler: Burg Geroltz Eck (RS 3–10), →55 Residenzstadt (RS 10–12), Residenzstadt (RS 12–288). 2 Aufenthalte. Kommentar: Die Bewegung erfolgt zu Beginn des Romans und verliert ihre Verbindlichkeit für die Integration des Textes weitgehend durch den verschwindenden Anteil der Erzählerfigur an der Handlung selber. Satyr. Roman: Tyrsates: Salaugusta (SR 1–26), → Lindenfeld (SR 26–48), Lindenfeld (SR 48–64), Salaugusta (SR 64–66), Venedig (SR 66–224), → Ravenna (SR 224–227), Ravenna (SR 227–239), Venedig (SR 240–250), → deutscher Grenzort (SR 250f), Grenzort (SR 251–256). 7 Aufenthalte. Kommentar: Der Einheitsbezug der Bewegungsreihe Tyrsatens ist eher gegeben als der der Bewegungsreihe Selanders, und zwar wegen des Roman54 Bei der Gruppenfreundschaft handelt es sich eigentlich um eine erweiterte Einzelfreundschaft: mit Milander war Heraldo schon vertraut gewesen; dieser stellt ihn Hermantes, Azestes und Syrandes vor, einer »Compagnie etlicher Cavalliere von Salamoena« (VW I/36). Die Bindungen dieser Gruppe sind sehr locker: erst die gemeinsam Heraldo geleistete, zu seiner Heirat mit Selimene führende Assistenz bildet ein abschließendes, deutlich integratives Moment (VW I/ 188–192). Wie die Freundschaften enden, wird indes nicht ausgeführt. Muss angenommen werden, dass der Wechsel in den Ehestand die Compagnie automatisch auflöst? In Heraldos Erzählung von der unglücklichen Ehe mit Selimene kommen die Freunde, obwohl Heraldo sich da noch in Salamoena aufhält, nicht mehr vor, und auch der Abschied von Salamoena wird nicht mit einem Abschied von den geschätzten Cavallieren assoziiert (VW II/94). 55 Der Pfeil bedeutet hier und folgend: ›unterwegs nach‹.

94

Einheitsbezogene Reihen

einganges und weil die Erzählung am Ende erst mit Tyrsates Venedig Richtung Teutschland verlässt, und nicht schon mit Selander. Die fünf Aufenthaltsorte lassen sich noch einmal auf drei kürzen, wenn die Ausflüge nach Lindenfeld und Ravenna Salaugusta und Venedig – wo sie beginnen und enden – zugerechnet werden (dann wird die Reihe also dreiteilig: SR 1–66, 66–250, 250– 256). Theoretisch ist auch eine Auffassung auf Länderebene möglich, dann handelte es sich bei der letzten Bewegung um eine Wiederkehr; dem steht die geringe Ausgestaltung des Länderparadigmas entgegen, und die große Differenz zwischen Salaugusta und dem unbestimmten Grenzort des Schlusses. Welt: Heraldo, bezogen auf Ortszusammenhänge: Reistedt (VW I/1–36), Salamoena (VW I/36–191), Amosina (VW II/1–191). 3 Aufenthalte. Kommentar: Vier Ortszusammenhänge lassen sich unterscheiden anhand der Erreichbarkeit umliegender Orte über einen Zentralort56 und anhand der örtlichen Gebundenheit der meisten Personen an sie, das sind Reistedt,57 Salamoena,58 Pleisilia und Amosina.59 Die Bewegung bindet, mit folgenden Ausnahmen, auch die Erzählung: ›in‹ Amosina gibt es analeptische Rückgriffe nach Pleisilia (VW II/22–67) und Salamoena (VW II/74–93), ›in‹ Salamoena eine alleine vom Erzähler besorgte Analepse nach Reistedt (VW I/63–67). – durch eine Unterteilungsmöglichkeit in Hin- und Rückreise: Reise: Seladon: Hinreise: Heimat (RE 288–291), fürstlicher Hof (RE 291–308), → Residenzstadt (RE 308–316), Residenzstadt (RE 316–351), → Elbipolis (RE 351– 56 Das heißt die umliegenden Orte sind von dem Zentralort, aber nicht von den zu einem anderen Zentralort gehörigen Orten erreichbar. Eine Ausnahme bildet der Aufenthalt Charlottes am Ende des zweiten Teiles, wenn sie von Reistedt aus dorthin gereist ist. 57 Bergrosen, Charlotte, Fridelo und Melinde sind an diesen Ortszusammenhang ausschließlich gebunden. Von hier aus reist Heraldo nach Jenona, Charlotte wahrscheinlich zu ihrem Aufenthaltsort im zweiten Teil. 58 Innerhalb des Ortszusammenhanges gibt es also folgende Bewegungen: Jenona → Salamoena (VW I/38); Salamoena → Lindenfeld → 1. Schloss → 2. Schloss → 1. Schloss → Lindenfeld → Salamoena (I/70–80); Salamoena → Lindenfeld (I/112–127); Salamoena → Lemandes Güter (I/134); Salamoena → Jenona → Salamoena → Freies Feld, nächster Flecken → Elbe → Elbipolis → Arsenias Schloss → (Salamoena) (I/152–192); Salamoena → Badeort → Dorf → Wald (II/86–89); Salamoena → Welschland (II/93). Salamoena → Amosina (II/1–14) führt in den nächsten Ortszusammenhang. 59 Menardi kommt vom Leburginischen Hofe nach Amosina und ist eigentlich auf dem Weg nach Holland (VW II/70); er endet aber nach der Station in einem Wirtshaus »ohnweit Amosina« (II/ 151), stirbt in unmittelbarer Nähe, wird in einem Dorf in einen Sarg gebracht und zu Wasser nach Sachsen geschickt (II/152). Seladon kommt von Pleisilia, Heraldo von Salamoena. Heraldo geht zu Menardis Begräbnis und zur erneuerten Werbung zu Charlotte – wo auch immer die sich zu der Zeit genau aufhält. Seladon verlässt die Stadt, um irgendwo eine Oberstallmeisterstelle anzutreten, Amalia, um Äbtissin zu werden – beide Orte sind nicht benannt.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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353), Elbipolis (RE 353–371), Amsterdam (RE 371f), Den Haag (RE 372–381).60 Rückreise: Bremen (RE 381–383), → Hamburg (383), Hamburg (RE 383–409), → Regensburg (RE 409f). – durch eine Wiederkehr zum Ausgangsort: Amor: Fortunato: Norinda (AU 2–10), → Friedrichsstadt (AU 10–12), Friedrichsstadt (AU 12–17, 19), Viduamontana (AU 19), Friedrichsstadt (AU 19–38), Jenona (AU 38f), Friedrichsstadt (AU 39–45), Lindenstadt (AU 45, 1), → Friedrichsstadt (AU 2, 17–19, 45f), Friedrichsstadt (AU 46–71), Festung Gibigenstein (AU 71), → Friedrichsstadt (AU 71–83), Friedrichsstadt (AU 83– 87), → Lindenstadt (AU 87–89), Lindenstadt (AU 89–136), Norinda (AU 136). Kommentar: Durch die erste Analepse wird der Ausgangsort Norinda von der ersten Textgrenze etwas gelöst. Die unvermittelte Rückkehr dorthin verbietet eine Unterteilung in Hin- und Rückreise. Friedrichsstadt kann als gestaffelter, zweiter Ausgangsort gelten: die Bewegungen nach Viduamontana, Jenona, Lindenstadt (zweimal) und zur Festung Gibigenstein gehen alle von Friedrichsstadt aus und führen, bis auf die letzte, dorthin wieder zurück (das Schema also: a-b-c-b-d-b-e-b-f-b-e-a). Studente: Infortunio: Philuris/Philneis (VS 8–16, 28–50), Urona (VS 5–8, 16– 28, 50–64), Svelphos (VS 64–75), Albinopel (VS 75–129), → Urona (VS 129– 133), Urona (VS 133–191), Albinopel (VS 191–194), Philuris/Philneis (VS 194– 223), Hof Gustavs, Königs von Sarmatien (VS 223). Kommentar: Durch die erste Analepse wird auch hier der Ausgangsort Philuris/Philneis von der ersten Textgrenze etwas gelöst, außerdem erfolgt nach der Rückkehr noch eine letzte, ausscherende Bewegung. Auch hier verbietet sich eine Unterteilung in Hin- und Rückreise. Angelegt scheint in den ersten Bänden der Römischen Octavia die Bildung einer einheitsbezogenen Reihe in der Figurenbewegung Tyridatens, sie zerfranst aber in den Erweiterungen des Romans zunehmend. Kommentar: Der discours der Octavia setzt mit dem beginnenden römischen Aufenthalt Tyridatens ein (RO I/16, 177f); Vasaces drängt bereits am 20. April auf eine schleunige Abreise, eine Rückreise also nach Armenien (RO I/429f), endgültig verlässt Tyridates Rom aber erst Ende des vierten Bandes (RO IV/ 854f) mit dem Ziel der Versammlung morgenländischer Könige in Dacien; nur 60 Der Umkehrpunkt kann genau benannt werden: »Es wolte ihm aber keine sothane Gelegenheit in kurtzem wieder aufstossen, uns etwas zu kostbar fallen, lange daselbst darauf zu warten, darum resolvirte er sich zumahl ihn von Hause Briefe zu einer kleinen Erbschafft citiren, sein Vaterland wieder zu besuchen.« (RE 377f)

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Einheitsbezogene Reihen

Vasaces reist, von Stenostomum aus abgeschickt, bis nach Armenien durch, von dort Verstärkung für den Konflikt im Donaudelta besorgend (RO V/356). Tyridates plant die Heirat mit Octavia, als der Konflikt beigelegt ist, noch auf den Donauinseln zu vollziehen (RO VI/324); er reist nach den Entführungen Sulpitias und Parthenias Daria nach Meden hinterher (RO VI/446f) und gerät dann in die indische Gefangenschaft (RO VI/588–598). War die ›Erzählung‹ ihm in den großen Linien bisher gefolgt, hält sie sich ab Beginn der Verfolgung Darias an Octavia: mit ihr nach Antiochia, auf den Carmel und durch Palästina reisend. Was ist dann das Ziel Tyridatens? Er muss sich aus Indien befreien, er wird zu Octavia auf den Carmel zurückwollen, wo auch Vologeses sich aufhält; um Armenien hat sich indes Vasaces schon gekümmert (RO VI/593); was bisher ihn zur Rückreise gedrängt hatte, in seinem eigenen Land als König wieder zu erscheinen, ist, nur eben für das neu hinzugekommene Land Meden, schon geschehen (RO VI/592f). All dies sind Argumente, die Bewegungsreihe Tyridatens in der Unterteilung in den römischen Aufenthalt (Bände I–IV) und die Rückreise (Bände V–VI) als einheitsbezogene Reihe nicht zu qualifizieren: nur in Rom ist die auf eine Rückreise drängende Spannung mit einem zu erreichenden Ort eindeutig genug verbunden; möglich, dass am Ende des Romans unserer Fassung doch – wie am Ende der Fassung A – ein triumphaler Einzug in der parthischen Hauptstadt gestanden hätte (RO A VI/1025f), dass die Schlusshochzeiten dort vollzogen worden wären – dann vielleicht doch erschienen all die vorangegangenen Bewegungen als eine einzige, große Rückreise; mit Sicherheit aber lässt sich auf ein solches Ende nicht spekulieren: der Carmel vielmehr scheint ein neues, zwischen Rom und Indien gelegenes, mehr religiös als politisch konnotiertes Zentrum darzustellen, um den sich die räumlichen Gegebenheiten erst neu gruppieren müssen. Von hier aus, tatsächlich, wirkt ein Einzug in der armenischen, parthischen oder medischen Hauptstadt (denn schließlich kämen alle drei in Frage) eher beschränkend – kurzum: die Fragen nach der Beendbarkeit des Romans insgesamt betreffen die Bewegungsreihe seines Haupthelden; sie bleiben offen; also bleibt auch die Bewegungsreihe, trotz der in Rom noch offensichtlich auf eine Schließung drängenden Anlage, eine offene, und wurde deshalb als einheitsbezogene Reihe nicht klassifiziert. – durch eine hinreichend geringe Anzahl solcher Hin- und Rückreisen oder Wiederkehrten: Schelmuffsky: Schelmuffsky: Erste Reise (Fiktion): Hinreise: Schelmerode (SM 7–13), → Hamburg (SM 13– 15), Hamburg (SM 15–33), → Stockholm (SM 33–35), Stockholm (SM 35–45), → Amsterdam (SM 45f), Amsterdam (SM 46–58), → Indien (SM 58f), Indien (SM 59–66), → Londen (SM 66–68), Londen (SM 68–71), → Sanct Malo (SM

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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71–73), Sanct Malo (SM 73–75). Rückreise: → Londen (SM 75), Londen (SM 75f), → Schelmerode (SM 76f). Erste Reise (wahrscheinliche Realität): Schelmerode (SM 7–13), Wirtshaus im Nachbardorf (SM 13–83), Schelmerode (SM 83–91). Zweite Reise (Fiktion): Hinreise: Schelmerode (SM 83–91), → Venedig (SM 92– 94), Venedig (SM 94–101), → Padua (SM 101f), Padua (SM 102–113), Rom (SM 113–119). Rückreise: → Polen (SM 119), → Nürnberg (SM 119), → Schwarzwald (SM 119), → Schelmerode (SM 119f). Kommentar: Der durch keine analeptische Verschiebung relativierte Textgrenzenbezug; zusätzliche Unterteilungsmöglichkeiten in Hin- und Rückreise; die Möglichkeit, durch die wahrscheinlichere Version der ersten Reise die Reisestationen auf eine einzige zu begrenzen; der Mangel einer anderen einheitsbezogenen Reihe – all dies hebt die integrierende Funktion der Reihe hervor. Höfe: Gustavus (Länderebene): Erste Reise: Germanien (EH 32–71), Welschland (EH 71–106), Hispanien/ Torgapulien (EH 145–168, 260–73), Germanien (EH 228–232, 273–293). Zweite Reise: Baviata (EH 293–306, 531–550), Gallien (EH 551–622, 695–729), Germanien (EH 750–753, 773–781, 798–800, 827–829). Dritte Reise: Welschland (EH 830–854), Germanien (EH 935–1002). Vierte Reise: Tualinien (EH 1002—1032, 1150–1214), Germanien (EH 1214– 1216). Kommentar: ›Kürzt‹ man den Ausgangspunkt Germanien, setzt man also die jeweiligen Reiseziele nebeneinander, ergibt das, in der Folge Welschland-Hispanien/Torgapulien, Baviata-Gallien, Welschland, Thualinien eine einigermaßen regelmäßige61 Folge von West nach Ost, in der auch das andere, vom Helden mehr oder weniger unabhängige, räumlich aber gebundene Material der histoire weitgehend erschlossen wird:62 wobei dem letzten Bewegungsziel, Thualinien, insofern eine rekapitulative Funktion zukommt, als hier noch einmal, bis auf Welschland, alle berührten Länder mit Handlungselementen eingebracht werden.63 61 Der erste Verlauf über Welschland und der Verlauf über Baviata könnten als notwendiger ›Anlauf‹ von Germanien aus ebenfalls weggekürzt werden. 62 Ausnahmen sind in der ersten Reisebewegung ein kleiner Ausbrecher nach Brasilien im Rahmen der sechsten Analepse (EH 232–273); an die zweite Reisebewegung ist die achte Analepse (EH 307–527) angeschlossen, mit Schauplätzen in Baviata, Britten und Afrika. 63 Durch die Analepsen 23 (EH 1033–1149), 27 (EH 1168–1175), 29 (EH 1198–1201) und die Gesandtschaft aus Torgapulien (EH 1202–1204). – Hans Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 56f, verweist auf die Abweichungen, die der Roman gegenüber seiner stofflichen Vorlage aufweist: die Umkehr der Reisestationen, die Wandlung einer reinen Kavallierstour in eine Verfolgung Entführter.

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Einheitsbezogene Reihen

Adelphico: Adelphico: Petralto (AP 1–99), Grabome (AP 99f), Rittersitz Niptschos (AP 100), Petralto (AP 100f), Bafchull (AP 101–114), Petralto (AP 114), Grabome (AP 114–119), Piscirivo (AP 119–128), Petralto (AP 128–132), Gnizepalto (AP 132–142), Petralto (AP 142–152). Kommentar: Der Held ist träger als die Erzählung. Sein Aufenthalt zu Petralto in den ersten beiden Romandritteln lädt zu einer Unterscheidung nicht von vier Reisebewegungen ein, sondern, auf Adelphico bezogen, einer unbewegten (Seiten AP 1–99) und einer bewegten Phase (AP 99–152). In der ersten Phase ist Petralto der einzige, in der zweiten Phase der immer wieder aufgesuchte Aufenthalt. Adalie: Rosantes: Erste Reise: Allerona (LA 7–10), Elbipolis (LA 10f), Paris (LA 11–59), Brittanien (LA 103), Elbipolis (LA 103), Allerona (LA 103). Zweite Reise: Beltischer Hof (LA 103f), Brittanien (LA 105f), → Paris (LA 107– 112), → Adalie (LA 112f), Allerona (LA 180–202). Dritte Reise: → Adalie (LA 202, 312), Schloß Courtons (LA 312–351), Allerona (LA 351, 370). Vierte Reise: → Pleisina (LA 371), Pleisina (LA 406–455), Allerona (LA 455– 461). Kommentar: Trotz des Textgrenzenbezuges der ersten und letzten Elemente und der geringen Anzahl von Reisen eine nur schwach integrierende Reihe: die nämlich weniger als die Hälfte des discours abdeckt,64 also die Bewegungen der ›Erzählung‹ nur teilweise, nicht hauptsächlich dominiert.65

2.4.3.1. Die räumliche Struktur auf der für die einheitsbezogenen Reihen relevanten Ebene Die meisten einheitsbezogenen Bewegungsreihen wurden auf der ›Ortsebene‹ gebildet, die, ad hoc, am ehesten folgend zu definieren wäre: – ihre Elemente lassen sich politisch definierten Territorien zuordnen, unterscheiden sich also von diesen; – ihren Elementen kann prinzipiell eine Vielzahl von Wohnorten zugeordnet werden, zwischen denen ohne großen Bewegungsaufwand gewechselt werden kann;

64 Die Seiten LA 59–103, 113–180, 202–312, 351–370, 371–406, insgesamt also 275 von 461 Seiten. 65 Vgl. unten, Kap. 5.8, den Abschnitt zu den »Effekten beinahe vollständiger Integration« in dem Roman.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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– wechselt eine Figur den Aufenthalt auf dieser Ebene, geht damit eine Kontaktunberbrechung zu im verlassenen Element verbleibenden Figuren, oder eine Veränderung der Bedingungen, zu denen Kontakt doch möglich wird, zwangsläufig einher.66 Disponiert wird auf dieser Ebene über die Möglichkeiten, ohne größere Hindernisse eine Situation reziproker Wahrnehmung herstellen zu können; oder über die Notwendigkeit, zu einer solchen Herstellung Zeit aufwenden und den Kontakt zu anderen Figuren unterbrechen, oder auf andere Kommunikationsmittel zurückgreifen zu müssen – mithin: über die Bedingungen der Möglichkeit von Handlungen.67 Bewegungen auf dieser Ebene führen denn auch grundsätzlich zu einer Suspension kausaler Bezüge, die auf verschiedene Weise funktionalisiert werden kann: – Innerhalb einer Handlungsreihe wird den getrennten Figuren ein Verhaltensspielraum eröffnet, dessen Nutzung erst bei erneutem Kontakt als Ursache einer Änderung ihres Verhältnisses, auf das die Handlung bezogen ist, in Rechnung gestellt wird; und dann auch gemäß einer Auswahl, die in den und durch die Modalitäten der gegenseitigen Informierung getroffen wird. – Verlässt eine Figur A nach Abschluss einer Handlung X den Aufenthaltsort der in diese Handlung noch involviert gewesenen Figur B, muss in neuen, A betreffenden Handlungen Y und Z deren Wirkung auf die Figur B nicht auch berücksichtigt werden und die Handlung X büßt durch die Handlungen Y und Z nichts von ihrer Geschlossenheit ein. – Schließlich erlaubt die örtliche Trennung ganzer Handlungen eine höhere Kontrolle über die zwischen ihnen doch erlaubten Relationen: sei es kausaler Relationen, sei es motivischer, also auf Analogie gegründeter Relationen. Das Verhältnis der bereitgestellten Unterscheidungen auf dieser Ebene zu ihrer Nutzung kann auf beiden Seiten Überschüsse aufweisen. Es können also mehr Orte unterschieden werden, als für die Nutzung der oben genannten drei 66 Natürlich gilt das auch für die Bewegungen auf der Ebene der Länder oder anderer geographischer Einheiten, Inseln etwa oder Kontinente; die Angabe des Territoriums oder der geographischen Einheit fungiert aber doch, im Blick auf Trennung und Kontakt, mehr als Zusatzinformation über die Entfernung und, gegebenenfalls, Reisebedingungen. Wird eine Figur alleine auf dieser obersten Ebene verortet, deutet dies in der Regel darauf, dass auch die Erzählung ihr nicht weiter folgen, ihre Aufenthaltsbedingungen also nicht präzisieren wird, und dass die Handlungssuspension wirksam ist. 67 Vgl. – bezogen auf Wickrams Galmy – Lugowski: Die Form der Individualität im Roman. Frankfurt / Main 1976, S. 55f. »Diese Schauplätze […] haben kein positives Nebeneinander, sie schaffen nur immer die Möglichkeit dafür, daß bestimmte Figuren ›weg sein‹ können.« (S. 55)

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Einheitsbezogene Reihen

Funktionen erforderlich wäre; und es können Orte im Kontext mehrerer Handlungen genutzt werden. Auch beides kann zutreffen. Dient ein Ort mehreren Handlungen als Schauplatz, besteht die Möglichkeit, im zeitlichen Medium durch mangelnde Überschneidung ein funktionales Äquivalent zur räumlichen Trennung bereitzustellen. Die Überschüsse auf beiden Seiten: die überschießende Varietät der Orte und die überschießende Varietät der Handlungen im redundanten, das heißt gleichbleibenden Raum, führen zu einer Betonung des räumlichen Mediums und seiner eigenständigen, also handlungsunabhängigen Struktur. Für die Romane Welt, Student, Amor, Satyrischer Roman, Carneval und Adelphico ist ein zentraler, übersichtlicher Ortszusammenhang charakteristisch, der über reversible Bewegungen des oder der Helden erschlossen wird und mehreren Handlungsfunktionen, ja ganzen Handlungen zugeordnet werden kann; über weitere Figurenbewegungen können daran weitere Orte angebunden werden, im Zusammenhang jetzt mit, wenn überhaupt, nur einer Handlungsfunktion; schließlich gibt es die Peripherie derjenigen Orte, die nur über den Sprung etwa eines analeptischen Erzähleinsatzes mit dem zentralen Ortszusammenhang in Verbindung zu bringen sind. Wie der folgenden Tabelle zu entnehmen, enthält der zentrale Ortszusammenhang maximal sechs Orte; und bis auf drei Ausreißer bleiben auch die übrigen Kategorien einstellig. Die Entfernung zwischen den Orten des zentralen Ortszusammenhanges ist in der Regel gering, also in etwa einer Tagesreise zu überwinden.68

68 Die Ausnahme bildet der Satyrische Roman: die geographisch große Entfernung Venedigs zu Salaugusta und Lindenfeld wird aber, etwa durch eine längere Reisebeschreibung, nicht auserzählt – es handelt sich ja ›in Wirklichkeit‹ um Hamburg.

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Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

Roman

Welt

Student

Amor

Satyr. Roman

Über Figurenbewegungen locker an den zentr. Ortszusammenhang angebunden; funktional marginal Reistedt (I/2), Jenona 2 Schlösser (I/70– (I/36), Salamoena (I/ 80), Burdemagd (I/ 38), Lindenfeld (I/ 114), Lemandes 45), Pleisilia (II/23), Güter (I/134), HeAmosina (II/15): 6 raldos Güter (I/151), Elbipolis (I/166), Landgut von Amandas Vater (I/178), Schloss Arsenias (I/ 188–192), Leburginischer Hof (II/67), Seladons Güter (II/ 67) Badeort (II/82– 85), Dorf (II/86–88): 12

Zentraler Ortszusammenhang: erschlossen durch die Bewegung/en des/der Helden

Orte ohne direkte Anbindung an den zentr. Ortszusammenhang

Gesamt

18

Carivoca (35), Thago 25 (46), Merao (53), Pontgerner Brunnen (55), Mondburg (75), Ejan (83), Sanogürbeg (83), Baribanda (156), Reblin (191), Rovan (214), Elysien (216), feste Stadt im gothischen Bußiroa (93), Rautia (128), Hatdasgen (96), Cebenci (107), Allerona (129), Medinen (85): 17 Norinda (7), LinRosenthal (106), Dorffthal (71), in der 10 denstadt (11), Fried- Golitz (106), Festung Nähe liegende RitGibigenstein (71), ter-Academie (80): 2 richs-Stadt (1): 3 Viduamontana (19), Jenona (39): 5 Salaugusta (1), Lind- Ravenna (222), ein Hamburg (64), Me- 9 stre (216), Elbipolis enfeld (39), Venedig Dorf (250): 2 (243): 3 (66), Ort auf den teutschen Grenzen (246): 4 Urona (50, 76), Philneis/Philuris (8/ 43), Albinopel (75), Svelphos (63): 4

Dorf bei Albinopel (119), Latona (129), Nersded (50), Albingrel (50): 4

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Einheitsbezogene Reihen

(Fortsetzung) Über Figurenbewegungen locker an den zentr. Ortszusammenhang angebunden; funktional marginal Carneval Pindaris (2), Velcoris Siradors Güter (161), (327): 2 Reiseort Floramors (230), Samaris (231), Elisien (280), Dadres (291), Hazcost (297), Silog (301), Miranders Heimat (363), Ipsalis (376), Grotau (410), gewisses Dorf (413), Nirbel (415), Sylvanders Vaterstadt (416), Wipolis (427), Dorf bei Nirbel (427), Sylvanders Güter (431), Marktflecken (435), Closter (436): 18 Adelphico Petralto (18), Ligno- Leffumes Rittersitz se (29), Bafchull (114), Niptschos (100), Piscirivo (119), Rittersitz (100), FerGrabome (99), Gni- aldos Güter (96), zepalto (132): 6 Saal-Athen (148): 4

Roman

Zentraler Ortszusammenhang: erschlossen durch die Bewegung/en des/der Helden

Orte ohne direkte Anbindung an den zentr. Ortszusammenhang

Gesamt

benachbarte Stadt 23 (294), Gumbhar (364), Tripolis (375): 3

Thago (41), Toulon (25), Landau (71), Norilte (136): 4

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Bewegungsgrund der Helden ist in fünf Fällen ihre Ausbildung, das heißt ihr Studium, in welchem Zusammenhang sich eine Differenzierung nach Herkunfts-, Studienort und Ort weiterer Belustigung anbietet.69 Die Auffälligkeiten in der Peripherie sind rasch benannt. In der Welt sind alle weiteren Orte über Figurenbewegungen mit dem zentralen Ortszusammenhang in Verbindung. Die meisten Sprünge gibt es hingegen im Student, bedingt durch 69 Die Ausnahme bildet wieder der Satyrische Roman: Tyrsates zieht »auf Abendtheur im Lande herum« (SR 1), Selander bringt »[d]as Verhängnis« (SR 27) nach Salaugusta; in dem Roman gibt es eigentlich nur Orte der Belustigung, aber auch Heraldo, für den Reistedt nicht sicher als Herkunftsort benannt werden kann, scheint durch sein Studium nicht mehr gebunden. Auch im Student und Carneval fehlen die Angaben zu den Herkunftsorten der Helden – mit den Ausnahmen Mirander (CL 363) und Sylvander (CL 416), wiewohl der Erzähler es hier bei der generischen Bezeichnung der Heimat- bzw. Vaterstadt belässt. Den vollen Parcours, samt einer Rückkehr zum Herkunftsort, bieten die Romane Adelphico und Amor, mit der Besonderheit im Adelphico, dass hier der Schwerpunkt auf dem Herkunftsort liegt, und die meisten Orte des zentralen Ortszusammenhanges gleichen Typs, also keine Städte, sondern Rittersitze sind.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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die vielen Analepsen; viele der multiplizierten Liebeshandlungen haben an einem peripheren Ort ihren Schauplatz. Im Carneval ist die häufige Anbindung umliegender Orte ab der zweiten Romanhälfte, und verstärkt noch einmal gegen den Schluss, im Kontext von Sylvander-Saladine, auffällig; sie kontrastiert mit dem sonst maximal kleinen Ortszusammenhang der Städte Pindaris und Velcoris. Im Adelphico sind die drei peripheren Nennungen militärisch kontextualisiert. Funktionalisierungen von Ortswechseln im Sinne einer Suspension kausaler Bezüge sind am deutlichsten in der Welt und im Student zu beobachten, und zwar aufgrund derselben Anlage einer klammerbildenden, zu Beginn des Romans vorläufig zu einem Abschluss gebrachten Haupthandlung: das sind also Heraldos Wechsel von Reistedt nach Jenona und Infortunios Wechsel von Philneis nach Urona. In der Welt dient ein dritter Ort, Amosina, außerdem zum Ausschneiden der einen, gewünschten kausalen Relation, der Begegnung Heraldos und Menardis. Bei den übrigen Trennungen von Paaren wird von der Möglichkeit, die Getrennten Dinge ohne direkte kausale Zurechnung zur unterbrochenen Liebeshandlung erleben zu lassen, kein Gebrauch gemacht; am deutlichsten ist dieser Verzicht im Adelphico, da der zur Probe dienende mehrjährige Studienaufenthalt des Helden einfach vergeht. Durchgehend anzutreffen sind hingegen die Funktionen der Verstärkung von Handlungsabschlüssen und der Vermeidung kausaler Interferenzen zwischen einzelnen Handlungen. Zu kommentieren sind hier eher die Ausnahmen oder Verzögerungen. In der Welt bleiben die schon durch eine Heirat oder eine Trennung abgeschlossenen Liebeshandlungen des salamoenischen Ortszusammenhanges bis zur Heirat Heraldos und Selimenes in einer gewissen Latenz, das heißt schon verheiratete oder getrennte Partner können Funktionen in anderen Liebeshandlungen übernehmen;70 erst der mit dem Übergang zum zweiten Band von der Erzählung mitvollzogene Ortswechsel Heraldos nach Amosina beendet die Verwendungsmöglichkeiten des etablierten Personals. Seladon wird nach seinem Wechsel nach Amosina noch brieflich von Ariane erreicht, welcher Nachtrag zur analeptischen Erzählung der Liebeshandlung den nötigen Anlass liefert (VW II/ 17–23). Dass dem räumlichen Medium, wie es im Roman entfaltet wird, ein kausales Kontinuum streng genommen entspricht, wird indes nur in der Begegnung Heraldos und Menardis in Amosina angezeigt. Ortswechsel Infortunios im Studenten verstärken die Handlungsabschlüsse der Liebeshandlungen Nr. 2–3, 5, 10–12, 17–19, 23–24. Mit Ausnahme der 70 Sirene ist auf Selimene eifersüchtig (VW I/105); Azestes vermittelt Lemande an Sirene (VW I/ 127); Milander, Syrandes, Azestes und Hermantes assistieren bei Heraldo und Selimene (VW I/188f).

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Einheitsbezogene Reihen

Haupthandlung werden alle übrigen Abschlüsse durch das funktionale Äquivalent einer zeitlichen Distanzierung und des Abschlusses einer analeptischen Erzählung verstärkt. Die Kommunikationssperre, die normalerweise mit dem Ortswechsel einhergeht, gilt für die Haupthandlung nicht: die Nachricht vom Witwentum Bellandras erreicht Infortunio in Urona (VS 182). Folgerichtig ist hingegen das Aufsammeln der Informationen über Bistarmen, Orgestes und Willimo in Albinopel, wo er diese Freunde auf der Hinreise antraf (VS 191–194). Verstärkt durch einen Ortswechsel sind im Amor lediglich die Abschlüsse der beiden Jugendlieben Fortunatos und Hanses-Unbekannt, wobei Fortunato Norinda, den Schauplatz von Fortunato-Eleonore, am Ende des Romans und ohne mit Eleonore noch einmal in Berührung zu kommen wieder aufsucht. FortunatoSpinosa und -Aurora finden beide in Lindenstadt einen gültigen Abschluss, ohne dass Fortunatos Wegzug nach Norinda noch etwas beifügen würde. Die übrigen niederrangigen Liebeshandlungen sind analeptisch eingeschlossen. Auffällig ist mithin vor allem die Handlung Fortunato-Ardorea: deren ausführliche Wiederaufnahme durch den Besuch Fortunatos in Friedrichsstadt, die in der Gegenwartsgeschichte das größte Gewicht hat, verdeutlicht ihre Kontinuität über den Wegzug Fortunatos hinweg und macht, über seine abermalige Entfernung hinaus, eine Markierung des endgültigen Abschlusses nach weiteren Handlungsfunktionen notwendig (AU 90, 105f). Im Satyrischen Roman wird durch den Weggang Tyrsatens und Selanders der kausale Zusammenhang mit der Handlung Fulvia suspendiert, bevor diese zum gültigen Abschluss gekommen ist; über den die Information erst bei einer erneuten Hinreise Selanders zugänglich wird. Ähnliches gilt für die Nachricht über das Schicksal von Inconstantia, und also die letzte Handlungsfunktion von Selander-Inconstantia; diese Handlung war aber, als Liebeshandlung, bereits vor Einsatz der Gegenwartsgeschichte, und damit vor dem Weggang Selanders aus Salaugusta beendet; die flüchtige Begegnung mit Inconstantia auf dem Spaziergang der beiden Freunde dient nur als Anlass für die Einfügung der analeptischen Erzählung. Die Auswirkungen einer ausbleibenden Besiegelung des Abschlusses einer Liebeshandlung durch einen Ortswechsel, ihrer fortdauernden, kausalen Latenz also sind im Carneval am ausführlichsten dargestellt: lediglich aus Rosindes Elternhause ausgezogen ist Floramor gegen Ende seiner ersten Liebeshandlung und bleibt daher im Kontext von Floramor-Belline durch ihr Wiedererscheinen irritierbar (CL 237–249). Der Ortswechsel Sylvanders nach Velcoris besiegelt dessen Scheitern als Nebenbuhler im Kontext von Selimor-Scintille (CL 327), und wird erst nach deren auch sonst unmissverständlicher Beendigung von der Erzählung mitvollzogen (CL 364). Zwischen den Orten im Adelphico, die die Figuren aufsuchen, bleibt der informationelle und der Handlungszusammenhang in der Regel bestehen; den

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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Weggang Statteries aus Petralto macht Adelphico absichtlich zum Abschluss ihrer kurzen Beziehung. Einzig Fermont und Helene bleiben mit ihrer – analeptisch dargebotenen – Handlung in Landau eingeschlossen. Um den synchronen Ablauf mehrerer Handlungen in einem Ort zu ermöglichen, genügt in der Regel die Unterscheidung mehrerer, den Figuren in einfacher Weise zugeordneter Wohnungen. Die komplexeste Differenzierung bietet folgerichtig Salamoena, der Ort also mit den meisten parallel verlaufenden Liebeshandlungen.71 Die größere Anzahl von sieben unterscheidbaren Wohnungen in Urona, des Studenten, geht darauf zurück, dass auch analeptisch gebotene, kausal also schon geschiedene Handlungen dort situiert werden.72 Ansonsten bewegen sich die Wohnungen im niedrigen bis mittleren einstelligen Bereich73 und hinzu kommen, gelegentlich, öffentliche oder halb-öffentliche Treffpunkte.74 In den Wirtshäusern Lindenfelds (SR 48–62) und Amosinas (VW II/14), auf 71 Hier kommen die Freunde zunächst bei Azestes unter (VW I/38), es spricht aber einiges dafür, dass sie sich darauf eigene Quartiere suchen. Die Wohnungen folgender Figuren können dann unterschieden werden: Azestes; Sirene; Heraldo; Milander; Amalie, Selimene. Bis auf Heraldos Wohnung, in der er sich dreimal alleine aufhält – das dritte Mal wohl besucht von Milander – (VW I/59–63; 85–87; 96–105), kommen alle diese Wohnungen nur in Betracht, sofern sie zum Treffpunkt mehrerer Personen werden. Bei Azestes kommen, wie gesagt, die Freunde in der ersten Nacht unter (I/38); bei Sirene wohnt Merine; diese wird dort von Hermantes besucht, jene darauf von Azestes (VW I/54–59); in dieser Wohnung geschieht auch der Überfall durch Azestes und seine Entdeckung durch eine Freundin Sirenes (VW I/ 106–110). Bei Milander treffen sich, im Rahmen einer galanten Compagnie, das erste Mal Heraldo und Selimene (VW I/81–85). Zweimal gelangt Heraldo zu dem Haus, wo Selimene mit ihren Eltern wohnt (VW I/96; 140–143). Milander führen seine Abenteuer in Fräulein Sidais und Satorias Wohnung (VW I/96–102; 143–147). Und in Amalias Wohnung vergnügt sich Heraldo mit Selimene, da er den Aufbruch nach seinen Gütern verzögert (VW I/154– 161). 72 Das sind die Wohnungen von: Rosander (VS 6), Infortunio (VS 27), Sepitia (VS 52f), Rosenbergs Vetter (VS 76), Herr von Vineves (VS 76), Mandies Vetter (VS 133), La Cygne (VS 156f). 73 Welt: In Jenona: Milander und Heraldo (VW I/36–38); in Lindenfeld: Merine (VW I/117–119) und Arsenia (VW I/120–127). In Pleisilia: Ariana (VW II/54–67); in Amosina das Seladon und Heraldo zunächst zur Unterkunft dienende Wirtshaus, in dem auch Menardi wohnt (VW II/ 14); und die Wohnungen Mercenarias (VW II/106), Rhodopes (VW II/71) und Amalias (VW II/131). Student: in Philneis/Philuris: Boso (VS 9), Infortunio (VS 9), Cleophis (VS 11f), ein Haus (VS 32), Bellandra (VS 42f), Mercante (VS 200); Svelphos: Farillas (VS 69), Segestis (VS 73); Albinopel: Rosenberg (VS 75), Orgest (VS 119), Mohob (VS 115), Dorindes Base (VS 126f), Bistarmen (VS 119). Amor: in Friedrichsstadt: Ardoreas Elternhaus (AU 14f), Pecheur (AU 47), Chien (AU 47), Unbekannte (AU 64). Satyrischer Roman: in Venedig: Arismenia (SR 75), Selander (SR 85), Caelia (SR 88), Engländerin (SR 134), Asterie (SR 203). Carneval: in Pindaris: Elternhaus Rosindes (CL 2), Floramor (CL 196), Belline (CL 213), Selimor (CL 303f), Scintille (CL 318). 74 Welt: in Salamoena Schloss, Hof und Oper (VW I/38–41, 53f, 127–131, 147) sowie Weinkeller (VW I/96) und Gasterey (VW I/143); in Lindenfeld einen Lustgarten (VW I/120–127); in Amosina das Wirtshaus (VW II/14) und Assembléen (VW II/70, 99). Student: in Urona ein Hochzeitshaus (VS 26), Weinkeller (VS 26), ein vor dem Tor gelegener Garten (VS 55f),

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Einheitsbezogene Reihen

dem Landschloss vor Venedig (SR 156–171), in Petralto (AP 20), Lignose (AP 43), und Bafchull (AP 109–111), außerdem in den Häusern, in die sich Floramor (CL 3), Sirador (CL 132), und Sylvander (CL 364f) einmieten, erfolgt die Zuordnung von Wohnungen unterschiedlicher Personen innerhalb desselben Gebäudes. Die Funktionalisierung der Ebene politisch definierter Territorien in einem ausgebildeten politischen Handlungsbereich – in den Romanen Höfe und Octavia also – erfolgt grundsätzlich anders. Hier ›sind‹ die Länder, metonymisch, die Akteure der diplomatischen und Kriegshandlung; und für die ›innenpolitische‹ Handlung bilden sie den Bezugsrahmen, stellen also die begrenzte Anzahl an Stellen bereit, um deren Besetzung gerungen wird. Für die Ebene der Städte wird die Unterscheidung von Orten mit und ohne herrschaftliche Funktion relevant. Die Organisation und Aufteilung des Raumes ist selber Gegenstand der politischen Auseinandersetzung, steht also, in gewissem Umfange, zur Disposition; und die Repräsentation einer bestimmten räumlichen Ordnung im Roman durch dem Roman eigene Mittel kann als Stellungnahme zu der im Roman geschilderten Auseinandersetzung gedeutet werden. Das weiter entwickelte Länderparadigma der räumlichen Medien beider Romane75 bedingt eine Zuordnungsmöglichkeit der Orte zu den Ländern und, in der Regel, zwischen ihnen größere Distanzen. Die Ordnungsmöglichkeit durch eine über reversible, kurzfristig zu leistende Bewegungen zusammengehaltene Gruppe zentraler Orte entfällt, und also auch der Komplementärbegriff einer mehr oder weniger lose daran angebundenen Peripherie. Die räumliche Vorstellung ist durch die politisch und geographisch determinierte Ordnung der Länder vorstrukturiert: auf dieser Ebene greift die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie, vor allem in der Octavia; die Orte besetzen nurmehr die für jedes Land vorgesehenen Stellen einer Hauptstadt mit politischen Funktionen und beliebig vieler weiterer Städte. Charakteristisch für beide Romane sind große Überschüsse handlungsmäßig kaum eingebundener, auf ihre räumliche Information also beinahe beschränkter Ortsnennungen. Die Octavia hält mit der zentralen Stadt Rom außerdem die am vielfältigsten differenzierte und für am Wirtshaus (VS 144), eine Redute (VS 152), ein Garten außerhalb der Stadt (VS 168); in Philuris ein Garten (VS 202) und ein Ballhaus (VS 213); in Albinopel ein Weinhaus (VS 126). Amor: in Lindenstadt ein Garten (AU 95f), ein Rosental (AU 99), ein Kaffeehaus (AU 106), ein Rathaus (AU 109); in Friedrichsstadt ein Tanzboden (AU 12), ein Garten (AU 27), eine Garküche (AU 13), ein Paradies (AU 48), ein Wirtshaus (AU 46), die Wache (AU 53), das Schießhaus (AU 63), der Fürstengarten (AU 63), der Markt (AU 64), die Ulrici Straße (AU 64). Satyrischer Roman: in Venedig eine Oper (SR 66) und Assembleen (SR 74, 133, 135, 184, 195), Gärten (SR 93, 122), ein Friedhof (SR 93). Carneval: in Pindaris ein Gasthof (CL 2), Gärten (CL 5), ein Kaffeehaus (CL 80), Wirtshaus (CL 123), eine Oper (CL 304), ein hohes Lusthaus (CL 356f). 75 Die Daten zur Römischen Octavia finden sich im Anhang und unten, Kap. 5.12.1, in der Einzelanalyse.

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meisten Handlungen funktionalisierte Stadt des ganzen Korpus bereit; das Zusammentreffen beider Überschüsse in so exzessiver Form deutet auf ein besonders emphatisch zu einer Eigenständigkeit entwickeltes räumliches Medium und solch ein Gegengewicht an interner Ortsdifferenzierung findet sich in den Höfen nicht. Europäische Höfe: Politische Einheit Germanien

Städte und Gegenden (mit Beleg)

Baviata

Bellahey (289), Gegend von Wyssück und Borvurgo (293f), Aurasia (309), Salende (314), Bulexa (442), Derba, Mons, Fenfurne, Hat, Murtraco, Molusta, Anardelda, Selry, Linsa, Ledo, Ygra, Lesyrobe, Faralsindi, Navine, Denaren, Strimacum (650– 653; 659f), Nefese (665), Vacilenense (677), Merichca, St. Mero, St. Galini, Gumandav, Peryn (685) Neldon (328), Landiroa (434), Cotisa (475), Laisca (1048), Burgumeden (1051), Thale (1057), Lorryndone (1073), Dinbul (1091), Hedograd (1094), Cavacori (1097), Lemmrice (1144)

Britten Welschland Gallien Hispanien

Anzahl

Verona (11), Vinaquila (35), Pesarxia (36), Allerona (108), 36 Burgunesu (123), Respira (125), Mojunza (130), Denaruta (144), Residenzstadt eines wittekindischen Markgrafentumes (182), Thurabe (217), Ober-Rheinstrom, Mummenheim, Sintzheim, Schwaben (277–279), Elbipolis (553), Turfemur (649), Vicali (Teil des Borussenlandes), Sevveldernie, Sere, Jumorso, Burdugis, Hestapalvvi, Confrancia, Satiale, Malcor, Schleturbs, Retrie, Zamyn, Brisurgum, Heimwerth, Sinzheim, Siffenheim, Burgladen, Mühlhausen (668–671), Zollenia (782), Pilippoburgum (787) 28

11

Venedig (72), Mestre (103), Padua (104), Livorno (106), Pignerol 11 (601), Belviedro (818), Toscan (830), Pozzulo (843), Neapolis (908), Solfatara (929), Mayland (928) Silvichateau (124), Pirasii (551), Servasille (551f), Bourgcher 5 (1132), St. Mainger (1145)

Cyprien

Madrid (145), Closter (162), Barcelona (172f), Andalusien (261), 13 Ycroro, Thivillone (625), Gralivena, Quercduna (627), Lanfedria, Mudacu (650), Nadint, Umhu, Odelium (667) Residenzstadt (242) 1

Africa Ungarn

Marocco und Fez (459), Tanger (459), Gigeri (649) St. Gotthard bei dem Raab-Fluß (649)

3 1

Amerika Romanien

St. Stoffle (650) Ovvar, sonst Seonelium genannt (755), Festung Stegran (756f), Budun (762f, 1002), Pesto (1002), Mevvartes (1005), Lackis (1008), Natransylviea (1021)

1 7

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Einheitsbezogene Reihen

(Fortsetzung) Politische Einheit Thualinien

Städte und Gegenden (mit Beleg)

Anzahl

Arccovien (1025), Lager Gustavens mit umliegenden Städten und 9 Dörfern (1025f), Macunsidt (1029), Menecacia (1030), Syjas (1157), Schloss der Marquinergis (1164), Schloss der Herzogin von Galirothen (1166), Burginemar (1196), Arvvosive (1208)

Die Konstellation auf der Länderebene erlaubt eine in sich wiederholte Auffassung nach dem Schema von Zentrum und Peripherie. Europa ist Zentralkontinent mit einer nur flüchtig berührten Peripherie.76 Die drei politischen Handlungen Torgapuliens, Brittens und Thualiniens liegen je an der westlichen, nördlichen und östlichen Peripherie des Zentralkontinents, für dessen Zentrum wiederum, jedoch nach unterschiedlichen Kriterien, sowohl Gallien als auch Germanien in Betracht kommen. Gallien versetzten die umfänglichen kriegerischen Tätigkeiten77 und besondere semantische Konnotationen78 in eine herausgehobene Stellung; Germanien hingegen die politische Stabilität und se76 Explizit genannt werden – schon im Titel – Europa, dann Africa (EH 649); impliziert Vorderasien (die Saracenen, etwa EH 34), Südamerika (Brasilien, EH 244) und Amerika (St. Stoffle, EH 650). Es gibt also einen reich differenzierten Hauptkontinent (Europa); einen Kontinent, in den hinein Verbannungen erfolgen können (Südamerika); einen Kontinent, der in Form einer Kriegsmacht in den Hauptkontinent hineinzudringen droht, mit dem es kriegerische Auseinandersetzungen gibt (Vorderasien); und einen Kontinent, auf den man durch Seestürme verschlagen werden kann, in dem es Festungen von Mächten des Hauptkontinentes gibt, und dessen Bewohner unterentwickelte Krieger anderer Hautfarbe und sklavischen und grausamen Gemütes sind, deren Köpfe abzuschlagen einem Helden große Lust macht (EH 456–462). 77 Kriegerische Auseinandersetzungen gibt es insgesamt zwischen den Saracenen und Germanen, Gallien und Germanien, Gallien und Britten, Gallien und Baviata, Gallien und Hispanien, Baviata und Britten, Torgapulien und Hispanien und Baviata und Hispanien. Sowohl Torgapulien und Baviata mussten sich in einer Vorgeschichte von der Herrschaft Hispaniens befreien. Britten gerät im Laufe der Handlung unter die Herrschaft eines Baviaters. Gallien führt mit allen Krieg, außer mit Thualinien und Welschland. Die Eingriffe Germaniens und Galliens in Thualinien im Rahmen der Krönungsreihe Gustavens sind nicht unbedingt als Krieg zu bezeichnen. Nur Welschland ist nirgendwo kriegerisch beteiligt. 78 Folgende Eigenschaften unterscheiden Gallien von den anderen Ländern: hier wird der Maßstab der galanten Lebensart gesetzt; die Gallier sind höflich; eher durch Worte als durch Taten zu überzeugen; schlagfertig; ab dreißig erst beginnt bei ihnen eine gründliche Scharfsinnigkeit zum Moralisieren zu führen; sie sind leichtfertig und unbeständig; sie geben viele tausend Liebesversicherungen, obwohl sie es nicht bei einer recht meinen; die Frauen sind gewohnt, die größten Liebesflatterien anzuhören; wenn sie ausgeliebt haben, tolerieren sie ohne weiteres erfolgreiche Nebenbuhler; die Moden in Gallien werden von der Mätresse des Königs maßgeblich beeinflusst, und die gallische Mode beeinflusst die Mode anderer Nationen; Prinzen gelten in Gallien oft so viel wie ein begüterter Baron; und Duelle sind Verboten. Die Belege auf den Seiten EH 553, 559, 563, 566f, 572, 578, 591, 594f, 600, 602, 604, 699, 701, 707f, 723, 736, 739, 978.

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mantische Neutralität. Für Germanien spricht außerdem, dass es, gewissermaßen stellvertretend für den ganzen Kontinent, das Eindringen der Saracenen abwehrt. Die versuchte Einflussnahme Galliens auf die Neubesetzung des thualinischen Thrones und die Glückwünsche, die Gustavus aus nahezu allen berührten Ländern zu seiner Krönung erhält, machen die politische Interdependenz des Kontinents deutlich.79 Streng ist ein solches Modell aber nicht durchgeführt.80 Hinsichtlich der Funktionalisierung der räumlichen Unterscheidungen in der Handlung und, teilweise, ihrer Erschließung gibt es zwischen den Höfen und der oben behandelten Romangruppe noch große Ähnlichkeiten. Die Erschließung der nicht allein militärisch relevanten Ortsnennungen läuft weitgehend anhand der Reisebewegungen Gustavens; seine Abreisen bedeuten in den meisten Fällen keine Informationssperre, limitieren aber, aufgrund der großen Entfernungen, seine Einflussmöglichkeiten oder sein Betroffensein, wie auch die möglichen Informationskanäle. Viele der Liebeshandlungen, und erst recht die politischen Handlungen bleiben kausal örtlich gebunden; und in der Haupthandlung, wie in der diese Eigenschaft multiplizierenden Handlung Heroald-Selinde, kommt es zu einer temporären, rahmenbildenden Suspension kausaler Bezüge mit dem be-

79 Folgt man dem Erzähler, dann war es die Gefahr, Germanien könne durch Decynto einen »höchst-schädlichen Nachbar« (EH 1182) bekommen, die bei Gustavus, der mit seiner GroßFürsten-Würde zufrieden war (EH 1183), den Ausschlag gab: »Doch alle Vorschläge und Offerten, zu einer Crone zu gelangen / würden ihn nicht bewogen haben / selbige anzunehmen / wofern es nicht die unümgängliche Nothwendigkeit und die Wohlfahrt ganz Germaniens gerathen / vor welche er gleichsam mehr als vor sich selber gebohren: […].« (EH 1183) Diese Gefahr wird in Form der Nachricht von der Anlandung Decyntos und dem verhinderten Bündnis Silvios mit dem Saracenischen Kaiser an dem Tag der vielen Audienzen manifest (EH 1168–1182). 80 Die Kriegshandlungen etwa ändern am Kräfteverhältnis der einzelnen Länder nichts. Sie machen den Eindruck eher einer gewöhnlichen, saisonalen Beschäftigung denn einer gewaltsamen Zuspitzung einer politischen, anders nicht mehr zu regelnden Auseinandersetzung. Dazu passt, dass die kriegerischen Anteile der eigentlich politischen Handlungen Thualiniens, Torpugaliens und Brittens auf verschiedene Weise marginalisiert werden: die torgapulische Handlung hat gar keine militärischen Anteile. Die brittische Handlung hat eine hauptsächlich militärische Vorgeschichte zur Voraussetzung, in der eine militärische Handlungslogik vorherrscht: es handelt sich ja hier noch um einen rein zwischenstaatlichen Krieg (EH 321–332). Die eigentlichen Auseinandersetzungen Iranios und Saubocis aber werden dann in der Hauptsache durch Überläufer oder vermeintliche Überläufer entschieden, durch die größere politische Attraktivität Iranios also (EH 1034–1050, 1124–1136). Für Gustavus vollzieht sich die ihm zur Krone verhelfende Willensbildung der thualinischen Stände zu seinen Gunsten, während er, mit einer Armee, kampflos im Lande herumsteht (EH 1150–1196). Die einzige militärische Auseinandersetzung gibt es dann mit Decynto: »Die Gallier hätten gern vor ihren tapfern Printzen üm die Crone gefochten / wenn ihnen ihr Leben nicht lieber gewesen / darum hielten sie nicht lange Stand / sondern gaben Reißaus / Decynto mochte sagen / was er wolte.« (EH 1198)

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Einheitsbezogene Reihen

schriebenen Effekt einer beim Wiedersehen nur selektiven Informierung des Partners (EH 948–954, 971–976). Auffällig ist in den Höfen ferner die Diskrepanz in der Beanspruchung des räumlichen Mediums durch die Liebes- und politischen Handlungen einerseits, und durch die Kriegshandlungen andererseits. Lässt man die im Kontext der Kriegshandlungen erfolgenden Ortsnennungen beiseite, bleibt eine überschaubare Gruppe von Orten übrig, die sich, mit Blick auf die Handlungen, wieder in mehr periphere, mehr zentrale Orte gliedern lässt: Herkunftsorte von Figuren der Liebespaarungen sind Allerona, Thurabe, Denaruta, Zollenia, die Residenzstadt des wittekindischen Markgrafentumes, Pirasii/Servasille, Neldon, Bellahey und Labonissa (9 Orte). Wichtige Durchgangsorte der Handlung sind außerdem Verona, Presarxia, Vinaquila, Venedig, Madrid, Belviedro, Dinbul und Arccovien (8 Orte). Einigen dieser Orte lassen sich in der nächsten Umgebung weitere Orte zuordnen, die also je im gleichen Handlungszusammenhang genannt oder aufgesucht werden: Retrie auf dem Weg Gustavens nach Denaruta (1 Ort); um Venedig herum liegen Mestré, Padua und Livorno (3 Orte); von Belviedro aus führt der Weg nach Pozzulo und Solfatara (2 Orte); die Verfolgung Arianens führt über Burgumeden, Thale und Lorryndone (3 Orte); die Gegend von Wyssück und Borvurgo liegt bei Bellahey (1 Ort); Madrid, Barcelona und das Closter gehören in einen Handlungszusammenhang (2 Orte); und die thualinischen Orte können allesamt als zu passierende, vorgelagerte Stationen vor der Hauptstadt Arccovien aufgefasst werden (8 Orte).

Insgesamt können so den 17 Orten herausgehobener Funktion 20 periphere Orte zugeordnet werden. An den Belegen oben ist abzulesen, wie konzentriert, nämlich auf den Kontext der Schilderung eines Feldzuges beschränkt, die Nennung der übrigen 100 Orte weitgehend erfolgt. Diese sind Teil der im Roman entworfenen Welt – zweifellos; wirklich überzeugen würde die durch sie geleistete Differenzierung des räumlichen Mediums aber nur, wenn die bereitgestellten Unterscheidungen auch in anderen Handlungsbereichen genutzt würden. Andeutungen in diese Richtung gibt es allenfalls, wenn König Silvio auf einem Feldzug, bei der Eroberung von Vacilenense, Bekanntschaft mit seiner späteren Mätresse Genfatone macht (EH 677–686); wenn Gustavus über Retrie nach Denaruta reist, welche Stadt zuvor im Feldzug Silvios eine Rolle spielte (EH 676) und in Thualinien, wo in demselben, örtlich unterbestimmten Raum der Vormarsch Gustavens und die Entführung und Befreiung Ariones und Selindes erfolgen. Noch ein anderer Zugriff ergibt sich, wenn die Helden ausdrücklich und einheitsbezogen ein Reise- und Besichtigungsprogramm absolvieren:

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Roman

Ausgangsort

Besichtigte Orte

Schelmuffsky Schelmerode (7)

Hamburg (15), Altona (32), Stockholm (35), Amsterdam (46), Agra (60), Londen (68), Sanct Malo (73), Venedig (94), Padua (102), Rom (113)

Reise

Erster Hof (291), Zweiter Hof (307), Elbipolis (346), Bremen (381), Hamburg (383),81 dem Haag (346), Amsterdam (371), viele andere berühmte Städte / Residentzen und Höfe (409)

Unbenannt

111 Nicht besichtigte Orte Jerusalem (29), Wien (30), Nürnberg (119), Regenspurg (410), Buxtehude (383)

Ziel der Reisen ist die Besichtigung mehrerer Orte,82 insofern ist der Aufenthalt an einem Ort gleichzeitig Erfüllung dieses Zieles und der Verweis auf die Notwendigkeit des Bereisens noch weiterer Orte – es sei denn, eine eingebaute Stoppregel griffe und veranlasste die Rückkehr zum Ausgangsort oder die Umwandlung des transitorischen in einen dauerhaften Aufenthalt. Drei Untersuchungsaspekte rücken dann in den Vordergrund: notwendig stellen die besichtigten Orte nur eine Auswahl der prinzipiell zu besichtigenden Orte dar; wie wird diese Unterscheidung im Roman repräsentiert? Auffällig ist in beiden Romanen, dass sich das Ortsparadigma weitgehend auf die tatsächlich bereisten Orte beschränkt. Die Selbstverständlichkeit, mit der im Schelmuffsky die Reiseetappen aufeinander folgen, steht in markantem Kontrast zu der Orientierungslosigkeit, in die der Held zu Beginn seines Weltlaufens gerät:83 erst der Bruder Graf hilft ihm über die Schwelle einer ersten Ortswahl nach Hamburg, und selbst hier wird die Wahl als solche nicht kenntlich. Besser weiß Seladon, wo er reisen möchte: nicht sofort in »Engelland, Franckreich, Italien und dergleichen« (RE 291), sondern zunächst in Teutschland. Hier wiederum haben »die vornehmsten Städte« (RE 291) Priorität; der Weg dorthin wird über einige Höfe genommen. Dies Programm wird am Ende des Aufenthaltes am zweiten Hof bestätigt und durch die Spezifikation der ange81 Zu dieser Doppelbenennung Hamburgs (Elbipolis/Hamburg), die auch im zweiten Teil des Satyrischen Romans begegnet, vgl. Rose: Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin/Boston 2012., S. 313, Anm. 782. 82 Seladon sagt zu sich: »Du bist ein weltlicher, und woltest die Welt nicht sehen? In der Grossen muß man die kleine Welt, sich selber, poliren und den Entzweck erlernen, warum man geschaffen, nemlich mit allerhand Sorten von Menschen wohl umzugehen wissen.« (RE 289f) Schelmuffsky ist, mit einer ähnlichen Formel, »willens die Welt zu besehen« (SM 13). 83 »Wie ich nun vor das Thor kam, O sapperment! wie kam mir alles so weitläufftig in der Welt vor, da wußte ich nun der Tebel hohl mehr nicht, ob ich gegen Abend oder gegen der Sonnen Niedergang marschiren sollte; hatte wohl 10. mal in Willens wieder umzukehren und bey meiner Frau Mutter zu bleiben […].« (SM 12f) Bemerkenswert ist die Parallele zu dem ähnlichen Beginn der Reise des Erzählers im Statist (RS 10f).

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Einheitsbezogene Reihen

zielten Städte Elbipolis und Den Haag ergänzt (RE 346). Von dort beginnt dann, wegen ausgehender Mittel, die Rückreise oder »Tour nach Teutschland« (RE 378). Insgesamt entsteht in beiden Fällen der Eindruck, als ob die Offenheit der Reisebewegung selber es erübrigte, die Offenheit eines umliegenden Raumes durch die Nennung von Orten zu repräsentieren, die nicht handlungsrelevant werden. An die konkrete interne Differenzierung der Orte wären die Fragen zu stellen, auf welcher Ebene die Ortsreihe als Variationsreihe funktioniert, wo genau also die Fülle von Unterschieden untergebracht wird, die der Held wahrnehmen, an der er sich bilden soll? Die Sehenswürdigkeiten eines Ortes, oder sein allgemeiner Ruf sind es, die die Reisenden an ihn ziehen; sie werden denn auch in beiden Romanen an gegebener Stelle gelistet; stehen aber, recht besehen, in Kontrast zum erzählerisch produktiven Teil des Reiseprogramms, in dem es, mehr als auf das ›Abhaken‹ von Ansichten, auf die Schaffung von Gelegenheiten für episodische oder den Helden dauerhaft fixierende Handlungen ankommt. Von dort aus sind die Besichtigungen ereignislos, im Text sind sie kaum mehr als Aufzählungen; gerade dadurch aber geeignet, die genannte Offenheit, die bloße Bereitschaft also zur Verwickelung, zu repräsentieren, ohne die Erfüllung des Reiseprogramms zu unterbrechen. Zur größten Deckung gemachter ›Erfahrungen‹ und vorgenommener Besichtigungen kommt es an den Höfen, weil hier der Zutritt zu den Sehenswürdigkeiten bereits durch eine gelungene Einführung in die Hofgesellschaft konditioniert wird – und zwar sowohl im Schelmuffsky, in Indien, dessen Hauptsehenswürdigkeit ohnehin der große Mogol ist, der dort residiert (SM 58), als auch in der Reise, wo Seladon an beiden ersten Höfen durch anfangs geschlossene Bekanntschaften der Zugang zu den Raritäten der Residenz ermöglicht wird. In beiden Romanen besteht die Sehenswürdigkeit der ansonsten generischen Hofeinrichtungen in ihrer besonderen Vortrefflichkeit: das macht ihre Listung an vielen verschiedenen Höfen schwierig, sodass ihre Auslassung hinsichtlich zweier weiterer, auf dem Weg nach Elbipolis gelegener Höfe in der Reise (RE 351) und die Alleinstellung des indischen Hofes im Schelmuffsky gleich folgerichtig scheinen. Die städtischen Sehenswürdigkeiten hingegen sind individueller, benannter Art und haben keine Zugangsbeschränkungen. Die weitgehend motivisch gesteuerten Variationen hinsichtlich der den Helden zustoßenden Händel werden unten bei den Einzelbesprechungen behandelt (Kap. 5.2–3). Drittens müsste gefragt werden, wie die Orte für die durch den erwartbaren Ortswechsel notwendig in ihrem Abschluss verstärkten, also episodischen Handlungen präpariert werden. Gemäß der eben getroffenen Unterscheidung innerhalb des Reiseprogrammes kann auch bei der räumlichen, internen Differenzierung der Orte unterschieden

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werden. Dem Reisenden unmittelbar zugeordnet ist sein Quartier; von dort aus besieht er die Sehenswürdigkeiten; und er kann in Räume vordringen, die sonst den Ortsansässigen vorbehalten bleiben. Als Brücke hierzu dienen öffentliche, für beide Seiten zugängliche Räume. Am Beispiel der Reise: Ort

Sehenswürdigkeiten

Öffentliche Orte der Begegnung

Wohnungen der Ortsansässigen

Schloßkeller (298) Gemächer (301)

Schloß (292), darin eine Opern-Loge (293)

Compagnie (305)

Zweiter Hof Posthaus (316)

Hofeinrichtungen (324, 341, 344)

Stadttor (316)

Quartier des geheimen Rats (317); Zimmer der Wirtstochter (335)

Weitere zwei Höfe

Sehenswürdigkeiten (351) Wirts-, Wein- und Coffee-Häuser (353, 363) Sehenswürdigkeiten (381)

Erster Hof

Elbipolis Bremen

Quartier des Reisenden Wirtshaus (298)

besonderes Quartier (353)

Hamburg

Sehenswürdigkeiten (384)

Der Haag

Lustholz (378)

Amsterdam

Kaufmann (381) Oper (384), Caffee-Häuser (396, 403), Rats-WeinKeller (403) Herr (373) die Still- und andere verdächtige Häuser (371)

Vollständig wird dieses Paradigma in der Reise, wie obiger Tabelle zu entnehmen, nur auf den ersten beiden Reisestationen, an den beiden Höfen ausgebildet, und hier bereits mit einigen Komplikationen: das Zimmer, in dem Seladon logiert, dient zum Treffen mit dem Secretair, also zu einem Schritt in die Ortsgesellschaft hinein; ebenfalls im Wirtshaus liegt außerdem das Zimmer der Wirtstochter, ein Element also des entgegengesetzten Poles. Die zwei weiteren Höfe könnten insofern ausgespart werden, als Seladon dort nicht übernachtet. Ab dann aber werden nur noch höchstens zwei Kategorien bedient. Die Freiheit zu solchen Auslassungen gewinnt der Erzähler durch den Wechsel von mehr szenischem zu mehr raffendem Erzählen, wie er unten (Kap. 2.4.6) darzustellen ist. Die fantastische Rasanz, die Schelmuffskys Reise immer wieder gewinnt, geht zu guten Teilen auf eine Durchmischung der oben angeführten Kategorien zu-

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Einheitsbezogene Reihen

rück. Sauber abgegrenzt sind häufiger nur die Sehenswürdigkeiten. Die Einquartierung bedeutet alleine in Venedig nicht zugleich auch die Einführung in die für die weitere Handlung maßgebliche Gesellschaft, dafür sind dort die Sehenswürdigkeiten in die Handlung integriert. Die Tendenz auch in diesem Roman einer zunehmend selektiven Beanspruchung eines zu Beginn noch vollständig etablierten Paradigmas wird sich unten (Kap. 5.2) mit Blick auf den motivischen Bereich bestätigen. Die Besonderheit des räumlichen Mediums der Liebenswürdigen Adalie liegt, auf Ortsebene, in der strukturellen Heterogenität zweier Ortsgruppen: Erste Ortsgruppe: Elbipolis (LA 6), Permane (LA 353), Pleisina (LA 358), Allerona (LA 7), Pariß (LA 1), Fontaineblau (LA 57), Niemägen (LA 103), Residenz der Brittannischen Majestät (105), Beltischer Hof (LA 104). Zweite Ortsgruppe: Lionards Schloss (LA 95), Verdun (LA 123), Schloss Louysens (LA 138), Schloss Curtons (LA 233). Die Orte der ersten Gruppe sind benannt, sie sind territorial und politisch klar zugeordnet, sie sind entweder Orte mit politischer Funktion, und/oder Herkunftsorte wichtiger Figuren, oder Orte touristischer Relevanz (Fontaineblau). Sie können von den Figuren mehrfach aufgesucht werden. In ihrer Umgebung sind Orte friedlichen Verweilens (das Closter vor Paris, LA 74, die schöne Gegend bei Permane, LA 354–356). Die Orte der zweiten Gruppe sind teilweise unbenannt, ohne politische Funktion, keine Herkunftsorte wichtiger Figuren und grenzländisch. Sie werden von den Hauptfiguren nur einmal aufgesucht und dann auf immer verlassen. In ihrer Umgebung sind Orte der Bewegung und der Gefahr. Die Zweiteilung läuft entlang der Unterscheidung von Rosantes-Adalie (erste Ortsgruppe) und Renard-Barsine (erste und zweite Ortsgruppe) und ihren jeweiligen Verwicklungen. Die zweite Ortsgruppe ist vollständig der strafferen, dynamischeren Bewegungsreihe Renards zuzuordnen; sie mündet in Pleisina, das so an beiden Paradigmen Anteil hat. Die geringe Zahl je an einem Ort kombinierter Handlungen hat eine vergleichsweise unterentwickelte interne Differenzierung zur Folge. Verschiedene Wohnorte werden überhaupt nur in Elbipolis (LA 113, 219, 227) und Paris unterschieden: in Paris wohnt Rosantes gleich bei Brion; weiter gibt es nur noch die Wohnung Renardens (LA 60) und, vor Paris, die Klosterzelle, in der Barsine wohnt (LA 74). Als mehr öffentlicher Ort dient, ebenfalls außerhalb der Stadt, der Garten (LA 28). Überall sonst erfolgt die Unterbringung aller relevanten Personen zentral in einem Gasthaus (LA 124) oder Schlossgebäude, das in sich freilich Differenzierungen wieder erlaubt. Die zweite Ortsgruppe nimmt die Funktion der Abschlussverstärkung von Handlungen voll in Anspruch. Sowohl in Rosantes-Adalie, wie in Renard-Barsine

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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kommt es zu temporären Suspensionen der kausalen Verknüpfungen mit entsprechender, selektiver Information beim Wiedersehen; die funktionalen Verschränkungen mit den Liebeshandlungen 3–6 hingegen erfolgen ohne intermediäre Distanzierung, für sie gelten ja die Abschlussverstärkungen. Kombinatorisch erscheint, auf Ortsebene, auch das räumliche Medium des Statisten. Vier Ordnungen lassen sich unterscheiden: – Der Erzähler hat zu Beginn der histoire bereits ein Vorleben, Jura studiert, Sprachen gelernt und insbesondere »dem Hof-Leben lang beygewohnet« (RS 6). Wo dies alles geschehen ist, bleibt unbestimmt. Hier ist also eine unbekannte Menge an Orten. – Der Erzähler bricht dann von einem benannten Ort, der Burg GeroltzEck (RS 7) auf; das Ziel der Reise wird generisch bzw. regional bestimmt: er will nach den »nächsten angrentzenden Fürstenthümern Imperii« (RS 7), bzw. in »den Westphälischen Craiß« (RS 7), der offenbar nur eine Tagesreise entfernt ist. Wie im Schelmuffsky ändert sich aber gleich zu Beginn, nämlich schon »eines guten Mußqueten Schusses vor der Burg« (RS 10) der Reisemodus: das Pferd, das die Leitung übernommen hat, führt ins Unbestimmte und Offene hinaus. – Erst geführt von dem Freund Freymund findet der Erzähler wieder in schärfer umrissenes Terrain (RS 11). Jetzt sind die Orte aber anonymisiert: hier sind ein Fürstentum und seine Residenzstadt (RS 11), und ein angrenzendes Fürstentum mit einer ansehnlichen, zum Streitobjekt werdenden Stadt N. (RS 73). Die räumliche Beziehung zu Burg GeroltzEck und Umgebung wird nur durch die betont dunkle Reisebeschreibung als große Entfernung geschätzt werden können.84 Den Territorien zugeordnet sind gegebenenfalls weitere, anonym bleibende Orte: Klöster, Dörfer, Festungen und Städte (RS 73, 120f, 125, 157, 163, 179, 282). – Angeführt in den politischen Reden oder durch den Erzähler werden nun, meist in rein argumentativer Funktion, ohne Spezifikation also ihres räumlichen Verhältnisses zu dem Fürstentum der Erzählung, benannte andere Städte: Salzburg (RS 126), Leipzig und Nördlingen (RS 151), Cana (RS 151), Franckfurt und Straßburg (RS 200), Nürnberg (RS 254). Anders als in den Liebeshandlungen, wo die Differenzierung mehrerer Orte Unterbrechungen kausaler Beziehungen erlaubte, bilden die beiden angrenzenden Fürstentümer und die darin unterschiedenen Orte der dritten Ordnung erst das Bezugssystem der politischen Handlung: die Stadt N., »an der Grentzen 84 Vgl. RS 11: »[…] durch einen dicken Nebel / über viel rauhe Gebirge / ietzt auf / dann ab / und überzwerch in eine grosse Stadt […].«

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beyder Fürstenthümer gelegen« (RS 116), ist selber Objekt der Handlung und die übrigen, generischen Orte, treten nur dann in Erscheinung, wenn sie in einen funktionalen, also auch kausalen Zusammenhang mit der Handlung gebracht werden können (etwa RS 121, 129). Die mehr ›innenpolitisch‹ situierten Handlungen der Amtseinführung und des Prozesses um den Doctor Lindenmuth führen in der Residenzstadt zu einer Unterscheidung zweier Wohnungen (RS 68, 232) und, außerhalb der Stadt, eines benannten Landgutes (RS 65). In den anderen Ordnungen des räumlichen Mediums kommt es, bis auf ein Wirtshaus in GeroltzEck (RS 7–9), zu keinen Differenzierungen.

2.4.4. Einheitsbezogene Motivreihen Eine solche gibt es nur in der Römischen Octavia. Im Schelmuffsky wären die Wiedergaben der Geburtsgeschichte – inklusive der ersten, an den Leser gerichteten also –, im Adelphico die Besuchs- und Geselligkeitsmotive aussichtsreiche Kandidaten gewesen, beide Reihen aber ›schaffen‹ es nicht dicht genug an die zweite Textgrenze. Die Reihe in der Octavia verknüpft alle Textelemente, in denen der Name Nero und seine abgewandelte Form Neronia vorkommen, und in denen die Gestaltgleichheit von Claudia, Nero und dem pontischen Nero relevant wird. Das verbindende Motiv ist also erst einmal nur der Name, und zwar deshalb und insofern, als der Name mehr bezeichnet, als die ihn ursprünglich tragende Figur – diese gewissermaßen überschreitet; dann erst sind die jeweiligen Mechanismen der Namensüberschreitung – Verwechslung, Verstellung etc. – zu unterscheiden. Der Einheitsbezug dieser Reihe85 ergibt sich aus ihrer Textgrenzennähe,86 ihrer also hinreichenden Erstreckung, ihres, verglichen mit anderen, ähnlich gebil85 Die Stellen: I/16–28, 132, 293–295, 314f, 681f, 685–687, 696, 704f, 934, 938f, 960, 962, II/4–9, 16–19, 159, 264, 269–271, 273, 277f, 285, 296–299, 300, 376, 382–385, 387f, 390f, 395f, 414f, 430f, 437–439, 526–528, 549f, 657, 804, 881f, 885f, 892–894, 896f, 899, 900f, 907, 913–916, 928f, 931–936, 939–942, 944, 950, 971, III/7–9, 13, 15–19, 22 f, 27, 108f, 112f, 115–118, 131, 251f, 464, 570f, 814–823, 860f, 869, 899f, 914, 916f, 960, 967–970, 972, 974, 980f, 982f, 986f, 1010f, 1020–1023, IV/16f, 112, 136f, 146, 148, 194f, 213, 348–351, 488, 593–598, 661–664, 669, 673, 687–694, 712f, 728–739, 750–754, 757–759, 762–769, 779f, 791f, 805–809, 833, 864–870, 893–895, 901, 905, 926, 972–874, 883, 928f, 934–936, V/5, 69–71, 73f, 91, 117–130, 145–147, 151, 188f, 283f, 288–297, 300, 303–313, 315–322, 326, 328, 335, 337–342, 344–347, 355, 368f, 410–414, 437f, 541, 600f, 644, 699–701, 769f, 792–794, 854, 908, 921, 945f, 1013 f, 1018–1021, 1027, 1037, 1043, 1048 f, 1052–1062, 1061, 1063, 1064f, 1071, 1131, 1138–1140, 1142, VI/5f, 53 f, 132, 149–152, 158, 160f, 164–172, 209, 218, 224, 253f, 256, 262f, 340, 347, 354–357, 360–368, 380, 434, 488 (173 Stellen, 337 Seiten). 86 Die Nähe zum Textbeginn ist größer als die Nähe zum Ende des Untersuchungsbereiches; eine einfache Erwähnung des pontischen Nero erfolgt immerhin noch auf Seite 729 des sechsten Bandes.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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deten Reihen besonders großen, also hinreichenden Umfanges87 und der Möglichkeit zur Subsumption zu hinreichend wenigen Elementen.88 Blickt man auf die Stellen, zeigt sich außerdem in der Verteilung über die sechs Teilbände eine große Regelmäßigkeit. Ihre große integrative Leistung verdankt die Reihe ihren kausalen Relationen mit den einheitsbezogenen Reihen beider Handlungsbereiche, mit Tyridates-Octavia also, deren Hindernisstruktur sie über das Haupthindernis der Ehe Octavias mit Nero maßgeblich determiniert; und mit der römisch-politischen Handlung, für die die Fragen nach dem Vorhanden- oder Gestorbensein Neros und seiner heimlichen Ersetzbarkeit durch gestaltgleiche politische Akteure mehr oder weniger Gewicht bekommen. Die Reihe ähnelt einer Handlungsreihe insofern, als in ihr selbst, wenn die Täuschung über das Fortleben Neros ermöglicht oder verhindert wird, eine kausale Struktur beschrieben werden kann. Fünf Phasen lassen sich unterscheiden: in der ersten, allein über die Geschichten zu erschließenden Phase gibt es nur die Geburten der sich gleich sehenden Figuren und noch keine Verwechslungen (RO IV/895, 898, 901, 905); in der zweiten, bis zum Tode Neros (RO I/934, 938f) reichenden Phase geben sich Octavia (RO I/132, III/212) und Claudia (RO I/293–295) beide den Namen Neronia, und die Auftritte Claudias als Nero89 führen, da dieser noch lebt, zu keiner 87 Das wären die Namensüberschreitungen bei Britannicus (die Stellen: I/652–655, 731–734, 747–752, II/356–359, 362–364, III/1016–1018, 1024–1026, IV/68f, 75–83, 179–181, 183f, 188– 190, 244–262, 267, 272, 275–277, 303f, 307–309, 421–426, 456–461, 496–505, 505–511, 520f, 620–623, 636, 640–644, 645–648, 707, VI/374–377, 451f, 735f, 747–756, 767. 112 Seiten), Italus/ Drusus (die Stellen: I/329–335, 390–400, 403–415, 441f, 517–520, 527–531, 616–623, 635–638, 678–690, 695–697, 928–931, 951–953, II/300–305, 307f, 316, 366f, 370–374, 388–391, 429f, 532– 534, 554, 555–563, 613–615, 743–745, 767–769, 771–776, 935f, 954–956, 959–963, III/177, 180f, I/185–189, 191, 254f, 271f, 346–353, 398–401, 581–589, IV/113, 360, 618–629. 150 Seiten) und Jubilius. Keine dieser Reihen kommt nur annähernd auf denselben Umfang, erreicht dieselbe Komplexität, erstreckt sich ähnlich weit. Die Behauptung Mahlerweins, die Verwechslungshandlung, worunter er alleine die um Nero kreisenden Verwechslungen versteht, nehme mehr Raum ein als die Staats- und Liebeshandlung, lässt sich aber nicht halten (vgl. Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel. Diss. Masch. Frankfurt/Main 1922, S. 33, 38). 88 So gründet Mahlerwein auf sie eine Dreiteilung des Romans in der ersten, sechsbändigen Fassung (Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 17). Dem besonderen Zuschnitt seiner Arbeit ist wohl die etwas einseitige Feststellung Benders zuzurechnen, erzähltechnisch stelle sich der Roman insgesamt als eine Kette von »Gipfelpunkten« dieses Motivkreises dar – vgl. Bender: Verwirrung und Entwirrung in der »Octavia/Roemische Geschichte« Herzog Anton-Ulrichs von Braunschweig, Köln 1964, S. 89. 89 Das sind sieben Aktionen: 1. (RO I/922) zur Verhinderung der Zerstörung des ApolloTempels in Delphi, 2. (RO II/923) um Tyridates in Griechenland zur Flucht zur verhelfen, 3. (RO II/924) – vergeblich – zur Rettung Corbulos, 4. (RO I/16–28, II/928) um Tyridates zum Reichsnachfolger zu ernennen, 5. (RO I/681f, II/931) die Rettung ›Drusens‹ vor den Gefolgsleuten Nymphidiens, 6. (RO II/923f) – vergeblich – zur Rettung Antonias, 7. (RO I/685–

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Einheitsbezogene Reihen

Spekulation über sein Weiterleben; sie wirken also punktuell und unbemerkt, ohne nachhaltige Wirkung auf das politische System oder eine Liebeshandlung; das ändert sich in der dritten Phase nach Neros Tod, da in einem ersten Durchlauf, basierend auf der Verstellung Claudias,90 sein Weiterleben zuerst plausibel,91 und dann widerlegt wird;92 in der vierten Phase tritt mit dem pontischen Nero die dritte gleichaussehende Person hinzu, ermöglichend jetzt eine symmetrische, räumlich weit gespaltene Anlage aus komplementären Verstellungen (Claudia als Nero in Dacien, der pontische Nero als Claudia in Rom), die insofern auf Nero hin doch wieder asymmetrisiert wird, als der pontische Nero als Claudia eine Verstellung als Nero zu politischen Zwecken plant; nach der undurchsichtigen Verschlingung beider Verstellungen auf den adriatischen Inseln ist das Weiterleben Neros abermals, und jetzt beinahe endgültig widerlegt, und auch Claudia gilt als ermordet;93 in der fünften Phase ist also von den gleichsehenden Figuren nur der pontische Nero übrig, der zwar einigen in Rom doch noch als Domitius Nero gilt, sich aber selbst nur noch in Claudia, und dann eine pontische Claudia hartnäckig verstellt; mit Aufdeckung dieser Verstellung94 bleibt er als er selber zurück – eine neue Phase wäre allenfalls bei Wiederauftauchen Claudias zu vermuten.

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687, 696, 704f, II/23–26, 932–934) zur Befreiung Tyridatens aus seiner Haft bei Nymphidius – Besuche in Ostia. Diesmal gibt es drei Aktionen: 1. (RO I/962, II/925) das Erscheinen bei Neros Begräbnis, 2. (RO II/382–385, 387f, 390f, 395f, 414f, 437–439, 936) das Verfassen der Flugblätter, 3. (RO II/881f, 939–942) die Befreiung Tyridatens aus der Haft bei Crispina, wozu sie sich Vectius Marcellus, Aulus Vitellius, Helius Cäsarinus, Eprius Marcellus, Petronius Turpilianus, mit einer Geschichte von Neros Überleben, zeigt. Es gibt fünf Hinweise: zu den genannten Aktionen Claudias (1., 4. und 5. Hinweis) treten, 2. (RO II/273) das falsche Zeugnis des Epaphroditus gegenüber Stachys, verbreitet über Jason bei den Christen, und 3. (RO II/296–299, 939) das falsche Zeugnis des Epaphroditus gegenüber Cönis, verbreitet bei Julius Agricola, Suetonius Paulinus, Coccejus Nerva, Domitia Decidiana, Pomponia Gräcina; durch diese bei der Partei der Plautia Urgulanilla. RO II/439: Claudia entkräftet den 4. Hinweis durch den Bericht der Herstellung der Zettel gegenüber Coccejus Nerva, Annius Vivianus, Sicenna. Für sie bleiben aber der 2. Hinweis/ das 1. Zeugnis gültig. Claudia erfährt, dass Nero wirklich tot ist, im Rahmen ihrer dritten Aktion durch Epaphroditus, der sie für Neros Geist haltend ruft, er habe ja dessen Überlegen nur erlogen. Sie klärt Octavia auf (RO II/900f), aufgeklärt sind ebenfalls bald Norondabates und Bagassaces (RO II/907, 944), weshalb ist aber unklar. Die wichtigsten Stellen in der Reihenfolge der histoire (entlegene Stellen zum selben Element der histoire werden nur mit Kommata getrennt): RO IV/926, III/13–19; IV/728–732; III/22f, 27; III/108f; III/112f, 115–118, 571, IV/926; III/131; III/251f; III/464; III/570; IV/733; IV/734– 737; III/814–823; III/860f; III/869; III/914; III/916f; III/960; III/974, 982f, 986f; III/980f; III/ 986f; IV/735–739; III/1010f; III/1020–1023; IV/16f; IV/112; IV/146–148; IV/488; IV/594–598, 751, 762–764, 866f, V/125f; IV/669; IV/753f, 687–694, 864; IV/712f; IV/757f; IV/765–769; IV/ 779f; IV/805–908, 833; IV/883; V/68f, 126–129; IV/872–874. Aufklärungen und Aufklärungsversuche gibt es an den Stellen RO V/69f, 74, 122f, 129f, 146f, 151, 188f, 283f, 337–342, 368f, 769f, 921, 945f, 1013f, 1018–1021, 1037, 1043, 1048f, 1052–1063, 1131, 1142, VI/224, 340, 347, 354–357, 363–368.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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Es ist einfach, noch einmal zu subsumieren: in der ersten und zweiten Phase lebt der eigentliche Namensträger Domitius Nero noch; in der dritten und vierten Phase wird in zwei Durchläufen über sein Weiterleben spekuliert; in der fünften Phase gilt er weitgehend als tot95 – es agiert nur der pontische Nero noch, hinzufügend jetzt eine verdoppelte, ›pontische‹ Claudia. Auch eine Zweiteilung wäre möglich, nach dem Kriterium: Namensüberschreitung zu Lebzeiten des eigentlichen Namensträgers; und Namensüberschreitung nach dem Tode des eigentlichen Namensträgers.

2.4.5. Unterteilungen des discours Die Leistung dieser Reihen hängt maßgeblich von ihren Assoziationen mit anderen Reihen ab, die unten (Kap. 3.2) nachvollzogen werden können. Zweiteilungen: Höfe: Schelmuffsky: Welt: Dreiteilungen: Statist: Sechsteilungen: Octavia:

Seiten: 1–527; 531–1216. Seiten: 1–78; 79–120. Seiten: I/1–191; II/1–191.

Umfang: 527, 685. Umfang: 78, 41. Umfang: 191, 191.

Seiten: 3–138; 138–214; 214–288. Umfang: 135, 76, 74. Band I: II: III: IV: V: VI:

Seiten 15–963 1–971 4–1048 5–956 5–1150 5–805

Insgesamt 5859 Seiten. Umfang Anteil am Gesamtumfang 948 0,162 971 0,166 1044 0,178 951 0,163 1145 0,195 800 0,137

Der Einschnitt in den Höfen ist am unauffälligsten, zusammenfallend nämlich mit dem Ende der Liebes- Und Helden-Geschichte Des Durchlauchtigen Prinzen von Aurasien, Und der Prinzeßin Amarianen. Der erste Satz der »Andere[n] Abtheilung« lautet entsprechend: »Hiermit endete Clarendon seine Erzehlung / und hatte Gustavus ein nicht geringes Vergnügen hierüber erwecket.« (EH 531) Auch die fortlaufende Paginierung unterstreicht die Kontinuität. Eine auffällig exakte Hälftelung liegt in der Welt vor, in den Höfen ist der zweite Teil etwas länger. Im Schelmuffsky ist das Verhältnis 4/6 gegen 2/6, im Statisten 2/4 gegen 1/4 und 1/4, in beiden Fällen gibt es also eine Verkürzung eines Folgeteiles um die Hälfte. Etwas feiner sind die Verhältnisse in der Octavia: Annähernd gleiche Länge weisen hier die Teile 1, 2, und 4 auf. Teil 3 ist etwa 95 Es sind in Rom Leute, die den pontischen Nero doch für Domitius Nero halten – vgl. RO V/ 1094–1097.

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100 Seiten länger als diese Normallänge, Teil 5 ist 200 Seiten länger; Teil 6 etwa 150 Seiten kürzer. Alleine im Schelmuffsky wird die Unterteilung selber zu einem Teil der histoire und entsprechend erwähnt; in allen anderen Fällen erfolgt sie stillschweigend. Im Statist werden der Nummerierung Titel hinzugefügt.96

2.4.6. Veränderungen im Verhältnis Szene/Raffung Aufgrund der Beschreibungsarmut eigentlich aller Romane des Korpus – und hiermit schließt die ›erste Runde‹ ohne großen definitorischen Aufwand zu ermittelnder Reihen – ergeben sich auf der untersten Ebene einer bloßen Unterscheidung szenischen und raffenden Erzählens Reihen, in denen schwierig voneinander abzugrenzende Elemente in meist raschem, nervösen Wechsel aufeinanderfolgen. Auf dieser Grundbedingung aufbauend können aber doch distinktere Elemente in einigen Fällen unterschieden werden – größere, komplexere Szenen, radikalere Raffungen – über die wiederum integrativ leistungsfähige Reihen sich durchaus bilden lassen. Den Kriterien hinreichend weniger Elemente und einer hinreichenden Erstreckung indes genügen allein vier Fälle, in denen Verhältnis und/oder Funktion raffender und szenischer Passagen sich im Verlauf des discours signifikant verändern. Reihen mit zwei Elementen Elemente Reise RE 288–351, 351–426 Adelphico AP 1–99, 99–152 Schelmuffsky SM 1–77, 83–120

Umfang d. Elemente 63, 75 99, 53 77, 37

Kommentar: Das Verlassen des zweiten Hofes und der Übergang zu einem neuen Ortstyp sind in der Reise mit dem Elementwechsel assoziiert. Gerafft werden während der Aufenthalte am ersten und zweiten Hof (RE 291–351) die zeitlichen Lücken zwischen den Geschehnissen, in denen also nichts den hier noch stets mit Dialogpartien versehenen Episoden Vergleichbares geschieht.97 Ab dem Aufenthalt in Elbipolis hingegen werden unbestimmte Zeiträume gerafft, in

96 RS 138: »Alamodischen Politici, Anderer Theil. Sonsten Rent-Cammer genannt.« RS 214: »Alamodischen Politici, Dritter Theil. Sonsten Peinlicher Proceß / genannt.« 97 Etwa: »Damit schieden sie von einander, und nachdem Seladon gespeist, verfügte er sich nebst dem einen Cammer-Diener an den bestimmten Ort, allwo zween Secretaire mit noch einigen sich schon befanden.« (RE 305) Oder durch einfache Zeitsprünge wie: »Den andern Morgen […]« (RE 307); außerdem innerhalb der Episoden: »Nach Endigung der Opera […]« (296), »Nach der Tafel […]« (332). Gerafft werden sonst Besichtigungen und Gespräche (RE 333f, 347).

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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denen viele den Episoden vergleichbare Ereignisse stattgefunden haben können.98 Im Adelphico unterbricht die Gymnasiastenzeit des Helden (AP 99) eine erzählerische Folge, die gerade, dank einer ersten Wiederholung, erwartungsbildend zu wirken beginnen konnte. Klammert man die ersten, allein raffenden, biographischen Passagen des Romaneinganges aus (AP 1–3),99 folgt auf eine größere, zeitlich transparente, durch die Dramaturgie des Besuchens bestimmte Szenengruppe (AP 3–31, 51–92) immer, d. h. zweimal, eine durch zeitlich unbestimmte Raffungen und lokale Flexibilität geprägte Passage (AP 31–51, 92–99). Die Szenengruppen zeichnen sich dadurch aus, dass mehrere Liebesverhältnisse fokussiert oder in Latenz mitgeführt werden, die Folgepassagen hingegen entwickeln einzelne Liebeshandlungen ausschließlich weiter. Die Zeit jenseits der Szenengruppen und jenseits der in den Folgepassagen noch auftretenden szenischen Elemente ist, jedenfalls für Adelphico, unbestimmt, ja gleichgültig: er avanciert in seiner Ausbildung; aber der Abstand zum nächsten Ausbildungsschritt, die Gymnasialzeit, wird nicht vermessen. Ähnlich wie in der Reise drückt sich der Verhältniswechsel zuallererst darin aus, dass Elemente der histoire, die sonst zwingender Anlass zu szenischer Wiedergabe gewesen waren, nun gerafft werden (AP 99f). Die Besuche bleiben entweder folgenlos (AP 99f), oder sie bieten nicht mehr zufällige, sondern bewusst herbeigeführte Gelegenheiten zu bestimmten Handlungsfunktionen im Kontext einer einzigen Liebeshandlung;100 die Szenenfolgen sind entsprechend gedrängter und knapper (AP 101–114, 121– 98 Vgl. die erste dieser Raffungen: »In Elbipolis sahe sich Seladon alsobald nach einem besondern Quartier um, weil in Wirths-Häusern zu logiren, für ihn zu kostbar, da er eine Zeitlang in dieser weltberühmten Stadt zu bleiben gesonnen. Gleichwohl speisete er in denen vornehmsten Wirths-Häusern wechsel-weise, um die Bekandschafft rechtschaffener Leute zu kriegen, und gieng dann und wann in die besten Wein-Häuser, wo er unter andern mit dem Secretair eines gewissen Königl. Abgesandten eine besondere Freundschafft aufrichtete, daß auch dieser ihm den Zutritt zu seinem Herrn verschaffte.« (RE 353) Gerafft werden hier vor allem Episoden gleichrangiger Interaktion; eine Raffung von Episoden des Typs der Interaktion gegen Höherrangige gibt es auf Seite 395: »Sie suchen Gelegenheit denen ansehnlichen Abgesandten und Residenten zum Theil die Reverence zu machen; meldeten sich auch bey denen grossen und theils vortreflich gelehrten Burgermeistern, dem berühmten Syndico und dergleichen […].« 99 Bei Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso, der Autor des »Adelphico«? Zur Verfasserfrage und zum Gattungsproblem eines galanten Romans. In: Gerhart Hoffmeister (Hrsg.): Europäische Tradition und deutscher Literaturbarock. Internationale Beiträge zum Problem von Überlieferung und Umgestaltung. Bern, München 1973, S. 449–469, hier: S. 450, heißt es: »Nachdem der Erzähler Geburt und Erziehung in die übliche Form einer hierarchischen Huldigung (Herrscher als vorbildliches Menschenbild) gerafft hat, hebt die Handlung an.« 100 Niptscho legt es, wenn er mit den Freunden zur Kirchweih nach Bafchull fährt, auf die Begegnung mit dem weiblichen Geschlecht an (AP 101); Adelphicos erster Besuch bei Irenie dient ausdrücklich der Kontaktanknüpfung (AP 121f); ebenso die weiteren Besuche zwischen Irenie und Adelphico je den anstehenden Handlungsfunktionen.

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Einheitsbezogene Reihen

128). Radikal verändert sich die Funktion der gerafften, zeitlichen Lücken mit Aufnahme der letzten Liebeshandlung: die Überbrückung der jetzt genau bemessenen Studienzeit Adelphicos bedeutet für ihn und Irenie die entscheidende Bewährungsprobe.101 Auch im Schelmuffsky besteht der Wechsel darin, dass ein einmal etabliertes Muster nicht weiter fortgeführt wird. Für die Aufenthalte der ersten Reise gilt, dass Szene und Raffung immer kombiniert werden und dass der szenische Schwerpunkt eines Aufenthaltes, eine Szenengruppe etwa, stärker an die Ankunft als an die Abfahrt gebunden wird.102 Von diesem Muster weicht die Gestaltung der drei Aufenthalte der zweiten Reise ab: Venedig wird ausschließlich szenisch behandelt. In Padua werden für eine Abfolge von Szenen sich wiederholende Handlungen als Voraussetzung etabliert: der Erzähler wechselt zwischen einer allgemeinen Beschreibung des Haushaltes zu konkreten Dialogen mit dem Fremden (SM 103–110), um dann aus einem solchen Dialog den szenischen Schwerpunkt zu entwickeln, der unmittelbar zum Ende des Aufenthaltes führt. In Rom liegt der szenische Schwerpunkt wieder am Anfang, jetzt jedoch durchmischt mit Beschreibungspausen und Metalepsen (SM 113–115) und mit einer gerafften Fortsetzung, die sich unmittelbar aus dem szenischen Schwerpunkt ergibt (die erbeuteten Heringe – der Brief an die Mutter – die Antwort der Mutter – die Abreise). Die Szenenfolgen der ersten Reise stießen gewissermaßen frisch in den auf der neuen Reisestation gegebenen Möglichkeitsraum, der beträchtliche, geraffte Restaufenthalt bedeutete lediglich den ›Leerlauf‹ des erreichten Zustandes; die Aufenthalte der zweiten Reise sind stärker integriert: die raffend/ iterativen Passagen in Padua reichern die Folgeszenen effektiver an als die Szenen der ersten Reise die auf sie folgenden Raffungen; Venedig erhält seine dramatische Prägnanz gerade durch das Durchbrechen der Erwartung, es müsste nach der ausführlichen Ankunftsszene noch eine ›leere‹, lange Zeit folgen, in der das dramatische Potenzial des szenischen Schwerpunktes sich unbeobachtet auf101 Für eine Erklärung der grundsätzlichen Zweiteilung auf Grundlage der Entschlüsselung des Romans vgl. Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso, S. 462f: »Bis zum Zeitpunkt des Altdorfaufenthaltes von Adelphico/Auer war der Verfasser Melisso/Musano/Franck Augenzeuge der Vorfälle, die er im Roman gestaltet.« 102 Das typische Muster wird gleich in Hamburg mit der längsten Szenenfolge des Romanes (SM 15–30) etabliert; auf sie folgen der geraffte Aufenthalt (SM 30f: »ob ich gleich 3. gantzer Jahr mich da umgesehen hatte«) und die Abschiedsszenen (SM 31–33). In Stockholm liegt wieder die bedeutendste Raffung vor der Abfahrt, es gibt aber keinen ausgeprägten szenischen Schwerpunkt (SM 44). In Amsterdam liegt dieser von der Ankunft etwas losgelöst (SM 50– 57), wieder gibt es aber vor Abfahrt eine bedeutende Verlängerung des Aufenthaltes (2 Jahre, SM 58). In Indien folgt der längeren Szenenfolge der Ankunft (SM 59–65) immerhin eine Raffung von nur 14 Tagen (SM 65f). In London verbringt Schelmuffsky wiederum drei ganze Jahre (SM 70), die Raffung liegt wieder vor der Abfahrt (SM 70f). Die beiden Rückreiseaufenthalte in Sanct-Malo und London bilden Ausnahmen. Sanct-Malo hat seinen Schwerpunkt zum Ende hin; London entbehrt szenischen Erzählens völlig.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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braucht; und Rom überzeugt durch die Auflockerung des szenischen Erzählens durch Beschreibung und Metalepse, und, in der folgenden Raffung, die Beschränkung auf allein das, was sich aus der Szene ergab. Reihen mit drei Elementen Satyrischer Roman SR 1–66, 66–250, 250–256 66, 84, 6

Kommentar: Solange Tyrsates und Selander sich in Deutschland bewegen (SR 1–66, 250–256), dienen raffende Passagen dem ›Ausfüllen der Zwischenräume‹ einer zeitlich transparenten Szenenfolge.103 Für den venezianischen Aufenthalt ist ein solcher Überblick über die temporalen Verhältnisse nicht mehr zu erlangen, die Raffungen also verlieren die Funktion, die Kontinuität und Nachvollziehbarkeit des zeitlichen Mediums, die durch die überwiegend szenische Gestaltung vorgegeben wird, noch abzusichern; im Gegenteil werden zeitliche Angaben in den Raffungen abhängig von den Erfordernissen der je verfolgten Handlung.104 Reihen mit vier Elementen Welt VW I/1–58, 58–192, II/3–100, 100–192 58, 134, 97, 92

Kommentar: Hier beruht die alternierende Reihe auf der wiederum begegnenden Unterscheidung zeitlich transparenter Szenenfolgen (VW I/1–58, II/3– 100)105 und zeitlich unbestimmter Raffungen bei rascherem Wechsel von Szene und Raffung (VW I/58–192, II/100–192). Das gilt, im zweiten Band, nicht für die Analepsen, das Element umfasst also streng genommen nur die insgesamt 33 Seiten VW II/3–23, 69–77, 95–100. Abgesehen von dieser Spezifikation kann aber 103 Zu Beginn ist es eine Folge von 5 Tagen (die Tagesgrenzen auf den Seiten SR 14, 17, 23, 64); erst der zweite Aufenthalt in Salaugusta, bis zur Abreise nach Venedig, ist zeitlich unbestimmt und alleine raffend gegeben (SR 64–66). Ab der Ankunft Tyrsatens in dem verabredeten deutschen Grenzort gibt es nur einen Tageswechsel (SR 251). Auch der Bericht Selanders ist, ebenfalls mit nur einem Tageswechsel, zeitlich transparent (SR 252). 104 Gut zu sehen ist das gleich zu Beginn des Aufenthaltes. Es heißt: »Darum sage nur / daß sie glücklich in Venedig anlangten / und ihr erstes Vergnügen seyn liessen / in die Opern daselbst zu gehen.« Dass es ihr erstes Vergnügen war, bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass sie gleich den ersten Abend in die Opern gingen. Die Unsicherheit setzt sich fort. »Sie fanden auch in diesen Opern oder der Music vielmehr / was sie ungemein ergetzte […]« – in einer französischen Übersetzung müsste hier sicherlich das zeitlich undefinierte imparfait stehen. »Sie besuchten selbige gar vielmahl«, heißt es weiter; und: »[…] sie wunderten sich bald darauf […]«. Vollkommen unklar bleibt dann der zeitliche Bezug der zuerst einsetzenden Liebeshandlung (SR 73f) zu der Reihe der Opernvergnügen. 105 Konsekutive Angaben von Tageswechseln gibt es also auf den Seiten VW I/3, 32, 37, 38, 50. Im zweiten Teil bleiben die Seiten VW II/3–16 im Rahmen eines Tages, dann folgt eine Angabe über »[z]wey biß drey Tage« (VW II/16). In diesem Rahmen, in einigermaßen genau angegebenem Abstand zur Ankunft in Amosina also, bewegt sich die Gegenwartsgeschichte bis VW II/76 (siehe auch die Angabe über den zweiten Besuch in der Assemblée auf Seite VW II/ 71); dort folgt wieder ein Tageswechsel, der bis VW II/100 gültig bleibt.

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Einheitsbezogene Reihen

von einer Verdoppelung der Reihe im zweiten Band gesprochen werden. Beide Wechsel werden außerdem ähnlich markiert106 und beide Male franst die zeitlich transparente Szenenfolge gegen Ende etwas aus.

2.4.7. Wechsel in der Abfolge häufigerer discours-Unterteilungen Der discours der Octavia weist neben den Bandgrenzen und neben der Markierung besonderer Textsorten durch veränderte Schriftgrade (Verse, Briefe) Markierungen durch Überschriften und Titelkupfer, durch Initiale, durch Absätze mit Freizeile und ohne Initiale107 und durch Absätze auf. Bezeichnet wird durch die Überschriften nicht die Textmenge bis zur nächsten Überschrift, sondern bis zur nächsten rangniedrigeren Markierung. So ergibt sich eine den ganzen discours umfassende Alternation überschriebener und unüberschriebener Passagen, eine Reihe bestehend aus 142 Elementen, nämlich 68 Überschriften und jeweils eine letzte unüberschriebene Passage am Ende jedes Bandes (die überschriebenen Passagen fett): I: 34, 26, 5, 91, 28, 51, 5, 45, 28, 49, 68, 48, 42, 43, 37, 62, 18, 66, 43, 36, 75. II: 46, 107, 36, 6, 1, 4, 1, 2, 1, 3, 1, 3, 2, 33, 74, 45, 90, 73, 39, 40, 59, 72, 24, 6, 43, 47, 53, 35, 28. III: 31, 66, 35, 35, 30, 46, 32, 63, 66, 48, 35, 57, 69, 45, 92, 48, 35, 7, 3, 8, 70, 13, 109. IV: 16, 62, 70, 38, 9, 10, 26, 39, 97, 49, 7, 21, 95, 48, 47, 12, 72, 32, 138, 35, 14, 14, 1. V: 14, 34, 3, 9, 137, 14, 1, 22, 24, 10, 234, 30, 33, 17, 191, 3, 63, 4, 305. VI: 100, 25, 9, 4, 36, 12, 96, 36, 60, 49, 101, 27, 60, 26, 25, 20, 19, 12, 10, 13, 4, 7, 49. Fasst man eine Alternation von Textmengen im Umfang von etwa 25 bis 90 Seiten als normal und erwartbar auf, fallen folgende Abweichungen ins Auge: I: hier gibt es zweimal zwei Geschichten, die nur im Abstand von fünf Seiten aufeinanderfolgen, und zwar sind dies die ersten vier Geschichten des Bandes. Von da an ist die Alternation ziemlich regelmäßig (Höchstwert 75, niedrigster Wert 18). II: auch hier liegen die Abweichungen auf den ersten zweihundert Seiten. Es gibt eine ausgesprochen lange Geschichte (107 Seiten) und eine Sequenz fünf kurzer Geschichten mit noch kürzeren Abständen (die Novellenrunde). Ab dann wieder eine recht regelmäßige Sequenz (Höchstwert 90, niedrigster 106 »Die übrige Zeit sahen unsere Cavalliere alle Tage neue Lustbarkeiten […].« (VW I/58) »Der Winter wurde dergestalt mit Assembléen, mit Schlitten-Fahren / mit Comoedien und dergleichen äusserlichen Ergötzlichkeiten hingebracht.« (VW II/100) 107 In der historisch-kritischen Ausgabe; auf den Seiten IV/310, 428, V/292.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

III:

IV:

V:

VI:

125

Wert 24), mit einer Abweichung (nur 6 Seiten) in der vorvorletzten Geschichte. die Abweichungen liegen hier am Ende des Bandes, mit drei sehr kurzen letzten Geschichten (7, 8 und 13 Seiten), davon die ersten beiden in kurzem Abstand (3 Seiten), und einer besonders langen Schlusspartie (109 Seiten). Der Rest ist ausgesprochen regelmäßig (Höchstwert 92, niedrigster Wert 31). hier gibt es kaum eine regelmäßige Sequenz. Auffällig ist der geringere Umfang der Geschichten – die längste 62 Seiten, gleich zu Beginn, die zweitlängste 49 Seiten. Vier Geschichten haben unter 21 Seiten. Hingegen gibt es gut verteilt über den Band drei lange (über 70 Seiten), und gegen Ende eine sehr lange (138 Seiten) Zwischenpartie. Ansonsten sind die Zwischenpartien meist kurz (16, 9, 26, 7, 14, 14; Ausnahme: 47 Seiten). Auffällig ist auch die Schlusspartie von unter einer Seite. die überschriebenen Partien sind hier noch kürzer (Höchstwert 34, vier mit nur 10 oder weniger Seiten). Wieder sind vier Zwischenpartien – darunter die Schlusspartie – besonders lang: 137, 243, 191, 305 Seiten. Die Schlusspartie ist mit Abstand die längste des Romans, gefolgt von den andern beiden, also 243, 191 Seiten. die beschriebene Tendenz – große und sehr kleine Zwischenpartien, kurze Geschichten – setzt sich erst einmal fort, es gibt aber dann doch eine umfassendere Geschichte (49 Seiten, plus die Fortsetzung von 27 Seiten), und nach der dritten großen Zwischenpartie von 101 Seiten entwickelt sich eine verlässlichere Sequenz von Einheiten kleineren Umfanges. Ausnahmen sind hier die Zwischenpartie am Anfang dieser Sequenz (60 Seiten) und die Schlusspartie (49 Seiten).

Die Bände eins bis drei werden also (erstes Element) von einigermaßen regelmäßigen Sequenzen dominiert; die Abweichungen sind bei den ersten beiden Bänden in der ersten Bandhälfte zu finden, im dritten Band am Bandende, und bestehen in allen drei Fällen in einer Verkürzung der Abstände und Geschichten, also einer Beschleunigung des Rhythmus; und nur für Band zwei und Band drei auch in einer Verlangsamung durch den großen Umfang einer Geschichte (Band II) und der Schlusspartie (Band III). Ab Band IV werden (zweites Element), anstatt der Unterscheidung von regelmäßiger Alternation und Abweichung davon, besonders umfangreiche Zwischenpartien für den Rhythmus maßgeblich, die sich von kleinen und sehr kleinen Zwischenpartien, und von grundsätzlich kürzeren Geschichten unter-

126

Einheitsbezogene Reihen

scheiden. Dabei liegt eine Steigerungstendenz für diese großen Zwischenpartien vor, kulminierend in der Schlusspartie des fünften Bandes.108 Erst ab etwa der Hälfte des sechsten Bandes (drittes Element), nachdem eine größere, zwar geteilte Geschichte wieder Raum gefunden hat, etabliert sich ein neuer, planer Rhythmus aus kleineren Einheiten mit Unregelmäßigkeiten am Anfang und Schluss. Damit hat die Reihe, hinsichtlich ihrer Proportionen, eine stark abnehmende Tendenz (drei, zweieinhalb Bände und ein halber Band); sie kann unter das Schema a-b-a’ gefasst werden.109 Blickt man auf den im Korpus einzigen Vergleichsfall der Europäischen Höfe, wo die häufigeren Unregelmäßigkeiten in der entsprechenden Reihe ein punktuelles Phänomen bleiben, also nicht selbst wieder erwartungsbildend wirken, werden die besonderen Voraussetzungen zum Zustandekommen der einheitsbezogenen Reihe in der Octavia deutlich: die Reihe muss so regelmäßig angelegt sein, dass Unregelmäßigkeiten sich überhaupt fein genug von der üblichen Folge abheben; und die Reihe muss so viele Elemente enthalten, dass wiederholte Unregelmäßigkeiten, und also eine entsprechende Phasenbildung möglich werden.110

2.4.8. Wechsel im Handlungsbezug der Analepsen Auf beinahe dieselbe Grundreihe – die Initiale und Überschriften markieren ja in der Regel metadiegetische Analepsen – beziehen sich die Veränderungen im Handlungsbezug der Analepsen. Die wesentlich zur Haupthandlung und ihren rangnächsten Multiplikationen beitragenden Geschichten und Berichte sind (angegeben wird ein Name aus der

108 Vgl., auf Grundlage der ersten Romanfassung, Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 360f. 109 Eine entstehungsgeschichtliche Deutung dieses Befundes erlaubt der Abgleich mit Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«. Diss. Masch. München 1974, S. 218f. 110 Mit Bezug auf die Aramena spricht Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock. Potsdam 1927, S. 251, davon, die Vorgeschichten seien »[m]it weiser Kunst […] in dies jagende Getriebe der anderthalbjährigen Gegenwart [eingefügt]« – auch hier wird also von einer geordneten Reihenbildung ausgegangen werden können, und zwar ohne die subtilen Verschiebungen und übergeordneten Möglichkeiten zur Subsumption, die die lange Entstehungszeit der Octavia mit sich brachten. Vgl. auch Heselhaus: Anton Ulrichs Aramena. Studien zur dichterischen Struktur des deutschbarocken »Geschichtgedicht«. Würzburg-Aumühle 1939. S. 15, der bei der Verteilung der »Episoden« auf die Bücher von einem »rhythmischen Verhältnis« spricht: »Ihre Einfügung in das Ganze gibt Ruhepunkte, Durchblicke, hat etwas von dem Gefestigten und gleichzeitig Lebendigen spätbarocker Ornamentik.«

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

127

Überschrift und der Beginn; ›B-‹ bedeutet: Bericht; ›F-‹: Fortsetzung):111 Vonones (RO I/49), Tyridates (RO I/80), B-Tyridates (RO I/177), Claudia (RO I/255), Drusus (RO I/338), B-Plautia (RO I/403), Parthenia (RO I/455), Italus (RO I/625), Caledonia (RO I/705), Octavia (RO II/46), Artabanus (RO II/210). Bis auf die Geschichten Octavia und Artabanus am Anfang des zweiten Bandes finden sich alle diese Geschichten und Berichte im ersten Band.112 Die politische Handlung des arsacischen Großreichs wird vollständig in den ersten beiden Geschichten Vonones und Tyridates entwickelt. Die britannische politische Handlung wird in den Geschichten Claudia, Italus, Galgacus (RO IV/21), Cartismanda (RO IV/153), Bunduica (RO IV/236), BOrgalla (RO IV/629) und F-Galgacus (RO IV/639) entwickelt – es gibt also einen ersten Block aus zwei Geschichten im ersten Band; die übrigen Geschichten sind alle im vierten Band. Im zweiten und dritten Band finden sich mit den Geschichten Adrianus (RO II/ 564), Flavia (RO II/663), Calvina (RO III/492), Statilia (RO III/618) und Salvia (RO III/755) Geschichten mit besonders komplizierten, vom Muster der Hauptpaarreihen weit abweichenden Liebeshandlungen, die sämtlich in Rom ihren Schauplatz haben. Besonders auffällig ist dabei die Abfolge von Calvina, Statilia und Salvia im dritten Band. Neronia (RO III/202) beschränkt sich beinahe vollständig darauf, die Ereignisse der Gegenwartsgeschichte aus einer bestimmten Perspektive noch einmal zu rekapitulieren. Durch schwache, oder gar keine Bezüge zur Haupthandlung zeichnen sich, bei einem außerrömischen Hauptschauplatz, die Geschichten Monobazes (RO I/ 545), Ephigenia (RO I/814), F-Monobazes (RO II/808), Epponilla (RO III/36), Solane (RO IV/544), Corrilus (RO V/16), Velleda (RO V/199), F-Velleda (RO V/ 214), Albinus (RO V/504) und Rhodogune (RO VI/105) aus; sie sind also in allen Bänden mindestens einmal vertreten, mit einem Maximum im sechsten Band (4). Den ausgebreitetsten politisch-römischen Bezug haben die Geschichten Messalina (RO I/199), Drusus, Octavia, Epicharis (RO VI/287) und F-Epicharis

111 Vgl. im Anhang die Liste aller Analepsen. 112 Vgl. mit einem ähnlichen Ergebnis Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman. Anton Ulrichs Romane als Modell. München 1970, S. 272f. Mahlerwein unterscheidet, nach diesem Kriterium, für die erste Romanfassung nur zwei Gruppen: »In Bezug auf die Verteilung und Anordnung der Episoden über den ganzen Roman, lässt sich erkennen, dass zuerst nur solche stehen, die über Vorgeschichten nachträglich in Kenntnis setzen, denen, untermischt mit Fortsetzungen dieser Episoden, alle die folgen, die mit der Handlung des Romans nicht irgendwie in Zusammenhang stehen.« (Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 360)

128

Einheitsbezogene Reihen

(RO VI/383). Die ersten drei befinden sich im ersten Band und zu Beginn des zweiten; die beiden Epicharis, als Ausreißer, im sechsten Band.113 Folgendes Bild zeichnet sich ab. Es gibt (erstes Element) eine erste Expositionsphase, in der alle für die Haupthandlung und ihre Multiplikationen relevanten Informationen geliefert, außerdem vollständig die politische Handlung des arsacischen Großreichs, und in den wichtigsten Zügen diejenige Roms dargestellt werden. Nur zwei Ausnahmen, Monobazes und Ephigenia gegen Ende des ersten Bandes, sind zu verzeichnen, die durch die große, räumliche und kausale Distanz zur Haupthandlung tatsächlich einen wirksamen Kontrast darstellen.114 Die Phase reicht vom Beginn des ersten Bandes bis zur zweiten Geschichte, Artabanus, im zweiten Band. In einer zweiten Phase (zweites Element) gibt es eine auffällige Häufung von fünf Geschichten mit geringem Bezug zur Haupthandlung, römischem Schauplatz und, hinsichtlich der Liebeshandlungen, besonders freier Variation der von der Haupthandlung vorgegebenen Schemata. Sie reicht von Artabanus im zweiten Band bis zum Ende des dritten Bandes. Den fünf für die Gruppe dominanten Geschichten, die in zwei Gruppen je direkt aufeinander folgen (zwei im zweiten, drei im dritten Band), stehen zehn, vom Umfang her vergleichbare Geschichten gegenüber. Drei davon rekapitulieren bereits bekannte Teile der histoire, vor allem der Gegenwartsgeschichte und der römisch-politischen Handlung, aus einer bestimmten Perspektive: Locusta (RO II/317), falscher-Nero (RO II/908), Neronia; zwei zeichnen sich durch ihre räumliche und kausale Distanz zur Haupthandlung aus, d.i. vor allem die Integration in ein nicht-römisches politisches Feld (F-Monobazes, Epponilla). Mischformen zwischen dieser und der dominanten Form – freie Variation der Liebeshandlung, Integration in ein außer-römisches politisches Feld aber über weite Strecken römischer Schauplatz – bilden Valeria (RO II/452) und Berenice (RO III/280). Ariaramnes (RO III/137) ist, bei recht großer Ferne zur Haupthandlung, immerhin in die politische Handlung des arsacischen Großreiches integriert; Thumelicus (RO III/409) und Phraortes (RO III/926) haben spezielle, doch aber direkte Verbindungen zur Haupthandlung. In einer dritten, relativ kurzen Phase (drittes Element) zeigt sich eine Dominanz der politischen Handlung Britanniens, von Galgacus bis B-Trebellius (RO 113 Mazingue: Anton Ulrich, S. 659, weist darauf hin, dass alle ›Teutschland‹ berührenden Geschichten sich auf die ersten drei Bände beschränken. Ein Vierteljahrhundert später – in der Entstehung des Romans – gebe es ein vollständiges Verschwinden des germanischen Stoffes. 114 Monobazes und F-Monobazes sind Einfügungen aus der dritten, ab 1711 entstandenen Textschicht. Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 456, und Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 222.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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IV/696) nämlich in sieben von zehn Geschichten und Berichten. Abweichungen bilden die Fortsetzung F-Berenice (RO IV/200), Domitianus (RO IV/428) und Solane – allesamt mit äußerst schwachem Bezug zur Haupthandlung. Die vierte und letzte Phase (viertes Element) reicht von Roxolane (RO IV/723) bis Tiberius (RO VI/749), bestehend aus sechzehn Geschichten und Berichten ohne dominante Gruppe. Der Bezug zur Haupthandlung ist oft sehr gering. Teile der Gegenwartsgeschichte erhellen Roxolane und B-Alexandra (RO IV/863). NeroPonto (RO IV/893) liefert eine wichtige Ergänzung zur römisch-politischen Handlung. Völlig neue politische Felder werden mit Nitocris (RO IV/942), Corrilus, Velleda, Rhodogune erschlossen. Vier Geschichten und Berichte sind Fortsetzungen. Die erste und dritte Phase sind also stark integriert (die dominante Gruppe bestimmt zwölf von vierzehn, und sieben von zehn Geschichten und Berichte) und sie sind relativ kurz (etwas über einen Band, etwas unter einem Band). Die zweite Phase ist schwach integriert (die dominante Gruppe bestimmt fünf von fünfzehn Geschichten) und umfasst etwas weniger als zwei Bände. Die vierte Phase bleibt ganz ohne dominante Gruppe und umfasst etwas mehr als zwei Bände. Es gibt also, im Schema a-b-a’-b’, einen Wechsel von stark integrierten und schwach bis gar nicht integrierten Gruppen, beginnend mit einer stark integrierten Gruppe. Die erste schwach integrierte Gruppe ist etwas weniger als doppelt so groß wie die erste stark integrierte Gruppe. Die stark integrierten Gruppen nehmen an Umfang tendenziell ab, die schwach integrierten Gruppen nehmen an Umfang zu. Es gibt bei beiden Gruppenarten eine Tendenz zur schwächeren Integration.

2.4.9. Änderungen im zeitlichen Verhältnis von histoire und discours Die Änderungen im temporalen Medium werden auf Grundlage der Unterteilungen des discours in die sechs Teilbände registriert, die Änderungskategorie ist der pro Band abgedeckte Zeitraum. Die Angabe des Seitenumfanges der Gegenwartsgeschichte115 in der folgenden Übersichtstabelle folgt den jeweiligen Entscheidungen in der die Tageselemente 115 Der Begriff unterscheidet den vom Erzähler erster Instanz vermittelten Textteil von allen metadiegetischen Analepsen. Die entlang dieser Unterscheidung gebrauchte Terminologie variiert in der Forschung, am häufigsten findet sich aber, für die eine Seite, der Begriff der ›Gegenwartshandlung‹; der hier vermieden wird, um dem Eindruck zu wehren, die Unterscheidung sei primär eine der Ebene der histoire. Im Gegenteil integrieren die verschiedenen Handlungsreihen Gegenwartsgeschichte und Analepsen; und die Abstraktion der Handlung von der Art und Weise ihrer Vermittlung – eben im Sinne des Begriffes der histoire – ist

130

Einheitsbezogene Reihen

auflistenden Tabelle,116 die Seiten der Berichte seis den Tagen zuzurechnen, seis auszuklammern; alle übertitelten Passagen wurden ausgeklammert. Durch- Abgedeckte schnit- Zeit tsumfang pro Tageselement

Auserzählte Tage/ Tage

6

Anzahl der auf die Gegenwartsgeschichte fallenden Seiten 385

5,2

22. März – 28. Juni 68: 3 Monate und 6 Tage; 99 Tage

0,63

8

471

7,7

29. Juni – 25. September 68: 3 Monate weniger 3 Tage 89 Tage117

0,64

Band

Anzahl der Tageselemente

Auserzählte Tage

Elemente für mehrere Tage

Sprünge (kein Element)

I

74

64

10

II

61

58

3

Grundbedingung für die Romananalyse, wie sie hier betrieben wird. (Noch fataler ist also die angedeutete Synonymie von Gegenwartshandlung und Haupthandlung, wie sie sich etwa bei Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 81, aber auch bei Kraft: Verloren im Netzwerk. Überlegungen zur Unlesbarkeit der »Römischen Octavia« Herzog Anton Ulrichs. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 128/2 (2009), S. 163–178, hier: S. 168f, abzeichnet. Weniger missverständlich hingegen das »Gegenwartsgeschehen« bei Bender: Verwirrung und Entwirrung, S. 88.) Der erste Teil des gewählten Kompositums dient dabei nicht nur der Unterscheidung zur weiter zurückliegenden ›Vergangenheit‹, die in den Analepsen Gegenstand wird, von der ›Gegenwart‹ ihrer Erzählung; sondern drückt, glücklicher, auch eine Qualität der temporalen Struktur der Gegenwartsgeschichte aus, die Mazingue, in der Abgrenzung zum Pikaro-Roman, herausgearbeitet hat: »En effet, le temps du héros, qui est en principe, par rapport au romancier, un temps achevé, apparaît, grâce à l’illusion poétique, comme un présent.« (Mazingue: Anton Ulrich, S. 827) Das Kompositum der ›Gegenwartsgeschichte‹ insgesamt, in den sich widersprechenden Implikationen seiner beiden Bestandteile, kann als Ausdruck dieses Paradoxons der gleichzeitig abgeschlossenen und offenen, oder offen scheinenden Zeit verstanden werden. 116 Vgl. die Tabelle im Anhang. 117 Die Abweichung bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 834f, weil er den 25. September, der im zweiten Band wohl schon anbricht (RO II/970f), voll zum dritten Band schlägt.

131

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

(Fortsetzung) Durch- Abgedeckte schnit- Zeit tsumfang pro Tageselement

12

Anzahl der auf die Gegenwartsgeschichte fallenden Seiten 610

6,2

11

5

556

6,5

114

12

2

1017

8,2

126

100

26

16

580

4,6

569

500

73

49

3619

6,4

Band

Anzahl der Tageselemente

Auserzählte Tage

Elemente für mehrere Tage

Sprünge (kein Element)

III

98

87

11

IV

86

75

V

124

VI

Auserzählte Tage/ Tage

25. September 0,56 – 28. Februar 69: 5 Monate und 2 Tage; 156 Tage. 1. März – Au- 0,41 gust; 5–6 Monate; Etwa 184 Tage. August 69 – 0,74 frühestens 1. Februar 70 5–6 Monate mindestens 155 Tage (das wäre vom 31.8. bis 1.2.) Februar 70 – 0,27 Beginn 71 etwa 365 Tage. 22. März 68 – Beginn 71 2 Jahre + 10 Monate ca. 1035 Tage

0,48

Die Tageselemente pro Band nehmen tendenziell, mit zwei leichten Einbrüchen im zweiten und vierten Band, zu: die Spannweite geht von 61 (Band II) bis zu 126 (Band VI) Elementen. Bis zum sechsten Band korreliert diese Entwicklung mit einer Zunahme auch des Seitenumfangs der jeweiligen Gegenwartsgeschichte; im sechsten Band fällt dann aber auf beinahe dieselbe Anzahl von Tageselementen nur etwa die Hälfte des Seitenumfanges.

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Einheitsbezogene Reihen

Drei Größenordnungen zeichnen sich bei den pro Band abgedeckten Zeiträumen ab: Band I und II bilden mit etwa 3 Monaten die erste; die Bände III bis V mit etwas unter einem halben Jahr die zweite, etwas weniger als doppelt so große; und Band VI mit einem Jahr die wiederum etwa doppelt so umfangreiche dritte Größe. Von diesen Zeiträumen wird unterschiedlich viel durch auserzählte Tage abgedeckt. Die Deckung ist im fünften Band am größten (drei Viertel: 0,74) und im sechsten am kleinsten (ein Viertel: 0,27). In den ersten Bänden ist sie beinahe gleich groß (zwei Drittel: 0,63; 0,64), im dritten Band etwas kleiner (etwas über die Hälfte: 0,56), im vierten Band wieder kleiner (zwei Fünftel: 0,41), sodass sich insgesamt ein Trend zur geringeren Deckung abzeichnet; mit dem einen Ausreißer, dem fünften Band.118 Interessant ist die Korrelation zwischen Deckungsdichte und durchschnittlichem Umfang der Tageselemente: die durchschnittlich umfangreichsten Tageselemente gibt es bei der größten Deckungsdichte (Band fünf: 8,2 und 0,74) und umgekehrt (Band sechs: 4,6 und 0,24). Vor dem fünften Band zeichnet sich der stetige Abfall der Deckungsdichte aber nicht im Durchschnittsumfang ab. Einigermaßen konstant ist die Anzahl von Sprüngen und mehrere Tage umfassenden Elementen bis zum sechsten Band, der beinahe das Doppelte des zuvor höchsten Wertes enthält (VI: 42, III: 23); hierbei muss freilich die zunehmende Anzahl von Tageselementen in Rechnung gestellt werden; im Verhältnis zu ihnen nehmen Sprünge und mehrere Tage umfassende Elemente bis zum sechsten Band tendenziell ab. Festzuhalten ist also ein Sprung zwischen den ersten beiden und den beiden Folgebänden (hinsichtlich Anzahl Tageselemente, hinsichtlich Seitenumfang); und eine Ausnahmestellung des fünften hinsichtlich der Deckung (drei Viertel), des Seitenumfangs (beinahe doppelt so viel wie sonst der Durchschnittswert) und des Durchschnittsumfanges der Tageselemente (besonders hoch);119 und des sechsten Bandes hinsichtlich der Deckung (besonders niedrig), des Durchschnittsumfanges der Tageselemente (besonders niedrig) und der Sprünge (besonders viele). 118 Vgl. Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 225: »Während die Bände I–IIIII–IV-V grob genommen 3–3–5–6–5 Monate umspannen, wobei prinzipiell von Tag zu Tag erzählt wird, aber doch so, daß etwas weniger als die Hälfte aller Tage weggerafft sind, enthält Band VI fast ein ganzes Jahre, von dem nur rund 100 Tage tatsächlich erzählt werden und ca. 70 % der erzählten Zeit ausgespart bleibt, wodurch sich ein spürbar neuer Erzählrhythmus ergibt: Wurde früher der Erzählfluß unterbrochen, so handelte es sich um einen oder zwei Tage; jetzt geht es fast immer um eine oder mehrere Wochen, die durchwartet werden müssen, ehe man den nächsten Schritt tun kann.« Es folgt eine entsprechende Einschätzung des hier nicht berücksichtigten siebten Bandes. 119 Vgl., in entstehungsgeschichtlicher Perspektive: Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 150f.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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Durchgehend zeigen sich die Tendenzen einer Vermehrung der Tageselemente und einer über Verdoppelung laufenden Erweiterung des abgedeckten Zeitraumes (nach zwei, dann nach drei Bänden) bei, mit der Ausnahme des fünften Bandes, gleichzeitiger Verringerung der Deckung. Die einheitsbezogene Reihe bilden, wie gesagt, die beiden Verdoppelungen des abgedeckten Zeitraumes.

2.4.10. Änderungen im räumlichen Medium (Verhältnis histoire/discours) Im Carneval gibt es einen Schauplatzwechsel der Erzählung nach Abschluss der dritten Liebeshandlung, Selimor-Scintille, nach Velcoris; von wo aus, im Rahmen von Sylvander-Saladine, die Bewegungen in umliegende Orte beträchtlich zunimmt. Bezüglich der Änderungen im räumlichen Medium der Römischen Octavia bedarf es einiger romanspezifischer Vorüberlegungen. Wie für das zeitliche Medium des Romans die Regel gilt, dass ein Fortschreiten des discours auf der ersten Erzählebene immer auch ein Fortschreiten der histoire bedeuten muss, Anachronien also nur dann erlaubt sind, wenn sie über erzählende oder prophezeiende Figuren zustande kommen, besteht eine ähnliche, den Erzähler bindende Regel im räumlichen Medium: ein Schauplatzwechsel der Erzählung ist nur dann erlaubt, wenn ihn eine Figur oder Figurengruppe des Romanes auch vollzieht.120 Wie das Anachronieverbot gilt die Regel für erzählende oder berichtende Figuren nicht; sodass sich zwei unterschiedliche Bewegungsformen innerhalb der gemeinsamen Strukturen des Mediums, je nach Erzählinstanz, ausbilden: die erste Erzählinstanz121 erzählt im undefinierten Raum, hat aber, dank der beschriebenen Informationsbeschränkung, im räumlichen Medium ihrer Erzäh120 Der Umstand ist in der Forschung durchgehend bemerkt. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 83–87, sieht in dem figurengeleiteten Schauplatzwechsel eine Möglichkeit, die Geschlossenheit des zeitlichen Kontinuums mit der geforderten Mehrsträngigkeit der Handlung zu verbinden. Vgl. ferner, besonders deutlich: Mazingue: Anton Ulrich, S. 844f; eher beiläufig: Hofter: Vereinzelung und Verflechtung in Herzog Anton Ulrichs »Octavia. Römische Geschichte«. Diss. Masch. Bonn 1954, S. 13; Wippermann: Herzog Anton Ulrich von Braunschweig. »Octavia. Römische Geschichte.« (Zeitumfang und Zeitrhythmus). Diss. Masch. Bonn 1948, S. 13; Kraft: Verloren im Netzwerk. Überlegungen zur Unlesbarkeit der »Römischen Octavia« Herzog Anton Ulrichs. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 128/2 (2009), S. 163–178., S. 168. Mit Bezug auf die Aramena, und anlässlich einer Explikation eher der zeitlichen Verhältnisse deutet auch Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 251, den Umstand an: »[…] und demgemäß geht die Erzählung, gleichsam nach der Uhr, von einem Handlungsträger zum andern.« 121 Vgl. hierzu Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 18–31.

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Einheitsbezogene Reihen

lung einen je gegebenen Ort, den sie nur zu bestimmten Bedingungen wechseln kann; die zweiten Erzählinstanzen erzählen lokalisierbar einem angegebenen Publikum, sind aber auf den Schauplätzen ihrer Erzählung, wenn sie einen wählen, nur flüchtige und ungebundene Besucher. Die Figur, mit der, nach der oben formulierten Regel, die Erzählung einen Schauplatzwechsel vollzieht, nennen wir Leitfigur; handelt es sich um eine Gruppe, Leitfigurengruppe; die Regel entsprechend Leitfigurenregel. Die Schauplätze, an denen sich die Erzählung in dieser Weise ›aufhält‹, seien als gegenwärtige Schauplätze bezeichnet. Alle übrigen Schauplätze sind mögliche Schauplätze. Damit die Leitfigurenregel als Beschränkung produktiv wird, muss sie sich gegen das natürliche Interesse des Erzählers richten, gleichzeitig an verschiedenen Orten geschehende Ereignisse auf gleiche Weise erzählerisch abzudecken. Erst, wenn nicht ohnehin das Geschehen sich auf einen Schauplatz konzentriert, gewinnt die Auswahl eines bestimmten Schauplatzes an Bedeutung. Die Produktivität der Regel verhält sich also proportional zur räumlichen Differenzierung möglicher Schauplätze und zur Menge gleichzeitig handelnder Figuren oder Figurengruppen. Indikator für die Produktivität der Regel ist die Frequenz und der Umfang der Berichte, die ja das anderswo Geschehende für die Protagonisten und für die Erzählung selber nachtragen.122 Da die Befolgung der Leitfigurenregel nicht einhergeht mit einer automatischen internen Fokalisierung der Leitfigur; da die Erzählung nach vollzogenem Schauplatzwechsel den Fokus vielmehr frei wählen und verschieben kann, unabhängig also bleibt von der beschränkten Wahrnehmung einzelner Figuren; ist entscheidend, was jeweils als Schauplatz definiert wird, für das Überschreiten welcher räumlichen Grenzen die Beschränkung also gilt. Bisher ist von einem mehr oder weniger statischen Vorrat an Schauplätzen ausgegangen worden, innerhalb welchem sich reversibel bewegt wird: die Schauplätze bleiben, flüchtig sind die Aufenthalte und Bewegungen (statisches Anwendungsgebiet). Wenn sich eine größere Anzahl an Figuren in verschiedenen Gruppierungen gemeinsam auf ein gleiches Ziel in vielen Etappen zubewegt, kehrt sich das Verhältnis um: die Schauplätze der Etappen sind das flüchtige, ›verbrauchte‹, die Bewegungen der Gruppen und Figuren das konstante. Bei der Anwendung der Leitfigurenregel sind nicht mehr vorrangig mögliche Schauplätze das Ausgeschlossene, sondern mögliche andere Bewegungen anderer Leitfiguren; die dadurch entstehenden Effekte sind die von zunehmender oder 122 Die Berichte sind immer wieder als Indikatoren der raum-zeitlichen Limitationen des Romans gesehen worden. Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 837–846; Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 14; Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von BraunschweigWolfenbuettel, S. 58–60.

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abnehmender relativer Geschwindigkeit und zunehmender oder abnehmender Masse sich bewegender Figuren, also, metaphorisch gesprochen, größerem oder kleinerem bewegtem Gewicht (bewegtes Anwendungsgebiet). Die statischen Anwendungsgebiete haben eine räumliche Grenze, die bewegten Anwendungsgebiete werden durch den Beginn und das Ende der kollektiven Bewegung in der Zeit begrenzt. Wird die Leitfigurenregel in einer konstanten Setzung aus Schauplätzen unter derselben Definition über einen längeren Zeitraum angewandt, können sich gliedernde Effekte aus der Wahl der Schauplätze, der Wahl der Leitfiguren und der Effektivität der Leitfiguren, der Dauer also ihrer Funktion und der Anzahl der Ortswechsel, ergeben. Relevant ist schließlich die Strenge der Anwendung der Regel; Ausnahmen können rhythmische Markierungen bilden. Damit ergeben sich für die Gliederung der Gegenwartsgeschichte in räumlicher Perspektive folgende Beobachtungsebenen: – die Abfolge der gegenwärtigen Schauplätze; – die Abfolge statischer und bewegter Anwendungsgebiete für die Leitfigurenregel; – die Abfolge unterschiedlicher Schauplatz-Definitionen; – die durch die Anwendung der Leitfigurenregel innerhalb statischer Anwendungsgebiete sich ergebenden Gliederungsmöglichkeiten; – Veränderungen im Bereich der ausgeschlossenen möglichen Schauplätze und der ausgeschlossenen möglichen Leitfiguren, des Selektionshorizontes also für die Anwendung der Leitfigurenregel; und zwar innerhalb und außerhalb des je aktuellen Anwendungsgebietes. Die nicht einheitsbezogenen Reihen niedrigerer Ebenen werden unten behandelt (Kap. 5.12.3). Schaut man auf die Bewegungen der Erzählung auf Orts/Stadt-Ebene123 ist eine Zunahme der Ortsveränderungen sehr deutlich. Bis Tag IV, 74124 gehen alle 123 Die Liste: I/16 Rom, 621 Ostia, 687f Rom; II/797 Trestaberna, 797 Fluss Vulturnus zwischen Capua und Casilinum, 798 Interamnia, 798 Lanuvium, 806 Velitra, 806 Rom, III/107 Volaterra, 111 Dorf beim Hafen des Hercules, 115 Hafen des Hercules, 118 Rom, 172 Velitra, 172 Tusculum, 257 Dorf unfern von Rom, 261 Ostia, 267 Rom, 355 Lusthaus des Seneca, 355 Rom, 404 Lusthaus des Valerius Martialis, 405 Lusthaus des Seneca, 549 Rom, 750 Tusculum, 752 Anagnia, 813 Caprea, 859 Ostia, 863 Rom; IV/113 Ostia, 113 Rom, 421 Ostia, 451 Albingaunum, 452 Albium Intemelium, 461 am Padus, 462 Vercelli, 462 Berghaus in den Alpen, 465 Vercelli, 468 Landgut, 468 am Padus, unfern Ticinum, 469 Placenz, 471 am Padus, unfern Ticinum, 476 Dorf am Padus, 477 Lager des Suetonius Paulinus, 482 Lager des Cecinna, 482 Lager des Suetonius Paulinus, 511 Bebriac, 514 Lager des Annius Gallus, 515 Bebriac, 525 Lager des Suteonius Paulinus, 533 Bebriac, 598 Brixellum, 604 Bebriac, 651 Brixellum, 694 Bebriac, 710 Lager des Suetonius Paulinus, 713 Bebriac, 714 Lusthäuser des Annius Gallus,

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Einheitsbezogene Reihen

Bewegungen der Erzählung nach Rom wieder zurück. Die hier begonnene Bewegung hat dieses Ziel nicht mehr. Die von Rom ausgehenden und zu Rom zurückkehrenden Bewegungen nehmen an Umfang und Frequenz tendenziell zu. Im ersten Band ist dies ein eintägiger Ausflug nach Ostia. Im zweiten Band eine Reise über fünf Etappen und vier Tageselemente. Im dritten Band hat sich die Anzahl der Bewegungen von einer pro Band auf insgesamt fünf erhöht. Die Länge in Tageselementen ist unterschiedlich (2, 11, 1, 4, 3), ebenso die Etappenanzahl (3, 4, 1, 2, 4). Im vierten Band gibt es nur zwei Bewegungen, von denen ist aber die erste die insgesamt umfangreichste (27 Tageselemente, 26 Schauplatzwechsel), die letzte ist bereits identisch mit der endgültigen Bewegung von Rom weg. Ab dem endgültigen Aufbruch aus Rom lädt die Liste dazu ein, wiederkehrende Schauplätze und einmalige Schauplätze zu unterscheiden. Beinahe ausschließlich wiederkehrende Schauplätze gibt es zwischen den Seiten RO V/242 und RO VI/450. Davor liegen 21 Schauplatzwechsel, dahinter 28; wobei in dem Bereich dahinter Wiederholungen und Aufenthaltsdauern in Antiochia und dem Carmelgebirge auffallen; d. h. vom Carmelgebirge gehen zwei Bewegungen aus, die zum Carmelgebirge auch wieder zurückführen. Geographisch bleiben die Bewegungen von Rom aus zunächst in dessen näherem Umkreis. Die große Bewegung des vierten Bandes geht nach Nordwesten und Norden, bis an die Alpen. Rom endgültig verlassend bewegt sich die Erzählung nach Osten bis ans Schwarze Meer; und von dort aus nach Süden, nach Griechenland, Syrien und Palästina. Die Liste enthält also bereits entscheidende Indizien zur Feststellung der Abfolge statischer und bewegter Anwendungsgebiete.

771 Rom, 827 Velitrae, 831 Rom, 850 Reise nach Sypontum 850 Sypontum, 856 Diomedische Inseln; V/6 Diomedische Inseln, 6 Flotte des Tyridates unfern von der Insel Melitena, 6 Melitena, 10 Epidauris, 11 Enderum, 13 Reise nach Nujodunum, 14 Schloss auf dem Gebirge Orbitanus, 51 Fluss Savus, 52 Schiffe auf dem Savus, 62 Fluss Donau, 62 vor Nujodunum, 64 Nujodunum, 148 dacische Grenze, 148 vor Axiopolis, Wiese, 149 Axiopolis, 149 das erste Dorf, 149 Trosmis, 149 Dinogetia, 191 Donauschiff, 238 Lusthaus, Ort des Mittagsmahles, 242 Lusthaus, Nachtlager, 242 Fahrt nach Naracostomum (N.), 242 N., 253 Boreostomum (B.), 255 N., 348 Stenostomum (St.), 365 N., 372 St., 401f N., 451 St., 547 N., 587 St., 588 N., 675 St., 679 B., 713 N., 741 B., 852 N., 860 Calostomum, 870 Colchische Flotte, 870 B., 906 N., 911 B., 951 N., 966 B., 986 Peucostomum, 989 B., 996 N., 1011 Schiff, 1015 medisches Schiff, 1016 Fischerinsel, 1048 N., 1069 B., 1075 N., 1132 B., VI/69 Schiffe nach Dinogetia, 72 B., 74 Colchische Flotte, 82 B., 210 Colchische Flotte, 227 B., 338 Schiff, 339 Schiff, 340 Colchische Flotte, 341 Sprung: B., 342 Colchische Flotte, 348 Richtung B., 351 B., 382 Dinogetia, 433 B., 450 Dinogetia, 454 Bysantz, 454 Troada, 455 Berg Ida, 455 Pergamum, 456 Tyatira, 459 Sardes, 459 Ephesus, 465 Halycarnassus, 465 Paphos, 465 Tarsis, 467 Antiochia, 529 Daphne, 530 Antiochia, 598 Carmel, 649 Cäsarea, 666 Carmel, 786 Berg Tabor, 787 Tirza, 787 Gebirge Ephraim, 797 Jordan, 800 Totes Meer, 801 Berg Hebal, 801 Bethlehem, 801 Jerusalem, 802 Berg Sion, 803 Modin, 804 Sichron, 804 Cäsarea, 804 Richtung Carmel. 124 Die Angabe bezieht sich auf die im Anhang gelisteten Tageselemente.

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Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

Es werden vier statische und vier bewegte Anwendungsgebiete unterschieden; die Definition am Ende des Untersuchungsbereiches ist aber schwierig und bleibt gewissermaßen unter Vorbehalt der möglichen Fortsetzungen. Die statischen Anwendungsgebiete sind Rom, Norditalien, das Donaudelta und – die Welt. Die bewegten Anwendungsgebiete sind die Hinreise nach Norditalien, die Rückreise aus Norditalien, die Reise ins Donaudelta, und die Reise nach Antiochia. Das ergibt diese Abfolge: Tag des Beginns125 I, 1

Umfang Tageselemente 257

Anwendungsgebiet Rom

IV, 25 IV, 33

8 16

Reise nach Norditalien Norditalien

IV, 49 IV, 52

3 22

Reise nach Rom Rom

IV, 74 V, 36

48 147

Reise ins Donaudelta Donaudelta

VI, 59 VI, 59

67 12

Welt Reise nach Antiochia

Das statische Anwendungsgebiet Rom umfasst also insgesamt 279 Tageselemente, damit beinahe doppelt so viel wie das zweitumfangreichste statische Anwendungsgebiet Donaudelta. Wiederum die Hälfte davon umfasst das letzte statische Anwendungsgebiet Welt, das allerdings über den Untersuchungsbereich hinausragt; wegen seiner mangelnden räumlichen Abgrenzung enthält es außerdem ein bewegtes Anwendungsgebiet. Ansonsten fällt auf, dass die Reise ins Donaudelta an sich bereits länger ist, als der Wechsel von bewegtem und statischem und wieder bewegtem norditalienischem Anwendungsgebiet (der Rhythmus hier: kurz, doppelt so lang, sehr kurz). Ein Abgleich der so definierten Anwendungsgebiete mit der Liste der Ortswechsel zeigt sofort, dass für die statischen Anwendungsgebiete unterschiedliche Schauplatzdefinitionen veranschlagt werden müssen. Für Rom sind Schauplätze zunächst einmal die städtischen Gebäude und Einrichtungen; die Grenze des Anwendungsgebietes reicht aber über die buchstäbliche Stadtgrenze hinaus und schließt Orte in der Umgebung, die funktional Rom zugeordnet sind, mit ein: das sind die Zufluchtsorte der Mayerhöfe und 125 Angegeben wird das Tageselement, die Seitenzahlen sind in der entsprechenden Liste im Anhang belegt. Im Zusammenhang mit der Römischen Octavia wird dies Format (etwa I, 5) in der Folge grundsätzlich zur Angabe von Tageselementen gebraucht.

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Einheitsbezogene Reihen

Lusthäuser, die Hafenstadt Ostia und ein Teil des Weges zur anderen Hafenstadt Sipontum. Für Norditalien gelten prinzipiell ähnliche Bedingungen; während aber in Rom sich die Schauplätze alle innerhalb derselben Stadt befanden oder ihr funktional zugeordnet waren, stehen nun zwei Städte zur Auswahl und außerdem mehrere Lager mit einem Geschehens-, keinem städtischen Bezug; interessant ist aber die Übernahme der Differenzierung in einen ›oberirdischen‹ und einen ›unterirdischen‹ Raum christlicher Zuflucht.126 Es handelt sich also um ein hinsichtlich der Schauplatzgrenzen heterogeneres, gemischtes Anwendungsgebiet. Für das Donaudelta liegt ein erster echter Definitionswechsel vor. Die potenzielle Produktivität für eine Anwendung der Leitfigurenregel innerhalb der Inseln ist wegen der geringen räumlichen Differenzierung der Inseln und wegen des homogenen Personals auf denselben so niedrig, dass ihre Befolgung entweder nicht auf-, oder, im Sinne einer Informationsbeschränkung, kaum ins Gewicht fällt. Es gibt entsprechend so gut wie keine Berichte über Ereignisse auf derselben Insel (Ausnahmen auf den Seiten RO V/604–606, V/633–636, VI, 36– 38). Hingegen auf der Ebene der Inselgrenzen wird die Regel konsequent durchgeführt, die Inseln beherbergen Personal unterschiedlicher Parteien und die Informationsbeschränkung für die Erzählung entspricht sehr gut der Informationsbeschränkung der handelnden Figuren. Hiermit einher geht eine deutlich niedrigere Frequenz der Schauplatzwechsel. Die Definition für das Anwendungsgebiet Welt muss wegen des unabgeschlossenen Untersuchungsbereiches vage bleiben. Die Erzählung bleibt nach der Entführung Parthenias und Sulpitias durch den pontischen Nero und Vardanes bei Octavia und den morgenländischen Königen, d. h. sie folgt nicht entweder Tyridates, Artabanus oder Beor. Die produktive Anwendung der Leitfigurenregel liegt auf dieser Ebene; da alle vier Figuren oder Figurengruppen sich bewegen, werden so keine konstanten, sondern wiederum bewegliche Schauplätze voneinander unterschieden, jedoch, anders als bei den bewegten Anwendungsgebieten, bewegt nicht in derselben Richtung. Die Folge ist, dass die Bewegungen Octavias, vor allem ihre letzte Reise durch Palästina, praktisch bedeutungslos bleiben. Der Fortgang der Erzählung müsste zeigen, wie diese Phase der Erzählung zu verstehen ist: ob etwa das Carmelgebirge sich doch als Zentrum etabliert,127 das, bei zunehmender Bevölkerung, auch in sich wieder produktive 126 Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 725. 127 So sieht es aus – vgl. Munding: Christentum als absolute Religion und religiöse Toleranz in der späten ›Octavia‹ und im Leben Anton Ulrichs zu jener Zeit. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta‹. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 105–133, hier: S. 120.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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räumliche Differenzen bildet (eine Entdifferenzierung gab es ja schon einmal am Ende des römischen Aufenthaltes); oder ob die Bindung der Schauplätze an räumliche Gegebenheiten konsequent fallen gelassen wird zugunsten einer Bindung an die Bewegungen der unterschiedlichen, wichtigsten Protagonisten, zwischen denen die Erzählung dann nur mit Hilfe von Leitfiguren wechseln kann. Es gibt also einen deutlichen Definitionswechsel zu Beginn des Anwendungsgebietes Donaudelta; und einen ›vorläufigen‹ Definitionswechsel vor dem Beginn des Anwendungsgebietes Welt. Norditalien verwendet prinzipiell dieselbe Definition wie Rom, aber bei unterschiedlichen räumlichen Voraussetzungen. Grundsätzlich, durch alle vier Veränderungen hindurch, wird die Definition in Richtung einer höheren räumlichen Differenzierungsebene verschoben. Die Grenzen bilden ja einmal eine Stadt, dann mehrere Orte und Umgebung, dann eine Landschaftsformation aus mehreren Inseln, dann die Möglichkeiten der Figuren, sich in der Welt zu bewegen.128

2.4.11. Wechsel der Integrationsformen Eine Besonderheit einheitsbezogener Reihen liegt in der möglichen Heterogenität ihrer Elemente, wenn nur die Kriterien der vollständigen Deckung des discours und hinreichend weniger Elemente erfüllt sind. Innerhalb der Verliebten und galanten Welt erlaubt so die Unterscheidung verschiedener Verknüpfungsmodi der Liebeshandlungen die Bildung einer einheitsbezogenen Reihe. Am auffälligsten ist im zweiten Element (B1: VW I/36–60; B2: VW I/68–191) die parallele Führung von insgesamt neun Liebeshandlungen, deren Verhältnis untereinander am ehesten anhand bestimmter Verfahren subordinierender Multiplikation erklärt werden kann, nämlich der discoursbezogenen (Einschließung, Alternation). Im ersten Element (A1: VW I/1–36) hingegen wird einer dominanten Liebeshandlung nur eine andere durch funk128 Eine gänzlich andere, aber auch einheitsbezogene Reihe im räumlichen Medium skizziert mit einem Architekturgleichnis für die Aramena Heselhaus: Anton Ulrichs Aramena, S. 15: »Die Gliederung der 5 Teile der Aramena kann man in Analogie zu einem hochbarocken Sakralbau sehen: Fassade (I), Innenraum (II–IV), Altarraum (V). Diese Dreiteilung ist noch durch die Ortszuweisung, ein tiefer Hineinschreiten in die Architektonik, besonders gekennzeichnet: der Dichter führt nach Canaan (I), verweilt in Damaskus (II–IV), wo die bedeutsamsten Punkte der königliche Palast, die Kemuelsburg, der Isistempel und die Stadt Aroer sind, und vollendet schließlich in Mesopotamien (V) mit seinem strahlenden Licht den architektonischen Bau.« Dasselbe Gleichnis schon bei Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 252 und 259. Der Symmetrie in der Aramena wäre also eine ausgesprochene Asymmetrie in der Octavia gegenüberzustellen: unvermeidlich gemacht durch den Wegfall einer wie immer kurzen Hinführung an den Zentralort Rom, der, einmal verlassen, kein ebenbürtiges Pendant mehr finden kann.

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Einheitsbezogene Reihen

tionale Verschränkung untergeordnet; hier gibt es mehrere, an die Stellen von Menardi-Charlotte und Heraldo-Charlotte gebundene, kurze Wiederaufnahmen (A2: VW I/60–68, A3: II/70–74, A4: II/146–153, A5: II/191). Die dritte, einfachste Form der Verknüpfung ist die lose Koordination, bei Verzicht also auf Verfahren der Einschließung oder der funktionalen Verschränkung (C1: VW II/1–70, C2: II/ 74–146, C3: II/153–191). Die Darstellung des Schlusses von Heraldo-Selimene in einer metadiegetischen Analepse, die, im Rahmen der Freundschaftshandlung Heraldos und Seladons, als unmittelbares, geschlossenes Pendant zur Erzählung des letzteren begriffen werden muss, löst diese Liebeshandlung ab der Eheschließung aus dem Zusammenhang subordinierender Multiplikation des ersten Teiles, und die freundschaftliche Verständigung über beider Erfahrungen wirkt im Hinblick auf die Feststellung hierarchisch interpretierbarer Differenzen zwischen Heraldo-Selimene und Seladon-Ariane demotivierend. Diese Liebeshandlung steht zu Seladon-Amalia im einfachen Verhältnis zeitlicher Sukzession, wiewohl wenige kausale Relationen bestehen. Es gibt also, natürlicherweise, Bindungen an die Stellen der Liebeshandlungen, aber auch Bindungen an die Reihe der Ortszusammenhänge und der discours-Unterteilung. Nahe liegt es, die kurzen, unterbrechenden Elemente zu ›kürzen‹, die Reihe also nur anhand des je dominanten Verknüpfungsmodus zu bilden (also A: VW I/1–36, B: I/36–191, C: II/1–191, bei einer maximalen Unterbrechung im Umfang von 8 Seiten), dann werden die genannten Bindungen noch deutlicher; und für die Zuordnung des Schlusses von Heraldo-Selimene ist der Ort der Erzählung Heraldos, nicht der Ort des Erzählten entscheidend. In dieser Form deckt sich die Reihe außerdem vollständig mit einer über die Art der Freundschaften des Helden zu bildenden Reihe (keine Freundschaften: VW I/1– 36, Gruppenfreundschaft: I/36–191, Einzelfreundschaft: II/1–191). In den Europäischen Höfen kann eine Reihe nach dem Muster ABCACBD gebildet werden, in denen die Elementdefinitionen auf die Dominanz unterschiedlicher integrativer Verfahren abstellen, und die sich aufgrund struktureller Defizite der Haupthandlungsreihe dem Leser zur Sortierung seines Gedächtnisses vorzüglich empfiehlt.129 Es sind die allesamt als Hindernisse der Hauptliebeshandlung wirksamen Entführungen Ariones,130 Thurabes (EH 588f) und Siliberts (EH 775, 801–934), die einen großen Teil der Mobilität Gustavens und also die Erschließung eines großen Teils der histoire des Romans provozieren; anstatt den Helden aber auf den Reisen und während seiner Aufenthalte im Sinne des Vorhabens der Be129 Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 179, spricht von Gustavus-Arione denn auch nur als der »äußere[n] Klammer des ganzen Erzählgefüges.« 130 EH 102–104, 169–171, 212–217, 1021–1024, 1152f, 1155–1158, 1163–1169.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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freiung, das ihn aufbrechen machte, vollständig und in akuter, kausaler Wechselbeziehung zum Verlauf seiner Unternehmung zu determinieren, verkümmert, wie schon einmal bemerkt, der Handlungsimpuls in drei von vier Fällen unterwegs oder verliert seine Fühlung zur Realität, Anlassgeber nur noch einer dann wieder zukunftsoffenen Reise:131 Thurabes Befreiung von Decynto (EH 588f) und Ariones Befreiung von Baucosi (EH 1164–1166) erfolgt dank der beherzten Flucht der Entführten rasch und ohne Zutun Gustavens, der davon aber hinreichend verzögert erfährt – nach Gallien also dennoch reist, sich also doch mit einer Armee auf thualinischem Boden festsetzt und unwillkürlich seine Ernennung zum dasigen König bewirkt. Bis ans westliche Ende Europas verfolgt er, wie sich herausstellt (EH 169–171, 267), nicht Arione, die von ihrem Vater einfach nach Hause gebracht wurde (EH 212–217), sondern eine von einem torgapulischen Grafen entführte Prinzessin aus dem Hause Doria. Weiter beruht die kausale Verknüpfung von Liebeshandlung und Krönungsreihe Gustavens auf unvermittelt hinzutretenden Gründen,132 und nicht, wie etwa in der Liebeshandlung Iranio-Amariane, auf einem die Strukturen beider Handlungsbereiche integrierenden Bedingungsgeflecht.133 131 Der gleiche Befund bei Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 57, und Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 179. 132 Die Nachfolge im Wittekindischen Großfürstentum tritt Gustavus einfach als Folge des zuvor nachfolgeberechtigten Bruders an (EH 287–289, 997–999); eine kausale Verbindung zur Liebeshandlung besteht nicht. Hingegen für die Erlangung der thualinischen Krone bildet die Entführung Ariones durch den Prätendenten Baucosi und die bewaffnete Befreiungsaktion Gustavens durchaus die Voraussetzung. Dann aber muss, weil Gustavus eigentlich mit seiner Groß-Fürsten-Würde zufrieden ist (EH 1183), einiges dazukommen, ihn zur Annahme der Krone zu bewegen – das ist, letztlich, die Notwendigkeit, Decynto als thualinischen König und möglichen Verbündeten des saracenischen Kaisers zu verhindern (EH 1168–1183). 133 Grob gesagt: zunächst ist die Heirat Amarianes die Bedingung für ein Anrecht auf die brittische Krone. Dann aber wird die Eroberung Brittaniens und die Absetzung des brittischen Königs Sauboci Bedingung für die Heirat seiner Tochter Amariane. Genaueres zu den Bedingungen für die Krönung: Iranio wird auf den Beschluss der brittischen Staatsversammlung hin gekrönt; dieser Beschluss ist notwendig, weil Amariane, die Thronfolgerin, auch selber den Thron hätte besteigen können (EH 1147) und weil Sauboci, der aktuelle König, noch lebt und daher erst von der Staatsversammlung abgesetzt werden muss (EH 1146). Iranio musste Amariane, die Tochter Saubocis, zur Braut haben und Sauboci musste sich als illegitimer König erweisen. Außerdem musste Sauboci in der Nachfolge seines Bruders Clarusos König geworden sein und er musste, bevor er abgesetzt werden konnte, seine Machtbasis verloren haben. Diese vier Bedingungen treten in unterschiedliche Verhältnisse der Ermöglichung und Verhinderung. Sauboci durfte sich als illegitim erst erweisen, nachdem Iranio mit Amariane schon verlobt und nachdem er Claruso auf dem Thron nachgefolgt war; erst dann konnte auch Iranio gegen den Vater seiner Braut zu Felde ziehen. Außerdem durfte kein weiterer Nachkomme oder Verwandter Clarusos oder Saubocis Anspruch auf den Thron erheben, ohne freilich, dass Iranio sich durch die Beseitigung eines derselben Machtgelüste hätte vorwerfen lassen dürfen. Vgl. auch unten, Kap. 3.1.1, den Abschnitt zur funktionalen Verschränkung von politischen und Liebeshandlungen.

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Über die Einholung des durch den medias-in-res Einsatz konventionell gegebenen und zusätzlich durch Irrtümer forcierten Wissensdefizites134 lässt sich nun das erste Element der Reihe definieren (EH 1–277). Dominant wird dieses Verfahren wieder in der Entführung Siliberts (EH 750–934) – diesmal allerdings weiß der Leser soviel wie der Held.135 Verfahren der subordinierenden Multiplikation, des Einschlusses und der parallelen Führung mehrerer typgleicher Handlungen werden in Gallien (EH532–750) und in Vinaquila (EH 935–996) maßgeblich.136 Im Kontrast zu beiden bisher genannten Elementtypen gibt es zwei Partien (EH 277–550, 996–1022), in denen die Handlung einfach fortschreitet: zunächst in Erfüllung der im Rahmen der Haupthandlungsreihe gegebenen Bedingung der Bewährung des Helden und in Assoziation mit einer Reihe (Iranio-Amariane), die auch weitgehend ohne den Einbau von Wissensdefiziten voranschreitet und kausal straff integriert zur Entscheidung drängt; dann aber – das ist der Feldzug gegen die Saracenen – abgesehen von der Beteiligung Gustavens ohne direkten Bezug zur Haupthandlung. Das abschließende, siebte Element (EH 1022–1216) lässt sich, abgesehen von dem Ausbleiben einer Dominanz der bisher genannten Verfahren, am ehesten über die weitgehend erlebende Haltung des Helden charakterisieren;137 hinzu kommen Infor134 Die für den Aufbau und Abbau des Wissensdefizites maßgeblichen Stellen sind EH 1–9; 51; 77f; 97f; 102–106; 169–175; 225–232; 266–276. Überwunden wird hier die ursprüngliche, durch den medias-in-res gegebene Distanz des Lesers zur Haupthandlung – verstärkt durch drei Irrtümer: der Geliebte Ariones sei in Wirklichkeit Hermiontes; Hermiontes/Gustavus sei im veronischen Wald ermordet worden; Arione sei aus Venedig entführt worden. Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 180f, betont die kompositorische Relevanz der das Element abschließenden Szene der Wiedererkennung, bezieht sich aber auf den gesamten szenischen Zusammenhang, in dem ja die ersten, wichtigen Erzählakte erfolgen. 135 Das Wissensdesiderat entsteht durch eine unvollständige, von unsicherer Quelle stammende Information (EH 774–777). Die Aufklärung erfolgt über vier Erzählungen (EH 801–827; 856– 898; 903–913); wobei die erste Erzählung die zweite Erzählung (EH 818–827) beinhaltet oder rahmt. Weil die Handlung sich zwischen den ersten beiden und der dritten Erzählung schon entscheidet, ist die Motivation zur Aufnahme der Informationen der dritten und vierten Erzählung etwas weniger akut. Dieser Komplex zeichnet sich durch die Stringenz der jeweiligen wissensbezogenen Fokalisierungen aus. Jeder Erzählende weiß nur so viel, wie er wissen kann; und der Leser weiß an keiner Stelle mehr als die Repoussoirfigur Gustavus. 136 In Gallien sind das – geführt werden nur die das Element betreffenden Stellen – GustavusArione (EH 532–541, 550–622, 695–753, 774–779), Decynto-Thersarie (EH 554–556, 563–567, 574–587), Heroald-Selinde (EH 568, 572f, 578, 582, 593–596, 696–701, 714–723, 730–741), Ludie-Ludie (EH 568, 572f, 578, 582, 593–596, 696–701, 714–723, 748), Sulani-Pensieremont (EH 568, 572f, 578, 582, 596–603, 705f, 714–723, 748), Silvio-(Mätressen) (EH 582–586, 591f, 730–741, 744). In Vinaquila sind es Gustavus-Arione (EH 937–977, 986–988, 994–996) und Heroald-Selinde (EH 977–986, 990–994). 137 Gustavus bleibt die meiste Zeit über kampflos in seinem Lager, Empfänger nur von Informationen (EH 1150–1196). Vgl. Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 57: »Der Leser gewinnt den Eindruck, als wenn Gustavus eigentlich nicht nach Polen zieht, um dort die Krone zu erwerben, sondern um Arione aus den Händen ihres

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mationen aus allen noch offenen Handlungsreihen,138 die keinem vorstrukturierten Wissensdesiderat mehr zuzuordnen sind und keine Handlungsaufforderung enthalten. Der Umfang der Elemente ist, in ihrer Reihenfolge: 277, 273, 218, 184, 61, 26, 194 Seiten, das erste Element ist also am längsten, gefolgt von drei langsam abnehmenden; dann folgt ein kurzes und ein sehr kurzes; und zum Schluss gibt es ein Element mit der Länge etwa der letzten der längeren; zwischen dem zweiten und dritten Element kommt es zu einer leichten Überlappung.139 Eine Zuordnung dieser Elemente zu dem Länderparadigma ist weitgehend möglich und verstärkt die Orientierungsleistung der Reihe; die Assoziation betrifft das Land am stärksten, das nur im jeweiligen Element vorkommt, also: Hispanien/Torgapulien, Baviata/Britten, Gallien, Welschland, Germanien, Germanien/Grenze zum Saracenenreich, Thualinien. Für die Unterscheidung von Integrationsformen der unterschiedlichen Handlungen der Römischen Octavia auf der Ebene der Gegenwartsgeschichte und eine Bemessung ihrer Handlungsdichte genügt eine Orientierung an der Struktur des politischen Feldes und der räumlichen Differenzierung – es sind also weit weniger Aspekte berücksichtigt als bei den Europäischen Höfen. Das Integrationsproblem, auf das die Reihenbildung auf dieser hoch abstrahierten Ebene Bezug nimmt, liegt in der geringen integrativen Reichweite der Hauptliebeshandlung in den Liebesbereich hinein;140 dadurch wird die Integrationslast weiter Teile des Liebesbereiches dem politischen Bereich mit aufgebürdet; und dadurch wird die Struktur des politischen Bereiches maßgeblich für die Integration im Ganzen. Liebeshandlungen haben, wegen ihres auf zwei bestimmte Figuren zugeschnittenen, nur einmalig zu erreichenden Handlungszieles nur begrenzte Möglichkeiten zur Integration größerer Figurenmengen141 und Handlungsreihen (die

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Entführers zu erretten. Die Krone Polens fällt ihm nebenbei in den Schoß, und er nimmt sie nur an, weil es das Beste des Reiches erfordert.« Iranio-Amariane (EH 1033–1150, Ponderodo-Isabella (EH 1202–1204), Decynto-Thersarie (EH 1198–1201), Ludie-Ludie (EH 1168–1174), Viciludo-Asophine (EH 1204, 1206). Also auf den Seiten EH 532–550: Elemente aus Iranio-Amariane verzögern Gustavens Abfahrt nach Gallien. Nur die Liebeshandlungen Italus-Antonia, Britannicus-Caledonia, Beor-Parthenia und Artabanus-Zenobia weisen eine Vergleichbarkeit mit der Hauptliebeshandlung auf, die eine Rangfolge mit hinreichender Genauigkeit zu bestimmen erlaubt (siehe im Anhang die Übersichten über die subordinierende Multiplikation im Liebesbereich des Romans). Hauptsächlich über die Multiplikation von Nebenbuhlern – eine Multiplikation von Vermittlern wäre eigenartig. Das Maximum bildet im Roman, wenn nur die über Liebesverhältnisse assoziierten Personen gezählt werden, die Hauptliebeshandlung mit 13 Personen: Octavia, Tyridates, Zenobia die Ältere, Claudia, Decimus Pacarius, Ariaramnes, Pacorus, Lucius Silanus, Salvius Otto, Aulus Plautius, Anicetes, Phraortes, Beor; gefolgt von Agrippina als Zentralfigur (8 Personen: Agrippina, Aulus Plautius, Pallas, Sulpitius Galba, Nero Sohn des Germanicus, Caligula, Portraitmaler, Polemon), Velleda als Zentralfigur (8 Per-

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Verschränkung der Liebeshandlungen Tyridates-Octavia, Italus-Antonia, BeorParthenia und Drusus-Cynobelline erscheint bereits als ein Extrem). Politische Handlungen sind in der Regel mit einem Handlungsziel ausgestattet, das immer wieder neu zu erreichen ist und für dessen Erreichen beliebig viele Figuren und Figurengruppen in Betracht kommen. Während also, gerade wegen der genannten Gründe, die Liebeshandlung sich für die Repräsentation der Einheit und Begrenztheit des Romans im Roman besonders eignet, kann die politische Handlung zwar, in Form auch einer politisch verflochtenen Krönungsreihe des Helden der Liebeshandlung, den Abschluss der Handlung unterstützend plausibilisieren, dafür aber eine beinahe unbegrenzte Zahl von Figuren und Handlungen im politischen und im Liebesbereich zueinander in bestimmte Relationen setzen. Für die Setzung dieser spezifischen Relationen, um also zu ermöglichen, dass A mit C, und nicht auch zugleich mit B und D in Kontakt tritt; um Gruppen bilden, und Figuren flexibel aus Gruppen herauslösen zu können, bedarf es einer hinreichenden und stabilen räumlichen Differenzierung. Umgekehrt kann die Ausdifferenzierung etwa von Liebeshandlungen aus einem politischen Kontext vermieden werden, wenn die mangelnde räumliche Differenzierung eine Absonderung etwa von D und G aus der Gruppe CDEFG nicht erlaubt (siehe RO VI/ 374). Bei länger andauernden, linearen Bewegungen scheint die Bildung eines stabilen politischen Feldes, ja die Ausdifferenzierung überhaupt voneinander abgegrenzter Handlungskontexte erschwert. Aus diesen Überlegungen ergibt sich bereits die vorzunehmende Gliederung. Es gibt, im Rahmen der Gegenwartsgeschichte, nur zwei, ihrer Struktur nach sich unterscheidende, integrativ wirkende politische Felder (Rom und das Donaudelta). Und es gibt nur drei übergeordnete Formen räumlicher Differenzierung (die Schauplatzdefinition auf der Ebene der Gebäude in Rom und Norditalien, auf der Ebene der Residenzinseln im Donaudelta, und schließlich die Bewegungen in den bewegten Anwendungsgebieten und im letzten Anwendungsgebiet Welt). Vernachlässigt man das kurze bewegte Anwendungsgebiet der Reise nach Norditalien und das sehr kurze der Rückreise, macht man ferner das Verlassen des politischen Feldes, am Ende des vierten Bandes, gegenüber dem sonen: Velleda, Julius Sabinus, Julius Paulus, Claudius Civilis, Antenor, Stepho, Agbarus, Sidon), Vespasianus-Cönis (7 Personen: Vespasianus, Cönis, Corrilus, Silanus, Cäcilius, Cartismanda, Flavia Domitilla die Ältere), Zentralfigur Cartismanda (7 Personen: Cartismanda, Vespasianus, Venutius, Vellocatus, Didius, Carmonacus, Galgacus), Zentralfigur Valeria Messalina (Valeria Messalina, Silius, Traulus Montanus, Plautius Lateranus, Appius Silanus, Darius, Claudius), Zentralfigur Claudia (Claudia, Thumelicus, Corbulo, Nymphidius Sabinus, Fürst Simon,, Vologeses, Tyridates), Zentralfigur Artabanus (Artabanus, Zenobia die Ältere, Zenobia die Jüngere, Crispina, Pontia Posthumnia, Ariomardus, Orphidius Benignus).

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Beginn des bewegten Anwendungsgebietes der Reise ins Donaudelta dominant, und, umgekehrt, den Beginn des statischen Anwendungsgebietes Donaudelta gegenüber dem Betreten desselben politischen Feldes am Anfang des fünften Bandes, ergibt sich diese Abfolge von Integrationsformen (IF) – diese einheitsbezogene Reihe, nach dem Schema a-b-c-b’, also: IF-Rom: I–IV. IF-Reise: V/1–242. IF-Donaudelta: V/242-VI/450. IF-Reise: V/450–805.142 IF-Rom: Zentrales Handlungsziel des politischen Feldes in Rom ist die Besetzung des Kaiseramtes. Dementsprechend gibt es eine erste grundlegende Unterscheidung des Amtsinhabers und seiner Anhänger, und der den Amtsinhaber zu ersetzen suchenden Opposition, d. h. der das Amt anstrebenden Kaiserkandidaten und ihrer Anhänger. Da eine Auswechselung des Kaisers, außer im Falle seines natürlichen Todes, nicht vorgesehen ist, nehmen die oppositionellen Parteien die Form der Verschwörung an. Diese Struktur kann in eine Verschwörung wieder hineinkopiert werden, wenn in ihr nämlich die Besetzung der Kaiserkandidatenstelle offengehalten und zum Streitfall wird. Die Verschwörungen können beliebig multipliziert und miteinander verschränkt werden. Das Handlungsziel reproduziert sich bei jeder Neubesetzung des Kaiseramtes, bei jeder Erreichung des Zieles also aus der Perspektive einer bestimmten Verschwörung. Weil diese Verschwörung die Funktion innerhalb des politischen Feldes mit der Amtsübernahme wechselt; weil umgekehrt die Anhänger des vorherigen Amtsinhabers bei dem Regierungswechsel zu Oppositionellen wechseln; kommt es dabei gewöhnlich zu einer die politischen Akteure erfassenden Umstrukturierung des gesamten Feldes: so, im Rahmen der Integrationsform Rom, nach den Toden Neros, Galbas und Ottos; und, in geringerem Maße, nach dem Tod Nymphidiens, also drei oder vier Mal; und diese wiederkehrenden Veränderungen der Relationen der einzelnen Akteure und Akteursgruppen zueinander versorgen die Handlung mit einem hohen Maß an Varietät, obwohl das politische Feld nicht verlassen und seine Grundstruktur beibehalten wird. Halten die Liebeshandlungen zu dessen Zentrum, dem Kaiseramt, einen gewissen Abstand, lassen sie sich in großer Zahl, und zu je spezifischen Bedingungen in ein solches politisches Feld integrieren. Im Falle der ranghöchsten 142 Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 259, der freilich von der mit dem sechsten Bande schließenden Fassung A ausgeht, formuliert: »Aber der Aufriß zeigt bei aller Erweiterung bedeutsam wieder jene barockkirchliche Kuppelung der ersten 4 Bücher und den ergänzenden Altarbau der Schlußbücher.« Diese ›Kuppelung‹ der ersten vier Bücher wird in der Tat noch häufiger begegnen. Der ›ergänzende Altarbau‹ hat, mit den Erweiterungen der Fassung B, eine offene Rückwand.

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Liebeshandlungen geschieht dies durch das Unternehmen der Restitution des claudischen Hauses, dessen Abschluss gerade nicht mit einem Handlungsziel der Liebeshandlungen zusammenfällt, sondern im Scheitern des diese für längere Zeit an die politische Handlung Roms bindenden Projektes besteht. Man denke aber, um nur drei Beispiele zu nennen, auch an Piso, der als designierter Nachfolger Galbas bei dem Putsch Ottos umgebracht und von Valeria beweint wird (RO III/964f); an Salvia, der unter Otto ihr noch von Tiberius zugesprochenes Erbe unter Missachtung der von Tiberius aufgestellten, die Paarreihe Salvia-Julius Vindex sonst strukturierenden Bedingung zugesprochen wird (RO IV/8); an Calvia Crispinilla, die, nach der Ermordung ihres mehrfachen Ehemannes Clodius Macer durch Abgeschickte Neros, den Nebenbuhler Macers zum Kaiserkandidaten ihrer Verschwörung macht (RO III/859–863).143 Die räumliche Struktur Roms ist mit ihrer Unterscheidung von öffentlichen, von Wohngebäuden und von Zufluchtsorten auf die Struktur des politischen Feldes einerseits, und durch die Schauplatzdefinition auf der Ebene der Gebäude auf die lockere Integration der unterschiedlichen politischen und Liebeshandlungen andererseits bestens eingestellt. Der Zahl der Wohngebäude ist keine Grenze gesetzt; die Position der Gebäude ist für gewöhnlich so unterbestimmt, und das innerstädtische Straßen- und Wegenetz wird in der Darstellung soweit vernachlässigt, dass gewissermaßen im Sprung, ohne notwendige Zwischenschritte also, jeder Schauplatz von jedem anderen Schauplatz aus erreicht werden kann; die Zufluchtsorte können bestimmten Wohngebäuden zugeordnet werden; die öffentlich-politische Sphäre besteht aus fixen (Capitolium, Kaiserpalast) und okkasionell genutzten Orten (Tempeln, Rennkreisen, Schaubühnen, Umzügen), die wiederum zu Verbindungen mit Wohngebäuden oder Zufluchtsorten Anlass bieten.144 IF-Donaudelta: Das in der Donaudeltahandlung von der medischen Partei angestrebte, erreichte und wieder verlorene, für die gesamte Handlung strukturell zentrale Ziel (ein Meden günstiger Friedensvertrag der auf der Friedenskonferenz vertretenen Länder bei erwirkter Heirat Octavias und Pacorens) stellt lediglich die Rückzugsposition der Partei nach Verlust der eigentlichen, militärischen Auseinandersetzung dar; und die zur Beilegung des militärischen Konflikts einberufene Friedenskonferenz die sehr spezifische, das heißt historisch einmalige oder zumindest seltene, räumlich-politische Grundlage zur Erreichung dieses Ziels. Der Konflikt wird nicht um die Vergabe eines seine verschiedenen Vergaben überdauernden Spitzenamtes innerhalb einer politischen 143 Der politisch bedingte Tod eines Partners ist bezeichnenderweise das unter den Liebeshandlungen häufigste Handlungsziel – vgl. die Tabelle zur Ordnung der Liebeshandlungen des Romans im Anhang. 144 Zu all dem siehe unten, Kap. 5.12.3, den Abschnitt zur basalen Reihenbildung im räumlichen Medium des Romans und zur Ortsebene.

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Einheit geführt, sondern um die Inhalte eines Vertragswerkes zwischen unterschiedlichen politischen Einheiten, die in unterschiedlichem Maße von dem Konflikt betroffen (Parthien und Meden am meisten), und grundsätzlich in ihrer Anzahl beschränkt sind (es sind neun: Armenien, Meden, Parthien, Soracien, Adiabene, Comagene, Dacien, Iberien, Roxolanen; allenfalls Edessa könnte noch hinzugezählt werden); schließlich steht die Positionierung all dieser politischen Einheiten zum innerrömischen Parteienstreit zur Debatte. Zwar arbeiten die politischen Einheiten auch mit Mitteln der Verschwörung, es gibt aber keine von politischen Einheiten unabhängige, sich verschwörende Parteien: Labienus arbeitet als Berater Vologesens eben im Sinne der medischen Partei, nicht etwa im Sinne einer unter Vologeses sich bildenden Verschwörung mit eigenen Zielen.145 Dass der ausgetragene Konflikt nicht wiederholt werden kann, rückt die politische Handlung dieses Feldes näher an die Gegebenheiten der Liebeshandlungen, die ja auch im einmaligen Erreichen ihres Handlungszieles sich erschöpfen. Insofern besteht mehr Anlass zu der Erwartung, dass die endgültige Entscheidung des politischen Konfliktes auch zu einer endgültigen Entscheidung der mit ihm verschränkten Liebeshandlungen führe, als noch in Rom – eine Erwartung, die aber enttäuscht wird:146 Italens und Antonias Hochzeit wird unter stark politischen Vorzeichen noch innerhalb der Zuspitzung des Konflikts, nicht als Ergebnis seiner Beilegung, gefeiert; und innerhalb der Paarhandlungen Tyridates-Octavia, Artabanus-Zenobia, Beor-Parthenia, Junia Calvina-Mithridates, Sulpitia Prätextata-Coccejus Nerva, Piso-Valeria und Britannicus-Caledonia bedeutet die Niederlage Medens lediglich die Abwendung einer mehr oder weniger akuten Bedrohung durch die Nebenbuhler Pacorus, Crispina, Orphidius Benignus, pontischer Nero, Eprius Marcellus, Aquilius Regulus, Stepho und Vardanes. Das sind gebündelte, d. h. gleichermaßen an den Ausgang des politischen Konflikts gebundene, und nicht, wie in Rom, spezifische Abhängigkeiten (Ansätze dazu gibt es allenfalls in den Paarreihen Dorpanes Anses-Bunduica, Euphranon-Roxolane, Sidon-Bondicea, Antiochus Epiphanes-Helena und in der Liebeshandlung Ephigenias); welche Zusammenfassung unter eine gemeinsame Bedrohungslage zur Folge hat, dass die der Liebeshandlung eigene Motivik kaum Entfaltungsmöglichkeiten erhält147 (am ehesten eben in den genannten spezifischer abhängigen Paarreihen). Insofern ist die Integrationsform strikter. Hierfür bildet wiederum die räumliche Struktur des statischen Anwendungsgebietes Donaudelta die passenden Voraussetzungen: der Wechsel der Schauplatzdefinition auf die politischen Einheiten zugeordneten Residenzinseln und die damit einhergehende Reduktion der Schauplätze und Schauplatzwechsel 145 Zur Donaudeltahandlung insgesamt vgl. den entsprechenden Abschnitt im Anhang. 146 Anders in der Fassung A. 147 Der Umstand trägt wesentlich zur klaustrophobischen Atmosphäre dieses Romanteiles bei.

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machen eine Aussonderung vieler verschiedener Handlungszusammenhänge mit je spezifischen kausalen Verkettungen, Aussichten und Vergangenheiten praktisch unmöglich. Die Liebeshandlungen finden auf den politisch dominierten Schauplätzen keinen Raum für sich (exemplarisch vorgeführt auf RO V/ 462–465). Die Bildung einer fixen Unterscheidung gegenwärtiger und im Selektionshorizont des Anwendungsgebietes verbleibender Schauplätze – in Rom war die noch beweglich –, die vergleichsweise seltenen Bewegungen der Protagonisten aus dem Anwendungsgebiet heraus oder in dasselbe hinein, zusammen mit der Tatsache, dass die Erreichung des letzten Handlungszieles der Haupthandlung (die Heirat Tyridatens und Octavias und seine Krönung in Meden und Parthien) hier nicht zu erwarten steht, dass also das Donaudelta innerhalb der Ende des vierten Bandes begonnenen Bewegung ostwärts allenfalls eine Etappe darstellt – all dies wirkt der Weitläufigkeit der römischen Integrationsform entgegen, und erzeugt gewissermaßen von außen den Druck (und die ungeduldige Spannung), der die versammelten Handlungen soweit zusammenpresst, dass sie nur in einem beendet, oder wenigstens weitergebracht werden können. IF-Reise: In dieser Integrationsform werden mangelnde Aussonderungsmöglichkeiten innerhalb der reisenden Gruppe kombiniert mit einer temporalen Überspezifikation der Kontakte zu Figuren außerhalb der reisenden Gruppe, die nämlich, da es sich in der Regel um lineare, nicht um zirkuläre Bewegungen handelt, nicht wiederholt werden können. Während der Aufenthalte in Nujodunum und Antiochia wird ein politischer Kontext aufgerufen und entsprechende Ereignisse und Verschränkungen werden möglich und auch realisiert, aber eben nur für die Dauer des Aufenthaltes, seis der reisenden Gruppe, seis der den politischen Kontext bildenden angetroffenen Figurengruppe – in beiden Fällen des Hofes Vespasians (der ja dann auch vor der Reisegruppe jeweils die Städte verlässt). Auch auf dem Carmel bleiben die Ereignisse, die sich aus der Verschränkung der hier theoretisch ja versammelten Handlungsreihen ergeben, hinter den aus Bewegungen, etwa der indischen Gesandten, ergebenden Konstellationen ihrer Bedeutung und Anzahl nach zurück. Was die beiden vorhergegangenen Integrationsformen also kennzeichnete, eine gleichbleibende politische und eine gleichbleibende räumliche Struktur, fällt in dieser dritten Form der Handlungsintegration beides weg. Dauerhaft sind, zur Kombination von Handlungen, nur die beiden eingangs erwähnten Bedingungen. Ansonsten bleiben der Erzählung große Freiräume seis zur okkasionellen (darin besteht eine der Bedingungen) Verschränkung einer großen Zahl von Handlungen, seis zur okkasionellen Reduktion auf die sich bewegende, in sich undifferenziert bleibende Reisegruppe – d. h. zum völligen Verzicht auf Handlung.

Nähere Definition der anderen einheitsbezogenen Reihen

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Bezieht man die Beurteilung der Handlungsdichte auf die Rigidität der Verschränkungen der unterschiedlichen Handlungen, erhält man die Reihenfolge Integrationsform Donaudelta, Rom, Reise; bezieht man sie aber auf die Anzahl der miteinander verschränkten Handlungen und der damit einhergehenden Perspektivwechsel, wie auch auf die Frequenz der Handlungselemente, sollte sich die Reihenfolge an der Spitze umkehren. Eindeutig ist, dass die Integrationsform Reise die geringste Handlungsdichte aufweist, und zwar, gegenüber den anderen beiden, selbst da, wo innerhalb ihrer noch die größte Handlungsdichte zu messen ist (in Nujodunum und Antiochia). Die Extremfälle einer gegen Null gehenden Handlungsdichte stechen im Roman so weit hervor, dass sie als Gliederungselemente eigenen Rechts in Betracht kommen. Das sind die Bewegungen von: – Tyridates, Octavia und Geleit (Tage V, 6–11), von Enderum bis Nujodunum; hier gibt es kleinere Ereignisse: die Besichtigung des Bergwerkes, die Erzählung des Vatinius; – Octavia und Geleit, bis Troada und ab Ephesus auch die morgenländischen Könige (Tage VI, 62–71), von Dinogetia nach Antiochia: hier kontrastiert die Handlungsarmut mit sozusagen touristischen Details, der Nennung besichtigter Sehenswürdigkeiten, der flüchtigen Begegnungen; – Octavia und Geleit (Tage VI, 122–126, VI/785–805), die Rundreise durch Palästina, insgesamt über zwei Monate dauernd. Innerhalb der Integrationsform Rom gibt es kurze remarkable Abfälle der Handlungsdichte anlässlich der Bewegungen außerhalb Roms, und zwar der Bewegung des Ariaramnes (Tage II, 49–52), Octavias mit ihrem Geleit (Tage III, 17–19) und der Schiffsflotte auf dem Weg ins Narbonensische Gallien (Tage IV, 21–25). Längere handlungsfreie Passagen gibt es also erst nach Verlassen des statischen Anwendungsgebietes Rom; und sie werden tendenziell länger, bei einer Zunahme der mit der mangelnden Handlung kontrastierenden Informationsdichte anderer Ordnung (reine Ortsangaben; Denkmäler und christliche Gemeinden; Spuren des eben beendeten römisch-judäischen Krieges und Denkmäler). Immer ist Octavia auch Leitfigur. Während die ersten vier Passagen in der Ortsveränderung der Protagonisten ihre wesentliche Funktion erfüllen, muss die letzte Passage auf eine Veränderung des Gemütszustandes der Leitfigur bezogen werden.

3.

Vermittlung des Einheitsbezuges

3.1. Subordinierende Multiplikation Das Verfahren subordinierender Multiplikation kommt zur weiteren Vermittlung des Einheitsbezuges nur in den Romanen Statist, Schelmuffsky und Carneval nicht zum Einsatz. Eine mehrfache Anwendung gibt es nur in der Octavia. Multipliziert wird im Adelphico und Satyrischen Roman die finalisierende Liebeshandlung der einheitsbezogenen Handlungsreihe. Hier eine vorläufige Übersicht, die Stellennachweise der Multiplikate finden sich im Anhang.: Roman Octavia

Einheitsbezogene Reihe Tyridates-Octavia

Vervielfachung 82

Student Höfe

Infortunio-Bellandra Gustavus-Arione

23 16

Welt Octavia

Heraldo-Charlotte Politische Handlung Rom

12 10

Adalie Amor

Rosantes-Adalie Fortunato

5 5

Satyrischer Roman Tyrsates-Asterie, Selander-Arismenia Adelphico Adelphico-Irenie

5 6

Reise Octavia

Anstellung Seladon 2 Motivreihe: Namensüberschreitung Nero/Neronia 2

Zu benennen sind nun die Verfahren, die das Verhältnis der subordinierend vervielfältigten Reihen spezifizieren, die also entweder eine Reihe einer anderen Reihe direkt unterordnen, oder insgesamt eine Vergleichbarkeit der Reihen im Sinne einer Rangfolge herstellen. – Für eine Vergleichbarkeit insgesamt sorgen die quantifizierbaren Daten über Umfang und Erstreckung der Reihen auf der Ebene des discours.1 1 Vgl. die entsprechenden Tabellen im Anhang, die die sich ergebende Rangfolge abbilden.

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Vermittlung des Einheitsbezuges

– Auf der Ebene der histoire ist erstens ein Kriterium denkbar, auf das hin alle Handlungsreihen abgefragt werden können und das hinreichend differenzierte und skalierbare Eintragungen erlaubt;2 der einheitsbezogenen Reihe kann der romaninterne Spitzenwert zugeteilt werden, die Rangfolge entspricht den Eintragungen auf der kriterieneigenen Skala. Die vervielfachten Reihen dürfen für dieses Verfahren nicht zu zahlreich und nicht zu heterogen sein. Ein in eine definite Rangfolge mündender Vergleich aller vervielfachten Reihen im Liebesbereich der Romane Octavia, Höfe, Student und Amor kann daher nicht, oder nur unter großen Verrenkungen durchgeführt werden.3 In der Adalie mindern seine Plausibilität zum einen, dass die Rangfolge durch andere Verfahren bereits übereinstimmend etabliert wird, und zum anderen die weitgehende funktionale Verschränkung der Reihen 3–6 mit den Reihen 1–2. Für die Romane Welt, Adelphico, Satyrischer Roman ist die Definition eines einheitlichen Kriteriums aber möglich. So ergeben sich die Rangfolgen:

2 Dass erst die in der Ähnlichkeit der vervielfachten Handlungen gegebene Redundanz eine hierarchische Differenzierung ermöglicht, formuliert Steigerwald: Galanterie. Die Fabrikation einer natürlichen Ethik der höfischen Gesellschaft (1650–1710). Heidelberg 2011, S. 493f, mit Bezug auf die Romane Hunolds – und sieht hierin eine Schmälerung des ästhetischen Vergnügens: »Zum einen kann das System der Distinktion nur dann vor Augen gestellt werden, wenn es weitgehend aufgefächert wird. Das heißt aber auch, daß die Erzählung sowie die Gespräche der Figuren um einzelne Handlungen oder Verhaltensweisen kreisen, die auf immer neue Weise problematisiert werden und damit scheinbar Redundanz produzieren. […] Die scheinbare Redundanz erweist sich folglich als bewußter Differenz- bzw. Distinktionsmarker.« 3 Für eine Einschätzung der hierarchischen Struktur der Liebespaare in der Aramena vgl. Lugowski: Die märchenhafte Enträtselung der Wirklichkeit im heroisch-galanten Roman (zuerst 1936). In: Richard Alewyn (Hrsg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln/Berlin 1966, S. 372–391, hier: S. 373. Er geht von etwa dreißig von ihm namentlich benannten (ebd., Anm. 4) Spitzenpaaren aus, die anhand der »zwei großen Massenhochzeiten am Ende des vierten und fünften Bandes« in zwei Gruppen zerfielen. »Von diesen Spitzenpaaren abwärts gibt es soziale Stufungen bis zum einfachen Schäferpaar.« Die Verhältnisse in der Römischen Octavia sind also, wenn dies zutrifft, grundlegend anders. Hier gibt es eine viel kleinere, maximal fünf Paare umfassende, nicht über eine Simultanhochzeit, sondern über inhaltlich/strukturelle Merkmale definierte Spitzengruppe, darunter aber ein diffuses, hierarchisch kaum ausdifferenziertes Feld; und soziale Stufungen spielen kaum eine Rolle. Für eine eher horizontale Gruppierung der Figuren, basierend allein auf Liebesverhältnissen – also nicht auf solchen der Verwandtschaft, die Lugowski in der genannten Passage erwähnt, vgl. den Nachweis von 6 entsprechenden Netzwerken im Anhang. Ihre Beschaffenheit sollte belegen, dass dem Liebesbereich des Romans »Systematizität« im Sinne Günter Dammanns: Liebe und Ehe, S. 48f, die eine finale Paarung aller liebenden Figuren vorsähe – innerhalb dieses Korpus überhaupt nur in der Liebenswürdigen Adalie realisiert – nicht eignet.

Subordinierende Multiplikation

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Adelphico (Kriterium: Handlungsausgang, mit der näheren Bestimmung, ob und in welcher Form es einen Konflikt zwischen Liebesverhältnis und Ausbildungsgang und Berufsleben des Mannes gibt): Adelphico-Irenie glückliche Heirat, keine Beeinträchtigung der Ausbildung Adelphicos Cassandre-Aspasie gl. Heirat, keine Beeinträchtigung der Berufswahl Cassandres Feraldo-Amoene gl. Heirat, Amoene zog eigtl. Adelphico vor, Feraldo muss seinen Beruf aufgeben Adelphico-Amoene Trennung, unzeitige Liebe im Ausbildungsgang Adelphico Adelphico-Statterie Trennung zugunsten der Fortsetzung der Ausbildung Adelphicos, keine gegenseitige Liebe Niptscho-Leffume Trennung, durchgesetzt von den über die Ausbildung Niptschos wachenden Autoritäten Fermont-Helene Trennung wegen Untreue Helenes Satyrischer Roman (Kriterium: Handlungsausgang): Selander-Arismenia gl. Heirat, gute Aussichten Tyrsates-Asterie gl. Heirat, noch in Latenz wegen des großväterlichen Widerspruches Cyprianus-Celia Heirat im Kindbett nach vielen verschiedenen Beziehungen, passable Aussichten Selander-Inconstantia Trennung wegen Untreue; für Inconstantia: Schande und Kloster; Selander aber überwindet, heiratet Arismenia Fulvia schändliche, nacheheliche Verhältnisse bei Castrato, Causabona, Schande bei Fulvia Unbekannt Trennung wegen Untreue, schändliches Eheverhältnis, Tod der Eheleute Die Reihe des lindenfeldischen Paares setzt eine Heirat schon voraus, passt daher nicht recht in das Schema. Welt (Kriterium: Handlungsausgang, ergänzt durch weitere Unterscheidungen, betreffend die Werbungsphase und, bei Trennungspaaren, die Frage, wie weit die Beziehung vor der Trennung gediehen war): Heraldo-Charlotte Heirat/unterbrochene Werbung Milander-Amalia Heirat/latent bedrohte Werbung Hermantes-Merine Heirat/latent bedrohte Werbung Lemande-Sirene Heirat/beschleunigte Werbung Azestes-Alcinda Heirat/beschleunigte Werbung

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Vermittlung des Einheitsbezuges

Heraldo-Selimene Charlotte-Menardi Selander-Ariane Selander-Amalia Ramande-Amanda

Trennung, davor Heirat/unterbrochene Werbung Trennung, davor Heirat/beschleunigte Werbung Trennung, davor Verlöbnis/beschleunigte Werbung Trennung, davor Geschlechtsverkehr Trennung, davor Geschlechtsverkehr/Widerstand des Vaters Azestes-Sirene Trennung, davor Geschlechtsverkehr/örtliche Entfernung, Untreue Heraldo-Sirene Trennung, davor Werbung Eine Übereinstimmung mit dem Kriterium der Vorbildhaftigkeit/Tadelhaftigkeit des Verhaltens der Liebenden gäbe es nur im ersten Teil allein, wo erst Selimene als eigentlich vorbildlich anzusehen ist (vgl. Steigerwald: Galanterie, S. 422), Charlotte hingegen in die Nähe eher der frühen und abgewiesenen Liebhaberinnen Adelphicos zu rücken wäre (vgl. ebd., S. 391–414 und S. 424f).4 – Zweitens kann die Rangfolge der vervielfachten Reihen am Grad der Ähnlichkeit zur einheitsbezogenen Reihe festgemacht werden. Es werden also Merkmale der einheitsbezogenen Reihe definiert, die dann in immer geringerem Maße von den vervielfachten Reihen geteilt werden. Setzt man etwa in den Höfen als typische Merkmale von Gustavus-Arione: 1) ein gleichrangiges, 2) hochrangiges Paar, 3) eine erste, bündige Phase der sich bildenden Herzensbindung bis zum Treueversprechen, 4) Hindernisse durch Entführungen, 5) bestandene Treueproben auf beiden Seiten, 6) Bedingungen der Eltern, 7) eine Verlobungsfeier, 8) eine schwache Verschränkung mit einer Krönungsreihe, 9) am Ende eine Hochzeit, ergibt sich folgende Rangfolge (signifikante Variationen werden durch Kursivsetzung hervorgehoben): 1. Rang (alle Merkmale): Iranio-Amariane (6), 2. Rang (5 Merkmale): Ponderodo-Isabella (1, 2, 5, 8, 9), Viciludo-Asophine (1, 2, 5, 6, 9), Heroald-Selinde (2, 3, 4, 5, 9), 3. Rang (4 Merkmale): Decynto-Thersarie (1, 2, 5, 9), Albion-Marchiana (1, 2, 5, 9), 4. Rang (4 Merkmale): Sulani-Pensieremont (3, 5, 6, 9), 5. Rang (3 Merkmale): Tongraf-Olorena (2, 4, 5), Mme de Ludie-Prinz von Ludie (2, 5, 9), 4 Für eine Bewertung der Paare mit Blick auf die galante Liebesethik vgl. ebd., S. 430 – die nicht ganz durchgängige Rangfolge wäre dann, in etwa: Heraldo-Selimene (ideal); dann ArseniaSyrandes und Merine-Hermantes – »da sich beider Beziehung auf Hochachtung des jeweils Anderen und der gegenseitigen Gewogenheit gründen, auch wenn die Selbstsorge der Figuren nicht immer zum Tragen kommt.« Die übrigen also auf einem niedersten Rang. Für eine Bewertung der Heirat Heraldos und Charlottens vgl. Steigerwald: Galanterie, S. 485.

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6. Rang (2 Merkmale): Reinald-Arimarchis (2, 9), 7. Rang: Villaro-Marquinergis (2, 9), Zofyri-Olorena (2, 9), 8. Rang: Siliber-Adina (2), Reinaldo-Adina (2), 9. Rang: Silibert-Dorimene (5). Vier zusätzliche Verfahren der direkten Unterordnung ergeben sich auf der Ebene des discours: – durch besonders auffällige Einschließungen von Reihen in Textgrenzennähe, die hierarchisch interpretierbare Reihenfolge also der Einsätze und Abschlüsse der vervielfachten Reihen an Romananfang und -ende – immer vorausgesetzt, dass die einheitsbezogene Reihe jeweils die textgrenzennächsten Einsätze und Abschlüsse bildet. Vollständig, also alle vervielfachten Reihen umfassend, und in Übereinstimmung mit den anderen Kriterien, kommt das Verfahren nur in der Adalie zur Anwendung. Da es sich bei den Liebeshandlungen 3–6 um einstellige Reihen handelt, muss entschieden werden, bis zu welcher Stelle noch vom Textanfang her, ab welcher Stelle vom Textende her die Reihenfolge gedacht wird. Ein Schnitt in der Mitte, nach Werdigni-Julie also, bietet sich an. Alfredo-Emilie ist dem Textende wesentlich näher als Belardo-Arminde dem Textanfang, und überhaupt muss die Textgrenzennähe am Ende etwas stärker gewichtet werden, als die am Anfang. Weitere Kriterien sprechen für ein Zusammensehen der Liebeshandlungen 5–6 gegenüber den Liebeshandlungen 3–4 (der größere Umfang, die in unterschiedlicher Weise verdoppelten funktionalen Verschränkungen), sodass sich die Rangfolge 1, 2, 6, 5, 3, 4 ergibt. Einsatz und Abschluss der Reihen können unterschiedliche Formen annehmen; liegt eine Mehrzahl solcher Formen am Romananfang oder -ende vor, sind auch sie hinsichtlich ihres Zeichenwerts für die Rangfolge zu gewichten. Einsätze, die inmitten einer Handlung erfolgen, also ein Wissensdefizit des Lesers erzeugen und eine dieses ausgleichende Analepse in Aussicht stellen, können von solchen Einsätzen unterschieden werden, die einen linearen Informationsaufbau einleiten. Typischerweise erlauben Einsätze des ersten Typs (in den Romanen Octavia, Höfe, Student, Amor, Satyrischer Roman) ihre raschere und künstlichere, d. h. von den konkreten Gegebenheiten der histoire einer einzelnen Reihe unabhängigere Aufeinanderfolge. Die Abstände der Einsätze des zweiten Typs (in den Romanen Adalie, Welt, Adelphico) sind in der Regel größer: der zweite Einsatz erfolgt erst, wenn die betreffende Liebeshandlung ›auch wirklich‹ beginnt. Bei den Einsätzen des ersten Types kann unterschieden werden, wieviel in der Stelle des Einsatzes bereits passiert, mit welcher Distanz die Liebeshandlung also eröffnet wird.

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Vermittlung des Einheitsbezuges

Die Liebenden der ersteinsetzenden Reihen sind alle getrennt (bei dem männlichen Liebenden beginnen Octavia, Student, Satyrischer Roman, Amor, bei der weiblichen Liebenden nur die Höfe), es kann also zwischen ihnen keine Interaktion geben. Von der je durch die ersteinsetzende Reihe gebotenen Vorlage aus (Arione klagt um den vermeintlichen Tod ihres Geliebten, Tyridates hängt mehr versonnen seinen verliebten Gedanken nach, Infortunio ist von seiner durch die Untreue Bellandras verursachten Krankheit genesen, Selander klagt und überwindet die Untreue seiner Inconstantia, Fortunato schreibt Ardorea einen sie seiner Treue versichernden Brief) sind dann, für die weiteren Einsätze, Steigerungen oder Abschwächungen der Handlungsintensität möglich (Steigerungen bei Silibert-Adina, Reinald-Adina (Höfe), Claudia (Octavia), Fulvia (Satyrischer Roman); im Student und Amor hingegen erfolgen die nächsten Einsätze analeptisch, also in größerer Distanz). Mit Abstand am prononciertesten erfolgt der Übergang von dem ersten zum zweiten Einsatz, und damit der Wechsel in der Handlungsintensität, in den Höfen. Drei Abschluss-Typen lassen sich auf Grundlage des Korpus unterscheiden: es gibt, am Romanende, eine letzte Stelle mit den abschließenden Entwicklungen der Reihe, etwa der Erreichung des Handlungszieles; die Reihe besteht ohnehin nur aus einer oder wenigen kompakten Stellen, die bis an das Romanende ganz oder knapp heranreichen; es erfolgt, in größerer Distanz, etwa analeptisch, kurz vor Romanende ein isolierter Nachtrag der abschließenden Entwicklungen der Reihe. Synchronisierte Hochzeiten im Sinne des ersten Types gibt es in den Höfen drei (Gustavus-Arione, Heroald-Selinde, Reinald-Arimarchis), in der Adalie und im Adelphico – leicht versetzt zwar – zwei (Rosantes-Adalie, Renard-Barsine; Adelphico-Irenie, Cassandre-Aspasie). In den Höfen kommt noch, als Abschluss, ein Todesfall hinzu (Villaro-Marquinergis). In den Höfen und der Adalie drückt sich dabei der niedrigere Rang der Nebenpaare in der Nachordnung ihrer Beilager sowohl in der histoire als auch im discours aus: der festliche Rahmen wird durch das Hauptpaar bestimmt, und in diesem Rahmen erfolgen auch die anderen Beilager. Den romaninternen Vorrang des Hauptpaares holt dann der letzte, die politisch akzentuierte Aussicht beschreibende Absatz wieder ein. In der Welt werden für Heraldo-Charlotte und Seladon-Amalia Trennung und Hochzeit im discours eng, in der histoire etwas großflächiger synchronisiert. Isoliert gehören dem ersten Typ noch die Abschlüsse der Reihen InfortunioBellandra und Selander-Arismenia an. Für den zweiten Typ gibt es hochrangige Vertreter nur im Adelphico (Adelphico-Irenie) und im Satyrischen Roman (Tyrsates-Asterie). Im Student und Amor gehören die einstelligen Reihen am Romanende auch zu den kürzesten.

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Der dritte Typ findet sich im Satyrischen Roman (Selander-Inconstantia, Fulvia, Cyprianus-Celia) und in den Höfen (Iranio-Amariane, Ponderodo-Isabella, Decynto-Thersarie, Mme de Ludie-Prinz von Ludie). Die so beschriebenen Subordinationsverhältnisse sind dann im Hinblick auf die vorgeschlagene, allgemeine Rangfolge in den Romanen zu bewerten. Eine vollständige Kongruenz liegt, wie gesagt, nur in der Adalie vor. Umgekehrt ein kontrastiver Effekt wird an den Textenden des Amor und Student erzielt: hier springt man ein oder zwei Seiten vor Schluss von der niedrigsten auf die höchste hierarchische Ebene. Ansonsten sind es Mischformen. Die drei weiteren Verfahren zur direkten Unterordnung auf der Ebene des discours: – dadurch, dass zwei oder mehr Reihen ihre Stellen weitgehend teilen – hierbei müssen aber zur Bestimmung des Rangverhältnisses andere Kriterien hinzugezogen werden, suggeriert wird nur, dass ein direktes Verhältnis besteht; In dieser Weise aufeinander bezogen sind Silibert-Adina und Reinald-Adina in den Höfen und Heraldo-Charlotte und Menardi-Charlotte in der Welt, beide Mal bedingt durch große funktionale Verschränkungen. In den Höfen ist daraus eine Rangfolge abzuleiten schwierig, in der Welt ist die Subordination eindeutig. – durch die geregelte Abfolge, etwa die Alternation, von Stellen verschiedener Reihen – hier gilt dasselbe; Eine durchgängige Alternation gibt es nur bei Rosantes-Adalie und RenardBarsine, bei eindeutigem Vorrang von Rosantes-Adalie – bemerkt auch bei Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 30. Phasenweise gibt es sie noch in den Höfen zwischen Gustavus-Arione und Heroald-Selinde (EH 937–1033) und im Rahmen der Doppelanlage des Satyrischen Romans zwischen beiden einheitsbezogenen Reihen ab Einsatz von SelanderArismenia (SR 73). – und schließlich durch die Herausbildung von Textpartien, auf die mehrere Reihen in ihrer Erstreckung begrenzt bleiben, die etwa, durch ihre textpartieinterne Verteilung, eine differenzierte Rangfolge bilden, und insgesamt derjenigen Reihe subordiniert werden, die die Grenzen der Textpartie doch überschreitet.

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Vermittlung des Einheitsbezuges

In der Welt sind also die Liebeshandlungen 3–6 und 8–11 der Liebeshandlung 7 (Heraldo-Selimene) dadurch direkt subordiniert, dass nur diese sich über die Textpartie VW I/37–191 hinaus erstreckt. Es wird naheliegen, die Rangfolge dieser acht Reihen untereinander näher zu bestimmen, und erst dann den Vergleich mit anderen Reihen anderer Textpartien zu suchen. Auf der Ebene der histoire kann es zur spezifischen, begrenzten Anwendung der oben bereits genannten Verfahren kommen: – eine einmalige, besondere Ähnlichkeit zweier oder mehrerer Reihen, Das betrifft, in der Octavia, die im Anhang der ersten Gruppe zugewiesenen Liebeshandlungen 1, 3, 7, 8, 12. In der Adalie sind alle Liebeshandlungen in mindestens einer durch Ähnlichkeiten funktionaler Verschränkung definierten Gruppe. Die Gruppen sind die Liebeshandlungen 1–2 (Nebenbuhler aus den Reihen 3–6), 2–6 (die Partner werden Nebenbuhler in höherrangigen Paaren) und 3–6 (die Partner werden Nebenbuhler in 1–2). Hinzu kommen Argumente des Verlaufs. Die weitgehende Parallelität des Verlaufs von 1 und 2 bildet sich im discours in der geregelten Alternation ihrer Stellen ab. Die Ähnlichkeit von 3–6 hingegen schlägt sich in ihrer Einstelligkeit nieder: die funktionale Verschränkung mit 1/2 bedeutet für diese Reihen auch die entscheidende Krisis. Gerade hierin unterscheidet sich die funktionale Verschränkung von 1 und 2: Renard ist Nebenbuhler Rosantens, bevor er Barsine kennenlernt. In den Höfen gibt es, wie oben ausgewiesen, die größten inhaltlichen und strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Gustavus-Arione und Iranio-Amariane. Deutliche Verlaufsparallelen hingegen verbinden, ab Einsatz der untergeordneten Reihe und bedingt durch das beidseitige Dienstverhältnis gegenüber dem Hauptpaar, Gustavus-Arione und Heroald-Selinde. Eine partielle, auffällige Ähnlichkeit verbindet schließlich in der Welt die Reihen Heraldo-Charlotte und Seladon-Ariane: Seladon und Heraldo kommen zu Beginn des zweiten Bandes beide aus Liebesverhältnissen, die der weibliche Treuebruch getrennt hat und beide erzählen sich in der Folge die Geschichte dieser Trennung. Der Hauptheld, könnte man sagen, wird so ab der Hälfte des Romanes dupliziert. – oder ihre besonders forcierte Vergleichbarkeit im Hinblick auf ein inhaltliches, skalierbares Kriterium. Besonders zu nennen wäre hier der Rangunterschied der Personen im Sinne der Gesellschaftsordnung der histoire und seine Konkretion im Herr-Diener-Verhältnis.

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Realisiert, wie gesagt, im Verhältnis von Gustavus-Arione und Heroald-Selinde (Höfe). Eine gegenüber Gustavus, als sein Hofmeister, etwas unabhängigere Position nimmt Villaro ein, der aber doch die Kavallierstour mitmachen soll (EH 35) und daher für entsprechende Multiplikationen auch der Liebeshandlung in Frage kommt. Die beschränkt sich allerdings ganz auf den gallischen Aufenthalt, wo Villaro mit der Prinzessin von Pensieremont ein Verhältnis anknüpft (EH 568, 572f, 578, 582, 592). Für die hierarchische Binnendifferenzierung der durch besondere Ähnlichkeit sich auszeichnenden ersten Gruppe in der Octavia können eine Bewertung des politischen Gewichts der Paare zu den aussagekräftigeren funktionalen Verschränkungen, wie Bemerkungen zur Schönheit der Heldinnen hinzutreten (RO I/131, II/13, 254, 398, 405, III/200f). Rangmäßige Subordinationen gibt es in der Adalie parallel zu den funktionalen Verschränkungen: Renard (LA 29) ist Rosantes subordiniert, Werdigni ordnet sich selbst Rosantes unter (LA 181), Emilie – prinzipiell Rosantes ebenbürtig – degradiert sich durch die Heirat Alfredos (LA 370); Arminde und ihre Schlossgesellschaft (LA 140f) sowie Curton und das »adeliche Fräulein« (LA 286), das er heiratet, sind Renard untergeordnet. Die weiteren Verfahren beruhen auf einer Interferenz der Reihen auf der Ebene der histoire, – die in einer besonderen kausalen Abhängigkeit bestehen kann, Vor allem in den Höfen differenzieren sich fünf Gruppen auf Grundlage ihrer kausalen Bindung an die einheitsbezogene Reihe aus.5 Gruppe 1: Heroald-Selinde, durchgehende kausale Bindung; Gruppe 2: Ludie-Ludie, Sulani-Pensieremont, Silvio-(Mätressen), über Heroald-Selinde und über Gustavus verdoppelnde Figuren (Heroald, Villaro) vermittelte kausale Bindung; Gruppe 3: SilibertAdina, Reinald-Adina, Silibert-Dorimene, Reinald-Arimarchis, starke kausale Verknüpfungen untereinander; mehrere kausale Verknüpfungen mit GustavusArione; Gruppe 4: Iranio-Amariane, Tongraf-Olorena, Zofyri-Olorena, starke kausale Verknüpfungen untereinander, eine einzige, entscheidende kausale Verknüpfung mit Gustavus-Arione; Gruppe 5: Albion-Marchiana, PonderodoIsabella, Decynto-Thersarie, Viciludo-Asophine, Villaro-Marquinergis, keine kausalen Verknüpfungen untereinander, unterschiedliche kausale Distanz zu 5 Vgl. Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer. Romaneskes Erzählen zwischen Thomasius und Wieland. Tübingen 2007, S. 179. Ungenau ist hingegen das Pauschalurteil bei Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 55: »Der Held Gustavus ist nicht nur der Zuhörer aller anderen Geschichten, sondern er begegnet ihren Personen und nimmt aktiv handelnd an ihren Schicksalen teil, […].«

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Vermittlung des Einheitsbezuges

Gustavus-Arione: gegenseitige Beeinflussung (Ponderodo-Isabella), einseitige Wirkung auf Gust.-Ar. (Viciludo-Asophine), einseitige Wirkung von Gust.-Ar. aus (Decynto-Thersarie, Villaro-Marquinergis), kausale Unabhängigkeit (AlbionMarchiana). – und in einer direkten, funktionalen Verschränkung. Während die kausale Abhängigkeit auf Verhältnissen beruhen kann, die außerhalb des die Reihe eigentlich betreffenden Handlungsbereiches liegen, liegt eine funktionale Verschränkung vor, wenn dieselbe Handlungsfunktion als solche in beiden Handlungsreihen zu verzeichnen ist. An dieser Stelle genüge eine einfache Liste. Nebenbuhler werden folgende Figuren in folgenden Liebeshandlungen: Römische Octavia: Beor → Tyridates-Octavia (RO I/479f II/360f); Artabanus verliebt sich zunächst in Zenobia die Ältere (RO I/103f), die wiederum Tyridates liebt (RO I/105), erst nach ihrem Tod wendet er, auf ihr Geheiß, seine Liebe auf ihre gerade geborene Tochter Zenobia (RO II/212f); Nitocris wird durch ihren Vater Lestar aus politischen Gründen zur Nebenbuhlerschaft in Tyridates-Octavia gezwungen; eine symmetrische Anlage eines Partnertausches besteht temporär zwischen Italus-Antonia und Tyridates-Octavia; Claudia ist Nebenbuhlerin in Tyridates-Octavia. Nur in der Liebenswürdigen Adalie, und nicht in der Römischen Octavia, kommt es zu einer vollständigen Manifestation der Systematizität der Liebeshandlungen, wie sie Günter Dammann beschreibt: die sich darin äußere, »daß es während der Laufzeit der Geschichten darum geht, das Personal zu Paaren zu ordnen und dabei ›Überzählige‹ einzubinden (oder zu eliminieren).«6 Assistenzfunktionen nehmen wahr, im Student: Cleophis → Infortunio-Bellandra; im Adelphico: Adelphico → Ferrano-Amoene; in der Adalie: Rosantes → Renard-Barsine; Adalie → Renard-Barsine; in den Höfen: Rosantes → Villaro-Marquinergis; in der Welt: Azestes → Lemande-Sirene; Hermantes, Milander, Syrandes, Azestes, Amalia, Arsenia → Heraldo-Selimene. Die temporären Nebenbuhlerschaften bemerkt auch Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 87f.

6 Dammann: Liebe und Ehe im deutschen Roman um 1730. In: ders., Dirk Sangmeister (Hrsg.): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 2004, S. 35–90, hier: S. 49.

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Subordinierende Multiplikation als zeitweilige Integrationsform Der obenstehende Befund bezog sich je auf die ganzen Romane; bei der Beschreibung der über Wechsel von Integrationsformen gebildeten, einheitsbezogenen Reihen waren in den Romanen Höfe und Welt Partien unterschieden worden, die, im Unterschied zu anderen Partien, das heißt den anderen Elementen der jeweiligen Reihe, maßgeblich über Verfahren subordinierender Multiplikation integriert werden: der gallische Aufenthalt Gustavens (EH 532– 750) sowie sein Aufenthalt in Vinaquila (EH 935–996), und der Aufenthalt Heraldos in Salamoena bis zur Hochzeit mit Selimene (VW I/36–60, 68–191). In Vinaquila sind nur zwei, über Dienstverhältnisse relationierte Liebeshandlungen, und nur die Handlungsfunktionen der Verlobung betroffen (Gustavus-Arione und Heroald-Selinde) und in Gallien gibt es, im discours, eine längere Unterbrechung des Nebeneinander der immerhin sechs Liebeshandlungen durch die metadiegetisch-analeptische Wiedergabe der Mätressen- und Kriegsgeschichte König Silvios (EH 623–695). In der Welt unterbrechen die parallele Führung von neun Liebeshandlungen nur, gleich zu Beginn, die Heraldo freistellenden, bündigen Nachrichten über den Ausgang seiner Verwickelungen mit Charlotte und Menardi (VW I/60–68). Dann bestimmt das freie Springen zwischen den Liebeshandlungen alleine den discours bis zum Ende des ersten Teiles – frei, weil die Liebeshandlungen nur lose über Freundschaften koordiniert und kaum funktional verschränkt sind, weil keine in einem anderen Handlungsbereich gebildeten Relationen zur Plausibilisierung des Wechsels nun zu diesem oder jenem Paar beansprucht werden können, weil schließlich das zur Bildung einer Rangfolge tauglichste Merkmal – die Unterbrechung, freie Entfaltung oder krisenhafte Beschleunigung der Werbungsphase7 – mit den rein discours-bezogenen Merkmalen der Stellenverteilung, des Umfanges und der Erstreckung übereingeht, ohne weiteres also als auch rhythmisch-dynamische Qualität gesehen werden kann. Dass der Partie die Handlung in Reistedt vorgeschaltet ist, dass die darin etablierte Hauptfigur Heraldo aus der Verwickelung mit Charlotte erst nach seiner Ankunft in Jenona brieflich gelöst wird, erübrigt die Absicherung seines romaninternen Ranges durch den Einsatz seiner finalisierenden Liebeshand-

7 Es gibt insgesamt zwei unterbrochene Werbungsphasen (Heraldo-Charlotte, Heraldo Selimene); sechs weitestgehend ungehinderte (Heraldo-Sirene, Azestes-Sirene, Hermantes-Merine, Milander-Amalia, Ramande-Amanda, Seladon-Amalia); und fünf beschleunigte (MenardiCharlotte, Azestes-Alcinda, Lemande-Sirene, Syrandes-Arsenia, Seladon-Ariana). Der Beschleunigungsgrund ist in unserem Abschnitt zweimal ein possenhaftes, Verkleidung beinhaltendes Ereignis, das die Bloßstellung der Frau und damit ihre Nötigung zu einer Verlobung zur Folge hat (Azestes-Alcinda und Syrandes-Arsenia); einmal ist es die Vermittlung durch einen Freund (Lemande-Sirene).

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Vermittlung des Einheitsbezuges

lung8 vor dem Einsatz der untergeordneten Liebeshandlungen: die Textgrenzennähe gegen den Anfang ist für die Figurenreihe Heraldo gesichert, gegen das Ende schließt, mit einer langen, zur finalen Hochzeit führenden Stelle (VW I/ 151–191)9 die Handlungsreihe Heraldo-Selimene. Dabei wird der Held dem sich aufblätternden Tableau nicht unbeteiligt gegenübergestellt; mit Sirene gibt es, und einsetzend nun doch vor den anderen Liebeshandlungen, ein unverbindlich bleibendes Umwerben – die flüchtigste Liebeshandlung vielleicht des ganzen Korpus –, das die Bekanntschaft Selimenes noch überlappt (VW I/105) und die Frau betrifft, mit der es alleine in der Gruppe zu Partnerwechseln kommt.10 Orientierungspunkte in der Partie bieten drei szenische Synchronisationen mehrerer Liebeshandlungen; das sind, markierend den Beginn von vier Reihen, der Opernbersuch,11 der Valet-Schmaus anlässlich Azestens Wegzug mit mittleren Elementen aus drei Reihen,12 und Merines Compagnie in Lindenfeld mit Elementen aus drei Reihen, zwei davon hier erst einsetzend, die alle gleich darauf zum glücklichen Abschluss kommen.13 Zweifellos erreicht die Partie hier und im näheren Umfeld auf etwa dreißig Seiten (VW I/105–134) ihre größte Dynamik: der genannten szenischen Markierung gehen noch die beiden fälligen Trennungen vorauf,14 und an die drei bisher koordinierten Hochzeiten schließt sich, als Ziel der einstelligen Liebeshandlung Lemande-Sirene, noch eine vierte an.15

8 Die Perspektive ist jetzt die allein des ersten Teiles des Romans. 9 Tatsächlich ist dieser letzte, mit Ausnahme der einstelligen, analeptisch dargestellten Handlung Ramanda-Amanda (VW I/174–180), Heraldo-Selimene ausschließlich vorbehaltene Abschnitt in etwa so lang wie das Reistedter Präludium: beide könnten als Rahmung einer (viele Liebeshandlungen führenden) Mittelpartie verstanden werden; die Assistenzfunktion der Freunde bei der Hochzeit Heraldos und Selimenes pointiert aber die durch den – in dieser Perspektive – frühen Einsatz von Heraldo-Selimene geschaffene Asymmetrie. 10 Sie ist eigentlich mit Azestes liiert; hier kommt es zum Bruch. Azestes findet dann zu Alcinda, Sirene zu Lemande, beide Male in beschleunigter Werbung. Heraldos Verhältnis zu ihr bleibt, wie gesagt, vollständig in der Latenz. 11 VW I/41–50, mit den ersten Elementen aus Heraldo-Sirene (VW I/41–47), Azestes-Sirene (VW I/44), Hermantes-Merine (VW I/45–48) und Milander-Amalia (VW I/45f, 48–50). 12 VW I/68–70, mit Elementen aus Heraldo-Sirene, Azestes-Sirene, Milander-Amalia. 13 VW I/112–120; hier setzen ein Syrandes-Arsenia und Azestes-Alcinde; die dritte vertretene Reihe ist Hermantes-Merine. Der Abschluss von Syrandes-Arsenia folgt auf den Seiten VW I/ 120–127, der der beiden anderen Reihen auf der Seite VW I/127: »Doch dieses vorhergegangene Beyspiel erregte bey Hermantes und Azesten den Appetit / daß sie in kurtzen eben so einen angenehmen Weg giengen […].« Mehr Raum nimmt ihre Trennung von Azestes ein (VW I/106–112). 14 Heraldo-Sirene läuft einfach aus (VW I/105f): »Sirene indessen sahe gar nicht gerne / daß Heraldo nicht mehr so offt als sonsten bey ihr einsprach / und hergegen Selimenen allein aufwartete. Denn ob sie zwar wegen seiner Person sich keine Rechnung machte / so konte sie doch seine Gefälligkeit in Reden und Scherzten sehr wohl leiden.« 15 Auch hier wird die Synchronisation durch einen ›Ansteckungseffekt‹ in der histoire plausibilisiert (VW I/127): »Lemande nun / der alleine leer dabey [bei den Hochzeiten] ausgieng /

Subordinierende Multiplikation

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Was dann folgt, ist noch der letzte Abschluss einer bei dem Opernbesuch eingesetzt habenden, und damit der in dieser Partie am weitesten sich erstreckenden Reihe Milander-Amalia (VW I/174–180)16 und das lange, nur durch den Ausreißer Ramanda-Amanda unterbrochene Schlusselement der die Partie finalisierenden Reihe; deren Einsatz (VW I/81) keine Koordination mit anderen Einsätzen oder Abschlüssen, sondern gerade die Detachierung davon auf dynamisch unauffälliger Strecke auszeichnet.17 Zu verzeichnen sind so gleichermaßen Einsatz und Modifikation discoursbezogener Verfahren subordinierender Multiplikation, wobei die Veränderungen sich allesamt aus dem verspäteten Einsatz der ranghöchsten Reihe herleiten lassen: die Einschließung am Beginn der Partie erfolgt, aber sie erfolgt durch das erste Element der zwar den Haupthelden als Handlungsträger vorweisenden, aber insgesamt unbedeutendsten, unverbindlichsten Liebeshandlung; und gestützt von den Einsätzen dreier weiterer Liebeshandlungen, die zwar dem nun anhebenden Wechsel zwischen mehreren Handlungen die nötige Auswahl anbieten, von denen aber zwei bald als erstes durch Trennungen beendet werden. Die mangelnde Vertretung der ranghöchsten Reihe zu Beginn der Partie wird durch das exklusive, längere Schlussstück aufgewogen, das die Beendigung der meisten anderen Reihen im Vorfeld notwendig macht. Die so ausfallende Synchronisation der Handlungsziele am Textende substituiert die Hilfe, die die schon verheirateten Freunde Heraldo zu seiner Hochzeit leisten, sich feiernd zum Schlussbild versammelnd; und ihre vorverlegten, weitgehend synchronisierten Hochzeiten erscheinen dank der dynamischen Durchführung dreier kurzer bis kürzester Liebeshandlungen unmittelbar davor mehr als Beruhigung heftiger Bewegung denn als Ausdruck einer verborgen gewesenen, nun endgültig manifestierten Ordnung. Die Voraussetzungen solch feinen, rhythmischen Spieles liegen durchaus in der forcierten Ähnlichkeit der Liebeshandlungen:18 nur zwischen solchen bleibt der Sprung für allein aus der Stellenverteilung sich ergebende, dynamische Effekte hinreichend frei. Ferner sind die lockere Koordination der Protagonisten in der Freundesgruppe, die latent bleibenden funktionalen Verschränkungen durch

hatte von Azesten, wie oben schon gemeldet / die Versicherung erhalten / in Salamoena was galantes zu erbeuten.« 16 Die anderen beiden Abschlüsse sind die Trennungen Sirenes (VW I/105–112) und die Hochzeit Hermantens und Merines (VW I/127). Keine weitere der neun Reihen beginnt so isoliert. 17 Der selbst recht unauffällige Valet-Schmaus ist zehn Seiten, der Besuch bei Merine 31 Seiten, die erste Trennung 25 Seiten entfernt. 18 Mithin in den Redundanzen, die Steigerwald: Galanterie, S. 493f, als negative Effekte verbucht, »die dem Vergnügen am Text entgegenstehen.«

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Nebenbuhlerschaften,19 die Abwesenheit eines kausal integrierenden, anderen Handlungsbereiches,20 – und eben die Tatsache anzuführen, dass es sich in dem so integrierten Stück nur um eine Romanpartie, nicht um das Ganze handelt. Für den gallischen Aufenthalt Gustavens in den Europäischen Höfen sind die Bedingungen andere: das Personal setzt sich aus Ansässigen21 und Besuchenden22 zusammen, den zwischen beiden Gruppen entstehenden Liebesbeziehungen ist das Handlungsziel der Trennung gewiss; die schon bestehenden Bindungen Gustavens und Heroalds bedeuten die kausale Integration ihrer Pariser Bekanntschaften in jene als mögliche Hindernisse, als Bewährungsproben und gleiches gilt auf anderer Seite.23 Es handelt sich ferner um einen zweckgerichteten und um einen gefährlichen Aufenthalt.24 Wenn sich im Laufe desselben Paare bilden, zwischen denen die Erzählung wechselt oder die sie szenisch bündelt, dann nicht im Sinne ausgewachsener, kausal integrierter Liebeshandlungen, sondern als vorübergehende Möglichkeiten der Bindung oder des Treuebruchs, die alle schließlich, zugunsten der ursprünglich angelegten Zuordnung, verworfen werden. Zugespitzt könnte man sagen, nicht Liebeshandlungen werden in der Partie subordinierend multipliziert, sondern eine Handlungsfunktion der Hauptliebeshandlung in dieser selber und in anderen, ihr subordinierten Liebeshandlungen. Die nur geteilte Herrschaft über den discours – unterzubringen sind auch die wechselnden Informationen zur Entführung Thurabes (EH 556f, 588f, 617–619), die Mätressen- und Eroberungsgeschichten König Silvios (EH 623–694), die Vorgeschichte Sulanis und Pensieremonts (EH 597–602) – führt zu einer stärkeren Profilierung der discours-bezogenen Verfahren subordinierender Multiplikation, vor allem der Synchronisationen, an welche es immer, am wenigsten noch bei Gustavus,25 eine Anbindung gibt.26 Deutlicher ist sein Vorrang durch

19 Azestes und Heraldo werden aufeinander wegen Sirene nicht eifersüchtig. Auch Amalia und Merine ahnden die Untreue ihrer späteren Ehemänner nicht. Wirksam werden einzig die vorwärtstreibenden Assistenzen. 20 Die Flucht Heraldos aus Sachsen (VW I/161–164) und ihre Gründe wären eine knappe, die ranghöchste Reihe auszeichnende Ausnahme. 21 König Silvio, Genfatone, Marsillac, Decynto, Thersarie, die Prinzessinnen von Pensieremont, Comano, Engvien und Bellemond, Madame de Ludie, der Prinz von Ludie, der Printz von Pensieremont, Grimano, Tersilly, Sulani, Graf Saloge, die Mätresse des Prinzen von Ludie, 22 Gustavus, Villaro, Heroald. 23 Die in dem Besuch irritierten Paare sind also Gustavus-Arione, Heroald-Selinde, DecyntoThersarie, Madame de Ludie-Prinz von Ludie, Pensieremont-Sulani, Printzessin von Bellemond-Printz von Bellemond. 24 Zweck war die Befreiung Thurabes; die Gefahr liegt in der Kriegsgegnerschaft Galliens und Germaniens – deshalb reisen die drei inkognito. 25 Das betrifft die erste Begegnung mit Thersarie (EH 554–556), den aus dem zeitlichen Zusammenhang des Folgetags der Jagd sich lösenden Besuch bei ihr (EH 615–695) und die nur in

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den Ersteinsatz seiner Reihe und die ausführlichen Abschiede von Thersarie gekennzeichnet, wiewohl die im Nachgang gewichtigeren reflexiven Passagen Heroald zufallen,27 die letzte ›Rückkehr‹ der Erzählung nach »Pirasii und Servasille« (EH 742) Elemente aus allen Handlungen betrifft. Rahmend, in ihren expliziten28 und handgreiflichen29 Zuordnungen, wirken die Gartencompagnie und das als Substitut der Massenhochzeit fungierende, zwar in einen Umtrunk mündende Massenduell vor Abreise. Für Gustavus kommen zwei weitere Paarungen, mit der Prinzessin von Engvien und der von Bellemond, hinzu: erstere, die flüchtigste der Partie, nimmt, in der Gartencompagnie als Möglichkeit etabliert und erst kurz vor Schluss wiederaufgenommen, ebenfalls eine rahmende Funktion ein,30 die zweite hingegen setzt als einzige ›mittendrin‹, am Folgetag der Jagd ein und wird dynamisch in zwei Elementen vor Abschluss des Aufenthaltes

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die allgemeinen Aufbruchsbemühungen eingepassten letzten Besuche bei den Prinzessinnen Bellemond und Engvien (EH 701–705, 707–710). Seis gesellige Versammlungen: Die Gartencompagnie (EH 558–573), die königliche Jagd (EH 574–591); seis denselben Tag: der Folgetag der Jagd (EH 592–615); seis die Notwendigkeit des Aufbruches: die bei schon gefasstem Aufbruchsbeschluss noch ›übrige‹ Handlung Heroalds (EH 696–701), der Besuch Gustavens bei der Prinzessin von Bellemond, den er, über den Bemühungen um einen Passport, beinahe vergessen hätte (EH 701–705), der Besuch Gustavens bei der Prinzessin von Engvien, der ihn die Begegnung mit dem Prinzen von Winterberg, der sein Inkognito aufzulösen gedroht hätte, vermeiden hilft (EH 707–710), die verschiedenen Abschiede von Thersarie (EH 710–714, 724–729); seis das Duell (EH 714–723). EH 730–741. Dass die untergeordnete Handlung die reflexiv und moralisch größere Dynamik zugewiesen bekommt, gilt auch für die Adalie. Bernhard Fischer: Ethos, Konvention und Individualisierung. Probleme des galanten Romans in Chr. F. Hunolds Europäischen Höfen und im Satyrischen Roman. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 63 (1989), S. 64–97, hier: S. 70–89, widmet der Passage eine ausführliche Analyse. »Heroald und Villaro spielten inzwischen ihre Person so gut / daß den ersten Madame de Ludie, und den andern die Pintzeßin von Pensieremont zimlich leiden mochte.« (EH 568) Es fechten: Villaro und Sulani, Heroald und Thersilly, Gustavus gegen Saloge. Das Duell hat in der Affaire Heroalds seinen Ursprung (EH 700f). Thersilly hat Sulani gegen Villaro wegen Pensieremont aufgehetzt; »und wenn Decynto nicht viel zu edel und über sie erhaben gewesen / würden sie ihn ohnfehlbar gegen Gustaven selber / Thersariens wegen / gereitzet haben / üm an allen dreyen heute Ehr einzulegen. So aber / da sie nicht einmahl ein Wort davon gegen ihm erwehnen dürffen / hatten sie einen andern berühmten Schläger / der darzu acht Jahr den Fecht-Boden besucht / mit hinaus genommen / und gedachten schon mit Manier an alle drey zu kommen. | Ausser diesen befand sich noch der Printz von Ludie und der Printz Marsillac dabey / welche zwey gleichsam nichts von allen wissen / und hernach gegen dem Könige bezeigen solten / daß es eine blosse Rencontre gewesen.« (EH 715f) Es gibt also Ähnlichkeiten mit Heraldo-Sirene. »Die Printzeßin von Engvien erinnerte Gustaven unverblümt / wie wenig er seinen ehmahligen Verpflichtungen gegen sie nachgekommen / da er sie itzo zum erstenmahl besuchte« (EH 707), heißt es bei der Wiederaufnahme, da Gustavus schon zu eingenommen von anderem ist, um ihr noch gerecht zu werden. Charakteristisch ist, dass auch die ›irritierte‹ Beziehung Marsillacs zu ihr über eine Andeutung hinaus nicht entwickelt wird (EH 568).

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durchgeführt.31 Villaros Verhältnis verläuft sich ziemlich, da er, wiewohl als einziger noch völlig ungebunden, zur falschen Treueversicherung nicht bereit ist (EH 596) und bald vom begnadigten Sulani verdrängt wird (EH 597); Heroald hat allem Vermuten nach, und zwar an dem Ort, wo König Silvio tags zuvor Genfatone genauso bediente (EH 585f), mit Madame de Ludie Geschlechtsverkehr und gerät in eine künstliche Symmetrie aus Betrug und Rache,32 aus zunächst und überraschenderweise ausbleibender, dann aber umso wirksamerer Vergeltung, die den Schwerpunkt der Handlung gegen den Abschluss des Besuches zieht; Gustavens Vorsatz ist, »sich in Gallien bey den Damen so aufzuführen / wie es die Mode / das ist: vielen tausend verbündliche Liebes-Versicherungen zu geben / ob er es gleich nicht bey einer recht meinte.« (EH 708) Seine Treue bemisst sich direkt proportional an der Größe der Gefahr, der er sie aussetzt (EH 578). Seine Beziehung zu Thersarie ist aber die einzige, die sich über die Hinzukunft des bedrohten Verlobten, ja über die Trennung hinaus, und also neben den durch Heirat sanktionierten Verbindungen stabilisiert.33 Für die hier besprochene Partie bedeutet das, dass auf die ranghöchste Reihe zwar, abgesehen von den Analepsen, am meisten Text fällt, dass sie aber ohne dynamische Zuspitzung erhöhten Körpereinsatzes, in Form einer Verführung oder von Gewalt, auskommen muss; sprechend ist ja die etwas forcierte Konstruktion, der Einsatz

31 An dem Tag nach der Jagd wird Gustavus durch einen anonymen Brief zur Prinzessin von Bellemond gebeten. Sie sucht ihn bei sich zu verführen, verwickelt ihn in angenehme Discourse und setzt ihm Konfekt vor; er kommt ihr, im Rahmen der Tugend, entgegen. Sie gehen in ein Lusthaus, darum ein Garten mit einem Tigergehege ist; der Tiger kommt frei und tötet einen Diener; Bellemond und Gustavus sind in dem Lusthaus praktisch gefangen, bis Gustavus hinausgeht und den Tiger erlegt. Der Prinz von Bellemond kommt herzu und andere, die Prinzessin liegt in Ohnmacht. Grimaldi hatte den Tiger freigelassen, damit er die Bellemond ermorde, weil er eifersüchtig auf Gustavus war, und ist nun selbst entflohen. (EH 603–615) Vor dem Aufbruch Gustavens bittet der Prinz von Bellemond, er möge die kranke Prinzessin noch einmal besuchen. Gustavus kommt herzu, die Prinzessin liegt aber bereits im Sterben: sie versichert ihn noch einmal ihrer tugendhaften Neigung und stirbt. (EH 701–705) 32 Der Prinz von Ludie betrügt seine Frau auch. Beide erfahren, dank der Intrige des von Heroald als Liebhaber Mme de Ludies verdrängten Tersilly, von den jeweiligen Affairen. Dass der Prinz von Ludie sich an Heroald rächen dürfe, wird zur Bedingung für die Rache Mme de Ludies an seiner Geliebten. (EH 696–701) 33 Vgl. vor allem die späteren Bemerkungen auf EH 1199 und 1174. Den Höhepunkt der noch in eine Krise zu münden drohenden Annäherung bildet bezeichnenderweise ein Konditionalsatz: »[…] und Thersarie schiene sich ihm dergestalt zu ergeben / daß wo er um ihre Vermählung angehalten / sie sich mit dem ja Wort ganz nicht würde geweigert haben.« (EH 616) Die Enthüllung seiner Identität, als er schon in der Abreise begriffen ist (EH 724–729), hebt den Rangunterschied auf, der zwischen Thersarie und dem vermeintlichen, gothischen Grafen bestanden hatte; und sie kann als echter Vertrauensbeweis gelten, insofern Gustavus sich, als Feind Galliens im Feindesland, in Thersariens Hand tatsächlich ausliefert. Gleichzeitig rückt diese Feindschaft ihn auch zu ihr wieder in große Distanz und belegt die Notwendigkeit seiner Flucht, also ihrer Trennung.

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des eigentlich unbeteiligten, »andern berühmten Schläger[s]« (EH 715), die alleine eine Beteiligung Gustavens an dem Massenduell erlaubt. Je vor- und nachbereitete gesellige Anlässe bilden in nur einmaliger Wiederholung und Variation den Rhythmus über die ersten fünfzig Seiten in einer Phase der Steigerung von Intimität.34 Die zunächst anonyme Einladung der Prinzessin von Bellemond und die dramatische Durchführung dieses Besuchs scheren, ohne definiten zeitlichen Bezug zu dem Tag nach der Jagd, als erstes aus, gefolgt von dem Besuch Gustavens bei Thersarie, der Hinzukunft Decyntos, der langen Analepse zu König Silvio; dann kippt der Bezug, und alles weitere ist nurmehr Aufschub der notwendigen Abreise. Den Abschiedsbesuchen bei Bellemond, Engvien und Thersarie ist die Durchführung der Handlung um das Ehepaar Ludie beigesellt, die zu dem Massenduell führt. Was noch hinzugesetzt wird, ist beinahe irritierend viel, bedingt, neben der moralischen Einsicht Heroalds, sicherlich dadurch, dass die zwar abgeschlossenen Handlungsfunktionen des möglichen oder erfolgten Treuebruchs die ursprünglichen, in Gallien situierten Paarhandlungen nicht auch beendeten. Insgesamt ist das rhythmische Spiel, alleine aufgrund der langen Unterbrechung, gröber kalibriert als in der Verliebten und galanten Welt; dafür ist das vervielfachte Material interessanter und heterogener. In Vinaquila (EH 935–998) sind wieder nur Handlungsfunktionen, diesmal des Wiedersehens, der gegenseitigen Abfrage über die geleistete Treue und der Verlobung, betroffen, und hier nur zweier, durch das Dienstverhältnis in klarem hierarchischem Verhältnis stehender Liebeshandlungen. Dem breit geschilderten Maskenball (EH 939–964), da Heroald und Gustavus noch verkleidet auftreten und in unterschiedlicher Weise, unter Annahme einer falschen Identität, ihre Geliebten prüfen, folgt der Tag der Auflösung, der Verlobung, der Benachrichtigung der geprellten Nebenbuhler und des öffentlichen Verlobungsfestes. Stellenalternation ist das dominierende Prinzip; Gustavus-Arione gehen, mit einer Ausnahme, immer voran, das ist die Verlobung, für die wohl, als der wichtigsten Handlungsfunktion, bereits der Textgrenzenbezug zum Romanende 34 Die ersten sechs Kontakte Thersariens und Gustavens etwa können zu zwei Gruppen zu je drei Kontakten zusammengefasst werden: beide male gibt es eine Hinführung zu einem Treffen in Gesellschaft. Diese beiden Hinführungen bedeuten indes nicht beide Male auch eine Steigerung der Intimität; das erste Mal wohl, da das Treffen in Gesellschaft die erste Gelegenheit zur Wechselrede bietet; das zweite Mal aber kommt es zur größten Nähe, wenn Gustavus Thersarie zur Jagd abholt, also das erste Mal mit ihr alleine ist; während das folgende Treffen in Gesellschaft, die Jagd, durchaus insofern eine Steigerung zu der Gartenpartei Marsillacs darstellt, als hier ein weit größerer und wichtigerer Personenkreis Zeuge der gegenseitigen Neigung wird. Decynto taucht hier auf, der für das Verhältnis eine Art natürliche Grenze bedeutet, die später in Gustavens Unterredung mit ihm dann auch expliziert wird. – Villaro ist am Ende dieser Phase schon auf dem absteigenden Ast, König Silvio ist auf der Jagd mit Genfatone spät hinzugestoßen, kommt aber auch gleich zum Ziel.

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hin ausschlaggebend ist. Der unterordnende Registerwechsel wird in dieser Partie – darin vor allem liegt ihr Reiz – konsequent durchgeführt, die größere Lizenz zum Scherz, zum »Possen« (EH 959), ja zur Unmoral35 in der rangniedrigeren Reihe also.36 Offenbar bedarf es der Einengung auf nur eine Romanpartie, auf nur eine Handlungsfunktion oder eine kurze Kette derselben, bedarf es der Vernachlässigung von Handlungsmotivationen oder der Beschränkung auf nur ein Verhältnis der Unterordnung, um den Verfahren subordinierender Multiplikation eine ästhetisch reizende Dominanz über den Ablauf des discours zu verschaffen. So suggeriert es der Blick auf das übrige Korpus: nur der politische Handlungsbereich kann in der Römischen Octavia die exzessiv vervielfältigte Liebeshandlung integrieren, räumliche und zeitliche Limitationen bestimmen über die Abfolge im discours der Gegenwartsgeschichte und rhythmisch relevant bleibt einzig vielleicht der Rhythmus überschriebener, dem Titel nach einer Figur oder einem Paar verschriebener Analepsen, die aber auch die außerrömisch-politische Handlung abzubilden haben; im Satyrischen Roman ist die Alternation der beiden Helden, der über ihr Involviertsein gebildete Rhythmus entscheidend, darunter denen in wenige Szenen und abschließende, knappe, herb abstrafende Raffungen zerfallenden Liebeshandlungen eine eigene Stimmführung nicht zugestanden wird; der Verliebte Student gibt unter einer funktional verschränkten Hauptgruppe die hierarchische Differenzierung vollends auf, und Amor auf Universitäten ordnet seine Liebeshandlungen, mit Ausnahme der irritierenden, letzten Erzählrunde, auf die wichtigste Liebeshandlung, zu deren Qualifizierung, aus; im Adelphico ist zunächst die Abfolge geselliger Versammlungen dominant, der für den Einsatz der finalisierenden Liebeshandlung geforderte Wechsel in der formalen Gestaltung nur halbherzig durchgeführt. Die sechs Liebeshandlungen der Adalie, die die beschriebenen Verfahren nun doch auf ganzer Länger anwendet und ihr ästhetisches Potenzial nutzt, lassen sich, bezeichnenderweise, auf eine binäre Struktur einfacher Unterordnung hin ›kürzen‹.37

35 »Heroald errinnerte sich wohl mit Verdruß / was vor eine Ausschweiffung er bey einem noch lange nicht so artigen Frauenzimmer gethan / allein es zu bekennen / hielte er nicht für nöhtig […].« (EH 978) 36 Etwa: Gustavus gibt sich Arione gegenüber, als Luther verkleidet, als Decynto aus, der, Gustavus zu befreien, sofern Arione noch frei sei, sich selbst ausliefern wolle; der als Eheweib Luthers verkleidete Heroald hingegen als Verwandte des Selinde umwerbenden Falconi, die ihm zu einem Stelldichein verhelfen könne. Sprechend auch die Behandlung der Nebenbuhler Baucosi und Falconi: Baucosi schluckt den Verdruss herunter; Falconis Enttäuschung wird hingegen in einer umständlicheren Szene genüsslich von den Verlobten hinausgezögert und am Ende muss er, von zwei schadenfrohen Cavalieren genötigt, mit zum Umtrunk (EH 990– 994). 37 Vgl. zu allen genannten Romanen die Einzeluntersuchungen unten, Kap. 5.

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3.1.1. Variationen der Liebeshandlung Erwartungssicherheit an der hierarchischen Spitze als Ausgangspunkt der Überlegung Die am weitesten in die innere Gestaltung der Liebeshandlung eingreifende Anforderung an die Liebeshandlung an der hierarchischen Spitze betrifft die Effektivität aller unmittelbar die gegenseitige Liebe des Paares voranbringenden Handlungsfunktionen: die Funktionen also des gegenseitigen Verliebens,38 der Werbung, der Geständnisse, der Verlobung, der Heirat. Im Einzelnen bedeutet dies, dass ein Minimum an Kontakt, und sei es in Bildform, zum vollständigen, das heißt nicht mehr steigerbaren Verlieben genügt,39 dass die Werbung in wenigen, vom Mann her initiierten Schritten zum gegenseitigen Geständnis führt; dass das Geständnis des Mannes unmittelbar das Geständnis der Frau hervorruft, und gleichbedeutend ist mit einer Verlobung; dass es vom Liebespaar selber aus keine Gründe zur Verzögerung der Heirat gibt.40 Mit anderen Worten: die Idealität der Liebeshandlung verhält sich umgekehrt proportional zu der auf die Entwicklung der Liebe fallenden Textmenge. Sollen die anderen Anforderungen an eine Haupthandlungsreihe, einer hinreichenden Deckung und Erstreckung, auch erfüllt werden, bleibt die vorübergehende Verhinderung einer Heirat dazu die einzige Möglichkeit. Die Argumentation funktioniert dann auch in der anderen Richtung: gerade wenn die Variation ideeller Liebeshandlungen alleine die Heiratshindernisse betreffen, das Kriterium einer hinreichenden Textmenge durch sie erfüllt werden soll, bedarf es, zur Plausibilisierung der Überwindung all der aufgetürmten Schwierigkeiten, einer in sich unproblematischen, selbstverständlichen Liebe des betroffenen Paares. Die Folge der erwähnten Handlungsfunktionen, nach dem Geständnis/ der Verlobung durch die einsetzenden Hindernisse unterbrochen und erst zum 38 Die neuplatonischen, schon weit zurückliegenden Voraussetzungen der Unmittelbarkeit des Verliebens hat, bei Besprechung des Romans Der Heldenmüthige Perseus und die getreue Andromeda (1726) Günter Dammann: Liebe und Ehe, S. 43–45, herausgearbeitet: »Die Konstitution von Liebe unter derartigen Vorgaben muß eigentlich selbstverständlich eine Liebe auf den ersten Blick sein.« (S. 45) 39 Besonders pointiert wird dies im Rahmen von Gustavus-Arione, da dem sozusagen der kontingenten Sukzession des Krönungsfestes anheimgestellten Verlieben in einem Nachtrag die tatsächliche Unmittelbarkeit des Vorganges, auf Grundlage einer Wiedererkennung, zugrunde gelegt wird: »Und es schiene / als ob diese durchlauchtige Personen einander ohne langwierige Bemühung lieben / und bey dem ersten Anblick die Hertzen vertauschen müsten / weil ihre Vollkommenheiten sich schon vorhero miteinander vereiniget.« (EH 69) 40 Verwirklicht sind diese Anforderungen weitgehend in Tyridates-Octavia, Gustavus-Arione und Iranio-Amariane, Rosantes-Adalie und Renard-Barsine, Heraldo-Charlotte. Es ist vor allem diese Bündigkeit des Geschehens, die die letztgenannte Liebeshandlung für einen den Einheitsbezug erst herstellenden Wiederaufgriff im zweiten Teil der Verliebten und galanten Welt geeignet macht. Das inhaltliche Profil zeigt, wie Jörn Steigerwald: Galanterie, S. 391–414, herausarbeitet, durchaus gemischte, auf ein Verwerfen Charlottes deutende Züge.

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Schluss der Handlung durch die Heirat komplettiert, kann nach diesem Modell als verlässliche, also Erwartungssicherheit garantierende Rahmung der in den Hindernissen entfalteten, überraschenden Varietät aufgefasst werden. Unplausibel wäre es, wenn unter diesen Bedingungen das Paar lange Zeit beisammen wäre. Alleine die Phase der Werbung darf etwas dauern; sind die Geständnisse gemacht, gibt es zum Aufschub der Heirat keine in der Beziehung selber liegenden Gründe mehr, und angesichts der zuvor erlebten unmittelbaren Wirksamkeit der Liebe ist es schwer zu sehen, welche Umgangsformen das Paar in einem von der Heirat sie noch trennenden Intervall dauerhaft pflegen sollte. Die Liebenden zu trennen, die von der genannten Folge von Handlungsfunktionen beanspruchte Dauer mit der Zeit des Beisammenseins des Paares überhaupt gleichzusetzen, liegt also nahe; und damit die Einrichtung mindestens einer zur Kontaktunterbrechung geeigneten Ortsunterscheidung im räumlichen Medium. Ferner scheint es opportun, die Idealität des Hauptpaares durch eine größere Anzahl an Nebenbuhlern zu bezeichnen und diese für die Hindernisse und die erforderte Trennung zu funktionalisieren. So ergibt sich das Hindernis der Entführung durch einen Nebenbuhler, das sehr wahrscheinlich weitere Ortsunterscheidungen nötig macht. Die Effektivität der rein auf die Entwicklung der Liebesbeziehung bezogenen Handlungsfunktionen wird darin vollständig in die die Aufhebung des Hindernisses bewirkende Tatkraft übersetzt, ohne in Rollenkonflikten geschmälert oder aufgespalten zu werden. Gerade die ungebrochene Oberherrschaft der Liebe als die Handlung treibende Kraft kann aber als mit dem Gebot in Spannung gesehen werden, im hindernisbedingten Aufschub der Heirat die den Roman interessant machende Varietät zu entwickeln. Das Problem wird umso größer, je größer, rein vom Textumfang her, das zu füllende Intervall ausfällt: allzu oft lassen sich Entführung, Verfolgung und Befreiung interessant nicht wiederholen; soll außerdem Handlung anderer Handlungsbereiche auch integriert werden, steht hierfür alleine die Mehrfachverwendung der Nebenbuhler, die etwa auch politische Funktionen erfüllen, zur Wahl – eine relativ oberflächliche Einbindung.41 Diese Skizze einer ideellen Liebeshandlung, wie sie sich aus dem Gebot der Effektivität der die Liebe selber betreffenden Handlungsfunktionen ergibt, deckt sich in etwa mit dem Handlungsschema, das gemeinhin mit dem Stichwort 41 Vgl. zur Einbindung des historisch beglaubigten Personals in die Funktion Mazingue: Anton Ulrich. Duc de Braunschweig Wolfenbüttel (1633–1714) un prince romancier au XVIIème siècle. Berne 1978, S. 796, Anm. 2: »Les Empereurs (Galba courtisant Claudia, Othon Octavia, Vespasien Cönis) plongent en quelque sorte dans le roman par leurs amours. Ainsi, le monde de l’histoire officielle (ROMA), reflété par le miroir du roman, devient celui de l’aventure amoureuse (AMOR)« – Bezug nehmend auf die Titel-Radierung des 1679 erschienen dritten Teils der Octavia, vgl. ebd., S. 411.

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›Heliodor‹ aufgerufen wird,42 und soll der Untersuchung als Ausgangspunkt dienen, aus dem sich ihre Bezugsprobleme herleiten lassen. Wenn, aufgrund des größeren Umfanges eines Romanes, auf die durch die Effektivität der Liebe des Hauptpaares gestiftete Erwartungssicherheit43 nicht verzichtet werden kann – wie kann dann doch genügend interessanter Text gemacht werden? Die politische Kontamination der Liebeshandlung, genauer: die funktionale Verschränkung einer Liebeshandlung und einer Krönungsreihe44 kann als Verfahren zur Amplifikation beider verschränkter Reihen begriffen werden. Die Liebeshandlung muss die in den Hindernissen entfaltete Varietät nicht allein aus sich generieren, sondern kann, zu ihrer Plausibilisierung, einen anderen kausalen Zusammenhang geltend machen; und die politische Handlung borgt von der Liebeshandlung Erwartungssicherheit, ja kann mehr oder weniger vollständig als Liebeshandlung ausgetragen werden. Enger auf die Liebeshandlung selbst bezogen kommen amplifikatorische Verfahren mit Blick auf die Liebesentwicklung und auf die Hindernisse in Betracht.

42 Vgl. für eine knappe Zusammenfassung Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds. Berkeley und Los Angeles 1969, S. 19f; ferner: Werner: Erzählte Zeiten im Roman der Frühen Neuzeit. Eine historische Narratologie der Zeit. Berlin/Boston 2018, S. 112–119; Geulen: Erzählkunst der frühen Neuzeit. Zur Geschichte epischer Darbietungsweisen und Formen im Roman der Renaissance und des Barock. Tübingen 1975, S. 32; die Anwendung auf die Romane Hunolds kritisiert Rose: Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin/ Boston 2012, S. 153–159, zu dem Ergebnis kommend, »daß man dem galanten Roman kaum eine strukturelle poetologische Konsistenz jenseits des Schlüsselprinzips wird zuschreiben können.« (Ebd., S. 158) Ähnlich wie Rose, bezogen auf die Europäischen Höfe, setzt Simons: Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. Amsterdam-Atlanta 2001 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Bd. 52), S. 249, sich mit Wagener auseinander. Gelzer: Thesen zum galanten Roman. In: Ruth Florack, Rüdiger Singer (Hrsg.): Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin/Boston 2012, S. 377–392, hier: S. 386–388, spricht sich für eine breitere Berücksichtigung in den ›galanten Roman‹ einfließender Gattungstraditionen aus. Vgl. auch Berger: Legitimation und Modell. Die »Aithiopika« als Prototyp des französischen heroisch-galanten Romans. In: Antike und Abendland 30 (1984), S. 177–189. 43 Diese Funktion bleibt auch für Rose: Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin/Boston 2012., S. 153f, dem ›Heliodor-Schema‹ unbestritten: »Freilich ließe sich im Gegenzug nach Leseerwartungen und narrativen Konventionen fragen, und ob das ›Heliodor-Schema‹ sich für Liebesromane nicht schon deswegen anbot, weil es erlaubte, eine Liebesgeschichte, bei der das Paar von vornherein feststand, spannend zu erzählen.« [Hervorhebung SW] 44 Also Handlungsreihen mit dem Handlungsziel der Erlangung eines politischen Amtes (›Gustavus wird thualinischer König‹).

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Wird die Erwartungssicherheit aufgegeben, in welcher Form genau wird dann, mit welchen strukturellen Konsequenzen, Varietät bereits im Zustandekommen und Unterhalten der Liebesbeziehung als solcher gewonnen? Ganz andere Spielräume zur Variation schließlich gibt es abseits der hierarchischen Spitzen. Funktionale Verschränkungen von Krönungsreihen mit Liebeshandlungen zur Amplifikation Konsequente Anwendung findet dieses Verfahren alleine in den Europäischen Höfen. In der Octavia scheint es, mindestens für die Hauptliebeshandlung und die Krönungsreihe Tyridatens, angelegt; die Durchführung steht aber freilich am Ende des Untersuchungsbereiches, also nach dem sechsten Band, noch aus. Gemäß der Prophezeiung des Cosdroes (RO I/94f) soll Tyridates König wenigstens von Meden und Parthien werden – es wäre also die Besonderheit schon zu notieren, dass das Handlungsziel nur die letzte einer eingangs festgelegten Reihe von Krönungen ist, nicht der Aufstieg in den königlichen Rang schlechthin. Auch was die Zustandsänderung angeht, ist allenfalls mit einem finalen Sieg über die immer wieder den Frieden störenden Figuren zu rechnen, nicht aber mit der Beendigung einer Unrechtsherrschaft, die die Handlungsmotivation Tyridatens von Beginn an ausmachte; denn der eher schwache als böse Vologeses herrscht über Parthien; Thronfolger ist Artabanus; beiden muss erst etwas zustoßen, damit Tyridates überhaupt als König in Frage kommt. Die sich unter diesen Bedingungen und sicherlich als Folge der mehrfachen Erweiterungen des Romans abzeichnende Dissoziation von Paar- und Krönungsreihe an der hierarchischen Spitze wird schon auf der direkt untergeordneten Ebene voll durchgeführt.45 Schließlich von einer amplifikatorischen Funktion kann dort keine Rede mehr sein, wo die politischen und die Liebeshandlungen in sich bereits erwartungsunsicher geworden sind, das heißt im

45 Italus heiratet Antonia schon als Cheruscerkönig um des politischen Vorteils willen, den die Ehe mit der Claudius-Tochter ihm als römischem Kaiserkandidat bringen soll (RO V/1127– 1130). Der Krönung zum Cheruscerkönig ist dabei selbst keine Textstelle zuzuordnen – der königliche Rang besteht einfach ab einem bestimmten Zeitpunkt. Für Britannicus und Caledonia ist eine Koordination von Hochzeit und einer Krönung Britannicens zum indischen König noch möglich. Beor heiratet im römischen Exil ohne Rücksicht auf das politische Schicksal seines Herkunftslandes und sozusagen schon am Beginn der Paarreihe (RO I/479). Das Beilager von Artabanus und Zenobia wird immerhin in Abhängigkeit von der Krönung Zenobias zur iberischen Königin terminiert (RO VI/434f); es kommt aber dann der notwendige Aufbruch Artabanens zur Verfolgung Vardanens dazwischen und sein vermeintlicher Tod in Indien (RO VI/447f, 595–597). Eine Krönung Artabanens selbst ist, wie gesagt, noch nicht in Sicht. Siehe auch unten (Kap. 5.10) das Kapitel zur politischen Handlung des Romans.

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weiten Feld der inferioren Liebeshandlungen und im Großteil des politischen Handlungsbereiches. Die mit den Liebeshandlungen Gustavus-Arione, Iranio-Amariane und Ponderodo-Isabella in den Europäischen Höfen funktional verschränkten Krönungsreihen Gustavens, Iranios und Ponderodos fallen sämtlich in den politischen Kontext einer leicht abgeschwächten, relativ arm informierten Usurpationshandlung: der aktuelle Herrscher oder der vorgesehene Erbe stellt sich als ungeeignet heraus und wird durch den Helden der Krönungsreihe, der von sich aus auf den Thron keinen Anspruch erhebt, nach dem Willen der Bevölkerung oder der maßgeblichen politischen Kräfte des betroffenen Landes, ersetzt. Mit etwas Mut zur Analogie lässt sich so auch eine strukturelle Angleichung von politischer und Liebeshandlung feststellen: das Hochzeitspaar sind das Land und sein rechter Herrscher, die Nebenbuhler die politischen Gegner.46 Die stringente Ausrichtung auf das Handlungsziel ermöglicht eine weitgehend kausale Integration der Reihen in Form einer Hindernis- und Bedingungsstruktur, die abzuarbeiten ist; wobei der Unterschied noch einmal zu betonen ist, dass eine auf das Handlungsziel gerichtete Motivation der Helden hier nicht benötigt, ja ihre Abwesenheit gerade als Auszeichnung begriffen wird.47 Die funktionale Verschränkung mit der Paarreihe gestaltet sich so, dass zum einen Hindernisse und Bedingungen für beide Reihen gleichzeitig gelten,48 zum anderen Figuren in 46 Sigmund von Birken bestätigt die Analogie in umgekehrter Richtung in seinem Vorwort zur Aramena: »Unter den geliebten Prinzessinnen / werden in dergleichen Schriften zuweiln Königreiche und Länder / welche ihre werber zu haben pflegen / oder sonst Tugenden / Künste / Aemter / Güter und andere sachen / die man verlanget verstanden: sind es also nicht allemal Liebesgeschichten / dafür man sie ansehet.« (Anton Ulrich, Herzog zu BraunschweigLüneburg: Die durchleuchtige Syrerin Aramena. Der erste Teil. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1669. Hg. v. Blake Lee Spahr. Bern, Frankfurt am Main, 1975; das Zitat aus dem vorletzten Absatz der unpaginierten Vor-Ansprache.) 47 Ponderodo ist hinter dem sich als unwürdig erweisenden Alfonso einfach der zweite in der Erbfolge. Iranio wird auf den Beschluss der britischen Staatsversammlung hin gekrönt (EH 1146f). Gustavus rückt mit seiner Armee in Thualinien alleine aufgrund der Entführung Ariones ein; es kommt dann zu einer auffälligen Häufung von Nachrichten über die Willensbildung auf Seiten der thualinischen Stände (EH 1026–1031, 1160–1163, 1167f, 1182f, 1184f, 1197f, 1207), die eine eindeutige Zuordnung zum Entscheidungsprozess Gustavens erschwert. Einen klaren Zusammenhang aber stiftet der Erzähler zwischen Gustavens Entscheidung und der offen machtpolitischen Erwägung, es sei Germanien daran gelegen, eine Wahl des französischen Decyntos zu verhindern (EH 1182f). Das Motiv des politisch bescheidenen Helden begegnet noch deutlicher im Falle Tyridatens, in der Octavia, der sich durch den klugen Verzicht ihm angetragener Kronen (RO I/95–100) trotz »angebohrne[r] Großmuth« (RO II/9) auszeichnet. 48 Nur die wichtigsten: für Ponderodo bedeutet die Ehescheidung Alfonsos und Isabellas die Bedingung sowohl für seine Krönung als auch für seine Heirat Isabellas (EH 248–259). Die von Koryc, dem Vater Amarianes, noch gebilligte Verlobung Iranios und derselben (EH 404f) bildet die Grundlage seines Anspruches auf den britischen Thron; dann aber sucht Koryc, als König Sauboci, die Heirat zu verhindern: seine Absetzung wird damit zur Voraussetzung

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beiden Reihen analoge Funktionen übernehmen.49 Die Unterbetonung der ehrgeizigen Bemühungen der Helden selber bringt zudem eine Marginalisierung der militärischen Dimension politischer Auseinandersetzung mit sich.50 Die wesentliche Ausrichtung des politischen Bereiches auf Krönungsreihen erlaubt es, dieselben in relativer Unabhängigkeit voneinander zu entwickeln: selbst die Krönungsreihe Gustavens, wo sie Thualinien betrifft, ist nur mit einem letzten Teil der Hauptliebeshandlung verknüpft, schließt also nicht, wie bei einer durchgängigen Anbindung notwendig der Fall, die anderen Krönungsreihen textlich ein. Entsprechend heterogen sind die Entwürfe, deren hervorstechende Besonderheiten und die daraus abzuleitenden Variationsverfahren kurz skizziert werden sollen. Die komplexeste kausale Struktur entwickelt die Krönungsreihe Iranios: Vier Bedingungen müssen für seine Krönung zum britischen König erfüllt sein: (1) Iranio musste Amariane, die Tochter Saubocis, zur Braut haben und (2) Sauboci musste sich als illegitimer König erweisen. (3) Außerdem musste Sauboci in der Nachfolge seines Bruders Clarusos König geworden sein und (4) er musste, bevor er abgesetzt werden konnte, seine Machtbasis verloren haben. Diese vier Bedingungen treten in unterschiedliche Verhältnisse der Ermöglichung und Verhinderung. Sauboci durfte sich als illegitim erst erweisen, nachdem Iranio mit Amariane schon verlobt und nachdem er Claruso auf dem Thron nachgefolgt war; erst dann konnte auch Iranio gegen den Vater seiner Braut zu Felde ziehen. Außerdem durfte kein weiterer Nachkomme oder Verwandter Clarusos oder Saubocis Anspruch auf den Thron erheben, ohne freilich, dass Iranio sich durch die Beseitigung eines derselben Machtgelüste hätte vorwerfen lassen dürfen. Die vier Bedingungen fallen in unterschiedliche erzählerische Regime und werden entsprechend divers behandelt. Das Kennenlernen bis zur Verlobung erfolgt relativ kompakt (EH 335–406), mit einer überschaubaren Menge funktional klar aufeinander bezogener Figuren, die für einen solchen Grad an Verwirrung sorgen, dass der Weg zum Geständnis und zur Verlobung hin wenigstens nicht ohne Zufälle und nicht ohne sowohl der Krönung Iranios als auch der Heirat. Baucosi, den für den thualinischen Thron eigentlich legitimen Nachfolger, macht die Entführung Ariones unmöglich, die gleichzeitig erst Gustavus in die Lage versetzt, als Kandidat in Frage zu kommen. 49 Das sind vorderhand natürlich die liebenden/zu krönenden Iranio, Gustavus, Ponderodo; dann die Nebenbuhler/politischen Gegner Tyrconell, Baucosi, Alfonso. Die Rolle Korycs/ Saubocis ist, nicht als Nebenbuhler, sondern als Vater Amarianes, etwas komplexer. 50 In Torgapulien, wo die Auseinandersetzung rein innerdynastisch geführt wird, spielt Militär gar keine Rolle; bei Gustavus etwas mehr, hier aber genügt weitgehend die bloße Präsenz seiner Armee auf dem thualinischen Territorium (EH 1150–1196) – nur mit Decynto gibt es einen rasch entschiedenen Kampf (EH 1198–1201); die Entscheidungsschlacht zwischen Sauboci und Iranio wird durch eine aufgedeckte Verräterei vorentschieden (EH 1127–1133).

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Hindernisse verläuft.51 Erst, da die Werbung öffentlich und offiziell wird, wirken auch politische Faktoren. Die Verwandlung Korycs/Saubocis zu einem Herrscher, der von der Staatsversammlung abgesetzt werden kann, vollzieht sich ohne Bezug auf bestimmte Figuren (EH 469–527); sie drückt sich zuallererst in seiner Konversion zum Katholizismus aus (EH 420), dann, als er König geworden ist, in seinem Regierungshandeln (EH 502ff). Sie beginnt also kurz nach der Verlobung Iranios und Amarianes; wird, bis zum Tod Clarusos, noch in einem bestimmten Maß gehalten, und dann vollendet. Zofyri, der illegitime Sohn Clarusos, ist zunächst eine Figur in der Konstellation, die für die sich anbahnende Verlobung Iranios und Amarianes geschaffen wird. Dort, als Erbschaftsfragen noch nicht drängen, wird er Verbündeter Iranios. In Iranios Abwesenheit (EH 443–469) jedoch kommt der Konflikt zwischen ihm und Koryc zum Ausbruch: hier gibt es einen Landungs- und Eroberungsversuch, der mit einer Verfolgung und Hinrichtung endet (EH 469–489) – also das Scheitern eines Unternehmens, das dem Iranios später recht ähnlich sieht. Der andere Thronanwärter, der von Saubocis Frau angeblich geborene Sohn, verliert mit dem Machtverlust seines Vaters auch die Möglichkeit, seine vorgetäuschte Herkunft durchzusetzen. Schließlich, dass Iranio Sauboci und Tyrconell am Ende schlägt, verdankt er nicht einzig militärischer Überlegenheit, sondern zu großen Teilen der schwindenden Gefolgschaft der Briten. Die beiden großen Schlachten zu Beginn (EH 1033–1050) und zum Ende des Feldzuges (EH 1124–1136) werden durch das Überlaufen eines wichtigen Befehlshabers entschieden (Adani hier, Selry, den die Gallier bestochen zu haben meinen, dort). Dazwischen handelt es sich, mit Ausnahme der Schlacht vor Lorryndone (EH 1087–1092) eher um Verfolgung und Flucht als um einen geordneten Kampf. Das ritterliche Ziel der Befreiung Amarianes und Olorenas verdeckt die Eroberung, die eigentlich, mit dem Einzug in Neldon, bereits Notwendigkeit geworden ist und nurmehr vollzogen werden muss. Die Komplexität dieser Struktur rührt aus der mehrfachen und gegenläufigen Funktionalisierung derselben Figuren, und aus der Notwendigkeit, den Helden an ihrer Veränderung unschuldig zu halten. Seine sturmbedingte, also schicksalhafte, also in ihrer strukturellen Bedeutung betonte temporäre Abwesenheit ist dabei entscheidend: sie erspart ihm eine Verwickelung im politischen Unternehmen des anderen Thronkandidaten Zofyri; und in ihr kommt die Verän51 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln/Graz 1963, S. 48f, sieht in dieser »komplizierte[n] Intrige mit gefälschten Liebes-, Warn- und Absagebriefen, die sich aber schließlich aufklärt, ohne von Einfluß auf den weiteren Verlauf des Geschehens zu sein«, einen Beleg für die gegenüber dem französischen ›Intrigenroman‹ veränderte, nämlich harmlosere, komödienhafte Funktion der Intrige.

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derung Korycs/Saubocis zu einer gewissen, ihm dann schon als Tatsache begegnenden Reife. Dieser ist ohne Zweifel die am vielfältigsten genutzte Figur. Wer die Stellen zusammensucht, anhand derer seine politische Wandlung nachzuzeichnen wäre, hat einen reichen Befund52 mit auffälligen Häufungen und Wiederholungen,53 der sich grob in vier Phasen gliedern ließe: Die erste Phase besteht einzig aus der ersten Begegnung, da noch kein Schatten der politischen Gegnerschaft auf die zukünftige familiäre Beziehung fällt. (EH 346f) Die zweite Phase wird dadurch bestimmt, dass Indizien für die politische Gegnerschaft zwar schon vorliegen, jedoch die Liebe Clarusos und das Interesse Iranios für eine mildernde Deutung dieser Zeichen sorgen und Koryc also in der Thronfolge halten.54 Der politische Konflikt tritt stellvertretend in der Gegnerschaft Zofyris und der – dann auch wieder besänftigten – Großen hervor. Zofyris gescheiterte Rebellion bereitet Iranio gewissermaßen das Feld (EH 474–487). Die dritte, mit der Rückkehr Iranios beginnende Phase,55 wird durch drei Bewegungen bestimmt: erstens gibt es nun in der Politik Saubocis offensichtliche, die Großen drängende Beweise für seine Katholizität – die allerdings, bei drohender Invasion, auch wieder beseitigt werden; zweitens eine höfliche, gegensätzliche Auffassungen allerdings schon zum Ausdruck bringende Korrespondenz zwischen Iranio und Sauboci; und drittens mehr oder weniger geheime Bestrebungen zur Vernichtung des anderen: die Unterschiebung der Prinzengeburt zum Ausschluss Iranios aus der Thronfolge; den gedungenen Meuchelmörder in Baviata und das Bündnis mit Gallien auf Saubocis; und die Rüstung für die Invasion auf Iranios Seite. Die vierte Phase wird dann von den Kampf- und Verfolgungshandlungen bestimmt.56 Als weitere Struktureigentümlichkeit kann die Angliederung einer weiteren Reihe, der Liebeshandlung Zofyri-Olorena, gesehen werden, die nicht kausal notwendiger Bestandteil der Hauptreihe, jedoch in unterschiedlichen Funktionen, auf ihrer ganzen Länge, immer wieder an sie angegliedert wird.57 52 EH 346f, 371, 392–394, 403–405, 419f, 421f, 423f, 434–437, 469f, 472–487, 489f, 498–505, 511f, 523–527, 544, 1037, 1048f, 1051, 1059f, 1092–1095, 1125–1136, 1145. 53 Dreimal versucht Koryc/Sauboci seine Tochter mit Tyrconell zu verheiraten. Dreimal bestätigt Koryc/Sauboci brieflich die Heiratsaussicht zwischen Iranio und Amariane. Sauboci verliert gegen Iranio vier Schlachten. Und es gibt 15 Anzeichen für Korycs/Saubocis Katholizismus (EH 371, 403, 420, 498, 500, 504, 523, 525, 527, 1037). 54 In der Reihe der Belege von EH 371bis 472–474. 55 In der Reihe der Belege von EH 489f bis 544. 56 Die übrigen Belege. 57 Drei Funktionen lassen sich hierbei unterscheiden: 1) Durch ihre Liebe zu Iranio und den aktiveren, jedoch anonymen Gang, den sie mit ihr wählt, erübrigt sie eine entsprechende

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Eine sehr viel übersichtlichere, in gewisser Hinsicht aber doch ähnliche Struktur weist die Krönungsreihe Gustavens auf, wo sie sich auf Thualinien bezieht. Folgende Faktoren können als Grundlage des Geschehens definiert werden: 1) Gustavus hat es auf diese Krone nicht abgesehen. 2) Er ist für die Königswürde am besten geeignet. 3) Baucosi, obwohl legitimer Thronfolger, hat einen schlechten Charakter und ist für die Königswürde nicht geeignet. Während 2) und 3) sich zueinander komplementär verhalten, ergibt sich zwischen 1) und 2) eine gewisse Spannung: Gustavus muss in die Lage kommen, seine Eignung zur Königswürde geltend zu machen, ohne dabei ehrgeizig zu wirken. Dies leistet die Verwurzelung des Konfliktes zwischen Gustavus und Baucosi in der Liebeshandlung. Gustavus, Baucosi und Arione begegnen sich zunächst in Vinaquila (EH 938–964); dort besteht Arione die Treueprobe und Gustavus kann, noch bevor Baucosi seine Identität kennt, seine Überlegenheit über ihn unter Beweis stellen. Während Gustavus aber gegen die Saracenen kämpft, verbessert sich Baucosis Position in Folge des Todes seines Vaters, und mit der zukünftigen Krone im Rücken wagt er Arione zu entführen (EH 1022– 1025). Diese Entführung bewirkt das in Kraft treten aller drei oben genannten Bedingungen. Sie liefert Gustavus einen Grund, gegen Baucosi vorzugehen; sie beweist Baucosis Niederträchtigkeit; und indem Gustavus nur aktiv wird, offenbart sich auch seine Vortrefflichkeit. Der erste Plan, den Gustavus in Vinaquila noch mit Romano und dem Kaiser abstimmt, sieht denn auch lediglich vor, mit einer Armee nach Thualinien zu ziehen und so gestärkt die Stände zu bewegen, Baucosi erst zum König zu wählen, wenn dieser die ausländische Prinzessin ausgeliefert habe (EH 1023f). Wirklichen Widerstand gibt es dann von keiner Seite her. Baucosi war faktisch noch bevor er in Thualinien anlangte seines wichtigsten Erpressungsmittels beraubt, da Arione gleich zu fliehen verstand. Dies erfährt Gustavus freilich erst, da seine Präsenz im Land schon zu wirken beginnt, und die Verzögerung in der gestaffelten Übermittlung dieser Nachricht hat genau diese Funktion, die EntAktivität auf Seiten Amarianes; und auch Iranio kann von dem Verdacht losgesprochen werden, ihn hätte schnöder Ehrgeiz in Amarianens Arme geführt. 2) Durch ihre Liebe zu Iranio leistet sie einen Beitrag zur hierarchischen Struktur des Personals in dieser Phase. Sie liebt unerwidert; sie wird von zwei Herren bedrängt, die sie ablehnt; kraft ihres niederen Ranges aber kann ihre Liebe von dem Ranghöheren, Iranio, in einem heiklen und geschickt geführten Gespräch (EH 409–414), auf einen der Bewerber umgelenkt werden – eine Lösung, die für ihn selber nicht in Betracht käme. 3) Damit ist auch die Überlegenheit Iranios über Zofyri manifest, bevor sie in der Rivalität um den Thron hätte zum Ausdruck kommen können.

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führung als Anlass noch geltend zu lassen, während sie als Druckmittel Baucosis in Wirklichkeit schon wegfällt. Auch Decyntos Invasion wird zu keiner wirklichen Bedrohung; vor seinem Beispiel aber hebt sich Gustavens Unternehmung deutlich ab: Decyntos Vorstoß war mit Silvio überlegt und durch die Bestechung Kareizisvods vorbereitet worden (EH 1199–1201); außerdem sollte das Bündnis mit dem saracenischen Kaiser unterstützend wirken. Dieser planvollen Usurpation einer fremden Krone steht Gustavens ›zufällige‹ Gegenwart im Lande gegenüber, die ›automatisch‹ die Gewogenheit der Stände gewinnt. Hervorzuheben ist nun ein Verfahren wiederum der Wiederholung und Häufung, das die kausale Struktur zu verschleiern droht. Durch die Häufigkeit der Unterstützungsbekundungen von Seiten der thualinischen Stände ist der Zeitpunkt schwer auszumachen, an dem tatsächlich die Wahl Gustavens zum König feststeht und Gustavus eine Krone nurmehr annimmt, deren Usurpator er sonst scheinen musste. Es gibt dreizehn Nachrichten über die Stände.58 Die ersten fünf (a-e) beziehen sich noch einzig auf das ursprüngliche Vorhaben Gustavens, die Befreiung 58 (a) auf Heroalds Gesandtschaft in Arccovien hin gibt es eine Zweiteilung in den Ständen: einige freuen sich und gönnen Baucosi eine Züchtigung durch Gustavus heimlich, andere halten zu dem Prinzen (EH 1026); als Baucosi tatsächlich eingetroffen ist und die Entführung also bewiesen, gibt es (b) eine Dreiteilung, »daß ein Theil Baucosi beyfiel / ein anderer Gustaven, und der dritte seinen Nutzen in einer besorgenden Unruh zu finden vermeinte.« (EH 1027) Dann heißt es von Seiten des Erzählers (c), dass die Fluchtbewegung, die das Anrücken von Gustavens Armee Richtung Arccovien auslöst, »auch die dem Prinzen geneigte Stände bewogen [wurden] / ihm die nohtwendige Auslieferung der Prinzeßin vorzustellen; andere hingegen / die ihn heimlich feind waren / beredeten ihn zu einer Gegenwehr / um ein weit aussehendes Absehen dergestalt zu befördern.« (EH 1028) Baucosi bekommt denn auch nur 6000 Mann für seine Truppe. Als nächstes (d) erhält Gustavus auf dem Weg nach Menecacia einen Brief von Bomicursil und anderen thualinischen Ständen, der ihn über die Finte Baucosis unterrichtet, sein Vorhaben rechtmäßig und tapfer nennt und weiterhin alle Unterstützung verspricht (EH 1029–1031). Diese Fürsten tragen, als er sie nach den Gründen für ihren Hinweis gefragt hat, (e) von neuem ihre Dienstfertigkeit an; und Gustavus erbittet nun von ihnen, die Krönung Baucosi als eines Unwürdigen zu verhindern (EH 1160). Der Erzähler ergänzt (f): »Denn die meisten Fürsten und Herrn dieses Reichs inclinirten nicht mehr zu Baucosi, und hatten viele ein Absehen auf den andern Prinzen / als seinen Bruder / welches Gustaven nicht unwissend / und seine Messures darnach zu nehmen / seinem hohen FürstenGeiste gemäß zu seyn erachtete.« (EH 1161) Dies ist die einzige Stelle, da ein Bruder Baucosis erwähnt wird und so bleibt auch unklar, welche Messures Gustavus sich vorgenommen hatte. Am selben Tag kommen die Frau Bomicursils und Marquinergis zu ihm zur Audienz. Von dem, was die Frau Bomicursils (g) mit ihm beredet, werden zunächst nur Andeutungen gemacht, die auf die Wichtigkeit und Gefälligkeit der Gegenstände zielen (EH 1162f; 1168); jedoch da Gustavus seine Entscheidung fällt, die Krone anzunehmen, erfährt der Leser vom Erzähler, dass von der Prinzessin Bomicursil ihm diese angetragen wurde (EH 1182). Mit Marquinergis verhält es sich ähnlich (h): sie hat hauptsächlich von der Flucht Ariones berichtet; kommt aber auch als Gesandte der Herzogin von Galirothen. Wieder wird zunächst nur berichtet, dass sie Staatsangelegenheiten vorbringt (EH 1167f); und dann, an demselben Punkt der Entscheidung, nachgetragen, wie auch hier das Verlangen kund ward, Gustavus als

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Ariones zu bewirken. Allerdings bei (e) bittet Gustavus mit Geschenken darum, die Krönung Baucosis zu verhindern; (f) ist dann ein Übergangselement, da es heißt, viele seien von Baucosi schon ganz abgerückt und wünschten seinen Bruder zum König – eine Möglichkeit, die, wie gesagt, nicht weiter verfolgt wird; (g) und (h) bilden dann den Übergang zum offenen Antragen der Königswürde; und dieser Wechsel wird dadurch markiert, dass der Leser den Inhalt der Audienzen erst erfährt, da Gustavus seine Entscheidung schon gefällt hat und, durch die abgefangene diplomatische Mission an der Natransylvanischen Grenze, weitere zwingende Gründe hinzugekommen sind. Indes gleichzeitig verschleiert wird dieser Wechsel durch den Nachtrag (i), es hätten überhaupt schon viele Stände ihm heimlich die Königswürde angetragen. ( j) bestätigt diesen Befund nur noch, und nun, mit der Herauslösung Kareizisvods als bestochenen Oppositionellen, ist die Sache klar. Folgt man dem Erzähler, dann war es die Gefahr, Germanien könne durch Decynto einen »höchst-schädlichen Nachbar« (EH 1182) bekommen, die bei Gustavus, der mit seiner Groß-Fürsten-Würde zufrieden war (EH 1183), den Ausschlag gab: »alle Vorschläge und Offerten, zu einer Crone zu gelangen / würden ihn nicht bewogen haben / selbige anzunehmen / wofern es nicht die unümgängliche Nothwendigkeit und die Wohlfahrt ganz Germaniens gerathen / vor welche er gleichsam mehr als vor sich selber gebohren« (EH 1183). Diese Gefahr wird in Form der Nachricht von der Anlandung Decyntos und dem verhinderten Bündnis Silvios mit dem Saracenischen Kaiser an dem Tag der vielen Audienzen manifest (EH 1168–1182). Und dieser Zusammenhang ist einigermaßen klar lokalisierbar: er zieht gleich die Entscheidung Gustavens als Konsequenz nach sich. Hier ist eine einfache, machtpolitische Rechnung offen, die, in der Logik des Romans, durch die Überlegenheit Gustavens in Frauensachen in Pirasii bereits entschieden wurde. Hingegen die Legitimation seiner Krönung von Thualinien her muss in immer neuen Anläufen, verdeckt und zeitlich schwer zu lokalisieren, gewährleistet werden, so als bliebe an ihr doch immer etwas fragwürdiges. Die in der histori-

König zu sehen (EH 1182f). Gleichzeitig erfährt der Leser aber auch (i), dass »ihm schon viele hohe Stände des Reichs Thualinien die Crone unter der Hand antragen lassen […]«. (EH 1182) Der Erzähler ( j) stellt daraufhin fest: »Alle / die zuvor des Prinzen Baucosi seine Parthey gehalten / erklärten sich nun vor Gustaven / und waren also nur wenige / die sich nicht eine Ehre und ein Vergnügen daraus gemacht / ihn persönlich um die Herrschaft zu bitten.« (EH 1184) Bei dieser Lage tritt der Haupt-Oppositionelle Kareizisvod schon namentlich hervor (EH 1185), und dass dieser (k) von den Ständen selber beredet wird, seinen Widerstand aufzugeben (EH 1197), und dann (l) über ihn hinweg eine Reichsversammlung zur Königswahl ausgeschrieben wird (EH 1198), bestätigt noch einmal die Gewogenheit der Mehrheit. Gustavus wird (m) gewählt (1207) und gekrönt.

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schen Vorlage als notwendige Bedingung für die Krönung erfolgende Konversion des Anwärters wird von Hunold ausgelassen.59 Die Krönungsreihe Ponderodos bleibt in innerdynastischem Kontext – es handelt sich ja um die Ersetzung nur des älteren durch den jüngeren Bruder, des ersten durch den zweiten Erbfolgen. Möglich wird daher die Anlage der Handlung als Transformation einer weitgehend geschlossenen Figurenkonstellation: eines Quartettes, in dem am Ende ein glückliches Paar guten Charakters bleibt (Ponderodo-Isabella), die schlechten Charaktere, auch männlich (Alfonso) und weiblich (Nidosia), vereinzelt wurden und gescheitert sind. Es gibt eine erste, unerprobte Ausgangslage mit der glücklichen Paarung AlfonsoIsabella Ponderodo-Nidosia: hier beruht die Paarung Alfonso-Isabella nur auf Fernwirkung; und die Paarung Ponderodo-Nidosia darauf, dass Ponderodo den Ehrgeiz Nidosias noch nicht durchschaut hat. Dann gibt es die erste Veränderung bei der ersten Begegnung aller vier Akteure: Ponderodo erkennt Nidosiens und Isabella Alfonsos schlechten Charakter. Dadurch werden Ponderodo und Isabella latent aufeinander bezogen; Alfonso und Nidosia bleiben, wie sie waren (EH 237–240). Dieser veränderten Lage entspricht bereits das Handlungsziel. Was nun in der Handlung abgearbeitet werden muss, ist der Machtvorsprung, den Alfonso vor Ponderodo innehat. Dieser ermöglicht ihm, sekundiert von Antonio und dem Vater Isabellas, zu seinem Willen zu kommen und die Liebe Ponderodo-Isabella bleibt in der Latenz (EH 240–248). Erst bei Offenbarwerdung seines schlechten Charakters kann der Widerstand dieser beiden Erfolg haben (EH 248–259). Die Skizzen belegen noch einmal die Abhängigkeit des Komplexitätsgrades der Handlung, ja überhaupt der Anlage ihrer kausalen Struktur von der Art und Weise, wie politische und Liebeshandlung miteinander verschränkt werden – mit einem Übergewicht bei der Liebeshandlung. Die beiden Stellen, an denen, darüber hinaus, eine Eigenlogik des politischen greifbar, das heißt auch in der Ansammlung von hierüber zu definierenden Stellen greifbar wird, wurden markiert – das waren die Sinnesänderungen Saubocis und die Nachrichten über die Willensbildung in Thualinien. Beide Male handelte es sich darum, die Grenze des eigentlich einfachen Überganges von einer zu anderen Haltung durch eine Häufung von Zeichen zu verwischen.

59 Vgl. Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 57, Anm. 30 (S. 107).

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Verfahren zur Amplifikation der idealen Liebesentwicklung Die alleine durch ein Bild oder einen Bericht von der geliebten Person entfachte Fernliebe bietet die Möglichkeit der zeitlichen Entzerrung von Verlieben und Werben.60 Begegnet sich das Paar bereits im Kindesalter, gibt es, bevor die bereits latente Liebe voll zum Bewusstsein kommt, eine Zeit, in der ein dauerhafter Umgang ohne Entscheidungszwang möglich ist.61 Das Verfahren kommt an den Spitzenpositionen nicht zum Einsatz, bei Tyridates-Octavia, im Falle Octavias, alleine in Verbindung mit der Fernliebe: der gleitende Übergang zur ernsteren Liebe böte als Rahmung des gesamten Romanes offenbar nicht genügend Halt. Verfahren der Hindernisvariation Das Problem, eine ideelle Liebeshandlung an der hierarchischen Spitze eines Romans dennoch mit genügend Textmasse zu versehen, stellt sich in der Octavia am dringlichsten; inwieweit die Hindernisstruktur der Haupthandlung hierauf reagiert, wird unten untersucht (Kap. 5.9). Es soll an dieser Stelle bei einer Skizze der wichtigsten Verfahren bleiben. Sind Hindernisse bereits zum Zeitpunkt des Verliebens in Kraft, bieten sich weitere Möglichkeiten zur Amplifikation der Liebesentwicklung.62 Das dreiphasige Rahmenschema leidet aber etwas, wenn die erste, bis zur Verlobung reichende Phase, nicht auch, wie die dritte Phase, hindernislos ist.63 Dafür sind die Hindernisse, mit ihren vorausliegenden Ursachen, bereits Teil der Welt, in der sich das Paar verliebt und nicht, leicht zurechenbar, leicht zu beseitigen, Reaktion auf ihre Verbindung. Unwissenheiten und Irrtümer ›verbrauchen‹ sich in der Regel mit der Aufklärung, sind also als Hindernisse nicht wiederholbar und eignen sich dazu, die Einheit der Hindernisphase zu repräsentieren und die Erwartung ihres Abschlusses zu steuern. Diese Funktion wird verstärkt, wenn wiederholbare Hindernisse, wie Entführungen, zu ihnen in einen ermöglichenden, kausalen Zu-

60 So bei Tyridates-Octavia und Renard-Barsine; bei Renard und Barsine ist die Fernliebe lediglich Voraussetzung für das nachfolgende Entführungshindernis; tatsächlich erscheinen Verlieben, Werben und Verloben hier noch kompakter als bei Rosantes-Adalie. 61 So zu Beginn von Italus-Antonia und in Artabanus-Zenobia. 62 Tyridates muss sich zulassend oder unterdrückend zu seiner Liebe verhalten, noch bevor er Octavia getroffen hat, und stellt bezüglich ihrer Identität Vermutungen an (RO I/116–119, 121f, 124–127). Für Rosantes werden zum Ende der Werbungsphase Überlegungen relevant, die sich unmittelbar aus seinem gefährlichen, deshalb mit vertauschter Identität verbrachten Paris-Aufenthalt ergeben (LA 54–59). 63 Entsprechend wurde oben als Subsumptionsmöglichkeit von Tyridates-Octavia ja die Unterteilung in nur zwei Teile, gemäß dem Wechsel in der dominanten Hindernisstruktur, vorgeschlagen.

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sammenhang, und damit in ein Verhältnis der Unterordnung treten.64 Aber auch andere Verhältnisse gegenseitiger Bedingung sind möglich und sorgen für Abwechslung.65 Die unwiederholbaren Hindernisse können, sollen sie wirklich, in oben genannter Funktion, für eine lange Zeit in Kraft bleiben, dem Transformationsdruck durch eine Eigenvariation nachgeben.66 Schließlich kann ein prinzipiell wiederholbares Hindernis amplifiziert und in sich variiert werden.67 Das sind, auf einer relativ abstrakten Ebene, die wichtigsten, in der Octavia zum Einsatz gebrachten Verfahren. Mehr inhaltlich kommt eine Verfeinerung der Treueforderung hinzu: die Idealität der Liebenden leidet nicht, wenn sie sich vor einer ersten Begegnung anderwärtig verloben oder verheiraten68 – sofern sie in den jeweiligen Verhältnissen keusch bleiben. Sie sind dann aber dennoch zur Treue auch zu ihrem Ehepartner verpflichtet. Und: nimmt ein auf Täuschung beruhendes Hindernis die Form eines expliziten Verbots der Liebe an, kann es die Tugend der Liebenden gebieten, selber auf der Seite der Hindernisse produktiv zu werden, die Einhal64 Singer: Der galante Roman. Stuttgart 1961., S. 14, spricht bezeichnenderweise nur von einer Amplifikation durch Vervielfältigung der ›äußeren‹ Hindernisse; und nennt im selben Satz das Verfahren subordinierender Multiplikation: »Dieses Muster [des spätgriechischen Romans] läßt sich durch Erfindung immer neuer Abenteuer, durch Summierung zahlloser Entführungen, Gefangenschaften, Bedrohungen, Schiffbrüche, Zweikämpfe ausdehnen, so daß der Hindernislauf zum erwünschten Ende beliebig verlängert wird; zugleich kann es durch die Einführung eines zweiten, dritten und zehnten Paares multipliziert werden.« 65 In drei der betroffenen Romane kommt es etwa zu einer Kombination von Täuschung und Entführung: Tyridates wähnt Octavia in Mutina, dabei befindet sich dort Ariaramnes (RO IV/ 606–608); Gustavus gerät vor Venedig auf die falsche Fährte eines torgapulischen Grafen, weil Ariones Vater ihre Entfernung nach Thurabe wie eine Entführung hatte aussehen lassen (EH 102–104, 169–171, 212–217); und Rosantes bezieht die Barsine betreffende Nachricht von ihrer Entführung auf Arione (LA 110f). – Möglich wird so eine Entkoppelung der Motivation für die Verfolgungs- und Befreiungshandlung von der Erwartungssteuerung durch Wissenshindernisse; das heißt die Helden machen sich auf den Weg, ohne dass davon die Beseitigung des entscheidenden Hindernisses abhinge. 66 Auch dies wird in der Octavia am weitesten getrieben. Haupthindernis von Tyridates-Octavia ist in der ersten Hindernisstruktur (bis zur Verlobung auf den Diomedischen Inseln) die Ehe Octavias und Neros: es wandelt sich in ein Täuschungshindernis, wenn Nero faktisch tot ist; die Täuschung wird mehrfach aufgehoben und wieder, auf anderer Grundlage, errichtet. Kausal unmittelbar aus dem Haupthindernis ergibt sich, dass Octavia Tyridates über ihre Identität in Unkenntnis lässt – sie müsste sonst fürchten, dass er sie an Nero rächte; dies Hindernis verwandelt sich in eine Täuschung über ihre vermeintliche Identität als seine Schwester Parthenia. – Zu denken wäre aber auch an die Wandlungen der Täuschung Adaliens (LA 114f, 116f, 189, 211f, 219–221). 67 Dies betrifft die Aktivitäten des Nebenbuhlers Pacorus im Rahmen der Donaudeltahandlung. 68 Bedingt wird diese Konzession sicherlich durch die historische Vorlage. Im Falle des quellenmäßig sehr viel schlechter versorgten Tyridates hingegen kann das Verlieben von der knabenhaften Aversion gegen die Liebe noch wirksam abgegrenzt werden (RO I/101–103).

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tung des Verbotes also durch die Errichtung zusätzlicher Barrieren sicherzustellen.69 Auffällig ist sicherlich die Häufigkeit einer anfänglichen Unkenntnis über die Identität eines der Liebenden bei gleichzeitiger Variationsvielfalt der hierfür geltend gemachten Gründe: der väterlich unterstützte Wunsch, trotz der Kriegssituation die Bildungsreise nach Paris zu unternehmen (Rosantes-Adalie); das ehrgeizige Bedürfnis, den eigenen sozialen Rang herabzustufen, bis das Verdienst der Herkunft entspricht (Gustavus-Arione); die vorsätzliche, bald durchschaute Täuschung eines Nebenbuhlers (Renard-Barsine); das durch das Durcheinandergeraten der Bilder nutzlos gewordene Bilderverzeichnis zunächst, und dann die paradoxe Motivlage Octavias, die Tyridates zu einer Rache nicht reizen will, die ihm seine Liebe geböte und ihn ihr unmöglich machte (TyridatesOctavia). Nicht mehr ein Verfahren der hindernisbezogenen, problemgerichteten Ausnutzung der mit der Idealisierung gegebenen Bestimmungen, sondern in dieselben bereits Eingriffe sind die Modifikationen des Treuegebotes an der hierarchischen Spitze der Höfe, der Adalie und, in nochmaliger Verschärfung, der Welt.70 Die erste Modifikation bedeutet, dass die Höflichkeit dem Helden ge69 Hieraus ergibt sich die symmetrische Anlage der Täuschung über die vermeintlich vollzogenen Heiraten von Tyridates und Antonia, ›Drusus‹ und Octavia, die das temporär ausgefallene Haupthindernis substituiert. 70 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln/Graz 1963, S. 50–65, sieht hierin, gattungsgeschichtlich, die entscheidende Abkehr vom höfisch-historischen Roman: »Die Zerstörung des Gefüges des höfisch-historischen Romans setzt bei den Gattungsgehalten ein. Sittliche Forderungen, die unentbehrlich sind, wenn der Geschehenszusammenhang evident bleiben soll, werden mißachtet, ein konstitutives Element der Gattung wird eliminiert und damit das Gattungsgefüge um seine widerspruchsfreie innere Geschlossenheit gebracht.« (Ebd., S. 56) Vom Standpunkt der Verfahrensanalyse aus muss das als Übertreibung gelten: die Modifikation des Treuegebots bedeutet nicht seine Aufhebung; vor allem bleibt seine erwartungsbildende Funktion in Adalie und Höfen weitgehend unberührt: die Verfahren der subordinierenden Multiplikation garantieren der Haupthandlung immer noch die relativ größte Idealität/Treue; und das genügt, um die ›Evidenz des Geschehenszusammenhanges‹, wie Singer formuliert, zu garantieren. Angesichts vergleichbarer Verhältnisse in der Engeländischen Banise (1754) konzediert er denn auch ausdrücklich einen Spielraum bis zu jener »äußerliche[n] Treue«, die als »unerläßliche Voraussetzung« für Logik und Sinnhaftigkeit des Romanschemas gewahrt bleiben müsste (ebd., S. 102). – Ähnlich wie Singer urteilt später Fischer: Ethos, Konvention und Individualisierung, S. 65f, bezogen nun in der Hauptsache auf die Europäischen Höfe: »Dient weiter dem höfischen Roman seine erzähltechnische Struktur des ›Heliodor-Schemas‹ dazu, sowohl die sich endlich auflösende Verwirrung der Handlung ins Werk zu setzen als auch gerade in der Trennung der Protagonisten deren in sich abgeschlossene ›Tugend‹, die ›Beständigkeit‹ zu demonstrieren, so daß das Motiv der Vereinzelung die vom Ethos geforderte unbedingte Selbstbestimmung zum Ausdruck bringt; so dient es in den Europaeischen Höfen dazu, den Getrennten, vor allem natürlich dem Mann, die nötige Freiheit zu spannenden Abenteuern zu geben, die – müssen sie doch erlebnisreich und -intensiv sein, um den erlebenden Mitvollzug der Leser sicherzustellen – die moralische Integrität der Personen in ein zweideutiges Licht setzen. Dabei

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bietet, Frauen, die seine Werbung herausfordern, ein Stück weit entgegenzukommen. Erst die handfeste Verführung, erst eine Verlobung würde die Treue zur Geliebten verletzen. Möglich wird so, auf männlicher Seite, eine Gestaltung nebenbuhlerischer Verhältnisse nicht mehr nur im Sinne unmittelbar auf den Treuebruch zielenden, drohenden Zwanges, drohender Gewalt,71 sondern in bedingter Unabhängigkeit von der den Helden eigentlich bindenden Liebeshandlung als eigenständige, leicht asymmetrische, in Latenz weitgehend verhaftete Beziehung.72 In der (zweiteiligen) Verliebten und galanten Welt, und ganz entsprechend im Student, wird die mittlere Phase des dreiphasigen Modelles von der Haupthandlung vollständig entbunden: die andere Heirat der Frau, von ihrer Verwandtschaft gegen die Interessen des Helden durchgesetzt, versetzt diesen in völlige Freiheit; und die glückliche Wiederaufnahme der Beziehung nach dem Tod des erfolgreichen Nebenbuhlers verlangt zur Plausibilisierung in der Trennungsphase keine Zeichen beständiger Latenz.73 Komplikationen in der Liebesbeziehung, Schmälerung der Erwartungssicherheit Wird die Forderung einer in sich unproblematischen Liebe an der integrativen Spitze des Romans aufgegeben, ergeben sich zwei komplementäre Effekte: zum einen entfällt damit die Notwendigkeit, die zur hinreichenden Deckung nötige Textmenge ausschließlich auf der Seite der Hindernisse zu gewinnen. Gleichzeitig wird an jene Erwartungssicherheit gerührt, die die Variationsfülle der verändert sich auch der Charakter der Trennung der Liebenden selbst; ihr schicksalhafter Ernst wird bei Hunold aufgelöst durch die eine bloß räumliche Distanz überspielenden Briefe, durch die freie Entscheidung zur Trennung, also zur Reise, und durch den galanten, nahen Umgang mit anderen. Auch sinkt die endliche Vereinigung ab von einer Apotheose der göttlichen Providenz, vom Beweis der Theodizee zum wunscherfüllenden happy-end.« Wenn Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 57, von der historischen Vorlage her argumentiert, erscheint Gustavus allerdings gegenüber den erotischen Versuchungen als handelnd »ganz im Ethos des höfisch-historischen Romans«, nämlich in »beinahe unmenschliche[r] Treue« zu Arione und auch Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 181–184, wählt Gustavens venezianisches Abenteuer mit Nidosia zum Beispiel für die Entschärfung des Erotischen, die die Einbettung in die romaneske Struktur leiste: »Der als ›Romanprinz‹ geformte August der Starke bleibt seiner (entführt geglaubten) Geliebten treu – genauso wie Theagenes seiner Chariklea, Balacin seiner Banise, Aronce seiner Clélie oder Cyrus seiner Mandane niemals untreu werden.« Vgl. auch Dammann: Liebe und Ehe, S. 50–56. 71 Vgl. etwa Crispinas Rolle in Artabanus-Zenobia. 72 Am ausführlichsten verwirklicht im Verhältnis von Gustavus und Thersarie. Die Treueproben um Nidosia und die venezianische Dame erscheinen eher als Gefahr, in die sich Gustavus selbständig begibt, denn als ihn überfallender Zwang. 73 Vgl., noch einmal, zum durchaus problematischen Status der Haupthandlung HeraldoCharlotte in der Welt Steigerwald: Galanterie, S. 391–414, der sehr genau die Verfehlungen Charlottes herausarbeitet.

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Hindernisse, und der maßgeblich durch sie integrierten anderen Handlungen getragen hatte. Zu erwarten ist also in solchen Fällen eine Erschlaffung der Hindernisse und ihrer Strukturen ›alten Stiles‹ (Entführungen, Verwechslungen etc.) und eine Schmälerung der über die Hauptliebeshandlung integrierten Handlung überhaupt. Typischerweise finden sich integrativ zwar bedeutsame Liebeshandlungen, die in dieser Weise gestaltet sind, durch integrativ doch übergeordnete Handlungsreihen zusätzlich abgesichert. Am produktivsten sind die beiden Liebeshandlungen Seladons in der Verliebten und galanten Welt und Selander-Arismenia im Satyrischen Roman:74 in der Welt stützt die im zweiten Teil zur Haupthandlung promovierte Liebeshandlung Heraldo-Charlotte, im Satyrischen Roman die Doppelanlage der zusammengesetzten Liebeshandlungen Tyrsatens und Selanders. Selander-Arismenia ist integrativ bedeutsam, weil sie die zusammengesetzte Liebeshandlung Selanders abschließt; Seladon-Amalia durch die Dominanz über das gesamte letzte Romanviertel der Welt und die Assoziation ihres Handlungszieles mit dem der in ihrer letzten Phase äußerst marginalisierten Haupthandlung. Vor der genaueren Betrachtung dieser Reihen lohnt aber ein Blick auf Tyridates-Octavia: die enorme Streckung dieser Reihe macht Verstöße gegen das Effektivitätsgebot und gegen das Gebot der Gleichsetzung von gemeinsam verbrachter Zeit und Fortschritten in der Liebesbeziehung wahrscheinlich. Tatsächlich verbringen Tyridates und Octavia nach dem Durchlaufen der ersten Hindernisstruktur und nach dem endgültigen Abschluss der Werbung in der Verlobung auf den Diomedischen Inseln, auf ebendiesen und auf der Reise ins Donaudelta sowie später auf Boreostomum ein vielfaches der bisher geteilten Zeit zusammen.75 Dem Autor bleiben zur erzählerischen Ausgestaltung dieses Intervalles drei je problematische Möglichkeiten, die alle berührt werden. Am sichersten, dem Effektivitätsgebot am ehesten entsprechend ist das Stillschweigen über den Umgang des Paares miteinander. Harmlose, das beidseitige Glück nicht antastende Details bedienen zwar das auf das Hauptpaar stets gerichtete 74 Möglich ist für Selander-Arismenia und Seladon-Amalia eine selbe biographische Vorlage. Vgl. Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 14f. Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik. Spannendes Erzählen in Menantes’ »Satyrischem Roman«. In: Cornelia Hobohm (Hrsg.): Menantes. Ein Dichterleben zwischen Barock und Aufklärung. Bucha bei Jena 2006, S. 9–49, hier: S. 24, behauptet mit Blick auf Selander-Arismenia: »Die Details dieser Beziehung sprengten alles, was man in Romanen nach Regeln der Poetik las.« Und liefert auf den folgenden Seiten eine detaillierte Beschreibung dieser Liebeshandlung (ebd., S. 25–28). 75 Der regelmäßige Umgang in Rom, nach Tyridatens Wiederkehr aus Marsilien, hatte seine religiöse Unterweisung zum Inhalt, zielte also unmittelbar auf die Erfüllung einer Heiratsbedingung. Immerhin zeigte sich hier die Möglichkeit einer gemeinsamen Beschäftigung mit einem anderen Thema als der eigenen Liebe.

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Informationsbedürfnis, drohen jenes aber zu trivialisieren. Der Bericht interessanterer, in der Paarkommunikation anfallender Ereignisse, wiche der Trivialisierung aus und bediente das Informationsbedürfnis, verstieße aber gegen das Effektivitätsgebot. Das beziehungsinterne Autoritätsverhältnis, in dem Tyridates sich Octavia vollständig unterwirft, hat in der Asymmetrie der Werbung seine Berechtigung: der Liebende erhöht dadurch für beide die Sensibilität für Zeichen des Entgegenkommens seitens der zunächst ja grundsätzlich ablehnenden Umworbenen. Die Inanspruchnahme dieser ihr zugebilligten Autorität wäre bereits ein solches Zeichen, entsprechend sparsam sollte der Gebrauch ausfallen, entsprechend sicher, entsprechend frei bleibt, trotz allem, der Liebende. Nach vollendeter Werbung, in der glücklichen Beziehung ist freilich die Asymmetrie in dieser Radikalität nicht mehr aufrechtzuerhalten: die freie Verhandlung der Autorität von Ehepartnern übereinander liegt im erzählerischen Jenseits mindestens der Haupthandlung des Romans. So mutet es seltsam an, wenn Octavia ihre ausdrücklich ihr von Tyridates zugestandene Gewalt über ihn dazu nutzt, ihn an einer Aktivität zu hindern, die er alleine »aus Neugierigkeit« und »üm die Zeit zu kürtzen« (RO V/14) mit den begleitenden römischen Ratsherren sich vornimmt. Dass diese ganz selbstverständlich, weder von Tyridates, der sich Octavias Wahrnehmung ja zu eigen machen könnte, noch von den übrigen Damen ermahnt, in die Gruben des Goldbergwerkes hinabfahren, erzeugt den Eindruck, Tyridates bleibe allein wegen einer partikularen, schwer objektivierbaren Furcht Octavias oben zurück. Die andere Problematisierung des beziehungsinternen Autoritätsverhältnisses bleibt von einer trivialisierenden Tendenz durch die enge Anbindung an das Entführungshindernis gefeit (RO VI/29–34); und das Vergehen, Octavia gegen ihr Pacorus zur Rettung der Christen gegebenes Versprechen befreien zu wollen, wird zwischen Artabanus, dem eigentlich ausführenden, und Tyridates ungleich verteilt, der so gar, gegen die Interessen seiner Liebe, in die Rolle eines Befreiers von der Befreiung rückt (RO VI/33). Interessant ist, dass in dem Versöhnungsgespräch Vorrückungen auf beide Seiten fallen, je das Paradox berührend, das die Einsicht in die Notwendigkeit eines Nachgebens gegenüber der Erpressung Pacorens auf der einen, und die Forderungen der Liebe auf der anderen Seite für die Kommunikation bedeuteten; dass also zum Verzeihen des gewaltsamen Befreiungsversuches die Herstellung einer Symmetrie von ähnlicher Schuld und ähnlichem Vorwurf nötig wird (RO VI/217). Problematisiert wird aber auch in zwei Fällen die Einbettung der Kommunikation des Paares in die Kommunikation des sozialen Umfeldes. Das eine beschränkt sich auf eine beiläufige Erwähnung der Seltenheit ungestörten Beisammenseins, sogleich durch das Dazukommen der »gewöhnliche[n] Gesellschafft« (RO VI/375) sinnfällig gemacht (RO VI/374f). Das andere entwickelt auf

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engstem Raum eine ganze Reihe von Motiven (RO V/86–90): die Herausforderung der eigenen moralischen Normen durch abweichendes Verhalten an der Spitze der politischen Gesellschaft; die fälschliche Inanspruchnahme eines guten Namens im eigenen Interesse; der abwegige und indirekte Lauf einer Information; Verstimmung, die bemerkt, ein Vorwurf, der aus Scham nicht geäußert wird; ein Vorwurf, der, Vorwurf zweiter Ordnung, die erste Erhebung eines Vorwurfs zum Inhalt hat; und die Notwendigkeit der Schlichtung so entstandener Asymmetrie durch eine dritte Person – all dies deutet eigentlich auf eine hohe Anfälligkeit der Paarkommunikation für äußerliche Irritationen und lässt ihre sonstige Keimfreiheit und Ereignislosigkeit unwahrscheinlich wirken. Sind dies durch die enorme Streckung der Liebeshandlung bedingte Unfälle, das heißt okkasionell begrenzte Verletzungen von alles in allem auch in der zweiten und dritten Textschicht des Romanes für das Hauptpaar durchgehaltenen Regeln, sind die genannten Liebeshandlungen der Welt und des Satyrischen Romans auf die Vorführung problematischer Liebeskommunikation hin angelegt. In dieser Hinsicht ist, was zunächst als die entscheidendere Erweiterung aussieht, die Schilderung des Scheiterns einer Beziehung nach einem vermeintlich glücklichen Einverständnis – seis in Form wechselseitiger Geständnisse (Selander-Inconstantia), seis einer Verlobung (Seladon-Ariane), seis in Form einer Heirat (Heraldo-Selimene) – weniger produktiv: rasch wird die Situation eindeutig, kommt es mehr auf eine wirksame Überführung der Treuebrüchigen an, als auf das Balancieren widersprüchlicher Anforderungen in Gespräch oder Korrespondenz.76 Die glückliche Zeit des scheinbar erreichten Handlungszieles wird selbst nicht angetastet und bleibt von Ereignislosigkeit betroffen.77 Interessant wird aber die Werbung.78 In ihr verwischt die Unterscheidung von Hindernissen und Handlungsfunktionen des Liebesfortschrittes zunehmend. Bleibt das Hindernis auf die Paarkommunikation beschränkt, kann es also dort restlos beseitigt werden, dann mag es in der fälligen Versöhnung gerade zu einem

76 Für eine detailliert Untersuchung der Ehe-Erzählung Heraldos und Selimenes vgl. aber Steigerwald: Galanterie, S. 469–476. 77 Vgl. VW II/77: »Nachdem nun / continuirte Heraldo, unser feindseliges Verhängniß schien ausgewütet zu haben / und wir unter den Myrrhen der ehelichen Liebe vor alle boßhafftige Beneidung und Hinderniß unsers Vergnügens bedeckt waren / giengen unsere Gedancken auf nichts / als einander an Gefälligkeiten zu übertreffen / und alle Tage unsere Liebe auf eine schönere Art zu verneuen. […] | Da etliche Monat von dieser güldenen Zeit verflossen / kam ein Oberster in Salamoena […].« Und VW II/50: »Vierzehn Tage biß drey Wochen strichen vorbey / die ich / wo nicht als ein Engel / dennoch als ein neuer und durchaus glückseeliger Mensch zubrachte […].« Steigerwald: Galanterie, S. 469f, sieht schon in der ausschließlichen Fokussierung aufeinander für Heraldo und Selimene den Keim des Übels. 78 Die größte Amplifikation der werbenden Handlungsfunktion bietet, und lange Zeit ohne die katalysierende Zunahme von Irritationen und Verstimmungen, Seladon-Amalia – vgl. VW II/ 104f, 108–110, 111–115, 117–158, 177–181.

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Fortschritt der Beziehung kommen;79 möglich auch, dass erst die Irritation durch ein Hindernis, oder was ein ernsthaftes Hindernis werden könnte, den Einstieg in die Liebeskommunikation veranlasst.80 Die tatsächlichen, von außerhalb der Beziehung in sie eingreifenden Hindernisse sind in Seladon-Amalia und Selander-Arismenia, bei ähnlicher Beschaffenheit,81 von Beginn an in einer Latenz, aus der sie herausmüssen, wenn die Beziehung entschieden fortschreitet; sie bilden so für den Liebenden zuallererst ein Kommunikationsproblem, der nämlich die zunehmende Zurückhaltung der Geliebten richtig zurechnen muss. Die Treuebrüche nach der glücklichen Zeit lassen sich als Hindernisse nicht mehr beschreiben: es sind ja willkürliche Verhaltensänderungen der Geliebten mehr als Überwältigungen durch Nebenbuhler. Irritierend wirkt am häufigsten Eifersucht:82 das fortgesetzte gesellschaftliche Leben der Liebenden bietet hierzu Anlass83 und auszuhandeln ist zwischen dem Paar, ab einem bestimmten Grad der Bindung, inwieweit sie von dem anderen sich darin einzuschränken fordern können.84 Wer zu früh Forderungen stellt, 79 Vgl. SR 83: »Denn ihre Versöhnung verdoppelte eine vergnügte Vertraulichkeit […].« 80 Seladon hält sich, aus Beobachtung klug geworden, mit werbender Kommunikation, obwohl er zu Ariane schon eine Neigung gefasst hat, zurück; mit seinen ersten Verpflichtungen sucht er sich bei der Dame zu bedanken, die diese seine Zurückhaltung hinter seinem Rücken lobend hervorhebt – dadurch erweckt er in Ariane den falschen Verdacht, es sei ihm wirklich um jene zu tun. Die Farce, die er, den Verdacht auszuräumen, ersinnt, wird zum Anlass, gegenüber Ariane die Werbung eigentlich zu beginnen (VW II/24–33). 81 Beides bindende Nachwirkungen einer vorangegangenen Beziehung der Geliebten. Vgl. Steigerwald: Galanterie, S. 462, 486. 82 Vgl. die entsprechenden Handlungsfunktionen in Selander-Arismenia (SR 83, 115f, 180f), Seladon-Ariane (VW II/26, 46, 52–55, 57) und Seladon-Amalia (VW II/159–163). Vereinzelt bleibt das Problem Selanders, wie man eine betrunkene Eskapade durch das rechte Maß an Reue zu seinen Gunsten wendet (SR 125–133). 83 »Wenn man auch noch gern alle Visiten und Gesellschafften ausschlagen wolle / so obligirte einen doch der Wohlstand hierzu« (VW II/55) – so fasst Ariane, freilich in der Defensive, die Lage zusammen. 84 Die Aushandlung nimmt typischerweise die Form übertriebenen, gegenseitigen Entgegenkommens an: Selander tut so, als sei ihm an der Erfüllung der Freundespflicht nichts gelegen, als bedauere er ausschließlich die Trennung von der Geliebten; Arismenia plädiert für den Besuch, als sei sie von jeder Eifersucht frei (SR 156f). Wenn die eigene Freiheit gegen die Eifersucht des Partners zu verteidigen ist, lohnt es, die Sachfrage von der Beziehungsdynamik ganz einfach abzulösen: Arismenia versöhnt Selanders Eifersucht, nach dessen ingeniösem, brieflichen Vorwurf (SR 117–120) durch Versprechen und »Caressen, die man von einer geliebten Dame nicht schöner wünschen kan« (SR 121); gerade aber weil sie seiner sich so in Gänze wieder versichert hat, kann sie am nächsten Tage doch wieder ausfahren; Selander sieht das und rückt es ihr, scherzweise, beim Abschied vor – tatsächlich, so trifft es ein (SR 122). Ähnlich unterscheidet Ariane: »Sie wurde allem Ansehen nach [durch die Vorwürfe] sehr betroffen und eingenommen / und gab mir auch die stärcksten Versicherungen ihrer Treue: Doch wenn es auf das Capitel kam / wie sie sich inskünftige darinnen aufführen wollte / merckte ich den innerlichen Zwang in ihren Augen / aller mir verdächtigen Gesellschafft abzusagen […].« (VW II/54f). Und ähnlich verfährt Amalia (VW II/159). Vgl. für den Fall einer frühzeitigen Eifersucht auf weiblicher Seite SR 86.

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unterstellt damit eine Bindung, die es erst im Positiven zu sichern, ja überhaupt festzustellen gälte. Wenn kein entschiedener Treuebruch, kein handfester Verdacht vorliegt, ist es das oberste Gebot, sich dem anderen nicht unnötig unangenehm zu machen: die Lösung kann sein, die Eifersucht vollständig zu kaschieren;85 sie den anderen, ihm dadurch selbst die Möglichkeit zum Liebesbeweis gebend, erraten zu lassen;86 oder sie in scherzhaftem Gewand so erfinderisch vorzubringen, dass die Lust am Ingenium den Verdruss über Vorwurf und Zumutung überwiegt.87 Die letzte Lösung ist naturgemäß die poetisch produktivste.88 Ebenfalls ihrer Profilschärfe beraubt werden die Handlungsfunktionen des Liebesfortschrittes. Der Spielraum, den die Frauen dadurch gewinnen, dass sie Liebeserklärungen nach Belieben für Galanterie und Scherz halten, eine Antwort auf gleichem Fuße also verweigern können, wird ausgenutzt,89 sodass die kom-

85 Vgl. SR 93: »Was sollte er machen? Sie mit seinen Bitten länger zu beschweren / hatte er zu große Liebe und zu viel Verstand / darum erduldete er dieses Mißvergnügen […].« Heraldo wählt, mit Selimene schon in der Ehe, nicht den Vorwurf, sondern sucht sich ihr gleichsam als Neuverliebter gefällig zu machen, lässt sie an ihm »den honnetesten Mann und zugleich alle Galanterien und Verpflichtungen sehen / damit ihr Hertz in dem ledigen Stande gewinnen können« (VW II/80) – freilich erfolglos. 86 Vgl. SR 81–83: Selander bittet bei Arismenia um Erlaubnis, einer schon bestätigten Einladung auf eine Hochzeit folgen zu dürfen. Ihre Einwilligung ist selber widersprüchlich: zwar nötigt sie ihn, sein Wort zu halten, zeigt aber auch eine zärtliche Betrübnis, und gibt »auf eine verblümte und angenehme Art zu verstehen / wie sie gern eine Nachricht noch vor Abends wünschte / wie es ihm daselbst gefallen. | Selander verstund alles […]« (SR 82) – macht sich also von der Gesellschaft rasch los, um sie zu besuchen, ihre Neugier zu befriedigen; ein Argwohn wegen eines bestimmten Frauenzimmers bleibt ihr aber; und Selander gelingt die Beruhigung ihres aufgebrachten Gemütes »mehr durch eine stillschweigende und eusserste Zärtlichkeit als Worte« (SR 83). Vgl. für den Fall einer seitens des Mannes nur erratbar gemachten Eifersucht VW II/162f. 87 Seladon beklagt sich bei Ariane »auf eine schertzhaffte Manier […] / um ja alle Vorsicht zu gebrauchen / daß sie nicht ein Mißtrauen gegen sich urtheilen / und irgends darüber empfindlich werden sollte.« (VW II/53) 88 Einen mehr nachdenklichen, ernsten Ton schlagen zwar die »Gedancken | Von | der Liebe / | Da man auf | einem | Gottes-Acker | spatzieren gieng« (SR 94–112) an, und die hier für das Eifersuchtsproblem nach einem Durchgang mehrerer Exempel gefundene Lösung, eine Frau würde, sobald man Grund zur Eifersucht bekäme, der Liebe ohnehin unwürdig, ist angesichts der oben von Ariana als Argument gebrauchten Forderungen des Wohlstandes sicher nicht praktikabel; viel lustiger, gar auf das aktuelle Wetter abgestimmt ist die mythologische Erfindung des fingierten Briefes der Flora, die als Komplizin von Arismenias Gartenfahrten ihr dennoch empfiehlt, Selander so zu begegnen, dass er, bei gutem Wetter, sie ruhig ausfahren lasse (SR 117–120). In beiden Fällen gewinnt der Vorwurf durch die Fremdzuschreibung an Latenz: die Geliebte kann also entscheiden, ihn dem Liebenden nicht zuzurechnen und an sich vorbeigehen zu lassen. 89 Beispielhaft in Seladon-Ariane: »Ariane mochte in ihrem Hertzen wohl alle dasjenige empfinden / was ich ihr vorgesagt; allein sie dürfte doch nicht alleine aus der Art des Frauenzimmers schlagen / und gestehen / wie sie mich wieder liebe / sondern lehnte alles mit einer

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plementären Geständnisse aus der Synchronisation, die ihnen das Effektivitätsgebot aufzwang, weit herausgerückt werden, ja auf Seiten des Mannes selbst schwer zu entscheiden wird, ab wann tatsächlich eine Verliebtheit die Liebeserklärungen stützt.90 Die Zeichen des weiblichen Entgegenkommens sind nuancierter und gegebenenfalls wieder zurückzunehmen ( je ein Beispiel): zu unterscheiden sind mindestens das einfache Zulassen der werbenden Reden des Mannes (VW II/34), die Ermöglichung von Zusammentreffen (VW II/32f), die Erlaubnis zu Besuchen auf dem eigenen Zimmer (SR 75f), die Unterlassung einer entschiedenen Strafe bei körperlicher Überwältigung (VW II/46–48), die dem Mann zur Hoffnung gegebene Erlaubnis (VW II/37), die Erwiderung von Komplimenten (VW II/104), das Verlöbnis (VW II/48f). Selbstverständlich mit in das kommunikative Geschehen rücken Küsse, Caressen und weiteres: sie bilden einen Express- und Nebenweg, den es dem Mann, durch die Herbeiführung von Situationen zugestandener Überwältigung, zu eröffnen und zu beschreiten gilt: »Etliche nach einer Weigerung genommene Küsse brachten weit mehr als alle meine Beredsamkeit zu Wege […]« (VW II/37), bekundet Seladon. Und Zeichen der Ablehnung und Annahme der Werbung können kombiniert werden: ein verpflichtendes Gespräch bei einer Gelegenheit etwa mit der dann unterlassenen Ermöglichung weiterer Gelegenheiten dazu (VW II/115). Raum finden im zweiten Teil der Verliebten und galanten Welt, also in der Werbungsphase von Seladon-Amalia, inhaltlich gesättigtere Diskussionen – einmal über Freundschaft/Liebe, das andere Mal über die Zweckheirat –, in denen die Argumentation doppelt, nämlich sachbezogen und bezogen auf die Situation der Werbung, codiert ist: in der wichtigeren, zweigeteilten Debatte über Freundschaft und Liebe (VW II/117, 127–132, 144–146) bildet die Seladon gemachte Zusicherung Amaliens den Ausgangspunkt, »[i]n ihrer Freundschafft vor andern volkommen zu stehen« (VW II/117); welche Wendung, in Anwendung der auch sonst für die Werbung essenziellen Technik der traductio, also der im Parteiinteresse bedeutungsverschobenen Wiederholung eines Wortes, an ein Liebesgeständnis möglichst weit heranzurücken Ziel der argumentativen Bemühungen Seladons wird.91 artigen Manier ab / dadurch sie meine Galanterie gegen die Damen rühmte / und die wenige Neigung / verliebt zu werden / zu verstehen gab.« (VW II/35) 90 Bei der ersten Begegnung Seladons und Amalias heißt es noch, dass Seladon »nicht entzündet« (VW II/106) – obgleich er ihr schon zu verstehen gegeben, »daß sie die erste / die in seinem Hertzen den Beyfall eines geschickten Wesens erworben.« (VW II/105) Viel später heißt es: »So ein geschicktes Wesen einer an sich liebenswürdigen Dame wäre capabel gewesen / ihm noch mehr Fessel anzulegen / wo er sie nicht schon vollkommen trug […].« (VW II/127) Seit wann er sie trägt, kann eindeutig nicht bestimmt werden. 91 Darauf geht ausführlich, mit Stellenverweisen auf ähnliche Debatten in Scudérys Romanen, ein Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 122–130. Einschränkend anzumerken wäre – Gelzer beansprucht für die Stellen Beispielhaftigkeit für das deutschsprachige, galante

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Das Handlungsziel ist in Selander-Arismenia noch die Heirat, in Seladons Liebeshandlungen der Welt die Trennung; mit Ariane kommt es davor zur Verlobung, mit Amalia aber geraten die Dinge, weil das aus der Vergangenheit stammende Hindernis wirksam bleibt, gründlicher durcheinander: die also unmögliche Heirat wird, zum Zeichen der Schicksalsergebenheit und zur Besiegelung der Umwandlung ihrer Liebe in eine »tugendhaffte doch vollkommene Freundschafft« (VW II/186), durch einen geheimen »Liebes-Contract« (VW II/ 186–189) substituiert.92 Vorausgegangen waren diesem letzten Einvernehmen, das dann, nach etlichen Wochen, die Einsicht in seine öffentliche Unmöglichkeit und anderwärtig sich auftuende Möglichkeiten beenden (VW II/189f), ein wohl nicht ganz ernst gemeinter Heiratsantrag Seladons (VW II/154f),93 der alles in allem ablehnende Bescheid Amalias (VW II/155), der Beischlaf (VW II/158), der auf die Heiratsfrage nicht mehr bezogen wird, und eine beginnende Trübung des Verhältnisses durch Eifersucht, wie sie aus Heraldo-Selimene und SeladonAriane bekannt ist. Solche kombinatorische, aber auch inhaltliche Innovation am Ausgang der Liebeshandlung macht sie für eine Position, in der ihre Finalisierung auch die des Romans bedeutete, ungeeignet; noch gewichtiger ist aber, bei der Wahl der integrativen Position so behandelter Reihen, dass der beschriebene Zugewinn an Latenz bei allen Handlungsfunktionen des Liebesfortschritts eine intermediäre Subsumierung, die Formulierung eines erreichten Zwischenstandes erschwert, Erzählen –, dass sich eine solche in die Werbung eingebundene Diskussion im Werk Hunolds, ja in unserem ganzen Korpus nur noch selten findet, allenfalls der von Selander an Arismenia gerichtete Brief mit den Epitaphien wäre zu nennen (SR 96–112), das einer Werbung allenfalls vorausgehende, sie ermöglichende Gespräch Heraldos und Sirenes in der Oper über die Kaltsinnigkeit der Frauen (VW I/41–43) und das Gespräch, das Gustavus in der Gartengesellschaft zu Versailles mit der Prinzessin von Engvien, an einem Fenster sich abkühlend, führt (EH 568–572 – mit der typischen Einleitung: »Es kam hierauf die Frage auf die Bahn: ob der Wohlstand nicht alzustreng / der dem Frauenzimmer verbiete / die Anwerbung an einen Cavalier zu thun?« [EH 569]); d. h. die übrigen umfangreicheren reflexiven Gespräche und Passagen haben nur männliche Teilnehmer – vgl. SR 35–39, 69–73, AU 101–105, RE 363–371, 377–381, 383–395, EH 730–741. Steigerwald: Galanterie, S. 467, Anm. 220, unterscheidet entsprechend »aufrichtige Gespräche zwischen Männern und galante Konversationen zwischen Mann und Frau«, stellt aber eingangs fest: »Im Gegensatz zu den Dialogen, die Madeleine de Scudéry in ihre Romane einbaut oder ihren Novellen voranstellt, handelt es sich bei denjenigen der Hunoldschen Fiktionen ausschließlich um homosoziale Konversationen. Stehen im ersten Fall allgemein relevante Themen im Mittelpunkt der Unterhaltung, wobei zwischen einer weiblichen Regieführung und einer männlichen Stimmgabe unterschieden werden kann, so bestreiten im zweiten Fall ausschließlich Männer die Dialoge, um sich vertraulich auszutauschen.« 92 Auch auf das Ungewöhnliche dieses Ausganges verweist Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 127f. 93 »Er liebte sie; er suchte seine Liebe zu befriedigen / und das honnetesté Mittel zu dieser Vergnügung zu gelangen / war der Vorwand einer Heyrath« (VW II/154) – der Vorwand, wohlgemerkt.

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wie sie die Alternanz unterschiedlicher Liebeshandlungen erforderte. So sind die in Seladon-Amalia und Selander-Arismenia eingeschobenen Stücke anderer Handlungen episodisch geschlossen, okkupieren also bei der Wiederaufnahme dieser dominanten Liebeshandlungen das Gedächtnis kaum; und die einzige Selander-Arismenia aufgrund ihrer Finalisierung am Romanende zur Seite zu stellende Liebeshandlung Tyrsates-Asterie beginnt erst, nachdem Selander bereits aus Venedig abgereist ist. Schließlich darf, damit die gewisse Orientierungslosigkeit in der Werbungsphase, die Unklarheit darüber entsteht, wie weit der Liebende eigentlich gekommen ist, der Umfang der Reihe ein gewisses Maß nicht unterschreiten. Das Resultat solcher Erfordernisse ist, wie oben angedeutet, eine aus integrativer Sicht widersprüchliche Position: die so variierten Liebeshandlungen können aufgrund des Alternanzverbotes, der allgemeinen Schwächung des Profils ihres Fortschrittes und des gewonnenen Spielraumes am Handlungsziel eine Spitzenposition gegenüber mehreren anderen Liebeshandlungen schlecht einnehmen.94 Sie drohen, weil sie die Komplexität der Liebeshandlung insgesamt erweitern, die straffere, etwa dem Effektivitätsgebot gehorchende Hauptliebeshandlung unglaubwürdig, jedenfalls ihre integrative Funktion sichtbarer zu machen, als sie es wäre, hätten die vervielfachten Liebeshandlungen nur denselben Spielraum wie die Haupthandlung.95 Eine stark inferiore Position verbietet sich dort, wo auf ihr die erforderliche Textmenge nicht erreicht werden könnte. Die hier erbrachten Variationsleistungen, heißt das, nutzen das Verfahren hierarchischer Gliederung vervielfachter Handlungen, um für sich Spielraum zu gewinnen, knapp unterhalb der Spitze noch aus; gleichzeitig aber unterminieren sie es in ihren Ergebnissen und den daraus abzuleitenden Forderungen. Und in ähnlicher Weise ließen sich die Befunde für Tyridates-Octavia zusammenfassen: der Spielraum für die beobachtete Variation verdankt sich der Spitzenposition der Reihe und ihrer dadurch erforderlich gewordenen, enormen Streckung; gleichzeitig droht sie diejenigen Eigenschaften zu gefährden, die die Reihe inhaltlich als Spitzenreihe qualifizierten. Interessant ist, dass es zur Hervorbringung der beschriebenen Variation dieser spezifischen Spannung offenbar bedarf. Sie wäre auf zweierlei Weise zu vermeiden: wenn entweder das Verfahren subordinierender durch ein Verfahren koordinierender Multiplikation ersetzt würde (das wäre also der Fall des Carneval und, in gewisser Weise, des Amor); oder wenn die Textmenge insgesamt so 94 So erfolgt auch die Unterordnung der salamoenischen Liebeshandlungen der Freundesgruppe unter diejenigen Seladons indirekteren Kriterien als etwa unter Heraldo-Selimene. 95 Die Lösung im zweiten Teil der Verliebten und galanten Welt ist, in der äußersten Raffung des Handlungszieles der Haupthandlung (VW II/190f), gewissermaßen eine Flucht nach vorne.

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groß wäre, dass der stark inferiore Rang einer Handlung nicht notwendig mit einem für Latenzgewinn zu niedrigen Umfang einherginge (hierfür kämen nur Octavia und Höfe in Betracht). Die dominanten Verfahren der Variation – soviel vorweggenommen – sind abseits der hierarchischen Spitze und bei der koordinierenden Multiplikation andere. Es sei aber, um der Vollständigkeit willen, geprüft, wo Schwächung des Fortschrittsprofiles, temporäre Orientierungslosigkeit in der Werbungsphase und Latenzgewinn noch eine Rolle spielen. Am eindrücklichsten insgesamt ist die Amplifikation der Werbungsphase sicher in Floramor-Rosinde des Carneval, hier aber scheint ein anderes, unten im Rahmen der Einzelanalyse zu behandelndes Variationsverfahren maßgeblich (Kap. 5.5). Im Adelphico sind Adelphico-Amoene und -Statterie hervorzuheben, die, durch ihre Zugehörigkeit zur zusammengesetzten Liebeshandlung des Helden, eine Spannung im oben beschriebenen Sinne durchaus hätten entfalten können, dafür aber doch etwas zu harmlos verlaufen und enden. Verfeinernd wirkt das unten (Kap. 4.2) im Zusammenhang der Reihe von Verseinlagen besprochene Motiv, dass eine von Dritten aufgeführte Musik den Gemütszustand des der Liebe noch abgeneigten Liebenden ausdrückt, und dann, einen Fortschritt provozierend, selber zwischen dem Paar Gesprächsgegenstand wird (AP 6–11, 63–66); auch hinsichtlich der Geständnisse Adelphicos wird, zwischen Aufrichtigkeit und Höflichkeit, ein erklecklicher Spielraum aufgemacht.96 Die Römische Octavia ist so umfangreich, dass Liebeshandlungen ohne direkten Bezug zur hierarchischen Spitze mühelos die erforderliche Textmenge erreichen können. Auch hier dominieren andere Verfahren der Variation, eine

96 Dass er zunächst Amoene gegenüber auf seiner Freiheit beharrt, sind »nur politische Stellungen bey Adelphico; die anglimmende Funcken der Liebe brenneten in seinem Hertzen so sehr als bey Amoenen: Nur wolte er nicht vor verliebt angesehen seyn.« (AP 11) Dass sie dann mit einem Geständnis zuerst herausrückt, irritiert ihn aber, sodass die Aufrichtigkeit seines Gegengeständnisses geschmälert scheint (AP 16). Gegenüber Statterie ist die Lage eindeutiger: auch sie drängt auf seine Erklärung, er gibt sie ihr durchaus mit Vergnügen (AP 65f), vergisst sie aber gleich nach ihrer Abreise. Die Verteidigung übernimmt der Erzähler: »denn er sich doch bey einem jedweden nicht verantworten kan / daß er Statterien niemals eiferig geliebet / viel weniger den Schluß gehabt / sich mit ihr zu vermählen: Weil sie ihn aber stets mit ihrer unbesonnenen Liebe plagte / er auch weder Rast noch Ruhe vor ihr hatte / so kunte es nicht anders seyn / Adelphico muste seine Verstellung an sich nehmen / damit er Statterien / als einen Gast / durch Hülffe der Gegen-Liebe / die Lust einprägete.« (AP 93) Die Stellen haben immer wieder die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen. Vgl. Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 118; Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso, der Autor des »Adelphico«? Zur Verfasserfrage und zum Gattungsproblem eines galanten Romans. In: Gerhart Hoffmeister (Hrsg.): Europäische Tradition und deutscher Literaturbarock. Internationale Beiträge zum Problem von Überlieferung und Umgestaltung. Bern, München 1973, S. 449–469, hier: S. 450f; Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 282.

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markante Ausnahme bildet aber Orondates, die Geschichte der Solane.97 Das Handlungsziel ist die Ersetzung Solanes durch Blanea als fürstliche Geliebte, die letztliche Untreue Orondatens (RO IV/590–592), die Solanes Rückzug von der Welt, das Ausschlagen also auch einer vorteilhaften, ihr noch angebotenen Partie, nach sich zieht. Einen anderen Grund als die Neigung des Fürsten hat das Verhältnis zu keiner Zeit, ihr aber ist nicht zu trauen. Entsprechend gibt es auch nach dem erfolgten Beischlaf (RO IV/562) keine glückliche Zeit, und es fällt die Erreichung eines – seis auch nur kurz – verlässlichen Zustandes gegenseitigen Einverständnisses als Gliederungsmoment der Handlung aus.98 Eifersucht ist auf beiden Seiten das dominierende Motiv, sodass das Handlungsziel selbst, das Obsiegen Blaneas, als Element einer Reihe von Verdächtigungen erscheint, die weit in die Handlung hineinreicht.99 Die Liebe, sofern sie überhaupt bei Solane als Motivation zu isolieren ist, wirkt nie ausschließlich, sondern bleibt in die Berücksichtigung ihrer inferioren und gefährlichen Stellung am Hof eingebunden.100 Dass in einer solchen Gemengelage die Liebeskommunikation selber problematisch wird, der Sinn einer Handlung oder Mitteilung also unkontrolliert in einem breiteren Spektrum offener Latenzen je festgeschrieben, sollte nicht verwundern.101 97 Vgl. Kraft: Geschlossenheit und Offenheit der »Römischen Octavia« von Herzog Anton Ulrich. »der roman macht ahn die ewigkeit gedenken, den er nimbt kein endt.« Würzburg 2004 (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft, Band 483), S. 95–109; ders.: Galante Passagen im höfischen Barockroman – Aurora von Königsmarck als Beiträgerin zur »Römischen Octavia« Herzog Anton Ulrichs. Daphnis 28 (1999), S. 323–345; Mazingue: Anton Ulrich, S. 555–571. 98 Bezeichnend ist der Gemütszustand beider nach dem Beischlaf: Orondates freut sich seines gelungenen Streiches, indes er sie »in einem Irr-Garten vieler Gedancken verliesse« (RO IV/ 562). 99 Bereits in der Phase vor dem Beischlaf dient Orondatens Eifersucht zur Beförderung seiner Werbung (RO IV/551). 100 Bezeichnend ist die am ehesten einem Ereignis des Verliebens zuzuordnende Stelle: »Was aber ihr Gemüthe verunruhigen wolte / war die Furcht / sich in eine Liebes-Gefahr zu stürtzen / weil Orondates durch seine Blicke / die Neigung des Hertzens genungsam zu verstehen gabe; bald fürchtete sie sich für sich selbst / indem sie bekennen muste / daß des Orondates gleichen / sie noch nie gesehen hätte; es schreckte sie nicht minder sein unbeständiges Gemüth / und muste auch der Fall / den sie zu seinen Füssen gethan / ihr eine Anthung des künfftigen Unglücks seyn.« (RO IV/546f) 101 Vgl. insbesondere den unfreiwilligen Fußfall Solanes zu Beginn ihrer Bekanntschaft (RO IV/ 546); Orondatens Tunken von Solanes Brief in den Wein und das Austrinken des Weines, ohne doch den Beisitzenden zu sagen, von wem der Brief kam (RO IV/549); die Verunsicherung der Kommunikation durch Verkleidungen oder abgesprochene Verkleidungen gerade als geheimes Mittel der Kommunikation (RO IV/555–560, 563f, 566f); die Verunsicherung der Kommunikation durch in festlichem Rahmen anonym gemachte Mitteilungen (RO IV/575–577); Solanes Nachmachen des der Nebenbuhlerin geschenkten Schmuckes (RO IV/584). Schließlich die Auflösung der Beziehung geschieht durch gar keine wörtliche Mitteilung – alleine dadurch, dass Orondates bei der Krönungszeremonie Solane mit zornigen, Blanea aber mit liebreizenden Blicken bedenkt (RO IV/590f). Vgl. auch die ab-

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Verfahren der Variation abseits der hierarchischen Spitzen – Übersicht Die Variation kann den Umfang der Liebeshandlung, die Anzahl der Handlungsfunktionen; oder deren spezifische Auswahl, also die inhaltliche Profilierung der Handlung betreffen. Hinsichtlich des Umfanges gibt es Variationen nach beiden Richtungen: Kürzungen, Raffungen und Fragmentarisierungen nach der einen, innere Wiederholungen von Handlungsfunktionen und also Amplifikationen nach der anderen. Einige Verfahren inhaltlicher Profilierung ergeben sich mehr oder wenig direkt aus der subordinierenden Multiplikation und sollen an dieser Stelle nicht behandelt werden. Mit einer Fragmentarisierung in der Regel verbunden sind aber skandalöse, erotische und lächerliche Zuspitzungen. Hinsichtlich des Handlungsausganges gibt es abseits der hierarchischen Spitzen grundsätzlich eine größere Freiheit zum schlechten Ausgang. Ansonsten lassen sich, etwas vage, besondere, a-typische Konstellationen unterscheiden und die Schwächung der Liebe als allein bestimmende Handlungsmotivation, die Einbeziehung also von Rollenkonflikten bei den Liebenden. Kürzungen und Fragmentarisierungen An der hierarchischen Spitze wird ein enger, erwartungsbildender Zusammenhang zwischen dem Verlauf der Hauptliebeshandlung und dem Verlauf des discours insgesamt gestiftet. Der Leser stellt sich auf einen Durchgang durch alle wesentlichen Handlungsfunktionen einer Liebeshandlung ein und verknüpft antizipatorisch das Erreichen des in Aussicht gestellten Handlungszieles mit dem Ende des discours. Dieses Vollständigkeitsgebot gilt, wo die Beanspruchung der Liebeshandlung für integrative Funktionen geringer ausfällt, nicht. Da das Syntagma möglicher Handlungsfunktionen in der Hauptliebeshandlung, sofern eine solche vorliegt, in der Regel schon entfaltet wird, auf jeden Fall als bekannt vorausgesetzt werden kann, ist die Isolierung jeder Handlungsfunktion möglich, ohne dass ein Orientierungsverlust beim Leser zu befürchten wäre. Das gleiche gilt für die radikale Raffung der Handlung entweder insgesamt oder über weite Strecken, eine Konzentration der detaillierteren Darstellung also in einem einzigen Handlungsabschnitt.

schließende Einschätzung bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 570: »L’intrigue, il est vrai, joue son rôle dans le récit, par le truchement de quelques méchants. Mais ce n’est pas là qu’un élément d’appoint; l’intérêt principal du récit est d’ordre psychologique, d’ordre privé, si l’on veut. Il ne s’agit pas d’un destin politique. L’intrigue resterait sans effet, n’étaient le caractère d’Orondates et celui de Solane, saisis l’un de et l’autre avec beaucoup de finesse: […].«

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Die Anwendung dieser Verfahren wird durch Gegebenheiten ganz unterschiedlicher Art konditioniert: 1) durch das inhaltliche Profil der Liebeshandlung – das betrifft, wie schon gesagt, die Handlungen skandalöser und/oder erotischer Zuspitzung102 und, nicht zwingend, aber wahrscheinlich, die Handlungen mit a-typisch-charakteristischen Konstellationen und Motiven;103 2) durch die kausale Relationierung der Liebeshandlung oder eines Teils davon im Kontext einer anderen Handlung – dann bestimmt der Umfang der kausalen Abhängigkeit über den gegebenen Ausschnitt;104 3) durch die funktionale Verschränkung der Liebeshandlung mit einer anderen Liebeshandlung;105 4) durch die Abhängigkeit von einer integrativ übergeordneten Bewegungsreihe;106 5) durch den Status einer Binnenerzählung in einem die Länge der Beiträge mehr oder weniger festlegenden, geselligen Kontext.107 Wie an den Belegen abzulesen, entwickeln die Romane hinsichtlich der Einrichtung solcher Bedingungen für Kürzungen mitunter sehr deutliche Profile. Die größte Vielfalt gibt es im Student, auf einen Bedingungstyp beschränkt sind hingegen die Romane Adalie (funktionale Verschränkung), Reise und Schelmuffsky (übergeordnete Bewegungsreihe). Kombinationen weniger Bedingungstypen gibt es in den Romanen Octavia, Welt, Amor, Satyrischer Roman; dem umfangreichen 102 Betroffen sind hier Student (die Liebeshandlungen mit Nummern 2, 5, 9, 11–13, 16, 17, 19, 21, 23), Satyrischer Roman (die Liebeshandlungen mit Nummern 2, 5, 6), Amor (Nr. 3, 4). Für einen allgemeinen Überblick, aber ohne Erwähnung des Studenten, vgl. Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 122–125. 103 In der Octavia die Nummern 30–34, im Student die Nummern 6, 8, 13, 15, 18, 21. 104 In der Octavia die Nummern 4, 11, 13, 45, 46, 50, 51, 53, 54, 56–58, 67, 68, 70, 72, 75, 76. Aufzuführen wären ferner alle 118 in der Octavia erwähnten Hochzeiten, zu denen ja nicht zwangsläufig eine Liebeshandlung gehört (auf den Seiten I/52, 54, 72, 73, 99f, 107, 200, 218, 227, 340, 344–346, 349, 356, 464, 465, 479, 547, 559, 707, 709, 772–775, 834, II/58, 78, 118, 143, 193, 193f, 194, 199, 203, 206, 208, 321, 326, 330, 337, 343, 344, 347f, 500, 501, 595, 598, 666, 670, 685, 715f, 816, 843, III/37f,139, 307, 316, 317f, 320, 325f, 500, 512, 514, 515f, 623f, 629, 634, 639, 645, 756, 774, 779, 780, 789f, 841f, 844, 849, 856, 11036–1048, IV/21f, 32, 153, 155, 173, 440, 586, 697, 698, 894f, 900, 910, 915, V/18f, 24, 31, 84–86, 324, 510f, 516, 518, 1127–1130, VI/ 105, 108, 127, 315, 403, 421f, 540 672). 105 Die Nummern 3–6 in der Adalie, Menardi-Charlotte in der Welt, Infortunio-Sepitia im Student. 106 Die Liebeshandlungen des Schelmuffsky, wobei die Liebeshandlung mit Charmante immerhin eine Ortsveränderung übersteht; die Frauenzimmer-Episoden der Reise; die geschlossenen Episoden des lindenfeldischen Wirtshauses und des Aufenthaltes auf dem Landschloss vor Venedig im Satyrischen Roman; die Affaire Menardis und Rhodopens in der Welt; die Reise-Affaire Fortunatos im Amor. 107 In der Octavia die Nummern 30–34, Ramande-Amande in der Welt, im Student die Nummern 6–9, 13–16, 21, 22–24, im Amor die der letzten Erzählrunde.

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politischen Handlungsbereich der Octavia sind die vielen kausalen Relationierungen geschuldet – hier lässt sich ein Emigrieren des Motivs der Heirat aus dem Liebesbereich in den politischen Handlungsbereich kaum vermeiden. Ohne sehr kurze Liebeshandlungen bleiben die Romane Höfe und Adelphico. Sowohl Amor, mit Fortunato-Aurora und -Unbekannt, als auch, radikaler noch, der Carneval mit Sylvander-Unbekannt bieten unkonditionierte Raffungen: Liebeshandlungen geringen und geringsten Umfanges also, die nach sonstigen Kriterien sehr viel ausführlicher gestalteten Liebeshandlungen gleichrangig zu bewerten wären. Die Extremstellung im Carneval und der problematische Bezug zu dem programmatischen Prolog (CL 1) machen diesen Fall besonders eindrücklich. Innere Wiederholungen Soll der Verlauf der Hauptliebeshandlung in Bezug auf den Verlauf des discours insgesamt Orientierung bieten, liegt ein inneres Wiederholungsverbot für die Hauptliebeshandlung nahe: in diese Richtung deuteten bereits das Effektivitätsgebot und die Bemühungen der umfangreichsten Liebeshandlung des Korpus, Tyridates-Octavia, die wiederholbaren Hindernisse den einmaligen Hindernissen unterzuordnen. Abseits der hierarchischen Spitze muss aber zu amplifikatorischen Verfahren der inneren Wiederholung bestimmter Handlungsfunktionen genügend Raum sein, die Liebeshandlung muss wuchern können, ohne die Größenverhältnisse im Ganzen zu gefährden. Geeignet ist dazu die koordinierende Multiplikation von Liebeshandlungen, die ja auf ein einheitliches Maß im Umfang der einzelnen Liebeshandlungen nicht angewiesen ist, wo eine besonders aufgeblähte Liebeshandlung einer Hauptliebeshandlung hierarchisch nicht gefährlich werden kann, weil es diese nicht gibt; und geeignet ist die durchgängige Anbindung an die Handlungsreihe eines anderen Handlungsbereiches, die von sich aus, und in sich konventioneller, das heißt wiederholungsärmer differenziert, schon den größeren Umfang mitbringt. Diesen beiden Situationen lassen sich die zwei eklatanten Fälle innerer Wiederholung des Korpus zuordnen (Floramor-Rosinde, Vologeses), aber auch weitere, weniger gewichtige.108 Während Vologeses eine beinahe groteske Konstel-

108 Ohne echten Fortschritt bleiben die parallelisierten, weitgehend an den politischen Handlungsbereich gebundenen Verfolgungen Junia Calvinas und Sulpitia Prätextatas ab einem gewissen Punkt (die Liebeshandlungen 14, 28 der Octavia). In Floramor-Belline gibt es eine Reihung erfindungsreicher Briefübergaben (CL 250–267), in Sylvander-Saladine sind es Umgehungen eines Hausverbotes (CL 399–410). Implizite Vorschriften zu auffälligen Wiederholungen gibt es auch bei den a-typischen Konstellationen, die unten behandelt werden; es ist aber ein Unterschied, ob die Wiederholung als hervorzuhebendes Merkmal einer Geschichte profiliert und durch weitere, integrative Verfahren aufgefangen wird; oder ob sie ohne Stütze etwa durch einen Binnenerzähler und eine entsprechende Umfangsbeschränkung und abseits des inhaltlichen Fokus wuchert.

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lation perpetuiert,109 betrifft die Iteration im Carneval die unverdächtigen Handlungsfunktionen der Werbungsphase – der Fall wird unten (Kap. 5.5) im Rahmen der Einzelanalysen behandelt werden. Vologeses ist – dazu hier – mit etwa 279 Seiten die drittumfangreichste Liebeshandlung der Octavia und dabei weit entfernt davon, inhaltlich den für die Spitzengruppe aufgestellten Kriterien zu genügen. Es handelt sich um die zusammengesetzte Liebeshandlung Vologesens, die Liebesverhältnisse also auch zu Sulpitia und Apasia, ihren enormen Umfang verdankt sie aber einzig dem Verhältnis zu ›Claudia‹, dem als Claudia verstellten pontischen Nero. Die Verstellung bedeutet eine Zugehörigkeit auch zu der Motivreihe der Namensüberschreitungen bei Nero/Neronia, die von der Amplifikation also ebenfalls betroffen ist. Aufgebläht wird eine beinahe abgeschlossene Werbungsphase, die freilich in eine regelrechte Heirat niemals münden könnte, in der diese also immer aufzuschieben bleibt. Das nächstliegende, mit einem guten Ausgang wahrscheinlich begabte, tatsächlich schon verheiratete Paar bilden Parthenia und Beor: der pontische Nero ist ja Beors Nebenbuhler. Ob Apasia sich gegen die hartnäckige Schwäche Vologesens für Claudia in allen Gestalten wird durchsetzen können, scheint am Ende des Untersuchungsbereiches eher unwahrscheinlich, und auch für Claudia, wenn sie tatsächlich zum Ende des vierten Bandes nicht gestorben ist, gibt es keinen eindeutigen Heiratskandidaten. Die besondere Amplifikation von Vologeses ist somit in einer Region des Liebesbereiches situiert, in der die Bündelung der einzelnen Liebesverhältnisse zu am Ende glücklichen Paaren nicht mehr funktioniert, in der, erwartungssicher, scheinbar partnerlose Figuren am Ende noch ›unterkämen‹;110 gleichzeitig sind die verwickelten Figuren aber für die politische Handlung und als Nebenbuhler so bedeutsam, dass sie, wie sonst im niederrangigen Liebesbereich, ihre Liebesverhältnisse nicht so oder so einfach abschließen könnten. Mit anderen Worten: zu viel der Energie, die den Roman insgesamt vorantreibt, teilt sich ihnen mit, als dass die erotische Energie in ihnen zum Erliegen kommen könnte. Das Gefühl von der Dauer der amplifizierten ›Terminierungsphase‹ – der Phase, in der der Hochzeitstermin festgelegt und erwartet wird – entsteht nur teilweise durch die tatsächliche Wiederholung einer Handlungsfunktion: das sind die mehrfachen, stets scheiternden Aufklärungsversuche, bei je leicht va-

109 Sicher bezieht sich Mazingue: Réflexions sur la création romanesque chez Anton Ulrich. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta‹. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 47–54, hier: S. 53, hierauf, wenn er meint: »[…] les conventions romanesques (par exemple la double identité) sont poussées jusqu’à la caricature […].« 110 Vgl. Dammann: Liebe und Ehe, S. 49.

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riierter Beweislage und Rechtfertigung ›Claudias‹.111 Wenn der pontische Nero die Behauptung, Claudia des Claudius Tochter zu sein, zugunsten der Identität einer ›pontischen Claudia‹ einmal fallen gelassen und Vologeses, fälschlich, eine erotische Begegnung bezeugt hat, tritt, bis zum Ende des fünften Bandes, eine gewisse Beruhigung ein. Politisch aber ist der Einfluss, den der pontische Nero über Vologeses als ›Claudia‹ innehat, viel zu gewichtig, als dass die Spannung, in die das Verhältnis ob der fälligen Aufklärung gesetzt ist, vergessen werden könnte. Erotische, skandalöse und lächerliche Zuspitzungen Grundlage der so gestalteten Liebeshandlungen ist die Autosuffizienz jeweils betroffener Handlungsfunktionen. Von der erotischen Begegnung, von dem lächerlichen oder abnormalen Verhalten erzählt zu haben, kann genügen.112 Was vorausging, wird erzählerisch113 oder dadurch, dass, etwa im Zuge von Verwechslungen,114 die Figuren selber unverhofft in eine günstige Lage geraten, abgekürzt. Die Non-Konformität der Handlungen versetzt sie dann aber unter eine der Auflösung bedürftige Spannung: seis in Form der skandalösen Entdeckung verheimlichten Verhaltens, seis in Form der Bloßstellung der lächerlichen Figur, die erst jetzt ihrer Lächerlichkeit gewahr wird. Die möglichen Konsequenzen sind breit gefächert: ein harmloser Ausgang, eine erzwungene Heirat, Elend und Schande, der Gang ins Feld, der Klosterbeitritt etc. Die Autosuffizienz der Handlungen in ihrem Kern, bewirkt durch den unmittelbaren Reiz des Erotischen, des Lächerlichen oder des Verbotenen, steht ihrer hierarchischen Organisation entgegen. Am deutlichsten wird dies im Student, wo sich Rangunterscheidungen ab dem sechsten Rang, und also im Falle von 19 der 24 Liebeshandlungen, nicht mehr treffen lassen. Das Modell ist hier, wie oben beschrieben, das einer hierarchisch halbwegs geordneten Spitze und eines chaotisch koordinierten Hauptfeldes. Im Satyrischen Roman werden immerhin Bestrebungen deutlich, die sehr viel weniger zahlreichen skandalösen, erotischen und lächerlichen Handlungen vor die Hautliebeshandlungen beider

111 RO V/124–129, 283f, 288–297, 315–322, 337–342, 344–347, 355, 368f, 644, 1052–1062, 1064f, VI/53f, 149–152, 158, 160f, 253f, 354–357, 363–368. 112 Am reduziertesten sind, im Student, die Nummern 13, 19 und 23. 113 Im Kontext von Fulvia etwa wird von der Anbahnung des erotischen Verhältnisses Fulvias und Causabonas nichts erzählt. Davon profitiert die Enthüllungshandlung um die falsche Reputation Causabonas: ihre Vorstellung durch Castrato (SR 12f) als Beispiel der Keuschheit und Tugend kann so übergangslos ihrem entdeckten lesbischen Stelldichein gegenübergestellt werden (SR 19f). 114 Dies Motiv im Student, Nr. 2, und Amor, Nr. 4. Simons: Marteaus Europa, S. 317, erklärt es für »europäische[n] Standard«.

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Helden zu rücken115 und, in einem Falle, verschiedene, auch isoliert denkbare Handlungen über eine Figur – Celia – locker zu verbinden, die wiederum in einem bestimmten Verhältnis zu einem der Helden steht (Celia-Cyprianus). Im Schelmuffsky begegnet lächerliches Verhalten, das nicht bloßgestellt wird, weil Schelmuffsky, als Erzähler, seine eigene Lächerlichkeit nicht begreift. In den Liebeshandlungen scheint die für lächerliche Handlungen typische Struktur der Konzentration auf wenige, das lächerliche Verhalten besonders ausstellende Handlungsfunktionen, dennoch durch – das sind, von Schelmuffsky aus gesehen, die Handlungsfunktionen, in denen er besonders glänzt. Die Ausgänge der Handlungen erscheinen entsprechend marginal. Im Bereich des Verbotenen bewegen sich, bis auf die letzte, alle Liebeshandlungen des Carneval; die durch eine drohende Entdeckung durch die Eltern des Mädchens erzeugte Spannung wird aber nicht zwangsläufig umgesetzt – sie gehört zu den Selbstverständlichkeiten des studentischen Liebesgeschäfts und bietet zur Kürzung und Zuspitzung einer Liebeshandlung noch keinen Anlass.116 Das Motiv des harmlosen, weil lächerlichen Nebenbuhlers wird in SylvanderSaladine besonders wirkungsvoll untergebracht (CL 334–350), nämlich in Kontrast zu dem dann tragischen Ende des Paares. Werden skandalöse Elemente in ansonsten gewöhnliche, auf die Erreichung eines Handlungsziels hauptsächlich ausgerichtete Liebeshandlungen eingebaut, dann, mit einem Nebenbuhler, als konsequenzlose Eskapade des Liebenden, oder, die Heirat forcierend, als Abkürzung der Werbungsphase.117 Charakteristische Konstellationen Gemeint ist, was sich leicht in ein Motto oder eine Erzählanweisung übersetzen ließe und, von der Produktionsseite her, in besonderer Weise die Erfindungsgabe des Erzählers herausfordert, beziehungsweise, innerfiktional, als unwahrscheinliche Begebenheit die Neugierde reizt.118 Sie ist durchaus ein von ideali115 Sowohl Selander-Arismenia und Tyrsates-Asterie gehen, mit einem signifikanten Ortswechsel dazwischen, Fulvia und die lindenfeldische Wirtshausepisode voraus. Und das meiste von Celia-Cyprianus, sowie die Liebeshandlung der Engländerin liegen, mit Tyrsates als wichtigster Anschlussfigur, vor dessen finalisierter Liebeshandlung. 116 Vgl. für eine allgemeine Charakterisierung Simons: Marteaus Europa, S. 311–313, der etwa konstatiert: »Das Paar kann die Liebesbeziehung – in Alternative zu all den geheimen Beziehungen – auch offen wagen. Das führt immer in die Katastrophe.« (Ebd. S. 313) 117 Am häufigsten in der Welt: VW II/72–76, 150f, VW I/106–108, VW I/70–80, VW I/142–148, VW I/116f. Artabanus-Zenobia bietet, ebenfalls auf nebenbuhlerischer Seite (Crispina), den Fall eines nur vermeintlichen Ehebruches (Artabanus wird ja von Crispinas Ehemann in Wirklichkeit ›vertreten‹ – RO II/226–235), der dennoch eine hoch skandalöse Dynamik, durch das unvorsichtige Erzählen Ariaramnens in geselliger Runde, entfaltet. 118 Vgl., zur Bedeutung der Novelle im 17. Jahrhundert und jenseits der poetologischen Unterteilung in ›hohe‹ und ›niedere‹ Genres Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik. Spannendes Erzählen in Menantes’ »Satyrischem Roman«. In: Cor-

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sierenden Tendenzen, und einer Aufmerksamkeit für geregelte Abfolgen und die Romanstruktur im ganzen ablenkender, unmittelbar befriedigter Reiz; verbunden ist aber nicht zwangsläufig eine Konzentration auf bestimmte Handlungsmotive, denn die Neugier kann auch auf die Art und Weise der Durchführung einer voll umfänglichen Liebeshandlung unter bestimmten, charakteristischen Bedingungen gerichtet sein. Trotzdem gibt es eine die einzelne Handlung partikularisierende, aus dem hierarchischen Zusammenhang herauslösende Wirkung, sodass die entsprechenden Liebeshandlungen richtigerweise dort zu suchen sind, wo ein größeres Feld derselben sich einer rangmäßigen Differenzierung entzieht (Student, Octavia). Die Ehebruchsgeschichte wird, je nach Ausführung, irgendwo zwischen dieser und der letzten Kategorie anzusiedeln sein. Eindeutig sind die Fälle, in denen die Besonderheit der Handlung durch eine Ankündigung, eine Überschrift, ein Motto, einen nachträglichen Kommentar, die Einbindung in eine Diskussion oder ähnliches ausgesprochen wird.119 Sonst muss die besondere Vorgabe rekonstruiert werden. Im Student macht die Kürze der Liebeshandlungen milieu- und motivbezogene Vorgaben wahrscheinlich,120 das gleiche gilt für die Novellenrunde bei Crispina (Nr. 30–34); Valerius Martialis-Polla Argentaria und Domitianus-Domitia Longina stellen ein bestimmtes Milieu vor, verbunden je mit einer durchaus originellen Figurenkonstellation.121 Die Liste der Ordnungsmöglichkeiten im Liebesbereich für die Octavia enthält Vorschläge zur Definition des je charakteristischen Motives oder Strukturmerkmals aller Liebeshandlungen jenseits der Spitzengruppe. An dieser Stelle hervorzuheben sind vielleicht auf unwahrscheinliche Wiederholungen und nelia Hobohm (Hrsg.): Menantes. Ein Dichterleben zwischen Barock und Aufklärung. Bucha bei Jena 2006, S. 9–49, hier: S. 10f. 119 Das gilt in der Octavia für die Nummern 10, 14, 22, 28, 30–34, 55, 64; sowie, im Student, Nr. 16. Die Mottos sind, für die Octavia, im Anhang in der Tabelle zur Charakterisierung der Liebeshandlungen nachgewiesen. 120 Am deutlichsten sind im Student milieu-basierte Charakteristika: die Liebe zu einer Jüdin (Nr. 8), der Mönch als Lüstling (Nr. 16); weitere Motti könnten sein: eine glückliche Bildungsgeschichte (Nr. 7), verpatzte Bewerbungen (Nr. 15), die angenehme Bestrafung (Nr. 17), der erfolgreiche Freitod (Nr. 18), der doppelte Ehebruch (Nr. 20 – aber auch Nr. 3 des Satyrischen Romans), die Vertreibung des Zudringlichen (Nr. 24). Einige Bestimmungen waren oben schon zur Ordnung der Liebeshandlungen ausprobiert worden. 121 Im Dichtermilieu bilden sich ursprünglich folgende zwei gegenseitige Liebesverhältnisse: Silius Italicus-Statilia Messalina; und Lucanus-Polla Argentaria (RO III/619). Valerius Martialis verliebt sich auch in Polla Argentaria. Und seine Freunde, insbesondere Silius Italicus, wollen ihn mit der gewesenen Gemahlin des Silius Italicus, Marcella, verheiraten, der auch tatsächlich Martialis wohl gefällt. Allerdings zeigt sich auch bei Polla Argentaria, nach dem Tode des Lucanus, eine Neigung, die beständige Werbung Martialens anzunehmen; sodass drei Paarungen im Blick zu behalten sind: Lucanus-Polla Argentaria; MartialisPolla Argentaria; und Martialis-Marcella. Domitianus-Domitia Longina versetzt ins Jugend-, bzw. Schulmilieu mit dem Charakteristikum der Liebe eines jüngeren zu einer etwa vierzehn Jahre älteren.

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Vermittlung des Einheitsbezuges

Häufungen angelegte Strukturen;122 Strukturen dauerhafter funktionaler Verschränkung zweier Liebeshandlungen;123 Modifikationen des für die Liebenden normalerweise geltenden Handlungsspielraumes124 oder sonst zu erwartenden Verhaltens125 und, wie den Belegen zu entnehmen, Kombinationen davon. Schwächung der Dominanz der Liebe als Handlungsmotivation, Rollenkonflikte Die Ausbildung mehrerer Handlungsbereiche erlaubt deren wechselseitige Durchdringung im Kontext einzelner Handlungsreihen des einen oder anderen Bereiches, und bietet so für diese Variationsmöglichkeiten, die nicht auf einer Modifikation der eigentlich in dem jeweiligen Bereich geltenden Festlegungen fußen müssen. Variierend wirkt vielmehr eine, von der Eigengesetzmäßigkeit des Handlungsbereiches aus gesehen, zufällige Kontextualisierung in Gegebenheiten des anderen Handlungsbereiches. Schnittstellen der Handlungsbereiche sind die Figuren selbst, die hier wie dort zugerechnet werden können. Um die volle Bandbreite möglicher Veränderungen auszuschöpfen, bedarf es, gegenüber den Liebeshandlungen an der hierarchischen Spitze, nur einer leichten Schwächung der Liebe als dominierender Handlungsmotivation: der Hauptheld, selbst wenn er sich, der Vernunft gehorchend, gegen die Liebe entschiede, bleibt durch seinen 122 Das sind, mit der orientalisch gerechtfertigten Dreifachehe, Norondabates und, mit der fünffachen, erfolgreichen Beanspruchung Silius Italicens als Freiwerber seiner Nebenbuhler, Silius Italicus-Statilia Messalina. In Silius-Valeria Messalina kommt es zu einer unwahrscheinlichen Häufung falscher Verdächtigungen. Sulpitia wird von Artabanus, dessen Sohn Vonones, und dessen Sohn Vologeses geliebt (Sulpitia). In der Gruppe um Locusta (Nr. 39) ändert sich eine sechsfigürige Konstellation schlagartig durch die dreifache und dreifach fehlgehende Anwendung einer selben Technik. In Clodius Macer-Calvia Crispinilla ist das Paar zweimal verheiratet und zweimal geschieden; die Frau heiratet darüber hinaus noch einen weiteren Mann. In Coccejus Nerva-Sulpitia Prätextata wiederholt sich die Irritation Sulpitia Prätextatas durch die Prophezeiung des Ptolomäus, sie werde einen alten Kaiser heiraten. Nero wird zum Mörder an vier seiner Partnerinnen (Domitius Nero). 123 Zwischen Julius Vindex-Salvia und Clodius Macer-Calvia Crispinilla, und innerhalb von Valerius Martialis-Polla Argentaria, wie oben beschrieben. 124 Salvia darf, testamentarisch verbürgt, ihren Partner frei wählen (Liebeshandlung Nr. 16 in der Octavia). Rubria wird als Vestalin besonderen Beschränkungen unterworfen (Nr. 21). Vibius Crispus, Pactius Africanus und Aquilius Regulus können, in ihrer Liebe zu Sulpitia Prätextata übereinstimmend, sich der kaiserlichen Protektion bedienen, um weitere Nebenbuhler aus dem Weg zu räumen (Nr. 28). Caligula heiratet, als Kaiser, wen er will (Nr. 34). Cönis kann, als Freigelassene, die Werbung des sozial höhergestellten Vespasian nur in Verbindung mit einer Heiratsofferte annehmen (Nr. 37). Berenice hindert ihr königlicher Rang, sich auf Titus einzulassen (Nr. 44). 125 Keiner der Nebenbuhler des Valerius Asiaticus liebt Vitellia eigentlich (Nr. 29). Claudius rührt im Schlafzimmer der begehrten Frau dieselbe, schlafende, nicht an (Nr. 56). Meherdates ist in besonderer Weise gegen schöne Frauen unempfindlich (Nr. 30). Die Nebenbuhler Tertius Julianus und Meherdates gönnen sich, obwohl Nebenbuhler, gegenseitig jeweils Glück bei der Geliebten (Nr. 80). Die Liebende Valeria wird zur Protektorin der unglücklichen Ehe des Geliebten (Nr. 36). Agrippa der Sohn ist offenbar geistig behindert (Nr. 52).

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Körper primär an diese gebunden, müsste seine Entfernung also mit Siechtum und Tod bezahlen.126 Garantiert wird so abermals die integrative Funktion der Hauptliebeshandlung, d. h. die Erwartungssicherheit des Lesers: er kann sich, obwohl der Held auch anders verwickelt sein mag, auf die Liebeshandlung als die entscheidende Indikation des discours-Fortschrittes verlassen, muss also nicht befürchten, dass der Held sich mit einem hohen politischen Amt im Zweifel zufrieden gäbe. Diese Notwendigkeit entfällt in den inferioren Liebeshandlungen, und gerade die Gleichrangigkeit unterschiedlicher Rollenanforderungen bei den Liebenden, oder, besser noch, die Unentschiedenheit ihres Kräfteverhältnisses, kann im skizzierten Sinne für Variation in Anspruch genommen werden. So ist es bezeichnend, dass, nach dem offenen Ausgang, der politisch bedingte Tod einer der Partner oder beider der häufigste Handlungsausgang der Liebeshandlungen in der Octavia ist.127 Der enorme Umfang des Romans macht eine Assoziation auch der Handlungsausgänge inferiorer Liebeshandlungen mit dem Textende, im Sinne einer gewaltigen Massenhochzeit, unmöglich. Ja selbst bei zwei der Spitzenpaare, Italus-Antonia und Beor-Parthenia, wird die Hochzeit ›mittendrin‹ und unauffällig vollzogen, und ohne, dass deshalb die jeweiligen Figuren ihrer anderweitigen Funktionen beraubt würden. Abgesehen, strenggenommen, einzig von der Hauptliebeshandlung, verliert die Hochzeit also ihren Status als ›absolutes‹ Handlungsziel, hinter dem ein von der Erzählung nicht mehr zu betretendes Jenseits liegt. Hinzu kommt für die meisten inferioren Liebeshandlungen größeren Umfangs,128 dass sie im Rahmen einer Binnenerzählung bis zu einem gewissen Punkt entwickelt, dann aber, mit den je noch offenen Fragen, in eine bereits derart ›volle‹ Gegenwartsgeschichte entlassen werden, dass dem Leser der zusammenhängende Nachvollzug ihrer Fortsetzung nur mit einigem Aufwand, und unter Missachtung der sonst von der Gegenwartsgeschichte vorgegebenen Orientierungen, gelingt. In Rom sind Scheidungen ohnehin möglich und üblich, im Morgenland die Vielweiberei.129 Buhlschaften und höfische Mätressenwirtschaft, grundsätzlich außereheliche Beziehungen also betreffen allein 14 Reihen.130 Zusammengenommen deuten diese Beobachtungen auf die verminderte Macht der Liebeshandlungen, aus eigenen Mitteln zu gültigen Abschlüssen zu kommen und, im selben Zuge, auf die besagte Schwächung der spannungsbildenden Macht der Liebe als dominante, alle anderen Rollenanforderungen suspendierende Handlungsmotivation in den Figuren.

126 127 128 129 130

Vgl. die Erkrankung Tyridatens nach seinem Abschied von Octavia (RO IV/855, 867f). Vgl. die Liste im Anhang. Ausnahmen sind die Nummern 9, 10, 17, 19, 41, 63, 80 – allesamt mit schlechtem Ausgang. Vgl. die Diskussion auf RO III/836f und die darin eingebundenen Novellen. Die Liebeshandlungen der Nummern 2, 4, 9, 13, 15, 34, 58, 59, 63, 69, 71, 73, 78, 79.

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So kann Valeria Messalina ihre eigentlich ungebrochene Liebe zu Silius, wenn sie Claudius aus familiären Rücksichten heiratet und mit ihm in passabler, wenn nicht glücklicher Ehe lebt, in eine Latenz verweisen, aus der sie Silius katastrophal erst durch die Täuschung über den vermeintlichen Tod des Kaisers zu rücken vermag (Liebeshandlung Nr. 10). Domitius Nero vermag mehrere Frauen mehr oder weniger gleichzeitig zu lieben, und diejenige, die er nicht liebt – Octavia – den politischen Rücksichten seiner Mutter gehorsam zu heiraten (Nr. 15). Im Falle Vespasians und seiner Tochter Flavia Domitilla wird das Vater-TochterVerhältnis durch ein Vertrauten-Verhältnis überdeckt und teilweise suspendiert – auch hier droht aber die väterliche Autorität aus der Latenz stets hervorzutreten (Nr. 43). Ventidius Cumanus instrumentalisiert eine erzwungene Liebesbeziehung zu seiner Ziehtochter und Nichte als Zeichen politischer Anhängerschaft (Nr. 33), Plantina die Liebe des Articas zur politischen Spionage (Nr. 70). Locusta wird von ihren Partnern aufgrund ihrer vermeintlichen Zauberkräfte ausgewählt, sie hingegen erhofft sich Protektion und ein Auskommen (Nr. 39). Domitia Paulinas Gehorsam gegen ihre Pflegemutter bleibt bis zuletzt stärker als eine etwaige Liebe (Nr. 41). Valeria macht, obwohl verliebt, sich zur Anwältin der von Piso gegen seine Neigung geschlossenen Ehe (Nr. 36) und Salvia verpasst, verstrickt in eine eifersüchtige Konkurrenz zu ihrer ehemaligen Freundin Calvia Cispinilla, trotz oder wegen der ihr geschenkten Wahlfreiheit den Moment, ihrer eigentlichen Neigung gegen Julius Vindex nachzugehen (Nr. 16). Der eigentlich glücklichen Geschwisterehe Monobazens des Älteren und Helenas wird durch eine Konversion des Hofes zum Judentum die Legitimationsgrundlage entzogen (Nr. 17) und bei Sidon und Bondicea scheitern die reziproken Bekehrungsversuche, bleibt also die religiöse Differenz als Hinderung bestehen (Nr. 24). Im Zuge politischer Intrige entstehende, temporäre Aussichtslosigkeiten führen in eigentlich reziproken, aussichtsreichen Liebesverhältnissen zu unumkehrbaren Rückzügen aus dem Liebesbereich insgesamt (Nr. 48, 64). Drusus wird, gegenüber Cynobelline, die beinahe durchgängige politische Impotenz zum Verhängnis (Nr. 23) und das Glück von Julius Sabinus und Epponilla steht, nach ihrer Heirat, aufgrund ihrer erneuten politischen Aktivität gegen die Römer auf dem Spiel (Nr. 47). Kurzum: die mit der Liebe ausbalancierten Rollenanforderungen betreffen Religion, Politik, andere Ehen oder die Familienrolle; das heißt Glaubenstreue, Ehrsucht, Gattentreue und Gehorsam. Blickt man – die Überlegungen zum Liebesbereich abschließend – auf die Verfahren zur Reihenbildung in den die inferioren Liebeshandlungen der Römischen Octavia hauptsächlich präsentierenden überschriebenen Analepsen, zeigen sich Tendenzen, der über die kausale Struktur der jeweiligen Liebeshandlung zu bildenden Reihe durch mindestens zwei weitere Reihentypen den Status der für die Textintegration wichtigsten Reihe zu nehmen. Die mitunter

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exzessiven Bewegungen des zahlreichen Personals im auf Ortsebene so reich differenzierten räumlichen Medium des Romans, deren Ausmaß unten durch zwei Beispiele illustriert wird (Kap. 5.12.2), führen zu einer ständigen Änderung nur der Bedingungen der Möglichkeit weiterer Handlungen und okkupieren als solche, also weitgehend unabhängig von den tatsächlich erfolgenden Handlungen, die Aufmerksamkeit des Lesers bereits in so hohem Maße, dass von einem eigenständigen Gebilde – einer modallogischen Choreographie – gesprochen werden kann; und das Personal gruppiert sich hinreichend selten und vorübergehend zu charakteristischen, etwa symmetrischen Konstellationen, die nicht, oder nur sehr begrenzt, über die der gesamten Liebeshandlung etwa zugrundeliegende personelle Konstellation informiert, sondern, wie gesagt, vorübergehende Kristallisation eines sich im ständigen Fluss befindenden Beziehungsnetzes bleibt.131 Beide Formen der Reihenbildung unterlaufen – man könnte auch sagen: entlasten die eigentliche kausale Struktur und bleiben ohne inhärente

131 Vgl. die auf eine Stelle in der Geschichte des Julius Sabinus und der Epponilla (RO III/47) bezogene Bemerkung bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 521: »Cette nouvelle combinaison, bâtie sur une rigoureuse symétrie, reflète peut-être un aspect des intrigues des années 1677– 1678, mais elle correspond surtout à un souci littéraire de stylisation.« Vgl. auch, bezogen nun auf eine Passage der Geschichte der Printzeßin Caledonia (RO I/739f), Kraft: Geschlossenheit und Offenheit der »Römischen Octavia« von Herzog Anton Ulrich. »der roman macht ahn die ewigkeit gedenken, den er nimbt kein endt.« Würzburg 2004 (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft, Band 483), S. 34f. Als weiteres Beispiel die Liebeshandlung Mithridates-Junia Calvina: zu Beginn gibt es die einfache Konstellation einer unverheirateten Frau (Junia Calvina), ihrer vier Aufwärter (Cornelius Lacon, Traulus Montanus, Eprius Marcellus, Mythridates), deren Fürsprecher (Marcus Silanus, der Kaiser, Calpurnius Fabatus – Mithridates bleibt ohne Fürsprecher) und Empfehlungsgründe (Herkommen, die kaiserliche Fürsprache, Reichtum, Liebe) (RO III/493). Dann gibt es eine symmetrische Anlage zweier Verlobungen: Petronianus-Calvina, Mythridates-Lepida (RO III/504). Zwei szenische, stark verknüpfte Zuspitzungen (RO III/519–527, 539–543) setzen Calvina noch einmal ins Verhältnis zu ihren aktuellen Aufwärtern (Eprius Marcellus, Cornelius Lacon, Nymphidius, Mythridates). Schließlich gibt es die symmetrische Konstellation Mythridates – Calvina – Nymphidius, darin sie beiden die Ehe bei Erfüllung bestimmter Bedingungen verspricht (RO III/541–544). – Das elaborierteste Beispiel liefert vielleicht Clodius Macer-Calvia Crispinilla in Verbindung mit Salvia-Julius Vindex, also die Geschichte der Calvia Crispinilla und der Salvia (RO III/755–803). Ausgangskonstellation ist ein Quartett zweier Männer, zweier Frauen, bei dem beide Männer nur eine der Frauen lieben (Crispinilla), diese Frau nur einen der Männer liebt, die andere Frau (Salvia) aber als Heiratskandidatin immer wieder in Betracht kommt, und selber mit einem besonderen Initiativrecht in ihrer Wahl ausgestattet ist. Diese Grundkonstellation wird in virtuoser Weise ausgespielt und variiert. Der zweite, ungeliebte Mann etwa wird im Laufe der Geschichte ausgetauscht (Saturninus, Vopiscus); die asymmetrische Grundkonstellation entwickelt sich kunstvoll erst aus einem zunächst noch symmetrischen Quartett anderer Verhältnisbestimmungen heraus (Clodius Macer wirbt um Salvia, und bedient sich dabei Crispinillas als Vermittlerin; Lucius Volusius Saturninus wirbt um Crispinilla, und bedient sich dabei Salvias als Vermittlerin; Sowohl Salvia und Crispinilla, als auch Clodius Macer und Saturninus sind befreundet). Vgl. die ausführlicheren Analysen im Anhang.

206

Vermittlung des Einheitsbezuges

Stoppregel, den Liebeshandlungen so vielleicht die beschriebenen Spielräume zur Variation verschaffend.

3.2. Assoziationen Das Verfahren der geregelten Assoziation der einheitsbezogenen Reihen mit anderen einheitsbezogenen oder sonstigen Reihen dient der Verstärkung und Vermittlung der integrativen Leistung: dem Leser genügt es, sich eine einheitsbezogene Reihe zu vergegenwärtigen: über geregelte Abhängigkeiten (wenn a, dann auch b) kann er sich die Stellen der anderen Reihen erschließen. In den Lektüreprozeß gehen erwartungsbildend nur wiederholte Abhängigkeiten ein; schaut man auf die Gedächtnisbildung im Ganzen, sind aber auch punktuelle Abhängigkeiten nützlich. Die Gedächtnisstütze wirkt umso besser, je größer die Diskrepanz zwischen den Medien ist, in denen die assoziierten Reihen gebildet werden. Die Abhängigkeiten lassen sich etwa folgendermaßen formulieren: Student: Die intermediäre Trennung von Bellandra bewirkt die Entfernung Infortunios von ihrem Aufenthaltsort Philuris/Philneis, die Wiederaufnahme der Beziehung seine Rückkehr dorthin. Welt: Die intermediäre Trennung von Charlotte bewirkt die Entfernung Heraldos von ihrem temporären Aufenthaltsort Reistedt, die Wiederaufnahme der Beziehung das Verlassen des zwischenzeitlichen Aufenthaltes. Mit dem Wechsel des von ›der Erzählung‹ aufgesuchten Ortszusammenhanges gehen Wechsel im Freundschaftstyp und im Verknüpfungsmodus der einzelnen Liebeshandlungen untereinander einher. Auch die Differenzierung in zwei Teilbände liegt auf einem solchen Wechsel.132

132 Für eine etwas tiefergehende Analyse der inhaltlichen Unterschiede von erstem und zweitem Teil vgl. Steigerwald: Galanterie, S. 462: »Im ersten Teil besteht der vorgestellte Bekanntenkreis ausnahmslos aus Personen, die über ihre volle Privatfreiheit verfügen, mithin nicht gebunden sind. Im zweiten Teil agieren hingegen nur Figuren, die gebunden sind: Entweder sind sie noch verheiratet oder sie leben getrennt, wenn sie nicht bereits verwitwet sind. Die einzige Ausnahme stellt Seladon dar, der sich vor seiner Ehe mit Ariane von dieser trennte, so daß er als einziger noch über seine volle Privatfreiheit verfügt; dies mag auch der Grund dafür sein, daß sich die Handlung im zweiten Teil vorwiegend auf ihn konzentriert.«

Assoziationen

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Adelphico: Die mit Trennung endenden Liebeshandlungen Adelphicos fallen in die unbewegte Phase seiner Bewegungsreihe (AP 1–99), die mit Heirat endende Liebeshandlung fällt in die bewegte Phase (AP 99–152) Einzig in die unbewegte Phase fällt außerdem: die Alternanz ausführlich und betont szenisch geschilderter Besuche und darin latent aufgehobener vieler Liebesverhältnisse; und lokal flexiblerer Passagen bei Fokussierung auf einzelne Liebeshandlungen. Satyrischer Roman: Transparente, über Szenengruppen gestiftete temporale Verhältnisse gibt es in Deutschland, den Funktionswechsel der Raffungen ab Venedig. Weitere, handlungsbezogene Zuordnungen räumlicher Kategorien sind: In Venedig beginnen und verlaufen größtenteils beide abschließenden Liebeshandlungen der Helden, es gibt aber auch Liebeshandlungen ›in Beobachtung‹. In Lindenfeld gibt es nur Liebeshandlungen in Beobachtung. Im deutschen Grenzort gibt es den Abschluss einer der abschließenden Liebeshandlungen der Helden, in Venedig bleibt die andere beschlossen; mit der Reise zum deutschen Grenzort verknüpft sind außerdem die Informationen über einige der Liebeshandlungen in Beobachtung. In Salaugusta gibt es Liebeshandlungen in Beobachtung aber auch eine vorläufige Liebeshandlung eines Helden. Die Freundschaftsreihe Tyrsates-Selander ändert ihre ›Zustände‹ ebenfalls anhand der Ortsveränderungen: direkte Erlebnisgemeinschaft in Salaugusta und Umgebung, regelmäßig verbundenes Nebeneinander in Venedig, dann, nach der Abreise Selanders aus Venedig, die Assistenzfunktion Tyrsatens und ein letztes, handlungsentscheidendes Zusammentreffen im deutschen Grenzort. Reise: Die erste Anstellung und der Verlust der ersten Anstellung bedeuten in der unabhängigen Reisebewegung Seladons den Umkehrpunkt; die zweite Anstellung ihr Ende (RE 409f). Schelmuffsky: Die beiden Reisen sind, mit einer leichten Verschiebung, beiden Teilbänden zugeteilt; auch der Wechsel des auf die Verteilung der Raffungen und Szenen bezogenen Musters erfolgt an dieser Stelle. Statist: Die erste und einzige Ortsveränderung fällt mit dem Ende des ersten, rein biographischen Abschnittes zusammen (RS 3–12). Höfe: Die vierteilige Reihe der West-Ost-Bewegung ist in ihrem ersten (Hispanien/Torgapulien), dritten (Welschland) und vierten (Thualinien) Element mit den Elementen 1, 4 und 7 der Reihe der Integrationsformen assoziiert. Mit

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Vermittlung des Einheitsbezuges

der Hauptliebeshandlung assoziieren sie die Entführungen Ariones, Thurabes und Siliberts. Octavia: Folgend eine tabellarische Übersicht über die Elementwechsel der neun einheitsbezogenen Reihen. Sie betreffen jeweils unterschiedliche Teile des discours. Den gesamten discours: die Reihe der Teilbände (1), der Veränderungen im Rhythmus überschriebener und unüberschriebener Passagen (2); die gesamte Gegenwartsgeschichte: die Reihe der Integrationsformen (3), der Definitionswechsel bei den ›Anwendungsgebieten der Leitfigurenregel‹ (4); der Veränderungen im zeitlichen Verhältnis von discours und histoire (5) – hier ging die Assoziation mit der Reihe der Teilbände in die Definition der Reihe schon ein; alle Geschichten: die Veränderungen ihres Handlungsbezuges (6); oder Teile der Gegenwartsgeschichte und Teile der Analepsen, aber nicht den gesamten discours: die Hauptliebeshandlung (7), die Regierungswechsel (8/1) und die Phasenwechsel der Destabilisierungshandlung133 innerhalb der römischpolitischen Handlung (8/2), die Motivreihe der Namensüberschreitung Neros/ Neronias (9). Einheitsbezogene Reihe Textgrenze: Anfang I, 63 I/II II, 6 II/III

1

2 1

3 1

4 1

5 1

6 1

7 (1)134

2

1

2

3

2

3

2 4

3

2 3 3 4 2

4

V, 36 V, 98 V/VI

9 (2)

2

IV, 46 IV, 49 IV, 81 IV/V

8I2 (1)

1

III, 1 III, 80 III/IV IV, 4

8/1

5

2 3

2 4

5

3

133 Hierzu siehe unten, Kap. 5.10. 134 Die Klammern weisen darauf, dass der Beginn der Reihe im Sinne der histoire in den Geschichten liegt.

209

Assoziationen

VI, 59 VI, 60

3 4

VI, 78 Textgrenze: Schluss

3

Hier ein Überblick über die Dichte an Markierungen und markierter Stellen pro Band: Band I

Anzahl markierter Stellen 1

Anzahl Markierungen (ohne Bandgrenzen) 3

II III

1 2

1 4

IV V

4 2

6 4

VI

3

4

In den ersten drei Bänden liegen die Markierungen immer in auffälliger Nähe zur Bandgrenze; im vierten Band gibt es Markierungen auch in der Bandmitte, aber auch an den Rändern; im fünften Band gegen Anfang und gegen Ende; im sechsten Band nur in der Mitte. Die Abhängigkeit von den Bandgrenzen scheint also sukzessive aufgehoben zu werden. Konsequent an die Bandgrenzen gebunden sind außer, wie gesagt, (5), noch (7),135 (8/2)136 und (9). Auffällig ist für einige Reihen zuerst eine Bindung, dann eine Ablösung von den Bandgrenzen; letztere meist in die zweite Romanhälfte fallend: (2): zuerst III/IV, dann VI, 78; (3): IV/V, dann V, 36, dann VI, 60; (6) zuerst I/II, III/IV, dann IV, 49. Die Reihe der Regierungsperioden ist die einzige, die von der Bandgrenzenbindung abweicht (IV, 46), sie dann aber wiederfindet (V, 98). 135 Tyridates-Octavia wurde hier nur mit einem Elementwechsel auf der höchsten Subsumptionsebene angegeben, die Assoziation mit den Bandgrenzen setzt sich aber bei niedriger rangierenden Handlungsfunktionen fort: am Textanfang steht der Beginn des gemeinsamen römischen Aufenthaltes; an der Grenze I/II stehen die Reaktualisierung des Hindernisses Nero durch sein vermeintliches Überleben (RO I/960–983, II/241f) und eine erste Erfüllung der an Tyridates gestellten Bedingung, nicht römischer Kaiser zu werden (RO II/154f); weiter an II/III die Befreiung Octavias von Bagassaces durch Italus (RO III/129–131, III/246f); an III/IV die erste Verlobung (RO III/1039–1044); an IV/V, wie gesagt, die zweite, endgültige Verlobung mit allem, was dazugehört; an V/VI die Gefangenschaft Octavias bei Pacorus; gegen Textende die Erpressung Octavias durch Lestar. 136 Auch in der römisch-politischen Handlung sind weitere entscheidende Ereignisse an die Bandgrenzen gebunden: der Selbstmord Neros, das Scheitern der Verschwörung Nymphidius, der Tod Galbas, das Scheitern der Verschwörung Crispinilla, der Tod Vitelliens – vgl. die Tabelle der wichtigsten Ereignisse im Anhang sowie Wippermann: Zeitumfang, S. 147f, und Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel. Diss. Masch. Frankfurt/Main 1922, S. 19.

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Vermittlung des Einheitsbezuges

Der Selbstmord Neros an Tag I, 63 bringt Elementwechsel auf höchster Ebene in beiden römisch-politischen Reihen und in der Motivreihe mit sich und stellt damit die größte Ballung von Markierungen dar. Auch die nächsten Elementwechsel der beiden römisch-politischen Reihen erfolgen, obwohl auf unterschiedliche Ereignisse rekurriert wird, synchron (Tag III, 80); dann löst sich die Abhängigkeit auf, das heißt Regierungswechsel bedeuten nicht mehr einen Phasenwechsel in der Destabilisierungshandlung. Doppelt besetzte Stellen sind sonst der Tag der Ermordung Galbas (III, 80), der Tag der vermeintlichen Ermordung Claudias (IV, 80), der Beginn der Donaudeltahandlung (V, 36), und, mit einem Tag Unterschied, ihr endgültiges Ende (VI, 59/60). Die Elementwechsel der Reihen, die sich auf eher ›formale‹ Elemente beziehen (discours, räumliches Medium, Verhältnis von discours und histoire) liegen meist in der zweiten Romanhälfte, die Elementwechsel der Reihen mit größerem Handlungsbezug meist in der ersten.

4.

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

4.1. Das Gegenbild: Ermöglichungsbedingungen unkontrollierter Varietät – Übersicht Wie zu sehen, ist der Zugriff der Verfahren zur Herstellung und Vermittlung eines Einheitsbezuges auf die Textmasse und seine Elemente unterschiedlich bemessen. Das heißt: von der anderen Seite her kann gefragt werden, wieviel unkontrollierte, oder jedenfalls durch diese Verfahren unkontrollierte Varietät die Romane aufweisen; und welche anderen Verfahren der Reihenbildung in diesem Bereich dennoch, zwar ohne Einheitsbezug, eine Ordnung garantieren. Drei Ermöglichungsbedingungen unkontrollierter Varietät zeichnen sich im Korpus ab: 1) der Mangel einer finalisierten, singulären Haupthandlungsreihe (Statist, Reise, Schelmuffsky, Carneval, Amor, Satyrischer Roman), 2) ihre exzessive subordinierende Multiplikation, bei der also die niedrigeren Ränge hierarchisch nicht mehr kontrolliert werden können (Student, Octavia), 3) das Vorhandensein eines oder mehrerer Handlungsbereiche über den Handlungsbereich hinaus, in dem die einheitsbezogene Handlungsreihe gebildet wird (Statist, Octavia, Höfe), 4) und eine temporäre Dominanz anderer, nicht einheitsbezogener Reihen (Adelphico). Die höher aggregierten einheitsbezogenen Reihen der umfangreichsten Romane Octavia und Höfe, die ohne direkten Bezug auf die finalisierte Haupthandlung dennoch die Gesamtheit des discours umfassen, könnten bereits als Reaktionen auf eine kritische Masse unkontrollierter Varietät, ein Defizit der ›einfachen‹ integrativen Verfahren gedeutet werden. Auffällig bei der nun folgenden Listung nicht-einheitsbezogener Reihen sind die beinahe durchgängig vertretenen Reihen der Briefe, Verseinlagen und Ana-

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

lepsen, die also in den Verdacht geraten, gewissermaßen ›von unten her‹ eine Ordnung zu garantieren. Allemal diese Funktion kommt der Absatzbildung zu. Weiter wird unten (Kap. 4.3) die Masse der anschaulichen, räumlichen Angaben untersucht und das Profil der anderen Handlungsbereiche. Reihenbildung ohne direkten und ohne vermittelten Einheitsbezug: Römische Octavia: Reihenbildung auf der Ebene des discours: Überschriften (pro Band 12+14+11+11+9+11= 68 insgesamt, die Überschriften ohne Kupfer kursiv): I/49, 80, 199, 255, 338, 455, 545, 625, 706, 784, 814, 852, II/46, 189, 195, 199, 202, 205, 210, 317, 452, 564, 663, 759, 808, 908, III/36, 137, 202, 280, 409, 492, 618, 755, 838, 848, 926, IV/21, 153, 200, 236, 372, 428, 544, 639, 723, 893, 942, V/16, 53, 199, 214, 260, 504, 567, 775, 841, VI/ 105, 139, 179, 287, 383, 533, 620, 671, 710, 732, 749. Initiale (pro Band 3+10+18+24+32+19=106 insgesamt): I/44, 177, 403, II/21, 176, 292, 308, 434, 545, 633, 737, 766, 857, III/15, 112, 122, 124, 128, 249, 376, 479, 581, 590, 697, 717, 741, 805, 871, 945, 1014, 1020, IV/15, 227, 279, 281, 472, 495, 506, 517, 595, 606, 612, 629, 670, 696, 761, 766, 805, 829, 843, 854, 856, 863, 878, 883, V/ 67, 92, 116, 123, 144, 173, 192, 275, 384, 410, 487, 535, 604, 633, 652, 697, 704, 722, 747, 766, 831, 849, 882, 913, 928, 1023, 1032, 1070, 1072, 1094, 1113, 1117, VI/36, 86, 134, 154, 202, 243, 266, 349, 436, 442, 512, 526, 564, 582, 587, 589, 660, 692, 723. Veränderte Schriftgrade: identisch mit unten Verseinlagen und Briefe. Reihenbildung im räumlichen Medium: Schauplatzwechsel und Wechsel der Leitfiguren: siehe Anhang. Handlungsbezogene räumliche Angaben:1 I/30–33, 64, 262, 254, 401, 412, 499, 532, 541f, 618, 645, 650–655, 662, 678–680, 724f, 739–741, 758f, 772, 813, 826–829; 1 Hier und in den übrigen Romanen unterschieden also von gerade noch explizit in die Handlung eingeflochtenen, unauffälligen Angaben des Typs: »Selander kam nach Hause sonder zu wissen wie […].« (SR 126) »Mit dem übrigen Volck rückete er aus seinem Lande / gegen das Hertzogthum / wo der Feind anzutreffen seyn möchte […].« (RS 117) »Kaum waren vier Wochen vorbey / so schickte mich mein Vatter wichtiger Affairen wegen / nach FriedrichsStadt, und weil ich versprache gleich des andern Tages wieder zu kommen / machte sich mein Vatter keine grosse Sorge / daß ich viel courtisiren würde / ich aber bliebe fast acht Tage in Friedrichs-Stadt […].« (AU 45) »So bald nun Siradors Diener zu den Goldschmid kam […].« (CL 199) Gemeint sind also Stellen, in denen bestimmte räumliche Verhältnisse für die Handlung entscheidend, und entsprechend genau angegeben werden; weil bestimmte, nicht reziproke Wahrnehmungsverhältnisse entstehen, Kontaktmöglichkeiten räumlich beschränkt werden oder Kampfhandlungen eine besondere Rücksicht auf die Gegebenheiten erfordern. Beispiele: »Ich hatte mich hinter einen Teppich auf eine Persianische Decke nieder gelegt / also daß mich diejenigen nicht sehen konten / welche sich allda besprachen. […] Tyridates und seine bey sich habenden Parthen / um nicht gesehen zu werden / verbargen sich hinter eben den Teppich / hinter welchem ich lage.« (RO III/15f) »Renard und Alphander reterirten sich

Das Gegenbild: Ermöglichungsbedingungen unkontrollierter Varietät – Übersicht

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918, 936, II/14, 21, 103f, 108, 159, 200, 226–229, 245f, 266, 287, 319, 332, 374f, 391, 437, 535f, 621, 625f, 783f, 788, 824–831, 855f, 880, 891, 895, 917, 959, III/15, 76–79, 108, 215, 261, 316, 376f, 387, 405f, 426, 456, 519, 590, 593, 655f, 685, 702, 744, 770, 823, 957, 1047, IV/9, 40, 75f, 109, 134, 137, 507, 530, 545f, 561–563, 572, 676, 700, 719f, 736, 738, 817f, V/357f, 462, 579–581, 608, 936f, 1008, 1143f, 1146, VI/31, 71, 87f, 129f, 161, 363, 474, 656, 751f. Räumliche Angaben ohne aktuellen Handlungsbezug: Ausführlichere, abgesetzte topographische Angaben über im Moment der Rede entfernte Orte durch Romanfiguren: I/673, II/760–762, III/805–812, IV/575f, 747, 829f, V/521f, VI/587f. Ausführliche Beschreibungen festlicher Dekoration und Anordnung: I/598–601, 772–775, 776f, 784–810, 851–910, II/173, 417, 420, 426–428, 430–432, 440, III/676, 707–710, IV/325f, 332f, V/97–100, 139–141, 161, 357–362, 458–467, VI/459, 476– 479, 482f. Handlungsunabhängige, aber anschauliche Beschreibungen: I/16f, IV/132, 421, 453–456, 794f, 891f, V/247–249. Ausführliche Beschreibung eines Ortes durch den Erzähler: I/184–187. ›Touristische‹ Reisen: II/919–926, VI/455f, VI/785–805. Bewegungsreihen von Gegenständen: ›Flora‹-Bildnis V/181f, I/116–121, 124–127, 143–147, Bildnis Tyridatens II/51f, 71, III/206f, 211, Bildnis Octavias II/530f, 534– 537, 895f, Carbunkel IV/74f, 67f, II/358, IV/245f, 271–273, 275f, 510, 648, III/ 1025, Daher-Krone VI/315–323, 383–386, 396–398, 406–409. Fehlgeleitete und gefälschte Briefe: I/208, II/198f, 221, 224, 503f, 520, 713, III/8, 160f, 306f, 313, 317f, 326, 333, 381f, 872f, IV/47f, 208f, 242, 257, 314–319, 364f, 500, 571–573, 586f, 866, 881, 889, 1023, V/59, 425, 914, 970f, 1026f, VI/120f, 373, 376f, 505–511, 527, 540, 554, 783f. Reihenbildung im temporalen Medium2 Punktuelle Synchronisationen von Handlungsreihen:3 für die histoire vor Einsatz der Gegenwartsgeschichte: über 200, siehe Anhang und Kap. 5.11.1. eiligst zur Treppen hinunter / und zogen unten im Schloß-Platze / wo sie rechten Raum hatten / gleichfals von Leder.« (LA 439) »Sie lauschte darauf / als ob sie was hörte / und stieg endlich gar auf / weil es sie deuchte / daß bey ihrem Fenster was wäre. Sie gieng aber nicht hinzu / weil sie sich fürchtete / sondern nahm die Kammer in die Hand und stund auf den Sprung bereit. Indem öffnete sich das Fenster gar / und weil es heller Mondenschein / sahe sie einen verlarvten Kerl / der hinein stieg. Sie schmieß die Thür zu / und lief über Halß und Kopf durch die Gemächer und zur Treppen hinunter / biß sie sich in der Angst noch so viel begriff / daß sie in ein Gewölbe kroch / welches sie fest hinter sich zu schloß.« (EH 640) 2 Die Alternation von transparenten Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung von Tagesgrenzen wird für alle Romane im Anhang ausgewiesen. 3 Die punktuellen Synchronisationen können in verschiedener Form erfolgen: durch direkten Kontakt der Protagonisten zweier Ereignisketten; durch die Bezugnahme auf ein Ereignis von seiten des Erzählers, das in mehreren Ereignisketten zeitlich eingeordnet werden kann; durch die metaleptische Herstellung einer Gleichzeitigkeit durch den Erzähler; dadurch, dass

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Reihenbildung im Handlungsmedium: Religiöse Handlung: Konversionen/Konversionsreihen: Tyridates: RO I/156, 169f, II/26f, 171, 261f; 624f; Britannicus: I/738, 752; Octavia: III/202–206; Antonia: II/310f, 624f; ›Drusus‹: II/310f, 314, 624f; Caledonia: I/707; Claudia Rufina: I/707; Pudens Rufus, Pomponia Gräcina: I/709; Cynobelline, Bondicea: I/713; Valeria: II/504–509; Ulpia: II/564; Cäcilius: II/716; Flavia Domitilla: II/716f, 730f; Galgacus: IV/45f; Rubria: IV/649; Corrilus: V/50; Töchter des Albinus: V/509f; Tertius Julianus: VI/ 431; Stepho: V/980–989, 1044f; Julius Sabinus und Epponilla: III/102f, 593; Piso: III/965f; Junia Calvina: IV/938; Epaphroditus: IV/883; Roxolane: VI/277f, 281f, 324, 329, 331, 450f; Sulpitia, Abdon: I/456; Nitocris: VI/745; Bunduica: IV/266.4 Parteienbildung im politischen Handlungsbereich anhand religiöser Unterscheidungen: Ethiopien RO I/475, 496, 816–818, 839f, 843–849, Adiabene I/547, 559, Aquitanien II/505–509, Britannien I/707, 713, 266, Donaudelta V/443, 454, 494–502, 551–555, 1135f, 1140. Verfolgungen: in Rom: I/367, 460–462, 498, 502, II/510f, 564f, III/302f, IV/126– 132; ferner IV/817–822. In Britannien: IV/266. Märtyrertode: Petrus und Paulus: I/502; Matthäus: I/847f; Cäcilius: II/737–739; Thomas: IV/948–950; Valeria: V/980–989. Einrichtung und Zerstörung von Zufluchtsorten: in Rom: I/353, 360, 462, II/113, II/603, IV/341, 788, 795, V/10; Stoechadische Inseln: III/805–812, V/521f, Wohnungen des Andronicus: IV/747f, 750, 829f, V/572, 574, 576, 579, 581, 583, 652– 657, 849–851, 1034. Kultische Handlungen: z. B. die Gottesdienste in Band II/11–20, 272–276, 313– 316, 402f, 618, 750–756; oder die Sonnenfeste in Band V/253–258, 322, 414, 542f, 1105, 1107. Motivreihen: Briefe (29): I/40f, 47f, 118, 208, 656, 657, II/383, 713, 787, III/527, 527f, 576, 596, IV/47f, 211, 316f, 317, 318, 318, 564, 585, 776, 935–937, V/425, 619, 691, VI/27, 320f, 720. Verseinlagen (62): I/18, 19, 101–103, 137f, 157f, 271–273, 304, 477f, 487f, 490, 745, 751, 784–809, 852–911, 938, II/74, 104, 240, 379, 421f, 423, 482, 596f, 679f, 751–755, 909, 911f, III/72f, 75, 203–205, 615, 615, 647–652, 657, 660, 707f, 709, 832, 881f, Nachrichten über die Ereigniskette A in der Ereigniskette B zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreffen. Bedarf für punktuelle Synchronisationen, verschiedene, parallel laufende Ereignisketten also gibt es allein in den Romanen Octavia, Höfe, Adalie, Welt, Student, Adelphico, Satyrischer Roman. 4 Zusammen getauft werden Tag II, 38: Tyridates, ›Drusus‹, Ariaramnes, Parrhaces, Vasaces, Antonia, Zenobia, Helena, Locusta (II/624f). Ausdrücklich misslingende Bekehrungsversuche gibt es zwischen Sidon und Bondicea (V/328–330, 374–378, 391–393, 428, 586, 1048f, 1129, VI/ 279f) und Galgacus und Rubria (IV/46f, 49–53, 57–62, 64f, 67).

Das Gegenbild: Ermöglichungsbedingungen unkontrollierter Varietät – Übersicht

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937, 1037, 1038, IV/115f, 258, 372–421, 445, 454–456, 545, 562, 573, 576, 578f, V/ 268f, 884f, 887, 894, 978f, VI/88, 161, 283f, 285, 789–795. Reihenbildung auf der Ebene des Verhältnisses von histoire/discours: Analepsen: siehe Anhang. Prolepsen/Prophezeiungen (68): I/15f, 94f, 111, 702, II/319f, 336, III/89, 114, 145, 284, 285, 326f, 344, 365, 668, 852, 894–897, 921, 923, 931–933, 935, 936, 940, 950, 954, 981f, IV/67, 183, 204, 207, 254, 254, 255, 321f, 348, 348, 437, 666, 717, 756, 804, 839, 839, 843, 904f, 905, 932, 932f, 943, 944, V/180, 205, 335, 686f, 705, 745, VI/220, 462f, 484, 484f, 517, 562f, 573, 648, 668, 700, 735, 750, 780. Höfe: Reihenbildung auf der Ebene des discours: Überschriften (13): 32, 108, 148, 182, 232, 307, 623, 754, 782, 801, 935, 1033, 1150. Reihenbildung im räumlichen Medium: Ortswechsel ›der Erzählung‹ auf der Ebene der Städte/Orte (28): 212, 217, 218, 218, 277, 277, 293, 551, 729, 742, 748, 750, 830, 830, 855, 998, 1001, 1002, 1002, 1008, 1022, 1025, 1025, 1028f, 1029, 1197, 1201, 1208, 1214. Handlungsbezogene räumliche Angaben: 61–63, 74, 110–122, 134, 156, 297f, 359– 366, 522, 554f, 568, 606–609, 640, 679f, 692f, 793, 806–809, 843f, 948, 970, 1096– 1122. Räumliche Angaben ohne aktuellen Handlungsbezug: 11, 95, 101, 104, 293f, 347f, 551f. Bewegungsreihen fehlgeleiteter und gefälschter Briefe: 302, 655–657. Reihenbildung im temporalen Medium: Punktuelle und fortlaufende Synchronisationen von Handlungsreihen: 1–31, 36– 70, 106f, 144, 145–169, 154–177, 179–182, 212–232, 260–273, 273–277, 302–306, 539–550, 568, 572f, 578, 582, 582–586, 593–596, 693f, 696–701, 714–723, 730–741, 773, 798, 798–912, 1033–1149, 1169–1175, 1202–1204. Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (49): 143f, 171f, 188–190, 191f, 261f, 290–293, 302f, 355f, 373–376, 378f, 392f, 415f, 417f, 423f, 434–436, 437–439, 481–483, 491–494, 506f, 507–510, 516f, 532–535, 545–548, 558f, 559–561, 574f, 575–577 603f, 633680f, 690f, 788–790, 816–818, 826f, 862–865, 884f, 886f, 887f, 888f, 1029–1031, 1045–1048, 1053f, 1061; 1063–1072, 1080–1083, 1134–1136, 1138–1140, 1152f, 1155–1158. Verseinlagen (22): 6f, 78, 114f, 117, 121, 122, 180, 211, 220–222, 301f, 343f, 454f, 586, 643, 646f, 708f, 749f, 835, 867–869, 930, 1104, 1106f. Feldzüge (12): 123–133, 279–289, 313–334, 455–467, 624–628, 648–654, 657–686, 754–773, 786–791, 1001–1022, 1034f, 1075–1092, 1124–1134, 1198.

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Reihenbildung auf der Ebene des Verhältnisses von histoire/discours: Analepsen (29): 32–106, 108–147, 148–179, 182–211, 212–220, 232–273, 290–293, 307–527, 532–535, 588f, 597–603, 617–619, 623–695, 696–701, 733f, 754–773, 775– 777, 782–798, 801–827, 856–898, 904–912, 1023, 1033–1149, 1152f, 1155–1158, 1164–1167, 1168–1175, 1176–1180, 1198–1201. Prolepsen (3): 6f, 774f, 1216. Wissensbezogene Fokalisierungen:5 1–274: 1–9, 51, 77f, 97f, 102–106, 169–175, 225–232, 266–276. 350–408: 350–357, 361, 366f, 370–376, 378f, 384, 390, 408. 433– 495: 500, 508. 534–977: 534–537, 588f, 617–619, 752, 940, 948–954, 963–969, 970, 976f. 550–745f: 550, 561, 725f, 730, 745f. 774–912: 774–777, 801–827; 856–898; 903–913. 1022–1167: 1022f, 1027, 1029f, 1152f, 1155–1158, 1164–1167. 1049–1124: 1049–1053, 1056, 1059, 1061–172, 1074, 1080–1083, 1085–1087, 1091, 1095–1124. 1190–1196. Welt: Reihenbildung im räumlichen Medium: Handlungsbezogene räumliche Angaben: I/19–32, 75f, 92, 97–100, 106–108, 116– 119, 135–137, 140f, 144f, 173–179, II/38–42, 59–63, 72–75, 80, 81f, 83–92, 148–152. Räumliche Angaben ohne aktuellen Handlungsbezug: I/38–40, 127–130. Bewegungsreihen fehlgeleiteter und gefälschter Briefe: I/63–67, II/92. Reihenbildung im temporalen Medium: Punktuelle und fortlaufende Synchronisationen von Handlungsreihen: I/41–47, 60–68, 68–70, 81–85, 112–116, 127, 174–180, II/3–6, 70–75, 146–153. Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (26): I/22f, 24, 24f, 50f, 60f, 64f, 69f, 79f, 85f, 86f, 104f, 124f, 131, 132f, 143, 151f, 153, 183–186, II/17–19, 47f, 124–126, 140–143, 160–162, 163–165, 169–171, 177–181. Verseinlagen (18): I/26, 27, 48, 62f, 87–90, 103, 110–112, 135, 136, 168–170, 187f, II/51, 99, 114f, 120–124, 151, 151, 156–158. Versammlungen (31):6 I/2f, 17f, 18f, 36f, 38–40, 40–50, 51–54, 58f, 67–69, 81–85, 91–96, 112–120, 120–124, 127–131, 135–139, 140f, 146–148, 189–191, 192, II/7–15, 25–30, 31–36, 71f, 97f, 100–104, 102–106, 108–110, 116–137, 148, 154, 192. Erörternde Reflexionen (42): I/11, 41–43, 48f, 52f, 54f, 61, 80f, 82f, 90f, 101f, 105, 110, 120f, 134, 138, 150, 167–172, II/3–5, 7–15, 20–22, 27f, 30, 35, 35f, 42–45, 48,

5 Angegeben werden zunächst die Erstreckung der Reihe und dann die wichtigsten Stellen. 6 Es gibt folgende Typen: Begräbnis, Mahlzeit, Spaziergang, Compagnie, Hoffest, Oper, Spazierritt, Bankett, Maskenball, Tee, Hochzeit, Valet-Schmaus.

Das Gegenbild: Ermöglichungsbedingungen unkontrollierter Varietät – Übersicht

217

49f, 51f, 58, 68, 78f, 87, 95–97, 101–103, 116, 117–120, 127–137, 143f, 144–146, 147f, 158, 175–181. Reihenbildung auf der Ebene des Verhältnisses von histoire/discours: Analepsen (5): I/63–68, 97–102, 172–179, II/23–69, 77–95. Prolepsen (4): I/133f, 150f, II/49f, 192. Adalie: Reihenbildung im räumlichen Medium: Von Figurenbewegungen unabhängige Ortswechsel ›der Erzählung‹, zu andern Orte oder anderen Figuren (11): 1, 7, 10, 10, 99, 102, 113, 119, 176, 228, 351. Handlungsbezogene räumliche Angaben: 19–27, 194–196, 199, 237, 245–252, 256–264, 268–274, 308–318, 358–361, 439f. Räumliche Angaben ohne aktuellen Handlungsbezug: 354–356. Reihenbildung im temporalen Medium: Punktuelle und fortlaufende Synchronisationen von Handlungsreihen: 113, 119, 132f, 176, 180–202, 228, 351, 312 bis Schluss. Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (18): 45–47, 49f, 66–68, 69–71, 75–77, 79f, 148f, 163f, 172f, 184f, 187, 189, 200, 250f, 258f, 259–261, 262f, 393–395. Verseinlagen (3): 20, 39, 357f. Reihenbildung auf der Ebene des Verhältnisses von histoire/discours: Analepsen (1): 280–300. Metalepsen (4): 113, 227f, 328, 334. Prolepsen (3): 208, 454, 460f. Student: Reihenbildung im räumlichen Medium: Handlungsbezogene räumliche Angaben: 10–17, 18–27, 28–33, 52, 68–75, 81–83, 100–107, 109–111, 115–117, 137, 147–149, 158–161, 177–181, 200–202, 216–220. Bewegungsreihen von Gegenständen: Tabaquiere 59–64. Fehlgeleitete und gefälschte Briefe: 10. Reihenbildung im temporalen Medium: Punktuelle und fortlaufende Synchronisationen von Handlungsreihen: 17, 59, 144f, 191. Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (8): 10, 78, 80f, 88, 104, 150f, 205, 213f.

218

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Verseinlagen (30): 7, 28–31, 34f, 38f, 56f, 57f, 60f 61f, 63f, 66–68, 111–113, 136, 138f, 141f, 153f, 154f, 155f, 161–163, 164–166, 170–172, 173–176, 182–184, 185, 186–188, 188–190, 192–194, 206–209, 210, 210f, 211–213. Versammlungen (13): 17–26, 28–33, 36–42, 51f, 55–59, 75–114, 89–92, 123–126, 152–156, 164–168, 168–181, 202f, 214–220. Reihenbildung auf der Ebene des Verhältnisses von histoire/discours: Analepsen (20): 8–16, 28–50, 50–59, 76–84, 84–96, 96–107, 107–113, 115–118, 117–118, 121–123, 129–133, 134–142, 142–145, 145–150, 151–157, 157–163, 191, 196–202, 214–216, 221f. Satyrischer Roman: Reihenbildung im räumlichen Medium: Handlungsbezogene räumliche Angaben: 2f, 4–6, 18–23, 32, 51f, 62–64, 89–92, 124–126, 137–140, 142f, 158–170, 193–195, 201–206, 215, 221f, 234f, 251f. Bewegungsreihen fehlgeleiteter und gefälschter Briefe: 201–215. Reihenbildung im temporalen Medium: Punktuelle und fortlaufende Synchronisationen von Handlungsreihen: 1, 65f, 86, 92, 134, 145, 192, 243–245, 250, 251. Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (12): 94–112, 117–120, 127–131, 132, 167, 172–178, 186–190, 191f, 204f, 215–219, 222f, 243–245. Verseinlagen (12): 2, 8, 100, 101, 103, 108, 110, 135f, 144f, 146–153, 194f. Erörternde Reflexionen (5): 23–26, 35–39, 69–73, 87f, 96–112, 122f. Reihenbildung auf der Ebene des Verhältnisses von histoire/discours: Analepsen: 26–35, 39–48. Metalepsen (9): 22, 73, 73, 126, 197f, 199, 203, 206, 214f. Amor: Reihenbildung im räumlichen Medium: Handlungsbezogene räumliche Angaben: 4f, 10f, 63–69, 76f, 78, 96f, 121–123, 134f. Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (10): 24f, 26, 46f, 54–56, 56f, 70f, 75f, 98f, 99, 100f. Erörternde Reflexionen (3): 91f, 101–105, 110–112. Reihenbildung auf der Ebene des Verhältnisses von histoire/discours: Analepsen (7): 2–17, 19–46, 63–69, 71–83, 113–125, 125–133, 133–135.

Das Gegenbild: Ermöglichungsbedingungen unkontrollierter Varietät – Übersicht

219

Adelphico: Reihenbildung im räumlichen Medium: Ortswechsel ›der Erzählung‹ (31): 31, 35, 37, 45, 46, 47, 48, 51, 93, 97, 99, 100, 100, 101, 114, 114–118, 118, 119, 120, 122, 128, 129, 129, 129, 131, 132, 133, 137, 139, 146, 146. Handlungsbezogene räumliche Angaben: 5, 12, 20–22, 24, 28, 52, 61–63, 72f, 78f, 94f, 110–112, 119, 126. Reihenbildung im temporalen Medium: Punktuelle und fortlaufende Synchronisationen von Handlungsreihen: 25–31, 45, 51–92, 93, 118, 141. Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (13): 34, 36f, 46, 47, 73, 75f, 85, 85f, 97, 132, 136, 137, 138f. Verseinlagen (11): 6–8, 13f, 48f, 56f, 63–65, 68f, 89f, 96, 134–136, 139f, 148–152. Besuche (14): 3–31, 25–31, 31–43, 51–92, 59–92, 69–92, 93–96, 99, 100f, 101–114, 119f, 121–128, 129–131, 146f. Versammlungen (18): 5–8, 8–18, 23f, 27, 27–29, 29, 29f, 61–67, 67–69, 70–91, 91, 91, 94–96, 101–108, 108, 112, 112f, 127f, 130f. Reihenbildung auf der Ebene des Verhältnisses von histoire/discours: Analepsen: 71–91. Metalepsen (26): 3, 4, 11f, 22f, 26, 27, 28f, 30, 39, 45, 51, 59, 60, 62, 70, 70, 92f, 93, 93f, 96, 114, 115, 118, 139, 141, 147. Prolepsen (1): 118. Carneval: Reihenbildung im räumlichen Medium: Handlungsbezogene räumliche Angaben: 118–122, 156f, 216, 222–224, 241–243, 250f, 258–260, 262–264, 266f, 280–284, 287f, 301–309, 312f, 314–316, 336f, 342f, 347–350, 394f, 397f, 400–410, 421, 429. Bewegungsreihen von Gegenständen: Diamantgehänge 196–207, Strumpfbänder 306–314, Portrait Scintillens 314–334, Schnürleib 375–391. Fehlgeleitete und gefälschte Briefe: 28–36, 59–66, 95–99, 143–148, 163–166, 184– 190, 215f, 249–256, 264–273, 380f, 396–398. Reihenbildung im temporalen Medium: Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (45): 30, 51f, 60, 92, 95, 144, 163f, 168–170, 171f, 178–180, 184f, 188f, 192f, 193–195, 197, 203f, 205f, 208–210, 210–212, 230, 233f, 240, 252, 255f, 265, 280,

220

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

285–287, 288–290, 293f, 310f, 316f, 322–324, 325f, 331f, 333, 339f, 345f, 370–372, 380f, 383f, 391f, 396, 422f, 432, 433f. Verseinlagen (7): 68, 76, 77, 135–139, 229, 300, 436–440. Schelmuffsky: Reihenbildung auf der Ebene des discours: Kapitel (8+5=13): 7, 12, 33, 45, 58, 66, 71, 75, 83, 88, 92, 102, 113. Reihenbildung im räumlichen Medium: Handlungsbezogene räumliche Angaben: 7f, 13, 15–32, 38, 41, 42, 46–48, 50–56, 60–63, 72f, 91, 97–102, 111, 116f. Räumliche Angaben ohne aktuellen Handlungsbezug: 26f, 29f, 34f, 44, 56, 58–63, 67, 70, 93–97, 102f, 111, 113–117. Reihenbildung im temporalen Medium: Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Reihenbildung im Handlungsmedium: Liebeshandlungen des Helden (5): Charmante 17–32, 36, 41–46; Lisette 36f; Damigen 37–40; Staadenstochter 54–58; Lords Töchter 68–71. Figurenreihen: Mutter 7–13, 76f, 83–91, 118–120; Graf 13–32, 41–59; Charmante 17–32, 36, 41–46, 74; Hans Barth 71–73, 80, 116f; Toffel 50–58, 68–70. Motivreihen: Briefe (6): 20, 20f, 41f, 43, 118, 119. Verseinlagen (1–7): 9, 37, 41f, 43, 49, 49f, 80. Rattengeschichte (17): 7f, 9, 14, 17, 22, 35, 47, 54, 61, 62, 66f, 68, 72f, 85f, 90, 98f. Der Kober (46): 91 (4x), 92 (2x), 93 (2x), 94 (4x), 95, 96, 97, 98, 100 (2x), 101 (5x), 102 (2x), 103, 110 (5x), 111, 112, 114 (3x), 118 (5x), 119 (3x), 120. Krankheiten und körperliche Beschwerden (18): 16, 18f, 25, 33f, 42, 48, 50, 53, 57f, 67, 72, 73, 88f, 94, 111f, 115, 119. Sehenswürdigkeiten: 26f, 29f, 30, 34f, 44, 56, 58–63, 67, 70, 93–98, 102f, 111, 113– 117. Reise: Reihenbildung im räumlichen Medium: Handlungsbezogene räumliche Angaben: 292f, 314–316, 320, 351f, 378. Räumliche Angaben ohne aktuellen Handlungsbezug: 333f, 381. Reihenbildung im temporalen Medium: Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Motivreihen: Briefe (4): 343, 348f, 350, 360f. Verseinlagen (6): 339, 339f, 340, 340f, 394, 394.

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

221

Episoden: Interaktionen des Helden mit höherrangigen Personen (14): 292, 303–305, 307f, 317–319, 326–332, 343–346, 348f, 353–355, 361–363, 373–375, 375–377, 381–383, 409f. Interaktionen des Helden mit gleichrangigen Personen (15): 293–303, 305–307, 308–314, 314–316, 316f, 319–326, 332–335, 338–341, 341, 346–348, 363–371, 377– 381, 383–395, 396–409 Interaktionen des Helden mit Frauenzimmern (4): 335–338, 341–343, 350, 386– 390. Interaktionen des Helden possenhafter Art (3): 351–353, 355–361, 371f. Statist: Reihenbildung im räumlichen Medium: Handlungsbezogene räumliche Angaben: 10f. Räumliche Angaben ohne aktuellen Handlungsbezug: 26–77.7 Reihenbildung im temporalen Medium: Alternation von Tagesfolgen und Handlungsfolgen ohne Markierung der Tageswechsel: siehe Anhang. Reihen im Handlungsmedium: Politische Handlung: 54–224. Motivreihen Verseinlagen (48): 4, 6, 6, 15, 15, 16, 17, 26, 34, 48, 47, 55, 55f, 63, 63, 64, 64, 65, 71, 84, 90, 94, 113, 118, 123, 126, 127, 131, 134, 137, 145, 148, 156, 158, 171f, 176, 186, 190, 212, 213f, 217, 219, 221, 225, 255, 279f, 283, 285. Verfahren: Bewerbung um eine Ratsstelle 12–22, Einführung in die Ratsstelle 22– 77, Gerichtsprozess 224–288. Aufzählungen (20): 13–22, 17–20, 26–53, 107–112, 114f, 124, 134f, 149–171, 178, 179–186, 182–185, 187–192, 197–199, 201–204, 237–240, 243–246, 251–255, 258f, 260, 264–277.

4.2. ›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen im gesamten Korpus Absatzbildung Wie schon gesagt, mangelt es, mit der signifikanten Ausnahme des Schelmuffsky, allen Romanen des Korpus an einer für einen durchgängig vermittelten Einheitsbezug hinreichend ebenendifferenzierten Gliederung des discours. Die

7 Die Beschreibung hat aber symbolischen Wert.

222

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Reihe der Absätze – ausgenommen ist hier der absatzlose Carneval – erhält als nächsthöhere Bezugsgrößen die Gesamtheit des discours, die Ebene der Teilbände oder, in Octavia und Höfen, die Elemente der über die Unterscheidung überschriebener und unüberschriebener Passagen gewonnenen Reihe:8 in allen diesen Fällen sind die Absätze pro übergeordnetem Element zu zahlreich, um in ihnen als fassbare Bemessungsgröße zu taugen; in den Höfen muss außerdem bezweifelt werden, dass die genannte Reihe, neben ihrer offensichtlichen Bindung an die Reihe der metadiegetischen Analepsen, mit Blick auf eine regelmäßige, also anhand von Proportionen erwartungsbildende Gliederung des discours auch gebildet wurde.9 In Form einer wiederkehrend offerierten Leerung des ›Zwischenspeichers‹ im Lektüreprozess leisten die Absatzreihen freilich einen entscheidenden, gewissermaßen ›grundrhythmischen‹ Beitrag zur Bewältigung der in den Texten begegnenden Varietät dennoch. Neben dem völligen Verzicht darauf (Carneval) zeichnen sich, anhand der Kriterien der Regelmäßigkeit und der Distanz zur spracheigenen syntaktischen Gliederung, drei Handhabungen ab. Regelmäßige Absatzbildung bei geringer Differenz zur syntaktischen Gliederung Kaum von der durch die Satzbildung ohnehin gegebenen Unterteilung löst sich die Absatzgliederung in den Romanen Höfe, Satyrischer Roman, Adalie, Adelphico, Statist, Reise: hier gibt es also einen beträchtlichen Anteil von nur einen Satz umfassenden Absätzen10 und die Absatzbildung insgesamt erfolgt regelmäßig. 8 In der Römischen Octavia kommen als discours-Markierungen noch die Initialen hinzu, die aber an dem Befund nichts ändern: die durch Initiale markierten Passagen gliedern sich zwar in überschaubar wenige Absätze, sind aber selbst zu kurz, um zu der nächsthöheren Ebene einen geregelten Bezug zu etablieren. 9 Für die Römische Octavia ist das oben nachgewiesen worden (Kap. 2.4.7). Interessanterweise gibt es in den Höfen auch Anzeichen für eine Loslösung von der Bindung an metadiegetische Analepsen (die in der Octavia streng durchgehalten wird, das heißt: alle überschriebenen Passagen sind dort metadiegetische Analepsen – nicht etwa: alle metadiegetischen Analepsen werden überschrieben): die Überschriften der Seiten EH 148, 935 und 1150 markieren, in dieser Reihenfolge, den Wechsel des Hauptgesichtspunktes innerhalb einer Binnenerzählung, die Wiederaufnahme der Haupthandlung und den Beginn von deren letztem Abschnitt. Auch bei den Markierungen der Abschlüsse überschriebener Passagen gibt es Unregelmäßigkeiten, das heißt vier Überschriften (EH 108, 623, 754, 801) markieren den Beginn einer Binnenerzählung, ohne dass deren Ende durch Absatz und neue Initiale auch markiert würde (EH 178, 695, 772, 827). 10 Kriterium ist die Zeichensetzung, Punkte also, oder Frage- und Ausrufezeichen mit anschließender Großschreibung. Vgl. EH 101: »Was Verpflichtungen gingen dabey nicht vor? und was theure Versicherungen gaben sie einander / eher zu sterben / als von ihrer geschwornen Treue zu lassen? Niemahls hat ein so schönes Paar geliebt; und niemahls hat es auch schöner geliebt.« – Hier würden also zwei Sätze gezählt, und hier lässt sich verdeutlichen,

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

223

Die Stichproben über die Länge der Absätze in Sätzen. Höfe: EH 108–118: 3, 2, 2, 1, 1, 1, 1, 2, 3, 1, 2, 1, 3, 2, 3, 1, 2, 2, 2, 2, 3, 3, 1, 2, 3, 3, 1, 3, 1, 4, 2, 2, 1. EH 388–398: 1, 2, 2, 1, 2, 1, 1, 1, 2, 1, 1, 3, 2, 1, 1, 1, 5, 2, 1, 1, 2, 2, 1, 2, 1, 2, 2, 1, 2, 1, 2, 2, 4, 3. EH 908–918: 2, 1, 1, 2, 2, 3, 2, 2, 1, 1, 1, 1, 1, 2, 2, 1, 1, 1, 1, 3, 1, 1, 1, 2, 2, 1, 1, 1, 1, 1, 2, 1, 2, 2, 1, 1, 1, 1, 1, 2. Geht man von einem Schnitt von 3–5 Absätzen pro Seite aus, dürfte der Roman um die 5000 Absätze enthalten. Satyr. Roman SR 56–62: 2, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 2, 1, 2, 1, 1, 1, 1, 1, 2, 2, 2, 2, 1. SR 156–161: 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 2, 2, 1, 1, 1, 2, 2, 1, 1, 2, 1, 1, 1. SR 224–229: 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 3, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1. Man kann sicher mit einer Absatzzahl von über 500 rechnen (mindestens zwei Absätze pro Seite). Adalie LA 136–141: 2, 2, 1, 1, 1, 2, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1. LA 50–65: 3, 1, 4, 5, 2, 2, 3, 2, 3, 3, 5, 11, 4, 2, 3, 2, 1. LA 424–433: 1, 1, 2, 2, 4, 1, 3, 1, 2, 5, 2, 1, 12, 1. Dialoge führen zu Schwankungen. Adelphico

AP 37–45: 6, 4, 1, 3, 1, 1, 2, 4, 3, 3, 2, 1, 2, 3, 2, 1, 2, 2, 2, 1, 2.

Statist RS 72–94: 2, 11, 1, 1, 3, 4, 2, 6, 7, 3, 1, 6, 3, 3, 3, 2, 1, 2, 1, 1, 4. RS 164–181: 1, 1, 2, 3, 1, 2, 2, 2, 2, 4, 2, 1, 1, 1, 3, 1, 1, 1, 1, 1, 2, 1, 1, 3, 1, 1, 2, 1, 1, 1, 2. Bei Aufzählungen wird der discours durch Absätze der Aufzählung entsprechend gegliedert. Hiervon gibt es wenige Ausnahmen: die eingeschobene Aufzählung der Anträge der Zünfte in den herzöglichen Städten (RS 182–185) kommt ganz ohne Absatzgliederung aus; in der Aufzählung der Vota der Schöpffen werden für die ersten beiden Schöpffen keine Absätze gemacht (RS 251f). Reise RE 294–304 : 1, 1, 1, 1, 1, 1, 2, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 2, 2, 2, 1, 2, 2, 2, 2, 2, 1, 1, 1, 3, 2, 2, 2, 2, 2, 1, 1, 1, 1, 1, 1. RE 361–372 : 1, 1, 2, 1, 2, 1, 1, 4, 1, 2, 1, 1, 2, 1, 1, 1, 2, 1, 1, 1, 2, 2, 2, 1, 2, 1, 2, 1, 3, 11, 4, 1, 2, 3, 1, 5, 1, 4, 6, 1.

was in vielen Fällen zu beobachten ist: der Gebrauch des Semikolons oder Doppelpunktes zur Koordination relativ eigenständiger Satzteile.

224

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Regelmäßige Absatzbildung bei größerer Differenz zur syntaktischen Gliederung In etwas größerer Distanz zur Syntax verbleiben relativ regelmäßig die Absatzbildungen der Welt11 und Octavia. In der Welt also haben die Absätze überwiegend eine mittlere Länge von vier bis acht Sätzen, ab und zu sind sie sehr lang, und ab und zu sehr kurz. Zwei Stichproben: VW I/38–54: 2, 15, 18, 4, 6, 4, 3, 6, 6, 14, 4, 13, 6. VW I/134–147: 5, 3, 5, 5, 1, 8, 5, 8, 10, 10, 2, 4, 13. In der Octavia sind, über die Länge des discours, eine Zunahme und Abnahme dieser Distanz zu beobachten. Gemittelt kann etwa von vier Sätzen pro Absatz gesprochen werden. Der Befund bedarf eines ausführlicheren Belegs. Hier einige Stichproben, gezählt werden jeweils die Absatzmarkierungen pro 20 Seiten: I: 30–50: 28. 450–470: 35. 710–730: 47. 920–940: 45. II: 30–50: 49. 450–470: 40. 710–730: 41. 920–940: 39. III: 30–50: 46. 450–470: 49. 710–730: 43. 920–940: 36. 1000–1020: 46. IV: 30–50: 46. 470–490: 45. 710–730: 32. 920–940: 34. V: 30–50: 38. 470–490: 23. 710–730: 24. 920–940: 34. 1110–1130: 21. VI: 30–50: 26. 240–260: 35. 470–490: 39. 710–730: 45. Auffällig ist die Häufung besonders langer Absätze im fünften Band und zu Beginn des sechsten Bandes. Weitere Stichproben (V/310–330: 18; V/580–600: 21; V/820–840: 29; V/1030–1050: 30; VI/130–150: 41) bestätigen diese Tendenz. Hier die Angaben der Länge der Absätze in Sätzen für die Stichproben jeweils der Seiten 710–730: I: 3, 7, 4, 4, 4, 2, 3, 3, 5, 3, 6, 2, 3, 1, 2, 2, 2, 3, 3, 5, 3, 3, 2, 2, 3, 4, 5, 6, 4, 2, 4, 3, 5, 5, 3, 2, 3, 4, 3, 6, 2, 4, 4, 5, 2, 2. 157 Sätze. Durchschnittswert: 3,4 Sätze. Maximum: 7. Minimum: 1. II: 4, 4, 1, 5, 1, 3, 5, 4, 2, 4, 5, 4, 4, 5, 6, 4, 7, 4, 6, 6, 8, 7, 5, 9, 6, 4, 7, 3, 4, 6, 5, 4, 4, 4, 3, 3, 8, 3, 5, 6. 188 Sätze. Durchschnittswert: 4,6 Sätze. Maximum: 8. Minimum: 1. III: 7, 4, 3, 3, 3, 3, 4, 5, 4, 7, 4, 6, 4, 4, 3, 4, 4, 4, 4, 6, 5, 6, 5, 4, 4, 3, 4, 5, 5, 4, 3, 2, 5, 4, 7, 4, 8, 3, 3, 4, 4, 4. 182 Sätze. Durchschnittswert: 4,2 Sätze. Maximum: 8. Minimum 2.

11 Die Absätze haben überwiegend eine mittlere Länge von vier bis acht Sätzen, ab und zu sind sie sehr lang, und ab und zu sehr kurz. Zwei Stichproben: VW I/38–54 : 2, 15, 18, 4, 6, 4, 3, 6, 6, 14, 4, 13, 6. VW I/134–147 : 5, 3, 5, 5, 1, 8, 5, 8, 10, 10, 2, 4, 13.

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

225

IV: 4, 8, 4, 5, 6, 3, 2, 14, 4, 1, 4, 8, 3, 2, 3, 3, 7, 5, 3, 2, 4, 1, 3, 4, 3, 11, 4, 5, 5, 4, 4. 140 Sätze. Durchschnittswert: 4,4 Sätze. Maximum: 14. Minimum: 1. V: 7, 9, 1, 1, 2, 4, 3, 3, 5, 5, 7, 9, 15, 11, 5, 5, 3, 2, 7, 6, 13, 3, 10. 136 Sätze. Durchschnittswert: 5,6 Sätze. Maximum: 15. Minimum: 1. VI: 1, 2, 1, 1, 1, 2, 2, 1, 2, 4, 2, 2, 5, 1, 2, 2, 4, 1, 1, 2, 3, 4, 5, 1, 2, 1, 2, 4, 3, 5, 2, 1, 2, 2, 1, 2, 1, 7, 4, 9, 2, 2, 3, 2. 109 Sätze. Durchschnittswert: 2,4 Sätze. Maximum: 9. Minimum: 1. Das Sinken der Absatzfrequenz und das Steigen der Anzahl der Sätze pro Absatz in den Bänden IV–VI ergänzt andere, denselben Textteil betreffende Befunde12 und kann entstehungsgeschichtlich erklärt werden: betroffen ist immer die zweite Textschicht.13 Unregelmäßige Absatzbildung Unregelmäßig ist die Absatzbildung in den Romanen Student, Amor und Schelmuffsky. Die Belege: Student Drei Stichproben: VS 18–48: 9, 11, 24, 4, 3, 10, 10, 2, 33. VS 119–133: 2, 15, 3, 2, 4, 4, 4, 2, 2, 5, 1, 11, 1, 6, 2. VS 194–202: 2, 1, 1, 2, 4, 1, 1, 2, 4, 3, 1, 4, 2, 3, 7, 1, 2. Amor Hier, bei Unterschlagung der durch Briefe entstehenden Absätze, die Länge aller Absätze in Seiten: 2, 3, 4, 1, 7, 1, 18, 9, 2, 24, 3, 1, 3, 1, 1, 1, 1, 1, 4, 2, 1, 2, 12, 4, 1, 3, 1, 3, 2, 7, 9, 4. Schelmuffsky Hier die Anzahl der Absatzmarkierungen pro Kapitel: Band 1: 2, 5, 1, 1, 0, 0, 0, 1. Band II: 4, 0, 12, 17, 11. Die Absatzlängen also sind höchst unregelmäßig. Im zweiten Teil gibt es 5 Absätze, die nur aus einem Satz bestehen (SM 117, 122, 123). Die Kapitel I/5–7 und II/2 bestehen nur aus einem Absatz: insofern stößt die Reichweite der Absatzlängen bis an die nächsthöhere und nächstnie12 Der fünfte Band bildet eine signifikante Abweichung hinsichtlich seines Umfanges; die Alternation von übertitelten und unübertitelten Passagen entzieht sich jeder rhythmischen Erwartungsbildung; die Funktionen von Überschriften (zugeordnet längeren Geschichten) und Initialen (Berichten zugeordnet) sind gegeneinander vertauscht oder verwirrt; die Absatzfrequenz sinkt, die Anzahl der Sätze pro Absatz steigt. Dieses Bild zieht sich noch in die erste Hälfte des signifikant weniger umfangreichen sechsten Bandes; dann aber zeichnet sich eine neue, verlässlichere Ordnung ab: eine kleinteiligere Alternation von übertitelten und unübertitelten Passagen, eine erwartbare Funktion der Überschriften zur Markierung von Berichten, eine wieder gestiegene Absatzfrequenz bei weniger Sätzen pro Absatz. 13 Vgl. Kraft: Geschlossenheit und Offenheit der »Römischen Octavia« von Herzog Anton Ulrich. »der roman macht ahn die ewigkeit gedenken, den er nimbt kein endt.« Würzburg 2004 (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft, Band 483), S. 15–18. Zu denken ist vor allem an den Wegfall Sigmund von Birkens.

226

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

dere Gliederungseinheit. Die längsten Absätze dürften in Kapitel I/2 und I/3 mit 12 Seiten zu finden sein (24–35; 36–48). Im Student fällt, neben der Unregelmäßigkeit der Absatzlängen, die Inkonsequenz bei der Orientierung der Absatzbildung an der Ebene der histoire auf: Ortswechsel werden mal markiert, mal bleiben sie unmarkiert.14 Das gleiche gilt für Wechsel der Erzählstimme.15 Im Amor begegnen dieselben Phänomene noch gesteigert: die Absatzmarkierung setzt überhaupt gelegentlich aus, dann unterstützt sie Differenzen an mancher Stelle, an anderer Stelle wiederum nicht.16 Die Arbeit, den Text beim Lesen in Abschnitte zu gliedern, wird dem Leser nicht abgenommen, ja unter Umständen noch erschwert und die Absätze erlangen, als Gliederungsmomente, eine gewisse willkürliche, volatile Eigenständigkeit. Ähnliches gilt für Schelmuffsky, wo vier von dreizehn Kapiteln ganz ohne Absatzmarkierung bleiben; wo allerdings im zweiten Teil eine größere Verlässlichkeit in der Abstimmung mit Unterscheidungen der histoire sich einstellt.17 14 Markiert: VS 75,129, 133, 191, 194; unmarkiert: 64. 15 Markiert: VS 8, 17, 50, 76, 84, 96, 107, 114, 115, 118, 123, 133, 134, 142, 144, 145, 150, 151, 157, 164, 196, 202, 214; unmarkiert: 28, 59, 120, 130, 157, 216. 16 Der erste Absatz markiert klassisch den Wechsel der Erzählstimme (AU 2). Auf Seite neun wird der Phasenwechsel in der Eleonore-Geschichte, sowie der Übergang von szenischem zu raffendem Erzählen markiert. Hingegen das Ende der Eleonore-Geschichte bleibt unmarkiert; dafür wird die Unterbrechung der Reise auf der Poststation hervorgehoben (AU 10f). Unmarkiert bleibt auch das Ende der Erzählung Fortunatos und damit der zweite Wechsel der Erzählstimme. In der gesamten Ardorea-Vorgeschichte – dem Teil also, den Fortunato erzählt – gibt es nur einen einzigen Absatz, nämlich nach der Kartenspiel-Szene, bei der Pratina und Ardorea aufeinandergetroffen waren, und also im Übergang zu einer wieder raffenden Erzählweise. Der Besuch in Friedrichsstadt wird absatzmäßig an folgenden Stellen unterteilt: die Ankunft; die Ankunft Pecheurs und Chiens; an einigen Stellen in Fortunatos DimancheErzählung; das Nachgespräch nach Fortunatos Dimanche-Erzählung; das Ende der entsprechenden Compagnie; Ardoreas Reaktion auf das störende Geräusch der Mutter; der Abschied nach der letzten Liebesnacht. Das bedeutet, dass nach der Ankunft Pecheurs und Chiens die erste Markierung mitten in die Erzählung Fortunatos fällt, dass also der Stimmwechsel sowie alle vorausgehenden Wechsel z. B. des Ortes, der Zeit, der Erzählweise, der Stimme (Hanses Erzählung etwa) unmarkiert geblieben waren. 17 Abgesetzt werden im zweiten Teil Dialoge (SM 107), Szenen (SM 113ff), Einschübe (SM 124), Ausrufe (SM 122), Beschreibungen (SM 122f), oder einfach Handlungen (SM 119ff). Im ersten Teil kommt es nur zu zwei außerszenischen Unterscheidungen: bei der Beendigung des Schulbesuches durch die Mutter (SM 11) und bei der Tagesgrenze während des zweiten Londoner Aufenthaltes (»Den andern Tag war ich her […]« SM 82). Die restlichen acht Unterscheidungen fallen innerszenisch an: bevor Schelmuffsky auf die vollgeschissenen Hosen Herrn Gergers reagiert (SM 9); »Nachdem der Wirt nun sahe, daß niemand mehr aß […]« (SM 19); beim Anblick der Flöhe in den Hemden (»O Sapperment! wie war der Schweiß darinn lebendig geworden […]« SM 20); vor der zweiten Erzählung der Rattengeschichte in Charmantes Zimmer (SM 23); dort auch, bevor er ihr zugesteht, keine andere als sie zur Frau zu wollen (SM 24); bevor Charmante am Mittagstisch seine Gesundheit trinkt (SM 27); »So bald ich das Zeug in Leib kriegte« (SM 36) – nämlich die Bomolie gegen die Seekrankheit; und während er auf Trautens Schloß schläft (56).

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

227

Briefe und Verseinlagen Zwei Motive schlagen im gesamten Korpus auf die Ebene des discours, nämlich das Druckbild durch, und empfehlen sich so der gliedernden Aufmerksamkeit des Lesers in besonderer Weise:18 das sind die briefliche Kommunikation, sofern die Briefe vom Erzähler zitiert werden, und das Einbringen von Versen.19 Die entsprechenden Reihen sind oben für fast alle Romane des Korpus nachgewiesen – ohne Briefe bleibt einzig der Statist, ohne Verse einzig Amor auf Universitäten. Zur Bemessung der kompositorischen Eigenständigkeit der Reihen sind zwei Aspekte bedeutsam: erstens die Sicherheit, mit der der Leser unabhängig vom Handlungskontext mit der Wiederkehr eines bestimmten Motivs in einer bestimmten Frequenz und über die gesamte Länge des discours rechnen kann. Eine an eine Handlungsreihe mehr oder weniger strikt gebundene Motivreihe hingegen wird, wie oben beschrieben, dazu tendieren, in einer zusätzlichen Qualifizierung der jeweils assoziierten Reihe, mit Auswirkungen etwa auf ihren hierarchischen Status, aufzugehen. Zu Buche schlägt, zweitens, inwieweit die Motivreihe die ihr zur Verfügung stehenden Paradigmen zu einer eigenständigen, sich also aus den jeweiligen Handlungsfunktionen nicht automatisch ergebenden Variation nutzt. Hierbei können zu dem ersten Kriterium gegenläufige Tendenzen gelten: dem Gedächtnis besonders fassbar wird eine Reihe, deren Elemente in derselben Hinsicht kontinuierlich variiert werden und die eine bestimmte Elementanzahl nicht überschreitet; über die, im Extremfall, wenige Stellen als Stellen im discours, mit Blick also auf ihre Abstände zu den Textgrenzen und ihre sonstigen Verknüpfungen, dem Gedächtnis unmittelbar zugänglich gemacht werden. An diesen beiden möglichen integrativen Beiträgen orientiert sich die Untersuchung. Zur Übersicht über die Briefe: Roman Höfe Carneval

Anzahl der Briefe 49 45

Erstreckung 143–1158 30–434

Anzahl der Korrespondenten 42 15

Octavia Welt

29 26

I/40-VI/720 I/22-II/181

34 18

Adalie Adelphico

18 13

45–395 34–139

12 9

18 Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman. Anton Ulrichs Romane als Modell. München 1970, S. 196, sieht in der optischen Hervorhebung der Briefe eine Spiegelung der »repräsentative[n] Auffassung […], welche der Schreiber sich und dem Empfänger gegenüber zur Schau trägt.« 19 Noch einmal Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 211: die lyrischen Einschübe seien nicht nur optisch hervorgehoben, sondern »durch ihre künstlerische Eigenart der abrollenden Temporalität der Erzählprosa entzogen«.

228

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

(Fortsetzung) Roman Satyrischer Roman Amor

Anzahl der Briefe 12 10

Erstreckung 94–245 24–101

Anzahl der Korrespondenten 8 7

Student Schelmuffsky

8 6

10–214 20–119

12 3

Reise

4

343–361

5

Die vielleicht unauffälligste und regelmäßigste Briefreihe liefert der Adelphico. Hierarchiekonform sind fünf der 13 Briefe den drei Liebeshandlungen des Helden zugeordnet, die Reihe eröffnend und abschließend (die Briefe 1–2 und 9– 13; ansonsten sind Kontext Cassandre-Aspasie und Fermont-Helene). Es gibt sechs Paarungen im Sinne von Brief und Antwort, nur der neunte Brief (AP 97) steht alleine da. Der Abstand zum Textanfang ist relativ groß, der zum Textende geringer, die Intervalle sind nicht unbedingt regelmäßig, die Verteilung ist aber in Abstimmung mit der Besuchsreihe plausibel: gewechselt werden Briefe nur, wenn die Briefpartner einander gerade nicht besuchen. Die Briefe dienen der einfachen Fortsetzung der Liebeskommunikation über die räumliche Distanz hinweg, weisen also keine besondere Eigenvariation auf. Adelphico

Die Intervalle sind: 34, 2, 9, 1, 26, 2, 9, 0, 11, 35, 4, 1, 1.

Eine ähnliche Kombination thematischer Homogenität und breiter, annähernd regelmäßiger Streuung der Elemente gibt es, mit gewissen Abstrichen, noch in der Welt und im Carneval; dort, im Carneval, kommt es durch die komplizierten Briefübergaben zu einer gewissen Streuung der Reihe in die Handlung – das Briefelement lässt sich ja dann auf die eigentliche Mitteilung nicht mehr reduzieren; ansonsten zeigt sich eine nach anfänglicher Briefarmut (sechs Briefe auf 163 Seiten) und stark erhöhten Frequenz (13 Briefe auf 59 Seiten) im Kontext von Floramor-Rosinde verlässliche Verteilung (46 Briefe auf 228 Seiten) im Rest des Romans. Die Eigenvariation verläuft in engen Grenzen: Anziehung und Abstoßung sind die beiden virtuos variierten, dominanten Grundbewegungen. Welt Die ersten sieben Briefe fallen auf Heraldo-Charlotte bzw. CharlotteMenardi; dann folgt eine Gruppe von 11 Briefen, von denen sechs auf HeraldoSelimene und fünf auf die übrigen Liebeshandlungen dieses Abschnitts fallen. Im zweiten Band gibt es eine durchgängige Assoziation mit Selander und seinen Liebeshandlungen. Das größte Intervall (die Intervalle sind: 22, 1, 0, 25, 9, 2, 4, 9, 5, 0, 17, 19, 6, 1, 10, 8, 2, 30, 20, 28, 76, 14, 17, 1, 4, 6, 11) liegt vor dem Einsatz der letzten, mit Selander-Amalia assoziierten Gruppe, verstärkt also den Effekt der

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

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die Gegenwartsgeschichte auf Pause setzenden Analepsen. Auch die Eigenvariation der Reihe entspricht indes den Vorgaben: lassen sich die ersten zwanzig Briefe relativ problemlos Funktionen der Liebeshandlungen zuordnen, kommt es im Kontext erst von Selander-Amalia zu diffizileren Erfindungen. Carneval Den Zweck der Anziehung verfolgen 22, den der Abstoßung 13 Briefe. Thematische Homogenität verbindet mit einer unregelmäßigen, niedrigen Frequenz bei gegebenem Textgrenzenbezug die Briefreihe des Verliebten Studenten. Kein erwartbarer Rhythmus also etabliert sich, und trotz der geringen Anzahl von Elementen bleibt ein übergeordneter Zugriff dem Gedächtnis schwierig. Dazu trägt auch die Streuung auf eher niederrangige Handlungen bei; erst mit dem letzten Briefpaar schwenkt die Reihe in die Finalisierung der Haupthandlung ein. Die Homogenität gewinnt die Reihe durch die Häufigkeit von Briefen mit unbekannten oder verschleierten Verfassern oder Adressaten. Ausgenommen davon sind nur der fünfte Brief (VS 104) und das letzte, der Haupthandlung zugeordnete Briefpaar. Student Die Intervalle sind: 10, 68, 2, 7, 16, 46, 53, 8. Der fälschlich Infortunio zugestellte erste Brief versetzt diesen in die Lage, die Rolle des Adressaten bei der Absenderin zu spielen; Rosenberg fingiert mittels des zweiten eine Anwerberschaft bei Justina, um seine eigene Versetzung bei ihr zu rächen; hierzu gehört auch der dritte Brief. Durch den vierten gewinnt die von Militanders Capitain mit seiner Hilfe umworbene Kaufmannstochter unter angenommener Verfasserschaft (eine Freundin) Militander selbst zu Geliebten. Im sechsten Brief (VS 150f) reagiert La Cygne auf die Entdeckung der Identität Loracos, seine erotische Mystifikation einleitend. Die Briefreihe der Adalie ist durchgehend über die Zuordnung zu den zwei Haupthandlungen und ihren funktionalen Verschränkungen organisiert. Bei relativ großen Abständen zu den Textgrenzen und einer eher unregelmäßigen Frequenz, heißt das, fällt auf jede der beiden Haupthandlungen und jede funktionale Verschränkung mindestens ein Element – mit einem deutlichen Übergewicht bei der ersten Haupthandlung; und die Anlässe und Ausformungen der brieflichen Kommunikation unterscheiden sich je nach Handlungskontext. Adalie Die Intervalle sind: 45, 2, 16, 1, 4, 2, 58, 14, 8, 11, 2, 2, 11, 50, 8, 1, 130, 66. Die genaue Verteilung: Rosantes-Adalie: 6 Briefe; Renard-Barsine: 2 Briefe. Die funktionale Verschränkung von Renard-Barsine mit Bellarde-Arminde: 3 Briefe; die funktionale Verschränkung von Rosants-Adalie mit Werdigni-Julie: 2 Briefe; die funktionale Verschränkung von Renard-Barsine mit Curton-Fräulein:

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

4 Briefe; und die funktionale Verschränkung von Rosantes-Adalie mit AlfredoEmilie: 1 Brief. Auf den Handlungskontext reagieren: die Formalisierung der Werbung (LA 45–47, 49f), die Überbrückung und Thematisierung räumlicher Distanz (LA 66– 68, 69–71), die Fernliebe (LA 75–77, 79f), die Ermöglichung einer je dem sonstigen Verhalten widersprechenden Mitteilung (LA 148f, 163f, 172f), die Umleitung werbender Briefe zu intriganten Zwecken (LA 184f, 187), die Überwindung der Kommunikationssperre in Gefangenschaft (LA 250f, 258f, 259–261, 262f). Am schwächsten profiliert ist noch der werbende Brief Alfredos (LA 393–395) und die um Bosardo kreisenden Briefe in Elbipolis (LA 189, 200). Die Briefreihe der Reise kombiniert eine aufgrund einer durchgängigen Variation in gleicher Hinsicht hohe Fassbarkeit mit einer höchst geringen Erstreckung am Übergang von höfischem zu städtischem Ortstyp. Ähnlich muss das Fazit zur Briefreihe im Schelmuffsky ausfallen – auch hier ist der Held durchgängig Verfasser oder Adressat. Die sechs Elemente sind zu drei Briefpaaren zu gruppieren, mit den Intervallen 20, 21, 77, 1 – von einer regelmäßigen Frequenz kann also keine Rede sein. Die ersten beiden Briefpaare weisen Ähnlichkeiten auf: Korrespondentin und erste Verfasserin ist in beiden Charmante, Schelmuffsky amplifiziert jeweils die von ihr gelieferte Vorlage und übertreibt, was darin schon ungeschickt war. Eine beinahe durchgängige Assoziation mit dem Helden Infortunio bietet auch die Briefreihe des Amor, allerdings bei regelmäßigerer und höherer Frequenz. Über die jeweilige Motivation der Nutzung des brieflichen Mediums lässt sich eine durchgängige Variationsreihe erstellen, die zwar aufeinanderfolgende dreimal, aber nur einmal auseinanderliegende Briefe gruppiert. Reise Durchgängig variiert werden die Kommunikationsanlässe: zuerst Einladung und Verabredung auf den Mittag, verbunden mit einem neuen Auftrag; dann ein Dankesbrief; dann ein Brief an eine Frau; dann ein Brief mit ironischem Charakter. Zu gruppieren wären allenfalls die ersten beiden, die in den Bereich der Interaktion mit Höherrangigen fallen. Amor Die Intervalle sind: 24, 1, 20, 7, 0, 13, 3, 22, 0, 1, 35. Brieflich kommuniziert wird: 1) weil der Mut zu einem mündlichen Liebesgeständnis fehlt (AU 24f, 26), 2) weil Scherz und Lüge brieflich noch lustiger sind (AU 46f), 3) weil eine nächtliche, eigentlich verbotene Verabredung arrangiert werden muss (AU 54–56, 56f, 70f, 75f), 4) weil ein anstehendes Duell einen höheren Grad formaler Distanz erfordert (AU 98f, 99).

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

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5) Schließlich der siebte und zehnte Brief (AU 75f, 100f) werden über eine je wachsende Distanz des Liebes-paares gewechselt. Mit einiger Verspätung setzte auf Seite SR 94 die Briefreihe des Satyrischen Romans, und gleich im Kontext von Selander-Arismenia ein, welche Handlung auch weiterhin den Schwerpunkt der Reihe bilden wird – hierauf entfallen, durchaus konformgehend mit den übrigen Verhältnissen, die ersten acht der zwölf Briefe; die, inhaltlich, den Briefen aus dem Kontext von Selander-Amalia zur Seite zu stellen sind: fein differenzierte Spannungen in der Liebesbeziehung werden auf besonders geschickte Weise bearbeitet. Satyrischer Roman Zusammengefasst: die ersten beiden Briefe (SR 94–112, 117– 120) externalisieren erfindungsreich einen Konflikt, den direkt auszutragen zu riskant wäre; der Konflikt wird so tatsächlich entlastet, nicht aber eigentlich gelöst. Die Briefe drei und vier (SR 127–131, 132) entschuldigen in vielleicht etwas übertriebener Weise einen Faux-Pas; die beteuerte Reue wird aber von einer durchgehaltenen Zurückhaltung auch mit Blick auf ein Wiedersehen der Geliebten untermauert und die Strategie, sich durch ein solches Verhalten gar in Vorteil zu setzen, geht auf. Der sechste Brief (SR 172–178) führt, etwas weniger erfolgreich, verschiedene Strategien vor, andere, gesellige Beschäftigungen des Liebhabers in die Liebesbeziehung zu reintegrieren; die Briefe sieben und acht (SR 186–190, 191f) schließlich formulieren einen wohl nuancierten Abschied bei einer etwas undurchsichtigen, jedenfalls durch handfesten Streit nicht gekennzeichneten Sachlage. Am unübersichtlichsten sind wohl die Briefreihen der Europäischen Höfe und Römischen Octavia. In beiden kommt es zu keiner Schwerpunktbildung, und speziell in der Octavia ist die Streuung über verschiedene Liebeshandlungen und den discours so groß – 29 Briefe auf 5859 Seiten –, dass es zu einer separaten Erwartungsbildung nicht kommen kann: sodass hinter den wenigen dann doch zitierten Briefen eine bewusste Auswahl, eine besondere Profilierung der Anlässe vermutet wird. Höfe Die Reihe setzt verspätet ein (EH 143), weist dann aber eine einigermaßen regelmäßige Frequenz auf. In der Verteilung auf die Handlungen gibt es ein deutliches Übergewicht bei Iranio-Amariane (23 von 49 Briefen; danach kommt erst Gustavus-Arione mit 10 Briefen). Es bieten sich einige Gesichtspunkte zur Ordnung an, die aber doch die Reihe im Ganzen nicht organisieren können. Das ist die stilistische Hervorhebung im positiven, die auf den gallischen Aufenthalt bezogen bleibt (EH 558f, 559–561, 574f, 575–577); und im negativen, die mit dem durch Adinas Trank vergifteten Silibert assoziiert wird (EH 862–865). Das sind

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Komplikationen bei der Übermittlung (EH 302f, 373–376, 415f, 417f) und Verschleierungen der Verfasser (EH 171f, 261f, 350–352, 355f, 373–376, 378f, 417f, 516f, 603f, 1053f, 1080–1083). Der siebzehnte Brief (EH 437–439) wird unter einem Einfluss geschrieben, der von dem Adressaten herausgehört werden kann. Als Analepse funktioniert der längste Brief (EH 1063–1072). Octavia Die Erstreckung ist beinahe maximal, die Verteilung auf die Bände annähernd regelmäßig (I: 6, II: 3, III: 4, IV: 10, V: 3, VI: 3 – den Ausschlag im vierten Band erklärt eine Briefgruppe von vier Briefen auf den Seiten IV/316– 318). Zu möglichen Gliederungen: Gruppen bilden die Paare, in denen gleich eine Antwort folgt (RO I/40f, 47f, 656, 657), die gleichzeitig, als eine Handlung an zwei Adressaten geschickten Briefe Calvinas (RO III/527, 527f)); die in einem Bündel Otto zur Aufdeckung einer Intrige vorgelegten Briefe RO IV/316–318); als eine loser verbundene Gruppe können schließlich die den pontischen Nero involvierenden Briefe im Donaudelta gedeutet werden (RO V/619, 691, VI/27). Sonstige, funktionale oder motivische Gruppierungen betreffen: eine testamentarische Funktion (RO IV/776, VI/320f), eine falsche Interpretation (RO I/ 208, II/713, V/425), die Lektüre durch einen Dritten (RO I/118, 208, II/787, III/ 576, IV/47f, 211, 316–318, V/425), Verschlüsselung/Verfälschung (RO II/383, 713, III/576, IV/47f, 564, VI/27), komplizierte Übermittlung (RO I/118, II/787, III/576, 596, IV/47f, 211 316–318, 564, 776, VI/27), die Begleitung eines Gegenstandes (RO I/118, IV/564, 776, V/691), Hinweise bei Verwechslungen (RO II/787, III/576, IV/ 776, V/691), eine abschließende Funktion (RO I/656, 657, III/527, 527f, VI/320f, 720). Zur Übersicht über die Verseinlagen: Roman Octavia

Anzahl Verseinlagen 61

Erstreckung Seitenumfang insgesamt

Statist

48

I/18-VI/795 207, bei folgender Verteilung auf die Bände: I: 99, II: 15, III: 19, IV: 59, V: 5, VI: 10. 4–285 >48 (immer nur wenige Verse)

Student Höfe

30 22

7–213 6–1106

46 29

Welt Satyrischer Roman

18 10

I/26-II/158 2–195

26 18

Adelphico Carneval

11 7

6–152 68–440

17 13

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

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(Fortsetzung) Roman Schelmuffsky Reise

Anzahl Verseinlagen 7 6

Erstreckung Seitenumfang insgesamt 9–80 339–394

7 6

Adalie

3

20–358

3

Unten (Kap. 5.1) besprochen wird die Reihe der Verseinlagen im Raffinirten Statist, der, mit Blick auf die Regelmäßigkeit der Frequenz und die Einschränkung der Eigenvariation, keine andere Reihe des Korpus an die Seite zu stellen ist. Ein graduell die Unübersichtlichkeit steigernder Durchgang durch das Korpus ist aber von der anderen Seite, der maximalen Fassbarkeit her möglich. Mit nur drei Elementen sollte die Reihe der Liebenswürdigen Adalie verteilt noch auf die unauffälligsten Kontexte leicht zu memorieren sein. Sie markiert aber, was auch so hervorsticht, zweifach die Werbungsphase von Rosantes-Adalie und dann, in großem Abstand, die Wiederaufnahme der Haupthandlung nach der letzten eigenständigen Episode von Renard-Barsine: von hier ab wird Adalie vom Erzähler nicht mehr verlassen. Gegeben ist mit diesen Platzierungen ein – im zweiten Fall maximal gedehnter, und daher umso auffälligerer – Bezug zu beiden Textgrenzen. Für jede Gruppierung der Dreiergruppe, mit Ausnahme eines Zusammensehens der Elemente zwei und drei (a-b-b), lassen sich Argumente finden: gleich sind die Elemente (a-a-a) hinsichtlich der Sängerin (Adalie), der Darbietungsform (Gesang), der lyrischen Gattung (Arie), der komplizierten Adressatenschaft, des Themas im Allgemeinen (Liebe). Unterschiedlich sind alle drei Elemente (a-b-c) mit Blick auf ihre Form und Länge, mit einer Tendenz: die Formen werden simpler.20 Die ersten beiden Elemente (a-a-b) sind hinsichtlich ihrer Stellen benachbart, sie gehören, funktional und thematisch, in die Werbungsphase und haben immer auch Rosantes zum Adressaten; die angestrebte Kommunikation gelingt. Das mittlere unterscheidet sich von den äußeren Elementen (a-b-a) dadurch, dass Adalie hier zur Darbietung genötigt wird, während sie sonst gewohnheitsmäßig und selbstgenügsam, nur aktuell oder hypothetisch21 mit Blick auf eine verborgene, wiewohl bewusste Adressatenschaft mu20 Die Strophenform in der ersten Arie zeigt noch Anklänge an eine Kanzone (regelmäßige Kombination von Versen unterschiedlicher Länge – trochäische Vier- und Zweiheber –, sechsversiger Auf-, vierversiger Abgesang (aabcbcDDee), strophenübergreifende Wiederholungen: des a-Reimes der ersten in der zweiten Strophe; der Reimwörter des ersten Verspaares im Schlusscouplet); die Strophenform der zweiten Arie kombiniert noch vier Verse im Kreuzreim mit einem Couplet; in der dritten hat sich die Binarität voll durchgesetzt (AbAbCdCd). 21 Dass sie sich einen Zuhörer, obwohl sie die Einsamkeit zu verlassen fürchtet, wünscht, offenbart sie für die dritte Arie auf Seite LA 359.

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siziert. Insgesamt also eine textgrenzenbezogene Reihe markant und asymmetrisch platzierter, weniger Elemente, die, ein Fluktuieren interessanter Unterscheidungen zu ermöglichen, sich hinreichend ähneln. Noch ruhiger in der Erstreckung des gesamten discours, ohne also die stellenmäßige Asymmetrie der dann doch unterschiedlichen zwei Arien in der Werbungsphase und der einen Arie gegen den Schluss der Adalie, liegen die sechs Elemente der Reihe in der Reise einer höflichen und geschickten Person: da die Elemente 1–4 und 5–6 Gruppen bilden,22 sind es eigentlich nur zwei Stellen, Intervalle bildend von 51, 53 und 32 Seiten. Gelegenheit zur Zitation der Texte bietet jeweils eine Interaktion unter Gleichrangigen (Seladon – Secretair, Seladon – Franzose), thematisch wird aber in der ersten Gruppe die Interaktion mit höherrangigen, in der zweiten Gruppe mit weiblichen Personen: insofern tritt zum Einheitsbezug durch die Platzierung im discours ein Einheitsbezug durch die thematische Berührung aller Episodentypen. Von der ersten zur zweiten Gruppe zeigt sich hinsichtlich mehrerer Aspekte eine Verknappung,23 die mit ähnlichen Tendenzen auf anderen Ebenen des Romans zusammengeht.24 Die Verschiebung des Gewichts, im Laufe der koordinierten Liebeshandlungen des Carneval der Liebe, von der Werbungsphase in Richtung des Handlungszieles, nimmt auf und verstärkt die Reihe der sieben Verseinlagen des Romans. Die ersten fünf gehören zu Handlungsfunktionen des Werbens,25 die letzten beiden sind jeweils dem Handlungsziel des Todes beigeordnete Epitaphien. Der Umschlag erfolgt in Floramor-Belline, entsprechend groß ist die Lücke zwischen dem vorletzten und letzten Element (136 Seiten; davor sind die Intervalle – rechnet man für die ersten drei Elemente eine gemeinsame Stelle – recht regelmäßig: 68, 58, 90, 71). Die Gruppe der ersten drei Elemente hat, zur ersten Werbungsphase der ersten Liebeshandlung gehörend, unbestritten einen Bezug zum Textanfang, das siebte Element, über die letzten 5 Seiten sich erstreckend und mit der einsätzigen letzten Liebeshandlung einen finalen Kontrast 22 Die Elemente 1–4 stammen alle von Seladon, sind mit Überschriften versehene Alexandriner, haben die Besichtigungen des Vortages zum Anlass, werden alle vom Secretair mitgenommen; die Elemente 5–6 stammen alle, im selben Gesprächskontext, mit demselben Erlebnis des Vortages im Hintergrund, vom Franzosen; sind metrisch unregelmäßig, mit je einem Reimwort auskommend, durchsetzt von Gallizismen. In der ersten Gruppe gibt es eine thematische Binnendifferenzierung der panegyrischen der drei ersten und des eine Begegnung mit Frauenzimmern thematisierenden vierten Elementes. 23 Das ist, natürlich, die Anzahl der Texte; ihr Umfang und Versmaß; die Differenzierung der ›Vorlage‹ – für die ersten vier Epigramme sind es noch unterschiedliche, vorher schon auseinandergehaltene Etappen der Schlossbesichtigung –; die Umständlichkeit der Produktion und Darbietung. 24 Der mit dem Wechsel von höfischen zu städtischen Reisestationen einhergehende Wechsel im zeitlichen Medium, wo dann die übersprungene Zeit nicht mehr deckend erwähnt wird. 25 Das vierte Element (CL135–139) gehört zur Werbung eines Nebenbuhlers, also nicht mehr in die eigentliche Werbungsphase von Floramor-Rosinde.

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bildend, zum Textende. Dafür handelt es sich beim Schlussepitaph streng genommen um keinen Bestandteil der histoire26 und um keine Verseinlage mehr: nachgebildet wird durch den häufigen Zeilensprung und den zentrierten Satz nur die Inschrift. Bei den Epitaphien gibt es eine deutliche Zunahme an Umfang und Ausführlichkeit, bei den ersten fünf Elementen ein zunehmendes Gelingen der Kommunikation bei abnehmender Komplexität in der Übermittlung. Durchgängig variiert wird der Schriftträger,27 aber auch weitere Merkmale können dazu dienen, die Elemente je von allen anderen abzugrenzen.28 Hinsichtlich der Stellen keinen Einheitsbezug mehr, aber doch eine durchgängige Eigenvariation weisen die Reihen der Verseinlagen des Satyrischen Roman und Schelmuffsky auf: in beiden Fällen sind die Intervalle unregelmäßig,29 unterhält das letzte Element zum Textende keinen deutlichen Bezug.30 Zu gruppieren sind im Schelmuffsky die Elemente 3–4 (Brief und Antwortbrief) und 5–6 (verworfener Entwurf und Ausarbeitung des Hochzeitscarmen); im Satyrischen Roman die Elemente 2–7 (alles Epitaphien im Kontext des ersten Briefelements) und die letzten beiden, 11–12 (lächerliche Zaubersprüche Cyprians). Im Schelmuffsky sind die jeweils zweiten Elemente der Gruppen von der Hand Schelmuffskys und metrisch gegenüber den ersten Elementen defizitär.31 Die Variationsreihe ist dort also: Zauberspruch, Versepistel, Hochzeitscarmen, Motto; im Satyrischen Roman: Beschluss und Besiegelung eines Monologes, Epitaphien, Pasquill, epigrammatische Hochzeitsgratulation, Versepistel/Reflexion, Zaubersprüche. Die pragmatischen Zusammenhänge und ihre Komplexität variieren stark, deshalb fällt ein Zusammensehen der Reihe jeweils schwer. Was Selander in der Eingangsszene des Satyrischen Romans macht – am Ende seiner monologischen Klagen sein Schnupftuch ins Wasser tauchen, sich damit Augen und Wange abwischen und in einem Vierzeiler die Überwindung seines kläglichen Zustandes besiegeln – das macht sonst in dem Roman niemand mehr; und der Vierzeiler steht in größtem Kontrast zu Selanders ausgesprochen schriftlichen Produktionen später (der Gruppe der Elemente 2–7, des Elementes 26 Der Erzähler imaginiert das Epitaph: »Auf ihr Grab könte folgendes geschrieben werden: […].« (CL 436) 27 Die Elemente 1–3: das Fenster im Zimmer Floramors; 4: ein Brief; 5: Papier, in das Belline ihr Portrait wickelt; 6: der Grabstein; 7: der imaginierte Grabstein. 28 1–3: dass es hier zu einem regelrechten Schlagabtausch, zu Überschreibungen kommt; 4: der große Umfang, die Alexandriner; 5: das prägnante Gelingen der Kommunikation; 6: der epigrammatische Witz; 7: die moralisch gefärbte Düsternis. 29 Fasst man im Satyrischen Roman die Elemente 2–7 (die Epitaphien) als Gruppe auf, sind die Intervalle: 1, 96, 25, 8, 1, 41, 61. Im Schelmuffsky: 9, 28, 4, 1, 6, 0, 30, 40. 30 Immerhin steht das letzte Element im Schelmuffsky (SM 80) paratextlich dem ganzen zweiten Teil voran. 31 Vorlage sind jeweils Alexandriner. Im vierten Element antwortet Schelmuffsky mit freien, im sechsten mit herkömmlichen, also vierhebigen Knittelversen.

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

10, SR 146–153): diese lassen sich, durch ihre briefliche Adressierung, die ingeniöse Bezugnahme je auf eine aktuelle Schwierigkeit in der Liebesbeziehung Selander-Arismenia eher zusammensehen – dann aber sind die Epitaphien nur Bestandteile der brieflichen Komposition, die das zehnte Element ganz ausmacht. Die Elemente 8 und 9 (SR 135f, 144f) gehören zum selben, spöttischsatirischen Verhältnis Tyrsatens zur Liebeshandlung der Engländerin (SR 135– 145) bei doch einer großen Variation der satirischen Mittel (ein fingierter Dialog hier, eine leitende Kartenspielmetapher dort). Ganz anders wieder die wirkungslosen und lächerliche Zaubersprüche Cyprians. Auch im Schelmuffsky hebt sich der Zauberspruch Herrn Gergens durch die Selbstverständlichkeit seiner Einbindung in den szenischen Zusammenhang von den übrigen Verseinlagen ab. Das Epitaph für Lisette (SM 37) hat keine notierte Wirkung, der Briefwechsel mit Charmante funktioniert, das taktlose Hochzeitscarmen passt gut in den gesamten Auftritt Schelmuffskys auf dieser Gesellschaft. Das paratextliche Motto fügt sich in und befördert die Fiktion von Schelmuffskys Autorschaft. Besonders fein gestaltet ist der pragmatische Zusammenhang für Selanders Brief der Seiten SR 146–153: Handlung und Anlass zur Zitation ist hier nicht die Übermittlung des Briefes selbst, sondern, dass Tyrsates die Schrift bei Selander findet und dies bei einem Besuch Selanders und Arismenias durch eine allusive Bemerkung zu erkennen gibt; sowie die daraus folgende, kurze Irritation in deren Verhältnis. In den übrigen Romanen (Adelphico, Student, Welt, Höfe, Octavia) gibt es keine durchgängige Variation der Elemente mehr: es mischen sich also einander ähnliche und stärker unterschiedene Elemente. Immerhin können in den drei erstgenannten Romanen Schwerpunkte ausgemacht werden, von denen aus sich die übrige Reihe perspektivieren lässt. Im Adelphico wird, in einer auf den ganzen discours wieder deutlich bezogenen Reihe,32 durch die ersten beiden Verseinlagen ein Grundmuster etabliert, das in der Folge nur noch einmal vollständig (AP 63–65)33 und vielfach defizitär34 variiert wird: ein jeweils Unbeteiligter reflektiert ›zufällig‹ den Stand der aktu32 Die Intervalle sind: 6, 5, 30, 7, 7, 3, 20, 6, 38, 3, 8. Das sind drei größere Intervalle (20 bis 38 Seiten), ansonsten kleine Intervalle ähnlichen Umfanges (3 bis 7 Seiten). Das letzte Element reicht an die zweite Textgrenze dicht heran, das erste Element an die erste Textgrenze mit einem kleinen Intervall. 33 Unter den drei vollständigen Ausformungen dieses Modells entsprechen sich inhaltlich das erste (AP 6–8) und fünfte Element – hier wird lyrisch je die Liebesabwehr Adelphicos reflektiert; die entsprechende Thematisierung führt dann aber doch zum Geständnis; der Situation nach aber entsprechen sich das zweite (AP 13f) und fünfte Element – hier ist es Musano, der, vom Liebespaar zunächst nicht gesehen, in einem Park eine Arie übt. 34 Die defizitären Variationen verzichten je auf eine Komponente dieses Modells: eine Reflexion durch einen Dritten ohne aber einen neuen Handlungsanlass (AP 68f); eine Reflexion durch den Betroffenen selbst mit neuem Handlungsanlass (AP 48f); Reflexionen durch den Betroffenen ohne Handlungsanlass (AP 56f, 134–136, 139f).

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ellen Liebeshandlung; das Liebespaar wird dessen Zeuge; dies wiederum wird neuer Gesprächs- und Handlungsanlass. Ganz außerhalb dieses Modelles bewegen sich, als pragmatische Formen, das Pasquill (AP 89f) und die Hochzeitsglückwünsche (AP 96, 148–152). Der erste der beiden sticht noch durch die Verfasserschaft des Erzählers hervor; der zweite leistet eine semantische Verknüpfung der Hochzeit Adelphicos mit der biographischen und genealogischen Handlung. Mit zwei Ausnahmen, dem Pasquill, das eigentlich keine Verse enthält, und dem in Alexandrinern gefassten ersten Hochzeitsglückwunsch, wechseln sich Arien und Cantaten ab: mit einer deutlichen Rahmenfunktion der selteneren Cantaten (Elemente 1, 3, 9, 11). Reicht hier eine durch den pragmatischen Kontext definierte Variationsreihe in defizitären Elementen bis vor das letzte Element, hat der vom Ende her gesetzte inhaltliche und pragmatische Schwerpunkt der Reihe der dreißig Verseinlagen des Verliebten Studenten – auch diese ist deutlich auf den gesamten discours bezogen35 – eine weit geringere Reichweite: so wie die Briefreihe des Romans erst zum Schluss in der Haupthandlung ihren stabilen Kontext findet, beschäftigen sich alle Verseinlagen ab Element 22 (VS 182–184) damit, den glücklichen Handlungsausgang der Haupthandlung zu zelebrieren.36 Unmittelbar zu gruppieren sind im übrigen Feld aufgrund eines gleichen Verfassers und Kontextes die Elemente 5–6 (VS 56–58) 7–8 (VS 60–62), 15–17 (VS 153–156). Die meisten Gedichte sind, wie die Gratulations- und Jubelgedichte, rein reflexiver Natur.37 Pragmatisch etwas komplexer sind fünf Elemente.38 Ein Drittel aller Gedichte stammt von Infortunio, ein weiteres Drittel von seinen Freunden, das letzte Drittel von anderen Figuren. – Insgesamt setzt sich also, bis zum ›Einbiegen‹ in die Haupthandlung, in den ersten drei Vierteln der Reihe kein Ordnungsmuster durch, wiewohl viele angeboten werden. Die Reihe der 18 Verseinlagen der Verliebten und galanten Welt ist, mit deutlichen Abständen zu den beiden Textgrenzen, eher unregelmäßig auf den

35 Die Intervalle sind: 7, 21, 3, 3, 17, 0, 2, 0, 1, 2, 43, 23, 2, 2, 11, 0, 0, 5, 1, 4, 1, 6, 1, 1, 0, 2, 12, 1, 0, 0, 10. Eine den gesamten discours durchziehende Reihe also mit geringen Abständen zu den Textgrenzen und wenigen großen Intervallen nach dem ersten Element und etwas vor der Textmitte. 36 In einer ersten, mit Infortunio selbst beginnenden Gratulationsrunde (die Elemente 22–24, 26 – VS 182–188, 192–194), dann in reflexiven Jubelgedichten des Helden (die letzten vier Elemente der Reihe – VS 206–213); allein das Element 25 (VS 188–190) könnte, als Absage an alle Ausschweifungen zugunsten der Treue zu Bellandra, der Wert einer Handlungsfunktion zugeschrieben werden. 37 Die Elemente 3 (VS 34f), 15–17 werden von genossener Gunst unmittelbar inspiriert. Element 18 (VS 161–163) soll die zu erwartende Gunst vorbereiten. Einen negativen Affekt haben die Elemente 1 (VS 7), 2 (VS 28–31), 10 (VS 66–68), 19 (VS 164–166) und 20 (VS 170–172) zur Grundlage. 38 Die Elemente 1, 4 (VS 38f), 9 (VS 63f), 12 (VS 136), 14 (VS 141f).

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discours verteilt39 und bildet auch am Ende einen etwas weniger ausgeprägten Schwerpunkt aus als die Reihe des Studenten. Parallel zur Briefreihe werden die im Kontext von Seladon-Amalia verfassten Gedichte 13–15 (VW II/99, 114f, 120– 124) und 18 (VW II/156–158) pragmatisch und inhaltlich feiner differenziert. Ihnen beigesellt sind, in lockerer Alternation, die etwas plumpen und derberen Ständchen des Oberst Telo (VW II/51) und Rhodopens (VW II/151), für die es ebenfalls im ersten Teil des Romans keine Entsprechungen gibt, und, die Gruppe eröffnend, ein harmloser Sinnspruch Seladons zur Markierung des Glückswechsels in Seladon-Ariane (VW II/51). Ansonsten dominieren rein reflexive Gedichte (sieben Elemente: VW I/26f, 62f, 103, 110–112, 168–170, 187f) mit gelegentlichen Verdichtungen: so bilden die ersten beiden, wie zwei Opernarien, ein kontrastierendes Duo im selben Handlungskontext, legt das achte Element (VW I/135) einen Zustand reflexiv dar, der durch die passgenaue Beantwortung und Entsprechung des Folgeelementes (VW I/136) gewendet wird. Das dritte Element (VW I/148) ist lediglich ein für die Werbung gebrauchtes Zitat aus der eben gehörten Oper, das fünfte (VW I/87–90) wäre, aus dem ersten Teil, wohl als einziges den Produktionen Seladons an die Seite zu stellen. Die Reihe der 22 Verseinlagen in den Europäischen Höfen ist in ihrer Verteilung sehr unregelmäßig; ansonsten mit einer markanten Nähe zum Textanfang und einem großen Abstand zum Textende ausgestattet.40 Ein inhaltlicher oder pragmatischer Schwerpunkt ist nicht auszumachen. Bei den Verfassern überrascht eine starke Hervorhebung Siliberts,41 die Verteilung auf die Handlungskontexte entspricht aber weitgehend deren allgemeiner Hierarchie.42 Pragmatisch ließen sich sechs Gruppen bilden.43 Kein Gedicht wird lobend hervorgehoben, aber Siliberts unter Einfluss des Trankes geschriebene Verse (EH 867–869) erhalten, wie auch der entsprechende Brief, eine tadelnde Diskussion (EH 869f). Parallele Markierungen im Kontext von Gustavus-Arione und Iranio39 Die Intervalle sind: 26, 1, 21, 14, 24, 13, 7, 23, 1, 32, 17, 56, 48, 15, 5, 27, 0, 5, 38 40 Die Intervalle sind: 6, 71, 36, 2, 4, 1, 58, 31, 9, 79, 41, 10, 131, 57, 3, 61, 40, 85, 32, 61, 174, 2, 110. 41 Auf ihn gehen fünf Elemente zurück (EH 114f, 121, 180, 835, 867–869), sonst gibt es sechs Verfasser zweier Gedichte (Amariane, Dorimene, Arione, Iranio, Gustavus, Heroald), die übrigen mit nur einer Zuordnung. 42 Siebenmal Gustavus-Arione, viermal Iranio-Amariane und Silibert-Dorimene, dreimal SilvioMätressen, Silibert-Adina, Albion-Marchiana einmal. 43 Reflexion ohne weitere Konsequenzen (Elemente 1–2, 10–12 auf den Seiten EH 6f, 78, 301f, 343f, 454, 749f – die Kategorie ist Arione, Gustavus und Iranio vorbehalten); Reflexion mit verborgener Zuhörerschaft (Elemente 9, 14, 18, 21–22 auf den Seiten EH 220–222, 643, 835, 1104, 1106f); eine anonyme, verborgene Korrespondenz in Versen (Elemente 3–6 auf den Seiten EH 114f, 117, 121f) – die Kategorie gehört allein in den Kontext von Silibert-Dorimene; Grabschriften (Elemente 7–8, 20 auf den Seiten EH 180, 211, 930); epigrammatische Kommentierung öffentlicher Angelegenheiten (Elemente 13, 15 auf den Seiten EH 586, 646f – die Reihe ist dem gallischen Schauplatz vorbehalten); ein werbender Zweck (Elemente 16, 19 auf den Seiten EH 708f, 867–869).

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

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Amariane gibt es durch die Elemente 1, 9 (EH 6f, 220–222) und 21–22 (EH 1104– 1106f): beides sind klagende, teilweise schon belauschte Reflexionen der Heldinnen kurz vor dem Glückswechsel in einem Wald. Alleine dem ersten Element ist der Glückswechsel indes, durch die Figur des Echos, bereits eingeschrieben; alleine dies erste Element enthält so für die Handlungsstruktur eine doppelte, auf die aktuelle und die künftige Lage bezogene Signifikanz.44 Die Nähe der Reihe der 62 Verseinlagen45 der Römischen Octavia zu den Textgrenzen ist, gemessen am durchschnittlichen Intervall, sehr groß.46 Es muss aber sonst eine große Unregelmäßigkeit der Intervalle konstatiert werden; allenfalls, dass die größten in der zweiten discours-Hälfte liegen, lässt sich sagen. Die Eigenvariation der Reihe ist so ausgeprägt, die einzelnen Verwendungen sind gegeneinander so fein differenziert, die möglichen Gruppenbildungen in der großen Menge der Elemente so unerheblich, dass eine wie immer geartete, zusammenfassende Orientierung in ihr kaum möglich, stattdessen, noch mehr als in der Briefreihe, immer wieder auf jeden Einzelfall gesondert zu schauen ist. Sodass es sich, in unserm Korpus, um die, was die Integrationsleistung angeht, wohl unergiebigste, was aber die Variationsleistung für das Motiv der Verseinlage angeht, ertragreichste Reihe handelt. Bei den Handlungskontexten gibt es eine hierarchiekonforme, deutliche Hervorhebung der Haupthandlung inklusive der dort integrierten Nebenbuhlerschaften (11 Elemente).47 Die übrigen Häufungen lassen sich durch die Handlungshierarchie indes nicht mehr erklären: aus der histoire unmittelbar ergeben sie sich bei den politischen und religiösen Veranstaltungen (7 Elemente)48 und im Kontext der Liebeshandlung um den Dichter Martialis (8 Elemente).49 Die Geschichte der Solane erwies sich auch in anderen Hinsichten bereits als Sonderfall (5 Elemente).50 Das andere sind niedrige Häufigkeiten. Unmittelbar, wegen selber Verfasserschaft und/oder selbem Handlungskontext, lassen sich sechs Paare gruppieren.51

44 Vgl. die Behandlung oben, Kap. 1. 45 Vgl. für alle Seitenbelege – und zusätzliche Informationen – die Tabelle im Anhang. 46 Die Intervalle sind: 3, 1, 82, 34, 19, 113, 31, 173, 9, 2, 255, 6, 33, 43, 27, 99, 30, 136, 139, 42, 1, 59, 114, 82, 71, 54, 2, 127, 2, 128, 410, 0, 32, 8, 37, 1, 123, 49, 55, 100, 1, 120, 142, 114, 24, 89, 17, 11, 3, 2, 640, 615, 2, 7, 84, 249, 73, 122, 1, 504, 20. 47 Die Elemente 1–5, 7, 16–17, 40, 55–56. 48 Die Elemente 13–14, 36–37, 39, 42, 62. 49 Die Elemente 20, 31–35, 41, 60. 50 Die Elemente 48–52. 51 Die Elemente 1–2, 9–10, 31–32, 36–37, 41–42, 55–56. Bereits in einem Element zusammengefasst wurden unterscheidbare Texte in den Elementen 47, 51.

240

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Eine Sortierung nach literarischen Gattungen – »Lyrisches«, »Epigrammatisches«, »Episches«, »Dramatisches« – nimmt Maria Munding vor.52 Haslinger unterscheidet Gedichtformen mit, als Untergruppen, lyrischen Gedichten, religiösen Hymnen und Chorgesängen; und Spruchformen, mit den Untergruppen der spruchhaften Orakelform und der epigrammatischen Form.53 Die im Roman selbst gebrauchten Termini sind der Liste im Anhang zu entnehmen, am häufigsten sind Reime54 und Lieder.55 Am auffälligsten sind zweifellos die dramatischen (Elemente 13–14, 62) und die epischen Stücke (Elemente 15, 30, 33, 35, 45).56 Analepsen Der Romaneinsatz medias-in-res (gegeben in dem Romanen Octavia, Höfe, Amor, Student und, eigentlich nicht, aber doch scheinbar, im Satyrischen Roman) etabliert im Leser unmittelbar die binäre Unterscheidung von ›Gegenwartsgeschichte‹ und ›Vorgeschichte‹, weckt also auf ein Referat dieser und eine Unterbrechung jener die Erwartung. Typischerweise (so in allen unseren Fällen) wird das die Haupthandlung betreffende, und vordergründig mit dem Romaneinsatz geweckte Informationsbedürfnis auch zuerst gestillt: wird die Alternanz von Passagen der Gegenwartsgeschichte und der Vorgeschichte in den zu Beginn eingerichteten Maßen fortgeführt, emanzipiert sich notwendig die discoursgliedernde Funktion dieser Reihe von der Reaktion auf das anfangs geschaffene Wissensdefizit; selbst wenn weitere solche in anderen Handlungskontexten entstehen und Erzählungen veranlassen, das Leserinteresse wird für diese nicht mehr dadurch zu gewinnen sein, dass entscheidendes Verlaufswissen über den

52 Vgl. Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«. Diss. Masch. München 1974, S. 205f. 53 Vgl. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 212. 54 Die Elemente 1, 7, 8, 11, 16, 23, 28, 29, 31, 32, 34, 41, 46, 54, 57, 59 (16). 55 Die Elemente 3, 6, 12, 18–20, 24, 27, 39, 42, 52, 55, 56, 61 (14). 56 Notiert seien noch folgende Gruppierungsmöglichkeiten. Auffällig als besonders häufiges lyrisches Thema ist der Abschied (8 Elemente: 4–6, 11, 18–19, 27, 39); in einen Kontext der aktiven Werbung fallen 13 Stücke (8–10, 16, 19–20, 24, 29, 46, 48, 50–52); außerhalb des Kontextes einer Liebeshandlung stehen 15 (12–15, 30, 33, 35–38, 42, 47, 57–58, 62); in Kontexte der Verwechslung, der Verschleierung von Autor oder Adressat eingebettet sind 22 Stücke (2, 7, 9–10, 17, 20–21, 29, 31–32, 34, 38–39, 43–44, 46, 48, 51–53, 59); ausgewiesene Zitate aus literarischen Werken sind 8 Texte (15, 26, 30, 33, 35, 45, 49, 61) und es gibt drei Prophezeiungen (40, 44, 58). Eine Gruppierung des vorherrschenden Affektes kann auch erfolgen: klagend 25 Stücke (1–6, 11–12, 17, 19–20, 22–23, 25, 27, 39, 43, 46, 52–55, 57, 59, 61), witzig/gewandt nur 7 (31–32, 34, 41, 50–51, 60). Das Element 47 wiederholt en miniature, im Kontext des Bilderzimmers, die komplizierten mehrfachen Zuschreibungen von der Aufführung des Singspiels.

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

241

discours im Ganzen versprochen wird. Stattdessen wird eine forcierte Eigenvariation der maßgeblich in den Analepsen untergebrachten histoire nötig.57 Folgende Tabelle bietet einen ersten Überblick über die integrative Funktion der Analepsen in den einzelnen Romanen. Die Stellen aller Analepsen sind oben und, im Falle der Octavia, im Anhang gelistet. Roman

Anzahl der Analepsen

Seitenumfang Anteil am Geder Analepsen samtumfang

Höfe

29

787

0,65

Phasenbildung im Rhythmus von Analepsen und Gegenwartsgeschichte (Anzahl der Phasen) Ja (6)

Amor Student

7 20

80 120

0,57 0,55

Ja (2) Ja (3)

Octavia Welt

204 5

2547 81

0,4358 0,21

Ja, mehrfach Ja (3)

Adelphico Satyrischer Roman

3 2

21 17

0,14 0,07

Nein Nein

Adalie Reise

1 2

20 2

0,04 0,01

Nein Nein

Schelmuffsky – Statist –

– –

– –

– –

Carneval









Die Erläuterung, sofern benötigt, der Phasenbildungen: Keine Phasen Adelphico Es gibt nur eine ausführlichere, metadiegetische Analepse (AP 71– 90), enthaltend Fermont-Helene. Der Erzähler greift an zwei Stellen in die Vergangenheit zurück: um über den vermeintlichen Tod Cassandres (AP 25f) und darüber zu informieren, wie Adelphicos Vater von der Verlobung Adelphicos schon Kenntnis gewinnen konnte (AP 141f: »Wie aber der alte Herr von Adel57 Hierzu vgl. oben die über den Handlungsbezug der Analepsen gebildete einheitsbezogene Reihe der Römischen Octavia (Kap. 2.4.8), den Abschnitt über die Variationen der Liebeshandlung (Kap. 3.1.1) und unten die Kapitel über die Variationen des politischen Feldes in der Octavia (Kap. 5.10). 58 Das ist ein etwas höherer Anteil als in der Aramena (zwei Fünftel), aber immer noch weniger als in der Clélie (sieben Zwölftel) und der Cléopatre (sieben Zehntel) – die Angaben bei Lugowski: Die märchenhafte Enträtselung der Wirklichkeit im heroisch-galanten Roman (zuerst 1936). In: Richard Alewyn (Hrsg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln/Berlin 1966, S. 372–391, hier: S. 378f.

242

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

phico solches erfahren / kan ich dem geneigten Leser zur beliebigen Nachricht geben / […].«). Adalie Die einzige Analepse, die nicht nur raffendes, sondern auch szenisches Erzählen aufweist, stellt der Bericht dar, den Barsine Renarden über den Verlauf ihrer Abenteuer ab dem Tode Lionardens gibt (LA 280–300). Zwangsläufig werden Analepsen dort, wo der Erzähler zwischen seinen Helden Rosantes und Renard alterniert; die genaue zeitliche Distanz, die jeweils ›zurückgegangen‹ werden muss, ist aber unbedeutend und generell dominiert der Eindruck eines fortlaufenden, gleichzeitigen Geschehens; das heißt: die ›Gegenwart‹ wird sehr schnell die des jeweils wieder in Fokus stehenden Helden, ohne nachvollziehbaren Bezug zu der des zurückgelassenen Helden (LA 102–105, 113, 227f). Etwas anderer Art sind noch die Informationen, die zum Verständnis der Personenkonstellation bei den funktionalen Verschränkungen notwendig, und in den Fluss der Erzählung durchaus unauffällig integriert werde, vgl. etwa LA 147: »Die rechte Ursache aber / die Arminden zu einer wiedrigen Meinung bewegte / war der andere junge von Adel / Bellarde Nahmens / welchen sie nicht gerne in Renardens Gegenwart leiden wolte; Denn weil sie ihm bißhero wegen seiner gegen sie bezeigten Liebe einige Hoffnung zu ihrer Gunst gemacht / Renard aber nun grössern Antheil daran hatte / schienen ihr Billardens vermuthete Klagen nur eine Hinderniß ihrer freyen Unterredung mit Renarden zu seyn / dannenhero suchte sie nach Möglichkeit seinen Zuspruch abzuwenden.« Carneval Analeptisch sind der Übergang von Floramor-Belline zu SelimorScintille (CL 301) und von Selmir-Scintille zu Sylvander-Saladine (CL 364), ohne dass das Erreichen der ›Gegenwart‹ markiert würde. Zwei Phasen Amor Die Intervalle sind: 1, 10, 7, 27, 17, 6, 2, 12, 30, 12, >1, 8, >1, 2, 1. Phase I: AU 1–113, etwa gleicher Anteil von Analepsen und Gegenwartsgeschichte bei unregelmäßiger Abfolge. Phase II: AU 113–136: beinahe ausschließlich Analepsen. Auf die Haupthandlung beziehen sich die Analepsen 1–2. Analepse 2 ist eine interne Analepse. Die übrigen umfassen je eine Liebeshandlung ohne Bezug zur Gegenwartsgeschichte oder Haupthandlung.

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

243

Drei Phasen Student Die Intervalle sind: 3, 8, 12, 22, >1, 9, 17, 8, >1, 12, >1, 11, >1, 6, 2, 3, 3, 2, 6, 4, 1, 8, >1, 3, >1, 5, 1, 6, >1, 6, 28, 1, 5, 6, 12, 2, 5, 1, 1. Analepse 9 (VS 117f) ist in die Analepse 8 integriert und taucht deshalb in der Reihe nicht auf. Phase I: VS 5–76, umfangreiche Analepsen, umfangreiche Partien der Gegenwartsgeschichte. Phase II: VS 76–163, kaum Gegenwartsgeschichte, viele kleinere Analepsen. Phase III: VS 163–223, größere Partien der Gegenwartsgeschichte, kleine Analepsen. Welt Phase I: der erste Band, hier kommt es selten und einigermaßen gut verteilt zu kurzen Analepsen. Phase II: VW II/1–95, weitgehende Deckung durch eine große, eine etwas weniger als halb so große Analepse. Phase III: bis Schluss, keine Analepsen. Komplexere Phasenbildungen Höfe Folgend die Abfolge analeptischer und ›gegenwartsgeschichtlicher‹ Passagen (die Analepsen fettgedruckt; die vom Erzähler vorgenommenen Analepsen fett und kursiv; angegeben wird jeweils der Umfang der Passage): 32, 74, 2, 39, 1, 31, 3, 29, 8, 12, 41, 17, 3, 14, 220, 5, 3, 53, 1, 8, 6, 14, 2, 4, 72, 5, 32, 1, 20, 19, 2, 2, 5, 16, 3, 26, 29, 42, 6, 8, 111, 1, 10, 116, 3, 2, 2, 3, 6, 3, 1, 7, 1, 4, 18, 3, 15. Geht man davon aus, dass die kleineren, unüberschriebenen Analepsen so weit in die Gegenwartsgeschichte integriert sind, dass sie eher ihr, als der Reihe der ›großen Erzählungen‹ zugerechnet werden, wird das Bild noch einmal übersichtlicher: 32, 74, 2, 39, 1, 31, 3, 29, 20, 41, 40, 220, 96, 72, 59, 19, 9, 16, 3, 26, 29, 42, 6, 8, 121, 116, 67. Es gibt folgende rhythmische Auffälligkeiten: – Die nur marginal unterbrochene Folge der ersten vier Analepsen, von denen die letzten drei etwa gleich lang sind, die erste das doppelte dieser Länge umfasst; nimmt man die erste Passage der Gegenwartsgeschichte hinzu, ergibt sich ein ›Normalmaß‹ von etwa 30 Seiten; – Der längsten Analepse (Nr. 8, 220 Seiten) folgt immerhin die zweitlängste Partie der Gegenwartsgeschichte (96 Seiten); dieser folgt die drittlängste Analepse (Nr. 13, 72 Seiten) und dieser wiederum eine nur wenig kürzere Partie Gegenwartsgeschichte (59 Seiten). Erst dann verringert sich das Maß wieder deutlich.

244

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

– Hier also gibt es wieder eine Folge kurz unterbrochener Analepsen, gewöhnlich unter dem Normalmaß, mit steigender Tendenz; am Ende der Reihe erreicht auch die Partie der Gegenwartsgeschichte das Normalmaß, die abschließende Analepse 20 liegt darüber (42 Seiten). – Vor Schluss folgen die längste Passage der Gegenwartsgeschichte (121 Seiten) und die fast genauso lange, zweitlängste Analepse (Analepse 23, 116 Seiten) aufeinander. – Der Roman schließt mit einer Partie der Gegenwartsgeschichte ab, die etwa den doppelten Umfang der Eingangspartie aufweist. Zwischen diesen auffälligeren Abschnitten liegen nur die Folgen 20, 41, 40 – also eine Verdoppelung, dann ein Gleichbleiben – und die Folge 6, 8 – also eine kurze Folge kurzer Elemente. Außerhalb dieser Folgen gibt es keine Wiederholungen. Jedes ›Muster‹ kommt also nur einmal vor. Von den in den oben in der zweiten Reihe noch aufgeführten, ›großen‹ Analepsen erreicht alleine Analepse 4 die Gegenwartsgeschichte nicht. Tatsächlich bleibt ja die hier beschlossene Liebeshandlung Albion-Marchiana als einzige ohne kausale Relation zur Haupthandlung. Für die Fortsetzungen ist die Unterscheidung interner und externer Analepsen sinnvoll. Externe Fortsetzungen zum erstmaligen Erreichen der Gegenwartsgeschichte gibt es nur zwischen den Analepsen 1–3. Analepse 1 und 2 kommen in unterschiedlichen Handlungen an denselben Zeitpunkt, von dem aus Analepse 3 beide Handlungen zur Gegenwartsgeschichte führen kann. Hingegen die Fortsetzungen der Analepsen 19–21 und 23 (EH 801–827, 856–898, 904–912, 1033–1149), und, von den ›kleinen‹ Analepsen, der Analepsen 27–29 (EH 1168– 1175, 1176–1180, 1198–1201), stellen interne ›Aktualisierungen‹ von Handlungen dar, die schon die Gegenwartsgeschichte eingeholt hatten, räumlich von ihr aber getrennt wurden. Alle anderen Analepsen erreichen die Gegenwartsgeschichte in einem Zuge: das gilt auch für die komplementäre Handlungsbereiche abdeckenden Analepsen 16 (EH 754–773) und 18 (EH 782–798), die Erzählungen Viciludos. Durchaus zeichnet sich auf dieser Grundlage für die ›großen Analepsen‹ eine Phasenbildung ab: – Es gibt zunächst die externe Fortsetzungsreihe der Analepsen1–3; dem starken Bezug zur Haupthandlung kontrastierend entgegengesetzt wird in derselben rhythmischen Folge die Analepse 4 (EH 1–211). – Darauf folgen einfache, die Gegenwartsgeschichte in einem Zuge erreichende Analepsen (EH 211–798). In der Schlussphase gibt es nur noch interne Fortsetzungen (EH 798–1216).

›Grundrhythmische‹ Ordnung: Absatzbildung, Verseinlagen, Briefe und Analepsen

245

Octavia Alle auftretenden Analepsen kommen durch die Berichte und Erzählungen von Romanfiguren zustande, stellen also keinen Bruch dar mit der Regel, dass ein Fortschreiten des discours immer auch ein Fortschreiten der histoire bezeichnet. Abhängig in der Regel von der Länge der Analepsen liegt der Schwerpunkt aber mehr auf der Mitteilung des Vergangenen, seine Bedeutung also im je gegebenen Handlungskontext; oder aber der Inhalt der Mitteilung ist so differenziert und, ohne Rücksicht auf den Informationsbedarf des gegebenen Handlungskontextes, vollständig, dass die Mitteilungssituation zugunsten einer Durchsicht auf die Informationen aus dem Blick gerät. Weit häufiger allerdings, als es die Liste der Analepsen erfasst, werden Informationen im Gang der Handlung nachgeliefert. Die Unterscheidung wurde hier so getroffen, dass nur solche Passagen als Analepsen gelten, in denen Ansätze zu einer Erzählung sichtbar werden; in denen also ein Ereigniszusammenhang geschildert, und diese Schilderung in wörtlicher Rede wiedergegeben wird.59 Die Grenze ist aber fließend. Insgesamt ergibt sich für die einzelnen Bände folgendes Bild:60 Anzahl SeitenumAnalepsen fang insgesamt Analepsen insg./ Gesamtumfang; Quotient. 17 539/948; 0,57 33 547/971; 0,56

Anzahl Analepsen mit Überschrift

Deren Seitenumfang

Übrige Analepsen

Deren Seitenumfang

10

517

7

22

Seitenumfang des übrigen Textes (Gegenwartsgeschichte) 409

14

476

19

71

424

59 Nicht aufgenommen wurde also etwa auf Seite RO II/269 die Passage: »Vor diesesmahl sagte er ihnen / wie Nymphidius Sabinus des Kaysers Caligula Pallast bezogen / und sich aller dessen kostbahrer Schätze angemasset / auch in allen Spielen / die in dem Flaminischen Kreiß gehalten würden / die Ober-Aufsicht führete: woraus jemehr und mehr erhellete / wie er das Reich nicht für den Galba / sondern für sich selbst / begehrte.« Oder, Seite RO II/873: »[…] und fanden die Gesellschafft in des Corillus Pallaste noch beysammen / deren sie alles nach der Länge erzehlten / was sie gesehen hatten / insonderheit / daß der Schatz-Meister des Volcks / die Gesandten auf dem grossen Marckte entfangen / sie in des Saturnus Tempel hinein geführet / allwo sie ihre Nahmen von sich geben müssen / so allda in grossen Taffeln eingezeichnet worden / auch folgends sie nach den Mars-Felde begleitet / und ihnen allda acht herrliche für sie zu bereitete Palläste / zu ihrer Wohnung angewiesen / wobey insonderheit Nymphidius die rühmliche Vorsorge gehabt / und verordnet / daß die gantze Gesandschafft as dem Römischen Schatz solte verpfleget / und freygehalten werden.« 60 Die durch die Aufnahme aller Analepsen grundsätzlich höhere Auflösung ermöglicht die Vermeidung einer Diskussion über die Zählung der »Lebensgeschichten«, wie sie, mit Bezug allerdings auf die Ausgabe von 1675–1707, Haslinger vornimmt – vgl. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 264–267.

246

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

(Fortsetzung) SeitenumAnzahl Analepsen fang insgesamt Analepsen insg./ Gesamtumfang; Quotient. 37 511/1044; 0,49 37 406/951; 0,43 46 34 204

255/1145; 0,22 289/800; 0,36

Anzahl Analepsen mit Überschrift

Deren Seitenumfang

Übrige Analepsen

Deren Seitenumfang

11

436

26

75

Seitenumfang des übrigen Textes (Gegenwartsgeschichte) 533

10

311

27

95

545

9

143

37

112

890

11

224

23

65

511

2107

139

440

3312

2547/5859; 65 0,43

Im ersten Band findet sich die analeptische Textmenge überwiegend innerhalb der mit Überschriften versehenen Passagen (517 zu 22); in gegenläufiger Bewegung verändert sich dieses Verhältnis bis zum Höhepunkt im fünften Band zugunsten der übrigen Analepsen (143 zu 112), die also sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl (von 7 zu 37), als auch hinsichtlich ihres Seitenumfanges insgesamt (von 22 zu 112) zunehmen; so nimmt auch der Anteil der Analepsen am Gesamtumfang des jeweiligen Bandes bis zum fünften Band immer weiter ab. Dabei liegt zwischen dem vierten und dem fünften Band nochmal ein gewaltiger Sprung. Im sechsten Band dreht sich die Bewegung um in Richtung der Verhältnisse wieder des ersten Bandes. Dieser Befund bedeutet auch, dass der größere Umfang des fünften Bandes, blickt man allein auf die Gegenwartsgeschichte, wegen des signifikant größeren Anteils derselben gegenüber den Analepsen, doppelt zu Buche schlägt: die durchschnittliche Länge der Gegenwartsgeschichte in den übrigen Bänden liegt bei 484 Seiten; das ist ziemlich genau die Hälfte des Umfanges der Gegenwartsgeschichte im fünften Band. Die Regel, dass Analepsen in die Erzählung nur über erzählende Figuren eingebaut werden dürfen, gilt für diese erzählenden Figuren selber nicht. Sie also nutzen dies Mittel der Unterbrechung der eigentlichen temporalen Erzählrichtung, um über Hintergründe aufzuklären. Folgend eine Liste der wichtigsten dieser Analepsen innerhalb der Analepsen (nicht aufgenommen werden Wiederaufnahmen der Handlungen anderer Schauplätze nach dem Muster: ›inzwischen geschah in xy‹, siehe etwa RO IV/34): RO I/54f, 468f, 471, 473–476, 497–502,

Motivische Varietät anschaulicher Angaben im räumlichen Medium

247

547–553, 554, 582, 651f, 671f, 753–755, 815–845, III/282–284, III/540, VI/386– 394.Es zeigt sich ein deutliches Übergewicht analeptischer Passagen zweiten Grades in den expositorischen Geschichten des ersten Bandes. Die Phasenbildung bezüglich des Handlungsbezuges der Geschichten und ihrer Alternation mit der Gegenwartsgeschichte wurde oben schon besprochen (Kap. 2.4.7–8) Deutlich zeichnen sich im Korpus so drei Gruppen ab: In den Höfen, der Octavia, dem Amor und Studenten gibt es eine durchgängige Alternanz von Analepsen und Gegenwartsgeschichte; die rhythmischen Veränderungen dieser Reihe führen zu Phasenbildungen. Die Analepsen nehmen um die Hälfte des Gesamtumfanges ein, maximal sind es zwei Drittel (Höfe). In der Octavia und den Höfen sorgen die Überschriften für eine zusätzliche Differenz überschriebener und nicht überschriebener Analepsen; hier bilden die rhythmisch regelmäßige Reihe nur größere und in der Regel überschriebene Analepsen. In allen bisher genannten Romanen gibt es Phasen, in denen Analepsen in minimaler Distanz aufeinanderfolgen, in denen die Gegenwartsgeschichte also über mehrere Analepsen hinweg suspendiert wird; diese Phasen sind im Amor und Student besonders umfangreich. Die Welt nimmt eine Zwischenposition ein. Der Anteil der Analepsen am Gesamtumfang liegt nurmehr bei einem Fünftel; die Phasen werden nicht mehr über Änderungen der durchgehend alternierenden Reihe gebildet, sondern über das Vorkommen kleiner oder größerer Analepsen überhaupt. Hier bildet also eine analepsenfreie Partie eine eigene Phase. Im Adelphico, Satyrischen Roman, der Reise und Adalie bleiben Analepsen weitgehend singuläre Ereignisse. Ihre unauffällige Einarbeitung in die Gegenwartsgeschichte fällt in den Romanen Adalie und Satyrischer Roman auf.

4.3. Motivische Varietät anschaulicher Angaben im räumlichen Medium Zu rekonstruieren war in einem ersten Schritt die Gesamtheit der prinzipiell, ohne Rücksicht auf individuelle Vervielfältigungen, zur Verfügung stehenden räumlichen Unterscheidungen; diese Listen finden sich im Anhang, hierzu nun ein kurzer Kommentar.

248

Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Für die Individualisierung der gelisteten Elemente, die Ausfaltung gewissermaßen der in ihnen ermöglichten Paradigmen, stehen mit der Namensgebung,61 der Zuordnung zu einer Figur,62 der näheren Bestimmung räumlicher Relationen zu anderen räumlichen Elementen63 und der Beschreibung für das jeweilige Element spezifischer Details64 vier unterschiedliche Verfahren bereit. Der Individualisierung besonders wenig bedürftig sind diejenigen Elemente, die bereits gemeinsprachlich, als zu einem bestimmten räumlichen Element natürlicherweise zugehörig, bei der Erstverwendung mit dem bestimmten Artikel versehen werden, vor allem also Elemente mit einer im- oder expliziten Funktionszuweisung (Bücherkammer, Ringmauer, Rathaus, Essgemach etc.). Grundsätzlich sind in den Romanen alle jeweils gelisteten Unterscheidungen, gemäß ihren Verzweigungen, überall verfügbar. Finden sich in einer höhergeordneten räumlichen Einheit nur wenige der untergeordneten Unterscheidungen, liegen die Gründe also in der Handlung, und nicht in einer spezifischen Eigenheit des höhergeordneten Elements; bestimmte Handlungsmotive bedürfen bestimmter räumlicher Unterscheidungen, und rufen sie gegebenenfalls auf. Insofern geben die generischen Unterscheidungen auf ihren unteren, mehr wahrnehmungsbezogenen Ebenen Aufschluss über die wahrscheinlich vorkommenden Handlungsmotive mit räumlichem Bezug; und umgekehrt ließe eine Liste dieser vorkommenden Handlungsmotive auf die aufgerufenen räumlichen Unterscheidungen schließen. Ein ähnliches Profil zeigen die Listen der Romane Carneval, Satyrischer Roman, Student und Welt: in Städten können eine öffentliche und eine private Sphäre unterschieden werden; es gibt einen vorrangig dem Vergnügen dienenden Raum vor der Stadt mit entsprechenden, mehr naturbezogenen Einrichtungen; und die für die Gebäude- und Gartendifferenzierung und das Mobiliar zur Verfügung stehenden Begriffe sind überschaubar und gewöhnlich. Im Amor etwa können 62 Einträge gezählt werden. Das Profil der Welt weicht hiervon alleine durch die hinzugefügten Festbeschreibungen ab. 61 Dies kommt für Länder, geographische Begriffe (Gebirge, Inseln, Meere, Seen, Flüsse), sowie Ortschaften/Städte in Betracht, in seltenen Fällen auch für innerstädtische Elemente. 62 Bei Wohngebäuden, Gärten, Grüfte, Transportmitteln, auf dem Land gelegenen Wohngebäuden/Gütern und Innenräumen, sofern sie, wie etwa Speisezimmer, keine allgemeine Funktion erfüllen; äquivalent funktioniert die Zuordnung von Tempeln zu Göttern, von Grabstätten zu Familien oder einzelnen Verstorbenen. 63 Bestenfalls hinausgehend über eine einfache Zuordnung nach dem Muster x enthält y; viele der für Gebäudeteile gelisteten Begriffe, vor allem in der Octavia, enthalten bereits Informationen zur Lage des Elementes in Bezug auf andere, teilweise selbst gar nicht genannte Elemente – so die Konstruktionen mit den Präpositionen Vor-, Neben-, Hinter-, Bei-, inneres, innerstes, oberes, unteres etc. 64 Hierfür kämen prinzipiell alle gelisteten Unterscheidungen in Betracht, betroffen sind nur sehr wenige; die Details sind in der Regel mitgelistet.

Motivische Varietät anschaulicher Angaben im räumlichen Medium

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In den Höfen und der Adalie fehlt die öffentlich-städtische Sphäre. Die in den Höfen hierfür in Frage kommenden Elemente dienen der Repräsentation im Vollzug eines bestimmten Festaktes (EH 39, 1208–1213) oder als Ausgangspunkt für eine Befreiungsaktion (EH 831). In der Adalie bildet das Gasthaus in Verdun die einzige Ausnahme (LA 124),65 auch hier im Zusammenhang mit einer Entführung. Besonders ausgeprägt ist dafür in den Höfen der den Städten vorgelagerte Raum, in der Adalie kommen vermehrt stadtunabhängige Elemente, vereinzelte Schlösser oder Höfe, zum Tragen.66 Im Amor ist der Umraum der Stadt auf ein Minimum reduziert, im Adelphico, zugunsten eines unabhängigen Rittersitzes, überhaupt der städtische Raum. In der Reise ist, hinsichtlich der möglicherweise inbegriffenen Elemente, eine Unterscheidung von Residenzstädten/Höfen und anderen Städten sinnvoll, die sich, bei der Ausfaltung des Paradigmas, mit der Unterscheidung benannter und anonymisierter Orte deckt. Ein etwas präziseres, teilweise juristisch valides Begriffsregister ruft der Statist auf. Die Liste der Objekte in Innenräumen verdankt sich deren Allegorisierung. Im Schelmuffsky zeigt sich eine größere Vielfalt in Städten und Innenräumen. Für den besonderen Umfang des räumlichen Syntagmas der Octavia schließlich können mehrere Ursachen angegeben werden: – Die Berücksichtigung besonderer geographischer Situationen: das ist die Menge landschaftlicher Begriffe überhaupt; die besondere Profilierung der Inseln, die städtische und landschaftliche Elemente kombinieren; und das maritime, auf Schiffe und Häfen bezogene Vokabular. – Die Berücksichtigung besonderer Bauten wie Tempel, Grüfte. – Die Detaillierung festlicher Dekorationen und Anordnungen im Kontext von Flüssen, Gebäuden, Innenräumen und Gärten. – Die Verdreifachung des Gartenprofils in: städtische Gärten, Palastgärten und Gärten von Mayerhöfen/Lusthäusern. 65 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 57, sieht in dem Element ein weiteres Indiz für die »Einebnung der Handlung, ihre Annäherung an die Vorkommnisse des Alltags«: der Entführer übernachtet »mit seiner Beute nicht in festen Schlössern oder in unzugänglichen Wäldern, sondern steigt ›in einem vornehmen Gasthause‹ ab – schon diese zivilisierte Form des Reisens bürgt dafür, daß nichts allzu Ungewöhnliches geschehen kann; in einem gutgeleiteten Hotel sind keine schrecklichen und heroischen Abenteuer zu erwarten.« 66 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 43 konstatiert für die Adalie, in Abgrenzung zum höfisch-historischen Roman, der »außer dem Palast fast nur Orte des repräsentativen Staatsaktes, Schloßhof, Platz, Triumphstraße, und den Schauplatz des Abenteuers kennt, Wald oder Schlachtfeld, Meeresküste oder Einöde«, die Tendenz, nach Möglichkeit »die Szenerie ins Freie zu verlegen.« – Die Octavia weicht von dem Befund über den höfisch-historischen Roman aber in den abgesetzten Beschreibungen von Rückzugsorten, in der besonderen Profilierung von Gärten, und in der komplexen Konstitution eines römisch-städtischen Raumes schon ab.

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– Die ausufernde, zum Teil synonyme Bezeichnungsvielfalt, vor allem bezüglich der Palastunterteilung und der Innenräume. Auch in der Octavia haben die mehr öffentlichen, städtischen Elemente repräsentative, nicht gesellige Funktionen. Und die Unterscheidung einer mehr öffentlichen und mehr privaten Sphäre zeichnet sich, durch Begriffe wie ›geheimes‹ oder ›innerstes Zimmer‹, ›Verhörsaal‹ u. ä. innerhalb der Palastdifferenzierung selbst ab. Abgesetzte Beschreibungen Als Ausgangspunkt der Überlegung kann die für alle Romane des Korpus zu konstatierende Seltenheit rein deskriptiver, von einem Handlungsbezug also vorerst befreiter, den temps de l’histoire anhaltender Passagen dienen.67 Wenn auf der Länder- und Ortsebene der Leser auf die Angaben des Erzählers zur Rekonstruktion der jeweiligen räumlichen Ordnung weitgehend angewiesen ist; also ein im Text nicht unterschiedenes Land für die histoire des Romanes auch nicht existiert; bedeuten die Angaben auf der nun zu untersuchenden, untersten Ebene des räumlichen Mediums lediglich eine Spezifikation, eine mehr oder weniger dringende Korrektur oder Bestätigung dessen, was der Leser sich selbstverständlich als Handlungsumgebung vorstellen wird. Verstärkt wird dieser Befund noch dadurch, dass die in diesen Passagen beschriebenen Örtlichkeiten entweder gar nicht, oder nur einmal, oder nur noch selten Schauplatz der Handlung werden, und selbst wenn dies geschieht, die in der Beschreibung an67 In der Octavia sind das die Rückzugsorte der Einöde Antonias (RO I/184–187), der Stoechadischen Inseln (III/805–812, V/521f), der Wohnungen des Andronicus (IV/746f, 829f) und des Bergs Carmel (VI/587f); etwas weniger hervorgehoben die Beschreibungen des Gartenhauses am Lusthaus Senecas (III/405f), der Bilderprogramme im Cabinet des Landgutes Julius Agricolas (IV/453–456) und im Ceres-Tempel im Cabinet der Engilmundis (IV/ 819–821); und des Schlosses bei Trento (IV/575f). Ansätze zu einer abgelösten Beschreibung gibt es außerdem bei einigen Festen, vor allem hinsichtlich der Dekoration – hier ist freilich ein Handlungsbezug mindestens latent –, betreffend Neros Fest (I/598–601), das Hochzeitsfest Neros und Statilia Messalinas (I/776f), die Feste im Palast der Crispina (II/173, IV/89, 330–334), Palast des Nymphidius (II/251), Palast der Terentia (III/676f), im von Otto errichteten Gebäude auf der Tiberinsel (III/706–710), in Nujodunum (V/70, 97–100, 141), in Dinogetia (V/161), in Ephesus (VI/461) in Antiochia (VI/481–483), in Sophene (VI/713). In der Adalie: die anmutige Gegend bei Permane (LA 354–356); in den Höfen, aber perspektiviert doch durch den spazierengehenden Gustavus, die Gärten von Servasille (EH 551f) und Bellahey (EH 293–295). Im Schelmuffsky betreffend den Jungfernstieg (SM 30), die Umgebung Stockholms (35, 44), den St. Marx-Platz in Venedig (95), der Rathaussaal dort (97f), Padua (102), Rom (113f). In der Reise die Sehenswürdigkeiten des zweiten Hofes, perspektiviert durch die Besichtigungstour Seladons (RE 333f) und die Umgebung Den Haags (378). Die sieben anderen Romane bleiben ohne solche Passagen. Die Seltenheit der Beschreibung konstatiert auch Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von BraunschweigWolfenbuettel, S. 497–499.

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gelegten Gegebenheiten nicht reaktualisiert werden.68 Ihre Funktion ist es nicht, in räumlichen Beschränkungen Ursachen für einen späteren Handlungsverlauf anzulegen, oder der Handlung insgesamt einen ›realistischen‹, differenzierten, allenfalls motivisch relevanten Kontext zu geben; sondern, in der Regel, den gegebenen Ortscharakter zu amplifizieren:69 das gilt für die Rückzugsorte in der Octavia und die Festdekorationen; und für die ausgewiesenen örtlichen Schönheiten in Adalie,70 Höfe und Reise – ja auch im Schelmuffsky, dessen Beschreibungen ihren Sinn freilich durch die Abweichung von den allgemein bekannten Gegebenheiten erhalten. Alleine in der Octavia wird, über die bloße Amplifikation des Ortscharakters hinaus, die Beschreibung zur verdichtenden Anordnung weiterer Sinnelemente genutzt.71 Anlass zum Lob der Rückzugsorte der Stoechadischen Inseln, der Wohnungen des Andronicus und des Carmelgebirges bietet ihre vollkommene Autarkie, dass sie alle zum Leben notwendige Landschaft in sich einschließen – im Unterschied also zum Typ des nur für eine gewisse Zeit autarken, nämlich auf Lagerung der Lebensmittel angewiesenen Bergschlosses.72 Tritt, wie bei den Stoechadischen Inseln,73 die Schutzfunktion noch etwas zurück, weil erst einmal keine militärische Auseinandersetzung zu befürchten steht und kein Versteck erfordert wird; und kann die Aufgabe der Grenzbildung zur übrigen Welt den natürlichen Ufern der Inselgruppe überlassen werden, dann ergibt sich die Möglichkeit des Entwurfs eines idealen Mikrokosmos, in dem den Forderungen der Nützlichkeit und der Gefälligkeit gleichermaßen genügt wird; in dem die rational gliedernde Kunst die Natur zur Vollkommenheit bringt, und selber ihre Vollkommenheit durch ihre Übereinstimmung mit der Natur beweist.74 68 Eine Aktualisierung der in der Beschreibung angelegten Details kann, in der Octavia, nur für die Wohnungen des Andronicus und den Carmelberg; im Schelmuffsky den Jungfernstieg und Rom; in der Reise in gewisser Weise für die höfischen Sehenswürdigkeiten konstatiert werden. 69 Vgl. Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln/Graz 1963, S. 127–137. 70 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 43–48, widmet der Stelle eine längere Passage; den Kontrast feststellend zwischen der Klage-Arie und dem angenehmen Ort. 71 Gegen Hofter: Vereinzelung und Verflechtung in Herzog Anton Ulrichs »Octavia. Römische Geschichte«. Diss. Masch. Bonn 1954, S. 20f, die aber richtigerweise die Isolation der Beschreibungen herausstellt. 72 Sulpitia fehlt es, auf ihrem Bergschloss, »auf etliche Jahre hinaus an keinen Lebens-Mitteln« (RO I/67) – bis, zufällig, das Kornhaus abbrennt (RO I/69). 73 Mehrfache Verweise auf die Schilderungen Ephigenias gibt es in: Reinhard Zimmermann: Künstliche Ruinen. Studien zu ihrer Bedeutung und Form. Wiesbaden 1989, Anm. 285, 327. 74 Vgl. Haslinger, Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 189–191, und Mazingue: Anton Ulrich. Duc de Braunschweig Wolfenbüttel (1633–1714) un prince romancier au XVIIème siècle. Berne 1978, S. 726f – Sowohl die Wohnungen des Andronicus als auch das Carmelgebirge erscheinen gegenüber diesem Entwurf defizitär: es fehlt die zwanglos aus den

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Die detaillierte Beschreibung der zur Herstellung heidnisch-religiöser Illusionen gebrauchten Maschinen75 bekräftigt ohne Zweifel die Nichtigkeit dieser vermeintlichen Kommunikationen mit dem Göttlichen, führt, gleichsam triumphierend, die Folgerichtigkeit der naturgesetzlich-kausalen Ordnung der Dinge vor: der Schilderung der Vorgänge, so wie sie erscheinen, folgt, in dem elaboriertesten Beispiel des Sonnenfests auf dem Carmelgebirge, und eingeleitet von einem programmatischen Prolog des vorwitzigen Vatinius,76 die Schilderung der dahinterliegenden Maschinerie (RO VI/610–615). Die Aufmerksamkeit, die in der sonst so raren Beschreibung ihr zuteilwird, provoziert aber zu ihrer Loslösung aus dem gegebenen Kontext. Für sich genommen erscheint sie – die Maschinerie – weniger als einer überkommenen, einfältigen Religion zugehörig, sondern im Zusammenhang mit anderer, positiver besetzter Technik: die gelungene Vortäuschung – nur eben der Natur, und nicht: des Übernatürlichen – war auf den Stoechadischen Inseln Ausweis künstlerischer Vollkommenheit;77 und in den Höfen führt die Erklärung des Zustandekommens einer Illusion – dass das Wasser von selbst »die artigsten Figuren in der Lufft mache« (EH 553) – nicht zu einer Schmälerung der »Erlustigung« (EH 554), sondern, im Gegenteil, zu ihrer Verstärkung; die beschriebene, zuständige Maschine könne »mit den sieben Wunder-Wercken der Welt streiten« (EH 553). Nimmt man eine ähnliche topographischen Gegebenheiten sich herleitende Lebensform der Bewohner; und die Vielfalt der Landschaftsformen wird nur aufgezählt, nicht angeordnet. Endgültig auf den Charakter einer belagerten Festung schrumpft die Halbinsel an der Boristhenes-Mündung zusammen, wenn, nach dem Verbrennen der Kornspeicher, doch eine Hungersnot droht; und es gibt hier eine ausdrückliche Parallele zu den unterirdischen Wohnungen der Christen in Rom (RO IV746f) – vgl. dazu Mazingue: Anton Ulrich, S. 725f. Das Carmelgebirge bleibt, bis zum Ende des Untersuchungsbereiches, in seinem idyllischen Charakter als einziges unzerstört. Nicht die selbstgewählte Abschottung von der Umwelt erzeugt hier eine Art von Totalität, sondern die potenzielle und stellvertretende Inklusion aller im politischen und im religiösen Bereich unterschiedenen Gruppen und aller Stände – vgl. Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 19. 75 Die Illusion kann zu persönlichen Zwecken missbraucht werden, wie Ephigenia erfahren muss (RO I/824–839). Vgl. ferner RO V/215–217, aber auch RO II/319f. 76 »Ich habe […] mein Lebtage von Wunderwercken nicht viel gehalten / und nimmer glauben können / daß sich die Götter solche Mühe anthun solten / mit dergleichen uns zu äffen. Alles was die Poeten uns davon beschrieben / sind Mährlein / so vor die alten Weiber gehören / und wenn man ein Wunderwerck recht untersuchet / so wird sich finden / daß Betrug oder Leichtgläubigkeit und grosse Einfalt dabey das beste gethan […].« (RO VI/613) 77 In den Frühlingszimmern sind an den marmornen Wänden »allerhand / mit eingelegter Arbeit / künstlich und dabey so natürlich von bunten Steinen verfertigte Blumen / daß man offt dieselbige hinweg zu nehmen / bewogen und betrogen wird.« (RO III/807) Noch handfestere Ähnlichkeit mit der Maschinerie des Sonnenopfers hat aber die Lüftung der Sommerzimmer, die selber »durch die Kunst von allen Orthen steten Wind von sich geben / der durch die Mauren in die Zimmer dringet / daß man nicht weiß / woher er entstehet. Er wird aber durch kleine Röhren / und sonderlich dazu gemachte / Blasbälge und Windfänge / vermittelst eines Uhrwercks / also hinein getrieben.« (RO III/807)

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Faszination an gelungener Täuschung, an der Komplexität der Einrichtung auch für die heidnischen Götter-Maschinen an, ergibt sich dadurch zu dem inhaltlichen Argument der Entlarvung rückständiger Religion eine gewisse Spannung. Die Bilderprogramme im Cabinet der Engilmundis (RO IV/819–821) und im Cabinet des Landgutes Julius Agricolas (RO IV/453–456) sind unterschiedlicher Art: in ersterem findet sich die Übersetzung der aus den Binnenerzählungen bekannten Form der Lebensgeschichte in das Medium des zwölfteiligen, ortsgebundenen Gemäldezyklus – und also, natürlich, die Übersetzung aus dem bildnerischen wiederum in das sprachliche Medium, diesmal aber nicht in Form einer ausgedehnten Erzählung, sondern einer knappen, die Zusammenhänge wo nötig erklärenden78 Bildbeschreibung. Ermöglicht wird dadurch die Konzentration dieser Liebeshandlung auf gerade zwei Seiten. Die Betrachter des Cabinets auf dem Landgut Julius Agricolas versprechen sich von dem Bildprogramm, das von Thrasea Petus begonnen und von Cajus Veranius vollendet wurde, Informationen über die Gründe für des ersten Hinrichtung; tatsächlich werden nur allgemeine Züge des tyrannischen Regiments Neros beleuchtet, sind die Thrasea betreffenden Angaben in anderen Kontexten präziser.79 Kombiniert werden hier mythologische und historische Darstellungen mit erläuternden, gereimten Subscriptionen; was noch unklar bleiben könnte, führt Julia Procilla aus. In der von Vespasia Polla erbauten Einöde80 irritiert die Vervielfältigung derjenigen Elemente, die durch ihre übliche Einmaligkeit der Orientierung sich eigentlich als Stütze empfehlen sollten: das sind die Begrenzung durch Felsen81 78 Vgl. etwa die Erläuterung zum neunten Bild: zu sehen ist nur, wie Lysimorus eine Krone mit Füßen tritt; dies aber »deutet an / wie er in Siluren nach des Caractacus Tode zum König beruffen worden / so er aber ausgeschlagen / um seiner Engilmundis Gesellschafft nicht zu verliehren / und seinen Todt aussprengen lassen / um dergestalt allen fernern Zusetzungen zu entgehen« (RO IV/820) – Spezifikationen also, die beim besten Willen aus dem Bild alleine nicht herzuleiten wären. 79 Vgl. RO II/130, 601, III/799, VI/411f. 80 Eine oberflächliche Beschreibung findet sich bei Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 474f. 81 Die Einöde wird eingangs insgesamt vorgestellt, anhand ihrer Entstehungsgeschichte und einer programmatischen Charakterisierung: »Es stritten hier Natur und Kunst / welche den meisten Antheil an der Annehmlichkeit dieses Wunder-Stücks hätte.« ›Hier‹ bezieht sich also auf die gesamte Einöde. Es folgt aber der Satz: »Man sahe rund umher Felsen und Klippen / in welche ein weites Thor / zum Eingang / durchgehauen war.« Wird für diesen Satz schon die Perspektive der gleich Eintretenden antizipiert? Zunächst, und vielleicht richtigerweise, wird der Leser die Angabe als auf die gesamte Einöde bezogen verstehen, sich also eine allgemeine Umgrenzung mit höheren Felsen vorstellen. Dann auch wäre das Innere der Einöde als Tal zu begreifen, und hierzu scheint die erste Aussicht zu passen: »Ein räumliches Thal zeigte sich erstlich den Augen derer / die hinein giengen« (RO I/184) – es stellt sich aber heraus, dass man dies Tal durchschreiten und verlassen kann, ohne schon auf die Grenze der Einöde zu stoßen. Da die Besucher den angeschlossenen Wald verlassen, eröffnet sich ihnen die Aussicht auf einen runden Platz, der, gleich einem Schauspiel, »rings umher in die Klippen ausgehauen

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und die durch die Einöde fließenden Wasser.82 Ausgezeichnet wird der Ort durch die schon bekannte, chiastische Verschränkung von Kunst und Natur: die Nachtigallen haben in dem stillen, ihnen zum Auditorium künstlich zugerichteten Wald »gleichsam ihre Capelle« und »[d]enen / die ihnen zuhöreten / nahmen sie alle Sinnen ein / und bezauberten sie gleichsam / daß sie aller ihrer Gedancken vergassen / und solche nach der Music verschwenden musten.« (RO I/ 185) Vasaces hingegen, kein unerfahrener Wildjäger, entsetzt sich vor den erzenen, als Brückenwächter platzierten und hin und wieder in den Klippen verteilten Tieren, »die des Künstlers Hand / der Natur so gleichförmig hervorgebracht / daß Vasaces / wiewol er es nun besser wuste / dannoch kaum anderst glauben konte / als daß sie wahrhafftig lebeten.« (RO I/185f). Zu Beginn angekündigtes Ziel der Beschreibung ist aber die künstliche Ruine83 des Schlosses Vespasia, eine raffinierte Abbildung also des tatsächlich in Nursia, bei Spoleto verwüsteten Schlosses der Bauherrin:84 »gleichwie selbiges die Zeit zu Hauffen war« (RO I/185). Befindet man sich also schon in der Felsgrenze? Durch den Platz wird, über einen Wasserfall hineinstürzend, ein Tyber-Arm gelenkt, über den eine Brücke führt – schön, aber wie verhält sich hierzu der nachgehend erwähnte Berg, in den, in Gestalt eines Turms, ein Gebäude hineingehauen wurde, ja weitere Türme, die die künstliche Ruine des alten Schlosses umgeben? Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 498f, konstatiert: »Von der ›Einöde‹ gewinnt man letzten Endes kein anschauliches Bild, obwohl in Teilskizzen versucht wird von Partien des Gartens und seines verfallenen Schlosses ein Bild zu entwerfen.« 82 Das sind der Bach des ersten Tales (RO I/184) und der Tyber-Arm des in den Fels gehauenen Schauplatzes (RO I/186). Beide stürzen über die Felsen in die ihnen geschaffene Öffnung und durchfließen dieselbe mittig. 83 Zur künstlichen Ruine allgemein vgl. Zimmermann: Künstliche Ruinen. Zur Interpretation des Verhältnis von Natur und Kunst vgl. ebd., S. 27: »Aber hinter einer solchen Verwirrung, was der Kunst und was der Natur geschuldet sei, lauert doch der unerbittliche Triumph der Kunst, die selbst diese Verwirrung noch ausgelöst und jenes Gebilde inszeniert hat, so daß die letzte Bewunderung unausweichlich ihr gilt.« Der über Cholevius vermittelten Kenntnis des Romans ist es wohl geschuldet, dass Zimmermann zwar die Schilderung Ephigenias berücksichtigt, aber nicht das für sein Thema einschlägigere Beschreibung der Einöde Antonias. Eine Beschreibung der im Salzdahlumer Schlossgarten errichteten Eremitage – »wie ein alt zerfallen Gebäude mit Fleiß gemacht« – liefert Zacharias Conrad Uffenbach: Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen Holland und Engelland. 3 Bde., Ulm/Memmingen 1753/54, Bd. I, S. 344–346. 84 Diese konkrete Vorlage an anderem Ort muss als Besonderheit dieser künstlichen Ruine verbucht werden. Die Dominanz einer repräsentativen Funktion zeichnet sich, ohne ausgesprochen zu werden, auf mehreren Ebenen ab: die Bauherrin konnte es sich leisten, ein vollkommen neues Schloss zu bauen, und das verfallene Schloss, anstatt es wieder aufzubauen, in seiner Verfallenheit woanders zu konservieren; dabei in diesem nur noch zum Rückzug geeigneten, seiner üblichen Funktionen also beraubten Gebäude luxuriöse Elemente unterbringend, die in perfider Ironie den Triumph über die Macht bezeichnen, deren Allmacht eigentlich zur künstlichen Darstellung gebracht war. Hierin besteht die größte Differenz etwa zur Eremitage im Salzdahlumer Schlossgarten, dessen Ausstattung mit dem FalschRuinösen insofern im Einklang steht, als sie – Klause des heiligen Hieronymus – zur Weltabwendung, zur Kontemplation des Ewigen einlädt.

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geworffen / also hatte dieses / die Hand und der Verstand des Baumeisters / mit Fleiß also zugerichtet / daß man / in der Unordnung / die schönste Ordnung bewundern musste.« (RO I/186) Das Torgesims sieht nur so aus, als könne es im nächsten Moment hinunterfallen; die Steinstücke, die man, anstatt einer Treppe, hinaufsteigen muss, liegen doch so bequem, »daß man ohne Mühe hinan kommen konte« (RO I/186); die in die Architektur eingebrochene Natur ist wohlriechendes, erlesenes Buschwerk. Die Beschreibung schließt mit einem concetto: man hätte »den Orth / einen ordentlichen SteinHauffen / und eine zerfallene BauOrdnung / nennen können.« (RO I/187).85 Wiederholte Nutzung derselben räumlichen Gegebenheiten Der sonst konstatierte Beschreibungsmangel bedeutet im Umkehrschluss, dass so gut wie alle Angaben zur unmittelbaren Handlungsumgebung wahrnehmungs- oder handlungsbezogen gegeben werden; gleichsam opportunistisch bezeichnet und aktualisiert der Erzähler in ihr, die ja latent immer mitzudenken ist, nur das, was er ›gebrauchen‹ kann. Dennoch eine kohärente, handlungsunabhängige Eigenstruktur entwickelt das räumliche Medium auf dieser Ebene nur, wenn dieselben räumlichen Gegebenheiten wiederholt, und somit mindestens in leicht verschobenem, wenn nicht anderem Kontext genutzt werden. Nahe daran, das Phänomen aber doch verfehlend, ist der Fall, in dem einem übergeordneten räumlichen Element, etwa einem Palast, getrennt gemachte, in ihrem räumlichen Verhältnis zueinander aber unspezifische Angaben zuzuordnen sind;86 oder wenn, ohne konkretere 85 Die Kulmination der Beschreibung in concettistischen Oxymora findet sich ähnlich in der Beschreibung des Ruinenraums im Grottenbereich des Lustschlosses Hellbrunn bei Salzburg durch Domenico Ghisberti, den Hofdichter des Kurfürsten Ferdinand Maria von Bayern, aus dem Jahre 1670 – der Zeit der Entstehung der ersten Textschicht der Octavia also, der unser Passus angehört: »Un’altra bel motivo sarebbe alla penna se potesse far de pennello e dipingere a V.A R. una stanza, quivi fabbricata in forma di ruvinosa anticaglia, dove atteriscono le volte rose e cadenti, le cornici rotte e scomesse, inchinate le parieti, aperti gli archi, precipitosi gli usci e tutto all’intorno finta una vecchia reliquia del tempo, all’ultimo scompagniarsi ridotta, ma non avendo ne pur ombra, non per rappresentarla colori cedo all’imaginatione il mio carico, e solo attesto esser’ ella una bella ruina, un gratioso spavento et una delle bugie più strane, che sappia inventar l’architetto.« Das Zitat in: Paul Buberl: Die Denkmale des Gerichtsbezirkes Salzburg. Wien 1916 (Österreichische Kunsttopographie, 11), S. 180. Eine Übersetzung und ein Kommentar finden sich bei Zimmermann: Künstliche Ruinen., S. 34. 86 Ein extremes Beispiel hierfür ist, in der Octavia, der kaiserliche Palast, mit Angaben auf den Seiten I/218, 220, 225, 228, 240, 417, 437, 486, 515, 516, 591, 598–601, 611, 715, 722f, 744, 810, 813, 910, 914f, 920–922, 930, II/91, 93, 108f, 142, 351, 357f, 361, III/118, 206, 276, 346, 366f, 381, 455–457, 484, 500, 604f, 865, 870, 957, 1008, 1036, 1037, 1039, 1047, IV/40, 126–128, 353, 771, 777, 785, 794, 809, 918, V/915, V/425; trotz dieser Fülle lässt sich über das Innere des Palastes kaum etwas sagen und es ist nicht zu entscheiden, ob die nacheinander bezeichneten Zimmer unterschiedliche sind, oder auch, ab und zu, dieselben.

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Angaben, eine selbe Wohnung wiederholt aufgesucht wird. Im Carneval und im Amor hingegen verlangt die Mieterschaft des Bewerbers im Elternhaus seiner Geliebten dessen räumliche Profilierung, und das sind die eindrücklichsten Fälle, weil hier beinahe die Gesamtheit der Handlung in die so spezifizierte Umgebung verlegt ist. In der Octavia sind es keine Innenräume, sondern Wege und Lagen in einem übergeordneten, also nicht mehr wahrnehmungsgebundenen Kontext, die durch Wiederholung eine Verlässlichkeit gewinnen. Weiter zu nennen ist das Quartier Schelmuffskys in Hamburg; einen Grenzfall bildet Petralto. Zu Rosindens Elternhaus, im Carneval, gibt es eingangs den baulichen Zustand betreffende Informationen – es wird, zu Beginn der Handlung, und den Einzug Floramors um etliche Wochen verzögernd, neu ausgebaut (CL 2) –, die hundertdreißig Seiten später durch die besorgte Nachfrage der Hausherrin, »[o]b es nich sehre feuchte und dumpfficht in seinen Zimmer wegen des neuen Gebäudes wäre« (CL 130), was in der Cammer, wegen der Betten, am ehesten spürbar sein müsste, und, konkreter, »ob die Fenster-Rahmen etwan anfauleten« (CL 130), bestätigt und als Anlass für den ungelegenen Besuch von Rosindens Mutter funktionalisiert werden. Abgesehen vom Keller (CL 200) und einem noch vollständig leerstehenden, wohl obersten Stockwerk (CL 90f), können sieben Innenräume zueinander in Beziehung gesetzt werden: eine Treppe führt von der Haustür dorthin, wo, jeweils in Hörweite zueinander, Küche, Saal, Rosindens Zimmer, die Stube der Mutter und die Kammer der Magd sind (CL 55, 71, 73, 123); Floramors Zimmer liegt noch eine Treppe höher (CL 3) und wenigstens die Türen zu Rosindens Zimmer (CL 3) und zur Küche (CL 69) muss er passieren, wenn er nach draußen gehen will. Sirador hingegen, dessen Zimmer aber auch oben liegen muss,87 »machte sich viel unnöthige Wege über ihren Saal, in Hoffnung sie zu sprechen« (CL 143), benutzt also, womöglich, eine andere Treppe. Stube und Kammer, in der das Bett steht, werden bei Floramor (CL 129f)88 und Rosinde (CL 55) unterschieden, bei Rosinde zusätzlich noch ein Erker; beide Zimmer sind mit einem Tisch versehen (CL 28f, 47), Floramors Fenster, mit unterschiedlich großen Scheiben (CL 68), geht zur Straße (CL 72, 123); sein Zimmer ist mit einem Schloss versehen (CL 99), er gibt seinen Schlüssel aber beim Weggehen in der Küche ab (CL 28f); das Haus insgesamt wird jede Nacht verschlossen (CL 41f). Im Saal gibt es Gelegenheit zum Kartenspiel und zum Speisen (CL 40), in der Küche steht eine Wassergelte (CL 96). Das Haus, in dem Fortunato, im Amor, zur Miete wohnt, enthält ebenfalls eine erste Treppe, die von der Haustür (AU 49) zu der Ebene führt, auf der Fortunatos 87 Denn die Magd geht zu ihm hinauf und zu Rosinde wieder hinunter (CL 185); als Sirador zu Floramor »hinauff« (CL 174) geht, hatte er vorher Kontakt mit der Magd, und dies wahrscheinlich im ersten Stock. 88 Widersprüchlich zwar CL 62f: »Sie fiel auff sein in der Stube stehendes Bette vor Sehnsucht darnieder […].«

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Stube, Ardoreas und ihrer Mutter Kammern (AU 16, 38) und wohl auch die Wohnstube (AU 19, 44) liegen; nur an Floramors Stubentür vorbei führt der Weg, über eine weitere Treppe, zu Ardoreas Zimmer (AU 33) – den aber auch ihr Vater einmal benutzt (AU 33). Im Erdgeschoss liegen der Laden (AU 22) und ein »Stübigen / darinnen man sonst zu baaden pflegte« (AU 58), es gibt noch ein Gewölbe (AU 50), ein Hinterhaus (AU 49) und ein Bursche, der im Haus wohnt (AU 85), wird über ein Zimmer verfügen. Präzisiert werden die Benachbarung von Fortunatos Stube und Ardoreas Kammer (AU 16) und von Ardoreas und ihrer Mutter Kammer (AU 38). Zugespitzt wird jene durch eine Verbindungstür mit Schlüsselloch (AU 16), und dann dadurch, dass Fortunato die Hälfte von Ardoreas Kammer eingeräumt wird: die nicht näher bezeichnete, neue Trennung wird nicht bis zur Decke durchgezogen, damit Licht in Fortunatos Teil falle (AU 37). Offenbar bewahrt er hier Bücher auf (AU 38). Fenster, die der Vater benutzt, gehen zur Straße (AU 52f, 57f) und Ardorea wird, krank, in der Wohnstube ein Bett hingestellt (AU 19) und durch eine Spanische Wand gegen die Blicke des Mieters abgeschirmt (AU 20). Das hamburgische Wirtshaus am Pferdemarkt, in dem Schelmuffsky einkehrt, hat insgesamt sieben Stockwerke: von der Tür geht es eine Treppe hinauf zu einem Saal (SM 15), auf den eine Tafelstube folgt (SM 16). Eine Treppe weiter oben befindet sich das Zimmer, das Schelmuffsky und der Graf bewohnen (SM 16). Von dort muss man, um zu Charmentens Zimmer zu gelangen, die Treppe wieder hinunter, über den Saal, durch einen langen Gang am Hof und sechs Treppen hinauf (SM 21). Die zu Beginn erläuterten Verhältnisse werden verlässlich reaktualisiert (SM 18f, 24, 26). Eine entsprechende Präzisierung von Verhältnissen innerhalb eines Gebäudes gibt es in der Octavia nicht. Allenfalls in diese Richtung ginge die Abfolge von Zimmern gestaffelten Zutritts – vom »Vorsaal« (RO III/108), über das »Kayserliche Gemach« (RO III/110) bis zum »innerste[n] Zimmer« (RO III/346) und zur »Kayserlichen Kammer« (RO III/978); gerade diese Folge ist aber nicht an die baulichen Gegebenheiten eines bestimmten Palastes gebunden, sondern rein funktional; sie findet sich überall, wo der Kaiser Hof hält – wie den Belegen zu entnehmen sowohl in Volaterra, als auch in Rom, als auch, später, in Brixellum. Ähnlich verhält es sich aber mit allen unterschiedenen Innenräumen. Ihr latentes Vorhandensein wird nur hinsichtlich ihrer Funktion aktualisiert, ihre genauen räumlichen Beziehungen bleiben unspezifisch, oder werden nur einmalig für eine Handlung präzisiert (etwa: RO I/ 212, 390, 532, 541, 679, II/12, 245, III/957). Was in Rom durch wiederholte Nutzung und wenige Details von den vielen, im Anhang nachgewiesenen räumlichen Beziehungen etwas Anschaulichkeit gewinnt, ist, was sich um Tyber, das Marsfeld und das kaiserliche Begräbnis gruppiert – alle drei Elemente sind ja miteinander im Kontakt (RO I/442, I/747, I/ 748, IV/129). Über den Fluss gelangt man weiter bis zum Mayerhof Flavia Do-

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mitillas (RO I/441, 618, II/631, III/181), an ihm liegen der Palast Nervas (RO II/ 159, IV/137) und der ledige Palast (RO I/678–680), in ihm natürlich die Tiberinsel (RO I/618). Das Marsfeld, auf dem die Fremden untergebracht werden (RO I/476, II/873), liegt gleichzeitig in und außerhalb der Stadt, und gewinnt durch diese Grenzsituation in der Vorstellung an Prägnanz. Das kaiserliche Begräbnis wiederum ist immer wieder, teils, weil man hier, um über die Tyber zu gelangen, nach oben muss (RO II/274), Knotenpunkt des unterirdischen Wegenetzes (RO II/110, 367, 391, 426, III/268, 593). Sonst sind, in Rom, allenfalls zu nennen die Beziehung von Palast und Gartenhaus Plautia Urgulanillas (RO 374f, 948, IV/ 109f) sowie eine ähnliche Anlage um den Palast Crispinas (RO II/265f), hier aber noch mit Beihaus (RO II/620) und einer anschaulichen Lage an der Stadtmauer, auf dem Berge Cölius (RO II/776, 788, 792). Außerhalb Roms gewinnt durch mehrere Übersichten unterschiedlichen Zuschnittes die Gelegenheit der Inseln im Donaudelta Kontur (RO V/248f, V/ 608, VI/276) – interessanterweise ohne, dass sie sich vollständig erschließen ließe. Die Besonderheit Petraltos, im Adelphico, besteht in einer besonders umfänglichen Aktualisierung der mit dem Ortstyp des Rittersitzes gegebenen Differenzierungsmöglichkeiten. Es gibt die Schlafzimmer Adelphicos (AP 18) und Amoenes (AP 20), ein Studierkabinett Adelphicos (46) ein Tafelgemach (AP 5, 29, 70), einen Maarstall (AP 8), einen abschließbaren Garten (AP 61) mit belaubten Gängen (AP 16) und Orangerien (AP 17), ein nahes Gehölz (AP 24, 63), ein sogenanntes altes Haus, »welches nur ein langer Gang von dem rechten Gebäu sonderte« (AP 52) und einen Hof (AP 20). Präzisiert wird streng genommen nur die Sichtbeziehung von Amoenes Schlafzimmer (AP 20) und Adelphicos Studierkabinett (AP 69) auf den Hof. Weil die übrigen Elemente aber je nur einmal vorhanden sein sollten; weil sie, bis auf das Tafelgemach, zum Gebäude als Ganzem in Beziehung zu setzen, und weil sie die begrenzten Anschlussmöglichkeiten an das Gebäude zu erschöpfen scheinen; weil schließlich eine Präzisierung die Vorstellung für Präzision überhaupt präpariert: stellt sich unwillkürlich der Eindruck einer nicht-arbiträren Anordnung ein. Ausgestellte Figurenwahrnehmung Die Bindung einer Beschreibung an die passive Wahrnehmung einer Figur muss von der rein handlungsbezogenen Nutzung des räumlichen Mediums unterschieden werden; und erst recht, wenn das Wahrgenommene mit der aktuellen Handlung nicht, oder nur teilweise verrechenbar ist. Alleine die Octavia bietet solche Stellen, die freilich, im beschreibungsarmen Kontext, äußerst effektiv sind: der vernachlässigten visuellen Vorstellung, heißt das, genügt ein Minimum an Detail, um, dankbar, einen Gesamteindruck zu schaffen.89 Das Meer ist ge89 Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 63–

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eignet, große Distanzen überblickbar zu machen und die Passivität des Betrachtenden sicherzustellen, und so findet sich ein Großteil dieser Stellen in maritimem Kontext.90 In schmerzhaftem Kontrast zur Pathetik des beobachteten Vorganges steht jene in drei für das räumliche Medium wenig bedeutsamen Fällen;91 eine ähnliche Tendenz zeigt die Beobachtung des Überfalls der Christen auf Boreostomum durch Fontejus Agrippa (RO V/936f), bei dem Motive des unterirdischen Roms aufgegriffen werden. Dass Beor und Abdon die Schauspiele anlässlich der Hochzeit Neros und Statilia Messalinas von einem Fenster des kaiserlichen Palastes aus verfolgen, bedeutet lediglich eine ungewöhnliche Erweiterung des Zuschauerraumes (RO I/851). In dem Überblick aber, den Otto über die Folgen der Tiberflut vom Quirinalis aus gewinnt, verbinden sich Vorgangs- und Ortsbeschreibungen (RO IV/132). Die Pales-Feuer, die Soldaten nachts von den Mauern Brixellums im Felde beobachten und als Zeichen der herannahenden vitellianischen Armee missdeuten, evozieren schlagartig und im Roman einmalig das ländliche Umland als eigenständigen sozialen Raum: »Diese guten Leuthe / sagte Rubrius Gallus / der dazu gegangen kam / wissen von keinem Kriege / und meinen / sie haben bereits den Frieden / den Otto ihnen erwerben will.« (RO IV/667) Besondere Aussichtspunkte bieten der Vatican (RO I/16)92 66, weist darauf hin, nennt aber nur zwei Stellen: den Überblick über die Inseln im Donaudelta von Naracostomum aus (RO V/248f) und den erwartungsvollen Blick, den Tyridates vom Dach des Palastes der Popilia Plautilla auf Rom wirft, wo »alles auf den Gassen lebendig / und [die] Soldaten zum morgenden Auszug beschäfftig« sind. Die Effektivität der sparsam gegebenen Details hebt, mit Blick auf die Aramena, auch Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock. Potsdam 1927, S. 250, hervor: »Oft wird mit ein paar Tönen der Reiz der landschaftlichen Stimmung gegeben, ohne daß derartiges je zum Selbstzweck würde; […].« 90 Beobachtet werden: Caprea (RO III/308), Boreostomum von der colchischen Flotte aus (VI/ 210–212), die römische Flotte unter Aemilius Pacensis (IV/421), die römische Flotte unter Antonius Primus (IV/891f), die Inseln des Donaudeltas (V/248f), die Flotten im Donaudelta (VI/276); der Schiffbruch auf der kleinen Insel vor dem Hafen des Hercules (III/376–378), ankommende Schiffe in Brundusium (III/519), der Fischfang auf der Donau (V/79), die Ankunft einer Flotte im Donaudelta (V/371, 827f), ein Seegefecht im Euxinischen Meer (V/ 1006), die Ankunft dreier Flotten im Donaudelta (VI/258), die Ankunft eines Schiffes vor Cäsarea (VI/656). 91 Erdbeben in Pompeji (RO II/761–763), Bergung des Leichnames Nymphidiens (III/21), die Enthauptung Mythridatens (III/387f, 971), die Vorbereitungen zu Valerias Hinrichtung (V/ 987). Zum Verhältnis der Beschreibung des Vesuv-Ausbruches und der antiken Vorlage vgl. Lütteken: Erzählte und verrätselte Geschichte(n) in Anton Ulrichs Werken: Beobachtungen zum frühen historischen Roman. In: Oliver Bach / Michael Multhammer / Julius Thelen (Hrsg.): Historia pragmatica. Der Roman des 18. Jahrhunderts zwischen Gelehrsamkeit und Autonomieästhetik. Heidelberg 2020, S. 83–100, hier: S. 96–98 92 Geulen: Erzählkunst der frühen Neuzeit. Zur Geschichte epischer Darbietungsweisen und Formen im Roman der Renaissance und des Barock. Tübingen 1975, S. 75, sieht in der Übersicht über Rom, im Kontrast zu der »Bedrängnis verwirrender Zustände«, »die epische Vorausdeutung vollkommener Aufklärung des jetzt noch Ungeklärten […].«

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

und der Berg auf Naracostomum (RO I/248f); Rom wird ein zweites Mal von Octavia aus der Ferne gesehen, auf ihrem Weg von Tusculum nach Ostia (RO III/ 257f). Die Prägnanz der hierbei evozierten Vorstellungen variiert stark. Der komplexeste, auch ›stimmungsvollste‹ beobachtete Vorgang ist der im Hafen des Hercules (RO III/376–378). Die Umschau auf dem Vatican (RO I/16f) erfolgt, da das Bedürfnis nach einer Zusammenfassung der einzelnen Elemente Roms noch nicht geweckt wurde und gleicht so eher der noch undifferenzierten Schau eines Ankommenden, wie etwa in den Höfen bei der Ankunft Gustavens in Wien;93 Octavia hingegen, die als scheidende auf die in der Ferne in einer schönen Ebene sich zeigende Stadt schaut, wird zur Bilanzierung ihrer Gefühle bewogen (RO III/ 258), und gerade die unterlassene Nennung topographischer Einzelheiten – bei Tyridates noch »das ausgebreitete Rom / mit all seinen Burgen / Tempeln / Rennund Schau-plätzen / Lustgärten / Palästen / Triumph-bögen und Ehrenseulen / in angenehmer Fernung« (RO I/16) – verhilft dem diffusen, anschaulich-unanschaulichen Eindruck, den der Leser von der Stadt gewonnen haben mag, zu einer flüchtigen Einheit. Etwas anderes ist es, wenn in der Übersicht über die ins narbonensische Gallien fahrende Flotte94 der Aufbruch in den Bürgerkrieg, dessen die Flotte ja nur ein Teil ist, eine jähe Anschaulichkeit gewinnt, bei der die Schönheit des Anblickes der in der Fahrt gelockerten Schiffsformation und das gute Wetter mit den zu erwartenden Handlungen in Spannung geraten. Die Flotte unter Antonius Primus wird in Ruhe betrachtet, da der Höhepunkt der Handlung, der vermeintliche Tod Claudias, schon zurückliegt: hier werden stimmungsvolle Details tatsächlich gehäuft.95 Abbildung inhaltlicher Unterscheidungen im räumlichen Medium Ebenfalls von der rein handlungsbezogenen Nutzung des räumlichen Mediums zu unterscheiden sind noch zwei Zimmerfolgen, in denen in den Raum ein eigentlich abstraktes, jedenfalls nicht-räumliches Paradigma projiziert wird: anschaulich wird in dem Gang durch die drei Staatskammern und die Erläuterungen zu ihrem Mobiliar, im Statist, die Amtseinführung des neuen Secretairs 93 »Der Prächtige und grosse Thurm / welcher in der Residentz des grösten Monarchens der Welt mit Wunderwürdiger Kunst ausgeführet / ragte unsern ankommenden endlich in die Augen und gab dem verliebten Printzen den anmuthigsten Anblick.« (EH 935) 94 Wieder genügen wenige Worte: »Eines Tages / wie bey heiterm Himmel die Frühlings-Lufft gar angenehm war / hatten sich Caledonia und Bunduica zusammen oben auf das Schiff bey dem Steuermann gesetzet / da sie die gantze Schiff-Flotte übersehen konten / die sich in der offnen See weit aus einander gebreitet hatte: […].« (RO IV/421) 95 Das gute Wetter, die Abendzeit, die Windstille, die Gastmähler auf den anderen Schiffen, der Klang der Schiffstrompeten, Pauken und Toaste auf allen Schiffen und über das Wasser hin, die Spazierfahrt, bei Mondschein und einer Pfeife, auf einem Lustschiff weg von dem »Gethöne und Schalle« (RO IV/891f).

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durch seinen Schwiegervater (RS 27–77) und es gibt keine Bestrebungen, die allegorische Dimension des Verfahrens in einer auch sonst gegebenen Detailfülle unauffällig zu machen: überhaupt Angaben auf der Wahrnehmungsebene gibt es im Roman nur noch an 13 Stellen.96 Etwas anders verhält es sich im lindenfeldischen Wirtshaus des Satyrischen Romans: das Paradigma charakteristischer, ja extremer Verhaltensformen im Bereich des Galanten,97 dem die Bewohner vierer, von Tyrsates und Selander sukzessive besuchter Zimmer zuzuordnen sind, wird nicht erschöpft, und das Wirtshaus fügt sich in eine Reihe anderer, durch eine Häufung von Angaben einen nachvollziehbaren, räumlichen Zusammenhang entwickelnder Orte teils noch größerer Komplexität.98 Charakterisierung von Ortstypen zur handlungsbezogenen Erwartungsbildung In geringerem Umfange als oben die deutlich vom Gang der Erzählung abgesetzten, beschreibenden Passagen, können einzelne, beschreibende oder mit einer Handlung verbundene Angaben die durch die Nennung eines bestimmten Ortstyps oder eines bestimmten Vorganges ohnehin mitgeführten Vorstellungen lediglich bestätigen, und durch die erzeugte Redundanz leicht amplifizieren. Aus bleibt in diesen Fällen also die Festlegung eines konkreten räumlichen Verhältnisses, das etwa, kausal, in eine Handlung eingebunden werden könnte: stattdessen wird, vorbereitend, betont, dass der Ort bestimmte Verhaltensweisen schon erwartbar macht und andere als Abweichungen auszeichnete; oder eine selbstverständlich mit dem Ortstyp oder Vorgang einhergehende Handlungsmöglichkeit unter Nennung der jeweiligen ›Requisite‹ aktualisiert. Bei den Vorgängen ist an zeremoniell gebundene, in der Regel festliche Anlässe zu denken, die den Gebrauch bestimmter Gebäude, Innenräume oder Gegenstände vorsehen. Der Eindruck, der Vorgang bedinge die aufgerufenen Örtlichkeiten, und nicht umgekehrt, entsteht, wenn mehrere Örtlichkeiten für einen Vorgang benötigt werden, und wenn diese Örtlichkeiten nur im Zusammenhang mit dem beschriebenen Vorgang vorkommen. Das sind, im Korpus, die Krönungen Romanos (EH 36–42) und Gustavens (EH 1208–1213); das Geburtstagsfest Amarianens (EH 347f); die beiden Hoffeste in der Welt (VW I/38–40, 127–130) und, in weit geringerem Maße, der Einzug Rosantens in Allerona (LA 456f). Auf höherer Ebene kann die große Zahl alleine im Kontext von Kriegshandlungen unterschiedener Orte in den Höfen so interpretiert werden. 96 RS 7–11, 13, 22, 25, 82, 126f, 178, 209, 226, 231, 232, 234, 249. 97 Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer. Romaneskes Erzählen zwischen Thomasius und Wieland. Tübingen 2007, S. 309f, sieht besonders in dieser ›Revue‹ von ›Torheiten‹ eine Nähe zum politischen Roman. Vgl. auch Steigerwald: Galanterie. Die Fabrikation einer natürlichen Ethik der höfischen Gesellschaft (1650–1710). Heidelberg 2011, S. 450–453. 98 Die Eröffnungsszene an der Saalemündung (SR 1, 4, 9, 12), der venezianische Gottesacker (SR 96–112) und das Landschloss bei Venedig (SR 158–164, 166, 171).

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Die Entwicklung eines bestimmten, mit einem Ortstyp verbundenen Erwartungsprofils soll an zwei Beispielen der Höfe illustriert werden, der Gärten und Betten. Betten (16 an der Zahl) dienen dort: – fünfmal als Sterbeort (702, 915, 933, 1142f); – dreimal als Krankenlager (17, 24, 912, 156); – dreimal als Ort zum verliebten Nachdenken und Fantasieren (78, 341, 964); – dreimal als Wirkungsstätte eines Zaubertrankes, im Schlaf (196f, 857, 871f); – zweimal als Ort für Unterredungen mit den nächststehenden Dienern (78, 964, 969); – zweimal als Ziel eines dann vereitelten Anschlages (62, 639f); – einmal der Simulation einer Niederkunft (521f); – einmal der Verführung (86f); – einmal zur Stätte eines markerschütternden Albtraumes (203f); – einmal zur vertrauten Unterredung (780f). Es gibt nur ein Doppelbett (203f); zwei Betten stehen immerhin im selben Schlafzimmer (780f), alles andere sind Einzelbetten oder wenigstens einzeln belegte Betten. Es gibt eine deutliche Privilegierung der Hauptfiguren: Den Figuren der ersten Reihe, d. h. Gustavus, Arione und Iranio ist der gewöhnliche Aufenthalt im Bett vorbehalten, sie allein werden im Bett liegend geschildert, ohne dass ein besonderes Handlungsmoment sie dorthin zwänge oder den Schlaf zum Ausgangspunkt enthielte. Ihnen dient das Bett dann zum Ort für eine bestimmte Form handlungsloser Reflektion und Fantasie, die gegebenenfalls mit dem nächststehenden Diener geteilt werden kann. So werden entscheidende Momente der Handlung markiert: bei Gustavus nach seinem Geständnis auf dem venezianischen Ball (78); bei Iranio, nachdem er Amariane das erste Mal begegnet ist und seiner Verliebtheit innewird (341); und bei Arione in gespannter Erwartung der Wiederbegegnung mit dem vermeintlichen Decynto in Vinaquila (963). Gustavus ist es auch vorbehalten, mit einer vertrauten anderen Figur im selben Raum zu schlafen. Dieses Beieinanderschlafen markiert in besonderer Weise die Vertrautheit: es bietet Gelegenheit zur gegenseitigen Rücksichtnahme (Gustavus möchte Viciludo, obwohl er früher aufwacht, nicht wecken); und, indem das Portrait-Medaillon Asophines auf der unbekleideten Brust Viciludos offenliegt, einen Anlass zur Thematisierung seiner Liebesangelegenheiten (780f). Adina ist die Einzige, die, in Siliberts Gezelt, eines Fremden Bett belegt (17, 24). Eine Art Binnendifferenzierung eines Bettes gibt es nur im Falle des Sterbebettes Tongrafs, wo ein Haupt-Küssen erwähnt wird (1142f). Funktionen der Gärten (12 an der Zahl) sind: – Begegnungsorte für Liebende (110–122, 359f, 361f, 554f, 618f, 806–809);

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Festorte (347f, 558, 562, 564); Orte der Bewillkommnung wieder eingetroffener Verwandter (752); Anschlagsort, vermeintlich Ort eines Rendez-Vous (692f); besserer Schlafplatz, Fluchtort (1164f); Ort für allmorgendliche Spaziergänge eines Herrschers (190); Übergabe geheimer Dinge (201f), Begegnungsmöglichkeit mit dem König (597).

Funktionslos sind lediglich die Weingärten, die Reinald in seinem Bericht erwähnt, und die um Pozzulo herumliegen (906). Gärten zeichnet eine etwas paradoxe Fügung aus:99 sie sind, für einen bestimmten Personenkreis, frei zugänglich; sie dienen diesen Personen aber als Rückzugsorte. Man geht in den Garten, um sich der kühlen Luft zu bedienen; weil es die Gewohnheit so will; um sich zu verstecken (Decynto); um dort einen Anschlag zu verüben; um verbotene Geschäfte abzuwickeln; um ihn, als Sehenswürdigkeit, zu bewundern und ihn, stolz, anderen zu zeigen; und um alleine und selbstvergessen seinen Gedanken nachzuhängen, d. h. den Garten als Resonanzraum für die eigene Gestimmtheit in Anspruch zu nehmen, d. h.: um sich der Gesellschaft zu entziehen. Dieser Rückzug kann im Garten noch wiederholt werden: die Anordnung aus Alleen, Büschen und Bäumen erlaubt eine Kontrolle der möglichen Sichtbeziehungen; Iranio, Silibert und Albion suchen uneinsehbare Plätze auf, die ihnen sich hinzulegen, und Iranio sogar einzuschlafen gestatten (359f). Schwierig wird die Lage, wenn zwei Figuren gleichzeitig in solcher Weise sich zurückziehen. Dorimene mit ihrem Fräulein weicht Silibert aus, da er sie aus der Ferne gewahrt, und gibt ihm so zu verstehen, dass sie alleine sein möchte (112). Wenn sich aber Silibert und Iranio versteckt hingelegt haben und etwas von dem belauschen, was die Damen, sich alleine wähnend, reden, kommen sie in die schwierige Lage, ihre Anwesenheit, ohne sie zu beleidigen, ihnen beweisen zu müssen: über die entsprechend eintretende Blödigkeit hilft Silibert die Überraschung, seine Liebe und dass er, da er sich nur in die Höhe richtet, gleich vor ihr steht (111). Der Wechsel der Komplimente läuft dann geregelt und gefasst auf beiden Seiten. Auch Iranio wird von seiner Liebe kühn gemacht: er sucht Amariane auf, die, wie er, es sich bequem gemacht hat, und erst, da er vor ihr steht, stockt er und vermag sie durch seine Ansprache nicht zu beleidigen; bis, da sie sich erheben möchte, ihr Blick auf ihn fällt (360f). 99 Vgl. zum Freudenthal der Verliebten und galanten Welt: Steigerwald: Galanterie, S. 392f, und, ausführlich: Rose: Im Freudenthal. Rhetorischer und topographischer »locus« bei Menantes. In: Cornelia Hobohm (Hrsg.): Menantes. Ein Dichterleben zwischen Barock und Aufklärung. Bucha bei Jena 2006, S. 70–95.

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Wenn beide Parteien spazierengehen, ist es Dorimene möglich, durch ihr Abbiegen Silibert verständlich zu machen, dass sie alleine zu bleiben beliebt (116). Aber auch Begegnungen sind dann möglich: so zwischen Thersarie und Gustavus, zwischen Decynto und Arione, dem König und Pensieremont, und Amariane und Iranio auf der einen und Wilhelmine und Olorena auf der anderen Seite. Zweimal gibt es eine Gartenbesichtigung: in Servasille und in dem Garten bzw. Lust-Haus der Bellemonde. Bei dem Geburtstagsfest Amarianes dient der Garten als Raum für eine festbezogene Dekoration, mit der Iranio seine Liebe zu Amariane ausdrückt: als Zeichenraum also. Gärten können also auch zu Orten gesellschaftlicher Repräsentation und Versammlung bestimmt werden. Der Abgeschlossenheit der Gärten entgegen wirkt etwas der Garten in Denaruta, der der schnellst zu erreichende Begegnungspunkt des ankommenden Gustavus und der groß-herzoglichen Familie zu sein scheint. Zufällige Begegnungen Figuren können sich nur dank eines geteilten, räumlichen Mediums zufällig treffen – nur, wenn unterschiedliche Bewegungen mit unterschiedlichen Zielsetzungen dieselben, von ihnen unabhängigen Stellen im Raum belegen. Punktuell zugespitzt ergibt sich so der gleiche Effekt einer Kenntlichmachung der Permanenz der Raum-Stellen, wie, in der Sukzession, durch ihre wiederholte Nutzung in unterschiedlichem Kontext. Wo diese schon die Regel ist, sind zufällige Begegnungen also von vornherein mit Plausibilität ausgestattet: der Wegezwang im Elternhaus Rosindens – dass Floramor, wenn er ein und ausgeht, an Rosindens Stubentür und an der Küche vorbei muss – macht den Zufall einer Begegnung berechen-, seine Wahrscheinlichkeit manipulierbar (CL 3f, 9, etc.); die selteneren Zusammentreffen, dass etwa Rosindens Mutter Floramor zur Unzeit auf seiner Stube besucht (CL 129) oder Ardoreas Vater ungelegen die Treppe heraufsteigt (AU 34), ergeben sich zwanglos aus der Wohngemeinschaft und für Treffen außerhalb des Hauses lässt sich, da das städtische Milieu dasselbe bleibt, durch einige zusätzliche Angaben derselbe Grad an Plausibilität leicht herstellen.100 100 »Als aber einsmahls Floramor Bellinen in einem Bigliet ersuchet hatte an besagten Orte zu erscheinen, sie sich auch dahin verfüget, geschahe es von ohngefehr, daß Bellinens Mutter zu einer krancken Sechswöchnerinn, so in eben der Strasse wohnete, in der Senenens Hauß war, eiligst geholet wurde; Sie begab sich schleunig dahin, und fande die Patientin in ziemlichen schwachen Zustande, weßwegen sie denn selbiger nicht nur mit Rath und That an die Hand gienge, sondern auch bey ihren Abschied versprach, daß sie eine gewisse stärckende Milch zu Hause bereiten, und ihr selbige überschicken wolte; Weil sie aber alle Zeit gewohnet war,

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Rom ist schon ein weiteres Feld, und die meisten Begegnungsorte werden erst für die Begegnung unterschieden. Dennoch: die Menge bestimmter räumlicher Verhältnisse sorgt auch hier für Plausibilität zufälligen Aufeinandertreffens, die, bei Gelegenheit, weniger durch eine genauere Beschreibung des Treffpunktes, als durch die Angabe beider sich kreuzender Wege, ihrer Ziele also, verstärkt wird.101 Kompliziertere kausale Relationen sind möglich: Nero, frustriert wegen Antonias Rückzug in den Vestatempel, ergeht sich bis in die Nacht im Neronianischen Rennkreis auf dem Marsfeld, und hindert so Tyridates am Besuch ›Neronias‹ im Palast Pomponia Gräcinas und Silius Italicus am Besuch Tyridatens im Palast des Claudius Civilis; Tyridates lässt Ambrodax an der Brücke Aelius den Weggang Neros abpassen, Silius Italicus wartet im Agonalischen Rennkreis; und die Bindung ihrer beider Bewegungen an die Bewegung Neros ermöglicht ihr Treffen vor der Haustüre des Claudius Civilis (RO I/ 527). Noch komplizierter: Nero, aus Neapolis nach Rom zurückkehrend, fährt, um den zu seiner Einholung versammelten Rat zu äffen, einen großen Umweg. ›Italus‹, ›Jubilius‹ und ›Drusus‹ kehren von den salustischen Gärten, wo sie sich mit Silius Italicus, Antonia und Plautia Urgulanilla getroffen hatten, zum Palast des Claudius Civilis auf das Marsfeld zurück. Dorthin wollen ebenfalls, aus der sich bey dergleichen Verrichtungen ihrer Tochter Hülffe zu bedienen, überdies auch wuste, daß Belline, die sich solche Visite bey ihr ausgebeten, bey Serenen befände, und ihr Hauß nicht weit von diesen ablag, wolte sie im Rückwege ihre Tochter selbst mit abhohlen, damit sie den versprochenen Stärck-Tranck gleich mit zu bereiten hälffe; […].« (CL 257f) 101 Abdon trifft ›Jubilius‹ »unferne von der Stadt auf dem Wege nach Ardea / am TyberStrande / dahin unser unruhiger Sinn / sowohl ihn / als mich / getrieben.« (RO I/365) Er trifft ihn abermals, viele Jahre später, auf dem Weg »über den Mars-Platz nach dem Berge Viminalis« (RO I/509). »Er fassete ihn aber sofort bey der Hand / und ginge mit ihm des Weges nach der Vaticanischen Brücken: allda am Strande der Tyber / in der angenehmen kühlen Abend-Zeit / mit ihme spatziren zu gehen […]. Kaum aber hatte Abdon den Mund geöffnet / […] als sie wahrnahmen / daß der Kayser in das Aurelische Thor hinein gefahren kame / und sich auf die rechte Hand wendend / gerade auf sie zustiesse.« (RO I/510) Folge dieser Begegnung, bei der Nero sie überfahren will, ist die Verhaftung beider. Zwei definierte Wege kreuzen sich bei der Begegnung Neros und Antonias: »[…] und als er folgends nach des Salustius Garten fuhre / begegnete ihm die Printzeßin Antonia beym Berge Palatinus auf dem grossen Marckte / die eben nach der Flavia Domitilla Mayer-Hofe hinaus zu fahren gedachte.« (RO I/437f) Britannicus und Caledonia wollen je einander in Verkleidung besuchen, den anderen je nur in Verkleidung kennend, und stoßen »in der Gasse des Mecenes / auf einander« (RO I/739), von einer zufällig dahergetragenen Leiche gezwungen, unter einen Schwibbogen eines Palastes auszuweichen und also in Kontakt zu treten. Dass Agaricus mit ›Drusus‹ und ›Italus‹, nachdem er sie befreit hat, auf der Tyber, wegen der starken Gegenströmung, nicht in einem Zuge bis zum Palast des Claudius Civilis kommt, sondern am Portuensischen Tor in einem Wirtshaus rastet, führt zu zwei zufälligen Begegnungen: offen zu der mit einem Bedienten ›Jubiliens‹, die eine Planänderung zur Folge hat; und verdeckt zu der mit einem Bedienten des Nymphidius, die den nachfolgenden Überfall bedingt (RO I/ 680–682).

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Gruft Pomponia Gräcinas kommend und um ›Acte‹ einen Besuch bei ›Jubilius‹ zu ermöglichen, dieselbe, Pompeja Paulina und Pomponia Gräcina, von Octavia bis ins kaiserliche Begräbnis begleitet, »von dar sie nicht weit zu des Claudius Civilis Palast über das Mars Feld hinüber zu gehen hatte« (RO III/234). Sie haben gerade die Tür zu dem Begräbnis inwendig aufgeschlossen, als Nero droht, die drei Heimkehrenden über den Haufen zu fahren, die sich also von ungefähr in die offene Türe flüchten, wo sich auch die vier Damen hinter Augustens Grabmal versteckt haben. Octavia warnt Nero durch Rufe vor dem morgen bevorstehenden Attentat und kehrt dann mit ihren Begleiterinnen durch die unterirdischen Wege zurück; Nero aber lässt durch Tigellinus das Tor verschließen – ›Italus‹, ›Jubilius‹ und ›Drusus‹, die die unterirdischen Wege nicht kennen, so einschließend; Antonia erst befreit sie zufällig am nächsten Tag (RO I/400–402, 422, III/233f). Eine ähnliche Konstellation führt zur allerersten Begegnung von ›Italus‹ und ›Jubilius‹ und den ›Geistern‹ Octavias und Cynobellines in den unterirdischen Wegen – diesmal in der Nähe des Vaticans, am Janiculensischen Tor; diesmal, was die Männer betrifft, auf dem Rückweg von Plautia Urgulanillas Palast in ihre Wohnung auf dem Marsfeld und, was die Frauen Caledonia, Cynobelline, Acte, Octavia und Bunduica betrifft, am Ziel ihres Weges und Bunduica verabschiedend; und die Männer fliehen nicht vor Nero, sondern einem Geräusch, das sie die Ankunft Neros fürchten macht, weil ihnen von Silius Italicus und Traccalus Turpilianus dessen Anwesenheit in Rom, und nicht in Ostia, versichert worden war (RO I/305–307, II/763f, III/231f). Claudia legt es, als ›Nero‹ wie Nero durch Rom streifend, auf solche geradezu an, so ›Drusus‹ vor Nymphidiens Leuten rettend (RO I/682, II/931); und noch in der näheren Umgebung der Stadt müssen einigermaßen präzise Angaben zu den sich kreuzenden Bewegungen her.102

102 Vasaces geht, vom Fontinalischen Tor her, Richtung Ostia, als er, am Mayerhof Flavia Domitillas, auf die Entführer Caledonias stößt, die die Stadt durch das Flaminische Tor verlassen, und über einen weiten Umschweif auf den Ardeatiner-Weg gestoßen waren (RO I/ 37, 771). Ariaramnes holt, nachdem er am Fluss Vulturnus seine auf dem Weg nach Brundusium begriffene Reisegruppe fluchtartig verlassen hat, die von dort herkommenden morgenländischen Gesandten in mehreren Etappen und schließlich in Lanuvium ein; und zwar, weil die Reisegruppe selber wegen der in Interamnia schon weilenden morgenländischen Gesandten einen Umweg über Capua genommen hatte, so die von Ariaramnes geplante Befreiung in Interamnia durch Piso zunichte machend (RO II/796–798). Novatus, von Ostia nach Rom zurückkehrend »um den Fechter-Spielen zuzusehen« (RO II/963), trifft vor dem Capenischen Tor auf die von einem Wagenbruch aufgehaltenen Entführer Octavias und Claudias. ›Italus‹ kommt aus Palästina nach Tusculum, als dort gerade ›Drusus‹ und Octavia sich aufhalten; die weite Entfernung, die er zurückgelegt hat, macht wohl den Zusatz »gantz unvermuthlich« (RO III/182) notwendig: tatsächlich sind die genaueren Umstände ungewöhnlich vage; wer nach Tusculum kommt, muss ja nicht auch im Lusthaus des Cäsonius

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Wegen ihrer geringen Zahl und der wenigen in Frage kommenden Destinationen sind die unterirdischen Wege in Rom für zufällige Treffen noch geeigneter;103 und etwas ähnliches gilt für Seefahrten: hier, wo es, in Form von Inseln, nur wenige Wegpunkte gibt, erreicht die synchrone Führung mehrerer unterschiedlich gerichteter, und häufig durch Stürme abgelenkter Bewegungen das höchste Maß an Komplexität, verbunden noch mit Verwechslungen und Verstellungen;104 die Häufigkeit und gegenseitige Abhängigkeit vieler zufälliger Treffen erzeugt für sie Plausibilität; hingegen die vereinzelt bleibenden zufälligen Treffen auch auf See behalten den Anschein der Willkür.105 Mit diesem sind nun fast alle außerrömischen Treffen umso eher behaftet, als in Rom ja vorgeführt wurde, wie sie zu plausibilisieren wären. Immerhin treten jetzt an die Stelle genauer Angaben zu den Bewegungsrichtungen gelegentlich Angaben, die den Ort des Treffpunktes näher bestimmen, dem Erscheinen der bekannten Figur also einen Wahrnehmungskontext schaffen.106 Auf dieses Verfahren sind, in der Regel, auch die zufälligen Treffen der übrigen Romane angewiesen.107 Der Verzicht darauf liegt besonders dann nahe, wenn der Ort des Treffens ohnehin die Wahrscheinlichkeit zufälliger Treffen erhöht, etwa auf der Straße oder auf der Post (VS 9, 129).

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Maximus einsprechen, und dass Octavia und ›Drusus‹ sich viel draußen bewegt hätte, macht ihre Verletzung unwahrscheinlich. Hier treffen aufeinander: ›Jubilius‹ – ›Drusus‹, Vasaces (RO I/188–192); ›Italus‹ – Cynobelline (RO I/308, II/764); Cynobelline, Octavia – ›Italus‹, ›Jubilius‹ (RO I/308f, III/232); ›Drusus‹ – Antonia (RO II/302f). Der detaillierte Nachvollzug findet sich im Anhang. So die Auffindung und Rettung Octavias durch Tyridates auf Pandataria (RO I/128f). Z.B: der mit Eis überfrorene Rhein und die mit Schnee bedeckte Ebene bei Köln, als Martianus auf die von Leuten des pontischen Nero überfallenen, auf Drusus und Italus stößt (RO I/873); die Bäume, unter denen, bei den Chatten, Thumelicus zuerst Claudia, dann ›Claudia‹ – also den pontischen Nero – »gantz unvermuthlich« ruhen sieht; der zweite Baum eine Weide (RO III/420f); die Lauberhütte vor der Hirtentüre beim Landgut des Vespasianus, wo »etliche reisende sitzen und Mittag halten« (RO III/436), und Thumelicus abermals auf ›Claudia‹ stößt; die Auffindung Valerias und ihres Geleits durch Tyridates und seine Begleiter »in einem ebenen Thal« (RO IV/462), etliche Stunden Weges in die Alpen hinein; die Haustüre, in der Ucharia mit Parthenia in Corintho sitzt (RO IV/908). Erwähnung finden dadurch der Ort Alcala einige Meilen vor Madrid und ein heiterer Morgen (EH 145), Wälder vor Verona (EH 133) und Denaruta (EH 774), eine kühle Morgenröte und wiederum ein Gehölz zwei Tagesritte von Salamoena entfernt (VW I/160), eine von einer Straße »abwerts« (LA 137) abbiegende Carosse, die einzuholen der reitende Renard noch eine halbe Stunde braucht, »die schöne und fruchtbare Gegend […] / wo die Saale sich mit der Schiffreichen Elbe vermählet« (SR 1), mit »herum liegenden Obstgärten« (SR 1), »einem mit frischen Graß bewachsenen Hügel auf dem Ufer der Saale […] / alwo sie Salaugusta gerade im Gesicht hatten« (SR 4), einem kleinen Lustgehölze (SR 4) mit Büschen, Hecken und Gesträuchen (SR 12), eine Wiese ein paar Stunden von einem deutschen Grenzort entfernt (SR 251), ein Gebüsch in dem lustreichen Gehölze um Den Haag (RE 378), die weite Welt ohne Anhaltspunkt (SM 12f, RS 11), guter Wind und ein wolkenloser Himmel auf der spanischen See (SM 71), die Fahrt auf der Post (AU 10).

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Die Plausibilität nicht eigentlich der Welt, sondern einer Opern- oder Theaterbühne wird in der langen Eröffnungssequenz der Gegenwartsgeschichte der Höfe aufgerufen, wenn, für alle möglichen zufälligen oder halb-zufälligen Treffen der in sich nur geringfügig differenzierte Lustwald bei Verano zur konstanten Kulisse dient (EH 9, 179f, 222, 226).108 Alleine der Adelphico bleibt somit ohne Inanspruchnahme der beschriebenen Eigenschaft des räumlichen Mediums. Entführungen, Gefangenschaften, Verfolgungen, Befreiungen Im Falle von Entführungen, Gefangenschaften, Verfolgungen und Befreiungen ist es den jeweils beschäftigten Figuren um die willentliche Herstellung oder Bewahrung eines örtlichen Beisammenseins zu tun; die Weitläufigkeit der Welt machte zufällige Treffen unwahrscheinlich und war, paradoxerweise, um die Überwindung dieser Unwahrscheinlichkeit durch die Willkür des Erzählers zu verschleiern, mitzurepräsentieren. Jetzt ist sie das, was Entführung und Verfolgung, bei unbekanntem Aufenthalt der gesuchten Figur, zur Schwierigkeit macht. Die Durchführung und Befreiung bringt dann wieder andere Eigenschaften des Raumes zur Geltung, die noch stärker der Konkretion bedürfen. Freilich ist auch hier eine bloß raffende Darstellung, mit räumlicher Indikation allein auf der Ortsebene möglich – ein Beispiel wäre die Entführung des »gesammte[n] Frauen-Zimmer[s]« (RO I/139) aus Adiabene und die Befreiung durch Tyridates (ebd.). Die Romane Welt, Adelphico, Amor und Reise bleiben ganz ohne entsprechende Handlungsmotive. Kaum Inzidenzen gibt es in den Romanen Schelmuffsky, Satyrischer Roman, Statist, Carneval und Student, mehr oder umfassendere Angaben also in den Romanen Octavia, Adalie, Höfe. Was wird sichtbar? Als Gefängnis kommt in Häusern der »Kercker« (VS 160) oder der Keller (CL 200, 261, 278, LA 321) in Betracht; einen düsteren Effekt kann eine singuläre Beleuchtung – durch eine Lampe oder einen Wachsstock – erzeugen (VS 160); Gepolter bis in höher gelegene Kammern dringen und die Flucht verraten (VS 103). Requisiten der Entführung Loracos sind, zum Verbinden der Augen, ein »flarolet« (VS 158) und, als im dunkel blendendes Kleidungsstück, ein »weisse[r] Sultan« (VS 160). Des Doktors Lindenmuth Flucht führt durch ein Fenster über ein Wetterdach und eine unverschlossene Tür in die nebenan gelegene große Kanzleistube, die Treppen hinunter und über Mauer und Graben des Schlosses (RS 234). Arione hingegen bereitet ihre Flucht von einem Landgut, auf dem Baucosi mit ihr Halt macht, durch eine Verlegung in ein 108 Vgl. Simons: Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. AmsterdamAtlanta 2001 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Bd. 52), S. 253–255.

Motivische Varietät anschaulicher Angaben im räumlichen Medium

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Gezelt im Garten, aufgrund einer vorgeschobenen Unpässlichkeit, vor und flieht mit Assistenz des Hauswirtes durch »einen verdeckten Gang« (EH 1165) bis aufs freie Feld. Crispina lässt ihr besonders exzentrisch, schon im Weinberg gelegenes Beihaus als Gefängnis zurichten (RO II/620, 638), fünf Zellen werden besetzt (RO II/638–644), davor ist »ein langer Saal […] mit bewerthen Sclaven angefüllet / die daselbst mit sonderbahrer treue Wacht hielten« (RO II/784). Tyridates wird Suppe, und dabei ein Brief gebracht (RO II/785f). Der Weg, im kaiserlichen Palast, von »des Nero güldenem Hause«, wo die Hochzeit Marcellas und Martialens gefeiert wird, bis, »durch viel Gänge und Gemächer hindurch«, zu dem Gefängnis Octavias im »alte[n] Schloß […] welches der ehmahlige Brand nicht aufgezehret hatte« (RO III/1039), macht die Größe der Anlagen erahnen. ›Claudia‹ »ward in die Zimmer eingelegt / die von der Statilia Messalina waren bewohnet worden« (RO III/118), ›Octavia‹, also Parthenia, »in die ehmahlige Zimmer der Kayserin Octavia«, in die, und in den Garten, Abdon ein verborgener Gang führt: in ihrer Schlafkammer öffnet er »den Fürhang des Bettes« (RO III/ 484). Die Suche des Agaricus nach ›Italus‹ und ›Drusus‹ in einem ledigen Palast macht nicht nur dessen Lage an einem Tyberarm und bei den Licinianischen Begräbnissen kenntlich, sondern auch ein Kellerfenster, allerhand Gerät im Keller und eine offene Tür, eine Windelstiege und das Gefängniszimmer (RO I/ 679). ›Drusus‹, de facto ein Gefangener im Palast des Arrius Antoninus, wohnt »in einem kühlen Gewölbe / das allenthalben mit köstlichen Spring-Brunnen wol versehen war« (RO II/42) und liest zum Zeitvertreib im Homer. Im Palast Ottos ist das Zimmer, das Octavia zum Gefängnis dient, »auf das allerköstlichste ausgezieret« (RO III/703) und sie wird in verdecktem Wagen »einen Umweg hinter die Salustische Gärtens geführet / und also von hinten zu / da gemeine Leuthe wohnten / in den Palast gebracht« (RO III/702). Des Urbanus Gartenhaus in ebendiesen Gärten, in welchem die von Aquila geplante Entführung stattfindet, wird innen wenig differenziert (ein Mahl-Saal, Fenster und Tische – RO II/626), aber die Umgebung erhält durch das Lauern der Entführer in der Nacht hinter einem Tempel, »die Wind-Lichter und Leuchten / deren sich die ankommende Gesellschafft bediente« (RO II/626) und die isolierte Lage des Gartenhauses ein stimmungsvolles Profil. Die Lage der Wohnung des Bagassaces, und darin des Zimmers, in dem Tyridates auf Boreostomum verwahrt wird, erlaubt ihm, der als Gefangene einziehenden Octavia auf das Fenster Reime zu schreiben (RO V/ 1143f). Bei dem Versuch, sie zu befreien, wird die nahebei schlafende Pomponia Gräcina geweckt (RO VI/31), und das Zimmer, in dem der pontische Nero nach seinem gescheiterten Entführungsversuch aufbewahrt wird, ist, »[w]eilen man denselben wohl zu pflegen alle Mühe angewendet / […] mit keinem Gefängnüß zu vergleichen« (RO VI/363). In Mutina wird Ariaramnes in einem Turm aufbewahrt (RO IV/606). Alcyone entkommt aus einem Bergschloss mithilfe des Bruders desjenigen, der ihr die Speisen bringt – der ist Dachdecker; sie wagt es,

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

»wie dieser Dachdecker das beschädigte Dach zu besteigen über mein Zimmer oben in den Boden ein Loch machte / daß ich bey nächtlicher Weile mit grosser Mühe mich hindurch brachte; und war es wol zu verwundern / daß niemand von den Wächtern die unter meinem Zimmer sich befanden mein Geräusch hörete / da ich einen langen Boden zu übergehen hatte / ehe ich an den Orth kame / da ich mit Seilen und Stricken mich den Felsen herab lassen muste; […].« (RO VI/129f) Schelmuffskys und Tyrsatens Gefangennahmen auf See bleiben ab der Entdeckung des Piratenschiffes ohne weitere räumliche Angaben (SM 71f, SR 224– 226) – der Fokus liegt dann auf Verhandlung oder Kampf; der Strand in Ravenna wird nicht näher beschrieben (SR 234, 237), im Gefängnis Schelmuffskys gibt es Läuse und, zur Verpflegung, einen großen Topf voll »Kleyen-Brey« (SM 73) alle drei Tage, der ab und zu vergessen wird. Maritim ist ebenfalls die Doppelentführung Octavias und Parthenias auf Boreostomum und ungewöhnlich reich die szenische Orchestrierung durch die kultisch mit Musik, Bädern und Opferungen begangene Mondfinsternis (RO VI/334–336), die zum Geiseltausch aneinandergehängten Schiffe (RO VI/349), den plötzlichen, abtreibenden »Wirbel-Wind« (RO VI/340), den Schiffsbrand (RO VI/344f) und löschenden, beim Löschen stickige Dämpfe erzeugenden Platzregen (RO VI/346). Charakteristisch ist aber, für die Octavia, wiederum die zunehmende Komplexität nicht bei den anschaulichen Details, sondern den simultanen Bewegungen in vielerlei Funktion beteiligter Figuren. Das betrifft vor allem die oben schon erwähnten und im Anhang ausgeführten Entführungen und Befreiungen Parthenias und Octavias im dritten Band: konzentriert um Ameria im Falle Octavias, im Mittelmeer im Falle Parthenias. Aber auch etwa die Bewegungen und Gefangenschaften Claudias ab der Befreiung Octavias durch ›Drusus‹ vor dem Capenischen Tor. Zu größeren Zusammenhängen verbinden sich die Angaben zur Entführung Barsines in der Adalie, zu ihrer Befreiung; und zur Befreiung Siliberts in den Höfen. Die Angaben zur Entführung Barsines vom Kloster weg bis hin zum zufälligen Treffen Renards und Armindes verbindet dabei nur die Flucht- und Verfolgungsdynamik als solche, nicht eine übergeordnete räumliche Einheit. Entscheidend für den Gesamteindruck sind die kämpferischen Begegnungen Lionards auf offener Straße, einmal mit einem deutschen Reitertrupp (LA 120), dann mit dem verfolgenden Renard selber (LA 132f), den, noch herannahend, Lionard zunächst durch ein »Perspectiv« (LA 132) betrachtet. Dies Detail gerade empfiehlt dem Leser die Wahrnehmung Lionards, des Verfolgten, zum Nachvollzug, der doch kurz darauf im Gefecht fällt und überhaupt eine heillose, flüchtige Figur in dem sonst so stabilen Gefüge des Romanes ist – nicht mehr als ein Antreiber und Aufheizer des seines glücklichen Endes stets gewissen Geschehens. Keine Figur sonst, die noch von Belang wäre, ist Zeuge, da er Barsine zur Weiterfahrt auf einer

Motivische Varietät anschaulicher Angaben im räumlichen Medium

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eigens verfertigten Sänfte aus dem Wirtshaus in Verdun bringt, »worinn das im festen Schlaffe liegende Fräulein gesetzet / und so angebunden wurde / daß sie nicht könnte vor sich oder auff die Seite fallen« (LA 131). Belviedro in den Höfen und das Schloss Curtons, in dem Barsine aufbewahrt wird, können je eine Vielzahl von Angaben auf sich vereinen, weil der Befreiung der Gefangenen eine Phase des Rekognoszierens vorausgeht. Renard wird regulär im Schloss »in ein wohlbereitetes Zimmer« (LA 234) einquartiert, die Befreiungshandlung führt aber über den Blick aus dem Fenster (LA 237) wieder nach draußen und in den Schlossgarten (LA 239), in dem die Unterhandlungen Frederics mit »einem von des Adels Mädgen« (LA 239) stattfinden und von dem aus der Anschlag auf das Gefangenenzimmer »in dem hintersten Theile des Schlosses« (LA 245), nachdem Renard selbst mit Barsine in Kontakt treten konnte (LA 254–264), durchgeführt werden soll. Die Vorbereitungen dazu führen ihn sogar in ein benachbartes »Städlein« (LA 268) und erst der Verlauf der Entführung, die Wegnahme der besorgten Leiter (LA 271), zwingen, weil nur hier ein Fortkommen ist, zur Erhellung des Schlossinneren, in dem nun das Zimmer Barsinens mit Tapeten (LA 304), die Treppen (LA 308f, 313) und das Tor (LA 312) kenntlich werden. Nicht in der Landschaft isoliert und unbefestigt, sondern in den Ort Belviedro und seine zwar schlechte Befestigung integriert ist das Schloss oder Haus, in dem Silibert verwahrt wird.109 Gustavus und seine Mitstreiter kehren in einem Wirtshaus ein (EH 833) und vor der eigentlichen Befreiung kommt es, wie in der Adalie, zu einer vorbereitenden Kontaktaufnahme (EH 834–841), in der die Gelegenheit vor dem Gefangenenzimmer – der nicht tiefe Grabe, die Mauer, ein Brunnen – in Szene gesetzt wird. Die Kampfhandlung aber ist in ein Lusthaus vor der Stadt verlagert, in dem ein oberes Zimmer unterschieden wird (EH 846–849). Asymmetrische Wahrnehmungsverhältnisse Der nicht eigens zu bezeichnende Normalfall bei Begegnungen von Figuren ist ihre reziproke Wahrnehmung. Dass also überhaupt auf eine Situation nichtreziproker Wahrnehmung eigens hingewiesen werden muss, lädt zur Spezifikation derjenigen räumlichen Gegebenheit ein, die die Wahrnehmung einer Figur privilegiert und die der anderen obstruiert. Keine solchen Vorkommnisse gibt es allein in den Romanen Schelmuffsky, Reise und Statist. 109 »Belviedro war an sich kein grosser Ort / und schlecht befestiget; doch hatte er Mauren / und die Thoren wurden täglich mit Soldaten besetzet / deren auf zwey hundert darinnen lagen. An der einem Seite / gleich mitten in der Mauer lag als ein kleines Schloß das Haus / worinnen der Graff gefangen saß / und wenn ein kleiner doch truckener Graben und die starcken eisernen Stangen nicht vor des Grafens Fenstern gewesen / hätten sie ihn bey NachtZeit hinten heraus bringen können.« (EH 831)

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Vollkommene Reziprozität der Wahrnehmung von Beginn der Begegnung an ist eigentlich unwahrscheinlich; gewöhnlich gibt es zunächst eine kurze Phase einseitiger Wahrnehmung, die, bei Bedarf, und ohne die Nutzung besonderer räumlicher Hilfen, verlängert werden kann.110 Das Lauschen an der Tür ist in Innenräumen die einfachste Form:111 die Tür ist mit dem Zimmer ja selbstverständlich gegeben, es braucht die Einführung eines neuen Details also nicht; etwas spezifischer schon ist das Blicken durch ein Schlüsselloch.112 Verbirgt sich eine Person in einem Zimmer, ist die zum Versteck geeignete Einrichtung zu benennen.113 Es kann passieren, dass die beobachtende Person einschläft,114 dass dasselbe Versteck von mehreren Figuren gleichzeitig genutzt wird.115 Zur vorsätzlichen Spionage wird ein geeigneter Posten oder eine Verkleidung gesucht.116 Ungewöhnlicher sind die Einsichten in das Zimmer Rhodopes von zwei Bäumen aus; »[d]enn ihr Hauß stosste an der einen Seite an den Wall / an welchen ein Hof / in den man / wenn man sich dergestalt hinein practiciret, von niemanden konnte gesehen werden.« (VW II/72) Die Möglichkeit einer Entdeckung wird dabei ausdrücklich in Kauf genommen. Der Frühling verbessert aber, durch das Laub, beim zweiten Mal das Versteck (VW II/148). 110 Vgl. RO I/252: hier wird ›Drusus‹ zum Lauschen »auf der ausgehauenen Stiege […] hinter ihnen« dadurch gezwungen, dass Annius Vivianus und seine Mutter »sich recht vor die Oeffnung dieses geheimen Gangs gesetzt hatten / und bey dem hineinfallenden Schein des Mondes gar embsig mit einander sprachen« (RO I/252) – also seinen Weg blockieren; vgl. ferner RO III/18, IV/263, SR 1–3: hier eine besonders eindrückliche Schilderung des ersten Sinneseindruckes, da der Klagemonolog Selanders Tyrsates zweifeln lässt, »ob es eine Heerde ausgerissener Bienen-Schwärme oder etliche tausend ausgestöhrte Wespen-Nester wären / die bey den angehenden Ernde-Tagen sich in die herum liegende Obstgärten theilen wolten / oder was es sonst bedeuten möchte; […].« (SR 1); ferner SR 5–12, 193f, EH 297f, RO III/421, 521–523, IV/529f, 700, 918f, VW I/15. 111 Vgl. RO I/131–33, III/455, VS 216–219, SR 51, LA 19, AU 95f, VW I/142. 112 Vgl. RO III/456, AU 16. Im Gartenhaus Fulviens hat die Hitze der Sonne in der Tür eine Ritze gemacht (SR 19). Rosantes blickt in das Zimmer der Herzogin von Mommorency durch ein »Astloch« (LA 194). 113 Ein Teppich, dahinter eine persianische Decke (RO III/15), ein Schrank, »der wie ein kleines Neben-Cabinet gestaltet war / und darinnen Epponilla ihre Bücher stehen hatte« (RO III/78), ein Teppich (RO IV/545), ein Teppich oder Vorhang (RO IV/572), Tapeten, die in dem Haus des Prasutagus, auf Britannien, eine Besonderheit sind (RO I/650), Tapeten (RO I/233), das Bett mit einem ein wenig offenen Vorhang (RO III/823), ein Stuhl (AU 85), das Deckbett (AU 86), das Bett (CL 258f). 114 Vgl. RO III/15: hier kommt Annius Vivianus durch sein Einschlafen erst in die Beobachtungsposition, ähnlich Claudia vor Grotte bei Pompeji (RO I/265f); LA 194. 115 Vgl. RO III/16f, 79: hier hält Julius Sabinus den mitversteckten Julius Vindex wegen des spärlich durch ein kleines Loch eindringenden Mondlichtes für eine Katze – auf dies burleske Detail im Kontext einer Schlüsselerzählung weist hin Mazingue: Anton Ulrich, S. 524; ferner RO I/653. 116 CL 118f, 280–283, VW II/59–63, 83–86.

Motivische Varietät anschaulicher Angaben im räumlichen Medium

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Die Situation vor Adaliens Zimmer im Hause Brions hebt hervor, dass Adalie von dem Lauschen Rosantens weiß, dass sie ihn durch Doris ihrerseits beobachten lässt, um zu wissen, wann genau sie belauscht wird (LA 19f). Eine umgelenkte und eher disruptive Doppelung gibt es später in Allerona, wenn Rosantes bei der Beobachtung nicht Adaliens, sondern Juliens einschläft, und so von Adalie entdeckt wird (LA 194–196). Ungewöhnlich ist auch die Gegebenheit, die die entscheidende Belauschung Dorpaneus Ansens und Roxolanens durch Palaco, Surenna und Gestriblindus auf einem Fest auf Stenostomum ermöglicht: es handelt sich um eines von mehreren Nebenkabinetten in einem großen »Spatzier-Saal« (RO V/459), das »auf allen Seiten mit Fenster-Wänden versehen war / und die inwendig aufgehenckete Lampen darinnen eine falsche Blendung machten / daß die so draussen waren von denen im Cabinet nicht kunten gesehen werden« (RO V/462). Claudia kann Gespräche im Zimmer unter ihrem Gefängniszimmer im Palast des Nymphidius durch einen Camin belauschen, durch den auch ihre Dienerin Zutritt zu dem Zimmer erhält (RO II/437). Schließlich die letzte, und endlich effektive Aufklärung Vologesens über das wahre Geschlecht seiner geliebten ›Claudia‹, also des pontischen Nero, verdankt er einem Blick, den er, nachdem er gelauscht hat und alles ruhig geworden ist, in das Gefängniszimmer desselben wirft: »Nero und Nerulinus lagen zusammen in einem Bette / und waren beiderseits eingeschlaffen / und da für grossen Schmertzen Nero die Ober-Decke auf der verbrandten Haut nicht leiden können / sondern bloß lage / indem ob gleich der Rücken die meiste Noth gelitten / jedennoch die Brust von den Flammen auch nicht verschonet blieben ware / als bekame Vologeses bey dem Schein der Nacht-Lampe welche nahe beym Bette auf einem Schämel stunde / vollenkommen zu sehen / wessen Geschlechts seine bisher so innigst geliebte Claudia ware.« (RO VI/365) Draußen ist der Garten der häufigste Ort asymmetrischer Wahrnehmung; zur Obstruktion dient in der Regel die Bepflanzung.117 Am ausführlichsten sind die Angaben zu dem Garten, in dem Ariane badet (VW II/38–42), denn hier kommt das Bedürfnis der zuerst beobachteten, dann die Beobachter entdeckenden Frauen hinzu, sich selbst ihren Blicken wieder zu entziehen. Erwähnenswert ist noch die Fahrt Tyrsatens hinten auf einer Carosse in Venedig, und über mehrere Stunden, da er Gehörs-Zeuge der venerischen Beschäftigungen der Engländerin und ihres Offiziers wird (SR 137f).

117 Ein Busch bei einer Laube (VS 177), ein Busch (SR 194, LA 262, 360, ), ein Strauch (EH 201), eine Allee (EH 110f), eine Hecke (RO II/332), ein Zaun (EH 618f), dicke Stauden (AU 27), die Dunkelheit (AU 64), die Kammer (CL 129f), eine dick belaubte Allee (VW I/135).

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

Übrige Auffälligkeiten Einem übertriebenen Hang zur Vollständigkeit soll an dieser Stelle nicht genügt werden. Aufzuführen wären, als weitere Provokateure räumlicher Angaben auf der Wahrnehmungsebene, körperlich akzentuierte Handlungsmotive: gewaltsame, aber auch erotische Auseinandersetzungen und Possen.118 Ferner Kontaktaufnahmen in einem dafür schon geeigneten, meist geselligen und nicht eigentlich zufälligen Kontext.119 Die Überlegungen abschließen soll aber ein knapper Hinweis auf Auffälligkeiten in der Verteilung der Angaben in den Romanen. Einen wahrnehmungsbetonten (szenischen) Auftakt haben die Romane Octavia, Satyrischer Roman, Höfe und beide Teile der Welt. Die fünf handlungsentscheidenden Orte der Adalie, Paris, Allerona, Pleisina, die Schlösser Curtons und Louysens weisen je mindestens einen räumlichen Schwerpunkt auf, in dem es entweder zu einer Situation asymmetrischer Wahrnehmung kommt (LA 19–21, 188–195, 359f, 381, 439), eine räumliche Begebenheit gezielt zu Handlungszwecken genutzt wird (LA 86–88, 159–161, 185– 190, 202f), oder allgemein in einer räumlich gebundenen Handlung Berücksichtigung findet (LA 234–347).120 Eingebettet sind diese besonders deutlichen in mehr generische Angaben zu Aufenthaltsorten der Figuren, in der Regel Zimmer.121 Besonders profilierte Orte sind die zwei Gärten, vor Paris (LA 28) und in Pleisina (LA 378), sowie eine anmutige Gegend bei Permane (LA 354–360). Auffällig sind die Unanschaulichkeit der Bildungsaufenthalte Adelphicos gegenüber der Anschaulichkeit Petraltos; die Unanschaulichkeit seiner Folgebeziehungen gegenüber der Anschaulichkeit von Fortunatos Beziehung zur Ardorea. Verlässlich ist, ferner, im Schelmuffsky, die Anschaulichkeit seiner Introduktion in den je neuen Reiseort, also pro Reiseort eine wenn, dann abnehmende Frequenz wahrnehmungsbezogener Angaben.

118 Zum Beispiel EH 85–95, 604–613, SM 111, SR 161–171. 119 Zum Beispiel EH 45f, 554f, SM 17f. 120 Dabei insbesondere die Seiten LA 237, 244–246, 249, 252, 255f, 262–280, 293, 295, 297, 304, 308f, 312f. 121 Zimmer in Brions Haus (12, 17, 19, 22, 44), Zimmer auf Lionards Schloss (97f), Zimmer auf Louysens Schloss (146, 154, 159, 164, 169, 174), Zimmer, Vorgemach, Cabinet der Herzogin von Mommorency (188, 192), Julies Zimmer in Allerona (207), Zimmer auf Curtons Schloss (234, 238, Adaliens Zimmer in Permane (353), Zimmer in Pleisina (365, 366, 367, 372, 392, 393, 400, 415, 416, 418, 421, 422, 431, 432, 433, 441, 443).

Reihenbildung in den Bereichen Freundschaft, Religion, Biographie

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4.4. Reihenbildung in den Bereichen Freundschaft, Religion, Biographie 4.4.1. Freundschaften122 Freundschaften verbinden, wie die Liebeshandlungen, einzelne Figuren in einer gemeinsamen Handlung; wie diese und in gemeinsamer Abgrenzung zu den Verwandtschaftsverhältnissen verdanken sie ihr Entstehen dem Zufall der Begegnung, werden willentlich geknüpft und können willentlich aufgelöst werden; ihre Basis ist das regelmäßige Beisammensein, längere Trennungen können aber leicht überbrückt, können auch als Prüfungen erlebt werden. Die Unterschiede zur Liebeshandlung liegen auch auf der Hand: Freundschaften werden konfliktfrei zu mehreren Figuren gleichzeitig unterhalten; es gibt, über die ausdrückliche Freundschaftserklärung hinaus, keine institutionalisierte Form dieser Verbindung, die als ein Handlungsziel, ähnlich dem der Heirat, eine entsprechende Werbungsphase zum Abschluss brächte. Zwar ist eine ausdrückliche Aufkündigung der Freundschaft im Sinne der Trennung zweier Liebender möglich, sie kommt aber im Korpus kein einziges Mal vor: Ortsveränderungen und Wechsel in den Ehestand lassen die Verhältnisse unbemerkt auslaufen. Während die ›fertigen‹, in eine Ehe umgewandelten Liebesverhältnisse nur ausnahmsweise, und dann meist im Sinne einer Krise Handlungen beisteuern, verläuft die Anbahnung der Freundschaften in der Regel rasch und konfliktfrei: einmal geknüpft, kommen als Handlungsfunktionen, auf der Basis einer Abfolge von Trennungen und Kontakten, die Eröffnung jeweils zurückliegender Begebenheiten in Frage, gemeinsame Reflektionen, Assistenzfunktionen in anderen Handlungszusammenhängen, funktionale Verschränkungen mit Liebeshandlungen und daraus resultierende Konflikte, gegebenenfalls die Abfolge von Kränkung und Versöhnung, die Pflege der Freundschaft im geselligen Kontakt oder in der anerkennenden und wohlwollenden Begleitung der Handlungen des Freundes; gewöhnlich ist indes über weite Strecken ein gemeinsames Erleben, in dem die jeweils erlebten Handlungen die ausgesprochene Hauptsache bilden und die Freundschaft ein nur latentes Reservoir möglicher Verständigungen, möglicher Handlungsfunktionen bildet. Freundschaften verbinden die Helden der Romane bevorzugt mit Figuren, die in ähnliche Handlungen verwickelt sind wie die Helden selber: sie dienen, gewissermaßen, der syntagmatischen Verknüpfung des über die paradigmatische Multiplikation der Haupthandlungsreihe geschaffenen Personals. Diese Funk122 Vgl. für einen allgemeine Überblick Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 139–146.

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Reihenbildung ohne Einheitsbezug, unkontrollierte Varietät

tion wird umso deutlicher, je knapper die Freundschaftshandlungen selber ausgeführt werden, je unbehelligter voneinander die Freunde ihre vervielfachten Handlungen vollziehen. Die in diesem Sinne reinste Anwendung eines solchen Verfahrens findet sich im salamoenischen Ortszusammenhang der Verliebten und galanten Welt.123 In ähnlicher Weise suchen und finden in der Reise alle befreundeten Reisegefährten Seladons wie dieser eine Anstellung (RE 363–372, 377; 378–410); ist der Graf mit demselben Ziel, nämlich zu sehen, »was hier und da passiret« (SM 13), unterwegs wie Schelmuffsky. In den Romanen Student, Adelphico, Amor und Höfe geht die Rechnung nicht mehr auf. Gustavus schließt nur mit drei von sechzehn männlichen Protagonisten anderer Liebeshandlungen Freundschaft,124 dazu mit einer Figur, Romano, die in keine Liebeshandlung verwickelt ist.125 Ausdrücklich befreundet ist Adelphico allein mit Musano (AP 19) und seinen Schulkameraden Niptscho und Moffan (AP 99). Im Vordergrund steht bei diesen Freundschaften die Duplikation nicht der Liebes-, sondern der Ausbildungshandlung des Helden; nur Niptscho wird auch Protagonist einer Liebeshandlung. Interessant also, dass die Figuren der für die Versammlungsreihe entscheidenden Compagnien anders relationiert werden.126 123 Mit Milander verbindet Heraldo eine Freundschaft noch aus der Zeit vor seinem Aufenthalt in Reistedt her. Er macht ihn, bei seiner Rückkehr nach Jena, mit Hermantes, Azestes und Syrandes bekannt; weil die Heraldo »recht nach ihrem Humeur befunden / so legten sie hier zusammen den Grund zu einer hernach gantz beständigen und honetten Freundschaft.« (VW I/36) Zu dieser Gruppe bringt Merine in Lindenfeld Lemande hinzu (VW I/112), der in der letzten Zusammenfassung der Freunde anlässlich Heraldos Hochzeit nicht mehr erscheint (VW I/192). Die Freundschaftspflege besteht in regelmäßigen Zusammenkünften und Ausflügen (VW I/36–50, 51–54, 58f, 67–70, 81–85, 112–127); Milander vertraut Heraldo einmal ein amouröses Abenteuer an (VW I/97–102); und nur der Ausflug von Lemande und Azestes nach Salamoena dient, obwohl hier ein Lust-Turnier besucht wird, vorrangig der Förderung der Liebeshandlung Azestens (VW I/127–131). – Die einzige Ausnahme in dieser Phase bildet Simandes, mit dem sich Heraldo in Elbipolis befreundet und der selber in keine Liebeshandlung verwickelt ist, allein, zum Trost Heraldens, die Begebenheiten Ramandens erzählt (VW I/171f). Die Vertraulichkeit ist entsprechend geringer als später die zwischen Heraldo und Seladon. Damit ist Ramande neben Menardi, dem Nebenbuhler Heraldos bei Charlotten, der einzige männliche Protagonist einer Liebeshandlung, der nicht mit Heraldo befreundet; und Simandes der einzige Freund, der nicht auch in eine Liebeshandlung verwickelt ist. 124 Mit Silibert (EH 109, 126–133, 144–166 etc.), Iranio (EH 297–306, 531, 539f, 543, 544d, 550, 1150) und Viciludo (EH 748–753, 773–781, 798–800, 829, 1206); das Verhältnis zu Decynto ist für eine Freundschaft doch etwas zu distanziert, trotz EH 695. Heroald ist Gustavus in erster Linie untergeben. 125 Vgl. EH 35–40, 59–64, 69f, 938, 940–942, 994, 1000, 1023. 126 Die Bekanntschaft Adelphicos mit Amoene und ihrem Bruder Cassandre beruht wohl auf einer alten Freundschaft seines Vaters mit Cassandres Vater, dem Herrn von Berckano (AP

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Hanses, der beständige Freund Fortunatos im Amor, erlebt mehr ein amouröses Abenteuer, als dass er eine den Liebeshandlungen des Helden vergleichbare Geschichte durchmachte; und dass Pecheur sich in Ardorea »äusserst […] verschossen« (AU 105), bleibt, als Wiederaufnahme von Fortunato-Ardorea, mit Ausnahme eben dieser Auskunft Chiens, unausgeführt. Im Student sind die Protagonistenstellen von fünf der neunzehn Liebeshandlungen ohne Beteiligung Infortunios mit Freunden von ihm besetzt (die Nummern 6, 12, 17, 20, 23); in zwei Fällen erlebt er mit Freunden gemeinsame Abenteuer (Nr. 5, 11); mit einem Freund gibt es eine funktionale Verschränkung (Nr. 3, 4). Die Freunde Boso (VS 9, 31, 196, 221f), Willimo (VS 84, 191), Mandie (VS 129, 133, 157, 186) bleiben ohne eigene Liebeshandlung. Vervielfacht werden also die jeweiligen Situationen der Helden. Die salamoenische Freundesgruppe Heraldos, in der Welt, befindet sich auch auf dem Weg zu einer ersten Heirat; Seladon reist nach Amosina auch, nachdem eine erste Liebesbeziehung an der Untreue der Frau zerbrochen ist.127 Sowohl der Freundesgruppe wie Seladon fehlt aber, ›in der Hinterhand‹, ein Äquivalent zu dem schon angeknüpften, aber unterbrochenen Verhältnis zu Charlotte. Die gleiche Einschränkung, nun bezogen auf Bellandra, gilt bei den Freunden Infortunios im Student, die ansonsten, wie er, auf freier Jagd nach Liebesabenteuern sind. Ungebundener tendenziell als Fortunato sind die Freunde Hanses, Pecheur und Chien. Niptscho, Musano und der nur einmal erwähnte Moffan duplizieren die Ausbildungssituation Adelphicos und den Junggesellenstatus. Iranio und Viciludo teilen mit Gustavus die Verwickelung sowohl in eine politische, wie in eine Liebeshandlung; Romano ist nur politisch verbunden, Silibert nur amourös. Die befreundeten Reisebegleiter Seladons, in der Reise, duplizieren seine Arbeitssuche;

3). Feraldo hat es, aufgrund der Lobreden Cassandres, allein auf Amoene abgesehen, unterhält zu seinem Nebenbuhler Adelphico also keine Freundschaft (AP 26). Fermont darf, als einer Adelphico willkommenen Ergänzung der schon versammelten Compagnie, wohl ein entfernter Freundschafts-Status zugebilligt werden (AP 69). Die Compagnie besteht sonst aus einer über die Schwester Adelphicos, Aspasie, zustande gekommenen Gruppe: Laurinde besucht diese, als ihre Baase, mit ihrer Freundin Statterie, ihrem Bruder Sarpaco (AP 51) und Sarpacos Hofmeister Berdert (AP 58); hinzu kommen dann Cassandre und Fermont. Vgl. zur Aufschlüsselung der Figuren Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso, der Autor des »Adelphico«? Zur Verfasserfrage und zum Gattungsproblem eines galanten Romans. In: Gerhart Hoffmeister (Hrsg.): Europäische Tradition und deutscher Literaturbarock. Internationale Beiträge zum Problem von Überlieferung und Umgestaltung. Bern, München 1973, S. 449–469. 127 Vgl. Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds. Berkeley und Los Angeles 1969, S. 21.

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der Graf Schelmuffskys Bildungsreisetum; aber nicht nur das: auch er erzählt, jedoch rhetorisch nicht ganz so brillant wie Schelmuffsky (SM 18), wiederholt eine Geschichte von seiner Herkunft und eine Geschichte aus seiner Jugend (SM 13f); auch er setzt sich an ein Hochzeitscarmen für Traute und Toffel, welchen wohl konventionelleren, am Ende passableren Versuch Schelmuffsky, weil er ihn nicht versteht, zugunsten seines dreisteren Gedichts beiseite wischt (SM 49f). Der Eintritt in eine Freundschaft ist in der Regel rasch erzählt;128 die Abfolge von einer möglichen Kränkung und einer Aussprache gibt es nur zwischen dem Grafen und Schelmuffsky (SM 42); alle anderen, möglichen Handlungsfunktionen sind in die anderen Handlungsbereiche bereits integriert und erscheinen weit stärker von dort, als von der Freundschaft aus motiviert: das gilt für die gegenseitigen Eröffnungen, in denen Liebeshandlungen in analeptischer Form dargeboten werden; für die geselligen Zusammenkünfte, die Gelegenheit zu Damenbekanntschaften oder zur Erzählung von Liebesgeschichten geben; für die Assistenzfunktionen und die funktionalen Verschränkungen. Bemerkenswert sind hiervon die Ausnahmen: wenn a) eine Freundschaft doch eine ausführlichere Werbungsphase, b) wenn die Freundschaftspflege einmal mehr Raum erhält, wenn c) der Verlauf der Freundschaft sich dem Verlauf einer Liebeshandlung angleicht. a) Heraldo und Seladon129 haben beide, zu Beginn des zweiten Teiles der Welt, eine gescheiterte Liebeshandlung schon hinter sich; die in der Gegenwartsgeschichte nächste und den zweiten Teil dann bestimmende Liebeshandlung zwischen Seladon und Amalia, beginnt erst auf Seite VW II/102; 34 Seiten Gegenwartsgeschichte, mit den 66 Seiten umfassenden Analepsen bis in die zweite Hälfte des zweiten Teiles ragend, sind also einzig durch die nach und nach zur Freundschaft sich verfestigende Bekanntschaft der beiden Liebesflüchtigen bestimmt. Dabei können folgende acht Etappen unterschieden werden: 1. Das zufällige, bloße Beisammensitzen im Postwagen; wegen großer Kälte ist keine Unterhaltung möglich. (VW II/6f) 2. Das allgemeine, gegenseitige Kennenlernen der Reisegruppe anlässlich einer Rast in einer Wirtsstube.

128 Beispiele sind RE 370, VS 133, AP 99, VW I/171. 129 Steigerwald: Galanterie, S. 465–468, geht auf die Entstehung der Freundschaft im Zeichen aufrichtigen Erzählens ein, verweist aber auch auf das unverbindliche Auseinandergehen der beiden: »[a]uffällig ist zudem, daß sich dieseb eiden Freunde weitgehend von den Freundespaaren der anderen Romane Hunolds unterscheiden, bei denen die Freunde nicht nur ihre Liebesgeschichten austauschen, sondern auch gemeinsam Ereignisse erleben und füreinander einstehen.« Auffällig also, dass die Freundschaft mit der umständlichsten ›Werbungsphase‹ diejenige ist, die in der Folge am wenigsten aktualisiert wird.

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3. Seladon gefällt Heraldo »wegen seines artigen Wesens so wohl / als seiner Geschicklichkeit im Sprechen« (VW II/7) besonders gut. »Ihre Meynungen und Raisonnements von unterschiedlichen Materien traffen so wohl überein / daß es schiene / als ob ihr Verstand allezeit in einerley Sachen beschäfftiget gewesen / und die Minen bezeichneten wo nicht ein Gemüth in beyden / doch eine genaue Ubereinstimmung.« (VW II/7) Wieder auf dem Postwagen können die Gespräche fortgesetzt werden, die jetzt die Liebesmaterie berühren. Es bleibt darin aber bei »General-Urtheilen […] / und der Unbekannte brauchte hierinnen selber so viel Vorsicht / daß Heraldo nicht auf die Gedancken kommen möchte / ob er ihn ausforschen wollen.« (VW II/15) 4. Heraldo richtet seinen Reiseaufenthalt nach den Plänen Seladons ein. Das heißt: Heraldo, als sie in die Nähe Amosinas gelangen, fragt Seladon, ob er dort absteigen wolle. »Der Unbekannte bekennte / wie er sich eine Zeitlang allhier auffzuhalten gesonnen / und versicherte / wie ein grosses Vergnügen es ihm seyn würde / die so beliebt angefangene Bekandtschafft daselbst fortzusetzen. Heraldo beantwortete dieses mit gewöhnlicher Höflichkeit / sagte aber / daß ihn einige wichtige Angelegenheiten schwerlich lange allhier zu bleiben vergönnen dürfften; doch es sey so lange als es wolle / so bäte er sich das Glück aus / von dessen höchst-angenehmer Conversation zu profitiren.« (VW II/16) 5. Zusammen logierend, speisen sie zusammen, und von den anderen Gästen wegen besonderer Ursache separiert. (VW II/16) 6. Sie geben einander ihren Namen Preis: »[D]a schien aus beyder mehr zunehmender Vertraulichkeie [sic!] / als wollten sie einander gerne was erzehlen / doch hielten sie noch aus gewissen Bedencken zurück / und gaben einander bloß die Ankunfft ihrer Häuser zu verstehen […].« (VW II/16) 7. Sie besichtigen gemeinsam die Stadt. (VW II/17) 8. Die Vertiefung der Freundschaft erwirkt ein Vorfall, der absichtlich, zu diesem Zwecke, oder auch zufällig geschehen sein könnte: Seladon lässt einen Brief ohne Umschlag in Heraldos Zimmer fallen, den dieser, weil erst am Ende des Briefes der Adressat kenntlich wird, also lesen und, von der beendeten Liebesgeschichte nun teilweise unterrichtet, erstatten wird (VW II/17–22). Die freundlichen Worte, mit denen Seladon den Brief entgegennimmt und die zufällige Kenntnisnahme von seinen Liebesangelegenheiten quittiert, lassen Heraldo schließen, er wolle auch seine, Heraldos, Begebenheiten erfahren. Heraldo aber, aus Rücksicht gegenüber Selimene, deren Ruf er, obwohl sie ihn betrogen hat, ehrt, möchte selber lieber noch nichts erzählen, belässt es also bei der verbindlichen »Gegen-Versicherung […] / daß / weil [Seladon] über sein Gemüth / also auch über dessen Anliegen Meister« (VW II/23); woraufhin Seladon die Kenntnis Heraldos gerne durch die Erzählung seiner Geschichte komplettiert (VW II/23–69), mit der Bemerkung schließend, seine Vertrau-

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lichkeit rühre auch aus der Leidensgemeinschaft mit Heraldo her. Sein Blick gibt Heraldo seine Begierde nach einer Gegenerzählung zu verstehen (VW II/ 69), sodass er, Heraldo, sich verpflichtet sieht, die Gründe für sein Schweigen zu offenbaren; dabei aber eine »Gegen-Confidence« doch in Aussicht stellend (VW II/70). Erleichtert wird dies durch das gemeinsame nächtliche Abenteuer vor dem Fenster, in dem Menardi und Rhodope zu sehen sind (VW II/71–74): natürlicherweise wird dies für Heraldo zum Anlass, von seinen Verwicklungen mit Menardi und Charlotte zu erzählen, worauf dann alles weitere auch folgt (VW II/76–95). Seladon verpflichtet sich seinen Freund dadurch, darüber »wohl und zuträglich vor sein Gemüth« zu raisonnieren (VW II/97). b) Die Beschreibungen der Festlichkeiten, die Heraldo mit der Salamoenischen Freundesgruppe besucht, und der Anreise und Vorbereitungen dazu (VW I/36– 40) präludieren eigentlich nur dem den Festtag abschließenden Opernbesuch, der für die ersten Handlungsfunktionen der Liebeshandlungen dieser Phase Anlass gibt; dies ›eigentlich nur‹ ist aber doch schon etwas: ein Freiräumen des von den ersten beiden, verschränkten Liebeshandlungen (Heraldo-Charlotte, Charlotte-Menardi) bisher besetzten Handlungsfeldes; die Demonstration der Freundesgruppe als eines von den Liebesverwicklungen auch unabhängig zu agieren fähigen sozialen Körpers; – anders als die Beschreibung des Festes, das Azestes mit Lemande nur zu dem Zwecke besucht, ihn mit Sirene bekannt zu machen (VW I/127–130). Im Amor gibt es zwischen den Freunden Fortunato, Hanses, Chien und Pecheur einen lustigen Überschwang, der zu eigenen, in sich geschlossenen Episoden führt: bei der Ankunft Fortunatos und Hansens in Friedrichsstadt (AU 46– 48); bei der Abreise, da sie die Zeche prellen (AU 87–90); bei einer gemeinsamen Trinktour mit Bordellbesuch (AU 106–109). Besonders reizvoll ist es, wenn die Ziellosigkeit der Freundschaftshandlung sich der Liebeshandlung für einen kurzen Moment mitteilt. Die Konfliktlinien, die sich bei einem Besuch Tyrsatens bei Selander und Arismenia abzeichnen,130 bleiben latent und beleben dadurch eher angenehm die gemeinsam in Kurzweil verbrachte Zeit (SR 154–156). c) Die Freundschaft zwischen Silibert und Gustavus, in den Höfen, kann als Verdoppelung einiger Teile der Liebeshandlung zwischen Gustavus und Arione aufgefasst werden. Es ist die einzige Freundschaft Gustavens mit einem regel-

130 Tyrsates drängt sich ja in die Beschäftigung Selanders und Arismenias durchaus mit Nachdruck (SR 154); und dass Arismenia mit der Vertraulichkeit zwischen Selander und Tyrsates einverstanden ist – dass Tyrsates die Verse lesen darf, die Selander ihr zueignet, steht kurz in Frage (SR 155f).

Reihenbildung in den Bereichen Freundschaft, Religion, Biographie

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rechten Verlauf, die also auf die Episode des Kennenlernens und Freundschaftsschlusses weitgehend nicht begrenzt bleibt. Die Verdoppelung betrifft zum einen Handlungsfunktionen der Entführungen und zum andern solche des vermeinten Todes. Wie Silibert in Hispanien von Nidosia in ihr Schloß zu Barcellona gelockt wird, wie ihm dort, in der schwarzen verhängten Kammer, der Tod ›Hermiontens‹ glaubhaft gemacht und er zur raschen Abreise bewegt werden soll – das ähnelt der Entführung einer Geliebten. Zuvor hatte außerdem der Stierkampf Siliberts die Tierkämpfe Gustavens in Presarxia und gleich vor ihm in Madrid verdoppelt; hatte er, wie in Presarxia der Kampf Gustavens die Bekanntschaft mit Arione, die Bekanntschaft mit Nidosia ermöglicht (EH 154f). Die eigentliche, große Entführung Siliberts ist aber freilich die durch Adina bewerkstelligte, die letztlich zu seinem Tod führt (EH 773–934). Gustavus kommt in dieser Befreiungsaktion mehr zum Zuge, als bei den Entführungen seiner Geliebten, die entweder auf einem Irrtum beruhten, oder die sie selber beherzt beenden kann. Verdoppelt wird schließlich die Situation Ariones im Veronischen Wald, im Romaneingang: auch Silibert trauert, in Gesellschaft Reinalds, um den vermeintlich gestorbenen ›Hermiontes‹ (EH 179–181), er erfährt mit ihr gleichzeitig von seinem Überleben (EH 228f). Aus den gegebenen Informationen sollte bereits erhellen, in welcher Weise es in den Romanen über die Freundschaften zu unabhängigen Reihenbildungen kommt: nämlich a) durch längere, alleine durch eine Freundschaftshandlung dominierte und in diesem Sinne zielgerichtete Partien; b) durch die regelmäßige Wiederkehr von knappen Elementen einer Freundschaftshandlung ohne bedeutende Handlungsfortschritte; und c) dadurch, dass bestimmte Elemente einer anderen Reihe durch das Dabeisein eines Freundes markiert werden, ohne dass in allen diesen Elementen auf die Freundschaft eigentlich eingegangen würde. a) Wie zu sehen war, gibt es solche längeren Partien alleine in den Höfen und in der Welt. Die Aktion zur Befreiung Siliberts ist, wohlgemerkt, eine Freundschaftshandlung nur von Gustavus und der Haupthandlung her gesehen; sie bildet also auch, und hauptsächlich, den Abschluss der Liebeshandlungen um Silibert und Reinald. Aufgeschoben wird für Gustavus das Wiedersehen Ariones nach seiner Rückkehr aus Gallien, nach der Beseitigung aller vorläufigen Heiratshindernisse und der Erfüllung aller gestellten Bedingungen. Erzählerisch wird diese Verzögerung gut plausibilisiert: Gustavus trifft durchaus in Denaruta ein, »wo sein Herr Bruder den Zepter führte« (EH 750), der Residenzstadt seines Fürstengeschlechts also und dem Zielort des gesamten Romans, in dem er Arione zuletzt heiraten wird (EH 1214–1216). Hier aber, das weiß er, wird Arione sich jetzt nicht aufhalten; er holt Erkundigungen aus der Residenzstadt ihres Vaters, Thurabe, ein, mit der »Versicherung / daß er seine Auffwartung ehestens selber ablegen

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werde.« (EH 774) Daraus ergibt sich ein Zeitverzug, in den die erste Nachricht von Siliberts Entführung, in noch etwas kryptischer Form, und dann die genaueren Erkundigungen fallen (EH 774–780); als Heroald mit der Nachricht zurückkehrt, Thurabe und Arione befänden sich zu Vinaquila, dient ihm diese Ortsveränderung seiner Geliebten bereits zur Rechtfertigung des Umweges über Welschland: »Denn weil Vinaquila an Welschland gelegen / meinte er auf seiner Reise seiner Liebe und der Freundschafft gegen Siliberten ein Genüge zu thun / wo er sich anders in solcher Noht befände.« (EH 800) Die spontane Entscheidung, Arione von seiner Rückkehr doch noch keine Nachricht zu geben, und durch ein unverhofftes Zusammentreffen die Freude des Wiedersehens zu erhöhen (EH 800) sowie die Tatsache, dass Gustavus bei seinem Bruder, zur Rechtfertigung seiner Abreise, »einige wichtige Geschäffte an dem Hofe zu Vinaquila« (EH 829) vorgibt, verhindern, dass der welschländische Aufenthalt an dem Ort der Abreise, Denaruta, und an dem Ort der Wiederaufnahme der Haupthandlung, Vinaquila, als Dauer und Verzögerung überhaupt wahrgenommen wird. Passgenau in die Latenzphase der Informationsbeschaffung fällt die freundschaftliche Begegnung Gustavens mit Viciludo. Für eine weitere Charakterisierung der Befreiungshandlung können auf die Überlegungen zum Wechsel der Integrationsform in den Höfen zurückgegriffen werden – in dieser Reihe bildete sie das vierte Element. Vor allem Kontraste fallen in den Blick: nach dem langen Aufenthalt am französischen und vor dem Aufenthalt am kaiserlichen Hof bleibt die Adina-Handlung ohne höfischen Kontext; sowohl in Pirasii/Servasille als auch in Vinaquila werden mehrere Liebeshandlungen in geregelter Alternanz parallel geführt (in Vinaquila zwar nur noch zwei), die Entführung aber funktioniert als eigenständiges Geschehen mit entscheidenden Auswirkungen für die Liebeshandlungen Silibert-Dorimene, ReinaldAdina, Silibert-Adina; dem glücklichen, vorläufigen Abschluss der Hauptliebeshandlung und, parallel, der Liebeshandlung Heroald-Selinde, diesen Verlobungen also geht der unglückliche Abschluss der motivisch mit am weitesten von der Haupthandlung entfernten Liebeshandlungen um Silibert und Reinald voraus: erst, so scheint es, wenn dies Feld ›geklärt‹ ist, kann, unbefangen und in einem überzeugenden, durch eine eigene Überschrift markierten Neueinsatz (EH 935), in Vinaquila die finale Runde der glücklichen Liebeshandlungen eingeläutet werden. Auch die lange ›Werbungsphase‹ zwischen Heraldo und Seladon, in der Welt, kann als Markierung einer Unterscheidung von Liebeshandlungen und ihrer Integrationsform verstanden werden: ihr voraus gehen die parallel jeweils bis zur Heirat geführten salamoenischen Liebeshandlungen; in sie fallen, in analeptischer Form, die unglücklich, durch Untreue zerbrechenden, und zuvor bis zur Ehe bzw. bis zur Verlobung gebrachten Liebeshandlungen; ihr folgen alleine die nun mit dem anderen Handlungsziel einer ›scherzhaften Ehe‹ versehene Lie-

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beshandlung Seladon-Amalia sowie die Abschlüsse der rahmenden Haupthandlung und, mit ihr funktional verschränkt, von Charlotte-Menardi. Die schmerzhafte Überwindung der gescheiterten Beziehungen bei Heraldo und bei Seladon gewinnt dadurch, dass die entsprechenden Erzählungen in analeptischer Form hier eingelassen sind, Dauer und Plausibilität: knapp der Hälfte des discours bedarf es ja, des zweiten Teiles, bis in der Gegenwartsgeschichte eine Liebeshandlung neu einsetzen kann. Kunstvoll ist außerdem die doppelte Kontextualisierung der eigentlich ja nur einen Liebeshandlung Heraldo-Selimene: bis zur Heirat gehört sie in die munter nebeneinander her zum glücklichen Ende marschierenden Gruppe aus Salamoena; die analeptische Erzählung ihres Fortganges nach der Heirat aber steht, durch die bitteren Reflexionen Heraldos zu Beginn des zweiten Teiles und die Schicksalsgleichheit mit Seladon, für den Leser von vornherein unter dem Zeichen des notwendig hereinbrechenden Unglücks, wie es in der Erzählung Seladons von seiner Beziehung schon vorgebildet wurde. b) In den Höfen muss als besondere Auszeichnung Gustavens, und als eine Erfüllung der an seine Kavallierstour geknüpften Hoffnungen angesehen werden, dass er mit hervorragenden Persönlichkeiten, wenn er auf sie trifft, sogleich in ein innig-freundschaftliches Verhältnis tritt: das sind Romano, Iranio und Viciludo.131 Glückwünsche anlässlich seiner Krönung bekommt er außerdem von Ponderodo, dem torgapulischen König (EH 1202), und ein Beistandsangebot von dem Groß-Fürsten der Borussen (EH 1202) – beiden ist Gustavus zuvor persönlich nicht begegnet, wiewohl er an torgapulischen Händeln einen Anteil hatte. Das Verhältnis zu Decynto ist wegen des Krieges zwischen Germanien und Gallien, wegen der doppelten Nebenbuhlerschaften bei Arione und Thersarie und dann der Konkurrenz in der Anwartschaft um den thualinischen Thron zu konfliktbeladen, um als Freundschaft zu gelten; zu einer besonderen Verständigung kommt es aber dennoch.132 Funktional sind die Freundschaftsschlüsse jeweils mit anderen Handlungen gekoppelt: die Krönung Romanos, der Gustavus als sein Freund beiwohnt, bietet die Gelegenheit zur ersten Bekanntschaft Ariones; Iranio kann Gustavus, durch einen glücklichen Zufall, in Bellahey das Leben retten und er wird von ihm in die Überlegungen über die Entführung Thurabes miteinbezogen; eine ganz ent131 Die Stellen sind, für Romano: EH 35–40, 59–64, 69f, 938, 940–942, 994, 1000, 1023; für Iranio: 297–306, 531, 539f, 543–545, 550, 1150; für Viciludo: 748–753, 773–781, 798–800, 829, 1204, 1206. 132 Vgl. EH 590: »Diese beyde Printzen beobachteten unter wehrenden Reden einander genauer; als zu vor. Sie funden Helden-Züge / Großmuth / Leutseeligkeit / und Majestät / einer in des andern Gesichte / und die Klugheit leuchtete dabey aus ihren Augen / daß einer den andern höchstliebenswürdig schätzte nur dieses war noch der Unterscheid zwischen Ihnen / daß Gustavus in Decynto estimirte, was in der Welt selten war / Decynto aber in Gustavus admiriren muste / was die Welt weder in sich noch im Decynto zu bewundern.«

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sprechende Funktion bekommt Viciludo, als Zeuge der merkwürdigen Reden Reinalds, in Denaruta hinsichtlich der Entführung Siliberts. An ähnlichen Stellen platziert sind damit die Freundschaftsschlüsse mit Iranio und Viciludo: beide Male erwartet Gustavus einen entscheidenden Fortschritt in seiner Liebeshandlung durch ein Treffen Ariones oder ihres Vaters, beide Male verzögert diesen eine unmittelbar eine neue Reisetätigkeit bedingende Entführung. Dabei ist die Begegnung Iranios, der nach einer »General-Musterung« (EH 543) nach Britannien aufbricht, von größerem éclat, die Begegnung Viciludos von größerer Innigkeit.133 Szenisch ist der Beginn der Freundschaft mit Romano nicht gestaltet, dafür gibt es hier ›Anwendungen‹ der Freundschaft in Form eines gemeinsam einem Pfarrer gespielten Possens (EH 59–64) und einer vertrauten, das Terrain sondierenden Unterredung auf dem Ball zu Vinaquila, vor der entscheidenden Wiederbegegnung mit Arione also (EH 938, 940–942). Die Unterscheidung von Iranio und Viciludo auf der einen, und Romano auf der anderen Seite, wird dadurch bestärkt, dass Romano keine eigene Liebeshandlung zuzuteilen ist, dass es zu ihm keine Erzählung gibt. Die Reihe von Nachrichten und Glückwünschen am Ende des Romans zieht gewissermaßen die Bilanz der von Gustavus schon aufgerichteten, für seine politische Karriere bedeutsamen Freundschaften. Im Amor unterscheidet sich die spärliche, zusammenfassende Thematisierung der Freundschaften in den Erzählungen Fortunatos134 von der praktisch durchgehenden Begleitung der Liebeshandlungen durch Freundschaftshandlungen in der Gegenwartsgeschichte.135 Fortunato – so ist der Umstand zu er-

133 Vgl. EH 780: »Sie legten sich beyde ermüdet in ein Schlaffzimmer / jeder auf ein besonderes Bett / und discourirten bald von Liebes- und Kriegs-Affairen / bis sich ihre Augen schlossen / und sie in einen Schlaff geriethen / der fünff Stunden dauerte.« 134 Nubilo wird namentlich erwähnt, weil er zuvor, in der Eleonore-Handlung, schon als Nebenbuhler fungierte (AU 17). Er sekundiert ihm im Duell gegen Deuquart (AU 40–42). Sonst heißt es, Fortunato halte »starck Compagnien mit [seinen] Lands-Leuten / und war immer lustig.« (AU 12) Bevor er bei Ardorea einzieht, wohnt er bei einem guten Freund (AU 13); mit einigen guten Freunden macht er einen Ausflug nach Viduamontana (AU 19); mit seinen Landsleuten berät er sich wegen des bevorstehenden Duells (AU 39f). 135 Den Ausflug zurück nach Friedrichstadt, der bis Seite 89 den Rahmen der Erzählungen und des Geschehens liefert, unternimmt Fortunato mit Hanses (AU 1f); der Fortunato bereits bekannte Student Hilario gibt, entgegenkommend in Sceitz, Auskunft über das Ardoreische Haus (AU 18f); in Friedrichsstadt gibt es scherzhafte Auseinandersetzungen und Assistenzen durch Pecheur und Chien (AU 46–50, 52f, 56, ), Hanses hat sein anderes amouröses Abenteuer (AU 62–69), die Freunde machen einen Ausflug nach Gibigenstein, auf dem Fortunato eine Geschichte erzählt (AU 71–83) und die Abreise erfolgt, mit einer Zechprellerei, in Form eines gemeinsamen Streiches (AU 87–89). Hanses diskutiert mit ihm nach dem Ende der Beziehung zu Aurora (AU 101–105), Pecheur und Chien machen einen Gegenbesuch in Lindenstadt und bringen Neuigkeiten aus Friedrichstadt (AU 105–110), bei dem viele »Avanturen« (AU 106) vom Erzähler übergangen, und nur ein Bordellbesuch

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klären – fokussiert in seiner Erzählung natürlicherweise die Liebeshandlung, versetzt die Freundschaften also in einen Hintergrund, aus dem sie nur dann hervortreten, wenn sie für die Liebeshandlung unmittelbar relevant werden. Wenn der Erzähler, bei dem Ausflug nach Friedrichsstadt, den Freunden Hanses, Pecheur und Chien beinahe soviel Gewicht zu geben scheint, wie den Besuchen Ardoreas; und wenn er dem Besuch Pecheurs und Chiens in Lindenstadt den Status eines eigenständigen, erzählenswerten Ereignisses verschafft, scheint dies auf ein weniger voreingestelltes, die Gegebenheiten ungefilterter wiedergebendes erzählerisches Verfahren zu deuten; – das aber für verlässlichere Redundanzen sorgt, als eigentlich die Liebeshandlungen: die Geliebten wechseln, Hanses aber ist auf der ersten und, implizit, auf der letzten Seite präsent. Im Student löst sich allenfalls die Haupthandlung aus dem Zusammenhang von Freundschaft und amourösem Abenteuer, der sonst, bei wechselndem, nämlich ortsgebundenem Personal, durchgehend gegeben ist, und auch in den Erzählungen Infortunios mitabgebildet wird. Im Satyrischen Roman fallen die Elemente der Freundschaftspflege des venezianischen Aufenthaltes mit den Wechseln der dominanten Liebeshandlung zusammen, bieten diesen also ein erzählerisches Vehikel. Interessant ist schließlich, im Adelphico, bei einer Mischung aus Hintanhalten und Hervorheben, die Rolle Musanos:136 er erscheint einerseits, als Schlaff- und Schul-Compagnon (AP 19, 99) Adelphicos, Gymnasiastenkollege zu Grabome (AP 99) und Hochzeitsgratulant (AP 148) trotz erfolgter Trennung bei Antritt des Studiums in Gnitzepalto (AP 132) bzw. Saal-Athen (AP 148) als beständigster und intimster Freund des Helden. In allen drei Liebeshandlungen Adelphicos kommt ihm eine fördernde Funktion zu: in auffälliger Wiederholung gibt er Amoene und Statterie Anlass zu ihren Geständnissen, indem er, im Garten versteckt, eine passende oder unpassende Arie singt (AP 12–17, 63–65); während er, zusammen mit seiner bei Irenie als Kammermädchen arbeitenden Schwester, die Bekanntschaft Adelphicos mit jener zuallererst, und also weit offener agierend, stiftet (AP 118–122). Umso merkwürdiger ist dann, dass er an den geselligen Runden, obwohl erwiesenermaßen zu Petralto wohnend, nicht teilhat. c) Sowohl in der Reise, wie im Schelmuffsky, ergibt sich eine Unterscheidung von freundschaftlich begleiteten und unbegleiteten Reiseabschnitten, mit einem Anschluss einmal an den Reiseanfang (Schelmuffsky), und einmal an das Reiseziel (Reise). Die Octavia wurde bisher ausgespart. Es gibt dort praktisch keine vom Liebesoder politischen Handlungsbereich unabhängigen Freundschaftshandlungen. auserzählt wird; schließlich gibt es die letzte Erzählrunde mit Hanses und Fortunato als dem Kern der Compagnie (AU 112–136). 136 Also des Autors selbst – vgl. Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso.

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Am Anfang der Gegenwartsgeschichte wird zwar das freundschaftliche Verhältnis der im römischen Untergrund sich begegnenden Figuren stark betont;137 Erklärungswert hat es aber allenfalls für das bereitwillige Aufgeben politischer Ambitionen zugunsten eines besser dazu berechtigten Freundes138 – ansonsten reichen die politischen Gefolgschaften und die Verwandtschaftsverhältnisse zur Bestimmung der Handlung aus. Zu erwähnen wäre sonst die thematisch einschlägige Novelle »Sieg der Freundschafft über die Liebe« (RO III/848–856), in der die Freundschaft zur Erklärung einer gleichberechtigten und untereinander fairen dreifachen Werberschaft um eine Frau dienen soll; Ausgangspunkt der langen, nebenbuhlerischen Rivalität zwischen Salvia und Calvia Crispinilla ist eine die ersten Entwicklungen bedingende Freundschaft (RO III/759f); das Leben eines geselligen, mehr oder weniger freundschaftlichen und literarischen Zirkels wird in der Geschichte Statilia Messalinas und Polla Argentarias geschildert (RO III/618–663).

4.4.2. Die religiöse Handlung Einen ausgeprägten religiösen Handlungsbereich gibt es im Korpus allein in der Römischen Octavia.139 Die wichtigste, und beinahe einzige Handlungsfunktion ist die Konversion.140 Funktionale Verschränkungen gibt es mit dem Liebes- und mit 137 Einige Stellen für die einzelnen Verhältnisse: ›Drusus‹-Tyridates: RO I/39, 47f; ›Drusus‹›Jubilius‹: I/189f, 349. ›Drusus‹ und ›Italus‹ sind gewissermaßen Zieh-Brüder: I/347–349, 404f, 626, 636f, 639. 138 Das betrifft ›Italus‹, ›Drusus‹ und Tyridates: I/47f, 190f, 372, 392f. 139 Mahlerwein unterscheidet nur zwischen Staats- und Liebesgeschichte, verbunden von den Verwechslungsintrigen der drei Neronen. »Cholevius löst aus dem gesamten Handlungsgefüge noch die die Christen betreffenden Begebenheiten, die jedoch mit der Liebes- als auch mit der Staatshandlung zu eng in Verbindung stehen, als dass sie losgelöst und bei dieser Gruppierung der Handlung nach Hauptgesichtspunkten besonders aufgeführt werden dürften.« (Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 16) Eine umfassende Einordnung in den literaturgeschichtlichen Kontext, bezogen also auf die deutschen und französischen Vorläufer auf dem Gebiet des höfischhistorischen Roman, bietet Mazinge: Anton Ulrich, Chapitre XIV. 140 Die wichtigsten Konversionen einzelner Figuren sind: Tyridates: RO I/156, 169f, II/26f, 171, 261f; 624f; Britannicus: RO I/738, 752; Octavia: RO III/202–206; Antonia: RO II/310f, 624f; ›Drusus‹: RO II/310f, 314, 624f; Caledonia: RO I/707; Claudia Rufina: RO I/707; Pudens Rufus, Pomponia Gräcina: RO I/709; Cynobelline, Bondicea: RO I/713; Valeria: RO II/504– 509; Ulpia: RO II/564; Cäcilius: RO II/716; Flavia Domitilla: RO II/716f, 730f; Galgacus: RO IV/45f; Rubria: RO IV/649; Corillus: RO V/50; Töchter des Albinus: RO V/509f; Tertius Julianus: RO VI/431; Stepho: RO V/980–989, 1044f; Julius Sabinus und Epponilla: RO III/ 102f, 593; Piso: RO III/965f; Junia Calvina: RO IV/938; Epaphroditus: RO IV/883; Roxolane: RO VI/277f, 281f, 324, 329, 331, 450f; Sulpitia, Abdon: RO I/456; Nitocris: RO VI/745; Bunduica: RO IV/266; Zusammen getauft werden Tag II, 38: Tyridates, ›Drusus‹, Ariaramnes, Parrhaces, Vasaces, Antonia, Zenobia, Helena, Locusta (RO II/624f). Ausdrücklich

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dem politischen Handlungsbereich: im Liebesbereich kann ein von dem Paar geteilter Glauben Bedingung für eine Heirat sein;141 außerdem können mit einem bestimmten Glauben besondere Rechtsauffassungen über die Ehe einhergehen;142 der Selbstmord fällt als ›Lösung‹ schwieriger Situationen aus,143 dafür misslingende Bekehrungsversuche gibt es zwischen Sidon und Bondicea (siehe unten) und Galgacus und Rubria (RO IV/46f, 49–53, 57–62, 64f, 67). Zu den Bekehrungen in der Aramena vgl. Heselhaus: Anton Ulrichs Aramena. Studien zur dichterischen Struktur des deutschbarocken »Geschichtgedicht«. Würzburg-Aumühle 1939, S. 100f. Mazingue: Anton Ulrich, S. 734f, sieht, gegenüber Bucholtz, noch eine gesteigerte Bedeutung der Konversionen, Symptom einer Interiorisation der Religion: »Evidemment le processus de la conversion, tel qu’il est dépeint par Bucholtz ou par Anton Ulrich, n’est pas un lent cheminement psychologique; on peut difficilement parler d’une évolution que le romancier s’attacherait à suivre et à décrire dans sa progression insensible. Il s’agit plutôt d’une décision rapide, d’une conviction qui a peut-être été longtemps refusée, combattue, mais qui est brusquement acceptée.« 141 Am prominentesten bei Tyridates und Octavia: RO I/156, 538–541, II/16, 165, 261f. Italens und Antonias Konversionen und Taufen laufen parallel (RO II/310f, 624f). Britannicens Konversion wird von der Bekanntschaft mit der schon christlichen Caledonia angestoßen und in der Zeit ihres britannischen Aufenthaltes vollendet; eine Heirat stand hier aber noch nicht in Aussicht. Drusus und Cynobelline unterscheiden sich von diesen drei Hauptpaaren durch die bis zuletzt geltende, und kurz vor Drusens Tod auch thematisierte Inkongruenz ihrer Bekenntnisse (RO III/350–353, IV/491–495). Beor und Parthenia sind beide von Haus aus christlich (RO I/456–459). Zenobia wird Tag II, 38 getauft, das Bekenntnis Artabanens aber nicht thematisiert – er wird also noch den parthischen Glauben haben. Entscheidend wird das Problem zwischen Sidon und Bondicea: hier gibt es gegenseitige Bekehrungsversuche, die aber scheitern; die Heirat wird so tatsächlich unmöglich (RO V/328–330, 374–378, 391–393, 428, 586, 1048f, 1129, VI/279f). Bei Valeria und Piso tritt der Glaubensunterschied hinter der Ehe Pisos und Veranias als Hinderungsgrund zurück; Piso äußert aber kurz vor seinem Tode einen Taufwunsch (RO III/965f) und sorgt ja, durch ihren wundersamen Märtyrertod, für die Bekehrung Stephos (RO V/980–989). Eine innerfamiliäre Glaubensspaltung thematisiert, reich differenziert, die Geschichte des Aelius Adrianus und der Domitia Paulina (RO II/564–604). Vgl. zu Sidon-Bondicea, aber auch Agbarus-Nitocris Munding: Christentum als absolute Religion und religiöse Toleranz in der späten ›Octavia‹ und im Leben Anton Ulrichs zu jener Zeit. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta‹. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 105–133, hier: S. 124f. 142 Octavia kann Nero, nachdem sie getauft wurde, die Scheidung nicht mehr anbieten (RO II/ 91, 140f); und sie erkennt die Scheidung, die er nach römischem Recht vollzogen hat (RO II/ 143), nicht an. Strittig wird später, inwieweit die Verlobung Tyridatens und Antonias aufgelöst werden kann: hierzu müssen Rechtsgutachten eingeholt werden, und die Streitfrage kann politisch instrumentalisiert werden. Stephan Kraft betont die zentrale Rolle des Scheidungsverbotes für die Hindernisse in der Hauptliebeshandlung und sieht, in der Aufeinanderfolge der Textschichten, und Stellen jenseits unseres Untersuchungsbereiches miteinbeziehend, eine deutliche Tendenz: »Von der selbstverständlichen Akzeptanz der Glaubensgrundsätze über die Problematisierung von Dogmen, die vor allem politisch mißbraucht und instrumentalisiert werden können, geht es bis zu einem Punkt, wo der Gläubige selbständig, selbstbewußt und nach eigenem Gewissen über Sinn und Unsinn einer solchen Vorgabe entscheiden zu können glaubt.« (Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 50–54, hier S. 54).

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kommt als möglicher Handlungsausgang das kontemplative, der Welt entrückte Lebensende an einem Ort christlicher Zuflucht hinzu.144 Im politischen Bereich droht eine Übersetzung der Glaubensgemeinschaft in eine politische Partei;145 hier gibt es, als zusätzliche Handlungen, Verfolgung und Unterdrückung,146 Märtyrertode147 und die Einrichtung und Zerstörung von Zufluchtsorten.148 Die kultischen Handlungen wiederholen sich regelmäßig und bilden keine Handlungen in engerem Sinne (Änderungen der Bedingungen der Möglichkeit weiterer Handlungen).149 Heidnische Gebräuche können als ›Tricks‹ entlarvt werden.150

143 Wenn Nero Octavia loswerden wolle, sagt sie, müsse er sie töten (RO II/140f). Stephan Kraft konstatiert auch hier eine Entwicklung zu einer in der dritten Textschicht dann offener geführten Diskussion (Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 59–64). 144 Die so qualifizierten Orte sind der Aufenthalt Maria Magdalenas bei Marsilien (RO III/190), die Stoechadischen Inseln (RO III/805–812, V/521f) und die Wohnungen des Andronicus (RO IV/747, 829f). Nur weibliche Figuren streben ein solches Leben an: Ephigenia (RO III/ 805); Bunduica (RO V/579f), Caledonia, Cynobelline, Valeria (RO IV/824f); Octavia (RO III/ 190); Roxolane (RO VI/281f). Die Fassung A sieht die Einlösung eines solchen Zieles für Caledonia, Cynobelline, Bunduica, Bondicea und Junia Calvina vor (RO A VI/953f) – das sind »les héroïnes que la mort de celui qu’elles aimaient ou un obstacle insurmontable ont conduites au renoncement définitif« (Mazingue: Anton Ulrich, S. 727). 145 Am deutlichsten in Ethiopien, wo ein eigentlich dynastischer Konflikt die Glaubenspositionen integriert (RO I/475, 496, 816–818, 839f, 843–849). In Adiabene führt die mit dem jüdischen Glauben geltend gewordene, und politisch durchaus in usurpatorischer Absicht instrumentalisierte Eherechtsauffassung zur Delegitimierung eines Thronfolgers (RO I/547, 559). Valeria wählt das Bekenntnis zum Christentum als Ausweg, um einer Heirat Stephos zu entgehen, und macht sich als Thronfolgerin Aquitaniens unmöglich (RO II/505–509). In Britannien dringt die Mission auch in die höfische Sphäre (RO I/707, 713); es kommt aber darüber zu keiner dauerhaften Parteibildung – die einzige Gegenreaktion ist eine zeitlich begrenzte Verfolgung (RO IV/266). In der Donaudeltahandlung nimmt die drohende Vernichtung der in den Wohnungen des Andronicus lebenden Christen als Erpressungsmittel eine zentrale Rolle ein; die Vereinnahmung Vologesens gegen die Christen durch Demetrius ist Teil des medischen Planes (RO V/443, 454, 494–502, 551–555). Pacorus steht in dem Dilemma, Octavia heiraten und doch gegen den Unmut seines Volkes gegen die bevorstehende Erhöhung einer Christin nicht anzukommen (RO V/1135f, 1140). Wie Tyridates mit dem Problem dann umgeht, wird nicht berichtet. 146 In Rom: RO I/367, 460–462, 498, 502, II/510f, 564f, III/302f; wegen der Auseinandersetzung Ottos und des Oberpriesters Plautius Aelianus über die christliche Octavia vgl. RO IV/126– 132; ferner RO IV/817–822. In Britannien: RO IV/266. Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 721– 723. 147 Petrus und Paulus: I/502; Matthäus: I/847f; Cäcilius: II/737–739; Thomas: IV/948–950; Valeria: V/980–989. 148 In Rom: I/353, 360, 462, II/113, II/603, IV/341, 788, 795, V/10. Zu den Stoechadischen Inseln und den Wohnungen des Andronicus siehe oben (Kap. 4.3). 149 Vgl. etwa die Gottesdienste im zweiten Band: II/11–20, 272–276, 313–316, 402f, 618, 750–756; oder die Sonnenfeste im fünften Band: V/253–258, 322, 414, 542f, 1105, 1107. 150 In Ethiopien: I/824–840; im hercynischen Gebirge: V/215–225; vgl. oben (Kap. 4.3) die Bemerkungen zu den dazu gebrauchten Maschinen.

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Durch die hypothetische Kombination der Handlungsziele der wichtigsten Paarreihen mit Krönungen ergibt sich eine perspektivische Umwandlung der Konversionen, die zuvor nur mit dem Liebesbereich verschränkt waren, in politisch bedeutsame, nämlich für das dann beherrschte Land insgesamt verbindliche Konversionen. Sieht man die Romanhandlung als Teil einer weltgeschichtlich dimensionierten, allgemeinen Konversionshandlung,151 bedeutete das Erreichen dieser Handlungsziele einen erheblichen Fortschritt. Allerdings – hypothetisch bleiben diese Kombinationen; tatsächlich sind alle im Roman auftretenden Fälle von ›Staatsbekehrungen‹ – in Adiabene, Ethiopien, Edessa – problematisch. Es ist bezeichnend, dass eine entsprechende Schilderung der Konversion der Cheruscer unter König Italus und eine Problematisierung des Verhältnisses der sich gegen die christliche Octavia als Königin noch vehement wehrenden Meden zu ihrem neuen König Tyridates ausgespart wird. In den Notizen zum Abschluss des Romans, also jenseits unseres Untersuchungsbereiches, ist denn auch eine christliche Trauung des Hauptpaares in aller Stille, und ein öffentliches Auftreten bei den heidnischen Opfern vorgesehen.152 Wenn sich, nun wieder im Untersuchungsbereich, eine Tendenz abzeichnet, dann eine negative: alle dem Politischen zunächst entrückten, christlichen Zufluchtsorte werden unmöglich gemacht. Die römischen Katakomben zerstört die Tyber-Flut, die Stoechadischen Inseln werden von den Marsilianern verheert, am empfindlichsten aber ist, in den Wohnungen des Andronicus, die verräterische Unterwanderung der christlichen Gemeinde selber.153 Stabiler und, als Prolepsenlieferant für die Abwickelung der Handlung funktional privilegiert sind hingegen der heidnische Phraortes und Ptolemäus; als neues, räumliches Zentrum scheint

151 Vgl. Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 17: »Ein letztes Mal steht am Anfang die Achse des alten christlich-abendländischen Weltgeschichts-Schemas: das vierte Weltreich, die Geburt des Heilands und die aus den Katakomben hervortretende, allmählich über den Erdkreis sich ausbreitende Kirche.« Vgl. ferner dies.: Christentum als absolute Religion, S. 128, und Hoyt: Emblematische Strukturierung in den Romanen Anton Ulrichs, Herzog von Braunschweig-Lüneburg. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta’. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 149–160, hier: S. 156f. Mazingue: Anton Ulrich, S. 733f, betont aber, dass in der ersten Textschicht, in Abgrenzung vor allem von Bucholtz, diese Perspektive noch fehlt: »Anton Ulrich n’a pas voulu que son oeuvre soit plus que le roman des catacombes romaines. C’est dire que le christianisme y demeure en marge de l’histoire, séparé du monde officiel. […] La vérité historique à laquelle Anton Ulrich se tient le conduit donc à renoncer à conclure son ouvrage selon le modèle qu’il avait suivi dans son premier roman, où la vraie religion triomphe officiellement en même temps que la légitimité politique. | C’est seulement dans une seconde conclusion, – celle qu’il publie vingt-cinq ans plus tard –, que le duc revient à la tradition.« 152 Vgl. Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 58f. 153 Ebd., S. 52.

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der religiös betont inklusive Carmel-Berg etabliert zu werden. Allein Britannicus als prophezeiter Inderkönig birgt noch christlich-utopisches Potential.154

4.4.3. Ansätze zu einem Medium ›Individualität‹? – Die Ausbildungshandlung Es gibt eigentlich keinen ›biographischen‹ Handlungsbereich: die darin zu verortenden Handlungsfunktionen wären Geburt und Tod, die kausalen Relationen, die von dort ausgingen, führten unmittelbar in andere Handlungsbereiche zurück. Die ›biographische‹ Verfolgung einer selben Figur durch unterschiedliche Handlungen und Handlungsbereiche gibt dieser je kontingenten Kombination, unterstützt etwa durch historisches oder anekdotisches Interesse, einen Vorwand, ja den Anschein von Einheit: gerade aber die von Haslinger so genannten »Lebensgeschichten«155 der Octavia finden in dem, was die in den Überschriften genannten Figuren betrifft, ihre Einheit dann doch in der Regel in einer Liebeshandlung, die die gegebenenfalls ›überstehenden‹ Elemente etwa der Herkunft mühelos in ihre kausale Struktur integrieren können;156 und, abgesehen vielleicht vom Amor auf Universitäten, wo Fortunato irgendwann und zeitweilig genug bekommt (AU 101–105), verändern die von Selander, Tyrsates, Seladon, Heraldo, Adelphico, Schelmuffsky, Floramor, Sylvander, Infortunio nacheinander durchlebten Liebeshandlungen die Bedingungen der Möglichkeit, oder gar den Modus des Erlebens für die je folgende nicht. ›Individualität‹ ist denn auch – so wäre der Vorschlag –, wo sie literarisch abzubilden versucht wird, kein neuer, eigener Handlungstyp im kausal strukturierten Handlungsmedium, sondern ein zur Relationierung von Elementen neuartig befähigendes Medium, in dem nämlich die ›individuelle‹, ›biographisch‹ determinierte und kontingente Informationsverarbeitung einer Figur nachvollzogen wird. Allenfalls die Abfolge der Veränderungen in dieser Informations154 Vgl. ebd. S. 84 die abschließende Einschätzung: »Auch in seiner letzten Entstehungsphase hält der Roman also neben der realistisch-pessimistischen Bestandsaufnahme der historischen Wirklichkeit noch an seinem utopischen Potential fest. Der Verlauf des Romans wurde bestimmt von einer Gegenüberstellung von einer aktuellen Tyrannei mit einer zukünftig zu erwartenden guten Herrschaft; am Ende stehen Ernüchterung und Utopie in einer unaufgelösten Gleichzeitigkeit direkt nebeneinander.« Vgl. auch Munding: Christentum als absolute Religion, S. 112f. 155 Vgl. Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 248–250. 156 Vgl. etwa RO I/199f. Weiter: dass Zenobia sich in Tyridates verliebt, bevor dessen Liebe zu Octavia einsetzt, ist vollständig in den politischen Bereich integriert, außerdem in die Liebeshandlung Artabanus-Zenobia. Für Tyridates-Octavia wird die Liebesaversion Tyridatens vor deren Einsatz und zu ihrer Auszeichnung illustriert, ähnlich wie von Gustavus bemerkt wird: »alle Damen waren ihm bishero gleichgültig gewesen / und die hierdurch genossene Beruhigung seines Gemüths stellte ihm alle anderen Regungen verhast vor / die nicht mit seiner innerlichen Zufriedenheit und der Begierde zum Waffen überein kamen.« (EH 49)

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verarbeitung – durch Erkenntnisse, durch Erschließung neuer Vergleichsfelder, durch Vergessen, durch Verdummen, durch Zu- oder Abnahmen bei der Wahrnehmungsleistung oder bei der Projizierung eigener Handlungsoptionen – ließen sich, aber nur in einem übertragenen Sinne, da die kausale Relationierung nicht, oder eben nur über den Umweg des Handlungsmediums greift, ›Handlungsfunktionen‹ einer biographischen ›Handlung‹ nennen. Gibt es zur Inbetriebnahme eines solchen Mediums im Korpus Ansätze? Die Frage ist vorsichtig, ja kleinlaut, und immer noch Zufall als Erklärung bemühend, zu bejahen. Die Äußerungen Schelmuffskys waren alle auch Zeichen seines in spezifischer Weise defekten Verhältnisses zur Welt. Gerade die Geschichte von der Geburt allerdings deutete nicht so sehr auf einen individuell-kontingenten Defekt, sondern – die Eltern sind Frau Mutter Sprache und der lügnerische Teufel – ein nachgerade poetologisches, also überpersönliches Verhältnis.157 In der Adalie werden unten (Kap. 5.8), im Rahmen der Einzeluntersuchung, Ansätze zu einer Simulation eines Erlebens deutlich werden, bei dem die durch die Einführung in neue personale Verhältnisse angestoßene, gegenwärtige Handlung, die Informierung über deren kausale Voraussetzungen in der Vergangenheit und die Orientierung in neuen räumlichen Gegebenheiten simultan ablaufen – bei Aufteilung aber der Funktion der ›Repoussoir‹-Figur auf zwei, in dieser Funktion alternierende Figuren. In den stärker der Hierarchisierung sich entziehenden Liebeshandlungen der Verliebten und galanten Welt (Seladon-Amalia) und des Satyrischen Roman (Selander-Arismenia) verlangte die Detaillierung ingeniösen kommunikativen, vor allem werbenden Handelns eine aber nur situationsbezogene Rekonstruktion der für die Umworbene bei der Aufnahme und Bewertung maßgeblichen Unterscheidungen: der Erfolg der Kommunikation ruhte auf dem dabei erreichten Auflösungsgrad.158 Der Raffinirte Statist macht durch das beinahe unvermittelte Nebeneinanderstehen ganz unterschiedlicher Handlungstypen und ihrer Informationsmuster die Eigenstruktur der de facto verschwindenden biographisch orientierten (Ausbildungs- und Karriere)Handlung erkennen und, in der Möglichkeit, welche Filter bei ihrer Reaktualisierung 157 Durchaus zweideutig zu verstehen. Vgl. Bergengruen: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky. Zur Parodie des Reiseberichts und zur Poetik des Diabolischen bei Christian Reuter. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 126 (2007), S. 161–184, hier: S. 176– 183. 158 Vgl. etwa die an der ihn umwerbenden Mercenaria geschickt vorbeigelenkten Repliken Seladons, Seite VW II/110–113. Irreführend ist sicher die Annahme, alleine, dass den Geliebten der Treuebruch als Handlungsoption eröffnet wird, bedeute ein Herindringen persönlicher ›Wirklichkeit‹, wie Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 22f behauptet: »Dieser Wechsel der Geliebten ist nicht Zufall, sondern Ausdruck der neuen Weltsicht Hunolds: Die Geliebte ist nicht mehr abstrakte Personifizierung von Tugend, absoluter Standhaftigkeit und Treue, sondern eine der Realität entnommene wirkliche Person.«

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und kausalen Relationierung mit dem entwickelten, ›unpersönlichen‹ Material griffen. Zwanglos und, letztlich, folgenlos führt Fortunato im Amor auf Universitäten vor, dass eine Figur bei sich die Bedingungen der Möglichkeit für einen bestimmten Handlungstyp beseitigen kann; und die Variationen bei den weniger umfangreichen Liebeshandlungen können als Abbildung desjenigen Paradigmas verstanden werden, in dem der Held die gerade aktuelle, umfangreichste Liebeshandlung unterscheidet.159 In der Römischen Octavia finden sich – wie sporadisch! – die einzigen Stellen ausgestellter, auf die ›persönlichen‹ Erfahrungen der jeweiligen Figur reagierender Wahrnehmungen; und hier, wiewohl von Octavia bezeugt wird, »daß sie nie ein Kind gewesen / sondern von der GeburthsStunde an / sich vernünfftig erwiesen« (RO II/52),160 gibt es die einzigen Fälle sich beim Heranwachsen aufgrund weiter gefasster Kriterien ändernden Verhaltens.161 Dennoch, freilich, ist die ›objektive‹ Behandlung der Figuren, und damit, retrospektiv und positiv formuliert, die Lizenz zur Unterlassung zur Individualisierung der Figuren verhelfender Informationen und psychologischer Plausibilisierungen, Grundvoraussetzung nicht nur für diesen Roman.162 Der schla159 Hierzu, wie auch zum Raffinirten Statist, sei auf die Einzeluntersuchungen unten (Kap. 5) verwiesen. 160 So wie, nun ja!, wie – Schelmuffsky! Immerhin: sie kann bei Geburt noch nicht sprechen: »Diese Printzeßin zeigte einen übergewöhnlichen Verstand fast eher / als sie denselben durch das Reden recht zu Tage legen konte / welcher / mit der Schönheitvon Tage zu Tage in die Wette wuchse: […].« (RO II/48) – Einige Veränderungen vor allem Octavias im Laufe des Romans, die als ›charakterliche‹ Veränderungen verstanden werden könnten, verdanken sich allgemeiner, die Aufeinanderfolge der Textschichten in der langen Entstehungszeit begleitender Transformationen. So Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 45, zu einer Episode aus den Handschriften zur dritten Textschicht: »Diese Art von recht groben Späßen mit der Not anderer Menschen wäre bei der Octavia der ersten und zweiten Textschicht, in denen sie dem Leser als eine entrückte Idealfigur entgegentrat, kaum vorstellbar gewesen.« Vgl. ferner, zu Veränderungen bezüglich der Bereitschaft zu nützlichem Lügen, ebd., S. 71–84. 161 Antonia verliert gegenüber ›Drusus‹ ihre kindliche Unbefangenheit (RO I/345f, 353f). Vgl. auch die ›Kinderliebe‹ des Domitianus zu Domitia Logina (RO IV/428–449); die auf die Tochter Zenobia der eigentlich geliebten Zenobia ›umgelenkte‹ Liebe des Artabanus (RO II/ 212–214, 236f). 162 Mit eindrücklichen Einschätzungen hierzu Hofter: Vereinzelung und Verflechtung. Vgl. etwa ebd., S. 26f: »Anton Ulrich vermeidet also alles, was nur der Charakterisierung bzw. der Ausbreitung einer persönlichen Atmosphäre zugute kommen könnte. Nicht einmal Andeutungen und raffende Berichte geben davon Kenntnis, wie Octavia die lange Zeit ihrer Gefangenschaft bei Otto verbringt: ob sie traurig am Fenster sitzt, ob sie liest oder schreibt oder handarbeitet. Die langen Tage, in denen sie nicht irgendwie weltgeschichtlich (d. h. für die Romanhandlung wesentlich) handeln kann, werden ausgeschaltet. Nirgendwo gibt es daher im Roman Zeiten des Wartens oder friedlich ausschwingender Ruhe und Erholung, wie ja auch vom Schlafen nichts berichtet wird, ausser, wenn jemand die Ruhe ›hochnöthig‹ hat.« Das ist durchaus überspitzt formuliert (›Drusus‹ verbringt die Zeit seiner Gefangenschaft damit, »daß er in des Homerus Schrifften lase« [RO II/42], auf der Reise nach Nujodunum besichtigt die Reisegruppe ein Bergwerk [RO V/14–16], ja die ganze Palästina-

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gendste Beweis dafür ist sicherlich die Reibungslosigkeit, mit der die unmittelbare Annahme der je neuen Identität den in ihrer Kindheit vertauschten Figuren Italus und Drusus in der Octavia gelingt: für die also das entstehende Missverhältnis der neuen sozialen Identität und ihres eigenen, auf der bisherigen sozialen Identität doch wesentlich fußenden Weltverhältnisses – keines ist. Ein marginaler, zur Bildung einer einheitsbezogenen Reihe nur einmal, in der Reise, beanspruchter Handlungsbereich betrifft die Ausbildung und Karriere männlicher Figuren: hier immerhin betreffen die Handlungsfunktionen, abgesehen etwa von Assistenzfiguren (Lehrern), die aber beliebig wechseln können, nur je eine Figur, binden diese also nicht in ein vielfach besetztes politisches Feld, oder, im Rahmen einer Liebes- oder Freundschaftshandlung, an eine bestimmte, andere Figur. Für die Reise wird unten der – dann doch fallengelassene – Ansatz zur Bildung eines komplexeren, kausalen Zusammenhanges auf dem Karriereweg beschrieben (Kap. 5.3). Im Verhältnis wechselseitiger Verhinderung stehen Ausbildung und Liebe, solange die Ausbildung nicht abgeschlossen ist, oder wenigstens sich dem Abschluss nicht genügend angenähert hat.163 Wie die Reise Octavias am Ende des von Hofter freilich unberücksichtigten sechsten Bandes [der Fassung B] hat etwas entspanntes, jedenfalls von unmittelbarem Handlungsdruck entlastetes; Vologeses schläft einmal so tief, dass er nicht geweckt werden kann, weshalb Tyridates längere Zeit warten muss [RO V/696f]). Vgl. ferner, zum Thema der Verwechslungen, S. 114– 123 – sie bemerkt: »Ja, man hat den Eindruck, dass Anton Ulrich bei der Analogienbildung [die zur Verwechslung von Figuren führen, etwa bei Galgacus und Britannicus] ausdrücklich von der Persönlichkeit abstrahiert und bloss noch ihre äusseren Umstände sehen lassen will. Die meisten Verwechselungen liessen sich nämlich leicht und schnell auflösen durch eine einfache Frage nach dem Erscheinungsbild oder dem Charakter der betreffenden verdeckten Person. So z. B. brauchte Caledonia die Bunduica nur nach dem Äusseren ihres Galgacus oder allenfalls noch nach seinen Gewohnheiten zu fragen, zumal man doch annehmen sollte, dass sie sich dafür interessiert, wie sich ihr Geliebter in den vielen Jahren seines britannischen Aufenthaltes entwickelt hat. Dadurch hätte die Verwechslung ohne weiteres aufgelöst werden können, noch bevor es zu Katastrophen gekommen wäre. Ebenso hätte eine solche Frage auch Tyridates darüber aufklären können, ob er wirklich seine Schwester Parthenia auf Pandataria rettete. Abdon würde aus guter Kenntnis heraus seine Schwester so geschildert haben, dass der Unterschied zu Neronia klar geworden wäre. Auch er interessiert sich nicht für die Wesensart seiner Schwester, die er von Kind an nicht mehr sah. Die Frage nach dem Charakter einer Pseron wird also nie gestellt. Die individuelle Eigenart spielt in allen Berichten gar keine Rolle gegenüber den äusserlichen Umständen, die allein zur Charakterisierung dienen, solange die Person nicht faktisch auftritt.« (ebd., S. 114f) – Vgl. auch die für die Frage der ›Beendbarkeit‹ des Romans entscheidende Einschätzung Stephan Krafts: Offenheit und Geschlossenheit, S. 151, zur Nebenhandlung um Vologeses: »Um diesen Handlungsstrang zu einem Ende zu führen, müßte Vologeses seine unvernünftige Liebe also wirklich überwinden. Diese Charakterwandlung gelingt jedoch bis zum Abbruch der Überlieferung nicht, und es gibt […] keine positiven Anzeichen dafür, daß eine substantielle Veränderung seines Charakters bevorsteht, die über die meist nur kurze Zeit durchgehaltenen Vorsätze hinausginge, Claudia nun endlich zu vergessen.« 163 Am differenziertesten ausgeführt, wie schon bemerkt, im Adelphico, der Amoene (AP 35f) und Statterie (AP 92) mit dieser Begründung bei sich abweist, und mit der Ehelichung

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Freundschaftshandlung kann die Ausbildungshandlung rahmende Funktionen durch besonders textgrenzennahe Elemente einnehmen, ohne doch in sich genügend Eigenkomplexität für eine auch gemäß der übrigen Kriterien einheitsbezogene Reihe zu entwickeln.164 Auf den gesellschaftlich höheren Rängen gibt gerade der Ausbildungsabschluss in Form der Kavalierstour der erotischen Konfrontation Gelegenheiten165 – auch hier aber sind die formelle Bindung mit der Geliebten und der Abschluss der Reise bestenfalls übereinzubringen; außerdem führt die Ausbildung hier unmittelbar in die Wahrnehmung einer Funktion im politischen Bereich, ja, sie kann als ›Krönungsreihe‹, als zur Krönung einer Figur führender Kausalzusammenhang also, diesem beinahe vollständig zugerechnet werden.166 Nur in der Reise, dem Statist und im Schelmuffsky, und in einer Analepse des Studenten (VS 84–96) gibt es genuin aus dem Ausbildungs-/Karrierebereich abgeleitete Handlungsfunktionen der Verhinderung;167 im Statist immerhin die ausdrückliche Verzögerung weiterer Schritte;168 ansonsten ist die kausale Binnenstruktur desselben auf eine einfache, auseinander hervorgehende Abfolge in Richtung größeren Erfolges beschränkt.169

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Irenies brav bis zum Ende seiner Studien wartet (AP 137) – Niptscho hingegen wird die zur Unzeit begonnene Affaire mit Leffume zum großen Ärgernis: »Denn der geneigt Leser muß wissen / daß Leffume ihn also gefesselt / daß er nun willens war seine Studia mit dem Ehebett / und den Bücherfleiß mit Kostbarkeiten Amors zuverwechseln« (AP 114), heißt es; und Feraldo muss seinen Soldatenberuf aufgeben, da er Amoene heiratet (AP 41). Die um das Studium Fortunatos besorgten Eltern schreiten wegen seines Verhältnisses zu Ardorea ein – der Vater bewirkt den Umzug nach Linden-Stadt (AU 44f). Die glückliche Ehe, die Sylvander schließlich eingeht (CL 440), liegt nach Vollendung einer »kleine[n] Tour« (CL 419), die der Vater ihm anbefohlen, nach der glücklichen Inbesitznahme seiner Güter. Zur gesamten Lagerung von Studium und erotischer Handlung vgl. Simons: Marteaus Europa, S. 313–315. Vgl. AP 1–3, 152; VS 223; RS 3–7; RE 288–290, 410; VW I/1f, II/190f. Die Anstöße und Bedingungen der jeweiligen Kavalierstouren auf den Seiten LA 8f – übrigens auch Adalie lernt Deutsch (LA 6); EH 33–35; CL 419; – und: SM 12. Bei Rosantes weit weniger als bei Gustavus. Nach den prodigösen Anfängen scheitert Schelmuffsky in der Schule (SM 10f) und in der Kaufmannslehre (SM 11f), weil er nicht von seinem Blaserohr lassen kann. Hier gibt es also ein Durchspielen von je scheiternden Alternativen. Die Ausbildungsfunktion der Reise verblasst dann aber, und es kommt zu keiner neuen Ersetzung. In der Reise sind der FauxPas bei der Verfassung des Hochzeitscarmens zu nennen (RE 361–363) und der abgewendete Betrug bei der Ausschreibung der Pagen-Hofmeister-Stelle (RE 355–361). Doctor Lindenmuth kommt nach glücklicher Bewerbung und Anstellung mit dem Präsidenten in einen politischen, juristisch ausgetragenen, durch Bestechung befriedeten Konflikt (RS 16–77, 224–288). Militander flieht vor dem Studium der Bücher, das sein Vater ihm auferlegt, »weil sich nun sein kriegerisch Naturell nicht zu den Büchern schickte« (VS 84), macht aber dann militärisch groß Karriere und versöhnt sich allenthalben (VS 85, 93–95). RS 140f. VW I/1f, II/23; AU 2, 10, 12; AP 1–3, 46, 99, 133–142, mit der Reihenfolge: Hofmeister, Tanzen, Reiten, Fechten, Studien zu Hause, in der Schule, Gymnasium, Akademie. Vorgesehen sind noch der Gang in den Krieg (AP 137) und die weitere Qualifikation durch den Besuch ausländischer Höfe (AP 144); RE 288–290.

5.

Einzelanalysen

5.1. Offene Kombinatorik der Handlung im Raffinirten Statist, textlokale und sachliche Ordnungen In beinahe idealer Weise demonstriert die ›grundrhythmische‹ Funktionalisierung der Reihe von Verseinlagen der Raffinirte Statist: Die Frequenz ist hoch1 und einigermaßen regelmäßig – es kommt, heißt das, gelegentlich zu Ballungen (z. B. RS 6, 63f) und gelegentlich zu größeren Intervallen (die größte zwischen RS 225 und 279f) – und die Reihe erstreckt sich über den gesamten discours; ihre Eigenvariation ist höchst eingeschränkt: durchgehend, das heißt unabhängig nicht nur von der jeweils den Spruch beisteuernden Figur, sondern auch unabhängig davon, ob eine Figur oder der Erzähler spricht2 – durchgängig also handelt es sich um sprichwörtlich verallgemeinernde, die Handlung kommentierende oder kondensierende, kurze Sentenzen, die nicht selber wieder Gegenstand der Handlung werden und sich in die sonstige Rede mehr oder weniger nahtlos, ohne Grenzmarkierung, einfügen. Die Reihe verbindet demnach eine hohe Erwartungssicherheit mit einer großen Homogenität; es drohen, bei dem Handlungsanschluss, keine Komplikationen; und kein Leser wird über die einzelnen Inhalte der Elemente einen Überblick gewinnen. Verwiesen wird in ihr auf einen sachlichen Zusammenhang der histoire, der auch bei der Betitelung der drei Teile – in der Folge »Regiments-Rath«, »Rent-Cammer« und »Peinlicher Proceß« – im Vordergrund steht. Besonders effektiv integrieren lokale Textmengen hingegen, und also gegenüber dem Textganzen unverbindlich, die häufigen Schilderungen formal stark

1 Im Schnitt alle fünf Seiten ein Element. Die Intervalle sind: Die Intervalle sind: 1, 2, 0, 9, 0, 1, 1, 9, 8, 4, 9, 8, 0, 7, 0, 1, 0, 1, 6, 13, 6, 4, 9, 5, 5, 3, 1, 4, 3, 3, 8, 3, 8, 2, 13, 4, 10, 4, 22, 1, 1, 3, 2, 3, 4, 30, 14, 3, 2, 3. Hinzukommen noch die im Prosatext unmarkiert eingeflossenen Verse – ebenfalls großer Zahl. 2 Nicht dem Erzähler zuzuschreiben sind Verse der Seiten RS 15, 34, 38, 55f, 63–64, 71, 156, 158, 176, 186, 212, 255.

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Einzelanalysen

determinierter Verfahren und, meist darin inbegriffen, die häufigen Aufzählungen: – Dreimal werden unterschiedliche formal geregelte Verfahren in Gänze geschildert: das sind, oben bereits ausgewiesen, das Bewerbungsverfahren (RS 12–22), der Landtag (RS 177–209) und der Prozess (RS 235–286). Hinzu kommen noch fünf Ratssitzungen, von denen die erste und dritte stark summarisch behandelt, die übrigen aber in voller Länge gegeben werden (RS 77f; 107–112; 147f; 149–177; 201–207); zwei Begräbnisse (RS 133–137; 211f) und die ebenfalls sich rechtlicher Rahmung bedienende Schikane vor Prozessbeginn (RS 225–235). Die Initiation durch den Vize-Canzler (RS 26–77) wird als halb-formaler Akt gewertet werden können – immerhin wird sie durch den Fürsten angeordnet. Insgesamt werden so, die Initiation nicht mitgerechnet, bereits 141 Seiten abgedeckt, das ist etwa die Hälfte des Romans; und ohne strukturbildende formale Handlungen bleiben nur die oben gelisteten Partien eins, sechs und neun, also die Eingangspartie und die jeweiligen Regierungsantritte. – In ihrer ordnenden Funktion noch einmal effektiver sind die nummerierten Aufzählungen.3 Ihrer gibt es fünfzehn, mit einem Umfang von insgesamt 74 Seiten, also etwa einem Viertel des Romans. Sechs dieser Aufzählungen fallen auf den Prozess, drei auf Ratssitzungen. Unnummeriert sind nur fünf Aufzählungen,4 mit einem Umfang von 41 Seiten. Das Verfahren determiniert mithin 115 Seiten oder etwa zwei Fünftel des Gesamtumfanges. Ohne Aufzählungen sind nur die Partien eins, sechs, acht und neun: also die Eingangspartie, die Regierungsantritte und der Tod des zweiten Fürsten, dessen Anatomie mit einem Merkmal auskommt. Zu bedenken stünde, ob die in dieser Weise strenge Integration etwa der Hälfte des discours und der als zusätzliches grundrhythmisches Element wirkende, ständige Verweis auf ein gemeinsames sachliches Medium für die übergeordneten, sonst die Hauptlast der Integration tragenden Handlungsstrukturen einen größeren Variationsspielraum erwirken. Auffällig ist jedenfalls die lose, über weite Strecken nur latente Verknüpfung zweier unterschiedlicher Handlungsbereiche und die ausbleibende Finalisierung der meisten Einzelhandlungen. Heterogen zusammengesetzt erschien oben (Kap. 2.4.3.1) bereits das räumliche Medium. Die zu Beginn durch den Beschluss und Aufbruch der Erzählerfigur in Aussicht gestellte Handlungsreihe im biographischen Bereich – eine Beamtenkar3 RS 13–22, 17–20, 107–112, 114f, 124, 149–171, 178, 197–199, 201–204, 237–240, 243–246, 251– 255, 258f, 260, 264–277. 4 RS 26–53, 134–135, 179–186, 182–185, 187–192.

Offene Kombinatorik der Handlung im Raffinirten Statist

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riere – erfährt gleich nach Ankunft in dem von nun an maßgeblichen Fürstentum eine Auswechselung des Handlungsträgers; die Erzählerfigur nimmt an dem Bewerbungsverfahren, das zur Neubesetzung einer geheimen Ratsstelle passenderweise gerade läuft, nicht teil.5 Erst 130 Seiten später, anlässlich des ersten Fürstentodes, erfährt der Leser, dass der arbeitslose Erzähler sich in der Residenzstadt dank des Vorschubes seines Freundes Freymund halten kann. Jetzt, »weil der Fürst so viel neue Diener annehme« (RS 140), möchte der Erzähler sein Glück versuchen, aber sein Freund rät, mit Verweis auf den bald drohenden Untergang des neuen Regiments, ab,6 und nur einmal noch wird seiner, des Erzählers, als eines lernenden Zeugen des politischen Geschehens erwähnt (RS 287). Freymund, dessen Motivationen zur Überbringung des Erzählers in die Residenzstadt und zu seiner Unterhaltung unbeleuchtet bleiben, bremst ihn also aus, ohne selbst aktiv zu werden. Fortgesetzt wird die Karrierehandlung stattdessen mit der Figur des Doctor Lindenmuth, der sich tatsächlich, und erfolgreich, um die besagte Ratsstelle bewirbt, der auf Geheiß des Fürsten in das Haus des Vize-Canzlers heiratet, von diesem in die politischen Techniken und die besondere Geschichte des Fürstentumes eingeweiht wird; der zweimal entscheidenden Rat beisteuert (RS 76–78, 172–174) und schließlich mit dem Präsidenten in einen juridisch ausgefochtenen Konflikt gerät, im Verlauf dessen er in das nachbarliche Herzogtum fliehen muss (RS 225–234). Der Ratschlag Lindenmuths – eigentlich vom Vize-Canzler ihm eingeflüstert (RS 75) –, den benachbarten Herzog zur Verpfändung derjenigen Stadt zu bewegen, auf die man es abgesehen hat, bildet das Scharnier zur ersten Handlung des eigentlich politischen Bereiches, in deren Folge Lindenmuths nicht wieder erwähnt wird. Drei Handlungen werden aus dem politischen Bereich geschöpft, die kausal zwar verknüpft, doch auf unterschiedlicher Ebene angesiedelt sind und sich deshalb schwer vergleichen lassen: nur die erste, außenpolitische Handlung – der Konflikt mit dem nachbarlichen Herzogtum – wird in zwei Teilen erzählt (die erfolgreiche Annexion in der vierten Partie und die Befreiung und Restitution des Herzogs in der neunten Partie); die zweite, innenpolitische Handlung in der siebten Partie wirkt zwar wegen der Strukturierung durch den Landtag einigermaßen geschlossen, hat aber recht betrachtet doch ein offenes 5 Der Leser denkt freilich zunächst, der Erzähler würde an diesem Bewerbungsverfahren teilnehmen; er erhält zu dieser Annahme aber keine Bestätigung. Der zweite Satz des Abschnittes (RS 12f) wird wegen seines Anfanges für geeignet gehalten, in einer Eigenerwähnung des Erzählers zu münden, jedoch durch eine eingeschobene Aufzählung übriger Bewerber besonders lange in der Schwebe gehalten – um dann mit den drei aussichtsreichsten Kandidaten zu schließen, und eben nicht der Konsequenz, die der Erzähler aus der reichen Mitbewerberschaft zieht. 6 An die Prophezeiung wird kurioserweise zu Beginn des dritten Teiles bestätigend erinnert, obwohl sie sich doch, anscheinend, auf das Regiment des ersten Nachfolgers bezog (RS 214).

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Ende, denn das Problem des fehlenden Geldes wurde nicht gelöst und wird sich wahrscheinlich noch weiter zuspitzen; die dritte, rechtlich-persönliche Handlung, wird ebenfalls an einem Stück durcherzählt und zwar bis zur Beilegung des Ausgangskonfliktes nach dem erfolgreichen Revisionsverfahren. Beide Bereiche scheinen sich in ihren letzten Elementen aufeinanderzuzubewegen: so wie in der letzten staatspolitischen Episode – dem Prozess – die biographische Reihe mitintegriert wird, hat die letzte biographische Episode (die Initiation durch den Vize-Canzler) bereits einen weitgehend staatspolitischen Bezug. Aber nur zwei Handlungsreihen werden geschlossen – die Annexionsgeschichte und der Prozess: beide liegen im staatspolitischen Bereich und beide zeichnen sich durch eine extrem asymmetrische Struktur aus, in der zunächst in einer langen Reihe einem bestimmten Ziele zugesteuert wird; gerade aber wenn es erreicht ist, kommt etwas dazwischen, das mit aberwitzig geringem Aufwand die ganze Sache wieder ins Gegenteil wendet. Für die Annexion ist das der Tod des Fürsten, gefolgt von der erfolgreichen Restitution nach dem Tod auch des nächsten Erben; für den Prozess die Bestechlichkeit des Doctors. Was sich herausbildet, sind weitgehend eigengesetzliche Handlungsbereiche, die kausal und durch die Identität von hier und dort als Handlungsträger agierenden Figuren gleichsam zufällig verknüpft werden können; zufällig bedeutet in diesem Fall, dass dasselbe Ereignis in unterschiedlichen Bereichen vorkommt und jeweils unterschiedliche Bezugsmöglichkeiten eröffnet; und gemeint ist nicht nur die Differenz von biographischem und politischem Handlungsbereich, sondern auch die Differenzierung innerhalb des politischen Handlungsbereiches: man denke an den Funktionswechsel des nachbarlichen Herzogs in Annexions- und Prozesshandlung; des Präsidenten in der innenpolitischen und in der Prozesshandlung; an den latenten Zweitsinn, den alles politische Geschehen im lernenden Erleben der Erzählerfigur annimmt; ferner an seine durch Freymund angeleitete Bewertung desselben als mögliches Karrierefeld; man denke an die latent bleibende Bedeutung, die der Ausgang der von ihm maßgeblich geprägten Annexionshandlung für die Karriere Lindenmuths gewinnen muss; an die innen- und außenpolitischen Folgen des drohenden Sturzes des Präsidenten im Prozess – und vieles mehr. Gerade die Latenz freilich der meisten dieser zwar angelegten Bezugsmöglichkeiten zeichnet den Roman aus.

5.2. Motivische Fülle im Schelmuffsky Die Bedeutung motivischer Reihen im Schelmuffsky lässt sich leicht dadurch erklären, dass der Einheitsbezug auf der Ebene der histoire durch eine verdoppelte Reisebewegung gewährleistet wird; diese zerfallend jeweils in Reiseaufenthalte und -bewegungen, die nur in sehr geringem Maße von der Reisebewe-

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Motivische Fülle im Schelmuffsky

gung insgesamt determiniert werden, je aus sich also Varietät erzeugen müssen; dabei der Vorgabe unterliegend, dass Handlungszusammenhänge über die einzelnen Aufenthalte und Bewegungen hinaus nur ausnahmsweise gebildet werden dürfen. Von vornherein wird die Erwartung des Lesers also darauf ausgerichtet, im Rahmen der Reisebewegung wiederholt mit ähnlichen, auf möglichst interessante Weise variierten Motiven konfrontiert zu werden. Gegenläufig werden aber auch von der Reisebewegung unabhängigere Motivreihen gebildet. Die gesamte Motivik muss außerdem, wie alle Elemente der histoire, Schelmuffsky als Produzenten erkennbar werden lassen, entsprechenden Restriktionen unterliegend und mit entsprechenden Lizenzen versehen.7 Wiederholt bediente Kategorien für Motive der Reiseaufenthalte sind Einführungen in die Ortsgesellschaft, körperliche Instandsetzung/körperliche Leiden, Liebeshändel, Stadtbesichtigungen, und Duelle. Hinsichtlich der Abfahrten variieren Verzögerungen, Zwang zur Abfahrt und problemlose Aufbrüche. Eingetragen werden in der folgenden Tabelle die Seitenbelege: Stadt Hamburg

Einführung körp. Liebeshändel Besichtigung Duell verz., erzw., Leiden einf. Abfahrt 15–19 16, 19 17–32 26f 32 erzwungen

Stockholm

35f

42f

Amsterdam 48–56

47f

36f, 37–40, 41–46 54–58

-

39f

verzögert

56

-

verzögert

Indien Londen

60–63 68f

63f -

68–71

70

-

einfach einfach

Sanct Malo Londen

-

73f -

-

-

-

verzögert einfach

Venedig Padua

97–100 -

94 -

-

94f -

110– 112

erzwungen erzwungen

Rom

-

-

-

114–117

116f

erzwungen

Das Muster, das sich abzeichnet, ist das eines zunächst in voller Breite entfalteten motivischen Syntagmas (Hamburg), auf das dann nur noch, in flexibler Reihenfolge, einmal vollständig zurückgegriffen wird (Stockholm), das dann nur noch in Auswahl wiedererscheint: Amsterdam enthält Motive in vier der fünf Kategorien – es fehlt das Duell –, ab dann werden, in Venedig, maximal drei 7 Vgl. noch einmal Müller: Einfallslosigkeit als Erzählprinzip. Zu Christian Reuters Schelmuffsky. In: Hans Esselborn / Werner Keller (Hrsg.): Geschichtlichkeit und Gegenwart. Festschrift für Hans Dietrich Irmscher zum 65. Geburtstag. Köln 1994, S. 1–12, hier: S. 7f, und Geulen: Noten zu Christian Reuters Schelmuffsky. In: Wolfdietrich Rasch / Hans Geulen / Klaus Haberkamm (Hrsg.): Rezeption und Produktion zwischen 1570 und 1730. Festschrift für Günter Weydt. Bern/München 1972, S. 481–492, hier: S. 488f.

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Einzelanalysen

Kategorien noch vereint, am wenigsten sind es in Padua (nur eine); auffällig ist ferner, dass Liebeshändel auf die ersten drei Aufenthalte begrenzt bleiben,8 dass Figurenreihen, die einen Reiseaufenthalt überschreiten, mit Ausnahme Hans Barths nur im ersten Teil zu finden sind.9 Was bei dieser Tendenz zur Ausdünnung einer eingangs vorgestellten Fülle zu variierenden Materials gegenläufig hinzukommt, sind singuläre, in dem eröffnenden Syntagma ohne Entsprechung bleibende Motive: die Einbindung in die Regierungsgeschäfte in Indien (SM 64f), die Gespenstererscheinung Charmantes in der Kerkerhaft zu Sanct-Malo (SM 73f), die Suche nach einem Reisemittel beim zweiten Londener Aufenthalt (SM 76f), die beständige Thematisierung der Wirtsfamilie in Padua (SM 103–110). Der Übergang von locker verknüpfter10 motivischer Breite zu motivischer Konzentration findet in der Gestaltung der Abfahrten, vor allem aber in der Platzierung und Ausdehnung der Raffungen dynamische Plausibilität: alle Abfahrten des zweiten Teiles sind erzwungen; das temporale Schema der ersten, das motivische Syntagma erst entfaltenden Reiseaufenthalte sieht auf die motivisch dichte Handlungsfolge der Ankunft und Einführung einen mehrere Jahre dauernden ›Leerlauf‹ folgen; in Indien bleibt der Held nur noch 14 Tage (SM 65), die Kerkerhaft auf Sanct-Malo dauert immerhin ein halbes Jahr (SM 86), der zweite Londener Aufenthalt nur wenige Tage; der erste Aufenthalt der zweiten Reise, Venedig, wird in einem szenischen Zusammenhang abgehandelt, dauert also weniger als einen Tag, in Padua bleibt Schelmuffsky etwas über drei Wochen (SM 104), in Rom verstreichen bis zur Antwort der Mutter 14 Tage (SM 118). Freilich beschränkt sich die Bedeutung des Paduaner Reiseaufenthaltes für die motivische Struktur nicht auf die alleinige Thematisierung desjenigen Haushaltes, in dem Schelmuffsky unterkommt – über dies Merkmal wäre übrigens der indische Aufenthalt verknüpft; vielmehr wechselt in Padua einmalig das für die Variation in Anspruch genommene motivische Reservoir. Dass aber auf dem Reiseaufenthalt Konstellationen und Abläufe der Heimkehr variiert werden, kann umgekehrt dazu Anlass geben, die motivischen Relationen der Heimkehr zu den voraufliegenden Reiseaufenthalten zu werten. Tatsächlich wird die Einführung in die heimatlich-familiäre Gesellschaft lang und ausführlich beschrieben, gibt es erotisch konnotierte Begegnungen (SM 83–87), eine mit der Ankunft unmittelbar verknüpfte Krankheit (SM 88f) und duellartige Auseinandersetzungen (SM 84, 87, 91); auch die temporale Struktur der ersten Reiseaufenthalte wird wieder aufgegriffen.11 Inhaltlich plausibilisiert den Charakter mehr eines 8 Sucht man in dem, was als Übergänglichkeit beschrieben wird, doch eine klare Trennlinie, wäre sie wohl nach dem Amsterdamer Aufenthalt zu ziehen – mit dem ersten Londener Aufenthalt als dann folgender Ausnahme. 9 Das sind Charmante, der Bruder Graf und Toffel. 10 Vgl. etwa die Aneinanderreihung der Liebeshandlungen in Stockholm. 11 Die Raffungen auf Seite SM 89. Es fehlt die Stadtbesichtigung – dies aber auch in Padua.

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weiteren Haltes denn einer Wiederaufsuchung dessen, was vor der ersten Abreise als Heimat skizziert wurde, die Hinzukunft des Vetters, der durch seine skeptischen Provokationen nicht nur Schelmuffsky zur Wiederabreise nötigt, sondern sein intimes Verhältnis zur Mutter stört, ja zerstört.12 Hier bereits wird Schelmuffsky Zeuge dessen, dass ein anderer seine Rolle wahrnimmt: ein Motiv, das in Padua, wenn er noch eine Beobachtungsebene weiter springt, er also zusätzlich zu dem heimkehrenden Reisenden vorhanden ist, nur gesteigert wird. Die zunehmende Verschränkung jedenfalls beider Motivbereiche unterläuft die an ihre Unterscheidung eigentlich gekoppelte Einrichtung einer Lizenz zur Phantasie auf Reisen und einer weitgehenden Verpflichtung auf die Wahrheit daheim. War die erste Reise noch Funktion in einer locker gefügten Ausbildungshandlung, geriert sich die zweite, bemittelt nun mit einem Viertel des übrigens verschenkten Erbes, als bloße und zwecklose Fortsetzung des unvollständig gebliebenen geographischen Paradigmas der ersten (SM 89f). Die Reiseliteratur persiflierende Funktion des Romans versorgt ihn mit einer sehr viel kleinteiligeren Motivik, die kaum in den Verdacht kommt, den Handlungsverlauf insgesamt zu determinieren und in der übergreifende Tendenzen oder Verschiebungen nicht auszumachen sind; ja die textlich weitgehend eingehegt neben der eben besprochenen Motivik der Reiseaufenthalte und von ihr unabhängig kultiviert wird. Eingehegt nämlich in die Stadtrundfahrten und -besichtigungen des Helden (SM 26f, 56, 70, 94f, 114f), in die deskriptiven Passagen über die Aufenthaltsorte im Allgemeinen (SM 44, 102f, 113f, 116f) und in die Reisebewegungen (SM 34f, 58f, 66–68, 93f); – in übrige Handlung integriert sind mithin nur die Hamburger Schauplätze der Charmante-Handlung (SM 29f) und der spitze Berg zu Padua, der den Duellanten als Sekundantenersatz dient (SM 111); und zu einer organischen Einheit von Ortsbesonderheiten und Aufenthaltshandlung bringen es nur Indien und Venedig.13 Bei den Reisebewegungen14 kommen Hindernisse, Interaktionen und besondere Reiseumstände hinzu. Um die 50 Elemente können mindestens gezählt werden – bei genauerer Un12 Der Vetter kommt »wie eine Ratte aus meiner Frau Mutter Bette gesprungen« (SM 87); und die nach Schelmuffskys Genesung dauerhaften Streits rühren »gemeiniglich wegen meines kleinen Vettern her / weil der Junge so Nase weiß immer war / und mir kein Wort / was ich erzehlete / gläuben wolte.« (SM 89) Tatsächlich will die Mutter Schelmuffsky »schon lieber heut als morgen gern wieder loß werden.« (SM 90) Vgl. auch Bergengruen: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky. Zur Parodie des Reiseberichts und zur Poetik des Diabolischen bei Christian Reuter. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 126 (2007), S. 161– 184, hier: S. 175. 13 Bergengruen: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky, S. 161–172, untersucht beispielhaft die reiseliterarische Motivik der Indien-Episode; diese Exemplarizität für den gesamten Motivbereich müsste, angesichts der doch singulären Anlage der IndienEpisode, vielleicht noch einmal geprüft werden. 14 Vgl. SM 13–15, 33–35, 45f, 58f, 66–68, 71–73, 75, 76f, 92–94, 101f, 119.

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terscheidung noch mehr. Die Besonderheit der Reihen liegt in ihrer informationellen Ergiebigkeit: sowohl die redundanten, von Wahrscheinlichkeit und Wirklichkeit offensichtlich abweichenden, wie auch die ›korrekten‹ Elemente informieren über das spezifische Verhältnis von (Buch-)Wissen und Phantasie des Autors Schelmuffsky und beiden Kategorien wohnt ein wechselseitig garantierter Überraschungs- und Unterhaltungswert inne. Das dritte sind von der Reisebewegung unabhängige Motivreihen – ist vor allem die Reihe der Darbietungen der ›Rattengeschichte‹.15 Sie erscheint recht regelmäßig über den ersten Teil verteilt, wird aber auf der zweiten Fahrt nur einmal noch, in Venedig, aufgerufen. Der Kober – ein Reiserequisit – tritt als konstantes Motiv hoher Frequenz im zweiten Teil gewissermaßen an die Stelle der Rattenerzählung. Die Reihe weist ganze 46 Elemente auf,16 mit einer, bezogen auf die Reiseaufenthalte, leicht abnehmenden Tendenz.17 Richtig ist freilich auch, dass die Aufenthalte in Padua und Rom, aufgrund der schelmerodischen Doppelung in Padua und der auf Besichtigung, Fischerei und Kampf ausgerichteten Handlung in Rom Gelegenheiten zur Darbietung der Geburtsgeschichte, vor allem also Situationen umständlichen Sich-Vorstellens, kaum bieten. Wenn es aber erlaubt ist, den Substitutionsgedanken ein wenig fortzuspinnen –: führt man sich noch einmal die motivische Transformation der Heimkehr in eine weitere Reisestation vor Augen, die damit einhergehende Auflösung der unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten organisierenden Unterscheidung von Heimat und Fremde; sieht man das Mitführen der Geburtsgeschichte als auf Heimat und Mutter bezogenen Identitätsausweis im ersten Teil auch in Abhängigkeit dieser Unterscheidung, gewinnt ihr Abflauen, wie ihre Ersetzung durch den die neue,

15 Sie zählt siebzehn Elemente (SM 7f, 9, 14, 17, 22, 25, 47, 54, 61, 62, 66f, 68, 69, 72f, 85f, 90, 98f). Das erste Element bildet, weil hier einzig die Rattengeschichte auserzählt wird, für die anderen, die Erzählung nur knapp bezeichnenden Elemente den dauernden Bezugspunkt und steht chronologisch, wenn man das Motiv über die Erzählakte der Figur Schelmuffsky in der histoire definiert, da Schelmuffsky bei der Niederschrift des ersten Teiles die Erlebnisse des zweiten Teiles schon gehabt hat (vgl. SM 6), an letzter Stelle. Das zweite Element gehört noch in die weitere Erzählung von der Geburt. Mit der fünfzehnten Rattenerzählung gibt sich Schelmuffsky, zurückkehrend, seiner Mutter zu erkennen; die vorletzte gehört schon zu den Reisevorbereitungen in Schelmerode. Ansonsten wird in allen Städten von Hamburg bis einschließlich London die Geschichte mindestens einmal erzählt. Im zweiten Teil kommt zu dieser Reihe nur Venedig hinzu. Dreimal gibt es Erzählungen auf dem Weg: an den Grafen, an die Schiffsgesellschaft auf dem Rückweg von Indien und an die Piraten. 16 Element 1–4: Seite 91; 5–6: 92; 7–8: 93; 9–12: 94; 13: 95; 14: 96; 15: 97; 16: 98; 17–19: 100; 20–24: 101; 25–26: 102; 27: 103; 28–32: 110; 33: 111; 34: 112; 35–37: 114; 38–42: 118; 43–45: 119; 46: 120. 17 Venedig: 10; erste Reise 7; Padua: 8; zweite Reise: 3; Rom: 10; dritte Reise: 2 Elemente.

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unabhängigere Reiseexistenz symbolisierenden, abgründigen, weil sehr viel enthaltenden18 Kober etwas Plausibilität.19 Ohne den Deutungen der in sich komplexen Geburtsgeschichte etwas hinzufügen zu wollen20 – das entscheidende, die Motivreihe betreffende Verfahren scheint in der unmittelbar erfolgenden21 Prägung eines Signifikanten zu liegen, der weitgehend undifferenziert und selbstverständlich auf die Geschichte als Einheit verweist, in sich und um sich herum aber ein neues motivisches Spiel eröffnend, das hinsichtlich seiner Redundanzen und dagegen abgehobenen Singularitäten gut zu den bisher besprochenen Motivkomplexen passt. Gemeint sind die Variationen der die Geschichte eigentlich bezeichnenden Formulierungen; die als Spezifikation gelegentlich hinzutretenden Paraphrasen der Geschichte und ihre gelegentlichen Zusätze; und, vor allem, der begrenzte Vorrat möglicher Wirkungen auf das jeweilige Publikum. Das für die Geschichte verwendete Kürzel hat als zentrales Element entweder die »Geburth«, die »Ratte« oder beides, wobei je Erweiterungen möglich sind: für die Geburt das Adjektiv »wunderlich«, bei der Ratte ist es, wenn es nicht einfach heißt: »von der Ratte«, »die Begebenheit von der Ratte«. Die Geburt ist immer »meine«, also Schelmuffskys Geburt, während die Begebenheit von der Ratte ohne solche Zuweisung bleibt. In Element 7 findet sich die größte Variation auf der Rattenseite: »und wie es mit der Ratte damahls wäre zugegangen«. Die Unterteilung der Reihe ist überraschend einfach: Element 1–4: nur »Geburt«; Element 5–14: »Geburt« und »Ratte«, oder nur »Ratte«, wenn nachgefragt wird (Element 5 und 10); Element 15–17: nur »Ratte«. Die Zusätze – fehlend in den 6 Elementen 1, 6–7, 10, 13–14 – beziehen sich, wenn auf Elemente innerhalb der Geburtsgeschichte, dann alleine auf den Weg 18 Es befinden sich darin, ausdrücklich benannt: ein weißes Hemd; der vom Kloster mitbekommene Reiseproviant und große Speck; die Tonne Heringe; der Brief der Mutter; allerhand Mobilien. 19 Auch Tatlock: Quixotic Marvel: Emesis and the Miscarriage of Subjectivity in Christian Reuter’s Schelmuffsky. In: James Hardin, Jörg Jungmayr (Hrsg.): »Der Buchstab tödt – der Geist macht lebendig«. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans-Gert Roloff. S. 297–320, hier: S. 306–311, sieht in der Entwicklung zum zweiten Teil eine Emanzipation von seinem sozialen Kontext und von der sonst unabdingbar gewesenen Bespiegelung in anderen. 20 Die umfassendste Deutung bietet Bergengruen: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky, S. 172–184; vgl. ferner Geulen: Noten zu Christian Reuters »Schelmuffsky«, S. 483f; Tatlock: Quixotic Marvel, S. 303f; Müller: Einfallslosigkeit als Erzählprinzip, S. 5f; Werner: Erzählte Zeiten im Roman der Frühen Neuzeit. Eine historische Narratologie der Zeit. Berlin/Boston 2018, S. 66–75; Burkhardt Wolf: Ein Rattenmann auf Kavalierstour. Phantastische Aufklärung in Christian Reuters »Schelmuffsky«. In: Poetica 48 (2016, 3/4), S. 305–331, hier: S. 313–319. 21 Der szenische Zusammenhang der Geburt ist noch nicht zerrissen, als der frisch geborene Schelmuffsky schon, zur Erklärung seiner Frühgeburt und Sprachbegabung, anfängt, seine »wunderliche Geburth« zu erzählen (SM 9).

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der die Frühgeburt auslösenden Ratte. Kombiniert werden die Versatzstücke vom zerfressenen Seidenkleid (Element 2–5, 8), das Durchlaufen durch die Beine der Schwester (3, 5), das Loch, in dem die Ratte verschwunden (3, 5, 8, 16–17), sowie die Tatsache, dass die Ratte hätte totgeschlagen werden sollen (3–5). Gegenüber Herrn Gerge und den Mietern betont Schelmuffsky den kausalen Zusammenhang zwischen Ratte und Frühgeburt bzw. Sprachbegabung (Element 2) und die Nachfragen Charmantes bringen zutage, dass tatsächlich die Ratte nach ihrer Flucht nicht wieder aufgetaucht war (5); eine neue Information, dass in dem Seidenkleid »hinten und forne ein abscheulich groß Loch« war, bringt die Begegnung mit der Mutter, wo auch als einziges die 4 Monate wiedererwähnt werden (15). Ansonsten verbindet Schelmuffsky die Erzählung seiner Geburt mit der Geschichte vom Blasrohr (Element 3, 11), mit der allgemeinen Behauptung, »wie daß [er] einer mit von den bravsten Kerlen der Welt wäre / der so viel gesehen und ausgestanden schon hätte« (9) und mit einem aktuellen Mietgesuch (12). Insgesamt, bezogen also auf die Zusätze überhaupt und den Umfang der Zusätze, gibt es eine deutlich abnehmende Tendenz. Die »Begebenheit von der Ratte« und die »wunderliche Geburt« können noch alles umfassen, was eingangs dem Leser dargeboten wurde, paraphrasiert wird in den Zusätzen ausgesprochen selektiv: unerwähnt bleiben ja die Lähmung der Mutter, dass Schelmuffskys Wut und nicht die der Mutter die Frühgeburt bewirkte, Schelmuffskys Versuch, die Geburt wieder rückgängig zu machen, wie er die Mutter weckt und wie sie, ihn für eine Ratte haltend, erschrickt, dann aber doch annimmt, da er zu ihr spricht und ihr seine Frühgeburt mit Verweis auf die Ratte erklärt; – übrig bleibt: ›eine Ratte hat ein Kleid zerfressen und ist geflohen‹, suggeriert wird allenfalls: ›deshalb bin ich zu früh geboren.‹ Der auch sonst allgegenwärtige Ausruf »Sapperment!« hat in der motivischen Struktur der Rattenerzählungserzählungen die präzise Funktion, die Schilderung der Schilderung von der Schilderung der Wirkung der Schilderung zu scheiden (fehlend nur in den 5 Elementen 1–2, 11–12, 14) – so als speise sich die jeweilige Wirkung aus einem allgemein, also auch den discours unterbrechenden Moment des Ungeheuerlichen. Bei den Zuhörern also äußert sich blankes Erstaunen,22 Schelmuffskys Status erhöht sich,23 er wirkt erotisch anziehend,24 er genießt Zutrauen und Respekt,25 er 22 Elemente 3 (»sperrete der Herr Graf Maul und Nasen drüber auf«), 4 (»wie sperreten Sie alle Mäuler und Nasen auf«), 7 (»was sperrete der Mann vor ein paar Augen auf«), 8 (»wie sahen mich die Leute über der Taffel alle an«), 9 (»wie horchte der grosse Mogol«), 10 (»wie hat das Mensche drüber gelacht«), 13 (»wie sperreten die vornehmen Lords alle Maul und Nasen auf«), 17 (»was erweckte das Ding bey den vierzehen hundert Rathsherren vor groß Auffsehens« – hier aber ging voraus: »damit sie Maul und Ohren brav auffsperren müssen«). Die größte Variation also das Lachen der Gemahlin des Mogols, das nur aufgrund der unwillkürlichen körperlichen Reaktion noch ins Paradigma passt.

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wird identifiziert.26 Auch hier macht – am meisten beim Erstaunen, am wenigsten bei der Identifikation – die Redundanz der Formulierungen das eigengesetzliche kombinatorische Spiel transparent, das heißt: die Variationen, die vorliegen, scheinen spielerisch aus der Setzung einer motivischen Konstante, und nicht: aus der jeweiligen Situation hervorzugehen – und diese Einsicht frustriert noch einmal den Leser, der sich auf der Wirkungsseite Anhaltspunkte zur Klärung der Verständnisfragen seiner Lektüre der Geburtsgeschichte erhofft hatte. Sieht das anders aus, wenn Effekte ausdrücklich unterbleiben? Eher nicht: auf der Fahrt nach London erzählt Schelmuffsky dem Schiffmann, wie daß mich der grosse Mogol so vortrefflich tractiret hatte und bey meinen Abschiede sein Bildniß mit der Kette mir auch verehret. Da meinte ich nun / der Schiffer würde etwan die Augen groß drüber aufsperren / und sich über mich verwundern / daß ich so ein brav Kerl wäre / allein der Tebel hohlmer nicht das geringste / der Kerl nahm den Hut nicht einmahl vor mir ab / sondern fing gar zu mir an und sagte: Manche Leute hätten mehr Glücke als Recht. O Sapperment! wie verdroß mich das Ding […]. (SM 66)

23 Elemente 4 (Hochleben der vornehmen Standesperson, »welche unter den Nahmen Schelmuffsky seine hohe Geburth verbirget«), 6 (»höfflich gegen mich und hatte sein Mützgen stets unter dem Arme wenn er mit mir redete / denn er hieß mich nur Ihro Gnaden«), 7 (»er nahm hernach allemahl auch wenn er mit mir redete sein Mützgen unter den Arm und titulirete mich Ih. sehr Hoch-Wohlgebohrne Herrlichkeiten«), 9 (unterwürfige Bedienung durch die Pagen und Laqvaien des Mogols auf dessen Anweisung hin), 17 (»Wir wollen Ihr. Hochwürden zu unsern Raths-Inspector machen […]. Da solches dieselben nun sahen / daß ich auffstund / fiengen sie gleich auch an alle mit einander auffzustehen«). 24 Elemente 4, 5 und 8. Die Wiederholung in Element 8 wird vom Erzähler selbst bemerkt: »Dieselbe Staadens Tochter / welche neben mir saß / sie kam mir der Tebel hohlmer nicht eine Haare anders vor / als meine ersoffene Charmante […].« 25 Elemente 2 (»Wie auch die Leute hernach alle mit mir thaten / und mich zu hertzten und zu poßten / weil ich so ein schöner Junge war und mit ihnen flugs schwatzen kunte«), 3 (»und meinte / daß noch was rechts auf der Welt aus mir werden würde«), 6 (»Nun sahe er auch wohl daß ich ein brav Kerl war und daß was grosses hinter mir stecken muste«), 10 (»und sagte immer eines heimlich zu den andern: Ich müste wohl was rechts in Teutschland seyn? weil ich von solchen Dingen erzehlen könnte?«), 12 (»und sahe mir auch flugs an den Augen an / daß ich was rechts seyn müste«), 16 (»und da er spürete / das mir was sonderliches aus den Augen herausfunckelte«). Man vergleiche einmal, zur Illustration des satirischen Potenziales, folgende Stellen aus den Europäischen Höfen: »Ein jedes sahe Gustaven hierauf genauer an / und ausser seiner itzt erwiesenen Geschicklichkeit erwarb der Glantz seiner Augen einen solchen Beyfall / der Damen und Cavalieren theuer zu stehen kam; denn die ersten konten den Zugang zu ihrem Hertzen dafür nicht verwahren / und die andern sich der Eyffersucht nicht entschlagen.« (EH 584) Und: »Hierauf war eine allgemeine Stille / weil die Erstaunung über eine so unvergleichliche That von einem Printzen / der ohngefehr 18. Jahr überstiegen / bey jedweden so groß / daß ihnen die Abwechselung der äussersten Furcht und Freude die Rede gleichsam benahm. Nach dieser geheimen Admiration aber erhub sich ein Frolockendes Zuruffen / und das Geschrey des herumstehenden Pöbels durchdrang die Lufft so sehr / als ob man die Kröhnung ihres vortreflichen Königs von neuen vornähme; oder weil selbige zum wenigsten durch eine so seltene Tapfferkeit weit herrlicher gemacht würde.« (EH 45) 26 Elemente 2 und 15.

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Gerade in der Verneinung und trotz der Vertauschung der Reihenfolge – die Geburtsgeschichte wird darauf der Besatzung erzählt ohne Schilderung irgendeiner Wirkung – bewährt sich das textliche, kombinatorische Schema;27 nur die rohe Gewalt der Piraten (Element 14) lässt die Anschlüsse unbedient. Als Besonderheit zu registrieren, und informierend nicht so sehr eine Deutung der Geburtsgeschichte, sondern die beschriebene Abhängigkeit der Zuverlässigkeit des Erzählers von seinem Aufenthalt in Heimat oder Fremde, sind die Reaktionen des Schuldmannes (Element 16). Dass er Schelmuffsky für noch unmündig hält, scheint die Version eines nur vierzehntägigen Wirtshausausfluges, die der kleine Vetter vorbringt, zu bestätigen. Schelmuffsky erzählt zum Ausweis seiner Identität und um den nötigen Respekt zu gewinnen die Begebenheit von der Ratte und registriert eine Wirkung – Erschrecken, Scham und Unterwürfigkeit –, die derjenigen Herrn Gergens verdächtig ähnlich sieht – »der schämte sich wie ein Hund« (SM 9), »und schämete sich der Tebel hohl mer wie ein Hund« (SM 90) –, die Zuspruch und Enthusiasmus, der sich sonst allenthalben einstellt, vermissen lässt, vor allem aber in Widerspruch zur weiteren Behandlung der vorliegenden Sachfrage tritt: der Schuldmann redet sich wegen der Erbschaft heraus, Schelmuffsky gibt klein bei, verhandelt für ihn höchst nachteilig die Erbschaft jemand anderem zu, von dem er nur den vierten Teil erhält und camoufliert diese offensichtliche Niederlage mit Mitleid für den Schuldmann (»Damit ich ihn aber nicht in Schaden bringen wolte«), der Beteuerung, er hätte aber gekonnt, wenn nur gewollt (»Denn wenn ich geklaget / hätte er mirs schon zahlen müssen / und der Tebel hohl mer kein gut Wort darzu«) und Geringschätzung für die ganze Sache (»den gantzen Quarck«). Jörg-Ulrich Fechner betont zurecht, dass nicht erst der Wirtssohn in Padua, sondern bereits der Bruder Graf eine Doppelung des Helden darstellt. Hier wie dort ist der motivische Bereich betroffen. Funktional entspricht der Geburtsgeschichte samt ihrer fakultativen Erweiterung durch die Blasrohrgeschichte die Abstammungserklärung des Grafen (SM 13, 18) und die Geschichte von den 31 Pumpelmeisen (SM 13, 18, 26). Die auffälligste Doppelung in den Aufschneidereien des Fremden betrifft die flüssigen Allheilmittel Bomolie/MastixWasser, ferner das Erbrechen (SM 110), die Damenbekanntschaft (SM 106) und die unglaublichen Schiffsreisen: den Schiffstyp der »Dreck-Schüte« (SM 106) führt zum Verdruss des Helden der Fremde ein – Schelmuffsky wird die Vokabel dann in der römischen Episode übernehmen. Auf eine nur angedeutete Vervielfachung verweist Bergengruen, wenn er die Bemerkung, Schelmuffskys klei-

27 Weniger radikal in Element 12, wo nur das ausbleibende, und also doch genannte Mützenziehen Verdruss weckt.

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ner Vetter sei »wie eine Ratte aus meiner Frau Mutter Bette gesprungen« (SM 87), als Hinweis auf eine noch nähere Verwandtschaft desselben nimmt.28 Überall dienen die Vervielfachungen auch der Profilierung von Differenzen – also: Schelmuffskys Profilierung. Zwar hilft der Graf ihm – in merkwürdiger Parallele zu Freymund im Raffinirten Statist (RS 10f) – dank seines potenten Transportmittels aus seiner anfänglichen Hilf- und Orientierungslosigkeit (SM 13), schon das Saufduell im Wirtshaus etabliert aber eine andere Rangordnung (SM 14f) und erst die beiden Geschichten des Reisegefährten erweisen sich, verglichen mit denen Schelmuffskys, als defizitär, obwohl oder gerade weil sie dem Zweck der Vorstellung und des Eindruckmachens direkter zu entsprechen scheinen: weder teilt ja Schelmuffsky, sofern nicht auf die Teufelsgeburt geschlossen wird, tatsächlich von seiner Genealogie etwas mit – seine Großmutter, die ihm das Blasrohr geschenkt hat, bleibt z. B. unerwähnt (SM 10) –, der Graf aber dichtet sich gräflichen Stand, Ahnenregister und dörflichen Stammsitz an; noch kann es die diffuse, auf keinen konkreten Erfolg rekurrierende ›Blasrohrgeschichte‹, die eigentlich keine ist, mit dem beeindruckenden Simultanfang von 31 wohlschmeckenden Pumpelmeisen aufnehmen. Einerseits liefert Schelmuffsky also die überraschendere, aus dem Zweck der Erfindung, wenn Erfindung und Zweck schon vorausgesetzt werden, nicht ohne weiteres abzuleitende Geschichte; andererseits aber, und das betont er selber, hat er, im Gegensatz zum Grafen, darstellerisches Talent.29 Diese Differenz wird bei der Verfertigung des Hochzeitscarmens in Amsterdam bestätigt: der Graf brächte ein allenfalls technisch verfehltes Stück Dichtung von konventioneller Blässe zuwege (SM 49) – Schelmuffsky, dem die einleitende Funktion des Natureinganges so wenig geläufig ist wie die Tatsache, dass auch nicht unmittelbar aufeinanderfolgende Verse sich reimen können, verfasst nach großen Mühen in Knittelversen, vom bald nahenden »Gertrautens-Tag« und den wiederkehrenden Klapperstörchen ›seine Invention nehmend‹ (SM 48f), ein »Carmen« von ungleich größerer Wirkmacht. Der Graf hat denn auch keine erotischen Begegnungen und keine Duelle. Was er mit Schelmuffsky teilt, ist seine Harmlosigkeit. Der Paduaner Wirtssohn ist auch weniger vital als Schelmuffsky – das Erbrechen30 und die Duell28 Nämlich: Bruder oder gar Sohn Schelmuffskys, vgl. Bergengruen: Der große Mogol oder der Vater der Lügen des Schelmuffsky, S. 175. 29 »[…] allein [der Graf] brachte alles so wunderlich durch einander vor und mengete bald das 100. in das 1000. hinein / und hatte auch kein gut Mundwerk / denn er stammerte gar zu sehr / daß er auch / wie er sahe / daß ihn niemand nicht einmahl zu hörete / mitten in seiner Erzehlung stille schwieg / und sahe was sein Teiller guts machte. Wenn ich aber zu discurriren an fieng! Ey Sapperment! wie horchten Sie alle wie die Mäußgen / denn ich hatte nun so eine anmuthige Sprache / und kunte alles mit so einer artigen Mine vorbringen / daß sie mir nur der Tebel hohl mer mit Lust zu höreten.« (SM 18) 30 Vgl. Tatlock: Quixotic Marvel, S. 310.

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niederlage beweisen es (SM 110–113); er zeigt sich insofern ungeschickter, als er Zeugnisse seiner Reisen noch meint vorweisen zu können – Französischkenntnis und, sofern bestellt, französische, von seinem französischen Leibschneider gefertigte Mode (SM 105, 108f); bei der Gegenüberstellung beider Schifffahrtsgeschichten fällt wieder die einfachere Prahlerei auf den Doppelgänger, die dramatischere Geschichte auf Schelmuffsky: »abscheulichen Ungestüm und Wetterleuchten« (SM 106) hat die 2000 Mann fassende Dreck-Schüte des Wirtssohnes schadlos überstanden, Schelmuffsky aber ist sich zum spektakulären Schiffbruch, weil er ein beispielloses Überleben veranlasst, nicht zu schade. Möchte der Wirtssohn aus den Modebestellungen an seinen imaginären Schneider ein Geschäft machen? Geld spielt in seinen Auslassungen eine größere Rolle als bei Schelmuffsky; worauf dieser letztlich anspringt, das Lob der französischen Kaufleute auf Kosten der geschmähten deutschen, ist ein ins Negative gehender Zug, der ihm ebenfalls abgeht: gar nicht oder kaum maßt er sich Wissen an, das die negative Beurteilung eines bereisten Ortes erzwänge. Was sich entlang dieser in die motivische Vervielfachung eingearbeiteten, recht feinen Differenzen abzeichnet, ist eine von Schelmuffsky selbst vorgenommene Abgrenzung gegenüber stärker zweck- und sachgebundenen Vorspielungen. Für seinen Erfolg ist die poetische Souveränität entscheidend – aufzugliedern in Inventio, Elocutio (SM 51) und Actio (SM 18) –, sie hebt er an sich positiv hervor; er kann seine achtbare Identität in der erfundenen histoire31 allein auf die Verwunderung32 gründen, die seine Darbietungen auslösen, und muss zur Wirkungssteigerung auf Mittel der Schmähung anderer nicht zurückgreifen.33

31 Dass die Sache in der wahrscheinlicheren histoire anders liegt, zeigt die Reaktion des Schuldmannes. Aber auch hier: zweckmäßig wären an dieser Stelle ganz andere Geschichten, ganz andere Lügen gewesen. Schelmuffsky setzt, anstatt etwa Drohmittel zu erfinden, nur auf den überwältigenden Totaleindruck und gibt gegenüber der ja vielleicht erlogenen Ausflucht des Schuldmannes, er habe im Moment kein Geld, sogleich klein bei. 32 Zu den poetologischen Implikationen dieser Hauptreaktion auf Schelmuffsky vgl. Tatlock: Quixotic Marvel. 33 Der Gegensatz zur Entstehungsgeschichte des Stoffes ist offensichtlich. – Dass die Reisestationen mit dem Ziel einer wertenden Qualifizierung der jeweiligen Nationalitäten und trotz des Patriotismus Schelmuffskys nicht profiliert sind, macht auch die Gegenüberstellung mit der stärker national orientierten Darstellung des Paduaner Wirtssohnes erst eigentlich deutlich. Die Gründe liegen in der bereits genannten Absonderung topographische Details auflistender Passagen und in der Internationalität des Personals: in Hamburg besteht die Compagnie aus je zwei italienischen Adligen, holländischen Staaden und portugiesischen Abgesandten (SM 17). Die Duellaufforderung des Staadens (SM 23f) lässt darauf schließen, dass die wohl französische Charmante, die dann auch nach Stockholm kommt, in seiner Begleitung erschienen war. In Amsterdam bildet die Hochzeit des englischen Lords Toffel und der Staadenstochter Traute das Hauptereignis – beiden begegnet Schelmuffsky in Londen wieder.

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5.3. Latente Kausalität und Exemplarizität in der Reise einer höflichen und geschickten Person Die Karrierefunktion, die in der Reise Schelmuffskys zunächst angelegt war, dann aber verlorenging,34 versieht die Reise Seladons35 mit einem weitgehend latenten, kausalen Bezugspunkt und eignet sich zur Ordnung der während der Reiseaufenthalte erfolgenden Interaktionen. Dass die extrem knappe, einheitsbezogene und verdoppelte Reihe der Anstellungen des Helden (RE 373–376, 410) die angelegten Latenzen nicht in Aktualitäten umwandelt, hinsichtlich ihrer tatsächlichen, kausalen Bezüge also in die Reise kaum zurückgreift, setzt diese in weiten Teilen frei. Welche Verfahren der Reihenbildung greifen dann? Wie im Schelmuffsky schaffen der erste Reiseaufenthalt (RE 291–308) und die erste Reisebewegung (RE 308–316) einen zu variierenden Vorrat, wie dort wird er unterwegs zugunsten einer neuen Gestaltung der Aufenthalte aufgegeben. Die oben vorgeschlagene Unterscheidung der Seladon involvierenden Interaktionen in solche mit Höher-, mit Gleichrangigen, mit Frauenzimmern und in Possen verläuft weitgehend entlang der in der Manier höflich und wohl zu Reden und Leben selbst vorgenommenen Klassifikation (S. 17f); für die Karriere sind die Aufwartungen entscheidend, das gute Vernehmen mit Gleichrangigen hilfreich, Frauenzimmer und Possen eher hinderlich. Dieser Logik folgen die Interaktionen der ersten beiden, szenisch noch zusammenhängend gebotenen Aufenthalte an Höfen: vordergründig sind, bis auf die der Reisebewegungen, alle Interaktionen kausal verknüpft,36 über den Ortswechsel aber zeichnet sich die vom Karrieregesichtspunkt her wirksame Staffelung der latenten Kausalbezüge 34 Der in Venedig angebotene Posten kommt gar nicht erst in den Verdacht, Schelmuffskys Reise zu beenden. 35 Eine ausführlichere Zusammenfassung bietet Rose: Conduite und Text. Paradigmen eines galanten Literaturmodells im Werk von Christian Friedrich Hunold (Menantes). Berlin/ Boston 2012, S. 311–315. 36 Der erste Aufenthalt (RE 291–308): Die Interaktion mit dem Oberhofmarschall verschafft Seladon den Zutritt zur Oper und damit die Bekanntschaft der zwei Cammerherren, die mit ihm am nächsten Morgen eine Schlossbesichtigung vornehmen, an dessen Ende er abermals auf den Oberhofmarschall trifft, der ihn mit einem Botendienst betraut: den Brief erhält er am nächsten Morgen. Der Abschied bei den Cammerherren am Vorabend bringt ihn noch einmal in ihre Gesellschaft. Der zweite Aufenthalt (RE 316–351): die Ausführung des Botendienstes führt zur Bekanntschaft des Geheimen Rates und seines Secretairs, zu Verabredungen mit beiden; die beiläufig im Nachklang der vorgenommenen Besichtigungen von Seladon gefertigten Epigramme, und vor allem eines erotischer Konnotation, bringt ihm, weil der Secretair es sieht und mitnimmt, einen poetischen Auftrag des Geheimen Rats zuwege. Hinzu kommt, kausal mit der Compagnie Gleichrangiger verknüpft, die Bekanntschaft mit der Haustochter seines Logements, die Seladon, bevor sie als Hindernis wirksam wird, also gerade noch rechtzeitig beendet. Die Interaktionen der Reisebewegungen (RE 308–316, 351–353) tendieren ins Abenteuerliche bzw. possenhafte und bleiben kausal isoliert.

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entlang der Interaktionstypen ab: die Bekanntschaften unter Gleichrangigen verschaffen Gelegenheiten, Bekanntschaften mit Höherrangigen zu machen, werden aber über den jeweiligen Aufenthalt hinaus nicht aktiviert;37 die Höherrangigen hingegen können den Unterhalt des Reisenden bestreiten (RE 350);38 sie werden brieflich auch nach dem Ortswechsel noch adressiert (RE 348f), für sie lohnt es interessante Zeugnisse der vorhergehenden Stationen mitzunehmen (RE 229f). Das Hindernis einer unzeitigen Damenbekanntschaft kann rechtzeitig erkannt und örtlich begrenzt werden,39 vollends bezuglos bleiben die Possen. Angelegt ist, wie es scheint, die Schaffung eines sich nach und nach verdichtenden Beziehungsnetzes, das die Kenntnisnahme und erfolgreiche Wahrnehmung sich bietender Gelegenheiten fördern soll.40 Mit Gleichrangigen – denn die Interaktionen bedürfen einer motivischen Variation – gibt es Besichtigungen, Besuche, gesellige Zusammenkünfte; mit Höherrangigen spontane, zweckgerichtete Ansprachen, Einladungen zum Mittagessen, und die verschieden gearteten Aufträge. Mit dem oben (Kap. 2.4.6) bereits beschriebenen Funktionswechsel der Raffungen ab der Reisestation Elbipolis, mit der Aufgabe also einer alle Interaktionstypen betreffenden Garantie vollständigen Berichtens, gehen Verschiebungen in der gesamten motivischen Anlage und ihren Funktionen einher. Erstens erhöht die nun offenstehende Möglichkeit zur Raffung solcher Teile der histoire, die zuvor szenisch behandelt wurden, die Mobilität Seladons gegenüber dem, was in einem jetzt übergeordneten Sinne als Reiseverlauf den discours strukturiert: Elbipolis bleibt über die auftragsgebundene Reisetätigkeit41 hinweg Reisestation und schon die Passage und Besichtigung zweier auf dem Weg dorthin gelegener Residenzstädte kann in einem Satz abgehandelt werden (RE 351). Im Zuge seiner 37 Wohl bietet Seladon seinen Bekannten an, auf der nächsten Reisestation etwas für sie auszurichten (RE 307). 38 Rose: Conduite und Text, S. 312, bemerkt, Seladon logiere schon auf der ersten Station als Gast des Hofmarschalls – eine solche Stelle konnte nicht gefunden werden: Seladon gibt in der Opernloge den »weißen Schwan« (RE 297) als Unterkunft an. Beim Abschiedsgespräch fragt der Marschall nur nach seinem Quartier (RE 304). 39 Eine fördernde Funktion kommt dem Liebesbereich über das erotische Epigramm Seladons doch zu (RE 340f) – interessanterweise ist dessen Grundlage aber nicht die sich anbahnende Affaire mit der Haustochter, sondern die viel unverbindlichere Begegnung mit drei Damen bei der Schlossbesichtigung. 40 Seladon selbst formuliert gegenüber dem Hofmarschall, der fragt, ob Seladon nach der nächsten Station noch weiterreisen wolle: »Ja Ew. Excellence, nach meinen abgelegten Universitäts-Jahren suche in der Welt mich würdig zu machen, daß so hohe Patronen dereinsten für mein Glück gnädig sorgen mögen.« (RE 304, Hervorhebung im Original) 41 In die Residenz, in der die Beerdigung stattfindet, für die Seladon gedichtet hat (RE 353f) und an den Hof, an dem man ihm betrügerischer Weise eine Pagen-Hofmeisterstelle anbietet (RE 355–361); Rose: Conduite und Text, S. 313, meint, dies sei der Hof des ersten Aufenthaltes, wofür aber keine Anhaltspunkte zu finden sind.

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ersten Anstellung, in Den Haag, begleitet Seladon seinen Dienstherren nach Frankreich, kehrt aber, nach dessen Tod, in die holländische Stadt zurück, so erlaubend, die geographisch betont unspezifische Dienstreise im Reiseparadigma zu unterschlagen. Vollends unkontrolliert bewegt sich Seladon, wenn kurz vor Ende auch die Unterscheidung benannter Städte und unbestimmter Höfe oder Residenzen, an denen das strukturbildende Reiseparadigma und die überschüssige Mobilität ausgerichtet waren, gekippt wird – so heißt es summarisch: »Sie besuchten hierauf noch viele andere berühmte Städte / Residentzen und Höfe; […].« (RE 409) Zweitens entfällt die oberflächlich gewährleistete kausale Verknüpfung aller während eines Aufenthaltes anfallenden Interaktionen42 und damit die erzählerische Umsetzung der Unterscheidung funktionsund situationsbezogener Kausalität. Die förderlichen Bekanntschaften gleichen Ranges etwa werden nicht zunächst unabhängig etabliert, sondern erst anlässlich ihrer kausalen, fördernden Funktion erwähnt.43 Die Wirksamkeit der Empfehlungen (RE 355, 361, 377), wenn sie nicht unmittelbar zwei Ereignisse verknüpft (RE 354), lässt sich ebenso wenig rekonstruieren wie die Entstehung von Seladons Ruf (RE 361) – jedenfalls nicht in dem Grade der Genauigkeit, der auf den ersten beiden Aufenthalten anskizziert wurde. Zu verzeichnen ist, drittens, eine Tendenz zur Schmälerung der direkter karrierebezogenen Interaktionen,44 einhergehend mit einer strukturellen Emanzipation der Interaktionen mit Gleichrangigen, die nun, bei größerer thematischer Eigenkomplexität, den Großteil des Textes ausmachen45 und denen die eher possenhaften Interaktionen und diejenigen mit Frauenzimmern, weil sie von Seladon und dem jeweiligen Begleiter gemeinsam veranlasst und erlebt werden, unterzuordnen sind. Die Dienstverhältnisse, Aufträge und das trügerische Anstellungsangebot Seladons bewirken zwar, in Elbipolis und Den Haag, seine oben so genannte ›überschüssige‹ Mobilität, die Höhergestellten aber bleiben an die jeweilige Reisestation gebunden; die Mitreisenden – von Elbipolis an mindestens einer – vollziehen die Reisebe42 Kausal relationiert sind oberflächlich ab Elbipolis nur, in Den Haag, der Auftrag zur Korrektur von Gedichten und die Beförderung zum Secretair (RE 373–377) und der Opern- und Damenbesuch in Hamburg (RE 383–395). 43 Beispielhaft gleich zu Beginn des Aufenthaltes in Elbipolis: »Gleichwohl speisete er in denen vornehmsten Wirths-Häusern wechsel-weise, üm die Bekandschafft rechtschaffener Leute zu kriegen, und gieng dann und wann in die besten Wein-Häuser, wo er unter andern mit dem Secretair eines gewissen Königl. Abgesandten eine besondere Freundschafft aufrichtete, daß auch dieser ihm den Zutritt bey seinem Herrn verschaffte.« (RE 353) Ein weiteres Beispiel ist die Aufdeckung der Pagen-Hofmeister-Intrige durch einen einen »unvermittelt« erscheinenden Landsmann Seladons (RE 356f). Für die Bekanntschaft mit dem Gesandten, der Seladon zuerst als Secretair anstellt, wird gar »das Glück« (RE 373) verantwortlich gemacht. Ein Gegenbeispiel, aber eben in entgegengesetzter Richtung, stellt die Hilfe dar, die Seladon seinem Mitreisenden bieten kann (RE 377). 44 Das sind auf 57 gerade einmal 16 Seiten (RE 353–363, 373–377, 395f, 409f). 45 37 Seiten (RE 363–371, 377–381, 383–395, 396–409).

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wegung Seladons, wenn sie sie nicht gar, wie im Falle des »sehr raisonnablen und schätzbaren Holländers« (RE 371), provozieren, selber mit. Blickt man auf die Reihen der kommentierenden und auf die umliegende Manier höflich und wohl zu reden und leben verweisenden Metalepsen,46 des Seladon explizit zugeschriebenen Wissens um richtiges Verhalten,47 der Fälle ausgestellten oder korrigierten Fehlverhaltens48 und der dialogischen Behandlung von Verhaltensfragen49 – derjenigen Elemente also, die über eine unterstellte Beispielhaftigkeit des Erzählten hinaus die Exempelfunktion des narrativen Einschubes in die Verhaltensschrift dirigieren50 –, bildet sich eine Trennlinie bei Betreten des städtischen Raumes, ab der Station Elbipolis also, abermals ab: natürlicherweise liefert die durchgängig szenische Gestaltung der ersten beiden höfischen Aufenthalte zur metaleptischen Kommentierung und zur Zuschreibung von Verhaltenswissen zwangloser Vorlagen; favorisiert die strukturelle Promotion der Interaktionen unter Gleichrangigen eine dialogische und kontroversere Behandlung des Themas. Auffällig ist ferner die Mittelstellung der Lehrstücke: abfahrend vom zweiten Hofe formuliert Seladon bei sich die Konsequenz aus der Affaire mit der Haustochter (RE 351), und in Elbipolis, wo in der Tat einige der oben genannten Verschiebungen erst erfolgen, kommt es zur glücklichen Reaktion auf das trügerische Stellenangebot und seinen Faux-Pas beim Verfassen seines dann für »ein verblümtes Pasquil« (RE 362) angesehenen Hochzeitscarmens – alles drei Konfrontationen, aus denen Seladon klüger und weitgehend unbeschadet hervorgeht. Hingegen für das Missgeschick mit den Spielern, das in der zweiten Coffée-Haus-Episode in Hamburg so ausführlich erzählt wird (RE 396–409), gibt es die Lehre bereits in der Unterredung mit dem Fremden in der ersten Coffée-Haus-Episode in Elbipolis (RE 367–370) – die also nicht beherzigt wurde. In diesen Zusammenhang fällt auch, für eine ungeschickte Replik Seladons, der Vorschlag zweier besserer Alternativen durch den Erzähler (RE 399). Scheint den geschlosseneren, motivisch prägnanteren Episoden ab Verlassen Elbipolens die größere narrative Eigendynamik,51 den ausschweifenden Dialogen mit den Reisegefährten die größere thematische Komplexität zuzukommen;52 wirkt Seladon selbst bei zunehmend sicheren Karrierechancen von seiner ex46 RE 301–303, 314f, 321f, 325, 329f – hier gibt es zu dem Gespräch mit dem Geheimen Rat einen laufenden Kommentar. 47 RE 299, 316, 331. 48 RE 351, 363. 49 RE 364–370, 394. 50 Rose: Conduite und Text, S. 310, resümiert die Funktion innerhalb der Anlage der Manier: »Es handelt sich also, kurzgesagt, um ein einziges, ca. 150 Seiten langes Exempel.« 51 Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 316. 52 Man vergleiche nur den ersten (RE 293–303) und zweiten (RE 383–395) Opernbesuch.

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emplarischen Funktion nachgerade befreit – die interessantere kompositorische Vorlage lieferten doch die beiden höfischen Aufenthalte der ersten Texthälfte; deren umsichtige Ausführung von dem thematischen Spektrum der zweiten Hälfte nichts hätte verschenken müssen, in der auch für stärker zugespitzte, kausal abgeschlossenere Episoden, nämlich in den Reisebewegungen, Raum gewesen wäre; in der die Ortsveränderung ihre funktionale und situative Kausalität diskriminierende Funktion behalten; in der sich schließlich das sich über den gesamten discours bildende Netz karrierefördernder Beziehungen als maßgeblich den Text integrierende Stellenverknüpfung etabliert hätte, bei der von höchstem ästhetischen Interesse gewesen wäre, welche Linie für den Karrieredurchbruch aus der allenthalben bestehenden Latenz in die Aktualität gerückt würde. Freilich: erklären lassen sich die textlichen Phänomene entlang seiner exemplarischen Bündelung »alle[r] wichtigen Interaktions- und Kommunikationssituationen des galanten Modells«,53 in der die fortgesetzte, feingliedrigere Variation der in den ersten beiden Aufenthalten entwickelten Motivik immer noch zu viele Redundanzen erzeugt hätte; entlang nicht zuletzt der biographischen Entsprechung Seladons und Hunolds, der Absicht des Autors also, »den exemplarischen Charakter seiner eigenen galanten Conduite unter Beweis zu stellen und eben dadurch noch zu erhöhen. Nicht auszuschließen ist deshalb«, fährt Dirk Rose fort, »daß der Schluß des Textes, der von Hunolds Biographie abweicht, als eine Art ›Bewerbungsangebot‹ für ›höhere‹ Aufgaben aufgefaßt werden sollte.«54 Seladon muss das Zustandekommen seines Rufes, muss die Struktur des personalen Netzwerkes, dessen Teil er wird, nicht verstehen, um sie zu nutzen, und Hunold muss sie nicht abbilden; genug: es gibt sie, darauf kann man sich, hat man eine kritische Masse investiert, verlassen, sich übrigens aber anderen, abwechslungsreicheren Dingen zuwenden.

53 Rose: Conduite und Text, S. 315. Auf Überraschung und Variation heben auch Florack und Singer: Politesse, Politik und Galanterie, S. 306, ab: »In der variationsreichen, an galante Romane erinnernden Kombination von Personen und Situationen liegt der entscheidende Mehrwert dieses narrativen Einschubs gegenüber dem Traktat rhetorischer Prägung, der ihn umrahmt und aus dem er hervorgeht.« Erst die narrative Verknüpfung leiste, wo die systematische Darstellung versage, die Erfassung des »Zusammenspiel[s] von Sprache und Verhalten, das – einem zeitgemäßen Ideal entsprechend – in permanent wechselnden, nicht bis ins Detail vorhersehbaren und planbaren Situationen stets natürlich und ungezwungen erscheinen muss« (ebd., S. 307). 54 Rose: Conduite und Text, S. 316.

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5.4. Unter- und Beiordnung im Konflikt in Amor auf Universitäten Die Bildung der Haupthandlungsreihe anhand der Alternation von Phasen, in denen Fortunato liebt, und Phasen, in denen Fortunato nicht liebt, erweist sich in ihren Proportionen und in ihrer Stellenverteilung bereits als Notbehelf: beigeordnet sind in ihr – erstes Element – die Jugendliebe des Helden in der Heimat (AU 2–10) sowie eine anonyme Reiseaffaire (AU 10–12), dann – zweites Element – ein erstes Jahr intensiven Studiums (AU 12), im dritten Element die Liebeshandlung mit Ardorea, der Tochter seiner Vermieter (AU 1, 13–17, 19–63, 69–71, 83–90, 105f–59 Seiten) sowie die Liebeshandlungen mit Spinosa (AU 92) und Aurora (AU 93–101), im vierten eine zweite Phase reflektierterer Liebesabstinenz (AU 101–112, 135f) und im fünften, aus nur einem Satz bestehenden Element die Andeutung einer weiteren Liebeshandlung in der Heimatstadt (AU 136). Es sind aber der mangelnde Bezug und der zu große Abstand zum Textende der offensichtlich prominentesten Liebeshandlung mit Ardorea und die pointierte Offenheit der im letzten Satz des Romans noch platzierten letzten Liebeshandlung, die für die Haupthandlungsreihe den ohne eigene Stoppregel bleibenden, übergeordneten Gesichtspunkt erzwingen: sonst hätte der Abschluss der letzten Liebeshandlung, so wie im Satyrischen Roman und Adelphico, der gesamten Reihe von Fortunatos Liebeshandlungen seine Finalität geliehen, sonst wäre die Handlung Fortunato-Ardorea als subordinierend vervielfachte Haupthandlung anzusehen gewesen. In jener Lösung blieben die ungleichen Proportionen und die aufgrund biographischer Anpassungen große Heterogenität der Liebeshandlungen ein Problem, in dieser ginge, bis eben auf das letzte Textfünftel, alles auf. Fortunato-Ardorea ist also, mit großem Abstand, die Liebeshandlung größten Umfanges, weitester Erstreckung;55 sie alleine ist nicht auf eine Stelle begrenzt, eignet sich zum subordinierenden Verfahren der Einschließung, das, in der Tat, vorbildhafte Anwendung findet: die Namen des Paares fallen schon im ersten Satz (AU 1) und die Gegenwartsgeschichte setzt mit Verfassung eines treueversichernden Briefes und kurz vor dem entscheidenden Ausflug Fortunatos und Hansens nach Friedrichsstadt ein – entscheidend, weil es in seinem Verlauf zum Punkt der größten Annäherung, dem Beischlaf kommt (AU 60f, 83f, 86f), weil in seinem Anschluss die Entwicklung auf die Trennung hin ihren raschen Lauf nimmt (AU 90). In einer metadiegetischen Analepse nachgetragen werden also auf dem Weg, »[d]amit ihnen […] die Zeit nicht verdrüßlich fallen möchte« (AU 2), und unterbrochen nur durch nähere Informationen zum Ardoreischen Hause, die der Held auf der Rast in Sceitz erfragen kann (AU 17f), Fortunatos 55 Vgl. die Tabelle der Liebeshandlungen im Anhang: Fortunato-Ardorea umfasst nur etwas weniger als die Hälfte des gesamten Romans, die Erstreckung geht über drei Viertel.

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»Liebes-Avanturen« (AU 2) – die Jugendliebe zu Eleonore, die Reiseaffaire, ein großer Teil der histoire von Fortunato-Ardorea. Die Unterordnung aller anderen Liebeshandlungen erfolgt zwanglos: Jugendliebe und Reiseaffaire präludieren, durch das Studienjahr und die divergierenden biographischen Umstände von ihr deutlich geschieden, der ernsteren, aktuellen Leidenschaft; Hanses verdoppelt den Helden in seinem Ausflug nach Friedrichsstadt, erlebt auch ein Liebesabenteuer (AU 63–69), aber – er ist neu in der Stadt – eines ohne Vorgeschichte und kurzweiligeren, possenhaften Zuschnittes. Auch dass von Dritten erzählt würde, findet, wenn Fortunato seinen Freunden auf dem Rückwege eines Ausritts von Dimanchens wechselnden Liebhabern erzählt (AU 71–83), einmalig seinen Platz; wobei die Einmaligkeit dadurch pointiert wird, dass Fortunato eigentlich nur als erster in einer Novellenrunde erzählt, deren Fortsetzung also unterbleibt; wobei die geographische und personelle Absonderung der Geschichte von der übrigen Handlung durch ihren offenen Ausgang konterkariert wird. Selbst die beiden auf die Trennung von Ardorea folgenden Liebeshandlungen Fortunato-Spinosa und -Aurora müssten, wenn nur mit der Resignation des Helden geschlossen würde, den Vorrang von Fortunato-Ardorea nicht gefährden: die Sache mit Spinosa erscheint, in vier Sätzen abgehandelt, als einfache Wiederholung von Liebe und Abkehr des Helden, mit Aurora, die sich selbst rasch abkehrt, kommt ein Überdrehen seiner Phantasie und die verdrießliche Auseinandersetzung mit dem Nebenbuhler hinzu. Dem noch positiven Vorspiel in Jugendliebe und Reiseaffaire wäre dieser ebenfalls zweiteilige Abgesang entleerter Wiederholung und gefährlicher Übersteigerung symmetrisch entgegenzusetzen. Die Verbindlichkeit dieser Ordnung für den ganzen Text untergraben also der Gegenbesuch der Freunde Chien und Pecheur in Friedrichsstadt – immerhin mit dem letzten Element von Fortunato-Ardorea, der Fortunato nicht weiter tangierenden Nachricht darüber, »wie sehr sich Ardorea hermte / daß sie ohne gegebene Ursache gehasset würden / und wie Chien sich äusserst in sie verschossen« (AU 105); ansonsten gibt es, aus vielen übergangenen »Avanturen« (AU 106) herausgegriffen, einen Bordell-Ausflug (AU 106–110); danach eine knappe Schilderung des zurückgezogeneren Lebens Fortunatos – er entwickelt »grössere Lust in Lesung artiger Intriquen-Spielungen / als wann er selbst welche spielen solte.« (AU 110) – und, vor Schluss, die letzte Novellenrunde (AU 112– 136), die in metadiegetische Analepsen dramatisch absteigenden Umfanges (12, 8 und 2 Seiten) eingeschlossenen Liebeshandlungen Magdalena, Vernisier und de la Pierre. Bliebe man auf der Ebene dieser Aufzählung, ginge es noch hin: illustriert würde das neuartige Verhältnis, das der liebesabstinente Fortunato, aus seinen Erfahrungen folgernd, gegenüber Liebesdingen einnähme; bewiesen die Gleichgültigkeit, die er der Verflossenen entgegenbringt, die Standhaftigkeit, die

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ihn inmitten der Ausschweifungen seiner Freunde unbeschadet hält,56 veranschaulicht schließlich das passive Interesse, das er erzählten Liebesintrigen entgegenbringt – die nun, konkret, den raschen Wechsel der Liebesverhältnisse in eher satirischem Tone vorstellend, die gewonnene, ablehnende Haltung des Helden nur befestigen können. Abzubrechen, just da die biographische Veränderung am neuen Ort den Vorsatz aufgebrochen hat, da etwas Neues, aus dem vorhergegangenen nicht Herzuleitendes beginnt, wäre als gewissermaßen jenseitige Bestätigung dessen zu sehen, dass die erste Runde an Liebeserfahrungen bis zuletzt abgebildet worden sei. Die Funktion, die hierbei den Geschichten der Novellenrunden zukäme, müsste hinreichend rasch erkannt werden können und gegenüber ihren spezifischen Inhalten jedenfalls in einer ersten, auf die Gesamtheit des Romans blickenden Lektüre gleichgültig machen. Tatsächlich zerfasern sie, trotz ihrer Kürze, in internen Multiplikationen57 – häufen sie auf engem Raum kurz vor Schluss des Romans eine erschreckende Handlungsfülle, deren geschichteninterne Integration selbst fraglich bleibt: 22 Handlungsfunktionen wahrnehmende Figuren werden eingeführt – von 54 im ganzen Roman. Die Abschlüsse der prinzipiell offenen Reihen einander ablösender Liebesverhältnisse in Magdalena und Vernisier wirken arbiträr, immerhin de la Pierre bereitet die Entscheidung der Heldin zwischen zwei Rivalen unterschiedlichen Standes vor, liefert die Entscheidung – und bricht, wo ein Ende plausibel gewesen wäre, aufgrund der Hinzukunft »etlicher fremden Pursche« (AU 135) in die Compagnie ausdrücklich ab. Olaf Simons – die Stelle wurde in der Einleitung schon bemüht – kommt für die privaten Skandalromane der Universitätsstädte Leipzigs, Halles und Jenas, als deren Repräsentanten er Sarcanders Roman vorstellt und denen auch das Carneval der Liebe und der Verliebte Student zuzurechnen sind, nach einer ausführlichen Listung der darin auftretenden, mannigfaltigen Handlungsmuster (Reihung, Suchhandlung und doppelter Kursus, ironische Reihung, Spiel mit Einschüben, gar keine Intrigue, unverknüpfte Intriguen)58 zu folgendem Schluss:

56 »[…] Fortunato aber bliebe aungekleidet sitzend / und hatte von den andern beeden nicht wenige Anfechtung / weil er aber seiner Vernunfft noch in etwas mächtig / liesse er sich zu nichtes bereden.« (AU 108) 57 Magdalena und ihre Schwester Dorothea, je mit Liebhabern; die Reihe der Liebhaber Magdalenas: Telemaon, der Goldschmiedssohn, der Paruquenmachen, Ferrando, Faber; die Geliebten und Affairen Venisiers: Dumelia, Lucra, die Wirtsmagd, Sophie; die Liebhaber de la Pierres: de Rettam und Sife. 58 Vgl. Simons: Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. AmsterdamAtlanta 2001 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Bd. 52), S. 309–311.

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Die bezeichneten Unterschiede nehmen sich in der Lektüre gering aus. Auch die komplexeren Romane lesen sich letztlich wie Reihungen von Liebes-Intriguen. Es spielt keine Rolle, ob man eine Geschichte erzählt bekommt und dann die nächste, oder ob eine Geschichte anhebt, die Protagonisten auf andere Helden treffen, diese zuerst ihre Geschichten erzählen und dann ganz am Ende die erste Geschichte ihre eigentliche Erzählung findet. In jedem Fall kommen Intriguen in Reihung.59

Das wird so zu verstehen sein, dass, ungeachtet ihrer kompositorischen Stellung, die Liebeshandlungen einander funktional beigeordnet bleiben: in dem direkten Kontakt zu Publikum und Konkurrenten, den die Romane dieser Art suchen,60 da Autor, Leser, Betroffene und Romanhelden dieselbe Lebenswelt teilen,61 kommt es auf jede einzelne (Schlüssel-)Handlung gleichermaßen an, sodass die Form ihrer Anordnung freigestellt bleibt: weder lassen die enge Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Materien und ihr notwendig skandalöser Zuschnitt62 eine an inhaltlichen – moralischen, schichtbezogenen – Kriterien orientierte Hierarchisierung von Handlungen und Personal zu; noch verpflichtete zu einer anderen als opportunen Nutzung bereitstehender formaler Verfahren die Bindung an »Autoren der Literaturgeschichte«.63 Ist nur das Missverständnis ausgeräumt, die formevolutionäre Untersuchung verlange notwendig, auch das vordergründige Interesse ›der Texte‹ – ihrer Autoren und zeitgenössischen Rezipienten – müsse ein formästhetisches sein, sollte rasch einleuchten, warum gerade dies Irrelevant- und Unverbindlich-Werden der formalen Verfahren in der pragmatischen Dimension und für die inhaltliche Variation der angeordneten Elemente die formevolutionäre Analyse der genannten Romane besonders provoziert. Drücken die durch die ›formalen‹ Kriterien der Einschließung, der Einstelligkeit, des geringeren Umfangs, der geringeren Komplexität sichergestellten Unterordnungen von Liebeshandlungen unter eine wenigstens lange Zeit über als solche zu betrachtende Haupthandlung in Amor auf Universitäten keine allgemeingültige, ethische und ständische hierarchische Ordnung mehr aus – ein anderer Bezugspunkt bietet sich, wie gezeigt wurde, an: das ist Fortunato, aber nicht Fortunato generell, sondern in einem bestimmten Krisenmoment einer Liebeshandlung, der und die durch seine vorhergegangenen und durch die Liebeshandlungen ihn begleitender und dritter Figuren gewissermaßen umzingelt und ins Relief gesetzt werden. War der Bezugspunkt dort eine allgemeine, jenseits aller Handlungen bestehende Ordnung, als deren Spitze die Haupthandlung nur auszuzeichnen war, ist hier die Unterscheidung der Haupthandlung von mehreren Seiten her einzige inhaltliche Funktion der Vervielfachung, nachbildend 59 60 61 62 63

Ebd., S. 311. Ebd., S. 300f Ebd., S. 306. Vgl. ebd., S. 306–315. Ebd., S. 301.

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das Unterscheidungsspektrum, somit das spezifische Erleben des jeweiligen Handlungsträgers. In dieser Funktion begegnet die subordinierende Multiplikation bald allein. Ihre Suggestion in Sarcanders Roman wird Zufall sein. Um einmal noch auf das problematische Ende des Romans zu kommen: interessant ist, dass Olaf Simons in seiner sonst recht ausführlichen Inhaltsangabe die Lösung gewählt hat, die der dramatische Einbruch unkontrollierter Varietät in der Novellenrunde eigentlich verbietet. Er kehrt in seiner Darstellung die Reihenfolge der Reflexionen Fortunatos und Hansens (AU 101–105) und des Bordellbesuches um, tituliert den »kleine[n] Diskurs für und wider die Liebe« als Garnitur,64 als quasi-ornamentalen Zusatz also, und fährt fort: Dann zeigen die Schlußzeilen den Helden mit neuem Mut. Er ist in seine Heimatstadt zurückgekehrt, und »er liebet wieder.« Das wird eingeschränkt: »wie viel er aber Krafft haben wird beständig zu seyn, davon wird am besten zeigen können das Ende« – ein Ende, das im Ton zum Roman in seiner gesamten angenehmen Ziellosigkeit paßt.65

Nicht nur hier, auch bei der Auflistung der die ›Hauptgeschichte aufwiegenden Binnengeschichten‹ bleiben Dimanche, Vernisier und de la Pierre unerwähnt66 – verständlich! – man kann sie nicht behalten, sie stören; man wird sie los. – Andererseits belegen sie, so wie das jubelnd ins Offene taumelnde Ende, die Gleichgültigkeit gegen die eigenen formalen Verfahren, die Simons den Romanen attestiert.

5.5. Motivische Varietät dank struktureller Redundanzen im Carneval der Liebe Die häufigen Wechsel von Erzählstimme, von zeitlichem, räumlichem, kausalem und personalem Bezugsfeld, die mit den Verfahren der subordinierenden Multiplikation meist einhergehen, entscheiden über das integrative Potenzial ›freier‹ Motivik und provozieren die eindeutige Feststellung des in der je verlassenen, je wiederaufgesuchten Handlung erreichten Fortschrittes. Gemeint sind motivische Elemente, die von der kausalen Struktur der Handlung aus kontingent erscheinen; die in subordinierend multiplizierenden Romanen eine vierfache kompositorische Zuordnung erfahren können: 1) möglich ist eine Zuordnung zu der Handlung, in deren Kontext sie auftreten, als deren Eigenschaft und nähere Bestimmung insgesamt und in Differenz zu den übrigen Handlungen. Nur Rosantes-Adalie ›erhält‹ in der Liebenswürdigen Adalie eine 64 Ebd., S. 317. 65 Ebd. 66 Vgl. ebd.

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pastorale Szene (LA 354–359), nur die Figur Adalie eine entsprechende Aria;67 nur Renard hingegen wird unterwegs von Räubern überfallen (LA 229–232). Übergeordnet können die Handlungen danach unterschieden werden, welche Bedingungen der Möglichkeit für bestimmte Motivik sie bereithalten. 2) Legt man die vervielfachten Handlungen ›untereinander‹, kann nach motivischen Entsprechungen und Unterschieden zu den je gegebenen Punkten der ähnlichen kausalen Struktur gesucht werden: die Schlosseroberung durch Rosantes hier (LA 312–315), das Duell zwischen Alfredo und Renard dort (LA 439–440). 3) Die kausale Struktur der Handlungen bedingt und ermöglicht, als redundante ›Erzeugungsform‹, eine Folge unterschiedlicher Handlungselemente; über Motive gebildete Relationen setzen mindestens die Ähnlichkeit der verknüpften Elemente voraus, die überdies kausal auf höchst unterschiedliche Weise, an unterschiedlichen Stellen der kausalen Struktur eingebettet sein können. Der kompositorische Reiz bei der Kombination beider Verfahren im Rahmen einer selben Handlung liegt im Austausch dessen, was je die Redundanz, was je die Variation gewährleistet. 4) Relativ schwierig wird es dagegen sein, die Zuordnung motivischer Relationen zu einer gewissermaßen nivellierten Ebene des discours plausibel zu halten: aus der die einzelnen Handlungsreihen ›herauszuschneiden‹ und ihrer eigenen Handlungsfolge gemäß mental ›zusammenzusetzen‹ Bedingung der drei erstgenannten Zuordnungen war, und bei welcher Operation das feine Empfinden für den rein textgrenzenbezogenen Wert der Stellen schwer zu erhalten ist. Das zweite, die Neigung zur eindeutigeren Festlegung auf einen in der kausalen Struktur der jeweiligen Liebeshandlung erreichten Fortschritt, ergibt sich unmittelbar aus den bei Verlassen und Wiederbetreten der Handlungszusammenhänge dem Gedächtnis zugemuteten Leistungen der Subsumption des bisher gewesenen. Selbst wenn ein Zustand, heißt das, länger in der Schwebe gehalten würde: fällt in diese Phase der Wechsel in eine andere Handlung, wird der Leser – und seis zur provisorischen – Desambiguisierung neigen; den so formulierten Zwischenstand bei Wiedereintritt in die Unsicherheit zurückzuführen, bedürfte einer besonderen Kunstfertigkeit. Den Liebeshandlungen des Carneval der Liebe bleiben noch unter Berücksichtigung dessen, was oben zu ihrer Funktionalisierung als Exempel im Romaneingang (Kap. 1); zu den ihre Reihung finalisierenden Tendenzen der Schwerpunktverlagerung im Handlungsverlauf und der zunehmenden Ernsthaftigkeit der Handlungsausgänge gesagt wurde (Kap. 2.4.1.1), erhebliche Freiheiten. Vor allem anhand der ersten, Floramor-Rosinde, lässt sich ausmachen, was es bedeuten kann, wenn eine Liebeshandlung ohne drohenden und vollzogenen Ebenenwechsel die Herrschaft über den discours vollständig erlangt. 67 Vgl. Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko. Köln/Graz 1963, S. 43–48.

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Da keine parallellaufenden Handlungen gelegentlicher Synchronisation bedürfen, muss im zeitlichen Medium nicht gewuchert werden, können Handlungswiederholungen gesetzt und im iterativen Modus quasi-beliebig in die offene Zukunft hinein ausgedehnt werden.68 Eine Zuspitzung erfährt dieser Umstand durch den vollständigen Mangel anderer, als der Handlung inhärenter, zeitlicher Orientierung – etwa durch Jahreszeiten, die Studien Floramors, Geburtstage, Feiertage und ähnliches. Wenn – innerhalb des Korpus – gewöhnlich die Handlungsfolgen ohne Tagesgrenzenmarkierungen weit weniger umfangreich sind als die rekonstruierbaren Tagesfolgen, kehrt sich dies Verhältnis im Carneval insgesamt um (105 Seiten fallen auf Tages-, 334 auf Handlungsfolgen).69 Die exzessive Wiederholung, die in der Werbungsphase von Floramor-Rosinde praktiziert wird, sorgt zusätzlich, weil Entscheidendes nicht passiert, für ein Gefühl widerstandslosen in die Zeit Taumelns.70 Sie hat ihren Grund in einer leichten Insuffizienz beider Liebender im Hinblick auf das zum Abschluss der Werbungsphase nötige Durchhaltevermögen:71 sie erwarten je vom Gegenüber etwas zu viel Entgegenkommen, sind je etwas zu stolz, das eigene Entgegenkommen in der Unsicherheit hinreichend lange aufrechtzuerhalten. Beide wechseln binär zwischen Abkehr und Hinwendung, daher sind vier Zustände des Paares möglich; in dreiundzwanzig Zustandsänderungen kommt es siebenmal zu beidseitiger Hinwendung,72 dabei ist folgender Turnus die Regel: R+F+, R-F+, R-F-, R+F-, R+F+; interessanterweise liegt die Initiative, abgesehen von dem allerersten Entgegenkommen, also bei Rosinde. Die in diesem Arrangement in eine gewisse Prominenz gerückte Handlungsfunktion ist der ›Rückzieher‹, insbesondere die Nutzung eines in dem vorherigen, entgegenkommenden Verhalten offen gehaltenen Deutungsspielraumes.73 Der Effekt 68 Vgl. CL 9: »Er flohe nicht nur alle Gelegenheit sie zu sehen, und wann sie auch dann und wann ihm in den Weg kam, legte er sein Compliment sonder einigen Wortwechsel mit niedergeschlagenen Augen ganz negligent ab, um Rosinden dadurch zu zeigen, daß ihre spröde Aufführung ihn nunmehro gantz metamorphosiret und zu einen andern Menschen gemacht. Es giengen etliche Wochen vorbey, da er nicht ein einiges Wort mit ihr sprach, und iemehr sich Floramor Rosindens Augen entziehen wolte, ie desto öffterer trat sie ihm in den Weg.« Vergleichbare Stellen etwa auf den Seiten CL 3, 27, 28f, 36, 54, 110f. 69 Vgl. die Tabelle im Anhang. 70 Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 94, charakterisiert Rosinde als »maîtresse cruelle«, »die ihren Anbeter endlos schmachten lässt.« 71 Bewusstsein dafür gibt es beim Erzähler (CL 4f) und bei den beiden Liebenden (Floramor: CL 15f; Rosinde: CL 45, 77). 72 Hier die Reihe (zuerst die Nummer der Zustandsänderung, dann in Klammern die Seitenzahl und schließlich die Angabe des Beziehungsstatus, bei Fettdruck der Einstimmigkeiten): 1(2)F +; 2(3)F+R+; 3(4)F+R-; 4(9)F-R-; 5(10)F-R+; 6(14)F+R+; 7(16)F+R-; 8(26)F-R-; 9(27)F-R+; 10(33)F+R+; 11(34)F-R+; 12(44)F+R+; 13(45)F+R-; 14(49)F-R-; 15(53)F-R+; 16(69)F+R+; 17 (74)F+R-; 18(76)F-R-; 19(77)F-R+; 20(84)F+R+; 21(86)F+R-; 22(90)F-R-; 23(100)F+R+ 73 Vgl. etwa CL 25: »Rosinde aber wuste solchen ehemals abgelegten Besuch so leichtsinnig zu entschuldigen, als es kaum möglich war zu hoffen; wir waren, hub sie an, des damahligen

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ist, zumal zu Beginn des Romans, ein bedrückender, klaustrophobischer: nach 100 Seiten ist man nicht weiter, als am Anfang, verliert also, was die Handlung eigentlich vermitteln könnte, das Abstandsgefühl zu Anfang oder Ende des Textes. Forciert wird durch die Wiederholungen aber auch eine Variation der jeweiligen Handlungsmotive: und hierzu bedarf es der besonderen räumlichen Situierung der Liebeshandlung in dem Mietshaus, in dem ein gewisser, zwar geringer Kontakt natürlicherweise gegeben ist, eine vollständige Kontaktvermeidung aktiv betrieben werden muss; sodass zur Variation der Kommunikationsmittel, des Begegnungskontextes etc. nicht je ein entsprechender Wille bei den Liebenden zu erfinden ist, sondern der Zufall beständig und plausibel beansprucht werden kann. Dass Floramor nach einer kurzen, allenfalls durch eine glücklich durchschaute Beständigkeitsprobe irritierten glücklichen Phase (CL 103–132) von seinem baldigen Mitmieter Sirador ausgestochen wird, führt nun doch zu einer Art parallelen Führung zweier einander nur teilweise einsichtiger Liebeshandlungen, bei der aber in ähnlicher Weise eine bis zur Unkenntlichmachung getriebene Vernachlässigung der tatsächlich effektiven Handlungselemente zugunsten einer wiederholenden Häufung von Handlungsmotiven betrieben wird, die geeignet wären, die entsprechenden Funktionen in der kausalen Struktur wahrzunehmen. So gibt es die Reihen der Versuche Floramors, eine Beziehung Rosindes zu Sirador zu unterbinden,74 der Treueversicherungen, Ausflüchte und Rückbewegungen Rosindes,75 der Strategiewechsel76 und Erfolge Siradors77 und der Entdeckungen Floramors78 – entscheidend ist aber für den Erfolg des Nebenbuhlers, dass er Floramor bei Rosinde verleumden kann (CL 151–153); und die erste Abkehr Floramors von Rosinde, nachdem er sie durch einen rührigen Abschiedsbrief noch einmal hatte erweichen können, sie sich dann abermals von ihm abgewandt hat, bleibt, in auffälligem Kontrast zu den mannigfachen Schwankungen der Werbung, unwiderrufen (CL 173): ihre Antwort auf den zornigen Brief, den er ihr nach den Entdeckungen des betrunkenen Siradors noch geschrieben hat, wird von der Magd versehentlich Sirador übergeben,

74 75 76 77 78

Ruffen und Schreyens nach den Mädgen gantz überdrüssig, und muste ich also auf Befehl der Meinigen des Mädgens Dienste auf mir nehmen, zudem weiß ich mich keines von Euch damals begangenen Fehlers zu entsinnen, weil ich wegen ein und anderer Verdrießlichkeit, so mir dasselbe mahl im Kopfe stack, gar wenig auf Eure Reden Achtung geben konte.« Und noch deutlicher, wenn es um briefliche Kommunikation geht, die bei Bedarf anders zugerechnet werden kann (CL 33f). CL 132f, 134. CL 132f, 134, 140f, 142f, 146, 147f, 155, 173, 184f, 192f, 208–210. CL 143f, 148f, 149f, 150f. CL 149f, 150, 153, 155, 160, 170f, 196. CL 139f, 156–158, 162f, 175f.

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Floramor bleibt ohne Antwort – und zieht so, nachdem er geräuschlos im Hintergrund einige Zeit gewartet hat, aus.79 Die Reihenbildung bei den auf die effektive, kausale Struktur nur latent bezogenen, gehäuften Handlungselementen geschah immer noch mit Blick auf die potenziell wahrgenommene kausale Funktion dieser Elemente; verknüpfte also, auf einer ›oberflächlicheren‹ Ebene, motivisch durchaus heterogenes Material.80 Unbedingt ist auf dieser, von der kausalen Struktur der Handlung absehenden Ebene, nach Reihen zu suchen: erheblicher textlicher Aufwand fällt auf die komplizierten Briefzustellungen,81 die, in der ihr eigenen Binnenkausalität und -dramatik, parasitär und gegebenenfalls katalysatorisch sich an die gegebenen Kausalverhältnisse anheften, die freilich, wo Heimlichkeit Grundbedingung ist, immer im Verdacht stehen, eine entscheidende Wendung herbeizuführen, deren tatsächliche Effektivität aber von Fall zu Fall nachvollzogen werden muss, die oft genug also auf ihren motivischen Wert und die Volte, die sie der Kognition des Lesers abverlangen, zu reduzieren sind. Mit einem ähnlichen, engen Handlungsbezug versehen sind die anderen ›wandernden Gegenstände‹ mit Zeichenwert – das Ohrgehänge Rosindes (CL 196–203), die Strumpfbänder Scintillens (CL 306–334), ihr Portrait (CL 314–334), Lispillens Schnürleib (CL 381– 391); die gegen das elterliche Verbot einige Kreativität aufwendenden Versuche der Kommunikationsaufnahme82 und die anderen Entdeckungen von Untreue.83 Die Liebeshandlungen nach Floramor-Rosinde sind, bei signifikant geringeren Umfängen, stärker gerafft, so als verböte sich die Fortwiederholung in eine erwartungslose Zukunft, da der Verlauf einer Liebeshandlung abgeschlossen und als Syntagma bereitgestellt wurde, dessen Elemente nun paradigmatisch zu variieren seien. Vorgegeben war außerdem die Schwerpunktverlagerung weg von der Werbung. Die Hindernisse werden gewichtiger: die dramatisch schlecht ausgehenden Handlungen können nicht bis zu ihrem ›natürlichen‹ Ende fortentwickelt werden und die komplizierten Kommunikationsaufnahmen verwickeln nicht ›gratis‹ eine an sich problemlose Verständigung, sondern stellen die einzige Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Beziehung dar. In Selimor-Scintille wird mit Leporander ein »Simplicismus-Anverwandte[r]« (CL 335) eingeführt, ein närrischer und ungefährlicher Liebhaber Scintillens, der in einem 79 CL 190: »Indessen aber hatte Floramor, weil er keine Antwort von Rosinden auf sein letzteres erhalten, sich gäntzlich entschlossen sein Zimmer in Rosindens Haus zu quittiren, welches er auch kurtz darauff bewerckstelligte; […].« 80 Die erste Entdeckung Floramors verdankt er dem Briefverlust Siradors auf dem Abort, die zweite gelingt aufgrund einer List im Garten; die dritte, weil Unbeteiligte ihn informieren; die vierte, weil Sirador betrunken selbst ausplaudert. 81 Die Reihe im gesamten Roman ist: CL 28–36, 59–66, 95–99, 139f, 143–148, 163–166, 184–190, 215f, 249–256, 264–273, 380f, 396–398. 82 CL 250, 251–253, 256–262, 262–264, 266f, 396f, 399–406, 406–410. 83 CL 281–283, 377f.

Die Doppelanlage der Haupthandlung im Satyrischen Roman

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kurzweiligen Exkurs (CL 334–350) dem herben Ausgang der Geschichte kontrastiv präludiert. Bei alledem sind konkrete Einzelheiten in beträchtlicher Menge zu sammeln, die nur, weil es die Gelegenheit erfordert, in die Handlung kausal einbezogen werden und zur kausal unabhängigen, rein motivischen Reihenbildung bereitstünden – wo also die Definition des motivischen Elementes ohne Handlungsbezug irgendeiner Art auskäme. Dass dies nicht, oder jedenfalls nicht in kompositorisch signifikanter Weise geschieht; dass die meisten Konkreta auf ihre einmalige Verwendung beschränkt bleiben, die Kontingenz ihrer Nennung nicht durch die Signifikanz ihrer Stelle oder einer übertragenen Bedeutung eingeholt wird, erhöht ihren illusorischen Wert und steigert die Lust an der gelungenen Nachahmung.84

5.6. Die Doppelanlage der Haupthandlung im Satyrischen Roman Die Auffassung von Tyrsates-(Asterie) und Selander-(Arismenia) als gleichrangiger Doppelanlage85 beruht auf einer ergebnislosen Abwägung für einen Vorrang der beiden Reihen je anzuführender Argumente und die Berücksichtigung von Argumenten explizit für eine Koordination. Für einen Vorrang von Tyrsates-(Asterie) spricht: – die Erstnennung Tyrsatens (SR 1, der erste Auftritt Selanders kurz darauf auf der gleichen Seite, die Erstnennung SR 15); – die kausale Abhängigkeit des Handlungszieles von Selander-(Arismenia) von der Einwirkung Tyrsatens (SR 246–249, 255f); – die kompakte Schlussstellung der abschließenden Paarreihe Tyrsates-Asterie im letzten Romanfünftel gegenüber dem Ausdünnen von Selander-Arismenia gerade dort; – der Mitvollzug von Ortswechseln seitens der Erzählung mit Tyrsates (diese ›bleibt‹ mit Tyrsates in Venedig, während Selander schon in Teutschland ist). – Für einen Vorrang von Selander-(Arismenia) spricht: – die größere Textgrenzennähe des Handlungsziels (SR 256; das durch die Heimlichkeit noch leicht geschmälerte Handlungsziel von Tyrsates-(Asterie) schon auf Seite 249f); 84 Am schönsten vielleicht: der in Floramors Stube wohnende Vogel (CL 76, 78f). 85 Zurückgewiesen wird also die Einschätzung Hans Wageners: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 38f, der Tyrsates-Asterie ausdrücklich als Nebenhandlung bezeichnet. Die Behauptung, sie böte kompositionsmäßig dasselbe Bild wie die Renard/ Barsine-Handlung in der Adalie, beruht wohl auf der graphischen Darstellung des unterstellten Kompositionsschemas und den dabei unterlaufenden Unterlassungen und Verkürzungen.

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– der größere Umfang (100 gegen 51 Seiten) und die größere Erstreckung (SR 73–256: 183 Seiten, gegen SR 199–250: 51 Seiten). Explizit für eine Beiordnung spricht, erstens, der gleiche funktionale Bezug zur Freundschaftsreihe der beiden Helden, die, in sich hochdefizitär, ein wechselseitiges Erleben der Liebeshandlung auch des je anderen ermöglicht und am ehesten noch den Einsatz des discours in die histoire und sein Aufhören plausibilisiert. Die Freundschaftsreihe, heißt das, bildet selbst keine kausale Struktur, keine geordnete Abfolge von Handlungsfunktionen aus; die Erlebnisgemeinschaft in Liebesdingen, die in Salaugusta und Umgebung noch durch ein ständiges Beisammensein garantiert und durch Erzählung auf die vorangegangenen Liebeshandlungen ausgeweitet wurde, halten in Venedig regelmäßige Berichte aufrecht,86 nach der Abreise Selanders die briefliche Verständigung und das abermalige, nun allerdings zur gezielten Assistenz herbeigeführte Treffen. Der discours setzt in die histoire mit dem ersten Aufeinandertreffen der Freunde ein (und nicht etwa: mit der ersten Liebeshandlung Selanders) und endet, durch das Schlusswort markiert, anlässlich ihrer wohl endgültigen Trennung. Zweitens zeichnen sich beide Liebespaare durch eine sie gegenüber den anderen Figuren im Sinne eines galanten Verhaltensideales abgrenzende Vorbildhaftigkeit aus,87 die die beiden Freunde gleich zu Beginn aneinander erkennen und die zur Grundlage ihrer Erlebnisgemeinschaft wird.88 Einige weitere Aspekte können in die Bewertung der Anlage einfließen, ohne als Argument für den Vorrang der einen oder anderen Reihe oder für eine Beiordnung direkt zu taugen. Der Roman gibt über seine Helden keinerlei In-

86 »Tyrsates war sein angenehmster Zeit-Vertreib / und wenn sie einander ihre Begebenheiten ausser gewissen geheimen Puncten erzehlten / fand Selander sein Gemüth / wo nicht vollkommen / doch guten theils befriediget.« (SR 122) 87 Vgl. Steigerwald: Galanterie. Die Fabrikation einer natürlichen Ethik der höfischen Gesellschaft (1650–1710). Heidelberg 2011, S. 435, sowie Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock. Vom Späthumanismus zur Frühaufklärung 1570–1740, München 2009 (Geschichte der deutschen Literatur. Hrsg. v. Helmut de Boor / Richard Newald. Bd. 5), S. 583. 88 Vgl. SR 4: »[…] indem [Selander] aus einem geheimen Triebe Tyrsates zu lieben verbunden war / und aus seinem gantzen Wesen schloß / daß sie von einerley Gemüths-Art seyn würden.« – Nur am Rande sei bemerkt, dass die Vermutung im Raume steht, Hunold habe sich in dem Roman »gleich doppelt ins Spiel [gebracht]: nämlich als die beiden Helden Tyrsates und Selander.« Rose: Conduite und Text, S. 144, bezieht sich dabei auf Olaf Simons: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik. Spannendes Erzählen in Menantes’ »Satyrischem Roman«. In: Cornelia Hobohm (Hrsg.): Menantes. Ein Dichterleben zwischen Barock und Aufklärung. Bucha bei Jena 2006, S. 9–49, hier: S. 17. Vgl. auch ders.: Zum Korpus ›galanter‹ Romane zwischen Bohse und Schnabel, Talander und Gisander. In: Günther Dammann, Dirk Sangmeister (Hrsg.): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 2004, S. 1–34, hier: S. 27.

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formationen, die zur Konstruktion einer biographischen Reihe geeignet wären.89 Sie bleiben damit vollständig auf den Liebesbereich verwiesen, ohne doch in diesem von vornherein an eine bestimmte Liebeshandlung gebunden zu sein; der Einsatz des discours markiert gerade die wiedergewonnene Freiheit Selanders zu neuer Bindung. Was oben als Argument für den Vorrang von Selander-(Arismenia) geltend gemacht wurde, der späte Einsatz der Liebeshandlung TyrsatesAsterie, erhält dem Roman bis zu diesem Punkt, über vier Fünftel seiner Erstreckung also, wenigstens einen der Helden als andere Dinge Erlebenden, in welcher Funktion beide Figuren in Sachsen eingeführt worden waren und die Wahrnehmung welcher Funktion erst die Aufnahme anderer, subordinierter Liebeshandlungen garantierte. Nimmt man, wie Olaf Simons, den Funktionswechsel der Helden zum Anhaltspunkt der Unterscheidung zweier »Seiten« des Romans,90 ergibt sich eigentlich eine Dreiteilung nach dem Muster AA (SR 1–73), 89 Die Ortsveränderungen, sofern durch Liebesdinge nicht motiviert, lassen noch am ehesten Auskunft erhoffen: Tyrsates kommt nach Salaugusta, weil er »auf Abendtheur im Lande herum zog« (SR 1); aus Salaugusta möchte Selander wegen seiner unglücklichen LiebesAffaire mit Inconstantia; »Und weil sie das schöne Sachsen schon sattsam gesehen / trieb sie die Neugierigkeit / und die zwischen ihnen gemachte feste Freundschaft / nach Italien zu gehen / und zur Zeit des Carnevals sich der Lustbarkeiten in Venedig zu bedienen.« (SR 66) 90 Vgl. Simons: Marteaus Europa, S. 327: »Der Roman hat noch eine zweite Seite, sie liegt in den Liebes-Geschichten seiner beiden Helden.« Zu den weiteren Einschätzungen: eher eine Asymmetrie konstatiert Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 583: »Den lockeren Rahmen des Romans bildet die Geschichte von Tyrsates und Selander, die sich zu Beginn treffen und über weite Strecken hin ganz in der Art des politischen Romans als Beobachter und Kommentatoren, gelegentlich aber auch als Provokateure fungieren und so den Blick auf meist anzügliche bzw. eindeutige erotische Situationen und Geschichten sowie Beispiele gesellschaftlichen Unvermögens […] richten. Gegenüber der Episodenvielfalt […] vermögen sich die eigenen Liebesgeschichten der Helden kaum durchzusetzen.« Fischer: Ethos, Konvention und Individualisierung. Probleme des galanten Romans in Chr. F. Hunolds Europäischen Höfen und im Satyrischen Roman. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 63 (1989), S. 64–97, hier: S. 92, unterscheidet gar eine »Tyrsateshandlung«, sieht an diese die satirisch negative Dimension des Romans geknüpft, sieht, vor ihr sich auszeichnend, »die empfindsame Liebesgeschichte von Arismena und Selander« alleine als vorbildliches Beispiel. Auch Simons: ebd., betont die größere Komplexität von Selander-Arismenia und sieht – ders.: Zwischen privater Historie und Entscheidung der Poetik, S. 19 – in den Tyrsates gewidmeten Passagen »Auflockerungen inmitten der Berichte von der zum Stillstand kommenden Liebe Selanders.« Der Einsatz von Tyrsates-Asterie bedeute eine Beschleunigung des Erzähltempos. Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer. Romaneskes Erzählen zwischen Thomasius und Wieland. Tübingen 2007, S. 309, hingegen erkennt in der »Geschichte von Tyrsates und Selander« den »Haupthandlungsstrang« und betont, wegen der Vielfalt der Abenteuer und der Rolle der Helden als kritische Kommentatoren, die Nähe zum politischen Roman. Hans Wagener: Vorwort, SR 27*, konstatiert: »Der Roman wird streckenweise zu einer Aneinanderreihung von Fällen, epischen Szenendarstellungen, die Paradigmen für moralische Diskurse werden. Über die kaum mehr erkennbaren Linien der Liebesgeschichten der beiden Freunde Selander und Tyrsates lagert sich so die Kette der ›Fälle‹. Als bestimmendes Strukturprinzip des Romans zeigt sich also die Kettenfolge Situation – Moral; Situation – Moral.« – Diese Einschätzung ist

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AB (SR 73–199), BB (SR 199–256), also: kurz-lang-kurz, für deren annähernd symmetrische Konstruktion beides erforderlich ist, dass Selander in seine Liebeshandlung früh verwickelt wird und dass Tyrsates über längere Zeit freier Beobachter bleibt. Es ist vor diesem Hintergrund vielleicht kein Zufall, dass Selander in der ersten Phase in einer Binnenerzählung von seiner eigenen (SR 27– 35), Tyrsates aber von einer fremden Liebeshandlung berichtet (SR 39–48). Lukas Werner wählt den Satyrischen Roman zur Verdeutlichung eines »offenen Zeithorizontes« als Beispiellektüre und stützt sich dafür auf die utilitaristische Verwendung providentieller Techniken in seiner histoire sowie den ridikülisierenden Aufgriff der Entführung durch Seeräuber, in welchem klassischen Motiv sonst das Wirken des »Verhängnisses« greifbar geworden wäre.91 Tatsächlich bedeutet die kurze Gefangenschaft auf dem türkischen Caper für Tyrsates keine Veränderung seiner geplanten Bewegungen,92 und so bewirkt oder verlängert sie auch keine Trennung von Asterie: was sonst als Öffnung einer narrativen Klammer fungiert hätte, erscheint als lächerlicher Zusatz, der ohne weiteres zu erübrigen gewesen wäre. Entsprechend wirkt der Romaneingang in seiner betont szenischen Gestaltung (SR 1–12) wie ein klassischer medias-in-res Einsatz, in dem der Leser mit der Haupthandlung in einem kritischen Moment konfrontiert zu werden erwartet; Selander aber kommt in dem Augenblick der Konfrontation endgültig über seine beendete, zwar analeptisch dann nachgeholte Liebesgeschichte hinweg, und was im dramatischen Zwiegespräch Fulvias und Castratos als zweiter Haupthandlungskandidat sich gleich anschließend geriert, ist nicht nur – indem nicht er sie, sondern sie ihn verfolgt – von einer drastischen Umkehrung betroffen, es handelt sich auch, im ganzen gesehen, um eine durchaus nebensächliche Handlung, die schon auf Seite 23 weitgehend erledigt ist.93 Beide Male wird ein Motiv der histoire seines kompositorischen nicht zu halten. Sobald Selander und Tyrsates in ihre Liebeshandlungen eintreten, sind sie dort auch dominant gebunden; kaum mehr erkennbar können die Linien dieser Handlungen also nur sein – solange sie noch nicht begonnen haben. Auch folgt auf eine »Situation« durchaus nicht zwangsläufig eine reflektierende Einordnung, eine »Moral«. Steigerwald: Galanterie, S. 450, unterscheidet die beiden finalisierenden Liebeshandlungen nach der Art ihrer Hindernisse: »paarinterne« Hindernisse bei Selander-Arismenia, »äußere Hindernisse« bei Tyrsates-Asterie. Beide Paare verbände und zeichnete aus, dass beider Beziehungen Mittelpunkt die gegenseitig erbrachte und geforderte Hochachtung sei. 91 Vgl. Werner: Erzählte Zeiten, S. 96–99. Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 583, sieht in der letzten Episode eine »phantastische Entführungsgeschichte mit obligaten Seeräuber à la Schelmuffsky«. Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 115, spricht bezogen auf Hunolds Nachahmer Selamintes von einer »schicksallose[n] Gegenwärtigkeit«. 92 Tyrsates wollte nach Ravenna, und er kommt, ohne anderen Halt, nach Ravenna. Dabei war schon in die Nähe der Stadt zu kommen nur durch die Anwendung einer List – nun aber gegenüber Freunden – möglich. Vgl. SR 221–227. 93 Vgl. Steigerwald: Galanterie, S. 444–448.

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Wertes beraubt, der beide Male darin bestanden hatte, durch dem Informationsbedürfnis und dem Vorwärtsdrang des Lesers zugemutete Aufschübe die Haupthandlungsreihe in ihrer integrativen Funktion zu bestätigen. Die mit der dramatischen Szene geweckte Neugier determiniert, bis zu ihrer Befriedigung, mindestens einen Teil der Lesererwartung und das Auseinanderziehen von Wille und Wirklichkeit, das mit der Entführung des Helden einhergeht, erlaubt die Einbringung von Varietät in der Wirklichkeit, ohne seinen Willen als durchlaufende Redundanz und Garantie des guten Endes aufgeben zu müssen. Wenn die Aufklärung beinahe umgehend erfolgt und die Handlung – eine Nebenhandlung! – rasch abgeschlossen wird, wenn die Entführung als zusätzliche Varietät nur – die Entführung bringt,94 sieht sich der Leser schnell wieder im Offenen und muss seine Erwartungen neu ausrichten. Die Operationen, als deren Ergebnis sich die Gesamtanlage des Romans beschreiben lässt, kennzeichnet eine ähnliche Kombination von Beibehaltung und Modifikation, die, vor allem, eine drastische Erweiterung der Anschlussmöglichkeiten, eine größere ›Offenheit‹, eine Zunahme an kompositorischer Kontingenz bewirkt. Die zur Anwendung gebrachten Verfahren lassen sich dabei nicht linear auseinander entwickeln, insofern darf die Reihenfolge ihrer Besprechung als zufällig gelten. Was liegt vor? Der Typ Handlungsreihe: »x kommt zu einer Frau«, der vor Eintritt in die finalisierende Liebeshandlung mit der zukünftigen Gattin vorläufige andere Liebeshandlungen oder die Wahrnehmung einer mehr beobachtenden Funktion ermöglicht, wird als einheitsbezogene Haupthandlungsreihe dupliziert. Das Verhältnis der beiden entstandenen Reihen regeln mehrere Verfahren, die sonst ein hierarchisches Verhältnis zweier Handlungsreihen etablieren, deren entsprechende Wirkungen sich aber, in diesem Falle, dank ihrer Kombinationen weitgehend aufheben. Gesucht wird also nicht ein betont symmetrisches Verhältnis, die möglichst genaue Kopie, die ja, entgegen der Absicht, die Beobachtung rangmäßiger Unterschiede gerade forcieren müsste; so erscheinen die finalisierenden Liebeshandlungen inhaltlich in komplementärem Kontrast.95 Symmetrie, um dabei zu bleiben, zeichnet sich, umgekehrt, und ganz charakteristisch, gerade durch die Stellendifferenz desselben Vorganges, des Eintritts in die finalisierende Liebeshandlung, auf einer übergeordneten Ebene ab.

94 Werner: Erzählte Zeiten, S. 97, formuliert: »Fungiert die Schifffahrt (samt Schiffbruch und Piratenüberfall) in der Tradition des Heliodor’schen Romans als funktionales Verzögerungsmoment der Handlung, das aber dennoch letztlich die Verbindung der beiden Liebenden nicht verhindert, so ist sie in Hunolds Roman nur als ironischer Reflex auf diese Tradition samt ihrer geschlossenen Handlungsstruktur präsent.« 95 Vgl. Fischer: Ethos, Konvention und Individualität, S. 95f.

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Der Paradoxie eines verdoppelten Einheitsbezuges hilft nun die Bildung einer Reihe ab, die, selber substanzlos, über die Verbindung beider Helden konstituiert wird. Durch ihr Zustandekommen und ihr voraussichtlich endgültiges Ende werden Einsatz und Abschluss des discours motiviert – am Anfang – und zusätzlich motiviert – am Ende –, und also im Lichte nur eines Gesichtspunktes. Zugleich finden die Einzelbeobachtungen der Helden, solange sie noch nicht selbst Akteure sind, in ihrer Freundschaft ein gemeinsames Medium, das eine Zurechnung der Erlebnisse auf die eine oder andere der duplizierten Handlungsreihen weitgehend verbietet. Die Abhängigkeit der letzten Trennung beider von der Hochzeit des einen und, wie gesagt, der Mangel an eigener, nur der Freundschaftsreihe zuzurechnender Handlung,96 stutzt die Reihe, trotz des unmittelbaren Textgrenzenbezuges und ihrer im Roman permanenten Latenz, auf die beschriebenen Assistenzfunktionen zurück. Die Beobachtung der galanten Helden richtet sich wertend auf eine Form sozialer Praxis, in der sie selbst exzellieren, und die im Liebesbereich vorzüglich, aber nicht ausschließlich anschaulich wird: der Gegenstand der Aufmerksamkeit unterschreitet den Rahmen der gängigen Liebeshandlung insofern, als für eine Beurteilung des Einzelverhaltens ihr Ende nicht abgewartet werden muss, und er überschreitet ihn insofern, als er, marginal, das Verhalten auch in anderen Handlungsbereichen umfasst. Diese inhaltliche Fokussierung auf Einzelsituationen, die einen elaborierteren, kausalen Kontext erübrigen können, bewirkt offenbar, ansonsten, die Wahrnehmung nur eines »Dickicht der Handlungsverläufe«, das sich aber entwirren lasse, wenn der Blick von vornherein sich auf ein Muster einstelle, »das aus dem situativen Zusammenspiel von Neugier, Beobachtung und Handlung besteht«97 – eine übergeordnete strukturelle Ebene also gar nicht erst zu rekonstruieren sich bemüht.98 Beinahe alle ›Episoden‹ aber lassen sich Handlungsreihen dann doch zuordnen, die als subordinierte Multiplikate der beiden Haupthandlungsreihen gelten müssen: dies garantieren ihre an zwei Stellen akkumulierten (SR 64–66, 243f), ihre als Handlungsziel geeigneten Abschlüsse;99 und die davon ausgenommenen, ›losen‹ Episoden werden durch exzeptionelle Aufenthalte gebündelt, also von der übrigen Handlung 96 Vgl. Steigerwald: Galanterie, S. 442: »Die Handlung des Romans konzentriert sich […] weniger auf die beiden männlichen Protagonisten, die beiden ›galants hommes‹ Tyrsates und Selander, als vielmehr auf deren Suche nach einer adäquaten Partnerin, einer ›femme galante‹ für die gemeinsame Liebesbeziehung in der Ehe. Die beiden männlichen Protagonisten stellen erst mit ihren beiden weiblichen Partnern jenes Ideal der ›verliebten und galanten Welt‹ dar, das sich der Satiriker herauszustellen vornimmt, wofür er allerdings erst alle Defigurationen ausschließen muss.« 97 Steigerwald: Galanterie, S. 445. 98 Ähnlich die Einschätzung Wageners: Vorwort, SR S. 27*: »Als bestimmendes Strukturprinzip des Romans zeigt sich also die Kettenfolge Situation – Moral; Situation – Moral.« 99 Heirat im Kindbett (SR 250), Schande (SR 34, 65f, 243f, 140f), Kloster (SR 244), Tod (SR 145).

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deutlich abgesetzt.100 Gegenüber der Forschung war dies festzuhalten und zu betonen; richtig ist, wenn nur die Referenz geklärt wird, ihr Befund aber auch: als unterschiedliche, und unterschiedlich defizitäre oder gelungene Manifestationen galanten Verhaltens sind die Einzelsituationen mit einer charakteristischen Binnenstruktur und im Verhältnis der Beiordnung aneinandergereiht; und die mitunter drastische Absonderung der gerafften Handlungsabschlüsse lässt, für die szenische Gestaltung der Situationen, einer Selektivität freies Spiel, die nicht mehr Liebeshandlungen insgesamt variiert, sondern Verhalten in Szenen. Gebildet werden so die Komplemente zur beobachtenden und beurteilenden Funktion der Helden in ihrer passiven Phase;101 und die größere Varietät, die in den Liebeshandlungen dadurch entsteht, dass die Handlung nicht fortlaufend im Zusammenhang dargeboten, sondern aus szenischen Einzelsituationen und gerafftem Ausgang spröde zusammengesetzt wird, erschwert eine eindeutige Bestimmung ihrer binnenhierarchischen Verhältnisse. Wenn so auf der Spitzenebene durch die Doppelung der einheitsbezogenen Handlungsreihe und auf der Ebene der weiteren Multiplikate durch die situations- und verhaltensmodellbezogene Selektivität eine hierarchische Ordnung unterlaufen, jedenfalls mehr Varietät hierarchieindifferent aufnahmefähig wird, dann scheint die unmissverständliche Hierarchisierung des Verhältnisses dieser beiden Ebenen gerade dafür die Voraussetzung zu sein. Sie garantiert nicht nur die Verhältnisse auf der Ebene des discours – der Einschluss, die Differenzen in Umfang und Erstreckung –, sondern, doppelt, entsprechend des beschriebenen Auseinanderfallens der Multiplikate, Verhältnisse der Ebene der histoire: situationsbezogen in der überlegenen Beobachterposition der Helden; handlungsbezogen in dem nur ihren finalisierenden Liebeshandlungen vergönnten guten Ausgang.

100 Der Wirtshausaufenthalt in Lindenfeld (SR 49–65), der funktional latent auf die Reihe Selander-Arismenia bezogene Aufenthalt Selanders auf dem Landschloss (SR 158–178); eigentlich hinzuzufügen wäre noch die Entführung Tyrsatens durch die Seeräuber, die, wie gesagt, in der Reihe Tyrsates-Arismenia fast ohne kausale Relationen bleibt. 101 Steigerwald: Galanterie, S. 445, Anm. 182, wendet richtigerweise gegen Wagener ein, »daß die beiden Protagonisten zwar nicht immer Akteure, aber stets Aktanten der Handlung sind. Gerade diese Position erlaubt es ihnen allererst, die ideale von der verstellten bzw. unverständigen sozialen Praxis zu trennen, indem Letztere von den vorbildlichen Repräsentanten der Galanterie vorgeführt wird.«

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5.7. Motivische Dominanz der Geselligkeit im Adelphico Gesellige Versammlungen gewinnen durch ihre erhöhte und regelmäßige Frequenz in den Romanen Welt, Student und Adelphico gegenüber den Liebeshandlungen, denen sie eine szenische Vorlage bieten, eine gewisse Unabhängigkeit. Die Reihen sind oben notiert.102 Mit Abstand am differenziertesten und unabhängigsten ist die mit einer hohen Erstreckung und übersichtlichen Stellengruppierung ausgestattete103 Reihe im Adelphico. Sämtliche Versammlungen sind in die dadurch übergeordnete, oben ebenfalls ausgewiesene Besuchsreihe eingebettet: d. h. der Aufenthalt eines Besuchers oder einer Besuchsgruppe gliedert sich in unterschiedliche Gelegenheiten geselligen Beisammenseins. Deren Abfolge wird durch den Ablauf des Tages bestimmt, und produziert, auf der anderen Seite, von geselligen Formen befreite Zeitabschnitte. Die ausführlichsten Durchgänge durch mehrere Formen der Geselligkeit über mehrere Tageszeiten hinweg gibt es im Rahmen der Besuche auf den Seiten AP 3–31 und 51–96. Im ersten Fall über eineinhalb Tage mit der Abfolge:

102 In der Welt erstreckt sich die Reihe einigermaßen regelmäßig und in recht hoher Frequenz über den gesamten discours – die Intervalle sind 1, 14, 0, 17, 1, 0, 1, 4, 8, 12, 6, 16, 0, 3, 4, 1, 5, 41, 1, 4, 10, 1, 35, 26, 2, 2, 4, 8, 11, 6, 38, 0. Verzeichnet werden 11 Compagnien, darunter zweimal eine Zusammenfassung mehrerer Compagnien, einmal eine Compagnie in Verbindung mit Schlittenfahrten und Comoedien; 5 Spaziergänge/ritte; 3 Hoffeste; jeweils 2 Begräbnisse und Hochzeiten; und je einmal: Mahlzeit, Oper, Valet-Schmaus, Bankett, Personenzusammenführung, Tee, Gartencompagnie, Maskenball. An Abfolgen gibt es: Mahlzeit – Spaziergang (VW I/17–19); Compagnie – Nachtruhe; gemeinsamer Ritt zum Ort des Hoffestes – Nachtruhe; Hoffest – Oper – Nachtruhe; freier Vormittag – Spazierritt (VW I/36–54); Compagnie – Spaziergang (VW I/112–124). Die einzige wirklich ausgedehnte Abfolge markiert den Beginn des Salamoenischen Aufenthaltes Heraldos. Die übrigen Versammlungen sind isolierte Kontexte von Funktionen der Liebeshandlungen: erlaubend allerdings, durch das Zusammenbringen vieler Figuren, eine Synchronisation der einzelnen Liebeshandlungen. Die Versammlungsreihe des Studenten setzt etwas verzögert ein, ist aber dann recht regelmäßig und mit beinahe unmittelbarem Anschluss an den Schluss des Romans. Verzeichnet werden: 3 Gartenpartien und Bälle, 2 Hochzeiten, jeweils einmal: Nachtschwärmerei, Mittagessen und Kartenspiel, Compagnie/Novellenrunde, Redoutenspiele, Spazierritt. Besonders hervorzuheben ist das Eröffnungselement, die Hochzeit, zu der Infortunio und Rosander nach Abschluss der ersten Erzählung Infortunios gehen, und zwar aufgrund der peripheren Stellung, die sie auf dem Fest durchgehend einnehmen. Das Hochzeitspaar selbst wird nicht genannt, noch tritt es in Erscheinung; eingelassen werden sie, in improvisiertem Habit, nur dank der zufälligen Fürsprache Sepitias und Schauplatz der in der kleineren Gesellschaft Rosanders, Sepitias, Ernestinas, Debosus und Infortunios sich ergebenden Verwicklungen ist die Galerie, auf der man sich vom Tanzen ausruht. 103 Die Intervalle sind: 5, 0, 5, 3, 0, 0, 0, 31, 0, 1, 0, 0, 3, 5, 0, 4, 0, 14, 2, 21 – das heißt es gibt zwei lange Folgen, von einem großen Intervall getrennt; und dann drei vereinzeltere Elemente.

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Abendmahlzeit – Aufteilung der Compagnie: Maarstall und Spaziergang im Garten – Nachtruhe; freier Morgen/Vormittag – Spazierfahrt – Mittagessen – Aufteilung der Compagnie: Spazierritt und Al’Ombre-Spiel – Abendmahlzeit – Ball – Nachtruhe; Frühstück. Im zweiten Fall über einen Tag mit der Abfolge: freie Zeit – Treffen auf dem Zimmer – Spaziergang im Garten – Musizieren auf dem Zimmer – Abendmahlzeit – Ball – Nachtruhe; freier Morgen – Frühstück. Eine dritte, jetzt an den besonderen Anlass der Kirchweih und den dortigen Besuch (AP 101–114) gebundene Abfolge, bieten die Versammlungselemente 13– 16 (AP 101–108, 112f) über zwei Tage: Empfang – freie Zeit – Abendmahlzeit – Ball – Nachtruhe; freier Morgen – Lustwandeln – Tanzen – Nachtruhe; Abschied.104 Die Unterschiede der Abfolgen sind durch die Art der Besuche bedingt: in der ersten Abfolge findet der Besuch in erster Linie auf der Ebene der Elterngeneration statt, in der zweiten Abfolge ausschließlich auf der Ebene der jüngeren: die Aufenthalte in Adelphicos Studierstube und der Spaziergang im Garten sind daher kaum formalisiert und erst gegen den Abend begibt man sich in die Gesellschaft auch der älteren Herrschaften. Die Lustbarkeiten der Kirchweih werden wieder von den älteren Gastgebern stärker choreographiert, der Schwerpunkt liegt aber auf dem Tanz. Einige Versammlungsarten sehen Paarbildungen der Figuren vor und eine Versammlungsart (Promenade) erlaubt eine Lockerung der reziproken Wahrnehmung, also die Separierung von Paaren oder einzelnen Figuren von der Gruppe, ohne dass die gemeinsame Tätigkeit als solche dadurch aufgehoben würde. Entscheidend ist nun, zu ihrer Bewertung, die Stellung der Motivreihe zur Handlung. Ähnlich, wie im Satyrischen Roman die Freundschaft zwischen Tyrsates und Selander, erhält die biographische bzw. die Ausbildungsreihe des Titelhelden, eingefasst noch einmal in eine genealogische Perspektive, dank ihrer Textgrenzennähe und ihrer durchgängigen Latenz eine rahmende, integrierende Funktion:105 Thema des Romans, so könnte man von dorther formulieren, ist, bei 104 Vgl., für eine solche Abfolge im Närrischen und doch beliebten Cupido Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 113f. 105 Bestehend aus Geburt, Erziehung durch den Hofmeister, Tanz-, Reit-, Fechtunterricht (AP 1–3), die Studien in Petralto, also in der Schule (AP 99) und zu Hause (AP 49), den Besuch des Gymnasiums in Grabome (AP 99) und der Akademie in Gnizepalto (AP 133–142), der Heirat (AP 147), der Geburt eines Sohnes (AP 152). Dass an Adelphico das Fortbestehen des »uhralten Geschlechte« (AP 1) hängt, wird eingangs hervorgehoben. Der Ausblick auf die

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letztlich erreichtem Liebesglück, die gelingende Vermeidung einer Behinderung der Ausbildung durch die Liebe:106 es gilt eine Zeitspanne zu überbrücken, innerhalb derer die vorzeitige Beendigung der Ausbildung durch eine Heirat prinzipiell bereits möglich, und durch die in der Ausbildung schon erlangten Qualitäten auch wahrscheinlich gemacht worden ist (AP 3), aber doch zu einer Verfehlung des Ausbildungszieles führen müsste. Dieser Gesichtspunkt konnte oben (Kap. 3.1) für eine hierarchische Gliederung der subordinierten Liebeshandlungen geltend gemacht werden; und seine Spitzenstellung kann Adelphico in dieser Hinsicht, abgesehen von seinem geduldigen Durchharren der Studienjahre mit Irenie, wesentlich dadurch behaupten, dass er die drohende Behinderung seiner Ausbildung durch Amoene und Statterie selbständig, ohne Ermahnung von außen, abzuwenden versteht.107 Ihre spezifische Herrschaft über den discours erhält die Reihe geselliger Zusammenkünfte in den ersten beiden Romandritteln dank dieser Verhältnisse: geschildert werden Vorgänge, die zunächst harmlose, durchaus vorgesehene Unterbrechungen einer selbst nicht geschilderten, in ihren Anforderungen undefinierten Haupttätigkeit108 darstellen, und doch mit Blick auf die relevante, kausale Struktur der Ausbildungsreihe potenzielle Hindernisse: in dem familiär gegenwärtige, gute Stellung des Sohnes (AP 152) setzt die gesamte Adelphico-Handlung, als ihre Voraussetzung, noch einmal in den genealogischen Zusammenhang. – Josef Erhard und Adolf Haslinger: Wer ist Melisso, der Autor des »Adelphico«? Zur Verfasserfrage und zum Gattungsproblem eines galanten Romans. In: Gerhart Hoffmeister (Hrsg.): Europäische Tradition und deutscher Literaturbarock. Internationale Beiträge zum Problem von Überlieferung und Umgestaltung. Bern, München 1973, S. 449–469, hier: S. 450, sondern den Romanbeginn als »übliche Form einer hierarchischen Huldigung« von der, laut ihnen, danach erst anhebenden Handlung ab. Allerdings sehen sie in dem genealogischen Interesse des alten Adelphico an einem Nachkommen die dann doch etwas verfrühte Beendigung des Studiums begründet (ebd., S. 452). Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 282f, notiert die Stationen der Ausbildung durchaus, stellt aber einen kausalen Zusammenhang nur zur letzten Liebesbeziehung mit Irenie her. 106 In den polemisch gefärbten Worten bei Simons: Marteaus Europa, S. 325: »Der Franke von ländlichem Adel zieht mehrerer Damen Augen auf sich, studiert indes brav, bevor er sich wirklich bindet.« 107 Vgl. AP 36: »Seine Studie liebte er viel zu sehr / daß er solche mit einem Sclavischen Wesen vertauschen solte. Derowegen resolvirte er sich / Amoenens Verlangen rund abzuschlagen […].« Und AP 92: »denn der geneigte Leser muß wissen / daß / nachdem Statterie aus Adelphico Augen / er sie auch zugleich aus seinem Hertzen verbannet / und seine Studia, welche er viel zu sehr liebte / continuirte.« Richtig ist aber auch, dass Amoene und Statterie sich durch ihre Zudringlichkeit als ideale Partnerinnen selber disqualifizieren, der Verlauf dieser Liebeshandlungen also auch ohne Bezug auf die Ausbildungshandlung hinreichend begründet werden kann. 108 Vgl., immerhin, AP 46: »Diesen [Adelphico] finden wir nun nirgend anders als in seinem Studier-Cabinet, er liebte die Einsamkeit und seine Bücher / welche sein meister Zeitvertreib waren. Und so ihn dünckete des Studierens überdrüssig zu seyn / ergötzete er sich mit einem Spatzier-Gang in Wald.«

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veranlassten,109 und von dorther verpflichtenden geselligen Umgang ergeben sich zweimal erotische Spielräume, die bis zu einem gewissen Punkte von dem Helden ohne Gefahr ausgereizt werden können und ausgereizt werden. Nicht nur jedoch wird es sich bei den in dem geselligen Rahmen angeknüpften Liebesbeziehungen de facto um nur latente Hindernisse der Ausbildung gehandelt haben, auch die Entscheidung darüber fällt in der den Besuchen nachgeschalteten brieflichen Kommunikation (AP 33–38, 97–99).110 Die entsprechende Alternanz war oben (Kap. 2.4.6) bereits, unter den einheitsbezogenen Reihen, als Wechsel von Phasen chronologischer Transparenz und dominant szenischen Erzählens (AP 3–31, 51– 92) und Phasen lokaler Flexibilität und zeitlich unbestimmter Raffungen (AP 31– 51, 92–99) registriert worden,111 die, als bestimmendes Muster, im dritten Romandrittel ihre Verbindlichkeit verlor. Und auch die Unterscheidung, innerhalb der Bewegungsreihe Adelphicos, einer bis Seite 99 unbewegten, also Petralto als einzigen Aufenthaltsort führenden, und einer bewegten Phase konnte assoziiert werden. Nur Möglichkeiten also ergeben sich während der beiden Besuche und im geselligen Kontext mehr Paarungen, als tatsächlich zu Liebeshandlungen ausbuchstabiert werden.112 Unter solchen Voraussetzungen bietet es sich in der Tat an, die Erzählung weitgehend an der eigenständigen Abfolge der Geselligkeiten auszurichten, die Auswahl dessen, was erzählt wird, also von später erst oder gar nicht aktualisierten kausalen Zusammenhängen zu entkoppeln. Die Einfügung der Erzählung Fermonts von seiner Affaire mit der untreuen Helene, indem sie diese anders geartete, bündig zur Entscheidung gebrachte Liebeshandlung mit einem Ebenenunterschied markiert lässt, bedeutet noch keine Verletzung der bisher beobachteten Hygiene, ja bestätigt sie noch, wenn 109 »Der alte Herr von Berckano,nebst seiner Frau Gemahlin und Fräulein Tochter Amoene, besuchten einsmals den alten Herrn von Adelphico, da ihnen denn dieser junge Herr [Adelphico] auch sein Bewillkommungs-Compliment machte / und es mit einer dermassen geschickten Manier vorbrachte / daß Berckano ihne mit nicht geringer Verwunderung ansahe.« (AP 3f) Die zweite Besuchsgruppe besteht zunächst aus Laurinde, der Base Adelphicos, ihrem Bruder Sarpaco und Statterie: besucht wird Aspasie, die Schwester Adelphicos (AP 51). 110 Und zwar nicht nur, was Adelphicos Affairen, sondern auch, was die übrigen Liebeshandlungen zwischen Cassandre, Aspasie, Feraldo und Amoene betrifft. Feraldo verliebt sich noch auf Petralto in Amoene, geht aber erst abgereist aus der Deckung (AP 29f). CassandreAspasie, die sonst einzig sich glücklich fügende Verbindung, wird gerade in ihrem Beginnen stark gerafft und jedes möglichen Hindernisses ab ovo beraubt (AP 30). Auch während des zweiten Besuches passiert zwischen den beiden nichts Entscheidendes. 111 Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso, S. 451, registrieren, rein handlungsbasiert, als »erotischgalante[s] Zwischenspiel« nur die nun ausschließlich Cassandre und Aspasie gewidmete Passage der Seiten AP 46–51. 112 Gepaart werden auch Adelphico und Frau von Berckano, Arminde und Sarpaco, Laurinde und Berdert. Vgl. vor allem die Überlegungen Laurindends bei der Ankunft Fermonts (AP 69f).

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dieser abgeschlossenen Geschichte, deren Erzählung keines der latenten Verhältnisse zur Entscheidung drängen dürfte,113 über zwanzig Seiten hinweg und zum Beschluss des Besuches das Wort gelassen wird. Selbst Niptscho-Leffume, obwohl die Raffungen schon anders eingesetzt werden und Adelphico mobil geworden ist, folgt insofern noch dem etablierten Muster, als die entscheidenden Handlungsfunktionen der Verlobung, der Verhinderung und Trennung (AP 114–118) der Schilderung der lustigen Kirchweih in Bafchull (AP 100–114) nachgeordnet werden. Der Einsatz der gleich zu Beginn vom Erzähler entsprechend markierten,114 finalisierenden Liebeshandlung Adelphico-Irenie hingegen bedeutet in der kausalen Struktur eine Umwälzung. Wo immer jetzt im Sinne der ersten hundert Seiten umständlich erzählt wird, ergibt sich mit der den Helden involvierenden Handlung kein gleichschwebendes Verhältnis hier und da akkumulierter Latenzen mehr, sondern die Nebensächlichkeiten, so es welche sind und bleiben, geraten zu der effektiven, die Erwartung des baldigen Romanendes nun sicher dirigierenden Haupthandlung in Kontrast. Deren kausale Struktur wird kein Interesse, geschweige denn Spannung erzeugen: der unproblematischen Abfolge der das Handlungsziel bewirkenden Handlungsfunktionen sind drei Bedingungen beigegeben, die ohne Schwierigkeiten alle erfüllt werden.115 Unnötig, vor diesem Hintergrund, sind die Wiederholung und Staffelung der Liebeserklä-

113 Immerhin gibt es ein stummes à part zwischen Cassandre und Aspasie, das aber, bezeichnenderweise, als definiter Fortschritt in ihrer Beziehung gerade nicht, sondern allenfalls als redundante Bestätigung des schon Erreichten einzuordnen ist: »Bey diesen Worten sahe Aspasie Cassandern an / und wolte ihm durch diesen Blick zu verstehen geben / daß er auch als ein streitender Liebhaber ihre Freyheit geraubet / mit welcher er nicht allein ihr Hertz / sondern alle Vergnügung zu sich gezogen.« (AP 77) 114 Der Einsatz auf Ebene der histoire wird quasi-analeptisch nachgetragen: »Adelphico war hingegen in seiner Liebe mit Fräulein Irenien weit glücklicher / denn er den rechten Zweck immerwährender Vergnügung erlanget. Daß aber der geneigte Leser auch wisse / wie er mit dieser Fräulein bekannt worden / welche er doch die Zeit seines Lebens nicht gekannt / so wisse er / daß Musano hierinnen abermals meistens der Urheber dieser unzertrennlichen Liebe war.« 115 Die vollständige Reihe ihrer Handlungsfunktionen sähe etwa so aus: (erste Trennungsphase, AP 118–122) Verlieben bei Irenie (119), Verlieben bei Adelphico (121), (erstes Treffen in Piscirivo, 122–128), Werbung Adelphico (122), Bemerken von Irenies Liebe bei Adelphico (123), Geständnis Adelphico (123f), Geständnis Irenie (127), (zweite Trennungsphase, 128f), (Treffen in Petralto, 129–131), Verlobung (130f), Formulierung der Bedingung zweijährigen Wartens (130), (dritte Trennungsphase, 132–146), Bestätigung der Liebe bei Irenie (136), Bestätigung der Liebe bei Adelphico (137), erste Terminierung der Hochzeit (137), Formulierung der Bedingung der Einwilligung von Adelphicos Eltern (137), Formulierung der Bedingung der Einwilligung von Irenies Vater( 138f), Erfüllung der Bedingung zweijährigen Wartens (142), Erfüllung der Bedingung von der Einwilligung von Adelphicos Eltern (142, 146), zweite Terminierung der Hochzeit (146), (Treffen auf der Hochzeit Aspasiens, 146f), (vierte Trennungsphase, 147), (Treffen zur Hochzeit, 147), Hochzeit (147–152).

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rungen bis zur Verlobung und der darin eingearbeitete Ortswechsel;116 vor allem aber die Irenies Schwägerin als neue Figur mitbemühende ›Intrige‹ um die Einwilligung von Adelphicos Vater (AP 141–146). Alle weiteren Umständlichkeiten – etwa das nette Saufduell zwischen Musano und Golloredo;117 die mitvermittelnde Schwester Musanos Laurette, auch Kammermädchen Irenies;118 die Manöver des Entgegenreitens und Empfangens;119 die namentliche Identifikation der Briefboten120 – heften sich an die Folge der Handlungsfunktionen an, ohne eigene Abfolgelogik also und ohne bestimmte Zuweisung zu einer Phase der Hauptliebeshandlung. Diese unprofilierte Übernahme des motivischen Materials und örtlichen Zuschnittes der ersten beiden Romandrittel zerstört letztlich das air, das sie dort gewonnen hatten. Überzeugender wären etwa zwei Zuordnungen gewesen: der akademische Aufenthalt Adelphicos in Gnizepalto hätte, bei extremer Verknappung der Werbung um Irenie und der Hochzeit, zur Einrichtung eines motivischen Gegengewichts zu dem Bereich des Landschlosses und seiner Umgebung dienen können: der Wegfall familiärer Disziplinierung, die größere Freiheit der Studentenschaft wäre aufgewogen worden durch die größere Zurückhaltung des Irenie treu bleibenden Helden; der größere Raum, den die Liebeshändel der Mitstudenten einnähmen durch die größere Erwartungssicherheit, die mit der entschiedeneren Bindung des Helden nun nicht mehr nur an eine diffuse Ausbildungs-, sondern eine aktuelle Liebeshandlung einherginge; stattdessen bleiben Gnizepalto und das zweijährige Studium ohne eigene Substanz.121 Denkbar wäre zweitens, wieder unter Voraussetzung einer Verknappung des problemlosen Parcours der Liebenden, die umständliche Schilderung der Hochzeitsfeierlichkeiten gewesen: hier, am Handlungsziel, wäre der Kontrast von Haupt116 117 118 119 120

AP 123–125, 126f, 130f. AP 127f. AP 118f, 126–128. AP 129, 146f. AP 138. Irenies Brief erhält Adelphico von dem »Ordinaire-Bothe von Gnizepalto nach der berühmten Norilte« (AP 136). – Vgl. auch Erhard / Haslinger: Wer ist Melisso, die bemerken, dass einige Details kompositorisch unmotiviert, also nur als Übernahme der realen Vorlage zu erklären seien: »Drei Studienkollegen Adelphicos werden fast pedantisch mit Namen genannt, denn ihnen eignet innerhalb des Romans keinerlei kompositorische oder handlungsmäßige Funktion: […].« (Ebd., S. 454). 121 Es bleibt bei einer summarischen Schilderung der erzählerisch verschmähten Gelegenheit: genannt werden sein erfolgreiches Studieren, die Wahl von treuen Freunden, der Spracherwerb, die Furchtlosigkeit vor und in Duellen, die vorüberziehenden Möglichkeiten, »sein Hertz andern Schönheiten zu verschencken« (AP 134). Raum erhält nur eine unwahrscheinliche Szenenfolge, in der, gedrängt, Adelphico, »in den süssesten Betrachtungen dieses Englischen Fräuleins begriffen« (AP 134) eine Cantate singt, gleich darauf einen Brief von demselben erhält und beantwortet – mit welcher Antwort auch der Erzähler Adelphico verlässt (AP 134–137), und auch, wozu die Gegenantwort Irenies ausdrücklich Anlass geboten hätte, nicht wieder aufsucht (AP 139).

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handlung und Nebensachen bereits aufgehoben worden; jene hätte ihre Funktion, zum Ende des discours zu leiten, bündig und elegant erfüllt und könnte sie nun, für die letzten Seiten, problemlos an diese, an einen nicht minder erwartungssicheren Festablauf dirigieren. Tatsächlich bleibt es bei einer metaphorisch ummantelten Feststellung ihrer Vermählung (AP 147) – tatsächlich kann das angehängte »Carmine« (AP 148) Musanos als solch ein spannungsloses Auslaufen des discours verstanden werden.122 Diese Analyse ist an die Kontroverse, die sich in der Forschung um den Roman entwickelt hat, nur bedingt anschlussfähig: der Komödienroman, als dessen herausgehobenen Vertreter Singer den Adelphico sieht,123 hat sich als Gattungsbegriff nicht durchsetzen können;124 dass es sich um einen Schlüsseltext handelt, kann nicht, dass es sich um »langweilige[n] Mißbrauch der Erwartungshaltung, mit der man einen Roman urbanen Sujets kaufte«,125 handelt, braucht nicht bestritten zu werden. Die These Gelzers, zu beobachten sei die ausgewogene, zu einer »nivellierenden Erzählweise«126 führende Kombination eines galant-höfischen und eines galant-akademischen Erzählmodelles, hängt an der Plausibilität seiner anhand eines viel größeren Korpus gebildeten Typologie, die hier nicht bewertet werden muss.127 122 Wie man es machen kann, zeigt auch der gallische Aufenthalt Gustavens in den Europäischen Höfen: auch hier wird die erste Hälfte durch die einmalige Wiederholung eines Rhythmus von geselliger Versammlung und Vereinzelung geprägt, auch hier gibt es eine Zäsur durch eine Analepse (die Geschichte König Silvios); dann aber wird der zeitliche Bezug radikal umgestellt und es gibt keine weiteren geselligen Versammlungen mehr. 123 Vgl. Singer: Der galante Roman. Stuttgart 1961, S. 58f, und ders.: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 116–119. Auch Erhard und Haslinger: Wer ist Melisso, S. 464f, bestätigen, trotz der Entschlüsselung, das Urteil Singers in der Substanz: nur weil der Autor »literarische Bewußtheit und literarische Bildung« aufwies, konnte der Roman, also trotz des Schlüsselcharakters, »zum Muster der heiteren, problemlosen Gattung des Komödienromans werden. Die biographische Grundlage der Fiktion ist so stilisiert, daß Realismus und Rokoko zu einem homogenen Sprachwerk besonderer Eigenart sich verbinden.« 124 Vgl. Rose: Conduite und Text, S. 154f. Auch Singers Ansicht, es zeigten sich Tendenzen der Verbürgerlichung, kann mit Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 284f, zurückgewiesen werden. 125 Simons: Marteaus Europa, S. 325. 126 Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 285. 127 Die Zuordnungen einzelner Aspekte des Romans zu beiden Modellen sind nicht ganz eindeutig. Aufgrund des Schlüsselcharakters vorauszusetzen sei die Grundlage des Handlungsgerüstes. Die histoire werde – nur dort finde sich die Lizenz zu wechselnden Liebesbeziehungen – »gemäß einem galant-akademischen Erzählmodell vorgetragen« (Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer, S. 284). Dann heißt es: »[d]iese ›Liebes-Intriguen‹ werden jedoch – und dies ist entscheidend – nach höfisch-barocken Konventionen erzählt: […].« (Ebd.) Hierfür kennzeichnend seien die landadlige Sphäre, die barocke Bildlichkeit insbesondere bei den eingelegten Liedern und Arien, die moralischen Kommentare. Noch ein Anlauf: »Eine Kette mehr oder weniger problematischer Liebesbeziehungen, hier mit historischem Hintergrund, werden also gemäß galant-höfischen Erzählkonventionen in einen ›romanesken‹ Zusammenhang gebracht.« (Ebd.) Was genau ist mit diesem »Zusam-

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Am treffendsten in ihrer Anmutung als Witze ohne Pointe sind vielleicht die Zusammenfassungen dreier Liebeshandlungen in dem Realienband Singers;128 zu einer differenzierteren, das Bild der Vollkommenheit und Rundheit etwas relativierenden Einschätzung vor allem der stilistischen Ebene kommt er aber in seiner ausführlicheren Studie.129 Charakteristisch ist, in der Darstellung, die Trennung des Referats der Handlung von einer allgemeinen Schilderung des »stets«, »immerzu«, »immer wieder«, »jederzeit«130 geltenden und sich ereignenden, in welchem Verfahren freilich die kompositorische, weitgehend handlungsbezogene Ermöglichung der evozierten, heiter-unverbindlichen Atmosphäre, wie sie oben für die ersten beiden Romandrittel beschrieben wurde, nicht berücksichtigt werden kann. Mit Blick auf das hier behandelte Korpus fällt, im Sinne vielleicht der These Gelzers einer spezifischen kombinatorischen Leistung, auf, dass die Liebes-Aversion, die Helden wie Gustavus,131 Tyridates132 und Rosantes133 aus dem erotischen Feld heraushielt, bis die zukünftige Partnerin sich gerade im Bezwingen dieses Widerstandes als ›passende‹, ideale Frau erwies, verbunden wird mit dem sich unverbindlich auf eine erotische Begegnung Einlassen, das schon in ihrer finalisierenden Liebeshandlung gebundenen Figuren – etwa Gustavus,134 Renard135 – zugestanden wird. Der Ausbildungsgang als latent bedrohter wirkt als kausales Moment schwächer als die Treueprobe eines schon geknüpften, den Roman insgesamt finalisierenden Liebesverhältnisses – gerade darin aber mag die besondere, ›nivellierende‹, Elemente der Handlung und

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menhang« gemeint? »Die Konventionen des galant-akademischen Erzählmodells erlauben es, die Ereignisse als unverbindliche Episoden zu gruppieren; das galant-höfische Modell ermöglicht es, die lose Szenenfolge zu einem Ganzen zu verklammern.« (Ebd.) Vgl. Singer: Der galante Roman, S. 59: »Amoene liebt Adelphico, er läßt es sich halb unwillig gefallen. Bald taucht ein heiratswilliger Bewerber auf. Adelphico rät ihr zu, die Werbung anzunehmen. Das kränkt sie, aber nicht lange – sie ist vernünftig und heiratet. | Helene hat einem Rittmeister Treuer geschworen, zieht aber dann doch einen Oberstleutnant seines höheren Ranges wegen vor. Die Herren duellieren sich ein wenig, einigen sich dann aber und lassen beide die ehrgeizige Dame sitzen. | Ein Student liebt ein Mädchen. Der Hofmeister kommt dahinter, und sein und der Eltern Einspruch bringt den Jungen zur Vernunft: er ergibt sich ins Unvermeidliche.« Vgl. Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 116–119. Alle vier Zitate ebd., S. 116f. Vgl. EH 49: »Denn alle Damen waren ihm bishero gleichgültig gewesen / und die hierdurch genossene Beruhigung seines Gemühts stellte ihm alle andere Regungen verhast vor / die nicht mit seiner innerlichen Zufriedenheit und der Begierde zum Waffen überein kamen.« In einem eigenen Liede dokumentiert: vgl. RO I/101f. Vgl. LA 13: »Gleichwohl war er von den Regungen der Liebe bißhero verschonet gewesen / und die itzo anflammene Triebe von Lust und Schmertzen wolten seinem der Ruhe ergebenen Gemüthe so gar nicht anstehen / daß er sich fest vornahme / mit Gewalt diese Passion aus seinem Hertzen beyzeiten zu verbannen / ehe sie tiefere Wurtzel gefasset / und man hernach die Mühe zu deren Ausrottung vergebens anwendete.« Vgl. etwa sein Verhalten gegenüber der Prinzessin von Bellemond (EH 603–615). Gegenüber Arminde (LA 136–176).

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motivische Elemente in ihren jeweiligen Abfolgelogiken in Ausgleich bringende Tendenz der ersten beiden Romandrittel einen Grund haben; der sicher ein ästhetischer Reiz abzugewinnen ist.136 Das dann sich ergebende Problem, die motivische Gestaltung der an den Romanschluss gedrängten, nun doch die Finalisierung leistenden und in dieser Funktion kontrastiven letzten Liebeshandlung wird unbefriedigend – man könnte auch sagen: gar nicht gelöst, weil vermutlich beides, dies Problem und die ästhetische Qualität der ersten Romandrittel, den Autor, der, in finanzieller Not, zu einer schmeichelnden, womöglich verharmlosenden Stilisierung tatsächlicher Vorgänge sich genötigt sieht,137 nicht kümmerten.

5.8. Effekte nahezu vollständiger Integration in der Liebenswürdigen Adalie Die liebenswürdige Adalie empfiehlt sich einer eingehenden Betrachtung, weil gerade die Anzeichen einer vollständig gelungenen Integration sich in diesem Roman häufen,138 und wegen der leichten Komplikationen räumlicher Art, die 136 Und es ist sicherlich diese ästhetische Dimension, die zu der Auszeichnung Singers führte, und nicht die moralische, wie Simons: Marteaus Europa, S. 325, unterstellt: »In den Augen des modernen Literaturhistorikers mögen die beiden fränkischen Romane [neben dem Adelphico auch die Noris Meleatons] zukunftsweisend erscheinen. In beiden gibt es wie in den 1740ern Kinder, die ihren Eltern gehorchen, und Bürger, die vorbildlich ihren ›natürlichen‹ Pflichten nachkommen. Beide Romane zielen auf Harmonie im Gemeinwesen wie zwischen den Generationen, während die skandalösen Konkurrenten, von denen sie sich abspalten, die Gesellschaft auseinanderdividieren.« 137 Noch einmal Simons: ebd. 138 Zu den Faktoren, die bei Besprechung der einheitsbezogenen Reihen auffielen, also: der klaren Einschließungsverhältnisse; dass die vier niederrangigen Liebeshandlungen je nur eine Stelle belegen; dass dasselbe Subordinationsverfahren der funktionalen Verschränkung durch temporäre Nebenbuhlerschaft auf alle Liebeshandlungen angewandt wird, somit in diesem Roman, innerhalb des Korpus, die Systematizität der Liebeshandlungen, wie sie Günter Dammann: Liebe und Ehe im deutschen Roman um 1730. In: ders., Dirk Sangmeister (Hrsg.): Das Werk Johann Gottfried Schnabels und die Romane und Diskurse des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 2004, S. 35–90, hier: S. 48f, definiert, sich alleine vollständig manifestiert (Renard liebt zuerst Adalie, Arminde liebt zeitweilig Renard, Werdigni liebt zeitweilig Adalie, Curton liebt zeitweilig Barsine, Alfredo/Emilie lieben zeitweilig Adalie/ Rosantes; Lionard, ›überzählig‹ bleibend, scheidet aus); die eindeutige soziale Rangfolge – kamen weitere hinzu: die Übersichtlichkeit der Briefreihe und der Reihe der Verseinlagen; der unauffällige Gebrauch von Absätzen und Analepsen. – Symmetrisch, wie es das Schema suggeriert, das Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds. Berkeley und Los Angeles 1969, S. 31, von Herbert Singer übernimmt, ist die Handlung in ihrer Abfolge eigentlich aber nicht: die lange Werbungsphase Rosantens und die temporäre Nebenbuhlerschaft Renards im Kontext von Rosantes-Adalie haben am anderen Ende des discours keine Entsprechung, und ebenso singulär, also symmetrisch nicht gespiegelt, bleibt

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die Bildung einer einheitsbezogenen Reihe in diesem Medium zu verhindern scheinen. Voraussetzungen für die große, jetzt schon mehrfach dokumentierte Übersichtlichkeit des Romans liegen in seiner Informationsökonomie, und, damit in unmittelbarem Zusammenhang, auf einer stilistischen Ebene. Die Einstelligkeit je der vier rangniedrigen Liebeshandlungen und ihrer funktionalen Verschränkungen mit den beiden hochrangigen Liebeshandlungen deutet richtig auf die Streuung der für den relevanten Handlungszusammenhang notwendigen Informationen in einem selben, szenisch dominierten Kontext; verzichtet wird also darauf, diejenigen kausalen Voraussetzungen, die die temporäre Nebenbuhlerschaft der jeweiligen Partner erst als solche begreifbar machen, in eigenständigen Analepsen von dem Geschehen der funktionalen Verschränkung abzusetzen. So müssen im gegebenen Wahrnehmungsfeld der ›dazustoßenden‹ Figur des höherrangigen Paares, oder lose an dieses angebunden, Gelegenheiten zur sukzessiven Unterrichtung der Figur und des Lesers platziert werden.139 Die parallele Führung sowohl dieser Information, als auch der unmittelbar ja schon beginnenden Dynamik der funktionalen Verschränkung, als auch der Einführung in die neuen, räumlichen Verhältnisse verleiht dem Text auf einer niederen, hoch die die Verfolgungsdynamik in Gang bringende, Renard-Barsine nur einfach als Nebenbuhler zuzurechnende Figur Lionards. 139 Man beachte etwa die Beiläufigkeit der Einführung des vorausliegenden Verhältnisses Armindens und Bellardens; begründet wird das gegenwärtige, schon unter dem Zeichen der temporären Nebenbuhlerschaft stehende Verhalten: »Die rechte Ursache aber / die Arminden zu einer wiedrigen Meinung bewegte / war der andere junge von Adel / Bellarde Nahmens / welchen sie nicht gerne in Renardens Gegenwart leiden wolte; Denn weil sie ihm bißhero wegen seiner gegen sie bezeigten Liebe einige Hoffnung zu ihrer Gunst gemacht / Renard aber nun grössern Antheil daran hatte / schienen ihr Billardens [sic!] vermuthete Klagen nur eine Hinderniß ihrer freyen Unterredung mit Renarden zu seyn / dannenhero suchte sie nach Möglichkeit seinen Zuspruch abzuwenden.« (LA 147) Die Vorgeschichte Juliens und Werdignis ist sicher die unverbindlichste, und passt in einen Relativsatz (»welche sie sich selber gern gewünschet« – LA 186). Die Informierung über die Verlobung Curtons und des benachbarten, adeligen Fräuleins läuft gar über den analeptisch gebotenen Wahrnehmungskontext Barsines: »Unter andern Discoursen aber erzehlte sie mir ihr Liebes-Verständniß mit einem jungen von Adel auff der Nachbarschafft / welcher sehr reich sey / und wohl heute noch bey ihnen einsprechen würde; weil er ihr versprochen / das Jawort zu ihren völligen Bündniß von seinen Vater mitzubringen / der bißhero nicht darzu einstimmen / sondern seinen Sohn an eine reichere verheyrathen wollen.« (LA 287) Zur Unterrichtung über das Verhältnis Emiliens und Alfredos findet der Erzähler erst Gelegenheit, als Alfredo sich zur Begegnung mit der gerühmten Adalie anschickt (LA 369–371). – Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 83, bemerkt, ausgehend von der Kampfesszene auf dem Schloss Curtons, die »nicht mehr aus objektivierender Distanz, aus der Perspektive des Allwissenden, sondern aus der einer seine[r] Figuren« berichtet wird: »[der Erzähler] wie der Leser weiß, daß der ›jemand‹ Curton, der ›Schelm‹ Renard ist, aber er verzichtet auf jede Ausdeutung und Erklärung, er identifiziert sich mit seinem Helden und sieht mit dessen Augen.«

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auflösenden Ebene eine im gesamten Korpus einmalige Komplexität;140 die in der Tat auf die Informationsökonomien stärker mit dem Medium der Individualität arbeitender Romane vorausweist.141 Die Problemlosigkeit, mit der die hierarchische Gliederung der nur sechs Liebeshandlungen vorgenommen werden kann, die übereinstimmende Ausrichtung vieler Subordinationsverfahren also provoziert eine hierarchische Interpretation auch solcher Unterschiede, die nicht per se auf einen Rangunterschied deuten. Aufgrund der funktionalen Verschränkungen ist es dabei möglich, die vier niederrangigsten Liebeshandlungen den beiden höchstrangigen als ›Eigenschaften‹ zuzurechnen: dann besteht für jedes Element der histoire die Möglichkeit der Attribution entweder zu Rosantes-Adalie oder zu Renard-Barsine, dann hat jedes Element der histoire an der das Verhältnis beider Reihen bestimmenden einfachen Subordination Teil. Eine solche Zuordnung ist für unterschiedliche Aspekte unterschiedlich interessant. An sich eine Unterordnung suggeriert schon, dass Renard und Barsine dem Treuebruch, wo er als solcher gelten müsste, im Zuge der funktionalen Verschränkungen näher rücken als Rosantes und Adalie.142 Was ist noch auffällig? Für Renard-Barsine: Umkehrten moralischer Natur;143 Gewalt;144 eine

140 In Pleisina kommt noch die Zusammenführung der beiden hochrangigen Paare, also auch der beiden Schwestern Adalie und Barsine, mit wechselseitigen Explikationen, hinzu. 141 Darauf scheint auch eine Bemerkung bei Geulen: Erzählkunst der frühen Neuzeit. Zur Geschichte epischer Darbietungsweisen und Formen im Roman der Renaissance und des Barock. Tübingen 1975, S. 187, zu deuten, der zwischen Feinstruktur und »plot« unterschieden wissen will: »Zwar fällt das ›Psychologische‹, fallen die Erlebnismuster der Figuren hier noch zusammen mit den jeweiligen und variablen Konstellationen des Galanten und seiner Motivik überhaupt. Der Leser aber identifiziert sie dennoch, wenn auch im Rahmen dieser Motivwelt, mit bestimmten Erlebnismöglichkeiten, die er vorstellt oder erinnert und die er, angeleitet und bestätigt durch die beschriebenen Darbietungsformen, als spezifische auszumachen und zu reflektieren weiß.« 142 Renard lässt sich von Louysens »hefftiger Reitzung« (LA 159) durchaus bestricken; kehrt aber vor der Ausführung um (LA 159f), lässt sich, heißt das, von seinem Cammer-Diener vertreten (LA 161). Für Barsine besteht die größere Gefahr in der Gewaltanwendung und -drohung sowohl Lionards (LA 95–98) wie Curtons (LA 303f). Adalie, wenn sie die Annahme Alfredos in Aussicht stellt, folgt keiner sinnlichen Begierde, sondern, Rosantes tot wähnend, der Überredung (LA 402f). Gegenüber Werdigni bleibt sie ganz gleichgültig (LA 208). Rosantes ist am weitesten von einem Treuebruch entfernt. 143 Renards Zurückschrecken vor dem Treuebruch (LA159f) und Curtons Bekehrung (LA 324– 335); zur letzteren vgl., sehr ausführlich, Singer: Der deutsche Roman zwischen Barock und Rokoko, S. 65–77; zur ersteren vgl. ebd., S. 60f. 144 Nur hier gibt es offene Gefechte: bei der Entführung Lionards zwei (LA 119–136); dann wird Renard durch Räuber überfallen (LA 229–233) und die Befreiung aus der Gefangenschaft bei Curton erfolgt gewaltsam (LA 312–317). Bezeichnend ist ferner, dass Renard sich mit Alfredo duelliert, dass Rosantes, um den es eigentlich geht, beschwichtigend dazwischentritt (LA 439f.

Effekte nahezu vollständiger Integration in der Liebenswürdigen Adalie

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größere Geschlossenheit der Abenteuer.145 Letztere berührt eine Qualifikation der Dynamik beider Reihen, die noch in anderen Hinsichten erfolgen kann. Die Bewegungsprofile sind in Renard-Barsine – bekanntlich Hunolds Zusatz zu Préchacs Vorlage146 – einfacher und übersichtlicher: während Renards Bewegungen von seinem ersten Aufbruch aus Paris an (LA 99) im Modus der Verfolgung und Suche bis zum Auffinden Barsines bleiben (LA 259) und Barsine nur entführt und gefangen gehalten wird (LA 284–287); während beider Bewegungen von Paris bis Pleisina im unbenannten Raum verlaufen, lediglich die französisch-deutsche Grenze passierend; sind die Bewegungen Rosantens147 und Adaliens148 komplexer und weniger eng an die Liebeshandlung gebunden; enger noch bei Adalie, die, Elbipolis suchend oder fliehend, von ihrem Informationsstand über Bosardo/Rosantes abhängig bleibt, seinem Tod glaubend aber einem absoluten Ruhepunkt in Paris entgegenstrebt, und erst in Alfredos Überredung einer neuen Anziehung gehorcht; lockerer aber bei Rosantes, dessen Bewegungen auch familiär, also politisch motiviert sind, dessen auf Adalie bezogene Bewegungsenergie in drei Rückkehrten nach Allerona zum Erliegen kommt (LA 103, 180, 351/370). Zu erinnern ist an dieser Stelle an die Besonderheit der Struktur des räumlichen Mediums des Romans auf der Ortsebene, wie sie oben (Kap. 2.4.3.1) als Rosantes-Adalie und Renard-Barsine zuzuordnende Zweiteilung, beschrieben wurde.

145 Bedingt durch die örtliche Unbestimmtheit der beiden Schlösser und die dort herrschende Informationsarmut. Werdigni-Julie hingegen hat den alleronischen Hof zur Kulisse, bedingt durch die – jetzt in Friedenszeiten möglichen – Reisen der Herzogin von Mommorency (LA 176f); und die Prinzessin Emilie ist über die Bewegungen Rosantens schon im Vorfeld informiert (LA 371). 146 Vgl. Wagener: Die Kompositionen der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 30. 147 Es gibt, wie oben schon einmal angedeutet, vier Bewegungen ausgehend von und zurückkehrend nach Allerona. 1: Allerona (LA 7–10), Elbipolis (LA 10f), Paris (LA 11–59), Brittanien (LA 103), Elbipolis (LA 103), Allerona (LA 103). 2: Beltischer Hof (LA 103f), Brittanien (LA 105f), Weg nach Paris (LA 107–112), Verfolgung Adaliens (LA 112f), Allerona (LA 180– 202). 3: Suche Adaliens (LA 202, 312), Schloß Courtons (LA 312–351), Allerona (LA 351, 370). 4: Weg nach Pleisina (LA 371), Pleisina (LA 406–455), Allerona (LA 455–461). Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 30, betont, dass Hunold das Bewegungsprofil Rosantens gegenüber der Vorlage bei Préchac bereits vereinfacht. 148 Adalie reist im Gefolge der Herzogin von Mommorency nach Allerona (LA 176f). Als sie gerade mit dieser nach Paris wieder aufbrechen will, um in einem Kloster ihr Leben zu beschließen (LA 212), kommt ein Brief ihres Vaters, sie nach Elbipolis bestellend (LA 212f); von wo sie, den echten Bosardo erblickend, flieht (LA 224f), und zwar, über die Elbe, nach Permane in Sachsen, wo die Eltern ihrer Dienerin Doris leben (LA 352f). In einem Monat möchte sie nach Paris zurückkehren (LA 353); in der anmutigen Landschaft, in der sie sich ergeht, wird sie von der Prinzessin Emilie gefunden (LA 360f). In Pleisina begegnet sie Rosantes.

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Dem bisher ermittelten Profil der beiden Haupthandlungen entspricht auch der Zuschnitt der auf Wissensdefiziten basierenden Haupthindernisse. Komplex wird es in Rosantes-Adalie, wenn die Vertauschung Bosardo/Rosantes durch den vermeintlichen Tod Bosardos/Rosantens mehrfach überlagert wird; Adalie wird über die Liebeshandlung hinausverwiesen – entweder auf ihren in Zurückgezogenheit verbrachten Lebensrest oder die Nötigung zu einer neuen Heirat (Alfredos). In Renard-Barsine spielen Täuschung und Vertauschung, namentlich in dem Versuch Lionards, sich für Renard auszugeben, nur eine flüchtige Rolle – rasch genug durchschaut ihn Barsine (LA 90f). Dann bleibt es dabei, dass Renard und Barsine einander noch nicht zu Gesicht bekommen haben; die gesamte Verfolgung kann dadurch als eine Verzögerung der ersten Begegnung gesehen werden, die bei der Abholung vom Kloster geschehen sollte, und zwar ohne, dass die Unkenntnis ihrer beider Aussehen selber noch das Geschehen bestimmte: sie bleibt ein begleitender, die Wirkung der ersten Begegnung intensivierender Umstand. Diese Beobachtungen über die Bewegungsreihen, die Struktur des räumlichen Mediums auf Ortsebene, den Zuschnitt der Hindernisse, die informationelle Abgeschlossen- oder Offenheit der beiden Reihen zusammengenommen, zeigt sich die zweitrangige Reihe als die straffer und dynamischer integrierte; Rosantes-Adalie hingegen als die kompliziertere, in ihrem Fortschreiten öfter zum Erliegen kommende, unübersichtlichere und, durch ihre Verbindungen in die politische Sphäre, mehr Varianz aufnehmende Reihe. Der Handlungszwang ist in Renard-Barsine größer. Die komplizierte Anlage der Werdigni-Episode hingegen, mit der ästhetisch wirksamen, flüchtigen und unbewussten Begegnung des Hauptpaares in ihrer Mitte, hat die relative Ruhe und Bewegungsfreiheit Adaliens und Rosantens zur Voraussetzung. Ausführlich und umständlich erfolgt die Schilderung der Werbungsphase in der Haupthandlung, die in Renard-Barsine nur wenige Seiten umfasst und gleich in die Bewegungsenergie umgesetzt wird, die sich erst am Schluss ganz erschöpft. Dergestalt deutet sich eine Umkehrung hinsichtlich gerade des Kriteriums an, das die Rangfolge diktieren sollte: der integrativen Leistung. Offenbar gibt es zwischen beiden Reihen eine Arbeitsteilung: Rosantes-Adalie genügt den Kriterien der Textgrenzennähe, der Einschließung, des höheren sozialen Ranges, der funktionalen Verschränkung nur rangabwärts, der größeren moralischen Sicherheit – Kriterien, die als Bezeichnung einer Überordnung leicht zu lesen sind; Renard-Barsine hingegen bleibt stärker auf den Fortgang der Handlung bezogen und entwickelt sich, ohne Stockungen, dynamischer, enthält also, in Form der Gefechte und der moralischen Umkehrten, heftigere Bewegungen.

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5.9. Überlastung der Haupthandlungsreihe in der Römischen Octavia?149 Die obige Übersichtstabelle über die Haupthandlungsreihen wies Tyridates-Octavia in mehrfacher Hinsicht als Extremum auf, das eine nähere Analyse verlangt. Einerseits war es mit einem Umfang von 599 Seiten die umfangreichste Liebeshandlung in dieser Stellung, andererseits wies sie mit einem Verhältnis von 0,102 dennoch die geringste Deckung des Gesamtumfanges, von 5859 Seiten, auf.150 Eklatant, ferner, ist hinsichtlich der Anzahl der Stellen der Abstand zur nächstgroßen Haupthandlungsreihe: Tyridates-Octavia verteilt sich auf 160 Stellen, Gustavus-Arione schon nurmehr auf 19. Ein Blick auf die dem Anhang vorangestellte Tabelle über den Umfang der Romane, macht diese Werte plausibel: bis auf die Höfe (13 %) rangieren alle anderen Korpusromane bei oder unter, ja weit unter einem Zwanzigstel des Umfangs der Römischen Octavia. Der Fragen sind also mehrfache: wie kann einerseits eine Liebeshandlung, die außerdem subordinierend vervielfacht wird, also, vermutlich, Ansprüchen an eine gewisse Idealität genügen muss, soweit amplifiziert werden, dass sie überhaupt einen derartigen Umfang erreicht? Andererseits ist zu fragen, ob, und wenn ja wie die Integrationslast trotz der geringen Deckung des Romans von der Liebeshandlung getragen werden kann. Drittens ist ausgeschlossen, dass 160 Stellen als solche im Gedächtnis bleiben: wie greift die Liebeshandlung dennoch auf den Ablauf des discours in hinreichendem Maße durch – wie wird verhindert, dass sie in ihre Stellen geringen Umfanges einfach zerfällt? Die letzte Frage ist wesentlich in drei Schritten zu beantworten. Erstens muss als Auszeichnung der Reihe gewertet werden, dass ihre Stellen überwiegend in der Gegenwartsgeschichte liegen.151 Zweitens unterliegt die Gegenwartsgeschichte strukturellen, vor allem Zeit und Raum betreffenden Vorgaben, die die Bildung großer, zusammenhängender, nur einer Handlung zugehöriger Stellen verhindert. Dass eine Liebeshandlung hier aus vielen kleinen Stellen zusammenzusetzen ist, stellt also keine Ausnahme dar. Drittens ist vor diesem Hintergrund als besonderer, dem Gedächtnis des Lesers geleisteter Dienst, und als Auszeichnung der betroffenen Liebeshandlung zu werten, wenn die gegenwartsgeschichtlich zerstreuten Elemente der histoire zusätzlich in einer internen Analepse noch einmal gebündelt werden (dies in der Geschichte der Neronia). Ein 149 In den folgenden Kapiteln (5.9.–5.12.) wird für die zahlreichen Belege aus der Römischen Octavia auf die Sigle RO verzichtet. Alle Seitenangaben ohne Sigle und unter Angabe des Teilbandes beziehen sich also auf die Römische Octavia. 150 Des gewählten Untersuchungsbereiches der ersten sechs Bänder der Fassung B – es steht aber nicht zu erwarten, dass sich das Verhältnis in den Folgebänden dramatisch veränderte. 151 Vgl. unten, im Anhang, die vorgeschlagene Ordnung der Liebeshandlungen anhand ihrer Stellenverteilung.

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viertes, allenfalls hinzuzufügendes Argument betrifft die Assoziation entscheidender Stellen der Haupthandlung mit solchen anderer Reihen. Der obige Befund kann dabei noch ergänzt werden.152 Für die Beantwortung der Frage, wie Tyridates-Octavia trotz der geringen Deckung die Position der Haupthandlungsreihe behaupten kann, sind natürlich all jene Kriterien anzuführen, die oben (Kap. 2.2) zu dieser Klassifizierung geführt haben (Textgrenzennähe, Subsumierbarkeit, Finalisierung, Ausgangspunkt subordinierender Multiplikation mit entsprechenden Auszeichnungen) – die zu benennen schon sehr viel weiter geht, als gemeinhin die Forschung, die, was so begründet wird, als Selbstverständlichkeit voraussetzt.153 Vier Überlegungen 152 Mit dem Einsatz der Gegenwartsgeschichte insgesamt fällt der Beginn des gemeinsamen römischen Aufenthaltes des Paares zusammen. An der Bandgrenze I/II steht der Wiedereinsatz des Hindernisses der Ehe mit Nero und, kurz darauf, die Erfüllung der Tyridates gemachten Vorgabe, er dürfe nicht römischer Kaiser werden oder zu werden sich bemühen. An der Grenze II/III steht das Ende der ersten Entführungskette, die Befreiung Octavias also von Bagassaces; an der Grenze III/IV die erste Verlobung und das Zusammenfallen der symmetrischen Konstruktion der vermeintlichen Heiraten; an IV/V, wie gesagt, der Wechsel der Integrationsform der Hindernisse, die zweite Verlobung; an V/VI die Gefangenschaft Tyridatens; gegen Textende die Erpressung Octavias. Es ergeben sich Assoziationen mit allen übrigen, auch mit den Bandgrenzen assoziierten Elementen, vor allem der römschpolitischen Handlung. 153 Tatsächlich ist die zentrale Stellung des Paares Tyridates-Octavia in der Forschung unumstritten. »Im Zentrum der Handlung(en) steht die Liebesgeschichte Octavias/Neronias und des armenischen Königs Tyridates«, stellt Stephan Kraft in seiner Einführung fest (ders.: [Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg,] Octavia römische Geschichte, [Vol. 1] (Nürnberg: J. Hoffmann, 1677). In: The Novel in Europe 1670–1730. URL: (abgerufen am: 15. 01. 2020).) und spricht noch, da, in den Manuskripten zum achten Band, das Kriterium der Textgrenzennähe am Ende durch die Vorverlegung der Hochzeit des Paares unerfüllt bleibt, ganz selbstverständlich von »der Haupthandlung des Romans« – Kraft: Geschlossenheit und Offenheit der »Römischen Octavia« von Herzog Anton Ulrich. »der roman macht ahn die ewigkeit gedenken, den er nimbt kein endt.« Würzburg 2004 (Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft, Band 483), S. 150. Ebenso Cholevius: Die bedeutendsten deutschen Romane des siebzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 1866. Nachdruck Darmstadt 1965, hier: S. 231: »Den Mittelpunkt bildet die Liebe des armenischen Königes Tyridates und der Kaiserin Octavia […].« Von einem »zentrale[n] Liebespaar« spricht auch Haslinger (Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman. Anton Ulrichs Romane als Modell. München 1970, S. 271), von einem »couple principal« Mazingue (Mazingue: Anton Ulrich. Duc de Braunschweig Wolfenbüttel (1633–1714) un prince romancier au XVIIème siècle. Berne 1978, S. 875); und Volker Meid konstatiert: »Im Mittelpunkt der Handlung steht die Liebe des armenischen Königs Tyridates zur Kaiserin Octavia.« (Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 558f) Mahlerwein sieht zwar in den letzten beiden Bänden der sechsbändigen Fassung das Hauptinteresse bei den »groteske[n] Liebesgeschichte[n] der drei verliebten Könige Gestriblindus, Vologeses, Pacorus«, bezeichnet aber auch in diesem Kontext noch die Liebeshandlung Tyridatens und Octavias als »Liebeshaupthandlung« – Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel. Diss. Masch. Frankfurt/Main 1922, S. 16f; vgl. auch ebd., S. 28, 30.

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wären vielleicht hinzuzufügen. Das Gebot der äußersten Knappheit in der Ausgestaltung der den eigentlichen Fortschritt der Liebeshandlung vertretenden Handlungsfunktionen (s. u.) erhält der Reihe ihre auf die Finalisierung drängende Spannung. Zweitens ist auf die eher restriktive Wahl bei der Stellenaufnahme in der Tabelle unten zu verweisen: berücksichtigte man die kausalen Relationen auch in andere Handlungen hinein, würde der Umfang der Reihe beträchtlich zunehmen: der riesige Komplex der politischen Handlung am Donaudelta enthält die Forcierung einer Heirat Pacorens und Octavias als zentrales Element; und die Frage, ob Nero noch lebe, ist für Tyridates-Octavia, aber auch für die gesamte römisch-politische Handlung von entscheidender Bedeutung. Lestar möchte Tyridatens Heirat mit seiner Tochter Nitocris erzwingen; und Octavia greift hindernd in die Bemühungen der größten römischen Verschwörung unter Plautia Urgulanilla ein. Es gibt – drittens – keine andere Liebeshandlung, die nur annähernd so umfangreich wäre wie Tyridates-Octavia,154 und viertens mangelt es der eindeutig prominentesten Reihe des politischen Handlungsbereiches gerade an der auf Finalisierung drängenden Spannkraft, die Tyridates-Octavia auszeichnet. Stärker in die Analyse der Liebeshandlung einsteigen muss aber die Beantwortung der Frage nach den ihr inhärenten Möglichkeiten zur hinreichenden Aufblähung. Das besondere, auf Idealisierung zielende Profil, das die Paarreihe im Handlungsmedium gewinnt, sorgt tatsächlich für eine Beschränkung derjenigen Handlungsfunktionen,155 die für ihre Amplifikation zur Verfügung stehen. Es kann, heißt das, für die beiden Liebenden in ihrem ganzen Leben keine anderen Liebesverhältnisse,156 erst recht keine anderen Sexualkontakte geben;157 allein auf 154 Vgl. die Tabelle im Anhang. 155 Wieder wird der Begriff für hinsichtlich der Funktion in der kausalen Struktur generalisierte Handlungselemente verwendet. 156 Tyridatens knabenhafte Aversion gegen die Liebe vor der Ansichtigung des Bildnisses Octavias wird in der Verwicklung mit Zenobia der Älteren eigens illustriert: »Mein Printz ware zwar ja so weit von der Liebe / als vom Ehr-Geitz / entfernet / und hatte eben so wenig Lust / der Venus / als der Juno / Opffer zu bringen.« (I/101; vgl. auch I/101–107). Dass das Bildnis Tyridatens schon in der Zeit ihrer Verlobung mit Lucius Silanus zu Octavia kommt, erlaubt die Unterscheidung des zärtlichen Gehorsams, den sie ihrem zukünftigen Ehegemahl schuldig zu sein glaubt, und der keimenden, ›echten‹ Liebe (II/51f). Als Lucius Silanus des Inzests beschuldigt wird, heißt es aber: »Gleichwie [Octavia] nun allemahl die Tugend an [Lucius Silanus] geliebet / also erlosche nun ihre zarte Liebe / wie sie solche Laster ihm nachsagen hörte.« (II/61) 157 Der Umstand bedarf bei Octavia, die ja mit Nero in der Ehe gelebt hatte, besonderer Erklärung: in der Hochzeitsnacht geht Nero zu seiner geliebten Acte (II/78); er habe, heißt es weiter, vor ihr »einen solchen Eckel / daß er für sich in seiner Schlaff-Kammer ein NebenBett aufstellen liesse / um nicht gehalten zu seyn / ihr nahe zu kommen. Ihr keusches Gemüthe / war mit dieser Absonderung sehr wol vergnügt / ertruge auch alles sein Bezeigen mit grosser Geduld / und liebkosete ihm nur desto mehr / um aller Welt zu zeigen / daß sie

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weiblicher Seite sind Verlöbnisse und Ehen möglich, sofern diese keusch bleiben. Eine Amplifikation nach außen, durch Addition weiterer Figuren, ist also nur mittels einseitig liebender Nebenbuhler möglich. Eine Amplifikation nach innen muss berücksichtigen, dass die Vollkommenheit der Liebe des Paares in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu dem Aufwand steht, dessen sie, abzüglich der Hindernisse, textlich und handlungsmäßig zu ihrer Entfaltung bedarf:158 für die Handlungsfunktionen des Verliebens, der Werbung, der Geständnisse, der Verlobung, schließlich der Hochzeit gilt also nicht nur ein Amplifikationsverbot, sondern, soll die hierarchische Position der Paarreihe im Handlungsmedium gewahrt bleiben, das Gebot äußerster Knappheit. Häufung und Anschwellen der Heiratshindernisse bleiben für eine Amplifikation der Reihe überhaupt die einzige Option und insofern keine unglückliche, als die kausale Relationierung einer Paarreihe mit der umgebenden Handlung gewöhnlich über diese Handlungsfunktionen läuft. Tatsächlich bindet das Paar in der Octavia, und im ganzen Korpus, die meisten Nebenbuhler159 und entwickelt hinsichtlich ihrer kausalen Verflechtung die komplexeste Hindernisstruktur. Deren wichtigste Merkmale seien kurz umrissen. Sie selber legt eine Unterscheidung mehr äußerlicher und mehr innerlicher Hindernisse nahe.160 Während die äußerlichen Hindernisse durch beherztes Handeln in der Welt beseitigt werden können (Entführungen, Kämpfe), bestehen die innerlichen Hindernisse entweder in der Liebe entgegenstehenden Geboten eine tugendhaffte Ehe-Frau seyn wolte.« (II/80) Und ihrer Schwiegermutter gesteht sie später: »wie nemlich Nero sie noch nie berühret hätte.« (II/106) Als Tyridates auf den Verdacht gerät, Neronia könne Acte sein, die als Buhle Neros berüchtigte, findet Sulpitia, seine Mutter und inzwischen Vertraute Octavias, die passende Formel: »daß Neronia die keuscheste und unbefleckteste Seele von der Welt wäre / ob man sie gleich weder Jungfrau / Frau / noch Wittwe / nennen könte.« (I/146) 158 Das Ansehen des Porträts genügt bei beiden zur Weckung der Liebe (I/116–119, II/51f, 71). Die eigentliche Werbung, die Spanne also, die von dem ersten Treffen bis zum Einrasten der geltenden Hindernisse überwunden werden muss, geschieht auf der Reise von Pandataria nach Adiabene und kann auf vier Seiten abgehandelt werden (I/132–136). Für die noch ausstehenden Handlungsfunktionen des reinen Liebesprogresses – des Geständnisses Octavias und der Verlobung –, bedarf es nurmehr der geeigneten, hindernisfreien Gelegenheiten. In der hindernisfreien Zeit nach der Verlobung auf den Diomedischen Inseln bildet eine leichte Verstimmung (V/86–89) eine Ausnahme in einer bis zum Greifen neuer Hindernisse leeren, ereignislosen, glücklichen Phase der Beziehung. 159 Octavia lieben weitere neun Figuren: Pacorus, Lucius Silanus, Salvius Otto, Aulus Plautius, Anicetes, Decimus Pacarius, Ariaramnes, Phraortes, Beor. Tyridates lieben weitere zwei Figuren: Zenobia die Ältere und Claudia. 160 Steigerwald: Galanterie, S. 454, verwendet die dann allerdings etwas anders zugeschnittene Unterscheidung bei den beiden Haupthandlungen des Satyrischen Romans. Tatsächlich wären die »paarinterne[n] Hindernisse« von Selander-Arismenia in der Octavia noch undenkbar.

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der Tugend (Hindernis durch andere Verlobung, andere Ehe, rechtliche Bedenken bei der Wiederverlobung), oder im defizitären, oder positiv fehlerhaften Kenntnisstand der Liebenden (der Unkenntnis oder falschen Annahme über die Identität des Anderen, vermeintliche Tode, die vermeintlichen anderen Ehen). Die Erpressung kann als Mischform angesehen werden. Zweimal gibt es mögliche Beschädigungen des gegenseitigen Vertrauens. Entführungen, Kämpfe: Octavia wird gefangen gesetzt durch Bagassaces, eigtl. Pacorus (II/896–907, 943f, 959, 963, 971f, III/129–131, 246f), Decimus Pacarius (III/718–720, 697–700), Otto (III/697–700, IV/808–810), Pacorus (VI/337–351); Tyridates wird gefangen gesetzt durch Claudia (I/17–20, 171–175), Pacorus (VI/ 15f, 29–34), Lestar (VI/657–664 bis Ende). Es gibt eine versuchte Entführung Octavias durch Anicetes (I/132–138, III/212–214), eine versuchte Hinrichtung Octavias durch Nero (I/128–132, III/211f) und zweimal wird sie gefangen gesetzt, ohne dass es dabei primär um sie ginge, durch Pharasmanes (I/139f) und Crispina (III/624–631, 896–903), die auf diese Weise auch Tyridates festsetzt (III/ 624–631, II/881f, III/246). Andere Verlobungen: Octavias Verlöbnis mit Lucius Silanus hindert Octavia daran, ihrer durch das Bildnis geweckten Verliebtheit nachzugehen (I/255, II/48, 64). Andere Ehen: Octavias Ehe mit Nero zu dessen Lebzeiten (II/78, I/939, III/241), da Octavia an sein Weiterleben glaubt (I/960–963, III/241f, II/903–907, 943f; und IV/779f, 882–885) – Tyridates erfährt von dem vermeinten Leben Neros weit früher (III/1023). Rechtliche Bedenken:

Zweimal: III/469f, 471–473; V/569–573, V/1103f.

Unbekannte Identität: Tyridates weiß nicht, wer die ›Flora‹ des Bildnisses ist (I/ 116–119, 121f, 124–127, 128–132, 132–138, 17–20). Die völlige Unwissenheit endet mit der vermeintlichen Gewissheit, Octavia sei Parthenia (I/302–303). Es gibt Überschneidungen/Verwechslungen mit der sich ebenfalls Neronia nennenden Claudia (I/151–158, 160f, III/214f, I/17–20, 31–33, 302–303). Octavia wird ferner gehalten für Acte, die Hure Neros (I/143–147), Acte, also Parthenia, die Schwester Tyridatens, womit das weitere Hindernis des Inzestverbots verbunden ist (I/388f, 503–509, III/266 469f). Vermeintliche Tode: Octavia glaubt dreimal, Tyridates sei gestorben (I/939, 960–963; IV/772–778; VI/39f, 69–72).

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Vermeintl. andere Ehen: Die nur vermeintlichen Ehen Tyridatens (I/162–170), Tyridatens und Antonias (III/172–183, 1039–1044), sowie Octavias und ›Drusens‹ (III/473–477, 1039–1044). Erpressungen: Erpresst wird Octavia durch Pacorus (V/959–961, VI/199–204) und durch Lestar (VI/730–768, 777–784). Beschädigtes Vertrauen: Dadurch, dass Tyridates sich anschickt, sie gegen ihren Willen in die Freiheit zu entführen – er steht aber davon ab (VI/29–34, 217); und dadurch, dass Octavia glaubt, Tyridates wolle nach dem Beispiele Vespasians Octavia vorzeitig heiraten (V/86–89). Die Stellenangaben beziehen sich mindestens auf Einsatz und Aufhebung des Hindernisses. Das unmittelbare Eingreifen der Nebenbuhler in die Paarreihe geschieht in Form von Entführungen, ggf. auch Erpressungen. Wenn gezeigt wurde, dass die Vervielfältigung der Nebenbuhlerfunktion eine Möglichkeit zur Amplifikation der Reihe war, die ihr Profil im Handlungsmedium vorsah, ist mit einer Häufung von äußerlichen Hindernissen, von Entführungen zu rechnen: die ist tatsächlich zu konstatieren (Octavia wird siebenmal entführt und einmal erpresst, Tyridates wird viermal entführt und einmal erpresst). Bis auf den dreifachen geglaubten Tod Tyridatens treten alle weiteren Hindernistypen höchstens doppelt auf.161 Gegen diesen Befund aber ist für die Reihe eine Abwertung der äußerlichen Hindernisse kennzeichnend, und zwar hinsichtlich der kausalen Struktur der Hindernisse und ihrer Funktionalisierung für eine Bestätigung der Liebe Tyridatens. Die Hauptlinie dieser Struktur:162 Octavias Ehe mit Nero verursacht als Haupthindernis, weil Octavia Tyridates nicht mehr lieben könnte, wenn er sie an 161 Die Vertrauenskrisen, die rechtlichen Bedenken, die vermeintlichen anderen Ehen. 162 Eine knappere Zusammenfassung des Zusammenhanges findet sich auch bei Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 50f; ferner bei Schwarz: »Weil nun Crispina wuste / dass sie die dem Nero so lieb gewesene Acte seyn solte«. – Zur Art und Funktion der Missverständnisse in Anton Ulrichs ›Octavia‹. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta‹. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 55–68, hier: S. 61–64 und bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 741–743. Mazingue betont die christlichen Voraussetzungen dieser Struktur: »Tel est bien en définitive le sens de cette aventure chrétienne dont nous dégagions les linéaments. Elle manifeste la possibilité d’une rupture avec le monde, mais d’une rupture qui n’est pas brutale: ainsi la vie d’Octavia en Italie est un martyre, mais un martyre lent, saisi dans la durée, qui est la substance même de tout roman. La foi, qui suscite les obstacles, est en même temps source de patience; elle donne un sens à une souffrance dont elle est souvent la cause, mais qui, en tout cas, serait sans elle insupportable.« (Ebd., S. 747)

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Nero rächen wollte, die Unkenntnis Tyridatens über ihre Identität; diese Unkenntnis wiederum macht die falsche Annahme über ihre Identität möglich (Octavia sei Parthenia); die falsche Annahme führt zu den vermeintlichen, symmetrischen Heiraten Octavia-›Drusus‹/Tyridates-Antonia.163 Ab der Auflösung dieses Irrtums wird die Entführung Octavias durch Otto wieder wirksam, und dann das Ursprungselement der Ehe mit Nero. Es gibt also eine längere Hinbewegung der Zeugung von Elementen aus Elementen; und eine kürzere Rückbewegung über schon bereitgestellte Elemente. Dabei sind die neben dieser Hauptlinie verzeichneten Hindernisse unterschiedlich stark in sie integriert. Ohne strukturell herausgehobene Bedeutung sind die ersten falschen Annahmen über Octavias Identität, die Verlobung Octavias mit Lucius Silanus, Tyridatens erste vermeintliche Ehe (mit seiner Mutter), die versuchte Entführung durch Anicetes, der zweite vermeintliche Tod Tyridatens. Die versuchte Hinrichtung Octavias ermöglicht die erste Begegnung des Paares. Das erste Element mit stärkerer integrativer Funktion ist der erste vermeintliche Tod Tyridatens: er sorgt passgenau in der ersten Lücke des Hindernisses Ehe-mit-Nero – bis zum Wiedererscheinen ›Neros‹ bei seiner Beerdigung also – dafür, dass von Seiten Octavias ein Hindernis bestehen bleibt. Während die Entführung Tyridatens durch Crispina kaum integriert ist, beginnt mit Octavias Entführung durch sie die erste, nur zweigliedrige Entführungskette auf ihrer Seite (Crispina, Bagassaces), die, für die Trennung der Liebenden sorgend, auch Voraussetzung für die beiden vermeintlichen Ehen ist. Außerdem führt sie, in der Konfrontation Octavias und ›Neros‹ (=Claudia), zur zweiten ›Lücke‹ des Hindernisses Ehe-mit-Nero. Für die Hauptlinie von größtem Wert ist außerdem das 163 Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 39, spricht von »Liebe übers Kreuz«. Symmetrische Figurenkonstellationen sind in dem Roman keine Seltenheit – ihre Anlage kann sicher als artistischer Selbstzweck verbucht werden. Vgl., mit dem Beispiel wechselseitiger Verkleidung und Verwechslung von Britannicus und Caledonia aus der Geschichte der Caledonia (I/739f), Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 34f, der »die perfekte Achsensymmetrie der Geschichte ausdrücklich in den Vordergrund gerückt« sieht. Weitere Beispiele wären, natürlich, die Vertauschung von Italus und Drusus, die beiden an dieselbe Bedingung politischen Erfolges geknüpften Verlobungen Junia Calvinas mit Nymphidius einerseits und Mythridates andererseits (III/544–546), die Figurenkonstellation aus der Geschichte der Salvia / und der Calvia Crispinilla zu Beginn (III/ 760f) und in der Entwickelung (III/766–774). Um den Haupthelden, und in der beschriebenen Konstruktion, überlagern sich gar mehrere Symmetrieachsen: die Spiegelung von Italus und Drusus spielt zwar für die beiden vermeintlichen Heiraten eine Rolle, diese kann aber aus jener nicht einfach entwickelt werden; ›überständig‹ sind in der Anlage der vermeintlichen Heiraten der echte Drusus, also ›Italus‹ und, an ihn geknüpft, Cynobelline. Als wechselseitige Spiegelung erscheinen bei ihrem ersten Auftreten außerdem ›Jubilius‹, also Beor, und ›Italus‹ – die beide, in den Katakomben, ihre Geliebten Cynobelline und Octavia als Geister gesehen zu haben behaupten (I/188–191, 304–311).

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erste rechtliche Bedenken – auch dieses die notwendige Trennung, also einen Informationsstopp gewährleistend; ebenfalls in diesem Sinne wirkt die zweite Entführungskette164 bei Octavia (Decimus Pacarius, Otto). Wie schon bemerkt überbrückt die Entführung durch Otto dann das Ende der Wirkungen beider vermeintlicher Heiraten bis zur Wiederaufnahme des Haupthindernisses Ehemit-Nero. Es gibt also eine erste Phase der Hauptlinie, in der einzelne Elemente sich ihr kausal oder motivisch zwar verknüpft, aber ohne weitere Implikationen anschließen (bis zur falschen Annahme ›Parthenia‹). Sodann folgt eine Phase wachsender Integration, beginnend mit der ersten Lücke im Haupthindernis (Ehe-mit-Nero), dann erwachsend aus den Folgen der falschen Annahme ›Parthenia‹. Die beiden Entführungsketten sind in sich kausal stark integriert, haben entscheidende Funktionen aber auch innerhalb der Hauptlinie. Die rechtlichen Bedenken nehmen als Informationen verzögerndes Element eine Schlüsselstellung ein. Ziel der Komplikationen in dieser Phase ist der Aufbau einer in sich stabilen, symmetrischen Konstruktion aus den vermeintlichen Ehen, der nämlich die Elemente, die zu ihr hinführten – die Ehe mit Nero, bzw. der Glaube an sein Weiterleben, die Annahme ›Parthenia‹, die rechtlichen Bedenken – nach und nach ohne Schaden entzogen werden können. Nur das letzte Element der sowieso mit einer gewissen Autonomie begabten Entführungskette darf bestehen bleiben, da die Anlage in der ersten Verlobung (III/1039–1044) in sich zusammenstürzt; um dann, nach seinem Entzuge auch, dem Haupthindernis bis zu seinem Wirkungsende wieder volles und ernstes Gewicht zu geben. Ab diesem Punkt dann ändert sich der Charakter der Hindernisse: Haupthindernisse sind nun die Erpressungen. Mit den möglichen Verstimmungen der Vertrauenskrisen tritt ein neuer Hindernistyp auf. Die Entführungen bilden keine Ketten mehr. Es gibt eine kompliziertere Wiederaufnahme des Legalitätshindernisses und nochmal ein folgenloses Hindernis vermeintlichen Todes. Eine zeitweilige Verdichtung der Hindernisse (V/569 bis VI/72) betrifft jetzt nicht mehr ihre kausale Verschränkung, sondern ihren Umfang und ihre Überlappung. Die die ersten vier Bände des Romans umspannende Entwicklung also einer Zeugung von Hindernissen aus einem Haupthindernis; der ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch intermittierenden, weil auf Täuschung beruhenden Wirkung des Haupthindernisses; der Fügung der vermittelt aus ihm gezeugten Hindernisse zu einer symmetrischen, auf Täuschung beruhenden, sich selbst stabilisierenden Anlage, unter der das abgeleitete Haupthindernis – die Annahme, Octavia sei Parthenia – beseitigt werden und das Haupthindernis aussetzen kann, ohne dass die Konstruktion kollabiert; des punktuellen Kollapses dieser Anlage und der Überbrückung bis zum dritten, letzten Einsatz des Haupthindernisses – 164 Schwarz: »Weil nun Crispina wuste«, S. 63f, spricht treffend von »Entführungskaskaden«.

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diese Entwicklung wird in dieser ihrer Hauptlinie, mit Ausnahme der besagten Überbrückung, alleine von ›innerlichen‹ Hindernissen beschrieben. Die ›äußerlichen‹ Hindernisse bilden selber kleinere Sequenzen (die Entführungen Octavias durch Decimus Pacarius, dann Otto ziehen sich immerhin über etwas weniger als zwei Bände) und sie tragen zur Ermöglichung der beschriebenen Hauptlinie mehr oder weniger punktuell bei. Entführungen setzen das Paar unter die Spannung erzwungener Entfernung und bedeuten, durch den Nebenbuhler, eine Herausforderung von Kraft und Willen des noch freien, meistens des männlichen Liebenden. Tyridates rettet Octavia vor der Hinrichtung auf Pandataria und, kurz darauf, vor der Verfolgung durch Anicetes; er befreit sie zusammen mit Zenobia und anderem Frauenzimmer, als sie mit dieser, mehr oder weniger ungewollt, von Pharasmanes entführt worden war. Ab diesem Zeitpunkt gelingt ihm alleine keine einzige Befreiung mehr, nur bei den beiden letzten wirkt er mit.165 Als Liebesbeweis müssen stattdessen scheiternde Befreiungsversuche gelten, scheiternd meistens wegen ungenügender Informationen.166 Der Zusammenhang mit der kausalen 165 Aus der Gefangenschaft Crispinas befreit Octavia Bagassaces (II/896–903); Tyridates unternimmt aber einen Befreiungsversuch (II/959, 971f). Italus befreit Octavia aus der Gefangenschaft des Bagassaces (II/263, III/129–131); Decimus Pacarius aus der des Romilius Marcellus (III/718–720), Beor aus der des Decimus Pacarius (III/697–700, 717–721, 741– 744); hierbei gibt es Befreiungsversuche seitens Ariaramnes, Otto, dem pontischen Nero; Ottos Selbstmord führt zur Befreiung Octavias aus seiner Gefangenschaft (IV/658f, 661); als Vitellius sich ihrer zu bemächtigen droht, befreit – oder entführt sie wiederum – der pontische Nero, bzw. Claudia als der pontische Nero (IV/808–810); Befreiungsversuche gab es seitens Crispina und Tyridates (IV/313–319) und Tyridates alleine (IV/606f, IV/790f); Claudia selber ›befreit‹ Octavia (IV/856–860), Tyridates unternimmt einen Befreiungsversuch; aus der Haft Pacorens kommt Octavia im Zuge der allgemeinen politischen Entwicklungen dank Fürst Cotiso (VI/87f), schließlich dank der vereinten Bemühungen von Vasaces, Agbarus und Tyridates frei (VI/199–203), dieser hatte zuvor mehrfache, vergebliche Befreiungsversuche unternommen (V/1032–1035, 1117–1120, VI/29–34). Mehrere Akteure, darunter Tyridates, Phraortes und Italus wirken bei der Befreiung von dem pontischen Nero und Pacorus zusammen (VI/337–351). 166 Da Italus Octavia aus den Händen des Mermadalis/Bagassaces befreit, unternimmt Tyridates den Befreiungsversuch bei Crispina, d. h. er weiß von ihrer schon neuen Gefangenschaft noch nichts und kann auch nichts davon wissen. Ebenso im Unwissen ist er über die Gefangenschaften unter Romilius Marcellus und Decimus Pacarius; da er sie vermuten muss, und zur Debatte steht, ob er auch bei der Befreiung helfen soll, zweifelt er, »ob Octavia einen solchen Dienst von mir anzunehmen verlanget / und ob ihr nicht lieber seyn möchte / ihre jetzige Bande fortzutragen / als die von mir aufgelöset zu sehen« (III/487). Dreimal setzt er an, sie aus der Gefangenschaft Ottos zu befreien: aber den Plan Crispinas untergräbt der pontische Nero; dann glaubt er einer Bemerkung des Pudens Rufus wegen, Octavia sei mit beim Heer, und greift Mutina erfolgreich an – sie befindet sich aber in Rom; und dort können ihn seine Freunde von einem aussichtslosen Befreiungsversuch erfolgreich abhalten. Als er auf den Diomedischen Inseln von dem vermeinten Nero das schlimmste befürchten muss – so gut verstellt sich Claudia – drängt er auf dessen Erledigung, die dann tragischerweise, durch Galgacus, vermeintlich erfolgt. Im Donaudelta scheitert Tyridates

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Struktur der Hindernisse ist klar: die Substitution des Haupthindernisses durch die symmetrische Anlage der beiden vermeinten Heiraten bedeutet auch, dass die den Hindernissen zugrunde gelegte Täuschung sich aus dem weiteren römischpolitischen Bereich, in dem ein Fortleben Neros Relevanz hat, in den engeren Personenkreis vor allem der beiden betroffenen Paare verlegt, damit aber unwahrscheinlicher, das heißt aufklärungsanfälliger wird. Während die vermeintlichen neuen Ehepartner in dem Glauben, nur bei ihnen sei es zur Heirat nicht gekommen, miteinander umgehen können, muss ein Treffen beider neuen Paare, vollständig oder unvollständig, beinahe zwangsläufig zur Aufhebung der Täuschung führen.167 Dienlich sind die Entführungen der beschriebenen Konstruktion also insofern, als sich mit ihrer Hilfe der Kenntnisstand der involvierten Figuren gut regulieren lässt; aus demselben Grunde aber muss der eigentlich zu erwartende, informationelle Kurzschluss in der Befreiung abgewendet, die Aktivität des freien Liebenden auf ein falsches Ziel abgeleitet, oder überhaupt unmöglich gemacht werden. Operiert wird also in einer ersten Phase mit einer Hindernisstruktur, die denjenigen Hindernistyp, der sich mehr oder weniger beliebig häufen lässt, solchen Hindernistypen funktional unterordnet, die sich allenfalls verdoppeln lassen, in der Regel aber einmal auftreten und endgültig beseitigt werden. Dadurch kann die Möglichkeit zur Häufung des ersten Hindernistypes wahrgenommen werden, ohne dass die Paarreihe in sich wiederholende Einzelentführungen zerfiele.168 Mit der endgültigen Aufklärung über den Tod Neros, nach vorhergegangener Aufklärung über die Identität Octavias und die nicht erfolgten Heiraten beider neuen Paare, sind die Ressourcen für die innerlichen Hindernisse aber erschöpft, bis zum erneuten Zweifel an der Legalität der Auflösung des Verlöbnisses von Tyridates und Antonia in den Wohnungen des Andronicus, und also für einen hauptsächlich an plötzlichen Parteiwechseln – der Roxolaner (V/652–658), der Adiabener (V/1031–1040), wieder der Roxolaner (V/1117–1126). 167 Mit der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Konstellation ›spielt‹ der Autor, wenn er sie durch Begleitumstände wahrscheinlich macht. Vgl. III/457–466. 168 Vgl. dagegen die Bemerkung zum Herkules Bucholtz’ bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 738: »Ainsi Herkules et Valiska, qui s’aiment depuis leur enfance, sont séparés par des incidents ou accidents sensationnels et banaux à la fois, par des enlèvements qui se produisent pour ainsi dire en chaîne.« Und ebd., S. 743, Anm. 3: »Anton Ulrich ne renonce pas aux aventures traditionnelles, aux épreuves de la séparation physique […] ou psychologique […]. Mais ce sont des données en définitive secondaires par rapport à la séparation purement morale qui fait le tourment d’Octavia.« Die Besonderheit, die in der Verlegung des zentralen Konfliktes in die Heldin liegt, scheint auch hervor, wenn Cholevius: Die bedeutendsten deutschen Romane des siebzehnten Jahrhunderts, S. 242, bemerkt: »Die Auffassung dieser Kaiserin ist wohl die Krone des Werkes. Nie mag sich eine Frau, die in einer solchen Ehe [d.i.: mit Nero] lebte, mit so viel Verständigkeit, Würde und edelmüthiger Selbstverleugnung benommen haben.«

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beträchtlichen Zeitraum, alle Hindernisse beseitigt.169 Selbst wenn angenommen wird, die Ankunft in der Heimat Tyridatens, oder wenigstens am Hofe seines Bruders des parthischen Königs, sei implizite Heiratsbedingung, scheint die auf der Reise lange zusammen verbrachte, für das Paar ereignislose Zeit dem oben formulierten Gebot äußerster Handlungsknappheit und -geschwindigkeit, wenn kein Hindernis im Wege steht, wenigstens in diesem letzten Aspekt des geforderten, rasanten Fortschrittes, zu widersprechen. Hatte es vorher in der Paarreihe keinen einzigen Moment ohne wirksames Hindernis gegeben,170 erstehen die neuen Hindernisse nach einer Zeit der Sorglosigkeit und guten Hoffnung, da der Abstand zum Handlungsziel sich mit dem räumlichen, in der Reise kontinuierlich verringerten Abstand zur Heimat Tyridatens, oder wenigstens dem Hofe seines Bruders des parthischen Königs, zu decken schien. Weiterhin gilt es, eine bloße Aneinanderkettung von Entführungen zu vermeiden, hinzukommt aber für diese neue Phase das Verbot einer Wiederholung auch der ersten Lösung für dieses Problem. Die zweite Lösung besteht mithin in der Amplifikation der in die Paarreihe eingreifenden Bemühungen eines einzelnen Nebenbuhlers: Pacorus bedient sich, an das Unzureichende einer bloßen Entführung durch Labienus gemahnt (V/933–935), mehr ›innerlicher‹ Hindernisformen, des legalen Zweifels und der Erpressung; aus letzterer geht die Gefangenschaft Octavias, als eine dann freiwillige, nämlich erpresste, unmittelbar hervor, hingegen die Gefangenschaft Tyridatens aus der Pacorens Bemühungen hinterfangenden politischen Großlage. Erst, als sich diese zu Tyridatens und Vologesens Gunsten wieder gewendet hat, greift er, in einem letzten Verzweiflungsakt, mit dem pontischen Nero zur bloßen Gewalt der Entführung. Die Amplifikation betrifft also einerseits die gewählte Art des Eingriffes – den bewussten Verzicht, zunächst, auf unmittelbare Gewalt, den ›Umweg‹ über mehr innerliche Hindernisse;171 und seine Einbettung in einen aktuellen, außerordentlichen politischen Konflikt. Durch letztere wird Tyridates diesmal weitgehend in Ohnmacht versetzt, und insofern drastischer als in der ersten Phase, als seine scheiternden Bemühungen durchaus zielgerichtet sind. Was, im Rahmen des Untersuchungsbereiches, sich hinsichtlich der weiteren Hindernisstruktur abzeichnet, deutet auf eine variierende Wiederholung dieses zweiten Modelles: diesmal wird Tyridates, aufgrund der Verwechslung mit dem prophezeiten ›Tiberius‹, gefangen gehalten und erpresst, Nitocris zu heiraten; Octavia, falsch informiert, gibt zu dieser Heirat ihre Einwilligung. Wieder also 169 Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 27, bemerkt denn auch: »Der Roman hätte allerdings hier abgeschlossen werden können.« 170 Selbst, als Octavia sich in das Bildnis Tyridatens verliebt, ist sie mit Lucius Silanus schon verlobt. 171 Die innerlichen Hindernisse der ersten Phase waren demgegenüber dem Eingreifen eines Nebenbuhlers gerade nicht geschuldet: Nero kann als Nebenbuhler nicht angesehen werden.

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eine Einbettung in einen außerordentlichen politischen Konflikt – die Machtfrage in Indien knüpft sich an die korrekte Identifizierung des prophezeiten Heilandes, dann aber daran, welcher der regierenden Könige diesen zum Schwiegersohn machen kann; wieder gibt es eine Mischung mit ›innerlichen‹ Hindernissen. So also sehen die unterschiedlichen, durchaus beeindruckenden Lösungen aus, bei bestehendem Gebot der Handlungsknappheit außerhalb der Hindernisse,172 über dieselben, ohne bloße Wiederholung des prinzipiell häufbaren Hindernistypes, der Paarreihe einen ihrem integrativen Status angemessen Umfang zu verschaffen.

5.10. Der politische Handlungsbereich der Römischen Octavia 5.10.1. Grundlagen: Möglichkeiten der Reihenbildung im politischen Handlungsbereich Die Diskussion der Strukturen des Handlungsmediums im Liebesbereich und der dort anzutreffenden Verfahren zur Variation fanden oben (Kap. 3.1.1) ihren Ausgangspunkt in den Reaktionen auf die besonderen Pressionen, denen die Liebeshandlung als finalisierte Haupthandlungsreihe ausgesetzt ist; und konnte, von dort aus, Veränderungen in den Blick nehmen, die, einmal, einen exponierten integrativen Rang noch zur Bedingung hatten, und die, ferner, in dem Abseits der inferioren Ränge möglich wurden. Eine solche Ausrichtung kommt für den politischen Bereich direkt nicht in Frage, weil darin, im Korpus, eine Haupthandlungsreihe nicht gebildet wird, die Hauptlast der Integration also auf einer Reihe des politischen Bereiches nicht zu liegen kommt.173 Indirekt aber kann gefragt werden, welche Art politischer Handlungsreihe am ehesten für eine solche integrative Funktion geeignet wäre. Anders als im Liebesbereich ist die Handlungsträgerschaft in politischen Handlungen variabel. Möglich ist die Orientierung bei der Reihenbildung an einer politischen Einheit (›politische Geschichte Adiabenes‹), an dem Verhältnis mehrerer politischer Einheiten (›Geschichte des römisch-britannischen Verhältnisses‹), an einer Herrschaftsdynastie (›Geschichte des augusteischen 172 Das Gebot verliert in der zweiten Phase zwar, wie beschrieben, etwas an Geltung; und es gibt wenige Elemente, die es verletzen – in denen also ein Zusammenleben, gar eine Misshelligkeit, ohne direkten Bezug zum Handlungsziel thematisiert wird – (IV/934, V/13–15, VI/ 374f); zum Umfang der Reihe insgesamt und zu seiner Relationierung mit der umgebenden Handlung tragen diese aber so gut wie nichts bei. 173 Einen eigenen politischen Handlungsbereich bilden überhaupt nur die Romane Octavia, Höfe und Statist aus.

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Stammes‹), der Vergabe des Spitzenamtes (›Regierungswechsel in Ethiopien‹), einer bestimmten Regierungsperiode (›Regentschaft des Nero‹), einer im politischen Feld sich bewegenden Figur (›politische Karriere Gustavens‹), einer politischen Partei (›die pisonische Verschwörung‹), an politischen Verfahren (›Beratungssitzung‹, ›Amtseinführung‹). Mögliches Handlungsziel ist für die meisten dieser Handlungsträger das eigene Ende, möglicher Einsatz das eigene Beginnen (›Aufstieg und Niedergang Adiabenes‹, etc.). Für die Bildung einer Erwartungssicherheit stiftenden Handlung nötig ist aber die Einführung qualifizierter Zustandsänderungen.174 Für den Liebenden ist die Trennung von der Geliebten schlecht, die Vereinigung gut: auf sie wirkt er hin. Dem könnte auf staatlicher Ebene die Unterscheidung guter und schlechter Herrschaftsausübung an die Seite gestellt werden, bzw., je nach Spezifikationsgrad der politischen Verfahren, ihrer Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit. Im zwischenstaatlichen Verhältnis ist an die Unterscheidung von Freiheit und Abhängigkeit zu denken, für Dynastien, Einzelfiguren und Parteien sind politischer Erfolg oder Misserfolg entscheidend. Robuster bleiben die Verfahren, Regierungsperioden und Regierungswechsel in ihrer neutralen Abfolgelogik. Entsprechend werden in der Römischen Octavia folgende Handlungstypen identifiziert: – die Usurpationshandlung bezeichnet, voll ausgebildet, die Abfolge guter, schlechter und wieder guter Herrschaft;

174 Günter Dammann: Fakten und Fiktionen im Roman bei Eberhard Werner Happel, Schriftsteller in Hamburg. In: Johann Anselm Steiger (Hrsg.): Hamburg. Eine Metropolregion zwischen früher Neuzeit und Aufklärung, Berlin 2012, S. 461–474, hier: S. 463f, sieht in allen hohen Romanen – unmittelbarer Bezugspunkt sind hier die Romane Bucholtz’ – ein gleiches strukturelles Muster realisiert. Handlungsträger sei ein »aus mehreren Personen bestehendes institutionelles Subjekt«, ihm stehe ein ähnlich konstituierter Antagonist gegenüber. »Der Handlungsweg setzt über eine Eingangskonstellation ein, deren struktureller Kern sich bei genügender Abstraktion stets als eine Beziehung zwischen Subjekt und Antagonist beschreiben lässt, in welcher das Subjekt in seiner Verfügung über den ihm zugehörigen Raum, in der Beherrschung des ihm zustehenden Territoriums und damit im Umfang seiner institutionellen Identität bedroht wird oder bereits beschränkt ist. Die Auseinandersetzung kann unter verschiedenen Axiologien, also unter verschiedenen staatstheoretischen Prämissen erscheinen, auch entweder vorwiegend innenpolitische oder vorwiegend außenpolitische Gestalt annehmen. Der syntagmatische Verlauf in seiner Struktur indessen, mag er seinerseits in seinen Realisierungsformen komplex oder gar kompliziert erscheinen, strukturell ist er es nicht: Es geht um das Zurückschlagen der Bedrohung und des Angriffs und vor allem um die Vernichtung des Antagonisten. Das hohe Syntagma endet (Einzelfälle der Begnadigung ausgenommen) mit dem Sieg des Subjekts und dem Tod seines Gegners.« Verschiedene Grade der Erfüllung dieser strukturellen Vorgabe weist Dammann schon für den Africanischen Tarnolast Happels nach (S. 464f), werden unten für die politischen Handlungen der Römischen Octavia nachgewiesen.

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– die Erbfolgehandlung bezeichnet die Bemühungen zu einer rechtmäßigen Erbfolge zu gelangen, wo diese seis durch ›natürliche‹ Probleme (Erbenmangel), seis durch usurpatorische Unternehmen (›untergeschobene Erben‹) gestört wurde; – die Neuregelungshandlung bezeichnet die Zustandsänderungen in den Verhältnissen Roms und der übrigen politischen Einheiten; der neutrale Begriff wird gewählt, weil eine entschiedene Qualifizierung etwa der Freiheit als gutem Zustand, der Abhängigkeit als schlechtem Zustand nicht nachgewiesen werden kann; – die Destabilisierungshandlung wird unten (Kap. 5.10.2), nach langer Diskussion der auch anwendungsfähigen Alternativen, als zur Beschreibung der römisch-politischen Handlung geeigneter Begriff angeführt, beinhaltend den Übergang von politischer Stabilität zu politischer Instabilität; – für die figurenbezogenen Reihen politischer Karrieren wird in der Regel, vom Handlungsziel ausgehend, der Begriff der Krönungsreihe gebraucht. Leicht ist in diesem Reservoir die geeignete Kombination für eine integrativ belastbare, Erwartungssicherheit stiftende Reihe zu finden: die deutliche Profilierung eines schlechten Zustandes der möglicherweise mittels einer Irritation der Erbfolge herbeigeführten Usurpation garantiert im Handlungsträger einer Krönungsreihe und in der ihn unterstützenden politischen Partei die Handlungsmotivation; sein politischer Erfolg, sein Herrschaftsantritt besiegelt die Wende hin zum guten Zustand, verbunden mit dem Wiederaufstieg der Dynastie, der er angehört, mit der Klärung eines zwischenstaatlichen Verhältnisses im Sinne größerer Freiheit und mit der Restabilisierung des politischen Systems insgesamt. Das wäre eine Akkumulation aller im politischen Handlungsbereich zur Verfügung stehenden Mittel. Möglich ist aber zusätzlich, und gerade von dieser Kombination aus, eine funktionale Verschränkung mit einer Liebeshandlung, und dadurch die gegenseitige Verstärkung der je erwartungsbildend wirkenden Momente.175 Nötig ist dazu mindestens die Krönungsreihe und die Bindung der entscheidenden Zustandsänderung zum Guten an ihr Handlungsziel.176 175 Folgt man der Darstellung bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 819, scheint diese Anlage desto unwahrscheinlicher zu werden, je eigenständiger und komplexer der politische Handlungsbereich gegenüber dem Liebesbereich sich entwickelt: »Quant au roman traditionnel, l’histoire y est avant tout un décor prestigieux pour des actions héroïques accomplies au service de l’amour tout-puissant, pour des aventures qui ne sonst pas d’abord et essentiellement politique.« Die Helden des Herkules von Bucholtz und La Calpranèdes geraten nur zufällig auch in politische Handlungen. Über die Clélie heißt es: »L’alliance de l’amour et de l’ambition – ›liebe und ehrsucht‹ –, si charactéristique d’Octavia où la formule est mainte fois employée, n’est pas ici essentielle, pas plus chez La Calprenède, où la gloire d’une couronne est seulement le complément obligé d’un amour exemplaire, triomphant de

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Was lässt sich anhand der vorgestellten Schemata nicht fassen? Die politische Handlung der Cheruscer und Hermunduren hat die Neuregelungshandlung der römisch-teutschen Auseinandersetzung in der Elterngeneration von Italus, Thumelicus etc. zur bekannten, also nicht eigens auserzählten Voraussetzung.177 Folge derselben ist zum einen das römische Exil der Angehörigen der eigentlich herrschenden Dynastie; und eine problematische Erbfolge im Hermundurenland (III/410f). Letztere führt zur Übernahme der Identität des jung verstorbenen Jubilius durch den exilierten Beor, und also, strenggenommen, zu einer Usurpation des hermundurischen Thrones durch einen Ethiopier;178 – der aber davon selber nichts weiß, und später bereitwillig seinen Anspruch an den rechtmäßigen, inzwischen befreundeten Erben abtritt. Das Exil der Thronanwärter bedeutet, dass es im Chersucerland selber zu keiner gewöhnlichen Erbfolge mehr kommen kann, sondern dieselben gelegentlich aus Italien dorthin zurückkehren und zusehen müssen, ob sie in der Gemengelage alter und neuer Feindschaften bestehen können. Das Scheitern der so zustande kommenden Herrschaftsverhältnisse ist offensichtlich,179 lässt sich aber kaum mit Hilfe des Usurpationsschemas begreifen. Nur Italus, wenn er weiß, dass er Italus ist, ›passt‹ zu den

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l’adversité.« (Ebd., Hervorhebung durch mich, S.W.) Die Beschreibung der erstmaligen Hinzufügung des politischen Handlungsbereiches zu dem von Heliodor übernommenen Handlungsschema in der Argenis Barclays in Meid: Die deutsche Literatur im Zeitalter des Barock, S. 538, betont die zwanglose Erweiterung der im Liebesbereich schon vorliegenden Funktionen ins Politische: »Es gibt keine Trennung von privater und öffentlicher Sphäre, die Liebesgeschichten sind zugleich Staatsaffären. So ist der Kampf der Bewerber um Argenis, die Tochter des sizilischen Königs Meleander, zugleich ein Kampf um die künftige Herrschaft in Sizilien.« Noch über den zweiten Teil des Arminiusromans Lohensteins schreibt Thomas Borgstedt: Reichsidee und Liebesethik. Eine Rekonstruktion des Lohensteinschen Arminiusromans. Tübingen 1992, S. 19f: »Behandelt wird das moralische Verhalten der einzelnen germanischen Fürsten innerhalb des Liebesgeschehens, das jeweils auf ihre politischen Ereignisse bezogen ist. Das Versagen in der moralischen Bewährung ist dabei jeweils gleichursächlich mit dem Verrat an der deutschen Sache, dem Bündnis mit Rom. Die Liebe der deutschen Fürsten wird so im Roman zum zentralen Symbol ihrer politischen Eintracht.« Vgl. hierzu die Ausführungen oben (Kap. 3.1.1), bei den ›Variationen der Liebeshandlung‹, zu den funktional verschränkten Liebeshandlungen und Krönungsreihen in den Europäischen Höfen. Thumelicus: »Ihr wisset beiderseits / so wol als ich / was sich bey des Arminius und Flavius / unserer Väter / Leben zugetragen: daß ich also meine Zeit übel anwenden würde / wann ich euch mit so bekannten Dingen die Ohren füllete.« (III/409) Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 662f. Thumelicus scheitert an der Intrige eines alten Feindes seines Vaters (III/413f); ›Italus‹, in Wirklichkeit ja Drusus, ist, in Ravenna und Pompeji aufgezogen, bei seinem ersten Anlauf zu römisch (I/627–634). ›Drusus‹ gewinnt, durch die Fürsprache der seine Identität ihnen wahrscheinlich enthüllenden Ramis, die Gewogenheit der Cheruscer zwar sofort, meint aber seinem Freund ›Italus‹ sein Anrecht nicht streitig machen zu dürfen und verhilft ihm zum zweiten Anlauf, der in eine gewaltsame Auseinandersetzung mit dem Adel mündet, die ›Italus‹ nicht gewinnen kann (I/348f, 636–638).

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Cheruscern. Angemessen ist, vor seiner Rückkehr, dass kein König regiere (I/ 634); Thumelicus, Drusus und ›Drusus‹ – also Italus, bevor er weiß, dass er Italus ist – sind gute Herrscher an der falschen Stelle.180 Möglich – und dann, in der glücklichen, ›passenden‹ Herrschaftsübernahme Italens überdeckt und fallen gelassen – wird in dieser Konstellation die einigermaßen wertfreie Zeichnung einer konstitutionellen Konfliktlinie zwischen Königtum und hohem Adel.181 Die politische Handlung Schwabens kann keinem Handlungstyp eindeutig zugerechnet werden: der Erbkonflikt, der dem Krieg zwischen Vangion und Sidon mit ihrem Onkel Vannius zugrunde liegen mag, wird nicht erläutert; die zwischen den Brüdern ausbrechende Rivalität hat ihren Grund in einer Liebeshandlung. Erst nach dem Tod des Vannius und des Vangion – so ist aber das Fazit – gelangt Sidon in ruhigen Besitz ganz Schwabens (VI/245). In den umfangreicheren politischen Handlungen vor allem Roms und Parthiens gibt es ›überstehende Ränder‹, also Ereignisse, die nur lose mit den über Usurpation, Erbfolge oder Neuregelung integrierten Handlungsreihen verknüpft werden können. Für Parthien ergibt sich die Perspektive einer groß angelegten dynastischen Verschiebung. In der römisch-politischen Handlung reichen dynastische und usurpatorische Perspektiven unterschiedlich weit in die Claudius vorangegangenen Regierungsperioden zurück.

5.10.2. Konkurrierende Handlungsschemata in der römisch-politischen Handlung Die folgenden Ausführungen können zum einen als Nachtrag der oben (Kap. 2.4.2) offen gebliebenen Frage gewertet werden, wie die römisch-politische Handlung als einheitsbezogene Reihe eines anderen Handlungsbereiches das für den Einheitsbezug gegebene Kriterium der Subsumierbarkeit zu wenigen Elementen erfülle. Zum anderen dienen sie der Explikation des eben gemachten 180 Der Eindruck einer quasi-unfehlbaren Intuition des zu beherrschenden Volkes scheint durch das Nachbarland der Hermunduren, die jahrelang friedlich die Herrschaft des ›Jubilius‹ dulden, gleich in Frage gestellt. Einzuwenden wäre allenfalls, dass Beor seine andere Identität früher annimmt als Drusus, den Germanen fremde Sitten also gar nicht erst anerzogen bekommen konnte. Zum beinahe absurd unglücklichen Schicksal Thumelicens vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 668–673. 181 Der hohe Adel duldet eine längere Absenz des Königs nicht (I/626f, 631–634); der hohe Adel sucht die Partnerwahl des Königs zu kontrollieren: er muss die Tochter ihres mächtigsten Vertreters heiraten (I/627–631); der hohe Adel kann den König absetzen und entscheiden, selber zu regieren (I/634); der König rächt sich am hohen Adel durch ihre Niedermetzelung (I/636–638) und verliert gegen ihn einen Krieg. – Zur ausbleibenden, fiktiven Idealisierung Germaniens, im Unterschied etwa zum Arminius Lohensteins, vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 659–661.

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Argumentes, die römisch-politische Handlung komme als Haupthandlungsreihe wegen mangelnder Spannkraft nicht in Betracht – das ja, obwohl sie an Umfang und Integrationsleistung die eigentliche Haupthandlungsreihe Tyridates-Octavia weit übertrifft.182 Beide Aspekte könnten als stark konstruierte Problemstellungen zurückgewiesen werden. Tatsächlich lässt sich, mit ihnen als Ausgangspunkt, eine umfassendere Deutung der römisch-politischen Handlung des Romans entwickeln. So unmittelbar evident ihr Einheitsbezug insgesamt ist – gegeben sind allemal Textgrenzennähe,183 hinreichender Umfang, hinreichende Erstreckung, hinreichend herausgehobene Stellung im politischen Handlungsbereich –, die Wahl einer Leitunterscheidung, die in ihr hinreichend wenige Elemente unterscheidbar machte, ist angesichts ihrer enormen Komplexität alles andere als selbstverständlich. Entsprechend werden im Anhang nur die eindeutiger abzugrenzenden Akteursgruppen und die hierüber gebildeten Reihen gelistet (Regentschaften, Verschwörungen, die Aktivitäten der Verbliebenen des claudischen Hauses); und entsprechend soll der favorisierte Vorschlag iv) einer Beobachtung und Reihenbildung anhand der Leitunterscheidung stabil/instabil an dieser Stelle vorgetragen, und mit möglichen anderen Leitunterscheidungen und Reihen hinsichtlich ihrer Plausibilität und ihres Integrationsvermögens verglichen werden. Das sind i) die Unterscheidung der Regierungsperioden, ii) die Unterscheidung einer Dynastie als Handlungsträger und iii) die Beobachtung nach dem Usurpationsschema.184 i) Die Reihe der kaiserlichen Regierungsperioden umfasst, in der histoire, neun Elemente;185 als Gliederung der Gegenwartsgeschichte, und damit des dis182 Sodass auch hier behauptet werden könnte, im politischen Handlungsbereich liege der »eigentliche Stoff des Romans«, wie Günther Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock. Potsdam 1927, S. 248, mit Bezug auf die Aramena formuliert. 183 »Rom« ist das erste Wort des Romanes, das erste Wort jedes Teilbandes. 184 Vgl. für eine Liste für die ersten vier Bände typischer Situationen und Vorgänge in der politischen Sphäre Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«. Diss. Masch. München 1974, S. 102. Eine Beobachtung nach dem Schema Verwirrung/Entwirrung, das Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 248, an der eben zitierten Stelle für die Aramena geltend macht, käme allenfalls für die Bemühungen der Claudius-Kinder in Frage, die ja tatsächlich auf Täuschungen über Identitäten und vermeintliche Tode hauptsächlich beruhen: deren wesentliche sind aber bei dem endgültigen Scheitern Mitte des vierten Bandes, nach dem Tode Drusens und der Identifizierung Galgacens, aufgehoben, ohne dass deshalb die römisch-politische Handlung insgesamt »entwirrt« wäre: im Gegenteil bedingt ja gerade die ›Entwirrung‹ bei den Verschworenen die fortdauernde Unberührtheit der ›eigentlichen‹, historiographisch bezeugten römischen Geschichte von ihren Bemühungen. Was dann an Täuschungen über Nero noch fortdauert, bleibt strukturell marginal oder folgt demselben Muster einer nur potenziellen Einwirkung auf den Geschichtsverlauf. 185 Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, Nero, Galba, Otto, Vitellius, Vespasianus.

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cours als Ganzem, wird sie erst ab deren Einsatz wirksam, umfassend dann fünf Elemente; lässt sich der Leser durch die mehr oder weniger verlässliche Koordination von Bandgrenze und Regierungswechsel zu der Aufnahme der stadtrömischen Quasi-Herrschaft Nymphidiens in die Reihe verleiten, ergibt sich eine dem Gedächtnis überaus willkommene und bequeme Entsprechung dieser modifizierten Reihe186 und der Reihe der sechs Teilbände.187 Dass alle Verschwörungen eine Neubesetzung des kaiserlichen Amtes zum Ziel haben;188 dass die Kaiser selber aus entsprechenden Verschwörungen in der Regel hervorgehen,189 wird als hinreichender Beweis für ihren funktionalen Bezug zu der gebildeten Reihe gelten können – insofern wäre in ihr das gesamte politische Geschehen integriert.190 Alle Kriterien für einen Einheitsbezug sind damit erfüllt. Wo liegen die Probleme? Es handelt sich erstens um eine lineare, auf bloßer, variierender Multiplikation beruhende Reihe, die aus sich selbst keine Stoppregel generiert. Die Anzahl ihrer Elemente ist, zweitens, für einen Einheitsbezug in der reinen histoire-Fassung (neun Elemente) zu hoch, bei Berücksichtigung des Einsatzes der Gegenwartsgeschichte (fünf oder sechs Elemente) am oberen Limit, verwunderlich jedenfalls wäre es, wenn nicht, auf genügend hohem Abstraktionsniveau, die 186 Die Reihe hätte dann sechs Elemente. Das erste von dem Romaneingang bis zum Selbstmord Neros, das zweite bis zur Ermordung Nymphidiens, das dritte bis zum Tod Galbas, das vierte bis zum Selbstmord Ottos, das fünfte bis zur Ermordung Vitelliens, das sechste bis zum Ende des Untersuchungsbereiches (Seitenbelege im Anhang); wie die Reihe in den beiden Folgebänden folgerichtig fortzusetzen wäre, ist in der Tat, da Vespasianus ja aller Voraussicht nach eine Weile regieren wird, fraglich. 187 Vgl. Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 19: »Technisch ist die politische Handlung hervorrragend [sic!] scharf gegliedert. In jedem Teil steht einer der Thronanwärter im Vordergrund und verleiht dem Charakter des Teils die besondere Nuance.« Vgl. auch ebd., S. 30f, und Hofter: Vereinzelung und Verflechtung in Herzog Anton Ulrichs »Octavia. Römische Geschichte«. Diss. Masch. Bonn 1954, S. 56. 188 Vgl. die Einschätzung bei Mazingue: Anton Ulrich, S. 821: »Dans Octavia, les premières lignes évoquent les présages funestes qui annoncent la fin prochaine de Néron; ainsi se trouve immédiatement introduit le thème politique qui commandera toutes les actions du roman: celui de la succession impériale.« 189 Die dadurch gegebene Kontinuität zwischen den fiktiven Verschwörungen und den erfolgreichen, historisch beglaubigten Verschwörungen sieht Mazingue als für die Integration von Historie und Fiktion wichtige Technik an – vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 818f: »La fable présente donc l’enchevêtrement d’une tyrannie réelle – celle de Néron et de ses successeurs – et de complots imaginaires qui ont tous pour but la prise du pouvoir. Cette idée est réalisée avec d’autant plus de bonheur que la période choisie est elle-même riche en intrigues, ne serait-ce que parce que chacun des Empereurs, après Néron, a dû, pour prendre le pouvoir, travailler d’abord dans le secret à préparer la chute du tyran en place.« 190 In diese Richtung weist die knappe Definition Mahlerweins, der die politische Handlung insgesamt gleich mit der römisch-politischen Handlung gleichsetzt: »Die politische Handlung, die Bemühungen verschiedener Männer, die sich nach Neros Tod zu seiner Nachfolge berechtigt fühlen, um den römischen Thron, […].« (Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 31)

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Fülle der römisch-politischen Handlung sich in noch weniger Elemente gliedern ließe. So sind, drittens, die Vorteile der Reihe – ihre Eignung für das Gedächtnis, ihre Koordination mit den Bandgrenzen, ihre einfache Multiplikationsregel – auch ihre Nachteile: sie generiert, hinsichtlich der in ihr gleichgesetzten Regierungsperioden, keine Information, verbietet also eine ordnende, qualifizierende Gegenüberstellung der einzelnen Herrscher sowie der ihnen beigeordneten oppositionellen Unternehmen; ja sie verdeckt Information, wenn sie, wie zur Promotion der eigentlich nur verschwörerischen ›Herrschaft‹ Nymphidiens, zur Gleichsetzung der vierzehnjährigen Regierung Neros und seiner ephemeren drei Nachfolger verführt. ii) Orientiert man sich hingegen an dem von Augustus bis Nero herrschenden Hause als der entscheidenden Größe, erlaubt das Kriterium dieser Zugehörigkeit eine qualifizierende, zu der von Herrschenden und Verschwörern quer liegende, also auf beiden Seiten wirksame Unterscheidung.191 Über den Aufstieg des Augustus, die Begründung der Dynastie, bietet keine der Geschichten Informationen; über den Verlauf etwa der Regentschaften des Tiberius und Caligula kann etwas gesagt werden, die Masse an Informationen liegt aber, ab der Regentschaft des Claudius, bei denjenigen Entwicklungen, die zum Untergang des Hauses führen. Die Handlungsreihe, die hier gebildet werden kann, verfügt also, seis mit dem Verlust des Kaiseramtes, seis mit der Aufgabe des Anspruches darauf, über ein plausibles, erwartbares Ende, das sich tatsächlich in dieser Abstufung, also an zwei Akteursgruppen vollzieht: die entsprechende Spaltung geht auf den innerdynastischen Konflikt zurück, in dem, unter Claudius, seine letzte Ehefrau Agrippina ihren aus früherer Ehe mitgebrachten Sohn Domitius Nero als Thronfolger gegen die leiblichen Kinder des Kaisers durchsetzt.192 Während der Regentschaft Neros ist, jedenfalls für Plautia Urgulanilla, die Revision dieser Erbfolgeregelung wichtiger als die Befreiung vom Tyrannen.193 Nach dem Tode Neros behaupten die früheren Ehefrauen Plautia Urgulanilla und, in geringem

191 Unterschieden werden die Kaiser von Augustus bis Nero; und die Verschwörungen Plautia Urgulanillas, Claudias und ›Drusens‹. 192 Claudia und Drusus von Plautia Urgulanilla; Antonia von Aelia Petina; Octavia und Britannicus von Valeria Messalina. 193 Dass sie die Tyrannei Neros als eine günstige Voraussetzung für den Machterhalt ihres Sohnes gar zu erhalten sucht, dieser Fall tritt ein, wenn sie die große pisonische Verschwörung verrät, weil sie fürchtet, gegen den beliebten Piso würde sich Drusus nicht mehr durchsetzen können. Vgl. I/407: »Wie ich [Plautia Urgulanilla] nun nach und nach für diesen meinen Sohn [Drusus] gesorget / also hat die mütterliche Regung auch verursachet / daß ich den Piso unlängst gehindert / Kayser zu werden / wie er die grosse Verschwerung gegen dem Nero für hatte: dann ich mir die Rechnung leicht machen konte / wann ein dem Volcke so beliebter Mann einmahl die oberste Gewalt erlanget hätte / daß alsdann für meinen Sohn nichts mehr würde zu thun seyn.«

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Maße, Aelia Petina,194 sowie die Kinder Drusus/›Drusus‹, Antonia und Claudia195 den Anspruch des claudischen Hauses auf den Thron: für sie und die ihnen in Liebe und Freundschaft Verbundenen196 ist, bei der Bestimmung desjenigen, der Kaiser werden soll, das dynastische Argument – für die übrigen Verschworenen nur ein Argument unter vielen197 – zwingend,198 wobei sich abzeichnet, dass Plautia Urgulanilla ihre Kinder den übrigen Claudiuskindern vorzieht.199 Diese feine Trennung: dass bei ihr das dynastische Prinzip die ehrgeizige Identifikation mit ihrem Sohn nur verhüllt, und bei den Protagonisten der Folgegeneration als Prinzip die Eigeninteressen schlägt, wird sinnfällig, wenn der Tod Drusens den Selbstmord jener nach sich zieht (IV/794f), diese aber, Rom buchstäblich den Rücken kehrend, weiterleben.200 Großflächig wären, heißt das, innerhalb der Reihe kausale Relationierungen nach folgenden drei Gesichtspunkten zu kennzeichnen, die allesamt auf die Frage nach den Gründen für den Untergang des Augustus-Stammes bezogen sind: Wie kommt es zur Erbfolge Claudius – Domitius Nero? Wie kommt es zum Sturz Neros? Wie kommt es zur Aufgabe des Herrschaftsanspruches bei den Verbliebenen des Hauses?

194 Sie beherbergt ›Drusus‹ nach seinem vermeintl. Erstickungstod (I/339), stirbt aber bald nachdem Agrippina Kaisern geworden ist (I/362f). 195 Britannicus ist (allerdings erst in der dritten Textschicht) von seinen Rettern der Eid aufgedrungen worden, »daß er niemahlen dahin trachten solte / sein habendes Recht an das Kayserthum zu verfolgen / besonders forthin unter einem fremden Nahmen / sein Leben in den allerentlegensten Landen zu verbringen.« (VI/750) Octavia bindet an Nero ihre Ehe und der doppelte Eid, dass sie bei seinem Leben niemand anders; und nach seinem Tode keinen Kaiser heiraten werde (II/146). Sie könnte ja als Tochter des Claudius die Kaiserwürde nur in ehelicher Verbindung erlangen. 196 Das sind, im engsten Kreis, ›Jubilius‹, Tyridates, ›Italus‹, Cynobelline. 197 Entscheidend ist allein die Aussicht auf Erfolg. Zu diesem kann die Abstammung beitragen; wichtiger aber sind stadt-römische und provinzielle Macht – vgl. I/409f, 615f. 198 So weicht ›Drusus‹ vor ›Italus‹ und Antonia zurück, solange er an die Möglichkeit einer glücklichen Verbindung zwischen ihnen glaubt (I/372); Tyridates gibt seinen durch die Ernennung durch ›Nero‹ erlangten Anspruch an ›Drusus‹ ab (I/47f); die Reaktualisierung der Liebe des ›Italus‹ zu Cynobelline macht eine glückliche Verbindung zwischen ihm und Antonia unmöglich, führt also zur Geltendmachung des Anspruches des ›Drusus‹ bei diesem selber, auf Zuspruch Antonias hin (I/321–328); entsprechend weicht ›Italus‹ vor ›Drusus‹ zurück (I/392f). Claudia widmet ihre Bemühungen ›Drusus‹, als sie von seinem Dasein erfährt (II/930f). ›Drusus‹, als er von der Vertauschung erfährt, gibt seinen Anspruch ohne weiteres an den echten Drusus ab (III/188). Zwischen ›Britannicus‹ und Drusus wird ein Gleichrang vereinbart (IV/477–481). 199 Sie fürchtet für Drusus, als sie von den Gerüchten über den noch lebenden Britannicus erfährt (IV/363f); die Nachricht vom Überleben Antonias bleibt in ihrer Partei praktisch folgenlos (III/17f). 200 Immerhin verläuft der Konflikt am Donaudelta noch entlang der römischen Parteilinien; und fasst Italus, als Vespasianus tot scheint, eine erneute Kaiserkandidatur ins Auge.

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Die Ergiebigkeit einer solchen Reihe sollte daran, dass die dynastische Perspektive für das Verständnis der politischen Handlung Roms wenigstens auch einzunehmen ist, keinen Zweifel lassen: ausdrücklich nimmt sie ja bereits der Eingangsabsatz des Romanes ein (I/15f). Dennoch ergeben sich, blickt man auf die römisch-politische Handlung als ganze, zwei Probleme: zum einen setzt die Gegenwartsgeschichte ein, als der innerdynastische Konflikt bereits lange entschieden, als auch die wichtigsten, zu Neros Sturz führenden Schritte bereits vollzogen sind.201 Zur Gliederung des discours als Ganzem aber taugen analeptisch nachgetragene Ereignisse der histoire allenfalls bezogen auf die im Rahmen der Analepsenreihe zu qualifizierende Analepse, nicht per se. In der Gegenwartsgeschichte leisteten der Sturz Neros, der Tod Drusens, vielleicht noch der Selbstmord Plautia Urgulanillas und der (vermeintliche) Tod Claudias als Abschlüsse der oben genannten Reihen eine etwas magere Gliederung, zusammenfallend mehr oder weniger mit dem Regierungswechsel Nero → Galba und der ersten Bandgrenze, dem Regierungswechsel Otto → Vitellius und der vierten Bandgrenze. Eine Ebene darunter erst, eine schwierigere Analyse der Gründe für die Aufgabe des Herrschaftsanspruches vorausgesetzt, ergeben sich originäre Markierungen202 – mit einem Schwerpunkt in der ersten Hälfte des ersten Bandes: hier sorgt das unzeitige Erscheinen des ›Drusus‹ auf der politischen Bühne der großen gegen Nero gerichteten Verschwörung für deren Zersplitterung und, mittelbar, für das Verschwinden des echten Drusus bis in die Regierungszeit Galbas hinein, einem Zeitpunkt, wo Nero, als gemeinsamer Gegner, die Opposition schon nicht mehr integriert, also die inneroppositionelle Politik Plautia Urgulanillas wirkungslos geworden ist; wo Trebellius Maximus mit Galgacus einen ›Britannicus‹ ins Spiel bringt, der die Claudius-treue Opposition trügerisch zu stärken, ja in beiden Bürgerkriegslagern zu etablieren scheint; und Drusus, als kaiserlicher Prätendent neben anderen, als er selber, d. h. ohne den Beistand der ihn für Italus haltenden Teutschen agieren muss – kurzum: die größten Chancen für die Restitution des claudischen Hauses gibt es unter Nero, und unter Nero, etwa zwei Monate vor seinem Sturz bereits, werden sie verspielt.203 Der Leser aber, zumal der erste Leser, wird das Gewicht 201 Das sind der Abfall des Julius Vindex (I/377), Sulpitius Galbas (I/378) und des Heeres in Ober-Teutschland (I/384f). 202 Siehe hierzu die beiden Tabellen und den Kommentar im Anhang. 203 Zu den übrigen Kandidaturen: Mit dem Verschwinden ›Italens‹ ist der vermeintlich einzige lebende männliche Nachkomme von Claudius aus dem Spiel, d. h. es müssen Kombinationen mit den lebenden Töchtern desselben gefunden werden. Antonias rasche, vermeintliche Hinrichtung, entfernt auch sie aus dem Sichtfeld der Verschwörung. Tyridates entzieht sich Octavia gehorchend. Und Claudia flieht vor einer Heirat mit Nymphidius. Möglich wäre hier, bedenkt man die latenten Liebeshindernisse, eine Kombination Italus +Antonia, und, temporär, solange Tyridates nämlich an die Unmöglichkeit einer Liebe zu ›Neronia‹ glaubt, Antonia+Tyridates. Antonia, wie gesagt, gilt als tot; und da ihr Leben

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dieser Ereignisse nur rückblickend erkennen: es sind einmalige Vorgänge, und so bedeutend ihre Platzierung an dieser vorderen Stelle für die Ökonomie des Ganzen, so gering ist doch ihre erwartungsbildende und gliedernde Wirkung. Mit der Reihe der Regierungsperioden lag, zweitens, eine informationsarme, aber integrative, das gesamte politische Geschehen über direkte funktionale Bezüge umfassende Reihe vor; die Unterscheidung der Akteure des claudischen Hauses von allen übrigen Akteuren, in der gewählten Perspektive, führt zu einer informationsreichen Reihenbildung, die aber weite Teile der römisch-politischen Handlung nur sehr vermittelt oder gar nicht integrieren kann. Eine nahezu vollständige Integration ist bis zum Sturze Neros möglich, dann aber sind, bis zur Regierungsübernahme Vitelliens, sowohl die konkurrierenden, sich vervielfältigenden Verschwörungen, wie auch die neu an die Macht gelangenden Kaiser gleichermaßen, und, gemessen an der eigentlich bereitliegenden Information, unspezifische Gegner; ab der Aufgabe des Restitutionsanspruches ist auch ein solcher Bezug nicht mehr möglich. iii) Für eine Beobachtung der römisch-politischen Handlung anhand des Usurpationsschemas, der Unterscheidung also von rechtmäßiger und unrechtmäßiger Herrschaft, sprechen abermals der Eingangsparagraph, das heißt eine von dem Erzähler selber vorgenommene Perspektivierung;204 die vielfache Verwendbarkeit des Schemas innerhalb des Romanes für die politischen Handlungen anderer politischer Einheiten;205 und die Verwendung dieser Beobachtungsform durch politische Akteure selber. Die Usurpation als Vorgang bestünde in dem Übergang der Herrschaft von Claudius auf Domitius Nero; die Usurpation als Zustand setzte sich, nach dem Sturz Neros, unter Galba, Otto und Vitellius fort; und könnte, voraussichtlich, durch Vespasianus beendet werden. Auch diese Unterscheidung läge zur Unterscheidung von Opposition und Kaisern quer: auf beiden Seiten gibt es (potenzielle) Usurpatoren, und (potenzielle) Rechtmäßige. Es handelte sich um eine finalisierte, mit einer deutlichen, er-

wieder bekannt wird, zieht die Verschwörung Claudia mit dem Argument, Antonia könne von einer Heirat mit Tyridates durch eine Enthüllung der wahren Identität des ›Drusus‹ abgehalten werden, als Kandidatin vor (III/11–21). Die Unternehmungen ›Drusens‹ sind, sobald ›Italus‹ für tot gilt, der Verschwörung übrigens nicht mehr gefährlich. Seine Anhänger können bei Bedarf über seine Identität aufgeklärt und von ihm abgezogen werden (II/956), da es nun ungefährlich geworden ist, auch über ›Italus‹ aufzuklären. 204 Die entsprechende Perspektivierung geht der genealogischen Perspektivierung noch voraus: »ROm schwebte nun zwischen Furcht und Hoffnung / des unerträglichen Jochs einmahl entledigt zu werden / welches die Grausamkeit des Nero ihm aufgebürdet: […].« (I/15) Siehe auch die Eingangsparagraphen der übrigen Teilbände. 205 Das sind Adiabene, Comagene, Aquitanien, Britannien, Ethiopien, Judea und Parthien; am deutlichsten (und knappesten) in Comagene und Ethiopien.

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wartbaren Dreiteilung ausgestattete Handlungsreihe, die das gesamte politische Geschehen zu integrieren vermöchte.206 Die Einwände betreffen solche Gegebenheiten, die die mit dem Schema ja meist verbundene, scharfe Konturierung des politischen Geschehens verhindern; sie betreffen die informationelle Ergiebigkeit der Leitunterscheidung rechtmäßiger/unrechtmäßiger Herrschaft; und sie betreffen die Lagerung des Schemas in Bezug auf den Einsatz der Gegenwartsgeschichte. Das Beispiel Comagenes kann zur Vorstellung des Schemas in der knappesten, der eindeutigsten Form dienen:207 die Usurpation erfolgt durch die erklärte Abschaffung des Königtums seitens des dem Erbfolgen zum Vormund bestellten Statthalters; der Thronerbe flieht ins Nachbarland; und kann, mit fremder Hilfe, nach dem Tode des Statthalters die alte Ordnung wieder herstellen. Die Stabilität der Handlung im Sinne des Schemas garantieren die punktuelle, als ein politischer Vorgang zusammengefasste Usurpation; die Identität desjenigen, gegen den sich die Aggression während der Usurpation richtet, und desjenigen, der sie schließlich aufhebt; und die Eindeutigkeit des Unrechtscharakters der usurpierenden Herrschaft, hier ausgedrückt in der versuchten Änderung der Herrschaftsform überhaupt. Der Befund bei der römisch-politischen Handlung hingegen liegt anders. Notwendig punktuell und einmalig erfolgt die Regierungsübernahme Neros nach der Ermordung des Kaisers Claudius.208 Die Usurpation aber ließe sich auf dieses Ereignis nicht beschränken: Nero ist zu diesem Zeitpunkt durchaus legitimer Nachfolger seines Adoptivvaters und regiert, mit den Worten Abdons, zu Beginn »so wohl / und hatte ihm so einen guten Ruhm gemacht / daß Rom sich einbildete / die erste güldene Zeit der Welt unter ihme zu erleben.« (I/467) Früher und später muss also angesetzt werden, wenn klar werden soll, wie einerseits Nero die leiblichen Kinder des Claudius als Thronfolger verdrängen konnte, und wie Nero zu dem Tyrannen wurde, als der er im Romaneingang apostrophiert wird. Dann 206 Maria Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 15, bemerkt, dass die Möglichkeit einer solchen ›Schließung‹ der politischen Handlung erst durch die Erweiterung des ursprünglich geplanten Romanumfanges möglich wurde: »Der Reichsstoff selber hat gewissermaßen darauf gedrungen, nicht etwa – wie anfänglich geplant – nach dem Tod Galbas gewaltsam abgerissen, vielmehr bis zu einem natürlichen Haltepunkt fortgeführt zu werden; der Regierungsantritt Vespasians bot sich als solcher an […]. Dies ist keineswegs der einzige, aber doch ein sehr entscheidender Grund, warum auch der Leser der letzten Fassung nie das Gefühl hat, es mit einem zweimal verlängerten Roman zu tun zu haben, vielmehr scheint eigentlich erst die Endfassung eine wirklich befriedigende Ausgewogenheit zu erreichen: Wie die auf die Katastrophe zutreibende Tyrannei Neros am Anfang des Romans noch breit ausgemalt wird, so bildet nun – was den Westen betrifft – den Abschluß der ebenso eingehend dargestellte schwierige Beginn der erfreulichen Ära unter den ersten beiden Flaviern.« 207 Die Stellen: I/546, 576, 579–581. 208 In der histoire. Im discours entsprechen dem 13 Stellen (siehe Anhang).

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aber gerät eine ganze Serie von Ereignissen in den Blick, deren Beginn, mit der Heirat von Agrippina und Claudius, relativ leicht, deren Ende weit schwieriger festzulegen;209 und die in ihren einzelnen Vorgängen nur noch mit Mühe auf die Unterscheidung rechtmäßig/unrechtmäßig – weit eindeutiger aber auf den unter ii) beschriebenen innerdynastischen Konflikt zu beziehen ist, dessen Beobachtung kein Werturteil zugrunde liegt. Die Zuordnung der Akteure selber wird schwierig: Nero ist Objekt der von Agrippina initiierten Usurpation;210 was bedeutet dann, auf diese bezogen, seine im Muttermord mündende Emanzipation von ihr, was bedeuten ihre Pläne Nero zu beseitigen?211 Burrhus, Seneca und Pallas agieren zu Beginn seiner Herrschaft, wiewohl sehr vorsichtig, auf Seiten Neros gegen die mordlustige Agrippina (II/84), sie helfen, ihren Mord zu decken (II/129f) und wirken doch mit ihr in gleicher Absicht, wenn sie auf ein gutes Einvernehmen zwischen Nero und Octavia drängen (II/90f, II/97f, II/130f) und die Heirat Ottos und Poppeas forcieren (II/115–118). Und Sabina Poppea gewinnt, ohne eigentlich ein politisches Ziel zu verfolgen, in einer Verkettung von Intrigen Macht über Nero,212 diesen so in Bezug auf den Muttermord (II/128f) und die Ermordung Octavias entlastend.213 Immerhin scheint der Text auf die 209 Pythia, in der Geschichte der Octavia, setzt für die Grausamkeit Neros, kurz vor der Ermordung Britannicens, eine Art Latenzphase an: »Weil diesem Tyrannen das Gute so gemachsam verginge / als sich das Böse bey ihm einschliche / fiele er nicht gleich auf die grausame Mittel / sich seiner Mutter und Gemahlin abzuthun / sondern behielte / fürnemlich für die erste / noch lange Zeit eine grosse Verehrung / als die Vertraulichkeit zwischen ihnen bereits vorlängst hatte aufgehöret. Er zwange sich auch so sehr in seinen Gemüths-Bewegungen / daß gantz Rom mit ihm zufrieden lebte / und man an ihm / als einem so jungen Herrn / nicht sonderlich tadelte / daß er die Acte liebte.« (II/92) Vgl. auch die summarische Einschätzung ›Drusens‹, I/361. 210 Vgl. den Eingang der von Flavius Sabinus beigetragenen Novelle Der erfüllte Wunsch, II/195: »DEr Kayserin Agrippina war geweissaget worden / wann Nero ihr Sohn zur Regierung käme / würde er sie umbringen lassen; welches sie so wenig achtete / daß sie sagte: Er tödte mich dann immerhin / wann er nur die Regierung überkömmt.« Die Ermordung des Claudius erfolgt, als dieser die Zurücksetzung Britannicens zurückzunehmen droht (II/80f). 211 Zum Verhältnis Neros und Agrippinas: II/83–85, III/791, III/534, II/87f, VI/403, I/469f, II/90, I/750, IV/82, IV/ 77, II/98, II/113, II/115, II/118f, I/482, II/127–129. Zur Ermordung Agrippinas und den politischen Folgen: I/365, I/484, II/128–131, II/197–199, III/538, IV/920. Zu den Plänen Agrippinas, Nero zu stürzen: II/103, II/106–113, VI/402–407, IV/917, II/126–129. 212 Vgl. II/98–100, 114–118, 124f, 128–131, 134f, 138–152. 213 Man stelle sich einen ähnlichen Umgang mit der Werbungsphase der Liebeshandlung, auf der Ebene der Hauptpaarreihe, vor: anstatt der bündigen, gerade zehn Seiten umfassenden Version des Vasaces (I/128–138) und der noch stärkeren Raffung Octavias (III/211–214) eine Vervielfältigung der Berichte, bei unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunkten, sowie unterschiedlichen Graden von Raffung und Detaillierung; eine lange Reihe von Gesprächen über unterschiedliche Themen, in der die entscheidenden Schritte der Werbung kaum noch zu identifizieren wären; Unklarheit darüber, ob die Liebenden aus sich heraus, oder im Sinne einer anderen Figur agierten; überhaupt das Involviertsein einer Menge anderer Figuren, deren funktionale Zuordnung von perspektivischen Vorentscheidungen abhinge, also schwer fiele. – Ansätze zu einem solchen Verfahren zeigen sich in Selander-

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funktionale Unterminierung des Usurpationsvorganges zu reagieren, wenn er derjenigen Geschichte im zweiten Band, die die bedrohliche Komplexität der histoire hauptsächlich entwickelt,214 im ersten Band Geschichten voranstellt, die, mit größerem Abstand zum höfischen Geschehen, den funktionalen Wert desselben für die römisch-politische Handlung stärker hervorheben und gewissermaßen sichern können;215 außerdem, wenn er Pythia selber die grundlegende Bedeutung der Heirat des Claudius und der Agrippina betonen lässt.216 Die Usurpation als Zustand treffen ebenfalls bedeutende, den funktionalen Bezug auf die Usurpation tendenziell unterminierende Multiplikationen: zum

Arismenia; innerhalb der Octavia vielleicht am ehesten in der Liebeshandlung um Aelius Adrianus, Domitia Paulina, Annius Pollio und Servilia (Nr. 41). Der Einwand, eine solche Amplifikation sei nur im politischen Handlungsbereich möglich, muss also zurückgewiesen werden. 214 Die Geschichte der Octavia, mit 107 Seiten Umfang außerdem die längste Geschichte des Romans. 215 Bedingt dadurch, dass die Protagonisten Rom zeitweise verlassen, bei ihrer Rückkehr den veränderten Zustand also auf einmal erfassen können. Vgl. Popilia Plautilla in der Geschichte Claudia: »Es wird euch noch sinnlich seyn / weil ihr auch bald darauf nach Rom wieder kamet / und Obrister Schultheiß wurdet / in was trübseelig- und verwirrtem Zustande wir unser Vaterland gefunden / da des Nero Tyranney so überhand genommen / daß nichts so greuliches und unrechtfertiges konte erdacht werden / das dieser Wütherich nicht begangen hätte. Die Octavia und den Britannicus / des Kaysers Claudius Kinder / fanden wir nicht mehr im Leben: die er / sowol als seine Frau-Mutter / hingerichtet.« (I/298f) ›Drusus‹ in der Geschichte Drusus: »Unter solcher Zeit erfuhre ich / mit nicht geringem Leidwesen / der Agrippina Boßheit und Wüterey und des Nero Grausamkeit; da der arme Britannicus mein Bruder / mit Gifft vergeben / Narcissus / der stets meine Seite gehalten / neben viel anderen Fürnehmen / hingerichtet / und Aelia Petina im Elende zu Maßilien gestorben war / wie auch daß meine Schwester Octavia von ihrem Gemahl sehr übel gehalten wurde.« (I/363) Bei Abdon, in der Geschichte Parthenia, gibt es hingegen eine Raffung der Intrige Agrippinas zur Promotion ihres Sohnes (I/464), dann die erwähnte Beschreibung des vielversprechenden Regierungsbeginnes Neros (I/467), das Miterleben der beginnenden Liebe zu Poppea (I/480– 484) und schließlich, aus der arabischen Ferne, die Feststellung des Umschwunges: »Ich vernahme allda der Kayserin Agrippina Tod / wie auch die zunehmende Wildheit des Kaysers / der Nacht und Tag in stetigem Schwärmen zubrachte / und ja so viel böses als vorhin gutes von sich sagen machte.« (I/484) Auf ähnliche Weise beleuchtet Claudia Rufina in der Geschichte Caledonia verschiedene Phasen des Usurpationsvorganges: die Hintanstellung Britannicens (I/717–721), die Hochzeit Neros und Octavias (I/744), die vermeintliche Ermordung Britannicens (I/747–752); auch hier gibt es, aus der britannischen Ferne, eine zusammenfassende Bemerkung: »Unter solcher Zeit verstrichen etliche Jahre: da wir alle die Mordthaten und Lands-Verweisungen belebten / welche Nero / so wol an seiner selbsteigenen Mutter / als an vielen andern / verübet.« (I/753) In den ersten Geschichten des Vonones und Tyridates zeichnet sich, aufgrund des besonderen Verhältnisses zwischen Tyridates und Nero, interessanterweise die Usurpationshandlung als bestimmendes Handlungsschema noch nicht ab. 216 »Diese Heurath bahnete allem Unglück den Weg / welches Octavia nachgehends hat beleben müssen.« (II/58)

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einen der Usurpation als Vorgang (durch Galba, Otto, Vitellius);217 zum anderen der Opposition. Der oben skizzierten, einfachen Form des Schemas hätte der Erfolg der Claudiuskinder entsprochen.218 Erwartungsgemäß bilden sie, nach dem Scheitern Pisos und vertreten durch Plautia Urgulanilla, die wichtigste oppositionelle Kraft. Nach dem Sturz Neros desintegriert die Opposition aber. Immerhin liegt das endgültige Scheitern der Claudiuskinder nur knapp vor dem Beginn der dann erfolgreichen Unternehmung Vespasians, sodass beide zusammen – die ›Ablösung‹ erfolgt gegen Ende des vierten Bandes – den gesamten Usurpationszustand abdecken; und fügen sich die Protagonisten der gescheiterten Bewegung, mit Ausnahme Plautia Urgulanillas (IV/794f), in die Gefolgschaft Vespasians ohne Schwierigkeiten ein. Die Ausgestaltung der dritten Phase der Usurpationshandlung, die Restitution rechtmäßiger Herrschaft unter Vespasianus, liegt weitgehend jenseits des Untersuchungsbereiches; was aber bis zum Ende des sechsten Bandes vorliegt, lässt eine Streckung oder gar Überschreitung dieser Phase erwarten, die ihrer abschließenden Funktion zuwiderläuft.219 Dieser Unterminierung des Usurpationsschemas durch Multiplikation der Handlungsfunktionen und, dadurch bedingt, eine Verunklarung ihres funktionalen Bezuges, kann eine Unterminierung dadurch zur Seite gestellt werden, dass die Leitunterscheidung rechtmäßiger/unrechtmäßiger Herrschaft sich zur Erfassung der Informationen sowohl über den Ausgangszustand, die Regierung des Claudius, als auch den wiederhergestellten Zustand unter Vespasian, als unzulänglich erweist, oder wenigstens vor einige Probleme gestellt wird. Des Claudius Regentschaft nimmt im Usurpationsschema die Funktion der rechtmäßigen Herrschaft ein, des guten Zustandes also, den es wieder zu etablieren gilt. Eine entsprechende Einschätzung ist bei den Anhängern der Partei 217 Besondere Entsprechungen gibt es zwischen der Usurpation durch Agrippina/Nero und der Fortsetzung der Usurpation durch Otto: Titus Vinius, mit Cornelius Lacon wichtigster Berater Galbas (III/273), plant, Otto, den er zu seinem künftigen Schwiegersohn erkoren hat, die Nachfolge zu sichern; das wäre die ›sanfte‹ Lösung, wie sie Agrippina gelungen ist; der Widerstand Galbas gegen seine Berater, der in der Ernennung Pisos Ausdruck findet, macht dann den gewaltsamen Wechsel notwendig (die Stellen: III/27f, 372, 375, 382–384 390, 392– 398, 403, 551f, 555f, 568f, 579f, 602, 605–612, 681–684, 691–693 696, 686–690, 712–716, 724, 750–752, 875f, 901–903). 218 Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 820f: »Les complots ont ici [in der Octavia] pour trait commun de défendre les droits de la légitimité dynastique contre l’usurpation. Face à Néron et à ses successeurs, cette légitimité est incarnée par les enfants de l’Empereur Claude: Drusus et Claudia, Antonia, Octavia et, dans la mesure où on le croit toujours vivant, Britannicus.« 219 Blickt man auf die Charakterisierung der Urfassung der Octavia und ihrer politischen Handlung durch Maria Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 102f., drängt sich, für die Abschwächung der dritten Phase des Usurpationsschemas, eine entstehungsgeschichtliche Begründung auf.

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Plautia Urgulanillas mehr oder weniger selbstverständlich,220 lässt sich aber leicht relativieren. Das betrifft die Umstände der Thronbesteigung;221 das Verhältnis zu seinen Ehefrauen222 und die Gestaltung seines politischen Umfeldes.223 Nicht nur ist Claudius, als ihm von Trebellius Maximus die Gelegenheit verschafft wird, die von ihm geliebte Syora zu verführen, zu schüchtern;224 er vermag die Zuneigung zu Galgacus, die er fasst, weil er seine Mutter Syora liebt oder geliebt hat, nicht zu dissimulieren, obwohl er das Gerücht seiner Vaterschaft zu seinem eigenen, zu Galgacens und Syoras Schaden notwendig dadurch bekräftigt.225 Er verhindert, dass Prinz Agrippa mit seiner Schwester Berenice aus Rom weggeht, aus zu diesem gefasster Liebe, »weilen er ihn seiner Gemüths-Neigung gar ähnlich 220 Diese Geltung drückt sich, als selbstverständliche, weniger in einer tatsächlichen Bewertung von Claudius’ Regierungshandeln aus, als in Epitheta: »worzu uns allein die schuldige Liebe gegen das noch übrige Geblüthe unsers theuren Claudius schlüßig gemacht«, sagt Silius Italicus (I/323); ebenso Claudia: »des grossen Claudius« (I/324); der Erzähler: »diese beide edle Kinder des grossen Claudius« (I/327); Silius Italicus, in indirekter Rede: »des grossen Claudius Kayserlichem Hause« (I/329f); ›Italus‹: »des theuren Claudius Sohn« (I/395). 221 Einerseits wird im Zusammenhang der ehrgeizigen Heiratspläne der Prinzessin Domitia Claudius, Onkel Caligulas, von Annius Vivianus als »der nächste zur Kayserlichen Würde« bezeichnet (I/217); andererseits betont Rabban, dass Claudius seinen Glückswechsel – denn er sei vorher »niedrig gehalten worden« (III/292) – wesentlich dem Rat König Agrippas zu verdanken habe, »wozu er schwehrlich würde gekommen seyn / wann Agrippa ihn nicht so heilsamlich die Wege gezeiget / auf was Arth er den Römischen Rath und die Soldaten gewinnen solte.« (III/292) In der Version Pythias erscheint das wählende Kriegsheer als entscheidender Akteur (VI/301). 222 Beide, Valeria Messalina und Agrippina, beherrschen ihn beinahe vollkommen. Vgl. I/219, II/66, 79; Agrippinas Macht nimmt zwar im Laufe der Regentschaft etwas ab, »indeme Claudius ihre leichtsinnige Bosheit kennenlernete« (I/354); bevor er aber sein Testament zugunsten des Britannicus ändern kann, bringt sie ihn um (II/80f). 223 Er erweist Agrippa, der immerhin die Möglichkeit hätte, auf die Unzulänglichkeit der eigenen, gewesenen Machtmittel des Kaisers zu deuten, übergroße Gunst (VI/302, III/293); die Zuwendung, die er Messalina in Form der Einnahmen des Verkaufs des römischen Bürgerrechtes macht – nicht wissend, »womit er seine Gemahlin genugsam bedienen solte« (I/ 219) – erweisen sich ihrem Ruf als schädlich; mit Silius begünstigt er – wiederum maßlos (I/ 228) – einen Nebenbuhler und späteren Verräter; in Cneus Pompejus sucht Claudius offenbar, mit ihm sich verschließend, exklusive Verständigung, vermag ihn dann aber vor der folgerichtigen Verfolgung Agrippinas nicht zu schützen, ja diese nicht einmal als solche zu erkennen (I/350–352); beide, Silius und Cneus Pompejus, sind durch Heiraten erst in die verwandtschaftliche Nähe zum Kaiser gelangt (Silius wird sein Schwager, Pompejus sein Schwiegersohn) und dann zu Günstlingen geworden, was wiederum für eine mehr affektgeleitete, als politisch motivierte Wahl bei Claudius spricht 224 Nachdem Trebellius Maximus ihm nächtlichen Zugang zu Syoras Kammer verschafft hat, bekundet Claudius, »er wäre die gantze Nacht in der Kammer geblieben / sonder sich zu der Syora Bette zu nähern« (IV/700). 225 Vgl. I/154, IV/31, 33–40, 45, 52, 61f, und insbesondere seine Worte, mit denen er sich gegenüber Agrippina rechtfertigt, als sie entdeckt, wie er Galgacus in einem abgesonderten Zimmer, in dem er auch das Bildnis Syoras aufbewahrt, züchtigt: »ich liebe ihn als meinen Sohn / und werde daher eben diese Sorge für ihn / als für meine andern Kinder tragen.« (IV/ 40)

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fande« (III/311). Agrippa aber ist »einfältig verbliebe[n]« (III/296) und ohne seine Schwester Berenice oder andere Anleitung zu einem auch nur angemessenen Verhalten in höfischem Umfeld nicht in der Lage. Immerhin einige außenpolitische Aktivitäten können angegeben werden, die als Grund für ein positives Herrscherbild trotz dieser charakterlichen Mängel taugten, die auch vom Einfluss der Ehefrauen weitgehend unabhängig bleiben.226 Auf der anderen Seite des Handlungsschemas wird fraglich, worin eigentlich das politische Unternehmen Vespasians sich von den vorangegangen Unternehmungen unterscheide. Weder zeichnen ihn, für die histoire, seine mittelmäßige Herkunft;227 noch eine herausgehobene Rolle in der bisherigen Opposition;228 noch, für die Romanstruktur, die Funktionen aus, die er, hauptsächlich im Liebesbereich, bis zu seinem kaiserlichen Engagement innehatte.229 Sein Vorgehen entspricht weitgehend dem seines unmittelbaren Kontrahenten Vitellius, der auch, bei eigentlich besetztem Kaiseramt, in der Provinz sich zum Kaiser ausrufen ließ,230 um von dort, mit der entsprechenden militärischen

226 Das ist die Zusicherung des aquitanischen Thrones an Stepho für den Fall der Kinderlosigkeit Suzanas (II/453); das Verbot von Menschenopfern in Britannien (V/227); die Entsendung des ›Italus‹ nach Teutschland auf Anfrage der Cheruscer (I/626); in der Frage der territorialen Aufteilung Pontos auf Polemon und Mithridates bereits sorgen wechselnde Einflüsse – einmal Appius Silanus, dann Lucius Silanus – für wechselnde Entschlüsse (III/ 501f, 504, 507). Eine annähernd eigenständige Heiratspolitik verfolgt er für Britannicus, dessen Liebe zu Caledonia er unterbinden will (I/727), für Claudia, deren Verehelichung mit dem britannischen König Arviragus er zustimmt (I/276) und für Galgacus, den er gerne mit Caledonia verbinden würde (IV/37f). Das gesamte Verhältnis zu der ja erst verloren geglaubten, dann wiedergefundenen, dann wieder verloren gewähnten Tochter Claudia bleibt außerhalb des Einflusses seiner Ehefrauen (I/259f, 265, 274f, 276, 282), gewinnt aber auch, bis eben auf die angebahnte Verbindung mit Arviragus, kein politisches Gewicht. Seiner gewesenen Frau Plautia Urgulanilla lässt er den Kontakt zu ihrem gemeinsamen Sohn ›Drusus‹ verbieten (I/405). Er erweist sich als besonders fromm (I/462). 227 Seine Mutter, Vespasia Polla, bewirkt beim Kaiser seine Ernennung zum Ratsherren (II/ 664f). Flavius Liberalis verschafft ihm bei Caligula das Bauherrenamt (II/666f). Unter Agrippina, die ihn wegen seiner Freundschaft mit Narcissus hasst und verfolgt, wird er Bürgermeister, zieht sich dann aber auf ein Landgut zurück (II/670f). Unter Nero bekommt er die africanische Statthalterschaft zugeteilt: »Man hatte ihn / nach der Agrippina Tode / bey Hofe wieder herfür gezogen: und weil ihnen des Nero unmenschliches Wüthen und Morden nicht anstunde / war er froh / daß er in einem andern Theil der Welt ein Ehren-Ambt bekame / da er von weiten nur zuhören / nicht aber in der Nähe ansehen dorfte / was für Greulichkeit in Rom fürgiengen.« (II/717) Mit dem Kaiser muss er nach Griechenland reisen (II/732) und wird dort, den Krieg in Judea zu führen, zurückgelassen (II/734). 228 Die eben zitierten Stellen sind bereits die einzigen, die sich, vor seiner Proklamation, zum Beleg einer oppositionellen Haltung anführen lassen. 229 Als Liebender in Vespasianus-Cönis, als beteiligter Vater in Cäcilius-Flavia Domitilla. Der römisch-jüdische Krieg hat in der allgemeinen röm.-polit. Handlung, für die Besetzung also des Kaiseramtes, keine Bedeutung. 230 Vitellius in Teutschland: III/864, 873, 946, 988f; Vespasianus in Syrien und Mösien: IV/888.

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Macht, den erhobenen Anspruch gegen den Amtsinhaber durchzusetzen.231 In Antiochia zeigt er sich gewiss nicht tyrannisch; doch tendenziell dürfte seine Idealisierung um so schwieriger werden, je mehr seiner politischen Aktivität in den Roman aufgenommen wird: und hier stehen, nach dem letzten Plan des Autors, noch zwei ganze Bände aus.232 Je weitläufiger der Zustand der Rechtmäßigkeit vor der Usurpation, je endgültiger die Wiederherstellung desselben nach der Usurpation – und seis: für den Roman am Ende gültig –, desto stärker integrierend wirkt die Usurpationshandlung. In diesem Sinne müssten die Herrscher vor Claudius gut, die Herrscher von Nero bis Vitellius schlecht sein, und entweder der Roman mit dem Antritt Vespasians enden, oder aber eine endlose rechtmäßige Herrschaft in Aussicht stellen. In einer im Roman einmaligen Übersicht aber trifft Titus Ampius Flavianus folgende, von Coccejus Nerva, Annius Vivianus, Suetonius Paulinus und Pudens Rufus weitgehend233 geteilte, und aufgrund der Informationslage im Roman auch nachvollziehbare234 Einschätzung: 231 Die kriegerischen Auseinandersetzungen sind sogar bei Vitellius, wo beide Kontrahenten mit ins Feld ziehen, konzentrierter: IV/461, 468, 471, 476, 482–486, 618–621, 628, 633f, 653f. Vespasianus befiehlt aus der Ferne: V/387f, 410–415, 452, 748f, 914–917. 232 Maria Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 233, konstatiert einen Wechsel des Modus politischer Auseinandersetzung unter Vespasianus, der das Ende der Usurpation anzeigt: »Während früher die Gegner des Kaisers Nero und die Verfechter des guten Rechtes der julisch-claudischen Dynastie gegen Otho und Vitellius vor Gewalt und Abenteuerlichkeit nicht zurückschreckten – mit ihren Gegenspielern zusammen so die von Skrupel und Zweifel wenig angenagte Politik des werdenden Absolutismus repräsentierend, ist nun gewissermaßen die Phase des Hochabsolutismus angebrochen, und man treibt verantwortliche Realpolitik. Was immer Vespasians Gegner sagen mögen – gegen diesen Kaiser ist nicht mehr erlaubt, was gegen seine Vorgänger gerechtfertigt werden konnte, und wer sich aus der Denk- und Handlungsweise der chaotischen Übergangszeit nicht zu lösen vermag, scheitert (Tullius Valentinus und Julius Sabinus) oder wird von seiner Umgebung nicht mehr ganz ernst genommen (Claudia, Velleda).« Die Interpretation führt also doch von der dreiteiligzyklischen Anlage des Usurpationsschemas in eine lineare Transformation politischer Auseinandersetzung. Stephan Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 83, unter Einbeziehung auch der hier nicht mehr berücksichtigten Materialien zum siebten und achten Band des Romans, kombiniert in einer abschließenden Einschätzung auf ähnliche Weise die Feststellung zwar des besseren Zustandes mit der Feststellung über die Änderung der geltenden Maßstäbe: »Es handelt sich bei dem historischen Endzustand, der gegen Schluß des Romans entfaltet wird, bei weitem nicht mehr um den erwarteten Durchbruch zu einer substantiell besseren Ordnung – und das nicht einmal für einen gleichsam stillgestellten historischen Augenblick des Finales, über den man, wenn die Illusion nicht gestört werden soll, besser nicht hinausblickt. Die neue Ordnung in Rom stellt sich statt dessen bloß als ein wenig besser dar als unter den Tyrannen zuvor; […].« 233 Der heimliche Einwand des Pudens Rufus ist religiös begründet, berührt also die politische Bewertung nicht (V/9). 234 Über Cäsar und Augustus gibt es sogut wie keine Informationen. Zur Tyrannei des Tiberius: III/281f, I/200f, III/284, III/756–758, VI/389. Zur Tyrannei Caligulas: VI/390, II/665f, II/331, II/207f, II/192–194, I/210–213, I/218, IV/25f, III/764f, VI/299, VI/301, VI/495. Zu Claudius siehe oben. Die Charakterisierung Galbas als Tyrann erfolgt besonders deutlich durch Cä-

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Alle seine [des Vitellius] Vorfahren […] seynd nicht der Arth gewesen / dann hat schon Rom einen Tiberius / einen Caligula / einen Nero / und einen Galba erlebet / so kan man sich auch dabey rühmen den grossen Julius Cäsar / den Augustus / unsern liebenswürdigen Kayser Claudius und den Otto zu Regenten gehabt zu haben / welchen letztern ich denen andern dreyen beyfüge / weilen ausser seiner unrechtmäßigen Ankunfft zum Thron / man währender Regierung ihm nichtes Böses kan nachsagen / und muß man seine großmüthige That rühmen / daß / um sein Vater-Land in Ruhe zu setzen / und dem Bürgerlichen Kriege ein Ende zu machen / er sich selber ums Leben bringen wollen.235 (V/9)

So ergibt sich die Abfolge: gut-gut-schlecht-schlecht-gut-schlecht-schlecht-gutschlecht(-gut). Bedenkt man, dass über die Regierungspraxis von Cäsar und Augustus so gut wie keine Informationen vorliegen, die Einschränkungen, die bei der Einschätzung Ottos geltend gemacht wurden und, etwa im Hinblick auf die Entführung Octavias, auch vom Leser geltend zu machen sind; dass die Schwäche des Claudius jedenfalls größer ist als seine Tugend, und dass Vespasianus sich als guter Herrscher erst noch beweisen muss, relativiert sich auch diese Profilierung noch, und es bleiben tatsächlich lasterhafte, schwache und ein unerprobter Kaiser übrig. Rechtmäßige Amtsinhaber sind sie, blickt man allein auf die für die Thronbesteigung notwendige Zustimmung des Rates, des Heeres und des Volkes, außerdem.236 Je schwächer aber die binäre Kontrastierung der Herrscher ausfällt, desto plausibler wird, an Stelle der dreiphasigen, finalisierten Usurpationshandlung, zur Gliederung der polit.-röm. Handlung die Annahme der einfachen, linearen Abfolge von Regierungsperioden. Schaut man bei diesem Befund noch einmal genauer, an welchen Stellen das Usurpationsschema im Roman von politischen Akteuren selber zur Deutung des politischen Geschehens genutzt, oder auch benutzt wird, geraten wieder die Verbliebenen des claudischen Hauses und ihre Anhänger in den Blick.237 Unter sonius Maximus: »Die Hoffnung aber / die so viele auf [Galba] gesetzet / insonderheit die Soldaten / hat sich sofort verlohren / und betrauret nun fast jederman den Nero / da dieser Galba in so kurtzer Zeit schon solche Tyranney verübet / als Nero schier in allen seinen Jahren nicht verrichtet hat.« (III/249) Otto ordnet in der Tat keine überflüssigen Hinrichtungen an. Ihn bestimmen Furcht vor seinen inneren Feinden und der Unwille, gegen sie zu kämpfen. Die Beurteilung des aufständischen Vitellius muss, wieder nur auf Grundlage von Berichten, negativ ausfallen: IV/800–902, 828, 831, 936f, V/10, 136. 235 Gewissermaßen eine ernste Wendung des von Martial in einem Epigramm (lib. vi, 32) ironisch vorgetragenen Lobes. 236 Für Tiberius und Caligula gibt es diesbezüglich keine expliziten Stellen. Ansonsten sind die Stellen für Claudius: III/292, für Nero: II/82, für Galba: I/939–943, für Otto: III/972f, für Vitellius: IV/788f. 237 Claudia gibt gegenüber Octavia eine dreifache Motivierung an: »Meiner Anverwandten unschuldig-vergossenes Blut an dem Tyrannen zu suchen / reitzete mich die Rachgier. Die Gleichheit / die zwischen mir und dem Nero war / überredte mich zu der Ehr-Sucht / mich an seiner statt auf den Thron zu bringen. Und dieses alles für euren geliebten Bruder [Tyridates] zu thun / riethe mir die Liebe / die ich unauffhörlich zu ihm truge.« (II/912) ›Drusus‹

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Nero ist die Stilisierung ihrer eigentlich (?) aus dem innerdynastischen Konflikt herrührenden Haltung als Widerstand gegen den Tyrannen plausibel und willkommen, auf die tatsächliche Priorisierung Plautia Urgulanillas, wie sie im Falle der Verschwörung Pisos krass zu Tage tritt, wurde aber bereits hingewiesen; und der allgemeine Exodus der Partei nach dem Scheitern im Bürgerkrieg geschieht gegenüber der zu erwartenden Tyrannei Vitelliens einigermaßen resignativ. Dem erfolgreichen Vespasianus ist es um eine Beförderung des »Ruhestand von Rom« (V/65) zu tun; er stuft Galba und Otto ausdrücklich nicht als Usurpatoren ein: ihnen hätte er das Regiment gerne gegönnt; »wie aber nach des letztern Tode es so verwirrt daher gegangen / und gar ein Vitellius / wie auch ein wieder-erstandner Nero das Regiment zu führen sich unterfangen / hat solches mir nicht anstehen können / indem mich bedüncket / die Wohlfahrt von Rom erfordere es / ein solches zu verhindern / und Rom in seinen ehmahligen Stand wieder zu bringen.« (V/65) Diese letzte Formulierung kann als Bestätigung des Usurpationsschemas doch wieder gedeutet werden; die Einheit des Usurpationszustandes aber, von Nero bis Vitellius, ergibt sich nur aus der Perspektive der Claudius-Partei.238 Eine auffällige Parallele zur Usurpationshandlung in Comagene – das ist das letzte Argument – besteht darin, dass zwischen dem Ende der langjährigen Herrschaft des ersten Usurpators (hier der Sturz Neros, dort der Tod des Fürsten Ninus) und der Wiederherstellung der rechtmäßigen Herrschaft (unter Vespasianus, unter Prinz Antiochus) eine, verglichen mit der Dauer der Tyrannei, kurze Lücke klafft: in Comagene wird in dieser Zeit die Herrschaft von römischer Seite aus, durch den Statthalter Longinus, geübt und von dort aus auf den jungen König schließlich übertragen, in Rom kommt ein solches Einspringen einer Ordnungsmacht naturgemäß nicht in Frage; die Opposition vervielfältigt sich und drei mehr oder weniger rechtens regierende Kaiser – der zweite besser, der dritte schlimmer als der erste – folgen rasch aufeinander, bevor ein weiterer Akteur die Lage beruhigt. Nachvollziehbar ist, so beobachtet, dass die Usurpation als politisches Argument ihr Gewicht in dieser ›Lücke‹ einbüßt, während doch sieht sich als rechtmäßigen Nachfolger des Claudius, der nur durch die List Agrippinas um sein Erbe gebracht wurde (I/361f). Plautia Urgulanilla hat für ihren Sohn Drusus, den sie durch die beibehaltene Vertauschung mit Italus vor Claudius schützen will, von vornherein die »Nachfolge im Kayserthum« (I/406) im Sinn. Bei einer großen Ratsversammlung ihrer Verschworenen hält Suetonius Paulinus, der um die Vertauschung Drusens weiß, eine Eröffnungsrede, »und erzehlte weitläufftig alle die böse Thaten / welche der Nero / nun über dreyzehen Jahre lang / in Rom verübet: daher einen solchen Wütherich ferner zu dulden / keinem ehrlichen Römer zustehen wolte.« (I/333f) 238 Auch diese Relativierung der Deutung des politischen Geschehens durch ihre Bindung an bestimmte, politisch motivierte Akteure, kann als »Schritt in Richtung Dezentrierung und Aufgabe der Zentralperspektive« insgesamt gedeutet werden, den Stephan Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 115, an dem Informationsprofil der Frage nach Galgacens rechtmäßiger oder kaiserlicher Geburt festmacht.

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gleichzeitig, angesichts der langen Dauer der Tyrannei und der Kürze der Verunsicherung, das Handlungsschema insgesamt seine Gültigkeit behält. Irritieren muss aber, legt man diese, auf der Ebene der histoire plausible Darstellung zugrunde, das Verhältnis von histoire und discours, also die Proportionierung der auf die einzelnen Zeitabschnitte der Usurpationshandlung fallenden Textmengen und der Einsatz der Gegenwartsgeschichte. Dass dieser kurz vor der entscheidenden Wende in medias res erfolgt, ist dabei weniger überraschend, als dass der Status des Sturzes Nero als die entscheidende Wende durch die Koordination der Bandgrenzen mit den folgenden Regierungswechseln – gar zunächst nur dem Ende der stadtrömischen Dominanz einer bestimmten Verschwörung – und durch die gleichmäßige Proportionierung der entsprechenden Teilbände unterminiert wird. Entweder, so könnte man im Sinne des Usurpationsschemas sagen, hätte der Einsatz der Gegenwartsgeschichte weiter zurück liegen, hätte, entsprechend, signifikant mehr Text der Gegenwartsgeschichte auf die Herrschaft Neros fallen müssen; oder der Ebenenunterschied zwischen den Grenzen der ›Lücke‹ selber und den einschneidenden Veränderungen innerhalb der Lücke durch die Koordination mit den Bandgrenzen und die gleiche Proportionierung nicht verwischt werden dürfen. iv) Die favorisierte Leitunterscheidung stabil/instabil lässt sich auf die gesamte röm.-pol. Handlung anwenden, ist aber, naturgemäß, informationell ergiebig nur dort, wo sich eine Zu- oder Abnahme von Stabilität abzeichnet. Analog zu dem Usurpationsschema kann mithilfe der Unterscheidung ein dreiphasiges Handlungsschema nach dem Muster a-b-a’ gebildet werden, beschreibend also den Übergang von einem stabilen Zustand zu einem instabilen Zustand, und die Rückkehr wieder zu dem stabilen Zustand. Die Restitution des Ursprungszustandes erfolgt nach beiden Schemata unter Vespasianus; der Unterschied liegt bei der ersten Veränderung: während die Usurpation durch Agrippina/Nero weit vor dem Einsatz der Gegenwartsgeschichte liegt, beginnt die Destabilisierung des politischen Systems, vielfältig vorbereitet zwar, erst kurz vor dem Sturz Neros. Dadurch ergeben sich – jedenfalls im Rahmen des Untersuchungsbereiches – die Symmetrie des Schemas abbildende Proportionen auf der Ebene des discours: im ersten Band beginnt die Destabilisierung, ist der stabile Zustand (a) also noch greifbar; sie vollzieht sich über die Bände eins bis sechs (b); im sechsten Band beginnt sich die Restabilisierung abzuzeichnen (a’). In den Blick geraten weniger die Akteursgruppen als im Sinne der Leitunterscheidung zu qualifizierende Einheiten, als die politischen Prozesse und Institutionen, die ja auch im stabilen Zustand eine wechselnde Agentenschaft vorsehen. Die Abfolge der Regierungsperioden bleibt aber insofern eine wichtige Größe, als die Regierungswechsel, je nachdem, wie sie vollzogen werden, die deutlichsten Rückschlüsse auf die Stabilität des politischen Systems insgesamt erlauben; als mit einem neuen Herrscher eine Umgruppierung auch der Oppo-

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sition in der Regel einhergeht, und also eine Veränderung in den Verhältnissen von Opposition und Herrschaft. Sollen die verschiedenen Einflüsse der Kaiser auf das politische Feld insgesamt doch in eine qualifizierende Unterscheidung ihrer als Personen rücküberführt werden, bietet sich dafür eine Unterscheidung an, die in der Perspektive der Usurpation lediglich irritierte, nämlich der Stärke oder Schwäche der Kaiser. Die Schwäche des Claudius, Galba und Otto; die Stärke Neros und, wenigstens eine Zeit lang, Vitelliens, Vespasians sind eindeutiger zu konstatieren und für die Destabilisierungshandlung entscheidender, als es die Bewertung der Rechtschaffenheit für die Usurpationshandlung war. Ein funktionaler Zusammenhang mit dem Usurpationsschema ist in beiden Richtungen gegeben: einerseits kann die vorübergehende Destabilisierung des politischen Systems als besondere Erscheinungsform der oben beschriebenen ›Lücke‹ zwischen dem Fall des ersten Usurpators und der Restitution der alten Ordnung gesehen werden; andererseits die Tyrannei Neros und die dadurch hervorgerufene Wucht in der Opposition als die systemische Krise begünstigender, vorbereitender Faktor. Die Herrschaft der mit Augustus installierten Dynastie ist, mehr oder weniger, identisch mit dem stabilen ersten Zustand; der unter Claudius ausgetragene innerdynastische Konflikt hingegen muss als wichtigste Voraussetzung für die Destabilisierung gesehen werden. Während in dieser Richtung also ein funktionaler Zusammenhang festzustellen ist, wird es schwierig, aus einer rein dynastischen Perspektive die De- und Restabilisierung selber noch zu erfassen: zumal, wenn der Herrschaftsantritt Vespasians nicht, wie aus historischer Perspektive eigentlich plausibel, als Begründung einer Dynastie gesehen wird, sondern mit der Abschaffung dynastischer Erbfolge überhaupt zusammenfallen soll.239 Zur Beschreibung des Vollzugs der Destabilisierung ist, zum einen, die Einführung der Kategorie der Spannung sinnvoll; zum anderen muss unterschieden werden, welcher Teil des politischen Systems von der Destabilisierung jeweils betroffen ist. Demnach versetzen der dynastische Konflikt unter Claudius und die Tyrannei Neros das politische System unter eine Spannung, die sich kurz vor seinem Sturz 239 Siehe diese Einschätzung des Suetonius Paulinus, als er Silius Italicus Italus zum Kaiser vorschlägt: »Es hatte Silius Italicus viel zu grosse Verehrung jederzeit für diesen König / als er noch Drusus gewesen / geheget / daß ihm solches nicht anständig seyn sollen / nur fande er es darum schwehr / weilen man sonder Zweiffel in Rom auf den Titus sein Absehen richten würde / so aber Svetonius Paulinus ihm damit benahme / als er ihm nicht allein vorstellete / daß des Italus Macht / sich bey der Kaysers-Würde zu erhalten / ungleich grösser wäre / als des Titus seine / daß auch Antonia / als ihres gewesenen Kaysers Tochter / dabey in Betrachtung käme / und was das Fürnehmste / daß es wol gut wäre zu verhindern / daß das Kayserthum nicht mehr erblich würde / sondern forthin lediglich auf die Wahl ankäme.« (V/ 1097f)

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beginnt zu entladen, und bei Ende des Untersuchungsbereiches weitgehend entladen hat. Nero gelingt lange Zeit über eine Kontrolle dieser Spannung, es handelt sich bei seiner Regierung also um einen stabilen, aber gespannten Zustand. Die Entladung führt, sukzessive, zu einer Destabilisierung unterschiedlicher Teile des politischen Systems, beginnend bei der Opposition, fortgesetzt bei den herrschernahen Institutionen des Hofes und der Repräsentation, dann bei den herrschaftsentscheidenden Institutionen, schließlich bei der räumlichen Integration des Reiches; wobei die Destabilisierung eines Teils des politischen Systems weiterläuft, wenn die Hauptentwicklung schon auf einen anderen Teil desselben übergegangen ist. Opposition:240 Die politische Kontrolle, die Nero übt, hat auf oppositioneller Seite einen stark integrierenden Effekt. Die größte Einheit erreicht die Opposition zu Beginn der Gegenwartsgeschichte, da die Verschwörung Plautia Urgulanillas neben den hauptstädtischen auch die wichtigsten provinziellen Akteure gewinnen konnte und ansonsten nur Claudia, zu ihren Sonderbedingungen, als ›Nero‹ agiert. Zuvor hatte es, mit den Verschwörungen des Appius Silanus und des Silius gegen Claudius, des Memmius Regulus und Piso Licinianus gegen Nero Einzelverschwörungen gegeben, die, ohne zeitliche Überschneidungen, einzeln und kompakt gegeneinander verschlossen blieben, mit der Verschwörung Pisos als sicherlich dem umfänglichsten und erfolgversprechendsten Unternehmen, und insofern einer Ausnahme, als ihre Unterwanderung durch Antonia zugunsten des ›Drusus‹, und durch ›Nero‹, also Claudia geplant wurde, und ihr Scheitern auf den inneroppositionellen Verrat Plautia Urgulanillas zurückgeht (I/407). Sulpitia Prätextata legt den ersten Grund zu der bei Einsatz der Gegenwartsgeschichte mächtigen Verschwörung (I/370), die in ihrer Frühphase durch die Einigung auf den Kaiserkandidaten ›Italus‹241 zwei getrennte Bewegungen zu fusionieren vermag (I/372). Die Desintegration der Opposition beginnt kurz nach Einsatz der Gegenwartsgeschichte, also bereits vor dem Sturz Neros, und setzt sich weitgehend kontinuierlich bis zum Ende des Untersuchungsbereiches fort. Die entscheidenden Schritte sind der politische, innere Zerfall der Hauptverschwörung unter Plautia Urgulanilla, die Abspaltung des Nymphidius von der zweiten Verschwörung Claudias, die gegenseitige Unterwanderung der Parteien, die Multiplikation immer stärker vereinzelter Unternehmen, der Wegfall der letzten Integrationsfiguren Drusus und ›Britannicus‹ und, nach einer Multiplikation und Verschränkung noch einmal der Unternehmungen Claudias und des pontischen Nero, die Ausdünnung der Verschwörungen schlechthin. 240 Für die den Verschwörungen zugehörenden Belege vgl. die Tabelle im Anhang. 241 In dieser »candidature faussement allemande« (Mazingue: Anton Ulrich, S. 665, Anm. 2), sieht Mazingue eine ironische Bezugnahme auf einen »patriotisme trop romanesque«.

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Die Aufspaltung der zweiten Verschwörung Claudias nach dem entschiedensten Versuch der Umsetzung ihres Planes, Tyridates mit sich zum Kaiser zu machen, erfolgt schlagartig (I/253f, 314f, 317f, II/928–930) und, bedenkt man die Inkompatibilität von Claudias Liebe zu Tyridates und Nymphidiens Liebe zu Claudia, und die dadurch motivierte, vorangegangene Sabotage ihrer Pläne durch Nymphidius (II/916–928), konsequent. Freigesetzt werden so Nymphidius als zunächst latenter, nach dem Sturze Neros aber umso wirksamerer, eigener Parteiführer und Claudia als nicht mehr an einen bestimmten Plan gebundene, als ›Nero‹ aber meist im Sinne der Hauptverschwörung agierende Einzelkraft (II/ 930–935, 938–941). Die Hauptverschwörung bildet, dank ihrer integrativen Leistung, einen eigenen, ja den vielleicht lebendigsten politischen Körper des Romanes aus. Die ›Wahl‹ Tyridatens zum kaiserlichen Nachfolger im Rahmen der zweiten Verschwörung Claudias, das Auftreten des ›Drusus‹ und das geisterhafte Erscheinen Cynobellines und Octavias im römischen Untergrund führen zu einer Schwächung und Ersetzung des ursprünglich vorgesehenen Kandidatenpaares ›Italus‹ und Antonia durch eine Mehrzahl möglicher Kandidaturen und damit zu einer Parteienbildung innerhalb der Verschwörung, die sich in ihren Entscheidungsgremien, den allgemeinen und den partikularen Versammlungen, nach und nach manifestiert, den grundsätzlichen Erfolg des Unternehmens, den Sturz Neros, aber nicht mehr verhindern kann.242 242 Die allgemeinen Versammlungen finden sich auf den Seiten I/322, 332–335, 390–392, 412– 414, 433–435, 591–594, 606f, 615f; die partikularen Versammlungen auf den Seiten I/324– 326, 321–328, 394–400, 402–412, 430f, 617f, 435f, 439f, 441f, 618, 517–520, 527–531, 591–594, 596f, 616–620, 687–690, 693–695, 913f. Die Entwicklung in der Zusammenfassung: Die Verschwörung ist zunächst einmütig für ›Italus‹-Antonia. In dieser Einmütigkeit gibt es einen harten Kern für ›Italus‹, bestehend aus Plautia Urgulanilla und Suetonius Paulinus, die nämlich ›Italus‹ als Drusus, als Sohn und legitimen Thronfolger unterstützen, und nicht einfach als aussichtsreichsten Kandidaten. Dann gibt es eine kleine und kurzlebige Partei für Tyridates-Antonia: Silius Italicus, Traccalus Turpilianus. Dann gibt es eine Partei für ›Drusus‹: Silius Italicus, Traccalus Turpilianus, Antonia, ›Jubilius‹, ›Italus‹, ›Drusus‹. Nach Hervortritt des ›Drusus‹ wird die Gruppe der Eingeweihten durch Plautia Urgulanilla um Lucius Fontejus Capito und Julius Rufus erweitert. Die Mehrheit für ›Italus‹ bleibt bestehen: insbesondere stimmen für ihn Junius Mauricus und Calpurnius Asprenas. Die Mehrheit für ›Italus‹ schwindet bei Hinzutritt in die Partei des ›Drusus‹ von Pomponia Gräcina, Julia Procilla, Julius Agricola, Flavius Sabinus, und vor allem Calpurnius Asprenas und Junius Mauricus, die einen militanten Überschwang in die Partei bringen. Auf der Ebene der Gesamtverschwörung gibt es nun eine Beschlussblockade, ein Patt. Dieses Patt wird aufgelöst durch den Tod Antonias, der die Unterstützer des ›Italus‹ nun auf Galbas Seite drängt. Die Mehrheit für Galba ist jetzt da, führt zum Abfall des Rates von Nero, bleibt bis zum Ende bestehen und kann sich auch im Rat abbilden. Indes haben sowohl die ›Drusus‹-Partei als auch die ›Italus‹-Partei für sich gearbeitet und die Kandidaten nach dem Verschwinden der beiden gewechselt. Die ›Drusus‹-Partei musste einen eigenen Attentatsplan scheitern sehen; nach dem vermeinten Tode ›Drusens‹ kommen Tyridates und Antonia in Betracht; nach dem Tode Antonias enden die Bemühungen und die Anhänger treten Galbas Partei im Rat

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Kennzeichnend ist dann, für die Phase bis zum Eintreffen Galbas in Rom, dass die kaiserliche Partei in Rom selber verschwörerisch zu agieren gezwungen wird, der verschworene Nymphidius aber, ohne doch über kaiserliche Machtfülle wirklich zu verfügen, seine Stellung öffentlich behauptet. Die anderen Unternehmungen bleiben ihrer Anzahl nach noch stabil (es sind die fortgesetzte, durch die Abwesenheit ihrer Kandidaten arg geschwächte Verschwörung Plautia Urgulanillas und die fünfte und letzte Verschwörung des ›Drusus‹), hinzukommen aber doch mit Crispina und den morgenländischen Gesandten Akteure, die, weil ihr Interesse durchaus auf die römische Herrschaft nicht gerichtet ist, keine eigenen Verschwörungen bilden, und gerade deshalb die Komplexität des politischen Feldes steigern. Die Folge ist in dieser langen Latenzphase eine Intensivierung der gegenseitigen und verdeckten Beobachtung.243 der Verschworenen bei; stimmen aber letztlich im Rat doch eher für Tyridates. Die ›Italus‹Partei, also die Eingeweihten Plautia Urgulanillas, werden noch durch Julia Procilla, durch Silius Italicus und Traccalus Turpilianus, und zum Schluss Annius Vivianus und Arrius Antoninus erweitert. Sie setzen nach Einsicht in den vermeinten Tod ›Italens‹ auf Tyridates und Claudia, jedoch ohne Erfolg; und stimmen im Rat letztlich auch für Tyridates, und gegen Galba. Die Partei Nymphidiens tritt in der Verschwörung und auch im Rat nicht deutlich hervor; wird aber vom Erzähler durchaus bezeichnet. Folgende Personalbewegungen sind für das Geschehen entscheidend: Silius Italicus geht beinahe durch alle Parteiungen durch: er wird Befürworter von Tyridates-Antonia nach der ›Ernennung‹ desselben; arbeitet dann für ›Drusus‹ nach dessen Hervortritt (arrangiert etwa das Treffen ›Drusens‹ mit Plautia Urgulanilla); und nach seinem vermeinten Tode für Tyridates-Antonia; er sorgt selber versehentlich für das Scheitern dieser Pläne und die Entfernung Tyridatens durch den Einbezug Cingonius Varros; wechselt dann in die Partei Galbas; und wird schließlich von Plautia Urgulanilla über die Verwechslung Drusus/Italus aufgeklärt. Außerdem kommt ihm eine leitende Funktion in den Sitzungen der Verschwörung zu: er arbeitet für die Feststellung eines Minimalkonsenses bei ihrer offenbaren Spaltung. Junius Mauricus und Calpurnius Asprenas gehen von der Partei ›Italens‹ in die Partei ›Drusens‹ über; dabei sind sie nicht die einzigen, aber sie sorgen doch durch ihren Vorschlag der Beseitigung ›Italens‹ aus Rom für den aggressiven Überschuss, der Plautia Urgulanilla zum Handeln zwingt. Man findet sie später in der Partei Galbas wieder. Am stabilsten halten diejenigen zusammen, die um die Verwechslung Italus/Drusus wissen; diese Partei wächst von zwei (Plautia Urgulanilla, Suetonius Paulinus), auf sieben Mitglieder (plus Julius Rufus, Fontejus Capito, Julia Procilla, Annius Vivianus, Titus Arrius Antoninus). Solange die Gruppe der ›Freunde‹ (›Jubilius‹, ›Drusus‹, ›Italus‹, Antonia, Tyridates, Octavia), unter denen der Vorrang ›Drusens‹ kraft seiner vermeinten Identität gilt, von der Verwechslung nichts erfährt, muss es so eine zwangsläufige und verdeckte Opposition dieser beiden Gruppen geben; d. h. obwohl für beide dasselbe Kriterium der Geburt aus dem richtigen Hause ausschlaggebend ist. 243 Cingonius Varro, Calvia Crispinilla, Plautius Varus und Julius Rufus dienen Nymphidius als Informanten aus dem Verschwörerkreis Plautia Urgulanillas (II/286, 374–381, 545–551, 632– 637, 596f, 954–959); Septimius verschafft ihm die Information von dem Geleit, das Piso Licinianus einer Dame, vermeintlich Claudia, gibt (II/947–949); die Verschwörung des ›Drusus‹ kann von Plautia Urgulanilla durch die bloße Information über die Verwechslung Italus/Drusus unschädlich gehalten werden (II/953–956, 959–963); Antonius Honoratus kann für die Galba-Partei bei Nymphidius spionieren (II/538). Sinnfällig auf die Spitze

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Wurde das gesamte stadt-römische, politische Feld – mitinbegriffen die eigentlich herrschende Partei – im Modus der Latenz, der Spionage und des Überläufertums so ein Stück weit neu integriert, bedingt der machtvolle Auftritt der kaiserlichen Gewalt nach dem Einzug Galbas in Rom eine wieder stärkere Vereinzelung und schärfere Konturierung auch der oppositionellen Parteien; jetzt treten außerdem, mit dem pontischen Nero, Calvia Crispinilla, Otto, Decimus Pacarius, Vitellius und Trebellius Maximus Akteure weitgehend unerwartet hinzu, die weder in eine große Partei, wie unter Nero, zusammenzuführen, noch einander in so feine, informationelle Abhängigkeit zu bringen in der Lage sind, wie unter Nymphidius. Entsprechend verkürzen sich die Latenzen;244 und entsprechend wird der Informationsfluss auf den Kaiser hin, im Modus der Überwachung245 und Denunziation,246 asymmetrisiert. Verwunderlich unter diesen Umständen ist, dass der Partei des Drusus und des ›Britannicus‹ eine weitgehende Unterwanderung der Bürgerkriegsparteien noch gelingt; gerade aber wegen der gleichmäßigen Verteilung auf beide Seiten, wegen der Verzögerung der Proklamation bis auf den Tag, da eine kriegsentscheidende Schlacht ohnehin geschlagen wird, wegen des Wegfalls schließlich beider Kaiserkandidaten an demselben Tag, kann das Kriegsgeschehen sein Ergebnis zeitigen, als hätte es die Unterwanderung nicht gegeben. Nach dem Sieg des Vitellius tritt, bis auf den späteren Kaiser Vespasianus und das kurze Unternehmen des Italus, keine neue oppositionelle Kraft mehr hervor; getrieben werden diese Verhältnisse, wenn Antonius Honoratus am 21. August seiner Partei einen Bericht von dem Bericht – und den folgenden Beratungen – abliefert, den Calvia Crispinilla bei Nymphidius von den Vorgängen im Palast Plautia Urgulanillas abgeliefert hat (II/545–551). So gehen also alle Informationen der Partei Plautia Urgulanillas an Nymphidius; und alle Informationen der Partei Nymphidiens an die (bei Crispina sich versammelnde) Partei Galbas. 244 Am deutlichsten in der Verschwörung Ottos, die nur drei Tage, vom 12. bis zum 15. Januar, bis zum Ausbruch braucht. Aber auch Calvia Crispinilla formiert ihre Partei am 8. Januar (III/859–863) und bricht am 28. Februar los (III/1036, IV/6–8). Decimus Pacarius kommt über die Latenzphase gar nicht hinaus, Aulus Vitellius aber, soweit ersichtlich, entscheidet sich ad hoc zum Verrat des Drusus und zur Annahme der von den Soldaten ihm aufgebürdeten Kaiserwürde (III/987–990). – Die Kürze und Effektivität der Verschwörung Ottos ist für die Kombinatorik von Fiktion und Historie insgesamt von Bedeutung – vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 823: »Cet enchevêtrement constitue comme un faisceau de possibilités, dont l’une seulement, en se réalisant, crée l’événement historique tel que les annales le consignent. Un effet particulier de perspective rend ce passage plus sensible encore: car celle des virtualités qui se réalise à tel moment et que les historiens enregistrent, est non pas la moins logique, mais celle à laquelle héros et lecteurs étaient le moins préparés; il semble que les successeurs de Néron, Nimphidius, Galba, Othon, Vitellius, chacun à son tour, viennent ›souffler‹ au dernier moment le trône que tel ou tel des héritiers de Claude se croyait près d’atteindre. Le romancier recompose, pour le mettre en évidence, ce mouvement du virtuel, du possible multiple au réel singulier qui constitue l’histoire.« 245 Vgl. III/381f, 869–875, 986f, 1009f, IV/182f. 246 Vgl. III/559, 574, 597f, 867–869, IV/313–319, 510.

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es bleibt, heißt das, bei Aktivitäten der mehrfach Verschwörungen anführenden Akteure, Claudias und des pontischen Nero, die sich noch einmal beispiellos, in maritimem Kontext, ineinander verschlingen, dann aber, nach dem vermeintlichen Tode Claudias, weitgehend beruhigen: übrig ist eine römische Partei für einen pontischen erkannten Nero, der in Wirklichkeit keine römischen Ambitionen mehr hegt. – Die politischen Institutionen: Das römische Reich hebt sich im Roman von allen anderen politischen Einheiten durch seine institutionelle Vielfalt ab. Zu unterscheiden sind die alten republikanischen Institutionen mitsamt dem Beamtentum,247 Formen festlicher und religiöser Repräsentation, das Heer, das Volk, und der Hof, wie er sich über gestaffelte Zugangsmöglichkeiten zum Herrscher um den Herrscher formiert. Herrschaftsstützend sind Hof und Repräsentation, herrschaftsentscheidend – in Form der Kaiserwahl – sind Volk, Heer und Rat.

247 Hier eine (bestimmt noch nicht vollständige) Liste der vorkommenden Ämter und Ämterbezeichnungen mit je einem Beleg (auf die Sigle wird einmal verzichtet): Kaiser (I/401), Freigelassener des Kaisers (III/914), ernannter Bürgermeister (I/778), regierender Bürgermeister (I/414), gewesener Bürgermeister (II/56), Aufseher über das Regiment bei Abwesenheit des Kaisers (I/222), Stadt-Obrister (III/252), Burger-Haupt-Leuthe (II/532), Tribun des Volcks (I/911), Obrister über die Prätorianischen Soldaten (II/635), Obrister der StadtWacht (III/913), General über die Prätorianischen Soldaten (IV/6), Ober-Schultheis oder Gerichts-Herr (II/36), Prätor oder Stadt-Schultheiß (I/246), Stadthalter (III/398), ProConsul (VI/413), Legat oder Verweser (III/398), General (III/1003), über das Geld gesetzter (III/1003), Schatz-Meister (III/364), Raths-Herr (III/22), Hauptleuthe (III/868), UnterHauptmann von der Leib-Wacht (I/424), Obrister der Leibwacht (III/913), Ober-Hauptmann von der Leib-Wacht (I/400), Obrister der teutschen Leib-Wacht (I/915), Obrister des Regiments der Wächter (III/913), über die Lebens-Mittel der Soldaten gesetzter (I/246), des Kaisers Leibarzt (I/354), des Printzen Hofmeister oder Erzieher (I/723), Censor oder SittenRichter (II/59), des Kaisers Verschnittener (II/81), Ober-Aufseher über die Gefängnüsse (III/ 284), Stadt-Pfleger (I/753), Ravennischer Stadt-Hauptmann (II/510), Bau-Herr (VI/423), Quästor (I/225). Die Besonderheit in der frühen Kaiserzeit besteht bekanntlich darin, dass die durch das Prinzipat eigentlich obsolet, d. h. machtlos gewordenen republikanischen Institutionen dennoch fortbestehen. Tatsächlich lässt sich für folgende Ämter eine Relevanz in der Herrschaftsfrage noch belegen: die Statthalter (der Abfall des Julius Vindex in Gallien (I/377), des Sulpitius Galba in Hispanien (I/378), des Verginius Rufus in Gallien (I/601) sind wichtige Schwächungen Neros. Die Einbindung der Statthalter spielt bei den Verschwörungen immer wieder eine Rolle, vgl. etwa I/376f, 946), die Obristen und Angehörigen der Leib-Wacht und der Prätorianer (aus ihrer Position heraus lassen sich Attentate planen (so Aurelius Cotta, I/414, und Flavius Sabinus, I/440, siehe auch VI/936: »[…] in wessen Händen die Macht des Krieges-Heeres bestehe«) und Nymphidius erlangt aus dieser Position heraus quasi-kaiserliche Macht über Stadt-Rom (I/939f); die gelingende Einflussnahme auf die Prätorianer hängt allerdings nicht wesentlich an dem entsprechenden Amt, sondern mehr an der Möglichkeit, sie auszuzahlen oder ihnen wenigstens Geld zu versprechen (I/940; II/ 775f; II/779)), die Ratsherren (insofern sie den Rat kontrollieren können (I/913f, VI/424)), und die Burger-Haupt-Leute (insofern sie das Volk lenken oder repräsentieren können (I/ 911, II/768)).

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– Die herrschaftsentscheidenden Institutionen: Wer Kaiser werden will, muss sich der Zustimmung des Rates, des Heeres und des Volkes versichern. Mit dem Volk rechnen lässt sich nur bedingt: es zu reizen ist gefährlich;248 seine gezielte Beeinflussung wird mehrfach und erfolglos versucht;249 in ihm können selber Parteiungen unterschieden werden;250 als Stütze für eine erste Erklärung zum Kaiser ist es zu unzuverlässig und zu schwach.251 Auch die Soldaten äußern ihren Willen spontan und als Masse;252 sie haben aber, politisch, ein größeres Gewicht als das Volk, verfügen über eine hierarchische Struktur, das heißt Oberhäupter, denen unter Umständen ihre Beherrschung gelingt253 und das politische Gewicht der ihnen unterstellten Soldaten zugerechnet wird;254 und an der Befehlsautorität vorbei lassen sie sich gezielt durch Geldversprechungen beeinflussen.255 Der Rat ist seiner Anlage nach das transparenteste 248 Dies wird vor allem unter Nero thematisch – vgl. I/526f, 911f. Für eine Provokation Galbas vgl. III/690, 715f. 249 Vgl. etwa I/915, II/768. 250 Vgl. II/299: »Sie würden aber dieses nicht so sehr beobachtet haben / wann sie nicht des unbeständigen Pövels neu-herfürglimmende Gunst erwogen hätten / da in der Stadt hin und wieder gewünschet wurde / daß man doch den Nero wieder haben möchte.« Sonst: II/532f, 538, 613. Am Tag der Ermordung Galbas gibt es mehrere, widersprüchliche Äußerungen des Volkes: für Nero (III/959f), für die Tötung Ottos und die Verbannung aller seiner Anhänger (III/960), Glücksrufe bei der Nachricht von Ottos Tod (III/961), Furcht bei der Nachricht von seinem Triumph im Lager (III/963), Jubel gegen den zum Kaiser gewählten Otto: »Das verstreuete Volck / das vor wenig Stunden ihn todt haben wollen / und aus Furcht für den wüthenden Soldaten in allen Tempeln und andern geweyheten heiligen Orthen sich verborgen hatte / versammelte sich auch nun Hauffenweise vor das Capitolium / deme dann Otto sich gefällig zu erweisen / den Nahmen Nero mit annahme.« (III/974) 251 ›Drusus‹ fällt in seiner Haft bei Aelius Adrianus ein, »ob es nicht Sache wäre / daß er aus dieser Gefängnüß entkommen / und sich / als des Kaysers Claudius einig überbliebenen Sohn / dem Volck zeigen konte?« Antonia aber rät ihm ab: »Dann weil der Nimphidius Sabinus sich so groß und mächtig machet / habet ihr so wol diesen / als so viel andere Feinde zu bestreiten / und sonder grosse Macht / allein auf des Pövels unbeständige Gunst euch gar nicht zu verlassen.« (II/305) 252 Der Proklamation Vitelliens in Cöln etwa geht die spontane Verweigerung des Neujahrsschwures auf Galba des oberteutschen Heeres und der Abfall der 24. Legion voraus (III/864, 873, 946, 988). Vgl. auch das Verhalten der Soldaten nach Entscheidungsschlacht bei Bebriac (IV/633f) und nach dem Selbstmord Ottos, als sie mit Gewalt Verginius Rufus zum Kaiser machen wollen (IV/686f, 770). 253 So kann Icelus mit dem General Julius Burdo am 1. Januar 69 das Niederteutsche Heer, »wiewohl mit einigem Wiederwillen«, noch bei Galba halten (III/873) 254 Hierin besteht, wie gesagt, ein wichtiger Teil des politischen ›Startkapitals‹ Nymphidiens nach dem Sturze Neros: »Es kame noch selbigem Abend Nimphidius Sabinus von Ostia in die Stadt / und weil er und Tigellinus über die Leib-Wacht bestellt und ihre Obristen waren / als gaben sie und die Legionen sich sofort unter den Gehorsahm dieser beiden.« (I/939f) 255 Nymphidius, an besagter Stelle, sieht den Bedarf, seine Autorität als Befehlshaber entsprechend zu untermauern: »Es hatte ihnen Nimphidius / noch vor des Nero Tode / heimlich versprechen lassen / daß jedem unter ihnen dreißigtausend Kayser-Groschen solten gezahlet werden / wann sie dem Sulpitius Galba zum Kayserthum verhelffen würden: welches Ver-

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Organ politischer Auseinandersetzung, zusammengesetzt ja aus einer Anzahl namentlich bekannter Ratsherren, auf deren Parteizugehörigkeit es ankommt und die im Rat sich argumentativ begegnen können. Tatsächlich bietet er einer solchen Auseinandersetzung keinen Schutz, tatsächlich agiert der Rat nach Maßgabe interner wie externer Machtverhältnisse, die gewissermaßen ad hoc feststehen und dann nur noch unter großen Gefahren angezweifelt werden können.256 Ausnahmen sind der Abfall von Nero ohne – dank der Bemühungen des Silius Italicus und derer, die heimlich für Tyridates arbeiten – schon eine Festlegung auf Galba (I/913); der offene Versuch des Silius Italicus, die Erwählung Tyridatens durch ›Nero‹ gegen Galba geltend zu machen (I/

sprechen er jetzt mit der Bedingung wiederhohlete / wann sie beständig blieben. Hierauf erfolgte nun / daß Sulpitius Galba die meisten Stimmen behielte / und konten die beiden Regierende Burgermeister / wie auch die so auf ihrer Seite waren / so gerne sie auch gewolt / es nicht verhindern.« (I/940) Was ihm hier, für Galba, gelingt, misslingt ihm, als er sich selber zum Kaiser machen will: weit davon entfernt, sein Versprechen einlösen zu können (II/778), verliert er die einzig in Frage kommende Geldgeberin, Calvia Crispinilla, im entscheidenden Moment (II/958). Antonius Honoratus hingegen kann die Soldaten mit neuen Geldversprechen bei Galba halten (II/961f). Auch in der Verschwörung des ›Drusus‹ war die Beschaffung genügender Geldmittel für die Gewinnung der Soldaten besprochen worden (II/ 614f); sie bleibt bei Anwesenheit Galbas in Rom thematisch – nun öffentlich im Rat besprochen (III/553f, 912f) – (vgl. auch III/688–690) und Calvia Crispinilla fasst die Lage gegenüber Vopiscus Pompejus Silvanus, den sie zum Kaiser machen will, wie folgt zusammen: »Niemand in Rom hat die Mittel / die mir die Götter gegeben / das nach Geld schreyende Krieges-Heer zubefriedigen / wer das wird Vergnügen können / wird sich Kayser mit leichter Mühe sehen; […].« (III/860) Otto verausgabt sich bei repräsentativen Pflichten finanziell schon, bevor er Kaiser wird (III/918) – auch er muss im Amt über Geldbeschaffung nachdenken (III/983); und ebenso Vespasianus (III/77f), der tatsächlich die Soldaten für vier Monate im Voraus, durch Mittel des Königs Antiochus, bezahlen kann (V/138). 256 Der Wechsel Nero auf Nymphidius/Galba verläuft noch in Schritten: Nymphidius wird dazugeholt, um den Bericht des Silius Italicus von der Ernennung Tyridatens zu bewerten, und bleibt dann – obwohl selber kein Ratsherr – im Rat einfach sitzen. »Wie man sonst die Stadt besetzen / und bey dieser neuen Veränderung sich zu bezeigen hätte / das ordnete Nimphidius ungefraget alles an: womit er sich so fest setzete und so mächtig wurde / daß man ihn zu fürchten begunte. Es bliebe aber damit viel nach / so sonst bey diesem Rath-Gang noch hätte sollen erötert werden / indem man nichts fürtragen wolte / was dem Nimphidius selbst nicht einfiele: um ihn nicht Anlaß zu geben / seine Gewalt zu erweitern.« (I/943) In der für Otto entscheidenden Ratssitzung klärt sich die durchaus komplexe Parteienlage ohne Auseinandersetzung; denn die Minderheiten »hielten […] an sich / wie sie bald gewahr wurden / daß die meisten unter ihnen / theils aus Furcht / theils aus Zuneigung / sich für den Salvius Otto erklähreten.« (III/972) Die Wahl Vitelliens zum Kaiser erfolgt als Bestätigung der Wahl des Kriegsheeres (IV/788). Unklarer ist die – nur über Berichte zugängliche – politische Lage nach dem Tode Vitelliens: Vespasianus erhält in Alexandria Nachricht, daß »die meisten im Rath und im Krieges-Heer ihn als würcklichen Kayser ausgeruffen hätten.« (VI/140) Hier scheint also die vorhandene Mehrheit nicht sogleich zu einer einheitlichen Positionierung der Institution geführt zu haben. Andererseits berichtet Silius Italicus von einer Gesandtschaft des Rates an Vespasianus, »um den in seiner angenommenen KaysersWürde zu befestigen / und zu ersuchen / seine Uberkunfft zu beschleunigen.« (V/1096)

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940–943); und die Einschränkung der Kontrolle, die Nymphidius über den Rat bei Abwesenheit des proklamierten Kaisers behauptet.257 Galba hat nach dem Sturze Neros alle diese drei entscheidenden Institutionen auf seiner Seite (I/942); Nymphidius hofft, durch eine Proklamation bei den Prätorianern seine weitgehende Kontrolle über den Rat in eine Erhebung zum Kaiser umzusetzen – und scheitert; Ottos Anschlag entscheidet sich im Prätorianerlager (III/962), der dortige Erfolg wird dann aber regelgerecht vom Rat, und diffus vom Volk bestätigt (III/971–974); mit Vitellius erst wird der Entscheidungsprozess auseinandergezogen: er erklärt seinen Anspruch alleine aufgrund der Proklamation durch provinzielle Akteure – Statthalter und Heeresteile – (III/988f), muss diesen also gegen die Otto treu bleibenden Teile des Heeres (IV/618–621, 628, 633f, 653f) und im Rat noch durchsetzen (IV/788f); dasselbe Verfahren strebt Vespasianus an.

257 Bereits in der ersten Ratssitzung nach Neros Tod erscheint er mit großem, militärischem Gefolge; er nimmt die Einladung zum Sitzen an und platziert sich gleich neben den Regierenden Bürgermeistern; und er bleibt nach Abhandlung der Angelegenheit, zu der er hinzugezogen worden war, sitzen (I/940–944). Die Oberstelle im Rat besetzt er unter dem Vorwand, er müsse den von ihm gerade zu diesem Zwecke ernannten abwesenden Bürgermeister Salvius Otto vertreten (II/247–249). Später bedient er sich, während eine starke Leib-Wacht seine Unantastbarkeit garantiert, zu demselben Zweck des Vorwandes der Stellvertretung Galbas (II/650). Nymphidius bedient sich dieser Machtstellung im Rat zur Einberufung von Ratssitzungen (II/35f), zum Tadel und Widerruf von Ratsbeschlüssen, die gegen seinen Willen erfolgten (I/956), zur Ämterbesetzung nach eigenem Willen (II/35f), zur Regelung und Entscheidung der Ratsangelegenheiten auch bei Abwesenheit der regierenden Bürgermeister (I/940–944, II/35f, II/247–249, II/658f, II/877–879). Allerdings ist seine Macht nicht absolut. Der Rat schickt, bevor Nymphidius widersprechen kann, eigenständig Diener an Galba ab, die diesen zur Annahme des Kaisertumes auffordern (I/954f); diese Diener, zurückkehrend, stoßen sich zunächst an dem Obenansitzen Nymphidiens; Galbas Brief wollen sie den ursprünglichen Adressaten, den gewesenen Bürgermeistern Traccalus Turpilianus und Silius Italicus geben; Argius gibt ihn dann dem designierten Bürgermeister Petronius Turpilianus; und erst dieser reicht ihn Nymphidius: so ist die Differenz zwischen der schon etablierten Macht Nymphidiens in Rom und der Wahrnehmung der Machtverhältnisse bei Galba sinnfällig ausgedrückt; außerdem kann Nymphidius nicht verhindern, dass den Aufforderungen Galbas in dem Brief gefolgt wird (II/247–249); eine weitere Niederlage erlebt er, da er durch eine fingierte Bittschrift der prätorianischen Soldaten die alleinige Befehlsgewalt über sie erlangen und also seinen Kollegen Tigellinus absetzen will: zwar wagen die Ratsherren, die gegen ihn sind, keinen offenen Widerspruch, sie wissen es aber doch unvermerkt so einzurichten, dass die Frage an Galba geleitet wird (II/385f); machtlos ist Nymphidius auch gegenüber dem Widerruf seiner Amtsernennungen durch einen Brief Galbas just am Tage der Amtseinführung des Petronius Turpilianus und Cingonius Varro (II/632–637). Deutlich wird durch diese Vorfälle die Schwachstelle seiner Autorität: da er sie auf eine Stellvertreterschaft Galbas gründet, kann er sich gegen Galba selbst, und gegen den Rat, sofern der die Autorität Galbas für sich reklamieren, oder wenigstens eine Frage an ihn delegieren kann, nicht durchsetzen.

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Bezogen also auf die Bedingungen des Herrschaftswechsels zeigt sich ein einziger, deutlicher Schritt hin zur politischen Destabilisierung, bestehend darin, dass mit dem Abfall provinzieller Statthalter und Heeresteile jetzt zwangsläufig eine militärische Auseinandersetzung zwischen dem neu ausgerufenen und dem noch im Amte befindlichen Kaiser einhergeht258 – mit anderen Worten: im Ausbruch des Bürgerkrieges. Wenn Vespasianus diesen gegen Vitellius am Ende des Untersuchungsbereiches gewonnen hat, bedeutet dies nicht zwingend auch die dauerhafte Beseitigung des Bürgerkrieges als Form politischer Auseinandersetzung; aus stehen die Informationen darüber, wie Vespasianus die notwendigen Konflikte um seine Stellung und Nachfolge entmilitarisiert. – Die herrschaftsstützenden Institutionen; das enge kaiserliche Umfeld: Die Stabilität der Institution des Prinzipats wird beschädigt, wenn das nominelle und das tatsächliche Machtzentrum divergieren, wenn, heißt das, nicht eigentlich der Kaiser regiert, sondern diejenigen, die den Kaiser regieren. Nicht schädlich ist es, gar der Position des Kaisers zuträglich, wenn, wie bei Claudius,259 Nero260 und Otto,261 eine solche Umkehrung der Autoritätsverhältnisse 258 Das war unter Nero, der dem Abfall von Statthaltern mit der Entsendung von Gefolgs- und Kriegsleuten begegnet war (I/378f), noch nicht der Fall. 259 Narcissus wirkt affektregulierend auf Claudius, wenn er, nach Ausbruch der Verschwörung des Silius, ein Zusammentreffen des Kaisers mit Valeria Messalina und seinen klagenden Kindern verhindert (I/248). 260 Über Calvia Crispinilla, Locusta und Numidia Quadratilla wird gesagt, dass »sie alle drey seiner gar mächtig waren« (I/522). Sie versuchen jedoch vergeblich ihn von dem tatsächlich törichten Besuch des nur für Frauen zugelassenen Maja-Festes abzubringen. Calvia Crispinilla, von Helius Cäsarinus unterstützt, kann ihn kurz darauf an einer Stürmung des Vesta-Tempels hindern (I/525), ebenso bringen sie ihn dazu, Vardanes zur Flucht zu verhelfen, auf seinem Freispruch also nicht zu bestehen (I/437). Ihr und der anderen Einfluss ist aber nicht absolut, sondern von der Stärke des Affektes bei Nero abhängig. So heißt es, nachdem Nero von Antonias Vorhaben erfahren hat, noch einen Monat im Vesta-Tempel zu bleiben: »Calvia Crispinilla / den Kayser so erzürnet sehend / dorffte sich nicht erkühnen / ihm einzureden. Nachdem er sich eine weile besonnen / sprunge er gählings auf von der Lager-Stätte / forderte seinen Wagen / warffe sich in denselben hinein / und liesse Spohrenstreichs / was nur die Pferde lauffen konten / nach dem Tempel der Vesta zu jagen. Als er aber vor das Thor kame / stutzte er / und fuhre folgends gantz gemach um die auswendige Mauren des Tempels. Tigellinus mit der Kayserlichen Wacht / folgte von fernen nach / und als er merckte / daß des Nero Eiffer sich etwas gestillet / wagte er es / und ginge zu ihm / ihn ermahnend / daß er seines Lebens schonen wolte: weil das Volck es nimmermehr ungerochen lassen würde / wann dem Tempel der Vesta etwas wiederführe. Wann Nero nicht bereits selber dergleichen Gedancken gehabt hätte / würde des Tigellinus Einrath nicht so wohl seyn aufgenommen worden.« (I/526f) Charakteristisch ist auch, wie Nero, nachdem er bei der Aufführung des sterbenden Oedipus mitten in seiner Rede verstummt war, getröstet werden muss: »[Statilia Messalina] fande ihn auf dem Bette liegen / und sprache ihm zu / daß er / um solcher liederlichen Zufälle willen / sich nicht also sehr betrüben solte: massen ja wol eher geschehen wäre / daß die besten Redner verstummen müssen. Ihr Zureden verfienge bey ihm weniger / als nichtes. Wie aber Calvia Crispinilla darzu kame / und der Statilia beyfiele / überwand er sich / dieses zu verschmertzen.« (I/910f)

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in seinem engen Beraterumfeld gelgenheitsbezogen und -beschränkt erfolgt und zur Kompensation einer tatsächlichen charakterlichen Schwäche des Herrschers dient. Tiberius,262 und Caligula263 können an dieser Stelle ver-

261 Der engere Kreis um Otto enthält seine nächsten Verwandten, d. h. seinen Bruder Salvius Titianus (IV/659f), seine Schwester Salvia (IV/130) und seine Mutter Alba Terentia (II/1004); seine beiden Freigelassenen Oscus und Onomastus, den Prätorianergeneral Licinius Proculus, Traccalus Turpilianus (III/1009), den anderen Prätorianergeneral Plautius Firmus, Mevius Pudens (IV/119), Julius Martialis (III/977) und Eprius Marcellus (IV/980). Seine Mutter und Schwester sind vor allem mit der Betreuung Octavias beauftragt. Sein Bruder, Licinius Proculus, Plautius Firmus, Mevius Pudens und seine Freigelassenen halten ihm bei Verlust des Bürgerkrieges bis zuletzt die Treue. Die wesentlichen Aufgaben des Vertrautenkreises bestehen in der Abwehr von Gefahren durch Verschwörungen, die öffentlich zu benennen Otto politisch gefährlich werden könnte (III/980, IV/327–330); in der Pflege seiner Leidenschaft zur gefangenen Octavia, deren Anwesenheit und Gefangenschaft öffentlich zu machen ebenfalls zu gefährlich wäre; und in der gewissermaßen psychologischen Beratung und Stütze des Kaisers. Diese letzte Aufgabe gewinnt zum Ende seiner Regentschaft, nach dem Verlust der Entscheidungsschlacht bei Bebriac also, an Bedeutung und bleibt kurz vor Schluss sozusagen als einziges übrig (siehe etwa IV/536, 594–598, 681–684); allerdings finden schon die am ersten Morgen seiner Regierung um ihn versammelten »ihn in solchem ängstlichen Beginnen / daß sie ihn darüber sehr zuredeten / um sich solche Fantaseyen aus dem Sinne zu schlagen / und sein bisheriges kluges Verfahren nicht mit einer Thorheit zu beschliessen. Sie nöthigten ihn fast mit Gewalt / sich ein wenig wieder nieder zu legen / und nachdem sie sich um sein Bett gesetzet / […].« (III/977) 262 Zur Position des Lieblings Sejanus vgl. III/757, 758, IV/896f, II/565, 664. Einflussreiche Personen sind sonst Vespasia Polla (II/665), Vespasius Pollio (II/664), Cestius (VI/288), Prinz Nero (IV/896), Livia (II/321), Plautia Urgulanilla (IV/894), Macron (II/284); Aelia Petina (IV/698); Helvidius Priscus (VI/388). 263 Im engeren Umfeld Caligulas gibt es kaum politische Auseinandersetzungen, d. h. es wird von keiner Konkurrenz unter seinen Günstlingen berichtet. Als in besonderer Gunst stehend werden überhaupt nur Agrippa (III/285f), Agrippina (II/331) Marcus Silanus (II/208), Cäsonia (I/207), Appius Silanus (I/209f), Darius (I/210) und Aemilius Lepidus (II/332f) genannt. Das Verhältnis zu Agrippa ist durchaus wechselvoll, da Agrippa sich immer wieder distanziert, Caligula ihn aber an den Hof bindet (I/576, III/285f), ja noch kurz vor seiner Ermordung sich seines Rats bedienen will (III/292). Agrippina, mit der er noch zu Beginn in ungescheuter Unzucht lebt (II/331), wird mit ihrer Schwester Julia später aus weltbekannten, also hier ungenannten Ursachen nach Ponto verbannt (IV/900). Marcus Silanus bringt er um, weil er ihm zur Heirat mit Orestilla geraten hat (II/208); von Cäsonia heißt es, dass Caligula »alles zu thun pflegte / was Cäsonia wolte« (I/207), aber auch, dass »sie alles thäte / was der Kayser begehrte« (I/213); Appius Silanus kann eine über Cäsonia erwirkte Heiratsbewilligung des Kaisers unter Anwendung all seiner Gewalt unschwer wieder umwerfen (I/209); Darius, wie gesagt, protegiert Caligula aus Zuneigung und wegen politischer Motive (I/210), und nur Claudius kann ihn abhalten, seinen vermeinten Giftmord an Valeria Messalina zu rächen (I/216); Aemilius Lepidus schließlich, den Caligula schon zu seinem Nachfolger bestimmte, lässt er in einem Garten in Lugdunum stehenden Fußes enthaupten, da er hinter einer Hecke vernommen hat, wie Lepidus zu der gerade verwitweten Agrippina sagt, sie könne ja, statt Galbas, auch ihn, als einen baldigen Kaiser heiraten – ein Ausspruch, der wegen seines Status als erwählter Nachfolger durchaus einer harmlosen Deutung offenstünde (II/332f). Eine Verdichtung der verschiedenen Einflüsse auf Caligula gibt es also allenfalls im Kontext der Geschichte Messalinas: hier schlägt Appius Silanus die von Silius

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nachlässigt werden. Über die Hofhaltung des Vitellius informieren im Roman nur Berichte, die über eine besondere Autorität bestimmter Berater keine Rückschlüsse erlauben.264 Auch Vespasianus, dessen Hofhaltung ausführlicher geschildert wird, hat keinen ihm überlegenen Vertrauten. Deutliche und für die Destabilisierung des politischen Systems insgesamt relevante Verlagerungen des tatsächlichen Machtzentrums gibt es hingegen unter Claudius und Galba. Beide Ehefrauen des Claudius üben über ihn eine quasitotale Kontrolle,265 die es eigentlich sinnvoller macht, anstatt von einer, von zwei Regierungsperioden, unter Messalina und unter Agrippina, zu sprechen.266 Während Messalina ihren Einfluss zur notwendigen Abwehr von Verschwörungen, und also im Sinne des Kaisers einsetzt,267 verfolgt Agrippina, die sich ab ihrer Rückkehr aus Ponto »in sein Gemüthe […] trefflich einzuspielen wuste« (I/ 226), mit dem Erwerb und der Sicherung der Erbfolge für ihren Sohn Domitius eigene politische Ziele.268 Die Auseinandersetzung um die Wiederverheiratung

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bewegte Cäsonia; Darius schlägt Plautius Lateranus; Caligula schlägt Silius bei Cäsonia; und Claudius schlägt das Andenken des Darius. Protegiert wird eine Zeit lang Cartismanda (IV/828, 831, 937). Seine Mutter steht zu ihm in offener Opposition (IV/935): sie wird später hingerichtet (V/136). Zu Valeria Messalina vgl. I/219, zu Agrippina vgl. II/66. Die übrigen Günstlinge sind: Agrippa (III/293), Appius Silanus (III/501f), Stepho (II/453), Plautius (I/259f), Vespasianus (III/297), Pallas (III/302f), Narcissus (III/305), Prinz Agrippa (III/305), Pätus (III/306f), Cartismanda (IV/154), Lucius Vitellius (I/220), Syora und ihre Anverwandten (IV/30f), Galba (IV/36), Tertius Julianus (VI/306, VI/313), Lucius Silanus (III/507f), Cajus Silius (I/228), Cneus Pompejus (I/241, I/350–352), Galgacus (IV/40f), Tertius Julianus (VI/396, VI/399), Rubrius Gallus (IV/61f). Agrippina übt ihren Einfluss teilweise durch Pallas vermittelt (II/66). Die Claudius alleine zuzurechnenden politischen Aktivitäten wurden oben bereits aufgelistet. Das betrifft die Verschwörung des Appius Silanus, aber auch etwa die Verheiratung von Agrippina und Paßienus Crispus (I/226). Einzig in einer gewissen Neigung zum Christentum weicht sie von der Haltung ihres Mannes ab (III/302f, I/460f), und nur zweifach, in der Begünstigung des Silius (I/228) und der Verfolgung der vermeintlich an ihrem schlechten Ruf schuldigen Poppea Sabina (I/237f), wirkt sie auf das höfische Machtgefüge aus persönlichen Motiven ein Die Informationen zur Durchführung dieses Planes finden sich am detailliertesten in der Geschichte der Octavia und können an dieser Stelle nicht rekapituliert werden. Die übrigen, ihr zuzurechnenden politischen Aktivitäten sind überschaubar: Sie vertreibt Clodius Macer aus der Hauptstadt, weil er in Messalinas Gunst gestanden hatte (III/780), und protegiert Salvia, weil diese mit ihrem Bruder Drusus verheiratet gewesen war (III/782); ihr Versuch, Salvia einen Ehemann zu verschaffen, scheitert allerdings kläglich (III/782–789). Vespasianus zieht sich ihre Feindschaft wegen seiner Freundschaft zu Narcissus zu (II/670). Titus Alledius Severus kann dadurch ihre Gunst erlangen, dass er, das Beispiel des kaiserlichen Paares befolgend, seine ihm zur Pflegetochter gegebene Nichte zur Frau begehrt (II/202f). Auf des Kaisers Anhänglichkeit gegen Syora und alles, was mit ihr zusammenhängt, vor allem ihren Sohn und vermeintlichen kaiserlichen Bastard Galgacus, reagiert sie mit heftiger Eifersucht (IV/37f, IV/40f). Nach dem Dammbruch bei dem Wasserschauspiel auf dem

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des Kaisers ähnelt, mit einer durchaus komplexen Interessenlage, der Auseinandersetzung um eine Neubesetzung des Kaiseramtes überhaupt.269 Und Agrippinas Erfolg mag unter anderem darin begründet liegen, dass sie ihr entgegenwirkenden Personen den Kontakt zum Kaiser erschwert oder unmöglich macht.270 Die Vertrautesten Galbas sind schon zum Zeitpunkt seiner Ernennung und bis zum Schluss Titus Vinius und Cornelius Lacon; oft zusammen genannt, kommt doch Vinius die wichtigere Stellung zu.271 Er versucht am entschiedensten seinen Einfluss, nämlich in eine Regelung der Nachfolge Galbas zu seinen Gunsten272 umzusetzen, und entsprechend reagiert Galba auf seine eigene Schwäche am deutlichsten in der Beziehung zu ihm. Er steht in dem Dilemma, Titus Vinius den

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Fuciner-See bekommt Narcissus Gelegenheit ihr Hochmut in der Anordnung solcher unmöglichen Dinge vorzuwerfen (I/727) – offenbar sorgt Agrippina also für solche Spektakel. Sie setzt bei Claudius die Begnadigung Locustas durch, die sie zum Giftmord noch gebrauchen will (I/349f); und sorgt, beide Male auf Verräterei anklagend, für die Verbannung Lollia Paulinas (II/195); und für die Hinrichtung Domitia Lepidas, der Mutter Valeria Messalinas, dabei sich gegen die gesammelte Fürsprache Octavias, Britannicens, Antonias und Neros durchsetzend (I/355). Für das Geschehen stehen vier Berichte zur Verfügung, die, gemäß ihrer je eingenommenen Perspektive, vier unterschiedliche Faktoren hervorheben. Popilia Plautilla meint, die Weigerung Plautia Urgulanillas (I/284f) sei entscheidend, ›Drusus‹, der Einfluss des Pallas (I/ 346) und Junia Calvina, der Einfluss und, aus ihrer Sicht, der Verrat des Eprius Marcellus (III/516); die differenzierteste Darstellung des Vorganges liefert aber Pythia (II/58–64): hier erscheint Agrippina selber als entscheidende Akteurin. Das betrifft Lucius Silanus (II/59), Octavia (II/63f), Antonia (I/349), Cneus Pompejus Magnus (I/351). Entsprechend bedeutet das leichte Sinken der Macht Agrippinas die Möglichkeit eines freieren Kontaktes zwischen Claudius, Antonia und Aelia Petina (I/356f). Vgl. II/172: »Weil Titus Vinius / dieser [Crispina] ihr Vater / des neu-erwählten Kaysers Sulpitius Galba vertrautester Freund und bey ihm alles in allem war / also wartete fast gantz Rom der Crispina dieserwegen auf / um durch sie und ihren Vater bey der neuen Regierung hoch ans Bret zu kommen. Daher war ihr Pallast nie ohne Leuthe / sondern es befande sich stets bey ihr so grosse Gesellschafft / als wäre es der Kayserliche Hof gewesen.« Weiter: II/ 411, II/634. Tarquitius Priscus bemerkt am kaiserlichen Hof zu Volaterra, dass Lacon und Vinius mehr Aufwärter um sich haben als der Kaiser (III/345). Die entscheidende politische Auseinandersetzung in Galbas Amtszeit geht um sein hohes Alter, seine Ehe- und Kinderlosigkeit – das heißt: um Beschaffung eines Nachfolgers seis in einer neuen Ehe, seis durch Ernennung und Adoption. Für eine Heirat kommen Claudia in Betracht, die vermeinte Octavia und Statilia Messalina; Sulpitia Prätextata hält sich fälschlich für eine Kandidatin. Zum Nachfolger ernennt Galba schließlich Piso Licinianus, damit die Intrige seines Lieblings Titus Vinius durchkreuzend, der Otto mit seiner Tochter Crispina hatte verheiraten und ihn zum Nachfolger machen lassen wollen. Die komplexe Handlung kann hier in den Einzelheiten nicht rekapituliert werden. Hier sind aber die Stellen zu einer Heirat Claudias: III/7f, 11–14, 22–24, 28f, 108f, 111, 113–118, 251, 357–359, 372f, 383f, 554f, 558–560, 564f; zu einer Heirat ›Octavias‹: III/376–380, 383f, 482, 555–558, 569f, 597, 600, 603f, 611; zu einer Heirat Statilia Messalinas: III/666f, 682f, 688, 693f, 823–835, 870. Zur Nachfolgewahl: III/27f, 372, 375f, 382–384, 390, 392–398, 403 551f, 555f, 568f, 579f, 602, 605– 612, 614, 681–684, 692f, 686–692, 696, 712–716, 724, 750–752, 875f, 901–903, 912, 944.

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Erfolg seiner Intrige nicht zu gönnen (III/375f), öffentlich gegen ihn aber nicht vorgehen, ja eine leichte Verstimmung zwischen ihnen nicht ertragen zu können (III/396–398). Im Ergebnis bleibt der Konflikt um die Nachfolge größtenteils latent,273 die tatsächliche Ernennung Pisos die einzige Handlung, die eine unumkehrbare Änderung der Konstellation herbeiführt. Hat sich Galba mit ihr »seinen Regierern« (III/691) gegenüber im dritten Anlauf durchgesetzt,274 erschrickt er doch auch gleich vor der Piso verliehenen Macht und sucht sie einzudämmen (III/912, 944). Otto setzt sich, mit seiner Partei, als Nachfolger gewaltsam durch und Titus Vinius fällt dem Aufstand wie der Kaiser zum Opfer (III/966f). Das hohe Alter Galbas bedeutet eine Schwächung seiner Position, weil zu befürchten steht, dass über sein Regiment hinweg der Konflikt um die bald erwartete Nachfolge bereits ausgetragen wird.275 Um diese Schwäche zu kompensieren, muss Galba die Nachfolge vorsorglich regeln. Er favorisiert, aus Eitelkeit, das wegen seiner vermuteten Impotenz schlechte Mittel der Heirat (III/ 691); die Notwendigkeit zur Ernennung eines Nachfolgers führen ihm erst die Berichte aus Teutschland, von den dort drohenden Unruhen, vor Augen (III/871– 876). Sein gegenüber Piso gleich wieder skeptisches Verhalten zeigt, warum: ein ernannter Nachfolger dürfte für ihn noch schwieriger zu ertragen und zu kontrollieren sein, als nur die um die Nachfolge schon ringenden Berater. Jedenfalls bedürfte er zu dieser Kontrolle eines ihm unterworfenen, treuen Beraterkreises, das heißt einer stabilen Delegation seiner nominellen Macht in die interessierte Aristokratie.276 Indem er die offene Konfrontation mit Titus Vinius scheut, obwohl er ihn durchschaut; sich ihm im direkten Kontakt unterwirft, in der Tat aber widersetzt, wird Galba in der Auseinandersetzung um seine Nachfolge selber Partei – und zwar eine schwache, über kaum Beziehungen verfügende. – Die herrschaftsstützenden Institutionen; institutionelle Profile der einzelnen Regierungsperioden: Nero zuallererst nimmt durch seine idiosynkratische 273 Vinius agiert durch Einflussnahme auf seine Tochter (III/403, 551f), Beschenkung der Gesandten (III/602), versuchte Bestechung des Silius Italicus (III/692f); Galba wird vorsätzlich über seine wahren Absichten getäuscht: Vinius wolle Otto nach Africa senden (III/686–690); im geheimen Rat nach einem Vorschlag für einen Nachfolger gefragt, stellt Vinius die Wahl demonstrativ dem Kaiser anheim (III/691f). Noch, als er endlich offen für Otto sich ausspricht, spielt er Charade: »[Er] stellete sich an / als käme ihm diese Frage gantz unvermuthlich / und besanne sich eine Weile / ehe er antwortete.« (III/875) 274 Zweimal kündigt er Piso die Ernennung an, ohne sie umzusetzen (III/712–716, 724, 750– 752). 275 Vgl. III/875: »Aller dreyer [Titus Vinius, Cornelius Lacon, Icelus] Meynung gienge dahin / daß Galba einen Nachfolger des Reichs eiligst erwehlen müste / ehe und bevor ein anderer sich selber dazu aufwürffe.« 276 Beispielhaft etwa das Wirken des Antonius Honoratus vor der Ankunft Galbas in Rom. Vgl. dazu und zur Abwehr der Verschwörung des Nymphidius allgemein II/413, 538f, 545–551, 637f, 779–781, 945–951, 961f, 968f.

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Instrumentalisierung repräsentativer Formen277 und seine demonstrative Verachtung der republikanischen Institutionen278 eine Extremstellung ein, die als Charakteristik des stabilen Ausgangszustands der Destabilisierungshandlung überrascht, bei näherem Hinsehen aber doch eine gewisse Plausibilität gewinnt. Unpassend für einen Herrscher ist jede künstlerische oder sportliche Betätigung, und dessen bewusst beginnt Nero, das Begehren seiner Gemahlin vorschiebend, seine Bemühungen (III/209): er droht, künstlerisch versagend, lächerlich zu werden. Andererseits eignet sich die willkürliche, ja absurde Beugung der künstlerischen Bewertung zu seinen Gunsten zur Demonstration seiner unbeschränkten Macht, wenn sie auch Neros genuinen Ehrgeiz nicht befriedigen kann, besonders gut. Er verlagert den Schwerpunkt seines öffentlichen Wirkens in ein politisch zwar korrumpiertes, eigentlich aber politikfernes Feld, und läuft gar nicht erst Gefahr, sich in die faktisch entmachteten republikanischen Institutionen, die er öffentlich demütigt, doch noch zu verstricken. Die Konzeption und Darbietung des siegenden Eneas zeigt dabei, dass das Theater Nero nicht nur zu seiner absurden Erhöhung, sondern, bei Bedarf, zum komplexen, auf andere zielgerichtet bezogenen politischen Instrument dient.279 Schließlich kann auch hinsichtlich des enge277 Seinen großen Bewegungsdrang lebt er aus im Gassenlaufen (I/385, II/472f, III/209, 624f); im wüsten Umherfahren (I/400f, 510f, 589); im Nutzen der Rennkreise (I/402, 433, 439, 527, 615). Zum verborgenen Beginn der künstlerischen Betätigung vgl. III/209; ferner gibt es Informationen zu seinem Schauspielerdebüt (II/225), seiner künstlerischen Begleitung des großen Brandes (III/218f), seiner Teilnahme bei einem Gedicht-Wettbewerb (III/658–660), die Gleichsetzung der Verachtung einer Comödie mit Majestätsverachtung (II/730f), die Griechenlandreise (II/920–924); vollständig wiedergegeben werden das im Rahmen der Hochzeit mit Statilia Messalina aufgeführte Singspiel Der siegende Eneas (I/784–810) und das Trauerspiel vom sterbenden Ödipus (I/851–911). Das Besuchen von Fechterspielen (II/ 221f) und Prozessen (II/220) ist sicher mit der künstlerischen Tollheit durch die Lust an Inszenierung und Wettkampf verwandt. Magier faszinieren ihn (II/731). 278 Vgl. I/400–402 – hier lässt Nero die Ratsherren am ostischen Tor mehrere Stunden auf ihn warten, um dann auf anderem Wege in die Stadt einzufahren. Am 20. April erteilt er dem versammelten Rat und den Bürgermeistern, die ihn zum Pales-Fest auf den Augustus-Markt geleiten wollen, eine drastische Abfuhr – bedingt diesmal allerdings durch die Warnung Octavias (I/416f) – und provoziert sie zusätzlich durch die offene Protektion des Vardanes; durch die öffentlich hochwirksame Demütigung sehen sich die Bürgermeister »gantz beschimpffet / auch den bisher noch erhaltenen Schein ihrer ehmahls gehabten Gewalt so sehr verletzet« (I/417), dass sie immerhin wegen Vardanes protestieren, dem Nero am Ende wirklich, auf Zureden Calvia Crispinillas und des Helius Cäsarinus, zur Flucht verhelfen muss (I/436f). 279 Es handelt sich dabei nicht einfach um eine Dramatisierung einer Episode der Aeneis (I/ 783); sondern die gegenwärtige Politik und die jüngere politische Geschichte werden durch die vergilsche Vorlage kommentiert. Der Zuschauer muss jeweils drei Identitäten einander zuordnen: er erkennt den gegenwärtigen Schauspieler (z. B. Eprius Marcellus); dieser Schauspieler hat eine Maske vorgebunden, die einer Gestalt der jüngeren Geschichte ähnlichsieht (in diesem Falle Seneca); er spielt aber eine Figur aus dem Singspiel, also aus der Aeneis (in diesem Fall den Priester Tolumnius). Nur Nero selber, im Stück Eneas vorstellend,

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ren, kaiserlichen Umfeldes, der Gestaltung des Hofes also,280 eine Distanzierung von der übrigen politischen Aristokratie festgestellt werden, die zu der vergleichsweise langen Regierungsdauer ihren Beitrag geleistet haben mag. Unter Galba, vor seiner Ankunft in Rom, unternimmt Nymphidius den Versuch, seine Machtstellung durch massiven repräsentativen Aufwand auszubauen.281 Dabei kommen verschiedene Sonderzwecke zum Tragen.282 Die Bemühungen sind aber nur teilweise erfolgreich283 und können jedenfalls seine substanziellen politischen Schwächen – den bleibenden Einfluss Galbas in der Stadt, den Geldmangel, die daher mangelnde Unterstützung der Soldaten – nicht wettmachen. Nach Galbas Ankunft in Rom gewinnen die politischen Institutionen des Hofes und der Repräsentation eine größere, der politischen Stabilität gefährliche Eigendynamik. Die räumlich in der Zimmerfolge vom kaiserlichen Schlafzimmer bis zum weitgehend öffentlichen Vorsaal sich jetzt verlässlich etablierende hö-

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trägt eine Maske mit seinen eigenen Zügen (I/795). Die Lesevorgänge durch das politisch interessierte Publikum sind vielfach: die Verschworenen etwa stecken zwischen Furcht und Hoffnung, »ob etwan in den nachfolgenden Aufzügen / auch ihre Gestalt erscheinen / und dadurch sich äussern würde / daß dem Kayser ihr Vorhaben kund wäre.« (I/793) ›Drusus‹ schmerzt die Verhöhnung, die Antonia in Gestalt der Juturna widerfährt (I/792f); Statilia Messalina, die als frische Kaiserin Anspruch auf die weibliche Spitzenposition auch im Repräsentationsmedium erhebt, sieht sich kurz, bis Lavinia mit ihrem Conterfey erscheint, zurückgesetzt, da Sabina Poppea Venus zugeordnet wird (I/798f); Freunde Neros fühlen sich geschmeichelt, da sie in positiver Konnotation sich unter den Masken wiederfinden (I/807); und Nero baut der Eifersucht, die Messalina noch auf die Tänzerin der Lavinia fassen könnte, dadurch vor, dass er diese Rolle der beinahe achtzigjährigen Aelia Catilla zugewiesen hat (I/809). Die Einflussnahme der engeren Berater besteht, wie oben festgestellt, weitgehend in der Abmilderung affektischer Überschüsse, nicht also in eigentlich politischer Beratung. Er veranstaltet eine Reihe aufwendiger, seine Mittel weit übersteigender Gastmähler zu verschiedenen Anlässen: Sulpitius Galba zu Ehren (I/943f); zum Fest der Anna Perenna (I/ 943f); anlässlich der Ankunft des Galba entgegengesandten und zurückgekehrten Argius (II/252–255); zu Ehren der aus der Verbannung Zurückgeholten (II/381, 385f, 414–420, 426– 428, 430, 440); zum ersten Tag des Augustus-Geburtstagsfestes (II/951–953). Die Gewinnung der Gunst des Rates, die Befestigung seiner Stellvertreterschaft Galbas und die Etablierung seines Palastes als eines Ersatzhofes mit sonst Kaisern gewidmeten Morgenbesuchen (I/943f); die Werbung bei Plautia Urgulanilla (I/943f); die Beschenkung/Bestechung der Gäste (II/251–255); die Gewinnung der aus der Verbannung Heimgeholten, die Überwachung der Gäste und die fortgesetzte Werbung bei Plautia Urgulanilla und Claudia (II/381, 385f, 414–420, 426–428, 430, 440). Sie helfen Nymphidius zu Beginn sicherlich in der Gewinnung der Gunst des Rates (II/943f); wie wichtig sie Plautia Urgulanilla bei ihrer Entscheidung werden, bleibt dahingestellt. Allgemein durchschauen die Gäste die Absichten ihres Gastgebers, und sie wissen auch, dass der zurschaugestellte Reichtum die Mittel desselben, ja die Mittel der kaiserlichen Schatzkammer, über die zu verfügen er sich anmaßt, übersteigt; dennoch, immerhin selber profitierend, machen sie mit (II/253f, 427). Eine Art Stellvertreterhof unterhält schließlich auch Crispina als Tochter des Galba am engsten vertrauten Titus Vinius (II/184, 189, 244).

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fische Ordnung284 wurde hinsichtlich der Privilegierung eines engen Beraterkreises und der Unterminierung kaiserlicher Autorität oben bereits behandelt.285 Nutzt Galba seine Macht zur Ämtervergabe, dann, um die höfische Hierarchie in die Beamtenhierarchie zu übersetzen.286 Der Situation bei Hofe entspricht aber, in ihrer latenten Konflikthaltigkeit, in der Konkurrenz einiger, durch den Kaiser kaum kontrollierter Akteure, auch der repräsentative Zuschnitt. Im Unterschied zu Nero und Nymphidius gilt Galba als karg; wie immer dies moralisch gewertet wird,287 entsteht so für andere Akteure die Möglichkeit, sich durch repräsentativen Aufwand hervorzutun.288 Vitellius hat dabei das Pech, dass seine eigentlich 284 Vgl. III/107–110, 345f. 285 Zusätzlich bedacht werden müsste vielleicht die Funktion der ›Vertrauten‹ bei der Gefahrenabwehr, der Erkennung und Zerschlagung von Verschwörungen also, die der Öffentlichkeit des oppositionell durchsetzten Rates natürlich nicht überlassen werden kann. Typischerweise aber spielen auch hierbei persönliche Motive der Berater eine große Rolle: vgl. zur Beseitigung des Mythridates, betrieben durch seinen Nebenbuhler Cornelius Lacon III/ 346, 359–363, 373–376, 384, 386–388, 711f. Zur übrigen Gefahrenabwehr vgl. III/117, 362, 371, 374, 381f, 553f, 559, 574, 597–600, 689–691, 865, 870–876, 911f. Zusammengefasst: Die Verfolgung der widrigen Parteien unterbleibt, wo sie zu gefährlich wäre; wo sie erfolgt, ist sie mehr von persönlichen als von politischen Motiven getrieben. Die relevanten Informationen über die Verschwörung Drusens, die ›Claudia‹ Galba verrät, teilt dieser mit seinen Lieblingen Lacon und Vinius und mit der größeren politischen Öffentlichkeit zunächst nicht; Martianus Icelus, hier sein Vertrauter, kann aber in einer Expedition nach Teutschland weitere Informationen gewinnen und den Aufstand in Niederteutschland wenigstens unterbinden. Erst der Ausbruch des Aufstandes in Oberteutschland zwingt zur offenen Abwehr, zur Nachfolgewahl also und zur Entsendung römischer Autoritäten in die aufständischen Gebiete: hier aber Piso Licinianus als zukünftigen Kaiser auch einzusetzen scheut Galba. Und ungelöst bleibt das Geldproblem, da die einmal von den Schauspielern aufgetriebene Summe nicht den Soldaten zugutekommt, sondern gleich in dem obersten Kreis zirkuliert: von Galba verwandt wird, um Vinius zu versöhnen, von Vinius wiederum, um Otto zu bestechen. 286 Vgl. III/363–365, 704f, 913. 287 Vgl. III/366, 604. Die Sparsamkeit kann, mit Titus Vinius, positiv gedeutet werden: man habe früher »sowol der Soldaten / als armer Leuthe Schweiß und Blut bey solchen Gelagen verzehrt und verprasset« (III/366). 288 Wirte der Feste sind in dieser Reihenfolge: Galba am 1. November (III/366), Galba am 9. November (III/398), Vitellius am 13. November (III/402). Bei den achttägigen Saturnalien geht die Wirtschaft gewissermaßen reihum: Galba am 17. Dezember (III/604), Vinius am 18. Dezember (III/612), Lacon am 19. Dezember (III/676), Otto am 20. Dezember (III/676), Piso am 21. Dezember (III/685); hierauf folgt wegen entstandener Unruhe eine Pause; erst der letzte Tag der Saturnalien wird auf Einladung des Flavius Sabinus, die Galba nicht ablehnen will, wieder festlich begangen (III/692). Das Fest zum 1. Januar richtet Otto aus (III/696); Galba ist in Tusculum Wirt am 5. Januar und zum Ende der Agonalischen Spiele am 9. Januar (III/882f); das letzte Fest seiner Amtszeit ist ein Nachtessen bei Crispina am 13. Januar (III/943f). Eine besondere Absicht verbindet sich mit der Übernahme der Wirtschaft bei Otto, »als welcher / durch die vielfältige Gastmahle / die er dem Kayser gabe / sich in seine gute Gunst immer fester zu setzen bemühet war.« (III/696) Er nutzt etwa das am 20. Dezember gegebene Fest dazu, »auch die Kayserliche Leib-Wache an sich zu ziehen / die den Kayser dahin begleitet hatte: die er dann unten im Vor-Hofe überaus wol bewirthen

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seine Verhältnisse überschreitenden Ausgaben von denen, die um jene wissen, Titus Vinius zugeschrieben werden, »massen der sich hierbey mehr wie ein Wirth / als wie ein Gast / erwiese« (III/402). Otto aber kann durch den Einsatz noch unter Nero ausgebildeter Sängerknaben (III/677) und Comödienspieler (III/710) einen vorteilhaften Effekt erzielen:289 er richtet am 20. Dezember und am Neujahrstag die dekorativ aufwendigsten Feste aus (III/676, 696, 706–710), ja für das Neujahrsfest errichtet er ein eigenes Festgebäude, bestimmt die Anordnung der Gäste, den Festablauf und das – im Vergleich zu Neros Spitzen sehr harmlose, auf eine bloße Huldigung Galbas hinauslaufende – allegorisch-symbolische Programm. Piso Licinianus bietet sowohl ein von Otto angestellter hispanischer Tanz als auch die erloste Königsrolle im Königsspiel Gelegenheit, seine Klugheit und Geschicklichkeit vor allem dem Kaiser zu beweisen (III/366; III/614). Die unter Galba zu beobachten gewesenen Strukturen politischer Kommunikation bleiben unter Otto grundsätzlich bestehen. Beschlussfassende Gremien sind der Rat,290 der nur aus den Vertrautesten bestehende Geheime Rat in unterschiedlicher Zusammensetzung291 und, hinzukommend jetzt, der Kriegsrat liesse. Er kame verschiedentlich selbst zu ihnen / nannte sie seine Brüder / trancke auf aller tapffern Soldaten Gesundheit ihnen zu / und beschenkte sie insgesammt herrlich.« (III/677) 289 Er versteht es, die durch die Musik der neronischen Knaben hervorgebrachte gute Laune des Kaisers in die kaiserliche Einwilligung in die Befreiung der hinterbliebenen Freunde des Nero und Nymphidius umzuwandeln (III/677) – d. h. auch im engeren Sinne politische Entscheidungen können im festlichen Rahmen forciert werden, wenn die Gelegenheit günstig ist oder ein besonderes Ereignis einfällt (III/689f). 290 Ratssitzungen werden erwähnt vom 15. Januar (III/971–973), 16. Januar (III/982f), jeweils zu Monatsbeginn am 1. Februar (III/1000–1004) und 1. März (IV/8); am 20. März anlässlich der Überschwemmung (IV/149f); am 22. März (IV/291); und am 25. März anlässlich des Auszuges des Kaisers und der Ratsherrenschaft in Richtung Oberitalien (IV/351). Entschieden werden außenpolitische Belange, Nothilfen wegen der Überschwemmung und Vorbereitungen für den Bürgerkrieg. Es kommt, nachdem die Mehrheit für Otto am 15. Januar feststeht, zu keiner weiteren Parteienbildung im Rat. Die Spaltung des Reiches in Vitellianer und Ottonianer bildet sich in diesem Gremium nicht ab. 291 Der Kreis der Vertrautesten lässt sich weiter untergliedern: Familienangehörige sind seine Schwester Salvia, sein Bruder Salvius Titianus und seine Mutter Albia Terentia. Salvia und Crispina vermitteln bis zum gescheiterten Aufstand Crispinas zwischen Otto und Octavia (III/1033ff). Von der gefangenen Octavia wissen Licinius Proculus, Plautius Firmus, Traccalus Turpilianus, Mevius Pudens (IV/119f), Julius Martialis, Salvia (III/977f), Crispina (III/999) und wohl auch die Freigelassenen Oscus und Onomastus. Das Wissen um Nero ist stärker limitiert, hier sind zunächst nur Traccalus Turpilianus, Eprius Marcellus, Salvia und die Freigelassenen eingeweiht (III/980). Antonius Primus wird, weil er die Briefe von ›Claudia‹ zur Aufdeckung der Verschwörung Crispinas überbringt, in die Beratungen der entsprechenden Gefahrenabwehr miteinbezogen (IV/327–330). Florus beruft Otto alleine zu sich als ein politisches, geheimes Instrument früherer Zeit, von dem er nun Verrat fürchtet (IV/150ff). Den Aufbruch des Heeres gegen Vitellius terminiert Otto zusammen mit Licinius Proculus, Plautius Firmus, Traccalus Turpilianus und Mevius Pudens am 15. März für den 23. März (IV/119f) – ein Beschluss, der sicher auch im Rat hätte gefasst werden können. Gegen Mevius Pudens wird er wegen seines langen Ausbleibens in Oberitalien misstrauisch

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(IV/537–539, 604f). Der kaiserliche Palast unterscheidet erneut, und zwar unabhängig vom Residenzort, Grade der Öffentlichkeit;292 und weiterhin liefern Opfer293 und Feste294 Gelegenheit zu politisch relevanter Kommunikation. Der Unterschied zur Regierung Galbas besteht in der militärischen Auslagerung des ja von Beginn an bereits manifesten, politischen Hauptkonfliktes. Weitgehend konfliktfrei bleiben dadurch Rat und Geheimer Rat; das fleißige Nachkommen religiös-repräsentativer Pflichten bürdet sich Otto auf, um seine Beliebtheit beim Volk zu steigern, jedoch ohne offensichtlichen Erfolg, und ohne sich dabei gegenüber einem Konkurrenten zu profilieren (IV/9, 88); und typischerweise bilden Feste und Gastmähler Anlässe zur Abwickelung anderer, die Machtstellung des Kaisers also nicht unmittelbar betreffender Handlungen.295 Ausnahmen stellen lediglich die Doppelwerbung Ottos bei Statilia Messalina und Vitellia (III/1030–1032, IV/89f) und das Gastmahl dar, das Crispina am 23. März zum Beschluss des Bet-Festes ausrichtet: hier sind, auf seine eigene Einladung hin (IV/332f), diejenigen versammelt, von denen er weiß, dass sie ihn am nächsten Tag verraten wollen.296 Vitellius versetzt, obwohl der Hauptkonflikt im Bürgerkrieg gegen Vespasianus ausgetragen wird, Kaisertum, Rat, Heer und sein näheres Umfeld in neue, destruktive Spannung. Hier, könnte man sagen, ist ein Maximum an manifester Instabilität erreicht. Die Otto treu ergeben gewesenen Soldaten (IV/685) fügen

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(IV/514) – zu Unrecht, wie sich später herausstellt (IV/603f). Nach dem Verlust der Schlacht bei Bebriac halten sein Bruder, Licinius Proculus, Mevius Pudens, Plautius Firmus, der frisch wieder zu ihm gestoßene Rubrius Gallus und seine Freigelassenen zu ihm. Zu den Aufgaben des Vertrautenkreises siehe oben. Während nur Vertrauteste bis ins kaiserliche Gemach, ins Schlafzimmer etwa, und bis zum Bett unangemeldet vordringen können (III/977), müssen sich andere, hier Audienz zu erlangen, erst anmelden (III/978). Der kaiserliche Vorsaal aber ist allen Höflingen oder Kriegsbedienten (IV/537f) zugänglich (III/981, 1000, IV/668); hier wartet, wer beim Kaiser Gehör zu erlangen hofft (IV/330, 593); und gegen Ende wird von hier aus das kaiserliche Gemach von den Soldaten belagert (IV/665f). Vgl. III/980, IV/88, 132, 334f, 600–602, 668. Vgl. III/1000, 1030–1032, 1036–1048, IV/8–10, 87f, 89–99, 298–307, 319–327, 330–334, 351– 353, 667f. Die Hochzeit des Valerius Martialis und der Marcella (III/1030–1032, 1037–1039); der aus ihrer Liebesgeschichte noch herrührende Konflikt zwischen Salvia und Calvia Crispinilla, mündend in dem – politisch dann wieder relevanteren – Heiratsbeschluss Crispinillas und des Vopiscus Pompejus Silvanus (IV/91–94); das Exil des Silius Italicus und sein Verhältnis zu Statilia Messalina (IV/94f); Eprius Marcellens Versuch, die Verheiratung mit Junia Calvina zu bewirken (IV/98f); weitere Heiratsdinge und die Befreiung von Gefangenen (IV/319– 327). »Es betrog bey dieser grossen Gesellschafft fast ein jedweder den andern / indem Otto allen denen liebkosete / denen er im Hertzen feind war / und denen er so wenig gutes zugedachte.« (IV/331) Er versucht ihm nachteilige Kommunikation durch Kontrolle der Sitzordnung zu verhindern (IV/332), trinkt reichlich und gibt zweideutige Trinksprüche aus, bevor er dann doch früh die Gesellschaft verlässt (IV/330–334).

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sich der neuen Herrschaft nur widerwillig (IV/686, 770) und werden von ungeschickten Äußerungen Vitelliens weiter gegen ihn aufgebracht (IV/828); der Rat, zunächst und aus der römischen Entfernung demonstrativ unterwürfig und denunziatorisch,297 dünnt nach Ankunft Vitelliens in der Hauptstadt und nach dem offenbaren Scheitern der Partei ›Neros‹ aus (IV/936, V/6); die engste Familie ist selber gespalten: offen kritisch Vitellius gegenüber stehen seine Mutter Sextilia – die dafür mit dem Tode büßen muss (IV/935) – und, etwas verhaltener, seine Tochter Vitellia (IV/780), als Hofersatz etabliert sich hingegen in Bebriac sogleich der Palast des Bruders Lucius Vitellius und seiner hochmütigen Gemahlin Triaria (IV/710); Vitellius begünstigt unvorsichtig seine verschworenen Feinde (IV/936) und betreibt einen übertriebenen repräsentativen Aufwand, der in absurdem Gegensatz zu seiner Antrittsrede steht (IV/936). Er möchte sich wie Otto dem sich zuspitzenden Bürgerkrieg, da es schlecht für ihn aussieht, entziehen (IV/411) und scheitert wie Galba an der Nachfolgebestimmung: zum Untergang führt diesmal aber ein rein kommunikatives Versehen.298 Vespasianus etabliert schon außerhalb Roms eine breite, repräsentative Hofhaltung.299 Auch hier gilt freilich, was, sozusagen umgekehrt, für Otto in Rom 297 Die neue Dynamik im Rat kommt gut zum Ausdruck, als gemeldet wird, Dolabella habe sich aus seinem Aquiner Exil in Rom wieder eingefunden; um seinen Eifer für Vitellius zu zeigen, klagt ihn Plautius Varus, eigentlich ein Freund Dolabellas, an, »als wann er eine Parthey wieder den Vitellius zu machen / sich aus Aquin begeben / und die in Ostia liegende Mannschafft zum Aufstand bereden wollen« (IV/800), wogegen dann, aus Furcht, niemand reden will als Pudens Rufus; der erreicht eine Vertagung der Frage bis zur Ankunft Vitelliens, die indes Triaria zu unterlaufen weiß, da sie später, beim Einzug in den kaiserlichen Palast, Flavius Sabinus die Sache ins Gedächtnis bringt, sodass der sie, wieder aus Furcht, Vitellius zu melden schlüssig wird (IV/800f). 298 Die geheime Absprache mit Antonius Primus, dass beide für des pontischen Nero Emporkommen arbeiten wollen, platzt durch ein Missverständnis der Vitellia, die glaubt, der von ihrem Vater ihr angetragene, noch ungenannte Bräutigam – Vitellius meint den pontischen Nero – sei Calpurnius Gellianus; welches sie ihrem geliebten Valerius Asiaticus brieflich mitteilt, dabei der Brief in des Mutianus und dann in des Antonius Primus Hände gerät, welche sich verraten glaubend nun im Ernst Vitellius in Rom angreifen, die Hauptstadt erobern und Vitellius der schändlichen Ermordung preisgeben (V/911–913). 299 Es gibt: die Hofhaltung auf Reisen in Gezelten (V/63f); zwei Einzüge in die Stadt (V/64; VI/ 466–471); vertrauliche Audienzen des Kaisers (V/64f); gewöhnliche, räumlich durch ein »geheimes Zimmer« und einen »Vor-Saal« (V/102) organisierte Audienzen (V/102f); ein Essen, vom Kaiser angestellt, das dadurch zum Gunsterweis gegen Tyridates wird, dass der Kaiser davon wegbleibt (V/70); Belustigung durch Lachs-Fischerey und Jagd (V/80); es gibt die Beschlussgremien des Kriegsrates (V/77–78), des geheimen Rates (V/106) und, sofern vorhanden, des Rates (VI/503–506); eine von einem Vertrauten – Mutianus – ausgesprochene Einladung in dessen Lustgarten, mit Abendessen in betont ranglosen Cabinetten und einem Garten mit Gängen zum getrennten Lustwandeln (V/90–102); ein von demselben Vertrauten angestelltes Fest mit Fechterspielen und Tanz am Abend (V/107–110); die Aufrichtung eines Bündnisses mit ausländischen Mächten (V/130–134); einen prächtigen, Rangstreitigkeiten provozierenden Triumphzug mit anschließendem Gartenfest und kaiserlicher Bewilligung jetzt an ihn gerichteter Bitten (VI/473–496); zwei ordentliche, das eine

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galt, dass sich die größte Konfliktlast, militärisch ausgelagert, in der politischen Verständigung der am Hofe Anwesenden nicht darstellt: so sicher, heißt das, die höfischen Formen in Nujodunum und Antiochia von Vespasianus beherrscht und bespielt werden, der eigentliche Test ihrer Stabilität steht mit ihrer Verlagerung in die Hauptstadt, in deren spezifisches politisches Klima, noch aus. Der Vorbehalt betrifft vor allem die Bewertung der repräsentativen Formen – ihrer quasi-objektiven Anmutung: ausführlich bekräftigt Vespasianus etwa durch den Triumphzug in Antiochia einen Anspruch, den ihm hier ohnehin niemand streitig macht. Ähnlich kann das gute Verhältnis zu den anwesenden Ratsherren, da diese sich freiwillig ja zu ihm begeben haben, nur bedingt als Indikator eines guten Verhältnisses zur Institution des Rates bewertet werden. Verlässlicher informiert über das zu erwartende Profil politischer Kommunikation unter dem neuen Herrscher hingegen der Zuschnitt seines engeren Umfeldes: Vespasianus erscheint als einziger Kaiser des Romans ohne einen festen Kreis engster Vertrauter;300 und die höfische Staffelung des Zuganges zu ihm bezieht sich auf die je zu behandelnde Sachfrage, nicht auf die Zugang fordernde Person,301 wie auch die im geheimen Rat erscheinenden engeren Mitstreiter nicht an die Person des Kaisers und seinen Hof gebunden bleiben, sondern im Bürgerkrieg auf getrennten Wegen je unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen (V/134). Abschließend ergibt sich so folgendes Bild: den stabilen Ausgangszustand unter Nero kennzeichnet eine Entpolitisierung derjenigen Bereiche, in denen politische Kommunikation sonst stattfinden könnte; in seinem engeren Umfeld wird ohne weitergehende, politische Ziele und in sinnvollem Bezug auf seine mangelnde Affektkontrolle auf ihn eingewirkt; die politische Bedeutungslosigkeit des Rates, ohne durch Aggression erst herbeigeführt werden zu müssen, sinnfällig demonstriert; und das öffentlich-repräsentative Wirken des Kaisers in Mal mit einer großen Musterung verbundene Auszüge aus der Stadt (V/134–140, VI/523– 530). Besonders ist noch die verborgene, dann doch nicht so verborgene Trauung mit der Freigelassenen Cönis (V/84–86). 300 Zu Cönis geht Vespasianus nachts »mit einem seiner vertrautesten Kämmerlinge« (V/74f) – mit einer nicht benannten, politisch also irrelevanten Person. 301 Mit Tyridates verständigt sich Vespasian in einem vertraulichen Gespräch über die Ursachen, »die ihn bewogen die Kaysers-Würde anzunehmen« (V/64); Nerulinus, der ihm, von Antonius Primus her, die Schiffsflotte zur Unterstützung anträgt, empfängt er heimlich des Nachts, weil er schlechte Nachrichten von ihm fürchtet (V/76f); Trebellius Maximus empfängt er im geheimen Zimmer, um von ihm die britannischen Nachrichten zu hören (V/102); Fontejus Agrippa, Mutianus, Titus Ampius Flavianus und Cornelius Fuscus werden zum geheimen Rat berufen, um wegen Britannien Entschlüsse zu fassen – die drei Ratsherren Suetonius Paulinus, Annius Vivianus und Coccejus Nerva hingegen werden »aus besondern Absichten nicht mit gefordert« (V/106); mit Tyridates und den Morgenländischen Gesandten wird das politische Bündnis vorbereitet (V/122); mit Thumelicus bespricht sich Vespasianus geheim, weil der in Rom für ihn Erkundigungen über den noch lebenden Tiberius einholen soll (VI/523f).

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einen politikfernen Bereich ausgelagert, in dem nur noch, durch die offensichtliche Beugung der diesem Bereich eigenen Bewertungskriterien, die Bestätigung der kaiserlichen Allmacht schlechthin als Möglichkeit übrig bleibt. Freilich führt diese lange Zeit stabile Unterdrückung politischer Kommunikation zu einer Grundspannung, die in der verschwörerischen und schließlich erfolgreichen Zusammenballung der Opposition Ableitung sucht und findet. Unter Nymphidius und Galba, da die kaiserernennenden Institutionen noch zusammenwirken, gewinnen die übrigen das Maß an Objektivität und politischer Durchlässigkeit wieder, das ihnen Neros höchst persönlicher Gebrauch genommen hatte; sie werden zum Austragungsort latenter politischer Konflikte, die schließlich, im Auseinanderrücken der kaiserernennenden Institutionen und dem daraus resultierenden Bürgerkrieg, manifest werden. Dann aber sind Hof, Repräsentation und Rat von ihnen wieder entlastet: Otto sucht in ihrer ausdrücklichen, man könnte sagen konservativen Würdigung Stabilität zu gewinnen, die in Wirklichkeit doch verloren ist; und Vitellius missachtet sie undiszipliniert und aggressiv, ohne über sie die gespannte Kontrolle Neros zu gewinnen, die Destabilisierung auf die Spitze treibend. Die Restabilisierung unter Vespasianus gelingt, so scheint es zumindest, dank einer Versachlichung der politischen Kommunikation durchaus in den geläufigen, also bestätigten Formen. Räumliche Desintegration: Die räumliche Dimension der römisch-politischen Handlung ist schnell umrissen: der Machtschwerpunkt verlagert sich nach dem Selbstmord Neros zu dem erwählten Kaiser Galba nach Hispanien; seine vorläufige Abwesenheit in Rom erlaubt Nymphidius eine auf den Sturz Galbas zusteuernde stadt-römische Herrschaft, die aber doch gegen den Einfluss des neuen Kaisers nicht ankommt; effektiv wird Galba dann doppelt herausgefordert: provinziell, in Teutschland, durch Vitellius, stadt-römisch durch Otto; wieder gibt es mit dem jetzt nur provinziell zum Kaiser proklamierten Vitellius eine Bewegung auf die Hauptstadt zu; weil Otto ihm entgegenzieht, verlagert sich der politische Schwerpunkt vollständig an den Kriegsschauplatz in Norditalien – Rom bleibt politisch verwaist zurück; als Vitellius in Rom einzieht, ist Vespasianus provinziell schon zum Kaiser erklärt worden; der Bürgerkrieg führt nun nicht zu einem Auszug des stadt-römisch amtierenden Kaisers, und der proklamierte Kaiser betritt die Hauptstadt nicht mit den über Vitellius obsiegenden Truppen; er hält weit im Osten aufwendig Hof und plant seinen Marsch auf Rom noch zu verzögern. Wenn sich, auf diese Weise, immer der peripher verankerte gegen den nur zentral begründeten Machtanspruch durchsetzt; wenn andererseits jeder peripher erhobene Machtanspruch vollständig nur durch den Einzug in das Zentrum eingelöst; und vom Zentrum aus eine Erhebung der Peripherie effektiv nicht unterbunden werden kann, dann ist nicht einzusehen, warum der dreimal wiederholte Vorgang sich nicht beliebig oft noch wiederholen soll. Dabei handelt es

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sich, im Roman, um keine einfache Wiederholung, sondern bestimmte Gegebenheiten deuten auf eine wachsende politisch-räumliche Desintegration; die also vermuten ließen, dass der Vorgang nur wiederholt zu werden brauchte, bis Peripherie und Zentrum vollständig voneinander fielen. Das sind die zunehmenden Verzögerungen in den Bewegungen auf Rom zu; die schwindende Bedeutung der Hauptstadt bei der Wahl und Durchsetzung des Kaisers; und die schwindende Notwendigkeit überhaupt zur räumlichen Konzentration der politischen Macht. Alle drei peripher startenden Akteure bewegen sich – als wirkte auf sie, neben der zentripetalen, auch eine zentrifugale Kraft – langsamer gegen Rom, als sie könnten. Galba braucht für die Reise, die die Boten Argius und Icelus in zwölf Tagen schaffen, etwa zweieinhalb Monate,302 die Bewegung verläuft aber ohne größeren Zwischenfall und ohne, dass die Machtbasis Galbas tatsächlich wankte. Bedenkt man, dass die Wahl Galbas zum Kaiser von Rom ausging,303 dass Nymphidius das Alibi einer kaiserlichen Stellvertreterschaft zugunsten seines eigenen Machtanspruches erfolgreich nicht abschütteln kann, erscheint zu diesem Zeitpunkt das räumlich-politische Gefüge noch intakt: die Hauptstadt kann einen Akteur in der Peripherie zum Kaiser erwählen, dieser Kaiser kann, solange er noch in der Hauptstadt nicht eingetroffen ist, das politische Geschehen dort hinreichend kontrollieren, und bleibt, eingetroffen, wenigstens ein Vierteljahr ohne peripheren Herausforderer: die politische Macht ist vollständig rezentralisiert. Dieser Umstand findet auch darin Ausdruck, dass Vitellius von Galba in die Peripherie als Statthalter erst entsandt wird (III/364). Seine Proklamation zum Kaiser erfolgt von Rom bereits unabhängig und wird dort, mit erheblicher, etwa halbmonatiger Verzögerung erst nach der hauptstädtischen Umwälzung durch Otto bekannt (III/987–990). Vitellius geht nach Süden selbst nicht voran, sondern schickt Cecinna mit einer Kriegsmacht vor (III/1001), dem bald, von Gallien her, Fabius Valens an die Seite rückt (III/1032f). Erst am 13. März gilt Otto in Rom als ein gutes Zeichen, »daß Vitellius mit seinem Kriegs-Volck so schläffrig fortgienge / und in stetem schwelgen seine Zeit verbrächte« (IV/112). Wie weit hinter dem Heer Vitellius tatsächlich zurückbleibt, lässt sich genau nicht bestimmen, 302 Vgl. II/248f, 251, 360, 376, 632–635, 780f, 949–951, III/107–118, 249. Der Grund für das langsame Tempo ist allenthalben Vorsicht: sowohl im provinziellen als auch im hauptstädtischen Rom muss die Machtbasis erst gesichert werden. Dennoch wirken die Galba entgegenarbeitenden Kräfte (Nymphidius) auf eine Verlangsamung seiner Reise – sie wollen Zeit zu ihrem usurpatorischen Plan gewinnen –, und die Galba wohlgesonnenen Kräfte (Lacon, Vinius, Honoratus) auf eine Beschleunigung: die Gewogenheit der Soldaten könnte schwinden. 303 Durch einen nach Neros Selbstmord gefassten Ratsbeschluss (I/943). Vorausgegangen war lediglich der Abfall Galbas, nicht seine Proklamation zum Kaiser (I/378).

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jedenfalls aber schlägt er keine andere Richtung ein, und Aufenthalte bleiben Verzögerungen der beibehaltenen, einen Bewegung.304 Dass Otto Vitellius entgegenzieht, bedeutet einerseits eine beispiellose politische Entleerung der Hauptstadt – selbst der Rat, selbst die morgenländischen Gesandten ziehen ja mit; andererseits erweist sich gerade darin der Zwang zur räumlichen Zentralisation: wo die militärische Konfrontation um die Herrschaftsfrage stattfindet, müssen auch die politischen Institutionen versammelt werden. Zu einer hauptstädtischen Rezentralisierung, wie unter Galba, kommt es unter Vitellius dann aber nicht. Der Bürgerkrieg zwischen diesem und Vespasian, zunächst territorial viel weiter gestreut, entscheidet sich in der Hauptstadt, ohne dass damit eine politische Inbesitznahme derselben einherginge: weder also die militärische Konfrontation noch die politische Vakanz der Hauptstadt provozieren den neuen Kaiser dazu, der sonst doch natürlich gewesenen Schwerkraft zum Konkurrenten oder zur Mitte hin nachzugeben. Seine Bewegungen305 verlaufen lange noch, von heterogenen Motiven geleitet (in den jüdischen Krieg involviert), in der Peripherie; die aufwendigen Ein- und Auszüge aus den Residenzstädten und die umfängliche Hofhaltung dort lassen weiter an der politischen Bedeutung des Zentrums zweifeln. Andererseits scheint Vespasianus seine Einnahme, wenn er Thumelicus zur Sondierung vorschickt und selbst seine Hinreise verzögern will (VI/525), trotz allen selbstverständlich-kaiserlichen Gebarens noch zu fürchten. Das aber offenbart, dass eine stärkere Konsolidierung der dominierenden Macht in der Peripherie den Trend zur räumlich-politischen Desintegration des Reiches alleine noch nicht umkehrt: die Reintegration muss doch vom Zentrum her geschehen; und steht also, am Ende des Untersuchungsbereiches, noch aus. Im Überblick, noch einmal, zeigt sich ein Durchlauf der Destabilisierung durch die verschiedenen, politischen Systemzusammenhänge. Am frühesten setzt sie in der Opposition ein, die sich, in ihrer größten Bewegung, noch unter Nero zersetzt, in einer kleineren Verteilung und bei Abwesenheit der kaiserlichen Gewalt ein prekäres Gleichgewicht hält, sich dann aber, vervielfacht, verausgabt und ausdünnt. Unter Galba (die Feste des Nymphidius mitinbegriffen) wandern die Konflikte in die kaisernäheren politischen Institutionen des Hofes und der Repräsentation, die sich, der Bürgerkrieg einmal ausgebrochen, wieder ein Stück 304 Vermerkt sind die Stationen Bebriac (IV/828), Pavia (IV/800); vor allem der Aufenthalt dort scheint sich hingezogen zu haben. 305 Die Stationen sind: Nujodunum (V/8), Egypten (V/134, 350), d. h. Alexandria (VI/139–141), Palästina, d. h. Joppe (VI/142f), Syrien (VI/366), d. h. Antiochia (VI/450). Von dort, berichtet Tarquitius Priscus, wolle Vespasianus »zu Ende des folgenden Monaths […] nach Italien aufbrechen« (VI/450). Kurz vor seinem Aufbruch sagt er Thumelicus: »Ich will diesemnach meine Reise nach Rom langsam fortsetzen / und unter dem Vorwand meiner Gesundheit wegen in Calabrien des Warmen-Baades mich bedienen […].« (VI/525)

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weit entspannen, also konservativ bedienen oder idiosynkratisch missbrauchen lassen. Manifest wird das drohende Auseinanderbrechen des Reiches dann, ab der Proklamation des Vitellius, in der zunehmenden Partikularisierung der kaiserernennenden Institutionen und der zeitlichen Streckung ihrer Wahlakte, sowie seiner zunehmenden räumlichen Desintegration. So gesehen deuten die Ausdünnung der Opposition und die Entspannung des Hofes und der Repräsentation noch auf keine Restabilisierung, sondern, im Gegenteil, auf die Verlagerung des Destabilisierungsvorganges in einen wichtigeren Bereich; andererseits kann, führt man die Destabilisierung ursächlich auf die unter Nero angestaute Spannung zurück, am Ende des Untersuchungsbereiches deren weitgehende Erschöpfung konstatiert werden; da außerdem nicht abzusehen ist, auf welche nächsthöhere Ebene der Vorgang noch ausgreifen sollte, könnte Vespasianus die Restabilisierung des erschlafften politischen Systems leicht fallen.

5.10.3. Variationen in der außerrömischen politischen Handlung Wie oben (Kap. 3.1.1) im Kapitel zu den Variationen der Liebeshandlung wechselt nun der leitende Gesichtspunkt: zu untersuchen ist, welche Möglichkeiten der Reihenbildung im politischen Handlungsbereich dank subordinierender Multiplikation, und also bei nur vermitteltem Einheitsbezug und marginalem Integrationsdruck entworfen werden können. Auf eine genaue Bestimmung der integrativen Funktion der jeweiligen Reihen, ihrer Lagerung im discours etwa, kann daher verzichtet werden.306 Angesichts der – bei allen Bemühungen zur Kürze – immer noch vergleichsweise detailreichen, nachfolgenden und im Anhang ergänzten Erschließung der politischen Handlung nun jenseits der schon behandelten römisch-politischen Handlung lohnt vielleicht, vorab, eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. – Der Zusammenhang von integrativem Rang und garantierter Erwartungssicherheit, der im Liebesbereich festgestellt werden konnte, ist dem politischen Bereich nicht zu attestieren. Im Gegenteil treiben gerade die umfangreichsten, prominentesten politischen Handlungen die Variation der Handlungstypen am weitesten; zeigen die Handlungen kleinen und kleinsten Umfanges im Zweifel noch das deutlichste Profil. – Im Beieinander verschiedener Handlungstypen (Usurpation, problematische Erbfolge, Neuregelung) und bei der Kombination mit Liebeshandlungen kommt es nur selten, nur okkasionell zu Effekten gegenseitiger Verstärkung. 306 Aufschluss darüber bieten aber die Stellenlisten im Anhang.

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Öfter sind sogar gegenläufige Tendenzen – also etwa: der Erfolg in Liebesdingen würde den politischen Ambitionen einer Figur schaden; oder: eine Möglichkeit zur Befriedung einer problematischen Erbfolge und zur Neuaufstellung im Verhältnis zu Rom wird nicht wahrgenommen. Nötig ist also allenthalben ein striktes Auseinanderhalten der unterschiedlichen Handlungszusammenhänge, ihrer Eigenlogiken, ihrer Kriterien; und, entsprechend, eine Prüfung der kausalen Relationen Fall für Fall. Eine Grundtendenz bei der Variation der Handlungstypen geht dahin, die Kriterien zur Identifizierung der ›schlechten‹ Herrschaft, der ›illegitimen‹ Erben, des ›schlechten‹ Verhältnisses zu Rom unsicher zu machen. Auch für die je andere Seite können Argumente dem Text entnommen werden, und die Handlungen selber verbieten, aufgrund etwa von Schwierigkeiten bei der politischen Zuordnung des reichen, auch anders, z. B. verwandtschaftlich relationierten Personals, die Beobachtung eines einfachen Durchzuges zum jeweiligen Handlungsziel. Diese Tendenz der Pofilschwächung der einzelnen Handlungstypen zeigt sich verstärkt in den Handlungen der späteren Textschichten (vor allem in Adiabene). Mehrfach ist außerdem eine Positionierung der Erzählung – etwa durch den die metadiegetische Analepse besorgenden Berichterstatter, oder durch über den Liebesbereich sichergestellte Sympathien – auf der Seite mit den vorübergehend oder dauerhaft schlechteren Argumenten zu beobachten. Das Aufgehen unterschiedlicher Möglichkeiten einheitsbezogener Reihenbildung im Schema einer Destabilisierungshandlung, wie es für die römischpolitische Handlung konstatiert wurde, hat eine Entsprechung in den übrigen politischen Handlungen allenfalls in dieser, über die Textentstehung zunehmenden Profilschwächung. Die besondere Anlage der politischen Handlung am Donaudelta – nach der römischen die umfangreichste und komplexeste des Romans – ist darauf zurückzuführen, dass es sich bei ihr im Grunde nur um die diplomatische Nachbearbeitung eines schon entschiedenen, militärischen Konfliktes handelt. Entwickelt wird ausführlich die temporäre Durchsetzung der einer bestimmten Partei nachteiligen Änderung eines schon gefassten Friedensvertrages auch mit militärischen Mitteln, aber so weit unter diplomatischer Kontrolle, dass als eine offene Aggression diese nur dem letzten, ›unverblendeten‹ Rest der benachteiligten Partei erscheinen; die also, vergleichsweise rasch und unkompliziert, zuletzt die erste, ›gerechte‹ Fassung wieder in Geltung setzen kann. Die Komplexität der Handlung kann auf die Notwendigkeit diplomatischer Verbrämung der Aggression und auf das Wirken mehrerer weitgehend unabhängiger, jedenfalls in die einfache Parteienlogik des Grundkonfliktes nicht ohne weiteres einzuordnender Akteure zurückgeführt werden.

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An dieser Stelle werden, zum Beleg der Thesen, nur wenige Handlungen dargestellt; für die übrigen finden sich Darstellungen im Anhang. Am deutlichsten profiliert ist die Usurpationshandlung in Ethiopien:307 die Reihe hat Aussicht darauf, durch die Schwerpunkte der Stellen zu Beginn und, dann möglicherweise, gegen Ende des Romanes einen wenn auch schwachen Einheitsbezug auszubilden; wahrscheinlich ist ja, dass es hinsichtlich der Befreiung des Landes vom Usurpator Hirtacus bei der nackten Information, die bisher in die Gegenwartsgeschichte alleine gedrungen ist (V/439), nicht bleibt, dass also eine detailliertere Darstellung derselben und dann der Einzug Beors in sein befriedetes Reich noch ausstehen. Die Usurpation erfolgt innerdynastisch und bezieht zwei Generationen mit ein, dennoch kommt es zu keiner echten Problematisierung der Erbfolge,308 und Hirtacus scheitert bei dem Versuch, durch die Ehelichung Ephigenias einen legitimen Erbanspruch zu erwerben. Das römisch-ethiopische Verhältnis betreffen nur vereinzelte Bemerkungen;309 kausale Komplikationen und leichte funktionale Verschränkungen mit den Liebeshandlungen Ephigenia und Pythica (Nr. 26–27) gibt es alleine in Bezug auf die Ermöglichung der Usurpation.310

307 Für die Stellen der je besprochenen politischen Handlungen sei grundsätzlich auf die Tabelle im Anhang verwiesen. 308 Zarte Andeutungen dazu können in der temporären Vorrangstellung gesehen werden, die Euphranon am ethiopischen Hof, bei Eglippus vor allem, gegenüber dem exilierten Beor gewinnt (I/475f). Es ist nicht ganz klar, wodurch Beor seinen Erbanspruch so selbstverständlich wiedergewinnt: vielleicht durch den Tod Eglippens, die lange Gefangenschaft Euphranons; mit dem selbstgewählten, liebeskümmerlichen Exil desselben scheidet der jüngere Bruder aber definitiv aus (V/882–885). 309 Ethiopien sei abgesehen von Tributzahlungen frei (I/840f), heißt es; anlässlich der Tributerbringung kommt es zu höfisch-festlichen Begegnungen des ethiopischen Hofes und der römischen Statthalterschaft (I/840–842); im Konflikt zwischen Hydaspes und Eglippus bleibt Rom neutral (I/844); Hirtacus verteidigt Ethiopien an der mauritanischen Grenze gegen Änderungen, die der römische Statthalter Vespasianus vornehmen will (I/847). Ferner überlegt Nero kurz vor seinem Selbstmord nach Ethiopien zu gehen, und dies Land für sich dadurch zu gewinnen, dass er Beor die Krone seines Vaters aufsetze (I/614); des pontischen Nero Partei im Donaudelta hofft, durch Ethiopien Vespasianus in Egypten zu schaden, und meint deshalb, gegen den Willen Neros, Beor unbedingt am Leben halten zu müssen (V/ 634). 310 Der Konflikt zwischen Eglippus und Hydaspes war schon einmal ausgebrochen und wieder befriedet worden. Das Mittel der Befriedung, die Anwesenheit Hirtacens in Naddaver, liefert dann aber in der Liebe Hirtacens zu Ephigenia die Grundlage für den nächsten, entscheidenden Ausbruch (I/473–475, 815f). – Die Ablenkung Euphranons durch die irre Liebe zu ›Pythica‹ ist, weil sie die Heirat von Basilide und Hirtacus ermöglicht (I/475f, 833f), politisch doppelt verhängnisvoll: einerseits wird so, was die Rückkehr Hirtacens nach Agysimba veranlasst, der éclat in Pselcha (I/840–842), ermöglicht; andererseits erwächst der feindlichen Partei der Beistand der Basilide hörigen Garamanten und damit die Gelegenheit, den Konflikt gewissermaßen über eine dritte Partei ausbrechen zu lassen; Hydaspes tritt in ihn ja erst als Schutzherr der schon abgefallenen Landschaften ein (I/843f).

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Dennoch ist schon in Ethiopien ein Verfahren zur Abschwächung der Erwartungssicherheit identifizierbar. Hirtacus wird vom ethiopischen Volk nach seinem Sieg über Euphranon als König durchaus angenommen (I/845) und hält sich, um diese Gunst zu erhalten, politisch beweglich.311 Es ist die interessierte, unterlegene politische Partei, die daran festhält, seine Machtübernahme sei eine Usurpation gewesen – von ihr allein stammen die dem Leser zur Verfügung gestellten Informationen. Insofern erschiene die Usurpationserzählung selber als nur ein weiteres Mittel im politischen Parteienkampf.312 In Adiabene ist die Schwächung der Usurpationshandlung darauf zurückzuführen, dass die maßgeblich in usurpatorischer Absicht handelnde Figur Ananias nicht selbst Ziel seiner Bemühungen ist, sondern seine Tochter Alexandra und dann deren Tochter Susanna, weibliche Figuren also, die vor allem günstig verheiratet werden müssen; und die, von sich aus, dem Unternehmen Schwung und Schärfe nehmen. Alexandra wird von töchterlichem Gehorsam und dem Wunsch, den Anschlägen ihres Vaters entgegenzuwirken, gleichermaßen getrieben.313 Einzig in der Frage der Heirat ihrer Tochter Susanna ist sie zwischenzeitlich mit ihm eines Willens (I/580); bekommt diesen bei Ananiens Abschied aber doch, vorsorglich, noch hart eingebunden (I/583). Nach dem Scheitern der gemeinsamen Pläne zur Erhöhung Monobazens des Jüngeren und gegen Izates (I/586, II/811), folgt die endgültige Dissoziierung von Vater und Tochter, da Ananias ihr seinen Plan zum Aufstand und zur Ermordung Izatens mitteilt (II/831f). Aber auch hier verrät Alexandra ihn nicht vorsätzlich, sondern Susanna meint sie im Vertrauen ihre Sorgen mitteilen zu können; die das Gehörte dann an Izates weitergibt (II/832f). Zur Anwendung kommt dies Verfahren noch entschiedener und bei entgegengesetzter Geschlechterverteilung, wenn Königin Helenas Ehrgeiz für ihren Sohn Izates gegen Ende usurpatorische Züge annimmt, dieser aber sich weder zu einer vorteilhaften Heirat (II/837f, 847f, 860), noch zu einem Anschlag gegen Monobazes den Jüngeren bereiterklärt (II/863–867). 311 Sowohl von einer Ermordung der Nachkommen des Eglippus als auch vom Gebrauch letzten Zwanges gegen Ephigenia steht er, weil er einen Abfall des ethiopischen Volkes fürchtet, weil er dasselbe durch Gunst, und nicht durch Schrecken gewinnen will, ab (I/845). Er lässt sich durch Ephigenia eine Zeit lang regieren und verteidigt die Sache des Landes gegen römische Neuerungen. Sein politisch motivierter Verbleib beim alten Glauben zahlt sich nicht aus; er gibt die Position auf, da er durch ein Taufversprechen Ephigenia zu gewinnen meint; und kann einem Aufstand der Christen mit Gewalt nicht wehren (I/848). 312 Ähnliches kann, wie oben besprochen, in der römisch-politischen Handlung, wo die Usurpation am deutlichsten apostrophiert wird, beobachtet werden. 313 Um die Anschläge ihres Vaters zu verhindern, ihn aber auch nicht zu verraten, gibt sie den Anstoß zu der fingierten Schwangerschaft Helenas dÄ (I/548–550). Als Helena dÄ in ihrer Gegenwart Monobazes dÄ das erste Mal empfiehlt, sie, Alexandra, zu heiraten, flieht sie, solches zu verhindern, nach Spazin, sich erst dort dem Willen Helenas dÄ und ihres Vaters unterwerfend (I/557–559).

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Die von Spazin ausgehenden usurpatorischen Energien werden auf unterschiedliche Weise gebremst. Intrigant operiert für ihren der adiabenischen Dynastie untergeschobenen Sohn Monobazes den Jüngeren Samacho die Ältere: ihr Mann Abimaric aber weiß von der Unterschiebung nichts (I/560), und sorgt, darüber hinaus, für eine Milderung der politischen Aggressivität Spazins durch eine Konversion zum Christentum (I/584). Nach seinem Rückzug von den Regierungsgeschäften übernimmt sie aber, nach seinem Tode sein ältester Sohn Abia das Regiment, die den Konflikt, kriegerisch zugespitzt, in die Vermittlung Agrippas und die Lösung der Doppelheirat führen. Die verbliebene usurpatorische Energie Samachos der Älteren (II/816f) versiegt mit dem Tod ihrer Tochter Samacho und dem vermeinten Tod ihres Sohnes Monobazes (II/837). Interessant mithin, dass in Adiabene weder die Usurpatoren sich durchsetzen noch von einem Handlungsziel der Befreiung oder der Restitution des glücklichen Zustandes eigentlich gesprochen werden kann. Die deutlichste, militärische Niederlage, die Abia bei dem Versuch erfährt, Susanna für sich zu reklamieren, verdankt sich dem Eingreifen ausländischer, am Ende römischer Macht und führt zwar zu einer vorläufigen Befriedung des Konflikts, aber doch zu einer klaren Lösung der unten zu behandelnden Erbfrage nicht (II/810–816). Helena die Ältere und Samacho die Ältere sterben beide, als sie das Ziel ihrer Bestrebungen, die zu befördernde Person also, tot wähnen. Und das Todesurteil über Ananias wird von Herodes, und nicht von adiabenischer Seite, vollstreckt. Problematisch wird die Erbfolge bei Erbenmangel und Erbenüberschuss, wobei dieser oft eine Folge von jenem ist. Das heißt, wenn kein natürlicher, klar berechtigter Erbe zur Verfügung steht, kommt, auf schwächerer Grundlage, gleich eine größere Gruppe von Kandidaten in Frage. Problematisch ist außerdem, wenn die Erbberechtigung eines Haupterben in Zweifel gezogen wird, oder wenn die Erben zum Zeitpunkt des Erbfalles nicht regierungstüchtig sind. Die Erwartungssicherheit ist, wie bei der Usurpation, an die Sicherheit der Kriterien gebunden, anhand derer die Rechtmäßigkeit eines Erbanspruches beurteilt werden kann. Grundlage des Handlungstyps ist eine in der Regel einzelnen Figuren nicht anzulastende, eine Dynastie in ihrem Fortbestand bedrohende Krise, die sich, wie gesagt, leicht als Problem formulieren ließe, das auch rein friedlich gelöst werden könnte. Für den Konflikt braucht es usurpatorische Energien: den Willen einer Erblinie, sich gegen eine andere Erblinie durchzusetzen, auch wenn die eigene Erbberechtigung schwächer ausfällt. Besondere Erwartungssicherheit ist da zu erwarten, wo hochrangige Figuren als Handlungsträger von Krönungsreihen involviert sind. Sie wird, in den beiden Fällen Tyridatens und Britannicens, durch das außergewöhnliche Mittel der Prophezeiung garantiert. Hinzukommt, ebenfalls in beiden Fällen, dass das Handlungsziel der Krönungsreihen eine Vereinigung zuvor getrennt gewesener politischer Einheiten, und also eine Entdifferenzierung nebeneinander beste-

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hender Erbfolgen vorsieht. Dazu müssen eigentlich Erbberechtigte von ihrem Anrecht zurücktreten.314 Ein natürlicher, also auf Kinderlosigkeit zurückzuführender Erbenmangel kennzeichnet in Britannien, Dacien, Adiabene, Aquitanien, Gugernen, Cheruscen die konventionellere Ausgangslage. In den ersten drei Fällen sorgen kompensatorische Unternehmungen z. B. der Unterschiebung und dann doch geborene, erbberechtigte Kinder für den Umschlag in einen Erbenüberschuss; in Aquitanien und Gugernen hingegen entwickelt sich ein Konflikt zwischen der vom kinderlosen König für den Erbfall schon vorgesehenen, indirekteren Ersatzlinie und den doch hinzukommenden, leiblichen Kindern, die, weiblichen Geschlechts, strukturell im Nachteil, also wiederum auf eine sie stärkende Heirat angewiesen sind. Im Erbenüberschuss, der in Adiabene315 auf den Erbenmangel folgt, wird der auch hier glücklich doch noch geborene Sohn des ersten Königspaares nicht

314 Der Unterschied zwischen Indien und dem Arsacidenreich liegt indes darin, dass nur in Indien die Prophezeiung bekannt und als gültiges Kriterium für die Rechtmäßigkeit eines zukünftigen Erben aller drei großen indischen Reiche anerkannt wird. Die Könige sorgen selbst dafür, ihre Söhne anders unterzubringen, in der Hoffnung nämlich, je ihre Dynastie durch Heirat mit dem zukünftigen gesamtindischen König assoziieren zu können. Usurpatorische Züge nimmt dieses Vorhaben an, wenn es gewaltsam durchgesetzt werden soll; der Leser kann sich, im Rahmen des Untersuchungsbereiches, seines Scheiterns sicher halten, weil er weiß, dass Lestar zweimal bei der Identifikation des prophezeiten Helden danebenliegt. In Parthien hingegen richtet sich niemand nach der Prophezeiung, die Cosdroes anlässlich des Todes des Vonones diesem von Tyridatens künftiger Herrschaft über Meden und Parthien gemacht hat (I/94f). Der als Bedingung dafür angegebene, momentane Verzicht Tyridatens auf diese Königswürden erscheint also allgemein als Zeichen allein der Bescheidenheit und Großmut des armenischen Königs (I/96–99) – der auch in der Folge, tatsächlich, keinen Anspruch mehr geltend macht. Es muss also zu dem oben schon beschriebenen selbständigen Ausscheiden Pacorens und Vologesens, und zu einer Krönung Tyridatens auf doppelter Grundlage kommen: der Leser hat die Prophezeiung im Hinterkopf; in der politischen Gegenwart hingegen sind, in Kombination, der dynastische Zusammenhang der drei Länder und der Volkswille entscheidend (VI/378f). 315 Die wichtigsten Belege: die Geburten von Monobazes [dem Jüngeren] (I/550), Izates (I/552) und Susanna (I/561). Die Erklärung des Izates zum Nachfolger zu Ungunsten von Monobazes [dem Jüngeren] (I/552f); die Aberkennung der Erbberechtigung Izatens aufgrund der Geschwister-Ehe seiner Eltern (I/555–559); die Erklärung Susannas zur Reichserbin und die Unfähigkeit Alexandras, weitere Kinder zu gebären (I/561, II/809); die Anerkennung Izatens zum Nachfolger, nachdem Monobazes [der Jüngere] sie von Monobazes [dem Älteren] erbeten und Helena [die Ältere] Monobazens [des Jüngeren] wahre, spazinische Geburt der Öffentlichkeit und ihm selber enthüllt hat (I/586–588); der Tod Monobazens [des Älteren]; Izates König, Susanna, als Reichserbin, Königin (II/809); die Heiraten des Izates und der Samacho, Prinzessin von Spazin; und Monobazens [des Jüngeren] und Susannas – Susanna behält den Königinnentitel, Monobazes [der Jüngere] soll ihn nicht bekommen, Izates bleibt König, seine Mutter Helena aber führt die Regierung (II/816); Scheidung von Izates und Samacho, nachdem sie des Ehebruchs überführt wurde (II/831); vorgeschobener Tod Izatens, um einen Anschlag seiner Mutter Helena auf Monobazes [den Jüngeren] zu verhüten;

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durch die Zweifelhaftigkeit seiner Abstammung, sondern durch die religiöse Konversion des Hofes geschwächt, die, in usurpatorischer Absicht von Ananias betrieben, zu einer Änderung des Kriteriums der Erbberechtigung schlechthin führt: der aus der sonst erlaubt gewesenen Geschwisterehe hervorgegangene Izates muss verstoßen werden (I/555–559). Kennzeichnend aber für die ausgleichende Anlage der Handlung ist, dass auch diese Änderung wieder zur Disposition gestellt, dass Izates, in der Konfrontation mit dem untergeschobenen Monobazes dem Jüngeren, die Königswürde doch von den Adiabenern einhellig zuerkannt wird. Tatsächlich können für alle drei Kandidaten Argumente auf beiden Seiten geltend gemacht werden. Für Monobazes den Jüngeren spricht seine Beliebtheit bei den Ständen und später, dass er Susannas Gemahl ist; gegen ihn spricht seine untergeschobene Geburt, seine in Wirklichkeit spazinische Abkunft; für Izates spricht, dass er Sohn des regierenden Königspaares ist, gegen ihn aber, dass die Ehe dieses Königspaares im Rahmen der neuen Religion ein Verbrechen wurde; Susanna, der neuen, legitimen Ehe Monobazens des Älteren und Alexandras entsprossen, wird bei ihrer Geburt zur Reichserbin erklärt und behält diesen Anspruch auch nach der Thronbesteigung Izatens, sie ist aber nur eine Tochter. Entschärft wird der Konflikt zusätzlich durch den Unwillen Izatens und Monobazens des Jüngeren, ihre Ansprüche miteinander auszufechten: als Monobazes der Jüngere von seiner falschen Geburt erfährt, gibt er Izates sogleich den Vortritt; Izates aber lässt seinen Tod aussprengen, als er erkennt, dass seine Mutter und Susanna Monobazes den Jüngeren, »den er stets herzlich wie einen Bruder geliebet« (II/865), sonst nicht aufhörten zu verfolgen. Die schwierige, mehrdeutige Lage manifestiert sich am sinnfälligsten in der merkwürdigen Aufteilung der Regierungsgeschäfte nach der Doppelheirat Monobazens des Jüngeren und Izatens. Am Ende markiert nicht die glückliche Durchsetzung des legitimen Erben das Handlungsziel; sondern Monobazes der Jüngere und Susanna bleiben als Königspaar übrig, da, vor Gram oder aus Großmut, die übrigen Kandidaten gestorben und ausgeschieden sind. Das Handlungsziel in der Erbfolgehandlung der Gugerner316 sieht die Thronbesteigung der leiblichen Tochter König Marcomirs, Epponilla, und ihres Gemahls Julius Sabinus vor (V/227, 324f, 695); diese letzte Wendung der Dinge aber ist Folge des Einsturzes einer Maas-Brücke (IV/227) – eines Zufalles, der in krassem Widerspruch zu den Tendenzen der sorgfältig gearbeiteten, kausalen Struktur der Handlung bis zu diesem Punkte steht.317 Folgerichtig obsiegt hatte darauf Tod Helenas [der Älteren] (II/863–867). Übrigbleiben als Königspaar also Monobazes [der Jüngere] und Susanna. 316 Hier gibt es einen Schlüssel und autobiographische Bezüge – vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 511–527 und 549. 317 Die Geschichte wurde schon 1679 im dritten Band des Romans veröffentlicht, gehört also zur ersten Textschicht; der Schlüssel deckt nur die Vorgänge etwa des ersten Fünftels der

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nämlich die über den Bruder Marcomirs laufende Linie, der Marcomir selber, noch unverheiratet, das Erbrecht zunächst zugesprochen hatte (III/37). Charakteristisch für den sich entspinnenden Konflikt ist, dass er gar nicht hätte aufkommen müssen, dass er leicht wäre beizulegen gewesen, und also eine aggressive Nervosität der beteiligten Parteien: Epponillas Verlobung mit Julius Tullius soll ursprünglich am Status Epponillas als natürlicher Tochter des Königs nichts ändern; es ist aber doch diese Verlobung, die zur öffentlichen Bekanntmachung der Ehe zwischen Marcomir und der Freilingin Epponina führt; die als Gegenreaktion Versuche Clodomirs und Argottas hervorruft, Epponina und ihre Tochter zu diskreditieren; welche wiederum in der Gegenreaktion zu ihrer Erhöhung in den königlichen Rang führen (III/39–42). Selbst dies kann indes geschehen, ohne dass Marcomir die Abmachung mit seinem Bruder aufkündigt; und nach dem Tode des Julius Tullius bietet sich mit der Heirat Antenors und Epponillas, in der ehelichen Verbindung der konkurrierenden Erblinien also, eine von den gugernischen Ständen favorisierte Lösung allen noch latenten Konfliktes an. Jetzt erst, da Argotta darauf drängt, die Degradierung Epponinas zur Bedingung der Heirat zu machen, kommt es zum Bruch und plant Marcomir, Epponilla mit einem ihr gemäßen Ehemann anstatt Antenors zu beerben. Die hierauf gestiftete Verlobung mit Julius Sabinus scheitert aber an dem Unwillen Marcomirs, ihm und seinem Vater in einer Notsituation Hilfe zu bieten (III/51– 54). Wieder läuft es auf eine Verlobung Epponillas und Antenors hinaus, diesmal aber, von Seiten Clodomirs und Argottas, nur zum Schein, und um die gegnerische Seite bis zum Tode Marcomirs zufrieden zu stellen. Tatsächlich geht die Erbschaft auf Clodomir; er kann Epponina verjagen und Epponilla festsetzen, bis er sie zur Erbschaft durch geringe Heirat untüchtig gemacht hat. Julius Sabinus gelingt ein Anschlag zu ihrer Befreiung nicht. Nach dem Tode Clodomirs wird sein Sohn Antenor König; Julius Sabinus kann Epponilla zwar vor der Opferung bewahren, letztlich aber ihre Verurteilung zum Sklavenstand nicht verhindern. Erzählt wird also, bis kurz vor Schluss, wie die durch heimliche Heirat einer Freilingin hinzugekommene leibliche Erblinie sich gegen die abgesprochene Erblinie über den Bruder gerade nicht durchsetzen kann. Zur erfolgreichen Durchsetzung bedürfte es der ehelichen Verbindung Epponillas mit einem anderen, starken Fürstenhause. Diese steht mit dem Herrscherhause der Aeduer, mit Tullius Valentinus und seinen Söhnen Julius Tullius und Julius Sabinus zweifach in Aussicht; das erste Mal wird sie durch den Zufall des Todes Julius Tulliens im Krieg verhindert; das zweite Mal aber durch die Spielsucht Tullius Valentinens und die mangelnde Bereitschaft Marcomirs, dem Hause des erwählten Schwiegersohnes Hilfe zu liefern. Handlung. Der gute Handlungsausgang ist ein späterer Zusatz – vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 549.

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Die Neuregelungshandlungen der Octavia kennen als Tendenz nur eine größere Abhängigkeit von Rom; auch Versuche der Befreiung führen, immer scheiternd, dorthin. Ausgangspunkte der Handlung sind schon bestehende Verhältnisse unterschiedlichen Zuschnitts – nur in Britannien vielleicht kann von einem unbelasteten Beginn gesprochen werden;318 in Armenien setzt die Handlung beim Tod des von den Römern schon eingesetzten Königs Artaxias ein (I/52f); in Judea liegt die Verwandlung in eine römische Landschaft voraus (III/ 281); auch die Aeduer, Gugerner und Lingoner sind Teile römischer Provinz (III/ 37f); Jazygen und Sarmaten unterhalten zunächst nur lockere römische Bindungen über den pannonischen Statthalter (V/42–46). Stark variiert ebenfalls die Art der betroffenen politischen Einheit. Britannien erscheint als geographische Einheit und wird so Provinz, besteht aber aus sehr vielen Königreichen, die ansatzweise dynastisch integriert sind; Armenien hingegen ist nur eines von mehreren Ländern, über die zu herrschen die Dynastie des Nachbarlandes Parthien sich anmaßt; die Unterscheidungen nach Dynastie, Provinzeinheit, Königreich im Falle Judeas stimmen weitgehend überein, die übrigen politischen Einheiten sind klein und bilden allenfalls Teile größerer Provinzen. Die Neuregelungshandlung Judeas verbindet mit der Katastrophe der Zerstörung Jerusalems als eindeutigem Handlungsziel die feine Differenzierung der darauf hinführenden politischen Prozesse, unter anderem durch eine Kombination mit einer Erbfolgehandlung. Anders als in allen anderen Neuregelungshandlungen kommt es zu einer direkten Konfrontation von Besatzung und ›Volk‹; davon, von den eigentlich in den Krieg führenden römischen Drangsalen und jüdischen Aufständen streng zu unterscheiden ist aber das Verhältnis des Herrscherhauses zu Rom. Verhältnis zum römischen Kaiser: Die unter Tiberius fehlschlagenden Versuche Agrippas des Älteren seine Belehnung zu erhalten führen die Notwendigkeit klugen und ausreichend bemittelten Verhaltens am römischen Hofe für den Machterhalt der jüdischen Könige vor Augen (III/281f, 285f). Das persönliche Verhältnis Agrippas zu den Kaisern Caligula und Claudius319 hat mehrfach in Konflikten eine vermittelnde Funktion, die zwischen den Statthal318 Es gibt ja doch den Kontakt Syoras und des Claudius im gallischen Badeort; dass Syora über Claudius ihrem Vetter Adminius einen römischen Aufenthalt erwirkt, deutet außerdem auf eine etablierte diplomatische Beziehung (IV/25–27, 698–701, 820). 319 Interessant ist, dass es, als persönliches Verhältnis, von beiden Seiten gepflegt wird. Caligula lässt Agrippa nicht aus Rom (III/287), Claudius nur unter der Bedingung, dass Berenice und Prinz Agrippa dableiben (III/293). Den Vertrauensbruch, den Claudius in dem Plan einer Heirat Berenices und Polemons sieht, kann Agrippa nur dadurch kitten, dass er Berenice mit seinem Bruder, dem Herodes König von Chalcis, verheiratet, nach dem Vorbild also der Ehe Agrippinas und ihres Onkels Claudius (III/304–307, 311).

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tern, als der lokalen römischen Befehlsgewalt, und den Juden auftreten.320 Mit dem Tod König Agrippas entfällt diese Möglichkeit zum Ausgleich. Das Verhältnis läuft nun in der Hauptsache über die mehr oder weniger feindlichen Statthalter, dann über den zur Beruhigung des Landes entsandten Vespasianus, der erst später im Kriegsverlauf kaiserlichen Rang erhält. Nur um ihrem Bruder die Belehnung zu erwirken, hält sich Berenice einmal in Rom auf (III/319f); und die wenigen folgenden Maßnahmen, sich die kaiserliche Gunst zu erhalten, bleiben vereinzelt (III/332–334), können etwa nicht verhindern, dass Nero den Gesandten Philippus gar nicht erst zur Audienz kommen lässt (I/925, III/343). Auch die folgenden Kaiser Galba und Otto behandeln die jüdischen Abgesandten Rabban und dann Agrippa selber eher abweisend als herzlich (III/365). Der Versuch, Vitellius durch eine Werbung Agrippas bei Vitellia zu gewinnen, scheitert kläglich; von ihm gerade wird schließlich Verfolgung befürchtet (IV/ 849f). Das Verhältnis zu Vespasianus aber ist ambivalent und kompliziert. Hier liegt die gegenseitige Liebe von Titus und Berenice zugrunde, deren Verwirklichung durch unterschiedliche Standesinteressen verwehrt wird: Berenice möchte weder einfache römische Bürgerin werden, noch möchte sie, wenn Titus an ihrer Seite König werden sollte, ihrem Bruder Agrippa schaden (III/336–340, IV/202– 205, 844f, VI/534f); sobald Vespasianus aber kaiserlichen Rang besitzt, ist von seiner Seite her die Heirat seines Sohnes und Nachfolgers mit einer ausländischen Königin in Rom nicht mehr vermittelbar (VI/544–548). Berenice bedarf Vespasians im Kampf gegen die Aufständischen ihres eigenen Landes (III/341f), dann aber fürchtet sie sein zu grausames, umfassendes Vorgehen gegen ihr Volk (IV/206–208). Zusätzlich kompliziert wird die Lage durch die römisch-judeischen Verbindungen, die über Fulvia und Agrippa (III/329f) und über Felix und Drusilla laufen. Immer wieder ist außerdem eine Verbindung über die Tochter Vespasians, Julia, für Agrippa und Aristobulus im Gespräch. Erste Kriegsphase, Empörungen: In einer ersten Kriegsphase321 gibt es drei jüdische Unruhen, die religiöse Zumutungen zur Ursache haben; und Verfolgungen und Drangsale unter einem syrischen Statthalter, unter Lucius Vitellius, Cuspius Fadus, Albinus und Geßius Florus. Der Fall des Pontius Pilatus ist gemischt, da er zu den Ungerechtigkeiten, wegen denen er verbannt wird, von den Hohepriestern selber verleitet wurde. Weil Fadus eine jüdische Empörung meldet, die es nicht gegeben hat, wird eine erste, Longinus unterstehende Heeresmacht entsendet; wie der Aufenthalt dieses Longinus sich dann gestaltete, ob und wie also die Lüge herauskommt, bleibt unberichtet. Die Aufstände bleiben po320 III/286f, 294f. 321 Die für die folgende Darstellung wichtigsten Belege finden sich auf den Seiten III/201, 286f, 294, 320f, 330f, 334f, 337, 339–343, 365, IV/201–2011, 843–845, VI/487, 490f, 535–552, 557– 560, 576–578, 622f, 626–645, 649, 664.

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litisch anonym, das heißt es ist nicht ersichtlich, welcher politischen Partei ihre Anführer zugehören, oder welche weitergehenden Ziele durch sie verfolgt werden. Das Königshaus nimmt allenfalls eine Vermittlerrolle zwischen ihnen und Rom ein. Die Entsendung Vespasians erfolgt nach einer rapiden Zunahme der Empörungen, die weitgehend unerklärt bleibt. Dass das Gerücht von Berenices christlicher Gesinnung damit etwas zu tun habe, wird mehr suggeriert als behauptet; und auch Drusillas hier bereits in Planung befindlichen Anschläge brechen erst später aus. Wahrscheinlicher ist der Zusammenhang mit den unter Geßius Florus eine neue Qualität annehmenden Verfolgungen. Ab diesem Zeitpunkt jedenfalls gibt es, der Form eines Feldzuges sich annähernd, einen kontinuierlichen Ereignisstrang bis zur Eroberung und Zerstörung Jerusalems. Dass das Königshaus – also vor allem Berenice – jedenfalls zunächst eine dritte Position außerhalb des Konfliktes einnimmt, wird durch den langen Aufenthalt Vespasians an ihrem Hof in Cäsarea augenfällig; und dass Geßius Florus Vespasian zum Vorgehen gegen die Aufständischen, zum Aufbruch also ermahnen muss, suggeriert, dass auch Vespasianus in diese dritte Position durch den Aufenthalt am Hof gleitet. Die größte Konfliktspannung besteht also zwischen dem Statthalter und den politisch nach wie vor unbestimmten Aufständischen. Zweite Kriegsphase, Führung der Aufständischen durch eine Partei im Erbschaftskonflikt Judeas: Nach einem ersten, verheerenden, nur summarisch geschilderten Kriegszug Vespasians ändert sich durch den Ausbruch der Verräterei Drusillas in Cäsarea die gesamte Konfliktlage. Sie übernimmt die Führung der politisch noch unbestimmt gewesenen aufständischen Partei weitgehend und bringt sie zu den anderen Mitgliedern des Königshauses, zu Berenice und Agrippa, in ein definites Verhältnis des Konflikts. Das heißt Berenice wird selber gegen die Aufständischen zu kämpfen und, wenn sie selber nicht genügend Kraft aufbringen kann, mit Vespasianus sich zu verbünden gezwungen. Der Aufstand erreicht Jerusalem und Geßius Florus scheidet, vollständig von den Aufständischen besiegt, als vorrangiger Gegner aus; Vespasianus hält eine Belagerung Jerusalems bereits für notwendig. Die Zuspitzung bewirkt, dank der Vermittlungsbemühungen Berenices und dank eines militärischen Erfolges der Partei Agrippa-Berenice, einen Waffenstillstand und Verhandlungen; allerdings bestehen die Juden auf einem Punkt, der vom Kaiser entschieden werden soll, der von ihm abgelehnt wird. Wie diese Ablehnung nach Palästina zurückwirkt, wird nicht geschildert; der Waffenstillstand wird zuvor bereits durch Aufwiegelung Drusillas in Jerusalem gebrochen. Sie und Felix werden von Vespasianus im eroberten Jericho gefangengenommen. Dadurch sind von dieser Seite her keine Aktivitäten mehr zu befürchten; genannt werden aber auch erstmals ihre Verbündeten Aufrührer Johannes und Eleazar in Jerusalem.

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Während der Belagerung Galamas durch Vespasianus kommt es zwischen ihm und Berenice-Agrippa, wegen der aggressiveren Vermittlung des Mutianus, zum Zerwürfnis, also dass sie Kriegsgegner werden. Aber Titus hält heimlich Berenices Seite und kann das Vorgehen seines Vaters mildern, Berenice aus der belagerten Stadt Jotapata zur Flucht verhelfen. Die Abschickung Agrippas an Galba soll Schutz vor Vespasian, und den Juden Gnade erwirken. Weitere Aussichten für eine Zusammenarbeit Berenices und Titus’ werden aber durch den Tod Galbas zunichte. Drusilla beginnt anlässlich der Vorbeifahrt Agrippas neue Aktivitäten von Paphos aus, indem sie Anlass gibt zur liebenden Anhänglichkeit Agrippas an Sarai, die Tochter des Aufständischen Eleazar. Vespasianus indes setzt die Eroberungen fort, bis nur noch Jerusalem übrig ist. Dritte Kriegsphase, Kampf um Jerusalem: Berenice gelingt es in der Folge durch Intrige Drusilla weitgehend entgegenzuwirken. Sie bietet, indem sie mit Aristobulus nach Chalcis gehen will, gewissermaßen ihr Ausscheiden aus dem Konflikt Vespasianus an, worüber dieser nur erfreut ist; neigt aber dann doch ihrer Liebe zu Titus zu, die sie nach Rom treibt. Agrippa, den Drusilla zwischenzeitlich ganz unter ihren Einfluss stellen konnte, wirkt unzuverlässig und nurmehr von seiner Liebe zu Sarai getrieben. Die Aufständischen in Jerusalem erweisen sich als hartnäckig und zu keiner Verhandlung bereit. Es ist Agrippa, der durch einen unglücklichen Versuch, die Juden zur schnelleren Aufgabe zu bewegen, den Tempelbrand legt. Am Ende ist Jerusalem zerstört; in Judea werden von den Römern voraussichtlich keine Könige mehr geduldet; Agrippa und sein Sohn Agrippinus sind umgekommen; Drusilla und Mariamne werden, aus Rücksicht auf Berenice, von Titus in einem Jungfrauenorden untergebracht. Übrige Aufständische werden hingerichtet, Johannes und Fürst Simon sollen im Triunph mit nach Rom. Aspekte der Darstellung: Während die Konfliktlage zwischen den Akteuren Vespasianus, Titus, Berenice, Agrippa, Drusilla und den übrigen Aufständischen vollständig und detailliert in ihren Änderungen geschildert wird, bleiben die militärischen Handlungen merkwürdig unverbunden, erscheint der Verlauf des Feldzuges in militärischer Hinsicht einseitig und einfach. Es fehlt, um die Bedeutung der Eroberung einer Stadt, Gamalas etwa, einzuschätzen, ein Begriff von dem Gesamtumfang des Feldzuges. Erst die Zuspitzung auf die Belagerung Jerusalems sorgt für diese Klarheit, und selbst die wird getrübt, wenn nun doch von der Eroberung der Stadt Bethenna unter Placidus noch berichtet wird (VI/541), wenn Vespasianus, wegen eines versuchten Attentates zwar, die Stadt Joppe erobert und vertilgt (VI/545). Die Juden bieten den belagerten Städten keinen Entsatz und nur nach dem Ausbruch der Verräterei Drusillas können sie, in der Niederlage des Florus, militärische Erfolge verzeichnen. Widerstandskraft und Hartnäckigkeit ist sonst, was sie den Römern entgegensetzen.

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Bemerkenswert ist schließlich die mehrfache Betonung der Eigendynamik des Geschehens bei der Zerstörung Jerusalems – einer Zerstörung, die niemand eigentlich beabsichtigte. Die eigentliche Eroberung Britanniens – dies Beispiel aus der ersten Textschicht – und die Einrichtung des provinziellen Status gelingen, nach ersten, erfolglosen Vorstößen unter Cäsar und Caligula (I/707, IV/26, VI/298), Claudius und seinem General Aulus Plautius rasch und komplikationslos.322 Die neue Ordnung, in der die Könige durchaus im Besitz ihrer Länder bleiben, wird nun dreimal kriegerisch und erfolglos von verbündeten britannischen Königen in Frage gestellt. Die Konfliktausbrüche weisen auf eine Grundnervosität im römisch-britannischen Verhältnis: irritierend und gefährlich sind Ausschläge nach beiden Richtungen. Dass der Britonenkönig Arviragus in der Verlobung mit Claudia eine besondere Nähe zu Rom sucht, treibt nicht nur Guiderus und Caractacus noch einmal gesondert in den Krieg (I/275, 708), die Nachricht von Claudias vermeintlich unehelicher Geburt trifft als Affront ganz Britannien und dient so zur Bildung eines großen Bündnisses zur Befreiung der Insel, führt erneut in die kriegerische Auseinandersetzung und in die Niederlage (I/279, 710f). Caractacus findet einen Vorwand zur Rebellion in der Fremdheit eines neuen Statthalters, Ostorius Scapula, mit den Landessitten, kann aber ein so breites Bündnis nicht mehr aufbringen (I/635, 641, 711–713). Anlass der dritten Rebellion wird wieder eine gescheiterte, besonders prononcierte Annäherung eines britannischen Königs an Rom: Prasutagus vermacht sein Land und seine Kinder Kaiser Nero; Catus Decianus missbraucht, im Namen des Kaisers, das ihm zufallende Recht nach dem Tod des Prasutagus schändlich; die schon begonnene Verschwörung seiner Gattin Voadicea gewinnt so breite britannische Unterstützung, und auch hier steht am Ende eine verlorene Schlacht (I/651–667). Besondere Ausschläge der Annäherung oder Entfremdung, betreffend je einen der britannischen Könige, können also in römisch-gesamtbritannische Konflikte führen; ein wichtiger Faktor wird das je unterschiedliche Verhältnis der britannischen Könige zu Rom aber auch für die innerbritannischen Auseinandersetzungen; oder anders gesagt: Rom wird in den innerbritannischen Auseinandersetzungen selbst Partei. Relevanz gewinnt dies in den von Cartismanda mit Venutius und Vellocatus geführten Kriegen um Briganten, die mit einem römisch gebilligten Frieden enden (I/746, IV/175–182, 236–239), und bei der römischen Parteinahme für Galgacus und Charanatus im Krieg gegen Prinz Dardanus (IV/ 497f, 647f). Für Cartismanda bedeutet die besondere Nähe zu Rom eine Kompensation ihrer prekären Stellung am brigantischen Hof Epicaum,

322 I/275–277, 707–709, IV/30f.

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wo sie ja nur dank einer vorgetäuschten Schwangerschaft, und dann der Nachlässigkeit von Corbredus und Caractacus Königin bleiben konnte.323 Kombinationen der Handlungstypen, Kombinationen mit Liebeshandlungen Britannien ist ein in sich so weitläufig differenzierter politischer Raum, dass mehrere Handlungsreihen unterschiedlichen Typs mühelos und ohne Zwang zu allzu großer funktionaler Verschränkung nebeneinander untergebracht werden können. Weitgehend eigenständig lassen sich so die Neuregelungshandlung und die über Cartismanda laufende Usurpation Brigantens abwickeln; die usurpatorischen Unternehmen von Florus, Gunildis und Carmonacus hingegen sind, scheiternd, vollständig in die Erbfolgehandlung des Hauses Corbredens integriert, ebenso wie zunächst die politische Karriere des Dardanus, der sich erst in laufender Regentschaft eindeutiger als Usurpator profiliert. Hier sind also vereinfachende ›Kürzungen‹ der Handlungslogik möglich: Galgacus muss, um sein rechtmäßiges Erbe antreten zu können, Florus, Gunildis und Carmonacus und Dardanus scheitern machen. Bei den Verknüpfungen zu den und zwischen den 323 Dies besondere Verhältnis äußert sich vielfältig, etwa indem sie sich aus den römischbritannischen Kriegen heraushält (IV/154), den ebenfalls unparteiischen Juganten-König Venutius heiratet (IV/155)), ihren zu ihr geflohenen Stiefsohn Caractacus auf Bitten des Statthalters Ostorius Scapula und ihres Vaters an die Römer ausliefert (IV/171f); für sie kämpfen die Römer gegen Venutius, nachdem sie sich von ihm hat scheiden lassen (IV/174– 178), und unter der Römer Schirmherrschaft darf Cartismanda in Epiacum weiter regieren; als sie doch den Krieg verliert und von den Druiden zum Tode verurteilt wird, kann sie sich mit Hilfe Galgacens ins römische Lager retten (IV/236–239); sie gewinnt den Krieg dann wieder und wird als brigantische Herrscherin von den Römern eingesetzt (IV/181f)); mit den Britanniern verscherzt sie es sich, als sie eine römische Besatzung ihrer eigenen Residenzstadt verabredet und zur Durchsetzung ihrer Scheidung von Vellocatus gebrauchen will (IV/268–270); erst der Statthalter Trebellius Maximus aber folgt ihrem Ruf um Hilfe nicht mehr und nötigt sie so, da Venutius und Vellocatus sie gemeinsam bedrohen, Britannien zu verlassen (IV/497f, 648). In Rom kann sie sich die nötige Unterstützung nicht mehr erwerben. Unter Galba hält sie sich zurück, weil Piso sein Liebling ist, mit dem sie zu Epiacum einst in Berührung kam (III/12, IV/498f). Otto zeigt sich zwar teilweise von ihr eingenommen, ist aber doch auch wegen seiner Furcht vor einem noch lebenden Galgacus und der Anwesenheit auch des Florus höchst misstrauisch gegen sie (IV/150–153, 218–224, 303f, 307–309, 498f, 135). Zum Verhängnis wird ihr aber der Mord an Julia Procilla, den sie Florus ausüben lässt (IV/456–461); der Groll gegen dieselbe rührt auch aus alten britannischen Geschichten her (IV/245–262, 268–270), den letzten Anstoß gibt dann ein Zusammenstoß auf einem Gastmahl Crispinas (IV/330–334). Jedenfalls steht sie darauf bei dem Rat schlecht im Ansehen (IV/541), Otto will sie noch kurz vor seinem Selbstmord aus Italien weisen (IV/ 697f) und auch die Gunst des Vitellius genießt sie, weil sie rauchen kann, nur kurz (IV/828, 936f). In Nujodunum kann sie bei Vespasianus, der sie auch wegen der ausstehenden Rache des Julius Agricola unter Hausarrest setzt und sich, mit Cönis verheiratet, für ihre Reize unempfänglich zeigt, nichts erwirken (V/110–116). Ihre letzte Verzweiflungstat, die Entführung Galgacens, setzt bereits auf ein besonderes Verhältnis zu Rom nicht mehr, und wird ja dann auch mit römischer Hilfe, namentlich durch Trebellius Maximus, vereitelt (V/697– 699).

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anderen Handlungsreihen hingegen führt die Annahme einer solchen gleichen Richtung in die Irre, muss also die parteiliche Zuordnung oder die Wirkung einer Beeinflussung von Fall zu Fall geprüft und nachvollzogen werden.324 Zwischen der Erbfolgehandlung der Gugerner und der Neuregelungshandlung der Lingoner/Aeduer in ihrer zweiten Phase bestünde die Möglichkeit einer vereinfachenden Verschränkung, die gerade nicht realisiert wird: Marcomir bedarf ja, für die Durchsetzung Epponillas als Erbin, einer guten und politisch gewichtigen Partie für sie; und Tullius Valentinus sucht politisches Gewicht durch eine vorteilhafte Heirat seines Sohnes Julius Sabinus zu gewinnen. Beiden Seiten wäre also durch diese Heirat geholfen, und umso willkürlicher wirkt angesichts dieser hintergründigen, strukturellen Motivation das leichtfertige und ungerechte Verhalten Macromirs gegenüber Tullius Valentinus, das die Verbindung unmöglich macht. In sich sind die Erbfolge- und Usurpationshandlung Adiabenes in ihrer Dynamik bereits so weit herabgedämpft, die jeweiligen Kriterien zur Qualifizierung der Herrschaft oder der Erbfolgen so weit verunsichert, dass auch ihre enge funktionale Verschränkung vereinfachend nicht mehr wirkt. Wichtigster Treiber der Usurpationshandlung, zum Beispiel, und als solcher am leichtesten zu kategorisieren, ist Ananias. Alle Figuren aber, die er für die Erbfolgehandlung ins Spiel bringt, auf deren Erhöhung sich seine usurpatorische Energie also richtet, sind mindestens ambivalent, wenn nicht gut. Er selber sieht zu einem Zeitpunkt vor, was das Handlungsziel der Erbfolgehandlung sein wird, die Regentschaft des Paares Monobazes des Jüngeren und Susannas. Er scheitert bei dem Versuch, Izates, den er als latente Bedrohung für dieses Paar sieht, gewaltsam auszuschalten – Izates aber selber nimmt sich später zugunsten dieses Paares aus dem Spiel, so außerdem die letzten usurpatorischen Anwandlungen der Mutter Helena frustrierend. Mit anderen Worten: dass eine eindeutige Bewertung der usurpatorischen Unternehmen nur an ihrem Ursprung ermöglicht, in ihren Objekten, den geförderten Figuren aber erschwert wird; und die Relativierung des Kriteriums rechtmäßiger Geburt durch konversionsbedingte Änderungen und das generöse, im Zweifel eher verzichtende Verhalten der Erben selber – beides zusammen verhindert durch beide Handlungen in einem selben Sinne durchlaufende Wirkungen und zwingt zur sorgfältigen Unterscheidung von 324 Die Anwesenheit der römischen Besatzungsmacht, wie sie sich aus der Neuregelungshandlung ergibt, bedeutet für das usurpatorische Unternehmen Cartismandas bis zu einem gewissen Punkt Stärkung und Rückhalt. Gegen den Usurpator Dardanus aber wendet sich Rom zugunsten des rechtmäßigen Erbfolgen Galgacus. Zuvor hatte dessen Protektion durch Kaiser Claudius gerade die Zweifel an seiner rechtmäßigen Geburt vermehrt. Corbredus selber wendet sich an einem Punkt kriegerisch gegen die Römer (IV/185). Cartismanda spielt als Buhle Carmonacens und verliebt in Galgacus eine widersprüchliche Rolle in der Erbfolgehandlung – etc.

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Wirkungsabsicht und tatsächlicher Wirkung in je gegebenem, problematischem Kontext. Relativ einfach hingegen ist die funktionale Verschränkung der Erbfolgehandlung Daciens und der die Jazyger und Sarmaten betreffenden Neuregelungshandlung: wie im Anhang angedeutet, ist, dass Jazygen und Sarmaten römische Provinz werden, Folge ihres Versuches, den gefühlten Nachteil gegenüber dem unter der Doppelherrschaft Gestriblindens und Corillens prosperierenden Nachbarland Dacien durch eine besondere Nähe zu Rom aufzuwiegen. Faroaldus, der in der Erbfolgehandlung wichtigste Opponent des Corillus, verrät das zum Widerstand gegen Rom angeregte Bündnis, bekommt aber in der Folge selbst Schwierigkeiten mit Rom: Jazygen und Sarmaten zur römischen Landschaft gemacht zu haben, soll diese beseitigen. Eindeutig – dafür bürgt die eindeutig zuzuordnende Figur Faroaldos – ist in dieser Konstellation die Stärkung der Lokalmacht gegenüber Rom ›gut‹, die Hinzuziehung und Stärkung Roms zur Durchsetzung partikularer Interessen hingegen ›schlecht‹. Die problematische Erbfolge, die sich für das jüdische Königshaus abzeichnet, passt zu der Abschaffung desselben im Handlungsziel der Neuregelungshandlung. Die usurpatorischen Unternehmen Drusillas hingegen, in denen ja aus dem drohenden Erbenmangel Kapital geschlagen werden soll, kann Berenice vor der Katastrophe noch abwehren; sie tragen in einem schwer zu bewertenden Maße zu dem außer Kontrolle geratenden Konflikt bei. Was die funktional verschränkten Liebeshandlungen betrifft, ergibt sich – das sollte in den obigen Darstellungen schon deutlich geworden sein – ein ganz ähnliches Bild, also die Notwendigkeit, die kausalen Relationen Fall für Fall zu prüfen und zu bewerten und im Zweifel die Tendenz, sich bietende Möglichkeiten zur Vereinfachung etwa durch Assoziation von Handlungszielen auszuschlagen. Adiabene etwa erweist sich endgültig als kriterienschwächster politischer Raum dadurch, dass selbst im Liebesbereich die Handlungsziele ambivalent sind.325 Galgacus schwächt sein politischer Misserfolg bei Rubria (IV/51f), umgekehrt hindert ihn die Nachricht, dass Rubria noch lebe, an der politisch vielversprechenden Ehelichung Bunduicas (IV/644f). Für Cartismanda haben ihre Ehen und Buhlschaften unmittelbare politische Konsequenzen – zum Guten 325 In der älteren Generation zeigen sich Helena die Ältere und Monobazes der Ältere zwar zunächst als glückliches Paar; in Alexandra sich zu verlieben ist Monobazes dem Älteren dann aber auch in der Lage. In der jungen Generation gibt es zwar zunächst eine gegenseitige Liebe der Prinzessin Samacho und des Izates; die Ehe aber zerbricht wegen des Ehebruchs Samachos und des soracischen Prinzen. Später liebt Izates dann, unglücklich, Nicleta. Monobazes der Jüngere liebt Susanna und wird ja dann auch ihr Gemahl; Susanna aber liebt Antiochus, welche Liebe sich später in dessen Sohn Antiochus Epiphanes fortsetzt, und Izates; dieser Umstand bringt, über Monobazes des Jüngeren Eifersucht, in diese Ehe eine permanente Unruhe. Eine glückliche Heirat gibt es einzig außerhalb des adiabenischen Kreises zwischen Antiochus und Jotape.

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aber, wie zum Schlechten. ›Italus‹ kostet die Liebe zu Cynobelline sein cheruscisches Königsamt. Valeria verteidigt, obwohl sie ihn liebt, Pisos und Veranias Ehe, und kommt so für eine Heirat, die ihr ihr Erbe doch noch anzutreten ermöglicht hätte, nicht mehr in Betracht. Die frühe Heirat Parthenias und Beors wird zwar von Balaad und Abdon durchaus mit politischen Rücksichten geplant, hat aber auf die Usurpationshandlung selber keinen Einfluss. Julius Sabinus hält – politisch töricht – an seiner Liebe zu Epponilla auch dann noch fest, wenn sie ihm als vorteilhafte Partie nicht mehr dienen kann. Für Berenice bedeutet das Liebesverhältnis zu Titus, weil seiner ehelichen Verwirklichung ihr Standesdenken im Wege steht, gerade einen Grund zur Verschlechterung des für sie politisch überlebenswichtigen Verhältnisses zu Vespasian. In Indien scheint die Frage, wen Nitocris heiraten wird, an die Identifikation des prophezeiten Herrschers gebunden, tatsächlich ist Britannicus aber bereits für Caledonia vorgesehen, muss die indisch-politisch relevante Nitocris also, zugunsten der britannischen Prinzessin, anders untergebracht werden. Leichte Verstärkungen von Wertungen in den unterschiedlichen Handlungsbereichen gibt es, wenn Corillus sich, bei der Heirat Hispullas, gegen die versuchte Einflussnahme Faroaldens durchsetzt (V/30f); wenn Vonones, nach der nebenbuhlerischen Konfrontation mit Vater, Sohn und ihrem Verlobten, als einziger sich als der Liebe Sulpitias würdig erweist.

5.10.4. Strukturelle Marginalisierung des Militärischen Folgende, vereinzelt schon angefallene Beobachtungen zur Rolle der Kriegshandlungen lohnt es vielleicht zu bündeln und pointierend zu ergänzen. – In den Europäischen Höfen müssen die Feldzüge sicherlich dem politischen Handlungsbereich zugerechnet werden, bewahren aber eine gewisse Unabhängigkeit, erscheinen also als militärische Entscheidung eines politischen Konflikts gerade nicht; sondern als übliche, saisonale Betätigung. Hingewiesen wurde auf die Desintegration des räumlichen Mediums auf Ortsebene anhand dieser Unterscheidung: die im Zusammenhang mit Feldzügen genannten Orte werden nicht auch für die übrigen Handlungsbereiche genutzt. – Hingewiesen wurde außerdem auf die geringe Rolle, die militärische Auseinandersetzungen in den mit Liebeshandlungen funktional verschränkten politischen Handlungen der Höfe spielt – begründet dies damit, dass die Helden sich gerade durch den Mangel eines auf die Krönung gerichteten Ehrgeizes auszeichnen. – In der Römischen Octavia gibt es, für die Donaudeltahandlung, einen klaren diplomatischen Primat. Auffällig war außerdem der konsequente Ausschluss der Kriegsschauplätze aus den von der ›Erzählung‹ aufgesuchten, gegenwär-

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tigen Schauplätze. Die Eroberung Britanniens wird in wenigen Sätzen zusammengefasst, und so verhält es sich meistens mit solchen militärischen Aktionen, die ganze Territorien betreffen. In Judea gewinnt der eigentliche, neben den Empörungen geschehende Krieg erst in der letzten Konsequenz der Zerstörung Jerusalems einige Anschaulichkeit. Komplexität gewinnen Kriege, wie etwa um Armenien oder um Briganten, durch schwerer zuzuordnende Parteilichkeiten, durch die Häufung beteiligter Akteure – eigentlich also wieder auf diplomatischer Ebene. Der in Norditalien ausgefochtene römische Bürgerkrieg stellt aber bei der Marginalisierung oder Unterlaufung der eigentlichen Kriegslogik das Extremum dar. Für eine adäquate Beschreibung des Kriegsverlaufes müssen statt zweier fünf Parteien unterschieden werden: die Ottos, Vitelliens, des pontischen Nero, Drusens und Britannicens. Die Verschworenen Britannicens unterwandern die Partei Vitelliens, die Verschworenen Drusens die Partei Ottos. Beide Verschwörungen arbeiten prinzipiell zusammen, haben also sowohl Vitellius als auch Otto zum Gegner: ihr Ziel ist die Proklamation einer ihrer Kaiserkandidaten und eine Beendigung des Krieges, der bei Offenbarung aller verbundenen verschworenen Kräfte alle Substanz verlöre; ihr Problem liegt in der Koordination dieser verschworenen Kräfte über die offensichtlichen Frontlinien hinweg. Neros Partei hingegen ist in die Bürgerkriegsparteien kaum integriert, wirkt eher als irritierendes Moment und bleibt auf die Wirksamkeit einer spontanen Proklamation angewiesen. Die drei ersten der vier beschriebenen kriegerischen Konfrontationen beider ›oberflächlicher‹ Bürgerkriegsparteien zeichnen sich dadurch aus, dass ein bestimmter entscheidender Ausgang möglich gewesen wäre; dann aber die Intervention der Verschworenen eine unentschiedene Gemengelage zum Ergebnis macht: – Wäre nicht der Britannicus-Verschworene Aemilius Pacensis von seinen unzüchtigen Soldaten gefangengenommen und abgesetzt worden, hätten die Ottonianer über den (verschworenen) Vitellianer Marius Maturus in Albium Intemelium keinen Sieg erringen können; der dann allerdings durch einen Gegenangriff von Maturus, mit Unterstützung von Julius Claßicus, wieder aufgewogen wird (IV/452, 461, 468). – Hätte nicht der Drusus-Verschworene Annius Gallus, in der Not von dem Britannicus-Verschworenen Cecinna darum brieflich gebeten, dem unverschworenen Ottonianer Martius Macer den Rückzug befohlen, hätte dieser, mit der Unterstützung Annius Gallens, über Cecinna den Sieg errungen (IV/ 476). – Hätte nicht der Drusus-Verschworene Suetonius Paulinus den Prätorianern erstens den unsinnigen Befehl gegeben, statt die Feinde zu verfolgen und

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aufzureiben den Wall der Lagerschanzen in die Gräben zu werfen, und zweitens sich zurückzuziehen, als die Vitellianer bei einem zweiten Angriff zu unterliegen drohen, hätten die Ottonianer über Cecinna bei Castors Wald den Sieg errungen; welche Schlacht überhaupt nur deshalb begonnen wurde, weil der Nero-Verschworene Julius Fronto sowohl Suetonius Paulinus, als auch Cecinna glauben machen konnte, der jeweils andere sei von der Partei Neros (IV/482–486). Der unmanipulierte Kriegsverlauf also hätte, wie es aussieht, Otto obsiegen lassen. Erst nach der Schlacht bei Castors Wald, im Vorfeld also der Schlacht bei Bebriac, erlaubt die Erzählung wieder eine Bewertung der kaiserlichen Entscheidungen, die sich so zusammenfassen lassen, dass Otto aus falschen Gründen, aus Kriegsmüdigkeit und aus Misstrauen gegen die einzig ihm Getreuen nämlich, einmal richtig und einmal falsch entscheidet.326 Sein Vorteil liegt in der guten Moral und im Kampfeswillen seiner Soldaten; hinderlich aber muss ihm seine verschworene Generalität werden. Am aussichtsreichsten wäre die rasche Provokation einer Entscheidungsschlacht mit eigener Beteiligung, denn hier326 Die einzigen von der Erzählung berichteten kriegsbezogenen Entscheidungen fallen im Kriegsrat, an dem Otto, Salvius Titianus, Suetonius Paulinus, Marius Celsus, Rubrius Gallus, Annius Gallus und Licinius Proculus teilnehmen; unverschworen sind hiervon alleine Otto, sein Bruder und Licinius Proculus. Die erste Frage lautet, ob die Schlacht gegen die sich zusammenziehenden Generäle Valens und Cecinna provoziert werden solle, oder ob man besser weiter abwarte. Proculus und Titianus raten zur Beschleunigung der Schlacht, alle anderen, die wohl auf eine bessere Koordination der Verschwörungen hoffen, raten dagegen; Otto fällt aus Kriegsmüdigkeit seinem Bruder bei. Die zweite Frage lautet, ob Otto an der Schlacht teilnehmen solle oder nicht. Otto und Salvius Titianus sind zuerst dafür, Proculus und alle anderen dagegen. Im Vorsaal, wie Otto der Enthusiasmus der Kriegsbedienten ob des Entschlusses zur Schlacht entgegenschlägt, die allesamt davon ausgehen, dass Otto selber mitkämpfte, hindert einzig die beherzte Bemerkung des Licinius Proculus, Vitellius sei es nicht wert von kaiserlicher Hand zu sterben, ihn daran, doch noch seine Entscheidung zu revidieren. Die Kriegsobersten weinen darob, und sehen ihre Chancen, mit Salvius Titianus, umso empfindlicher geschwächt, als Rubrius Gallus befehligt wird, den Kaiser mit den prätorianischen Soldaten und einem guten Teil der besten Reiterei nach Bebriac zu begleiten (IV/538f). Am Folgetag verärgert er seine Generäle und Großen, indem er, trotz angekündigten öffentlichen Gehörs, beinahe den ganzen Tag in seinem Zimmer eingezogen bleibt; und dann, doch hervorgekommen, nach Verkündigung der Überwältigung Neros durch Asprenas, sich von seinem Bruder und seinen Generälen nur stumm verabschieden kann, so schwer wird ihm das Herz (IV/594). Auch die Entscheidung zur Beschleunigung der Schlacht droht noch einmal revidiert zu werden, als nämlich Annius Gallus brieflich dem schon in Brixellum angekommenen Otto empfiehlt, sie bis zum Eintreffen der aus Mösien erwarteten Völker aufzuschieben; Mevius Pudens aber hat sichere Nachricht, dass Annius Gallus zu den Verschworenen gehört, und kann dem Kaiser den Vorschlag also richtigerweise so deuten, dass es dem General auf ein rechtzeitiges Eintreffen des Britannicus ankäme (IV/603f).

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durch würde einer Abnahme des Kampfesmutes durch allzu lange Verzögerung der Entscheidung gewehrt, und die Eigendynamik der Schlacht unter seinem Oberbefehl müsste eine Manipulation durch die Generäle verhindern oder wenigstens erschweren. Die Entscheidungsschlacht wird von Vitellius gewonnen, »wie beiderseits Generalen es mit einander abgeredet« (IV/620); wieder aber ist es eine Mischung geplanter und ungeplanter Faktoren, die zu dem Ergebnis führt. Geplant ist seitens der Verschwörer eine gleichzeitige Ausrufung des Drusus und Britannicus in beiden Heeren; diesen Plan muss aber Suetonius Paulinus durch den Boten Vedius Aquila dem Cecinna erst mitteilen. Bevor Aquila, nach Übermittlung dieser Nachricht, bei Suetonius Paulinus wieder eingetroffen ist, haben die Unverschworenen Licinius Proculus und Salvius Titianus »den Streit schon lassen anfangen« (IV/653), in dessen Verlauf Drusus als Orphidius Benignus zufällig durch einen Pfeil verwundet wird. Dies ist es, was der zurückkehrende Aquila Suetonius Paulinus mitteilen kann, der gleich darauf das Gerücht von der Niederhauung Drusens hört, und gerade noch dessen Leichnam retten kann (IV/ 618–620). Nun aber wenigstens Britannicus bei seinen und des Marius Celsus Legionen ausrufend, entzieht er der Partei Ottos diesen Heeresteil, also dass die überbleibenden Proculus und Titianus von den Vitellianern, und hauptsächlich von dem als Arsas wie ein Löwe mitfechtenden Tyridates, leicht in die Flucht geschlagen werden können (IV/653f). Am Tag nach der Schlacht nimmt sich Otto zunächst noch vor, mit seinem Kriegsvolk bei Mondesaufgang über den Padus nach Bebriac zu gehen; als er aber von Mevius Pudens hört, alle Generäle bis auf ihn, Licinius Proculus und Titianus hätten sich zu Vitellius geschlagen, können auch Rubrius Gallus und Pudens selber ihn zur Gegenwehr nicht mehr bereden. Er gibt sich selber verloren, und zeigt nur in dem Versuch, Nero zum Nachfolger zu machen, noch einige Initiative (IV/658–666). Noch sprechender als dieses – noch einmal – angesichts der gleichgesinnten Unterwanderung beider Kriegsparteien nachgerade absurde Geschehen – das seine Erklärung freilich in der Notwendigkeit findet, die Kulmination der verschworenen Bemühungen mit dem ›historischen‹ Geschehensverlauf widerspruchsfrei zu verbinden –; noch sprechender vielleicht ist der oben beschriebene Parcours, den die ›Erzählung‹ bei Befolgung der Leitfigurenregel mit der Figurengruppe um Tyridates durch das Kriegsgebiet nimmt. Selbst gegenüber den militärisch involvierten Verschworenen, die den Krieg durch Proklamation ihrer Kandidaten ja gewissermaßen aufheben, nicht ausfechten wollen, behält die dominant zivile, nämlich weibliche Reisegruppe eine gewisse Distanz. Die eigentlichen Gewaltakte – die Ermordung Julia Procillas im Landgut ihres Sohnes Julius Agricola durch Florus (IV/456–461), die Befreiung der nach Aquitanien reisenden Valeria (IV/104) von ihrem bewaffneten Geleit unter Nonius Actianus

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durch Tyridates und, simultan, Alphenus Varus (IV/462–468), die Befreiung von Abdon, Mermodas, Praxedis und Ormissa aus der von Vitellius belagerten Stadt Placenz (IV/469) und später die Befreiung aus der ottonianisch besetzten Stadt Mutina nicht Octavias, wie vermeint, sondern Ariaramnens, dem die Aktion aber das Leben kostet (IV/606–608) – haben andere Ursachen, liegen auf anderen Konfliktlinien als Krieg oder Verschwörung: der Auftragsmord an Julia Procilla etwa hat seine letzte Ursache in einem Streit mit Cartismanda bei einem Gastmahl Crispinas in Rom vor Aufbruch der Heere (IV/499): Procilla hatte gewagt, auf eine Affaire Cartismandas mit ihrem Sohn Julius Agricola anzuspielen, die sie, die Mutter, durch Abfangen des ins Schlaff-Gemach einladenden Briefes, durch die tadelnde, stellvertretende Wahrnehmung der Verabredung ihrerseits (IV/257) noch gerade hatte verhindern können. Nonius Actianus war auf seinem Weg nach Aquitanien vom Kriegsgeschehen in Ligurien lediglich aufgehalten worden. Von beiden Seiten droht der Reisegruppe Gefahr, die nur bei rechtzeitiger Identifizierung eines Verschworenen, und dann nur von der geeigneten Person neutralisiert werden kann (IV/461f) – Gefahr droht erst recht von den Teilen des Krieges, die für die diffizile Parteiendifferenzierung gar nicht empfänglich sind: »Auf Vorsorge des Pudens Rufus / hatte ihnen [der verschworene Vitellianer] Marius Maturus einige Reutherey zugegeben / welche sie sicher durch die Alpen bringen solte / und entkamen sie dadurch diesen wüthenden Soldaten / die nun gantz Ligurien durchstreiffeten.« (IV/461) Schon die Unzucht der Soldaten unter dem verschworenen Ottonianer Aemilius Pacensis (die, »an statt dem Feinde entgegen zu gehen / auf die herumliegende Land-Güther und Dörffer fielen / und alles verheereten und verstöhreten« – IV/452), hatte den eigentlichen Plan, sie dem Marius Maturus entgegenzuführen, »da sie dann mit gesamter Hand für den Britannicus loßbrechen wolten« (ebd.), zunichte gemacht und die Fluchtbewegung der Reisegruppe angestoßen, die, nach einer weiteren Flucht nun auch von dem Landgut Julius Agricolas, bei den ständig einlaufenden Nachrichten über den schwer, nämlich ja doppelt zu interpretierenden Kriegsverlauf wechselnden taktischen Erwägungen folgt (etwa IV/467f). Einmal im ›statischen Anwendungsgebiet Norditalien‹ angelangt folgt dann, wie unten beschrieben, die sukzessive Entfernung von den primär militärischen hin zu stärker zivil konnotierten Schauplätzen, und zwar gegenläufig zu der noch sich zuspitzenden Kriegsdynamik. An die Seite zu stellen ist diesem Befund sicherlich, was oben (Kap. 5.9) bereits, in Zusammenhang mit der Haupthandlungsreihe des Romans, zu der auffälligen Unfähigkeit Tyridatens gesagt wurde, seine Geliebte von ihren Entführern zu befreien und vergleichbares begegnete in den Höfen;327 die heldische Energie, die 327 Vgl. Wagener: Die Komposition der Romane Christian Friedrich Hunolds, S. 56f: »Bei

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Tyridates wie Gustavus aufbringen, läuft wegen Fehlinformationen ins Leere, die Befreiung erfolgt auf anderen Wegen, gar in der Octavia muss unumwunden (in Rom)328 oder höchst umständlich (im Donaudelta)329 die Ohnmacht des enragierten Liebenden ihm vorgeführt und von ihm eingestanden werden. Erfolgreich, wenn auch dies komplizierte, vielphasige, mit einer Unterwerfung dann doch unter den römischen Kaiser endende Unternehmen nicht eben zur Heldensaga taugt, war er noch bei der Eroberung Armeniens.330 Eine geradezu ironische Pointierung erhält der nicht eben geneigte Umgang mit der eigenen Hauptfigur, wenn dieser ihr Heldentum in der absurden Entscheidungsschlacht bei Bebriac vorzuführen gestattet wird – der Schlacht also, die, im Sinne der Verschwörer, gar nicht hätte geschlagen werden dürfen: Tyridates trägt, wohl noch an ein Vorhandensein Britannicens glaubend und gemäß der Absprache der Verschworenen, zum Sieg Vitelliens bei331 – sicher dann, als klar wird, dass die

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beiden [Befreiungs-]Unternehmungen existiert faktisch kein triftiger Grund: Die Entführung der Prinzessin ist von ihrem Vater nur vorgetäuscht, und der Herzog wird auch ohne die Intervention Gustavus’ befreit, zu der es nicht einmal kommt.« »[…] vergieng dem Tyridates hierüber schier alle Geduld / so daß er in der ersten Hitze den verzweiffelten Schluß faste / seine Octavia zu befreyen / und sich gleichsam der gantzen Römischen Macht zu wiedersetzen. Ja hätte Vasaces und nachher Norondabates / der eben dazu kam / ihm nicht zugeredet / würde er die Printzen und was er von Parthen und Daciern zusammen bringen können / gleich aufgesprochen haben / um den Kayserlichen Palast zu stürmen und seine Octavia zu befreyen. Endlich aber muste seine wüthende Liebe der wahren Vernunfft weichen / die ihm eines bessern bedeutete / daß nemlich dieses nicht der rechte Weg wäre / seiner Octavia zu dienen / die / wann sie schon dergestalt befreyet werden könte / sich jedoch deshalben noch gar nicht ausser Gefahr / noch etwas in ruhigerm Stande sehen würde.« (IV/790) Noch einmal die Hinderungsgründe: die beiden Stürme (V/789, 822f; 871); die höchst unzeitigen Parteiwechsel der Roxolaner (V/652–654); der Adiabener und Comagener (V/861– 866); des Phraortes (V/900–903); der Adiabener und des Viridius Geminus (V/1032–1035, V/ 1038f), der comagenischen Flotte unter Zeno (V/1050f), einer Mehrheit der Christen selber (V/1072f), der Roxolaner (V/1117–1120). Die späteren Erfolge, da Tyridates zusammen mit Dorpaneus Anses Fontejus Agrippa (VI/133), und mit Agbarus und Vasaces Anicetes am Borysthenes schlägt (VI/202f), sind inszenatorisch durch die maximal raffende Berichtsform so stark zurückgesetzt, kausal außerdem in so großer Abhängigkeit von der dacischen Umwälzung und dem eigentlich entscheidenden, militärischen Unternehmen des Vasaces, dass die vorherigen Niederlagen für den Leser kaum aufgewogen werden. I/103–170. Mazingue: Anton Ulrich, S. 741, spricht, mit Bezug noch auf weitere Ereignisse der Frühphase der Liebeshandlung, von den »›débuts galants‹ de Tyridates«, die nur umso deutlicher den Weg kennzeichneten, den er, Octavia zu erlangen, noch zu gehen habe. Vgl. auch, bezogen allerdings nur auf die erste Textschicht, ebd., S. 744: »Nous pouvons ajouter que de ce point de vue le personnage de Tyridates est moins intéressant et son rôle plus ingrat, car il tâtonne en aveugle dans un monde d’apparences trompeuses, il s’étonne, s’indigne, se fourvoie et finalement subit beaucoup plus qu’il n’impose.« »[…] die Vitellianer haben gewonnen / und der König von Armenien Wunder-Thaten verrichtet«, resümiert Julius Densus (IV/620); Vedius Aquila: »Sonsten ist der Sieg / welchen Cecinna und Valens erlanget / dem König von Armenien zuzuschreiben / der unter dem

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Verschwörungen scheitern, die schlechtere Wahl. Ja in der vorangegangenen Schlacht bei Castors Wald, die nur zustande kommt, weil kurz durch die Intrige Julius Frontos beide verschworenen Heerführer den je anderen für einen Anhänger Neros halten, gelingt es kaum, nach geglückter Aufhebung der gegenseitigen Täuschung und begonnener, abgesprochener Manipulation des Schlachtenglücks – Suetonius Paulinus gibt seinen Regimentern den unsinnigen Befehl, vor der Verfolgung der Vitellianer noch »den Wall der gemachten LägerSchantzen in die Gräben zu werffen« (IV/487) – Tyridates noch rechtzeitig zu stoppen: Alle hohe Krieges-Bediente / so des Svetonius Paulinus rechte Meynung nicht wusten / tadelten dieses / als ein grosses Versehen / massen die Vitellianer dadurch Zeit gewonnen / sich in die Weinberge zu begeben / da sie nicht leicht anzufallen waren / und weil der hitzige Tyridates / den erlangten Sieg auf das kräfftigste fortzusetzen / wie ein ergrimmeter Löwe den Feind verfolgte / und es in dem Gefechte so bald nicht möglich ware / daß Svetonius Paulinus ihme die Meynung können sagen lassen / wurden dadurch die Vitellianer bis in des Castors Hayn hinein gejaget / da sie von des Tyridates Faust wären aufgerieben worden / wo Pudens Rufus nicht / vom Svetonius Paulinus abgesandt / dazu gekommen wäre / und dem König die rechte Meynung bedeutet hätte. (IV/487)

5.11. Struktur des zeitlichen Mediums der Römischen Octavia und basale Reihenbildung anhand der Tagesgrenzen 5.11.1. Struktur des zeitlichen Mediums Auch die Eigenständigkeit des zeitlichen Mediums wird erst durch die mehrfache Besetzung ihrer Stellen anschaulich.332 Wenn für das räumliche Medium hierfür die zeitliche Sukzession, die Besetzung also mehrerer zeitlicher Stellen Bedingung war, müssen für die Mehrfachbesetzung einer temporalen Stelle mehrere Stellen im Raum beansprucht werden. Es ist also leicht zu sehen, dass ein stark differenziertes räumliches Medium die Differenzierung auch des temporalen Mediums begünstigt; was umgekehrt nicht unbedingt der Fall ist, da die Aufeinanderfolge von Ereignissen schon zu den Grundbedingungen des Erzählens gehört, einer besonderen Kenntlichmachung eines ereignisunabhängigen zeitlichen Mediums also nicht bedarf.

Nahmen des Arsas so tapffer mitgefochten / und den Licinius Proculus so in die Enge getrieben hat / daß wenig von dessen Leuthen davon gekommen.« (IV/654) 332 Werner: Erzählte Zeiten, S. 209, unterscheidet einwertige/mehrwertige Zeit unter dem Stichwort der »Dimensionalität«.

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Die andere Möglichkeit zu solcher Kenntlichmachung besteht in der Integration einer abstrakten zeitlichen Skalierung in die histoire, in Form von Jahreszahlen, Daten, Uhrzeiten, Stunden- oder Minutenangaben. Nicht abstrakt, und in vielen Fällen eher zur Charakterisierung der jeweiligen Handlungen geeignet, sind die an den natürlichen Abläufen des Tages und Jahres orientierten Angaben.333 Für alle Romane außer die Octavia gilt, dass zur Kenntlichmachung der Eigenständigkeit des zeitlichen Mediums wenig bis gar nichts unternommen wird. Die Mittel der Wahl zur gelegentlichen Synchronisierung parallellaufender Handlungen sind Begegnungen der Figuren334 oder durch den Erzähler in einer Gleichzeitigkeit suggerierenden Metalepse markierte Schauplatzwechsel.335 Die Gleichzeitigkeit wird also in dem Moment als Tatsache sofort wirksam, ohne dass die Möglichkeiten, von ihr aus auf weitere, berechenbare, als Tatsache aber unwirksam gebliebene Gleichzeitigkeiten in der Vergangenheit zu schließen. Die Vorstellung von den zeitlichen Verhältnissen der histoire müssen sich auf ein allgemeines Verständnis davon stützen, wieviel Zeit die jeweiligen Handlungen etwa benötigen; im Zweifel ist die exakte Dauer, wie sie auf einer abstrakten Skala einzutragen wäre, ohne Belang; entscheidend ist allein die Sukzession. Die entstehenden Unsicherheiten sind dabei höchst ungleich verteilt: je größer die zu schätzende Dauer wahrscheinlich ist, desto größer wird die Unsicherheit. Im Bereich der szenisch gebundenen Handlung, der Gespräche etc., fällt sie kaum ins Gewicht; und die Tagesfolgen, indem sie auch auf die ereignislos verlaufende Zeit schließen lassen, sorgen gar für einige Präzision. Bei der Verrechnung dieser beiden Ebenen kann es zu Schwierigkeiten kommen, wenn etwa bei jahreszeitlichen Angaben ein motivischer Opportunismus entscheidend wird. In der Welt passen ohne Zweifel die sommerliche Hitze und das Hitzegewitter zu dem Ausflug ins Freudenthal (VW I/4–12), das winterliche Wetter zu Heraldos Fahrt nach Amosina,336 und beide Situationen bilden 333 Bei Werner: Erzählte Zeiten, S. 208, findet sich die Unterscheidung unter dem Stichwort »Qualität« vertreten durch das Begriffspaar konkret/abstrakt. Die nachvollziehbaren Tagesfolgen aller Romane des Korpus sind im Anhang gelistet. 334 Vgl. etwa VW I/41–47, 68–70, 112–116, 127. 335 Vgl. etwa AP 11f, 22f, 59, 60, 6 oder LA 102, 113, 119, 176, 228, 351. Mazingue sieht in diesem Vorgehen, in Abgrenzung zu den Verfahren des Erzählers der Octavia, die »attitude naïve des romanciers anciens« und gibt einige Beispiele aus dem Herkules Bucholtz’ (Mazingue: Anton Ulrich, S. 843). Vgl. auch Heselhaus: Anton Ulrichs Aramena. Studien zur dichterischen Struktur des deutschbarocken »Geschichtgedicht«. Würzburg-Aumühle 1939, S. 17, der von einer saloppen Fügung solcher Wendungen bei La Calprenède spricht, »sehr im Gegensatz zu Anton Ulrichs sparsamem Zurücktreten hinter das Werk«. Eine umfassende Analyse des Verfahrens liefert, wie oben bemerkt, Bernd Häsner: Metalepsen: Zur Genese, Systematik und Funktion transgressiver Erzählweisen. Diss. Berlin 2005. 336 Ausdrücklich: »Der Schnee / welcher sich theils von dem Himmel / theils von den Bäimen / unter welchen sie in einem Walde hinführen / auf sie abschüttelte / bildete da recht den oben

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als Beginn der beiden Teilbände einen komplementären Kontrast; heißer Sommer ist es auch, wenn Ariana sich im Fluss badet (VW II/38), von hier aus bis zu Seladons Begegnung mit Heraldo müsste es aber, gemäß seiner Erzählung, weit weniger als ein halbes Jahr sein. Eine ähnliche Unstimmigkeit ergibt sich später mit Blick auf das von Heraldo abgewartete Trauerjahr Charlottens: das Jahr muss sein; aber nun Seladon-Amalia entsprechend zu strecken – kaum zwei Monate kommen zusammen337 – besteht keine Veranlassung. Im Schelmuffsky ist, wie das räumliche, auch das zeitliche Medium von der Verdoppelung der histoire betroffen. Wahrscheinlich sind ja, als Dauer von Schelmuffskys erstem Ausflug, die von dem Vetter angegebenen 14 Tage (SM 87). Für diesen kommt man aber, folgend Schelmuffskys Angaben, auf eine Dauer von 10 bis 11 Jahren,338 hingegen für die zweite Reise, nach einem Aufenthalt in Schelmerode von einem halben Jahr, auf eine Dauer von vielleicht zwei Monaten. Der Protagonist müsste am Ende der zweiten Reise also schon 35 Jahre alt sein (SM 12). Freilich passt die willkürlich anmutende, erzählerische Verlängerung der Aufenthalte um mehrere Jahre zu seinem prahlerischen Gestus;339 sie führt aber, etwas überzeichnet, nur vor, was auch in den anderen Romanen gilt – man blicke nur auf das Trauerjahr Bellandras im Student (VS 204) und die Studienzeit Adelphicos (AP 133–139).340 Eindeutig wird die Inkonsistenz des zeitlichen Mediums schließlich, wenn man die indirekten, durch Referenzen auf Reales gegebenen Datierungsmöglichkeiten und die beiden Datierungen der Briefe Schelmuffskys zusammennimmt.341 Die regelmäßig synchronisierte, parallele Führung mehrerer Liebeshandlungen etwa in der Welt, aber auch ihre Aufeinanderfolge zeichnet aus, dass den je anfallenden Handlungen ähnliche Dauern unterstellt werden können; das ändert sich, wenn Handlungen unterschiedlichen Typs miteinander kombiniert werden. Im Korpus ist hierfür das extreme Beispiel der Statist, in dem unvermittelt die zeitlichen Horizonte der Biographie, einer ›außenpolitischen‹ Handlung, der Lebensspanne der Fürsten und bestimmter, unterschiedlicher Verfahren im politischen Bereich aufeinanderfolgen. Gerade hier wäre eine gegenseitige Durchdringung und Irritation der unterschiedlichen Zeit-Regime interessant

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mit Flocken bedeckten / und doch in seinem Schoosse brennenden Hecla [sic!] ab; und Heraldo fühlte in seiner Brust mehr als einen allzuhefftigen Sommer / da die stärckste Kälte äusserlich auf ihn fiel.« (VW II/4) Vgl. in der entsprechenden Tabelle im Anhang die Elemente VW TF/HF10–12. Vgl. SM HF1–9. Vgl. auch sein Vorwort (SM 5). Mazingue sieht in den Zeitangaben Schelmuffskys eine Persiflage der Verfahren etwa von Bucholtz: »C’est évidemment de cet étalonnage faintaisiste, plaqué sur le désordre des aventures, que se moque Christian Reuter à plusieurs reprises dans son Schelmuffsky.« Mazingue: Anton Ulrich, S. 832, Anm. 1. Vgl. Werner: Erzählte Zeiten, S. 66–72.

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gewesen, die im Fall der Höfe und der Adalie immerhin angedeutet wird: in dieser dadurch, dass der Krieg der Alliierten mit Frankreich relativ früh beendet wird (LA 103), in jenen durch das saisonal gebundene Kriegsgeschehen, das eine gewisse Orientierung auf Jahresebene erlaubt. Zu konstatieren ist auch ein genereller Verzicht auf die temporale Koordination analeptischer Erzählstränge seis mit anderen solchen, seis mit der zurückliegenden Gegenwartsgeschichte. Ausgenommen ist hiervon allein gelegentlich der Einsatz- und Endpunkt. In der Römischen Octavia nun liegen die Dinge etwas anders, und zwar auf grundsätzlich unterschiedliche Weise im Hinblick einmal auf die Gegenwartsgeschichte und auf die Analepsen.342 Die größte Transparenz erreicht das temporale Medium in der Gegenwartsgeschichte auf der Ebene der Tage. Der Erzähler arbeitet mit einer Kombination von Angabentypen, deren Gewichtung sich im Laufe des Romans verschiebt: Eindeutig

Relativ – Markierungen von Tageswechseln. Bsp.: »Am folgenden Tage« (I/516). – Abstandsangaben in Tagen. Bsp.: »am dritten Tage« (III/107).

Absolut – Datierungen. Bsp.: »am zwey und zwantzigsten des Mertzens« (I/940). – Datierbare Ereignisse. Bsp.: »auf der Göttin Anna Perenna Fest« (I/944). – Angabe von Wochentagen. Bsp.: »Wie nun der Sonntag erschienen« (II/399).

342 Diesen Unterschied konstatiert Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 251, schon für die Aramena: »Die Handlung der anderthalb Jahre wird fast ausnahmslos von Tag zu Tag erzählt. […] Die Vorgeschichten nun tragen einen andern Erzählrhythmus in das Ganze hinein. Sie werden nicht von Tag zu Tag gegeben, sondern im großen Zug der spannenden Novelle, der nur die entscheidenden Vorgänge voll erscheinen läßt. Sie bedeuten für den Gesamtaufbau nicht nur Retardierungen, sondern sie bewegen sich überdies mit ihrer Erzählzeit vor der gleichsam den Atem anhaltenden Gegenwart vorbei und geben eine höchst kunstvolle Kontrapunktik des Tempos, um so mehr, als sie sämtlich in die Kombination der Gegenwart einmünden.« – Ebenfalls auf die Aramena bezogen unterscheidet Heselhaus: Anton Ulrichs Aramena, S. 8f, drei Zeitschichten, in dem von den Analepsen behandelten Zeitraum noch die Vorgeschichte absondernd, die vor der Geburt der erzählenden Helden liegt und »in der die besondere Situation der Zeit des Romangeschehens geschaffen wurde.« Es ist aber schwer zu sehen, wie diese jeweils in die, und nicht alle Analepsen einzutragende Unterscheidung angesichts der dramatischen Unterschiede von Gegenwartsgeschichte und Analepsen, die Müller benennt, mit diesen gleichberechtigt geführt werden sollte. Jedenfalls bieten die Angaben im Anhang genügend Anhaltspunkte, eine solche Dreiteilung, wenn gewünscht, vorzunehmen.

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(Fortsetzung) Relativ Absolut – Angaben zur Jahreszeit. Uneindeutig – Undefinierte AbBsp.: »Ob es gleich weit in das Jahr schon standsangaben. hinein lieffe / und anderer Orthen sich allBsp.: »einige Tage« mählig die rauhe Winter-Zeit einfande« (I/944). (VI/785). – Undefinierte Tageseinsätze. Bsp.: »eines Tages« (I/195).

Die Implementierung dieser Möglichkeiten zur temporalen Bestimmung kann am besten in einem Zwei-Schichten-Modell veranschaulicht werden. Die erste Schicht nutzt die eindeutige Markierung von Tageswechseln und macht zwischen den so entstehenden Tagesfolgen undefinierte Abstandsangaben, oder beginnt die neue Tagesfolge mit einem undefinierten Tageseinsatz.343 Nur sehr selten – insgesamt 17 Mal344 – erfolgt eine eindeutige Abstandsangabe auf rein relativer Basis, ohne Bezug also auf Datierungen oder datierbare Ereignisse. Die Unbestimmtheit der Abstände wird aber auch sonst insofern eingeschränkt, als, dank der Informationen aus der zweiten Schicht, von einem durchschnittlichen Abstand von nur wenigen Tagen zwischen den Tagesfolgen verlässlich ausgegangen werden kann. Dass der Tag die Basis-Einheit des temporalen Mediums ist, macht häufige, der Unterteilung und Orientierung dienende Tageszeiten-Angaben wahrscheinlich, die aber selbst kein kalkulatorisches Potenzial entfalten.345 Die zweite Schicht besteht aus den absoluten und eindeutigen Angaben, die eine Datierung der Tagesfolgen ermöglichen. Die direkten Datierungen erfolgen äußerst sparsam und nur bis zum Beginn des vierten Bandes;346 vollständig vom 343 In der Terminologie Werners handelt es sich, aufgrund der Gleichmäßigkeit des Nacheinanders der Tage, um eine »lineare« Struktur – vgl. Werner: Erzählte Zeiten, S. 208; Werner rekapituliert in einem eigenen Abschnitt die Ergebnisse der Arbeiten Wippermanns (dies.: Herzog Anton Ulrich von Braunschweig. »Octavia. Römische Geschichte.« (Zeitumfang und Zeitrhythmus). Diss. Masch. Bonn 1948) und Krafts (ebd.: S. 335–338). 344 Vgl. I/34, 543, II/294, 944, III/107, 192, 193, IV/427, 461, 850, V/11, VI/160, 450, 459, 460, 472, 598. Nicht mitaufgenommen wurden eindeutige Abstandsangaben, die sich nicht auf den Abstand der Tagesfolgen beziehen lassen, sondern den Abstand zu einem bestimmten Ereignis der histoire markieren, etwa: II/273, 618, 750, 896, III/117, 129, 249. 345 Vgl., mit relativ vielen Angaben, Tag I, 19: »Bis gegen die Morgen-Zeit« (I/318); »verbrachte den meisten Tag mit schlaffen« (I/320); »Gegen den Abend« (I/320); »Weil es später Abend zu werden begunte« (I/328); »Mitternacht« (I/335); »die späthe Nacht« (I/336). 346 I/686, 810, 940, 949, II/382, III/107, 363, 384f, 704. Im dritten Band bereits finden sich Datierungen nur an Monatsanfängen und in Übereinstimmung mit Festtagen. Einer Datierung gleich kommen die durch die Übergabe des Bürgermeisteramts markierten Monatsanfänge: II/612, III/1000, IV/6f.

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politischen oder Festkalender unabhängig zur Bezeichnung eines bestimmten Tages werden sie nur zweimal im ersten Band gebraucht. Viel häufiger sind also Angaben zu Ereignissen – in der Regel zu Festen –, die unter Zuhilfenahme allgemeiner historischer und kulturhistorischer Kenntnisse Datierungen ermöglichen; bei folgender Verteilung auf die Bände: I / 16; II / 17; III / 16; IV / 10; V / 6; VI / 3.347 Die Angaben von Wochentagen betreffen immer nur den Sonntag und konzentrieren sich auf den zweiten Band;348 sie sind kalendarisch nur insofern bedeutsam, als sie als eindeutige Abstandsangaben gebraucht werden können. Fehlt eine Datierung in der näheren Umgebung und bleibt die Angabe ohne Fortsetzung etwa durch einen nächsten Sonntag, ist ihr Informationswert rein circumstantiell. Dies gilt auch für die morgenländischen Sonnenfeste. Die Bindung der Datierungsmöglichkeit an den Vollzug des römischen Festekanons durch das Romanpersonal lässt sich in eine Bindung an soziale und räumliche Kategorien übersetzen. Die kalendarische Intransparenz, heißt das, wächst in dem Maße, in dem Angehörige anderer Kulturkreise für die Handlung maßgeblich werden; in dem sich die Erzählung vom politischen Machtzentrum Rom wegbewegt. Die zeitliche Ordnung im Sinne einer kalendarischen Ordnung ist nicht ubiquitär, sondern zentralistisch, und diese Lagerung wird von dem prinzipiell ja allgegenwärtigen Erzähler mitvollzogen; indem er nämlich selber nur kalendarisch irrelevante Angaben macht (erste Schicht), die kalendarisch relevanten Informationen aber durch das handelnde Personal bereitstellen lässt (zweite Schicht).349 347 Folgend nur die zur Datierung von Tagesfolgen nutzbaren Stellen: I/20, 416, 515, 516, 521, 541, 596, 604, 606f, 703, 911, 922, 939, 944, 957, 958, II/250, 267, 286, 300, 374, 391, 409, 413, 414, 440, 537f, 552, 650, 877, 896, 945, 951, III/117, 354, 384f, 393, 402, 595, 601, 667, 676, 690, 692, 696, 740, 990, 1000, 1027, IV/8, 87, 119, 132, 600, 667, 800, 803, 823, 956, V/80, 130, 140, 753, 805, 888, VI/267, 324, 802. 348 Im zweiten Band kann so die Wochenfolge beginnend am Sonntag dem 10. August bis zum 7. September nachvollzogen werden (II/399, 618, 624, 750). Weitere Sonntage sind angegeben auf III/573, 595, IV/611. 349 Dies also gegen die Auffassung Mazingues einer bloßen Aufgabe des kalendarischen Systems ab dem vierten Band (Mazingue: Anton Ulrich, S. 835); und gegen verallgemeinernde Aussagen etwa bei Wippermann: Zeitumfang und Zeitrhythmus, S. 15f: »Die Handlungsfolge des ganzen, umfangreichen Werkes ist einer strengen zeitlichen Ordnung unterworfen und schreitet terminmässig-kalendarisch voran, was sich sowohl in den Vorgeschichten, als auch in der Haupthandlung zeigt, nur natürlich in einer anderen Zusammendrängung.« Schwieriger zurückzuweisen ist eine andere Äußerung Mazingues, der in der Handlungsverlagerung an das Schwarze Meer ein Zeichen der Abstandnahme von der bisher beobachteten Norm der »double contrainte de l’histoire et du temps qui définissait la cohérence, le style de l’oeuvre« sieht. (Mazingue: Réflexions sur la création romanesque chez Anton Ulrich. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta‹. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 47–54, hier: S. 53) Der Autor sucht, könnte man fortführen, einen Schauplatz auf, der ihm diese Abstandnahme plausibel erlaubt. – Die treffendste Formel findet, mit

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Die abnehmende Verbindlichkeit des römischen Festkalenders ist dabei schon während des norditalienischen Aufenthalts im vierten Band spürbar, wo ja prinzipiell die stadt-römischen Institutionen an den Kriegsschauplatz noch mitziehen. Am deutlichsten wird die Raum-Abhängigkeit der zeitlichen Ordnung aber im fünften Band, wenn die Saturnalien auf Boreostomum zwar gefeiert werden, aber verschoben um einige Tage (V/753); und wenn ausnahmsweise noch die Datierung von Tag VI, 38 auf den 1. April ermöglicht wird, dann durch die Angabe des Fests der Venus Verticordia, »so selbigen Tag zu Rom gehalten wurde« (VI/324).350 Mag der Autor sich in der Vorbereitung mindestens der ersten Textschicht eine vollständige kalendarische Transparenz verschafft haben, entscheidend für die Folgerichtigkeit der Strukturierung des zeitlichen Mediums über den römischen Aufenthalt hinaus ist, dass die dem Leser gegebenen Informationen auch in den ersten drei Bänden zu einer vollständigen und lückenlosen kalendarischen Rekonstruktion der Chronologie nicht ausreichen.351 Selbst in Rom, heißt das, Bezug zwar auf Verhaltensmuster, Maria Munding: Christentum als absolute Religion und religiöse Toleranz in der späten ›Octavia‹ und im Leben Anton Ulrichs zu jener Zeit. In: JeanMarie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta‹. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 105–133, hier: S. 125, Anm. 23: »Fest steht jedenfalls, daß sich neben ein älteres Verhaltensmuster im Lauf der Geschichte ein neueres schiebt. Dergleichen geschieht oft in der ›Octavia‹, was angesichts einer Entstehungszeit von vierzig Jahren nicht überrascht. Charakteristisch für Anton Ulrich ist, daß sich dabei eine besondere Weite des Horizonts ergibt, weil das Alte dann nicht mehr und doch noch gilt, das Neue schon und doch noch nicht ohne Konkurrenz.« 350 Vgl. Wippermann: Zeitumfang und Zeitrhythmus, S. 17. 351 Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 834: »Du Boulay, qui est la source principale d’Anton Ulrich, donne généralement une correspondance entre ces fêtes et les dates du calendrier civil, de sorte qu’en appliquant cette grille au récit, on peut fixer les repères et mesurer les intervalles. Il subsiste toutefois des intervalles irréductibles: pour ceux-là, seuls le Diarium et les marges du brouillon définitif fournissent la clef que le lecteur ne peut par lui-même découvrir. Il apparaît donc que la chronologie continue est bien un élément constitutif du roman, de sa conception même, mais qu’elle n’a pas nécessairement et dans tous les cas à être explicitée pour le lecteur.« Ungenau in einer summierenden Passage hingegen Kraft: Verloren im Netzwerk. Überlegungen zur Unlesbarkeit der »Römischen Octavia« Herzog Anton Ulrichs. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 128/2 (2009), S. 163–178, hier: S. 168: »Diese Linearität und weitgehende Durchgängigkeit der Handlung ist so weit ausgeprägt, dass, obwohl im Roman nur wenige konkrete kalendarische Daten genannt werden, praktisch jeder Tag, von dem berichtet wird, historisch exakt terminierbar ist.« Vgl. auch Wippermann: Zeitumfang und Zeitrhythmus, S. 149. Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 14f, schließt ihre Darstellung verführerisch schlüssig ab: »Die Zeit, als ein alles integrierender Strom, der das Einzelne trägt und verbindet und damit die Ganzheit eines vorwärtsstrebenden Handlungsverlaufes gewährleistet, erscheint bei A. U. in merkwürdiger Weise verwandelt in ein System von extrem ausdifferenzierten Zeit-Teilen, die in sich isoliert stehen und nicht zu einem Kontinuum zusammenfliessen. Um überhaupt so etwas wie eine Handlung zu schaffen, reiht A. O. [sic!] sie nacheinander auf, wobei die Zeit als blosses Gerüst fungiert.

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kann der Leser sich alle zeitlichen Verhältnisse auf der Tagesebene nicht kalkulierend erschließen, kann die Kalkulation vergangener Gleichzeitigkeiten oder vorausliegender Ereignisse, die als Möglichkeit ja dem temporalen Medium eingeschrieben bleibt, umso effektvoller gelegenheitsgebunden und durch die Figuren selbst erfolgen.352 Der bisher noch unerwähnt gebliebene Angabentyp der uneindeutigen, absoluten Angaben zu den Jahreszeiten erfährt eine funktionale Umwertung, wenn über Datierungsmöglichkeiten die Jahreszeit nicht mehr ohnehin bekannt ist,353 sondern mehr oder weniger präzise und mühsam durch die Addition der verstrichenen Tage und eine Schätzung der Intervalle zwischen den Tagesfolgen zu schätzen wäre – also in den letzten beiden Bänden.354 Die zweite Angabenschicht hat eine integrative Funktion in zweifacher Hinsicht: sie ermöglicht eine präzise zeitliche Koordination vieler Handlungsstränge, obwohl die ›Erzählung‹ zum je gegebenen Zeitpunkt an den Aufenthalt ihrer jeweiligen Leitfigur gebunden, für die gleichzeitig, aber woanders geschehenden Dinge also auf spätere Berichte angewiesen ist.355 Und sie liefert eine gleichermaßen verbindliche Ordnung für Fiktion und Historie, diese so integrierend.356 Die erste Angabenschicht hingegen birgt ein enormes kompositorisches Potenzial. Die Häufigkeit der Tageswechsel und Tagesfolgen und ihre Addierbarkeit zu größeren zeitlichen Zusammenhängen führt, wenn nur einigermaßen regelmäßig proportioniert, unweigerlich zu einer Erwartungsbildung, vor deren Hintergrund Abweichungen platziert, auf die aufbauend Steigerungen oder

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Gleichwohl bleiben die Teile voneinander ablösbar und auswechselbar (wie die oben erwähnte Tatsache, dass in den Berichten die Reihenfolge der berichteten Geschehnisse vertauscht werden kann, zeigt). Alle irgend erwähnenswerten Geschehnisse werden von dem Zeitgerüst restlos erfasst und eindeutig fixiert.« Übersehen wird auch hier also die in das zeitliche Medium zurückgetragene Unsicherheit, das Zurückweichen vor der völligen Transparenz, die die Vorbereitung durchaus hergegeben hätte. Interessant ist der Bezug auf die Zeit in ihrer integrativen Funktion. So Agaricus in seinem Bericht: »Es muste ja selbiger Tag gleich unglücklich für beide Teutsche Könige seyn / indem / wie ich nun nachrechnen kann / eben damahls sich auch der klägliche Todes-Fall mit meinem König zugetragen« (I/678) – welche Bemerkung Mazingue als den Geist des Romans illustrierend hervorhebt (Mazingue: Anton Ulrich, S. 838, Anm. 5). Vgl. ferner, mit umfangreichen Beispielen für den ersten Band, Mazingue: Anton Ulrich, S. 836–842; und Wippermann: Zeitumfang und Zeitrhythmus,S. 17f. Für ähnliche Verfahren im dritten Band vgl. die Darstellung der außerrömischen Bewegungen im Anhang und ihre Informationsquellen. Vgl. etwa I/851, II/399, 797. Vgl. VI/276, 454, 471, 785, 804. Vgl., noch einmal, Mazingue: Anton Ulrich, S. 837–84; vgl. auch, in gewohnter Anschaulichkeit, Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 12–14; und Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 65f. Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 788–791. »Il s’agit ici, par l’évocation des cérémonies religieuses, de fixer des repères qui imposent au possible et au réel un même ordre.« (Ebd., S. 790f).

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Abnahmen großflächig dargestellt werden können. Oben untersucht wurden in diesem Sinne die Profile der Proportionen der Tageselemente in den einzelnen Bänden und die Veränderungen dieser Profile durch die sechs Bände hindurch; und die Entwicklung der in den sechs Bänden abgedeckten Zeiträume. Die zur Beschreibung der Struktur des zeitlichen Mediums der histoire bis zum 22. März 68 benötigten Daten sind im Anhang aufgeführt. Auch hier lassen sich Angabentypen unterscheiden: Eindeutig

Relativ Absolut – Abstandsangaben in Tagen, Mo- – Datierungen. Bsp.: »im nächst-vergangenen naten oder Jahren, mit folgenden Referenzgrößen: Wein-Monath / den wir October – Regierungsantritt eines röm. nennen« (I/378). – Datierbare Ereignisse. Kaisers. – Feste. Bsp.: »am zwey und zwantBsp.: »da die Triumph-Spiele zigsten Tage nach des Claudigehalten wurden / die der us Erhöhung zum KaysertSylla / welcher neben dem hum« (I/219). Marius in Rom sich sonders – Geburt einer Figur. bekannt und verdient geBsp.: »Sie mochte damahls macht / noch vor Kaysere etwann bey acht jahren geweZeiten angestellet« (I/378). sen seyn« (I/261). – Handlungsfolge. Bsp.: »Also bliebe die kleine Claudia / zwey Tage und eine Nacht / vor dem Thore des Palastes ihrer Mutter nackend liegen« (I/256f). – Gleichzeitigkeit zweier Handlungen. Bsp.: Rückkehr Caledonias, Hinrichtung Britannicens (I/748f).

Uneindeutig – Altersangaben. Bsp.: »kaum etliche dreißig Jahre« (I/711); »wie er alt würde« (I/ 744). – Abstandsangaben. Bsp.: »fast ein Jahr lang« (I/847); »Unter solcher Zeit verstrichen etliche Jahre« (I/753); »vor einiger Zeit« (I/753).

Mazingue sieht in den Binnenerzählungen grundsätzlich dasselbe Prinzip am Werk wie in der Gegenwartsgeschichte; obgleich die Tagesfolge in den synthetischen Berichten keine Rolle spiele, behalte die Chronologie ihre integrative Funktion:

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Ainsi on trouve, dans les brouillons préparatoires à la rédaction de certains récits intercalaires, une chronologie à grande échelle, par années: par exemple les événements principiaux de l’Histoire de Bunduica couvrent la treizième et la quatorzième année du règne de Claude et les quatorze années du règne de Néron. On pourrait multiplier les exemples de cette sorte.357

Chronologische Transparenz ist also allenfalls auf der Jahresebene zu erwarten. Angesichts der insgesamt sehr zahlreichen Koordinationen unterschiedlicher Handlungsfolgen wäre es in der Tat unwahrscheinlich, wenn eine Übersicht auf dieser Ebene für die Vorbereitung und zur Vermeidung chronologischer Fehler nicht erstellt worden wäre. Wie in der Gegenwartsgeschichte ist aber zwischen der in der Vorbereitung erarbeiteten temporalen Struktur und der Struktur, wie sie sich anhand der im Roman gegebenen Informationen tatsächlich rekonstruieren lässt, sauber zu unterscheiden.358 In der Gegenwartsgeschichte bauten die eine Datierung ermöglichenden Angaben der oben sogenannten zweiten Schicht auf der hierfür bereits präparierten ersten Schicht der Tagesfolgen auf; präpariert nämlich insofern, als eine Datierungsmöglichkeit sich gleich auf die gesamte betroffene Tagesfolge übertragen ließ. Diese Grundlage fehlt in den Analepsen, in denen keine temporale Einheit durchgängig markiert wird, in denen relative und uneindeutige Zeitangaben die Regel sind.359 Dadurch bleiben beinahe alle eindeutigen Angaben in ihrem Informationswert auf die Gelegenheit beschränkt, anlässlich derer sie erfolgen; und werden zwei Handlungsfolgen punktuell koordiniert, ergibt sich für sie keine retrospektive und fortlaufende zeitliche Verrechenbarkeit. Des weiteren ist zu bedenken, dass in der Gegenwartsgeschichte die größte kalendarische Transparenz während des stadt-römischen Aufenthaltes der ›Er357 Mazingue: Anton Ulrich, S. 791. Zu weit in das andere Extrem tendiert Wippermann, wenn sie den Ereignissen der Vorgeschichten eine eigenständige temporale Struktur von vornherein abspricht, sie ganz auf ihre Funktion, die Gegenwartshandlung zu informieren, begrenzt (vgl. Wippermann: Zeitumfang und Zeitrhythmus,S. 18). Ausgewogener ist die Darstellung bei Haslinger: Epische Formen im höfischen Barockroman, S. 85–87: »In bezug auf Erzählzeit und Erzählraum sind die Lebensgeschichten […] wesentlich großzügiger gestaltet, obwohl ihnen grundsätzlich auch eine wohl geraffte Chronologie als Aufbauschema dient.« 358 Wippermann verweist ausdrücklich auf das beeindruckende Fehlen der in den Konzepten noch eingetragenen Datierungen im Roman; das könne zwei Gründe haben: »entweder konnte der Dichter für sein Publikum die entsprechende Kenntnis voraussetzen und ihm eine gewisse Freude mit dem Nachprüfen der durch poetische Verknüpfungen verschleierten Jahreszahlen machen (Nero heiratet, als er sechzehn Jahre alt ist; 37 geboren, 53 Heirat mit Octavia. Er stirbt, als er im 31. Lebensjahr steht und über 14 Jahre in Rom herrscht: 68 n. Chr.), oder aber er wollte einer exakten Darstellung ausweichen, um Spielraum zu haben für die eigenwillige Fortführung der einmal gewählten Zeitkulisse.« Worin besteht nun diese Fortführung? 359 Mit Werner: Erzählte Zeiten, S. 209, ließe sich daher die »unkohärente« Zeit der Analepsen der hohen »Kohärenz« der Zeit der Gegenwartsgeschichte gegenüberstellen.

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zählung‹ gewonnen wurde: als tatsächlich eine Vielzahl von Akteuren eigenständig in einem selben politischen Feld agierten, einerseits also unwahrscheinlich war, dass, wenn die ›Erzählung‹ einen davon verfolgte, sie alle relevanten Informationen des betreffenden Zeitabschnittes erhielt, und andererseits wahrscheinlich, dass die gleichzeitig erfolgenden Handlungen füreinander relevant würden. Die genaue chronologische Rekonstruktion aller Ereignisse in einer selben kalendarischen Struktur versprach, neben einer größeren Übersicht, die Aufdeckung kausaler Latenzen; die auch ermöglichten, aber nicht realisierten Ereignisse dienten der ästhetischen Qualifizierung der Entscheidungen des Autors. Alle Informationen zur histoire vor dem 22. März 68 werden nicht direkt durch den Erzähler, sondern durch Romanfiguren vermittelt, die an die dem Erzähler auferlegten Beschränkungen, das Analepsenverbot und die Leitfigurenregel, nicht gebunden sind. Damit entfällt die für die stadt-römische Handlung der Gegenwartsgeschichte beinahe zwangsläufige Verdeckung relevanter Ereignisse durch die Bindung der Erzählung an eine Figur: es können jetzt alle füreinander relevanten, gleichzeitig an verschiedenen Orten stattfindenden Ereignisse in einem Zuge referiert werden; und damit entfällt die Notwendigkeit einer präzisen Adressierung der Vergangenheit in den die unterschlagenen Ereignisse dann doch nachtragenden, eigens aus dem Handlungsverlauf zu motivierenden Berichten. Schon, dass chronologische Transparenz nun auf der Jahresebene herzustellen sei, bedeutet ja, dass über sie kausale Latenzen allenfalls großflächig und ungenau zu rekonstruieren wären; die überhaupt nur zwischen den Handlungsfolgen wahrscheinlich werden, die ein selbes Handlungsfeld bespielen: so wie der lokale, stadt-römische Zusammenhang Interferenzen in der Gegenwartsgeschichte der ersten drei Bände wahrscheinlich machte, machen die enormen Distanzen des beinahe ja weltumspannenden Handlungsraumes der Vorgeschichten sie unwahrscheinlich. Angesichts dieses Mangels aller derjenigen Faktoren, die für die Gegenwartsgeschichte die Rekonstruktion einer integrativen Chronologie motivierten, erscheinen in den Vorgeschichten die Angaben, die ein ubiquitäres, allgemeingültiges zeitliches Medium doch aktualisieren, umso bemerkenswerter. In der Forschung ist noch kein Versuch unternommen worden, die gesamte Vorgeschichten-histoire auf eine Jahresfolge zu projizieren. Tatsächlich sind, um hierbei zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, die Markierungen von Jahresabständen zu selten, die Redundanzen zu wenige. Mag der Leser, gestützt auf sein historisches Wissen, auf die Jahreszählung der christlichen Zeitrechnung zurückgreifen, im Roman kommen für direkte Jahresangaben als Bezugsrahmen nur die Regierungsperioden der römischen Kaiser in Frage. Davon gibt es gerade

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einmal sechs;360 kein einziges Mal wird die volle Länge einer Regierungsperiode in Jahren dem Leser ins Gedächtnis gerufen. Die zweithäufigsten präzisen Angaben auf der Jahresebene sind 36 Altersangaben,361 die also nur etwas nützen, wenn sie kombiniert, und so zu präzisen Abstandsangaben umfunktioniert werden können; oder in Kombination mit den – häufigsten – 48 präzisen Abstandsangaben:362 dass Lucius Volusius Saturninus der Ältere 93 Jahre alt wird (III/791), kann nicht weiter verrechnet werden; weiß man das Alter mehrerer Figuren zu einem Zeitpunkt, ermöglicht jede weitere Altersangabe aus diesem Personenkreis auch die Errechnung der anderen Alter.363 Einzelne Pfade chronologischer Sicherheit lassen sich durchaus weit verfolgen, die kritische Masse an Redundanzen aber, die zur Schaffung eines allgemeinen, bezifferten Bezugsrahmens nötig wäre, wird, wie gesagt, nicht erreicht. Bleibt es also bei der bloßen Bezeichnung der für den Leser theoretischen, für die Romanfiguren durchaus aktualisierbaren Möglichkeit zur relativen numerischen Skalierung des temporalen Mediums auf der Jahresebene, schaffen die über 200 zeitlichen Koordinationen unterschiedlicher Handlungsfolgen ein temporales Bezugssystem, das für den Leser praktischen Wert, und in seiner Ausformung selber Aussagekraft gewinnt.364 360 I/219, 747, II/317, 758, 912, V/509. Die erste bezeichnet lediglich einen Tagesabstand. 361 I/256, 261(x2), 330f, 339(x2), 349, 457, 465, 551, 567, 630, 711, II/48, 49, 54, 78, 211, 317, 456, 469, 663(x2), 665, 670, III/42, 44, 50, 67, 139, 518, 791, IV/43, 905, V/17, VI/308. 362 I/264, 344, 350f, 380, 457, 458f, 466, 471, 495f, 498, 505, 545, 638, 640, 641, 675, 711, 765, 769, 845, 847, II/53, 80, 151, 176, 193, 195, 223, 218, 453, 521, 565, 566, 863, III/45, 165, 165, 284, 310, 323, 415f, 797, 849, IV/25, 905, V/509–511, 288, 408/411. 363 Als Tullius Valentinus mit seinen Söhnen Julius Sabinus und Julius Tullius zum Verlöbnis des Julius Tullius und der Epponilla nach Arenacum reisen, ist Julius Tullius 17 Jahre, Julius Sabinus 13 Jahre und Epponilla 10 Jahre alt. (III/42). Wenn Julius Tullius mit 20 Jahren in den Krieg zieht (III/44), ist also Julius Sabinus 16 und Epponilla 13 Jahre alt. Wenn Julius Sabinus mit 18 Jahren mit Epponilla verlobt wird (III/50), ist diese 15 Jahre alt, Julius Tullius wäre, wenn er noch lebte 22 Jahre alt. – Claudia ist, als ›Drusus‹, mit 14 Jahren (I/330f), an dem Apfel zu ersticken scheint, etwa acht Jahre alt (I/261), Antonia – acht Jahre jünger als ›Drusus‹ – fünf (I/339). Thumelicus ist, als Claudia, wenig später, ihn in Pompeji das erste Mal sieht, »etliche und zwantzig Jahre« alt (I/261). Also: ›Drusus‹ 14, Claudia 8, Antonia 5. Wenn Antonia also mit 13 Jahren Pompejus Magnus heiratet, ist ›Drusus‹ 19, Antonia 10 Jahre alt. – Nero heiratet Octavia, als sie 10 Jahre, und er 16 Jahre alt ist (I/465). Sie wird mit einem Jahr mit Lucius Silanus verlobt, als Nero also 7 Jahre alt war (II/48). Bei der Veranstaltung der Secular-Spiele unter Claudius ist Nero 11 Jahre, Britannicus sieben Jahre alt, also 4 Jahre jünger (II/54), und Acte ist noch nicht lange bei Hof (II/52), wohin sie mit etwa sieben Jahren gekommen ist (I/457f). Pythia ist zehn Jahre älter als Octavia (II/49). – Prinz Monobazes ist drei Jahre älter als Izates (I/551), Monobazes der Ältere wird 63, als Susanna noch sieben Jahre alt ist (I/567). – Cartismanda ist zum Zeitpunkt der Erzählung der Geschichte (Tag I, 52) »kaum etliche dreißig Jahre« (I/711) alt: »daraus sich urtheilen lässet / wie jung sie müsse gewesen seyn / als sie den alten Cadallanus geehlicht.« (I/711) – Artabanus und Tyridates sind gleich alt (II/211). – Das sind bereits alle diese Fälle. 364 Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 437, registriert das Phänomen, weder aber sein Ausmaß noch seine strukturelle Bedeu-

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Im Anhang werden die geographisch determinierten Handlungsfelder zur Ordnung des Befundes verwandt. Bespielt mehr als eine Geschichte ein solches Handlungsfeld, stellt sich die Frage ihres chronologischen Verhältnisses. Kausale Verhältnisse sind hier durchaus wahrscheinlich, das Interesse ist daher kein rein chronologisches. Erst die Koordinationen zwischen den Handlungsfeldern deuten entschieden auf ein allgemeingültiges, zeitliches Medium. Weiter lassen sich die Koordinationen nach der Gewichtung ihres kausalen und chronologischen Informationswertes ordnen: auffällig werden nach und nach Koordinationen ohne direkten Handlungsbezug, die also wie eine Datierung wirken. Werden dieselben Ereignisse immer wieder in solchem Sinne gebraucht, erhalten sie für das temporale Medium eine allgemein-skalierende Funktion.365 Die Grenzen des temporalen Mediums zur Vergangenheit hin müssen abhängig von den geographischen Handlungsfeldern ermittelt werden – das Medium franst gegen die Vergangenheit hin gewissermaßen aus.366 Als Maßeinheit wird im Anhang die Zahl der Generationen gewählt, die von der Gegenwartsgeschichte aus zurückgegangen wird; es genügt hierfür das Zurückverfolgen der einzelnen Handlungsfolgen, auf chronologische Angaben im engeren Sinne ist die Darstellung nicht angewiesen. Zu unterscheiden sind aber die tatsächlichen Einsätze der Handlungsfolgen, und isolierte Informationen aus der Vergangenheit. Zur zeitlichen Verhältnisbildung der ein selbes Handlungsfeld gleichzeitig oder teilweise gleichzeitig bespielenden Geschichten gibt es im Roman mehrere unterschiedliche Ansätze.

tung. Entscheidend in seine Interpretation von der Aramena baut es Lugowski: Die märchenhafte Enträtselung der Wirklichkeit im heroisch-galanten Roman (zuerst 1936). In: Richard Alewyn (Hrsg.): Deutsche Barockforschung. Dokumentation einer Epoche. Köln/ Berlin 1966, S. 372–391, hier: S. 383f, ein. 365 Die wiederholte Thematisierung eines selben, historisch relevanten Ereignisses lässt sich dabei auch als produktive Bestätigung und Fortführung des Quellenpluralismus deuten, dem der Autor bei der Rekonstruktion der Historie selbst ausgesetzt war. Den die Neuverheiratung etwa des Kaisers Claudius unterschiedlich beleuchtenden Stellen bei Tacitus (Annalen, XII, 1–12), Sueton (Claudius, 26–30), Cassius Dio: Römische Geschichte. Band V. Epitome der Bücher 61–80, Zürich/München 1987, S. 11–15, können die Stellen I/284f, 344– 346 und III/515f als weitere Möglichkeiten der kausalen Explikation von Agrippinas Erfolg beigesellt werden; der Autor überträgt, mit anderen Worten, die Quellenunsicherheit in den eigenen Roman. 366 Im Unterschied also zur noch einheitlichen Vorgeschichte bei Heliodor und in der ersten Adaption in der Argenis – Lugowski: Die märchenhafte Enträtselung der Wirklichkeit im heroisch-galanten Roman, S. 373, weist auf diese Vervielfältigung, als eine die gesamte Entwicklung der Gattung betreffende Umbildung der »Technik der nachgeholten Vorgeschichte« gesondert hin.

434

Einzelanalysen

1) Es gibt eine Geschichte, die die gesamte Zeitspanne vom frühesten Einsatz bis zur Gegenwartsgeschichte abdeckt. In den so geschaffenen zeitlichen Rahmen fügen sich die anderen Geschichten mit geringerer Erstreckung über Koordinationen ein. Parthisches Großreich Das ist ein hierarchischer Ansatz, der dem Orientierungsbedürfnis des Lesers weit entgegenkommt. 2) Die Geschichten erstrecken sich jeweils vom frühesten Einsatz bis zur Gegenwartsgeschichte, unterscheiden sich aber im Grad ihrer Detaillierung. Indien, Ethiopien Was in der summarischer darstellenden Geschichte (Parthenia) lediglich erklärender Hintergrund ist, wird in der detaillierteren Geschichte (Ephigenia) Handlungsschauplatz. 3) In eine rahmengebende Funktion im Sinne des ersten Ansatzes geraten nacheinander verschiedene Geschichten; ja es gibt Phasen, in denen keine Geschichte chronologisch dominant ist. Britannien Der Leser muss hier also im Fortschreiten der Zeit für seine Orientierung ›umsatteln‹, oder sich gar auf eine Gleichberechtigung zweier Geschichten einstellen. 4) Es gibt keine rahmengebende Geschichte, aber eine allen Geschichten gemeinsame Bezugnahme auf einen selben Ereignisstrang. Rom Es ist sicher kein Zufall, dass dieser Ansatz dort gewählt wird, wo auf eine Bekanntheit des referenzbildenden Ereignisstranges beim Leser am ehesten Verlass ist. 5) Es gibt keine rahmengebende Geschichte und keinen allgemeinverbindlichen Ereignisstrang. Teutschland Jede Geschichte steht also in gleichberechtigtem zeitlichem Verhältnis zu allen übrigen Geschichten; es gibt keine Position gesteigerter Übersicht. In welchem Handlungsfeld ein diesem eignendes zeitliches Medium durch Koordinationen die größte Anschaulichkeit gewinnt, darüber geben die Zahlen deutliche Auskunft: Handlungsfeld Anzahl der Geschichten, inkl. Fortsetzungen und der Berichte Rom 18

Anzahl der in mehreren Geschichten erwähnten Ereignisse 69

Britannien Parthien

6 + Bilderkabinett367 5

32 19

Teutschland Ethiopien

6 2

9 4

367 Gemeint ist das Bilderkabinett der Engilmundis (IV/819–821).

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Struktur des zeitlichen Mediums der Römischen Octavia

(Fortsetzung) Handlungsfeld Anzahl der Geschichten, inkl. Fortsetzungen und der Berichte Indien 2

Anzahl der in mehreren Geschichten erwähnten Ereignisse 2

Lässt sich das Übergewicht Roms in dieser Tabelle noch teilweise dadurch erklären, dass natürlicherweise dort mehr Koordinationen vorliegen, wo überhaupt über Koordinationen ein gemeinsamer Bezugsrahmen erst geschaffen wird – im Unterschied zu dem Summe-Detail-Ansatz, in dem ein einmaliges ›Ein-‹ und ›Ausklinken‹ aus dem gegebenen Rahmen genügt –; sollte die folgende Übersicht über die Zahl der Koordinationen zwischen den einzelnen Handlungsfeldern an der Zentrumsstellung Roms keinen Zweifel lassen: Koordination zwischen: Rom-Parthien Rom-Britannien

Anzahl der Koordinationen 17 11

Rom-Aquitanien Rom-Judea

größere Partie größere Partien

Rom-Teutschland Rom-Aeduer/Gugerner

7 3

Rom-Ponto Rom-Ethiopien

2 1

Rom-Comagene/Adiabene Rom-Hispanien

1 1

Rom-Dacien

(5) 43 + (5) + die Partien

Adiabene/Comagene-Judea Aquitanien-Britannien

4 3

Britannien-Teutschland Adiabene/Comagene-Parthien

3 3

Ponto-Parthien Parthien-Edessa-Indien-Rom

3 1

Teutschland-Gugerner/Aeduer Aquitanien-Gugerner/Aeduer

1 1

Ethiopien-Teutschland Griechenland-Ponto-Rom

1 1

Ponto-Judea Meden-Indien

1 1 23

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Einzelanalysen

Rom, heißt das, teilt durch seinen politischen Einfluss und durch die ins Zentrum und aus dem Zentrum erfolgenden Figurenbewegungen der Peripherie eine allgemeine Zeit erst mit; die als Orientierungsgröße abstrakt der Handlung nicht voraus und zugrunde liegt, sondern aus Ereignissen gewonnen wird. Dieser Vorgang wird durch den Roman zur Darstellung gebracht. Neben dem räumlich-politischen Schwerpunkt transparenter Chronologie in Rom bildet – bedingt etwas trivialer durch das die Erzählakte motivierende Informationsbedürfnis der Romanfiguren – die Gegenwartsgeschichte einen zeitlichen Anziehungspunkt: ihr sich annähernd steigt die Anzahl der koordinierenden Ereignisse368 und der über Koordinationen verknüpften Geschichten.369

5.11.2. Basale Reihenbildung anhand der Tagesgrenzen Während die über die ersten drei Bände regelmäßige Alternation der mit Überschriften versehenen Analepsen und der Gegenwartsgeschichte die Erwartungsbildung bei der ersten Lektüre der Octavia dominant prägen wird, erweist sich die so gebildete Reihe zu einer sinnvollen Unterteilung der Gegenwartsgeschichte alleine als ungeeignet: das Geschehen ist zu vielschichtig, zu komplex, zu kleinteilig, um entlang der großen Blöcke zwischen den Geschichten effektiv subsumiert zu werden. Soll sich gegen diese erste, intuitiv zur Hand genommenen Reihe, für die Gegenwartsgeschichte alleine eine andere, gewissermaßen grundständige Reihe etablieren, muss, in der Vorstellung, die ›Kürzung‹ der langen Analepsen aus der zu gliedernden Masse des discours schon vollzogen sein. Tatsächlich, so die These, können solche Reihen zweifach nachgewiesen werden, bildet an ihnen orientiert das Gedächtnis die Gegenwartsgeschichte zuverlässiger und sinnvoller geordnet ab; das sind die Tagesfolgenreihe und die Reihe, die sich über die Erschließung des Raumes bei geltender Leitfigurenregel ergibt.370 In beiden Fällen kommt es zu Reihenbildungen höherer Ordnung, das heißt aufbauend auf eine grundständige, den gesamten zu gliedernden Bereich abde368 6 unter Tiberius, 9 unter Caligula, 20 unter Claudius, 34 unter Nero. 369 Der Regierungsantritt des Claudius synchronisiert schon 13 Erzählungen, in ähnlicher Größenordnung gibt es während seines Regiments aber nur seine Heirat Agrippinas (12). Während Neros Regiment sind das, abgesehen von seinem Regierungsantritt (13), der vermeintliche Mord an Britannicus (9), die Ermordung Agrippinas (8), die vermeintlichen Ermordungen Octavias und Actes (13), der große Brand Roms (12), die pisonische Verschwörung (12) und Tyridatens erster römischer Aufenthalt (9). 370 Eine Analyse einer Tagesfolge in der Aramena findet sich bei Heselhaus: Anton Ulrichs Aramena, S. 89f.

Struktur des zeitlichen Mediums der Römischen Octavia

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ckende Reihe hinreichend kleiner Elemente. Im zeitlichen Medium ist das die im Anhang ausgewiesene Reihe der ›Tageselemente‹, gebildet anhand der Markierungen von Tagesgrenzen und der mehrere Tage einschließenden Handlungsfolgen; im räumlichen Medium ist es die Reihe der mit Leitfiguren vollzogenen Schauplatzwechsel. Während im zeitlichen Medium die Effekte auf eine rhythmisch-dynamische Strukturierung der Gegenwartsgeschichte weitgehend beschränkt bleiben371 – immerhin: die Tendenz zur Zunahme der Tageselemente über die sechs Bände konnte oben zur Bildung einer einheitsbezogenen Reihe führen und lässt sich als eine ›Verflüchtigung‹ des zeitlichen Mediums, als eine Abnahme seines dem Fortschreiten entgegengesetzten Widerstandes beschreiben – ist das Potenzial im räumlichen Medium insofern größer, als die darin grundsätzlich bereitgestellten Unterscheidungen nun ein zweites Mal, hinsichtlich ihrer selektiven Aktualisierung und Verknüpfung als Schauplätze, zu betrachten sind: diese ›Erschließung‹ des Raumes im Rahmen der Gegenwartsgeschichte zeichnet selber strukturelle Differenzen in den Raum ein, entwickelt eine eigene, aussagekräftige, deutbare Dynamik. Bei einer so umfangreichen, numerisch qualifizierbaren Reihe wie der der Tageselemente (es sind insgesamt 568) sollte die Mannigfaltigkeit der in zweiter Ordnung an sie anzulegenden Unterscheidungen nicht überraschen; umso wichtiger ist eine Fokussierung auf diejenigen, die tatsächlich eine Chance haben, im Lektüreprozess wahrgenommen zu werden. Am wichtigsten ist die Feststellung eines Normalmaßes für den Umfang der Elemente und dessen markanter Überschreitungen. Die überwiegende Anzahl von Tageselementen bewegt sich hinsichtlich ihres Seitenumfanges im niedrigen einstelligen Bereich,372 das längste Tageselement, Tag V, 85, liegt aber bei 39 Seiten Umfang, und in jedem Band gibt es solche Spitzen.373 Die Zahlen verweisen unmittelbar, weil die großen Analepsen bereits abgezogen, ansonsten Digressionen aber kaum vorhanden sind, auf die jeweilige Handlungsdichte an den

371 Auf solche Effekte weist, mit Bezug auf die Aramena, schon Müller: Deutsche Dichtung von der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, S. 251, hin: »Die Tage entstehen durch die für das Gesamtgeschehen belangvollen Handlungen der verschiedenen Gruppen und Individuen, und demgemäß geht die Erzählung, gleichsam nach der Uhr, vom einen Handlungsträger zum andern. Dabei gehen die leeren Tage und Wochen in jene andern über, in die sich von allen Seiten das Geschehen zusammendrängt« – und folgend der gesamte Absatz, etwa: »So tragen auch die Tage der Gestilltheit die hoffnungsbange Ahnung der Zukunft schon in sich.« Die Ereignisleere wird ja nur dank der Orientierung an der ›äußerlichen‹ Tagesreihung fühlbar. 372 Im ersten Band umfassen 40 der 73 Tageselemente drei oder weniger als drei Seiten; im zweiten Band sind es 23 von 61, im dritten Band 41 von 98, im vierten 37 von 86, im fünften 37 von 124, im sechsten 74 von 126. 373 Tag I, 23: 26 Seiten; Tag II, 28: 36 Seiten; Tag III, 87: 33 Seiten; Tag IV, 16: 32 Seiten; Tag V, 85: 39 Seiten; Tag VI, 38 und 74: 27 Seiten.

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Einzelanalysen

betreffenden Tagen aus der Perspektive der gerade aktuellen Leitfigur.374 Das Überspringen von Tagen und die mehrere Tage umfassenden Elemente, die in der Regel äußerst kurz sind, bezeichnen so das Extrem eines zeitweiligen Aussetzens relevanter Handlung, wiederum aus der Perspektive der gerade aktuellen Leitfigur. Obwohl die Handlungsdichte, wie sie dergestalt sich bemessen lässt, für den Lesevorgang Gültigkeit besitzt, lässt sie sich auf die histoire nicht ohne Vorbehalt übertragen. Das Normalmaß selbst ist Änderungen unterworfen, die abermals der Unterscheidung der Textschichten entsprechen: im fünften Band muss etwa ab Tag V, 71 eine Länge von 6–8 Seiten als normal, als klein angesehen werden,375 während sonst die Spanne von eins bis sieben Seiten ging, mit einem deutlichen Übergewicht der eins bis drei Seiten langen Elemente. Während der ersten neun Elemente des sechsten Bandes mag noch der Anschein entstehen, das zweite Normalmaß des fünften Bandes würde fortgesetzt; dann aber passiert genau das Gegenteil, es muss noch niedriger angesetzt werden, als in den ersten vier Bänden.376 Normal sind dann ein bis zwei Seiten lange Elemente, mit gelegentlichen Ausschlägen in den mittleren bis oberen einstelligen Bereich. Dieser Trend erfährt im letzten Tageselement des sechsten Bandes eine Zuspitzung, da die zeitliche Unterteilung auf Tagesebene so unscharf gleichzeitig und häufig geschieht, dass eine größere Zeitangabe (zwei Monate) die verlässlichere Orientierung bietet. Auch diese Phänomene können unmittelbar auf die Handlungsdichte bezogen werden. Die auffällig umfangreichen Tageselemente treten nicht nur, ja vergleichsweise selten alleine auf.377 Typisch sind Sequenzen mehrerer besonders umfangreicher Elemente in direkter Folge. Werden mehrere solcher Sequenzen nur durch ein kleines Element geschieden, oder hängt sich derart an eine Sequenz noch ein großes Element an, soll von Gruppen gesprochen werden.378 Dies sind also die drei Möglichkeiten, Elemente der übergeordneten, gewissermaßen markierten Reihe zu bilden, die sich folgendermaßen darstellt (G9 = Gruppe aus neun Elementen, + = Zweiersequenz, ++ = Dreiersequenz etc.; angegeben wird immer das erste Tageselement der Sequenz/Gruppe; fettgedruckt werden je die insgesamt umfangreichsten Sequenzen/Gruppen): 374 Der Einwand ist wichtig! Es kann also sein, dass, gewissermaßen verdeckt, doch an einem Tag geringen Seitenumfanges viel passiert. 375 Kürzere Elemente sind nur noch die Tage V, 74, 77, 82, 87, 112, 113, 115, 119, 121–123. 376 Nur eine Seite oder weniger umfassen hier die Tage VI, 1, 10, 11, 13, 14, 16, 18, 20, 21, 23, 25, 27, 28, 40, 42, 43, 47, 48, 53–55, 57, 59, 60, 63, 64, 66, 67, 69, 70, 72, 73, 82, 85, 86, 90, 91, 93, 101– 103, 105–107, 110, 115, 120–121, 123, 125. 377 Das sind die Tage I, 12, 30, 36, 42, 68; II, 11, 47, 60; III, 16, 21, 49, 85, 92, 98; V, 12, 24, 81, 83, 120; VI, 94, 104, 113 – also, pro Band: I 5; II 3; III 6; IV 0; V 5; VI 3 – insgesamt 22. 378 Z. B. die Tage II, 2–9 mit den Seitenumfängen 31–14–3–15–21–20–9–10.

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I: II: III: IV: V:

1+ 7+, 12, 17++, 23+, 30, 36, 42, 47++, 52, 61++, 68. 2G8, 11, 20G5, 28G7, 38+++, 47, 56+. 60. 1++, 8+++, 16, 21, 25+, 38G4, 45+, 49, 55+++, 66G16, 85, 92, 98. 1G10, 13+++++++, 34G6, 43G7, 80+ 12, 24, 33G8, 52+++, 57G6, 68, (ab 71 neues Normalmaß), 75G4, 81, 83, 85+, 89G12, 106+, 120. VI: (altes Normalmaß) 2G7, 22G5, 30G10, 74G6, 94, 104, 113.

Die mit Abstand längste zusammenhängende Tagesfolge, ohne Sprünge oder mehrere Tage umfassende Handlungsfolgen also, findet sich in Band V (Tage V, 85–112, 28 Tage); gefolgt erst von III, 64–81, 18 Tage umfassend, und zwei Tagesfolgen, 16 Tage umfassend, im dritten Band (III, 45–60) und im sechsten Band (VI, 24–39). Sprünge und mehrere Tage umfassende Elemente sind in der Regel gleichmäßig über die Bände verteilt;379 Ausnahmen bilden eine leichte Zunahme im letzten, ausgedünnten Fünftel des dritten Bandes; und eine starke Abnahme zugunsten der langen Tagesfolgen in der zweiten Hälfte des fünften Bandes. Die umfangreichste Gruppe/Sequenz findet sich im dritten Band (III, 66–81, 209 Seiten); gefolgt von V, 57–62 (159 Seiten), IV, 13–20 (154 Seiten), V, 89–100 (151 Seiten), VI, 30–39 (151 Seiten), V, 33–40 (141 Seiten). Drei der sechs umfangreichsten Gruppen/Sequenzen befinden sich also im fünften Band; der Abstand der längsten Gruppe im dritten Band zu den nachfolgenden ist allerdings recht prononciert (50 Seiten länger). Ab dem dritten Band gibt es in jedem Band mindestens eine sehr große Gruppe/Sequenz. Im ersten Band ist die größte Sequenz nur 43 Seiten (Tage I, 17–19); im zweiten Band die größte Gruppe immerhin 101 Seiten lang (II, 28–34). Auffällig ist, dass beinahe alle überschriebenen Analepsen auf markierte Tageselemente fallen, oder in deren unmittelbare Nähe;380 insofern sind beide Reihen, mit einem komplementären Effekt der Handlungssuspension gerade bei größerer Handlungsverdichtung, doch aneinander gekoppelt. 379 Band I: Sprünge nach den Tagen I, 3, 10, 28, 37, 38; Elemente mit mehreren Tagen: Tage I, 9, 14, 16, 21, 44, 54, 60, 65, 67, 70, 72. Band II: Sprünge nach den Tagen II, 11, 13, 21, 26, 27, 36, 37, 43, 54; mehrere Tage: Tage II, 8, 18, 58. Band III: Sprünge nach den Tagen III, 4, 6, 12, 13, 17, 36, 84, 90, 91, 97; mehrere Tage: Tage III, 13, 28, 31, 34, 39, 44, 61, 63, 82, 87, 94, 96. Band IV: Sprünge nach den Tagen IV, 6, 27, 26, 38, 48; mehrere Tage: Tage IV, 11, 23, 27, 51, 53, 62, 66, 69, 75, 79, 84. Band V: Sprünge nach den Tagen V, 9, 84; mehrere Tage: Tage V, 5, 18, 22, 28, 42, 47, 50, 56, 64, 70, 113, 115. Band VI: Sprünge nach den Tagen VI, 19, 44, 45, 58, 66, 67, 86, 87, 93, 94, 101, 102, 103, 105, 110, 120; mehrere Tage: Tage VI, 11, 14, 16, 18, 21, 23, 40, 43, 49, 51, 53, 55, 57, 61, 63, 70, 73, 83, 85, 91, 107, 109, 112, 115, 122, 126. 380 Ausnahmen sind die großen Verseinlagen des Singspiels und der Tragödie an den Tagen I, 56–57, die Geschichte des Domitianus (Tag IV, 24), der Nitocris (Tag IV, 85) – das sind beides kurze Geschichten –, der auf Reisen erzählten Geschichten Corrilus (Tag V, 7) und des Vatinius Gesandtschaft (Tag V, 10), der zweite Teil von Epicharis (Tag VI, 50).

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Alle Bandanfänge, außer der des fünften Bandes, sind markiert (wenn eine Markierung auf dem zweiten Tageselement auch noch zum Anfang zählt). Markierungen auf dem letzten oder vorletzten Element gibt es nur in Band II und III. Das letzte Element des sechsten Bandes bildet wie gesagt einen Sonderfall. Über die Markierungen im Verlauf der Bände zeichnen sich unterschiedliche rhythmische Muster ab. Dabei variiert die Anzahl der Markierungen stark (das sind jeweils 12, 8, 13, 5, 13, 7 Markierungen) mit einem Minimum im vierten Band und Maxima im dritten und fünften Band. Die Bände I und II haben Markierungen in einigermaßen regelmäßigen Abständen, gemessen jeweils von Beginn der Markierung zum Beginn der nächsten Markierung (unabhängig also davon, wie viele Elemente eine Markierung jeweils selber umfasst); der durchschnittliche Abstand ist im zweiten Band etwas größer (9 Elemente) als im ersten Band (6 Elemente); auch die Gruppen/Sequenzen sind ja im zweiten Band tendenziell umfangreicher. Ab dem dritten Band wird die Verteilung der Markierungen unregelmäßiger, d. h. es gibt eine größere Schwerpunktbildung auf der einen, und Ausdünnungen auf der anderen Seite. Für den dritten Band lässt sich ein durchschnittlicher Markierungsabstand noch gerade formulieren (etwa 7 Elemente); es gibt aber eine Ausdünnung nach Beginn des zweiten Viertels (11 Elemente) und nach der dominierenden Gruppe (die umfangreichste des Romans) im letzten Fünftel des Bandes. Der Schwerpunkt liegt mit der besagten Gruppe bei Beginn des dritten Drittels. Der vierte Band zählt auf 86 Elemente nur noch 5 Markierungen. Der Schwerpunkt liegt im ersten Viertel, mit einer Betonung von dessen Ende; dem untergeordnet sind die Markierungen um die Mitte herum; dann kommt es zu einer nur einmal schwach unterbrochenen Ausdünnung bis zum Schluss. Im fünften Band ist das erste Viertel ausgedünnt, das zweite Viertel bildet den Schwerpunkt; knapp über der Hälfte beginnt des neue Normalmaß, das auch, vor dem Hintergrund des übrigen Romanes, als eine Art durchgehende Markierung aufgefasst werden kann; hierin begegnen einfache Markierungen einigermaßen regelmäßig, bis zu einer dominierenden Zwölfergruppe bei Beginn des vierten Viertels; dann kommt es – auf hohem Niveau des neuen Normalmaßes – zu einer Ausdünnung. Im sechsten Band liegt der Schwerpunkt zu Beginn des zweiten Viertels. Die stärkeren vier Markierungen liegen alle in oder nur knapp über der ersten Bandhälfte, es gibt also eine starke Ausdünnung in der zweiten Bandhälfte. Die Schwerpunkte liegen also bei Beginn des dritten Drittels (III), im ersten Viertel (IV), im zweiten Viertel und bei Beginn des letzten Viertels (V), zu Beginn des zweiten Viertels (VI). Ausdünnungen gibt es nach Beginn des zweiten Viertels und im letzten Fünftel (III), in der zweiten Bandhälfte (IV), im ersten Viertel (V), in der zweiten Bandhälfte (VI). Eine ähnliche rhythmische Strukturierung weisen die Bände I und II auf (regelmäßige Markierungsabstände, keine sehr großen Gruppen/Sequenzen,

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keine Ausdünnungen – mit mehr Tendenzen dazu im zweiten Band); und die Bände IV und VI (wenig Markierungen, Schwerpunkte in der ersten Bandhälfte, eine ausgedünnte zweite Bandhälfte). Die Bände III und V weisen eine gleiche Anzahl von Markierungen auf und enthalten einmal die größte (III) und einmal viele sehr große Sequenzen/Gruppen (V); außerdem liegen bei beiden Schwerpunkte in der zweiten Bandhälfte; unterschiedlich sind aber die Ausdünnungen im zweiten Viertel in Band III, im ersten Viertel in Band V; der Wechsel des Normalmaßes im fünften Band; und der Schwerpunkt im zweiten Viertel des fünften Bandes. Tatsächlich ließe sich der dritte Band noch in eine gewisse Kontinuität zu den ersten beiden Bänden setzen, in denen ja eine Tendenz zur größeren Gruppenbildung schon sichtbar wurde; ein regelmäßiger Markierungsabstand lässt sich mit einigem guten Willen noch ausmachen; und Schwerpunktbildung und Ausdünnung lassen sich noch als ein hier Wegnehmen und dort Hinzufügen auffassen, gewissermaßen also bei Summenkonstanz. Der Bruch liegt dann zwischen drittem und viertem Band. Will man diese Ergebnisse auf die Dynamik der histoire der Gegenwartsgeschichte beziehen, ist insofern noch einmal Vorsicht geboten, als Markierungen vor allem einzelner Tage grundsätzlich zweierlei bedeuten können: tatsächlich die Zuspitzung einer bestimmten Handlung; oder, immer unter Berücksichtigung der Leitfigurenregel, die mehr oder weniger zufällige Häufung von Elementen verschiedener Handlungen an einem Tag. Die oben skizzierten, groben Linien bei der Schwerpunktbildung sind unmittelbar plausibel zu machen. Die größte Gruppe des Romans der Tage III, 66– 81 – das ist das lange, auf die Ermordung Ottos zulaufende Crescendo der ersten beiden Januarwochen des Jahres 69, die davorliegende, durch eine der Festmüdigkeit zuzuschreibende Handlungsflaute getrennte Sequenz der Tage III, 55–58 umfasst die wichtigsten Tage der Saturnalien. Die auf die Thronbesteigung und Bestätigung Ottos folgende Ausdünnung in den letzten 17 Tageselementen des Bandes passt zur ängstlichen Passivität, die die Regierung des sich gleich einen halben Monat versteckenden Kaisers prägt.381 Natürlich liegt im vierten Band der Schwerpunkt in der ersten Bandhälfte, da Otto sich schon Tag IV, 46 umbringt und die Bürgerkriegsentscheidung voraufgeht (die Gruppe der Tage IV, 43–49). Aber schon auf den Aufbruch seiner Kriegspartei aus Rom war in einer gewaltigen, das Scheitern der Verschwörung Crispinas beinhaltenden und festereichen Gruppe vorbereitet worden (die Gruppe der Tage IV, 13–20) – von der sich die Ereignisarmut bei der mit der Flotte reisenden Leitfigurengruppe effektvoll abhob (Tage IV, 21–31). Die immense Ausdünnung in der zweiten Bandhälfte entspricht der Latenz, in die die römische Politik bei erst zu erwartendem Einzug 381 In geringerer Ausprägung gibt es einen ähnlichen Effekt der Ausdünnung bis zum Bandende nach Neros Selbstmord im ersten Band.

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des siegreichen Vitellius in das verwaiste Rom versetzt wird – die letzten, großen Markierungen betreffen dann, ohne den Einzug abgewartet zu haben, schon das Geschehen auf den Diomedischen Inseln (Tage IV, 80–81). Im fünften Band stechen zunächst aus der handlungsarmen, langen Reisephase nur die höfischen Aufenthalte heraus (die Tage V, 12, 16, 24, 30, 33), die Aufstockung des Normalmaßes, die allgemeine Handlungsverdichtung mit überlangen zusammenhängenden Tagesfolgen und großen Gruppen ist aber dann, im Rahmen der sich zuspitzenden Donaudeltahandlung, unmittelbar plausibel, und stellt das mächtigste derartige Crescendo des Romans dar – dessen Kulmination in der Gruppe der Tage VI, 30–39 besonders effektvoll durch eine ab Tag VI, 9 einsetzende pointierte Handlungsarmut vorbereitet wird, die sich diesmal besonders deutlich der Leitfigurenregel verdankt:382 der Erzähler bleibt mit Octavia auf Boreostomum zurück, welche Insel von allen wichtigen Akteuren, die woanders entscheidende Wendungen herbeiführen, verlassen wurde. Eine Kombination aus dieser Konstellation – Tyridates, Artabanus, Beor verfolgen Daria, den pontischen Nero, Vardanes, die Erzählung aber bleibt bei der nur passiven Octavia – und einer abermals exzessiven Reisetätigkeit ist für die beispiellose Ausdünnung der zweiten Bandhälfte, aus der nur wieder ein höfischer Aufenthalt herausragt, verantwortlich. Mit Beginn der Saturnalien in Band III beginnt also eine Koppelung der Reihe durch besonderen Umfang markierter Tageselemente an die Handlungsdichte und Dynamik der römisch-politische Handlung, die bis zur Abreise aus Rom am Ende des vierten Bandes bestehen bleibt; dann gilt die Gleichung: die Reisen sind handlungsarm, die höfischen Aufenthalte markiert. Die Koppelung an die Donaudeltahandlung und ihre langsam sich gewaltig zuspitzende Dynamik wird vor der Kulmination durch ein pointiertes Zurückbleiben mit einer kaum aktiven Figur gebrochen, der Höhepunkt dann aber doch gebracht. Die Kombination des Zurückbleibens mit dieser Figur und einer großen Reisetätigkeit drückt darauf das Normalmaß unter die vor Einsatz der Donaudeltahandlung gewohnten Verhältnisse. Zugunsten dieser Koppelungen und ihrer dynamischen Effekte wird die Regelmäßigkeit der Frequenz markierter Tageselemente, die, trotz einer leichten Senkung dieser Frequenz, bis zur Mitte des dritten Bandes unabhängig von der histoire erwartungsbildend wirken konnte, geopfert. – Oder doch nicht so unabhängig? Rückblickend könnten die oben beschriebene demonstrative Vernachlässigung der herkömmlichen repräsentativen und der republikanischen Institutionen durch Nero für den ersten, die nur prekäre Dominanz des Nym382 Noch einmal scheint eine solche Anlage schwächer vorgebildet zu sein, und zwar, umgekehrt, durch Verlassen des zentralen Schauplatzes mit einer Leitfigur, gegen Ende des zweiten Bandes (die Reise Ariaramnens, Tage II, 49–53).

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phidius für den zweiten und die erst Tag III, 16 gemeldete, von der Erzählung in Tusculum aber ›verpasste‹ Einkehr Galbas in Rom für die erste Hälfte des dritten Bandes als Umstände angeführt werden, die einer Verdichtung der römischpolitischen Handlung, wie sie zuerst unter Galba erfolgt, noch entgegenstehen. So oder so lohnt ein Blick darauf, welche Unterscheidungen der histoire durch die regelmäßig umfangreicheren Tageselemente markiert werden. Unmittelbar aus dem éclat besonders prominenter und meist an eine repräsentative Form gebundener Ereignisse erschließen sich bis zur Mitte des dritten Bandes immerhin vierzehn der 26 Markierungen.383 Prominente Elemente der Haupthandlung Tyridates-Octavia gibt es an vier markierten Tagen;384 wichtige Vorgänge in den Verschwörungen werden mindestens siebenmal hervorgehoben385 – das sind sicher die wichtigsten Handlungskontexte abseits der öffentlichen römisch-politischen Handlung. Blickt man auf Unterscheidungen des räumlichen Mediums, fallen weitere vier Markierungen in den Blick: die Tage I, 17–19 bedeuten, hinsichtlich der Schauplätze, den Übergang aus der vorstädtischen in die städtische Phase, zusammenhängend mit einer immensen Erweiterung der zur Verfügung stehenden Leitfiguren (siehe das nachfolgende Kapitel). Vorher bezeichnete Tag I, 12 die im Rahmen der vorstädtischen Phase größte Mobilität. In die Tage I, 47–49 fällt die mitvollzogene Ostia-Reise Plautia Urgu383 Die Markierungen also des Romaneinganges und, dabei, der ›Ernennung‹ Tyridatens zu ›Neros‹ Nachfolger (I, 1–2), des Einzuges Neros in Rom (I, 23–24), des Gastmahles Neros, das Antonias Hinrichtung unmittelbar zur Folge hat (I, 42–43), der Hochzeit Neros (I, 52), seines Selbstmordes (I, 62–63), des großen Tiber-Gastmahles Nymphidiens am 17. August (II, 28), der Taufe und anschließenden Entführung (II, 38–41), des Ausbruches und Scheiterns der Verschwörung Nymphidiens – das ›Finale‹ des zweiten Bandes – (II, 60), der Aufklärungen über die Vertauschung von Drusus und Italus in Tusculum (III, 8–11), des beinahe zu Enthüllungen über die nur vermeintlich erfolgten Heiraten von ›Drusus‹-Octavia und Antonia-Tyridates führenden Aufenthaltes im Lusthaus Senecas (III, 38–41). Die Markierungen an den Eingängen der Bände II und III (II, 2–9, III, 1–8), sowie am Ende von Band I (Tag I, 66) können stellenbezogen plausibilisiert werden, mit Blick auf die histoire betreffen sie die umfassende Aufarbeitung der sich aus dem ›Finale‹ des vorhergegangenen Bandes umgewälzten, politischen Situation – im Falle des Überganges von Band I zu II zwiegespalten: aufgearbeitet werden muss der Selbstmord Neros in der politische Opposition (Tag I, 66) und dessen Erscheinen auf seiner Beerdigung mit dem zurückgekehrten Tyridates am Anfang des zweiten Bandes (Tage II, 2–9). 384 Tag I, 30 (Tyridates beginnt zu glauben, Octavia sei Parthenia), I, 36 (langes Gespräch mit Octavia, darin sie seinen Irrtum bestätigt), II, 2 und 11 (wieder Gespräche, betreffend seine Beteiligung an der Verschwörung und seine Absicht, ›Claudia‹ zu lieben). 385 Tag I, 23 (das Treffen in Salusts Garten, die Bekanntmachung also ›Drusens‹ in der Verschwörung Plautia Urgulanillas, ihre Aufdeckung der Verwechslung gegenüber Fontejus Capito und Julius Rufus), I, 24 (hier sollte ein Attentat auf Nero verübt werden), I, 47 (Rat der Verschwörung Plautias, Mehrheit für Galba), I, 66 (Beratungen angesichts Neros Selbstmord bei Plautia), die Gruppe II, 2–9 (viel Bewegung bei den Verschwörungen), II, 20–21 (Schwerpunkt bei Nymphidius und seiner Verschwörung), II, 47 (Rat der ›Drusus‹-Partei, weitere Informationsketten zu Nymphidius).

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lanillas; in die Gruppe der Tage II, 20–24 fällt der Übergang zur Leitfigur ›Drusus‹ mit einem markanten Wechsel der nun an die Katakomben gebundenen Form der Mobilität; auf den Tag II, 52 mit der Einholung der Gesandten der Beschluss einer teilweise durch die Erzählung zuvor mitvollzogenen Bewegung auf Rom zu, und mit den Tagen III, 8–11 und 21 werden auch die Ankunft ›der Erzählung‹ in Tusculum und die Rückkehr nach Rom markiert. Bisher unberührt geblieben sind Tag I, 7 – hier gibt es die erste überschriebene Geschichte – und Tag III, 16, hier gibt es den längeren Bericht von Galbas Einzug in Rom durch Cäsonius Maximus. Die Tage II, 56–57 sind eine weitere Ausfaltung der Ankunft der Gesandten in Rom. All diesen Vorschlägen liegen Gewichtungen zugrunde, die hinterfragt werden können,386 weil immer auch anderes geschieht – etwa: wenn Nymphidius ermordet wird die Entführung Octavias aus Rom und ihre Befreiung durch ›Drusus‹. Die dichte Zusammendrängung vieler unterschiedlicher Handlungselemente auf einen Tag kann insofern auch als Emphase nicht eines Handlungszusammenhanges, sondern der Vielstimmigkeit schlechthin, im Sinne etwa einer Engführung, gedeutet werden. Auch zu betonen ist ja, dass die Regelmäßigkeit der Markierungen zu erfordern scheint, wichtige Handlungselemente in unmarkierten Tageselementen zu platzieren – am deutlichsten das sotto voce den ersten Band abschließende Begräbnis Neros. Zum Abschluss dieser Überlegungen sei, um besser ermessen zu können, mit welcher Konsequenz der Autor der Römischen Octavia dies rhythmische Gestaltungsmittel geschaffen hat, ein Blick auf das übrige Korpus erlaubt. Noch einmal grundsätzlich angesetzt, können konkrete zeitliche Angaben der circumstantiellen Bestimmung einer Szene dienen, in Form etwa einer Tageszeiten- oder einer Jahreszeitenangabe: dann betrifft sie unmittelbar den von der Handlung okkupierten Zeitabschnitt. Oder aber es wird, in Form einer Abstandsangabe, die freilich auch circumstantiellen Wert haben kann, die zwischen zwei Handlungen ereignislos verlaufene Zeit vermerkt. Nur in der zweiten Funktion macht die Angabe die Zeit als ein Medium sichtbar, in dem zwischen erzählenswerten und nicht erzählenswerten Ereignissen unterschieden wird. Die ereignislos verlaufende Zeit ist dann, als solche, doch auch Teil der Erzählung, 386 Der Tag I, 23 etwa enthält ein Gespräch zwischen ›Drusus‹ und ›Jubilius‹ über die Aufnahme der Nachricht von ›Drusens‹ Überleben bei der Verschwörung Plautias, eine wichtige Begegnung von ›Drusus‹ und ›Italus‹, das Treffen mit Silius Italicus und Plautia Urgulanilla in Salusts Garten, den Einzug Neros, eine wichtige Begegnung zwischen Antonia und ›Italus‹, den Einzug Neros, die dabei zustoßende ›Gefangenschaft‹ von ›Drusus‹, ›Italus‹ und ›Jubilius‹ in des Augustus Grabmal, die Warnung Octavias an Nero vor dem morgen bevorstehenden Attentat daselbst, die Entdeckung der Vertauschung von Drusus und Italus durch Plautia Urgulanilla gegenüber zwei Vertrauten, den darauffolgenden Rat ihrer Verschwörung.

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und könnte etwa in der Rückschau für bedeutend noch erklärt werden; und aus der Abfolge ereignisloser und ereignishafter Dauern ergibt sich ein Rhythmus, in dem die Proportionen der entsprechenden Stellen im discours und der Zeitdauern im temporalen Medium der histoire zueinander ins Verhältnis treten. Eine solche zeitliche Transparenz gibt es in den Romanen des Korpus gewöhnlich nur streckenweise, weshalb sich wiederum ein alternierender Rhythmus aus zeitlich transparenten und rein handlungsgeleiteten Passagen bildet; und sie betrifft in der Regel nur die Tagesebene. Die große Ausnahme ist, eben, die Gegenwartsgeschichte der Octavia, mit einer beinahe durchgehenden Transparenz mindestens auf der Tagesebene. Das heißt: der feiner kalibrierte, auf Differenzen der Ereignisdichte, das Verstreichen der Zeit ›an sich‹ suggerierende Rhythmus hat in den übrigen Romanen unter der dominanten Alternanz handlungsgeleiteter und zeitlich transparenter Passagen, und angesichts der gewöhnlichen Kürze der letzteren, kaum Entfaltungsmöglichkeiten. Im Anhang finden sich zu jedem Roman Tabellen mit Angaben zu den entsprechenden Tagesfolgen und den Handlungsfolgen ohne Tagesgrenzenmarkierung, bezogen jeweils ausschließlich auf die Gegenwartsgeschichten; wobei, abgesehen von der Octavia, für die Analepsen ähnliche Verhältnisse vorauszusetzen sind. Einige Auffälligkeiten und Regelmäßigkeiten lassen sich notieren: – In den Romanen Höfe, Welt, Student, Satyrischer Roman und Amor stehen umfangreiche Tagesfolgen gleich zu Beginn des Romans; im Adelphico und in der Reise sind die vorgeschalteten, kurzen Handlungsfolgen bedeutsamer, dann folgt aber auch jeweils die längste Tagesfolge des Romans. Durch Analepsen in ihrer Erstreckung zusätzlich erweitert sind diese Tagesfolgen in den Romanen Höfe, Student, Satyrischer Roman und Amor. Die Tagesfolgen reichen unterschiedlich weit in den jeweiligen discours: Höfe: 277/1216: 0,23; Welt: 58/382: 0,15; Student: 57/218: 0,26; Satyrischer Roman: 65/256: 0,25; Amor: 89/136: 0,65; Adelphico: 31/152: 0,20; Reise: 63/138: 0,46. Im Amor bleibt also nur ein Drittel des discours nach der ersten Tagesfolge noch übrig, in der Reise knapp über die Hälfte, im Satyrischen Roman, Student und in den Höfen bleiben drei Viertel, im Adelphico vier Fünftel, in der Welt fünf Sechstel. – Gewöhnlich sind die Handlungsfolgen weit weniger umfangreich als die Tagesfolgen. Im Carneval trifft dies nicht zu (insgesamt 105 Seiten Tagesfolgen gegen 334 Seiten Handlungsfolgen). In der Adalie herrschen zu Beginn des Romans etwa gleiche Proportionen; erst ab Beginn der Reihe funktionaler Verschränkungen mit den vier rangniedrigsten Liebeshandlungen stellt sich das übliche Verhältnis ein.

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In der Reise sind nach Ablauf der ersten großen Tagesfolge die Handlungsfolgen umfangreicher als die Tagesfolgen; der Roman schließt außerdem mit einer großen Handlungsfolge. Mit einer großen Handlungsfolge schließen auch der erste Teil der Welt (VW HF6), der Schelmuffsky (SM HF11) und Statist (RS HF5). – Gewöhnlich umfassen die Tagesfolgen nicht mehr als sechs Tage (Höfe, Student, Satyrischer Roman, Amor, Adelphico, Carneval, Statist). Einige Ausnahmen gehen darauf zurück, dass einmalig das Verstreichen mehrerer Tage angegeben wird (VW TF7–8, SM TF1, 3). Die übrigen Ausnahmen sind LA TF6 (8 Tage) und RE TF1 (9 Tage). – Einigermaßen häufig gibt es für den Seitenumfang der jeweiligen Tage zum Ende der Tagesfolgen eine stark abnehmende Tendenz: die Tagesfolge endet also mit einer letzten Markierung einer Tagesgrenze; der neu angebrochene Tag wird aber kaum ausgeführt – die Erzählung geht in eine Handlungsfolge über (z. B. EH TF1, 5, 9; LA TF3, 8; VS TF4; SR TF1, 3, 6; AU TF1; AP TF1–3, 5, 8–10; CL 15, 16; SM TF 6, 8, 10).

5.12. Struktur des räumlichen Mediums der Römischen Octavia und basale Reihenbildung auf Grundlage der Leitfigurenregel 5.12.1. Politisch-räumliche Ordnung Wissen um die geographischen Bezüge der politischen Einheiten zueinander wird in der Römischen Octavia weitgehend vorausgesetzt, nicht also eigens rekonstruiert.387 In der Regel beschränken sich die dem Roman direkt zu entnehmenden, rein räumlichen Informationen auf Verhältnisse der politischen Interdependenz, der Benachbarung und des Einschlusses. Bescheidenen Aufschluss gewähren ferner Reisebewegungen über mehrere Stationen. Die Ordnungsleistung der den politischen Einheiten noch übergeordneten geographisch/kulturellen Begriffe Europa, Morgenland/Orient, Africa, Asien, Indien und Teutschland ist gering.388 387 »Genau so wenig, wie im Roman unausgewiesene Personen vorkommen, erscheinen unbekannte Länder: Nie wird jemand auf den vielen und ausgedehnten Reisen in ein Land verschlagen, das er nicht kennt«, – bemerkt Karin Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 9. 388 Morgenländisch sind die auf den Friedenskonferenzen in Dacien versammelten Könige und die von da aus nach Rom geschickten Gesandten (II/568), also mindestens die politischen Einheiten von Dacien, Armenien, Parthien, Meden, Soracien, Roxolanen, Adorsien, Iberien, Adiabene, Comagene. Der Begriff umfasst hauptsächlich von Rom unabhängige politische Einheiten, entscheidet aber nicht über das Verhältnis zu Rom; die Grenze liegt wohl vor

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Diese Tendenz zur restlosen Funktionalisierung geographischer Größen im politischen Handlungsbereich wird besonders deutlich, wenn ein Herrschaftsgebiet lediglich als zu besetzende Stelle in Betracht kommt,389 oder wenn, wie in der Donaudeltahandlung, ein diplomatisches Format dazu führt, dass die viele Länder betreffende politische Handlung auf fremdem Territorium gewissermaßen in Stellvertretung, und zu eigenen räumlichen, viel kleiner bemessenen Bedingungen ausgetragen wird. Immerhin im Verhältnis des Einschlusses konkret zuzuordnen, ansonsten aber räumlich unbestimmt, sind als innenpolitische Parteien agierende Stämme in einem größeren Herrschaftszusammenhang.390 Das Römische Reich hat die größte Ausdehnung und schließt am meisten politische Einheiten ein, ist aber gerade deshalb geographisch merkwürdig unbestimmt und an den Grenzen diffus. Klar ist die Zentrumsfunktion der Hauptstadt und, daran angeschlossen, Italiens, mit den natürlichen Grenzen der Alpen und des Mittelmeeres. Dann aber beginnt eine zum Teil schwer durchschaubare Abstufung der politischen Abhängigkeit weiterer politischer EinheiIndien. Es handelt sich also um einen etwas unscharfen, geographisch motivierten Sammelbegriff, der vor allem zur Bezeichnung kultureller Besonderheiten gebraucht wird (siehe etwa I/555, II/898f: »mit welchem Laster die Morgenländischen sehr in Verdacht waren«; IV/ 86: »nach Morgenländischer Arth«); der Begriff Orient wird alternativ gebraucht (II/802, VI/ 602). Europa, Asien und Africa werden als Bezeichnung der entsprechenden Kontinente vor allem von Ethiopien aus relevant (I/128, 133, 471, 473, 841, V/512f). Africa ist aber auch eine römische Provinz (III/435). Für einen mehr kulturell konnotierten Europa-Begriff siehe II/ 687: »Man muß selbige Länder ihme nicht einbilden / als eine Barbarey / sonderlich das Europäische Scythien: massen bey ihnen ja so viel geschicklichkeiten / und vielleicht mehr Tugend / regieret / als anjetzt bey uns in Italien.« Indien umfasst viele Königreiche (IV/942), die in keiner übergeordneten politischen Einheit zusammengefasst werden. Teutschland ist ein Sammelbegriff verschiedener politischer Einheiten innerhalb und außerhalb der römischen Provinzgrenzen. Die entsprechenden Provinzen heißen Ober- und Nieder-Teutschland (I/669), der Begriff reicht aber über die Grenze des Rheines, also die Provinzgrenze, hinaus (siehe etwa I/277). Die Unschärfe des Begriffs gewinnt Relevanz gegenüber den Idealisierungen der Romane Bucholtz’ und Lohensteins, wie Mazingue: Anton Ulrich, S. 661, bemerkt: »La nation allemande n’a pas d’existence propre. Les expéditions romaines se heurtent seulement à des résistances isolées et bénéficient des querelles interstines. Chattes et Chérusques entrent dans la décadence. Ce n’est ni l’Allemagne forte et indépendante de Bucholtz, ni la Germanie révoltée de Lohenstein, mais un pays anarchique, simple réservoir pour qui saura l’utiliser dans la compétition pour l’Empire.« 389 Das betrifft die Provinzen Africa, Asien, Bithynia, Cälesyrien, Cyrene, Galatien, Lusitanien, Lycien, Numidien, Pamphilien. Vgl. III/364: »Die Landschafften Galatien / Pamphilien / Cyrene / Dalmatien / Pannonien / Mösien / Numidien / und die übrige Provintzen alle / bekamen diejenigen / die Lieblinge von seinen Lieblingen waren.« Die übrigen Belege finden sich in der Liste der politischen Einheiten und ihrer Herrscher im Anhang. 390 So, weitgehend, die britannischen Stämme, die ja erst im Laufe der Eroberung in einen politischen Zusammenhang gebracht werden; und unter ihnen vor allem die nur sporadisch erwähnten Dobumnier, Catuellanen, Cangern, Tegenier, Ordovicier, Cantier und Moraven. In den ethiopischen Zusammenhang gehören die Troglodyten, Tareleer, Atlanter, Garamanten und Occalier.

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ten, die nur sehr bedingt in geographische Nähe oder Entfernung zum Zentrum zu übersetzen ist. Klar definiert durch das Statthalteramt ist der politische Status der Provinzen.391 Gallien und Britannien schließen wiederum politische Einheiten ohne direkten römischen Bezug ein, die also vor der Eroberung durch Rom bereits bestanden hatten und denen ein eingeschränktes Fortbestehen von Rom her zugebilligt wird.392 Schwieriger zu bewerten ist – allein vom Roman her – der Status politischer Einheiten ohne Statthalter, mit eigenem König also, der aber doch in Abhängigkeit von Rom regiert.393 Hier ist der Übergang fließend zu solchen Einheiten, für die nur noch ein bestimmender Einfluss Roms geltend gemacht werden kann, mit denen Bündnisverträge existieren etc.394 Für die räumliche Struktur insgesamt ist vor allem die Frage relevant, welche politischen Einheiten ausdrücklich nicht zum Römischen Reich gehören, also dessen Grenze und Einbettung in einen übrigen politischen Raum markieren. Im Süden ist das Ethiopien, das für Nero als Ausweichmöglichkeit ja kurz vor seinem Selbstmord in Frage kommt;395 im Norden sind es, nach der Eroberung Britanniens, nurmehr teutsche Stämme, deren jenseitige Stellung aber durch den doppeldeutigen, nämlich auf die Provinzen und die unabhängigen Stämme applizierten Begriff ›Teutschland‹ verunklart wird.396 Nur im Osten gibt es gestaf391 Africa, Armenien (zeitweise), Asien, Bithynia, Britannien, Cälesyrien, Cappadocien, Comagene (zeitweise), Corsica, Cyrene, Dalmatien, Egypten, Galatien, Gallien (Belgica, Narbonensis, Lugdunensis), Griechenland, Hispanien, Illyrien, Juda, Laodicea, Lusitanien, Lycien, Macedonien, Mauritanien, Mösien, Nieder-Teutschland, Numidien, Ober-Teutschland, Pamphilien, Pannonien, Ponto, Samaria, Smirna, Syrien – also 35 politische Einheiten. Die Belege in der Liste im Anhang. 392 In Britannien 16, in Gallien 6. 393 Die Juda benachbarten, von der dortigen Dynastie mitbeherrschten Königreiche Chalcis, des Lisanias Fürstentum, die Samarische Landschaft; ferner Cilicien, Edessa, Paphlagonien und Thracien. 394 Comagene etwa wird zunächst von einer eigenen Dynastie regiert; wegen der großen Jugend des Thronfolgers setzt diese einen eigenen Statthalter ein (I/546), der, nach seinem Tod, von den Römern durch einen römischen Statthalter ersetzt wird (I/580). Als die Comagener Caligula um die Rückkunft ihres geflohenen jungen Königs ersuchen (I/576), beschenkt der Kaiser König Agrippa mit »dieser bisherigen Römischen Landschafft« (I/579), der wiederum die Heirat des alten Thronfolgers mit der Prinzessin Jotape, seiner Nichte, stiftet und ihm die Herrschaft über Comagene überlässt, welcher Schritt dann von Caligula auch sanktioniert wird (I/579f). 395 Vgl. I/610f. Eine eindeutige Qualifizierung von Ethiopien und Parthen als Nachbarn gibt es auf der Folgeseite I/612f: »Es hat jederzeit das Römische Reich seine beide Nachbahren / die Ethiopier und Parthen / hochgehalten / und mit ihnen gute Freundschafft gepflogen: […].« 396 Bei der Unterstützung für den Kaiserkandidaten und vermeinten Cheruscerkönig ›Italus‹ durch »die Teutschen« (I/372) etwa wird nicht zwischen Fürsten innerhalb und außerhalb der Provinzgrenzen unterschieden. Die entscheidende Versammlung findet in Cöln, also innerhalb dieser Grenzen statt und an einer späteren Stelle heißt es, die Bemühung einiger teutscher Fürsten wäre dahin gegangen, »des Römischen Joches sich zu entladen« (VI/694). Klar wird an derselben Stelle aber auch, dass Hermunduren und das Cheruscerland außerhalb Roms liegen: »[…] die Gräntzen der Hermundurer wie auch der Cheruscer für

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felte Entfernungen: Parthen hat als ausländische Macht auch für die innenpolitischen Anliegen Roms ein gewisses Gewicht, auch hier gibt es aber, insbesondere über die armenische Frage, einen Zwang zur Auseinandersetzung mit Rom.397 Erst weiter im Osten die indischen Reiche unterhalten mit Rom zwar diplomatische Beziehungen, bilden aber dank ihrer Nicht-Erwähnung über die ersten vier Bände hin ein glaubwürdiges Jenseits römischen Einflusses.398 Wie funktioniert nun auf niederer, auf Länderebene die räumliche Orientierung? Zwei Verfahren lassen sich unterscheiden, die zu je entgegengesetzten Orientierungsmustern führen: 1) über geographisch orientierte Figurenbewegungen im Rahmen der Gegenwartsgeschichte werden Räume erschlossen, die politisch neutral oder nur vorübergehend relevant sind; 2) über enge politische, d.i. vor allem dynastische Interdependenz lassen politische Einheiten sich in Gruppen zusammenfassen, die eine je charakteristische Binnenstruktur und ein je charakteristisches Verhältnis zum Römischen Reich kennzeichnet. Die Trennung beider Verfahren verläuft weitgehend entlang der Unterscheidung von Gegenwartsgeschichte und Analepsen und sie ist insofern auch eine räumliche Trennung, als die Figurenbewegungen der Gegenwartsgeschichte nicht oder nur in sehr spezifischer Weise diejenigen Gebiete erschließen, in denen im Zuge des zweiten Verfahrens die Ländergruppen gebildet werden. Dadurch bleiben diese auch von der destabilisierenden Tendenz, die für die räumliche Erschließung im Römische Einfälle zu beschützen […]« (VI/695), heißt es dort, und dass Italus »in dem Cheruscer Lande einen vorteilhafftigen Frieden mit den Römern zu wegen brachte« (VI/ 695). Dann aber, nach kriegerischen Auseinandersetzungen Roms mit aufständischen deutschen Fürsten, wird dieser Frieden auch auf diese, die teilweise in die provinziellen Grenzen wieder fallen, ausgedehnt; und Italus erhält von den Römern alle in diesem Krieg von den Römern eroberten Gebiete zur Herrschaft (VI/698). Klar ist aber auch die Abhängigkeit, in die die Cheruscer von Rom nach der Niederlage des Arminius geraten sind: von Claudius erbitten sie sich aus ihrem exilierten Herrschergeschlecht einen König (III/ 409–413, I/625f). 397 Zur armenischen Auseinandersetzung vgl. I/53–170. Was die Belehnung des Arsaciden Tyridates mit der armenischen Krone durch Nero für das Machtverhältnis Parthens und Roms bedeutet, spricht Tyridates kurz vorher aus: er habe es immer »für einen Abbruch der Ehre der Arsacier gehalten / vor einem andern Fürsten sich zu demüthigen / deme man / nicht allein an Geburth / sondern auch an Macht und Glücke gleich war.« (I/161f). Sprechend für das dann durchaus nicht ebenbürtige Verhältnis sind ferner die Behandlung der morgenländischen Gesandten unter Galba und Otto, sowie die Verhandlungen zwischen den morgenländischen Königen und Vespasianus im Rahmen der politischen Handlung im Donaudelta: Vologeses muss für den zwischenzeitlichen Abfall von dem geschlossenen Vertrag bei Vespasianus Abbitte leisten (VI/449). Die parthischen Fürsten haben noch die alten Verhältnisse vor Augen, wenn sie ihren ›König aller Könige‹ durch die Bevorzugung des Adiabenischen Königs durch Vespasianus herabgesetzt sehen (VI/449). 398 Der wohl als übermütig bezeichnete indianische Gesandte Taxilles droht Rom für dessen Drohungen mit Vergeltung (VI/770) und bringt in seinem Vortrag Rom, die Arsaciden und Indien auf eine Ebene.

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Rahmen der Gegenwartsgeschichte oben konstatiert wurde, weitgehend unberührt. 1) Synoptische Darstellungen der wichtigsten Figurenbewegungen außerhalb Roms und im Rahmen der Gegenwartsgeschichte finden sich im Anhang und wurden bereits in die Besprechung der Anwendungsgebiete der Leitfigurenregel einbezogen. Marsilien wird als Rückzugsort oder als Hafenstadt für die Weiterfahrt in den Orient oder nach Ethiopien angesteuert; Norditalien, das narbonensische Gallien und zuvor die teutsche Provinz sind Bürgerkriegsschauplätze, verlieren mit diesem also diese politische Relevanz; Hispanien und die gallische Südküste, schließlich einige italienische Orte sind Etappen auf dem Wege Galbas nach Rom; die unterschiedlichen Reisen nach Dacien führen über bedeutungslose Inseln und durch Provinzen, die nur im Rahmen des bevorstehenden Bürgerkriegs auf italienischem Boden für die Partei Vespasians Bedeutung gewinnt. Eindeutig ist der temporäre politische Charakter der Hofhaltung Vespasians in Nujodunum und Antiochia sowie der Anlage der Friedenskonferenz auf den dacischen Inseln des Donaudeltas; der Aufenthalt in Palästina und die Reise durch Judea Octavias findet nach dem römisch-jüdischen Krieg statt, der als vergangenes Geschehen in seinen Auswirkungen nur noch besichtigt werden kann. Griechenland, wo Nero auf dem Weg nach Parthen stehen bleibt, hat für diesen nur touristischen Wert. Die einzigen Ausnahmen von dieser Regel sind die Stadt Rom und Indien, in welchen vermuteten neuen Schwerpunkt der politischen Handlung es Tyridates zum Ende des sechsten Bandes verschlägt. Rom, wie gesagt, fällt als Stadt in ein anderes räumliches Paradigma; und die Indienreise wird in Berichtsform, bis zum Ende des sechsten Bandes jedenfalls, so summarisch geschildert,399 dass die Ausnahme darin gesehen werden muss, dass der Held im Rahmen der Gegenwartsgeschichte eine politisch formierte Ländergruppe bereist – und nicht darin, dass eine politisch formierte Ländergruppe durch eine Reise im Rahmen der Gegenwartsgeschichte eine stärker geographische Profilierung erhielte. 2) Alle Ländergruppen bis auf Indien – ihre Auflistung und Charakterisierung findet sich im Anhang – werden in mehr oder weniger komplizierten Grenzsituationen des Römischen Reiches gebildet. Am einfachsten ist das Verhältnis der Benachbarung und Tributpflicht zu Ethiopien; übersichtlich immer noch ist das Verhältnis zu Britannien, das als Objekt der Eroberung oder Befreiung, trotz innerbritannischer Parteiungen, eine gewisse Integrität gewinnt und behält. Chaotischer, aber auf einen Konflikt jetzt nicht mehr zugespitzt, ist das Ver399 Vardanes setzt über den Indus, »der wegen der jetzigen Sommer Zeit / so seichte war / daß man sonder Gefahr darüber kommen kunte« (VI/590f) – hier ist also eine deutliche Grenzmarkierung. Von Tyridates heißt es, daß er »über das Gebürge seinen weg nach Indien genommen« (VI/593). Mehr geographische Angaben gibt es nicht.

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hältnis, wie oben beschrieben, zu Teutschland und den angrenzenden gallischen Stämmen.400 In der Ländergruppe Morgenland multiplizieren sich mit den Untergruppen auch die Formulierungen der Grenzlage: die Arsaciden sehen sich als ebenbürtiges Gegenüber Roms, erhalten die Krone zu einem ihrer Länder aber von der Hand des römischen Kaisers und entsenden Geiseln; in Comagene regiert, als der Thron vakant ist, ein römischer Statthalter, Adiabene aber scheint von solcher Herrschaft frei zu sein; Jazygen und Sarmaten werden römische Landschaften, Dacien bleibt noch unabhängig; Judea ist eigentlich römische Provinz schon geworden, die voll ausgefaltete Aufstandshandlung führt aber noch zum Verlust des zugebilligten hauseigenen Königtums.401 Der Eindruck entsteht, interessant sei immer wieder die Gestaltung der Ebenendifferenz einer dynastisch organisierten lokalen Herrschaft und einer überregionalen, über Vertreter und militärisch agierenden Einflussmacht gewesen. Und zwar nicht nur als abgeschlossene Handlung einer Eroberung oder gescheiterten Befreiung; sondern als ambivalenter, je Gestaltungsspielräume lassender Zustand. Binnenstrukturell dominieren in Teutschland und Britannien Koordinationsverhältnisse, die aber in Teutschland auch nach dynastischen Gesichtspunkten nicht mehr geordnet werden können; in Indien beruht die Koordination der drei mächtigsten Reiche eben auf dieser ihrer gleichmäßigen Übermacht über die ungenannten anderen Könige; im Morgenland bilden sich verschiedene Strukturen von Zentren und Peripherien aus, mit den Spezifika eines dreigeteilten Zentrums in der Untergruppe Parthen und einer weiteren Abstufung dynastischer Relevanz; einer weitgehenden Isolierung des Zentrums Judea; und weniger dynastisch verschränkter Benachbarungen um die Zentren Adiabene, Dacien und Adorsien. Das Format der Friedenskonferenz der Donaudeltahandlung stellt den Sonderfall einer konstruierten, verfahrensbedingten Koordination eigentlich höchst unterschiedlich zu gewichtender Mächte dar. Die politischen Zentren – Städte also mit Herrschaftsfunktionen – unterschreiten ihrer Anzahl nach die in den Ländergruppen gebundenen politischen Einheiten beträchtlich.

400 Vgl. noch einmal Mazingue: Anton Ulrich, S. 661. 401 Vgl. hierzu auch unten (Kap. 5.10) die Abschnitte zu der politischen Handlung des Romans, insbesondere zur sog. Neuregelungshandlung.

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5.12.2. Die Ortsebene Eine vollständige Liste aller im Roman genannten Orte sowie ein Vorschlag zu ihrer Klassifikation hinsichtlich ihrer internen Differenzierung findet sich im Anhang. Von den 126 differenzierten politischen Einheiten der Octavia sind nur 51 Orte zuzuordnen.402 Durchschnittlich liegt die Ortsmenge pro politischer Einheit, wenn Orte überhaupt genannt werden, im niedrigen einstelligen Bereich; der eklatante Ausreißer ist Italien mit 62 Orten; es folgen, mit weitem Abstand, Juda (22), Griechenland (15) und Parthen (12). Der Liste hinzuzufügen wären eigentlich noch, weil sie in der Erzählung gebraucht werden wie Orte, die Inseln der Mittelmeerreise und des Donaudeltas.403 Intern durch mindestens eine weitere Angabe differenziert sind 105 der 243 aufgeführten Orte und Inseln, bei über der Hälfte also bleibt es bei einer bloßen Nennung.404 In den Analepsen erfolgt in der Regel ein sehr selektiver, durch den jeweiligen Handlungskontext geleiteter Zugriff auf das räumliche Medium, der eine Bereitstellung von Unterscheidungen, die den parallelen Ablauf mehrerer Handlungen ermöglichten, erübrigt: nicht nur, heißt das, die Orte betreffend, die ohnehin nur für eine Handlung abgerufen werden, sondern auch die Orte, die, etwa im Rahmen der Gegenwartsgeschichte, durchaus mehreren Handlungen zum Schauplatz dienen. Selbst wenn also in zwei Analepsen mit unterschiedlichen Handlungen auf denselben Ort zugegriffen wird, werden keine Bemühungen erkennbar, das räumliche Verhältnis der jeweiligen räumlichen Spezifikationen zu klären. Es sind daher einzig die von der ›Erzählung‹ über längere Zeit aufgesuchten Orte der Gegenwartsgeschichte, die, in ihrer internen Differenzierung, auf das 402 Räumliche Angaben, die sich nur einem Land, nicht aber einer bestimmten Stadt zuordnen lassen, gibt es aber für Armenien (I/290, II/909), Cheruscen (I/628, 633, 638), Hermunduren (I/637, 640, IV/913f), Britannien (I/666–668), Schwaben (I/671), Griechenland (II/920f, III/ 444), Wald der Carnuten (III/95), Ponto (III/328), Chatten (III/414, 420f), Dacien (III/934, 936, IV/542, V/175, 1025, 1027), Hyrcanien (VI/583, 585), die Rückreise von Jerusalem (VI/ 678f). 403 Also Caprea (III/579), Cythnos (IV/734), Samos (IV/750), Naxus (IV/751), Melitena (V/6), Naracostomum (V/242), Stenostomum (V/445), Calostomum (V/618), Boreostomum (V/ 676), Ilanada (V/714), Licostomum (V/933), Peucostomum (V/986), Pseutostomum (V/ 472), Agirum (III/1020), kleine Insel unfern Genua (III/718), Cyclader-Inseln (I/280f). 404 An diese Stelle passt vielleicht der Hinweis auf die etwas zugespitzte, insgesamt aber doch treffende Charakterisierung des räumlichen Mediums der Octavia durch Karin Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 29–34, die vor allem das Fehlen des unbestimmten Raumes bemerkt. Einzuwenden wäre vielleicht, dass die Fülle der namentlich zwar identifizierten räumlichen Einheiten dem Leser diesen unscharfen Horizont des Unbestimmten, bei je gesetzter Zentrierung der Aufmerksamkeit, ersetzt.

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Nebeneinander mehrerer Handlungen reagieren: Rom erbringt, über die ersten vier Bände, diese Leistung praktisch alleine; hinzukommen Bebriac und Brixellum, die Diomedischen Inseln, Nujodunum, Dinogetia; das Donaudelta kann, für diese Frage, als ein Ort aufgefasst werden; dann Antiochia und das Carmelgebirge. Das entscheidende Dispositiv zur Ermöglichung der synchronen Führung unterschiedlicher Handlungen, die Leitfigurenregel, wurde oben, mit Blick auf die Reihenbildung, bereits behandelt; in diesem Zusammenhang wurde auch dargestellt, wie in der Abfolge der Ortswechsel der Erzählung einerseits und durch die gegenwartsgeschichtlichen Figurenbewegungen andererseits das räumliche Medium erschlossen und profiliert wird. In nahezu allen Liebeshandlungen und in allen politischen Handlungen, wenn sie nur einen gewissen, geringen Umfang erreichen, also aus mehr bestehen als einer einfachen Erwähnung, wird von der Möglichkeit der temporären Suspension kausaler Bezüge durch Entfernung von Figuren ausgiebig Gebrauch gemacht. Gewöhnlich muss der Leser genauso sehr wie das, was passiert, im Auge behalten, was, dank der gleichzeitigen Anwesenheit oder Abwesenheit von Figuren an einem Ort, passieren, oder nicht passieren könnte; mithin: neben der kausalen Struktur der tatsächlich erfolgenden Handlungen die permanent sich verändernden Bedingungen der Möglichkeit für Handlungen.405 Darüber hinaus 405 Zwei Beispiele. Die Geschichte der Junia Calvina, also die ersten Teile von Junia CalvinaMythridates, führt folgende Ortsveränderungen an: zunächst sind alle in Rom (III/492); dann: Petronius (folgend Petr) → Britannien (III/504); Eprius Marcellus (Epr M) und Cornelius Lacon (Cor L) → Gallien (III/505); Mythridates (Myth) → Ponto (III/508); Petr → Rom (III/509); Petr u. Aulus Vitellius → Ponto (III/509); Epr M → Rom (III/511); Epr M → Britannien zu Vespasianus (III/511); Aulus Vitellius mit Petr → Rom (III/511); Junia Calvina (Jun C) mit Petr in Baje (III/513); Epr M → Rom (III/513); Caßius Longinus mit Lepida → Syrien (III/514); Marcus Silanus → Asien (III/514); Jun C auf dem Weg zu Marcus Silanus nach Asien bleibt in Brundusium, begleitet von Decius, Calpurnia und Nymphidius (III/ 518); Epr M, Cor L, Myth, Panda in Brundusium (III/519f); Jun C, Calpurnia, Nymphidius → Asien (III/528); Epr M, Cor L, Myth → Rom (III/528); Epr M → Lycien (III/529); Jun C mit Nymphidius, Calpurnia → Marcus Silanus in Ephesus (III/529); Epr M → Ephesus (III/529); Cor L → Ephesus (III/531); Nymphidius aus Ephesus → Rom (III/534); Cor L mit Jun C zu Caßius Longinus und Leipida → Syrien (III/535); Nymphidius aus Rom (eigentlich aus Griechenland) → Syrien (III/535); Cor L aus Syrien → Griechenland (Mytilene) (III/535); Jun C, Nymphidius, Caßius Longinus, Lepida aus Syrien → Brundusium; dort auch Epr M, Cor L, Myth ((III/539); Nymhidius, Cor L, Epr M → Rom (III/541); Cor L → Hispanien zu Galba (III/ 542); Epr M → Ostia (III/542); Jun C, Nymphidius, Myth → Rom (III/543); Cor L mit Galba → Rom (III/547); Epr M → Rom (III/547). In der Geschichte der Parthenia muss der Leser den Überblick über die Bewegungen von vier Figuren behalten. Das sind Acte, mit dem Parcours: Fluß Tamais (I/456), Edessa (I/457), Jerusalem (I/457), Corintho (I/458), Weg nach Ethiopien (I/459), Creta (I/459), Rom (I/460), Pandataria (I/492), Rom (I/497); Abdon mit dem Parcours: Edessa (I/455), wie Acte bis Rom, nach Armenien unter Helvidius Priscus; bei den Arabischen Weisen vier Jahre (I/466), Rom (I/466), möchte nach Arabien (I/483), Pandataria (I/493), Rom (I/494), Ethiopien, Naddaver, vier Jahre (I/495), Marsilien (I/497), Rom (I/502); Beor mit dem Parcours: Ethiopien (I/473), Marsilien (I/474), Ravenna (I/474), Teutschland

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Einzelanalysen

wird in vielen Handlungen die Unterbrechung oder Konditionalisierung der gegenseitigen Information thematisch.406 Die bereitgestellten Unterscheidungen auf Ortsebene werden dabei je nach Vorgabe der Handlung benutzt, also ohne, dass eine bestimmte Funktionalisierung bestimmte Orte für das Lesegedächtnis prägen würde. Ein genauerer Blick lohnt zweifellos auf Rom:407 wie es sich räumlich in synchroner Perspektive, also über die Ortswechsel der Erzählung hinaus, intern differenziert und auf die massive Beanspruchung der unterschiedlichen Handlungskontexte reagiert. Die Liste aller zu unterscheidender räumlicher Elemente und ihrer fixierten räumlichen Relationen findet sich im Anhang. Nötig ist zur Unterbringung des Personals ein unerschöpflicher Vorrat an Palästen – 131 können über den gesamten Roman gezählt werden, das heißt in 131 Fällen wird die Selbstverständlichkeit, dass jede Figur eine Wohnung besitzt, im Text aktualisiert. Zur Ermittlung der latenten Menge an Palästen wäre die Summierung aller in Rom agierenden Figuren nötig. Dabei ist auch mit der Nennung eines Palastes in der Regel keine weitere räumliche Information impliziert; 62 Paläste bleiben ohne weitere räumliche Angabe, sei es also hinsichtlich ihrer internen Differenzierung in Zimmer, Höfe etc., sei es hinsichtlich ihrer Gelegenheit innerhalb der Stadt.408 Berücksichtigt werden muss auch, dass Pa-

(I/475), Rom (I/476), Teutschland (I/483), Rom, als Euceres (I/485), Verschwunden (I/494); Balaad mit dem Parcours: wie Beor bis Ravenna., Ethiopien (I/474), Italien (Ravenna?) (I/ 475), Corintho (I/475, 459), Rom (I/476), Ethiopien (I/483), Marsilien (I/497), Teutschland (I/497). 406 Zentral ist dies für den Aufbau der symmetrischen Heiratshindernisse in den Liebeshandlungen Tyridates-Octavia und Italus-Antonia; man denke aber auch an die Intrige des Ariomardus im Kontext von Artabanus-Zenobia (II/216, 221–224, 234f) oder die falsche Nachricht über den Tod des Silius im Kontext von Silius-Valeria Messalina (I/214). 407 Für eine Bewertung, auch im Vergleich zu früheren höfisch-historischen Romanen, vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 791f. Vgl. ferner Lütteken: Erzählte und verrätselte Geschichte(n) in Anton Ulrichs Werken: Beobachtungen zum frühen historischen Roman. In: Oliver Bach / Michael Multhammer / Julius Thelen (Hrsg.): Historia pragmatica. Der Roman des 18. Jahrhunderts zwischen Gelehrsamkeit und Autonomieästhetik. Heidelberg 2020, S. 83– 100, hier: S. 96. 408 Das sind die Paläste von Claudia, Julia Procilla, Sylla, Seneca/Pompeja Paulina, Narcissus, Lucius Silanus, Lollia Paulina, Pontia Posthumnia, Domitia Decidiana, Cleodius, Domitianus, Africanus, Cajus Calpurnius Piso, Ulpius Trajanus, Barea Soranus, Petronius Turpilianus, die alte Antonia, Marcia Furnilla, Marcellus, den medischen Gesandten, den dacischen Gesandten, Annius Vivianus, Salvia, Florus, Julius Montanus, Mamertius Scaurus, Vespasianus, Pätus, Cecinna, Cornelius Lacon, den roxolanischen Gesandten, Aulus Vitellius, Nerulinus, den adiabenischen Gesandten, Statilius Taurus, Junius Gallio, Sulpitia Prätextata, Vectius Bolanus, Lucius Sejanus, Clodius Macer, Thrasea Pätus, Glicius Gallus, Ducennius Geminus, Verginius Rufus, Valerius Martialis, Rubrius Gallus, Virgilius, Cicero, Aelius Lamia, Dolabella, Tygranes, Flavius Sabinus, Julia Drusilla, Cölius Sabinus, Linus, Tuscus Cecinna, Cornelia, Cajus Antistius Vetus, Incitatus, Tertius Julianus, Aponius Sa-

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läste den Besitzer wechseln können, ohne dass die Identität des Palastes für die nun an dem neuen Besitzer orientierte Benennung eine Rolle spielte.409 Bedenkt man, dass die Palastnennungen der Analepsen auf der Zeitachse weit gestreut liegen, ist es also durchaus denkbar, dass in Wirklichkeit weniger als 131 Paläste vorhanden sind; von Belang wäre dies indes nur, wenn sie einen limitierten Raum verbrauchen würden. Auch die okkasionellen Angaben zur Lage einzelner Paläste suggerieren eine solche Raumknappheit nicht. Neben den Privatwohnungen, die aber regelmäßig als Versammlungsorte verschworener politischer Parteien genutzt werden, gibt es die zu bestimmten, öffentlichen Anlässen aufgesuchten Staatsgebäude, Tempel, Gärten, Schaubühnen und Rennkreise. Der kaiserliche Palast erfüllt Funktionen eines herkömmlichen Palastes und eines Staatsgebäudes. Das einzige andere Staatsgebäude, das regelmäßig in Erscheinung tritt, ist das Capitolium, der Versammlungsort des Rates. Welcher Tempel aufgesucht wird, entscheidet der Festkalender: an ihn ist ihre Anzahl, wenn überhaupt, gebunden. Freier, hinsichtlich ihrer Nutzung, sind die Gärten.410 Die Rennkreise können Teil eines festlichen Protokolles sein oder zur persönlichen Ergetzung des Kaisers – nur Neros – genutzt werden. Im prätorianischen Heerlager manifestiert sich für das politische Rom die Heeresmacht. Je seltener ein bestimmter Gebäudetyp ist, desto wahrscheinlicher ist auch seine konkrete räumliche Situierung. Einmalige, über mehrfache Relationen zu rekonstruierende Stellen im Raum besetzen also der kaiserliche Palast, das Capitolium und das prätorianische Heerlager. Wie zu sehen, bleibt diese große Masse hauptsächlich handlungsbezogener räumlicher Elemente also, über die einfache Angabe ›innerhalb Roms‹ hinaus, in einem topographischen Nirgendwo.411 Genuin topographischer Natur, und nur gelegentlich für eine Handlung als räumliche Gegebenheit funktionalisiert, sind indes die Elementgruppen der Hügel, des Flusses und der Tore. Die Tore sind in der Regel nach den Straßen benannt, die an ihnen beginnen, oder nach den Orten, zu denen man auf diesen Straßen gelangt; die Hügel haben Eigennamen. turninus, Titus Ampius Flavianus – für die Belege siehe die unten stehende Liste aller Paläste. 409 Schwierig genug ist es, aufgrund dieser Praxis, die wenigen bezeichneten Besitzerwechsel im Sinn zu behalten – vgl. I/340, II/252, IV/341. 410 Von den Salustischen Gärten etwa heißt es: »[g]antz Rom hatte zwar die Freyheit / diesen Garten zu besuchen: doch durffte niemand die Burgermeister allda überlauffen / welche deshalben zum öfftern ihre Ruhe-Stunden in diesem lustigen Orthe suchten […].« (I/395) 411 Auf diesen Befund ist wohl die etwas zugespitzte Charakterisierung Hofters zu stellen: »Aus diesen genau festgelegten Einzelheiten entsteht aber während der ganzen vier Bände, in denen das Geschehen an den genannten Lokalitäten spielt, kein wirkliches Stadtbild, das die beherrschende Stimmung der Weltstadt vermittelte, die einzelnen Paläste in ein spezifisch römisches Air tauchte. Damit entfällt auch die Möglichkeit, innerhalb des Ganzen der Stadt Rom erlebbare Entfernungen zwischen den einzelnen Örtlichkeiten zu schaffen. Auch hier liegt gleichsam nichts zwischen den Orten.« (Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 31).

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Einzelanalysen

Innerhalb der Stadt können der Fluss zur Orientierung dienen, da er sie ganz durchzieht; oder die Hügel, die dank ihrer Vielzahl quasi eine Einteilung in Bezirke leisten. Was beinahe vollständig fehlt, sind die Straßen als zwischen einer ungefähren Region und einem konkreten Palast vermittelnde Größe, und damit eine Vorstellung davon, wie die gewöhnliche Bewegung, wenn nicht der Fluss als Transportweg genutzt wird, von Palast zu Palast sich eigentlich vollzieht; sie kommen, im oberirdischen Rom, allenfalls anlässlich einer allgemeinen Beschreibung dessen vor, was, außergewöhnlicherweise, auf ›den Straßen‹ geschieht.412 Ausgeschlossen sind somit auch die Darstellungen von Orientierungsverlusten, Zeitverzögerungen, Verkehrshindernissen; für einige wenige zufällige Begegnungen sorgen, als Knotenpunkte quasi innerhalb des sonst unsichtbaren Straßennetzes dienend, die Märkte.413 Anders ist dies im unterirdischen Rom,414 wo notwendig die Zahl der zur Verfügung stehenden Wege stark begrenzt ist. Die bestimmten Palästen zugeordneten Grüfte,415 in denen auch die Gottesdienste gefeiert werden, und einige Begräbnisse enthalten die meisten Eingänge; das kaiserliche Begräbnis, zu dem immer wieder gefunden wird, scheint hier eine Art Knotenpunkt zu bilden; die Tyber, nicht untertunnelt, teilt das Wegenetz in zwei Hälften. Orientierungsverluste und zufällige Begegnungen sind möglich. Die Lokalitäten an der Stadtgrenze und die Paläste, Lusthäuser oder Mayerhöfe außerhalb der Stadt, insbesondere das Marsfeld, sind, dank der schon benannten Stadttore und hinsichtlich der Richtung, in der sie von Rom aus liegen, in der Regel gut zu verorten.

412 Vgl. I/772: »Man hatte nicht allein die Palläste / sondern auch die Gassen / mit gewürckten Teppichen beleget […]«; »wie der Koth von der Gassen nicht hinweg gebracht war / worauf acht zu geben / in meines Vaters Ambt lieffe / ihme mit demselben seine Kleider besprützen liesse« (II/667); »[w]eil / wegen des Nächtlichen-Auflauffs / ein jeder / um seiner Sicherheit willen / die Thüren und Thore seines Hauses wol verschliessen lassen« (III/6); »und trugen dieselbe durch einen Theil der Stadt Rom / von allen ihren Ordens-Brüdern begleitet / welches einen so ansehnlichen Aufzug machte / daß allenthalben / wo sie herdurch kamen / die Fenster und Gassen in Rom wieder so voll wurden / als sie den Vormittag leer gewesen waren« (IV/9). Vgl. zu diesem Befund auch Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 15–19. 413 Vgl. II/384, III/21, I/437f, II/255. 414 Zu einer vermutlich von Anton Ulrich verwendeten Quelle vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 724f. 415 Treffend wiederum Hofters Bemerkung zu den Katakomben »die nur dem, der keine Kenntnis von ihnen hat, Labyrinthisch vorkommen; in Wirklichkeit herrschen dort genaue Besitzverhältnisse« (Hofter: Vereinzelung und Verflechtung, S. 31).

Struktur des räumlichen Mediums der Römischen Octavia

457

5.12.3. Basale Reihenbildung auf Grundlage der Leitfigurenregel Auch die aus der Leitfigurenregel sich ergebenden Reihenbildungen höherer Ordnung fußen auf einem im Korpus sonst vertretenen Phänomen: der lokalen Fokalisierung, der Bindung der der Erzählung zur Verfügung stehenden Information also an den Aufenthaltsort (und nicht: an die Wahrnehmung) einer bestimmten Figur. Dabei führt die Bindung, auch wenn sie vorliegt, nur unter bestimmten Bedingungen zur Reihenbildung, also zur Unterscheidung von Textelementen und ihren Stellen im Verlauf des discours. Folgend eine tabellarische Übersicht über das allgemeine Bewegungsprofil der Romane, ausgerichtet auf die Frage, wer sich bewegt, und wer an einen Ort gebunden bleibt: Roman

›Erzählung‹

Adelphico416

Ja, eigenständig.

Octavia Höfe

Ja; aber nur an je eine Figur gebunden (Leitfigurenregel). Ja, mit dem Helden.

Amor

Ja, mit dem Helden.

Held/ Heldenpaar Ja.

Andere Figuren Ja.

Ja.

Ja.

Ja. Gustavus Wenige. Streckenweise mit dem mehr als Helden: Heroald, Villaro, Silibert, Arione. Reinald. Eigenständig: Iranio, Decynto, Thurabe, Tyrconell. Ja, nur der Held.

Wenige. Hanses begleitet Infortunio durchweg. Infortunios Vater begleitet ihn einmal und besucht ihn einmal. Pecheur und Chien besuchen ihn einmal.

416 Die Spitzenstellung des Adelphico muss deshalb verwundern, weil hier das Prinzip der meisten anderen Romane – ein beweglicher Held und unbewegliche Nebenfiguren – auf den ersten zwei Dritteln umgekehrt wird: Adelphico bleibt auf Petralto sitzen, die anderen kommen zu Besuch. Die Bewegungen der Nebenfiguren, und die damit einhergehenden Wechsel der lokalen Fokalisierung konzentrieren sich, in einem sich etablierenden Rhythmus, zwischen den langen, unbewegten Besuchspartien, können also, in ihrer hohen Frequenz und, teilweise, ihrer Unübersichtlichkeit, leicht zusammengefasst und auch, bei nur geringem Verständnisverlust, vergessen werden (AP 31–51, 91–99): man wüsste ja, wo man nochmal nachsehen müsste. Erst die Aufhebung dieser Regel im letzten Romandrittel, wenn sich auch Adelphico bewegt, irritiert. – In der Octavia kann ein ganz ähnlicher Wechsel nach einem selben Anteil des discours (zwei Drittel) festgestellt werden: erst zum Ende des vierten Bandes bewegt sich ›die Erzählung‹, die bisher die Figuren ›kommen lassen‹ konnte, endgültig aus Rom heraus. So, als ob die Beweglichkeit aller oben genannten Komponenten (›Erzählung‹, Held/Heldenpaar, Nebenfiguren) die Einrichtung eines wenigstens temporären Fixpunktes ausgleichend hervorriefe.

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Einzelanalysen

(Fortsetzung) Roman

›Erzählung‹

Reise

Ja, mit dem Helden.

Schelmuffsky Ja, mit dem Helden.

Adalie

Held/ Andere Figuren Heldenpaar Ja, der Held. Wenige. Kurze Begleitungen durch den Fremden, den Holländer und den Franzosen. Ja, der Held. Wenige. Begleitung des Helden durch den Grafen bis Indien. Charmante in Hamburg und Stockholm, begleitend nach Amsterdam. Hans Barth auf dem Meer und in Rom. Toffel und seine Braut in Amsterdam und in London.

Ja, eigenständig zwischen den beiden Hauptpaaren wechselnd. Ja, mit dem Helden (eine Ausnahme).

Ja, beide Keine eigenständigen BewegunHauptpaare. gen.

Satyrischer Roman Student

Ja, mit Tyrsates.

Ja, nur nicht Nein. Asterie. Ja, nur der Nein. Held.

Carneval

Ja, eigenständig.

Statist

Ja, einmal mit dem Helden.

Welt

Ja, mit dem Helden.

Ja, nur der Held.

Nur Seladon und Menardi.

Nein, bis auf Nein. Sylvander. Ja, einmal. Nein.

Binden die Erzähler ihre Ortswechsel auf einer bestimmten Ebene der räumlichen Differenzierung durchgehend an eine Figur, bleibt die Reihe der Ortswechsel der Erzählung identisch mit der Reihe der Ortswechsel dieser Figur und der Effekt der entsprechenden lokalen Fokalisierung auf die Festlegung beschränkt, die hinsichtlich der Informationsvergabe der ›anderswo‹ geschehenden Ereignisse getroffen wird. Das gilt für die Romane Reise, Schelmuffsky, Amor, Student, Satyrischer Roman und Höfe.417 Innerhalb Venedigs, im Satyrischen 417 In der Reise gibt es überhaupt kein relevantes, anderes Geschehen; im Schelmuffsky ist an das zweimalige Auftreten des Herrn Toffels in Amsterdam und London zu denken (SM 68) sowie an die brieflich mitgeteilte Sterbenskrankheit der Mutter (SM 119); interessant wäre ein von Fortunato unabhängiger Ortswechsel im Amor, um mehr über das neue Verhältnis Ardoreas und Chiens in Friedrichstadt zu erfahren (AU 105f), als Pecheur mitteilt; das andere wichtige, ihm erst berichtete Ereignis ist der Tod seiner Mutter (AU 136); weniger wichtig ist das amouröse Abenteuer Hansens, von dem er ihm am Folgetag erzählt (AU 63–69); dass Infortunio Philuris nach der Hochzeit Bellandras verlässt, reduziert die Informationen über den Verlauf dieser Ehe auf ein Minimum; und Tyrsates bleibt für den Erzähler des Satyri-

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Roman, ›wechselt‹ der Erzähler zwischen Tyrsates und Selander (SR 73, 86, 92, 134, 145, 192), ohne dass der ›Verbleib‹ bei einer Figur das Geschehen bei der anderen Figur in nennenswerter Weise verdeckte; unspezifisch analeptische Wendungen418 und die Tatsache, dass Tyrsates erst nach der Abreise Selanders seine Bekanntschaft mit Asterie anknüpft, garantieren die Vollständigkeit der Erzählung. Ähnliches gilt für den Pariser Aufenthalt in den Höfen, wo außerdem, an wenigen Stellen, von der Festlegung auf Gustavus als Leitfigur abgewichen wird,419 wo freilich an anderen Orten sehr viel relevantes, entsprechend dann berichtetes passiert. Im Statist gibt es eine Bindung an den homodiegetischen Erzähler nur für den ersten Ortswechsel von der Burg Geroltz-Eck in die Residenzstadt (RS 11); das politische Leben in ihr bildet dann den lokalen Geschehenshorizont. Lokal eng begrenzt bleibt über weite Teile auch die Handlung des Carneval. Gefolgt wird in der Regel den männlichen Helden der je aktuellen Liebeshandlung; nur im Übergang zu Sylvander-Saladine folgt die Erzählung verspätet und in einer analeptischen Wendung Sylvander nach Velcoris.420 Etwas komplexer sind die Situationen in den Romanen Welt, Adalie und Adelphico. Für die Welt lassen sich 23 Ortswechsel auf Ortsebene listen,421 inbegriffen die fünf mit und innerhalb der metadiegetischen Analepsen vollzogenen, zu Beginn des zweiten Bandes. Legt man die Definition der Ortszusammenhänge zugrunde, ist Heraldo konstante Leitfigur (VW I/2, 38, II/94), wiewohl die Erzählung ihren Helden einmal, nach Jenona, ›vorausgehen‹ lässt, beim zweiten Übergang aber selber, an der Bandgrenze, ›pausiert‹, ihn also erst einholt, als er bereits auf dem Weg nach Amosina ist. Eine eigenständige Rückkehr der Erzählung nach Rei-

418 419

420

421

schen Roman die Leitfigur für Ortswechsel auf der Ortsebene, wenn der Ausflug auf das Landschloss Selanders noch Venedig zugerechnet wird; ansonsten läge dort die Ausnahme; relevantes, gleichzeitiges Geschehen ›anderswo‹ kann über die entsprechenden Informationsausgleiche leicht rekonstruiert werden (SR 64–66, 243–245, 251–255). Etwa SR 134: »Tyrsates war inzwischen auch in die Bekandtschafft eines Frauenzimmers aus Engelland gelanget […].« Die Ortswechsel der Erzählung erfolgen auf den Seiten EH 212, 217, 218, 218, 277, 277, 293, 551, 729, 742, 748, 750, 830, 830, 855, 998, 1001, 1002, 1002, 1008, 1022, 1025, 1025, 1028f, 1029, 1197, 1208, 1214. Die Abweichungen betreffen den Romaneingang, in dem, eigentlich bis zum Erscheinen Gustavens, der veronische Wald der ›Aufenthaltsort‹ der Erzählung unabhängig von den dort auftretenden Figuren bleibt; die Analepse 5 (EH 212–220); den nach Natransylvanien ziehenden Reinald (EH 1022); den nach Arccovien vorausgeschickten Heroald (EH 1025–1028). In einer übersichtlicheren Position bleibt die Erzählung bei den Kriegshandlungen und den politischen Wirren in Thualinien. »Wir wollen diesen unglücklichen Liebhaber in seiner Zelle stecken lassen, und uns nunmehro wieder zu Sylvandern wenden / welcher damahls seiner liederlichen Aufführung wegen gegen Scintillen und der daher befürchtenden Beschimpffung sich nach Velcoris begeben, um daselbst seinem Studiren ferner obzuliegen; […].« (CL 364) VW I/2, 36, 38, 63, 67, 70, 81, 112, 127, 151, 154, 166, 189, II/6, 15, 23, 69, 77, 83, 94, 154, 154, 191.

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stedt, mit den Brücken allerdings brieflichen Kontaktes und verbreiteter Nachrichten, gibt es durch die erste Analepse (VW I/60–68). Innerhalb des Ortszusammenhanges Salamoena (in den auch das weit entfernte Elbipolis gehört) wird zweimal anderen Figuren, Hermantes und Lemande, nach Lindenfeld gefolgt (VW I/70, 112); außerdem gibt es wechselnde Fokussierungen der einzelnen Liebeshandlungen. Wie in Venedig ›verdecken‹ sich die einzelnen Handlungen nicht; sie werden aber zusätzlich einigermaßen regelmäßig über gesellige Anlässe synchronisiert (VW I/41–47, 68f, 81–85, 112–116, 112–116, 127, 191f). In der Adalie sind die Figuren ab der Entführung Barsines in Bewegung begriffen, jedenfalls also Renard und Rosantes mit einem Ziel versehen, das sie erst gegen Ende erreichen, und das alle Zwischenaufenthalte – zu Zwischenaufenthalten macht. Zu listen sind deshalb nicht eigentlich die Ortswechsel, sondern die Stellen, an denen der Erzähler von der Bewegung einer Figur in die Bewegung einer anderen Figur ›springt‹, den Sprung in der Regel mit einer Metalepse markierend.422 Auch hier garantieren analeptische Wendungen die Vollständigkeit der Erzählung, es gibt also durch die Entscheidung für eine Leitfigur keinen nennenswerten Informationsverlust; nur in einem Fall ›verdeckt‹ ein Geschehen – der Aufenthalt Renards auf dem Schlosse Louyses – ein anderes Geschehen – die Ankunft Barsines bei Curton –, das in einer regelrechten, metadiegetischen Analepse nachgeliefert werden muss (LA 280–300). Der Erzähler des Adelphico wechselt den Schauplatz 19-mal mit einer anderen Figur,423 sechsmal einem Brief,424 viermal nur markiert durch eine Metalepse,425 einmal mit den Seufzern einer Figur, den sehnsüchtigen Gedanken also (AP 46). Am diffusesten wird die Lokalisierung der Erzählung in der Niptscho-Handlung (AP 114–118); gar keine ›Hilfe‹ beim Ortswechsel gibt es nur auf Seite AP 133. Etwa zwei Drittel der Ortswechsel liegen in der oben definierten ›bewegten‹ Phase der Bewegungsreihe Adelphicos (AP 99–146). Die Besuche in Petralto in der ›unbewegten‹ Phase (AP 3–31, 51–91) bilden lange Phasen ohne Ortswechsel der Erzählung, von denen sich ihre relativ große Beweglichkeit dann deutlich abhebt. In der Römischen Octavia sind, folgend der oben erläuterten, vom jeweiligen ›Anwendungsgebiet‹ der Leitfigurenregel abhängigen Schauplatzdefinition, ganze 798 Schauplatzwechsel zu verzeichnen.426 Auch dies also wieder eine höchst kleinteilige Reihe zuverlässiger, regelmäßiger Frequenz, deren großflächige Verschiebungen – die Wechsel der Anwendungsgebiete und, damit einhergehend, die Definitionswechsel für die Schauplätze – oben bereits besprochen wurden 422 423 424 425 426

LA 1, 7, 10, 10, 99, 102, 113, 119, 176, 228, 351–11 Elemente. AP 31, 99, 100, 100, 101, 114, 114–118, 119, 120, 122, 128, 129, 129, 129, 131, 137, 146, 146. AP 35, 37, 47, 48, 97, 132. AP 45, 51, 118, 139. Die Rohdaten liefert wieder der Anhang. 609 Schauplatzwechsel fallen alleine auf das römische Anwendungsgebiet.

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und Anlass zur Beobachtung hoch aggregierter, einheitsbezogener Reihen gaben. Die Analyse widmet sich jetzt, kleinteiliger, wie angekündigt der dynamischen Erschließung des räumlichen Mediums; zu bewerten ist also je die Selektion von Schauplätzen und Leitfiguren vor dem Hintergrund dessen, was nicht ausgewählt wurde, aber auch zur Verfügung gestanden hätte. Wieder werden ›grundständige‹ rhythmische Phänomene zu beobachten sein. Zunächst von den einfacheren zu den komplexeren Strukturen fortschreitend, soll abschließend erst die räumliche Dynamik der Gegenwartsgeschichte in der Linearität des discours zusammenfassend beschrieben werden. Im bewegten Anwendungsgebiet Reise nach Antiochia gibt es die vergleichsweise einfache Form einer zunächst gemeinsamen Reise, dann einer Aufteilung, dann einer Wiederzusammenkunft und gemeinsamen Reisefortsetzung bis zum Ziel. Grund für die Aufspaltung sind unterschiedliche sekundäre Reisemotive: der Besuch der ansässigen Christen auf der einen; mehr touristische Motive auf der anderen Seite (IV/454). Das kürzeste bewegte Anwendungsgebiet der Rückreise aus Norditalien umfasst nur zwei Seiten (IV/770f) – hier gibt es das erste Mal im Roman einen Überhang auf Seiten des Selektionshorizontes. Für die Rückreise aus Rom zur Verfügung stünden vier Gruppen;427 die Erzählung wählt aber mit Onomastus428 einen besonders schnell und besonders ereignislos Reisenden und verzichtet darauf, die Rückreise mit derselben Gruppe zu vollziehen wie die Hinreise. Weil Onomastus vor den anderen in Rom eintrifft, ergibt sich die Möglichkeit, einen Eindruck von dem von Hof, Rat, Heer und Gesandten verlassenen Rom zu gewinnen, in dem Octavia ja die Zeit über geblieben war. Über die anderen Reisebewegungen liegen keine Berichte vor, sie scheinen also auch ereignislos verlaufen zu sein. Die Tendenz ist eine ähnliche wie bei dem schon deutlich umfangreicheren bewegten Anwendungsgebiet der Hinreise nach Norditalien, in deren Selektionshorizont nur die Bewegung über Land liegt, nämlich des Heers, des Hofes und

427 Annius Vivianus und Coccejus Nerva treffen einige Tage vor Tag IV, 54 in Rom ein (IV/782); die Ratsherren, die über Mutina gereist waren (Ankunft Tag IV, 56, IV/788f); die Gesandten und mit ihnen reisend, wiewohl unerkannt: Tyridates, Dorpaneus Anses, Antiochus Epiphanes, Antiochus Callinicus, der jüdische Prinz Alexander, Aristobulus, die Prinzessinnen, Abdon und Balaad (Ankunft Tag IV, 57, IV/790f); Vitellius mit seinem Gefolge (Bericht über die Ankunft Tag IV, 82). 428 Der Wechsel auf Onomastus erscheint insofern motiviert, als sein Erscheinen in Mutina zur Flucht des Rates von dort nach Bononien, und damit auch zu der Routenänderung der Gesandten geführt hat. Der erste Abschnitt der Reise ist also durch eine Zieländerung, durch eine Umleitung gewissermaßen, gekennzeichnet; der zweite Abschnitt, mit Onomastus, erfolgt problemlos »in wenig Tagen« (IV/771).

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der Gesandten, die Tag IV, 19 ihren Anfang nimmt (IV/351–360).429 Es wäre zu vermuten, dass die Seereise schneller vonstatten geht, als die Reise über Land; andererseits trifft Tag IV, 26, einige Tage erst nach Ankunft der Flotte in Albium Intemelium, die Nachricht von einer Begegnung beider Heere bereits ein (IV/ 461). Angesichts des Weges, den Tyridates und seine Reisegruppe von Albium Intemelium bis Bebriac noch zurückzulegen haben, scheint es auch, als hätte die Landreise direkter zu ihrem Ziel, der Gruft des Protasius, geführt.430 Trotzdem, wegen des politischen und militärischen Gewichts der Reisenden, wirkt die Entscheidung der Erzählung als eine Entscheidung für den ›leichteren‹ Bewegungsmodus. Eine Ablösung der Reisegesellschaft Tyridatens von dem militärischen Reisevehikel der Flotte ist plausibel und erlaubt eine Bewegung im Konfliktgebiet aus einer vom Konflikt mehr oder weniger unabhängigen Perspektive. Wäre die Erzählung dem Hof gefolgt, ginge damit eine stark parteigebundene Perspektive und Bewegungsform einher. Eine ›technische‹ Anmerkung betrifft den vom römischen Anwendungsgebiet her, wo beinahe durchgängig Einzelpersonen Leitfiguren waren, deutlichen Wechsel zu stärker diffusen Leitfigurengruppen: da die reisenden Personen anlässlich ihrer Reisebewegung gewöhnlich nicht mehr alle aufgezählt, sondern pronominal oder durch eine Gruppenbezeichnung zusammengefasst werden, müssen zur Ermittlung der tatsächlich reisenden Personen weitere Textstellen konsultiert werden.431 Dieser Befund gilt grundsätzlich auch für das komplexeste 429 Informationen über deren Reise gibt es allenfalls im Bericht Ormissas über Cartismanda (IV/495–504). 430 Das liegt an den mehrfachen Zieländerungen der tatsächlich verfolgten Reisebewegung (Bebriac, Gruft des Protasius – Mayland – Lager des Annius Gallus – Lager des Suetonius Paulinus). In Rom ist das letzte Ziel die Gruft des Protasius, die erst Tag IV, 36, also nach unserer Unterscheidung erst im Rahmen des statischen Anwendungsgebietes Norditalien, erreicht wird. Die Bewegung nach Albium Intemelium ist eine Fluchtbewegung wegen der Unruhen im Flottenlager. Auch der abermalige Aufbruch von dort kann als Flucht vor den einbrechenden Ottonianern bezeichnet werden, jetzt gibt es aber auch, mit Mayland, das nie erreicht wird, ein neues Ziel. Bei Vercelli erfolgt erneut eine Richtungsänderung: weil Britannicus in Mailand noch nicht eingetroffen ist (IV/465), wird, wegen taktischer Gesichtspunkte, nicht also um Zuflucht zu finden, das Lager des Annius Gallus das neue Ziel (IV/ 467f); auch die Verwechslung dieses Ziels mit dem Lager des Suetonius Paulinus beruht auf taktischen Überlegungen (IV/476). – Es gibt also die unproblematische Fahrt nach Ostia; die ebenfalls unproblematische, mehrtägige Fahrt mit der Flotte nach Albingaunum; dann zwei Fluchtbewegungen, eine unbestimmte, eine mit neuem Ziel; und dann zwei taktischen Überlegungen geschuldete Zieländerungen. Ab der Ankunft in Albingaunum befinden sich die Reisenden im Konfliktgebiet und sind, bei sehr unübersichtlichem Frontverlauf, entsprechenden Gefahren ausgesetzt. 431 Die Rekonstruktion findet sich im Anhang. Einzige Ausnahme ist Pudens Rufus. – Die KernReisegesellschaft, sieht man einmal von dem Reisevehikel der Flotte ab, wächst auf ihrem Weg. Dreimal kommt es zu kuren Absplitterungen von einzelnen Leitfiguren oder Leitfigurengruppen (Pudens Rufus, die Männer, Tyridates mit Vasaces und Dorpaneus Anses); die zwei letzten dieser Absplitterungen führen zu einem Zuwachs der Reisegruppe (einmal

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bewegte Anwendungsgebiet der Reise ins Donaudelta: die Rekonstruktion der größeren Reisegruppen wird dabei durch die drei längeren Aufenthalte, während derer größere Umschichtungen der potenziellen Leitfiguren geschehen, erschwert. Es gibt aber Wechsel von solchen Leitfigurengruppen mit unscharfen Rändern und schmaleren, genau definierten Leitfigurengruppen.432 Charakteristisch, und mit der Wahl des Onomastus zur Rückkehr nach Rom in Zusammenhang zu bringen, ist die Verschlankung auf nur eine Leitfigur auf der letzten Etappe.433 Das Ziel sowohl der Reisegruppe Octavias als auch der fünf dorthin aufbrechenden Leitfiguren geht zunächst über die Diomedischen Inseln, auf denen ja Nero sich aufhalten soll, nicht hinaus. Erst mit dem Aufbruch von dort beginnt also die bis zum Donaudelta zielende Bewegung; sowohl die Diomedischen Inseln wie Nujodunum, als temporäre Residenzstadt Vespasians, haben noch unmittelbaren Bezug zur römisch-politischen Handlung; erst in Dinogetia betritt man den politischen Raum der im Donaudelta angesiedelten Höfe. Der Umstand dieser verzögerten Inaussichtstellung der kompletten Bewegung ist wichtig für das Empfinden der Bewegungsauswahl: viele Figuren und Gruppen sind auf dem Weg nach Dacien, bevor dem Leser deutlich wird, dass sie als Vehikel für seine Bewegung dorthin verschmäht wurden. So fallen – teilweise rückwirkend – in den Selektionshorizont des Anwendungsgebietes alle Bewegungen von Rom nach Dacien, und alle Komplikationen dieser Bewegungen, die im Anhang, unter Aussparung der von der Erzählung mitvollzogenen, aufgelistet werden. Diese vielen Bewegungen sind unterschiedlich kompliziert.434 Die Erzählung wählt in der Spannweite aus sehr komplexen Valeria, Cynobelline; das andere Mal Ormissa, Julius Densus, Praxedis). Ab Albium Intemelium ist die Reisegruppe militärisch durch geleitende Reiter verstärkt. 432 In folgendem Rhythmus: Rom – Sypontum (Gruppe), Sypontum – Diomedische Inseln (5, dann 4 Leitfiguren), Diomedische Insen – Nujodunum (Gruppe), Nujodunum – Dinogetia (9, 8, 9, 11 Leitfiguren), Dinogetia – Nachtlager (Gruppe), Nachtlager – Naracostomum (1 Leitfigur). 433 Man denke aber auch an die Vorausreise Ariaramnens nach Rom aus der trägeren Reisegruppe der morgenländischen Gesandten heraus, Ende des zweiten Bandes. 434 Ohne Berührung mit anderen Bewegungen verlaufen die Reisen der von Mermadalis aus Maroboduum entführten und der schon sehr früh aus Ameria aufbrechenden Ethiopier; außerdem die nur kurz genannten Hinzukünfte Stephos und des Fürsten Sidon auf Boreostomum. Diese drei Gruppen bleiben vom Anfang der Reise bis zu ihrem Ende stabil. Die Gruppe der Tag IV, 71 aus Rom aufbrechenden Gesandten mit ihrem Gefolge wird nicht aufgespalten, sie vereint sich nur, in Nujodunum, mit der Gruppe Tyridates-Octavia. Gänzlich aufgespalten wird, durch einen Sturm, die Gruppe ›Claudias‹ und ihres Geleits: die Gesandtengemahlinnen und Kämmerlinge kehren nach Italien zurück und gliedern sich später der Gesandtengruppe ein; Parthenia wird von Crispina mitgenommen; Artabanus geht, von Crispina verfolgt, eigenständig ins Donaudelta; Antonius Primus kommt nicht in Dacien an. Zur Gruppe Octavia, die als Ziel zunächst nur die Diomedischen Inseln hat, stoßen dort Tyridates, später die aus Rom fliehenden Ratsherren und Damen. Trebellius

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und sehr einfach Bewegungen einen Mittelweg. Für die erste Etappe zu den Diomedischen Inseln wählt sie zwei Gruppen – zuerst, über Land, eine schwerfälligere, größere, dann, über See, eine schnellere, kleinere435 – die über dieses Ziel zunächst nicht hinauswollen. Dort klärt sich die Komplikation um Claudia und den pontischen Nero. Dann kann, nach einer langen Reiseverzögerung, die Gruppe Octavia und Tyridates mit Geleit in einer einfachen Bewegung nach Nujodunum aufbrechen und sich dort mit der Gesandtengruppe vereinigen; welche vereinte, große Gruppe sich bei der Annäherung an das Ziel wieder zu teilen beginnt. Das statische Anwendungsgebiet Welt – aufgrund der Limitierung des Untersuchungsbereiches durch das Ende von Band VI nur unter Vorbehalt zu sehen – teilt mit den bewegten Anwendungsgebieten die sich aufdrängende Unterscheidung von Durchreise- und Aufenthaltsorten.436 Octavia ist, in unterschiedlicher Begleitung, mit der einzigen Ausnahme des Ausfluges nach Daphnis, durchgängige Leitfigur, und es gibt nur noch Leitfigurengruppen mit unscharfen Rändern. Wenn, wie oben erläutert, weniger die räumlichen Elemente als die Bewegungen der wichtigsten Protagonisten selber zu Schauplätzen im Sinne der Leitfigurenregel werden, gibt es bis zum Ende des Untersuchungsbereiches keinen einzigen Schauplatzwechsel; keine Verbindung also, etwa durch einen Boten, der Leitfigur wird, zu den ebenfalls, aber in andere Richtungen sich bewegenden Helden Tyridates, Artabanus und Beor.437 Deren Bewegungen verbleiben bis zum Ende des Untersuchungsbereiches im morgenländischen und indischen Raum, welche Erweiterung der potenziellen Schauplätze und das politische Gewicht Indiens – Rom ebenbürtig – dafür sprechen könnten, dass der Carmelberg als ein neues Zentrum etabliert wird, das zwar, durch das Orakel, Maximus und Galgacus werden von den Diomedischen Inseln, und dann abermals von Nujodunum aus, weit nach Nordwesten, bis Trier und Britannien, versprengt, um erst bei laufender Donaudeltahandlung in Dacien einzutreffen. – Für die größte Verwirrung sorgen abermals die Verwechslungen Claudias und des pontischen Nero, die zweimal je die Projekte des anderen übernehmen. Claudia beginnt, noch zu Lebzeiten Ottos, mit dem scheiternden Aufstand auf Cythnos. Der pontische Nero übernimmt, informiert durch Aponius Saturninus; die Nachricht vom Tode Ottos verzögert seine Weiterfahrt nach Rom, er bleibt auf den Diomedischen Inseln. Claudia wird über seine Pläne durch seinen schiffbrüchigen Diener und die angetriebenen Briefschaften informiert, außerdem hält Nerulinus sie für seinen Herrn und bringt ihr Tyridates. Die Gelegenheit zur Übernahme auf den Diomedischen Inseln verschafft ihr der pontische Nero, indem er, von Parthenia Nachricht erhaltend, zugunsten ihrer Verfolgung seine politischen Projekte jählings fahren lässt. Claudia möchte nun als Nero nicht mehr für sich, sondern für Octavia und Tyridates arbeiten, wird aber von dem Nero verfolgenden Galgacus umgebracht, oder beinahe umgebracht. 435 Wieder also die Tendenz zur Verschlankung gegen Ende einer Bewegung. 436 Wiederaufgesuchte Orte sind die Aufenthaltsorte Antiochia (ein kurzer Ausflug nach Daphnis) und Carmel (ein längerer Ausflug nach Cäsarea, dann die Reise durch Judea). 437 Die den Selektionshorizont für die Fixierung auf Octavia entwerfenden Berichte sind auf den Seiten VI/582–586, 589–593, 660–662, 692–699, 723f.

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ganz anders legitimiert würde, als das politische Zentrum der Stadt Rom, das es ablöste.438 Zur Gliederung der mitvollzogenen Bewegungen taugen – abgesehen von dem Rhythmus aus Aufenthalt und Reise – allenfalls die Phasen der Begleitung durch Vologeses, und die Phasen der Bewegungen ohne Vologeses;439 der kommt dann auch zum Carmel; die Reisen, die von dort ausgehen, unternimmt Octavia aber ohne ihn. Das statische Anwendungsgebiet Norditalien arbeitet noch mit derselben Schauplatzdefinition wie Rom und weist eine erstaunliche Fülle an Leitfiguren und Leitfigurengruppen auf.440 Dorthin führen einige Bewegungen, die schon in die Komplikationen des bewegten Anwendungsgebiets der Reise ins Donaudelta fallen;441 Thumelicus kommt als Petilius Cerealis in das Anwendungsgebiet von Maroboduum und Trier her (IV/517–519). Die pointierteste, durch Berichte am umfänglichsten nachgetragene Aussparung betrifft die Entscheidungsschlacht Tag IV, 43; dass die Erzählung nicht grundsätzlich Schlachten meidet, war Tag IV, 34 bewiesen worden. Auffällig ist ferner die Präferierung der ottonianischen Seite gegenüber der vitellianischen: nur Julius Fronto führt kurz und knapp Tag IV, 34 ins Lager des Cecinna; hier liegt also eine strukturelle Grenze vor, durch deren Beachtung unklar bleibt, wie auf vitellianischer Seite sich die Differenzierung in Vitellius-Anhänger und verschworene Anhänger des ›Britannicus‹ realisiert. Auch, dass die Erzählung ›Britannicus‹ nicht einen Meter weit entgegengeht und sein Erscheinen auf einem gegenwärtigen Schauplatz mit seiner Enthüllung als Galgacus koordiniert, ist bemerkenswert. Der Wegfall, zur Ordnung der Schauplätze, der Unterscheidung von Stadt und Umland, die noch in Rom Grundvoraussetzung für alle weiteren eingezogenen Differenzen blieb, wird durch eine stärker geschehensbezogene Unterscheidung, wie an einem Kriegsschauplatz erwartbar, substituiert: der kriegsnäheren und kriegsferneren, ›zivileren‹ Schauplätze.442 In der Linearität des discours er-

438 Munding: Christentum als absolute Religion, S. 120, adressiert, ausdrücklich sich auf die dritte Textschicht beziehend, die Karmellandschaft als dritten, großen Hauptschauplatz – »zweifellos nicht weniger symbolisch befrachtet als Rom und die Region um das Schwarze Meer. Es ist eine Art Weltmittelpunkt, wo sich die Herrscher aus West und Ost, Süd und Nord versammeln. […] Wichtig ist […], daß menschliche Grundprobleme hier exemplarisch gelöst werden sollen.« 439 Dinogetia – Troada: mit Vologeses; Troada – Halycarnassum: ohne; Halycarnassum – Antiochia: mit; Antiochia – Carmel: ohne. 440 Otto ist am längsten und am öftesten Leitfigur, jedoch erst ab Tag IV, 36. 441 Claudias Reise von Cythnos her (IV/595–597, 753–755) und die Ankunft der Gesandtengemahlinnen und Kämmerlingen aus dem Geleit ›Claudias‹ Richtung Dacien (IV/761–764). 442 Bebriac ist kriegsnäher als Brixellum; entsprechend sind in Brixellum mehr Schauplätze des zivilen Lebens zu finden. Ihrer Funktion nach ist die Gruft des Protasius am kriegsfernsten.

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schlossen wird dabei sukzessive, in fünf Phasen, und etwas kontraintuitiv, der kriegsfernere Raum.443 Übrig sind nun die beiden wichtigsten statischen Anwendungsgebiete Donaudelta und Rom, die, über die unterschiedliche Schauplatzdefinition hinaus, in mehrfacher Hinsicht entgegengesetzte strukturelle Eigenschaften kennzeichnet. Jene – dass die ganzen Inseln Schauplätze sind – bewirkt erst einmal, dass die Schauplatzwechsel sehr viel seltener erfolgen (insgesamt 49); und nicht unbedingt nimmt die Leitfigur an dem erreichten Schauplatz eine wichtige Funktion ein.444 Beides bedeutet einen erheblichen Wegfall auf der Kleinteiligkeit der Grundeinheit beruhender Differenzierungsmöglichkeiten. Auffällig ist für das Donaudelta ferner eine über die ganze Dauer seiner Aktualität sich erstreckende Erschließung der wichtigsten445 Schauplätze. Nimmt man deren Daten zusammen,446 lässt sich eine langsam, über 6 Erschließungsphasen vollzogene Schwerpunktverschiebung erkennen: Tage V, 36–43 (8 Tageselemente): Naracostomum, Boreostomum;

443 In einer ersten Phase befindet sich die Reisegesellschaft im Lager des Suetonius Paulinus in unmittelbarer Kriegsnähe – von hier aus geht es gleich zur Schlacht, und wieder ins Lager zurück (Tage IV, 33–34). In einer zweiten Phase folgt die Erschließung Bebriacs als Residenzort des Kaisers und als Zufluchtsort der Reisegesellschaft. Hierhinein gehört auch ein längerer Ausflug zurück ins Lager des Suetonius Paulinus (Tage IV, 35–39). Die dritte Phase beginnt mit dem Rückzug Ottos und des Hofes nach Brixellum, den die Erzählung zunächst mitmacht, um sich dann nach Bebriac zurückzuwenden, von wo aus die Entscheidungsschlacht in größerer Nähe, über Berichte, mitverfolgt werden kann. Die vierte Phase spielt zunächst in Brixellum, wo jetzt die Konsequenzen aus der verlorenen Schlacht gezogen werden. Hier ist die Dominanz Ottos als Leitfigur, bis zu seinem Selbstmord, am größten; die Folgen des Selbstmordes wiederum sind dann auch in Bebriac zu spüren. Im Lager des Suetonius Paulinus erfolgt die Bestattung Drusens (Tage IV, 44–46). Die fünfte Phase, der Aufenthalt in des Annius Gallus Lusthäusern, kann bereits als erster Schritt der Rückreisebewegung bewertet werden. Der bisher beschriebene Raum wird verlassen (Tage IV, 49– 51). 444 Labienus und Norondabates wären als häufige Leitfiguren sowohl einzeln wie auch in definierten Leitfigurengruppen allenfalls hervorzuheben. Die Leitfigurengruppen mit unscharfen Rändern bedeuten meist die Bewegung eines ganzen Hofes. 445 Calostomum und Peucostomum werden im statischen Anwendungsgebiet Donaudelta jeweils nur einmal Schauplatz (Tag V, 92; V, 103); die Schiffe haben über ihre Transportfunktion hinaus keine Identität, werden also als Schauplatz jeweils ›verbraucht‹. Einmalig Schauplatz, aber über mehrere Tageselemente, ist außerdem die Fischerinsel (Tage V, 106– 109). Da der letzte Wechsel nach Dinogetia schon das Ende des Anwendungsgebiets markiert, muss auch der Besuch dort an Tag VI, 50 als einmalig gelten. Die einzig wiederverwendeten Schauplätze: Naracostomum, Boreostomum, Stenostomum und die colchische Flotte, werden das letzte Mal verlassen an den Tagen V, 78 (Stenostomum), V, 122 (Naracostomum), VI, 38 (colch. Flotte) und VI, 59 (Dinogetia). 446 Naracostomum (Tag V, 36), Boreostomum (V, 37), Stenostomum (V, 44), Calostomum (V, 92), Colchische Flotte (V, 92), Peucostomum (V, 103), Schiff (V, 106), medisches Schiff (V, 106), Fischerinsel (V, 106), Schiffe nach Dinogetia (VI, 8), Schiff (VI, 38), Dinogetia (VI, 50).

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Tage V, 44–78 (35):

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Naracostomum, Boreostomum, Stenostomum; Tage V, 79–91 (13): Naracostomum, Boreostomum; Tage V, 92–121 (30): Naracostomum, Boreostomum, Colch. Flotte und einmalige Schauplätze; Tage V, 122-VI, 38 (41): Boreostomum, Colch. Flotte und einmalige Schauplätze: Tage V, 39–59 (21): Boreostomum und einmalige Schauplätze. Bis zur vierten Phase ist Naracostomum mit Abstand am längsten Schauplatz; dann fällt dieser Schwerpunkt auf Boreostomum. In den ersten drei Phasen nimmt aber Stenostomum, aus politischer Perspektive, eine Zentrumsfunktion ein: hier ist die Residenz des dacischen Territorialherren, hier versammeln zu einer Konferenz sich alle auf den Inseln residierenden Höfe. Dem stehen die beiden Antagonisten Meden und Parthien mit ihren Inseln Naracostomum und Boreostomum gegenüber. Die vierte Phase bedeutet für Meden die Durchsetzung seiner diplomatischen Pläne: Vologeses als parthischer König wird faktisch entmachtet; die medische Insel wird zum Ort der Unterzeichnung des medischen Friedens, nicht Stenostomum, welche Insel Gestriblindus verlässt; hier versammeln sich die Könige also. Gleichzeitig kommt die colchische Flotte als ein Ort hinzu, den Meden nicht unter seine Kontrolle bringen kann; und die einmaligen Orte bedeuten eine durch halb-militärische Aktionen bedingte Auflockerung des räumlichen Gefüges. In den letzten beiden Phasen verliert Meden seine dominante Stellung; Boreostomum bleibt aber dominanter Schauplatz. In Phase 5 verlassen die wichtigsten Akteure die Insel; die militärischen Auseinandersetzungen finden woanders statt. Wenn sie entschieden sind, kann auf Boreostomum die Friedenskonferenz zur Restitution des mit Vespasianus geschlossenen Bündnisses stattfinden. Nach und nach löst sich dann die gesamte politischräumliche Konfiguration des Donaudeltas auf. Hinsichtlich des Selektionshorizontes sind für das Anwendungsgebiet drei Untersuchungsebenen zu unterscheiden: es gibt zum einen strukturelle räumliche und handlungsbezogene Unterscheidungen, die regeln, welche räumlichen Elemente gegenwärtige Schauplätze werden können, und welche nicht. Und es müssen die nicht aufgesuchten Schauplätze und Handlungen innerhalb und außerhalb der Grenzen des Anwendungsgebietes unterschieden werden. Die handlungsbezogene Leitlinie für die Auswahl der gegenwärtigen Schauplätze sieht vor, die Orte militärischer Auseinandersetzungen zu meiden, die Orte diplomatischer Auseinandersetzungen aber zu suchen – ein sprechender Befund! Das bedeutet, räumlich: dass die militärisch aktiveren Flotten auf dem Euxinischen Meer, die Wohnungen des Andronicus an der Mündung des Boristhenes komplett gemieden werden; dass Dinogetia und Festlanddacien solange gemieden werden, wie dort der Konflikt bewaffnet ausgetragen wird; dass

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die diplomatisch unbedeutenderen Inseln nur einmalig, oder gar nicht aufgesucht werden; und dass die militärischen Aktionen auf den sonst für die Erzählung zentralen Inseln dennoch über Berichte dargestellt werden. Die Erzählung ›verpasst‹ also innerhalb des Anwendungsgebietes (zu dem alle Inseln, die Mündung des Boristhenes und Dinogetia hinzugezählt werden): – Entwicklungen bei der Behandlung der Gefangenen Zenobia und Artabanus auf Boreostomum (V/260–270); – die Planänderungen Pacorens auf Boreostomum (V/275–277); – die Verrichtungen des Aruntius Stella bei Pacorus auf Boreostomum (V/487– 490); – alle Entwicklungen am Boristhenes (V/567–584, 652–658, 849–851, 1032–1035, 1072f, 1117–1120, VI/202–204); – die auf Naracostomum geführten Friedensverhandlungen (V/604–606); – Einzelheiten über den Tumult am ethiopischen Palast (V/633–636); – den Abfall des Monobazes von der Partei Tyridatens auf seiner Insel (V/873f); – Begebenheiten am medischen Hof auf Boreostomum (V/1041–1044); – das Misslingen der Entführung des pontischen Nero durch Bagassaces (VI/36– 38); – die Konfliktwende in Dinogetia, beim Dicenäus, auf der medischen Flotte (VI/ 86–89, 134–136, 154–157, 179–191, 202–204, 206–208); – die gescheiterte Doppelhinrichtung von Artabanus und Zenobia auf Peucostomum (VI/195–197); – das Wiedersehen Octavias und Tyridatens (VI/217); – die Anschläge Vardanens auf Boreostomum (VI/349–351); – die Gefangennahme des Nerulinus und Anicetes auf dem Euxinischen Meer (VI/442–444). Nicht alle diese Auslassungen sind durch die oben beschriebenen, handlungsbezogenen oder räumlichen Auslassungsanweisungen gedeckt; ja einige von ihnen – die Friedensverhandlungen auf Naracostomum, der Tumult am ethiopischen Palast, die misslungene Entführung Neros – widersprechen, als Ausnahmen, der oben gewählten Schauplatzdefinition: hier müssen Ereignisse der gegenwärtig als Schauplatz dienenden Insel nachgetragen werden. Aus Rom gibt es regelmäßige Ankünfte, aber keine Abgänge dorthin; Richtung Teutschland gehen Bewegungen zweimal hin und zurück; zu Vespasianus geht eine Bewegung hin und wieder zurück, genauso wie nach Armenien. Diese beiden bedeutenden Reisen ziehen sich beinahe über die gesamte Handlungsdauer. – Das ist gegenüber dem, was im Umfeld des römischen Anwendungsgebietes an Bewegung zu verzeichnen war, außerordentlich wenig Mobilität. Was in einer textchronologischen Darstellung vernachlässigt zu werden drohte, kann jetzt, in Unterscheidung zu den schon besprochenen Anwendungsgebieten,

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hervorgehoben werden: dass Rom das erste Anwendungsgebiet der Leitfigurenregel ist, und also für die Lektüre bis in den vierten Band hinein das einzige. Alle anderen Anwendungsgebiete, heißt das – die Norditalienepisode hat hier zwar einen ambigen Status –, können in einem übergeordneten Sinne schon als Teil einer Bewegung verstanden werden, für die Rom hatte endgültig aufgegeben werden müssen. Dem von dieser Bewegung her entstehenden Eindruck übermäßig langen Verweilens in Rom sind aber in Rom schon einsetzende strukturelle Transformationen auf mehrfachen Ebenen entgegenzuhalten, deren Grundlage in der besonderen topographischen Differenzierung der Stadt, in der Häufigkeit der Schauplatzwechsel und der Vereinzelung der Leitfiguren besteht. Anders, als bei den übrigen Anwendungsgebieten, die entweder eine Bandlänge weit unterschreiten, oder, wo sie sie überschreiten, keine strukturellen Änderungen aufweisen, können dabei die ersten beiden Bandgrenzen zur Orientierung dienen. Die Transformation betrifft die räumliche Struktur selber, wie sie sich in ihrer Verwendung als Schauplatz darstellt – zu verzeichnen ist erstmals eine Erweiterung der Grenzen des Anwendungsgebietes –; die über die Kleinteiligkeit der Reihe sich ergebenden Möglichkeiten zu einer Reihenbildung höherer Ordnung; den stadtinternen und den äußeren Selektionshorizont – wobei letzterer für die Bildung der aus dem römischen Anwendungsgebiet herausdrängenden Spannung entscheidend ist. Der Wandel der dominanten räumlichen Struktur geht im ersten Band von einer Gegenüberstellung von Vorstadt und Stadt aus; die unterirdische Stadt447 wird der Vorstadt zugeordnet; beide bilden gegenüber dem öffentlichen Raum der Stadt Zufluchtsorte. Die strukturelle Unterscheidung erlaubt eine klare Gliederung des Bandes, mit einer kürzeren, der Vorstadt zugeordneten ersten Partie und einer längeren, der Stadt zugeordneten zweiten Partie.448 Im zweiten 447 Vgl. dazu und zu den strukturellen Entsprechungen in Norditalien und am Donaudelta Mazingue: Anton Ulrich, S. 723–729. 448 Die öffentliche Stadt wird Tag I, 19 durch Antonia erschlossen und bleibt dann, abgesehen von zwei kurzen Ausflügen nach Ostia (Tag I, 48–50) und einem weiteren Gang in die unterirdischen Wege Tag I, 29, sowie zwei Ausflügen zu Mayerhöfen an den Tagen I, 27 und I, 63, dominant. Zuvor sind die Mayerhöfe Schauplatz und die unterirdischen Wege. Der Wechsel zeichnet sich auch bei der Auswahl der Leitfiguren ab: ist diese in den Tagen I, 1–19 noch, mit einer kleinen Ausnahme an Tag I, 7, auf Tyridates, Vasaces und ›Drusus‹ beschränkt, kommt in den Tagen I, 19–74 ein breites, immer wieder erweitertes Personenspektrum, mit Nero als mit Abstand häufigster Leitfigur, in diese Funktion. Vgl. zu diesem Wechsel Mahlerwein: Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbuettel, S. 22. Mit der Zunahme an möglichen Leitfiguren geht auch eine erhöhte Frequenz der Ortswechsel einher. Im ersten Bereich standen nur vier Orte zur Verfügung (der Palast des Claudius Civilis Tag I, 18 ist schon ein Übergangssignal); ab Tag I, 19 sind das insgesamt 36 Orte. Der längste Aufenthalt (der Erzählung, wohlgemerkt) ist im Mayerhof des Cäsonius Severus (22 Seiten, 6 Tage). Der Mayerhof Flavia Domitillas bleibt sogar, sieht man von den Ausflügen zur nahegelegenen Einöde und ins unterirdische Rom ab, für etwa einen halben

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Band wird die funktionale Unterscheidung von Zufluchtsraum und öffentlichem Raum entlang der topographischen Unterscheidung von oberirdischem und unterirdischem Rom in die Stadt hinein verlagert, deren räumliche Differenzierung dabei erheblich zunimmt.449 Die bereits etablierten Elemente der Vorstadt erscheinen als marginale Erweiterung des unterirdischen Roms; die Erweiterung des statischen Anwendungsgebietes geschieht aber in Richtung der zweiten Hafenstadt und beschreibt einen Wechsel von verborgener und öffentlicher Bewegung.450 Diese Neuerung aufgreifend lässt sich im dritten Band und in der ersten römischen Phase des vierten Bandes die Unterscheidung von Zufluchtsräumen und öffentlichen Räumen auf beiden Seiten der topographischen Unterscheidung Stadt/Umland treffen. Dabei nimmt die innerstädtische Differenzierung wieder ab; die innerstädtische, topographische Unterscheidung von ober- und unterirdischem Rom verliert an Bedeutung451 und der Raum des Umlandes erfährt sowohl in öffentlicher, wie in verborgener Bewegung die bisher bedeutendste Erweiterung.452 Im Vorfeld der norditalienischen Reisebewegung

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Monat Aufenthaltsort. Dass im oberirdischen Rom ein Ort für mehr als einen Tag Aufenthaltsort bleibt, ist eine Seltenheit: am prononciertesten der Palast des Claudius Civilis (I/ 442–509 – mit einem Ausflug), der Palast des Arrius Antoninus (I/778–784) und der kaiserl. Palast (I/810–911). Innerhalb Roms können jetzt 48 Schauplätze gezählt werden. Das oberirdische Rom wird, durch den Wegfall des kaiserlichen Palastes als Herrschersitz und durch die Etablierung eines Nebenhofes der Anhänger Galbas im Palast Crispinas, dezentralisiert. Die Gruften sind in Wohnungen und Versammlungsorte differenziert, und die Wohnungen, obwohl einem oberirdischen Palast und dessen Besitzer prinzipiell zugehörig, gewinnen in der Benennung eine gewisse Autonomie: die Wohnung Neronias ist von der Wohnung Tyridatens geschieden, auch wenn sie zur Gruft desselben Palastes gehören. Diese Benennungspraxis (etwa II/287f) befördert die konzeptuelle Ablösung des unterirdischen vom oberirdischen Rom. Durch die Reise Ariaramnens Richtung Süden: über Trestaberna, bis zum Fluss Vulturnus bei Capua und Casilinum, dann zurück über Interamnia und Velitra (Tage II, 49–52); das sind Stationen auf dem Weg zur anderen Hafenstadt Sipontum. Als verborgener Aufenthaltsort Tyridatens, Vasacens, Ariaramnens und anderer dient der Palast der parthischen Gesandten auf dem Marsfeld, durch den man, durch das nahe gelegene kaiserl. Begräbnis, verborgen gelangen kann. Hier konzentriert sich die Funktion des unterirdischen Roms in einem Palast. Der kaiserliche Palast spielt ab dem Einzug Galbas wieder eine größere Rolle als im zweiten Band, immer noch aber eine kleinere als im ersten Band. Das liegt auch daran, dass das höfische Geschehen, etwa während der Saturnalien, nicht zwingend im kaiserl. Palast stattfindet. Die vielen neuen Tempelnennungen hängen so mit den kalendarisch vorgeschriebenen Bewegungen des Kaisers und Hofes in der Stadt zusammen. Der Status der fünf Bewegungen aus Rom heraus – nach Volaterra, und über den Hafen des Hercules zurück (Tage III, 5–7); nach Tusculum, und über Ostia zurück (Tage III, 9–21); zwei Reisen zum Lusthaus des Seneca und zurück (Tage III, 22–23; 37–41); und, über Tusculum, nach Caprea und, über Ostia, zurück (Tage III, 70–73) – ist nicht ganz einfach zu bewerten (Munding: Zur Entstehung der »Römischen Octavia«, S. 94, sieht in ihnen tendenziell eine Verletzung der Einheit des Ortes). Bis auf den ergebnislosen Ausflug Italens und Drusens

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und in der zweiten römischen Phase des vierten Bandes lässt sich dann allerdings ein Unterlassen fernerer Erweiterungen453 bei fortschreitender Entdifferenzierung der Stadt beobachten.454 In der zweiten römischen Phase führt das Fehlen wichtiger öffentlicher Funktionen zur Erschlaffung der dominant gewesenen Unterscheidung. Gliederungsmöglichkeiten, also Möglichkeiten zur Reihenbildung höherer Ordnung innerhalb der Bände ergeben sich in Form von Partien (erster Band) und in Form von punktuellen Markierungen (zweiter und dritter Band); entlang der Unterscheidung Vorstadt/Stadt (Tage I, 1–19, 19–73), durch räumlich prä-

zum Lusthaus Senecas und die Reise nach Caprea aber weisen alle Bewegungen eine Dynamik auf, die über den je von der Erzählung erreichten Schauplatz hinausweist. Für Volaterra ist das das langsame Herannahen des Hofes, dann aber auch die verschiedenen Fluchtbewegungen ›Claudias‹, Calvia Crispinillas, Parthenias, die im näheren Umkreis sich vollziehen. Antonius Honoratus und Jason bewegen sich gewissermaßen in einem anderen, leichteren Medium als diese anderen, können also rasch dazustoßen, eine Etappe mitgehen, und rasch auch wieder nach Rom zurückkehren. Dem Aufenthalt in Tusculum liegt der Aufbruch nach Dacien zugrunde und die Befreiung der Entführten durch ›Drusus‹; es ist ein von den Verwundungen erzwungener Aufenthalt in einer gewissen Schwebe. Wieder sind die Leitfiguren, die zu diesem Aufenthalt hinführen, flexibler als die Erreichten. Die veränderte Informationslage führt zu einem Aufbruchsentschluss, zu einer Reisebewegung über Ostia Richtung Marsilien, die die Erzählung eine Weile mitmacht, um dann, von Ostia aus, mit zwei sich trennenden Leitfiguren nach Rom zurückzukehren. Beim Lusthaus Senecas liegt die erste und in diesem Zusammenhang gänzlich unbedeutende Etappe der Reise Vitelliens und seines Gefolges nach Teutschland; Italus und Drusus besuchen die hierher geflüchteten Christen und bei ihnen bleibt die Erzählung dann, Vitellius, Italus und Drusus ziehen lassend, gewissermaßen hängen und wieder führt eine veränderte Informationslage zum Aufbruch zurück nach Rom. Für die Reise nach Caprea schließlich dient die größere Reisegesellschaft vollständig als Leitfigurengruppe; als Bewegung über das Reiseziel hinaus kann hier höchstens die Rückkehr Calvia Crispinillas veranschlagt werden, die in Ostia von der Reisegruppe angetroffen wird. Es handelt sich bei Caprea allerdings auch um keinen Zufluchtsort, und bei der Reise um ein betont öffentliches Geschehen; die Insellage verbietet ohnehin eine enge Anbindung an Rom. 453 Die Bewegungen aus der Stadt heraus, die nicht auch einen Wechsel des Anwendungsgebietes bedeuten, nutzen die schon etablierten Erweiterungen; das ist ein Ausflug nach Ostia zu einer Musterung (Tag IV, 9) und ein Stück Weges in Richtung der anderen Hafenstadt Sipontum (Tag IV, 71–72). Es kommt also, anders als noch in den ersten drei Bänden, zu keiner neuen Erweiterung. 454 Der zweite römische Aufenthalt (Tage IV, 52–74) führt die Entdifferenzierung Roms, die Verflachung seiner räumlichen Struktur, weiter fort. Jetzt, da Vitellius noch nicht eingetroffen ist, fehlt ein höfisches Zentrum vollständig. Octavia bewohnt in den ersten Tagen einen politisch vakanten kaiserlichen Palast; Plautia Urgulanillas Selbstmord entkleidet ihren Palast seiner politischen Funktion eines oppositionellen Versammlungsortes. Wieder gibt es eine doppelte Delokalisierung der Zufluchtsorte: vom Palast Pomponia Gräcinas zum Ceres-Tempel, von diesem zum Vesta-Tempel. Hervorzuheben ist der Spaziergang Tyridatens Tag IV, 57, da viele Schauplätze vergangener Ereignisse in dieser Hinsicht in rascher Folge aufgerufen werden.

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gnante Ereignisse verschiedener Art (Tage II, 28, 38, 49–52, 60),455 durch die Bewegungen ins Umland (Tage III, 5–7, 9–21, 22–23, 37–41, 70–83).456 Die beiden römischen Phasen des vierten Bandes bleiben ohne regelmäßige Gliederung, hier sind allenfalls singuläre Markierungen zu identifizieren (die Überschwemmung Tag IV, 13, der Spaziergang Tyridatens Tag IV, 57). Es gibt eine Zunahme der innerrömischen Schauplätze (36, 48, 53; im vierten Band insgesamt 40, was angesichts des geringeren Umfanges noch als Zunahme gelten kann); eine Zunahme auch der Leitfiguren/Leitfigurengruppen (32, 39, 67; im vierten Band jeweils 34 und 21). Die Regelsuspensionen457 (21, 15, 14, 16) bleiben nach einem Abfall auf einem recht konstanten Niveau.

455 Eine Rhythmisierung in räumlicher Hinsicht leisten vier Akzente unterschiedlicher Art, ab der Bandhälfte regelmäßig verteilt: ein raumgreifendes, Massen von Figuren bewältigendes Fest, in dem die Leitfigurenfunktion gewissermaßen versinkt (Tag II, 28); die Entführung aus einem Gartenhause, darstellend ein kämpferisches Zusammentreffen oberirdischer und unterirdischer Akteure, da letztere sich gerade oberirdisch, anlässlich eines Festes, exponieren (II, 38); ein jähes Verlassen Roms und wieder dahin Zurückkehren (II, 49–52); und die konzertierten Bewegungen am vorletzten Tage, die, in ihrer Gleichzeitigkeit und starken Abhängigkeit voneinander, stellenweise die Aufhebung der Leitfigurenregel erlauben (II, 60). 456 Gliedernde Wirkung haben also vor allem die fünf Bewegungen aus Rom heraus, dabei aber mit unterschiedlichem Gewicht. Am schwersten wiegt wegen seiner Länge und seiner Einförmigkeit, d. h. seines Kontrastes zur simultan vermuteten römischen Handlung, der Aufenthalt in Tusculum mit der angehängten Reise nach Ostia (III, 9–21). In eine ähnliche Richtung geht der für die Paarhandlungen so bedeutende Aufenthalt im Lusthaus Senecas (III, 37–41). Die Reisen nach Volaterra und Caprea hingegen bilden zum römisch/höfischen Geschehen keinen Kontrast, sondern ergänzen dieses, ja die Reise nach Volaterra führt zum sich annähernden Hofe allererst hin. Tag III, 80 hat als herausgehobener Tag (21 Schauplatzwechsel, 17 Leitfigurenwechsel) kein Pendant. 457 Im ersten Band, wo die Regelsuspensionen auf das oberirdische Rom beschränkt bleiben, zeichnen sich folgende Möglichkeiten ab: die Erzählung delokalisiert sich selber in einer allgemeinen Perspektive auf die römische Stadtbevölkerung oder das römische Reich; ein ganz Rom bewegendes Ereignis oder Fest, also die gleichartige Beschäftigung aller, erlaubt der Erzählung, zwischen den so beschäftigten zu springen, oder sie allgemein in den Blick zu nehmen. Im zweiten Band fallen alle Regelsuspensionen auf die zweite Bandhälfte. Auffällig ist der Wegfall der Substitutionsmöglichkeit durch ein Fest. Rom allgemein bewegende Ereignisse sind stattdessen eine unerwartete politische Wendung in der Ämtervergabe, eine Todesnachricht, der Einzug der Gesandten, die allgemeine Rückkehr nach Hause und zweimal eine Vielzahl verborgener politischer Bestrebungen. Zweimal erlauben kleinere Resonanzfelder die Substitution: die Taufnachricht verbreitet sich unter den Christen; die Verschworenen reagieren auf den Wohnungswechsel Tyridatens. Viermal lässt sich der Sprung so erklären, dass mit einer Leitfigur ein Ortswechsel mitgemacht wird, dann aber zu einem früheren Punkt in der Leitfigurenkette zurückgegangen, und von da weitergemacht wird. Speziellerer Natur ist die prononcierte Abwesenheit einer Figur (II/879f). Der Sprung zu Nymphidius am vorletzten Tag alleine wegen einer zeitlichen Koordination ist durch die Aufzählung der unterschiedlichen Bewegungen vorbereitet. Im dritten Band stellen die Abweichungen von der Leitfigurenregeln, die nicht durch Aussagen über Rom allgemein oder durch einen temporalen Sprung bedingt sind, keine eigentlichen Unterbrechungen der

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Die Beibehaltung einer Leitfigur über mehrere Tage und Ortswechsel wird als Gliederungsmittel im zweiten Band am konsequentesten genutzt.458 Veränderungen sind nun auch bei den nicht von der Erzählung aufgesuchten Schauplätzen zu verzeichnen, und zwar innerhalb und außerhalb der Grenzen des statischen Anwendungsgebietes.459 Hier handelt es sich also um Veränderungen im Selektionshorizont der Schauplatzwahl. Alle Spannung zu nicht von der Erzählung aufgesuchten räumlichen Elementen ist innerhalb Roms nur vorübergehend. Es gibt also keinen Bereich der Stadt, der sich über einen längeren Zeitraum den gegenwärtigen Schauplätzen gegenüberstellen ließe – wie etwa im statischen Anwendungsgebiet Donaudelta. Der Überschuss an unterscheidbaren Palästen insgesamt,460 wie er sich gegenüber den zu gegenwärtigen Schauplätzen werdenden Palästen zeigt, führt zu einer entsprechenden Spannung nicht, weil die Paläste meist einzig anhand ihrer Besitzer definiert werden, keine weiteren räumlichen Indikatoren hinsichtlich ihrer Position innerhalb der Stadt also beigefügt bekommen. Die meisten Besitzer aus den Geschichten sind für die Gegenwartsgeschichte nicht mehr relevant; es wäre möglich, dass ihre Paläste den Besitzer gewechselt haben. Zweitens führen die strukturellen Verschiebungen, wie sie oben geschildert wurden, nicht Leitfigurenkette da, sondern allenfalls versetzte Anschlüsse. Die Tendenz zur konsequenteren Anwendung der Regel setzt sich also fort. 458 Die so gebildeten Phasen sind: Tag II, 7–9: Ariaramnes; 13–19: ›Drusus‹; 21–24: ›Drusus‹; 24– 26: Ariaramnes; 26–28: Crispina; 29–33: Ariaramnes, zwischenzeitlich mit Crispina alternierend; 33–35: ›Drusus‹; 41–42: Claudia Rufina; 47–52: Ariaramnes. Die Phasen treten also über den ganzen Band verteilt auf; in den Tagen 13–35 gibt es eine weitgehende Dominanz von nur drei Leitfiguren. Ariaramnes ist in der ersten und letzten Phase Leitfigur, in der letzten mit dem bedeutenden Akzent der Reise außerhalb Roms. Danach, für nur etwas mehr als einen Tag, fällt Norondabates noch auf, als für besonders viele Ortswechsel verantwortliche Leitfigur (Tage II, 55–56). Im dritten Band sind Phasen außerhalb der Bewegungen aus Rom heraus, in denen nur eine Leitfigur über mehrere Tage hinweg für mehrere Ortswechsel verantwortlich ist, weniger auffällig als noch im zweiten Band; und liegen eher in der zweiten Bandhälfte, betreffend Vitellius (Tage III, 33–37), Otto (Tage III, 63–66), Piso (Tage III, 66–68), Piso (Tage III, 70–71). Auffällig sind hingegen Leitfigurengruppen mit offenen Rändern, wo also eine Personengruppe nicht über eine Aufzählung der einzelnen Figuren definiert wird, sondern durch eine Gruppenbezeichnung wie ›der Hof‹, ›die vornehmen Damen Roms‹ oder ähnliches. Im vierten Band gibt es längere Zuständigkeiten in der ersten römischen Phase bei Otto (Tage IV, 7–10, 12–13, 14–15), Octavia (Tage 10–12) und Annius Vivianus (IV, 13–14); in der zweiten römischen Phase bei Octavia (Tage IV, 52–54, 67–71) und Pomponia Gräcina (Tage IV, 54–55). 459 Vgl. Mazingue: Anton Ulrich, S. 837–842, der, bezüglich der nachgeholten Berichte, resümiert: »On peut aboutir ainsi à un véritable contrepoint entre l’action principale et le rappel des événements du passé proche, – contrepoint temporel qui sert en même temps à faire apparaître la multiplicité, voire les contradictions des perspectives individuelles.« (Ebd., S. 837) 460 Siehe unten, Kap. 5.12.2, den Abschnitt zur Ortsebene in der Römischen Octavia und darin zur inneren Differenzierung Roms.

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dazu, dass zu strukturell vernachlässigten Schauplätzen der vorherigen Stufe in der Folgestufe eine Spannung entsteht. Die Vorstadt etwa wird auch als nicht aufgesuchter Schauplatz im zweiten Band weitgehend irrelevant. Das unterirdische Rom kann seine schwindende Bedeutung als gegenwärtiger Schauplatz im dritten Band nicht durch eine gesteigerte Bedeutung als potenzieller Schauplatz kompensieren. Spannungen entstehen also mehr handlungs- als ortsbezogen. Indikatoren sind die Berichte. Im ersten Band führt die Unterteilung in eine Vorstadt- und eine Stadtpartie zu einer ortsbezogenen Spannung. Die Erzählung ›verpasst‹ durch das lange Verweilen auf den Mayerhöfen die innerrömischen Ereignisse. Das sind die Ankunft ›Italens‹ in Rom, die entsprechenden Verschwörungstreffen, und die Begegnungen ›Italens‹ und ›Jubiliens‹ mit Octavia und Cynobelline in den unterirdischen Gängen. Die entsprechenden Berichte (I/305–310, I/322–326) erfolgen aber noch innerhalb der Vorstadt-Partie. Ferner entscheidet sich die Erzählung dazu, Vasaces zu folgen, Tyridates also zurückzulassen. Nachgetragen werden muss also, wie es Tyridates ergeht (I/44– 47), vor allem die gescheiterte Offenbarung Claudias im Vorfeld des Überfalles durch Nymphidius (I/317f). In der zweiten, innerstädtischen Partie gibt es nur geringfügige Spannungen. Da der Leser etwa von der Rettung Antonias nichts weiß, kann er auch die entsprechende Erzählung nicht vermissen (II/308–310). Im zweiten Band dienen die Berichte in sechs Fällen der Mitteilung von Informationen, die schwierig zu erlangen waren oder nur einem begrenzten Personenkreis zur Verfügung standen, die auch der Leser nicht ›direkt‹ zu erfahren erwarten dürfte; ja deren Handlungsfunktion als mitgeteilte Information in ihrer Wirkung geschmälert würde, wüsste der Leser schon Bescheid. Das sind: die Entführung Claudias (II/159–161), die Spionage Aquilas (II/292–295), das Verhör des Epaphroditus (II/297–299), die Rettung Antonias (II/308–310), die Fälschung der Flugblätter durch Claudia (II/436–439), die Entdeckung, dass die Gefangenen bei Crispina sind (II/766–769). Von allgemeinerer Bedeutung sind die Flucht Claudias (II/875f) und die Befreiung Tyridatens (II/881–883). Dass Nymphidius in den Tagen vor dem Finale etwas aus dem Fokus der Erzählung rückt, führt zu einem Bericht über seinen Kenntnisstand (II/946–948). Auffällig sind schließlich Berichte über Ereignisse, die von der Erzählung nur knapp ›verfehlt‹ wurden. Ein Gespräch zwischen Tyridates und Annius Vivianus wird Tag II, 9 umständlich vorbereitet (II/278–280), die Erzählung folgt dann aber Popilia Plautilla und Coccejus Nerva, statt bei Pudens Rufus und Annius Vivianus zu bleiben. Der Inhalt des Gespräches wird erst fünf Wochen später von Annius Vivianus kundgetan (II/434f). Ganz ähnlich geht Pudens Rufus Tag II, 28

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als Leitfigur von dem großen Fest Nymphidiens zu Tyridates, um ihm den diese Nacht geplanten Besuch des Annius Vivianus anzumelden (II/426). Anstatt aber dass die Erzählung bei Tyridates bliebe, geht sie mit Pudens Rufus zum Fest wieder zurück; das Gespräch muss also über den Bericht Tyridatens am Folgetag nachgetragen werden (II/442–448); und von den ferneren Wirkungen des Gespräches berichtet Antonius Honoratus später in der schwierigsten Berichtskonstruktion: Crispina nämlich mitteilend, wie Crispinilla bei Nymphidius erzählte, wie Annius Vivianus bei Plautia Urgulanilla erzählte, dass Tyridates doch Claudia nicht lieben könne (II/545–551). Im dritten Band bringt der längere Aufenthalt im Umland, in Tusculum vor allem, mit sich, dass die innerstädtischen Ereignisse nachgetragen werden müssen; das ist, herausragend, der Einzug Galbas in Rom (III/249–255) und der Beginn seiner Regierung (III/618–663). Ansonsten gibt es einen längeren und wichtigen und etwas komplizierten Bericht des Annius Vivianus zu Beginn (III/15–19) – er erzählt, wie er bei den Gesandten Tyridates hat erzählen hören. Und noch einmal ein Verhör des Epaphroditus (III/23). Im vierten Band werden die Unterredungen Ottos und des pontischen Nero durch den pontischen Nero nachgetragen, die auch, über die eigentlich dominante Leitfigur Ottos, gut ›direkt‹ hätten erzählt werden können (IV/310–314). Zweimal gibt es also, im ersten und im dritten Band, die Entscheidung, einer kleinen Figurengruppe in die Vorstadt bzw. ins Umland zu folgen, und die rascheren, politischen Entwicklungen der Innenstadt nachzutragen. Im zweiten Band bekommen die häufigeren innerstädtischen Berichte einerseits die Funktion, zur Differenzierung der zwischen den Protagonisten ausgetauschten Informationen hinsichtlich ihrer Verbreitung und Zugänglichkeit beizutragen. Andererseits fallen zwei besonders prononcierte, nämlich willkürlich wirkende Entscheidungen auf, Gespräche nicht ›direkt‹ zu geben, sondern über Berichte nachzutragen. Beide Tendenzen werden in den Folgebänden kaum mehr fortgeführt. Die Frage nun nach dem Selektionshorizont für die Anwendung der Leitfigurenregel außerhalb des Anwendungsgebietes scheint widersprüchlich, da das Anwendungsgebiet ja die Grenzen genau dieses Selektionshorizontes bezeichnen soll: würden sie überschritten, läge ein Wechsel des Anwendungsgebietes vor, wie dann bei der Reise nach Norditalien. Insofern müsste die Frage sich eher auf den Selektionshorizont für die Wahl eines bestimmten Anwendungsgebietes beziehen. Aber andererseits ist die Definition der Anwendungsgebiete nur nachträglich, vom ganzen Roman her, in der Form möglich, die hier gewählt wurde. Der erste Leser weiß nicht, wann eine entscheidende Raumänderung eintreten wird, bis zu welcher Grenze also das räumliche Bezugssystem erhalten bleibt. Er wird Bewegungen potenzieller Leitfiguren außerhalb Roms doppelt interessiert

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verfolgen: einerseits als mögliche Erweiterungen des räumlichen Bezugssystems Rom – wie nach Ostia also, Tusculum, Caprea; andererseits als Indikatoren und Wegbereiter eines zukünftigen, übergeordneten Schauplatzwechsels. Denn die Anlage der Haupthandlung, so wie sie zu Beginn des ersten Bandes erkennbar wird, gibt Anlass zur Erwartung, dass die Handlung in Rom nicht zu ihrem Ziele kommen wird. Tyridates ist armenischer König; er ist in Rom zu Besuch und seine Pflichten werden ihn über kurz oder lang in sein Land wieder führen. Soll das politische Handlungsziel, wie es in der Prophezeiung des Cosdroes angedeutet scheint, die Herrschaft Tyridatens über Meden und Parthien, erreicht werden (I/94f), sollte sich der Schwerpunkt der Handlung irgendwann nach Osten verlagern.461 Diese Erwartung ist die Grundlage, auf der und gegen die Rom in den ersten vier Bänden als Zentrum etabliert wird. Die entsprechende Spannung teilt sich den Bewegungen aus Rom hinaus und nach Rom hin mit: aus Rom hinaus drängt die Anziehung des Handlungszieles; her nach Rom zieht die Zentripetalkraft der Stadt, die als politisches Zentrum im Osten kaum gegen ein ebenbürtiges Pendant wird ausgetauscht werden können. Zu untersuchen sind einmal die Bewegungen selber, und dann ihre Erscheinung im discours. Einerseits gibt es Bewegungen von Gruppen mit unscharfen Rändern und vorrangig politischer Bedeutung. Es kann sich dabei um innerrömische Politik handeln, oder um Außenpolitik. Die Bewegungen sind öffentlich, langsam und überbrücken große Distanzen. Andererseits gibt es Bewegungen einzelner Figuren oder scharf definierter Figurengruppen mit stärker persönlicher Bedeutung, Bezug also, in den meisten Fällen, zu Liebeshandlungen. Ihre Reichweite ist in der Regel kleiner, sie sind schneller und verborgen, oder nur wenigen bekannt. Es sind freiwillige oder erzwungene Rückzüge aus Rom, Entführungen, Befreiungsversuche und Verfolgungen. Die Berichte über die Bewegungen können für längere Zeit ganz ausbleiben; sie können zeitnah, kompakt und übersichtlich erfolgen; oder fragmentiert und ohne konstanten zeitlichen Abstand zum Berichteten. Es gibt die Möglichkeit, 461 Tag I, 36 bereits wird Tyridates von Octavia aufgefordert, nach Armenien zurückzukehren (I/536); nach seiner Entführung aus dem Hause des Claudius Civilis Tag I, 42 fasst er in Ostia den Entschluss zur Heimkehr (II/25) und in Genua kommen durch Ariaramnes Nachrichten vom armenischen Zustand hinzu, die die Dringlichkeit dieser Heimkehr eigentlich nur erhöhen (II/27f); klar wird aber anhand der Entscheidung, dann doch nach Rom zurückzukehren, auch, dass, solange das Schicksal ›Drusens‹ und Octavias nicht entschieden ist, Tyridates in Rom eine Aufgabe hat; noch einmal dringlicher wird das Vorhaben der Abreise im Verbund mit dem Vorhaben, Antonia zu heiraten, im dritten Band (III/103–106, 128– 135).

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dass die Erzählung, in den Grenzen des statischen Anwendungsgebietes, Anfang oder Ende der Bewegung selber mitvollzieht. Es gibt drei große politische Bewegungen, zwei inner-reichsrömische (Galba, Vitellius), eine außer-reichsrömische (die Gesandten). Obwohl erst im zweiten Band der Aufbruch Galbas als Nachricht Rom erreicht (II/376), steht mit seiner Wahl zum Kaiser am Ende des ersten Bandes (I/942f) fest, dass er aus Hispanien über kurz oder lang nach Rom kommen wird. Über seine Ankunft wird Tag III, 16 berichtet (III/249–255); damit zieht sich die Bewegung über zwei Bandgrenzen hinweg. Die Etappen sind Hispanien, Narbo, Albium Intemelium, Genua, Volaterra, Hafen des Hercules, Viterbo, Rom; Nachrichten über den Reisefortschritt gibt es an den Tagen II, 20, 39, 47, 56, 57; III, 5, 6, 16.462 Das Herannahen des erwählten Kaisers bedeutet über den gesamten zweiten Band hin das Ausstehen der entscheidenden Bewährungsprobe für alle Ende des ersten Bandes schon begonnenen Bemühungen Nymphidiens, sich vom Stellvertreter Galbas zum Kaiser zu machen. Der hierdurch erzeugten Spannung kommt zugute, dass die Erzählung den Hof Galbas, solange Nymphidius seine Machtstellung innerhalb der Stadt innehat, nicht aufsucht. Tag III, 37 erfolgt der politisch zunächst noch unverdächtige Aufbruch Vitelliens zum Antritt seiner Statthalterschaft in Niederteutschland; Tag III, 81 gibt es die Nachricht über seinen Abfall vom Kaiser; ab dann steht also ein Zug nach Rom im Raum. Tag III, 85 folgt die Nachricht vom Aufbruch des Heeres unter Cecinna (III/1001); Tag IV, 8 ist auch von einem mit seinem Kriegsvolk besonders langsam und schwelgend reisenden Vitellius die Rede (IV/112). Otto reist diesem nach Norditalien entgegen und unterliegt im Bürgerkrieg – von der ersten militärischen Begegnung gibt es Nachricht Tag IV, 26 (IV/261), die Entscheidungsschlacht wird Tag IV, 43 geschlagen. Der nachrückende Vitellius wird Tag

462 Auf den Seiten II/376, 634, 780f, 899, 950, III/107–118, 249–255. Es gibt einen regelmäßigen Verkehr von Boten, einen zuverlässigen Bestand möglicher Leitfiguren also. Im zweiten Band ist die wichtigste an den Hof Galbas reisende Figur Antonius Honoratus, aufbrechend Tag II, 47 (II/780f), zurückkehrend Tag II, 57 (II/945). Die gemessen am Möglichen (II/248) sehr langsame Reisegeschwindigkeit ist selber Gegenstand politischer Einflussnahme: Nymphidius sucht sie zu drosseln (II/251), Galbas Anhänger wollen sie erhöhen (II/780). Es gibt ferner eine gegenläufige Bewegung Valerias: sie bricht, nachdem sie kurz zuvor erst von Ticinum über Marsilien Rom erreicht hat (II/292–295), zu Galba nach Narbo wegen politischer Angelegenheiten auf und wird bis Genua von Pudens Rufus und Claudia Rufina begleitet (II/295, II/424, II/524, III/727f). Der Aufbruch erfolgt Tag II, 11, die Rückkehr des Begleitpaares Tag II, 27; Valeria trifft Galba in Narbo an, bewegt sich weiter Richtung Aquitanien, kehrt dann aber, als sie verräterischer Absichten Galbas gewahr wird, nach Rom zurück, ankommend am Tag der Entführung Lucinas, das ist vor Tag III, 16 (III/252).

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IV, 56 in Pavia erwartet (IV/788), die Nachricht über seinen Einzug in Rom erfolgt erst Tag IV, 81 (IV/888), als die Erzählung Rom bereits verlassen hat.463 Folgendes Bewegungsmuster lässt sich aus beiden Bewegungen abstrahieren: der zukünftige Kaiserkandidat muss aus Rom in die Provinz aufbrechen (1); die politische Lage muss sich so verändern, dass er als zukünftiger Kaiser in Rom über kurz oder lang erwartet wird (2); er bricht auf (3); es gibt eine Klärung des Konfliktes mit dem Machthaber in der Hauptstadt (4); er zieht in die Hauptstadt ein (5). Die doppelte Applikation dieses Musters auf den discours ergibt folgenden Rhythmus: I, 64 Galba 2 Wahl zum Kaiser in Rom II, 20 Galba 3 Aufbruch aus Hispanien II, 60 Galba 4 Klärung der Machtfrage in Rom, Tod Nymphidiens III, 16 Galba 5 Einzug in Rom 463 Wie bei dem aus Hispanien sich annähernden Galba etabliert sich ein einigermaßen zuverlässiger Verkehr von unbedeutenderen Personen zwischen dem ausgelagerten politischen Schwerpunkt und Rom. Mit Vitellius waren öffentlich Alienus Cecinna, Valerius Asiaticus, Pompejus Propinquus, ›Petilius Cerialis‹ (=Thumelicus), Tarquitius Priscus, Coccejus Nerva und andere Adelige, sowie, heimlich, Drusus und Italus gereist (III/403f). Novatus wird ihnen vom Lusthaus des Seneca aus hinterhergeschickt (III/466), verfehlt aber seine Mission, wird gefangen bis nach Cöln mitgenommen und mit Asiaticus, dem Freigelassenen des Vitellius, nach Rom zurückgeschickt, wo er Tag III, 50 angekommen ist (III/ 590–592). Asiaticus liefert Tags zuvor, Tag III, 49, seinen Bericht ab und verursacht den Aufbruch des Julius Sabinus (III/581–583). Asiaticus bricht mit Briefen Tag III, 52 nach Teutschland wieder auf (III/595); ihm schickt Otto, unter einem Vorwand, Tag III, 55 Martianus Icelus hinterher (III/601), der Tag III, 74 zurückkehrt und seinen Bericht abstattet (III/871–874). Tag III, 78 werden Annius Vivianus und Antonius Honoratus an das niederteutsche Heer vom Rat abgefertigt (III/941). Nerulinus kehrt ebenfalls Tag III, 78 aus Teutschland zurück und erstattet dem pont. Nero Bericht (III/945–949). Während die Informationen über den Abfall des Vitellius durch den Tag III, 81 nach Rom gelangenden Turullius Cerealis deutlich genug sind und, gleich an den frischen Kaiser Otto gelangt, ihre politische Wirkung unmittelbar entfalten können (III/988–990), bedarf die Rekonstruktion des Wendepunktes für Drusus und Italus bei Cöln einiger kombinatorischer Arbeit: erst der Bericht des Nerulinus enthüllt die Partei des pontischen Nero als Urheber des den Rückzug nach Rom bedingenden Scharmützels. Vitellius lässt also Cecinna mit einer Heeresmacht den langsamen Anmarsch auf Italien beginnen (III/1001); rascher kommen Drusus Tag III, 89 (III/1013) und Curtius Montanus Tag III, 90 (III/1014) nach Rom. Italus kehrt dorthin nicht wieder zurück. Annius Vivianus und Antonius Honoratus werden Tag III, 85 zurückgefordert – sie kommen Tag IV, 6 nach Rom zurück (IV/101) –, statt ihrer gehen Junius Mauricus, Valerius Marinus, Vectius Bolanus und Lucilius Bassus zum ober- und niederteutschen, italienischen und lugdunensischen Heer (III/1002). Tarquitius Priscus und Coccejus Nerva haben, als sie von Ottos Kaisertum hörten, das Heer des Vitellius verlassen und sind nach Maroboduum gegangen (IV/230). Tag IV, 50 gehen die medischen Gesandten mit Daria, Phraortes und Cartismanda zu Vitellius (IV/767f). Nach seiner Kaiserwahl Tag IV, 56 werden ihm vom Rat Verginius Rufus, Arrius Antoninus und Vibius Crispus entgegengesandt (IV/788). Julius Martialis kommt mit Bericht Tag IV, 71 von Pavia nach Rom (IV/ 828). Auch Julius Agricola war dorthin und wieder zurückgereist (IV/831).

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III, 37 Vitellius 1 Aufbruch nach Niederteutschland III, 81 Vitellius 2 Erklärung zum Kaiser in Cöln III, 85 Vitellius 3 Aufbruch aus Niederteutschland IV, 43 Vitellius 4 Niederlage Ottos IV, 81 Vitellius 5 Einzug in Rom Die Spannweiten beider Bewegungen betragen etwas weniger als eineinhalb Bände. Auf beiden Seiten ragen sie über die Erstreckung des statischen Anwendungsgebiets Rom hinaus: Galbas Entsendung nach Hispanien liegt vor Einsatz der Gegenwartsgeschichte; der Einzug Vitelliens in Rom findet statt, nachdem die Erzählung Rom gen Osten verlassen hat. An das Ende des ersten Bandes fällt nur gerade die Eröffnung der Möglichkeit einer Bewegung Galbas. Der zweite Band steht als ganzes unter der Spannung der zu erwartenden Klärung des bis kurz vor Schluss nur latenten Konflikts zwischen dem sich annähernden Galba und dem römischen Konkurrenten. Im dritten Band vollzieht sich der Wechsel von der einen zur anderen Bewegung: weil jetzt die Spannung der Galba-Bewegung durch die erfolgte Klärung Ende des zweiten Bandes nur noch niedrig ist; und weil sie für Vitellius erst nach dessen Proklamation gegen Ende des Bandes erst greifbar wird; ist im dritten Band im Verhältnis Rom-Provinzen insgesamt eine Entspannung zu beobachten. Im vierten Band erfolgen dann die umständliche Klärung und schließlich der Einzug der Vitellius-Bewegung. Die wichtigste Variation betrifft den Modus der Klärung der Machtfrage. Galba muss sich in Nymphidius gegen jemanden behaupten, der eine Proklamation zum Kaiser erst anstrebt, sich in Rom noch als Stellvertreter Galbas ausgibt. Die Verhinderung der Proklamation durch Gefolgsleute Galbas führt gleich auch zur Ermordung des Konkurrenten. Vitellius hingegen hat einen gewählten Kaiser zum Konkurrenten, der gegen ihn in den Bürgerkrieg zieht. Die Klärung erfolgt also militärisch. Gänzlich jenseits der Grenzen des statischen Anwendungsgebiets Rom im discours liegt die dritte Bewegung dieses Typs, die Bewegung Vespasians; die Erzählung sucht in diesem Fall den sich noch annähernden Kaiserkandidaten auf. Die Vollendung der Bewegung durch den Einzug in Rom steht am Ende des Untersuchungsbereiches noch aus; die Machtfrage scheint durch den Tod Vitelliens geklärt. Die Annäherung der morgenländischen Gesandten kann anders als die Galbas nicht antizipiert werden. Sie wird durch Abgeschickte dieser Gesandten selber in Rom Tag II, 41 angekündigt, als sie bereits in Sipontum gelandet sind (II/658f). Der erwartete Einzug wird für die Terminierung der geplanten Proklamation ›Drusens‹ ein wichtiges Datum (II/768, 775) und erfolgt Tag II, 53, die Etappen

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sind Beneventum, Interamnia, Lavunium, Rom (II/796, 798, 806f).464 Die Gesandten etablieren eine ständige Repräsentation der morgenländischen politischen Verhältnisse in der Hauptstadt; einerseits stärken sie dadurch die Zentrumsfunktion Roms und also dessen Zentripetalkraft – die Erzählung hat es, weil sich die politischen Kräfte der ganzen Welt in ihm abbilden lassen, nicht nötig, Rom als Schauplatz zu verlassen; andererseits bekräftigen sie durch die Aktualisierung der Nachrichten über den morgenländischen Zustand und die Vergegenwärtigung der Interessen vor allem Pacorens und Vologesens die Notwendigkeit einer Rückkehr Tyridatens in den eigenen, politischen und familiären Konflikt, der sich ja auf der Ebene gesandtschaftlicher Repräsentation allein nicht lösen lässt. Ziel der Reise der Gesandten ist, formal, ihre Abfertigung vom römischen Kaiser und Rat. Diese wird mehrfach verschoben (III/392, 403, 580, 865f) und erfolgt endlich Tag III, 74 (III/877f); dann wird ihre Abreise verschoben (III/981, 985f, IV/87), ihre Bewilligung angekündigt (IV/291), dann aber doch die Mitreise nach Norditalien befohlen (IV/327, 343). Die Abreise wird nach dem Selbstmord Ottos erneut ins Auge gefasst (IV/716, 799, 803). Tag IV, 62 erfolgt das Abschiedsverhör in Rom (IV/803–805), Tag IV, 71 die Abreise nach Sypontum (IV/ 827). Insgesamt zieht sich der Aufenthalt der Gesandten in Rom und Norditalien also über gut zwei Bände.465 Der Aufbruch erfolgt kurz bevor die Erzählung Rom 464 Es gibt gegen- und beiläufige Bewegungen. Den Gesandten zu ihrer Einholung entgegengesandt werden ursprünglich die Ratsherren Coccejus Nerva, Annius Vivianus und Pudens Rufus (II/658); statt des letzteren reist aber dann Sicenna (II/874). Die drei geleiten die Gesandten also nach Rom. Tag II, 49 brechen aus Rom, also absichtlich vor Eintreffen der Gesandten (II/795), mit dem Ziel Medien auf: Daria, Ariaramnes, Vardanes und Caledonia (II/796). Ariaramnens Plan sieht seine Befreiung durch Piso Licinianus in Interamnia vor, den er also dahin geschickt hat; er misslingt, weil die Gesandten Interamnia erreicht haben und Daria die Gesandten vermeiden will, die Reiseroute also geändert wird (II/797). Piso Licinianus trifft in Interamnia auf Cartismanda und verfolgt sie nach Rom, wo sie ihr vor dem Capenischen Tor von Leuten des Nymphidius abgenommen und, für Claudia gehalten, gefangen gehalten wird (II/897; II/948f). Ariaramnes flieht eigenständig am Fluss Vulturnus und holt auf dem Rückweg nach Rom die Gesandten ein (II/797f), ihnen von der Reise Darias und der Anderen berichtend. Die Gesandten schicken Daria, Vardanes und Caledonia Patizites und Ariabignes hinterher und treffen sie hinter Capua an; Daria lässt sich zur Rückkehr nach Rom bewegen, Vardanes aber flieht mit Caledonia nach Brundusium; hier können die Gesandten ihre Ausfahrt verhindern, Vardanes einholen und schließlich, von Patizites begleitet, gefangen nach Dacien schicken. Caledonia trifft in Brundusium auf Bunduica (IV/274) und beschließt deshalb, nicht gleich nach Rom zurückzukehren (III/124– 126). Ihre Ankunft wird erst Tag III, 75 gemeldet (III/884). Von den vier aus Rom nach Medien Aufgebrochenen kehren also in dieser Reihenfolge Ariaramnes, Daria und Caledonia wieder nach Rom zurück; nur Vardanes geht übers Meer, allerdings als Gefangener der Gesandten. 465 Im Zusammenhang mit der Anwesenheit der Gesandten in Rom stehen folgende Reisen nach Dacien und von Dacien her: Vardanes wird von Patizites gefangen nach Dacien ge-

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selber verlässt und gehört, als Reisebewegung, in den Selektionshorizont des bewegten Anwendungsgebiets der Reise ins Donaudelta. Die Bewegungen einzelner oder scharf umrissener Gruppen können in einfacher oder komplizierter, das heißt kombinierter Form vorliegen. Die Bewegung kann Verwechslungen begünstigen. Im Anhang findet sich ihre Rekonstruktion bezogen auf die histoire, ohne Berücksichtigung also des Berichtsmodus oder Zeitpunktes. Es gibt demnach vier größere Bewegungskomplexe (mit den wichtigsten Reisenden Italus und Drusus, Tyridates, Parthenia, Octavia) und einige unabhängige Einzelbewegungen. Verwechslungen befördern die Bewegungskomplexe ›Italus und Drusus‹, ›Parthenia‹ und ›Octavia‹. Sind die ersten beiden Bewegungskomplexe noch einigermaßen überschaubar, zeigt sich in den letzten beiden eine rasante Zunahme der Komplexität, zusammenhängend dies mit der Multiplikation der Verfolger, Entführer, Befreier und Zeugen. Die Spannweiten der Bewegungskomplexe sind: ›Italus und Drusus‹ Tag I, 27 – Tag III, 12. ›Tyridates‹ Tag I, 42 – Tag I, 73. ›Parthenia‹ Tag I, 62 – etwa Tag III, 13 ›Octavia‹ Tag II, 60 – Tag III, 65. Die Spannweite von ›Italus und Drusus‹ ist also am größten, die von ›Tyridates‹ am kleinsten. Hauptrichtung der Bewegungen ist das Tyrrhenische Meer, der Nordwesten also. Die Reise ›Italens‹ nach Palästina bildet eine Ausnahme. Reisen nach Dacien gehören bereits in das bewegte Anwendungsgebiet der Reise ins Donaudelta. Auffällig ist, dass im vierten Band keine Bewegungen des besprochenen Typs mehr begegnen; die Bewegungen dort gehören entweder zu den großen politischen Bewegungen; oder bereits zum bewegten Anwendungsgebiet der Reise ins Donaudelta. Der Darstellungsmodus der Bewegungen im discours ändert sich dreimal entlang der Bandgrenzen. Im ersten Band haben die Bewegungen noch den Modus des Verschwindens oder des plötzlichen Auftauchens. Die einzige Ausnahme bildet die Bewegung ›Drusens‹. ›Nero‹ und Tyridates am Ende des Bandes tauchen unvermittelt auf. bracht (III/125); Spadines geht als Bote nach Dacien (III/575); Eprius Marcellus und Vipsanius Messala werden von Otto nach Dacien gesandt (III/981); Artabazus kommt aus Dacien als Bote nach Rom (IV/15); Ambrodax, Artabanus und Balaad kommen aus Dacien nach Rom (IV/277f); Tag IV, 19 gehen ›Claudia‹, also der pontische Nero, Artabanus, Parthenia, Antonius Primus, Labienus, zwei Frauen des Norondabates, Frauen des Bagassaces und Ariabignes unter Geleit des Julius Martialis nach Dacien (IV/348–351) – dies sind allerdings schon für das bewegte Anwendungsgebiet der Reise ins Donaudelta bedeutende Bewegungen.

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›Drusus‹, dann ›Italus‹ gilt als ertrunken; über den Verbleib Tyridatens nach seiner Entführung gibt es keine Informationen. Die Bewegung Claudias kann nicht nachvollzogen werden. Im zweiten Band erfolgt gleich zu Beginn für die Bewegung Tyridatens ein kompakter, übersichtlicher Bericht (II/21–30). Die Bewegungen Galbas werden kontinuierlich verfolgt. Julius Densus verschwindet. Die Bewegung der Gesandten kann gut nachvollzogen werden, ebenso die, von der Erzählung verfolgte, des Ariaramnes; etwas komplizierter sind die nachgeschalteten Bewegungen um Vardanes und Caledonia – hierzu folgen die dann aber recht übersichtlichen Berichte erst im dritten Band. Im dritten Band vervielfältigen sich die Berichte, und damit auch die Perspektiven, auf die größeren Bewegungskomplexe Parthenia und Octavia. Die Informationen sind in willkürlich anmutender Reihenfolge über den gesamten Band verstreut466 und müssen vom Leser unter einigem Aufwand zusammengetragen werden. Dies gilt dann teilweise auch für die Einzelbewegungen innerhalb der großen politischen Bewegung nach Teutschland. Alle drei großen politischen Bewegungen werden wenigstens in einem kleinen Teil von der Erzählung mitvollzogen (die Gesandten: von Interamnia bis Rom; Galba: von Volterra bis zum Hafen des Hercules; Vitellius: von Rom bis zum Lusthaus des Seneca). Zum Bewegungskomplex Parthenia stößt die Erzählung kurz, in Form noch eines Rätsels, am Hafen des Hercules hinzu; am ausführlichsten wird der Bewegungskomplex Octavia, von Tusculum bis Ostia, mitgemacht. Die textchronologische Zusammenfassung und Deutung dieser Befunde weisen, insgesamt, auf eine Tendenz zur räumlichen Destabilisierung, die, wie schon auffallen musste, in vielen Aspekten mit der oben skizzierten Destabilisierung des römisch-politischen Systems in Verbindung zu setzen ist. Einerseits wird Rom, von Beginn an, als Zentrum etabliert; andererseits wird, ebenfalls von Beginn an, deutlich, dass das Handlungsziel im Rahmen der Haupthandlung in Rom nicht wird erreicht werden können, sondern eines Schauplatzwechsels in östlicher Richtung bedarf. Die hieraus erwachsende Spannung wird bis zum Ende des vierten Bandes, über zwei Drittel also des Untersuchungsbereiches, gehalten; und sie wird nicht einfach durch den erwarteten Schauplatzwechsel der Erzählung nach Armenien/Parthien/Meden aufgelöst; sondern es wird einerseits die Zentrumsposition Roms selbst geschwächt; und andererseits scheinen, in den Grenzen des Untersuchungsbereiches, die zwar grundsätzlich ostwärts gerichteten Bewegungen der Protagonisten 466 Die Stellen: III/128–131, 180–182, 265f, 376–380, 468–473, 479–485, 697–700, 717–721, 741– 744, 945–949, 1020–1023.

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der Haupthandlung, nach einer ersten, langwierigen Arretierung auf dem Weg, sich um ein neues, nun dem Handlungsziel zugeordnetes Zentrum nicht zu beruhigen – sie spalten sich auf, werden volatiler und beliebiger. Die verschiedenen, zu dieser Diagnose führenden Argumente, liegen jetzt bei der Hand: Die reiche, interne räumliche Differenzierung der Stadt Rom schafft genügend Raum für eine umfängliche Repräsentation der um sie sich erstreckenden Welt in Form von in Rom sich einfindenden Figuren. Diese Figuren können sich also im selben Zentrum aufhalten, ohne doch in ständigem Kontakt miteinander stehen zu müssen; und sie können – anders etwa, als wenn nur allgemein gesagt werden müsste, sie lebten alle in dieser Stadt – in spezifische Relationen zueinander treten. Dieser Grad an Differenzierung wird in keiner anderen Stadt auch nur annähernd erreicht. Er ist im zweiten Band am höchsten, und nimmt danach stetig ab. Die Infragestellung der Zentrumsfunktion Roms beginnt, auf der Ebene der histoire, dort, wo die maßgeblichen politischen Prozesse nicht mehr in Rom allein vollzogen oder abgebildet werden können. Dies geschieht in Form der drei genannten, großen politischen Bewegungen aus westlicher, nördlicher und östlicher Richtung. Die dezentrierende Wirkung wird bei jeder Bewegung größer. War Galba, nach dem bereits erfolgten Tode des Vorgängers, noch in Rom gewählt worden und musste er nur, in Rom durch Stellvertreter agierend, einen noch unerklärten Usurpator niederhalten; sieht sich Otto gezwungen, dem in der teutschen Provinz zum Kaiser erklärten Herausforderer entgegenzuziehen. Otto zieht aus der militärischen Niederlage mit seinem Selbstmord die Konsequenzen und überlässt Vitellius für seinen weiteren Zug nach Rom ein freies Feld; Vespasianus bewegt sich von der Dynamik des Bürgerkrieges, den er gewinnt, mehr oder weniger unabhängig im Osten des Reiches, bevor er sich entschließen kann, nach erfolgter Ermordung seines zur Abdankung übrigens bereit gewesenen Konkurrenten, die Reise in die Hauptstadt, mit dem Vorsatz ihrer Verzögerung, anzutreten. Zunehmend schwieriger wird daher die Frage, wo sich das politische Zentrum des Reiches denn befinde. Nicht nur das Heer bewegt sich Vitellius entgegen nach Norditalien, sondern auch der Kaiser, auch der Rat, ja die in Rom residierenden Gesandten ausländischer Mächte. In der folgenden Auseinandersetzung gibt es diese Konzentration außerhalb Roms nicht mehr. Der Rat bleibt mit dem alten Kaiser in der Hauptstadt; den Bürgerkrieg fechten die Truppen und Generäle in Italien aus; der Hof des neuen Kaisers bewegt sich in Dacien, Egypten, Palästina und Syrien. Das bedeutet auch, dass die Erzählung bei Mitvollzug der Reise nach Norditalien zwar die Hauptstadt verlässt, sich aber weiterhin um das und, gelegentlich, im politischen Zentrum des Reichs bewegt; dass sie, wenn sie mit Octavia Ende

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des vierten Bandes nach Sypontum geht, zwar in die Stadt Rom im Rahmen des Untersuchungsbereiches nicht mehr zurückkehrt, wohl aber in das politische Zentrum des Reichs, sofern Vespasians Hof dieses, in Nujodunum und in Antiochia, darstellt. – Das erwartete Verlassen Roms seitens der Erzählung wird durch eine stetige Erweiterung sowohl der Grenzen des statischen Anwendungsgebietes Rom selber im Umland, wie auch des Raumes jenseits dieser Grenzen in Form von Figurenbewegungen, denen die Erzählung auch hätte folgen können, vorbereitet. Nicht nur nehmen diese Bewegungen hinsichtlich ihrer Anzahl und Komplexität zu, es ändert sich auch, bandweise, ihr Darstellungsmodus. Im Modus des Verschwindens, des ersten Bandes, blieb Rom zu der in den Geschichten ja durchaus erschlossenen Außenwelt ohne Brücke und in einem Spannungszustand – irgendwann würden die Verschwundenen zurückkehren, oder ihr Verbleib geklärt werden müssen; der Modus des zweiten Bandes – kompakte, übersichtliche Berichte in zeitlicher Nähe der Bewegungen – schafft zwischen Rom und Außenwelt das stabilste Verhältnis; im dritten und vierten Band hingegen sorgen die Multiplikation der Berichte und die Fragmentierung der Perspektiven auf die jetzt hochkomplexen Bewegungen für eine nervöse, zeitlich von den Bewegungen selber entkoppelte Allgegenwart außerrömischen Geschehens: die Berichte, die im ersten Band gefehlt, im zweiten Band die Spannungen gelöst hatten, befriedigen nicht mehr, sie machen neue, vollständigere Berichte verlangen, oder irritieren, wenn sie ein Rätsel lösen, das vor langer Zeit gestellt worden war. – Die Bedeutung des Verlassens Roms seitens der Erzählung wird durch ein bewegtes Anwendungsgebiet für die Leitfigurenregel hervorgehoben, das an Komplexität den letzten außerrömischen Bewegungen des dritten Bandes nahekommt; die Bewegungen in den Osten werden multipliziert und, teilweise, kombiniert und erstrecken sich, von der ersten Abfahrt bis zur letzten Ankunft, über einen viel weiteren Zeitraum, als die von der Erzählung mitvollzogene Reise beansprucht. Ziel dieser Reisen, deren Etappe das neue römisch-politische Zentrum des vespasianischen Hofes war, ist eine temporäre örtliche Konzentration der zur Erreichung des Handlungszieles maßgeblichen politischen Mächte vor, also westlich der entscheidenden Territorien. Die Austragung des hier sich ergebenden Konfliktes führt zu einer Teilerfüllung des Handlungszieles, hat also zu diesem einen unmittelbareren Bezug als noch die römisch-politische Handlung. Wegen des temporären, also handlungsgebundenen Charakters der politischen Zentralisierung; wegen des beinahe vollständigen Aufgehens des zu bewältigenden Konfliktes in einer retardierenden Handlungsfunktion im Rahmen der Haupthandlung, ist die auf ein Verlassen dieses Schauplatzes drängende Spannung um

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ein vielfaches größer als noch in Rom; zumal die dort zu beobachten gewesene Inund Extensivierung der räumlichen Differenzierung hier ausbleibt; konstante Unterscheidungen regeln die ausgesparten und die gewählten Schauplätze neuer Definition; und Bewegungen außerhalb des Anwendungsgebietes sind einfach, ziehen sich, wenn sie zu entwicklungsfördernden Orten gehen (nach Armenien, zu Vespasian, nach Teutschland), beinahe über die gesamte Handlungsdauer, oder werden, aus Rom, ohne Chance auf Mitvollzug, bei Ankunft konstatiert. War in Rom also, und maßgeblich im zweiten Band, ein räumliches Zentrum etabliert worden, das mit seiner Außenwelt in einem ausgewogenen Verhältnis stand, und durch seine reiche, interne Differenzierung Handlungen unterschiedlicher Art integrieren konnte, so die eigentlich zu erwartende Schauplatzverschiebung nach Osten vergessen machend, erweist sich das Donaudelta in vielen Punkten als Gegenentwurf: da die Schauplatzdefinition nur noch die Residenzinseln politischer Institutionen, der Höfe, unterscheidet, und nicht mehr seis Individualwohnungen, seis Orte öffentlichen Lebens, wird eine Differenzierung der persönlichen Handlungen von der politischen Handlung erschwert. Die Erzählung ruhte in Rom, weil sie in Rom begann; bei Erreichen des Donaudeltas hat sie sich schon – und wie mühsam! – in Bewegung gesetzt, eine Bewegung, die jetzt, nach strikter Maßgabe des zu bewältigenden Konfliktes, arretiert wird. In Rom richtete sich die politische Handlung an der Frage der Besetzung des Kaiseramtes aus, im Donaudelta stehen sich einander mehr oder weniger ebenbürtige Höfe gegenüber, bei nur leichter, temporärer Zentralstellung des Gastgeberlandes Dacien. In der abrupt endenden Fassung A folgte auf den Aufenthalt im Donaudelta und die dort glücklich gelöste Verwirrung nurmehr der Sprung ins Heimatland in geradezu pointierter Unanschaulichkeit, symbolisierend gleichsam das unanschauliche Jenseits des Romans, das mit Erreichen des Handlungszieles gerade noch betreten, dann dem Zugriff der Erzählung aber entzogen wird. – Die Lösung der im Donaudelta die Protagonisten und die Erzählung arretierenden Spannung ohne diesen Sprung führt, folgerichtig, zur Freisetzung von Bewegungsenergien, die den Modus der räumlichen Handlungsintegration noch einmal grundsätzlich verändern, oder jedenfalls in Frage stellen. Hatte die vielen aus Rom sich Ende des vierten Bandes bewegenden Figuren noch ein Zwischenziel, das Donaudelta eben, vereint, mangelt den stärker individualisierten, im Modus der Verfolgung oder Flucht vollzogenen Bewegungen nach Verlassen dieses Zwischenzieles eine solche gemeinsame Ausrichtung. Die anziehende Kraft des mit dem Handlungsziel der Haupthandlung assoziierten Raumes scheint bei der Annäherung nachzulassen, statt zuzunehmen; und während von Rom her der Aufbruch überhaupt, und in östliche Richtung, Vorhaben genug war; während in der Fassung A die ostwärts gerichtete Bewegung für den Satz ins Romanjenseits nur einfach fortzusetzen und zu Ende

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zu bringen war, wird Parthen jetzt, da Indien Gewicht bekommt und Figuren dorthin ihren Weg finden, passiert und, gewissermaßen, übersprungen. So etwa ist die Aussicht Ende des sechsten Bandes:467 mögen die Handlungen am Carmel zueinander und zu einer Lösung als an einem neuen Zentrum schließlich finden, die letzte, das Handlungsziel vollziehende Bewegung im Raum wird als äußerste Wirkung der aus Rom drängenden Zentrifugalkraft nicht mehr verstanden werden können, wird, statt in das opake Dunkel noch größerer Entfernung von dem ersten Zentrum, in das fahle Licht beiläufig erschlossenen, mittleren Gebietes führen.

467 Der siebte Band, wie in der historisch-kritischen Ausgabe ediert ist, scheint mir, nach einmaliger und nicht weiter vertiefter Lektüre, dem Befund jedenfalls nicht zu widersprechen. Bedenklich ist freilich, und bedeutsam für die gesamte Architektur des Romans, wovon Stephan Kraft: Geschlossenheit und Offenheit, S. 149, berichtet, die Vorziehung der Heirat von Tyridates und Octavia in die Mitte des achten Bandes.

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›Das Gleiche anders!‹ – diese der ästhetischen Hervorbringung von Formen aus Formen zugrundeliegende, paradoxe, ihre Paradoxie durch Unterscheidung beizubehaltender und zu verändernder Komponenten je auflösende Verfahrensanweisung begegnete in dem gewählten Untersuchungskorpus in mehreren Spezifikationen. Was Ordnung, was Redundanzen versprach, konnte sich als Vehikel gerade der Erzeugung unkontrollierter Varietät entpuppen. Die finalisierte Handlungsreihe des Liebesbereiches verlor als subordiniertes Multiplikat die Verlaufssicherheit und scharfe Konturierung, zu der sie als einheitsbezogene, die Hauptlast der Integration schulternde Reihe sich in der Regel verpflichtet hielt: mit einem hinreichenden motivischen Vorrat ließ sie in einem Teilbereich beinahe beliebig sich amplifizieren; alleine herrschend über den discours, ununterbrochen also, wurde ein Verwischen ihrer kausalen Struktur, wurde funktionale Ambivalenz ihrer Handlungsmotive, und damit deren größere Eigenständigkeit und Vielfalt möglich; die Zurücknahme der Unbedingtheit der Liebe als Handlungsmotivation, das enervierend fein austarierte Einspannen in die Erfordernisse anderer Handlungsbereiche schufen, in Teilen des discours, die auch die politische Handlung entfalten mussten (der Octavia freilich), zum Fallenlassen der Liebe als des hauptsächlichen Erzählgegenstandes die ständige, zu großer Verlaufsoffenheit führende Freiheit. Die Etablierung eines anderen, oder mehrerer anderer Handlungsbereiche konnte, in rahmender Funktion lediglich anzitiert, die Fasslichkeit des Romans erleichtern; und ohne Disziplinierung durch eine primäre integrative Funktion ergab sich, andererseits, die Möglichkeit zu überbordender Amplifikation und zur Schaffung einer Eigenkomplexität, die noch die subordinierten Multiplikate aus dem ersten Handlungsbereich zu integrieren, und damit ihre hierarchische Kontrolle von der Haupthandlung her zu erübrigen, ihre von dort her wildere Variation zu befördern in der Lage war. Die Verfahren subordinierender Multiplikation, die die zur Variation freigegebenen Aspekte mit Blick auf eine hierarchische Ordnung kontrollieren, er-

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wiesen sich, soviel Stoff sie den Romanen mitunter lieferten, bezogen auf die rhythmische Gliederung des discours insgesamt als überraschend unproduktiv; nur Beschränkungen unterschiedlicher Art verhalfen ihnen, in den Europäischen Höfen und der Verliebten und galanten Welt partieweise, ganz nur in der Liebenswürdigen Adalie, zu einer den Wechsel von Reihe zu Reihe fein genug profilierenden Prägnanz. Nur selten war außerdem die hierarchische Differenzierung anhand gleichbleibender Kriterien und vollumfänglich durchzuführen; unterhalb einer noch deutlich herausgehobenen Spitzengruppe öffnete sich ein Feld ›wilder‹, auf andere Weise zu gruppierender, jedenfalls auf eine Rangfolge hin nicht mehr transparenter Variation mit durchaus unterschiedlichen Tendenzen. Sollte die gestiftete Ordnung in unkontrollierter Koordination nicht einfach zerfallen, bedurfte es finalisierender Profilierungen der beigeordneten Reihen, die doch nur selten beobachtet wurden. Im Carneval der Liebe zeigten sich mehrere solche Verfahren zur Finalisierung koordinierender Multiplikation in Kombination, ohne doch, scheinbar, auf die motivische, der ›realistischen‹ örtlichen Verankerung geschuldete Fülle eingrenzend zu wirken: bis zum Äußersten, bis zur Orientierungslosigkeit wurde die in der ersten Handlung noch durch die Abwesenheit eines vorausgegangenen Vergleichsgegenstandes gegebene Offenheit zur Amplifikation der ersten Handlungsphase genutzt; die Kürzung der Folgehandlungen, die Einmaligkeit dieses Exzesses also war folgerichtig; in den mittleren Handlungen bestand, bei Verbot allein der Betonung der Werbung oder des Ausganges, Freiheit zur motivischen Akzentsetzung, die erst verhalten, und dann bestimmter und mit kontrastivem Effekt genutzt wurde. Schon die zarten Verklammerungen durch beibehaltenes Personal und den einmaligen Wechsel des Hauptschauplatzes nach der dritten Handlung isolierten deren letzte leicht, die, neben der geforderten Extension des Handlungsausganges, eine Mobilität auszeichnete, die zu der Bannung des Geschehens in das Elternhaus der Geliebten der ersten Handlung in scharfem, den Leser gleichsam zur Ablösung von dem Text geleitendem Gegensatz stand; die aber dennoch in der Pointe von dem wider Erwarten guten Ausgang der einsätzigen letzten Handlung, in einem letzten Akt umschmeißender Konzentration vollzogen werden musste. In etwa der Hälfte der behandelten Romane konnten Einrichtungen zur wechselseitigen Ermöglichung von Redundanz und Varietät beobachtet werden, die dann, schleichend oder abrupt, vernachlässigt, aufgegeben und ersetzt wurden, herausfordernd eine Erklärung auch dieser Veränderung. Hervorgehoben oder abgesondert waren dreimal die ausführlicher und szenisch behandelten Romaneingänge, weshalb sie als stellvertretende Analyseobjekte, als die sie öfters

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herangezogen wurden,1 sich gerade nicht empfehlen. Wichtiger sind die weiter in den Ablauf des discours vorgeschobenen Brüche. Die irritierend stoffreichen Erzählungen der letzten Novellenrunde, die den Roman unvermittelt zurück ins Offene werfende Schlusswendung in Amor auf Universitäten konnten als kapriziöse Bocksprünge der letzten Meter die zuvor um Fortunato-Ardorea entwickelte Struktur nicht ernsthaft gefährden. Im Adelphico missfiel gerade die mangelnde Konsequenz eines solchen, durch den späten Einsatz der finalisierenden Liebeshandlung eigentlich geforderten Wechsels. Der Raffinirte Statist folgte ohne erzählerischen Widerstand und also durchaus konsequent den Erfordernissen der disparaten Stoffe, aufzeigend allenfalls, alleine durch die Kontinuität des discours, etwas vom denkbaren Ertrag ihrer narrativen Vermittelung. Die Europäischen Höfe führten in einer einheitsbezogenen, die Integrationsdefizite der Hauptliebeshandlung auffangenden Reihe den Wechsel der Integrationsform konsequent und überzeugend durch: mit vier Elementtypen, von denen drei je einmal wiederholt wurden, von denen das singuläre die Reihe abschloss, die alle, bei höchst unterschiedlichen Umfängen, eine dynamische Qualifizierung erlaubten. In merkwürdiger Kombination von Fortführung und Unterbrechung schloss sich der zweite Teil der Verliebten und galanten Welt an den ersten Teil an, der schon, nach dem ersten Drittel, einen Wechsel der Integrationsform etabliert hatte: übernommen wurde genau jene Zäsur, und übernommen wurde die chronologisch transparente Szenenfolge als Modus der ersten Partie. Überzeugend wären die Entsprechungen vom Reistedter Aufenthalt Heraldos einerseits und der ausführlichen ›Werbung‹ in der Freundschaft zu Seladon, mit eingeschobenen, und darin funktionalisierten Erzählungen andererseits; der subordinierend multiplizierten Liebeshandlungen der salamoenischen Freundesgruppe einerseits und der singulär behandelten, komplizierteren Liebeshandlung Seladon-Amalia andererseits alleine, das heißt ohne die Wiederaufnahme und glückliche Beendigung von Heraldo-Charlotte bereits gewesen. Diese der ›Form‹ konzedierte ›Abrundung‹ gerade, indem sie die aus dem Reistedter Aufenthalt sich ergebende Disqualifizierung Charlottes zur idealen Partnerin ohne weiteres überging; indem sie das dominant gewordene Verfahren der in bestimmtem Rhythmus ins Offene lau1 Betroffen sind die Europäischen Höfe (vgl. Simons: Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. Amsterdam-Atlanta 2001 [Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Bd. 52]., S. 253–255, der richtig bemerkt [S. 255]: »Der Roman verläßt nach diesem Eingang die Oper [als szenisches Gestaltungsprinzip], um zu ihr nur noch zuweilen zurückzukehren.«) die Römische Octavia (vgl. Geulen: Erzählkunst der frühen Neuzeit, S. 71–81, und Müller: Morphologische Poetik. In: ders.: Morphologische Poetik. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. v. Elena Müller, Darmstadt 1968, S. 225–246, hier: S. 236f) und der Satyrische Roman.

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fenden Koordination von Integrationsformen einzuschließen suchte, wirkte als Irritation einer formal überraschend gelungenen, auf die Wiederholung eines Auf-die-Hochzeit-Zulaufens glücklich verzichtenden Fortsetzung. Die Aufspaltung der meisten subordinierten Liebeshandlungen in finalisierende Raffungen aus großer Distanz und szenisch behandelte, einzeln im Sinne der Modellierungsfunktion des Romans ausgewählte Interaktionen; die gleichsam ironische, ihrer strukturellen Konsequenz sie beraubende Zitation romanesker Situationen etablierten im Satyrischen Roman eine gewisse Verlaufsoffenheit; die zwar aufgefangen wurde in der sich stabilisierenden Anlage des zweifachen Helden und deren versetzt beginnender, finalisierender Liebeshandlungen; und in der drastischen Differenz dieser zu den untergeordneten übrigen Liebeshandlungen; – gerade die betont asymmetrische Heldenverdoppelung aber eröffnete noch in dieser Anlage zu weit getriebener Variation beträchtliche Spielräume. Die Reise Einer höflichen und geschickten Person wie auch der Schelmuffsky entwarfen in ihren ersten Reiseaufenthalten Abfolgen von Handlungen und Motiven, die also zur Variation an den nächsten Aufenthalten bereitstanden, und blieben beide hinter der darin vorausgesetzten Ausführlichkeit rasch zurück. In der Reise wurde so die Vorführung der Errichtung eines Netzwerkes gestaffelter, kausaler Latenzen zur Erreichung des Handlungszieles der Anstellung zugunsten einer größeren Varietät der behandelten Interaktionstypen, und gedeckt immerhin durch den Wechsel auch zu einem anderen Ortstypus, aufgegeben. Die Lage im Schelmuffsky war weit komplexer: hier griffen mit dem permanenten, latenten Bezug zur Defizienz des fingierten Autors und seinen sporadischen quasi-reflexiven Einholungen in den Text selber, mit konstant durchgeführten Motivreihen, mit dem prägnanten Romaneingang, der sich als zeichenhaft kondensiertes, selbst wieder produktives Motiv bis in den zweiten Teil schob, mehrere, sehr heterogene Verfahren zur Integration. Festzustellen war aber ein motivisches Verwischen der Unterscheidung von Reiseaufenthalt und Aufenthalt in der Heimat und daher eine gewisse, durch das Versagen im zweiten Teil dann doch des Geburtsgeschichten-Motives und seine prekäre Ersetzung durch das Kober-Motiv, durch die ausfallende Funktionalisierung der zweiten Reise in einer Ausbildungshandlung mitbezeichnete Verabsolutierung des reisenden Daseins; bedingend eine geradezu traurige Schmälerung zeitlicher und geographischer Opulenz, eine Dynamisierung der nun bündiger durchgeführten Reiseaufenthalte und die Möglichkeit zur umfänglichen, das eigene Profil schärfenden Abbildung der zurückgelassenen Konstellation auf einer neu geschaffenen Beobachterstelle. Auch in der Römischen Octavia waren Tendenzen der Dynamisierung sichtbar geworden: in der Anpassung des Rhythmus umfangreicherer Tageselemente oder Tageselementengruppen an die römisch-politische Handlung bei beginnender

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Zuspitzung am Hofe Galbas, in der Mitte des dritten Bandes; und, vor allem, in dem riesenhaften, seinesgleichen in der Literatur schwerlich findenden Crescendo der doch, als diplomatische Nachbearbeitung eines bereits entschiedenen Konfliktes, so merkwürdig und eigen profilierten Donaudeltahandlung des fünften und sechsten Bandes, auf die, in unserem Untersuchungsbereich, nurmehr Verstreuung, Vereinzelung und resignierte Entspannung folgten.2 Wie beeindruckend auch die konstruktiven Leistungen der ersten Textschicht – in der hier grundsätzlich vernachlässigten Verarbeitung der historiographischen Quellen, in der ›innerlichen‹ Amplifikation der Haupthandlung, in der Differenzierung und sich wandelnden Profilierung der Stadt Roms – sein mögen, es sind die raum- und zeitbezogenen Limitationen und die hieraus sich ergebenden kleinteiligen, basalen Reihen der figurengeleiteten Schauplatzwechsel und der weitgehend transparenten Tagesfolgen, die, für ihre größte Präzision, ihre reichste innere Differenzierung an Rom gebunden, die Entfernung von Rom als raumzeitlichen Ordnungsverlust, oder doch als ein Gröberwerden der örtlichen Differenzierung und eine Abnahme der Widerständigkeit der Zeit darstellbar machen. Noch einmal ist zu bedauern, dass die Arbeiten Anton Ulrichs zum siebten und achten Band, in denen sich abzeichnen müsste, ob vom Carmel her eine neue Ordnung gewissermaßen flüchtiger Verhältnisse sich stabilisiert, wie nachhaltig ferner die Destabilisierung des römisch-politischen Systems sich darstellt, hier keine Berücksichtigung finden konnten. Ohne ästhetischen Wert – die Bewertung sei der mehrjährigen Beschäftigungen mit dem Roman in diesen Grenzen konzediert – ist der Ausgang des sechsten Bandes, der so stehen bleibt, ja als Abschluss oder Abbruch des ganzen Romanes ohne Plausibilität nicht: da Octavia, mehr und mehr isoliert, als Leitfigur ab der Hälfte des Bandes fungierend und also von der Erzählung unverlassen, von einer für die Handlung funktionslosen »Lust-Reise« (VI/785) durch Palästina zurückkehrt, die Jason zu ihrer nützlichen Zerstreuung und zur Besichtigung dessen, »so denckwürdiges darinnen wäre« (VI/785), vorgeschlagen hatte; da die weitgehend transparente Tagesfolge zur zeitlichen Orientierung erstmalig im Rahmen der Gegenwartsgeschichte und zugunsten eines beinahe schwellenlosen, mit der ziellosen Bewegungsform kongruierenden Schweifens aufgegeben wurde und die Titelheldin neben den jüdischen Altertümern Jerusalem, von dessen Zerstörung zuvor 2 Vgl. den letzten Satz des sechsten Bandes: »Wegen eines unvermuthlich eingefallenen Schnees so mit einem Tau-Wetter begleitet die Wasser sehr anschwellen gemachet / konten sie in einem Tage von Cäsarea den Carmel nicht erreichen / musten also die Nacht unterwegens verbleiben / da dann Octavia alles dasjenige so ihr die letzte Zeit auf dem Carmel begegnet / und sie durch die bißherige Abwesenheit ziemlich verschmertzet / sich nun wieder fürstellete / und zwar welchergestalt ihr Zustand auf so unverhoffte und unvermuthete weise sich dergestalt verändert hätte / daß nun auf ewig alle Hoffnung verschwunden ware / jemahlen in einem bessern Stand als wie sie Zeit Lebens gewohnet gewesen sich zu sehen.« (VI/804f)

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ausführlich und, für den Roman, beispiellos drastisch erzählt worden war, in merkwürdiger Mischung aus Erschütterung und der Reiseform geschuldeter Gleichgültigkeit besichtigte – in ihr, in der Reiseform, waren ja das Fertigsein jedes besichtigten Objekts und sein Zurückgelassenwerden garantiert. Der Verzicht auf jeden okkasionellen und gleichsam ornamentalen Ebenenbruch des Erzählers, auf jede ausdrückliche ›Einmischung‹, die besonders im Adelphico den discours auflockerten, erhöhte in der Römischen Octavia gerade die Sensibilität für fiktionsironische Verfahren; was die histoire hermetisch einzuschließen und zu beschweren scheint, erweist sich als dünner Flor, unter dem im Gegenteil ihr Gewicht in der witzigen Übertreibung fiktionaler Verfahren gelegentlich aufgehoben wird.3 Grundlage auch der elaborierten, reflexiven Verfahren des Schelmuffsky war die vollständige Unsichtbarmachung der hinter dem fiktionalen Autor Schelmuffsky ja vorauszusetzenden Instanz. Unterschiedlich weit gingen Ansätze zur regelmäßigen, erwartbaren, eine Eigenvariation anleitenden Reihenbildung auf ›unterer‹, von den Handlungsund einheitsbezogenen Reihen weitgehend unabhängiger Ebene: das konventionelle Vorhandensein eingelegter Verse und Briefe, die Gliederung des discours in Absätze oder die Abwesenheit solcher Gliederung, die Unterscheidung analeptischer und nicht-analeptischer Passagen an sich gingen mit einer konventionalisierten formalen Funktion und Ausführung dieser Reihen nicht einher. Alle diese Befunde eignen sich als Ausgangspunkte für nun stärker historisch orientierte Untersuchungen, deren mögliche Tendenzen in dieser Arbeit nur angedeutet werden konnten. In der Römischen Octavia war, am Ausgang der Gattungsgeschichte europäischer, höfisch-historischer Großromane, zu beobachten, wie der bislang und in den französischen Vorbildern lediglich in amplifikatorischer Funktion der Liebeshandlung untergeordnete politische Handlungsbereich und wie das historische Dekor, ohne bedeutende historiographische Grundlage in wenigen Elementen bisher nur anzitiert, bei glücklicher Verlegung der Handlung in eine quellenreiche Periode an struktureller Bedeutung derart gewannen, dass die hierarchische Durchgliederung der weiterhin zahlreichen Liebeshandlungen, die aber im politischen Feld miteinander in differenzierte Verbindung zu bringen waren, sich, bis auf eine kleine Spitzengruppe, erübrigte und die heroischen Qualitäten des Haupthelden in der enormen Komplexität des politischen Systems auflaufen, ja einen beinahe ironischen Kontrast bilden mussten; und aufgrund der Genauigkeit und Dichte der historiographischen Angaben waren 3 Vgl. die Einschätzung bei Mazingue: Anton Ulrich. Duc de Braunschweig Wolfenbüttel (1633– 1714) un prince romancier au XVIIème siècle. Berne 1978, S. 815: »La rigueur de la construction garantit la vraisemblance du récit qui combine les élements vrais et les élements imaginaires; en même temps, le jeu de l’ironie maintient entre la fiction et la réalité un écart qui définit la valeur esthétique propre de l’oeuvre.«

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Raum und Zeit gegen die Handlungsketten so fein zu differenzieren, dass auf diesen beiden Ebenen in je unterschiedlicher Weise Unterscheidungsfolgen eigener integrativer Leistung und Expressivität ausgebildet werden konnten; all dies zu charakterisieren als produktive, strukturierende Umfunktionalisierung bisher weitgehend überschüssiger, an die Gattung nicht bedeutungslos, aber formal unverbindlich angelagerter Elemente. Gewissermaßen der komplementäre Befund einer Freilegung der ineinandergreifenden Abfolge analoger Handlungen durch Beschränkungen ihrer Anzahl oder des durch sie dominierten Textabschnittes und für eine ästhetisch überzeugende Feinjustierung derselben wäre in der weiteren Umschau zu verfolgen, etwa der Punkt zu bestimmen, an dem die Verfahren subordinierender Multiplikation inhaltlich hinreichend entlastet sind, um zum gefälligen, rasch wechselnden Spiel auch für das Textganze gebraucht werden zu können: nun eine angenehme Verwirrung der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses und eine Mannigfaltigkeit der Begebenheiten und Personen trotz Uniformität der Handlungsmotive ermöglichend,4 die in solcher Verwendung gerade zu forcieren wäre. Bleiben entsprechende Werke weitgehend artistische Sonderfälle, wird die andere Umfunktionalisierung von Nebenhandlungen – zur näheren Qualifikation und Individualisierung der Haupthandlung oder Hauptfigur – gewöhnlich, zeigte sich hier aber nur in einem zwar zu plausibilisierenden, zufälligen Ansatz: die Schlüsselromane studentischen Milieus erschwerten durch die spezifische Profilierung ihrer Liebeshandlungen deren Hierarchisierung und waren realistisch gesättigt genug, um eine Menge hinreichend differierender Liebeshandlungen bilden, gegebenenfalls also um ein zentrales Paar, einen zentralen Helden gruppieren zu können. Den weit radikaleren Fall qualifizierender Vervielfachungen des Helden, ja einer Funktionalisierung aller Textelemente als Qualifikationen desselben bot der Schelmuffsky: dort aber wird entscheidend gewesen sein, dass die Qualifizierung noch im Sinne eines sachlich ihm anheftenden Defizites zu deuten war. Formale Leistungen wie die der Römischen Octavia haben Massen noch unstrukturierter oder jedenfalls anders strukturierter, vorgängiger Varietät zur Voraussetzung. Der exzessiven Amplifikation der Werbungsphase in der ersten Liebeshandlung des Carneval der Liebe garantierte die überschüssige Varietät ›realistischer‹ Motivik hinreichende Veränderung. Ein solcher, direkter Ermöglichungszusammenhang blieb indes die Ausnahme. Im Adelphico waren es nicht die als solche nachzuweisenden, direkten Übernahmen aus der Wirklichkeit, die zu einer formalen Auffälligkeit, der weitgehenden Dominanz geselliger Motivik und ihrer spezifischen Abfolgelogik, Anlass gaben, sondern eher die schmei4 Das ist sicherlich der Fall im Neuen Amadis Wielands; oder, auf französischer Seite, in Le Pied de Fanchette Rétif de La Brétonnes.

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chelnde Stilisierung und Profilschwächung der Liebeshandlungen.5 Die Produktion von überschüssiger Varietät lief in der Regel ins Blinde: die ungenutzten, aber doch genannten Länder und Städte in der Römischen Octavia wie die Fülle namentlicher Personen, denen allenfalls eine Statistenrolle zukommt, schufen, um das relevante Geschehen herum, einen unscharfen Rand, ohne dass die Bekanntheit der gesamten Welt als erzählerische Voraussetzung6 aufgegeben werden müsste. Nachgezeichnet wurde das große, aus unterschiedlichen Kontexten zusammenlaufende Reservoir anschaulicher Angaben im räumlichen Medium, das jedenfalls später im Sinne individueller Wahrnehmung umstrukturiert werden wird, und deren weitere Entwicklung bis dorthin zu verfolgen wäre – man denke nur an die zeitgenössischen, deskriptiven Leistungen Brockes’. Und mit der Umfunktionalisierung der unterordnenden Vervielfachung der Haupthandlung – noch einmal – entfällt bald eine Möglichkeit unverbindlicher, durch die Unterordnung und die Begrenzung nur auf eine Textpartie jedenfalls weit vor derjenigen Schwelle zurückbleibender Variation, auf der die Selektion durch ermöglichte oder verhinderte Publikation greift. Weiter zu prüfen wäre, ob, was oben als geordneter Wechsel von Integrationsformen in zwei Fällen beschrieben wurde, zufälliges Produkt der schieren Fülle integrativer Verfahren und ihrer Verteilung sowie der Beobachtungs- und Definitionslust des Analysten ist, oder sich als eigenständiges Verfahren über die Zeit hinweg halten kann. Ein ähnliches Phänomen, über das Hypothesen aufzustellen schwer fällt, ist der innerhalb des Werkes vollzogene Wechsel eines Nebeneinanders rhythmisch selbständig getakteter Reihen zu ihrer bündigeren Assoziation und Synchronisierung – was oben mehrfach als Dynamisierung bezeichnet wurde –: zu interpretieren als zielgerichtete Umsetzung einer in einer ersten Phase bereitgestellten Energie, oder auch als Erschlaffen einer viele Einsätze und Verläufe zu differenzieren und differenziert zu integrieren fähigen Form. Ergebnis der Funktionalisierung bereitliegender narrativer Verfahren und Motive durch das galante Interaktions- und Kommunikationsmodell – und das Textkorpus ging zeitlich darüber nicht hinaus – war gegenüber der kausalen Handlungsstruktur und einer figurenzentrierten Motivation eine gewisse Verselbständigung und vergleichsweise feine Detaillierung der einzelnen Interaktionen: der Kommunikations- und Verhaltensebene also unabhängig von der Funktion der jeweiligen Szene in der übergeordneten Handlung und unabhängig von persönlicher Geschichte und Gefühlen. Auffällig war ferner die Tendenz zu 5 Vgl. Florian Gelzer: Konversation, Galanterie und Abenteuer. Romaneskes Erzählen zwischen Thomasius und Wieland. Tübingen 2007, S. 281–285. 6 Vgl. Karin Hofter: Vereinzelung und Verflechtung in Herzog Anton Ulrichs »Octavia. Römische Geschichte«. Diss. Masch. Bonn 1954, S. 7–9.

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einer Umstrukturierung der hierarchischen Ordnung: in der sonst jenseits einer solitären, im Sinne eines Ideales fast überdeterminierten Spitze und auf den unteren Rängen die freiere, interessantere Variation ermöglicht worden war; in der nun die Spitze auf anspruchsvolle, asymmetrisch-komplementäre Weise gespalten oder verdoppelt wurde, gegen welche gespannte und ausgestellte Variation das nachgelagerte Feld gleichsam verblasste. Es ist wohl kennzeichnend für diese »europäische Epoche«,7 dass die in ihrem heißlaufenden, skandalösen Ofen gebackenen, dass die allesamt mehr oder weniger rasch verworfenen Formen, wenn man sie geduldig aufliest, nach vorwärts mit ganz unterschiedlichen formgeschichtlichen Indizes versehen werden können:8 will man von Vorwegnahmen sprechen, dann sind es blinde, unproduktive Vorwegnahmen, die Anschlüsse liegen weit gestreut, die Verbindung muss im Sprung geschehen, von dem anderen wurde unterwegs das meiste, ja alles ausgetauscht; gerade diese Isolierung der formalen Korrespondenz sollte aber reizen. Stärker konsolidierend wirken, eine leichter nachzuerzählende Entwicklung in Gang bringen in der dann national und moralisch akzentuierten, als Gegenstandsbereich überhaupt sich ausdifferenzierenden deutschen Literatur bald die Einflüsse einzelner Romane von außen; die vorangegangene Produktion aber hatte in einem rekombinatorischen Furor und auf ihrer wüsten Halde Teile des formalen Repertoires aufblitzen lassen, das die Moderne nach und nach und programmatisch plausibilisiert erschließen sollte.

7 So definiert Simons: Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. AmsterdamAtlanta 2001 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Bd. 52), S. 713, den Zeitraum von 1689 bis 1721. 8 Vgl. noch einmal die entsprechenden Stellen zur Römischen Octavia bei Ètienne Mazingue: Anton Ulrich. Duc de Braunschweig Wolfenbüttel (1633–1714) un prince romancier au XVIIème siècle. Berne 1978, S. 846 und 857; sowie ders.: Réflexions sur la création romanesque chez Anton Ulrich. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): ›Monarchus Poeta‹. Studien zum Leben und Werk Anton Ulrichs von Braunschweig-Lüneburg. (Chloe. Beihefte zum Daphnis, Bd. 4) Amsterdam 1985, S. 47–54, hier: S. 52f; und Stephan Kraft: Verloren im Netzwerk. Überlegungen zur Unlesbarkeit der »Römischen Octavia« Herzog Anton Ulrichs. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 128/2 (2009), S. 163–178, hier: S. 170f.

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Im Fließtext werden folgende Abkürzungen genutzt: Statist, Octavia, Studente, Carneval, Höfe, Adalie, Welt, Satyrischer Roman, Adelphico, Schelmuffsky, Amor, Reise.

Primärtexte [Anonym]: Der Raffinirte Statist, Nach seiner Regiersucht in Politicis, Verkehrten Art in Oeconomicis Und Passionirtem Wesen und in Judiciariis: Andern Zur ergötzenden Warnung und reifferm Nachdencken aufgeführt. Nebst einer Vorrede. Hamburg / Bey Samuel Heyl und Gottfried Liebezeit / Anno 1709. [RS] Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Die Römische Octavia. Erster Band in drei Teilbänden. Bearbeitet von Rolf Tarot und Maria Munding. Stuttgart 1993 (= Werke: historisch-kritische Ausgabe, III, 1–3, und = Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, 314–316). [RO I] [Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel:] Der Römischen Octavia Zweyter Theil. Braunschweig/ Gedruckt und verlegt durch Johann Georg Zilligern Hochfürstl. privil. Hof-Buchdrucker. [RO II, erschienen 1713]

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Stellenindex der Romane des Untersuchungskorpus

Adelphico 21, 26f., 46, 53–55, 74, 81, 83f., 86f., 98, 100, 102–104, 106, 116, 120f., 151–153, 156, 160, 168, 193, 197, 207, 211, 214, 219, 222f., 227f., 232, 236f., 241, 249, 258, 268, 276, 285, 293, 314, 330–338, 423, 445, 457, 459f., 489, 492f. Amor auf Universitäten 28, 46f., 53, 80f., 86, 91, 95, 100–102, 104f., 151f., 156, 168, 192, 196f., 199, 211, 218, 225, 226– 228, 230f., 240–242, 248f., 256f., 267f., 272f., 276f., 280, 284, 290, 292, 294, 314– 318, 445, 457f., 489 Das Carneval der Liebe 27f., 47, 49f., 53, 66, 69, 75, 80, 86f., 89–91, 100, 102–106, 133, 151, 192f., 197f., 200, 211f., 219, 222, 227–229, 232, 234f., 241f., 248, 256, 264f., 268, 272f., 294, 318–323, 325, 458f., 488, 493 Der Raffinirte Statist 28, 46, 80, 86, 89, 88, 93, 111, 115f., 119f., 151, 207, 211f., 221–223, 227, 232f., 241, 249, 260f., 268, 271, 291f., 294–298, 307, 354, 423, 446, 458f., 489 Der verliebte Studente 28, 46, 84, 86, 92, 95, 100–106, 151f., 156, 160 168, 184, 196, 199, 201, 206, 211, 214, 217, 225, 228f., 232, 236–238, 240f., 243, 248, 267f., 273, 276f., 285, 294, 330, 423, 445, 458 Die Europäischen Höfe 20, 22, 25–27, 38, 46f., 53f., 56f., 73, 84–87, 97, 106–110, 119, 126, 140–143, 151f., 156f., 159–161, 164–169, 171–180, 182f., 191, 193, 197, 207, 211, 213–215, 222f., 227, 231f., 236,

238–241, 243f., 249–252, 260–264, 267– 271., 273f., 276, 280–284, 290, 305, 325, 336f., 343, 354, 357, 415, 419, 424, 445, 457–459, 488f. Die liebenswürdige Adalie 19, 25f., 46f., 72, 84f., 86, 91, 98, 114, 151f., 156, 159f.,165, 168f., 181–183, 196, 213f., 217, 222f., 227, 229f., 233f., 241f., 249– 251, 261, 267f., 270–274, 291, 294, 318f., 323, 337–342, 424, 458–460, 488 Die Reise einer höflichen und geschickten Person 26, 45f., 53f., 56, 64, 66, 80, 82, 86f., 91, 94f., 111–113, 120f., 136, 151, 196, 207, 211, 220, 222f., 228, 230, 233f., 241, 249–251, 268, 271, 276f., 285, 293f., 309–313, 445, 458, 490 Die Römische Octavia 34, 46, 58–60, 62f., 67f., 71f., 74, 78f., 84–87, 90, 92f., 95f., 106, 116–119, 126–133, 137, 139, 143– 149, 151f., 159f., 168f., 172f., 181–183, 185–187, 192–194, 196–199, 201–206, 208f., 211–215, 222, 224, 227, 231f., 236, 239–241, 245, 248–260, 265–270, 272– 274, 285–290, 292f., 343–487, 489f., 492–495 Die verliebte und galante Welt 25, 46f., 53f., 72, 79, 84, 86f., 92–94, 100–103, 105, 119, 123f., 139, 144, 151–153, 156, 160–164, 167, 169, 183–185, 187–192, 196, 200, 206, 214, 216, 224, 227f., 232, 236–238, 241, 243, 248, 261, 263, 267f., 272f., 274, 276–282, 291, 330, 422f., 445f., 458–460, 464, 488f.

508

Stellenindex der Romane des Untersuchungskorpus

Satyrischer Roman 20, 26, 38, 46f., 53, 57f., 64, 72–74, 81–83, 86f., 92f., 100, 102, 104–106, 111, 123, 151–153, 156f., 165, 168, 185, 187–191, 196, 199, 201, 207, 211f., 214, 218, 222, 228, 231f., 235f., 240f., 248, 261, 267f., 270, 272– 274, 280, 285, 291, 314, 323–329, 331, 346, 445, 458f., 489f.

Schelmuffsky 29, 46f., 48f., 51, 53, 64f., 66f., 80, 86f., 91, 96f., 111f., 115f., 119f., 122, 151, 196, 200, 207, 211, 220f., 225f., 228, 230, 235f., 241, 249–251, 257, 267f., 270f., 274, 276, 278, 285, 294, 298–309, 423, 446, 458, 490, 492f.