Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung 9783110596724, 9783110595987

In light of the new § 217 StGB, this book deals with the highly relevant themes of assisted suicide and professionalized

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German Pages 366 Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung – Inhalt Und Gedankengang Der Bearbeitung
Teil I. Darstellung Und Untersuchung Der Rechtslage Zur (Ärztlichen) Beihilfe Zum Suizid Bis Zur Aktuellen Gesetzesänderung Mit Einführung Des § 217 STGB N.F.
Teil II. Grundlegungen
Teil III. Darstellung Und Untersuchung Der Rechtslage Zu Ärztlicher Beihilfe Zum Suizid Seit Der Neueinführung Von § 217 STGB N.F. Samt Folgeproblemen
Teil IV. Die Wichtigsten Anwaltlichen Besonderheiten Aus Praktischer Sicht
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Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung
 9783110596724, 9783110595987

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Michael Rudlof Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB n.F.) Juristische Zeitgeschichte Abteilung 3, Band 47

Juristische Zeitgeschichte Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum (FernUniversität in Hagen, Institut für Juristische Zeitgeschichte)

Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung Materialien zu einem historischen Kommentar Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum Band 47 Redaktion: Anne Gipperich, Christoph Hagemann

De Gruyter

Michael Rudlof

Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB n.F.) Untersuchung der (straf-)rechtlichen Grenzen, insbesondere von professionalisierter Suizidförderung bzw. -beihilfe

De Gruyter

Rechtsanwalt Dr. jur. Michael Rudlof, LL.M. Die Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen als Dissertation angenommen.

ISBN 978-3-11-059598-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-059672-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-059372-3

Library of Congress Control Number: 2018944694 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Eine entscheidende Veranlassung, sich mit dieser Thematik wissenschaftlich im Rahmen einer Dissertation zu beschäftigen, löste einerseits das inzwischen abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren zum neu eingefügten § 217 StGB n.F. aus. Andererseits gaben das noch immer wegweisende Urteil des BGH vom 25. Juni 2010 – BGHSt 55, 191 „Fall Putz“ und die Frage, wie es nun seit der Einführung des § 217 StGB n.F. im Dezember 2015 um das sich bis dahin prinzipiell sukzessive immer weiter liberalisierende sog. Sterbehilferecht in der Bundesrepublik Deutschland steht, den Ausschlag. Der signifikante Bedeutungszuwachs dieser Thematik findet aufgrund des demographischen Wandels und vielfältiger gesamtgesellschaftlicher Faktoren statt. In einer überalternden Gesellschaft mit noch nie dagewesenen medizinischen Möglichkeiten ist es oft nicht mehr allein die Furcht vor dem Tod, sondern die Furcht vor dem Altern, vor Siechtum, vor Demenz und vor allem vor dem Verlust der menschlichen Würde, welche die Menschen umtreibt.1 Der Trend ging bisher zur Selbstbestimmung und wurde ebenfalls durch die jüngere Rechtsprechung des BGH betont, in der sich der Fokus auf die Beachtung des Patientenwillens als Ausgangspunkt sämtlicher weiterer Überlegungen gerichtet hat.2 Es steht völlig außer Frage, dass es sich vor allem hinsichtlich der ärztlichen Assistenz3 zum Suizid4 nach wie vor um eine heikle Problematik handelt (Stichwort: „Euthanasie“5). Ziel und Anliegen dieser Arbeit ist es, diese sensible und hochpolitische Thematik einer realistischen und angemessenen rechtlichen Würdigung zuzuführen. Zu dieser Arbeit haben u.a. Fragestellungen meiner bereits im Juni 2015 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Fernuniversität Hagen am Institut für Juristische Weiterbildung vorgelegten Masterarbeit angeregt. Die Brisanz, Komplexität, aber mitunter auch plötzliche 1 2 3 4

5

Ähnlich Jäger JZ 2015, 876. Vgl. Teil I, Kap. C) d). Dieser Terminus klassifiziert die Rolle eines teilnehmenden Arztes beim Suizid eines Menschen. Lat. von sua manu caedere = mit eigener Hand fällen, suicidum = Selbsttötung; damit wird ein nicht natürlicher Tod benannt, der auf einem bewussten Eingreifen des „Suizidenten“ in den eigenen Lebensprozess beruht. (Altgriech.) Wörtl. „wohltätige Tötung, Sterben als guter Tod“; Euthanasie ist zwar der in anderen Staaten nach wie vor gebräuchliche Begriff für Sterbehilfe; wegen des Missbrauchs während des NS-Regimes wird er in der Bundesrepublik Deutschland jedoch nur wenig verwendet, stattdessen synonym durch Sterbehilfe ersetzt.

https://doi.org/10.1515/9783110596724-001

VI

Vorwort

Aktualität dieser für alle daran Beteiligten in der Tat existenziellen Problematik ist eine weitere Besonderheit des beinahe uferlosen Themenfeldes. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Stephan Stübinger, der das Zustandekommen dieser Arbeit mit wertvollen Hinweisen und kompetenter Kritik begleitet und ermöglicht hat. Sein Vertrauen ließ mich frei denken und schreiben. Meine wundervolle Frau Maren hat mir während des Forschungs- und Schreibprozesses, neben der wochentäglichen anwaltlichen Tätigkeit in Vollzeit, stets geduldig „den Rücken freigehalten“ und sich zusätzlich der unangenehmen Mühe des Korrekturlesens auf unentdeckte Rechtschreibfehler hin unterzogen. Hierfür danke ich ihr von Herzen. Einige hier namentlich nicht aufgeführte Freunde gaben mir – wenn immer es erforderlich wurde – den nötigen technischen Support und halfen so mit dabei, dem mitunter sperrigen Inhalt ein angemesseneres Layout zu verleihen oder gar Schlimmeres zu verhindern. Auch ihnen gilt mein aufrichtiger Dank. Zuletzt bedanke ich mich bei den Verantwortlichen der FernUniversität in Hagen, die mir im Dezember 2016 die einwöchige Teilnahme am Annual Winter Projekt der EDELNet (European Distance Education in Law Network) Graduate School an der UNED für Doktorandinnen und Doktoranden in Madrid ermöglicht haben. Dort wurde ich in eine internationale Forschergemeinschaft eingeführt; unter anderem konnte ich mein Projekt vor einem internationalen Fachpublikum in englischer Sprache präsentieren und habe dabei viele wertvolle inhaltliche Hinweise erhalten. Ich widme diese Arbeit meinem sogleich zu Anfang des Dissertationsprojektes im November 2015 leider zu früh verstorbenen Vater, dem ich sie auch gerne vorgelegt hätte. Ihm verdanke ich wertvolle Einsichten. Köln, im Juli 2017

Michael Rudlof

Inhaltsverzeichnis Vorwort .............................................................................................................V  Abkürzungsverzeichnis ................................................................................. XIX  Einleitung – Inhalt und Gedankengang der Bearbeitung.................................. 1  A) Problemaufriss ....................................................................................... 1  B) Gang der Bearbeitung ............................................................................ 3  C) Formulierung der wichtigsten zu untersuchenden Fragen ..................... 5  

TEIL I: DARSTELLUNG UND UNTERSUCHUNG DER RECHTSLAGE ZUR (ÄRZTLICHEN) BEIHILFE ZUM SUIZID BIS ZUR AKTUELLEN GESETZESÄNDERUNG MIT EINFÜHRUNG DES § 217 STGB N.F. Erstes Kapitel: Einführung in das Problemfeld von Suizid i.V.m. Sterbehilfe ........................................................................ 9  A) Ausgangsproblematik ............................................................................ 9  I. Straflosigkeit von Suizid und Suizidversuch sowie deren dogmatische Begründung ................................................................. 9  II. Straflosigkeit der Suizidteilnahme und deren dogmatische Begründung .................................................................................... 11  B) Rechtsunsicherheiten mangels eines ausdrücklichen Sterbehilfegesetzes............................................................................... 12  Zweites Kapitel: Methodisch-wissenschaftlicher Ansatz: ganzheitliche Perspektive aufgrund der Eigenschaft des sog. Sterbehilferechts als rechtliche Querschnittsmaterie ........................ 14  A) Mögliche Beteiligte an einer Selbsttötung ........................................... 15  B) Vielzahl einschlägiger Normen aus verschiedenen Bereichen – insb. Strafrecht, Zivilrecht, Grundrechte, ärztliches Berufsrecht etc. ..... 15  I. Zivilrecht – Sterbehilferecht........................................................... 15  II. Verfassungsrecht – Sterbehilferecht ............................................... 17  III. Strafrecht – Sterbehilferecht........................................................... 18 

VIII

Inhaltsverzeichnis

C) Wechselseitige Spiegelung und Beeinflussung dieser Sphären, anstatt einer reinen Synthese................................................................ 18  Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität ............................... 19  A) Verfassungsrechtliche Ausgangslage zur Suizidproblematik sowie die Relevanz von Art. 8 EGMR ................................................. 20  I. Verfassungsrecht ............................................................................ 20  1.

Rechtsgut Leben / Rechtsgut Selbstbestimmungsrecht des Patienten ........................................................................... 21 

2.

Straflosigkeit des Suizids, des versuchten Suizids und der Beihilfe dazu als Maßstab für die Herleitung von Grundrechten?................................................ 23 

3.

Recht auf Selbsttötung? Menschenwürde i.V.m. der Patientenautonomie als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Art. 2 I GG ..................................... 23  a) Patientenautonomie .......................................................... 23  b) Menschenwürde ............................................................... 26 

4.

Ärztliche Beihilfe zum Suizid ................................................ 31  a) Art. 12 Abs. I GG, Berufsfreiheit ..................................... 32  aa) Exkurs zu § 217 StGB n.F. ...................................... 34  bb) Exkurs zu § 16 MBO ............................................... 35  cc) Satzungsmäßige Berufsordnungen der Landesärztekammern ......................................... 35  b) Art. 4 Abs. I GG, Gewissensfreiheit ................................ 37  c) Art. 2 Abs. I GG, allgemeine Handlungsfreiheit / allgemeines Persönlichkeitsrecht ..................................... 38 

5.

Sterbehilfevereine ................................................................... 39  a) Art. 9 Abs. I GG – Vereinigungsfreiheit .......................... 39  b) Art. 12 Abs. I GG – Berufsfreiheit ................................... 41 

II. Art. 8 EGMR .................................................................................. 42  B) Die drei Säulen des Strafrechts für die Zulässigkeit jeder medizinischen Behandlung ......................................................... 45 

Inhaltsverzeichnis

IX

C) Strafrechtsdogmatische und terminologische Ausgangsprobleme sowie einige Grundbegriffe ................................................................. 46  I. Strafrechtsdogmatische Ausgangsproblematik .............................. 46  II. Terminologische Probleme ............................................................ 48  1.

Aktive Sterbehilfeformen ....................................................... 49 

2.

Passive Sterbehilfeformen ...................................................... 52 

3.

Zwischenergebnis und Kritik .................................................. 53 

III. Kriterien für einen frei verantwortlich ausgeführten Suizid ........... 54  IV. Kriterien für eine straflose Beihilfe zum Suizid ............................. 56  V. Innere strafrechtsdogmatische Begründungslogik der Straflosigkeit von Suizid, Suizidversuch und Teilnahme am Suizid...................................................................... 57  1.

Suizid / Suizidversuch ............................................................ 57 

2.

Suizidteilnahme ...................................................................... 58 

VI. Vorläufige Abgrenzungskriterien zwischen Teilnahme und Täterschaft des „Beihelfers“........................................................... 58  VII.Weitere systematische StGB-immanente Hauptproblemstellungen hinsichtlich einer ärztlichen Suizidassistenz .................................. 61  D) Herausarbeitung eines roten Fadens – Definitionen, Grundannahmen, Tendenzen, Brüche (immanente Widersprüche) ..... 62  I. Annahme einer täterschaftlichen Fremdtötung seitens der Rspr. – insbesondere die Fälle Wittig, Hackethal und Putz ..................... 62  1.

Tötung durch Unterlassen (unechtes Unterlassungsdelikt) ..... 62  a) Der Fall Wittig ................................................................. 65  b) Der Fall Hackethal ........................................................... 71  c) Die Kemptener-Entscheidung .......................................... 72  d) Der Fall Putz I (zivilrechtlicher Rechtsweg) .................... 74  e) Der Fall Putz II (strafrechtlicher Rechtsweg)................... 76  f) Zwischenergebnis und Ausblick ...................................... 80 

2.

Echte Unterlassungsdelikte – insb. hinsichtlich § 323c StGB ........................................................................... 83 

X

Inhaltsverzeichnis 3.

Fahrlässige Tötung ................................................................. 86 

4.

Nebenstrafrecht – Strafbarkeit nach dem BtMG und AMG ... 88

II. Zusammenfassung der systematischen StGB-immanenten Problematik hinsichtlich der ärztlichen Beihilfe zum Suizid ......... 89  Viertes Kapitel: Zivilrechtliche Aspekte .......................................................... 91  A) §§ 1901a–c BGB (drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts 2009) ................................................................. 92  I. Patientenverfügung: Ermittlung des mutmaßlichen Willens .......... 92  II. Vorsorgevollmacht: Bestimmung eines Vertreters; Ergänzung einer etwaigen Patientenverfügung durch eine Vorsorgevollmacht ......................................................................... 97  1.

Zweck der Vorsorgevollmacht................................................ 97 

2.

Inhaltliche Erfordernisse......................................................... 97 

3.

Betreuungsrechtliche Aspekte im Kontext von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht .......................... 99 

III. Grenzen und Graubereiche von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht ....................................................................... 101  IV. Inhaltlicher Bezug von Patientenverfügung zum ärztlich assistierten Suizid? .......................................................... 104  B) §§ 630 a–h BGB (PatientenrechteG – medizinische Behandlungsverträge) ........................................................................ 104  C) Zwischenergebnis .............................................................................. 106  Fünftes Kapitel: Zusammenfassung und Zwischenergebnis hinsichtlich des bisherigen Status quo ante in Bezug auf das „Sterbehilfe-Recht“ .... 107  A) Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte .............................................. 108  B) Einfachgesetzlich strafrechtliche Gesichtspunkte .............................. 112  I.

Unechte Unterlassungsdelikte ..................................................... 113 

II. Echte Unterlassungsdelikte ......................................................... 116  III. Fahrlässige Tötung (ggf. durch Unterlassen) .............................. 116  C) Lücken, Grenzen und Graubereiche................................................... 116

Inhaltsverzeichnis

XI

TEIL II: Grundlegungen  Erstes Kapitel: Warum ist die staatliche Rechtsordnung so restriktiv hinsichtlich der aktiven Sterbehilfe und der geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötungen?............................................................... 121  A) Stellung und Funktion des Strafrechts ............................................... 124  I. Paradoxon: einfaches Gesetz – „Grund“-Gesetz – Staat .............. 130  II. Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz? ....................................... 131  III. Juristische Begriffe als säkularisierte theologische Begriffe? ...... 140  B) Zweck des Strafrechts ........................................................................ 144  I. Rechtsgüterschutz ........................................................................ 145  II. Weitere Strafzwecke .................................................................... 147  C) Tötungsdelikte als Hauptdelikte innerhalb des StGB ........................ 149  I. Das Gewaltmonopol des Staates als alleiniges Letztentscheidungsmonopol über Leben und Tod; Walter Benjamin – Carl Schmitt .................................................. 150  II. Notwehrrecht: Einwand gegen die Existenz des reinen Gewaltmonopols? ....................................................... 153  III. Politisierung des Lebens (Biopolitik)? ......................................... 154  D) Weitere Dekonstruktionsversuche herrschender Legitimationsstrategien für das geltende Strafrechtsverständnis ....... 155  I. Friedrich Nietzsche – Genealogie der Moral................................ 155  II. Karl Marx – ursprüngliche Akkumulation ................................... 158  III. Marx und Nietzsche im Vergleich................................................ 161  Zweites Kapitel: Der freie Wille als Problem i.R.d. Paradigmas vom „selbstbestimmten Sterben“ (Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit) – Grenzen .......................................................................... 167  A) Grundlagen ........................................................................................ 167  I. Freiheit als Leitwert und Oberbegriff der Moderne ..................... 167  II. Ideengeschichtlicher Ursprung und Probleme i.R.d. Freiheitskonzeption der Moderne................................................. 170 

XII

Inhaltsverzeichnis III. Dimensionen der Freiheit ............................................................. 173 

B) Philosophische Einwände .................................................................. 175  I. Marx ............................................................................................. 176  1.

(Rechts-)Person oder Personifikation ökonomischer Kategorien?........................................................................... 176 

2.

Vertragsfreiheit? ................................................................... 177 

3.

Reaktualisierungsversuch des Anspruchs auf Verwirklichung der Vernunft ......................................... 179 

4.

Marx und Hegel im Vergleich .............................................. 180 

5.

Marx kritische Reformulierung der hegelschen Rechtsphilosophie ................................................................. 183 

6.

Zwischenergebnis ................................................................. 184 

II. Foucault........................................................................................ 185  1.

Mikrophysik der Macht ........................................................ 185 

2.

Universitäre Prüfungen als Zeremoniell der Macht .............. 186 

3.

Dezentrierung des Subjekts zugunsten des „Systems“? ....... 187 

4.

Zwischenergebnis: Foucaults Freiheitsbegriff ...................... 188 

III. Neurobiologische Forschungen als paradigmatische Infragestellung des freien Willens? ................... 189  Drittes Kapitel: Schuldfragen i.R.d. Sterbehilferechts – Grenzbereiche zwischen den Welten von Schuld und Straflosigkeit (Entschuldigungsgründe) ........................................................................ 194  A) Einführung ......................................................................................... 194  I. Die Freiheit als Grund der Schuld ................................................ 194  II. Strafrechtliche Begriffe als säkularisierte theologische Begriffe? ................................................................. 194  III. Zum Begriff der Strafrechtsschuld; erste Bezüge zur Sterbehilfe......................................................... 195  B) Annäherung an den Inhalt des Schuldbegriffs ................................... 198  I.

Kausale Handlungslehre.............................................................. 199 

II. Finale Handlungslehre ................................................................. 200 

Inhaltsverzeichnis

XIII

III. Zwischenergebnis......................................................................... 201  C) Problematisierung von Schuldfragen in Bezug auf das sog. „Sterbehilferecht“ ....................................................................... 201  Viertes Kapitel: Vorläufiges Zwischenergebnis der Grundlegungen ............ 203 TEIL III: Darstellung und Untersuchung der Rechtslage zu ärztlicher Beihilfe zum Suizid seit der Neueinführung von § 217 StGB n.F. samt Folgeproblemen  Erstes Kapitel: Wortlaut des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung – § 217 StGB n.F........... 207  Zweites Kapitel: Einführung – Gang des Gesetzgebungsverfahrens und die Hintergründe .............................................................................. 208  A) Zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes ........................................... 208  B) Darstellung der Entwürfe und ihre gegenseitige „Abgrenzung“ ........ 212  I. Der Entwurf Sensburg / Dörflinger .............................................. 212  II. Der Entwurf Brand / Griese ......................................................... 213  III. Der Entwurf Künast / Sitte ........................................................... 216  IV. Der Entwurf Hintze / Lauterbach................................................. 217  C) Hintergründe ...................................................................................... 219  D) Seither eingereichte oder noch anhängige Verfahren vor dem BVerfG ................................................................................ 220  I. Antrag auf einstweilige Anordnung gegen den neuen § 217 StGB beim BVerfG (Az. 2 BvR 2347/15).......................... 220  II. Verfassungsbeschwerde(n) in der Hauptsache ............................. 221  Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung – Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 217 StGB n.F. .................. 223  A) Rechtsgut, Systematik und praktische Bedeutung ............................. 223  I. Rechtsgut ...................................................................................... 223  II. Systematik .................................................................................... 224  III. Praktische Bedeutung ................................................................... 227  B) Objektiver Tatbestand ........................................................................ 228 

XIV

Inhaltsverzeichnis I. Gelegenheit zur Selbsttötung ....................................................... 228  II. Geschäftsmäßigkeit ...................................................................... 228  III. Gewähren / Verschaffen einer Gelegenheit ................................. 232  IV. Vermitteln einer Gelegenheit ....................................................... 232 

C) Subjektiver Tatbestand ...................................................................... 233  D) Rechtswidrigkeit und Schuld ............................................................. 233  E) Strafausschließungsgrund nach Abs. II.............................................. 234  I. Angehörige / nahestehende Personen ........................................... 234  II. Kumulatives Vorliegen der Angehörigeneigenschaft sowie der Nichtgeschäftsmäßigkeit .............................................. 235  F) Täterschaft und Teilnahme ................................................................ 237  I. Anstiftung..................................................................................... 239  II. Beihilfe ......................................................................................... 240  G) Konkurrenzen .................................................................................... 244  Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen ............................................ 245  A) Immanente Problematiken der neuen gesetzlichen Regelung ............ 245  I. Strafrechtsdogmatik / Grundsatzfragen / Auslegungsprobleme ... 245 1.

§ 217 StGB n.F. als abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld der eigentlichen suizidalen Handlung ................ 245 

2.

Gefahr einer überschießenden Kriminalisierung infolge der ausnahmslosen Bestrafung jeder entsprechenden Handlung nach § 217 StGB n.F.? ......................................... 249 

3.

Legitimer Strafzweck oder unverhältnismäßiger Eingriff mit den Mitteln des Strafrechts? ........................................... 249 

4.

Durchbrechung des Prinzips von der (limitierten) Akzessorietät der Teilnahme ............................ 251 

5.

Geschäftsmäßiges Fördern von Selbsttötungen als „zulässiger“ Strafgrund? ................................................. 254 

6.

§ 217 StGB n.F. Abs. II / persönliche Strafausschließungsgründe / Teilnehmerkreis ...................... 256 

7.

Das Problem der ärztlichen Suizidassistenz ......................... 258 

Inhaltsverzeichnis 8.

XV

Strafbarkeit des überlebenden Suizidenten wegen Anstiftung zu § 217 StGB n.F.? ................................ 260 

II. Wertungswidersprüche ................................................................. 262  1.

Willkürlicher Eingriff in die allg. Handlungsfreiheit? – Gegenüberstellung von geschäftsmäßiger und „laienhafter“ Sterbehilfe ....................................................... 262 

2.

Strafbarkeit eines nicht geschäftsmäßig handelnden Teilnehmers an einer geschäftsmäßigen Suizidförderung (§§ 217, 27 StGB im Verhältnis zu § 217 Abs. II StGB n.F.) ... 263 

3.

Erhöhte Strafbarkeitsrisiken i.R.d. Palliativ- und Hospizmedizin ............................................... 264 

B) Kriminalpolitische Bedenken............................................................. 267  I. Indizwirkung statistischer Zahlen – Erforderlichkeit des § 217 StGB n.F.? ...................................... 267  1.

Schweiz................................................................................. 269 

2.

Niederlande........................................................................... 270 

II. Faktisches Verbot von Sterbehilfevereinen (Art. 9 II GG i.V.m. § 217 StGB)? ............................................... 270  III. Ablehnende Resolution deutscher Strafrechtler ........................... 271  IV. Ablehnende Empfehlung des deutschen Ethikrates ..................... 272  C) Verfassungsrechtliche Bedenken ....................................................... 275  I. Formelle Verfassungsgemäßheit .................................................. 275  II. Materielle Verfassungsgemäßheit ................................................ 277  1.

Eingriffe in die Grundrechte von suizidgeneigten Personen...................................................... 277 

2.

Eingriffe in die Grundrechte von Sterbehilfeorganisationen und professionalisierten Einzelpersonen............................... 277 

3.

Verfassungsrechtliche Rechtfertigungsbedürftigkeit? .......... 277 

4.

Verfassungsimmanente Anforderungen an den Eingriff? ..... 279  a) Legitimer Zweck? .......................................................... 279  b) Allgemeingültigkeit: Verstoß gegen Art. 19 Abs. I S. 1 GG? .................................................. 281 

XVI

Inhaltsverzeichnis c) Bestimmtheitsgebot: Verstoß gg. Art. 103 Abs. II GG? .... 282  d) Geeignet? ....................................................................... 283  e) Erforderlich? .................................................................. 283  f) Angemessen im engeren Sinne? ..................................... 286 

Fünftes Kapitel: Unterschiede zur bis Dezember 2015 geltenden Rechtslage ............................................................................... 287  A) Im Bereich des Strafrechts ................................................................. 287  B) Im Bereich der Grundrechte............................................................... 290  C) Im Bereich des Zivilrechts ................................................................. 291 TEIL IV: DIE WICHTIGSTEN ANWALTLICHEN BESONDERHEITEN AUS PRAKTISCHER SICHT Erstes Kapitel: Allgemeines .......................................................................... 295  A) Anwaltliches Selbstverständnis ......................................................... 295  B) Besonderheiten bei dem Wunsch, selbstbestimmt zu sterben ............ 296  Zweites Kapitel: Konkrete Methode zur Ermittlung des Mandanteninteresses und zur Bestimmung der Beratungsziele............... 300  A) Anwaltliche Beratungsperspektive .................................................... 300  B) Methode ............................................................................................. 300  C) Bestimmung des Mandanteninteresses .............................................. 300  Drittes Kapitel: Beratungsziele ..................................................................... 302  A) Patient ................................................................................................ 302  I. Patient, der noch selbst entscheiden kann: Vorsorge und Sterben ................................................................... 302  1.

Allgemeine Überlegungen .................................................... 302 

2.

Überlegungen, falls ärztliche Suizidbeihilfe gewünscht ist .... 304 

3.

Patientenverfügung ............................................................... 305 

4.

Bestimmung eines Vertreters; Ergänzung einer etwaigen Patientenverfügung durch eine Vorsorgevollmacht .............. 306  a) Zweck der Vorsorgevollmacht ....................................... 306 

Inhaltsverzeichnis

XVII

b) Inhaltliche Erfordernisse ................................................ 306  c) Rechtliche Grundlage ..................................................... 308  II. Patient hat bereits vorausentschieden – Verfahren ohne Vertreter .......................................................... 308  B) Arzt .................................................................................................... 309  I. Legalität ....................................................................................... 309  II. Gewissensentscheidung................................................................ 310  C) Angehöriger / Vertreter des Patienten ................................................ 310  I. Entscheidung durch einen Bevollmächtigten oder Betreuer ........ 311  II. Feststellung des aktuellen Willens eines nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten ................................................... 311  Viertes Kapitel: Allgemeine strategische Überlegungen zur Umsetzung ...... 313  A) Einvernehmlich – gütliches Vorgehen ............................................... 313  I. Inhalt und Umfang der Beratung .................................................. 314  II. Orientierung an den Beratungszielen des Mandanten .................. 314  III. Mandantengerechte Beratung ...................................................... 314  IV. Ehrliche Beratung ........................................................................ 314  V. Beratung über nichtjuristische Umstände..................................... 315  VI. Dokumentation ............................................................................ 315  B) Vorgehensweise bei Widerständen auf Seiten von Arzt, Klinik oder Heim ...................................................................... 315  C) Rechtsweg .......................................................................................... 316  

TEIL V: GESAMTERGEBNIS

Literaturverzeichnis ...................................................................................... 325 

Abkürzungsverzeichnis a.a.O. aA abl. Abs. aF AG Alt. Art. AT Aufl. ausdr. Az. Bd. Bearb. Beschl. BGB BGH BGHSt BGHZ BT BT-Drs. BtM BtMG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. Ders. d.h. Diss.

am angegebenen Ort anderer Ansicht ablehnend Absatz alte Fassung Amtsgericht Alternative Artikel Allgemeiner Teil Auflage ausdrücklich Aktenzeichen Band Bearbeiter Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Betäubungsmittel Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgericht bezüglich beziehungsweise derselbe das heißt Dissertation

https://doi.org/10.1515/9783110596724-002

XX DJT Dr. dt. E ebd. EMRK erg. etc. EuGH EUGMR evtl. ff Fn. FS gem. GG ggf ggü. GM h.L. h.M. hrsg. Hrsg. i.d.F. i.d.R. i.d.S. i.E. i.F.e. i.R.e. i.R.v. i.S.d. i.Ü. i.V.m. insbes.

Abkürzungsverzeichnis Deutscher Juristentag Doktor deutsch Entwurf ebenda (Europäische) Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Ergebnis et cetera Europäischer Gerichtshof Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte eventuell fortfolgende Fußnote(n) Festschrift gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls gegenüber F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, in: KSA 5 herrschende Lehre Herrschende Meinung herausgegeben Herausgeber in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis Im Falle eines Im Rahmen eines Im Rahmen von Im Sinne des Im Übrigen in Verbindung mit insbesondere

Abkürzungsverzeichnis iSv JA Jura JuS JZ krit. LG LL.M. m.V. m.w.N. n.F. Nachw. NJ NJW NK-StGB nlStGB NStZ NStZ-RR o.a. OLG OWiG Prof. RA Rn. Rspr. S. s. s.o. s.u. sog. StA StGB str. stRspr.

im Sinne von Juristische Arbeitsblätter Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristen Zeitung kritisch Landgericht Master of Laws mit Verweis mit weiteren Nachweisen Neue Fassung Nachweis(e) Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nomos-Kommentar zum Strafgesetz Niederländisches Strafgesetzbuch Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report oben angegeben Oberlandesgericht Ordnungswidrigkeitengesetz Professor Rechtsanwalt Randnummer Rechtsprechung Satz; Seite siehe siehe oben siehe unten sogenannte (r) Staatsanwaltschaft Strafgesetzbuch strittig Ständige Rechtsprechung

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XXII StVollzG u. u.a. usw uU Var. VerwG vgl z.B. Ziff. zit. zust. zutr. zw.

Abkürzungsverzeichnis Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung unten und andere, unter anderem und so weiter unter Umständen Variante Verwaltungsgericht vergleiche zum Beispiel Ziffer(n) zitiert zustimmend zutreffend zweifelhaft

Einleitung – Inhalt und Gedankengang der Bearbeitung A) Problemaufriss Die vorliegende Arbeit ist aus Anlass des im Dezember 2015 verabschiedeten § 217 StGB n.F. – Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung – entstanden. Gegenstand dieser Arbeit ist somit im weiteren Sinne das hochaktuelle Thema des selbstbestimmten Sterbens, mit besonderer Berücksichtigung der nach wie vor umstrittenen ärztlichen Assistenz zum Suizid. Unter Sterbehilfe i.e.S. (Euthanasie) versteht man eine Hilfe,1 die einem schwer erkrankten Menschen auf seinen Wunsch oder seinen mutmaßlichen Willen hin geleistet wird, um ihm einen nach seinen Vorstellungen menschenwürdigen Tod zu ermöglichen2 und ihn so von seinen hauptsächlich physischen Qualen im Sinne eines sanften Todes zu erlösen. Diese Arbeit befasst sich insoweit mit dem weiten Bereich des sog. Sterbehilferechts. Die juristische Diskussion um die auch weiterhin aktuelle „Sterbehilfe“ wird vor allem von Strafrechtlern3 und Zivilrechtlern geführt; sie beinhaltet aber auch erhebliche verfassungs- und europarechtliche Dimensionen. Allen diesen ineinandergreifenden Implikationen wird anhand der vorliegenden Ausarbeitung das jeweils erforderliche Augenmerk gewidmet, und es werden die wechselseitigen Bezüge aufgezeigt. In Teil I wird der bisherige dogmatische Rahmen des sog. Sterbehilferechts bis Dezember 2015 zur Bestimmung der Legalität einer Selbsttötung hinsichtlich des Suizidenten selbst wie auch aller daran Beteiligter herausgearbeitet. Dies geschieht unter der zwingenden Prämisse der Einheit der Rechtsordnung. Schließlich kann der im Extremfall sterbenskranke Patient nur wollen, was ein Arzt oder eine andere beteiligte Person im Hinblick auf die gesamte Rechtsordnung überhaupt legal ausführen darf. Das bedeutet, in Teil I werden zunächst die der Thematik zu Grunde liegenden einschlägigen rechtlichen Aspekte, auch unter der gebotenen Betonung der strafrechtlichen Belange, herausgearbeitet. Der Grund hierfür liegt ganz einfach darin, dass ein Sterbehilferecht im eigentlichen Sinne nach wie vor in Deutschland nicht existiert; allenfalls als fragmentarische Querschnittsmate1 2 3

Entweder durch positives Tun oder Unterlassen. So auch: Roxin / Schroth–Roxin, S. 83. Nur aus Gründen des besseren Leseflusses wird im weiteren Textverlauf die männliche Form stellvertretend für beiderlei Geschlecht verwendet.

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Einleitung

rie.4 Eine umfassende gesetzliche Regelung der Sterbehilfe gibt es trotz der Existenz des § 217 StGB n.F. bislang noch nicht. Dies macht die Thematik weiterhin zur komplexen Herausforderung. Zwar gilt methodisch der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, aber das Zusammenspiel der verschiedenen rechtlichen Sphären ist oft unsicher, und richterliche Entscheidungen sind mithin oft nur schwer vorhersehbar. Ziel dieser Analyse in Teil I ist es darum einerseits, die einschlägigen (straf-)rechtlichen Aspekte, d.h. die notwendigen Abgrenzungen und Definitionen unter Herausarbeitung einer angemessenen begrifflichen Systematik unter der gebotenen Hervorhebung einiger Grundsatzurteile – welche ich systematisch-analytisch miteinander in Bezug setzen werde – zu entwickeln. M.a.W. soll das sog. Sterbehilferecht aus seinen Fragmenten heraus in einen Gesamtkontext gesetzt, nachvollzogen, zusammengefasst und der strukturierten Analyse der wichtigsten gerichtlichen Entscheidungen zugeführt werden. Hinzu kommt erschwerend, dass der Suizid sowie die Beihilfe dazu zwar nach wie vor seit Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. gemäß dem StGB prinzipiell erlaubt sind. Es sind jedoch bislang noch nicht alle in Betracht kommenden Lebenssachverhalte im Detail geregelt. Ergänzt und konkretisiert wurden und werden die diesbezüglichen Grundsätze des StGB durch ein sog. „höchstrichterliches Richterrecht“,5 d.h. eine richterliche Rechtsfortbildung, welche sämtliche Detailprobleme zu entscheiden und damit verbindlich zu definieren hat. Mangels einer ausdrücklichen Regelung der Sterbehilfe durch den Gesetzgeber muss ebenfalls auf die eher fragmentarischen Ergebnisse der Rechtsprechung zurückgegriffen werden, um die rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb deren ärztliche und pflegerische Hilfe zum Sterben sich vollzieht, im Detail zu ermitteln.6 Vor diesem Hintergrund kommt der Rechtsprechung und namentlich der höchstrichterlichen Judikatur eine besondere Bedeutung zu. Sie dient der Herstellung materieller Rechtseinheit und übernimmt zugleich im Idealfall eine eminent wichtige Befriedungsfunktion. Diese Entwicklung ist ständig im Fluss. Einige wichtige Entwicklungslinien des sog. Sterbehilferechts sind daher in Teil I im Lichte der im Wesentlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu skizzieren. Hierbei soll das dogmatisch-methodische Rüstzeug für 4 5 6

Ähnlich W. Höfling: Die Entwicklung des sog. Sterbehilferechts in der (höchstrichterlichen) Judikatur, S. 444. Allerdings ist der Bereich der „richterlichen Rechtsfortbildung“ im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip prinzipiell durchaus nicht unproblematisch, vgl. hierzu auch S. 12. In Teil III wird dann gezeigt werden, inwieweit die hier gefundenen Resultate durch den berühmten Federstrich des Gesetzgebers obsolet geworden sind oder aber weiterhin Aktualität beanspruchen.

Inhalt und Gedankengang der Bearbeitung

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ein Sterbehilferecht i.S.e. „Querschnittsmaterie“ entwickelt werden, um in Teil III den neuen § 217 StGB anhand der gewonnenen Maßstäbe und Erkenntnisse eingehend wissenschaftlich untersuchen zu können. Entscheidende Orientierungspunkte müssen somit im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung nach wie vor mindestens aus straf-, zivil- und verfassungsrechtlichen Normen abgeleitet werden. Problematisch ist hierbei deren relativ unsicheres Zusammenspiel. Das Verfassungsrecht hat dabei sicherlich bezogen auf die einfache Rechtsordnung einen normenhierarchischen Vorranganspruch. Darüber hinaus gibt es eine wechselseitige Beeinflussung der strafrechtlichen Sanktionenordnung mit dem Zivilrecht.7 Ein ähnlicher normenhierarchischer Vorranganspruch gilt selbstverständlich für das Recht der Europäischen Union und die völkerrechtlichen Verträge in Bezug auf das nationale Recht. Wie bereits angedeutet, soll Teil I andererseits den methodisch-dogmatischen Grundstein für die in Teil III hierauf aufbauende Analyse des neuen § 217 StGB bilden, wobei sich weiter zeigen muss, ob es sich bei dieser Regelung um einen dogmatisch-methodischen Fremdkörper handelt oder nicht.

B) Gang der Bearbeitung Für eine zielführende und problemangemessene Untersuchung der Thematik sind unterschiedliche Gedankenschritte erforderlich, deren Reihenfolge – und zugleich der wechselseitige und damit inhaltliche Bezug zueinander – durch einen Ausblick auf den Gang der Untersuchung vorab kurz darzustellen sind. In Teil I wird die bis dahin vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung ineinandergreifend entwickelte Rechtslage zur (ärztlichen) Beihilfe zum Suizid bis zur Verabschiedung des neuen § 217 StGB Ende 2015 dargestellt und analysiert. Insoweit wird zugleich in den Problemkreis von Suizid und der Beihilfe dazu eingeführt. In Kapitel 1. wird kurz für eine erste Orientierung in das Phänomen Sterbehilferecht eingeleitet, im Anschluss wird der gewählte methodischwissenschaftlichen Ansatz (Kapitel 2.) erläutert. Danach wird zunächst eine ganz generelle Bestimmung des Rahmens der Legalität hinsichtlich der Suizidproblematik sowie der Beihilfe dazu (Kapitel 3.) vorgenommen. Hierbei werden zunächst gleichermaßen verfassungsrechtliche, straf- und medizinrechtliche Aspekte untersucht. Außerdem werden kurz die relevantesten strafrechtlichen höchstrichterlichen Urteile dargestellt, um einen roten Faden des ausnahmsweise faktischen Case-laws in Bezug auf das Sterbehilferecht herauszuarbeiten und eine verlässliche Terminologie an die Hand geben zu kön7

Vgl. zu diesem Gedanken: W. Höfling, a.a.O.

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Einleitung

nen. Später werden die zum Themenkreis gehörigen zivilrechtlichen Aspekte (Kapitel 4.), insbesondere Punkte wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Bestellung eines Betreuers, Ermittlung des mutmaßlichen Willens, medizinische Behandlungsverträge sowie die daraus folgenden Wechselwirkungen und gebotenen Modifikationen der strafrechtlichen Gesichtspunkte untersucht. Schließlich finden noch die berufsrechtlichen Aspekte innerhalb der Ärzteschaft und deren möglicherweise relevante Bedeutung für die Rechtsanwendung (Kapitel 5.) ihre angemessene Berücksichtigung. Bevor es in Teil III an die Analyse der neuen Vorschrift selbst geht, soll in Teil II zum Zwecke einer allgemeineren Betrachtung hinsichtlich des zu untersuchenden Themenfeldes innegehalten werden. Ziel ist es, den Blick von den dogmatischen Detailproblemen hin auf die zu Grunde liegenden Strukturen bzw. Grundlagen zu lenken, um so im besten Fall ein noch umfassenderes Problembewusstsein zu vermitteln. Es wird sich im weiteren Fortgang zeigen, dass die zu untersuchende Problematik ihrerseits auf tiefer liegende Grund(satz)fragen verweist. In Teil II wird unter dieser Hinsicht eine grundsätzliche Grundlegung bezüglich der Frage nach der Begründung für die staatlicherseits eher restriktive Haltung im Hinblick auf Tötungsdelikte im Bereich der Sterbehilfe systematisch herausgearbeitet (Kapitel 1). Dort werden zu diesem Zwecke zunächst die Stellung und Funktion des Strafrechts sowie der Zweck des Strafrechts erläutert, um dann der Frage nachgehen zu können, welche Bedeutung in diesem Kontext den Straftaten gegen das Leben zukommt bzw. auch zukommen muss. Im Weiteren wird das Phänomen des freien Willens kritisch untersucht, welcher einerseits eine gleich prominente wie paradigmatische Bedeutung im Diskurs über das selbstbestimmte Sterben und der Rechtswissenschaft überhaupt einnimmt (Kapitel 2). Anschließend wird das Phänomen der Schuld im besonderen Kontext des Sterbehilferechts erörtert und problematisiert (Kapitel 3) und darüber hinaus einer allgemeineren Betrachtung unterzogen. In Teil III wird eine Darstellung und Untersuchung hinsichtlich der neuen Rechtslage von Suizidbeihilfe und sämtlichen Folgeproblemen seit Inkrafttretens von § 217 StGB n.F. vorgenommen. Hierzu wird zunächst in den Gang des Gesetzgebungsverfahrens selbst sowie die Hintergründe zum § 217 StGB n.F. eingeführt werden. Im Rahmen dessen werden kurz die vier relevanten Gesetzgebungsvorschläge referiert und erörtert (Kapitel 2. B]). Daran anknüpfend wird eine Auslegung und Interpretation der Tatbestandsmerkmale des § 217 StGB n.F. vorgenommen (Kapitel 3.). Hieran knüpft eine Erörterung und Vertiefung von – trotz der Existenz von § 217 StGB n.F. – weiter verbleibenden Zweifelsfragen an (Kapitel 4.). In deren Folge werden methodische wie

Inhalt und Gedankengang der Bearbeitung

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dogmatische Fragen bezüglich der Auslegung und Wirksamkeit dieser Norm in strafrechtlicher, kriminalpolitischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht vertieft. Schließlich soll § 217 StGB n.F. mit den bereits anhand von Teil I gewonnenen Maßstäben und Erkenntnissen abgeglichen werden, um schließlich feststellen zu können, ob einerseits hierdurch das bisherige Sterbehilferecht eine Zäsur erfahren hat und ob andererseits diese Vorschrift als solche überhaupt einfachrechtlichen wie übergeordneten Rechtsprinzipien sowie der eigenen Zielsetzung standhält. Zum Schluss werden in Teil IV zur Abrundung des Themas noch die wichtigsten anwaltlichen Besonderheiten aus der rechtsanwendenden Perspektive eines praktizierenden Rechtsanwalts8 dargestellt und in Teil V ein abschließendes Gesamtergebnis präsentiert.

C) Formulierung der wichtigsten zu untersuchenden Fragen Es ergeben sich somit vielfältige Einzelfragen, denen – anhand der Vorarbeiten und Ergebnisse aus Teil I, samt der dazugehörigen Terminologieklärung (Teil I, Kapitel 3. Punkt D) – konkret im Rahmen einer Analyse des neuen § 217 StGB nachgegangen werden muss, um die Thematik insgesamt einer problemangemessenen Lösung zuführen zu können. Hier vorab die wichtigsten Fragestellungen: I.

Lässt sich ein strafrechtliches Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe dogmatisch aufrechterhalten, wenn ein freiverantwortlicher und tatherrschaftlich durchgeführter Suizid grundsätzlich gar kein Erfolgsunrecht beinhaltet, welches einem Helfer zugerechnet werden kann?9

II.

Bestehen als Folgeproblem berechtigte Gründe dafür, dass eine im Grunde erlaubte Handlung (Beihilfe zum Suizid) plötzlich strafbewehrt sein kann, nur weil sie geschäftsmäßig erfolgt, oder liegt darin nicht vielmehr ein rechtsdogmatisch un10 vertretbarer „Systembruch“?

III. Wie lässt es sich mit einem liberalen wie weltanschaulich neutralen Strafrechtsverständnis vereinbaren, dass hinsichtlich der konkreten Rechtsgutgefährdung allein auf die Gesinnung des Unterstützers (in der Absicht der geschäftsmäßigen Förderung) abgestellt wird und nicht darauf, dass der strafbewehrten Handlung mindestens ein substanzielles und nicht nur fernliegendes Rechtsgutgefährdungsrisiko innewohnt? Schleicht sich dadurch nicht entgegen dem zentralen Tatprinzip

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9 10

Der Verfasser ist als Rechtsanwalt selbstständig in Köln-Ehrenfeld tätig und führt an dieser Stelle die zu diesem Themenkomplex gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse einer systematischen Darstellung zu. Vgl. hierzu Teil III, Kapitel 4 insb. Punkt A) I 4. Ebenda insb. 5.

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Einleitung (§§ 1 ff. StGB) ein reines Gesinnungsprinzip in die dogmatische Strafbegründungsstruktur ein?11

IV. Kann der einfache Gesetzgeber seinerseits überhaupt ein Recht dazu haben, medizinisch kompetente Organisationen und Einzelpersonen (insbesondere Ärzte), welche allein professionelle Sterbehilfe leisten könnten, dem Verdikt der Kriminalität, noch dazu allein aus generalpräventiven Gründen, zu unterwerfen?12 V.

Wird gar das bisher geltende Paradigma von der Freiverantwortlichkeit eines Suizids (inklusive der Möglichkeit professioneller, hierauf spezialisierter Begleitung) hinsichtlich der Entscheidung, das Leben zu beenden, nicht faktisch in sein Gegenteil verkehrt, da jeder freiverantwortlich Suizidwillige nun mit dem stark erhöhten Risiko eines Misslingens oder gar der einzigen Möglichkeit eines sog. „Brutal-Suizids“ konfrontiert ist?13

VI. Wie lässt sich vor dem Hintergrund des § 217 StGB n.F. eine begrifflich und dogmatisch saubere Abgrenzung der unerlaubten geschäftsmäßigen Sterbehilfe von einer nach wie vor erlaubten geschäftsmäßigen Sterbebegleitung durchführen („böse“ Sterbehilfe; „gute“ Sterbebegleitung)?14 VII. Verstößt die Unbestimmtheit des Begriffs „geschäftsmäßig“ nicht einerseits gegen das Prinzip nulla poena sine lege, sowie das Einzelfallgesetzesverbot und weiterhin das Rechtsstaatsprinzip?15

11 12 13 14 15

Vgl. hierzu Teil III, Kapitel 4. Ebenda insb. dort Punkt C). Vgl. Teil III, Kapitel 4. A) II. Vgl. Teil III, Kapitel 4. A) IV. Vgl. Teil III, Kapitel 4. C).

TEIL I: DARSTELLUNG UND UNTERSUCHUNG DER RECHTSLAGE ZUR (ÄRZTLICHEN) BEIHILFE ZUM SUIZID BIS ZUR AKTUELLEN GESETZESÄNDERUNG MIT EINFÜHRUNG DES § 217 STGB N.F.

https://doi.org/10.1515/9783110596724-004

Erstes Kapitel: Einführung in das Problemfeld von Suizid i.V.m. Sterbehilfe Die praktische Bedeutung des Suizids ist, angesichts von etwa 13.000 gelungenen Selbsttötungen pro Jahr in der Bundesrepublik und einer vielfachen Anzahl von Suizidversuchen, erheblich.1 Die Zahl der misslungenen Suizidversuche lag allein im Jahr 2013 schätzungsweise bei 200.000.2

A) Ausgangsproblematik I. Straflosigkeit von Suizid und Suizidversuch sowie deren dogmatische Begründung Nach der herrschenden Ansicht und in der praktischen Rechtsanwendung ist der Suizid bzw. der Versuch dazu nach deutschem Recht bereits keine rechtswidrige Tat i.S.d. §§ 27, 11 I Nr. 5 StGB und damit gar nicht erst strafbar.3 Begründet wird dies rein formal bereits damit, dass eine Selbsttötung jedenfalls darum straflos ist, weil sich die Tötungsdelikte bereits ihrem Wortlaut nach stets gegen einen andern Menschen richten müssen. Dem liegt der inhaltliche Gedanke zu Grunde, das ein Suizident, der allein sich selbst – ohne Verletzung oder Gefährdung anderer – tötet, letztlich nur sich selbst schade.4 Damit würden weder die Rechtsgüter Dritter noch der Allgemeinheit verletzt, wonach mangels Sozialschädlichkeit und damit Rechtgutsverletzung der Suizid nicht strafbar sein kann.5 Diese Annahme deckt sich an dieser Stelle ebenfalls mit der Systematik der Tötungsdelikte. Denn § 216 StGB stellt eine täterschaftliche Fremdtötung auf Verlangen einerseits lediglich unter eine Strafandrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Würde man andererseits den Suizid dennoch unter § 212 StGB subsumieren, so wäre mit einer Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren zu rechnen. Dieses Ergebnis wäre aber systemimmanent widersprüchlich und darum sachlich ein unhaltbares Ergebnis, weil dann die hinsichtlich des Unrechts- und Schuldgehalts schwerer wiegende täterschaftli-

1 2 3 4 5

Ebenso NK–Neumann, Vor.§ 211, Rn. 36. So auch U.-C. Arnold, Letzte Hilfe, S. 176; vgl. auch Statistisches Bundesamt: Gesundheit, Todesursachen in Deutschland. Wiesbaden 2013, S. 31. BGHSt 2, 150 (154); BGHSt 32, 262 (264); BGHSt 32, 367 (371). Vgl. Saliger, Selbstbestimmung bis zuletzt (2015), S. 134. Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe (2013), S. 12 ff.

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Teil I

che Fremdtötung auf Verlangen milder bestraft werden würde als eine unter § 212 StGB subsumierte Selbsttötung. Allerdings ist seit jeher umstritten, ob der Suizid daneben zusätzlich lediglich sittlich zu missbilligen6 oder rechtswidrig und lediglich straflos ist.7 Nach der letzteren Alternative würde der Suizid sogar eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Handlung darstellen. Diese Ansicht ist auch nach 1945 noch vereinzelt vertreten worden.8 Begründet wird diese Ansicht damit, dass der Unrechtsgehalt bei der Fremd- wie bei der Selbsttötung insoweit identisch sei, als in beiden Fällen ein Mensch getötet werde. Zusätzlich könne eine solche Tat auch nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gerechtfertigt werden, weil der Suizident nämlich „die Pflicht des Einzelnen zum Weiterleben gegenüber der Gemeinschaft“ verletze.9 Hiernach sei die Selbsttötung nur deshalb nicht strafbar, weil ein spezieller Entschuldigungsgrund – nämlich das Erlebnis der völligen Sinnlosigkeit des eigenen Lebens durch den Täter – greife.10 Diese Ansicht hat zwar bisher keine herrschende Meinung bilden können, ist aber im Zuge der aktuellen Diskussion hinsichtlich der Förderung der Selbsttötung derzeit wieder im Vordringen begriffen.11 Aus der Rechtswidrigkeit des Suizids als solchen wird dann die berechtigte Strafandrohung jeglicher geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung hergeleitet. Schwere rechtsdogmatische Bedenken ergeben sich aber bereits daraus, dass Selbst- und Fremdverletzung nicht auf gleicher Stufe stehen können.12 Zusätzlich ist ein freiverantwortlicher Suizid Ausdruck des grundgesetzlich verbürgten Autonomieprinzips,13 wohingegen eine Fremdtötung stets ein Tötungsdelikt verwirklicht. Darüber hinaus gehört die Auffassung, dass der Einzelne eine Rechtspflicht zum Weiterleben gegenüber der Gemeinschaft habe, insbesondere der für das deutsche Rechtsdenken unseligen Epoche zwischen 1933 und 1945 an und kann als überwunden gelten. Damals galt der deckungsgleiche illiberale Grundsatz, dass der Einzelne nichts und die staatlich repräsentierte (Volks-) Gemeinschaft alles sei, womit zugleich der Weg zum totalen Staat eröffnet 6 7 8 9 10 11 12 13

Fischer, Vor § 211 Rn. 10 m.w.N. So etwa noch in BGHSt 46, 279 (285). Zum Ganzen und m.w.N. Saliger, a.a.O. (S. 134). Ebenda m.w.N. Ebenda. So etwa Schliemann, ZRP 2013 S. 51 ff., Strafbarkeit der Förderung der Selbsttötung. Ebenso Schönke / Schröder–Eser / Sternberg-Lieben StGB Vor. §§ 211 ff. Rn. 33. Siehe unten unter Kapitel 3 Punkt A).

Erstes Kapitel: Einführung in das Problemfeld

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war. Die Selbsttötung würde in ihrem „Unrechtsgehalt“ unter Annahme einer solchen Prämisse im Ergebnis strafrechtlich einer Fremdtötung gleichgestellt und vom Staat als solche verbindlich qualifiziert, womit die letztlich biopolitischen14 Zugriffsbefugnisse des Staates gegenüber seinen Bürgern bis auf ein unerträgliches Maß gesteigert wären. Auch darum ist ein solcher Befund nicht mit der geltenden Verfassungsrealität nach 1945 in Einklang zu bringen.

II. Straflosigkeit der Suizidteilnahme und deren dogmatische Begründung Aus der Straflosigkeit von Suizid und Suizidversuch ergibt sich, dass eine Beihilfe zum Suizid – infolge der fehlenden Haupttat – ebenfalls straflos ist.15 Nach deutschem Recht ist also die vorsätzliche Mitwirkung an einem freien und selbstverantwortlichen Suizid straflos, weil es nach dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät (§§ 26, 27, 11 Abs. I Nr. 5 StGB) an der erforderlichen tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Haupttat des „Haupttäters“ (= des Suizidenten) fehlt. Insoweit der Suizid also nicht tatbestandsmäßig im Sinne des StGB ist, ist damit mangels Haupttat die Konstruktion einer Strafbarkeit des Teilnehmers (Anstifter oder Gehilfe) nach den §§ 26, 27, 11 Abs. I Nr. 5 StGB nicht möglich.16 Systematisch folgt dieser Befund ebenfalls aus dem Fehlen einer entsprechenden Sonderregelung im StGB, weil eine Strafbarkeit des Teilnehmers an einem Suizid einen eigenen Straftatbestand bereits für den Suizid voraussetzen würde,17 wie dies aktuell etwa bei § 217 StGB n.F. der Fall ist. Die Straflosigkeit setzt allerdings voraus, dass der Suizident freiverantwortlich18 handelt und die Tatherrschaft über den letzten tödlichen Akt selbst innehat;19 anderenfalls wäre eine Strafbarkeit nach §§ 216 bzw. 212 ff. naheliegend. Die Suizidhilfe ist demnach prinzipiell erlaubt, jedoch nicht explizit für alle in Betracht kommenden Lebenssachverhalte im Detail geregelt. Dies etwa für einen daran beteiligten Arzt und oder andere Beteiligte an einer insbesondere professionalisierten Beihilfe zum Suizid. Das Strafrecht verhält sich somit gegenüber dem freiverantwortlichen Suizid neutral. In Deutschland existiert insoweit sogar eine seit über 150 Jahren währende Tradition dahingehend, dass 14 15 16 17 18 19

Hierzu vertieft unter Teil II, Kapitel 1 C) III. („Politisierung des Lebens [Biopolitik]?“). Fischer, Vor § 211 Rn. 10a. So auch Saliger, a.a.O. (S. 136). Vgl. hierzu Gavela, a.a.O. (S. 14 ff.). Vgl. Teil I, Kapitel 3 A) I. BGHSt 19, 135 (139); BGH NJW 2003, 2326 (2327).

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Teil I

Suizid, Suizidversuch und Teilnahme am Suizid ohne Ausnahme straflos sind.20 Soweit der Grundsatz. Umstritten ist aber seit jeher, wie etwa die rechtlichen Konstruktionen und Wertungen im Umkreis der Suizidthematik – hier vor allem die Fragen nach der Bewertung der Tatbeiträge Dritter, sei es als Garant oder Nichtgarant – rechtsverbindlich zu handhaben sind.

B) Rechtsunsicherheiten mangels eines ausdrücklichen Sterbehilfegesetzes Es gibt in Deutschland – anders als in den Niederlanden, Belgien oder Luxemburg – bisher21 kein eigenes Sterbehilfegesetz(buch).22 Lediglich § 216 StGB weist als Privilegierung der Totschlagsdelikte vom Wortlaut her eine gewisse Nähe zur Sterbehilfeproblematik auf, betrifft aber nur den Fall der aktiven Tötung auf Verlangen. Zudem kannte das StGB bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. de lege lata auch keinen Sondertatbestand der Suizidbeteiligung. Kurz hingewiesen sei an dieser Stelle auf das seit dem 8. Dezember 2015 in Kraft getretene Hospiz- und Palliativgesetz.23 Ergänzt und konkretisiert wurden und werden die diesbezüglichen Grundsätze innerhalb des StGB durch höchstrichterliches Richterrecht, d.h. eine richterliche Rechtsfortbildung, welche sämtliche Detailprobleme des Strafrechts der Sterbehilfe zu entscheiden und damit zu definieren hat. Mangels einer ausdrücklichen Regelung der Sterbehilfe durch den Gesetzgeber muss auf die eher fragmentarischen Ergebnisse der Rechtsprechung zurückgegriffen werden, um die rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb deren ärztliche und pflegerische Sterbebegleitung bzw. Hilfe dazu sich vollziehen, zu ermitteln.24 Vor diesem Hintergrund kommt der Rechtsprechung und namentlich der höchstrichterlichen Judikatur eine besondere Bedeutung zu.25 Sie dient der Herstellung materieller Rechtseinheit, und sie übernimmt damit zugleich im Idealfall eine eminent wichtige Befriedungsfunktion. Als Kritikpunkt am bisherigen26 Richterrecht zur Sterbehilfe bzw. Hilfe beim Sterben kann mit den Worten des Vorsitzenden Richters am BGH a.D. Klaus 20 21 22 23 24 25 26

Ebenso Saliger, a.a.O. (S. 131). Explizit bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. Ende Dezember 2015. So auch Saliger, a.a.O. (S. 117) m.w.N. Hierzu näher in Teil III, Kapitel 4 Punkt A) II 4. Ähnlich K. Kutzer, Die gegenwärtige Rechtslage der Behandlung Schwerstkranker bei irreversiblen Schäden, S. 69. Siehe auch W. Höfling, a.a.O., S. 444 ff. Explizit bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F.

Erstes Kapitel: Einführung in das Problemfeld

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Kutzer vorab konstatiert werden, dass das Richterrecht aus zwei Gründen nicht ausreichend ist. Zum einen brauche ein Richter in einer rechtsstaatlichen Demokratie für die Entscheidung von grundrechtsrelevanten, das Leben der Bürger existenziell betreffenden Problemen gesetzliche Leitlinien. Außerdem sei es der Rechtsprechung bisher nicht gelungen, die rechtlichen Grenzen, welche der Privatautonomie oder etwa der Fürsorgepflicht des Arztes bei Fragen der Sterbehilfe gesetzt seien, überzeugend und durch ein in sich stimmiges, widerspruchsfreies Konzept zu definieren.27 Es wird an dieser Stelle bereits ausdrücklich bezweifelt, dass die neue Regelung des § 217 StGB n.F. diesem rechtsstaatlichen Selbstanspruch gerecht wird. Vielmehr wird die ganze Problematik unbesehen unter den Tisch gekehrt und damit im Ergebnis für alle daran Beteiligten verschärft. Dazu wird Teil III dieser Arbeit das Nähere aufzeigen, nachdem die hierzu erforderlichen klaren Begrifflichkeiten, Strukturen und Maßstäbe in Teil I gewonnen worden sind.

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Vgl. hierzu: Kutzer, ZRP, 2005, 277 ff.

Zweites Kapitel: Methodisch-wissenschaftlicher Ansatz: ganzheitliche Perspektive aufgrund der Eigenschaft des sog. Sterbehilferechts als rechtliche Querschnittsmaterie Die Einnahme einer ganzheitlichen Perspektive grenzt sich einerseits von den im Gegensatz hierzu aus rein einzelrechtswissenschaftlicher Betrachtungsweise eingenommenen Perspektiven (z.B. rein strafrechtlich, zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich) ab. Damit wird andererseits deren Vereinigung angestrebt. Im Folgenden soll darum eine Methodik beschrieben werden, mit deren Hilfe diese Problematik bestmöglich einer ganzheitlichen Bearbeitung zugeführt werden kann. So sind einerseits die Besonderheiten der oft unerträglichen Situation des häufig schwer bis unheilbar kranken Patienten zu vergegenwärtigen, andererseits sind gleichzeitig die Besonderheiten der ärztlichen Behandlungssituation, welche durch Gesichtspunkte wie Legalität, den hippokratischen Eid, das Arzt-Patient-Vertrauensverhältnis, Standesrecht, Berufsrecht etc. charakterisiert sind, pendelblickartig miteinander zu verschränken. Zudem ist auf das gegenseitige Wechselwirkungsverhältnis der verschiedenen rechtlichen Sphären zu achten. Eine rein zivilrechtliche Betrachtungsweise wäre ebenso unangemessen für die Behandlung der vorliegenden Problematik, wie eine rein strafrechtliche Betrachtungsweise. Vielmehr gilt auch hier der hegelsche Satz, dass nur das Ganze das Wahre ist.1 Es geht mithin um den Gesichtspunkt der Totalität. Die Kategorie der Totalität, die allseitige, bestimmende Herrschaft des Ganzen über die Teile ist das Wesen der hegelschen dialektischen Methode. In Bezug auf das sog. Sterbehilferecht ist also letzten Endes keine rein zivil-, straf-, medizin- oder verfassungsrechtliche Herangehensweise, sondern nur eine einheitliche – dialektische – Herangehensweise in Bezug auf diese Materie als Totalität der faktisch bestehenden Rechtslage angezeigt. Genau in diese Richtung zielt auch die Rede von der Einheit der Rechtsordnung, nämlich auf das Bemühen, trotz ausufernder Gesetzgebung begriffliche und systematische Unterschiede sowie Wertungsunterschiede zwischen verschiedenen Rechtsgebieten zu vermeiden.2

1 2

G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Vorrede S. 15 (Rn. 20), Felix Meiner Verlag (1988). Siehe auch Creifelds Rechtswörterbuch unter Einheit der Rechtsordnung, S. 368.

Zweites Kapitel: Methodisch-wissenschaftlicher Ansatz

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A) Mögliche Beteiligte an einer Selbsttötung Um die mit der (ärztlichen) Beihilfe zum Suizid zusammenhängenden rechtlichen Fragen in ihrer realen Bedeutung adäquat beurteilen zu können, muss zunächst die tatsächliche Seite des Suizidgeschehens in personaler Hinsicht in die Untersuchung einbezogen werden. Hier gibt es einmal den lebensmüden Suizidwilligen (Patienten), die Angehörigen, Freunde, den behandelnden Arzt, ggf. Heimpersonal, eventuell einen Betreuer oder einen Vorsorgebevollmächtigen etc. Dieses Ensemble der beteiligen Personen bildet auch hier ein Ganzes ab, das, ähnlich den Zahnrädern eines Uhrwerkes, exakt und widerspruchsfrei ineinandergreifen muss. Neben der Patientensicht ist somit zumindest ebenfalls auf die ärztliche Situation und die Interessenlage von Angehörigen, Betreuern oder Vorsorgebevollmächtigten einzugehen, soweit dies im Hinblick auf eine ganzheitliche Analyse der in Betracht kommenden Schwierigkeiten erforderlich ist. Interessenkonflikte und eine unvorhersehbare Eigendynamik sind der Sache hier immanent.

B) Vielzahl einschlägiger Normen aus verschiedenen Bereichen – insb. Strafrecht, Zivilrecht, Grundrechte, ärztliches Berufsrecht etc. Die Vielzahl der einschlägigen Normen aus den unterschiedlichen rechtlichen Sphären ist ein Beispiel für das Ineinandergreifen dieser relativ selbstständigen rechtlichen Bereiche unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung. Mit der personalen Ebene korrespondiert notwendig die rechtliche Seite. Hierbei sind selbstverständlich je nach Lebenssachverhalt die entsprechend unterschiedlichen rechtlichen Sphären zunächst sauber zu unterscheiden, aber auch i.S.e. praktischen Konkordanz aufeinander abzustimmen und zu harmonisieren.

I. Zivilrecht – Sterbehilferecht Zwar kann man jedenfalls im Verhältnis zum Zivilrecht von einer gewissen „Hegemonie“ des Strafrechts3 über das Recht der Sterbehilfe im engeren Sinne unter dem Aspekt sprechen, dass das Strafrecht im Verhältnis zum Zivilrecht und zum öffentlichen Recht wenig Raum für Selbstbestimmung lässt,4 weil Ausgangspunkt der strafrechtlichen Betrachtung der lebensverkürzenden Sterbehilfe das Tötungsverbot ist. Das Selbstbestimmungsrecht könnte in dieser Perspektive allein als Einschränkung des Tötungsverbots über die Rechtfertigungsgründe von ausdrücklicher bzw. mutmaßlicher Einwilligung bzw. eines 3 4

Vgl. Saliger, a.a.O. (S. 120). Ebenso Saliger, a.a.O. (S. 120).

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Teil I

Notstands gem. § 34 StGB thematisiert werden,5 wobei eine aktive Fremdtötung in jedem Fall die Grenze bedeutet. Im Zivilrecht ist dagegen das Selbstbestimmungsrecht des Suizidwilligen Teil seiner Privatautonomie und damit Ausfluss eines entscheidenden Leitprinzips des Zivilrechts.6 Entgegen dem Strafrecht ist hier die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende nicht nur als Relativierung des Lebensschutzes, sondern als Ausdruck privatautonomer Gestaltung zu begreifen.7 Einige höchstrichterliche strafrechtliche Entscheidungen bilden den zunächst etwas paradox anmutenden Ausgangspunkt für die seitherige Mitzuständigkeit des Zivilrechts für das Recht der Sterbehilfe, was zu einer bedeutenden Aufwertung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten geführt hat.8 Zu nennen wäre hier – ohne in der Sache unnötig vorzugreifen – beispielhaft der Kemptener Fall9 von 1994; unbestritten eine der bis dahin bedeutsamsten judikativen Rechtsfortbildungen auf dem Gebiet des Sterbehilferechts. In diesem Fall erklärte der BGH unter anderem, dass die Einwilligung des Betreuers in den Abbruch der Behandlung an der betreuten Wachkomapatientin einer vormundschaftlichen Genehmigung analog § 1904 BGB a.F. bedurfte. Entsprechende Folgeentscheidungen ließen sich an dieser Stelle weiter zahlreich und beispielhaft für diese Entwicklung aufzählen; entscheidend ist hier jedoch allein, dass seither eine konstitutive Mitzuständigkeit des Zivilrechts für das Sterbehilferecht in Gang gesetzt worden ist. Hervorzuheben ist aber bereits hier die Grenze des Zivilrechts: Der Beachtung des Patientenwillens ist zwar inzwischen die höchste Priorität eingeräumt worden, aber nur innerhalb der Schranken des Strafrechts. Weder aktuell noch in einer Patientenverfügung oder über den ermittelten mutmaßlichen Willen kann ein Patient von einem Arzt oder einer Pflegekraft ein Tun oder Unterlassen verlangen, das strafbar ist. Sämtliche zivilrechtlichen Verpflichtungen können nur innerhalb der Grenzen des strafrechtlich Erlaubten rechtlich und damit praktisch bestehen. Als bisheriger Abschluss dieser Entwicklung wurde im Jahr 2009 vom Deutschen Bundestag das „Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts“ verabschiedet, welches zumindest einige zivilrechtliche Aspekte zur Patientenverfügung und zur Entscheidung über ein Sterbenlassen durch Therapiebegrenzung unter den §§ 1901a–c BGB regelt. 5 6 7 8 9

Ebd., a.a.O. Ebd., a.a.O. Ebd., a.a.O. Ebd., a.a.O. BGHSt 40, 257 ff.; vgl. zu dieser Entscheidung auch R. Coeppicus, NJW 1998, 3381 ff.

Zweites Kapitel: Methodisch-wissenschaftlicher Ansatz

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In diesem Zusammenhang ist ebenfalls auf das seit dem 26. Februar 2013 in Kraft gesetzte Patientenrechtegesetz (§§ 630a–h BGB) einzugehen, welches unter dem „Untertitel 2. Behandlungsvertrag“ in das BGB eingefügt wurde. Es regelt den bisher nicht ausdrücklich normierten medizinischen Behandlungsvertrag als besondere Form des Dienstvertrages.10

II. Verfassungsrecht – Sterbehilferecht Die ebenso noch auf lange Sicht wie aktuell geführte juristische Debatte um die „Sterbehilfe“ wird vor allem von Zivilrechtlern und Strafrechtlern geführt; sie hat aber auch erhebliche verfassungsrechtliche Implikationen. Als wichtig hervorzuheben ist vorab, dass das sog. Sterbehilferecht seine handlungs- und entscheidungsleitenden Bewertungsmaßstäbe vor allem dem Verfassungsrecht entnehmen muss.11 Insoweit lässt sich feststellen, dass nüchterne Grundrechtsdogmatik hier wie bei anderen Grenzfragen von Medizin, Ethik und Recht zur Rationalisierung einer historisch und ethisch überfrachteten Debatte beizutragen hat.12 Hintergrund ist, dass grundsätzlich nur der hierzu demokratisch legitimierte Gesetzgeber den rechtlichen Rahmen der Suizidbeihilfe zu setzen befugt ist. Er unterliegt dabei den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die den verschiedenen Ausgangslagen Rechnung tragen müssen. Dabei liegt i.d.R. ein multipolares grundrechtliches Verhältnis von oftmals mehreren Grundrechten zwischen Sterbendem, Angehörigen, Ärzten, Sterbegleitern und Staat vor.13 Ebenso ist gem. Art. 20 Abs. III GG die Judikative bei ihrer Rechtsfindung gleichermaßen verbindlich an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden. Umstritten ist allerdings, ob die Verfassung zwingende Vorgaben für die Behandlung der Suizidbeihilfe enthält oder aber dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung einen weiten Regelungs- und Interpretationsspielraum belässt.14 Vertreten wird diesbezüglich, dass das Grundgesetz die Sterbehilfeproblematik nur als eine Kollision von Grundrechten und Grundwerten darstellt und einen Entscheidungsspielraum bereitstellt, nicht aber eine bestimmte Entscheidung vorschreiben kann.15 Festhalten kann man aber jedenfalls, dass das Verfassungsrecht eine normenhierarchische Vorrangstellung beansprucht.

10 11 12 13 14 15

Palandt–Weidenkaff, Vorb v. § 630a BGB, Rn. 1. Ähnlich W. Höfling, a.a.O. (S. 444). So auch Hufen, NJW 2001, 849 ff. Ebenso Reimer, Zeitschrift für Lebensrecht 3/2015, 66 ff. Vgl. Gavela, a.a.O. (S. 229 ff.). Lindner in JZ 2006, 373, 378 ff.; Kubiciel in JZ 2009, 600 (603).

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Teil I

III. Strafrecht – Sterbehilferecht Wie bereits dargestellt, ist der Suizid bzw. der Versuch dazu nach deutschem Recht keine rechtswidrige Tat i.S.d. §§ 27, 11 I Nr. 5 StGB und somit gar nicht erst strafbar. Darum ist ebenfalls eine Beihilfe dazu – infolge der fehlenden rechtswidrigen Haupttat – straflos. Soweit der Grundsatz – wobei alle Zweifelsfragen selbstverständlich der Judikatur überlassen sind.

C) Wechselseitige Spiegelung und Beeinflussung dieser Sphären, anstatt einer reinen Synthese Festzuhalten bleibt unter nochmaliger Hervorhebung, dass ein „Sterbehilferecht“ im eigentlichen Sinne in Deutschland bislang nicht existiert, allenfalls als fragmentarische Querschnittsmaterie.16 Eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe gibt es bislang also noch nicht wirklich. Entscheidende Orientierungspunkte müssen somit im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung im Mindesten gleichermaßen aus zivil-, straf- und verfassungsrechtlichen Normen abgeleitet werden. Zwar gilt also methodisch der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, aber das Zusammenspiel der verschiedenen rechtlichen Sphären ist oft unsicher, und richterliche Entscheidungen sind darum oft nicht stringent herzuleiten bzw. überhaupt vorhersehbar.

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Ähnlich W. Höfling, a.a.O. (S. 444).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität Hervorzuheben ist nochmals der Ausgangspunkt: Der Beachtung des Patientenwillens ist zwar inzwischen die höchste Priorität eingeräumt worden, aber nur innerhalb der Schranken insbesondere des Strafrechts. Weder aktuell noch in einer Patientenverfügung oder mittels des ermittelten mutmaßlichen Willens kann ein Patient von einem Arzt oder einer Pflegekraft ein Tun oder Unterlassen verlangen, welches strafbar ist. Sämtliche zivilrechtlichen Verpflichtungen können ebenfalls nur innerhalb der strafrechtlich erlaubten Grenzen rechtlich und damit praktisch bestehen. Deswegen ist die pendelblickartige Verschränkung der Patientensicht etwa mit der ärztlichen Perspektive zur Bestimmung des Handlungsrahmens innerhalb der Legalität zwingend geboten. Wichtig ist es insbesondere, die entscheidenden Kriterien für eine (straflose) ärztliche Beihilfe zum Suizid im Hinblick auf die ärztliche Garantenstellung zu entwickeln und herauszustellen. Nachfolgend werden die wichtigsten verfassungs-, straf- und zivilrechtlichen Aspekte zur Bestimmung des Rahmens der Legalität sowie ihre jeweiligen definitorischen Abgrenzungen unter Herausarbeitung einer begrifflichen Systematik mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklungen in der Rechtsprechung dargestellt. Wichtige und naheliegende juristische Fragen in diesem Zusammenhang könnten zur Veranschaulichung des Gemeinten etwa lauten: Kann der Patient den Abbruch einer Behandlung oder gar Hilfe zum Sterben verlangen? Besteht ein Anspruch auf Schmerzmittel auch dann, wenn deren Dosierung das Leben verkürzen kann? Welche Wirkung hat bei einem nicht einwilligungs- oder artikulationsfähigen Patienten dessen vorherige Patientenverfügung? Welche Relevanz kommt dem mutmaßlichen Willen zu, wenn sich der Patient nicht mehr selbst äußern kann? Und wer darf diesen Willen anhand welcher Maßstäbe auslegen? Dürfen rechtliche Vertreter im Zusammenwirken mit dem Arzt allein über einen Behandlungsabbruch entscheiden, oder ist diese Entscheidung dem Betreuungsgericht vorbehalten?1

1

Vgl. zum Ganzen etwa auch Hufen, NJW 2001, S. 849 ff.

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Teil I

A) Verfassungsrechtliche Ausgangslage zur Suizidproblematik sowie die Relevanz von Art. 8 EGMR I. Verfassungsrecht Im Folgenden soll die verfassungsrechtliche Ausgangslage hinsichtlich der Suizidproblematik untersucht werden. Hierbei ist vorab zu konstatieren, dass das Grundgesetz seinem unmittelbaren Wortlaut nach dahingehend indifferent ist, inwieweit eine Selbsttötung aus verfassungsrechtlicher Perspektive erlaubt oder gar verboten ist.2 Ohne Zweifel geht es hierbei auch um Fragen der Selbstbestimmung und des Grundrechtsschutzes am Ende des Lebens. Aus der dem Wortlaut nach indifferenten Haltung des Grundrechtstextes ist jedoch keinesfalls zu schließen, dass das Grundgesetz sich gänzlich einer Aussage zur Suizidproblematik enthielte; vielmehr sind denklogisch drei verschiedene Annahmen möglich.3 Erstens könnte dem Einzelnen ein Recht auf Suizid zustehen,4 oder ein solches Verhalten könnte zweitens als Gegenposition gänzlich untersagt sein.5 Vermittelnd könnte drittens angenommen werden, dass sich das Grundgesetz jeglicher Festlegung hierzu enthält.6 Zu bedenken sind in diesem Zusammenhang ebenso die medizinischen Einflussmöglichkeiten auf Sterben und Tod, welche sich zunehmend auch als Herausforderungen des Verfassungsrechts erweisen. Vor dem Hintergrund einer permanenten Umwälzung der wissenschaftlichen Entwicklung im biotechnischen und medizinischen Bereich und einer infolge von Privatisierungen und der Öffnung von Märkten in diesem Bereich eingeführten Logik der Gewinnmaximierung ist eine permanente Relativierung der bekannten ethischen Normen zu beobachten. Insoweit ist ein normativ gültiges Fundament für ärztliches Handeln nach wie vor ein Gebot der Stunde. Die Aufgabe lautet daher, verfassungsrechtlich verbindliche Maßstäbe zu formulieren, deren Beachtung Voraussetzung für den Lebensschutz ebenso wie für die Wahrung der Autonomie im Sterbeprozess sind.7 Klar ist damit bereits an dieser Stelle, dass Aspekte wie menschenwürdiges Sterben, Selbstbestimmung des Patienten, Lebensschutz, körperliche Unversehrtheit und die Stellung der am Suizid Beteiligten wie der Angehöri-

2 3 4 5 6 7

Ähnlich auch F. Günzel, Das Recht auf Selbsttötung, seine Schranken und die strafrechtlichen Konsequenzen (1999), S. 19. Vgl. auch Günzel, a.a.O. (S. 19). Ebenda m.w.N. Ebenda m.w.N. Ebenda m.w.N. Hierzu bereits Höfling, JuS 2000, 111 ff.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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gen des Suizidenten sich im Schutzbereich wichtiger Grundrechte abspielen.8 Subsumtionen und Abwägungen sind in diesem Bereich oft entweder zugleich Konkretisierungen oder gar Eingriffe in Grundrechtspositionen bzw. Zuordnungen paralleler oder konfligierender Grundrechte.9 Es liegt daneben – ausgehend von der Prämisse, dass Grundrechte zunächst Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind – auch je nach betroffenem Grundrecht ein praktischer Anwendungsfall der sog. mittelbaren Drittwirkung, d.h. Ausstrahlungswirkung der Grundrechte vor.

1. Rechtsgut Leben / Rechtsgut Selbstbestimmungsrecht des Patienten Das in Art. 2 Abs. II S. 1, 1. Alt. GG garantierte Recht auf Leben begründet zunächst seinerseits eine staatliche Schutzpflicht, die keine vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen straflos lässt, selbst dann nicht, wenn das Opfer die Tötung ausdrücklich verlangt. Nach der Judikatur des BVerfG kommt dem menschlichen Leben innerhalb der Werteordnung des Grundgesetzes ein Höchstwert zu, da es „die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“ ist.10 Das Rechtsgut Leben ist damit gegenüber Tötungshandlungen anderer unverfügbar – selbst wenn dies auf ausdrückliches Verlangen geschieht, – wie die Existenz von § 216 StGB verbürgt. Fraglich ist allerdings, ob das derart geschützte Rechtsgut Leben auch zugleich das Recht, nicht mehr leben zu wollen, mitumfasst. Es erscheint als ein sehr naheliegender Gedanke, das Recht auf den Tod durch eigene Hand aus dem Recht auf das Leben gleichsam spiegelbildlich herzuleiten. Zu fragen ist daher, ob das Recht auf Leben zugleich negativ ein Recht über das Leben und damit die subjektive Dispositionsfreiheit über dieses Rechtsgut mitenthält.11 Hierfür spricht bereits der schlichte systematische Gedanke, dass die Grundrechte ganz allgemein zuvörderst unantastbar12 vorausliegende Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat konstituieren. Dies besagt bereits vom Wortlaut her die Bezeichnung „Grundrecht“ gegenüber dem Staat. Mit dem Jedermannsrecht auf Leben wird in Zusammenschau mit der 8 9 10 11

12

So auch Hufen, NJW 2001, 849 ff. (850). Ebenda. So auch BVerfGE 39, 1 (42). Zur Abgrenzung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte lehnte mit Urteil vom 29.04.2002 (Pretty ./. UK, appl. No 2346/02) lediglich ein Grundrecht auf „aktive Sterbehilfe“ ab. Dies ist ebenfalls geltender Rechtszustand auf dem Boden des Grundgesetzes und erst recht einfachgesetzlich im Hinblick auf § 216 StGB. Wobei das Grundgesetz dogmatisch seinerseits zwischen schrankenlos und solchen durch den einfachen Gesetzgeber beschränkbaren Grundrechten unterscheidet.

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Teil I

systematischen Auslegung bereits dem Wortlaut nach klargestellt, dass der Staat lediglich eine zwingende Schutzpflicht vor Eingriffen in das Leben eines Individuums seitens staatlicher Behörden oder von privaten Dritten innehat. Zudem ist außerdem ebenfalls schon vom Wortlaut her nicht nachvollziehbar, wie das Recht auf Leben zugleich eine Pflicht zum Leben enthalten soll, weil ja ein Selbsttötungsverbot eine Rechtspflicht zum Weiterleben konkludent mitenthalten müsste; hiervon ist jedoch in Art. 2 Abs. II S. 1, 1. Alt. GG an keiner Stelle die Rede. Jeder Mensch hat damit lediglich vor dem Staat und innerhalb der staatlichen Ordnung ein Recht auf Leben. Diese wortlautgestützte teleologische Auslegung deckt sich zugleich mit den historischen Erfahrungen der Zeit zwischen 1933–945, als deren Kern festgehalten werden kann, dass niemals wieder staatlicherseits „lebensunwertes“ Leben als solches definiert und anschließend ausgelöscht werden darf. Teleologisch beinhaltet dieses Grundrecht mithin vor allem ein individuelles Abwehrrecht gegen hoheitliche Eingriffe in den Schutzbereich „Leben“, wovon bei einem selbstbestimmten Suizid bereits per definitionem nicht gesprochen werden kann. Damit ist ebenfalls auszuschließen, dass Artikel 2 Abs. II S. 1, 1. Alt GG nach dem Willen des historischen Grundgesetzgebers die Nichtberechtigung einer freiverantwortlichen Selbsttötung konkludent mitenthielte. Denn es ist etwas völlig anderes, ob ein völkischer Staat beliebigen Individuen willkürlich das Recht auf Leben entzieht oder ob ein beliebiges Individuum autonom über sein Leben und dessen Beendigung entscheiden kann. Das Recht auf Leben begründet demzufolge aus sich heraus keine Pflicht zu leben. Insbesondere kann ein Patient den reinen Lebensschutz zu Gunsten des ebenfalls in Art. 2 Abs. II GG als Ausdruck körperlicher Unversehrtheit geschützten Rechts auf Leidensfreiheit zurückstellen und eine entsprechende Behandlung durch den Arzt – bis hin zur passiven und indirekten Sterbehilfe13 – verlangen.14 Ausgangspunkt jeder Überlegung, wie weit ärztliches Handeln oder Unterlassen im Einzelfall gehen darf, ist das ebenfalls durch Art. 2 Abs. II S. 1 GG garantierte Selbstbestimmungsrecht des Patienten,15 insoweit es nicht gegen Rechte anderer oder gegen das Gesetz verstößt. Auch der Kranke oder Versehrte hat das volle Selbstbestimmungsrecht über seine leiblich-seelische Integrität16 sowie ein freies Selbstbestimmungsrecht über seinen Körper.17 13 14 15 16

Hierzu Teil I, Kapitel 3 C). Ebenso Hufen, a.a.O.(852). BVerfGE 52, 131 ff. (171). BVerfGE 52, 131 ff. (174).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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2. Straflosigkeit des Suizids, des versuchten Suizids und der Beihilfe dazu als Maßstab für die Herleitung von Grundrechten? Zwar sind nach dem StGB sowohl der Suizid, der versuchte Suizid als auch die Beihilfe dazu straflos, allerdings kann das StGB als einfaches Gesetz nicht die Auslegung der Verfassung bestimmen, allenfalls eine Indizwirkung im Rahmen der Auslegung entfalten.18 M.a.W. kann das Strafrecht stets nur eine Konkretisierung des Verfassungsrechts bedeuten und nicht umgekehrt. Insoweit führt der strafrechtliche Befund rein verfassungsimmanent nicht weiter, da das dogmatische Fundament vor allem in der Verfassung und nicht im Strafrecht zu suchen ist.

3. Recht auf Selbsttötung? Menschenwürde i.V.m. der Patientenautonomie als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Art. 2 I GG Fraglich ist nun einerseits, ob die Straflosigkeit des Suizids, des versuchten Suizids und der Beihilfe hierzu (die ärztliche Beihilfe als Spezialfall dazu wird unter Punkt ddd) untersucht) durch ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Selbsttötung abgesichert sind. Die Frage lautet also, ob über die Auslegung von Art. 2 Abs. II S. 1, 1. Alt. GG hinaus das Leben i.S. der grundgesetzlichen Werteordnung eigenmächtig aufgegeben werden darf, obwohl es biologisch noch nicht am Ende angekommen ist.

a) Patientenautonomie Ein solches verfassungsrechtlich verbürgtes Recht wird aus dem Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. I GG) i.V.m. dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. I GG) gefolgert.19 Gesicherter Befund ist, dass die Entscheidung für die Beendigung des eigenen Lebens und damit zugleich die Entscheidung gegen ein nicht als persönlichkeitsadäquat empfundenes Weiterleben dem Regelungsbereich des Art. 2 Abs. I GG zugeordnet werden muss.20 Ausgangspunkt für ein derartiges Recht auf einen freiverantwortlichen Suizid ist die aus dem Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. I GG)

17 18 19 20

BVerfGE 52, 131 ff. (175). Ähnlich Christa Niestroy, Die rechtliche Bewertung der Selbsttötung und die Strafbarkeit der Suizidbeteiligung (1983), S. 57. Siehe NK–Neumann, Vor. § 211 Rn. 44; W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 197 ff.). So auch NK–Neumann, a.a.O.

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Teil I

und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. I GG) herzuleitende Patientenautonomie.21 Zum einen ist es mit dem Selbstbestimmungsrecht des lebensmüden Patienten unvereinbar, ihm gegen den ausdrücklichen eigenen Willen lebensverlängernde Maßnahmen aufzuzwingen und somit seinen Wunsch nach einem natürlichen Tod in Frage zu stellen. Dies erklärt sich daraus, dass umgekehrt jede etwaige ärztliche Behandlungspflicht stets ein zuvor mit der Einwilligung des Patienten erteiltes Behandlungsrecht zur logischen Voraussetzung hat. So kommt es etwa bei der Einleitung von lebenserhaltenden Maßnahmen nicht so sehr darauf an, ob diese medizinisch im Bereich des technisch Machbaren liegen, sondern darauf, ob der Patient sie zuvor erlaubt hat. Ein so verstandenes Selbstbestimmungsrecht ermöglicht es dem Patienten erst, auch vital indizierte ärztliche Maßnahmen für den Arzt bindend abzulehnen. Die Patientenautonomie beinhaltet somit den Vorrang des Willens des Patienten gegenüber dem Ziel eines durch künstliche Lebensverlängerung intendierten Lebensschutzes. Es gibt infolge dessen weder eine Pflicht noch ein Recht zur Verlängerung des Lebens eines Sterbenden oder tödlich Kranken um jeden Preis.22 Hieraus lässt sich ableiten, dass die Selbstbestimmung (= Patientenautonomie) tatsächlich über dem staatlichen Lebensschutz steht. Aus dem garantierten Recht auf Leben ist insoweit keine Pflicht zu leben herleitbar. Der freiverantwortliche Suizid eines Patienten fällt damit als eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Leben unter die Garantie des Art. 2 Abs. I GG. Allerdings meinte der 5. Strafsenat des BGH noch in einer Entscheidung aus dem Jahr 2001,23 dass die Rechtsordnung im Ganzen den Suizid – von äußersten Ausnahmefällen abgesehen – als rechtswidrig bewerte.24 Damit sollte nahe gelegt werden, dass ein Recht auf einen freiverantwortlichen Suizid weder mit der geltenden Rechtsordnung im Ganzen noch mit der Verfassung im Besonderen vereinbar sei. Als Argumentation wurde vorgetragen, dass das Leben eines Menschen in der Werteordnung des GG ohne eine zulässige Relativierung an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter stehe. Dieser Ausgangsbefund ist jedoch bereits rein verfassungsimmanent zu beanstanden. Art. 2 GG schützt die Freiheitsrechte des Menschen nicht weniger als das Recht auf Leben; in dieses Recht auf Leben darf ausweislich des ausdrücklichen Wortlautes des Art. 2 Abs. II Satz 3 GG auf Grund eines Gesetzes staatlicherseits 21 22 23 24

NK–Neumann, Vor. § 211 Rn. 107 ff.; kritisch: Höfling, JuS 2000, 111 ff. (114). BGHSt 32, 367 (379); BGHSt 37, 376 (378). BGHSt 46, 279 (285); NJW 2001, 1802 ff. Ebenso noch Laufs / Kern–Ulsenheimer § 149 Rn. 4.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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eingegriffen werden.25 Die Grundrechtsschranke des Art. 2 Abs. II Satz 3 GG lässt nach ihrem klaren Wortlaut Eingriffe in das Recht auf Leben aufgrund Gesetzes also gerade zu, und zu dem Eingriff in das Leben zählt in erster Linie dessen Entzug. Die verfassungsdogmatische Begründung lautet, dass das Leben nicht zugleich sein eigener Wesens- oder Menschenwürdegehalt sei.26 Dies steht im Einklang damit, dass, obwohl der Entzug des Lebens vom Leben nichts mehr übrig lässt, dieser selbst mit Art. 19 Abs. II GG sowie mit Art. 79 Abs. III GG keineswegs im Widerspruch steht. Wenn also Art. 19 Abs. II GG verlangt, dass vom Grundrecht stets noch etwas übrig bleiben muss, weil ein Grundrecht in keinem Falle in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf, ist dies nicht im individuellen, sondern nur im kollektiven, generellen Sinne zu verstehen.27 Dieser Gedanke bedeutet bildlich, dass die Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung etwa in Form der Bedrohung des Lebens einer Geisel durch den Geiselnehmer im Zweifelsfall höher wiegt als das individuelle Leben des Täters. Der finale Rettungsschuss beruhe demnach nicht auf Umständen, die entwürdigend im Sinne einer Menschenwürdeverletzung seien, weil die Haftung des Täters für seine eigene Gefahrenverursachung eine entsprechende Grundrechtsverletzung ausschließe28 und er durch seine Tat dieses Risiko schließlich selbst gesetzt habe. Aufgrund dieser Haftung des Täters im Verhältnis zur Gesellschaft bestehe eine Duldungspflicht seinerseits, die auch den Entzug existenzieller Rechtspositionen einbeziehe und die Verletzung der Menschenwürde darum ausschließe.29 Darüber hinaus verfolgt das Grundgesetz systematisch auch deshalb keinen absoluten Lebensschutz, weil 25 26 27 28 29

So etwa §§ 63 ff. PolG NRW (finaler Todesschuss). Pieroth / Schlink (Hrsg.), Grundrechte / Staatsrecht II, Rn. 440 ff. A.a.O. (Rn. 447 ff., 451–452). Siehe Kommentar zum Grundgesetz (Hrsg. Schmidt-Bleibtreu, Hofmann, Henneke), Art. 2 I (Hofmann), S. 181. Allerdings ist dann das systematische Verhältnis zu Art. 102 GG kritisch zu hinterfragen; nach der heute noch herrschenden Rechtsmeinung verletzt eine Todesstrafe in jedem Fall die unantastbare Menschenwürde – wobei dann das Verhältnis zwischen staatlichem Strafanspruch einerseits und staatlicher Gefahrenabwehr abzuwägen ist; vgl. etwa BGH, Urteil vom 16.11.1995 – 5 StR 747/94; zum Ganzen: Jens Kersten, GG Kommentar (Begr. v. Th. Maunz), Bd. III, Art. 86–146 GG (Stand 2016), dort: Art. 102 Rn. 64 ff.; a.A.: Einige Verfassungsrechtler bestreiten allerdings die allgemeine Unvereinbarkeit der Todesstrafe mit der Menschenwürde. Der Verfassungsgeber habe demnach daher darauf verzichtet, Art. 102 GG ausdrücklich unter die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. III GG zu fassen, so dass für einige Kapitalverbrechen ausnahmsweise nachträglich die Todesstrafe angedroht werden könne. Art. 102 GG bliebe dann als übergeordnetes Recht in Kraft, um den Ausnahmecharakter dieser Androhung zu garantieren. So etwa Christoph Gusy, v. Mangoldt – Kommentar zum GG, Bd. 3, Art. 102 Rn. 32 ff.

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die Rechtsordnung im Ganzen außerdem zusätzlich die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Ausnahmen von Notwehr (§ 32 StGB), Nothilfe (§ 32 StGB) und der erlaubten Tötung im Krieg zulässt und Art. 2 Abs. II Satz 3 GG explizit auf Grund solcher einfachen Gesetze die jeweils genannten Ausnahmen legitimiert. Lediglich die von § 34 StGB umfasste Not- bzw. Notstandshilfe umfasst nach h.M. kein Recht auf Tötung. Anhand dieser Ausführungen dürfte aber im Umkehrschluss klar geworden sein, dass die Prämisse im obigen BGH-Urteil, dass nämlich das Leben eines Menschen in der Werteordnung des GG ohne zulässige Relativierung an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter stehe und darum entsprechend eine Selbsttötung stets als rechtswidrig zu bewerten sei, bereits aus systematischen Gründen nicht aufrecht zu erhalten ist. Erst recht muss dies im Verhältnis zum finalen Rettungsschuss angenommen werden, bei dem die Tötung z.B. des Geiselnehmers ja als Gefahrenabwehrmaßnahme noch nicht einmal als rechtswidrig eingestuft wird, weil der Geiselnehmer das Risiko selbst autonom gesetzt hat. Würde man den Suizid demgegenüber als rechtswidriges Unrecht einstufen, wären damit unvereinbare Wertungswidersprüche gesetzt. Damit existiert kein diesbezüglich zu begründendes verfassungsrechtliches Verbot des Suizids und es liegt weder die Rechtswidrigkeit des Suizids, noch ein Verstoß gegen die Rechtsordnung insgesamt vor.

b) Menschenwürde Vereinzelt gibt es sogar noch darüber hinausgehende Bestrebungen, ein Recht auf Suizid jedenfalls in den Fällen, in denen die Alternative zu einem menschenunwürdigen Leben oder Sterben nur ein Tod in Würde wäre, direkt aus Art 1 Abs. I GG und damit dem Prinzip der Menschenwürde abzuleiten.30 Ohne die exakte Bestimmung des Inhalts dieses Grundrechts31 vorweg zu nehmen,32 ist aber der Bezug zu der Selbsttötungsproblematik nicht von der Hand zu weisen, insoweit durch Art. 1 Abs. I GG auch ein innerster Kernbereich der autonomen Lebensgestaltung umfasst wird.33 Begründet wird dies damit, dass die verfassungsrechtliche Garantie der Menschenwürde spiegelbildlich gleichsam auch ein Recht auf ein menschenwürdiges Sterben – durch eigenes autonomes Tun – mitumfasse. Dies kann selbst durch aktives Tun oder 30 31

32 33

NK–Neumann, Vor. § 211 Rn. 105 ff. m.w.N. Wobei es noch immer Streit darüber gibt, ob es sich bei Art. 1 Abs. 1 GG um ein eigenständiges Grundrecht oder lediglich ein allen Grundrechten vorausliegendes Staatsprinzip handelt, vgl. Hufen, JuS 2010, S 1 ff. Teil I, Kapitel 3 A). Siehe auch Günzel, a.a.O. (S. 23) m.w.N.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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freiwilliges Unterlassen medizinisch indizierter lebensrettender oder – verlängernder Maßnahmen kausal herbeigeführt werden. Konkretisiert wird diese Begründung mit Hinweis darauf, dass es unter Berufung auf die Menschenwürde eben auch untersagt ist, den Patienten zu einem sog. willenlosen bzw. passiven Objekt der Intensivmedizin herabzuwürdigen. Wenn aber der oberste Wert die Menschenwürde ist, die auch den todkranken Patienten davor bewahren soll, zum leidenden Objekt zu werden, dann folgt hieraus zumindest ein Recht auf einen menschenwürdigen Tod durch eigene Hand. Problematisch an der Bestimmung des Schutzbereichs des sog. Schutzes der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. I GG als oberstem Grundprinzip der deutschen Verfassung ist dessen begriffliche Unbestimmtheit. Darum macht es seit jeher in mehrfacher Hinsicht Schwierigkeiten, den Schutzbereich dieses Grundrechts auf einen definitorischen Begriff zu bringen. Anders als bei den meisten Grundrechten ist immerhin die Rechtsfolge der Gewährleistung der Menschenwürde in einem Satz formuliert: Art 1 Abs. I S. 2 GG verpflichtet alle staatliche Gewalt dazu, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.34 Achten bedeutet, dass in die Menschenwürde nicht eingegriffen werden darf; schützen geht noch weiter. Es legt der staatlichen Gewalt eine aktive Schutzpflicht auf, welche ggf. den Staat mittels seiner dazu legitimierten Organe zu entsprechendem staatlichem Handeln verpflichten kann. Da unter dieses Grundrecht kein abgrenzbarer, konkret fassbarer Lebenssachverhalt subsumiert werden kann, handelt es sich um einen semantisch offenen Schutzbereich.35 Dennoch muss eine begrifflich handhabbare Annäherung an den zunächst positiv zu bestimmenden Schutzbereich der Menschenwürde geleistet werden, um die Ausgangsfrage, ob daraus auch ein Recht auf Suizid ableitbar ist, schlüssig zu beantworten. Problematisch ist zum einen, dass der Begriff Menschenwürde mit einer bereits mindestens zweieinhalbtausendjährigen Philosophiegeschichtstradition aufgeladen ist, demzufolge die Rede davon sogleich auf eine bestimmte philosophische Tradition verweist. Hinzu kommt als Wurzel die jüdisch-christliche Tradition der Gottesebenbildlichkeit36 des Menschen, woraus sich dessen Eigenwert als zu achtendes Gottesgeschöpf ableitet, und wodurch er sich von allen anderen Geschöpfen abhebt; aber auch die Unverfügbarkeit seiner Würde37 selbst. An dieser Stelle wird zuweilen argumentiert, dass der Suizident sich ja durch seine Selbsttötung seiner unver34 35 36 37

Ebenso Pieroth / Schlink, a.a.O. (Rn. 376). Ebenso Günzel a. a. O. (S. 82). Insb. die katholische Imago-Dei-Lehre: vgl. 1. Mose 1, 26 ff.; 1. Kor. 11, 7; 1. Petr. 1, 15 ff. Siehe auch Hufen, JuS 2010, S. 1 ff.

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Teil I

fügbaren Subjektstellung als Mensch, mithin seiner leiblichen Existenz als Basis der Menschenwürde berauben würde – und darum die Menschenwürdegarantie in Art. 1 Abs. I GG gleichermaßen ein Selbsttötungsverbot hinsichtlich einer derartigen „Selbstinstrumentalisierung“ mit umfassen müsse.38 Gegen diesen direkten Bezug auf den göttlichen Willen gemäß der christlichen Weltanschauung sprechen bereits Art. 4 I GG i.V.m. Art. 140 GG i.V.m. Art. 136–137 RV 1919 ihrem klaren Wortlaut nach, wonach der Staat sich religiös-weltanschaulich neutral zu verhalten hat und damit dem Gebot konfessioneller Neutralität in Glaubensfragen unterliegt. Insoweit ist eine rein christlich orientierte Bestimmung des Menschenwürdegehalts mangels Verallgemeinerungsfähigkeit gegenüber Andersgläubigen oder Atheisten nicht möglich. Eine ebenso wichtige Referenzquelle stellen weiterhin der Humanismus seit der Renaissance und die Philosophie der Aufklärung dar. Verallgemeinert wird hieraus ein Eigenwert des Menschen aus dessen Selbstbestimmung als im vermuteten Gegensatz zur Tierwelt vernunftbegabtem Wesen und aus der daraus folgenden subjektiven Teilhabe (Für sich Sein) am objektiven An sich Sein (der bei Hegel als das Absolute bezeichneten objektiven Weltvernunft) hergeleitet. Aus dieser Selbstbestimmung und Teilhabe an der sog. Weltvernunft wird schließlich der rechtsphilosophische Grundbegriff der „Person“ und nach I. Kant sogar der absolute Wert des Menschen als Person abgeleitet. Hieraus folgte im Anschluss an Günther Dürig39 seitens des BVerfG schließlich die Entwicklung der bis heute Gültigkeit beanspruchenden „Objektformel“,40 nach der jeder Mensch stets ein objektiv anzuerkennender Zweck an sich41 ist, der nicht zum Mittel der Zweckerfüllung eines anderen totalverdinglicht und mithin herabgewürdigt werden darf.42 Diese sittliche Autonomie ist 38 39 40 41

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Vgl. Saliger, a.a.O. (S. 51). Vgl. hierzu Fn. 113; AöR 1956, 117 (127 ff.). So etwa in BVerG(E), 50, 166 (175). „Achtung, die ich für andere trage, oder die ein Anderer von mir fordern kann, ist also die Anerkennung einer Würde (dignitas) an anderen Menschen, d.i. eines Werths, der keinen Preis hat, kein Äquivalent – Die Beurteilung eines Dings als eines solchen, das keinen Wert hat, ist die Verachtung.“, Kant, Metaphysik der Sitten, 2. Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, § 37; Könemann (1995) S. 558. „Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder von Anderen noch sogar von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muss jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über alle anderen Weltwesen, die nicht Menschen sind und doch gebraucht werden können, mithin über Sachen erhebt.“ Kant, Metaphysik der Sitten, 2. Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, § 38; Könemann (1995) S. 558.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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auch ein, wenn nicht der Zentralbegriff der kantschen Ethik, der gemäß es das Prinzip aller Moralität ist, nach eigener Entscheidung richtig zu handeln, d.h. „nur seiner eigenen und dennoch allgemeinen Gesetzgebung“43 unterworfen zu sein. Aus diesem kategorischen Imperativ folgt, dass die Würde ihren inneren Grund in der Autonomie hat – weil eine solche autonome moralische Gesetzgebung, die allen Wert bestimmt, einen unbedingten, unvergleichbaren Wert – also Würde – haben muss. Darum muss in der Folge hieraus jeder Mensch in seinem Vermögen zu sittlicher Selbstbestimmung geachtet werden und würde umgekehrt in seiner Würde verletzt, wenn das Vermögen zur eigenen Gewissensentscheidung und damit der Selbstzweckhaftigkeit nicht respektiert würde.44 Kant allerdings definiert die Selbsttötung zwar als Verbrechen (Mord) gegen sich selbst,45 jedoch nur als moralisches Verbrechen gemäß seiner Tugendlehre i.R.e. Verletzung der Pflicht gegen sich selbst. Kants Ansatz ist insoweit eine Abkehr vom bisherigen kirchlichen Prinzip, demgemäß Gott den Menschen und dessen Leben besitzt und dieses lediglich als Geschenk weitergegeben hat. Weil Menschen nach Kant freie und zur Vernunft fähige Wesen sind, haben diese vielmehr nach Kant einen Sinn für Verpflichtungen, und zwar auch für elementare, sich aus dem vernünftigen Selbstverständnis als Mensch ergebende Pflichten gegen sich selbst. Nach Kant ist der Selbstmord abscheulich, wegen der Herabsetzung der menschlichen Würde unter die Tierheit und einem Verständnis von Freiheit als Selbstverpflichtung des Menschen als oberstem Prinzip. Festzuhalten ist jedoch, dass die Selbstentleibung auch für Kant ohne Beeinträchtigung der äußeren Freiheit anderer Personen (Außenbezug) gedacht wird. Der Sicht Kants steht nun bereits kurze Zeit später mit Hegel eine ganz andere Sicht auf den Suizid entgegen.46 Anders als Kant sieht Hegel nämlich im Sui43

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„Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“; Kant, Kritik der Praktischen Vernunft, Erstes Buch: Die Analytik der reinen praktischen Vernunft, § 7, Zweitausendeins (2008) S. 731. Vgl. Kommentar zum Bonner Grundgesetz, 1950 ff. (Stand 32. Lieferung 1974); Zippelius – Erläuterungen zu Abs. 1 und 2, S. 6 ff. „Die Selbstentleibung ist ein Verbrechen (Mord). Das Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist eben so viel, als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, so viel an ihm ist, aus der Welt zu vertilgen, welche doch Zweck an sich selbst ist; mithin über sich als bloßes Mittel zu ihm beliebigen Zweck zu disponieren, heißt die Menschheit in seiner Person (homo noumenon) abzuwürdigen, der doch der Mensch (homo phaenomenon) zur Erhaltung anvertraut war.“; Kant, Metaphysik der Sitten, 2. Teil Tugendlehre, § 6; Könemann (1995) S. 507–508. „Der Mensch allein kann alles fallen lassen, auch sein Leben; er kann einen Selbstmord begehen; das Tier kann dieses nicht; es bleibt immer nur negativ; in einer ihm fremden Bestimmung, an die es sich nur gewöhnt. Der Mensch ist das reine Denken seiner

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Teil I

zid nicht einen Pflichtenverstoß, eine lasterhafte Verkehrung und damit Selbstzerstörung der Freiheit – sondern für Hegel schließt die gelebte Freiheit des Menschen die Freiheit zur Selbsttötung ausdrücklich mit ein.47 Es zeichnet nach Hegel den Menschen gegenüber dem Tier gerade aus, dass der Gesichtspunkt der Selbsterhaltung im Zweifel ganz hinter die Freiheit zurücktritt.48 Schließlich wäre noch David Hume mit seiner 1777 anonym veröffentlichten Schrift „On Suicide“ zu nennen, worin er noch vor Kant und Hegel eine erste deutliche Stellungnahme gegen das christliche Suizidtabu formuliert. Dabei beruft er sich auf Seneca und fordert ausdrücklich die Freiheit, sich zu töten, weil sie Teil der angeborenen Freiheit des Menschen sei.49 Diese drei berühmten klassischen Stellungnahmen zeigen bereits, wie verschieden die jeweilige Stellungnahme zur Suizidproblematik ausfallen kann. Wegen der obligatorischen Trennung von Recht und Moral für den Geltungsbereich des Grundgesetzes (weltanschauliche Neutralität) müssen rein ethisch begründete Vorbehalte gegen die Rechtmäßigkeit von Suizidhandlungen im Weiteren allerdings außer Betracht bleiben, da diese Einwände auf dem Boden des Grundgesetzes insoweit nicht zielführend sind. Aus Elementen der zuvor dargelegten Standpunkte, insb. von Kant her, resultiert dessen ungeachtet die auf der sog. Objektformel Günther Dürigs50 aufbauende Rspr. des BVerfG, wonach der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlicher Willkür gemacht werden bzw. die Subjektqualität des Menschen nicht prinzipiell in Frage gestellt werden darf.51 Hiernach ist weiterhin die Würde ein dem Menschen von Gott bzw. der Natur aus mitgegebener Wert und damit eine unveräußerliche „Mitgift“. Deshalb verbietet sich auch jede Quantifizierung der Menschenwürde staatlicherseits (d.h. etwa eine Abwägung nach der Zahl des Verhältnisses zwischen geopferten und geretteten Menschen), wie sie etwa von Befürwortern des sog. „Bürgeropfers“ im Falle des Abschusses eines von Terroristen als Waffe zweckentfremdeten Passagierflugzeugs, an Bord

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selbst, und nur denkend ist der Mensch diese Kraft, sich Allgemeinheit zu geben, das heißt alle Besonderheit, alle Bestimmtheit zu verlöschen.“ G.W.F.Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts; Zusätze aus Hegels Vorlesungen (Eduard Gans) § 5, Felix Meiner Verlag (1911) S. 287. A.a.O. (§ 5);Ebenso P. Gehring, Theorien des Todes, Junius Verlag 2010, S. 96. Ebenda. Ebenda (S. 90). „Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird“; Maunz / Dürig, GG, 1958, Art. 1 I Rn. 28. BVerfGE, 50, 166 (175).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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dessen sich unbeteiligte Personen befinden, gefordert wird.52 Die Menschenwürde kommt damit allen Menschen, unabhängig von Herkunft, Alter, Religion, Kultur oder von dem hier ebenfalls relevanten gesundheitlichen Status zu und gilt mithin ebenso für Kinder wie für Ausländer, Schwerstbehinderte und Sterbende.53 Als Essentialia der Menschenwürde können als Zwischenergebnis somit zumindest die Achtung der eigenwertigen Personalität des Menschen als Subjekt, ein Sich-Selbst-Gehören und ein Verfügungsrecht über sich selbst im Sinne von Selbstbestimmung konstatiert werden.54 Keinesfalls verkörpert sich der Eigenwert des Menschen ausschließlich in seiner lebendigen Existenz, da bekanntlich auch verstorbene Menschen einen Anspruch auf Achtung ihrer Menschenwürde über den Tod hinaus innehaben. Zudem wurde oben aufgezeigt, dass die Existenz von Art. 2 Abs. II Satz 3 GG, konkretisiert durch den finalen Todesschuss z.B. in § 63 ff. PolG NRW, keinen dogmatisch unlösbaren Widerspruch zu Art. 1 Abs. I GG darstellt. Festzuhalten bleibt als Zwischenergebnis, dass eine Achtung der Würde des Einzelnen gerade nicht an dessen Lebendigsein und eine daraus etwa abzuleitende staatliche Schutzpflicht, um jeden Preis jedes Leben zu erhalten, gebunden ist, sondern vielmehr hiervon unabhängig und losgelöst zu betrachten ist.

4. Ärztliche Beihilfe zum Suizid Im Gegensatz zu einer Tötung eines anderen Menschen (auf Verlangen), welche sowohl gegen Art. 2 Abs. II S. 1 GG als auch gegen §§ 211 ff. (216) StGB verstößt, ist in der bloßen Beihilfe zu einem freiverantwortlichen Suizid weder ein Verstoß gegen die Werteordnung des Grundgesetzes noch gegen das StGB zu erkennen. Ausgangspunkt der Fragestellung, wie weit ärztliches Handeln oder Unterlassen jeweils gehen darf, ist einerseits das grundrechtlich abgesicherte Selbstbestimmungsrecht des Patienten.55 Dies steht ebenfalls in Übereinstimmung mit dem bereits erwähnten strafrechtlichen Befund, dass der Suizid nach deutschem Recht – ebenso wie die Hilfe zur Selbsttötung – straflos sind. Nach der Untersuchung vor allem der verfassungsrechtlichen Lage hinsichtlich des Suizidwilligen selbst ist im Folgenden andererseits die grund52

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So etwa Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaates, Kap. IV – Das Bürgeropfer, S. 75 ff.; nachdem das BVerfG 2006 in BVerfGE 115, 118 ff. entschieden hat, dass § 14 Abs. III LuftSichG u.a. wegen Verstoßes gegen Art. 1 GG nichtig ist, gibt es derzeit noch keine staatliche Befugnis zum Einsatz von Waffen gegen ein Luftfahrzeug. So auch Hufen, a.a.O. (S. 4). Vgl. auch Günzel (1983), S. 85. Vgl. Kutzer, a.a.O. (138).

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Teil I

rechtliche Ausgangslage von am Suizid beteiligten Ärzten oder anderen professionalisierten Sterbehelfern selbst zu analysieren. Ärzte könnten in ihren Grundrechten auf Berufsfreiheit, Gewissensfreiheit oder in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt sein. Es gilt der Grundsatz der praktischen Konkordanz, d.h. es ist ein möglichst schonender Ausgleich zu finden.

a) Art. 12 Abs. I GG, Berufsfreiheit Gem. Art. 12 Abs. I S. 1 GG haben zumindest alle Deutschen das Recht und die Freiheit, Beruf, Arbeitsstätte und Ausbildungsstätte autonom zu wählen, d.h. obwohl Art. 12 GG bereits in Absatz 1 dem Wortlaut nach drei verschiedene Schutzbereiche eröffnet, wurde Absatz 1 schon früh anders ausgelegt.56 Hintergrund ist, dass dem Wortlaut nach Art. 12 Abs. I S. 2 GG lediglich die Berufsausübung unter einen Gesetzesvorbehalt stellt, jedoch Absatz 1 systematisch als einheitliches Grundrecht verstanden wird, das somit auch einheitlich unter Gesetzesvorbehalt steht. Argument hierfür war und ist, dass Berufswahl und Berufsausübung eng miteinander zusammenhängen: Mit der Berufswahl beginnt streng genommen bereits auch schon die Berufsausübung, und in der Berufsausübung wird die Berufswahl immer wieder neu bestätigt. Dann aber ist schon mit der Berufswahl auch die notwendig intendierte Berufsausübung und umgekehrt immanent mitgewährleistet, und somit ist über den unmittelbaren Wortlaut von Art. 12 Abs. I Satz 2 GG hinaus bei logisch-systematischer Betrachtung die Berufswahl ebenfalls bereits von diesem Regelungsvorbehalt betroffen.57 Der Regelungsvorbehalt wurde somit sukzessive erweitert zunächst auf die Berufswahl und später sogar auf die Wahl der Ausbildungsstätte58 und des Arbeitsplatzes.59 Bei den Eingriffen wird dogmatisch unterschieden, ob es sich um eine objektive Zulassungsschranke,60 eine subjektive Zulassungsvoraussetzung61 oder um eine Berufsausübungsregelung62 handelt. Mithin muss bei 56 57 58 59

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Insbesondere seit BVerfGE 7, 377 ff. (Apothekenurteil). Zum Ganzen: Pieroth / Schlink, a.a.O. (Rn. 904). BVerfGE 33, 303 ff. (336). Als disparat nicht nur hierzu ist allerdings die Regelung des § 10 Abs. II SGB II zu lesen: „Dem erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen ist jede Arbeit zumutbar. Eine Arbeit ist nicht deshalb unzumutbar, weil sie nicht der früheren beruflichen Tätigkeit entspricht, für die er ausgebildet ist oder die er ausgeübt hat oder die im Hinblick auf die Ausbildung als geringwertig anzusehen ist“. BVerfGE 11, 168 ff.; BVerfGE 79, 208 ff. BVerfG NJW 1996, 709 (Würdigkeit für Rechtsanwälte); BVerfGE 37, 67 ff. (Geschäfts- und Prozessfähigkeit für Rechtsanwälte); BVerfGE 13, 97 ff.; 19, 330 ff.; 34, 71 ff. (erfolgreich abgelegte Prüfungen und beruflich erworbene Erfahrungen). BVerfGE 28, 21 ff. (Verpflichtung von Anwälten, vor Gericht in Robe aufzutreten).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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der Bestimmung der Zulässigkeit und bei den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Eingriff unterschieden werden, um welche Stufe zunehmender Eingriffsintensität es sich jeweils handelt. Mit der Zunahme der Eingriffsintensität geht eine Abnahme der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einher bzw. steht diese als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (sog. Übermaßverbot) unter umso höheren verfassungsimmanenten Rechtfertigungslasten, je intensiver er in dieses Grundrecht eingreift.63 Maßstab ist demnach die Verhältnismäßigkeit bei den aus staatlicher Sicht vom Gemeinwohl her gebotenen Eingriffen in die Berufsfreiheit. Unter Beruf in diesem Sinne wird jede Tätigkeit verstanden, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.64 Die Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 GG umfasst die Gesamtheit der beruflichen Tätigkeit, auch die konkret gegenständliche Ausgestaltung der Betätigung65 und damit ebenfalls die Mitwirkung eines Arztes an der Suizidbegleitung bzw. -hilfe, selbst wenn eine diesbezügliche Untersagung / Einschränkung die grundsätzliche Wahl und Ausübung des Arztberufes nicht direkt beträfe. Für die Eröffnung des Schutzbereichs dieses Grundrechts ist es nicht von Bedeutung, ob die relevante Betätigung als Ausübung eines komplett eigenen Berufsbildes oder nur als Teil dessen einzustufen ist. Einschränkend gilt allerdings, dass die ausgeübten beruflichen Handlungen nicht sozial- oder gemeinschaftsschädlich sein66 bzw. nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes widerstreiten dürfen. Im Gegenzug soll es demgegenüber ohne Belang sein, ob die Tätigkeit nach einfachem Recht erlaubt sei oder nicht,67 weil es ansonsten zur Disposition des einfachen Gesetzgebers stünde, durch ein Verbot einen Beruf einfach aus dem Schutzbereich von Art. 12 Abs. I GG auszuschließen und dessen Maßstäben zu entziehen und somit dieses Grundrecht willkürlich auszuhöhlen.68 Jedenfalls fällt die ärztliche Beihilfe zum Suizid als Berufsausübung unter den Schutzbereich und die hierzu entwickelten Beurteilungsmaßstäbe im Rahmen von Art 12 Abs. I GG, und Maßnahmen, welche die freie Berufsausübung beschränken, bedürfen damit stets einer gesetzlichen Grundlage.69 Dies deckt sich bereits mit dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 12 Abs. I S. 2 GG. Gleiches gilt für den im Demokratieprinzip (Art. 20 63 64 65 66 67 68 69

BVerfGE 13, 97 ff. (104). Ebenso BVerfGE 115, 276 (300); BVerfGE 7, 377 (397). So auch Saliger, a.a.O. (S. 105) m.w.N. BVerwGE 22, 286 ff. (289). BVerfGE 115, 276 (300); bspw. § 217 n.F. StGB oder § 16 S. 3. Vgl. hierzu Pieroth / Schlink, a.a.O. (Rn. 901). Ebenso VG Berlin, Urteil v. 30.03.2012 – VG 9 FK 63.09.

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Teil I

Abs. I GG) des Grundgesetzes verankerten Gesetzesvorbehalt, wonach wesentliche Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst zu treffen sind. Nach dieser vom BVerfG entwickelten Wesentlichkeitslehre70 muss der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese einer staatlichen Regelung jeweils überhaupt zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen über Voraussetzungen, Umstände und Folgen von Eingriffen selbst treffen, d.h. er darf sie nicht an die Verwaltung delegieren (vgl. Art. 80 GG). Die Wesentlichkeit einer solchen Entscheidung bemisst sich dabei anhand der Intensität, nach der die Grundrechte betroffen sind. Der Gesetzesvorbehalt erstarkt insoweit zum Parlamentsvorbehalt.71 Vorliegend besteht kein Zweifel, dass Verbote im Grenzbereich des Menschlichen – am Anfang wie am Ende des Lebens – wesentlich sind, und daher dem Gesetzesvorbehalt unterliegen müssen.72 aa) Exkurs zu § 217 StGB n.F. Ohne der diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Prüfung eines Eingriffs in die ärztliche Berufsausübungsfreiheit durch § 217 StGB n.F. vorzugreifen,73 sei nur vorab festgestellt, dass dieses Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung einen relevanten Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit in Gestalt einer Berufsausübungsschranke darstellt. Gemäß der oben bereits erwähnten Drei-Stufen-Lehre folgt hieraus für das BVerfG sowie die herrschende Lehre, dass „Verhältnismäßigkeit“ Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn bedeutet, d.h. der Zweck, welchem der Eingriff dient, muss umso wertvoller sein, je intensiver dieser Eingriff ist. Es ist also als zweiter Schritt eine Güterabwägung vorzunehmen, nachdem im ersten Schritt zu prüfen war, ob der Eingriff einen legitimen Zweck verfolgt und zur Erreichung des Zwecks geeignet ist. Auf der Stufe von Berufsausübungsregelungen genügen insoweit „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls“, die ihrerseits den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit genügen müssen.74 Insgesamt wird dem Gesetzgeber hierbei ein relativ weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, bei welchem „Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit“ zur Rechtfertigung mitunter als ausreichend angesehen werden, wenn diese einen solchen Eingriff verlangen.75 Regulativ wird allerdings verlangt, dass der Gesetzgeber bei der 70 71 72 73 74 75

BVerfGE 61, 260 ff. (275); BVerfGE 88, 103 ff. (116). Pieroth / Schlink, a.a.O. (Rn. 282 ff.). Ebenso Lindner, NJW 2013, 136 ff. (138). Dazu unter Teil III. BVerfGE 123, 186 (238). Vgl. Pieroth / Schlink, a.a.O. (Rn. 938 ff.).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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Beurteilung seines Einschätzungsrahmens die bei Erlass des Gesetzes verfügbaren Fakten zuverlässig ermitteln und hinsichtlich seiner Prognose diese Fakten ebenso im Rahmen des objektiv Vertretbaren verwerten muss.76 bb) Exkurs zu § 16 MBO Keine Gesetze im oben genannten Sinne sind die Richtlinien des Standesrechts, in denen die Auffassungen der Standesgenossen über eine standesgemäße Berufsausübung niedergelegt sind; bei ihnen handelt es sich lediglich um sog. Verwaltungsvorschriften.77 Diese dürfen nicht einmal als Maßstab für die Auslegung der Generalklauseln über die Berufspflichten der Standesgenossen und damit zu einer gesetzesähnlichen Bedeutung aufgewertet werden.78 Dies gilt ebenso für „Richtlinien“ und „Grundsätze“ der Bundesärztekammer (BÄK) bzw. deren Musterberufsordnung.79 Bei der Musterberufsordnung der BÄK handelt es sich nur um einen unverbindlichen Vorschlag, an den sich die Landesärztekammern halten können, aber nicht müssen. Die Bundesärztekammer ihrerseits ist lediglich ein Zusammenschluss der Landesärztekammern und hat damit keine eigene Kompetenz zum Erlass verbindlicher berufsrechtlicher Regelungen. Obwohl § 16 MBO den Ärzten also nahelegt, Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen – jedoch explizit unter einer ausdrücklichen Versagung einer Beihilfe zur Selbsttötung – hat diese Vorschrift keine rechtsverbindliche Außenwirkung. Die Normen der MBO haben allerdings empfehlenden Charakter für die nach Landesrecht gebildeten Landesärztekammern, die ihrerseits rechtsverbindliche Berufsordnungen als Satzung erlassen können und hiervon auch bundesweit Gebrauch gemacht haben. cc) Satzungsmäßige Berufsordnungen der Landesärztekammern Rechtswirkungen entfalten potentiell demzufolge lediglich die Berufsordnungen der Landesärztekammern. Derzeit ist eine ärztliche Suizidassistenz in sieben Bundesländern zwar satzungsmäßig untersagt.80 Allerdings fehlt es regelmäßig an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in den entsprechenden Landesheilberufegesetzen. Diese Landesgesetze enthalten neben den Regelungen zur berufsständischen Organisation der Ärzte in den Ärztekammern 76 77 78 79 80

Hierauf weist explizit Saliger hin: in a.a.O. (S. 107) m.w.N. Rn. 391. So ebenfalls Pieroth / Schlink noch in 15. Aufl. 1999, (§ 2 I II 3, Rn. 844). BVerfGE 76, 171 (184 ff.); vgl. NJW 1988, 513 ff. Vgl. § 16 MBO in der Fassung der Beschlüsse des 114. Ärztetages 2014. Etwa Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen.

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Teil I

auch Regelungen über die Berufsausübung; allerdings ist ein Verbot der ärztlichen Suizidassistenz darin durchweg nicht enthalten.81 Insoweit mangelt es an der erforderlichen Ermächtigung, spezielle Berufspflichten im Hinblick auf die ärztliche Suizidassistenz zu erlassen. Ebenso wenig ist ein solches Untersagen mit Hinweis auf die berufsrechtliche Generalklausel der Gewissenhaftigkeit der Berufsausübung herleitbar.82 Demzufolge sind die bislang berufsordnungsrechtlich in den entsprechenden Satzungen geregelten Verbote nichtig.83 Zwischenergebnis ist, dass das ausdrückliche Untersagen einer ärztlichen Suizidassistenz, wie es derzeit einige Landesärztekammern satzungsmäßig vorsehen, mangels Ermächtigungsgrundlage bereits formell nicht auf dem Boden der geltenden Verfassung84 (Vorbehalt des Gesetzes) steht. Wie oben bereits dargelegt, bedarf eine solche Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit in einer Frage, die wie vorliegend ethisch äußerst umstritten ist, zwingend einer gesetzlichen Grundlage. Eine bloße berufsrechtliche Satzung reicht dafür nicht aus. Insoweit verstoßen etwaige diesbezügliche Verbote seitens einiger Landesärztekammern gegen diesen zwingenden Grundsatz und sind somit bereits formell verfassungswidrig mit der Konsequenz, dass sämtliche in diesen Berufsordnungen enthaltenen Verbote nichtig sind.85 Hieraus folgt ebenso, dass sämtliche diesbezüglichen, seitens der entsprechenden Landesärztekammern ausgesprochenen, berufsrechtlichen Sanktionen bis hin zum Widerruf der Approbation rechtswidrig sind.86 Es ist regelmäßig der Rechtsweg zu den Berufsgerichten eröffnet; der Widerruf der Approbation muss allerdings vor dem zuständigen Verwaltungsgericht angefochten werden.87 Darüber hinaus sind derartige Verbote auch materiell verfassungswidrig. Mangels irgendeiner Ausnahmeregelung verstoßen sämtliche Satzungen hinsichtlich der ärztlichen Suizidassistenz gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip.88 Der Grund hierfür liegt ganz einfach darin, dass nicht nur eine abstrakte Abwägung hinsichtlich der Legitimität des Untersagens der ärztlichen Suizidassistenz vorzunehmen war. Vielmehr hätte auch eine konkrete Abwägung vorgenommen werden müssen hinsichtlich der Fragestellung, ob der Satzungsge81 82 83 84 85 86 87 88

Ebenso Lindner, NJW 2013, 136 ff. (138). So auch VG Berlin, Urt. V. 30.03.2012 – 9 K 63/09; VG Berlin MedR 2013, 58 (64). Übereinstimmend Lindner, a.a.O. (138). Ebenso Borasio u.a., Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben, S. 38 ff. Ebenda. So auch Lindner, a.a.O. Ebenda. Ebenso Borasio, a.a.O. (S. 38).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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ber durch ein generelles und absolutes Verbot der Suizidassistenz auch noch besonderen Einzelfällen gerecht würde. Für diese hätten dann entsprechende Ausnahmeregelungen getroffen werden müssen.89 Damit kann zu Recht davon ausgegangen werden, dass ein kategorisches Verbot ärztlicher Suizidassistenz durch das Standesrecht mangels gesetzlicher Grundlage und wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip formell und materiell verfassungswidrig ist.90

b) Art. 4 Abs. I GG, Gewissensfreiheit Art. 4 Abs. I GG regelt, dass die Freiheit des Gewissens unverletzlich ist und dies auch nicht durch einen Gesetzesvorbehalt relativiert werden kann. Es handelt sich um ein sog. vorbehaltloses Grundrecht. Lediglich kollidierende Grundrechte und andere Verfassungsgüter können nach der Rspr. des BVerfG einen Eingriff in diesen vorbehaltlos gewährleisteten Schutzbereich rechtfertigen.91 Unter Gewissen wird eine moralische Haltung verstanden, die die personale Identität eines Menschen mitkonstituiert und ihm subjektiv bindend vorschreibt, in einer konkreten Situation bestimmte Handlungen als gut, gerecht oder als böse und ungerecht auszuführen oder zu unterlassen.92 Als eine Gewissensentscheidung ist somit jede ernste und sittliche, d.h. an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte.93 Die herausragend wichtige Bedeutung des Gewissens für eine ärztliche Berufsausübung ist diesem Berufsfeld immanent. Die ärztliche Berufsausübung beinhaltet der Sache nach sehr oft eine aus dieser Tätigkeit erwachsende Gewissensentscheidung, um etwaige Spannungen zwischen der Verpflichtung zum Lebensschutz einerseits und der Achtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten andererseits aus der allein maßgeblichen moralischen Sicht des behandelnden Arztes aufzulösen. Hiermit hängt das berufliche Selbstverständnis der Ärzteschaft sehr eng zusammen.

89 90 91 92 93

Vgl. Lindner, a.a.O. Ebenso Saliger, a.a.O. (S. 108); vgl. F. Neumann, Die Mitwirkung am Suizid als Straftat? S. 267, dort insb. unter Rn. 870 m.w.N. BVerfGE 28, 243 ff. (261). Pieroth / Schlink, a.a.O. (Rn. 588 ff.). Ebenda; so wörtlich: BVerfGE 12, 45 ff. (55).

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Der Schutzbereich reicht hinsichtlich seiner Intensität vom Denken über das Äußern bis zum Handeln. Eine Gewissensentscheidung führt ja regelmäßig überhaupt erst durch ein entsprechendes Handeln zu einem gesellschaftsrelevanten Konflikt, den zu regeln gerade Aufgabe dieses Grundrechts ist. In das Denken wird bereits eingegriffen, wenn der Staat die Bildung und den Bestand weltanschaulicher und moralischer Überzeugungen indoktrinierend beeinflusst. Verhaltensmäßige Eingriffe staatlicherseits bestehen besonders in einer Verpflichtung einer Person zu einem Handeln oder Unterlassen, das gegen eine Gewissensposition dieser Person verstößt. In einem solchen Fall wird die Identität der Person, die eigentlich hinsichtlich ihres Gewissens geschützt werden soll, gefährdet. Insoweit die Gewissensfreiheit nun gerade das Recht enthält, seinem Gewissen gemäß zu handeln, ohne durch obrigkeitliche Verbote oder Vorschriften davon abgehalten zu werden, greift eine beispielsweise strafrechtlich sanktionierte Untersagung von ärztlicher Suizidassistenz unmittelbar in die Gewissensfreiheit von daran beteiligten Ärzten ein.94 Da als Grenze dieses grundsätzlich vorbehaltlos gewährleisteten Schutzbereichs vorwiegend kollidierende Grundrechte – insbesondere Grundrechte Dritter – in Betracht kommen, ist hierbei vorliegend insbesondere an den Schutz des Lebens des Suizidwilligen zu denken. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die bereits gemachten Ausführungen im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. II S. 1, 1. Var GG, so dass an dieser Stelle letztlich gar kein echter Kollisionsfall vorliegt, sondern es bei dem rechtswidrigen Eingriff bleibt.

c) Art. 2 Abs. I GG, allgemeine Handlungsfreiheit / allgemeines Persönlichkeitsrecht Ebenso wird durch ein derartiges Verbot in die allgemeine Handlungsfreiheit des Arztes eingegriffen; als allgemeine Handlungsfreiheit schützt dieses Grundrecht nicht einen bestimmten, begrenzten Lebensbereich, sondern jegliches menschliche Verhalten und ist ein Grundrecht des Bürgers darauf, nur aufgrund von formell und materiell verfassungsgemäßen Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden.95 Allerdings ist Art. 2 Abs. I GG als ein sog. Auffanggrundrecht gegenüber den spezielleren Grundrechten konzipiert und tritt hinter diese zurück, soweit deren Schutzbereiche reichen (Subsidiarität). Es wird somit lediglich dann relevant, wenn kein Schutzbereich eines speziellen Grundrechts einschlägig ist. 94 95

Siehe auch Hilgendorf, JZ 2014, 545 ff. (551). BVerfGE 29, 402 ff. (408).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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Ebenso wird durch ein solches Verbot in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arztes eingegriffen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde vom BVerfG aus einer Zusammenschau von Art. 2 Abs. I GG i.V.m. Art. 1 Abs. I GG entwickelt. Es hat Wurzeln in der allgemeinen Handlungsfreiheit, weil diese nicht auf bestimmte Lebensbereiche begrenzt ist, sondern in allen Lebensbereichen relevant wird.96 Der Bezug zu Art. 1 Abs. I GG ergibt sich insoweit, als die Menschenwürde den Einzelnen weniger im Hinblick auf sein Verhalten als in seiner Subjektqualität als solcher schützt. In Fällen der Untersagung von ärztlicher Suizidassistenz wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Recht der Selbstbestimmung des behandelnden Arztes tangiert, und er ist nicht mehr frei, selbst zu bestimmen, was er tun möchte und wer er eigentlich sein möchte.

5. Sterbehilfevereine In Betracht kommen im Falle der Ausübung der organisierten Suizidassistenz die einschlägigen Grundrechte derartiger Organisationen selbst. Denkbar wäre hier eine Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. I GG sowie von Art. 12 Abs. I GG.

a) Art. 9 Abs. I GG – Vereinigungsfreiheit In Artikel 9 Abs. I GG wird die allgemeine Vereinigungsfreiheit garantiert. Sie umfasst einerseits das Individualfreiheitsrecht der Vereinsmitglieder und andererseits das kollektive Freiheitsrecht der Vereinigungen selbst.97 In Artikel 9 GG ist von Vereinen und Gesellschaften als Schutzgegenstand die Rede. Als begrifflichen Maßstab ist auf die in § 2 Abs. I VereinsG gegebene Legaldefinition zurückzugreifen: „Vereinigungen, zu denen sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen, und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“

Die Rechtsform einer solchen Vereinigung ist nicht ausschlaggebend für die Eröffnung des Schutzbereichs, so dass die hoch ausdifferenzierten zivilrechtlichen Bestimmungen bezüglich Vereinen und Gesellschaften für den Schutzgegenstand irrelevant sind.98 Vielmehr umfasst Art. 9 Abs. I GG, über die beispielhaft genannten Vereine und Gesellschaften hinaus, das gesamte Spektrum des Assoziationswesens von der lose gefügten Bürgerinitiative bis zum hoch96 97 98

Pieroth / Schlink, a.a.O. (Rn. 408 ff.). A.a.O. insoweit wäre ein Hinweis auf Art. 19 Abs. III GG an dieser Stelle unnötig. Ebenda.

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Teil I

aggregierten Spitzenverband.99 Grundrechtsschutz genießen weiterhin nur freiwillige Zusammenschlüsse, die einem gemeinsamen Zweck dienen und mehrere natürliche oder juristische Personen mit einer gewissen organisatorischen Festigkeit vereinigen. Die Vereinigungsfreiheit umfasst als Individualfreiheitsrecht die Freiheit der Gründung sowie die Entscheidung über den Zeitpunkt, die Rechtsform und den Zweck einer solchen100 Vereinigung. Ebenso umfasst sie die Entscheidung über den Namen und den Sitz der Vereinigung (Vereinsautonomie), über den Beitritt bzw. Ausschluss, das Verbleiben und über die interne Betätigungsfreiheit der Mitglieder.101 Im Falle von Sterbehilfevereinen, welche die Organisation und Bereithaltung von Suizidassistenz zu ihrem Vereinszweck haben, geht es darum, die Mitglieder bei der Durchsetzung ihres selbstbestimmten Suizids zu unterstützen, wenn dies gewünscht wird. Diese Sphäre wird somit vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. I GG geschützt. Allerdings steht zwar die allgemeine Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. I GG nicht ausdrücklich unter einem Gesetzesvorbehalt; Art. 9 Abs. II enthält aber das Verbot bestimmter Vereinigungen. Dies wird dogmatisch einerseits so interpretiert, dass die genannten Vereinigungen bereits aus dem Schutzbereich herausfallen sollen. Die herrschende Meinung stellt allerdings demgegenüber darauf ab, dass einerseits aus rechtsstaatlichen Gründen die Einhaltung bestimmter Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen für ein Vereinsverbot erforderlich ist und dass erst den in diesen Verfahren von den zuständigen Organen ausgesprochenen Verboten konstitutive Wirkung zukommen soll.102 Dementsprechend interpretiert die herrschende Meinung Art. 9 Abs. II GG lediglich als verfassungsrechtliche Rechtfertigung für einen Eingriff. Der Auslegung dieser Meinung ist aus systematischen Gründen der Vorzug zu geben, weil zum einen § 3 Abs. I S. 1 VereinsG regelt, dass Vereine erst dann als verboten behandelt werden dürfen, wenn dies durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, in der die Auflösung des Vereins angeordnet wird. Zum anderen sind Vereinsverbote ihrerseits bereits jeweils ein Grundrechtseingriff für sich, welcher der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf.103 99 100 101 102 103

Ebenso ebenda. Ähnlich Saliger, a.a.O. (S. 110). Ebenda; BVerfGE 30, 227 (241). Ähnlich Pieroth / Schlink, a.a.O. (Rn. 828 ff.). Siehe auch ebenda.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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Verboten sind gem. Art. 9 Abs. II GG Vereinigungen, deren Zwecke bzw. Tätigkeiten den Strafgesetzen wörtlich zuwiderlaufen. Darunter sind ausschließlich die allgemeinen Strafgesetze zu verstehen, jene also, die kein gegen die Vereinigungsfreiheit als solche gerichtetes Sonderstrafrecht darstellen. Anderenfalls stünde Art. 9 Abs. I zur Disposition des Gesetzgebers. Bis zum Erlass von § 217 StGB n.F. schied ein solches Strafgesetz gänzlich aus jeder rechtlichen Betrachtung aus, allerdings ist inzwischen der Tatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung einschlägig, so dass für die betroffenen Vereine eine entsprechende Verfügung seitens der dazu ermächtigten Verbotsbehörde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein wird.104 Hierzu ausführlich unter Teil III. Die ebenfalls abschließend in Art. 9 Abs. II GG aufgezählten weiteren Verbotsgründe bezüglich Aktivitäten gegen die verfassungsmäßige Ordnung bzw. gegen den Gedanken der Völkerverständigung als Vereinszweck können vorliegend ganz außer Betracht bleiben.

b) Art. 12 Abs. I GG – Berufsfreiheit Damit ein Sterbehilfeverein in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. I GG betroffen sein kann, muss zunächst überhaupt dessen Grundrechtsberechtigung als Verein vorliegen. Denn zunächst sind die Grundrechte des GG auf natürliche Personen zugeschnitten. Gegenbegriff ist die sog. juristische Person, d.h. Personenmehrheiten und Organisationen, denen über das Privatrecht oder auch das öffentliche Recht eine eigene Rechtspersönlichkeit und Rechtsfähigkeit zugesprochen wird. Dann sind sie Träger von Rechten und Pflichten. Die Lösung dieses Problems gibt Art. 19 Abs. III GG vor, indem die Grundrechtsgeltung auch auf inländische juristische Personen ausgeweitet wird, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Das bedeutet, dass das jeweils in Betracht kommende Grundrecht inhaltlich von seiner Funktion her hinsichtlich der in Frage stehenden inländischen juristischen Person passen muss. Dabei darf also das in Betracht kommende Grundrecht nicht an natürliche Qualitäten des Menschen anschließen, die allen juristischen Personen notwendigerweise fehlen. Es muss sich also um grundrechtskompatible Qualitäten handeln, über die (bestimmte) juristische Personen überhaupt ver-

104 Hierbei wird dann die Wesensgehaltsgarantie aus Art. 19 Abs. II GG besonders zu berücksichtigen sein.

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Teil I

fügen können.105 Das ist zunächst nur die eine Seite der gebotenen rechtlichen Betrachtung. Darüber hinaus hat das BVerfG zusätzlich noch einen weiteren Aspekt entwickelt und rechtfertigt eine Einbeziehung juristischer Personen in den Schutzbereich der Grundrechte lediglich dann, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind, die hinter den juristischen Personen stehen. Im Falle eines Sterbehilfevereins liegen beide Voraussetzungen vor, so dass grundsätzlich der Schutzbereich des Art. 12 Abs. I GG eröffnet ist. Nach gefestigter Rechtsprechung sind inländische juristische Personen des Privatrechts vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. I GG insoweit geschützt, als sie eine Erwerbstätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer natürlichen Person betrieben werden könnte.106 Für einen Verein greift konkretisierend dieser Schutzbereich nur, sofern die Führung eines Geschäftsbetriebs zu seinen satzungsmäßigen Zwecken gehört, wobei eine Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich ist.107 Insoweit kommt es darauf an, ob nach der jeweiligen Vereinssatzung eine wirtschaftliche und gewerbliche Zielsetzung als Vereinszweck verfolgt wird. Im Falle der bloßen Bereithaltung von Suizidbegleitungen durch ehrenamtliche Helfer muss ein solcher Geschäftsbetrieb wohl verneint werden,108 unabhängig von der Frage, ob hierfür bereits ein allgemeiner ökonomischer Grundbezug genügt.109 Insoweit ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. I GG in diesen Fällen erst gar nicht eröffnet. Anders sähe es möglicherweise aus, wenn die Kosten für professionelle Helfer lediglich auf die Vereinsmitglieder umgelegt würden. Hier kommt es aber ganz auf die jeweilige Satzung an.

II. Art. 8 EGMR Die grundrechtliche Untersuchung hinsichtlich der Legalität von Suizid sowie der professionalisierten Beihilfe hierzu – insbesondere der ärztlichen Beihilfe zum Suizid – ist allerdings nicht ausschließlich auf die Analyse des Grundgesetzes eingeschränkt. Dies ist vor dem Hintergrund geboten, dass nach der

105 Vgl. etwa BVerwGE 82, 76 ff. (78) – wirtschaftliche Betätigung, Beruf und Eigentum einer AG ebenso wie Recht am eigenen Namen, Wort und Bild etc. 106 BVerfG NJW 2014, 613 (614). 107 BVerfG NJW 2002, 2091; Saliger, a.a.O. (S. 112). 108 Ebenso Saliger, a.a.O. (S. 112). 109 Vgl. BVerwG JZ 1995, 93 ff. (95).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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ständigen Rechtsprechung des BVerfG110 gem. Art. 1 Abs. II GG i.V.m. Art. 59 Abs. II GG die Grundrechte des Grundgesetzes im Lichte der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR auszulegen sind,111 sofern dies nicht zu einer Einschränkung des Grundrechtsschutzes führt.112 Allerdings ist aus Art. 1 Abs. II GG kein unmittelbarer Verfassungsrang der EMRK herleitbar, vielmehr gilt ein Vorrang der konventionsgemäßen Auslegung. Die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR dienen somit aber immerhin als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der entsprechenden Grundrechte, wobei nicht nur die vom EGMR in seiner Abwägung berücksichtigten Gesichtspunkte, sondern auch die konkreten Abwägungsergebnisse von den deutschen Gerichten inhaltlich zu beachten sind.113 Nach der neueren Rechtsprechung des EGMR verbürgt Art. 8 EMRK sogar ein Menschenrecht auf selbstbestimmtes Sterben.114 In dem vorgängigen Grundsatzurteil Pretty ./. Vereinigtes Königreich115 von 2002 wurde zunächst anlässlich der rechtlichen Würdigung bezüglich der Untersagung einer beantragten Genehmigung der Suizidassistenz für eine zum Suizid selbst körperlich nicht mehr fähige Patientin gerade aus dem in Art. 8 EGMR verbürgten Recht auf Achtung des Privatlebens ein Recht auf Selbstbestimmung hergeleitet. In diesem Fall ging es konkret um eine 43-jährige Britin, die an einer fortschreitenden unheilbaren neuro-degenerativen Krankheit litt, vom Hals abwärts gelähmt war und in der Aussicht auf ein qualvolles und entwürdigendes Ende nur lediglich noch eine Restlebenserwartung von einigen Wochen oder Monaten besaß. Da in England eine Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt ist und die Patientin selbst nicht mehr zu einem Suizid ohne fremde Hilfe in der Lage war, bat sie den Generalstaatsanwalt um eine entsprechende Ausnahmegenehmigung für ihren Ehemann. Unter Ausschöpfung des Rechtsweges wurde dies versagt. Das Selbstbestimmungsrecht schließt nach dieser Grundsatzentscheidung auch die Möglichkeit ein, selbst schädliche oder gefährliche Dinge tun zu können. Insoweit bedarf das Anliegen eines Staates, seine Bürger mit rechtsverbindlichen Mitteln – von Zwangsmitteln bis hin zu Strafandrohungen – von selbstgefährdenden Handlungen abzuhal110 111 112 113 114

BVerfGE 128, 326 ff. = BVerfG NJW 2011, 1931 (1935). Ebenso Lindner, NJW 2013, 136 ff. (136). So ausdrücklich BVerfG NJW 2004, 3407 (3408, 3411). BVerfGE NJW 2011, 1931 ff. (1936). Dieses Recht ist jedoch von den Konventionsstaaten einschränkbar, weil es unter diesen keinen Konsens darüber gibt. Wegen Art 8 Abs. 2 EMRK besteht ein erheblicher Beurteilungsspielraum hinsichtlich von Eingriffen in das Recht auf autonome Lebensbeendigung. Vgl. hierzu den konkreten Fall Haas./.Schweiz – NJW 2011, 3773 ff. 115 Vgl. EGMR NJW 2002, 2851 ff.

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Teil I

ten, stets einer wirksamen Rechtfertigung. Dadurch, dass die Klägerin durch englisches Recht gezwungen wurde, ein qualvolles und subjektiv als unwürdig empfundenes langsames Sterben auf sich zu nehmen, wurde in deren für wesentlich gehaltene Vorstellungen von eigener und persönlicher Freiheit und damit in das Recht auf Achtung ihres Privatlebens eingegriffen. Denn der Wille der Klägerin zur Gestaltung des Lebensendes ist Teil der Lebensführung, deren Respektierung Art. 8 EGMR gebietet.116 Ein Recht auf selbstbestimmte Lebensbeendigung wurde damit jedoch noch nicht explizit formuliert. Im Ergebnis hat aber die hierauf aufbauende Rspr. des EGMR aus dem Jahre 2011117 und 2013118 ein solches Recht positiv ausformuliert. Das Recht einer Person, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben beendet werden soll – vorausgesetzt, sie kann ihren Willen frei bilden und entsprechend handeln – ist demnach Teil des Rechts auf Achtung ihres Privatlebens i.S.v. Art. 8 EMRK.119 Dieses Recht auf selbstbestimmte Lebensbeendigung bezieht sich auf die Freiheit der Wahl von Art und Zeitpunkt des Todes. Weil die Freiheit der Wahl der Art des Todes wenigstens bisher nicht relativiert wurde, werden auch vorbereitende Maßnahmen unter Einbeziehung von helfenden Dritten unter dieses Recht subsumiert.120 Auf das Recht auf Achtung des Privatlebens können sich folglich auch Angehörige von Suizidenten stützen, vorausgesetzt, sie stehen in enger Beziehung zu ihnen und sind unmittelbar in deren Suizidvorhaben eingebunden.121 Insgesamt lässt sich feststellen, dass Rechtssysteme, in denen die Suizidassistenz bzw. bereits deren Förderung nicht unter Strafandrohung steht – wie dies in Deutschland bis spätestens zum Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. noch der Fall war – nicht gegen Art. 8 EMRK verstoßen. Umgekehrt verstößt die Regelung des § 217 StGB n.F. nicht zwangsläufig gegen dieses Recht, worauf unter Rn. 177 hingewiesen wird.

116 117 118 119 120 121

Zum Ganzen: EGMR NJW 2002, 2851 ff. (2854) sowie Saliger, a.a.O. (S. 23 ff.). EGMR NJW 2011, 3773 ff. EGMR NJW 2013, 2953 ff. Vgl. EGMR NJW 2011, 3773 ff. (3774) und EGMR NJW 2013, 2953 ff. (2955). So ausdrücklich Saliger, a.a.O. (S. 32). EGMR NJW 2013, 2953 ff. (Fall Koch).

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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B) Die drei Säulen des Strafrechts für die Zulässigkeit jeder medizinischen Behandlung Nach der Untersuchung der grundrechtlichen Fragestellungen hinsichtlich der Suizid- wie gleichermaßen Suizidassistenzproblematik ist im Folgenden ergänzend der strafrechtsdogmatische Ausgangspunkt zu entfalten. Bei den Fragen hinsichtlich der zu untersuchenden Thematik gibt es vorab ganz allgemein vielfältige Berührungspunkte mit der ärztlichen Behandlungssituation. Darum werden zunächst die Kriterien für jede nach deutschem Strafrecht zulässige und in die körperliche Unversehrtheit eingreifende ärztliche Behandlungsmaßnahme angegeben. Der Begriff der ärztlichen Behandlungsmaßnahme umfasst dabei auch einen kontraindizierten ärztlichen Heileingriff sowie eine fehlerhafte Heilbehandlung.122 Die Zulässigkeit jeder medizinischen Behandlung beruht auf den drei Säulen: 1. der ärztlichen Indikation 2. der Einwilligung des Patienten und 3. der Durchführung lege artis.

Nur wenn alle aufgezählten Bedingungen kumulativ vorliegen, ist ein entsprechender ärztlicher Eingriff, welcher per se den Tatbestand einer Körperverletzung nach § 223 StGB erfüllt, juristisch gerechtfertigt und damit seinerseits kein Unrecht. Nach ständiger Rechtsprechung erfüllt jede ärztliche Behandlungsmaßnahme, welche die Integrität des menschlichen Körpers tangiert, bereits objektiv den Tatbestand einer einfachen Körperverletzung.123 Dabei ist es gleichgültig, ob die Behandlungsmaßnahme gelingt, missglückt, kunstgerecht durchgeführt wird oder fehlerhaft ist.124 Vielmehr bedarf ein ärztlicher Eingriff zur Ausschließung eigenmächtiger ärztlicher Handlungen unter Verletzung des Selbstbestimmungsrechts einer besonderen Rechtfertigung in Form einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Erklärung des Patienten.125 Wie bereits gesagt, bezieht sich ein solcher Heileingriff und dessen Rechtfertigung grundsätzlich nur auf eine nach den anerkannten Regeln der Heilkunst (lege artis) durchgeführte Heilbehandlung. Darunter versteht man die auf Grund des Fachwissens und der Standards der Disziplin anerkannten Grundsätze und Methoden,126 wobei diese nicht ohne weiteres der Schulmedizin gleichzusetzen 122 123 124 125 126

Fischer, § 223 Rn. 1 ff. Seit RGSt 25, 375. Vgl. Fischer, § 223 Rn. 9. Ebenda. A.a.O. (Rn. 13a).

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sind, weil bei der Wahl einer Behandlung auf den Grundsatz der Methodenfreiheit abzustellen ist.127 Ein Kunstfehler ist somit nicht von der Einwilligung umfasst und erfüllt somit den objektiven Tatbestand einer Körperverletzung; Sorgfaltspflichtverletzungen sind insoweit ebenfalls also nicht schon durch eine Einwilligung in die Maßnahme selbst gerechtfertigt.128 Bei einem Arzt, der subjektiv an den Erfolg seiner Maßnahme glaubt, kommt mangels Vorsatzes lediglich eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 229 StGB in Betracht. Außerdem folgt hieraus, dass ein nicht ärztlich indizierter Eingriff stets den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt, ohne dass es hierbei noch auf die Einwilligung des Patienten ankäme. Bei einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung ist der Vorsatz allerdings nur dann zu bejahen, wenn die Art und Weise der Behandlung nicht am Wohl des Patienten orientiert ist, wofür aber strenge Maßstäbe anzulegen sind.129 Dies gilt auch für mögliche schwere Folgen.

C) Strafrechtsdogmatische und terminologische Ausgangsprobleme sowie einige Grundbegriffe I. Strafrechtsdogmatische Ausgangsproblematik Wie eingangs dieser Arbeit im Rahmen der Einleitung bereits beschrieben, existiert in Deutschland einerseits kein ausdrückliches Sterbehilfegesetz, andererseits waren und sind der Suizid und die Suizidhilfe – jedenfalls bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. – prinzipiell uneingeschränkt erlaubt;130 allerdings nicht explizit für alle in Betracht kommenden Lebenssachverhalte im Detail geregelt. Dadurch kann ein Zustand der Rechtsunsicherheit entstehen. Als Kritikpunkt am bisherigen mehr oder weniger ausschließlichen Richterrecht zur Sterbehilfe bzw. der Hilfe beim Sterben kann nochmals ganz knapp konstatiert werden, dass das Richterrecht aus zwei Gründen nicht ausreichend ist.131 Zum einen braucht ein Richter in einer rechtsstaatlichen Demokratie für die Entscheidung von grundrechtsrelevanten, das Leben der Bürger existenziell betreffenden Problemen gesetzliche Leitlinien.132 Außerdem ist es der Rechtsprechung bislang nur unzureichend gelungen, die rechtlichen Grenzen, welche der Privatautonomie und der Fürsorgepflicht des Arztes in Fragen der 127 128 129 130

Ebenda. BGHSt 43, 306 ff. (309); NStZ-RR 07, 340 ff. (341). Vgl. NStZ 04, 35 ff. (36). Mit der Rechtslage ab Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. wird sich Teil III dieser Arbeit ausführlich befassen. 131 Vgl. bereits S. 12. 132 Vgl. auch Kutzer, ZRP, 2005, 277 ff.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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Sterbehilfe gesetzt sind, überzeugend und durch ein in sich stimmiges, widerspruchsfreies Konzept zu definieren.133 Zudem ist die einzige Strafvorschrift, die bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. ausdrücklich Schnittpunkte mit der Suizidassistenz aufweist, der § 216 StGB (Tötung auf Verlangen), welcher eine Privilegierung der Totschlagsdelikte darstellt und auf jeden Fall mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird. Demgegenüber setzt die Straflosigkeit von Suizid und Suizidassistenz voraus, dass der Suizident freiverantwortlich handelt und selbst die Tatherrschaft über den letzten tödlichen Akt innehat.134 Denn es gilt insoweit der strafrechtliche Grundsatz (s.o.), dass der Suizid selbst keine rechtswidrige Haupttat darstellt und infolge einer solchen fehlenden Haupttat auch eine Beihilfe hierzu prinzipiell nicht strafbar ist; insbesondere nicht für einen daran beteiligten Arzt. Ergänzt und konkretisiert wurden und werden diese Grundsätze des StGB durch ein höchstrichterliches Richterrecht, d.h. eine richterliche Rechtsfortbildung, welche sämtliche Detailprobleme zu entscheiden und damit verbindlich zu definieren hat. Vor diesem Umstand erklärt es sich folglich, dass das Strafrecht der Sterbehilfe in Deutschland entgegen der eigenen Rechtstradition vor allem nicht kodifiziertes Richterrecht ist.135 Mangels einer ausdrücklichen Regelung der Sterbehilfe durch den Gesetzgeber muss auf die bereits erwähnten eher fragmentarischen Ergebnisse der Rechtsprechung zurückgegriffen werden, um die rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb deren ärztliche, pflegerische und damit auch sonstige „Sterbehilfe“ sich vollziehen darf, zu ermitteln.136 Vor diesem Hintergrund kommt der Rechtsprechung und namentlich der höchstrichterlichen Judikatur eine besondere Bedeutung zu.137 Sie dient somit der Herstellung materieller Rechtseinheit, und sie übernimmt zugleich als Anspruch an sich selbst eine eminent wichtige Befriedungsfunktion. Das „Strafrecht“ der Sterbehilfe hat für den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 3 StGB) in den letzten 30 Jahren erhebliche Entwicklungen durchlaufen. Im Folgenden werden darum einige wichtige Entwicklungslinien dieses sog. Sterbehilferechts im Lichte der im Wesentlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung skizziert.

133 134 135 136

Ebenda. BGHSt 19, 135 ff. (139); BGH NJW 2003, 2326 (2327). So auch Saliger, a.a.O. (S. 117). Vgl. Kutzer, Die gegenwärtige Rechtslage der Behandlung Schwerstkranker bei irreversiblen Schäden (S. 69). 137 Vgl. W. Höfling, a.a.O. (S. 444 ff.).

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Teil I

Diese Entwicklung ist ständig im Fluss. Die Weiterentwicklung eines ausdifferenzierten Strafrechts der Sterbehilfe nahm mit Gerichtsurteilen ihren Anfang. Bis 2009 war die gesamte diesbezügliche Rechtslage beispielsweise zu Entscheidungen am Lebensende ein ausschließlich von Richtern entwickeltes Recht. Inzwischen gibt es in Teilbereichen Rückwirkungen auf den einfachen Gesetzgeber. So hat der Bundestag zu dem genannten Teilbereich (Entscheidungen am Lebensende) zwei in das BGB integrierte Gesetze verabschiedet,138 um verbindlich mehr Rechtssicherheit am Lebensende gewährleisten zu können. Es handelt sich einmal um das Patientenrechtegesetz vom 20. Februar 2013, in Kraft seit dem 26. Februar 2013 (§§ 630a–h BGB),139 sowie um das Patientenverfügungsgesetz vom 29. Juli 2009, in Kraft seit dem 29. Juli 2009 (§§ 1901a–c BGB).140 Dabei deckt sich die neue Gesetzeslage diesbezüglich mit der jeweils bis dahin entwickelten höchstrichterlichen Praxis. Ganz grob lassen sich vorab im Strafrecht zur Sterbehilfe innerhalb der letzten drei Jahrzehnte folgende Entwicklungsstufen141 skizzieren: (1) Seit den 80er Jahren bis Mitte der 90er Jahre stand der Fokus beim Strafrecht der Sterbehilfe vornehmlich auf Fragen der Abgrenzung und Definition von aktiver, indirekter und passiver Sterbehilfe. (2) Ab Ende der 90er Jahre wurden die weiter oben bereits betonten zivilrechtlichen Implikationen für die Mitzuständigkeit des Zivilrechts für die Sterbehilfe herausgearbeitet, (3) und schließlich ordnete der Fall Putz (2010),142 das bis dahin geltende Strafrecht der Sterbehilfe neu.

II. Terminologische Probleme Erschwerend kommt hinzu, dass rein terminologisch bis zum Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. inzwischen mindestens fünf Arten von „Sterbehilfe“ existierten und existieren, die voneinander zwar grundverschieden in ihrer jeweiligen Bedeutung und damit ihrer rechtlichen Beurteilung sind, aber in der Diskussion oft nicht sauber auseinandergehalten werden. Dabei sind drei aktive und zwei passive Formen der Sterbehilfe zu unterscheiden.

138 139 140 141 142

Vgl. den WL v. §§ 630a–h BGB; §§ 1901a–c BGB. Vgl. Teil I, Kapitel 4. Vgl. Wortlaut §§ 1901a–c BGB. Vgl. auch: Saliger, a.a.O. (S. 117 ff.). BGHSt 55, 191 ff.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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1. Aktive Sterbehilfeformen 1. die aktive direkte Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen, § 216 StGB, unter Tatherrschaft eines anderen als des Suizidenten selbst). 2. die Teilnahme insb. Beihilfe143 zum Suizid (unter Tatherrschaft des Suizidenten). 3. die aktive indirekte Sterbehilfe.

Zu 1.: Eine aktive direkte Sterbehilfe ist die gezielte Herbeiführung des Todes des Sterbewilligen auf dessen Wunsch durch einen Arzt oder anderen Dritten.144 Hinsichtlich eines etwaigen Rechts zur „täterschaftlichen Sterbehilfe“145 sind Kategorien wie das Tötungsverbot, welchem der Sterbehelfer u.U. zuwiderhandelt, sowie die handlungskategoriale Unterscheidung146 zwischen aktiver / passiver und direkter / indirekter Sterbehilfe strafrechtsdiskursleitend. Unabhängig von einer etwaigen Strafandrohung bezeichnet eine „aktive direkte Sterbehilfe“ nach herkömmlicher Definition als gemeinsamer Oberbegriff jedenfalls eine gezielte Beschleunigung des Todeseintritts eines Kranken oder gar dessen schmerzlose Tötung, welche dessen Leben zwecks Beendigung des Leidens, und sei es nur geringfügig, verkürzt.147 Als Grundsatz gilt, dass die aktive Tötung eines anderen Menschen auf Verlangen (§ 216 StGB) in jedem Fall tatbestandlich und somit strafbar ist; obwohl sie altruistisch motiviert ist und auf ein ausdrückliches Verlangen hin geschieht. Eine solche aktive Tötung eines anderen Menschen missachtet das absolute Tötungsverbot im außerstaatlichen Bereich.148 Das ausdrückliche Verlangen des Getöteten (Patientenwille) wirkt sich hier gegenüber der Kategorisierung als eigenhändiger „Totschlag“ i.S.v. § 212 StGB lediglich hinsichtlich des Strafmaßes als Privilegierung aus, ist aber ansonsten ohne jede rechtliche Bedeutung. Ebenso spielt es keine Rolle, ob der Getötete ohne jede Aussicht auf Besserung unheilbar krank war.149 Festzuhalten ist, dass jegliche aktiv lebensverkürzende Maßnahme als Tötungsdelikt strafbar ist. Allerdings stößt dieses Konzept hinsichtlich einer ausdrücklich verlangten Tötung zumindest in der Literatur aus dogmatischen Gründen auf eine gewisse 143 Lindner möchte in JZ 2006, 373 ff. die Beihilfe hier herausnehmen, da der Tod nicht durch den Beihelfer, sondern durch den Suizidenten selbst verursacht wird. 144 Möglicherweise verweist die durchgängig übliche Sprachregelung vom „Dritten“ auf eine säkularisierte Struktur hinsichtlich Gott, Sterbewilligem und aktivem bzw. passivem Sterbehelfer, da sie rein logisch wenig Sinn zu machen scheint. 145 Diesen Terminus verwendet Saliger, a.a.O. (S. 118). 146 Ebenda. 147 Fischer, Vor § 211 Rn. 17. 148 Hierzu vertiefend unter Teil II (Grundlegungen) dieser Arbeit. 149 Vgl. BGHSt 37, 376 ff. (379).

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Kritik.150 Zu Recht wird diesbezüglich angenommen, dass darin (§ 216 StGB) grundrechtsdogmatisch und bei rein objektiver Betrachtung eine doppelte Interessenverkürzung liegt. Einerseits wird das Interesse des Sterbewilligen, von fremder Hand zu sterben, zumindest rechtlich verunmöglicht bzw. konterkariert, so dass dies nur unter der zwingenden Inkaufnahme von einer Mindesthaftstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren seitens des Ausführenden denkbar wäre. Andererseits wird das Interesse des zur aktiven Sterbehilfe bereiten Arztes oder sonstigen Dritten durch das strafrechtliche Verbot ebenso verkürzt. Allerdings wird überwiegend angenommen, dass es zwar zur Menschenwürde gehören soll, bei schweren Leiden und körperlichem oder geistigem Verfall über ein Sterben in Würde entscheiden zu dürfen, dass jedoch ein sog. „Anspruch auf aktive Sterbehilfe“ den Würdeanspruch unzulässig überdehnen151 würde, weil die Einwilligung z.B. unheilbar Kranker in den „Gnadentod“ keine Grundlage für die Auslöschung des Lebens darstellen könne und es deshalb unter allen Umständen bei einer unbeachtlichen Einwilligung bleibe. Zu Recht wird jedenfalls zumindest an dieser Argumentation moniert, dass es bei dieser Frage nach der Zulässigkeit einer aktiven Sterbehilfe in der Sache nicht um einen Anspruch des Sterbewilligen gegen den Staat oder einen privaten Dritten geht, sondern darum, ob und inwieweit der Staat eine – zwischen dem Sterbewilligen und der zu einer aktiven Sterbehilfe bereiten Person – getroffene verbindliche Vereinbarung für tatbestandliches Unrecht, und somit als dadurch indiziertes rechtswidriges Verhalten, verbindlich festlegt.152 Dass zwar eine lebensverkürzende aktive Sterbehilfe ein Angriff auf das Leben ist, liefert (wie oben unter Art. 2 Abs. II S. 1, 1. Alt GG gezeigt)153 jedoch zumindest dogmatisch noch keine hinreichend zwingende Begründung154 für die strikte Unbeachtlichkeit der Einwilligung des Sterbewilligen und ist allein auf das staatlicherseits gesetzte absolute Tötungsverbot im außerstaatlichen Bereich zurückführbar.155 Jedenfalls zeigt dieser kurze Einschub, dass die grundrechtsdogmatischen Aspekte dieses scheinbar selbstverständlichen strafrechtlichen Verbots aktiver Sterbehilfe differenzierter sind als es üblicherweise den Anschein erweckt.

150 151 152 153 154 155

Vgl. zum Ganzen etwa: Lindner JZ 2006, 373 ff. (S. 374). So etwa Herdegen, Maunz / Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 (2005) Rn. 85. Lindner, a.a.O. Teil I, Kapitel 3, A) I. Vgl. Lindner, a.a.O. Hierzu vertiefend unter Teil II dieser Arbeit.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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Zu 2: Eine Teilnahme am Suizid ist die vorsätzliche (Mit-)Bewirkung eines freien und verantwortlichen Suizids (d.h. Anstiftung oder Beihilfe dazu).156 Der Suizident beendet insoweit seinerseits, lediglich durch Mitwirkung eines anderen hierbei unterstützt, eigenhändig sein Leben. Zu 3: Eine indirekte aktive Sterbehilfe liegt begrifflich vor, wenn sicher bzw. nicht auszuschließen ist, dass eine ärztlich gebotene schmerzlindernde oder bewusstseinsdämpfende Medikation bei einem tödlich Kranken oder Sterbenden als unbeabsichtigte, aber unvermeidliche Nebenfolge den Eintritt des Todes beschleunigt.157 Das Stichwort lautet hier: Sterbebegleitung. Die „Nebenwirkung“ des Todeseintritts wird zwar in Kauf genommen, ist aber als solche gerade nicht intendiert. Die innere Willensrichtung des behandelnden Arztes muss hier vor allem anderen auf die Bekämpfung von beispielsweise Schmerzen oder Atemnot gerichtet sein. Kausal muss die Gabe von Medikamenten tatsächlich den Tod des Patienten herbeigeführt haben, ansonsten läge Leidenslinderung (Palliation) vor, welche ihrerseits nicht mehr als Sterbehilfe, sondern vielmehr als Sterbebegleitung anzusehen wäre.158 Zu sehen ist allerdings das Problem der Doppelwirkung des Vorsatzes, weil ja streng genommen auch die indirekte aktive Sterbehilfe eine Form der aktiven und vorsätzlichen Tötung ist, wenn auch in einer stark reduzierten Vorsatz-Modalität. Vorab sei nur kurz bemerkt, dass bereits die ältere Rspr. diese Form der Sterbehilfe gem. § 34 StGB als gerechtfertigt angesehen hat. Im Rahmen der hierbei gebotenen Rechtsgüterabwägung wurde die durch den ausdrücklichen Patientenwillen abgedeckte Ermöglichung eines würdevollen und schmerzfreien Todes als höherwertigeres Rechtsgut bewertet als die Aussicht, unter schwersten Schmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen.159 Deshalb wurde diese Art der Sterbehilfe nicht unter Strafandrohung gestellt. Allerdings zeigt sich der schmale Grat hin zur Illegalität (und damit ggf. hin zur aktiven direkten Sterbehilfe oder gar zum Totschlag) sofort, wenn sich beispielsweise die Schmerzlinderung außerhalb des palliativmedizinisch vertretbaren Rahmens bewegt. In diesem Fall wäre sie justiziabel (weil fehlerhaft), und es käme entweder zu einer Verurteilung des behandelnden Arztes wegen fahrlässiger Tötung (Behandlungsfehler) oder gar wegen vorsätzlicher Tötung – bestenfalls als Privilegierung einer Verurteilung wegen Tötung auf 156 Vgl. Roxin, Höchstrichterliche Entscheidungen zum Allgemeinen Teil des StGB (1998), S. 159 zu Nr. 5. 157 Fischer, Vor § 211 Rn. 18. 158 Ebenso W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 190). 159 Z.B. BGHSt 42, 301 (305); siehe auch: Saliger, a.a.O. (S. 118) m.w.N.

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Verlangen (aktive Sterbehilfe). Für Missbrauch ist damit kein Spielraum, weil allein die Feststellung solcher Überdosierung bereits zu schwersten Bestrafungen führen kann. Zudem zeigt sich hier eine für den behandelnden Arzt gefährliche, ja sogar diffuse Nähe von indirekter aktiver Sterbehilfe zu den Tötungsdelikten, obwohl sich dieser hinsichtlich der Dosierung zunächst rein quantitative Unterschied oft im Bewusstsein nur als scheinbar geringfügige Nuance manifestiert.

2. Passive Sterbehilfeformen Hiervon äußerlich zu unterscheiden sind die passiven Formen von Sterbehilfe, die sich durch ihren den Sterbevorgang eher begleitenden Charakter auszeichnen. Passiv ist eine Sterbehilfe immer dann, wenn zugelassen wird, dass der Tod des Patienten aufgrund von dessen körperlicher Konstitution krankheitsoder altersbedingt „natürlich“ eintreten kann. Insoweit ist hierunter das Absehen von Beginn oder Fortführung ärztlicher Eingriffe oder lebensverlängernder Maßnahmen gemeint. Das Stichwort lautet hier: Sterbenlassen. Laut BGH setzt Sterbehilfe in diesem Sinne ergänzend immer voraus, dass das Grundleiden des Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in absehbar kurzer Zeit eintreten wird.160 Erst in diesem Stadium soll es gerechtfertigt sein, rechtstechnisch überhaupt von Hilfe für den Sterbenden und Hilfe beim Sterben sprechen zu dürfen.161 Es sind dies: 1. Sterbebegleitung 2. Zulassen des Sterbens

Zu 1: Sterbebegleitung meint begrifflich Maßnahmen, durch die Schmerzen gelindert und der Sterbevorgang erleichtert werden, aber kein lebensverkürzendes Risiko ausgelöst wird.162 Damit sind etwa Beistand, Seelsorge, Schaffung einer vertrauten Umgebung, Trost und eine einfühlsame Betreuung z.B. durch Hospizmitarbeiter gemeint. Zur Sterbebegleitung gehört aber auch die Symptomkontrolle, insb. eine wirksame Schmerztherapie oder Sedierung des Patienten.163 Eine Lebensverkürzung findet weder objektiv statt, noch ist sie subjektiv gewollt. Zu 2: Zulassen des Sterbens bezeichnet ein Sterbenlassen ohne Substitution lebensnotwendiger Körperfunktionen. Das meint ein Sterbenlassen durch den 160 161 162 163

BGHSt 40, 257 (260). Ebenda. Vgl. Putz / Steldinger, a.a.O. (S. 188). Ebenda.

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Abbruch einer ärztlichen Behandlung bzw. Maßnahme bei einem unheilbar erkrankten Patienten. Dogmatisch wird als Zulassen des Sterbens ganz allgemein zwar das Unterlassen weiterer Behandlung aufgefasst, auch wenn die Behandlungseinstellung ihrerseits u.U. genau genommen ebenfalls aktive Handlungen beinhaltet, wie etwa das Abschalten eines Beatmungsgeräts, die Entfernung einer Magensonde oder die Umstellung auf reine Teezuführung (die rechtliche Gleichsetzung von Unterlassen mit aktivem Beenden von lebens- und evtl. leidensverlängernden Maßnahmen wurde in diesem Zusammenhang bekräftigt vom BGH z.B. in der Kemptener Entscheidung.164 Höchstrichterlich wurde diese Gleichsetzung in strafrechtlicher Hinsicht durch den Fall Putz165 geklärt). Man spricht in diesem Zusammenhang von einem „Unterlassen durch Tun“, weil es in der Sache um ein Nicht-Weiterbehandeln geht, unabhängig davon, ob dabei positive Handlungen vorgenommen werden oder nicht. Juristisch gesehen ist diesen Varianten gemeinsam, dass sie von vornherein kein Töten i.S.v. §§ 212 ff. StGB darstellen, weil die Unterlassung weiterer Lebensverlängerung nur dann als Tötung zu werten wäre, wenn der Unterlassende eine Erfolgsabwendungspflicht inne hätte, an der es gerade in diesem Stadium aber fehlt.166

3. Zwischenergebnis und Kritik Allerdings sagt der aktive oder passive Charakter einer etwaigen Sterbehilfe generell noch nichts über deren Rechtmäßigkeit aus. Dennoch ist eine genaue Unterscheidung nicht nur von dogmatischem Interesse. Verallgemeinernd kann hier bereits vorab festgestellt werden, dass regelmäßig rechtlich erlaubt ist, was sich inhaltlich mit dem jeweiligen Willen eines suizidalen Patienten deckt, sei es aktives Tun i.R.e. Beihilfehandlung oder Unterlassen anlässlich eines Behandlungsabbruchs. Jedenfalls ist hinsichtlich aller fünf Arten der Sterbehilfe prinzipiell, d.h. in jedem Fall die vorsätzliche, aktive Tötung – sogar trotz eines entsprechenden zuvor geäußerten Willens des Sterbewilligen – als Tötung auf Verlangen unter Strafe gestellt. Bezweifeln lässt sich dagegen mit einigem Recht, inwieweit die rechtlichen Differenzierungen zwischen aktiv und passiv oder aber zwischen direkt und indirekt die alltägliche Realität bzw. die Besonderheiten der medizinischen Praxis abbilden,167 obgleich beide Differenzierungen gleichermaßen für das 164 165 166 167

BGH NJW 1995, 204 ff. sowie BGH NJW 2003, 1588 ff. BGH NJW 2010, 2963 ff. Vgl. Roxin, a.a.O. (S. 174 Nr. 33), Putz / Steldinger, a.a.O. (S. 189). So etwa Saliger, a.a.O. (S. 119).

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zentrale Paradigma der Patientenselbstbestimmung nicht von Belang sind. Auch kann es nur auf wenig Zustimmung stoßen, wenn im Falle hoher Medikamentendosierung die Grenzziehung zwischen aktiver Sterbehilfe (bis hin zur Tötung auf Verlangen) und indirekter Sterbehilfe, welche i.d.R. straflos ist, vom Nachweis einer Tötungsabsicht abhängig zu machen ist.168 Schließlich entstehen dogmatische Unsicherheiten bei der Auslegung, wenn die Fokussierung auf aktiv bzw. passiv dazu zwingt, Handlungen, die dazwischen liegen – wie das Abschalten eines Beatmungsgeräts – als ein reines Unterlassen zu interpretieren, obwohl im Abschalten selbst beispielsweise unleugbar ein aktivistischer Zug liegt. Solch ein weiter Interpretationsspielraum seitens der Strafrichter und Staatsanwälte hinsichtlich der Abgrenzung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe macht es insbesondere für Ärzte beinahe unmöglich, eine sichere Prognose für die rechtliche Beurteilung ihres beruflichen Verhaltens zu erstellen. Ein Entscheidungsverhalten der Gerichte ist an diesem Punkt oft nicht sicher prognostizierbar. Bis eine neue Rechtslage durch höchstrichterliche Rspr. fest etabliert ist, vergehen oft Jahre – ein für praktizierende Ärzte wie für sterbewillige Patienten unzumutbarer Zustand.

III. Kriterien für einen frei verantwortlich ausgeführten Suizid Auch diesbezüglich ist es umstritten, unter welchen detaillierten Voraussetzungen ein frei verantwortlich ausgeführter Suizid rechtlich einwandfrei angenommen werden kann und man insoweit ohne verbleibendes Restrisiko zu einer etwaigen straflosen Beihilfehandlung hierzu gelangt. Ausgangspunkt ist jedenfalls, dass der Suizid eigenhändig, frei und selbstverantwortlich ausgeführt werden muss. Teilweise wird für die Herleitung eines Beurteilungsmaßstabs schwerpunktmäßig auf die strafrechtlichen Regeln hinsichtlich der Schuldunfähigkeit abgestellt,169 von anderer Seite wird auf die Grundsätze verwiesen, die von der Rspr. hinsichtlich eines ernstlichen Verlangens i.S.v. § 216 StGB entwickelt worden sind.170 Dabei wird auf die ausdrückliche und ernstliche Bestimmung des Täters durch das „Opfer“ abgestellt, wobei ein über eine Einwilligung hinausgehendes eindeutiges Verlangen sowie eine fehlerfreie Willensbildung seitens des „Opfers“ vorliegen müssen, wodurch der Täter kausal zur Ausführung der Tat bestimmt wurde.171

168 169 170 171

Ebenda. Vgl. Roxin / Schroth–Roxin, a.a.O. (S. 105 ff.). Fischer, § 216 Rn. 7 ff. Ebenda.

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Wieder andere stellen schwerpunktmäßig lediglich auf die Grundsätze ab, welche insbesondere zivilrechtlich für die Wirksamkeit einer Einwilligung gelten.172 Demnach wäre ein Suizid lediglich dann nicht mehr frei verantwortlich, wenn er übereilt, unüberlegt oder aus einer momentanen Verstimmung heraus begangen wird, ohne dass es zusätzlich auf ein über eine solche Einwilligung hinausgehendes eindeutiges Verlangen notwendig ankäme. Vorzugswürdig ist es aus Gründen der Rechtssicherheit und im Hinblick auf die Lebensschutzpflicht des Staates und seiner Behörden, auf die strengere Ansicht abzustellen und damit auf eine Zusammenschau aus den genannten Ansichten Bezug zu nehmen. Jedenfalls würde ein Rekurs, der rein auf die Einsicht und Besonnenheit des Suizidenten abstellen würde, eine praktische Rechtsunsicherheit schaffen, die im Grenzbereich zwischen Tötungsstrafbarkeit und Straflosigkeit unerträglich wäre.173 Somit ist die Freiverantwortlichkeit eines Suizids einerseits anhand der Maßstäbe der §§ 20, 21 StGB (analoge Anwendung der Schuldregeln),174 sowie ergänzend mit Hilfe der von der Rspr. hinsichtlich eines ernstlichen Verlangens i.S.v. § 216 StGB aufgestellten Grundsätze herzuleiten und zu bestimmen. Bereits im Wittig-Urteil von 1984 findet sich die dogmatisch strikte Gegenüberstellung eines freiverantwortlich gefassten Suizidentschlusses gegenüber einem auf Willensmängeln beruhenden Tatenschluss des Suizidenten.175 Zudem hat der BGH in einer Entscheidung von 2010176 die Anforderungen i.R.d. § 216 StGB bezüglich der Ernstlichkeit weiter konkretisiert. Der Suizident muss über die nötige Urteilskraft verfügen, um Bedeutung und Tragweite seines Todeswunsches zu überblicken. Zudem muss er frei von Zwang, Drohung oder arglistiger Täuschung handeln, und sein Tötungsverlangen muss im Augenblick der Tat von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen sein, womit der BGH von einer depressiven Augenblicksstimmung abgrenzt. 2011 wurde vom BGH177 die Kategorie der Ernstlichkeit direkt auf die Frage eines freiverantwortlichen Selbsttötungsentschlusses übertragen. Insoweit werden an dieser Stelle die Regeln für eine rechtfertigende Einwilligung zumindest analog herangezogen, so dass an die Verfügung des Suizidwilligen über das eigene Leben im Ergebnis keine geringeren Anforderungen gestellt werden können, als dies bei der Einwilligung in einer Körperverletzung der Fall ist. 172 173 174 175 176 177

Siehe auch Roxin / Schroth–Roxin, a.a.O. (S. 105 ff.). Ebenda. Vgl. Saliger, a.a.O. (S. 146). Vgl. BGHSt 32, 367 (376). Fall Putz, BGHSt 55, 191 ff. BGH NStZ 2012, 319 (320).

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IV. Kriterien für eine straflose Beihilfe zum Suizid Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die vorsätzliche Bewirkung eines freien und verantwortlichen Suizids straflos ist, weil es einerseits bereits an einer nach dem Grundsatz der limitierten Akzessorietät (§§ 26, 27 StGB) erforderlichen tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Haupttat des Suizidenten fehlt. Kriterium hierbei ist, dass der Beihelfer bewusst und gewollt bei dem freiverantwortlichen Suizid „hilft“, ohne allerdings die final zum Tode führende Tötungshandlung selbst vorzunehmen, sowie ohne dass die Tötungshandlung selbst bereits abgeschlossen ist bzw. der Sterbeprozess bereits begonnen hat.178 Andererseits ändert sich der Sachverhalt unmittelbar, wenn beispielsweise der angestiftete Suizident schuldunfähig war oder mittels Täuschung oder Drohung zur Selbsttötung bestimmt worden ist. Im einschlägig berühmt gewordenen sog. Sirius-Fall179 lag etwa der Sachverhalt zugrunde, dass dem völlig hörigen Opfer vorgeschwindelt wurde, jemand sei Bewohner des Sternes Sirius und könne ihr zu neuem und höherem Leben verhelfen. Dies sei der Fall, wenn das Opfer sich zuvor rein äußerlich von dem alten Körper trenne. Darum sollte das Opfer, allerdings erst nachdem auf den Täter als Bezugsberechtigten eine Lebensversicherung i.H.v. 500.000 DM abgeschlossen worden war, einen Fön in die Badewanne fallen lassen. Das Opfer war in dem Glauben, nach der Tötung des alten Körpers stehe in einem roten Raum am Genfer See ein neuer Körper für ein neues und höheres Leben bereit. Der Gedanke an einen finalen Suizid im eigentlichen Sinne war dem Opfer deshalb zu keinem Zeitpunkt gekommen. Vielmehr lehnte das Opfer eine echte Selbsttötung für sich sogar ab, weil der Mensch als solcher kein Recht dazu habe. Zwar befolgte das Opfer die Anweisungen exakt, allerdings misslang die „Selbsttötung“ mittels des Föns. In dieser Entscheidung ging es somit um die Abgrenzung von einer Tötung in mittelbarer Täterschaft und einer strafloser Teilnahme am Suizid vor dem Hintergrund eines Irrtums über den Handlungssinn. Im SiriusFall fiel deshalb die Abgrenzung zwischen einer straflosen Selbsttötungsteilnahme und einer (versuchten) Tötungstäterschaft zu Lasten des scheinbaren „Anstifters“ aus, weil dieser wegen der bewussten Täuschung über den Handlungssinn der Selbsttötung des Opfers kraft überlegenen Wissens der eigentliche Herr des Geschehens war und bis zum Ende auch blieb. Denn mittels seiner Täuschung hatte der Hintermann im Sirius-Fall das Opfer in Wahrheit nach seinem Willen gelenkt und faktisch zum Werkzeug gegen sich selbst instrumentalisiert, so dass die eigentliche Tatherrschaft ihm zuzurechnen war. 178 Zu den an dieser Stelle gebotenen dogmatischen Abgrenzungen später unter Teil I, Kapitel 3 C) V. 179 BGHSt 32, 38 ff.

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V. Innere strafrechtsdogmatische Begründungslogik der Straflosigkeit von Suizid, Suizidversuch und Teilnahme am Suizid Im Folgenden wird die dogmatische Struktur bezüglich der Straflosigkeit von Suizid und Suizidversuch sowie der Teilnahme am Suizid untersucht.

1. Suizid / Suizidversuch Wie weiter oben bereits zum Teil ausgeführt, ergibt sich die prinzipielle Straflosigkeit dieser Handlungen aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Willen des historischen Gesetzgebers hinsichtlich der strafrechtlichen Tötungsdelikte. Die §§ 211 ff. StGB sprechen von der Tötung eines anderen Menschen. Außerdem würde ein Strafmaß nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe gegenüber einem erfolgreichen Suizidenten keinen Sinn machen, da infolge des Todeseintritts ein strafprozessuales Strafverfahren von Amts wegen erst gar nicht zu eröffnen wäre. Allenfalls eine Abschreckungswirkung gegenüber im Versuchsstadium steckenbleibenden Suizidenten – infolge ihres unbeabsichtigten Überlebens – wäre zu konstatieren. Diese würden dann zur Vermeidung strafrechtlicher Folgen vielfach im Falle einer unbedingten Selbsttötungsabsicht Zuflucht in einen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgreich endenden sog. „Brutalsuizid“180 nehmen, dabei aber die hohe Wahrscheinlichkeit der Verletzung unbeteiligter Dritter in Kauf nehmen müssen. Hierbei blieben die aus dem Leben geschiedenen Verursacher ebenfalls ohne strafrechtliche Sanktionen (s.o.), was für die Hinterbliebenen der „Kollateralschadensopfer“ angesichts eines solchen Brutalsuizids neben dem Verlust ihrer Angehörigen eine weitere unzumutbare Härte bedeuten würde. Ansonsten kommt eine Strafbarkeit eines Suizidversuchs auch deshalb nicht in Betracht, weil eine vollendete Selbsttötung bereits nicht unter §§ 211 ff. StGB fällt und der vollendete Suizid insoweit kein Verbrechen i.S.v. §§ 23 Abs. I StGB i.V.m. 12 Abs. I StGB darstellt. Selbst wenn man „nur“ ein „Vergehen“ i.S.v. § 12 Abs. II StGB annähme, müsste die Strafbarkeit eines solchen Vergehens ausdrücklich in einem Gesetz bestimmt werden, wie dies § 23 Abs. I StGB verbindlich vorschreibt. Ein solches Gesetz existiert aber augenblicklich nicht, so dass es bereits an der Basis für die Annahme eines tatbestandlichen Suizidversuchs mangelt. Alles andere verstieße im Übrigen gegen den in § 1 StGB verankerten Grundsatz „Nulla poena sine lege“, welcher gerade auch das geltende Rechtsstaatsprinzip verkörpert und darum an die allererste Stelle innerhalb des StGB gesetzt wurde. 180 Vergleiche zu diesem Phänomen die Parallelproblematik i.R.v. § 217 StGB n.F. in Teil III, 4.

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Zusätzlich liefe die Strafbarkeit eines Suizidversuchs (aber auch eines Suizids) der Systematik innerhalb der Tötungsdelikte zuwider. Dies zeigt sich bei einem Vergleich der beiden Strafmaße von §§ 216 und 212 StGB. Eine gegenüber einem Totschlag privilegierte Tötung auf Verlangen verhängt ein Strafmaß von sechs Monaten bis zu fünf Jahren gegenüber dem „Helfer“, wohingegen § 212 StGB für einen einfachen Totschlag einen Strafrahmen von nicht unter 5 Jahren vorsieht. Für einen Suizidversuch, den man etwa unter § 212 StGB subsumieren müsste, käme es dann lediglich gem. §§ 23 Abs. II, 49 Abs. I Nr. 3 StGB zu einer fakultativen Strafmilderung von einer Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren – was angesichts des viel milderen Strafmaßes einer Tötung auf Verlangen in § 216 StGB ein unhaltbares Ergebnis wäre.181

2. Suizidteilnahme Aus dem Nichtvorhandensein einer derartigen Sonderregelung – mindestens bis Inkrafttretens von § 217 StGB n.F. – im StGB folgt einerseits die systematische Straflosigkeit der Teilnahme an einem Suizid. Außerdem wurde bereits gezeigt, dass mangels der strafrechtlichen Tatbestandsmäßigkeit einer Selbsttötung sowie des Versuchs hierzu es bereits an einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat fehlt, anhand derer eine Teilnahmestrafbarkeit abgeleitet werden könnte. Es fehlt somit schlicht an einer tatbestandsmäßigen Haupttat, von der eine Teilnahmestrafbarkeit kausal abgeleitet werden kann. Insoweit der freiverantwortliche Suizident selbst also keinerlei strafrechtlich relevantes Rechtsgut verletzt, kann auch ein Teilnehmer unter rein logischer Betrachtung kein entsprechendes Rechtsgut verletzen.

VI. Vorläufige Abgrenzungskriterien zwischen Teilnahme und Täterschaft des „Beihelfers“ Hierbei soll es vor allem um eine erste Verortung von Zurechnungsfragen und um die vorläufige Herausarbeitung von greifbaren Kriterien im Bereich von Suizid und Suizidbeteiligung gehen. Denn eine vermeintlich straflose ärztliche Beihilfe zum Suizid kann sich bereits anlässlich kleinster Modifikationen des „idealtypischen Sachverhalts“, oft in Unkenntnis der Rechtslage, sehr leicht unter der subjektiv helfenden Hand des Arztes in einen rechtswidrigen Straftatbestand „verwandeln“.182 Die Strafbarkeit einer „Suizidbeihilfe“ beginnt, wenn sich der „Beteiligende“ vorsätzlich eine eigene Tatherrschaft über den suizidalen Geschehensablauf 181 Ähnlich, Saliger, a.a.O. (S. 131 ff.). 182 Dies wurde oben im Rahmen der indirekten aktiven Sterbehilfe bereits angesprochen.

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verschafft, beispielsweise wenn er kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfassen kann als der sich selbst Gefährdende. In solchen Fällen wird sein Beitrag regelmäßig als (mittelbar) täterschaftliches Handeln und damit als Fremdtötung gewertet,183 d.h. die Tötungshandlung wird u.U. etwa dem behandelnden Arzt zugerechnet, falls der tatsächlich handelnde Suizident lediglich als sog. „gegen sich selbst handelndes fremdbestimmtes Werkzeug“ bewertet wird. In § 25 Abs. I 2. Alt. StGB ist die Möglichkeit der Begehung einer eigenen Straftat durch einen anderen ausdrücklich vorgesehen. Aber auch eine aktive Täterschaft ist etwa in Fällen einer unbedachten Überdosierung der Medikamente i.R.e. palliativmedizinischen Sterbebegleitung denkbar (s.o.), so dass die begleitende Hilfe beim Sterben wenigstens zu einer eigenhändigen aktiven Hilfe zum Sterben, wenn nicht gar fahrlässigen Tötung, umgewertet würde. Die Ärzteschaft ist darum per definitionem als Berufsstand stets mit einem überlegenen Sachwissen (gegenüber einem in der Regel laienhaften Patientenwissen) ausgestattet und insoweit für derartige Strafbarkeitsvorwürfe prädestiniert. Es gelten hohe Sorgfaltsmaßstäbe. Verallgemeinernd gilt, dass die Straflosigkeit einer „Suizidteilnahme“ dort ihre Grenze finden muss, insoweit es an der Freiverantwortlichkeit oder gar dem eigenhändigen Vollzug der unmittelbar zum Tode führenden Handlung durch den Suizidenten fehlt. Die wertende Auslegung hinsichtlich der Frage, wer tatsächlich im Einzelfall die finale Tötungshandlung ausgeführt hat, zeigt eine nahezu spitzfindig zu definierende Grenze an, anhand derer sich eine strafbare Täterschaft und die straflose Teilnahme am Suizid unter Umständen nur um Haaresbreite voneinander unterscheiden lassen.184 Wie die Existenz von § 216 StGB bezeugt, spricht allein der Umstand, dass der Suizident seinerseits über vollständige Risikokenntnis und den eigenverantwortlichen Willen zur Selbstschädigung verfügt, für sich betrachtet noch nicht ohne weiteres gegen eine täterschaftliche Stellung des „Beteiligten“ und damit für dessen Rechtfertigung. Entscheidendes Kriterium zur Abgrenzung einer straflosen Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung bzw. Gefährdung von einer strafbaren Fremdschädigung ist darum allein die Überschreitung der strafrechtlichen Grenzlinie zwischen Täterschaft und Teilnahme, wobei der Bereich der bloßen Teilnahme i.R.e. Suizidassistenz als Besonderheit mindestens bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. strafrechtlich nicht geahndet wurde.

183 Fischer, Vor § 211 Rn. 10c. 184 Ähnlich W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 194).

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Nach der Rspr. des BGH ist diese Grenze anhand einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ziehen und anhand dieser zu entscheiden, ob der „Beteiligte“ i.R.d. Vollzugs des Gesamtplans etwa seinerseits lediglich als Werkzeug einer sich selbst gefährdenden Person fungiert (und damit Teilnehmer bleibt) oder aber über eine täterschaftliche Gefährdungsherrschaft verfügt (und damit als Täter bewertet wird).185 Hierbei ist zunächst eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche zwischen dem Suizidenten und dem „Helfer“ anhand des Eigenverantwortlichkeitsprinzips vorzunehmen. Nach dem BGH186 sind dabei die Regeln der §§ 25 ff. StGB zumindest analog anzuwenden. Zudem bestimmt sich diese Abgrenzung auch nach äußeren Kriterien (s.o.), ebenso wie an dem Anteil am Tatgeschehen. Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ist abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten (Beweisproblematiken etc.) auch rechtsdogmatisch seit jeher umstritten. Von der Rspr. wird die „subjektive Theorie“ vertreten, anhand derer an die Willensrichtung und damit an die innere Einstellung des Beteiligten zur Tat angeknüpft wird: Als Täter wird bewertet, wer mit Täterwillen (animus auctoris) handelt und die Tat darum als eigene will. Demgegenüber ist Teilnehmer, wer mit Teilnehmerwillen handelt und die Tat lediglich als fremde veranlassen oder fördern will (animus socii).187 Inzwischen hat sich die Rspr. aber der Literatur188 angenähert, nach der Tatherrschaft das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs bedeutet (Tatherrschaftslehre). Zwar hält auch die neuere Rspr. noch an der subjektiv orientierten Auslegung fest, aber sie erfährt eine deutliche Objektivierung, indem sie inzwischen selbst die subjektive Einstellung zur Tat anhand einer wertenden Gesamtbetrachtung beurteilt. Anhaltspunkte dabei sind der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft bzw. der Wille zur Tatherrschaft (subjektive Theorie auf objektiv-tatbestandlicher Grundlage),189 Die Tatherrschaft tritt demnach bei einem unmittelbar selbst Tätigwerden als Handlungsherrschaft und bei der mittelbaren Täterschaft als Willensherrschaft des Hintermanns oder dessen Herrschaft kraft überlegenen Wissens auf. Eine Mittäterschaft ist bei Suizidfällen allerdings ausgeschlossen.

185 186 187 188 189

Hierzu Fischer, Vor § 211 Rn. 10c. BGHSt 19, 135 ff. (137). Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT (44. Aufl., 2015) Rn. 748. Ebenda m.w.N. S.o.

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Kennt der Dritte also sicher die mangelnde Freiverantwortlichkeit der zum Suizid entschlossenen Person und führt er dennoch eine den Suizid unterstützende Teilnahmehandlung aus, macht er sich wegen Totschlags (wenn nicht ausnahmsweise sogar wegen Mordes) in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 211 ff. i.V.m. 25 Abs. I 2. Alt StGB strafbar. Irrt der Dritte lediglich über die tatsächlich nicht vorliegende Freiverantwortlichkeit des Suizidenten, kommt mangels Vorsatzes i.S.v. § 16 Abs. I StGB lediglich eine evtl. Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht, vorliegend aus § 222 StGB – falls der Irrtum erkennbar gewesen wäre.

VII. Weitere systematische StGB-immanente Hauptproblemstellungen hinsichtlich einer ärztlichen Suizidassistenz Die bisherige Rspr. des BGH erkannte die grundsätzliche Straffreiheit auch der professionalisierten Suizidteilnahme, etwa in Form der ärztlichen Assistenz zum Suizid im Prinzip an – wobei § 217 StGB n.F. in jedem Fall eine Zäsur bedeutet. Weiterhin ergeben sich neben der „Umwidmung“ einer suizidalen Teilnahme in eine (mittelbare) Täterschaft oder eine fahrlässige Tötung zur weiteren Orientierung vorab insbesondere die folgenden problematischen strafrechtlichen Aspekte: 1. Undifferenziertes Bejahen einer Rettungspflicht im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte aufgrund der Garantenstellung als Arzt und der damit verbundenen Handlungspflicht wegen einer besonderen Beziehung zum Suizidenten (Abgrenzung zum unechten Unterlassungsdelikt). 2. Auslegung jedes „Suizids“ als Unglücksfall i.S. von § 323c StGB und damit Strafbarkeit des Arztes bei einer Nichtverhinderung des Todeseintritts aus diesem echten Unterlassungsdelikt (Abgrenzung zum echten Unterlassungsdelikt). 3. Trotz der systematisch gebotenen Straflosigkeit einer fahrlässigen Bewirkung eines freiverantwortlichen Suizids (erst-recht-Argument aus der Straflosigkeit einer vorsätzlichen Bewirkung; vgl. § 15 StGB) kann u.U. aus der Garantenstellung des Arztes bereits eine Garantenpflicht bei fahrlässiger aktiver Verursachung eines nicht frei verantwortlichen Suizids als Begründung einer Sorgfaltspflichtverletzung i.R.v. § 222 190 StGB herangezogen werden (Abgrenzung zur fahrlässigen Tötung).

190 So etwa, BGH, JR 1979, 429 ff. (sog. Jetrium-Fall); dagegen BGHSt 24, 342 ff.

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D) Herausarbeitung eines roten Fadens – Definitionen, Grundannahmen, Tendenzen, Brüche (immanente Widersprüche) Nach dem soeben gegebenen kurzen Überblick über die Reichweite des Grundsatzes der Straflosigkeit von Suizid und Suizidteilnahme in Abgrenzung zu den in Betracht kommenden strafbaren täterschaftlichen Begehungsformen soll diese Abgrenzung nun konkret unter Berücksichtigung einiger einschlägiger und richtungsweisender Grundsatzurteile präzise begrifflich abgegrenzt werden. Ausnahmsweise muss man in diesem Bereich untypischerweise von einem faktischen Case-law in Bezug auf das Sterbehilferecht und die hierdurch gebotenen Modifikationen in der strafrechtlichen Rechtsanwendung sprechen. In der Aufspaltung zwischen einer täterschaftlichen und nur teilnehmenden Mitwirkung am Suizid wird kein bloßer juristischer Formalismus praktiziert. Vielmehr drückt sich in dieser Unterscheidung bereits inhaltlich aus, dass der rein teilnehmende Suizidhelfer noch in der Peripherie des Tötungsgeschehens verblieben ist und allein deshalb eine günstigere Beurteilung verdient hat.191 Allerdings ist mit der rein tatbestandlichen Annahme einer Täterschaft für den „Suizidbeteiligten“ vorerst noch keine definitive Aussage über die Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit dieses Verhaltens getroffen – so dass das zwar strafrechtlich relevante Verhalten letztlich im Ergebnis und im Einzelfall dennoch gerechtfertigt oder entschuldigt sein kann.192

I. Annahme einer täterschaftlichen Fremdtötung seitens der Rspr. – insbesondere die Fälle Wittig, Hackethal und Putz Im Folgenden soll die Beihilfe zum Suizid von den in Betracht kommenden strafbaren täterschaftlichen Begehungsformen unter Berücksichtigung einiger einschlägiger und richtungsweisender Grundsatzurteile begrifflich abgegrenzt werden.

1. Tötung durch Unterlassen (unechtes Unterlassungsdelikt) Weitere Strafbarkeitsrisiken können sich für Suizidteilnehmer u.U. aus Unterlassungsstrafbarkeiten ergeben, wenn entweder eine Selbsttötung als solche nicht verhindert wird oder nach einem misslungenen Selbsttötungsversuch keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden und dem Suizidteilnehmer dabei eine sog. Garantenstellung zukommt. Zunächst wird also die sog. unechte Unterlassungstäterschaft in Abgrenzung zu den sog. echten Unterlassungsde191 Vgl. Herzberg, NJW 1986, 1635 ff. 192 Hierzu auch Herzberg, NJW 1996, 3043 ff.

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likten untersucht sowie die vom BGH hierbei bis vor kurzem undifferenzierte Bejahung einer Rettungspflicht aufgrund einer insb. ärztlichen Garantenstellung kritisch dargestellt. Echte Unterlassungsdelikte sind Straftaten, die sich im Verstoß gegen eine ausdrücklich im StGB enthaltene Gebotsnorm und damit im bloßen Unterlassen einer ausdrücklich vom Gesetz geforderten Tätigkeit erschöpfen.193 Entscheidend ist bei den echten Unterlassungsdelikten allein das Unterlassen des rechtlich ausdrücklich gebotenen Tuns, unabhängig von den konkreten Folgen (Gefährdungsdelikt). Bei den vorliegend zu untersuchenden unechten Unterlassungsdelikten handelt es sich demgegenüber um Straftaten, bei denen der Unterlassende als „Garant“ zur Erfolgsabwendung verpflichtet ist und bei denen das Unterlassen spiegelbildlich wertungsmäßig der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein aktives Tun gem. § 13 StGB entspricht.194 Der Eintritt des vom Gesetzgeber missbilligten Erfolgs gehört hier zum Unrechtstatbestand (Erfolgsdelikt). Ein Garant, der die ihm als solchem obliegende Pflicht zur Erfolgsabwendung durch Unterlassen verletzt, verwirklicht zwar einen Tatbestand, der im Gesetz ausdrücklich als Begehungsdelikt ausgestaltet ist, jedoch setzt § 13 StGB in diesen Fällen (Erfolgsabwendungspflicht infolge Garantenstellung) das Tun dem Unterlassen gleich, so dass in solchen Fällen wertungsmäßig ein Tun durch Unterlassen vorliegt. In den hier relevanten Suizidfällen können sich Garanten insbesondere wegen Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212, 13 StGB strafbar machen, wenn sie einen eindeutig erkennbar nicht freiverantwortlichen Suizid vorsätzlich geschehen lassen oder in der gleichen Ausgangslage rettende Eingriffe nach dem Suizidversuch vorsätzlich unterlassen.195 Gleiches gilt jedoch regelmäßig auch für einen freiverantwortlich begonnenen Suizidversuch, sobald ein Sinneswandel des Suizidenten z.B. durch Hilferufe erkennbar wird.196 Soweit ein Garant die Unfreiheit des Suizidenten sorgfaltspflichtwidrig nicht erkennt, ist eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen aus §§ 222, 13 StGB denkbar (s.o.). Die Gleichstellung von Tun und Unterlassen setzt nach § 13 StGB voraus, dass der Unterlassende Garant für die Abwendung des Erfolgs ist, d.h. aufgrund einer besonderen Pflichtenstellung rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandliche Erfolg gerade nicht eintritt. Die einzelnen Umstände, welche diese Garantenstellung begründen, wurden im Laufe der Zeit von der Rspr. als 193 194 195 196

Vgl. BGHSt 14, 280 (281); ausdr. z.B. §§ 123 I 2. Alt; 138, 323c StGB. Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT Rn. 983 ff. Siehe auch Saliger, a.a.O. (S. 149). NK–Neumann StGB Vor § 211 Rn. 82.

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sog. ungeschriebene Tatbestandsmerkmale entwickelt.197 Wenn auch nicht gänzlich unumstritten, wird inzwischen angenommen, dass sich eine strafrechtlich relevante Garantenstellung aus Gesetz, Gewohnheitsrecht, Vertrag, vorausgegangenem gefährdendem Tun und enger Lebensbeziehung ergeben kann.198 In einer Vielzahl der begangenen Suizide geht rein technisch dem Eintritt des Todes eine mehr oder weniger lange Phase der Handlungsunfähigkeit seitens des Suizidenten voraus. In dieser Phase kann unter Annahme einer Garantenpflicht der bis dahin lediglich suizidbeteiligte Arzt kraft einer hierdurch möglicherweise aufkommenden temporären Tatherrschaft (ab dem Zeitpunkt der Handlungsunfähigkeit des Suizidenten) durch seine Anwesenheit in der Rolle als Arzt einen Tatherrschaftswechsel konstituieren und so strafrechtlich gar zum Unterlassungstäter „umgewidmet“ werden. Kritisch ist anlässlich dieser rechtlichen Konstruktion anzumerken, dass ein solcher Tatherrschaftswechsel hiernach allein vom Willen und aktiven Handeln des Suizidenten abhängt, so dass sich der BGH im Ergebnis mit seiner eigenen Dogmatik – nämlich der ausschließlich nach subjektiven Faktoren zu bestimmenden Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme – in einen unlösbaren Widerspruch verwickelt(e). Hinzu kommt, dass eine generelle, d.h. ohne Anknüpfung an den Bewusstseinszustand des Suizidenten – und damit stets zum Einschreiten verpflichtende Garantenpflicht – in jedem Stadium, damit auch bereits vor dem Eintritt der Bewusstlosigkeit und dem damit verbundenen Tatherrschaftswechsel, eine Garantenpflicht des Dritten, unabhängig vom Willen des Suizidenten, zur Abwendung des Suizids mitkonstituiert. In der unter der Fußnote 198 bereits erwähnten „leading-case-Entscheidung“ des BGH in BGHSt 2, 150 ff. lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Ehemann der nachfolgend angeklagten Ehefrau war im Begriff, sich das Leben durch Erhängen selbst zu nehmen. In bereits bewusstlosem, aber noch im Stadium der Rettungsfähigkeit befindlichem Zustand fand die Ehefrau den Ehemann, wobei sie diese Ausgangslage realistisch und richtig einschätzte. Darum ließ sie ihn hängen, obwohl sie dessen Leben durch einfaches Durchschneiden des Seils problemlos hätte retten können. Der BGH stellte damals den Leitsatz auf, dass, wer eine Rechtspflicht199 hat, Lebensgefahr von einem anderen nach Kräften abzuwenden, und diese Pflicht kennt, die Selbsttötung aber trotzdem nicht hindert, obwohl er es könnte – je nach innerem Willen und 197 Vgl. etwa BGHSt (GrS) 16, 155 ff. (158). 198 Vgl. BGHSt 2, 150 ff. – auch als sog. „leading case“ der BGH-Rechtsprechungstradition im Bereich des Sterbehilferechts angesehen. 199 Nach dem BGH besteht eine solche Rechtspflicht für Ehegatten in ehelicher Lebensgemeinschaft.

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Haltung zur Todesfolge – in der Regel einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung schuldig ist. Insoweit hat der BGH hier eine Strafbarkeit der Ehefrau als Garantin wegen eines Tötungsdeliktes angenommen; je nach Willensrichtung mindestens jedoch aufgrund fahrlässiger Tötung. Eine Relativierung der Rettungspflicht durch den Todeswunsch hat der BGH ausdrücklich ausgeschlossen, so dass der Sterbewunsch des Ehegatten im Ergebnis von Anfang an unbeachtlich war, spätestens sobald ein garantenpflichtiger Dritter hinzukam. Eine Entscheidungsbefugnis über das Ob und Wie des eigenen Todes wurde dem Suizidenten mithin nach dieser Rechtsprechung komplett abgesprochen; vielmehr wurde ihm eine Pflicht zum unbedingten Weiterleben aufgezwungen. In der Folge hat der BGH allerdings diese strenge Linie immer weiter liberalisiert. In BGHSt 13, 162 ff. (sog. Hammerteich-Fall) hat der BGH eine erste Haftungseinschränkung vorgenommen, wonach ein den Todeswunsch des Suizidenten anerkennender Garant trotz später eintretender Tatherrschaft – mangels Täterwillen – als bloßer Gehilfe anzusehen sein kann. Insoweit hat der BGH sich wieder den selbst aufgestellten allgemeinen Regeln der Teilnahmelehre200 angenähert. Allerdings darf der Garant das vom Suizidenten selbstständig herbeigeführte Geschehen zu keinem Zeitpunkt beherrschen wollen, mithin muss ihm der Täterwillen gänzlich fehlen und er muss sich dem Willen des Suizidenten beugen und vollständig unterordnen.

a) Der Fall Wittig Strittig ist aktuell immer noch, ob und inwieweit aufgrund von unterlassenen Rettungsbemühungen nach einem freiverantwortlichen Suizidversuch den daran beteiligten Ärzten oder anderen Dritten Strafbarkeitsrisiken etwa wegen Totschlags durch Unterlassen drohen.201 Trotz der stetigen Liberalisierungstendenz des BGH ist der Fall Wittig202 hierbei von einiger Bedeutung und Auslöser der Frage, ob und inwieweit die Rspr. im Fall Wittig203 noch gegenwärtig Geltung beanspruchen kann. Vom Sachverhalt her lag der Fall so, dass eine alte Frau, die an hochgradiger Verkalkung der Herzkranzgefäße und an Gehbeschwerden litt, des Lebens überdrüssig war und aus dem Leben scheiden wollte. Der behandelnde Arzt fand die alte Frau anlässlich eines Hausbesuchs bewusstlos auf ihrer Couch, unter ihren gefalteten Händen lag ein Zettel, auf dem sie handschriftlich vermerkt hatte: „An meinen Arzt – bitte kein Kranken200 201 202 203

Vgl. hierzu Teil I, Kapitel 3 C) V. und VI. Ähnlich Saliger, a.a.O. (S. 150). BGHSt 32, 367–381; NStZ 1985, 119 ff.; JuS 1985, 238 Nr. 11. Urt. v. 4.07.1984 – 3 StR 96/84.

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haus – Erlösung!“ Der behandelnde Arzt erkannte, dass die alte Frau eine Überdosis Morphium und Schlafmittel genommen hatte und ging davon aus, dass ihr Leben jedenfalls nicht ohne schwere Dauerschäden zu retten sei. Das Wissen um den immer wieder geäußerten Selbsttötungswillen und die vorgefundene Situation veranlassten ihn, nichts zu ihrer Rettung zu unternehmen. In aller Kürze referiert, hat der BGH in dieser Entscheidung von 1984 die Fragen nach der Abgrenzung von Suizidbeihilfe zur Tötung auf Verlangen hinsichtlich der Garantenstellung des Arztes und der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens nochmals neu aufgerollt. Zugleich ging es um die Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein behandelnder Arzt, der seinen Patienten nach einem versuchten Suizid bewusstlos antrifft – dabei aber unwiderleglich davon ausgeht, dass der Patient ohne schwere Dauerschäden nicht zu retten sei – sich strafbar macht, wenn er infolge dieses Wissens und der Kenntnis des wiederholt geäußerten Selbsttötungswillens nichts zur Rettung unternimmt. Es lag aus Sicht des Arztes ein klares Spannungsverhältnis zwischen dem Lebensschutz einerseits und der Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten andererseits vor. Damit befand sich der Arzt in einer klassischen Konfliktsituation, die er persönlich nur mit einer ärztlichen Gewissensentscheidung einseitig zugunsten eines der betroffenen Rechtsgüter auflösen konnte. Die Besonderheit dieses Falles liegt auch darin, dass er zugleich Elemente der ärztlichen passiven Sterbehilfe wie auch solche der aktiven Suizidbeteiligung beinhaltet.204 Außerdem akzentuiert diese Entscheidung wesentliche strukturelle Begrifflichkeiten, anhand derer überhaupt erst weitere an die Grundproblematik anschließende, ebenfalls höchstrichterlich entwickelte Fragestellungen und Entscheidungen entwickelt wurden. Insoweit handelt es sich um eine sog. Grundlagenentscheidung – trotz weiterhin bestehender Kritikpunkte. Der 3. Strafsenat des BGH verneinte im Ergebnis zwar eine Strafbarkeit des Arztes unter Hervorhebung der zu respektierenden ärztlichen Gewissensentscheidung in einer Konfliktsituation zwischen Lebensschutz und Achtung des Selbstbestimmungsrechts.205 Gleichwohl bejahte der BGH in dieser Entscheidung nach wie vor eine strafbewehrte Rettungspflicht des garantenpflichtigen Arztes nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des freiverantwortlichen Suizidenten infolge des eingetretenen Tatherrschaftswechsels.206 Somit vertrat der BGH, dabei ganz der Linie von BGHSt 6, 147 ff. (153) (sog. Gurt-Fall) folgend, noch 204 Hierzu W. Gropp, NStZ 1985, 97 ff. 205 BGHSt 32, 367 ff. (380 ff.). 206 Ebenso Saliger, a.a.O. (S. 150).

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immer die Auffassung, dass ein freiverantwortlicher Suizid den Garanten nicht aus seiner Garantenstellung entlassen könne, weil ja eine spontane adäquate Interpretation des Geschehens seitens des Arztes in der konkreten Situation a priori unmöglich sei. Bereits im soeben erwähnten Gurt-Fall von 1960 ging der BGH von einer Unmöglichkeit der adäquaten Interpretation des Geschehens aus, weil dem hilfepflichtigen Arzt, der den Suizidenten in Lebensgefahr oder Todesnot vor sich sieht, nicht „anzusinnen“ sei, erst langwierige und in der Regel fruchtlose Überlegungen anzustellen, ob der Suizident seine Tat zu Recht oder zu Unrecht, kraft freier Entschließung oder in geistiger Umnachtung gewagt hat und ob er noch daran festhält oder nicht.207 Außerdem wurde dem Kriterium des Tatherrschaftswechsels und damit der (nur zufälligen) Tatherrschaft des untätig Hinzutretenden weitere rechtliche Relevanz dadurch verliehen, dass subjektiven Faktoren bei der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme noch immer keine Bedeutung beigemessen wurde. Nach dieser TatherrschaftsLösung ist also anzunehmen, dass, solange der lebensmüde Mensch das Geschehen noch beherrscht, der Garant mangels eigener Tatherrschaft zwar tatsächlich strafloser Gehilfe sei; nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des Moribunden würde der Garant aber strafrechtlich zum „Täter“ i.S.e. eines Tuns durch Unterlassen. Hiernach wird rein dogmatisch betrachtet der anfänglich nur rein zufällig zum Suizid hinzukommende Arzt „Beteiligter“ kraft einer rein wertend angenommenen Tatherrschaft sowie einer zugleich ebenso wertend unumschränkt angenommenen Garantenpflicht zum Unterlassungstäter. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass der Suizident aufgrund der zwangsläufig eintretenden Bewusstlosigkeit endgültig nicht mehr von der eigenhändig verursachten und in Gang gebrachten Kausalkette hin zu einem beendeten und zugleich vollendeten Suizid sozusagen „zurücktreten“ kann. Ein systematischer Blick auf die Rücktrittsvorschrift in § 24 Abs. I StGB zeigt aber sogleich, unabhängig davon, ob der Versuch beendet oder unbeendet ist, dass es um die weitere Ausführung einer „Tat“ gehen muss, deren weitere Ausführung bzw. Vollendung verhindert wird. Gemäß § 11 Abs. I Nr. 5 StGB kommen als Taten i.S.d. StGB allerdings lediglich strafrechtswidrige Taten in Betracht, d.h. solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. Obige dogmatische Konstruktion unterstellt aber unter direkter bzw. analoger Hinzuziehung der Rücktrittsvorschriften, dass es sich bei einem Suizid mindestens um eine rechtswidrige Tat im Sinne des StGB handeln muss, wobei hier lediglich eine Subsumtion 207 BGHSt 6, 147 ff. (153).

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unter § 212 StGB in Betracht käme. Diese Ansicht wurde in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 1933 – 1945 zum Teil vertreten (s.o.). Daraus erklären sich im Übrigen die verschärfenden Gesetzesentwürfe in dieser Zeit, nach denen geplant war, jede „Verleitung“ (= Anstiftung) zum „Selbstmord“ unter Strafandrohung zu stellen.208 Eine gewisse Annäherung an diese Denkrichtung im Rahmen der derzeit aktuellen Fassung von § 217 StGB n.F. ist bei unbefangener Betrachtung und auf den ersten Blick nicht gänzlich von der Hand zu weisen.209 Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich der BGH mit der WittigEntscheidung zur Begründung der Straffreiheit des Arztes lediglich auf eine Minimallösung eingelassen hat. Die von dem behandelnden Arzt erkannte suizidale Situation brachte diesen in einen ärztlichen Gewissenskonflikt, wobei er zwischen den beiden oben genannten Rechtsgütern einseitig auf Kosten des anderen eine finale Entscheidung fällen musste. Welcher Verpflichtung hinsichtlich welchen Rechtsgutes im Kollisionsfall der Vorrang gebühre, unterliegt anhand dieser Entscheidung allein pflichtgemäßer ärztlicher Entscheidung, die allerdings nicht von Rechts wegen a priori als unvertretbar angesehen werden könne.210 Dogmatisch beruht dieser Freispruch mithin ausdrücklich nicht auf dem Paradigma einer „Straffreiheit der Teilnahme am freiverantwortlichen Suizid“; diese wurde erst gar nicht Gegenstand des Urteils. Es blieb somit auch in dieser Entscheidung ein offener Wertungswiderspruch zu der vom Gesetzgeber eigentlich intendierten prinzipiellen Straflosigkeit der Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid bestehen (s.o.). Außerdem erscheint es offensichtlich widersprüchlich, dem Arzt einerseits straflos die Hingabe einer todbringenden Substanz zu gestatten, ihn aber andererseits nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des freiverantwortlichen Suizidenten unter Androhung von Strafe zur Rettung zu verpflichten.211 Dogmatisch sauber müsste die Garantenpflicht des Arztes in der als verbindlich anzuerkennenden autonomen Entscheidung des Suizidenten 208 So etwa E 1933, § 248 (Verleitung zum Selbstmord): „Wer einen anderen verleitet, sich selbst zu töten, wird, auch wenn der andere nur versucht hat, sich zu töten, mit Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren.“ Zitiert nach K. Gavela, a.a.O. (S. 14). 209 Im Übrigen scheint dieser immanent dogmatische Ausgangspunkt ebenfalls der Vorschrift von § 101 Abs. 1 StVollzG zugrunde zu liegen. Hiernach tritt eine ärztliche Zwangsbehandlungs- und Ernährungspflicht ab Eintritt der Entscheidungsunfähigkeit des Häftlings ein. 210 Vgl. BGH NJW 1960, 1821 ff. 211 Ähnlich Saliger, a.a.O. (S. 151).

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ihre innere Begrenzung finden.212 Diese Rspr. hatte zur perfiden Konsequenz, dass Ärzte, die dennoch einen Suizid straflos assistieren wollten, wegen der täterschaftsbegründenden Garantenstellung i.V.m. einem regelmäßig notwendig einsetzenden Tatherrschaftswechsel als Ausweg den Patienten „rechtzeitig“ verlassen mussten, bevor dieser die tödliche Substanz zu sich nahm.213 Insoweit steht diese Rspr. einem ärztlichen assistierten Suizid im direkten Wortsinne entgegen, bei dem der Arzt den Suizidenten ja eigentlich bis zum Eintritt des Todes begleitet. Diese Rspr. steht deshalb in eklatantem Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten, insbesondere in Fällen, in denen dieser frei von jeglichen Willensdefekten in Folge eines langen Willensbildungsprozesses und nach Abwägung möglicher Alternativen beschlossen hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. In diesen Fällen liegt ein stabiler Suizidwille vor (sog. Bilanzsuizid). Dieses Selbstbestimmungsrecht wird nach den Wertungen der WittigRspr. zu wenig bis gar nicht berücksichtigt, gerade weil aufgrund des zwischen Arzt und Suizid-Patient bestehenden Garantenverhältnisses die strafbewehrte Rechtspflicht besteht, das Leben des bewusstlosen Patienten auch entgegen dessen ausdrücklichem Willen retten zu müssen. Letztlich müsste bei strikter Anwendung dieser Rechtsprechung jeder Suizidteilnehmer zum Garanten (mindestens aus Ingerenz)214 stilisiert werden, wodurch die gesetzgeberische Ausgangswertung – die Suizidteilnahme straflos zu stellen – in ihr Gegenteil verkehrt würde.215 Insoweit besteht im Rahmen dieser Konstruktion ein unlösbar dogmatischer Widerspruch zwischen der eigentlich innerhalb des StGB ausnahmslos systematisch vorgesehenen straflosen Teilnahme am Suizid und einer etwaigen Unterlassungstäterschaft. Allerdings gibt es inzwischen mehrere Indizien, welche die WittigEntscheidung in Bezug auf die Garantenhaftung als praktisch überholt anzusehen nahelegen. Hervorzuheben sind die 2009 neu eingefügten §§ 1901 a–c BGB, wodurch das Recht des Patienten auf ein selbstbestimmtes Sterben deutlich stärker gewichtet wird. Das ergibt sich vor allem aus der allgemeinverbindlichen Anerkennungspflicht hinsichtlich der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung – unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Daraus folgt jedenfalls theoretisch notwendig ein Wegfall der strafbewehrten Rechtspflicht, 212 So auch Saliger ebenda. 213 Siehe auch Uwe-Christian Arnold, Letzte Hilfe, S. 61 ff. 214 Ingerenz = Herbeiführen einer Gefahrenlage durch den Täter, der es pflichtwidrig unterlässt, den schädigenden Erfolg abzuwenden, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist. 215 So auch K. Gavela, a.a.O. (S. 41).

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freiverantwortliche Suizide zu verhindern.216 An dieser Stelle sei ein kurzer Vorgriff auf das Zivilrecht gestattet; denn das relativ neue Patientenverfügungsgesetz hat direkte Auswirkungen auf die ärztliche Garantenpflicht bei einem freiverantwortlichen Suizid. Der Name Patientenverfügungsgesetz lässt leicht übersehen, dass dieses Gesetz auch eine Vorschrift für einen Sonderfall (§ 1901a Abs. II BGB) vorsieht, nämlich wenn es um die ärztliche Behandlung eines Falles geht, bei dem ein inzwischen einwilligungsunfähiger Patient zuvor keine Patientenverfügung schriftlich verfügt hat. Gemäß § 1901a Abs. II BGB muss dann ein gerichtlich zu bestellender Betreuer in einem derartigen Fall die Behandlungswünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten feststellen und auf dieser Grundlage entscheiden, ob er in eine ggf. lebenserhaltende ärztliche Maßnahme einwilligt oder nicht. Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Indizien zu ermitteln. Insbesondere sind dabei frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen etc. von Bedeutung. Gemäß § 1901a Abs. III BGB gilt dies unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung. Hieraus folgt im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung wenigstens eine indirekte Ausstrahlung auf die ärztliche Beihilfe zum Suizid. Zwar ist für einen freiverantwortlich handelnden Suizidenten in den meisten Fällen keine Betreuung angeordnet, dennoch enthält diese Vorschrift zugleich den rechtlichen Beurteilungsmaßstab dafür, wie bei einer Einwilligungsunfähigkeit des Patienten zu verfahren ist, wenn er vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit eine ärztliche Lebensrettung nachweisbar abgelehnt hat.217 Sogar bei heilbaren Erkrankungen gilt das in das BGB übernommene Verbot ärztlicher Intervention gegen den mutmaßlichen, vor allem aber gegen den ausdrücklich geäußerten Willen des inzwischen einwilligungsunfähigen Patienten. Hiermit ist es aber keinesfalls mehr zu vereinbaren, bei einem zumindest erkennbar freiverantwortlichen Suizid weiterhin an einer unbedingten Garantenpflicht zur Lebensrettung seitens des behandelnden Arztes festzuhalten, zumal dies der gesetzlich angeordneten Rechtslage nach dem BGB diametral zuwiderliefe. Mit der in dieser Regelung zum Ausdruck kommenden bedingungslosen Achtung des Patientenwillens ist es unvereinbar, eine entgegenlaufende strafrechtlich sanktionierte Rettungspflicht des Arztes zu konstruieren,218 ansonsten würde der Wille des entscheidungsfähigen Suizidenten nachträglich – wenn es aber für ihn gerade darauf ankommt – gänzlich missachtet.

216 Hierzu Kutzer, ZRP 2012, 135 ff. (137); Saliger, a.a.O. (S. 152). 217 Vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135 ff. (137). 218 Ebenda.

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b) Der Fall Hackethal Diese soeben dargestellten Wertungswidersprüche waren u.a. auch Anlass der 1987 durch das OLG München ergangenen sog. Hackethal-Entscheidung.219 Im Unterschied zu obigem Sachverhalt besorgte der namensgebende Arzt (Prof. Dr. Julius Hackethal) zwar selbst das tödliche Gift, verabreichte es jedoch ebenfalls nicht persönlich. Vielmehr nahm die Patientin das Gift in ausdrücklicher Abwesenheit des Arztes weisungsgemäß zu sich und verstarb plangemäß mit dem Wirken des Giftes – ohne dass der Geschehensablauf für Hackethal noch zu verhindern gewesen wäre. Angeklagt wurde Hackethal als mittelbarer Täter i.R.e. Tötungsdeliktes, weil er trotz des äußeren Geschehensablaufs die Tatherrschaft innegehabt haben soll und zur Tötung das unfrei, nicht eigenverantwortlich handelnde Opfer gegen sich selbst instrumentalisiert habe. Die Anklage wurde vom LG Taunusstein per Nichteröffnungsbeschluss nicht zugelassen, wogegen die ermittelnde Staatsanwaltschaft jedoch Beschwerde zum OLG München erhob. In dieser Entscheidung stellte sich das OLG München erstmals gegen die bisherige Rspr. des BGH, indem es ein Recht des einsichtsfähigen Patienten annahm, aufgrund dessen der Arzt aus der Garantenpflicht vorab entlassen werden könne. Dieses Recht resultiere aus Art. 2 GG. Im Vorfeld eines freiverantwortlichen Suizids könne ein Patient insoweit die Garantenpflicht des Arztes schriftlich modifizieren. Dieser sei dann nicht mehr Garant des nicht mehr gewünschten Lebens, sondern des freiverantwortlichen Willens des Patienten. Damit wurde erstmals für derartige Sachverhalte die Rolle des Arztes als medizinischer Begleiter in einer solchen Phase vorbereitet. Anhand dieser Entscheidung wurde im Übrigen die für derartige Fälle inzwischen üblich gewordene „Modifizierung der Garantenpflicht für den Suizid = Entbindung von der Garantenpflicht“ als rechtliche Absicherung etwa des behandelnden Arztes abgeleitet. In dieser Entscheidung wurde weiter festgestellt, dass es dem Arzt nicht zukomme, die Entscheidung des Patienten aus seiner subjektiven Sicht zu bewerten; dieser habe sie vielmehr als solche zu respektieren. Insoweit werde ein Arzt, der einen Patienten zwischen der eigenhändigen Tötungshandlung und dem Eintritt des Todes begleite, nicht zwangsläufig zum Garanten, wenn dies dem erklärten Willen des Patienten entgegensteht. Insoweit wurde klargestellt, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten die Garantenstellung des Arztes begrenzt. Dies ist auch dogmatisch überzeugend, da der Suizident durch seinen freiverantwortlich gefassten Tatentschluss und dessen eigenhändige 219 OLG München, Beschluss v. 31.07.1987 – 1 WS 23/87 – NJW 1987, 2940 ff.

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Umsetzung inklusive eines zuvor dem Beweis zugänglich geäußerten „Rettungsvetos“ i.F.e. modifizierten Garantenpflicht inhaltlich auf die Garantenstellung einwirkt. Inhalt und Umfang der Garantenpflichten müssen sich jedenfalls in gegebenen Umständen an dem autonomen Suizidwillen orientieren, und es besteht keine Rechtspflicht, den Suizidenten vor sich selbst schützen zu müssen.220 Dies kann im Einzelfall sehr wohl dazu führen, dass sich der Auftrag des Arztes nicht auf den Lebensschutz konkretisiert, sondern auf die Hilfe zum Sterben bzw. zum Sterbenlassen. Eine gewisse Rechtsunsicherheit ist infolge der – abgesehen von dem konkret erfolgten Freispruch des Arztes – rigiden Sichtweise des BGH im Wittig-Urteil nicht von der Hand zu weisen. Denn ganz sicher könnte sich ein behandelnder Arzt nur sein, wenn diese Rechtsprechung ausdrücklich durch die Verabschiedung einer gegenteiligen gesetzlichen Regelung, bestenfalls einer entsprechenden höchstrichterlichen Rspr. garantiert als überholt anzusehen wäre. Allerdings finden sich inzwischen auch einige neuere Entscheidungen insbesondere der Strafjustiz, die sich inhaltlich ausdrücklich (auf der Linie der Hackethal-Entscheidung) von dem Wittig-Urteil distanzieren. 2010 wurde sogar seitens der StA München221 selbst die Strafbarkeit von Angehörigen verneint, die bei einer freiverantwortlichen Selbsttötung eines an Alzheimer erkrankten Verwandten den erbetenen Beistand leisteten – wobei der WittigRspr. eine ausdrückliche Absage erteilt wurde.222 Noch weiter ging das LG Deggendorf223 im Jahre 2013. In einer aufsehenerregenden Entscheidung urteilte das LG, dass ein Notarzt wegen Nichtvornahme lebenserhaltender Maßnahmen im Falle eines freiverantwortlichen Suizids nicht strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist. Dies laufe ansonsten dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten zuwider und sei seit Inkrafttreten des § 1901a Abs. II und III BGB gesetzlich überholt, womit insoweit die rigide Sichtweise der WittigRspr. nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

c) Die Kemptener Entscheidung Noch weiter in diese bereits eingeschlagene Richtung weist die BGHRechtsprechung von 1994 im sog. Kemptener Fall.224 Insoweit nimmt die 220 221 222 223 224

So bereits OLG Düsseldorf NJW 1973, 2215 (2216). StA München NStZ 2011, 345 (346). Vgl. Saliger, a.a.O. (S. 152). LG Deggendorf – Beschluss v. 13.09.2013 – 1 Ks 4 Js 7438/11. BGHSt 40, 257 ff.; BGH NJW 1995, 204 ff.; vgl. zu dieser Entscheidung auch R. Coeppicus NJW 1998, 3381 ff.

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Mitzuständigkeit des Zivilrechts ihren Ausgang anhand einer strafrechtlichen Entscheidung. Dieser Entscheidung lag grob verkürzt folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Hausarzt und der Sohn einer an Demenz leidenden Patientin mit Verdacht auf die Alzheimer-Krankheit wurden wegen versuchten Totschlags angeklagt. Infolge eines 15-minütigen Herzstillstandes war die Patientin ohne Aussicht auf Besserung schwerst hirngeschädigt und wurde überdies künstlich über eine sog. PEG-Magensonde ernährt. Der Hausarzt sowie der damals als Krankenpfleger tätige Sohn der Patientin beschlossen gemeinsam – nachweislich übereinstimmend mit dem ausdrücklich geäußerten Willen der Patientin –, den aussichtslosen Zustand der Patientin zu beenden und zu diesem Zwecke statt einer üblichen Sondenernährung lediglich Tee zu geben, so dass innerhalb von zwei bis drei Wochen mit dem Tod der Patientin gerechnet werden konnte, ohne dass dieser dabei unnötiges Leiden zugemutet worden wäre. Der Hausarzt traf dann auch die vom Sohn unterzeichnete Anordnung, nur noch mit Tee zu ernähren. Allerdings hielten sich die übrigen Pfleger nicht an diese Anweisung, sondern schalteten das Vormundschaftsgericht ein. Dieses untersagte daraufhin die Genehmigung für die ausschließliche Gabe von Tee, so dass weiterhin durch einen anderen Arzt die übliche Sondenernährung gegeben wurde. Trotzdem verstarb die Patientin nicht viel später infolge einer weiteren Erkrankung. Die beiden Angeklagten wurden nach Einlegung von Rechtsmitteln gegen das entsprechende Strafurteil vom BGH freigesprochen. Dabei wurde festgestellt, dass ein Behandlungsabbruch auch dann in Betracht kommt, wenn der Sterbeprozess noch gar nicht eingesetzt hat, dies aber dem mutmaßlichen Willen des entscheidungsunfähigen Patienten entspricht. Ausdrücklich sagt der BGH an dieser Stelle, dass auch in einer solchen Lage das Selbstbestimmungsrecht des Patienten unbedingt zu achten sei und gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung grds. weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf. Allein relevanter Ausgangspunkt sei der mutmaßliche Wille des Patienten zum Tatzeitpunkt, welcher nach Abwägung aller Umstände zu bestimmen sei. Als Kriterien wurden frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen, die altersbedingte Restlebenserwartung und die Vermeidung von Schmerzen angeführt. Im Kemptener Urteil hatte der BGH eher am Rande erwähnt, dass die Einwilligung des Betreuers in den Abbruch der Behandlung der betreuten Patientin der vormundschaftlichen Genehmigung analog § 1904 BGB a.F. bedurfte.225 Das 225 BGHSt 40, 257 ff. (261).

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OLG Frankfurt am Main bejahte in der Folge – vier Jahre später als erstes Zivilgericht – diese Rechtsprechung des BGH im Kemptener-Fall bezüglich eines Behandlungsabbruchs bei einer unumkehrbar hirngeschädigten unter Betreuung stehenden Patientin.226 Inzwischen haben diese Kriterien ausdrücklich Eingang in die §§ 1901a–c BGB gefunden, so dass diesbezüglich eine endgültige Rechtssicherheit geschaffen wurde. Wichtig hervorzuheben ist an dieser Stelle noch das anhand dieser Entscheidung entwickelte wegweisende Diktum des BGH, dass nämlich objektivierende Kriterien, wie die Beurteilung einer Maßnahme als „vernünftig“ oder „normal“ oder „den Interessen eines verständigen Patienten entsprechend“, im Rahmen der Abwägung hinsichtlich des extrem hoch veranschlagten Selbstbestimmungsrechts des Patienten keinerlei eigenständige und ausschließliche Bedeutung mehr entfalten können.227 Auch wenn anhand dieser Entscheidung in der Sache lediglich die Kriterien für eine legale passive Sterbehilfe höchstrichterlich definiert wurden und es zudem um eine Versuchsstrafbarkeit ging, sind die gefundenen Maßstäbe ebenso verbindlich hinsichtlich einer Begrenzung der ärztlichen Garantenpflicht durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und damit für die Beurteilung sämtlicher aus der ärztlichen Garantenstellung erwachsenen Handlungspflichten, deren Unterlassen gem. § 13 StGB einem Tun gleichgestellt wird.

d) Der Fall Putz I (zivilrechtlicher Rechtsweg) Paradigmatisch ist weiterhin hinsichtlich der bereits eingeschlagenen Richtung die zivilrechtliche BGH-Entscheidung vom 8. Juni 2005,228 in der es um ein Mandat eines Fachanwalts für Medizinrecht ging. In diesem Verfahren hatte besagter Rechtsanwalt Putz vor dem zuständigen Oberlandesgericht eine Klage gegen das Pflegeheim seines Mandanten mit dem Klageantrag gestellt, dieses aus dem zugrunde liegenden Heimvertrag zu verpflichten, den ärztlichen Anordnungen Folge zu leisten, indem es die künstliche Ernährung unterlasse und somit den Patienten nicht am Sterben hindere.229 Die herausragende Bedeutung dieses Falles liegt auch darin begründet, dass zum ersten Mal in der deutschen Rechtsgeschichte ein Prozess geführt wurde, der das Sterben eines Menschen rechtsverbindlich durchsetzen konnte.230 Zudem zeigt dieser zunächst zivil226 227 228 229 230

OLG Frankfurt am Main NJW 1998, 2747 (2748). BGH NJW 1995, 204 ff. BGH v. 8.06.2005 – XII ZR 177/03, NJW 2005, 2385 ff. Vgl. hierzu bereits BGH NJW 2003, 1588. Siehe auch W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 63).

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rechtliche Fall deutlich an, dass die strafrechtlichen Voraussetzungen für eine zulässige Hilfe zum Sterben auch für das Zivilrecht verbindlich sind. Das Zivilrecht kann schließlich nicht erlauben, was das Strafrecht verbietet, und bedingt gilt dies auch umgekehrt.231 Nachdem das OLG in der Sache zunächst den Klageantrag abschlägig beschieden hatte, ging der Fall zum BGH. In der – hier zu würdigenden – darauf folgenden Entscheidung erließ der BGH ein weiteres Grundsatzurteil, wonach der Patient einen Unterlassungsanspruch gegen eine aufgezwungene ärztliche Behandlung hat. Zudem verband der BGH diese Entscheidung mit dem ausdrücklichen Hinweis auf eine etwaige Strafbarkeit des bei einer Fortsetzung der laufenden Ernährungstherapie in Form von künstlicher Ernährung232 beteiligten Ärzte- und Pflegepersonals. Insbesondere wertete der BGH hier nicht nur das Legen, sondern auch das Beibehalten einer PEG-Sonde als einwilligungsbedürftigen Eingriff.233 Verlangt in Folge dessen der zuständige Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, dass die künstliche Ernährung des inzwischen einwilligungsunfähigen Patienten nach dessen ausdrücklich früher geäußerten Willen eingestellt wird, kann das Pflegeheim diesem Verlangen nicht den Heimvertrag entgegensetzen und damit auf den Vorrang des abstrakten Lebensschutzes abstellen. Nicht einmal mit einem Rückgriff auf die persönliche Gewissensfreiheit des Pflegepersonals kann die Fortsetzung der künstlichen Ernährung gerechtfertigt werden.234 Interessant ist hier auch noch der Hinweis darauf, dass der BGH in dieser Entscheidung zudem äußerte, dass die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinne, worauf das klägerische Vorbringen ja auch abzielte, dem entscheidenden BGH-Senat bislang noch nicht hinreichend geklärt erschienen. Allerdings waren diese Grenzen im vorliegenden Fall dennoch von Bedeutung; denn das beklagte Heim kann nicht einerseits zivilrechtlich zu einem Verhalten verurteilt werden, mit dem seine ebenfalls zivilrechtlich beschäftigten Mitarbeiter sich andererseits der Gefahr aussetzen müssten, sich in Widerspruch zu den strafrechtlichen definierten Grenzen des Erlaubten zu setzen. Dieser Punkt kann damit jedenfalls auch für den BGH als hinreichend geklärt angesehen werden. Der vorliegenden Entscheidung lässt sich somit für den strafrechtlichen Bereich entnehmen, dass der freiverantwortlich getroffene 231 232 233 234

Vgl. W. Putz, Patientenautonomie im Gerichtssaal (S. 31). Vgl. BGH NJW 2005, 2385 ff. Ebenso BGHZ 154, 205 ff. Ebenda.

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Entschluss eines Menschen – ganz im Gegensatz zur rigiden Linie noch der Wittig-Rspr. des BGH – auch noch nach dem Eintritt der Handlungsunfähigkeit bzw. der Bewusstlosigkeit verbindlich sein soll; was dann auch für den Wunsch, selbstbestimmt zu sterben, gilt. Für die Frage der Garantenpflicht des Arztes und der etwaigen Einleitung von Rettungsmaßnahmen angesichts eines freiwillig erfolgten Suizidversuchs folgt hieraus zumindest indirekt, dass der Patientenwille inzwischen in jedem Fall Vorrang hat. Es ist insoweit bei einer gegebenen Garantenstellung eines Arztes inhaltlich eine durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten definierte Einschränkung geboten. Und zwar insoweit, als der Arzt im Falle eines freiverantwortlichen Suizidversuchs nicht mehr Garant des nicht mehr gewünschten Lebens ist, sondern nunmehr lediglich Garant des freiverantwortlichen Willens des Patienten ist. Demgemäß wäre eine Fortsetzung oder Einleitung einer lebenserhaltenden Maßnahme gegen den Patientenwillen eine strafbare Körperverletzung i.S.v. § 223 StGB.

e) Der Fall Putz II (strafrechtlicher Rechtsweg) Der bislang anhand der besprochenen Kasuistik exemplarisch herausgearbeitete stetige Ausbau der Patientenautonomie u.a. durch eine sukzessive wachsende Mitzuständigkeit des Zivilrechts für die Sterbehilfe hat damit einen enormen Bedeutungszuwachs der Patientenautonomie in der Rechtspraxis solcher Sterbehilfefälle bewirkt. Zuletzt wurde durch das Grundsatzurteil des 2. Strafsenats des BGH235 im Fall Putz eine neue, in die Zukunft weisende Wegmarke für das Sterbehilferecht in Gänze gesetzt. Dem Urteil des BGH vom 25. Juni 2010, das auf die von Rechtsanwalt Putz eingelegte Revision hin erlassen wurde, ging eine Entscheidung des LG Fulda (Schwurgericht) aus dem Jahre 2009 voraus. In dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt ging es um eine 76 Jahre alte Wachkomapatientin, die seit Oktober 2002 in einem Pflegeheim betreut wurde. Die Patientin wurde über einen Zugang durch die Bauchdecke – mittels einer sog. PEG-Sonde – künstlich ernährt. Eine Besserung des Zustandes war medizinisch ausgeschlossen. Entsprechend einem von der Patientin bereits Monate vor Eintritt des Wachkomas mündlich geäußertem Wunsch, sie niemals jahrelang künstlich im Koma am Leben zu halten, bemühten sich die Kinder um eine Einstellung der künstlichen Ernährung. Infolge damit zusammenhängender Auseinandersetzungen mit der Heimleitung wurde Rechtsanwalt Putz von den Kindern, die zwischenzeitlich gerichtlich zur Betreuung bestellt waren, mit dem Fall betraut. Ende 2007 kam es zu einem Kompromiss, aufgrund dessen die Tochter schließlich den Abbruch der 235 BGHSt 55, 191 ff.

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Nahrungszufuhr über die PEG-Sonde veranlasste. Dagegen schritt die ortsferne Geschäftsleitung des Heimes unerwartet ein und drohte der Tochter bei Widerspruch gegen die wieder aufgenommene künstliche Ernährung Hausverbot an. Daraufhin erteilte Rechtsanwalt Putz einen folgenschweren Rat, nämlich den Schlauch der PEG-Sonde unmittelbar über der Bauchdecke mit einer Schere durchzutrennen, was die Tochter auch sofort umsetzte. Die Heimleitung bemerkte dies, schaltete die Polizei ein, woraufhin die Patientin auf staatsanwaltliche Anordnung hin in ein Krankenhaus gebracht wurde. Ihr wurde dort schließlich eine neue Sonde gelegt und damit die künstliche Ernährung wieder aufgenommen, anschließend verstarb sie dort nur zwei Wochen darauf eines natürlichen Todes. Das LG Fulda hatte die als Betreuerin eingesetzte Tochter vom Vorwurf des gemeinschaftlich begangenen Totschlags durch aktives Tun wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums freigesprochen, den beratenden Rechtsanwalt Putz hingegen wegen mittäterschaftlich begangenen versuchten Totschlags in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung sowie zur Zahlung von 20.000 € verurteilt. Die Tochter wurde dementsprechend folgerichtig mit der Begründung freigesprochen, dass sie sich angesichts des Rates des Mitangeklagten in einem unvermeidbaren Erlaubnisirrtum befunden und deshalb ohne Schuld gehandelt habe. Dagegen habe sich der Angeklagte allen Beteiligten gegenüber zum Herrn über Leben und Tod aufgeschwungen. Das Landgericht ist immerhin im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die durch den Kompromiss mit der Heimleitung zunächst gebilligte Unterbrechung der Nahrungszufuhr per PEG-Sonde rechtmäßig war, weshalb die von der Heimleitung angekündigte Wiederaufnahme als rechtswidriger Angriff gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patientin gewertet wurde. Die im September 2002 geäußerte Einwilligung der Patientin entfaltete demnach auch für das LG Fulda bindende Wirkung, so dass der erste Behandlungsabbruch zumindest gerechtfertigt war.236 Insoweit wurde hier immerhin auch an die oben bereits besprochene BGH-Rechtsprechung von 1994 im Kemptener Fall angeknüpft, eine der bis dahin bedeutsamsten judikativen Rechtsfortbildungen auf dem Gebiet der Sterbehilfe. Zur Vermeidung etwaiger Missverständnisse und zum besseren Nachvollzug des Gesagten wurde an dieser Stelle nochmals betont, dass bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten der Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme aus-

236 Vgl. inzwischen § 1901a Abs. 3 BGB.

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nahmsweise selbst dann zulässig sein kann, wenn der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Damit wurde der bislang eng verstandene Bereich der „Hilfe beim Sterben“ verlassen und auf das Vorfeld einer Behandlungsbegrenzung ausgedehnt. Entscheidend ist allein der sogar nur mutmaßliche Wille des Kranken, welcher absolute Verbindlichkeit beansprucht. Erst recht gilt dies im Umkehrschluss selbstverständlich für den ausdrücklichen Willen. Bis dahin durfte ein Sterben nur zugelassen werden, wenn der Sterbevorgang schon eingesetzt hatte und unumkehrbar war. Sterbehilfe war bis dahin nur Hilfe beim Sterben, niemals aber Hilfe zum Sterben. Neu war insoweit an der Kemptener Entscheidung, worauf das LG Fulda bei der Bewertung der ersten Nahrungszufuhrunterbrechung richtig abstellte, dass, obwohl kein Fall von passiver Sterbehilfe vorlag, da der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hatte, dennoch ein Therapieabbruch erlaubt war, weil dies dem mutmaßlichen bzw. geäußerten Willen des Patienten entsprach. Die damit vorgenommene Neubewertung, der bis dahin oft einfach übergangenen Patientenselbstbestimmung ist hier hervorzuheben. Allerdings wurde im Fall Putz dessen ungeachtet seitens des LG Fulda der Rat des Anwalts zum Durchschneiden der PEG-Sonde als Mitwirkung an der aktiven Verhinderung der Wiederaufnahme der Ernährung gewertet. Somit ging es bei diesem Handlungsabschnitt nach wie vor um die Grenzziehung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe, welche hier zunächst nicht zu Gunsten des Angeklagten ausfiel. Das Gericht stellte dabei allein auf den äußeren Geschehensablauf ab und wertete in diesem Rahmen das Durchschneiden der PEG-Sonde als aktives Tun. Der 2. Strafsenat des BGH hob dieses Urteil auf die Revision des Angeklagten Putz hin mit Recht auf. Wichtiger als der Urteilstenor sind freilich die Urteilsgründe im Einzelnen, die zu diesem Freispruch führten. Das Urteil ist vor allem bedeutsam, weil der 2. Strafsenat mit seinem Urteil einerseits das zivilrechtliche Schutzniveau der Patientenautonomie im Kern verbindlich auf das Strafrecht übertragen hat. Dies bedarf einiger Erläuterungen. Der Sachverhalt betraf u.a. die Frage, unter welchen Voraussetzungen in Fällen akuter Einwilligungsunfähigkeit von einem bindenden Patientenwillen ausgegangen werden muss. Dies war bis zu diesem Zeitpunkt durch miteinander noch nicht ohne weiteres vereinbare Entscheidungen des BGH nicht letztverbindlich entschieden worden.237

237 Ähnlich W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 261).

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Die Differenzen in der bis dahin ergangenen Rechtsprechung betrafen die Verbindlichkeit von sog. Patientenverfügungen und die Frage, ob die Zulässigkeit des Abbruchs einer lebenserhaltenden Behandlung nur auf unumkehrbar tödlich verlaufende Erkrankungen (sog. Reichweitenbeschränkung) beschränkt oder davon unabhängig ist. Zudem war noch unklar, ob stets eine gerichtliche Genehmigung bei einer derartigen Entscheidung über eine solche Maßnahme seitens des Betreuers erforderlich ist. Mit dem sog. Patientenverfügungsgesetz hatte der Gesetzgeber diese Fragen mit Rechtskraft zum 1. September 2009 bereits ausdrücklich geregelt, so dass der Senat hier im Sinne der neuen Regelung entscheiden konnte, ohne etwa noch an frühere Entscheidungen anderer Senate gebunden zu sein. Insoweit stützt der BGH seine Neukonzeption zentral auf diese neu in das BGB eingefügten Vorschriften, die auch für das Strafrecht Wirkung entfalten.238 Als wesentliche Aussage wurde somit klargestellt, dass die Begrenzung, Beendigung oder Unterlassung einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung mit der Folge, dass der betreffende Patient stirbt, dann bedingungslos gerechtfertigt ist, wenn dies dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen entspricht (vgl. §§ 1901a, 1904 BGB). Demgemäß stärkte der BGH in dieser Entscheidung die Patientenautonomie im Strafrecht dadurch, dass er die Beendigung einer nicht (mehr) gewollten Behandlung mit dem Unterlassen einer nicht gewollten Behandlung gleichsetzte.239 Außerdem emanzipierte der BGH die Sterbehilfedogmatik in Anlehnung an §1901a Abs. III BGB grundsätzlich von Art und Stadium der Erkrankung240 und räumte erstmals der aktiven Sterbehilfe jenseits der Grenzen des § 216 StGB einen legalen Raum241 ein. Dies war so höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Nunmehr rechtfertigt die Einwilligung des Patienten nicht nur den Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen weiterer künstlicher Ernährung, sondern auch einen Behandlungsabbruch durch aktives Tun, welcher der Beendigung bzw. Verhinderung einer nicht oder nicht mehr gewollten Behandlung diente.242 Damit löste sich der 2. Strafsenat erstmals von der bis dahin allein handlungskategorialen Abgrenzung zwischen strafloser passiver und strafbarer aktiver Sterbehilfe.243 Denn bis dahin wurde das Recht der täterschaftlichen Sterbehilfe vor allem durch die alleinige Hegemonie des Strafrechts dominiert. Entscheidend für die 238 239 240 241 242 243

Vgl. BGH NJW 2010, 2963 (2966 ff.). So auch Saliger, a.a.O. (S. 129). Vgl. BGH NJW 2010, 2963 ff. (2966 ff.). Saliger, a.a.O. (S. 129). Ebenso Ralf J. Jox, (S. 81); W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 262). Siehe auch W. Höfling, a.a.O. (S. 458).

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Beurteilung eines Verhaltens als strafrechtsrelevant war einerseits das unumschränkte Tötungsverbot, wogegen der aktive Sterbehelfer bis dahin immer verstieß. Andererseits wurde der strafrechtliche Diskurs zur Sterbehilfe von den handlungskategorialen Differenzierungen zwischen aktiv und passiv sowie denen zwischen direkt und indirekt dominiert.244 Somit wurde vom 2. Strafsenat festgestellt, dass es zur Abgrenzung zwischen strafloser Sterbehilfe und den Totschlagsdelikten nicht mehr darauf ankommt, ob ein entsprechender Behandlungsabbruch rein äußerlich betrachtet durch ein aktives Tun oder aber durch ein passives Unterlassen245 erfolgt. Nach der Erkenntnis des BGH wird eine nur an den Äußerlichkeiten von Tun oder Unterlassen orientierte Unterscheidung zwischen strafloser Sterbehilfe und der strafbaren Tötung eines Patienten dem sachlichen Unterschied zwischen der auf eine Lebensbeendigung gerichteten Tötung und Verhaltensweisen, die dem krankheitsbedingten Sterbenlassen mit Einwilligung des Betroffenen seinen Lauf lassen, nicht gerecht. Gemessen hieran setzt eine straflose Sterbehilfe nur noch eine medizinische Behandlung einer lebensbedrohlich erkrankten Person voraus, bei der vor dem Hintergrund, dem Krankheitsverlauf seinen Lauf zu lassen, eine indizierte lebenserhaltende Maßnahme mit mutmaßlicher oder ausdrücklicher Einwilligung des Patienten durch Ärzte, Betreuer, Bevollmächtigte oder deren Hilfspersonen unterlassen, begrenzt oder abgebrochen wird. Unter diesen neuen Voraussetzungen ist es zukünftig unerheblich, wie konkret die nicht mehr gewollte Behandlung beendet wird, so dass selbst Elemente aktiven Tuns bzw. aktives Tun selbst erlaubt sind.246 Schließlich ist – als weiteres Argument gegen eine rein äußerliche Abgrenzung – bei jeder Behandlungsbegrenzung bzw.-beendigung immer aktives Tun von den Ärzten und Pflegenden gefordert, in jedem Fall bis zuletzt eine palliative Sterbebegleitung. Insoweit umfasst der wertende Oberbegriff des Behandlungsabbruchs hiernach ebenfalls die bisher separat behandelte indirekte Sterbehilfe.247

f) Zwischenergebnis und Ausblick In dem Fall Putz hat der 2. Strafsenat die zivil- und strafrechtlichen Regeln ganz im Sinne einer praktischen Konkordanz harmonisch aufeinander abgestimmt. Ohne allzu weiten Vorgriff auf den zivilrechtlichen Teil lässt sich an 244 245 246 247

S.o. Vgl. noch die Kemptener Entscheidung. Vgl. BGH NJW 2010, 2963 ff. (2967). Ebenda.

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dieser Stelle bereits sagen, dass die durch das Patientenverfügungsgesetz (insb. §§ 1901a Abs. II und Abs. III BGB) zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen vor allen Dingen für die bis zum Eintritt des Todes begleitende ärztliche Suizidassistenz einen verbindlichen Beurteilungsmaßstab obligatorisch vorgeben. In den benannten Vorschriften ist definiert und festgelegt, wie bei einer Einwilligungsunfähigkeit des Patienten zu verfahren ist, wenn dieser vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit eine ärztliche Lebensrettung schriftlich oder mündlich abgelehnt hat. Insoweit ist es nur konsequent, diesen gesetzgeberischen Maßstab uneingeschränkt anzuwenden. Diese Auffassung wird inzwischen sogar von dem sowohl an der Wittig-Rspr. als auch Kemptener Rspr. seitens des BGH beteiligten BGH-Richter Klaus Kutzer vertreten.248 Im wenig später entschiedenen Kölner Fall249 stellte der 2. Strafsenat des BGH nochmals klar, dass die oben bereits genannten zivilrechtlichen Vorschriften auch im Strafrecht beachtet werden müssen und bei der strafrechtlichen Rechtfertigung ebenfalls von rechtlicher Relevanz sein können. Von einer strengen Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts zu sprechen wäre an dieser Stelle allerdings voreilig sowie einseitig übertrieben; vielmehr ist das Strafrecht an das Betreuungsrecht derart gebunden, dass ein autonomer Raum für eine eigenständige strafrechtliche Rechtfertigung offengehalten wird.250 Wo die Grenze einer rechtfertigenden Einwilligung verläuft, ist im Ergebnis allerdings selbstständig anhand materiell strafrechtlicher Kriterien zu entscheiden.251 Jedenfalls modifiziert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten die Garantenstellung des Arztes (als Weiterentwicklung seit der Wittig-Rspr. mit dieser bahnbrechenden Entscheidung) mithin als unhintergehbarer Fakt in derartigen Fallkonstellationen zukünftig rechtsverbindlich. Das Selbstbestimmungsrecht gewährt damit zugleich ein hiermit korrespondierendes subjektives Recht des einsichtsfähigen Patienten, seinen Arzt aus der ursprünglichen Garantenpflicht für das Leben zu entlassen. Diese wird dann vielmehr zu einer neuen Garantenpflicht modifiziert, nämlich derjenigen für die garantierte Durchsetzung des freiverantwortlichen Willens des Patienten und den Schutz des daraus folgenden Patientenrechts auf ein Ausscheiden-Dürfen aus einem nicht mehr gewünschten Leben. Diese neu definierte ärztliche Garantenstellung ist dann ebenso rechtsverbindlich wie die ursprüngliche, woraus auch folgt, dass eine Verletzung z.B. im 248 249 250 251

Vgl. etwa Kutzer: in ZRP 2012, 135 ff. BGH NStZ 2011, 274 ff. (276). So etwa BGH NJW 2010, 2963 (2966). Ebenso Saliger, a.a.O. (S. 130).

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Hinblick auf Körperverletzungsdelikte strafbewehrt ist. Der hiermit korrespondierende, inzwischen zivilrechtlich durchsetzbare Unterlassungsanspruch gegen eine aufgezwungene ärztliche Behandlung belegt diesen höchstrichterlich bestätigten uneingeschränkten Vorrang des Patientenwillens und ein zugrunde liegendes unbedingtes Selbstbestimmungsrecht. Für den strafrechtlichen Bereich folgt hieraus, dass eine einmal freiverantwortlich getroffene Entscheidung eines Menschen gerade auch für den Zustand bzw. bereits den Eintritt der Handlungsunfähigkeit bzw. Bewusstlosigkeit auch weiterhin rechtliche Verbindlichkeit beansprucht. Dies muss aus den genannten Gründen erst recht im Falle eines freiverantwortlichen Suizids gelten, weil dies sonst zu gravierenden und mit dem geltenden Recht unvereinbaren rechtssystematischen Wertungswidersprüchen führen würde. Schlimmstenfalls droht ansonsten seitens aller daran Beteiligten der Verlust von Rechtssicherheit überhaupt. Wegen der in § 1901a BGB vorgenommenen gesetzgeberischen Wertung kann ein ärztliches Verhalten – sogar bei der Vornahme von äußerlich aktiven Maßnahmen (wie z.B. Unterbrechung der künstlichen Beatmung) nach dem durch eine gebotene teleologisch gebotene Reduktion „neu“ zu bestimmenden Normzweck des § 216 StGB – im Einzelfall sogar auf eine Anwendungssperre dieser Strafvorschrift hinauslaufen. Zumindest gilt dies für Fallkonstellationen, in denen derartige Maßnahmen dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entsprechen und dazu dienen, einem ohne Behandlung sicher zum Tod führenden Krankheitsverlauf seinen natürlichen Gang zu ermöglichen252. Dieser Wille ist, wie in § 1901a Abs. II und Abs. III BGB explizit festgelegt, unabhängig von der Art und dem Stadium der Erkrankung. Mit der in dieser Vorschrift zur Geltung kommenden bedingungslosen Achtung des Patientenwillens ist es unvereinbar, den geäußerten Willen eines inzwischen entscheidungsunfähigen Suizidenten komplett außer Acht zu lassen, indem man eine unter die Strafandrohung der Tötungsdelikte gestellte ärztliche Garantenpflicht konstruiert und damit den Suizidenten zum Weiterleben „nötigt“. Insoweit hat der § 1901a Abs. II und Abs. III BGB, der seinem Wortlaut nach unmittelbar für Betreuer gilt, mittelbar auch die Garantenpflicht des Arztes zur Lebenserhaltung modifiziert, so dass die Wittig-Rspr. tatsächlich diesbezüglich als überholt angesehen werden muss.253 Dieser Befund deckt sich weiterhin vollinhaltlich mit der in der Putz-Entscheidung getroffenen Aussage des BGH, wonach die Einwilligung des Patienten nicht nur den Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen etwa der weiteren Ernährung rechtfertigt, sondern 252 Vgl. hierzu Kutzer, ZRP 2012, 135 ff. (138). 253 Ähnlich ebenda.

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auch ein aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer nicht mehr gewünschten Behandlung dient.

2. Echte Unterlassungsdelikte – insb. hinsichtlich § 323c StGB Weitere Strafbarkeitsrisiken können sich für Suizidteilnehmer, insbesondere auch für Ärzte, aus Unterlassungsstraftaten ergeben, indem eine Selbsttötung nicht verhindert oder nach einem solchen Versuch nicht rettend eingegriffen wird, wobei zwischen nicht freiverantwortlichen und freiverantwortlichen Suiziden bzw. Suizidversuchen unterschieden wird.254 Will man die Garantenpflicht im Falle eines eigenverantwortlichen Suizids entfallen lassen, steht die Straflosigkeit des zum Suizid hinzukommenden untätigen Dritten noch nicht ohne weiteres fest.255 Es bleibt zu untersuchen, ob und inwieweit die eigenverantwortliche Suizidhandlung eine durch Strafandrohung abgesicherte, den Suizid verhindernde, Hilfeleistungspflicht eines Dritten gem. § 323c StGB auslösen kann.256 Beim Vorliegen der im Gesetz näher umschriebenen tatbestandsmäßigen Situation „Unglücksfall“ begründet § 323c StGB ganz grob eine auf dem Solidaritätsprinzip beruhende allgemeine Hilfspflicht, die in den Grenzen der Erforderlichkeit, der Zumutbarkeit und des individuellen Leistungsvermögens zum Zwecke der Schadensverhütung von jedermann zu erfüllen ist.257 Es wird ausnahmsweise eine mitmenschliche Mindest-Solidaritätspflicht bei deren Nichterfüllung strafrechtlich sanktioniert. Um einer Überspannung bei der Anwendung dieser Vorschrift vorzubeugen, hat der Gesetzgeber die Entstehung dieser Pflicht, die selbst völlig Unbeteiligte treffen kann, hier schon auf der Tatbestandsebene durch das Merkmal der Zumutbarkeit eingeschränkt.258 Bereits 1952 wurde in BGHSt 2, 150 ff. definiert, dass ein Unglücksfall ein plötzlich eintretendes äußeres Ereignis ist, das vom Willen des Verunglückten unabhängig ist und eine erhebliche Gefahr für ein Individualrechtsgut mit sich bringt. Ereignisse, die vom Betroffenen selbst absichtlich und freiverantwortlich herbeigeführt wurden, sind dann definitionsgemäß keine Unglücksfälle, wobei für Selbsttötungsversuche von jeher an diesem heiklen Punkt dem Wandel der Zeit unterworfene rechtsdogmatische Besonderheiten gelten.

254 255 256 257 258

Vgl. auch Saliger, a.a.O. (S. 149). Ähnlich Gavela, a.a.O. (S. 41). Ähnlich ebenda. Vgl. Wessels / Beulke / Satzger, a.a.O. (Rn. 981 ff.). Ebenda.

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Bezogen auf eine Selbsttötung wurde diesbezüglich in der soeben genannten Entscheidung angenommen, dass ein Unglücksfall jedenfalls begrifflich und alltagssprachlich ausgeschlossen sei, solange das verantwortliche Handeln des Suizidenten die Lebensgefahr im Wesentlichen so gestaltet, wie er es sich vorgestellt hat, und solange sein Selbsttötungswille fortbesteht.259 Das bedeutete im Umkehrschluss, dass eine Selbsttötung nur dann als Unglücksfall im Sinne einer strafbaren unterlassenen Hilfeleistung angesehen werden konnte, wenn besondere Umstände vorlagen, wie etwa eine krankhafte Depression oder ein Sinneswandel seitens des Suizidenten. Das deutet darauf hin, dass sich ein Nichtgarant jedenfalls bzw. ausschließlich in Fällen eines nicht freiverantwortlichen Suizids gem. § 323c StGB strafbar machen kann. Gleiches müsste dann auch für das Nichthandeln im Anschluss an einen freiverantwortlich begonnenen Suizidversuch, etwa bei durch Hilferufe erkennbarem Sinneswandel des Suizidenten, gelten. Allerdings wurde diese Argumentation und die hieraus denklogisch gefolgerte Definition eines Unglücksfalls alsbald vom großen Senat des BGH für Strafsachen dadurch zurückgewiesen,260 dass der Wille des Suizidenten hinsichtlich der Herbeiführung und damit des Eintritts eines Unglücksfalls grundsätzlich für unbeachtlich erklärt wurde, weil es sich bei § 323c StGB um eine allgemeine Hilfspflicht handele.261 Eine Gesetzesauslegung sei nicht durchführbar, die dem Hilfepflichtigen, der den Suizidenten in Lebensgefahr oder Todesnot vor sich sieht, „ansinnen“ würde, erst langwierige Überlegungen darüber anzustellen, ob dessen Handlung zu Recht oder zu Unrecht, kraft freier Entscheidung oder in geistiger Umnachtung getätigt wurde, ob er noch an ihr festhält oder nicht.262 Im Ergebnis ist nach dieser Entscheidung jede durch einen Selbsttötungsversuch verursachte Gefahrenlage für das Leben des Suizidenten ein Unglücksfall.263 Zur Begründung einer hieraus bereits folgenden allgemeinen Hilfspflicht bei jeglichem Suizidversuch ist dann „folgerichtig“ weiter ausgeführt worden, es sei gleichgültig, ob der Wille, der den Suizidenten zu seiner Tat trieb, gesund oder krank, „entschuldbar“ oder „unentschuldbar“ ist, ob der Suizident die durch den Suizidversuch entstandene Gefahrenlage noch beherrscht oder ob er sie, weil

259 260 261 262 263

BGHSt 2, 150 ff. (151). So ausdrücklich in BGHSt 6, 147 ff. (153). Vgl. etwa BGHSt, 6, 147 ff. (153); BGHSt 13, 162 ff. (169). BGHSt 6, 147 ff. (153). Ebenso auch BGHSt 13, 162 ff.; BGHSt 32, 375 ff.

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er inzwischen bewusstlos geworden ist, nicht mehr beherrscht, ob er die Gefahrenlage, d.h. seinen eigen Tod noch will und das auch zum Ausdruck bringt.264 Diese Rechtslage ist jedoch nicht mehr mit den weiter oben ausgeführten aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung in Einklang zu bringen, in deren Folge das Selbstbestimmungsrecht des Patienten inzwischen in den unverrückbaren Mittelpunkt sämtlicher Überlegungen getreten ist. Die neuere Rspr. des BGH misst deshalb, abweichend von obigem Diktum, dem ernsthaft freiverantwortlich gefassten Selbsttötungsentschluss eine stets wachsende Bedeutung zu. Es ist bereits länger anerkannt, dass in Fällen eines ohne jeden Zweifel freiverantwortlichen Suizidversuchs § 323c StGB in keinem Fall zu einer Hilfeleistung gegen den erklärten Willen des Betroffenen zwingt.265 Insoweit hat sich das Problem auf die Mangelfreiheit des Selbsttötungswillens verschoben. Neben äußeren Zwangslagen oder von Dritten gesteuerten Irrtumslagen können vielfältige innere Bedingungen eine freie Willensbildung be- oder verhindern. Was hierbei im Einzelfall noch als freiverantwortliche Willensbildung anzusehen ist, ist strittig,266 und die rechtliche Beurteilung im Einzelfall schwer vorhersehbar. Hieraus folgt, dass an diesem Punkt aus Gründen der Vorsicht zum sichersten denkbaren Vorgehen, nämlich einer sog. „schriftlichen Modifizierung der Garantenpflicht für den Fall des freiverantwortlichen Suizids“, dringend geraten werden muss. Diese sollte vom suizidwilligen Patienten mindestens handschriftlich geschrieben und unterschrieben sein; ggf. sollten Zeugen und möglichst der behandelnde Arzt hinzugezogen werden, um die volle Einsichtsfähigkeit für diese Erklärung sinnvoller Weise protokollartig zu dokumentieren. Ein diesbezügliches Protokoll ist schriftlich zu fixieren und sollte bestenfalls von Zeugen, mindestens aber von dem behandelnden Arzt und dem Patienten unterzeichnet werden. Dies ist im eigenen Interesse sowohl des suizidwilligen Patienten als auch des behandelnden Arztes. Der Patient kann nur auf diesem Wege wirklich sicher gehen, dass er ohne – möglicherweise nahe liegenden rechtlichen Unsicherheiten geschuldete – ärztliche Wiederbelebungsmaßnahmen etc. durch seinen Suizid aus dem Leben scheiden kann; umgekehrt kann der Arzt nur so sicher 264 Ebenda. 265 So etwa NStZ 83, 117 ff.; a.A. Laufs / Kern–Ulsenheimer; § 149 Rn. 24, der jeden Suizid auch weiterhin als allgemeinen Unglücksfall i.S.v. § 323c StGB definiert wissen möchte. 266 Fischer, Vor. § 211 StGB, Rn. 13.

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sein, nicht hinsichtlich einer unterlassenen Hilfeleistung rechtlich belangt werden zu können. Desgleichen sichert gleichzeitig, wie oben dargestellt, eine solche schriftliche „Modifizierung der Garantenpflicht für den Suizid“ (hinsichtlich der sog. unechten Unterlassungsdelikte) den suizidwilligen Patienten vor ungewollten Rettungsmaßnahmen sowie den Arzt vor einer strafrechtlichen Belangbarkeit hinsichtlich theoretisch denkbarer etwaiger Tötungsdelikte durch Unterlassen (s.o.). Zu bedenken ist, dass Zweifel an der Freiverantwortlichkeit i.d.R. zu Ungunsten des Hilfsverpflichteten wirken.267 Insofern ein Garant die Unfreiheit des Suizidenten sorgfaltswidrig und damit fahrlässig verkennt, ist sogar eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen gem. §§ 222, 13 StGB denkbar.268 Hinzu kommt als weiteres Argument für eine schriftliche „Modifizierung der Garantenpflicht“ eine bei Suizidversuchen ansonsten tatsächlich gegebene „typische Unklarheit der Verantwortungslage“,269 in welcher anderenfalls zunächst von allen Beteiligten geholfen werden müsste, sogar wenn das der bewusstlose Suizident tatsächlich subjektiv nicht gewollt hätte. Bei der Beurteilung, ob eine die Handlungspflicht auslösende Lage i.S.v. § 323c StGB vorliegt, tendiert die Rspr. nämlich zu einer objektivierenden „ex-anteSicht“,270 d.h. es entfällt eine aus objektiver Sicht i.S.e. nachträglichen Prognose vorliegende Gefahr nicht, weil sich die Hilfe später als nicht erforderlich erweist.271 Eine subjektiv irrige Ansicht des Unterlassenden kann gleichwohl allein für sich genommen keine Gefahrenlage begründen.

3. Fahrlässige Tötung Eine Beteiligung an einem Suizid ist neben den bisher genannten Varianten grundsätzlich auch infolge eines fahrlässigen Verhaltens von Dritten möglich. Dies kann eine straflose Sorgfaltswidrigkeit i.R.e. Suizidteilnahme sein, schlimmstenfalls aber eine strafbare fahrlässige Täterschaft des Dritten. Denn ein entsprechendes Risiko ergibt sich etwa aus dem Umstand, dass der Suizident sein Leben u.U. nicht wirklich frei- und eigenverantwortlich oder gar ernstlich beenden will. In diesem Fall liegt ein Tatbestandsirrtum seitens des Dritten vor, der dann je nach Fallkonstellation als ggf. mittelbarer Täter fahrlässig nichts vom Handlungsdefizit des Suizidenten wusste, so dass zwar hin267 268 269 270 271

LG Gießen NStZ 2013, 43 (44). Ebenda. Ähnlich Dölling, NJW 1986, 1015 ff. Fischer, § 323c Rn. 2. Vgl. BGHSt 14, 213 ff. (216); BGHSt 16, 200 ff. (203); BGHSt 32, 367 ff. (381).

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sichtlich seiner Stellung als mittelbarer Täter i.d.R. kein Vorsatz anzunehmen sein wird, aber dennoch eine Strafbarkeit gem. § 222 StGB weiter in Betracht kommt. Wusste der Dritte von diesem Defizit, dann hatte er sogar die entsprechende Steuerungsherrschaft inne, so dass er für diesen Fall direkt wegen mittelbarer Täterschaft hinsichtlich eines Tötungsdelikts belangt werden könnte. Demzufolge ist hinsichtlich der aus der ärztlichen Garantenstellung erwachsenden Garantenpflicht bei einer fahrlässigen aktiven Verursachung eines nicht frei verantwortlichen Suizids mit der Begründung einer strafbegründenden Sorgfaltspflichtverletzung i.R.v. § 222 StGB eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung denkbar. Dieser Aspekt ist der Vollständigkeit halber nur kurz zu erwähnen.272 Trotz der aus der Systematik des StGB folgenden Straflosigkeit einer fahrlässigen Bewirkung eines freiverantwortlichen Suizids (Erst-Recht-Argument aus der Straflosigkeit der vorsätzlichen Bewirkung) ist vom BGH 1979 aus der Garantenstellung des Arztes im sog. Jetrium-Fall273 wegen dieser ärztlichen Garantenstellung bei der fahrlässig aktiven Verursachung eines nicht frei verantwortlichen Suizids eine fahrlässigkeitsstrafbegründende Sorgfaltspflichtverletzung des Arztes i.R.v. § 222 StGB angenommen worden. In dieser Entscheidung hatte der angeklagte Arzt drogenabhängigen Patienten bei einer Entzugstherapie das Suchtmittelsurrogat Jetrium verordnet, welches sich die Patienten im Zustand des Entzuges entgegen der ausdrücklichen Anordnung des Arztes nicht intramuskulär, sondern intravenös und in tödlicher Überdosis injizierten. Der BGH ging davon aus, dass sich die drogenabhängigen Patienten in für den behandelnden Arzt vorhersehbarer Weise mittels einer überdosierten Injektion in die realisierte Todesgefahr begaben. Die Sorgfaltspflicht wurde damit begründet, dass es die Garantenstellung des Arztes gebiete, dass dieser im Rahmen der von ihm gewählten Therapie die Patienten keinem vermeidbaren Risiko aussetzt, vor allem wenn es sich um die neuartige Anwendung einer Entzugstherapie mit einem gefährlichen Medikament handelt.274 Problematisch ist, dass bei dieser Entscheidung nicht die mangelnde Freiverantwortlichkeit, sondern die Garantenstellung (welche hier aber insbesondere zur Begründung der Sorgfaltspflicht und nicht der Herleitung einer Unterlassungsstrafbarkeit diente) strafbegründend herangezogen wurde, obwohl es in der Sache um eine Erfolgsverursachung durch aktives Tun ging. Damit hat der 272 Vgl. hierzu auch den instruktiven Aufsatz von Herzberg, NStZ 2004, 1 ff. 273 BGH JR 1979, 429 ff. 274 BGH JR 1979, 429.

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BGH in dieser Entscheidung tendenziell dem Aspekt der Freiverantwortlichkeit nicht die gebührende Beachtung geschenkt, sondern eigentlich dessen Funktionsverlust bestärkt. Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie heikel die Suizidproblematik aus ärztlicher Sicht sein kann, da die Grenze zwischen einer sorgfaltswidrigen, aber straflosen Teilnahme am Suizid und einer strafbaren fahrlässigen Täterschaft i.S.d. § 222 StGB nicht immer zweifelsfrei zu ziehen ist. Allerdings wird nicht nur im Schrifttum mit guten Gründen vertreten, dass jedenfalls eine fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung eines freiverantwortlichen Suizids aus Gründen der Widerspruchsfreiheit strafrechtlicher Verhaltensbeurteilung nicht strafbar ist.275 Dogmatisch beruht diese Annahme darauf, dass, wenn schon eine vorsätzliche aktive Teilnahme an einem Suizid straflos sei, dies erst recht für eine fahrlässige Suizidbeteiligung gelten müsse.276 Dem ist zuzustimmen, ansonsten käme es zu systemwidrigen Wertungswidersprüchen. So wurde 2009 vom BGH demgemäß folgerichtig konstatiert,277 wer das zumindest selbstgefährdende, eigenverantwortliche Verhalten eines anderen fahrlässig veranlasse, ermögliche oder fördere, könne dennoch zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlichen Handelns nicht strafbar machen würde. Problematisch ist insoweit nach wie vor, welche Anforderungen seitens des Dritten an die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten zu stellen sind.278

4. Nebenstrafrecht – Strafbarkeit nach dem BtMG und AMG An dieser Stelle sollen nur der Vollständigkeit halber einige Strafbarkeitsrisiken für Suizidhelfer im Bereich des sog. Nebenstrafrechts benannt werden. So regelt einerseits § 96 Nr. 13 AMG das Verbot der ärztlichen Verschreibung todbringender Medikamente und § 29 Abs. I Nr. 1, 6 lit. b BtMG die Überlassung eines Betäubungsmittels, welches nach dem BtMG strafbar ist. 2001 wurde in dieser Hinsicht vom BGH279 anlässlich eines frei verübten Suizids mittels der Überlassung von Natrium-Pentobarbital entschieden, dass Betäubungsmittel, die im Rahmen einer straflosen Suizidbeihilfe übergeben werden, die Strafbarkeit nach dem BtMG nicht ausschließen, weil das BtMG dem 275 276 277 278 279

Ebenso Gavela, a.a.O. (S. 31) m.w.N. Ebenda. Vgl. BGH NStZ 2009, 504 ff.; BGHSt 53,288 ff. (290). Siehe bereits oben. BGH NStZ 2001, 324 ff. (325); BGHSt 46, 279.

Drittes Kapitel: Bestimmung des Rahmens der Legalität

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Schutz des überindividuellen Rechtsguts der Volksgesundheit diene280 und nicht der Verhinderung freiverantwortlicher Tötungen. Jedenfalls wurden diesbezüglich keine Vorschriften aus dem Kernstrafrecht angewendet und eine strafrechtliche Haftung des Suizidhelfers aus Tötungsdelikten ausdrücklich verneint.281 Für Ärzte hängt eine diesbezügliche Strafbarkeit davon ab, ob man die Anwendung eines Betäubungsmittels im Kontext eines assistierten Suizid i.S.v. § 13 Abs. I BtMG als ärztlich begründet ansehen darf.

II. Zusammenfassung der systematischen StGB-immanenten Problematik hinsichtlich der ärztlichen Beihilfe zum Suizid Ein Hauptproblem bei jeder Suizidteilnahme ist die für den subjektiv nur helfend teilnehmen wollenden Dritten nicht ohne Weiteres eindeutig ersichtliche innere Willensrichtung des Suizidenten, der sich etwa in einem die freie Willensbildungsfähigkeit ausschließendem Zustand einer krankhaften Depression befinden kann. In solcherart gelagerten Konstellationen droht schlimmstenfalls eine Strafbarkeit aus einem Tötungsdelikt in mittelbarer Täterschaft (s.o.), wobei dem Dritten dann in derartigen Fällen eine Tatherrschaft als Hintermann unter einer zugleich rechtlich denknotwendig vorgenommenen Bewertung des Suizidenten als Werkzeug gegen sich selbst zugesprochen würde. Die einschlägigen Kriterien für die Bestimmung einer Selbsttötung als frei verantwortlichen Suizid wurden in Teil I Kapitel 3, C) III. dieser Arbeit bereits vorgenommen, so dass hier nur kurz ergänzend darauf verwiesen werden darf. Selbstbestimmtes Sterben setzt lediglich die Einwilligungsfähigkeit und nicht die Geschäftsfähigkeit voraus; es kommt allein darauf an, ob der Suizident Inhalt und Tragweite einer etwa anstehenden ärztlichen Behandlung abschätzen kann.282 Erforderlich ist damit allein die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten hinsichtlich Art, Bedeutung, Folgen und Risiken seines Wunsches. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Einwilligung keine Willenserklärung ist, sondern eine geschäftsähnliche Handlung. Da sie vorliegend eine Entscheidung über ein höchstpersönliches Rechtsgut enthält, ist hierfür lediglich die Einwilligungsfähigkeit Voraussetzung.283 Das heißt dann auch denknotwendig, dass der Suizident keineswegs durch einen etwa vom Betreuungsgericht eingesetzten rechtlichen Betreuer oder durch einen mit einer Vorsorgevollmacht beauftragen Vertreter entmündigt wäre bzw. ist. Soweit und solange er seinen Willen diesbe280 281 282 283

Vgl. hierzu im Ganzen auch Saliger, a.a.O. (S. 153). BGH NStZ 2001, 324 ff. (325). Palandt–Weidenkaff, § 630d Rn. 2 ff.; vgl. W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 30). A.a.O. (Palandt–Weidenkaff, § 630d Rn. 2).

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züglich noch bilden und äußern kann, ist der Vertreter absolut daran gebunden.284 Daraus folgt sogar die Pflicht des Vertreters, dem Willen des Vertretenen Geltung zu verschaffen, wie z.B. das Zulassen des gewünschten Sterbens durchzusetzen, sofern kein Fall einer aktiven lebensverkürzenden Sterbehilfe vorliegt. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass immer eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, anhand derer zu entscheiden ist, ob der subjektiv nur teilnehmende Dritte bei dem Vollzug des mit dem Suizidenten vereinbarten Gesamtplans als Werkzeug einer sich freiwillig selbst gefährdenden Person handelt oder aber dabei tatsächlich infolge eines Mangels des Suizidenten hinsichtlich der Tat und ihrer Bedeutung über eine täterschaftsbegründende Gefährdungsherrschaft verfügt.285 Hierbei ist anhand des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit eine gegenseitige Abgrenzung der Verantwortungsbereiche zwischen dem Suizidenten und seinem „Helfer“ vorzunehmen – wobei ein gravierender kognitiver Mangel seitens des Suizidenten hinsichtlich der Bewertung der Tat die Freiverantwortlichkeit regelmäßig in Frage stellt. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass eine vermeintlich straflose ärztliche Beihilfe zum Suizid sich bei kleinsten Modifikationen des „idealtypischen Sachverhalts“, oft in Unkenntnis der Rechtslage, leicht unter der subjektiv helfen wollenden Hand des Arztes in einen rechtswidrigen Straftatbestand verwandeln kann. Damit ein ärztlicher Beihelfer zum Suizid sich wirksam juristisch abzusichern kann, empfiehlt es sich, ein hausärztliches Attest beizubringen, aus dem eindeutig hervorgeht, dass keine psychische Störung auf Seiten des Patienten vorliegt und damit an dessen freier Willensbildungsfähigkeit insoweit keinerlei Zweifel bestehen. Außerdem ist es darüber hinaus geboten, eine handschriftlich geschriebene und unterschriebene sog. „modifizierte Garantenpflicht für den Suizid“ vom ärztlichen Beihelfer und vom Patienten gegenzeichnen zu lassen. Hierbei modifiziert der Patient rechtsverbindlich die Garantenpflicht des Arztes. Dieser ist dann nicht mehr Garant des nicht mehr gewünschten Lebens, sondern Garant des freiverantwortlichen Willens des Patienten.286 Für die Wirksamkeit dieser Erklärung ist es sinnvoll, zur Abfassung mindestens einen Zeugen hinzuzuziehen und zudem die volle Einsichtsfähigkeit des Patienten sinnvoll zu dokumentieren. 284 Ebenso W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 30). 285 Fischer, Vor § 211 Rn. 10c. 286 Vgl. W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 27).

Viertes Kapitel: Zivilrechtliche Aspekte Im Jahr 2009 wurde vom Deutschen Bundestag das „Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts“ verabschiedet, welches zumindest einige zivilrechtliche Aspekte zur Patientenverfügung und zur Entscheidung über ein Sterbenlassen durch Therapiebegrenzung regelt, §§ 1901a–c BGB. Das Gesetz selbst wurde rechtssystematisch in den betreuungsrechtlichen Teil des BGB eingefügt, so dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Fragen zur medizinischen Therapie am Lebensende und den Bedingungen zulässigen Sterbenlassens nicht in einem umfassenden eigenen Gesetz geregelt wurden. Seither wurden etwa die nicht geregelten strafrechtlichen Aspekte weiterhin höchstrichterlich ergänzt. Das neue Gesetz ist primär kein Gesetz über Entscheidungen am Lebensende, sondern generell über Therapieentscheidungen für einwilligungsunfähige Patienten.1 Deshalb kommen Begrifflichkeiten2 wie etwa lebenserhaltende Maßnahmen, Lebensende, Sterben etc. ausdrücklich nicht darin vor. Somit ist die Patientenverfügung, an der das Gesetz sich orientiert, zunächst unabhängig vom Lebensende konzipiert, auch wenn sie in der Praxis meistens in diesem Kontext zur Geltung kommt.3 Für die rechtliche Praxis ergeben sich daraus naheliegende Fragestellungen zur Wirkungsweise und Gestaltung von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten. Eine Million registrierter Vorsorgeurkunden im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer – davon bereits im Jahr 2008 über 700.000 mit einer Patientenverfügung – belegen die gesellschaftliche Relevanz dieses Themas.4 In diesem Zusammenhang ist weiterhin noch in aller Kürze auf das seit dem 26. Februar 2013 in Kraft gesetzte Patientenrechtegesetz (§§ 630a–h BGB) einzugehen, welches unter dem „Untertitel 2. Behandlungsvertrag“ in das BGB eingefügt wurde. Es regelt den bisher nicht ausdrücklich normierten medizinischen Behandlungsvertrag als besondere Form des Dienstvertrages.5 Ziel ist die Schaffung transparenter gesetzlicher Regeln, damit Patienten verlässliche Informationen über ihre Rechte erhalten und eigenverantwortlich wie selbstbe1 2 3 4 5

Ebenso Ralf J. Jox, a.a.O (S. 73). Im Weiteren werden die relevanten Vorschriften näher vorgestellt, um deren Begrifflichkeit und Regelungsgehalt zu präsentieren. Ebenso Ralf J. Jox, a.a.O. (S. 73). Ähnlich Diehn / Rebhan, NJW 2010, 326 ff. Palandt–Weidenkaff, Vorb v. § 630a BGB, Rn. 1.

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stimmt im Rahmen der medizinischen Behandlung entscheiden können.6 Da ein solcher Behandlungsvertrag auch durch einen Vertreter mit dem Behandelnden geschlossen werden kann, sollte der Vertreter wegen des Interesses des Patienten an Transparenz und Rechtssicherheit hinsichtlich seiner medizinischen Behandlung den Regelungsgehalt der §§ 630a–h BGB stets beachten und deren Umsetzung überwachen. Damit sichert sich der Vertreter letztlich auch selbst ab.

A) §§ 1901a–c BGB (drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts 2009) I. Patientenverfügung: Ermittlung des mutmaßlichen Willens Wenn bei einem Patienten alters- oder krankheitsbedingt ein Verlust der freien Willensbildung eintritt, gibt das Gesetz in dieser Situation den Angehörigen bislang kein Recht, füreinander die Gesundheitssorge auszuüben. Weder können Kinder automatisch für ihre Eltern, noch Ehegatten füreinander entscheiden. Deshalb ist ein Vertreter zu bestellen, der für den Patienten alle entsprechenden Rechtshandlungen vornimmt.7 Entweder wurde er zuvor vom Patienten persönlich ermächtigt oder das Betreuungsgericht muss ansonsten einen Vertreter bestellen. In dem einen Fall spricht man vom Bevollmächtigten, im anderen vom sog. Betreuer. In beiden Fällen wird deutlich, dass das Vertreterhandeln zunächst der zentrale Bezugspunkt für alles Weitere ist. Allerdings ist jeder Vertreter, Betreuer oder Bevollmächtigte absolut an den Patientenwillen gebunden. Damit also der Vertreter für den Fall des Verlustes der freien Willensbildung des vertretenen Patienten verbindlich wissen kann, wie er konkret und in dessen Sinne entscheiden muss, bedarf es der rechtlich bindenden Festlegung des eigenen Willens für diese Situation. Dies geschieht technisch mittels einer sog. Patientenverfügung. Durch eine Patientenverfügung werden mithin generell die Behandlungswünsche für den Fall niedergelegt, dass der Patient seinen Willen zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund einer Erkrankung nicht mehr selbst bilden oder äußern kann. Im Gegensatz zur Vorsorgevollmacht, die lediglich regelt, von wem der Patient vertreten werden möchte, regelt eine Patientenverfügung also die entscheidungserheblichen Punkte, die der Vertreter für den Patienten entscheiden soll. Die Patientenverfügung ist mit anderen Worten nichts anderes als ein Beweismittel für den „aktuellen Willen“ des nicht willensbildungsfähigen 6 7

Ebenda. Vgl. W. Putz / B. Steldinger, a.a.O. (S. 108).

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Patienten. Wegen der Schriftform kann sogar von einem Urkundsbeweis für eine vom Patienten selbst im Voraus getroffene Regelung gesprochen werden.8 In § 1901a BGB wird die Patientenverfügung definiert, und es werden die Voraussetzungen genannt, unter denen sie rechtlich bindend wird. Eine Patientenverfügung ist zunächst eine schriftliche Willensbekundung, mit der ihr Urheber eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe trifft, und zwar für den Fall der späteren Einwilligungsunfähigkeit.9 Ihr Verfasser muss volljährig und einwilligungsfähig sein. Auch muss die Verfügung in Schriftform ergehen und die Zustimmung bzw. Untersagung hinsichtlich konkret zu benennender Eingriffe und Maßnahmen beinhalten. Da es sich bei einer Patientenverfügung um eine rechtsgeschäftliche Erklärung handelt, muss sie wie jede Willenserklärung ausgelegt werden.10 Ob die Verfügung im Ergebnis umgesetzt werden kann, hängt nach § 1901a Abs. I Satz 2 BGB davon ab, ob die vorsorglichen Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Dies entscheidet dann der mittels Vorsorgevollmacht direkt Bevollmächtigte bzw. der Betreuer. Dem Vertreter ist an dieser Stelle nach der gesetzlichen Wertung die Aufgabe zugewiesen worden, dem Patientenwillen Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Gem. § 1901a Abs. I S. 3 BGB kann eine Patientenverfügung jederzeit formlos widerrufen werden – somit auch mündlich. Falls keine auf die aktuelle Lebensund Behandlungssituation zutreffende Patientenverfügung vorliegen sollte, regelt § 1901a Abs. II S. 1 BGB, dass nach mündlich geäußerten Behandlungswünschen bzw. dem mutmaßlichen Willen des Patienten zu entscheiden ist. Bei der Umsetzung dieser Anforderung helfen § 1901a Abs. II Satz 2 und 3 BGB weiter. Es müssen konkrete Anhaltspunkte für eine solche Feststellung vorliegen. Als Regelbeispiele werden hier frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse und sonstige persönliche Wertvorstellungen nicht abschließend genannt. Es wird allerdings vereinzelt kritisiert, dass diese bereits eins zu eins anhand des Kemptener-Urteils entwickelten Kriterien etwas vage und teils inkohärent seien.11

8 9 10 11

Vgl. W. Putz, Patientenautonomie im Gerichtssaal (S. 27), Selbstbestimmung am Ende des Lebens (Hrsg. A. Endreß / M. Bauer). Palandt, § 1901a BGB Rn. 3. Ralf J. Jox s.o. (S. 73). So etwa Ralf J. Jox s.o. (S. 74).

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§ 1901a Abs. III BGB legt fest, dass Obiges unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung des Patienten gilt. Insoweit wird die zuvor vom BGH vereinzelt vertretene Reichweitenbeschränkung aufgehoben, nach der ein Sterbenlassen nur erlaubt war, wenn die Erkrankung irreversibel tödlich enden muss.12 § 1901b BGB enthält außerdem einige allgemeine Regeln hinsichtlich des „Arzt-Patient-Verhältnisses“. In Abs. I dieser Regelung wird klar festgelegt, dass der behandelnde Arzt zunächst prüfen muss, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Erst nachdem die Indikation positiv festgestellt wurde, haben der Patientenvertreter und der Arzt zu erörtern, ob diese ärztliche Maßnahme dem Willen des Patienten entspricht. Hieraus folgt, dass ein Patientenwille juristisch nicht relevant ist, wenn eine medizinische Maßnahme nicht indiziert ist (s.o.). An diesem Punkt bleibt dennoch festzuhalten, dass durch diese Regelung inzwischen ein obligatorisches Gespräch der Beteiligten bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich des festzustellenden Patientenwillens zum Lebensende als sozusagen dialogisches Prinzip verbindlich eingeführt wurde. Außerdem eröffnet § 1901b Abs. II BGB die Einbeziehung von nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Abs. I BGB. § 1901b Abs. III BGB lässt dies für Bevollmächtigte entsprechend gelten. Insoweit haben die genannten Personenkreise damit einen subjektiven Anspruch auf Beteiligung am Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens. Die Grenze hierfür ist allerdings, dass dies im Interesse des Patienten ohne erhebliche Verzögerungen möglich ist. Fraglich ist, ob vor dem Erlass einer Patientenverfügung eine ärztliche Aufklärung über die medizinische Tragweite einer Maßnahme als rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung geboten ist, wie dies § 630e Abs. I BGB nahe legt. So wird seitens der Ärzteschaft oftmals angenommen, dass eine Einwilligung in eine Operation nur dann rechtsverbindlich sei, wenn der einwilligende Patient über die medizinische Tragweite aufgeklärt wurde und somit die Tragweite seiner Einwilligung kennt.13 Juristisch ist das nicht korrekt, weil i.S.v. § 630e Abs. III BGB auch der nicht aufgeklärte Patient wirksam seiner Operation zustimmen kann. Es muss ihm lediglich eine Aufklärung angeboten worden sein, welche er aber auch ablehnen kann. Hier ist vor allen Dingen Folgendes zu unterscheiden: Bei Patientenverfügungen hinsichtlich des Bereiches des Unterlassens möglicher lebensverlängernder Maßnahmen verbietet der Patient ja ausdrücklich einen Eingriff und verlangt ein Unterlassen. Da ein solches 12 13

So noch Laufs / Kern–Ulsenheimer, § 149 Rn. 17. Vgl. W. Putz / B. Steldinger s.o.(S. 135).

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Verbieten jedermann bindet, kann der später behandelnde Arzt gar nicht zur Aufklärung verpflichtet sein. Im Falle von Vorausverfügungen durch Behandlungswünsche oder Patientenverfügung nimmt der Patient insoweit das Risiko fehlender oder unvollständiger Aufklärung auf sich.14 Die prozedurale Fragestellung nach der gerichtlichen Genehmigungspflichtigkeit von Entscheidungen zum Sterbenlassen wird in § 1904 Abs. I Satz 1, 1. Var. BGB thematisiert. Generell gilt, dass eine gerichtliche Genehmigung für das Sterbenlassen nur einzuholen ist, wenn der Vertreter des Patienten eine ärztliche Maßnahme, welche der behandelnde Arzt für geboten hält, mit Hinweis auf den Patientenwillen ablehnt und der Vertreter sowie der Arzt jeweils anderer Meinung bezüglich des Patientenwillens sind. Hieraus folgt zugleich, dass der behandelnde Arzt nicht nur für die Beurteilung der Indikation, sondern auch des Patientenwillens zuständig ist. Angehörige des Patienten treten i.d.R. dann hinzu, wenn der Patient selber keinen Willen mehr bilden oder äußern kann und sie ggf. zuvor bevollmächtigt worden sind. Ein Vertreter des Patienten (Bevollmächtigter oder Betreuer) muss entweder aufgrund einer Patientenverfügung, oder aufgrund von geäußerten Behandlungswünschen oder aber aufgrund des ermittelten mutmaßlichen Willens konkret entscheiden, wenn der Patient dies nicht mehr kann. Neben Ärzten sind es besonders die gesetzlichen Betreuer und Vorsorgebevollmächtigen des Patienten, meist als Angehörige in Person, die Ängste vor der Justiz plagen.15 Beide Personengruppen tragen schließlich die juristische Verantwortung für die Therapie-Entscheidungen, wenn der Patient selbst nicht mehr entscheidungsfähig ist.16 Problematisch ist hierbei, dass Angehörige bisweilen nicht die gebotene Rücksicht auf medizinische oder juristische Autoritäten nehmen, sich in ihren Entscheidungen durch die intime Kenntnis des Betroffenen subjektiv sicher fühlen und darum oft zu schnell und intuitiv entscheiden,17 manchmal leider nicht mehr auf dem Boden des geltenden Rechts. Insoweit birgt eine solche Konstellation gewisse Spannungen und ggf. offen auftretende rechtliche Unsicherheiten. Der Vertreter des Patienten darf außerdem keinesfalls nach eigenen Wertvorstellungen oder aufgrund von reiner Intuition handeln. Vielmehr ist er nach 14 15 16 17

Ebenda. Ähnlich Ralf J. Jox, a.a.O. (S. 54). Vgl. etwa „Kölner-Fall“ BGH 10.11.2010 – 2 StR 320/10 (= NJW 2011, 161 ff.). Zu diesem Problem: Ralf J. Jox, s.o.

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§ 1901a BGB streng und in dieser Reihenfolge an die Patientenverfügung bzw. die Behandlungswünsche bzw. den mutmaßlichen Willen des Patienten gebunden.18 Der so festgelegte Wille bindet Vertreter (Betreuer oder Bevollmächtigte), Ärzte, Heime und das Pflegepersonal. Kommt es zwischen dem Vertreter des Patienten und dem behandelnden Arzt zu einem Streit über die weitere Behandlung, ist gem. § 1904 Abs. III BGB eine Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich, weil der Arzt seinen Patienten nicht behandeln darf, ohne dass dieser oder sein rechtlicher Vertreter der Behandlung wirksam zugestimmt hat.19 Die Feststellung des aktuellen Patientenwillens eines inzwischen entscheidungsunfähigen Patienten ist vor allem für Ärzte und Angehörige sowie Vertreter von hoher Relevanz, aber zugleich auch Brisanz. Nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung und seit 2009 auch nach dem Gesetz (§ 1901a BGB)20 gilt hierbei das sog. Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, die handlungsleitende Reihenfolge: 1. Patientenverfügung 2. Behandlungswünsche 3. mutmaßlicher Wille 4. ärztliche Indikation und 5. in dubio pro vita

ist streng und zwingend auf dem Weg der Entscheidungsfindung einzuhalten. Nur wenn eine ranghöhere Ebene nicht einschlägig ist, wird die nachfolgende überhaupt geprüft. Diese Schritte gelten insoweit nach dem Wortlaut des Gesetzes unbedingt und in dieser sachlogisch gebotenen und daraus zugleich folgenden zeitlichen Reihenfolge. Bei einer fehlenden ärztlichen Indikation findet als Besonderheit allerdings erst gar keine Diskussion über den Patientenwillen als solchen statt.21 Künstliche Lebenserhaltung ist ein ärztlicher Eingriff und bedarf einer Indikation; d.h. der wertenden ärztlichen Abwägung, welche medizinische Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose für den Patienten indiziert ist.22 Sie umfasst zugleich eine Abwägung zwischen Nutzen und Schaden der geplanten Behandlung nach dem jeweils aktuellen Facharztstandard. Was nicht indiziert 18 19 20 21 22

Palandt–Götz, § 1901a BGB, Rn. 22 ff. Palandt–Götz, §§ 1901a BGB, Rn. 8; 1904 BGB; Rn. 23 ff. Palandt–Götz, § 1901a BGB; Rn. 7, 8. Palandt–Götz, § 1901b BGB, Rn. 1. Ebenda.

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ist, darf der Arzt nicht tun, so dass sich die Frage nach dem Patientenwillen dann bereits vorab verbietet und somit erübrigt. Die Indikationsstellung muss also erfolgen, bevor nach dem Willen des Patienten gefragt wird, wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 1901a Abs. I Satz 1 BGB systematisch ergibt.

II. Vorsorgevollmacht: Bestimmung eines Vertreters; Ergänzung einer etwaigen Patientenverfügung durch eine Vorsorgevollmacht Im Folgenden werden die Vorsorgevollmacht sowie die Patientenverfügung in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit voneinander erörtert.

1. Zweck der Vorsorgevollmacht Ergänzend zur Erteilung einer Patientenverfügung ist die bereits erwähnte Erteilung einer wenigstens schriftlichen und besten Falls notariell beglaubigten Vorsorgevollmacht hilfreich. Denn die Patientenverfügung klärt nicht, wer den Patientenwillen im Akutfall zur Geltung bringt. Das kann nur eine Vorsorgevollmacht leisten. In der Vorsorgevollmacht wird somit eine Person bestimmt, der uneingeschränktes Vertrauen geschenkt und zugleich zugetraut wird, den Willen des Vertretenen durchzusetzen. Hierdurch wird letztlich bestimmt, welche Person die Angelegenheiten des Patienten regeln soll, wenn dieser es selbst nicht mehr kann. Mithin ist die Vorsorgevollmacht eine bindende Erklärung, mit der der Bevollmächtigte durch den Vollmachtgeber ermächtigt wird, anstelle dessen rechtlich wirksame Erklärungen für ihn abzugeben. Eine Vorsorgevollmacht hat unmittelbar dann Wirkung, wenn der Verfügende krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, zu handeln oder zu entscheiden.23 Dadurch wird verhindert, dass ein rechtlicher Betreuer durch das Betreuungsgericht bestellt werden muss.24 Es ist in diesem Zusammenhang in der Regel nicht bekannt, dass selbst Angehörige, auch der Ehepartner, erst noch auf diese Weise zu bevollmächtigen sind. Allein aus Verwandtschaft oder Eheschließung gibt eine Person einer anderen noch nicht das Recht, über ihr gesundheitliches Wohl zu entscheiden.

2. Inhaltliche Erfordernisse Eine Vorsorgevollmacht ist rechtlich z.B. als eine bedingte Vollmacht gestaltbar. Der Vollmachtgeber erteilt dann einer Person für einen bestimmten Fall (etwa Eintritt der Geschäftsunfähigkeit.) eine allgemeine Vollmacht (Generalvollmacht) oder eine Vollmacht für bestimmte Angelegenheiten (etwa eine 23 24

Vgl. Praxiswissen Betreuungsrecht, dt. Caritasverband e.V (Hrsg.), S. 213. Vgl. § 1896 BGB.

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Bankvollmacht). Bei Eintritt der Geschäftsunfähigkeit erlischt diese Vollmacht nicht.25 Vorzugswürdig ist allerdings eine Vorsorgevollmacht ohne Bedingung, die nach außen unbedingt und sofort gilt. Denn eine Wirksamkeitsvoraussetzung des Zustandes der Handlungs- oder Willensunfähigkeit würde in der Praxis die Vorlage eines stets aktuellen Attestes hierüber erfordern und die Tauglichkeit der Vorsorgevollmacht im Rechtsverkehr nicht unerheblich einschränken. Die Vorsorgevollmacht ist, wie alle Vollmachten, ein Ausweisdokument zur Verwendung im Rechtsverkehr und ist immer schriftlich zu erteilen. Außerdem muss sie den Vollmachtgeber und Bevollmächtigten mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum und ggf. Adresse nennen. Ebenso muss der Regelungsbereich und damit die Reichweite der Vollmacht klar beschrieben werden – wie etwa Vermögen oder Gesundheit.26 Insoweit ist die Vorsorgevollmacht ein Ausweisdokument, welches inhaltlich die Vertrauensperson benennt und deren Wirkungskreis definiert. Konkrete inhaltliche Vorgaben zum Patientenwillen sind dagegen der Patientenverfügung vorbehalten, wie etwa Angaben zur Behandlung bei Krankheit und im Sterben. Darum darf die Vorsorgevollmacht keine inhaltlichen Elemente bezüglich des Patientenwillens enthalten, weil der Patientenwille sich im Laufe des Lebens noch ändern könnte. Ansonsten würde es bei Abänderung einer Patientenverfügung zu einem inhaltlichen Konflikt zwischen Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung kommen. Der Vorteil einer Vorsorgevollmacht liegt zusätzlich darin, dass sich der Betroffene die Person selbst aussuchen kann, von der er ab dem Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (etwa ab dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit) betreut werden möchte. Dies erspart ihm den Einblick unerwünschter und unbekannter Dritter in seine persönlichen und vermögensbezogenen Verhältnisse.27 Ganz allgemein bevollmächtigt der (künftige) Patient in einer Vorsorgevollmacht privatrechtlich eine Vertrauensperson, an seiner Stelle für die Zukunft verbindliche Entscheidungen, auch über die medizinische Behandlung am Lebensende, zu treffen.28 Gegenstand der Vollmacht kann damit also gerade auch die Einwilligung in eine Heilbehandlung sein. Wichtig ist hierbei, dass der Bevollmächtigte stets an den Patientenwillen und dessen Dokumentation 25 26 27 28

Vgl. OLG München NJW-RR 2009, 1599 ff. Ebenso W. Putz / B. Steldinger, s.o. (S. 113). So auch W. Zimmermann, Ratgeber Betreuungsrecht, S. 11. Ähnlich Ralf J. Jox, Sterben lassen (S. 144 ff.).

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etwa in Form einer Patientenverfügung gebunden ist, so dass diesbezüglich keine Widersprüche auftreten können und der Vorrang des Patientenwillens gewahrt ist. Außerdem wird hierdurch keine Entmündigung erreicht – der Patient bekommt lediglich unter Erhalt der Selbstbestimmung eine wirksame Vertretung bei dauerhaftem oder vorübergehendem Verlust der Selbstbestimmungsfähigkeit. Er bleibt aber noch willensbildungsfähig, selbstbestimmungsfähig und vor allen Dingen selbstbestimmungsberechtigt.29

3. Betreuungsrechtliche Aspekte im Kontext von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht Rechtsgrundlage für die Bestellung eines Betreuers ist § 1896 BGB, wobei § 1896 II BGB gesetzlich den Vorrang der Vorsorgevollmacht gegenüber der Bestellung eines rechtlichen Betreuers durch das Betreuungsgericht nach Abs. I vorsieht. Dieser Vorrang ist immer dann anzunehmen, wenn die Vorsorgevollmacht als nahe liegendes und optimales Instrument zur Organisation von Alter, Krankheit und Sterben in Betracht kommt. Ein Betreuer kann vom Betreuungsgericht (Abteilung des Amtsgerichts) gem. § 1896 Abs. I BGB bestellt werden, wenn der Betroffene volljährig ist, er seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht selbst besorgen kann und der Grund dafür in einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung liegt. Außerdem muss die Bestellung eines Betreuers erforderlich sein. Eine inhaltliche Nähe zur Patientenverfügung ist unverkennbar. Gemäß § 1896 Abs. II Satz 2 BGB ist ein Betreuer dann nicht erforderlich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigen besorgt werden können. Dabei ist vor allem an eine Vorsorgevollmacht zu denken (s.o.). Ein Betreuer darf mithin nur bestellt werden, wenn und soweit dies erforderlich ist.30 Diese Einschränkung bedeutet zugleich, dass es sich, bezogen auf den Aufgabenkreis, um notwendige Aufgaben handeln muss. Auch scheidet nach Satz 2 dieser Vorschrift eine Bestellung aus, wenn andere Möglichkeiten der Hilfe bestehen, die ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Positiv gewendet bedeutet dies, dass ein Betreuer vom Gericht nur für die Aufgabenkreise bestellt wird, in denen die Betreuung erforderlich ist, wobei diese Aufgabenkreise im Beschluss des Gerichts angegeben werden. Nur innerhalb des so definierten Aufgabenkreises vertritt der Betreuer nach § 1902 BGB den Betroffenen. Falls es sich dabei um den Auf-

29 30

Siehe auch W. Putz / B. Steldinger, s.o. (S. 109). Zimmermann, Ratgeber Betreuungsrecht (S. 4).

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gabenkreis einer sog. „Zuführung“ zur ärztlichen Behandlung31 handelt, ist dieser Bereich entweder als Teil der persönlichen Angelegenheiten des Betroffenen übertragbar oder aber i.R.d. Aufgabenkreises „alle Angelegenheiten des Betroffenen“. Der Aufgabenkreis „alle Angelegenheiten“ wird immer dann vom Gericht als Tätigkeitsfeld angegeben, wenn der Betroffene so hilfsbedürftig ist, dass er keine seiner Angelegenheiten mehr selbstständig erledigen kann, sondern eine umfassende Betreuung erforderlich ist. Der Aspekt Personensorge bzw. Sorge für die Gesundheit beinhaltet aus Sicht des Betreuers zwei Aspekte: einerseits die Sorge um das gesundheitliche Wohl des Betreuten und andererseits die Sicherstellung der Finanzierung der Maßnahme.32 Da jeder ärztliche Eingriff, jede Untersuchung oder auch Heilbehandlung einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betreuten darstellt, ist deshalb stets dessen Einwilligung erforderlich und begrenzt insoweit zunächst die Kompetenzen des Betreuers. Wegen § 630d Abs. I BGB ist in diesem Zusammenhang bei jedem ärztlichen Eingriff eine Einwilligung des Patienten einzuholen. Wenn der Patient selbst noch einwilligungsfähig ist, entscheidet er selbst, auch wenn ein Betreuer bestellt ist. Andernfalls kann der Betreuer bei Einwilligungsunfähigkeit des Patienten als gesetzlicher Vertreter im Namen des Betroffenen einwilligen, soweit nicht eine Patientenverfügung die Maßnahme gestattet oder untersagt (§ 630d Abs. I Satz 2 BGB). Hinsichtlich einer Patientenverfügung gilt nun das oben Gesagte; sie ist bindend auch für Betreuer, Vorsorgebevollmächtigte, Betreuungsgericht und sie ist nicht beschränkt auf schwere oder lebensbedrohende Erkrankungen (vgl. § 1901a Abs. III BGB). Sie kann sich deshalb auch auf verhältnismäßig geringfügige Erkrankungen beziehen, und sie ist nicht auf ein Stadium der Erkrankung beschränkt. Wenn nun eine wirksame Patientenverfügung in Schriftform vorliegt, prüft der Betreuer, sofern er einen entsprechenden Aufgabenkreis gerichtlich zugewiesen bekommen hat (vgl. §§ 1902, 1904 BGB), ob die damaligen Festlegungen des Betreuten auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen (§ 1901a Abs. I Satz 1 BGB). Ist das der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten „Ausdruck und Geltung“ zu verschaffen (§ 1901a Abs. I Satz 2 BGB). Dann erklärt er insoweit seine Einwilligung zu einer geplanten Maßnahme und veranlasst zugleich die vom Betreuten gewünschte Maßnahme. Falls keine Kongruenz besteht, hat der Betreuer die Wahl, ob er trotzdem in die ärztliche Behandlung einwilligt oder nicht, indem 31 32

Ebenda (S. 184 ff.). Siehe auch: C. Hell, Betreuungsrecht (S. 37).

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er die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten feststellt und auf dieser Grundlage entscheidet (§ 1901a Abs. II Satz 1 BGB). Allerdings bedarf gem. § 1904 Abs. I Satz 1 BGB die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Gleiches gilt für die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung des Betreuers. Das sind in erster Linie die hier vor allem interessierenden Fälle von „Sterbehilfe“, in denen entweder die künstliche Ernährung mittels PEG-Sonde oder die Beatmung eingestellt wird. Dieser Grundsatz wird durch § 1904 Abs. IV und Abs. V Satz 1 BGB eingeschränkt. Ausnahmsweise bedarf es keiner Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht. Dann ist weder ein Verfahrenspfleger noch ein Sachverständigengutachten erforderlich. Das Betreuungsgericht hat ja in einem solchen Fall mit der Sache nichts zu tun und erfährt erst später, dass der Betreute gestorben ist und die Betreuung somit endete.

III. Grenzen und Graubereiche von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht Patientenverfügungen betreffen nicht den sog. Akutfall, sondern sie gelten für den Sterbeprozess bzw. den Zustand schwerster körperlicher Beeinträchtigung durch Krankheit oder Unfall.33 Allerdings ist es aus Sicht des Patienten weiterhin denkbar, eine Reanimation auch für den Akutfall verbieten zu wollen. Dann müsste der Patient verfügen, dass er grundsätzlich und unabhängig von einer bestimmten gesundheitlichen Situation jegliche Wiederbelebung untersagt. Durch dieses absolute Verbot jeglicher Reanimation würden Familienangehörige oder auch Pflegekräfte wirksam von der Pflicht entbunden, einen Arzt zur Reanimation zu rufen. Dies sollte als eigenständige Ergänzung zur Patientenverfügung hinzugefügt werden. Ein weiteres Problem betrifft die Einwilligungsfähigkeit. Nach der Rspr. des BGH ist jemand dann nicht mehr einwilligungsfähig, wenn er die Tragweite und die Folgen eines medizinischen Eingriffs nicht verstehen oder auf der Basis von Einsicht keinen freiwilligen Entschluss mehr treffen kann.34 Schwie33 34

Siehe auch W. Putz / B. Steldinger s.o. (S. 144). BGH NJW 1972, 335 ff.

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rigkeiten können sich etwa bei einer beginnenden bzw. leichten Demenz ergeben, da die Feststellung der Einwilligungsunfähigkeit in der ärztlichen Praxis eine fundamentale Aufgabe darstellt und die bisherigen Abgrenzungskriterien eher vage formuliert sind.35 Unklar bleibt weiterhin, welchen Status eine schriftliche Vorausverfügung hat, wenn sie ein einwilligungsfähiger Minderjähriger, etwa ein reifer 17-jähriger, verfasst. Laut Gesetzestext des § 1901a Abs. I BGB ist das Vorliegen der Volljährigkeit eine entscheidende persönliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung. Es wird hierbei aber nicht ersichtlich, warum diese Einschränkung zu Ungunsten Minderjähriger erforderlich und rechtmäßig sein soll.36 Es ist längst anerkannt, dass die Einwilligungsfähigkeit nicht von einer Altersschwelle abhängt, sondern von der individuellen geistig-sittlichen Reife.37 Wie ist es also zu rechtfertigen, dass ein reifer 17-jähriger eine bestimmte Behandlung im persönlichen Gespräch zwar ablehnen kann, nicht aber vorsorglich in einer Patientenverfügung? Auf jeden Fall ist in solchen Fällen mit einer Verletzung des Grundrechts auf medizinische Selbstbestimmung zu rechnen, wenn sich ein Minderjähriger auch bei hinreichender Einsichts- und Urteilsfähigkeit ärztlicher lebenserhaltender Maßnahmen nicht rechtswirksam erwehren kann. Darum liegt hierin ein eindeutiger Wertungswiderspruch, der gegen Art. 2 Abs. I, 3 Abs. I u. III GG verstößt, denn die Patientenverfügung verlangt ebenso wenig wie die Einwilligung in eine aktuelle ärztliche Maßnahme Geschäftsfähigkeit, sondern lediglich die Einwilligungsfähigkeit.38 Für diese Einwilligungsfähigkeit reicht allerdings die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen, um Art, Bedeutung, Risiken und Tragweite der Maßnahme zu erfassen und seinen Willen hiernach zu richten.39 Eine Vertretung durch die Eltern als gesetzliche Vertreter, die dann namens des Kindes eine entsprechende Erklärung abgeben könnten, ist hier als Ausweg nicht denkbar. Die Patientenverfügung stellt eine höchstpersönliche Verfügung dar, bei der keine Möglichkeit einer Stellvertretung besteht. Sie ist eine Erklärung des Patienten und nicht für diesen. Die Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem befinden sich noch im Fluss und sind derzeit noch nicht abschließend geklärt.40 Als Notanker könnte ein Minderjähriger einer Person seines Vertrauens eine Vollmacht i.S.v. § 1904 Abs. V BGB 35 36 37 38 39 40

Vgl. Ralf J. Jox, a.a.O. (S. 87). Ebenso Sternberg-Lieben, NJW 2012, 257 ff. (258). Ralf J. Jox s.o. (S. 89). Palandt–Götz, § 1901a Rn. 10. Palandt–Weidenkaff, § 630d Rn. 3; § 104 Überbl 8 vor § 104. Sternberg-Lieben, NJW 2012, 257 ff. (261).

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erteilen; diese könnte auch ein Behandlungsveto beinhalten, wenn sie schriftlich erteilt ist und die Nichteinwilligung in eine medizinisch indizierte lebenserhaltende Maßnahme ausdrücklich umfasst. Diese Lösung wird vom Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts zumindest nicht ausgeschlossen. Unzureichend geregelt ist ebenso der Widerruf einer Patientenverfügung. § 1901a Abs. I S. 3 BGB regelt lediglich, dass man sie jederzeit formlos widerrufen kann. Zum einen bleibt dabei offen, ob dafür dieselbe Einwilligungsfähigkeit wie bei der Erstellung erforderlich ist. Denn der Gesetzgeber wollte hierdurch bewusst die Hürden für einen Widerruf niedrig halten, um dadurch immer den je aktuellen Willen zur Richtschnur zu machen und den Lebensschutz zu fördern. Denn es ist in der Praxis nicht selten, dass ein Demenzkranker einerseits nicht mehr einwilligungsfähig ist, andererseits zu erkennen gibt, dass er an seiner früher verfassten Patientenverfügung unter keinen Umständen mehr festhalten will. Andererseits wäre es gesetzessystematisch nicht unlogisch, dieselbe Einwilligungsfähigkeit zu verlangen, da es ja um die gleiche Entscheidung geht. Es ist jedoch allein erforderlich, dass die Willensänderung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt. Darum ist im Ergebnis einer Auslegung zu folgen, die für den Widerruf nicht die Geschäftsfähigkeit, sondern lediglich die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen verlangt.41 Ein weiteres Problem umfasst die Frage, ob eine Patientenverfügung unmittelbar in ärztliches Handeln umgesetzt werden muss, wenn sie zwar auf die Situation zutrifft, aber noch kein Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigter existiert. § 1901a Abs. I BGB schreibt ja eigentlich vor, dass ein Betreuer bzw. Vorsorgebevollmächtigter dies zu prüfen hat. Die Frage geht also dahin, ob man stets einen rechtlichen Stellvertreter des Patienten benötigt, um eine Patientenverfügung wirksam umzusetzen, oder ob eine direkte Bindungswirkung anzunehmen ist. Allerdings tendiert die herrschende Meinung dahin, dass solche sog. kongruenten Patientenverfügungen keiner weiteren Erklärung eines Betreuers bedürfen,42 wenn eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein sonstiger ärztlicher Eingriff von der in der Patientenverfügung erklärten Einwilligung oder Untersagung gedeckt ist. Die Patientenverfügung wirkt nach dieser Auslegung für den indizierten ärztlichen Eingriff somit unmittelbar rechtfertigend bzw. bei einer entsprechenden Untersagung als Verbot. Es wird daher von der herrschenden Meinung43 angenommen, dass 41 42 43

So auch in Palandt–Götz, § 1901a Rn. 25. Palandt–Götz, § 1901a Rn. 22. Ebenda.

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eine weitere Einwilligung oder Versagung seitens des rechtlichen Vertreters in solchen Fällen überflüssig ist. Demzufolge ist davon auszugehen, dass in der Rechtspraxis eine passgenaue Patientenverfügung auch dann umgesetzt werden wird, wenn kein rechtlicher Stellvertreter des Patienten existiert.

IV. Inhaltlicher Bezug von Patientenverfügung zum ärztlich assistierten Suizid? An dieser Stelle ist zu fragen, ob es rechtlich überhaupt möglich wäre, eine professionalisierte Suizidassistenz – etwa in Form einer ärztlichen Beihilfe zum Suizid – und deren konkrete Durchführung in einer Patientenverfügung vorab zu regeln. Gemeint ist die Situation, dass der Patient selbst inzwischen handlungs- und willensbildungsunfähig geworden ist und objektiv eine Lage eingetreten ist, in welcher der Patient keinesfalls mehr weiterleben möchte, dies aber nicht mehr mitteilen kann. Anhand der bereits dargelegten Ausführungen (s.o.) muss diese Frage eindeutig verneint werden. Zum einen muss für einen freiverantwortlichen Suizid der eindeutige Sterbewunsch bei klarem Verstand in der konkreten Situation des Sterbenwollens – und das ist hier entscheidend – höchstpersönlich zum Ausdruck kommen. Er kann also nicht für die Zukunft im Voraus verbindlich geäußert werden, auch nicht aufschiebend bedingt. Das unterscheidet an diesem Punkt eine Patientenverfügung von anderen rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen, in deren Rahmen eine aufschiebende Bedingtheit selbstverständlich möglich wäre. Zum anderen, und dies ist prinzipiell entscheidend, muss die den Tod herbeiführende letzte Handlung durch den Suizidenten selbst vorgenommen werden. Anderenfalls läge die Tatherrschaft bei einem anderen, und damit läge demzufolge ein Fall strafbarer aktiver Sterbehilfe vor (s.o.). Damit bleibt das maximal erreichbare Ziel im Rahmen einer Patientenverfügung, dass im Falle von alters- oder krankheitsbedingtem Verlust der Willensbildungsfreiheit keine lebenserhaltenden Maßnahmen gegen den vorher verbindlich festgelegten Willen des Patienten durchgeführt werden dürfen.

B) §§ 630a–h BGB (PatientenrechteG – medizinische Behandlungsverträge) Die medizinische Behandlung ist nicht legal definiert. Der Begriff setzt die Erbringung eines Dienstes für die Gesundheit eines Menschen voraus. Dies ist vor allem die Heilbehandlung; sie setzt ärztliche oder heilkundliche Fach-

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kenntnisse voraus und kann gar erst gesundheitliche Schädigungen verursachen.44 Neben der Diagnose umfasst die medizinische Behandlung alle Eingriffe und therapeutischen Maßnahmen an Körper oder Gesundheit eines Menschen, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder nichtkrankhafte seelische Störungen zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.45 Desgleichen werden sonstige Eingriffe und Maßnahmen, die regelmäßig nicht indiziert sind, hierunter subsumiert, wie etwa eine kosmetische Behandlung i.F.e. sog. Schönheitsoperation. Abzugrenzen ist die medizinische Behandlung von einer sog. medizinischen Maßnahme, worunter jeder Eingriff in den Körper und die Gesundheit des Patienten und grundsätzlich jede sonst diagnostische und therapeutische Maßnahme i.R. d. Behandlung verstanden wird.46 Für den Fall einer existierenden Patientenverfügung ist durch das Patientenrechtegesetz der Arzt gem. § 630d Abs. I Satz 2 unmittelbar gebunden und es stellt sich nicht etwa die Frage, ob für die medizinische Behandlung vorab eine Betreuerbestellung notwendig ist; selbst wenn es keine Vorsorgevollmacht gibt. Allerdings greift diese Regelung einschränkend allein bei Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung, in welcher die vorab getroffenen Festlegungen im Akutfall tatsächlich auf die Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.47 Ist demgegenüber der mündliche Behandlungswunsch oder mutmaßliche Wille erst noch zu ermitteln, weil der Patient selbst nicht mehr in der Lage ist, über seine weitere Behandlung selbst zu entscheiden, und ist keine auf die Behandlungssituation passende Regelung in einer Patientenverfügung getroffen wurde,48 muss ein Vertreter des Patienten für ihn nach § 1901a Abs. II Satz 1 BGB die Entscheidung, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt, als eigene treffen.49 Dies erfordert, wie bereits gezeigt, vorab eine Ermächtigung durch eine sog. (Vorsorge-) Vollmacht bzw. eine gerichtliche Betreuerbestellung. Die Bedeutung der §§ 630 a–h BGB liegt darin, das damit transparente gesetzliche Regelungen geschaffen wurden, mit deren Hilfe Patienten nun verbindlich verlässliche Informationen über ihre Rechte erhalten und selbstbestimmt über ihre medizinische Behandlung entscheiden können. Dies zeigt deutlich die Regelung des § 630d BGB, wonach vor jeder Durchführung einer medizinischen Behandlung die Einwilligung des Patienten einzuholen ist, 44 45 46 47 48 49

Zum Ganzen: Palandt–Weidenkaff, Vorb v. § 630a BGB, Rn. 2. Ebenda. Ebenda. Palandt–Götz, § 1901a BGB, Rn. 18. Palandt–Weidenkaff, § 630d BGB, a.a.O. (Rn. 3). Palandt–Götz, § 1901a BGB, Rn. 28.

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was mit den in § 630e BGB niedergelegten Aufklärungspflichten des Behandelnden korrespondiert. Das bereits erwähnte Paradigma der Selbstbestimmung des Patienten hat damit explizit Eingang in das BGB gefunden und ist leitendes Kriterium jeglichen ärztlichen Eingreifens in die körperliche Integrität oder die Gesundheit des Patienten. Zudem regelt § 630g BGB das unverzüglich zu gestattende Recht der Einsichtnahme in die Patientenakte, falls dies verlangt wird. Für diese Patientenakte existiert zudem gem. § 630f BGB eine umfassende Pflicht zur Dokumentation der Behandlung. Zudem greifen die §§ 630a–h BGB und die §§ 1901a–c BGB beinahe widerspruchsfrei ineinander und ergänzen sich gegenseitig. In jedem Fall bezeugt ihre rechtliche Existenz eine seitens des Gesetzgebers verbindliche rechtlich kodifizierte Aufwertung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten.

C) Zwischenergebnis Der Beachtung des Patientenwillens ist zwar inzwischen die höchste Priorität eingeräumt worden, aber nur innerhalb der Schranken des Strafrechts. Der Patient hat so einerseits ein uneingeschränktes Recht, über sich und sein Leben selbst zu bestimmen, damit auch über das Wann und Wie seines Sterbens. Der Rahmen der Legalität ist andererseits die unüberschreitbare Grenze für jedes ärztliche Handeln. Weder aktuell noch in einer Patientenverfügung oder über den ermittelten mutmaßlichen Willen kann ein Patient von einem Arzt oder einer Pflegekraft ein Tun oder Unterlassen verlangen, das strafbar ist. Sämtliche zivilrechtlichen Verpflichtungen können nur innerhalb der strafrechtlich erlaubten Grenzen rechtlich und damit praktisch bestehen. Man kann insoweit von einer gewissen Hegemonie des Strafrechts über das Recht der Sterbehilfe sprechen, als dass das Strafrecht im Verhältnis zum Zivilrecht wenig Raum für Selbstbestimmung lässt, weil Ausgangspunkt der strafrechtlichen Bewertung hinsichtlich einer lebensverkürzenden Sterbehilfe bis Inkrafttreten des § 217 StGB n.F. allein das Tötungsverbot50 ist bzw. war. Mit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist zukünftig bereits jede „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“51 und damit lediglich eine bisherige Variante der bislang straflosen Suizidbeihilfe Anknüpfungspunkt einer strafrechtsrelevanten Beurteilung.

50 51

Vgl. § 216 StGB. Dazu im Einzelnen Teil III, dort Kapitel 3 dieser Ausarbeitung.

Fünftes Kapitel: Zusammenfassung und Zwischenergebnis hinsichtlich des bisherigen Status quo ante in Bezug auf das „Sterbehilfe-Recht“ An dieser Stelle soll zur Veranschaulichung des bisher Gesagten und darauf aufbauend der vorliegend erarbeitete rechtsdogmatische Rahmen des bisherigen1 „deutschen Sterbehilferechts“ nochmals kurz referiert werden. Das heißt, es wird fortfolgend ein komprimierter roter Faden zur besseren dogmatischmethodischen Orientierung und dem Nachvollzug des Zusammenspiels der verschiedenen rechtlichen Sphären gereicht. Er dient aber auch der Überprüfung und Selbstvergewisserung der bisherigen Gedankenführung, da hieraus zugleich die rechtsdogmatisch wie methodisch leitenden Maßstäbe für die in Teil III hieran anknüpfende Analyse des neuen § 217 StGB n.F. verbindlich gewonnen werden müssen. Schließlich werden im Anschluss daran etwaige „Lücken“ aufgezeigt und diskutiert. Ausgangspunkt aller zunächst strafrechtlichen Überlegungen ist, dass der Suizid bzw. auch der Versuch dazu nach deutschem (Straf-)Recht keine rechtswidrige Tat i.S.d. §§ 27, 11 Abs. I Nr. 5 StGB sind und somit prinzipiell nicht unter Strafandrohung stehen. Aus der Straflosigkeit von Suizid und Suizidversuch ergibt sich, dass prinzipiell auch eine Beihilfe dazu – infolge der fehlenden Haupttat – ebenfalls straflos ist (s.o.). Ergänzend ist an dieser Stelle noch anzufügen, dass ein Tatbestand, nach welchem eine Teilnahmehandlung umgekehrt ungeachtet einer fehlenden rechtswidrigen Haupttat für strafwürdig erklärt würde, als sog. verselbstständigtes Teilnahmedelikt einzuordnen wäre. Beispielhaft kennt das deutsche StGB etwa die jeweils verselbstständigt strafbare Teilnahme an einer Gefangenenbefreiung in § 120 Abs. I, 2. und 3. Var. StGB, an einer Begünstigung nach § 257 Abs. I StGB, an einer Absatzhilfe nach § 259 Abs. I, 4. Var. StGB oder an einer Strafvereitelung nach § 258 Abs. I StGB.2 Alle diese gerade genannten Ausnahmebeispiele haben zunächst gemeinsam, dass der Grundsatz der limitierten Akzessorietät nach den §§ 26, 27 StGB kraft spezialgesetzlicher Regelung durchbrochen wird, weil zwar der Haupttäter im Einzelfall – trotz verwirklichten Unrechts – ausnahmsweise keinen Strafbarkeitsvorwurf gemacht bekommt, dies aber nicht für den Teilnehmer gelten soll – weil nach wie vor ein rechtswidriger und nicht hinnehm1 2

Bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. Vgl. hierzu Gavela, a.a.O. (S. 229).

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barer Zustand als solcher besteht. Hinsichtlich Suizid und Suizidbeihilfe würde dies aber voraussetzen, dass durch einen Suizid ein widerrechtlicher Zustand (Unrecht) geschaffen würde und nur dem Suizidenten kraft eines persönlichen Strafausschließungsgrundes kein Strafbarkeitsvorwurf zu machen wäre. Dies ginge dogmatisch allerdings nur dann, wenn der Suizid selbst als Mindestkriterium als rechtswidrig zu erachten wäre, was, wie oben gezeigt, gerade nicht der Fall ist. Nur dann wäre in einer Beschränkung der Tötungsdelikte auf Fremdtötungen eine für Teilnehmer nicht zu rechtfertigende Straflosigkeit auch nur annehmbar. Mangels Existenz einer verselbstständigten tatbestandlichen Teilnehmerstrafbarkeit für den Suizidbeihelfer sowie aus prinzipiellen Gründen muss es also infolge der Bewertung der Haupttat „Suizid“ als nicht rechtswidrig dogmatisch konsequent bei einer Straflosigkeit des Teilnehmers bleiben. Dies muss streng genommen sogar für den neuen § 217 StGB n.F. (siehe Teil III) gelten. Die Straflosigkeit setzt allerdings voraus, dass der Suizident freiverantwortlich handelt und die Tatherrschaft über den letzten tödlichen Akt selbst innehat. Hierbei sind die Kriterien für einen frei verantwortlich ausgeführten Suizid jedoch nicht ohne weiteres evident. Zum einen muss auf einer ersten Ebene auf die Eigenhändigkeit und die freie Ausführung abgestellt werden. Hinsichtlich der Freiverantwortlichkeit wird zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten weiter differenzierend kumulativ auf die strafrechtlichen Regeln hinsichtlich der Schuldunfähigkeit (§§ 20,21 StGB analog), wie auch auf die von der Rspr. hinsichtlich eines ernstlichen Verlangens i.S.v. § 216 StGB entwickelten Grundsätze sowie die Prinzipien, welche insb. zivilrechtlich für die Wirksamkeit einer Einwilligung gelten, abgestellt. Demnach darf ein Suizid, um dessen Beihilfe es ja schließlich geht, nicht übereilt, unüberlegt oder aus einer momentanen Verstimmung heraus begangen werden. Außerdem muss der Suizident frei von Zwang, Drohung oder arglistiger Täuschung über die nötige Urteilskraft verfügen, um die Bedeutung und Tragweite seines Tuns zu überblicken und im Augenblick der Tat von einer inneren Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen sein, was von einer depressiven Augenblicksstimmung abzugrenzen ist.

A) Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte Allerdings geraten gerade bei einem denkbaren Sterbehilfestrafprozess die Interessen des strafverfolgenden Staates mit den Abwehrinteressen seiner Bürger – etwa von Ärzten – wie kaum sonst in Konflikt. Zur Bestimmung des Rahmens der Legalität etwa einer ärztlichen Beihilfe zum Suizid, die innerhalb dieser Grenze gerade nicht anklagereif ist, sind so zunächst die verfassungs-

Fünftes Kapitel: Zusammenfassung und Zwischenergebnis

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rechtlichen Implikationen hervorzuheben. Denn das Verfassungsrecht hat dabei bezogen auf die einfache Rechtsordnung einen normenhierarchischen Vorrang, so dass das StGB als einfaches Gesetz nicht die Auslegung der Verfassung bestimmen kann, sondern umgekehrt die Verfassung die Auslegung des StGB verbindlich leitet. Wie bereits oben gezeigt, enthält die bundesdeutsche Verfassung keine expliziten Vorgaben zur Regelung des Suizids, sondern überlässt die Entscheidung als sog. Einschätzungsprärogative dem einfachen Gesetzgeber. Verfassungsimmanent einzuhaltende Vorgaben sind etwa die Grundrechte als subjektive Rechte der Bürger gegen den Staat, welche den Gesetzgeber ihrerseits laut Art. 1 Abs. III GG binden. Umgekehrt ist ein relevanter Grundrechtseingriff bereits jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, welches in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt.3 Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, ob der Gesetzgeber im Falle von Grundrechten mit einfachem bzw. qualifiziertem Gesetzesvorbehalt mittels seiner Gesetze selbst den Maßstab dafür vorgeben kann, wann der eigene Eingriff als „legal“ zu bewerten ist. So etwas würde in der Sache jedoch die Grundrechte zur staatlichen Disposition stellen, was folglich mit dessen in Art. 1 Abs. III GG festgeschriebenen Bindung an die Grundrechte und deren Abwehrfunktion zugunsten des Bürgers gegenüber dem Staat unvereinbar wäre. Außerdem gelten für den Gesetzgeber darüber hinaus zusätzlich selbst immanente Beschränkungen, wenn er dem Grundrechtsgebrauch seiner Bürger Schranken zieht. Man spricht grundrechtsdogmatisch von „SchrankenSchranken“. Zu nennen wäre hier erstens der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dessen verfassungsrechtliche Grundlage das (materielle) Rechtsstaatsprinzip ist. Man spricht hierbei auch vom Übermaßverbot, wobei damit verlangt wird, dass der Eingriff bzw. die Einschränkung, die er für den einzelnen bedeutet, mit dem mit dem Eingriff verfolgten Zweck in einem sorgfältig abgewogenen und zumutbaren Zweck-Mittel-Verhältnis steht. Der vom Staat verfolgte Zweck muss mithin als solcher verfolgt werden dürfen, ebenso das vom Staat eingesetzte Mittel. Der Einsatz des Mittels muss zur Erreichung des Zwecks außerdem geeignet und erforderlich (notwendig) sein. Als weitere Schranken-Schranken wären die in Art. 19 Abs. II GG niedergelegte Wesensgehaltsgarantie, das Verbot des einschränkenden Einzelfallgesetzes (Art. 19 Abs. I S. 1 GG), das Zitiergebot (Art. 19 Abs. I S. 2 GG) und das rechtsstaatli3

Ebenso: Pieroth / Schlink, a.a.O., Rn. 260 ff. (sog. moderner Eingriffsbegriff).

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che Gebot, den gesetzlichen Tatbestand und dessen Rechtsfolgen stets klar und bestimmt zu fassen (Bestimmtheitsgebot) zu nennen. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass kein Grundrecht den einzelnen vor sich selbst schützt und deshalb z.B. aus dem Grundrecht auf Leben keine Rechtspflicht zu Leben herzuleiten ist – was in der Sache nämlich nur eine Umkehrung des freiheitsberechtigen Rechtssubjekts zum staatlich beanspruchten Pflichtadressaten bedeuten würde. Ein derartiger Lebensschutz gegen den freien Willen des Suizidenten als Grundrechtsträger würde dessen Freiheitsrecht auf Leben zu einer ggü. dem Staat bestehenden Pflicht zu leben auf den Kopf stellen und dieses so in dessen Gegenteil verkehren. Unter dem Aspekt einer professionalisierten Beihilfe zum Suizid, etwa von Ärzten, geleistet kommen folgende (geschützte) Grundrechtspositionen in Betracht: Obgleich Art. 2 Abs. II S. 1, 1. Alt GG die staatliche Schutzpflicht begründet, keine vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen straflos zu lassen, selbst dann nicht, wenn das Opfer die Tötung ausdrücklich verlangt, folgt aus diesem Recht auf Leben aus sich heraus keinerlei Pflicht zu leben. Außerdem hat auch ein Kranker oder Versehrter das volle Selbstbestimmungsrecht über seine leiblich-seelische Integrität und damit auch ein freies Selbstbestimmungsrecht über seinen Körper.4 Darüber hinaus darf das Leben anhand der grundgesetzlichen Werteordnung eigenmächtig aufgegeben werden, obwohl es biologisch noch nicht am Ende angekommen ist, so dass im Ergebnis der Suizid selbst kein rechtswidriges Unrecht sein kann. Auch hinsichtlich der Dimension der Menschenwürde gilt, dass alle staatliche Gewalt verpflichtet ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Wegen der Trennung von Recht und Moral für den weltanschaulich-neutralen Geltungsbereich des Grundgesetztes haben rein ethisch begründete Vorbehalte gegen die Rechtmäßigkeit von Suizidhandlungen außer Betracht zu bleiben, so dass hinsichtlich der Suizidproblematik gilt: Weil der oberste Wert die Menschenwürde ist, die auch den todkranken Patienten davor bewahren soll, zum lebenden leidenden Objekt degradiert zu werden, muss dies implizit auch für 4

Problematisch muss in diesem Zusammenhang die am 9.11.2016 im Zuge der Umsetzung einer EU-Verordnung ohne Fraktionszwang beschlossene Änderung des Arzneimittelgesetzes (4. AMG-Änderungsgesetz) gesehen werden. Seither sind klinische Demenzstudien unter bestimmten Voraussetzungen an nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten auch dann möglich, wenn diese selbst keinen unmittelbaren Nutzen davon haben. Bisher war eine Studienteilnahme solcher Patienten nur dann erlaubt, wenn damit ein möglicher Nutzen für sie selbst verbunden war und zuvor im Vollbesitz der geistigen Kräfte eine entsprechende Zustimmung erteilt worden war.

Fünftes Kapitel: Zusammenfassung und Zwischenergebnis

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ein staatlicherseits nicht zu sanktionierendes Recht jedes einzelnen auf einen menschenwürdigen Tod durch eigene Hand gelten. Gerade in diesem Bereich erhält die Formulierung von der Unantastbarkeit der Menschenwürde eine ganz besondere praktische Bedeutung. Hinsichtlich Art. 12 Abs. I GG gilt, dass die ärztliche Beihilfe zum Suizid als Berufsausübungsmodalität unter diesen Schutzbereich und die hierzu entwickelten Beurteilungsmaßstäbe fällt, und damit sämtliche Maßnahmen, welche die freie Berufsausübung beschränken, mindestens einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Die Neuregelung des § 217 StGB n.F. stellt ganz evident einen relevanten Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit in Gestalt einer Berufsausübungsschranke dar. Im Hinblick auf Art. 4 Abs. I GG ist zu konstatieren, dass eine strafrechtlich sanktionierte Untersagung von ärztlicher Suizidassistenz unmittelbar in die Gewissensfreiheit von daran beteiligen Ärzten eingreift. Da als Grenze dieses nach seinem Wortlaut vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts lediglich kollidierende Grundrechte – insbesondere solche von Dritten – in Betracht kommen, ist vorrangig insbesondere in diesem Zusammenhang an den Lebensschutz des Suizidwilligen selbst zu denken. Allerdings wurde i.R.d. Ausführungen zu Art. 2 Abs. II S. 1, 1. Var. GG deutlich gezeigt, dass diesbezüglich gar kein echter Kollisionsfall einschlägig ist, so dass es im Falle strafrechtlicher Sanktion von ärztlicher Suizidassistenz bei einem nicht gerechtfertigten und damit rechtswidrigen Eingriff bliebe. Außerdem würde eine strafrechtliche Sanktionierung der ärztlichen Suizidassistenz in die grundrechtlich verbürgte allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. I GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des behandelnden Arztes, hergeleitet aus Art. 2 Abs. I GG i.V.m. Art. 1 Abs. I GG, eingreifen. Im Falle der Ausübung von organisierter Suizidassistenz i.F.v. sog. Sterbehilfevereinen würde in den Schutzbereich von Art. 9 Abs. I GG eingegriffen. Hinsichtlich eines Eingriffs in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. I GG ist zu differenzieren, ob eine sog. Erwerbstätigkeit i.S.e. Geschäftsbetriebes satzungsmäßiger Zweck ist oder nicht. Im Falle der bloßen Bereithaltung von Suizidbegleitungen durch ehrenamtliche Helfer muss ein solcher von Art. 12 Abs. I GG geschützter Geschäftsbetrieb verneint werden. Hinzuweisen ist zudem auf das in Art. 8 EGMR verbürgte Recht auf Achtung des Privatlebens. Nach ständiger Rspr. des BVerfG sind gem. Art. 1 Abs. II GG i.V.m. Art. 59 Abs. II GG die Grundrechte des Grundgesetzes im Lichte der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR auszulegen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung des Grundrechtsschutzes führt. Das Recht einer Per-

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son, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sie ihr Leben beenden will, ist demnach Teil des Rechts auf Achtung des Privatlebens gem. Art. 8 EGMR – vorausgesetzt die Person kann ihren Willen frei bilden und entsprechend handeln.

B) Einfachgesetzlich strafrechtliche Gesichtspunkte Außerdem gilt hiervon zunächst unabhängig in einfachgesetzlicher strafrechtlicher Hinsicht für die Zulässigkeit jeder medizinischen Behandlung, dass diese ärztlich indiziert sein muss, der Patient vorher einwilligen und die Durchführung lege artis vorgenommen werden muss. Nur wenn diese drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen, ist ein entsprechender ärztlicher Eingriff, welcher per se den Tatbestand einer Körperverletzung nach § 223 StGB erfüllt, rechtlich gerechtfertigt und damit kein strafrechtlich relevantes Unrecht. Im Strafrecht der Sterbehilfe ist seitens der ständigen Rspr. ab den 80er Jahren bis Mitte der 90er Jahre der Fokus primär auf Fragen der Abgrenzung und Definition von aktiver, indirekter und passiver Sterbehilfe gelegt worden. Seit Ende der 90er Jahre wurden insbesondere die der Sache nach immanent gebotenen zivilrechtlichen Implikationen für die Mitzuständigkeit des Zivilrechts bzgl. der Sterbehilfe herausgearbeitet. Mit dem Fall Putz aus dem Jahre 2010 fand diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt, da mit dieser neuen und grundlegenden Entscheidung das bis dahin geltende Strafrecht der Sterbehilfe „neu“ geordnet wurde. Zunächst ist auf die nahezu spitzfindig zu definierende Zurechnungsgrenze zwischen einer straflosen Teilnahme und einer Täterschaft des Beihelfers hinzuweisen. Die Strafbarkeit einer „Suizidbeihilfe“ beginnt dort, wo sich der „Beteiligende“ vorsätzlich eine eigene Tatherrschaft über den suizidalen Geschehensablauf verschafft. Dabei ist die Aufspaltung zwischen einer täterschaftlichen und einer nur teilnehmenden Mitwirkung am Suizid kein bloßer juristisch praktizierter Formalismus. Anhand dieser Unterscheidung drückt sich vielmehr bereits inhaltlich aus, dass der rein teilnehmende Suizidhelfer noch in der Peripherie des Tötungsgeschehens verblieben ist und allein deshalb eine günstigere Beurteilung verdient hat. Außerdem kommt eine aktive Täterschaft in Fällen einer unbedachten Überdosierung von Medikamenten i.R.e. palliativmedizinischen Sterbebegleitung in Betracht, so dass dann u.U. die begleitende Hilfe beim Sterben wenigstens zu einer eigenhändigen aktiven Hilfe zum Sterben, wenn nicht gar einer fahrlässigen Tötung, umgewertet werden kann. Die Ärzteschaft ist damit als Berufsstand infolge ihres Sachwissens für derartige Strafbarkeitsvorwürfe prädestiniert.

Fünftes Kapitel: Zusammenfassung und Zwischenergebnis

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Es kommen allerdings neben der „Umwidmung“ einer suizidalen Teilnahme in eine (mittelbare) Täterschaft bzw. eine fahrlässige Tötung vorrangig noch folgende weiteren strafrechtlichen Aspekte als ergänzende StGB-immanente und systematische Hauptprobleme in Betracht:

I. Unechte Unterlassungsdelikte Die Problematik einer Rettungspflicht im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte in Folge einer Garantenstellung des behandelnden Arztes und der damit verbundenen Handlungspflicht wegen der besonderen ärztlichen Beziehung zum Suizidenten entsteht ab dem Zeitpunkt der Bewusstlosigkeit des Suizidenten. Diese Problematik ist schon deshalb von hoher praktischer Relevanz, weil in einer Vielzahl der begangenen Suizide rein technisch dem Eintritt des Todes eine Phase der Handlungsunfähigkeit des Suizidenten vorausgeht. In dieser Phase kann unter Annahme einer Garantenpflicht der bis dahin u.U. lediglich suizidbeteiligte Arzt kraft seiner möglicherweise entstehenden temporären Tatherrschaft – ab dem Zeitpunkt der Handlungsunfähigkeit des Suizidenten – einen Tatherrschaftswechsel „konstituieren“ und sogar zum Unterlassungstäter umgewidmet werden. In den hier relevanten Fällen kann sich der Garant daneben wegen Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212, 13 StGB strafbar machen, wenn er einen eindeutig erkennbar nicht freiverantwortlichen Suizid vorsätzlich geschehen lässt oder bei einem freiverantwortlich begonnenen Suizidversuch nicht einschreitet, obwohl der Sinneswandel des Suizidenten z.B. durch Hilferufe objektiv deutlich wurde. Problematisch ist an dieser rechtlichen Konstruktion jedoch, dass ein solcher Tatherrschaftswechsel – womit zugleich zwischen Täterschaft und Teilnahme abgegrenzt wird – allein vom Willen und aktiven Handeln des Suizidenten abhängt, und nicht vom subjektiven Willen des beihelfenden Dritten. Außerdem liegt dem streng genommen der dogmatische Leitsatz zugrunde, dass, wer eine Rechtspflicht hat, Lebensgefahr von einem anderen nach Kräften abzuwenden, und diese Pflicht kennt, die Selbsttötung aber trotzdem nicht hindert, obwohl er es könnte – je nach innerer Willensrichtung und Haltung zur Todesfolge – in der Regel einer vorsätzlichen oder mindestens einer fahrlässigen Tötung schuldig ist. Eine Relativierung der Rettungspflicht durch den Todeswunsch ist innerhalb dieser strengen Dogmatik ausdrücklich ausgeschlossen. In der zeitlichen Folge hat sich diese strenge Linie der BGH-Rspr. aber immer weiter liberalisiert; allerdings noch lange nicht in Richtung einer paradigmatisch im StGB eigentlich vorgesehenen „Straffreiheit der Teilnahme am freiverantwortlichen Suizid“. Demzufolge müsste schließlich die Garantenhaftung entsprechend liberalisiert werden. Denn dogmatisch sauber müsste die Garantenpflicht des Arztes in der verbindlich anzuerkennenden autonomen Entscheidung des Suizidenten ihre

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innere Schranke finden. Jedenfalls sichert eine sog. modifizierte Garantenerklärung alle beteiligten Ärzte hinsichtlich des sicheren Ausschlusses einer Garantenstellung ab. Insoweit wurde in diesem Zusammenhang weiter oben auf den Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten hingewiesen. Inzwischen gibt es aber mehrere Indizien, welche die traditionelle Rspr. in Bezug auf die Garantenhaftung als überholt anzusehen nahelegen. Zum einen sind hier die §§ 1901a–c BGB zu nennen, welche sich mit im Laufe der Jahre von der Rspr. entwickelten Grundsätzen decken. Als wichtiger hier zu nennender maßstabsbildender Grundsatz ist etwa die unbedingte Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten zu erwähnen. Gegen dessen Willen darf eine Behandlung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden – wobei allein relevanter Ausgangspunkt der ausdrückliche bzw. mutmaßliche Wille des Patienten ist. Objektive Kriterien wie die Beurteilung einer Maßnahme als vernünftig etc. entfalten somit in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten keinerlei eigenständige oder gar überdeterminierende Bedeutung mehr. Außerdem wurde inzwischen anerkannt, dass es möglich ist, die Garantenpflicht eines Arztes vorab schriftlich zu modifizieren, so dass dieser nicht mehr Garant des nicht mehr gewünschten Lebens, sondern des freiverantwortlichen Willens des Patienten ist. Diese Modifizierung der Garantenpflicht für den Suizid ist in der Sache eine Entbindung von der Garantenpflicht, gedacht als rechtliche Absicherung insbesondere des behandelnden Arztes. Wie oben ebenfalls bereits dargestellt, wurde vom BGH bereits auf zivilrechtlichen Wege entschieden, dass es möglich ist, ein Heim aufgrund eines Heimvertrages zu verpflichten, den ärztlichen Anordnungen unbedingte Folge zu leisten und etwa eine künstliche Ernährung zu unterlassen, welche den Patienten am Sterben hindern würde.5 Es wurde sogar ein Unterlassungsanspruch gegen eine davon abweichende aufgezwungene Behandlung zuerkannt. Ähnlich dem Kemptener Fall bedeutet aber der Fall Putz aus dem Jahr 2010 eine weitere epochale Zäsur in Richtung einer Angleichung der zivilrechtlichen Maßstäbe an das Strafrecht. Man kann von einer Übertragung des zivilrechtlichen Schutzniveaus der Patientenautonomie auf das Strafrecht sprechen. Bereits nach der zeitlich vorhergehenden Kemptener Entscheidung kann bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten der Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Insoweit 5

In der Sache trifft dies den palliativ- und hospizmedizinischen Bereich und nicht die Hilfe zum Sterben.

Fünftes Kapitel: Zusammenfassung und Zwischenergebnis

115

wurde der bis dahin eng verstandene Bereich der „Hilfe beim Sterben“ überschritten und auf das Vorfeld einer Behandlungsbegrenzung ausgedehnt. Der Fall Putz hat, an dieser Tendenz anknüpfend, das zivilrechtliche Schutzniveau der Patientenautonomie im Kern verbindlich auf das Strafrecht übertragen. Zu entscheiden war u.a. die Frage, unter welchen Voraussetzungen in Fällen akuter Einwilligungsunfähigkeit von einem bindenden Patientenwillen ausgegangen werden muss, was wiederum die Verbindlichkeit einer sog. Patientenverfügung betrifft. In dieser letzten Entscheidung hat der BGH seine Neukonzeption zentral auf die mit den §§ 1901 a–c BGB neu eingefügten Vorschriften gestützt. Zudem wurde die Beendigung einer nicht (mehr) gewollten Behandlung mit dem Unterlassen einer nicht gewollten Behandlung gleichgesetzt. Im Rahmen der höchstrichterlichen Entscheidung im Falle Putz kann man von einer harmonisierenden gegenseitigen Abgleichung der neuen zivil- und bisherigen strafrechtlichen Regelungen analog einer sog. praktischen Konkordanz sprechen. Für den strafrechtlichen Bereich folgt hieraus, dass eine einmal freiverantwortlich getroffene Entscheidung eines Menschen gerade auch für den Zustand des Eintritts der Handlungsunfähigkeit rechtliche Verbindlichkeit beanspruchen kann. Aus den genannten Argumenten muss dies erst recht im Falle eines freiverantwortlichen Suizids gelten, weil dies anderenfalls zu unvereinbaren rechtssystematischen Wertungswidersprüchen und somit dem Verlust von Rechtssicherheit seitens aller daran Beteiligten führen würde. Schließlich wurde die bis dahin allein handlungskategoriale Abgrenzung von strafloser passiver und strafbarer aktiver Sterbehilfe aufgegeben (weil diese den sozialen Sinngehalt eines sog. Behandlungsabbruchs nicht trifft, insofern dieser regelmäßig unterschiedlichste aktive und passive Handlungen umfasst) und stattdessen die dogmatische Figur vom gerechtfertigten Behandlungsabbruch eingeführt, welche aus den Begriffen der Sterbehilfe und des Behandlungsabbruchs i.V.m. einer verfassungsorientierten Abwägung der betroffenen Rechtsgüter entwickelt wurde. Hiernach setzt eine straflose Sterbehilfe lediglich eine medizinische Behandlung einer lebensbedrohlich erkrankten Person voraus, bei der eine an sich indizierte lebenserhaltende Maßnahme mit Einwilligung des Patienten durch Ärzte etc. unterlassen, begrenzt oder abgebrochen wird. Dies geschieht unter der Prämisse, dass dem Krankheitsprozess sein Lauf gelassen wird. Dabei ist es dann nicht mehr relevant, ob die nicht mehr gewollte Behandlung beendet wird, so dass diesbezüglich sogar aktives Tun erlaubt ist. Zusammenfassend kann abschließend konstatiert werden, dass das sog. „Sterbehilferecht“ in den letzten Jahrzehnten durch Rspr. und Gesetzgebung sukzessive zugunsten des Selbstbestimmungsrechts des Patienten (hinsichtlich eines menschenwürdigen

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Teil I

Sterbens) liberalisiert worden ist. Genauso wie Patientenverfügungen bindend für alle Beteiligten sind, sind es Behandlungswünsche und sogar eine mutmaßliche Einwilligung. Alle diese Elemente können unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung eine Sterbehilfe – in Grenzen sogar eine aktive Sterbehilfe – noch innerhalb eines liberal gefassten Rahmens der Legalität verortet werden.

II. Echte Unterlassungsdelikte Daneben ist nicht unumstritten, jeden Suizid als Unglücksfall i.S.v. § 323c StGB (echtes Unterlassungsdelikt) anzusehen und damit eine Strafbarkeit des Arztes bei der Nichtverhinderung des Todeseintritts herzuleiten.

III. Fahrlässige Tötung (ggf. durch Unterlassen) Schließlich ist die schmale Grenze zur fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB herauszustellen, da infolge der ärztlichen Garantenstellung eines Arztes bei der Behandlung eines Patienten die fahrlässige aktive Verursachung eines nicht frei verantwortlichen Suizids als Begründung einer Sorgfaltspflichtverletzung i.R.v. § 222 StGB in bestimmten Fallkonstellationen nicht gänzlich auszuschließen ist, oft wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen; §§ 222, 13 StGB. Dann wird dem Arzt als Garanten des Patienten ein sorgfaltswidriges Nichterkennen der Unfreiheit des Suizidenten vorgeworfen.

C) Lücken, Grenzen und Graubereiche Trotz des anhaltenden Bemühens der bisherigen Rechtsprechung in Richtung auf eine praxistaugliche Herausarbeitung der strafrechtlichen Grenzen von Suizidassistenz im weiteren Sinne (und insoweit in Richtung auf eine hinreichend verlässliche Definition des strafrechtlichen Rahmens der Legalität) sind viele Zweifelsfragen nach wie vor auslegungs- und insoweit weiter verbindlich klärungsbedürftig. Dass nicht in allen zentralen Rechtsfragen eine vollständige Rechtssicherheit gewonnen wurde, zeigt die Gesetzgebungsdebatte u.a. der letzten Jahre an, die bekanntlich in die Verabschiedung von § 217 StGB n.F. mündete. Da eine höchstrichterliche Rechtsprechung keinesfalls einem allgemeinen Gesetz gleichzustellen ist, wäre beispielsweise eine allgemeinverbindliche Regelung etwa dahingehend wünschenswert, dass die zur Bekämpfung von Schmerzen oder Atemnot ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation bei einem todkranken Patienten, durch die das Leben als nicht beabsichtigte Nebenfolge verkürzt wird (sog. aktive indirekte Sterbehilfe), straflos ist.

Fünftes Kapitel: Zusammenfassung und Zwischenergebnis

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Gleiches gilt für einen gesetzlichen Hinweis darauf, dass das Unterlassen oder Beenden einer lebensnotwendigen Maßnahme bei einem entsprechend geäußerten Patientenwillen straflos sein soll; also wäre der Sache nach das Einfügen einer gesetzlichen Definition zu den Voraussetzungen einer (Nicht-) Rettungspflicht bei einem Suizidversuch, differenzierend zwischen den sog. Garanten und Nichtgaranten, sachlich geboten. Dabei wäre auch das hierfür (strafbarkeits-) konstituierende Kriterium der „Freiverantwortlichkeit“ legal zu definieren. Ebenso wäre aus Gründen der Rechtssicherheit eine entsprechende allgemeinverbindliche Regelung zu den Voraussetzungen einer (ärztlichen) Garantenstellung und Hilfeleistungspflicht nach einem erfolgten Suizidversuch wünschenswert. Bisher vollzog sich die Initiative seitens des Gesetzgebers nicht in Richtung auf eine umfassende strafrechtliche Regelung des Sterbehilferechts, sondern es wurden lediglich betreuungs- und patienten(dienst)vertragliche Ergänzungen im Zivilrecht vorgenommen. Eine entsprechende Rechtsfolgen- und Rechtsgrundverweisung brächte diesbezüglich eine neue Qualität an Rechtssicherheit in das Sterbehilfestrafrecht.

TEIL II: GRUNDLEGUNGEN

https://doi.org/10.1515/9783110596724-005

Erstes Kapitel: Warum ist die staatliche Rechtsordnung so restriktiv hinsichtlich der aktiven Sterbehilfe und der geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötungen? Im Folgenden wird eine Bestimmung des inneren Grundes dafür versucht, warum z.B. eine aktive Sterbehilfe beinahe in jedem Fall als ein sog. – wenn auch privilegiertes – Tötungsdelikt verfolgt wird, selbst wenn der Rechtsgutinhaber zuvor ausdrücklich und höchstpersönlich seine eigene Tötung verlangt hat. § 216 StGB beispielsweise stellt somit eine klar definierte Grenze der Einwilligungsfähigkeit dar, denn trotz der Annahme eines freien Willens – und der durch Art. 1 GG i.V.m. Art. 2 I GG verbürgten Möglichkeit eines legalen Suizids sowie der straflosen Beihilfe dazu – wird in einer solchen Fallgestaltung stets ein (privilegiertes) Tötungsdelikt angenommen. Dabei ist völlig evident, dass es sich aus Sicht des Lebensmüden nicht um eine Rechtsgutverletzung wie bei jedem beliebig anderen strafrechtlichen Sachverhalt handelt – vielmehr liegt hier eine existenzielle Grenzsituation vor. In dieser Grenzsituation geht es zumindest aus Sicht des lebensmüden Menschen, der ausdrücklich und ernstlich einen Dritten zu seiner Tötung bestimmt hat, mehr um eine Art mittels des Dritten „gemeinsam durchgeführten Suizids“. Aus der rein subjektiven Perspektive des Sterbewilligen handelt es sich bei dem Dritten wohl mehr um ein selbst bestimmtes Werkzeug für das eigene Sterben, als um eine „Fremdtötung in einem Totschlagsdelikt“. Jedenfalls wird der lebensmüde Mensch eine Tötung auf Verlangen subjektiv sicher mehr als eine Art des selbstbestimmten Sterbens empfinden, denn als einen normalen „Totschlag“.1 Ähnlich verhält es sich seit Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. bei einem ernsthaft Lebensmüden, der eine professionalisierte Sterbehilfe, die zwangsläufig geschäftsmäßig organisiert sein muss, in Anspruch nehmen möchte. Was für den Lebensmüden eine sichere und möglichst schmerzlose Möglichkeit für ein Ausscheiden aus dem Leben bedeutet, bedeutet aus Sicht der hieran beteiligten Einzelpersonen strafbares Unrecht. Diese Fragestellung ist strukturell identisch mit der Frage nach dem Strafgrund einer geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötungen i.S.v. § 217 StGB n.F. – wobei ja dort der finale Akt vom Suizidenten selbst freiverantwortlich ausgeführt wird und eigentlich erst gar kein Tötungsdelikt vorliegt. Damit ist die Problemlage seit Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. weiter verschärft worden, denn trotz ausdrücklicher Einwilligung in 1

Vgl. hierzu auch Teil III dieser Arbeit.

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Teil II

eine demgegenüber bloße Suizidförderung steht diese im Falle ihrer Wiederholung nun unter einer ausdrücklichen Strafandrohung.2 Das sachliche Verständnis der oben aufgeworfenen Grundfragen soll ein Fundament für die im ersten Teil ausgeführte und die hierauf aufbauende rechtswissenschaftliche Dogmatik anbieten. Auch sollen die weiteren Ausführungen einen i.S.v. Max Weber verstehenden Hinweis darauf ermöglichen, warum aktuell sogar die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung etwa durch niedergelassene Ärzte oder aber insbesondere private Sterbehilfevereine – völlig unabhängig von den dogmatischen Einzelheiten – unter Strafandrohung gestellt worden ist. Hierbei könnte zugleich ein möglicherweise verborgener Grund,3 der die Jurisprudenz u.U. als positive Wissenschaft im Innersten zusammenhält,4 freigelegt werden. Hierzu wird teilweise kritisch, teilweise positiv Bezug genommen auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Karl Marx, Walter Benjamin, Jacques Derrida, Gustav Radbruch, Ferdinand Lassalle, Max Weber, Giorgio Agamben, Michel Foucault, Friedrich Nietzsche und Carl Schmitt. Im besten Falle wird dem Leser der Versuch einer „kritischen Grundlegung“ der Rechtswissenschaften am Bezugspunkt der Sterbehilfe an die Hand gereicht. Es soll im Rahmen der folgenden Ausführungen keinesfalls der Eindruck erweckt werden, dass es sich bei der Thematik der Sterbehilfe etwa um den archimedischen Punkt handelt, an dem die Rechtswissenschaften auch nur annähernd aus den Angeln gehoben werden könnten. An diesem Punkt ist vielmehr vorab und vorbehaltlos dem Gedanken Stephan Stübingers zuzustimmen, wonach radikale Kritik innerhalb des Strafrechts nur sehr schwer anschlussfähig ist5 und eine so grundlegende Kritik, wie sie etwa Nietzsche vorschwebt, wohl nur von außen möglich ist.6 Daraus folgt , dass im Rahmen einer Debatte innerhalb des Strafrechts letztlich auf jene Begriffe 2

3 4

5 6

In diese Richtung argumentiert noch etwas schärfer etwa Fischer in der neuen Kommentierung zu § 217 StGB (Fischer, § 217 Rn. 2, 64. Auflage 2017): „Problematisch bleibt die Bestimmung des Unrechtskerns: Wenn die Beihilfe zur Selbsttötung – unstreitig – kein Unrecht ist, vermag die bloße Geschäftsmäßigkeit dem grds. nichts hinzuzufügen, was eine Freiheitsstrafe rechtfertigt.“ Gemeint ist die Sphäre der im Weiteren näher auszuführenden „reinen Souveränität“; vgl. hierzu etwa Rn. 434, Rn. 442 sowie Rn. 444. „Dass ich nicht mehr mit saurem Schweiß zu sagen brauche, was ich nicht weiß; dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“ vgl. J.W. Goethe, Faust I, Bd. I, Insel Verlag 2003 (S. 33/34). Ebenso Stübinger, Schuld, Strafrecht und Geschichte (2000), S. 312. Ebenso ebenda.

Erstes Kapitel: Staatliche Rechtsordnung und aktive Sterbehilfe

123

zurückgegriffen werden muss, die z.B. Nietzsche gerade seiner Kritik aussetzt.7 Damit wird zugleich inzident auf das unter Kapitel 1, dort Punkt A) II. dieses Abschnitts aufgeworfene rein theoretische Spannungsverhältnis hinsichtlich der „Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz“8 hingewiesen, was noch nichts über deren praktische Geltung aussagt. Nur um diese praktische Geltung geht es allerdings für jemanden, der sich innerhalb des Strafrechts bewegt. Jede „radikale“, d.h. wörtlich bis an die Wurzel gehende Kritik, befindet sich demgegenüber sogleich außerhalb dieser Sphäre und ist somit noch nicht einmal auf einem anerkannten Niveau in praktischer Hinsicht „diskursfähig“. Zudem wäre es vermessen zu erwarten, dass derartige rechtsphilosophische Grundsatzüberlegungen von den juristischen Praktikern in ihrer tagtäglichen Routine zusätzlich angestellt werden könnten – wobei es sicherlich vereinzelte Ausnahmen geben mag. Ansonsten mag hier der Grundsatz gelten: Wer zaudert, der zögert. Insoweit sind die nachfolgenden Ausführungen allein der Vollständigkeit halber einem schlechten bzw. skeptischen echten wissenschaftlichen Gewissen geschuldet.

7 8

Ebenso ebenda. Nierhauve unterscheidet in seinem Aufsatz „Rechtsklugheit, Topik und Rhetorik“ (vgl. ZDRW 2/2016, S. 102 ff.) hingegen zur Aufklärung dieser Fragen und zur Absicherung des Wissenschaftsanspruchs grundlegend zwischen der Rechtswissenschaft und der Jurisprudenz, welche er vom lateinischen Wortursprung „prudentia juris“ her als Rechtsklugheit verstanden wissen will. Erst diese Rechtsklugheit ermögliche i.V.m. einer topisch-rhetorischen Denkweise ein begründetes Reden und kompetentes juristisches Entscheiden und biete als solche überhaupt erst ein begriffstheoretisches Fundament für jedes juristische Denken. Die Rechtswissenschaft dagegen ist nach Nierhauve zwar vom Paradigma des verwissenschaftlichen Rechtsdenkens geprägt, allerdings ohne dieses näher begründen zu können. Zudem sei sie inhaltlich und aufgrund der ausufernden Komplexität der im Rahmen der universitären Lehre, welche nach wie vor allein an der Erlangung der Befähigung zum Richteramt orientiert ist, immer weiter ausdifferenziert. Dadurch werde sie quantitativ so komplex, dass eine reflektierte Verarbeitung der Lehrinhalte kaum noch möglich sei. Auch meint Nierhauve, der Begriff der Rechtswissenschaft sei einerseits eine rein begriffliche Verbindung von Recht und Wissenschaft, und er suggeriere lediglich die Standardisierbarkeit und Reproduzierbarkeit von Kategorien wie Rationalität, Objektivität und Allgemeinheit des Rechts. Somit habe sich der Begriff der Rechtswissenschaft unkritisch und völlig unzureichend zur dominierenden, synkretistischen Selbstbeschreibungsformel unter den akademischen Juristinnen und Juristen verselbstständigt. Ob es zur Absicherung des eigenen Wissenschaftsanspruchs gerade auf diese – auf den ersten Blick sophistisch anmutenden – Unterscheidung zentral ankommen kann, mögen die folgenden Ausführungen als offene Frage zur Beantwortung stellen.

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Teil II

A) Stellung und Funktion des Strafrechts Als Strafrecht bezeichnet man den Teil der Rechtsordnung, der innerhalb eines Staatsgebietes die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie die einzelnen Merkmale eines strafwürdigen Verhaltens festlegt, bestimmte Strafen androht und neben sonstigen Rechtsfolgen insbesondere Maßregeln der Besserung und Sicherung vorsieht.9 Das staatliche Recht zu strafen ergibt sich zunächst unter rein formaler Betrachtung i.S.e. Kompetenzzuweisung aus Art. 74 Abs. I Nr. 1 GG. Das Strafrecht ist ein Teilgebiet des öffentlichen Rechts, da es absolut verbindliche Beziehungen hoheitlicher Natur zwischen Staat und Bürger regelt.10 Hier tritt der Staat dem Bürger mithin ausschließlich hoheitlich gegenüber. Dabei hat das Strafrecht eine Verbindung insbesondere zum Verfassungsrecht, denn die durch das deutsche Strafrecht bewirkte Einschränkung der durch Art. 2 GG geschützten Handlungsfreiheit bedarf der verfassungsrechtlichen Legitimation ebenso wie etwa das Gebot an den Staat, Leben und Gesundheit zu schützen, umgekehrt sogar ein Einschreiten gegen bestimmte Verhaltensweisen gebieten kann.11 Aufgabe des Strafrechts ist zunächst ganz allgemein die Bekämpfung sog. sozialschädlichen Verhaltens,12 da jede Straftat an sich geeignet ist, das Rechts- und Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Staatsbürger zu erschüttern. Die Leistung eines normalen Staates besteht vor allem darin, innerhalb des Staates und seines Territoriums eine vollständige Befriedung herbeizuführen, „Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ herzustellen. Nach den Worten des BVerfG in BVerfGE 123, 267, 408 ist „die Sicherung des Rechtsfriedens in Gestalt der Strafrechtspflege […] seit jeher eine zentrale Aufgabe staatlicher Gewalt (Hervorhebung M.R.)“. Die nächstliegende und insoweit rein oberflächliche Rechtfertigung für die Existenz des Strafrechts liegt somit in seiner Notwendigkeit für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben in einer Gesellschaft, „die dem Staat das Gewaltmonopol eingeräumt hat“ (so stellvertretend für die gesamte Strafrechtswissenschaft etwa Wessels, Beulke, Satzger a.a.O, Rn. 8). Fraglich ist allerdings, ob diese dogmatische Setzung einer näheren rechtsphilosophischen Selbstreflexion ohne einen verbleibenden Rest möglicherweise offen bleibender Grundsatzfragen standhalten kann.

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Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT, a.a.O. (Rn. 4). So noch in Wessels / Beulke, Strafrecht AT (30. Aufl. 2000) Rn. 12. Etwa zum Schutze des werdenden Lebens, vgl. BVerfGE 88, 203 ff. Ebenso Joecks, Studienkommentar StGB, AT Vorbemerkungen Rn. 4 (S. 1).

Erstes Kapitel: Staatliche Rechtsordnung und aktive Sterbehilfe

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Durch die Herstellung von Ruhe, Sicherheit und Ordnung wird zunächst die normale Situation geschaffen, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Rechtsnormen überhaupt gelten können, weil jede Norm eine normale Situation voraussetzt.13 Das bedeutet, dass ein Zustand der „öffentlichen Ordnung und Sicherheit“, in dem die allgemeinverbindliche Anerkennung staatlich definierter individueller und allgemeiner Rechtsgüter gesichert ist, die Bedingung der Möglichkeit für die Geltung von Rechtsnormen überhaupt ist. Soweit, so unstrittig. Jedem Normalzustand geht allerdings logisch und historisch ein Nichtnormalzustand14 voraus. Dieser Zustand ist der Zustand, in dem ein Souverän sich historisch gegen alle politischen Konkurrenten durchsetzt und sein Gewaltmonopol gegen alle anderen verbindlich konstituiert hat.15 Das ist die Geburtsstunde der „Legalität“. Was vorher im Kampf noch offen war, ist nun „illegal“. Legalität und Illegalität sind damit historisch relative Begriffe.16 Diese Notwendigkeit innerstaatlicher Befriedung führt in kritischen Situationen dazu, dass der Staat als politische Einheit von sich aus, solange er besteht, auch den „innern Feind“ bestimmt.17 Dies wäre dann u.a. der Bereich des politischen Strafrechts im engeren Sinne. Allerdings definiert Carl Schmitt18 13 14

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Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (Duncker & Humblot, 1932), Ausg. v. 1963, S. 46. Vgl. hierzu die diesbezüglichen Ausführungen hinsichtlich Nietzsches Genealogie der Moral (Teil II Kapitel 1 D) I, sowie die Ausführungen bezüglich Marx ursprünglicher Akkumulation (Teil II Kapitel 1, D) II. Ebenso die Ausführungen zu Walter Benjamin und Carl Schmitt (Teil II, Kapitel 1 C) II). Vgl. hierzu die entsprechende Ausführung bezüglich Nietzsche unter Teil II, Kapitel 1 D) I. dieser Arbeit. Zu den frühesten Klassikern staatlicher Souveränität gehört u.a. der Franzose Jean Bodin (1529–1588). Nach ihm wurde zum ersten Mal der Staat primär durch die Kategorie der Souveränität definiert. Er betont die Existenz einer dem Recht gemäß geführten, mit souveräner Gewalt ausgestatteten Regierung. Den Ursprung der Staatssouveränität findet Bodin, für den es keine Frage ist, dass Staaten ursprünglich mit Gewalt gebildet worden sind, in der bei diesem allgemeinen Kampf als der Sieger und damit als Souverän hervorgegangenen politischen Gruppe. Das staatliche Gewaltmonopol stellt nach dieser u.a. von Carl Schmitt, Friedrich Nietzsche und Karl Marx vertretenen Lesart die Belohnung des Siegers dar, dessen Sieg nachträglich in die Souveränität legaler und legitimer Herrschaft umgedeutet wurde. Aber auch Hegel schreibt in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ im Zusatz zu § 258 ganz klar: „Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist; sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft“. Vgl. hierzu auch: S. 142 ff. dieser Arbeit. Carl Schmitt, a.a.O. (S. 46). Zum Verhältnis von Theorie und Praxis sagt John Maynard Keynes etwa: „Es sind aber die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen, sowohl wenn sie im Recht sind, als wenn sie im Unrecht sind, einflussreicher, als gemeinhin angenommen wird. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes beherrscht. Praktiker, die sich ganz frei

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Teil II

den Begriff des Politischen als die Unterscheidung zwischen Freund und Feind,19 wobei nur der politische (=öffentliche) Feind gemeint ist, dessen Zerstörungspotential bezogen auf die politische Gemeinschaft weder durch eine im Voraus getroffene generelle Normierung noch durch den Spruch eines unparteiischen Dritten mehr entschieden werden könne.20 Regelmäßig bleibt das Strafrecht aber unterhalb dieser Schwelle, weshalb dem Delinquenten insoweit höchstens – bezogen auf den Bestand der Rechtsordnung – eine Störerrolle zukommt. Insoweit schießt das von Günther Jakobs vertretene Konzept eines generellen „Feind-Strafrechts“21 – wobei dieser Bürger von Feinden unterscheidet und hieran anknüpfend eine Differenzierung ihrer Behandlungsweisen im Bürgerbzw. Feindstrafrecht vornimmt – über das Ziel hinaus.22 Wer als Person behandelt werden will, muss nach Jakobs zunächst hinreichende Rechtstreue garantieren und diese zusätzlich äußerlich erkennbar sichtbar machen, ansonsten droht eine Fremdverwaltung und eine Kategorisierung nicht als Person, sondern als potentielle Verbrechensquelle, d.h. als Feind.23 Eine gewisse Latenz / Tendenz in diese Richtung kommt allenfalls bei den sog. Kapitaldelikten,24 wie

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von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen (oder Staatsphilosophen M.R.).“ zitiert nach Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht (S. 45). Carl Schmitt, a.a.O. (S. 26): „Eine Begriffsbestimmung des Politischen kann nur durch Aufdeckung und Feststellung der spezifisch politischen Kategorien gewonnen werden. Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind.“ (S. 36): „Das Phänomen des Politischen läßt sich nur durch die Bezugnahme auf die reale Möglichkeit der Freund- und Feindgruppierung begreifen.“ (S. 20): „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“. (S. 30): „Der politische Gegensatz ist der intensivste und äußerste Gegensatz und jede konkrete Gegensätzlichkeit ist um so politischer, je mehr sie sich dem äußersten Punkte, der Freund-Feindgruppierung, nähert. Innerhalb des Staates als einer organisierten politischen Einheit, die als Ganzes für sich die Freund-Feindentscheidung trifft, ergeben sich zahlreiche sekundäre Begriffe von „politisch“ (S. 37): „Jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz verwandelt sich in einen politischen Gegensatz, wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren“. Vgl. Theodor Däubler, Sang an Palermo: „Der Feind ist unsre eigne Frage als Gestalt. Und er wird uns, wir ihn zum selben Ende hetzen.“ zit. nach: H. Meier – Die Lehre Carl Schmitts (1994), S. 13. Vgl. Jakobs etwa, (Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht) HRRS 3/2004 S. 88 ff. Vgl. hierzu m.w.N. Stübinger, Die Unbestimmtheit des Verbrechensbegriffs, Festschrift für H.-U. Peaffgen 2015 (S. 55 ff.). Ebenda (S. 55–56). Lat. caput = Haupt; ursprünglich Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht.

Erstes Kapitel: Staatliche Rechtsordnung und aktive Sterbehilfe

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etwa den Tötungsdelikten, zum Tragen. Auf diese stand immerhin bis 1945 die Todesstrafe noch auf der Tagesordnung.25 Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass, begriffssystematisch und von der Sache her geboten, eine notwendige wechselseitige sachliche Beeinflussung der Begriffe „Staatlich und Politisch“26 sowie von „Recht und Unrecht“ zu jeder historischen Zeit gegeben sind und damit gleichursprünglich eine Relationsbestimmung zu den Begriffen Störer, Delinquent oder gar politischer Feind.27 Denn wenn der Begriff des Staates den Begriff des Politischen inzident voraussetzt, gilt dies umgekehrt selbstverständlich ebenso.28 Ein Begriff des Politischen ist ohne eine inzidente, d.h. auf den Begriff gebrachte Analyse der zugrunde liegenden historisch-konkreten Staatlichkeit nicht zu leisten und muss sich u.U. in rein subjektivistischen diskursiven Beliebigkeiten verlieren,29 analog etwa Derridas Konzeption der Unterscheidung zwischen Signifi25

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Vgl. Schönfelder, 13. Aufl. 1943 (Loseblattsammlung) C.H Beck (München 1943) – dort: § 13 StGB a.F. i.V.m. § 2 Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe vom 29. März 1933: „Die Todesstrafe ist durch Enthauptung zu vollstrecken. Ist jemand wegen eines gegen die öffentliche Sicherheit gerichteten Verbrechens zum Tode verurteilt, so kann die Regierung des Reichs oder des Landes, durch deren Behörden das Urteil zu vollstrecken ist, anordnen, daß die Vollstreckung durch Erhängen erfolgt.“ Die auch heute noch übliche Loseblattsammlung des Schönfelders wurde unter äußerlich identischer Gestaltung erstmals mit der 4. Auflage 1935 eingeführt. Die Zählweise der Ordnungsziffern der enthaltenen Gesetze entspricht ebenfalls noch der aktuellen Fassung, nur dass die Nr. 1 (Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei) nach 1945, d.h. ab 1949 durch das Bonner Grundgesetz ersetzt wurde. Carl Schmitt, a.a.O. (S. 20) „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus“. Derrida versucht, seinen in „Über die Freundschaft“ (S. 5 ff.) entwickelten Begriff des Politischen gegen denjenigen Carl Schmitts in Stellung zu bringen, weil nach ihm die Politiken der Freundschaft keineswegs mit „der Politik“ im Sinne der Aktivität eines staatlichen / politischen Systems zusammenfallen. Er stellt ggü. Schmitt das Thema der Freundschaft in den Mittelpunkt seiner politischen Philosophie, welches in einer gewissen Nähe zum hegelschen Kampf um Anerkennung steht (vgl. Herr-Knecht Kapitel in: Phänomenologie des Geistes, a.a.O.). Derrida fragt danach, wie eine Politik jenseits eines auf Blut und Boden gründenden Brüderlichkeitsprinzips aussehen könnte und bezweifelt nach 1989 gar die Existenz von „Feinden“. Vgl. allerdings Stübinger, Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg – über das Verhältnis von Recht und Politik im Ausnahmezustand (Ancillia Juris 2008) S. 73 ff., welcher dort explizit den Vorrang des Politischen (ggü. dem Normativen= dem Recht) zurückweist, indem er eine willkürliche (Er-)Findung des Feindes als methodischen Einwand gegen diese Konzeption anführt (S. 86 ff.). Auf S. 75 unter Rn. 8 meldet Stübinger dort außerdem eine grundsätzliche Skepsis „an einer solchen Rechtsgrundlegung (Hervorhebung M.R.) an, die in der Verbindung von Gewalt und Gerechtigkeit bestehen soll“. Ein bedeutender direkter geistiger Vorläufer für das Schmittsche Theorem vom Vorrang des Politischen ggü. dem Normativen (= positiven Recht) und damit an einer auf

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Teil II

kat (Gegenstand) und Signifikant (stellvertretendes Zeichen). Allerdings besteht i.R. jeder Theorienbildung mittels eines eigenen Begriffssystems stets die immanente Gefahr, dass tatsächlich keine den Gegenstand hinreichend bestimmenden Begriffe, sondern lediglich „Worte“ verwendet werden.30 Je nach Schwere und Bedeutung eines Deliktes, insbesondere aufgrund der damit verbundenen „negativen“ Vorbildwirkung auf andere, ist der Übergang zum Politischen fließend. Innerhalb eines Staates hat dieser als eine organisierte politische Einheit, als Ganzes das Monopol, die verbindlichen Freund-Feind Entscheidungen zu treffen und damit den Begriff des Politischen zu definieren.

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einer Freilegung der Illiberalen Voraussetzungen liberaler Rechts- und Staatstheorie, d.h. letztlich der Freilegung einer auf Gewalt basierenden Rechtsgrundlegung, ist Nietzsche, insb. in seiner „Genealogie der Moral“ (vgl. S. 148 ff. u. 151 ff. dieser Arbeit). Nach der systematisch entwickelten Herleitung des Verfassers kann es sich hinsichtlich einer derart gewalttätigen Genesis von Recht wohl kaum um rein voraufklärerische Restposten oder einen darunter abgesonderten Bodensatz von lediglich historischem Interesse hinsichtlich seiner Geltung handeln. Insoweit gibt Nietzsche in der „Genealogie der Moral“ eine im Hintergrund lauernde Souveränitätstheorie (Rudel blonder Bestien etc.), allerdings mit einer zumindest strukturell antisemitischen Stoßrichtung (jüd. Ressentiment, Umlügen der Schwäche zur Stärke, Sklavenaufstand in der Moral etc.; vgl. S. 151 ff. dieser Arbeit). Möglicherweise war Schmitts katholische Orientierung der Grund für die zumindest mittelbare Verleugnung dieser geistigen Urheberschaft Nietzsches (insb. dessen „Genealogie der Moral“) bezüglich dieses Zentrums des Schmittschen Denkens. Expliziter Antipode im Hintergrund ist zugleich der Anfang der 20’er Jahre über Georg Lukacs neu rezipierte Marx (vgl. Schmitt, Der Begriff des Politischen, a.a.O. [S. 62–63]). Marx und Nietzsche gemeinsam ist die Dekonstruktion der scheinbaren Neutralität einer liberal-demokratischen Begründung in Bezug auf Recht, Staatlichkeit und Politik; wobei Marx diese als tatsächlichen Ausdruck einer sog. Klassenherrschaft i.S.e. strukturellen wie personalen Diktatur der Bourgeoisie umdeutet. Der Unterschied zu Nietzsche und Schmitt besteht allein darin, dass diese beiden Denker die gewaltsamen Ursprünge reiner Souveränität affirmieren, wohingegen Marx sich hierzu kritisch verhält. Die Kategorien Freund / Feind; Souveränität, Dezision etc. sind für alle diese Denker allerdings immer schon ontologisch immanent und folgen aus der Freilegung der „verborgenen“ antiliberalen und undemokratischen Genesis, wobei Nietzsche wie Schmitt der latent vorhandenen, aber im demokratisch-liberalen Diskurs verschüttet gegangenen reinen Souveränität zu neuem Glanz und damit Geltung verhelfen wollen. Insoweit ist etwa ein an dem Gegensatz von Freund-Feind orientierter Begriff des Politischen möglicherweise der wissenschaftlich adäquate Ausdruck einer nach wie vor ordnungsstiftenden bzw. erhaltenden politisch-theologischen Struktur der Vergesellschaftung im Zeitalter der Moderne nach 1789 ff. Für Schmitt, Nietzsche aber auch Marx ist ein als Leviathan gedachter Staat im Unterschied zu einer liberaldemokratischen Rechtstheorie gerade nicht auf rein demokratische Willensbildungsprozesse rückführbar. Ebenso wie Nietzsche strebt Schmitt letztlich eine Umwertung der liberal-demokratischen Werte jenseits von Gut und Böse an, um an einer echten Renaissance der latent zu jedem Zeitpunkt mitexistierenden reinen Souveränität jeder echten Staatlichkeit ganz im Geiste Nietzsches mitzuwirken. So auch Stübinger, Die Unbestimmtheit des Verbrechensbegriffs, Festschrift für H.U. Paeffgen, a.a.O. (S. 49).

Erstes Kapitel: Staatliche Rechtsordnung und aktive Sterbehilfe

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Die Formel „Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ diente bekanntlich als Definition der Polizei.31 Insoweit ergeben sich thematische Gemeinsamkeiten mit dem Polizeirecht, nur dass dieses generell präventiver Natur ist, wohingegen das Strafrecht primär einen repressiven Charakter aufweist. Der staatlich legitimierte Gesetzgeber, der seinerseits ein Gewaltmonopol32 in Anspruch nimmt, ist darum verpflichtet, seine Bürger zu schützen.33 Seit der moderne Staat seine Souveränität und damit seine Kompetenzen – gemessen an seinem in Art. 20 Abs. II Satz 1 GG proklamierten Selbstanspruch – vom Volk ableitet und nicht mehr von Gottes Allmacht, ist er nach ganz herrschender Meinung auf Schutzaufgaben der Sicherung menschlichen Zusammenlebens beschränkt.34 Der positive Begriff des Verbrechens ergibt sich etwa anhand der Legaldefinition des § 12 Abs. I StGB, wonach Verbrechen als Taten definiert sind, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht sind. 31 32

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Carl Schmitt, a.a.O. (S. 10). Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Zweitausendeins, 2005), S. 40 ff.: „Dem heutigen Staat formal charakteristisch ist: […] Ferner aber: dass es ‘legitime’ Gewaltsamkeit heute nur noch insoweit gibt, als die staatliche Ordnung sie zulässt oder vorschreibt. Dieser Monopolcharakter der staatlichen Gewaltherrschaft ist ein ebenso wesentliches Merkmal ihrer Gegenwartslage wie ihr rationaler ‘Anstalts’- und kontinuierlicher ‘Betriebs-Charakter’.“ Weiter S. 1042 ff.: „Vom Standpunkt der soziologischen Betrachtung ist ein ‘politischer’ Verband und insbesondere ein ‘Staat’ nicht aus dem Inhalt dessen zu definieren, was er tut. Man kann vielmehr den modernen Staat soziologisch letztlich nur definieren aus einem spezifischen Mittel, das ihm, wie jeden politischen Verband, eignet: das der physischen Gewaltsamkeit ‘Jeder Staat wird auf Gewalt gegründet’, sagte seinerseits Trotzkij in Brest-Litowsk. Das ist in der Tat richtig. Gewaltsamkeit ist natürlich nicht etwa das normale oder einzige Mittel des Staates – davon ist keine Rede –, wohl aber: das ihm spezifische. Heute werden wir sagen müssen: Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das ‘Gebiet’ gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht. Denn das der Gegenwart Spezifische ist, dass man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur soweit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zulässt: er gilt als alleinige Quelle des ‘Rechts’ auf Gewaltsamkeit. Der Staat ist, ebenso wie die ihm geschichtlich vorausgehenden politischen Verbände, ein auf das Mittel der legitimen (d.h.: als legitim angesehenen) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen. Damit es bestehe, müssen sich also die beherrschten Menschen der beanspruchten Autorität der jeweils herrschenden fügen. Wann und warum sie das tun, lässt sich nur verstehen, wenn man die inneren Rechtfertigungsgründe und die äußeren Mittel kennt, auf welche sich eine Herrschaft stützt.“ Ebenda. M. Marlie, ZJS 1/2008, 41 ff. (42); vgl. im Hinblick auf das mit dem Phänomen der Sozialschädlichkeit verbundene Konzept des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes; näheres unter Teil II Kap. 1 B) I. dieser Arbeit.

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Fraglich ist allerdings, ob die Bestimmung dessen, was als Verbrechen zu gelten hat, lediglich ein mehr oder weniger willkürliches Machtwort (i.S.e. Dezision) des Gesetzgebers ist oder ob es eine darüber hinaus weisende wissenschaftliche Begründungsstruktur gibt.35 Damit korrespondiert notwendig die Frage nach der Begründbarkeit eines sog. materiellen Verbrechensbegriffs. Hierzu existieren hauptsächlich drei Begründungsfiguren: Verbrechen wird entweder als Verletzung einer Pflicht, als Verletzung des Rechts oder als Verletzung eines Rechtsgutes bestimmt, wobei es bezeichnender Weise bislang nicht gelungen ist, den Begriff eines Verbrechens wissenschaftlich verbindlich zu definieren.36

I. Paradoxon: einfaches Gesetz – „Grund“-Gesetz – Staat An dieser Stelle sei, von der Fragestellung her notwendig und immanent geboten, kurz auf ein eigenartiges – unaufhebbares – Paradoxon hingewiesen;37 nämlich darauf, dass jedes Gesetz (hier: Strafgesetz) den Staat als Gesetzgeber zur Voraussetzung hat, diese Staatsverfassung selbst aber ein Staatsgesetz ist, so dass der Staat das Staatsrecht und wiederum das Staatsrecht den Staat zur Voraussetzung hat. Der Staat ist mithin gleichzeitig nicht nur Quelle so gut wie allen Rechts, er ist zugleich Rechtsgebilde, da er seine Verfassung und damit seine juristische Existenz aus dem Verfassungs-, d.h. dem Staatsrecht ableitet.38 Gustav Radbruch spricht hier davon, dass dies die Grenze der Rechtswissenschaft im Ganzen markiere, und man an diesem Punkt mit einer juristisch nicht weiter begreifbaren „Urzeugung des Rechts aus der Tatsächlichkeit“ 35 36 37

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Ähnlich Stübinger, Die Unbestimmtheit des Verbrechensbegriffs, a.a.O. (S. 50). Ähnlich ebenda. Vgl. Gustav Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft (1929), Neuauflage K.F. Koehler Verlag Stuttgart 1952 (S. 54): „Da aber das Gesetz den Staat als Gesetzgeber zur Voraussetzung hat, haben wir ihn als die Quelle so gut wie allen Rechts hier vor allem anderen zu betrachten. Aber der Staat ist nicht nur Rechtsquelle, er ist zugleich Rechtsgebilde: leitet er doch seine Verfassung und damit seine juristische Existenz aus dem Verfassungs-, dem Staatsrecht ab. Da aber diese Staatsverfassung selbst ein Staatsgesetz ist, stehen wir vor dem scheinbar unlösbaren Widerspruch, daß der Staat das Staatsrecht und hinwiederum das Staatsrecht den Staat zur Voraussetzung habe. In Wahrheit sind Staat und Staatsrecht nicht zweierlei, nicht Ursache und Wirkung oder Wirkung und Ursache, sondern eines und dasselbe unter verschiedenen Gesichtspunkten, so wenig voneinander geschieden wie ein Organismus und seine Organisation. Wir stehen hier an der Grenze der Rechtswissenschaft, vor einer juristisch nicht weiter begreiflichen Urzeugung des Rechts aus der Tatsächlichkeit“. Zitat Rn. 442 ist in der Tat bereits für sich genommen geeignet, an „dogmatischen Selbstverständlichkeiten“ zu rütteln, die bis auf den Grund reichen und sollte nach Ansicht des Verfassers als weitere Radbruch’sche Formel (neuen Typs) Eingang in sämtliche Lehrbücher zum Strafrecht finden.

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konfrontiert sei.39 Schärfer pointiert kann man diese Formulierung auch als kritischen Hinweis auf eine mögliche „eigentliche“ Unwissenschaftlichkeit der positiv gesetzten Jurisprudenz als solcher auffassen – da diese möglicherweise unter Heranziehung eines analogen Gedankens Böckenfördes von Voraussetzungen ausgeht, die sie nicht näher zu garantieren bzw. bezogen auf die Fragestellung zu begründen vermag.40

II. Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz? Es gibt – und dies kann der Veranschaulichung dieses Gedankengangs durchaus weiter dienen – in der Tat spätestens seit dem 19. Jhd. einen alten Streit darüber, ob die Jurisprudenz ihrerseits den Ansprüchen von Wissenschaftlichkeit, welche der heute analog gebrauchte Begriff Rechtswissenschaften bereits dem Namen nach für sich beansprucht, gerecht wird.41 Im Jahre 1848 hat Juli39

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Vgl. als konsequente Fortführung dieses Gedankengangs auch F. Lassalle, Über Verfassungswesen (1862): „Was ist eine Verfassung? Worin besteht das Wesen einer Verfassung? Worin unterscheidet sich eine Verfassung von einem gewöhnlichen Gesetz? Auf diese Frage wird man in der Regel die Antwort erhalten: Eine Verfassung ist nicht bloß ein Gesetz, wie ein anderes auch, sie ist das Grundgesetz des Landes. Denn es erhebt sich nun die Frage: Wie unterscheidet sich ein Gesetz von einem Grundgesetz? Ein Grundgesetz müsste also: 1. Ein solches Gesetz sein, das tiefer liegt als ein anderes gewöhnliches Gesetz: dies zeigt der Name Grund; es müsste aber auch 2. Um ein Grundgesetz zu sein, eben den Grund der anderen Gesetze bilden, das heißt also, das Grundgesetz müsste in den anderen gewöhnlichen Gesetzen fortzeugend tätig sein, wenn es eben ihren Grund bilden soll. 3. Gibt es nun aber etwas in einem Lande, eine bestimmte tätige Kraft, welche auf alle Gesetze, die in diesem Lande erlassen werden, derart einwirkt, dass sie in einem gewissen Umfange notwendig so und nicht anders werden, wie sie eben sind? Freilich gibt es so etwas, und dies Etwas ist nichts andres – als die tatsächlichen Machtverhältnisse, die in einer gegebenen Gesellschaft bestehen. Die tatsächlichen Machtverhältnisse, die in einer gegebenen Gesellschaft bestehen, sind jene wirkende Kraft, welche alle Gesetze und rechtlichen Einrichtungen dieser Gesellschaft so bestimmen, dass sie im Wesentlichen gar nicht anders sein können, als sie eben sind.“ Zitiert nach: Reden und Schriften (1987) S. 120 ff. (122 ff.). Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit (1976), S. 60: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, d.h. mit den Mitteln des Rechtszwangs und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“ Vgl. Rn. 413 – kürzlich beschäftigte sich Nierhauve – wenn auch unter einer strikten Differenzierung(!) zwischen Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, allerdings unter diametral entgegengesetzt anderen Vorzeichen (!), ebenfalls mit dieser Fragestellung.

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us von Kirchmann hinsichtlich dieser Fragestellung eine Streitschrift mit dem bezeichnenden Namen: „Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“42 verfasst. Rudolf von Ihering widmete 1868 seine Antrittsvorlesung mit dem ebenfalls bezeichnenden Titel „Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft“43 ebenfalls diesem Problem. Der Schrift Kirchmanns lag ein Vortrag zugrunde, den der Autor bereits 1847 vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin gehalten hatte. Der Vortrag Kirchmanns gilt seither als „Skandalvortrag“. Von Kirchmann trennt zunächst das Recht strikt von der Rechtswissenschaft,44 weil das Recht selbstständig, frei und unabhängig in sich stehe, unbekümmert darum, ob die Wissenschaft existiere, ob diese das Recht verstehe oder nicht. Insoweit konstatiert er eine Selbstständigkeit des Rechts gegenüber der Wissenschaft,45 weil ein Volk zwar wohl ohne Rechtswissenschaft bestehen könne, nie aber ohne Recht.46 Unter Recht versteht von Kirchmann z.B. Ehe, Familie, Eigentum, Verträge, Vererbung von Vermögen, Unterschiede der Stände sowie das Verhältnis der Regierung zum Volke etc.47 Kirchmann wirft der Jurisprudenz vor, diese nehme u.a. nicht zur Kenntnis, dass sich im Gegensatz zu anderen Wissenschaften deren Gegenstand – das Recht – stets verändere.48 Solchen Veränderungen stelle sich die Rechtswissenschaft vielmehr feindlich oder ignorant entgegen. Außerdem existiere sonst kaum eine andere Wissenschaft, die derart von den Ergebnissen des nationalen Gesetzgebers abhängig sei, wo in einer Legislaturperiode gelte, was in der nächsten möglicherweise verworfen oder gar falsch sei.49 Kirchmann war ebenso wie Ihering ein früher Kritiker des sog. Rechtspositivismus,50 wobei er

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Vgl. zum Ganzen vertieft Ders., „Rechtsklugheit – Beitrag zu einer rhetorischen Rechtstheorie“ (2016), S. 15 ff. Vgl. Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (herausgegeben 1990 als Sonderausgabe von Hermann Klenner). Vgl. Rudolf von Ihering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? Wiener Antrittsvorlesung vom 16. Oktober 1868 (bis 1993 im Druck unveröffentlicht, herausgegeben 1998 aus dem Nachlass als Sonderausgabe von Okko Behrends). Wobei von Kirchmann in damaliger Tradition streng zwischen dem positiven Recht und dem natürlichen Recht differenziert, vgl. etwa Ders., a.a.O. (S. 21–22). Vgl. Julius Hermann von Kirchmann, a.a.O. (S. 8). Ebenda. Ebenda. Vgl. etwa a.a.O. (S. 12). Ähnlich Rudolf v. Ihering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? (S. 49): „Welch unsicherer Besitz, den ein Federstrich oder den ein politisches Ereigniß uns entziehen kann“. Der Begriff „Positivität“ kommt vom lat. ponere = setzen und bezeichnet den Unterschied des modernen vom vormodernen Recht. Das vormoderne Recht war nicht „ge-

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zu seiner Zeit vor allem auch eine nachträgliche Auseinandersetzung mit der von Savigny51 begründeten Historischen Schule52 intendierte. Aber auch Ihering strebte eine Abkehr von der unkritischen Wissenschaftsgläubigkeit des durchschnittlichen Begriffsjuristen an, weil er ein bewusstes Verhältnis des Juristen zu seinen Begrifflichkeiten fördern wollte. Das positiv geltende Recht müsste nach Ihering insb. zusätzlich von seinen historischen und philosophischen Voraussetzungen her erfasst und geistig durchdrungen werden, weil er davon ausging, dass eine Wissenschaft immer etwas oder viel tiefer steht als das, was unmittelbarer Gegenstand ihres Studiums ist. Die Folge einer reinen Begriffsjurisprudenz wäre für Ihering eine einseitige geistige Abhängigkeit vom „dürren, todten Gesetz“,53 was den Juristen schließlich in ein „willenloses und gefühlloses Stück der Rechtsmaschinerie“54 bzw. ein „gedankenloses Rädchen in der Rechtsmaschinerie“55 verwandeln würde.

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setzt“ (positum), sondern von Gott „gegeben“. Das moderne Recht ist demgegenüber ausschließlich positives Recht, und somit historisch veränderbares Gesetz. Als solches ist es nicht Ausfluss einer übernatürlichen Autorität oder einer unbezweifelbaren Überlieferung, sondern politisches Menschenwerk, Ergebnis öffentlicher Diskussion. Friedrich Carl von Savigny (1779–1861), Professor für Römisches Recht in Berlin, vgl. hierzu auch Stübinger, Schuld, Strafrecht und Geschichte, a.a.O. (S. 116 ff.). Die von Savigny begründete historische Schule war ein wissenschaftlicher Versuch, einer Entfremdung des wissenschaftlichen Rechts von der gesellschaftlichen Wirklichkeit durch eine konkrete geschichtliche Anschauung der Rechtsverhältnisse als Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Charakter des Volkes selbst vorzubeugen. Dabei wurde insb. der „nationale Charakter der Rechtswerdung“ betont, gerade und trotz der damals noch fehlender real-politischen Einheit(!). Diese politische Einheit sollte stattdessen durch eine neue lebendige Liebe zum Vaterland kompensiert bzw. nur langfristig hergestellt werden können, worin das Ziel der hist. Rechtswissenschaft begründet lag. Savigny empfahl 1814 darum zur Herstellung etwa der Rechtseinheit allein eine „organisch fortschreitende Rechtswissenschaft“, im Gegensatz zu dem Hofrat und gleichzeitigen Professor des Rechts Anton Friedrich Justus Thibaut (1772–1840). Thibaut warb ab 1814 bereits für ein gesamtdeutsches Bürgerliches Gesetzbuch zur Aufhebung der damaligen Rechtszersplitterung, womit er allerdings scheiterte. Savigny zufolge hätte eine voreilige Kodifikation zwingend hinter dem Selbstanspruch der historischen Schule zurück bleiben müssen: Die Gegenwart würde so vom Erfahrungshorizont der Vergangenheit abgeschnitten, und so die tatsächlich vorliegende historische Determiniertheit leer laufen müssen. Dies musste nach Savigny eine „Entfremdung“ „des Volkes“ und „dessen Volksseele“ „von seinem natürlichen Recht“ zur Folge haben und vielmehr sozusagen eine Kolonisierung seiner tatsächlichen Lebenswelt mit „fremden Elementen“ bedeuten. Vgl. Rudolf v. Ihering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft? (S. 50). Ebenda, a.a.O. Ebenda, a.a.O.

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Insoweit war Rudolf von Ihering der geistige Stichwortgeber des polemischen Bildes vom Subsumtionsautomaten bzw. des an die bloße Interpretation von Paragraphen und Verträgen gebundenen subalternen Rechtsautomaten, „in welchen man oben den Tatbestand nebst den Kosten einwirft, auf dass er unten das Urteil nebst den Gründen ausspeie“.56

Ebenso kritisierte von Kirchmann eine Tendenz, welche Recht und positives Gesetz kritiklos miteinander identifizierte und diese zum alleinigen Gegenstand der Rechtswissenschaft erhob. Ganz in diese Richtung geht auch Ihering, wenn er den Positivismus als Todfeind der Jurisprudenz ausmacht, weil diese ansonsten zum bloßen Handwerk herabgewürdigt werde.57 Mit „Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ meinte von Kirchmann damit tatsächlich deren Ungeeignetheit und Entbehrlichkeit für die wissenschaftliche Durchdringung des Rechts.58 Er spitzte diese Überlegung in Opposition zu Savigny und über Ihering hinaus schließlich in der Formulierung noch weiter zu, dass „die Nation der wissenschaftlichen Juristen überdrüssig sei“.59 Ihering hingegen betrachtet Wissenschaftlichkeit als eine Forderung an das Recht, weil Wissenschaftlichkeit keine mit dem Recht gegebene Eigenschaft, sondern – falls vorhanden – eine Leistung der im obigen Sinne rechtswissenschaftlich denkenden Juristen sei. Diese Kritik am sog. Rechtspositivismus erfährt in aktueller Zeit eine Reaktualisierung durch Stübinger. Als Resultat eines immer weiter fortschreitenden rein funktionalistisch werdenden Strafrechtsverständnisses innerhalb der letzten 30 Jahre konzentriere sich die wissenschaftliche Behandlung des Strafrechts auf die lediglich dogmatische Bearbeitung des positiven Normenbestands – unter strikter Verbannung aller (rechts-)politischen Fragestellungen.60 Man begnüge sich – so Stübinger – mit der Gewissheit, dass das Recht, das diesen Namen verdient, irgendwie auch legitimiert sein müsse.61 Die Überprüfung dieser Legitimation solle aber nach diesem „funktionalistischen Strafrechtsverständnis“ gerade nicht (mehr) in den Aufgabenbereich der Strafrechtsdogmatik fallen, wodurch aber zugleich die Verbindungsstränge gekappt

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Vgl. Max Weber, Rechtssoziologie (hrsg. von Johannes Winckelmann) S. 281. Ähnlich Rudolf v. Ihering, a.a.O. (S. 52). Vgl. auch Julius Hermann von Kirchmann, a.a.O. (S. 5): „…die Jurisprudenz ist theoretisch als Wissenschaft werthlos, sie ist keine Wissenschaft und erreicht nicht den wahren Begriff derselben“. A.a.O. (S. 37). Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 55). A.a.O. (S. 56).

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würden, die ansonsten zwischen der Begründung und der Anwendung strafrechtlicher Normen gezogen worden sind.62 Das Problem dreht sich inhaltlich insoweit auch darum, dass Wissenschaft im Verständnis des 19. Jhd. u.a. eine Wertefreiheit und rationale Nachvollziehbarkeit hinsichtlich des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes verlangt, und deshalb – statt auf praktische Ziele hin – lediglich auf neutrale, adäquate und objektive Erkenntnis eines Untersuchungsgegenstandes hin orientiert sein soll. Macht und Wissen sollen klar voneinander geschieden werden, und nicht wie noch unter der Vorherrschaft von Adel und Klerus einander durchdringen und bedingen. Wissenschaft in diesem Sinne soll ein kritisches Korrektiv aller weltlichen Macht im Namen der Vernunft darstellen. Die Methoden und Voraussetzungen hinsichtlich eines solchen Wissenschaftsverständnisses sollen nur der Erkenntnis und der Logik63 geschuldet sein, um den Erkenntnisgegenstand theoretisch zu beherrschen. Der Anspruch von Wissenschaftlichkeit ist demnach erfüllt, wenn die gewonnene Erkenntnis auf allgemeingültigen, gesicherten Grundlagen, d.h. auf nicht mehr beweisbedürftigen Prämissen (Axiomen) beruht. Gegenstand der Jurisprudenz sind allerdings positive Gesetze, das heißt politisch verfasste Zweckmäßigkeitsregeln für das menschliche Zusammenleben.64 Dieser Gegenstand ist aber selbst nicht unproblematisch, da die praktischen Komponenten i.S.e. Normenvollzugs und einer faktischen Normengeltung stets mitzudenken sind. Die Rechtsdogmatik geht sogar noch über den durch verbindliche Kommentare abgesicherten bloßen Normenvollzug hinaus, da sie zugleich immer auch die Möglichkeit einer rechtsfortbildenden und damit politischen Funktion immanent bereithält. Die Rechtsprechung ist immer im Gange und wirkt somit auch auf die Dogmatik zurück. Unabhängig davon hat jede Rechtsanwendung allerdings notwendig auch eine politische Funktion, nämlich „konservativ“ den Status quo einer bestehenden

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Ebenda. Nach Savigny darf es auch in der Rechtswissenschaften kein kontingentes Wählen, sondern nur ein notwendiges Schließen geben. Eine exakte Rechtswissenschaft ist für ihn konsequenterweise angewandte Logik, weil nur so eine methodisch nachprüfbare Rechtspraxis sichergestellt werden könne. Insoweit kommt es für Savigny für die Entstehung des positiven Rechts allein auf die Juristen an, weil schließlich nur wissenschaftlich gebildete Juristen das Rechtsbewusstsein des Volkes repräsentieren könnten. Hierzu ebenfalls J.H. v. Kirchmann, a.a.O. (S. 21): „Das positive Gesetz ist in seiner letzten Bestimmtheit baare Willkür.“ (S. 23): „Indem die Wissenschaft das zufällige zu ihrem Gegenstande macht, wird sie selbst zur Zufälligkeit; drei berichtigende Worte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur“.

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Ordnung zu reproduzieren. Der Einheitsjurist65 hat als Organ der Rechtspflege nach seinem gesetzlichen Leitbild in seiner jeweiligen Funktion (Richter, Staatsanwalt, Rechtsanwalt, Verwaltungsjurist) innerhalb dieser bestehenden Ordnung genau jener zu dienen. Notwendig wird damit die jeder Wissenschaft ansonsten fundamental eigene kritische Dimension durch diese Praxisbezogenheit an einen eher untergeordneten Platz verbannt und findet im Diskurs oft erst gar keinen Raum (s.o.). Dies zeigt hinsichtlich der Jurisprudenz klare Grenzen in Bezug auf die Möglichkeit der autonomen wissenschaftlichen Behandlung ihrer Gegenstände auf; auch ist der ansonsten gültige Maßstab von wissenschaftlicher Eindeutigkeit aber gerade auch in den Rechtswissenschaften nicht zu realisieren. Hier geht es demgegenüber nur um die „Vertretbarkeit“ einer bestimmten Auslegung und damit die Frage der gesellschaftlichen wie innerjuristischen Anerkennung solch einer Interpretation, welche stets auch der jeweiligen historischen Zeit und den entsprechenden politischen Verhältnissen unterworfen ist. Daraus ergibt sich von vornherein eine gewisse Relativität der Bedeutung jeder jeweils gültigen Rechtsdogmatik. Um der Gefahr eines reinen Rechtspositivismus und damit verbunden der Heranzüchtung von reinen „Subsumtionsautomaten“ vorzubeugen, appelliert Rudolf von Ihering beispielsweise an ein umfassendes wissenschaftliches Bewusstsein in den Dingen des Rechts, welches das Recht in philosophischer, geschichtlicher Hinsicht und unter praktisch-juristischen 65

Von 1849 an war in Preußen das Assessorexamen Voraussetzung für jede Anstellung als Richter oder Staatsanwalt und für die Tätigkeit als Rechtsanwalt, nachdem bereits 1748 ein zweigliedriger Vorbereitungsdienst mit drei Prüfungen eingeführt worden war: 1) nach Rechtsstudium und erstem Examen war der Kandidat als sog. Auskultator zum gehobenen Bürodienst befähigt. 2) Die zweite Prüfung verschaffte ihm die Zulassung zum Referendariat, nach dessen Absolvierung die Qualifikation für die unteren Gerichte erreicht war, während sich 3) der Zugang zu einer Richterposition an einem höheren Gericht nur nach erfolgreichem Bestehen der dritten Staatsprüfung, des Assessorexamens, öffnete. Seit dem Wegfall der Auskultatoren 1869 sind die beiden juristischen Staatsexamina (Referendarexamen und Assessorexamen) im Prinzip bis heute unverändert geblieben (vgl. zum Ganzen: A. Rinken, Einführung in das juristische Studium (1977) – S. 162 ff.). Durch die Zweite Juristische Staatsprüfung soll festgestellt werden, ob der Referendar das Ziel der juristischen Ausbildung erreicht hat. Ziel der Ausbildung ist der Einheits-, d.h. Volljurist mit Befähigung zum Richteramt, der als „Generalist bzw. Fachmann für das Allgemeine“ zu selbstständiger, eigenverantwortlicher Tätigkeit in allen Bereichen der Rechts- und Verwaltungspraxis (sog. Juristenprivileg) sowie für Führungspositionen in den Verwaltungsbürokratien des privaten Bereichs befähigt ist, a.a.O. (S. 168). Etwas verwunderlich an diesem Sachverhalt ist allerdings der Umstand, dass dadurch die Juristen für ihre Generalistenrolle keineswegs eine Sonderausbildung erhalten, sondern bereits lediglich diese Spezialausbildung zum Richter (Befähigung zum Richteramt) als geeignet angesehen wird, künftige Volljuristen für die Wahrnehmung dieser Generalistenfunktion zu wappnen.

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Aspekten als ein rechtskulturelles, unter einer normativen Entwicklung stehendes Ganzes66 erfasse, wofür ihm jeder Jurist persönlich verantwortlich sei.67 Auf ein weiteres ganz immanentes Problem hinsichtlich des Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit sei an dieser Stelle zusätzlich hingewiesen: Stübinger etwa gibt zu bedenken, dass gerade die Inhalte der veröffentlichten Themen in Fachzeitschriften nicht selten primär den ökonomischen Interessen der Verlage oder aber der legitimen Strategie persönlicher Karriereplanung der jeweiligen Autoren und damit weniger dem tatsächlichen Bedarf nach strafrechtswissenschaftlicher Klärung geschuldet sein dürften.68 Ergänzt wird diese Problemstellung auch noch dadurch, dass die Juristenausbildung insgesamt unter einen ökonomisch motivierten Reformdruck geraten ist,69 was zur Folge hat, dass es weniger darum geht, was Rechtswissen schafft, als um die effiziente Reproduktion von juristischem Humankapital für den Arbeitsmarkt.70 Die Universitäten sollen so das künftige Personal als Funktionseinheiten des Justizapparates oder für sonstige Berufsgruppen, die auf juristischen Sachverstand angewiesen sind, abrichten.71 Hierdurch werden die Universitäten nach Stübinger eher zu höheren Lehranstalten degradiert, die der Produktion von aktuell benötigten Funktionseinheiten nach volkswirtschaftlichem Bedarf und weniger dem universitären Bildungsideal dienen.72 In der Folge wird aktuell die Rechtsphilosophie folglich von einer hiermit im inhaltlichen Zusammenhang stehenden allgemeinen Krise der Philosophie miterfasst und an den äußersten Rand der (Straf-) Rechtswissenschaft gedrängt, mitsamt der Diskussion hinsichtlich ihrer einstigen Domäne: über Grund und Grenzen des Strafrechts.73 Dies drückt sich nach Stübinger ebenfalls in den Lehrbüchern zum Strafrecht AT aus, in denen regelmäßig Fragen der theoretischen Fundierung des Strafrechts von einer Art Indifferenz gegenüber der Frage nach der Legitimierbar-

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Vgl. Rudolf v. Ihering, a.a.O. (S. 76). Diesen Gedanken ergänzend etwa auch J.H. v. Kirchmann, a.a.O. (S. 43): „Man wende gegen diese Angriffe nicht ein, daß dergleichen Dinge nicht zur Rechtswissenschaft, sondern zur Politik und Kunst der Gesetzgebung gehörten. Dies eben ist das klägliche der Jurisprudenz, daß sie damit sich selbst für unfähig erklärt, den Stoff, den Gang der neuen Bildungen zu beherrschen oder auch nur zu leiten“. Ähnlich Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 54). Ebenso, a.a.O. (S. 158). Ebenso ebenda. Ebenso ebenda. So auch a.a.O. (S. 159). Ähnlich Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 49).

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keit staatlicher Strafe geprägt zu sein scheinen.74 Vielmehr würden derartige Lehrbücher zu bloßen „Lern-Büchern“ transformiert, die sich auf die Präsentation des prüfungsrelevanten Stoffes beschränken und erstaunlicher Weise immer dünner werden.75 Als Zwischenergebnis bleibt an dieser Stelle vorläufig festzuhalten: Ein gänzlich unkritischer Rechtspositivismus führt zwingend zu einer theoretisch anzunehmenden Vorrangstellung des rein Normativen (= positiven Rechts) gegenüber den faktischen politischen Implikationen des geltenden Rechtszustandes in Gänze. Die Gefahr zirkelschlüssiger Argumentations- und Begründungsmuster (i.R.v. dogmatisch gesetzten „juristischen Begriffe“, die sich bei näherem Hinschauen als säkularisierte theologische Begriffe entpuppen könnten) liegt auf der Hand. Insbesondere dann, wenn es bei der Ausblendung sämtlicher „kritischer“ Fragestellungen, etwa nach dem Grund des allem vorausliegenden Rechts zu strafen bzw. nach dem Grund der staatlichen Souveränität selbst bleiben sollte. Dies führt dann zwingend zu einer Verkürzung des wissenschaftlichen Verständnisses selbst, und damit einer ebensolchen Verkürzung des wissenschaftlichen Anspruchs auf Wahrheit. Die Möglichkeit einer Rechtsgrundlegung, die etwa in der wissenschaftlichen Untersuchung eine hypothetischen dialektischen Verbindung zwischen Gewalt und Recht bestehen könnte, bliebe dann außerhalb des überhaupt denkbaren Rahmens bzw. es fehlte bereits an den theoretischen Bedingungen der Möglichkeit von „Kritischer (Rechts-)Theorie“. So existiert zur Veranschaulichung ein begrifflich nicht gänzlich von der Hand zu weisenden Spannungsverhältnis zwischen dem im Wortlaut von Art. 20 Abs. II GG verankerten Prinzip der Volkssouveränität, wonach die Ausübung jeglicher staatlicher Macht der Legitimation durch das Volk als Souverän bedarf und in einer ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette auf das Volk zurückführbar sein muss, und der Verfassungswirklichkeit. Art. 20 Abs. II Satz 2 GG präzisiert dieses Prinzip ja noch weiter, indem festgelegt wird, dass diese Staatsgewalt vom Volk einerseits durch Wahlen und Abstimmungen und andererseits durch besondere Organe (Legislative, Exekutive und Judikative) ausübt wird. Im Ergebnis übt das Volk seine Herrschaft also gemäß dieser Logik nicht unmittelbar, sondern repräsentativ76 (= mittelbar) durch 74 75 76

Ebenso, a.a.O.(S. 290). Ebenda, vgl. ergänzend hierzu aber Teil II Kap. 2, B) II. Das Problem der Repräsentation verweist auf das grundlegende Problem der Legitimation. Im Zuge der Säkularisierung hat man unmittelbar theologischen Legitimationsfiguren die direkte politisch verbindliche Geltung abgesprochen, insb. weil im Zuge der Aufklärung der direkte Bezug auf Gott in eine verfahrenstechnische Konstruktion und

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seine mittels demokratischer Wahlen bestimmten Repräsentanten im Bundestag aus, deren Gesetzgebung wiederum die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung bindet.77 Der Gesetzgeber wiederum ist seinerseits an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Alle übrigen staatlichen Organe, die bis auf den Bundestag gerade nicht durch Wahlen unmittelbar demokratisch legitimiert sind und durch die der Staat allerdings überhaupt als solcher handelt, müssen nach dieser Logik vom Bundestag ihre Legitimation ableiten und sind diesem auch verantwortlich. Die drei Elemente jeder Staatlichkeit: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatshoheit78 stehen nach dieser Begründungsfigur gleichbedeutend und gleichursprünglich nebeneinander. Nur scheinbar wird der jeweilige Staat samt seinem entscheidenden Gewaltmonopol79 anlässlich jeder Wahl neu konstituiert, was nach der tatsächlichen Verfassungswirklichkeit – auf die etwa Gustav Radbruch80 hinweist – nicht ohne weiteres der Fall sein kann. Außerdem ist hier ein Blick auf Art. 123 GG hilfreich, welcher die Fortgeltung sog. vorkonstitutionellen (Zwangs-)Rechts regelt, wie etwa von StPO, ZPO, StGB, BGB, etc. Insoweit wird zwangsläufig auf Vorfindliches Bezug genommen. Wenn Hegel insoweit noch ohne jedes schlechte Gewissen sagen konnte: „Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist; sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft“,81 so wird diese zentrale Dimension82 gegenwärtig zumindest semantisch auf einen scheinbar untergeordneten

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damit Fiktion eines nur scheinbar gesicherten Legitimationsgrundes aufgelöst wurde. Die Frage die sich aber diesbezüglich früher wie heute stellt lautet: Warum wird ein anerkanntes Verfahren hinsichtlich der Begründung von Legitimation (vermittels einer Repräsentanz) in einer hist-konkreten Zeit als solches anerkannt? Auch hier schlummert im Hintergrund möglicherweise das Paradigma von der reinen Souveränität, wobei klar ist, dass ganz i.S. Kants einer wissenschaftlichen Kritik des Verfahrens ebenfalls ein wissenschaftliches Verfahren zugrunde liegen muss. Insoweit ist es unumgänglich das Diskursniveau des Erreichten zu heben und dieses kritisch zu untersuchen bzw. die ggw. Zeit auf ihren Begriff zu bringen. Vgl. Art. 20 Abs. 3 GG. Sog. Drei-Elemente-Lehre, vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre – Recht des modernen Staates, Bd. 1 (S. 183). Vgl. den ausdrücklichen Hinweis auf die Bedeutung des Gewaltmonopols von Max Weber unter Fn. 437 dieser Arbeit und ergänzend in die gleiche Richtung G. Radbruchs Ansatz (s.o.). Vgl. als zur Dekonstruktion geeigneten Ausgangspunkt Rn. 442 u. Rn. 444 dieser Arbeit. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O. (Zusatz zu § 258, S. 349). Vgl. hierzu Teil II, Kapitel 1 C) I. dieser Arbeit (S. 143 ff.), sowie ebenfalls S. 148 ff. (Ausführungen hins. Nietzsches u Marx’ Ansatz hinsichtlich der Frage nach politischer Souveränität).

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Nebenschauplatz verlagert und damit mehr oder weniger zirkelschlüssig gegen „kritische Fragen“ abgesichert. Auf dieses Problemfeld weisen explizit auch das unter der Fußnote 442 von Gustav Radbruch gegebene Zitat sowie das unter Fußnote 444 gegebene Zitat von Ferdinand Lassalle hin, worauf als Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen an dieser Stelle nochmals hingewiesen wird. Für Hegel selbst ist die Geschichte als „[…] Schlachtbank zu betrachten, auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden, so entsteht […] die Frage, wem, welchen Endzwecke diese ungeheuersten Opfer gebracht worden sind.“83

Hegels Antwort setzt sich allerdings souverän über das Leiden der Einzelnen hinweg; die „Idee der Freiheit, welche nur ist als Bewusstsein der Freiheit“,84 verwirklicht sich fortschreitend – „dies ist die wahrhafte Theodizee, die Rechtfertigung Gottes in der Geschichte“.85 Insoweit rechtfertigt Hegel die Gründung von Staaten durch Gewalt (welche er als solche klar benennt) letztlich als Verkörperung des Willen Gottes dialektisch mit der damit zugleich objektiv verwirklichten Freiheit und Vernünftigkeit, sozusagen als nachträgliche List der Vernunft. Ohne einen Rückgriff auf einen solchen Gottesbezug bleibt das Phänomen der rechtssetzenden ordnungsstiftenden Gewalt (vgl. auch Teil II Kap. 1, dort Punkt C) I.) möglicherweise auch weiterhin ein erklärungsbedürftiger blinder Fleck innerhalb der Jurisprudenz.

III. Juristische Begriffe als säkularisierte theologische Begriffe? Carl Schmitt gibt hinsichtlich des oben von Gustav Radbruch und Ferdinand Lassalle unter Rn. 442 sowie Rn. 444 aufgezeigten Paradoxons ergänzend den zusätzlichen Hinweis, dass alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre vielleicht tatsächlich nur säkularisierte theologische Begriffe sind.86 Dies gilt nicht nur ihrer historischen Entwicklung sondern auch der Geltung nach, weil diese Begriffe aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden, indem z.B. der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde oder dem Ausnahmezustand für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie dem Wunder für die Theologie beigemessen wird. Dies gilt darum gerade auch in 83 84 85 86

G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Hegel Werke, Bd. 12, Frankfurt a.M. 1970 (S. 35). A.a.O. (S. 540). Ebenda. Vgl. C. Schmitt, Politische Theologie I, Duncker & Humblot (Berlin 1985), S. 49 ff.

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ihrer systematischen Struktur, deren Erkenntnis notwendig ist für eine soziologische Betrachtung dieser Begriffe.87 Insoweit wird von Schmitt eine Art „Metaphysik“ als „soziologische Kategorie“ für eine „Soziologie des Souveränitätsbegriffs“ eingesetzt, d.h. es wird eine im Verlauf geschichtlicher Entwicklung vollzogene Umbesetzung, unter Beibehaltung einer tatsächlich nach wie vor metaphysischen Struktur, freigelegt. Es handelt sich damit weniger um ein rein ideologisches Problem, als um die Vorfindlichkeit derartig wirksamer Realkategorien. Im Ergebnis ist für Schmitt die Jurisprudenz im Ergebnis insoweit die Schwesternwissenschaft der Theologie, mit der jene durch eine historische und strukturelle Abhängigkeit verbunden ist und bleibt. Deshalb sind alle modernen Begründungen, die das Moment der „Dezision“ durch eine ontologisch als rein unterstellte „Bindung an das Recht“ ausklammern, für Schmitt letztlich nur eine naive Neuauflage des alten liberalen Verdrängungsversuchs hinsichtlich des Staates und damit der letztentscheidenden Souveränität. Durch eine solche aus einem liberalen Geiste herrührende möglicherweise rein voluntativ bleibende Verdrängung des Staates würde nämlich versucht, das Recht als solches stattdessen als objektiven Souverän einzusetzen und damit die Faktizität eines personalen Befehlsrechts gänzlich zu ignorieren. Diese Negierung des Staates gegenüber dem Recht geht nach Schmitt aber mit Notwendigkeit blind an dem selbstständigen Problem der Rechtsverwirklichung vorbei, unfähig zu einer begrifflichen Fassung des Problems. Das einzige mit sich selbst identische Subjekt, welches die Diskrepanz zwischen Rechtsidee und Rechtsverwirklichung aufheben könne und dabei zugleich erkenntnistheoretisch wie ontologisch einer solchen Einheit von Rechtsidee und Rechtsverwirklichung entspräche, ist nach Schmitt aber „Gott“. Erst von hier aus begründet Schmitt die moderne Staatslehre als durch den historischen Säkularisierungsprozess theologisch vermitteltes Begriffssystem. Schmitt leitet seine dezisionistische Staatslehre insoweit konsistent aus den vorfindlichen theologischen Kategorien ab, weil der Rationalismus der Aufklärung den Ausnahmefall in jeder Form als scheinbar (oder auch nur gewollt) irrelevant verwarf. Schmitt seinerseits macht diesen Ausnahmefall zum Ausgangspunkt seiner Staatslehre, weil dies den blinden Fleck der Aufklärung sowie deren notwendiges Scheitern betreffe. Insoweit verortet er den Staat bereits in seiner Entstehung in der historischen Situation des Bürgerkriegs und bestimmt insoweit notwendig den Begriff des Politischen als hierdurch primordial getroffene 87

Ebenda sowie zum Ganzen: Susanne Heil, „Gefährliche Beziehungen“ – Walter Benjamin und Carl Schmitt (1996), S. 101 ff.

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Freund-Feind Unterscheidung, solange ein solcher Staat politisch existiert (vgl. hierzu auch Teil II Kap. 2 Punkt C) I sowie Teil II Kap. 1 A]). Für einen bekennenden „Etatisten“ wie Schmitt steht dahinter das Bestreben, das alte Ordnungsprinzip that Jesus is the Christ (Hobbes) in eine Theorie des Dezisionismus zu transformieren; aus seiner Sicht der Dinge mit innerer Notwendigkeit. Nach Carl Schmitt sind etwa die Nation bzw. der souveräne Staat säkularisierte absolute Instanzen.88 Der Staat ist für Schmitt die intensivste Form von politischer Einheit, sie ist als maßgebende Einheit total und souverän.89 Die Notwendigkeit einer Totalität des Politischen begründet er damit, dass jede staatliche Entscheidung stets eine einheitliche Entscheidung in dem Sinn sein müsse, dass sie zur gleichen Zeit den homogenen Willen aller dem Staat Zugehörigen repräsentiere.90 Dies setzt allerdings als Idealtyp einen starken Staat voraus, der stark genug ist, um diese Einheit zu gewährleisten, sich gegenüber der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen sozialen Gruppierungen abzugrenzen und sich als Ganzes zu behaupten.91 An diesem Punkt trifft sich Schmitt nicht nur nebenbei exakt mit Hegel, der unter § 270 in den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ schreibt: „Der in seiner Organisation ausgebildete und darum starke Staat (Hervorhebung M.R.) kann sich hierin desto liberaler verhalten, Einzelheiten, die ihn berührten, ganz übersehen, und selbst Gemeinden in sich aushalten, welche selbst die direkten Pflichten gegen ihn religiös nicht anerkennen, indem er nämlich die Mitglieder derselben der bürgerlichen Gesellschaft unter deren Gesetzen überläßt […].“

Insoweit setzt auch Hegel einen starken Staat voraus, dies aber sogar weit mehr als nur idealtypisch. Allerdings bedeutet für Schmitt bereits die Politisierung singulärer gesellschaftlicher Interessen eine totale Politisierung des Gesellschaftlichen und damit eine Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft.92 Insoweit wird für Schmitt die Einheit des Staates bereits durch eine Überflutung des Parlaments mit Repräsentanten unterschiedlicher Interessengruppen zerstört,

88 89

90 91 92

Vgl. C. Schmitt, Politische Theologie I, a.a.O. (S. 59, Anm. 1) sowie Susanne Heil, a.a.O. (S. 114). Ebenso Ilse Staff, Christentum und modernes Recht – Beiträge zum Problem der Säkularisierung (1984), dort „Zum Begriff der Politischen Theologie bei Carl Schmitt“ (S. 184). Ebenda. Ebenda. Ebenda.

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weil staatliche Entscheidungen nunmehr zum Ergebnis innenpolitischer gesellschaftlicher Kontroversen degradiert würden.93 Weiteren gebotenen Anlass für diesen Hinweis auf die Fokussierung hinsichtlich der christlichen Grundlagen des modernen Rechts gibt bereits die einfache Tatsache, dass die Tradition an Werten, Normen und Institutionen, welche die historische Identität der westlichen Kultur begründet, über fast zwei Jahrtausende vom Christentum geprägt worden ist.94 Die genannte Prägung und innere Verflechtung ist nicht etwa dadurch aufgehoben, dass in dem letzten Abschnitt der Geschichte seit Humanismus, Vernunftdenken und Aufklärung zunehmend, und zum Teil unter heftigen Kämpfen, eine äußere Scheidung von gesellschaftlich-politischer und religiöskirchlicher Kultur sich vollzog.95 Die Verknüpfung sakralen Rechts und sakraler Herrschaft hat ihre Zuspitzung etwa im von Schmitt geprägten Begriff der „Politischen Theologie“ erfahren (s.o.). Dieser Begriff kennzeichnet einen Säkularisierungsprozess, der nach Schmitt die moderne Staatslehre mit Notwendigkeit geprägt hat und noch prägt. Entsprechend ist für Schmitt – wie oben bereits angedeutet – das rechtswissenschaftliche, insbesondere das staatsrechtliche System kein eigenständiges, sondern ein durch theologische Begrifflichkeiten vermitteltes.96 Aber auch unterhalb dieser Schwelle haben sich Verknüpfungen in Form von Repräsentationsfiktionen erhalten; etwa in der unzweifelhaften Annahme der Richtigkeit mehrheitlicher parlamentarischer Entscheidungen oder gleich der Ersetzung transzendenter Wahrheiten durch die bessere Erkenntnis des Gemeinwohls, verkörpert durch die Mehrheit des Volkes. Insoweit besteht nach Schmitt mehr als eine assoziative Verbindung zwischen einer repräsentativen Demokratie und Religion. Deutlich wird dies etwa auch an Formulierungen des BVerfG, das bereits 1952 mit der Kennzeichnung der grundgesetzlichen Ordnung als „wertgebundene Ordnung“ begann97 und später dazu überging, die Gesamtheit der Grundrechte als „Wertsystem“98, als „Wertordnung“,99 als „wertgebundene

93 94 95 96 97 98 99

Ebenda. Vgl. Gerhard Dilcher, Christentum und modernes Recht – Beiträge zum Problem der Säkularisierung (1984), dort „Zur Einführung“ (S. 11). Ebenso ebenda. Ebenso, a.a.O. (S. 182). BVerfGE 2,12 ff. BVerfGE 7, 205 ff. BVerfGE 10, 81 ff.

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Ordnung“,100 als „Einheit eines grundlegenden Wertsystems“101 und schließlich die Verfassung als ein „logisch-teleologisches Sinngebilde“,102 einen „Sinnzusammenhang“103 oder ein „Sinnganzes“104 zu kennzeichnen. Dieser methodische Angang zeigt eine zentrale Parallele zum Denken Walter Benjamins an und ebenso zum Denken von Karl Marx. Dieser formulierte diesen Gedankengang – allerdings in aufklärerischer Absicht und keinesfalls affirmativ zum bestehenden Gewaltmonopol – bereits lange vor Carl Schmitt im Jahre 1843 in „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ wie folgt: „Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewusstsein, […]. Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. […] Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.“105

Hegel seinerseits gab noch vor Marx (bereits 1821) in seinen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ den in Vergessenheit geratenen Hinweis: „Es ist hier nicht der Ort, das Verhältnis des Staats zur Religion zu berühren, da in neueren Zeiten so oft wiederholt worden ist, daß die Religion die Grundlage des Staates sei“106 – und deutete seinerseits das Wissenschaftsprogramm einer politischen Theologie im Keime an. Allein unter diesem Gesichtspunkt könnte man sicherlich mit einem gewissen Recht Carl Schmitt in das Reich der Fußnoten verweisen, zumal auch bereits Max Weber intensiv in diese Richtung gedacht hatte (etwa in seiner „Protestantischen Ethik“ oder der Aufsatzsammlung „Religion und Gesellschaft – Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie“).

B) Zweck des Strafrechts Ernst zu nehmen ist an dieser Stelle vorab durchaus der gewichtige Hinweis, dass ohne einen gesicherten Begriff hinsichtlich der Legitimität geltenden Rechts sich allerdings über Unrecht und Strafe bereits im Ansatz schwerlich

100 101 102 103 104 105

BVerfGE 12, 51 ff. BVerfGE 30, 193 ff. BVerfGE 19, 220 ff. BVerfGE 30, 21 ff. BVerfGE 34, 287 ff. Zitiert nach: Karl Marx „Der Historische Materialismus I – Die Frühschriften (Hrsg. S. Landshut und J.P. Mayer)“, Alfred Kröner Verlag Leipzig 1932, S. 263 ff. 106 G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O. (§ 270)

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weiter diskutieren lässt.107 Dem ist als ergänzender wissenschaftlicher Ansatz und damit als rechtswissenschaftlicher Ausgangspunkt zuzustimmen. Die Unterscheidung von „Legitimität“ und „Legalität“ zeigt zugleich an, dass der Rückgriff auf Traditionen etc. zur Absicherung einer historisch konkreten gesellschaftlich verbürgten Anerkennung von „Legalität“ stets auch notwendig ist. Sei es nur, um den dezisionistischen Souverän gegen den Instabilität verheißenden Voluntarismus seiner Untertanen abzusichern. Zurückkommend auf die strafrechtliche Fragestellung, steht zunächst fest, dass die exekutiven Organe des Staates wegen des Vorbehalts des Gesetzes sowie seines Vorrangs ebenfalls auf die Gewährleistung der Einhaltung der strafrechtlichen Gesetze verpflichtet sind. Dem Interesse der staatlichen Gemeinschaft an der Erhaltung ihrer Grundwerte und an der Bewahrung des Rechtsfriedens innerhalb der staatlich verfassten Gesellschaft kann also nach allgemeiner Auffassung nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Rechtsordnung bestimmte sozialschädliche Verhaltensweisen, d.h. solche „Verhaltensweisen, die mit den Bedingungen eines friedlichen, freiheitlichen und materiell gesicherten Zusammenlebens der Bürger unvereinbar sind“,108 bei Strafe zu verbieten hat.109

I. Rechtsgüterschutz Wie oben bereits betont wurde, werden zur Begründung des sog. materiellen Verbrechensbegriffs drei Ansätze vertreten, d.h. Verbrechen ist entweder die Verletzung einer Pflicht, eines Rechts oder eines Rechtsgutes.110 Bezogen auf die vorherrschende Rechtsgüterlehre wird das Strafrecht auf ein Verbot sozialschädlichen Verhaltens reduziert. Aufgabe des Strafrechts ist es somit, Rechtsgüter des einzelnen und der Allgemeinheit zu schützen. Formal bedeutet Rechtsgut nichts anderes als rechtlich geschütztes Gut; was den Begriff materiell ausfüllt, unterliegt hingegen dem Wandel der Zeit, insb. der historisch jeweils geltenden Staatsauffassung111 und ist nicht unumstritten. Bis Mitte des 107 Vgl. Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht (S. 293). 108 Ebenso Roxin / Arzt / Tiedemann, Einführung in das Strafrecht und Strafprozessrecht, 3. Aufl. (1994), S. 3. 109 So auch Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht AT (Rn. 4 ff.). 110 Vgl. Stübinger, Die Unbestimmtheit des Verbrechensbegriffs, a.a.O. (S. 68 ff.), welcher dort auf Johann M.F. Birnbaum und dessen als historischen Startpunkt angesehenen Aufsatz „Ueber das Erforderniß einer Rechtsverletzung zum Begriff des Verbrechens“(1834) – unter Abgrenzung von Anselm von Feuerbachs Ansatz – für die moderne Entwicklung der Rechtsgüterschutzlehre ausdrücklich hinweist. 111 Ähnlich Joecks, a.a.O. (Rn. 5).

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19. Jhds. verstand man Verbrechen als Rechtsverletzung, was mit der in diesem Kontext verbundenen Vorstellung vom Staat als contract social112 zusammenhing.113 Hegel etwa war der Auffassung, dass nicht die Hervorbringung eines Übels (i.S.e. Rechtsgutverletzung etwa), sondern die Verletzung des Rechts als Recht den Grund des staatlichen Rechts zu strafen bildet.114 Darum ist nach Hegel die „Aufhebung“ des Verbrechens notwendig, d.h. die Wiederherstellung des Rechts, anderenfalls würde das Verbrechen gelten. Die moderne Erörterung der Grenzen staatlicher Strafbefugnis begann insbesondere mit der Aufklärungsbewegung im 18. Jhd, wodurch die Lehre vom Gesellschaftsvertrag zum Kernstück der politischen Theorie erhoben wurde.115 Danach beruhen Staat und Herrschermacht nicht mehr auf göttlicher Einsetzung, sondern auf einer primordialen vertraglichen Vereinbarung der Bürger, die durch organisatorischen Zusammenschluss und Einsetzung einer Zwangsgewalt ihre Freiheit und ein friedliches Zusammenleben gegen Übergriffe Dritter sichern sollen.116 Wenn daher die Aufgabe des Staates nur darin besteht, das Zusammenleben seiner Bürger zu garantieren, so darf ein Verhalten erst dann mit Strafe bedroht werden, wenn es in die Rechte anderer schädigend eingreift;117 nicht aber schon dann, wenn es sich nur um ethisch möglicherweise verwerfliche und nach allgemeiner Überzeugung schändliche Verhaltensweisen, durch die aber kein unmittelbar bestimmtes Rechtsgut verletzt wird, handelt.118 Ein Gegenbeispiel hierfür war etwa der bereits 1872 in Kraft getretene § 175 StGB a.F., der erst 1969 und später 1973 teilreformiert und schließlich 1994 gänzlich aufgehoben wurde. Der liberale Gedanke des Güterschutzes, welcher spätestens seit der Strafrechtsreform von 1962 dogmatische Gültigkeit beanspruchen kann, beruht auf der Einsicht, dass das Strafrecht nur die äußere Friedensordnung der Gesellschaft sichern darf, darüber hinaus aber zur moralischen Erziehung der Bürger weder befugt noch geeignet ist.119 Hieraus folgt also die Reduzierung des Strafrechts auf das Verbot sozialschädlichen Verhal112 Basierend einerseits auf Jean-Jacques Rousseaus politisch-theoretischem Hauptwerk „Vom Gesellschaftsvertrag“ (1762), andererseits auf Thomas Hobbes’ Leviathan (1651). 113 Joecks, a.a.O. 114 Vgl. G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O. (§ 99). 115 Ebenso Roxin / Arzt / Tiedemann, a.a.O. (S. 31). 116 A.a.O. (S. 32). 117 Ebenda. 118 Ebenda. 119 Ebenda.

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tens und damit von Rechtsgüterverletzungen. Hiernach dient das Strafrecht durch den Schutz von Rechtsgütern der Verwirklichung des Gemeinwohls und der Wahrung des Rechtsfriedens.120 Das Strafrecht ist eine Schutz- und Friedensordnung, die auf der sozialethischen Wertordnung der Verfassung beruht und sich an deren Zielsetzung orientiert.121 Als Rechtsgüter werden demnach die Lebensgüter, Sozialwerte und rechtlich anerkannten Interessen des Einzelnen oder der Allgemeinheit bezeichnet, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Gesellschaft Rechtsschutz genießen.122 Rechtsgüter des Einzelnen (Individualrechtsgüter) sind beispielhaft das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die Ehre, das Eigentum, das Vermögen etc.123 Rechtsgüter der Allgemeinheit (Universalrechtsgüter) sind etwa der Bestand des Staates und seiner freiheitlichdemokratischen Grundordnung, die Wahrung von Staatsgeheimnissen, die Rechtspflege, die Unbestechlichkeit von Amtsträgern, die Sicherheit des Straßenverkehrs, die Zuverlässigkeit von Urkunden im Rechtsverkehr etc.124

II. Weitere Strafzwecke Hiervon zu trennen, aber in einem inhaltlichen Zusammenhang damit steht die Frage nach Sinn und Zweck des über den allgemeinen Rechts(-güter)schutz hinausgehenden konkreten Bestrafungsaktes. Von der Aufgabe des Rechts(güter)schutzes ist somit der Zweck der im konkreten Einzelfall verhängten Rechtsfolge zu unterscheiden. Der Zweck bestimmt, auf welche Weise die Sanktion wirken soll. In jedem Fall stehen die jeweils vertretenen Strafzwecklehren in einem näheren Zusammenhang mit den dogmatischen Problemen des Strafrechts.125 Als absolut bezeichnete Straftheorien, wie sie etwa G.W.F. Hegel vertrat, sind von den gesellschaftlichen Auswirkungen der Strafe im Einzelfall losgelöst und beziehen ihre Legitimation vom Gedanken des Rechts her. Hegel versteht Strafe als Reaktion auf ein Verbrechen als „Verletzung des Rechts als Recht“, wobei die Strafe selbst als ein Ausdruck des „Rechts als Recht“ aufzufassen ist

120 121 122 123 124 125

Wessels / Beulke / Satzger, a.a.O. (Rn. 9 ff.). Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ähnlich Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 289).

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und es ihr insoweit rein um die Bewährung der vernünftigen Ordnung geht.126 In diesem Kontext wird auch von einer sog. Vergeltungstheorie gesprochen. Dahinter steht die Überlegung, dass „Unrecht“ (i.S.e. Verbrechens) nicht lediglich die Hervorbringung eines bloßen Übels i.S.d. Definition eines reinen Rechtsgüterschutzes bedeutet, sondern bereits eine Verletzung des Rechts als Recht.127 Insoweit ist die „Aufhebung“ des Verbrechens nötig, d.h. die Wiederherstellung des Rechts, sonst würde das Verbrechen Geltung erlangen. Die Strafe ist insoweit eine Reaktion des Rechts auf die Geltungsbehauptung des Unrechts.128 Im Verbrechen ist für Hegel als Hintergrund dieser Denkfigur ein Angriff auf das Allgemeine im Recht zu sehen.129 Hierunter versteht Hegel aber das Recht als Recht, d.h. das sich aus dem Gleichheitsverhältnis zwischen als Freie und Gleiche agierenden Personen zwingend ergebende intersubjektive, d.h. gegenseitige Anerkennungsverhältnis.130 Durch das Verbrechen verweigert der Täter dem Opfer allerdings seine Anerkennung als gleichstehende Person, indem er seine partikulare Individualität über das Opfer erhebt und diesem somit die Möglichkeit eigener Freiheit streitig macht.131 Weil die Strafe ihren Grund somit in einer Störung dieses intersubjektiven Verhältnisses findet, verlagert sich das Problem für Hegel weg von einer persönlichen Rache bereits begrifflich hin auf ein gesellschaftliches Problem.132 Würde das Recht auf persönliche Rache hingegen den verletzten Personen selbst zukommen, wäre dies wiederum geeignet, die staatliche Ordnung als solche in Frage zu stellen, weil hierdurch das staatliche Gewaltmonopol in seinem Monopolanspruch zumindest relativiert würde. So oder so muss in der Moderne der denkbare Strafzweck der Rache mehr oder weniger in Gänze außer Betracht bleiben und dem Geschädigten verbleibt lediglich der Verweis auf die Rolle als Nebenkläger. Relative Straftheorien sind demgegenüber allein auf die im Einzelfall verursachte Auswirkung der Strafe bezogen und insoweit entweder general- oder spezialpräventiv ausgerichtet. Das StGB vereinigt sowohl repressive als auch generalpräventive wie spezialpräventive Strafzwecke. Nach § 46 I 1 StGB ist die Schuld des Täters die 126 127 128 129 130 131 132

Ähnlich Stübinger, a.a.O. (S. 293). Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O.(§ 99, S. 88–89). So auch Stübinger, a.a.O. (S. 303). Vgl. Stübinger, a.a.O. (S. 300). Ähnlich ebenda. A.a.O. (S. 301). A.a.O. (S. 294).

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Grundlage für die Zumessung der Strafe. Diese Schuld ist allerdings nicht mit der Schuld der Vorwerfbarkeit (sog. Strafbegründungsschuld) zu verwechseln. Vielmehr geht es um das „individuelle Maß des Vorwurfs“, also die nachgelagerte Frage nach der sog. Strafmaßschuld.133 Repressiv meint nun, dass die Strafe allein der Wiederherstellung der Rechtsordnung dient, indem auf die Tat mit der Zufügung eines gerechten Übels durch den Staat reagiert wird. Dieses Übel kann einerseits als Sühne verstanden werden, wonach der Täter sich in Folge der begangenen Tat mit Hilfe der Strafe wieder mit der Rechtsordnung versöhnt. Oder es kann demgegenüber als reine Vergeltung verstanden werden, wonach auf das begangene Unrecht eine in Dauer, Härte und Art oder dem Wert nach gleiche Strafe folgt. In BVerfGE 22, 132 heißt es hierzu etwa: „Jede Kriminalstrafe ist ihrem Wesen nach Vergeltung durch Zufügung eines Übels“ und in BGHSt 24,134: „Von ihrer Bestimmung als gerechtem Schuldausgleich darf sich die Strafe weder nach oben noch nach unten inhaltlich lösen.“ Präventiv meint, dass der Bestrafungsakt auf eine Verbrechensverhütung infolge seiner abschreckenden Wirkung bezogen ist. Generalprävention ist dabei bezogen auf die Allgemeinheit (z.B. in § 47 StGB „Verteidigung der Rechtsordnung“), Spezialprävention auf den Täter (etwa in §§ 61 ff. StGB Maßregeln der Besserung und Sicherung).134

C) Tötungsdelikte als Hauptdelikte innerhalb des StGB Bezogen auf die hier interessierenden Tötungsdelikte, deren geschütztes Rechtsgut das menschliche Leben ist, lässt sich zunächst festhalten, dass Mord de lege lata nach § 211 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe, Totschlag gem. § 212 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in besonders schweren Fällen ebenfalls mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen ist. Bei einer Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB beläuft sich das Strafmaß von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Im Falle einer bereits bloßen geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung nach § 217 StGB n.F. beträgt das Strafmaß immerhin auch schon eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Dies bedarf einer weiteren näheren Klärung in kritischer Absicht.

133 Fischer § 46 Rn. 5 ff. 134 Zum Ganzen Wessels / Beulke / Satzger, a.a.O. (Rn. 23 ff.).

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I. Das Gewaltmonopol des Staates als alleiniges Letztentscheidungsmonopol über Leben und Tod; Walter Benjamin – Carl Schmitt In dem zur Jahreswende 1920/1921 verfassten Essay „Zur Kritik der Gewalt“135 unterzieht sich Walter Benjamin der Aufgabe einer Kritik der Gewalt. Deren Verhältnis zu Recht und Gerechtigkeit sowie der „mystische Grund der Autorität“136 selbst sollen Gegenstand seiner Kritik werden. Mit dem Anspruch einer Kritik der Gewalt zeigt Benjamin nicht einfach eine negative Bewertung von Gewalt i.S.e. moralisch-ethischen Verurteilung an, sondern ebenfalls eine wissenschaftliche Urteilsfindung, die nach den Bedingungen der Möglichkeit von Recht und Gewalt fragt. Dies impliziert eine Kritik der rechtlichen Ideologie selbst: Eine Freilegung sowie eine Loslösung der Sedimente des rechtlichen Überbaus, dessen Strukturen die ökonomischen und politischen Interessen der herrschenden gesellschaftlichen Kräfte möglicherweise verbergen und zugleich spiegeln.137 Recht und Gerechtigkeit haben zunächst ihren positiven Ausdruck in den Begriffen und zugleich den Relationsbestimmungen von Legalität, Legitimität und Illegalität gefunden. Diese Sphäre möchte Benjamin ihrer scheinbaren Evidenz entreißen. Dabei schwebt ihm einerseits, wie Schmitt, eine Schärfung des Blicks auf die „illiberalen Voraussetzungen“ liberaler Rechts- und Staatstheorie138 und andererseits die Hinterfragung der Unterscheidung zwischen außerrechtlicher Gewaltanwendung und rechtmäßiger Gewalt vor. Es ist also zu fragen, warum es diese Unterscheidung gibt, woher sie stammt, wie sie getroffen wird, wer sie trifft, wen sie betrifft und was sie inhaltlich bedeutet. Zugleich handelt es sich um eine Kritik der Repräsentation als Sündenfall der Sprache, als auch um eine Kritik der Repräsentation als politischem System der formalen und parlamentarischen Demokratie.139 Als elementarstes Grundverhältnis einer jeden Rechtsordnung sieht Benjamin das von Zweck und Mittel an, wobei die Ge135 Siehe Walter Benjamin, Werke I, Zur Kritik der Gewalt, Zweitausendeins (2011), S. 342 ff. 136 Vgl. hierzu auch Jacques Derrida, Gesetzeskraft – Der „mystische Grund der Autorität“ (2017), S. 25, 28, 29, 78, 86. 137 Ähnlich Jacques Derrida, a.a.O. (S. 27). 138 Ganz in diese Richtung weisen sowohl Ernst-Wolfgang Böckenfördes berühmtes Diktum, wonach der Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne, als auch Nietzsches Schrift „Zur Genealogie der Moral“ wie ebenso Marx’ berühmtes 24. Kapitel in „Das Kapital“ Bd. I „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“ – hierzu im Einzelnen Teil II Kap. 1 Punkt D) I.–III. dieser Arbeit. 139 Ähnlich Jacques Derrida, a.a.O. (S. 62).

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walt für ihn im Bereich der Mittel liegt. Zugleich gehört der Begriff der Gewalt nach Benjamin der symbolischen Ordnung des Rechts und der Politik an, wobei er anmerkt, dass die Frage, ob die Gewalt ein Mittel zu einem gerechten oder ungerechten Zweck sein kann, bereits daran hindert, die Gewalt selber zu beurteilen.140 Insoweit bleibt dann die kritische Frage nach einer Bewertung und Rechtfertigung der Gewalt selber offen, unabhängig davon, ob sie ein bloßes Mittel ist und welchen Zwecken sie dient.141 Außerdem ist Gewalt nach Benjamin entweder rechtssetzend oder rechtserhaltend, wobei die rechtssetzende Komponente das Projekt einer Kritik der Gewalt über sich selbst auf die Freilegung einer Sphäre jenseits rechtlich immanenter Ordnung und der mit ihr verbundenen Gewaltverhältnisse hinaustreibt – auf die Freilegung des Phänomens der reinen Souveränität.142 Diese Gewalt wird von Benjamin als mythisch bezeichnet. Jede Staatsgründung markiert das Aufkommen eines neuen Rechts nach einer revolutionären Situation und tut dies immer unter Anwendung von Gewalt.143 Zunächst lässt sich diese Gewalt noch nicht deuten oder entziffern, darum wird sie mythisch genannt. Später wird sie gleich einem hermeneutischen Zirkel nachträgliche Interpretationsmodelle i.S.v. Diskursen über die eigene Rechtfertigung hervorbringen.144 Nach Auffassung Carl Schmitts ist Souverän, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.145 Dieser Gedanke ist bei aller gebotenen Vorsicht insoweit interessant, als er das dialektische Verhältnis von Regel und Ausnahme überhaupt problematisiert und wie Benjamin auf ein „außerrechtliches Fundament“ als Grenzbegriff stellt.146 Dabei wird ganz i.S.v. Thomas Hobbes (1588–1679) das 140 Vgl. Jacques Derrida, a.a.O. (S. 70). 141 Vgl. a.a.O. (S. 71). 142 Der Logik von Souveränität ist in allen historischen politischen Ordnungen die biopolitische Unterscheidung zwischen dem unpolitischen nacktem Leben und dem „politischen“ Recht immanent (Souveränität des Königs, des Fürsten, des Papstes, des Volkes, des Gesetzes etc.); d.h. dass die „kreatürliche Existenz“ jedes einzelnen „Staatsbürgers“ durch die rechtliche Sphäre – infolge von Abstraktionen und Definitionen – überhaupt erst konstituiert wird, wie dies in Gänze umgekehrt erst die jeweilige politische Ordnung reproduziert. Insoweit ist jede „illegale“ Tötung durch Private geeignet, das Ganze einer staatlichen Ordnung zumindest symbolisch in Frage zu stellen. 143 So auch Jacques Derrida, a.a.O. (S. 77). 144 A.a.O. (S. 79). 145 Carl Schmitt, Politische Theologie (1922), Duncker § Humblot 1985, S. 11. 146 A.a.O. (S. 19 ff.): „Die Ausnahme ist das nicht Subsumierbare; sie entzieht sich der generellen Fassung, aber gleichzeitig offenbart sie ein spezifisch-juristisches Formelement, die Dezision, in absoluter Reinheit. In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann eingetreten, wenn erst die Situation geschaffen werden muss, in der Rechtss-

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Paradigma „auctoritas non veritas facit legem“ zu Grunde gelegt. Nach Carl Schmitt ist entgegen der Auffassung von Hans Kelsen147 mit der souveränen Entscheidung über den Ausnahmezustand der rechtlich unbegründbare – aber durchaus legale, weil verfassungsrechtlich verankerte Ausnahmezustand (vgl. Art 80a, 115a ff. GG) als Grund wie zugleich Geltungsquelle und damit der Ursprung allen Rechts identifiziert. An dieser Stelle tritt zugleich Nietzsche im Hintergrund als ein ungenannter Stichwortgeber Schmitts und zugleich relativer Antipode Benjamins auf: „Man muß sich sogar noch etwas Bedenklicheres eingestehn: daß vom höchsten biologischen Zustande aus, Rechtszustände immer nur Ausnahme-Zustände sein dürfen, als teilweise Restriktionen des eigentlichen Lebenswillens, der auf Macht aus ist, […] als Mittel, größere Machteinheiten zu schaffen. Eine Rechtsordnung souverän und allgemein gedacht, nicht als Mittel im Kampf von MachtKomplexen, sondern als Mittel gegen allen Kampf überhaupt, etwa gemäß der Kommunisten-Schablone Dührings, daß jeder Wille jeden Willen als gleich zu nehmen habe, wäre ein lebensfeindliches Prinzip, […] ein Schleichweg zum Nichts“ (Vgl. Nietzsche: Genealogie der Moral; KSA 5, S. 312–313).

Das Näheverhältnis zwischen Carl Schmitt und Nietzsche wurde unter Rn. 434 bereits in der sachlich gebotenen Abgrenzung zu Marx herausgearbeitet. Unter Teil II Kap. 1 Punkt D) und unter der Rn. 434 wird die Achse Nietzsche (Schmitt) vs. Marx ausführlich besprochen. Benjamin ist systematisch und historisch dem „Marx-Lager“ zuzurechnen und steht somit trotz einer nur auf den ersten Blick „gefährlichen Nähe zu Carl Schmitt“ sachlich tatsächlich in direkter und unvereinbarer Opposition zu Nietzsche und damit ebenso zu Schmitt. ätze gelten können. Diese faktische Normalität ist nicht bloß eine „äußere Voraussetzung“, die der Jurist ignorieren kann; sie gehört vielmehr zu ihrer immanenten Geltung. […] Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung. Darin liegt das Wesen der staatlichen Souveränität. […] Der Ausnahmefall offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm, und die Autorität beweist, dass sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht. […] Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme. […] Die Ausnahme erklärt das Allgemeine und sich selbst. […] es gibt Ausnahmen. Kann man sie nicht erklären, so kann man auch das Allgemeine nicht erklären. Gewöhnlich merkt man die Schwierigkeit nicht, weil man das Allgemeine nicht einmal mit Leidenschaft, sondern mit einer bequemen Oberflächlichkeit denkt“. 147 Kelsen vertritt demgegenüber die Auffassung, alle Gewalt sei primär „ver-rechtlicht“ und damit normativ fassbar (innerhalb der rechtlichen Sphäre als autonomer Sphäre sui generis), selbst der Extremfall des Ausnahmezustandes sei nicht als Ausnahme von der Rechtsordnung, sondern seinerseits als Rechtsnorm zu verstehen; vgl. Kelsen, Der Soziologische und der juristische Staatsbegriff, §§ 17, 22(!), 29.

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In eine nur scheinbar identische Richtung wie Schmitt argumentiert nun Benjamin, wenn er ausführt, dass das legale Recht die illegale Gewalt (welche bei Tötungsdelikten evident in Erscheinung tritt) in den Händen der einzelnen Person als eine die Rechtsordnung potentiell untergrabende Gefahr anzusehen hat. Er untermauert dies mit dem Hinweis auf den „großen Verbrecher“, der die heimliche Bewunderung des Volkes errege, was nicht um seiner Tat, sondern um der Gewalt willen, von der sie zeuge, der Fall sei. Denn in diesem Fall tritt nach Benjamin die Gewalt wirklich bedrohlich auf und erregt noch im Unterliegen die Sympathie der Menge mit dem Rechtsbrecher gegen das Recht. Der Grund hierfür besteht darin, dass der große Verbrecher das Gesetz herausfordert, ihm trotzt und die Gewalt der Rechtsordnung selbst bloßlegt.148 Benjamin interessiert an diesem Phänomen allein die Funktion der Gewalt, welche diese dem Recht so bedrohlich macht. Letztlich sei allein die Gewalt imstande, Rechtsverhältnisse zu begründen und zu modifizieren, was dem Staat im „großen Verbrecher“ personifiziert entgegentrete mit der zumindest symbolischen Drohung, durch entsprechendes Handeln neues Recht zu setzen. Dieser Hinweis Benjamins soll verdeutlichen, welche konstitutive und existenzielle Bedeutung der staatlichen Verfolgung, vor allem aber Prävention jeglicher Tötungsdelikte für den Bestand des staatlich verfassten Gemeinwesens zukommt. Dieser Bereich betrifft nach Benjamin das Recht selbst in seinem Ursprung, sowie in seiner eigenen Ordnung. Wenn nämlich eine gewaltsame, gewalttätige Setzung nach Benjamin den Ursprung des Rechts bildet, so erscheint sie dort am reinsten, wo sie an das Recht auf Leben und Tod rührt.149 Offenbart sich die Rechtsordnung erst dann gänzlich, wenn keine außerstaatliche Möglichkeit auf den Entzug des Lebens mehr besteht, so bedeutet umgekehrt ein Verstoß hiergegen, dass man das Prinzip des Rechts selber desavouiert.150

II. Notwehrrecht: Einwand gegen die Existenz des reinen Gewaltmonopols? Selbst das schneidige Notwehrrecht151 ist kein argumentativer Einwand hiergegen, da ja Rechtfertigungsgründe ganz allgemein lediglich staatlich verfasste Erlaubnistatbestände darstellen. Sie gestatten das rechtsgutverletzende Verhalten ausnahmsweise und delegieren in der Sache somit lediglich im Ausnahmefall Befugnisse vom staatlichen Gewaltmonopol auf den Einzelnen zur Auf148 149 150 151

Ähnlich Jacques Derrida, a.a.O. (S. 74). A.a.O. (S. 90). Ebenda. Hierzu: Wessels / Beulke Strafrecht AT (30. Aufl. 2000), § 8 (S. 88 ff.).

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rechterhaltung der Rechtsordnung. Durch diese Delegierung mittels des Notwehrrechts wird der in Notwehr handelnde somit vorübergehend zum „Beliehenen“ am staatlichen Gewaltmonopol gemacht. Beliehen wird der Einzelne aber nur, wenn er in Kenntnis der rechtfertigenden Sachlage und aufgrund der ihm dadurch verliehenen Befugnis gehandelt hat. Das gerechtfertigte Verhalten bleibt nämlich „tatbestandsmäßig“, es enthält im konkreten Einzelfall nur keine Rechtspflichtverletzung. Beim Notwehrrecht tritt der Handelnde zugleich für den Bestand und die Bewährung der Rechtsordnung ein, damit das Recht im Ganzen dem Unrecht des Delinquenten nicht zu weichen braucht. Ein solcher Erlaubnistatbestand i.S.e. Rechtfertigungsgrundes stellt somit die rechtliche Ordnung nicht in Frage, sondern bestätigt diese vielmehr. Vor allem in Fragen von Leben und Tod.

III. Politisierung des Lebens (Biopolitik)? Bezogen auf die vorliegend zu untersuchenden strafbaren Varianten von „Sterbehilfe“ ist bezeichnend, dass selbst wenn der Handelnde ausdrücklich und auf Wunsch des Getöteten zu dessen aktiver Tötung bestimmt worden ist, ihn allein dies zum Verbrecher eines Totschlagsdelikts qualifiziert (§ 216 StGB). Der Unrechtsgehalt der Tat erschöpft sich in so einem Fall allein in der äußerlichen Tötung eines Staatsbürgers durch einen anderen und damit der individuellen Auflehnung gegen das staatlicherseits gesetzte notwendig absolute Tötungsverbot. Darin ist zugleich rein formal ein Aspekt einer Politisierung des Lebens und damit einer biopolitischen Komponente nicht von der Hand zu weisen. Biopolitik meint hier die wachsende Einbeziehung des natürlichen Lebens des Menschen in die Mechanismen und Kalküle der Macht und damit einer Politisierung des Lebens, d.h. eines Zustandes, in dem auch noch das bisher privat gewesene Leben durch entsprechende Gesetze total politisiert wird, als Merkmal aktueller Politik.152 Wenn es dem Souverän zu allen Zeiten zukommt, darüber zu entscheiden, welches Leben ausgelöscht werden kann, ohne dass eine Straftat begangen wird, dann tendiert nach Giorgio Agamben diese Macht im Zeitalter der Biopolitik dazu, sich vom Ausnahmezustand zu emanzipieren, um sich in die Macht über die Entscheidung zu transformieren, an welchem Punkt das Leben aufhört, politisch relevant zu sein.153 Ganz in diese Richtung argumentiert etwa auch Elias Canetti in seinem Hauptwerk „Masse und Macht“ (1960), wenn er beispielsweise schreibt: 152 So auch Giorgio Agamben mit Hinweis auf Karl Löwith, Homo Sacer (2002), S. 128 ff. 153 Ebenso Agamben, a.a.O. (S. 151).

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„Das System der Befehle ist allgemein anerkannt. Am schärfsten ausgeprägt hat es sich wohl in den Armeen. Aber viele andere Bereiche des zivilisierten Lebens sind vom Befehl ergriffen und gezeichnet. Der Tod als Drohung ist die Münze der Macht. Es ist leicht, hier Münze auf Münze zu legen und enorme Kapitalien anzusammeln.“154

Diese Münze der Macht würde umgekehrt inflationär entwertet und in ihr Gegenteil verkehrt, wenn es außer dem staatlichen Gewaltmonopol beliebigen gesellschaftlichen Akteuren erlaubt wäre, über das Leben und den Tod anderer Menschen willkürlich zu befinden. Bezogen auf die Suizid(-hilfe)problematik bedeutet dies, dass es die staatliche Ordnung somit bei Strafe ihres Untergangs nicht dulden kann und darf, dass sich außer ihr irgendeine andere Instanz zum Herrn über Leben und Tod eines anderen Menschen aufschwingen kann. Das Recht auf eine legale Tötung eines anderen Menschen kommt in dieser Souveränitätslogik, wenn überhaupt, notwendig und bei Strafe des Untergangs allein dem Staat (etwa in Form der Todesstrafe oder eines finalen Todesschusses) zu.

D) Weitere Dekonstruktionsversuche herrschender Legitimationsstrategien für das geltende Strafrechtsverständnis An dieser Stelle sei noch kurz ein weiterer vertiefender Hinweis auf den bereits durch Benjamin und Schmitt geschärften Blick hinsichtlich der These von den möglicherweise „illiberalen Voraussetzungen liberaler Rechts- und Staatstheorie“ gestattet. Hieraus folgen im Ergebnis weitere Argumente für eine theoretisch denkbare Dekonstruktion herrschender Legitimierungsstrategien, die bis heute z.B. für das geltende Strafrechtsverständnis eingesetzt werden.155

I. Friedrich Nietzsche – Genealogie der Moral Zu diesem Zwecke sollen einige Gedanken aus Nietzsches „Genealogie der Moral“ (1887) und aus dem 24. Kapitel in Marx’ „Das Kapital“ Bd. I (1867) über die sogenannte ursprüngliche Akkumulation (des Kapitals) produktiv miteinander gekreuzt werden, soweit sie sich auf den gleichen Sachverhalt und somit auf das Problem der „reinen Souveränität“ beziehen. Dieser Zusammenhang zwischen Nietzsche und Marx wurde bislang völlig übersehen. Am Beispiel Nietzsches lässt sich etwa eine gesellschaftspolitische Brisanz z.B. des

154 Elias Canetti, Masse und Macht, Fischer Verlag 1980, S. 529. 155 Zu diesem Ansatz bereits Stübinger, Schuld, Strafrecht und Geschichte (2000), S. 282/283.

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Strafrechts und seiner historischen Genese aufweisen,156 die zwar über den eigentlichen und eng gefassten rechtswissenschaftlichen Bereich weit hinausreicht, jedoch eine in Blut getränkte gleich ursprüngliche wie archaische Gewalt freilegt. Dieser Verweis Nietzsches auf die Vorzeit, deren grausame Praktiken latent vorhanden bleiben und immer wieder aufbrechen können, verfolgt primär den Zweck, eine Hinterfragung dogmatisch gültiger Sprachregelungen in kritischer Absicht zu ermöglichen und die Sphäre der hier angedeuteten reinen Souveränität freizulegen, welche möglicherweise im Hintergrund Pate für Nietzsches Willen zur Macht steht. Dahinter steht der Versuch, der fortschrittsbewussten modernen Gesellschaft einen genealogischen Spiegel der eigenen verborgenen „Primitivität“ vorzuhalten, die zwar historisch raffiniert, aber niemals restlos beseitigt werden könne.157 Nach Nietzsche gibt die Gewalt das erste Recht, und es gibt kein Recht, das nicht in seinen Fundamenten Anmaßung, Ursupation bzw. Gewalttat ist; außerdem gehört folglich dem Sieger der Besiegte, mit Weib und Kind und Blut.158 Ganz in die gleiche Richtung weist Nietzsches Ausführung zur sog. „Mnemotechnik“159 mittels derer man „dem heranzuzüchtenden Tier, das versprechen darf“,160 um berechenbar zu werden, als Vorbedingung bereits seit grauer Vorzeit ein Gedächtnis macht.161 „Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, wehzutun, bleibt im Gedächtnis.“162 Es wirkt auch darin für Nietzsche stets etwas von der „Schrecklichkeit nach, mit der ehemals überall auf Erden versprochen, verpfändet, gelobt worden ist“.163 Nietzsche geht sogar so weit zu sagen, dass insbesondere die moralische Begriffswelt „Schuld“, „Gewissen“, „Pflicht“, „Heiligkeit der Pflicht“ ihren Entstehungsherd, ihren Anfang in den archaischen Ursprüngen von Obligationenrecht hat164 und wie der Anfang alles Großen auf Erden, gründlich und

156 157 158 159 160 161 162 163 164

Ähnlich Stübinger, a.a.O. (S. 282). Ebenda. Vgl. F. Nietzsche, Vorreden 3, KSA 1, S. 770. Nietzsche (GM), Einzelausgabe Insel Verlag Frankfurt a.M. (2016), (S. 51) = KSA 5, S. 295. A.a.O. S. 51 ff. = KSA 5, S. 295 ff. Vgl. ebenda. Ebenda. A.a.O. (S. 52) = KSA 5, S. 295. Hierzu ausführlich Stübinger, a.a.O. (S. 292 ff.); Nietzsche (GM), a.a.O. (S. 53 ff., 61 ff.) = KSA 5, S. 296 ff., S. 305 ff.

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lange mit Blut begossen worden sei.165 Auch vertieft er diesen Gedanken mittels einer rhetorischen Frage, indem er „fragend“ hinzufügt, „dass jene Welt im Grunde einen gewissen Geruch von Blut und Folter niemals wieder ganz eingebüßt habe“.166 Dies deckt sich systematisch mit Nietzsches Ausführung ebenfalls in der „Genealogie,“

wonach es erst von der Aufrichtung des Gesetzes an „Recht“ und „Unrecht“ – und gerade nicht von dem Akte der Verletzung an – gibt.167 Vielmehr ist nach Nietzsche jedes Reden von Recht an sich sinnlos, weil ein „Verletzen“, „Vergewaltigen“, „Ausbeuten“, „Vernichten“ nichts „Unrechtes“ sein könne, insofern das Leben essentiell, nämlich in seinen Grundfunktionen verletzend, vergewaltigend, ausbeutend, vernichtend fungiere und gar nicht gedacht werden könne ohne diesen Charakter.168 Recht ist insoweit für Nietzsche identisch mit einem Verhältnis aus Gewalt und Macht auf der einen und Unfreiheit wie Ohnmacht auf der anderen Seite – völlig frei von jeder Vernunftmetaphysik. Klartext spricht Nietzsche dann, wenn er weiter wörtlich ausführt, „dass die Einfügung einer bisher ungehemmten und ungestalteten Bevölkerung in eine feste Form, wie sie mit einem Gewaltakte ihren Anfang nahm, nur mit lauter Gewaltakten zu Ende geführt wurde – dass der älteste „Staat“ demgemäß als eine furchtbare Tyrannei, als eine zerdrückende und rücksichtslose Maschinerie auftrat und fortarbeitete, bis ein solcher Rohstoff von Volk und Halbtier endlich nicht nur durchgeknetet und gefügig, sondern auch geformt war.“169 Hierin liegt zugleich ein Hinweis auf eine weitere, zugegeben sehr voraufklärerische Erweiterung der „Strafzwecktheorien“ durch Nietzsche, denn im Kern läuft dieses Argument darauf hinaus, gefügige Untertanen biopolitisch als durchschnittliches, berechenbares Menschmaterial in Serie zu produzieren. Das Wort Staat verwendet Nietzsche ausdrücklich i.S. „irgendeines Rudels blonder Raubtiere,170 einer Eroberer- und Herren-Rasse, welche, kriegerisch organisiert und mit der Kraft zu organisieren, unbedenklich ihre

165 166 167 168 169 170

Nietzsche (GM), a.a.O. (S. 56) = KSA 5, S. 300. Ebenda. Vgl. a.a.O. (S. 67) = KSA 5, S. 312. Vgl. ebenda. Ebenso, a.a.O. (S. 78) = KSA 5, S. 324 ff. Ebenda; auf S. 34/35 = KSA 5, S. 275 heißt es dazu: „Auf dem Grunde aller dieser vornehmen Rassen ist das Raubtier, die prachtvolle nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie nicht zu verkennen“ […] „dem Wüten der blonden germanischen Bestie“.

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Teil II furchtbaren Tatzen auf eine der Zahl nach vielleicht ungeheuer überlegene, aber noch gestaltlose, noch schweifende Bevölkerung legt.“171

In diesem Kontext verwirft Nietzsche konsequent den Rousseauschen Gesellschaftsvertrag (contract social), wenn er formuliert: „Dergestalt beginnt ja der ‘Staat’ auf Erden: ich denke, jene Schwärmerei ist abgetan, welche ihn mit einem ‘Vertrage’ beginnen ließ. Wer befehlen kann, wer von Natur ‘Herr’ ist, wer gewalttätig in Werk und Gebärde auftritt – was hat der mit Verträgen zu schaffen! Mit solchen Wesen rechnet man nicht, sie kommen wie das Schicksal, ohne Grund, Vernunft (etc).“172

Insoweit ist es nur folgerichtig i.S. Nietzsches, wenn er ebenfalls in der „Genealogie“ ausführt, „daß das ‘Herrenrecht’, Namen zu geben, so weit gehe, dass man den Ursprung der Sprache selbst als Machtäußerung der Herrschenden zu fassen habe: die sagen ‘das ist das und das’, womit sie jegliches Ding und Geschehen mit einem Laute absiegeln und es dadurch gleichsam in Besitz nehmen.“173 Zwischenergebnis: Diese mittels exakter Textexegese anhand des Wortlauts der „Genealogie der Moral“ systematisch erschlossenen Belege verdeutlichen eines: Dass Nietzsche dort systematisch eine auf Gewalt basierende und als solche fortwirkende Souveränitätstheorie entwickelt und eine ebenso systematische rechtsphilosophische Grundlegung mindestens hinsichtlich der Grundbegriffe von Staat, Souveränität, Recht, Legalität, Freiheit, freiem Willen, Schuld und Vertragsfreiheit. Und noch eines offenbart sich an dieser Stelle: Nietzsches rechtsphilosophischer Beitrag ist eine direkte Herausforderung des hegelschen Ansatzes; beide Ansätze sind in ihren Grundfesten unter gar keinen Umständen miteinander vereinbar – es sei denn als eklektische Beliebigkeit, ohne den strengen wissenschaftlichen Anspruch auf Systematik.

II. Karl Marx – ursprüngliche Akkumulation Marx nun argumentiert – wenn auch unter diametral entgegengesetzten Vorzeichen174 – in eine ganz ähnliche Richtung, wenn er etwa ausführt, dass in der wirklichen Geschichte – gleich Nietzsche – gegenüber den Erzählungen aus der Kinderfibel bekanntlich Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt 171 172 173 174

A.a.O. (S. 78) = KSA 5, S. 324. Ebenda. A.a.O. (S. 20) = KSA 5, S. 260. Vgl. hierzu den vertiefenden Hinweis hinsichtlich der grundverschiedenen Ausgangspunkte beider Denker unter Rn. 434 dieser Arbeit.

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die große Rolle spielen.175 Marx führt weiter aus, dass die geschichtliche Bewegung, die die Produzenten in Lohnarbeiter verwandelt hat, für die bürgerliche Geschichtsschreibung einseitig als deren Befreiung von Dienstbarkeit und Zunftzwang erscheine.176 Nach Marx wurden diese „Neubefreiten“ jedoch tatsächlich erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle durch die alten feudalen Einrichtungen gebotenen Garantien ihrer Existenz geraubt (!) wurden.177 Und die Geschichte dieser ihrer Expropriation ist nach Marx in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer.178 Die Expropriation des ländlichen Produzenten, des Bauern, von Grund und Boden bildet nach Marx die Grundlage des ganzen Prozesses.179 Marx wirft den politischen Ökonomen seiner Zeit vor, dass sie die frechste Schändung des „heiligen Rechts des Eigentums“ und die gröbsten Gewalttaten wider Personen – sobald diese erheischt sind, um die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise herzustellen – mit stoischer Seelenruhe ignorieren bzw. verdrängen.180 Er legt weiter dar, dass diese Expropriation gegen Ende des 15. und während des gesamten 16. Jhd. in ganz Westeuropa durch eine Blutgesetzgebung wider Vagabundage ergänzt wurde.181 Nach Marx wurden die Väter der Arbeiterklasse seiner Zeit zunächst gezüchtigt für die ihnen angetane Verwandlung in Vagabunden und Paupers.182 Anschließend wurden sie der Gesetzgebung unterstellt, die sie als „freiwillige“ Verbrecher behandelte und unterstellte, dass es von ihrem guten Willen abhänge, in den nicht mehr existierenden alten Verhältnissen fortzuarbeiten.183 Im Ergebnis wurde nach Marx’ Darstellung das von Grund und Boden gewaltsam exproprierte, verjagte und zu Vagabunden gemachte Landvolk durch grotesk-terroristische Gesetze in

175 Vgl. Marx, Das Kapital, Bd. I (1867), (Volksausgabe, Dietz Verlag 1953), S. 752 = MEW, Bd. 23 (742). 176 Vgl. a.a.O. (S. 753) = MEW, Bd. 23 (743). 177 Vgl. ebenda. 178 Vgl. ebenda. 179 Siehe auch a.a.O. (S. 754) = MEW, Bd. 23 (744), ganz aktuell zu Aktualität dieses Ansatzes Wolfgang Streek, RE. Das Kapital – Politische Ökonomie im 21. Jhd. (dort: Niemand wird freiwillig Arbeiter, S. 111 ff.). 180 A.a.O. (S. 766) = MEW, Bd. 23 (756). 181 A.a.O. (S. 773) = MEW, Bd. 23 (762). 182 Vgl. ebenda. 183 Ebenda.

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eine dem System der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht, – gebrandmarkt, bzw. – gefoltert.184 Analog Nietzsche geht es Marx nicht nur um eine Freilegung der gewaltsamen historischen Ursprünge bei der Schaffung der gegenwärtigen „legalen“ Verhältnisse. Es handelt sich insoweit für Marx – ebenso wie zuvor anhand von Nietzsches „Genealogie“ aufgezeigt – gerade nicht um rein „voraufklärerische Restposten“185 oder einen „darunter abgesonderten Bodensatz“ von lediglich historischem Interesse.186 Vielmehr entwickelt sich nach Marx im Fortgang der kapitalistischen Produktion überhaupt erst eine sog. Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliches „Naturgesetz“ anerkennt.187 Dies deckt sich an diesem entscheidenden Punkt noch mit Nietzsches Ansatz, wonach das Wesen der Gesellschaft die Gewalt ist, insofern die soziale Natur des Menschen, das Sicheinfügen in eine gegebene Ordnung wesentlich auf die „Mnemonik des Schmerzes“,188 die Erinnerung an Zwangsakte, zurückgeht, durch welche die Menschen allererst zivilisiert und für die gesellschaftlichen Strukturen der Macht präpariert worden sind.189 Die Geschichte der menschlichen Kultur ist für Nietzsche die verinnerlichte Form einer Grausamkeit, durch die das Selbst, der identische, zweckgerichtete Charakter der Menschen allererst geschaffen wurde.190 Dazu kommt nach Marx, dass die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bereits strukturell jeden Widerstand bricht, da die beständige Erzeugung einer relativen Überbevölkerung das Gesetz der Zufuhr von Nachfrage nach Arbeit, und daher den Arbeitslohn, in einem den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechendem Verhältnis halte.191 Daraus folgt für Marx als zentrale Erkenntnis, dass der „stumme Zwang der ökonomi184 So auch a.a.O. (S. 776) = MEW, Bd. 23 (765); hierbei ist interessant, dass Marx diese historischen Vorgänge im Unterschied zu Nietzsche akribisch mit sämtlichen verfügbaren wissenschaftlichen Belegstellen seiner Zeit absichert und sich mithin gegen den Vorwurf eines etwaigen „Gründungsmythos“ aus grauer Vorzeit wissenschaftlich absichern kann. Insoweit kann Marx an dieser Stelle tatsächlich eine wissenschaftlich nachprüfbare „Grundlegung“ am Beispiel Englands geben. 185 So etwa Stübinger, Schuld, Strafrecht u Geschichte, a.a.O. (S. 282/283). 186 In diese Richtung argumentiert etwa Stübinger, a.a.O. (282 ff.). 187 So auch Marx, a.a.O. (S. 776/777) = MEW, Bd. 23 (765). 188 Vgl. etwa Nietzsche in GM, a.a.O. (S. 51) = KSA 5, S. 295. 189 Ebenso W. Ries, Friedrich Nietzsche (2009), S. 90. 190 A.a.O. (S. 91). 191 Ebenso Marx, a.a.O. (S. 776/777) = MEW, Bd. 23 (765).

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schen Verhältnisse“ die persönliche Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter endgültig besiegelt habe.192 Außerökonomische, unmittelbare Gewalt werde zwar noch angewandt, aber nur noch ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann damit nach Marx der Arbeiter den „Naturgesetzen der Produktion“ überlassen bleiben, d.h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital.193 Von Bedeutung ist für Marx in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, dass dies während der historischen Genesis der kapitalistischen Produktionsweise noch anders und insoweit durchaus ein im Ergebnis offener hist. Prozess war.194 Genau wie bei Nietzsche wird für Marx die Geschichte der menschlichen Zivilisation auch als die Geschichte verinnerlichter Grausamkeit lesbar, einer Grausamkeit, die sich gerade in der gesellschaftlich erzwungenen Verdrängung inmitten der Zivilisation ebenso ungebrochen fortsetzt.195 Der „stumme Zwang der Verhältnisse“ hat die ihm vorausgehende unmittelbare Gewalt lediglich in eine strukturelle und damit mittelbar wirkende Gewalt transformiert, was deren Wirkungsweise nach Marx jedoch faktisch nur noch totalitärer gestaltet und keinesfalls in eine plötzliche allgemeine Freiheit „aufhebt“. Zwischenergebnis: Diese ebenfalls – mittels exakter Textexegese anhand des Wortlauts von „Das Kapital, Bd. 1 – der Produktionsprozess des Kapitals“ – erschlossenen Belege verdeutlichen ebenfalls eines: Dass Marx gleich Nietzsche dort ebenso – wenn auch inzident – systematisch eine auf Gewalt basierende und als solche fortwirkende Souveränitätstheorie entwickelte und inzident eine ebenso systematische rechtsphilosophische Grundlegung mindestens hinsichtlich der Grundbegriffe von Staat, Souveränität, Recht, Legalität, Freiheit, freiem Willen, Schuld und Vertragsfreiheit.

III. Marx und Nietzsche im Vergleich Abschließend soll noch auf die bislang nur angedeuteten grundverschiedenen Ausgangspunkte beider Denker eingegangen werden, worüber auch die soeben gezeigte Überschneidung nicht hinwegtäuschen darf. Hier verhält es sich analog Benjamin und Schmitt (siehe dort unter Teil II Kap. 1 C) I.). Während 192 Ebenda, vgl. hierzu auch Teil II, Kapitel 2 B) I. 193 Marx, Das Kapital, Bd. 1, a.a.O. (S. 776/777) = MEW, Bd. 23 (765). 194 Ebenda, Marx selbst spricht im Kapital und auch sonst an keiner Stelle vom sog. „Kapitalismus“, sondern von Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht (vgl. a.a.O. [S. 39] = MEW, Bd. 23 [49]), womit er inhaltlich auf Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts anspielt (§§ 182 ff.). 195 W. Ries, a.a.O. (S. 91).

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Marx‘ Sympathie dem nach seiner Darstellung „entrechteten“ Vierten Stand (dem sog. Proletariat) – zwecks einer allgemein-menschlichen Emanzipation – im Gegensatz zu den auf Kosten des Proletariats (Mehrwerttheorie etc.) privilegierten Klassen von Adel, Klerus und primär dem Bürgertum gilt, sind Nietzsches Adressaten allein die „vornehmen Rassen“,196 welche gleichsam paradigmatisch wie idealtypisch durch die „blonde germanische Bestie“197 repräsentiert werden. An dieser Stelle beklagt Nietzsche, dass zwischen den alten Germanen und „uns Deutschen“ zwar kaum (sic) eine Begriffs- geschweige denn eine Blutsverwandtschaft bestehe,198 jedoch zeigt das Wort „kaum“ hier eine gewisse Latenz und damit Tendenz hinsichtlich Nietzsches Adressatenkreises an. Nietzsche strebt mithin eine Renaissance der infolge des allgemeinen Sklavenaufstands in der Moral vorübergehend verschüttet gegangenen Ära einer Elite von blonden Bestien an, mit deren Neuerweckung und mit Hilfe einer Wiederkunft der Sklaverei die berechtigte Hoffnung auf eine Renaissance der Kultur mythisch-utopisch zu neuem Leben erweckt werden soll.199 Diese blonden Bestien sind für Nietzsche „auf dem Grunde aller vornehmen Rassen“;200 sie genießen eine „Freiheit von allem sozialen Zwang“,201 „halten sich in der Wildnis schadlos für die Spannung, welche eine lange Einschließung und Einfriedung in den Frieden der Gemeinschaft gibt, sie treten in die Unschuld des Raubtier-Gewissens zurück, als frohlockende Ungeheuer, welche vielleicht von einer scheußlichen Abfolge von Mord, Niederbrennung, Schändung, Folterung mit einem Übermute und seelischen Gleichgewichte davongehen, wie 202 als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei.“

Deren (Herren-)Moral wächst nach Nietzsche aus einem triumphierenden aktivistischen Ja-sagen zu sich selbst heraus;203 bei dem Vornehmen ist darum der Grundbegriff „gut“ primär und spontan, nämlich von sich aus konzipiert, und erst von da aus wird eine Vorstellung von „schlecht“ geschaffen,204 welche aber eigentlich ebenso rein vornehmen Ursprungs sei. Allerdings sei diese ursprüngliche (Herren-)Moral durch eine wirkungsmächtige historische Sklavenmoral

196 197 198 199 200 201 202 203 204

Nietzsche (GM) a.a.O. (S. 34) = KSA 5, S. 275. A.a.O. (S. 34) = KSA 5, S. 275. A.a.O. (S. 35) = KSA 5, S. 275. So auch G. Lukacs, Die Zerstörung der Vernunft (1954), S. 259. Vgl. Nietzsche (GM) a.a.O. (S. 36) = KSA 5, S. 277. A.a.O. (S. 34) = KSA 5, S. 274. Ebenda. Vgl. a.a.O. (S. 30) = KSA 5, S. 270. A.a.O. (S. 33) = KSA 5, S. 274.

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umgewertet worden. Nietzsche spricht in diesem Kontext von einem „Sklavenaufstand in der Moral“205 mit einer zweitausendjährigen Geschichte.206 Die Linie dieser Umwertung (als „Sieg über das klassische Ideal“)207 geht für Nietzsche ausgehend vom Judentum (Hervorhebung M.R.),208 welches für ihn „jenes priesterliche Volk des Ressentiments par excellence“209 ist, über das Christentum hin zur französischen Revolution210 und schließlich zum aufkommenden Sozialismus als folgerichtigen Nachhall der französischen Revolution. So schreibt Nietzsche, dass alles, was auf Erden gegen „die Vornehmen“, „die Gewaltigen“, „die Herren“, „die „Machthaber“ getan worden ist, nicht der Rede wert sei im Vergleich mit dem, was die Juden gegen sie getan haben;211 die Juden seien jenes priesterliche Volk, das sich an seinen Feinden und Überwältigern zuletzt nur durch eine radikale Umwertung von deren Werten, also durch einen Akt der geistigen Rache Genugtuung zu schaffen wusste.212 Die Juden sind es nach Nietzsche gewesen, „die gegen die aristokratische Wertgleichung (gut = vornehm = mächtig = schön = glücklich = gottgeliebt) die Umkehrung gewagt haben“,213 indem sie die Elenden, Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen, Leidenden, Entbehrenden, Kranken und Häßlichen zu den Guten umgewertet hätten.214 Er deutet zugleich an, dass man wisse, wer die Erbschaft dieser jüdischen Umwertung gemacht habe,215 womit er das Christentum ebenso meint, wie die Französische Revolution216 und den Sozialismus.217 Nietzsche betont an dieser Stelle völlig unzweideutig, dass er im Kontext der ungeheuren und über alle Maßen verhängnisvollen Initiative, welche die Juden 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216

Ebenso a.a.O. (S. 28) = KSA 5, S. 268. Ebenda. A.a.O. (S. 45) = KSA 5, S. 287. A.a.O. (S. 27, 29, 44–45) = KSA 5, S. 267, 268, 287. Ausdrücklich a.a.O. (S. 45) = KSA 5, S. 287. Ausdrücklich ebenda. A.a.O. (S. 27) = KSA 5, S. 267. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Hierzu heißt es auf S. 45 (GM) = KSA 5, S. 287: „In einem sogar entscheidenderen und tieferen Sinne als damals (sc. Rom) kam Judäa noch einmal mit der französischen Revolution zum Siege über das klassische Ideal: die letzte politische Vornehmheit, die es in Europa gab, die des siebzehnten und achtzehnten französischen Jahrhunderts, brach unter den volkstümlichen Ressentiment-Instinkten zusammen“. 217 Vgl. hierzu auch Domenico Losurdos zweibändiges Werk „Nietzsche – der aristokratische Rebell“, (2012), Bd. 1, S. 456 ff.

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Teil II

mit dieser „grundsätzlichsten aller Kriegserklärungen“218 gegeben hätten, daran erinnern wolle, daß mit den Juden der „Sklavenaufstand in der Moral“ beginne,219 der historisch leider siegreich gewesen sei. Nietzsche beklagt also in durch und durch aristokratisch-sozialdarwinistischer Manier, dass das Volk gesiegt habe – oder „die Sklaven“ „der Pöbel“, „die Herde“,220 welche er durch diese abwertende Aufzählung auf die gleiche für ihn minderwertige Stufe stellt und schreibt dies ausdrücklich allein der „welthistorischen Mission der Juden“ zu.221 Diesen Sieg betrachtet Nietzsche gleichsam als eine „Blutvergiftung“,222 welche die „Rassen durcheinandergemengt“223 habe und „deren Gang durch den ganzen Leib der Menschheit hindurch unaufhaltsam scheine“.224 Er vergisst nicht hinzuzufügen, dass eine „Rasse solcher Menschen des Ressentiments“ notwendig endlich klüger sein wird als irgendeine „vornehme Rasse“,225 allerdings „als Existenzbedingung ersten Ranges“.226 Dieser Sklavenaufstand in der Moral beginnt nach Nietzsche damit, dass das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werte gebiert.227 Als dessen Inhalt macht Nietzsche jene „sublime Selbstbetrügerei“ aus, die die eigentliche Schwäche der Unterdrückten, Niedergetretenen, Vergewaltigten „aus der rachsüchtigen List der Ohnmacht heraus“228 als Freiheit und Verdienst umwerten229 und woraus notwendig der Glaube(!) an das „indifferente wahlfreie Subjekt“230 folge. Jedoch bedeute dies in der Sache lediglich eine umlügende Umwertung von Schwäche zum Verdienst.231 Von diesen Schwachen sagt Nietzsche dann, dass sie irgendwann 218 219 220 221 222 223 224 225 226

227 228 229 230 231

A.a.O. (GM, S. 27) = KSA 5, S. 267. A.a.O. (S. 28) = KSA 5, S. 268. A.a.O. (S. 29) = KSA 5, S. 269. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. So ausdrücklich a.a.O. (S. 32) = KSA 5, S. 272–273. Ebenda; eine direkte Steilvorlage Nietzsches für Carl Schmitts aus heutiger Sicht unzweifelhaft im nationalsozialistischen Geist verfassten Aufsatz „Nationalsozialistisches Rechtsdenken“ (1934) ist an dieser Stelle nicht zu verkennen. Vgl Ders., Deutsches Recht – Zentral-Organ des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen Nr. 10, 4. Jahrgang (S. 225 ff.). A.a.O. (S. 39–40) = KSA 5 S. 280–281. A.a.O. (S. 39) = KSA 5, S. 280. So etwa a.a.O. (S. 40) = KSA 5, S. 281. A.a.O. (S. 39, 50 ff.) = KSA 5, S. 280, 293 ff.; vgl. hierzu Marx analogen Ansatz unter Rn. 691. A.a.O. (S. 40) = KSA 5, S. 280.

Erstes Kapitel: Staatliche Rechtsordnung und aktive Sterbehilfe

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einmal selbst die Starken sein wollen; irgendwann soll auch ihr Reich kommen – „das Reich Gottes“.232 Damit ist Nietzsche auch ein, wenn nicht sogar der systematische Stichwortgeber für zahlreiche „konservativ-reaktionäre“ Gegenbewegungen, welche ebenfalls im antidemokratischen, antiliberalen, antichristlichen oder antisozialdemokratischen Geiste seit Anfang der 20er Jahre des letzten Jhds. in Europa historisch auftraten – wobei eine zumindest strukturell antisemitische Stoßrichtung (s.o.) als Zentrum nicht zu ignorieren ist. Bekanntlich hatte Hitler die sowjetischen Bolschewisten, wie alle Sozialisten überhaupt, als Teil der sog. jüdischen Weltverschwörung umdefiniert und zugleich einen Kampf gegen den bürgerlichen Liberalismus aufgenommen. Aus dem bisherigen Klassenkampf bzw. Klassenverhältnis der Sozialisten wurde unter der Hand ein Rassenkampf bzw. Rasseverhältnis, mit verheerendsten Folgen. Aber auch seit geraumer Zeit gibt es hierzulande aktuell unter dem eher unkritischen Applaus „der gebildeten Öffentlichkeit“ eine Neuauflage dieser Denkbewegungen, etwa in Peter Sloterdijks „Zorn und Zeit“ (2008), wo dieser etwa Sätze schreiben kann wie: „Ich empöre mich, also sind wir […] die Heimat der Sklaven ist der Aufstand. […] Warum Aussprüche dieser Tendenz den Geschmack der Gegenwart verfehlen, muss hier nicht umständlich erläutert werden. Sie klingen hohl wie Parolen aus einem Almanach für gebildete Verlierer“ (S. 184),

welche er an anderer Stelle gleich „als linksfaschistische Flüsterer an den Rändern der Akademia“ kategorisiert (S. 107). Im Gegensatz zu Marx nun – der als Nachhall der Französischen Revolution die dem vierten Stand historisch versprochenen Werte (als Umwertung der feudal-aristokratischen Werte) einfordert und so echte gesellschaftliche Freiheit, Gleichheit und Solidarität am Begriffsmaßstab der hegelschen Idee geltend macht, Kritik an der Gegenwart übt – bekämpft also Nietzsche die demokratischen Werte in Gänze frontal und ruft stattdessen zu einer barbarischen Aktivität als einer noch nie dagewesenen Umwälzung i.S.e. Umwertung aller Werte, als Götterdämmerung auf.233 Der Kampf Nietzsches, auch gegen den Liberalismus, ist damit zugleich ein Kampf gegen die allgemeine Demokratie und den Sozialismus seiner Zeit. Nietzsche sieht das Heil der Kultur ausschließlich in der entschlossenen Privilegierung einer Minderheit, deren Muße auf der harten physischen Arbeit der 232 A.a.O. (S. 42) = KSA 5, S. 283. 233 Ähnlich G. Lukacs, Die Zerstörung der Vernunft, Aufbau Verlag Berlin (1954), S. 253.

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Teil II

Mehrzahl, der Masse beruht, die er im Gegensatz zu den „Wohlgeborenen“ als „den gemeinen Mann i.S.e. Arbeitssklaven und Lasttieres“234 kennzeichnet. Er schreibt: „Eine höhere Kultur kann allein dort entstehen, wo es zwei unterschiedliche Kasten der Gesellschaft gibt: die der Arbeitenden und die der Müßigen, zu wahrer Muße Befähigten; oder, mit stärkerem Ausdruck: die Kaste der Zwangs-Arbeit und die Kaste der Frei-Arbeit.“235

Zwischenergebnis: Dies macht deutlich, dass eine theoretisch denkbare Dekonstruktion herrschender Legitimationsstrategien z.B. des geltenden Strafrechtsverständnisses und der zu Grunde liegenden Dogmatik – im liberalen Geiste – mit einem gänzlich unkritischen Rückgriff auf Nietzsche den diktatorischen Bock zum demokratischen Gärtner machte.

234 Nietzsche (GM) a.a.O. (S. 31) = KSA 5, S. 272. 235 Zitiert nach G. Lukacs, a.a.O. (S. 264).

Zweites Kapitel: Der freie Wille als Problem i.R.d. Paradigmas vom „selbstbestimmten Sterben“ (Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit) – Grenzen A) Grundlagen Ein selbstbestimmter Suizid ggf. mit Hilfe Dritter ist rein begrifflich nur als freie, autonome Tat denkbar, wenn er nicht unter Strafe gestellt werden soll. Das ist der Fall, wenn die innere Willensrichtung deckungsgleich mit der äußeren Handlung ist; ansonsten stehen solche Handlungen immer auf der Schwelle zur Strafbarkeit oder zur allgemeinen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Insoweit ist die auf Freiheit gegründete Existenz eines freien Willens als Ausdruck von Freiheit konstitutiv für das Paradigma vom selbstbestimmten Sterben. Zugleich ist der Begriff Freiheit für das Strafrecht, wie für die Rechtswissenschaften insgesamt von entscheidender Bedeutung; wenn er auch meistens stets vage und wertausfüllungsbedürftig bleibt.1 Hierbei klingt zugleich ein Strafzweck des Strafrechts durch, nämlich die Sicherung bzw. Garantie von Freiheit.2 Dies ist im Folgenden näher zu prüfen.

I. Freiheit als Leitwert und Oberbegriff der Moderne Die Freiheit als Oberbegriff gilt in der Moderne als eines der höchsten Güter jedes Menschen und ist als Konstitutiv des modernen Menschen nicht unwesentlicher Bestandteil seiner Würde, womit der Freiheit sogar in gewisser Weise ein „anthropologischer Rang“ zugesprochen wird. Zwar sind der freie Wille und die Freiheit i.S.v. Handlungsfreiheit nicht zwingend identisch, sie stehen jedoch in einem dialektischen Gegenseitigkeitsverhältnis. Ohne einen vorgängigen freien Willen macht die Rede von Handlungsfreiheit inhaltlich

1

2

Ähnlich Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht (S. 33), welcher hierzu ausführt: „Es gibt wohl nur wenige andere Begriffe, deren Interpretationsspektrum ähnlich weit reicht. Man muss verbal sicher nicht so weit abgleiten und diesen Begriffen eine geradezu „hurenhafte Promiskuität“ beimessen.“ An gleicher Stelle heißt es allerdings auch: „Freiheit und Wahrheit. Damit sind die womöglich höchsten oder zumindest meistgenannten Ideale des Strafrechts bzw. Strafprozessrechts als Anschauungsobjekte ausgewählt. Ihre Bedeutung für das Strafrecht – vielleicht sogar ihre (tatsächliche oder auch nur vermeintliche) Unverzichtbarkeit – dürfte nahezu unbestritten sein“. Vgl. a.a.O. (S. 35).

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Teil II

keinen Sinn, wie umgekehrt ohne eine institutionell abgesicherte Handlungsfreiheit auch einem freien Willen kein eigenständiger Wert zukäme. Zunächst bedeutet Freiheit ganz unmittelbar, frei zu sein von heteronomem Zwang und insoweit dem eigenen Willen gemäß handeln zu können. Die Betonung der Freiheit hat ihren Berechtigungsgrund in einer historischen Folge von jeweiligen politischen Emanzipationsschritten: Aufhebung von adligen, geistlichen und sonstigen Standesprivilegien; Abschaffung der Sklaverei und Leibeigenschaft; politische Gleichberechtigung zunächst des Bürgertums (Bourgeoisie); dann zumindest formal des Proletariats und schließlich der Frau. Damit ist die Freiheit nicht nur ein Epochenbegriff, sondern auch ein Schlüsselprinzip der Moderne – wie es beispielhaft G.W.F. Hegel etwa in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1821 entwickelt hat.3 Ein 3

Hierbei geht es Hegel um die Darstellung der dialektischen Bewegung, wodurch die Freiheit zur Verwirklichung kommt. Dies geschieht mittels des immanenten Fortschreitens und der Hervorbringung der Bestimmungen des freien Willens, in denen sich der Geist in seiner Freiheit als existierende Welt erzeugt. Die systematische Ausführung der Idee des Rechts beruht nach Hegel auf rein spekulativen Prinzipien, die dazu dienen, die gesellschaftliche, geschichtliche und politische Wirklichkeit zu erschließen. Spekulation bedeutet, dass nicht das Gegebene und Seiende dem Denken übergeordnet ist, sondern die Spekulation hinsichtlich der Idee aus sich selbst hergeleitet wird, ohne zwingende Rücksicht auf das, was empirisch vorfindlich ist. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Vernunft nach Hegel als Substanz gedacht wird, welche die Welt bereits beherrscht. Was vernünftig ist, das ist nach Hegel wirklich und umgekehrt. Nach Hegel ist etwa die Gestalt des Rechtsbewusstseins nichts rein Äußerliches, sondern erst durch eine Vertiefung der Subjektivität in sich selbst bedingt, d.h. einem „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“. Denn die Sphäre des Rechts ist im Gegensatz zur Natur für Hegel eine geistige und zwar die Sphäre der Freiheit, weil Ausgangspunkt hierfür der Wille ist, welcher frei ist und den freien Willen will. Recht ist für Hegel zwingend in einen sozialen Kontext eingebunden und Verkörperung der „Aufhebung“ konkurrierender Freiheitsansprüche zumindest in einem Zustand allgemeiner Freiheit. Außerdem ist es nach Hegel als Kennzeichen der Moderne die Berechtigung des Subjekts, sich selbst in seinen Handlungen zu finden und zu befriedigen – woraus er als neues welthistorisches Prinzip das Recht der Besonderheit des Subjekts herleitet. Zwar muss der Mensch, um frei zu sein, sein eigener Herr sein und sich niemandem unterordnen. Gleichzeitig ist die bloß individuelle Freiheit nicht zureichend, zumal der Mensch als kulturelles Wesen einen eigenen Verstand nur in Interaktion zu anderen Subjekten entwickeln kann; gerade das Streben nach individueller Freiheit wird durch diese Interaktion erst ermöglicht. Vollständige Freiheit kann insoweit allein von einem Individuum also nicht erreicht werden, vielmehr kann sie nur in einer Gesellschaft erfahren werden, die von (Hoch-)Kultur geprägt ist, welche Freiheit fördert, und vor allem von Institutionen, die sie wirksam machen. Somit beginnt die Sphäre des Rechts erst jenseits des Individuums i.S.e. sich gegenseitig als frei u. gleich anerkennenden Intersubjektivitätsstruktur. Freiheit könnte man so als ein Bei-sich-selber-sein im anderen und umgekehrt definieren. Ziel ist schließlich ein Staat, welcher der Vernunft entspricht, in einer Gemeinschaft, die Freiheit verkörpert. Der Staat bildet für Hegel die vernünftige Wirklichkeit der Freiheit, weil er das Recht garantiert, in dem allein die Freiheit überhaupt

Zweites Kapitel: Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit

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Denken, das sich dem Prinzip der Freiheit verpflichtet, könnte man als einen Liberalismus aus dem Geist der Aufklärung heraus auffassen.4 Für Hegel

4

ihre Objektivität erlangen kann. Denn der Endzweck der Welt ist für Hegel das Bewusstsein des Geistes von seiner Freiheit und dadurch ist die Wirklichkeit seiner Freiheit erst möglich. Diese Freiheit ist keine individuelle Freiheit, keine Willkür. Es ist die Freiheit, die der Mensch besitzt, wenn er seinem eigenen Wesen, der Vernunft, folgt. Für Hegel sind darum Recht, Sittlichkeit und der Staat, und nur sie, die positive Wirklichkeit und Befriedigung der Freiheit. Das Belieben des Einzelnen ist eben nicht Freiheit, weil die Freiheit, welche beschränkt wird, bloße Willkür ist, die sich lediglich auf das Besondere der Bedürfnisse bezieht. Das aus Sicht des Subjekts rein äußerliche abstrakte Recht ist für Hegel schon eine Form an sich im Reich der verwirklichten Freiheit und somit bereits ein Dasein der Freiheit. Weiter ergänzt wird es durch die Moralität als innere Voraussetzung der Freiheit und schließlich durch die Sittlichkeit. Erst die Einheit von Recht, Moralität und Sittlichkeit stellt nach Hegel die Verwirklichung des objektiven Geistes dar. Vgl. zum soeben Gesagten etwa (zitiert nach Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O.): § 4 „Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur ist.“ § 15 „Die Freiheit des Willens ist nach dieser Bestimmung Willkür – in welcher dies beides enthalten ist, die freie von allem abstrahierende Reflexion und die Abhängigkeit von dem innerlich oder äußerlich gegebenen Inhalte und Stoffe. […] Die gewöhnliche Vorstellung, die man bei der Freiheit hat, ist die der Willkür, […] Wenn man sagen hört, die Freiheit überhaupt sei dies, daß man tun könne, was man wolle, so kann solche Vorstellung nur für gänzlichen Mangel an Bildung des Gedankens genommen werden, in welcher sich von dem was der an und für sich freie Wille, Recht, Sittlichkeit u.s.f. ist, noch keine Ahnung findet, […] § 34 „Der an und für sich freie Wille, wie er in seinem abstrakten Begriffe ist, ist in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit […] – in sich einzelner Wille eines Subjekts.“ § 35 „Die Allgemeinheit dieses für sich freien Willens ist die formelle, die selbstbewusste sonst inhaltslose einfache Beziehung auf sich ein seiner Einzelheit – das Subjekt ist insofern Person.“ § 36 „1. Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstrakte Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechtes aus. Das Rechtsgebot ist daher: sei eine Person und respektiere die anderen als Personen.“ § 57 „Der Mensch ist nach der unmittelbaren Existenz an ihm selbst ein Natürliches, seinem Begriffe Äußeres; erst durch die Ausbildung seines eigenen Körpers und Geistes, wesentlich dadurch, daß sein Selbstbewusstsein sich als freies erfaßt, nimmer er sich in Besitz und wird das Eigentum seiner selbst und gegen andere (Ich = Leib + Wille + Freiheit). […]Der Standpunkt des freien Willens, womit das Recht und die Rechtswissenschaft anfängt, ist über den unwahren Standpunkt, auf welchem der Mensch als Naturwesen und nur als an sich seiender Begriff, der Sklaverei daher fähig ist, schon hinaus. […]Daß aber der objektive Geist, der Inhalt des Rechts, nicht selbst wieder nur aus seinem subjektiven Begriffe, und damit, daß dies, daß der Mensch an für sich nicht zur Sklaverei bestimmt sei, nicht wieder als ein bloßes Sollen aufgefaßt werde, dies findet allein in der Erkenntnis statt, daß die Idee der Freiheit wahrhaft nur als der Staat ist.“ In diese Richtung argumentiert etwa Otfried Höffe, Kritik der Freiheit (2015), S. 14.

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Teil II

begründet die Freiheit des Menschen als Mensch erst das Selbstverständnis des Abendlandes.5

II. Ideengeschichtlicher Ursprung und Probleme i.R.d. Freiheitskonzeption der Moderne Die theoretische Möglichkeit, das Bild des Menschen als eines freien Wesens zu begründen, hatte ihren ideengeschichtlichen Ursprung im abendländisch geprägten menschlichen Selbstbild als Ebenbild Gottes. Dieser Gott steht frei in der Mitte seiner Schöpfung, gibt den Dingen Namen und kann zwischen Gut und Böse unterscheiden. Hierdurch kann ein solcher Gott schließlich die Verantwortung für die Bewertung übernehmen und so die Wirklichkeit durch Verantwortlichkeit in Besitz nehmen.6 Die Idee der Freiheit umfasst damit insbesondere auch das Wissen um Gut und Böse.7 Daher besteht die Freiheit nicht in erster Linie darin, das zu tun, was man gerade will, d.h. als Willensinhalt oder Bedürfnis, sondern erst wenn das Subjekt weiß, dass es auch mit verallgemeinerbaren Gründen wollen kann, was es tut.8 Der Grund hierfür liegt darin, dass es auch Kant um die richtige Bestimmung des Willens geht, der als frei gelten soll.9 Die neue „Kritik metaphysischer Vernunft“ kantischer Prägung entstand aus der Selbstreflexion der Vernunft und verstand sich zugleich als Korrektur der bisherigen rein dogmatischen Metaphysik i.S.e. Selbstbeschränkung der Vernunft sowie der neuzeitlichen Wissenschaftsverabsolutierung.10 Freiheit bedeutet hiernach „Autonomie“, d.h. sich selbst als vernünftigem Einzelwesen die Gesetze des Handelns geben zu können.11 Dahinter steht für Kant die Überlegung, dass diese Idee des Menschen sowie die dazugehörigen Begriffe ihren traditionellen Kontext, ihre Deutung mit dem Kraftverlust der alten vorneuzeitlichen Metaphysik – infolge der technischen, wissenschaftlichen, ökonomischen, gesellschaftlichen Wandlungen und Horizontverschiebungen bereits damals sukzessive verloren, und in dem neuen, jeglicher Metaphysik entkleideten wissenschaftlichen Weltverständnis wohl bis heute nicht wiedergefunden haben. Man kann auch sagen, dass mit dem 5 6 7 8 9 10 11

So auch Tamàs Miklos, Der kalte Dämon – Versuche zur Domestizierung des Wissens, C.H.Beck (2016), S. 9. A.a.O. (S. 14). Ebenda. Ebenso Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 216). Ebenda Tamas Miklos, a.a.O. (S. 9). Vgl. a.a.O. (S. 10 ff.). Ähnlich Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 220).

Zweites Kapitel: Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit

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Verschwinden eines allgemeingültigen Wir der „Vernunftgemeinschaft Menschheit“ – verstanden als säkulare Folge des Verlustes der von allen Menschen verbindlich geteilten Gottesebenbildlichkeit12 – zunächst für jeden einzelnen die existenzielle Erkenntnis einer metaphysischen Obdachlosigkeit13 und Einsamkeit in einem sinnentleerten Niemandsland einherzugehen drohte. Nietzsche prägte das geflügelte Wort „Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch nichts davon gehört, dass Gott todt ist“.14 In „Die Brüder Karamasow“ formulierte Dostojewski sinngemäß die für die Moderne nach wie vor verhängnisvolle Schlussfolgerung, dass, wenn Gott tot ist, nun alles erlaubt sei. Hieraus folgt nun aber noch lange nicht, die philosophischen Waffen zu strecken, indem man leichtfertig und bequem nur noch von einem Zeitalter des „Posthistoir“ und den nicht mehr vertretbaren „großen Erzählungen“ fabuliert. Vielmehr ist im Hinblick auf das Phänomen Auschwitz (als äußerster Möglichkeit) auch auf diesem Gebiet nach wie vor eine Aufklärung der Aufklärung erforderlich, das heißt, die bisher erreichte Stufe des wissenschaftlichen Geistes ist stets aufs Neue selbstkritisch zu reflektieren und an unhintergehbaren humanistischen Maßstäben auszurichten, deren Leitideen die der menschlichen Würde und des aufrechten Ganges sind. An einer verbindlichen Idee von Sittlichkeit15 im Hegelschen Sinne ist insoweit auch und gerade im Zeitalter der Moderne zwingend festzuhalten. Die Idee der Sittlichkeit besteht nach Hegel grob gesprochen darin, dass echte Moralität erst in einer substanziellen Gemeinschaft ihre Vervollständigung 12 13 14 15

Ähnlich a.a.O. (S. 18). Georg Lukacs spricht in der Theorie des Romans (1920) gar davon, dass „Verbrechen und Wahnsinn Objektivation der transzendentalen Heimatlosigkeit sind“ (S. 52). Vgl. F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra; Zarathustras Vorrede, Gesammelte Werke, Gondrom Verlag 2005 (S. 595) = KSA 4, S. 14. Def. Sittlichkeit nach Hegel (§ 142 Rechtsphilosophie): „Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, als das lebendige Gute, das in dem Selbstbewusstsein sein Wissen, Wollen, und durch dessen Handeln seine Wirklichkeit, sowie dieses an dem sittlichen Sein seine an und für sich seiende Grundlage und bewegenden Zweck hat.“ M.a.W. geht es Hegel hierbei um eine bereits objektivierte Freiheit, innerhalb derer intersubjektive Beziehungen zum Selbstzweck geworden sind, und nicht mehr weder dem rein dinglichen Interesse des abstrakten Rechts, noch dem moralischen Bedürfnis nach Hervorhebung der eigenen Partikularität unterstehen (vgl. §§ 167 II, 75 II Ph d R). „Substanzieller Zweck im Geist“ ist für Hegel der, dass die geistigen Individuen sich als eins wissen, sich als eins verhalten, einig sind, weil ihnen ein gemeinsamer sittlicher Zweck zugrunde liegt, welcher seinen Boden in der realen Freiheit hat. Als Modell hierfür dienen Hegel z.B. die Liebes-Ehe, Freundschaft, Familie und der Staat als „Gegenpole“ (!) zur bürgerlichen Gesellschaft in Reinform (vgl. §§ 158 ff., 257 ff.). Letztlich geht es Hegel um das Problem echter Anerkennung sowie ihrer institutionellen Absicherung: Von einem Zustand allg. Freiheit.

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Teil II

erreichen kann. Das gibt der Pflicht ihren bestimmten Inhalt und verwirklicht sie zudem, so dass die Kluft zwischen Sollen und Sein aufgehoben ist. Dies verweist auf einen Gesellschaftsbegriff, der auf ein umfassendes Gemeinschaftsleben abzielt, an dem der Mensch als Mitglied substanziell teilhat, so dass der Schwerpunkt vom Individuum auf die Gemeinschaft verlagert wird, ohne die Individualität einseitig zu negieren. Vielmehr ist diese in ein höheres Stadium „aufgehoben“. Die Gemeinschaft, in der sich das vollkommene moralische Leben realisieren kann, ist für Hegel erst ein (Vernunft-)Staat, der der wahren Verkörperung der Idee16 nahe käme. Ein solcher Vernunftstaat ist für Hegel die höchste Verkörperung der Sittlichkeit. Dieses Modell geht einerseits über die Vertragstheorie17 als auch anderseits über den Utilitarismus hinaus (vgl. hierzu auch S. 183). Dahinter steht zum einen der Gedanke an ein ganzheitliches und umfassendes Leben, in das die Menschen substanziell einbezogen sind. Zum anderen steht dahinter der Gedanke, dass das öffentliche Leben vor allen Dingen durch die Idee von der Gesellschaft als einem Ganzen und nicht durch partikulare Ideen von Individuen verkörpert wird. Dadurch, dass Hegel unter Staat die politisch organisierte Gemeinschaft versteht, grenzt er sich zugleich gegen die atomistische liberale Tradition ab, welche den Staat primär als den Individuen äußerlich bleibendes Regierungsorgan auffasst.18 Wenn Hegel in den Grundlinien der Philosophie des Rechts schreiben kann: „Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat 16

17

18

An diesem Punkt hat beispielsweise Marx in seiner 1843 entworfenen Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (§§ 261–313) eine Inkonsistenz am Begriff sowie der empirischen Realität bezüglich der behaupteten verwirklichten Idee moniert, indem er Hegel vor allen Dingen philosophische Spekulation vorwirft und dieser so die wirkliche Wirklichkeit zum willkürlichen Phänomen degradiere. Hegel entwickle zwar die Idee des Staates, ohne je das „Staatsmaterial“ zu betrachten. Das „Staatsmaterial“ sind für Marx die empirischen Personen mit ihren Absichten, insofern sie handeln, ebenso wie die in einem historischen Rechtssystem inkorporierten sozialen Strukturen. Diese wirkliche Wirklichkeit hält Marx hingegen für das Konkrete, das Ausgangspunkt der Wissenschaft sein müsse, wohingegen Hegel den wissenschaftlichen Kontakt zur Wirklichkeit spekulativ abbreche (zum Ganzen M. Quante / D. P. Schweikard (Hg.), MarxHandbuch: Leben-Werk-Wirkung, S. 34). In der Konsequenz muss für Marx der Hegelsche Satz: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“ in sein Gegenteil (unter Beibehaltung der Hegelschen Idee von Sittlichkeit) umgekehrt werden. In § 66 Grundlinien der Philosophie des Rechts spricht Hegel wörtlich von unveräußerlichen Rechten; in § 75, a.a.O. (S. 75) heißt es dort: „Unter den Begriff vom Vertrag kann daher die Ehe nicht subsumiert werden. Ebensowenig liegt die Natur des Staats im Vertragsverhältnis, ob der Staat als Vertrag als ein Vertrag aller mit allen, oder als ein Vertrag dieser aller mit dem Fürsten oder der Regierung genommen werde“. Ebenso Charles Taylor, Hegel (S. 507).

Zweites Kapitel: Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit

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ist; sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille verwirklichenden Vernunft.“19 ist mithin ein weiterer Gewährsmann für das Paradigma von der „reinen Souveränität“ aufgespürt.

III. Dimensionen der Freiheit Die Freiheit als Oberbegriff beinhaltet zum einen die Sphäre der personalen Freiheit, aber auch den Raum der sozialen und politischen Freiheit. Hier soll anlässlich der kritischen Würdigung des Paradigmas vom „selbstbestimmten Sterben“ insbesondere auch die Ebene der personalen Freiheit untersucht werden. Zunächst umfasst dieser eng gefasste Freiheitsbegriff zwei Seiten derselben Medaille: eine negative und eine positive. Negative Freiheit meint Unabhängigkeit, d.h. frei sein von Zwang, Fremdbestimmung, Einmischung und Bevormundung. Positive Freiheit meint Selbstbestimmung, verstanden als die Fähigkeit, sich selbst Ziele zu setzen und die Mittel dazu jeweils selbst auszuwählen.20 Nach Höffe ist jedenfalls im positiven Sinn frei, wer seinem Tun und Lassen selbst den Antrieb und die Richtung vorgibt und den eigenen Weg dazu einschlägt. Und innerlich frei ist, wer ohne Angst in Übereinstimmung mit seinen Überzeugungen lebt, wer seine Würde bewahrt, und zwar jene Würde, deren Kern eine Selbstachtung bildet, die in der verfassungsmäßigen Menschenwürde nicht aufgeht. Man kann sie nämlich verlieren, ohne dass man notwendig zugleich seiner verfassungsmäßigen Menschenwürde verlustig ginge.21 Bei dieser gegebenen Definition ist eine Annäherung an den Fichteschen22 Begriff der Freiheit nicht von der Hand zu weisen. Nach Fichte ist anknüpfend an Kant die praktische Vernunft die Wurzel aller Vernunft, weil nur dadurch die absolute Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst i.S.v. Freiheit und Unabhängigkeit begründet wird.23 Zugleich bedeutet für Fichte Freiheit Autonomie i.S.e. Selbstgesetzgebung, wodurch dem Ich durch entsprechende Tathandlungen das eigene Selbst als solches erst erfahrbar wird.24 Schließlich definiert Fichte Recht als ein „SichVerhalten“ eines Subjekts zu anderen als Gleicher unter Gleichen. Unter einer gewissen Vorwegnahme Marxens definiert Fichte Rechtsverhältnisse darüber 19 20 21 22 23 24

§ 258 Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz zu § 258, a.a.O. (S. 349). Ähnlich Höffe, a.a.O. (S. 21). Ähnlich Höffe, a.a.O. (S. 23). Johann Gottlieb Fichte geb. 1762 in Rammenau, gest. 1814 in Berlin. Ähnlich Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 222). A.a.O. (S. 225).

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Teil II

hinaus als Anerkennungsbeziehungen zwischen Subjekten, wo die Grenze der eigenen Freiheit in der gleichen Freiheit der anderen zu finden ist.25 Damit einher geht ein modernes Selbstverständnis, welches mit den Prädikaten „Individualität“ und „Selbstverantwortung“ charakterisiert werden kann, wobei eine vollständige subjektive Eigenverantwortlichkeit in einer kapitalistisch verfassten bürgerlichen Gesellschaft bereits für G.W.F. Hegel um das Jahr 1821 herum mehr als problematisch ist.26 Hierzu vertiefend unter Teil II, Kap. 2 B) I. Die genannten Freiheitsaspekte korrespondieren notwendig mit der Gedankenfreiheit, d.h. der personalen (Willens-)Freiheit, jenseits von Autoritäten und gegen den Strich selbst denken (zu können) und sein Handeln oder Unterlassen nur an selbst als vernünftig anerkannten Gründen und Gesetzen auszurichten. Allein in diesem Kontext kann auch nur von „Verantwortung“ die Rede sein, denn nur da, wo Gründe für ein Handeln konstitutiv sind, kann jemand überhaupt für sein Handeln vor sich und anderen Anerkennung einfordern bzw. Rede und Antwort stehen. Das Tun oder Unterlassen ist also nicht von außen erzwungen. Aus dem gleichen Grund wird hinsichtlich der handlungsleitenden Gründe auch von einer zugrundeliegenden „Vernunft“ gesprochen. Die in Art. 5 GG institutionell verankerte Freiheit von Wissenschaft und Forschung ist neben der rein individuellen Gedankenfreiheit eine Ausprägung dieses Freiheitsaspektes, da für die Bildung eines „freien“ Gedankens auch die dafür jeweils nach dem erreichten historischen Stand notwendigen geistigen Mittel an die Hand gereicht werden müssen und dies zugleich möglich sein muss. Am prägnantesten bringt diesen Ausgangspunkt noch immer Immanuel Kant in seinem 1784 verfassten Essay „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ mit der berühmt-berüchtigten Kurzformel – „Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“27 – auf den Punkt. 25

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Ebenda; Vgl. auch Marx, Manifest Der Kommunistischen Partei (S. 51): „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“. Vgl. G.W. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), Felix Meiner Verlag, Leipzig 1911; §§ 182 ff. (Die bürgerliche Gesellschaft) und insb. §§ 243–248 (Die Polizei). „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. […] Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so be-

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B) Philosophische Einwände Gegen die Existenz oder gar die Möglichkeit faktisch-realer Freiheit oder eines freien Willens sind jedoch von jeher, abgesehen vom „Tode Gottes“, grundlegende Einwände formuliert worden. Dies ist nicht erst seit der von Nietzsche geprägten „Schule des Verdachts“28 gegen alle fortschrittsbewussten Paradigmen und Gewissheiten des 19. Jhds., wie etwa Freiheit, Vernunft, Schuldprinzip und Fortschrittsoptimismus der Fall. Vielmehr wurde eine postmetaphysische Fundamentalkritik an den „großen Erzählungen im 19. Jhd.“ bereits beispielsweise etwa von Darwin, Marx, Nietzsche oder Freud geübt und damit die dogmatische Existenzberechtigung dieser Paradigmen von verschiedenen Richtungen her fundamental erschüttert. Das stolze Selbstbewusstsein des neuzeitlichen Subjekts – durchdrungen insbesondere von der Gewissheit der eigenen Autonomie und Vernunft – wurde in ein ätzendes Säurebad der Kritik gestoßen. Für Charles Darwin ist der Mensch beispielsweise das Resultat natürlicher Evolution und gerade nicht eines göttlichen Willens, was das christlich-abendländische Menschenbild fundamental in Frage stellen musste. Für Marx stellen sich die Bewegungsgesetze des kapitalistischen Produktionsprozesses im Ganzen als geronnene irrationale Kapitalstruktur dar, die sich sozusagen als autopoietisches System anonym ohne deren Wissen und Wollen hinter dem Rücken der vergesellschafteten Individuen durchsetzen und somit dem eigenen aufklärerischen Anspruch von der Verwirklichung der Vernunft und Freiheit Hohn zu sprechen geeignet scheinen. Nietzsche führt das Bewegungsprinzip der Moderne seitens der Subjekte auf einen unerkannten Willen zur Macht zurück, wobei sich die Subjekte selbst als Repräsentanten von Vernunft wähnen und dabei stets nur dem völlig partikularen wie irrationalen Willen zur Macht frönen – also genau dem Gegenteil einer allgemeingültigen Vernunft. Sigmund Freud schließlich legt zusätzlich noch die tatsächliche Herrschaft des Unbewussten über das vermeintlich Bewusste frei und stellt damit ebenfalls den aufklärerischen Selbstanspruch des modernen Subjekts – den einer autonomen Willensfreiheit – grundlegend in Frage. Er möchte vielmehr erst mit der Bewusstwerdung des Unbewussten die Bedingung der Möglichkeit einer

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quem, unmündig zu sein. […] ich habe nicht nöthig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.“ Vgl. des Weiteren I. Kant, Der Streit der Facultäten und kleinere Abhandlungen, Werke 6; Könemann (1995) S. 162. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches (1878), Vorrede: „Man hat meine Schriften eine Schule des Verdachts genannt“, Werke I (S. 437), Hrsg. Karl Schlechta.

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zweiten Aufklärungsbewegung einleiten, in der es auf den Punkt gebracht heißen wird: Wo Es war, soll Ich werden. Mit Marx könnte man sagen, dass „der stumme Zwang der Verhältnisse“ das eigentliche, aber verborgene Paradigma der Moderne ist. Freud hat dieses Problem analog in der Psychoanalyse versucht freizulegen. Ebenso hat Max Weber mit der Denkfigur des „Stählernen Gehäuses“ den Inbegriff jeder modernen Bürokratie definiert, welche von der Frankfurter Schule, insb. von Theodor W. Adorno, als Inbegriff einer „total verwalteten Welt“29 aufgenommen wurde. Jedenfalls kommt im Zuge dieser dekonstruierenden Denkbewegungen auch die positive Rechtswissenschaft in ungeahnte, zumindest theoretische Begründungsprobleme hinsichtlich sämtlicher ihr zugrunde liegender Paradigmen, wie etwa dem des freien Willens oder des damit korrespondierenden Schuldprinzips.

I. Marx Für Marx liegen – in einem nur (!) relativen Gegensatz zu Hegel – sowohl die praktische Möglichkeit eines tatsächlich freien Willens als auch einer entsprechenden Handlungsfreiheit noch im Bereich einer Verschüttung durch politökonomische (ökonomische wie rechtliche) Verhältnisse, welche er in kritischer Absicht als solche frei legen möchte. Etwas Persönlicheres als das eigene Leben kann es für Marx nicht geben, darum ist eine Fremdbestimmung oder staatliche Bevormundung an diesem Punkt für ihn ein unhaltbarer Skandal. Nach Marx ist es allerdings nicht das autonome Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt das objektive gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein im Durchschnitt bestimmt.30 Unter dem objektiven gesellschaftlichen Sein versteht Marx die „bürgerliche Gesellschaft“ (= „Das Kapital“) sowie den „Staat“, welche die Subjekte jeweils unter sich subsumieren und organisieren. Fraglich ist an dieser Stelle nur, ob diese beiden Sphären bereits „Verkörperungen“ von vernünftiger, d.h. mindestens verallgemeinerter Freiheit sind, weil davon der Freiheitsstatus der Subjekte sowohl für Hegel, wie auch für Marx unmittelbar abhängt.

1. (Rechts-)Person oder Personifikation ökonomischer Kategorien? Für Marx sind die Gestalten von Proletarier, Kapitalist und Grundeigentümer in kritischer Anlehnung an das hegelsche Modell (hier i.R.v. gegenseitiger Anerkennung auf der Ebene des Rechtspersonenstatus) lediglich Personifikati29 30

Vgl. hierzu etwa Th. W. Adorno, Negative Dialektik (1966) S. 13 ff. Vgl. Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie (1859), Dietz Verlag 1971, Vorwort S. 15.

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onen ökonomischer Kategorien,31 welche diese zu Trägern bestimmter Klassenverhältnisse und Interessen machen.32 Marx nennt sie darum auch schlichtweg Charaktermasken in kritischer Abgrenzung zu Hegels Begriff der (Rechts)Person. Hegels Behauptung einer bereits erreichten zumindest formalen Gleichheit und Freiheit i.R. der gegenseitigen Anerkennung als Person auf der Ebene der bürgerlichen Gesellschaft, welche zugleich Ausdruck einer erreichten Stufe objektiver Vernunft sein soll, wird damit seitens Marx bereits im Ansatz kritisch hinterfragt und sogar ausdrücklich in Frage gestellt.33 Keinesfalls werden nach Marx in Konsequenz dessen die Gestalten von Proletarier, Kapitalist und Grundeigentümer für Verhältnisse persönlich verantwortlich gemacht, deren Geschöpfe sie sozial bleiben, so sehr sie sich auch subjektiv jeweils über sie zu erheben vermögen.34 Marx spricht deshalb in diesem Zusammenhang von ökonomischen Charaktermasken, mithin von der Personifikation ökonomischer Verhältnisse, als deren Träger die Personen sich gegenübertreten.35 Der sog. Kapitalist als Person ist für Marx lediglich personifiziertes Kapital,36 so dass sein individuelles Handeln im Großen und Ganzen auch nicht von seinem gutem oder bösem Willen, sondern von der Struktur der freien Konkurrenz und deren immanenter Gesetze als äußerlichem Zwangsgesetz abhängt.37 Umgekehrt entwickelt sich nach Marx im Fortgang der kapitalistischen Produktion eine sog. Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition und Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt.38

2. Vertragsfreiheit? Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht nach Marx jeden Widerstand, lediglich der sog. „stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ besiegelt die personal ausgeübte strukturelle Gewalt des Kapitalisten über den Arbeiter.39 Somit mangelt es dem sog. Prole31 32 33 34 35 36 37 38 39

Vgl. hierzu auch Rn. 691 dieser Arbeit. Karl Marx, Das Kapital Bd. I (1867), Dietz Verlag 1953 (S. 8) = MEW, Bd. 23 (16). Die in Rn. 691 gegebenen Hinweise verdeutlichen, wie nah Marx Hegel steht. Ebenda. A.a.O. (S. 91) = MEW, Bd. 23 (99–100). A.a.O (S. 621) = MEW, Bd. 23 (618). A.a.O. (S. 281/282) = MEW, Bd. 23 (286). A.a.O (S. 776/777) = MEW, Bd. 23 (765); vgl. hierzu auch Teil II dort Kap. 2 unter B) II. Ebenda.

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tarier, der strukturell gezwungen ist, allein vom permanenten Verkauf seiner Arbeitskraft seine Existenz zu bestreiten, bereits an der Grundvoraussetzung bezogen auf Hegels Begriff von Rechtsperson: der des freien Willens, der sich selber will. Damit kann nach Marx denknotwendig auch das Recht (noch) nicht die hegelsche „Aufhebung“ konkurrierender Freiheitsansprüche in einem Zustand allgemeiner Freiheit verkörpern, wenngleich es auch für Marx immer schon in einen sozialen Kontext eingebunden ist. Marx geht sogar so weit zu sagen, dass vom Standpunkt nicht des Einzelnen, sondern vom gesellschaftlichen Standpunkt aus, die Arbeiterklasse, auch außerhalb des unmittelbaren Produktionsprozess, ebenso Zubehör des Kapitals wie das tote Arbeitsinstrument ist.40 Selbst die individuelle Konsumtion von Waren (Lebensmittel etc.) ist nach Marx innerhalb gewisser Grenzen nur ein Moment des Reproduktionsprozess des Kapitals. Dieser Prozess selbst sorgt für Marx dafür, dass diese sog. selbstbewussten Produktionsinstrumente nicht weglaufen, sondern, statt als römische Sklaven noch durch sichtbare Ketten, vielmehr als moderne Lohnarbeiter durch unsichtbare Fäden an den jeweiligen „Vertragspartner“ gebunden sind.41 Nach Marx wird deshalb nur der Schein von Unabhängigkeit durch den beständigen Wechsel der individuellen Lohnherren und die Rechtsfiktion des Kontrakts aufrechterhalten.42 Marx stellt damit im Grunde sogar die allgemeine Vertragsfreiheit als größte im Zuge der Französischen Revolution erkämpfte antifeudale Errungenschaft (freie Kontrakte anstatt Leibeigenschaft etc.) – gemessen an ihrem eigenen Begriff – in Frage.43 Schließlich zwingt für Marx „nur“ der gesamtgesellschaftliche Produktionsprozess durch seinen eigenen Vorgang den doppelt freien Arbeitnehmer44 zum ständigen Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt beständig den Arbeitgeber zu ihrem Kauf, um sich den Mehrwert anzueignen.45 Es ist dann also nicht mehr der 40 41 42 43 44

45

A.a.O. (S. 600/601) = MEW, Bd. 23 (598). Ebenda. Ebenda sowie Rn. 689 dieser Arbeit m.w.N; hierin besteht ebenfalls eine weitere Parallele zu Nietzsches Genealogie der Moral, siehe dort, a.a.O. (S. 39, 50 ff.). Auch in diesem Punkte deckt sich Marx Kritik mit Nietzsches Befund vom Glauben an das sog. „indifferenten wahlfreien Subjekt“ (vgl. Rn. 635 i.V.m. Rn. 691). A.a.O. (S. 752) = MEW, Bd. 23 (742): „[…]; andererseits freie Arbeiter, Verkäufer der eigenen Arbeitskraft und daher Verkäufer von Arbeit. Freie Arbeiter in dem Doppelsinn, daß weder sie selbst unmittelbar zu den Produktionsmitteln gehören, wie Sklaven, Leibeigene usw., noch auch die Produktionsmittel ihnen gehören, wie beim selbstwirtschaftenden Bauer usw., sie davon vielmehr frei, los und ledig sind. Mit dieser Polarisation des Warenmarktes sind die Grundbedingungen der kapitalistischen Produktion gegeben“. A.a.O. (S. 606) = MEW, Bd. 23 (603).

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Zufall, sondern die strukturelle Zwickmühle des Prozesses, welche Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Verkäufer und Käufer einander auf dem Warenmarkt (Arbeitsmarkt) gegenübertreten lässt,46 so dass der Arbeitnehmer nach Marx bereits dem Kapital gehört, bevor er sich dem Arbeitgeber stundenweise verkauft.47 Damit wären nach Marx alle antifeudalen Errungenschaften tatsächlich in ihr glattes Gegenteil verkehrt worden, so dass nach Marx Ansicht die begonnene bürgerliche Revolution gemessen an ihren eigenen Maßstäben und Begriffen noch weiter auszuführen wäre, um auch das „doppelt freie Proletariat (s.o.)“ und die Bauern politisch zu emanzipieren, wie es beiden Gesellschaftsgruppen im zuvor noch gemeinsamen Kampf mit dem Bürgertum gegen Klerus und Adel bereits versprochen worden war.

3. Reaktualisierungsversuch des Anspruchs auf Verwirklichung der Vernunft Allerdings hat sich Marx selbst, ganz in der Erbfolge Kants, ebenfalls als – wenn auch materialistisch gewendeter – Aufklärer verstanden. Er wollte nicht weniger, als die Menschheit aus ihrer – seiner Ansicht gemäß nach wie vor selbstverschuldeten – Unmündigkeit im Zeitalter der bürgerlichen Gesellschaft nach 1789 herausführen und kritisch prüfen, ob nach 1789 tatsächlich der im Zuge des Kampfes um die Emanzipation vom Feudalismus, verheißene gesamtgesellschaftliche Sieg der Vernunft stattgefunden hat. Wie oben dargestellt, konstatiert auch Marx seinen Zeitgenossen, dass sie im Durchschnitt noch unfähig seien, sich ihres Verstandes ohne Leitung anderer zu bedienen. Allerdings will er dazu auch die kritische Theorie für ein neues „Sapere aude!“ im Sinne Kants liefern, materialistisch gewendet allerdings und diesmal als Darstellung der Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft,48 um das, was als überdeterminierende Kapitalstruktur die moderne Welt im Innersten zusammenhält, der kritischen Erkenntnis freizulegen. Dazu musste Marx – als logische Konsequenz seiner Kritik, aber auch Anknüpfung an Hegel – einen so 46 47 48

Ebenda. Ebenda. So Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859), Vorwort S. 14: „Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, dass Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel (für die Moderne M.R.) unter dem Namen „bürgerliche Gesellschaft“ zusammenfasst, dass aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu suchen sei“.

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komplexen gesellschaftlichen Organismus wie die „moderne bürgerliche Gesellschaft“ in ihrem inneren Zusammenhang als einheitliches Ganzes erforschen, weshalb sein Hauptwerk schlicht „Das Kapital“ heißt. Marx möchte das bisherige Denken der Menschen, welches er als im Durchschnitt determiniert auffasst (s.o.), weil er seine Träger als von den Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft bewegte Charaktermasken wahrnimmt, auf die im Zuge der Französischen Revolution hin formulierten eigenen Ansprüche an Vernunft hin kritisch hinterfragen. Es geht inhaltlich auch für Marx – gleich Hegel – um Freiheit, freien Willen, Verantwortung sowie eine Neufundierung einer theoretisch wie praktisch gültigen intersubjektiv verkörperten Vernunft und Freiheit. Allerdings sind diese für Marx – im Gegensatz zu Hegel – unter inhaltlicher Aufrechterhaltung von dessen „Ideen“ gemessen an deren eigenem Begriff als Ideal, etwa in Bezug auf Vernunft, Freiheit, Moralität und Sittlichkeit sämtlich noch ausstehend, also historisch betrachtet erst noch praktischtätig zu konstituieren.

4. Marx und Hegel im Vergleich Aus der Perspektive von Marx ergibt sich abschließend somit folgendes Bild bezüglich Hegel: Gegenstand seines Hauptwerks „Das Kapital“ ist jene identische Sphäre, welche Hegel in den §§ 182 ff. seiner „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ als „Die bürgerliche Gesellschaft“ darstellt. Insoweit ist zum weiteren Verständnis des soeben Gesagten zunächst der von Hegel entwickelte Begriff der „Bürgerlichen Gesellschaft“ systematisch wiederzuentdecken, um die direkt und unmittelbar daran anknüpfenden Denkbewegungen seitens Marx nachzuvollziehen. Unter den §§ 189 ff. nimmt Hegel in der Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft als eines arbeitsteiligen und ausdifferenzierten „Systems der Bedürfnisse“ inhaltlich ausdrücklich Bezug auf die führenden politischen Ökonomen seiner Zeit: Adam Smith, Say und Ricardo. Diese bürgerliche Gesellschaft ist für Hegel das Wesen des sich frei entfaltenden ökonomischen Egoismus und dadurch ein System des sozialen Atomismus und zugleich die Differenz, welche zwischen Familie und Staat tritt.49 Hegel 49

Hegel, Grundlinie der Philosophie des Rechts, a.a.O. (§ 182 Zusatz, S. 334): „Die bürgerliche Gesellschaft ist die Differenz, welche zwischen die Familie und den Staat tritt, wenn auch die Ausbildung derselben später als die des Staates erfolgt; denn als die Differenz setzt sie den Staat voraus. Die Schöpfung der bürgerlichen Gesellschaft gehört übrigens der modernen Welt an (1789 ff.; M.R.). In der bürgerlichen Gesellschaft ist jeder sich Zweck, alles andere ist ihm Nichts. Aber ohne Beziehungen auf andere kann er den Umfang seiner Zwecke nicht erreichen; diese anderen sind daher Mittel

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charakterisiert diese „bürgerliche Gesellschaft“ als den „allgemeinen Kampfplatz des individuellen Privatinteresses aller gegen alle“.50 Die Menschen treten sich innerhalb dieser Sphäre nach Hegel in Abgrenzung zu Marx rein als freie (Rechts-)Personen gegenüber, die ihre gegenseitigen Beziehungen zueinander auf rein vertraglicher Basis „abstrakt“ abwickeln.51 Diese hiermit zwingend einhergehende rein partikulare Individualität bezeichnet Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ bekanntlich bereits als das „geistige Tierreich“, so dass im Ergebnis die bürgerliche Gesellschaft die Differenz ist, welche zwischen Familie und Staat tritt. Zwar ist die bürgerliche Gesellschaft im System Hegels eine Entwicklungsstufe in der Entwicklung zur höchsten Form

50 51

zum Zweck des Besonderen. Aber der besondere Zweck gibt sich durch die Beziehung auf andere die Form der Allgemeinheit und befriedigt sich, indem er zugleich das Wohl des anderen mit befriedigt (i.S.e. unsichtbaren Hand; M.R.)“. A.a.O.(§ 289). Hierzu direkt kritisch Marx in MEW, Bd. 23 (99–100): „Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß er eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensaktes sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnis ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben. Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.“ Direkt daran anknüpfend in, a.a.O. (609–610): „Ursprünglich schien uns das Eigentum gegründet auf eigne Arbeit. […] Eigentum erscheint jetzt auf Seite der Kapitalisten, als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging.“ Und in a.a.O. (S. 562): „Bei der Fronarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinnlich, die Arbeit des Fröners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eignen Lebensmittel ersetzt, den er in der Tat also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit. Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters. […] Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen.“ Sowie in a.a.O. (S. 599): „Der römische Sklave war durch Ketten, der Lohnarbeiter ist durch unsichtbare Fäden an seinen Eigentümer gebunden. Der Schein seiner Unabhängigkeit wird durch den beständigen Wechsel der individuellen Lohnherrn und die fictio juris (Rechtsfiktion) des Kontrakts aufrechterhalten“.

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der Sittlichkeit – zum (Vernunft-)Staat. Allerdings ist sie zugleich eine solche Entwicklungsstufe, die für sich genommen die Negation der Sittlichkeit bedeutet. Als Erscheinung des hegelschen objektiven Geistes ist sie die zweite Form der Sittlichkeit, welche zwischen Familie und Staat steht. Im Gegensatz zur Familie als noch unbewusster, aber unmittelbar auftretender Verkörperung von Sittlichkeit (worin sich jeder Einzelne nur als Glied dieser Einheit mittels gegenseitiger Liebe zum Bewusstsein kommen lässt) ist die bürgerliche Gesellschaft für Hegel ausdrücklich das System der in ihre Extreme verlorenen Sittlichkeit.52 Hegel schreibt etwa: „Der selbstsüchtige Zweck in seiner Verwirklichung, so durch die Allgemeinheit bedingt, begründet ein System allseitiger Abhängigkeit“.53 In § 185 der Grundlinien der Philosophie des Rechts „bietet die bürgerliche Gesellschaft in diesen Gegensätzen und ihrer Verwickelung das Schauspiel ebenso der Ausschweifung, des Elends und des beiden gemeinsamen physischen und sittlichen Verderbens dar“. An anderer Stelle beschreibt Hegel die bürgerliche Gesellschaft als Geist, der sich abstrakt in viele Personen besondert, die in selbstständiger Freiheit und als Besondere für sich sind und dadurch zunächst ihre sittliche Bestimmung verlieren, indem diese Personen als solche nicht die absolute Einheit, sondern ihre eigene Besonderheit und ihr Für-sich-sein zu ihrem Bewusstsein und Zweck haben.54 Bis hierher gleichen sich Marx’ und Hegels Diagnose noch. Hegel geht überdies von der Einsicht aus, dass es noch eine andere Verbundenheit der Menschen zueinander gibt, als jene, die durch abstrakte Rechtsbeziehungen begründet sind – womit sich Hegel in Abgrenzung zu Kant explizit als Kritiker der Vertragstheorie (vgl. die Hinweise unter Rn. 657) zu erkennen gibt. Die bürgerliche Gesellschaft ist für Hegel eine notwendige Stufe zur Vollendung der Sittlichkeit, zum (Vernunft-)Staat, weil in diesem System der Bedürfnisse (als System einer selbstsüchtigen Atomistik von (formal) gleichen und freien Individuen) für Hegel nur ein Schein zum Ausdruck kommt, mit dem sich sämtliche Individuen selbst täuschen. Der Schein besteht darin, dass man sich für ein besonderes, ganz und gar auf sich gestelltes Individuum hält, während man in Wahrheit doch nicht aufgehört hat, ein Glied des objektiven Geistes zu sein. Auch diese Ansicht teilt Marx mit Hegel, nur dass er dessen Geist mit „Das Kapital“ übersetzt.

52 53 54

Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O. (§ 184, S. 155). A.a.O. (§ 183). Vgl. Hegel, § 323 Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse.

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5. Marx kritische Reformulierung der hegelschen Rechtsphilosophie Marx nun geht diametral entgegengesetzt davon aus, dass das „negative Absolute“ in Gestalt von „Das Kapital“ als Verkörperung der tatsächlichen Unvernunft der Wirklichkeit Gestalt und Form gibt und somit den hegelschen „Geist“ beerbt hat. Was wirklich ist, ist darum für Marx unvernünftig. Statt Freiheit hat sich für ihn ein verallgemeinerter Zwang der Verhältnisse sowie zusätzlich einer personal ausgeübten partikularen Klassenherrschaft ausgebreitet und es hat hierdurch ebenfalls bedingt eine totale intersubjektive ZweckMittel Struktur die Oberhand gewonnen (Verdinglichung; Entfremdung). Insoweit hat sich nach Marx die bürgerliche Gesellschaft gegenüber den Sphären von Familie und Staat als überdeterminierende Struktur verselbstständigt und diese total unter sich subsumiert. Alle sozialen Beziehungen und kulturellen Errungenschaften werden nach Marx zu nüchternen Ware-GeldBeziehungen degradiert und bemessen sich nach reinen Nützlichkeitskriterien. Als Paradigma hierfür gilt Marx die allgemeine Prostitution (d.h. das durch strukturellen Zwang innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft bedingte allgemeine sich Gemein-machen-müssen als Ausdruck von Verdinglichung und damit von Entwürdigung). Dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf die inhaltliche Auslegung der von Hegel vorgegebenen Stichwörter: etwa von Vertragsverhältnissen, Freiheit, Person, Recht, Moralität, Sittlichkeit, Familie oder Staat. Die gegenseitige Anerkennung der Personen als freie und gleiche i.S.d. Ausdrucks eines erreichten Zustands von Freiheit wird nach Marx als bloßer Schein „entlarvt“, dem unter der Rechtsfiktion des Kontrakts tatsächlich der reine Zwang zugrunde liegt. Die Vertragsfreiheit ist darum für Marx notwendig ebenso ein Schein, hinter dem sich personaler wie struktureller Zwang verbirgt. Damit ist für Marx bereits der Grundanspruch von Freiheit – nicht von Anderen und Anderem fremdbestimmt abhängig zu sein – im Keime verunmöglicht. Zumal auch Marx gleich Hegel einen Begriff von Freiheit hat, in dessen Rahmen es nicht mehr primär um die Verwirklichung rein individuell bleibender Handlungschancen geht, sondern um die Realisierung allgemeiner Freiheit im Verhältnis zu anderen Subjekten. Marx hingegen analysiert einen Zustand der allgemeinen Unfreiheit (s.o.). Ebenso sind Recht und Staat aus Marx’ Perspektive, die er mit Nietzsche an diesem Punkt teilt (vgl. Teil II Kapitel 1 unter Punkt D) dort I.–II.), nicht Träger und Garanten der Verwirklichung von Freiheit bzw. Sittlichkeit, sondern im Gegenteil Verkörperungen historisch gewachsener asymmetrischer Gewaltverhältnisse (Marx geht soweit, zu behaupten, sie seien Ausdruck einer partikularen Klassenherrschaft i.S.e. Diktatur), die letztlich deren Reprodukti-

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on und Aufrechterhaltung dienen. Insoweit kann daher für Marx das Recht (noch) nicht die hegelsche „Aufhebung“ konkurrierender Freiheitsansprüche in einem Zustand allgemeiner Freiheit verkörpern, obgleich es auch für ihn immer schon in einen sozialen Kontext eingebettet ist (s.o.).

6. Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt: Marx hält zumindest der Fähigkeit nach jedes Individuum des freien Verstandes und der Vernunft für fähig, so dass er den freien Willen nicht grundsätzlich in Zweifel zieht. Analog Hegel stellt Marx zugleich auf einen Intersubjektivitätsbegriff ab, so dass echte Freiheit stets nur überindividuell, d.h. intersubjektiv zu verwirklichen sein kann. An diesem Punkt bleibt Marx allerdings im Hinblick auf die Verwirklichung der Idee allgemeiner Freiheit anhand des von ihm eingehend untersuchten Faktenmaterials mehr als skeptisch. Anstelle des Hegelschen Vernunftstaates setzt Marx insoweit lediglich den inhaltlich weitgehend unbestimmten Begriff von „Kommunismus“; allerdings ohne jegliche Entwicklung einer entsprechenden Theorie von Institutionen, welche die Freiheit jedes Einzelnen dauerhaft zu garantieren vermögen. Möglicherweise sollen für Marx nach Abschluss der Vorgeschichte der Menschheit (d.h. nach Abschluss der kapitalistischen Produktionsweise sowie des Sozialismus) sämtliche den Individuen äußerlich bleibende freiheitssichernde Institutionen hegelscher Provenienz gar überflüssig werden, weil jedes Subjekt bereits an und für sich das objektiv Vernünftige aus freien Stücken will. An diesem Punkt ist Marx dann tatsächlich ebenfalls ein „Idealist“ oder gar Utopist. Die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass eine philosophischpolitische Bezugnahme auf Hegel zur substantiierenden dogmatischen Fundierung der (Straf-)Rechtswissenschaft hinsichtlich der eigenen immanenten und grundlegenden Grundfragen zum eigenen „Grund“ es vielmehr befürchten sollte, auf eine fundierte inhaltliche Auseinandersetzung mit Marx gänzlich zu verzichten.55 Möglicherweise bestünde genau darin eine wertvolle wissenschaftliche Herausforderung, da Marx’ Ansatz tatsächlich auf einen hypothetisch möglichen „anderen Grund“ verweist; wobei er sich komplett innerhalb des einschlägigen Diskurses (bezogen auf Hegel sowie die Grundfragen der

55

Vgl. aber Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 62).

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Rechtswissenschaft selbst) bewegt (s.o.) und sich dabei affirmativ auf „Ideale“ wie Freiheit, Gleichheit, Sittlichkeit und Demokratie beruft.56

II. Foucault Michel Foucault verwirft in seinem Werk „Überwachen und Strafen“ ebenfalls, diesmal jedoch grundlegend, den freien Willen des Subjekts. Für ihn steht der Körper des einzelnen unmittelbar im Feld des Politischen; die Machtverhältnisse legen ihre Hand auf das Subjekt, umkleiden es, markieren es, dressieren es, martern es, zwingen es zu arbeiten, verpflichten es zu Zeremonien und verlangen von ihm Zeichen.57 Die inhaltliche Anknüpfung an Nietzsche wie Marx (s.o.) ist nicht zu übersehen.

1. Mikrophysik der Macht Diese politische Besetzung des Körpers ist nach Foucault mittels komplexer und wechselseitiger Beziehungen an seine ökonomische Nutzung gebunden; zu einem Gutteil ist für Foucault der Körper des Individuums als Produktionskraft von Macht- und Herrschaftsbeziehungen besetzt.58 Dieses Phänomen umschreibt Foucault als „Mikrophysik der Macht“,59 womit er meint, dass diejenigen, die die Macht nicht haben, von der Macht der anderen eingesetzt sind, und dass deren Macht über sie und durch sie hindurch verläuft. Foucault entwirft damit das Konzept der „Gouvernementalität“ d.h. eines Konnex’ von Selbstregulierung (gouverner) und Denken (mentalitè) und erweitert im Ergebnis den Diskurs von Freiheit sowie (politischer) Souveränität um ein weiteres Feld. Konsequent führt Foucault aus, dass nur Macht Wissen hervorbringt; dass Macht und Wissen unmittelbar einander einschließen; dass es also keine Machtbeziehung gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und es kein Wissen gibt, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert.60 Dies ist als Gegenthese dazu zu verstehen, dass es ein Wissen nur dort geben könne, wo Machtverhältnisse suspendiert sind, wie es etwa Art. 5 GG nahe legt. Diese Macht / Wissen-Beziehungen setzen also gerade kein freies Erkenntnissubjekt voraus, vielmehr ist dieses nach Foucault 56

57 58 59 60

Vgl. zum Ganzen etwa Axel Honneth, Die Idee des Sozialismus – Versuch einer Aktualisierung (2015) S. 23 ff., S. 121 ff., oder auch: Rahel Jaeggi u Daniel Loick (Hrsg.), Nach Marx – Philosophie, Kritik, Praxis (2013) S. 25 ff., 273 ff. So auch: Michel Foucault, Überwachen und Strafen (1975); Suhrkamp 2009; S. 37 ff. Ebenda. Ebenda. A.a.O. (S. 39 ff.).

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selbst nur jeweils „Effekt“ jener fundamentalen Macht / Wissens-Komplexe und ihrer historischen Transformationen.61 Nach Foucault setzt das Studium dieser Mikrophysik der Macht voraus, dass die darin sich entfaltende Macht nicht als Eigentum, sondern als Strategie aufgefasst wird. Diese Macht ist somit weniger etwas, was jemand persönlich besitzt, sondern vielmehr etwas, was sich entfaltet; nicht so sehr das erworbene oder bewahrte Privileg einer herrschenden Klasse, sondern vielmehr die Gesamtwirkung ihrer strategischen Positionen – mit Wirkungen, welche durch die Position der Beherrschten offenbart und erneuert wird. Diejenigen, die die Macht nicht haben, sind von der Macht eingesetzt, die Macht verläuft über sie und durch sie hindurch. Insoweit bekommt der Ausspruch „Wissen ist Macht“ mit Foucault eine völlig neue Dimension und damit Bedeutung.

2. Universitäre Prüfungen als Zeremoniell der Macht Besonders eindrucksvoll und nachhaltig veranschaulicht Foucault das Gemeinte am Beispiel der staatlichen bzw. universitären Prüfung. In ihr verknüpft sich nach Foucault das Zeremoniell der Macht mit der Formalität des Experiments, die Entfaltung der Stärke und die Ermittlung der Wahrheit.62 Die Überlagerung der Machtverhältnisse und der Wissensbeziehungen erreicht in der Prüfung ihren sichtbarsten Ausdruck, weil dieses so vertraute Verfahren der Prüfung innerhalb seines Mechanismus Machtbeziehungen zum Einsatz bringt, mit deren Hilfe Wissen überhaupt erst erhoben und gebildet wird.63 Das Examen gestattet es nach Foucault dem Prüfer, über den zu prüfenden Kandidaten ein ganzes Feld von Erkenntnissen aufzubauen, wodurch eine bestimmte Form der Machtausübung mit einem bestimmten Typ der Wissensformierung kombiniert wird.64 Die Disziplinarmacht setzt sich also durch, indem sie sich unsichtbar macht, während sie den von ihr Unterworfenen die Sichtbarkeit aufzwingt.65 In der Prüfung als Zeremonie dieser Objektivierung werden die Subjekte als Objekte einer Macht zur Beobachtung vorgeführt, die sich bereits und beinahe ausschließlich durch deren Blick kundtut.66 Die Subjekte bringen schließlich die Wirkungen der souveränen Macht allein in ihren genau lesbaren und geleh-

61 62 63 64 65 66

Ebenda. A.a.O. (S. 238 ff.). Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

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rig gewordenen Körpern zur Geltung, wodurch streng genommen Subjektivität also erst konstituiert wird. In der gleichen Weise wird die Schule nach Foucault zu einem pausenlos funktionierenden Prüfungsapparat, der den gesamten Unterricht begleitet. Es geht weniger um Wettkämpfe, in denen die Schüler ihre Kräfte messen, als um einen ständigen Vergleich zwischen dem einzelnen und allen anderen, der zugleich Messung und Sanktion ist. Und vor allem gestattet es das Examen dem Lehrer, der sein Wissen weitergibt, seinerseits über den Schülern ein ganzes Feld von Erkenntnissen aufzubauen.

3. Dezentrierung des Subjekts zugunsten des „Systems“? Bis hierher deckt sich Foucaults Ansatz mit dem marxschen Ansatz vom „stummen Zwang der Verhältnisse“ bzw. Nietzsches „Mnemotechnik“ (s.o.). Allerdings ist Foucault selbst – im Gegensatz zu Marx – auf den ersten Blick zumindest einer eher antiaufklärerischen Denktradition verhaftet. Für ihn sind der sog. Sinn, der freie Wille oder gar die Vernunft nichts weiter als eine Art Oberflächenwirkung, eine Spiegelung, ein Schaum, weil das, was die Menschen am tiefsten durchdringt, das was vor ihnen da ist und sie in Zeit und Raum hält, eben das System sei.67 Unter System ist in diesem Sinne eine Gesamtheit von Beziehungen zu verstehen, die sich unabhängig von den Inhalten, die sie verbinden, erhalten und verändern. Das System ist für Foucault anonym und ohne Subjekt, „das denkt“. Nach Foucault drückt sich durch die Worte hindurch die Struktur, das System der Sprache aus – und gerade nicht das Subjekt,68 weil es vor jeder menschlichen Existenz, vor jedem menschlichen Denken bereits ein Wissen, ein System gibt, das lediglich jeweils wieder entdeckt wird.69 Das „Ich“ ist für Foucault zerstört, es geht für ihn nur noch um die Entdeckung eines „es gibt“, verstanden als heideggersches „Man“ (i.S.e. anonymen Denkens aus seinem faktischen Daseinsvollzug heraus). Darum ist für ihn jede Erkenntnis ohne Subjekt und alles Theoretische ohne Identität, insbesondere weil „man“70 nur innerhalb eines anonymen und zwingenden Gedankensystems, dem einer Epoche und Sprache, denke. Foucault will lediglich dieses Denken vor dem Denken, dieses 67 68 69 70

Vgl. Interview Foucault – M. Chapsal, 1966 (Absage an J.P. Sartre) zitiert nach: G. Schiwy, der französische Strukturalismus (S. 203 ff.). Ebenda. Ebenda. Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit (1927), Max Niemeyer Verlag Tübingen (2001), § 27, S. 126 ff.

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Teil II

System vor jeglichem System zu Tage fördern – insoweit ist er zugleich ein Vordenker der sog. Strukturalisten wie auch Systemtheorie. In beiden Schulen findet eine Dezentrierung des Subjekts statt. Weiter zugespitzt – im Hinblick auf das Paradigma reiner Souveränität – bedeutet dieser Gedankengang, dass Wissen nicht nur Bewusstsein schafft, sondern eine materielle Praxis zeitigt, in denen der in dieser Hinsicht unsichtbare Staat außerhalb seiner selbst dennoch permanent in der Gesellschaft anwesend ist und als solcher erst verkörpert wird – etwa in Familie, Kindergarten, Schule, Universität, Kirche, Medien etc. Hierdurch würde dann Subjektivität von der Wiege bis zur Bahre als solche erst konstituiert, etwa durch die Anrufung und Verinnerlichung „dogmatischer Setzungen“. Insoweit verläuft souveräne Herrschaft dann nicht gegen das Subjekt, sondern vollzieht sich vielmehr durch die Subjekt-Form selbst hindurch. Insoweit würden die Schule, aber auch andere Institutionen und Apparate des Staates zwar „Fähigkeiten lehren“, aber in Formen, die die Unterwerfung unter die „dogmatischen Setzungen“ dann zwingend voraussetzten. Alle „Untertanen“ müssten dann auf die eine oder andere Weise von diesem „Wissen“ durchdrungen sein, um bewusst ihre Funktionen wahrnehmen zu können. Sie sind dann in einem existenziellen Sinne leibhaftig diese Funktionen selbst, sollte Descartes Satz: „Ich denke, darum bin ich“ gelten. Adorno sagte darum auch sinngemäß, dass wer Ich sage, der lüge bereits (vgl. Th. Adorno: Minima Moralia (1951) S. 80: „Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen.“). Ein beinahe unaufhebbares Paradoxon der Freiheit. Um als solches zu existieren, muss das Subjekt nach Foucault also immer zuerst Anpassungsleistungen erbringen (vgl. hierzu Teil II Kap. 1 Punkt D) I.–II.) und sich „unterwerfen“. Die Unzähligen, die im Laufe der Jahrtausende zu diesen Anpassungsleistungen nicht imstande waren, sind dann aus Sicht Foucaults mehr oder weniger laut- und namenlos zugrunde gegangen. Der Untersuchung dieses Phänomens widmete Foucault u.a. sein Werk: „Wahnsinn und Gesellschaft“. Hieraus resultiert dann folgerichtig seine möglicherweise berechtigte Kritik an „Höchstwerten“ wie „Humanismus“ oder „Vernunft“ etc.

4. Zwischenergebnis: Foucaults Freiheitsbegriff Nach dem bisher Gesagten ergibt sich für Foucault als Theoretiker der Macht ein eher pessimistischer Freiheitsbegriff, da er sich keinerlei Illusionen über die faktischen wie strukturellen Widerstände (sowie hinsichtlich der repräsentierenden diskursiven und nichtdiskursiven Machteffekte) macht. Sehr indirekt intendiert Foucault letztlich ebenfalls eine Befreiung des Subjekts, jedoch ohne jeden kollektiven Bezug und als reines Gegenspiel zu den Spielen der Macht

Zweites Kapitel: Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit

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i.S.e. Freiheit des radikalen Andersdenkens. Die Frage nach einem Praktizieren der Freiheit ist somit untrennbar von den Mechanismen des Funktionierens von Macht zu stellen, wobei Foucault die üblicherweise dichotomische Vorstellung eines „Entweder – Oder“ hinsichtlich Macht und Freiheit in ein „Sowohl als auch“ umkehrt. Das bedeutet für Foucault: nur dort wo Macht ist, ist zugleich auch Freiheit. Letztlich hat Foucault eine rein subjektivistische Kunst der Selbsttransformation im Blick, mit der lediglich oppositionelle Haltungen und Verhalten hervorgebracht werden können i.S.e. asketischen Praxis. Es bleibt unter dem Strich lediglich die Freiheit einer lebenskünstlerischen Stilisierung der eigenen Existenz.

III. Neurobiologische Forschungen als paradigmatische Infragestellung des freien Willens? Aber auch von anderer Seite droht aktuell eine ebenso grundlegende, diesmal neurowissenschaftliche Freiheitsskepsis, welche im Kern auf einen Neurodeterminismus71 hinausläuft. Auch dort wird eine vielfache totale Determination menschlichen Handelns behauptet. Es wird behauptet, naturwissenschaftlich beweisen zu können, dass die Idee der Freiheit eine Täuschung, ja sogar ein Aberglaube sei, von dem man sich endlich befreien müsse.72 Paradigmatisch soll eine wissenschaftliche Annahme nahe gelegt werden, nach der die Hervorbringungen des menschlichen Geistes, insbesondere auch Handlungsantriebe und Willensentschlüsse, nicht Resultate eines immateriellen höchstpersönlichen „Wesens“ im Austausch mit seiner natürlichen und sozialen Umwelt sind, sondern Ergebnisse dynamischer chemo-physikalischer Prozesse innerhalb des zentralen Nervensystems, welche in ihrem jeweiligen Inhalt durch die individuelle Struktur der neuronalen Verschaltungen festgelegt und damit unfrei sind.73 Gefordert wird dementsprechend eine Emanzipation von der Illusion der Freiheit74 zugunsten eines Neurodeterminismus.75

71 72 73 74

75

Ebenso Höffe, a.a.O. (S. 336). A.a.O. (S. 326). So auch Fischer, StGB-Kommentar, Vor § 13 Rn. 9. Ähnlich Stübinger, Das „idealisierte Strafrecht“ (S. 37), welcher darauf hinweist, dass ein Ersatz für das „überkommene“ Theorievokabular des Strafrechts intendiert ist, d.h. eine theoretische Neubegründung. Andererseits hilft diese Debatte nach Stübinger immerhin dabei, die grundsätzliche und unhintergehbare Bedeutung des Freiheitsbegriffs für das Strafrecht herauszustellen. Wolf Singer (2004): „Verschaltungen (im Gehirn) legen uns fest: Wir sollten aufhören von Freiheit zu sprechen.“ zit. nach Höffe, a.a.O. (S. 327).

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Teil II

Neben Wolf Singer, nach dem ein dezentrales Netzwerk unser Handeln bestimmt, ist es Gerhard Roth, der diese neurobiologische Hirnforschungsdebatte seit den 1990er Jahren befeuert. Nach Roth handelt jeder Mensch so, wie seine Persönlichkeit – determiniert durch Gene, Hirnentwicklung, frühkindliche Erfahrung und spätere Sozialisierung – es ihm alternativlos vorschreibt. Außerdem hätten alle pädophilen Mörder schwere Hirnschäden. Es ginge hiernach möglicherweise nur noch um eine dem Individuum als „natürlich“ (=genetisch) anhaftende Eigenschaft der Gefährlichkeit, die dann nicht mehr nachträglich zu bestrafen, sondern mit Hilfe „wissenschaftlicher Methoden“ zu erkennen und durch Heilung oder Sicherungsverwahrung zu bekämpfen wäre.76 Die Errichtung sog. Konzentrationslager für die massenhafte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (vgl. § 66 StGB aktuelle Fassung) war historisch bereits eines ähnlichen Geistes Kind,77 obgleich eine Gleichsetzung auf den ersten Blick riskant zu sein scheint. Die Maßregeln der Sicherung und Besserung wurden als §§ 42a–n StGB im Jahre 1933 erstmals durch das GewohnheitsverbrecherG in das StGB aufgenommen. Nach § 42e StGB a.F.78 wurde im Falle sog. gefährlicher Gewohnheitsverbrecher, wenn es die Aufrechterhaltung der öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderte, neben der Strafe die Sicherungsverwahrung angeordnet. Als Maßregel der Sicherung und Besserung wurde nach § 42i StGB a.F.79 auch der sog. Arbeitszwang im Arbeitshaus standardmäßig vorgesehen. Denn in § 42i Abs. I Satz 2 StGB a.F.80 war geregelt, dass die in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten auch zu Arbeiten außerhalb der Anstalt verwendet werden konnten, dabei lediglich von den freien Arbeitern getrennt gehalten werden mussten (Konzentrationslager). Auf diesem Gedanken der Sicherungsverwahrung beruht bis heute die Idee des zweispurigen Systems, das die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen von der Schuld des Täters löst und an präventive Gesichtspunkte der Gefahrenabwehr, also an die Gefährlichkeit des Betroffenen knüpft.81 § 66 Abs. I Nr. 3 StGB stellt noch heute auf einen „Hang zu Straftaten“ ab, wobei konsequent das Schuldprinzip umgangen wird. Daraus wurde bereits 1933 ff. die Theorie geboren, dass eine Gewohnheit, Straftaten zu begehen, mit Schuld nichts zu 76 77 78 79 80 81

Fischer, a.a.O. (Vor § 13 Rn. 9). Ähnlich a.a.O. (§ 66 Rn. 3). Vgl. Schönfelder, 13. Aufl. 1943 (Loseblattsammlung), C.H. Beck (München 1943). Ebenda. Ebenda. Vgl. Fischer, a.a.O. (§ 66 Rn. 2).

Zweites Kapitel: Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit

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tun habe und es darum auf einen begründeten Schuldvorwurf gar nicht erst anzukommen brauche (hierzu vertiefend Teil II Kapitel 3 dort Punkt A) u. B). Insoweit ist auch in dieser Figur gleichsam durch die Hintertür das Paradigma vom „Tätertypen“ noch mitenthalten und man könnte es mit guten Argumenten als Ausläufer einer Theorietradition deuten, die zwischen einem Feind- und einem Bürgerstrafrecht differenziert (vgl. auch Teil II Kapitel 1 A). Die weiteren Folgen eines in Wissenschaft und Praxis „anerkannten“ totalen Neurodeterminismus wären darüber hinaus äußerst vielfältig: 1) Das geltende Strafrecht ist Schuldstrafrecht, weil Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Strafbarkeit auf dem Vorwurf beruhen, dass der Täter sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er die freie Wahl zwischen Recht und Unrecht hatte. Sowohl die Voraussetzungen der Strafbarkeit als auch die Zumessung der Strafhöhe sind unabdingbar mit einem indeterministischen Schuldbegriff unter der Prämisse eines freien Willens verknüpft. Nach dem BGH ist ganz in diesem Sinne Schuld Vorwerfbarkeit, weil mit dem Unwerturteil der Schuld dem Täter vorgeworfen wird, dass er sich nicht rechtmäßig verhalten hat, obwohl er sich für das Recht hätte entscheiden können.82 Nach der Begründung etwa des BGH liegt demzufolge der innere Grund des Schuldvorwurfs darin, dass der Mensch auf freiverantwortliche und sittliche Selbstbestimmung angelegt ist und deshalb befähigt sei, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden.83

Der Schuldbegriff, und damit das darauf aufbauende Strafrecht, wären für den Fall der Annahme eines totalen Neurodeterminismus demzufolge nicht mehr länger aufrechtzuhalten; nach § 46 Abs. I S. 1 StGB ist die Schuld des Täters nach derzeitiger Rechtslage die Grundlage für die Zumessung der Strafe. Strafe ist nach ganz herrschender Meinung eine missbilligende hoheitliche Reaktion84 und knüpft an ein sozialethisches Unwerturteil an. Dies setzt Verantwortlichkeit der zu bestrafenden Person für ihre Handlungen und die dadurch verursachten Erfolge in der Außenwelt voraus.85 Strafbegründende Zurechnung von individueller Verantwortlichkeit für Handlungsfolgen setzt also voraus, dass der Täter anders als geschehen hätte handeln können86 (vgl. § 20 StGB). Um einer Person ihr Handeln normativ zurechnen zu können, muss es ihr also zunächst faktisch zurechenbar sein. Hierbei geht es um die Fähigkeit individueller, persönlichkeitsspezifischer Entscheidung für oder gegen die Befolgung normativer Erwartungen, was zwingend und ganz entscheidend auf die Wil-

82 83 84 85 86

BGHSt 2, 194 ff. (200). Ebenda. Fischer, StGB-Kommentar, § 46 Rn. 2. Ebenda. A.a.O. Vor § 13 Rn. 8.

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Teil II

lensfreiheit abstellt.87 Das geltende Strafrecht geht auf Basis von Art. 1 Abs. I GG davon aus, dass der Mensch eine mit freiem Willen begabte, selbst verantwortliche, d.h. zur Unterscheidung von Gut und Böse befähigte Person ist.88 Denn ohne Willensfreiheit ist keine Schuldfähigkeit oder gar Verantwortung begründbar, da die Möglichkeit des „Anders-Handeln-Könnens“ dann nicht mehr existent wäre. 2) Die Annahme eines totalen Neurodeterminismus würde den bisherigen liberalen Stand der Rechtspraxis hinsichtlich einer etwaigen staatlichen Schutzpflicht im Hinblick auf eine Verhinderung von Selbsttötungen auf ein völlig neues Fundament stellen müssen. Bislang wird die legale Möglichkeit eines Suizids übereinstimmend mindestens von der in Art. 2 Abs. I GG verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit gewährleistet. Da der Suizident nach obiger Hypothese der Hirnforschung die Tragweite seines Handelns jedoch prinzipiell nicht autonom beurteilen könnte und das Leben innerhalb der Rechtsordnung ein Rechtsgut mit Höchstwertanspruch darstellt, würde jeder Suizidversuch bereits eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten. Hiergegen müsste dann zwingend und ohne Ermessensspielraum polizeirechtlich z.B. auf Grundlage der Generalklausel des § 8 PolG NRW zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eingegriffen werden. Dasselbe Ergebnis wird im Falle eines aus anderen Gründen nicht frei verantwortlich handelnden Suizidenten bereits aktuell aus dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. I GG hergeleitet, da der Schutz des Schwächeren es dem Staat zwingend gebiete, denjenigen vor sich selbst zu schützen und dessen Suizid abzuwenden, der in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand seiner Lebensmüdigkeit nachzugeben droht und meint, dem Imperativ des schwachen Augenblicks Folge leisten zu müssen.89 Aus Art. 2 Abs. II Satz 1 1. Alt GG I.V.m. Art. 20 Abs. I GG wird dann folgerichtig eine grundsätzliche staatliche Befugnis abgeleitet, den suizidalen Geschehensablauf in solchen Fällen mit Zwangsmitteln zu stoppen.90 3) Ein solcher Paradigmenwechsel träfe neben dem Schuldstrafrecht das Recht als solches in seiner Gesamtheit, denn das Aufstellen normativer Verhaltensregeln setzt stets voraus, dass diejenigen Personen, an die diese sich richten, sie auch potentiell befolgen können.91 Jegliche zivilrechtliche Verantwortlichkeit samt Haftung, Geschäftsfähigkeit, Patientenautonomie, Testierfähigkeit aber auch Religionsmündigkeit, politische Mündigkeit etc. wären dann bei dieser Gelegenheit gleich mit obsolet gemacht. Geboten wäre im Ergebnis in letzter Konsequenz ein totaler Überwachungsstaat. 4) Allerdings dürften der Neuigkeitsgehalt und die mediale Präsenz der Diskussion nicht im angemessenen Verhältnis zu der ihr sachlich zustehenden Bedeutung ste-

87 88 89 90 91

Ähnlich a.a.O. A.a.O., BGHSt 2, 194 ff. (200). Ebenso F. Günzel, a.a.O. (S. 123). Ebenda m.w.N. A.a.O. (Rn. 9a).

Zweites Kapitel: Selbstbestimmung, Autonomie und Freiheit

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hen.92 Die von Singer gestellte Frage nach Wirken, Funktion und Nachweisbarkeit einer sog. materiefreien Persönlichkeit („Seele“) stellt sich für ein an einer auf Kausalität anknüpfenden Handlungslehre orientiertem Strafrecht nicht weiter. Außerdem käme die Darlegung der Kausalität neuronaler Signalverarbeitung für das Entstehen menschlicher Handlungsantriebe und deren Selbstreflexion sowie die Einwirkung der letzteren auf die Handlungssteuerung im Sinne einer lückenlosen Bedingungslehre, einer Gesamtdarstellung etwa des globalen Wetters gleich: Sie würde mindestens die Quantifizierung einer prinzipiell unendlichen Anzahl von Bedingungen mit einer unendlichen Anzahl von Wechselwirkungen erfordern und müsste daneben zugleich über ein perfektes Modell für das dynamische Funktionieren chaotischer Systeme verfügen.93

Insoweit muss es inhaltlich zwingend bei den in Teil I dieser Arbeit unter Kapitel 3 Punkt C) III. aufgestellten Kriterien für einen freiverantwortlich ausgeführten Suizid bleiben.

92 93

Ähnlich a.a.O. (Rn. 10). Ebenso a.a.O.

Drittes Kapitel: Schuldfragen i.R.d. Sterbehilferechts – Grenzbereiche zwischen den Welten von Schuld und Straflosigkeit (Entschuldigungsgründe) A) Einführung Das StGB unterscheidet scharf zwischen Unrecht und Schuld, wie sich bereits anhand von §§ 17, 20 StGB ergibt. Im Bereich der Schuld geht es nun nicht darum, ob eine mit Strafe bedrohte Handlung (objektiver Tatbestand) ihrerseits zusätzlich rechtswidrig (Unrechtstatbestand) ist, sondern darum, ob dem Täter diese rechtswidrige Tat persönlich vorzuwerfen ist.

I. Die Freiheit als Grund der Schuld Dahinter steht der Gedanke, dass in modernen Gesellschaften das Prinzip der individuellen Freiheit und Selbstständigkeit der Personen gilt, wodurch im abstrakten Recht verkörpert bereits ein Zustand einer institutionalisierten gegenseitigen Anerkennung zumindest als gleiche und freie Person vorliegt. Die Freiheit soll demnach der Grund für die Schuld seines Urhebers sein, und die Schuld ist wiederum Anknüpfungspunkt für die gerechte Strafe.1 Aus dieser Selbstbestimmung und Freiheit heraus folgt, dass der Täter für die eigene zurechenbare Tat und deren Folgen persönlich einzustehen hat. Damit ist Gegenstand des Schuldvorwurfs die in der rechtswidrigen Tat zum Ausdruck kommende fehlerhafte Einstellung des Täters zu den Verhaltensanforderungen der Rechtsordnung.2 Schuld bedeutet demnach Vorwerfbarkeit der rechtswidrigen Tat im Hinblick auf die ihr zugrunde liegende rechtlich tadelnswerte Gesinnung.3 Anknüpfungspunkt für das Schuldurteil ist somit die Unrechtshandlung, für die der Täter willentlich und aus freien Stücken Verantwortung auf sich genommen hat.

II. Strafrechtliche Begriffe als säkularisierte theologische Begriffe? Der prinzipielle Einwand zirkelschlüssiger Argumentation ist bereits nicht ganz von der Hand zu weisen, da der Gesetzgeber sowohl den Tatbestand 1 2 3

Ebenso Stübinger, Schuld, Strafrecht und Geschichte, a.a.O. (S. 383). So auch Wessels / Beulke (30. Aufl. 2015), a.a.O. (S. 123). Ebenda.

Drittes Kapitel: Schuldfragen i.R.d. Sterbehilferechts

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definiert, als auf dieser Grundlage quasi automatisch zugleich die davon abzuleitende Missbilligung der jeweiligen Handlung herleitet (vgl. hierzu bereits Teil II Kap. 1 Punkt A) III.). Fraglich ist allerdings, ob in der Moderne durch das Recht in der Gesellschaft und im Staat nunmehr die Sittlichkeit als höchste Stufe der Verwirklichung des „objektiven Geistes“ tatsächlich objektiv institutionalisiert ist4 oder ob es nicht doch weiterer Legitimationsstrategien bedarf.5 Nicht zu übersehen ist zusätzlich, dass in dem Maße, wie das Schuldprinzip des geltenden Rechts nach wie vor im Zusammenhang mit Vergeltung und Sühne gesehen werden muss, die christliche Tradition dieser Strafzwecke weiterhin lebendig ist.6 Möglicherweise bedeutet eine Säkularisierung der Strafrechtsbegründungen lediglich, dass an die Stelle Gottes die menschlich praktische Vernunft tritt und an die Stelle der menschlich praktischen Vernunft die „wissenschaftliche Erkenntnis“ als das leitende Prinzip der Strafrechtsbegründung getreten ist.7 Was kann diese Säkularisierung allerdings bedeuten, wenn sich am Inhalt und an den Folgen der Strafrechtsbegründung nichts ändert?8 In der Sache stellt sich damit die nicht ganz unberechtigte kritische Frage, ob es sich inhaltlich bei Begriffen wie freier Wille, Freiheit, Vertragsfreiheit, Schuld etc. nicht möglicherweise um für den Bestand der Ordnung konstitutive sog. „nützliche Fiktionen“ handeln könnte. Das würde bedeuten, dass dogmatisch verbindliche Annahmen möglicherweise autoritär als „Wahrheit“ gesetzt und insoweit als zirkuläre Begründungsfiktionen wirken würden – analog den direkt theologischen Legitimationsstrategien. Dies würde ggf. erklären helfen, weshalb derartige „Kritik bis an die Wurzel“ sofort als nicht anschlussfähig außerhalb des Diskurses gestellt ist und innerhalb des Strafrechts stattdessen auf die „gesetzten Begriffe“ samt deren „gesetzten Bedeutungen“ zurückgegriffen werden „muss“.

III. Zum Begriff der Strafrechtsschuld; erste Bezüge zur Sterbehilfe Strafrechtsschuld ist jedenfalls weder Kollektivschuld noch Einzeltatschuld, auch nicht Charakterschuld oder Lebensführungsschuld – wenngleich gem. § 46 Abs. II StGB das Vorleben des Täters als Aspekt der Strafzumessung 4 5 6 7 8

So etwa Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 337). Vgl. etwa die Gegenüberstellung der Konzeption Hegels mit der von Marx (unter Teil II, Kap. 2 Punkt B) I. Ebenso Klaus Lüderssen, Christentum und modernes Recht (G. Dilcher, I. Staff Hrsg.), a.a.O. (S. 232–233). So auch Wolfgang Naucke, Christentum und modernes Recht, a.a.O. (S. 213). Ebenda.

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Teil II

berücksichtigt werden kann. Allerdings bestimmt das StGB den Begriff der Schuld nicht näher inhaltlich. Dieser Begriff wird vielmehr ohne jede Legaldefinition zu Grunde gelegt und verwendet. § 29 StGB etwa lässt es etwa damit sein Bewenden haben, dass von mehreren Tatbeteiligten jeder nach seiner Schuld strafbar ist. Es stellt sich hier also so konkret wie allgemein die Frage, was denn der sachliche Inhalt des Schuldvorwurfs etwa bei einer Tötung auf Verlangen oder einer geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötung ist, wobei jemand allein auf das ausdrückliche und ernstliche Verlangen eines des eigenen Lebens überdrüssig gewordenen Menschen hin tätig wird. § 216 StGB und § 217 StGB n.F. sind zwar äußerlich verschieden, jedoch hinsichtlich der Willensrichtung aller Beteiligten zumindest strukturell vergleichbar. Es ist evident, dass es sich hier nicht um eine Rechtsgutverletzung wie bei jedem beliebig anderen strafrechtlichen Sachverhalt handelt, welche ohne weiteres mit „normalen“ strafrechtlichen Lösungsansätzen einer üblichen Klärung zuzuführen ist. Vielmehr ist ja hier ein Grenzbereich erreicht, in dem es in der Sache um die Umsetzung elementarer, in letzter Konsequenz finaler Wünsche geht; um die Alternative eines aufgezwungenen Lebens oder eines wunschgemäßen Sterbens. Damit ist die Frage nach dem Wie der Umsetzung des Sterbewunsches des Sterbewilligen von höchster Brisanz, aber auch von größter Relevanz für die Frage nach der Bestimmung des Inhalts des Schuldvorwurfs. Die aktive direkte Sterbehilfe ist nach der Wertung des Gesetzgebers zunächst rechtswidrig und als Tötung auf Verlangen für denjenigen, der die Tötungshandlung vornimmt, nach § 216 StGB strafbar. Gleiches trifft inzwischen auf die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung zu. Hierbei liegt unter grundrechtsdogmatischer Ausgangsbetrachtung allerdings zugleich eine doppelte Interessenverkürzung vor: Zum einen hinsichtlich des Wunsches des Lebensmüden, von fremder Hand sterben zu dürfen, zum anderen auch eine Verkürzung des Interesses des zur aktiven Sterbehilfe bereiten Arztes bzw. sonstigen dazu bereiten Dritten. Bei der Frage etwa der Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe geht es in der Sache nicht darum, ob der Sterbewillige einen Anspruch auf eine solche Sterbehilfe gegen den Staat oder einen privaten Dritten hat, sondern darum, ob und warum der Staat eine zwischen dem Sterbewilligen und Sterbehelfer einvernehmliche aktive Sterbehilfe für unrechtstatbestandlich, rechtswidrig und damit für strafbar erklärt9 (strukturell ähnlich § 217 StGB n.F.).

9

Vgl. Lindner, JZ 8/2006, 373 ff. (374).

Drittes Kapitel: Schuldfragen i.R.d. Sterbehilferechts

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Nach überwiegender Auffassung erklärt sich die Begründetheit des Verbotenseins sich grundrechtsdogmatisch dadurch, dass eine aktive Sterbehilfe – die den Eintritt des Todes durch aktives Tun beschleunigt, solange der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat – entweder im Falle staatlicher Kliniken einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Art. 2 Abs. II GG darstelle bzw. im Falle von nicht beim Staat beschäftigen Ärzten oder privaten Dritten sich aus Art. 2 Abs. II Satz 1 GG eine staatliche Schutzpflicht zu Gunsten des Lebens des Sterbewilligen als Schutz vor sich selbst ableiten lasse, zu deren Erfüllung der Staat die aktive Sterbehilfe für rechtswidrig und strafbar erklären müsse.10 Unter dieser dogmatischen Zugrundelegung ergibt sich die Möglichkeit eines Schuldvorwurfs bereits u.a. allein aus der Existenz der Vorschrift des § 216 StGB (Legalität). Allerdings steht nach Michael Kubiciels Worten kaum ein anderer Staftatbestand unter einem derart hohen Legitimationsdruck wie § 216 StGB.11 Nach Kubiciel hält die Rechtswissenschaft den Forderungen nach einer stärkeren Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts Argumente entgegen, die für die heutige Gesellschaft nicht mehr anschlussfähig seien.12 Fraglich ist nämlich sogleich, ob ein solcher Schuldvorwurf auch ohne weiteres noch der Legitimität entsprechen kann. Denn jeder Schuldvorwurf beinhaltet der Sache nach zumindest auch eine ethisch-moralische Komponente, wenngleich der Begriff der Schuld sich nicht nach psychologischen oder ethischen Maßstäben richtet, sondern aus der gesetzlich definierten Missbilligung eines bestimmten Handelns ergibt.13 Der weiter oben entwickelte Gedanke einer zirkelschlüssigen Argumentation ist auch an dieser Stelle nicht ganz von der Hand zu weisen, da der Gesetzgeber sowohl den Tatbestand definiert als auch automatisch zugleich die davon abzuleitende Missbilligung der jeweiligen Handlung. Davon ausgehend, dass der Suizid sowie die Beihilfe dazu bereits nicht tatbestandsmäßig sind, ist es nicht ohne nähere Begründung einzusehen, woraus sich die gesetzliche Missbilligung und damit der konkrete Schuldvorwurf in der Sache ergibt, wenn ein Sterbehelfer lediglich rein äußerlich die letzte finale Handlung bei identischer Willensrichtung des Rechtsgutinhabers und auf dessen ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen hin ausführt – sozusagen als dessen Werkzeug. Aus Sicht des lebensmüden Menschen handelt es sich ja 10 11 12 13

A.a.O. (S. 375) m.w.N. Vgl. Kubiciel, JZ 12/2009 S. 600 ff. (600). Ebenda. Ähnlich Creifelds, Rechtswörterbuch (C.H. Beck 2000) S. 1160 unter „Schuld“.

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viel eher um eine Art gemeinsam ausgeführten Suizid, als um eine Fremdtötung. Jedenfalls empfindet es der sterbewillige Mensch als eine Art des selbstbestimmten Sterbens. Denn wie noch im Näheren dogmatisch hergeleitet werden wird, ist Maßstab für jeden Schuldvorwurf die persönliche Vorwerfbarkeit einer rechtswidrigen Handlung im Hinblick auf die ihr zugrunde liegende Gesinnung, d.h. die in der rechtswidrigen Tat zum Ausdruck kommende fehlerhafte Einstellung des Täters zur Rechtsordnung. Worin besteht nun diese fehlerhafte Einstellung konkret?

B) Annäherung an den Inhalt des Schuldbegriffs Beginnen lässt sich bei einer ersten Annäherung an diesen Themenkomplex ganz allgemein damit, dass das Strafrecht zunächst – insbesondere in seinem Allgemeinen Teil – als Modell der menschlichen Verantwortung verstanden werden kann.14 Dies spiegelt sich in dem inzwischen klassisch gewordenen finalen Verbrechensaufbau wieder, wo zwischen den drei Ebenen des (objektiven und subjektiven) Tatbestands, der Rechtswidrigkeit und der Schuld unterschieden wird. Nach Gunther Arzt gleicht dies Filtern, die hintereinander geschaltet werden mit dem Ziel, am Ende des Filterungsprozesses Verantwortung zuweisen zu können.15 Allerdings schränkt Arzt diesen Gedanken insoweit ein, als es keine reinen Aufbauprobleme, sondern letztlich Sachfragen gibt.16 Hiernach sind alle damit zusammenhängenden Probleme auf den jeweils immanent vertretenen Verbrechens- und damit Handlungsbegriff als Basis zurückzuführen. Je nachdem, ob so beispielsweise der Vorsatz zum Tatbestand oder zur Schuld (sog. Strafbegründungsschuld) gerechnet wird oder nicht, handelt es sich um eine finale oder kausale Handlungslehre. Diese Strafbegründungschuld, verstanden als Vorwerfbarkeit im Sinne der Voraussetzung jeder Strafnorm, darf jedoch nicht mit der Schuld als Gesichtspunkt der Strafzumessung i.S.v. § 46 Abs. I S. 1 StGB identifiziert werden. Dort geht es nur um das individuelle Maß des Vorwurfs, verstanden als die nachgelagerte Frage nach der sog. Strafmaßschuld. Insoweit ist die Schuld sowohl ein strafbegründendes als auch zugleich ein strafbegrenzendes Verbrechensmerkmal.17

14 15 16 17

So auch Gunther Arzt, Die Strafrechtsklausur (C.H. Beck 2000), S. 3 ff. A.a.O (S. 4). A.a.O. (S. 163). Ähnlich noch, Wessels / Beulke, a.a.O. (30. Aufl. 2000), dort S. 123.

Drittes Kapitel: Schuldfragen i.R.d. Sterbehilferechts

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I. Kausale Handlungslehre Die kausale Handlungslehre wird aus verschiedenen Gründen nicht mehr vertreten, ist jedoch für ein tieferes Verständnis der Kategorien Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld hilfreich. Der Verbrechensbegriff des 19. Jhd. war eng mit der kausalen Handlungslehre verbunden, wobei der Tatbestand rein objektiv bestimmt wurde. Hiernach war ein Tatbestand bereits erfüllt, wenn der Täter lediglich durch eine willentliche Körperbewegung (gewillkürte Handlung) für einen Erfolg in der Außenwelt kausal i.S.v. condicio sine qua non war. Zu den Schuldbestandteilen gehörten danach die Zurechnungsfähigkeit, Absichten und Motive, der Vorsatz und das Fehlen von Schuldausschließungsgründen. Diese ältere naturalistisch-kausale Handlungslehre sah demnach in menschlichem Handeln lediglich einen Kausalvorgang, für den es allein auf die Folgen der durch willkürlich verursachte Körperbewegungen in der Außenwelt und gerade nicht auf den sozialen Sinngehalt des Geschehens ankommen sollte.18 Handlung war hiernach allein „gewillkürtes Körperverhalten“. Der Begriff einer so aufgefassten Schuld besteht sozusagen in einer Entsprechung mit der nach wie vor alltagssprachlich verwendeten Redewendung vom „Schuld-Sein“ einer Person an etwas, i.S.e. bei der Verwendung dieser Redewendung mitgedachten Gleichsetzung von Schuld mit dem einfachen Setzen einer Ursache.19 Der menschliche Wille wird insofern als entscheidendes Moment genommen, weil er erst die Verbindung zwischen der rechtswidrigen eigenen Tat und den Folgen dieser Tat herstellt, wofür dieser Wille kausal ist.20 Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich Schuld als einfaches Kausalitätsverhältnis dar.21 Entsprechend wurde das Handlungsgeschehen in den äußeren Kausalvorgang und die seelische Beziehung des Täters zum Erfolg aufgeteilt, so dass alles Objektiv-Kausale zum „Unrecht“ und alles Subjektiv-Seelische zur „Schuld“ gerechnet wurde. Schuld wurde insoweit als Zurechnungs- bzw. Willensschuld aufgefasst, wobei man dem Täter vorwarf, dass sein Wissen Wollen sei, weil sein Wollen darin bestehe, dass er Schuld haben könne.22 Der Schuldbegriff war damit rein psychologisierend aufzufassen und gerade nicht normativ. Dem entsprechend wurde also ein psychologischer Schuldbegriff vertreten, wonach das Wesen der Schuld allein in der subjektiv-seelischen Beziehung des Täters 18 19 20 21 22

Ebenda (S. 124 ff.). Ähnlich Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 325). Vgl. Stübinger, a.a.O. (S. 322). A.a.O. (S. 328). Ähnlich Stübinger, a.a.O. (S. 324).

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zur Tat zu finden sei. Insoweit wurde der Schuldbegriff mit dem psychischen Sachverhalt von Wissen / Nichtwissen und Wollen / Nichtwollen gleichgestellt, so dass Vorsatz und Fahrlässigkeit lediglich als Schuldarten aufgefasst wurden. Demgemäß sollte im Handlungsbereich allein die Feststellung ausreichen, „dass“ der Handelnde willentlich (beliebiger willkürlicher Willensakt) tätig geworden ist; „was“ er hingegen tatsächlich damit gewollt und bezweckt hat, sollte erst im Schuldbereich Berücksichtigung finden. Allerdings ließ diese Lehre wesentliche Aspekte der Schuld unberücksichtigt; ebenso konnte sie auch den Umstand, dass die Schuld eines vorsätzlich Handelnden unter den Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes entfällt, nicht erklären.

II. Finale Handlungslehre Demgegenüber wurde schon Anfang des 20 Jhd. von Frank (Aufbau des Schuldbegriffs, 1907; StGB, Anm. II vor § 51)23 ein normativer Schuldbegriff vertreten, der das Wesen der Schuld in der Vorwerfbarkeit der Willensbildung und Willensbetätigung, somit in der normativen Bewertung eines psychischen Sachverhalts erblickt.24 Der entscheidende Schritt zu einem subjektiven Tatbestand heutiger Prägung erfolgte dann durch Welzel und die finale Handlungslehre. Demgemäß ist Handeln Ausübung der Zwecktätigkeit, also finales und nicht lediglich kausales Geschehen.25 Die Finalität der Handlung beruht hiernach auf der Fähigkeit des Menschen, die möglichen Folgen seines Tätigwerdens in gewissem Umfang vorauszusehen, sich verschiedene Ziele zu setzen und sein Verhalten planvoll auf das angestrebte Ziel hinzusteuern.26 Finales Handeln ist somit ein bewusst vom Ziel her gelenktes Wirken, wobei der das Kausalgeschehen lenkende Wille als das „Rückgrat der finalen Handlung“ angesehen wird.27 Damit gehört auch der Vorsatz zum (subjektiven) Tatbestand, und der Schuldbegriff wird seither nur noch rein normativ verstanden. Es kommt danach für die Schuld allein auf die Schuldfähigkeit (§§ 19, 20 StGB), das Unrechtsbewusstsein (potentielles Unrechtsbewusstsein, § 17 StGB) und das Nichtvorliegen von Entschuldigungsgründen (z.B. § 35 StGB) an. Jedenfalls kann eine aufgeklärte Gesellschaft, die den Täter als vernünftiges Wesen achtet und Rechtsgüter schützen will, weder nur den Erfolg noch den bösen Gedanken allein als Anknüpfungspunkt für den Verbrechensbegriff

23 24 25 26 27

Zitiert nach Wessels / Beulke (30. Aufl. 2000), a.a.O. (S. 125), in 44. Aufl. 2015 entfallen. Ebenda. A.a.O. (S. 25). Ebenda. Ebenda.

Drittes Kapitel: Schuldfragen i.R.d. Sterbehilferechts

201

zu Grunde legen, sondern es geht insgesamt letztlich auch um die Legitimation durch Verfahren.

III. Zwischenergebnis Ganz allgemein lässt sich nach alledem festhalten, dass Schuld im geltenden Schuldstrafrecht eine von mehreren Voraussetzungen für die Strafbarkeit menschlichen Verhaltens ist28 und ihrerseits die Willensfreiheit zur Voraussetzung hat. Grundlage des Schuldprinzips ist damit die Fähigkeit des Menschen, sich frei und richtig zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden.29 Die Existenz dieser Entscheidungsfreiheit ist die Basis jeden Schuldvorwurfs. Das Unrecht, welches sich aus dem objektiven und subjektiven Tatbestand sowie aus dem Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen ergibt, ist allerdings die unerlässliche Voraussetzung eines jeden Schuldvorwurfs.30 Dieser kann sich immer nur auf das konkret vom Täter verwirklichte tatbestandliche Unrecht beziehen,31 so dass Unrecht und Schuld stets aufeinander bezogen sein müssen und einander zu entsprechen haben.

C) Problematisierung von Schuldfragen in Bezug auf das sog. „Sterbehilferecht“ Hinzuweisen ist schließlich noch darauf, dass mit der tatbestandlichen und rechtswidrigen Annahme einer vorliegend allein in Betracht kommenden Täterschaft für den „Suizidbeteiligten“ noch keine definitive Aussage über die tatsächliche Schuldhaftigkeit seines Verhaltens getroffen ist – so dass das zwar strafrechtlich relevante Verhalten im Ergebnis und im Einzelfall dennoch entschuldigt sein kann. Mit derartigen Entschuldigungsgründen sind diejenigen besonderen Umstände des Einzelfalls gemeint, bei deren Vorliegen der Schuldvorwurf entfällt. Dogmatisch korrekt wird an dieser Stelle zwischen „Schuldausschließungs-“ und „Entschuldigungsgründen“ differenziert.32 Schuldausschließungsgründe sind die Schuldunfähigkeit und der unvermeidbare Verbortsirrtum, bei deren Vorliegen bereits ein konstitutiv schuldbegründendes Merkmal fehlt.33 Die Entschuldigungsgründe hingegen bewirken nur eine so starke Herabsetzung des 28 29 30 31 32 33

M. Marlie, ZJS 1/2008 S. 41 ff. (43). So auch Wessels / Beulke (30. Auflage 2000), a.a.O. (S. 122). Ebenda. Ebenda. A.a.O. (S. 132 ff.). Ebenda.

202

Teil II

Unrechts- und Schuldgehalts der Tat, dass die untere Grenze der Strafwürdigkeit nicht mehr erreicht wird und der Gesetzgeber in Anbetracht der außergewöhnlichen Motivationslage auf die Erhebung eines Schuldvorwurfs verzichtet, also Nachsicht übt.34 Unterschieden werden insbesondere folgende Entschuldigungsgründe: 1. entschuldigender Notstand (§ 35 StGB) 2. Notwehrüberschreitung (§ 33 StGB) 3. entschuldigende unlösbare Pflichtenkollision (Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens)

34

Ebenda.

Viertes Kapitel: Vorläufiges Zwischenergebnis der Grundlegungen Mit Hilfe der dargebrachten Grundlegungen wurde eine Sensibilisierung für systematische Grundfragen der Rechtswissenschaften entwickelt, die sich zumindest mittelbar auch auf das inhaltliche Verständnis hinsichtlich der einer geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötungen zugrunde liegenden Problematiken auswirken müssen. Insoweit wurde der – möglicherweise gewagte – Versuch unternommen, einige essentielle Hinweise für eine „kritische Selbstreflexion der Rechtswissenschaften“ am Bezugspunkt der Sterbehilfe an die Hand zu reichen. Das Thema der Strafbarkeit von geschäftsmäßiger Förderung von Selbsttötungen ist als besonderer Gegenstand ein eminent geeignetes Thema für eine paradigmatische Untersuchung von allgemeinen und als sicher geltenden rechtsdogmatischen Grundfesten.

TEIL III: DARSTELLUNG UND UNTERSUCHUNG DER RECHTSLAGE ZU ÄRZTLICHER BEIHILFE ZUM SUIZID SEIT DER NEUEINFÜHRUNG VON § 217 STGB N.F. SAMT FOLGEPROBLEMEN

https://doi.org/10.1515/9783110596724-006

Erstes Kapitel: Wortlaut des Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung – § 217 StGB n.F. § 217 StGB (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Zweites Kapitel: Einführung – Gang des Gesetzgebungsverfahrens und die Hintergründe A) Zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes Bereits seit einigen Jahren wird in Deutschland nicht nur seitens des Gesetzgebers über die verbindliche Definition und damit Eingrenzung der näheren Bedingungen hinsichtlich des Themenkomplexes „Sterbehilferecht“ diskutiert. Man kann mit einigem Recht sagen, dass in Deutschland die Sterbehilfe einmal mehr auf der rechtspolitischen Tagesordnung steht.1 So war die äußerste Grenze dieser Thematik (aktive Sterbehilfe i.S.v. § 216 StGB) Gegenstand der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 17. November 2005 in Berlin. Dort beschloss man, „eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe wegen der Unantastbarkeit fremden Lebens, wegen der Gefahr eines Dammbruchs beim Lebensschutz und wegen der Sorge vor Missbrauch weiterhin mit Entschiedenheit abzulehnen.“2

Daran lässt sich ablesen, dass als eine Stoßrichtung der Debatte ursprünglich sogar eine etwaige Legalisierung der aktiven Sterbehilfe erwogen worden war; im Verhältnis zur heutigen Regelung liegt darin ein inzwischen beinahe unvorstellbar gewordener liberaler Vorstoß.3 Zudem war das Sterbehilferecht im Jahr 2006 Gegenstand der Beratungen des 66. Deutschen Juristentages in Stuttgart sowie des Nationalen Ethikrats in Berlin. Der Juristentag lehnte damals zwar eine Strafbarkeit der Teilnahme am straflosen Suizid prinzipiell ab, stimmte aber einer ausnahmsweisen Kriminalisierung eines derartigen Handelns aus „Gewinnsucht“ oder bei „Ausbeutung einer Zwangslage in Bereicherungsabsicht“ zu. Der Ethikrat sprach sich in seiner Stellungnahme zu „Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ vom 13. Juli 2006 in gleicher Richtung für ein strafbewehrtes Verbot lediglich einer „gewinnorientierten“ Beihilfe zum Suizid aus. Dieses besondere persönliche Merkmal der „Gewinnorientierung“ wurde unter den Oberbegriff der „gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ gefasst. Hintergrund hierfür war zunächst noch das damals gesellschaftlich relativ neue Phänomen einer sog. „kommerzialisierten Suizidhilfe“. Damit waren Privatpersonen oder Institutionen gemeint, deren Anliegen 1 2 3

So auch Saliger, a.a.O. (S. 11). Zitiert nach R. Kusch, NJW 2006, 261 ff. (264). Zur Diskussion etwa: Lindner, JZ 2006, 373 ff.; Kubiciel, JZ 2012, 600 ff.

Zweites Kapitel: Einführung

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es ist – in Form der Bereitstellung einer schnellen und effizienten Möglichkeit für einen Suizid – entgeltliche Dienstleistungen in diesem „Marktsegment“ anzubieten. Unterstellt wurde dabei, dass es diesen Privatpersonen bzw. Institutionen nicht primär um ein Beratungsangebot mit zuvörderst lebensbejahender Perspektive, sondern um die rasche und sichere Abwicklung des Selbsttötungsentschlusses gehe, um damit Geld zu verdienen.4 In Folge dessen wurde in einer solchen Kommerzialisierung die konkrete Gefahr einer qualitativen Änderung in der Praxis der Sterbehilfe gesehen, weil so die Hilfe zum Suizid als völlig normales Dienstleistungsangebot Eingang in das medizinische Dienstleistungsspektrum finden würde. In Konsequenz dessen würde, diesem Gedankengang weiter folgend, ein solches standardisiertes Angebot Menschen gehäuft und oft vielleicht voreilig zur Selbsttötung verleiten, die so ansonsten nicht handeln würden. Darin wurde eine Gefahr für das Leben suizidgeneigter Personen erkannt, der durch ein strafrechtliches Verbot der gewerbsmäßigen, also auf Gewinnerzielung ausgerichteten Förderung des Suizids effektiv begegnet werden könne. Schließlich hat dieses Thema Eingang in mehrere Gesetzesinitiativen gefunden. So zum Beispiel im Jahr 2006 auf Initiative des Saarlands, Thüringens und Hessens im Bundesrat, wobei erstmals – und die Debatte verschärfend – ein Gesetzesantrag für ein strafrechtliches Verbot diesmal sogar der „geschäftsmäßigen“ Förderung der Selbsttötung vorgelegt wurde (Bundesratsdrucksache 230/06) – jedoch damals noch ohne die erforderliche Mehrheit.5 Der Entwurf blieb in den drei Ausschüssen Recht, Gesundheit und Inneres stecken.6 In der Sache wurde der Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung vorgelegt. Dem voran ging als Anlass im September 2005 die Eröffnung einer Zweigstelle von DIGNITAS7 in Hannover. Allerdings sollte durch diesen Entwurf ausweislich der Begründung nicht in das Selbstbestimmungsrecht sterbenskranker Menschen eingegriffen werden,8 auch sollte die individuelle Suizidhilfe durch 4

5

6 7 8

Vgl. hierzu: Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung v.22.10.2012 zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 1), Drucksache 17/11126. Vgl. hierzu: Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung v.22.10.2012 zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 6), BundestagsDrucksache 17/11126. Ebenso F. Neumann, a.a.O. (S. 117). „Dignitas – menschenwürdig leben – menschenwürdig sterben (Sektion Deutschland) e.V.“, Schmiedestr. 39, 30159 Hannover (www.dignitas.de); dignitas (lat. Würde). BR-Drucksache 230/06 (S. 6).

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Teil III

Angehörige oder Ärzte wie bisher straflos bleiben.9 Lediglich der geschäftsmäßigen (anstatt gewerbsmäßigen) Suizidassistenz von darauf spezialisierten Organisationen sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Im damaligen gesellschaftspolitischen Klima war jedoch diese Verschärfung noch nicht konsensfähig, entsprechend wurde selbst auf dem 66. Juristentag 2006 dieser Vorschlag mit großer Mehrheit abgelehnt.10 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland legte 2008 allerdings nach und forderte ebenfalls ein Verbot jeder geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe. Weitere Entwürfe verschiedener Bundesländer folgten und wurden dem Bundesrat in den Jahren 2008 und 2010 vorgelegt, wobei auch hier jeder dieser Entwürfe an den Ausschüssen des Bundesrats scheiterte. In der Folge gingen die Initiativen von der Bundesregierung und dem Bundestag aus. 2012 legte beispielsweise die Bundesregierung unter Federführung des Bundesjustizministeriums selbst einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung mit dem Ziel vor, dass es noch 2013 zu einer entsprechenden Beschlussfassung durch den deutschen Bundestag kommen sollte. Allerdings scheiterte diese Initiative durch Zeitablauf. Soweit zur Vorgeschichte des § 217 n.F. StGB. Im Folgenden wird kurz der Gang des Gesetzgebungsverfahrens zum aktuellen § 217 n.F. StGB geschildert. Das Verfahren wurde diesmal mit der 66. Sitzung des Deutschen Bundestags am 13. November 2014 eingeleitet. Dort wurde vom Bundestagspräsidenten Lammert der vorher vereinbarte Tagesordnungspunkt 3 (Sterbebegleitung) aufgerufen. Wegen der besonderen Herausforderung dieses Gesetzgebungsverfahrens und wohl auch angesichts der fehlgeschlagenen Bemühungen in der Vergangenheit hatte man sich diesmal bereits vorab für ein eher ungewöhnliches Beratungsverfahren entschlossen. Es sollte eine mindestens dreimalige Beschäftigung mit dieser Thematik im Plenum des Deutschen Bundestags geben, wobei am 13. November 2014 die Orientierungsdebatte für eine erste Verständigung stattfand. Sobald die Gesetzesentwürfe vorliegen würden, war eine weitere Plenardebatte geplant, und nach dem weiteren Beratungsverlauf in den beteiligten Fachausschüssen sollte dann anschließend das Gesetz in zweiter und dritter Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages beraten und beschlossen werden. Nicht unwichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass zudem der Fraktionszwang aufgehoben wurde, wohl auch, weil die existenzielle Thematik des Suizids als persönlich 9 10

A.a.O. (S. 4). So auch Saliger, a.a.O. (S. 165); Beschlüsse 66. Deutscher Juristentag, 2006, Beschluss IV. 3. a): 37 ja, 73 nein, 7 Enthaltungen.

Zweites Kapitel: Einführung

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zu behandelnde Gewissensfrage aufgefasst wurde.11 Außerdem fand am 27. November diesbezüglich eine öffentliche Sitzung des Deutschen Ethikrates unter Vorsitz von Professorin Christiane Woopen statt, worauf in der Orientierungsdebatte ausdrücklich hingewiesen wurde. Nachdem hinsichtlich der Sterbehilfeproblematik dem Deutschen Bundestag im Herbst 2014 erneut verschiedene Positionspapiere vorgestellt worden waren, wurde bis Sommer 2015 an den konkreten Gesetzesentwürfen gearbeitet, wobei dieses Mal ganz bewusst aus der Mitte des Parlaments (fraktionsübergreifend) Entwürfe erarbeitet und diskutiert wurden. Der erste Entwurf wurde im Mai 2015 von den CDU-Abgeordneten Thomas Dörflinger und Patrick Sensburg vorgestellt, Anfang Juni folgte der Entwurf der Bundestagsabgeordneten Michael Brand (CDU) / Kerstin Griese (SPD). Mitte Juni folgten die jeweils gemeinsamen Entwürfe von Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) sowie der Entwurf von Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD).12 Daneben existierte der bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode gescheiterte Entwurf seitens der Bundesregierung, der diesmal nicht separat und erneut als Entwurf eingebracht wurde und inhaltlich am ehesten dem Entwurf Künast / Sitte entsprach. Die Bundeskanzlerin sprach sich in der Debatte für den schärferen Entwurf Brand / Griese aus. Am 2. Juli 2015 hielt der Bundestag hierzu die erste Lesung ab, am 6. November 2015 verabschiedete er schließlich mit einer Mehrheit von 360 Stimmen den von Michael Brand und Kerstin Griese eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung von Sterbehilfe. Seither ist die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Androhung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe grundsätzlich unter Strafe gestellt. Am 27. November 2015 wurde dieses Gesetz schließlich vom Bundesrat bestätigt und trat mit Wirkung zum 10. Dezember 2015 in Kraft. Bis Ende November 2015 konnten sich die Länder rückblickend mithin zu keinem Zeitpunkt auf ein gemeinsames Regelungskonzept einigen. Vielmehr ist nach dem Scheitern der Gesetzesinitiative seitens der Bundesregierung für ein Verbot der „gewerbsmäßigen Sterbehilfe“ in der Legislaturperiode 2009–2013 (durch Zeitablauf) ein derartiges Vorhaben erst durch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe erneut aufgegriffen worden, der von Anfang an für den verschärften Entwurf Brand / Griese votierte.

11 12

Ähnlich Gaede, JuS 2016, 385 ff. (386). Hierzu: Saliger, a.a.O. (S. 11).

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Teil III

B) Darstellung der Entwürfe und ihre gegenseitige „Abgrenzung“ Der Deutsche Bundestag hat bis zur Verabschiedung von § 217 n.F. StGB über insgesamt vier Gesetzesentwürfe zum Themenkomplex „Beihilfe zum Suizid“ beraten.

I. Der Entwurf Sensburg / Dörflinger Dieser Entwurf hatte die grundsätzliche Strafbarkeit jeglicher Teilnahme an einer Selbsttötung zum Gegenstand. Hiernach sollte bereits jede Teilnahme an einer Selbsttötung (Anstiftung oder Beihilfe) ausnahmslos mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden; zudem sah Absatz II eine Strafbarkeit des Versuchs vor.13 Ausgangspunkt für diesen restriktiven Ansatz war die Annahme, dass die Selbsttötung nicht Entfaltung einer rechtlich geschützten Autonomie sein könne, was systematisch mit der Existenz von § 216 StGB begründet wurde.14 Als prinzipielles Argument gegen den Gedanken einer schützenswerten Autonomiesphäre des Suizidenten wurde angeführt, dass ja bereits bei § 216 StGB die Einigung über den aktiven Beitrag zu einer Selbsttötung als unwirksam anzusehen sei,15 womit der Willkür des Suizidenten prinzipiell Grenzen gesetzt würden. In einem Erst-Recht-Schluss hat man die Situation einer aktiven Sterbehilfe hinsichtlich des Unrechtsgehalts mit derjenigen einer Beihilfe zum Suizid gleichgestellt, so dass auch die Einigung über eine Beihilfe zum Suizid als unwirksam angesehen werden soll und den Beihelfer somit grundsätzlich strafrechtlich verantwortlich werden lässt. Die bisherige dogmatische Unterscheidung zwischen Tatherrschaft (Täterschaft) und Teilnahme wurde somit anscheinend vollends als überflüssig betrachtet und aufgegeben. Zudem wurde als immanente Begründungsfigur jeder Beihilfe zur Selbsttötung seitens des Beihelfers ein aktiv praktiziertes Unwerturteil hinsichtlich bestimmter Formen menschlichen Lebens unterstellt, weil der Beihelfer nicht lediglich die Entscheidung des Suizidenten billige, sondern selbst den Tötungserfolg anstrebe16 – mithin eine fremde Tat als eigene wolle. Nach der Dogmatik des BGH (s.o.) wäre dies das Kriterium für eine positive Abgrenzung der Täterschaft von einer Teilnahme, so dass nach diesem Ent13 14 15 16

Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Sensburg / Dörflinger über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung (S. 5), Bundestags-Drucksache 18/5376. A.a.O. (S. 7). Ebenda. Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Sensburg / Dörflinger über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung (S. 6), Bundestags-Drucksache 18/5376.

Zweites Kapitel: Einführung

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wurf die Unterscheidung zwischen Suizid und Beihilfe zum Suizid letztlich als obsolet angesehen würde. Schließlich wurde die Straflosigkeit des Suizids damit begründet, dass hierfür allein pragmatische Gründe ausschlaggebend seien,17 mithin dogmatische Erwägungen erst gar keine Rolle spielten. Im Falle eines gelungenen Suizids lebe der Täter nicht mehr, während im Fall eines womöglich schwer verletzt überlebenden Suizidenten eine Bestrafung ebenfalls nicht angemessen erscheine, da der Überlebende ausreichend durch die Folgen seiner Tat und das Leid, das ihn zum Selbstmordversuch trieb, „gestraft“ sei.18 Im Ganzen gibt es nach diesem Entwurf von Anfang an keinerlei Diskussionsbedarf für die Möglichkeit eines ärztlich assistierten Suizids oder für eine Differenzierung zwischen geschäftsmäßiger und gewerbsmäßiger bzw. einer Förderung der Suizidbeihilfe im Einzelfall. Eine gewisse Unterkomplexität mit einiger grundsätzlicher rechtsdogmatischer Begründungsschwierigkeit (vgl. Teil I dieser Arbeit) ist bei diesem Entwurf allerdings nicht ganz von der Hand zu weisen.

II. Der Entwurf Brand / Griese Dieser Entwurf entspricht in Gänze der aktuellen gesetzlichen Neufassung des § 217 StGB. Mit diesem zu § 217 StGB n.F. führenden Entwurf hat sich letztlich eine mittlere, im Kern aber dennoch repressive Orientierung durchgesetzt.19 Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass der Täter dem Suizidenten vor dessen unmittelbarem Ansetzen zur suizidalen Handlung zuvor geschäftsmäßig die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt hat. Ein Suiziderfolg ist nicht erforderlich. Nach dem Wortlaut muss der Suizident noch nicht einmal nach erfolgter Förderungshandlung selbst zum Suizid angesetzt haben. Auch spielt es keine Rolle, ob der Suizident seinerseits eigenverantwortlich handelt, weil das Gesetz bereits der abstrakten Gefahr einer fehlerhaften Selbstbestimmung entgegentreten soll,20 die bereits durch eine strafbewehrte geschäftsmäßige Förderung des Suizids ins Vorfeld des eigentlichen Suizids verlagert ist.21 Der Täter muss hinsichtlich aller Umstände des objektiven Tatbestands vorsätzlich handeln, wobei Eventualvorsatz ausreicht; d.h. der Vorsatz muss nur auf die Förderung und gerade nicht auf die tatsächliche Durchführung dieser 17 18 19 20 21

A.a.O. (S. 7). Ebenso ebenda. Ebenso Gaede, JuS 2016, 385 ff. (386). So auch Gaede, JuS 2016, 385 ff. (385). A.a.O. (S. 389).

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Teil III

Selbsttötung gerichtet sein. Zudem muss eine Förderungsabsicht (dolus directus ersten Grades) hinsichtlich der Selbsttötung des anderen vorliegen. Hiernach muss die Gelegenheit zur Selbsttötung zielgerichtet erfolgen. Die Geschäftsmäßigkeit bezieht sich auf alle genannten Handlungsmodalitäten und ist insoweit ein weiteres subjektives Merkmal (strafbarkeitsbegründend i.S.v. § 28 Abs. I StGB). Geschäftsmäßig handelt grosso modo bereits, wer die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung macht, unabhängig von einer Erwerbsabsicht. Darin liegt gleichzeitig eine objektive Komponente, so dass es sich bei diesem Merkmal um ein doppelrelevantes Kriterium handelt. In Absatz 2 der Neufassung ist ein persönlicher Strafausschließungsgrund für Angehörige und Nahestehende geregelt, die ihrerseits nicht geschäftsmäßig handeln. Bei lediglich nicht geschäftsmäßig agierenden Personen, die nicht in einem derartigen Näheverhältnis stehen, findet dieser Strafausschließungsgrund aufgrund der kumulativen Aufzählung keine Anwendung. Unklar ist dann allerdings, ob deren Handlung dann generell noch von dieser Norm umfasst sein kann. Nach dem unbefangenen Verständnis des Normtextes sind Handlungen, die im Einzelfall und aus altruistischen Motiven erfolgen, nicht vom Tatbestand der Norm erfasst und somit nicht strafbar. Da allerdings der suizidwillige Suizident (im Falle seines Überlebens) nicht in Abs. II genannt wird, müsste er sich bei einem misslungenen Suizid durch einen geschäftsmäßig handelnden Sterbehelfer zumindest wegen Anstiftung zur geschäftsmäßigen Förderung der eigenen Selbsttötung strafbar machen können. Ärzte wurden explizit nicht von dem Strafausschließungsgrund in Absatz 2 der Neufassung umfasst, so dass auch sie grundsätzlich unter den Adressatenkreis von § 217 StGB n.F. fallen. Ausgangspunkt dieses gesetzgeberischen Ansatzes ist der Umstand, dass das deutsche Rechtssystem einerseits darauf verzichtet, die eigenverantwortliche Selbsttötung unter Strafe zu stellen, da sie sich nicht gegen einen anderen Menschen richtet und es keine Pflicht zu Leben gibt. Darum sollen prinzipiell der Suizidversuch wie auch die Teilnahme daran weiter straffrei bleiben. Allerdings wird eine Korrekturwürdigkeit dieser seit 187122 gültigen Grundsätze in modernen gesellschaftlichen Verhältnissen als erforderlich erachtet, in denen die privatwirtschaftliche oder ehrenamtliche Existenz geschäftsmäßig 22

So auch Hilgendorf, JZ 11/2014 545 ff. (545) der ausführt, dass alle im Zusammenhang mit der Sterbehilfe wichtigen Straftatbestände noch aus der Frühzeit des StGB von 1871 stammen und bis heute weitestgehend beibehalten wurden – (Aufsätze II No. 3); hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf den sog. „Kulturkampf“ Bismarcks gegen die kath. Kirche als historischen Hintergrund.

Zweites Kapitel: Einführung

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standardisierter Angebote von Suizidhilfe diese als eine unter anderen Behandlungsmöglichkeiten enttabuisiert und suizidgeneigte Menschen hierdurch voreilig in den Tod treiben könnte. Es soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs die Entwicklung der Beihilfe zum Suizid zu einem Dienstleistungsangebot unter anderen Angeboten der gesundheitlichen Versorgung verhindert werden, um einen Gewöhnungseffekt bzw. eine gesellschaftliche Normalisierung hinsichtlich solch organisierter Formen des assistierten Suizids zu verhindern.23 Infolge dessen würden suizidgeneigte Personen einen derartigen Schritt erst gar nicht erwägen bzw. durchführen – wodurch sie vor sich selbst und insbesondere vor ihrem sozialen Umfeld geschützt würden. Andernfalls könne möglicherweise gesellschaftlich ein Klima einer sozialen Gebotenheit der Selbsttötung entstehen, und es könnten hierdurch auch Menschen zur Selbsttötung verleitet werden, die dies ansonsten nicht in Betracht ziehen würden. Als Präventionsmaßnahme gegen diese Gefahr hätte sicherlich bereits eine Pönalisierung der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung ausgereicht, allerdings erachtet dies der Entwurf als nicht ausreichend. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird hierzu sinngemäß ausgeführt,24 dass eine Beschränkung auf ein Verbot der kommerzialisierten Sterbehilfe zu kurz griffe. Derartige Gefährdungslagen seien nicht allein aufgrund einer Kommerzialisierung zu befürchten, sondern auch überall dort, wo ein nicht finanziell motiviertes Eigeninteresse der Sterbehelfer an der Durchführung der Selbsttötung bestehe. Entscheidend sei daher nicht die Orientierung an materiellem Gewinn, sondern das vorhandene Interesse an einer Fortsetzung der entsprechenden Tätigkeit. Dieses sei aber nicht nur dort gegeben, wo das Gewinnstreben im Vordergrund stehe, sondern auch dort anzunehmen, wo auf den assistierten Suizid spezialisierte Organisationen oder Personen ein anerkanntes „Geschäftsmodell“ entwickeln und dauerhaft betreiben wollten. Eine Beschränkung des Verbots auf die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung würde nach diesem Entwurf die Möglichkeit verschließen, prinzipiell gegen das Grundphänomen einer regelmäßig wiederkehrenden oder seriellen Unterstützung der Selbsttötung vorzugehen. Somit kann als Zwischenergebnis konstatiert werden, dass zwar grundsätzlich an der Straflosigkeit des Suizids sowie des Versuchs und einer Teilnahme daran festgehalten wird. Allerdings ist inzwischen in Fällen der geschäftsmäßigen Förderung einer solchen Selbsttötung aus den oben genannten Gründen 23 24

Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 2), Bundestags-Drucksache 18/5373. Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 11), Bundestags-Drucksache 18/5373.

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Teil III

eine zur Täterschaft verselbstständigte Teilnahmehandlung mit allen rechtsdogmatischen Konsequenzen ins Leben gerufen worden.25 Für die bis dahin legale ärztliche Suizidassistenz folgt daraus, dass es hinsichtlich deren Legalität nun keinesfalls etwa auf die Eigenschaft des konkreten Sterbehelfers als Arzt ankommt, sondern alleine auf die eventuell dahinterstehende Organisationsstruktur (gewerbsmäßig, da zwangsläufig zugleich geschäftsmäßig) bzw. auf die Wiederholung einer solchen Sterbehilfe, egal ob es im Einzelfall um den Sterbehilfevollzug durch eine Privatperson, einen Arzt oder eine Sterbehilfeorganisation geht. Für die Ärzteschaft folgt hieraus, dass eine geschäftsmäßige ärztlichen Suizidassistenz – also auf Wiederholung angelegt und nicht nur einen Einzelfall betreffend – zukünftig unter § 217 StGB n.F. subsumierbar und damit prinzipiell strafbar ist.

III. Der Entwurf Künast / Sitte Dieser Entwurf sah keinesfalls eine Neufassung26 oder gar den Erlass eines § 217 StGB vor, sondern vielmehr – außerhalb des im StGB geregelten Kernstrafrechts – ein selbstständiges Gesetz über die Hilfe zur Selbsttötung27 (als sog. Nebenstrafrecht). Der Entwurf sollte aus elf Paragraphen bestehen. In § 2 wurde sowohl die prinzipiell weiterbestehende Straflosigkeit der Selbsttötung als auch der Beihilfe hierzu festgelegt. Weiterhin wurden in § 3 die Voraussetzungen der Beihilfe näher geregelt, wobei in Abs. II und III auch das nähere Procedere hinsichtlich organisierter und geschäftsmäßiger Sterbehilfe geregelt wurde, welche damit im Grundsatz nicht per se strafrechtlich verfolgbar sein sollte. In §§ 4 und 5 wurden lediglich die „Gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung“ und die „Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter eine Strafandrohung von 3 bzw. 2 Jahren Freiheitsstrafe gestellt. Hieraus folgt, dass Ärzte weiterhin Beihilfe zum Suizid leisten können, und zwar ganz unabhängig davon, wie sie institutionell organisiert sind und wie oft (geschäftsmäßig) sie eine solche Suizidassistenz leisten. Die Grenze der Legalität ist ganz unabhängig von der beruflichen Stellung des Sterbehelfers allein unterhalb der 25 26

27

Hierzu ausführlich unter Kapitel 3 und 4 dieses Abschnitts. Im Jahre 1943 lautete § 217 StGB a.F. dagegen noch: „Eine Mutter welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft. Sind mindernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter zwei Jahren ein.“ (vgl. 13. Auflage Schönfelder 1943). Der Wortlaut entsprach inhaltlich noch genau der Fassung des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich (1871). Erst zum 1. April 1998 wurde er ersatzlos gestrichen und inzwischen durch § 217 StGB n.F. ersetzt. Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Künast / Sitte über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung (S. 3 ff.), Bundestags-Drucksache 18/5375.

Zweites Kapitel: Einführung

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Schwelle einer gewerbsmäßig organisierten Sterbehilfe angesetzt. In § 6 wurde die ärztliche Suizidassistenz sogar eigens explizit geregelt, wobei Abs. I die Freiwilligkeit einer solchen festlegte und Abs. II, dass eine solche ärztliche Suizidassistenz nicht untersagt werden darf. Dies deckt sich mit § 1 Nr. 3 des Entwurfs, wonach Zweck des Gesetzes u.a. ist, für Ärzte klarzustellen, dass sie Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen. In § 7 wurden die Einzelheiten hinsichtlich der Anforderungen der Beratungspflicht bei organisierter oder geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung festgeschrieben, ebenso in § 8 hinsichtlich der entsprechenden Dokumentationspflicht. In § 9 Abs. I dieses Entwurfs wurde für Pflichtverletzungen gegen die Bestimmungen aus §§ 3,7 und 8 dieses Entwurfs eine Freiheitsstrafe gegen die Mitglieder der organisierten bzw. geschäftsmäßigen Sterbehilfevereinigungen von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe festgeschrieben. In § 10 wurde das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates insbesondere die Anforderungen an Sterbehelfer, Sterbehilfeorganisationen und deren Organisationsstruktur, Verbotsverfügungen i.S.v. § 9 Abs. II, Werbeverbote für Hilfeleistungen bei Selbsttötungen, die Merkmale und die Dokumentation eines Beratungsgesprächs, die Dokumentation der Hilfe zur Selbsttötung, und die meldepflichtigen Fälle, in denen Hilfe zur Selbsttötung geleistet wurde, im Einzelnen zu regeln.

IV. Der Entwurf Hintze / Lauterbach Dieser Entwurf28 hatte ein Gesetz zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz) zum Gegenstand. Allerdings ebenfalls nicht als Teil des Strafrechts, weder als Kernstrafrecht im StGB noch als Nebenstrafrecht, sondern im 4. Buch (Familienrecht) des BGB, als neu eingefügter Abschnitt 4 (Selbstbestimmung des Patienten), ohne weitere Titel und lediglich als neuer § 1921a BGB mit der Überschrift „Ärztlich begleitete Lebensbeendigung“. In Absatz I dieses Entwurfs wurde für volljährige und einwilligungsfähige Patienten, die an einer unheilbaren Erkrankung leiden, welche unumkehrbar zum Tode führen wird, vorgeschlagen, dass sie zur Abwendung weiteren krankheitsbedingten Leidens prinzipiell die Hilfestellung eines Arztes bezüglich der selbst vollzogenen Beendigung ihres Lebens in Anspruch nehmen können. Damit wird die ärztliche Suizidassistenz prinzipiell als legal angese28

Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Hintze / Lauterbach zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz) (S. 5), Bundestags-Drucksache 18/5374.

218

Teil III

hen und dem unheilbar kranken Patienten als medizinische Möglichkeit zur Abwehr weiteren krankheitsbedingten Leidens grundsätzlich ermöglicht. Im Gegensatz zur aktuellen Fassung von § 217 StGB n.F. wird an der alten strafrechtlichen Regelung nichts verändert; Ärzte bekommen vielmehr nach diesem Entwurf die Sicherheit, dass ein ärztlich assistierter Suizid regelmäßig legal ist, aber dennoch Ausnahmecharakter besitzt – also wie in Abs. I geregelt nur beim Vorliegen zwingender Modalitäten (unheilbar krank, unumkehrbar dem Tode geweiht) möglich sein soll. In Absatz II des Entwurfs werden die Modalitäten der ärztlichen Hilfestellung zur selbst vollzogenen Beendigung des Lebens im Einzelnen festgelegt. So darf diese nur erfolgen, wenn der Patient dies ernsthaft und endgültig wünscht, was neben der Einwilligungsfähigkeit im Vorfeld durch einen zweiten Arzt bestätigt werden muss. Außerdem ist zuvor eine ärztliche Beratung über andere Behandlungsmöglichkeiten und über die ärztliche Suizidassistenz selbst zwingend festgeschrieben. Darüber hinaus müssen als Bedingung der Möglichkeit die Unumkehrbarkeit des Krankheitsverlaufs sowie die Wahrscheinlichkeit des Todes medizinisch festgestellt und durch einen zweiten Arzt bestätigt sein. Absatz III legt nochmals die Freiwilligkeit einer solchen ärztlichen Suizidassistenz auf Seiten des daran beteiligten Arztes fest – so dass ein Arzt trotz medizinischer Indikation und dem sonstigen Vorliegen der Umstände nicht gegen seinen Willen dazu verpflichtet werden kann, was insbesondere angestellte Krankenhausärzte betreffen würde. In Absatz IV wird schließlich dem Patienten die letzte Entscheidung für den Zeitpunkt, die Art und den Vollzug einer Lebensbeendigung übertragen, als eine letzte Absicherung. Selbstverständlich darf der Vollzug der Lebensbeendigung nur unter medizinischer Begleitung erfolgen, wie Abs. IV Satz 2 festschreibt. Im Gegensatz zum Entwurf Künast / Sitte wird einschränkend eine unheilbare Erkrankung, die unumkehrbar zum Tode führt (sog. infauste Diagnose), als Voraussetzung festgeschrieben. Zudem wird nicht auf Sterbehilfeorganisationen, sondern allein auf eine ärztliche Suizidassistenz abgestellt. Sterbehilfevereinigungen, welche die Suizidassistenz ohne ärztliche Begleitung vorsehen, sind somit von vornherein von dieser Regelung ausgenommen – unabhängig davon, ob sie gewerbsmäßig oder nur geschäftsmäßig organisiert sind. Umgekehrt spielt es aber auch keine Rolle, ob eine ärztlich begleitete Lebensbeendigung institutionell geschäftsmäßig, gewerbsmäßig oder einzelärztlich organisiert ist.

Zweites Kapitel: Einführung

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C) Hintergründe Hintergrund des (aktuellen) Gesetzgebungsverfahrens war einerseits die mit der Gründung einer Niederlassung der Schweizer Sterbehilfeorganisation DIGNITAS in Hannover im September 2015 sofort einsetzende Bestrebung in Politik und Gesetzgebung, die organisierte Sterbehilfe zu delegitimieren.29 Andererseits stand zunehmend die Tätigkeit des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V. (StHD) im Brennpunkt, weil dieser Verein als einzige Sterbehilfeorganisation in Deutschland eine Suizidbegleitung anbot.30 Angriffsfläche bot zudem die Tätigkeit des Berliner Arztes Dr. Uwe-Christian Arnold, der seit vielen Jahren ärztliche Suizidassistenz leistete.31 Ausgehend von einer Pönalisierung der anfangs ausschließlich intendierten gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung32 bzw. Werbung dazu, weitete sich die Debatte schnell auf die Geschäftsmäßigkeit,33 die ärztliche Suizidteilnahme34 und sogar auf die grundsätzliche Strafbarkeit der Suizidteilnahme35 aus. Lediglich die Entwürfe Künast / Sitte sowie Hintze / Lauterbach sahen vor, mehr oder weniger an der bis dahin geltenden Rechtslage festzuhalten; auch wenn der Entwurf Künast / Sitte die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung ebenfalls unter Strafandrohung

29 30 31

32

33 34

35

Ähnlich: Saliger, a.a.O. (S. 11). Hierzu: Saliger, a.a.O. (S. 12). Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 9), Bundestags-Drucksache 18/5373 wird namentlich aus der Tätigkeit dieses Berliner Arztes, der nach eigenen Angaben in den vergangenen 20 Jahren beim Suizid von über 200 Menschen assistierte und dies nachhaltig öffentlich als Alternative zum natürlichen Sterben propagierte, auf eine gesetzliche Regelungslücke geschlossen. Auf Seite 14 der Begründung heißt es hierzu ergänzend: „So erfolgte etwa im Fall des Berliner Arztes, der nach eigenen Angaben über 200 Menschen beim Suizid begleitet hat, nicht nur keine strafrechtliche Verfolgung, sondern das Verwaltungsgericht Berlin hob sogar eine berufsrechtliche Unterlassungsverfügung auf.“ Insoweit ist es nicht verfehlt davon zu sprechen, dass Dr. Arnold durch seine zusätzliche mediale Öffentlichkeitswirksamkeit das Gesetzgebungsverfahren zum neuen § 217 StGB zumindest inhaltlich nicht unerheblich (mit-)motiviert hat. Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs der Bundesregierung v.22.10.2012 zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 5), Bundestags-Drucksache 17/11126. Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 5), Bundestags-Drucksache 18/5373. Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Hintze / Lauterbach zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz, S. 5), Bundestags-Drucksache 18/5374. Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Sensburg / Dörflinger über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung (S. 5), Bundestags-Drucksache 18/5376.

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Teil III

zu stellen vorsah. Ansonsten sollte nach beiden Entwürfen jede Form der Suizidassistenz, egal ob organisiert oder ärztlich, weiterhin straffrei bleiben.

D) Seither eingereichte oder noch anhängige Verfahren vor dem BVerfG Seit dem Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. sind etliche Verfahren vor dem BVerfG anhängig.

I. Antrag auf einstweilige Anordnung gegen den neuen § 217 StGB beim BVerfG (Az. 2 BvR 2347/15) Die Kontroverse um diese Thematik hat sich nicht etwa deshalb bereits erledigt, weil der Gesetzgeber schon im Dezember 2015 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hat. Außer der weiterhin gesellschafts- und kriminalpolitisch gegebenen Relevanz der Sterbehilfe, sind bereits etliche Verfassungsbeschwerden gegen die Neuregelung eingereicht worden, in deren Entscheidungsverlauf sämtliche im Folgenden aufgeworfenen Aspekte mindestens Berücksichtigung finden werden. Sollte das Gesetz „aufgehoben“ und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verurteilt werden, bleiben sämtliche „Probleme“ ohnehin weiter aktuell auf der Tagesordnung. Vier Mitglieder des Hamburger Vereins „Sterbehilfe Deutschland“ haben so u.a. unmittelbar nach Inkrafttretens des neuen § 217 StGB noch Anfang Dezember 2015 den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 32 BVerfGG beim BVerfG beantragt, mit der sie erreichen wollten, dass die Neuregelung außer Vollzug gesetzt wird. Vorsitzender des Vereins ist Roger Kusch, ehemaliger Justizsenator der Hansestadt Hamburg. Mit Inkrafttreten der neuen Vorschrift am 10. Dezember 2015 hat der Verein per Satzungsbeschluss zwangsläufig sämtliche Suizidassistenzen außer Kraft gesetzt. Die vier Beschwerdeführer sind sterbewillige Mitglieder des o.g. Vereins und werden durch den Münchner Straf- und Revisionsrechtler Christoph Knauer vertreten. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2015, veröffentlicht am 8. Januar 2016, hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Neuregelung jedoch abgelehnt.

Zweites Kapitel: Einführung

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II. Verfassungsbeschwerde(n) in der Hauptsache Allerdings bedeutet dieser abschlägige Beschluss vom 21. Dezember 2015 noch keinerlei Vorwegnahme hinsichtlich der Hauptsache.36 Die zugleich erhobene Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache ist nach den Ausführungen der 2. Kammer des Zweiten Senats nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet; es wird über diese laut BVerfG erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Bundesgesetz ist allerdings innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten einzureichen und zu begründen, wobei die Begründung innerhalb dieser Frist noch jederzeit nachgereicht werden kann. Ohne dem eine übermäßige präjudizielle Wirkung zuzusprechen, gab es am 1. Dezember 2015 ein Urteil des VG Köln – Az. 7 K 14/15 – zu der Frage, ob einem Ehepaar die ausnahmsweise Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natriumpentobarbital erteilt werden durfte. In der Sache entschied das VG Köln abschlägig, unter explizitem Hinweis auf den neuen § 217 StGB. Auf S. 7 des Urteils hat sich die 7. Kammer ausdrücklich die Argumentation des Entwurfs Brand / Griese zu eigen gemacht und führt weiter aus, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, Ausnahmeregelungen für Personen zu schaffen, die eine selbstbestimmte und freiverantwortliche Suizidentscheidung getroffen haben und daher nicht schutzbedürftig im Sinne der neuen Vorschrift seien. Vielmehr dürfe der Gesetzgeber generell pauschalisierende Regelungen erlassen, um abstrakten Gefahren entgegenzuwirken, die nicht in jedem Einzelfall verwirklicht werden. Vor dem Hintergrund dieser neuen Regelung begründet das VG Köln die Notwendigkeit(!) einer „neuen Abwägung“ zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und dem Schutzbedürfnis bestimmter verwundbarer Personengruppen, womit antizipierend eine rechtsdogmatische Wende angedeutet wird.37 Jedenfalls wurde ein Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für den Erwerb einer tödlichen Dosis von Natriumpentobarbital – auch im Wege einer ärztlichen Verschreibung und Abgabe durch Apotheken – mit Verweis auf §§ 217 StGB n.F., 5 Abs. I Nr. 6 BtMG ausgeschlossen.38 Eine ähnlich gelagerte Klage war ebenfalls unter dem Az. 7 K 254/13 vor dem VG Köln anhängig, welcher mit Urteil vom 13. Mai 2014 ebenso abschlägig beschieden wurde. Das beim OVG Münster unter dem 36

37 38

A.A. Gaede, JuS 2016 385 ff. (387): Gaede erkennt hierin bereits eine prima facie plausible Begründung für eine verfassungskonforme Strafbarkeit nach § 217 StGB n.F., weil sich das BVerfG auf die Gründe des Entwurfs Brand / Griese beruft. Mittelfristig folge daraus, dass das BVerfG § 217 StGB nicht verwerfen werde. Urteil VG Köln v. 1.12.2015 – 7 K 14/15 (S. 7). A.a.O. (S. 11).

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Teil III

Az. 13 A 1299/14 hiergegen eingelegte Rechtsmittel blieb ebenso erfolglos. Im hierauf ergehenden Urteil des BVerwG vom 2. März 2017 (Az. 3 C 19.15), wurde relativ überraschend hinsichtlich der Frage, ob i.R.v. § 5 Abs. I Nr. 6 BtMG ausnahmsweise die Erlaubnis (Ausnahmegenehmigung) zum Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung erteilt werden kann, geurteilt. Das Gericht änderte das Urteil des VG Köln v. 13. Mai 2014 nämlich dahingehend ab, das in extremen Notsituationen von suizidwilligen Personen diesen ausnahmsweise die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zusteht und dies ausdrücklich mit dem Normzweck von § 5 Abs. I Nr. 6 BtMG vereinbar ist. Es besteht insoweit Anlass zu der Annahme, dass sich diese „liberale“ Auslegung künftig auch auf Ebene der unteren Verwaltungsgerichte durchsetzen wird. Darüber hinaus laufen hinsichtlich dieser Norm derzeit mehrere Verfassungsbeschwerden parallel,39 deren Entscheidungen sämtlich noch ausstehen.

39

So auch Roxin, NStZ 2016 185 ff. (185).

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung – Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 217 StGB n.F. A) Rechtsgut, Systematik und praktische Bedeutung Im Folgenden wird das geschützte Rechtsgut im systematischen Kontext und dessen praktischer Bedeutung untersucht.

I. Rechtsgut Bei der Vorschrift des § 217 StGB n.F. handelt es sich um ein sog. „abstraktes Gefährdungsdelikt“. Laut der Gesetzesbegründung, die dem § 217 StGB n.F. zugrunde liegt, wird der Strafgrund darin gesehen, dass durch die Einbeziehung geschäftsmäßig handelnder Personen und Organisationen die personale Eigenverantwortlichkeit, welche bei jedem Suizid zwingend vorliegen muss, negativ beeinflusst werde.1 Daher bedeute eine solche Tätigkeit eine zumindest abstrakte Gefährdung des menschlichen Lebens und der Selbstbestimmung des einzelnen Individuums.2 Abstrakte Gefährdungsdelikte beruhen allein auf der gesetzlichen Vermutung, dass bestimmte Verhaltensweisen für das geschützte Rechtsgut generell gefährlich sind, wobei die Gefährlichkeit der Tathandlung nicht Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich der Grund für die Existenz der Vorschrift ist.3 Hieraus folgt, dass es im Einzelfall gar nicht darauf ankommt, ob die Gefährdung tatsächlich eingetreten ist. Die Vorschrift soll gemäß der Gesetzesbegründung „die Entwicklung der Beihilfe zum Suizid (assistierter Suizid) zu einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung verhindern“4 und so einer Zunahme von geschäftsmäßig assistierten Suiziden entgegenwirken. Deshalb ist die Vorschrift einerseits bereits weit im Vorfeld einer straflosen Handlung angesiedelt, nämlich konkret im Vorfeld einer frei- und eigenverantwortlichen Selbsttötung.5 Verschärfend kommt hinzu, dass für die Begründung einer Strafbarkeit allein das Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln 1 2 3 4 5

Vgl. Roxin, NStZ 2016, 185 ff. (186). Ebenda. Ebenso Wessels / Beulke / Satzger, a.a.O. (Rn. 41 ff.). Ebenso: Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 2), Bundestags-Drucksache 18/5373. Vgl. auch Saliger, a.a.O. (S. 164).

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Teil III

einer Suizidgelegenheit genügt, ohne dass es im Einzelfall überhaupt tatsächlich zu einem konkreten Suizidversuch kommen muss.6 Allerdings ist für ein vollendetes Gewähren oder Verschaffen einer Gelegenheit zumindest einschränkend positiv festzustellen, dass die Tathandlung die äußeren Bedingungen für den Suizid tatsächlich günstiger gestaltet hat.7 Dogmatisch handelt es sich, wie oben bereits ausgeführt, um ein abstraktes Gefährdungsdelikt und eine zur Täterschaft verselbstständigte Unterstützungshandlung, die bereits im Vorfeld eines Suizidversuchs greift.8 Insoweit spielt es keinerlei Rolle, ob der Suizident im konkreten Suizidfall eigenverantwortlich handelt, denn es geht dem Gesetz nach seinem Schutzzweck bereits um die Prävention vor der abstrakten Gefahr einer eventuell defizitären Selbstbestimmung.9 Geschütztes Rechtsgut ist insoweit Leib und Leben von bereits lediglich suizidgeneigten Personen,10 und nicht etwa eine Linderung von deren Qualen oder Ängsten. Letztlich geht es um die gesellschaftlich durchgesetzte Aufrechterhaltung des Tötungstabus und zugleich um die präventive Verhinderung einer gesellschaftlich anerkannten Suizidkultur überhaupt.11 Darum setzt § 217 StGB n.F. selbst tatbestandlich gar kein konkret autonomiebeeinträchtigendes Verhalten der geschäftsmäßig handelnden Suizidhelfer voraus; es kommt im Einzelfall nach dieser Vorschrift auf die Eigenverantwortlichkeit des Suizidenten hinsichtlich einer Strafbarkeit des „Täters“ nicht an.12

II. Systematik § 217 StGB n.F. besteht aus zwei Absätzen, wobei der erste Absatz den Unrechtstatbestand näher definiert. Der objektive Tatbestand umfasst drei alternative Varianten, nämlich das Gewähren, das Verschaffen und das Vermitteln einer Gelegenheit zur Selbsttötung. Jede dieser drei Tatbestandsvarianten muss geschäftsmäßig verwirklicht werden und von dem Vorsatz getragen sein, die Selbsttötung eines anderen zu fördern und dies zusätzlich geschäftsmäßig zu wollen. Das Fördern gehört entgegen dem ersten Anschein anhand der amtlichen Überschrift nicht schon unmittelbar zum objektiven Tatbestand, sondern 6 7 8 9 10 11 12

Ähnlich ebenda. So auch Gaede, JuS 2016, 385 ff. (389). Ähnlich Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 16), Bundestags-Drucksache 18/5373. Ähnlich Gaede, JuS 2016, 385 ff. (385). Vgl. Oglakcioglu, Beckscher Online Kommentar StGB, § 217 StGB Rn. 1–3, 34. Edition, Stand: 1.05.2017. Ähnlich ebenda. So auch Gaede, a.a.O. (S. 387).

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

225

bezieht sich lediglich auf die subjektive Förderungsabsicht als sog. überschießende Innentendenz. Eine gewisse Objektivierung erhält die Förderungskomponente lediglich dadurch, als dass die Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung einer Gelegenheit zur Selbsttötung i.w.S. unter den Oberbegriff „Förderung der Selbsttötung“ subsumiert werden kann. Gem. §§ 23 Abs. I Alt. 2 StGB, 12 Abs. II StGB ist der Versuch der geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötung(en) mangels expliziter gesetzlicher Anordnung nicht unter Strafe gestellt. Unabhängig davon ließe sich ein solcher Versuch angesichts der Rechtsnatur des § 217 StGB n.F. als abstraktes Gefährdungsdelikt nur schwerlich konstruieren, da es ja zur Verwirklichung des Unrechtstatbestands noch nicht einmal zum Suizidversuch des anderen gekommen sein muss. Die Tat wird vielmehr bereits mit der Förderungshandlung vollendet. Hier wäre im Grunde nur der Fall eines sog. untauglichen Versuchs denkbar, nämlich dass der andere von Anfang an und auch später gar keine suizidalen Absichten hegt. Dieser Befund deckt sich im Übrigen mit der amtlichen Begründung, wonach es einer gesonderten Versuchsstrafbarkeit ebenfalls nicht bedarf, weil die Merkmale des Gewährens, Verschaffens oder Vermittelns einer Gelegenheit bereits als Tathandlungen im zeitlichen Vorfeld des Suizids miterfasst sind.13 Für eine selbständige Teilnehmerstrafbarkeit gem. §§ 26,27 StGB (Anstiftung und Beihilfe) gelten die allgemeinen Regelungen des StGB, so dass sich nach dem Wortlaut der Vorschrift prinzipiell auch der überlebende Suizident wegen Anstiftung zur Förderung der eigenen Selbsttötung strafbar machen könnte oder aber Dritte wegen einer Anstiftung oder Beihilfe zu einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Darauf deutet möglicherweise ebenfalls der Wortlaut in Abs. II, der davon spricht, dass „als Teilnehmer“ straffrei bleibt, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger oder eine dem Suizidenten nahestehende Person ist. Allerdings steht dies inhaltlich möglicherweise sogleich im Gegensatz zu Absatz I der Vorschrift, da dort gerade der täterschaftsbegründende objektive Tatbestand festgeschrieben und damit eben die Täterstellung und nicht Teilnehmerstellung definiert wird (s.o). Nach seinem Wortlaut müsste Absatz II streng genommen bedeuten, dass ein Anstifter oder Beihelfer des den Suizid eines anderen geschäftsmäßig fördernden Haupttäters nur dann straffrei bliebe, wenn er als Anstifter oder Beihelfer nicht geschäftsmäßig handelt und

13

Ebenso Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 19), Bundestags-Drucksache 18/5373.

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Teil III

zusätzlich weder Angehöriger oder eine sonst dem Suizidenten nahestehende Person ist. Fraglich ist die inhaltliche Reichweite des Abs. II. Abhilfe könnte hier die Gesetzesbegründung zum Entwurf14 leisten, in der es heißt, dass weiterhin solche Handlungen nicht erfasst und folglich (weiterhin) nicht strafbar sind, die im Einzelfall und aus altruistischen Motiven, häufig aufgrund einer besonderen persönlichen Verbundenheit erfolgen.15 Dies meint allerdings nur die Abgrenzung hinsichtlich Abs. I, die Gesetzesbegründung ist diesbezüglich nicht ganz eindeutig.16 Einiges spricht an dieser Stelle für ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers, so dass Abs. II als persönlicher Strafaufhebungsgrund hinsichtlich des Täterkreises aus Abs. I auszulegen sein könnte. Dies macht insbesondere auch deshalb Sinn, weil ja nach den Worten der Gesetzesbegründung nichts an der prinzipiellen Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme daran in Frage gestellt werden soll.17 Allerdings heißt es an anderer Stelle,18 Absatz II berücksichtige, dass kein Strafbedürfnis gegenüber Personen bestehe, die ihren Angehörigen oder anderen engen Bezugspersonen in einer sehr belastenden und schwierigen Ausnahmesituation beistehen wollen. Als Beispiel wird hier19 der Ehemann genannt, der seine todkranke Ehefrau – gemäß ihrem frei verantwortlich gefassten Entschluss – zu einem geschäftsmäßig handelnden Suizidhelfer fährt, um sie in den Tod zu begleiten. Damit fördere er zwar als Gehilfe die Haupttat des Suizidhelfers. Allerdings handelt er selbst nicht geschäftsmäßig und ist Angehöriger der Ehefrau. Nach der Gesetzesbegründung20 liegt darin jedoch kein strafwürdiges, sondern in der Regel ein von tiefem Mitleid und Mitgefühl geprägtes Verhalten. Insoweit ist Abs. II als persönlicher Strafaufhebungsgrund nicht hinsichtlich des Täterkreises nach Abs. I, sondern hinsichtlich des in Betracht kommenden Kreises von Teilnehmern an der Haupttat des geschäftsmäßigen Suizidhelfers zu lesen. 14

15 16 17 18 19 20

Siehe hierzu z.B. Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 12), Bundestags-Drucksache 18/5373. Ebenda. Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 19), Bundestags-Drucksache 18/5373. Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 2), Bundestags-Drucksache 18/5373. A.a.O. (S. 19). Ebenda. Ebenda.

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

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III. Praktische Bedeutung Das Phänomen Suizid ist mit mehr als 10.000 gelungenen Selbsttötungen pro Jahr und einer vielfachen Anzahl an Suizidversuchen21 als erheblich anzusehen. Das Statistische Bundesamt sprach noch 2013 von 13.000 gelungenen Selbsttötungen pro Jahr22 und schätzungsweise ca. 200.000 misslungenen Selbsttötungen, d.h. versuchten Suiziden.23 Allerdings tauchen in diesen Statistiken nicht gesondert Suizide unter der Beteiligung weiterer Personen auf. Insoweit können die Statistiken keine signifikanten Angaben hinsichtlich der praktischen Bedeutung von § 217 StGB n.F. beisteuern. Die Existenz von § 217 StGB n.F. hat jedoch bereits mit dessen Inkrafttreten am 10. Dezember 2015 sämtlichen auf Sterbehilfe ausgerichteten bzw. darauf spezialisierten Institutionen, Organisationen und Einzelpersonen den Boden entzogen,24 da seither jede geschäftsmäßige Förderung einer Selbsttötung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bzw. mit Geldstrafe bestraft wird. Zudem regelt Art. 9 Abs. II GG ausdrücklich, dass Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen, per se verboten sind – ohne dass ein derartiges Verbot überhaupt noch mit dem Grundgesetz in Widerspruch stünde. Insoweit könnte man etwas überspitzt zumindest von der Verwirkung von Grundrechten seitens der hinter (durch den berühmten Federstrich des Gesetzgebers) der illegal gewordenen Vereinigung stehenden Privatpersonen sprechen. Insoweit ist damit die Rechtslage für Ärzte, insbesondere im Bereich der Hospiz- und Palliativmedizin, aber auch für andere Bereiche hinsichtlich des Merkmals „geschäftsmäßig“, heikel geworden. Ärzte, die regelmäßig mit Sterbenden zu tun haben, müssen bereits von Berufs wegen wiederholt im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit sterbende oder sterbewillige Patienten behandeln, wozu bisher auch als äußerste legale Möglichkeit die Durchführung einer ärztlichen Suizidassistenz gehörte. Es ist für diese Berufsgruppe nun mehr als fragwürdig geworden, wie zukünftig genau zwischen einer verbotenen geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe mit Wiederholungsabsicht und einer erlaubten Sterbehilfe aus altruistischen Motiven im Einzelfall sauber unterschieden werden kann. Zudem soll ja bereits das erstmalige Angebot einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung zur Erfüllung des objektiven 21 22 23 24

Vgl. Oglakcioglu, Beckscher Online Kommentar StGB, a.a.O. (Rn. 13). Vgl. Statistisches Bundesamt: Gesundheit, Todesursachen in Deutschland. Wiesbaden 2013, S. 31. Ebenda. So hat etwa der Verein STHD per Satzungsänderung sofort reagiert und Suizidbeihilfen etc. bis auf Weiteres satzungsmäßig untersagt.

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Teil III

Tatbestands genügen, wenn dies den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt.

B) Objektiver Tatbestand Nach dem objektiven Tatbestand ist Voraussetzung, dass der Täter einem anderen lediglich die Gelegenheit zur Selbsttötung geschäftsmäßig gewährt, verschafft oder vermittelt.

I. Gelegenheit zur Selbsttötung Die Gelegenheit zur Selbsttötung umschreibt die vom Gesetzgeber intendierte Schutzzone hinsichtlich des geschützten Rechtsgutes. Eine Gelegenheit zur Selbsttötung ist nach dem Wortsinne dann anzunehmen, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf diese Gelegenheit i.V.m. der finalen Handlung des Suizidenten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit kausal und oder nicht unerheblich für die Herbeiführung des Todeseintritts sein wird. Dahinter steht der Gedanke Pate, dass durch die Schaffung dieser äußeren Umstände die Möglichkeit der Durchführung eines Suizids wesentlich vereinfacht wurde. Es muss damit ein objektiver Gefahrenzusammenhang zwischen der Gelegenheit und der damit geschaffenen suizidalen Situation bestehen. Ein gesetzgeberisches Pendant hat diese Formulierung in § 180 Abs. I Nr. 2 StGB (Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger durch Vorschubleisten hierfür mittels Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit). In diesem Kontext wird lediglich vorausgesetzt, dass der Täter äußere Umstände herbeiführt, durch die entsprechende sexuelle Handlungen ermöglicht oder wesentlich erleichtert werden.25 Damit scheiden bloße Handlungen im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutgefährdung aus, wie etwa die Kommunikation und der Informationsaustausch über die Selbsttötung, soweit sie nicht auf das Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln einer konkreten Gelegenheit zur Selbsttötung abzielen.26 Festzuhalten bleibt, dass an die Gelegenheit zur Selbsttötung ein hoher Grad an tatsächlicher Konkretion als Maßstab anzulegen ist.

II. Geschäftsmäßigkeit Das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit umfasst sowohl eine subjektive als auch eine objektive Komponente. Mit der Beschränkung strafbarer Suizidassistenz lediglich auf die Modalität der geschäftsmäßigen Förderung der Sterbehilfe 25 26

Fischer, a.a.O. (§ 180 StGB Rn. 5). Ähnlich Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 18), Bundestags-Drucksache 18/5373.

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

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wird auf eine Begrifflichkeit rekurriert, die in den Zusammenhängen des StGB weitestgehend einheitlich verwendet wird. Der Begriff taucht u.a. in § 206 Abs. I StGB (Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses) auf. Geschäftsmäßiges Erbringen von Postdiensten wird nach § 4 Nr. 4 BegleitG als nachhaltiges Betreiben der Beförderung von Postsendungen für andere mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht definiert.27 Nach der Definition in § 3 Nr. 10 TKG28 wird das geschäftsmäßige Erbringen von TK-Diensten als das nachhaltige Angebot von solchen Diensten für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht festgelegt.29 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass unter Geschäftsmäßigkeit i.S. dieser Vorschrift die Absicht zu verstehen ist, der gemäß die für sich genommen straflose tatbestandliche Handlung in gleicher Art wiederholt ausgeübt und dadurch zu einem dauernden oder wenigstens wiederkehrendem Bestandteil der eigenen wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit gemacht werden soll.30 Neben dieser Absicht muss es in sachlicher Hinsicht objektivierende Indizien geben, um eine Geschäftsmäßigkeit überhaupt in Betracht ziehen zu können. Dabei spielt es im Gegensatz zur Gewerbsmäßigkeit gerade keine Rolle, ob das Handeln auf die fortlaufende Erzielung eines nicht nur unerheblichen Gewinns oder überhaupt eines Gewinns gerichtet ist.31 Unter einem geschäftsmäßigen Erbringen ist demnach das nachhaltige Betreiben oder Anbieten derartiger Dienstleistungen gegenüber Dritten mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht zu verstehen.32 Grundsätzlich reicht hierfür ein erstund einmaliges Angebot nicht,33 anders verhält es sich jedoch dann, wenn das erstmalige Angebot den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt.34 Insoweit setzt die Geschäftsmäßigkeit voraus, dass die Handlungen zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil der eigenen Tätigkeit gemacht werden, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht und unabhängig von einem Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit. 27 28 29 30 31 32 33 34

Tröndle / Fischer, a.a.O. (§ 206 StGB Rn. 2). Telekommunikationsgesetz. Vgl. ebenda. Vgl. Oglakcioglu, Beckscher Online Kommentar StGB, a.a.O. (Rn. 24). Ebenda. Ähnlich Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 16), Bundestags-Drucksache 18/5373. A.a.O. (S. 17). Ebenda.

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Teil III

Insoweit ist ein ehrenamtliches Handeln ebenfalls hiervon betroffen. Bei der Geschäftsmäßigkeit handelt es sich überdies um ein strafbegründendes Merkmal i.S.v. § 28 I StGB; folglich ist eine Bestrafung selbst nicht geschäftsmäßig handelnder Personen als Teilnehmer einer geschäftsmäßigen Suizidförderung grundsätzlich möglich.35 Problematisch ist nun der Fall einer ärztlichen Beihilfe zum Suizid. Nach der Gesetzesbegründung36 wird zwischen der Hilfe beim Sterben i.S.v. Schmerzlinderung (Palliativ- und Hospizmedizin) und der Hilfe zum Sterben i.S.e. Hilfe zum Suizid differenziert. Zwar sei u.U. ein Behandlungsabbruch oder eine indirekte Sterbehilfe möglich, allerdings entspreche die weiter gehende ärztliche Suizidassistenz als Hilfe zum Sterben generell nicht dem Selbstverständnis dieser Berufe37 und Einrichtungen, weshalb sie von diesen grundsätzlich (sic!) auch nicht gewährt werde.38 Abgestellt wird im Fall von ärztlicher Suizidassistenz lediglich auf den ausnahmsweise möglichen Einzelfall, der typischerweise nicht geschäftsmäßig erfolge. Deshalb wird eine besondere Ausschlussregelung diesbezüglich für entbehrlich gehalten.39 Es wird ergänzend u.a. in der bislang existierenden Kommentarliteratur40 die Ansicht vertreten, dass die ärztliche Suizidassistenz stets eine Einzelfallentscheidung darstelle und deshalb schon standesrechtlich nicht zum typischen Pflichtenkreis z.B. eines Palliativmediziners gehöre.41 Hieraus wird gefolgert, dass, solange sich Ärzte in diesem Bereich nicht nach außen als „professionelle Suizidhelfer“ gerierten, man nicht von einer Geschäftsmäßigkeit ausgehen könne, selbst wenn es der Arzt regelmäßig mit Sterbenden zu tun habe und dementsprechend regelmäßig mit derartigen Einzelfallentscheidungen konfrontiert werde.42 In der Konsequenz legt dieser Ansatz nahe, dass in diesem Bereich tätige Ärzte wohl per se aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen werden müssten. Dieser Schluss 35 36 37 38

39 40 41 42

Ebenso Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 19), Bundestags-Drucksache 18/5373. Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 18), Bundestags-Drucksache 18/5373. Ebenda. Ebenda; diese Begründung ist nicht ohne weiteres schlüssig, wie ich in Teil I. grundsätzlich dargestellt habe. Insoweit wird hier eine subjektive Wahrnehmung hinsichtlich dieser Frage unzulässig verallgemeinert. Ebenda. Vgl. etwa Oglakcioglu, Beckscher Online Kommentar StGB, a.a.O. (Rn. 25). Ebenda. Ebenda.

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

231

drängt sich umso mehr auf, als an gleicher Stelle43 im weiteren Fortgang der Argumentation gesagt wird, das Gesetz setze zwar eine geschäftsmäßige Suizidförderung voraus, nicht jedoch eine geschäftsmäßige Tätigkeit, in der man mit der Frage der Suizidbeteiligung tagtäglich konfrontiert sei.44 Leider geht diese Auslegungsmöglichkeit an dem klaren Wortlaut der Vorschrift und der insoweit eindeutigen Gesetzesbegründung vorbei. Die ärztliche Suizidassistenz betrifft allein die Hilfe zum Sterben und nicht die Hilfe beim Sterben (Palliativ- und Hospizmedizin; Behandlungsabbruch etc.); insoweit ist sauber zwischen diesen Erscheinungsformen zu unterscheiden. Ärzte, die ausschließlich im zuletzt genannten Bereich tätig sind, leisten schon begrifflich keine Hilfe zur Selbsttötung, sondern erleichtern bestenfalls lediglich den natürlichen Sterbevorgang. Gänzlich anders verhält es sich mit der ärztlichen Suizidassistenz, die, wie der Name bereits sagt, eine Hilfe zur Beendigung des Lebens überhaupt bedeutet. Wo verläuft also zukünftig für den Rechtsverkehr verbindlich die Grenze zur Geschäftsmäßigkeit der Förderung einer Selbsttötung? Wie ist für Ärzte im Einzelfall zwischen einer verbotenen geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe ggf. mit Wiederholungsabsicht und einer erlaubten Suizidassistenz im Einzelfall (aus selbstlosen Motiven) sauber zu unterscheiden? Ärzte, die regelmäßig mit sterbenskranken Patienten zu tun haben, haben somit von Berufs wegen und wiederholt mit solchen Patienten Kontakt, so dass jede nicht einmalige Förderung einer Selbsttötung bereits geschäftsmäßig wäre. Hinzu kommt, dass ein professionell agierender Arzt in diesem Bereich, falls er sich unter außergewöhnlichen Umständen für eine ärztliche Suizidassistenz entscheidet, in vergleichbaren Fällen ebenso handeln wollen würde und dies von Berufs wegen sogar muss. Dann aber wäre bereits der erstmalige ärztlich assistierte Suizid auf Wiederholung angelegt und würde sich somit als strafbare geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung qualifizieren. Anderenfalls würde allein ärztliche Willkür darüber befinden können, welchem Patienten der Wunsch zur Suizidassistenz auf Kosten aller vergleichbaren Fälle gewährt wird. Es stellt sich dann nämlich die Frage, ob bei einem weiteren freiverantwortlichen Suizidbegehren seitens eines anderen Patienten eine freie und damit ergebnisoffene ärztliche Gewissensentscheidung überhaupt noch legal möglich ist, weil der Arzt zufällig in einem gleich gelagerten Fall zeitlich vorhergehend in seiner Funktion als Arzt Suizidassistenz geleistet hat und so das „persönliche Kontingent“ bereits aufgebraucht hat. 43 44

Vgl. etwa Oglakcioglu, Beckscher Online Kommentar StGB, a.a.O. (Rn. 25). Ebenda.

232

Teil III

III. Gewähren / Verschaffen einer Gelegenheit Das Gewähren oder Verschaffen einer Gelegenheit setzt ganz allgemein voraus, dass der Täter Umstände herbeiführt, durch die die Vornahme einer Selbsttötung ermöglicht oder wesentlich erleichtert wird.45 Gemeint sind in erster Linie Tathandlungen, denen die ermöglichte Suizidhandlung unmittelbar folgen soll,46 so dass bildlich gesprochen eine letzte Hürde auf dem Weg zum Suizid beseitigt wird.47 Das wäre etwa die Überlassung einer tödlich wirkenden Substanz oder von suizidgeeigneten Räumlichkeiten. Es muss mithin lediglich eine tatsächliche Möglichkeit für die Vornahme einer Selbsttötung geschaffen werden, woraus folgt, dass rein psychische Einwirkungen oder reine Informationsgespräche davon nicht mitumfasst sind.48 Die Vorbereitung der Suizidassistenz, die schriftliche Korrespondenz, das Einreichen der Unterlagen und der Ablauf der Wartefrist fielen bei Sterbehilfevereinen etwa noch in das straflose Versuchsstadium. Ebenso verhielte es sich nach der Gesetzesbegründung bei der Werbung für die Förderung der Selbsttötung, weil auch diese noch zu weit im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutverletzung läge.49 Gewähren ist beispielsweise das Bereitstellen von Räumen, die zusätzlich die notwendigen äußeren Gegebenheiten für einen erfolgreichen Suizid bieten und über die der Täter verfügt.50 Verschaffen ist z.B. das Nachweisen oder Besorgen eines geeigneten Ortes,51 wobei der Täter zugleich dafür sorgt, dass die notwendigen äußeren Umstände für den Suizid gegeben sind.

IV. Vermitteln einer Gelegenheit Vermitteln einer Gelegenheit bedeutet in diesem Kontext seitens des Täters das Herstellen eines konkreten Kontaktes zwischen der suizidwilligen Person und demjenigen, der die Gelegenheit zur Selbsttötung verschafft oder gewährt.52 Vollendet und mangels einer Versuchsstrafbarkeit strafbar ist die Tat allerdings nur, wenn auf Grund der Handlungen des Täters der Kontakt zwi-

45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. Fischer, a.a.O. § 180 StGB Rn. 5. Ebenso Oglakcioglu, a.a.O. Ebenda. Vgl. Oglakcioglu, a.a.O. (Rn. 17). Vgl. Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 14, 19), Bundestags-Drucksache 18/5373. Ebenso Fischer, a.a.O. Ebenda. Vgl. Oglakcioglu, a.a.O. (Rn. 22).

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

233

schen der geschützten Person und dem Dritten hergestellt ist, die Vermittlung also erfolgreich war.53

C) Subjektiver Tatbestand Hinsichtlich der Umstände des objektiven Tatbestands muss der Täter vorsätzlich, d.h. mindestens mit dolus eventualis handeln; die gewährte Förderung der Selbsttötung muss also mit dem erforderlichen Wissen und Wollen erfolgen. Nicht erforderlich ist, dass sich der Vorsatz des Täters zusätzlich auf die tatsächliche Durchführung der geförderten Selbsttötung bezieht. Daneben muss der Täter das subjektive Merkmal der Förderungsabsicht hinsichtlich einer Selbsttötung, d.h. dolus directus 1. Grades aufweisen. Hierdurch wird eine Abgrenzung zu den Formen des zulässigen Behandlungsabbruchs und der indirekten Sterbehilfe (Hilfe beim Sterben) erleichtert. Denn diese Formen erfolgen nicht in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern (Hilfe zum Sterben), sondern zielen darauf, in den natürlichen Sterbevorgang nicht durch eine weitere Behandlung einzugreifen bzw. die Leiden durch Verabreichung entsprechender schmerzlindernder Medikamente zu mindern, auch wenn dabei eine unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigt.

D) Rechtswidrigkeit und Schuld Da § 217 StGB n.F. als geschütztes Rechtsgut das menschliche Leben als höchstwertiges Rechtsgut umfasst, ist eine Interessenabwägung nach § 34 StGB nicht möglich. Eine Rechtfertigung des geschäftsmäßig handelnden Suizidassistenten nach § 34 StGB scheidet somit aus. Eine rechtfertigende Einwilligung des Suizidwilligen selbst muss ebenfalls ausscheiden, weil es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt mit divergierenden Schutzgütern handelt.54 Rechtsgut ist der Schutz von Leib und Leben einer bereits nur suizidgeneigten Person. Einer solchen Person wird insoweit „die Mündigkeit“ (i.S.e. realexistierenden Autonomie) hinsichtlich der freien Verfügung über das eigene Leben mittels professionalisierter Hilfe mit der Existenz von § 217 StGB n.F. von Gesetzes wegen faktisch abgesprochen und zugleich rechtlich verunmöglicht. Es wird vom Gesetzgeber stillschweigend unterstellt, in derartigen Fällen seien suizidgeneigte Personen wohl eher Opfer

53 54

Vgl. Fischer, a.a.O. (§ 180 Rn. 22). So auch Oglakcioglu, a.a.O. (Rn. 30).

234

Teil III

von manipulativen Praktiken professioneller Sterbehelfer als Repräsentanten der Autonomie des freien Willens. Dieser freie Wille wird in solchen Fallgestaltungen faktisch als unbedeutende Nebensache in Frage gestellt, so dass suizidwillige Personen zukünftig mit der Illegalisierung professioneller Sterbehilfe vor sich selbst zu schützen sind. Nicht abgesprochen wird allerdings diese Mündigkeit im Falle einer lediglich nicht geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe; diese ist im Falle der gebotenen Nähebeziehung nach wie vor jederzeit sanktionslos möglich. Allerdings besteht ja gerade in persönlichen und familiären Nähebeziehungen eine gesteigerte Manipulationsgefahr – etwa seitens des pflegepflichtigen, aber zugleich erbberechtigten Angehörigen gegenüber dem suizidgeneigten Verwandten in gerader Linie. In solchen Näheverhältnissen sind viele Interessenkollisionen denkbar, bei denen sämtlich der suizidwillige Angehörige strukturell das Nachsehen hätte. Die Annahme einer gewissen Willkür anhand dieser gesetzgeberischen Differenzierung zwischen verbotener geschäftsmäßiger Suizidhilfe und einer demgegenüber erlaubten Suizidhilfe im Einzelfall als Unrechtsgrund ist hier zumindest aus Sicht des Suizidenten nahe liegend.

E) Strafausschließungsgrund nach Abs. II Abs. II stellt einen persönlichen Strafausschließungsgrund für Angehörige und andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen dar, die eine Teilnahmehandlung an einer Suizidassistenz vornehmen und nicht selbst geschäftsmäßig handeln.

I. Angehörige / nahestehende Personen Für die Definition des Begriffs des Angehörigen kann auf die Legaldefinition in § 11 Abs. I Nr. 1 StGB zurückgegriffen werden. Für den Begriff der anderen nahestehenden Person kann auf die Auslegung zurückgegriffen werden, die für die entsprechende Formulierung etwa in §§ 35 Abs. I, 238 Abs. I Nr. 4 sowie in 241 Abs. I StGB entwickelt wurde.55 Angesichts der Gleichstellung mit den Angehörigen wird das Vorhandensein einer seit einer gewissen Dauer bestehenden zwischenmenschlichen Beziehung vorausgesetzt. Entscheidend ist hierbei, dass intensive – dem Angehörigenverhältnis normalerweise entsprechende – Solidaritätsgefühle existieren und deshalb eine vergleichbare psy55

Ähnlich Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 20), Bundestags-Drucksache 18/5373.

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

235

chische Zwangslage wie dort gegeben ist.56 Hingegen fallen normale Betreuungsverhältnisse i.d.R. aus dem Anwendungsbereich heraus, weil hier die Solidarität nicht auf einem Gegenseitigkeitsverhältnis bzw. nicht aus einer solchen deckungsgleichen inneren Motivation heraus resultiert.57

II. Kumulatives Vorliegen der Angehörigeneigenschaft sowie der Nichtgeschäftsmäßigkeit Nach der Formulierung des Abs. II müssen das nicht geschäftsmäßige Handeln sowie die Angehörigeneigenschaft kumulativ vorliegen. Ansonsten greift nach der Formulierung des Wortlautes der Strafausschließungsgrund erst gar nicht. So etwa bei einem Teilnehmer an einer geschäftsmäßigen Förderung einer Selbsttötung, der zwar selbst nicht geschäftsmäßig handelt, aber auch kein Angehöriger ist. Allerdings springt hier ein gewisser Wertungswiderspruch ins Auge. Wäre der Teilnehmer an der geschäftsmäßigen Suizidassistenz lediglich unmittelbarer Suizidassistent (und damit potentieller Haupttäter), wäre er im Falle einer nicht geschäftsmäßigen Beihilfe erst gar nicht als Haupttäter belangbar. In beiden Fällen hätte er nicht geschäftsmäßig gehandelt. Auch die in § 28 Abs. I StGB obligatorisch vorgesehene Strafmilderung für den Teilnehmer scheint diesen Wertungswiderspruch nicht kompensieren zu können. Dies ist kriminalpolitisch mehr als problematisch. Nach dem Wortlaut der Vorschrift wäre auch der überlebende Suizident zumindest wegen einer Anstiftung zu einer geschäftsmäßigen Förderung der eigenen (versuchten) Selbsttötung strafbar, wobei er gem. § 26 StGB grundsätzlich gleich einem Täter bestraft würde. Das wäre etwa dann der Fall, wenn ein potentieller Suizident das Mitglied einer Sterbehilfevereinigung dazu veranlasst, ihm für den geplanten Suizid eine geeignete Gelegenheit zu verschaffen. Vorliegend würde ein solcher Anstifter schlimmstenfalls mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe gleich dem Haupttäter bestraft. Der Strafausschließungsgrund in Abs. II bezieht sich ausweislich seines Wortlautes explizit nicht auch auf den Suizidenten. Auch hier ist ein gewisser Wertungswiderspruch einerseits zu § 216 StGB und andererseits zur prinzipiellen Straflosigkeit des Suizids und der Teilnahme daran auszumachen. Die Straflosigkeit des überlebenden Suizidenten ist keinesfalls ausgemacht; allerdings würde dann das Rechtsgutkonzept in sein glattes Gegenteil verkehrt. Der Suizident, der seinem Leben mit Hilfe darauf spezialisierter Institutionen oder Einzelpersonen ein Ende setzten möchte und 56 57

Ebenso ebenda. So auch Oglakcioglu, a.a.O. (Rn. 31).

236

Teil III

diesen Suizidversuch „glücklicherweise“ überlebt, bekäme nachträglich jeden Anreiz, weiterleben zu wollen, ausgetrieben, sollten ihm tatsächlich bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe im Falle seines Überlebens drohen. Dem wird jedoch seitens der Literatur entgegengehalten, dass nach der allgemeinen strafrechtlichen Dogmatik eine strafbare Teilnahme des Suizidenten am eigenen Suizid nach den Grundsätzen der sog. notwendigen Teilnahme nicht in Betracht komme.58 Von einer notwendigen Teilnahme spricht man, wenn ein Tatbestand so gefasst ist, dass seine Verwirklichung schon begrifflich die Beteiligung mehrerer Personen voraussetzt, wie etwa beim Beischlaf zwischen Verwandten oder dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen.59 Handelt es sich um ein sog. Begegnungsdelikt, d.h. der eine Beteiligte steht auf der Täterseite, der andere auf der Opferseite, so bleibt der im Gesetz nicht mit Strafe bedrohte Beteiligte straflos, wenn er das Maß der notwendigen Teilnahme nicht überschreitet oder – falls dies doch geschieht – die Strafvorschrift gerade seinem Schutz dient.60 Begründet wird die Straflosigkeit des nur notwendig Teilnehmenden damit, dass eine Tatbestandsverwirklichung, die begrifflich notwendig die Mitwirkung mehrerer Personen voraussetzt, nicht allen diesen Personen gleichermaßen eine eigenständige Unrechtsverwirklichung hinsichtlich des in Frage stehenden Tatbestands unterstellen könne,61 weil der Schutzzweck des Delikts eine entsprechende Begrenzung beinhalte.62 Im Fall des § 217 StGB n.F. sollen suizidwillige Personen vor den entsprechenden Handlungen anderer geschützt werden, die sie zu einer defizitären Willensbildung hinsichtlich der eigenen Selbsttötung verleiten (könnten) und insoweit ihr Leben abstrakt gefährden.63 Demnach ist nach dieser Ansicht im Falle des § 217 StGB n.F. ein Suizident selbst dann straflos, wenn er den geschäftsmäßig handelnden Beihelfer dazu angestiftet hat und den Suizid überlebt. Einer anderen Ansicht nach steht der Anstiftung des Suizidenten zur geschäftsmäßigen Förderung der eigenen Selbsttötung gerade nicht die dogmatische Rechtsfigur der notwendigen Teilnahme entgegen, weil das Hervorrufen des Tatentschlusses bei Suizidgehilfen keine Handlung sei, welche das Gewähren / Verschaffen oder Vermitteln einer Suizidgelegenheit zwingend beinhal-

58 59 60 61 62 63

So auch Gaede, a.a.O. (S. 391). Ebenso Wessels / Beulke / Satzger, a.a.O. (Rn. 835). Ebenda. Vgl. ebenda. Ebenda. Ähnlich Gaede, a.a.O. (S. 391).

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

237

te.64 Dieser Begründung ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich der Anstiftervorsatz sowohl auf den Erfolg der Haupttat als auch auf das Hervorrufen des Tatentschlusses beziehen muss und insoweit beides beinhaltet.65 Allerdings existiert zu diesem Problem noch keinerlei gefestigte Rechtsprechung66 oder sonstige kalkulierbare Rechtspraxis. Dieses Problem ist mit dem Inkrafttreten der Vorschrift entstanden. Darum kann den genannten Meinungen derzeit noch keinerlei objektivierbare Aussagekraft zukommen. Insoweit wird sich in der weiteren Zukunft zeigen, wie die Gerichte den Tatbestand auslegen werden. Zunächst ist bis auf weiteres allerdings vom Wortlaut auszugehen und einer entsprechend wortlautgetreuen restriktiven Auslegung, wonach der überlebende Suizident bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer Anstiftung zu § 217 StGB n.F. strafbar wäre.

F) Täterschaft und Teilnahme Hinsichtlich der Täterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Regeln. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber, trotz der Deliktsnatur des § 217 StGB n.F. als einer zur Täterschaft verselbstständigten Teilnahmehandlung, die strafbare Teilnahme hieran – außer bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. II – nicht ausgeschlossen hat. Insoweit sind Anstiftung und Beihilfe zu den in Abs. I geregelten Tatbestandsmodalitäten ebenfalls prinzipiell unter Strafandrohung gestellt. An dieser Stelle sollte zum besseren inhaltlichen Verständnis vorab kurz der rechtsdogmatische Strafgrund der Teilnahme vergegenwärtigt und mit der Vorschrift in einen sachangemessenen inhaltlichen Bezug gesetzt werden. Beachtung verdient der Umstand, dass durch Abs. I des § 217 StGB n.F. lediglich eine Unterstützungshandlung zu einer in jedem Fall straflosen Selbsttötung unter Strafe gestellt wird. Als Täter eines im StGB normierten Straftatbestandes wird generell bestraft, wer eine Straftat i.S.v. § 25 Abs. I 1. Var StGB selbst, gemeinschaftlich mit anderen (§ 25 Abs. II StGB) oder durch einen anderen begeht (§ 25 Abs. I 2. Var. StGB). Teilnehmer dagegen ist, wer entweder einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat vorsätzlich bestimmt (§ 26 StGB) 64 65 66

Oglakcioglu, a.a.O. (Rn. 35). Vertiefend unter Kapitel 4 und 5 dieses Teils. Jedoch sei an dieser Stelle auf den Beschluss des BVerfG v. 21.12.2015 – 2 BvR 2347/15; NJW 2016, 558 ff. (558–559) hingewiesen, wo mit Hinweis auf die notw. Teilnahme hins. des durch die Strafvorschrift geschützten Opfers dessen Straflosigkeit angenommen wird.

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Teil III

oder ihm zu einer solchen Tat vorsätzlich Hilfe leistet (§ 27 StGB). Teilnahme ist insoweit die in §§ 26, 27 StGB umschriebene Beteiligung an einer fremden rechtswidrigen (Haupt-)Tat i.S.v. § 11 Abs. I Nr. 5 StGB.67 Ein Teilnehmer an einer rechtswidrigen Haupttat wird im Allgemeinen bestraft, weil er eine fremde Haupttat veranlasst oder fördert. Insoweit leitet sich das strafwürdige Unrecht in einem ersten Ansatz regelmäßig aus der Haupttat ab.68 Als Beteiligung an einer fremden Tatbestandsverwirklichung leiten Anstiftung und Beihilfe ihren eigenen Unrechtsgehalt somit vom Unrecht der Haupttat ab. Zudem wird der Teilnehmer bestraft, weil er das in den Tatbeständen des Besonderen Teils geschützte Rechtsgut über eine (sozusagen) von ihm selbst geförderte und veranlasste rechtswidrige Haupttat angreift.69 Beide Perspektiven ergänzen sich. Hierin kommt diesbezüglich also der Grundsatz zum Tragen, dass eine strafbare Beihilfehandlung grundsätzlich eine rechtswidrige Haupttat voraussetzt (sog. Akzessorietät der Teilnahme) sowie einen eigenen Unrechtsgehalt verkörpert. Der Akzessorietätsgrundsatz stellt mithin einen Zusammenhang her zwischen der Unrechtsmäßigkeit einer Haupttat und der rechtlichen Bewertung ihrer Förderung. Umgekehrt ist an Handlungen, die keinen Straftatbestand erfüllen oder die gerechtfertigt sind, eine strafbare Teilnahme nicht möglich. Genau darin liegt eine inhaltliche Besonderheit des neuen § 217 StGB. Vor Inkrafttreten dieser Vorschrift war eine strafbare Beihilfe oder Anstiftung zu einem freiverantwortlichen Suizid prinzipiell nicht möglich, weil es bereits an einem teilnahmefähigen Straftatbestand für Suizid mangelte. Diesbezüglich bedeutet die Neuregelung eine inhaltliche Zäsur, weil nun eine im Grunde nach wie vor erlaubte Suizidhandlung, ebenso wie die im Grunde weiterhin straflose Teilnahme daran, plötzlich u.U. zwingend strafbewehrt ist, insoweit eine geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötungen vorliegt. Man könnte an dieser Stelle auch formulieren, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Akzessorietät der Teilnahme im Falle geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe möglicherweise zu einer lediglich regelungstechnischen Hürde herabgestuft und diese insoweit inhaltlich überwunden hat, als er hiervon unabhängig die geschäftsmäßige Beihilfehandlung an einem nach wie vor tatbestandslosen Suizid selbstständig unter Strafe gestellt hat. Aus der erlaubten Förderung einer ebenso erlaubten autonomen Suizidhandlung wurde vorliegend allein durch das Hinzutreten einer Wiederholungsabsicht ein vom Gesetzgeber prinzipiell als strafwürdig erachtetes Unrecht. 67 68 69

Zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme vgl. Teil I dort Kap.3 unter C) V. Joecks, a.a.O. (Vor. §§ 26, 27 Rn. 10). Joecks, a.a.O. (Vor. §§ 26, 27 Rn. 11).

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

239

Die vom Teilnehmer durch Verwirklichung des Tatbestands des § 217 StGB n.F. veranlasste bzw. geförderte „Haupttat“ ist ihrerseits, bezogen auf den Suizidhintergrund, „lediglich“ rein sachlich und technisch noch immer lediglich eine Förderungshandlung im Vorfeld der eigentlichen Beihilfe zum Suizid; wenn auch nun i.F.d. § 217 StGB n.F. durch den Willen des Gesetzgebers (in den Fällen von geschäftsmäßigem Handeln) einer zu einer neuen rechtswidrigen Haupttat verselbstständigten Suizidförderung.

I. Anstiftung Anstifter ist gem. §§ 26 i.V.m. 11 Abs. I Nr. 5 StGB, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. „Bestimmen“ meint hier das Hervorrufen des Tatentschlusses im engeren Sinne, d.h. verstanden als ein ganz erheblicher Beitrag zur Entschlussfassung des Haupttäters und nicht nur eine vage kommunikative Beeinflussung des Täters durch den „Anstifter“. Eine Anstiftung zu einer geschäftsmäßigen Suizidförderung würde beispielsweise vorliegen, wenn der „Haupttäter“ vom Anstifter vorsätzlich kontaktiert und hierdurch zur tatsächlichen Vornahme einer geschäftsmäßigen Suizidförderung motiviert worden wäre. Ein Anstifter haftet nur, wenn die begangene Haupttat mit seinem Vorsatz übereinstimmt – so dass diesbezüglich ein sog. doppelter Anstiftervorsatz erforderlich ist. Wie bereits gezeigt, bezieht sich § 217 Abs. II nicht auf den Suizidenten, so dass dieser dem Wortlaut nach im Fall seines Überlebens und der Inanspruchnahme „hierauf spezialisierter“ Institutionen bzw. Einzelpersonen ebenfalls wegen Anstiftung zur eigenen geschäftsmäßigen Suizidförderung strafbar ist. Fraglich ist jedoch, ob dieses Ergebnis nicht möglicherweise in kriminalpolitischer Hinsicht einer teleologischen Reduktion bedarf, weil es anderenfalls zu u.U. vom Gesetzgeber eventuell übersehenen unbilligen bzw. ungewollten Entwicklungen führen könnte.70 Zu bedenken wäre an dieser Stelle die Gefahr, dass angesichts des hohen Strafmaßes (der Anstifter wird gleich einem Täter bestraft) das Überleben eines Suizidversuchs aus Sicht des Suizidenten zukünftig ein mit größter Sorgfalt zu verhinderndes, noch größeres Übel als bisher würde. Dadurch würde u.U. der Inanspruchnahme geschäftsmäßiger, weil spezialisierter Suizidhilfe im Ausland oder sogar der Durchführung von sog. Brutalsuiziden Vorschub geleistet. In der Praxis könnte sich der intendierte Gesetzeszweck somit in sein Gegenteil verkehren. Suizidenten, die die Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los“ überschritten haben, würden überspitzt formuliert zugleich angesichts der 70

Vertiefend hierzu unter Punkt D. und E.

240

Teil III

hohen Strafandrohung die „goldene Brücke“ zurück ins Leben verbaut bekommen und höchstwahrscheinlich über einen Rücktritt vom Suizidversuch gar nicht mehr ernsthaft nachdenken. Eine versuchte Anstiftung erfüllt die Voraussetzungen des § 30 StGB, insofern es sich bei der Haupttat um ein Verbrechen i.S.v. § 12 Abs. I StGB handelt. Dann müsste für die geschäftsmäßige Förderung der Suizidhilfe ein Strafmaß von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe vorgesehen sein, was jedoch nach dem Wortlaut der Norm nicht der Fall ist. Insoweit scheidet die Strafbarkeit einer versuchten Anstiftung zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aus. Eine Anstiftung eines anderen zur Anstiftung zur Haupttat (Kettenanstiftung) wird ebenfalls als mittelbare Anstiftung zur Haupttat und damit als Anstiftung gewertet, wohingegen eine Anstiftung zur Beihilfe als Beihilfe eingeordnet wird. Eine versuchte Kettenanstiftung würde ebenfalls unter § 30 StGB fallen, wenn die geschäftsmäßige Förderung der Suizidhilfe ein Strafmaß von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe vorsähe. Dies ist jedoch nicht der Fall, so dass eine solche Begehungsweise straflos bleibt. Ansonsten ist auf die bereits geschilderten kumulativen Voraussetzungen des Abs. II dieser Vorschrift (persönliche Strafausschließungsgründe für Teilnehmer) hinzuweisen.

II. Beihilfe Gehilfe ist gem. §§ 27 Abs. I i.V.m. 11 Abs. I Nr. 5 StGB, wer einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat vorsätzlich Hilfe geleistet hat. Der Gehilfe fördert ganz allgemein die Haupttat durch deren physische bzw. psychische Unterstützung, ohne dass er Mittäter wäre.71 Bis 1975 differenzierte das Gesetz bedeutungsgleich nach damals geltendem Recht zwischen einer Beihilfe durch „Tat“ und Beihilfe durch „Rat“.72 Beide Beihilfeformen sind nach wie vor unstreitig.73 Ein Hilfeleisten liegt in jedem Tatbeitrag, der die Haupttat ermöglicht oder erleichtert bzw. die vom Täter begangene Rechtsgutverletzung verstärkt.74 Problematisch ist allerdings, ob und inwieweit sich die Beihilfehandlung auf den Erfolg der Tat in seiner konkreten Gestalt ausgewirkt haben muss.75 Nach der Rspr. kommt es allerdings nicht darauf an, ob die Hilfeleistung sich kausal auf die Haupttat ausgewirkt hat; es reicht viel71 72 73 74 75

So auch Wessels / Beulke / Satzger, a.a.O. (Rn. 828). Vgl. Joecks, a.a.O. (§ 27 Rn. 5). Ebenda. Ähnlich auch Wessels / Beulke / Satzger, a.a.O. (Rn. 829). Ebenda.

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

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mehr aus, wenn sie durch den Tatbeitrag des Beihelfers lediglich irgendwie gefördert worden ist.76 Begründet wird dies mit dem insoweit klaren Wortlaut des § 27 StGB, weil darin bereits jedes Hilfeleisten als solches unter Strafe gestellt wird. Im Falle einer Beihilfe zu einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung kann dies etwa in Form der Vorbereitung einer Giftinjektion im Vorfeld der eigentlichen (geschäftsmäßigen) Suizidbeihilfe geschehen. Dies würde eine Vielzahl von als Teil eines entsprechenden Geschäftsbetriebs eingegliederten Personen betreffen, die sich mit organisatorischen Aspekten von geschäftsmäßig betriebener Suizidförderung beschäftigen. Auch müssten streng genommen sämtliche für den Suizidwilligen geführten Anrufe vom Inland ins Ausland, die zur Wahrnehmung eines Angebots auf geschäftsmäßige Suizidförderung führen, unter Hilfeleisten gefasst werden. Gleiches müsste hinsichtlich der für den Suizidwilligen geführten postalischen Korrespondenz mit entsprechenden Anbietern (im Ausland) gelten. Dabei muss der Beihelfer seinerseits nicht zwingend selbst geschäftsmäßig handeln, es reicht aus, wenn er weiß, dass der Haupttäter geschäftsmäßig handelt. Möglicherweise liegt ein weiterer Wertungswiderspruch darin, dass einerseits ein unmittelbarer Suizidbeihelfer, der nicht geschäftsmäßig handelt, straffrei ausgeht, und andererseits der bloße Gehilfe eines geschäftsmäßig handelnden Suizidbeihelfers, welcher selbst nicht geschäftsmäßig handelt, wie ein geschäftsmäßig handelnder Suizidbeihelfer bestraft wird (falls er nicht zugleich Angehöriger oder eine sonst dem Suizidenten nahe stehende Person ist).77 Dessen Strafe wird lediglich i.S.v. § 28 I StGB obligatorisch gemildert. Problematisch sind weiterhin die Anforderungen an eine psychische Beihilfe zu einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Unter einer psychischen Beihilfe wird das Bestärken eines bereits vorhandenen Tatentschlusses verstanden, weil ein Hilfeleisten auch darin bestehen kann, dass der Beihelfende den Tatentschluss des Haupttäters stärkt, ihm letzte Skrupel ausredet oder ihm ein größeres Gefühl von Sicherheit gibt.78 Nach der Rspr. wird eine solche psychische Beihilfe für eine Strafbarkeit nach § 27 StGB als ausreichend angesehen, weil etwa beim Ausreden letzter Skrupel beinahe eine ähnliche Situation bestehe, wie sie auch beim Erzeugen eines Tatentschlusses geschaffen werde.79

76 77 78 79

Ebenso BGH NJW 2000, 3010 ff. Vertiefend hierzu Kapitel 4 und 5. So auch Joecks, a.a.O. (§ 27 Rn. 6). Ebenda.

242

Teil III

Nach der Gesetzesbegründung80 sollen bloße Handlungen im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutgefährdung nicht Gegenstand der Neuregelung sein. So sollen ausweislich der Gesetzesbegründung81 namentlich die Kommunikation sowie der Informationsaustausch über die Selbsttötung zulässig sein, soweit keine Ausrichtung auf das Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln einer konkreten Gelegenheit zur Selbsttötung vorliege. Solange derartige Kommunikation also folgenlos bleibt, wird sie sanktionslos geduldet. Wenn nun allerdings genau diese Kommunikation und der entsprechende Informationsaustausch den Entschluss eines Suizidhelfers zur geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötungen stärken, ihm letzte Skrupel ausreden oder ihm ein größeres Gefühl von Sicherheit geben, dann liegen zumindest im objektiven Tatbestand die Voraussetzungen für eine strafbare psychische Beihilfe vor. Dies wäre etwa der Fall bei einem auf diese Thematik spezialisierten Anwalt, der eine entsprechende Institution, Organisation oder Einzelpersonen anwaltlich berät, die daraufhin Selbsttötungen geschäftsmäßig i.S.v. § 217 Abs. I StGB n.F. fördern. Berät der gleiche Anwalt allerdings unmittelbar einen Suizidwilligen genau gleich, würde dies mangels Gewährens, Verschaffens oder Vermittelns einer Gelegenheit zur Selbsttötung nicht den objektiven Tatbestand des § 217 Abs. I StGB n.F. erfüllen können, obwohl der Anwalt entsprechende Beratungen als „Spezialist des Sterbehilferechts“ in jedem Fall „geschäftsmäßig“ vorhält. Im subjektiven Tatbestand wäre seitens des beratenden Anwalts in beiden Fällen zumindest ein sog. dolus eventualis anzunehmen. Einen entsprechend geförderten Tatentschluss muss der Anwalt zumindest für möglich halten, wenn er ihn auch nicht unbedingt will. Er nimmt ein solches Ergebnis mit seiner Beratung von Anfang an zumindest billigend in Kauf. Möglicherweise ist im Vergleich beider Fallgruppen ein weiterer gesetzgeberischer Wertungswiderspruch zu erblicken. Ebenso stellt die Gesetzesbegründung82 darauf ab, dass dem bloßen Werben für die eigene oder fremde geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötung grundsätzlich auch mit dem außerhalb des Strafrechts vorhandenen gesetzlichen Instrumentarium begegnet werden könne. Damit ist wohl gemeint, dass eine Anwendung des StGB als ultima ratio in diesen Fällen wegen Subsidiari-

80 81 82

So auch Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 18), Bundestags-Drucksache 18/5373. Ebenda. So auch Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 19), Bundestags-Drucksache 18/5373.

Drittes Kapitel: Normenimmanente rechtliche Untersuchung

243

tät ausscheiden soll. Fraglich ist, ob diese Begründung einer näheren rechtlichen Prüfung in systematischer Hinsicht standhält. Es entzieht sich dem Verständnis, weshalb ausgerechnet eine Werbung, die auf ein konkretes Angebot für eine geschäftsmäßig durchgeführte Förderung von Selbsttötungen abzielt, nicht zumindest als psychische Beihilfe zu fassen sein soll (s.o.), sofern sie durch Dritte bereitgestellt und in den Verkehr gebracht wird. Eine Anwendung des StGB als ultima ratio schiede nur dann aus, wenn es keinen Tatbestand des § 217 StGB n.F. gäbe. Weil es ihn gibt, ist von Amts wegen jedes Verhalten, das zumindest den hinreichenden Tatverdacht seiner Verwirklichung stützt, repressiv zu verfolgen und einer staatsanwaltlichen Ermittlung zuzuführen. In der Gesetzesbegründung83 wird als weitere Begründung für die angebliche diesbezügliche Subsidiarität des StGB auf die Möglichkeit verwiesen, dass ja § 35 GewO den Ordnungsbehörden ausreichend Spielraum zum Verbot entsprechender Werbungen gewähre. Allerdings verläuft die Abgrenzung zwischen dem Polizei- und Ordnungsrecht einerseits und dem Strafrecht andererseits bei gleicher Rechtsgutgefährdung allein danach, ob es sich bei der konkreten polizei- bzw. ordnungsbehördlichen Maßnahme um eine präventive Gefahrenabwehr oder aber um eine repressive Strafverfolgung handelt. Insoweit geht die Gesetzesbegründung an dieser Stelle ins Leere und hält einer rechtlichen Prüfung am Maßstab des deutschen Strafrechts nicht stand. Auch das Werben durch Dritte stellt eine strafbare Beihilfehandlung zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 217 Abs. I StGB n.F. dar.84 In letzter Konsequenz deutet diese Gesetzesbegründung zum einen darauf hin, dass die Pönalisierung eines bestimmten Verhaltens das stärkste Eingriffsmittel ist, über das ein Staat verfügt.85 Wenn allerdings andere Sanktionen dieselbe Schutzwirkung für das geschützte Rechtsgut entfalten und dem Unwertgehalt des verbotenen Tuns entsprechen, verstößt eine Kriminalisierung zum anderen vielmehr gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe.86 Damit läge dann ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip insgesamt nahe, dessen wichtiger Bestandteil das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist.87

83 84 85 86 87

Ebenda. A.a. vgl. Oglakcioglu, a.a.O. (Rn. 21, 39 ff.). So auch Roxin, NStZ 2016, 185 ff. (188). Ebenda. Ähnlich ebenda.

244

Teil III

G) Konkurrenzen Es kommt eine tateinheitliche Verwirklichung des § 217 StGB n.F. im Zusammenhang mit Delikten in Betracht, nach denen der unerlaubte Umgang mit Giften und ähnlichen gefährdenden Stoffen sowie anderen geeigneten Suizidwerkzeugen unter Strafandrohung gestellt ist.88 Dies können beispielsweise Tatbestände aus dem WaffG, dem BtMG, ChemG oder auch AMG sein. Hinsichtlich etwaiger sonstiger Tötungsdelikte geht es in der neuen Vorschrift gerade nicht um eine Teilnahme am Tötungsvorgang als solchem, es kommt hierauf gar nicht an. Insoweit würde eine Konsumtion durch ein einschlägiges Tötungsdelikt verdecken, dass die Tat u.U. aus der organisierten Sterbehilfe herrührt,89 so dass die Annahme einer Tatmehrheit in solchen Fällen ratsam scheint; zumal in der geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötungen bezogen auf ein späteres etwaiges Tötungsdelikt eine zeitlich weit vorgelagerte eigenständige Tathandlung mit einem eigenständigen Unwertgehalt begründet liegt. Fraglich ist allerdings, ob § 222 StGB (fahrlässige Tötung) seit der Neuregelung des § 217 StGB auch auf eigenverantwortliche Selbsttötungen Anwendung finden kann, die auf einer Tathandlung gem. § 217 StGB n.F. beruhen.90 Dagegen spricht, dass der Suizid auch im Fall des § 217 StGB n.F. als solcher freiverantwortlich begangen wird und eine nicht geschäftsmäßige Teilnahme daran ebenso straflos ist. Die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Teilnahme bezieht sich dagegen nicht auf die eigentliche Suizidhandlung, so dass im Gegensatz zu den übrigen Tötungsdelikten vielmehr ein eigenständig vertyptes Delikt mit einem eigenen Unrechtsgehalt geschaffen wurde.91 Diese Wertungen würden unterlaufen, wenn aus Anlass der Neuregelung in derart gelagerten Fällen eine Bestrafung aus § 222 StGB angenommen werden könnte.

88 89 90 91

Ähnlich Oglakcioglu, a.a.O. (Rn. 40). Ähnlich Gaede, a.a.O. (S. 388). Hierzu Gaede, a.a.O. (391). Ebenda.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen Im Folgenden sollen alle verbleibenden Zweifelsfragen ihre angemessene Vertiefung erhalten. Im weiteren Fortgang sollen deshalb zunächst unter a) die dogmatischen Folgeprobleme der Neuregelung festgehalten werden, dann unter b) kriminal- und gesellschaftspolitische Bedenken geäußert werden und schließlich unter c) die relevantesten verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich § 217 StGB n.F. die ihnen jeweils gebührende Erörterung erlangen. Es ist in der Sache unvermeidbar, dass manche der angesprochenen Aspekte inhaltlich sehr nah bei einander liegen und dass bisweilen lediglich verschiedene Seiten desselben Problems beleuchtet werden.

A) Immanente Probleme der neuen gesetzlichen Regelung Im weiteren Fortgang werden strafrechtsdogmatische Grundsatzfragen im Kontext der Neuregelung behandelt, zudem die neu aufgetretenen Auslegungsprobleme und einige normenspezifische Wertungswidersprüche.

I. Strafrechtsdogmatik / Grundsatzfragen / Auslegungsprobleme Im Folgenden wird dem Grund für das in § 217 StGB n.F. zum Ausdruck kommende Unrecht nachgegangen.

1. § 217 StGB n.F. als abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld der eigentlichen suizidalen Handlung Wie bereits gezeigt, handelt es sich bei § 217 StGB n.F. um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Worin besteht nun aber bei einer geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe das verwirklichte strafwürdige Unrecht? Immerhin ist bei entsprechender Verwirklichung eine Sanktionierung des Täters mit immerhin bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen.1 Auf einer allgemeinen Ebene liegt der Grund für eine Kriminalstrafe in der persönlichen Vermeid- und Vorwerfbarkeit des entsprechenden Straftatbestandes als Ausdruck einer gleichheitswidrigen Anmaßung einer dem Täter tatsächlich nicht zustehenden Freiheit, was zu einer schwerwiegenden Störung des Rechtsfriedens führt.2 1 2

Ähnlich Duttge, NJW 2016 120 ff. (123). Siehe Teil II; vgl. hierzu auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, a.a.O. (§§ 82–103; 218, 220).

246

Teil III

Im Falle eines abstrakten Gefährdungsdeliktes im Bereich der Tötungsdelikte wird vom Gesetzgeber bereits eine für sich genommen lebensgefährdende Handlung untersagt. Dann müssten die entsprechenden Sterbehilfeorganisationen vermehrt zu entsprechenden nicht eigenverantwortlichen Suiziden gedrängt haben, wofür es bislang keinerlei signifikantes Datenmaterial anhand entsprechender empirischer Untersuchungen gibt. Vorliegend ist allerdings vorab zu konstatieren: Erstens verbleibt der freiverantwortliche Suizid in der eigenen Freiheitssphäre des Suizidenten (sonst käme seitens des Suizidassistierenden sowieso eine Strafbarkeit aus §§ 211 ff. StGB in Betracht),3 zweitens verbleibt auch die Nutzung einer geeigneten Gelegenheit hierzu allein in der Sphäre des Suizidenten. Es liegt somit letztlich allein am Willensentschluss des Suizidenten, ob er sich einer (wenn auch geschäftsmäßig geschaffenen) Gelegenheit zur Verwirklichung seiner Suizidentscheidung final bedient oder nicht. Ein Hauptproblem hinsichtlich der Rechtsnatur des § 217 StGB n.F. liegt somit darin begründet, dass die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes für sich genommen und im engeren Sinne nicht bereits eine eindeutige sozialschädliche Tendenz aufweist.4 Vielmehr besteht allenfalls die abstrakte Gefahr, dass u.U. wegen eines solchen geschäftsmäßigen Vorhaltens geeigneter Suizidgelegenheiten ausnahmsweise auch nicht-freiverantwortlichen Suiziden Vorschub geleistet werden könnte.5 Insoweit geht es im Kern darum, dass Fallgestaltungen vorgebeugt werden soll, bei denen ein solch geschäftsmäßig handelnder Suizidhelfer nicht freiverantwortlich handelnden oder durch solche Angebote unter sozialen (Zug-)Zwang geratenen Suizidenten6 zum Sterben „verhilft“.7 Damit wird die Rechtsgutgefährdung von einer derartigen, allerdings nur potentiellen, Gesinnung des geschäftsmäßigen Suizidhelfers abgeleitet, den man insoweit unter einen entsprechenden Generalverdacht stellt.8 Es gilt allerdings der Grundsatz, dass die unter Strafe gestellte Handlung mindestens ein sub3 4 5 6

7 8

Vergleiche hierzu Teil I. So auch Duttge, a.a.O. (S. 123). Ähnlich Duttge, a.a.O. Zu dieser Gesetzesbegründung im Entwurf Brand / Griese, a.a.O. (S. 9, 11). Problematisch ist hierbei allerdings, dass auch ein Suizident, der möglicherweise unter sozialem Zugzwang hinsichtlich seines Umfeldes und der objektiven Möglichkeit zu geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe handelt, sich letztlich dennoch aus freiem Willensentschluss für seinen Suizid entscheidet. Sähe man das anders, müsste das ganze Konzept des freien Willen und der menschlichen Verantwortlichkeit, worauf u.a. auch das Strafrecht (vgl. etwa Schuld) aufbaut, revidiert werden. Ebenda. Ähnlich Duttge, a.a.O.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

247

stanzielles, nicht lediglich fernliegendes Schädigungsrisiko beinhalten muss.9 Dies erhält seine inhaltliche Ergänzung mit dem im deutschen Strafrecht verankerten Tatprinzip,10 womit bereits grundlegend – in deutlicher Abkehr zu den in der Zeit zwischen 1933–1945 geltenden Grundsätzen – einem reinen Gesinnungsstrafrecht entgegengewirkt werden soll. Wenn es damit im Kern um die Verhinderung einer Tendenz hin zu der abstrakten Gefahr geht, dass auf Grund einer generellen Bereitschaft zur Suizidhilfe auch in Fällen von nicht-freiverantwortlichen Selbsttötungen Suizidbeihilfe geleistet wird; dann hat man dem mit der Vorschrift des § 217 StGB n.F. insbesondere durch das Tatbestandsmerkmal „geschäftsmäßig“ einen generalpräventiven Riegel vorgeschoben. Wenn aber die Rechtsgutgefährdung allein von der unterstellten und damit zusätzlich unter Generalverdacht gestellten Gesinnung des geschäftsmäßig handelnden Suizidbeihelfers (weil er geschäftsmäßig handelt) hergeleitet wird, auch in Fällen von NichtFreiverantwortlichkeit tätig zu werden, dann wird ein Gesinnungsunrecht i.V.m. einer „Tätertypenlehre“11 in das Strafrecht (wieder)eingeführt. Derartige analoge Konstrukte sind aus der historischen Erfahrung heraus, insbesondere hinsichtlich der Zeit zwischen 1933 und 1945, prinzipiell sehr problematisch und bedürfen sorgfältigster Abwägung. Hinzu kommt, dass es im Fall des § 217 StGB n.F. nicht um eine Fremdtötung geht. Schon insoweit kann der Gesetzgeber die Beachtung der Autonomie von suizidwilligen Personen hinsichtlich der Gestaltung des eigenen Lebensendes mit professioneller Hilfe eigentlich nicht von vornherein für unbeachtlich erklären. Denn es ist davon auszugehen, dass jeder Bürger, soweit er einer verantwortlichen Entscheidung fähig ist, das Recht hat, über den Zeitpunkt und die Art seines Todes selbst zu bestimmen und zu verfügen.12 Es gibt mithin keine Pflicht zum Leben, aber das Recht auf einen selbstbestimmten Tod.13 Es besteht umgekehrt die konkrete Gefahr, dass der Gesetzgeber mit § 217 StGB n.F. in der rechtlichen Praxis diesen eben genannten Grundsatz für die Zukunft indirekt aufgehoben hat. Damit hätte der Gesetzgeber dann allerdings faktisch die Grenze zwischen Recht und Moral in puncto Selbsttötung weiter aufgeweicht und (s)eine normativ mögliche Vorstellung vom Umgang mit der 9 10 11 12 13

Mit weiteren Verweisen Duttge, a.a.O. (Rn. 39). Vgl. §§ 1, 11 I Nr. 5 StGB; allerdings ist im Falle von § 217 StGB n.F. zu konstatieren, dass er diesbezüglich eine merkwürdige Zwitterstellung einnimmt. Z.B. § 211 II StGB : „Mörder ist, wer …“. So auch Roxin, NStZ 2016, 185 ff. (186). Ebenso ebenda.

248

Teil III

Thematik für allgemeinverbindlich erklärt.14 Inhaltlich wird mit der neuen Vorschrift die Gesinnung pönalisiert, eine Sterbehilfe geschäftsmäßig anstatt einmalig im Einzelfall vornehmen zu wollen. Fraglich ist jedoch, ob der strafbewehrten Handlung ein substanzielles und nicht nur fernliegendes Rechtsgutrisiko innewohnt (s.o.). Anderenfalls würde sich zumindest mittelbar in Abkehr vom zentralen Tatprinzip15 faktisch ein Gesinnungsprinzip in die dogmatische Strafbegründung einschleichen. Unter der Hand hat sich der Schwerpunkt von der Frage nach der Freiverantwortlichkeit zur Frage nach dem voraussichtlichen Gelingen des Suizids verlagert – womit eine generalpräventive Stoßrichtung der Norm mit einer abschreckenden Wirkung hinsichtlich der Frage nach der Durchführung selbst gegenüber dem Suizidenten einhergeht. Keinesfalls möchte ein Suizident einen solchen Versuch als Schwerstgeschädigter-, verstümmelter oder Akutpflegefall überleben müssen. So ist er vielmehr vor die Wahl gestellt, entweder mittels eines sog. „Brutalsuizids“16 ganz sicher zu gehen, oder aber von dieser Möglichkeit aus Angst vor einem Misslingen i.V.m. der Härte der nun erforderlich gewordenen Maßnahmen u.U. von dem bereits gefassten eigenen Entschluss Abstand zu nehmen. Sachlich geht es dann allerdings vor allem um eine generelle Suizidprävention, da die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unabhängig von der tatsächlichen Autonomie des Suizidenten unter Strafe gestellt worden ist und § 217 StGB n.F. im Einzelfall gar kein autonomiebeeinträchtigendes Verhalten der auf Suizidbeihilfe spezialisierten Institutionen bzw. Einzelpersonen voraussetzt. Dass der eigentliche Grund der Strafandrohung in einer generellen Suizidprävention liegt, folgt bereits aus dem Wortlaut der Begründung zum Gesetzesentwurf, worin es ausdrücklich heißt: „Das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe soll der Gefahr begegnen, dass durch derartige, Normalität suggerierende Angebote Menschen zur Selbsttötung verleitet werden, die dies ohne ein solches Angebot nicht tun würden.“17

Im Ergebnis ist suizidwilligen Menschen damit bereits vorab die Möglichkeit genommen worden, sich professioneller Hilfe bei der Umsetzung ihrer suizidalen Absichten bedienen zu können. 14 15 16 17

So auch Duttge, a.a.O. Vgl. §§ 1 ff. StGB. Hierunter fallen etwa Sprünge aus großer Höhe, Geisterfahrten auf Autobahnen, Sprünge vor fahrende Züge auf die Gleise, unberechenbarer Medikamentenmissbrauch etc. Vgl. hierzu: Wortlaut des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 13), Bundestags-Drucksache 18/5373.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

249

2. Gefahr einer überschießenden Kriminalisierung infolge der ausnahmslosen Bestrafung jeder entsprechenden Handlung nach § 217 StGB n.F.? Es liegt auf der Hand, dass nahezu alle bisher geschäftsmäßig assistierten Suizide infolge der hiermit zusammenhängenden Professionalisierung wohlüberlegt und völlig freiverantwortlich als sog. Bilanzsuizid seitens der Suizidenten durchgeführt worden sind. Dies wurde allein schon durch die in jedem Fall einzuhaltende mehrstufige und eingehende Prozedur sichergestellt, womit sich etwa Institutionen wie DIGNITAS strafrechtlich abgesichert haben. Dann bedeutet allerdings die mit der Neuregelung angeordnete ausnahmslose Strafandrohung hinsichtlich der Geschäftsmäßigkeit eine überschießende Kriminalisierung18 und die Bestrafung jeder Förderungstat im Sinne der Vorschrift die Verhängung und Vollstreckung einer generellen Verdachtsstrafe.19 Strafgrund und Zweck der Strafvorschrift stehen somit in keinem adäquaten Verhältnis zueinander, zumal die geschäftsmäßig ausgeübte Suizidassistenz ausnahmslos unter Strafe gestellt wurde.

3. Legitimer Strafzweck oder unverhältnismäßiger Eingriff mit den Mitteln des Strafrechts? Oben wurde bereits der Hinweis auf die in einem gewissen Widerspruch zum fundamentalen Tatprinzip stehende Hinführung auf die lediglich unter Generalverdacht gestellte schlechte Gesinnung geschäftsmäßig handelnder Suizidhelfer im Vorfeld des eigentlichen Suizids herausgearbeitet. Dies ist zugleich ein erster Einwand gegen die Legitimität des zu Grunde liegenden Strafzweckes, wie er in § 217 StGB n.F. seinen gesetzgeberischen Ausdruck gefunden hat. Fraglich ist allerdings, ob der Gesetzgeber mit dem schärfsten ihm zu Gebote stehenden Mittel – dem Strafrecht – eine ihm unerwünschte gesellschaftliche Latenz oder Tendenz im Hinblick auf die Sterbehilfeproblematik eindämmen oder auf diesem Wege gar eine generelle Suizidprävention betreiben darf. Wenn allerdings andere Sanktionen denselben Effekt hätten und dem Unwertgehalt des unter Strafe gestellten Handelns gerecht würden, verstieße eine Kriminalisierung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, welcher als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang genießt.20

18 19 20

So auch Duttge, a.a.O.(S. 123). Ebenda. So auch Roxin, NStZ 2016, 185 ff. (188).

250

Teil III

In der Sache geht es darum, dass das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben nicht zugleich das Recht bedeutet, von einer anderen Person Hilfe zum Suizid einfordern zu können.21 Gleiches gilt aus Sicht des einzelnen im Hinblick auf den Staat. Allerdings darf der Gesetzgeber das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben nicht dadurch unterlaufen, dass er suizidwilligen Personen generell das Recht nimmt, den eigenen selbstbestimmten Tod zumutbar realisieren zu können.22 Insoweit dürfen bestehende Hilfsmöglichkeiten nicht ohne sachlichen Grund und unverhältnismäßig eingeschränkt werden.23 Hierbei taucht in etwas anderer Gestalt das Problem auf, dass ja der Suizid und die Beihilfe dazu im Prinzip noch erlaubt sind, lediglich die geschäftsmäßige Förderung unter Strafandrohung gestellt worden ist. Medizinisch kompetente Institutionen oder Einzelpersonen unterfallen nun dem Verdikt der Kriminalität, sollten sie über den Einzelfall hinaus Sterbehilfe leisten (wollen). Ärzte sind ausdrücklich nicht von der Strafbarkeit ausgenommen. Abgesehen von der Gefahr der allgemeinen Zunahme von „Brutalsuiziden“ werden suizidwillige Personen, die niemanden haben (der im Einzelfall helfen würde), entweder ebenfalls im Brutalsuizid den letzten Ausweg suchen oder aber ein derartiges Vorhaben gänzlich aufgeben. Dies wird immer dann der Fall sein, wenn die suizidwillige Person den Mut zum Brutalsuizid nicht aufbringen kann. Allerdings kann es im Umkehrschluss keineswegs zumutbar sein, aus großer Höhe in den sicheren Tod oder vor einen fahrenden Zug springen zu müssen. Faktisch hat der Gesetzgeber suizidwilligen Personen aktuell eine Pflicht zum Weiterleben auferlegt, da er für diese Personengruppe das ggf. einzig erreichbare und zumutbare Mittel zum Suizid mit einem gesetzgeberischen Federstrich unerreichbar gemacht hat. Dies mutet sehr paternalistisch und moralisch bevormundend an. Dagegen steht jedoch die Theorietradition des sog. politischen Liberalismus,24 ebenso wie der Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Ein liberaler Rechtsstaat, der sich gleichermaßen als neutraler Staat aller Bürger versteht,25 muss es sich versagen, bestimmte höchstpersönliche Lebens- und Sterbeentwürfe als „richtig“, als „falsch“, als „erstrebenswert“ oder als „nicht erstrebenswert“ vorzuschreiben.26 Dies bedeutet sachlich zugleich eine imma21 22 23 24 25 26

Ähnlich Hilgendorf, JZ 2014, 545 ff. (550). Ebenda. Hierzu vertiefend Punkt c). Dieses hat u.a. im rechtsstaatlich-liberalen Tatprinzip seinen Niederschlag gefunden. Duttge, a.a.O. (S. 124) spricht in Anlehnung an BverfGE 19,206 (216) bildlich vom Staat als Heimstatt aller Bürger. Ebenso Duttge, a.a.O. (S. 124).

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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nente Strafrechtsbegrenzung. Rechtliche Normen, die einen allgemeinen Geltungsanspruch erheben, müssen damit unabhängig von partikularen, ethischen oder religiösen Überzeugungen begründet und somit als legitim gerechtfertigt werden. Hiermit korrespondiert ebenso die herrschende strafrechtliche Rechtsguttheorie, wonach die Aufgabe des Strafrechts darauf beschränkt ist, den ihm unterworfenen Bürgern ein freies und friedliches Zusammenleben unter optimaler Gewährleistung aller verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechte zu ermöglichen. Somit ist es mehr als fraglich, ob der Gesetzgeber in diesem Sinne überhaupt ein Recht haben kann, organisierte Sterbehilfe derart krass zu beschränken, indem a priori der Zugang und damit die Inanspruchnahme von hierauf spezialisierten Sterbehilfeorganisationen oder Ärzten rechtlich verunmöglicht wird.

4. Durchbrechung des Prinzips von der (limitierten) Akzessorietät der Teilnahme Möglicherweise wurde der strafrechtliche Grundsatz, dass eine strafbare Beihilfehandlung eine rechtswidrige Haupttat zur Voraussetzung27 hat, vorliegend zur einer rein regelungstechnischen Hürde degradiert, welche durch § 217 StGB n.F. derart überwunden wurde, dass die Beihilfehandlung nun selbstständig unter Strafe gestellt worden ist.28 Im Ergebnis hat der Gesetzgeber nun die aus dem Fehlen einer tatbestandsmäßigen Haupttat resultierende „formelle“ Akzessorietätslücke mittels der Konstruktion einer verselbstständigten Teilnahme überbrückt.29 Allerdings beinhaltet der über die notwendige Akzessorietät der Teilnahme gestiftete Zusammenhang zwischen dem Unrecht der Haupttat und der rechtswidrigen Förderung einer solchen darüber hinaus eine überaus tragfähige materiell-rechtliche Begründung, die gegen eine grundverschiedene strafrechtliche Bewertung von nach wie vor straflosen Suiziden und (geschäftsmäßigen) Beihilfehandlungen spricht. Wenn nämlich der Suizid und die Beihilfe dazu grundsätzlich straflos sind und sowohl der Suizid als auch die Beihilfe dazu sich als vom Staat zu duldende Grundrechtsausübung kategorisieren lassen, dann ist jede Förderung eines Suizids eine Förderung einer solchen bei Lichte betrachtet rechtmäßigen Grundrechtsausübung. Diese Einordnung ist unabhängig davon, ob ein Suizid im Einzelfall oder aber geschäftsmäßig gefördert 27 28 29

Teilnahme ist immer Teilnahme an fremder Tat. Teilnahme ist darum akzessorisch, d.h. von der Existenz einer rechtswidrigen Haupttat i.S.d. § 11 Nr. 5 StGB abhängig. Vgl. hierzu bereits Teil III unter Kap. 3 Punkt F). Ebenso Sowada, ZfL 2015 S. 34 ff. (37).

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Teil III

wird. Dem anschließenden Suizid (bei voller Tatherrschaft des Suizidenten) geht in jedem Fall eine höchstpersönliche und autonome Entscheidung voraus. Mit Einführung von § 217 StGB n.F. werden derartige Handlungen nun unter Strafandrohung gestellt. Außerdem ist weder dem im Einzelfall noch dem geschäftsmäßig Suizidhilfe leistenden Suizidhelfer ein Erfolgsunrecht oder Handlungsunrecht hinsichtlich des anschließenden Suizids vorwerfbar. Denn bei einem freiverantwortlich durchgeführten Suizid kann in Bezug auf den Todeserfolg dem Beihelfer weder ein Erfolgsunrecht zugerechnet werden, noch liegt ein rechtswidriger Angriff auf ein fremdes Rechtsgut vor. Insoweit bedarf es einer näheren Klärung hinsichtlich der Frage, inwiefern die Teilnahme an einem rechtlich erlaubten bzw. nicht strafbaren Handeln dennoch ein eigenständig zu ahndendes Unrecht begründen kann. Das StGB sieht nur in ganz wenigen Ausnahmefällen eine vergleichbare gesetzliche Ausnahme vom Akzessorietätsprinzip vor, insoweit eine Teilnahmehandlung rechtlich verselbstständigt wird. Als Beispiele für selbstständig unter Strafe gestellte Beihilfehandlungen sind etwa die §§ 259 Abs. I (insb. Alt. 4 Absatzhilfe), 120 Abs. I Alt. 2 und 3 (Gefangenen zum Entweichen verleiten oder dabei fördern) und 219b Abs. I StGB (zum Schwangerschaftsabbruch geeignete Gegenstände in Verkehr bringen) zu nennen. Im Fall der Hehlerei wird allerdings eine vom Vortäter begangene rechtswidrige Rechtsgutverletzung (Eigentum / Vermögen) aufrechterhalten bzw. dieser rechtswidrige Zustand durch die Hehlerei weiter vertieft. Insoweit liegt eine völlig andere Ausgangslage vor, als dies bei einer geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe der Fall ist. Von einer echten Durchbrechung der Akzessorietät kann man also gar nicht sprechen. Im Falle der Verleitung oder Förderung des Entweichens eines Gefangenen wird rechtswidrig in das Rechtsgut der legitimen Verwahrungsgewalt des Staates eingegriffen,30 und die Flucht des Gefangenen ist ihrerseits eine rechtswidrige Haupttat (z.B. § 121 Abs. I Nr. 2 StGB). Es liegt bei näherer Betrachtung ebenfalls gar keine echte Durchbrechung der Akzessorietät vor, lediglich eine Verselbstständigung der Teilnahmehandlung. Auch diese Norm ist deshalb in ihrer Struktur nicht mit § 217 StGB n.F. vergleichbar. Im Fall von § 219b Abs. I StGB soll illegalen und von Laien vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen entgegengewirkt werden; denn gem. § 218 StGB ist ein Schwangerschaftsabbruch generell unter Strafe gestellt und nur unter 30

Vgl. F. Neumann, a.a.O. (S. 285).

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

253

den besonderen Voraussetzungen des § 218a StGB als ausnahmsweise nicht tatbestandsmäßig anzusehen. Auch hier bezieht sich die in § 219b Abs. I StGB selbstständig unter Strafe gestellte Teilnahmehandlung auf eine prinzipiell rechtswidrige Haupttat. Damit liegt hier ebenfalls keine echte Durchbrechung der Akzessorietät vor, lediglich eine weitere verselbstständigte Teilnahmehandlung. Damit ist auch diese Norm in ihrer Struktur nach nicht mit § 217 StGB n.F. vergleichbar. Um eine eigenständige Unrechtsbegründung für die geschäftsmäßige Teilnahme am Suizid dennoch überhaupt begründen zu können, müsste man wohl darauf abstellen, dass ein Suizid in der Regel Ausdruck eines letztlich unfreien Willens sei31 und darum die Autonomie des Suizidenten als nur scheinbare Freiverantwortlichkeit hinter den staatlichen Lebensschutz zurücktreten müsse. Es würde dann aber unter der Hand die konkrete Suizidentscheidung grundsätzlich mit einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gleichgestellt.32 Eine solche Auffassung ist psychiatrisch wie psychologisch unhaltbar sowie unter allen Umständen hinsichtlich einer prinzipiellen Wahrung der staatlichen Neutralität (s.o.) und eines liberalen Strafrechtsverständnisses (s.o) abzuweisen. Insoweit ist bis hierher nicht ersichtlich, weshalb die Teilnahme an einem rechtlich erlaubten bzw. nicht strafbaren Handeln trotzdem ausnahmsweise ein eigenständig zu ahndendes Unrecht begründen kann. Zwar setzt eine Strafandrohung nicht notwendig eine konkrete Rechtsgutverletzung oder -gefährdung voraus,33 so dass zwar grundsätzlich eine strafbare geschäftsmäßige Förderung eines verantwortlich begangenen Suizids auch ohne eine rechtswidrige Schädigung oder Gefährdung fremden Lebens denkbar ist.34 Dies bezieht sich aber nur auf die Möglichkeit des Gesetzgebers, abstrakte Gefährdungsdelikte zu definieren und selbstständig unter Strafandrohung zu stellen. Hinsichtlich des Akzessorietätserfordernisses liegt im Falle des § 217 StGB n.F. ein „Systembruch“ vor, dessen Begründung bislang dogmatisch nicht überzeugen kann. Außerdem wird hierdurch die prinzipielle Straffreiheit von Suizid und entsprechenden Beihilfehandlungen sukzessive unterwandert, da gravierend in die Freiheitssphäre von suizidwilligen Personen und allen bislang geschäftsmäßig professionalisierten Sterbehelfern, insbesondere seitens der Ärzteschaft, einge31 32 33 34

Vgl. Sowada, a.a.O. (S. 37). Vgl. ebenda. Ebenso Roxin, NStZ 2016, 185 ff. (188). Ebenda.

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Teil III

griffen wird. Faktisch wird vielen sterbewilligen Personen damit eine zumutbare Möglichkeit, das eigene Leben selbstbestimmt mit Hilfe Dritter beenden zu können, rechtlich verunmöglicht (s.o.). Menschen, die hierauf etwa wegen unzumutbaren körperlichen oder seelischen Leidens angewiesen wären, haben nun gar keine Möglichkeit mehr, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden.

5. Geschäftsmäßiges Fördern von Selbsttötungen als „zulässiger“ Strafgrund? Es stellt sich die Frage, wie eine im Grunde erlaubte Handlung (Beihilfe zum Suizid) plötzlich strafbewehrt sein kann, nur weil sie geschäftsmäßig erfolgt. So ist insbesondere die ärztliche Beihilfe zum Suizid, die bisher eine nicht dem Strafrecht unterliegende höchstpersönliche Entscheidung im Arzt-Patienten Verhältnis darstellte, trotz der weiteren Straflosigkeit des Suizids faktisch strafbar geworden (s.o.). Worin liegt mithin das strafwürdige Unrecht der Geschäftsmäßigkeit von Suizidbeihilfe? Aus der nach wie vor erlaubten Förderung einer autonomen Selbsttötung wird allein durch das Hinzutreten bereits einer rein subjektiven Wiederholungsabsicht ein strafwürdiges Unrecht. Kann die wiederholte Förderung einer rechtmäßigen Handlung in der Sache nicht nur dadurch als rechtswidrig qualifiziert werden, dass man inhaltlich eigentlich den Stellenwert eines freiverantwortlichen Suizids in Frage stellt? Denn nur in derartigen mit § 291 StGB vergleichbaren Fallgestaltungen kann man etwa eine Suizidbeihilfe mittels eines Sterbehilfevereins zu einem Gegenstand des Strafrechts qualifizieren, falls sich letztlich die Selbsttötung nicht mehr als Akt in Freiheit erwiese. Dann würde im Vorfeld in Entsprechung zu § 291 Abs. I StGB „die Zwangslage, die Unerfahrenheit, ein Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche“ von suizidwilligen Personen ausgenutzt. Als Indiz hierfür wird allein die etwaige Geschäftsmäßigkeit von Sterbehilfe herangezogen, weil so den Suizidenten der Eindruck einer gesellschaftlichen Normalität vorgespiegelt würde und dadurch die Gefahr eines unfreiwilligen in Zugzwang-Setzens bestimmter Personengruppen begründet würde. Ein solches auf die Entschließungs- und Handlungsfreiheit (Selbstbestimmungsrecht) bezogenes Verständnis von § 217 StGB n.F. führt jedoch sofort dessen Überflüssigkeit vor Augen, weil derartige Fälle bereits de lege lata als Tötung in mittelbarer Täterschaft strafbar sind. Es bleibt in dieser Hinsicht mithin auch in dieser Hinsicht bei einem dogmatisch nicht begründbaren Systembruch. Gerade anhand dieses Tatbestandsmerkmals müsste seitens des Gesetzgebers plausibel gemacht werden können, dass in Fällen geschäftsmäßiger Suizidförderung die gesetzgeberische Annahme vom Vorliegen einer (qualifiziert)

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gefährlichen „Suizidhilfe“ (=Förderung) sachlich begründet ist.35 Weder haben vor Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. die Sterbehilfeorganisationen sowie die geschäftsmäßig handelnden Ärzte einen sog. Dammbruch-Effekt hinsichtlich einer dramatischen Zunahme von Suiziden gezeitigt, noch hat die vorhergesagte Zerstörung des Vertrauens im Arzt-Patienten-Verhältnis einen empirischen Beleg gefunden.36 Dass die Geschäftsmäßigkeit auf „Täterseite“ auch nur tendenziell die Freiverantwortlichkeit auf Seiten des Suizidenten ausschließe – auch hierfür gibt es keinerlei empirischen oder sonstigen wissenschaftlichen Beleg.37 Insoweit ist nicht nachvollziehbar, wie aus der erlaubten Förderung einer autonomen Tat allein durch das Hinzutreten einer Wiederholungsabsicht strafwürdiges Unrecht entstehen kann.38 Allein die Absicht einer Wiederholung kann schwerlich ein hinreichender Grund dafür sein, aus einer straffreien Handlung eine Straftat zu machen.39 Ein geschäftsmäßiges Verhalten ist demnach wohl kaum als strafrechtliches Unrecht qualifizierbar, zumal wenn es sich auf ein erlaubtes Verhalten bezieht.40 Darüber hinaus kennt die Rechtsordnung insgesamt nach systematischer Betrachtung im Moment der Geschäftsmäßigkeit regelmäßig nur dann einen besonderen Unwertgehalt, wenn das betreffende „Geschäft“ aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung mit besonderen Anforderungen und Pflichten des Betreibers verbunden ist, um die hohen Standards zu wahren.41 Das zeigt exemplarisch das geschützte Rechtsgut i.R. von § 206 StGB auf, wobei im Kontext der Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses von der geschäftsmäßigen Erbringung von Postdiensten i.S.v. § 4 Nr. 4 BegleitG die Rede ist. Ebenso wird in § 3 Nr. 10 TKG das geschäftsmäßige Erbringen von TKDienstleistungen definiert. Im Kontext einer Suizidbeihilfe würde sich eine Qualifizierung der Geschäftsmäßigkeit zu einem eigenständigen Unwertgehalt nur dann systematisch einfügen, wenn es eine legale Geschäftstätigkeit der Suizidbeihilfe gäbe, deren professionelle Ausübung aus Gründen der Sicherung von bestimmten Standards garantiert werden sollte.42 Der Gesetzgeber intendiert mit der Neuregelung allerdings genau das Gegenteil: Im Gegensatz 35 36 37 38 39 40 41 42

Ähnlich Gaede, a.a.O. (S. 389). Ähnlich Soweda, a.a.O. (S. 40 m.w.N.). So auch Duttge, a.a.O.(S. 123). Ähnlich Duttge ebenda. So auch Roxin, a.a.O. (S. 189). Vgl. Roxin, a.a.O. (S. 189). Ähnlich Duttge, a.a.O. (S. 122). So auch Duttge, a.a.O. (S. 122).

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Teil III

zu einer professionalisierten geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist seit Inkrafttreten der neuen Vorschrift lediglich eine von unprofessionellen Privatpersonen aus Mitleid und Mitgefühl erbrachte Suizidbeihilfe rechtlich möglich, wobei die Gefahr eines Misslingens erheblich gesteigert ist. Hinzu kommt, dass dieser zentrale unrechtsbegründende Begriff sehr unbestimmt ist. Er enthält keine trennscharfen, überprüfbaren Kriterien, sondern nimmt auf eine tatferne Zwecksetzung Bezug, die ihren Ausgang in der Motivation des Handelnden nimmt.43 Unklar ist insbesondere, welche Indizien es erlauben, auf eine Intention i.S.v. § 217 StGB n.F. zu schließen.44 Hinzu kommen die Beweisschwierigkeiten, vor die dieses Kriterium die Rechtspraxis künftig stellen wird.45

6. § 217 StGB n.F. Abs. II / persönliche Strafausschließungsgründe / Teilnehmerkreis Hierzu wurde unter Punkt C. f.)46 bereits das Wichtigste gesagt. Hervorhebung verdient an dieser Stelle der Hinweis darauf, dass es hinsichtlich § 217 Abs. II StGB n.F. Zweifel daran gibt, ob diese Vorschrift Ungleichbehandlungen ohne einleuchtenden sachlichen Grund sicher ausschließen kann. So erkennt der Gesetzgeber an, dass sich Angehörige und andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen nicht strafbar machen, wenn sie nicht geschäftsmäßig an einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung teilnehmen. Ein systematischer Einwand besteht darin, dass bei den Angehörigen i.S.v. § 11 Abs. I Nr. 1a) überhaupt nicht auf deren tatsächliche Motivation abgestellt wird, so dass der Strafausschließungsgrund wegen Art. 103 Abs. II GG auch bei nicht geschäftsmäßigen, aber dennoch finanziell motivierten Teilnahmehandlungen am Tatbestand des § 217 StGB n.F. gelten muss. Etwa im Fall eines Sohnes, der seinen todkranken Vater ohne Mitleid oder Mitgefühl zu einem geschäftsmäßig handelnden Suizidhelfer fährt, um in den schnellstmöglichen und sicheren Genuss wenigstens seines gesetzlichen Erbteils zu gelangen. Zusätzlich hätte der so handelnde Sohn zugleich die geschäftsmäßige Förderung bei der Selbsttötung des Vaters objektiv gefördert. Dennoch wäre dem Handeln dieses Sohnes allein aufgrund von dessen „blutsmäßiger“ Angehörigeneigenschaft von Anfang an jeder strafwürdige Unrechtsgehalt entzogen.

43 44 45 46

Ebenso Duttge, a.a.O. (S. 122). Ebenda. Ähnlich Roxin, a.a.O. (S. 189). Vgl. auch Kap. 3 Punkt F).

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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Dies Beispiel zeigt, dass der Gesetzgeber etwas vorschnell eine allgemeingültige und im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende intensive Anteilnahme und gegenseitige Solidarität allein aufgrund des Angehörigenverhältnisses unterstellt hat. Gegenüber einer solchen Fallgestaltung ist es dann aber nur schwer einsehbar, warum etwa der intensiv am Leid des Suizidenten anteilnehmender Teilnehmer (an der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung des Vaters), der also selbst weder geschäftsmäßig noch gar gewerbsmäßig handelt – nur weil er kein Angehöriger bzw. eine dem Suizidenten nahe stehende Person ist – wegen Beihilfe an § 217 StGB n.F. schlimmstenfalls gleich einem Täter zu bestrafen sein soll. Das Handeln des Sohnes (der ebenfalls Teilnehmer ist) und das Handeln eines solchen Teilnehmers würden in einer solchen Fallgestaltung ohne nachvollziehbaren sachlichen Grund höchst ungleich behandelt. Außerdem ist es auch nicht völlig unwahrscheinlich, dass der Entschluss hinsichtlich einer Teilnahme an § 217 StGB n.F. auch ohne vorherige Nähebeziehung zustande kommt, sofern der Teilnehmer intensiv am Schicksal des Suizidenten teilnimmt und sich solidarisch mit diesem fühlt. Der Gesetzgeber stellt in seiner in Abs. II vorgenommenen Typisierung allerdings allein auf das von ihm verallgemeinernd unterstellte persönliche und von gegenseitiger Solidarität geprägte Näheverhältnis bei Angehörigen oder sonst nahe stehenden Personen des Suizidenten ab. Fraglich ist aber auch dann, wie der besondere Unrechtsgehalt einer solcherart motivierten Teilnahme im Verhältnis zu der Teilnahme eines finanziell motivierten Angehörigen bzw. einer sonst dem Suizidenten nahe stehenden finanziell motivierten Person begründet werden kann – ohne eine Ungleichbehandlung ohne echten sachlichen Grund zu riskieren. Die Lebensrealität einer nicht unbedeutenden Anzahl älterer oder kranker Menschen zeigt demgegenüber signifikant an, dass die Angehörigen trotz der vorhandenen Blutsverwandtschaft in gerader oder Seitenlinie oft alles andere als intensiv anteilnehmend oder gar solidarisch zueinander eingestellt sind. Schwer vermittelbar ist es zudem, warum prinzipiell „normalen Betreuungsverhältnissen“ unter Hinweis auf deren Professionalität typisierend unterstellt wird, dass deren Solidaritätsverhältnis zum Suizidenten nicht auf einem Gegenseitigkeitsverhältnis beruhen könne und ebenso nicht aus derselben inneren Motivation entspringe. Bei einer langjährigen intensiven Einzelpflege oder einer lebenslang gewachsenen Beziehung zwischen einem Hausarzt und seinem Patienten ist es allerdings nicht ohne weiteres einleuchtend, warum solchen Beziehungen zum Suizidenten nicht zumindest die Qualität „nahe stehender Personen“ zugesprochen werden kann. Gleiches gilt in hohem Maße hinsichtlich des Arzt-Patientverhältnisses, welches ja von oft konstitutiv von einem gegenseitig gewachsenen Vertrauen lebt. In der Gesetzesbegründung

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Teil III

wird als typisches Beispiel für eine dem Suizidenten nahestehende Person etwa der Mitbewohner in einer langjährigen Wohngemeinschaft angegeben.47 Worin dabei der qualitative Unterschied zu einem langjährigen Arzt-Patientverhältnis liegen soll, bleibt unklar. Insgesamt ist es also fraglich, ob der Gesetzgeber in § 217 Abs. II StGB n.F. nicht willkürlich typisierend die persönlichen Strafaufhebungsgründe zu voreilig bestimmt hat.

7. Das Problem der ärztlichen Suizidassistenz Im Ungewissen verbleibt als praktisch wichtigste Frage für die ärztliche Praxis sowie die Rechtsanwendung das Problem der Zulässigkeit ärztlicher Suizidassistenz überhaupt. Anders formuliert ist zu fragen, ob die Neuregelung dem Problemfeld des ärztlich assistierten Suizids gerecht wird oder dieses als „Kollateralschaden“ gleichsam im Vorbeigehen aus dem Verkehr zieht.48 Nach dem Wortlaut der neuen Vorschrift fällt jede bereits mit Wiederholungsabsicht erfolgte ärztliche Suizidassistenz unter den Anwendungsbereich von § 217 Abs. I StGB n.F. Ärzte sind ausdrücklich nicht von den persönlichen Strafaufhebungsgründen aus Abs. II dieser Vorschrift mitumfasst.49 In der Gesetzesbegründung heißt es an einer einzigen Stelle diesbezüglich lapidar: „Im Gegensatz hierzu ist der assistierte Suizid gerade nicht medizinisch indiziert und entspricht deshalb nicht dem Selbstverständnis dieser Berufe und Einrichtungen.“50 Etwas weiter heißt es ergänzend: „Die Hilfe zum Suizid entspricht nicht dem Selbstverständnis dieser Berufe und Einrichtungen und wird daher von diesen grundsätzlich auch nicht gewährt. Sollte im Einzelfall aber gleichwohl von diesem Personenkreis Suizidhilfe gewährt werden, geschieht dies typischerweise gerade nicht ‘geschäftsmäßig’, also in der Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen. Einer besonderen Ausschlussregelung bedarf es daher nicht.“51

Unter der Hand wird hier seitens des Gesetzgebers die Wertung des § 16 MBO52 der Bundesärztekammer als rechtsverbindlich und allgemeingültig

47 48 49 50 51 52

Vgl. hierzu: Gesetzesbegründung Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 20), Bundestags-Drucksache 18/5373. Vgl. hierzu Teil III dort Kap. 3 Punkt B) II. Zu diesem Problem Verrel, Suizidbeihilfe – geschäftsmäßig verboten, im Einzelfall erlaubt? GuP 2016, 45 ff. (49). Vgl. hierzu: Gesetzesbegründung Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 20), Bundestags-Drucksache 18/5373. Ebenda. § 16 MBO (Beistand für Sterbende): „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verbo-

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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supponiert. Dort heißt es sinngemäß, dass keine ärztliche Suizidassistenz geleistet werden dürfe. Dies entspricht in etwa den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung vom 21. Januar 2011, nach denen es bereits in der Präambel heißt, dass die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe und nach § 16 MBO seit Juni 2011 dem Arzt standesrechtlich verboten sei.53 Hinzuweisen ist hier gleichermaßen auf Teil I dieser Arbeit, wo unter Punkt C. a) aa) ddd) bereits Stellung zu dem Problem genommen wurde. Jedenfalls handelt es bei § 16 MBO nicht um ein Gesetz, sondern lediglich um eine Verwaltungsvorschrift (Empfehlung). Diese dürfen nicht einmal als Maßstab für die Auslegung der Generalklauseln über die Berufspflichten der Standesgenossen zu einer gesetzesähnlichen Bedeutung aufgewertet werden. Darum fehlt § 16 MBO jede rechtsverbindliche Außenwirkung. Rechtswirkung entfalten u.U. allein die Berufsordnungen der Landesärztekammern, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts berufsrechtliche Regelungen erlassen können. Allerdings fehlt es diesbezüglich ebenfalls an einer hierfür erforderlichen Ermächtigungsgrundlage in den Landesheilberufegesetzen. Insoweit ist es mehr als problematisch, wenn der Gesetzgeber sich diese Ansicht bzw. Empfehlung zu eigen macht und damit gegen das Neutralitätsgebot verstößt (s.o.). Damit ist jedoch in der Sache der Möglichkeit einer einschränkenden Auslegung bereits gemäß der Gesetzesbegründung der Boden entzogen, weil dies ausdrücklich nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Gemäß der Neuregelung ist einem Arzt grundsätzlich, selbst dann, wenn die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt und damit sogar durch palliative Behandlung schwerste Leiden nicht mehr ausreichend gelindert werden können, die professionelle (d.h. geschäftsmäßige)54 Verhinderung eines solchen Qualtodes strafrechtlich untersagt.55 Dies wird das Arzt-Patienten-Verhältnis ganz grundsätzlich nicht unberührt lassen können. Die Möglichkeit für einen schwerstkranken austherapierten Patienten in auswegloser Lage, seinen Todeswunsch weiterhin als ernsthaftes Ansinnen dem Arzt seines Vertrauens offenbaren zu können, ist mit der Neuregelung faktisch unmöglich geworden und insoweit konterkariert. Zur eigenen Absicherung muss ein solcher Arzt die

53 54 55

ten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ (zit. nach Uwe-Christian-Arnold, a.a.O. [S. 85]). Deutsches Ärzteblatt v. 18.02.2011 (S. A 346–348) zit. nach Putz / Steldinger, a.a.O. (S. 219). Vgl. Teil III dort Kap. 3 Punkt B) II. Ähnlich Roxin, NStZ 2016 185 ff. (189).

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Teil III

Erfüllung derartiger Wünsche zukünftig zwingend ablehnen. Vielmehr wird ein solcher Patient seine Leidenszustände entweder qualvoll bis zum Ende ertragen müssen, oder er ist auf Selbsthilfe bzw. die Hilfe von Laien verwiesen. Alle diese Möglichkeiten sind in der Situation des Schwerstkranken in der Regel nicht greifbar und bergen die Gefahr in sich, zu misslingen und so das Leiden zusätzlich zu verstärken. Einen schmerzlosen Tod könnte nur eine darauf spezialisierte professionelle Suizidbeihilfe sicherstellen. Jedenfalls fällt der Arzt zukünftig bei einer Realisierung von Suizidwünschen als erster Ansprechpartner weg, womit die Gefahr von Qualtoden, von Brutalsuiziden oder aber von dilettantischen Suizidversuchen absehbar steigen wird. Ein weiteres immanentes Problem i.R.d. Merkmals der Geschäftsmäßigkeit kommt hinzu. Aus der Formulierung des § 217 Abs. I StGB n.F. ergibt sich nicht zweifelsfrei in einer dem insbesondere für Strafgesetze normierten Gebot der Bestimmtheit gem. Art. 103 Abs. II GG, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Ärzte, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit Sterbehilfe leisten, strafbar machen.56

8. Strafbarkeit des überlebenden Suizidenten wegen Anstiftung zu § 217 StGB n.F.? Einige vertiefende Betrachtungen57 verdient in diesem Kontext nochmals der bereits ganz knapp erwähnte Beschluss des BVerfG vom 21. Dezember 2015.58 In der Begründung führte das BVerfG u.a. aus, dass suizidgeneigte Personen sich selbst dann nicht dem Risiko einer Strafbarkeit aussetzen, wenn sie Mitarbeiter eines Sterbehilfevereins oder andere Personen als geschäftsmäßige Suizidhelfer zu tatbestandlichen Förderungshandlungen i.S.d. § 217 StGB n.F. bestimmen.59 Zur Begründung führt das BVerfG an, dass eine solche Strafbarkeit nach den Grundsätzen einer sog. notwendigen Teilnahme nicht in Betracht komme, wonach insbesondere das durch die Strafvorschrift geschützte Opfer auch bei einer Mitwirkungshandlung straflos bleibe, weil es bei einer Mitwirkungshandlung des geschützten Rechtsgutinhabers generell an der für eine strafbare Teilnahme notwendigen eigenständigen Unrechtsverwirklichung fehle.60 Weiter verweist das BVerfG zur Untermauerung seiner Argumentation auf die Begründung des Gesetzesentwurfs, wonach gerade der potenzielle 56 57 58 59 60

Vgl. hierzu später Teil III, Kap. 4 C) IV. 1. sowie Teil III, Kap. 3 B) II. Vgl. im Übrigen unter: Teil III, Kap. 3 E) II. BVerfG, NJW 2016, 558 Rn. 13 ff. Vgl. ebenda. Ebenda.

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Suizident vor einer abstrakt das Leben und die Autonomie des Einzelnen gefährdenden Handlung in Form einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung geschützt werden soll.61 Gem. § 31 Abs. I BVerfGG binden lediglich die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Über das Hauptsacheverfahren wurde vorliegend aber noch nicht entschieden, so dass die obige Auslegung der 2. Kammer des Zweiten Senats zumindest bislang noch keinerlei Letztverbindlichkeit für sich beanspruchen kann. Bei unbefangener Lektüre des Wortlauts des § 217 StGB n.F. unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertungen ist allerdings nicht ohne Weiteres ersichtlich, warum ausgerechnet eine suizidwillige Person, die Kontakt zu einer im Bereich der Sterbehilfe geschäftsmäßig handelnden Organisation bzw. Einzelperson aufnimmt und diese zu einer entsprechenden Förderung veranlasst, straffrei sein soll. Der Tatbestand des § 217 StGB n.F. ist bereits verwirklicht, wenn nur (geschäftsmäßig) eine objektiv geeignete Gelegenheit dafür geschaffen wurde, die gewünschte Selbsttötung zu erleichtern. Allerdings ist damit ja noch gar nicht gesagt, ob der Suizident auch tatsächlich zum Suizid ansetzt, sich vielleicht doch anders entscheidet oder von Anfang an ohne konkreten Suizidvorsatz nur abstrakt über eine entsprechende Möglichkeit verfügen wollte. Für die Vollendung des § 217 StGB n.F. kommt es noch nicht einmal auf ein konkretes Ansetzen zum Suizid an. Das heißt bezogen auf den Zweck des Gesetzes, dass letztlich der Suizident vor sich selbst geschützt werden soll. Es soll mit Hilfe des § 217 StGB n.F. letztlich ganz generell einem hypotastierten, empirisch durch nicht begründeten (s.o.) „Suizid-Dammbruch“ vorgebeugt werden. Das Verhalten des Suizidenten im Vorfeld konstituiert bei näherer Betrachtung darüber hinaus überhaupt erst das abstrakt verwirklichte Unrecht. Ohne den ersten Schritt des Suizidwilligen, nämlich Kontakt mit einer geeigneten Organisation bzw. Einzelperson aufzunehmen, wäre jede geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötungen bereits faktisch hinfällig. Selbst nach einer solchen Kontaktaufnahme ist es noch nicht ausgemacht, ob tatsächlich eine Förderung stattfinden wird. Ohne konkreten Bezug zu einem Suizidenten ist das Vorhalten entsprechender Angebote strafrechtlich zunächst selbst i.S. der neuen Vorschrift noch nicht relevant. Das Überschreiten der Hemmschwelle geht dann mit der Kontaktaufnahme allerdings zunächst allein vom Suizidenten aus, hierdurch wird die abstrakte Gefährdung überhaupt erst real und damit einer 61

Vgl. a.a.O. (Rn. 14).

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Teil III

strafrechtlichen Verfolgung zugänglich gemacht. Insoweit ist das Kausalitätsverhältnis zwischen der Bereithaltung derartiger Angebote als Möglichkeit und der konkreten Inanspruchnahme nicht ganz eindeutig. Darin spiegelt sich das Problem wider, ob suizidwillige Personen mehr oder weniger willenlose Opfer sind, die einem solchen Angebot aus eigener Kraft einfach nicht widerstehen können, oder ob ihr Handlungsbeitrag nicht mindestens gleichursächlich für die konkrete erfolgende und dabei geschäftsmäßig ausgeführte Suizidförderung im Einzelfall ist. Da ja wegen der Deliktsnatur des § 217 StGB n.F. im Sinne eines abstrakten Gefährdungsdelikts alle potentiellen Suizidenten vor einer abstrakt das Leben und die Autonomie des einzelnen gefährdenden Handlung in Form einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung geschützt werden sollen, konstituiert der je einzelne Suizident die abstrakte Gefährdung gegenüber allen übrigen suizidgeneigten Personen mit. Er wirkt damit am vom Gesetzgeber konzipierten Unrecht mit, weil er mit seinem Verhalten gegenüber allen anderen suizidgeneigten Personen die oben beschriebene Gefahr objektivierend mitkonstituiert. Die konkrete Realisierung der Gefahr in Form eines tatsächlich durchgeführten Suizids ist für die Beurteilung von § 217 StGB n.F. ohne Belang, relevant ist lediglich die geschäftsmäßig vorgehaltene Förderung von Suiziden. Im Ergebnis ist nach dem Wortlaut der Vorschrift von einer Anstiftungsstrafbarkeit des Suizidenten unter den Voraussetzungen von §§ 217 StGB n.F. i.V.m. 26 I StGB auszugehen.

II. Wertungswidersprüche Im weiteren Fortgang sollen einige der offensichtlichsten Wertungswidersprüche ihre angemessene Vertiefung erfahren.

1. Willkürlicher Eingriff in die allg. Handlungsfreiheit? – Gegenüberstellung von geschäftsmäßiger und „laienhafter“ Sterbehilfe § 217 StGB n.F. soll allein Raum für eine Suizidförderung durch unprofessionelle Sterbehelfer im Einzelfall lassen. Diese „Laien-Sterbehelfer“ verfügen aber regelmäßig nicht über die nötige Sachkunde, um ein qualvolles Sterben sicher ausschließen zu können oder einer Manipulation und Beeinflussung der freien Verantwortung auch nur im Ansatz entgegenzusteuern zu können.62 Es gibt bei solchen „Laien-Sterbehelfern“ keinerlei professionalisierten „Notausstieg“ oder brauchbares Fachwissen, um den Sterbevorgang in irgendeiner 62

Vgl. Duttge, a.a.O. (S. 123).

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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Form erleichtern zu können. Jeder macht es dann zum ersten Mal, ohne dass auf irgendwelche verlässlichen Erfahrungswerte oder ein fundiertes Fachwissen aufgebaut werden könnte. So werden für „Laien-Sterbehelfer“ regelmäßig auch nicht die erforderlichen tödlich wirkenden Substanzen zu beschaffen sein bzw. wird erst gar nicht bekannt sein, welche Substanzen überhaupt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken können und wie sie jeweils wirken. Damit ist überhaupt fraglich, worin dann noch der Sinn und Zweck einer erlaubten „Laien-Sterbehilfe“ liegen kann, außer in einer bereits abstrakt abschreckenden Wirkung auf suizidwillige Personen. Bei einem Vergleich mit §§ 218, 218a StGB wird die Widersinnigkeit dieser intendierten Wirkung noch deutlicher. Schwangerschaftsabbrüche dürfen nur von dafür ausgebildeten und absolut kompetenten medizinischen Fachkräften ausgeführt werden. Allein schon das In- Umlaufbringen von zu derartigen Eingriffen geeigneten Utensilien an Laien ist unter Strafe gestellt, weil man Laien vor allem in medizinischen Belangen zu Recht als inkompetent einstuft. Schließlich darf jede ärztliche Untersuchung und Behandlung ausschließlich von approbierten Ärzten vorgenommen werden. Bei der Sterbehilfe läuft es nach neuer Rechtslage dagegen genau umgekehrt: Die auch dafür kompetenten medizinischen Fachkräfte machen sich gerade strafbar, wenn sie professionalisiert, d.h. geschäftsmäßig Sterbehilfe leisten (wollen). Ein „Laien-Sterbehelfer“ dagegen darf im nicht geschäftsmäßigen Einzelfall ohne jede Auflage und straflos Beihilfe zum Suizid leisten. Wenn allerdings die „Laien-Sterbehilfe“ im Gegensatz zur professionellen geschäftsmäßigen Sterbehilfe für den Suizidenten mit unkalkulierbaren Risiken verbunden ist, ist unklar, wieso dann jene nicht ebenfalls erst recht unterbunden wird. Dadurch wird vielmehr die abstrakte Gefahr unkalkulierbar gewordener Suizide mit unabsehbaren Folgen begründet – was einem „Sterbehilfe-Laien“ selbstverständlich nicht vorgeworfen werden kann. Wenn der Gesetzgeber dies aber trotzdem nicht vorgesehen hat, dann ergibt sich allerdings schwerlich, warum das generelle Verbot von professioneller Sterbehilfe von suizidwilligen Menschen hingenommen werden muss. Dem vorgeblich intendierten Rechtsgüterschutz hinsichtlich Leib und Leben von suizidgeneigten Personen entspricht das ganz sicher nicht.

2. Strafbarkeit eines nicht geschäftsmäßig handelnden Teilnehmers an einer geschäftsmäßigen Suizidförderung (§§ 217, 27 StGB im Verhältnis zu § 217 Abs. II StGB n.F.) Es ist im Verhältnis der beiden Absätze nicht einwandfrei nachvollziehbar, weshalb die Ausnahmeregelung des Abs. II allein auf Angehörige und sonst

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Teil III

nahestehende Personen begrenzt ist. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers zielt § 217 StGB n.F. ganz generell auf die Unterbindung von auf Wiederholung angelegten Förderungen von Selbsttötungen63 ab. Einerseits werden aber Personen, die sich als Teilnehmer an einer geschäftsmäßigen Förderung i.S.v. § 217 STGB n.F. nur für ein einmaliges Suizidvorhaben (ihrerseits also nicht geschäftsmäßig) gewinnen lassen, ohne jedoch Angehörige oder sonst nahestehende Personen des Suizidenten zu sein, regelmäßig wegen einer Teilnahme an § 217 StGB n.F. grundsätzlich gleich einem Täter bestraft.64 Dass der Gesetzgeber bei Angehörigen und sonstigen nahe stehenden Personen nicht von vornherein eine Wiederholungsabsicht ausschließt, bezeugt die Existenz von Absatz II, insoweit stehen sie allen anderen Personengruppen in ihrer „Gefährlichkeit“ prinzipiell gleich. Andernfalls wären Angehörige und andere nahe stehende Personen bereits aus der Strafandrohung des Abs. I ausgeschlossen worden. Dann ist aber unklar, wieso sich Absatz II nur auf diesen Personenkreis beschränkt – darin deutet sich eine sachwidrige Ungleichbehandlung an.65

3. Erhöhte Strafbarkeitsrisiken i.R.d. Palliativ- und Hospizmedizin In palliativmedizinischen Einrichtungen sind gewisse Strafbarkeitsrisiken für das dort tätige Personal mit der Neuregelung von § 217 StGB ebenfalls nicht völlig ausgeschlossen. Die Auswirkungen des Verbots im Bereich der Palliativ- und Hospizmedizin scheinen in der öffentlichen Debatte etwas aus dem Blick geraten zu sein, obwohl gerade dieser Punkt einen wesentlichen Anstoß der Debatte bildete.66 Der Gesetzgeber geht wohl von einer prinzipiellen Straflosigkeit in diesem Bereich aus, begründet dies aber nicht näher und lässt auch offen, ob Konstellationen denkbar sind, in denen sich das Verhalten von Ärzten und Pflegepersonal dennoch unter den Tatbestand des § 217 StGB n.F. subsumieren lässt.67 Im Schatten der öffentlichen Debatte um § 217 StGB ging die Verabschiedung des Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung, welches der Bundestag am 5. November 2015 in zweiter und dritter Lesung beschloss, etwas unter. Dieses Gesetz trat am 8. Dezember 2015 in Kraft. Damit wurde u.a. auch das sog. „Gesundheitssozialrecht“ weiterentwickelt; § 132g SGB V

63 64 65 66 67

Vgl. Duttge, a.a.O. (S. 122). Ähnlich ebenda. So auch im Ergebnis ebenda. Ähnlich Oglakcioglu, a.a.O. (Rn. 7). So auch ebenda.

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(gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase) stellt als zentrale Neuregelung in diesem Bereich eine bedeutsame Vorschrift dar. Palliativmedizin umfasst in diesem Sinne „die aktive, ganzheitliche Betreuung von Patienten und deren Familien durch ein interdisziplinäres Team, wenn die Krankheit des Patienten nicht mehr auf kurative Behandlung anspricht und die Lebenserwartung kurz ist.“68

Mit anderen Worten ist die Situation gemeint, in der ein Patient „austherapiert“ ist. Der palliativmedizinische Bereich ist mithin auf die Anforderungen von Menschen ausgerichtet, die bereits so weit fortgeschritten krank sind, dass sie nicht mehr primär auf heilende (kurative), sondern lediglich lindernde (palliative) Maßnahmen zu verweisen sind. Oftmals besteht für diesen finalen Lebensabschnitt die Einweisung in ein Hospiz als letzte Möglichkeit, um den Patienten „natürlich“ sterben zu lassen und ggf. professionell Hilfe beim Sterben zu leisten. Aufgabe der Palliativmedizin ist damit, gemessen am Stand des medizinisch jeweils Möglichen, eine medizinische, pflegerische, psychosoziale und ggf. spirituelle Behandlung sowie Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen sowie von deren Angehörigen69 bereitzustellen. Wie oben bereits gezeigt, ist hiervon auch die indirekte aktive Sterbehilfe umfasst, d.h. die Vergabe schmerzlindernder Medikamente, bei der eine lebensverkürzende Wirkung als Nebenwirkung in Kauf genommen werden muss. Damit ist der Palliativ- und Hospizmedizin auf den ersten Blick die inhaltliche Abgrenzung gegen jede Form von Suizidassistenz (Hilfe zum Sterben) immanent. Trotz dieser scheinbar eindeutigen Abgrenzung ist bei näherem Hinsehen, etwa die Grenzziehung zur nach wie vor illegalen aktiven direkten Suizidassistenz (aktive Tötung; § 216 StGB), nicht immer eindeutig. Rein äußerlich besteht zwischen der palliativen ärztlichen Anwendung schmerzlindernder Medikamente – unter bewusster Inkaufnahme des Risikos einer Lebensverkürzung (allerdings mit der inneren Schwerpunktsetzung auf die Leidenslinderung) und einer unzulässigen – lediglich auch leidensmindernden – Lebensverkürzung, eine nahezu spitzfindige Grenze. Verwirklicht sich das Risiko der Lebensverkürzung allein zum Zwecke der Leidensminderung, so wird ein solcher Eingriff wegen des ärztlichen Gebots der Leidensminderung als legal eingestuft. Klar muss hier aber sein, dass rein nach subjektiven Kriterien abgegrenzt wird, d.h. anhand der inneren 68 69

Hilgendorf, JZ 11/2014 S. 545 ff. (549). Ähnlich ebenda.

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Willensrichtung des behandelnden Arztes. Äußerlich ist kaum ein echter Unterschied auszumachen, womit die Unzumutbarkeit einer solchen Abgrenzung für die behandelnden Ärzte unter einer solchen Rechtslage einmal mehr deutlich wird. Ein weiterer prekärer Grenzbereich tritt darüber hinaus unter einem anderen Blickwinkel in Erscheinung: wenn nämlich seitens eines palliativmedizinisch tätigen Arztes routinemäßig schmerzstillende, aber je nach Dosierung zugleich lebensverkürzende, Medikamente zwecks selbstständiger Einnahme durch den Patienten lediglich bereitgestellt werden und sowohl Arzt als auch Patient hierüber im Bilde sind. Nimmt ein solcher Patient dann die entsprechenden Medikamente selbstständig und wissentlich ein, so dass der Todeszeitpunkt hierdurch kausal beschleunigt wird, handelt es sich streng genommen zugleich um einen Suizid unter der Vornahme einer ärztlichen Suizidassistenz. Die Einnahme der, bezogen auf den Zeitpunkt des Todes, beschleunigt tödlich wirkenden Medikamente erfüllt die Merkmale einer Selbsttötung ebenso, wie die vorgelagerte Bereitstellung dieser Medikamente die Merkmale einer ärztlichen Suizidassistenz erfüllt.70 Nach der bisherigen Rechtslage war ein derartiges ärztliches Verhalten straffrei, vorausgesetzt der Patient war nicht in seiner Willensfreiheit eingeschränkt (s.o.). Mit Einführung von § 217 StGB n.F. stellt sich nun zwangsläufig die Frage, ob ein solcher Palliativmediziner, für den die Bereitstellung derartiger Medikamente bisher kein Problem darstellte, inzwischen nicht – bei ansonsten identischem Verhalten – geschäftsmäßig die Gelegenheit zur Förderung von Suiziden gewährt bzw. verschafft und dadurch eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahre riskiert. Gleiches gilt für das entsprechende Hilfs- und Pflegepersonal. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist ein derartiges Verhalten zweifelsfrei unter Strafandrohung gestellt. Damit ist es mehr als fraglich geworden, ob in einer Palliativeinrichtung zukünftig überhaupt noch derartige Medikamente ausgegeben werden dürfen und ob ganz generell suizidfördernde Maßnahmen jeglicher Art weiterhin legal sein können. Ohne Einschränkung muss dies gegenwärtig verneint werden, da der subjektive wie objektive Tatbestand von § 217 StGB n.F. in derartigen Fällen stets erfüllt ist.

70

Ähnlich Hilgendorf, JZ 11/2014 S. 545 ff. (549).

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B) Kriminalpolitische Bedenken I. Indizwirkung statistischer Zahlen – Erforderlichkeit des § 217 StGB n.F.? Einerseits ist das Phänomen Suizid mit durchschnittlich mehr als 10.000 gelungenen Selbsttötungen pro Jahr in Deutschland und einer vielfachen Anzahl an Suizidversuchen71 als erheblich anzusehen. Das Statistische Bundesamt sprach noch 2013 von ca. 13.000 gelungenen Selbsttötungen pro Jahr72 und schätzungsweise ca. 200.000 misslungenen Selbsttötungen, d.h. versuchten Suiziden.73 Allerdings tauchen in diesen Statistiken des Statistischen Bundesamts Suizide unter der Beteiligung weiterer Personen nicht gesondert auf. Insoweit können diese Statistiken keine signifikanten Angaben hinsichtlich der praktischen Bedeutung von § 217 StGB n.F. beisteuern. Aus den auf der Website von DIGNITAS-Deutschland eingestellten Jahresberichten ergibt sich (diese Lücke schließend), dass die jährliche Anzahl der in Deutschland vermittelten und in der Schweiz durchgeführten Suizidbegleitungen von DIGNITAS-Deutschland im Jahr 2008 insgesamt 51 betrug.74 Im Jahr 2009 waren es 32 Fälle, 2010 26 Fälle und 2011 66 Fälle.75 Bei dem Verein StHD „Sterbehilfe Deutschland“ in Hamburg, welcher als einzige Organisation Sterbebegleitungen in Deutschland selbst durchführte, waren es 2010 insgesamt 21 direkte Suizidbegleitungen, 2011 waren es 27, 2012 dann 29, 2013 betrug die Zahl der Sterbebegleitungen sogar 4176 und 2014 insgesamt 44.77 Der bereits erwähnte Berliner Arzt Dr. Uwe-Christian Arnold soll in den vergangenen 20 Jahren laut eigenen Angaben aus dem Jahr 2011 zudem mindestens beim Suizid von über 200 Menschen erfolgreich assistiert haben.78

71 72 73 74 75 76

77 78

Vgl. Oglakcioglu, Beckscher Online Kommentar StGB (Rn. 13). Vgl. Statistisches Bundesamt: Gesundheit, Todesursachen in Deutschland. Wiesbaden. 2013, S. 31. Ebenda. So auch Saliger, a.a.O. (S. 102). Ebenda. Vgl. hierzu: Wortlaut der Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 9), Bundestags-Drucksache 18/5373. Sämtliche Angaben entnommen aus: Saliger, a.a.O. (S. 102). Vgl. hierzu: Wortlaut der Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 9), Bundestags-Drucksache 18/5373.

268

Teil III

Vergegenwärtigt man sich nochmals das empirische Datenmaterial, so ergibt sich folgendes Gesamtbild: jährlich ereignen sich bundesweit durchschnittlich zwischen 10.000 und 13.000 erfolgreiche Suizide bei einer Versuchsrate von durchschnittlich ca. 200.000. Das entspricht einem prozentualen Anteil von jährlich ca. 6,5 % erfolgreich durchgeführter Suizide bezogen auf die Anzahl insgesamt versuchter Selbsttötungen pro Jahr. Der Verein DIGNITAS vermittelte bis 2015 daneben jährlich im Durchschnitt etwa 43 Suizidbegleitungen in die Schweiz, der Verein Sterbehilfe Deutschland (StHD) assistierte im Mittel jährlich in ca. 32 Fällen. Die organisierte Suizidassistenz belief sich damit auf einen Promillebereich hinsichtlich aller durchschnittlich durchgeführten Suizidversuche, ebenso hinsichtlich aller vollendeten Suizide. Insoweit ist ein Zusammenhang zwischen der organisierten Suizidassistenz und einer behaupteten frappanten Zunahme von Suiziden nicht evident. Es besteht im Ergebnis keinerlei vertretbare Indizwirkung seitens der zugänglichen Statistiken. Der behauptete Dammbrucheffekt infolge eines Angebots von organisierter Suizidassistenz überhaupt bleibt insoweit ohne jeden überzeugenden empirisch fundierten Beleg, so dass im Ergebnis eine Korrelation zwischen dem Angebot organisierter Suizidassistenz einerseits und einer signifikanten Suizidzunahme andererseits inexistent ist. Dies verstärkt den bereits oben erörterten Eindruck, dass der Gesetzgeber lediglich auf spekulativnormativer Grundlage eine abstrakte Gefahr postulierte und sich die vorhergehende Debatte im Bundestag vor allem auf einer abstrakt-moralischen Grundlage vollzogen hat. Ein naheliegender kriminalpolitischer Haupteinwand liegt zum einen darin, dass die inzwischen vorgenommene Kriminalisierung jeglicher organisierten Suizidassistenz zwangsläufig den Leidensdruck der Betroffenen steigert und diese in der äußersten Not lediglich vor die Alternative zwischen einem sog. „Brutalsuizid“ oder dem passiven Dahinvegetieren stellt. Somit würden als „Nebeneffekt“ allerdings, etwa im Fall eines Sprungs aus großer Höhe, einer suizidalen Geisterfahrt auf der Autobahn oder eines Sprungs vor einen Zug, zufällig vorhandene unbeteiligte Dritte erst recht und zwangsläufig in ihrer körperlichen und seelischen Integrität gefährdet. Zudem besteht die nicht ganz unberechtigte Sorge einer illegalen Sterbehilfeassistenz im Verborgenen seitens hiervon nach wie vor überzeugter Ärzte oder anderer Einzelpersonen. Diese würden dies höchstwahrscheinlich als „Überzeugungstäter“ trotz des Risikos einer Strafandrohung weiterhin praktizieren. Damit würde lediglich die Dunkelziffer von tatsächlich assistierten Suiziden steigen und die Ärzteschaft insgesamt an Ansehen wie Vertrauen in der Gesellschaft verlieren. Zudem würde der intendierte Schutz des Lebens suizidge-

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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neigter Personen in sein Gegenteil verkehrt, da es keinerlei objektive Standards bei der Frage des Ob und Wie bei der Umsetzung einer Suizidassistenz mehr gäbe, ähnlich dem aktuell umgesetzten Konzept der reinen Laiensterbehilfe im Einzelfall durch Angehörige oder sonst nahe stehende Personen. Außerdem bestünde die Gefahr, dass an diesem Punkt wegen der Grundsätzlichkeit der Fragestellung ein Riss zwischen Gesellschaft und Staat entsteht, welcher zwar nicht die Legalität, jedoch aber die Legitimität staatlichen Handelns punktuell infrage zu stellen geeignet ist. Zudem wird das vorgegebene Schutzkonzept hinsichtlich seiner Realisierbarkeit insoweit praktisch stark relativiert, wenn man sich beispielsweise etwa die Rechtslage in der Schweiz oder den Niederlanden vergegenwärtigt. Wer über die nötigen finanziellen und organisatorischen Mittel verfügt, kann problemlos die Geltung des deutschen Strafrechts für sich persönlich in Sachen professioneller Suizidassistenz „umgehen“. Der assistierte Suizid erfolgt dort regelmäßig mittels der oralen Einnahme von ca. 10–15 Gramm Natrium-Pentobarbital;79 in Ausnahmefällen intravenös – vorausgesetzt der Patient ist in der Lage, die Infusion mittels selbstständiger Betätigung des Infusionshahns in Gang zu setzen.80

1. Schweiz Zwar stellt Artikel 115 des schweizerischen Strafgesetzbuches die Verleitung oder Hilfeleistung zum Selbstmord aus selbstsüchtigen Motiven im Falle des Erfolgs oder wenigstens des Versuchs dazu unter Strafandrohung. Allerdings ist dies die einzige diesbezüglich zu beachtende Einschränkung. Der ansonsten liberale schweizerische Status quo hat die Gründung diverser Sterbehilfeorganisationen dort weniger tabuisiert, als dies hierzulande der Fall war und ist. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem der Verein EXIT (deutschsprachige Schweiz), welcher bereits 1982 mit Sitz in Zürich gegründet wurde, sowie der Verein „DIGNITAS – menschenwürdig leben – menschenwürdig sterben“, welcher erst 1998 und mit Sitz in Forch-Zürich gegründet wurde. Im Unterschied zu DIGNITAS nimmt EXIT nur Mitglieder auf, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und entweder das schweizerische Bürgerrecht besitzen oder als Ausländer in der Schweiz wohnhaft sind.81 EXIT bietet seinen Mitgliedern nach wie vor ebenso eine Freitodbegleitung an wie DIGNITAS. Bei EXIT kann, anders als bei DIGNITAS, jede volljährige Person Mit79 80 81

Vgl. K. Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe (2013), S. 88. Ebenda. Vgl. hierzu K. Gavela, a.a.O. (S. 86).

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Teil III

glied werden, selbst wenn eine ausländische Staatsbürgerschaft und kein schweizerischer Wohnsitz vorliegen.82 Die einmalige Eintrittsgebühr bei DIGNITAS beläuft sich auf 200 CHF, der jährliche Vereinsbeitrag beträgt für Aktivmitglieder ebenfalls 200 CHF.83 Die Kosten für die Vorbereitung einer Suizidassistenz und den damit verbundenen verwaltungstechnischen Aufwand betragen einmalig 3.000 CHF und weitere 3.000 CHF für die tatsächliche Durchführung.84 Bei Mitgliedern, die nicht aus eigenen Kräften über die erforderlichen Finanzen verfügen, kann auf Antrag des Generalsekretärs die Eintrittsgebühr sowie der Jahresbeitrag ganz oder teilweise erlassen werden,85 so dass es für diesen Personenkreis lediglich bei 6.000 CHF und den Reisekosten bleibt.

2. Niederlande Bereits im April 2001 wurden seitens des niederländischen Parlaments sowohl die aktive Sterbehilfe als auch die ärztliche Beihilfe zum Suizid ausdrücklich legalisiert.86 Dies gilt allerdings nicht für die Suizidassistenz durch normale Privatpersonen. Nach Art. 294 nlStGB wird sowohl die Anstiftung als auch die Beihilfe zum Suizid selbstständig unter Strafe gestellt.87 Für die Beihilfestrafbarkeit braucht nicht unmittelbar zum Suizid selbst Hilfe geleistet worden zu sein; es genügt, wenn die erforderlichen Vorbereitungshandlungen geleistet worden sind.88 Allerdings ist für die Teilnahmestrafbarkeit in jedem Fall das anschließende unmittelbare Ansetzen zum Suizid erforderlich.89

II. Faktisches Verbot von Sterbehilfevereinen (Art. 9 II GG i.V.m. § 217 StGB)? Die Existenz von § 217 StGB n.F. hat bereits mit dessen Inkrafttreten am 10. Dezember 2015 sämtlichen auf Sterbehilfe ausgerichteten bzw. darauf spezialisierten Institutionen, Organisationen und Einzelpersonen den Boden entzogen, da seither jede geschäftsmäßige Förderung einer Selbsttötung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bzw. mit Geldstrafe bestraft wird. Zudem 82 83 84 85 86 87 88 89

Vgl. hierzu K. Gavela, a.a.O. (S. 89 ff.). Ähnlich a.a.O. (S. 90). So auch ebenda. Ebenda. Ebenda. Vgl. K. Gavela, a.a.O. (S. 112). A.a.O. Ebenda.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

271

regelt Art. 9 Abs. II GG ausdrücklich, dass Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen, per se verboten sind – ohne dass man sich im Falle eines Verbots überhaupt noch auf die einschlägigen, mit dem Grundgesetz in Einklang stehenden, Grundrechte berufen kann. In diesem Fall bestimmt – bildlich durch die Hintertür – der einfache Gesetzgeber den Inhalt eines Grundrechts, was im Widerspruch zu der Systematik zwischen einfachem Gesetzgeber und Grundgesetz steht (zum tieferen inhaltlichen Verständnis dieses „Widerspruchs“ vgl. Teil II). Insoweit könnte man etwas überspitzt wohl auch von der Verwirkung der Grundrechte (durch den berühmten Federstrich des Gesetzgebers) hinsichtlich der hinter der illegal gewordenen Vereinigungen stehenden Privatpersonen sprechen. Damit untergräbt die Kriminalisierung jeglicher organisierten (=geschäftsmäßigen) Hilfe zum Sterben die Autonomie von Sterbehilfevereinen insgesamt, weil sie diesen nunmehr die Durchführung des zentralen Satzungszwecks, ihre Mitglieder bei der Durchsetzung eigenverantwortlicher Suizide zu unterstützen, verbietet.90 Vorsorglich hat etwa der Hamburger Verein „Sterbehilfe Deutschland“ (StHD), welcher zumindest bis 2014 als einzige Organisation in Deutschland Suizidbegleitungen anbot,91 bereits im August 2015 per Satzungsänderung darauf hingewirkt, dass bis auf Weiteres keine Suizidbegleitungen mehr durchgeführt werden können.

III. Ablehnende Resolution deutscher Strafrechtler Im April 2015 meldete sich die deutsche Strafrechtswissenschaft hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens zu § 217 StGB n.F. zu Wort. Mehr als 140 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren, Privatdozentinnen und -dozenten unterzeichneten eine Resolution (Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe) mit dem Inhalt, dass weder generell eine Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt werden könne und insbesondere die ärztliche Suizidassistenz straffrei bleiben müsse. Initiatoren dieser Initiative waren der Würzburger Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf sowie sein Augsburger Kollege Henning Rosenau. Unterzeichner waren u.a. Werner Beulke (Passau), Fritjof Haft (Tübingen), Monika Harms (Halle-Wittenberg), Thomas Hillenkamp (Heidelberg), Günther Jakobs (Bonn), Ingeborg Puppe (Bonn), Hans-Ulrich Paeffgen (Bonn), Claus Roxin (München). 90 91

Saliger, a.a.O. (S. 111). Vgl. hierzu Saliger ebenda.

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Teil III

Zwar beeinflusste diese Resolution den Gang des Gesetzgebungsverfahrens nicht wesentlich, zeigt aber in der Sache eine stark kritische Haltung seitens großer Teile der Strafrechtswissenschaft insgesamt an. Auch besteht die Gefahr, dass an diesem Punkt wegen der Grundsätzlichkeit dieser dogmatischen Fragestellung ein Riss zwischen der Strafrechtswissenschaft und dem parlamentarischen Gesetzgeber entsteht und dies ebenfalls die Legitimität von § 217 StGB n.F. untergraben könnte. Stübinger etwa beklagt in diesem Zusammenhang symptomatisch eine im Allgemeinen als Trend zu beobachtende immer weiter fehlende Außenwirkung der Strafrechtswissenschaft auf die Legislative, wobei die formale Beteiligung der Wissenschaft an geplanten Gesetzesänderungen regelmäßig auf die Anhörung ausgewählter Professoren in den zuständigen Fachausschüssen beschränkt sei.92 Oftmals komme es aber dazu, dass etwa erbetene Stellungnahmen noch nicht einmal abgewartet würden, weil sich der Gesetzgeber von einen wahlkampfbedingten Zeitdruck leiten lasse.93 Als Diagnose der aktuellen geistigen Situation in der Strafrechtswissenschaft deutet Stübinger unter Bezugnahme auf Roxin an, dass der Strafrechtsdogmatiker möglicherweise letztlich ohnehin nichts anderes sei, als der „kriminalpolitische Erfüllungsgehilfe des Gesetzgebers“.94

IV. Ablehnende Empfehlung des deutschen Ethikrates Ende November 2014 sprach sich der Deutsche Ethikrat in öffentlicher Sitzung95 unter Vorsitz von Christiane Woopen ausdrücklich für die Beibehaltung des Status quo und damit gegen neue und schärfere strafrechtliche Regelungen hinsichtlich der Suizidbeihilfe aus. Zwar unterstützte der Ethikrat die Position, dass Beihilfe zum Suizid grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe sei, wollte aber den Raum für Gewissensentscheidungen im individuellen Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten offen halten. Denn es sei vor allem hinsichtlich einer vorrangig gebotenen Suizidprävention für schwer kranke Patienten wichtig, in ihrem Arzt auch dann einen vertrauensvollen Ansprechpartner zu finden, wenn tatsächlich mit dem Wusch nach einem vorzeitigen Tod gerungen wird. Eine Gewissensentscheidung zugunsten der suizidalen Option als Ausnahmesituation müsse in einem vertrauensvollen Arzt-Patient-Verhältnis auch weiterhin voll respektiert werden können und als solche verbindlich sein. 92 93 94 95

Vgl. Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht (S. 52). A.a.O. wobei Stübinger in diesem Kontext darauf hinweist, dass „deutlicher das mangelnde Interesse an wissenschaftlicher Beratung kaum signalisiert werden könne“. Vgl. Stübinger, Das „idealisierte“ Strafrecht, a.a.O. (S. 56). Die einzelnen Vorträge und Diskussionen können unter http://www.ethikrat.org/sit zungen/2014/beihilfe-zur-selbsttoetung (18.12.2014) angehört werden.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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In einer weiteren Ad-hoc-Empfehlung vom 18. Dezember 201496 warb der Ethikrat ausdrücklich für eine auch weiterhin offene Gesellschaft, in der die Suizidbeihilfe gerade nicht mit dem schärfsten Schwert des Staates, dem Strafrecht, gemaßregelt werden dürfe. Der Ethikrat knüpfte in dieser Empfehlung an seine bereits 2012 geäußerte Einschätzung an, dass ein gesetzliches Verbot ausschließlich der gewerbsmäßig organisierten, also der kommerziell betriebenen Suizidhilfe mehr Probleme schaffe als löse. Nach Ansicht des Ethikrates stand die bisherige Rechtslage völlig im Einklang mit den Prinzipien eines freiheitlichen Verfassungsstaates.97 Gemäß diesen Prinzipien sei es ausgeschossen, den Suizid abstrakt-generell als Unrecht zu bestimmen, weil dies eine erzwingbare Rechtspflicht zum Leben impliziere. Aus dem gleichen Grund könne auch eine Beihilfe zum Suizid nicht als Unrecht im Rechtssinne definiert werden. Ebenso wenig könne deshalb bei einem freiverantwortlichen Suizid eine entgegenstehende Garantenpflicht angenommen werden, oder eine allgemeine Hilfeleistungspflicht die Strafbarkeit des Gehilfen begründen. Eine eigene gesetzliche Regulierung etwa der ärztlichen Suizidbeihilfe lehnte die Mehrheit des Ethikrates ebenso ab wie jede Regulierung für andere Berufsgruppen.98 Dies impliziert allerdings entgegen dem hiermit vermittelten ersten Eindruck seitens des Ethikrates nicht, dass jede Form von professionalisierter (=geschäftsmäßiger) Suizidassistenz ebenfalls nicht unter eine strafrechtliche Verbotsnorm gefasst werden solle. Vielmehr wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass auf Wiederholung angelegte und vor allen Dingen öffentlich erfolgende ausdrückliche Angebote von Suizidbeihilfen untersagt werden könn(t)en,99 weil diese Öffentlichkeit geeignet sei, den Anschein einer sozialen Normalität hervorzurufen.100 Keinesfalls dürfe die Möglichkeit einer Suizidbeihilfe den Anschein einer gesellschaftlich akzeptierten Üblichkeit erwecken, weil dies die Anstrengungen der vorrangigen Suizidprävention unterlaufe.101 Dabei sei es auch unerheblich, ob solch eine öffentlich angepriesene Beihilfe durch eine Organisation oder eine Einzelperson erfolge.102 96

Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrates vom 18.12.2014 „Zur Regelung der Suizidbeihilfe in einer offenen Gesellschaft“: Deutscher Ethikrat empfiehlt gesetzliche Stärkung der Suizidprävention (aufrufbar als PDF unter: www.ethikrat.org). 97 A.a.O. (S. 1 des Dokuments). 98 A.a.O. (S. 2 des Dokuments). 99 Ebenda. 100 Ebenda. 101 Ebenda. 102 Ebenda.

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Teil III

Diese differenzierte Einschätzung des Deutschen Ethikrates hat leider in ihrem wesentlichsten Punkt, der professionalisierten (insb. der ärztlichen Suizidassistenz) kein maßgebliches Gehör in der Gesetzgebungsdebatte um den neuen § 217 StGB n.F. erhalten. Wie bereits dargestellt, wurden Ärzte und öffentlich werbende Sterbehilfeorganisationen bzw. Einzelpersonen nach dem Wortlaut von Abs. I der Vorschrift auf die gleiche Stufe gestellt, d.h. es wurde nicht weiter inhaltlich differenziert. Allerdings ist es tatsächlich ein Unterschied, ob etwa der Berliner Arzt Dr. Uwe-Christian Arnold sich über die im Einzelfall erfolgte Suizidassistenz hinaus zusätzlich medial als Sterbehilfearzt in Szene setzt und mit über 200 assistierten Suiziden in aller Öffentlichkeit brüstet103 oder ob dieser Bereich allein im individuellen Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verbleibt, was streng genommen auch eine prinzipielle Schweigepflicht in der Öffentlichkeit beinhaltet. Ebenfalls veröffentlichte dieser Berliner Arzt – ohne Notwendigkeit und unter Geltung der alten liberalen Rechtslage (!) – im Jahr 2014 zusätzlich in Buchform beim Rowohlt Verlag ein sog. „Plädoyer für das Selbstbestimmte Sterben“.104 Darin berichtet er u.a. ausführlich über seine bisherige Praxis als prominentester Sterbehelfer Deutschlands und bezieht im Rahmen seiner Möglichkeiten Stellung gegen ein Verbot der ärztlichen Sterbehilfe, wobei er davon abstrahiert, dass er selbst auch für eine Sterbehilfeorganisation tätig ist. In der Sache argumentiert Arnold als juristischer Laie zwangsläufig etwas oberflächlich gegen ein solches Verbot, ohne auch nur im Ansatz zu bemerken, dass er mit seinem medialen Getöse selbst ein maßgeblicher Teil des juristischen Problems ist. Denn genau dieses zusätzliche mediale Auftreten, in der werbewirksam erklärten Absicht, das Modell einer professionalisierten Suizidassistenz nachhaltig und verallgemeinernd öffentlich als einzig mögliches Paradigma für ein selbstbestimmtes Sterben überhaupt umzudefinieren, war laut der expliziten Begründung des Gesetzesentwurfs Brand / Griese überhaupt erst ein maßgeblicher Anlass für die Initiierung des Gesetzgebungsverfahrens anlässlich der Verabschiedung des § 217 StGB n.F.105 103 Vgl. hierzu: Wortlaut der Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 9), Bundestags-Drucksache 18/5373 mit Hinweis auf das Sendeformat Hart aber fair: „Therapie Tod – dürfen Ärzte beim Sterben helfen?“, Sendung vom 6.10.2014 oder auf das Sendformat Report Mainz: „Arzt gibt Suizidhilfe in bis zu 200 Fällen zu“, Sendung vom 6.06.2011. 104 Uwe-Christian Arnold, Letzte Hilfe – Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben, Hamburg (2014). 105 Ebenda.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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Zusammenfassend muss leider konstatiert werden, dass Arnold persönlich und objektiv zurechenbar mitursächlich für die aktuelle restriktive Rechtsentwicklung gewesen ist und für den aktuellen Status quo letztlich mitverantwortlich ist. Weder Herr Arnold noch ein Kollege kann nun überhaupt noch die Möglichkeit einer ärztlichen Suizidassistenz ernsthaft – über den singulären Einzelfall hinaus – in Betracht ziehen, so dass den betroffenen Patienten tatsächlich nur noch der Ausweg eines sog. Brutalsuizids oder aber die weitere Erduldung eines qualvollen Leidens geblieben sind. Die Beschaffung von NatriumPentobarbital ist ohne die hierfür erforderliche Mitwirkung eines Arztes für den betroffenen Personenkreis somit faktisch unmöglich geworden.

C) Verfassungsrechtliche Bedenken Im Folgenden wird das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung dahingehend untersucht, ob es als ein die Strafbarkeit der geschäftsmäßig erfolgenden Suizidbeihilfe einführendes Gesetz den aus der deutschen Verfassung zu entnehmenden Grundprinzipien entspricht. Verwiesen wird diesbezüglich vollinhaltlich auf die bereits in Teil I unter Punkt C) gemachten Ausführungen dieser Arbeit.

I. Formelle Verfassungsgemäßheit Gemäß Art. 72 Abs. I, Art. 74 Abs. I Nr. 1 GG besteht seitens des Bundes die Bundeskompetenz für das Strafrecht i.R.e. konkurrierenden Gesetzgebung. Zum Regelungsbereich des Strafrechts gehört insbesondere die verbindliche Festlegung sämtlicher staatlicher Reaktionen auf definierte Straftaten, deren Grundlage all diejenigen Rechtsnormen darstellen, welche für eine rechtswidrige Tat entweder Strafe, Buße oder Maßregeln der Besserung und Sicherung vorsehen.106 Allerdings liegt diese Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Strafrechts nicht völlig beliebig oder gar willkürlich im Ermessen des Gesetzgebers. Als Begrenzung der Möglichkeit einer derart dezisionistisch aufgefassten Gesetzgebungskompetenz schreibt die Verfassung ihrerseits dem Gesetzgeber normativ verbindlich vor, dass, weil jede Kriminalstrafe mit einem ethischen Schuldvorwurf verbunden ist, der Gesetzgeber nicht einfach Normen beliebigen Inhalts schaffen dürfe.107 Maßstab sind vielmehr Normen, die ein

106 Vgl. BVerfGE 109, 190 (212 ff.). 107 Vgl. Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags zur BT-Drucksache 18/5373 (WD 3-3000-188/15) vom 24.08.2015 (S. 5).

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Teil III

ethisches Minimum derart kennzeichnen, ohne welches die soziale Gemeinschaft nicht bestehen kann.108 Nach Ansicht des Gesetzgebers ist die Existenz von § 217 StGB n.F. angesichts der Zunahme von privaten Sterbehilfeorganisationen und suizidassistierenden Einzelpersonen erforderlich, um einen Dammbruch hinsichtlich der Akzeptanz und Normalisierung von Hilfe zum Sterben mittels professionalisierter Dritter zu verhindern. Es wird mithin ein sozialer Zwang hin zum Suizid für den entsprechenden Personenkreis befürchtet, dem diese Menschen mehr oder weniger hilflos ausgesetzt seien. Konkret wird diese abstrakte Gefahr damit begründet, dass derartige öffentlich und geschäftsmäßig erfolgende Angebote bei den entsprechenden Personen einen Erwartungsdruck zu erzeugen geeignet seien, solche Angebote subjektiv annehmen zu müssen, um die Familie oder die Gemeinschaft als Ganzes von der in einem Weiterleben gesehenen Belastung zu entlasten oder gar zu befreien.109 Bei aller Kritik im Detail erfüllt dieser Ansatz jedenfalls die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an ein (gemessen am gedachten Maßstab) ethisches Minimum, ohne dessen Einhaltung die soziale Gemeinschaft nicht substanziell identisch weiterbestehen kann. Inhaltlich stellte das BVerfG ergänzend hinsichtlich der strafrechtlichen Regelungskompetenz bereits in früheren Entscheidungen zusätzlich auf die Frage ab, ob der jeweils einschlägige Regelungsbereich traditionell und herkömmlich sowieso dem Strafgesetzbuch zuzuordnen ist.110 Im Falle von § 217 StGB n.F. wird die bislang straffreie Beihilfe jeder Art zum ebenso nach wie vor straffreien und freiverantwortlichen Suizid neu geregelt. Die Nähe zu § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) zeigt an, dass es sich inhaltlich um den Oberbereich von staatlichem Lebensschutz i.S.v. Art. 2 Abs. II Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. I Satz 2 GG insgesamt handelt und dass diese Materie ganz herkömmlich und traditionell im StGB ihre Regelung gefunden hat. An der formellen Verfassungsmäßigkeit von § 217 StGB n.F. bestehen somit keinerlei Bedenken. Das Gesetz ist kompetenz- und verfahrensgemäß zustande gekommen.

108 Ebenda. 109 Vgl. hierzu Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags zur BT-Drucksache 18/5373 (WD 3 -3000-188/15) vom 24.08.2015 (S. 6). 110 Vgl. BVerfG(E) 13, 367 (372); 23, 113 (124 ff.).

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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II. Materielle Verfassungsgemäßheit Hinsichtlich der Frage, ob durch die Existenz von § 217 StGB n.F. tatsächlich Freiheitsgrundrechte und Verfassungsprinzipien verletzt werden, ist zunächst festzustellen, dass durch das nun strafrechtlich bewehrte Verhalten von Suizidförderern in den Schutzbereich der entsprechenden Grundrechte eingegriffen wird und die Neuregelung somit einen Eingriff in den entsprechenden Schutzbereich darstellt. Fraglich ist letztlich, ob und inwieweit diese Eingriffe verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind.

1. Eingriffe in die Grundrechte von suizidgeneigten Personen Nach den in Teil I. unter Punkt C. dargelegten Ausführungen besteht nach deutschem Verfassungsrecht nach systematischer Auslegung ein Recht auf eine selbstbestimmte Lebensbeendigung (s.o.). Wenn sich ohne die Existenz einer geschäftsmäßig und damit professionalisiert angebotenen Suizidbeihilfe keine oder zumindest keine zumutbare Möglichkeit für einen menschenwürdigen Suizid mehr ergibt, ist ein solcher Eingriff in das Recht auf eine selbstbestimmte Lebensbeendigung evident. Eingriffe in das Recht auf Selbsttötung sowie die Menschenwürde (aus Art. 1 Abs. I u. Art. 2 I GG) i.V.m. der Patientenautonomie als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I GG sind somit unter Hinweis auf die bereits gemachten Ausführungen anzunehmen.

2. Eingriffe in die Grundrechte von Sterbehilfeorganisationen und professionalisierten Einzelpersonen Hinsichtlich einer Suizidassistenz aufgeschlossener Ärzte und der entsprechenden Sterbehilfeorganisationen wird im Hinblick auf die Ärzteschaft in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. I GG, Art. 4 Abs. I GG und Art. 2 Abs. I GG und andererseits im Hinblick auf Sterbehilfeorganisationen in den Schutzbereich von Art. 9 Abs. I GG und Art. 12. Abs. I GG eingegriffen.

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigungsbedürftigkeit? Zwar ist der einfache Gesetzgeber als äußerste Grenze i.S.v. Art. 20 Abs. III GG lediglich an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Maßstab für die Verfassungsgemäßheit eines Strafgesetzes ist insoweit letztlich nur die Verfassung selbst. Insoweit es um die Prävention vor tatsächlich nicht freiverantwortlich gefassten Suizidentschlüssen geht, genießt der staatliche Lebensschutz als objektive Schutzpflicht und zugleich als Schutzauftrag des Staates mit Sicherheit Vor-

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rang vor den Individualinteressen aller Beteiligten und steht dem Erlass von § 217 StGB n.F. prinzipiell nicht entgegen. In diesem Fall würden die suizidgeneigten Personenkreise, angesichts der Unumkehrbarkeit des geplanten Suizids, aus guten Gründen vor sich selbst geschützt. Allerdings folgt hieraus noch lange nicht, dass ein derartiges Schutzkonzept das Selbstbestimmungsrecht aller suizidwilligen Personen rein vorsorglich derart beschneiden darf, dass jede geschäftsmäßige, d.h. professionalisierte Suizidbeihilfe von vornherein unter Strafandrohung gestellt wird. Denn es geht ja in der Sache regelmäßig um voll geschäfts- und einsichtsfähige Einzelpersonen, welche mit Hilfe einer professionalisierten, d.h. ärztlichen oder durch Sterbehilfeorganisationen vorgenommene Suizidassistenz möglichst schmerzund qualfrei selbstbestimmt aus dem Leben treten möchten. Mit einem ausnahmslos und generellen Verbot solch professioneller Suizidassistenz wird die Autonomie aller ernsthaft suizidwilligen Personen diesbezüglich letztlich nicht nur nicht mehr sichergestellt, sondern im Ergebnis faktisch zur Nebensächlichkeit um- und damit abgewertet. Diese Problematik wurde jedoch schon unter strafrechtsdogmatischer Betrachtungsweise sichtbar gemacht. Denn wie soll es dogmatisch sauber und somit widerspruchsfrei begründet werden können, dass eine Suizidbeihilfe im Einzelfall legal ist, wohingegen bereits eine lediglich mit Wiederholungsabsicht vorgenommene Suizidförderung bereits unter Strafandrohung steht? Es fragt sich also etwas schärfer formuliert „wieso eine einmalige Suizidassistenz im Einzelfall – völlig unabhängig von der fachlichen Kompetenz des Suizidassistenten – straffrei ist, hingegen nur weil ein solches äußerlich identisches Verhalten wiederholt, d.h. professionell ausgeführt wird oder werden soll, plötzlich unter der Hand aus der Legalität ausgegrenzt und in die Illegalität verbannt wird.“

Bedenkt man zusätzlich, dass ja der Suizid wie auch die Beihilfe prinzipiell straffrei bleiben sollen, dann erschließt sich dem kritischen Beobachter diese inhaltliche Diskrepanz nicht ohne eine gewisse Willkür aus sich selbst heraus. Da sich der Gesetzgeber nach eigenen Aussagen ja auch weiterhin prinzipiell zur Legalität von Suizid und der Beihilfe dazu bekennt, bürdet eine solche Ausnahme hiervon ihm eine besonders intensive und sorgfältige Darlegungspflicht auf. Allerdings begründet allein der Umstand, dass eine strafrechtliche Regelung mit gewissen dogmatischen Setzungen im Widerspruch steht, noch keine verfassungsrechtlich verbindliche Setzungen oder gar Kriterien.111 Wie bereits 111 Ähnlich K. Gavela a.a.O. (S. 252).

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eingangs festgestellt, ist Maßstab für die Verfassungsgemäßheit eines Strafgesetzes letztlich nur die Verfassung selbst.

4. Verfassungsimmanente Anforderungen an den Eingriff? § 217 StGB n.F. enthält das Verbot, auf Wiederholung angelegte Beihilfe zum Suizid jeglicher Art zu unterlassen – ohne noch dahingehend zu unterscheiden, ob der anschließende Suizid freiverantwortlich oder nicht vorgenommen wird. Darauf kommt es für die Strafandrohung gar nicht an. Daraus folgt inzident das Gebot, derartige Hilfen von vornherein zukünftig nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Als derart grundrechtsbeschränkendes Gesetz muss der Eingriff vor allem den Anforderungen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung am Maßstab des Grundgesetzes standhalten. Im Bereich des Strafrechts findet diese Abwägung zwischen den beiden Polen von einerseits Strafwürdigkeit (legitimer Zweck) und andererseits der Strafbedürftigkeit (Geeignetheit und Erforderlichkeit) statt.112 Hinzu kommt zwangsläufig, dass jeder Straftatbestand ein entsprechend sozialethisch verbindliches Unwerturteil zum allgemeingültigen Ausdruck bringt und damit eine diesbezügliche Verurteilung als äußerste Stufe staatlicher Eingriffe in den Grundrechtsbereich des Individuums gewertet werden kann.113 Aus diesem Grund kommt es im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zunächst ganz besonders auf die Klarheit und die Legitimität des mit dem Strafgesetz verfolgten Zweckes an. Daran misst sich anschließend die Beurteilung und Herleitung von Maßstäben i.R. der abschließend zu würdigenden Zweck-Mittel Relation.

a) Legitimer Zweck? Vordergründiger Zweck von § 217 StGB n.F. ist der Schutz des Lebens von sterbewilligen Personen, die zur Umsetzung ihres Sterbewunsches auf das Angebot und somit die Hilfe von hierauf entsprechend spezialisierten Organisationen oder Einzelpersonen zurückgreifen (möchten). Dabei wird auf die zunächst rein abstrakte Gefahr abgestellt, wonach durch solche auf Wiederholung angelegte, d.h. geschäftsmäßig erfolgende und i.R. professionalisierter Angebote einer gesellschaftlichen Normalisierung und damit vorschnellen Realisierung von Suiziden Vorschub geleistet würde. Durch die öffentlichkeitswirksame Standardisierung und möglicherweise Anonymität derartiger Angebote könnte gesamtgesellschaftlich ein neuartiger, rein versachlichter Umgang mit dem Suizidvorgang als solchem einhergehen, und diesen zu einer völlig normalen medizinischen Dienstleistung neben anderen „bagatellisieren“ 112 Ähnlich ebenda. 113 Ähnlich ebenda.

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– wodurch letztlich die Hemmschwelle hierzu einerseits auf ein unerträgliches Maß herabgedrückt und gleichzeitig der Sozialdruck auf die betroffenen Personenkreise auf ein gleichsam unerträgliches Maß gesteigert würde. Fraglich ist allerdings, ob diese soeben beschriebenen Gefahren tatsächlich einen geeigneten Grund für ein allgemeines und ausnahmsloses Verbot von auf Wiederholung angelegter Sterbehilfeassistenz bieten können. Die Begründung stellt maßgeblich auf die Institutionalisierung und damit Organisation entsprechender Anbieter ab, woraus maßgeblich die Gefahr eines voreiligen Suizidentschlusses oder gar einer Irrtumsmöglichkeit seitens aller Beteiligten hergeleitet wird. Allerdings wurde dieser Gefahr bereits vor Inkrafttretens von § 217 StGB n.F. dadurch begegnet, dass seitens der entsprechenden Organisationen bereits im Vorfeld die Freiverantwortlichkeit des jeweiligen Suizidentschlusses ebenso penibel wie gründlich sicherzustellen war. Durch die Überprüfung der erforderlichen Freiwilligkeit und Seriosität eines entsprechenden Sterbewunsches wurde seitens der Sterbehelfer sichergestellt, dass der Rahmen der Legalität nicht überschritten wird. Denn bereits damals hing die Straflosigkeit der entsprechenden Suizidassistenten gerade hiervon entscheidend ab. Anderenfalls hätte bereits damals eine Strafbarkeit mindestens entweder aufgrund mittelbarer Täterschaft, aus Unterlassen oder aber infolge von Fahrlässigkeit gedroht, wobei im Falle eines Totschlages in mittelbarer Täterschaft bereits eine weitaus höhere Strafe droht, als dies bei § 217 StGB n.F. je der Fall sein kann. Bezogen auf die Irrtumsproblematik, welche den Fall eines tatsächlich nicht freiverantwortlichen Suizids meint, bedeutet die neue Rechtslage keine wirkliche Verbesserung. Denn gerade bei einer Suizidassistenz im Einzelfall und durch Angehörige ist nicht ausgeschlossen, dass der Suizident an einem Willensmangel leidet oder subjektiv bzw. objektiv unter sozialem Zugzwang steht. Ganz im Gegenteil: Da derartige Suizidassistenzen meist im rein familiären und privaten Raum stattfinden, gibt es keinerlei professionell abgesicherte Prozeduren, um Zweifel an der Freiverantwortlichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Eine Kontrollmöglichkeit von außen fällt damit in dieser Sphäre weitestgehend aus. Das Restrisiko eines unerkannt tatsächlich nicht freiverantwortlich geäußerten Sterbewunsches besteht somit nach wie vor und ist grundsätzlich nicht mit letzter Gewissheit eliminierbar. Auch insoweit bieten die beschriebenen Gefahren zuungunsten geschäftsmäßig angebotener Sterbehilfe keinen hinreichend substantiierten Grund für deren generelles Verbot.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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Ein letzter Einwand besteht darüber hinaus darin, dass die spezielle Strafbarkeit einer geschäftsmäßigen Förderung von nach wie vor straflosen Selbsttötungen den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit in dessen Gegenteil verkehren könnte. Das damit korrespondierende Recht auf Leben, welches als Grundrecht ein sog. Freiheitsrecht und damit ebenfalls dem Staat gegenüber vorliegendes Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat festschreibt, könnte faktisch zu einer gegenüber der Rechtsgemeinschaft bestehenden Pflicht, in jedem Fall und unter allen Umständen weiterleben zu müssen, umgedeutet werden. Wie bereits gezeigt, läuft das Verbot professionalisierter Suizidassistenz aus Sicht des Suizidgeneigten auf die Alternative zwischen einem qualvollen Weiterleben müssen oder das Vornehmen eines „sicheren Brutalsuizids“ hinaus. Die Palliativ- und Hospizmedizin, welche ab dem Zeitpunkt des Einsetzens des „natürlichen Sterbevorgangs“ lediglich eine Hilfe beim Sterben gewährleistet, hilft in der Frage nach einer Hilfe zum Sterben nicht weiter. Genau um diese geht es den meisten Suizidenten jedoch primär.

b) Allgemeingültigkeit: Verstoß gegen Art. 19 Abs. I S. 1 GG? Art 19 Abs. I S. 1 GG enthält das Verbot des einschränkenden Einzelfallgesetzes. Dadurch wird der einschränkende Gesetzgeber seinerseits beschränkt. Danach kann ein einschränkendes Gesetz nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn es allgemein und nicht nur für den Einzelfall gilt. Bedenken könnten sich hier ergeben, weil die zuvor legale Tätigkeit von Dr. Uwe-Christian Arnold als Deutschlands prominentester Sterbehelfer laut der Begründung zum Gesetzesentwurf ausdrücklich auch ein Anlass für den Erlass des neuen § 217 StGB n.F. war.114 Das Verbot von Einzelfallgesetzen soll den Gesetzgeber einerseits hindern, unter Durchbrechung der Gewaltenteilung in den originären Bereich der Verwaltung einzugreifen und sich deren Aufgaben, insbesondere den Erlass von einzelfallbezogenen Verwaltungsakten, per Dekret anzumaßen. Andererseits soll verhindert werden, dass bei Grundrechtseinschränkungen Ausnahmen geschaffen werden können und dadurch Grundrechtsdiskriminierungen ermöglicht werden. Der neue § 217 StGB n.F. gilt sowohl für alle Ärzte, die bislang geschäftsmäßig Suizidbeihilfe geleistet haben, als auch für sämtliche Sterbehilfeorganisationen und sonstige Einzelpersonen. Insoweit kann die Annahme eines Einzelfallgesetzes („Lex Arnold“) weitgehend ausgeschlossen werden, selbst wenn Dr. Uwe-Christian Arnold für den Gesetzgeber der berühmte Stichwortgeber war. 114 Vgl. hierzu bereits Rn. 996.

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Teil III

c) Bestimmtheitsgebot: Verstoß gegen Art. 103 Abs. II GG? Ist § 217 StGB n.F. in Tatbestand und Rechtsfolge hinsichtlich des Merkmals der „Geschäftsmäßigkeit“ klar und bestimmt genug gefasst? Gemäß dem in Art. 103 Abs. II GG normierten Bestimmtheitsgebot ist der Gesetzgeber verpflichtet, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.115 Hintergrund dieser Einschränkung ist, dass eindeutig aus dem Strafgesetz hervorgehen muss, welches Verhalten verboten ist und somit dem staatlichen Strafanspruch unterfällt. Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit ist oben bereits ausführlich definiert und diskutiert worden. Fraglich ist, ob sich aus der Formulierung des § 217 StGB n.F. zweifelsfrei ergibt, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Ärzte, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit gelegentlich Sterbehilfe leisten, strafbar machen.116 In der Begründung zum Gesetzesentwurf wurde einerseits darauf Bezug genommen, dass Ärzte bereits deshalb keine wiederholte Suizidassistenz leisten dürfen, weil ein solches Handeln nicht zu ihrem beruflichen Selbstverständnis gehöre.117 Wie oben bereits klargestellt, kann allerdings aus einem rein berufsständischen Verbot keinesfalls auf ein verbindliches Unterlassenmüssen von Suizidassistenz seitens der Ärzteschaft geschlossen werden. Weiter wurde in der genannten Begründung zum Gesetzesentwurf ausgeführt, dass im Einzelfall ärztlich gewährte Suizidbeihilfe typischerweise gerade nicht geschäftsmäßig, also in der Absicht geschehe, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen.118 Darum bedürfe es von Anfang an auch keinerlei besonderer Ausschlussregelung für die Ärzteschaft.119 Im Ergebnis werden ausschließlich im Einzelfall und kumulativ aus altruistischen Motiven erfolgende Fälle von Suizidassistenz nicht von § 217 StGB n.F. erfasst. Für einen behandelnden Arzt, insbesondere im Bereich der Intensiv- und Palliativmedizin, war es praktisch bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. ohne wei115 Ebenso BVerfG(E) 126, 170 (195). 116 Vgl. hierzu Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags zur BT-Drucksache 18/5373 (WD 3 -3000-188/15) vom 24.08.2015 (S. 10). 117 Vgl. hierzu: Wortlaut der Begründung des Gesetzentwurfs Brand / Griese zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (S. 18), Bundestags-Drucksache 18/5373. 118 Ebenda. 119 Ebenda.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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teres denkbar, dass von einer schmerzlindernden Behandlung zu einer Beratung hinsichtlich einer Sterbehilfe übergegangen wurde und auf ausdrücklichen Wunsch entsprechende Medikamente bereitgestellt wurden. Außerdem liegt es im Wesen eines in diesem Bereich tätigen Arztes, dass dieser nicht nur einmalig mit einem konkreten Sterbewunsch (s)eines Patienten konfrontiert wird. Nach dem Wortlaut der neuen Vorschrift reicht allein der Umstand, dass Ärzte ihre Tätigkeit nicht bewusst auf eine wiederholte Suizidassistenz ausrichten, nicht dafür aus, bereits bei der zweiten Assistenz nicht in den vorsätzlichen Strafbarkeitsbereich von § 217 StGB n.F. zu geraten. Diese Unklarheit in der Sache widerspricht dem verfassungsrechtlich geforderten Bestimmtheitsgebot.

d) Geeignet? Der neue § 217 StGB n.F. ist geeignet, durch das Totalverbot von auf „Wiederholung ausgerichteter Sterbehilfe“, entsprechend professionalisierter Organisationen und Einzelpersonen die Grundlage solchen Handelns zu entziehen. Damit wird zugleich der abstrakten Gefahr von voreiligen oder unter sozialem Druck – unter dem Eindruck einer vermeintlichen Normalität – gefassten Suizidentschlüssen entgegengewirkt. Zugleich wird eine Kommerzialisierung derartiger Angebote im Keim erstickt. Insoweit ist § 217 StGB n.F. geeignet, den intendierten Zweck zu verwirklichen.

e) Erforderlich? Als milderes, aber gleich effektives Mittel käme allerdings eine Strafbarkeit der lediglich gewerbsmäßigen, d.h. kommerziell auf Gewinnerzielung ausgerichteten Sterbehilfe in Betracht. Entgegen der Begründung des Gesetzesentwurfs Brand / Griese kann weder in den Voraussetzungen noch in den Folgen eine aus nicht kommerziellen Gründen auf Wiederholung angelegte Suizidassistenz mit einer aus rein kommerziellen Gründen auf Wiederholung angelegten Suizidassistenz strafrechtlich auf die gleiche Stufe gestellt werden. Es handelt sich bei der lediglich abstrakt beschworenen Zunahme der ebenso abstrakten Gefährlichkeit von angeblich verstärkt voreiligen und unter sozialem Zwang erfolgenden Suizidentschlüssen – infolge des Eindrucks entsprechender geschäftsmäßiger Angebote – um eine abstrakte Behauptung seitens des Gesetzgebers, die jeglichen signifikanten Datenmaterials entbehrt (s.o.). Der beschworene „Dammbruch“ hinsichtlich der Zunahme von Suiziden hat außerdem noch vor Inkrafttretens von § 217 StGB n.F. keinerlei Indizien auch nur für den Ansatz seines Eintretens gezeitigt.

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Teil III

Darüber hinaus haben nicht kommerziell motivierte Anbieter von professionalisierter Sterbehilfe primär allein das Interesse der suizidgeneigten Personen unter vielerlei Gesichtspunkten im Auge und nicht den möglichst häufig und effizienten Verkauf einer solcherart kommerziell gefassten „Dienstleistung“ (von der Stange). Vor allem geht es ausschließlich um die subjektiven Belange der suizidgeneigten Personen und die Erarbeitung eines – gemessen am Leidensdruck – tragfähigen Gesamtkonzepts, bezogen auf die Organisation des Lebensendes. Dabei ist die Möglichkeit einer letztlich doch nicht realisierten finalen Suizidassistenz keinesfalls von vornherein ausgeschlossen. Denn die Möglichkeit des Ausweichens auf z.B. eine palliative Behandlung ist ein wichtiger Bestandteil einer solchen Beratung. Das bedeutet insgesamt, dass die Gefahr einer einseitig interessierten Überrumpelung, um das „Produkt“ schnellstmöglich an den Patienten zu bringen, bei einer nicht kommerziell gefassten Sterbeassistenz nicht zu befürchten ist. Die Interessenlage steht ganz im Gegensatz zu der kommerziellen Variante. In der Begründung wurde daraus ein lediglich nicht kommerziell motiviertes Eigeninteresse solcher Sterbehelfer konstruiert, welches gleichermaßen auf die möglichst häufige und effiziente Erbringung von Suizidassistenz gerichtet sei. Damit wurde die nicht gewinnorientierte Sterbehilfe mit der kommerziellen Variante hinsichtlich der Strafwürdigkeit auf die gleiche Stufe gestellt. Entscheidend ist damit nicht die Orientierung an materiellem Gewinn, sondern es reicht für sich bereits das Eigeninteresse an einer Fortsetzung der entsprechenden Tätigkeit aus. Diese Betrachtungsweise abstrahiert völlig unzulässig von der Eigendynamik einer auf Gewinnorientierung ausgerichteten Tätigkeit, bezogen auf einen rein nachfrageorientierten und zusätzlich rein privatwirtschaftlich organisierten „Sterbehilfemarkt“. Bei einer solchen gewinnorientierten Tätigkeit wird entsprechendes Kapital allein zu dem Zweck investiert, zukünftig Profite zu generieren, indem die verkaufte Dienstleistung letztlich mehr Gewinn abwirft, als in sie investiert wurde. Dabei ist der leitende Handlungszweck bei Strafe des Untergangs allein das Geldinteresse und nicht etwa die Linderung oder Beendigung von Qualen seitens der Patienten. Um den Patienten geht es im Falle einer Kommerzialisierung lediglich als Mittel zum Zweck für die Vermehrung des Profits, bezogen auf das im Voraus investierte Kapital. Daraus folgt dann aber auch, dass an einer primär am Lebensschutz interessierten Beratung im Vorfeld keinerlei materielles Interesse bestehen kann, da eine solche rein beratende Tätigkeit sich wohl kaum kommerziell rentieren und im Endergebnis nur lästigen Extraaufwand, d.h. höhere Lohnnebenkosten bedeuten würde.

Viertes Kapitel: Vertiefung von Zweifelsfragen

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Sollte sich ein solches Geschäftsmodell auf dem Markt als gewinnbringend erweisen, würden zudem zeitnah viele weitere Unternehmer in dieses Marktsegment drängen, d.h. in professionell organisierte gewerbsmäßige Sterbehilfeassistenz investieren, um an dem Sterbehilfe-Boom maximal gewinnbringend zu partizipieren. Diese Gewinn- und Konkurrenzdynamik beschleunigte schließlich gesamtgesellschaftlich die Expansion von kommerzialisierter Suizidassistenz. In Zeiten des Überalterns der Gesellschaft wäre dies sicher ein relevanter Faktor, welcher bei der wirtschaftlichen Bewertung eines entsprechenden Geschäftsmodels z.B. hinsichtlich der erforderlichen Kreditvergaben etc. zwangsläufig seine zentrale Berücksichtigung fände. In diesem Bereich tätige Unternehmer müssten sich zusätzlich notwendig der öffentlich zugänglichen Werbung bedienen, um ihr Produkt auf dem Markt zu positionieren und sich gegenüber der Konkurrenz Wettbewerbsvorteile zu sichern. In diesem Fall würde die Suizidassistenz nur noch mit den Augen eines kommerziell interessierten Unternehmers betrachtet und bewertet, so dass ethisch-moralische Schranken in einem solcherart geführten Diskurs samt entsprechender Praxis keinerlei relevante Anknüpfungspunkte mehr hätten. Ein rein versachlichender und vom menschlichen Leben abstrahierender Umgang wäre die notwendige Folge, ähnlich etwa der (verwaltungs-)technisch perfektionierten Massentierhaltung zum Zwecke des anschließenden Verkaufs von Fleisch. Insoweit würde sich zwangsläufig unter dem permanenten Eindruck entsprechend marktschreierischer Werbung langfristig der öffentliche Umgang mit dem Thema Suizidassistenz verändern, was die vom Gesetzgeber aufgezeigten abstrakten Gefahren tatsächlich nicht ganz unwahrscheinlich machte. Ganz anders ist die Ausgangslage jedoch bei einer ausdrücklich nicht gewerbsmäßig professionalisierten Suizidassistenz. Eine massenhafte Ausbreitung derartiger Möglichkeiten wird schon allein dadurch unterbunden, dass damit über die notwendigen Aufwandskosten hinaus kein Geld verdient werden kann. In der Regel sind derartige Organisationen als Vereine organisiert, deren Vereinszweck auf die Möglichkeit einer professionellen Suizidassistenz gerichtet ist. Regelmäßig muss man also ein Vereinsmitglied sein, um überhaupt die gewünschte Suizidassistenz erhalten zu können. Eine Überrumpelungsgefahr oder Voreiligkeit ist bereits dadurch völlig ausgeschlossen. Daran schließen sich regelmäßig weitere Prozeduren, um die Straffreiheit aller Beteiligten zu gewährleisten.

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Ebenso verhält es sich bei Ärzten. Mangels Abrechnungsmöglichkeit in der Honorarordnung scheidet ein gewerbsmäßiges Handeln von Ärzten in diesem Bereich von vornherein aus. Ebenso kann daraus mit der gleichen Begründung kein „besonders rentables“, weil weniger behandlungsintensives, Nischensegment i.d.R. ärztlicher Behandlung erwachsen. Es bleibt allein schon hierdurch bedingt stets bei einer strukturellen Ausnahmesituation im Arzt-PatientVerhältnis.

f) Angemessen im engeren Sinne? Der neue § 217 StGB n.F. stellt überdies einen völlig unverhältnismäßigen Eingriff vor allem in die subjektiven Rechte von suizidgeneigten Personen und behandelnden Ärzten dar. Bezogen auf den verfolgten Zweck, schießt das angewandte Mittel weit über das Ziel hinaus. Die Folgen dieses essentiellen Eingriffs sowohl in das Arzt-Patienten-Verhältnis als auch in das Selbstbestimmungsrecht jeder ernsthaft suizidgeneigten Person sind gravierend (s.o.).

Fünftes Kapitel: Unterschiede zur bis Dezember 2015 geltenden Rechtslage Im Folgenden werden die wichtigsten Unterschiede des neuen Rechtszustandes am Maßstab der Rechtslage vor Inkrafttretens von § 217 StGB n.F dargestellt.

A) Im Bereich des Strafrechts Es handelt sich im Fall von § 217 StGB n.F. – hinsichtlich der in jedem Falle fehlenden rechtswidrigen (suizidalen) Haupttat – mithin um eine als selbstständiges Teilnahmedelikt ausgestaltete Straftat. Somit wird im Grunde das bis dahin im Bereich der Straftaten gegen das Leben ausnahmslos geltende (limitierte) Akzessorietätsprinzip aufgegeben. Von nun an bekommt zwar der Suizident auch weiterhin keinerlei Strafbarkeitsvorwurf gemacht, jeder der ihn hierbei allerdings geschäftsmäßig (lediglich!) fördert, setzt sich dem selbstständigen Strafbarkeitsrisiko nach dieser neuen Vorschrift aus. Daraus folgt, dass eine geschäftsmäßige Suizidförderung inzwischen als ein rechtswidriger und nicht hinnehmbarer Zustand bewertet wird. Denn diese zu Grunde liegende Wertung könnte in diesem Bereich überhaupt eine Durchbrechung des Grundsatzes von der limitierten Akzessorietät kraft spezialgesetzlicher Regelung rechtfertigen und legitimieren. Abgesehen von der rechtspolitisch heiklen Seite einer solchen Annahme, gibt es auch essentielle dogmatische Einwände hinsichtlich dieser Einordnung. Nochmals zur Vergegenwärtigung der Problemstellung: Obwohl der „Haupttäter“, hier der Suizident, keinerlei eigenes Unrecht verwirklicht, wird ein strafwürdiges Unrecht nun für die geschäftsmäßige Förderung von dessen nach wie vor strafrechtsneutraler Suizidhandlung angenommen. Damit wird aber nicht nur das Akzessorietätsprinzip im Bereich der Straftaten gegen das Leben aufgegeben, sondern auch die dogmatische Struktur hinsichtlich der meisten übrigen innerhalb des StGB vorfindlichen Delikte im Bereich der verselbstständigten Teilnahmedelikte. Dies gilt etwa hinsichtlich der §§ 120 Abs. I 2. und 3. Var; 257 Abs. I; 259 Abs. I 4. Var. oder 258 Abs. I StGB, deren Konzept nun zumindest mittelbar auf den Kopf gestellt wird. Denn allen diesen genannten Delikten ist gemeinsam, dass dem Haupttäter im Einzelfall – trotz verwirklichtem Unrecht – ausnahmsweise kein Strafbarkeitsvorwurf gemacht wird. Dies soll jedoch nur darum nicht für den Teilnehmer gelten, weil ja nach wie vor ein rechtswidriger und nicht hinnehmbarer Zustand besteht.

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Teil III

Zusammenfassend lässt sich dieser Befund auch so formulieren: Das Minimum im Bereich der verselbstständigten Teilnahmedelikte war regelmäßig bisher zumindest eine ausnahmsweise nicht unter Strafe gestellte Unrechtsverwirklichung des Haupttäters, welche durch den Teilnehmer aufrechterhalten, verstärkt oder fortgeführt wird. Das wäre dogmatisch nur dann denkbar, wenn eine Selbsttötung tatsächlich als rechtswidrig zu erachten wäre. Im Fall des § 217 StGB n.F. ist es dagegen genau umgekehrt, weil der Suizident ja selbst gar kein Unrecht verwirklicht – so dass man eigentlich nicht unproblematisch auf die dogmatische Figur eines sog. verselbstständigten Teilnahmedelikts im Bereich von Suizid und Suizidassistenz ausweichen kann. Auch wird durch die Existenz von § 217 StGB n.F. im Bereich der Tötungsdelikte i.V.m. Sterbehilfe die bisherige Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme stark relativiert bzw. sogar aufgeweicht. Bisher begann die Täterschaft eines Suizidbeihelfers ab dem Punkt, an dem sich der äußerlich Beihelfende vorsätzlich die eigentliche Tatherrschaft über den suizidalen Geschehensablauf verschafft hatte. In diesen Fällen wurde eine mittelbare Täterschaft des äußerlich Beihelfenden angenommen, weil der Suizident mehr oder weniger nur ein passives Werkzeug gegen sich selbst geworden ist. Wenn nun allerdings bereits eine bloß geschäftsmäßige Förderung von weiterhin völlig selbstbestimmten Suizidabsichten (am Rande des Tötungsgeschehens) eine selbstständige Strafandrohung von immerhin bis zu drei Jahren nach sich zieht, bleibt im Grunde nichts mehr übrig von dem Prinzip, dass lediglich teilnehmende Handlungen am Rande des Tötungsgeschehens (unterhalb der Täterschaft) eigentlich eine mildere Beurteilung verdienen als die Haupttat selbst. Jedenfalls wird hierdurch die natürliche Hemmschwelle, die einer Täterschaft im Bereich der Tötungsdelikte innewohnt, in diesem Bereich stark auf die Probe gestellt werden. Auch werden die seitens der Rechtsprechung in jahrelang ausgereifter Judikatur aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung von Kriterien für einen frei verantwortlich ausgeführten Suizid im Verhältnis zu einer bisher in jedem Fall straflosen Teilnahme daran (in Abgrenzung zur Täterschaft des Beihelfenden infolge eines nicht frei verantwortlich ausgeführten Suizids) durch die Vorschrift von § 217 StGB n.F. inhaltlich unterlaufen. Auf diese Kriterien zur Bestimmung eines frei verantwortlichen Suizids kommt es hinsichtlich der Bestimmung der Strafbarkeit eines Teilnehmers am Suizid nun nicht mehr an. Eine Strafbarkeit des Teilnehmers ergibt sich inzwischen, insbesondere für Ärzte, mit einem hohen Berufsrisiko bereits aus § 217 StGB n.F., so dass damit letztlich die Bedeutung der freien Verantwortlichkeit (insbesondere i.R. einer

Fünftes Kapitel: Unterschiede

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Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme) im strafrechtlichen Bereich der Tötungsdelikte faktisch heruntergestuft wird. Eine zukünftige Problematik hinsichtlich des gesellschaftlich eindeutig als legitim akzeptierten Grenzverlaufs, bezogen auf die natürliche Hemmschwelle im Bereich der Tötungsdelikte, zeigt sich ebenfalls leicht anhand der folgenden Überlegung. Es wird auf lange Sicht auch die Legitimität des Strafgrunds von § 216 StGB durch die neue Vorschrift in dogmatischer Hinsicht mehr oder weniger in Frage gestellt werden. Eine aktive Tötung auf Verlangen, welche in jedem Fall ein Tötungsdelikt ist, wird mit einer Freiheitstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren bestraft. Eine geschäftsmäßige Förderung einer freiverantwortlichen Selbsttötung, die in jedem Fall kein Tötungsdelikt ist, regelmäßig weit im Vorfeld der eigentlichen Suizidhandlung stattfindet und noch nicht einmal einen konkreten Suizid(versuch) voraussetzt, wird ebenfalls im äußersten Fall mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet. Umgekehrt zeigt dies an, dass im Verhältnis zu § 216 StGB mit § 217 StGB n.F. außer Verhältnis über das Ziel hinausgeschossen wurde. Viele, die bisher eine aktive Sterbehilfe sicher für ihr Tun ausgeschlossen haben, werden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit – angesichts der Strafandrohung für eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung – anders als bisher über diesen Bereich nachdenken und abwägen. Es steht zu befürchten, dass es für so manchen angesichts dieser gravierenden und paradigmatischen Änderung auf diesen Unterschied zwischen z.B. § 216 StGB (aktive Tötung) und § 217 StGB (Förderung einer vollverantwortlichen Selbsttötung) im Ergebnis gar nicht mehr ankommen und somit die Hemmschwelle langfristig sinken könnte. Weiterhin wird zukünftig, wie oben bereits gezeigt, eine klare und rechtssichere Grenzziehung zwischen einer straflosen indirekten aktiven Sterbehilfe und der Eröffnung des Tatbestandsbereichs von § 217 StGB n.F. im Einzelfall schwer fallen. Insbesondere für im Bereich von Hospiz- und Palliativmedizin tätige Ärzte. Streng genommen kann der Anwendungsbereich einer geschäftsmäßig betriebenen Förderung von Selbsttötungen z.B. ärztlicherseits zukünftig auch generell in Sphären ausgreifen, die bisher als Sterbebegleitung oder Zulassen des Sterbens gar nicht unter den Bereich einer Hilfe zum Sterben subsumiert worden sind. Die Grenze zwischen der Möglichkeit, einem natürlichen Sterbevorgang seinen Lauf zu lassen, und einer künstlich herbeigeführten Beendigung des Lebens ist angesichts des medizinisch Machbaren inzwischen alles andere als eindeutig. Wann ist ein Sterbevorgang noch natürlich? Wann wird künstlich in diesen eingegriffen? Welche Maßnahmen sind ärztlich überhaupt indiziert? Unterlässt ein Arzt eine indizierte medizinische Maßnahme auf den

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Teil III

ausdrücklichen Willen eines sterbewilligen Patienten hin, damit dieser endlich sterben kann oder sich aus seiner Sicht zusätzlich selbst besser suizidieren kann, und dies geschieht „geschäftsmäßig“ – wo ist da noch eine sichere Grenzziehung zu § 217 StGB n.F. möglich? Zumal es innerhalb des Anwendungsbereichs von § 217 StGB n.F. nicht darauf ankommt, dass es überhaupt zum Suizidversuch selbst kommt. Ähnliches gilt für die in diesem Bereich entwickelte Judikatur hinsichtlich der echten und unechten Unterlassungsdelikte. Die Existenz der Vorschrift von § 217 StGB n.F. bedeutet in der Sache eine inhaltliche Rückkehr zu den Wertungen der Rechtsfigur einer ärztlichen Garantenstellung und -pflicht in jedem Fall qua Arztsein.1 Die bisher eindeutige Liberalisierungstendenz des BGH wird im Ergebnis konterkariert. Läge unter der Annahme der aktuellen Rechtslage z.B. im Falle Wittig nicht zumindest auch die Annahme eines „Gewährens“ der Gelegenheit zur Selbsttötung seitens des Arztes nahe? Als geschäftsmäßig würde dies gewertet, sollte sich dies nicht auf einen Einzelfall beschränken, wovon bei Ärzten in langjähriger Praxis ausgegangen werden kann. Auf die Abgrenzung von Suizidbeihilfe zur Tötung auf Verlangen hinsichtlich der ärztlichen Garantenstellung und der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens kommt es aus ärztlicher Sicht unter der Geltung von § 217 StGB n.F. nicht mehr allein und entscheidend an. Die Betonung der ärztlichen Gewissensentscheidung, welche damals noch als Ausnahmetatbestand zur Annahme einer Straffreiheit des behandelnden Arztes zureichte, wird im Verhältnis zu § 217 StGB n.F. mehr als relativiert und für bedeutungslos erklärt. Eine Gewissensentscheidung, die sich auf den Einzelfall beschränken muss, hat den Namen nicht mehr verdient.

B) Im Bereich der Grundrechte Im Bereich der Grundrechte ergeben sich keiner Unterschiede zur Rechtlage vor und nach Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. Dies folgt aus dem bereits erwähnten inhaltlichen Verhältnis des Strafrechts zum Verfassungsrecht. Allenfalls impliziert die Existenz von § 217 StGB n.F. eine gewisse faktische Relativierung des aus Art. 1 i.V.m. Art. 2 I GG hergeleiteten Rechts auf einen selbstbestimmten Tod (ohne staatlicherseits vorgenommene Bevormundung), ohne dass dies sich rechtsdogmatisch auswirken würde.

1

Vgl. hierzu etwa: Urteil des OLG Hamburg v. 8.06.2016 (Az. 1 Ws 13/16).

Fünftes Kapitel: Unterschiede

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C) Im Bereich des Zivilrechts Ein gewisses Spannungsverhältnis besteht sachlich hinsichtlich des Inhalts und der Bedeutung von rechtlichen Instituten wie Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Die intendierte Stärkung des Rechts der Patienten auf ein möglichst selbstbestimmtes Sterben wird durch § 217 StGB n.F. zwar nicht unmittelbar berührt, jedoch mittelbar infolge des Wegfalls der Möglichkeit einer Inanspruchnahme von professionalisierter Sterbehilfe insgesamt. Hinzu kommen die aufgezeigten Abgrenzungsschwierigkeiten im Bereich der Hospizund Palliativmedizin. Das betrifft dann auch Patienten, die im Vorfeld zwar ihrerseits eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht errichtet haben, nun aber ihren aktuellen Willen nicht mehr artikulieren können. Im Zweifel sichert sich ein Arzt zukünftig unter Ausschluss jeglichen Risikos besser präventiv ab, als dem ernsthaften Sterbewunsch etc. seiner Patienten auch nur die erforderliche Aufmerksamkeit und Beachtung schenken zu können.

TEIL IV: DIE WICHTIGSTEN ANWALTLICHEN BESONDERHEITEN AUS PRAKTISCHER SICHT

https://doi.org/10.1515/9783110596724-007

Erstes Kapitel: Allgemeines Im Folgenden wird eine Methodik beschrieben, die dem spezifisch anwaltlichen Blick auf das selbstbestimmte Sterben und u.U. einer zu diesem Zweck erstrebten ärztlichen Assistenz zum Suizid in Abgrenzung zu anderen professionellen Beteiligten gerecht wird. Die entwickelte Methodik sollte ein mit derartigen Mandanten betrauter Anwalt stets anwenden, um im Einklang mit dem Selbstverständnis der Anwaltschaft die verschiedenen relevanten Gesichtspunkte im Interesse des Mandanten systematisch zusammenzuführen.

A) Anwaltliches Selbstverständnis An dieser Stelle soll vorab in der gebotenen Kürze auf das anwaltliche Selbstverständnis bei jeder anwaltlichen Beratungstätigkeit eingegangen werden. Zunächst ist ein Rechtsanwalt der berufene und unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten.1 Unabhängigkeit meint die Unabhängigkeit vom Staat, arbeitsvertraglichen Bindungen und der eigenen Partei. Dies korreliert mit der Stellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege. Dieser Aufgabe können Rechtsanwälte nur gerecht werden, weil sie über vier wichtige Kernkompetenzen verfügen: Sie sind juristisch kompetent, unabhängig, verschwiegen und vertreten nur die Interessen ihres Mandanten. Das Bestehen einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist daher unabdingbar, zumal dieses Verhältnis i.d.R. von einem „Experten-Laien-Gefälle“ geprägt ist und der Mandant sich insoweit Rat suchend an einen Rechtsanwalt wendet. Vertrauen setzt Kontinuität, Verlässlichkeit und Klarheit in der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant voraus. Vertrauen kann nur nach und nach erworben, zugleich aber von heute auf morgen verspielt werden.2 Da es bei einem derartigen Mandat im Wortsinn um Leben und Tod geht, ist das entgegengebrachte Vertrauen hier von herausragender Bedeutung und beruht wegen der strafrechtlichen Implikationen sogar mehr als sonst auf Gegenseitigkeit. Die Übernahme eines Mandats im Bereich des selbstbestimmten Sterbens oder gar im Bereich einer gewünschten ärztlichen Assistenz zum Suizid stellt für den Rechtsanwalt zunächst eine professionell zu bewältigende Aufgabe dar und gleicht prinzipiell in vielerlei Hinsicht zunächst jeder anderen anwaltli1 2

Vgl. §§ 3 Abs. I BRAO und 1 Abs. III BORA. Ebenso M. Kilian, Das anwaltliche Mandat, Rn. 7 ff.

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Teil IV

chen Beratung. Mit ebenso sensiblem wie professionellem Zuhören im Beratungsgespräch muss der Anwalt das persönlich wie rechtlich Erhebliche sorgfältig aufspüren. Ziel der Beratung ist das Ordnen und Sortieren der Überlegungen des Mandanten nach rechtlichen und praktischen Kriterien. Man kann hier auch von der gliedernden Hand des Beraters sprechen, der in das, was möglicherweise eher diffus ist, ein strukturierendes Gerüst, eine Ordnung nach juristischen Kategorien bringt. Der Anwalt hat somit das Problem zu identifizieren, den Sachverhalt aufzuklären, das Problem schließlich zu definieren, ggf. Problemlösungsoptionen zu entwickeln und eine angemessene Problemlösung auszuwählen und vorzuschlagen.3

B) Besonderheiten bei dem Wunsch, selbstbestimmt zu sterben Bereits hinsichtlich einer Erstberatung ist allerdings auf folgende abweichende Besonderheit hinzuweisen: Es handelt sich hier nicht um eine schlichte Störung im Rahmen alltäglicher Rechtsverhältnisse, welche allein mit normalen juristischen Lösungsansätzen einer üblichen Klärung zuzuführen wäre. Vielmehr geht es um die Umsetzung elementarster, aber auch finaler Wünsche – um die Alternative eines aufgezwungenen Lebens oder eines wunschgemäßen Sterbens.4 Damit sind die Fragen nach dem Ob und Wie der Umsetzung des Sterbewunsches des Mandanten von höchster Brisanz und Relevanz. Letztlich benötigt ein Anwalt hierbei nicht nur die rechtlichen und evtl. je nach Fallgestaltung auch relevanten medizinischen Grundkenntnisse, er darf darüber hinaus keine Hemmungen haben, den Patientenwillen auch dann nach außen zu vertreten, wenn dies in den denkbar verschiedensten Konstellationen das Zulassen des Sterbens beinhaltet. Hinsichtlich Themen wie Krankheit, Sterben und Tod muss der Anwalt zunächst einmal mit sich selbst im Reinen sein. Die Thematisierung des Todes und den faktischen Umgang mit einem Sterbewilligen darf er nicht scheuen. Vom Anwalt wird erwartet, dass er alle flankierenden Maßnahmen kennt und auf etwaige Zweifel eingehen kann, sowie dass er dem Patienten bzw. den Angehörigen Kraft und vor allem die nötige Sicherheit gibt. Er muss ein solches Mandat deshalb vor allem auch mit allen Konsequenzen respektieren. Die Brisanz eines derart gelagerten Mandats hat solche Mandate in der Vergangenheit bereits anfällig für eine strafrechtliche Verfolgung von Ärzten und gelegentlich sogar des beauftragten Anwalts selbst5 gemacht. Inzwischen hat sich die Rechtslage mit dem neuen § 217 StGB n.F., wie ge3 4 5

Ähnlich M. Kilian, a.a.O. Vgl. zum Ganzen W. Putz / B. Steldinger, Patientenrechte am Ende des Lebens, S. 79. Siehe hierzu etwa: BGHSt 55, 191 ff.; LG Fulda 30.04.2009 Az.: 16 Js 1/08-1-KS.

Erstes Kapitel: Allgemeines

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zeigt, noch weiter zu Lasten aller Beteiligten verschärft. Deshalb darf bei keinem Schritt die Dimension und die daraus resultierende Verantwortung aus den Augen verloren werden. Ein Anwalt, der ein solches Mandat übernimmt, ist als Anwalt des Patienten selbstverständlich nur diesem gegenüber verpflichtet und hat ihn nach außen hin entsprechend zu vertreten. Der zeitliche Aufwand für ein solches Mandat ist sehr umfangreich, und es wird ein enormes Engagement gefordert. In einem nicht immer kooperativen Umfeld muss der Anwalt die Position des Mandanten vertreten, was keineswegs immer ganz einfach ist. Zudem übernimmt der Anwalt die moralische Verantwortung für Leben und Sterben des Patienten sowie die strafrechtliche Verantwortung für das Handeln der Beteiligten einschließlich seines eigenen Tuns. Mandatsinhalt ist mit anderen Worten die Prüfung der objektiven Möglichkeiten bei der Umsetzung des Patientenwillens und der zugleich strafrechtlichen Absicherung aller Beteiligten. Dabei sollte eine möglichst standardisierte systematische Bearbeitungsweise angestrebt werden, um niemals auch nur einen einzigen Schritt der Absicherung zu unterlassen.6 Umgekehrt ist natürlich eine gewisse umfassende einschlägige Erfahrung geboten, um den immer neuen Fallkonstellationen gerecht werden zu können. Auch sollten zur Absicherung von Anfang an alle relevanten Informationen penibel, ggf. auch mit Fotos, ermittelt und dokumentiert werden. Geht es um Rechtsfragen am Lebensende, so können diese dem Anwalt selbstverständlich bereits im Bereich der Vorsorge, d.h. der Organisation des Sterbens seitens des Mandanten begegnen. Dabei kann es ganz typisch um den Entwurf oder die rechtliche Prüfung von Vorsorgevollmachten, Patientenverfügungen oder Betreuungsverfügungen gehen. Deutlich seltener sind dagegen Mandate, welche die Durchsetzung des vom Mandanten gewünschten Sterbeprozesses, bis hin zur klageweisen Erzwingung, beinhalten. Jedes Mandat beginnt mit einer umfassenden Erstberatung des Patienten oder seiner Vertreter. Zu Beginn muss unabdingbar nach dem derzeitigen mentalen wie körperlichen Zustand des Mandanten gefragt werden. Dies ist geboten, solange mit dem Mandanten noch kommuniziert werden kann. Es folgt die sorgfältige Ermittlung des aktuellen Patientenwillens. Kann der Patient dazu Angaben machen, so ist dessen Einsichtsfähigkeit zu prüfen, ggf. auch ärztlich zu begutachten, um alles Weitere strafrechtlich abzusichern.7

6 7

Vgl. W. Putz, Das Mandat „Sterben“ in: Ärztliche Behandlung an der Grenze des Lebens (Hrsg. T. Ratajaczak), S. 108. Siehe auch W. Putz, Das Mandat „Sterben“ s.o., S. 110.

298

Teil IV

Insoweit sind alle vorgetragenen Hinweise, Indizien, Äußerungen, mündlichen oder schriftlichen Verfügungen sorgfältig zu prüfen; insbesondere darauf, ob ein etwa zuvor geäußerter Mandantenwille in der aktuellen Situation möglicherweise nicht mehr gelten soll oder ob zumindest Zweifel am zuvor geäußerten Willen bestehen.8 Kann der Patient seinen Willen nicht mehr bilden oder äußern, ist zunächst im nächsten Umfeld nach Vorausverfügungen zu fragen. Klar ist an dieser Stelle bereits denklogisch, dass hinsichtlich der Suizidthematik insgesamt nichts vorausverfügt werden kann. Ein Patient, der seinen Willen nicht mehr äußern oder bilden kann, ist ebenso zu keiner Suizidhandlung mehr in der Lage. Gibt es keine schriftliche Verfügung, so muss bei den Angehörigen nach vorherigen mündlichen Willenserklärungen des Patienten recherchiert werden. Vergleichbar mit dem öffentlich-rechtlichen Amtsermittlungsgrundsatz sind anwaltlicherseits zum Mandat so sorgfältig und umfassend wie möglich Auskünfte auch von Personen, die nicht unmittelbar erwähnt wurden, wie etwa Geschwister, geschiedene Partner etc. einzuholen. Erst wenn derartige Nachforschungen keinerlei Vorausverfügungen ans Licht bringen, ist der mutmaßliche Wille zu ermitteln. Klar ist jedoch, dass der Wille zu sterben eine voll zu respektierende Entscheidung des Mandanten darstellt, welche ihrerseits den Anwalt und alle anderen Beteiligten bindet. Solange es sich lediglich um eine Hilfe beim Sterben i.R.d. Hospiz- und Palliativmedizin handelt, ist dies nach wie vor unproblematisch. Wird allerdings eine Hilfe zum Sterben (Suizidassistenz) angestrebt, ist die Lage mit der Einführung des neuen § 217 StGB inzwischen bei weitem nicht mehr so liberal geregelt, wie dies zuvor noch der Fall war. Jede Form von professionalisierter Sterbehilfe wurde grundsätzlich unterbunden, indem bereits das geschäftsmäßige Gewähren, Verschaffen oder Vermitteln einer Gelegenheit zur Selbsttötung unter Strafandrohung gestellt wurde. Damit haben sich die bisherigen Probleme von der professionalisierten Sterbehilfe hin zur rein privat erfolgenden Sterbehilfe durch Angehörige oder sonst nahestehende Personen im Einzelfall verlagert. Allerdings ist unabhängig hiervon vorab sorgfältig zu prüfen, ob der mündlich geäußerte Sterbewunsch im Einzelfall nicht möglicherweise auf einer Depression beruht, die den Patienten in seiner Willensbildung unfrei macht.9 In Zweifelsfällen sollte sich der Mandant, wenn möglich, seine freie Willensbildungsfähigkeit zur Absicherung aller übrigen Beteiligten von seinem behandelnden Hausarzt attestieren lassen. 8 9

Vgl. W. Putz / B. Steldinger, Patientenrechte am Ende des Lebens, S. 24. Ebenso W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 23.

Erstes Kapitel: Allgemeines

299

Im Anschluss an die erste Beratung können weitere Besprechungen im Familienkreis des Patienten sinnvoll sein, um eine gemeinsame Linie zu ermöglichen. Dies ist vor allem in Fällen eines gewünschten Sterbenlassens ratsam. Auch sollte vorab mit dem Arzt oder der Heimleitung persönlich gesprochen werden, damit man nicht über einen anwaltlichen Schriftsatz eine unnötige, möglicherweise konfrontative Distanz schafft. Im besten Fall gibt es hiernach ein gemeinsames Gespräch mit allen Beteiligten, Angehörigen, Arzt, Heimleitung etc.

Zweites Kapitel: Konkrete Methode zur Ermittlung des Mandanteninteresses und zur Bestimmung der Beratungsziele Im Folgenden wird das anwaltliche Vorgehen zur Ermittlung des Mandanteninteresses und der Beratungsziele beschrieben.

A) Anwaltliche Beratungsperspektive Als anwaltliche Beratungsperspektive ist wegen der Besonderheit der vorliegenden Problemstellung die jeweilige Mandanten- bzw. Patientensicht in Wechselwirkung mit der ärztlichen Sicht einzunehmen. Dies aber nicht, weil der Anwalt etwa widerstreitende Interessen wahrnähme und damit möglicherweise nicht mehr loyal wäre. Sondern im Gegenteil, weil der zu beratende – im Extremfall sterbenskranke – Patient nur wollen kann, was ein Angehöriger oder Arzt schließlich auch legal ausführen darf.

B) Methode Hieran knüpft dann auch die Definition der Beratungsziele an, mit den Besonderheiten der oft unerträglichen Situation des schwer bis unheilbar kranken Mandanten einerseits; andererseits im Pendelblick auf die Besonderheiten z.B. der ärztlichen Behandlungssituation, welche durch Gesichtspunkte wie Legalität, den hippokratischen Eid, das Arzt-Patient-Vertrauensverhältnis, Standesrecht, Berufsrecht etc. charakterisiert ist.

C) Bestimmung des Mandanteninteresses Vornehmlich ist hierbei auf das (Patienten=) Mandanteninteresse abzustellen, jedoch notwendig unter Berücksichtigung des gesetzlich Erlaubten. Maßgeblich ist zunächst der tatsächliche Wille des Mandanten. Der Patient hat einerseits ein uneingeschränktes Recht, über sich und sein Leben selbst zu bestimmen,1 damit aber auch über das Wann und Wie seines Sterbens.2 Der Rahmen der Legalität ist andererseits die unüberschreitbare Grenze und zugleich der immanente Bezugspunkt jeder anwaltlichen Beratungstätigkeit. Es soll ja 1 2

Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG. Vgl. W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 27.

Zweites Kapitel: Konkrete Methoden

301

schließlich im Extremfall ein Angehöriger oder gar im ausnahmsweisen Einzelfall ein Arzt beim Suizid assistieren. Insoweit sind der vorliegenden Problemstellung alle beteiligten Sichtweisen notwendig immanent. Natürlich ist die Durchsetzung des rechtsgültigen letzten Willens des Mandanten hierbei von gleichrangiger inhaltlicher Bedeutung. Hierbei spielen dann beispielsweise die Inhalte der sog. Patientenverfügung gegebenenfalls flankierend eine eminent wichtige Rolle. Leider bestehen hinsichtlich all dieser Fragestellungen auf Seiten der Angehörigen, Ärzteschaft, Richter, Patienten und Anwaltskollegen nach wie vor erhebliche Unsicherheiten und Wissensdefizite. „Keiner weiß, wie es geht.“ Weit verbreitete Irrtümer, Vorurteile und Ängste auf Seiten aller Beteiligten verstärken die bestehenden rechtlichen Unklarheiten in der Praxis.

Drittes Kapitel: Beratungsziele Im Fortgang werden drei systematisch zu bedenkenden Interessenlagen erörtert, wobei der Sicht des Patienten der Vorrang eingeräumt wird. Neben der Patientensicht wird auf die ärztliche Situation und die Interessenlage von Angehörigen eingegangen, soweit dies im Hinblick auf eine ganzheitliche Analyse der in Betracht kommenden Schwierigkeiten erforderlich ist. Für eine adäquate sowie umfassende Bestimmung des Patienteninteresses und dessen mögliche Umsetzung sind die besonderen Belange von Ärzten und Angehörigen in jedem Fall systematisch zu berücksichtigen. Dies ergibt sich schon aus dem rechtsgebietsübergreifenden Querschnittscharakter der Materie. Die hieraus abzuleitenden und ggf. zu harmonisierenden Beratungsziele sind sorgfältig herauszuarbeiten und scharf zu stellen.

A) Patient Nachfolgend wird die Interessenlage eines zu behandelnden Patienten beleuchtet. Die hierbei herausgearbeiteten Kriterien wirken aber auch unmittelbar auf das ärztliche Interesse zurück, da die nachfolgenden Punkte den Ausgangspunkt hierfür bilden.

I. Patient, der noch selbst entscheiden kann: Vorsorge und Sterben Nachfolgend wird die Interessenlage bei einem Mandanten betrachtet, der selbst Patient sowie noch in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, und der sein Lebensende aktiv gestalten möchte.

1. Allgemeine Überlegungen Zu dieser Gruppe gehören damit Mandanten, die selbst noch bestimmen und mitteilen können, was sie wann möchten. Das primäre Ziel des Mandanten ist die Selbstbestimmung am Lebensende, welche auch die Möglichkeit für ein Sterben in Würde und im Extremfall den Suizid als äußerste Möglichkeit mitumfasst. Eine anwaltliche Beratung geschieht an dieser Stelle entweder präventiv für die Zukunft oder aber aufgrund aktueller Krankheit.

Drittes Kapitel: Beratungsziele

303

Selbstbestimmung meint die autonome, selbstverantwortliche Lebensführung eines aufgeklärten, vernünftigen und freien Individuums.1 Hiervon ist auszugehen, wenn der Mandant sich im Wortsinn noch ganz selbst bestimmen kann, seine Willensbildungsfähigkeit also noch so frei ist, dass er ermessen kann, was ein Weiterleben, aber auch ein Sterben für ihn bedeuten würde.2 Die Selbstbestimmung ist eines der entscheidenden Paradigmen innerhalb des einschlägigen juristischen Diskurses und der Rechtsprechung.3 Selbstbestimmtes Sterben setzt lediglich die Einwilligungsfähigkeit und nicht die Geschäftsfähigkeit voraus; es kommt allein darauf an, ob der Mandant Inhalt und Tragweite einer etwa anstehenden ärztlichen Behandlung abschätzen kann.4 Erforderlich ist damit allein die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Mandanten hinsichtlich Art, Bedeutung, Folgen und Risiken seines Wunsches. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Einwilligung keine Willenserklärung ist, sondern eine geschäftsähnliche Handlung. Da sie vorliegend eine Entscheidung über ein höchstpersönliches Rechtsgut enthält, ist hierfür lediglich die Einwilligungsfähigkeit Voraussetzung.5 Das heißt denknotwendig dann auch, dass der Mandant keineswegs durch einen etwa vom Betreuungsgericht eingesetzten rechtlichen Betreuer oder durch einen mit einer Vorsorgevollmacht beauftragen Vertreter entmündigt wäre bzw. ist. Soweit und solange er seinen Willen diesbezüglich noch bilden und äußern kann, ist der Vertreter absolut daran gebunden.6 Daraus folgt sogar die Pflicht des Vertreters, dem Willen des Vertretenen Geltung zu verschaffen, wie z.B. das Zulassen des gewünschten Sterbens durchzusetzen. Der beratende Anwalt sollte, jedenfalls soweit es ihm möglich ist, zur Vermeidung eines nicht freiverantwortlichen Suizids beitragen. Durch gezielte Fragen ist vorab zu klären und auszuschließen, dass der Suizid etwa aufgrund von sozialem Druck angestrebt wird. Ebenso ist zu klären, ob noch weitere Möglichkeiten der palliativmedizinischen Schmerz- und Symptomtherapie anwendbar oder bereits ausgeschöpft sind, falls das überhaupt gewünscht ist. Ganz wichtig ist es, auszuschließen, dass der betroffene Mandant an einer behandelbaren Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung leidet. 1 2 3 4 5 6

Vgl. Ralf J. Jox,, Sterben lassen, S. 126. So auch W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 24. Zum Spannungsverhältnis von Patientenautonomie und Strafrecht: Otto, NJW 2006, 2217 ff.; ebenso Roxin, NStZ 1987, 345 ff. Palandt–Weidenkaff, § 630d Rn. 2 ff.; vgl. W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 30. Palandt–Weidenkaff, § 630d Rn. 2. Ebenso W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 30.

304

Teil IV

Häufig möchte der Mandant insbesondere der Angst vor der Möglichkeit von Abhängigkeit und Würdeverlust gegensteuern und vorbeugen. Dies beinhaltet etwa den Fall, dass der Mandant unter Umständen für immer bewusstlos ist, und für diesen Fall vorsorglich keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr wünscht – also sterben gelassen werden möchte. Für viele Mandanten ist es nicht mit ihrer Vorstellung von Würde vereinbar, am Ende ihres Lebens für eine längere Zeit an Schläuchen zu hängen und am Ende des Lebens nur noch als bewusstloser Körper in einem Intensivbett zu liegen, eingezwängt zwischen Infusionsspritzen, Pumpen, mit Kabeln und Maschinen, welche die Organe ersetzen, aber letztlich das Sterben nur hinauszögern – wenn es mithin keine Hoffnung mehr gibt, eines Tages wieder ohne lebenserhaltende Maßnahmen leben zu können, und das Sterben absehbar wird oder bereits begonnen hat.7 Es ist auch ein häufig genanntes Ziel, nicht unnötig leiden zu müssen oder keine Atemnot zu haben. Denkbar ist auch das Ziel, Schmerzen zu bekämpfen oder zu vermeiden, auch wenn eine solche Behandlung einen früheren Tod bedeuten könnte. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Selbstbestimmung im Sterben zwingend Aspekte wie eine Patientenverfügung, das Recht auf einen selbstbestimmten Tod, den Wunsch nach Beihilfe beim Suizid – sei es durch Ärzte, Angehörige, Freunde oder gar, die inzwischen illegalisierten Sterbehilfevereine8 – bzw. einfach das Sterbenlassen beinhaltet.

2. Überlegungen, falls ärztliche Suizidbeihilfe gewünscht ist Eine besondere Aktualität besitzt die gegenwärtig ebenfalls kontrovers diskutierte Suizidbeihilfe durch Ärzte. Auf die Problematik für die Ärzteschaft unter der Geltung des neuen § 217 StGB wurde oben bereits ausführlich hingewiesen. Der Anwalt sollte dessen ungeachtet darauf aufmerksam machen, dass die erforderlichen Kompetenzen für die Vermeidung eines nicht freiverantwortlichen Suizids und für die Durchführung einer schmerzfreien, würdevollen Form der Suizidbeihilfe am ehesten der behandelnde Arzt besitzt. Insbesondere verfügt ein Arzt über die kommunikativen Fähigkeiten, mit einem schwerkranken Patienten und dessen Angehörigen über Krankheit, Leiden und Sterben zu sprechen. Außerdem hat ein Arzt das erforderliche Fachwissen, um verschiedene Krankheitszustände, Therapieoptionen und deren Verhältnismäßigkeit sachangemessen einzuschätzen. Schließlich weiß der Arzt um die 7 8

Ebenso Ralf J. Jox, s.o., S. 47. Vgl. hierzu etwa Stenografischer Bericht der 66. Sitzung des dt. Bundestags vom 13.11.2014.

Drittes Kapitel: Beratungsziele

305

Wirkungsweisen tödlicher Substanzen und die möglichen Reaktionen des Organismus darauf. Zuletzt ist ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, insbesondere bei einer langjährigen Arzt-Patient-Beziehung, hierbei von einzigartiger Bedeutung.9 Allerdings fällt auch die ärztliche Suizidassistenz regelmäßig, abgesehen von der einzigen legalen Ausnahme des Einzelfalls, seit Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. unter das Verdikt der strafbaren geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Hierauf hat der Anwalt alle Beteiligten sorgfältig hinzuweisen. Gegebenenfalls sollte der Anwalt schon hier vermittelnd auf ein gemeinsames Gespräch mit dem Arzt und dem Mandanten am sog. „runden Tisch“ hinwirken, zumal viele Patienten es von sich aus nicht wagen, mit ihrem Arzt über ihre Suizidwünsche zu sprechen – oft aus Angst, abgewiesen zu werden oder im schlimmsten Fall sogar psychiatrische Hilfe nahegelegt zu bekommen. So könnten wertvolle Möglichkeiten zur Hilfe in einer Notlage unnötig verloren gehen. Durch ein Gespräch am runden Tisch würden zudem Rechtsunsicherheiten frühzeitig beseitigt. Um den ärztlichen Beihelfer zum Suizid im legal nur noch möglichen Einzelfall dennoch juristisch abzusichern, empfiehlt es sich aus anwaltlicher Vorsicht, ein hausärztliches Attest beizubringen, aus dem eindeutig hervorgeht, dass keine psychische Störung auf Seiten des Patienten vorliegt und an dessen freier Willensbildungsfähigkeit insoweit keinerlei Zweifel bestehen. Außerdem ist es zusätzlich geboten, eine handschriftlich geschriebene und unterschriebene sog. „modifizierte Garantenpflicht für den Suizid“ vom ärztlichen Beihelfer und vom Patienten gegenzeichnen zu lassen. Hierbei modifiziert der Patient rechtsverbindlich die Garantenpflicht des Arztes. Dieser ist dann nicht mehr Garant des nicht mehr gewünschten Lebens, sondern Garant des freiverantwortlichen Willens des Patienten.10 Für die Wirksamkeit dieser Erklärung ist es sinnvoll, zur Abfassung mindestens einen Zeugen hinzuzuziehen und ebenfalls die volle Einsichtsfähigkeit des Patienten sinnvoll zu dokumentieren.

3. Patientenverfügung S.u. vgl. Teil I, Kapitel 4.

9 10

Vgl. zum Ganzen Borasio u.a. „Selbstbestimmung im Sterben– Fürsorge zum Leben, S. 70 ff. Vgl. W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 27.

306

Teil IV

4. Bestimmung eines Vertreters; Ergänzung einer etwaigen Patientenverfügung durch eine Vorsorgevollmacht a) Zweck der Vorsorgevollmacht Ergänzend zur Erteilung einer Patientenverfügung ist die Erteilung einer Vorsorgevollmacht hilfreich, worauf der beratende Anwalt als Möglichkeit unbedingt hinzuweisen hat. Denn die Patientenverfügung klärt nicht, wer den Patientenwillen zur Geltung bringen soll. Das kann nur eine Vorsorgevollmacht leisten. In der Vorsorgevollmacht wird somit eine Person bestimmt, der uneingeschränktes Vertrauen geschenkt und zugleich zugetraut wird, den Willen des Vertretenen durchzusetzen. Hierdurch wird letztlich bestimmt, welche Person die Angelegenheiten des Patienten regeln soll, wenn dieser es selbst nicht mehr kann. Mithin ist eine Vorsorgevollmacht die bindende Erklärung, mit der der Bevollmächtigte durch den Vollmachtgeber ermächtigt wird, anstelle dessen rechtlich wirksame Erklärungen für ihn abzugeben. Eine Vorsorgevollmacht hat unmittelbar dann Wirkung, wenn der Verfügende krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, zu handeln oder zu entscheiden.11 Dadurch wird verhindert, dass ein rechtlicher Betreuer durch das Betreuungsgericht bestellt werden muss. Es ist in diesem Zusammenhang in der Regel nicht bekannt, dass selbst Angehörige, auch der Ehepartner, auf diese Weise zu bevollmächtigen sind. Allein aus Verwandtschaft oder Eheschließung gibt eine Person einer anderen noch nicht das Recht, über ihr gesundheitliches Wohl zu entscheiden.

b) Inhaltliche Erfordernisse Eine Vorsorgevollmacht ist rechtlich z.B. als eine bedingte Vollmacht gestaltbar. Der Vollmachtgeber erteilt dann einer Person für einen bestimmten Fall (etwa Eintritt der Geschäftsunfähigkeit.) eine allgemeine Vollmacht (Generalvollmacht) oder eine Vollmacht für bestimmte Angelegenheiten (etwa eine Bankvollmacht). Bei Eintritt der Geschäftsunfähigkeit erlischt diese Vollmacht nicht.12 Vorzugswürdig ist aus anwaltlicher Vorsicht allerdings eine Vorsorgevollmacht ohne Bedingung, die nach außen unbedingt und sofort gilt. Denn eine Wirksamkeitsvoraussetzung des Zustandes der Handlungs- oder Willensunfähigkeit würde in der Praxis die Vorlage eines stets aktuellen Attestes hierüber erfordern und die Tauglichkeit der Vorsorgevollmacht im Rechtsverkehr nicht unerheblich einschränken. 11 12

Vgl. Praxiswissen Betreuungsrecht, dt. Caritasverband e.V (Hrsg.), S. 213. Vgl. OLG München NJW-RR 2009, 1599 ff.

Drittes Kapitel: Beratungsziele

307

Die Vorsorgevollmacht ist, wie alle Vollmachten, ein Ausweisdokument zur Verwendung im Rechtsverkehr und ist immer schriftlich zu erteilen. Außerdem muss sie den Vollmachtgeber und Bevollmächtigten mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum und ggf. Adresse nennen. Ebenso muss der Regelungsbereich und damit die Reichweite der Vollmacht klar beschrieben werden, wie etwa Vermögen oder Gesundheit.13 Insoweit ist die Vorsorgevollmacht ein Ausweisdokument, welches inhaltlich die Vertrauensperson benennt und deren Wirkungskreis definiert. Konkrete inhaltliche Vorgaben zum Patientenwillen sind dagegen der Patientenverfügung vorbehalten, wie etwa Angaben zur Behandlung bei Krankheit und im Sterben. Darum darf die Vorsorgevollmacht keine inhaltlichen Elemente bezüglich des Patientenwillens enthalten, weil der Patientenwille sich im Laufe des Lebens noch ändern könnte. Ansonsten würde es bei Abänderung einer Patientenverfügung zu einem inhaltlichen Konflikt zwischen Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung kommen. Der Vorteil einer Vorsorgevollmacht liegt zusätzlich darin, dass sich der Betroffene die Person selbst aussuchen kann, von der er ggf. im Alter betreut oder vertreten werden möchte. Dies erspart ihm den Einblick unerwünschter und unbekannter Dritter in seine persönlichen und vermögensbezogenen Verhältnisse.14 Ganz allgemein bevollmächtigt der (künftige) Patient in einer Vorsorgevollmacht privatrechtlich eine Vertrauensperson, an seiner Stelle für die Zukunft verbindliche Entscheidungen, auch über die medizinische Behandlung am Lebensende, zu treffen.15 Gegenstand der Vollmacht kann damit also gerade auch die Einwilligung in eine Heilbehandlung sein. Wichtig ist hierbei, dass der Bevollmächtigte stets an den Patientenwillen und dessen Dokumentation etwa in Form einer Patientenverfügung gebunden ist, so dass diesbezüglich keine Widersprüche auftreten können und der Vorrang des Patientenwillens gewahrt ist. Außerdem wird hierdurch keine Entmündigung bewirkt – der Patient bekommt lediglich unter Erhalt der Selbstbestimmung eine wirksame Vertretung bei dauerhaftem oder vorübergehendem Verlust der Selbstbestimmungsfähigkeit. Er bleibt aber noch willensbildungsfähig, selbstbestimmungsfähig und vor allen Dingen selbstbestimmungsberechtigt.16

13 14 15 16

Ebenso W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 113. So auch W. Zimmermann, Betreuungsrecht, S. 11. Ähnlich Ralf J. Jox, Sterben lassen, S. 144 ff. Siehe auch W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 109.

308

Teil IV

c) Rechtliche Grundlage Rechtsgrundlage hierfür ist § 1896 BGB, wobei § 1896 II BGB gesetzlich den Vorrang der Vorsorgevollmacht gegenüber der Bestellung eines rechtlichen Betreuers durch das Betreuungsgericht nach Abs. I vorsieht. Dieser Vorrang ist immer dann anzunehmen, wenn die Vorsorgevollmacht als nahe liegendes und optimales Instrument zur Organisation von Alter, Krankheit und Sterben in Betracht kommt.

II. Patient hat bereits vorausentschieden – Verfahren ohne Vertreter Von obiger Patientengruppe sind Patienten zu unterscheiden, die zwar bereits vorsorglich tätig waren, ihren Willen aber nicht mehr äußern können und auch keinen Vertreter bestimmt haben. Zu dieser Gruppe gehören Mandanten, die aktuell ihren Willen nicht mehr mitteilen können; allerdings existiert bereits eine Patientenverfügung bzw. wurden Behandlungswünsche im Vorfeld glaubhaft vorgetragen. Für den Fall einer existierenden Patientenverfügung ist durch das am 26. Februar 2013 in Kraft getretene neue Patientenrechtegesetz17 der Arzt gem. § 630d Abs. I Satz 2 BGB unmittelbar an den Patientenwillen gebunden, und es stellt sich nicht etwa die Frage, ob für die medizinische Behandlung vorab eine Betreuerbestellung notwendig ist; selbst wenn es keine Vorsorgevollmacht gibt.18 Diese Regelung greift jedoch einschränkend allein bei Vorliegen einer schriftlichen Patientenverfügung, sofern die vorab getroffenen Festlegungen tatsächlich auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.19 Ist demgegenüber der mündliche Behandlungswunsch oder mutmaßliche Wille erst noch zu ermitteln, weil der Patient selbst nicht mehr in der Lage ist, über seine weitere Behandlung selbst zu entscheiden, und keine auf die Behandlungssituation passende Regelung in einer Patientenverfügung getroffen wurde,20 muss ein Vertreter des Patienten für ihn nach dem Wortlaut des § 1901a Abs. II Satz 1 BGB die Entscheidung, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt, als eigene treffen.21 Dies erfordert vorab eine Ermächtigung durch eine sog. (Vorsorge-)Vollmacht (s.o.) bzw. eine gerichtliche Betreuerbestellung. 17 18 19 20 21

Neueinfügung der §§ 630a–h BGB (Untertitel 2. Behandlungsvertrag). Vgl. W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 33 ff. Palandt–Götz, § 1901a BGB, Rn. 18. Vgl. § 630d Abs. I Satz 2 BGB. Palandt–Götz, § 1901a BGB, Rn. 28.

Drittes Kapitel: Beratungsziele

309

Bei einer fehlenden ärztlichen Indikation findet allerdings erst gar keine Diskussion über den Patientenwillen als solchen statt.22 Künstliche Lebenserhaltung ist ein ärztlicher Eingriff und bedarf einer Indikation; d.h. der wertenden ärztlichen Abwägung, welche medizinische Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose für den Patienten indiziert ist.23 Sie umfasst zugleich eine Abwägung zwischen Nutzen und Schaden der geplanten Behandlung nach dem jeweils aktuellen Facharztstandard. Was nicht indiziert ist, darf der Arzt nicht tun, so dass sich die Frage nach dem Patientenwillen dann bereits vorab verbietet und somit erübrigt. Die Indikationsstellung muss also erfolgen, bevor nach dem Willen des Patienten gefragt wird, wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 1901a Abs. I Satz 1 BGB systematisch ergibt.

B) Arzt Nachfolgend wird die Interessenlage eines behandelnden Arztes beleuchtet. Die hierbei herausgearbeiteten Kriterien wirken aber auch unmittelbar auf das Patienteninteresse zurück, da die nachfolgenden Punkte den Rahmen hierfür bilden.

I. Legalität Die Angst vor den Rechtsfolgen trifft neben Angehörigen und rechtlichen Vertretern der Patienten spätestens seit dem Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. am stärksten die professionell Behandelnden und hier vor allem die Ärzte.24 Ziel dieser Mandantengruppe ist primär die Aufklärung hinsichtlich der medizinrechtlichen Grundlagen ärztlichen Handelns und damit der Vermeidung von Sterbehilfe-Prozessen gegen Ärzte.25 Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf einen seit vielen Jahren gültigen obersten Grundsatz der Rechtsprechung im Arztrecht: Der Patient darf selbst bestimmen, was er will; auch „unvernünftige Entscheidungen“ binden den Arzt.26 Das Recht auf Selbstbestimmung umfasst also auch das Recht, sich zu „schaden“. Die Grenze der Selbstbestimmung ist zum einen das Eingreifen in die Rechte anderer (Art. 2 Abs. I GG), zum anderen natürlich eine krankhafte Störung der Einsichts- bzw. Entscheidungsfähigkeit.27 Verstößt der Arzt gegen 22 23 24 25 26 27

Palandt–Götz, § 1901b BGB, Rn. 1. Ebenda. Vgl. Ralf J. Jox, s.o., S. 52. Vgl. etwa der Fall Hacketal (Herzberg), NJW, 1986, 1635 ff. BGHSt 11, 111. So auch W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 25.

310

Teil IV

dieses Selbstbestimmungsrecht (weil er etwa ohne vorherige Einwilligung einen ärztlichen Eingriff durchführt), macht er sich ggf. wegen einer Körperverletzung strafbar. Wichtig ist für den Arzt, dass sowohl bei einer Patientenverfügung als auch bei einer entsprechenden Erklärung im Vorfeld hinsichtlich einer freiverantwortlichen Selbsttötung der Mandant rechtsverbindlich die Garantenstellung des Arztes modifiziert hat (s.o.). Dieser ist dann nicht mehr Garant des nicht mehr gewünschten Lebens, sondern Garant des freiverantwortlichen Willens des Patienten.28 Weiterhin ist für den behandelnden Arzt von größter Bedeutsamkeit, dass, solange der Patient selbst entscheidungsfähig (willensfähig) ist, der Arzt ausschließlich mit ihm gemeinsam die Behandlungsentscheidung zu treffen hat. Dann spielen weder die Patientenverfügung noch die Frage, ob der Patient einen Vertreter hat, eine Rolle.29

II. Gewissensentscheidung Allerdings gibt es hier neben dem Stigma der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung von Selbsttötungen einen weiteren nicht zu verschweigenden heiklen Punkt der Unwägbarkeit in der anwaltlichen Beratung. Zwar hat jeder Patient das Recht, eine indizierte, ihm empfohlene Behandlung abzulehnen. Umgekehrt steht ihm aber nicht das Recht zu, eine bestimmte Behandlung vom Arzt einzufordern.30 Der Wille des Kranken ist mithin zwar die oberste Richtschnur ärztlichen Handelns, aber nicht gegen die Gewissensentscheidung des behandelnden Arztes. Auf diese Grenze ist der Mandant unbedingt hinzuweisen. Außerdem darf seitens des behandelnden Arztes keine Geschäftsmäßigkeit bei der Vornahme der gewünschten Suizidassistenz vorliegen, so dass der Spielraum für die Möglichkeit einer ärztlichen Suizidassistenz äußerst eng geworden ist.

C) Angehöriger / Vertreter des Patienten Angehörige des Patienten treten i.d.R. dann hinzu, wenn der Patient selber keinen Willen mehr bilden oder äußern kann und sie ggf. zuvor bevollmächtigt worden sind.

28 29 30

Vgl. W. Putz / B. Steldinger, s.o., S. 27. Vgl. ebenda a.a.O., S. 44. Ebenso Ralf J. Jox, s.o., S. 129.

Drittes Kapitel: Beratungsziele

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I. Entscheidung durch einen Bevollmächtigten oder Betreuer Ein Vertreter des Patienten (Bevollmächtigter oder Betreuer) muss entweder aufgrund einer Patientenverfügung oder aufgrund von geäußerten Behandlungswünschen oder aber aufgrund des ermittelten mutmaßlichen Willens konkret entscheiden, wenn der Patient dies nicht mehr kann. Neben Ärzten sind es besonders die gesetzlichen Betreuer und Vorsorgebevollmächtigen des Patienten, meist gerade in Person von Angehörigen, die Ängste vor der Justiz plagen.31 Beide Personengruppen tragen schließlich die juristische Verantwortung für die jeweiligen Therapie-Entscheidungen, wenn der Patient selbst nicht mehr entscheidungsfähig ist.32 Problematisch ist hierbei, dass Angehörige oft kaum Rücksicht auf medizinische oder juristische Autoritäten nehmen, sich in ihren Entscheidungen durch die genauere Kenntnis des Betroffenen subjektiv sicher fühlen und darum oft zu schnell und intuitiv entscheiden,33 häufig leider nicht auf dem Boden des geltenden Rechts. Der Vertreter des Patienten darf darüber hinaus keinesfalls nach eigenen Wertvorstellungen oder aufgrund von reiner Intuition handeln. Vielmehr ist er nach § 1901a BGB streng und in dieser Reihenfolge an die Patientenverfügung bzw. die Behandlungswünsche bzw. den mutmaßlichen Willen des Patienten gebunden.34 Der so festgelegte Wille bindet Vertreter (Betreuer oder Bevollmächtigte), Ärzte, Heime und das Pflegepersonal. Kommt es zwischen dem Vertreter des Patienten und dem behandelnden Arzt zu einem Dissens über die weitere Behandlung, ist gem. § 1904 Abs. III BGB eine Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich, weil der Arzt seinen Patienten nicht behandeln darf, ohne dass dieser oder sein rechtlicher Vertreter der Behandlung wirksam zugestimmt hat.35

II. Feststellung des aktuellen Willens eines nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten Die Feststellung des aktuellen Patientenwillens eines inzwischen entscheidungsunfähigen Patienten ist vor allem für Ärzte und Angehörige sowie Vertreter von hoher Relevanz, aber zugleich auch Brisanz. Nach der bisherigen

31 32 33 34 35

Ähnlich Ralf J. Jox, s.o., S. 54. Vgl. etwa „Kölner Fall“ BGH 10.11.2010 – 2 StR 320/10 (= NJW 2011, 161 ff.). Zu diesem Problem: Ralf J. Jox, s.o. Palandt–Götz, § 1901a BGB, Rn. 22 ff. Palandt–Götz, §§ 1901a BGB, Rn. 8; 1904 BGB, Rn. 23 ff.

312

Teil IV

BGH-Rechtsprechung und seit 2009 auch nach dem Gesetz (§ 1901a BGB)36 gilt hierbei das sog. Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, die handlungsleitende Reihenfolge: 1) Patientenverfügung 2) Behandlungswünsche 3) mutmaßlicher Wille 4) ärztliche Indikation und 5) in dubio pro vita

ist streng und zwingend auf dem Weg der Entscheidungsfindung einzuhalten. Nur wenn eine ranghöhere Ebene nicht einschlägig ist, wird die nachfolgende überhaupt geprüft. Diese Schritte gelten insoweit nach dem Wortlaut des Gesetzes unbedingt und in dieser sachlogisch gebotenen und daraus zugleich folgenden zeitlichen Reihenfolge.

36

Palandt–Götz, § 1901a BGB, Rn. 7, 8.

Viertes Kapitel: Allgemeine strategische Überlegungen zur Umsetzung Im Weiteren werden verschiedene strategische Aspekte erläutert, die in einer anwaltlichen Beratung und Vertretung von Bedeutung sind.

A) Einvernehmlich – gütliches Vorgehen Bei der Frage, ob eine weitere Lebensverlängerung stattfinden soll oder nicht, muss der erste Ansprechpartner der behandelnde Arzt sein; allein schon wegen der prioritären Frage nach der Indikation für den Beginn oder die Fortsetzung einer ärztlichen Therapie. Außerdem erteilt der Arzt ja auch in der Folge die bindenden Anordnungen beispielsweise an das Pflegeheim und seine Pflegekräfte zur Änderung der Behandlung von der bisherigen Lebenserhaltung zum Zulassen des Sterbens. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Palliativund Hospizmedizin im Falle von sog. „austherapierten bzw. Patienten mit infauster Diagnose“.1 Demnach sollte am besten seitens des Arztes vor Ort auf anwaltliches Anraten hin ein intensives Gespräch mit allen Beteiligten stattfinden, um der angestrebten einvernehmlichen Lösung keine Steine in den Weg zu legen. Dabei ist auch ggf. die oft werteorientierte Situation des Pflegeheimes zu berücksichtigen. Sinnvoll ist es im Falle einer palliativen Hilfe beim Sterben, einen geplanten Abbruch der künstlichen Lebenserhaltung und das Zulassen des Sterbens rein informatorisch dem zuständigen Betreuungsgericht, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) und der zuständigen Heimaufsicht vorab mitzuteilen. Die Abschriften dieser Mitteilungen sind dann an alle Beteiligten zu übersenden, damit diese angemessen und etwas sachlicher die Sterbephase begleiten können. Hat der Anwalt den Sachverhalt in den oben beschriebenen Grenzen aufgeklärt und sich in der zuvor bezeichneten gründlichen Weise ein zuverlässiges Bild von der Rechtslage gemacht, hat er den Mandanten bzw. dessen Angehörige oder rechtlichen Vertreter über das Ergebnis seiner Sach- und Rechtsprüfung zu informieren.2 Diese Rechtsbelehrung und, mit ihr verbunden, die Beratung über die sich aus der Rechtsprüfung ergebenden Handlungsmöglichkeiten und 1 2

Lat. infaustus = ungünstig, d.h. dass der momentane Zustand eine Heilung nicht ermöglichen wird und insoweit mit dem Tod des Patienten zu rechnen ist. Vgl. Oberheim, Erfolgreiche Taktik im Zivilprozess, S. 61.

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Teil IV

Konsequenzen samt deren Erfolgsprognose, inklusive der Belehrung über rechtliche Risiken, sind sorgfältig vorzubereiten und abzuwägen.3 Hierbei sind insbesondere medizinische und juristische Informationen dergestalt zu übermitteln, dass sich alle Beteiligten für das kommende Vorgehen gut informiert und beraten fühlen.

I. Inhalt und Umfang der Beratung Ziel der Beratung ist es, den Mandanten in die Position zu versetzen, die wesentlichen Festlegungen des weiteren Vorgehens autonom und eigenverantwortlich treffen zu können.4 Die Beratung muss demgemäß richtig, verständlich und umfassend sein.

II. Orientierung an den Beratungszielen des Mandanten So wie zu Anfang der Bearbeitung des Mandats die Beratungsziele des Mandanten festzustellen waren, muss die Beratung auf diese hin ausgerichtet sein. Der Mandant darf also nicht für andere als die eigenen Zwecke eingespannt oder gar instrumentalisiert werden. In Sterbehilfeprozessen ist naturgemäß die Versuchung groß, dass bei Vorliegen eines langerwarteten Sachverhaltes mit BGH-Affinität der Mandant möglicherweise gegen seine Interessen in eine grundsätzliche Klärung juristischer Streitfragen hineingezogen wird. Dies hat selbstverständlich zu unterbleiben, es sei denn der Mandant willigt explizit ein.5

III. Mandantengerechte Beratung Der Mandant wünscht keine rechtswissenschaftliche Gelehrtenabhandlung, sondern lediglich eine Prognose zu den Aussichten seiner Beratungsziele und ihrer Umsetzung. Die anwaltliche Beratung muss darum mandatsgerecht, d.h. spezifisch auf die Sach- und Interessenlage des Mandanten bezogen sein und zugleich mandantengerecht, d.h. mit einem laienhaften Verständnishorizont rechnen und die Komplexität der Materie soweit möglich diesem anpassen.6

IV. Ehrliche Beratung Die Aufklärung über die Möglichkeiten und Risiken der Umsetzung der Mandantenziele ist so objektiv und kritisch wie möglich vorzunehmen. Es ist ein

3 4 5 6

Vgl. Oberheim, a.a.O. S. 61. So auch BGH NJW-RR 1990, 1243. Vgl. hierzu Oberheim, s.o. S. 62. BGH NJW 2007, 2485 ff.

Viertes Kapitel: Überlegungen zur Umsetzung

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realistisches Bild zu vermitteln. Zweifel und Bedenken sind darzulegen, insbesondere wenn keine sichere Prognose möglich ist.7

V. Beratung über nichtjuristische Umstände Die anwaltliche Rechtsberatung umfasst normalerweise bereits begrifflich primär die rein juristische Sphäre. Allenfalls in den Zweckmäßigkeitserwägungen spielen außerjuristische Faktoren eine gewisse Rolle. Vorliegend ist aber eine zumindest stillschweigend implizierte Beratung auch über nichtjuristische Fragen mit hoher Wahrscheinlichkeit allein wegen der Besonderheit der Fragestellungen seitens des Mandanten zu erwarten. Hier sollte sich der Anwalt vorher vertraglich absichern, ob eine über den rechtlichen Bereich hinausgehende Beratungspflicht anzunehmen ist oder nicht. Sollte seine Kompetenz über eine persönliche Meinungsäußerung hinaus dabei überschritten sein, muss er darauf hinweisen und den Mandanten an die entsprechenden Fachleute weiterverweisen. Keinesfalls darf der Anwalt auf eine originäre Entscheidung hinsichtlich des Sterbenwollens hinwirken oder diese ursächlich beeinflussen.

VI. Dokumentation Grundsätzlich ist der Anwalt – anders als etwa die Ärzteschaft – zur schriftlichen Dokumentation seiner Beratung nicht verpflichtet. Um sich aber vor allem strafrechtlich abzusichern, ist dem Anwalt (wie auch sämtlichen beteiligten Angehörigen oder anderweitigen Vertretern) dringend zu raten, zur möglichen Rekonstruktion der Beratung und ihres Umfangs (bzw. der Entscheidung hinsichtlich der weiteren Behandlung) eine schriftliche Dokumentation ausnahmsweise vorzunehmen und diese, wenn möglich, gegenzeichnen zu lassen. Falls dies nicht mehr möglich ist, sollte der Sterbewunsch des Mandanten mit Hilfe einer Videoaufnahme und unter Umständen mit Hilfe eines Notars beweiskräftig festgehalten werden. Dabei wird beispielsweise ein Interview mit dem Mandanten geführt, das mit einer Videokamera aufgezeichnet wird. Alle relevanten Fragen müssen umfangreich und zur Beweissicherung abgefragt werden.8

B) Vorgehensweise bei Widerständen auf Seiten von Arzt, Klinik oder Heim Problematisch ist bei einem Konflikt mit Arzt, Klinik oder Heim, dass eine Klage zur Durchsetzung des Patientenwillens durch eine jederzeitig mögliche Kündigung des Behandlungsvertrags seitens des Arztes, der Klinik oder 7 8

So auch BGH NJW 1991, 2839 ff. Vgl. W. Putz / B. Steldinger, s.o. S. 41.

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Teil IV

des Heimes hins. der Prognose vom Ende der Notwendigkeit einer stationären Behandlung leer laufen könnte. Insoweit ist von einer Klage gegen den Arzt oder die Klinik grundsätzlich abzuraten. Lediglich bei einer Unzumutbarkeit der Verlegung des Patienten oder wenn sich der Patient bereits in der unmittelbaren Sterbephase befindet kann der Kündigung mit dem Verdikt der Sittenwidrigkeit oder Rechtsmissbräuchlichkeit in Form einer Einwendung begegnet werden. Möglicherweise kann die Androhung einer Strafanzeige wegen Körperverletzung Einsicht vermitteln; eine künstliche Beatmung gegen den Willen eines Patienten oder gar die zwangsweise Zuführung von Nahrung und Flüssigkeit durch eine PEG-Sonde gegen dessen Willen erfüllen diesen Straftatbestand.9 Festzuhalten bleibt somit, dass bei einem Konflikt mit Arzt oder Klinik diese eher zu wechseln als zu verklagen sind. Anders sieht es dagegen bei Konflikten mit dem Heim aus. Falls dieses nämlich kündigen sollte, kann mit einer grundsätzlichen Zurückweisung und Nichtbeachtung einer solchen Kündigung reagiert werden. Das Heimgesetz und der Heimvertrag sehen nämlich nur in Ausnahmefällen – bei Vertragsbruch durch den Patienten – eine Kündigungsmöglichkeit vor; ansonsten ist jede Kündigung sittenwidrig, weil ja der Patient sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit nirgendwo anders unterkäme. Wenn das Heim sich weigert, eine Anordnung des behandelnden Arztes zu befolgen, kann nach wie vor entweder der behandelnde Arzt als palliative Maßnahme etwa eine PEG-Sonde entfernen (oder die Beatmung einstellen), weil ja kein Fall von Selbsttötung vorliegt. Oder aber das Heim wird von den Angehörigen bzw. rechtlichen Vertretern vor dem zuständigen Zivilgericht per Unterlassungsklage, gestützt auf den Heimvertrag, darauf verklagt, die weitere eigenmächtige Ernährung / Beatmung des Patienten zu unterlassen, da es sich ansonsten um jeweils weitere rechtswidrige Handlungen handelt, deren Unterlassung der Patient analog § 1004 Abs. I Satz 2 BGB i.V.m. § 823 Abs. I BGB verlangen kann.10 Allerdings muss eine präzise ärztliche Anordnung vorliegen, gegen welche das Heim nachweislich verstößt.

C) Rechtsweg Falls tatsächlich der Patientenwille in Form des Zulassens des Sterbens gegen unaufhebbare Widerstände erzwungen und somit als ultima ratio gerichtlich 9 10

Vgl. BGH NJW 2005, 2385 ff. BGH NJW 2005, 2585 ff.

Viertes Kapitel: Überlegungen zur Umsetzung

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durchgesetzt werden muss, kommt es zunächst darauf an, welcher Rechtsweg zu beschreiten ist. In Betracht kommt je nach Fallgestaltung das Betreuungsgericht, die ordentliche zivilrechtliche Gerichtsbarkeit sowie im Falle der Strafbarkeit eines der Beteiligten die Einschaltung der zuständigen Staatsanwaltschaft. Zur Einschaltung des Betreuungsgerichts kommt es ganz allgemein in den gesetzlich vorgesehenen Fällen, in welchen Betreuer oder Bevollmächtigte als Vertreter eines volljährigen Patienten hinsichtlich einer strittigen Entscheidung zum Sterbenlassen des Patienten zu überprüfen sind. Die Möglichkeit der Überprüfung des Vertreters eines Patienten darauf, ob er im einzelnen Fall sein Amt missbräuchlich ausübt oder ob er ungeeignet ist, kann bei konkreten Verdachtsmomenten immer auch durch eine Anzeige durch Dritte erfolgen. Ausgangspunkt ist stets § 1904 Abs. I–V BGB mit der Regelung der Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen. Örtlich zuständig ist das Betreuungsgericht, in dessen Bezirk der Betroffene zu der Zeit, zu der das Gericht mit der Angelegenheit befasst wird, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.11 Ist allerdings schon ein Betreuer bestellt, ist das Gericht, bei dem die Betreuung anhängig ist, auch für weitere die Betreuung betreffende Angelegenheiten zuständig.12 Sachlich ist in erster Instanz für Betreuungssachen immer das Amtsgericht13 mit der Abteilung Betreuungsgericht14 zuständig. Der zivilrechtliche Weg ist einzuschlagen, wenn entweder zu Lebzeiten des Patienten eine ärztliche Anordnung seitens des Pflegeheimes nicht beachtet wird (s.o.) und das Heim mittels Unterlassungsklage darauf verklagt werden muss, eine weitere eigenmächtige Ernährung / Beatmung zu unterlassen, um so dem Rechtsanspruch des Patienten auf seinen Tod Geltung zu verschaffen. Sollte der Patient zwischenzeitlich verstorben sein, sind Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüche des Patienten, die nach dessen Tod auf seine Erben übergegangen sind, ggf. weiterhin in deren Namen geltend zu machen.

11 12 13 14

§ 272 Abs. I Nr. 2 FamFG. § 272 Abs. I Nr. 1 FamFG. § 23 Abs. I Nr. 2; II Nr. 1 GVG. § 1896 BGB; § 23c Abs. I GVG.

TEIL V: GESAMTERGEBNIS

https://doi.org/10.1515/9783110596724-008

Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit war es herauszuarbeiten, ob bzw. inwieweit die neue Fassung des § 217 StGB die bisherigen dogmatischen Strukturen des „Sterbehilferechts“ modifiziert. Ein weiteres Forschungsinteresse bestand darin, zu klären, ob die Existenz des § 217 StGB n.F. ggf. einen dogmatisch-methodischen Fremdkörper innerhalb der Rechtsordnung darzustellen geeignet ist. Im Ergebnis gelangt diese Arbeit zu dem Schluss, dass dies der Fall ist. Zu konstatieren ist außerdem, dass ein „Sterbehilferecht“ im eigentlichen Sinne trotz der Geltung des neuen § 217 StGB nach wie vor nicht existiert, sondern dass es sich hierbei vielmehr noch immer um eine fragmentarische Querschnittsmaterie handelt. Der eigenhändige Vollzug einer Selbsttötung ist als solcher und aus der Perspektive des Suizidenten nach wie vor unter keinen Straftatbestand subsumierbar. Die Eigenhändigkeit erfordert in Abgrenzung zur Fremdtötung die Tatherrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Augenblick. Aus der Perspektive möglicherweise an dieser Selbsttötung beteiligter Personen ergeben sich somit als Grenzmarken zur Bestimmung der Legalität einerseits die völlige Freiverantwortlichkeit der finalen Suizidhandlung des Sterbewilligen und – neu hinzukommend – die Nichtgeschäftsmäßigkeit jeglicher Förderung solcher völlig freiverantwortlichen Selbsttötungen. Bis Inkrafttreten von § 217 StGB n.F. reichte allein die Freiverantwortlichkeit einer eigenhändig durchgeführten finalen Suizidhandlung seitens des Sterbewilligen für die Straflosigkeit daran beteiligter Suizidhelfer aus. Dies folgte einerseits in formeller Hinsicht aus dem dogmatischen Prinzip der limitierten Akzessorietät sowie andererseits in materieller Hinsicht aus dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit. Insbesondere schließt die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten nach inzwischen gefestigter Rspr. etwaige Verhinderungs- und Rettungspflichten potenzieller Garanten aus. In der Praxis wird dies durch eine sog. modifizierte Garantenerklärung seitens des Patienten gegenüber den behandelnden Ärzten sichergestellt. Insbesondere für professionalisierte Teilnehmer an Suiziden, wie etwa Ärzte und Sterbehelfer, galt bzw. gilt, dass sie grundsätzlich keinerlei Pflicht zur Suizidverhinderung gegen den ausdrücklichen freiverantwortlichen Patientenwillen innehaben. Für jede Teilnahme am Suizid bedeutete dies zunächst nur, dass jede Beihilfe zur freiverantwortlichen Selbsttötung kein Unrecht zu begründen vermochte. Lediglich in Fällen von erkennbaren Willensmängeln seitens des Suizidenten, manipulativer Einflussnahme auf dessen Willensentschluss oder einer vorhandenen Garantenstellung des Dritten war eine Strafbarkeit von Teilnehmern am Suizid möglich. Insbesondere kam bzw. kommt in derartigen Fällen eine Strafbarkeit nach den §§ 211 ff. i.V.m.

322

Teil V

25 Abs. I 2. Alt bzw. § 13, § 222 oder § 323c StGB in Betracht. Im Prinzip gilt dies einerseits auch noch aktuell. Mit der Einführung von § 217 StGB n.F. wurde diese soeben beschriebene Rechtslage erheblich relativiert. Denn diese Regelung erhebt eine nach wie vor strukturelle Beihilfehandlung unter der alleinigen zusätzlichen Voraussetzung der Geschäftsmäßigkeit zur eigenständigen Haupttat. Mehr als problematisch ist allerdings die Begründung des Unrechtskerns von § 217 StGB n.F. Wenn eine Beihilfe zur freiverantwortlich durchgeführten Selbsttötung prinzipiell kein Unrecht zu begründen vermochte und auch weiterhin vermag, kann allein das Merkmal der „Geschäftsmäßigkeit“ aus sich heraus dem nichts hinzufügen, was tatsächlich eine Freiheitsstrafe zu rechtfertigen vermag. Zudem ist ein strafrechtliches Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe bereits rein dogmatisch betrachtet nicht begründbar, weil ein freiverantwortlich und tatherrschaftlich durchgeführter Suizid seinerseits erst gar kein Erfolgsunrecht beinhaltet, welches dem Teilnehmer zugerechnet werden kann. Darin, dass eine im Grunde erlaubte Handlung, die Beihilfe zum Suizid, plötzlich strafbewehrt ist, nur weil sie geschäftsmäßig erfolgt, liegt nach hier vertretener Auffassung ein rechtsdogmatisch unvertretbarer Systembruch vor. Auch ist es nicht mit einem liberalen wie weltanschaulich neutralen Strafrechtsverständnis vereinbar, dass hinsichtlich der konkreten Rechtsgutgefährdung allein auf die Gesinnung des Unterstützers (in der Absicht der geschäftsmäßigen Förderung) abgestellt wird und nicht etwa darauf, dass der strafbewehrten Handlung mindestens ein substanzielles und nicht nur fernliegendes Rechtsgutgefährdungsrisiko innewohnt. Entgegen dem zentralen Tatprinzip schleicht sich so ein Gesinnungsprinzip in die dogmatische Strafbegründungsstruktur ein. Demgegenüber unterwirft der einfache Gesetzgeber medizinisch kompetente Organisationen und Einzelpersonen, welche allein eine wirklich professionelle Sterbehilfe leisten könnten, lediglich aus generalpräventiven Gründen dem Verdikt der Kriminalität. Die vom Gesetzgeber genannten Zahlen von einigen hundert Suizidfällen innerhalb mehrerer Jahre, die ganz unterschiedliche Formen der Sterbehilfe beinhalten und über den assistierten Suizid hinausgehen, rechtfertigen einen solchen Rigorismus mit Hilfe des Strafrechts keinesfalls. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Proportion der Gesamtzahl der Sterbefälle insgesamt (von 800.000 pro Jahr in Deutschland) angesichts des tatsächlich geringen Umfangs der Sterbehilfe-Problematik insgesamt. Ein milderes, gleich wirksames Mittel wäre etwa die Einführung eines verselbstständigten Suizidteilnahmedelikts für den Fall einer gewerbsmäßigen Begehungsweise gewesen. Die Anzahl von Suiziden mit Hilfe „brachialer“ Gewaltmittel, häufig

Gesamtergebnis

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unter Verletzung und Traumatisierung Dritter, wird zwangsläufig umso mehr zunehmen, je weniger echte Alternativen zugänglich sind. Der Beachtung des Patientenwillens hinsichtlich des Ob, Wann und Wie im Falle eines angestrebten Suizids wird durch die Neuregelung des § 217 StGB nun eine noch restriktivere Grenze gesetzt, als das bisher der Fall war. Nunmehr ist bereits jede geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötungen – insoweit einer bisher straffreien Variante im Vorfeld der eigentlichen Sterbehilfe i.e.S. – unter Strafandrohung gestellt. Faktisch wird dadurch das bisher geltende Paradigma von der Freiverantwortlichkeit des Suizids (inklusive der Möglichkeit professioneller, weil hierauf spezialisierter Begleitung) hinsichtlich der Entscheidung, das Leben zu beenden, in sein Gegenteil verkehrt. Denn jeder freiverantwortlich handelnde Suizidwillige ist nunmehr tatsächlich dem stark erhöhten Risiko eines Misslingens oder gar mit der einzigen Möglichkeit eines jetzt de facto nur noch möglichen sog. „Brutal-Suizids“ konfrontiert. Die in diesem Kontext bisher gezogene Zurechnungsgrenze zwischen einer straflosen Teilnahme und einer Täterschaft i.R.v. Suizidhandlungen ist unter der Hand radikal neu gezogen worden. Bislang begann die Strafbarkeit einer Suizidbeihilfe dort, wo sich der Beteiligte gegenüber dem Suizidenten vorsätzlich eine eigene Tatherrschaft über den suizidalen Geschehensablauf anmaßte. Hierauf kommt es nun im Ergebnis gar nicht mehr großartig an, da ja inzwischen eine geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötungen ausreichend für eine eigene Strafbarkeit des Beihelfenden geworden ist. Auch darin liegt, bezogen auf die Rechtsfolgen, ein gewisser Wertungswiderspruch, der schlimmstenfalls dazu führen könnte, dass es selbst aus Sicht des Beihelfenden nicht mehr auf den essentiellen Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme ankommt. Das anvisierte Schutzkonzept hätte sich dann ebenfalls in sein Gegenteil umgekehrt, so dass die Hemmschwelle etwa für eine aktive Sterbehilfe im Ergebnis niedriger geworden wäre. Ebenso hat sich der Fokus hinsichtlich der Frage, ob die Verabreichung von Schmerzmitteln auch dann, wenn deren Dosierung das Leben des Patienten notwendig als Nebenfolge verkürzt (indirekte aktive Sterbehilfe), allein auf die Frage der Geschäftsmäßigkeit einer solchen Verabreichung und den inneren Willen des Patienten verlagert. Wenn der Patient die Schmerzen gelindert bekommen und vor allen Dingen endgültig von seinem Leid erlöst werden möchte, so bedeutet dies aus Sicht des behandelnden Arztes eindeutig eine geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötungen, obwohl es sich eigentlich um eine palliativmedizinische Maßnahme handelt. Auch diesbezüglich verliert die

324

Teil V

entsprechende Rechtslage durch die Neuregelung in vergleichbaren Fällen an Eindeutigkeit und hat sich zu Ungunsten des Suizidwilligen (Patienten) verändert. Im Ergebnis ist insgesamt mehr Rechtsunsicherheit geschaffen worden, als dies vor der Schaffung des § 217 StGB n.F. noch der Fall war.

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Juristische Zeitgeschichte



Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen



Abteilung 1: Allgemeine Reihe

  1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997)   2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999)   3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999)   4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Straf­rechtsgeschichte (2000)   5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000)   6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhun­derts (2001)  7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürger­lichen Gesetzbuch (2001)   8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskus­sion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001)   9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Milosˇ Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLGBezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006)

22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011) 23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2014) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013)

Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte   1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeit­ geschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998)   2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998)   3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeit­ geschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998)   4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999)   5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999)   6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000)   7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000)   8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000)   9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschen Geschichte und Rechtsge­ schichte – Symposium der Arnold-Frey­ muthGesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810– 1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichs­gerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NSStrafrecht (2001) Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 13 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Diparti­mento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. Sep­tember 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010) 20 Kirsten Scheiwe / Johanna Krawietz (Hrsg.): (K)Eine Arbeit wie jede andere? Die Regulierung von Arbeit im Privathaushalt (2014)

Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar   1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; Vier Textbände (1999–2002) und drei Supplementbände (2005, 2006)  2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpo­litik (1998)   3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998)  4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999)   5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999)  6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000)   7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002)   8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a.F. StGB (2003)   9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskus­sion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskus­sion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche†: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetz­ gebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008) 21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006)

23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a.F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetz­gebung seit dem Ausgang des 19. Jahr­hunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahr­hundert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechts­hilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011) 43 Sami Bdeiwi: Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB). Reform und Ge­setzgebung seit 1870 (2014) 44 Michaela Arnold: Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 73 bis 76a StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2015) 45 Andrea Schurig: „Republikflucht“ (§§ 213, 214 StGB/DDR). Gesetzgeberische Entwicklung, Einfluss des MfS und Gerichtspraxis am Beispiel von Sachsen (2016)

46 Sandra Knaudt: Das Strafrecht im Großherzogtum Hessen im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2017) 47 Michael Rudlof: Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB nF.) (2018)

Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen   1 Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998)   2 Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000)   3 Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001)   4 Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001)   5 Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002)   6 Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002)   7 Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003)   8 Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004)   9 Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) 10 Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) 11 Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) 12 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) 13 Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter be­sonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010) 14 Karoline Peters: J. D. H. Temme und das preußische Straf­verfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010) 15 Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Die internationale Rezeption des deutschen Strafrechts (2016) 16 Hannes Ludyga: Otto Kahn-Freund (1900–1979). Ein Arbeitsrechtler in der Weimarer Zeit (2016)

Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen. Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt   1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999)  2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000)

 3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000)   4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999)   5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetz­gebung seit dem 19. Jahrhundert (2000)   6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grund­gesetzes vom 26. März 1998 und des Ge­setzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000)   7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001)   8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/ Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001)   9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschicht­liche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004) 16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peacekeeping“-Missionen der Ver­einten Nationen (2004) 17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Auf­gabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011) 20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011) 21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013) 22 Helmut Irmen: Stasi und DDR-Militärjustiz. Der Einfluss des MfS auf Militärjustiz und Militärstrafvollzug in der DDR (2014) 24 Zekai Dag˘as¸an: Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht (2015) 25 Camilla Bertheau: Politisch unwürdig? Entschädigung von Kommunisten für nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen. Bundesdeutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung der 50er Jahre (2016)

Abteilung 6: Recht in der Kunst Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß   1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999)   2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999)   3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001)   4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000)   5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001)   6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000)   7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Ro­man „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001)   8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechts­ geschichtliche Lebensbeschreibung (2001)   9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002) 10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002) 13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003) 16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochen­schrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissen­schaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006)

22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Win­fried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen 28 (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007) 30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schre­ ckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Bei­spiel des Schauspiels „Cyankali“ von Fried­rich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007) 33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008) 35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010) 38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011) 39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013) 40 Theodor Storm: Ein Doppelgänger. Novelle (1886) (2013) 41 Dorothea Peters: Der Kriminalrechtsfall ,Kaspar Hauser‘ und seine Rezep­tion in Jakob Wassermanns Caspar-Hauser-Roman (2014) 42 Jörg Schönert: Kriminalität erzählen (2015) 43 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. Recht im künstlerischen Kontext. Band 3 (2014) 44 Franz Kafka: In der Strafkolonie. Erzählung (1919) (2015) 45 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Brechungen (2016)

46 Hermann Weber (Hrsg.): Das Recht als Rahmen für Literatur und Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 4. bis 6. September 2015 (2017) 47 Walter Müller-Seidel: Rechtsdenken im literarischen Text. Deutsche Literatur von der Weimarer Klassik zur Weimarer Republik (2017) 48 Honoré de Balzac: Eine dunkle Geschichte (2018) 49 Anja Schiemann: Der Kriminalfall Woyzeck. Der historische Fall und Büchners Drama (2018) 50 E. T. A. Hoffmann: Meister Floh. Ein Mährchen in sieben Abentheuern zweier Freunde (2018)

Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von Gerhard Jungfer, Dr. Tilmann Krach und Prof. Dr. Hinrich Rüping  1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfah­ren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006)  2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007)

Abteilung 8: Judaica   1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005)   2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006)   3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhand­lungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007)   4 Michele Sarfatti: Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung (2014)