Das geheiligte Leben: Körper und Identität bei den Siebenten-Tags-Adventisten [1 ed.] 9783737007955, 9783847107958


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Das geheiligte Leben: Körper und Identität bei den Siebenten-Tags-Adventisten [1 ed.]
 9783737007955, 9783847107958

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Kirche – Konfession – Religion

Band 72

Herausgegeben vom Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes unter Mitarbeit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen von Mareile Lasogga und Reinhard Hempelmann in Verbindung mit Andreas Feldtkeller, Miriam Rose und Gury Schneider-Ludorff

Christian Feichtinger

Das geheiligte Leben Körper und Identität bei den Siebenten-Tags-Adventisten

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-1507 ISBN 978-3-7370-0795-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Publiziert mit Unterstþtzung der Karl-Franzens-UniversitÐt Graz, der Stadt Graz und des Landes Steiermark.  2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: iStock.com/baona

Inhalt

0. Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Forschungsfrage: Körper, religiöse Alltagspraxis und die Siebenten-Tags-Adventisten . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Identität – Grenzziehung – Zugehörigkeit . . . . . . . . . 1.3.1 Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Grenzziehungsprozesse (boundary work) . . . . . . 1.3.3 Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

2. Die Siebenten-Tags-Adventisten im Kontext der Freikirchen . 2.1 Begriff und Geschichte der Freikirchen . . . . . . . . . . 2.1.1 Eine freie Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Freikirchengeschichte unter dem Blickpunkt des ›Gegen-Verhaltens‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Elemente eines Freikirchenbegriffs . . . . . . . . . 2.2 Die Siebenten-Tags-Adventisten . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Theologische Spezifika . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Übereinstimmung mit der Bibel . . . . . . . . . . 3.2 Persönliche Gottesbeziehung . . . . . . . . . . . . 3.3 Sabbat als fundamentale Grenze . . . . . . . . . . 3.4 Endzeit und Naherwartung . . . . . . . . . . . . . 3.5 Lebensstil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Die katholische Kirche als Gegenmodell . . . . . .

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34 39 45 46 53

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67 68 74 77 85 89 92

6

Inhalt

3.7 Grenzen innerhalb der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen bei den Siebenten-Tags-Adventisten 4.1 Die Reformation des Körpers . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Den Körper denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der Körper als Tempel des Heiligen Geistes . . . . . 4.2.2 Gesundheit, Krankheit und Heilung . . . . . . . . . 4.3 Den Körper führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Sexualität und nichtehelicher Geschlechtsverkehr . 4.3.2 Homosexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Ehe und Grenzziehung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Alkoholkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Tabakkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Ernährung und Vegetarismus . . . . . . . . . . . . 4.3.7 Fasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Den Körper inszenieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Kleidung und Schmuck . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Charismatische Körperpraktiken . . . . . . . . . .

94

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101 102 108 110 116 125 128 138 147 155 163 167 178 186 186 199

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207 207

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209 209 210 212 213

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215

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239

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5. Zusammenfassung und Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Grundsätzliches Selbstverständnis der Gemeindemitglieder 5.2 Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Den Körper denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Den Körper führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Den Körper inszenieren . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Schematische Zuordnung der Marker . . . . . . . . . . . . 5.4 Schluss: Adventismus und der gesellschaftliche Trend zur ›Gesundheit‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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0.

Vorwort

Aufgewachsen in einem Umfeld, das wesentlich von der katholischen Kirche und nur in geringem Maße von einer Wahrnehmung der evangelischen und orthodoxen Kirche geprägt war, waren meine ersten Begegnungen mit Freikirchen – 2007 mit den Siebenten-Tags-Adventisten, 2008 mit Baptisten und Pfingstkirchen – überraschend und irritierend. Abseits tradierter Kirchenbilder zeigte sich hier eine andere, unbekannte Art, Kirche, Bibel, Gemeindeleben, christliches Selbstverständnis uvm. zu denken und zu leben. Das vom FWF geförderte Forschungsprojekt ›Commun(icat)ing Bodies‹, welches von 2010 bis 2014 an der Universität Graz, der Universität Zürich und der Fondazione Bruno Kessler (Trient) durchgeführt wurde, war eine willkommene Gelegenheit, meine Auseinandersetzung mit Freikirchen in einer religionswissenschaftlichen Dissertation zu vertiefen. Nicht zuletzt auf Grund des Themenfeldes Körper und Religion entschied ich mich für einen qualitativen Forschungszugang, der die Gläubigen selbst, ihr Handeln und Glauben in den Mittelpunkt stellt und theologische Diskurse zwar berücksichtigt, aber Religion primär als Alltagspraxis verstehen will. Das vorliegende Buch ist auf die Erforschung einer Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten fokussiert und stellt damit eine gekürzte und neu geordnete Version der ursprünglichen, sehr umfangreichen, Arbeit dar, welche 2015 in Graz als Dissertation eingereicht wurde und zusätzliche theoretische Überlegungen wie auch die Analyse einer baptistischen Gemeinde enthielt. Umgekehrt wurden zu den Siebenten-Tags-Adventisten einige Ergänzungen, Korrekturen und Aktualisierungen hinzugefügt und der Schlussteil umfassend überarbeitet. Mein besonderer Dank für das Entstehen dieser Arbeit gilt Theresia Heimerl (Universität Graz), Janine Dahinden (Universität Neuch.tel), Kurt Remele (Universität Graz), Daria Pezzoli-Olgiati (Universität Zürich), Gerhard Larcher (Universität Graz) sowie allen Beteiligen des Forschungsprojekts ›Commun(icat)ing Bodies‹, Isabelle Jonveaux (Universität Graz und EHESS Paris), Katrin Staab (Universität Graz), dem Pastor der Gemeinde, und schließlich Marianne Feichtinger-Hofer. Christian Feichtinger, im Sommer 2017

1.

Einleitung

1.1

Forschungsfrage: Körper, religiöse Alltagspraxis und die Siebenten-Tags-Adventisten

Die vorliegende Studie wurde im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts ›Commun(icat)ing Bodies. The Body as Medium in Religious Symbol Systems‹ verfasst, in dem menschliche Körperlichkeit als wesentliches Element religiöser, und hier speziell christlicher, Vollzüge verstanden und untersucht wurde. Mit ›kommunizierender Körper‹ ist nicht einfach ein medialisierter Körper gemeint, der in Medien auf bestimmte Art und Weise dargestellt und dadurch Teil eines Kommunikationsprozesses wird. Vielmehr wird der Körper selbst in religiösen Kontexten zu einem Medium der Kommunikation, wobei der Begriff ›Medium‹ in seinem umfassenden Sinn verstanden wird als etwas, das, auf einer symbolischen oder diskursiven Ebene, Bedeutung vermittelt. Zum einen vermittelt der Körper das Selbst durch Propriozeption und vermittelt zwischen Personen durch Kommunikation. Zum anderen wird der Körper durch soziale und symbolische Systeme mitgeformt und vermittelt dadurch die Werthaltungen und Weltbilder dieser Systeme sowohl gegenüber dem Subjekt als auch den Mitmenschen, wie Pierre Bourdieu, Mary Douglas oder Michel Foucault gezeigt haben.1 Somit wird der Körper zunehmend als Kategorie religionswissenschaftlicher wie auch theologischer Forschung interessant.2 1 Vgl. Bourdieu, Pierre: Remarques provisoires sur la perception sociale du corps, in: ARSS 14 (1977) 51–54; Douglas, Mary : Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur, Frankfurt: Fischer 1986; Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt: Suhrkamp 152004 (= stw 184). 2 Exemplarisch vgl. hier den Übersichtband Ornella, Alexander D./Knauss, Stefanie/Höpflinger, Anna-K. (Hg.): Commun(icat)ing Bodies. Body as a Medium in Religious Symbol Systems, Zürich: Pano 2014 (= (Religion – Wirtschaft – Politik 11), theologisch vgl. vor allem Aus der Au, Christina/Plüss, David (Hg.): Körper – Kulte. Wahrnehmungen von Leiblichkeit in Theologie, Religions- und Kulturwissenschaften, Zürich: TVZ 2007 (= Christentum und Kultur 6).

10

Einleitung

Die Bedeutung des Körpers als Medium für religiöse Symbolsysteme ist umso größer, als sie sich nicht auf unmittelbar religiöse Vollzüge wie Gottesdienste, Rituale oder Gebete beschränkt, sondern bis in den Alltag hinein prägend ist: Ernährungs- und Kleidungsvorschriften, Sexualmoral, Abstinenz oder das Verständnis von körperlicher Krankheit sind Teilbereiche religiöser Systeme, die das Leben eines Gläubigen umfassend prägen. In der Gegenwart sind religiöse Gemeinschaften hier ein Bestandteil eines komplexen Feldes verschiedener Zugriffe auf Körper, Geist und Seele: Medizin, Psychologie und Psychotherapie, Coaching, verschiedene Trainings- und Gesundheitsansätze, asiatische Körperpraxen wie Yoga oder Tai Qi, Coaching, Lebens- und Gesundheitsberatung und auch staatliche biopolitische Maßnahmen haben sich in den letzten Jahrzehnten als Konkurrenten religiöser Gemeinschaften im Bereich der Körperund Seelenheilung etabliert. Religion ist damit nach Bourdieu nunmehr »Teil eines neuen Feldes von Auseinandersetzungen um die symbolische Manipulation des Verhaltens im Privatleben und die Orientierung der Weltsicht, und alle setzen sie in ihrer Praktik konkurrierende, antagonistische Definitionen der Gesundheit, der Heilung, der Kur von Leib und Seele um«3. In der vorliegenden Forschungsarbeit wurde als konkretes Untersuchungsfeld für diese religiöse Praxisdimension des Körpers eine Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten gewählt. Der Grund dafür ist die große Bedeutung, die Religionssoziologen der Prägung des Alltags in Kirchen der reformatorischen Tradition beigemessen haben: Max Weber hat in seinem berühmten Werk über die ›protestantische Ethik‹ dafür den Begriff der ›innerweltlichen Askese‹ geprägt. Mit der Loslösung von der Institutionalisierung des Heils in einer Großkirche wurde nach Weber der Lebenswandel zum neuen Angelpunkt des Heilsverständnisses. Nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer Großkirche, sondern die individuelle, rationalisierte, sittliche Lebensführung ist Ort der Heilsvermittlung: »Die ethische Praxis des Alltagsmenschen wurde so ihrer Plan- und Systemlosigkeit entkleidet und zu einer konsequenten Methode der ganzen Lebensführung ausgestaltet.«4 Auch Ernst Troeltsch unterstreicht die Bedeutung der rechten Alltagsführung, die immer, wie oben beschrieben, auch einen bestimmten Umgang mit dem Körper beinhalten muss, denn der Körper ist das Handlungsmedium des Menschen schlechthin. Nach Troeltsch ist es gerade die Alltagspraxis, die eine spezifische Identität in den Traditionen der protestantischen Denominationen hervorbringt, wobei dies für die Freikirchen noch einmal stärker gilt als für die pro-

3 Bourdieu, Pierre: Die Auflösung des Religiösen, in: Bourdieu, Pierre: Rede und Antwort, Frankfurt: Suhrkamp 32011 (= edition suhrkamp 1547), 231–237, 233. 4 Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. I, Tübingen: Mohr 61972, 17–206, 115.

Körper, religiöse Alltagspraxis und die Siebenten-Tags-Adventisten

11

testantischen Landeskirchen.5 Die Siebenten-Tags-Adventisten sind dabei von besonderem Interesse, weil der Körper und der Umgang mit ihm in dieser Freikirche eine herausragende Position einnimmt, die innerhalb des christlichen Spektrums als einzigartig gelten kann, und sie zugleich eine der derzeit am schnellsten wachsenden und meistverbreiteten christlichen Denominationen weltweit sind. Ausgehend von der neueren Identitätsforschung muss dabei die Konstituierung einer spezifischen sozialen Identität durch (körperliche) Alltagspraxis noch einmal differenzierter betrachtet werden: In ihrem Aufsatz Jenseits der ›Identität‹ weisen Rogers Brubaker und Frederick Cooper auf die analytische Problematik eines fixen, geradezu substantialistischen sozialen Identitätsbegriffs hin und schlagen einen dynamischeren Ansatz vor, der mit den Begriffen ›Selbstverständnis‹, ›Identifikation‹ und ›Zugehörigkeit‹ einen aktiveren, prozesshafteren Zugang bietet.6 Soziale Identität ist somit nicht etwas, das man ›hat‹, sondern eine Person steht in einem bestimmten Prozess, in dem sie sich mit etwas identifiziert, sich von anderen abgrenzt oder sich zu einer Gruppe zugehörig fühlt. Dieser Prozess ist abhängig von sozialen Kontexten und zeitlichen Entwicklungen, so dass nicht einfach von einer fixen, etwa spezifisch religiösen ›Identität‹ gesprochen werden kann. Geht man von den drei genannten Voraussetzungen aus – dass der Körper eine wichtige Dimension der Vermittlung religiöser Sinnsysteme ist, dass die ethische Alltagspraxis wesentlich für das Selbstverständnis der protestantischen Freikirchen ist und dass dieses Selbstverständnis als etwas Prozesshaftes begriffen werden muss, das sich durch Grenzziehungen und Zugehörigkeiten definiert – so ergibt sich daraus das Forschungsfeld, dem sich diese Arbeit widmet: Welche Bedeutung hat das Verständnis des Körpers und ein spezifischer Umgang mit ihm als symbolische und praktische Ressource in Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen von Mitgliedern der untersuchten Adventgemeinde? Welchen Beitrag leistet Körperlichkeit als in den Alltag hineinreichende Dimension des Religiösen für das Selbstverständnis, dieser bestimmten Denomination oder Gemeinde anzugehören? Welche Abgrenzungen zu anderen Denominationen werden dabei vorgenommen? Da es sich hier um Fragen der Bedeutung handelt, wurde dazu die Methodik der Feldforschung und speziell des qualitativen Interviews gewählt. Diese Studie schließt dabei nicht unmittelbar an vorhandene religionswissenschaftliche Studien an, sondern versucht, mit dem Fokus auf den Adventismus wie auch mit dem Ansatz, den Körper als alltägliches Moment religiöser Zuge5 Vgl. Troeltsch, Ernst: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Aalen: Scientia 1977 (= Gesammelte Schriften 1), 373. 6 Vgl. Brubaker, Rogers/Cooper, Frederick: Jenseits der ›Identität‹, in: Brubaker, Rogers: Ethnizität ohne Gruppen, Hamburg: Hamburger Edition 2007, 46–95.

12

Einleitung

hörigkeits- und Grenzziehungsprozesse zu verstehen, einen neuen Zugang zur Thematik zu bieten. Die Forschungsfrage ist dabei eingebettet in die Frage nach dem generellen Selbstverständnis der Angehörigen der untersuchten Gemeinde. Da die Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich bisher kaum Beachtung gefunden haben, und auch, weil die spezifischen Fragen zum Körper in einen breiteren Sinnhorizont eingeordnet werden müssen, wurde zusätzlich nach dem grundsätzlichen Selbstverständnis der Gemeindemitglieder gefragt. Das zweite Kapitel dieser Arbeit widmet sich daher zunächst einer Beschreibung der Siebenten-TagsAdventisten im Kontext der freikirchlichen Geschichte, bevor im dritten Kapitel anhand von Interviewaussagen gezeigt wird, wie sich die Befragten selbst verstehen und welche Elemente für sie dabei besonders wichtig sind. Damit eröffnet diese Arbeit ein wichtiges Forschungsfeld, das bisher noch kaum wissenschaftlich untersucht wurde und umso interessanter ist, als »Freikirchen die Frage nach dem [provozieren], was Kirche überhaupt ist«7.

1.2

Vorgehensweise

Als Methode der Untersuchung wurde die qualitative Sozialforschung gewählt, die in diesem Fall auch als »qualitative Religionsforschung«8 bezeichnet werden kann. Diese Entscheidung fiel auf Grund der Tatsache, dass sich diese Art des methodischen Vorgehens besonders für neue Fragestellungen eignet, die einen explorativen Charakter haben. Unbekanntes lässt sich nicht standardisieren, weshalb die methodische Offenheit eines qualitativen Ansatzes für die Auseinandersetzung mit einem konkret definierten Feld besonders geeignet ist. Zweitens geht es um die Bedeutung des Körpers für soziale Prozesse und damit um die Erforschung der Praxis, »wie Menschen soziale Wirklichkeiten konstruieren, wie sie soziale Phänomene sinnhaft interpretieren (sense-making) und wie sie ihre Erfahrungen reflektieren«9 – allesamt Fragestellungen, für die sich qualitative Methoden bisher als fruchtbar erwiesen haben. Auf Grund der relativen Unbekanntheit des Terrains wird auf die klassische methodische Vorgangsweise – das Formulieren einer Hypothese und deren empirischer Ve7 Voigt, Karl Heinz: Freikirchen in Deutschland (19. und 20. Jahrhundert), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004 (= Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen III/6), 25. 8 Vgl. Baumann, Martin: Qualitative Religionsforschung, in: Klöcker, Michael/Tworuschka, Udo (Hg.): Praktische Religionswissenschaft, Köln: Böhlau 2008 (= UTB 3165), 48–62. 9 Bergman, Manfred u. a.: »Methoden qualitativer Sozialforschung. Manifest«, in: http://www. sagw.ch/dms/sagw/laufende_projekte/quali-soz-forschung/quali-sozforschung-manifest/Ma nifest_def_Onlineversion.pdf (abgerufen am 1. Januar 2011), 18.

Vorgehensweise

13

rifikation oder Falsifikation – verzichtet.10 Stattdessen wird anhand einer konkreten, am Forschungsgegenstand gebildeten Forschungsfrage – hier eben zu Körper und Siebenten-Tags-Adventisten – ein dynamischer Prozess aus Datenerhebung, Auswertung und Theoretisierung eingeleitet, in dessen Rahmen Interpretationen, Theorien und Vorgangsweisen immer wieder auf Basis des schon Erforschten einer Revision unterzogen werden. Qualitative Forschung bedeutet einen unmittelbaren Umgang mit ›kleinen Lebenswelten‹ und mündet in Beschreibungen »thematisch begrenzter, zweckgerichteter, subkultur-, milieu- und gruppenspezifischer, also sozusagen relativer Normalitäten«11. Der Austausch mit und das Selbstverständnis eines solchen Feldes beruhen wesentlich auf den symbolischen und sozialen Grenzen, die zwischen ihm und anderen Feldern gezogen werden. Bisweilen muss ein Feld erst vom Forschenden durch eine definitorische Grenzziehung definiert werden, andere Felder grenzen sich selbst auch durch institutionelle Verankerungen ab. Das Feld bildet einen Rahmen, in dem menschliches Handeln und Interagieren stattfindet und Bedeutungen zur Verfügung gestellt werden, um Handeln zu ermöglichen und zu ordnen, es gibt also ein gemeinsames Wissen und geteilte Bedeutungen von bestimmten Handlungen und Situationen. Im Blickfeld dieser Studie steht als konkretes Feld eine Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten, die trotz aller Durchlässigkeit ein bestimmtes Selbstverständnis, eine klare Form der Zugehörigkeit und einen sozialen wie auch institutionellen Rahmen besitzt. Die notwendige Arbeit an Einzelfällen wird somit erleichtert, sofern symbolische und soziale Grenzen vorliegen, die durch die Gemeinschaft selbst gezogen worden sind. Die untersuchte Adventgemeinde existiert in einem spezifischen Kontext, in dem sie eine kleine religiöse Minderheit darstellt und kaum öffentliche und historische Präsenz einnimmt. Sie verfügt über ein Gemeindezentrum in der Stadt und hat knapp unter 200 Mitglieder (ungetaufte Kinder und Jugendliche nicht miteingerechnet). Über den Pastor wurde zunächst Kontakt zur Gemeinde hergestellt und das Forschungsvorhaben vorgestellt. Dieser stand dem Forschungsvorhaben positiv gegenüber, anschließend musste auch das Einverständnis der Österreichleitung eingeholt werden. Die Gemeindemitglieder wurden entsprechend informiert, so dass die Feldforschung von Anfang an für diese transparent war. In einem zweiten Schritt erfolgten durch regelmäßigen Besuch der Gottesdienste ein Kennenlernen der Gemeindemitglieder sowie ein erster Einblick in relevante Themen, aktuelle Fragen und das Selbstverständnis der Gläubigen. Zusätzlich zu 10 Vgl. Hoffmann-Riem, Christa: Die Sozialforschung einer interpretativen Soziologie – Der Datengewinn, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 32/2 (1980) 339– 372, 345. 11 Honer, Anne: Einige Probleme lebensweltlicher Ethnographie, in: Zeitschrift für Soziologie 2 (1985) 297–312, 299.

14

Einleitung

diesen konkreten Erfahrungen und informellen Gesprächen wurden durch Lektüre emischer und etischer Literatur weitere Fragen und Themen gesammelt, die für die Leitfadeninterviews relevant sein würden. Ein halbstandardisiertes Erstinterview mit dem Pastor, der als feldinterner reflektierter Experte herangezogen wurde, diente zusätzlich als Unterstützung in diesem Vorbereitungsprozess. Da das Thema ›Körper‹ sehr persönlich und subjektiv ist, wurde ein problemzentriertes Interview entwickelt, das sehr stark an der Narration orientiert und entsprechend flexibel ist, aber dennoch an einem gewissen Leitfaden geführt wird. Auf Basis dieser Vorarbeiten wurde ein Leitfadeninterview erstellt, welches sowohl das Selbstverständnis im Allgemeinen als auch die Bedeutung des Körpers im Besonderen abdecken sollte. Im Hinblick auf die Fragestellungen wurde vor allem auf die Alltagsrelevanz der Fragen geachtet, das Fragenensemble wurde dabei in die Bereiche ›den Körper denken‹ (Verständnis des Körpers), ›den Körper führen‹ (Umgang mit dem Körper) und ›den Körper inszenieren‹ (Darstellung des Körpers nach außen, Körper als unmittelbares Kommunikationsmittel) unterteilt, was auch das Ordnungsschema für die Auswertung der Antworten in dieser Arbeit darstellt. Diese Dreiteilung ›DenkenFühren-Inszenieren‹ ist dabei analog zum Konzept von Martin Riesebrodt konzipiert, der Religion als Verbindung aus diskursiven, verhaltensregulierenden und interventionistischen Praktiken definiert hat.12 Dabei wurden insgesamt 12 Interviews mit 11 Personen geführt, der Pastor war hier in einer Doppelrolle, da er sowohl als theologisch und pastoral reflektierter Experte herangezogen wurde, wie auch als Gläubiger selbst. Zusätzlich wurde ein weiteres Interview mit dem weltweit bedeutsamen adventistischen Theologen ]ngel Rodr&guez geführt, den ich bei einer adventistischen Tagung im April 2012 kennenlernen durfte.13 Bei den Befragten wurde auf eine Durchmischung bezüglich Alter und Geschlecht geachtet, der Zugang zu ihnen wurde durch Bekanntschaften, Empfehlungen und durch konkretes Ansprechen erreicht. Durch die regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten und Veranstaltungen war es möglich, auch Meinungsführer ausfindig zu machen, deren Ansichten möglicherweise besonderes Gewicht in der Gemeinde haben. Ein wichtiger biographischer Hintergrund gerade für Mitglieder von Freikirchen ist, ob diese Konvertiten oder bereits in ihrer Tradition aufgewachsen sind, wobei für die meisten Befragten letzteres galt. Auch wenn es sich bei den Befragten um 12 Vgl. Riesebrodt, Martin: Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen, München: Beck 2007, 108–135. 13 ]ngel Rodr&guez war von 2001 bis 2011 Direktor des Biblical Research Institute in Silver Spring, Maryland. Das BRI ist die offizielle Forschungsstelle für Bibelwissenschaften der adventistischen Generalkonferenz und fungiert auch als deren theologischer Berater, prägt also adventistische Theologie weltweit entscheidend mit. Darüber hinaus ist Rodr&guez Autor zahlreicher Bücher und Artikel.

15

Vorgehensweise

Personen mit ganz unterschiedlichen Biographien handelt, so weisen Übereinstimmungen, aber auch Differenzen in den Interviews dennoch darauf hin, dass sich Grundlinien, Themen und Konflikte in der Gemeinde anhand der befragten Personen zeigen und analysieren lassen. Übersicht über die Befragten Code

Geschl. Altersgr. Familienstand Bildung/Beruf

Herkunft14 Konvertit/ in

ADV1

männl. 40–50

verheiratet

Pastor

Inland

nein

ADV2 ADV3

männl. 30–40 weibl. 30–40

ledig in Beziehung

Angestellter Ärztin

Inland Inland

nein nein

ADV4 ADV5

weibl. 50–60 männl. 40–50

verheiratet verheiratet

Masseurin Pastor

Inland Inland

ja nein

ADV6 ADV7

männl. 20–30 weibl 30–40

ledig ledig

Student Lehrerin

Inland Ausland

nein nein

ADV8

weibl.

verheiratet

Ausland

nein

ADV9

männl. 40–50

Hausfrau/ Pensionistin Arbeiter

60–70

Ausland

nein

ADV10 weibl. ADV11 weibl.

40–50 40–50

verheiratet verheiratet

in Beziehung

Hausfrau Krankenpflegerin

Ausland Inland

nein ja

ADV12 weibl.

20–30

ledig

Studentin

Inland

nein

Die größte Gefahr im Interviewprozess war in diesem Fall sicherlich ein Response Bias: Bei einer Untersuchung von ›außen‹ besteht die Möglichkeit, dass gerade bei missionierenden Gemeinden versucht wird, die eigene Gruppe gut darzustellen, bzw. dass die Befragten ein Selbstbild als ›guter Christ‹ aufrechterhalten und so manches beschönigen. Die Reaktionen auf die Interviews sowie die vielen kritischen Ansichten, die geäußert wurden, zeigen jedoch, dass die Gespräche auch als willkommene Möglichkeit genutzt wurden, kritisch nachzudenken und frei zu sprechen. Mögliche beschönigende Aussagen der einen wurden immer wieder durch kritische Darstellungen der anderen konterkariert, etwa in Fragen des Gemeindelebens. Dennoch bleibt im Hinblick auf den Response Bias immer ein Restrisiko bestehen. Die Interviews wurden in hochdeutsche Sprache übertragen und Angaben soweit anonymisiert, dass sie keinen unmittelbaren Rückschluss auf die Identität der befragten Person zulassen. Diese Maßnahme ist nötig, da die Antworten zum Teil kritisch der eigenen

14 Eine Angabe des Herkunftslandes würde die Befragten zu leicht identifizierbar machen.

16

Einleitung

Gemeinde gegenüber sind und daher ein Schutz der Gedanken- und Meinungsfreiheit der Person gewährt bleiben muss. Im weiteren Vorgehen wurden die Interviews auf Basis der Aufnahmen verschriftlicht. Da es vor allem um eine thematische Analyse ging, wurde eine wörtliche Transkription ohne zusätzliche Zeichen und Informationen gewählt. Aus der interpretativen Analyse des ersten Interviews wurden zusätzliche Perspektiven und Thematiken, die sich als für die Gemeinde relevant abzeichneten, herausgearbeitet und in die weiteren Interviews integriert. Interviewführung und Auswertung sind nicht zwei getrennte Phasen, sondern folgen dynamisch aufeinander, im Kleinen schon während eines Gesprächs, entscheidend aber im Prozess der Forschungsarbeit selbst: Aus der Auswertung eines Interviews ergeben sich neue Fragen und Konstellationen, die weitere Interviews und Vorgangsweisen mitbestimmen.15 Die ausgedruckten Interviews wurden gelesen, Themenkomplexe markiert und Anmerkungen und weitere Fragestellungen notiert. Dann wurden alle Interviews einem Codierungsprozess unterzogen. Thematische Grundaussagen der Befragten wurden segmentiert und mit entsprechenden Codes versehen. In diesem Prozess des offenen Codierens wurden relevante Themenkomplexe identifiziert und auf deren Basis die Interviews noch einmal auf weitere Hinweise untersucht.16 Übereinstimmende und widersprüchliche Aussagen zu den jeweiligen Themenbereichen wurden gesammelt und miteinander verglichen, so dass übereinstimmende und unterschiedliche Sichtweisen systematisiert und hinsichtlich ihrer Begründungsstrukturen noch einmal strukturiert werden konnten, ebenso Sprachmuster und Verwendung von Begrifflichkeiten. So wurden in einem Themenfeld unterschiedliche Sichtweisen, innerhalb dieser Sichtweisen aber noch einmal unterschiedliche Begründungsmodelle herausgearbeitet. Schließlich wurden diese Aussagen geordnet und Zusammenhänge mit anderen Themenbereichen gesucht. So konnten schließlich allgemeine Grundhaltungen identifiziert und beschrieben werden, die entlang der ihnen zu Grunde liegenden Aussagen (Explikationsmaterial) exemplifiziert werden. Der Interpretationsprozess entspricht so einem klassischen Codierungs- und Vergleichsverfahren.17 Interpretation ist dabei

15 Vgl. Kromrey, Helmut: Empirische Sozialforschung. Modelle und Methoden der standardisierten Datenerhebung und Datenauswertung, Stuttgart: Lucius & Lucius 122009 (= UTB 1040), 95. 16 Vgl. Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung, Reinbek: Rowohlt 32010, 386–421. 17 Vgl. Hermanns, Harry : Die Auswertung narrativer Interviews. Ein Beispiel für qualitative Verfahren, in: Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen (Hg.): Analyse verbaler Daten. Über den Umgang mit qualitativen Daten, Opladen: Westdeutscher Verlag 1992, 110–141; Froschauer Ulrike/ Lueger, Manfred: Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme, Wien: Facultas 2003 (= UTB 2418); Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika:

Identität – Grenzziehung – Zugehörigkeit

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immer auch eine gewisse Aneignung der Aussagen des Befragten, »das Andere wird trotz aller Beteuerungen, es selbst zu Wort kommen zu lassen, doch immer wieder in der Sicht der Forscherkultur repräsentiert und objektiviert«18. Diesem Prozess zu entgehen ist unmöglich, sein Verzerrungspotential kann jedoch durch eine gegenstandsorientierte Theoriebildung und Reflexion zumindest minimiert werden. Dennoch bleibt das Produkt der Forschungsarbeit eine analytisch-interpretative Perspektive und ist keine Abbildung von Realität.19 In diesem ersten Kapitel folgen noch einmal präzisere theoretische Überlegungen zum Begriff ›Identität‹ bzw. zu dem gewählten Analysemodell von Zugehörigkeit und Grenzziehung. Kapitel 2 bietet eine theoretische Grundlegung über die Siebenten-Tags-Adventisten im Kontext der freikirchlichen Tradition. In Kapitel 3 werden in einem ersten Interviewteil das Selbstverständnis der Befragten als Angehörige ihrer Gemeinde vorgestellt und Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozesse in diesem Zusammenhang analysiert. Kapitel 4 bietet theoretische und historische Grundlegungen zu den einzelnen Fragekomplexen. Es stellt anschließend die Ergebnisse aus den Leitfadeninterviews anhand des Ordnungsschemas dar und zeigt, welche Bedeutung Fragen der Körperlichkeit als Ressource in Grenzziehungs- und Zugehörigkeitsprozessen der Befragten haben. In Kapitel 5 folgen schließlich eine Zusammenfassung der Ergebnisse, eine abschließende Analyse und eine Verhältnisbestimmung von adventistischer und gegenwartsgesellschaftlicher Gesundheitspraxis.

1.3

Identität – Grenzziehung – Zugehörigkeit

1.3.1 Identität ›Identität‹ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Schlüsselbegriff nicht nur der wissenschaftlichen, sondern auch der Alltagssprache geworden. In einem modernen Sinn taucht identity in den 1950er und 1960er Jahren in den Werken von Erik Erikson, Erving Goffman und später Peter Berger auf und bezeichnet dort ein Selbstkonzept eines Individuums.20 Mit den Arbeiten von Henri Tajfel und John Turner wurde der Identitätsbegriff auf soziale Gruppen ausgeweitet, so dass Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch, München: Oldenbourg 2008 (= Lehr- und Handbücher der Soziologie). 18 Kaschuba, Wolfgang: Einführung in die europäische Ethnologie, München: Beck 22003, 198. 19 Vgl. Kromrey, Empirische Sozialforschung, 390. 20 Vgl. Erikson, Erik: Identität und Lebenszyklus, Frankfurt: Suhrkamp 71981 (= stw 16); Goffman, Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Frankfurt: Suhrkamp 1975 (= stw 140); Berger, Peter/Berger, Brigitte/Kellner, Hansfried: Das Unbehagen in der Modernität, Frankfurt: Campus 1975.

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soziale Identität als Bestandteil der Identität eines Individuums begriffen wird, »der sich aus seinem Wissen um seine Mitgliedschaft in sozialen Gruppen und aus dem Wert und emotionalen Bedeutung ableitet, mit der diese Mitgliedschaft besetzt ist«21: Der Einzelne begreift sich selbst als Mitglied einer Gruppe, und diese Mitgliedschaft trägt zur eigenen, personalen Identität bei und formt diese mit.22 Über diese Vorarbeiten gelangte der Identitätsbegriff in den öffentlichen Diskurs und wird in verschiedenen Disziplinen wie auch medial extensiv rezipiert. Auch die Rolle der Religion für die Herausbildung individueller und sozialer Identität wurde zunehmend zur Forschungsfrage, schon vorgebildet in den Arbeiten von Pmile Durkheim, der den Ursprung der Religion in der Bildung von kollektiver Solidarität und gemeinsamem Selbstverständnis begründet sah.23 Die Adaption des Identitätsbegriffs in die Religionsforschung führte zum Schluss, »dass man Religionen auch als kognitive Identitätslehren, als Produktionsstätten sozialer Identität und als Orte normativer Identitätszumutungen lesen kann«24, und ermöglichte eine neue Sichtweise auf religiöse Phänomene der Geschichte und Gegenwart. Das Aufkommen der Rede über Identität ist dabei in einem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Umwälzungen seit den 1960er-Jahren zu sehen, als begriffliche Suche nach etwas, das sich Definitionen und Klarheit beständig zu entziehen scheint.25 Das Mit-sich-selbst-identisch-Sein wird als Frage in dem Moment aufgeworfen und immer intensiver diskutiert, als alte Konzepte von Gesellschaft und Subjekt zunehmend diffus werden. So kann man mit Lutz Niethammer diagnostizieren, dass »die Thematisierung von Identität ein Mangelphänomen oder ein pathologischer Indikator ist: wie bei der ähnlich undefinierbaren Gesundheit spricht man von ihr, wenn sie fehlt oder beeinträchtigt ist«26. Das Aufleuchten des Begriffs der Identität im wissenschaftlichen und später öffentlichen Diskurs kann so durchaus als Krisenphänomen bezeichnet werden, als konstruiertes Objekt, das zum Thema der in der Gesellschaft erfahrenen Diskontinuitäten gemacht werden konnte. So erscheint es nicht verwunderlich, dass der Begriff ›Identität‹ in seiner Omnipräsenz zunehmend zum 21 Tajfel, Henri: Gruppenkonflikt und Vorurteil, Bern: Huber 1982, 102. 22 Vgl. Abrams, Dominic/Hogg, Michael: An Introduction to Social Identity Approach, in: Abrams, Dominic/Hogg, Michael (Hg.): Social Identity Theory. Constructive and Critical Advances, Hemel Hempsted: Harvester 1990, 1–9. 23 Vgl. Durkheim, Pmile: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt: Suhrkamp 1981. 24 Gephart, Werner : Zur Bedeutung der Religionen für die Identitätsbildung, in: Gephart, Werner/Waldenfels, Hans (Hg.): Religion und Identität. Im Horizont des Pluralismus, Frankfurt: Suhrkamp 1999 (stw 1411), 233–266, 266. 25 Vgl. Eickelpasch, Rolf/Rademacher, Claudia: Identität, Bielefeld: transcript 2004, 5. 26 Niethammer, Lutz: Konjunkturen und Konkurrenzen kollektiver Identität. Ideologie, Infrastruktur und Gedächtnis in der Zeitgeschichte, in: Prokla 96 (1994) 379–399, 397.

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Gegenstand der Kritik, und seine operative Sinnhaftigkeit im akademischen Diskurs mehr und mehr problematisiert wurde. Richard Handler forderte daher in einem Aufsatz aus dem Jahr 1994 mit dem bezeichnenden Titel Is Identity a Useful Cross-Cultural Concept?: »[W]e should be as suspicious of ›identity‹ as we have learned to be of ›culture‹, ›tradition‹, ›nation‹ and ›ethnic group‹«27. Vor allem in der fast schon obligatorischen Relativierung und Einschränkung des Identitätsbegriffs wird dessen Problematik deutlich: Egal ob von ›multiplen‹, ›brüchigen‹, ›fragmentierten‹, ›fließenden‹, ›verhandelbaren‹, ›flexiblen‹, ›hybriden‹ oder ›konstruierten‹ Identitäten (also meist noch im Plural) gesprochen wird: In jedem Fall erscheint es fragwürdig, ob ein Begriff, der kaum noch ohne relativierende Beifügungen verwendet werden kann, für eine analytische Arbeit überhaupt noch praktikabel ist, wie Brubaker und Cooper feststellen.28 Wie sinnvoll ist ein Begriff, der immer schon durch eine Beifügung eingeschränkt werden muss? Und »[f]alls eingeräumt wird, dass Identität multipel ist, folgt selten eine Erklärung, warum man etwas, was multipel ist, als Identität bezeichnen sollte«29. Daher fordert Brubaker mit Cooper ein Denken und Arbeiten beyond identity (so der Originaltitel des Aufsatzes) und schlägt vor, die Vieldeutigkeit des Identitätsbegriffs in verschiedene Teilaspekte aufzulösen, um über diese wieder eine analytische Klarheit zu gewinnen. Als diese Teilaspekte werden definiert: – Identifikation: Im Unterschied zu ›Identität‹ bezeichnet ›Identifikation‹ einen aktiven Prozess, der eine handelnde Person bzw. Gruppe und deren Kontext voraussetzt. Dabei werden Selbst- und Fremdidentifikation unterschieden. Problematisch bleibt dabei die Frage nach dem Subjekt dieses Handelns und dessen Bedingungen.30 – Selbstverständnis und gesellschaftliche Verortung: Gegen die scheinbare Objektivität des Begriffs ›Identität‹ werden diese Begriffe als Ausdruck einer situativen Subjektivität eingeführt: Eine Gruppe oder eine Einzelperson entwickelt ein bestimmtes Verständnis von sich selbst und verortet sich im gesellschaftlichen Zusammenhang. Hier wird die Subjektivität von Identifikation stärker ausgefaltet. Fremdidentifikationen können keine Identitäten erschaffen, sondern nur Kategorien der Identifizierung benennen. Es hängt an einer Gruppe oder an der Einzelperson, solche Kategorien zu übernehmen, was immer auch mit Macht und Ressourcen der Fremdidentifizierenden zu tun hat.31 27 Handler, Richard: Is Identity a Useful Cross-Cultural Concept?, in: Gillis, John (Hg.): Commemorations. The Politics of National Identity, Princeton: PUP 1994, 27–40, 27. 28 Vgl. Brubaker/Cooper, Jenseits der ›Identität‹, 46–95. 29 Ebd., 76. 30 Vgl. ebd., 67–71. 31 Vgl. ebd., 71–73.

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– Gemeinsamkeit / Verbundenheit / Zusammengehörigkeit: Hier spielt der Aspekt des Gefühls eine Rolle, der sich in Solidarität nach innen und/oder Abgrenzung nach außen ausdrücken kann. Das Teilen von Attributen, Deutungsmustern oder Emotionen bleibt dabei abhängig von Ereignissen und Momenten, ist also nichts Stabiles, sondern muss kontinuierlich erzeugt und erhalten werden.32 Wenn man auch nicht das Kind ›Identität‹ mit dem Bade seiner vielfältigen Beifügungen ausschütten muss, so ist aus Brubakers und Coopers Überlegungen doch die Konsequenz einer gewissen Zurückhaltung und vor allem einer klareren methodischen Begrifflichkeit abzuleiten. Dies bedeutet, die Handlung der Identifikation und somit deren Protagonisten stärker zum Gegenstand der Betrachtung zu machen, weniger eine ›Identität‹ zu rekonstruieren versuchen als bestimmte Praktiken zu analysieren, mit denen Identifikation, gesellschaftliche Verortung oder Verbundenheit in einem bestimmten sozialen Kontext realisiert werden. Ebenso gilt es, die Symbole und Sprachformen zu zeigen, welche die Kategorien dieser Prozesse bereitstellen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das Konzept der Grenzziehungsprozesse (boundary work), das einen wesentlichen Bestandteil des methodischen Zugangs dieser Arbeit ausmacht und als bevorzugte Analysekategorie verwendet wird.

1.3.2 Grenzziehungsprozesse (boundary work) Blickt man noch einmal auf die Kategorien zurück, die Brubaker und Cooper als Substitute für den Identitätsbegriff vorgeschlagen haben, so lassen sie sich mit der Praxis der Grenzziehung in Verbindung bringen: Identifikation, gesellschaftliche Verortung und Zusammengehörigkeit als Praxis werden durch die Strategie einer Grenzziehung mitbewirkt. Wie man sich selbst versteht, wo man sich in einem komplexeren System wie der Gesellschaft verortet und wie man Solidarität innerhalb einer Gemeinschaft bildet, hat damit zu tun, wie zwischen sich und anderen Grenzen gezogen werden. So kann man mit Michael Franz sagen, dass es »bei ›Kultur‹ nicht um ein System von Identitäten geht, sondern um ein Ensemble von Differenzen«33. Diese Grenzen können symbolisch sein, etwa durch bestimmte Erkennungszeichen, Sprachspiele oder Symbolhandlungen, sich aber auch sozial manifestieren, wenn etwa Menschen von ›außerhalb‹ aus bestimmten Orten oder gesellschaftlichen Positionen ausgeschlossen 32 Vgl. ebd., 73–76. 33 Franz, Michael: Logik der Differenz. Überlegungen zur Heuristik der Kulturwissenschaft, in: Jahrbuch ästhetische Erziehung 2 (1985) 45–58, 47. [Kursivierung im Original]

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werden. In diese Kategorie fällt beispielsweise auch ein Exogamieverbot oder Ähnliches.34 Grenzziehung dient also dazu, Differenzen zwischen dem eigenen und dem anderen herzustellen und damit Identifikationen und Verortungen zu ermöglichen. Symbolische Grenzziehungen bilden dabei die Grundlage für soziale Grenzziehungen: A boundary displays both a categorial and a social or behavioral dimension. The former refers to acts of social classification and collective representation; the latter to everyday networks of relationships that result from individual acts of connecting and distancing […] One divides the social world into social groups – into ›us‹ and ›them‹ – and the other offers scripts of action – how to relate to individuals classified as ›us‹ and ›them‹ under given circumstances. Only when the two schemes coincide, when ways of seeing the world respond to ways of acting in the world, shall I speak of a social boundary.35

Der Begriff der ›Grenze‹ bedeutet dabei alles andere als Klarheit. Grenzen haben eine Vielzahl an Eigenschaften und evozieren verschiedene Fragen: So ist schwer zu entscheiden, ob ein Gegenstand oder eine soziale Gruppe erst durch Grenzziehung erzeugt und geformt wird oder aber Grenzen um etwas schon Existierendes gelegt werden, wobei sich hier auch die Frage nach dem Verhältnis von Ein- und Ausgegrenztem stellt: »[A] boundary separates two entities (or two parts of the same entity), which are said to be continuous with each other«36. Da es also im Normalfall eine Kontinuität zwischen zwei Bereichen gibt, deren Trennung erst durch eine Grenze hergestellt wird, sind Grenzziehungen von Dynamik und Kontingenz bestimmt. Grenzen können ausgedehnt und zusammengezogen, oder das durch sie Getrennte neu hierarchisiert werden, sie können verschwimmen und mehr oder weniger durchlässig werden.37 Entsprechend kann sich die wissenschaftliche Betrachtung von Grenzen bzw. die Praxis der Grenzziehung auf verschiedene Aspekte beziehen, etwa die Durchlässigkeit, Salienz, Beständigkeit oder Sichtbarkeit von Grenzen und deren Inkraftsetzung, 34 »Symbolic boundaries are conceptual distinctions made by social actors to categorize objects, people, practices, and even time and space. They are tools by which individuals and groups struggle over and come to agree upon definitions of reality. […] Symbolic boundaries also separate people into groups and generate feelings of similarity and group membership. Social boundaries are objectified forms of social differences manifested in unequal access to and unequal distribution of resources (material and nonmaterial) and social opportunities. They are also revealed in stable behavioral patterns of association, as manifested in connubiality and commensality.« Lamont, MichHle/Molnár, Vir#g: The Study of Boundaries in the Social Sciences, in: Annual Review of Sociology 28 (2002) 167–195, 168. 35 Wimmer, Andreas: The Making and Unmaking of Ethnic Boundaries. A Multilevel Process Theory, in: American Journal of Sociology 113/4 (2008) 970–1022, 975. 36 Varzi, Achille: Art. Boundary, in: Zalta, Edward (Hg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy, in: http://www.plato.stanford.edu/entries/boundary/ (abgerufen am 4. Januar 2011). 37 Vgl. Wimmer, Ethnic Boundaries, 986–989.

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Erhaltung, Verlegung, Überbrückung, Durchbrechung oder Auflösung durch symbolische und soziale Praxis.38 Es erscheint also nützlich, auch die Rolle von Religion weniger im Hinblick auf ihren Beitrag zur Identitätsbildung zu hinterfragen, mit allen Problemen, die man sich dabei einhandelt, sondern sich die Frage zu stellen, wie religiöse Symbole Teil von symbolischen Grenzziehungen werden, also eine Ressource darstellen, um Differenzen zwischen einem ›Wir‹ und einem ›Sie‹ auszudrücken und zu erzeugen. Dabei zeigt sich in dieser Arbeit, dass Grenzen unterschiedlich und nicht immer nur entlang der eigenen Denominations- oder Gemeindegrenze gezogen werden. Das bedeutet, dass die Befragten nicht einfach eine adventistische Identität aufweisen, sondern ihre Zugehörigkeiten und Grenzziehungen je nach Marker unterschiedlich definieren und zum Teil auch Grenzen innerhalb der Gemeinde ziehen. In der Folge ist auch darauf zu achten, wie sich religiös-symbolische Grenzen auch in der Alltagspraxis zu sozialen Grenzen entwickeln. Dieser Zugang scheint umso interessanter, als die Fragen nach Grenzen und Grenzziehungen bisher vor allem im Bereich der Ethnic Studies gestellt wurden und Religion dabei kaum zur Sprache kam.39 Allerdings ist mit Dahinden, Morelt und Duemmler festzustellen, dass Grenzziehungsprozesse zunehmend religiös symbolisiert werden, was sich in Europa etwa im Umgang mit, aber auch im Selbstverständnis von Migranten aus islamischen Ländern niederschlägt.40 Religiöse Symbolik eignet sich auf vielfältige Weise, sich in einem bestimmten sozialen Kontext von anderen abzugrenzen: Das Tragen von Erkennungszeichen, bestimmte Sprachformen, Alltagspraxis und Rituale, Moralvorstellungen oder der Zugang zu Riten und heiligen Orten sind religiöse Ressourcen zur Ziehung von symbolischen, aber auch sozialen Grenzen. Religion stellt Codes zur Verfügung, mit denen Grenzziehungsprozesse ablaufen können: »Die Konstruktion einer Grenze wird umso nachdrücklicher ausfallen, je stärker der elementare Unterschied zwischen Innen und Außen mit anderen Differenzen angereichert und von ihnen gestützt wird.«41 Daher erscheint es 38 Vgl. Pachucki, Mark/Pendergrass, Sabrina/Lamont, MichHle: Boundary Processes. Recent Theoretical Developments and New Contributions, in: Poetics 35 (2007) 331–351, 332. 39 Eine Ausnahme bildet hier Mitchell, Claire: The Religious Content of Ethnic Identities, in: Sociology 44/6 (2006) 1135–1152. 40 Vgl. Dahinden, Janine/Morelt, Jo[lle/Duemmler, Kerstin: Die Herstellung sozialer Differenz unter der Bedingung von Transnationalisierung. Religion, Islam und boundary work unter Jugendlichen, in: Allenbach, Brigit u. a. (Hg.): Jugend – Religion – Migration. Zur intergenerativen Dynamik von religiösen und ethnonationalen Mehrfachzugehörigkeiten, Zürich: Pano/Nomos 2011, 225–248. Zu dieser Thematik vgl. auch Adida, Claire/Laitin, David/Valfort, Marie-Anne: Why Muslim Integration Fails in Christian-Heritage Societies, Cambridge: Harvard University Press 2016. 41 Giesen, Bernhard: Codes kollektiver Identität, in: Gephart, Werner/Waldenfels, Hans (Hg.): Religion und Identität. Im Horizont des Pluralismus, Frankfurt: Suhrkamp 1999 (= stw 1411), 13–43, 14.

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nützlich, Religionen im Hinblick auf historische und aktuelle Grenzziehungsprozesse zu untersuchen, wie es in dieser Studie auch geschehen soll. Mit Religion verbunden sind ebenso Fragen der Moral, die ebenfalls ein wichtiges Mittel zur Grenzziehung innerhalb und zwischen Gruppen darstellt.42 So zeigt etwa Yen Le Espiritu in ihrer Studie über philippinische Migrantinnen in den USA, dass das Gefühl einer moralischen Überlegenheit der In-Group einen wichtigen Grenzstein vor allem für Minderheiten darstellen kann. Der prekäre Minderheitenstatus wird aufgewertet, indem eine Art von moralisch-kultureller Höherwertigkeit gegenüber der dominanten Kultur behauptet wird.43 Dabei spielen vor allem der Umgang mit Sexualität und die Stabilität der Geschlechterrollen eine herausragende Rolle. Gegen die Vorstellung einer sexuellen Unverbindlichkeit der Mehrheitsgesellschaft wird das Ideal einer keuschen und treuen philippinischen Frau gestellt: »Filipino immigrants claim moral distinctiveness for their community by re-presenting ›Americans‹ as morally flawed, themselves as family-oriented model minorities, and their wives and daughters as paragons of morality«44. Die Relevanz der Fragestellung für diese Studie liegt auf der Hand, da mit der Sexualität ein Thema berührt wird, das unmittelbar mit einem bestimmen Verständnis und einem bestimmten Umgang mit dem Körper zu tun hat, und ebenso eine religiöse Minderheit im Kontext einer tendenziell sexuell freizügigeren Mehrheitsgesellschaft untersucht wird. Im Fall von Espiritus Studie erweist sich das moralische Selbstbild wie auch das Bild, das man sich von der Mehrheitsgesellschaft macht, als Strategie der Grenzziehung und damit zugleich der Identifikation und des Selbstverständnisses. Dabei zeigt sich eine Stärke des Konzepts der Grenzziehung gegenüber der Rede von ›Identität‹: Die Grenzziehung ist ein aktiver Prozess, der einen bestimmten sozialen Kontext, von dem man sich abgrenzt, voraussetzt. Die Vorstellung, sich als Filipina durch moralisches Verhalten von anderen zu unterscheiden, dieses Verhalten also als etwas zu sehen, das abgrenzt, entsteht erst im Kontext einer bestimmten sozialen Situation und ist keinesfalls Teil etwa einer ›philippinischen Identität‹. Der katholisch-traditionelle philippinische Background erweist sich aber in der Migrationssituation als Ressource, mit deren Hilfe trotz des Minderheitenstatus ein bestimmtes positives Selbstverständnis erreicht wird. Es wird eine klare habituelle Grenze erkannt und gezogen und dabei erklärt: ›[W]e don’t sleep around like white girls do.‹ Nach Turner steht jeder Person »ein Ensemble an […] zugänglichen kognitiven Repräsen-

42 Vgl. Lamont/Molnár, The Study of Boundaries, 175. 43 Vgl. Espiritu, Yen Le: ›We Don’t Sleep Around Like White Girls Do‹. Family, Culture, and Gender in Filipina American Lives, in: Signs 26/2 (2001) 415–440, 415. 44 Ebd., 421.

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tationen des Selbst«45 zur Verfügung, welches ihr Selbstverständnis mitformt. Die Salienz dieser Repräsentation ist jedoch stark an Situationen und Kontexte gebunden und kann einmal mehr, einmal weniger betont werden. So reduzieren etwa die zitierten philippinischen Frauen ihre Individualität zu Gunsten eines positiven Stereotyps der philippinischen Frau, die als solche bestimmte moralische Werte und Lebensweisen vertritt. Hier zehrt das positive Selbstverständnis also stark von einer sozialen moralischen Ressource. Religion stellt zusätzlich zu den symbolischen Ressourcen auch Institutionen bereit, die Grenzziehungen unterstützen und forcieren können, indem sie einer Gruppe beispielsweise eine konkrete Zugehörigkeit und Bezeichnung anbieten und einen geordneten Rahmen für Grenzziehungen bilden: »[T]he institutional framework determines which types of boundaries […] can be drawn in a meaningful and acceptable way in a particular social field«46. Dies ist nicht zuletzt auch eine Frage der Macht und von Ressourcen, die es erlauben, andere und auch sich selbst zu definieren und zu repräsentieren. Je nach Kontext und Situation wird man danach trachten, die Grenzen so zu ziehen, dass man sich im Spannungsfeld aus Macht, Moralität, Selbstwert und sozialem Prestige unterschiedlich positioniert und damit unterschiedliche Grenzziehungen vornimmt. So versuchten beispielsweise die Siebenten-Tags-Adventisten in Europa, die starke Abgrenzung von anderen christlichen Bewegungen und Kirchen, wie sie in den USA praktiziert wurde, zu vermeiden und zur Erreichung einer sozialen Akzeptanz in Europa an dessen protestantische Traditionen anzuknüpfen. Hier wurden also die symbolischen Grenzen bewusst offener gesetzt, um in einem bestimmten Kontext die gesellschaftliche Anerkennung zu fördern und so den Missionserfolg zu erleichtern. Bezogen auf diese Arbeit bedeutet dies, dass nicht versucht wird, so etwas wie eine ›adventistische Identität‹ im österreichischen Kontext zu ermitteln, sondern darauf zu achten, wie der Körper und der Umgang mit ihm im Rahmen einer Institution – der konkreten Adventgemeinde – eine symbolische und soziale Ressource für Grenzziehungsprozesse darstellt und damit Identifikation, soziale Verortung und Selbstverständnis beeinflusst und stützt. Zugleich können mit diesem Zugang – wenn vorhanden – auch Grenzen innerhalb der institutionalisierten Gemeinschaft aufgedeckt werden.

45 Turner, John: Rediscovering the Social Group. A Self-Categorization Theory, New York: Basil 1987, 44. [Übersetzung C.F.] 46 Wimmer, Ethnic Boundaries, 973.

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1.3.3 Zugehörigkeit Grenzziehung bedeutet nicht nur zu wissen, was außerhalb einer gesetzten Grenze liegt, sondern bildet auch einen Rahmen für die Zugehörigkeit zur InGroup. Prozesse der Gemeinschaftsbildung und von grenzkonstituierender Codierung können nur unvollkommen voneinander getrennt werden und sind aufeinander bezogen:47 »[F]eelings of communality are defined in opposition to the perceived identity of other racial and ethnic groups«48. Sie sind damit auch eine Frage von Grenzen. Die konstituierenden Faktoren für Zugehörigkeit und Kohäsion sind sehr stark an Subjektivität und Emotionalität gebunden und können so schwer erfasst werden. Identifikation, Selbstverständnis und Positionierung im sozialen Raum werden durch ein Gefühl der, aber auch durch ein kognitives Wissen um, Zugehörigkeit unterstützt. Für das Selbstverständnis eines Individuums reicht dabei auch ein subjektives Zugehörigkeitsempfinden aus, das nicht unbedingt einer interpersonalen Interaktion mit der In-Group bedarf.49 Der überschaubare Rahmen des in dieser Arbeit untersuchten Feldes bedingt jedoch diesen unmittelbaren Umgang der Einzelpersonen miteinander. Das Empfinden von bzw. auch das Wissen um Zugehörigkeit ist damit von Faktoren der Kommunikation, Teilhabe aber auch der sozialen Kontrolle beeinflusst. Die religiöse Sprache und das gemeinsame religiöse Symbolsystem bieten dabei den Bezugspunkt für geteilte Bedeutungsstrukturen, die es erlauben, sich selbst und sein Handeln in den Kategorien der religiösen Gruppe zu deuten und zu steuern. Gerade gemeinsame Sprachspiele und Begrifflichkeiten haben großen Einfluss auf Zugehörigkeit und erlauben ein Verstehen und gemeinsames Interpretieren von Vorgängen.50 Die geteilte Teilhabe an religiösen Riten, religiöser Sprache und die Übereinkunft über bestimmte Lebensweisen bilden dabei ein ideales Feld, um nicht zuletzt durch die damit verbundenen Grenzziehungen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe in das persönliche Selbstverständnis zu integrieren, so dass dieses durch die Gruppe auch mitgeformt wird. Religionen bieten also neben geteilter Symbolik auch einen institutionellen Rahmen, der durch verbindliche Räume und Zeiten Zugehörigkeit und Kohäsion schafft. Dabei ist jedoch zugleich zu bedenken, dass diese Zugehörigkeiten, ähnlich wie die Grenzen, die sie umfassen, brüchig, veränderbar und situativ sind. Sie sind eine 47 Vgl. Gephart, Zur Bedeutung der Religionen für die Identitätsbildung, 237. 48 Lamont/Molnár, The Study of Boundaries, 174. 49 »[A] sense of involvement, concern and pride can be derived form one’s knowledge of sharing a social category membership with others, even without necessarily having close personal relationships« (Abrams/Hogg, Social identity approach, 3). 50 Vgl. Hogg, Michael: The Social Psychology of Group Cohesiveness. From Attraction to Social Identity, New York: Harvester 1992, 149.

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Frage von Performativität, Umständen und Kontingenz, sie sind nichts Gegebenes, sondern entwickeln sich prozesshaft. Ebenso ist bei der Frage nach Zugehörigkeit im Kontext religiöser Gemeinschaften mitzubedenken, dass nicht jede Art von religiöser Gemeinschaft auf starke Gemeinschaft und Zugehörigkeitsgefühle abzielt und diese gezielt fördert. So hat etwa Penny Becker in ihrer Studie über verschiedene christliche Gemeinden vier Modelle des Gemeindelebens definiert, in denen Zugehörigkeit unterschiedlich betont wird. Während etwa das community- und das family-model Zugehörigkeit und enge Beziehungen in der Gruppe als essentiellen Teil ihrer pastoralen Praxis betrachten, werden im worship- und leader-model das Ritual bzw. spirituelle Autorität in den Mittelpunkt gestellt.51 Bei aller Bedeutung, die religiöse Gemeinschaften für Zugehörigkeitsgefühle haben können, ist auch zu fragen, wie stark diese in einem konkreten Kontext wirklich sind. Zudem ist zu betonen, dass genauer von ›Zugehörigkeiten‹ im Plural gesprochen werden muss. Da Zugehörigkeit sich immer auch durch Abgrenzung von anderen konstituiert, machen sich in unterschiedlichen Konstellationen unterschiedliche Zugehörigkeiten stärker bemerkbar : Frau, Christin, Österreicherin, Firmenmitarbeiterin etc. – verschiedene Zugehörigkeiten werden je nach Situation und sozialem Kontext unterschiedlich relevant und betont. Für die Forschungsarbeit bedeutet dies, eine Person nicht auf eine bestimmte Zugehörigkeit zu reduzieren und den Einfluss anderer Zugehörigkeiten mit zu berücksichtigen. »Darüber hinaus ist die Performanz multipler Zugehörigkeiten ebenfalls an der Tagesordnung«52. Gerade in der Wahrnehmung und im Umgang mit dem Körper wäre es übereilt, nur religiöse Kategorien anzunehmen, über die Praxis definiert wird, vielmehr ist sorgfältig auf kulturelle, ethnische oder altersbedingte Einflüsse zu achten.

51 Vgl. Becker, Penny : Congregations in Conflict. Cultural Models of Religious Life, Cambridge: CUP 1999, 7–14. 52 Dahinden, Janine: Soziale Netzwerke und Zugehörigkeiten. Eine schweizerische Kleinstadt in Zeiten der Globalisierung, in: Tsantsa 12 (2007) 129–135, 130.

2.

Die Siebenten-Tags-Adventisten im Kontext der Freikirchen

In diesem Kapitel folgt eine übersichtliche Darstellung von Geschichte und Theologie der Siebenten-Tags-Adventisten, die zuvor durch eine Analyse des Freikirchenbegriffs kontextualisiert wird.

2.1

Begriff und Geschichte der Freikirchen

Der Begriff ›Freikirche‹ (free church) ist nicht klar definiert und eher als historisch gewachsener Gewohnheitsausdruck zu verstehen denn als wissenschaftliche Kategorie. Dazu kommt, dass der Ausdruck selbst weitaus jünger ist als das mit ihm bezeichnete Phänomen: Während der Sache nach die Gemeinschaft der Mennoniten im 16. Jahrhundert als erste Freikirche gelten kann,53 wird erst im 19. Jahrhundert von einer free church (Thomas Chalmers in Schottland) bzw. einer 8glise libre (Alexandre Vinet in der Schweiz) gesprochen.54 Der Begriff wird also nachträglich um bestehende Gemeinschaften gelegt, die sich in ihrer Konstituierungsphase nicht selbst als ›Freikirche‹ bezeichneten. Bei allen Differenzen lassen sich aber doch Elemente sowie historische Wurzeln ausmachen, die helfen können, den Freikirchenbegriff zu beleuchten und mit Inhalt zu füllen.

2.1.1 Eine freie Kirche Zunächst ist sicherlich Fernando Enns Recht zu geben, wenn er dem vereinheitlichenden Begriff der ›Freikirche‹ die Realität einer ›Pluralität von Deno53 Vgl. Voigt, Freikirchen in Deutschland, 53. 54 Vgl. Geldbach, Erich: Freikirchen – Erbe, Gestalt und Wirkung, Darmstadt: Vandenhoeck & Ruprecht 22005 (= Bensheimer Hefte 70), 31.

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Die Siebenten-Tags-Adventisten im Kontext der Freikirchen

minationen‹ entgegensetzt.55 Es liegt im Selbstverständnis dieser Gemeinden, dass sie sich selbst als ›Denominationen‹, also ›Benennungen‹ verstehen, die nicht unbedingt ein spezifisches Wesen (wie etwa ›katholisch‹ oder ›orthodox‹) zum Ausdruck bringen wollen, durch das sie definiert sind. Im Kontext der branch theory verstehen sie sich als differenzierte Ausformungen eines auf derselben Wurzel beruhenden Christentums. Bestimmte Elemente der Denomination nähern sich dem an, was Max Weber und Ernst Troeltsch (ohne die heutige Abwertung, die damit verbunden ist) als ›Sekte‹ bzw. ›protestantische Sekte‹ bezeichnet haben.56 Zugleich eignet ihnen aber eine gewisse Kirchlichkeit. Typische Momente der Sekten-Organisation, wie sie Weber beschreibt – Freiwilligkeit der Zugehörigkeit, die Souveränität der Einzelgemeinde, die Bedeutung der Gemeindezucht,57 die Betonung der Laien gegen eine priesterliche Hierarchie sowie das Prinzip der Geschwisterlichkeit58 – werden in eine kirchliche Institution eingefasst und strukturiert, Elemente der Weltbejahung und ein (je nach Größe der Gemeinschaft) Abrücken von besonderer Strenge treten als Elemente des Kirchlichen hinzu und formen mit der Denomination einen Zwischentypus aus Sekte und Kirche. Eine solche Entwicklung ist nach Troeltsch nicht als Verfall zu sehen, vielmehr scheint eine gewisse kirchliche Organisation notwendig zu sein, um als Gemeinschaft über die Zeit fortbestehen zu können.59 Irritierend für die europäische Öffentlichkeit erscheint zweifelsohne die unerhörte Vielfalt an Kirchen und Gemeinden. Gerade wenn von ›dem Christentum‹ oder, etwa in Deutschland, von ›den beiden christlichen Kirchen‹ gesprochen wird, wirkt die Mannigfaltigkeit und Unabhängigkeit der Gemeinschaften zunächst als Widerspruch auch zur Idee der ›einen‹, geeinten Kirche Jesu Christi, wie sie vor allem im Katholizismus als Ideal gilt. Die Wiederentdeckung der Heiligen Schrift im Mittelalter und im Besonderen in der Reformation hat es nicht zuletzt ermöglicht, die Autorität der Bibel gegen eine zentralisierte und hierarchische Autorität ins Feld zu führen, das katholische Pastorat ›kurzzuschließen‹ und aus der Vielfältigkeit der Heiligen Schrift eine 55 Vgl. Enns, Fernando: Friedenskirche in der Ökumene. Mennonitische Wurzeln einer Ethik der Gewaltfreiheit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003, 108. Als ›Denominationen‹ (Benennungen) wurden im US-amerikanischen Kontext Glaubensrichtungen innerhalb des evangelischen Spektrums bezeichnet, nicht zuletzt, um den negativ konnotierten Ausdruck ›Sekte‹ zu vermeiden. Heute wird der Begriff auch im Sinne von ›Konfession‹ verwendet. 56 Nicht zuletzt durch eine gewisse mediale Inszenierung ist der Begriff der ›Sekte‹ heute derart negativ besetzt, dass seine Verwendung kaum noch möglich scheint. Jetzt und in der Folge soll der Sektenbegriff immer nur im Sinne Webers und Troeltschs zu verstehen sein. 57 Das heute kaum geeignete Wort ›Zucht‹ ist die Übersetzung von Calvins disciplina, es geht also in erster Linie um eine Ordnung der Gemeinschaft, die freilich auch eine Strafinstanz beinhaltet, die aber nicht das Zentrum der Überlegungen ist. 58 Weber, Die protestantische Ethik, 106. 59 Vgl. Troeltsch, Soziallehren der christlichen Kirchen, 980.

Begriff und Geschichte der Freikirchen

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Vielfältigkeit der christlichen Existenz zu begründen. Mit DaniHle HervieuL8ger kann von einer Verschiebung der Validation des Glaubens gesprochen werden: Die Bestätigung der Wahrheit von Glaubensvorstellungen wird in dieser Entwicklung nicht mehr institutionell, also über Konformität mit einer herrschenden Autorität, erreicht, sondern durch Kohärenz mit einer Gemeinschaft, die sich als authentisch nach der Bibel lebend versteht. Die Vielfältigkeit der biblischen Hermeneutik begründet damit aber auch eine strukturelle Tendenz zur Pluralisierung, welche die Gefahr einer Atomisierung in unzählige Kleinstkirchen beinhaltet.60 Diese Entwicklung ist derzeit in den USA zu beobachten, wo es zuletzt einen starken Trend zu konfessionell völlig unabhängigen Einzelgemeinden gegeben hat.61 Ein historischer Abriss über die Entwicklung der Freikirchen kann diesen Prozess erleuchten, bevor daraus Elemente eines Freikirchenbegriffs gewonnen werden sollen, im Bewusstsein, dass dies nur eine mögliche Perspektive zu diesem komplexen Feld sein kann.

2.1.2 Historische Entwicklung Die Basis der historischen Entwicklung der Freikirchen bildet die Reformation, »die größte Verhaltensrevolte, die das christliche Abendland erfahren hat«62. Gestützt auf die Autorität der Bibel war es möglich, Christentum anders und gegen die Definitionsgewalt des Klerus zu interpretieren. Die Heilige Schrift konnte sogar unmittelbar gegen das Papsttum eingesetzt werden, etwa in Luthers Auslegung der Offenbarung des Johannes, die den Papst mit dem Antichristen identifizierte. Es ist jedoch so etwas wie die Dialektik der Reformation, dass die Entkoppelung der Schriftdeutung von der klerikalen Macht Luther zwar erlaubte, die Bibel anders als die offizielle Theologie zu lesen, gleichzeitig war es damit aber auch anderen möglich, sie unterschiedlich zu Luther zu interpretieren. Die verschiedenen Täuferbewegungen waren ein erster Bruch mit Luthers Ansichten, sein Arrangement mit den weltlichen Mächten und die Tragödien im Zuge der Bauernaufstände weitere Gründe, ihm nicht vertrauensvoll zu folgen. Unmittelbar nach der Katastrophe von Münster 1535 unter dem Terrorregime 60 Vgl. Hervieu-Léger, DaniHle: Pilger und Konvertiten. Religion in Bewegung, Würzburg: Ergon 2004, 145–146. 61 Würde man alle unabhängigen protestantischen Einzelgemeinden zu einer eigenen Denomination der ›Independents‹ zusammenfassen, wäre diese die zweitgrößte Konfession der USA hinter dem Katholizismus, vgl. Chaves, Mark: American Religion. Contemporary Trends, Princeton: PUP 2011, 57–59. 62 Foucault, Michel: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität. 1, Frankfurt: Suhrkamp 2006 (= stw 1808), 284.

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des selbsternannten messianischen Königs Jan van Leiden (1509–1536) formte der niederländisch-friesische Theologe Menno Simons (1496–1561) eine pazifistische Täuferbewegung, die sich sowohl in der Frage der Taufe als auch in ihrem Verhältnis zum Staat von den Positionen der lutherischen Kirche unterschied und auf eine strikte Unterscheidung von Welt und Kirche Wert legte. Das Konzept der Landeskirche wurde zurückgewiesen.63 Die Mennoniten wurden so zur Vorform einer Freikirche im Sinne einer deklarierten Unabhängigkeit von der weltlichen Macht.64 Dieses Ideal der vom Staat klar getrennten Kirche, also auch ohne den Anspruch, Volks- oder Nationalkirche zu sein, stammt somit weniger vom Luthertum als von den Täufern und dem Reformiertentum65 ab. Zu erwähnen ist hier auch die Bewegung der Schweizer Brüder, die im Umfeld von Huldrych Zwingli (1484–1531) entstand. Bis zur Forderung nach Religions- und Gewissensfreiheit war es zu diesem Zeitpunkt freilich noch ein langer Weg. Eine zweite bedeutsame Wurzel des Freikirchentums waren die alternativen Ekklesiologien des englischen Puritanismus und des schottischen Presbyterianismus. Die Grundlage dieser Entwicklung war der von John Knox (~1514– 1572) in Schottland popularisierte Begriff des covenant, also des ›Bundes‹ als freiwillige Verpflichtung des Menschen Gott sowie seinen Glaubensgenossen gegenüber. Durch diese Verpflichtung wurde der Mensch losgelöst von der Idee der National- oder Volkskirche »durch das Bundesangebot Gottes zum mündigen Individuum mit Wahlfreiheit«66. Kirche wurde so nicht mehr durch Nation, Landesgrenzen oder Herrschaft definiert, sondern als freie Gemeinschaft der Heiligen. Dadurch wurde ein presbyterianisches Kirchenmodell etabliert, das synodal strukturiert war : Die einzelnen zum Bund geeinten Gemeinden wurden durch Vorstände geleitet, die von ihnen gewählt oder bestätigt wurden. 63 Fast, Heinold: Von den Täufern zu den Mennoniten, in: Goertz, Hans-Jürgen: Die Mennoniten, Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk 1971 (= Die Kirchen der Welt VIII), 11–27, 23–25. 64 »The Mennonites have come to represent the attitude most purely, since they not only renounce all participation in politics and refuse to be drawn into military service, but follow their own distinctive customs and regulations in economics and education.« Niebuhr, Richard: Christ & Culture, New York: HarperCollins 2001, 56. 65 Harm Klueting spricht von ›Reformiertentum‹ anstelle von ›Calvinismus‹, da viele Bewegungen sich zwar von Calvins Lehren inspirieren ließen, aber mit ihm auch in wesentlichen Fragen, vor allem in der praedestinatio duplex, nicht konformgingen, weshalb der Begriff ›Calvinismus‹ eine zu starke Bindung an Calvin suggeriert, vgl. Klueting, Harm: Freikirchen und Calvinismus im 16. und 17. Jahrhundert, in: Freikirchenforschung 11 (2001) 16– 35, 19. Zur Kirchenlehre und dem Ideal der Bekenntniskirche bei Calvin vgl. auch Busch, Eberhard: Gotteserkenntnis und Menschlichkeit. Einsichten in die Theologie Johannes Calvins, Zürich TVZ 2005, 87–110. 66 Beutel, Harald: Die Sozialtheorie Thomas Chalmers und ihre Bedeutung für die Freikirchen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007 (= Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie 52), 35.

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Ebenso bedeutsam wie dieses Kirchenmodell wurde für die Geschichte der Freikirchen der Kongregationalismus Robert Brownes (1550–1633), der das Prinzip der Autonomie der Einzelgemeinde verfocht und die Fernhaltung von jeder weltlichen Macht forderte.67 Im Unterschied zur schottischen Bundestheologie bestand für ihn die sichtbare Kirche ausschließlich aus Ortsgemeinden, die keine übergeordnete, beispielsweise synodale, Instanz kannten. Da beiden Systemen durchaus verwandte Gedankengänge zu Grunde lagen, bildeten sich sehr schnell Mischformen aus, etwa Verbände kongregationalistisch organisierter Gemeinden, die regelmäßige Synoden abhielten, ohne diese jedoch allzu stark zu institutionalisieren. Kirche wurde zur freien Willensgemeinschaft, wenngleich in freikirchlicher Theologie Kirche nicht einfach ein Produkt eines reinen Voluntarismus ist, sondern diesem Willen das Gnadenwirken Gottes vorangeht.68 Auch das Bundesangebot geht in dieser Deutung zunächst von Gott aus. Mit der Loslösung von der Institutionalisierung des Heils in einer Großkirche wird der Lebenswandel zum neuen Angelpunkt des Heilsverständnisses. Nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer Großkirche, sondern die individuelle, rationalisierte, sittliche Lebensführung wird zum Ort der Heilsvermittlung: »Die ethische Praxis des Alltagsmenschen wurde so ihrer Plan- und Systemlosigkeit entkleidet und zu einer konsequenten Methode der ganzen Lebensführung ausgestaltet.«69 Damit verstärkte und beschleunigte die reformatorische bzw. freikirchliche Theologie den ab dem 12. Jahrhundert auftretenden Prozess religiöser Individualisierung. Als dritte wesentliche Grundlage der Entwicklung der Freikirchen ist der Pietismus zu nennen. Ausgehend von der Botschaft der Bundestheologie wurde die individuelle Frömmigkeit noch einmal intensiviert, »um die tiefe Kluft zwischen den im Geiste Wiedergeborenen und der unerlösten Masse der Bevölkerung zu betonen [und] höchsten moralischen Anforderungen gerecht zu werden«70. Vorbereitet durch die englischen Enthusiasten, die von William Ames (1576–1633) inspirierte Nadere Reformatie in den Niederlanden sowie durch die Schriften Johann Arndts (1555–1621), propagierte der Lutheraner Philipp Jakob Spener (1635–1705) die Bedeutung der Heiligkeit im persönlichen Leben als Zeichen wahren Glaubens und machte Begriffe wie ›Wiedergeburt‹, ›Bekehrung‹ oder ›Erneuerung‹ zu zentralen Werten einer tiefen, inneren und auf die Heilige Schrift gestützten Frömmigkeit.71 Auch der Pietismus trug zu einer weiteren 67 68 69 70 71

Vgl. Troeltsch, Soziallehren der christlichen Kirchen, 740–743. Vgl. Geldbach, Freikirchen, 39. Weber, Die protestantische Ethik, 115. MacCulloch, Diarmaid: Die Reformation. 1490–1700, München: DVA 2008, 517. Friedrich, Martin: Philipp Jakob Spener – Leben, Werk, Bedeutung, in: Wendebourg, Dorothea: Philipp Jakob Spener – Leben, Werk, Bedeutung. Bilanz der Forschung nach 300 Jahren, Tübingen: Niemeyer 2007 (= Hallesche Forschungen 23), 1–16. Bei aller Hochach-

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Aufwertung der Laien und zur Verinnerlichung und Individualisierung der Religion bei. Spener stand für eine Spiritualität, die eine Verbesserung des christlichen Lebens »von der Formung der religiösen Subjektivität, dem Ausbau der inneren Welt, der Arbeit an Geist und Gewissen, der Neuausrichtung der Lebenspraxis erwartete und eben nicht mehr auf supranaturale Gnaden- und Sakramentswunder setzte«72. Auch Spener wandte sich wiederum gegen das etablierte Staatschristentum und verstand Kirche als freie Gemeinschaft der wiedergeborenen Schwestern und Brüder. Damit sind mit dem Täufertum (genauer mit deren verkirchlichter Bewegung der Mennoniten), dem Puritanismus und Presbyterianismus sowie dem Pietismus die wesentlichen Grundlagen der Entwicklung der Freikirchen genannt. Was noch fehlte, war die Erde, auf die diese fruchtbaren Samen fallen und wo sie zur Blüte gelangen sollten – die Neue Welt, Amerika.73 Wenn man Troeltschs Aussage folgt, dass ein einheitliches Kirchentum nur durch den Druck einer zentralen staatlichen Macht aufrechterhalten werden kann, so war Amerika nun der Ort, an dem diese mit einer bestimmten kirchlichen Tradition verbundene Macht fehlte. Damit stand der Pluralisierung und Entfaltung eines presbyterianisch-kongregationalistischen Christentums nur mehr wenig entgegen. Freilich war auch in den USA die religiöse Freiheit nicht von vornherein gegeben, vielmehr verfügten die einzelnen Kolonien bezüglich der Religionsausübung über durchaus rigide Gesetze. Eine Trennung von Kirche und staatlicher Macht im modernen Sinn wurde in manchen amerikanischen Bundesstaaten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführt.74 Dennoch trug die Offenheit des neuen Landes schnell die Früchte der von vielen als Ideal betrachteten religiösen Freiheit, die eine selbstbestimmte religiöse Existenz sowohl unabhängig von einer staatlichen Ordnung als auch von Mehrheitskirchen ermöglichte. Die amerikanischen Kolonien wurden zum Fluchtpunkt religiös Marginalisierter und boten zugleich immer mehr das geeignete Umfeld für eine weitere Differenzierung in religiöse Gemeinschaften und Kirchen, da in der Offenheit der amerikanischen Gesellschaft dezentral organisierte, flexible und von Europa unabhängige

tung der Bibel hielt man zu dieser Zeit auch im Protestantismus für das einfache Volk den Katechismus durchaus für ausreichend. 72 Gräb, Wilhelm: Spener und der Neuprotestantismus, in: Wendebourg, Dorothea: Philipp Jakob Spener – Leben, Werk, Bedeutung. Bilanz der Forschung nach 300 Jahren, Tübingen: Niemeyer 2007 (= Hallesche Forschungen 23), 227–240, 235. 73 Vgl. Hochgeschwender, Michael: Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt: Verlag der Weltreligionen 2007, 32–60; dazu vor allem auch Finke, Roger/Stark, Rodney : The Churching of America, 1776–2005. Winners and Losers in Our Religious Economy, New Brunswick: Rutgers UP 2005, 25–116. 74 Vgl. Riesebrodt, Cultus und Heilsversprechen, 246.

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Kongregationen im Vorteil waren.75 Die Immigration von Mennoniten, Baptisten und Quäkern (welche die Reduktion aller institutionellen kirchlichen Formen besonders forcierten) im 17. Jahrhundert förderte den Pluralismus, und nach dem schleichenden Niedergang des Puritanismus sorgten die pietistisch inspirierten Erweckungsbewegungen und Bibelbewegungen im 18. Jahrhundert für den Prozess, der, oftmals etwas verklärt, Great Awakening genannt wird. Es passt ins Bild, dass auch die eigentlich als innerkirchlich konzipierte anglikanische Erweckungsbewegung John Wesleys sich in den USA zu einer eigenständigen Gemeinschaft entwickelte, die als ›Methodisten‹ heute eine der bedeutendsten Freikirchen bildet.76 Das methodistische Kirchenmodell des Connectionalism, welches den einzelnen Gemeinden ein hohes Maß an Eigenverantwortung zugesteht, diese zugleich jedoch in ein übergeordnetes System aus Konferenzen einbindet und durch reisende Prediger auf verschiedenen Organisationsebenen ein Miteinander-verbunden- und Aufeinander-verwiesen-Sein zum Ausdruck bringt, wurde maßgebend für die Organisationsform einer Reihe von Freikirchen, wie der in dieser Arbeit behandelten Siebenten-Tags-Adventisten, ebenso der Heilsarmee, der Kirche des Nazareners sowie auch der Herrnhuter Brüdergemeinde.77 Wenngleich also die Wurzeln des Freikirchentums in Europa lagen, so bedurfte es erst der gesellschaftlichen Situation in Nordamerika um diese wirklich fruchtbar werden zu lassen. Die Religionsfreiheit, nicht im Sinne von Toleranz, sondern als verbindliches Grundrecht aller, wie sie in der Bill of Rights verfügt wurde, vollendete diese Entwicklung: »Die Vereinigten Staaten wurden das Land des Freikirchentums.«78 Mit dem 19. Jahrhundert setzte schließlich eine verstärkte weltweite Missionsbewegung ein, die auch Europa erfasste. Ideologisch, organisatorisch und finanziell gestärkt fassten die Freikirchen – trotz unzähliger anfänglicher Repressalien – im alten Kontinent erneut Fuß. Die als ›amerikanische Eindringlinge‹ diffamierten Freikirchen brachten in Wahrheit alte, ursprünglich europäische Ideen zurück. Eine freikirchliche Tradition in Europa konnte sich bis dahin vielmehr allein aus kirchen- und machtpolitischen Gründen nicht entwickeln. Im Hinblick auf historische Einflüsse des Freikirchentums ist zudem auch die Bedeutung lokaler oder gruppenspezifischer Traditionen nicht zu unterschätzen. Die pastorale Flexibilität erlaubt eine leichtere Integration solcher Elemente

75 Vgl. das Kapitel ›The Upstart Sects Win America‹ in: Finke/Stark, The Churching of America, 55–116. 76 Vgl. Bishop, John: Methodist Worship, Princeton: SSP 1975, 66–68; Weber, Die protestantische Ethik, 84. 77 Vgl. Voigt, Freikirchen in Deutschland, 35–37. 78 Geldbach, Freikirchen, 69.

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in die Gemeinden, wie es beispielsweise in Lateinamerika, Afrika oder bei der schwarzen Bevölkerung in den USA geschah. Relevant und prägend für die Geschichte der Freikirchen vor allem im 20. und 21. Jahrhundert ist zudem das Aufkommen von Pfingstkirchen, deren Fokus auf die Wirkungen des Heiligen Geistes auch andere, nicht nur freikirchliche, Denominationen in verschiedenen sogenannten ›charismatischen‹ Bewegungen und Varianten beeinflusst hat. Pfingstliche und charismatische Kirchen und Bewegungen erfahren steigenden Zulauf und erweisen sich vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien als neue christliche Kraft, »die sich klar von früheren Kategorien der östlichen Orthodoxie, des Römischen Katholizismus, des Protestantismus und anderer unterscheidet«79.

2.1.3 Freikirchengeschichte unter dem Blickpunkt des ›Gegen-Verhaltens‹ In seiner Vorlesung zur Geschichte der Gouvernementalität führte Michel Foucault 1977 den Begriff des ›Gegen-Verhaltens‹ (contre-conduite) ein, und zwar im Kontext der Analyse der (katholisch-)kirchlichen Pastoralmacht.80 Foucault definiert ›Pastoralmacht‹ als die spezifische Ausformung des Verhältnisses des christlichen Pastors zu seiner ›Herde‹, die auf Basis der Verbindung von Sakramentarmacht und kirchlicher Rechtsprechung eine unmittelbare Heilswirkung des Pastors für die christliche Gemeinde vorsieht. Diese »Kunst, die Menschen zu regieren«81 erlaubte dem Pastor die Seelenführung eines jeden Mitglieds seiner Herde durch den Einsatz einer »individuellen, erschöpfenden, totalen und permanenten Gehorsamsbeziehung«82 und durch die Beichte als »Technik zugleich der Macht, der Untersuchung, der Erforschung des Selbst und der anderen«83. Daraus ergibt sich ein Status des Gehorsams gegenüber dem klerikalen Hirten, der kein zielgerichteter Gehorsam ist (also im Sinne eines Gurus oder Meisters, in dessen Verfügungsgewalt man sich nur bis zum Erreichen eines spirituellen Ziels begibt), sondern ein dauerhafter. Dieses Modell der Seelenführung (regimen animarum) geht davon aus, »dass jedes Individuum unabhängig von seinem Alter, von seiner Stellung sein ganzes Leben hindurch und bis ins Detail seiner Aktionen hinein regiert werden müsse und sich re79 Gerloff, Roswith: Aufbruch der Christenheit in globaler Perspektive. Kirchen des Geistes im kulturellen und sozialen Kontext, in: Freikirchenforschung 19 (2010) 160–171, 161. 80 »Was ich Ihnen vorschlagen werde, ist das zweifellos schlecht konstruierte Wort vom ›GegenVerhalten‹ [contre-conduite].« Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, 292. 81 Ebd., 241. 82 Ebd., 267. 83 Ebd.

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gieren lassen müsse […] zu seinem Heil«84. Die Kirche wird so zu einer massenbeherrschenden Institution, die zugleich das tiefste Innere des Individuums durchdringt oder überhaupt erst diskursiv erzeugt. Folgt man Foucault weiter, ergeben sich in diesem System bestimmte Widerstandspunkte, die gegen diese Form der Verhaltensführung eben ein GegenVerhalten ermöglichen können, in dem Wunsch, »nicht dermaßen regiert zu werden«85. Die alte Macht des Pastorats, die sich nach Foucault auch im Luthertum wieder etabliert, kann durch eine kritische Haltung und ein entsprechendes Verhalten abgeschüttelt werden. Foucault nennt fünf historische Widerstandspunkte gegen das Pastorat,86 und es zeigt sich, dass die Entwicklung und die Spezifik von Freikirchen, und im speziellen auch der Siebenten-TagsAdventisten, über die Idee der Selbst-Konstituierung durch ein bestimmtes Verhalten begriffen werden kann: »Man kann Freikirchen, wie ihre Entstehung nahe legt, als Protestbewegungen verstehen.«87 Gemeinschaften Das erste Moment des Gegen-Verhaltens ist die Bildung von Gemeinschaften und deren selbsterklärte Autonomie von der Pastoralmacht. Sie speist sich aus der Ablehnung der Autorität des geweihten, priesterlichen Pastors und seiner Sakramentarmacht, dadurch fallen Elemente wie Kindertaufe, eucharistische Realpräsenz, Beichte und die strikte Trennung von Klerus und Laien durch die Weihe. Der Pastor wird nun durch den Gemeinschaftswillen zu einem solchen, nicht durch ein Sakrament. Gerade Freikirchen betonen das Priestertum aller Gläubigen und die Zurückweisung einer theologischen Beherrschung der Gemeinde durch Klerikalismus und Ämter : Kirche entsteht durch die Praxis der Kreuzesnachfolge, nicht um ein Bischofsamt. Gegen die Institutionalisierung wird der geschwisterliche Geist der Ur-Kirche beschworen, wie er in der Apostelgeschichte beschrieben wird.88 Anstelle der Beichte und Absolution 84 85 86 87

Foucault, Michel: Was ist Kritik?, Berlin: Merve 1992, 9–10. Ebd., 12. Vgl. Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, 296–311. Geldbach, Freikirchen, 36; dazu auch Strübind, Andrea: ›Widerstandsrecht‹ als elementares Thema in der freikirchlichen Tradition, in: ZThK 10 (2005) 162–192. 88 »Die nun sein Wort aufnahmen wurden getauft; und es wurden an jenem Tag etwa dreitausend Seelen hinzugetan. Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten. Es kam aber über jede Seele Furcht, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle Gläubiggewordenen aber waren beisammen und hatten alles gemeinsam; und sie verkauften die Güter und die Habe und verteilten sie an alle, je nachdem einer bedürftig war. Täglich verharrten sie einmütig im Tempel und brachen zu Hause das Brot, nahmen Speise mit Jubel und Schlichtheit des Herzens, lobten Gott und hatten Gunst beim ganzen Volk. Der Herr aber tat täglich hinzu, die gerettet werden sollten.« (Apg 2,41–47)

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macht der Einzelne im individuellen Gebet seinen Frieden mit Gott. Hier wird ein alternatives Modell kirchlichen Lebens gegen die etablierte Struktur gesetzt: Das Selbstverständnis als Realisierung einer, wenn auch idealisierten, freien UrKirche ist vielen Freikirchen eigen, die Reflexion über die eigene historische Bedingtheit daher oft noch wenig ausgeprägt.89 Auch der Pietismus als wichtiger Vorläufer der modernen Freikirchen sah in der Ur-Kirche die irdische Vollkommenheit verwirklicht. Heilige Schrift Der zweite Widerstandspunkt gegen die Pastoralmacht ist die Heilige Schrift. Die Bibel wird zum Text, der ganz allein spricht und daher keinen Klerus als ihren Wächter benötigt und nur an bestimmten Orten und von bestimmten Personen gelesen werden darf. Die Heilige Schrift wird vielmehr zur Gegenautorität, die als lauter Widerspruch zur geltenden Ordnung geführt werden kann – »Luthers Papst war die Bibel«90, wie es Egon Friedell formuliert hat. Die Bedeutung der Bibel in der Reformation und vor allem im Pietismus ist kaum zu überschätzen, verbreitet wird auch in Freikirchen der biblische Text absolut gesetzt und kaum historisch-kritisch bearbeitet: Der Versuch, unmittelbar an die Bibel anzuknüpfen, hat dazu geführt, dass im Vergleich zu den Volkskirchen gelehrte theologische Reflexionen nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Man findet im Freikirchentum kaum ausgearbeitete theologische Ansätze. […] In den Volkskirchen stützt man sich bei der Beantwortung theologischer Fragen oft auf die Argumente prominenter Theologen; in den Freikirchen dagegen versucht man, unmittelbar an die Bibel anzuknüpfen.91

So geht eine Autorisierung Gottes mit einer Autorisierung der Heiligen Schrift als dessen Form der ›Erziehung‹ einher und verlangt eine entsprechende Folgsamkeit, wobei diese Autorität gegen die menschliche Autorität des Pastorats gesetzt werden kann. Askese Diese Motivation des Handelns steht in einem Zusammenhang mit der asketischen Praxis. Gegen die Weltbeherrschung der Kirche, die der Askese nur bestimmte Räume und Zeiten zuweist, führt ein Gegen-Verhalten zur Pastoral89 Vgl. Geldbach, Freikirchen, 17; 107; 166. 90 Friedell, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit, Zürich: Diogenes 2009, 343. [i. O. tw. kursiv] 91 Brot, Damian: Kirche der Getauften oder Kirche der Gläubigen? Ein Beitrag zum Dialog zwischen der katholischen Kirche und den Freikirchen, unter besonderer Berücksichtigung des Baptismus, Bern: Lang 2002 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII, 751), 31.

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macht eine selbstgewählte und permanente Askese ein, die nicht einer Autorität unterstellt ist: »Die Askese erstickt den Gehorsam durch den Exzess der Vorschriften und Herausforderungen, die das Individuum auf sich selbst bezieht. […] Dem hat das Pastorat das Prinzip einer Unterwerfung und des Gehorsams gegenüber anderen hinzugefügt. Die Askese kehrt dieses Verhältnis nochmals und von neuem um, indem sie daraus eine Herausforderung der Übung des Selbst an sich selbst macht.«92

Während die Askese in der katholischen Kirche etwas Heroisches und Vergeistigendes darstellt, bedeutet sie nach Troeltsch in den sogenannten ›protestantischen Sekten‹ eine Alltagspraxis, die eine spezifische Identität hervorbringt.93 Die Askesepraxis der Klöster wurde so in den reformatorischen Kirchen auf das Laientum übertragen. In diesem Zusammenhang prägte Max Weber den Begriff der ›innerweltlichen Askese‹. Die asketische Praxis und die mit ihr verbundene Ethik stehen gegenüber einer Dogmatik klar im Vordergrund.94 Die Grundfragen des Gegen-Verhaltens – ›Wie sich verhalten? Wie sich selbst führen? Wie seine Kinder führen?‹ – werden hier gestellt und beantwortet. Die mit der Askese verbundene Kirchenzucht dient dabei als Zeichen der Wahrheit und Abgrenzung nach außen: »Weil es um die Ethik als gemeinschaftsbezogener Nachfolgeethik geht, ist Kirchenzucht Bestandteil der inneren Disziplin der Gemeinde und der Erziehung in der Gemeinde.«95 Die Hinwendung zum christlichen Leben »schließt für die F[reikirchen] die Heiligung des Lebens ein, auch die Reinhaltung der Gemeinde durch die Anwendung der Gemeindezucht«96. Eschatologie Als viertes Element des Gegen-Verhaltens nennt Foucault die Eschatologie bzw. Apokalyptik. Die Hoffnung auf eine Vollendung der Zeit durch ein direktes Eingreifen Gottes setzt Gott als wahren Pastor ein, der sich zum menschlichen Pastorat in einem Widerspruch befindet und dieses ablöst. Damit wird – wiederum befeuert durch die Heilige Schrift – eschatologisches Denken und dessen Symbolik gegen die alte Kirche gewendet, wie dies nicht zuletzt Luther tat, indem er den Papst mit dem Antichristen identifizierte.97 Für Freikirchen lässt sich 92 Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, 301. 93 Vgl. Troeltsch, Soziallehren der christlichen Kirchen, 373. 94 Vgl. Weber, Max: Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus, in: Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. I, Tübingen: Mohr 61972, 207–236, 212. 95 Geldbach, Freikirchen, 114. 96 Urban, Hans: Art. Freikirchen, in: LThK3 4 (1995) 116. 97 Vgl. Klän, Werner : ›…dass der Jüngste Tag unversehens komme‹. Gewissheit des Ausgangs und Unbestimmtheit des Zeitpunkts in Luthers Endzeiterwartung, in: Freikirchenforschung 11 (2001) 86–99.

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durchaus eine eschatologische Tradition konstatieren, die jedoch sehr diversifiziert ist.98 Mit der Ausnahme bestimmter Gemeinschaften, hier gerade die Siebenten-Tags-Adventisten, wird Eschatologie nicht zum Zentralthema von Freikirchen. Dennoch etabliert sich, nicht zuletzt im Hinblick auf Calvin und den Pietismus, eine implizite Eschatologie, die wiederum eine Frage der Ethik ist: Selbstheiligung, Askese und Bemühen um Erneuerung nehmen das Reich Gottes gleichsam vorweg und bereiten es vor.99 Gerade der Pietismus sah irdische Vollkommenheit als etwas Erreichbares und in der Ur-Kirche bereits Verwirklichtes an. Die Gestalt des Gottesreiches wurde somit als schon einmal realisiert und daher als wieder realisierbar gesehen, »die chiliastische Zukunftserwartung führte zu einem unermüdlichen aktiven Einsatz für das Reich Gottes in Familien- und Berufsarbeit«100. Im Hinblick auf ihre Ethik und ihre Loslösung von kirchlicher Macht hat Eschatologie damit auch in Freikirchen ihre Bedeutung, sie ist jedoch nicht als ihr zentrales Thema zu betrachten, was dem Adventismus in diesem Zusammenhang eine Sonderrolle gibt. In den evangelikalen und fundamentalistischen Bewegungen in den USA ist freilich eine Reaktualisierung von Naherwartungsvorstellungen zu beobachten, etwa in den Debatten um die sogenannte ›Entrückung‹ (rapture).

Mystik Auch das, was Foucault ›Mystik‹ nennt – ein zweifelsohne schillernder und unklarer Begriff – gehört als letzter Punkt zu den fünf Formen des Widerstands, die er skizziert. Foucault versteht Mystik als unmittelbare Erfahrung Gottes und als eine damit verbundene Selbsterkenntnis der Seele, die so die Aufdeckung der Seele durch die pastorale Praxis der Beichte unterläuft. Schon Troeltsch fand es »sehr schwer«, »Mystik gegen die Sekte richtig abzugrenzen« und stellt ihre Bedeutung für den Pietismus und den Puritanismus heraus, auch die »Kongregationalisten und Independenten sind […] ohne sie nicht zu verstehen«101. Schon zuvor hatte die Mystik Johannes Taulers sowie der Theologia deutsch (einer anonymen mystischen Schrift aus dem 14. Jahrhundert) einen großen Einfluss auf Luther. Doch am Ende führt die Mystik zu einer radikalen Indivi98 Vgl. Holthaus, Stephan: ›Unser Herr kommt!‹ Endzeitkonzepte in den Freikirchen des 19. Jahrhunderts, in: Freikirchenforschung 11 (2001) 100–119. Nach Holthaus wird erst im 19. Jahrhundert, ein Jahrhundert, in dem sich allgemein eine gesteigerte apokalyptische Aufmerksamkeit feststellen lässt, dieses Thema verstärkt aufgegriffen, vgl. ebd., 106. 99 Vgl. Kunz, Erhard: Protestantische Eschatologie. Von der Reformation bis zur Aufklärung, Freiburg: Herder 1980 (= Handbuch der Dogmengeschichte IV 7c), 32–37; 89–90. 100 Gleixner, Ulrike: Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, 25. 101 Troeltsch, Soziallehren der christlichen Kirchen, 849; 862.

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dualisierung, die von jener der Gemeindekonstituierung verschieden ist. Zudem unterminiert der unmittelbare geistige Umgang mit dem Göttlichen die Bedeutung der Gemeindedisziplin und der biblischen Gebote als Lebensregeln. Ein Enthusiasmus bis hin zur Zungenrede als unmittelbare Einwirkung Gottes, wie sie vor allem in Pfingstkirchen praktiziert wird, ist sicherlich die stärkste Verbindung von Freikirchentum und Mystik. Sie steht jedoch in bleibendem Widerspruch zur Gemeindebildung und Heiligung des Lebens und wird so von diesen begrenzt. Eine unmittelbare Erfahrung der göttlichen Wirklichkeit ist sicherlich bedeutsam für Freikirchen, nicht jedoch ein völlig individualisiertes religiöses Virtuosentum, das sich über alle äußeren und weltlichen Schranken erhebt. Mit der Bezugnahme auf Foucaults Begriff des ›Gegen-Verhaltens‹ sollte nicht nur eine zusätzliche Perspektive auf die Entwicklung von Freikirchen angeregt, sondern auch die Bedeutung von Religion als Praxis und als religiös motiviertes Verhalten noch einmal unterstrichen werden, die in dieser Arbeit eine besondere Rolle spielt. Mit Martin Riesebrodt kann Religion als Kombination verschiedener Arten von Praktiken aufgefasst werden, wobei den interventionistischen Praktiken – also der Kontaktaufnahme mit spirituellen Mächten – eine hervorgehobene, weil von anderen Systemen unterscheidende Bedeutung zukommt. Dazu kommen diskursive Praktiken – Theologie, Kommunikation, Diskussion – und schließlich verhaltensregulierende Praktiken, die eine religiöse Überformung des Alltags darstellen, also etwa Askese.102 Religion ist also wesentlich etwas, das getan wird und in dieser Praxis besteht.

2.1.4 Elemente eines Freikirchenbegriffs Es liegt auf der Hand, dass sich das Selbstverständnis und die Definition von Freikirchen heute wesentlich vom Begriff der Freiheit herleiten. ›Freiheit‹ wird dabei in einem doppelten Sinn gebraucht, zum einen als Freiheit der Gemeinde von staatlichem oder großkirchlichem Einfluss, zum anderen als Freiheit des Individuums, sich bewusst für die Zugehörigkeit zur Gemeinde zu entscheiden. Aus dieser Grundkonstellation lassen sich einige Elemente gewinnen, aus denen ein Freikirchenbegriff geformt werden kann – mit allen Einschränkungen, die der Diversität der verschiedenen Denominationen und unabhängigen Gemeinden geschuldet sind.

102 Vgl. Riesebrodt, Cultus und Heilsversprechen, 113–114.

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Die Siebenten-Tags-Adventisten im Kontext der Freikirchen

Freiheit von … Wie klargeworden sein dürfte, sind die Betonung der Unabhängigkeit von staatlichem oder großkirchlichem Einfluss und eine entsprechende Ekklesiologie wesentlich für die Entwicklung und das Selbstverständnis von Freikirchen. Der Prototypus dafür ist eine bestimmte Vorstellung von der UrKirche, wie sie in der Apostelgeschichte und in den Briefen des Neuen Testaments beschrieben ist. »Die Freikirchen wollen die Kirche Christi nach ihrem ursprünglichen und unveränderten Entwurf erbauen. Das erscheint ihnen nur möglich, wenn jedweder Einfluss des Staates und der dem Staat durch Geschichte, Vertrag oder konkretes Verhältnis nahen Kirchen ausgeschaltet ist.«103 Der Begriff der ekkles&a wird dementsprechend vor allem als ›Gemeinde‹ oder ›Versammlung‹ gedeutet und nicht im Sinne einer institutionalisierten Kirche. Entsprechend umstritten war die Verwendung des Wortes ›Kirche‹ in den verschiedenen Gemeinden. Die Sprachregelung ›ein Bund von Gemeinden‹ brachte den ekklesiologischen Ansatz besser zur Geltung als der durch seine institutionelle Geschichte geprägte Ausdruck ›Kirche‹. Die Aneignung des Wortes ›Kirche‹ (church bzw. 8glise) konnte so nur im schottischen (Thomas Chalmers) bzw. schweizerischen (Alexandre Vinet) und somit calvinistisch geprägten Kontext initiiert werden, wohingegen in England und Frankreich ›Kirche‹ klar mit der anglikanischen bzw. katholischen Kirche assoziiert und entsprechend abgelehnt wurde. Dies geht einher mit einer allgemeinen Ablehnung jeder theologischen Beherrschung der Gemeinde durch Klerikalismus und hervorgehobene Ämter und mit einer Trennung von Gemeindeleitung und Gemeindegewalt, die im Pastorat ursprünglich noch vereint war. Ein Nebeneffekt dieser independenten Haltung war zweifelsohne die Entwicklung einer allgemeinen Religionsfreiheit für alle Menschen. Diese wurde von freikirchlichen Bewegungen zuallererst zur Sicherung der eigenen Unabhängigkeit gefordert, hatte aber schließlich Auswirkungen für die Allgemeinheit.104 Die Unabhängigkeit vom Staat in rechtlicher, organisatorischer und auch finanzieller Hinsicht bedeutet dabei keine Staatsfeindlichkeit, lediglich einen Verzicht auf Weltgewinnung oder Weltbeherrschung, Freikirchen können durchaus politisch sehr aktiv sein.105 103 Bartz, Wilhelm: Freikirchen in Deutschland. Geschichte, Lehre, Ordnung, München: Spee 1973, 13. 104 »In social reform they accomplish what they did not intend. […] Protestant sectarians made important contribution to political customs and traditions, such as those which guarantee religious liberty to all members of a society.« Niebuhr, Christ and Culture, 67. 105 Vgl. dazu auch Walter, Christian: ›Sekten‹ und Freidenker als Motor der Modernisierung in den Staat-Kirche-Beziehungen, in: Lehmann, Hartmut: Religiöser Pluralismus im vereinten Europa, Göttingen: Wallstein 2005 (= Bausteine zu einer europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung 6), 173–199.

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Organisatorisch ist die Bedeutung der Einzelgemeinde zu betonen, die sich aus den oben skizzierten Ideen des Kongregationalismus und des Konnexionalismus speist. Die Selbstwahrnehmung als Verkörperung der Ur-Kirche, die sich unmittelbar von der Heiligen Schrift herleitet, erschwert dabei in ihrem ahistorischen Zugang die Reflexion über Zusammenhänge und Rezeptionen von Weltbildern und theologischen Gedanken der Entstehungs- und Entwicklungszeiten. Gerade wenn ein gewisser ›Kulturprotestantismus‹ einer Volksoder Landeskirche abgelehnt wird, sollte damit nicht die eigene ideengeschichtliche Kontextualität geleugnet werden. Auch Freikirchen assoziieren Christus und Christsein mit kulturellen Werten, etwa in Bezug auf Kosmologie, Gesellschaftsordnung, Sexualität oder Ernährung. Eine bestimmte Moralität und eine »konservativ-bürgerliche Haltung«106 wie auch theologische Ideen, die in Freikirchen rezipiert wurden (beispielsweise der Prämillennarismus) sind mit dem kultur- und ideengeschichtlichen Kontext von Freikirchen untrennbar verbunden. Die Tendenz, auch gesellschaftliche, philosophische oder politische Ideale auf Christus zu übertragen, ist immer gegeben. Dies birgt nicht zuletzt auch das Potenzial, politisch und ideologisch radikale christliche Gemeinden hervorzubringen, die mangels einer übergeordneten Instanz oder einer allgemein verbindlichen ›Verfassung‹ kaum Widerstand oder korrektives Eingreifen erfahren. Auch die Affinität zu Reichtum und persönlichem Erfolg lässt sich in manchen US-amerikanisch geprägten pfingstlich-charismatischen oder evangelikalen Gemeinden beobachten, dieser prosperity gospel erscheint aus Perspektive des Evangeliums ebenso fragwürdig. Freiheit zu … Neben der religiösen und politischen Unabhängigkeit ist die freie Entscheidung zur Mitgliedschaft der zweite und wohl noch bedeutendere Aspekt des Freiheitsbegriffes. Auch hier dient die Volks- oder Landeskirche, in die man ›hineingeboren‹ wird und in der die Taufe oftmals mehr als Geburtsfest denn als Aufnahme in die Gemeinschaft der Kirche erscheint, als Negativfolie. Im freikirchlichen Ideal wird die Gemeinde Gottes durch den freien, individuellen Willensentscheid begründet, wenngleich diesem Willensakt das Gnadenwirken Gottes vorangestellt wird, um einen bloßen Voluntarismus zu vermeiden. Das Individuum antwortet frei, bewusst und auf Basis seiner persönlichen Erfahrung auf das Bundesangebot Gottes: »Die persönliche und bewusste Entscheidung für den Glauben an Jesus Christus als Retter und Heiland ist absolute Bedingung für die Mitgliedschaft.«107 Harm Klueting schlägt daher als alternative Kennzeich106 Troeltsch, Soziallehren der christlichen Kirchen, 841. 107 Urban, Art. Freikirchen, 115.

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nung für den nicht unumstrittenen Begriff ›Freikirchen‹ den Ausdruck ›Entscheidungskirchen‹ vor.108 Dieser freien, bewussten Entscheidung geht eine persönliche Erfahrung voraus und gründet in ihr : Das Christentum wird zuerst und allermeist als eine Erfahrungsreligion erlebt. Der christliche Glaube ist weniger eine Sache des Kopfes als eine Herzensangelegenheit. Dies ist nicht so misszuverstehen, dass Kopf und Herz auseinander gerissen werden; vielmehr soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass […] eine Erfahrung beziehungsweise eine Kette von Erfahrungen einen Menschen zum Christen werden und bleiben lassen.109

Immer wieder wird das Freikirchentum dabei sehr eng an den Begriff der Konversion geknüpft, was jedoch nicht unproblematisch ist. Der moderne Konversionsbegriff entstammt dem Pietismus und ist dadurch mit der Geschichte des Freikirchentums, vor allem mit dem Methodismus, verbunden. Im modernen Evangelikalismus spielt er im Sinne eines radikalen, tiefen Einschnitts, der alte Spannungen und Krisenerfahrungen auflöst, eine bedeutsame Rolle. Dabei scheint freilich schon so etwas wie ein idealtypisches Skript der religiösen Gruppe zu existieren, an dem ein Subjekt seine Erfahrungsdeutung ausrichtet, damit sie überhaupt als Konversion akzeptiert wird.110 Diese Konversionsvorstellung erweist sich als für Freikirchen nicht immer brauchbar. Vielmehr muss man, wenn überhaupt, von einem Konversionsprozess ausgehen, in dem ein Individuum lernt, seine Lebensbezüge mit der Sprache und Symbolik einer religiösen Gemeinschaft in Einklang zu bringen und sie entsprechend zu deuten und daraus Sinn zu beziehen.111 Es geht um eine Änderung der Lebenspraxis und des Verhaltens, nicht um eine plötzliche Transformation der Persönlichkeit. Es wäre also vermessen, sämtliche Mitglieder einer Freikirche als ›Bekehrte‹ zu verstehen, auf die ein einfaches pietistisches Konversions-Skript anwendbar ist. Die Lebensführung und Lebensdeutung an den kirchlichen Idealen auszurichten ist im Normalfall ein Prozess, der vor der Entscheidung zur Mitgliedschaft beginnt und sich auch nach dieser fortsetzt. Relevant für die Zugehörigkeit zur 108 Vgl. Klueting, Freikirchen und Calvinismus, 19. Alternativ wird vor allem im englischen Sprachraum auch der Ausdruck believers’ church verwendet, sofern nur Gläubige Teil der kirchlichen Gemeinde sind. Auch dies verlangt am Ende eine Entscheidung zur Mitgliedschaft. Die Problematik des Ausdrucks ›Entscheidungskirche‹ liegt m. E. in der Reduktion auf ein einmaliges Ereignis der Entscheidung. Am Ende ist kein Begriff wirklich erschöpfend, der Prozess des Glaubens, die Bedeutung der Entscheidung und die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft sind allesamt wichtige Komponenten des Freikirchentums. 109 Geldbach, Freikirchen, 37. 110 Vgl. Riesebrodt, Cultus und Heilsversprechen, 218. 111 Vgl. Stromberg, Peter : Konversion und das Zentrum der moralischen Verantwortlichkeit, in: Knoblauch, Hubert/Krech, Volkhard/Wohlrab-Sahr, Monika (Hg.): Religiöse Konversion. Systematische und fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive, Konstanz: UVK 1998 (= Passagen & Transzendenzen 1), 47–64, 61.

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Gemeinschaft bleibt die Entscheidung zur Taufe, die einen Punkt in diesem Prozess markiert, der jedoch keine Konversion im Sinne einer radikalen Lebensoder Persönlichkeitsänderung darstellt. Die Sinnzusammenhänge richten sich dabei sowohl an spirituellen Erfahrungen als auch an Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft aus. Der Prozess des Wandels betrifft im Falle von Freikirchen also sowohl eine spirituelle als auch soziale Dimension. Die Ritualisierung dieser Entscheidung geschieht in der Regel durch die Taufe, die somit in der Regel eine Gläubigentaufe darstellt, die ein bestimmtes Maß an Einsicht und Reife voraussetzt (und damit nicht zwingend eine ›Erwachsenentaufe‹ sein muss), wenngleich auch hier beispielsweise die Methodisten andere Wege gehen und die Kindertaufe akzeptieren. Bedeutsam ist hier wiederum der Bezug zur Gemeinde, vor der dieses Zeugnis des persönlichen Glaubens abgelegt wird. Dies korrespondiert mit dem Neuen Testament, in dem nirgends explizit von einer Kindertaufe gesprochen wird, sondern die Taufe eine bewusste Antwort auf den ergangenen Ruf Gottes darstellt. Aus ökumenischer Sicht ergibt sich daraus vor allem die Problematik einer erneuten Taufe, sofern eine schon erfolgte Kindertaufe nicht akzeptiert wird. So wurde im deutschsprachigen Raum vielen Freikirchen das Label ›Wiedertäufer‹ umgehängt, nicht zuletzt um sie durch die Assoziation mit den Täuferbewegungen des 16. Jahrhunderts und der Katastrophe von Münster auch zu diffamieren. Problematisch an dieser Grundkonzeption erscheint in erster Linie die starke Betonung der Freiheit eines autonomen Subjekts, die unter Berücksichtigung (post-)strukturalistischer Konzeptionen fragil erscheint. Foucaults Frage, wie frei ein Subjekt ist, dem bestimmte sprachliche, soziale und biologische Faktoren in dessen Entwicklung vorgeordnet sind, dringt in dieses Bild ein. Wie frei ist ein Individuum, das auf bestimmte Art und Weise subjektiviert wurde? Welche Rolle spielen gruppendynamische Prozesse, Erwartungshaltungen und Sozialisierung bei der Herausbildung einer ›freien‹ Willensentscheidung zur Gemeindezugehörigkeit? Dies gilt vor allem dann, wenn Freikirchen selbst zu ›Nachwuchskirchen‹ werden, die konkrete Gemeinde also schon der Subjektivierung des Einzelnen vorausgeht und sich gezielt Strukturen etablieren, die eine Entfernung der ›Gemeindekinder‹ verhindern sollen. Nach Troeltsch gehört eine gewisse Institutionalisierung zur notwendigen Voraussetzung einer historischen Entwicklung von dem, was er als ›Sekten‹ bezeichnet. Dementsprechend sind schließlich auch Freikirchen dazu herausgefordert, geeignete Konzepte für den Umgang mit ihren Kindern zu finden. Dann gilt es freilich auch, die beliebte strenge Differenzierung zwischen ›freien‹ und ›Nachwuchskirchen‹ aufzugeben und konkretere ekklesiologische Konzepte zu erarbeiten.112 112 Vgl. dazu vor allem Athmann, Peter-Johannes: Freikirchen als ›Nachwuchskirche‹, in: Freikirchenforschung 18 (2009) 51–59.

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Mission Aus der Lektüre der Heiligen Schrift ergibt sich für Freikirchen zwangsläufig die Bedeutung der Mission, die sich vor allem auf den sogenannten ›Missionsbefehl‹ Jesu in Mt 28 stützt.113 Das Christentum verdankt seinen Status als Weltreligion zweifelsohne nicht zuletzt der Bedeutung der Mission, die »nicht nur ein Zeichen von Lebendigkeit [darstellt], sondern auch ein wesentliches und unaufgebbares Merkmal, ohne das es seinen Existenzgrund verleugnen würde«114. Intensität, Praxis und Mittel der Mission waren dabei freilich stets dem Wandel unterworfen, bis hin zur Auslegung, der Auftrag hätte nur den Aposteln selbst gegolten und die gegenwärtige christliche Kirche sei davon befreit. Geht man von einem institutionellen Kirchenbild aus, welches die durch die Taufe erlangte Mitgliedschaft in der Kirche als heilsrelevant betont, so verlaufen die Grenzen der Mission klassisch an denen des Christentums selbst entlang. Mission betrifft dann ausschließlich ungetaufte Menschen, mögen sie auch schon eine andere Religion haben. Die Missionierung ist mit der Eingliederung durch das Sakrament der Taufe de facto beendet. Für Freikirchen, die von einem anderen Kirchenverständnis ausgehen, ist die Sache damit nicht erledigt. Sofern die individuelle Lebenspraxis und Glaubenserfahrung heilsrelevant sind, kann und muss Mission für diese über das klassische Feld hinausgehen und auch in christlichen, doch säkularisierten Gebieten geschehen, um auch sogenannte ›nominelle‹ Christen erneut zu evangelisieren und sie zu einer bestimmten Glaubenshaltung und -praxis zu bewegen. Jedes einzelne Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde sollte im Idealfall auch Missionar im Alltag sein, zusätzlich zur regen Aktivität spezialisierter Missionare in nichtchristlichen Gebieten. Diese Evangelisation auch von Mitgliedern der etablierten Großkirchen hat den Freikirchen immer wieder den Vorwurf des Proselytismus eingebracht. Dies scheint freilich ein fragwürdiges Urteil zu sein, sofern Proselytismus als »Werbung für die eigene Religion mit Mitteln u[nd] aus Motiven, die dem Geist des Ev[angeliums] widersprechen«115 definiert ist. Das freikirchlich-alternative Verständnis von Mission, das wesentlich mit der unterschiedlichen Ekklesiologie und Soteriologie in Zusammenhang steht, kann aber nicht pauschal als proselytisch bezeichnet werden. Das schließt nicht aus, dass es in der Vielfältigkeit freikirchlicher Praxis nicht 113 »Und Jesus trat zu ihnen und redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.« (Mt 28,18–20) 114 Sievernich, Michael: Die christliche Mission. Geschichte und Gegenwart, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009, 7. 115 Hardt, Michael: Art. Proselytismus, in: LThK3 8 (1995) 643.

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auch zu Missionierungen gekommen ist, deren Mittel und Motive unlauter waren. Es ist jedoch offensichtlich, dass sich die Einsicht in die Notwendigkeit einer ›Binnenmission‹ auch in den Großkirchen immer mehr durchsetzt, die ebenso verstärkt auf eine Re-Evangelisierung einer immer stärker säkularisierten Bevölkerung setzen. Es bleibt jedoch ein Konfliktpotential in der ›Abwerbung‹ von Mitgliedern einer christlichen Kirche gegeben, aber hier sind in erster Linie die unterschiedlichen Kirchenbegriffe zwischen Institutionalität einerseits und gläubigem Leben andererseits die Grundlage für diese Konflikte.

2.2

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Die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten (in der Folge STA116) nimmt innerhalb des Freikirchentums noch einmal eine besondere Stellung ein. Nicht selten wurde und wird sie als ›Sekte‹ oder als ›Sondergemeinschaft‹ bezeichnet.117 Demgegenüber stufte die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) die STA definitiv als Freikirche ein, deren deutsche Vertretung auch selbst unter dem Namen ›Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland‹ firmiert. Das Misstrauen den STA gegenüber ergab sich zum einen durch als problematisch betrachtete adventistische ›Sonderlehren‹, und zum anderen durch eine von den STA selbst gepflegte Sonderstellung als ›Gemeinschaft der Übrigen‹, also jenen, die nach Offb 12,17 in der Endzeit als letzte und einzige »die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben«. Der explizite Bezug auf die Wiederkunft Christi und die damit verbundenen Umwälzungen am Ende der Zeit, wie sie das Buch der Offenbarung des Johannes beschreibt, gehört zu den wesentlichen Merkmalen der Gemeinschaft der STA, sie ist »Endzeit- und Auszugsgemeinde; sie geht ihrem wiederkommenden Herrn entgegen, sie ist Adventgemeinde. […] Sie wartet auf das Reich und arbeitet für das Reich, denn sie weiß, dass es nur in diesem Reich Gerechtigkeit geben wird«118. Denn für die Siebenten-Tags-Adventisten befindet sich die Welt seit dem Jahr 1844 in der Phase der Vorbereitung zur bald bevorstehenden Wiederkunft Christi, und damit in der Endzeit. 116 Die Kirche selbst unterstützt diese verbreitete Abkürzung (auch SDA im Englischen) auf Grund ihrer Uneindeutigkeit nicht. Für einen Überblick vgl. Feichtinger, Christian: Seventh-day Adventists. An Apocalyptic Movement in Search for Identity, in: Hunt, Stephen (Hg.): Handbook of Global Contemporary Christianity. Movements, Institutions & Allegiance, Leiden: Brill 2016 (= Brill Handbooks on Contemporary Religion 12), 382–401. 117 So finden sie sich etwa in einem kurzen Kapitel von Gerald Willms ›wunderbarer Welt der Sekten‹ wieder, vgl. Willms, Gerald: Die wunderbare Welt der Sekten. Von Paulus bis Scientology, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, 68–69. 118 Heinz, Hans: Leben aus der Zukunft. Wende der Zeit – Wandlung der Welt, Hamburg: Saatkorn 2000, 232.

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2.2.1 Historische Entwicklung Die Bedeutung der Apokalyptik hat die STA von Anfang an geprägt. Ihre Wurzeln liegen in der im 19. Jahrhundert in den USA entstandenen Endzeitbewegung der Milleriten, einer aus verschiedenen christlichen Denominationen stammende Gefolgschaft, die von den Predigten des amerikanischen Baptisten William Miller (1782–1849) angesprochen wurde. Der Farmer aus dem Bundesstaat Vermont hatte nach einigen Glaubenszweifeln im Jahr 1816 begonnen, die Bibel eigenständig zu studieren. Er gelangte dabei zur Überzeugung, dass die Heilige Schrift ein Werk der Vorsehung sei und berechnete etwa zwei Jahre nach Beginn seiner privaten Bibelstudien den Zeitpunkt der Wiederkunft Christi für die Zeit um das Jahr 1843, wobei er sich hier vor allem auf das alttestamentliche Buch Daniel stützte. Im Unterschied zu vielen anderen vor ihm, die im Laufe der Geschichte Berechnungen über das Datum der Endzeit angestellt hatten, konnte Miller erwarten, den von ihm berechneten Zeitpunkt noch zu erleben. Darüber beunruhigt, begann er nach einigem Zögern im Jahr 1832 predigend durch die USA zu reisen und Druckschriften mit seinen Berechnungen und Überlegungen herauszugeben. 1833 erhielt er von den Baptisten eine offizielle Predigterlaubnis und verfasste auch ein stark baptistisch gefärbtes Glaubensbekenntnis, dem er noch einen Artikel über das Jahr 1843 hinzufügte. Seine Erkenntnisse stießen quer durch alle Denominationen auf großen Widerhall. Miller traf den Nerv seiner Zeit, die einerseits stark von der zweiten großen Erweckung (Great Revival) geprägt und religiös wie auch eschatologisch sensibilisiert war, andererseits aber durch die wirtschaftliche Depression in ihrer ökonomischen und fortschrittsoptimistischen Zuversicht erschüttert wurde.119 Nicht zu vernachlässigen sind auch der verstärkte Anti-Katholizismus und Anti-Papismus dieser Zeit, die eine Reaktion auf die vermehrte Einwanderung aus katholischen Ländern darstellten: Die Anzahl der Katholiken in den USA hatte sich zwischen 1790 und 1840 stark erhöht, was unter den protestantischen Christen zu Misstrauen und Befürchtung eines neuen großkirchlichen Einflusses auf Politik und Gesellschaft führte.120 All diese Elemente erfuhren in der Miller-Bewegung eine gewisse Zuspitzung. Die Lage wurde mit fortschreitender Annäherung an das genannte Jahr immer dramatischer. Die Methodisten entschieden schließlich, die Adventgläubigen aus ihrer Kirche auszuschließen. Gegen Millers Willen rief der milleritische Prediger Charles Fitch nun auch alle aus anderen Denominationen stammenden Anhänger der Bewegung dazu auf, von sich aus ihre Kirchen 119 Vgl. Thompson, Damian: Das Ende der Zeiten. Apokalyptik und Jahrtausendwende, Hildesheim: Claassen 1997, 135. 120 Vgl. Müller, Richard: Adventisten – Sabbat – Reformation, Lund: Gleerup 1979 (= Studia Theologica Lundensia 38), 179–180.

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zu verlassen. Fitch identifizierte die zersplitterten protestantischen Kirchen seiner Zeit mit dem endzeitlichen Babylon und rekurrierte dabei auf Offb 18,4: »Geht aus ihr [Babylon] hinaus, mein Volk, damit ihr nicht an ihren Sünden teilhabt und damit ihr nicht von ihren Plagen empfangt!« Mit diesem unerhörten Affront führte Fitch einen Bruch mit den protestantischen Denominationen herbei und brachte den Milleriten wie auch später den STA den Ruf von Sektierern ein.121 Nachdem das jüdische Jahr im April 1844 ohne sichtbares Zeichen der Wiederkunft Christi zu Ende gegangen war, machte sich Ernüchterung unter den Milleriten breit, die in dieser Hoffnung ihre kirchliche Heimat aufgegeben hatten. Der Prediger Samuel Snow konnte das Ende der Bewegung jedoch noch einmal hinauszögern. Er verwies mittels biblischer Analogien auf den karaitisch-jüdischen Festtagskalender und legte das Datum der Parusie nun auf den 22. Oktober 1844 fest, zunächst gegen den Willen Millers, der sich erst später den Überlegungen Snows anschloss. Da zum ersten Mal in der Geschichte der Bewegung ein konkreter Tag genannt wurde, richteten sich die Adventgläubigen in dieser ›Bewegung des siebenten Monats‹ noch einmal auf. Erst als auch am 23. Oktober 1844 nichts geschehen war, folgte schließlich der Moment des Great Disappointment: Ein Teil der Bewegung wandte gänzlich sich vom Glauben ab, ein anderer kehrte in seine angestammten Gemeinden zurück. Ein letzter Rest jedoch versuchte, die Situation theologisch zu meistern. Aus den verschiedenen Subgruppen dieses Rests gingen die Siebenten-Tags-Adventisten hervor. Drei Deutungen der Situation waren möglich: Entweder das Datum war falsch berechnet worden, oder Christus war auf eine andere, ›spirituelle‹ Weise in die Herzen der Gläubigen wiedergekommen, oder aber die Berechnung war richtig gewesen, aber nicht die Parusie, sondern etwas anderes hatte im Jahr 1844 stattgefunden. Für alle drei Ansätze fanden sich Fürsprecher. Hiram Edson (1806–1882), Owen Crosier (1820–1912) und Franklin Hahn (1809–1866) legten in dieser Situation schließlich die sogenannte ›Heiligtumslehre‹ als Lösung der Miller’schen Prophetie vor, welche dann auch Anerkennung unter den Gläubigen fand: Im Jahr 1844 war es laut Edson, Crosier und Hahn nicht zur Parusie gekommen, sondern Christus hatte das Allerheiligste des himmlischen Tempels betreten, um dort als himmlischer Hohepriester seinen Versöhnungsdienst zu 121 Bemerkenswert ist, dass sich unter den Mitgliedern der Bewegung nicht nur Marginalisierte, sondern auch viele Personen aus dem Mittelstand befanden, was für endzeitliche Bewegungen eher ungewöhnlich ist. Die Anzahl der Anhänger Millers ist bis heute völlig unklar, die Schätzungen bewegen sich zwischen zehntausend und über einer Million, vgl. Rowe, David: Millerites. A Shadow Portrait, in: Numbers, Ronald/Butler, Jonathan (Hg.): The Disappointed. Millerism and Millenarianism in the Nineteenth Century, Knoxville: UTP 1993, 1–16., 2. Am realistischsten erscheint wohl eine Zahl zwischen 50.000 und 100.000.

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vollziehen und zugleich ein Untersuchungsgericht über die Christenheit zu halten. Dieser ›Schlussdienst‹ im himmlischen Heiligtum galt nun als Ouvertüre der eigentlichen Parusie. Am 22. Oktober war demzufolge ein Ereignis im Himmel geschehen, nicht auf Erden. Währenddessen übernahmen andere ehemalige Milleriten unter der Leitung von John N. Andrews (1829–1883) und Joseph Bates (1792–1872) ein weiteres Element, das zu einer Abgrenzung von anderen Denominationen führen sollte: die Feier des Sabbats. Schon im 17. Jahrhundert entstanden in England Sabbatgemeinschaften, aus denen sich die Siebenten-Tags-Baptisten herausbildeten. Einige der seit dem 17. Jahrhundert auch in den USAverbreiteten SiebentenTags-Baptisten hatten sich wiederum den Milleriten angeschlossen, und über diese wurde die Lehre an Bates und Andrews vermittelt.122 Bates war es schließlich auch, der die Befolgung des Sabbats mit der neuen Lehre vom Heiligtum verband: Das Halten des Sabbats galt in dieser Lesart nun als Zeichen der wahren Gläubigen während der apokalyptischen Zeit des Versöhnungsdienstes und des Untersuchungsgerichts. Damit hatte die Gruppe ihr Selbstverständnis definiert: »They came to see themselves as fulfilling what the Protestant reformation had begun, bringing Christianity full circle back to true biblical belief and practice.«123 Mit der reaktualisierten Naherwartung und der Einführung der Sabbatheiligung hatte man nun die beiden namensgebenden Merkmale jener Gemeinschaft, die sich später in den 1860er-Jahren als ›Seventh-day Adventists‹ konstituieren sollte. Entscheidend für die Stabilisierung der jungen Gemeinschaft war Ellen G. Harmon (1827–1915), die nach ihrer Heirat mit dem adventistischen Mitbegründer James White (1812–1881) unter dem Namen Ellen G. White bekannt wurde. Nachdem das Ehepaar White die Überlegungen Bates’ zum Sabbat angenommen hatte, begann Ellen ab 1847 Visionen zu haben. Ihr daraus resultierendes prophetisches Wirken wurde nun als Bestätigung Gottes für die junge Gemeinschaft und deren Lehren vom Sabbat und von der Endzeit gedeutet. Whites Präsenz und ihr umfangreiches Schrifttum, darunter das bedeutende The Great Controversy124, gaben den STA spirituellen Halt und Rat in vielen Fragen des Glaubenslebens. Ihr Ehemann James diente der Gemeinschaft durch seine organisatorischen Fähigkeiten und erkannte und förderte die Bedeutung 122 Vgl. Knight, George: Joseph Bates: The Real Founder of Seventh-day Adventism, Hagerstown: Review & Herald 2004, 79–88. 123 Land, Gary : Historical Dictionary of the Seventh-day Adventists, Hagerstown: Review & Herald 2005, 5. 124 White, Ellen: The Great Controversy, DeLand: Laymen FRL 1990. Das Werk wurde in einer modernen Übersetzung 2012 unter dem deutschen Titel Vom Schatten zum Licht neu aufgelegt, vgl. White, Ellen: Vom Schatten zum Licht. Der große Kampf zwischen Gut und Böse, Zürich: Advent 2012.

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seiner Ehefrau. Die Gemeinschaft begann nun eine Mission zur Rückgewinnung ehemaliger Milleriten. Bei der Organisation orientierte man sich am Konnexionalismus der Methodisten, und so wurde 1863 die erste General Conference of Seventh-day Adventists abgehalten. 1870 wurde die Mission für alle Menschen geöffnet und führte zu einem starken Wachstum der neuen Kirche, die sich als ›Gemeinde der Übrigen‹ als von allen anderen Denominationen abgesondert verstand. Damit begann eine bis heute andauernde weltweite Missionsarbeit, in der die STA nicht zuletzt durch den Einsatz moderner Medien erfolgreich agierten. Mit der Generalkonferenz in Minneapolis im Jahr 1888 bekannten sich die STA schließlich auch zur christlichen Lehre der Trinität und damit zur Göttlichkeit Jesu, während bis dahin eine arianische bzw. semi-arianische Christologie dominant gewesen war. In Europa hatte der Pole Michał Czechowski bereits in den 1860ern auf eigene Faust u. a. in Italien und der Schweiz missioniert, bevor die STA John N. Andrews 1874 als ersten offiziellen Missionar nach Europa entsandten.125 Der Architekt des europäischen Adventismus ist aber zweifelsohne der Hamburger Ludwig Conradi (1856–1939), der in die USA emigriert war und sich dort 1878 den STA angeschlossen hatte. Conradi gelang es, die stark vom amerikanischen Geist geprägte Missionsarbeit an europäische Verhältnisse anzupassen. Das amerikanische Christentum wurde zu dieser Zeit in Europa gering geachtet, als »Herd der Sektensammlung und Sektenbildung«126, zudem waren die amerikanischen Missionare mit Phänomenen wie Staatskirchen und nationalstaatlicher Reglementierung von Religion nicht vertraut. Conradi gab daher dem europäischen Adventismus ein etwas anderes Gepräge, um sich stärker in den europäischen Geist inkulturieren zu können. Vor allem bemühte er sich, die STA über die Milleriten-Bewegung hinaus in die protestantische Tradition Europas zu stellen. Er unterstrich das lutherische sola scriptura und nahm Bezug auf die verbreitete Apokalyptik in der Reformation, bei den Pietisten oder im Mittelalter. Ebenso suchte er Kontakt mit einzelnen pietistischen Gruppen, die den Sabbat hielten. Conradi übernahm Gepflogenheiten des deutschen Pietismus, wie etwa die Bibelstunde, und hatte nicht zuletzt dank seiner großen organisatorischen Begabung schnell Erfolg. Unter seiner Leitung wurden Gemeinden in Deutschland, 125 Vgl. Hasel, Frank: Die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, in: Hirnsperger, Johann/ Wessely, Christian/Bernhard, Alexander (Hg.): Wege zum Heil? Religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich. Selbstdarstellung und theologische Reflexion, Graz: Styria 2001, 115–142, 120. 126 So der lutherische Theologe Johann Heinrich Kurtz (1809–1890), zit. n. Heinz, Hans: Die theologische Prägung der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland mit besonderer Berücksichtigung ihrer nordamerikanischen Wurzeln, in: Pfeiffer, Baldur/Träder, Lothar/ Knight, George (Hg.): Die Adventisten und Hamburg. Von der Ortsgemeinde zur internationalen Bewegung, Frankfurt: Lang 1992 (= Archives of International Adventist History 4), 32–45, 32.

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Holland, Österreich-Ungarn, Bulgarien, dem heutigen Rumänien, Polen und Russland gegründet, ebenso erfolgte ein erster Sprung nach Afrika und Asien. Zugleich gelang es ihm, die europäischen Adventisten sowohl finanziell als auch personell von den USA unabhängig zu machen.127 Die Traktatgesellschaft in Hamburg und die bis heute bestehende Hochschule in Möckern-Friedensau (Sachsen-Anhalt) wurden zu Grundpfeilern dieses Erfolges. Zwischen 1899 und 1914 »wurde die Gemeinschaft in Deutschland geprägt, hier das organisatorische Netz von Vereinigungen, Verbänden und Institutionen gelegt. Von hier aus gehen die Entwicklungslinien bis in die Gegenwart«128. In Österreich stellte sich die Lage dagegen anders dar. Russland und Österreich galten den frühen Missionaren der STA als intoleranteste Staaten Europas, zudem erschien ihnen die katholische Dominanz in Österreich als nahezu unüberwindbares Hindernis, da sie kaum an die erfolgreiche Mission von Katholiken glaubten. Zwar wurde im Jahre 1903 in Wien der erste Konvertit durch den Prediger Leopold Mathe getauft, weshalb dieses Jahr als Geburtsstunde der STA in Österreich gilt, bis 1907 gab es für adventistische Missionare in Österreich aber kaum Bewegungsfreiheit und Missionserfolge. Erst als im Jahre 1906 der Kölner Missionar Johann Wolfgarten nach Wien kam, konnte der Adventismus in Österreich erste Fortschritte machen. Nachdem sich seine Bemühungen um politische Anerkennung oder zumindest Toleranz als vergeblich herausgestellt hatten, begann Wolfgarten mit der Gründung von Vereinen, die offiziell einen humanitären, geistlichen oder gesundheitsförderlichen Zweck verfolgten, aber verdeckt auch als Werkzeug der Mission genutzt werden sollten. So wurde 1907 in Oberösterreich und 1908 in der Steiermark der Verein christlicher Männer und Frauen gegründet, 1909 erfolgte mit dem Österreichischen Leseverein Mehr Licht schließlich auch eine Vereinsgründung in Wien. Die Vereine boten die Möglichkeit von Vorträgen sowie der Lektüre adventistischer Texte, jede Veranstaltung musste jedoch gemeldet werden und unterlag der Kontrolle durch die Polizei, die darauf zu achten hatte, dass keinerlei religiöse Aktivitäten, wie Singen, Beten oder Segensspendung, durchgeführt wurden, ebenso durften dort keine ausländischen Missionare auftreten. Gebete oder Taufen konnten daher weiterhin nur im Geheimen durchgeführt werden. Dennoch konnten in den nächsten Jahren einige Gemeinden gegründet werden, bevor es im Zuge der

127 Vgl. Heinz, Daniel: Church, State, and Religious Dissent. A History of Seventh-day Adventists in Austria 1890–1975, Frankfurt: Lang 1993 (= Archives of International Adventist History 5), 40–44. 128 Hartlapp, Johannes: Die Blütezeit der Adventmission in Deutschland 1899–1933, in: Pfeiffer, Baldur/Träder, Lothar/Knight, George (Hg.): Die Adventisten und Hamburg. Von der Ortsgemeinde zur internationalen Bewegung, Frankfurt: Lang 1992 (= Archives of International Adventist History 4), 70–87, 78.

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Betonung einer nationalen Einheit im Vorfeld des Ersten Weltkriegs wieder zu stärkerer Unterdrückung kam.129 Die Schrecken des Ersten Weltkriegs und die Krisen der Zwischenkriegszeit entpuppten sich zugleich aber als günstiger Kontext für eine Predigt über die Endzeit, von 1914 bis 1935 stieg die Anzahl der Mitglieder daher von 250 auf 1.500 an. Die Frage, ob Adventisten zur Verweigerung des Kriegsdienstes verpflichtet waren, führte in Deutschland und Österreich zur Abspaltung eines streng pazifistischen Flügels, der sich 1925 schließlich als Reform-Adventisten eigenständig organisieren sollte. Die größte Zahl der Adventisten sowie die Kirchenführung bekannte sich jedoch, entgegen der bisherigen theologischen Linie, auf Basis einer Theologie des ›gerechten Krieges‹ zum Dienst an der Waffe, nicht zuletzt aus Sorge, dass die staatlichen Repressionen sonst noch zunehmen würden. Auch die Angst vor einem Verbot der Gemeinschaft und einer damit einhergehenden Beschlagnahmung aller Besitztümer trug sicherlich zu dieser Haltung bei.130 Die Zeit des Nationalsozialismus war von einem gewissen Arrangement mit der Situation geprägt. Die Prediger hielten sich mit dem Thema der Naherwartung der Wiederkunft Christi zurück, da dies der nationalsozialistischen Vision vom ›Tausendjährigen Reich‹ widersprach, und wenngleich einzelne Mitglieder Widerstand leisteten und den Wehrdienst mit allen Konsequenzen verweigerten, so traten doch die meisten Wehrpflichtigen den Dienst an der Waffe an.131 Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem erneuten Aufleben der STA in Österreich. Zum ersten Mal wurde uneingeschränkte Missionsarbeit möglich, und erneut führten die Schrecken des Krieges in der Bevölkerung zu einer verstärkten Aufmerksamkeit für Fragen der Erlösung, der Endzeit und nach alternativen Werten und neuem Lebenssinn. So stieg die Mitgliederzahl bis 1950 von 1.600 auf 2.600 an. Der adventistische Tabea-Verein leistete wichtige caritative Hilfe für die vom Krieg gepeinigte Bevölkerung, die Jugendarbeit wurde massiv ausgebaut und endlich konnten auch eigene Kirchengebäude und Gemeindezentren errichtet werden. In den Jahren 1948 und 1949 wurden zwei bis heute wirksame Meilensteine der STA-Geschichte in Österreich gesetzt. Zunächst wurde der Wegweiser Verlag (heute Top Life – Wegweiser Verlag) und dann die ›Missionsschule‹ in Bogenhofen gegründet, welche heute als Seminar Schloss Bogenhofen mehrere adventistische Schulen sowie eine theologische Ausbildungsstätte für Pastoren 129 Vgl. Heinz, Church, State, and Religious Dissent, 71–93. 130 Vgl. ebd., 96–100. 131 Ausführlich dazu Hartlapp, Johannes: Siebenten-Tags-Adventisten im Nationalsozialismus, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht unipress 2008. Zum Leben ostdeutscher Adventisten unter dem DDR-Regime vgl. Böttcher, Manfred: Gratwanderungen einer Freikirche im totalitären Regime, Frankfurt: Lang 2006 (= Gesellschaftswissenschaften 9).

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umfasst. In der Folge wurden in Österreich weitere Schulen, Pensionistenheime, Ausbildungsstätten sowie 1954 der Verein Liga Leben und Gesundheit gegründet, welcher vor allem Gesundheitsseminare anbietet.132 Der bisherige Höhepunkt der österreichischen Adventisten-Geschichte ist zweifelsohne die Abhaltung der ersten nicht in Nordamerika stattfindenden General Conference Session im Jahre 1975 in Wien. Heute wird die adventistische Mission auch durch den TV-Sender Hope Channel und eine starke Internetpräsenz weltweit gestützt und gefördert. In der US-amerikanischen Hauptströmung des Adventismus gilt die Zeit zwischen 1915 und den 1950er Jahren als eine Art goldenes Zeitalter, welches Selbstverständnis und Geschichtsbild der STA bis heute prägt.133 Mit dem Aufstieg des Evangelikalismus in den USA gerieten die STA durch diesen jedoch unter Häresieverdacht und reagierten darauf mit einer liberaleren Auslegung ihrer Lehren, um sie für den evangelikalen Mainstream akzeptabler zu machen. Dieser theologische Bruch sorgte freilich innerhalb der Gemeinschaft für einen Dissens, der bis heute zwischen konservativeren und liberaleren Auslegungen der Lehre existiert. Nach der sogenannten Glacier-View-Kontroverse in den 1980er Jahren, die mit dem Ausschluss des liberaleren Theologen Desmond Ford endete, kann vorsichtig von einem Erstarken konservativen Denkens in der Theologie gesprochen werden. Entscheidender als theologische Fragen könnten für die adventistische Weltgemeinde jedoch kulturelle Fragen sein: Von den mittlerweile über 20 Millionen getauften Mitgliedern (Stand: August 2017) leben nunmehr mehr als 18 Millionen in Asien, Afrika und Lateinamerika, und der ursprünglich dominante nordamerikanisch-europäische Flügel ist demographisch zu einer Minderheit geworden. Diese Entwicklung ist geprägt durch ein enorm schnelles Wachstum in der südlichen Hemisphäre, allein zwischen 2010 und 2017 ist auf diese Weise die weltweite Mitgliederzahl um gut 18 % gestiegen. Ein erster Ausdruck dieser kulturellen Fragen war die Diskussion um die Ordination von Frauen als Predigerinnen. Diese von Nordamerika ausgehende Bewegung war 1995 durch den Widerstand afrikanischer und lateinamerikanischer Theologen gestoppt worden.134 In Österreich brachte der Fall des sogenannten ›Eisernen Vorhangs‹ und der Krieg in Jugoslawien in den 1990er-jahren Migrationsbewegungen mit sich, durch die Adventisten aus Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien nach Österreich kamen und so, gemeinsam mit afrikanischstämmigen Migranten, zu einer sprachlichen und kulturellen Diversifizierung des Adventismus in Österreich 132 Vgl. Hasel, Siebenten-Tags-Adventisten, 126. 133 Vgl. Lockhart Keith/Bull, Malcolm: Seeking a Century. Seventh-day Adventism and the American Dream, Bloomington: IUP 22006, 106. 134 Vgl. Land, Historical Dictionary, 8.

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beitrugen. 1992 wurde zudem der österreichische Standort der internationalen adventistischen Hilfsorganisation ADRA (Adventist Development and Relief Agency) mit Sitz in Wien gegründet, die weltweit in der Katastrophen- und Entwicklungshilfe tätig ist. Heute gehört die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich zu den eingetragenen Bekenntnisgemeinschaften. Sie besitzt damit eine eigene Rechtspersönlichkeit, gilt aber nicht als Körperschaft öffentlichen Rechts und verfügt auch nicht über die Privilegien, die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich zukommen. Im Jahr 2017 existierten in Österreich über 60 Gemeinden und Gruppen mit etwa 4.200 getauften Mitgliedern, wobei hier Kinder und Jugendliche nicht mitgezählt sind, die zwar an Gottesdiensten und Gemeindeaktivitäten teilnehmen, aber (noch) nicht getauft sind und daher nicht als Gemeindeglieder gelten. Unter diesen finden sich auch einige rumänisch-, bulgarisch-, bosnisch-kroatisch-serbischund englischsprachige (›internationale‹) Gruppen und Gemeinden.135 Insgesamt kann festgestellt werden, dass die STA längst ein Teil des christlichen Spektrums in Österreich geworden sind, wenngleich ihre öffentliche Präsenz und Bekanntheit weiterhin nur sehr gering sind. Mit dem Fußballstar David Alaba erlangte ab 2011 zwar erstmals ein österreichisches Mitglied der STA landesweite Popularität, was der Kirche auch etwas größeres Interesse und häufigere Erwähnung in Medien einbrachte, Alaba tritt jedoch nach außen vor allem als gläubiger Christ und nicht speziell als Adventist auf.

2.2.2 Theologische Spezifika Theologische Besonderheiten nehmen in der Tradition der STA eine wichtige Rolle ein und sind zugleich vielzitierter Grund ihrer Ablehnung durch Vertreter anderer christlicher Denominationen. Anderes Glaubensgut verbindet die STA zwar mit den Freikirchen, unterscheidet sie jedoch beispielsweise von der katholischen Kirche. In der Folge sollen beide Aspekte berücksichtigt werden, um eine Skizze adventistischer Theologie zu entwerfen. Hervorzuheben sind bei den theologischen Besonderheiten die starke Orientierung an Apokalyptik und Parusie, die Heiligtumslehre, das Halten des Sabbats, die Bedeutung der Zehn Gebote und der Weissagung sowie das Selbstverständnis als ›Schar der Übrigen‹. Zu den eher typisch freikirchlichen Elementen gehören dagegen die Orientierung an der Heiligen Schrift als alleinige Richtschnur des Glaubens, die Bekenntnistaufe sowie die konnexionalistische Verfassung. 135 http://www.adventisten.at.

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Die Heilige Schrift als alleinige Richtschnur des Glaubens Die Basis nicht nur der Überlegungen William Millers, sondern auch des Glaubens der STA, ist die Heilige Schrift. Sie ist die maßgebliche Offenbarungsquelle, deren Mitte Jesus Christus darstellt, »[d]ie ganze Bibel ist eine Offenbarung Christi«136. Somit sind auch die alttestamentlichen Texte im Hinblick auf die Offenbarung Jesu Christi zu lesen, eine Hermeneutik, die schon im Neuen Testament selbst angewandt wird. Die Bibel ist dadurch zugleich eine organische Einheit und gilt als fortschreitende Offenbarung: STA glauben an Christus als höchste Offenbarung Gottes, und sie glauben der Bibel. Als »unfehlbare Offenbarung seines Willens« und »zuverlässige[r] Bericht von Gottes Handeln in der Geschichte«137 ist die Bibel grundsätzlich beim Wort zu nehmen und nur an Stellen, in denen klar erkennbar Symbole verwendet werden, von solchen auszugehen. Dementsprechend wird eine historisch-kritische Exegese abgelehnt und dieser eine historisch-biblische Exegese gegenübergestellt. Eine solche unterzieht den Text durchaus einer historischen Untersuchung, setzt jedoch immer erstens den göttlichen Ursprung der Schrift und zweitens die historische Wahrheit aller biblischen Textaussagen als unterhinterfragbar voraus.138 Das Anlegen menschlicher Maßstäbe auf die Schriften der Bibel gilt als vermessen: Alle menschliche Weisheit muss unter die Autorität der Schrift gestellt werden. Die Wahrheit der Bibel ist die Norm, an der alle anderen Ideen gemessen werden müssen. […] Die Bibel darf nicht menschlichen Maßstäben unterworfen werden. Sie geht über alle menschliche Weisheit weit hinaus. Nicht wir haben die Bibel zu richten, sondern die Bibel richtet uns; sie ist der alleinige Maßstab für unser Denken, für alle Erfahrung und Erkenntnis.139

»[E]arly Adventists rejected tradition, church, authority, and even the gifts of the Spirit in their doctrinal formation. They were a people of the ›Book‹.«140 Dennoch wird der menschliche Anteil an den Worten der Schrift nicht geleugnet. Die Historizität der Sprache, der Stile und der Kontexte der menschlichen Autoren steht außer Frage, selbst die Möglichkeit von historischen Fehlern oder Erin136 White, Ellen: Der Weg zur Gesundheit, Rudersberg: Eben-Ezer 42004, 78. 137 Predigtamtsabteilung der Generalkonferenz der Siebenten-Tags-Adventisten (Hg.): Was Adventisten glauben. 27 Biblische Grundlehren umfassend erklärt, Lüneburg: Advent 1996, 15. [im Original kursiv] 138 Vgl. Heinz, Hans: Seventh-day Adventist’s Approach to the Bible, in: General Conference of Seventh-day Adventists/Lutheran World Federation (Hg.): Lutherans & Adventists in Conversation, Silver Spring/Genf: General Conference of SDA/LWF 2000, 42–57, 50. 139 Was Adventisten glauben, 28. 140 Knight, George: A Search for Identity. The Development of Seventh-Day Adventist Belief, Hagerstown: Review & Herald 2000, 60.

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nerungslücken der Autoren wird nicht ausgeschlossen.141 Geist und Wille Gottes haben sich mit Geist und Willen der Schreiber verbunden und wurden durch ihre jeweilige konkrete Verfasstheit ausgedrückt, die Schrift gilt als theopneustos, ›gottgehaucht‹, wie es in 2Tim 3,16 heißt. Für die STA bedeutet dies, dass Gott die Wahrheit in den Geist der Schreiber hauchte und diese die Wahrheit dann in Worte fassten. Auch im Gottesdienst wird der Bedeutung der Schrift Rechnung getragen. Die ›Bibelschule‹ oder ›Sabbatschule‹ eröffnet den wöchentlichen Gottesdienst. Darin diskutieren Erwachsene und Jugendliche in Kleingruppen über ausgewählte Texte, angeleitet von einem Studienheft, mit dem man sich zu Hause auf diese Gespräche vorbereitet.142 Zu erwähnen ist, dass es keine spezifische adventistische Übersetzung der Bibel gibt, sondern verschiedene Übersetzungen verwendet werden können. Die Zehn Gebote und der Sabbat Das Halten des Sabbats als wesentliches Identitätsmerkmal der STA lässt sich nicht von der herausgehobenen Stellung der Zehn Gebote in der adventistischen Theologie trennen. Im Hinblick auf Ex 20,1 – »und Gott redete all diese Worte und sprach:« – gilt die oben skizzierte Inspirationstheologie nicht für die Zehn Gebote: In einem Abschnitt aber haben wir genau die Worte, die Gott gesprochen und geschrieben hat: in den Zehn Geboten. Sie sind göttlich, also keine menschliche Formulierung, wenngleich auch diese Worte ihre Grenzen innerhalb der menschlichen Sprache haben. […] Da das Gesetz der Zehn Gebote das Wesen Gottes widerspiegelt, sind seine Prinzipien nicht an Zeit oder Umstände gebunden, sondern absolut, unwandelbar und ewig gültig für alle Menschen.143

Die Sonderstellung des Dekalogs, die Betonung von dessen ewiger Gültigkeit sowie das Selbstverständnis als Gemeinde »der Heiligen, welche die Gebote Gottes und den Glauben Jesu bewahren« (Offb 14,12) sind die wesentlichen Argumente der STA für die Einhaltung des Sabbats. Dieser wurde, wie schon erwähnt, durch Bates und Andrews eingeführt, die das Halten des Sabbats über die Siebenten-Tags-Baptisten kennengelernt hatten. Deren Ursprünge liegen im England des 17. Jahrhunderts, als einzelne Pfarrer und Autoren wie etwa John Traske (1585–1636) oder Theophilus Brabourne (1590–1662) das Feiern des Sabbats als von Gott gebotenen Feiertag forderten und dabei in Konflikt mit den 141 Vgl. Heinz, Approach to the Bible, 43. 142 Vgl. auch Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten (Hg.): Gelebter Glaube. Christsein heute, Hamburg: Saatkorn 1990, 21; 80. 143 Was Adventisten glauben, 20; 347.

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Puritanern und deren strenger Sonntagsfrömmigkeit gerieten. Aus den auch öffentlich geführten Diskussionen um den Sabbat gingen die Siebenten-TagsBaptisten hervor, die eine typische kongregationalistische Bewegung dieser Zeit darstellten und neben dem Sabbat ebenso die Autorität der Heiligen Schrift und die Sonderstellung der Zehn Gebote betonten.144 Während William Miller selbst die Sonntagsheiligung der Puritaner unterstützte, fanden die oben genannten Ideen der Siebenten-Tags-Baptisten später Einzug in die Konstituierung der STA. Die Bedeutung des Sabbats für Selbstverständnis und Grenzziehung der STA ist kaum zu überschätzen. Er gilt als in der Schöpfung selbst verankert und durch die Zehn Gebote noch einmal explizit von Gott gefordert. Die Sonntagsheiligung wird dagegen als unbiblisch abgelehnt, noch mehr, das Ändern des göttlichen Gesetzes wird als Zeichen des endzeitlichen Bösen gedeutet. Dies wird mit dem Buch Daniel begründet, welches vom apokalyptischen ›kleinen Horn‹ berichtet, das sich anmaßt, »Festzeiten und Gesetz zu ändern« (Dan 7,25). Die Einsetzung des Sonntags im Römischen Reich erscheint so als klares Zeichen der ungemäßen Verschwisterung von Großkirche und staatlicher Macht, wie sie die STA vor allem in der katholischen Kirche zur Ausprägung gekommen sehen. Demgegenüber gilt der Sabbat als mehrdimensionales Symbol: Er verweist auf die Schöpfung der Welt in sechs Tagen, deren Erzählung in Gen 1 von den STA wörtlich verstanden wird, die Erlösung aus der Knechtschaft (vgl. Dtn 5,15)145, die Heiligkeit Gottes (vgl. Ex 31,13)146, die Treue zu Gottes Geboten (im Gegensatz zu jenen, die den Sonntag als Feiertag begehen), die Gemeinschaft der wahren Gläubigen, die Rechtfertigung durch den Glauben und die Ruhe und ewige Ruhe in Christus.147 So sehr der Sabbat das Selbstverständnis der STA prägt, so sehr führt er auch eine tiefe praktische und theologische Differenz zu den anderen, den Sonntag feiernden, christlichen Kirchen ein.

144 Vgl. Müller, Adventisten – Sabbat – Reformation, 154–169; Bebbington, David: Baptists Through the Centuries. A History of a Global People, Waco: BUP 2010, 51–52. 145 »Und denke daran, dass du Sklave warst im Land Ägypten und dass der Herr, dein Gott, dich mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat! Darum hat der Herr, dein Gott, dir geboten, den Sabbattag zu feiern.« 146 »Haltet nur ja meine Sabbate! Denn sie sind ein Zeichen zwischen mir und euch für all eure Generationen, damit man erkenne, dass ich, der Herr, es bin, der euch heiligt.« 147 Vgl. Was Adventisten glauben, 370–376. Vgl. auch Rodríguez, ]ngel: The Adventist Understanding of the Law and the Sabbath, in: General Conference of Seventh-day Adventists/ Lutheran World Federation (Hg.): Lutherans & Adventists in Conversation, Silver Spring/ Genf: General Conference of SDA/LWF 2000, 106–121.

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Apokalyptik und Heiligtumslehre Das Warten auf die Wiederkunft Christi ist wie der Sabbat für die STA namensgebend geworden. Als Kind der Milleriten-Bewegung geht das endzeitliche Bewusstsein der Konstituierung der STA als Gemeinschaft voraus. Sie verstanden sich von Anfang an als Endzeitgemeinde und sahen sich damit konform mit der Botschaft Jesu, denn das »Hauptthema der jesuanischen Verkündigung war der Einbruch der Gottesherrschaft in Gegenwart und Zukunft«148. Auch die Handlungen Jesu erscheinen so als Vorausgriffe auf ein Totalgeschehen am Ende der Zeit. Die STA als Endzeitgemeinde sind somit in ihrem Handeln vom Erwarten der Endzeit geprägt, ihr missionarischer Zug liegt darin begründet, den Rest der Welt auf die baldige Wiederkunft Christi hinzuweisen.149 Diese kann aus verschiedenen Zeichen in Natur, Gesellschaft und Religion erschlossen werden, die in der Bibel angeführt sind und auf die Gegenwart übertragen werden. Im Unterschied zu den Milleriten vermeiden es die STA jedoch, einen konkreten Zeitpunkt für die Wiederkunft Christi zu benennen, vor allem auf Grund von Mt 24,36: »Von jenem Tag aber und jener Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel in den Himmeln, auch nicht der Sohn, sondern der Vater allein.« Sehr oft werden die STA vor allem unter die Endzeitgemeinschaften gereiht, aber auch manche Selbstdarstellungen betonen besonders den eschatologischen Charakter der Gemeinschaft.150 Tatsächlich haben die STA ihr Denken stark an der Endzeit ausgerichtet, sind von der Erwartung der baldigen Wiederkunft inspiriert und haben große Anstrengungen zur Deutung der apokalyptischen Texte unternommen. Vor allem aus Daniel und der Offenbarung des Johannes wird ein gewisses Wissen um die Geschehnisse der Endzeit abgeleitet, welches an dieser Stelle nicht ausführlicher dargestellt werden kann.151 Eine wichtige Rolle spielt dabei die innerhalb des Christentums einzigartige

148 Heinz, Leben aus der Zukunft, 232. 149 Vgl. Heinz, Hans: Eschatology in the Adventist Faith, in: General Conference of Seventhday Adventists/Lutheran World Federation (Hg.): Lutherans & Adventists in Conversation, Silver Spring/Genf: General Conference of SDA/LWF 2000, 216–236, 217; 220. 150 Vgl. Pöhler, Rolf: Der Adventismus als Endzeitbewegung gestern und heute. Endzeiterwartung im Adventismus in Geschichte und Gegenwart – Kontinuität oder Veränderung?, in: Freikirchenforschung 11 (2001) 120–141, 123. 151 Für eine ausführlichere Beschreibung adventistischer Apokalyptik vgl. White, The Great Controversy, 375–678; Heinz, Leben aus der Zukunft, 8–248; Heinz, Eschatology in the Adventist Faith, 216–236; Was Adventisten glauben, 449–554; Heinz, Hans: Zwischen Zeit und Ewigkeit, Wien: Wegweiser 4ohne Jahresangabe, 129–286; Bacchiocchi, Samuele: The Advent Hope for Human Hopelessness. A Theological Study of the Meaning of the Second Advent for Today, Berrien Springs: Biblical Perspectives 1986; Paulien, Jon: Die Offenbarung verstehen. Leitlinien für die Auslegung, Lüneburg: Saatkorn 2012; Müller, Ekkehard: Der Erste und der Letzte. Studien zum Buch der Offenbarung, Frankfurt: Lang 2011 (= Adventistica 11).

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Lehre vom himmlischen Heiligtum. Sie bot einen Ausweg aus der milleritischen Apokalyptik, der zufolge 1844 die Wiederkunft Christi und damit die Rechtfertigung seines Heiligtums (Dan 8,14) geschehen sollte. Während Miller unter ›Heiligtum‹ die Erde verstanden hatte, erklärten Edson, Crosier und Hahn, dass Jesus zu diesem Zeitpunkt das Heiligtum des himmlischen Tempels betreten hatte, um in seiner Funktion als Hohepriester dort einen globalen Sühnedienst zu leisten. Diese Lehre stützt sich auf die Verse in Hebr 8,1–2, in denen vom himmlischen Christus gesprochen wird als »Diener des Heiligtums und des wahrhaftigen Zeltes, das der Herr errichtet hat, nicht ein Mensch«. Dieses Geschehen ist eine Überbietung des alttestamentlichen Versöhnungstages, deren Ort himmlisch ist und deren Wirkung als umfassend und ewig gilt. Dieser Sühnedienst Christi ist verbunden mit einer Prüfung aller Christen, die je gelebt haben, über ihre Würdigkeit zum ewigen Leben, dies wird auch als ›Untersuchungsgericht‹ bezeichnet. Erst mit dem Abschluss des Dienstes im Heiligtum beginnt die eigentliche Endzeit, deren unmittelbare Vorbereitung, folgt man der Lehre der STA, aber seit 1844 im Gange ist. Der Glaube an das unmittelbare Bevorstehen der Wiederkunft Christi erweist sich freilich, nunmehr über 170 Jahre seit dem Great Disappointment, durch dessen Ausbleiben auch als Quelle von Konflikten und Unsicherheit. Für Helmut Obst ist »das ›sehr bald‹ […] eine Hypothek, eine ›Zeitbombe‹, welche Ellen G. White ihrer Gemeinschaft zurückließ«152. Die lange Zeit des Wartens und Fehldeutungen von längst untergegangenen Mächten, wie dem Osmanischen Reich oder der Sowjetunion, als Elemente eines apokalyptischen Geschehens haben den strengen Fokus auf die Endzeit etwas gelockert. Soziale Veränderungen wie Bildungsniveau, Wohlstand, gesellschaftlicher Einfluss in Afrika und Lateinamerika und das Anwachsen der Gemeinschaft auf über 20 Millionen Mitglieder taten ihr Übriges dazu, dass progressivere adventistische Theologen eine nachlassende Naherwartung und eine weniger genaue Hermeneutik der biblischen Texte aufweisen und sich eher am evangelikalen Christentum orientieren. Ernst Troeltschs Theorie von der ›Verkirchlichung‹ lässt sich so fast in Echtzeit beobachten. Die zunehmende Etablierung der STA als Kirche, die weiter aus der Erwartung der Parusie lebt, diese Dynamik aber mehr und mehr zu einem tatkräftigen Wirken in der Welt und für die Welt nützt und damit weltgestaltend wird, hält zugleich auch Konfliktpotenzial zwischen Liberalen und Konservativen bereit, das mit dem Fortschreiten einer Parusieverzögerung noch stärker wirksam werden könnte.153 152 Obst, Helmut: Apostel und Propheten der Neuzeit. Gründer christlicher Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 42000, 385. 153 Vgl. ebd., 134–139. Zur Auseinandersetzung darüber vgl. etwa Knight, George: Die

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Weissagung Die apokalyptische Hermeneutik sowohl der Bibel wie auch des Weltgeschehens ist verbunden mit dem Verständnis der Heiligen Schrift, und hier vor allem des Buches Daniel und der Offenbarung des Johannes, als prophetische Texte. Das Moment der Weissagung ist auch in der Hochschätzung von Ellen White als konfirmative prophetische Stimme präsent. Das Buch Daniel wird als prophetischer Text gelesen – wohingegen die historisch-kritische Exegese ihn als vaticinium ex eventu erklärt – und die Geschichte als Bestätigung dieser Weissagung gesehen. Daraus wird die Möglichkeit abgeleitet, analog auch die Offenbarung des Johannes als prophetischen Text zu lesen, der den weiteren Geschichtsverlauf bis zur Parusie beschreiben soll. Die Geistesgabe der Prophetie ist nach Ansicht der STA auch Ellen White zugekommen und gilt als Bestätigung der Legitimität der jungen Gemeinde durch Gott, denn »das Zeugnis Jesu ist der Geist der Weissagung« (Offb 19,10). Whites wichtige Rolle vor allem für die Konstituierung der Gemeinschaft ist unumstritten. White, die sich selbst als Wegweiserin zur Bibel sah, war nach adventistischem Verständnis »die treibende Kraft bei der Gründung der gemeindeeigenen Verlage, Schulen, Gesundheitseinrichtungen und weltweiten missionarischen Aktivitäten […] Der Herr vermittelte ihr Ratschläge für viele Lebensbereiche wie Gesundheit, Erziehung, Familienleben, Mäßigkeit, Evangelisation«154. Als Bestätigung für ihr Wirken sehen die STA zum einen die Übereinstimmung ihrer Worte mit den Schriften der Bibel und zum anderen ihre Vorhersagen: »Einige erfüllten sich bereits, während bei anderen die Erfüllung noch aussteht.«155 Zugleich muss auch betont werden, dass die Schriften Whites kein Glaubensgegenstand sind und beispielsweise auch nicht zur Begründung adventistischer Glaubenslehren herangezogen werden,156 wenngleich konservative Adventisten Whites Rolle noch viel stärker herausheben möchten. Ihr Einfluss auf die adventistische Praxis ist jedoch in höchstem Maße bedeutsam. Die Bedeutung Whites und ihrer Schriften ist trotz aller Kritik, die vor allem von ehemaligen Mitgliedern geäußert wurde, weiter mehrheitlich unumstritten, wie David Mould im Vorwort von Whites The Great Controversy betont:

apokalyptische Vision und die Neutralisierung des Adventismus. Der Weg in die Bedeutungslosigkeit, Wien: Top Life Center – Wegweiser, 2011. 154 Was Adventisten glauben, 328–329. Für einen kurzen biographischen Überblick vgl. Land, Gary : The A to Z of the Seventh-day Adventists, Lanham: Scarecrow 2009, 319–322. 155 Ebd., 326. Zu den erfüllten Prophezeiungen werden das Aufkommen des Spiritismus und die zunehmende Ökumene gezählt. 156 Vgl. Johnsson, William: Seventh-day Adventists: A Profile, in: General Conference of Seventh-day Adventists/Lutheran World Federation (Hg.): Lutherans & Adventists in Conversation, Silver Spring/Genf: General Conference of SDA/ LWF 2000, 26–41, 33.

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That there was a real, deep and abiding connection between Ellen White and the God of the Bible can be doubted by none who have taken the time to read her captivating and immeasurable insightful works. Always pointing to Him who created the worlds as the source of her strength and insights, Ellen’s devotion and her prose have captured millions.157

Die ›Schar der Übrigen‹ und die Botschaft der drei Engel Zum Selbstverständnis der STA gehört die Identifikation mit den ›Übrigen‹, »welche die Gebote Gottes bewahren und das Zeugnis Jesu haben«, von denen in Offb 12,17 die Rede ist. Damit verbunden ist auch die ›Botschaft der drei Engel‹ (Offb 14), welche als Rat Gottes für die Endzeit verstanden wird und in der sich die STA wiedererkennen. Die STA verstehen sich als die im Buch der Offenbarung immer wieder genannte Gemeinschaft derjenigen, die auch in den Geschehnissen der Endzeit Gottes Gebote und den Glauben Jesu halten. Dies ist nach Ted Wilson, Präsident der Generalkonferenz der STA, »unsere einzigartige prophetische Identität und Sendung«158. Dieses Selbstverständnis hat die STA von Beginn an geprägt, die sich nie einfach als neue Denomination sahen, sondern als von Gott herausgerufenes Volk mit einer bestimmten Aufgabe in der Endzeit. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die STA die Grenzen ihrer Gemeinden als Begrenzung der ›Übrigen‹ verstehen, vielmehr gehen sie davon aus, dass auch in anderen Kirchen gläubige Christen zu finden sind: »Siebenten-Tags-Adventisten glauben fest daran, dass Gott in jeder Gemeinde, auch in der römischkatholischen Kirche, kostbare Übrige hat, eine Schar von ernsten, aufrichtigen Gläubigen, die nach der ganzen, ihnen von Gott gegebenen Erkenntnis leben.«159 Obwohl die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse auch für die STA implizit gelten – was sich nicht zuletzt im Titel der Publikation So Much in Common (1973) ausdrückt, die die Ergebnisse des Dialogs zwischen den STA und dem Ökumenischen Rat der Kirchen zusammenfasst – waren die theologischen Differenzen, etwa in Hinblick auf den Sabbat, die Heiligtumslehre oder die Rolle von Ellen White, doch stark genug, um eine gewisse ökumenische Distanz aufrecht zu halten. Abgesehen von den dogmatischen Differenzen sind vor allem das Selbstverständnis als ›Schar der Übrigen‹ und die Anwendung des apokalyptischen ›Babylon‹-Begriffes auf andere Kirchen ein schwer zu überbrückendes Hindernis ökumenischer Beziehungen. Vertreter der STA sahen die ›Hure Babylon‹ in jeder engen Verknüpfung von Kirche und staatlicher Macht ver157 Mould, David: Vorwort zu White, Ellen: The Great Controversy, DeLand: Laymen FRL 1990, i–iv, iii. 158 Wilson, Ted: Geht voran!, in: Missionsbrief 33 (2010) 12–16, 12. 159 Rodríguez, ]ngel: Die Übrigen und die Adventgemeinde. Wie denken wir als Adventisten heute über die Übrigen?, Stuttgart: ATS 2010, 12 [im Original tw. kursiv].

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wirklicht. So wurde nicht nur das Papsttum, wie in der Geschichte des Protestantismus durchaus üblich, sondern auch der zersplitterte und mit dem Staat kooperierende Protestantismus selbst unter den ›Babylon‹-Begriff gefasst. Der Ausdruck ›Babylon‹ meint dabei die korrumpierten Kirchen der Welt, beinhaltet aber nicht automatisch sämtliche von deren Anhängern:160 »[I]nnerhalb dieses Systems sind auch viele Gläubige, die zu Gottes weltweiter Gemeinde gehören, denn sie leben ja entsprechend der Glaubenserkenntnis, die sie erhalten haben«161. Dennoch gibt es, trotz aller Spannungen, im Wesentlichen gute und konstruktive Beziehungen zu anderen Kirchen, mittlerweile gibt es auch vereinzelt Tendenzen, der katholischen Kirche positiver gegenüberzutreten.162 Für Stefan Höschele stellt der Gaststatus in verschiedenen ökumenischen Bereichen das geeignete Modell für die STA und zugleich eine andere und sinnvolle Form der Ökumenizität dar. Während zweifelsohne die STA »eine Mitgliedschaft [in ökumenischen Gremien] nicht als ein theologisches Mandat verstehen und eine kritische Sicht gegenüber intensivem Engagement in der organisierten Ökumene auch weiter bestehen bleibt«, erscheint der Gaststatus doch als »authentische und vollwertige Form der Beziehung zwischen Christen und Kirchen«163, dem die Praxis des offenen Abendmahls bei den STA auch symbolischen Ausdruck verleiht.164 Bekenntnistaufe Mit der Praxis der Bekenntnistaufe durch Immersion wollen die STA dem biblischen Taufmodell entsprechen. Sie wurde von den Anfängen der Gemeinschaft an in dieser Form durchgeführt, was sich zweifelsohne durch den baptistischen Kontext ihrer Entstehung erklären lässt. Die Tauftheologie lässt sich somit mit jener im Baptismus vergleichen, für den stets galt, dass »in den 160 Vgl. Hartlapp, Johannes: Der Gebrauch des Begriffs ›Babylon‹ in der Kirchen- und STAGeschichte in kurzer Übersicht, in: Spes Christiana 6 (1995) 33–50, 40–46. 161 Was Adventisten glauben, 231. Vgl. auch Rodríguez, ]ngel: The Adventist Church and the Christian World, in: General Conference of Seventh-day Adventists/Lutheran World Federation (Hg.): Lutherans & Adventists in Conversation, Silver Spring/Genf: General Conference of SDA/LWF 2000, 168–180. 162 Vgl. Pöhler, Rolf: Der adventistisch/römisch-katholische Dialog. Erste Schritte: Adventisten und Katholiken im Gespräch, in: Freikirchenforschung 16 (2007) 135–152. 163 Höschele, Stefan: Gaststatus als Modell von Ökumenizität? Siebenten-Tags-Adventisten und die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland – Hintergründe, Entwicklungen und Einsichten, in: Freikirchenforschung 18 (2009) 188–204, 202; 204. 164 Vgl. auch Fichtberger, Oliver : Die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, in: Baptisten Magazin 01 (2011) 10. Für einen Überblick zum dialogischen Engagement der STA vgl. Höschele, Stefan: Adventistische interkonfessionelle Dialoge, in: Spes Christiana 21 (2010) 139–154.

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Schriften des Neuen Testaments, und daher in der Gemeinde der apostolischen Zeit, die Taufe immer auf Glaubende bezogen [ist], und alle Ausführungen der Apostel hierzu setzen voraus, dass die Taufe nur bei Gläubigen Anwendung findet«165. Die Notwendigkeit des Bekenntnisses, die daraus resultierende Ablehnung der Säuglingstaufe und die Immersion als einzige aussagekräftige Symbolisierung der Reinigung und des Sterbens und Wiederauferstehens in Christus sind daher Ansichten, die aus dem Baptismus kommend auch bei den STA gelten. Bei Übertritten zu den STA ist eine Bekenntnistaufe notwendig, auch wenn der Konvertit bereits als Säugling getauft wurde. Wurde er in einer anderen Denomination schon auf sein Bekenntnis getauft, so steht es ihm frei, sich ein weiteres Mal taufen zu lassen.166 Ein Unterschied besteht jedoch in der Heilsrelevanz der Taufe: In der baptistischen Tradition gilt die Taufe nicht als heilsrelevant, daher ist eine Taufe von Säuglingen in der baptistischen Tradition auch nicht notwendig und widerspricht zudem dem Grundprinzip der Religions- und Gewissensfreiheit, die im Baptismus stark vertreten wird. Im Unterschied dazu gilt die Taufe in der adventistischen Tradition als heilsnotwendig, sie ist zwar wie im Baptismus die Sichtbarmachung einer persönlichen Glaubensbeziehung zu Christus, die STA heben jedoch auch das ›und‹ im Ausspruch Jesu, »wer gläubig geworden und getauft worden ist, wird gerettet werden« (Mk 16,16) hervor. Zugleich ist die Taufe aber auch keine ›Garantie‹ für die einstige Erlösung.167 Die Taufe bedeutet zugleich Eingliederung in eine Gemeinde, die auch über die Taufe eines Bewerbers entscheidet. Es gibt kein Mindestalter für die Taufe, Voraussetzung ist der ausdrückliche Wunsch, getauft zu werden. Damit ist auch die Taufe jüngerer Kinder möglich, sofern die Eltern dem Wunsch des Kindes zustimmen und die Gemeinde positiv darüber befindet, dass der Taufwillige in der Lage ist, die wesentlichen Lehren und die Verantwortung einer Mitgliedschaft voll erfassen zu können. Konnexionalismus und Gemeindeleben Als letzter bemerkenswerter Punkt ist die Struktur und Gemeindeverfassung der STA zu betrachten. Wie im Baptismus ist auch bei den STA die konkrete Ortsgemeinde von höchster Bedeutung, darüber hinaus sind die STA nach dem Vorbild des Methodismus jedoch weitaus komplexer strukturiert. In ihrem Verständnis und ihrer Organisation von Kirche orientieren sich die STA am 165 Beasley-Murray, George: Die Taufe der Gläubigen, in: Hughey, John (Hg.): Die Baptisten, Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk 1964, 27–36, 27. [Hervorhebung im Original] 166 Vgl. Land, The A to Z, 33. 167 Vgl. Was Adventisten glauben, 269–270. Das Zitat im Markusevangelium fährt allerdings fort: »wer aber ungläubig ist, wird verdammt werden«, hier wird zumindest das Ungetauftsein nicht explizit als Verdammungsgrund genannt.

Die Siebenten-Tags-Adventisten

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Neuen Testament, auch hier wird also, typisch freikirchlich, angestrebt, den Status der Ur-Kirche wiederherzustellen. In dieser Hinsicht sind sowohl die Aussagen über die Kirche selbst – als ›Leib Christi‹, als ›Gemeinde Gottes‹ – wie auch über die Leitung der Kirche, wie sie im Neuen Testament getroffen werden, für die STA von äußerster Wichtigkeit. Die Notwendigkeit der Kirche ist für die STA unzweifelhaft: »[I]t is not possible to honor Christ while disregarding His body on earth«168. Der baptistische Einfluss auf die STA legte zunächst eine kongregationalistische Verfassung nahe, in der die lokale Gemeinde die einzige strukturelle Einheit darstellt. Nach wie vor bilden die lokalen Gemeinden die Grundlage der STA, sie entscheiden durch Wahl über ihre leitenden Ältesten und den Gemeindeausschuss sowie über die Aufnahme und den Ausschluss von Mitgliedern. Als Aufgabe der Gemeinden definieren die STA die Anbetung Gottes und die Ermahnung der Gläubigen, das Leben in Gemeinschaft, Unterweisung in der Heiligen Schrift, das Leisten von Diensten (etwa der Taufe) und die Verkündigung.169 Für das Leben der Gemeinde gibt es eine allgemein verbindliche Verfassung, das Church Manual. Die Existenz dieser Verfassung weist schon darauf hin, dass die STA nicht bei einem reinen Kongregationalismus geblieben sind. Die Gründer der STA kamen schnell zum Schluss, dass ihre Gemeinschaft einer komplexeren Struktur bedarf um bestehen zu können, ohne zugleich die Rolle der Ortsgemeinde zu stark einzuschränken. Als Modell dafür diente der Konnexionalismus der Methodisten, der die einzelnen Gemeinden durch Konferenzen verbindet, denen auch eine gewisse Entscheidungsgewalt zukommt. Größere Regionen werden bei den STA durch sogenannte ›Verbände‹ und ›Unionskonferenzen‹ verbunden. Diese Ebene weist auch die Prediger (Pastoren), die für Verwaltung, Predigt, Gottesdienst und Gemeindeentwicklung zuständig sind, den einzelnen Gemeinden zu, wodurch eine koordinierte Entwicklung der einzelnen Regionalgemeinden erreicht wird. Die Verbände werden wiederum durch Divisionen umfasst, von denen es derzeit weltweit 13 gibt. Die höchste Leitungsinstanz ist die Generalkonferenz, deren Versammlung alle fünf Jahre stattfindet, und von einem Präsidium geleitet wird. Durch die regelmäßige Wahl von Delegierten soll sichergestellt werden, dass die Konferenzen eng mit den Ortsgemeinden verknüpft sind und kein losgelöstes System bilden, das nicht mehr an die Situationen vor Ort rückgebunden ist. Bedeutsam für das Selbstverständnis – und ungewöhnlich für eine Gemein168 Reid, George: The Seventh-day Adventist Understanding of Church Authority, in: The Adventist Church and the Christian World, in: General Conference of Seventh-day Adventists/Lutheran World Federation (Hg.): Lutherans & Adventists in Conversation, Silver Spring/Genf: General Conference of SDA/LWF 2000, 201–213, 202. 169 Vgl. Was Adventisten glauben, 217–218.

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Die Siebenten-Tags-Adventisten im Kontext der Freikirchen

schaft, die eschatologisch orientiert ist – ist der starke soziale Charakter der STA. Wohlfahrtswerke, Bildungseinrichtungen, Entwicklungs- und Katastrophendienste, Krankenhäuser, Produktion gesunder Nahrungsmittel und Engagement für Umweltschutz sind Teil des Portfolios der STA, denn »das Evangelium trennt nicht Verkündigung (Kerygma) und Dienst am Menschen (Diakonia), die Kirche darf dies darum auch nicht«170. Der wöchentliche Gottesdienst findet am Samstag statt und teilt sich in Bibelstunde und einen zweiten Teil, der von Gebet, Gesang und Predigt dominiert ist. Die Gestaltung der Gottesdienste steht relativ frei und wird, vom Kirchenraum angefangen, eher schlicht gehalten. Das Abendmahl wird vierteljährlich mit ungesäuertem Brot und unvergorenem Traubensaft gefeiert, es ist für alle Christen offen und wird mit einer Fußwaschung der Gemeindemitglieder begonnen. Die STA betonen das Priestertum aller Gläubigen und ziehen damit keine Linie zwischen leitenden und Predigtdiensten und ›Laien‹. Während die Diakone, gemäß dem Zeugnis der Bibel, sowohl Männer wie auch Frauen sein können171 und Frauen seit 1975 auch das Amt des Ältesten einnehmen, steht das Amt des Predigers trotz der großen Bedeutung von Ellen White nur Männern offen. Frauen wurden immer wieder als Predigerinnen zugelassen, jedoch nie offiziell von einem Verband ordiniert, das bedeutet: Frauen können nach ihrem Theologiestudium in der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten zwar als Pastorin ›gesegnet‹ werden und damit fast alle Amtshandlungen, wie Taufe, Abendmahl, Trauung und Beerdigung, vornehmen; doch ordiniert werden nur männliche Geistliche. Während die Ordination von Pastoren weltweit innerhalb der Freikirche Gültigkeit hat, können Frauen als Pastorinnen nur in den Gebieten wirken, die zu einer Kirchenleitung gehören, welche die Segnung vornahm.172

Viele Frauen der STA setzen sich weiter für die Möglichkeit einer Ordination zur Predigerin ein, wofür sich jedoch bis auf weiteres keine Mehrheit finden lässt, was nicht zuletzt auch eine Frage der lokalen Kultur ist. Während in den USA und 170 Dauenhauer, Matthias: Die Gemeinde und ihre soziale Verantwortung, in: Oestreich, Bernhard/Rolly, Horst/Kabus, Wolfgang (Hg.): Glaube und Zukunftsgestaltung. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Theologischen Hochschule Friedensau, Frankfurt: Lang 1999, 247–262, 257. Aber vgl. auch hier die Kritik in Knight, Die apokalyptische Vision, 147–149. 171 Vgl. Land, The A to Z, 80. Bezug genommen wird auf Röm 6,1: »Ich empfehle euch aber unsere Schwester Phöbe, die eine Dienerin (di#konon) der Gemeinde in Kenchreä ist, damit ihr sie im Herrn aufnehmt.« 172 Adventistischer Pressedienst (APD): »Frauenordination bleibt bei den Adventisten Diskussionsthema« in: http://bayern.adventisten.de/news/news/datum/2010/05/26/frauen ordination-bleibt-bei-den-adventisten-diskussionsthema-2/ (abgerufen am 13. Oktober 2010).

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Westeuropa dieser Schritt eher begrüßt wird, wird er in Lateinamerika oder Afrika abgelehnt. Hauskreise, Andachten, die Bewegung der Pfadfinder (die adventistischen Pathfinders sind nicht zu verwechseln mit den allgemein bekannten Scouts) und gemeinsame freizeitliche Aktivitäten unterstützen das Ideal eines intensiven Gemeindelebens, das als ›Familie‹ und daher als Ort gilt, an dem alle Schwestern und Brüder sind und »zueinander eine tiefe Zuneigung pflegen«173. Die daraus resultierenden engen Bindungen und soziale Kontrollen können freilich auch Druck auf zweifelnde Mitglieder ausüben oder zu vorgeblicher Anpassung führen, um den Erwartungen der anderen zu entsprechen. Grundsätzlich ist jedoch der herzliche Umgang miteinander wie auch mit Gästen ein Gebot der STA.

173 Was Adventisten glauben, 212. Auch hier war Ellen White eine treibende Kraft und stellte fest: »Christian sociability is altogether too little cultivated by God’s people. […] by social intercourse acquaintances are formed and friendships are contracted which result in a unity of heart and an atmosphere of love which is pleasing in the sight of heaven«, White, Ellen: The Adventist Home, Washington: Review and Herald 1980, 457.

3.

Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

Nach dieser grundlegenden Einführung folgt nun der erste Interviewteil dieser Arbeit. Es geht hierbei um das Selbstverständnis der befragten Mitglieder der untersuchten Adventgemeinde, wobei sich die Aussagen durch die nachfolgenden Codes (ADVn) auf den jeweiligen Interviewpartner zurückführen lassen. Es soll aufgezeigt werden, welche Symbole, Praktiken und Denkweisen besonders relevant sind, um eine Zugehörigkeit gerade zur eigenen Tradition und Gemeinde zu begründen, und welche Grenzziehungen auf deren Basis vorgenommen werden, um diese Identifikation zu unterstützen. Dabei wurde zunächst allgemein nach dem eigenen Selbstverständnis gefragt, die hier genannten Aspekte noch einmal fokussiert und ergänzend auch nach Elementen gefragt, die nach den obigen Skizzen theoretisch relevant sind. Der Ausdruck ›Siebenten-Tags-Adventisten‹ ist eine Selbstbezeichnung, aus der zwei markante Aspekte des Selbstverständnisses abgeleitet werden können. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass die Verweise auf den ›siebenten Tag‹, also den Sabbat, sowie auf die erwartete Wiederkunft Christi in erster Linie Grenzziehungen sind, die die Besonderheiten der Gemeinschaft im Gegensatz zu anderen christlichen Kirchen herausstreichen. Andere wichtige Dimensionen des Selbstverständnisses werden hier schon vorausgesetzt: Die Verwurzelung im amerikanischen Freikirchentum des 19. Jahrhunderts schlägt sich auch in der Bedeutung des gelebten Christseins, der ›persönlichen Beziehung‹ zu Jesus, in der Orientierung an der Bibel sowie einem bestimmten Gemeindeverständnis nieder. Die deutschen Adventisten tragen dem etwa mit der Bezeichnung ›Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland‹ Rechnung, welche diese typisch freikirchlichen Aspekte implizit mitspricht und die Gemeinschaft in eine historische Tradition stellt. Es wäre also problematisch, und dies zeigt sich auch in den Interviews, Adventisten auf den Sabbat und die Naherwartung der Parusie zu reduzieren. Gerade die Bedeutung des ›Adventistischen‹ im Wortsinn wird im Kontext einer zunehmenden Etablierung vieler Gemeinden und deren Mitglieder in einer säkularen Welt immer unklarer. George Knights Bestseller Die apokalyptische Vision und die Neutralisierung des Adventismus

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Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

zeigt, dass diese Neubewertung des Endzeitgedankens eine dringender werdende Frage für die Entwicklung des Adventismus darstellt. Knight diagnostiziert ein Zurücktreten der ›apokalyptischen Vision‹ im modernen Adventismus zu Gunsten einer Annäherung an eben jene freikirchliche Tradition, von der sich der Siebenten-Tags-Adventismus gerade auch durch seine Selbstbezeichnung absetzen will, in der er aber zugleich steht: »Wenn STA Einrichtungen nur christlich in dem Sinn sind, dass sie Jesus und das biblische Evangelium verkörpern, dann ist jede andere evangelikale Bildungseinrichtung gut genug. Und mit einem einzigen Schlag haben wir jeden zwingenden Grund für die Existenz adventistischer Lehranstalten verloren.«174

Für Knight erscheint daher die Neubetonung der symbolischen Grenze des Advents umso dringender. Die Interviews werden zeigen, dass Knights Diagnose partiell auf die untersuchte Gemeinde angewandt werden kann. Als Fundamente des Selbstverständnisses als Adventist können die Übereinstimmung mit der Bibel, damit in einem engen Zusammenhang das Halten des Sabbats (was sich aus dieser Übereinstimmung ergibt) sowie die persönliche Gottesbeziehung definiert werden. Erst dann sind die Naherwartung und die am Willen Gottes orientierte Lebenspraxis zu nennen.

3.1

Übereinstimmung mit der Bibel

»Die Adventisten sind ein Bibelvolk.« Mit dieser Aussage bringt ADV3 zum Ausdruck, was sich aus allen Interviews durchgängig ergibt: ein Selbstverständnis der STA als die von allen christlichen Kirchen am ausgeprägtesten an der Bibel orientierte Gemeinschaft. Dies spiegelt sich auch in der offiziellen Glaubenslehre der STA wider : Von den 28 Glaubensartikeln beschäftigt sich gleich der erste mit der Bedeutung des Wortes Gottes. Die Bibel wird hier definiert als »die unfehlbare Offenbarung [des göttlichen] Willens. Sie ist der Maßstab für den Charakter und der Prüfstein aller Erfahrungen. Sie ist die maßgebende Offenbarungsquelle aller Lehre und der zuverlässige Bericht von Gottes Handeln in der Geschichte«175. Die Bibel gilt als unmittelbar autoritativ, das Anlegen von ›menschlichen Maßstäben‹, damit auch eine historisch-kritische Exegese, wird zurückgewiesen. Mit einem Hinweis darauf, dass auch Zungenrede und Geistesgaben allein an der Bibel gemessen werden dürfen, wird zudem eine Abgrenzung zur pfingstlich-charismatischen Tradition vorgenommen.176 174 Knight, Die apokalyptische Vision, 18. 175 Was Adventisten glauben, 15. [im Original kursiv] 176 Vgl. ebd., 28.

Übereinstimmung mit der Bibel

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Daraus folgen mehrere Konsequenzen. Aus dem Konzept der unantastbaren biblischen Autorität wird eine Verpflichtung zur Übereinstimmung mit den biblischen Aussagen abgeleitet, dazu gehören die Annahme einer Schöpfung in sechs/sieben Tagen, eine umfassende Anerkennung der historischen Berichte der Texte und letztlich auch das Sabbatgebot selbst. Damit stellen sich die STA nicht nur in eine reformatorische Tradition des scriptura sui ipsius interpres, sondern auch in jene der frühchristlichen Schriftauslegung, wie es Hans Heinz formuliert: »Wir bewahren das Erbe der Christenheit über Prophetie und Offenbarung in unserer Zeit.«177 Ähnlich drückte es ]ngel Rodr&guez, ehemaliger Direktor des Biblical Research Institute im US-amerikanischen Silver Springs, in einem Interview für diese Arbeit aus: Everything is now to be determined by external factors, foreign to the Scriptures; because there is a mindset, we have to follow it. And we have said: No! Luther came out and opposed the control of the Scripture by a system and liberated the scripture from that system. But then, in this place, Protestants created another control system, and now fortunately Postmodernism is helping us to see that this was a control system. And we have rejected that, we have said, we have to go to the Scriptures. And here again, we have been quite committed to the Reformers, in the sense, that if we are going to work with the Scriptures alone, then we have to allow the Scriptures to provide for us the system to interpret the Scriptures, which is a principle. You have to interpret the text on basis of the text. So we have remained very loyal to that, to a hermeneutic that flows from the Scripture itself and that we use in exploring the Scripture.178

Rodr&guez zeichnet die STA damit als wahre Nachfolger der Reformation, die nicht der historisch-kritischen Exegese als neuem Kontrollsystem erlagen, sondern loyal zum sola scriptura der ersten Reformatoren stehen. Damit gelingt es ihm, die STA gleichzeitig in die reformatorische Tradition zu stellen und sich dennoch von deren weiteren Entwicklungen abzugrenzen. Trotzdem existiert eine offizielle Auslegung der Schrift durch die Kirchenführung der STA, die durch das Biblical Research Institute (BRI) unterstützt wird. Damit gibt es durchaus eine Art Kontrollsystem, das sich jedoch durch das hermeneutische Prinzip rechtfertigen lässt: Wenn gilt, dass das BRI in seiner Auslegung allein dem sola scriptura folgt, dann ist dadurch eine wahre Aussage über die Schrift möglich und können zugleich andere Aussagen als ›falsch‹ ausgeschlossen werden. Damit wird die Paradoxie überwunden, dass die Loslösung vom exegetischen Kontrollsystem der protestantischen Tradition zugleich ein neues System etabliert. Das BRI gilt also nicht als Kontrolle der Bibel selbst, sondern als

177 Statement beim Symposion ›Die Naherwartung und die Adventgemeinde heute‹ in Bogenhofen am 29. April 2012. 178 Interview mit ]ngel Rodr&guez am 28. April 2012 in Bogenhofen.

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Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

Kontrolle der biblischen Wahrheit, mit der es nach Ansicht der STA durch die richtige Hermeneutik übereinstimmt. Diese Übereinstimmung mit der Bibel bzw. der biblischen Wahrheit dient als wesentliche Grenzziehung zu anderen Kirchen, speziell der evangelischen und katholischen Kirche. Einmal durch die historisch-kritische Exegese, einmal durch das Lehramt hätten sich diese beiden Kirchen von den biblischen Aussagen entfernt. Näher liegt man so bei der evangelikalen Tradition, zu der dann zusätzlich der Sabbat und die apokalyptische Exegese als symbolische Markierung der Grenze herangezogen werden. Zwar orientieren sich auch evangelikale Gemeinden stark an der Bibel, ziehen jedoch im Unterschied zu den STA nicht die Konsequenz daraus, auch den Sabbat zu halten. Dieser Rückbezug auf die Bibel ist fundamental für das Selbstverständnis der befragten Gemeindemitglieder, die ausnahmslos die Bibel als einen besonderen Aspekt ihres Adventistseins anführten, wofür ADV2 und ADV6 exemplarisch zitiert werden können: Die Bibel ist für mich das einzige Glaubensfundament, also wirklich der Kanon, Altes Testament und Neues Testament, und da wirklich so, dass man sagt, die Bibel in einem ganzheitlichen Verständnis, auch mit dem Hintergedanken, dass sich die Bibel eigentlich selber erklären muss. Man sagt, es kann nicht sein, dass ich jetzt aus einem Text etwas herauslese und herausinterpretiere, und dann gibt es aber drei, vier andere Texte, die eigentlich in dem gleichen Zusammenhang betrachtet zu einem anderen Ergebnis kommen. Das ist eigentlich auch mein Verständnis, das Prinzip der Bibel, dass die Bibel sich eigentlich vom ersten Buch Mose bis zur Offenbarung selber auslegt. […] Die Erkenntnisse die ich aus diesem Buch gewinnen darf und die auch in der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten als Glaubensgrundlage und als Glaubensbasis gelehrt werden, die stehen für mich außer Streit. Ich glaube an die sprichwörtliche SiebenTage-Schöpfung, ich glaube, dass Jesus auf diese Erde gekommen ist mit dem ersten Advent, ich glaube, dass Christus gestorben ist, ich glaube, dass Jesus Christus mit jedem einzelnen von uns ein persönliches Ziel hat, und so sicher wie der erste Advent, so sicher wird auch der zweite Advent kommen. (ADV2) Gläubig zu sein ist für mich das wichtigste. Adventist zu sein, das ist dann ein bisschen eine Verstandesentscheidung. Ich habe dann eine Zeit lang wirklich geforscht und versucht, das Richtige für mich zu finden, ich wollte es nicht einfach meinen Eltern gleichtun. Und dann habe ich die Bibel als Grundlage genommen und gesagt, das ist die Grundlage, das ist das Wort Gottes, es kommt von Ihm, okay, und jetzt möchte ich auf dieser Grundlage die Religion finden, die der Grundlage entspricht, und ich habe dann gefunden, dass es in allen Teilbereichen die Adventisten sind, die meines Erachtens genau dem entsprechen, was wir da in der Bibel haben. (ADV6)

Beide Befragten bringen zunächst ein Grundaxiom zum Ausdruck, nämlich das der Bibel als unhintergehbare, göttliche und einheitliche Grundlage des Glaubens, mit der auch eine prinzipielle Anerkennung eines Junge-Erde-Kreatio-

Übereinstimmung mit der Bibel

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nismus179 verbunden ist. Auf diesem Grundaxiom baut die Lehre der STA wesentlich auf, ohne dass es selbst wiederum begründbar ist. Erst aus der Anerkennung der Bibel als solche folgen die Forderung nach einer bestimmten Hermeneutik sowie alle weiteren dogmatischen und praktischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Nur so kann ADV6 die Bibel als Kriterium seiner Unterscheidung der Religionen heranziehen, nur deshalb kann die Übereinstimmung von kirchlicher und biblischer Lehre letztlich die wichtigste Komponente des Selbstverständnisses ausmachen. [Die Bibel] ist mein Fundament, meine Grundlage, sie ist absolut Gottes Wort von vorne bis hinten, sie widerspricht sich nicht, sie ist geschichtlich vollkommen korrekt, sie ist der Liebesbrief Gottes an mich und an jeden anderen Menschen. Ich bin super dankbar, dass es sie gibt, und ich bin wahnsinnig traurig darüber, dass ich beruflich so eingespannt bin, dass ich nicht ausreichend dazu komme, sie zu lesen, das ist für mich eine Qual, das ist einfach furchtbar. Sie gibt Antwort auf sämtliche Lebensfragen, ist in der Vergangenheit und in der Zukunft einfach Punkt genau exakt, wenn man weiß, wie man sie lesen muss. Und das machen halt viele Leute einfach falsch, indem sie versuchen, für sich das herauszulesen, was sie selber gerne hätten. (ADV3)

Bemerkenswert ist hier der geradezu naturwissenschaftliche Zugang zur Bibel, der sie mit den Worten »korrekt« und »exakt« beschreibt und besonders die Einheit der Schrift in ihrer Ganzheit betont. ADV3 setzt die Bibel in eine doppelte normative Position ein, sowohl im Hinblick auf Geschichte und Weltbild als auch als Element des Alltagslebens und der persönlichen Beziehung. Dass ein solcher Gedankengang durchaus als Fundamentalismus verstanden werden kann, ist ADV3 bewusst, doch ist für sie »das Wort ›fundamentalistisch‹ sehr wichtig, nämlich positiv besetzt, wenn man immer auf dem Fundament des Wortes Gottes steht, und nicht auf dem Fundament eines Wortes, das von einem Menschen gemacht wurde«. Dass trotz der heute negativen Bedeutung von ›Fundamentalismus‹ der Begriff bei ADV3 positiv ausgelegt wird, ist auch im Vergleich zu anderen Befragten in der Gemeinde ungewöhnlich. Wiederum kommt hier der Anspruch zum Ausdruck, dass die Bibel in ihrem eigenen Referenzsystem gelesen wird und nicht – hier wird eine wichtige symbolische Grenzziehung vorgenommen – äußere, eigene Maßstäbe an die Bibel herangetragen werden. Daraus folgt die wichtige Bedeutung von ›Richtigkeit‹ und ein ausgesprochen rationaler Zugang zur eigenen Zugehörigkeit. Indem die Bibel als in allen Bereichen wahrer Text verstanden wird, lässt sich auch die Wahrheit der eigenen Lehre rational begründen. Die Übereinstimmung der adventistischen Lehre mit der Bibel ist damit nicht einfach nur ein Glaubensakt, sondern eine Frage der Vernunft, die das Rechthaben der STA in Glaubensfragen nachvollziehen kann. Neben ADV6, der von einer »Verstan179 Hier wird davon ausgegangen, dass die Erde tatsächlich nur einige tausend Jahre alt ist.

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Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

desentscheidung« spricht, oder ADV2, der seine Taufe »von der Ratio gesteuert« verlangte, sind es besonders zwei befragte Konvertiten, die auf diesen Aspekt der vernünftig nachvollziehbaren Richtigkeit der adventistischen Lehre hinweisen: Adventist, ja, das war einerseits die Suche nach dem Richtigen, wo du sagst, du liest in der Bibel und schaust, was für dich so am ehesten hinkommt, was dem entspricht, wo die Auslegung ziemlich nahe am Wort ist. Das war mir wichtig, also, dass wenig Zusätzliches dazukommt. (ADV11) Ich habe deswegen angefangen, die Bibel zu studieren, weil ich den Adventisten beweisen wollte, dass sie nicht Recht haben. Und ich bin während des Bibelstudiums draufgekommen, dass sie sehr wohl Recht haben. (ADV4)

In beiden Fällen wird die Zugehörigkeit mit einem (vernünftigen) Vergleich der biblischen Lehre mit jener der Adventisten begründet, aus dem gefolgert wird, dass diese das ›Richtige‹ sind bzw. ›Recht haben‹. Hinter beiden Argumentationen, wie auch bei ADV2 und ADV6, steht allerdings die Prämisse, nur die Bibel als Maßstab einer wahren Glaubenslehre heranzuziehen. Die Überzeugung von der Übereinstimmung mit der Bibel, von ihrer Irrtumslosigkeit und von der Vorstellung, dass in der Lehre der STA nichts hinzugefügt wurde (etwa die Lehre vom Sonntag oder die Annahme einer unsterblichen Seele), entstammt freilich der adventistischen Tradition selbst. Hier kann es also möglich sein, dass ein adventistisches ›Erkenntnisskript‹ nachträglich über die Deutung des Konversionsprozesses gelegt wurde. Dennoch erscheint die Begründung der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der STA auf Grund von vernünftigen Überlegungen, die eine Richtigkeit der Lehre erkennen, gerade im Bereich des Religiösen als ein bemerkenswerter Sachverhalt. Die Befragten bezeichnen sich selbst als ›kritisch‹ und geben an, die Lehre der Adventisten ›überprüft‹ zu haben. Der Begriff der ›Richtigkeit‹ hängt mit diesem vernünftigen Zugang zusammen, erst durch vernünftige Überlegungen kann die Richtigkeit einer Sache behauptet werden, da Richtigkeit immer einen Maßstab voraussetzt, an dem gemessen werden muss. Dieser Rekurs auf Vernünftigkeit spiegelt sich auch im Umgang mit Ernährung, Lebensführung, systematischer Bibellektüre etc. wider. Die Bibel erfüllt dabei eine theoretische und praktische Funktion: Sie legitimiert die Gemeinschaft der STA erstens theoretisch, sofern eine Übereinstimmung des in der Kirche Gelehrten mit den Aussagen einer als wahr angesehenen Heiligen Schrift angenommen wird. Dies betrifft gerade die ›heiklen‹ Punkten der adventistischen Lehre, etwa den Sabbat oder die Lehre vom himmlischen Heiligtum. Die Entsprechung zur Bibel (bzw. einer bestimmten Interpretation von ihr) verleiht damit auch der kirchlichen Lehre den Status der Wahrheit, den sie nur haben kann, wenn sie mit der biblischen Wahrheit übereinstimmt:

Übereinstimmung mit der Bibel

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Ich weiß, dass ich in der Kirche bin, die dem Wort Gottes am nächsten kommt, das ist jetzt ganz ein präpotenter Anspruch, ein furchtbar präpotenter, das ist mir vollkommen bewusst, aber die Bibel ist so präpotent. Die Bibel sagt von sich, ich bin die Wahrheit oder ich bin die größte Lüge, die es gibt. Und ich weiß, für mich weiß ich hunderttausendprozentig, sie ist die Wahrheit. (ADV3)

Zweitens folgen aus der Bibel praktisch eine bestimmte Lebensweise und eine spezifische Deutung des Alltags. Ein oft genannter Faktor in der Frage nach dem Selbstverständnis als Adventist war der Anspruch einer Lebensführung nach Maßgabe der Bibel. Ein Adventist ist also jemand, der sein Alltagsleben an der Bibel ausrichtet: Für mich bedeutet Adventist-Sein, dass die Bibel, das Wort Gottes, irgendwie sozusagen mein Leben leitet. Das, was Gott uns in der Bibel mitteilt, ist für mich wichtig, nach dem versuche ich zu leben, und das auch im Leben zu praktizieren, im Umgang mit anderen, dass ich karitativ tätig bin. Ja, und dass man halt wirklich versucht, das, was Gott uns in der Bibel mitteilt, dass das nicht nur ein Glaube, ein abstrakter Glaube ist, sondern dass das eben praktisch ins Leben hineinfließt und dass man versucht, das umzusetzen. (ADV6)

Die Orientierung an der Bibel gerade auch im alltäglichen Leben bedeutet eine beständige Präsentsetzung des Glaubens in verschiedenen Lebensbereichen wie Ernährung, Familienleben oder Freizeitgestaltung, was einen wesentlichen Bestandteil der adventistischen Praxis ausmacht und gerade auch den Umgang mit dem Körper entscheidend beeinflusst, wie noch zu zeigen sein wird. Systematisch unterstützt wird die Auseinandersetzung mit der Bibel durch das Bibelgespräch, welches den ersten, einstündigen Teil des Gottesdienstes ausmacht. Hierfür steht allen Gemeindemitgliedern ein weltweit koordiniertes Studienheft zur Verfügung, welches zu einem bestimmten Grundthema biblische Texte erklärt und mit Hilfe von Fragen zur persönlichen Auseinandersetzung mit ihnen auffordert. Dies wird dann in im Gottesdienst in kleineren Gruppen diskutiert. Dadurch besteht ein demokratisierendes Element in der Herangehensweise an die Bibel: Diese wird nicht nur vom Prediger ausgelegt oder in eigenen Bibelstunden von diesem angeleitet gelesen, sondern die Gemeindemitglieder selbst befassen sich mit Hilfe des Studienhefts mit der Schrift und tauschen sich darüber aus. Dadurch wird der individuelle Bezug zur Bibel noch einmal gefördert: Es soll bewusstgemacht werden, dass das Wort Gottes etwas ist, das niemand stellvertretend für den anderen lesen kann, sondern womit sich jeder selber auseinandersetzen muss, und womit sich jeder selber die Frage stellen muss, was möchte Gott mir dadurch für mein Leben sagen? (ADV1)

Im Idealfall findet eine beständige Bezugnahme zur Bibel statt, die durch die Bibelgespräche motiviert wird und in den Alltag hineinreichen soll. Auch wenn

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Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

nicht alle Gemeindemitglieder die Bibelgespräche besuchen, sondern erst zum zweiten Gottesdienstteil erscheinen, was durch die fixe Dauer von einer Stunde auch planbar ist, so wird durch diese Maßnahme die Partizipation an Gottesdienst und Bibelauslegung doch stark unterstützt. Bei den regelmäßigen Besuchen der Gottesdienste konnte festgestellt werden, dass ein großer Teil der Gemeinde auch schon zum Bibelgespräch anwesend ist.

3.2

Persönliche Gottesbeziehung

Der persönlichen Bibellektüre entspricht auch die persönliche Gottesbeziehung: Mit dem Ausdruck, eine persönliche Gottesbeziehung zu haben, haben alle Befragten ihr Adventist-Sein beschrieben. Auch wenn nicht unmittelbar danach gefragt wurde, ziehen sich verschiedene Phrasen, die eine persönliche Gottesbeziehung zum Ausdruck bringen, durch sämtliche Interviews. Das Konzept der persönlichen Gottesbeziehung stellt ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Freikirchen dar und wird zugleich als Abgrenzung zu den Großkirchen verwendet. Dieses Selbstverständnis macht deutlich, dass der Adventismus keine Sondertradition bildet, sondern im Kontext der Freikirchen und Erweckungsbewegungen anzusiedeln ist, zumindest in Europa durch den Einfluss von Conradi auch im Pietismus. Zugleich setzt er sich aber auch durch verschiedene Elemente von diesen Traditionen ab. Je nach Auslegung können diese Differenzen stärker betont werden oder aber über die gemeinsamen Grundlagen Anschluss an andere Freikirchen gesucht werden. Gerade die persönliche Gottesbeziehung bildet eine implizite Ökumene aller Freikirchen, die eine weitere Denominationalisierung verlangt, zugleich aber eine wichtige Grenzziehung zu Volkskirchen darstellt, deren Zugehörigkeit sich nicht primär durch die individuelle Beziehung begründet. Die Formulierungen, mit denen das persönliche Verhältnis zu Gott ausgedrückt wird, lassen sich wie folgt gruppieren:180 a. Formulierungen, die eine Beziehung zum Ausdruck bringen persönliche Lebensbeziehung zu Jesus (ADV1) persönliche Beziehung zu Gott (ADV3, ADV7, ADV10, ADV11, ADV12, ADV13) das Christentum ist eine Beziehungsreligion (ADV2) Verbindung zu Jesus (ADV4) mit Gott verheiratet sein (ADV10) Jesus ist mein Freund (ADV10)

180 Die Formulierungen wurden in dieser Liste in den Indikativ gebracht.

Persönliche Gottesbeziehung

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b. Formulierungen, die eine persönliche Handlung im Hinblick auf Gott/Jesus beschreiben Bekehrung (ADV1, ADV3) bewusste Entscheidung für Gott (ADV1, ADV6, ADV7, ADV8, ADV12) persönliche Entscheidung für Jesus (ADV2) sich entscheiden, zur Gemeinde zu gehören (ADV7) mein Leben Jesus übergeben (ADV2) mein Leben ganz Gott übergeben (ADV3) Jesus annehmen (ADV4)

c. Formulierungen, die eine bestimmte Lebensweise beschreiben täglich mit Gott aufstehen (ADV3) mit Jesus reden, nicht ihn verehren (ADV4) Erlösungsgewissheit haben (ADV6) Jesus nachfolgen (ADV7, ADV9)

Das Konzept einer persönlichen Beziehung zu Gott bzw. Jesus und/oder eines bewussten Aktes der Hinwendung, der eine solche Beziehung begründet, ist fundamental für das Selbstverständnis der Befragten. Entscheidend dabei ist, dass so die denominationale Zugehörigkeit transzendiert wird: Die persönliche Beziehung begründet kein spezifisches Selbstverständnis als Adventist, sondern bedeutet zunächst ein Selbstkonzept als Individuum. Die Grunddifferenz ist damit zunächst nicht jene zwischen ›adventistisch‹ und ›nicht-adventistisch‹, sondern zwischen ›gläubig‹ und ›nicht-gläubig‹. ›Glaube‹ meint hier immer eine persönliche Hinwendung zu Gott, speziell Jesus, und ist so eindeutig innerhalb der christlichen Traditionen situiert. Auch die Bedeutung der Entscheidungstaufe tritt hinter die Notwendigkeit des persönlichen Glaubens zurück, der ja diese Taufe erst begründet. Die persönliche Gottesbeziehung gilt als das Fundament des Glaubens und erlaubt damit auch eine breitere Integration des Adventismus in die christliche Welt: Es gibt auch genug Adventisten, die das nicht leben und auch keine Beziehung zu Gott haben, so wie Gott sich das vorstellt und möchte, und verloren gehen. Und es gibt sicher viele Leute in anderen Kirchen, die Gott rettet, also ich glaube, die Beziehung zu Gott ist das wichtigste, und nicht, welcher Kirche man angehört. (ADV7) Ich denke mir, ich weiß nicht, also ich bin überzeugt davon, dass Gott genauso aus anderen Kirchen oder in anderen Kirchen seine Kinder hat, und dass nicht die Adventisten die Arche sind, die dich rettet, es ist immer die persönliche Beziehung! (ADV11) Ich habe tiefen Respekt und auch große Wertschätzung vor anderen Christen klarerweise, einfach vor Leuten, die ihren Glauben ernst nehmen, ja, wo einfach das Au-

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Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

thentische da ist. Also weg von der Tradition, weg von dem, weil es meine Eltern gemacht haben, sondern einfach die Person nimmt ihren Glauben genauso ernst wie ich, oder vielleicht ernster, und ich kann mir eigentlich von der Person was abschneiden. (ADV2)

In all diesen Statements zeigt sich eine Art ›unsichtbare Ökumene des persönlichen Glaubens‹, der eine so starke Bindung zwischen dem Individuum und dem persönlichen Gott darstellt, dass darüber die denominationale Zugehörigkeit zurücktritt, wenngleich man persönlichen Glauben bei manchen Kirchen (Freikirchen) eher erwartet als bei anderen (Volkskirchen). Die persönliche Gottesbeziehung stellt die Mitglieder der Gemeinde zunächst in eine unsichtbare Ökumene jener, die ihre persönliche, bewusste Entscheidung für Gott getroffen haben. Damit ist eine Zugehörigkeit gegeben, die mit einer Abgrenzung von einem sogenannten ›Taufscheinchristentum‹ einhergeht, welches vor allem in den Großkirchen, speziell in der katholischen Kirche, vermutet wird. Daraus folgt aber noch nicht eine besondere Zugehörigkeit zur spezifisch-adventistischen Tradition. Trotz des engen Bezugs von adventistischem Selbstverständnis und persönlichem Glauben räumt ADV7 ein, dass es auch Adventisten ohne echte Gottesbeziehung gibt, die das ewige Heil auch nicht erlangen würden. Auch ADV11 schlägt ähnliche Töne an, die Gottesbeziehung gilt als wichtigstes Kriterium des ewigen Heils, nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Tradition. Eine solche Grundhaltung entspricht auch der offiziellen adventistischen Position, die klarstellt, dass Gott »in allen Kirchen und Gemeinschaften seine Kinder«181 hat. Rodr&guez weist freilich darauf hin, dass es innerhalb der STA verschiedene Auslegungen vom Begriff der ›Übrigen‹ gibt, dennoch stellt er als theologische Position noch einmal klar : Zwar sind die STA als Gemeinschaft tatsächlich die ›Übrigen‹, allerdings trifft dies nicht auf jedes einzelne Mitglied zu. Umgekehrt gibt es auch in anderen Denominationen ›Übrige‹, in der Endzeit würden sich diese aber den STA anschließen.182 Die starke Betonung der persönlichen Glaubensbeziehung ist neben der Ausrichtung an der Bibel eine Grundverankerung der STA in der Tradition der Freikirchen und macht sie prinzipiell an diese anschlussfähig. Knights schon zitierte Streitschrift über die ›apokalyptische Vision‹ diagnostiziert und kritisiert gerade solche Ideen der Annäherung an die evangelikalen Kirchen in den USA, die er als ›Neutralisierung des Adventismus‹ bezeichnet. Knight vertritt dagegen eine Mittelposition, die einerseits die Gemeinsamkeiten mit anderen Kirchen anerkennt, andererseits aber auf dieser Basis auch klare Grenzen setzt, wobei er hier Ellen White, den Sabbat, die Endzeit und das himmlische Hei-

181 Was Adventisten glauben, 252. 182 Rodríguez, Die Übrigen und die Adventgemeinde, 47–48.

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ligtum eigens als Unterschiede nennt.183 Eine solche Haltung lässt sich auch für die Befragten aufweisen: Zwar gab es vereinzelte Fälle von Gemeindemitgliedern, die zu einer anderen Freikirche konvertierten. Dies stellt jedoch eine Ausnahme dar, und auch der Austausch mit anderen Kirchen ist nur rudimentär entwickelt. Dies lässt sich m. E. auf drei Faktoren zurückführen: Erstens ist die Mehrzahl der Befragten schon in einer adventistischen Familie aufgewachsen, es gibt eine ›Glaubenssequenz‹ im Sinne Hervieu-L8gers, d. h. ein Bewusstsein um historische und familiäre Kontinuität sowie eine Identifikation mit Personen und Gemeinschaften aus der Vergangenheit.184 Zweitens wird der persönliche Glaube mit einer starken Orientierung an der Bibel verbunden, aber begleitet von der Annahme, dass nur bei den STA die Bibel vollständig gelehrt wird bzw. allein die Lehren der STA vollständig mit der Bibel übereinstimmen. So sehr also die Bibel ein verbindendes Element zu anderen Kirchen darstellt, so sehr wird die Bibelauslegung auch als differenzierendes Element verstanden. Drittens schließlich ist es vor allem ein Faktor, der zugleich das eigene Selbstverständnis stützt und eine nahezu unüberbrückbare Grenze zu allen anderen Denominationen errichtet: der Sabbat.

3.3

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Der Sabbat markiert eine theologische, aber auch praktische, Grenze zwischen den Adventisten und nahezu allen anderen christlichen Denominationen.185 Das Halten des Sabbats weist die STA theologisch als die ›Übrigen‹ aus, da sie als Einzige die Zehn Gebote ganz einhalten, während nach adventistischem Verständnis alle anderen Kirchen mit dem Sonntag einen Feiertag haben, der nicht ursprünglich von Gott bestimmt wurde. Der Sabbat ist dabei nicht nur ein Zeichen der Übereinstimmung mit der Bibel, sondern in der Endzeit auch ein »Prüfstein der Treue« zu Gott, er wird »DAS Zeichen des Volkes Gottes in der letzten Zeit sein, im Gegensatz zu denen mit dem Malzeichen des Tieres, das den Versuch darstellt, einen Tag heilig zu halten, den Gott nicht als heilig abgesondert hat«186, wie es Ted Wilson, Präsident der Generalkonferenz der STA, ausführt. Das Halten des Sabbats geht also weit über die Bedeutung als richtiger Tag 183 Vgl. Knight, Die apokalyptische Vision, 16–21. 184 Vgl. Hervieu-Léger, Pilger und Konvertiten, 10–14. 185 Die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Baptisten existiert noch, allerdings mit einer nur sehr kleinen Mitgliederzahl, vgl. http://www.seventhdaybaptist.org (abgerufen am 16. August 2017). Auch in der äthiopisch-orthodoxen Kirche wird der Sabbat zusätzlich zum Sonntag gefeiert, wenngleich nicht in allen Provinzen, vgl. Heyer, Friedrich: Die Kirche Äthiopiens, Berlin: de Gruyter 1971, 82–83. 186 Wilson, Geht voran!, 12.

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der Gottesdienstfeier hinaus. Gleichzeitig ist der Sabbat auch eine alltagspraktische Grenze, die ein Gemeindemitglied immer wieder auf seine adventistische Zugehörigkeit zurückverweisen kann: Die Teilnahme an Veranstaltungen, die samstags stattfinden, kann ebenso problematisch sein wie ein Arbeitsrecht, das grundsätzlich nur den Sonntag als freien Tag vorsieht und einen adventistischen Arbeitnehmer in Konflikt mit seinem Arbeitgeber bringen kann. Auch als (in Österreich mittlerweile abgeschaffter) Schultag, Prüfungstag187 oder Blocktermin an Universitäten wird der Sabbat schnell zu einer salienten Grenze, die den Gläubigen dazu herausfordert, für seine Überzeugung einzustehen und so die adventistische Zugehörigkeit im Alltag sichtbar macht. Gefragt nach ihrem Selbstverständnis als Adventist wurde der Sabbat nicht so häufig unmittelbar genannt wie die persönliche Gottesbeziehung und die Bibel, zwei Elemente, die sich auch in anderen Denominationen finden. Im Laufe der Interviews wurde jedoch schnell deutlich, dass der Sabbat in ganz unterschiedlichen Bereichen permanent als unterscheidendes Merkmal genannt wird, als Spezifikum der STA, das eine unüberwindbare Grundunterscheidung zu allen anderen christlichen Gemeinschaften darstellt, die auch im Alltagsleben erfahren wird. Der Bezug auf den Sabbat ist so stark, dass auch Ehen mit NichtAdventisten von manchen mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass es hier Probleme mit dem Sabbat geben würde. In einem Bibelgespräch in der Gemeinde, das den Sabbat zum Thema hatte, wurden Nicht-Adventisten, welche somit auch den Sabbat nicht kannten, regelmäßig als »Außenstehende« und »Ungläubige« bezeichnet, die den Sabbat nur einmal »ausprobieren« müssten, um seine heilende Kraft zu erfahren.188 Das Halten des Sabbats zieht also eine sehr wirksame Grenze um die Gemeinde, die sich auch sprachlich abbildet. Das Halten des Sabbats gilt grundsätzlich zwischen den Sonnenuntergängen von Freitag und Samstag und wird von der offiziellen Kirche als herausragendes Gebot verstanden, dessen Einhaltung ein wichtiges Zeichen der Gottestreuen ist, dementsprechend wird die Verlegung des Feiertags auf den Sonntag als schwere historische Fehlentwicklung im Christentum verstanden. Dagegen ist der Sabbat für die STA eine Erinnerung an die Schöpfung und ist damit untrennbar verbunden mit dem Glauben an eine Sechs-Tage-Schöpfung (oder sieben, je nachdem, ob man den siebenten Tag als Ruhetag zum Schöpfungsprozess dazurechnet), er gilt als ein Symbol der Erlösung, ein Zeichen der Heiligung, der

187 Im Jahre 2011 sorgte etwa das Ansetzen der österreichischen Zentralmatura (Abitur) an einem Samstag für Aufregung, welches dann auf Druck der israelitischen Kultusgemeinde und der STA zurückgenommen wurde, vgl. Zachhuber, Cornelia: Zentralmatura am Sabbat?, in: Adventisten aktuell 23 (2011) 6. 188 Bibelgespräch in der Adventgemeinde am 18. Februar 2012.

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Treue, der Gemeinschaft, der Rechtfertigung und der endgültigen Ruhe in Christus.189 Das Erleben des Sabbats weist dabei zwei Grundrichtungen auf: Die erste ist dessen Bedeutung für das eigene Glaubensleben und die Ruhe, die man als wichtig für die Gesundheit und das Leben insgesamt empfindet. Die zweite ist die Differenzerfahrung, die sich im Alltag, in der Selbstunterscheidung von anderen christlichen Denominationen und im Hinblick auf die Endzeit ausdrückt. Ein Beispiel für den ersten Fall ist ADV6: Der Sabbat ist für mich, alleine wegen dem Studium, sechs Tage so viel zu tun, ja, und am Samstag mache ich es wirklich so, da lege ich Freitagabend alle Bücher in die Ecke, schaue gar nicht rein, denke nicht darüber nach, so dass ich sage, ich brauche diesen Tag so sehr! Ich kann ihn allein schon deswegen, ich kann schon so mit logischen Argumenten belegen, dass so ein Tag der Ruhe wichtig ist, weil ich merke, das bringt mir so viel, das macht mir so einen Vorteil, ich kann dann richtig effektiv wieder anfangen am Sonntag respektive Samstagabend. Und das andere ist natürlich, dass der Samstag ein Tag des besonderen Segens ist, es ist nicht nur die Gemeinschaft, die ich jetzt mit anderen habe, und dass das ein Zur-Ruhe-Kommen ist, es ist eigentlich auch hauptsächlich die Gemeinschaft mit Gott, die ich, die man erleben kann. (ADV6)

Dieses Statement, auch wieder mit dem schon erwähnten rationalistischen Zugang, fasst die Grundhaltung der Befragten gut zusammen: Betont wird vor allem der Aspekt der Erholung und der Ruhe, der einen unmittelbar positiven Effekt auf Leben, Gesundheit und Beruf hat. Der Sabbat hat also nicht nur eine gesonderte religiöse Bedeutung, sondern wirkt trotz seines Status als herausgehobener Tag in den Alltag hinein. Dies könnte freilich für jeden Ruhetag gelten, ADV6 betont jedoch, dass gerade auf dem Sabbat ein besonderer Segen Gottes liegt, der ihn über andere Tage der Ruhe hinaushebt. Hervorgehoben wird weiter der Gottesdienst und der doppelte Aspekt der Gemeinschaft mit Gott und der Gemeinde. Diese Gemeinschaft erstreckt sich nicht nur auf die Zeit des Gottesdienstes, sondern auch der Rest des Tages wird sehr häufig mit Mitgliedern aus der Gemeinde verbracht, was den Zusammenhalt zusätzlich stärkt. Ähnlich formuliert es etwa auch ADV2: Ich versuche den Sabbat für mein persönliches Leben ganz bewusst frei zu halten, als Tag der Einkehr. Das ist der Tag, wo ich in die Kirche gehe, ganz bewusst zum Gottesdienst gehe, und auch den Nachmittag versuche ich, mit Freunden zu verbringen, mit der Familie zu verbringen, um einfach auch für mich einen Unterschied zur Woche zu haben. Und ich muss sagen, das tut mir sehr gut, wirklich einen Tag in der Woche zu haben, wo ich sagen kann, da gibt es kein Lernen, da gibt es kein Arbeiten, da gibt es nur bewusst Abschalten und bewusst Abstand Gewinnen von den Dingen, die einen sechs

189 Vgl. Was Adventisten glauben, 370–376.

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Tage die Woche oder fünf Tage die Woche auf Trab halten. Also der Sabbat hat aus der Ecke schon eine sehr zentrale Bedeutung. (ADV2)

Die große Ähnlichkeit der beiden Aussagen, die sich auch bei den anderen Befragten findet, zeigt ein gewisses Grundskript im Sabbatverständnis und in der Sabbatpraxis, welche sich aus Erholung, Gottesdienst und Gemeinschaftserfahrung zusammensetzen. So wird der Sabbat zum zentralen Element der Wochengestaltung, das über religiöse Fragen hinaus auch einfach »ein massiver Gewinn für die Gesundheit« (ADV3) ist, indem die Sabbatruhe, also vor allem das Abstehen von Berufs-, Schul-, Studien- und Haushaltsarbeit, eingehalten wird. Freilich ist die richtige Sabbatpraxis auch ein möglicher Konfliktpunkt, da es unterschiedliche Meinungen in der Gemeinde darüber gibt, welche Tätigkeiten am Sabbat erlaubt sind und welche nicht. Hier kommt es bei Meinungsverschiedenheiten durchaus vor, dass man von anderen Gemeindemitgliedern kritisch auf die eigene Sabbatpraxis angesprochen wird. Solche Auslegungen unterliegen jedoch dem persönlichen Gewissen, sofern sie nicht mit Grundprinzipien des Sabbats in Konflikt geraten. Doch damit liegt im Sabbat auch ein gewisses internes Konfliktpotenzial begründet. Schwierig kann auch die ›Sabbatpädagogik‹ werden, sofern es gerade mit kleinen Kindern nicht so einfach ist, »sich höheren Gedanken widmen zu können, sich psychisch, physisch und geistig zu erholen und sich mit erhabenen Dingen zu beschäftigen«, wie ADV3 den idealen Sabbat beschreibt. ADV10 und ADV11 berichten als Mütter von negativen Erfahrungen, die Kinder mit einer strengen Sabbatpraxis machen: Ich versuche, den Sabbat so sabbatlich wie möglich zu gestalten, soweit es geht. Wir haben Gäste und so weiter, und ich schaue, dass die Kinder auch Freude haben am Sabbat und nicht das Gefühl haben, Sabbat ist etwas Furchtbares, wo man nicht fernsehen darf, wo man nur christliche Filme schauen oder in die Gemeinde gehen muss, die Krawatte anschnallen muss und so. (ADV10) Die Schwierigkeit war auch, den Kindern den Sabbat zu vermitteln, dass sie eine Freude daran haben. Der [N. N.] hat das zum Beispiel erlebt, bei denen sind die Spielsachen zu Hause weggeräumt worden, weil am Sabbat wird nicht gespielt so wie unter der Woche, und da reden sie dann über irgendwelche geistlichen Themen, die Kinder müssen stillsitzen, und das war irgendwie so schlimm, dass sie gesagt haben, wann ist er endlich vorbei, und haben schon auf die Uhr geschaut, wann ist Sabbatschluss, so dass ich dann wieder normal sein kann oder spielen kann. Das hat sich sehr eingeprägt, wo wir gesagt haben, das wollen wir auf keinen Fall, und bis jetzt freuen sich unsere Kinder schon auf den Sabbat, wo sie sagen, kein Schulstress, und unternehmen wir was, und machen wir was, das ist dann angenehm. (ADV11)

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In diesen Statements zeigt sich auch eine kritische Reflexion des Sabbats abseits des positiven Selbsterlebens der anderen Befragten. Ein Sabbat, der als Zwang erlebt wird, kann so auch negativ auf die Identifikation wirken, so dass eine ›Sabbatpädagogik‹ eine große Herausforderung für Eltern darstellt. Die größte Herausforderung ist freilich der Konflikt der Sabbatruhe mit Arbeits- und Ausbildungszeiten, den sehr viele Befragte selbst erlebt haben und der eine adventistische Zugehörigkeit und die entsprechenden Grenzziehungen im Alltag sichtbar macht: Die Sabbatfrage, oder dass man bei bestimmten Anlässen nicht alles konsumiert und man sich bestimmter Speisen enthält, das wirft Fragen auf. Oder wenn man einen Beruf ausübt und sagt, Samstag ist der Tag der Anbetung für mich, Tag der Begegnung mit Gott, eine heilige Zeit, die ich beiseite tue für Gott, ja, und für die Gemeinschaft mit ihm, das stößt auf Unverständnis und es ist nicht einfach, das jemandem klar zu machen. Alles andere ist mit der Vernunft nachvollziehbar, es ist auch alles ethisch anerkannt, ja, du sollst nicht töten, du sollst nicht lügen, das sind so gesellschaftliche, christliche Werte, die sind allgemein akzeptiert. Aber beim Sabbat, wenn man den Sabbat achtet, als ein Zeichen der Treue, das ist eine Treue, die auch da und dort sanktioniert wird und mit Opfern verbunden ist, und man nimmt das auf sich. (ADV9)

ADV9 ordnet hier nach adventistischer Tradition das Sabbatgebot unter die Zehn Gebote, bemerkt jedoch auch dessen Sonderstatus in einer nach wie vor christlich geprägten Gesellschaft, die zwar manche der Zehn Gebote vorbehaltlos anerkannt, gerade das Sabbatgebot aber gar nicht. Neben den Ernährungsvorschriften ist es vor allem der Sabbat, der zu einer für andere schwer nachvollziehbaren Grenze im Alltag werden kann, die auch ein Konfliktpotenzial beinhaltet. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes oder der Fortgang des Studiums können im schlimmsten Fall bedroht sein, und so sehr viele Befragte auf eine meist wohlwollende Behandlung durch Arbeitgeber, Universitäten oder Schulen hinweisen, so sehr gab es auch Konflikte, die erst durch Rechtsabteilungen entschieden werden mussten. Wie ADV9 zeigt, kann das Nichtgelingen dieses Ausgleichs als ›Opfer‹ verstanden werden, was wiederum die Identifikation erhöht, da ein Opfer stets als wertvoll und notwendig begriffen wird. Die Treue zum Sabbat wird so zu einer stark erfahrbaren symbolischen, aber hier auch sozialen, Grenze, die eine Person sehr stark auf ihren Glauben verweist. Konflikte können dazu führen, ungewollte Kompromisse einzugehen, aber eben auch die Identifikation stärken. ADV11 berichtet einen beispielhaften Fall mit einem geblockten Unterricht an der Schule ihrer Tochter : Der Unterricht war am Freitag von vier bis sechs oder so, und das im Winter, also das Problem, dass der Sabbat da schon beginnt. Dann sagst du, ist dir das jetzt egal und sie bleibt einfach? Sie hat es aber selber nicht geschafft, sie hat sich ja vor zwei Jahren taufen lassen, und hat gesagt, das kann sie nicht. Dann hat sie mit dem Professor geredet und der hat gesagt, nein, das sieht er nicht ein und das geht nicht und dann

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verliert sie die Stunden und so weiter. Dann hat sich noch einmal mit ihm geredet, dann hat er gesagt, nein und so. Und dann hat sie gesagt, nein, dann kommt sie nicht hin und er sagt, dann ist das unbeurteilt, und sie ist da sehr konsequent, also die ist echt stark da. Und dann habe ich natürlich mitgehen dürfen und dann sind wir aufsalutiert vor dem Direktor, das sind sogenannte Humanisten, die von dem überhaupt nichts halten und die uns so richtig fertiggemacht haben. Letztendlich hat Gott trotzdem gesiegt, sage ich, und wir haben das gekriegt und sie hat ihren Einser gekriegt für das Fach und fertig. Und sie war einer der wenigen, die immer da waren, außer eben, das waren eh nur ein paar Freitage, wo sie gar nicht da war, und sonst ist sie halt um fünf wieder gegangen. Und er hat einfach ihren guten Willen gesehen, sie hat alles Sehr gut gehabt jetzt. Die haben gewusst, sie will ja, aber die haben uns halt fertiggemacht, also mich besonders, wie ich das verantworten kann, und sie ist so ein intelligentes Mädchen und ich verbaue ihr die Zukunft total, das war echt schlimm. Die haben eineinhalb Stunden auf uns eingeredet und immer das Gleiche, immer das Gleiche, der hat gesagt, er ruft jetzt den Landesschulrat an, weil für Sabbat gibt’s ja eine Regelung, weil früher war ja am Sabbat Schule, da haben die Kinder nicht gehen brauchen, da hat’s eine Ausnahmeregelung gegeben oder gibt’s noch immer, aber für Freitagabend gibt’s die nicht. Ja, und das war schlimm, aber es war dann auch wieder eine Erfahrung, die hat meine Tochter und mich zusammengeschweißt und die Beziehung zu Gott auch, wo wir sagen, Gott, wird er das machen? Und er hat’s gemacht, das ist gut gegangen! Aber die Situation war sehr angespannt und unangenehm. (ADV11)

Dieser Fallbericht zeigt, wie der Sabbat im Alltag als saliente Grenze wirksam werden kann. Herausgestrichen wird die Konsequenz, mit der die Tochter den Sabbat verteidigt hat, und vor allem der Druck des ›humanistischen‹ Direktoriums, wobei hier ›humanistisch‹ in erster Linie mit Unverständnis, sogar Ablehnung gegenüber Religion assoziiert wird, mit dem offenen In-FrageStellen der Erziehung im adventistischen Glauben. Umso stärker betont wird daher der Zusammenhalt zwischen Mutter und Tochter und die Bestätigung des eigenen Gottesbildes und des Selbstverständnisses als religiöser, adventistischer Mensch. An diesem Beispiel zeigt sich, dass Konflikte um den Sabbat den Prozess der Identifikation stützen können, zugleich ist aber auch klar, dass nicht alle Konflikte dieser Art positiv ausgehen. Mit solchen Streitfällen wird freilich auch eine Grunddifferenz zur Gesellschaft erzeugt, wenn suggeriert wird, dass in dieser kein Platz für (die adventistische) Religion ist: Das zitierte Direktorium weist offen auf einen Widerspruch zwischen Sabbatruhe und erfolgreicher beruflicher Zukunft hin, so dass eine solche säkulare, ›humanistische‹ Gesellschaft negativ erscheint. Neben möglichen Differenzerfahrungen im Alltag markiert der Sabbat natürlich auch einen entscheidenden Unterschied zu (fast) allen anderen christlichen Denominationen. Trotz des Bewusstseins der Übereinstimmung mit anderen christlichen Kirchen in vielen relevanten Fragen des Glaubens (beginnend mit der schon erwähnten Bedeutung der persönlichen Gottesbezie-

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hung), erweist sich der Sabbat als klar bewusstes Unterscheidungsmerkmal, das dem Adventismus theologisch und praktisch eine abgegrenzte Stellung einbringt. Praktisch wirkt sich dies vor allem durch den anderen Tag der Feier aus, theologisch durch die Relevanz, die dem Sabbat als Erkennungsmerkmal der ›Übrigen‹ zukommt. Wir Adventisten glauben, dass was Gott uns in seinen Geboten sagt, dass das für uns noch relevant ist, und die meisten anderen, vor allem protestantischen Kirchen, sehen das ja nicht so, soweit ich das jetzt beurteilen kann, ich kenne ja nicht alle. Also vor allem Evangelikale, die ja sagen, dass die Gebote heute nicht mehr so relevant sind, weil ja Jesus für uns gestorben ist und die Gebote sozusagen aufgehoben sind, also wir sehen das nicht so, ja? Wir sehen, dass das Gesetz, das Gott uns gegeben hat, ein Ausdruck seines Wesens ist, und nachdem Gott sich nicht ändert, ändert sich das Gesetz auch nicht, und eben im Gegensatz zur katholischen Kirche, die ja das vierte Gebot, das Sabbatgebot, in den Sonntag geändert hat. Da sagen wir, mein Gott hat gesagt, den Sabbat sollst du heiligen, also heiligen wir auch den Sabbat. Das ist also so der Unterschied, den ich zu den Kirchen sehe. (ADV8) Ich habe kein Problem damit, mal mit jemandem am Sonntag in die Kirche zu gehen, also ich habe eine Freundin aus der freien evangelikalen Kirche gehabt, so während der Studienzeit, und dann habe ich mit ihr auch mal mitgeschaut. Aber ich würde nicht wechseln von Sabbat auf Sonntag, weil ich einfach weiß, dass es der richtige Tag ist, wobei ich schon glaube, dass das ein Punkt sein wird so, wo dann doch da drauf auch gepocht werden wird, man muss den Sonntag heiligen und so, das finde ich dann schon problematisch, fände ich problematisch. (ADV7)

Obwohl mit Ausnahme von zwei anderen Befragten ein grundsätzlich positives und offenes Verhältnis zu anderen christlichen Kirchen ausgedrückt wird, wird doch der Sabbat (und bei ADV8 auch die damit verbundene Gesetzestreue) als Merkmal der STA hervorgehoben. Der Sabbat erweist sich dabei als einfache und doch klare Grenze, die sowohl praktische als auch theologische Unterschiede markiert. Zwei Befragte haben darüber hinaus anhand des Sabbats eine sehr scharfe Abgrenzung zur restlichen Welt des Christentums vorgenommen: Es gibt auch schon adventistische Gemeinden, besonders in Deutschland und Holland, was ich gehört habe, die sich auch der Ökumene anschließen. Und das ist ganz, ganz schlimm, weil ich finde, wir haben schon sehr viel Bibelwissen, und da sollte man eigentlich wissen, dass das nicht möglich ist, schon wegen dem Sabbat nicht. (ADV4) Der Protestantismus wird zum Evangelischen verharmlost, es wird vergessen, warum sie eigentlich überhaupt Protestanten sind. Und mit dem Sonntag sind sie sowieso schon assimiliert, und die sabbathaltenden Protestanten werden weniger. Die Grundlage des Sonntags ist schon so wahnsinnig, ja, für mich gibt’s da ja überhaupt keine Chance, an einem Sonntag festzuhalten, weil es nicht sein kann, wenn Gott hundertmal sagt und bestätigt, ›du bitte, das ist mein Tag, hallo, und daran werde ich dich unter anderem messen, und das ist das Gebot, das ich herausstelle, weil der Abschluss von den Vieren, die für mich wichtig sind‹. Und wenn das der Schöpfer sagt, und wenn ich

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mich an die Schöpfung erinnern soll und mit ihm den Tag verbringen soll, wenn er sagt, ›ich lege einen bestimmten Segen darauf und den sollst du spüren, den will ich, dass du hast‹, wie kann man das tun, einen Sonntag heiligen, der noch dazu aus dem Sonnenkultus kommt, der eigentlich dem Totenkult gewidmet ist, na? Das ist mir, ich bin ein Kind des Lebens, das sind Dinge, die ich nicht verstehen kann. (ADV3)

Die Kritik von ADV4 an ökumenischen Bestrebungen mancher adventistischen Gemeinden wird hier mit dem Sabbat untermauert, der von sich aus ein ökumenisches Engagement von Adventisten verbietet. Sehr eindeutig ist ADV3, die den Ursprung des Sonntags als heidnisch (aus dem antiken Mithras-Sonnenkult kommend) einstuft und massive Kritik an den protestantischen Kirchen übt, die in dieser Frage nicht zum biblischen Text zurückgekehrt sind. Die Feier des Sonntags wird als klar widergöttlich beschrieben und damit eine völlig unüberbrückbare Differenz von Adventismus und übrigem Christentum aufgebaut. Gerade ADV3 und ADV4, die auf eine klare, am Sabbat orientierte Unterscheidung Wert legen, bringen auch explizit eine sonst nur noch von ADV7 angedeutete Bedeutung des Sabbats als Unterscheidungsmerkmal zwischen Gottestreuen und Gottlosen in der Endzeit zum Ausdruck. Die traditionelle adventistische Lehre bezieht die apokalyptische Rede vom ›kleinen Horn‹ (vgl. Dan 7) auf die katholische Kirche bzw. das Papsttum, da durch diese der Feiertag Gottes eigenmächtig vom Sabbat auf den Sonntag verlegt wurde. Demnach würden schließlich auch die Sabbathalter als die Treuen Gottes von der religiöspolitischen Macht, zu der sich die katholische Kirche entwickeln soll, verfolgt werden. Diese Auslegung wurde vor allem durch Ellen Whites Werk The Great Controversy inspiriert, dem zufolge durch die dereinst wiedergewonnene Macht der katholischen Kirche »die Befolgung religiöser Verordnungen mit Hilfe weltlicher Gesetze erzwungen wird«190. Gemeint ist hier vor allem der Sonntag, dessen Gültigkeit gegen den Sabbat gewaltsam durchgesetzt werden soll. Und es wird ja wieder Christenverfolgung geben, und gerade Sabbathalter werden verfolgt und das geht ja alles von der katholischen Kirche aus, und der Ratzinger, der war eh der Chef von der Inquisition. Und das ist ja schlimm bei der Inquisition, dass sie die Gesetze nicht geändert haben, die ruhen ja nur, aber die Gesetze sind da, sie können sie jederzeit wieder … (ADV4) Ich habe da keine Angst vor dem Tod, weil sie mich, weil ich den Sabbat halte, einmal umbringen werden. Ja und, was weiter? Das nächste, was ich sehe, wenn ich die Augen aufmache, ist Jesus, und ich hab’s hinter mir. Also, diese Heilsgewissheit, die wirklich Gott geben will. Was will ich machen, der Herrscher des Universums ist bei mir. Und der Glaube zeigt sich darin, ob ich die Lebensentscheidungen ernsthaft so treffe, dass ich mich auf diese Zeit vorbereite und den Mut habe, auch in diesen Zeiten noch zu Gott 190 White, Vom Schatten zum Licht, 530.

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zu stehen. Daran wird es sich messen, wenn dann der Polizist vor dir steht und sagt, ›Sonntag oder Sabbat‹, Malzeichen des Tieres oder Siegel Gottes. Darauf kommt es an, das andere sind Nebengeräusche, die dich stärken oder schwächen können. (ADV3)

Diese Aussagen zeigen, dass der Sabbat weit über die praktische Frage, an welchem Tag ein Gottesdienst stattfinden soll, hinausgeht. ADV4 spricht hier ganz in der Tradition Whites von Christenverfolgung durch die katholische Kirche, was einen impliziten Gegensatz von Christ und Katholik markiert, wobei Sabbathalter das bevorzugte Ziel der Verfolgung sein würden. Ihre Begrifflichkeiten sind dabei von Whites The Great Controversy beeinflusst. Die Amtszeit von Papst Benedikt XVI. (2005–2013), als Kardinal Joseph Ratzinger einst Leiter der Glaubenskongregation, wird bereits als Vorbote dieser neuen Inquisition angesehen. Noch weitaus deutlicher wird ADV3, die erwartet, einmal selbst Opfer dieser Christenverfolgung zu werden, was den Glauben an eine zeitliche Nähe dieses Ereignisses voraussetzt. Sie beschreibt dies sehr plastisch mit dem Bild des Polizisten als Inbegriff der staatlichen Macht, die hier im Dienste einer falschen Religion steht. Der Sonntag ist hier das apokalyptische ›Malzeichen des Tieres‹, welches seine gewaltsame Macht gegen die Sabbathalter richtet. Bei aller vordergründig praktisch-pastoralen Bedeutung des Sabbats als Grenze zu anderen christlichen Kirchen darf daher diese apokalyptische Bedeutung, die letztlich eine Grenze von ewigem Leben und Tod ist, nicht unterschätzt werden, und sie zeigt, dass der Sabbat bezüglich Identifikation und Abgrenzung eine starke Tiefendimension besitzt.

3.4

Endzeit und Naherwartung

In den Worten des adventistischen Theologen Hans Heinz zeichnet sich der wahre Christ, damit der Adventist, durch seine »brennende Erwartung des Kommens Christi«191 aus. Die spezifische Auslegung der apokalyptischen Texte, angefangen von der Daniel-Interpretation und der Lehre vom himmlischen Heiligtum über das Untersuchungsgericht, das seit 1844 im Himmel durchgeführt würde, über Ellen Whites einflussreiches Werk The Great Controversy bis hin zur Naherwartung und der besonderen Rolle, die die STA selbst in ihrer Endzeitvision einnehmen – sie bestimmen ganz wesentlich Selbstverständnis, Theologie, Gemeindeleben und Predigt mit. Vor allem in den USA und Europa ist diese überragende Bedeutung jedoch nicht mehr so klar : Übertrieben geschürte Ängste vor der Jahrtausendwende, das vergebliche Warten auf ein als unmittelbar bevorstehend verstandenes Ereignis, der Streit um die sogenannte 191 Aussage am 27. April 2012 bei der Tagung ›Die Naherwartung und die Adventgemeinde heute‹ in Bogenhofen.

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›Theologie der letzten Generation‹192, weiter ein liberaleres, weltoffeneres Selbstverständnis mancher jüngerer Theologen, aber auch wachsender Wohlstand und Bildung haben eine gewissen Zuwendung zur Welt und damit eine Abkehr von der Dringlichkeit, mit der das zweite Kommen Christi verkündet wurde, bewirkt. Knight stellt für die USA fest, »dass viele jüngere Pastoren und Gemeindemitglieder noch nie etwas von unserer Endzeitbotschaft, der apokalyptischen Vision, gehört haben, während sich die älteren fragen, ob sie sie immer noch glauben oder verkündigen können«193. Bei der Tagung ›Die Naherwartung und die Adventgemeinde heute‹ (27. bis 29. April 2012 in Bogenhofen) wurde diese Entwicklung von den adventistischen Theologen ]ngel Rodr&guez, Mark Finley, Frank Hasel und Hans Heinz auch offen angesprochen. Auch im Selbstverständnis der befragten Gemeindemitglieder nimmt die Naherwartung der Endzeit zwar eine starke, aber im Vergleich zum persönlichen Glauben, zur Bibel und zum Sabbat nicht ganz so ausgeprägte Rolle ein. Oft wird die Naherwartung erst auf Nachfrage angesprochen oder kommt erst am Ende der Überlegungen zum eigenen Selbstverständnis vor. Auf Nachfrage betonen jedoch alle Befragten, dass die Naherwartung eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt, wenngleich diese im Alltag oft zurücktritt und erst im Gottesdienst, durch Bibellektüre oder Medienberichte aufleuchtet. Es liegt auf der Hand, dass die Elemente persönlicher Glaube, Bibel, Sabbat und Lebensstil eine auf das alltägliche Selbsterleben stärkere Wirkung haben als die Naherwartung. Durch die Ereignisse nach dem 11. September 2001, die Kriege und Umwälzungen im Nahen Osten sowie die Weltwirtschaftskrise ab 2008 ist das endzeitliche Bewusstsein vor allem durch die Medien wieder mehr angeregt worden, was sich auch in den Aussagen widerspiegelt. ADV4 hat ihr Selbstverständnis als Adventistin sofort im Hinblick auf die Naherwartung dargelegt und bezieht sich auf die Gegenwart: Adventist heißt ja, so wie Advent, eigentlich ›Warten‹, nicht, oder wie das genau heißt, ja? Wir warten eigentlich auf die Wiederkunft Jesu, nicht, das ist das, auf das ich mich eigentlich schon sehr freue. [lacht] Weil es wird eh immer schlimmer, wenn du so 192 Bis heute wird dieses Konzept des adventistischen Theologen Milian Andreasen (1876– 1972) so heftig kritisiert wie es auch breit rezipiert wird. Es wird hier, grob verkürzt, die schon im Pietismus verbreitete Ansicht vertreten, dass der Wiederkunft Christi eine vollkommene, sündlose Generation wahrer Gläubiger vorausgeht. Damit wird ausgesagt, dass der Mensch selbst die Sünde überwinden kann und dies erst das Kommen Christi ermöglicht. Bei einer Predigt in der Adventgemeinde am 9. Juli 2011 vertrat der anwesende Gastprediger einen ähnlichen Zugang, er kritisierte die Adventisten und auch die Gemeinde für ihre Laschheit, da sie es doch selber in der Hand haben, die Voraussetzungen für die Wiederkunft Christi herzustellen. Auch STA-Präsident Ted Wilson äußerte Gedanken dieser Art, vgl. Wilson, Ted: ›God’s Promised Gift‹. An Urgent Appeal for Revival, Reformation, Discipleship, and Evangelism, in: Ministry Magazine 82/12 (2010) 10–13. 193 Knight, Die apokalyptische Vision, 156–157.

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schaust, die ganzen Nachrichten kannst du schon gar nicht mehr anschauen, was da noch auf uns zukommen wird, mit Wirtschaftskrise und, und, und, Verbrechen werden immer mehr, und für mich ist es ein deutliches Zeichen, dass es nicht mehr lange dauern wird, also, dass Jesus sicher bald kommen wird. (ADV4)

Abgesehen von der Fehlübersetzung des Wortes Advent mit »Warten« entspricht ADV4 hier ideal Heinz’ Definition vom wahren Christen als Erwartenden. Gemeinsam mit ADV1 hat sich ADV4 so am klarsten über die Naherwartung definiert und bringt diese in einen unmittelbaren Zusammenhang mit den negativen medialen Schlagzeilen der Gegenwart. ADV10 dagegen erwähnt zunächst die Naherwartung überhaupt nicht, bezieht sich dann auf Nachfrage aber ebenso wie ADV3, ADV7, ADV11 und ADV12 auf die weltweiten Krisenerscheinungen als mögliche Zeichen der Zeit: Manchmal ist es sehr nahe, wir überlegen schon, einen Bauernhof zu kaufen und Selbstversorger zu werden, und manchmal rückt es ein bisschen in den Hintergrund, wenn der Alltag so ist, dass man damit ausgefüllt ist. Aber ich bin mir immer dessen bewusst, dass es auch allein ressourcenmäßig auf der Erde nicht lange dauern kann, auch wenn [ein Verwandter] sagt, es wird sich alles erholen. Aber man sieht’s einfach, es ist so, Jesus kommt sicher bald. Ich weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, auch wenn vor hundertfünfzig Jahren die Gemeinde so entstanden ist, dass man sich gesagt hat, Jesus wird jetzt kommen, und es sind noch hundertfünfzig Jahre vergangen. Aber ich glaube nicht, dass es weitere hundertfünfzig dauern wird. Meine Oma hat immer gehofft, dass sie Gott erlebt, wie er kommt, sie hat es nicht erlebt. Ja, vielleicht erleben wir das, schauen wir mal. Wenn du beobachtest so rundherum, was geschieht, was passiert, ich habe sehr viele Ängste gehabt, auch so Atomkrieg, Umweltkatastrophe und so weiter, und das hat mir da sehr geholfen, dass ich sage, okay, es geht wirklich irgendwie zu Ende, aber es gibt eine Aussicht und es gibt eine Hoffnung und es gibt einen Plan, der da dahintersteht. Und das hat mich dann sehr getröstet, der Gedanke, Gott wird mich sterben lassen, wenn die Endzeit, es sind schon Dinge, die einem Angst machen, aber dann denke ich mir, entweder gibt Gott mir die Kraft oder es wird anders sein, durch das bin ich beruhigt und getröstet. (ADV10)

ADV10 ist sich sehr wohl der Problematik der Parusieverzögerung bewusst, des Zeitraums von über 150 Jahren seit der Kirchengründung, des Schicksals ihrer Großmutter, die zu den vielen gehört, die, wie es Frank Hasel formulierte, »im ›bald‹ gestorben«194 sind. Gleichzeitig wird durch die Krisenerscheinungen der Gegenwart das Ende als nahe empfunden, zumindest »nicht weitere hundertfünfzig Jahre« werde es dauern. Der Plan, einen Bauernhof zu kaufen und Selbstversorger zu werden, kursiert in Folge der globalen Wirtschaftskrise ab 2008 verstärkt unter Adventisten, wie auch in Gesprächen und von ADV3 berichtet wurde. Der Gedanke an die Erlösung erscheint hier als Angstbewältigung, gleichzeitig können globale Ereignisse durch ihre Zeichenfunktion natürlich 194 Hasel bei der Tagung ›Die Naherwartung und die Adventgemeinde heute‹ am 28. April 2012.

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Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

auch ein stärkeres Angstpotenzial entfalten. Auch ADV7 kommt erst auf Nachfrage über die Naherwartung zu sprechen und bewegt sich ebenfalls im Spannungsfeld von aktueller Krisendeutung und einer gewissen Relativierung des ›bald‹. Ich kann mich noch erinnern, als Kind war das doch sehr real oder sehr nah für mich, und ich habe mir gedacht, woah, ich werde wahrscheinlich gar keinen Führerschein mehr machen, das werde ich vielleicht gar nicht mehr erleben, da sind wir schon im Himmel oder so. Die Zeit geht natürlich dahin und ich denke mir, ja, es ist Endzeit, es gibt schon massiv in der Welt Anzeichen, es wird nicht ewig so weitergehen, und ich freue mich schon, wie soll ich sagen, also ich habe schon eine freudige Naherwartung, aber ich mache mir dadurch auch keinen Stress oder was, wo ich denke, woah, jetzt muss ich da vorsorgen oder irgendwas. Ich weiß einfach, wenn es wirklich ist, Gott sorgt für mich und es kann für uns jeder Tag der letzte sein, das ist ja genau so, also ich weiß ja nicht, wann es zu Ende ist mit mir, ich kann jetzt auch da über die Straße gehen und überfahren werden. Von dem her glaube ich, ist es wichtig, dass man einfach so auch in dieser Erwartung lebt und einfach bereit ist und es nicht irgendwie auf die lange Bank schiebt. Und bei Gott ist ja die Zeit so eine Sache. Das hat Jesus vor zweitausend Jahren schon gesagt: ›Bald!‹ [lacht] (ADV7)

Auch wenn ADV7 der Naherwartung einen wichtigen Platz in ihrer Spiritualität einräumt, so weisen die Formulierungen doch auf eine gewisse Relativierung hin. Dafür sprechen der Vergleich zwischen der früheren, tatsächlich sehr stark und unmittelbar erlebten, Naherwartung und einer im Laufe der Zeit entwickelten Naherwartung ohne »Stress«, die jetzt das Glaubensleben prägt. Ebenso folgen ein Vergleich des Wiederkommens Jesu mit einem weit verbreiteten Motto des ›jeder Tag könnte dein letzter sein‹ und schließlich eine Relativierung des ›bald‹ nicht nur im Hinblick auf die 150 Jahre der adventistischen Geschichte, sondern die gesamte Christentumsgeschichte: Mit der Aussage »bei Gott ist Zeit ja so eine Sache« wird eine unmittelbare Naherwartung zurückgedrängt zu Gunsten einer freudigen Bereitschaft, nicht jedoch eines Herbeisehnens, eines aktiven Achtens auf Zeichen, einer Fokussierung. Diese Entwicklung ist durchaus eine typische, wie auch ADV11 darlegt: Und ich weiß noch, als ich in die Gemeinde gekommen bin, haben wir alle gedacht, das Jahr 2000 werden wir nicht mehr erleben, ja, also so eine Naherwartung haben wir gehabt und haben das natürlich auch den anderen übergestülpt, die haben sich teilweise auch erdrückt und erschlagen gefühlt. Das ist jetzt anders, jetzt denkt man sich manchmal, es geht in die andere Richtung, wo du sagst, du spürst den Gedanken gar nicht mehr so, sondern jeder genießt eigentlich das Leben da. Das Maß zu finden ist sehr schwierig, weil es uns ja allen relativ gut geht, und wenn natürlich dann Krankheit oder irgendwas kommt, dann denkst du eh sofort anders, dann hast du gleich eine ganz andere Perspektive, einen ganz anderen Zugang, aber so lange es dir gut geht, hast du gar nicht so das Bedürfnis, oder? (ADV11)

Lebensstil

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Diese Äußerung entspricht der Diagnose von Knights schon mehrmals zitiertem Bestseller. So stark präsent der Gedanke an die Endzeit vor der Jahrtausendwende war, so dass dieses Thema das Gemeindeleben beherrscht hat, so sehr hat sich nun in dieser Sichtweise auch eine gewisse ›Diesseitigkeit‹ etabliert, die ADV11 einerseits als Reaktion auf die Dominanz der Thematik vor der Jahrtausendwende, andererseits aber vor allem als Produkt eines steigenden Wohlstands sieht. Salopp formuliert: Je besser es einem geht, umso weniger erscheint das baldige Ende interessant. Insgesamt sprechen die Aussagen dafür, dass eine ›starke‹ Naherwartung, die durch Predigten, Interpretation von aktuellen Ereignissen etc. aufgebaut wird, nur für einen gewissen Zeitraum möglich ist, in dem eine endzeitliche Spannung aufrechterhalten wird. Das Vergehen der Zeit, Lebensglück, Engagement in Beruf und Ausbildung sind dagegen Elemente, die eher eine Art wache Aufmerksamkeit, aber keine unmittelbare Naherwartung unterstützen. Sinnbildlich für die Spannung aus hoffnungsvoller Naherwartung und privatem, alltäglichem Zukunftsoptimismus war eine junge Frau bei der Tagung ›Die Naherwartung und die Adventgemeinde heute‹: Sie würde gerne ein Baby bekommen und dieses aufwachsen sehen, daher wünsche sie sich, dass das Ende der Zeit noch nicht so bald kommen möge. Ob dies eine Sünde sei, wollte sie von den anwesenden Theologen wissen.195 ]ngel Rodr&guez beantwortete die Frage zwar wohlwollend und mit großem Verständnis, dennoch zeigt sich an diesem sehr menschlichen Problem eine Grundspannung auf, die zumindest in der wohlhabenderen, westlichen Welt eine wichtige pastorale Frage werden könnte.

3.5

Lebensstil

Ein wesentlicher Bestandteil des adventistischen Selbstverständnisses ist auch der sogenannte heavenly lifestyle, der wesentlich mit Fragen der Ernährung und der Gesundheit einhergeht. Ellen Whites Standardwerk Ministry of Healing von 1905 war die Grundlage für eine ausgeprägte adventistische Gesundheitspraxis. Schon vor der Verfassung des Buches gab es freilich Einflüsse auf die ersten Adventisten: Die christlichen Abstinenzbewegungen, der rationale Umgang mit dem Körper im Methodismus (White entstammte einer methodistischen Familie), Ernährungsreformer, die Vollkornprodukte und Vegetarismus propagierten, und die Fortschritte in der Medizin waren allesamt moderne Ideen und Entwicklungen, die im 19. Jahrhundert in den USA aufkamen und bei Bates, White und anderen auf offene Ohren stießen.196 Die Sorge um den Körper, seine 195 Podiumsdiskussion in Bogenhofen am 29. April 2012. 196 Vgl. dazu vor allem Robinson, Dores: The Story of Our Health Message. The Origin,

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Ernährung und seine Gesundheit wurde zu einer religiösen Pflicht erklärt und ein ganzheitliches Menschenbild propagiert. Bezug genommen wurde auf den hebräischen Begriff näfäˇs, der den Menschen als Ganzen mitsamt seiner Körperlichkeit meint. Das Konzept einer unsterblichen Seele im hinfälligen Körper gilt dagegen dem Adventismus als hellenistischer Fremdkörper im Christentum. Körperlichkeit bekommt so eine ganze neue Dimension in der Glaubenspraxis: The concept of the soul as an integrated whole, as the core unity of a human being is very important to Seventh-day Adventists. From it proceeds our stand on stewardship of the totality of human life. Integral to the Christian lifestyle is the care for healthful nutrition, exercise, and family relationships, together with the traditional spiritual disciplines like communion with God, prayer, Bible study, and worship […] A healthy, and vigorous, holistic lifestyle enhances a healthier and deeper physical, mental, emotional, and spiritual experience.197

Zu dieser Berücksichtigung des Körpers in der Glaubenspraxis gehören der Verzicht auf Alkohol und Tabak, die Empfehlung einer vegetarischen Ernährung, Seminare, Kuren, Sport uvm. Diese Elemente werden in Kapitel 4 genauer behandelt. Für die Befragten gehört dieser Lebensstil wesentlich zu ihrem Selbstverständnis. Gerade die Gesundheitspraxis reicht sehr stark in den Alltag hinein und erweist sich auch immer wieder als wichtige Grenze nach außen, wenn etwa bei Veranstaltungen auf Alkohol oder (Schweine-)Fleisch verzichtet wird. Zugleich geschieht auch eine Abgrenzung zu allen Traditionen innerhalb des Christentums, die von den Befragten als ›körperfeindlich‹ verstanden werden. Eine Lektüre von Whites Texten zeigt aber deutlich, dass der Körper und seine Integrität vor allem als Vorbedingung der geistigen Integrität gesehen werden müssen. Es geht also um einen rationalen Umgang mit dem Körper, um diesen so zu formen, dass er dem Geist, der Spiritualität und schließlich Gott ideal dienen kann. ADV9 formuliert es so: Natürlich sehe ich den Körper nicht getrennt von Geist, von Seele, vom Verstand, die gehören zusammen, die sind untrennbar verbunden, ja, es ist ein irreduzibles Konstrukt. Das eine kann ohne das andere nicht sein, nicht bestehen, und was ergibt sich daraus, welche Konsequenzen? Auf den Körper zu achten, so nach den Vorschriften Gottes, nach den gesundheitlichen Vorschriften Gottes zu leben und so. Denn welche Tendenzen gibt es so in den Weltreligionen über den Körper, ja? Das ist zum Beispiel, dass er sündhaft ist, dass da menschliche Neigungen, böse Neigungen zum Vorschein kommen, dass der Körper geknechtet wird, also es kommt auch vor, dass man sich Character and Development of Health Education in the Seventh-day Adventist Church, Nashville: Southern Publishing 31965, 28–74. 197 Kis, Miroslav : »Human Nature and Destiny. A Seventh-day Adventist reflection«, in: http:// www.adventistbiblicalresearch.org/World%20Evangelical/Kis,%20Human%20Nature%20 & %20Destiny.pdf, 5 (abgerufen am 22. Juli 2013).

Lebensstil

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flagelliert, dass man sich auspeitscht, das ist der Bibel fremd, also, dass Jesus uns berührt, berührt, wo er uns begegnet, dass er die Berührung mit uns nicht scheut, sondern dass er das sucht, ja? Auch in der Offenbarung, ›und er legte seine Hand auf mich‹, ja, ›und stärkte mich, stützte mich‹, ja, also angesichts der Ohnmacht und der Verdorbenheit, der menschlichen Verdorbenheit, dürfen wir nicht in so einen Körperhass verfallen, und zum einen, wir lösen uns, wenn wir den Körper so beherrschen – natürlich ist es wichtig, körperliche Disziplin zu üben, in Form von Sport, ein geordnetes Leben führen, von, also in Einklang mit den Lebensvorschriften, schlafen, essen, trinken, Sport machen, Austausch, also alles, was dem Körper guttut, soll bei uns gefördert werden, das ist im Sinne Gottes. (ADV9)

ADV9 unterstreicht seine selbstverständliche Übereinstimmung mit der adventistischen Anthropologie und die Bedeutung der rationalen Lebensführung nach den Vorschriften Gottes. Dann folgt eine klare Abgrenzung von Körperfeindlichkeit, die in manchen kirchlichen Traditionen konstatiert werden kann, und die als unbiblisch verworfen wird. Den Religionen wird die Bibel gegenübergestellt, implizit ist damit wieder die Übereinstimmung von Bibel und adventistischer Lehre mitausgesagt, sofern sich ADV9 schließlich doch auf den adventistischen Lebensstil bezieht. Die wichtige Bedeutung der Rationalität zeigt sich schließlich in den Begriffen der ›Disziplin‹ und des ›geordneten Lebens‹, welche durch Übereinstimmung mit den Gesundheitsgesetzen erreicht werden soll. Damit dringt die adventistische Lebensdeutung tief in den alltäglichen Lebensvollzug ein und bestimmt den Umgang mit dem Körper, auch wenn diese Vorgaben, wie die Interviews zeigen werden, unterschiedlich umgesetzt werden. Der Zugang zur Gesundheitspraxis sorgt freilich auch für interne Differenzen und Abgrenzungen. ADV3 kritisiert den ›verbissenen‹ Zugang mancher Adventisten, der bis hin zur Selbstverleugnung gehen kann: Und ich sage, vegan leben oder gesund leben hat nichts mit Askese zu tun, Gott will, dass wir das Leben in Fülle haben, und das war so mein Hintergrund wo ich verstanden hab, die Verbissenheit mancher Adventisten, die das leben, hat da nichts am Platz verloren. Für mich war es einfach, Gott will mich körperlich, seelisch und geistig erlösen, ganz. (ADV3)

ADV3 zeigt hier, dass gerade im Bereich Ernährung manche Gemeindemitglieder eine asketische Lebenspraxis führen, die mit Anstrengung und Eifer verbunden ist, und sich, wie gezeigt wird, daher in diesem Bereich auch ein Konfliktfeld auftut.

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3.6

Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

Die katholische Kirche als Gegenmodell

Es ist nicht unüblich für Freikirchen, das eigene kirchliche Selbstverständnis auch durch eine klare Abgrenzung von der katholischen Kirche zu unterstützen, deren Hierarchie, Liturgie, Organisation, Taufform etc. dem freikirchlichen Modell völlig widersprechen. Obwohl nicht in einem katholisch dominierten Kontext entstanden, wird diese Unterscheidung in der adventistischen Tradition noch einmal stärker getroffen, was an der Daniel-Auslegung der adventistischen Gründerväter und -mütter liegt: Das sogenannte ›kleine Horn‹, welches göttliche Gesetze ändert und am Ende der Zeiten die wahren Gläubigen verfolgen wird (Dan 7), wird traditionell mit dem Papsttum bzw. der römischen Kirche identifiziert. Diese habe den Feiertag eigenmächtig von Sabbat auf Sonntag verlegt und würde am Ende der Zeit die wahren Gläubigen, in erster Linie also die STA, bedrängen. Ellen Whites diesbezügliche Auslegungen sind Teil der adventistischen Lehre,198 und auch die Modernisierung und Öffnung der katholischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65) haben daran nichts geändert. Für Hans Heinz hat sich in der katholischen Kirche seit dem 19. Jahrhundert nichts Grundlegendes verändert, so dass ihm zufolge Whites über hundert Jahre alte Darstellung in ihrem Werk The Great Controversy »bleibende Aktualität und Berechtigung«199 zukomme. Damit ist auch jede Ökumene grundsätzlich problematisch, wenngleich es in liberaleren Gemeinden auch ökumenische Ansätze gibt. Doch abseits der Theologie ist die Sache nicht so klar : Ein Gastprediger in der Gemeinde zitierte in seiner Predigt sogar ein Werk von Papst Benedikt XVI. und empfahl dessen Lektüre. Die meisten Befragten aus der Gemeinde sind auch innerhalb der adventistischen Tradition aufgewachsen und nicht aus einer als negativ erfahrenen katholischen Kirche konvertiert, und die katholische Kirche vor Ort erweist sich auch nicht als gegenüber der Adventgemeinde feindselig. Damit steht einem geradezu satanischen Verständnis des Katholizismus in der Tradition ein faktisch unproblematisches Verhältnis in der eigenen Lebenserfahrung gegenüber. So wurde eine offene, unmittelbar vom Gedankengut Whites beeinflusste, Kritik nur von zwei Befragten geübt, andere verwiesen nur in Einzelfragen auf die Differenz zwischen einer als richtig angesehenen adventistischen und einer falschen katholischen Praxis, wobei vor allem der Sonntag hier Thema war. Es wird jedoch kein Bild des Katholizismus gezeichnet, welches dessen Rolle bei White und in der Theologie entsprechen würde. ADV3 und 198 Vgl. Was Adventisten glauben, 466–468. 199 Heinz, Hans: Der Römische Katholizismus. Kontinuität und Wandel, in: White, Ellen: Vom Schatten zum Licht. Der große Kampf zwischen Gut und Böse, Zürich: Advent 2012, 631– 645, 645.

Die katholische Kirche als Gegenmodell

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ADV4 waren demgegenüber die beiden Befragten mit der pointiertesten theologischen Haltung: Ein Zeichen unserer Zeit ist die ökumenische Bewegung, und in Deutschland und in Nordamerika sehe ich, dass die Adventisten sehr stark auf die Ökumene zugehen, was ich für äußerst bedenklich halte, weil die Ökumene im Prinzip einen Führer und ein Ziel hat, und das ist heim ins Reich, ins Papsttum. Und das kann man so sagen, wie es ist, und wenn man’s ehrlich betrachtet, ist es so. (ADV3) Je mehr ich die Bibel verstehe, gerade die Offenbarung, die sehr viel übers Papsttum schreibt, umso mehr wird mir schon klar, ich möchte jetzt nicht sagen, einzelne Katholiken, ja, aber die Führung, dass die schon sehr satanisch ist. Ich weiß, das ist hart ausgedrückt, aber es ist so, im Vatikan sitzt Satan, das kann man nicht anders sagen. Also das wird mir schon klar, je mehr ich diese Prophezeiungen lese in Daniel und Offenbarung und so, und ja, dann kann man sich eigentlich nur von dieser Institution nur abkapseln. Wie gesagt, das hat nichts mit den Menschen zu tun, die wissen das teilweise gar nicht, die gehen wirklich ehrlichen Herzens dahin, und ich bin mir sicher, dass die auch gerettet werden, wenn sie nichts anderes wissen, nicht? Aber die Führungsschicht, das finde ich schon arg, weil ich denke mir, die sollten die Bibel kennen, und die müssten eigentlich wissen, auf welchem Weg sie sich befinden, und vor allem, sie lehren dann ja auch noch Menschen, sie haben ja auch die Verantwortung, wenn diese Menschen verloren gehen, weil sie falsch gelehrt haben, da haben die die Verantwortung auch noch, und das schockt mich schon oft. (ADV4)

ADV3 vergleicht die katholische Kirche durch den Slogan »heim ins Reich« sowie den Begriff »Führer« mit dem nationalsozialistischen Deutschland, während ADV4 in ihren dichten Ausführungen zwar zwischen unwissenden Gläubigen und der Hierarchie unterscheidet, letztere aber umso klarer als »satanisch« definiert. Die klare Trennung von gläubigen Christen, die sie auch als Gerettete sieht, und der Institution dient zur umso härteren Verurteilung vor allem der vatikanischen Führungsriege, wobei ausdrücklich auf die Auslegung von Daniel und der Offenbarung verwiesen wird. Die adventistische Auslegung wird dabei als übereinstimmend mit der Bibel selbst gesehen, »die sollten die Bibel kennen« meint eigentlich die adventistische Auslegung der Bibel (!), denn vom Papsttum und dem Vatikan ist in den biblischen Texten nicht explizit die Rede. Daran zeigt sich erneut die wichtige Bedeutung des Konzepts der Übereinstimmung von biblischer und adventistischer Lehre für das Selbstverständnis. Diese beiden Statements sind jedoch die einzigen dieser Art. Drei weitere Befragte berichten von einzelnen, negativen Erfahrungen mit dem Katholizismus, die ihr Bild beeinflusst haben, woraus aber keine umfassende Kritik abgeleitet wird. Dafür ist ADV8 ein Beispiel: Ich bin katholisch erzogen worden und ich kann mich noch erinnern, so mit zehn Jahren ungefähr, in der vierten Klasse Volksschule, da haben wir so über die Erbsünde

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gelernt und die Todsünden, und da habe ich so Angst gehabt, das hat mir richtig Angst gemacht. Und eben, mit elf haben wir dann die Bibel kennengelernt, und das war für mich dann so eine Befreiung von diesen Ängsten, ja, weil irgendwie habe ich durch den Religionsunterricht oder in der katholischen Kirche das nicht so mitgekriegt, diese Erlösung, dass Jesus eben für uns gestorben ist und dass wir durch ihn frei werden können, und das war für mich wirklich so ein Erlebnis auch, dass ich eigentlich gesehen habe, ich brauch mich eigentlich nicht fürchten. (ADV8)

ADV8, schon ein älteres Mitglied der Gemeinde, ist dieses Kindheitserlebnis einer schwarzen Pädagogik, die sie im katholischen Religionsunterricht erlebt hat, in bleibender Erinnerung geblieben. Dieses Erlebnis bildet auch ein Gegenmodell zu ihrem als Befreiung verstandenen Übertritt zum Adventismus. Die Formulierung ›die Bibel kennenlernen‹ drückt implizit aus, dass man diese im katholischen Kontext eben nicht kennengelernt hat, es also einen Widerspruch zwischen Bibel und Katholizismus gibt. ADV8 ist so ein Beispiel für einzelne negative Erfahrungen, die das Bild von der katholischen Kirche mitbestimmen. Insgesamt wird vor allem im Sinne der Bedeutung des persönlichen Glaubens ein offenerer Zugang zu katholischen Gläubigen sichtbar, ADV9 sieht überhaupt den Adventismus »als eine offene, aufgeschlossene Religion«, die vielmehr selbst Ausgrenzung durch die Großkirchen erfahren muss. Dagegen wird an der Geschichte und Institution des Katholizismus durchaus vereinzelt Kritik geübt, die jedoch nur bei ADV3 und ADV4 die Dimensionen annimmt, wie sie in der Tradition von Ellen White Bestandteil der adventistischen Theologie sind. Eine Ökumene ergibt sich daraus freilich nicht, da es bei dieser im adventistischen Verständnis immer auch um institutionelle Fragen geht, die für Adventisten inakzeptabel sind.

3.7

Grenzen innerhalb der Gemeinde

In der untersuchten Adventgemeinde gibt es keine starken Subgruppen, deren Unterscheidung an kulturell-ethnischen Grenzziehungen festgemacht wird. Es gibt es eine starke rumänische Gruppe, die jedoch gut Deutsch spricht, für die es aber auch rumänischsprachige Angebote gibt, und auch einige Schwarzafrikaner, für die noch ein besseres englischsprachiges Angebot erarbeitet werden soll, ansonsten sind kulturell-ethnische Fragen jedoch kein Thema. Als Herausforderung hat sich zuletzt allerdings der schnell gestiegene Anteil von jungen Adventisten aus anderen Gemeinden erwiesen, die zu Studienzwecken vor Ort sind und zwar nicht formal der Gemeinde angehören, aber regelmäßig und aktiv am Gemeindeleben teilnehmen. Diese Generationenfrage hat die Gemeinde lange Zeit intensiv beschäftigt. Zwar wurde dieser Prozess nicht als Konflikt wahrgenommen, er gab aber doch Anlass zu Streitpunkten und hat das Ge-

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meindeleben relativ abrupt verändert, und »es hat am Anfang ausgesehen, dass es zu Spannungen führen könnte« (ADV1). So positiv die Präsenz junger Leute gerade im Hinblick auf die Zukunft der Gemeinde wahrgenommen wird, so sehr kursieren doch auch typische Zuschreibungen von jung/liberal/unbeschwert einerseits und alt/konservativ/ernsthaft andererseits. ADV6 beschreibt die Situation aus der Sicht eines jungen Studenten: Generationenkonflikte gibt’s immer, da werden gerne die Worte ›konservativ‹ und ›liberal‹ und so verwendet, da sage ich, ja, im Grunde trifft’s sicher zu. Es ist so, ältere Menschen haben eine andere Erfahrung, sind in einer anderen Zeit groß geworden, der Wandel in den letzten Jahren ist ja gigantisch, da wundert’s mich nicht, dass wir als Junge immer liberaler werden. Und da denke ich, ja, wir haben’s nicht leicht als Jugendliche, die Älteren haben’s mit uns auch nicht leicht, das sage ich ganz offen, aber doch erlebe ich einen Austausch. […] Ich denke, man kann so viel voneinander profitieren, beziehungsweise ich kann so viel von den Älteren profitieren, weil sie wirklich mehr Erfahrung haben, und es wäre schade, wenn man dann Mauern aufbaut und sagt, uaah, die Jugend, die sind so offen für alles und viel zu weltlich, ja, und wir sagen dann als Junge, boah, die Alten sind nicht flexibel und singen nur Lieder aus dem alten Liederbuch, die sie schon vor tausend Jahren gesungen haben. Und da denke ich mir, ist doch schade, wenn sowas aufkommt, man könnte doch so eine schöne Gemeinschaft erleben. (ADV6)

ADV6 kann durchaus als konservativerer Junger eingeschätzt werden, der insgesamt sehr klare adventistische Überzeugungen vertritt. Auch er bemerkt den grundsätzlich liberaleren Zugang der Jungen zu Glaubensthemen, die er mit einem veränderten gesellschaftlichen Kontext begründet. »Zu offen« und »zu weltlich« ist in der Wahrnehmung von ADV6 die kritische Sichtweise der Älteren auf die Jüngeren, umgekehrt werden jene als »unflexibel« dargestellt, wobei als Beispiel das schon genannte Konfliktfeld des Liedguts gebracht wird. Die Formulierung »schon vor tausend Jahren« drückt flapsig eine stark erlebte Distanz aus, in einer kirchlichen Tradition, die selbst erst seit knapp über 150 Jahren existiert. ADV8 als älteres Gemeindemitglied befasst sich in der Generationenfrage ebenso kritisch mit dem Thema ›liberal und konservativ‹, wenngleich sie die Anwesenheit der Jugendlichen prinzipiell als sehr bereichernd empfindet: Früher war nicht so viel Jugend, jetzt gibt’s sehr viel Jugend durch die vielen Studenten, die da sind, das ist sehr schön, das macht das alles so lebendig. Es hat auch Zeiten gegeben, wo sehr wenige Jugendliche da waren, und früher sehr viel alte Leute, die gehen jetzt schon auch noch [in die Gemeinde], aber die bemerkt man nimmer so, weil so viele Jugendliche sind, das ist eben schön, ja, dass so viel Leben in der Gemeinde ist. Aber natürlich auch die Befürchtung, dass es vielleicht zu säkular wird, manches, vor allem vielleicht das Äußere mit der Kleidung oder die Musik, aber es gibt in verschiedenen anderen Gemeinden schon solche Einflüsse, weiß nicht, wie weit das auch bei uns einmal so sein wird, keine Ahnung. Aber eben, es hängt immer von den

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Individuen ab, wie die Individuen offen sind für solche Dinge oder mehr für die Dinge, dass sie sich mehr nach dem richten, wie man glaubt, dass es in der Bibel steht und wie Gott das möchte, oder dass man eben, ja, und wenn die Mehrheit in der Gemeinde mehr freigeistlich gesinnt ist, dann wird das auch Einzug finden in unserer Gemeinde, und wenn nicht, dann bleibt man eben konservativ, und das kann man leider nicht so voraussagen, wie das ist, das hängt immer von den Einzelnen ab. Und ich wünsche mir schon, dass unsere Gemeinde eher nicht zu liberal wird, weil, weil das, glaube ich, immer auch auf das Leben Einfluss nimmt und dass man dann gewisse Dinge nicht mehr so genau nimmt und ja, und ein bisschen eine Laxheit einströmt, und dass vor allem die Gemeinde, oder sagen wir, die Einzelnen das, was man weiß, auch in ihrem Leben umsetzen, und wenn viele das machen, dann ist eben eine Gemeinde lebendig und dann, dann, ja, dann lebt eine Gemeinde auch wirklich. (ADV8)

ADV8 begrüßt hier die Zukunftsperspektive, die sich durch die vielen Jugendlichen bietet, macht aber an Kleidung und Musik eine Befürchtung von zu großer Liberalität der Jugendlichen fest, wogegen eine grundsätzlich konservative Ausrichtung der Gemeinde bevorzugt wird. So wird die simple Inszenierung des Körpers durch Kleidung für ADV8 zu einem Symbol für eine generelle liberale Ausrichtung der Jugendlichen. Diese beiden Statements zeigen im Prinzip schon die Grundrichtung der Generationenfrage auf: Einerseits Freude über den jugendlichen Impuls, andererseits Befürchtungen über eine zu große Liberalität und Offenheit, wobei hier die Streitpunkte Kleidungsstil und modernes Liedgut exemplarisch für den Unterschied der Generationen stehen. Die Jugendlichen wiederum sind durchaus um gute Beziehungen bemüht, kritisieren aber einen zu schulmeisterlichen Zugang zu Glaubensfragen und den Widerstand gegen Kleidungsstil und modernes Liedgut. ADV12 beschreibt dies aus Sicht einer Jugendlichen so: Es ist schon ein bisschen so, einfach von der Gestaltung vom Gottesdienst, zum Beispiel die Lieder und so, da gehen einfach die Interessen auseinander. Ich bin jetzt nicht der Meinung, dass ein Schlagzeug in der Gemeinde sein sollte oder sowas, aber einfach von den Liedern her, er ist halt alles sehr langsam und so, die älteren Geschwister wollen das halt nicht wirklich ändern, ich meine, verstehe ich auch, weil sie das so gewohnt sind. Oder halt einfach dieses, ja, in der Gemeinde zum Beispiel, wenn du jetzt eher was Kurzes anhast, dann gibt es manche Gemeindeglieder, schon ältere Damen, die würden dir das vielleicht dann auch sagen, da gibt’s einfach so bestimmte Situationen, wo es dann ein bisschen auseinander geht. Aber unser Ziel ist es als Jugend, wir haben das vor Kurzem auch so gemacht, dass wir ältere Geschwister besuchen, dass man mehr Bezug kriegt zwischen den Generationen, weil es ist ja schade, wir können von ihnen lernen, und wenn sie offen sind, dann können sie vielleicht auch was von uns lernen, weiß ich nicht. (ADV12)

ADV12 hofft hier klar auf Offenheit auch der Älteren für die Jüngeren und drückt aus, dass die Jungen diese Offenheit umgekehrt sehr wohl haben. Die Frage der Kleidung und des Liedguts kommt auch hier wieder vor. ADV11, vom Alter her

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in einer Mittelposition, sieht ebenfalls diese beiden Punkte als offensichtliche Differenzen, an denen sich Konflikte entzünden können: Dass die sich so einbringen, das finde ich total super, aber ich weiß, dass es auch andere Stimmen gibt, die eben schon sagen, die Lieder gefallen mir nicht, und wie die herkommen, solche Stöckelschuhe und kurzen Röcke und Spaghettiträger und was weiß ich. Ja, ist wahrscheinlich auch legitim, ja, aber da den Weg zu finden? Dann ist die Frage, sagst du denen, bitte schau, dass du das nächste Mal mit bedeckten Schultern kommst, und dann sagen die, nein, du kannst mich gernhaben, dann singe ich halt nicht mehr. Das ist dann immer sehr schwierig. Und Musik ist sicher auch so ein Thema, wo es sehr viele Streitpunkte gibt. Also das Songservice ist jetzt zu Beginn der Predigt, also junges Liedgut, und wenn es jemand vorbereitet ist das immer jetzt, außer im Sommer, wenn keine Studenten da sind, da sind weniger, aber normal sollte es immer sein. Diese Lieder oder Musikstücke zur Predigt sind eh unterschiedlich, ob das jetzt klassisch oder instrumental ist oder wie auch immer. (ADV11)

Das jugendliche Liedgut hat nun Anteil an jenem Musikbeitrag, welcher immer vor der Predigt gespielt wird. Hier wechselt es sich wöchentlich mit klassischen und Instrumentalstücken ab. Dass Liedgut und Kleidungsstil in der Generationenfrage so hervorstechen, liegt an deren Präsenz und daran, dass Jung und Alt sich vor allem im Gottesdienst begegnen und hier Differenzen sichtbar werden. Mögliche theologische und weltanschauliche Differenzen treten gegenüber diesen offensichtlichen Punkten zurück, wenngleich ADV1 sich des veränderten gesellschaftlichen Kontexts bewusst ist, in dem die Jugendlichen aufwachsen, und auch klar anspricht, dass Denkweisen, die der adventistischen Weltsicht widersprechen, Einfluss auf die Jugendlichen nehmen: Die Gesellschaft, das Denken in der Gesellschaft, der Mainstream und so weiter, spiegelt sich immer wider. Und diese Wiederaufbaugeneration, die wir auch noch in der Gemeinde haben, hat einen ganz anderen Verantwortungsbegriff zum Beispiel als junge Leute mit 20. Mit unseren Jugendlichen ist es schwierig, irgendwelche Vereinbarungen zu treffen für in drei Wochen, das ist so lange weg, so lange können die sich überhaupt nicht binden. Also Gesellschaft, die Weltanschauung, spiegelt sich notwendigerweise wider, weil wir ständig davon umgeben sind, das färbt ab auf uns. Da muss man immer wieder schauen, dass wir nie vergessen, wir lassen uns hier nie zuerst von der Gesellschaft prägen, sondern wir lassen und vom Wort Gottes prägen, von Gott und von seinen Prinzipien, da muss man immer dran sein, immer versuchen, Dinge bewusst zu machen, zurückzuführen und so weiter. Den größten Widerspruch dazu sehe ich im Relativismus und im Subjektivismus. Alles ist relativ und alles ist subjektiv, wo das Individuum zum Maß der Dinge wird, wo es keinen absoluten Wahrheitsbegriff mehr gibt, die Wahrheit ist immer etwas, ja, deine Wahrheit und meine Wahrheit, und damit verbunden, dass der Einzelne zum Mittelpunkt seines eigenen Universums wird. Alles dreht sich um mich, um meine Bedürfnisse und meine Wahrheit und so weiter, das ist für mich der größte Widerspruch zur Bibel, wo nicht alles subjektiv ist und wo im Mittelpunkt der Bibel nicht ich mit meinen Bedürfnissen stehe, sondern im Mittelpunkt steht Gott, mit seinem Plan für mein Leben. Das ist diametral zu dem, wie

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Selbstverständnis und Grenzziehungen der befragten Siebenten-Tags-Adventisten

Menschen heute, moderne Menschen heute denken, wo sie das letzte, wo sich ja, wo sich alles eigentlich nur um sie dreht. Und da sind unsere Jugendlichen stärker beeinflusst natürlich, weil das die Vorherrschaft, die vorherrschende Anschauung ist, das geht ja rein bis in die Universitäten, das wird ja nicht nur gelebt, sondern auch gelehrt. Und gerade die Studierten noch mehr als die Lehrlinge, die haben das nicht so ausgeprägt. (ADV1)

ADV1 weist in dieser Analyse, die auch eine Kritik am Zeitgeist der säkularen Gesellschaft beinhaltet, darauf hin, dass die Unterschiede von Jung und Alt tiefer liegen als in den vielfach zitieren Ausdrucksformen von Kleidung und Musik. Es ist klar, dass jede Generation in der Gemeinde von der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen ist, beeinflusst ist. ADV1 streicht jedoch heraus, dass es sich im Falle der jetzigen Jugendlichen um eine Gesellschaft handelt, die durch Wahrheitsrelativismus und Subjektivismus gekennzeichnet ist, also um eine Gesellschaft, deren Handlungsprinzipien fundamental denen der adventistischen Bibelauslegung widersprechen. Gefährdet sind damit vor allem der Wahrheitsanspruch, der mit der Bibel verbunden wird, sowie eine Ausrichtung des Lebens an religiöse Prinzipien. Gerade die vielen Studenten sind nach ADV1 davon besonders betroffen, womit implizit auch eine Wissenschaftskritik verbunden ist, sofern an den Universitäten nicht nur Wissenschaft, sondern auch Weltanschauung vermittelt wird. Hier zeigt sich, dass die Generationenfrage doch tiefer geht, als der allgemeine Diskurs über Lieder und Kleidung vermuten lässt, denn er betrifft auch die Zukunft der religiösen Praxis selbst, auch wenn er von den Befragten zunächst oberflächlich an Musik und Kleidung festgemacht wird. Insgesamt wird aber, und hier erweist sich die stärkere überregionale Organisationsform der STA als Vorteil, sehr vorausschauend und möglichst professionell mit der Thematik umgegangen, wie ADV2 erklärt: Das stellt die Gemeinde dahingehend schon vor eine Herausforderung, weil es doch einfach an jeden Einzelnen die Herausforderung adressiert, auf Leute zuzugehen, die man nicht kennt, und vor allen Dingen auch von den Gemeindegliedern, die jetzt in der Gemeinde ursächlich oder ursprünglich beheimatet sind. Ein Student, ein Jugendlicher, ist ein Mensch, der, sage ich mal, gern unter Seinesgleichen ist und klarerweise zu den Leuten mehr Zugang hat, die er kennt, also was er in seinem Freundeskreis hat, und dass er auch zu dieser Runde tendiert. Und da haben wir schon die Notwendigkeit, die Herausforderung dass man sagt, okay, wir haben jetzt in der Gemeinde eine große Gruppe wo wir in Gefahr laufen, dass die nicht integriert ist. Und das ist momentan sicher ein sehr aktuelles Thema. Ein Thema, das wir in den ersten eineinhalb Jahren von der Dimension her nicht richtig erkannt haben, und dann aber auf alle Fälle vor dem Punkt gestanden sind und gesagt haben, okay, jetzt müssen wir was tun. Und das war jetzt eigentlich, im vergangenen Jahr haben wir auch ganz bewusst in der Überlegung auch ein Training gehabt, das von der Jugendabteilung der österreichischen Union, also der Verwaltungsbehörde, um das jetzt technisch zu formulieren, der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich, angeboten wurde, von der Jugendab-

Grenzen innerhalb der Gemeinde

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teilung. Da haben wir wirklich auch einen externen Berater, der eben auch ein bekennender Christ ist, das war uns sehr wichtig, der einfach auch hier Persönlichkeitstrainings anbietet, beziehungsweise auch speziell auf unsere Situation hin uns geholfen hat. (ADV2)

Obwohl es sich ›nur‹ um Jugendliche handelte, wurde nach einigen Schwierigkeiten sehr schnell eine Gruppe von Zuständigen eingerichtet, die sich mit professioneller Hilfe um die Integration der Studenten in die Gemeinde kümmert. Hier sollen Freizeitmöglichkeiten, Einbindung in die Gottesdienstgestaltung und Kontaktmöglichkeiten mit älteren Gemeindegliedern etabliert werden und so aktiv mit den möglichen Konflikten umgegangen werden. Insgesamt wird die Präsenz der Jugendlichen in der Gemeinde sehr positiv gesehen, wenngleich sich dadurch eine sehr schnelle Veränderung der Gemeindestruktur ergeben hat, die nicht für alle Gemeindeglieder leicht nachzuvollziehen war.

4.

Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen bei den Siebenten-Tags-Adventisten

Der Körper und sein Verhältnis zur religiösen Praxis sind zu einem unverzichtbaren Thema in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Religion geworden. Er ist Objekt religiösen Sprechens und Handelns, das Ziel von Reglementierungen, Ge- und Verboten und rituellen Praktiken wie Beschneidung und Selbstgeißelung oder von Vorgaben für Körperhaltungen. Aber auch die alltägliche Erfahrung des Körpers und der Umgang mit ihm sind von kulturellen und religiösen Ideen geprägt, wie Mary Douglas eindrucksvoll gezeigt hat, so dass es »überhaupt keine ›natürliche‹, von der Dimension des Sozialen freie Wahrnehmung und Betrachtung des Körpers geben kann«200. Darüber hinaus ist der Körper Subjekt und Voraussetzung religiöser Erfahrung und Sinnbildung: Der Körper und die mit ihm verbundene Wahrnehmungsfähigkeit sowohl äußerer wie auch innerer201 Phänomene sind unverzichtbare Bedingungen religiöser Vollzüge und Identifikationen.202 Nach einer langen Zeit, in der der Körper als »Unterlegenes, Versklavtes noch einmal verhöhnt und gestoßen und zugleich als das Verbotene, Verdinglichte, Entfremdete begehrt«203 wurde, kam es im 20. Jahrhundert zu einer Neubestimmung des Körpers als bedeutsames Konstitutiv menschlicher Existenz, sowohl im Hinblick auf seine Subjektivität wie auch im Hinblick auf sein Verwobensein in gesellschaftliche Diskurse. Auch die christliche Theologie ent-

200 Douglas, Ritual, Tabu und Körpersymbolik, 106. Douglas hatte diesen Gedanken 1966, noch mehr erahnend als ausformulierend, in Reinheit und Gefährdung erstmals geäußert, vgl. Douglas, Mary : Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu, Berlin: Reimer 1985, 152. 201 Z. B. Herzschlag, Zittern, Erregung uvm. 202 Vgl. dazu vor allem Knauss, Stefanie: Transcendental Bodies. Überlegungen zur Bedeutung des Körpers für filmische und religiöse Erfahrung, Regensburg: Pustet 2008 (= ratio fidei 36). 203 Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt: Fischer 172008, 247.

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Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

deckte den Körper als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen.204 Das gesteigerte Körperbewusstsein der modernen westlichen Gesellschaft begann nun verstärkt, sich verschiedene körperorientierte religiöse Praktiken wie Fasten, Wallfahrten oder Yoga anzueignen und rief so wiederum eine verstärkte theologische und religionswissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Praktiken hervor. Das religiöse Selbstverständnis wie auch das religiöse Handeln des Menschen ist untrennbar mit seiner Theorie und Praxis des Körpers bzw. seiner Körperlichkeit verbunden. Die Rolle des Körpers als Ressource in Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen von Siebenten-Tags-Adventisten wird in dieser Arbeit unter drei verschiedenen Perspektiven analysiert, die wesentliche Elemente der religiösen Bedeutung des Körpers abdecken. Das betrifft zunächst eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Körper. In einem zweiten Blickwinkel wird die ethisch-praktische Relevanz des Körpers beleuchtet, die nach Weber und Troeltsch für die protestantischen Freikirchen von besonderer Bedeutung ist, und beispielsweise Diätetik und Moral betrifft. Drittens wird der Körper auf besondere Weise in Szene gesetzt, bestimmte Gebetspraktiken, aber auch die Wahl der Kleidung fällt in diesen Bereich. Mit diesen drei Perspektiven soll ein mehrdimensionales Körper-Bild gezeichnet und mit der Frage nach dem jeweiligen Selbstverständnis verbunden werden. Sie werden unter den Schlagwörtern ›den Körper denken‹, ›den Körper führen‹ und ›den Körper inszenieren‹ abgehandelt.

4.1

Die Reformation des Körpers

Freikirchliches Denken und Handeln kann nur in Beziehung mit der Geschichte der Reformation gedacht werden, die den geistigen Rahmen für spätere Entwicklungen bildet. Dies gilt auch für das Verständnis des Körpers. Die geistesgeschichtliche Vorbedingung dafür bildete die mittelalterliche Auffassung vom Körper, die in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis von Sünde und Heiligkeit, Frömmigkeit und Weltlichkeit und Dualismus und Ganzheitlichkeit stand. So sehr der Körper als sündhaft, abscheulich und von der Seele klar verschieden gedacht wurde, so sehr spielte er in der Frömmigkeit und für das Verständnis von Personalität, zu der der Körper unbedingt gehörte, eine unverzichtbare Rolle: »[I]t was those with the sharpest sense of body/soul conflict and the most ferocious ascetic practices […] who had the clearest and most 204 Vgl. etwa Isherwood, Lisa/Stuart, Elizabeth: Introducing Body Theology, Sheffield: SAP 1998.

Die Reformation des Körpers

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passionate awareness of the potential of the body to reveal the divine«205. Durch die (Wieder-)Entdeckung der Menschlichkeit Jesu gelangte der Gedanke der Inkarnation zu neuer Prominenz und erlaubte Frömmigkeitsformen der compassio und imitatio. Die Darstellung und Betrachtung der verletzlichen Körperlichkeit Jesu wurde dabei zu einer neuen Ausdrucksform in Kunst und Spiritualität.206 Nicht zuletzt auf Grund des verbreiteten Analphabetismus war eine ›haptische Frömmigkeit‹ weit verbreitet. Gott konnte sozusagen ›am eigenen Leibe‹ und körperlich erfahren werden. Die Verehrung von Reliquien, die Berührung durch heiligmäßige Menschen, Selbstgeißelung, Heilungen, eucharistische Wunder, Stigmata, Wallfahrten, die Bedeutung von Körperhaltungen und Gebärden, Vorstellungen von körperlicher Besessenheit und vieles mehr machten deutlich, dass der Körper ein wichtiger Teil der religiösen Kommunikation war. Der Glaube kam vom Berühren, von der körperlichen Erfahrung.207 Margaret Miles spricht hier von einem Modus des »carnal knowing«208, durch den eine sinnliche Beziehung zum Heiligen etabliert wurde. Unmittelbare Formen des Kontakts, wie Berühren und Schmecken, fungierten dabei als Wege der Konstruktion religiösen Wissens.209 Bei all dem blieb der Körper dennoch zugleich der prekäre Aspekt des Menschen, welcher dem Fleisch, der Sünde ausgeliefert war, der mit Abscheu betrachtet und gequält wurde. Man konnte jedoch nicht vor ihm fliehen, sondern musste ihn integrieren und zum Ort der Gotteserfahrung umformen: »[C]ontrol, discipline, even torture of the flesh is, in medieval devotion, not so much the rejection of physicality as the elevation of it – a horrible yet delicious elevation – into a means of access to the divine«210. Auch die ›profane‹ Wahrnehmung des Körpers stand in einem Spannungsver205 Bynum, Caroline Walker : Material Continuity, Personal Survival and the Resurrection of the Body. A Scholastic Discussion in Its Medieval and Modern Contexts, in: Bynum, Caroline Walker : Fragmentation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Medieval Religion, New York: Zone 1992, 239–298, 256. Der verwandelte Auferstehungskörper wurde ganz klar als Transformation des irdischen Körpers gesehen und damit zu diesem in Kontinuität stehend, nicht als völlige Neuschöpfung, vgl. ebd. 206 Vgl. Bynum, Caroline Walker : The Body of Christ in the Later Middle Ages, in: Bynum, Caroline Walker : Fragmentation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Medieval Religion, New York: Zone 1992, 79–118. 207 Vgl. Lentes, Thomas: ›Andacht‹ und ›Gebärde‹. Das religiöse Ausdrucksverhalten, in: Jussen, Bernhard/Koslofsky, Craig (Hg.): Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch. 1400–1600, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 145), 29–68, 54–57; Bynum, Caroline Walker : The Female Body and Religious Practice in the Latter Middle Ages, in: Bynum, Caroline Walker : Fragmentation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Medieval Religion, New York: Zone 1992, 181–238, 184; Schmale, Wolfgang: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450–2000), Wien: Böhlau 2003, 87. 208 Miles, Margaret: Carnal Knowing, Tunbridge Wells: Burns and Oats 1992, 9. 209 Vgl. ebd., 37. 210 Bynum, The Female Body, 182.

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Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

hältnis von Sterblichkeit und Fruchtbarkeit, die Hinfälligkeit und Vergänglichkeit des Körpers wurden im Spätmittelalter in einem ständigen memento mori präsent gesetzt, während in der sprachlichen Obszönität, den sexuellen Gewohnheiten und in den Hochzeitsbräuchen Reste einer paganen, körperlichphallischen Kultur weiterlebten.211 All dies führte freilich zu bisweilen grotesken Ausformungen, wenn etwa Teile von Reliquien verzehrt wurden, um deren Heiligkeit in sich aufzunehmen, Leichname vorbildhafter Mitchristen zerstückelt wurden, um ein Maximum an einzelnen Reliquien zu erhalten, eine fromme Suche nach Überbleibseln Jesu, also seiner Vorhaut oder seinen Milchzähnen, einsetzte, oder Erzählungen von eucharistischen Wundern verbreitet wurden, denen zufolge sich die Hostie im Mund in echtes menschliches Fleisch verwandelt hätte.212 Es liegt auf der Hand, dass die intensivierten sinnlichen Frömmigkeitsformen des Spätmittelalters bei kritischen Zeitgenossen als Auswüchse und Übertreibungen wahrgenommen wurden und sich daher ein Bestreben nach Reduktion entwickelte. Der französische Kardinal Pierre d’Ailly (1350/51–1420), der auch ein wichtiger Einfluss für Martin Luther war,213 wandte sich etwa in seinem Tractatus vel capita agendorum in concilio generali de reformatione ecclesiae gegen die ständige Vermehrung von Feiertagen, ausladende Marienverehrung, Kreuzwegandachten, Überfluss von Bildern und Malereien und die Vielzahl von Klosterstiftungen ebenso wie gegen Ablassprediger – wobei er, im Unterschied zu den Reformatoren, nur das Übermaß kritisierte, nicht die Gegenstände und Praktiken selbst.214 Damit stand er prototypisch für den sich entwickelnden Reformgeist des 15. Jahrhunderts. In diesem Kontext entwickelte sich die Frömmigkeitsbewegung der Devotio moderna, die sich stärker auf die Ausbildung eines ›inneren Menschen‹ verlegte, der die Herzensbildung und Tugend in einer permanenten Asketik entwickelte und seinen Körper eher als zu unterdrückendes Hindernis denn als Ort einer ›haptischen Frömmigkeit‹ begriff. Die Devotio moderna weist viele Parallelen zum reformatorischen Denken auf, wobei hier weniger ein unmittelbarer Einfluss als vielmehr die Entwicklung von ähnlichen Antworten auf ähnlich empfundene Probleme anzunehmen ist.215 Die

211 Vgl. Huizinga, Jan: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, Stuttgart: Kröner 71953, 112–114; 143. 212 Vgl. ebd. 176; Bynum, The Female Body, 184. 213 Vgl. Lohse, Bernhard: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995, 36. 214 Vgl. Huizinga, Herbst des Mittelalters, 160. 215 Van Engen, John: Einleitung zu Van Engen, John: Devotio Moderna. Basic Writings, Mahwah: Paulist 1988 (= The Classics of Western Spirituality), 5–62, 10.

Die Reformation des Körpers

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Reformation ist eben nicht ex nihilo entstanden, sondern »in einen umfassenden Prozess kulturanthropologischer Veränderungen«216 einzubetten. Für Luther spielte die Auseinandersetzung mit Paulus und Augustinus eine bedeutsame Rolle, deren Schriften für ihn die Basis einer kritischen Reflexion über das Wesen und die Sündhaftigkeit des Menschen waren. Gegen eine allzu dualistische Interpretation der Texte setzte Luther den ganzen Menschen als Zentrum seiner Überlegungen zu Glaube und Sünde ein: Dem Schlagwort totus homo peccator folgend war für Luther der ganze, leib-seelisch verfasste Mensch ein Sünder, egal ob die Sünde vom Geist oder vom Leib ausgeht, er steht als Ganzer vor Gott und wird als Ganzer gerechtfertigt.217 Zugleich verlagerte er den augustinischen Begriff der concupiscentia aus dem Sinnlichen ins Geistige, befreite also gewissermaßen den Körper bzw. das Fleischliche von einer Alleinverurteilung als sündhaft.218 Obwohl Luther mit Augustinus prinzipiell übereinstimmt, was die Übertragung der Erbsünde angeht, ist sie bei ihm nicht allein eine Frage des Fleischlichen, sondern des ganzen Menschen, der also auch geistig sündigen kann. Über allem steht die Geschöpflichkeit des Menschen, der in einer dreifachen Beziehung zu sich selbst, zu seiner Mitwelt und zu Gott steht. Seele und Körper bilden dabei die innere und äußere Sphäre des Menschen. Später differenziert er noch genauer zwischen dem Geist als innerste Stelle des Menschen, in dem die Entscheidung über das Gottesverhältnis fällt, und der Seele als von Gott verliehene Lebendigkeit, in Anlehnung an das hebräische näfäˇs. Insgesamt weist Luther die philosophischen Begründungen und die damit verbundene Konzentration auf eine unsterbliche Seele zurück, betont jedoch weiter, dass der Mensch zur Ewigkeit bestimmt ist, freilich auf Basis der Schöpfungskraft Gottes, nicht auf Grund einer metaphysischen Qualität einer unsterblichen Seele.219 Noch ganzheitlicher dachte Philipp Melanchthon (1497– 216 Lentes, Andacht und Gebärde, 65. 217 Vgl. Lohse, Luthers Theologie, 266–268. 218 Vgl. Dirscherl, Erwin: Über spannende Beziehungen nachdenken: Der Mensch als Geschöpf, als Ebenbild Gottes und seine Ambivalenz als Sünder, in: Dirscherl, Erwin u. a.: In Beziehung leben. Theologische Anthropologie, Freiburg: Herder 2008 (= Theologische Module 6), 46–89, 82–83. Die moderne Lutherrezeption betont eine stärker schicksalhafte Verstrickung des Menschen in die Sünde, wie im Evangelischen Erwachsenenkatechismus betont wird: »Fremd und unverständlich ist der Begriff [Erbsünde], wenn wir ihn mit biologischen Vorstellung verknüpfen, nach denen Sünde körperlich vererbt wird, wenngleich Erbsünde seit Augustin immer mit dieser Vorstellung in Verbindung gebracht wurde […] Deshalb ist durchaus zu überlegen, ob man den theologischen Begriff Erbsünde nicht aufgeben muss, wenn man biblisch verantwortet und heute verstehbar von der Macht der Sünde reden will. Luther hat an Stelle des Begriffes Erbsünde auch den Begriff der Personsünde oder der Ursünde gebraucht. Die biblische Sündenvorstellung bedarf des biologischen Vererbungsgedankens nicht«, vgl. Evangelischer Erwachsenenkatechismus, Gütersloh: Gütersloher Verlags-Haus 62000, 183. 219 Vgl. ebd., 152–155.

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Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

1560) den Menschen, der den biblischen Begriff ›Fleisch‹ als den ganzen, leibseelischen Menschen meinend verstand und nicht etwa nur als Ausdruck für seine Materialität. Mit ›Fleisch‹ werden bei Melanchthon »alle Bemühungen des Menschen ohne den Heiligen Geist bezeichnet, die auch die ratio einschließen, weil auch die Vernunft von der Verdorbenheit des Herzens betroffen ist«220. Damit widerspricht er der scholastischen Idee, es gäbe eine strukturell unverdorbene Seele. Insgesamt lässt sich in der Reformation ein sinnlicher Transformationsprozess weg vom Berühren, Schmecken und Sehen hin zum Hören und zu einer restringierten Form des Sehens erkennen. Das Individuum war nunmehr verantwortlich für seine spirituelle und moralische Gesinnung und dafür, sich in Tugend zu üben, um hörend aufmerksam zu sein für das Wort. Das Sehen als wichtigster menschlicher Sinn blieb erhalten, wurde aber transformiert von einem sinnlichen, emotionalen, erregenden, bildhaften Sehen zu einem ruhigen, kognitiven, dekodierenden Sehen von Schriftzeichen bei der Bibellektüre.221 Der Körper sollte ruhiggestellt und diszipliniert werden, um die Aufmerksamkeit für das stille Hören und Sehen freizumachen, und erschien nicht mehr als Ort, an dem religiöse Erfahrung durch Berührung oder durch Geißelung gemacht werden konnte. »Protestantism sought to discipline and mould the flesh by engaging it in religiously justifiable activities [and] tended to be suspicious of natural desires, feelings, the arts, and nearly all form of entertainment«222. Der Körper wird somit eingebettet in eine rationale Systematik, innerhalb derer der innere Mensch auf das Hören des Wortes und das dekodierende Sehen der Schriftzeichen hin herausgearbeitet werden kann, er ist dabei durchaus ›gut‹, sofern er nur geübt, trainiert und zivilisiert ist. Sexualität erscheint hier als problematisch, aber im Rahmen der Ehe als sinnvoll, sofern sie Unzucht verhindern und Begierde bezähmen, den Körper also wiederum beruhigen kann und soll.223 Damit nimmt der Protestantismus einen Gedanken wieder auf, der sich schon beim stoisch beeinflussten Clemens von Alexandrien (150–215) finden lässt, der so geradezu als Urbild des christlichen Puritanismus erscheint.224 220 Matz, Wolfgang: Der befreite Mensch. Die Willenslehre in der Theologie Philipp Melanchthons, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001 (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 81), 119. [Kursivierung i. O.] 221 Vgl. Mellor, Philip/Shilling, Chris: Re-forming the Body. Religion, Community and Modernity, London: Sage 1997, 42–45. Das der Gegenreformation folgende Barock kann in seiner Ästhetik und liturgischen Praxis unter diesem Gesichtspunkt als Reaktualisierung einer visuellen Stimulation des Körpers verstanden werde, vgl. ebd. 136–138. 222 Ebd., 44. Erst der Pietismus und die Pfingstkirchen sollten dem Gefühl wieder breiteren Raum geben. 223 Vgl. Schmale, Geschichte der Männlichkeit, 98. 224 Vgl. Brown, Peter : Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Entsagung und Körperlichkeit im

Die Reformation des Körpers

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Im Pietismus entwickelte sich eine Tendenz zur Wertschätzung des – freilich bezähmten – Körpers, vor allem bei Friedrich Christoph Oetinger (1702–1782), der die Leiblichkeit als Schöpfung Gottes positiv verstand und sich intensiv mit Medizin befasste. Ebenso entwickelte sich auch die Bedeutung der Glaubensheilung, also des geheilten Körpers als Realsymbol der Wirklichkeit Gottes. Dies zeigt eine Tendenz an, in deren Tradition heute vor allem die Pfingstkirchen stehen. Noch genauer als im Pietismus wurde im Methodismus die »methodischrationelle Disziplinierung der Selbstheiligung«225 beachtet: Der für die Entwicklung der Freikirchen bedeutsame Methodismus und dessen rationalisierte Form protestantischer Spiritualität führten zu einem noch planvolleren Umgang mit dem eigenen Körper, da dessen Begründer John Wesley (1703–1791) der Seele den Auftrag einer cura corporis gab. Wesley übernahm das zu dieser Zeit neuartige Ernährungskonzept des Mediziners George Cheyne (1671–1743), der dem als unmoralisch erachteten Hang der britischen Oberschicht zu Alkohol und schwerem Essen ein System aus richtiger Ernährung, Gymnastik und regelmäßigen Landpartien entgegenhielt. Wesley integrierte dies in seine spirituelle ›Methodik‹ und transformierte so die bewusste Auseinandersetzung mit dem Körper im Rahmen seines religiösen Systems. Das Resultat: »A suitable exercise of regulation for the laity and […] the elitist dietetics of Burton eventually reached the working class via the popular views of Wesley and the Methodist chapels«226. Über die methodistisch aufgewachsene Ellen White fanden diesen Gedanken schließlich auch Einzug in den Adventismus. Die protestantische Rationalisierung der Glaubenspraxis wird so zu einem wesentlichen Träger und Begleiter eines rationalisierten Umgangs mit Ernährung und deren Wechselwirkung mit der körperlichen Verfasstheit, bis hin zu seinen säkularen mathematischen Ausformungen des Kalorienzählens und der Ernährungspyramiden, wobei sich die Geistlichen stets aufs Neue der Erkenntnisse, Entwicklungen und Sprachformen anderer Bereiche (Medizin, Ernährungslehre, Psychologie etc.) bedient haben. Zugleich führte dieser protes-

frühen Christentum, München: dtv 1994, 137–154. Es ist, mit Brown gesprochen, eine interessante Vorstellung, wie sich das Christentum entwickelt hätte, wenn sich Clemens’ Konzeption eines prinzipiell guten, jedoch zu disziplinierenden Körpers im Frühchristentum durchgesetzt hätte. 225 Troeltsch, Soziallehren der christlichen Kirchen, 828. 226 Turner, Bryan: Piety, Prolongevity and Perpetuity. The Consequences of Living Forever, in: Burns Coleman, Elizabeth/White, Kevin: Medicine, Religion, and the Body, Leiden: Brill 2010 (= International Studies in Religion and Society 11), 79–106, 96. Der Schriftsteller und Geistliche Robert Burton (1577–1640) war ein wichtiger Einfluss für George Cheyne und dessen Überlegungen zur Gesundheit, vor allem das Werk The Anatomy of Melancholy (1621).

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tantische Ernährungsdiskurs eine religiöse Moralisierung der Sprache über Gesundheit und Ernährung ein: [M]edical discourse has not escaped the influence of Christian ideas and values and what we see in the obesity epidemic is an example of secularised appropriation of Christian values applied to the obese. The idea of the obese person as immoral or ›sinner‹ is extremely powerful. […] A moralisation of obesity has crept in to policy, research and the language of the people given the task to prevent this health problem.227

Philip Mellor und Chris Shilling erklären daher : [T]here is nothing ›postmodern‹ about the middle class’s continuing preoccupation with dieting, fitness, the perils of smoking, and the dangers of ›excessive‹ drinking: it reflects a neo-puritan desire to subject the body to cognitive control which has developed intermittently through the modern period, and is intimately tied to Christian attitudes to the care of the body.228

4.2

Den Körper denken

Schon seit Beginn der philosophischen Durchdringung des Christentums gehört die Anthropologie zu den Schlüsseldisziplinen der christlichen Theologie. Konstitutiv für eine christliche Anthropologie ist dabei die Schöpfungserzählung, deren zentrale anthropologische Aussage die Gottesebenbildlichkeit ist, wobei hier eine gestalthafte Ähnlichkeit, also ›Bild‹ (hebr. zäläm) im Sinne eines Standbilds, gemeint ist.229 Die Vorstellung vom Menschen als Statue verweist dabei auf seine Körperlichkeit, an die zugleich auch die Aspekte der Hinfälligkeit und Sterblichkeit gebunden sind. Ebenso begründet der Text die Idee einer Gleichheit aller Menschen, sofern nicht mehr allein der Herrscher, sondern jeder Mensch ein Bild Gottes darstellt. Die begeisterte Rezeption des Genesis-Textes kann leicht verschleiern, dass andere relevante biblische Texte dem Menschen keine herausragende Position innerhalb der Schöpfung zuweisen, sondern seine Existenz als »Wind« (Ijob 7,7), »Schattenbild« (Ps 39,7), »Gras« (Ps 103,15) »Wasser, zur Erde verronnen« (2Sam 14,14) oder »Staub« (Ijob 7,21) verstehen, am radikalsten ausgedrückt wohl im Buch Kohelet: 227 Hoverd, William: Deadly Sin. Gluttony, Obesity and Health Policy, in : Burns Coleman, Elizabeth/White, Kevin (Hg.): Medicine, Religion, and the Body, Leiden : Brill 2010 (= International Studies in Religion and Society 11), 205–230, 229–230. 228 Mellor/Shilling, Re-forming the Body, 48. 229 Vgl. Schroer, Silvia/Staubli, Thomas: Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, 1–4; Dohmen, Christoph: Zwischen Gott und Welt. Biblische Grundlagen der Anthropologie, in: Dirscherl, Erwin u. a.: In Beziehung leben. Theologische Anthropologie, Freiburg: Herder 2008 (= Theologische Module 6), 7–45, 24– 29.

Den Körper denken

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Denn das Geschick der Menschenkinder und das Geschick des Viehs – sie haben ja ein und dasselbe Geschick – ist dies: wie diese sterben, so stirbt jenes, und einen Geist haben sie alle. Und einen Vorzug des Menschen vor dem Vieh gibt es nicht, denn alles ist Nichtigkeit. (Koh 3,19–20)

Nahezu der Gegenbegriff zur Gottesebenbildlichkeit ist die Sünde, die eine allzu optimistische Sichtweise auf den Menschen korrigiert, und das Verständnis der Sünde stand spätestens seit Augustinus in einem engen Verhältnis zur Körperlichkeit des Menschen. Der Körper wird zum Beweis der sündhaften Natur des Menschen (bei Augustinus etwa durch seine Sterblichkeit oder durch Behinderungen von scheinbar ›unschuldigen‹ Neugeborenen), und auch zu dessen Überträger. Augustinus hat sowohl die katholische wie auch protestantische Sicht des Körpers entscheidend geprägt und so wesentlich zum christlichen »Unbehagen an der Materie«230 beigetragen. Theologische Anthropologie steht in einer Klammer aus Schöpfung und Vollendung und bleibt in ihrer Deutung des Menschen stets auf Gott bezogen. Dies gilt auch für die Reflexion über den Körper, der von seiner schöpfungstheologischen Materialität her und auf die Frage nach dem Schicksal des Menschen post mortem hin gedacht werden muss. Dies schwankt zwischen einer ganzheitlichen Sicht des Menschen und einer Vernachlässigung der Relevanz des Körpers zu Gunsten einer unsterblichen Seele. Reflexion über den Körper bedeutet aber auch Festlegen und Normieren der Geschlechtlichkeit des Menschen und ihre strikte Differenzierung in Mann und Frau, meist verbunden mit spezifischen Aufgaben und Rollen. Die Rolle des Körpers im Rahmen einer Anthropologie ist wesentlich für das Gesamtverständnis des Menschen, für den alltäglichen und liturgischen Umgang mit ihm, ist also mehr als interpretative Deskription, sondern besitzt performative Kraft: Jene, die über den Körper sprechen, haben stets auch pragmatische Ziele, die Absicht, »die unterschiedlichen Weltsichten zu manipulieren (und dadurch Praktiken zu verändern), indem sie die Struktur der Wahrnehmung der (natürlichen wie sozialen) Welt manipulieren, indem sie die Wörter und über diese die Prinzipien der Konstruktion der sozialen Welt manipulieren«231. Damit wird der Aspekt des Religiösen abgedeckt, den Riesebrodt als ›diskursive Praktiken‹ definiert hat. Als Fragenkomplexe für den Bereich ›den Körper denken‹ wurden das paulinische Diktum vom Körper als ›Tempel des Heiligen Geistes‹ und das Verständnis von körperlicher Gesundheit, Krankheit und Heilung gewählt. Die Tempel-Metapher bietet eine wesentliche theologische Grundlage für eine von der Bibel ausgehende Anthropologie, die Auseinander230 Rahner, Karl/Görres, Albert: Der Leib und das Heil, Mainz: Grünewald 1967 (= Probleme der praktischen Theologie 4), 9. 231 Bourdieu, Die Auflösung des Religiösen, 233.

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Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

setzung mit Gesundheit und Heilung fordert wiederum ein Nachdenken über den Körper, auch in der Alltagserfahrung, ein. Dadurch können diese beiden Themenfelder aufzeigen, wie über den Körper gedacht wird.232

4.2.1 Der Körper als Tempel des Heiligen Geistes Oder wisst ihr nicht, dass euer Körper ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Paulus, 1Kor 6,19

Der Körper (gr. so¯ma, in vielen deutschen Übersetzungen: ›Leib‹) als Tempel des Heiligen Geistes ist die Zentralaussage233 einer biblisch begründeten Achtsamkeit dem eigenen Körper gegenüber. Der Körper wird hier in seiner Geschaffenheit auf Gott rückbezogen und der alleinigen Verfügbarkeit des Einzelnen entzogen. Der Satz steht bei Paulus im Kontext einer Warnung vor Unzucht (porneia), die speziell als Sünde gegen den Körper hervorgehoben wird, »jede Sünde, die ein Mensch begehen mag, ist außerhalb des Körpers; wer aber Unzucht treibt, sündigt gegen den eigenen Körper« (1Kor 6,18). Doch was bedeutet es, ein Tempel zu sein? Welche Assoziationen und Handlungsoptionen daraus abgeleitet werden, lässt Rückschlüsse auf die Bedeutung des Körpers in der religiösen Praxis zu. Die Metapher des Körpers als Tempel greift zunächst ein in der ganzen Antike bekanntes Bild auf. Sowohl in der jüdischen als auch in paganen Traditionen standen Tempel im Zentrum der religiösen Praxis. Während der Tempel von Jerusalem zur Zeit der Abfassung des Texts das zentrale Heiligtum des Judentums war, waren Tempel in der paganen Welt der wichtigste und meistverbreitete spezielle Gebäudetypus. Freilich ist damit auch eine unterschiedliche Vorstellung von Tempel in der paganen und jüdischen Tradition verknüpft. Der Tempel erscheint zunächst als Wohnstatt (eines) Gottes, durch den dessen Größe vernehmbar und spürbar werden sollte. Zusätzlich impliziert das jüdische Tempelkonzept eine besondere Form der Reinheit:234 Der pharisäisch gebildete 232 Nicht zu vergessen, jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengend, ist darüber hinaus die paulinische (in der Antike schon vorgebildete) Idee, dass die christliche Gemeinde selbst den Leib Christi bildet, vgl. hierzu v. a. Walter, Matthias: Gemeinde als Leib Christi. Untersuchungen zum Corpus Paulinum und zu den ›Apostolischen Vätern‹, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. 233 Vgl. auch Paulus’ Formulierung in 1Kor 3,16: »Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?« 234 Vgl. Böttrich, Christfried: ›Ihr seid der Tempel Gottes‹. Tempelmetaphorik und Gemeinde bei Paulus, in: Ego, Beate/Lange, Armin/Pilhofer, Peter (Hg.): Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple, Tübingen: Mohr Siebeck 1999, 411–426 (= Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 118), 419.

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Paulus errichtet damit jedoch nicht einen Gegensatz zwischen einem pharisäisch-frommem Lebenswandel und dem Tempelkult, vielmehr dient die Tempelidee als Modell gottgefälliger Heiligkeit, mit all den Reinheitsvorschriften, die mit dem Betreten des Tempels verbunden sind und auf das Volk als Ganzes übertragen werden.235 Im Besonderen bezieht sich der Textabschnitt im ersten Korintherbrief auf die Sünde der Unzucht, dem konsequenterweise eine Abhandlung über die christliche Ehe folgt. Streitpunkte in der Exegese waren dabei vor allem zwei Fragen: Erstens, ist mit so¯ma der konkrete, physische Körper des Menschen gemeint oder liegt hier ein ganzheitliches Verständnis von so¯ma als ›Person‹ in seiner körperlich-geistigen Verfasstheit vor? Und zweitens, wie ist auf dieser Basis die Aussage des Paulus zu verstehen, allein die Unzucht wäre eine Sünde gegen das so¯ma? Sind nicht Völlerei oder Trunksucht ebenso Sünden gegen den Körper? Und wenn so¯ma den ganzen Menschen meinen soll, hieße dies nicht, dass keine Sünde mit Ausnahme der Unzucht eine Sünde gegen die Person wäre? Dies ist schwer vorstellbar und wurde nicht zuletzt auch damit erklärt, dass die Aussage »jede Sünde, die ein Mensch begehen mag, ist außerhalb des Körpers« ein Zitat einer in Korinth kursierenden Meinung sei, die Paulus korrigieren wollte.236 Gegen die ganzheitliche Auslegung herrscht mittlerweile die Ansicht vor, dass sich so¯ma klar auf den physischen Körper als Organismus bezieht, der jedoch durch zwei Besonderheiten markiert ist, erstens als Medium von Beziehung und Kommunikation und zweitens durch seine Verklärung in der Zukunft: »[T]he destiny to bodily resurrection casts a backward significance upon present bodily life«237. Auffällig ist hier der hohe Stellenwert, der dem Körper eingeräumt wird, er ist schon auf die künftige Erlösung bezogen und daher auf besondere Weise zu bewahren. Es ist dabei nicht irgendein Körper, sondern der eines Christen, der in besonderen Beziehungsverhältnissen zu Gott steht. Während die Vorstellungen der Stoa oder auch Philos von Alexandrien die Anwesenheit des Göttlichen in der Seele des Menschen vermuteten, schließt die Zugehörigkeit zu Gott den gesamten Menschen sowohl in seiner Körperlichkeit als auch in all seinen Beziehungen ein, womit »der Leib des Einzelnen (!), und nicht sein geistiges besseres Ich Wohnsitz des göttlichen Elements ist«238. Damit bekommt der Mensch in seiner physischen Verfasstheit noch einmal einen neuen Anspruch an den Umgang mit sich selbst, seinen Körper von Gott her zu denken. Was die 235 Vgl. ebd., 413–414. 236 Vgl. Byrne, Brendan: Sinning against One’s Own Body. Paul’s Understanding of the Sexual Relationship in 1 Corinthians 6:18, in: CBQ 45 (1985) 608–616, 609. 237 Ebd., 612. 238 Zeller, Dieter: Der erste Brief an die Korinther, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010 (= Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament 5), 228. [Herv. i. O.]

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Unzucht also besonders prekär macht, ist das fehlgeleitete Beziehungsverhältnis, in das der Körper hier in besonderem Maß involviert ist. Paulus »strongly and solemnly warns the Corinthians about the danger of fornication, indicating its total inappropriateness for the Christian«239. Paulus bezieht sich hier also sehr wohl auf den Menschen in seiner konkreten Körperlichkeit, die jedoch durch die Gottesbeziehung einen anderen Status bekommt. Der Mensch, als Organismus, ist eine Wohnstätte Gottes und hat daher Gott durch seine Verfasstheit und seine Reinheit widerzuspiegeln. Gerade dieses Beziehungsverhältnis steht aber durch die Unzucht auf dem Spiel, da durch sie eine körperliche Beziehung gebildet wird, die der Vorstellung von Moral und Reinheit gänzlich widerspricht. Daher wird die Unzucht hier noch einmal drastisch als Sünde hervorgehoben, während Trunkenheit oder Völlerei zwar als Sünde gegen den eigenen Körper erscheinen, aber eben nicht in dessen Beziehungsverhältnis zum anderen. Zugleich ist es nicht verwunderlich, dass die oben skizzierten Uneindeutigkeiten im Verständnis des Satzes in der Folge verschiedene Auslegungen evoziert haben. Gerade isoliert betrachtet, dient das Zitat auch als Begründung einer umfassenden Moral des Körpers, die weitaus mehr als Unzucht umfasst, wofür gerade auch Ellen White ein Beispiel ist: We are required by God to preserve every power in the best possible condition, that we may render acceptable service to our Creator. When intoxicants are used, the same effects will follow as in the case of those priests of Israel. The conscience will lose its sensibility to sin, and a process of hardening to iniquity will most certainly take place, till the common and the sacred will lose all difference of significance. How can we then meet the standard of the divine requirements? ›Know ye not that your body is the temple of the Holy Ghost which is in you, which ye have of God, and ye are not your own? For ye are bought with a price: therefore glorify God in your body, and in your spirit, which are Gods.‹ 1 Corinthians 6:19, 20.240

White zitiert hier die paulinische Stelle als biblische Untermauerung ihrer Forderung, von Rauschmitteln (intoxicants) abzustehen. Nur in einem (auch körperlich) guten Gesamtzustand sei der Mensch in der Lage, Gottes Gebote richtig umzusetzen. Unzucht, der ursprüngliche biblische Kontext, ist hier völlig ausgeblendet. Es verwundert daher nicht, dass eine Kompilation von Texten Whites über gesunden Lebensstil gerade unter den Buchtitel Ein Tempel des Heiligen Geistes gestellt wurde.241 239 Byrne, Sinning against, 615. 240 White, Ellen: The Story of Patriarchs and Prophets. As illustrated in the Lives of Holy Men of Old, in: http://www.whiteestate.org/books/pp/pp.asp (abgerufen am 20. August 2012), 362. 241 Vgl. White, Ellen: Ein Tempel des Heiligen Geistes. Glaube und Lebensstil, Lüneburg: Advent 2001.

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Der paulinische Satz vom Körper als Tempel des Heiligen Geistes ist daher maßgebend für die Fundierung der adventistischen Lebenspraxis, »der Schlüsselsatz für einen Adventisten, der die Gesundheitsbotschaft versteht, der Schlüsselsatz schlechthin« (ADV3). Durch das Wirken von Ellen White wurde er sehr stark mit der Gesundheitspflege verbunden, was sich auch bei den befragten Gemeindemitgliedern niederschlägt: Die ursprüngliche, biblische Konnotation des sexuellen Fehlverhaltens wurde von niemandem explizit damit assoziiert, im Vordergrund stehen die Bereiche Ernährung, Bewegung und Abstehen von Suchtmitteln. Eine Ausformulierung der Botschaft vom Tempel führt zu folgenden Äußerungen der Befragten: Positive Formulierungen

Negative Formulierungen

»den Körper frisch halten« »reinhalten«

»Benutzerfehler vermeiden« »sich gewisser Dinge enthalten«

»gesund erhalten« »bewahren«

»nicht schädigen« »von der Sünde freihalten«

»verantwortlich sein« »auf meine Gesundheit achten«

»nicht über den eigenen Körper verfügen« »nicht Schindluder treiben«

»gesund leben« »Verantwortung haben«

»nicht ruinieren« »keinen Schaden zufügen«

»gesund essen« »Verantwortung tragen« »den Körper heilig halten« »den Körper achten« »mit dem Körper so umgehen, dass wir für Gott wirken können« »meinem Körper Gutes tun« »Verantwortung übernehmen«

Hier zeigt sich ein reichhaltiges Vokabular, das zudem einen positiven Überhang aufweist und stark auf die gesundheitliche Verantwortung des Einzelnen für seinen Körper abzielt. Dominant ist zunächst der Bereich der Ernährung, auch Sport wird von fast allen Befragten als praktische Konsequenz aus der TempelMetapher gezogen. Maßgeblich dafür sind die sogenannten ›acht Ärzte‹, die von White konzipiert wurden um ein Höchstmaß an körperlicher Gesundheit zu erreichen, denn wenn »die Leiber, die auf dem Altar Christi geopfert werden, mit derselben Genauigkeit untersucht würden, wie die Opfer der Israeliten, wer würde da angenommen werden?«242 Als diese ›acht Ärzte‹ definiert White ge242 White, Ellen: Das geheiligte Leben. Ein Vergleich wahrer und falscher Lehren, Schopfheim: Hoffnung weltweit 2000, 20.

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sunde Ernährung, Mäßigkeit und Abstinenz von als schädlich definierten Substanzen, ausreichend Wasser, Schlaf, Frischluft, Sonne, Bewegung, Ruhe und Gottvertrauen, wobei hier Ernährung und Bewegung von den befragten Gemeindemitgliedern als Hauptbereiche genannt werden: [Das heißt], dass ich den Körper reinhalte. Das fängt mit der Ernährung an, das geht über Bewegung, das geht über diese acht Ärzte, die wir haben, wie das Ellen White schreibt, Bewegung, Ruhe, keine Drogen, gesundes Essen, was ist da noch dabei, Wasser trinken, noch ein paar Sachen, ich vergesse immer ein paar. Dass, von der Gesundheit her, dass wir eigentlich verpflichtet sind, unseren Körper gesund zu erhalten. Weil Gott hat uns ja einen guten Körper gegeben, also, wenn wir jetzt gesund auf die Welt kommen und wir machen den Körper dann krank, dann weiß ich nicht, sicher können wir zu Gott gehen und ihn bitten, dass er uns gesundmacht. Aber ich finde, da haben wir dann fast gar nicht das Recht dazu. (ADV4)

Hier nimmt ADV4 explizit auf Whites ›acht Ärzte‹ Bezug. Bedeutsam ist die Ansicht, dass die Gesundheitspflege, gerade des Körpers, als göttliche Verpflichtung verstanden wird, was vor allem auf den Einsatz Whites zurückzuführen ist, die Gesundheitspflege zur heiligen Pflicht erhob. Damit verbunden ist zugleich der Ausdruck einer Selbstverantwortung vor Gott: Wer für die Krankheit seines Körpers verantwortlich ist, dem spricht ADV4 hier beinahe das Recht ab, Gott um Heilung zu bitten. Gesundheit ist gerade auch nach White etwas Herstellbares: »[H]ealth does not depend on chance. It is a result of obedience to law«243. Dies entspricht der reformatorischen Selbstverantwortung des Einzelnen vor Gott, weitet diese aber auf die Bereiche Körperpflege und Ernährung aus. Die Pflege des Körpers ist jedoch nicht Selbstzweck, worauf die Befragten in ihrer Deutung auch Wert legen. Ausdrücklich wird auch eine Sinndimension der Körperpflege genannt, nämlich durch einen gesunden Körper Gott besser dienen zu können und tiefere Geistigkeit zu erlangen. Die Körperpflege ist damit rückgebunden an eine religiöse In-Dienst-Nahme durch Gott: Der Körper als Tempel des Heiligen Geistes bedeutet, dass wenn wir uns zu Gott hinwenden, er durch den Heiligen Geist in uns wohnt. Das ist eigentlich das Entscheidende in der Nachfolge Jesu. Wir finden in Galater 2, Vers 22, zum Beispiel, es lebe doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir, beziehungsweise Christus sagt, durch den Heiligen Geist wohnt er in uns. Deswegen sind wir auch verantwortlich für unseren Körper, und wenn es der Tempel ist, sind wir verantwortlich, den Tempel zu bewahren. Wie wir mit dem Körper umgehen beeinflusst deswegen auch unsere Beziehung zu Gott und die Möglichkeit Gottes, auch durch uns zu wirken. (ADV5) 243 White, Ellen: The Ministry of Healing, Nampa: Pacific Press 1990, 128. Letztlich bedeutet das eine unterschiedliche Einstufung von Krankheit, die einmal wegen und einmal trotz des Lebenswandels auftritt.

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In diesem Zusammenhang habe ich natürlich über ADRA über den Gesundheitsaspekt nachgedacht, wo ich mir denke, wenn mein Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist, in einem Tempel betet man an, in einem Tempel ist irgend so eine Anwesenheit von Gott und zu Gott hin ist eine Verbindung ein bisschen. Ich denke, mein Körper soll eigentlich dazu dienen, Gott anzubeten. Und dann, denke ich mir, dann heißt es für mich, dass ich auf meine Gesundheit, auf meinen Körper achten muss, ich schaue, dass ich Bewegung mache, dass ich gesund esse, gesund lebe. (ADV6)

Damit wird der Bereich des Körperlichen nicht, wie häufig in der christlichen Tradition, gegen die Spiritualität ausgespielt, sondern der Rationalisierungsprozess, den Max Weber für die reformatorische Tradition diagnostiziert hat, wird auf den Körper übertragen. Die verinnerlichte adventistische Haltung, die ADV5 und ADV6 hier zum Ausdruck bringen, beschreibt einen vernünftigen Umgang mit dem Körper im Alltag, der einen bestimmten Körper hervorbringt, der auf besondere Weise für den Willen Gottes dienstbar ist, ja überhaupt für den Anruf Gottes offen ist. Dieser Zweck bedeutet zugleich eine Rationalisierung der Gesundheitsgebote insgesamt: Warum verlangt Gott, dass wir in allen Belangen auf unsere Gesundheit achten? – Weil wir nur so für ihn dienstbar sein können. Zusammenfassend kann hier die Position von ADV11 zitiert werden, die zugleich auf die Gefahr einer Vereinseitigung der Gesundheitspraxis allein auf den Aspekt der Ernährung hinweist: Also wenn es dir schlecht geht, bist du abgelenkt von allem anderen, du kannst eben nicht denken und du kannst keine geistlichen Dinge wahrnehmen oder ausführen, wenn du geschwächt bist. Du kannst auch kein Werkzeug für Gott sein, wenn du ob deines Lebensstils geschwächt bist, also sicher nicht in der Form wie Er es möchte, wenn du dich daran halten würdest. Und dieser Spruch, ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper, das stimmt sicher, und ich sehe auch die Verantwortung, die wir da haben, also, dass wir das einfach geschenkt gekriegt haben und dass man da nicht so Schindluder betreibt, dass man den jetzt unbedingt ruinieren muss. Aber für mich gehört eben nicht nur das Essen dazu, es sind die acht Ärzte, so mit Bewegung, Ruhe, Schlaf und allem möglichen, also für mich gehören diese Komponenten gleichwertig dazu. Das stört mich manchmal in der Gemeinde, dass dieser Lebensstil so am Essen festgemacht wird, und dann hast du die Workaholics oder die, die, ich weiß nicht, irgendwie nicht schlafen oder herumstressen oder nie was trinken oder so, also das ist wirklich gleichwertig, wo du sagst, das gehört zusammen, und erst dann ist es wirklich ausgewogen, nicht nur die Ernährung. (ADV11)

Hier werden alle Aspekte der Deutung der Tempel-Metapher, wie sie typisch für die Gemeinde sind, noch einmal verdichtet: Die spirituelle Offenheit für Gott, die einen bestimmten Zustand des Körpers voraussetzt, die Notwendigkeit der körperlichen Gesundheit als Teil einer Dienstbarkeit im Glauben, die Verantwortung des Individuums vor Gott, den Alltag nach diesen Strukturen zu gestalten, und schließlich der Verweis auf Whites ›acht Ärzte‹, wobei deren

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Gleichwertigkeit betont wird. Bemerkenswert ist die Kritik am zu starken Fokus auf den Bereich der Ernährung. Ebenso beispielhaft in diesem Statement ist das Fehlen der ursprünglichen, sexuellen Dimension der Metapher, wie sie von Paulus gedacht war. Damit liegt eine stärkere Akzentuierung des Körpers als Tempel im Sinne einer materialistischen Auslegung vor : Der Körper ist als ›Gebäude‹ zu bewahren, alle Handlungsoptionen, speziell die ›acht Ärzte‹, dienen letztlich dem physischen Erhalt des Körpers im bestmöglichen Zustand und haben nicht den Körper in seinem (sexuellen) Beziehungsverhältnis zum Ziel. Sehr wohl wird jedoch vom Zustand des Körpers die Gottesbeziehung bis zu einem gewissen Grad abhängig gemacht, so dass die relationale Dimension nicht verschwindet, aber zu einer Folge der materiellen Dimension wird. Bei Paulus hingegen ist allein die relationale Dimension problematisiert, während die unmittelbare Schädigung des ›Körper-Gebäudes‹ durch Trunkenheit, Übermaß o. ä. von Paulus hier nicht zum Thema gemacht wird.

4.2.2 Gesundheit, Krankheit und Heilung Krankheit und das damit verbundene Leiden ist eine menschliche Grunderfahrung, die auf die Schwäche und Hinfälligkeit des Körpers verweist. Ihre Erklärung und Einfügung in ein Sinnsystem sind seit der Antike wesentliche Elemente religiöser Vorstellungen und Praktiken.244 In der christlichen Tradition steht dieser Bereich in einer Spannung zwischen der hervorragenden Bedeutung, die Heilungen vor allem in den neutestamentlichen Erzählungen einnehmen, und einer gewissen Vernachlässigung des Heilens körperlicher Krankheiten. Zwar hat die Krankenpflege vom Frühchristentum an stets einen wichtigen Teil der diakonischen Tätigkeit ausgemacht, der Aspekt der Heilung im und durch den Glauben wurde jedoch erst in den letzten Jahrhunderten durch Freikirchen, die Praxis von Wallfahrten im Katholizismus und vor allem durch die Pfingstkirchen reaktualisiert.245 Dazu besteht ein verstärktes Bedürfnis in den europäischen, aber auch amerikanischen und afrikanischen, Gesellschaften nach einem Zugang zu Krankheit und Heilung, der über die wissenschaftliche Medizin hinausgeht, was sich im Erfolg alternativer Heilmethoden, esoterischer Ansätze, aber eben auch der Pfingstkirchen niederschlägt. Damit verbunden ist eine ganzheitliche Sichtweise des Menschen, die nicht 244 Vgl. Otto, Eckart: Magie – Dämonen – göttliche Kräfte. Krankheit und Heilung im Alten Orient und im Alten Testament, in: Ritter, Werner/Wolf, Bernhard (Hg.): Heilung – Energie – Geist. Heilung zwischen Wissenschaft, Religion und Geschäft, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005, 208–225. 245 Vgl. Fritsche, Ulrich: Art. Heilung/Heilungen. II. Kirchengeschichtlich/Ethisch/Praktisch-theologisch, in: TRE (1990) 768–774, 771.

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nur auf die Integrität von dessen Seele abzielt, sondern sein körperliches Leiden ernst nimmt. Im Alten Testament erscheint Krankheit als Teil der menschlichen Lebenswirklichkeit, die in verschiedenen Erzählungen unterschiedliche Rollen einnimmt. Die Hinwendung zu paganen Riten und Heilungsgottheiten wird angeprangert, dagegen stehen Beispiele von ärztlichem Eingreifen ebenso wie die Bitte an Gott um Heilung von Krankheit.246 Die alt-orientalischen Konzepte von Krankheit als durch böse Mächte bewirkt, aber auch etwa als Strafe von den Göttern bzw. Gott selbst herkommend, existieren auch im Alten Testament.247 Ebenso wird mit Blick auf die biblischen Texte deutlich, dass Krankheit meist einfach als natürliches Geschehen beschrieben wird, das keiner weiteren Deutung bedarf. Gott kann im Krankheitsfall dabei direkt um Heilung gebeten werden. Erzählungen über Heilungen sind dagegen selten.248 Im Neuen Testament werden Krankheiten und deren Heilung hingegen zu einem wesentlichen Element der Verkündigungserzählungen. Heilungen von Bewegungseinschränkungen, Blindheit, Besessenheit von Dämonen (im Gegensatz zum AT explizit ausgeführt) oder Aussatz wird dabei eine eschatologische Bedeutung zugesprochen, sie haben Zeichenfunktion für die Gegenwart Gottes und den Anbruch seiner Königsherrschaft. Jesu Heilshandeln verdichtet die Aspekte der Neuschöpfung, des Glaubensaktes (vgl. die immer wiederkehrende Phrase ›dein Glaube hat dich gerettet‹) und der Sündenvergebung. Entsprechend dieser großen zeichenhaften Bedeutung von Heilung heilen auch die Jünger im Namen Jesu: »Heilungswunder, manchmal sogar mit magischem Anstrich (Apg 5,15; Apg 19,12), begleiten das Wirken der christlichen Missionare und provozieren ihre Verehrung als Götter (Apg 14,11–13; Apg 28,6).«249 Im Hinblick auf die freikirchliche Geschichte wichtig, maßen Luther und Calvin der Heilung weniger Bedeutung bei. Für Luther erscheint Krankheit als Zeichen des prinzipiellen Krankseins des Menschen an der Sünde, die Krankheit zu ertragen stellt den Einzelnen in die Nachfolge des kreuztragenden Jesus und bekommt insofern eine positive Konnotation. Heilung tritt damit in ihrer Bedeutung zurück, sie mag durch Ärzte oder Heiler erfolgen, sich allein Gott mit Bitte um Heilung zuzuwenden, hieße aber, ihn in Versuchung zu führen. Für Calvin nehmen Heilungen vor allem eine zeichenhafte Bedeutung an, als Vorboten des Ganz-heil-Werdens im Jenseits. Warum Gott Krankheiten zulässt oder heilt, entzieht sich hingegen dem menschlichen Verstand, sodass Calvin Spe246 Vgl. Scharbert, Josef: Art. Krankheit/Heilung. II. Altes Testament, in: TRE4 10 (1990) 680–683. 247 Ersteres ist jedoch kaum ausgeprägt bzw. textlich nicht eindeutig (vgl. Ps 91,5–6 oder Hos 13,14), zur Krankheit als Strafe vgl. Ex 9, Num 12, Dtn 28, 2Sam12. 248 Vgl. Scharbert, Art. Krankheit/Heilung II, 683. 249 Klauck, Hans-Josef: Die religiöse Umwelt des Urchristentums. I. Stadt- und Hausreligion, Mysterienkulte, Volksglaube, Stuttgart: Kohlhammer 1995, 129.

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kulationen darüber ganz im Sinne seines Konzepts vom Deus absconditus ablehnt.250 Heilungswunder dienten in diesem Verständnis allein der Etablierung und Durchsetzung des Christentums in seiner Frühzeit, gaben schließlich aber den Raum frei für das göttliche Wort allein. Seit der Aufklärung wurde Heilung jedoch zunehmend zu einer Angelegenheit der menschlichen Vernunft, deren praktische Anwendung in medizinischen Heilungsmethoden das Konzept von Leiden als Nachfolge Christi zunehmend verdrängte. Bei den Siebenten-Tags-Adventisten wird dieser vernünftige Umgang mit Gesundheit, Krankheit und Heilung schließlich ein wichtiger Teil ihres Selbstverständnisses und nimmt in der adventistischen Tradition eine überragende Bedeutung ein. Die Thematik dient sowohl als theologisches und moralisches Diskursfeld wie auch als Grundlage einer konkreten Lebenspraxis. Auf Grund der noch jungen Geschichte des Adventismus beruht schon das Ausgangsverständnis von Gesundheit, Krankheit und Heilung auf anderen historischen Voraussetzungen: Das 19. Jahrhundert war geprägt von großen Fortschritten in der medizinischen Diagnostik, in Fragen der Hygiene, in Ernährungswissenschaften und Krankheitsprävention. Erstmals konnten die Zusammenhänge von Ernährung, Hygiene, Gesundheit und Wohlbefinden genauer erkannt und definiert werden. Die Aufklärung im späten 18. Jahrhundert hatte dafür auch eine weltanschauliche Grundlage geliefert: Das Paradigma der Vernunft umfasste nunmehr auch die Gesundheit, dagegen verloren Krankheit und Leiden ihre metaphysische Bedeutung als Nachvollzug der Leiden Jesu und wurden zu Konsequenzen menschlicher Unvernunft und moralischer Unordnung, welche durch Vernunft und das Befolgen der Gesetzmäßigkeiten der Natur geheilt werden konnten. Johann Osterhausen (1765–1839) sprach von einer ›medizinischen Aufklärung‹, welche der Ausgang des Menschen aus seiner Unwissenheit, welches sein physisches Wohl betrifft, sei.251 In diesem sozialen Kontext, verbunden mit Krankheitserfahrungen in der eigenen Familie, unterstrich Ellen White von Beginn ihres Wirkens an die Bedeutung der Gesundheit als etwas, wofür der einzelne Christ auch selbst verantwortlich sei. Sich um die Gesundheit zu kümmern wurde zu einer religiösen Pflicht,252 der Arzt zu einem hochangesehenen Beruf, der mit der Hilfe Christi dessen Auftrag nachkommt, Kranke zu heilen (Mt 10). Krankheit und Heilung bekommen damit in einem christlichen Kontext eine völlig neue, von der medizinisch-rationalen Herangehensweise 250 Vgl. Mehlhausen, Joachim: Art. Krankheit/Heilung. VI. Reformationszeit, in: TRE4 19 (1990) 694–697. 251 Vgl. Boschung, Urs: Zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Aus der Geschichte des Patienten, in: Ausfeld-Hafter, Brigitte (Hg.): Medizin und Macht. Die Arzt-Patienten-Beziehung im Wandel: mehr Entscheidungsfreiheit, Bern: Lang 2007, 11–33, 28. 252 Vgl. Robinson, Health Message, 79.

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des 19. Jahrhunderts geprägte, Dimension, die sich mit dem Konzept einer rationalen moralischen Lebensführung im Sinne Webers verbindet. In einem Jahrhundert, in dem »moralische Normen immer mehr in der Natur und immer weniger in göttlicher Autorität verankert wurden«253, gelang es den Adventisten, diesen Prozess der Naturalisierung in ein christliches Glaubenskonzept zu integrieren und u. a. biblische Gebote als natürliche Gesundheitsgebote zu interpretieren. Der Körper wird hier zu einer Schnittstelle von moralischem und medizinischem Diskurs,254 Krankheit und Heilung werden von Schicksal und der Maßgabe Gottes zu einem rationalisierbaren Prozess, in den Worten Whites: Immer mehr erkennen Ärzte die Tatsache, dass Krankheit eine Folge der Sünde ist. Es wird ihnen klar, dass die Naturgesetze ebenso göttlichen Ursprungs sind wie die Vorschriften der Zehn Gebote und dass nur durch Gehorsam ihnen gegenüber die Gesundheit zurückerlangt oder bewahrt werden kann. Sie sehen viele infolge schädlicher Gewohnheiten leiden, die wieder gesund werden könnten, wenn sie nur ihren Lebensstil ändern würden.255

Man beachte die Wortwahl: Ärzte (!) erkennen den Zusammenhang von Krankheit und Sünde, d. h. Mediziner werden hier zu Gewährsleuten einer naturalisierten christlichen Moral. Durch diese Naturalisierung kommt dem Einzelnen bei White ein hohes Maß an Selbstverantwortung zu: »Viele Menschen ziehen sich Krankheiten durch eine nachlässige Lebensweise zu. Sie haben nicht in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen oder den Prinzipien kompromissloser Ethik gelebt.«256 In diesem Prozess der Rationalisierung von Gesundheit und Krankheit unter christlichem Vorzeichen steht auch das Gebet um Heilung durch Gott, von dem der Jakobusbrief spricht, in einem anderen Kontext und wird von White entsprechend in Beziehung gesetzt. Gott heilt nur jene, welche die Bereitschaft zur rationalen Lebensführung besitzen: Erhielten diese Personen nun die Segnung der Gesundung, würden viele von ihnen denselben Kurs der leichtfertigen Übertretung von Gottes Natur- und Sittengesetzen fortsetzen. Sie hätten die Vorstellung, dass sie, wenn Gott sie durch Erhörung ihrer Gebete heilt, die Freiheit besitzen, ihren ungesunden Lebensstil wie gewohnt weiterzuführen und sich ohne Einschränkung übersteigerten Begierden hinzugeben. Wenn 253 Laqueur, Thomas: Solitary Sex. A Cultural History of Masturbation, New York: Zone Books 2003, 16. [Übers. C. F.] 254 Vgl. Feichtinger, Christian: ›To Glorify God in Our Bodies‹. The Body as an Interface between Moral and Medical Discourse in the Foundation of the Seventh-day Adventist Church, in: Ornella, Alexander D./Knauss, Stefanie/Höpflinger, Anna-K. (Hg.): Commun(icat)ing Bodies. Body as a Medium in Religious Symbol Systems, Zürich: Pano 2014 (= Religion – Wirtschaft – Politik 11), 85–101. 255 White, Der Weg zur Gesundheit, 71. 256 Ebd., 182.

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Gott an diesen Personen ein Heilungswunder vollbrächte, würde er sie damit zur Sünde ermutigen.257

Gerade White betont immer wieder, wie sehr Krankheiten in erster Linie durch den Lebenswandel verschuldet sind. Lässt man dieses Bild so stehen, so ergibt sich daraus freilich eine problematische Sichtweise auf unverschuldete Krankheiten oder Menschen, die nicht über das Wissen oder die Ressourcen verfügen, um entsprechende Prävention zu leisten, denn dann wäre jede Krankheit immer selbst verschuldet und durch den Betroffenen vermeidbar gewesen. Hier gilt es daher zu differenzieren, die Vermeidung vieler Krankheiten wird von den STA in die Verantwortung des Einzelnen gelegt, dennoch wird auch die Sündhaftigkeit der gefallenen Welt betont, in der manches Schicksal einfach unvermeidbar und Gottes Ratschluss darüber unerforschlich ist. Die adventistische Praxis der Rationalisierung gilt daher nicht unbeschränkt, jedoch in einem weitaus höheren Ausmaß als in anderen christlichen Denominationen: Gesunde Ernährung, Bewegung, ein guter Lebenswandel und ein offener und positiver Zugang zur modernen Medizin gehören wesentlich zum adventistischen Selbstverständnis dazu, und immer wieder wird in adventistischen Medien die bessere Gesundheit der Gemeindemitglieder unterstrichen, aber deren Erhalt auch eingemahnt: »Scientific studies of Seventh-day Adventists around the world have shown they have less illness, lower mortality, and greater longevity than the general population. This is true despite the failure of many Seventh-day Adventists to live healthy lifestyles.«258 Die Sorge um den Körper nimmt in diesen gesundheitlichen Fragen eine bedeutsame Stellung ein. Durch die rationale und präventive Herangehensweise gelten Krankheit und Heilung in der adventistischen Tradition primär als eine Frage des Lebensstils, der Medizin und der eigenen Verantwortung, und Heilung gilt erst sekundär als etwas, das unmittelbar als Antwort auf ein Gebet von Gott geschenkt wird. Charismatische Heilungswunder oder Heilungsgottesdienste vertragen sich daher nicht mit diesem rationalistischen Konzept: »Unsere Sicherheit liegt nicht in den Wundern und Heilungen, sondern in der Bibel. […] Heute erleben wir die Gabe der Heilung vor allem durch den Dienst der Medizin.«259 Es überrascht nach all dem nicht, dass die Gedanken der Befragten primär um das Verhältnis von Selbstverantwortung und erlittener Krankheit kreisen. Zwar 257 Ebd. 258 Dysinger, William: Heaven’s Lifestyle Today. Health in the Context of Revelation 14, Silver Spring: General Conference of Seventh-day Adventists Ministerial Association 1997, 140. 259 Rodríguez, ]ngel: Heilungsgaben. Glauben Adventisten an die Gabe der Heilung?, in: Adventisten Aktuell 23 (2011) 26. Es gibt allerdings auch charismatisch beeinflusste Adventgemeinden, die sich jedoch meist außerhalb der Generalkonferenz befinden.

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wird die bloße Existenz von Krankheit als Folge des Sündenfalls, als Element einer gefallenen Welt erklärt, dennoch wird immer zugleich auch auf die Selbstverantwortung des Einzelnen hingewiesen, nach den Gesundheitsgeboten Gottes zu leben. Es ist auffällig, dass diese beiden Konzepte meist miteinander vorgebracht werden, wie etwa bei ADV3, die sie ineinander verschränkt: Ich weiß, dass ich keinen Anspruch habe durch meinen Lebensstil, dass ich keine Krankheit kriege, dass ich nie an Krebs erkranken kann, all das hat Gott mir nicht versprochen, all das kann passieren, aber ich weiß, dass er mich liebt, trotzdem. Also Krankheit ist eine Folge der Sünde, eine Folge von chronischer Sünde über Jahrtausende, und insofern ist die definitive Ursache von Krankheit nicht immer fassbar. Viele, über neunzig Prozent, sind deswegen krank, weil sie gelebt haben, dass es die Sau graust. Der Rest erkrankt einfach an der Degeneration des Menschen durch die Sünde. Krankheit ist sicher Folge der Sünde. Viele Menschen verstehen heute nicht, dass Krankheit nicht die Folge dessen ist, dass Gott nicht auf sie geschaut hat, sondern die Folge dessen, dass Satan ein gewisses Regiment führt auf dieser Welt. Er ist zwar besiegt, und das weiß er auch, aber er versucht halt noch, in seinem Fatalismus alles mitzureißen, was er halt mitkriegt. Viele Krankheiten sind eine Folge des schlechten Lebensstils, der normalen Naturgesetze: Wenn ich einen Löffel fallen lasse, fällt er nicht nach oben, das ist ein Naturgesetz, und wenn ich Schweinefleisch fresse, werde ich irgendwann einmal was entwickeln, was eine Arteriosklerose, Herzinfarkt, Hirnschlag oder Krebs ist, das ist ganz normal eine Folge des Naturgesetzes. (ADV3)

In diesem Statement greifen die beiden Konzepte von Krankheit als Verhängnis und Krankheit als etwas selbst Verschuldetes unmittelbar ineinander : Zunächst wird darauf hingewiesen, dass der adventistische Lebensstil keine Garantie für Gesundheit ist, da Krankheit ein Teil der durch die Sünde gefallenen Welt ist. Dann wird erklärt, dass neunzig Prozent der Krankheiten dennoch selbstverschuldet sind, dann wird wieder das Wirken Satans als Quelle der unverschuldeten Krankheiten genannt und schließlich wieder der schlechte Lebensstil als kausale Ursache für Krankheiten genannt. So sehr ADV3 also die sündhafte Welt als solche und das Wirken des Bösen als Erklärung für Krankheiten heranzieht, so sehr konterkariert sie dies durch die Feststellung, dass die eigentliche Hauptursache für Krankheit trotz allem der eigene Lebensstil und damit selbst verantwortet ist. Die abwertende Formulierung des ›Fressens‹ von Schweinefleisch ist noch einmal eine moralische Kritik an einer ungesunden Lebensweise. Die herausragende Bedeutung des von den STA propagierten gesunden Lebensstils wird damit unterstrichen, zugleich wird jedoch auch eine Unverfügbarkeit der absoluten Sicherheit eingeräumt, die mit der Ursünde und dem Wirken des Teufels erklärt werden. Damit wird die Spannung von Verantwortung und Erleiden aufgelöst. Auch ADV5 argumentiert im ähnlichen Stil: Krankheit kann verschiedene Bedeutungen haben. Nummer eins, ich sehe das natürlich so, dass wir in einer degenerierten Welt leben, für viele Krankheiten kann keine der

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aktuellen Generationen irgendetwas dafür. Vieles an Krankheiten ist Degeneration, ist auch kulturabhängig, die Zivilisationskrankheiten, die es nur im Westen gibt, mit denen manche schon geboren werden. Das heißt, aber das hat uns Jesus ja schon gelehrt, dass man aus Krankheiten nicht auf Strafe Gottes schließen darf und nicht auf persönliche Sünde schließen darf, wenngleich Krankheit immer Folge von Sünde ist, aber nicht Folge der persönlichen Sünde, denn die Krankheit ist erst durch die Sünde in die Welt gekommen. Krankheit kann deswegen schon einen Einfluss auf mein Leben haben, wie ich mit der Krankheit umgehe. Dinge, die ich ändern kann, das ist meine Überzeugung, da bin ich verantwortlich, sie zu ändern, Dinge, die ich nicht ändern kann, da geht es darum, auch im Vertrauen auf Gott Dinge anzunehmen und damit zu leben. Und diese Sicht bedeutet für mich auch, dass wir als Christen eigentlich eine aktivere Verantwortung einnehmen sollten für unsere Gesundheit, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, nicht nur der Arzt. Es bedeutet für mich auch, dass wir die Gesundheitsprinzipien, die sich in der Bibel schon finden, versuchen zu verstehen und uns fragen, wie leben wir das aus, was ist eigentlich eine natürliche Lebensweise, so wie Gott sie ursprünglich erdacht hat? (ADV5)

Auch hier wird mit einem Ineinander aus der sündhaften Verfasstheit der Welt einerseits und der persönlichen Verantwortung andererseits argumentiert. Zunächst wird wie bei ADV3 klargestellt, dass Krankheit eine durch den sündhaften Status der Welt entstandene Folge der Degeneration ist, andererseits gibt es aber eine klare Verbindung von Gesundheit und Lebensstil, die der Einzelne im Hinblick auf die biblischen Gebote erkennen und umsetzen muss. Auch hier wird also die Selbstverantwortung herausgestrichen, aber werden auch deren Grenzen klar markiert, die durch das Übel in der Welt gegeben sind. In letzterem Fall wird eine Annahme im Glauben empfohlen. Die allgemeine Grundansicht bringt ADV6 in Kürze auf den Punkt: Für mich ist Krankheit eine Folge von der Sünde, also im Paradies, da bin ich davon überzeugt, gab es keine Krankheiten. Und doch sage ich, viele Krankheiten sind selbstverschuldet. (ADV6)

Diese Haltung des ›Krankheit ist ein Teil der sündigen Welt, aber für vieles bin ich selbst verantwortlich‹ zieht sich durch alle Interviews. Durch die Betonung der Selbstverantwortung wird die Wichtigkeit der adventistischen Gesundheitsregeln noch einmal unterstrichen, zugleich weiß man auch, dass Gesundheit nicht vollkommen herstellbar ist, da man in einer sündhaften Welt lebt. Allerdings finden sich, primär und sekundär, auch anders akzentuierte Sichtweisen. Dass sich viele der Befragten darum bemühen, klarzustellen, dass Krankheit keine Strafe Gottes für Fehlverhalten ist, weist darauf hin, dass es auch solche Meinungen in der Gemeinde gibt. ADV2 und ADV7 sprechen dies auch aus, wobei ADV7 zugleich auch die oben beschriebene Grundhaltung noch einmal wiedergibt:

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Krankheit als Strafe, die Meinung gibt es auch in der Gemeinde, da gibt es schon unterschiedliche Leute. Meine persönliche Meinung, oder was auch sicher die Meinung allgemein ist, ist, Gott straft in dem Sinn nicht, sondern das ist einfach die sündige Welt, wo es Krankheit und Trauer und Schmerz und alles gibt. Natürlich kann ich das auch selber verschulden, wenn ich jetzt total unachtsam mit mir umgehe, dann muss ich halt die Konsequenzen tragen, die wird Gott nicht immer von mir nehmen. (ADV7) Dass man auch Krankheit oft als Fingerzeig Gottes missinterpretiert, das liegt in der Natur der Sache, ja, da darf man jetzt auch vor der eigenen Kirche keine Ausnahme machen, dass man sagt, diese Ansicht kommt nie vor. Das ist auch wieder vom Individuum abhängig, dass man sagt, man soll sich nicht ein Urteil anmaßen über Dinge, die man nicht versteht, beziehungsweise wo man Gott eigentlich fragen müsste, du, warum ist das so? Und über andere Dinge, die einem vielleicht bewusst sind, zu einem Schluss zu kommen und zu sagen, naja, ist eh klar, weil deswegen, da ist Vorsicht geboten. (ADV2)

Die Interviews weisen darauf hin, dass die allgemeine Haltung in der Gemeinde sich klar dagegen ausspricht, Krankheit als Folge eines moralischen Fehlverhaltens einzustufen, dass es aber auch vereinzelt Ansichten dieser Art gibt. Dies legt (auch durch den Vergleich mit anderen freikirchlichen Gemeinden) die These nahe, dass das Konzept ›Krankheit als Strafe‹ ein individuell tradiertes Glaubensgut ist, welches unabhängig von der Denomination immer wieder in einer Minderheitenposition vorkommt. Auf Grund der starken Verbindung von Gesundheit und Selbstverantwortung bei den STA könnte man eine Tendenz vermuten, dass diese Haltung hier häufiger vorkommt, die Ergebnisse dieser Befragung können dazu jedoch keine Anhaltspunkte liefern. Eine ›Strafe‹ folgt vielmehr indirekt durch das Wirken der von Gott gewirkten Naturgesetze, die durch Missachtung Krankheiten nach sich ziehen. Eine, nur von einer einzelnen Befragten wiedergegebene, Ansicht weist eine im Unterschied zum Mainstream noch einmal stärkere Betonung der individuellen Verantwortung auf. Dem gegenüber tritt die Erklärung von Krankheit als Teil einer gefallenen Welt fast völlig zurück: Krankheit ist einfach eine Folge, weil Gott hat Sittengesetze gemacht und Naturgesetze, und wenn ich seine Naturgesetze übertrete, hat das Folgen. Gott kann es natürlich verhindern, indem er sein Naturgesetz einfach aufhebt, da kann er dich davor bewahren, dass du krank wirst, oder er kann dich wieder gesundmachen. Aber ob er das macht oder nicht macht, liegt in seinem Ermessen. Aber er hat Gesetze geschaffen, und wenn ich mich daran halte, lässt er es einfach so laufen, er greift nicht ein, und das ist einfach eine Folge, also das entwickelt sich halt so. Wenn ich jetzt auf der Straße zu schnell fahre und ich fahr in eine Radarkontrolle, oder ich habe einen Unfall, weil ich zu schnell unterwegs bin, dann bin ich schuld, also da hat das niemand anderer verursacht. Also nicht der Gesetzgeber, sondern ich habe das Gesetz gebrochen und das war die Folge daraus, so sehe ich das eigentlich. (ADV4)

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ADV4 bemüht sich hier zunächst ebenfalls, die Vorstellung von Krankheit als von Gott bewirkt zu entkräften, indem sie Krankheit rational als naturgesetzliche Konsequenz aus Verstößen gegen eben diese Naturgesetze definiert. Naturgesetze werden hier analog zu moralischen Gesetzen gedacht, die beide von Gott aufgestellt wurden und vom Menschen beachtet werden können oder nicht. Obwohl Medizin nicht einfach eine exakte Naturwissenschaft ist, in der Prozesse und Wirkungen immer nach denselben Kriterien ablaufen, wird hier ein sehr präzises Bild von Ursache und Wirkung gezeichnet: Der Einzelne weiß um die Gesundheitsgesetze und ist daher für deren Einhaltung selbst verantwortlich, vergleichbar mit Verkehrsregeln. Im Interview wurde nun nachgehakt, dass sich Gesundheit nicht nur durch den Lebenswandel steuern ließe und es auch unverschuldete Krankheiten gebe. Darauf führt ADV4 weiter aus: Zum gesunden Leben gehört auch die Psyche dazu, es kann sich einer tipptopp ernähren, aber hat permanent Stress oder hat Probleme mit der Ehe, da wird er eher krank werden als jemand, der sich jeden Tag seinen Schweinsbraten reinhaut, aber seelisch geht’s ihm irrsinnig gut. Also das muss man dann auch berücksichtigen, nicht? Also da spielen solche Faktoren mit. Oder natürlich die Vererbung, die DNA spielt auch mit, nicht, wenn du schon von Haus aus, ein bisschen halt, von den Eltern her geprägt bist, und die Umwelt und alles, der Umwelt kannst du halt nicht ausweichen. Oder du hast einen schweren Unfall, wenn dir ein Betrunkener wo hineinfährt, ja, das macht wieder die Sünde, du kannst zwar nichts dafür, er hat gesündigt und seit die Sünde in der Welt ist, hast du halt das Leid. Das ist natürlich, wenn es einen trifft, ist es natürlich schwer zu verstehen. (ADV4)

Wie bei ADV3 steht auch hier das im Adventismus verpönte Schweinefleisch als Sinnbild einer ungesunden Ernährung, ADV4 weist jedoch darauf hin, dass gesunde Lebensweise mehr umfasst als nur Ernährung und listet schließlich auch genetische oder Umweltfaktoren auf, die der individuellen Verantwortung auch Grenzen setzen. Unmittelbar darauf wechselt sie jedoch wieder in das ursprüngliche Modell des persönlichen Fehlverhaltens, das durch verursachte Unfälle auch Unschuldige zum Opfer haben kann. Unschuldiges Leiden wird mit der »Sünde in der Welt« erklärt, wobei diese nicht so sehr als strukturelle Sünde, sondern als persönliche Sünde anderer verstanden wird. Damit bleibt dennoch ein klarer Überhang der Verbindung von (auch unschuldigem!) Leid mit persönlichem Fehlverhalten bestehen. Die daraus resultierende Verantwortung wird dann im Schluss der Argumentation noch einmal verstärkt: Ich sage halt, es kann dir immer etwas passieren, das ist einfach so, seit die Sünde in der Welt ist. Aber das, was ich dazu beitragen kann, das versuche ich einfach, und ich finde, das ist auch meine Pflicht. Den Rest muss man abwarten, nicht? Und ich denke mir auch, wenn ich meinen Teil dazu beitrage, dann wird mich Gott auch segnen. Aber wenn ich ständig Gesetze breche, wo soll da der Segen sein? (ADV4)

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Zwar wiederholt ADV4 noch einmal die Begrenztheit der Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen, gibt diesem dann aber eine noch größere Bedeutung mit dem Satz »wenn ich meinen Teil dazu beitrage, dann wird mich Gott auch segnen«. Damit wird nichts weiter ausgesagt, als dass auch die verbleibenden Unsicherheiten durch einen richtigen Lebenswandel mitbeeinflusst werden, indem Gott diese Personen besonders schützt. Damit bekommt die Eigenverantwortung noch einmal eine weitaus größere Bedeutung als bei allen anderen geführten Interviews und wird hier zum entscheidenden Faktor für körperliche Gesundheit. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Befragten von der Ansicht, dass Krankheit eine Strafe Gottes sei, klar abgrenzen, was auch eine kircheninterne Abgrenzung ist, da sich diese Meinung auch vereinzelt in der eigenen Gemeinde findet. Sehr stark betont wird die persönliche Verantwortung für die eigene Gesundheit durch den Lebensstil, damit verbunden ist eine starke Identifikation mit dem adventistischen Lebensstil und der Gesundheitsbotschaft. Zugleich wird auch klar zum Ausdruck gebracht, dass Gesundheit nicht zu hundert Prozent herstellbar ist, sondern durch das Leben in einer gefallenen, sündhaften Welt eine Dimension des unschuldigen Leides existiert, bei dem das Gottvertrauen der letzte Ausweg bleibt. Fälle dieser Art werden von der Gemeinde durch Gebete innerhalb des Gottesdienstes oder Krankensalbungen begleitet, es gibt jedoch keine Heilungsgottesdienste im Stile des pfingstlichcharismatischen Christentums.

4.3

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Riesebrodts zweite Kategorie religiöser Praxis sind ›verhaltensregulierende Praktiken‹. Ein entscheidendes Moment für die Rolle des Körpers in freikirchlicher Praxis ist ein spezifischer Umgang mit ihm in der alltäglichen Lebensführung. Religion stellt dabei ein bestimmtes Symbol- und Wertesystem zur Verfügung, das Anleitung und Motivation zu einem bestimmten Verhalten auch außerhalb des gottesdienstlichen Kontexts gibt. Sie stellt sich dabei auch bewusst gängiger Alltagspraxis in Gesellschaft oder anderen Religionen entgegen und unterstützt so wesentlich einen Prozess der Grenzziehung und Identifikation. Zwar ist der Angelpunkt einer freikirchlichen Biographie die Taufentscheidung, deren Konsequenz aber auch eine spezifische Forderung an die Lebensführung ist: »Eine effektive Neuformung des Menschen hängt nicht von einer einmaligen Geste ab, sondern kann sich nur infolge von nachhaltigen selbstkuratorischen

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Bemühungen durchsetzen.«260 Der Getaufte muss sein Christsein auch vollziehen, sich sowohl geistig wie auch körperlich üben und Askese betreiben. Das Schreiben eines Tagebuchs etwa gehörte im Calvinismus wie auch im Pietismus zu einer unverzichtbaren Übung der Selbstkontrolle, welche die eigene Moralität in der täglichen Rückschau vor Gott sichtbar machen soll. Der Pietismus brachte zudem Elemente wie die Konzeption eines Tagesplans und die ständige Gewissenserforschung ebenso wie viele körperorientierte Verhaltensweisen hervor : das Abstehen von Tabak, Alkohol und übermäßigem Essen, der Verzicht auf als fragwürdige erachtete Aktivitäten wie Tanz oder Spiel sowie eine Anleitung zur Reflexion über den Körper und seine Regungen. Dies alles steht im Kontext des Pietismus in einem Zusammenhang mit einer individuellen moralischen Subjektkonstitution, die dem individualistischen Gottesverhältnis entspricht.261 Dies schließt zugleich nicht aus, dass diese individuelle Praktik durch soziale Beziehungen begleitet und reflektiert wird. Zwiegespräche mit Gott, der Familie, Freunden oder Konventikeln sind ein wesentlicher Teil dieser cura sui. Auch in der von Max Weber beschriebenen ›protestantischen Ethik‹, die einen großen Einfluss auf die religiöse Entwicklung in den USA hatte, spielt der Umgang mit dem Körper und seine Ernährung eine wichtige Rolle, sofern ein übergewichtiger Körper mit den Sünden der Völlerei und der Trägheit verbunden wird und damit im Widerspruch zur Arbeitsethik steht. Dies muss nicht unbedingt zu einem besseren Gesundheitszustand von Gläubigen führen,262 sorgt jedoch durchaus für eine stärkere moralische Überformung der Wahrnehmung von Übergewicht bei sich selbst oder anderen.263 All dies kann unter den Sammelbegriff der ›Asketik‹ gestellt werden, welche Foucault definiert als »Ensemble von Übungen, die den Individuen im Rahmen eines ethischen, philosophischen oder religiösen Systems zur Verfügung stehen, ihnen anempfohlen oder gar auferlegt sind; […] um zu einem festgelegten geistigen Ziel zu gelangen«264. Im Unterschied zum hinduistisch-buddhistischen Konzept der Erleuchtung, die am Ende einer Praxis steht, richtet sich die christliche Asketik jedoch auf einen permanenten Vollzug ein. In ihrem antignostischen Selbstverständnis gibt es keine erlösende Erkenntnis, sondern vielmehr eine dauernde Beunruhigung vor einem Abfall vom Glauben und 260 Sloterdijk, Peter : Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik, Frankfurt: Suhrkamp 2009, 484. 261 Vgl. Gleixner, Pietismus und Bürgertum, 13–26. 262 Studien dieser Art wurden vor allem an Siebenten-Tags-Adventisten durchgeführt, da hier gesunde Ernährung besonders propagiert wird, vgl. auch Temple, Norman/Burkitt, Denis: Western Diseases. Their Dietary Prevention and Reversibility, Totowa: Human Press 1994, 23: »[T]he best example of significantly lower rates in the case of many, if not most, Western diseases are the Seventh-Day Adventists«. [kursiv i. O.] 263 Vgl. Hoverd, Deadly Sin, 223–227. 264 Foucault, Michel: Hermeneutik des Subjekts, Frankfurt: Suhrkamp 2004, 506.

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vom guten Leben. Am stärksten erweist sich dies in der innerweltlichen Askese des Calvinismus, in der die Erlösungsgewissheit durch eine systematisch kontrollierte Lebenspraxis geschaffen und aufrecht erhalten wird, und zwar nicht bis zur endgültigen Gewissheit, sondern ein Leben lang.265 Im Freikirchentum ist diese Art der Asketik freilich weitaus stärker institutionalisiert als beispielsweise in der pietistischen Bewegung. Die disciplina der kirchlichen Gemeinschaft (›Kirchenzucht‹), die vor allem von Calvin stark betont wurde, sorgt für eine soziale Kontrolle und eine allgemeine Internalisierung von bestimmten Verhaltensweisen, deren Nichtbeachtung Sanktionen nach sich zieht. Freikirchen sind daher, sofern sie einen sozial geschlossenen Raum einnehmen und nicht, wie etwa im Süden der USA, bereits Massenkirchen geworden sind, in einem Mittelfeld zwischen einer sehr stark individualisierten Praxis wie im Pietismus und einer volkskirchlich/volksreligiösen institutionalisierten Moral einzustufen. Auch für große religiöse Gemeinschaften gelten in der Regel zwar anspruchsvolle moralische Vorschriften, deren Kontrolle und Sanktionierung jedoch auf Grund ihrer Größe kaum möglich sind, weshalb Fehlgehen auch in einem gewissen Maß toleriert wird. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft steht hier im Zweifelsfall im Vordergrund. In den kleineren Freikirchen steht die individuelle Praxis stärker im Fokus der Gemeinde und ist von einer stärkeren sozialen Aufmerksamkeit begleitet. Die Selbstführung und Selbstexamination entsprechen so zwar der Bedeutung des Individuums und sind sicherlich höher bewertet als in Großkirchen, dies muss aber auch im Kontext der unterschiedlichen Struktur von freikirchlichen Gemeinden gesehen werden, deren Organisation in kleine, autonomen Gemeinschaften auch mehr Sanktionsmöglichkeiten bietet. Dies scheint für die tatsächliche Umsetzung der Asketik noch relevanter zu sein als der theoretische Zugang zur individuellen Lebensführung in Frei- und Großkirchen. Erstere betonen ihn sicher etwas nachhaltiger, aber auch beispielsweise die katholische Kirche kennt eine Vielzahl an Vorschriften der alltäglichen Lebensführung. Mit dieser Perspektive werden körperorientierte/körperbasierte Verhaltensweisen im Alltagsleben in den Blick genommen: Inwiefern tragen eine spezifische Art des Umgangs mit Sexualität, Diätetik und Selbstverhältnis zum Körper zur Performanz eines adventistischen Selbstverständnisses bei, sofern sie eine soziale Kohäsion durch übereinstimmende Praxis der Individuen ebenso erzeugen wie Grenzziehungen zur Alltagsgesellschaft, die bisweilen andere Vorstellungen von Umgang mit dem Körper hat?

265 Vgl. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 107.

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4.3.1 Sexualität und nichtehelicher Geschlechtsverkehr Sexualität und Christentum ist ein Thema, das in einen allgemeinen Diskurs übergegangen ist, Diskussionen über christliche ›Sexualfeindlichkeit‹, Kontrazeption oder nichtehelichen Geschlechtsverkehr werden auf breiter Ebene medial und gesellschaftlich geführt. Der Bereich der Sexualität macht den Körper zu einem besonders prekären Objekt religiös-moralischer Reflexion, und Sexualmoral bedeutet einen Zugriff auf die intimsten Bereiche des menschlichen Körpers. Zugleich stellt die Diskrepanz zwischen einer traditionellen christlichen Sexualmoral und jener der modernen westlichen Gesellschaften nach der sogenannten ›sexuellen Revolution‹ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine der bedeutsamsten symbolischen und sozialen Grenzen dar, die sich im Hinblick auf den Körper ermitteln lassen. Obwohl allgemein nach ›Sexualität‹ gefragt wurde, kamen alle Befragten unverzüglich auf den nichtehelichen (meist ›vorehelich‹ genannten)266 Geschlechtsverkehr als Thema zu sprechen. In dieser Frage kommt es am offensichtlichsten zu einer Diskrepanz zwischen christlichadventistischem Ideal und gesellschaftlicher Praxis in westlichen Industrieländern, in denen vorehelicher Geschlechtsverkehr den Normalzustand darstellt.267 Andere Aspekte der Sexualmoral, wie Ablehnung außerehelicher Beziehungen oder die Anwendung von Kontrazeptiva (die im Unterschied etwa zur katholischen Kirche bei Adventisten unproblematisch ist), sind hingegen noch weitgehend mit der gesellschaftlichen Praxis kohärent, während Sexualpraktiken wie Masturbation oder Varianten des Geschlechtsverkehrs nach wie vor einen bestimmten Tabubereich darstellen. Daher ist die Frage des nicht- oder vorehelichen Geschlechtsverkehrs einerseits eine saliente Grenze, die das Selbstverständnis entscheidend mitprägt, und andererseits diskursfähig, da sie nicht an tabubesetzte Themen anstreift. Nicht zuletzt auf Grund ihrer historischen Verwurzelung im viktorianischen 19. Jahrhundert gab es von den Schriften Ellen Whites an einen intensiven adventistischen Diskurs zum Thema Sexualität. Geprägt von der zeitgenössischen Sprache und Moral ist Whites Wortwahl bezüglich Lust und Sinnlichkeit dabei zunächst negativ konnotiert, positive Aussagen werden eher verhalten und verdeckt ausgesprochen.268 In der Schriftensammlung Testimonies on Sexual

266 Während der Begriff ›vorehelich‹ eine Beziehung, die später in eine Ehe mündet, impliziert, umfasst der Begriff ›nichtehelich‹ jeden Geschlechtsverkehr, der außerhalb der Ehe vollzogen wird, also auch in Affären, One-Night-Stands oder kurzfristigen Beziehungen. 267 Vgl. Eder, Franz: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität, München: Beck 2002 (= Beck’sche Reihe 1453), 211–226. 268 Vgl. Schaidinger, Heinz: Sexualität, Ehe, Scheidung und Wiederheirat bei den frühen Adventisten und bei Ellen G. White, in: Badenas, Roberto/Höschele, Stefan (Hg.): Die Ehe.

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Behavior, Adultery, and Divorce werden ausführliche Stellungnahmen Whites zu Fragen der Sexualmoral zusammengeführt. White bewegt sich dabei in einem traditionellen Argumentationsfeld, welches Sexualität klar innerhalb der Ehe verortet, Homosexualität und Inzest verurteilt und sich mit besonderer Intensität dem Kampf gegen die Masturbation widmet. Die Besonderheit dieses frühadventistischen Diskurses besteht dabei in einer Anbindung moralischer Fragen, die entlang eines Konzepts von Reinheit und Unreinheit argumentiert werden, mit medizinischen Auffassungen dieser Zeit. Sexualität wird vor allem entlang der Begriffe pure bzw. purity verhandelt: »Purity cannot exist in the soul of one who yields his body to impure acts. If the body is serving lust, the mind cannot maintain consecration to God.«269 Konzipiert wird hier eine doppelte Reinheit der Seele und des Körpers, wobei jene der Seele von jener des Körpers abhängt. Die spirituelle Heiligkeit wird damit untrennbar an einen Körper gebunden, der sich der Lust verweigert und einer »total life control«270 unterworfen wird. Masturbation wird von White, bedingt durch den historischen Kontext,271 auf Basis medizinischer Gründe verurteilt: »Among the young the vital capital, the brain, is so severely taxed at an early age that there is a deficiency and great exhaustion, which leaves the system exposed to disease of various kinds.«272 Hiermit findet eine Verschränkung von moralischem und medizinischem Diskurs statt, die das sexuelle Fehlverhalten mit negativen gesundheitlichen Auswirkungen verknüpft. Ein schlechter Gesundheitszustand wirkt sich dann wiederum negativ auf die spirituelle Praxis aus. Aber auch die Sexualität innerhalb der Ehe bedarf einer Mäßigung, denn auch das Erlaubte ist sündhaft, wenn es im Übermaß geschieht. Die überragende Bedeutung des Gesundheitsdiskurses für White zeigt sich auch in dieser Argumentation: Those who will indulge the animal passions and gratify lust will surely stamp upon their offspring the debasing practices, the grossness of their own physical and moral defilement. […] Women’s delicate organs are worn out and become diseased; childbearing is no more safe; sexual privileges are abused. Men are corrupting their own bodies.273

Diese Zeilen sprechen für sich selbst, die Mäßigung der sexuellen Lust auch innerhalb der Ehe wird zu einer Voraussetzung für den Erhalt des gesunden Körpers, ein Idealbild, welches Whites Denken umfassend beherrscht.

269 270 271 272 273

Biblische, theologische und pastorale Aspekte, Lüneburg: Advent-Verlag 2010 (= Studien zur adventistischen Ethik 1), 291–322, 295. White, Ellen: Testimonies on Sexual Behavior, Adultery, and Divorce. A Compilation from the Writings of Ellen G. White, Silver Spring: The Ellen G. White Estate 1989, 100. Ebd., 198. Vgl. Laqueur, Solitary Sex. White, Testimonies, 122. Ebd., 115.

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Auch wenn sich die Grundhaltungen bezüglich vorehelicher Sexualität, Masturbation und Geschlechtsleben nicht prinzipiell verändert haben, so hat sich in der adventistischen Theologie im 20. Jahrhundert sprachlich eine neue Wertschätzung und positive Ausdrucksweise für eheliche Sexualität etabliert, die White im Jahrhundert davor noch nicht zugänglich war.274 Auch die Verknüpfung von gesundheitlichen Schäden und Masturbation wird kaum noch gemacht, wenngleich in einem Nachwort zur 1989er-Ausgabe der Testimonies ein Konnex zwischen Masturbation und Zinkmangel hergestellt wird.275 Zugleich hat die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hin zur Akzeptanz, ja Normalität des nichtehelichen Geschlechtsverkehrs in dieser Frage eine neue Problematik hervorgebracht, die von der traditionellen Morallehre nicht mehr völlig kontrollierbar ist, wie Heinz Schaidinger einräumt: »Es wäre zu wünschen, dass in unseren Gemeinden alle Paare bis zur Trauung keusch lebten. Aber wir müssen auch einsehen, dass dieses Ideal nicht leicht zu erreichen ist«, denn der Verzicht auf vorehelichen Geschlechtsverkehr sei »heute schwer zu begründen«276. Aber auch moderne Appelle an die voreheliche Enthaltsamkeit bleiben auf bemerkenswerte Weise der Logik der körperlichen und geistigen Gesundheit verhaftet: »Vorehelicher Sex kann für einen jungen Erwachsenen verheerend sein«,277 argumentiert etwa Marlon Robinson und warnt dabei vor Geschlechtskrankheiten, AIDS, unerwünschten Schwangerschaften und verminderter Selbstachtung. Damit werden auch hier gesundheitliche Gefahren ganz wesentlich mit dem Verbot vorehelicher Sexualität verknüpft. An dieser Stelle soll die Aufmerksamkeit auf eine sprachliche Nuance gelegt werden, nämlich ein Metaphern-Konzept, das in bemerkenswerter Häufigkeit verwendet wurde: Ehe als Raum. Verschiedene Formulierungen beschreiben die Ehe in räumlichen Begriffen, etwa »in der Ehe« (ADV2, ADV3, ADV6, ADV10, ADV11), »im Rahmen der Ehe« (ADV2, ADV6), »in die Ehe gehören« (ADV4, ADV7, ADV8), »innerhalb einer Ehe« (ADV5) und »in die Ehe kommen« (ADV10). In diesem Metaphern-Konzept fungiert die Ehe als Raum, innerhalb oder außerhalb dessen sich eine Person befinden kann, den sie betreten oder verlassen kann. Folgt man der Theorie von George Lakoff, dass solche Metaphern unser Konzept von der Welt mitbestimmen (›konzeptuelle Metaphern‹),278 274 Vgl. hierzu etwa die Ausdrucksweise in Was Adventisten glauben, 429–430; dazu Lockhart/Bull, Seeking a Century, 175. 275 N. N.: Appendix A, in: White, Ellen: Testimonies on Sexual Behavior, Adultery and Divorce. A Compilation from the Writings of Ellen G. White, Silver Spring: The Ellen G. White Estate 1989, 268–270. 276 Schaidinger, Sexualität, 336; 333. 277 Robinson, Marlon: Dating and Sexuality. Guiding the Young, in: College and University Dialogue 22 (2010), 9–10, 9. [Übers. C. F.] 278 Vgl. Lakoff, George/Johnson, Mark: Metaphors We Live By. Chicago: UCP 2003.

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so ist diese Häufigkeit der Raum-Metapher etwas, was man im Hinblick auf Sexualität und Ehe nicht ignorieren sollte. Der Raum markiert nämlich ein ›Innen‹ und ›Außen‹ und ist damit kohärent mit einer Vorstellung von ›Schutz‹. So lässt sich hier die These formulieren, dass eine metaphorische Konzeption von ›Ehe als Raum‹ die Voraussetzung oder zumindest einen begünstigenden Faktor für die Konzeption ›Ehe als Schutz‹ darstellt. Man kann diesen Gedanken noch einmal weiterführen: Ein Raum besitzt auch klare Grenzen, die sein Innen und Außen markieren. Diese Konzeption einer klaren Unterscheidung ist wiederum kohärent mit der Forderung einer scharfen moralischen Unterscheidung von legitimem und illegitimem Geschlechtsverkehr. Eine Konzeption von Ehe als Raum lässt keine Grauzonen zu, sondern verlangt nach klarer Differenz. Daraus lässt sich ein kohärentes System ›Ehe – Schutz – klare Regeln‹ auf Basis der konzeptuellen Metapher ›Ehe als Raum‹ postulieren. Nur eine einzige Befragte verwendet weder ein räumliches noch zeitliches Sprachbild, sondern formuliert in Beziehungssprachbildern, und spricht von Sex als etwas, »das zwischen zwei Menschen sein sollte, die sich füreinander ganz entschieden haben« (ADV12). Es ist auffällig, dass gerade diese Befragte auch am meisten Verständnis für vorehelichen Geschlechtsverkehr aufbringt. Damit ist zugleich festzuhalten, dass alle Befragten sowohl über die kirchlichen Vorgaben im Hinblick auf Sexualität Bescheid wissen als auch grundsätzlich mit ihnen übereinstimmen, wenngleich ADV7, ein jüngeres Mitglied, einräumt, dass insgesamt »die Ansichten unterschiedlich« seien, »und so vom Freundeskreis weiß ich schon, dass das nicht jeder durchzieht«. Auch ADV12 erklärt, dass »es von manchen nicht als so wichtig empfunden wird«. So ist zunächst klar, dass nicht alle Gemeindemitglieder den Vorgaben folgen, dennoch bietet sich aus den Interviews insgesamt das Bild, dass vorehelicher Geschlechtsverkehr von einer Mehrheit der Gemeinde vermieden wird. Doch sehen die Befragten vor allem zwei Faktoren, die ein Durchhalten des moralischen Gebots schwierig machen: Erstens, dass das Verbot des vorehelichen Geschlechtsverkehrs für viele nicht sinnvoll erscheint, und zweitens das Leben in einer in dieser Hinsicht sehr liberalen Gesellschaft, in der andere Werte und Erwartungen gelten. Die Herausforderung ist es so vor allem, für sich selbst den Sinn im Gebot zu finden und sich von den alternativen Moralvorstellungen der Gesellschaft abzugrenzen. ADV12 betont dabei vor allem die Problematik der persönlichen Sinnfindung: Es ist natürlich schwierig, besonders, wenn du nicht wirklich weißt, warum das wichtig ist. Im Grunde genommen liebst du die Person, also warum nicht? Das ist schwierig. Ich habe zum Beispiel eine Freundin, die ist gläubig, in einer anderen Gemeinde, sie glaubt auch an Gott und so, aber sie hat sich für bestimmte Prinzipien nicht entschieden, weil sie für sich selber jetzt nicht wirklich den Wert sieht, die Wichtigkeit. Und dann ist es natürlich schwierig, dass du in der Situation sagst, ich tue das nicht. Das ist einfach für

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viele Leute total unlogisch, und wenn du einen Partner hast, für den das unlogisch ist, und für dich ist es auch nicht ganz logisch, dann verstehe ich das schon, dann verstehe ich das wirklich, dass das ein Problem ist. Und deshalb würde ich auch niemals Leute verurteilen, weil ich kann das voll nachvollziehen, dass man da in dem Punkt, wenn man für sich nicht klar weiß, ob das richtig ist, dass man für sich da eine Entscheidung trifft. (ADV12)

ADV12 spricht hier den ganz entscheidenden Punkt an, dass es nicht reicht, biblisch fundierten Geboten einfach zu folgen, sondern es wichtig ist, sie für sich selbst als sinnvoll zu verstehen. Dies gilt gerade dann, wenn sie einen so persönlichen und bedeutsamen Bereich wie Sexualität berühren, da hier eigene positive Erfahrungen und Gefühle dem theoretischen Konzept widersprechen können. Dieses Grundproblem zieht sich auch durch die anderen Interviews, in denen immer wieder das Ringen mit der Sinnhaftigkeit des Gebots beschrieben wird, und zusätzliche, sinnstiftende Argumente wie eben Schutz vor körperlichen und seelischen Schäden oder negative Folgen für die Beziehungsfähigkeit vorgebracht werden, um das göttliche Gebot zu erklären und zu rationalisieren. Bemerkenswert ist hier vor allem ADV2, der die Bedeutung der inneren Akzeptanz noch einmal verstärkt, indem er die biblischen und kirchlichen Vorgaben nur als ›Ratschläge‹ und ›Überzeugungen‹ versteht, die umso mehr einer persönlichen Übernahme bedürfen: Also wenn man den Körper als Geschenk Gottes versteht, beziehungsweise als Kapital, das man von Gott bekommt, dann hat sich Gott auch bei der Sexualität was gedacht. Das sind eigentlich auch, denke ich, die Ratschläge, die Gott in der Bibel hat, dass er sagt, Sexualität ist gottgewollt, das ist nicht etwas, was der Mensch macht und Gott schaut weg, sondern das ist vom Schöpfer eigentlich in den Menschen hineingelegt und soll aber einen bestimmten Rahmen haben. Und die Bibel empfiehlt da schon eindeutig, dass sie sagt, Sexualität ist Bestandteil des Menschen, ist aber nach biblischem Verständnis auch in der Ehe angesiedelt, soll auch im Rahmen der Ehe ausgeübt werden. Das ist schon etwas, was die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, sage ich mal, in den Glaubensüberzeugungen zum Ausdruck bringt. Dann ist es nicht gut, rechts und links der Weide zu grasen, beziehungsweise, das weiß man eh auch, wie viel Leid eigentlich auch durch einen nicht verantwortungsvollen Umgang mit der Sexualität hervorgerufen wird, wie viele Familien zu Bruch gehen, wie viele Familien eigentlich glücklicher sein könnten, wenn auch auf diesem Gebiet, sage ich mal, göttliche Maßstäbe und göttliche Vorgaben eingehalten würden. Das ist auch wieder so eine Sache wo man sagt, das ist möglicherweise antiquiert und absolut nicht zeitgemäß, aber wenn man der Sache auf der Grund geht und sagt, dass das was Besonderes ist und dass man das mit einem Menschen teilen möchte, zu dem man sich committed hat, der jetzt kein Lebensabschnittspartner ist oder ein Mensch, den man erst am Abend kennengelernt hat und den man morgen wahrscheinlich nie mehr wiedersehen wird, ja, dann kann man dem doch wieder sehr viel Sinn und auch sehr viel Vernunft abgewinnen und sagen, Gott hat sich das überlegt, Gott hat das auch in einen Rahmen gegeben, jetzt liegt es an mir, das zu machen oder nicht zu machen. (ADV2)

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ADV2 vertritt hier zunächst die eindeutige Ansicht, dass Gott, biblisches Zeugnis und adventistische Lehre übereinstimmen, was die Verbindung von Sexualität und Ehe anbelangt, spricht aber konsequent nicht von Vorschrift oder Willen, sondern nur von Ratschlägen, Empfehlungen und Überzeugungen. Umso bedeutsamer wird dann das Herausstreichen des praktischen Sinns, den ADV2 als Vermeidung von Leid, Schutz vor dem Zerbrechen von Familien und die volle Erfahrung sexueller Partnerschaft definiert. Formulierungen wie »wenn man der Sache auf den Grund geht« und »Vernunft« zeigen, dass es hier um eine nachvollziehbare Akzeptanz der ›Ratschläge‹ geht, die eine individuelle Umsetzung erst wirklich möglich machen. Klar ausgesprochen wird freilich auch der Widerspruch zur gesellschaftlichen Praxis, der ein sinnvolles Verstehen der Gebote umso wichtiger macht. Insgesamt steht ADV2 hier für die häufigste Art der Antworten, nämlich die Vorgaben durch das Herausstreichen ihres Sinns verstehbar und lebbar zu machen. So formuliert etwa ADV11: Also Sexualität nur in der Ehe, würde ich mal sagen, aber ja, es ist was total Schönes, Gutes, von Gott Gegebenes, und Individuelles, also nicht irgendwie was schlecht Behaftetes oder Verkehrtes oder notwendigerweise nur zur Fortpflanzung dienend oder so, so sehe ich das. Das vermittle ich auch meinen Kindern, um sie zu schützen, weil ich glaube, dass diese wechselnden Partner vorher immer schon in der intimen Ebene oder so, dass ihnen das nicht wirklich ein Glück bringt, also dieser Vergleich oder diese Erfahrungen, ich denke, da sind sie schon geschützter. Wie sie sich dann selbst entscheiden oder wie sie tun, das weiß ich eh nicht, aber ich denke schon, dass es so gedacht ist. Wegen der Sicherheit auch. Du merkst ja, dass da kein Glück rauskommt und dass die jungen Mädels, wenn sie jetzt mit dreizehn die Pille schlucken, das ist noch das volle Kind. Und dann haben wir die fünfzehnjährigen Schwangeren und so, das sind natürlich die Extreme und vielen passiert nichts, aber was da seelisch passiert, da merkt man, wie mies drauf sie eigentlich sind, das ist schon schade. (ADV11)

ADV11 verweist nicht auf biblische, göttliche oder kirchliche Gebote, sondern bringt unmittelbar ihre persönliche Überzeugung zum Ausdruck, mit der sie sich einerseits gegen als ›körperfeindlich‹ wahrgenommene Tendenzen in anderen christlichen Traditionen abgrenzt, andererseits aber eine klare Übereinstimmung mit den Vorgaben ausdrückt. Die eigene Überzeugung wird entsprechend auch mit Sinn-Argumenten untermauert, »Schutz« und »Sicherheit«, die voreheliche Enthaltsamkeit bietet, werden betont, negative Folgen bei anderem Verhalten (Verfehlen des Glücks, frühe Schwangerschaften) imaginiert. Implizit wird hier auch die vorgebliche Freizügigkeit der modernen Gesellschaft ausgemalt und kritisiert, indem extreme Beispiele (13-jährige Verhütende, 15jährige Schwangere) genannt werden. Auffällig ist, dass in beiden Fällen Beispielen Mädchen als zu Schaden Kommende genannt sind. Ihren eigenen moralischen Konflikt und den Lernprozess ihrer Einsicht in den Sinn des Gebots beschreibt ADV4:

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Die Bibel spricht das sehr eindeutig aus, also, dass Sex nur in die Ehe gehört, und ja, das war, muss ich sagen, für mich auch ein großes Thema, ehe ich zu den Adventisten gekommen bin. Ich habe das eigentlich nicht akzeptieren können am Anfang, weil ich mir gedacht habe, du kannst nicht irgendwie die Katze im Sack kaufen [lacht]. Und ich war ja doch schon älter und habe mich da auch ziemlich gewehrt. Aber ich muss sagen, Gott hat mir das dann sehr deutlich gezeigt, obwohl ich da gar nicht darum gebetet habe. Ich wollte das eigentlich gar nicht, ich wollte das eigentlich gar nicht wirklich sehen, aber dann ist eine Freundin von mir, die also in der Hinsicht ein sehr wildes Leben geführt hat, die ist unerwartet schwanger worden von einem Typen, den sie überhaupt nicht gekannt hat, also den hat sie ein paar Mal gesehen, und es war dann ziemlich arg für sie. Und da ist mir dann klargeworden, dieses Erlebnis, wo ich mir gedacht habe, boah, das hat doch einen Sinn, dass Sex wirklich nur in die Ehe gehört. Und von dem Zeitpunkt an war das für mich eigentlich klar, das habe ich dann akzeptieren können und an das habe ich mich dann eigentlich auch halten können, das war für mich irgendwo die Antwort. Ja, und was man heute so miterlebt, was sich da abspielt, das habe ich nie befürwortet, muss ich sagen, also, dass man so einfach, man lernt jemanden kennen und springt gleich mit dem ins Bett, und es gibt sowieso nicht mehr den Lebenspartner, sondern nur den Lebensabschnittspartner, also das sind Sachen, die hätte ich früher auch nicht akzeptieren können. Weil man sieht eh, was rauskommt, vor allem, wenn dann Kinder da sind. Ich sehe es auch bei [XY], da ist die Frau fremdgegangen und hat sich dann einen anderen gesucht, die Kinder haben schon gelitten, also jedes Kind leidet. Oder so wie es jetzt in den ganzen Filmen ist, die lernen sich kennen und hüpfen sofort ins Bett, also ich denke mir, was kriegt die Jugend da mit, die glaubt dann, das muss man auch so machen, nicht, und es kommt schon viel Leid da heraus, ungewollte Schwangerschaften, auch heutzutage noch, trotz Verhütung, nicht? (ADV4)

Dieser Erzählung ist insofern erhellend, da sie die zuvor skizzierte Spannung von Vorgabe und Sinnfindung anhand der eigenen Geschichte beschreibt. ADV4 betont ebenso die Schutzfunktion des Gebotes, welche Leid und ungewollte Schwangerschaften verhindert und damit für sie sinnvoll wird. Erst mit dieser Einsicht sah sie sich selbst dazu befähigt, dem Gebot auch zu folgen. Ergänzt wird diese Argumentation auch hier mit einer Kritik an der gesellschaftlichen Entwicklung und deren negativen Folgen für Jugendliche, die wiederum, wie bei ADV11 vorhin, sehr überzeichnet dargestellt wird (»die lernen sich kennen und hüpfen sofort ins Bett«). Das Beispiel vom Ehebruch zeigt, dass ADV4 vorehelichen und nichtehelichen Geschlechtsverkehr zusammennimmt, sofern sie beide einen Verstoß gegen das Gebot darstellen, nur in der Ehe Geschlechtsverkehr zu haben. Auch ADV3 beschreibt ihren diesbezüglich notwendigen Lernprozess: Das ›kein Sex vor der Ehe‹ hat seinen Sinn, das hat seinen guten Sinn, seinen gesundheitlichen, seinen moralischen, und psychischen und geistlichen Sinn. Das hat seinen Sinn, das ist eine gute Geschichte, der liebe Gott will uns damit nicht disziplinieren, sondern eigentlich was Gutes tun. Und ich glaube, ich habe selber einmal die

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Erfahrung gemacht, dass eine Jugendliche aus solchen Gründen gescheitert ist, sage ich mal, am Glauben, und das ist furchtbar. Das ist eine echte Zerreißprobe für Jugendliche heutzutage. Es ist ein sehr schwieriges Thema. Also ich verstehe den theologischen Hintergrund der jungfräulichen Reinheit sehr, sehr gut, ich habe in meinem Leben ein turbulentes Privatleben hinter mir, auch wenn das wenige Leute wissen. Ich habe die Erfahrung machen müssen, weil ich es nicht geglaubt habe, welche Nachteile es hat, wenn man sich nicht daran hält. Und da bin ich mit siebzehn, achtzehn, neunzehn draufgekommen und bin fast daran zerbrochen, dass diese Partnerschaft nichts wurde. Also so daran zerbrochen, dass ich im Leben verzweifelt bin. Was ich aber auf der anderen Seite auch wieder gebraucht habe, weil sonst hätte ich meine Entscheidung für Gott nie so getroffen, und nie in der Ernsthaftigkeit getroffen, weil mir klargeworden ist, dass selbst dieses Wahnsinnsgebot, sage ich mal, seinen tiefen Sinn hat. (ADV3)

In dieser sehr persönlichen Äußerung verwendet ADV3 gleich in den ersten beiden Sätzen das Wort ›Sinn‹ vier Mal, woran sichtbar wird, welche Bedeutung die persönliche Einsicht in die Sinnhaftigkeit des Gebots hat. Diese Bedeutung wird auch daran gezeigt, dass eine junge Frau gerade an diesem Gebot auch am Glauben gescheitert ist, sofern sie diese Sinndimension für sich nicht entdecken konnte. ADV3 gibt offen nicht nur ihre früheren Zweifel, sondern auch ihr (aus adventistischer Sicht) Fehlverhalten offen zu, zeigt aber gerade daran wieder die Sinndimension des Schutzes junger Menschen vor negativen Folgen auf und beschreibt so ihren Lernprozess. Die Formulierung »Wahnsinnsgebot« stellt aber klar, dass es sich bei der vorehelichen Enthaltsamkeit um eine der größten Herausforderungen für junge Adventisten handelt. Daraus folgt aber auch, dass gerade die Übernahme dieses Gebots ein Akt ist, der einen Jugendlichen zu einer größeren Ernsthaftigkeit im Glauben insgesamt befähigen kann. Das Gebot erscheint so geradezu als Hürde, als Herausforderung, die es in der Glaubensentwicklung zu meistern gilt, und die umgekehrt auch einen Menschen von der Kirche entfremden kann. Zugleich kritisiert ADV3 aber auch klar die Entwicklungen in der Gesellschaft. Mit offen ausgedrückter Abneigung wird auch hier ein übertriebenes Bild der Sexualität heutiger Jugendlicher gezeichnet, die als Serie von One-Night-Stands imaginiert wird und dem ein positives, adventistisches Verständnis gegenübergestellt wird. Sexualität ist nichts Schlechtes, man soll halt einfach achtsam damit umgehen. Das ist etwas, was in unserer Zeit, also, wenn ich die Jugendlichen anschaue, furchtbar, zum Kotzen, mir wird ganz übel, wenn ich daran denke. Das ist das nächste, ich glaub nicht, dass ich etwas versäume, aber keine fünf Sekunden glaube ich, dass ich was versäume. Ich versäume nämlich nur Müll. Was versäume ich denn, einen Mann, der nach einer Nacht kein Interesse an mir hat? Super! Und in der Nacht werde ich dann so eine Harmonie zusammenbringen? Nein, ich würde mich da zu sehr grausen. (ADV3)

Implizit wird hier der ›liberale‹ Vorwurf zitiert, Enthaltsame würden in ihrem Leben etwas versäumen und dann sofort zurückgewiesen, sofern das, was tat-

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sächlich versäumt wird, als »Müll« abqualifiziert wird. Die Abgrenzung und Höherwertung der eigenen Moralität geschieht hier also durch eine Abwertung der Mehrheitsmoral als geradezu abscheulich. Der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor negativen Erfahrungen ist dagegen für ADV10 die oberste Sinndimension: Ich bin als Jungfrau in die Ehe gekommen, ich war 21, und das war mir auch wichtig. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, dass ich diese Wichtigkeit meinen Töchtern vermittle, weil die Hormone sehr stark sind. Aber mir war es sehr wichtig und ich habe mich so gefreut, das ist der Ehemann, und für den hebe ich mich auf. Ja, ich versuche mit der [ältesten Tochter] immer wieder zu sprechen, dass sie wertvoll ist und dass sie sich nicht mit jedem einlassen soll, weil der interessiert sich nur für ihren Körper, meistens. Oder zumindest, dass mit vierzehn und fünfzehn keiner geblieben ist, sagen wir, keine Freundschaft fürs Leben geblieben ist. Also keiner ist in die Ehe gegangen und dreißig Jahre verheiratet geblieben, der mit vierzehn schon angefangen hat mit dem Partner. Es kann nicht auf Dauer sein. Ich weiß, dass ich sehr viel Geduld brauchen werde und sehr viele offene Gespräche. Ich versuche sie so aufzuklären, dass sie diejenige ist, die alles weiß und sich nicht von den Straßenjargons belehren lassen muss, also, dass sie genau weiß, wie alles funktioniert in der Sexualität, wie die Organe sind und wie die Hormone sind und wie die Pickel sind und all das, und in der Pubertät, dass alles auferwacht. Ich glaube, das ist nichts Schlechtes, zu wissen, aufgeklärt zu sein, weil dann kann es dir nicht passieren, dass dir jemand etwas Interessanteres erzählt als das, was du schon von der Mama oder von den Büchern weißt. Ich bete jeden Morgen auch dafür, dass das funktioniert, ja, weil ich weiß, wie stark die Hormone sind. Ich weiß es von mir! [lacht] (ADV10)

Auch ADV10 geht nicht von Geboten aus, sondern von ihrer eigenen Überzeugung, die sie auch ihren Töchtern vermitteln möchte. Bemerkenswert ist hier, dass ADV10 auch einen Sohn hat, der hier aber nicht erwähnt wird. Dies mag an der weiblichen Perspektive von ADV10 oder an dessen jungem Alter liegen, dennoch zeichnet ADV10 hier in erster Linie das Bild des weiblichen Körpers, der von den Begierden der jungen Männer geschützt werden muss. Auch der junge weibliche Körper selbst ist ein gefährlicher Ort, durch die »Hormone«, deren Stärke als Widerstandspunkt gegen das richtige Verhalten dargestellt wird. Die Beherrschung des Körpers trotz dessen ›Eigenleben‹ wird hier zur größten Herausforderung der moralischen Erziehung – implizit nur der Mädchen. An diesen Statements zeigt sich, dass zwar alle Befragten grundsätzlich mit der kirchlichen Vorgabe übereinstimmen, dass sie aber die Problematik und Schwierigkeit der Forderung gerade in der heutigen Zeit, die in sexuellen Fragen als zu freizügig eingestuft wird, klar erkennen. Zum entscheidenden Faktor in der Akzeptanz wird die Einsicht in eine Sinnhaftigkeit des Gebots, welche vor allem im Schutz vor negativen Folgen vorehelichen Geschlechtsverkehrs (persönliche Enttäuschung, ungewollte Schwangerschaften, Geschlechtskrankheiten, Verlust des Selbstwertgefühls, Ausgenutztwerden) gesehen wird. Dabei wird

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ein negatives Bild der Gegenwartsgesellschaft anhand von extremen Beispielen gezeichnet, von der man sich klar abgrenzt. Auf Grund des hohen Anspruchs dieses »Wahnsinnsgebots« (ADV3) ist freilich auch klar, dass es nicht von allen umgesetzt wird, vor allem, wenn die Sinndimension nicht nachvollzogen werden kann. So hofft auch der Pastor lediglich, dass das Gebot »zum Großteil gelebt« (ADV5) wird. Eindeutige Abgrenzungen werden sowohl zu den Entwicklungen der modernen Gesellschaft als auch zu leibfeindlichen christlichen Traditionen vorgenommen, ohne dass letztere konkret genannt werden. Dennoch wird häufig betont, dass Sexualität etwas »Schönes« (ADV5), »eine wunderbare Gabe Gottes« (ADV9), ein »Geschenk« (ADV7), »nicht nur zum Kinderkriegen« (ADV10) und »nicht irgendwie was Verkehrtes« (ADV11) ist. Hier wird implizit eine Abgrenzung auch zur katholischen Tradition vorgenommen, in der Sexualität lange nur mit Fortpflanzung in Verbindung sein durfte und ansonsten eine stark sündhafte Konnotation hatte. Trotz der prinzipiellen Übereinstimmung mit den Vorgaben der Kirche wie auch einer klaren Abgrenzung zur als zu liberal empfundenen Praxis in der Gesellschaft übte ADV3 (als Einzige) auch Kritik an zu eng geführten Moralvorstellungen innerhalb des Adventismus selbst. ADV3 kritisiert hier Einseitigkeiten in der Sexualmoral und daraus resultierende frühe Eheschließungen, deren Hauptmotivation letztlich nur der legitime Geschlechtsverkehr ist: Es gibt bei uns einen besonderen Pastor, den ich nicht für ganz auf Linie halte, der aber leider ein hohes Amt in dem Bereich hat, der sagt, bevor man nicht geheiratet hat, darf man sich nicht mal küssen. Und es gibt andere, die sagen, es ist mir lieber, wenn zwei miteinander geschlafen haben, dass sie nicht heiraten, nur aus dem Grund. Wenn sie nicht zusammenpassen, machen sie dann das Unheil nur noch größer. Ich bin eher auf der zweiten Linie zu haben, wobei ich glaube, dass das Bestreben, einen Partner im Leben zu haben und keinen anderen, für Körper, Seele und Geist am besten ist. Bloß, wann im Leben man sich den aussucht, das ist das große Problem. Weil als Jugendliche sind die Leute höchst sexuell motiviert, sage ich einmal, haben aber nicht den Überblick, welcher Partner zu ihnen passen könnte, und welche Konsequenzen das hat, wenn man da eine falsche Entscheidung trifft. Und das ist so fatal, ich sehe das bei meinen Eltern und überall, und ich sehe es einfach als negative Geschichte, dass die Leute so früh heiraten und die falschen Leute heiraten, das ist eine ziemliche Tragik, finde ich, und sehr viele Fernbeziehungen dann plötzlich zusammenziehen und dann komplett andere Vorstellungen entstehen, das finde ich oft sehr, sehr traurig. An unserer adventistischen Schule, die wir in Österreich haben, entsteht auch so eine Spannung zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht, weil das eben so strikt getrennt ist, dass das Stilblüten treibt, die eben genau zu diesen Jungheiraten führen, die sehr oft schiefgehen. (ADV3)

Diese Aussage ist bemerkenswert. Sie kritisiert die Etablierung eines angespannten, problembehafteten Verhältnisses von Jungen und Mädchen und das Verhängnis, das aus zu früh geschlossenen Ehen entstehen kann, für deren

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Eingehen Geschlechtsverkehr die Hauptmotivation ist (entweder, weil er schon vollzogen wurde, oder weil man ihn vollziehen möchte). ADV3 greift das Konzept eines Pastors an, der jede Form von Körperlichkeit vor der Ehe verurteilt. Damit zeigt ADV3 auf, dass Schwierigkeiten nicht nur durch zu große Freizügigkeiten, wie sie in der modernen Gesellschaft erkannt werden, auftreten, sondern auch durch zu starre Moralvorstellungen, die das Verhältnis der Geschlechter zueinander belasten. Das Verhältnis von hohen moralischen Ansprüchen einerseits und der Gefahr eines kontraproduktiven Rigorismus bleibt dabei spannungsgeladen.

4.3.2 Homosexualität Ein wichtiger Themenbereich im Diskursfeld Christentum-Körper-Sexualität und damit verbundenen möglichen Abgrenzungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen ist Homosexualität: »Die Einstellung zur Sexualität ist in den letzten dreißig Jahren in den meisten westlichen Ländern eindeutig permissiver geworden«, dennoch existieren weiter »traditionelle Haltungen Seite an Seite mit weitaus liberaleren Einstellungen zur Sexualität«279. Vor allem die ideengeschichtlichen Forschungen Foucaults in seiner dreibändigen Reihe Sexualität und Wahrheit haben kulturwissenschaftlich und ethisch eine neue Sichtweise auf Homosexualität ermöglicht. Zugleich muss jedoch bedacht werden, dass bis vor wenigen Jahrzehnten noch in vielen westlichen Ländern Strafen über homosexuelle Handlungen ausgesprochen wurden, während mittlerweile ein gewisser Trend zur Legalisierung und Registrierung homosexueller Partnerschaften einsetzt, immer begleitet von (nicht zuletzt christlichen) Gegenbewegungen, die eine solche Entwicklung verurteilen.280 Die Haltung zur Homosexualität hängt dabei wesentlich auch von Vorstellungen über Ehe und Familie ab. Gerade Evangelikale in den USA, welche die Familie im Kontext der gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihrem Grundthema erkoren haben, kämpfen gegen Homosexualität vor allem als Bedrohung des traditionellen Ehemodells, welches als das einzige durch die Bibel legitimierte gilt. Es ist der Verdienst vor allem Foucaults, dass der Begriff ›Homosexualität‹ historisiert und sein Auftauchen im Kontext der Entwicklung der Psychiatrie und Psychopathologie im 19. Jahrhundert beschrieben wurde, als deren Konstruktion des ›Homosexuellen‹ als Typus, als ›Spezies‹, als Individuum, das 279 Giddens, Anthony : Soziologie, Graz: Nausner& Nausner 21999, 110. 280 Vgl. ebd., 113–116.

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gänzlich durch seine sexuelle Orientierung bestimmt ist.281 Damit wird klar, dass vorher zwar eine Vorstellung gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen existierte, die auch entsprechend verurteilt oder akzeptiert waren, aber eine Verabsolutierung einer Vorliebe, durch die gar eine Identität begründet wird, war nicht denkbar.282 Diese wichtige historische Differenzierung sollte heute die conditio sine qua non einer Auseinandersetzung mit älteren Quellen zur Frage nach Homosexualität sein, gerade auch in Bezug auf die biblischen Schriften. Drei Bibelstellen sind besonders relevant für eine biblisch-orientierte christliche Auseinandersetzung mit Homosexualität: Erstens Gen 1 und 2, wonach Gott den Menschen »männlich und weiblich« (1,27) geschaffen hat, und »darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch werden« (2,24). Obwohl hier von Homosexualität in keiner Weise die Rede ist, kann daraus eine schöpfungsbasierte und daher gottgewollte Normativität der heterosexuellen Beziehung abgeleitet werden. Zweitens sind es Lev 18 und 20, die einen Sexualverkehr von Männern (nicht mehr und nicht weniger) klar verurteilen: »Bei einem Mann sollst du nicht liegen, wie man bei einer Frau liegt: Ein Gräuel ist es.« (18,22) und »Wenn ein Mann bei einem Mann liegt, wie man bei einer Frau liegt, dann haben beide einen Gräuel verübt. Sie müssen getötet werden; ihr Blut ist auf ihnen.« (20,13) Schließlich folgt drittens Röm 1,26–27: Deswegen hat Gott sie dahingegeben in schändliche Leidenschaften. Denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr in den unnatürlichen verwandelt, und ebenso haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen, sind in ihrer Begierde zueinander entbrannt, indem die Männer mit Männern Schande trieben, und empfingen den gebührenden Lohn ihrer Verirrung an sich selbst.

Hier kommt der Aspekt der ›Unnatürlichkeit‹ (was wiederum auf eine Schöpfungsordnung verweist) ebenso hinzu wie eine Erwähnung weiblicher Homosexualität. Andere Bibelstellen (Gen 18, Jud 1, 1Kor 6, 1Tim 1) sind zu unklar, um sie unmittelbar auf die Debatte beziehen zu können, werden aber manchmal entsprechend ausgelegt. Aus diesen drei Textstellen können bereits die wesentlichen Aspekte eines christlichen Diskurses über Homosexualität herausgearbeitet werden: die Frage nach einer Schöpfungsordnung, die Frage nach einem göttlichen Verbot und die Frage nach dem Ursprung dieser, wie es Paulus schreibt, ›Leidenschaften‹. 281 Vgl. Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit. 1, Frankfurt: Suhrkamp 162006 (= stw 716), 47. 282 Vgl. Guillebaud, Jean-Claude: Die Tyrannei der Lust. Sexualität und Gesellschaft, München: Luchterhand 1999, 365–367. Entsprechend problematisch sah Foucault ein sogenanntes ›Coming-out‹, bei dem man sich durch ein öffentliches Geständnis zu gerade dieser Identität bekennen sollte.

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Gleichzeitig zeigt die ideengeschichtliche Forschung, dass es hier eben um sexuelle Handlungen geht, nicht um ›Homosexualität‹ in ihrer Ganzheitlichkeit, die auch Liebe, Emotionen, Zärtlichkeit, Sehnsucht etc. umfasst. Vergleicht man die offiziellen Positionen christlicher Kirchen und Traditionen, so ist mindestens die Verurteilung von ausgeübter Homosexualität nach wie vor bei den meisten vorherrschend.283 Vor allem in liberaleren protestantischen (auch freikirchlichen) Traditionen hat sich jedoch jüngst ein offener Zugang etabliert, der bis hin zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare reicht. Für besondere Aufregung sorgte die Diskussion über den Umgang mit Homosexualität in der anglikanischen Tradition, in der offen über eine Kirchenspaltung wegen dieser Frage gesprochen wurde. In seiner Analyse des Konflikts weist William Sachs auf die Bedeutung des kulturellen Kontexts für moralische Fragen dieser Art hin: »The Christian search for universally applied, faithful forms of belief and practice inevitably collides with aspects of contextual experience, especially when the church’s life in one context varies from that in others.«284 Sachs’ Feststellungen lassen sich auch auf die Frage nach Homosexualität und Christentum im globalen Maßstab umlegen: Es ist zu unterscheiden zwischen lokalen und kulturellen Umständen ebenso wie auch zwischen offiziellen Einstellungen einerseits und der Ansicht der Gläubigen andererseits. Sie hängt ebenso an der Verbindlichkeit biblischer Aussagen allgemein (liest man diese wörtlich oder historisierend-kontextualisierend) wie auch am medizinischen Verständnis von Homosexualität und damit verbundener ›Ursachenforschung‹, die von genetischen über hormonelle bis hin zu familiären und psychologischen Erklärungsversuchen reicht. Je nach medizinischer Betrachtungsweise wird auch die moralische Beurteilung unterschiedlich ausfallen, wobei ein stark ideologischer Zugang sowohl zur Forschung als auch zu deren Rezeption festzustellen ist.285 Sowohl der Entstehungskontext der adventistischen Tradition als auch deren starke biblische Orientierung führen zu einer grundsätzlich distanzierten Einstellung zu Homosexualität bei den STA. Ellen White tritt in den Testimonies sehr harsch und mit drohenden Worten gegen die »Sodomitish impurity«286 auf, man beachte auch hier wieder die Verbindung zum Konzept der Reinheit. Im modernen Adventismus wird diese Diskussion differenzierter geführt, wobei sich drei Grundkonzepte im Umgang mit Homosexualität feststellen lassen: Der 283 Römisch-katholische, orthodoxe, evangelikal und pfingstlerisch beeinflusste, adventistische, methodistische und ein Teil der lutherischen und reformierten Kirchen und Gemeinden, ebenso auch para-christliche Gemeinschaften wir Mormonen oder Zeugen Jehovas, lehnen homosexuelle Handlungen biblisch und/oder naturrechtlich begründet ab. 284 Sachs, William: Homosexuality and The Crisis of Anglicanism, Cambridge: CUP 2009, 3. 285 Siehe dazu etwa die moralischen Implikationen und die entsprechenden Reaktionen auf die Hypothese eines ›Schwulen-Gens‹, vgl. Guillebaud, Tyrannei der Lust, 367–368. 286 Vgl. White, Testimonies, 117–119.

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Verweis auf die biblische Verurteilung homosexueller Handlungen,287 die Schöpfungsgeschichte als Konstituierung einer allein legitimen Beziehung von Mann und Frau,288 und Homosexuelle als an einer Krankheit oder Störung Leidende, die einer Hilfe, sogar einer Therapie bedürfen, zugleich aber auf Grund dieser Opferrolle nicht verachtet werden dürfen.289 Im österreichischen Adventist Book Center findet sich auch das Werk »So einer ändert sich nie!« Oder doch?290 von Victor Adamson, der mit der Hilfe Gottes seine Homosexualität ›besiegt‹ haben soll. Aus diesen genannten Gründen lautet die offizielle Position der STA zu Homosexualität, dass diese als Lebensform und Praxis nicht akzeptiert wird, zugleich aber die Hoffnung formuliert wird, sie mit der Hilfe Gottes heilen zu können.291 Damit erfolgt auch hier wiederum ein Andocken an einen medizinisch-therapeutischen Diskurs und eine Pathologisierung von Homosexualität, die zwar zu einer gewissen Akzeptanz führt, Homosexualität aber als unvollkommenen und eingeschränkten Zustand versteht. Für homosexuelle Adventisten führt dies freilich zu massiven Problemen, die im US-amerikanischen Dokumentarfilm Seventh-gay Adventists (Regie: Daneen Akers/Steven Eyer, USA 2012) thematisiert werden. Die Interessen vieler homosexueller Adventisten, die eine Versöhnung zwischen ihrer kirchlichen Zugehörigkeit und ihrer Sexualität anstreben, werden in den USA von der Intercollegiate Adventist Gay-Straight Alliance Coalition vertreten, in der sich vor allem jüngere Adventisten engagieren, die für mehr Toleranz eintreten. Die Aussagen der Befragten bewegen sich ebenfalls im skizzierten Dreieck von Schöpfungstheologie, biblischen Geboten und pathologischen Deutungen, wobei diese Argumentationen sich auch ergänzen. Insgesamt lässt sich keine Tendenz in eine bestimmte Argumentationsrichtung aufweisen, bemerkenswert ist jedoch das Fehlen eines positiven Schöpfungsverständnisses, d. h. der Vorstellung, Gott habe Homosexuelle als solche erschaffen. Das schöpfungstheologische Argument dient also allein zur Unterstreichung der heterosexuellen Normativität, der Homosexualität als sündhaftes oder pathologisches Verhalten gegenübergestellt wird. Der Betroffene wird dabei aber nicht aus der Selbst-

287 Was Adventisten glauben, 436. 288 Vgl. Hasel, Frank: Das biblische Eheverständnis, in: Badenas, Roberto/Höschele, Stefan (Hg.): Die Ehe. Biblische, theologische und pastorale Aspekte, Lüneburg: Advent-Verlag 2010 (= Studien zur adventistischen Ethik 1), 17–40, 21. 289 Vgl. Domanyi, Thomas: Sexualität und Ehe aus theologischer Sicht. Ein Beitrag zur biblischen Anthropologie und Ethik, in: Badenas, Roberto/Höschele, Stefan (Hg.): Die Ehe. Biblische, theologische und pastorale Aspekte, Lüneburg: Advent-Verlag 2010 (= Studien zur adventistischen Ethik 1), 229–252, 233. 290 Adamson, Victor : ›So einer ändert sich nie‹ Oder doch? Kampf und Sieg eines Homosexuellen, Freiamt: NewStartCenter 2011. 291 Vgl. Was Adventisten glauben, 437.

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verantwortung entlassen, indem er qua der Natürlichkeit von Homosexualität für seine Orientierung quasi ›nichts kann‹. Also wir hören in der Bibel: ›und Gott schuf sie als Mann und Frau‹, und diesem Mann und dieser Frau gab Gott den Auftrag, sich gestalterisch einzubringen in der Welt, die Gärten zu bebauen, zu bewahren, und auch den Auftrag, sich zu vermehren, die Erde zu bevölkern. Und das ist da nicht möglich, zum Beispiel, Homosexualität lässt das nicht zu, also die Bevölkerung. Sie ist auch nicht von Gott instituiert worden, es heißt: ›Gott schuf sie als Mann und Frau‹. Also das, was wir von Eden mitgenommen haben, ist die Familie, die Bande der Einheit zwischen Mann und Frau und nicht zwischen Mann und Mann, das halte ich für eine Verfehlung. (ADV9) Aus der Bibel sehe ich, dass Gott das nicht möchte, weil er hat Mann und Frau geschaffen, dass die zwei eben eine Familie bilden und eben Kinder in dieser Geborgenheit großziehen, ja. Das ist eigentlich der Sinn der Familie oder der Ehe und der Sexualität, und ich denke, in der Bibel stehen eindeutig genug Texte drin, die eigentlich sagen, dass Homosexualität nicht im Sinne Gottes ist. (ADV8)

Hier gilt es sich zu erinnern, dass die Schöpfungsgeschichte in der adventistischen Tradition kreationistisch als Bericht interpretiert wird und die Erzählung des ersten Menschenpaares eine historische Dimension besitzt. Die Schöpfung des Menschen in Adam und Eva ist damit normativ für das ganze Menschengeschlecht. Heterosexualität und die Beziehung von Mann und Frau ist nicht nur moralisches, sondern natürliches Maß für das richtige sexuelle Verhalten, dem gegenüber Homosexualität als Abweichung verstanden wird. Diese Abweichung bedarf nun freilich einer Erklärung, die entweder als moralisches Fehlverhalten oder aber pathologisch gedeutet werden muss, d. h. homosexuelle Handlungen müssen als Resultat entweder der Sünde oder des Leidens angesehen werden. In beiden Fällen liegt es jedenfalls am Subjekt, sich zu seinem sündhaften Streben oder seinem pathologischen Zustand zu verhalten, d. h. entweder sein Verhalten zu ändern oder aber therapeutische oder seelsorgerliche Hilfe zu suchen. Ich betrachte das nicht als Krankheit, wobei das auch Dimensionen einer Krankheit annehmen kann, gewinnen kann, aber ich denke, dass es auch bei solchen Menschen nötig ist, dass man sie vertraut macht mit der Sicht Gottes, um ihnen den Plan Gottes für sie zu zeigen. Wenn jemand diesem Beispiel, diesem vorbildlichen Beispiel von Mann und Frau nicht folgen kann, dann würde ich nahelegen, alleine zu leben, wenn er sich nicht angezogen fühlt von einer Frau, und sich von Gott helfen zu lassen, oder eben diese Lösung für sich einzunehmen. Ich denke, er ist besser dran so. Ich würde ihm nahelegen, sich den Rat eines christlichen Neurologen einzuholen und entsprechende Literatur zu lesen. (ADV9)

ADV9 steht hier exemplarisch für eine pathologische Deutung. Der Homosexuelle (bei ADV9 immer männlich vorgestellt) erscheint hier als Unwissender und als einer, der hilfsbedürftig ist, der nicht in der Lage ist, dem Beispiel Gottes zu folgen. Der Rat, einen Neurologen einzuholen, rückt den Homosexuellen in

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den Bereich des Nervenkranken, obwohl ADV9 zunächst angibt, Homosexualität nicht als Krankheit zu verstehen. Alternativ sieht ADV9 die Enthaltsamkeit vor, was einer verbreiteten christlichen Deutung entspricht, zwischen Homosexualität als akzeptierter Neigung und homosexuellen Handlungen als verbotener Tat zu unterscheiden. ADV9 bewegt sich hier ganz innerhalb einer mitfühlenden, pathologisierenden Sprache und spricht nicht von sündhaftem oder amoralischem Verhalten. ADV8, ebenfalls zuvor mit dem Schöpfungsargument zitiert, argumentiert dagegen in der Begrifflichkeit des Fehlverhaltens: Und in der Bibel ist eindeutig, dass homosexuelles Handeln nicht im Sinne Gottes ist, ja. Weil es ist ja das Gleiche, wie wenn ich verheiratet bin und lerne jemanden kennen, zu dem ich mich hingezogen fühle, das kann ja passieren, aber in der Bibel steht auch, du sollst nicht ehebrechen, und dann habe ich da auch die Verantwortung, dass ich da jetzt nicht so weit gehe, dass da ein Ehebruch entsteht, oder? Das ist mein Handeln. Und ich denke, das ist jetzt für mich das Denken, genauso ist es vielleicht mit der Homosexualität, dass ich weiß, das ist nicht im Sinne Gottes, ich habe zwar diese Neigung, aber ich möchte nicht danach handeln. (ADV8)

Eine homosexuelle Handlung wird hier von ADV8 mit Ehebruch gleichgestellt, beides gilt als fehlerhaftes Verhalten, das eine Abweichung von der göttlichen Norm darstellt und für welches der Einzelne Verantwortung trägt. Jeder hat die Möglichkeit, sich zu seinen Neigungen zu verhalten und ihnen dementsprechend nicht nachzugeben. Hier wird nicht mit Mitgefühl oder Leid und Hilfe argumentiert, sondern ADV8 sieht in gelebter Homosexualität eine Serie von sündhaften Handlungen, die der Einzelne jeweils neu begeht, von denen er aber mit freiem Willen Abstand nehmen kann und soll. Auch bei ADV5 (und weiter nur noch bei ADV6) findet sich diese Auslegung von homosexuellen Handlungen als sündhaftes Verhalten unter vielen anderen Formen der Sünde, welches moralisch verurteilt werden muss: Homosexualität wird in der Bibel abgelehnt, das heißt aber nicht, dass ich den Umgang mit Homosexuellen grundsätzlich ablehne. Ich begegne ihnen als Menschen wie allen anderen auch, und ich heiße nicht alles gut, was Menschen tun, das bezieht sich jetzt nicht nur auf Homosexualität, sondern auf andere Dinge auch. Ich kann also Menschen als Menschen akzeptieren, muss aber nicht alles akzeptieren, was Menschen tun, und akzeptiere ja vieles nicht als richtig, das ist es, auf einen einfachen Nenner gebracht. (ADV5)

Auch hier ist keine Rede von Leiden oder Hilfe, sondern es wird eine Einstufung von Homosexualität als inakzeptable Handlung unter vielen, die von der Bibel verurteilt werden, vorgenommen. Die Lösung besteht konsequenterweise im Nicht-Handeln. Die mehrheitliche Haltung der Befragten erkennt jedoch in der Homosexualität ein Leiden, ein unvollkommenes sexuelles Leben, für das Mitgefühl und Hilfe die richtigen Antworten sind, freilich ohne Homosexualität als

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Existenzial eines Menschen anzuerkennen. Eine grundsätzliche Kritik bleibt bei allen Befragten immer bestehen, sie bewegt sich aber stets zwischen den Polen der Handlungsverantwortung und des Pathologischen. Interessant ist etwa die Stellungnahme von ADV10, die Homosexualität als Lebensform voller Leiden sieht: Ich glaube nicht, dass es von Gott so bestimmt worden ist, und ich glaube, dass es für denjenigen, der schwul ist, sehr schwer ist, auch in der christlichen Welt, dass sie es nicht leicht haben. Weil man eben in der Ambivalenz lebt, also in dieser Familie auch, vielleicht, und es ist sicher schwierig, und ich würde den Menschen raten, diese Menschen nicht zu verurteilen. Ich weiß, dass man als Schwuler sicher Probleme gehabt hat, wenn man es sich selbst gegenüber zugibt, und deswegen den Männerweg gewählt hat, und es sicher nicht leicht ist für diese Person. Ich weiß auch von der Szene, dass sie immer den Partner wechseln und da ist nicht so dieses Sich-Fallenlassen in der Beziehung, das gibt es für kurze Zeit vielleicht, aber nicht dauerhaft, weil sie eben nach dem Kick suchen und nach neuen Erlebnissen, neue Löcher gibt’s ja nicht, aber es ist einfach, ja. Ich glaube, dass da sehr viel Unglück drinnen ist. (ADV10)

Wie ADV9 hat auch ADV10 beim Thema Homosexualität ausschließlich Männer im Blick und weist nach dem göttlichen Verbot sofort darauf hin, dass das Leben für Homosexuelle »schwer« ist, bzw. es ihnen auch schwergemacht wird, nicht zuletzt in den christlichen Kirchen. Dem folgt eine klare Absage an jede Diskriminierung, ja sogar an jede Verurteilung, womit sich ADV10 klar vom Sündendiskurs abgrenzt. Der Grund für diese vergleichsweise liberale Haltung liegt in der starken Pathologisierung, die ADV10 vornimmt: Homosexuelle haben Probleme gehabt (wenn sie ehrlich zu sich selbst sind) und haben den Männerweg »gewählt« (sic!), aber nicht frei, sondern auf Grund ihrer Probleme. Das homosexuelle Geschlechtsleben wird als defizitär, mit fehlender Tiefe skizziert, als Leben auf der Suche nach dem »Kick«, in dem sehr viel »Unglück« liegt. Von allen Befragten vertritt ADV10 am stärksten ein pathologisierendes Konzept von Homosexualität, die in ihrer Beschreibung einem Suchtverhalten ähnelt, das krankheitsähnliche Züge hat. Dennoch zeigt sich eine gewisse abwertende Haltung, da sehr stark auf die Unvollkommenheit der Emotionen hingewiesen wird, und die Formulierung »neue Löcher« beschreibt ein sehr derbes, simplistisches Bild von gelebter Homosexualität. Es fällt auf, dass die Wahrnehmung noch einmal eine andere ist, wenn man Homosexuelle selbst persönlich kennt. Hier werden traditionelle Deutungsmuster auf andere Weise in Frage gestellt und sorgen, wenn schon nicht für eine klare Offenheit, so doch für eine kritische Reflexion der religiösen Interpretationen. Im Falle der befragten Adventisten trifft dies auf ADV7 und vor allem auf ADV11 zu, wobei es sich bei der befreundeten Person um ein Mitglied der adventistischen Gemeinde handelt:

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Es kommt darauf an, ob man es auslebt oder nicht auslebt. Ich würde keinen verurteilen, weil der kann nichts dafür, ganz einfach. Und, wie soll ich sagen, ich habe auch ein gewisses Mitgefühl mit den meisten, weil es ist sicher nicht einfach. Ich habe selber einen Freund, der damit kämpft, deswegen weiß ich, wie es einem da so geht. (ADV7) Früher war es eher so, dass du sagst, die sind ja abartig oder so, also du akzeptierst zwar den Menschen, aber mit der Neigung, mit der kommst gar nicht klar. Jetzt hast du dann plötzlich einen in der Gemeinde, der weiß, dass er diese Neigung hat, dagegen ankämpft, dafür betet, in Seminare geht, Bücher liest und das nicht schafft, und dann weißt du auf einmal nicht mehr, was jetzt ist. Ich habe auch einen Arbeitskollegen, der homosexuell ist, der ist so lieb und so menschlich, also absolut lieb. Und ich akzeptiere sie als Menschen, aber ich weiß nicht, was ich mit dem anfangen soll, ich weiß es echt nicht. Ich habe jetzt auch ein bisschen gelesen und recherchiert, was es sein könnte, einer sagt, na ja, da war die Mutter zu stark oder zu schwach, andere sagen das, irgendwelche Theorien. Die Frage ist, kannst du da raus, ist es angeboren, ist das ein Gen, ist es wirklich nur die Erziehung, wie kommst dann raus, wenn der jetzt rauskommen möchte? Ich weiß auch nicht, was Gott davon denkt, er sagt natürlich, dass das ein Ekel ist und so, aber, aber, den Menschen verurteile ich auf keinen Fall, und noch dazu, wenn ich zum Beispiel sehe, wie der geistlich ist, wie der kämpft, wie der tut, und das ist ganz schwierig, also ich weiß es nicht. Und ich weiß, wie der damit umgeht, und nicht sagt, mir taugt das und ich tu das, sondern wirklich weiß, es ist verkehrt jetzt von der Bibel her, er weiß, es ist nicht das, was Gott gedacht hat, was er gemeint hat, wie er den Menschen gemacht hat, und er fragt sich, warum ist das überhaupt so, warum fühle ich so, warum denke ich so? Voll schlimm, oder? Der ist so wie gefangen in seinem Körper, in seiner Neigung, also verurteilen tu ich auf keinen Fall einen Menschen, und ich habe auch gar keine Abscheu oder irgendwas. Das ist ganz schwierig. Ich traue mich nichts sagen. Echt schlimm, ja. (ADV11)

ADV7 erfährt den »Kampf« ihres Freundes und will daher von Verurteilungen Abstand nehmen. Damit ist noch keine prinzipielle Toleranz gegeben, die Aufforderung, die Sexualität nicht auszuleben, bleibt bestehen, und der Begriff »Kampf« zeichnet die Homosexualität als Feind oder Gegner, der Begriff »Rauskommen« als Gefängnis oder Falle. Die Formulierung »Gott sagt« zeigt, dass ADV11 den Bibeltext unmittelbar mit dem Willen Gottes identifiziert, trotzdem bringt sie ihre Zweifel zum Ausdruck. Durch das Miterleben ergibt sich eine weitaus zurückhaltendere Einstellung, als dies bei den anderen bisher zitierten Aussagen der Fall ist. Noch bemerkenswerter ist ADV11, die sich ebenfalls mit dem Ringen dieser Person in der Gemeinde auseinandersetzt und im Beruf positive Erfahrungen mit einem Homosexuellen hat. Das wiederholende »ich weiß nicht (mehr)« zeigt eine Erschütterung des alten, einfachen Bildes, die sie auch selbst beschreibt. ADV11 beschäftigt sich intensiv mit der Suche nach Antworten auf die Fragen, die durch ihre persönlichen Erfahrungen aufgeworfen wurden, und verspürt auch Zweifel an der Klarheit der biblischen Aussagen, welche für die anderen Befragten die Grundlage ihrer Ansichten bilden. Sichtbar

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wird jedenfalls eine tiefe Verunsicherung bei der Thematik, die durch die persönliche Erfahrung angeregt wurde. Der Umgang mit Homosexualität, so lässt sich zumindest aus den Aussagen von ADV7 und ADV11 schließen, scheint damit wesentlich von persönlichen (positiven) Begegnungen mit Homosexuellen abzuhängen, die ein starkes Korrektiv zur moralischen Lehrmeinung bilden können. Die (sich entwickelnde) tolerantere Haltung zu Homosexualität und offeneren Lebensweisen in den westlichen säkularen Gesellschaften wird nur von zwei Befragten angesprochen und kritisiert. ADV6 führt an, dass in der Gesellschaft kritische Äußerungen gegen Homosexualität im Namen der Toleranz nicht mehr geduldet werden, und ADV8 sieht die »Freizügigkeit« der Gesellschaft als Faktor in der Verbreitung von Homosexualität: Ich denke, heutzutage ist das oft bei den Jugendlichen, die noch auf der Identitätssuche sind, so, also ob die nicht oft in das nur so hineinschlittern, weil das heute viel zu freizügig ist, weiß nicht. Und dann schlittern sie in etwas hinein, wo, wenn sie warten würden, sich dann eh später herauskristallisiert, dass das nur eine Phase war oder so. Also da finde ich schon, dass das heute alles ein bisschen zu freizügig ist, und dass Jugendliche vielleicht da sich selbst seelische Verletzungen zufügen, weiß nicht. (ADV8)

ADV8 sieht Homosexualität hier als etwas Problematisches, in das man ›hineinschlittert‹, d. h. sie erscheint als veränderbarer Zustand, als Ergebnis eines Prozesses, der mit pubertären Verunsicherungen einhergeht. Relativ klar wird hier einer in moralischen Dingen zu liberalen Gesellschaft die Mitverantwortung für die Entwicklung von Homosexualität gegeben, die Jugendlichen in unsicheren Phasen quasi ein Überangebot an Möglichkeiten bietet. Zusätzlich wird vor den negativen Folgen von Homosexualität – seelischen Verletzungen – gewarnt. Insgesamt erscheint hier Homosexualität als etwas Negatives, das durch größere gesellschaftliche Moralität verhindert oder zumindest begrenzt werden könnte. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine kritische Haltung gegenüber (gelebter) Homosexualität klar überwiegt, dass die Mehrheit jedoch den Aspekt des Leidens und des notwendigen Mitgefühls betont, es aber auch klare Verurteilungen der Handlungen gibt. Werden positive persönliche Erfahrungen mit Homosexuellen gemacht, führt dies zu einer zurückhaltenderen Meinung und zu Zweifel. Mit Ausnahme von ADV6 und ADV8 hat keiner der Befragten eine kritische Grenzziehung zu anderen, liberaleren Gemeinden oder der Gesellschaft im Kontext dieses Themas zum Ausdruck gebracht. Sofern es keine unmittelbare Betroffenheit durch eigene Geschlechtlichkeit oder Freunde/Gemeindemitglieder gibt, weisen die Aussagen eher daraufhin, dass, wie auch ADV5 bemerkt, »Homosexualität nicht in großem Stil ein Thema ist, weltweit

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eigentlich nicht in unserer Kirche«, sondern einfach im Rahmen der biblischen Aussagen abgehandelt wird.

4.3.3 Ehe und Grenzziehung Die Hochschätzung der christlichen Ehe und eine prinzipielle Zurückweisung von vorehelichem Geschlechtsverkehr und homosexuellen Lebensgemeinschaften verlangen noch einmal einen genaueren Blick auf die Einstellung zur Ehe. Die Eheschließung und ihre Voraussetzungen sind von besonderer Bedeutung für die Frage nach Zugehörigkeit und Grenzziehungen: Endogamie und Exogamie betreffend die eigene Konfession oder Religion sind symbolische Grenzen, die unmittelbare soziale Grenzen darstellen. Wenn als Ehepartner lediglich Personen der eigenen Konfession oder Religion in Frage kommen bzw. dies durch die Statuten der Gemeinschaft so bestimmt wird, hat dies starke Auswirkungen auf die Zugehörigkeit und die Abgrenzung von Gemeindemitgliedern zu jenen, die diese Anforderung nicht erfüllen. Die Reflexion über eine mögliche Exogamie verweist den Einzelnen zudem wiederum auf die Besonderheiten und Grenzen seiner eigenen religiösen Lebensführung zurück. Die Frage der Exogamie ist zudem essenziell für die (Un-)Durchlässigkeit der sozialen Grenzen, die eine Gemeinschaft nach außen bildet. Im Neuen Testament sind vor allem Stellen in den paulinischen Briefen relevant, die einmal pro und einmal contra überkonfessionelle oder interreligiöse Ehen herangezogen werden können. Im Hinblick auf die Heidenmission sollten bestehende Ehen kein Hindernis einer Bekehrung zum Christentum sein, so dass Paulus, ausdrücklich als seine persönliche Meinung, bestimmte: Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und sie willigt ein, bei ihm zu wohnen, so entlasse er sie nicht. Und eine Frau, die einen ungläubigen Mann hat, und der willigt ein, bei ihr zu wohnen, entlasse den Mann nicht. Denn der ungläubige Mann ist durch die Frau geheiligt, und die ungläubige Frau ist durch den Bruder geheiligt; sonst wären ja eure Kinder unrein, nun aber sind sie heilig. (1Kor 7,12–14)

Die Heiligkeit des Christen erfüllt damit die Ehe als Ganze, vorausgesetzt, der nicht-christliche Partner willigt einer solchen Ehe ein. Demgegenüber forderte Paulus jedoch auch: Geht nicht unter fremdartigem Joch mit Ungläubigen! Denn welche Verbindung haben Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? Und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? Oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? (2Kor 6,14f.)

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Hier wird der private Umgang mit ›Ungläubigen‹ verworfen.292 Auch wenn es hier vordergründig um Ehen mit Nicht-Christen geht, ist damit noch lange keine interkonfessionelle Ehe garantiert, da es eine bestimmte Anschauungsfrage ist, wer wirklich als ›Christ‹ gilt. Im freikirchlichen Kontext ist dies jemand, der zu seinem persönlichen Glauben an Christus gekommen ist und ihn als Erlöser anerkannt hat. Ein sogenannter ›Taufschein-Christ‹, also ein nicht-praktizierender Angehöriger einer Großkirche, würde trotz seiner Konfessionszugehörigkeit damit nicht als Christ gelten. Auch wenn sich insgesamt die Bestimmungen der Großkirchen über interkonfessionelle und auch interreligiöse Ehen gelockert haben, bedingt durch die gesellschaftliche Situation einer zunehmende Auflösung von monokonfessionellen Regionen, ist dieses Thema doch auf Grund bestimmter Fragen problematisch: So sind Taufe und religiöse Erziehung der Kinder, Gottesdienstbesuch, Ausgrenzungen bei Eucharistie und Abendmahl, unterschiedliche Glaubenshaltungen und im Falle der Adventisten auch ein anderer wöchentlicher Feiertag Faktoren, die eine interkonfessionelle oder interreligiöse Ehe nach wie vor schwierig machen können. Ellen White hat sich umfassend mit Fragen der adventistischen Ehe auseinandergesetzt und fungierte auch als wichtige Ratgeberin in ehelichen Angelegenheiten. Auch die heutige adventistische Theologie der Ehe basiert daher wesentlich auf Whites Überlegungen. Zunächst wird die Ehe als Teil der Schöpfungsordnung verstanden, die in der Erzählung von Adam und Eva repräsentiert ist und so die Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft bildet.293 Das biblische ›Ein-Fleisch-Werden‹ macht die Ehe auch zu einer körperlichen Gemeinschaft, sie gilt als der allein legitime Ort der gelebten Sexualität. Dennoch ist sie nicht zwingend auf Nachkommenschaft ausgerichtet, »[d]ie Ehe ist der Familie nicht untergeordnet, vielmehr ist die Familie der Ehe zugeordnet«, die »erste Pflicht der Partner [ist] nicht die Erziehung der Kinder, sondern die Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft«294. Aus dem Konzept der Einheit ergibt sich weiter eine grundsätzliche Unauflöslichkeit der Ehe, mit Ausnahme eines erfolgten Ehebruchs,295 gemäß den Worten Jesu in Mt 19,8: »Ich sage euch aber, dass, wer immer seine Frau entlässt, außer wegen Hurerei, und eine andere heiratet, Ehebruch begeht«. Damit gibt es keinen sakramentalen Charakter der Ehe im Sinne des katholischen Konzepts der Ehe als Abbildung der ewigen Liebe und Treue Gottes:

292 293 294 295

Hinzu kamen auch alttestamentliche Verbote von Mischehen, etwa in Esra 10 oder Neh 10. Vgl. Hasel, Das biblische Eheverständnis, 17–21. Domanyi, Sexualität und Ehe aus theologischer Sicht, 229–252. Wobei nicht so eindeutig definiert ist, was genau unter Ehebruch zu verstehen ist, womit hier ein gewisser Deutungsspielraum möglich ist.

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Selbst wenn es unser aufrichtiges Verlangen ist, Gottes Liebe zu uns widerzuspiegeln, geschieht dies doch nur auf unvollkommene und bruchstückhafte Weise. Eine Theologie der Ehe, die diese Tatsache ignoriert, indem sie eine sakramentale Sicht der Ehe vertritt, die das mögliche Scheitern des Ehebundes außer Acht lässt, übersieht den grundsätzlichen Unterschied zwischen Gott und Mensch.296

Scheidung wird somit akzeptiert, wenngleich sie nur ein letzter Ausweg sein sollte, nachdem alle Möglichkeiten einer Versöhnung erfolglos ausgeschöpft wurden. Das biblische Konzept des ›Einsseins‹ führt in der adventistischen Auslegung darüber hinaus zu einem strengeren Verständnis von interreligiösen oder interkonfessionellen Ehen. 2Kor 6 verlangt ein Abstehen von Eheschließungen mit ›Ungläubigen‹, die offizielle adventistische Lehre verengt dies mit Verweis auf das ›Einssein‹ auf die adventistische Gemeinde: »Um die in der Bibel beschriebene Einheit zu erreichen, sollten Ehepartner der gleichen Glaubensgemeinschaft angehören.«297 Von Mischehen wird also offiziell klar abgeraten und Pastoren sind angewiesen, solche Trauungen nicht durchzuführen, da eine Abkehr vom adventistischen Glauben durch den Einfluss des nicht-adventistischen Partners befürchtet wird. Dennoch sind in der Praxis manche Pastoren auch bereit, solche Ehen zu schließen. Sollte ein Gemeindemitglied trotz dieser Vorbehalte eine Ehe mit einem Nicht-Adventisten eingehen, ist dies kein Grund für einen Ausschluss, vielmehr sollte der Partner eingeladen und mit der adventistischen Botschaft vertraut gemacht werden.298 Doch sind Unverheiratete grundsätzlich dazu aufgerufen, »Verabredungen mit Andersgläubigen zu vermeiden«299. Nicht zuletzt deshalb hat schon White die Bedeutung von gemeindlichen Freizeitaktivitäten erkannt, bei denen sich junge Adventisten auch abseits des Gottesdienstes besser kennenlernen können. Dadurch wird erreicht, dass Freundeskreise junger Menschen in die Gemeinde hineinreichen und nicht allein durch Schule oder Nachbarschaft entstehen, und zugleich ein freundschaftlicherer Umgang der Gemeindemitglieder untereinander bewirkt.300 Aus dieser Tradition ergibt sich eine sehr bedeutsame Möglichkeit aktiver Grenzziehung und -sicherung. Sie hat allerdings auch zu einer hohen Zahl an All296 Pöhler, Rolf: ›Dies Geheimnis ist groß‹: Ist die Ehe ein Sakrament? Eine adventistische Perspektive, in: Badenas, Roberto/Höschele, Stefan (Hg.): Die Ehe. Biblische, theologische und pastorale Aspekte, Lüneburg: Advent-Verlag 2010 (= Studien zur adventistischen Ethik 1), 253–270, 264. 297 Was Adventisten glauben, 429. 298 Vgl. Rodríguez, ]ngel: Konfessionsverschiedene Ehen: Das Problem der Mischehen in 1. Korinther 7,12–16, in: Badenas, Roberto/Höschele, Stefan (Hg.): Die Ehe. Biblische, theologische und pastorale Aspekte, Lüneburg: Advent-Verlag 2010 (= Studien zur adventistischen Ethik 1), 201–226. 299 Gane, Barry : Building Your Ministry, Riverside: Hancock Center 2005, 291. [Übers. C. F.] 300 Vgl. Robinson, Dating and Sexuality, 9–10.

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einstehenden im Adventismus geführt, da viele Mitglieder innerhalb der beschränkten Auswahlmöglichkeit der eigenen, kleinen Tradition keine geeigneten Partner finden konnten und zugleich endogam bleiben wollten. Die STA haben darauf auch theologisch reagiert, indem Singles verstärkte pastorale Aufmerksamkeit gewidmet und Alleinsein als legitime Lebensform und nicht als defizitär zu Ehe und Familie verstanden wurde.301 Die adventistische Tradition einer konfessionellen Endogamie spiegelt sich auch in den Interviews klar wider. Mit Ausnahme eines Befragten betonen alle die Ausschließlichkeit oder zumindest eine klare Präferenz für einen adventistischen Ehepartner. Zwar wird die prinzipielle Freiheit der Partnerwahl unterstrichen und es finden sich auch (gelingende!) Ehen oder Beziehungen mit nicht-adventistischen Partnern in der Gemeinde, diese werden jedoch von den Befragten trotz allem problematisch gesehen. Zudem ist es nicht so einfach, einen Prediger zu finden, der auch bereit ist, eine solche Ehe zu schließen, »es gibt auch Prediger, die das machen, solche Leute verheiraten, manche verweigern es aber prinzipiell, die sagen, das mache ich nicht, weil ich weiß, dass das zu nichts Gutem führt« (ADV11). Auch wenn also die Partnerwahl frei ist, gibt es dennoch ein klares Bewusstsein für die Problematik, die damit verbunden ist. Hervorgehoben werden von den Befragten drei Elemente, die eine Partnerschaft mit einem nicht-adventistischen Partner kritisch erscheinen lassen: Der Sabbat (der sich damit einmal mehr als fundamentaler Aspekt von Selbstverständnis und Grenzziehung erweist), das Alltagsleben und die Erziehung der Kinder. Wichtig ist hier, dass die religiöse Durchdringung des Alltagslebens betont wird und dieses damit abseits von spezifisch religiösen Faktoren wie Gottesdienst oder Gebet zu einer wichtigen Grenze wird. ADV2 (unverheiratet) und ADV10 (verheiratet) stehen dabei exemplarisch für eine ausschließlich adventistische Option: Oh ja, unbedingt, das war für mich sehr wichtig, also für mich ist kein anderer in Frage gekommen, kein Nicht-Adventist. Weil das würde bedeuten, dass ich ein ganz ein anderes Leben leben müsste, und das wollte ich nicht. Wie sollte ich dann mit der Gemeinde und dem Sabbat, weil der versteht das nicht. Und ich rauche nicht, ich trinke nicht und ich esse kein Fleisch, ich bin Jungfrau, das geht nicht. Das geht nicht, das kam für mich nicht in Frage, irgendeinen zu nehmen, den Erstbesten, der kein Verständnis hat für mein Leben. (ADV10)

ADV10 unterstreicht hier ganz klar ihre ausschließlich adventistische Wahl: Der potenzielle nicht-adventistische Partner wird hier als Person gezeichnet, der kein Verständnis für den Sabbat aufbringen kann, und der mit Vorstellungen von Enthaltsamkeit, Vegetarismus und Abstinenz nichts anzufangen weiß, er wird zu 301 Vgl. Lockhart/Bull, Seeking a Century, 177.

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»irgendeinem«, zu einem »Erstbesten«. Es ist bemerkenswert, wie hier ganz alltägliche, körperbezogene Lebensfaktoren wie Ernährung oder Abstinenz so stark religiös bzw. im Hinblick auf eine Gemeindezugehörigkeit verstanden werden, dass sie als wichtiges Unterscheidungsmerkmal von Nicht-Adventisten genannt werden. Die Feier des Sabbats als Mittelpunkt des Lebens markiert über das Alltägliche hinaus (eine solche Lebenspraxis kann prinzipiell auch ohne spezifisch-adventistischen Hintergrund geführt werden) noch eine rituelle Grenze, die die Partnerwahl eindeutig auf einen adventistischen Hintergrund reduziert. Ähnlich argumentiert auch ADV2: Wenn ich jetzt einen Lebenspartner habe, der meinen Glauben nicht in dem Umfang teilt, zum Beispiel ist es für mich ungemein wichtig, am Sabbat, am Samstag in die Gemeinde zu gehen, in die Kirche zu gehen, weil ich diesen Tag als Ruhetag erkenne. Wenn mein Lebenspartner diese Sicht nicht teilt und zu mir sagt, naja, du kannst schon gehen, aber weißt du was, ich warte halt im Caf8 und komme dann nach, ja, also, hui. Jetzt nichts gegen das Caf8, das ist nichts Schlechtes, aber am Samstag möchte ich dort nicht hingehen, weil das passt für mich nicht. Das ist ein Spießrutenlauf ohne Ende, da beginnt man, in seinem Glaubensleben Kompromisse einzugehen, weil mein Ehepartner, zu dem habe ich Ja gesagt, der ist mir ja auch wichtig, den kann ich jetzt nicht links liegen lassen, und da blöd stehen lassen. Das heißt, ich muss immer irgendwo einen Kompromiss machen, und wenn ich die Bibel richtig verstehe, dann sagt Gott, bei ihm gibt’s keinen Kompromiss. (ADV2)

Obwohl ADV2 zunächst von Übereinstimmung in Glaubensfragen spricht, fokussiert er sich in der Folge auf die Feier des Sabbats als Anfang einer Folge von ›Kompromissen‹, die mit einem nicht-adventistischen Partner einzugehen sind, und stellt dem das Bild eines kompromisslosen Gottes gegenüber, der von seinen Gläubigen ein klares Bekenntnis zum Sabbat erwartet. Die Gegenüberstellung der Sabbatfeier mit dem Besuch eines Caf8s zeichnet wie auch bei ADV10 ein gewisses negatives Bild vom Nicht-Gläubigen, indem der spirituelle Akt der Gottesdienstfeier der Banalität eines Caf8besuchs gegenübergestellt wird, dieselbe Strategie wählt auch ADV5, der den Sabbatgottesdienst mit dem samstäglichen »Shoppen« des imaginierten nicht-adventistischen Partners konterkariert. Die Rede von den Kompromissen weist darauf hin, dass ein nicht-adventistischer Lebenspartner als mögliche Beeinträchtigung des Glaubenslebens gesehen wird, als Quelle von Konfliktpunkten, was auch ADV6 noch expliziter argumentiert, der zudem den Aspekt der Kindererziehung einbringt: Für mich ist der wichtigste Grund für eine Beziehung oder für eine Partnerwahl zuerst das Gläubig-Sein. Und dann erst das Sekundäre, passen wir zusammen, haben wir dieselben Interessen, sieht sie mich, sehe ich sie, so Sachen, ist sie ein eigenständiger Mensch. Das ist dann alles sekundär, weil ich denke, Glaube ist für mich ganz wichtig und ich gehe für mich sogar noch einen Schritt weiter indem ich sage, für mich kommt es auch nicht in Frage, eine Nicht-Adventistin zu heiraten. Das ist aus dem Grund, weil

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ich mir denke, ja, es geht gut, und ich erlebe es manchmal wirklich bei Leuten, es geht wirklich gut, aber später wird es zu einem Problem. Das klingt jetzt ein bisschen absolut, aber ich bin der Überzeugung, dass es zu einem Problem wird, früher oder später, spätestens, wenn die Kinder kommen, wo man sagt, ich würde gerne in die Gemeinde gehen, und dann will der Partner nicht. Und was machen jetzt die Kinder, wer hat da jetzt, eine Woche geht’s wieder, eine Woche nicht, das sind alles, da fängt man dann an, Kompromisse zu machen. Und wenn man sich selbst dann so erlebt, man sagt, naja, ist ja kein Problem, ich bekehre den andern auch noch, so quasi, da sage ich, schau mal die Statistik an, schau dir die Fakten an, die Wahrscheinlichkeit, dass es umgekehrt ist, ist um einiges größer. Und darum so etwas Wichtiges aufs Spiel zu setzen, da bin ich für mich hart und sage: für mich eine Adventistin. (ADV6)

Auch ADV6 bemüht den Begriff des Kompromisses, den er als Folge einer Partnerschaft mit einer Nicht-Adventistin sieht. Der Gedankengang ist ähnlich wie bei ADV2, zunächst wird der persönliche Glaube als wichtiger Faktor genannt, dann aber mit dem Beispiel der Sabbatfeier noch einmal vom christlichen auf den adventistischen Glauben eingeschränkt. Zusätzlich untermauert wird dies mit der Frage der Kindererziehung, die gerade im religiösen Bereich wesentlich von der Sabbatfeier abhängt. Stärker als die beiden zuerst zitierten Befragten zeichnet ADV6 die Gefahr, dass der eigene Glaube durch einen nichtadventistischen Partner in Frage gestellt werden kann, dass man den Glauben »aufs Spiel setzt«, wenn man eine solche Beziehung eingeht, und er objektiviert seine Meinung mit einem Verweis auf »Statistik«. Alles in allem steht damit für ADV6 eine adventistische Partnerin als einzige Option fest, auch wenn er selbst diese Haltung als »absolut« und »hart« reflektiert. Auf im Familien- und Freundeskreis selbst erlebte Problematiken verweisen jene Befragten, die nur eine Präferenz, aber keine Ausschließlichkeit angeben, einen adventistischen Partner zu heiraten. Sie stehen zwar Nicht-Adventisten offen gegenüber und vermeiden eindeutige Positionierungen, begründen aber ihre Präferenz durch Beispiele, die eine mögliche Problematik anzeigen, was in den Aussagen von ADV7 (unverheiratet) und ADV11 (verheiratet) gut zum Ausdruck kommt: Also es wäre mir prinzipiell schon wichtig, dass er Adventist ist oder zumindest, dass er dafür offen ist, weil ich denke, der Glauben ist schon so eine wesentliche Lebensgrundlage, und wenn man da in zwei Richtungen zieht und keine Harmonie hat, stelle ich mir das schwierig vor. Also ich habe etliche Freunde, die ihren Partner gefunden haben, der ein Adventist ist, das harmoniert gut, ich habe auch Freunde, wo der Partner kein Adventist ist, und das ist schon immer ein Wermutstropfen. Am Anfang fällt das nicht so auf und man ist halt verliebt und alles, aber später, egal bei was, wird halt immer da und dorthin gezogen, und der Samstag ist doch ein freier Tag, der Mann möchte irgendwas anderes machen, die Kinder, und das wird dann alles, hm, ja, also für mich persönlich wäre es wichtig. (ADV7)

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Zwar gibt ADV7 zunächst an, dass zumindest eine Offenheit für den Adventismus da sein muss, stellt dann aber doch die Harmonie von rein adventistischen Beziehungen im Freundeskreis den Schwierigkeiten der Mischehen gegenüber. Einem anfänglich diffusen ›in zwei Richtungen ziehen‹ folgt schließlich wie schon in den vorangegangenen Zitaten der konkrete Verweis auf den Sabbat als trennendes Merkmal, das zur Grundlage von Beziehungsproblemen wird, die dann auch in die Kindererziehung hineinspielen. Das Sprachbild des Ziehens in zwei Richtungen verweist auf das paulinische Wort: »Geht nicht unter fremdartigem Joch mit Ungläubigen!« (2Kor 6,14), das auch ADV11 aufgreift: Ich glaube es ist ein Riesenvorteil, wenn du da an einem Strang ziehen kannst, auch wenn du eben an Kinder denkst, was ist dann, der eine will am Sonntag, der andere am Sabbat gehen, und wenn du dann so Kämpfe in der Schule hast, der eine steht dahinter, der andere sagt, das ist ein Blödsinn, also ich glaube, da ist ganz viel Clinch vorprogrammiert, wenn du da unterschiedlicher Meinung bist. Wenn der andere alles akzeptiert, geht das wahrscheinlich. Andererseits ist es wahrscheinlich schön, wenn du ein Gegenüber hast, wo du über das reden kannst, wo du dich austauschen kannst, wo du zusammen beten kannst, oder wenn du was liest, dass du das mitteilen kannst. Also ich glaube schon, und das ist ja glaube ich auch der Rat so, am gleichen Joch zu ziehen, das betrifft sicher nicht nur die Kirchengemeinde, aber so von der Grundüberzeugung und Einstellung bringst du mehr weiter, wenn du da sehr ähnliche Ansichten hast, weil es ist eh schon so schwierig, menschlich schon so schwierig, überhaupt eine Ehe durchzuhalten über all die Höhen und Tiefen, und alles was du erlebst, wenn du da auch noch gegeneinander bist, dann machst du es dir glaube ich künstlich schwer, also ich würde jedem davon abraten, dass du da unterschiedliche – weil so in der ersten Liebe sagst du natürlich, das schaffen wir und das machen wir, aber ich glaube, wenn du realistisch bist, ist es, glaube ich, nicht ratsam. Das haben einige gemacht, es sind einige gescheitert, und ja. Ein paar haben es geschafft, die jetzt sozusagen einen »ungläubigen« Partner haben. Ich weiß nicht, was leichter ist, einen ungläubigen Partner zu haben oder einen andersgläubigen Partner zu haben, das ist beides schwierig, aber mir kommt vor, ein andersgläubiger Partner ist noch schwieriger, weil der ja seine Ideen auch noch hat zu dem Thema sozusagen, der Ungläubige hat dazu eh keine. (ADV11)

In dieser komplexen Äußerung finden sich zunächst wiederum die Grundthemen von Sabbat, Kindererziehung und alltäglichem Glaubensleben, die argumentativ gegen eine Ehe mit Nicht-Adventisten ins Feld geführt werden. Zwar wird die Möglichkeit einer gelingenden Beziehung eingeräumt, zugleich jedoch werden erlebte Beispiele angeführt, bei denen es nur »ein paar« geschafft haben, eine gemischte Ehe aufrecht zu erhalten. Ähnlich wie ADV7 wird vor allem die Harmonie der Beziehung in Frage gestellt, da sich zusätzlich zu normalen Eheschwierigkeiten verschiedene Streitfälle im Glaubensleben entwickeln können. Implizit wird hier auch das Argument der Kompromisslosigkeit geäußert, welches auch in den vorhergehenden Zitaten explizit eine Rolle spielt: Für ADV11 kann eine Beziehung durchaus funktionieren, wenn der nicht-adven-

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tistische Partner »alles akzeptiert«. Das setzt voraus, dass der adventistische Partner sein Leben grundsätzlich weiterlebt und seine Religion akzeptiert werden muss, religiöse Kompromisse in dieser Hinsicht sind nicht vorstellbar. Bemerkenswert und einzigartig im Vergleich zu allen anderen Befragten ist die Ansicht, dass das Zusammenleben mit einem areligiösen Partner gegenüber einem anderskonfessionellen oder -religiösen Partner zu bevorzugen ist, da diese keine eigenen Ansichten zu religiösen Fragen vertreten. Während sonst überall ein persönlicher Glaube ein wichtiges Kriterium der Partnerwahl darstellt, wird hier ein anderer religiöser Glaube als stärkeres Hindernis empfunden als Unglaube – gesetzt, der in diesem Beispiel wohl eher agnostische Partner akzeptiert die Religion des anderen. Dennoch bleibt auch bei ADV11 eine eindeutige Präferenz für einen adventistischen Partner bestehen. Nur ein Befragter macht hingegen den persönlichen, christlichen Glauben zum Grundkriterium einer Ehe und nicht die konfessionelle Grenze: Ich sehe den Glauben als eine notwendige Voraussetzung, aber nicht als Lösung oder Garantie für Verständigung in der Ehe. Christsein, das ist eine für mich persönlich notwendige Voraussetzung, enorm wichtig, enorm wichtig, denn davon hängt das Wohl und das Schicksal von jedem ab, der Teil dieser Familie ist oder Teil dieser Familie wird. Zwischen Adventisten und Christen würde ich da keinen Unterschied machen, also die Adventisten sind Christen, aber sie sind arm, wenn sie nichts Eigenes haben. Dann verlieren sie die Existenzberechtigung. Es ist auf jeden Fall leichter, auch heilsam, es können sonst viele Spannungen entstehen, und es kann sein, dass man der Ruhe wegen Kompromisse macht, mit hohen Kosten verbunden. (ADV9)

ADV9 stellt, nicht nur in diesem Zusammenhang, die Adventisten viel stärker als die anderen Befragten in die gesamtchristliche Tradition, ohne deren Eigenheiten deswegen zu herunterzuspielen. Der persönliche Glaube stellt dabei ein Verbindungsglied zwischen den Adventisten und anderen Christen dar, die sich hier auch auf die Öffnung der sozialen Grenze der Ehe auswirkt. Dies wird durch den fehlenden Hinweis auf den Sabbat als trennendes Moment noch zusätzlich unterstrichen. Dennoch bleibt auch hier wieder die Warnung vor ›Kompromissen‹, wenn man mit nicht-adventistischen Partnern zusammenlebt. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das adventistische Konzept der konfessionellen Endogamie sich in den Ansichten der Befragten eindeutig widerspiegelt, d. h., dass die symbolischen Grenzen hier klar gezogen werden und auch effektiv zu sozialen Grenzen führen. Dies geschieht, indem Gemeindemitglieder entweder ausschließlich für einen adventistischen Partner optieren oder zumindest eine eindeutige Präferenz ausdrücken, die mit negativen Beispielen von gemischten Ehen aus dem Bekanntenkreis untermauert wird (auch ADV12: »Ich habe es bei meinen Großeltern erlebt, da war es so, dass die andersgläubig waren und das war schrecklich.«) Als fundamentale symbolische Grenze zu anderen Christen fungiert einmal mehr der Sabbat, der eine ›Öku-

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mene des persönlichen Glaubens‹, wie sie oben skizziert wurde, entscheidend unterläuft. In der Folge werden auch Kindererziehung (in Bezug auf den Sabbat!) und schließlich das alltägliche (Glaubens-)Leben als Trennlinien genannt. Zusätzlich zu den religiösen Abgrenzungen wird insgesamt eine größere Bedeutung von Ehe und Familie als Unterschied zur modernen säkularen Gesellschaft betont. Das Selbstverständnis wird vor allem von der Idee eines starken Festhaltens an der Glaubenspraxis dominiert. Die wiederholte Angst vor ›Kompromissen‹ im Glaubensleben zeigt an, dass die Zugehörigkeit zur adventistischen Gemeinde sehr stark betont wird und auch deshalb eine Endogamie angestrebt wird, um das Glaubensleben voll entfalten zu können, welches tief in den Alltag hineinwirkt, oder in den Worten von ADV8: Für mich war das wichtig, weil der Glaube einfach so mein Leben durchdringt auf allen Gebieten, und ich es mir nicht vorstellen habe können, wenn man dann einen anderen hat, der das nicht so versteht oder das nicht gemeinsam lebt. Da wäre von vorneherein gar kein anderer in Frage gekommen.

4.3.4 Alkoholkonsum In der Frage nach einem christlichen Umgang mit dem Körper nimmt der Gebrauch von Alkohol eine besondere Rolle ein, vor allem seit dem Aufkommen der Abstinenzbewegungen im 19. Jahrhundert. Es sind zwei Aspekte, die das Verhältnis von Alkohol und christlicher Lebensführung zu einer schwierigen Frage machen. Erstens kann zwischen einem Gebrauch (Genuss von Alkohol) und einem Missbrauch (Alkoholismus, Trunkenheit) unterschieden werden. Die Grenzen zwischen beiden sind jedoch fließend, sodass es schwierig ist, hier eine klare Regelung zu finden. Zweitens ergibt sich durch den Gebrauch von Wein in der Geschichte des christlichen Abendmahls bzw. der Eucharistiefeier eine starke historische und kultische Bedeutung zumindest dieser Form des Alkohols, die in ein Verhältnis zum Gebrauch von Alkohol im Alltag gesetzt werden muss. Im Hinblick auf den Körper geht es hier um die Fragen der Nicht-Schädigung und Reinheit, zugleich jedoch auch um eine Körpersymbolik des Blutes Christi. Damit verbunden sind Grenzziehungsprozesse zu gesellschaftlichen Entwicklungen ebenso wie zwischen Kirchengemeinden hinsichtlich ihres Umgangs und ihrer Deutung von Wein bei Abendmahlsfeiern. Das Alte und Neue Testament beinhalten sehr unterschiedliche Aussagen zum Thema Alkohol. Während Gen 27,28 den göttlichen Segen auch in Form von »Korn und Most in Fülle« erhofft und Kohelet auffordert, »Wein mit frohem Herzen« (9,7) zu trinken, warnt Lev 10,9 Aaron und seine Nachkommen davor, vor dem Eintritt in das Zelt der Begegnung Wein zu sich zu nehmen. Der übermäßige Genuss von Wein wird in den Erzählungen von Noah (Gen 9,21–25)

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oder Lot (Gen 19,30–37) mit (sexuellem) Fehlverhalten in Verbindung gebracht, und schließlich klagen die Sprichwörter in einer im freikirchlichen Kontext vielzitierten Stelle: Wer hat Ach, wer hat Weh, wer Zänkereien, wer Klage, wer Wunden ohne Ursache, wer trübe Augen? Die spät beim Wein noch sitzen, die einkehren, um den Mischkrug zu erforschen. Sieh den Wein nicht an, wenn er so rötlich schimmert, wenn er im Becher funkelt und leicht hinuntergleitet. Zuletzt beißt er wie eine Schlange und speit Gift wie eine Otter. Deine Augen sehen Seltsames, und dein Herz redet Verworrenes, und du bist wie einer, der im Herzen des Meeres liegt, und wie einer, der da liegt im Ausguck am Mast. (Spr 23,29–34)

In den Evangelien und neutestamentlichen Briefen lassen sich ebenfalls sehr unterschiedliche Assoziationen zu berauschenden Getränken, speziell zum Wein, finden. In Lk 21,34 warnt Jesus seine Jünger im Hinblick auf die endzeitliche Wachsamkeit, »dass eure Herzen nicht etwa beschwert werden durch Völlerei und Trunkenheit und Lebenssorgen«. Paulus, ebenfalls bezugnehmend auf eine baldige Wiederkunft Jesu, fordert seine Adressaten zu einem anständigen Lebenswandel auf, »nicht in Schwelgereien und Trinkgelagen, nicht in Unzucht und Ausschweifungen, nicht in Streit und Eifersucht« (Röm 13,13). In der paulinischen Tradition fordert der Autor des Epheserbriefs: »Und berauscht euch nicht mit Wein, worin Ausschweifung ist, sondern werdet voller Geist, indem ihr zueinander in Psalmen und Lobliedern und geistlichen Liedern redet und dem Herrn mit eurem Herzen singt und spielt!« (Eph 5,18) All diese Textstellen sind wichtige Argumentationsgrundlagen in der Frage nach einer christlichen Abstinenz. Während die Stelle im Lukasevangelium die Nüchternheit und Wachsamkeit in der Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi betont, verbinden die beiden Briefe den Alkohol mit Ausschweifung (asotia bzw. aselgeia) und Unzucht. Paulus stellt in 1Kor 6,10 zudem klar, dass ein Trinker das Reich Gottes nicht erben werde. Demgegenüber sind die Erzählung der Hochzeit von Kana (Joh 2), bei der Jesus die berühmte Verwandlung von Wasser in Wein bewirkt, die Beschreibung des Abendmahls, bei dem Jesus den Kelch reicht und danach »nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken« würde, sowie die vielzitierte Bezeichnung Jesu als »Fresser und Weinsäufer« (Mt 11,19; Lk 7,34) überzeugende Indizien dafür, dass Jesus nach Zeugnis der Evangelien selbst Wein getrunken hat. Trotz dieser Indizien hat sich die Haltung der Abstinenz in der christlichen Tradition weit verbreitet: »Many of those who claim to be followers of Jesus are adamant about not doing something that most historians would agree that Jesus did, namely consume alcoholic wine«302. Schon die Briefe des Neuen Testaments 302 McGrath, James: ›A Glutton and a Drunkard‹. What Would Jesus Drink?, in: Robertson,

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deuten an, dass eine christliche Abgrenzung zur griechisch-römischen Praxis des Symposiums gefordert wird, bei dem neben dem Trinken von Alkohol auch Trankopfer an pagane Götter ebenso üblich waren wie die Anwesenheit von Hetären. Schon im Frühchristentum und im beginnenden Mönchtum etablierte sich im Kontext der spätantiken Asketik eine völlige Abstinenz von Fleisch und Wein, welche jedoch insgesamt betrachtet die Ausnahme blieb.303 Noch bedeutsamer war die Rolle des Weins in der Feier des christlichen Abendmahls, welches bis hinein ins 19. Jahrhundert fast ausschließlich mit eben diesem gefeiert wurde.304 Besondere Bedeutung erlangte die Kelchkommunion in der Reformation: Da in der katholischen Kirche ein im Konzil von Konstanz (1414– 1418) beschlossenes Kelchverbot für Laien Geltung hatte, galt die Kelchkommunion in der reformatorischen Tradition nicht nur als Erfüllung der biblischen Aufforderung, sondern auch als klare Abgrenzung gegenüber einer als unbiblisch und autoritär empfundenen katholischen Kirche.305 Hieraus lässt sich eine besondere Sensibilität für den Empfang des Kelches in der reformatorischen Tradition erklären. Dennoch entstanden schließlich im 19. Jahrhundert Abstinenzbewegungen, die nicht selten von freikirchlichen Pastoren ausgingen. Mit ihnen war erstens ein sozialreformatorischer Zugang verbunden, der die Verbesserung der Gesundheit und der Lebensführung der breiten Bevölkerung sowie die Heilung alkoholkranker Menschen anstrebte:306 »Puritaner, Fundamentalisten, teilweise auch Methodisten und Baptisten haben eine voluntaristische und spirituelle bzw. pneumatische Lösung des Alkoholproblems vor Augen gestellt.«307 Zweitens wurde auch ein moralischer Anspruch mit dem Konzept der Abstinenz verknüpft: Verwandt mit den ebenfalls im 19. Jahrhundert aufkommenden Sittlichkeitsbewegungen, traten gerade christliche Abstinenzbewegungen für eine moralische Erneuerung der Gesellschaft ein, wobei Alkohol als Ursache

303 304 305

306

307

Charles (Hg.): Religion & Alcohol. Sobering Thoughts, New York: Lang 2004, 11–44, 11. [Herv. i. O.] Gustafsson, Berndt: Art. Abstinenz/Abstinenzbewegungen, in: TRE 1 (1977) 392–398, 395. Wenngleich es Hinweise auf eine Feier nur mit Wasser gibt, etwa bei der Bewegung der Enkratiten. Vgl. dazu Wenz, Gunther : Confessio Augustana XXII und der Streit um den Laienkelch. Ein historisches Beispiel mißlungenen Ausgleichsbemühens, in: Wenz, Gunther : Grundfragen ökumenischer Theologie. Gesammelte Aufsätze. 1, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999 (= Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 91), 173–194. Erst im 19. Jahrhundert wurde der übermäßige Konsum von Alkohol nicht mehr unter die Kategorie des Lasters, sondern in die Medizin und Therapeutik eingeordnet, vgl. Descombey, Jean-Paul: Art. Dipsomania, in: http://www.enotes.com/dipsomanie-reference/ dipsomania (abgerufen am 23. Juli 2012). Gustafsson, Abstinenzbewegungen, 395. In den USA hat auch die katholische Kirche die Abstinenzbewegungen mitgetragen.

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verschiedenster moralischer Verwerflichkeiten angesehen wurde, in einer Zeit, in der nach den Erweckungsbewegungen die Frage nach der persönlichen Heiligkeit neu gestellt wurde. Es kommt hier also zu einem Ineinander von moralischen und medizinischen Zugängen. Auch Joseph Bates, einer der Gründerväter der STA, hatte sich bereits im Jahre 1821 im Kontext der ersten Abstinenzbewegungen dazu entschlossen, dem Alkohol für immer abzuschwören. Dies war für ihn jedoch erst der Ausgangspunkt dafür, auch andere Substanzen aufzugeben, die er als schadhaft für seine Gesundheit erkannte, etwa Tabak, Tee, Fett oder Zucker. In der Gründungsphase der STA war es gerade Bates, der stark darauf drängte, Abstinenz zur christlichen Pflicht der Gemeinde zu machen.308 Auf Grund ihrer späten Gründung waren die Adventisten nicht herausgefordert, sich mit dem Wandel im Umgang mit Alkohol im frühen 19. Jahrhundert auseinanderzusetzen, sondern übernahmen die zu ihrer Zeit moderne Forderung nach Abstinenz direkt in ihre Health Reform. Unterstützung erhielt Bates dabei vor allem von Ellen White, die sich ebenfalls klar gegen den Genuss von Alkohol aussprach. Problematisch waren dabei vor allem zwei Punkte: Erstens ging es um die Frage, ob die Forderung nach völliger Abstinenz von Alkohol mit dem biblischen Zeugnis, in dem kein klares Verbot ausgesprochen wird, vereinbar war. Zweitens war zu prüfen, wie mit dem Abendmahl und dem Reichen des Kelchs zu verfahren war. Ellen White strich in drastischen Worten vor allem die sozialen Folgen des Alkoholkonsums heraus, gestützt auf die biblischen Verse Spr 20,1 und 23,29–32. Sie forderte schließlich auch die staatliche Prohibition: »Die benebelten, törichten menschlichen Wracks – Seelen, für die Christus starb und über die Engel weinen – findet man überall. Sie sind ein Schandfleck für unsere prahlerische Zivilisation. Sie sind die Schande, der Fluch und eine Gefahr für jedes Land.«309 Der Verantwortung für andere Menschen könne daher nur jener nachkommen, der »ganz ohne alkoholische Getränke lebt«310. Auch der offizielle Band Was Adventisten glauben verweist auf die sozialen Folgen des Alkoholkonsums wie auch auf die Gefahren für die Gesundheit. Zwar wird eingeräumt, dass Alkohol in der Bibel eine Rolle spielt, jedoch betont, »dass Gott nicht alles gutheißt, was er zulässt«311. Da der Mensch zum Paradies berufen sei, der Alkohol jedoch nicht Teil des paradiesischen Lebens war, wird damit letztlich der Gebrauch von Alkohol gänzlich verworfen.312 Bates und White haben damit nicht einfach die alte Tugend der Mäßigung zum Maßstab der adventistischen Regelung gemacht,

308 309 310 311 312

Vgl. Robinson, Health Message, 58–59. White, Der Weg zur Gesundheit, 257. Ebd. Was Adventisten glauben, 408. Vgl. ebd., 407–409.

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sondern im Kontext der Abstinenzbewegungen des 19. Jahrhunderts deren Forderung nach Abstinenz standardisiert. Damit war zwar der alltagspraktische Umgang mit Alkohol, nicht jedoch die Feier des Abendmahls, des traditionellen christlichen Reichens von Brot und Wein, geklärt. Der Unterschied zu den meisten anderen freikirchlichen Traditionen ist offenkundig: In diesen wird das Trinken in Maßen gestattet, verurteilt wird lediglich der Missbrauch. Auf Grund einer medizinischen Einstufung von Alkoholismus als Krankheit dient hier der Verzicht auf Wein zu Gunsten von Traubensaft in der Abendmahlfeier lediglich dem Schutz von ehemaligen Alkoholikern, sagt jedoch nichts über den Status von Alkohol als solchem aus. Da jedoch der Genuss von Alkohol in der adventistischen Tradition gänzlich verworfen wurde, mussten die biblischen Hinweise auf Wein in den Abendmahlstexten und der Hochzeit von Kana neu hinterfragt werden. Hier bediente man sich der Exegese. Mit dem bedeutenden adventistischen Theologen Samuele Bacchiocchi gesprochen: Der biblische Terminus oinos »konnte sich gleichermaßen auf fermentierten oder unfermentierten Traubensaft beziehen«313, wobei die adventistische Tradition für die zweite Variante optiert: Jesus als Heiler der Menschen hätte diesen niemals schädlichen Wein vorgesetzt, sondern eben Traubensaft, eine Meinung, die ebenfalls bereits in der Gründungsphase der Adventisten von Ellen White vorgebracht und maßgeblich für die Tradition wurde: The unfermented wine that He provided for the wedding guests was a wholesome and refreshing drink. This is the wine that was used by our Saviour and His disciples in the first Communion. It is the wine that should always be used on the Communion table as a symbol of the Saviour’s blood. The sacramental service is designed to be soul-refreshing and life-giving. There is to be connected with it nothing that could minister to evil.314

Die Parallelisierung von unvergorenem Traubensaft mit dem ungesäuerten Brot wird als weiteres Indiz für diese Auslegung von oinos herangezogen.315 Damit war von Anfang an klargestellt, dass der völlige Verzicht auf Alkohol eine »Grundbedingung für ein Gliedschaft in der Gemeinde ist«316. Der Zugang zum Thema Alkohol in der Adventgemeinde ist so zunächst ein unproblematischer : Der Standpunkt der STA in dieser Frage ist klar definiert, worüber sich alle Gemeindemitglieder prinzipiell im Klaren sind. Dement313 Bacchiocchi, Samuele: Wine in the Bible. A Biblical Study on the Use of Alcoholic Beverages, Berrien Springs: Biblical Perspectives 52006, 48. [Übers. C. F.] 314 White, Ellen: Manuscript Releases. Volume 5, Hagerstown: Review & Herald Publishing 1990, 333. 315 Vgl. Was Adventisten glauben, 293. 316 Ebd., 422.

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sprechend geben auch alle Befragten an, gänzlich auf Alkohol zu verzichten. Die Ausführungen dazu lassen sich in drei Kategorien gruppieren, einmal jene, die dies als völlig selbstverständlich voraussetzen und nicht über eine lapidare Bemerkung hinausgehen, zweites jene, die eine Differenz zur gesellschaftlichen Praxis zum Ausdruck bringen, und schließlich jene, die speziell auf die negativen Folgen des Alkoholkonsums hinweisen. Der Pastor bestätigt die klar ablehnende Haltung der STA zu Alkohol auch in seinem persönlichen Zugang, wobei er sich nicht auf die Tradition, sondern auf die Bibel stützt. Im Bewusstsein anderer christlicher Haltungen zu dieser Thematik, in denen die Mäßigkeit als Ideal gilt, wird diese zu Gunsten der Abstinenz klar verworfen: Ich sehe in der Bibel nicht das Prinzip der Mäßigkeit, schon aus diesem Grund nicht, da es wohl mäßige Trinker gibt, das ist keine Frage, aber jeder Alkoholiker hat als ein mäßiger Trinker angefangen. Und ich finde dieses Prinzip in den Sprüchen, ich glaube Kapitel 28, wo davon die Rede ist, ›Wo ist Wein und wo sind Klagen, wo sind Tränen, wo sind Wunden?‹ und so weiter. Und dann wird vom Alkohol gesprochen, und es ist dann davon die Rede, was kann man tun, dass das nicht vorkommt, und der Schreiber, der Prophet gewesen ist, sagt dann nicht: ›Trinkt mäßig‹, er sagt auch nicht: ›trinkt gar nicht‹, er sagt: ›Schau es nicht einmal an! Schau nicht einmal hin!‹ (ADV5)

Vorgestellt wird hier ein Slippery-Slope-Argument, welches den mäßigen Alkoholkonsum nur als Ausgangspunkt für eine mögliche folgende Abhängigkeit ansieht. Gestützt auf die einschlägige Stelle im Buch der Sprüche, die schon White zur Begründung der Verurteilung von Alkohol gedient hat, folgt eine harsche Warnung vor jedem Alkohol, der nicht einmal angesehen werden dürfe. Kennt man die maßgeblichen Passagen in Whites Klassiker Ministry of Healing, so überrascht diese Klarheit nicht. White widmete sich dem Thema Alkohol sehr ausführlich und verurteilte den Alkoholkonsum mit sehr eindringlichen und anklagenden Worten. Angesichts der Verbreitung und der leichten Verfügbarkeit von Alkohol in den westlichen Gesellschaften scheint diese Klarheit auch notwendig, will man die entsprechende Position durchsetzen. Gerade diese Verbreitung und die Praxis eines ›sozialen Alkoholkonsums‹ (›Anstoßen‹ etc.) sorgen dafür, dass durch den Verzicht auf Alkohol auch eine symbolische Grenze zur Gesellschaft aufgebaut wird, die in verschiedenen Situationen die eigene Zugehörigkeit für andere sichtbar macht und den Gläubigen auf seine Gemeindezugehörigkeit verweist: Ich sage meinen Freunden zwar, ja, ihr könnt es probieren, mir ein Bier zu geben, aber ich habe die Überzeugung, dass ich es nicht trinke. Dann war für mich klar, entweder werde ich so akzeptiert wie ich bin, oder es ist möglicherweise die falsche Gesellschaft. Man soll sich ja nirgendwo hinein reklamieren, dass man sagt, okay, ich wäre gern dabei. Wenn das Umfeld für mich nicht passend ist, muss ich halt die Konsequenz ziehen, muss sagen, okay, wenn ich unbedingt hineinwill, dann muss ich mich selber

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hinterfragen: Wie will ich zu meinen Prinzipien stehen, zu meinen Werten, zu den Dingen, die ich für mich persönlich als gut, als richtig, als erstrebenswert erkenne? […] Aber ich für mich habe das immer als sehr positiv erlebt, dass meine Freunde und mein Bekanntenkreis mir da eigentlich sehr viel Wertschätzung entgegengebracht haben und sehr viel Akzeptanz, und auch teilweise proaktiv, dass dann für mich halt das Glas Orangensaft dasteht, wenn es ums Anstoßen geht. (ADV2) Früher habe ich eher diesen adventistischen Dackelkomplex gehabt, wo du sagst, ja hoffentlich merkt es keiner und hoffentlich falle ich nicht zu viel auf und so, und das war unangenehm. Das waren sicher auch diese Erfahrungen eben mit Alkohol, wo sie dich einfach irgendwie fertiggemacht haben, wo du sagst, mir ist lieber, es merkt keiner, bevor sie mich dann wieder fertigmachen. Ich habe Erfahrungen gemacht, schon vor Jahren, zu Weihnachten haben die Arbeitskollegen immer alle getrunken und angestoßen und ich habe gesagt, nein, ich möchte nicht. Und da haben sie mich echt total geärgert und blöd angeredet, und das war echt unangenehm. Ich habe dann fast geheult, das war so furchtbar. Und dann ist ein Kollege zu mir gekommen und hat gesagt, ich bin so froh, dass du nichts getrunken hast, weil jetzt hat er auch die Stärke gehabt, Nein zu sagen, sonst hätte er sicher auch was getrunken und das wollte er aber eigentlich nicht. Und dann war ich so froh und habe mir gedacht, siehst du, du weißt nie, wer dabei ist und wem du vielleicht sogar eine Hilfe sein kannst. (ADV11)

Beide Befragten sprechen dieselbe Problematik an, den verbreiteten Konsum von Alkohol in der Gesellschaft und die damit verbundene Außenseitersituation, in die man unfreiwillig hineinmanövriert wird. Die Erfahrungen reichen dabei von Belächeltwerden (ADV12) über Unverständnis (ADV7) bis hin zu den hier beschriebenen Fällen von Akzeptanz oder Verächtlichmachung. Mit dem Verzicht auf Alkohol reicht der religiös begründete Umgang mit dem Körper unmittelbar in Alltagssituationen hinein, in denen es zu einer Differenzerfahrung kommt. Sowohl der Gläubige sich selbst als auch sein Umfeld empfinden ihn als anders, als nicht zugehörig, wobei der Gläubige zugleich seine Zugehörigkeit zur Gemeinde vergegenwärtigt. Dies ist jedoch, wie bei ADV 11 deutlich zu sehen, nicht nur bestärkend. Bemerkenswert ist die Erwähnung des adventistischen ›Dackelkomplexes‹: Die Grenzen zur Alltagsumgebung können in gewissen Situationen so salient werden, dass eine Verächtlichmachung geschieht, die die Grundhaltung der Person zu ihrer Umwelt nachhaltig negativ beeinflusst. Dies erzeugt eine starke Differenzerfahrung, in der man sich als nicht zugehörig empfindet und in seiner religiösen Besonderheit nicht erkannt werden will. ADV2 stellt klar, dass es eine ›falsche Gesellschaft‹ für Adventisten gibt, die Besonderheiten wie den Verzicht auf Alkohol nicht akzeptieren will. Dies verlangt ein besonderes Selbstbewusstsein, welches sich erst durch positive Erfahrungen, wie sie ADV11 schließlich beschreibt, bilden kann, etwa durch das positive Gefühl, dass diese Haltung auch anerkannt wird. Es zeigt sich an diesem Beispiel auch, wie sehr symbolische Grenzziehungen durch unterschiedliche Kontexte unterschiedlich bedeutsam werden. In einer Umgebung, in der kein

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Alkohol getrunken wird, trägt der Verzicht wenig zum Selbstverständnis bei. Erst die verschiedenen Reaktionen auf das Verhalten führen zur konkreten Auseinandersetzung mit dieser symbolischen Grenze. In so einem Fall kann diese Grenze relativiert werden, um der Out-Group angehören zu können, sie kann aber auch verstärkt betont und ein wesentlicher Faktor der Alltagspraxis werden, oder wird gar als eine moralische Überlegenheit gedeutet. Neben diesen Alltagserfahrungen haben zwei Befragte, wenn es zu Ergänzungen der Erklärung des Alkoholverzichts kam, eine zusätzliche Rationalisierung der Abstinenz durch den Verweis auf die möglichen negativen Folgen des Alkoholkonsums beigefügt: Ich muss sagen, dass Alkohol noch eher das gewesen wäre, wo ich gesagt hätte, gut trinke ich halt einmal Alkohol. Aber dadurch, dass ich mitgekriegt habe, wie Alkohol eigentlich das Leben zerstören kann, also ich habe das auch immer mehr mit dem Hintergrund gesehen, ja Gott will wirklich das Beste für uns, und wenn er schreibt, dass wir kein starkes Getränk zu uns nehmen sollen, dann hat das sicher einen Grund. (ADV12) Ich lese jetzt für mich nicht heraus, dass in der Bibel steht, du darfst keinen Alkohol trinken. Aber das Verständnis zu sagen, was Alkohol bewirkt, dass das eigentlich kontraproduktiv oder genau diametral zu dem steht, was Gott haben möchte, das hilft mir zu sagen, okay, dann probiere ich es gar nicht. (ADV2)

Diese Befragten haben die Abstinenz nicht kategorisch eingefordert oder als selbstverständlich angesehen, gerade auch indem ADV2 sich auf die Bibel beruft, und bringen daher zusätzliche Gründe vor: die möglichen fatalen Folgen einer Suchtentwicklung, die dem Willen Gottes widersprechen. Damit wird, ähnlich wie beim Thema Sexualität, eine zusätzliche Rationalisierung des kirchlichen Gebots erreicht, da der mäßige Konsum als unbedenklich gelten kann und auch in der Bibel kein klares Verbot ausgesprochen wird. Insgesamt betrachtet wird Alkoholkonsum aber kaum problematisiert, er spielt schlichtweg keine Rolle, außer in bestimmten sozialen Situationen. Andere, differenziertere freikirchliche Zugänge, die zwischen Maß und Missbrauch unterscheiden und auch die Gottesdienstpraxis an einen entsprechenden medizinischen Diskurs über Alkoholismus anschließen, sind nicht gegeben. Ein Alkoholverbot wird als biblisch sowie kirchlich klar definiert anerkannt. Damit eröffnet sich freilich auch eine Problematik des ›sozialen Alkoholkonsums‹, wenn Adventisten bei Anlässen in der Öffentlichkeit herausgefordert werden, Alkohol zu trinken. Hier werden Fragen der Zugehörigkeit und Grenzziehung virulent und erzeugen je nach Reaktion des Umfelds unterschiedliche Haltungen, von Rückzug bis hin zur Bestärkung der eigenen Rolle.

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4.3.5 Tabakkonsum Eng mit der Thematik des Alkoholkonsums verknüpft ist die Frage, ob ein Christ rauchen darf. In beiden Fällen geht es um die Belastung des Körpers mit als schädlich betrachteten Substanzen, um Abhängigkeit und moralisches Handeln. Im Unterschied zu Alkohol wurde das Rauchen von Tabak in Europa erst nach der Landung von Kolumbus in Amerika 1492 bekannt. Daher gibt es keine, für die freikirchliche Tradition so wichtige, biblische Richtlinie für den Umgang mit Tabak. Erst beginnend mit den 1930er-Jahren wurden die Auswirkungen von Tabakkonsum auf die Sterblichkeit und Lungenkrebserkrankungen intensiver medizinisch erforscht und sind erst seit den 1970ern allgemein anerkannt, womit sich auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Rauchen geändert hat.317 Erst mit dieser Gesundheitsdimension wird das Thema zu einem Körper-Thema und damit relevant für eine religiös motivierte Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit dem Körper. Diese historischen Voraussetzungen – der Mangel an einer längeren Tradition sowie die lange Unklarheit über die Auswirkungen des Tabakkonsums – haben auch den christlichen Umgang damit beeinflusst. Wird die Bibel herangezogen um diese Frage zu beantworten, können nur allgemeine Stellen daraufhin konkretisiert werden. Diese Konkretisierung hängt jedoch vom Status des Tabakkonsums innerhalb der Gesellschaft und vor allem von dessen medizinischer Beurteilung ab. Erst wenn das Rauchen als schädlich angesehen wird, können entsprechende Bibelverse darauf angewandt werden, ein Prozess der Jahrhunderte gedauert hat. Bis ins 19. Jahrhundert galt der Konsum von Tabak, in der Regel in Pfeifen und Zigarren, gesellschaftlich und medizinisch gemeinhin als unproblematisch. Im 19. Jahrhundert waren es dann die oftmals von christlichen Kirchen getragenen Abstinenzbewegungen, die vor allem in den USA erstmals umfassend für eine Aufgabe des Tabakkonsums eintraten. Der Kampf gegen das Rauchen kann dabei nicht vom Primärziel der Mäßigung bzw. der Aufgabe des Alkoholkonsums getrennt werden: »Smoking got lumped in with the temperance campaign because it was reputed to disease both mind and body, and because it was said to dry the mouth, making the smoker pant for a drink.«318 Die Verurteilung des Tabakkonsums aus christlicher Sicht wurde also erst durch eine beginnende Neubewertung der gesundheitlichen Gefahr durch das Rauchen ermöglicht, wenngleich diese noch nicht evidenzbasiert war.319 Ein weiterer Faktor 317 Vgl. Welshman, John: Smoking, Science, and Medicine, in: Gilman, Sander (Hg.): Smoke. A Global History of Smoking, London: Reaktion 2004, 326–331, 328. 318 Neff, David u. a.: Where did evangelical rejections to smoking and drinking come from?, in: http://www.christianitytoday.com/history/2008/august/where-did-evangelical-objec tions-to-smoking-and-drinking.html (abgerufen am 02. Juni 2017). 319 Vgl. Welshman, Smoking, 327.

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war die Ansicht, dass Tabak als Verstärker des als schwerwiegender wahrgenommenen Alkoholkonsums angesehen wurde. In den USA wurden die Abstinenzbewegungen von einer großen Bevölkerungszahl mitgetragen, eine Haltung, die in der Zeit der Prohibition (1919–1933) ihren stärksten soziopolitischen Ausdruck fand. In den 1920er-Jahren schwenkte die gesellschaftliche Stimmung jedoch zu einer liberaleren Haltung um. Eine Reaktion von christlicher Seite auf diese Liberalisierung war nun die Ablehnung von Alkohol, Zigaretten, Vergnügungen, Kartenspiel, freizügiger Kleidung, Kino und anderen Faktoren, die als kennzeichnend für den gesellschaftlichen Umbruch der Roaring Twenties empfunden wurden. Die Ablehnung dieser Faktoren wurde daher zu einem Kennzeichen fundamentalistischer, evangelikaler und pfingstlicher Gemeinden, die sich damit gegen den aufkeimenden Liberalismus der 1920er positionierten.320 Der Umgang mit Tabakkonsum in christlichen Gemeinden hing daher sehr stark sowohl von seiner gesellschaftlichen Akzeptanz ab, sofern Paulus im Römerbrief fordert, »dem Bruder keinen Anstoß oder kein Ärgernis zu geben« (Röm 14,13), ebenso aber auch von der evangelikalen oder pfingstkirchlichen Beeinflussung. Analysiert man Websites, in denen von diversen christlichen Autoren, meist in Form von Ratschlägen, der Tabakkonsum aus christlicher Sicht verurteilt wird, werden in der Regel vier Bibelzitate herangezogen: – 1Kor 3,17: »Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr.« – 1Kor 6,20: »Verherrlicht nun Gott mit/in eurem Leib.« – Ex 20,13: »Du sollst nicht töten.« – 1Kor 6,12: »Alles ist mir erlaubt, aber ich will mich von nichts beherrschen lassen.«

Vier Aspekte kommen hier zum Ausdruck, wobei drei klar körperbezogen sind: Der erste Vers bezieht sich auf eine Schädigung des Körpers, der als Tempel Gottes gilt. Der zweite Vers fordert einen positiven Umgang mit dem Körper, der Gott gerecht wird, der dritte ist den Zehn Geboten entnommen und untersagt das Töten (auch von sich selbst). Der vierte Vers bezieht sich auf Abhängigkeit bzw. Sucht, die sowohl körperlich als auch geistig gedeutet werden kann. Es zeigt sich, dass die Verwendung dieser Bibelverse von einer medizinischen Beurteilung des Rauchens abhängt. Erst wenn medizinisch akzeptiert wird, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist (worüber erst im 19. Jahrhundert vermehrt nachgedacht wurde) oder zu einem statistisch früheren Tod führt (was erst ab den 1930er-Jahren klarer wurde), ist es überhaupt möglich, Bibelverse auf diese Art anzuwenden. Dasselbe gilt auch für die Problematik der Abhängigkeit. So 320 Vgl. Neff, Evangelical rejections.

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kommt es hier erneut zu einer Verbindung aus medizinischen Erkenntnissen und biblischer Argumentation, an der sich einmal mehr zeigt, welche bedeutende Rolle der Körper als Schnittstelle zwischen verschiedenen Diskursen einnimmt. Was in der adventistischen Geschichte für Alkohol gilt, kann auch über Tabak gesagt werden: Die Gründer der STA partizipierten bereits an den veränderten Haltungen, die durch die Abstinenzbewegungen Anfang des 19. Jahrhunderts aufgekommen waren. Dennoch war die Abkehr von Tabakkonsum auf Grund seiner unklaren gesundheitlichen Wirkungen und auf Grund des Mangels an biblischen Grundlagen bis in die 1850er hinein noch kaum Inhalt stärkerer Bemühungen seitens der Gruppe um Bates und White. Erst später wurden im Magazin Review & Herald schärfere Verurteilungen der »schmutzigen, gesundheitszerstörenden, Gott entehrenden Praxis des Tabakkonsums«321 publiziert. White ordnete Tabak unter die Reizmittel, die Menschen auf der Suche nach Erregung konsumieren. Wie auch die frühe Abstinenzbewegung argumentierte White damit, dass Tabak einen Durst nach Alkohol hervorruft und damit Alkoholismus begünstigt, zudem weist sie in Ministry of Healing auf die Wirkung des Tabaks auf die Nerven wie auch auf den finanziellen Schaden durch Tabak hin: Könnt ihr als Christen einer Gewohnheit frönen, die euren Verstand lähmt und euch die Kraft raubt, ewige Dinge richtig einzuschätzen? Könnt ihr es zulassen, Gott täglich den Dienst vorzuenthalten, der ihm zusteht, und gleichzeitig euren Mitmenschen ein schlechtes Vorbild geben? Seid ihr euch der Verantwortung als Haushalter Gottes für die Mittel in euren Händen bewusst? Wie viel vom Geld des Herrn gebt ihr für Tabak aus?322

Hier spielt auch der im Adventismus verbreitete Gedanke der ›Haushalterschaft‹ hinein, der einen sorgsamen Umgang mit Geld und Gütern, die als Geschenk Gottes gesehen werden (daher »Geld des Herrn«), fordert, was eine Kritik am Tabakkonsum auch über das Argument der hohen Kosten möglich macht. Auf Grund der damals weitverbreiteten Praxis und der noch bestehenden Unklarheit über die konkreten gesundheitlichen Folgen musste der Tabakkonsum umso heftiger angegriffen werden. Mittlerweile haben sich das medizinische Wissen und gesellschaftliche Einstellungen zu Tabak insgesamt verändert, so dass der Faktor der Mortalität durch Tabakkonsum ein klar nachvollziehbares Argument darstellt, das sich auch auf die Bibel rückbeziehen lässt, wie dies in den 28 Grundlehren auch geschieht: »Wer dem Tabakgenuss verfallen ist, begeht Selbstmord auf Raten und übertritt damit das sechste Gebot: ›Du sollst nicht 321 Zit. n. Robinson, Health Message, 67. [Übers. C. F.] 322 White, Der Weg zur Gesundheit, 256.

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töten.‹«323 Damit ist von offizieller Seite eine klare Verurteilung des Tabakkonsums im Adventismus gegeben, ganz in Übereinstimmung mit der sich auf Bates und White stützenden Tradition. Der Verzicht auf Tabak ist völlig selbstverständlich eingeordnet in den Verzicht auf Alkohol, Drogen und Reizmittel aller Art, zwischen dem Umgang mit Alkohol und mit Tabak besteht kein Unterschied mehr. Entsprechend unmissverständlich ist auch die Haltung der befragten Gemeindemitglieder, die sich allesamt, meist sogar völlig selbstverständlich, als Nichtraucher deklarieren. Im Unterschied zum Alkohol gibt es auch keine gesellschaftlichen Situationen, in denen ein sozialer Druck zum Rauchen ausgeübt wird, d. h. hier werden auch keine entsprechenden Erlebnisse berichtet. Die Frage nach dem Rauchen wird meist lapidar beantwortet oder der Verzicht gleich als selbstverständlicher Teil des gesunden Lebenswandels genannt. Daher können Aussagen wie die von ADV7 und ADV12 sowohl inhaltlich als auch in ihrer Kürze als repräsentativ gelten: Ich trinke halt keinen Alkohol, ich rauche nicht, das sind so die Standardsachen. (ADV7) Ich habe nie geraucht, ich habe es nie probiert, das ist für mich immer schon klar gewesen. (ADV12)

Gerade die medizinischen Erkenntnisse über gesundheitliche Schäden des Rauchens haben die traditionelle Haltung der STA noch einmal bestätigt und dienen nunmehr als zusätzliches Argument und als Rationalisierung. Der Verzicht auf das Rauchen bedarf in der heutigen Gesellschaft keiner besonderen Erklärung mehr, sondern ist gemeinhin akzeptiert: Wobei, Nikotin ist eigentlich auch für viele Mitmenschen einleuchtend, da muss man jetzt nicht ein studierter Mediziner sein, um den Schaden einer Zigarette zu erkennen. (ADV2)

In diesem sozialen Kontext verliert der Verzicht auf Tabak seine Bedeutung als symbolische Ressource der Grenzziehung und macht gleichzeitig die traditionelle Lehre an gesellschaftliche Entwicklungen anschlussfähig. Dennoch gibt es auch Mitglieder der Gemeinde, die zur Zigarette greifen, wie ADV12 berichtet: Also ich würde sagen, die Mehrheit raucht nicht, ich kenne schon Leute die rauchen, aber die sind eigentlich nicht wirklich in der Gemeinde, oder die kommen halt selten, das ist eigentlich interessant. Aber so grundsätzlich kann ich sagen, dass es eigentlich schon so ist, dass die meisten weder rauchen noch Alkohol trinken. (ADV12)

323 Was Adventisten glauben, 407.

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Die Feststellung von ADV12 spricht für die in dieser Arbeit vertretene These vom Zusammenhang von Lebensstil und Zugehörigkeit: ADV12 bemerkt selbst, dass gerade die Raucher selten oder gar nicht am Gemeindeleben teilnehmen und insinuiert einen Zusammenhang von aktiver Partizipation in der Gemeinde und dem alltäglichen Lebenswandel. Dies zeigt aber zugleich, dass der Konsum von Tabak keinen größeren Diskurs hergibt, da der Verzicht vorausgesetzt und von den Gemeindegliedern, die aktiv am Gemeindeleben partizipieren, auch befolgt wird

4.3.6 Ernährung und Vegetarismus Ernährung ist ein fundamentaler Bereich religiöser Lebenspraxis. Sie bedeutet eine ständige Aktualisierung religiöser Zugehörigkeit in der alltäglichen Praxis, zielt unmittelbar auf den Körper und dessen Erhaltung ab und führt wichtige symbolische und soziale Grenzen zu Außenstehenden ein. Speisegebote und z. T. Vegetarismus stellen beispielsweise in den jüdischen, muslimischen und indischen Traditionen wichtige Elemente religiöser Lebens- und Grenzziehungspraxen dar. Die christlichen Traditionen haben sich dagegen in ihrer Entwicklung kaum über Fragen der Ernährung definiert, abgesehen von Fastengeboten oder der Definition von ›Völlerei‹ als Todsünde. Ausnahmen in häretischen Bewegungen und in der freikirchlichen Tradition lassen sich jedoch ausmachen – eine davon sind die STA. In der Bibel finden sich einerseits im Alten Testament ausgeprägte Anweisungen über erlaubte und unerlaubte Speisen, andererseits im Neuen Testament eine Vielzahl an Versen, die eine Abkehr von diesen Speisegeboten begründen oder plausibel machen. Die frühchristliche Tradition hat sich dabei relativ schnell von den alttestamentlichen Geboten verabschiedet, was nicht zuletzt der Heidenmission geschuldet war. Mehrere Stellen im Neuen Testament unterstützen diese Abkehr : Mk 7,18–20,324 1Tim 4,4,325 Röm 14,17326 oder der Traum des Petrus, in dem Gott ihm befiehlt, kultisch unreine Tiere zu essen, denn »was Gott gereinigt hat, nenne du nicht verboten« (Apg 10,10–16). In Röm 14 oder 1Kor 8 wird jedoch deutlich, dass die Frage nach richtigen und verbotenen 324 »Seid auch ihr so unverständig? Begreift ihr nicht, dass alles, was von außen in den Menschen hineingeht, ihn nicht verunreinigen kann? Denn es geht nicht in sein Herz hinein, sondern in den Bauch, und es geht heraus in den Abort. Damit erklärte er alle Speisen für rein. Er sagte aber : Was aus dem Menschen herauskommt, das verunreinigt den Menschen.« 325 »Denn jedes Geschöpf Gottes ist gut und nichts verwerflich, wenn es mit Danksagung zu sich genommen wird.« 326 »Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken«.

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Speisen durchaus problematisch war, vor allem im Hinblick auf das sogenannte ›Götzenopferfleisch‹, also Fleisch, welches einer paganen Gottheit geopfert worden war. Daher mahnt Paulus seine Adressaten, in dieser Frage auf jene Rücksicht zu nehmen, die sich daran stoßen könnten:327 »Paulus kann durchgängig aus allen drei Briefen in der Beobachtung der Speisegebote bestenfalls ein Erfordernis brüderlicher Liebe (zu den Schwachen) sehen«, wehrt sich aber ansonsten »gegen jede prinzipielle Verpflichtung der Heidenchristen auf ein auch nur minimales rituelles Reinheitsprogramm«328. Dies blieb in der Folge der christliche Standard, und auch die evangelischen Kirchen entwickeln später keine Speisegebote.329 Für die Praxis des Vegetarismus im Besonderen gibt es in der Bibel zwar keine Aufforderungen, jedoch Textstellen, aus denen sich eine Bevorzugung einer fleischlosen Nahrung begründen lässt. Allen voran steht der Schöpfungsbericht selbst, in dem Gott erklärt: Siehe, ich habe euch alles Samen tragende Kraut gegeben, das auf der Fläche der ganzen Erde ist, und jeden Baum, an dem Samen tragende Baumfrucht ist: es soll euch zur Nahrung dienen; aber allen Tieren der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, in dem eine lebende Seele ist, habe ich alles grüne Kraut zur Speise gegeben. (Gen 1,29–30)

Erst in Gen 9,1 gestattet Gott nach der Sintflut Noah und der neuen Menschheit in einer Welt nach dem Sündenfall den Genuss von Fleisch. Aus diesem biblischen Sachverhalt leitete sich im 19. Jahrhundert in den USA das Konzept einer Edenic diet ab, das auf Fleisch sowie kulturelle Errungenschaften der nachparadiesischen Zeit (Alkohol, Gewürze etc.) verzichtete.330 In Röm 14 erwähnt Paulus die Praxis des ›Gemüseessens‹ im Unterschied zu jenen, die glauben, alles essen zu dürfen, mahnt jedoch zu gegenseitiger Toleranz. Wiederum steht hier jedoch die Frage des Götzenopferfleisches im Hintergrund und damit die Gefahr, 327 Vgl. Ebner, Martin: Art. Speisegebote III. Neues Testament, in: RGG4 7 (1998) 1552. 328 Heil, Christoph: Die Ablehnung der Speisegebote durch Paulus. Zur Frage nach der Stellung des Apostels zum Gesetz, Weinheim: Beltz 1994 (= Bonner Biblische Beiträge 96), 297– 298. 329 Vgl. Puza, Richard: Art. Speisegebote IV. Christentum, in: RGG4 7 (1998) 1553. 330 Vgl. Linzey, Andrew : Animal Theology, London: SCM 1994, 125–137. Ein Referenztext für die Höherwertigkeit einer fleischlosen Ernährung – im Hinblick auf körperliche Gesundheit – ist hierbei auch Dan 1,12–16: »Versuche es doch zehn Tage lang mit deinen Knechten, dass man uns Gemüse zu essen und Wasser zu trinken gebe! Und dann möge unser Aussehen und das Aussehen der jungen Männer, die die Tafelkost des Königs essen, von dir geprüft werden! Dann verfahre mit deinen Knechten je nachdem, was du sehen wirst! Und er hörte auf sie in dieser Sache und versuchte es zehn Tage mit ihnen. Und am Ende der zehn Tage zeigte sich ihr Aussehen schöner und wohlgenährter als das aller jungen Männer, die die Tafelkost des Königs aßen. Da nahm der Aufseher ihre Tafelkost und den Wein, den sie trinken sollten, weg und gab ihnen Gemüse.«

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als Christ einer paganen Gottheit geopfertes Fleisch zu essen. Zudem darf der asketische Einfluss sowohl der essenischen als auch der griechischen (pythagoreischen) Tradition sowie des Gnostizismus nicht unterschätzt werden, in denen der Verzicht auf Fleisch eine wichtige Rolle spielte.331 Daraus entstanden in der Spätantike Spekulationen über eine asketisch motivierte fleischlose Lebensweise etwa des Petrus und des Jakobus.332 In der Folge wurde Vegetarismus vor allem von häretischen, dualistischen Gruppen wie Manichäern, Bogomilen oder Katharern propagiert. Dies und die neutestamentliche Stelle 1Tim 4,1–3333 führten zu einer verbreiteten Assoziation von Vegetarismus mit Häresie und später im evangelikalen Bereich zu einer Assoziation mit ›unchristlichen‹ modernen esoterischen, alternativen oder indischen Lehren. Der Verzicht auf Fleisch erschien daher verdächtig. Im 19. Jahrhundert kam es jedoch zu einer Renaissance des christlichen Vegetarismus, was wiederum auf die Adventisten zurückwirkte. Noch vor dem Auftauchen der Idee der Edenic diet predigte der englische Pastor William Cowherd (1763–1816) in seiner Bible Christian Church den Vegetarismus als gottgewollte Ernährungsform. Eine Recherche im Internet zeigt schnell, dass der Zusammenhang von christlichem Lebensstil und Vegetarismus immer stärker diskutiert wird, wobei hier wiederholt auch auf frühchristliche Spuren hingewiesen wird, bis hin zur Behauptung, die frühen Christen wären Vegetarier gewesen. Dies ist ein Beispiel für die Sehnsucht nach einem unverfälschten, ursprünglichen Christentum, dessen Bild durch aktuelle Wertvorstellungen mitkonstruiert wird.334 Zum Maßstab für christlich-theologische Fragen wurde dabei der Anglikaner Andrew Linzey mit seinem 1994 erschienenen Werk Animal Theology.335 Zu unterscheiden sind jedenfalls die Motive: Biblisch und historisch kommt es zum Verzicht auf Fleisch aus Gründen der Abgrenzung zur paganen Umwelt (im Hinblick auf das ›Götzenopferfleisch‹) sowie zu Gunsten einer asketischen Lebenspraxis. Neuere christliche Ansätze weisen dagegen eher 331 Vgl. Spencer, Colin: The Heretic’s Feast. A History of Vegetarianism, Hanover : UPNE 1995, 33–68; 108–129; 130–148. Im apokryphen Ebionitenevangelium finden sich Vorbehalte von Jesus gegen den Verzehr von Fleisch am Sabbat (EvEb 6). 332 Ebd., 119–124. 333 »Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten manche vom Glauben abfallen werden, indem sie auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen achten, […] die verbieten, zu heiraten, und gebieten, sich von Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat zur Annahme mit Danksagung für die, welche glauben und die Wahrheit erkennen.« 334 Exemplarisch dazu vgl. die Christian Vegetarian Association (http://www.all-creatures.org/ cva/default.htm), die Website JesusVeg (http://www.jesusveg.com) oder die Überlegungen zum Christentum der Schweizerischen Vereinigung für Vegetarismus (http://www.vegeta rismus.ch/heft/2003-4/christentum.htm), alle abgerufen am 25. Juli 2015. Jedenfalls lässt sich feststellen, dass die Frage Christentum und Vegetarismus mit nicht geringer Vehemenz diskutiert wird, unter all den genannten Voraussetzungen und Verurteilungen. 335 Vgl. Linzey, Animal Theology.

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auf den Aspekt der Gesundheit, die Idee einer Edenic diet sowie das Missverhältnis von christlicher Schöpfungsverantwortung und moderner Massentierhaltung hin. Die Formierung der Adventgemeinde konnte bereits auf den veränderten historischen Voraussetzungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufbauen: Edenic diet, Vegetarismus und Abstinenzbewegungen gehen der Gründung der STA voraus und haben sie mitgeprägt. Joseph Bates hatte bereits 1821, lange bevor überhaupt die Milleriten-Bewegung aufkam, dem Alkohol für immer abgeschworen, was für ihn jedoch nur ein Ausgangspunkt dafür war, auch anderen Substanzen abzuschwören, die er als gesundheitsschädlich erkannte, neben Tabak und Tee auch Butter, Fett, Käse, Süßspeisen und schließlich auch Fleisch.336 Damit beeinflusste er Ellen White, die sich spätestens ab der Vision von Otsego (Michigan) 1863 stark für eine gesunde Ernährungsweise einsetzte. White band diesen Ernährungsdiskurs an die biblischen Texte zurück, sowohl an deren legislative (etwa die Speisegebote in Levitikus) als auch narrative337 Elemente. Ernährung, als Teil einer umfassenderen Auseinandersetzung mit der körperlichen und geistigen Gesundheit, rückte so in die Mitte der pastoralen Überlegungen Whites. Die Speisegebote des Alten Testaments wurden nunmehr als eine Art Gesundheitserziehung verstanden: »Es war hier keine willkürliche Unterscheidung, denn das Verbotene war ungesund. Die Tatsache zeigt, dass der Verzehr solcher Speisen dem Körper schadet und sie deshalb für unrein erklärt wurden.«338 Damit überwand White die historische Gebundenheit der alttestamentlichen Speisegebote, von denen sich die christliche Tradition schnell verabschiedet hatte: Wenn die Speisegebote Antworten auf Fragen der gesunden Ernährung sind, so ist ihre Bedeutung überzeitlich und natürlich und kann daher nicht kultisch oder historisierend begründet werden. Reinheit und Unreinheit der Speisen sind für White also prinzipielle Kriterien für deren Gesundheit und damit von bleibender Relevanz.339 Diese Gebote werden heute mit ernährungsphysiologischen Studien unterstützt, mit denen die besondere Schädlichkeit von Schweinefleisch und Schalentieren, welche im Alten Testament als unrein eingestuft werden, belegt werden soll, womit es zu einem In-

336 Vgl. Robinson, Health Message, 58–59. 337 Dazu zählen vor allem Gen 1 (die Ernährungsanweisung an den Menschen), Ex 16 (die Sehnsucht der Israeliten nach den – ungesunden – »Fleischtöpfen Ägyptens«) sowie Dan 1 (das bessere Aussehen der Knechte Babylons, als diese sich zehn Tage lang vegetarisch ernährten). 338 White, Der Weg zur Gesundheit, 215. 339 Für kurze Antworten auf die neutestamentlichen Passagen, mit denen die Speisegebote im Christentum als abrogiert eingestuft wurden, vgl. Was Adventisten glauben, 415–416, speziell die Fußnoten.

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einander von naturwissenschaftlicher und theologischer Begründungsstruktur kommt.340 Aus Überlegungen der Gesundheit ging White aber noch über die Einhaltung der Speisegebote hinaus. Die Argumentation der Edenic diet aufnehmend, definierte sie vegetarische Ernährung, genauer gesagt sogar vegane Ernährung, als »Gottes ursprünglichen Plan für die Ernährung des Menschen«341. Zwar ließ sich, mit Ausnahme des Verbots von Schweinefleisch, aus der Bibel kein unmittelbares Verbot von Fleisch insgesamt ableiten, die vegetarische Ernährung wird jedoch offiziell als ideale Lebensweise empfohlen: Die von Gott im Garten Eden angeordnete vegetarische Ernährung ist das Ideal. Doch manchmal können wir es nicht verwirklichen. Deshalb sollten alle, die sich einer optimalen Gesundheit erfreuen wollen, in jeder Situation und an jedem Ort die Nahrung zu sich nehmen, die sie als beste erhalten können.«342

Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist zudem Whites Verweis auf die Empfindsamkeit der Tiere. Die menschliche Grausamkeit gegenüber den Tieren in Haltung und Schlachtung wirke zurück auf das moralische Gefühl der Menschen. Damit werden zusätzlich zum Gesundheitsargument auch umwelt- und tierethische Argumente genannt, die heute, über hundert Jahre später, auch in der Gesamtgesellschaft eine große Aktualität haben. Darüber hinaus wird heute die industrielle Massentierhaltung als Widerspruch zum biblischen Auftrag der Schöpfungsbewahrung als Argument ins Treffen geführt, womit sich die traditionelle adventistische Lehre als anschlussfähig an moderne Diskurse über Tierund Umweltschutz sowie gesunde Ernährung und Vegetarismus erweist.343 Es war eine Revolution von unten, die White anstrebte und auch erreichte: Durch das Verfassen von Kochbüchern und der lebenspraktischen Broschüren der Reihe Health, or how to live zielte White auf das Kochverhalten der Ehefrauen und Mütter ab. Die Aufbruchsstimmung führte freilich auch zu Übertreibungen: Einzelne Adventisten vertraten eine extreme Abstinenz mit noch stärkeren Nahrungseinschränkungen und langen Fastenzeiten, durch die es sogar zu Todesfällen kam.344 Zwischen der langwierigen Umformung der althergebrachten Essensgewohnheiten und extremen Ausprägungen der Abstinenz musste mühevoll kampagnisiert werden. Mit der erfolgreichen Etablierung der Gesundheitsbotschaft und der spezifischen Ernährungsweise wurde aber schließlich ein christliches Alleinstellungsmerkmal etabliert, mit dem eine klare Zugehörigkeit 340 341 342 343

Vgl. Feichtinger, To Glorify God in Our Bodies, 92–94. White, Der Weg zur Gesundheit, 230. Was Adventisten glauben, 414. Vgl. Lobitz, Thomas: Gut essen und leben lassen. Lässt sich unser Fleischkonsum noch ethisch rechtfertigen?, in: Zeichen der Zeit 111 (2011) 4–6. 344 Vgl. Robinson, Health Message, 192.

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zur Gemeinschaft der STA und zugleich eine historische Kontinuität durch den steten Verweis auf White und ihre wegweisenden Schriften zur Ernährung geschaffen wurde. Der Bedeutung der richtigen Ernährung für das religiöse Zeugnis auch vor Gott wird dabei von White äußerste Wichtigkeit zugesprochen: Viele unserer vorgeblichen Christen heutzutage […] betrachten das Essen und Trinken von zu untergeordneter Bedeutung, um solch einen entschiedenen Standpunkt einzunehmen, durch den sie vielleicht gezwungen würden, alle irdischen Vorteile zu opfern. […] Sie werden erfahren, dass das, was ihnen unbedeutend erschien, von Gott anders beurteilt wurde.345

Whites Einsatz führte damit zu einer Reaktualisierung der biblischen Speisegebote und deren Erweiterung hin zu Vegetarismus und Gesundheit, Themen, die sich in den Jahrzehnten vor der Gründung der STA langsam etabliert hatten. Damit gelang es den STA, damals und heute moderne Fragen der Ernährung mit dem biblischen Zeugnis zu verbinden und eine neue, innovative Brücke zwischen Bibel und Lebenspraxis zu schlagen. Damit führte White auch ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen christlichen Denominationen ein, welches sich gerade in der alltäglichen Lebensweise bemerkbar macht. Die Überlegungen zur richtigen Ernährung nehmen dementsprechend bei den Befragten eine wichtige Rolle ein, wobei sich vor allem beim Fleischkonsum eine unterschiedliche Praxis zeigt. Während das Vermeiden von ›unreinem‹ Fleisch keine Diskussion darstellt und als Selbstverständlichkeit erachtet wird,346 wird der Zugang zur vegetarischen Ernährung unterschiedlich beschrieben. Zwar ist allen die offizielle Empfehlung der STA zur lakto-ovo-vegetarischen Lebensweise bekannt, die Hälfte der Befragten gab jedoch an, zwar Vegetarisches zu bevorzugen, jedoch hin und wieder auch Fleisch zu essen, wobei hier lediglich Einladungen oder Restaurantbesuche als Anlass genannt wurden. Diese Befragten können mit dem amerikanischen Begriff ›Flexitarian‹ bezeichnet werden, der einen Teilzeitvegetarier bezeichnet, der vor allem aus gesundheitlichen Gründen seinen Fleischkonsum stark einschränkt. Diese Definition ist umso angemessener, als diese Befragten vor allem gesundheitliche Gründe für die Einschränkung des Fleischkonsums nannten, zugleich aber auf das fehlende explizite Verbot von Fleischkonsum verwiesen. Ich für meinen Teil bin, sagen wir mal, Gelegenheitsfleischesser. Ich versuche aber, vegetarischer Nahrung schon den Vorrang zu geben, weil ich für mich persönlich schon erkenne, dass eine ausgewogene, vegetarische Ernährung einer fleischlichen Ernäh345 White, Das geheiligte Leben, 15. 346 »Ein Adventist kann Adventist sein, ohne dass er Vegetarier ist, aber er hält auf jeden Fall die Speisegesetze ein. Das heißt, kein Schwein und keine Meeresfrüchte und alles was sonst noch in 3. Mose 11 so steht.« (ADV3)

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rung gegenüber schon, sage ich mal, eindeutige Vorteile hat. Wenn die Möglichkeit besteht, esse ich schon auch gerne mal Fleisch, aber zum Beispiel in der Kantine, wenn ich die Chance hab, dann definitiv vegetarisch und nicht was mit Fleisch. Aber ich bin kein lupenreiner Vegetarier. Ich für mich bin schon so weit, dass ich sage, ich glaube, einer vegetarischen Ernährung ist sicher, der ist sicher der Vorzug zu geben, beziehungsweise der Vorrang einzuräumen. Ich kann jetzt für mich aber nicht aus der Bibel herauslesen, dass eine fleischliche Ernährung, jetzt mit Ausnahme der Dinge, wo Gott gesagt hat, du sollst das nicht essen, weil es für dich nicht gut ist, Punkt, aus und fertig, dass die Bibel da, sage ich mal, ein eindeutiges Ge- oder Verbot ausspricht. (ADV2) Wenn ich wo eingeladen bin, wo es Fleisch gibt, dann esse ich es natürlich, schmeckt mir auch teilweise. Beim Fleisch kann ich sagen, es ist gesund, kein Fleisch zu essen, obwohl das manchmal auch nicht ganz so einfach ist, aber dann stehst du blank da und studierst und merkst, eigentlich ist es vielleicht doch nicht so. Adventisten halten den Sabbat und essen kein Schweinefleisch, und dem schließe ich mich natürlich an, also ich esse schon Fleisch, aber ich esse kein unreines Fleisch, bei den Reinheitsgeboten, daran halt ich mich, ich verstehe aber nicht ganz, warum. (ADV6)

Beide Befragten versuchen hier eine sehr differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema, wobei sie sich auf die Bibel einerseits und den Aspekt der Gesundheit andererseits beziehen. Es wird nicht mit dem Ideal der Edenic diet argumentiert, sondern mit dem Fehlen eines expliziten biblischen Verbots von Fleischgenuss, sodass hier die individuelle Freiheit, Fleisch zu essen, unterstrichen wird. Gleichzeitig betonen beide das Verbot unreinen Fleisches, wobei hier das Schweinefleischverbot gerade im österreichischen Kontext, in dem überdurchschnittlich viel Schweinefleisch konsumiert wird, eine besondere symbolische Grenze des adventistischen Lebensstils darstellt. Die Bibel wird hier also weniger als absoluter Maßstab, wie beim Konzept der Edenic diet, sondern eher als Grenze eines gewissen Freiheitsraums gesehen. Eine Prävalenz des Vegetarismus wird mit Argumenten der Gesundheit bekräftigt. Bemerkenswert ist wiederum die Problematik bei ADV6, ein biblisches Gebot auch mit Sinngehalt zu füllen. Da der Verzicht auf Schweinefleisch jedoch in der Praxis unproblematisch ist, erscheint die Notwendigkeit einer Rationalisierung nicht dringlich, im Unterschied zur existenziell bedeutsamen Frage der Sexualität. Innerhalb des Freiraums dient der Wert der Gesundheit als Orientierungspunkt für die Ernährung, womit jedoch ein gemäßigter Fleischkonsum nicht ausgeschlossen ist. Die Edenic diet wiederum ist eigentlich eine vegane Form der Ernährung, die nicht nur gesundheitlich, sondern mit Verweis auf die Schöpfung auch biblisch begründet werden kann. Damit lassen sich drei verschiedene Ernährungsweisen innerhalb der Gemeinde unterscheiden: erstens (gemäßigter) Fleischkonsum, jedoch nicht von als unrein geltendem Fleisch, zweitens Vegetarismus und drittens eine vegane Ernährungsweise. Sie lassen sich unterschiedlich begründen, und implizit lassen sie sich auch aufsteigend hierarchi-

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sieren: Fleischkonsum als tolerierter, biblisch gestatteter Weg, Vegetarismus als empfohlener, im Hinblick auf die Gesundheit zu bevorzugender Weg, und Veganismus als gesundheitliches, ›paradiesisches‹, aber auch disziplinäres Ideal. Adventisten empfehlen den lakto-ovo-vegetarischen Lebensstil offiziell, das ist aber keine Verpflichtung, also um Adventist zu sein muss man nicht Lakto-Ovo-Vegetarier sein, ist also keine religiöse Verpflichtung, sondern entspricht der heutigen Einsicht über Gesundheit und vorteilhafte Ernährung, die für die allermeisten Menschen heute leicht möglich ist, das ist also keine religiöse Pflicht, sondern ist einfach eine Empfehlung. Wobei, es gibt genug Adventisten, die essen Fleisch, das ist genauso für uns okay, es gibt auch welche, die leben vegan, die essen also überhaupt keine tierischen Produkte. Der vegane Lebensstil ist wahrscheinlich für Gesundheit noch vorteilhafter, ist aber sehr viel schwieriger durchzuhalten. (ADV5)

Der vegetarische Lebensstil entspricht den Empfehlungen der kirchlichen Lehre und steht damit implizit über dem partiellen Fleischkonsum, der akzeptiert wird, aber eben die kirchliche Lehre nicht angemessen repräsentiert. Vegetarismus spielt damit eine wichtige Rolle auch in der Identifikation mit der Kirche und, früher noch weitaus bedeutsamer, in der Abgrenzung zu einer fleischessenden Gesellschaft. Mittlerweile wird Vegetarismus verstärkt medial thematisiert und als Lebensstil anerkannt, so dass im Hinblick auf die Gesellschaft Vegetarismus weniger zu einer Grenze als zu einem modernen Anknüpfungspunkt wird.347 Meine Eltern waren bei meiner Geburt nicht adventistisch, also ich bin katholisch getauft worden, als kleines Kind, als Baby. Als ich fünf war, wurden meine Eltern Adventisten, und ich kann mich jetzt noch daran erinnern. Der Wechsel, den ich mitbekommen hab, war, dass wir dann vegetarisch gegessen haben, und davor, da kann ich mich noch erinnern, haben wir Fleisch gegessen und dann halt nicht mehr. (ADV6) Meine Familie hat sich nicht sofort umgestellt, wie ist denn das gegangen, das weiß ich jetzt gar nicht mehr genau … ja, aber relativ bald. Ich kann mich erinnern, wir haben Hühner gehabt, jetzt weiß ich aber nicht mehr, wie lange, und die Hühner haben wir dann schon immer wieder noch geschlachtet, da erinnere ich mich, aber als Jugendliche habe ich dann schon begonnen, vegetarisch zu leben. (ADV8) Man wird nicht mehr ausgelacht und man fragt nicht mehr. Ja, es ist einfacher, Vegetarismus kommt immer mehr, vegan ist auch in, Stars sind vegan, es ist leichter geworden, muss ich sagen. Es wird leichter, früher war es nicht so leicht, man musste sich viel mehr behaupten und durchkämpfen und erklären. (ADV10)

Für ADV6 und ADV8 ist die Konversion ihrer Eltern zum Adventismus mit der Erinnerung an den prompten bzw. allmählichen Wechsel zur vegetarischen Ernährung verbunden. Der Wechsel der Konfession drückte sich, gerade für 347 Vgl. Lobitz, Gut essen und leben lassen, 4–6.

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Kinder spürbar, im alltäglichen Bereich besonders in der Umstellung der Ernährung aus. Damit markiert die Änderung der Ernährungsweise ganz stark eine gewisse Zugehörigkeit zur neuen Gemeinde, zugleich werden dadurch schon für Kinder bestimmte Grenzen zu ihrer Umgebung konkret erfahrbar, ohne dass hier gleich unmittelbar religiöse Fragen zur Disposition stehen: Ich bin seit Geburt Vegetarierin und unsere Kinder auch, und mein Mann auch. Früher, als ich in der Schule war, war es schwierig, so Vollkorn und vegetarisches Essen, sie haben mich so komisch angeschaut, denn Vollkornbrot haben nur die Diabetiker-Omis gegessen, und die kommt daher mit so einer Jause! Das war, ja, aber es war interessant, dass man gelernt hat, sich durchzusetzen. Zum Schluss haben alle mein Brot gegessen, weil ich habe ihnen erklärt, wie gut das ist, wie gesund es ist und keine Ahnung was, und wie energievoll. (ADV10)

Die vegetarische Ernährung wird, ähnlich wie der Sabbat, zu einem ›Trainingsort‹ für die eigene Selbstbehauptung schon im Kindheitsalter, und der Erfolg darin wirkt positiv auf die Identifikation zurück. Zugleich werden damit auch Grenzen innerhalb der Gemeinde gesetzt: Ein Verständnis von Vegetarismus als ›eigentliche‹ oder reifere Ernährungsweise schafft eine gewisse Kluft, die Ernährung auch zu einem Konfliktpotenzial innerhalb der Gemeinde macht. Beispielhaft dafür ist ADV3: Die meisten Adventisten, wenn sie ein Glaubenswachstum hinlegen, was ja auch nicht bei jedem der Fall ist, kommen dann irgendwann einmal zum Entschluss, dass es sich nicht ganz damit vereinbaren lässt, den Tod auf dem Teller zu haben. Für mich ist das ein wichtiger Aspekt des Vegetarisch-Seins bei Adventisten, ohne dass ich Ellen White habe, also ohne die Prophetin, die darüber sehr viel geschrieben hat. Wenn ich nur die Bibel betrachte und sage, ich komm aus dem Garten Eden, wo Gott den Menschen in sechs Tagen geschaffen hat und am siebenten Tag geruht hat, dann war das alles sehr gut, nachdem er geschaffen hatte: Es gab keinen Tod, kein Leid, es gab keine Krankheit, es gab keinen Schmerz, das war alles perfekt, sündlos. Das heißt, wenn man in erster Mose nachliest, was die Menschen dort zu essen bekommen haben, waren das die Kräuter und die Samen, und das war es eigentlich so im Großen und Ganzen. Dann kam der Sündenfall, dann kam die ganze Misere in der wir jetzt Leben, und wenn ich in die Zukunft blicke, von meinem jetzigen Leben, das ist Status quo, Plan B, sozusagen, Plan A war Paradies für ewig und immer. Ich lebe jetzt, wir leben jetzt im Plan B, und dann blicken wir in die Zukunft, wo Jesus am Kreuz eigentlich Satan besiegt hat und die Sünde besiegt, das Böse wird reif mit dem Guten zusammen, Jesus kommt wieder und nimmt mich mit in den Himmel, dort werde ich auch nicht mehr sündigen, dort werde ich keine Sünde haben, kein Leid, keinen Tod, dort werde ich mich höchstwahrscheinlich, wenn ich mich ernähre, wieder vom Baum des Lebens ernähren und von allem anderen, was ich eigentlich in Eden auch hatte. Wieso, um alles in der Welt, soll ich dann jetzt den Tod auf meinem Teller haben? Es ist für mich nicht logisch, wenn ich von dort komme und mich mit allem, was ich bin dorthin entwickeln will zum Sündenlosen, und von Gott jeden Tag die Schöpferkraft in Anspruch nehme, um Körper, Seele und Geist möglichst den Folgen der Sünde etwas zu entreißen, wieso soll ich dann

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dazwischen Tiere umbringen um sie zu essen? Meine Großmutter war eine eingefleischte Fleischesserin, aber wie sie gemerkt hat, dass ihre Arthrose verschwindet, und dass sie keine Schmerzen mehr hat an den Gelenken und wie gut ihr das tut, und dass sie abgenommen hat, plötzlich war dann die Einsicht da, auch mit achtzig Jahren. Und der halbe Pensionistenklub hat dann in Folge dessen vegetarisch gegessen, also das pflanzt sich oft fort wie ein Lauffeuer, weil die Leute einfach merken, dass es guttut. (ADV3)

In diesem längeren Zitat sind mehrere Aspekte interessant. Fleischkonsum wird mit den Phrasen »Tod auf dem Teller« und »Tiere umbringen« sehr negativ umschrieben, und Vegetarismus erscheint als Resultat eines Wachstums im Glauben, der jedoch »nicht bei jedem der Fall ist«. Fleisch zu essen ist damit als weniger entwickelte, unreife Ernährungsweise definiert, geradezu als Zeichen eines mangelnden Glaubensfortschritts. Hier liegt also zunächst ein spirituelles Argument für Vegetarismus vor, eine Gleichsetzung von Vegetarismus mit entwickeltem Glauben. Zweitens verweist ADV3 ausdrücklich auf den Schöpfungsbericht und damit auf das Konzept der Edenic diet, Vegetarismus, eigentlich Veganismus, als ursprüngliche, dem Menschen gemäße Ernährungsform, also ein biblisches Argument. Darüber hinaus taucht hier ein, nur von ADV3 vorgebrachtes, eschatologisches Argument auf: Der Mensch ist auf das Paradies ausgerichtet, und das zukünftige Paradies wiederum durch die einstige Sündlosigkeit Edens normiert. Damit ist die vegane Ernährung ein Vorgriff auf die eigentliche Bestimmung des dann endgültig erlösten Menschen, geradezu präsente Eschatologie. Das Beispiel mit der Großmutter bringt schließlich viertens das verbreitete Gesundheitsargument. Fleischkonsum wird hier nicht einfach nur dem Gesundheitsbereich zugeordnet, sondern wird eingebettet in eine umfassende Sichtweise auf Glaube und Menschsein. Damit wird vegetarische Ernährung zu einem elementaren Bestandteil des Selbstverständnisses nicht nur als Adventist, sondern als Gläubiger überhaupt. Zugleich wird damit eine Grenzziehung zu Fleischessern innerhalb der Gemeinde vorgenommen, da Fleischkonsum als völlig irrational und auch unbiblisch zurückgewiesen wird. Interessant ist kontrastierend dazu ADV9 zu lesen, der sich auf dieselben biblischen Grundlagen bezieht, aber daraus andere Schlüsse zieht: Die ursprüngliche Nahrung, die dem Menschen gegeben ist, waren Früchte, Nüsse, Getreide, dann kamen auch Gemüse, Hülsenfrüchte. Und nach der Sintflut wird von Gott akzeptiert, also es wird dem Menschen erlaubt, vom Fleisch Gebrauch zu machen. Und dann haben wir die Unterscheidung zwischen rein und unrein, also reines und unreines Fleisch, so. Fleisch kommt durchaus als Lebensmittel in der Bibel vor. Vielleicht vereinzelt bei uns Adventisten oder bei den Reform-Adventisten wirst du auch den Gedanken finden, dass das Tabu für uns sein sollte. Es ist nicht das Lebensmittel der ersten Wahl, aber durchaus ein Lebensmittel. (ADV9)

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Hier werden Pflanzen ebenso als ursprüngliche Nahrung des Menschen definiert, der Konsum von Fleisch erscheint dann jedoch als etwas, was dem Menschen gestattet wird und was auch eine Rolle in der biblischen Tradition spielt. Die Verortung im Paradiesesgarten wird als Vergangenheit betrachtet, nicht als Maßstab für die Gegenwart oder als eschatologische Vision. Eine strikte Ablehnung von Fleisch, wie etwa jene von ADV3, wird als Einzelmeinung bzw. als zum Reform-Adventismus (der als strenger gilt) gehörend verstanden. Fleisch erscheint hier als selbstverständliches, ausdrücklich biblisch gestattetes Lebensmittel, wenn auch nur begleitend zu einer primär pflanzlichen Ernährung. Bei Diskussionen innerhalb der Gemeinde wurde das Thema Ernährung, speziell der Fleischkonsum, immer wieder relevant und durchaus leidenschaftlich aufs Tapet gebracht. Es verwundert daher nicht, dass die Ernährungsweise ein Konfliktpotenzial innerhalb der Gemeinde darstellt und Grenzziehungen nicht nur nach außen, sondern auch zwischen den Gemeindemitgliedern ermöglicht. Neben dem Fleischkonsum geschieht dies vor allem durch eine Verengung der Gesundheitsbotschaft allein auf Ernährungsfragen, welche freilich auch den Fleischkonsum miteinschließen. Während der Pastor betonte, »dass diese Dinge nicht dazu führen, was sie auch nicht tun, dass wir jetzt zwischen unterschiedlichen Qualitätsmerkmalen von Christen da unterscheiden«, haben mehrere Befragte auf gerade diese Problematik hingewiesen, und auch bei ADV3 kam eine solche Haltung schon zum Ausdruck (s. o.): Das birgt klarerweise für manche ein gewisses Spannungsfeld und hat auch in der Kirche schon auch zu Schieflagen geführt, immer wieder mal in Gemeinden vor Ort. Aber die Gemeinde besteht ja aus Individuen, und es ist immer davon abhängig, was das Individuum aus der Situation macht. Wenn ich jetzt für mich einen Teil so überbetone und sage, das ist jetzt eigentlich der Dreh- und Angelpunkt meines christlichen Verständnisses oder meines biblischen Verständnisses, dann kommt die ganze Platte meines Glaubens aus dem Gleichgewicht, oder? Dann wird etwas überbetont, und der Rest leidet. Und so sehe ich es auch mit der Ernährung. Ich glaube es gibt eindeutige, da wird auch sehr oft mit Ellen White argumentiert, klare Empfehlungen für Gesundheit, wo man sagt, das ist es, Punkt, aus, fertig. Und wenn das jetzt, sag ich mal, mit der Brechstange umzusetzen versucht wird und jedem aufs Auge gedrückt wird, da geht dann irgendwie der persönliche Reifeprozess verloren. (ADV2) Es gibt auch Leute in der Gemeinde, teilweise sind sie auch schon weg und haben sich selbst gruppiert, die einfach sagen, solange in der Gemeinde noch irgendwie Fleisch gegessen wird, dann kann es nicht die richtige Gemeinde für mich sein. Und das ist so extrem und so rigoros, wo ich sage, das ist nicht der Glaube oder die Beziehung oder das, was mich selig macht, wenn ich mich in das so vertiefe. Weil dann gehen alle Gespräche, die du führst, nur mehr über Ernährung und nur mehr über Essen und was du darfst und was du sollst und was nicht, das ist es nicht. Es gibt so Leute, wenn du zu denen hinkommst, du weißt, es geht nur ums Essen, die reden nur über das, da gibt es kein anderes Thema, und ihr ganzes Ansinnen ist es, das Richtige zu essen, das Richtige

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zu kochen, das Richtige anzubauen und so. Und da weiß ich nicht, ob das dann im Sinne des Erfinders ist. Obwohl, wenn ich bei solchen Leuten bin ist mir das immer Motivation, dass ich sage, ich sollte wieder in bisschen mehr oder so, also ich nehme da für mich schon was mit, aber ich glaube, wenn es nur mehr das ist, ist es auch nicht mehr der Weg. (ADV11) Manche, wie es vielleicht in der Adventgemeinde schon öfters vorkommt, die haben doch dieses Werksdenken drinnen: Ich muss jetzt gesund leben und ich muss jetzt das essen und ich darf das nicht essen, eigentlich möchte ich das, aber ich darf es halt nicht essen, und so. Das macht ja auch krank, da habe ich schon oft gesagt, iss es doch, iss guten Gewissens, es tut dem Körper viel besser als so. (ADV4)

Aussagen wie diese zeigen, welchen Einfluss religiös gestützte Normen des Lebensvollzugs haben können, die auf den Körper abzielen: Die Sorge um die richtige Ernährung, als Teil des adventistischen Selbstverständnisses, nimmt bei einigen Formen an, die von anderen als Übertreibungen wahrgenommen werden. Die Einhaltung von Grenzen der Gemeinschaft erzeugt durch unterschiedliche Auslegungen der Marker neue Grenzziehungen innerhalb der Gemeinde, die noch dazu mit einer hierarchisierenden Wertung verbunden werden. Die Freiheit des Glaubens und der Gnade, die in protestantischer Tradition auch von Adventisten besonders betont wird, schlägt hier um in Verhaltensweisen, die von ADV4 als »Werksdenken« verstanden werden. Die Pflege des Körpers wird zum Mittelpunkt der religiösen Praxis, und zusätzlich wird diese Lebensform als höherwertig begriffen. Ellen White wird dabei als Gewährsfrau für diese starke Orientierung am richtigen Essen herangezogen, womit eine ›authentischere‹ adventistische Lebensform als jene des adventistischen Mainstreams konstruiert wird. Jene Personen, bei denen »alle Gespräche, die du führst, nur mehr über Ernährung und nur mehr über Essen und was du darfst und was du sollst und was nicht« handeln, nehmen nach ADV4 für sich in Anspruch, eine richtigere Form des Adventismus durch ihre Lebenspraxis zu realisieren und legitimieren diesen Anspruch durch ihre Nähe zum Denken Whites. Hier zeigt sich die Problematik der Rolle Whites im adventistischen Denken. Sie stellt zwar kein Glaubensgut dar, verfügt aber doch über ein äußerst hohes Maß an Legitimität, welche, wie an diesem Beispiel erkennbar, als Letztbegründung herangezogen werden kann, um Diskurse autoritativ zu beenden.

4.3.7 Fasten Die Praxis des Fastens bildet eine Schnittstelle zwischen verhaltensregulierenden und interventionistischen religiösen Praktiken. Die Einschränkung oder Entsagung von Nahrungszufuhr greift an einem fundamentalen Punkt auf den Körper zu und macht ihn zum Ziel eines streng reglementierten Umgangs.

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Zugleich ist das Fasten in vielen Fällen auf eine spirituelle Erfahrung und das persönliche Gebet rückbezogen, so dass die Regulierung des Essverhaltens eine interventionistische Bezugnahme auf das Göttliche vorbereitet oder begleitet. Da sich die freikirchliche Tradition auf das biblische Zeugnis bezieht, soll zunächst ein Überblick über die Aussagen der Schrift gegeben werden. Das Alte Testament beschreibt die Praxis des Fastens an vielen Stellen als individuellen oder kollektiven Akt, der eine Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis darstellt. Der Erhalt schlechter Neuigkeiten, (Neh 1,4; 2Sam 1,12.; 2Sam 12,16; Ps 35,13), Zeiten der Trauer (1Sam 31,13; 2Sam 3,35), drohende Gefahr für den Einzelnen (Est 4,16, Dan 6,18) oder das Volk (Ri 20,26; 2Chr 20,3; Joel 1,14; 2,12–15) sowie unheilvolle Prophetensprüche (Jer 36,9; Jona 3,5–10) werden mit Fasten beantwortet. Auch öffentliches Schuldbekenntnis oder persönliche Reue erscheinen als Anlässe, die zur Fastenpraxis aufrufen (Neh 9,1–2; 1Sam 7,6, 1Kön 21,27–29, Esra 10,6). Zugleich richtet sich dieses Fasten aber an Gott, ist praktische Intervention, Antwort, Hilfeschrei, nicht bloße Reaktion auf ein Ereignis. Die Bestimmung über Zeitpunkt, Grund und Ausmaß des Fastens obliegt dabei dem oder den Fastenden selbst. Neben dieser anlassbezogenen Fastenpraxis werden in geringerem Maße auch bestimmte Tage als verbindliche Fasttage definiert: Neben dem Versöhnungstag in Lev 16,29 beschreibt das Buch Sacharja regelmäßige Fasttage am vierten, fünften, siebten und zehnten Tag des Monats (Sach 8,19). Es ist davon auszugehen, dass in der Zeit des zweiten Tempels jedenfalls verschiedene Fasttage im Judentum ausgebildet hatten, vor allem bei den Pharisäern.348 Zugleich wird im Buch Jesaja jedoch auch Kritik an der Fastenpraxis geübt: Warum fasten wir, und du siehst es nicht, demütigen wir uns, und du merkst es nicht? – Siehe, am Tag eures Fastens geht ihr euren Geschäften nach und drängt alle eure Arbeiter. Siehe, zu Streit und Zank fastet ihr, und um mit gottloser Faust zu schlagen. Zurzeit fastet ihr nicht so, dass ihr eure Stimme in der Höhe zu Gehör brächtet. Ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe, etwa wie dies: Ein Tag, an dem der Mensch sich demütigt? Seinen Kopf zu beugen wie eine Binse und sich in Sacktuch und Asche zu betten? Nennst du das ein Fasten und einen dem Herrn wohlgefälligen Tag? Ist nicht vielmehr das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Ungerechte Fesseln zu lösen, die Knoten des Joches zu öffnen, gewalttätig Behandelte als Freie zu entlassen und dass ihr jedes Joch zerbrecht. (Jes 58,1–2)

Auch im Neuen Testament erscheint das Fasten als Teil der Frömmigkeitspraxis (Mt 6,16; Apg 13,2) jedoch mit Einschränkungen: Es gibt keine unmittelbare Aufforderung Jesu an seine Jünger, zu fasten, und Mk 2,18 drückt die Verwunderung eines Anhängers Johannes des Täufers aus, der auf das Fehlen einer Fastenpraxis in der Jüngerschaft Jesu hinweist: »Warum fasten die Jünger des 348 Vgl. Mantel, Hugo: Art. Fasten/Fasttage II. Judentum, in: TRE 11 (1983) 45.

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Johannes und die Jünger der Pharisäer, deine Jünger aber fasten nicht?« In seiner Antwort verschiebt Jesus das Fasten in die Zeit nach seinem Tod, denn »solange sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten«. Hier ist das Fasten wiederum auf eine Notsituation oder einen Moment der Trauer rückbezogen. Bis zum Mittelalter bildet sich aber in der westlichen Kirchentradition eine umfassende Fastenpraxis aus. Burchard von Worms (965–1025) verfasste ein Kompendium von Fastenregeln, die um 1140 Eingang in das einflussreiche Decretum Gratiani fand, das einen Meilenstein in der Ausprägung des Kanonischen Rechts darstellte. Papst Innozenz III. (1160–1216) förderte die vierzig Tage vor Ostern als wichtigste Zeit des Fastens, und Thomas von Aquin (1225– 1274) legte in seiner Summa theologica wichtige Kriterien für das christliche Fasten fest: Es muss ›in Erkenntnis‹ und nicht zum eigenen, sondern zum Ruhme Gottes geübt werden, es dient der Buße und bedeutet Verzicht auf Fleisch, nicht jedoch auf Wein oder Fisch.349 Das biblische Zeugnis einerseits und eine zunehmende Reglementierung des Fastens durch die römische Kirche andererseits forderte schließlich dessen Kritik durch die Reformatoren heraus, deren Grundargumentation noch heute im Freikirchentum nachwirkt. Das biblische Zeugnis bestätigte zwar die Praxis als Bestandteil einer christlichen Frömmigkeit, die kirchliche Gesetzgebung jedoch, welche Tage, Zeiten, Speisen oder Dispense festlegte, wurde als Widerspruch zum biblischen Text sowie als Werkgerechtigkeit verworfen. Die Gegenüberstellung der nicht-fastenden Jünger Jesu mit den fastenden Pharisäern in Mk 2,18 wurde exemplarisch als Unterscheidung zwischen einer legitimen, individuell-anlassbezogenen, und einer kirchlich-legalistischen Fastenpraxis ausgelegt.350 Die Zürcher Reformation entzündete sich 1522 gerade an der Fastenfrage: Huldrych Zwingli verfasste seine erste reformatorische Schrift Von Erkiesen und Fryheit der Spysen gegen die Fastengebote der römischen Kirche. Den Anlass dafür gab der Buchdrucker Christoph Froschauer mit dem berühmten ›Wurstessen‹ in dessen Haus, bei dem einige Bürger der Stadt bewusst in der vorösterlichen Zeit gegen die kirchlichen Fastenregeln verstoßen hatten. Nach Zwinglis Gutachten hatten die Beteiligten nur gegen ein menschliches Gebot verstoßen, welches sich nicht in der Bibel finden lasse. Dies war der Ausgangspunkt für Zwinglis weiteres reformatorisches Engagement.351 Johannes Calvin hingegen hielt das Fasten als Bestandteil seiner Kirchenzucht in hohen

349 Vgl. Hall, Stuart/Crehan, Joseph: Art. Fasten/Fasttage III. Biblisch und kirchenhistorisch, in: TRE 11 (1983) 48–59, 55. 350 Ebd., 55–56. 351 Vgl. Locher, Gottfried: Die Zwinglische Reformation im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1978, 95–98.

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Ehren, als Element der Selbstdisziplinierung, der Demut des Menschen vor Gott sowie als Vorbereitung auf das Gebet.352 Im Wesentlichen sind damit die Grundlagen für eine reformatorische Fastenpraxis gegeben. Das biblische Zeugnis lässt deren Verwerfung zwar nicht zu, sehr wohl jedoch wurden auf dessen Basis allgemeine Fastenzeiten- und regeln zurückgewiesen. Das Moment der Werkgerechtigkeit lag jedoch weiter wie ein Schatten über jeder Fastenpraxis, sodass Grund und Ziel jedes Fastens hinterfragt werden mussten. Da das Fasten von der katholischen Kirche weiter hochgehalten wurde, diente Kritik daran zudem als symbolische Grenzziehung der reformatorischen Kirchen zum Katholizismus. Durch die baptistische Prägung der ersten Adventisten war Fasten für diese kein entscheidendes Thema. Die frühen baptistischen Gemeinden praktizierten das Fasten als Teil ihres spirituellen Lebens, jedoch nicht nach vorgeschriebenen Zeiten, sondern als individuelle Praxis.353 Im Laufe der Geschichte trat die Bedeutung des Fastens im Baptismus immer mehr zurück, die Freiheit des Individuums fungierte als bedeutsame symbolische Grenzziehung zum katholischen Legalismus: »Baptists have often resisted fasting because of their reading of Jesus’ critique of hypocritical fasting (Mt 6,16, though ignoring v. 17). More importantly, perhaps, Baptists have avoided fasting due to its association with Catholicism«354. Durch diesen Einfluss wurden das vierzigtägige Fasten vor Ostern sowie diesbezügliche Vorschriften auch im Adventismus als nicht in der Bibel verbürgt zurückgewiesen, aber die individuelle Fastenpraxis aufrechterhalten, wobei Praxis und Ausmaß dem einzelnen Gläubigen überlassen wurden. Die Praxis des Fastens war freilich in der Bibel repräsentiert (aber nicht im Sinne reglementierter Zeiten) und wurde von White und Bates wiederum mit Anliegen der Gesundheit verknüpft, was eine modernere gesellschaftliche Entwicklung von Fasten als Beitrag zur körperlichen Gesundheit vorwegnimmt. Whites Aussagen zum Fasten finden sich in der Sammlung Counsels on Diet and Foods, in der sie auf die biblischen Grundlagen des Fastens verweist (speziell auf das 40-tägige Fasten Jesu in der Wüste) und auf eine schon vorhandene Fastenpraxis in der frühen Adventgemeinde reagiert. Für White dient Fasten der Vorbereitung auf das Bibelstudium und auf das Gebet um besonders dringliche 352 Vgl. Becker, Judith: Reformierter ›Gemeindeaufbau‹ in Westeuropa. Zur Verbreitung calvinistischer Ekklesiologie, in: Dingel, Irene/Selderhuis, Herman (Hg.): Calvin und Calvinismus. Europäische Perspektiven, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 263– 280, 268. 353 Goadby, Joseph: Bye-Paths in Baptist History. A Collection of Interesting, Instructive, and Curious Information, Not Generally Known, Concerning the Baptist Denomination, London: Elliot Stock 1871, 287. 354 Weaver, Doug: »Baptists and Fasting: An Oxymoron?«, in: http://www.ethicsdailycom/ baptists-and-fasting-an-oxymoron-cms-172 (abgerufen am 21. Juli 2015).

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Anliegen sowie der Unterstützung der Gemeindeleitung, wenn diese vor schweren Entscheidungen steht.355 White stellt dann Regeln für ein ›wahres Fasten‹ auf, welches nicht vom Überthema der Gesundheit getrennt werden kann. Sie legt zunächst fest, dass jedes Gemeindeglied einzelne Tage für Fasten und Gebet reservieren soll, wobei hier wiederum der Einzelne Zeitpunkt und Ausmaß des Fastens selbst festlegen kann, wie es für die freikirchliche Tradition üblich ist. Die völlige Abstinenz von Nahrung wird hier nicht gefordert, vielmehr eine Reduktion auf eine Mahlzeit pro Tag und auf einfache Speisen. Aus gesundheitlichen Gründen kann ein solcher Tag einmal pro Woche erfolgen um einen überstrapazierten Verdauungsapparat zu entlasten. Ebenso wird auch Kranken eine bestimmte Fastenpraxis empfohlen, die jedoch nur unter Aufsicht eines Arztes (!) durchgeführt werden soll. Auch von Gesunden soll Fasten nur in einem Ausmaß betrieben werden, dass die Gesundheit darunter nicht leidet.356 Auch die Fastenpraxis steht innerhalb der adventistischen Tradition in einem engen Zusammenhang mit dem Themenfeld Gesundheit und Medizin, dem Beruf des Arztes wird eine Rolle innerhalb der religiösen Praxis zugebilligt. Auf Grund des Vorhandenseins einer permanenten Askese durch die Ernährungspraxis hat das Fasten jedoch nicht die Bedeutung, die es bei anderen, von jeglichen Ernährungsempfehlungen freien, Denominationen einnimmt. Immer wieder gibt es aber einen sogenannten ›Fastensabbat‹, der regional, aber manchmal auch global ausgerufen werden kann und bei besonderen Problemen oder Vorhaben als Unterstützung des Gebets dient. Hier wird die Fastenpraxis zu einer gemeinschaftlichen Handlung, die sich im Zusammenkommen im Gottesdienst ausdrückt, was freilich nicht unproblematisch ist, da der Sabbat in der Bibel gerade kein Fasttag ist: »Sabbath is to be a day of great joy. Maybe when the church suggests a day of fasting, it should be some other day.«357 Hier gibt es letztlich eine Spannung zwischen dem Aspekt der gemeinschaftlichen Feier und dem des gemeinschaftlichen Verzichtens, da sich die sichtbare Fastengemeinschaft nur in der Feier des Gottesdienstes konstituieren kann, damit aber den Feiercharakter mit dem Verzichtcharakter schwer verbinden kann. Ellen White hat im Prinzip zwei Grundformen des Fastens unterschieden und diese wiederum in eine individuelle und kollektive Praxis unterteilt: erstens das Fasten als spiritueller, auf ein dringendes Gebetsanliegen oder das Bibelstudium hinführender Akt, und zweitens das Fasten als Beitrag zu einem gesunden Lebensstil. Damit findet sich die vermeintlich moderne Transformation des Fastens von Spiritualität hin zur Gesundheit schon bei White, jedoch in einer 355 Vgl. White, Ellen: Counsels on Diet and Foods, in: https://text.egwwritings.org/publica tiontoc.php?bookCode=CD& lang=en, 187–188. 356 Vgl. ebd., 188–191. 357 Johnston, Madeline: »Fasting with balance«, in: https://www.ministrymagazine.org/ar chive/1995/01/fasting -with-balance (abgerufen am 17. April 2016).

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aufeinander bezogenen Koexistenz, sofern Gesundheit ein wesentlicher Teil der adventistischen Spiritualität ist. Fasttage oder Fastenzeiten können vom Einzelnen in beiden Grundformen frei festgesetzt werden, aber auch gemeinsame Fastenaktionen einer Gemeinde oder Fastensabbate sind möglich. Nicht bekannt ist hingegen eine kalendarisch definierte Vorgabe von bestimmten Fasttagen oder Fastenzeiten. Hervorgehoben wird von den Befragten in erster Linie der gesundheitliche Aspekt des Fastens: Wir machen zum Beispiel in der Nachbargemeinde jedes Jahr eine Fastenwoche, eine öffentliche, die hat mit religiösen Dingen sehr wenig zu tun, an anderen Orten machen wir Entschlackungswochen, das hat mit Gesundheit zu tun. Wir unterscheiden diese Dinge schon, es gibt natürlich auch das religiöse Fasten, das seine Bedeutung auch hat, aber das Fasten wäre für den Körper sehr gut, mit oder ohne religiöse Bedeutung. Gerade für die Entschlackung wäre das Fasten für den Körper sehr gut. (ADV5) Als ich dann verheiratet war, habe ich probiert, drei Tage zu fasten, es gab da so ein Fastenseminar. Ich habe Angst gehabt, dass ich die Welt erschlage. Also kreislaufmäßig sinke ich ab, und mir geht’s schlecht und ich weiß nicht, ich bin noch nicht so weit, glaube ich. Es ist schwierig. Mein Vater, er hat schon vierzig Tage gefastet und auch Heilfasten gemacht, meine Mutter fastet jedes Jahr zwei Mal je zwanzig Tage, wirklich nur Wasser zum Teil, ich kann das nicht, noch nicht, ich kann das nicht. Wenn ich es könnte, würde ich nicht so ausschauen, glaube ich. (ADV10) Ich habe einmal so ein Fastenseminar mitgemacht in der Gemeinde, das war aber eher Entschlackung als so geistliches Fasten, das habe ich mitgemacht um abzunehmen. Mir ist recht schlecht dabei geworden, das war so ein Saftfasten mit Gemüsesäften und Gemüsebrühe und so Sachen. Ich habe das zu früh gemacht und mir war’s dann sehr kalt und dann noch kälter, und dann habe ich für die Familie gekocht und selber gefastet, das war irgendwie, äh. Und dann beim ersten Mal Essen habe ich so eine Migräneattacke gehabt, also das hat mir nicht so getaugt. Jetzt, wo ich viel abgenommen habe, habe ich immer wieder Tage gefastet, wo ich gesagt hab, da habe ich jetzt kein Problem damit. Aber so geistlich fasten, dass du unter Anleitung geistlich fastest, das habe ich noch nicht gemacht. (ADV11)

In allen drei Statements kommt klar heraus, dass mit Fasten zunächst der gesundheitliche Aspekt der Entschlackung assoziiert wird. Das religiöse oder geistliche Fasten wird zwar erwähnt, die Fastenpraxis fügt sich zunächst aber einfach in das umfassende adventistische Konzept der gesunden Ernährung ein, ADV10 und ADV11 setzen Fastenaktionen direkt mit Gewichtsabnahme in Beziehung. Fastenseminare gehören zur Praxis der Gemeinde dazu und bieten ein regelmäßiges Angebot für Entschlackung, auch hier also ein Fasten, das primär auf die Gesundheit bezogen ist. Durch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hat sich eine bemerkenswerte Annäherung zwischen dieser Form christlicher Körperpraxis und einer neuen Bedeutung von Ernährung, Fasten

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und Schlankheit ergeben. Von einer Abgrenzung von der ungesunden Lebensweise des Mainstreams hat sich das adventistische Fasten zu einem bedeutsamen Annäherungspunkt an die Gesellschaft entwickelt, und das Anbieten von Ernährungs- oder Fastenseminaren stellt eine neue Verbindung zwischen den adventistischen Gemeinden und einem außen her, die jedoch nicht durch traditionelle christliche Symbolik oder Sprache bestimmt wird. Die Gesundheitsbotschaft ermöglicht es dem Adventismus zwar, mit der Moderne ins Gespräch zu kommen, dieses Gespräch bleibt jedoch entkoppelt von Glaubensinhalten. In Fragen der Gesundheit und Ernährung können die STA so einen Dienst an der Gesellschaft leisten, die Glaubensaspekte schließen an ein omnipräsentes gesellschaftliches Thema an, wenngleich religiöse Symbolik nicht unmittelbar sichtbar wird. Ein mit einem vorgeschriebenen Termin verbundenes geistliches Fasten begegnet hauptsächlich bei den Fastensabbaten, die weltweit oder in einzelnen Gemeinden durchgeführt werden und den Sabbat zu einem kollektiven Fasttag machen. Hier gibt es also Formen eines vorgegebenen, kollektiven Fastens mit spirituellem Hintergrund. Die Erfahrungen damit werden in den Interviews sehr unterschiedlich beschrieben: Das ist in der Kindheit schiefgelaufen. [lacht] Es gibt ja bei uns jedes Jahr so einen Fastensabbat in der Gebetswoche, und meine Eltern haben halt gedacht, das wäre für uns Kinder auch gut und es war aber eine Qual [lacht]. Man versteht es ja nicht als Kind und ich habe mir den ganzen Tag den Abend herbeigesehnt, und deswegen habe ich das eben bis jetzt nicht mehr wirklich gemacht, einmal ja, aber nur, wann ich wollte. Also an und für sich finde ich das keine schlechte Sache, aber nicht mit einem gewissen Termin oder so. (ADV7) Es gibt ja am Anfang der Gebetswochen immer einen Fastensabbat. Ich tu mir so schwer mit Fasten, ich weiß nicht warum, noch immer. Als Kind, auch als ich schon ein bisschen in der Pubertät war, habe ich es ein bisschen ausgehalten, am Sabbat nicht zu essen, wenn so ein Fastensabbat war, aber dann später gar nicht mehr. (ADV10)

In beiden Fällen wird das Scheitern an der Fastenaufgabe beschrieben, wobei im ersten Fall noch hinzukommt, dass ADV7 als Kind auch den spirituellen Hintergrund des Fastens nicht verstehen konnte. Der Fasttag erscheint so als unnötige Qual, und wenn er nicht frei gewählt ist, fehlen die Sinndimension und der körperliche Benefit. Demgegenüber betont ADV11 die Bedeutung der gemeinsamen Handlung der Gemeinde am Fastensabbat und füllt so das kollektive Fasten mit einem individuellen Sinn: Bei der Gebetswoche ist oft der erste Sabbat Fastensabbat und der zweite Sabbat der Festsabbat, wo es dann ein gemeinsames Essen gibt. Ich finde, wenn du das so als Gemeinde machst und irgendwelche Gebetsanliegen hast und so, das finde ich nicht so schlecht, wo du die Solidarität innerhalb der Gemeinde, die Identität oder so, ein

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bisschen stärkst, das finde ich schon gut, und wo du sagst, du zeigst, dass dir wirklich etwas ein Anliegen ist und setzt dafür was, eben, dass du einen Tag nicht isst oder so, das finde ich schon ganz gut. Da mache ich eigentlich auch mit, wobei ich gesagt habe, die Kinder machen da nicht mit. (ADV11)

ADV11 streicht hier die Bedeutung des Fastens auch als kollektive Handlung heraus, die für sie eine wichtige Sinndimension des Fastensabbats darstellt. Die individuelle Körpererfahrung wird hier geteilt und zu einem Solidarität und Zugehörigkeit stiftenden Akt, der sich zugleich auch in der Feiergemeinschaft abbildet. Es fastet nicht jeder für sich, sondern die Fastenden sind auch gemeinsam im Gottesdienst, so dass der gemeinschaftsbildende Aspekt noch einmal klar herausgestrichen wird, auch wenn die Formulierungen »nicht so schlecht« und »schon gut« nicht auf eine uneingeschränkt positive Zustimmung hinweisen. Dieser und die anderen Kommentare weisen darauf hin, dass auch in der adventistischen Tradition das spirituell-kollektive und damit zwangsläufig auch terminlich vorgeschriebene Fasten nicht unproblematisch ist, während das individuelle Fasten durch die enge Verknüpfung mit dem Gesundheitsthema eine große Bedeutung hat. Dadurch, dass die Sorge um die Gesundheit des Körpers als religiöse Pflicht zu verstehen ist, ist auch diese Art des Fastens letztlich im religiösen Symbolsystem verankert und gilt damit nicht als gegenüber einem spirituellen Fasten defizitäre Form. Die von Madeline Johnston aufgeworfene Frage, ob der Sabbat als Tag des Feierns mit einer Fastenpraxis verknüpft werden kann, gerade weil ein solche auch nicht biblisch legitimiert ist, bleibt offen, und auch in der katholischen Kirche sind die Sonntage als Feiertage von der Fastenzeit bekanntlich ausgenommen. Bemerkenswert ist hier eine Aussage von ADV9, der gerade aus dem adventistischen Sabbatverständnis heraus für einen Fastensabbat argumentiert: Fasten wird zum Beispiel in Jesaja 58 geschildert, ja, was rechtes Fasten im Auge Gottes ist. Und es wird dort als eine Zeit der Befreiung oder eine Zeit der Ruhe, eine Zeit der Freude, der Wonne dargestellt. Und genau das, Befreiung, Ruhe, Wonne in Gott, das wird geradezu mit dem Sabbat deutlich, also Gott hat kein anderes Modell, womit er uns veranschaulichen kann, was Freude in Gott ist, was Befreiung, was Erlösung ist. (ADV9)

Der Sabbat wird bei ADV9 sogar zu einem theologischen Modell für das Fasten, durch das die Fastenpraxis gedeutet wird. Diese Aussage verweist einmal mehr auf die überragende Bedeutung des Sabbats für die adventistische Tradition, der zu einem Deutungsmodell für das eigene Selbstverständnis ebenso wie für theologische Praxis und Hermeneutik wird.

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Schließlich soll in einer dritten Perspektive die Inszenierung des Körpers analysiert werden. Dieser Bereich ist nicht scharf von der Asketik trennbar und steht wie diese in einer gewissen Relation zu den ›interventionistischen Praktiken‹ der Religion, die nach Riesebrodt die Kontaktaufnahme mit der spirituellen Macht zum Ziel haben. Unter ›Inszenierung des Körpers‹ sind bewusst im Hinblick auf ihre Außenwirkung durchgeführte Handlungen zu verstehen, die den Körper auf eine bestimmte Art und Weise sichtbar machen sollen und dadurch zugleich als Medium eines bestimmten religiösen Aspekts oder der religiösen Zugehörigkeit dienen. Im Bereich des Alltags wie auch des religiös definierten Raums (im Besonderen des Gottesdienstraums) betrifft dies in erster Linie die Art und Weise, sich zu kleiden. Kleidung und Körper sind unmittelbar verbunden, so dass Kleidung gewissermaßen als ›zweite Haut‹ bezeichnet werden kann. Speziell in der liturgischen Sphäre anzusiedeln sind körperbasierte Praktiken, die durch ihre spezifische Inszenierung zu Kohäsion und Differenzierung beitragen: Der Akt der Immersionstaufe, Gebetshaltungen sowie die vor allem in Pfingstgemeinden praktizierten, besonders intensiven Symbolhandlungen der Heilung sowie der Zungenrede (Glossolalie).

4.4.1 Kleidung und Schmuck Der Einsatz von Kleidung in religiösen Zusammenhängen wie auch speziell im Christentum erfüllt verschiedene kommunikative, soziale und symbolische Funktionen: »Fashion and clothing may be used to make sense of the world and the things and people in it, that they are communicative phenomena.«358 Kleidung legt von verschiedenen Aspekten einer Religion beredtes Zeugnis ab und ist ein sehr restringiertes Ausdrucksmedium: Nicht umsonst hat Roland Barthes Mode einst als eine Form der Erzählung bezeichnet,359 und auch der Ausdruck ›Dresscode‹ weist auf die starke zeichenhafte Bedeutung von Kleidung hin. Neben ihrer unmittelbaren Ausrichtung auf das Körperempfinden selbst (Wärme, Bequemlichkeit, Schutz) dient sie der Differenzierung von funktionalen Rollen (etwa Amtsträgern) ebenso wie von Mann und Frau oder verschiedenen Ständen, Anlässen, Altersstufen oder familiären Rollen (verheiratet, verwitwet …) im Sinne einer vestimentären Symbolik.360 Ebenso 358 Banard, Malcolm: Fashion as Communication, London: Routledge 2007, 32. 359 Vgl. Barthes, Roland: Die Sprache der Mode, Frankfurt: Suhrkamp 1985 (= es 1318), 283. 360 Vgl. Bohn, Cornelia: Kleidung als Kommunikationsmedium, in: Bohn, Cornelia: Inklusion, Exklusion und die Person, Konstanz: UVK 2006, 95–125, 98.

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fungiert Kleidung als symbolisches System vielfältiger gesellschaftlicher Bezüge, als Schmuck, Selbstdarstellung, Ausdruck von Zugehörigkeit zu Gruppen, von Abgrenzung, von gesellschaftlicher Position, Beruf, eigenem Wohlstand und vielem mehr. Kleidung trägt so zu einer Stabilisierung und Sichtbarmachung von Weltordnung bei, so dass auch eine Religion ihre Ordnungen durch Kleidungsvorschriften unterstützen und herstellen kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies natürlich auch, dass durch den Einsatz von Kleidung Ordnungen in Frage gestellt und performativ durchbrochen werden können. Jede Vorschrift impliziert immer auch ihr Nichteinhalten und eröffnet so ein Handlungsfeld für Widerstand.361 Im Alltagsleben dient Kleidung zudem zur Sichtbarmachung persönlicher Werthaltungen und als Ausdruck persönlicher Moralität, die eine innere Haltung, beispielsweise Keuschheit oder Bescheidenheit, am Körper sichtbar macht, sie ist aber zugleich auch Bedrohung von Werthaltungen, etwa durch sexuelle Inszenierung.362 Das Tragen von Kleidung wird so eine »spezifische kommunikative Operation«, die »sich durch die konkrete, von Situation zu Situation wechselnde Realisierung von Selektionen«363 verwirklicht. Die Selbstbeschränkung auf eine bestimmte Art von Kleidung ist zugleich ein Akt der Übung und Selbstdisziplinierung, durch den die eigene Haltung und Aktivität mitgeformt wird. Ähnlich wie Paulus im Brief an die Galater davon spricht, sich durch die Taufe im metaphorischen Sinn Christus als Gewand anzulegen (Gal 3,27)364, so ist es auch realiter möglich, sich eine bestimmte Religion und deren Werthaltungen durch eine spezifische Kleidungsart ›anzuziehen‹. Im Hinblick auf die Rolle von Kleidung ist dabei sowohl auf die Auswahl der Alltagskleidung zu achten als auch auf bestimmte Ausprägungen von Kleidung im Rahmen des Gottesdienstes. Die christliche Tradition hat immer wieder konkrete Kleidungsvorschriften hervorgebracht, vor allem was liturgische Kleidung und im Besonderen die des Klerus betraf. Im Unterschied etwa zum Turban der Sikhs oder der Verhüllung der Frau in islamisch geprägten Kulturen kann man jedoch nicht von einer spezifisch christlichen Kleidung sprechen, die von den religiösen Instanzen 361 Vgl. Höpflinger, Anna-Katharina: ›Mehr verschandelt als verwandelt‹. Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion in religiösen Symbolsystemen, in: Höpflinger, Anna-Katharina/Jeffers, Ann/Pezzoli-Olgiati, Daria (Hg.): Handbuch Gender und Religion, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008 (=UTB 3062), 243–255, 251. 362 Vgl. Arthur, Linda: Dress and the Social Control of the Body, in: Arthur, Linda: Religion, Dress and the Body, Oxford: Berg 1999 (= Dress, Body, Culture 6), 1–8. 363 Bohn, Kleidung als Kommunikationsmedium, 103–104. 364 Man beachte hier, dass die Symbolisierung von Differenzen durch Kleidungsvorschriften aufgehoben werden, wenn alle Getauften das gleiche Gewand anziehen, und tatsächlich spricht Paulus in Gal 3,28 von der Aufhebung der Differenzen von Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Männern und Frauen.

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selbst vorgeschrieben oder für das öffentliche Bild der Religion stilbildend geworden ist.365 Biblische Grundlagen für einen christlichen Diskurs über Kleidung betreffen vor allem Unterschiede der Geschlechter. Dies kommt am stärksten zum Ausdruck im Travestieverbot in Dtn 22,5: »Männerzeug darf nicht auf einer Frau sein, und ein Mann darf nicht das Gewand einer Frau anziehen. Denn jeder, der dieses tut, ist ein Gräuel für den Herrn, deinen Gott.« Im Neuen Testament sind es vor allem zwei Stellen, die speziell auf die Kleidung der Frau Bezug nehmen: Jede Frau aber, die mit unverhülltem Haupt betet oder weissagt, entehrt ihr Haupt; denn sie ist ein und dasselbe wie die Geschorene. Denn wenn eine Frau sich nicht verhüllt, so werde ihr auch das Haar abgeschnitten; wenn es aber für eine Frau schändlich ist, dass ihr das Haar abgeschnitten oder geschoren wird, so soll sie sich verhüllen. (1Kor 11,5–7) Ich will […] ebenso, dass auch die Frauen sich in anständiger Haltung mit Schamhaftigkeit und Sittsamkeit schmücken, nicht mit Haarflechten und Gold oder Perlen oder kostbarer Kleidung, sondern mit dem, was Frauen geziemt, die sich zur Gottesfurcht bekennen, durch gute Werke. (1Tim 2,8–10)

Während die alttestamentliche Stelle des Travestieverbots beide Geschlechter anspricht (in der christlichen Praxis jedoch für Frauen ein Gebot des Rocktragens nach sich zog, das in vielen Freikirchen zumindest im Gottesdienst noch weit verbreitet ist), bringen letztere eine männliche Dominanz zum Ausdruck. Gerade die Kopfbedeckung der Frau, im öffentlichen Diskurs heute nahezu ausschließlich mit dem Islam konnotiert, hat im Christentum eine lange Tradition und kommt auch heute in verschiedenen christlichen Traditionen im Gottesdienst zur Anwendung, nicht zuletzt auch in manchen freikirchlichen Gemeinden. Während das Kopftuch in Süd- oder Osteuropa Teil der kulturellen Geschichte ist, wird es in solchen Freikirchen als Befolgung des paulinischen Willens in 1Kor 11 angesehen.366 In der römischen Tradition lag der Fokus in Fragen der Kleidung auf jene der Priester und Ordensleute, die zunehmend formalisiert wurde.367 Demgegenüber war die protestantische Tradition schon in ihren Anfängen von unterschiedlichen Auffassungen über (liturgische) Kleidungsfragen geprägt, was sich heute

365 Die Frage nach dem ›Kopftuch‹ der Frau wird in der islamischen Praxis unterschiedlich gehandhabt, hat sich aber zu einem bedeutsamen Symbol im europäischen Diskurs entwickelt. 366 Vgl. Kraak, Deborah: Religious Clothing in the West, in: Eliade, Mircea (Hg.): Encyclopedia of Religion. 3, London: MacMillan 41993, 542–546, 545. 367 Vgl. Köpf, Ulrich: Art. Kleidung/Bekleidung. II. Christentum. 1. sozial- und kirchengeschichtlich, in: RGG4 4 (2001) 1412–1413.

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zu einer entsprechenden Vielfalt entwickelt hat:368 »[T]he diversity of clerical dress in the Protestant churches reflects the varied concepts regarding the function of the clergy and the role of the liturgy among the different denominations«369. Jene, vor allem freikirchlichen, Denominationen, die ihren Klerus als Prediger und Pastoren begriffen und keine ausgeprägte Liturgie aufwiesen, legten ihm auch keine besonderen Kleidungsvorschriften auf. Er sollte vielmehr, wie auch seine Gemeinde, mit jener festlichen Kleidung zum Gottesdienst erscheinen, die man in der englischen Tradition als ›Sunday best‹ oder auf Deutsch als ›Sonntagsstaat‹ bezeichnet und die für die Feier des Gottesdienstes reserviert war. Damit wird prinzipiell zum Ausdruck gebracht, dass eine Gleichheit zwischen Pastor und Gemeinde existiert und die Idee eines, auch vestimentär abgegrenzten, Priesterstandes abgelehnt wird. Dies bleibt freilich eine Holschuld des Gläubigen, der durch angemessene Kleidung die Möglichkeit hat, dem Pastor im Kleidungsstil gleich zu werden, aber durch weniger formelle Kleidung auch Unterschiede neu konstruieren kann. Für die Alltagskleidung war in Anlehnung an die Schriftstellen eine prinzipielle Ausrichtung an aktuellen Kleidungssitten der Standard, wobei bescheidenes Auftreten und eine Abgrenzung zu ›sexuell aufreizender‹ Kleidung geboten war, um nicht zu sündhaftem Verhalten anzustacheln.370 Daher löste etwa bei Männern der puritanische Gehrock des 16. Jahrhunderts den bunteren Stil des Mittelalters ab.371 Was unter den Kategorien ›Bescheidenheit‹ oder ›sexuell aufreizend‹ zu verstehen ist, änderte sich freilich im Laufe der Geschichte, wie Deborah Kraak über den Gebrauch knielanger Röcke in freikirchlichen Gottesdiensten bemerkt, die, »obwohl sie nach gegenwärtigem Standard als konservativ gelten würden, noch ihre Großmütter schockiert hätten«372. Was die Kleidung der Gemeindemitglieder betrifft, so steht der Adventismus in der freikirchlichen Tradition des bescheidenen und doch angemessenen Auftretens in der Öffentlichkeit sowie des Gebrauchs eines ›Sunday best‹. Bei Ellen White wird die Thematik ›Kleidung‹ sehr ausführlich behandelt: Als Teil der Durchdringung der alltäglichen Lebenspraxis durch den Glauben forcierte White nicht nur eine health reform, sondern auch eine dress reform, wobei hier im Speziellen die Kleidung von Frauen zum Thema wurde. Notwendig war diese Debatte auf Grund einer vorausgegangenen Veränderung der modischen Codes im 18. Jahrhundert, die gleichsam einen Verzicht des Mannes auf Mode mit sich 368 Vgl. Allen, Horace: Art. Kleidung/Bekleidung. II. Christentum. 2c. Liturgisch-evangelisch, in: RGG4 4 (2001) 1414–1415. 369 Kraak, Religious Clothing, 545. 370 Vor allem im Hinblick auf Mt 5,28: »Ich aber sage euch, dass jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, schon Ehebruch mit ihr begangen hat in seinem Herzen.« 371 Vgl. Bohn, Kleidung als Kommunikationsmedium, 112. 372 Kraak, Religious Clothing, 545. [Übers. C. F.]

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brachte: »Der Mann bildete nunmehr den schwarzen Hintergrund […] vor dem die Frau ihren Glanz entfalten kann.«373 Dieser vermeintliche ›Glanz‹ der weiblichen Mode zeichnete sich im 19. Jahrhundert durch überlange Röcke und enge Korsagen aus, die eine Belastung für Frauen darstellten, weshalb die Praktikabilität dieses Stils zunehmend fragwürdig erschien. Schon im Jahrzehnt bevor White 1865 ihre dress reform begann, wurden die modischen Standards des American costume immer mehr in Frage gestellt, gerade auch aus gesundheitlichen Bedenken, die durch Bewegungseinschränkung und Kompression des Oberkörpers aufkamen.374 Die dress reform muss also als Aspekt der größeren health reform gesehen werden. Diese gesundheitliche Dimension wird von White wiederum mit einem moralischen Kleidungsdiskurs gekoppelt. Biblische Forderungen nach Bescheidenheit, die moderne Frage der Gesundheit sowie sexualmoralische Fragen bilden den Rahmen von Whites Ausführungen in Ministry of Healing. Bezugnehmend auf 1Tim 2 verwirft White zunächst jede Kleidung, »durch die man auffallen möchte, grelle Farben und reichliche Verzierungen, alles was Aufmerksamkeit und Bewunderung wecken soll«375. Als adventistisches Gegenkonzept zu diesem Kleidungsstil gelten daher schlichte, einfache, qualitätsvolle, zweckmäßige, saubere und schützende Kleidungsstücke, diese sind »in jeder Hinsicht gesundheitsfördernd«376. Zurückgewiesen wird darüber hinaus das Diktat der Mode: An dieser wird ihre sexuelle Offenheit ebenso kritisiert wie ihre ablenkende Wirkung, die den Menschen von Glauben und Gesundheit wegbringt und ihn den aktuellen Trends unterwirft. Schließlich folgt eine längere Kritik der Mode ihrer Zeit wegen deren negativer Konsequenzen für die Gesundheit, womit auch die Frage nach Kleidung nicht von diesem adventistischen Überthema getrennt werden kann: Bequeme, der Temperatur, Tätigkeit, Gesundheit und Umgebung angepasste, Kleidung wird gefordert, durch die sich Frauen von modischen Diktaten unabhängig machen sollen.377 Aus Whites Grundüberlegungen hat sich ein bis heute offiziell vertretener Kriterienkatalog für ›die Kleidung des Christen‹ entwickelt: Schlichtheit und Anstand dienen dazu, die Tugend der Bescheidenheit zu repräsentieren und das Wecken sexueller Begierden zu vermeiden. Kleidung soll der Gesundheit dienen und von natürlicher Schönheit gekennzeichnet sein. Auf Basis von 1Tim 2 und der oben angeführten Grundsätze wird vertreten, »dass Christen keinen

373 374 375 376 377

Bohn, Kleidung als Kommunikationsmedium, 112. Vgl. Robinson, Health Message, 112–118. White, Weg zur Gesundheit, 221. Ebd., 222. Vgl. ebd., 224–227.

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Schmuck tragen sollten«378, ebenso wird Make-up kritisch gesehen und ein natürliches Äußeres von Gläubigen gefordert. Während White vornehmlich auf die Kleidung der Frauen abzielt, werden hier allgemeine Grundsätze genannt, die beide Geschlechter umfassen. Dennoch zeigt sich, dass gerade die heiklen Bereiche von Schmuck, Make-up, Sexualität und das Tragen von Röcken wiederum in erster Linie den weiblichen Körper betreffen. Für den Gottesdienst selbst gilt auch für die Adventisten die Tradition der besonderen Feiertagskleidung, die nach wie vor eine wichtige Bedeutung hat. Anzug und Krawatte prägen das Erscheinungsbild der Prediger, die nur beim Taufakt einen weißen Talar tragen. Sowohl für Gottesdienst als auch Alltag gelten die Kleidungsregeln (die Regeln, keine Vorschriften sind), die oben skizziert wurden. Das Thema Kleidung wird nicht nur von der offiziellen Kirche angesprochen, sondern spielt auch in den Überlegungen der Gemeindemitglieder eine wichtige Rolle. Bei den Befragten herrscht ein Konsens über den Gebrauch einer festlichen Kleidung im Sabbatgottesdienst, aber es wird auch das Konfliktpotenzial von Kleidungsstandards erkannt und angesprochen. Dies betrifft vor allem das Tragen von Röcken bei Frauen und die Individualisierung der Festkleidung, speziell, wenn diese nach Meinung von Gemeindemitgliedern zu freizügig ausfällt. Kleidung im Gottesdienst Beim Besuch des Sabbatgottesdienstes in der Gemeinde wird schnell deutlich, dass sich die Tradition des Sunday best, bzw. hier eher Sabbath best, in der Gemeinde erhalten hat. Auch wenn keine Standardisierungen im Hinblick auf die Kleidung erkennbar sind, so dominiert doch das Tragen einer festlichen Kleidung sowohl bei Frauen als auch Männern, bei Älteren wie Jüngeren. Anzüge, Krawatten und Hemden in allen Farben bei Männern, Kleider und Röcke bei Frauen dominieren das Bild. Pastoren und Gottesdienstleiter erscheinen in einem klassischen ›Business-Look‹ mit dunklen oder grauen Anzügen, Hemd und Krawatte. Dieser Stil wird vom Pastor selbst mit gesellschaftlichen Analogien, aber auch biblisch begründet: Gottesdienst ist kein sozialer Treff, sondern Gottesdienst bedeutet eigentlich, in die Gegenwart Gottes zu kommen. Da finde ich natürlich schon Anleihen besonders im Alten Testament: Wenn sich die Priester dem Heiligtum genaht haben, oder auch, wenn sich einzelne Gläubige dem Heiligtum genaht haben, steht immer, dass sie ihre Kleider gewaschen haben. Nun ist das ein wenig eine andere Zeit, aber es zeigt schon, die Kleidung, mit der ich zum Gottesdienst komme, drückt schon auch aus ob es nur um 378 Was Adventisten glauben, 419. Als Schmuck werden u. a. Ringe, Ohrringe, Armbänder, auffällige Krawattennadeln, Manschettenknöpfe, Anstecknadeln definiert, vgl. ebd.

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mich selbst geht, ob es darum geht, eine schöne Zeit zu haben. Oder aber die Kleidung drückt aus, dass mir bewusst wird, ich komme in die Gegenwart Gottes, und in die Gegenwart Gottes gehe ich nicht irgendwie. Wer vom Bundespräsident eingeladen würde, wird wahrscheinlich genau wissen, was er anzieht. Ich gehe gerne in Konzerte, da ändert sich das auch ein bisschen, in klassische Konzerte, die Leute sind da anders angezogen. Wenn wir das bei klassischen Konzerten und Politikern schaffen, wie viel mehr, wenn uns bewusst wird, Gottesdienst heißt eigentlich, in die Gegenwart Gottes treten. (ADV5)

Diese Darstellung steht paradigmatisch für den Zugang der befragten Gemeindemitglieder : Die Gegenwart Gottes bzw. die Rede von einer »Audienz« bei Gott (s. u.) zeigen ein bestimmtes Bild von Gott als Autorität, deren Begegnung eine den gesellschaftlichen Konventionen entsprechende Aufmachung verlangt. Der überragenden Rolle des Sabbats als herausgehobener Tag, als Nicht-Alltag, wird auch durch eine andere Kleidung Rechnung getragen, etwas was nicht verlangt, sondern durch Nachahmung erlernt wird. Dies gilt sowohl für Frauen wie auch Männer, wie diese Stellungnahmen von ADV8 und ADV6 zeigen: Also das habe ich immer gehabt, ich habe immer gesagt: ›Sabbatgewand‹. Also ich habe schon Kleider, die ziehe ich jetzt nur für den Gottesdienst an, die ziehe ich sonst nicht an. Und auch meine Familie ist so erzogen, die Kinder haben das eigentlich auch, gewisse Dinge, die werden jetzt nur für den Gottesdienst angezogen. Ich denke, der Gottesdienst ist ganz was Besonderes, da trete ich in die Gegenwart Gottes, und da möchte ich auch durch mein Äußeres das bekunden. Weil ich denke, wenn ich zum Landeshauptmann oder irgendwie gehe, da ziehe ich mich auch entsprechend an, da komme ich auch nicht mit den Jeans, und deswegen ist das für mich auch wichtig, dass wenn ich in den Gottesdienst gehe, dass ich mich da auch entsprechend anziehe. (ADV8) Beim Gottesdienst stehe ich vielleicht eine Minute länger vor dem Kleiderschrank und überlege wirklich. Ich ziehe mir was Frisches an, ich gehe duschen, richte mich so richtig her und sage, ja so bin ich frisch. Für mich ist wichtig, dass der Gottesdienst keine Modeschau wird, das denke ich mir, das lenkt dann vielleicht auch ab vom Wesentlichen. Aber sich einfach angemessen und elegant zu kleiden ist für mich eine Frage des Respekts im Gottesdienst, dass ich sage, ich komme ja doch, um Gott anzubeten. Und da hätte ich ein Problem, wenn ich das mit ein bisschen heruntergekommenen Klamotten tun würde. (ADV6)

In beiden Statements wird wiederum die Gegenwart Gottes betont, dem durch entsprechende Kleidung Respekt entgegengebracht wird, die auch der Besonderheit des Anlasses gerecht wird. Kleidung hat damit drei Funktionen: Erstens entspricht sie der Begegnung mit einer gesellschaftlich höher stehenden Person, eine Analogie, die auf Gott umgelegt wird,379 zweitens wird die Besonderheit

379 Metapherntheoretisch ist es interessant, dass hier mit ›Präsident‹ oder ›Landeshauptmann‹

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dieses Ereignisses und die Besonderheit des Sabbats als Tag hervorgehoben, und drittens wird der Gottesdienst als Feier gekennzeichnet, die eine festliche Kleidung fordert, wie es auch eine andere Befragte betont: Es ist einfach die Ehrfurcht, das Besondere, diesen Tag abzusondern von den anderen Tagen und Gott auch damit die Ehre zu erweisen, dass ich da nicht in meinen Lumpen hingehe, sozusagen, also, dass ich jetzt sozusagen ein Fest mit ihm feiere und es dann nicht wert finde, mich für ihn schön zu machen oder herzurichten. (ADV11)

Hier lassen sich ein spezifisches Gottesbild und Gottesdienstverständnis ausmachen, definiert als Begegnung, aber als Begegnung mit einer hochstehenden Person, für die gesellschaftliche Konventionen des Ausdrucks von Respekt auch im Hinblick auf die Kleidung gelten. Der überragenden Bedeutung des Sabbats für das Selbstverständnis der Adventisten entspricht die Auswahl einer besonderen Kleidung für diesen Tag, mit der umgekehrt die Bedeutung des Sabbats in einer alltäglichen Handlung wie der Kleidungsauswahl vergegenwärtigt wird. Das gemeinsame Handeln verstärkt tendenziell die Kohäsion innerhalb der Gemeinde, sofern ein Konsens über die Bedeutung des Sabbats und die Struktur des Gottesdienstes zum Ausdruck gebracht wird. Umgekehrt schafft eine gewisse übereinstimmende Standardisierung der Kleidungsnorm auch Möglichkeiten der Subversion, des Widerstandes, aber auch der Sanktionierung von vermeintlichen Abweichungen. Beispiele dafür wurden wiederum von weiblichen Befragten aus eigener Erfahrung genannt, wobei es hier zu zwei Ausprägungen kam: Ältere berichten von einem gewissen Zwang, zumindest im Gottesdienst einen Rock zu tragen, bei Jüngeren geht es vor allem um eine als zu offenherzig empfundene Kleidung – sowohl als Kritik als auch als Möglichkeit zur Provokation. ADV6 bemerkt dabei zusätzlich die Gefahr einer Entwicklung der besonderen Sabbatkleidung hin zu einer Modeschau.

Normen und Kritik an Kleidung in Gottesdienst und Alltag Traditionell wurde in der adventistischen Tradition eine schlichte Kleidung bevorzugt, was jedoch in den letzten Jahrzehnten zum Teil von einem stärkeren Kleidungsbewusstsein abgelöst wurde, »wenn ich mir das durchüberlege, dann sehe ich da, dass es deutliche Unterschiede zwischen den Generationen gibt« (ADV5). Damit existiert ein breites Spektrum zwischen genauen Vorschriften und modernen Auslegungen. Insgesamt hat das Thema Kleidung eine bedeutsame Rolle: neue Analogien für Gott verwendet werden, um dessen Bedeutung zu vermitteln, nachdem das alte ›König‹ nicht mehr der politischen Erfahrung entspricht.

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Jeder Bereich im Leben ist für einen Christen wichtig, auch der der Kleidung, warum sollte der ausgenommen sein? Wenn ich Gott in jedem Bereich meines Lebens zulasse, dann ist wichtig, dass man alles ihm sozusagen unterstellt. Ich habe als Jugendliche ein großes Problem gehabt damit, ein sehr großes Problem, und viele Jugendliche gehen wegen so einem Problem auch aus der Kirche, weil sie sich sagen, was für einen Sinn soll das haben und eigentlich den Hintergrund nicht verstehen. Und viele Menschen folgen dem äußeren Anschein und fällen dann ein Urteil, je nachdem wie du angezogen bist, darüber, wie es in deinem Herzen ausschaut. Das verletzt die Jugendlichen zutiefst, und mich hat es damals auch verletzt. (ADV3)

Sowohl rigide Auslegungen von alternativer Kleidung wie auch ein Unverständnis für manche Normen bergen Konfliktpotenzial, gerade weil, wie auch ADV3 ausführt, idealiter alle auch alltäglichen Bereiche des Lebens auf den Glauben rückbezogen werden sollen. Damit werden auch Fragen vor allem der weiblichen Kleidung zu einem Thema, das Gläubige beschäftigt. Das Tragen eines Rocks bzw. Kleides im Gottesdienst wird, wie bei den Gottesdienstbesuchen deutlich wurde, nach wie vor von einer sehr großen Mehrheit der Frauen in der Gemeinde praktiziert. Diese Tradition wurde und wird zum Teil auch als verbindlicher Standard angesehen, verweisend auf das biblische Travestieverbot in Dtn 22 sowie die Schriften Whites, die im Kontext ihrer Zeit den Rock als weiblichen Standard kannte. Weibliche Befragte, die älter als 30 waren, berichteten allesamt von Erlebnissen, bei denen von Einzelnen Druck ausgeübt wurde. Als ich noch jung war, da hätte man nicht mit einer Hose kommen dürfen. Aber ich ziehe meistens Röcke an, ja, weil ich das einfach von Jugend an so gewohnt bin, aber ich habe auch schon hin und wieder Hosen angehabt. Aber natürlich, es ist eine Gewohnheit, dass ich einen Rock anziehe, ich habe sicher öfter einen Rock an, ja, aber wenn jemand eine Hose anzieht, also ich bin nicht der Typ, der jetzt zu der hingeht und sagt, du! Früher war das schon streng, ja, in der Kindheit vor allem, am Anfang, als wir in die Gemeinde gekommen sind, war das sehr streng, also da hat’s auch so einzelne Leute gegeben, die dann auf einen zugekommen sind und gesagt haben, du hast heute nicht das Richtige an. Also das war dann für uns Junge schon ein bisschen befremdend, und ich weiß, meine Schwester hat da ein wenig darunter gelitten, als ihr das passiert ist, also das hat’s auch gegeben, aber das ist heute schon viel freier. (ADV8) Wenn ich eine Hose angezogen habe, ich ziehe manchmal Hosen an, da haben’s mich auch schon angeredet, oder einmal war der Rock zu lang. Da gibt es eine Schwester in der Gemeinde, die hat meistens was auszusetzen, denn es gibt da so Aussagen von Ellen White, dass Frauen Frauenkleidung anziehen sollen und Männer Männerkleidung und das nicht Frauen Männerkleidung anziehen sollen und schon gar nicht zum Gottesdienst. Wobei, mir haben das auch mal Geschwister gesagt, die sind mittlerweile im Seniorenheim, die haben mir eine ganze Abhandlung gegeben, warum ich keine Hosen anziehen soll. Aus dem Ganzen ist für mich nur herausgekommen, dass Ellen White eigentlich eine Revolutionärin war in ihrer Zeit, weil sie hat gesagt hat, die Röcke nicht so lang wie sie eben früher waren, und sie sollen irgendwelche Beinkleider unterhalb

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anziehen, damit sie sich besser bewegen können und auch Rad fahren können und alles Mögliche, also sie war eigentlich sehr feministisch für ihre Zeit. (ADV11) Am Anfang haben mich die Glaubensgeschwister gewarnt, weil sie haben selber Probleme bekommen. Aber mich hat keiner angeredet, weil irgendwo ist das für mich dann wieder Sektiererei, muss ich sagen, wenn ich nicht einmal mit einer Hose kommen darf. (ADV4)

Festzustellen ist hier eine Verabsolutierung einzelner Traditionen bzw. eine Enthistorisierung in der Auslegung von Ellen White, worauf ADV3, ADV4 und beispielhaft hier ADV11 hinweisen. Während White Frauen gerade aus Kleidungszwängen befreien wollte, wurde der Rock zu einem normativen Standard gemacht, der durch gegenseitige soziale Kontrolle und Sanktion lange Zeit aufrechterhalten wurde. Die Befragten weisen dagegen daraufhin, dass sich Kleidungsnormen ändern und Frauenkleidung heute anders definiert ist als früher, und ADV4 verurteilt eine rigorose Haltung hier letztlich als »Sektiererei« und sieht strenge Verfechter des Rocktragens als »Pharisäer«. Alle Befragten betonen, dass diese Frage heute liberaler gehandhabt wird, dennoch wird das Tragen von Röcken oder Kleidern von den meisten, auch jüngeren, Mitgliedern weiter praktiziert. Die Lockerung der Kleidungsnormen führte nicht unbedingt zu einem Verschwinden des Etablierten, sondern zu einer Neucodierung durch die Frauen. Da Röcke im gesellschaftlichen Alltag mit Ausnahme des Sommers zu einem großen Teil durch Hosen ersetzt wurden, stehen gerade Röcke nun für das Besondere, Außergewöhnliche und unterstreichen so die Sonderrolle des Sabbats in der Lebensgestaltung. Der Rock, ehemals ein gewöhnliches Kleidungsstück, fungiert nun gerade als Abgrenzung des heiligen Tages vom Rest der gesellschaftlichen Normalfälle: Es ist einfach, glaube ich, [hier] so, dass man sich weiblicher fühlt, wenn man einen Rock anzieht. Es ist nicht, weil Frauen überlegen, das ist eine Hose und deswegen darf ich sie nicht anziehen, sondern weil sie denken, mein schönes Gewand besteht aus Kleid und Rock, glaube ich zumindest. (ADV10) Ich ziehe mich am Sabbat schon besonders an, also ich trage normalerweise prinzipiell weniger Röcke, sondern Jeans und so, weil’s einfach praktisch ist. Aber am Sabbat muss ich ja nix machen, und wenn ich mich schick anziehe, das hat schon eine Rückwirkung auf mich, da weiß ich einfach, das ist was Besonderes, und man benimmt sich vielleicht auch ein bisschen anders. (ADV7) Sabbat ist ein besonderer Tag und deswegen ist es für mich auch wichtig, dass ich da nicht irgendwie alltagsmäßig in den Gottesdienst gehe. Also es ist jetzt nicht wichtig, was man anhat oder so, aber es zeigt ein bisschen die Einstellung, was Besonderes, man kommt zu Gott ins Haus, irgendwie. Also ich ziehe mich schon schön an. Mir persönlich ist es wichtig, dass ich mich nicht alltäglich anziehe. (ADV12)

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Hier zeigt sich, wie symbolische Bedeutungen wechseln und ein so elementares Ausdrucksmittel wie Kleidung in neuen Kontexten neue Funktionen einnehmen kann. Der Rock steht nicht mehr für Konformität, die notfalls durch Ermahnung gesichert wird, sondern als individueller Ausdruck einer Abgrenzung des Sabbats als Sonderraum und Sonderzeit, ja sogar als Mittel, sich »weiblicher« zu fühlen, wie ADV10 meint. Stattdessen hat sich der Konfliktbereich vom Rock selbst zur Frage nach einer zu offenherzigen Kleidung verschoben, welche wiederum den weiblichen Körper zum Ziel hat. Die Enthüllung und Verhüllung des weiblichen Körpers ist ein wichtiges Thema der Religions- und Christentumsgeschichte. George Bush und Perry London haben darauf hingewiesen, dass die Stabilität von Kleidungsnormen mit Geschlechterrollen in Beziehung steht und eine Veränderung des Kleidungsverhaltens mit einer Änderung der Geschlechterrollen einhergeht. Restriktive Kleiderordnungen für Frauen geben damit auch Auskunft über deren soziale Restriktionen.380 Damit besteht für Frauen umgekehrt auch die Möglichkeit, soziale Normen mit Hilfe von Kleidung zu unterlaufen und zu kritisieren. Wirksam werden hier Prozesse, die Cornelia Bohn ›vestimentäre Operationen‹ nennt, in denen durch gezielte Selektion von Kleidungsstücken spezifische kommunikative Operationen durchgeführt werden.381 Nicht nur Make-up und aufwändigere Kleidung, sondern auch die Darstellung des Körpers sind unter jüngeren Gemeindemitgliedern weitaus verbreiteter als unter älteren. Nicht mehr das Tragen einer Hose provoziert, sondern der Rock selbst wird zum Mittel der Subversion, indem immer kürzere Röcke getragen werden. Es kommt hier zu einem interessanten Verhältniswechsel von Gemeinde und Gesellschaft: Der lange oder mittellange Rock wird heute von Jüngeren kaum getragen, so dass sein Einsatz im Sabbatgottesdienst einen Sonderraum markiert. Der kurze Rock hingegen hat sich in den letzten Jahren als modisches Standardaccessoire etabliert und erscheint nun gerade als Einbruch des Profanen ins Heilige, nicht zuletzt durch seine sexuelle Codierung. Diese Entwicklung wird bemerkt und argwöhnisch beurteilt, gerade auch von den älteren Frauen, die die ›Rockproblematik‹ noch selbst erlebt haben. Jetzt haben wir ein anderes Problem, weil das Problem von Ellen White mit den überlangen Röcken haben wir nicht mehr, und wir haben keine Korsagen, die so eng sind. Jetzt haben wir das Problem, dass die Jugendlichen und auch Ältere hier mit einem Minirock herumrennen, der bis nach Hause schauen lässt, und sich unpassend kleiden. (ADV3) 380 Vgl. Bush, George/London, Perry : On the disappearance of knickers. Hypotheses for the functional analysis of the psychology of clothing, in: American Journal of Sociology 51 (1960) 359–366. 381 Vgl. Bohn, Kleidung als Kommunikationsmedium, 103–109.

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Ich war nie so der Typ, der mit der Mode mitgerannt ist, muss ich sagen. Das hat sicher auch einen Einfluss darauf gehabt, dass man sich eben ein wenig dezenter kleidet und nicht jeden Blödsinn mitmacht, den es gibt. Und ich habe auch versucht, meine Mädchen in diese Richtung zu erziehen und ich muss sagen, sie halten sich schon an das, ja. Aber ich sehe, manche in der Gemeinde sind da ein bisschen lockerer, ja. Nachdem der Glaube etwas Individuelles ist, was man mit sich und Gott ausmacht, denke ich mir, vielleicht müssen die noch lernen in diese Richtung. (ADV8) Was mich stört ist schon, wenn, und das lasse ich [meine Tochter] zum Beispiel auch nicht, wenn junge Mädels zu freizügig herumgehen. Da ist einerseits schon der geistliche Aspekt, dass ich sage, das muss nicht sein, also einfach so vom Vorbild und so, und zweitens aber auch die Angst, weil ich will nicht, dass sie irgendjemanden zu irgendwas animiert, weil ich einfach schon genug mitgekriegt habe, was passieren kann. Und das sehen die jungen Mädels nicht, und [meine Tochter] ist da zum Glück sehr vernünftig. Aber in der Gemeinde sehe ich dann teilweise schon, dass das schon Einzug hält. Dass die da halbnackt herumgehen und so, das finde ich nicht gut, obwohl ich wahrscheinlich nicht den Mut hätte, auf die zuzugehen und das zu sagen. Aber für mich selbst möchte ich es nicht und für meine Kinder will ich es auch nicht, also das würde ich nicht akzeptieren. Wenn der Sabbat zur Modeschau wird, welcher Absatz ist höher und welcher Rock ist kürzer, und diese Tendenz gibt es jetzt in der Gemeinde, dann ist es natürlich auch danebengegriffen, das ist es dann sicher nicht mehr. (ADV11)

Während ADV8 das vermehrte Aufkommen freizügiger Kleidung im Gottesdienst eher als jugendliche Lockerheit abtut und sich einfach einen individuellen Lernprozess erwartet, sehen ADV3 und ADV11 die Entwicklung sehr kritisch. Für ADV3 stellt sich hier ein Problem, welches mit der modischen Fehlentwicklung zur Zeit Ellen Whites vergleichbar ist, eine Ansicht, die auch ADV 4 teilt: Ich glaub, was sie heute bekritteln würde wären die kurzen Röcke, die tiefen Ausschnitte, das ist das, was sie heute, glaube ich, sehr bekritteln würde. (ADV4)

Am ausführlichsten äußert sich ADV11, selbst Mutter von Töchtern, und stellt eine Tendenz in der Gemeinde fest, bei der es geradezu um einen Wettbewerb junger Frauen geht, mit noch aufsehenerregenderer Kleidung im Gottesdienst zu erscheinen. Damit verschwimmen die gewohnten Grenzen zwischen dem Innen der Gemeinde und seinen Kleidungstraditionen und dem Außen der modernen Gesellschaft. Der nunmehr freiere, individuelle Ausdruck der festlichen Kleidung birgt das Potenzial einer »Modeschau«, was auch, als einziger Mann, ADV6 bemerkt. Eine solche Entwicklung stünde diametral zu den Vorgaben der Weltkirche, die eine bescheidene, schlichte Kleidung vertritt. An diesem Beispiel zeigt sich die vielschichtige symbolische Bedeutung von Kleidung, auch wenn es sich hier wiederum nur um die Zur-Schau-Stellung des weiblichen Körpers handelt. Mit Ausnahme von ADV4 und ADV11 behandelt jedoch niemand die

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Vorstellung der potenziellen Gefahr, die von freizügiger Kleidung ausgeht, im Hinblick auf Versuchungen oder sexuelle Gewalt. Männliche Befragte selbst haben kaum eigene Erfahrungen mit der Thematik, da es keine klarer definierten Normen für ihren Kleidungsstil gibt. Das Thema Kleidung im Gottesdienst wird zwar wichtig genommen, aber mit einer gewissen Pragmatik gesehen: Ich habe einmal eine vernünftige Richtlinie gehört, was mir auch einleuchtend scheint, kleide dich im Gottesdienst wie bei einem Bewerbungsgespräch für eine Arbeitsstelle. Ich denke, das ist etwas womit wir alle etwas anfangen können, also, wenn ich zu einem Vorstellungsgespräch gehe, ziehe ich nicht eine schwere Goldkette oder unsaubere Kleidung an, sondern werde mich zeitgemäß und anständig bekleiden, und da sollten wir auch so in die Gegenwart Gottes kommen. (ADV9)

Männliche Befragte haben sich prinzipiell weniger zur Thematik Kleidung geäußert und hatten keine vergleichbaren Erfahrungen, irgendwo ›anzuecken‹. Kleidung erscheint daher weiter als ein in erster Linie feminin besetztes Thema, sowohl als Instrument der Standardisierung als auch als Mittel der Subversion. Auch das Tragen von Schmuck oder Make-up, welche von offizieller Seite her ebenfalls verpönt sind, ist in erster Linie eine Frage des weiblichen Körpers. Das Tragen von Schmuck oder Make-up wird von den Befragten, männlich wie weiblich, noch stärker als die Kleidung der persönlichen Verantwortung des Einzelnen überlassen. Einige Gemeindemitglieder, jüngere wie ältere, tragen Schmuck und verwenden Make-up. ADV4 bezeichnet dies als jüngere Entwicklung, und die meisten weiblichen Befragten gaben an, sich selbst nicht zu schminken oder Schmuck zu tragen und auch so erzogen worden zu sein. Niemand äußert sich jedoch besonders kritisch dazu, so dass mit der Aussage von ADV2 das Spektrum der Antworten abgedeckt werden kann: Die kirchliche Linie ist zwar bekannt, das Thema wird jedoch nicht als bedeutsam empfunden. Was das betrifft, gibt es das Verständnis, dass man sagt, euer Schmuck sei eher inwendig und nicht äußerlich, zu sagen, Gott sieht mich so wie ich bin, da muss ich jetzt nicht viel dazu beitragen und muss mir jetzt nicht noch eine Kette um den Hals hängen und noch Ringe auf die Hand stecken. Das wäre auch das Verständnis der Kirche oder mein Selbstverständnis. Es ist aber eine sehr persönliche und sehr individuelle Entscheidung, ja, und wird auch ganz unterschiedlich gelebt am Globus, weil es halt auch kulturell bedingt ist. Für den einen ist die Halskette zu viel, und der andere sagt, ja, das ist ja gar nichts. Das ist klarerweise auch mal ein gewisses Spannungsfeld, aber letzten Endes eine Frage, die der Einzelne beantworten muss. (ADV2)

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4.4.2 Charismatische Körperpraktiken Als besonders spektakuläre und umstrittene Inszenierungen des Körpers sind die Phänomene der Glaubensheilung und der Glossolalie zu nennen. Die Möglichkeit eines auch körperlich heilenden Wirkens Gottes ist dabei grundsätzlich in allen christlichen Konfessionen anerkannt und auch biblisch fundiert: Heilungshandlungen Jesu gelten als konkrete Realisierungen des angebrochenen Reiches Gottes, und das Heilen von Kranken wird ausdrücklich als integraler Teil der Missionsarbeit der Apostel verstanden, etwa in Mt 10,8. Der Geheilte erhält Anteil an der Ordnungs- und Schöpfungsmacht Gottes, sein Körper wird zum Realsymbol der göttlichen Wirklichkeit und dient wiederum der Sichtbarmachung eines göttlichen Geschehens.382 Gerade solche ›spektakulären‹ Gaben wie auch das Wirken von Wundern sind im Laufe der Geschichte des Christentums immer weniger thematisiert worden, wie überhaupt eine gewisse ›Geistvergessenheit‹ zu Gunsten anderer Frömmigkeitsformen behauptet werden kann. In der für Freikirchen relevanten protestantischen Tradition wurde durch Luthers Ablehnung einer Geistwirkung außerhalb von Wort und Sakrament »die Entwicklung einer positiven Lehre von enthusiastisch-charismatischen Erlebnissen [verhindert]«383. Während private Gebete um ein heilendes Eingreifen Gottes oder Wallfahrten allgemein verbreitet sind, ist die bewusste Integration von Heilungsakten in gottesdienstlichen Vollzügen vor allem eine Angelegenheit von Gemeinden der Pfingstbewegung und den von ihnen inspirierten charismatischen Gruppen innerhalb anderer Konfessionen. Der unaufhaltsame Aufstieg pfingstlicher und charismatischer Bewegungen und Kirchen hat im 20. und 21. Jahrhundert nicht nur Freikirchen, sondern auch die etablierten Großkirchen geprägt. Die Differenzerfahrung von biblischen Berichten zum Geistwirken und kaum ausgeprägter christlicher Praxis war die Grundlage der Pfingstbewegung, die sich als Reaktualisierung der frühkirchlichen apostolischen Macht in ihrer Fülle verstand.384 Bezogen auf Jak 5,7385 sollte sie nun in einem neuen Pfingsten den ›Spätregen‹ des Heiligen Geistes erhalten, der dem ›Frühregen‹ der Apostelzeit

382 Vgl. Berger, Klaus: Biblisches Christentum als Heilungsreligion, in: Ritter, Werner/Wolf, Bernhard (Hg.): Heilung – Energie – Geist. Heilung zwischen Wissenschaft, Religion und Geschäft, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, 226–256. 383 Zimmerling, Peter : Charismatische Bewegungen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, 100. 384 Vgl. Robeck, Cecil: The Azusa Street Mission and Revival. The Birth of the Global Pentecostal Movement, Nashville: Nelson 2006, 119–122. 385 »Habt nun Geduld, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn! Siehe, der Bauer wartet auf die köstliche Frucht der Erde und hat Geduld ihretwegen, bis sie den Früh- und Spätregen empfange.«

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folgt,386 mitsamt allen apostolischen Wundern, von denen das Neue Testament berichtet. Seit den 1960er Jahren haben charismatische Anschauungen und Praktiken auch Einzug in verschiedene christliche Denominationen gehalten. Dieser charismatische Einfluss bildet im Unterschied zur Pfingstbewegung keine eigenen Kirchengemeinden aus, sondern versteht sich als reformierende Kraft innerhalb der jeweiligen Denomination. Freikirchen stehen damit im Kontext sowohl von freikirchlichen Pfingstgemeinden und neocharismatischen Gemeinden (etwa Vineyard) wie auch von charismatischen Bewegungen innerhalb der eigenen Tradition. Der Fokus dieser Kirchen und Bewegungen liegt auf den sogenannten charismata, den Gaben des Heiligen Geistes. Es handelt sich hierbei um eine stark erfahrungszentrierte Glaubenspraxis, bei der der Körper eine bedeutsame Rolle spielt: Vor allem Zungenrede und Geistheilungen, aber auch das sogenannte ›Ruhen im Heiligen Geist‹, bei dem Gläubige, in dieser Deutung bewirkt durch den Heiligen Geist, zu Boden gehen, das ›Lachen im Heiligen Geist‹ oder ausdrucksstarke Gebetsformen sind charismatische Praktiken, die den Körper zu einem bedeutsamen Medium und Zeichensystem von Glaubenserfahrungen machen.387 Der Körper fungiert hier auch als Instanz der Individualität: Charismatisches Christentum markiert eine Verschiebung von einer institutionalisierten Religion hin zur stärkeren Betonung persönlicher Erfahrung. Die Reputation von heilungszentrierten charismatischen Gemeinden wurde im Besonderen in den USA durch die bisweilen fragwürdigen Machenschaften von Healing Evangelists in Frage gestellt, die sich ihre Dienste von oftmals verzweifelten Kranken teuer bezahlen ließen und durch diese Praxis zu großem persönlichen Reichtum gelangten.388 Sich von diesen abzugrenzen fällt Pfingstgemeinden nicht immer leicht, auch weil, wie Walter Hollenweger anmerkt, »Theologen gewisser charismatischer Gruppen in Europa immer noch versuchen, den Aposteln von ›Zeichen und Wundern‹, den ›Wundertätern‹ und ›Dämonenaustreibern‹ Gastrecht in den Kirchen zu gewähren«389. In anderen Freikirchen wird die öf386 Vgl. Geldbach, Freikirchen, 268. 387 In Pfingstkirchen fungierte die Zungenrede als körperliche Evidenz der Erlösung durch Gott, während sie in der charismatischen Bewegung in ein komplexeres System von Glaubenserfahrungen und -zeichen eingeordnet ist. Auf Grund des ähnlichen Zugangs zum Heiligen Geist kann man durchaus von einem ›pfingstkirchlich-charismatischen Christentum‹ sprechen, darf jedoch beide Begriffe nicht äquivalent verwenden. 388 Was umso bedenklicher ist, als unmittelbar (!) auf den Heilungsauftrag Jesu an die Apostel in Mt 10,8 die Anweisung folgt: »Umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebt! Verschafft euch nicht Gold noch Silber noch Kupfer in eure Gürtel«. Soviel zum Thema selektive Bibellektüre. 389 Hollenweger, Walter : Charismatisch-pfingstliches Christentum. Herkunft, Situation, Ökumenische Chancen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997, 260. Vgl. dazu auch Singleton, Andrew : The Rise and Fall of The Pentecostals. The Role and Significance of

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fentliche Inszenierung von Glaubensheilung zurückhaltender betrachtet, jedoch ist festzuhalten, dass es in allen Konfessionen charismatische Gruppen gibt, die von pfingstkirchlichen Elementen beeinflusst sind. Deren Verhältnis zu ihren Stammkonfessionen wird von letzteren unterschiedlich eingestuft und kann von Akzeptanz bis zu Ablehnung reichen. Ebenfalls vor allem in der Pfingstbewegung und bei charismatisch beeinflussten Gruppen anderer Denominationen, kaum dagegen bei den Adventisten, gilt die Glossolalie als außergewöhnliches Zeichen der Gegenwart Gottes, die William Samarin als »eine inhaltlich bedeutungslose, aber phonologisch strukturierte Äußerung, von der der Sprecher glaubt, dass sie eine reale Sprache ist, die aber keine systematische Ähnlichkeit zu irgendeiner natürlichen Sprache aufweist«390, definiert. Sie stellt dabei ein stark körperbezogenes Realsymbol des Glaubens dar. Während für die Pfingstkirchen die Zungenrede ein wichtiger Bestandteil der Wirkmächtigkeit des Heiligen Geistes nach der sogenannten ›Geistestaufe‹ ist, gibt es in anderen charismatisch beeinflussten Kirchengemeinden eine gewisse Offenheit dafür, ohne dass sie deshalb zum ultimativen Symbol werden müsste. Wo sie nicht gezielt forciert wird, so wird sie in charismatisch geprägten Kreisen durchaus als mögliches Zeichen der Wirksamkeit der Heiligen Geistes anerkannt. Die Berufung auf die Geistesgaben durch Pfingstler und Charismatiker war und ist freilich auch Anlass zur Kritik. Ein zu starker Fokus auf Ereignisse wie Zungenrede und Heilung sowie deren als manipulativ erachtete Inszenierung im Gottesdienst sind dabei die prominentesten Kritikpunkte,391 hinzu kommt der Zweifel an biblisch nicht verbürgten Phänomenen wie etwa dem ›Ruhen im Heiligen Geist‹. Der intensive Ausdruck von Emotionen gerade durch den Körper, der hier als Zeichen für das Erfülltsein vom Geist fungiert, durch Bewegung, Tanz, laute Rufe u. ä. sorgt für Unverständnis vor allem in ›gesetzteren‹ Traditionen und Kulturen. Der Fokus auf geistige Erfüllung, den Heiligen Geist und Offenheit und Spontaneität erscheint als einseitige Ausrichtung, bei dem Klage und Leid, die (anderen) trinitarischen Personen und liturgische Traditionen zu kurz kommen.392 Bemerkenswert ist jedenfalls die Rolle des Körpers in all diesen Prozessen, die geradezu eine Umkehrung einer lang tradierten Vernachlässigung des Körpers für geistliche Erfahrung darstellt. Spiritualität umfasst hier nicht nur ein geisthe Body in Pentecostal Spirituality, in: Ahlbäck, Tore (Hg.): Religion and The Body, abo: Donner Institute 2012, 381–399. 390 Samarin, William: Tongues of Men and Angels, New York: Macmillan 1972, 2. [Übers. C.F.] Aufbauend auf dem biblischen Befund muss aber unterschieden werden, ob jemand in einer fremden Sprache oder in einer nichtexistierenden Sprache betet, im charismatischpfingstlichen Christentum steht letzteres im Vordergrund. 391 Vgl. Zimmerling, Charismatische Bewegungen, 86–88. 392 Vgl. ebd., 160.

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Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

tiges Innenleben, sondern den Menschen als Ganzes, in seiner körperlichen Dimension.393 Der Körper wird so zum Zugriffspunkt und zu einem Zeichensystem für die Wirksamkeit und damit Wahrheit des pfingstlich-charismatischen Christentums. Während es in der Geschichte anderer Freikirchen enge Berührungspunkte mit charismatischen und pfingstlichen Bewegungen gab, und das Verhältnis hier zwischen Beeinflussung einerseits und Abgrenzung andererseits steht, gibt es auf die adventistische Tradition ungleich weniger Einfluss: »Adventist worship is generally restrained and carefully organized«394. Daher verträgt sich die Form der pfingstlich-charismatischen Feier des Gottesdienstes kaum mit dem adventistischen Mainstream. Charismatisch-adventistische Gemeinden, wie etwa die Adventist Church of Promise, befinden sich daher außerhalb der weltweiten Organisation oder sind an deren Rändern anzusiedeln und werden kritisch betrachtet.395 Die Ideen der charismatischen Bewegung Mitte des 20. Jahrhunderts erreichten freilich auch den Adventismus: Spätestens Anfang der 1970er war hier eine Diskussion um die Art und Weise der Gottesdienstfeier und speziell die Zungenrede entbrannt, auf welche die Generalkonferenz 1972 mit der Einrichtung eines Komitees reagierte, welches Richtlinien für den Umgang mit diesen Phänomenen erließ.396 Darin wandte man sich gegen den Individualismus, die Unordnung, die Konkurrenz zur biblischen Wahrheit sowie die Kontroversität, die man vor allem mit der Zungenrede verband. Die Überlegungen resultierten im Handbuch Charismatic Countdown für Prediger und Laienprediger. Damit wurde einem allzu großen charismatischen Einfluss auf die Gemeinden ein klarer Riegel vorgeschoben. Sowohl im Neuen Testament als auch aus der Frühzeit der adventistischen Geschichte, also noch bevor eine Assoziation mit der späteren charismatischen Bewegung vorlag, sind jedoch Phänomene der Zungenrede überliefert, so dass hier eine Positionierung notwendig wurde. Für die Frühzeit der Adventisten, zwischen der Milleriten-Bewegung und der Konstituierung als Kirche, sind bis ins Jahr 1855 fünf Fälle von Zungenrede belegt, die jedoch nach Ansicht des adventistischen Theologen Frank Hasel als Einzelfälle bewertet werden müssen, die keine Ähnlichkeit zu späteren charismatischen Praktiken wie Lobpreis, Ekstase, Lachen im Geist oder bewusster Herbeirufung des Heiligen Geistes aufweisen: »Die frühadventgeschichtlichen Phänomene der Zungenrede lassen 393 Vgl. Hovi, Tulja: Praising as Bodily Practice. The Neocharismatic Culture of Celebration, in: Ahlbäck, Tore (Hg.): Religion and The Body, abo: Donner Institutet 2011, 129–140, 132. 394 Lockhart/Bull, Seeking a Century, 221. 395 Vgl. Tinker, Colleen: Oregon Pastor Resigns, in: Adventist Today 6/1 (1998) 22–24. 396 Vgl. Hasel, Frank: »Zungenrede in der Adventgeschichte«, in: http://www.bibelschule. info/streaming/Frank-M.-Hasel-Zungenrede-in-der-Adventgeschichte_23764.pdf (abgerufen am 12. Dezember 2012).

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sich also in keiner Weise dazu verwenden, die heutige charismatische Glossolalie als Zungenrede in Form von unverständlichem Geplapper oder Gelalle zu legitimieren.«397 Andere proto-charismatische Praktiken lagen sehr wohl vor, begeistertes Singen, Hallelujarufe oder Händeklatschen sind für die frühen adventistischen Gemeinden ebenso belegt wie ein Niedergeworfenwerden durch den Heiligen Geist. Ellen White wandte sich vehement gegen diese Praktiken, bis diese schließlich zurückgingen. »Der Missbrauch durch einige Schwärmer, das geistliche Wachstum der Gemeinschaft und das zunehmende Bildungsniveau vieler Gemeindemitglieder trugen dazu bei, dass der adventistische Gottesdienst innerhalb weniger Jahre ruhiger und weniger enthusiastisch gestaltet wurde.«398 Auf Grund der Bedeutung der Gesundheit im Adventismus üben die bemerkenswerten Geistheilungen in pfingstkirchlichen Gottesdiensten nach wie vor für viele Adventisten eine Anziehungskraft aus, wie ]ngel Rodr&guez konstatiert, »die Auffassung vieler von dieser Gabe [ist] durch das, was sie in pfingstlerischen Kreisen sehen, beeinflusst. Und einige sind der Ansicht, dass sich diese Gabe bei uns genauso manifestieren sollte wie in charismatischen Gemeinden«399. Dem setzt Rodr&guez, repräsentativ für die Führung der STA, die medizinische Mission als überzeugendere und vernünftigere Heilungsgabe entgegen, während die spektakulären Geistesgaben kritisch betrachtet werden: »Unsere Sicherheit liegt nicht in den Wundern und Heilungen, sondern in der Bibel. […] Heute erleben wir die Gabe der Heilung vor allem durch den Dienst der Medizin.«400 Ein Element (proto-)charismatisch-pfingstlichen Denkens existiert allerdings auch bei den STA, nämlich das Konzept des sogenannten ›Spätregens‹, das sich schon bei White findet. In den 1880er-Jahren wurde im amerikanischen Christentum auf Basis von Joel 2,23 die Vorstellung verbreitet, dass Gott am Ende der Zeit erneut eine Fülle an Geistesgaben über sein Volk ausschütten würde, dem ›Frühregen‹ der Apostelzeit würde dann der ›Spätregen‹ der Endzeit folgen. Das darauffolgende Latter-Rain-Movement wurde zu einem wichtigen Vorläufer der Pfingstbewegung, und auch bei Ellen White und damit den STA gibt es diese Vorstellung. Auch Rodr&guez hält trotz seiner Kritik am Pfingstlertum an der Vorstellung fest, dass Gott »die Manifestationen des Heiligen Geistes unter uns intensivieren [wird] und die Prophezeiung Joels wird ihre letzte Erfüllung finden«401. Dem Konzept des Spätregens wurde innerhalb der STA in den letzten

397 398 399 400 401

Ebd. Richardson, Der Heilige Geist, 100. Rodríguez, Heilungsgaben, 26. Ebd. Ebd.

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Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

Jahren immer mehr Raum gegeben. Im offiziellen Text God’s Promised Gift wird eindringlich gefordert: We believe that the purpose of the outpouring of the Holy Spirit in latter-rain power is to finish Christ’s mission on earth so He can come quickly. […] We urge every church administrator, departmental leader, institutional worker, health worker, literature evangelist, chaplain, educator, pastor, and church member to join us in making revival, reformation, discipleship, and evangelism the most important and urgent priorities of our personal lives and our areas of ministry. We are confident that as we seek Him together, God will pour out His Holy Spirit in abundant measure, the work of God on earth will be finished, and Jesus will come.402

Gegen die zunehmende Bedeutung des Spätregen-Konzepts gibt es freilich auch Kritik, die jedoch eine Minderheitenposition zu sein scheint.403 In der untersuchten Adventgemeinde lassen sich keine Bezüge zu charismatischen oder pfingstlichen Kirchen ausmachen, und auch entsprechende Einflüsse können nicht festgestellt werden. Zwar sind den Befragten die entsprechenden Phänomene bekannt und werden bisweilen auch als interessant eingestuft, es überwiegt jedoch eine klare Skepsis bis Ablehnung, womit die Adventgemeinde mit dem adventistischen Mainstream übereinstimmt: Diese geistgewirkten Phänomene, die wir in Pfingstkirchen finden, werden von unserer Gemeinde eigentlich abgelehnt, wir sehen darin eigentlich nicht eine Erweisung des Heiligen Geistes (ADV5).

Da es keine gemeindeinterne charismatische Tradition gibt und auch keine Konversionen von ehemaligen Pfingstlern, lassen sich in der Gemeinde auch keine privaten Erfahrungen oder Zugänge eruieren. Eine Befragte gab zwar an, als Gast in einer anderen freikirchlichen Gemeinde eine Zungenrede erlebt zu haben, war daran selbst jedoch nicht beteiligt. Diese Befragte setzt dem spektakulären Geschehen in den Pfingstkirchen das stille Heilswirken Gottes in der Adventgemeinde entgegen: In unserer Gemeinde ist das nicht üblich, soweit ich weiß, also hier nicht, sonst glaube ich auch nicht. Und auch diese Heilungen, die man da oft sieht, diese Massenheilungen 402 Annual Council of the SDA: »An Urgent Appeal for Revival, Reformation, Discipleship, and Evangelism«, in: http://www.revivalandreformation.org/assets/41921 (abgerufen am 17. Mai 2013). 403 Etwa beim deutschen Pastor Josef Butscher : »Es gibt im Buch der Bücher keine allegorische Verwendung der Begriffe, keine Erwähnung, dass Pfingsten zur Zeit der Apostel den Frühregen darstelle und am Ende der Zeiten ein Spätregen ausgegossen werden würde. Ob dann der sogen. Frühregen und/oder Spätregen nochmals für die Gemeinde Gottes und den Einzelnen nötig sei, erübrigt sich infolgedessen. Sollte Gedankengut ›nach adventistischem Verständnis‹ nicht konform mit den Aussagen der Heiligen Schrift sein?«, Butscher, Josef: »Zum Thema Frühregen und Spätregen«, in: http://www.adventistleadership.org/741/zumthema-fruhregen-und-spatregen/ (abgerufen am 17. 05. 2013).

Den Körper inszenieren

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oder so, das ist auch nicht üblich bei uns, also das kommt mehr in den Pfingstgemeinden vor. Es gibt schon Heilungen in unserer Gemeinde, aber dann ist es eben so, wie es im Jakobus steht, dass eben die Ältesten oder der Prediger hingeht und für den bittet, und das ist eher nicht so spektakulär, sondern im Verborgenen. Natürlich, wenn der dann geheilt ist, kommt das schon an die Öffentlichkeit und er lobt Gott und die Gemeinde lobt Gott und so, aber die Heilung an sich ist, wenn eine stattfindet, eben mehr ruhig und nicht so etwas Spektakuläres. Aber das gibt es schon, man hört schon immer wieder Berichte, dass Leute geheilt worden sind von Krebs oder anderen Krankheiten, das kommt schon vor. (ADV8)

Hier wird einerseits die Bibelnähe der adventistischen Praxis betont, andererseits aber klar herausgestellt, dass Gott auch hier und nicht nur in den spektakulären Phänomenen heilend am Werk ist. Diese Haltung entspricht der theologischen Position von Rodr&guez, der ebenso auf das Vorkommen von Heilungswundern bei den STA hinweist, sie aber als Einzelfälle einstuft und so von den pfingstlichen Massenheilungen abgrenzt.404 ADV10 kann schließlich, bei aller Abgrenzung, der pfingstlich-charismatischen Tradition auch etwas Positives abgewinnen: Auch wenn diese Heilungen verlockend klingen, glaube ich nicht, dass das von Gott kommt. Das interessiert mich nicht, auch wenn man sich einiges abschauen kann von diesen Menschen, von ihrer Freude und wie sie singen und wie sie sich an Gott erfreuen. Das kann man sicher von den Charismatischen lernen, dass sie mit mehr Herz an der Sache dabei sind, also nicht so oberflächlich, wie es manchmal in unserer Gemeinde ist. (ADV10)

So sehr ADV10 hier eine theologische Grenzziehung vornimmt, so ist der Hinweis auf die erlebte Freude in charismatischen Gottesdiensten doch hervorzuheben, da sie nicht nur bemerkt, sondern unmittelbar einem manchmal konstatierten Vorhandensein adventistischer Oberflächlichkeit gegenübergestellt wird. Der zurückhaltende und sorgfältige organisierte Gottesdienst der adventistischen Tradition steht bis zu einem gewissen Grad in Opposition zur Begeisterung in charismatischen Gemeinden. Diese Spannung hat sich in der Adventgemeinde auch in der Frage nach der Einführung von modernem, jugendlichem Liedgut bemerkbar gemacht, dem Singen von Popsong-artigen Liedern, eine Praxis, die aus der charismatischen Tradition kommt. Der Streit um die Einführung dieses Liedguts hat sogar zu Gemeindeaustritten geführt, mittlerweile hat das jugendliche Songservice aber einen Platz im Gottesdienst bekommen. Es bleibt abzuwarten, ob sich mit einer jüngeren Generation auch charismatische Ideen in der Gemeinde etablieren können. Es war einer der jungen Befragten, der als Einziger den Begriff des ›Spätregens‹ in Zusammenhang mit seiner Naherwartung nannte. Die Dringlichkeit, 404 Vgl. Rodríguez, Heilungsgaben, 26.

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Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

mit der die offizielle Kirche der STA auf dieses Ereignis hinweist (s. o.), und das geradezu rettende Konzept, das ADV6 damit verbindet, sind bemerkenswert: Es gibt natürlich den Trend der Säkularisierung, sage ich jetzt mal so ganz salopp, der ist natürlich auch da. Im Grunde, schätze ich, steuert es auf eine Erweckung hin, also. […] Es gibt Hinweise auf die Zeit, was vor der Wiederkunft passieren wird, und da gibt es auch eine Zeit des Spätregens. Früh- und Spätregen, ja, auf die Ernte bezogen ist der Frühregen wichtig, dass etwas wachsen kann, und der Spätregen wichtig, dass es dann wirklich reifen kann. Und so ist der Spätregen, wenn man die biblische Prophetie erforscht, der Spätregen, der ist noch nicht da, da kommt noch was. Und die Zeichen der Zeit, die man in der Bibel findet, wie Erdbeben, und dass die Liebe erkaltet, das findet man schon alles, und dass das Evangelium auf der ganzen Welt verkündet wird, und die Globalisierung, Medien, es wird immer mehr möglich. Es ist noch nicht da, das Ende, aber die Bibel spricht ja noch von falschen Propheten, die kommen werden, falsche Christusse, die sind auch noch nicht da, es gibt erste Trends. Wir sind noch ein behütetes Kind in Europa, aber in Amerika, da geht es zu, na habe die Ehre, da gibt’s wirklich Leute, die behaupten, dass sie Christus sind, und Europa ist noch ein bisschen behütet, aber die Zeichen der Zeit, sie werden mehr. Und sie werden kommen, und wenn ich die Bibel glaube, und ich glaube sie von Anfang bis zum Ende, dann spricht sie auch von der Zeit des Spätregens, von der Zeit der Erweckung, wo das Evangelium wieder mit Vollmacht quasi gepredigt und verbreitet wird. Und ich ganz persönlich sage, ich glaube, das ist bald. Und das haben die Jünger so auch schon gesagt vor zweitausend Jahren [lacht], aber sie hatten nicht Recht. [lacht] Woher soll ich jetzt wissen, dass ich Recht habe? Aber ich glaube, es ist bald, und mal sehen. Ich glaube an die Erweckung. Das ist die einzige Chance, diesem Trend, glaube ich, entgegenzusteuern. Ja, mal schauen.

Hier zeigt sich sehr stark die Hoffnung auf eine spirituelle Erweckung, die nicht nur als Vorzeichen der Wiederkunft Christi fungiert, sondern zugleich einen Prozess der Säkularisierung bei den STA aufhalten soll. Wenn der nach Lektüre, Gesprächen und Besuch der Tagung ›Die Naherwartung und die Adventgemeinde heute‹ gewonnene Eindruck, dass das klassische Endzeitkonzept der Adventisten zumindest in den USA und Europa sowohl theologisch als auch pastoral instabiler wird, zutrifft, so erscheint die Hoffnung auf den Spätregen sowohl von der Kirchenleitung als auch von gläubigen Jugendlichen als Ausdruck dieser Instabilität. Denn hier wird ein Eingreifen Gottes und eine Respiritualisierung erhofft, die sich konzeptionell stark an die Geistgaben anlehnt, wie sie auch in der aufkommenden Pfingstbewegung existieren, indem die Hoffnung besteht, dass sich »die Manifestationen des Heiligen Geistes unter uns intensivieren«405.

405 Rodríguez, Heilungsgaben, 26.

5.

Zusammenfassung und Schluss

Welches Selbstverständnis haben die befragten Mitglieder der untersuchten Gemeinde, welche Elemente tragen in diesen Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen zur Identifikation bei? Und welchen Beitrag leistet Körperlichkeit als in den Alltag hineinreichende Dimension des Religiösen für das Selbstverständnis, einer bestimmten Denomination anzugehören? Diese Ausgangsfragen wurden in dieser explorativen Studie erörtert, die einen Einblick in ein von der religionswissenschaftlichen Forschung bisher kaum wahrgenommenes religiöses Feld in Österreich bietet. Entsprechend den Ergebnissen dieser Arbeit soll hier noch einmal vergleichend und zusammenfassend auf das allgemeine Selbstverständnis und anschließend auf die Bedeutung des Körpers in diesen Prozessen eingegangen werden.

5.1

Grundsätzliches Selbstverständnis der Gemeindemitglieder

Als fundamental für das Selbstverständnis der Befragten kann das Motiv der ›persönlichen Gottesbeziehung‹ gesehen werden, für die eine Vielfalt von sprachlichen Ausdrucksformen existiert. Die Befragten verstehen sich zunächst individuell als persönlich Glaubende, als in einer Beziehung zu Gott bzw. Jesus stehende Christen. Dieses Selbstverständnis ist nicht an die eigene Denominationszugehörigkeit gebunden, ›gläubige Christen‹ werden in allen Denominationen vermutet und wertgeschätzt. Man kann von einer Art ›unsichtbarer Ökumene der persönlich Glaubenden‹ sprechen und damit von einer individuellen, aber auch gemeindeübergreifenden Abgrenzung von christlich Glaubenden zu Nicht-Glaubenden. Dennoch werden denominationale Unterschiede gemacht: Während man bei Angehörigen von anderen Freikirchen grundsätzlich davon ausgeht, dass diese persönlich glauben, werden ›gläubige Christen‹ in den Großkirchen eher als Ausnahme gesehen. Trotz des historischen Sonderstatus der adventistischen Tradition herrscht bei den Befragten eine subjektive Teilhabe an dieser Ökumene der gläubigen Christen vor, die sich jedoch nicht

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Zusammenfassung und Schluss

institutionell (durch Teilnahme an denominationsübergreifenden Veranstaltungen) ausdrückt. Die persönliche Beziehung begründet also kein spezifisches denominationales Selbstverständnis, sondern bedeutet zunächst ein Selbstkonzept als Individuum. Trotz dieser ›unsichtbaren Ökumene‹ liegt ein eindeutiges Zugehörigkeitsgefühl zum Adventismus vor. Dieses stützt sich vor allem auf das Bild der adventistischen Tradition als jener, die mit dem Willen Gottes bzw. mit der Bibel am ehesten übereinstimmt. Obwohl also die heilsrelevante persönliche Beziehung in allen Denominationen vermutet wird, wird der richtige Ausdruck dieser Beziehung dennoch klar im Adventismus verortet. Als entscheidende symbolische Grenze wird hier der Sabbat gezogen: Das Halten des Sabbats wird als theologische Evidenz für die richtige Bibelauslegung wahrgenommen, zudem sind der ungewöhnliche Gottesdiensttag und die Sabbatruhe wichtige empirische Unterscheidungsmerkmale, welche den Alltag stark prägen und immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen als wesentliche symbolische Grenze geltend gemacht werden. Durch die Selbstsicht einer strikt dem Text folgenden Orientierung an der Bibel wird die größtmögliche Übereinstimmung der eigenen Denomination mit der biblischen Wahrheit angenommen. Daraus folgt ein bemerkenswerter Rekurs auf das Bekenntnis zur adventistischen Lehre als Akt der Vernunft, als Verstandesentscheidung. Über den christlichen Glauben hinaus entscheidet der ›Verstand‹ konkret über die Zugehörigkeit zur Adventgemeinde. Durch die bleibende Aktualität von Ellen White ist auch ein historisches Bewusstsein vorhanden, welches eine Erinnerung an die Geschichte und Gewordenheit der eigenen Gemeinschaft ermöglicht. Es besteht daher ein Bewusstsein für eine historische ›Glaubenssequenz‹ im Sinne Hervieu-L8gers.406 Das Erwarten der Endzeit sowie der typische adventistische Lebensstil, der wiederum stark mit den Lehren Whites verknüpft wird, sind weitere wichtige Ressourcen, die eine eindeutige Zugehörigkeit zum Adventismus und eine Grenzziehung zu sämtlichen anderen christlichen Denominationen unterstützen. Die befragten Adventisten sind sich des breiten Spektrums ihrer theologischen Besonderheiten bewusst und erfahren praktisch (Sabbat, Lebensstil) wie auch theoretisch (theologische Inhalte) die Differenz der eigenen Gemeinde in ihrem Alltagsleben. Es liegt aber kein exklusives Heilsbewusstsein vor, sondern es gibt eine implizite Verbundenheit und ein Zugehörigkeitsgefühl zu allen Christen, die ›persönlich glauben‹, und dieser Glaube wird auch als letztlich heilsrelevant angesehen. Aus all dem ergibt sich jedenfalls, dass die Gemeinde der Siebenten-TagsAdventisten, so wie sie sich hier organisiert hat, in keiner Weise pejorativ als ›Sekte‹ einzustufen ist, sondern als Freikirche verstanden werden muss. Zwar 406 Vgl. Hervieu-Léger, Pilger und Konvertiten, 10–14.

Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

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kam auch in manchen Interviews eine stark exklusivistische Haltung mit scharfen Verurteilungen anderer Kirchen zum Ausdruck, diese kann jedoch nicht repräsentativ für die Mehrheit der Gemeinde sowie die Gemeindeleitung gelten. Es herrscht sehr wohl ein klares Bewusstsein für die Einbettung des Adventismus in die gesamtchristliche und speziell in die reformatorische Geschichte und Gegenwart vor. Dies ändert freilich nichts daran, dass die eigene Lehre als allein der Wahrheit entsprechend verstanden wird, das Heil wird jedoch am persönlichen Glauben des Einzelnen festgemacht, nicht an der konfessionellen Zugehörigkeit.

5.2

Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

5.2.1 Den Körper denken Die Metapher vom ›Tempel des Heiligen Geistes‹ wird von allen Befragten in erster Linie mit der Pflege und dem Gesundhalten des Körpers verbunden. In der Folge von White spielt dieses paulinische Sprachbild bei den Befragten eine wichtige Rolle, sie verwenden ein reichhaltiges Vokabular um die Bedeutung des Satzes zu umschreiben und verbinden ihn mit dem adventistischen Lebensstil. Damit kommt der Sorge um den Körper eine theologische Sinndimension zu, ein gesunder und gepflegter Körper steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer In-Dienst-Nahme durch Gott und wird biblisch legitimiert. Das Bekenntnis zum adventistischen Lebensstil ist zugleich eine wichtige alltägliche Dimension der Zugehörigkeit, die den Glauben in praktischen Alltagsvollzügen präsent setzt. Im Hinblick auf das Thema Krankheit und Gesundheit wird ein rationalisierter Umgang deutlich: Krankheit wird hier nicht nur als Schicksal, sondern immer zugleich auch als mögliche Konsequenz eines unangemessenen Lebensstils beschrieben. Durch die richtige, rationale (= adventistische) Lebensführung liegt es in der Verantwortung der Einzelnen, ihre Gesundheit selbst sicherzustellen, bis zu einem gewissen schicksalhaften Restrisiko, welches mit dem Motiv der in Sünde gefallenen Welt erklärt wird. Die Auseinandersetzung mit charismatischen Heilungswundern ist kaum präsent, vielmehr wird die Bedeutung eines gesunden, adventistischen Lebensstils als spezifisches Moment der Identifikation herausgehoben.

210

Zusammenfassung und Schluss

5.2.2 Den Körper führen Die Normierung der Sexualität bedeutet einen starken Zugriff einer religiösen Gemeinschaft auf die intimsten körperlichen Vollzüge ihrer Mitglieder. Sexualmoral wird in erster Linie mit vorehelicher Enthaltsamkeit verbunden, die durchwegs von allen Befragten als wichtig angesehen wird. Dabei hat sich gezeigt, dass dieses sehr anspruchsvolle Gebot nur dann wirklich akzeptiert wird, wenn es mit einer zusätzlichen Sinndimension erfüllt und rationalisiert wird. Die bedeutsamste dieser Sinndimension ist jene des ›Schutzes‹ vor negativen sexuellen Erfahrungen, Krankheiten oder ungewollten Schwangerschaften. Dementsprechend wird als Abgrenzung zur säkularen Gegenwartsgesellschaft auch immer wieder ein negatives Bild von deren vorgeblicher Promiskuität gezeichnet, vor der vor allem Jugendliche geschützt werden müssten. Obwohl insgesamt ein klarer Konsens über die Höherwertigkeit der vorehelichen Enthaltsamkeit vorherrscht, so wird dieser schnell brüchig, wenn der Einzelne die Sinnhaftigkeit nicht durch zusätzliche, rationale Argumente wirklich nachvollziehen kann. Diese Haltung liegt in erster Linie bei den jüngeren Befragten vor, da diese von der Thematik des vorehelichen Geschlechtsverkehrs unmittelbarer betroffen sind als ihre meist schon verheirateten älteren Glaubensgeschwister. So schafft die Thematik einen Konfliktbereich innerhalb der einzelnen Gemeinde. Aus der engen Verknüpfung von Sexualität und Ehe bekommt letztere noch einmal eine wichtige Bedeutung als starke soziale Grenze. Die Intimität der Ehe ist nicht nur eine des Körpers, sondern wird von allen Befragten auch als geistige und spirituelle Nähe angesehen. Auch in dieser Frage zeigt sich ein eindeutiges Bewusstsein für die Besonderheit der eigenen Denomination. Hier wird fast durchwegs für einen dezidiert adventistischen Partner optiert. Es zeigt sich eine konfessionelle Endogamie, bei der die symbolischen Grenzen (in erster Linie der Sabbat) zu Nicht-Adventisten klar gezogen werden und auch effektiv zu sozialen Grenzen führen. Die wiederholt ausgedrückte Angst vor Kompromissen im Glaubensleben zeigt an, dass die Zugehörigkeit zur adventistischen Gemeinde sehr stark betont wird und auch deshalb eine Endogamie angestrebt wird, um das Glaubensleben ungehindert entfalten zu können. Auch hier werden also Grenzen entlang der eigenen Denomination errichtet. Der zweite starke Zugriff auf die menschliche Sexualität ist die biblisch begründete Ächtung von Homosexualität. Eine meist männlich vorgestellte Homosexualität wird durchwegs kritisch betrachtet, im Unterschied zur vorehelichen Enthaltsamkeit liegen hier auch explizite biblische Aussagen vor, die noch einmal verbindlicher wirken. Zudem ist die persönliche Betroffenheit selten gegeben, so dass kritische Anfragen kaum existenzielle Bedeutung haben. Eine Abgrenzung folgt in erster Linie zwischen einem biblisch gerechtfertigten mo-

Der Körper als Ressource von Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen

211

ralischen Gebot, das für alle Christen gilt, und einer wahrgenommenen Normalisierung von Homosexualität in der Gegenwartsgesellschaft. Jene Befragten, die persönlichen Kontakt zu Homosexuellen haben, gehen mit dieser Problematik jedoch weitaus sensibler um und bemerken eine Diskrepanz zwischen der biblisch-kirchlichen Ächtung und den (positiven) Alltagserfahrungen, die sie mit Homosexuellen machen. Es zeigt sich hier, dass persönliche Kontakte zu einer veränderten Haltung beitragen können. Im Bereich Alkohol und Tabak gibt es einen klaren Konsens unter den Befragten, welcher mit der traditionellen Lehre übereinstimmt. Das Verbot von Alkohol gilt als selbstverständlich. Auch hier werden die Einschränkungen, die man aus der Bibel ableitet, zusätzlich rationalisiert, die Gesundheit und der Verlust der Kontrolle über sich selbst werden als zusätzliche Begründungen herangezogen. In einer Gesellschaft, in der das Anstoßen mit alkoholischen Getränken weit verbreitet ist, erweist sich die völlige Abstinenz als wichtige Grenze, die die eigene religiöse Zugehörigkeit im Alltag wirksam macht und manchmal erst offenbart. Hier werden Adventisten im Alltag immer wieder in Außenseiterpositionen gedrängt bzw. müssen ihre religiöse Besonderheit erklären. In diesen Fällen wird eine starke Differenzerfahrung gemacht, aus der man in seinem Selbstverständnis gestärkt hervorgehen kann, durch die aber auch die Gefahr eines Rückzugs besteht. Die Abstinenz von Tabak wird bei den Adventisten vehement eingefordert. Da sich die traditionelle Position immer stärker einem gesellschaftlichen Klima annähert, in dem Rauchen insgesamt negativ gesehen wird, kommt es in dieser Frage zu keiner spezifischeren Auseinandersetzung mit dem religiösen Selbstverständnis. Vielmehr werden vor allem gesundheitliche Gründe genannt. Gerade im Bereich des Nikotinkonsums wird sichtbar, wie sehr moralische und medizinische Diskurse ineinandergreifen können. Erst indem Tabak medizinisch als schädlich definiert wird, können religiöse Systeme dies auf Basis des Grundwerts der Gesundheit auch moralisch verurteilen. Ernährungsvorschriften spielen in der adventistischen Tradition eine wesentliche Rolle und tragen viel zum individuellen Selbstverständnis als Adventist bei. Die Bibel wird als Anleitung für eine diätetische Gesundheitspraxis verstanden, und Vegetarismus gilt als empfohlene Lebensform. Eine Hälfte der Befragten gab an, gelegentlich Fleisch zu essen, aber in erster Linie fleischlos zu leben, die andere gab an, gar kein Fleisch zu essen. Insgesamt wird die Bedeutung des richtigen Essens sehr hoch eingeschätzt und stark mit einem adventistischen Selbstkonzept verbunden, das Bewusstsein um die Besonderheit dieses Lebensstils ist eine Ressource für die Abgrenzung zu anderen christlichen Traditionen. Durch die Bedeutung der Thematik sind Ernährungsfragen aber auch eine Quelle von Hierarchisierungen und Abgrenzungen innerhalb der Gemeinde und sorgen daher auch für interne Konflikte, sofern ein entspre-

212

Zusammenfassung und Schluss

chender Rigorismus (etwa vegane Ernährung) von seinen Vertretern als höherwertiger Lebensstil als jener der adventistischen Mehrheit verstanden wird. Damit wird gerade dieser Bereich zu einer Ressource für gemeindeinterne symbolische Grenzziehungen. Die Praxis des Fastens spielt dagegen in der Betrachtung der befragten Adventisten nur eine untergeordnete Rolle, wobei zwischen ›geistlichem‹ Fasten einerseits und Gesundheitsfasten andererseits differenziert wird. Letzteres fügt sich nahtlos in den Ernährungs- und Gesundheitsdiskurs ein und bezieht daraus seine Legitimität, ersteres hingegen begegnet vor allem im Kontext sogenannte ›Fastensabbate‹, welche jedoch eher kritisch betrachtet werden. Da die Sorge um die Gesundheit des Körpers als religiöse Pflicht zu verstehen ist, wird das Gesundheitsfasten gegenüber dem geistlichen Fasten nicht als defizitär verstanden, d. h. es gibt hier keine vermeintliche Höherwertigkeit des geistlichen vor dem gesundheitlichen Fasten, da das gesundheitliche Fasten selbst schon eine religiöse Dimension besitzt. Das Anbieten von Ernährungs- oder Fastenseminaren stellt eine neue Verbindung zwischen den adventistischen Gemeinden und einem gesellschaftlichen Außen her, die jedoch nicht durch traditionelle christliche Symbolik oder Sprache bestimmt wird. Die Gesundheitsbotschaft ermöglicht es dem Adventismus zwar, mit der Moderne ins Gespräch zu kommen, dieses Gespräch bleibt jedoch entkoppelt von Glaubensinhalten.

5.2.3 Den Körper inszenieren

Über das Tragen formeller, ›schöner‹ Kleidung im Gottesdienst herrscht Konsens: Alle Befragten, und nach Beobachtung auch fast alle Gemeindemitglieder, bemühen sich um eine besondere Sabbatkleidung und haben ein hohes Bewusstsein für die soziale Zeichenfunktion von Kleidung. Der Sabbat als überragende Ressource von Grenzziehung und Zugehörigkeit wird so auch in der Kleidungswahl präsent gesetzt. Gottesdienst wird darüber hinaus mit gesellschaftlichen Analogien erklärt, die Einladung zum Gottesdienst entspricht einer Begegnung mit einer gesellschaftlich hochstehenden Person und soll entsprechend gewürdigt werden. Hier kommt ein Gottesbild zum Ausdruck, das in hierarchischen Kategorien gezeichnet wird. Der Gottesdienst wird damit zu einem Ereignis, bei dem gesellschaftliche Konventionen gültig bleiben, auch die Kleidung der Prediger entspricht einem ›Business-Look‹ und weist eine hohe Formalität auf. Durch diesen Konsens wird die Kohäsion der Gemeinde gestärkt, die kleidungsmäßig als gemeinsam Handelnde auftritt und in der Kleidungswahl die Zugehörigkeit zur Gemeinde und ihren Konventionen wirksam macht. Abgesehen von formalen Fragen zeigt sich beim Thema Kleidung eine klare Diskrepanz zwischen den Geschlechtern. Diskussionen über Kleidungsnormen,

Schematische Zuordnung der Marker

213

auch im Alltag, werden in erster Linie (von Frauen wie auch Männern) am Körper der Frau festgemacht. Das Tragen von Röcken sowie die Diskussion um ›sexuell aufreizende Kleidung‹ (eine Formulierung, die bereits eine imaginierte oder erlebte Perspektive eines männlichen Begehrens impliziert) werden zu Möglichkeiten der Normierung weiblicher Körperlichkeit, mit dieser Normierung existiert aber zugleich auch eine Möglichkeit zur Subversion von religiösen Normen. Diese wird vor allem von jungen Frauen auch wahrgenommen, indem bewusst Kleidungsnormen unterlaufen oder deren Grenzen ausgedehnt werden, im Sinne von Bohns Begriff der »vestimentären Operationen«407. Im Hinblick auf Abgrenzung nach außen wird zwar theoretisch auf einen Unterschied zwischen Gemeinde und Mehrheitsgesellschaft Wert gelegt, dieser reduziert sich jedoch meist auf eine Begrenzung der Inszenierung des weiblichen Körpers (›aufreizende‹ Kleidung, Make-up). Andere Kleidungsnormen werden dagegen beibehalten (etwa formelle Kleidungsstile oder der Gebrauch von ›schöner‹ Kleidung). Mit dem Gebrauch einer speziellen Festkleidung wird ein Selbstbild als besonders aufmerksamer Christ verbunden. Adventistischer Gottesdienst ist schließlich grundsätzlich restringierter und steht in einem gewissen habituellen Widerspruch zu den intensiven pfingstlichcharismatischen Inszenierungen des Körpers. Charismatisch geprägte Adventgemeinden stehen dementsprechend am Rand oder außerhalb der adventistischen Weltgemeinschaft. Auch in der untersuchten Adventgemeinde gibt es daher keinerlei charismatische Einflüsse, entsprechende Phänomene sind zwar bekannt, werden aber kritisch betrachtet und nicht mit dem Adventismus in Verbindung gebracht. Sehr wohl relevant ist dagegen das theologische Konzept des ›Spätregens‹, welches einen pfingstlichen Ursprung hat.

5.3

Schematische Zuordnung der Marker

Mit dem folgenden Schema soll eine Übersicht darüber gegeben werden, welche symbolischen Marker (partiell) verwendet werden, welche Zugehörigkeit damit ausgedrückt wird und in Abgrenzung zu welcher Gruppe dies in erster Linie geschieht. Dieses Schema ist eine Orientierung und berücksichtigt keine individuellen Besonderheiten, kann aber als Zusammenfassung betrachtet werden. Wichtig ist hier zu sehen, dass Grenzziehungen nicht automatisch entlang der eigenen Gemeinde bzw. Tradition gezogen werden, sondern die Befragten sich sowohl größeren, die Gemeinde/Tradition transzendierenden, wie auch kleineren, die eigene Gemeinde/Tradition differenzierenden In-Groups zuordnen und entsprechend unterschiedliche Out-Groups konstruieren. Die Analysekategorie 407 Bohn, Kleidung als Kommunikationsmedium, 103.

214

Zusammenfassung und Schluss

Zugehörigkeit/Grenzziehung zeigt diese Dynamik des Selbstverständnisses auf, es zeigt sich, dass die Personen eben nicht an einem einfachen, starren Konzept von adventistischer ›Identität‹ festgemacht werden können.

Marker

Zugehörigkeit (In-Group) Abgrenzung (Out-Group)

Persönlicher Glaube Hochachtung der Bibel

gläubige Christen (prim. Freikirchen) Freikirchen

nicht-gläubige Christen (prim. Großkirchen) Großkirchen (spez. kath. Kirche)

Sabbat Adventisten Wahrheit der Lehre Adventisten

alle anderen christlichen Kirchen alle anderen christlichen Kirchen

Gesundheitspraxis

Adventisten

Krankheit als Konsequenz

Adventisten

Nicht-Adventisten (aber Andocken an säkulare Gesundheitspraxis der Gegenwart) alle anderen christlichen Kirchen

Verzicht auf vorehelichen Sex Endogamie

bibeltreue Christen Adventisten

Homosexualität

bibeltreue Christen

Verbot von Alkohol Adventisten Vegetarismus

Adventisten

Vegetarismus/ Veganismus

›wahre‹ Adventisten

Festkleidung im Gottesdienst keine ›sexuell aufreizende‹ Kleidung

auf Feierlichkeit achtende Gemeindemitglieder moralische Gemeindemitglieder

Gegenwartsgesellschaft; liberale Christen Nicht-Adventisten Gegenwartsgesellschaft, tw. liberale christliche Gemeinden/Kirchen Gegenwartsgesellschaft alle anderen christlichen Denominationen; Gegenwartsgesellschaft (Fleischindustrie) zu »lasche«, Fleisch essende Adventisten zu wenig aufmerksame Gemeindemitglieder Gegenwartsgesellschaft; von dieser beeinflusste Gemeindemitglieder

Schluss: Adventismus und der gesellschaftliche Trend zur ›Gesundheit‹

5.4

215

Schluss: Adventismus und der gesellschaftliche Trend zur ›Gesundheit‹

Durch die bisherige Darstellung wird ersichtlich, dass die befragten SiebentenTags-Adventisten eine Vielzahl an symbolischen Ressourcen für Grenzziehungsprozesse zu anderen christlichen Traditionen aufweisen. Die Naherwartung, der Sabbat, das spezifische Schriftverständnis, die historische Brücke zu Ellen White, aber auch die Gesundheits- und Ernährungspraxis erweisen sich hier als wichtige Marker, und die verbreitete Endogamie verstärkt dies auch sozial. Dementsprechend stehen die STA nicht in einer unmittelbaren Konkurrenzsituation zu anderen Freikirchen: Phänomene wie ›Churchhopping‹, wo Gläubige in ihrer religiösen Biographie zwischen verschiedenen freikirchlichen Gemeinden und Traditionen hin- und herwechseln (da sich diese in den wesentlichen Punkten ähneln), sind kaum bekannt. Die STA haben innerhalb des christlichen und auch spezifisch freikirchlichen Feldes sicherlich einen gewissen Sonderstatus etabliert. Abschließend lässt sich daher anhand des Körpers noch über das Verhältnis der adventistischen Tradition zu Kultur und Gesellschaft reflektieren. Im Hinblick auf die Bedeutung der ›Commun(icat)ing Bodies‹ hat sich gezeigt, dass der Körper eine wichtige Rolle in der religiösen Praxis spielt und wesentlich durch Lebensführung, Kleidung und anthropologische Deutungen zu einer adventistischen Zugehörigkeit ebenso beiträgt, wie er diese Zugehörigkeit auch nach außen präsent und sichtbar machen kann. Der Körper erscheint damit als wichtige Ressource in religiösen Zugehörigkeits- und Grenzziehungsprozessen, welche so auch in die alltäglichen Lebensvollzüge hinein vermittelt werden. Der Körper vermittelt dabei die religiöse Zugehörigkeit auch gegenüber dem Subjekt selbst. Besonders im Bereich der Sexualität, aber auch insgesamt, kann dabei konstatiert werden, dass Zugriffe auf den Körper nicht einfach autoritativ angenommen werden, sondern mit zusätzlichen, erfahrungsbezogenen Argumenten rationalisiert werden müssen. Dies hängt damit zusammen, dass gerade bei körperbezogenen Normen andere, der Lehre widersprechende persönliche Erfahrungen gemacht werden. Gelingt einem Gläubigen diese Rationalisierung nicht, kommt es zu Spannungen zwischen den religiösen Normen und der eigenen Erfahrung, welche zu einer kritischen Sichtweise auf die Lehre führen. Eine wichtige Ressource solcher Rationalisierungsprozesse ist die Medizin. Hier zeigt sich die Bedeutung der Verbindung von medizinischer Forschung und religiöser Anthropologie und Moral. Medizinische Erkenntnisse können als Rationalisierungen religiöser Vorstellungen eingesetzt werden, wirken aber auch auf diese zurück und können sie gegebenenfalls verändern. Umgekehrt können medizinische Erkenntnisse herangezogen werden, um neue moralische

216

Zusammenfassung und Schluss

Normen überhaupt erst zu definieren und zu begründen, etwa beim Verbot von Tabak. Die STA stehen aber nicht nur in einem spezifisch christlich-kirchlichen Kontext, sondern sind zugleich Teil der modernen Gesellschaften. Im Prozess verschiedener gesellschaftlicher Diversifizierungsprozesse ist jede religiöse Gruppe nunmehr einer von unterschiedlichen Akteuren, die sich der Frage des körperlichen und seelischen Heils annehmen. Medizin, Psychologie und Psychotherapie, Coaching, verschiedene Trainings- und Gesundheitsphilosophien, asiatische Körperpraxen wie Yoga oder Tai Qi, Coaching, Lebens- und Gesundheitsberatung und auch staatliche biopolitische Maßnahmen haben sich in den letzten Jahrzehnten als Konkurrenten religiöser Gemeinschaften im Bereich der Körper- und Seelenheilung etabliert. Religion ist damit nach Bourdieu nunmehr »Teil eines neuen Feldes von Auseinandersetzungen um die symbolische Manipulation des Verhaltens im Privatleben und die Orientierung der Weltsicht, und alle setzen sie in ihrer Praktik konkurrierende, antagonistische Definitionen der Gesundheit, der Heilung, der Kur von Leib und Seele um«408. Gerade mit Blick auf die Besonderheiten der adventistischen Tradition ist es hier in den letzten Jahrzehnten zu einer bemerkenswerten (und auch von den Befragten bemerkten) Annäherung zwischen adventistischer Praxis und gesellschaftlichen Entwicklungen gekommen: Das Thema Gesundheit und Gesundheitspraxis wurde zum Mittelpunkt verschiedener gesellschaftlicher Diskurse, ja sogar zu einer Form von Religion und moralischer Performanz.409 Gesunde Ernährung, ›Bio‹, Vegetarismus und Veganismus, mediale Diskurse um die ›richtige‹ Ernährung, Fitness und Work-out, eine Kampagnisierung gegen das Rauchen, Fasten- und Abnehmprogramme uvm. haben sich als Grundthemen zumindest der Mittelschicht und ihrer Medien etabliert und sind auch Inhalt politischer Prozesse und Entscheidungen geworden. All diese Aspekte sind zugleich Teil der spezifisch adventistischen Lebenspraxis seit der Health Reform im 19. Jahrhundert, und werden (freilich ohne Bezug zu einer religiösen Tradition) nunmehr auch gesellschaftlich immer breiter rezipiert. Bestimmte Praxen sind daher für Adventisten nicht mehr, wie einst, eine besondere Auszeichnung, sondern eine Normalitätszeichnung. Wie ist diese Entwicklung zu interpretieren?

408 Bourdieu, Die Auflösung des Religiösen, 233. 409 Vgl. Williams, Simon: Health as Moral Performance. Ritual, Transgression and Taboo, in Health 2/4, 435–457.

Schluss: Adventismus und der gesellschaftliche Trend zur ›Gesundheit‹

217

Adventismus und moderne Gesundheitspraxis Im Hinblick darauf kann der Adventismus historisch als Teil eines bedeutsamen gesellschaftlichen Transformationsprozesses im 19. Jahrhundert angesehen werden. Das Primat der Vernunft begann hier zunehmend nicht nur den Geist, sondern auch den Umgang mit dem Körper und dessen Gesundheit zu prägen, begleitet von neuen medizinischen Erkenntnissen über die Zusammenhänge von Gesundheit, Ernährung und Hygiene. Gegenüber diesem neuen Paradigma der Vernunft auch in gesundheitlichen Fragen verloren in der christlichen Tradition Krankheit und körperliches Leid zunehmend ihre metaphysische Bedeutung als Nachvollzug der Leiden Jesu. Sie wurden stattdessen als Konsequenzen menschlicher Unvernunft und moralischer Unordnung verstanden, welche durch Vernunft und das Befolgen der Gesetzmäßigkeiten der Natur (bis zu einem gewissen Grad) geheilt werden konnten. Zugleich erwuchsen mit der Medizin und dem Aufkommen einer therapeutischen Psychologie den großen Kirchen bzw. der Volksreligion neue Konkurrenten in der Frage nach körperlicher und seelischer Gesundheit und Heilung, was für diese einen »Verlust des Monopols auf Heilung der Seelen im alten Sinn«410 darstellte. Als im 19. Jahrhundert »moralische Normen immer mehr in der Natur und immer weniger in göttlicher Autorität verankert wurden«411, gelang es den Adventisten, diesen Prozess der Naturalisierung in ihr christliches Glaubenskonzept zu integrieren, indem sie biblische Gebote als natürliche Gesundheitsgebote interpretierten. Dies korrespondierte gut mit dem protestantischen und speziell methodistischen Konzept der rationalen Lebensführung. Der Körper wurde so zu einer Schnittstelle von religiös-moralischem und medizinischem Diskurs. Krankheit und Heilung wurden von Schicksal und Maßgabe Gottes zu einem rationalisierbaren Prozess – auch innerhalb einer christlich-religiösen Deutung. Gott als Schöpfer der Welt wurde zugleich als Schöpfer der Naturgesetze gesehen. Damit wurde das Befolgen natürlicher Gesetze (betreffend Körper und Gesundheit) analog zum Befolgen moralischer Gesetze betrachtet – beide entstammen Gott, und ihre Achtung ist daher Teil der Glaubenspraxis. Die Entscheidung für Gott geschieht daher nicht allein im Akt der Taufe, sondern wird durch Ernährung, Training, Körperpflege etc. permanent erneuert: »Time has arrived for everyone to make his final choice for or against God. This is done not so much in large, dramatic decisions as in the small choices we make minute by minute«412. Körperliche Gesundheit und moralische Gesundheit verweisen so gegenseitig aufeinander. Damit gelang es den STA, die Konkurrenz durch neue Interpretations- und Orientierungssysteme wie Medizin und Ernährungslehre in die ei410 Bourdieu, Die Auflösung des Religiösen, 234. 411 Laqueur, Solitary Sex, 16. [Übers. C. F.] 412 Dysinger, Heaven’s Lifestyle Today, 77.

218

Zusammenfassung und Schluss

gene christliche Botschaft zu integrieren, womit aber auch die christliche Botschaft selbst verändert und neu akzentuiert wurde. Zugleich gelang es, die von Bourdieu in der Moderne konstatierte »Neudefinition der Trennung von Seele und Körper und der damit einhergehenden Arbeitsteilung zwischen Seelen- und Körperheilung«413 zu überbrücken: Neben der traditionellen christlichen Seelsorge wurden auch Gesundheit und Ernährung, mit Unterstützung der Medizin, als wesentliche Aufgabe der religiösen Praxis gesehen. Seelen- und Körperheilung bleiben also im Adventismus entgegen Bourdieus aufgezeigtem Trend zusammengehörig, wohl nicht zuletzt auf Grund der spezifischen adventistischen Anthropologie, die nicht von einer unsterblichen Seele ausgeht, sondern den Menschen als Einheit von Körper und Seele betrachtet. Als sinnbildlich für diese Verbindung kann ein österreichischer adventistischer Pastor gelten, der zugleich ausgebildeter Fitnesstrainer ist und Bourdieu sicher fasziniert hätte. Doch ist der Adventismus damit wirklich anschlussfähig an die Moderne, für die Bourdieu eben ein Auseinanderfallen von Seelen- und Körperheilung als konstitutiv ausmacht? So sehr bestimmte Aspekte des Adventist Lifestyle tatsächlich zunehmend mit bestimmten gesellschaftlichen Diskursen und Praktiken korrespondieren, so betrifft dies nicht alle Aspekte, und sie unterscheiden sich fundamental im Hinblick auf ihre Zielsetzung und Begründung. Die im Adventismus am Körper festgemachte Verbindung der religiösen, moralischen und medizinischen Diskurse zielt darauf ab, einen bestimmten Körper zu erzeugen. Daraus entsteht ein Disziplinarsystem, das durch Ernährung, Bewegung, sexuelles Verhalten und Kleidung, gestützt auf medizinisches Wissen, diesen bestimmten Körper hervorbringt.414 Was aber ist das Ziel dieses Prozesses? Folgt man den Argumentationen Ellen Whites, so ist klar, dass Gesundheit der In-Dienst-Nahme des Gläubigen durch Gott dient, ihm die Kraft gibt, sein Leben in den Dienst Gottes zu stellen: »They [die Gläubigen] need to be impressed with the fact that all their powers of mind and body are the gift of God, and are to be preserved in the best possible condition for His service.«415 Der durch Ernährung, Übung und Verhalten geschaffene Körper ist ein zum religiösen Dienst geschaffener Körper. Frömmigkeit, Moralität und Dienstbarkeit für Gott sind die Letztziele dieser Gesundheitspraxis. Zugleich vermittelt der gesunde Körper die Wahrheit der Lehre: Gesundheit und höhere Lebenserwartung dienen, analog zur oft zitierten Bibelstelle Dan 1,12–16,416 als Aufweis 413 414 415 416

Bourdieu, Die Auflösung des Religiösen, 234. Vgl. Feichtinger, To Glorify God in Our Bodies, 96–100. White, Ministry of Healing, 130. »Versuche es doch zehn Tage lang mit deinen Knechten, dass man uns Gemüse zu essen und Wasser zu trinken gebe! Und dann möge unser Aussehen und das Aussehen der jungen Männer, die die Tafelkost des Königs essen, von dir geprüft werden! Dann verfahre mit deinen Knechten je nachdem, was du sehen wirst! Und er hörte auf sie in dieser Sache und

Schluss: Adventismus und der gesellschaftliche Trend zur ›Gesundheit‹

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der Richtigkeit der adventistischen Lehre und Lebenspraxis. Medizinische Studien über die höhere Lebenserwartung adventistischer Gläubiger werden daher gerne zitiert, um die eigene religiöse Lehre als wahr auszuweisen. Doch damit wird eine erste klare Grenze zur modernen Gesundheitsbewegung offensichtlich. Der öffentliche Diskurs um gesunde Ernährung, Fitness, Vorsorge, Rauchverbot, u. ä. weist keinen religiösen Bezug zu einer In-DienstNahme durch Gott auf und dient nicht dem Aufweis der Wahrheit einer religiösen Lehre. Doch worin besteht sein Sinn dann? Nach Ansicht von Mark Edmundson lässt sich konstatieren, dass Gesundheit (und auch Wohlstand) allgemeiner Selbstzweck geworden ist, wohingegen sie zuvor, wie auch bei den Adventisten, lediglich als notwendige Voraussetzung zur Erreichung höherer Ziele betrachtet wurde: Health and wealth used to be means to an end. […] To have the material necessities of life and to possess physical well-being put one in a position to do remarkable deeds. Now health and wealth have become ends in themselves. […] One wants to live forever! What for – what will the goal of such a life be? The goal of living forever is exactly that – to live forever.417

Edmundson kritisiert eine von ihm konstatierte ›Kultur des Selbst‹, mit der ein zunehmender Verlust von Idealen einhergeht. Der Körper ist nicht mehr ein Tempel des Heiligen Geistes, sondern ein Tempel des Selbst, den es zu erhalten gilt zu Gunsten des eigenen Wohlbefindens. Der gesunde Körper und das Wohlbefinden haben jedoch in der gegenwärtigen Gesellschaft keinen außerhalb ihrer Selbst gelegenen Zweck und Sinn mehr. Sofern Edmundson mit seiner Einschätzung recht hat, ist hier ein wichtiger Unterschied zwischen adventistischer und moderner Konzeption anzusetzen. Dieser Unterschied stellt eine symbolische Grenze zwischen Adventismus und moderner Gesellschaft dar, die eine doppelte Herausforderung bedeutet: Einerseits gilt es für die STA, durch Grenzziehung die Besonderheit der religiösen Einbindung der Gesundheitspraxis aufrecht zu erhalten, um nicht im gesellschaftlichen Mainstream aufzugehen. Andererseits müssen die Grenzen soweit aufgemacht werden, dass der eigene Gesundheitsdiskurs an die Gesellschaft anschlussfähig wird, als Chance der Missionierung. An dieser Stelle ist jedoch ein weiterer Unterschied zu konstatieren: Philip Mellor und Chris Shilling weisen in ihrer Gegenwartsdeutung auf einen sich verstärkenden Diskurs über einen hard body hin. Nicht mehr nur ›einfach‹ versuchte es zehn Tage mit ihnen. Und am Ende der zehn Tage zeigte sich ihr Aussehen schöner und wohlgenährter als das aller jungen Männer, die die Tafelkost des Königs aßen. Da nahm der Aufseher ihre Tafelkost und den Wein, den sie trinken sollten, weg und gab ihnen Gemüse.« 417 Edmundson, Mark: Self and Soul. A Defense of Ideals, Cambridge: HUP 2015, 49.

220

Zusammenfassung und Schluss

Gesundheit oder Schlankheit stünden zunehmend im Fokus, sondern Kraft, muskuläre Definition und Widerstandsfähigkeit, sowohl bei Männern wie auch Frauen. Der trainierte und gepflegte Körper erweist sich nach Mellor und Shilling so als Widerstandsort gegen eine zunehmend als unsicher erlebte Gegenwart. Der herausgearbeitete Körper sei ein ›Grenzkörper‹ (frontier body), der einen Schutz vor anderen Menschen, vor unliebsamen Begegnungen, aber auch vor Krankheitserregern sowie der beruflichen Erschöpfung darstellt. Dieser Prozess geht dabei einher mit einer zunehmenden gesellschaftlichen Problematisierung des Berührtwerdens durch andere.418 Dieser gegenwärtige Trend zum hard body unterscheidet sich jedoch fundamental von der adventistischen Konzeption von Gesundheit, nicht zuletzt, weil er nicht als solcher ausgewiesen ist, sondern lediglich als unbewusster Ausdruck sozialer Ängste gelten kann. Schließlich kann auch eine weitere mögliche Deutung des Sinnsystems der modernen Gesundheitspraxis vorgenommen werden, die sich wiederum grundlegend von der adventistischen Form unterscheidet. Mellor und Shilling sprechen von einer ›janusköpfigen‹ Haltung zum Körper in der westlichen Moderne: Diese Haltung ist einerseits von der, idealtypisch dem Protestantismus zugeschriebenen, rationalen Praxis der Disziplinierung geprägt. Der rationale Zugriff auf den Körper durch ›Kalorienzählen‹, Trainingsprogramme, Selbstüberwindung etc. hat einen beherrschten, leistungsstarken und widerstandsfähigen Körper zum Ziel. Andererseits, dies ist die zweite Seite des Januskopfes, wurde vor allem durch die antireformatorische Kunst des Barock ein ästhetischer Zugang zu Natur und Körperlichkeit neu geprägt: Das Barock will, in den Worten Friedells, »den Rationalismus durch Sensualismus ablösen, auslösen, erlösen«, der menschliche Körper, »in der Renaissance bloß anatomisch schön, erhält nun eine sexuelle Schönheit«419. Die katholisch geprägte Kunst und später die barocke Malerei ebenso wie die moderne Werbe- und Medienindustrie zielen nicht auf Beherrschung, sondern auf eine kunstvolle Inszenierung des Körpers ab, der beim Betrachter ein sinnliches, erregendes, emotionales Sehen auslösen soll.420 So kann auch die Praxis, seinen Körper durch bestimmte Gesundheits- und Trainingspraxis zu formen, mit der Absicht verbunden sein, den Betrachter sinnlich zu erregen und für diesen (sexuell) attraktiv zu sein. Dies könnte mit Mellor und Shilling eher als kunstvolle, erotisierende Körperpraxis verstanden werden. Damit gäbe es zwei Idealtypen der Körper- und Gesundheitspraxis in der westlichen Tradition: einerseits die disziplinierende, rationale, auf Leistung und Widerstandskraft ausgelegte, und 418 Vgl. Mellor/Shilling, Re-forming the Body, 192–195. Es mag ins Bild passen, dass eine der derzeit beliebtesten Sport- und Unterwäschemarke unter dem Namen Under Armour S firmiert. 419 Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, 549; 553. 420 Vgl. Mellor/Shilling, Re-forming the Body, 131–160.

Schluss: Adventismus und der gesellschaftliche Trend zur ›Gesundheit‹

221

andererseits die kunstvolle, auf das sinnliche Sehen abzielende, die sich in ihrer realen Wirkung freilich überlappen können: »The disciplined, cognitively focused bodies of early modernity persist, but are increasingly accompanied by a resurgent sensuality […] [with] similarities to the intense sensuality of the baroque cultures of Counter-Reformation Catholicism«421. Auch in dieser Auslegung besteht allerdings eine klare Differenz zur adventistischen Praxis, für die ein sinnliches, erregendes Sehen keinesfalls das Ziel der Körperpraxis sein kann. Gerade im Bereich der Sexualmoral bestehen vielmehr die stärksten Unterschiede zwischen Adventismus und Gegenwartsgesellschaft, was Fragen des Körpers betrifft. Gleichzeitig spielen diese Inszenierungen des Körpers mit der Absicht des sinnlichen Blicks aber durchaus in die reale adventistische Kleidungspraxis hinein, wie in der Arbeit deutlich geworden ist: Gerade junge Frauen nutzen die Kleiderordnung, um hier zu experimentieren und Grenzen auszuloten. Der Körper ist dadurch auch ein Mittel der Subversion: Der Umgang mit ihm, vor allem aber seine Inszenierung nach außen, kann ein wirksames Mittel sein, um Normen und religiöse Grundsätze performativ zu unterlaufen oder in Frage zu stellen. Insgesamt bleibt daher das Verhältnis zwischen adventistischer und moderngesellschaftlicher Gesundheitspraxis ambivalent: Zweifelsohne lässt sich in vielen Aspekten eine Annäherung konstatieren. Im Hinblick auf die möglichen Sinngehalte bestehen jedoch wesentliche Differenzen: Weder kann im Adventismus Gesundheit und Fitness als Selbstzweck betrachtet werden, noch als Weg zum abwehrenden hard body, noch als Mittel zum kunstvoll inszenierten sinnlichen Körper. All diese Faktoren können als konkurrierende Sinngehalte zum christlich-moralischen Denken in der Gesundheitspraxis verstanden werden, die auch für die Mitglieder der Gemeinde selbst, die ja zugleich Mitglieder der Gesellschaft sind, als Alternativen interessant sind. Die Grenzziehung in diesen Fragen erscheint daher besonders ambivalent, da sich zwar Bezugspunkte zur Gesellschaft ergeben, diese jedoch gänzlich andere Sinnzusammenhänge aufweisen.

421 Ebd., 47. Die körperliche Sinnlichkeit ist jedoch eher post-gegenreformatorisch, die Gegenreformation selbst kannte sie in dieser Form nicht.

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9, 101

Edson, Hiram 47, 58 Edmundson, Mark 219 Finley, Mark 86 Fitch, Charles 47 Ford, Desmond 52 Foucault, Michel 9, 34, 35, 37, 38, 39, 43, 126, 138, 139 Friedell, Egon 36, 220 Hahn, Franklin 47, 58 Harmon, Ellen siehe White, Ellen Hasel, Frank 86, 87, 202

Heinz, Hans 69, 85, 86, 87, 92 Hervieu-L8ger, DaniHle 29, 77, 208 Klueting, Harm 30, 41 Knight, George 67, 68, 76, 86, 89 Knox, John 30 Lakoff, George 130 Leiden, Jan van 30 Luther, Martin 29, 36, 37, 38, 69, 104, 105, 117, 199 Mathe, Leopold 50 Melanchthon, Philipp 105 Mellor, Philip 108, 219, 220 Miller, William 46, 47, 54, 56, 58 Paulus 105, 110, 111, 112, 116, 139, 147, 156, 164, 168, 187 Ratzinger, Joseph (Benedikt XVI.) 84, 85, 92 Riesebrodt, Martin 14, 39, 109, 125, 186 Rodr&guez, ]ngel 14, 69, 76, 89, 203, 205 Shilling, Chris 108, 219, 220 Simons, Menno 30 Snow, Samuel 47 Spener, Philipp Jakob 31, 32 Troeltsch, Ernst 10, 28, 32, 37, 43, 58, 102 Vinet, Alexandre

27, 40

238 Weber, Max 10, 28, 37, 102, 115, 119, 126 Wesley, John 33, 107 White, Ellen 48, 49, 58, 59, 60, 64, 65, 76, 84, 85, 89, 90, 92, 94, 107, 112, 113, 114, 115, 118, 119, 120, 128, 129, 130, 140, 148, 149, 158, 160, 165, 166, 170, 171, 172, 175, 177, 178, 181, 182, 189, 190,

Personenregister

191, 194, 195, 196, 197. 203, 208, 209, 215, 218 White, James 48, 49 Wilson, Ted 60, 77, 86 Wolfgarten, Johann 50 Zwingli, Huldrych 30, 180

Sachregister Die einzelnen Seitenzahlen beziehen sich auf Nennungen des jeweiligen Begriffs. Wird dieser Begriff in einem längeren Abschnitt thematisch behandelt, sind dessen Seitenzahlen als Bereich angegeben.

Abendmahl 61, 64, 148, 155, 156, 157, 158, 159 Alkohol 90, 107, 126, 155–162, 163, 164, 165, 166, 168, 170, 211, 214 Abstinenz 10, 89, 114, 150, 151, 156, 157, 158, 159, 160, 162, 163, 165, 170, 171, 182, 211 Abstinenzbewegungen siehe Abstinenz Apokalyptik 37–38, 46, 48, 49, 53, 56, 57– 58, 59, 60, 70, 85, 86 Askese 10, 36–37, 38, 39, 91, 104, 126, 127, 157, 169, 182, 186 Baptisten 7, 33, 46, 48, 55, 56, 61, 62, 63, 77, 157, 181 Bibel 7, 28, 29, 32, 33, 36, 46, 54, 55, 57, 59, 60, 64, 67, 68–74, 76, 77, 78, 83, 86, 90, 91, 93, 94, 96, 97, 98, 106, 109, 120, 122, 132, 134, 138, 139, 142, 143, 145, 149, 151, 158, 160, 162, 163, 164, 165, 167, 168, 171, 172, 173, 175, 176, 180, 181, 182, 200, 202, 203, 205, 206, 208, 211, 214, 218 Calvinismus 30, 42, 126, 127 Charismatisches Christentum 34, 41, 68, 120, 125, 199–206, 209, 213 Daniel (AT) 46, 56, 57, 58, 59, 85, 92, 93, 168, 170, 179, 218 Dekalog siehe Zehn Gebote Edenic diet

168, 169, 170, 171, 173, 176

Ehe 106, 111, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 136, 137, 138, 147–155, 210 Endzeit siehe Parusie Ernährung 10, 41, 72, 73, 89, 90, 91, 107, 108, 113, 114, 115, 116, 118, 124, 126, 151, 167–178, 182, 183, 184, 211, 212, 215, 216, 217, 218 Eschatologie 37–38, 57–58, 117, 176, 177 Fasten 102, 178–185, 212, 216 Fleisch (als Nahrung) 90, 121, 124, 150, 157, 168, 169, 170–178, 180, 211, 214 Fleisch (anthropologisch) 103, 105, 106, 139, 148 Freikirchen 7, 10, 11, 12, 14, 27–45, 53, 63, 67, 68, 74, 76, 77, 92, 102, 107, 116, 117, 123, 125, 127, 140, 148, 156, 157, 159, 162, 163, 164, 167, 179, 180, 182, 188, 189, 199, 200, 202, 204, 207, 208, 214, 215 Gebet 10, 35, 50, 64, 90, 102, 115, 117, 119, 120, 125, 134, 150, 153, 179, 181, 182, 184, 186, 192, 199, 200 Geschlechtsverkehr 128–138, 139, 147, 210, 214 Gesundheit 10, 18, 52, 59, 79, 80, 89–91, 107, 108, 109, 110, 113, 114, 115, 116– 125, 126, 129, 130, 158, 163, 164, 165, 170, 171, 172, 173, 174, 176, 177, 181, 182, 183, 184, 190, 203, 209, 211, 212, 214, 215–221

240 Glaube 7, 29, 31, 41, 42, 43, 44, 46, 47, 48, 53–66, 68, 70, 71, 72, 73, 75, 76, 77, 78, 79, 81, 82, 83, 85, 86, 87, 88, 90, 94, 95, 96, 103, 105, 107, 115, 117, 119, 122, 123, 126, 131, 132, 135, 144, 148, 149, 151, 152, 153, 154, 155, 169, 175, 176, 177, 178, 184, 189, 190, 194, 197, 199, 200, 201, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 212, 214, 217 Glossolalie siehe Zungenrede Gott 30, 31, 35, 36, 37, 38, 39, 41, 43, 45, 48, 54, 55, 56, 57, 59, 60, 61, 63, 68, 70, 71, 73, 75, 76, 77, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 88, 90, 91, 96, 97, 103, 105, 107, 108, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 117, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 131, 132, 133, 134, 135, 137, 139, 141, 142, 143, 144, 145, 148, 151, 156, 168, 162, 164, 165, 167, 168, 171, 172, 173, 175, 176, 179, 180, 181, 185, 188, 191, 192, 193, 194, 195, 197, 198, 199, 200, 201, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 212, 217, 218, 219 Gottesbeziehung 62, 67, 68, 71, 74–77, 78, 82, 105, 111, 112, 116, 207, 208 Gottesdienst 10, 13, 14, 53, 55, 63, 64, 73, 74, 78, 79, 80, 85, 86, 96, 97, 99, 120, 125, 148, 149, 150, 151, 162, 182, 185, 186, 187, 188, 189, 191–198, 199, 201, 202, 203, 205, 208, 212, 213, 214 Health reform 158, 189, 190, 216 Heilige Schrift siehe Bibel Heiliger Geist 34, 44, 55, 59, 106, 110–116, 164, 169, 199–206, 209, 219 Heiligtumslehre 47, 48, 53, 57–58, 60, 72, 85 Heilung 10, 103, 107, 109, 110, 114, 116– 125, 157, 186, 199, 200, 201, 203, 204, 205, 209, 216, 217, 218 Homosexualität 129, 138–147, 210, 211, 214 Jesus Christus 40, 41, 44, 45, 51, 54, 56, 57, 58, 62, 67, 68, 70, 74, 75, 79, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 91, 94, 110, 113, 114, 117, 118,

Sachregister

122, 147, 148, 155, 156, 158, 159, 169, 175, 180, 181, 187, 204, 206, 207 Katholische Kirche 7, 23, 28, 29, 34, 37, 40, 46, 50, 56, 60, 61, 63, 70, 76, 83, 84, 85, 92–94, 109, 116, 127, 128, 137, 140, 148, 157, 174, 181, 185, 214, 220 Kleidung 10, 96, 97, 98, 102, 186–198, 212, 213, 214, 215, 218, 221 Krankheit 10, 88, 109, 114, 116–125, 130, 136, 141, 142, 143, 144, 157, 159, 163, 175, 178, 182, 199, 200, 205, 209, 210, 214, 217, 217, 220 Lebensstil 86, 89–91, 112, 115, 119, 120, 121, 122, 125, 167, 169, 173, 174, 208, 209, 211, 212, 218 Medizin 10, 89, 107, 116, 118, 119, 120, 124, 129, 140, 141, 157, 158, 159, 162, 163, 164, 165, 166, 182, 203, 211, 215, 216, 217, 218, 219 Mennoniten 27, 28, 30, 32, 33 Methodisten 33, 42, 43, 46, 49, 62, 63, 89, 107, 140, 157, 217 Milleriten 46–48, 49, 57, 58, 170, 202 Mission 24, 33, 44–45, 49, 50, 51, 57, 59, 117, 147, 167, 199, 203, 219 Naherwartung 38, 48, 51, 58, 67, 68, 85– 89, 205, 215 Natur 57, 106, 109, 118, 119, 121, 123, 124, 140, 171, 217, 220 Nikotin siehe Tabak Offenbarung des Johannes (NT) 29, 45, 57, 59, 70, 91, 93 Ökumene 43, 59, 60, 61, 74, 76, 83, 84, 92, 93, 94, 154, 157, 207, 208 Österreich 12, 13, 24, 50–53, 78, 98, 137, 141, 173, 207, 218 Papst 29, 36, 37, 61, 84, 85, 92, 93, 180 Parusie 45, 46, 47, 48, 51, 53, 57, 58, 59, 67, 87, 156, 206

241

Sachregister

Pastor 7, 13, 14, 15, 33, 34, 35, 37, 46, 47, 50, 51, 52, 63, 64, 73, 86, 92, 137, 138, 149, 150, 157, 189, 160, 169, 177, 189, 191, 202, 204, 205, 212, 218 Pfingstkirchen 7, 34, 39, 41, 68, 106, 107, 116, 125, 140, 164, 186, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 213 Pietismus 31, 32, 36, 38, 42, 49, 74, 86, 106, 107, 126 Prediger siehe Pastor Puritanismus 30, 32, 33, 38, 56, 106, 108, 157, 189 Protestantismus 10, 11, 24, 28, 29, 31, 32, 37, 40, 41, 46, 47, 48, 49, 61, 69, 83, 84, 102, 106, 107, 109, 126, 140, 178, 188, 189, 199, 217, 220 Rauchen siehe Tabak Reform-Adventisten 51, 176, 177 Reformation 29, 36, 49, 69, 102, 104, 105, 106, 114, 157, 180, 181 Rock 188, 193–197 Sabbat 48, 49, 53, 55–56, 57, 60, 64, 67, 68, 69, 70, 76, 77–85, 86, 92, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 169, 173, 175, 182, 183, 184, 185, 191, 192, 193, 195, 196, 197, 208, 210, 212, 214, 215 Samstag siehe Sabbat

Schmuck 186, 187, 191, 198 Schweinefleisch 90, 121, 124, 170, 171, 172, 173 Siebenten-Tags-Baptisten 48, 55, 56, 77 Sonntag 56, 72, 77, 78, 79, 83, 84, 85, 92, 153, 185 Sünde 47, 86, 89, 90, 93, 94, 102, 103, 105, 109, 110, 111, 112, 113, 117, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 129, 137, 141, 142, 143, 144, 167, 168, 175, 176, 189, 209 Tabak 90, 126, 158, 163–167, 170, 211, 216 Taufe 30, 35, 43, 44, 50, 53, 61, 62, 63, 64, 72, 75, 81, 125, 148, 186, 187, 201, 217

Übrige 45, 49, 53, 60, 76, 77, 83 Veganismus 91, 171, 173, 174, 176, 212, 214, 216 Vegetarismus 89, 90, 150, 167–178, 211, 214, 216, 218, 219 Wein 155, 156, 157, 159, 160, 180,219 Wiederkunft Christi siehe Parusie Zehn Gebote 53, 55, 56, 77, 81, 119, 164 Zungenrede 39, 68, 186, 199, 200, 201, 202, 203, 204