Das Ermessen im Lichte der Reinen Rechtslehre: Rechtsstrukturtheoretische Überlegungen zur Rechtsbindung und zur Letztentscheidungskompetenz des Rechtsanwenders [1 ed.] 9783428536191, 9783428136193

Die Publikation bewegt sich im Grenzgebiet von Rechts(struktur)theorie und Verwaltungsrechtsdogmatik. Im Lichte des rech

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German Pages 319 Year 2011

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Das Ermessen im Lichte der Reinen Rechtslehre: Rechtsstrukturtheoretische Überlegungen zur Rechtsbindung und zur Letztentscheidungskompetenz des Rechtsanwenders [1 ed.]
 9783428536191, 9783428136193

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1199

Das Ermessen im Lichte der Reinen Rechtslehre Rechtsstrukturtheoretische Überlegungen zur Rechtsbindung und zur Letztentscheidungskompetenz des Rechtsanwenders

Von Thomas Elsner

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS ELSNER

Das Ermessen im Lichte der Reinen Rechtslehre

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1199

Das Ermessen im Lichte der Reinen Rechtslehre Rechtsstrukturtheoretische Überlegungen zur Rechtsbindung und zur Letztentscheidungskompetenz des Rechtsanwenders

Von Thomas Elsner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 29 Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13619-3 (Print) ISBN 978-3-428-53619-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83619-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2010/11 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät – Fachbereich Rechtswissenschaft – der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Die mündliche Doktorprüfung fand am 3. Februar 2011 statt. Das Manuskript wurde am 12. Februar 2010 abgeschlossen, vor der Drucklegung im April 2011 wurden noch etwaige Neuauflagen der verwendeten Werke berücksichtigt. Mein herzlichster Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Matthias Jestaedt – nicht nur wegen der Erstattung des Erstgutachtens. Er hat mein Interesse auf die Rechtstheorie und das Werk Hans Kelsens gelenkt und meine Promotion zu jeder Zeit aufmerksam begleitet, mir dabei aber zugleich die für die eigene Entfaltung notwendigen Freiräume gelassen. Während meiner Tätigkeit an der von ihm geleiteten Hans-Kelsen-Forschungsstelle konnte ich tiefe Einblicke in die Reine Rechtslehre gewinnen und mich in einem allzeit inspirierenden Umfeld bewegen. Herzlichen Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Max-Emanuel Geis für die Erstattung des Zweitgutachtens. Beim Korrekturlesen des Manuskriptes haben mich Herr Stefan Koch M.A., Herr StR Maximilian Sasse und meine Partnerin Frau Richterin Sabrina Habermann, Verwaltungsgericht Bayreuth, tatkräftig unterstützt. Letztgenannter sei zum Abschluss dieser Arbeit von ganzem Herzen gedankt für Ihre Geduld und die tapfer ertragenen häuslichen Abwesenheitszeiten meinerseits, die ich in den Tiefen der Rechtswissenschaft verbrachte. Bayreuth im August 2011

Thomas Elsner

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Teil Der herrschende Ermessensbegriff der deutschen Verwaltungsrechtslehre

28

A. Herkunft und historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Die vorkonstitutionellen Wurzeln der Ermessenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Die Verfestigung des Ermessensbegriffs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

30

III. Die spätkonstitutionelle Ermessenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Blütezeit im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Konsolidierung und Stagnation im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts . . . . . . 35 IV. Die Ermessenslehre im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 V. Zusammenfassung der Historie und Ausblick auf den modernen Ermessensbegriff 39 B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Die rechtstheoretische Diskussionsspur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Die rechtsdogmatische Diskussionsspur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Historische Relikte als Wurzeln qualitativer Unterscheidungen . . . . . . . . . . . . 44 2. Die Anfänge: Ein bunter Strauß verschiedener Ermessensbegriffe . . . . . . . . . 46 3. Die herrschende Ermessensdefinition: Ermessen als Rechtsfolgeermessen . . . 49 4. Das Planungsermessen als Sonderkategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 5. Regulierungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6. Zusammenfassung zum (Rechtsfolge-)Ermessensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 7. Rechtsdogmatisches Outsourcing: Der unbestimmte Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 8. Berührungspunkte zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff . . . 55

8

Inhaltsverzeichnis III. Die Grenzen der Handlungsspielräume der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Erkennbarkeit und Justiziabilität des Ermessensspielraums auf Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Erkennbarkeit und Justiziabilität des Beurteilungsspielraums auf Tatbestandsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Zusammenfassung zu den Grenzen der Handlungsspielräume der Verwaltung 62 IV. Die Doppelbödigkeit der deutschen Ermessensdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Doppelbödigkeit in der Ausbildungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Doppelbödigkeit in der wissenschaftlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Georg Jellinek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 b) Hermann Reuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Otto Bachof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 d) Carl Hermann Ule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 e) Dieter Jesch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 f) Hans Heinrich Rupp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 g) Fritz Czermak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 h) Hermann Soell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 i) Das „Trümmerfeld“ der wissenschaftlichen Ermessensdiskussion . . . . . . . 76 3. Zusammenfassung zur Doppelbödigkeit der deutschen Ermessensdiskussion . 77 V. Der Ermessensbegriff in der Rechtsprechung unter dem Grundgesetz . . . . . . . . . . 77 VI. Ermessen anderer Staatsgewalten und Ermessen auf anderen Rechtsgebieten . . . . 81 VII. Die Erstarrung der deutschen Ermessensdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2. Teil Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

85

A. Die Reine Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Die Reine Rechtslehre als Gemeinschaftsprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. Die „Großen Drei“: Hans Kelsen, Adolf Julius Merkl und Alfred Verdroß . . . . . . 89 1. Hans Kelsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Adolf Julius Merkl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Alfred Verdroß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Inhaltsverzeichnis

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III. Die Fundamente der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Das rechtswissenschaftliche Reinheitsgebot und der Rechtsbegriff der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Rationalisierungsbestrebungen: Entmystifizierung, Entideologisierung, Ideologiekritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Die Trennungsthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Trennung von Sein und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Geltung und Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Kritik an Kelsens Einführung der Kategorie „Wirksamkeit“ . . . . . . . . 101 bb) Kritik an Kelsens Lösungsvorschlag für das Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 cc) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Trennung von Rechtsnorm und Naturgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 d) Trennung von positiver Rechtsnorm und Moralnorm – zugleich Trennung von Vernunft und Wille und die Konsolidierung des positivistischen Rechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Die Dynamik des Rechtsgewinnungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Der Stufenbau der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Das Grundnormmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 aa) Die Funktion der Grundnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 bb) Die Grundnorm im formellen und im materiellen Sinne . . . . . . . . . . . . 109 cc) Die Grundnorm und die Geltung der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . 109 dd) Die Geltungsfrage in der Aporie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 ee) Macht als Geltungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 B. Der Ermessensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Der Grundstein: Der Ermessensbegriff Hans Kelsens in den „Hauptproblemen“ (1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 III. Alfred VerdroßÏ Bearbeitung des Ermessensbegriffs der Reinen Rechtslehre . . . . 118

10

Inhaltsverzeichnis IV. Adolf Julius Merkls präzisierende Beiträge zum Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre und den sich anschließenden Problemkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Das „freie Ermessen“ im Stufenbau der Rechtsordnung: Die Entwicklung von der statischen zur dynamischen Rechtsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Merkls Kritik an der Gesetzesfixiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Das Gesetz als Mittelstufe im genealogischen Stufenbau der Rechtsordnung 120 c) Der Grundsatz der lex posterior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 d) Das doppelte Rechtsantlitz: Wechselspiel von objektiver und subjektiver Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 e) Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 f) Die Selbsterzeugung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 g) Der Begriff des freien Ermessens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Eine kleine Historie der Grundlagen der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Robert von Mohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Oskar Bülow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Albert Haenel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 d) Ernst Rudolf Bierling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 e) Die Freirechtsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 f) Rudolf Stammler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 g) Fritz Sander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 h) Zusammenfassung zur Historie der Grundlagen der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Die Unterstützung des Ermessensbegriffs durch eine eigene Interpretationslehre der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Merkls Begriff der Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen, des Fehlerkalküls und der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Die Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Das Fehlerkalkül . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 aa) Merkls Entdeckung des Fehlerkalküls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Das Fehlerkalkül am Beispiel des aktuell geltenden Rechts . . . . . . . . . 148 c) Die Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Merkls Begriff der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Die Rechtskraft der Entscheidung von Letztinstanzen . . . . . . . . . . . . . 150

Inhaltsverzeichnis

11

cc) Eigene Kritik an Merkls Position „Unrecht bleibt Unrecht“ . . . . . . . . . 151 d) Abgrenzung von Fehlerkalkül und Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5. Merkls Ermessensfehlerlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Folgeproblem: Die Gefahr des Austauschs des Kontrollmaßstabs . . . . . . . 155 c) Merkls einstufige Ermessensfehlerlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 V. Kelsens Rezeption der Merklschen Ausführungen zum dynamischen Rechtsgewinnungsbild und zur Interpretationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Von der statischen zur dynamischen Rechtsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Der Ermessensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Die Interpretationslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Kelsens Quellen und Bearbeitung der Interpretationslehre in der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1934) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Die Auswahl der Interpretationsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Kelsens Bearbeitung der Interpretationslehre in der zweiten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 d) Kritik an Kelsens Begrifflichkeit der Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 e) Kelsens Bearbeitung der Interpretationslehre in der „Allgemeinen Theorie der Normen“ (1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 f) Exkurs: Die verfassungskonforme und die unionsrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 g) Das Verhältnis von Interpretation und Legistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 h) Abschließende Bewertung der Interpretationslehre Kelsens . . . . . . . . . . . . 165 4. Recht und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5. Der Begriff der Rechtswidrigkeit: Unrecht und Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6. Lücken im Recht, Ermessen und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Kelsens Lückenkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Weiterentwicklung des Verhältnisses von „Lücken“ und Ermessen . . . . . . 168 c) Das herrschende Lückenkonzept im Lichte der Reinen Rechtslehre . . . . . . 169 VI. Zusammenfassung: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . 169

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Inhaltsverzeichnis 3. Teil Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

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A. Unterschiedliche Zugänge zur Ermessensproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Der formal-strukturtheoretische Zugang der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Der dogmatische Ansatz der herrschenden Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Gegenseitige Ergänzung beider Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 B. Die strikte Trennung von Determinierung und Kontrolldichte – Ermessen im weitesten Sinne und Ermessen im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Die herrschende Ermessensdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Drei Varianten des Verhältnisses von Determinierung und Kontrolldichte . . . . . . . 176 III. Keine „Lockerungen“ der Gesetzesbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Ermessen im weitesten Sinne und Ermessen im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . 177 C. Der Kontrollbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 I. Das Fehlen eines rechtstheoretisch abgesicherten Kontrollbegriffs . . . . . . . . . . . . 178 II. (Rechts-)Kontrolle als Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Kontrollgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Abstrakt generelle Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Konkret-individuelle Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 c) Realakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Rechtsnatur der Kontrollentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Kontrolle aufgrund positivrechtlicher Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Konstitutive Natur der Kontrollentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Exkurs: Das Verhältnis von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit . . . . . . . . . . . . 184 aa) Kritik an Kelsens Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Die Bewältigung der Problematik von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit im positiven Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Rechtsnatur der Kontroll-Kontrollentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 4. Entgegenstehende Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

Inhaltsverzeichnis

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5. Die Folgen der (Rechts-)Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Keine Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Fehlerhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Folgen der Fehlerhaftigkeit am Beispiel eines Gebührenbescheids . . . . . . . 188 d) Schwierigkeiten bei der Anwendung der herrschenden Ermessensfehlerlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 e) Konsequenzen für die Ermessensfehlerlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6. Primäres Entscheiden und sekundäre Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 III. Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Anknüpfungspunkt der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Anwendung der Reinen Rechtslehre: Das Verhältnis von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit bzw. von heteronomer und autonomer Komponente . . . . . . . 192 3. Die Sonderrolle des § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Bestätigung des Befundes durch §§ 113, 114 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 5. Kontrollmaßstäbe für die Zweckmäßigkeit (autonome Komponente) . . . . . . . 195 6. Einschränkung der Recht(mäßigkeit)skontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 7. Rolle und Funktion der Zweckmäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 8. Kontrolldichte und Grenzverlauf zwischen heteronomer und autonomer Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 9. Die unglückliche Formulierung des § 114 Satz 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 10. Ergebnis zum Verhältnis von Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle 198 IV. (Rechts-)Kontrolle auf den anderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. (Rechts-)Kontrolle im Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. (Rechts-)Kontrolle im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 V. Verifizierung der Konstruktion der Rechtskontrolle als Normenkontrolle anhand des positiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Entscheidungstenor und Normenkontrollcharakter der Entscheidung . . . . . . . 200 2. Der Prüfungsaufbau der Normenkontrolle bei abstrakt-generellen und konkret-individuellen Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

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D. Die Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Kompetenzpostulate und richterliche Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Der funktionell-rechtliche Ansatz: Die Natur der Sache und die größere Sachnähe der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Judicial self restraint . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. Die Rolle und Funktion des Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Die normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 IV. Kontrolldichtereduktionen – ein Scheinproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 V. „Echte“ Kontrolldichtereduktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Im Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Im Rahmen der Prüfung von Bauleitplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4. Durch den Klageantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 VI. Kontrolldichtereduktionen als Ausformungen des Fehlerkalküls . . . . . . . . . . . . . . 214 VII. Zusammenfassung zur Kontrolldichtereduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 E. Gerichtliche Entscheidungen, die keine Normenkontrollen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Rechtsnormcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. (Rechts-)Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Praktische Bedürfnisse an die Dogmatik – die Funktion der Dogmatik und eine einheitliche Ermessensdogmatik für die gesamte Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . 217 II. Eine einheitliche Ermessens(fehler)lehre für das Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . 218 1. Ermessensfehler im Sinne des rechtsstrukturtheoretischen Ermessensbegriffs . 218 2. Die Forderung nach Gleichbehandlung von Beurteilungsspielräumen und Ermessensspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3. Eine einstufige Ermessensfehlerlehre auf Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Konstruktionsaufgabe für die Reine Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Die Fundamente der herrschenden Ermessensfehlerlehre . . . . . . . . . . . . . . 222

Inhaltsverzeichnis

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c) Beschränkung auf Rechtsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 d) Bereits bestehende Ansätze für eine einstufige Ermessensfehlerlehre . . . . . 223 e) Einheitliche Fehlerfolge trotz mehrstufiger Ermessensfehler . . . . . . . . . . . 224 f) Ermessensfehlerlisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 g) Vorwurf der (ungerechtfertigten) Komplexitätsreduzierung . . . . . . . . . . . . 226 4. Die Rechtsfolgeermessensfehlerlehre im Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . 227 a) Generelle Übertragbarkeit der Rechtsfolgeermessensfehlerlehre . . . . . . . . 227 b) Exkurs: Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 5. Die Rechtsfolgeermessensfehlerlehre im Planungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 6. Neue Tendenzen: Die Abwägungsfehlerlehre auf dem Vormarsch . . . . . . . . . 229 7. Zusammenfassung zur einheitlichen Ermessens(fehler)lehre im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Das Ausfüllen des Ermessensspielraums durch den Rechtserzeuger . . . . . . . . . . . 231 G. Ermessensspielräume und Kontrolldichtefragen jenseits des Verwaltungsrechts . . . . . 232 I. Das Ermessen (im weitesten Sinne) des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 II. Das Ermessen (im weitesten Sinne) des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 III. Das Ermessen (im weitesten Sinne) der Privatparteien im Zivilrecht . . . . . . . . . . . 237 1. Die Privatautonomie als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Das Verhältnis von Gesetz und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 3. Rechtsnormcharakter von zivilrechtlichen Verträgen durch gerichtliche Kontrolle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 IV. Kontrolldichtefragen – Ermessen im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Ermessen (im engeren Sinne) des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Ermessen (im engeren Sinne) im Zivil(prozess)recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Ermessen (im engeren Sinne) im Straf(prozess)recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4. Zusammenfassung zu den Kontrolldichtefragen auf den anderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

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Inhaltsverzeichnis 4. Teil Ergebnisse und Erkenntnisse

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A. Ein dynamisches Rechtsgewinnungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 B. Die Illusion der einen richtigen Entscheidung und die Illusion der Rechtssicherheit . . 248 I. Die Folgen der dynamischen Rechtsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 II. Die „eine richtige Entscheidung“ als regulative Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 III. Die wichtige Rolle der Persönlichkeit des Rechtsanwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Die Funktion und die Rolle der Rechts- und Gesetzesbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I. Gesetzesbindung und Gesetzeszentrismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Die Bindung an „Recht und Gesetz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 III. Drei Dimensionen der Rechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Normativ-positivrechtliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Deskriptive Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Tatsächliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 4. Exkurs: Sprachtheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Erweiterung der Rechtsquellenlehre und des Rechtsnormbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 256 E. (Rechts-)Kontrolle als Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 F. Bereinigung des Ermessensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Unterschiedliche Ermessensbegriffe des positiven Rechts, der Rechtsstrukturtheorie und der Rechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Ein Ermessensbegriff für das Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 1. (Letzt-)Entscheidungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Eine einstufige Ermessensfehlerlehre für das Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . 260 3. Gebundene Entscheidung und Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Ein Ermessensbegriff für das Öffentliche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 IV. Ein Ermessensbegriff für das richterliche Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 V. Ein Ermessensbegriff für die Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

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VI. Schlussbemerkung zum Begriff des (Letzt-)Entscheidungsspielraums . . . . . . . . . 262 G. Rechtsinhaltliche (Kontroll-)Kompetenzfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 H. Die Leistungsfähigkeit der Reinen Rechtslehre und ihres Ermessensbegriffs . . . . . . . . 265 I. Die Leistungsfähigkeit der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Exkurs: Der wissenschafts- und geistesgeschichtliche Hintergrund der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Relativierungsbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Die historischen Wurzeln des Relativismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Standpunktfragen: Relativismus und Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 III. Die Leistungsfähigkeit des Ermessensbegriffs der Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . 272 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

Abkürzungsverzeichnis a. a. O. a. E. a. M. Abs. Abt. AEUV AktG Alt. Anm. AO Art. AtomG Aufl. BaföG BÄO BauGB BayGO BayPAG BayVGH Bd. Bde. BDSG bearb. v. Beschl. v. BGB BGBl. BGBl / B. G. Bl. BGH BGHSt BImSchG BSHG BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE B-VG BVG bzw. cap.

am angeführten Ort am Ende am Main Absatz Abteilung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesetz Alternative Anmerkung Abgabenordnung Artikel Atomgesetz Auflage Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesärzteordnung Baugesetzbuch Bayerische Gemeindeordnung Bayerisches Polizeiaufgabengesetz Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Band Bände Bundesdatenschutzgesetz bearbeitet von Beschluss vom Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (Deutschland) Bundesgesetzblatt (Österreich) Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundessozialhilfegesetz Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts Bundes-Verfassungsgesetz (Österreich) Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges beziehungsweise capitulum

20 ch. d. h. DenkmalschutzG DÖV DRiG DVO-HeilPrG EGGVG EMRK EStG EuGH EUR f. / ff. FamNamÄndG FStrG GG ggf. GmbHG GVG h. M. Halbbd. hamburg. HeilPrG HessVGH HGB Hrsg. Hs. i. Br. i. d. F. i. R. d. i. S. d. i. S. v. i. V. m. insb. Jg. Kap. KHG LG lit. m. w. N. NF Nr. o. J. OLG ORF p. PartG PBG PflSchG

Abkürzungsverzeichnis chapter das heißt Denkmalschutzgesetz Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Richtergesetz Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäische Menschenrechtskonvention Einkommensteuergesetz Europäischer Gerichtshof EURO (Währung) folgende / fortfolgende Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen Bundesfernstraßengesetz Grundgesetz gegebenenfalls Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Meinung Halbband hamburgisch Heilpraktikergesetz Hessischer Verwaltungsgerichtshof Handelsgesetzbuch Herausgeber Halbsatz im Breisgau in der Fassung im Rahmen der im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit insbesondere Jahrgang Kapitel Krankenhausgesetz Landgericht Buchstabe mit weiteren Nachweisen Neue Folge Nummer ohne Jahr Oberlandesgericht Österreichischer Rundfunk page, pagina Parteiengesetz Personenbeförderungsgesetz Pflanzenschutzgesetz

Abkürzungsverzeichnis RGBl. Rn. Rs. RuStAG S. s. s. a. Slg. Sp. SS st. Rspr. StGB StPO StVO StVollzG StVZO Teilbd. TKG u. a. Überbl v UrhG Urt. v. usw. v. a. v. d. H. VersG VGH vgl. VN VwGO VwVfG VwVG WeinG WoBindG WPflG Z. z. B. z. T. ZPO

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Reichsgesetzblatt (Österreich) Randnummer Rechtssache Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Seite, Satz siehe siehe auch Sammlung Spalte Schutzstaffel ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Straßenverkehrsordnung Strafvollzugsgesetz Straßenverkehrszulassungsordnung Teilband Telekommunikationsgesetz unter anderem, und andere Überblick vor Urheberrechtsgesetz Urteil vom und so weiter vor allem vor der Höhe Versammlungsgesetz Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vereinte Nationen Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Weingesetz Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz Wehrpflichtgesetz Zeile zum Beispiel zum Teil Zivilprozessordnung

Einleitung Die Thematik des Verwaltungsermessens steht am Schnittpunkt zwischen den drei Staatsgewalten. In ihm vereinigen sich nach hergebrachter Anschauung zwei Problemkreise. Im Verhältnis von Gesetzgebung und Verwaltung ist die Problematik der Reichweite der Rechtsbindung verortet. Darunter ist die Frage zu verstehen, inwieweit die Verwaltung durch Rechtsnormen heteronom programmiert ist und wie groß der komplementäre autonome Eigenanteil der Verwaltung im Rechtsgewinnungsprozess ist. Im Verhältnis von Verwaltung und (Verwaltungs-)Rechtsprechung stellt sich die Frage nach dem Kontrollmaßstab und dem Umfang der Kontrolldichte. Es geht hier darum, an welchem Maßstab und wie genau – gemessen an diesem Maßstab – die Verwaltungsentscheidungen (verwaltungs-)gerichtlicher Kontrolle unterliegen. Es mag verlockend sein, beide Fragestellungen miteinander zu vermengen, doch es wird sich zeigen, dass sie streng voneinander getrennt zu bearbeiten und zu beantworten sind. Das Verwaltungsermessen ist ein Seismograph für das jeweils herrschende Rechtsgewinnungsbild einerseits sowie andererseits für das Verständnis der Arbeitsteilung zwischen den Staatsgewalten und für das Vertrauen, das den einzelnen Staatsgewalten aktuell entgegengebracht wird. Ist das Vertrauen in die Verwaltung groß, so ist man – in den Worten der herrschenden Terminologie – eher bereit, zugunsten von Ermessensspielräumen die Rechtsbindung zu „lockern“1 und die gerichtliche Kontrolldichte zu reduzieren. Je offener man Ermessensspielräumen gegenübersteht, desto eher drängt sich ein dynamisches Rechtsgewinnungsbild auf. Ermessensspielräume bedeuten, dass die Verwaltung nicht vollständig durch das Recht in ihrer Entscheidung determiniert ist. Anders gewendet: die von der Verwaltung zu treffende Entscheidung ist nicht bereits vollständig im anzuwendenden Recht enthalten, die Verwaltung hat autonom determinierte Anteile an der Rechtsgewinnung. Damit ist ein dynamisches, d. h. die Arbeitsteiligkeit des Rechtsgewinnungsprozesses widerspiegelndes Rechtsgewinnungsbild vorgezeichnet, das die durch einen Willensakt eingebrachten Eigenanteile des Rechtsanwenders berücksichtigt. Dennoch pflegt man ein weitgehend statisches Rechtsgewinnungsbild, indem man davon ausgeht, dass die eine richtige Entscheidung bereits im anzuwendenden Recht enthalten und diesem durch einen Erkenntnisakt nur noch entnommen zu werden braucht.

1 Stellvertretend zur Vorstellung einer „Lockerung“ der Gesetzesbindung Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., München 2009, § 7 Rn. 6.

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Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Verwaltungsermessen in der deutschen Verwaltungsrechtslehre lange Zeit ein „Dauerthema“2 (Rainer Wahl) war. Unter diesem Dach firmierten nach 1945 zunächst die Topoi des unbestimmten Rechtsbegriffs mit Beurteilungsspielraum und das Rechtsfolgeermessen. In den 1970er Jahren trat das Planungsermessen hinzu, derzeit entwickelt sich die Figur des Regulierungsermessens. Nach der Blütezeit der Verwaltungsermessensthematik bis in die frühen 1980er Jahre hinein ebbte die Diskussion langsam ab, um schließlich gegen Ende der 1990er Jahre zu erstarren. Die Ermessensthematik scheint ausdiskutiert. Die Ermessensdogmatik hat sich in ihren Grundzügen wie in ihren Feinheiten verfestigt. Sie ist in Rechtsprechung und Literatur fest verankert und wird bei Bedarf behutsam angepasst, ohne das Gesamtpaket aufzuschnüren. Immer wieder geäußerte Kritik konnte keine zählbaren Erfolge für sich verbuchen. Diese Arbeit will die „Ruhe“ in der Ermessensdiskussion nutzen, um die herrschende Ermessensdogmatik rechtstheoretisch zu reflektieren. Es sollen rechtstheoretische Erkenntnisse für die Rechtsdogmatik fruchtbar gemacht werden, um der täglichen juristischen Arbeit ein rechtstheoretisch abgesichertes Fundament anzubieten. Auf einem solchen Fundament wird der Rechtsanwender zur Reflexion des eigenen Tuns angeregt. Außerdem erfordert wie erleichtert es methodenbewusstes Arbeiten im juristischen Tagesgeschäft und verschafft so erheblichen Rationalitätsgewinn. Den Brückenschlag zwischen den rechtswissenschaftlichen Subdisziplinen Rechtstheorie und Rechtsdogmatik herzustellen ist deshalb so wichtig, da beide nebeneinander her zu arbeiten pflegen, ohne die Ergebnisse und Erkenntnisse der anderen zu sehen oder zu berücksichtigen. Damit läuft man jedoch einerseits Gefahr, ohne Not Erkenntnisse am Wege liegen zu lassen, andererseits führt man möglicherweise Diskussionen doppelt, ohne den Erkenntnisstand der anderen Subdisziplinen miteinzubeziehen. Rechtstheorie wird in dieser Arbeit als Rechtsstrukturtheorie verstanden. Einer derartigen Rechtstheorie geht es nicht darum, wie Recht sein sollte und welche Inhalte das positive Recht hat, sondern sie will erforschen, wie das positive Recht seine eigene Erzeugung selbst regelt. Die Reine Rechtslehre Hans Kelsens ist eine solche formale Rechtsstrukturtheorie. Im Lichte ihrer Erkenntnisse wird die herrschende Ermessens(fehler)dogmatik betrachtet. Die Wurzeln der Reinen Rechtslehre liegen im 19. Jahrhundert, entwickelt wurde sie in ihren Grundlagen und Grundzügen im zweiten und dritten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. In der Rechtswissenschaft der Bundesrepublik Deutschland ist die Reine Rechtslehre weitgehend missverstanden, unbeachtet oder unbekannt ge-

2 So Rainer Wahl, Risikobewertung der Exekutive und richterliche Kontrolldichte – Auswirkungen auf das Verwaltungs- und das gerichtliche Verfahren, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 10 (1991), S. 409 – 418 (409).

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blieben. Daher geht es auch ein Stück weit um die Wiederentdeckung eines Schatzes.3 Einen Teil dessen will diese Arbeit heben und für die Dogmatik fruchtbar machen. Es drängen sich aber auch hinsichtlich der Reinen Rechtslehre selbst Fragen auf. Ist sie im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß? Die Reine Rechtslehre ist lediglich eine formale Rechtsstrukturtheorie des positiven Rechts. Was kann eine solche Rechtstheorie für die Rechtsdogmatik, die sich mit Rechtsinhalten beschäftigt, leisten? Die Reine Rechtslehre hat starke dekonstruktive Kraft. Viele qualitative Unterscheidungen der Dogmatik haben vor ihr keinen Bestand. Doch welche konstruktiven Beiträge kann die Reine Rechtslehre für die Dogmatik leisten? Diese Fragen hat im Grunde bereits Friedrich Tezner (1856 – 1925) im Jahre 1925 gestellt: „Ist es somit wissenschaftliche Pflicht, den Begründern der streng logischen Methode der Erforschung und Bestimmung des öffentlichen Rechts, als den ersten großen Konstrukteuren [gemeint sind Hans Kelsen und seine Anhänger], gerechte Würdigung zuteil werden zu lassen, so wird man anderseits der neuesten Normentheorie [gemeint ist Kelsens Reine Rechtslehre] nicht nachlassen können, zur banausischen Jurisprudenz des täglichen Lebens hinabzusteigen. Es ist nicht genug, den Handwerkern der Jurisprudenz ihre bisherigen Werkzeuge als untauglich zu entwinden und ihr Verfahren verkehrt zu schelten; man wird ihnen anderes Handwerkszeug in die Hände geben und sie richtiger arbeiten lehren müssen. … Denn es besteht sonst die Gefahr, daß trotz der an dem Alten geübten, vernichtenden Kritik zuletzt doch alles beim Alten bleibt und die getane schwere Arbeit vergeblich getan ist.“4

Die Reine Rechtslehre gilt dieser Arbeit nicht als ein abgeschlossenes, historisches und historisiertes Denkgebäude. Vielmehr wird sie als eine für aktuelle und Fortentwicklungen offene juridische Weltanschauung verstanden, auf derem Boden rechtstheoretisches Denken und Reflektieren erfolgen kann.5 Eingedenk dieser Worte ergibt sich der Gang der Untersuchung. Am Beginn steht eine Offenlegung der vorkonstitutionellen Wurzeln der hergebrachten Ermessenslehre und eine Nachzeichnung ihrer Entwicklung nach 1945 (1. Teil). Dabei steht das jeweilige sich in ihr widerspiegelnde Rechtsgewinnungsbild im Fokus. Im Anschluss wird dem herrschenden rechtsdogmatischen Verwaltungsermessensbegriff der rechtsstrukturtheoretische Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre als Gegenkonzept gegenübergestellt (2. Teil). Damit werden zwei Ziele verfolgt. Zum einen geht es um eine Darstellung des Ermessensbegriffs der Reinen Rechtslehre und 3 Vgl. auch Matthias Jestaedt, [Buchbesprechung:] Merkl, Adolf Julius, Gesammelte Schriften, hrsg. von Dorothea Mayer-Maly/Herbert Schambeck/Wolf-Dietrich Grussmann, Erster Band: Grundlagen des Rechts, Erster Teilband, Berlin 1993, XLVI, 656 S., Zweiter Teilband, Berlin 1995, VII, 753 S., Duncker & Humblot, in: Der Staat 34 (1995), S. 622 – 625 (625). 4 Friedrich Tezner, Rechtslogik und Rechtswirklichkeit. Eine empirisch-realistische Studie, Wien 1925 (Neudruck, Wien 1986), S. 104 f. 5 Vgl. zu diesem Verständnis der Reinen Rechtslehre auch Matthias Jestaedt, Wirken und Wirkungen höchstrichterlicher Judikatur – Rechtsprechung von Grenzorganen aus Sicht der Reinen Rechtslehre, in: Clemens Jabloner (Hrsg.), Wirken und Wirkungen höchstrichterlicher Judikatur. Symposion zum 60. Geburtstag von Heinz Mayer, Wien 2007, S. 9 – 33 (14).

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der mit ihm verbundenen Thematiken. Zum anderen werden die Grundlagen geschaffen für die sich nun anschließende Betrachtung des herrschenden Ermessensbegriffs im Lichte der Reinen Rechtslehre (3. Teil). Die Schwerpunkte liegen dabei auf den unterschiedlichen Zugängen der Rechtsdogmatik und Rechtsstrukturtheorie zur Ermessensproblematik, der Trennung der Frage der rechtlichen Bindung (Ermessen im weitesten Sinne) und der Letztentscheidungskompetenz (Ermessen im engeren Sinne), der Entwicklung eines rechtsstrukurtheoretisch abgesicherten Kontrollbegriffs und der Bearbeitung der Thematik nach der Reduzierung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte. Auf dieser Basis werden Gedanken über die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Verwaltungsermessenslehre angestellt und entsprechende Vorschläge gemacht. Dabei geht es nicht um grundstürzende Neuerungen, sondern um die behutsame Korrektur der hergebrachten Dogmatik. Sie beginnt mit einer thematischen Neuverortung und mündet in die Prüfung einer einstufigen Fehlerlehre für Beurteilungs-, Rechtsfolgeermessens- und ähnliche (Letztentscheidungs-)Spielräume der Verwaltung. Es schließt sich ein Blick über den Tellerrand auf die Ermessensproblematik im übrigen Recht an. Abschließend werden die Ergebnisse und Erkenntnisse zusammengefasst (4. Teil). Hier geht es insbesondere um die Etablierung eines dynamischen Rechtsgewinnungsbildes, um die Ablehnung der einem statischen Rechtsgewinnungsbild entspringenden Idee der einen richtigen Entscheidung und um die Bereinigung des Ermessensbegriffs. Überraschend mag erscheinen, dass eine formale Rechtsstrukturtheorie die wichtige Rolle und große Bedeutung der Person wie Persönlichkeit des Rechtserzeugers immer wieder klar herausstreicht. Betrachtet man die Ermessensproblematik aus der rechtsstrukturtheoretischen Perspektive, so wird schnell klar, dass sich die Thematik nicht im Verwaltungsrecht erschöpft, obwohl sie dort traditionell verortet wird. Vielmehr tritt Ermessen im gesamten Recht auf, genauer gesagt: auf jeder Stufe des Rechtsgewinnungsprozesses, unabhängig davon, wer – ein Staatsorgan oder ein Privater – zur Rechtserzeugung ermächtigt ist. Die Schwierigkeit besteht darin, ein rechtsstrukturtheoretisch einheitliches Phänomen mit der Dogmatik in Einklang zu bringen, die den Besonderheiten der einzelnen Rechtsgebiete und den Ansprüchen des Rechtsanwenders gerecht werden muss. Zu starke Abstraktion führt zu keinem Erkenntnisgewinn. Betrachtet man dagegen den Gegenstand aus zu geringer Entfernung, so geht der Blick auf die Umgebung verloren. Die Schwierigkeit liegt also darin, den goldenen Mittelweg einer „mittleren Überflughöhe“ einzuhalten. Diese Arbeit will die Grundlagen für eine rechtsstrukturtheoretisch reflektierte Ermessens(fehler)lehre schaffen und Vorschläge für eine dogmatische Umsetzung für das Verwaltungsrecht geben. Für die übrigen Rechtsgebiete erschöpft sich die Untersuchung in einem Versuch, Anknüpfungspunkte für eine Revision der jeweiligen Dogmatiken zu liefern und Denkanstöße zu geben. Insgesamt werden drei Ziele verfolgt: Erstens geht es um eine (Wieder-)Entdeckung des Ermessensbegriffs der Reinen Rechtslehre und zweitens um die Etablierung eines dynamischen Rechtsgewinnungsbildes. Drittens gilt es sodann auf dieser

Einleitung

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Grundlage, den herrschenden Ermessensbegriff, insbesondere den des Verwaltungsrechts, im Lichte der Reinen Rechtslehre zu betrachten. Dabei stehen die Themenkreise Rechtsbindung und Letztentscheidungskompetenz im Zentrum.

1. Teil

Der herrschende Ermessensbegriff der deutschen Verwaltungsrechtslehre „Wir haben hier ein wahrhaftiges Gestrüppe einander befehdender Ansichten, aus welchem es kaum einen Ausweg zu geben scheint. Es macht zuweilen den Eindruck, daß die Streitenden sich gegenseitig nicht mehr verstehen.“ Friedrich Tezner (1888)

A. Herkunft und historische Entwicklung Die folgende holzschnittartige Darstellung der historischen Entwicklung des Ermessens aus dem 18. Jahrhundert heraus bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein hat die Aufgabe, die Wurzeln der Verwaltungsermessenslehre freizulegen und die Entstehung ihrer Grundbegriffe nachzuzeichnen, auf die sich das heute herrschende Ermessenskonzept nach wie vor stützt.1 Zudem zeigen sich die Anknüpfungspunkte der Kritik des „positivistischen Gegenentwurfs“2 der Reinen Rechtslehre, der bis heute lediglich eine Episode im Herbst der spätkonstitutionellen Ermessenslehre war und auf die deutsche Ermessenslehre nach dem Zweiten Weltkrieg so gut wie keinen Einfluss hatte. Vergröbernd lässt sich eine Entwicklung vom freien Ermessen über die Einrichtung der rechtlichen Bindung bis hin zur Ausdifferenzierung des Ermessensbegriffs beobachten. Die Definierung und Ausdifferenzierung des Ermessensbegriffs brachte zunächst verschiedene Ermessenskategorien hervor und mündete schließlich in die heutige, normstrukturell begründete Dogmatik vom unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgenseite. Angesichts der Stellung der Verwaltung in der Gewaltenteilung zwischen Gesetzgeber einerseits und Rechtsprechung andererseits – zunächst ohne dabei eine Hierarchie der Gewalten zu implizieren – war die Diskussion zu allen Zeiten janusköpfig: Ermessen wurde sowohl unter dem Gesichtspunkt der Nichtdeterminiertheit durch Rechtsnormen als auch unter dem Gesichtspunkt der Freiheit von gerichtlicher Kontrolle behandelt.

1

Die folgende Darstellung stützt sich auf Ulla Held-Daab, Das freie Ermessen. Von den vorkonstitutionellen Wurzeln zur positivistischen Auflösung der Ermessenslehre, Berlin 1996, S. 20 – 235. 2 Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 236.

A. Herkunft und historische Entwicklung

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I. Die vorkonstitutionellen Wurzeln der Ermessenslehre Ihren Anfang nimmt die Ermessenslehre im 18. Jahrhundert im Ermessen des Landesherrn. Auf der Grundlage der landesherrlichen Souveränität, die ihre Begründung in der neuzeitlichen Reichspublizistik fand,3 war der Ausgangpunkt der landesherrlichen Ermessensentscheidung die Ausübung der Polizeigewalt, da polizeiliche Angelegenheiten und der Bereich landesherrlichen Ermessens als weitgehend kongruent angesehen wurden.4 Der Landesherr entschied nach seinem eigenen Gutdünken innerhalb seines negativ definierten Ermessensbereichs, der übrig blieb, wenn man ständische Mitwirkung und gerichtliche Entscheidungszuständigkeit als Ausnahmetatbestände abzog.5 Insgesamt kann dabei das landesherrliche Ermessen als Gegensatz zur Rechtsbindung aufgefasst werden.6 Jedoch war es kein im Wortsinne selbstherrliches Ermessen, sondern fand in den aus dem Natur- und Vernunftrecht abgeleiteten Klugheitsregeln und Kriterien der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit Leitlinien sowie Grenzen im positiven Recht und in der Figur des ebenfalls meist naturrechtlich begründeten Missbrauchs der Hoheitsgewalt.7 Neben dem landesherrlichen Ermessen stand das richterliche Ermessen. Seine Wurzeln liegen historisch weiter zurück in der freien Rechtsfindung rechtserfahrener Urteiler in der Ständegesellschaft des ausgehenden Mittelalters. Seine Grenzen fand es in der größtenteils nicht positivierten Billigkeit, der Tradition und der Kontinuität. Die Rezeption des Römischen Rechts und die ihr folgende Kodifizierung führten zum Bruch mit diesem Modell der richterlichen Rechtsfindung.8 Mit der Einführung strenger richterlicher Gesetzesbindung zum Schutz vor willkürlicher richterlicher Gesetzesauslegung9 und zur Durchsetzung der landesherrlichen Gesetzgebungsautorität wurde das richterliche Ermessen zum Auslegungsproblem, also zur Methodenfrage.10

3

Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 47. Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 39. 5 Dazu Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 23. 6 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 37. 7 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 39 – 47. 8 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 47 – 49. – Kritik an der Einengung der freien Rechtsschöpfung im Rahmen richterlichen Ermessens durch die Kodifikation und Übernahme des römischen Rechts sowie am ihm nachfolgenden Rechtsanwendungsbildes des Subsumtionsautomatismus übte v. a. zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Freirechtsbewegung, vgl. Eugen Ehrlich, Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft. Vortrag gehalten in der juristischen Gesellschaft in Wien am 4. März 1903, Leipzig 1903, S. 1 – 6, 18 – 27, vgl. auch unten S. 39 in und bei Anm. 77. 9 Zur Richterwillkür im Strafrecht Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1986, S. 39 – 49. 10 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 47 – 49. 4

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

II. Die Verfestigung des Ermessensbegriffs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerann das Ermessen zu einem festen juristischen Begriff. Bedeutete Ermessen bis dahin sowohl Urteil nach Gutdünken als auch abwägende Entscheidung,11 so wurde es nun als Kompetenz zur politischen gerichtsfreien Entscheidung, sprich Herrschaftsausübung, verstanden.12 Mit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 fielen für die Landesherren die reichsrechtlichen Bindungen und die Unterwerfung unter die reichsgerichtliche Kontrolle weg. In diesen Freiraum dehnten sie nun ihren eigenen Ermessensspielraum aus. Die Ermessensdiskussion verlagerte sich auf das Gebiet der Gewaltenteilung und drehte sich im Folgenden namentlich um die (Kompetenz-) Abgrenzung zwischen Verwaltung und Justiz. Hauptargument war dabei die angenommene Gegensätzlichkeit der Natur ihrer Funktion und ihrer Entscheidungen: Demnach entschied die Verwaltung nach nicht justiziablen Notwendigkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten, die Justiz dagegen ausschließlich nach Rechtmäßigkeitsgesichtspunkten.13 Zwar blieb die Verwaltung an vernunftrechtlich begründete Grenzen ihres Ermessensspielraums gebunden, der Dualismus von freiem Verwaltungsermessen und richterlichem gebundenen Ermessen wurde jedoch in der Verwaltungsrechtslehre weiter zementiert. Dabei hielt man gegen die Erkenntnisse der damaligen Methodenlehre14 das Ideal des Richters als viva vox legis hoch. Demnach war es „gerade die Natur der Justiz, daß sie ohne eine Nebenrücksicht, ohne den einzelnen Fall im Zusammenhange mit dem Wohl des Ganzen zu würdigen, nur den einzelnen Fall für sich betrachtet, und, indem sie blos das, was schon Gesetz ist, berücksichtigt, das Gesetz selbst handhabt“15.

Die zaghaften Ansätze, der Verwaltung und damit der landesherrlichen Souveränität strengere positivrechtliche und justiziable Bindungen aufzuerlegen sowie eine unabhängige Verwaltungsjustiz einzurichten, blieben bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts ohne größere Resonanz. Insgesamt verengte sich der Fokus der Diskussion aber auf das Ermessen der Verwaltung.16

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Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 21 f. m. w. N. Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 53. 13 Dazu Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 58 f. m. w. N. 14 Dazu ausführlich Ogorek, Richterkönig (Anm. 9), S. 89 – 169. 15 So exemplarisch Carl Joseph Anton Mittermaier, Beiträge zur Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Processes, in: Archiv für die civilistische Praxis 4 (1821), S. 305 – 370 (314); selbst Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., München und Leipzig 1924, S. 76 f., vertrat diese Meinung noch über ein Jahrhundert später; zur Verbreitung dieser Ansicht auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 64. 16 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 68. 12

A. Herkunft und historische Entwicklung

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III. Die spätkonstitutionelle Ermessenslehre 1. Blütezeit im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts erlebte die Blüte der spätkonstitutionellen Ermessenslehre. Die Argumentation mit dem an Gewicht gewinnenden Rechtsstaatsbegriff führte zu einer Neubestimmung der Kompetenzabgrenzung zwischen Verwaltung und Justiz sowie der Rechtsbindung und Rechtskontrolle der Verwaltung.17 Das positive Recht etablierte sich als Ermessensgrenze,18 löste die alten vernunftrechtlichen Bindungen ab und ließ sie in sich aufgehen. Dennoch diente der Begriff des freien Ermessens weiterhin als Anknüpfungspunkt der Grenzziehung zwischen Verwaltung und Justiz.19 So formulierte Otto Mayer 1895, dass „Akte des freien Ermessens … nicht Gegenstand der Verwaltungsrechtspflege sein [können]“20. Dennoch war man sich angesichts der anerkannten Eingrenzung des Ermessensspielraums der Missverständlichkeit des Begriffs des „freien Ermessens“ bewusst und suchte – wie beispielsweise Edmund Bernatzik – nach Alternativen: „Spricht man also von ,freiemÐ Ermessen, so darf man nicht vergessen, dass man darunter kein rechtlich ungebundenes Wollen, kein ,freiesÐ, sondern ein rechtlich gebundenes, pflichtmässiges Ermessen zu verstehen hat, und weil man diess oft übersieht, so empfiehlt es sich, jenen Ausdruck ganz zu meiden und lieber von ,technischemÐ oder ,diskretionäremÐ Ermessen zu sprechen.“21

Die – teilweise nur revisionsartig ausgestaltete – Kontrollkompetenz der Verwaltungsgerichte blieb auf die Rechtmäßigkeit beschränkt,22 das Verhältnis von Rechtskontrolle und Tatsachenüberprüfung blieb weiterhin unklar.23 Indem die Rechtsbindung am Wortlaut der Ermächtigungsnorm festgemacht wurde und die Konkretisierung vager Tatbestandsmerkmale als Sachverhaltswürdigung dem Verwaltungsermessen vorbehalten blieben, zeichnet sich der spätere Streit um den unbestimmten 17

Dazu Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 92. So Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 93 f. 19 Vgl. programmatisch den Titel des Werks Friedrich Tezner, Zur Lehre von dem freien Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte, Wien 1888. 20 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1. Aufl., Leipzig 1895, S. 164 – „Verwaltungsrechtspflege“ meint auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (S. 161); so noch in der 3. Aufl., vgl. O. Mayer, Verwaltungsrecht I3 (Anm. 15), S. 133. 21 Edmund Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft. Verwaltungsrechtliche Studien, Wien 1886, S. 41; zusammenfassend zur Diskussion der spätkonstitutionellen Ermessenslehre über die rechtliche Bindung des verwaltungsbehördlichen Ermessens Werner Plappert, Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das freie Ermessen in ihrer Bedeutung für den Artikel 13 des Württemberg. Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 16. Dez. 1876, Stuttgart 1929, S. 68 – 87. 22 Vgl. O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 20), S. 189 f.; Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 109. 23 So Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 113. 18

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum und seine Abgrenzung vom (Rechtsfolge-) Ermessen im engeren Sinne ab.24 Erst die Systematisierungsbestrebungen am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts – wenn auch in ihrem Verlauf reichlich diffus – versuchten das Verhältnis von Tatsachen- und Rechtskontrolle zu klären und legten die Fundamente der heute herrschenden Ermessenslehre. Zunächst wurden die Kategorien von gebundenen und freien Verwaltungsentscheidungen eingeführt, wobei der Übergang im Determinierungsgrad als fließend angesehen wurde. „Die Verwaltung kann nicht … durchweg gebunden sein. Bei ihr zeigt sich eine Stufenfolge von der strengsten Gebundenheit bis zu freister Bewegung.“25 Jedoch musste nicht die gesamte Entscheidung gebunden oder frei sein, sie konnte auch aus einzelnen jeweils gebundenen oder freien Komponenten bestehen.26 Allmählich setzte sich innerhalb des Verwaltungsermessens die normstrukturelle Unterscheidung zwischen unbestimmten Begriffen27 einerseits und der Wahlmöglichkeit unter mehreren Rechtsfolgen andererseits durch: „Das freie Ermessen, welches eine Verwaltungsbehörde bei ihren Verfügungen zu üben hat, geht nach zwei Seiten. Es werden die Umstände gewürdigt, ob sie geeignet sind, den Akt hervorzubringen, und es werden die Mittel und Wege ausgewählt, welche geeignet erscheinen, das Gewollte zu verwirklichen.“28

In der Frage, ob die Unbestimmtheit gesetzlicher Regelungen einen Ermessensspielraum einräumt, war insbesondere die Rechtsprechung – namentlich der Bayerische, Württembergische und Österreichische Verwaltungsgerichtshof leiteten aus der Unbestimmtheit gesetzlicher Begriffe einen Ermessensspielraum ab – bis nach der Wende zum 20. Jahrhundert gespalten.29 Allen voran die Anhänger einer Einschränkung der Kompetenzen der Verwaltungsgerichte gingen von einem Ermessensspielraum aus, der Zweckmäßigkeitsüberlegungen erlaubte, anstatt in den unbestimmten Begriffen einen justiziablen Auslegungsauftrag zu erkennen.30 Die Gegenströmung sah die Tatbestandsauslegung und -anwendung immer als Auslegungsproblem, also als justiziable Rechtsfrage an31 und verstand die Aufgabe der Verwaltung hier in der Konkretisierung durch eine mögliche und vom Gesetzgeber aufgegebene prä24

Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 88. O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 20), S. 84; so noch in der 3. Aufl., vgl. O. Mayer, Verwaltungsrecht I3 (Anm. 15), S. 77. 26 Vgl. O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 20), S. 167. 27 Die geläufige Bezeichnung „Lehre vom unbestimmten Rechtsbegriff“ geht zurück auf Tezner, Lehre (Anm. 19), insb. S. 121; ergänzend Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 157 Anm. 233. 28 O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 20), S. 193. 29 Dazu Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 141 m. w. N. 30 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 144. 31 Z. B. Oscar Gluth, Genehmigung und subjektives Recht, in: Archiv für öffentliches Recht 3 (1888), S. 569 – 632 (617); Tezner, Lehre (Anm. 19), S. 45, 51 – 55; zusammenfassend Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 159 – 167. 25

A. Herkunft und historische Entwicklung

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zisierende Auslegung.32 Dahinter stand freilich immer noch der aus der methodologisch längst überholten Zivilrechtsmethodik – und auch in der Verwaltungsrechtswissenschaft nie unbestrittene – übernommene gesetzespositivistische Gedanke, dass sich Rechtsanwendung im Auffinden eines eindeutig vorausbestimmten Ergebnisses erschöpft.33 So schrieb Oscar Gluth, dass bezüglich der Frage, ob der Tatbestand vorliegt, eine Lösung „zunächst durch juristisch correcte Interpretation der ihn kennzeichnenden Gesetzesbestimmung anzubahnen ist“, wobei aber dem Entscheidenden „eine gewisse freie Würdigung“ offenstehe. Gluth zog sich im Folgenden aber auf die Kompetenzfrage zurück, indem er diese Interpretation als etwas nicht „den Functionen der Verwaltungsbehörden Eigenthümliches“, sondern vielfach auch als dem Richter zustehend ansah.34 Auch Friedrich Tezner – in der Sache einig mit Gluth – beschränkte sich auf ein Kompetenzpostulat zu Gunsten des Richters.35 Insgesamt erodierte die Trennung zwischen freiem Verwaltungsermessen und gebundenem richterlichen Ermessen. Mit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts und dem Beginn des 20. Jahrhunderts suchte man nach Wegen, das brüchig gewordene Dogma von der logischen Rechtsanwendung und dem eindeutigen Auslegungsergebnis wenigstens teilweise zu erhalten. Einen Versuch aus linguistischer Richtung unternahm Walter Jellinek 1913 mit seinem Drei-Sphären-Modell zur Anwendung unbestimmter Begriffe, die er als vage Begriffe im Sinne der Sprachwissenschaft ansah. Ihnen setzte er als Gegenbegriff den bestimmten Begriff entgegen.36 Merkmal des unbestimmten Begriffs seien zwei feste und klare Grenzen: Erstens stehe fest, was auf jeden Fall von ihm erfasst ist und zweitens sei klar, was auf keinen Fall in seinen Anwendungsbereich fällt. W. Jellinek stellte das am Beispiel einer badischen Verordnung vom 25. Januar 1908 dar, die das Zusammenreisen von Zigeunern in „Horden“ verbot, wobei ein Zigeuner nie eine Horde, fünfzig Zigeuner aber immer eine Horde seien. Den Bereich zwischen den beiden Grenzen nannte er freies Ermessen.37 Insgesamt kam es W. Jellinek darauf an, „den unbestimmten Begriff in einen bestimmten zu verwandeln“38. Doch sein linguistischer Ansatz konnte sich letztlich nicht durchsetzen.39 32 33

15. 34

Insb. Gluth, Genehmigung (Anm. 31), S. 612 f.; Tezner, Lehre (Anm. 19), S. 45. So Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 168; vgl. auch oben S. 30 in und bei Anm. 14 und

Vgl. Gluth, Genehmigung (Anm. 31), S. 612 – die drei vorangehenden Zitate dort. Vgl. Tezner, Lehre (Anm. 19), S. 55 f., 71; auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 166. 36 Vgl. Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung. Zugleich ein System der Ungültigkeitsgründe von Polizeiverordnungen und -verfügungen. Eine staats- und verwaltungsrechtliche Untersuchung, Tübingen 1913, S. 37. – Dagegen hatte Tezner, Lehre (Anm. 19), S. 38 f., 45, zwischen unbestimmten und bestimmten Begriffen nur graduelle Unterschiede angenommen und wollte daher keine (Gegen-)Begriffskategorien einführen, vgl. auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 157 Anm. 233. 37 W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 37 f.; zum Ganzen auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 170 – 172. 38 Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Berlin 1931, S. 31; ähnlich bereits W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 39. 35

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

In der Meinung, die überkommenen Auslegungsregeln seien zur Eingrenzung des Ermessensbereichs der Verwaltung nicht ausreichend, entwickelte die Verwaltungsrechtslehre „Ausweichstrategien“.40 So wurde versucht, über den Umweg der Absichten des Gesetzgebers – worunter aber nicht die subjektiv-historische Auslegung zu verstehen ist – zu ermitteln, welchem Zweck die Verwendung des unbestimmten Begriffs dient. Als Maßstab wurde dabei auf die angebliche Eindeutigkeit einer empirisch zu ermittelnden „Durchschnittsauffassung“ in der Gesellschaft oder der Rechtsanwender41 sowie auf Erfahrungssätze42 verwiesen43. Mit diesen Konkretisierungsmethoden – teilweise in Anlehnung an die Konkretisierung zivilrechtlicher Generalklauseln44 – wurde ein Ermessensspielraum des Rechtsanwenders innerhalb des Vagheitsbereichs, wie ihn W. Jellinek verstand, abgelehnt.45 Ein anderer Ansatz sah im Ermessen allein die Ermächtigung der Verwaltung zur Zweckwahl, Zweckkonkretisierung oder Wertung.46 Insgesamt zeigt sich aber durch die Bemühungen, einen Ermessensspielraum der Verwaltung bei der Konkretisierung unbestimmter Begriffe einzudämmen, die Tendenz zu einer Reduzierung des Ermessens auf die Rechtsfolgenwahl. Eine eindeutige Begrifflichkeit bildete sich dabei aber noch nicht heraus. Auf der Grundlage dieser Entwicklung entstand eine (Ermessens-)Fehlerlehre des Rechtsfolgeermessens, wobei ein Konsens darin bestand, dass Notwendigkeits- und Zweckmäßigkeitsfragen – als Gegenkategorie zur Rechtmäßigkeit – als reine Ermessensfragen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen blieben.47 Im Anschluss daran entwickelte das Preußische Oberverwaltungsgericht die „Motivkontrolle“, wobei die Ungeeignetheit der Maßnahme ein Indiz für die Ermessensüberschreitung durch Willkür darstellte.48 Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde insbesondere im Rahmen der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Polizeiverfügung entfaltet.49 39

Zur Kritik insb. Ottmar Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, Berlin, Stuttgart und Leipzig 1914, S. 34, 40 – 42; auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 171 f. 40 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 172 – 183 – Zitat S. 172. 41 Vgl. Bühler, Rechte (Anm. 39), S. 30 – 32 – Zitat S. 30. 42 Vgl. Rudolf von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, Leipzig und Wien 1910, S. 51 m. w. N. 43 Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 172 – 178, spricht daher auch von „Verweislehren“. 44 Z. B. Fritz Stier-Somlo, Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Verwaltung, in: Staatsrechtliche Abhandlungen. Festgabe für Paul Laband zum fünfzigsten Jahrestage der Doktor-Promotion, Bd. 2, Tübingen 1908, S. 445 – 514 (463 – 477). 45 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 173 m. w. N. 46 Insb. von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 42), S. 61 – 79; dazu und zur Kritik auch HeldDaab, Ermessen (Anm. 1), S. 178 – 180 m. w. N. 47 Eine ausdifferenzierte Ermessensfehlerlehre bei W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 277 – 359, insb. 331 – 359 – ergänzend unten S. 60 in Anm. 196; zusammenfassend Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 186 – 223. 48 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 189 – 192 m. w. N.

A. Herkunft und historische Entwicklung

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2. Konsolidierung und Stagnation im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Ermessenslehre insgesamt verfestigt. Nach wie vor unterschied die Lehre zwischen gebundenem richterlichen Ermessen und freiem Verwaltungsermessen und ordnete sie den Staatsgewalten Justiz und Verwaltung zu,50 auch wenn diese starre Zuordnung allmählich aufbrach.51 Der Ermessensbegriff blieb aber unscharf, indem er sowohl als Gegenstand rechtlicher Erkenntnis als auch als Restbereich eines legalen Entscheidungsspielraums verstanden wurde.52 Die Kategorien von Rechts- und Ermessensfehlern standen weiterhin nebeneinander, ohne dass ihr Verhältnis zueinander geklärt werden konnte.53 Ermessen wurde jedoch zunehmend als Problem der Fähigkeit positiver Rechtsnormen zur Bindung und Steuerung verstanden.54 Auch wenn sich aus dem Verfassungsrecht stammende Ermessensgrenzen – wie der grundrechtlich garantierte Gesetzesvorbehalt,55 der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit56 und der Gleichheitsgrundsatz57 – Bahn brachen, blieb das Rechtsanwendungsbild dem Richterideal der viva vox legis verhaftet. Die Lehre sah das Recht noch nicht als Grundlage, sondern nur als Grenze des staatlichen Handelns an, hinter die sich der Staat in frommer Selbstbeschränkung zurück-

49 Dazu z. B. O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 20), S. 257, 267 – 270; Tezner, Lehre (Anm. 19), S. 92 – 104; Gerhard Anschütz, Allgemeine Begriffe und Lehren des Verwaltungsrechts nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, in: Preußisches Verwaltungs-Blatt 22 (1900/1901), S. 83 – 90 (85 f.); ähnlich von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 42), S. 214; insb. W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 79 f., 289 – 299; zusammenfassend Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 194 – 200 m. w. N. 50 Vgl. Paul Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl., Tübingen 1911, S. 178 f; Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., München und Leipzig 1914, S. 101; Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Berlin 1905, S. 598 f., 601 – 606; Stier-Somlo, Ermessen (Anm. 44), S. 450 – 457, insb. 456; von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 42), S. 24 f., 61 – 63, 89 f.; vgl. auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 223 m. w. N. 51 Vgl. Stier-Somlo, Ermessen (Anm. 44), S. 469 – 471, 492 – 498; von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 42), S. 24 – 47; W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 190 – 200; auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 225. 52 Dazu Karl Freiherr von Lemayer, Apologetische Studien zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: (Grünhuts) Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 22 (1895), S. 353 – 488 (466 f.); O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 20), S. 84 f., 164 f.; von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 42), S. 47 – 61; Bühler, Rechte (Anm. 39), S. 21 – 24; Rudolf von Laun, Kategorische und disjunktive Normen, in: Archiv des öffentlichen Rechts 34 (1915), S. 162 – 171 (165 – 167); W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 6 f., 33 – 40; ergänzend Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 228 f. 53 So Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 230. 54 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 232. 55 Z. B. Anschütz, Begriffe (Anm. 49), S. 84 f. 56 Vgl. oben in und bei Anm. 49. 57 Z. B. W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 223, 261 – 263, 323 – 326.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

nimmt.58 Ihren theoretischen Höhepunkt fand die Diskussion in der später von Hans Kelsen energisch bekämpften59 Zwei-Seiten-Lehre des Staates von Georg Jellinek. Dieser unterschied zwischen natürlichem – der Staat als sozialer Verband – und juristischem – der Staat als juristische Person – Staatsbegriff. Der natürliche Staatsverband sei der Träger der Staatsgewalt, er „ist die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Verbandseinheit seßhafter Menschen“60. Indem er sich der Rechtsordnung unterwerfe, werde der Staat im natürlichen Sinne erst zum Staat im juristischen Sinne. Bei der Erläuterung des juristischen Staatsbegriffs sprach G. Jellinek von „rechtlicher Selbstbeschränkung des Staates, durch die er sich unter das Recht stellt, Träger von Rechten und Pflichten wird“61. Mit dieser Konstruktion wird deutlich sichtbar, was die Diskussion seit Anbeginn begleitete: Man wagte es einerseits nicht, den Staat als Souverän, repräsentiert durch die Person des Monarchen, in seinen Befugnissen zu beschneiden, wollte ihm aber andererseits rechtsstaatliche Bindungen auferlegen. An dieser Stelle setzte Kelsen ideologiekritisch an, indem er den Monarchen (ausschließlich) rechtlich zu erfassen und juristisch zu konstruieren versuchte.62 Mit dem Untergang der Monarchie im Jahre 1918 brauchte dieser Gedanke freilich nicht mehr weiterverfolgt zu werden. Aus methodologischer Sicht zeigten sich auf dem Gebiet der allgemeinen Staatslehre die Vorboten der Ausdifferenzierung in (deskriptive) Rechtssoziologie einerseits sowie (normative) Rechtstheorie und Rechtsdogmatik andererseits. In der Zeit nach dem Ende der Monarchie fand eine Konsolidierung der spätkonstitutionellen Ermessenslehre statt. Zu ihrer Anpassung und Weiterentwicklung unter den Auspizien einer parlamentarischen Demokratie wie der Weimarer Republik kam es aber nicht. Somit gingen in der Zeit bis zum Nationalsozialismus von der Ermessenslehre kaum weitere Impulse aus.63

58 So noch W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 1 f.; vgl. auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 234. 59 Kritik an G. Jellineks Lehre von der Selbstverpflichtung des Staates insb. bei Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze (1911), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2: Veröffentlichte Schriften 1911, Tübingen 2008, S. 21 – 878 (531 f., 534 – 542, 568 – 572, 587 – 589). 60 Grundlegend Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1. Aufl., Berlin 1900, S. 159, ähnlich S. 161. 61 G. Jellinek, Staatslehre1 (Anm. 60), S. 160. 62 Dazu Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 59), insb. S. 851, ausführlich 851 – 860. 63 Die Literatur ist dementsprechend überschaubar, an Monographien erschienen soweit ersichtlich Friedrich Tezner, Das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden. Kritisch-systematisch erörtert auf Grund der österreichischen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, Leipzig und Wien 1924; Plappert, Gesetzmäßigkeit (Anm. 21).

A. Herkunft und historische Entwicklung

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IV. Die Ermessenslehre im Nationalsozialismus Es liegt auf der Hand, dass im Nationalsozialismus an einer rationalen Durchdringung der Ermessensproblematik für die Wissenschaft kaum Möglichkeiten und von Seiten des Regimes wenig Interesse bestanden. Die Zügelung der Exekutive durch Rechts- und Gesetzesbindung, Gewaltenteilung, Grundrechte und Verhältnismäßigkeit hatten nach dem Wandel von der in ihren Grundsätzen liberalen Weimarer Republik zum autoritär-diktatorischen NS-Führerstaat ausgedient:64 „Eine gesunde Verwaltung hat mit Paragraphen überhaupt nichts zu tun.“65 Eine vergleichbare Entwicklung durchlief auch die Rechtsprechung, der zur „Überwindung der Formalgerechtigkeit zugunsten materieller [freilich nationalsozialistischer] Gerechtigkeit“66 die „formalen Fesseln“67 – gemeint ist die Gesetzesbindung – abgestreift wurden, um ihr Interpretation und Rechtsfortbildung im Geist des Nationalsozialismus einerseits zu ermöglichen, andererseits aber auch abverlangen zu können.68 Wo der Einzelne nichts, das Volk alles ist, wo subjektive Rechte und Rechtsstaatlichkeit durch den aus der Vorsehung geborenen, alles formell wie materiell überlagernden Führerwillen69 obsolet sind, wo dem Recht jeglicher Selbststand verweigert wird,70 braucht es keine selbst-

64 Am Beispiel der Justizfreiheit der Polizei im Nationalsozialismus Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, München 1999, S. 365 f. 65 In seinem polternden Daherkommen nicht unbedingt stellvertretend, aber in jedem Fall den Zeitgeist treffend Walt[h]er Sommer, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Deutsche Verwaltungsblätter 85 (1937), S. 425 – 430 (427). 66 Roland Freisler, Die Strafrechtsnovellen vom Juni 1935 – ein Markstein nationalsozialistischer Strafrechtserneuerung, in: Jahrbuch des Deutschen Rechts NF 2 (1935), S. 520 – 541 (521). 67 Freisler, Strafrechtserneuerung (Anm. 66), S. 528. 68 Dazu Christian Hillgruber, „Neue Methodik“ – Ein Beitrag zur Geschichte der richterlichen Rechtsfortbildung in Deutschland, in: Juristenzeitung 63 (2008), S. 745 – 755 (insb. 751 f.). 69 So programmatisch wie opportunistisch anlässlich des „Röhmputsches“ Carl Schmitt, Der Führer schützt das Recht. Zur Reichstagsrede Adolf Hitlers vom 13. Juli 1934, in: Deutsche Juristen-Zeitung 39 (1934), Sp. 945 – 950; zu Schmitts Artikel Andreas Koenen, Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“, Darmstadt 1995, S. 599 – 629. 70 Programmatisch Carl Schmitt, Der Weg des deutschen Juristen, in: Deutsche JuristenZeitung 39 (1934), Sp. 691 – 698 (691): „Wenn eine starke, ein ganzes Volk erfassende Bewegung allen Gebieten des völkischen Lebens und am stärksten natürlich dem Rechtsleben einen neuen Inhalt gibt …“ und Sp. 695: „Daß unsere Rechtspflege vom nationalsozialistischen Geist getragen sein muß, ist also kein bloßes allgemeines Postulat …“ – Schmitts Versuch, die Selbständigkeit der Rechtswissenschaft zu bewahren fällt dagegen recht kläglich aus, wenn er Sp. 697 f. dem „deutsche[n] Jurist[en] … die Aufgabe, Führer und Träger der deutschen Rechtsentwicklung zu sein“ (Hervorhebung im Original) anträgt, wobei er „in eine auf Artgleichheit gegründete Ordnung eines Volkes“ eingebunden ist. – Es wäre jedoch verfehlt, in Schmitt einen glühenden Nationalsozialisten zu sehen; zu Schmitt im Dritten Reich vgl. unten S. 38 in Anm. 73.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

ständige Theorie und rationale Methode.71 Aus denselben Gründen entwickelte auch die weitgehend lahmgelegte und in ihrem Bestand bedrohte Verwaltungsgerichtsbarkeit den Ermessensbegriff nicht weiter.72 Die Staats- und Verwaltungsrechtslehrer, sofern sie nicht „auf der Seite der kommenden Dinge“73 standen, hatten sich weitgehend aus dem ideologischen Minenfeld des Staatsrechts heraus in das relativ sichere Schneckenhaus des weniger politischen Verwaltungsrechts zurückgezogen und versuchten zu überwintern, ohne dabei die Aufmerksamkeit des Regimes zu erregen.74 Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Ermessenslehre, die zwangsläufig die staatstheoretischen und staatsrechtlichen Fragen der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung berührt, war unter diesen Umständen nicht möglich. Erst nach dem Ende des Nationalsozialismus knüpfte die sich zu Beginn der 1950er Jahre neu formierende Verwaltungsrechtslehre und Verwaltungsrechtsprechung an die Ermessenslehre des Spätkonstitutionalismus an. Maßgeblichen Anteil

71 Zur juristischen Methode im Dritten Reich im Zivilrecht Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 6. Aufl., Tübingen 2005. Die dort für das Zivilrecht gewonnenen Erkenntnisse können – freilich vergröbernd betrachtet – insb. im Hinblick auf die Ausfüllung der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe auch für das öffentliche Recht und das Strafrecht gelten. – Zur Entwicklung und Konsolidierung der richterlichen Rechtsfortbildung im Dritten Reich Hillgruber, Richterliche Rechtsfortbildung (Anm. 68). 72 Zur Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus Michael Stolleis, Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1994, S. 190 – 220. 73 Carl Schmitt, Nationalsozialistisches Rechtsdenken, in: Deutsches Recht 4 (1934), S. 225 – 229 (229). – Man tut Schmitt aber Unrecht, ihn – wie es nach wie vor oft vielfach unreflektiert geschieht – als „Kronjuristen“ des Dritten Reiches (so erstmals sein einstiger Freund Paul Müller [Waldemar Gurian], Entscheidung und Ordnung. Zu den Schriften von Carl Schmitt, in: Schweizerische Rundschau. Monatsschrift für Geistesleben und Kultur 34 (1934/ 35), S. 566 – 576 (567)) abzustempeln. Vielmehr wurde Schmitt 1936 – wohl auch ausgelöst durch zwei Artikel in der Hauszeitung der SS „Das Schwarze Korps“ (Ausgabe vom 3. 12. 1936: „Eine peinliche Ehrenrettung“, S. 11 und Ausgabe vom 10. 12. 1936: „Es wird immer noch peinlicher!“, S. 2), die ihn u. a. wegen seines Katholizismus angriffen, als Günstling von Juden und als „Märzgefallener“ bezichtigten – von seinen Konkurrenten, denen sein kometenhafter Aufstieg im Dritten Reich ein Dorn im Auge war, kaltgestellt; dazu Bernd Rüthers, Carl Schmitt im Dritten Reich. Wissenschaft als Zeitgeist-Verstärkung?, 2. Aufl., München 1990, S. 104 – 108. Obwohl auch viele andere Juristen wie Schmitt „nur aufs falsche Pferd gesetzt hatten“, wurde er – während andere, die ihm gleich oder gar schlimmer getan hatten, wieder zu Amt und Würden kamen (biographische Beispiele bei Bernd Rüthers, Reinhard Höhn, Carl Schmitt und andere – Geschichten und Legenden aus der NS-Zeit, in: Neue Juristische Wochenschrift 53 (2000), S. 2866 – 2871 (2869 – 2871)) – nach dem Zweiten Weltkrieg als Paria der deutschen Staatsrechtslehre zum Sündenbock gemacht; vgl. Bernd Rüthers, Wir denken die Rechtsbegriffe um… Weltanschauung als Auslegungsprinzip, Zürich und Osnabrück 1987, S. 18 – 20. 74 Zur Geschichte des öffentlichen Rechts im Dritten Reich zusammenfassend Stolleis, Geschichte III (Anm. 64), S. 246 – 414 m. w. N., zum Rückzug der Wissenschaft aus dem Staatsrecht S. 351, zur Rechtswissenschaft 1939 – 1945 S. 408 f.

A. Herkunft und historische Entwicklung

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daran hatte insbesondere der nun verfassungsrechtlich garantierte verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz durch Art. 19 Abs. 4 GG.75

V. Zusammenfassung der Historie und Ausblick auf den modernen Ermessensbegriff Begreift man im modernen Sinn den Landesherrn als Verwaltung, so war bereits im 18. Jahrhundert der Dualismus zwischen gebundenem richterlichen Ermessen und freiem Verwaltungsermessen angelegt und blieb auch nach der Wende zum 20. Jahrhundert erhalten, wenn auch die beiden Ermessenskategorien nicht jeweils streng Judikative und Verwaltung vorbehalten blieben. Dadurch ist auch der – noch heute herrschende76 – Gegensatz von freier Ermessensentscheidung und gebundener Entscheidung angelegt. Das mittelalterliche Richterbild des nur aus der Rechtstradition und nicht aus dem positiven Recht frei schöpfenden Richters wurde – freilich modifiziert – um die Wende zum 20. Jahrhundert in der Freirechtsbewegung wiederaufgegriffen,77 die wegen ihrer Anerkennung von schöpferischen Freiräumen des Rechtsanwenders Verwandtschaft mit der Reinen Rechtslehre zeigte.78 Mit der Kodifizierung des Rechts und der Thematisierung der Auslegungsproblematik erfolgte der Einzug der Begriffsjurisprudenz zunächst ins Zivilrecht, später auch ins öffentliche Recht. Im Fahrwasser der Begriffsjurisprudenz setzte sich der Subsumtionsautomatismus im Rechtsanwendungsbild fest.79 Gleichzeitig wurde dabei jedoch auch das Fundament für den staatsrechtlichen Positivismus Gerber-Labandscher Prägung gelegt, der im skeptischen (Geltungs-)Positivismus der Reinen Rechtslehre gipfelte und zugleich

75 Zur Entstehung des Art. 19 Abs. 4 GG Klaus-Berto Doemming/Rudolf Werner Füßlein/ Werner Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart NF 1 (1951), S. 183 – 186. 76 Stellvertretend Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., München 2009, § 7 Rn. 1 – 6, 9, insb. 10. – Eckhard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum. Zur Einheitlichkeit administrativer Entscheidungsfreiräume und zu deren Konsequenzen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – Versuch einer Modernisierung, Tübingen 2001, S. 482, spricht zwar vom Grundmodell der gebundenen Rechtsanwendung und dem ihm gegenüberstehenden anderen Grundmodell der Abwägung, meint aber dieselben Kategorien. 77 Programmatisch zur Freirechtsbewegung Gnaeus Flavius [Hermann Kantorowicz], Der Kampf um die Rechtswissenschaft, Heidelberg 1906, insb. S. 37 – 39, wo Volkstümlichkeit und die im Volk verwurzelte Gerechtigkeitsvorstellung in Recht und Richterspruch gefordert werden, vgl. auch oben S. 29 in und bei Anm. 8. 78 Dazu unten S. 118, 129 – 131. 79 So noch O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 20), S. 84, 163, 167; immer noch in der 3. Aufl., vgl. O. Mayer, Verwaltungsrecht I3 (Anm. 15), S. 76; ergänzend oben S. 30 in und bei Anm. 15.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

seinen schärfsten Kritiker fand.80 Auch die Leitlinien und Grenzen des Ermessens – wenn auch noch aus dem Natur- und Vernunftrecht abgeleitet81 und anfangs noch rudimentär entwickelt – muten modern an: Zielvorgabe der Ermessensentscheidung war die „gute Polizey“, die Wohlfahrt, also das, was heute unter dem Gedanken der „guten Verwaltung“ und „richtigen Entscheidung“ firmiert.82 Zugleich wurde aus der Forderung nach der Notwendigkeit und Erforderlichkeit als Grenze des Tätigwerdens des Staates – zunächst ebenfalls nur rudimentär vernunftrechtlich – die Basis für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geschaffen. Ins Auge sticht die sich durchsetzende strenge Trennung von Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit, wobei die Zweckmäßigkeit von damals bis heute – derzeit in §§ 68 Abs. 1 Satz 1 und 114 Satz 1 VwGO positiviert – grundsätzlich der Domäne der Verwaltung vorbehalten bleibt. Bereits früh wurde die eingeschränkte verwaltungsgerichtliche Kontrolle mit dem Fehlen der erforderlichen Sachnähe und Sachkenntnis des Richters auf diesem Gebiet, kurz: den Funktionsgrenzen der Justiz, begründet.83 In der spätkonstitutionellen Ermessenslehre kristallisierte sich die Verengung des Ermessensbegriffs auf die Rechtsfolgenseite der Rechtsnorm heraus.84 Zugleich wurden die unbestimmten Begriffe auf Tatbestandsseite als grundsätzlich vollumfänglich justiziables Auslegungsproblem angesehen,85 wobei jedoch bereits kontrollfreie Aus-

80 Dazu Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius (Hrsg.), Hans Kelsen. Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. XIII f. 81 Vgl. Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 42. 82 Vgl. Art. 41 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der mit „Recht auf eine gute Verwaltung“ überschrieben ist; zur „guten Verwaltung“ auch Wolfgang Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/ Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 10 Rn. 8, 35, 36, 71, der Rn. 36 von einer „übergreifenden ,KlugheitÐ des Verwaltungshandelns“ spricht. Dagegen kommt Kirstin Pfeffer, Das Recht auf eine gute Verwaltung. Art. II-101 der Grundrechtecharta des Vertrages über eine Verfassung für Europa, Baden-Baden 2006, S. 251, für die Unionsverwaltung zu dem Ergebnis, sie „ist vor allem dann ,gutÐ …, wenn sie die Verfahrensrechte der Bürger beachtet“ (Hervorhebung nicht im Original); es zeigt sich auch hier der Gedanke der Sicherung materieller Positionen durch formelle Verfahrensvorgaben. – Zur Idee der „einen richtigen Entscheidung“ vgl. unten S. 66 f., 226, insb. 248 – 252. 83 So bereits Carl von Pfizer, Über die Grenzen zwischen Verwaltungs- und Civil-Justiz und über die Form bei Behandlung der Verwaltungsjustiz, Stuttgart 1828, S. 189 – 197; später von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 42), S. 106 f.; auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 59 f., 165 – 167. 84 Stellvertretend Tezner, Lehre (Anm. 19), S. 12 – 14; von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 42), S. 62; auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 183 – 185. 85 Vgl. Friedrich Tezner, Ueber das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte, in: (Grünhuts) Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 19 (1892), S. 327 – 411 (382 f.), Tezner, Lehre (Anm. 19), S. 45 f., 55, 71; Gluth, Genehmigung (Anm. 31), S. 612 – 614; zusammenfassend Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 160 – 167.

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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legungsspielräume (an)erkannt wurden86 und sich auch erste Ansätze einer Vertretbarkeitslehre87 abzeichneten.88

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs Die spätestens in den 1950er Jahren wiederaufflammende, bis heute andauernde Ermessensdiskussion versuchte, den Ermessensbegriff weiter auszudifferenzieren89 und auf eine solide rechtstheoretische und verfassungsrechtliche Grundlage90 zu stellen. Das Ringen um einen ausdruckstarken und trennscharfen Ermessensbegriff brachte jedoch zunächst genau das Gegenteil hervor: Es wurden viele neue Begriffe eingeführt, die das Gesamtbild eher unüberschaubarer machten, anstatt es zu bereinigen. Grundsätzliche Einigkeit bestand allein in der normstrukturell orientierten Betrachtung konditional programmierter Rechtsnormen und in der Folge darin, dass es sich bei den Ermessensermächtigungen auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite um in irgendeiner Weise unterschiedliche Phänomene mit unterschiedlich dichter verwaltungsgerichtlicher Justiziabilität handelte, die demnach auch verschieden zu bezeichnen seien. So operierte die Ermessenslehre – in der Tradition der spätkonstitutionellen Ermessenslehre und insbesondere G. Jellineks – mit Dualismen. Die Diskussion verlief von Anfang an mehrspurig, wobei sich die verschiedenen Spuren wechselseitig beeinflussten. Die eine Spur näherte sich dem Ermessen aus rechtstheoretischer Perspektive und thematisierte die Existenz von Spielräumen des Rechtsanwenders. Eine zweite Spur versuchte, die rechtstheoretischen Befunde in Begriffe zu fassen und zu systematisieren. Sie teilte sich später nochmals auf: Ei86 Z. B. Bernatzik, Rechtsprechung (Anm. 21), S. 45 – 47; Edmund Bernatzik, [Buchbesprechung:] Zur Lehre von dem freien Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte. Von Dr. Friedrich Tezner. Wien, Manz, 1888, in: (Grünhuts) Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 18 (1891), S. 148 – 163 (150 – 163). 87 Dazu unten S. 61, 73. 88 Gluth, Genehmigung (Anm. 31), 615 – 617, S. 616, spricht er für diese Fälle von „wirklich freie[m] Ermessen“. 89 Grundlegend Otto Bachof, Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, in: Juristenzeitung 10 (1955), S. 97 – 102; vgl. auch Hermann Reuss, Das Ermessen. Versuch einer Begriffsklärung, in: Deutsches Verwaltungsblatt 68 (1953), S. 585 – 589; Hermann Reuss, Der unbestimmte Rechtsbegriff. Seine Bedeutung und seine Problematik, in: Deutsches Verwaltungsblatt 68 (1953), S. 649 – 655. 90 Programmatisch insofern die Titel der Beiträge von Dieter Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen in rechtstheoretischer und verfassungsrechtlicher Sicht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 82 (1957), S. 163 – 249; Rüdiger Klein, Die Kongruenz des verwaltungsrechtlichen Ermessensbereichs und des Bereichs rechtlicher Mehrdeutigkeit. Versuch einer rechtstheoretischen Präzisierung ermessender Geistestätigkeit, in: Archiv des öffentlichen Rechts 82 (1957), S. 75 – 122.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

nerseits untersuchte man – den Blick nach „hinten“ gewandt – die Frage der Rechtsbindung, andererseits stellte man – nach „vorne“ blickend – die Frage nach der Überprüfbarkeit durch eine Kontrollinstanz.

I. Die rechtstheoretische Diskussionsspur Die in den 1950er Jahren aufkommende rechtstheoretische Betrachtung von (Ermessens-)Spielräumen war ein Kind ihrer Zeit. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus war das Vertrauen in die Verwaltung schwer erschüttert. Die Verwaltung sollte in ein mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich abgesichertes enges Regelungs- und Überwachungskorsett geschnürt werden. Mit rechtsstaatlichem Impetus legte man alle Hoffnung in den unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber, dessen Entscheidungen und Regelungen die Verwaltung nur noch realisieren und die Rechtsprechung nur noch nachvollziehen sollten. Vor dem Hintergrund dieser Idee des Rechtsstaates drängte sich die Forderung nach vollständiger Regelung aller Sachverhalte im parlamentarischen Gesetz in den Vordergrund. Spielräume des Rechtsanwenders, insbesondere unbestimmte Rechtsbegriffe empfand man als „Verlegenheitslösung des Gesetzgebers“91, die sich aus dem unauflöslichen Gegensatz von rechtsstaatlichen Grundsätzen einerseits und andererseits aus den Notwendigkeiten des modernen staatlichen Lebens, die eine flexible Regelungstechnik erforderten, ergab.92 Unbestimmte Rechtsbegriffe – „trojanische Pferde oder Vehikel der Unsicherheit und Willkür im sonst normativen Gefüge des Rechtsstaates“93 – galten als Fremdkörper, waren als notwendiges Übel nur geduldet und wurden im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen. So würde ein „kognitives“ Ermessen, sprich die Nichtjustiziabilität unbestimmter Rechtsbegriffe „einen wesentlichen Teil des verfassungsmäßigen Rechtsschutzes auf kaltem Wege beseitigen“94.

91 Hermann Ule, Verwaltungsgerichte überstaatlicher und internationaler Organisationen, in: Deutsches Verwaltungsblatt 68 (1953), S. 491 – 497 (497): „[Die unbestimmten Rechtsbegriffe] sind eine Verlegenheitslösung des Gesetzgebers, der zwar die Verwaltung binden möchte, aber nicht in der Lage ist, die Voraussetzungen, unter denen die Verwaltung tätig werden soll und tätig werden darf, bestimmt genug zu formulieren.“ 92 Vgl. Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 589; Ule, Verwaltungsgerichte (Anm. 91), S. 497. 93 Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 589; ähnlich auch Josef Weisbart, Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, in: Juristenzeitung 6 (1951), S. 769 – 772 (771). 94 Paul van Husen, Gibt es in der Verwaltungsgerichtsbarkeit justizfreie Regierungsakte?, in: Deutsches Verwaltungsblatt 68 (1953), S. 70 – 73 (72); so auch Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 588; Hermann Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsakt, in: Otto Bachof/Martin Drath/Otto Gönnenwein/Ernst Walz (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Walter Jellinek. 12. Juli 1885 – 9. Juni 1955, München 1955, S. 309 – 330 (314).

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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Diese Bedenken zerstreute zwar das Bundesverfassungsgericht, das die gesetzgeberische Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe – insbesondere im Steuerrecht95 – trotz ihrer Auslegungsbedürftigkeit als verfassungsmäßig ansah, solange die vom Bestimmtheitsgrundsatz geforderte Normklarheit und Justiziabilität eingehalten sind.96 Dennoch kam es nur zu einer Abschwächung des historisch bedingten radikalen Rechtsstaatsverständnisses. An der Idee der vollständigen gesetzlichen Regelung und der Idee der einen richtigen Entscheidung wurde immer noch festgehalten, man stellte sie aber der Praxis nur noch als Ideale gegenüber, denen möglichst nahe zu kommen sei. So sprach man davon, dass der „unbestimmte Rechtsbegriff … – jedenfalls in thesi – stets die normative Lösung einer Rechtsfrage“97 sei. Die eine richtige Lösung müsse nur gefunden werden, sei also schon im Gesetz vorhanden („präexistent“98).99 Im gleichen Atemzug räumt man aber ein, „daß die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe in praxi angesichts der hierbei oft vorliegenden Überforderung unseres rationalen Erkenntnisvermögens sich als willensbeeinflusste Entscheidung erweist, wodurch die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe prinzipwidrig der Ermessenshandhabung angenähert oder gar angeglichen wird“100.

In der Folge reifte langsam die Erkenntnis, dass die aus der Historie motivierten staatstheoretischen, nun verfassungsrechtlich verpackten Ansprüche an das Recht nicht durchsetzbar waren. Im gleichen Maße, wie die Erkenntnis wuchs, dass Spielräume des Rechtsanwenders in einem arbeitsteiligen Rechtssystem wie dem des Grundgesetzes rechtswesenhaft und damit unvermeidbar sind, erlahmte das Interesse an der rechtstheoretischen Betrachtung der Ermessensproblematik. Die Auseinander-

95 Ständige Rechtsprechung, z. B. BVerfGE 13, 153 (161) – Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 Kapitalverkehrssteuergesetz i. d. F. vom 22. September 1955; BVerfGE 26, 321 (325) – Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 Satz 2 Kapitalverkehrssteuergesetz i. d. F. vom 24. Juli 1959; BVerfGE 48, 210 (222) – Verfassungsmäßigkeit des § 34c Abs. 3 EStG. 96 Ständige Rechtsprechung, z. B. BVerfGE 8, 274 (325 f.) – Verfassungsmäßigkeit des § 2 Preisgesetz; BVerfGE 13, 153 (161) – Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 Kapitalverkehrssteuergesetz i. d. F. vom 22. September 1955; BVerfGE 20, 150 (157 – 159) – Verfassungsmäßigkeit des Sammlungsgesetzes; BVerfGE 21, 73 (79 f.) – zu Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und § 9 Abs. 1 Nr. 1 Grundstücksverkehrsgesetz; BVerfGE 31, 255 (264) – private Tonbandvervielfältigung nach § 53 Abs. 5 UrhG; BVerfGE 37, 132 (142) – zur inhaltlichen Ausgestaltung von mietpreisrechtlichen Vorschriften; BVerfGE 49, 89 (133 – 140) – zum Parlamentsvorrang und zur friedlichen Nutzung der Kernenergie; BVerfGE 52, 1 (41) – zum Kleingartenrecht; BVerfGE 56, 1 (12) – Kriegsopferversorgung nach § 64e Abs. 1 BVG; BVerfGE 59, 104 (114) – Verfassungsmäßigkeit von § 5 Abs. 3 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz; BVerfGE 63, 312 (323 f.) – Verfassungsmäßigkeit der Ersatzerbschaftssteuer für Familienstiftungen; BVerfGE 78, 214 (226) – Bindung der Gerichte an Verwaltungsvorschriften und Verfassungsmäßigkeit des § 33a Abs. 1 EStG. 97 Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587 – Hervorhebung nicht im Original. 98 Reuss, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 89), S. 652. 99 Vgl. Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587, 589; Reuss, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 89), S. 652. 100 Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587 – Hervorhebung nicht im Original.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

setzung mit der Reinen Rechtslehre, die diese Problematik bereits bearbeitet hatte,101 mied man, da der Rechtspositivismus diskreditiert war.102 Der Blick richtete sich nun auf die begriffliche Erfassung und Systematisierung dieser Spielräume durch die Rechtsdogmatik. Das Grundmuster der gesamten Ermessensdiskussion bis zum heutigen Tag war gewoben. Noch immer ist der Widerspruch zwischen der Idee der einen richtigen Entscheidung und der Tatsache der rechtswesenhaften arbeitsteiligen Rechtsgewinnung nicht aufgelöst. Alle Versuche, ihn wegzutheoretisieren oder wegzudogmatisieren, dürfen als fehlgeschlagen gelten.

II. Die rechtsdogmatische Diskussionsspur Neben der rechtstheoretischen Diskussionsspur kann man eine rechtsdogmatische Diskussionsspur nachzeichnen, die auf der spätkonstitutionellen Ermessenslehre aufbaut. Es lässt sich eine Anpassung der hergebrachten Ermessenslehre an das Rechtsverständnis nach 1945 beobachten, die in die Trennung von unbestimmtem Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum, Rechtsfolgeermessen und Planungsermessen mündet. 1. Historische Relikte als Wurzeln qualitativer Unterscheidungen Die Ermessensdiskussion nach 1945 ist von Relikten der spätkonstitutionellen Ermessenslehre geprägt. Zunächst wird immer noch streng zwischen legislativem, verwaltungsbehördlichem und judikativem Ermessen getrennt. Ob und inwiefern sich diese drei Ermessensarten in ihrem Wesen unterscheiden, gilt aus der herkömmlichen verwaltungsrechtswissenschaftlichen Perspektive geklärt. Man geht einerseits davon aus, „daß [im Gegensatz zum grundsätzlich rein interpretatorischen, an rechtliche Maßstäbe gebundenen richterlichen Ermessen103] die Maßstäbe für die Ausübung des Verwaltungsermessens nicht rechtlicher, sondern metarechtlicher Natur sind“104. Andererseits grenzt man das Verwaltungsermessen von der Gesetzgebung mit dem Hinweis ab, dass der Gesetzgeber den politischen Willen des Volkes realisiert und in gleicher Weise wie die Verwaltung rechtlich gebunden ist, aber anders als die gesetzesgelenkte und gesetzesakzessorische Verwaltung nicht im Einzelfall, sondern allgemeinpolitisch und gestalterisch tätig werde.105 Bedenken und sich aufdrängende Zweifel – ins101

Vgl. unten S. 111 – 170. Vgl. ergänzend unten S. 141 f. in Anm. 365. 103 Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 185, dort insb. Anm. 80. 104 Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 234. 105 Vgl. Andreas Hamann, Die Ermessensfreiheit des Gesetzgebers, in: Neue Juristische Wochenschrift 8 (1955), S. 969 – 972 (971 f.); Giselher Rüpke, Gesetzgeberisches Ermessen und richterliches Prüfungsrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum 102

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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besondere an der Trennung zwischen richterlichem Ermessen und Verwaltungsermessen – werden ausgeklammert.106 Insgesamt firmiert die Ermessensdiskussion als ureigener Topos des öffentlichen Rechts.107 Daher scheint auch kein Bedürfnis für die Entwicklung eines einheitlichen Grundmodells für einen administrativen Entscheidungsfreiraum zu bestehen,108 ganz zu schweigen von einem Gesamtansatz, der die säulenhafte Trennung nach den drei Gewalten überwindet und eine die strukturellen Gemeinsamkeiten berücksichtigende Ermessens- und Ermessensfehlerlehre ins Auge fasst.109 Von den Dualismen der spätkonstitutionellen Ermessenslehre rettete sich die Unterscheidung zwischen gebundener und freier Entscheidung hinüber, um bis heute eine, wenn nicht sogar die Grundfeste der gesamten verwaltungsrechtlichen Ermessensdogmatik zu bilden.110 In der Folge unterscheidet man kategorisch zwischen Ermessensverwaltung und gebundener Verwaltung, die man als qualitativ verschiedene Phänomene ansieht.111 Untermauert wird diese qualitative Trennung durch das herrschende Rechtsanwendungsbild. Ermessensermächtigungen werden plötzlich in Abkehr vom herkömmlichen Begriffsverständnis nicht mehr nur als Ermessen im engeren Sinne auf Rechtsfolgenseite, sondern auch als Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite weit verstanden und als „Lockerungen der Gesetzesbindung“ bezeichnet.112 Zudem werden sie als Ausnahmen von der grundsätzlich strengen, verfassungsrechtlich aus Gleichheitssatz, Göttingen 1961, S. 31 f.; Klaus Stern, Ermessen und unzulässige Rechtsausübung. Eine Analyse der subjektiven und objektiven Elemente, Berlin 1964, S. 11; Peter Sieghard Richter, Sind die Grundsätze über die Ermessensausübung beim Erlaß von Verwaltungsakten übertragbar auf den Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen?, Heidelberg 1972, S. 46 – 48; Henning Recknagel, Gesetzgeberisches Ermessen. Eine Untersuchung zur Stellung des Bundesgesetzgebers, Köln 1975, S. 32 – 36; Christian Weitzel, Justitiabilität des Rechtsetzungsermessens. Zugleich ein Beitrag zur Theorie des Ermessens, Berlin 1998, 28 f.; zusammenfassend Barbara Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozeß, Köln 2002, S. 212 f. 106 Vgl. unten S. 64 f. 107 Das zeigt sich insb. in der inzwischen unüberschaubaren Flut an Beiträgen zum Ermessen im Verwaltungsrecht, vgl. auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 1), S. 263, und – aus Sicht des Zivilrechts – Stickelbrock, Richterliches Ermessen (Anm. 105), S. 27. 108 Das bemängelt Matthias Jestaedt, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., Berlin und New York 2010, § 11 Rn. 19. 109 Ansätze aus der Perspektive der Wiener Schule bei Norbert Achterberg, Die Entscheidung über das Bedürfnis für die Bundesgesetzgebung (Art. 72 Abs. 2 GG), in: Deutsches Verwaltungsblatt 82 (1967), S. 213 – 220 (217); ähnlich aus dem Grundgesetz argumentierend Manfred Zuleeg, Die Ermessensfreiheit des Verordnungsgebers, in: Deutsches Verwaltungsblatt 85 (1970), S. 157 – 163 (insb. 162 f.); auch Richter, Ermessensausübung (Anm. 105); Recknagel, Ermessen (Anm. 105), S. 1, 62 – 72e. 110 Vgl. oben S. 39 bei und in Anm. 76. 111 Vgl. Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 108), § 11 Rn. 10. 112 So Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 6 – Zitat dort.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

den Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG hergeleiteten Gesetzesbindung der Verwaltung verstanden, die auch auf die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte durchschlagen und somit der Verwaltung die Kompetenz zur Letztentscheidung einräumen.113 Ermessen – in diesem Sinne ein Spielraum des Rechtsanwenders – ist demnach ein Fremdkörper im Rechtsanwendungsprozess, der immer noch von der Leitidee „der einen richtigen (rechtmäßigen) Entscheidung“114, die unmittelbar dem Gesetz entnommen werden kann, kurz: dem Subsumtionsautomatismus, ausgeht. Eine weitere qualitative Unterscheidung fußt auf der normstrukturell orientierten Betrachtungsweise, die zwischen konditional programmierten und final programmierten Normen trennt. Als Standardfall gilt ihr die konditionale Programmierung, weshalb final programmierte Rechtsnormen die Ausnahme bilden. Auf dieser Unterscheidung basiert folgerichtig die letzte kategoriale Trennung zwischen Ermessen auf Rechtsfolgenseite in konditional programmierten Normen und dem in final programmierten Normen verorteten Planungsermessen als Sonderkategorie des Ermessens sowie dem Regulierungsermessen.115 2. Die Anfänge: Ein bunter Strauß verschiedener Ermessensbegriffe Die zeitgleich zur rechtstheoretischen Diskussionsspur beginnende rechtsdogmatische Diskussionsspur versuchte das Phänomen der Spielräume des Rechtsanwenders begrifflich zu erfassen und zu dogmatisieren. Sie führte die rechtstheoretische Erkenntnis der Unvermeidbarkeit dieser Spielräume fort und versuchte, dem Bedürfnis nach Schaffung einer Begrifflichkeit, die ein Arbeiten mit diesem Phänomen im juristischen Alltag ermöglicht, Rechnung zu tragen. Die grundlegende Unterscheidung orientierte sich – auch ihrer Terminologie nach – am Standort der Ermessensermächtigung und sprach von Tatbestandsermessen und Rechtsfolgeermessen. Dabei herrscht bis heute nur Einigkeit über den Begriff des Rechtsfolgeermessens, das seinerzeit auch unter der Bezeichnung Handlungsermessen firmierte: Er bedeutet die Wahlmöglichkeit der Verwaltung zwischen mehreren Rechtsfolgen, sofern vorher der Tatbestand erfüllt ist.116 Mit dem Begriff des Tatbe113

Grundlegend Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 234 – 249; so auch Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 6. 114 Zitat bei Fritz Ossenbühl, Rechtliche Gebundenheit und Ermessen der Verwaltung, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., Berlin 2002, § 10 Rn. 27; ausführlich Fritz Ossenbühl, Vom unbestimmten Gesetzesbegriff zur letztverbindlichen Verwaltungsentscheidung, in: Deutsches Verwaltungsblatt 89 (1974), S. 309 – 313 (310); dazu kritisch Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 108), § 11 Rn. 10 m. w. N. 115 Vgl. unten S. 49 – 53. 116 Grundlegend Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 97; ihm folgend beispielsweise Fritz Ossenbühl, Tendenzen und Gefahren der neueren Ermessenslehre, in: Die öffentliche Verwaltung 21 (1968), S. 618 – 627 (619); Karl-Eberhard Hain/Volker Schlette/Thomas

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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standsermessens117 wurde insbesondere in der älteren Literatur die Konkretisierung mehrdeutiger, sprich unbestimmter Begriffe erfasst. Dabei setzte sich aber relativ rasch die Auffassung durch, dass die Konkretisierung, die als Auslegung und damit als bloße Gesetzesanwendung verstanden wurde, nicht als Ermessen zu bezeichnen sei.118 In der Folge verlor die begriffliche Unterscheidung an Bedeutung und trat in der Diskussion in den Hintergrund. Ein weiteres Begriffspaar bildeten Urteilsermessen und Handlungsermessen. Es geht auf Werner Flume zurück, der insbesondere im Steuerrecht zwischen Verwaltungshandeln nach Handlungsnormen und Sachentscheidung nach Sachentscheidungsnormen unterschied.119 Sachentscheidungen beschränkten sich lediglich auf die Feststellung, was rechtens sei. Sie wurden als Urteilsermessen bezeichnet und unterschieden sich vom Handlungsermessen – dieser Begriff scheint im gängigen Sinne verwendet – dadurch, dass sie anders als das Handlungsermessen vollumfänglich justiziabel seien.120 Urteilsermessen wurde dabei als Konkretisierung einer Rechtsnorm verstanden, was im Grunde nichts anderes als die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs bedeutet. Es handelte sich lediglich um andere Begriffe für Tatbestandsermessen und Rechtsfolgenermessen, die sich jedoch nicht durchsetzen konnten. Neben den bisher genannten Begriffspaaren stand die Unterscheidung von kognitivem Ermessen und volitivem Ermessen. Während sich das kognitive Ermessen nicht auf behördliches Handeln, sondern auf behördliche Erkenntnisakte bezog, handelte es sich beim volitiven Ermessen als „Haupterscheinungsform des Ermessens“ um „wahlweise freigestellte behördliche Willensentscheidungen“121, um „die Wahlfreiheit der Behörde zwischen mehreren – gleichermaßen erlaubten – Verhaltensweisen Schmitz, Ermessen und Ermessensreduktion – ein Problem im Schnittpunkt von Verfassungsund Verwaltungsrecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 122 (1997), S. 32 – 64 (36 f.); Michael Sachs, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 7. Aufl., München 2008, § 40 Rn. 32 – 37; Friedrich Schoch, Das verwaltungsbehördliche Ermessen, in: Juristische Ausbildung 26 (2004), S. 462 – 469 (462); Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 7 f. 117 So z. B. Klaus Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Aufl., Neuwied und Darmstadt 1983, § 40 Rn. 12, 17. 118 So Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 586; Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 97 – 99; Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe (Anm. 94), S. 311 – 314; Klaus Obermayer, Das Verhaltensermessen der Verwaltungsbehörden, in: Neue Juristische Wochenschrift 16 (1963), S. 1177 – 1185 (1177 – 1179). 119 Werner Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag 15. Januar 1952. Dargebracht von Freunden, Schülern und Kollegen, Göttingen 1952, S. 59 – 101 (97). 120 Vgl. Flume, Steuerwesen (Anm. 119), S. 98 f.; ebenso Diether Haas, Unbestimmter Rechtsbegriff oder Ermessen?, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 7 (1953), S. 651 – 655 (655); diese Begrifflichkeit auch bei Fritz Czermak, Was ist Verwaltungsermessen?, in: Die Öffentliche Verwaltung 19 (1966), S. 750 – 754 (751). 121 Beide Zitate Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 585.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

[gemeint sind damit Rechtsfolgen]122“123, die in Anlehnung an Flume124 – anders als behördliche Erkenntnisakte – nur bezüglich der Grenzen ihres Handlungsspielraumes justiziabel seien, weshalb statt von volitivem Ermessen auch von Handlungsermessen gesprochen wurde. Folgerichtig nahmen die Vertreter dieser Ansicht an, dass es sich beim kognitiven Ermessen um kein Ermessen im eigentlichen Sinne handelt, da das Ergebnis des behördlichen Erkenntnisaktes als „richtig“ oder „unrichtig“ beurteilt werden könne, was zu voller Justiziabilität führe. Die Äquivokation zweier wesensverschiedener Phänomene sei daher ein Missstand und verwische die Grenzen zum Gegenbegriff des Ermessens, dem unbestimmten Rechtsbegriff, völlig.125 Somit war auch mit der Unterscheidung von kognitivem und volitivem Ermessen keine befriedigende Begriffsklärung erreicht. Die Diskussion verlagerte sich nun auf die Abgrenzung von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen im engeren Sinne. Freilich war damit die Suche nach Begriffen, die die Tätigkeit der Behörde auf Tatbestandsseite als Ermessen beschrieben, nicht gänzlich aufgegeben worden.126 So wurde beispielsweise – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – statt von Urteilsermessen auch von „Beurteilungs- oder Erkenntnisermessen“127 gesprochen, daneben traten Bezeichnungen wie Auslegungs- und Subsumtionsermessen,128 Konkretisierungsermessen,129 Prüfungsermessen – auch arbiträres Ermessen genannt130 – und Begriffsausfüllungsermessen oder Tatbestandsfeststellungsermessen.131 Insgesamt setzten sich diese Begriffsbildungen in der Diskussion nicht durch. Teilweise meldeten sogar ihre Urheber selbst sogleich Bedenken gegen die Benutzung ihrer Schöp-

122

So spricht Hermann Reuss, Gegenäußerung, in: Die Öffentliche Verwaltung 7 (1954), S. 557 – 559 (559) von „gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge-Alternativen“ – Hervorhebung im Original. 123 Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 585. 124 Flume, Steuerwesen (Anm. 119), S. 97 – 99; Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 585. 125 Grundlegend Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 585 f. – Allerdings erkennen auch die Vertreter der „einen richtigen Entscheidung“ im Rahmen der Erkenntnis Spielräume des Erkennenden an, vgl. nur Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587. 126 Eine Übersicht über die Begriffsvorschläge bei Lars-Henrik Rode, § 40 VwVfG und die deutsche Ermessenslehre, Frankfurt a. M. 2003, S. 31 – 35. 127 So Rüdiger Klein, Ermessen und Sprachgebrauch, in: Juristenzeitung 11 (1956), S. 588 – 590 (590); kritisch Otto Bachof, Ermessen und Sprachgebrauch, in: Juristenzeitung 11 (1956), S. 590 f.; Begrifflichkeit auch bei Gerd Schmidt-Eichstaedt, Ermessen, Beurteilungsspielraum und eigenverantwortliches Handeln der Verwaltung – Zum Umfang der Bindung des Ermessens an die Begriffe und den Tatbestand der Ermessensermächtigung –, in: Archiv des öffentlichen Rechts 98 (1973), S. 173 – 195 (179). 128 So Haas, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 120), S. 651 – 655. 129 Z. B. Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 105), S. 71. 130 Ablehnend Rolf Stober/Winfried Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 12. Aufl., München 2007, § 31 Rn. 6. 131 Vgl. Schmidt-Eichstaedt, Ermessen (Anm. 127), S. 179.

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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fungen an, indem sie davor warnten, „daß man vielleicht Verwirrung stiftet, wenn man die … Begriffe … verwendet“132. 3. Die herrschende Ermessensdefinition: Ermessen als Rechtsfolgeermessen Wie bereits angedeutet hat sich die Verwendung des Begriffs Ermessen für die Tätigkeit der Verwaltung auf Rechtsfolgenseite einer konditionalen Rechtsnorm durchgesetzt. Den Grundstein legte 1955 Otto Bachof, der die Natur der Handlungsspielräume danach unterschied, ob ihre Ausfüllung durch einen Erkenntnis- oder Willensakt erfolgt. Für erstgenannte sprach er von einem Beurteilungsspielraum, für letztgenannte reservierte er den Begriff des Ermessens. Im Anschluss an Hermann Reuss133 sah er in beiden Arten der Handlungsspielräume „zwei völlig heterogene Erscheinungen“, für die die „Verwendung einer einheitlichen Nomenklatur … kein zulässiger Sprachgebrauch, sondern ein Sprachmißbrauch“ sei.134 „Es würde wesentlich der Klarheit dienen, wenn man sich entschließen könnte, den Begriff des Ermessens ausschließlich auf das Handlungsermessen zu beschränken und statt vom ,BeurteilungsermessenÐ und dgl. von einem ,BeurteilungsspielraumÐ zu sprechen.“135

Indem Bachof die unbestimmten Rechtsbegriffe als „sedes materiae des Beurteilungsspielraums“ ausmachte,136 war der Weg für die normstrukturell orientierte Betrachtung und für die Beschränkung des Ermessens auf die Rechtsfolgenseite der Norm geebnet. Der sich nun entwickelnde Ermessensbegriff ist janusköpfig, da er der Stellung der Verwaltung in der grundgesetzlichen Gewaltenteilung zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung gerecht zu werden versucht. Er hat demnach eine verfassungsrechtliche Dimension, neben die eine rechtstheoretische Dimension tritt. Zusammen bilden sie in der Diskussion den Topos der Eigenständigkeit der Verwaltung, sprich den Blick „zurückgewandt“ die Frage nach Nichtdeterminiertheit der Verwaltung durch den Gesetzgeber einerseits und den Blick nach „vorn“ gewandt die Frage nach der Freiheit der Verwaltung von gerichtlicher Kontrolle andererseits. Verwaltungsermessen ist demnach die „normativ begründete, eingegrenzte und dirigierte Rechtsfolgenbestimmung durch die Verwaltung“137. 132

Haas, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 120), S. 655. Reuss, Gegenäußerung (Anm. 122), S. 556 f. 134 Vgl. Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 98 – die zwei vorangehenden Zitate dort, Hervorhebung im Original. 135 Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 98 – Hervorhebung im Original. 136 Vgl. Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 102 – Zitat dort. 137 So nach wie vor aktuell Fritz Ossenbühl, Der polizeiliche Ermessens- und Beurteilungsspielraum. Zur Dogmatik von Gefahrenabwehrentscheidungen, in: Die Öffentliche Verwaltung 29 (1976), S. 463 – 471 (465); grundlegend dazu Fritz Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, Bad Homburg v. d. H., Berlin und Zürich 1968, S. 317; die Defi133

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

Das Ermessen wird auf zwei Stufen ausgeübt. Zunächst kann der Behörde ein Spielraum dahingehend offenstehen, ob sie überhaupt eine Rechtsfolge auswählt und somit überhaupt tätig wird. Man spricht dann von Entschließungsermessen. Die Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Rechtsfolgen wird als Auswahlermessen bezeichnet.138 Sondersituationen der Beschränkung der Auswahlmöglichkeiten der Verwaltung auf bestimmte Rechtsfolgen stellen die Ermessensreduzierung auf Null und das sog. intendierte Ermessen dar. Im Falle der Ermessensreduzierung auf Null steht der Verwaltung nur eine einzige Rechtsfolge zur Auswahl. Eigentlich handelt es sich dann nicht mehr um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine gebundene Entscheidung. Die Reduzierung des Ermessens auf Null erfolgt durch „Verdichtung der Ermessensgrenzen“139, zumeist in Folge der Einwirkung von Grundrechten oder anderen Grundsätzen von Verfassungsrang, insbesondere dem Gleichbehandlungsgrundsatz, beispielsweise durch die Selbstbindung der Verwaltung.140 Um die Auswahl der Rechtsfolge im Einzelfall für die Verwaltung zu vereinfachen, wurde im Anschluss an die Rechtsprechung141 das sog. intendierte Ermessen entwickelt. Hier ist von der Ermessensermächtigung grundsätzlich eine bestimmte Rechtsfolge vorgezeichnet, für deren Auswahl es keiner Begründung bedarf. Will die Verwaltung aber eine andere Rechtsfolge wählen, so hat sie diese besonders zu begründen.142 4. Das Planungsermessen als Sonderkategorie Das sog. Planungsermessen143 – auch Gestaltungsermessen bezeichnet144 – bildet als Ausnahmekonstellation zum Rechtsfolgeermessen eine Sonderkategorie. Ihr liegt nition aufgreifend Martin Bullinger, Das Ermessen der öffentlichen Verwaltung – Entwicklung, Funktionen, Gerichtskontrolle –, in: Juristenzeitung 39 (1984), S. 1001 – 1009 (1001, 1009); Ossenbühl, Gebundenheit (Anm. 114), § 10 Rn. 10; ebenso Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3: Art. 16 – 22, Stand: Oktober 2010 (60. Ergänzungslieferung), München 2010, Art. 19 Abs. 4 Rn. 189; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 7 – 9. 138 Vgl. nur Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 463. 139 Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 468. 140 Dazu Hans-Joachim Mertens, Die Selbstbindung der Verwaltung auf Grund des Gleichheitssatzes, Hamburg 1963; Maximilian Wallerath, Die Selbstbindung der Verwaltung. Freiheit und Gebundenheit durch den Gleichheitssatz, Berlin 1968; Christoph Eduard Ziegler, Selbstbindung der dritten Gewalt, Frankfurt a. M. u. a. 1993. 141 Grundlegend BVerwGE 72, 1 (6) – Wohnberechtigungsbescheinigung i. S. v. § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c WoBindG 1980. 142 Dazu mit Beispielen Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 465. 143 Zur Begriffsbildung vgl. BVerwGE 34, 301 (304 – 310) – Erweiterung eines Ortsteils durch eine Gemeinde; BVerwGE 45, 309 (313, 314 – 321) – Bau einer Glasfabrik; ausführlich Peter Badura, Das Planungsermessen und die rechtsstaatliche Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Bayerischer Verfassungsgerichtshof (Hrsg.), Verfassung und Verfassungsrechtsprechung. Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Bayer. Verfassungsgerichtshofes, München 1972, S. 157 – 182 (insb. 160).

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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die ursprünglich von Niklas Luhmann entwickelte Unterscheidung der zwei Grundformen von konditionaler und finaler (Norm-)Programmierung zugrunde,145 die insbesondere durch Peter Oberndorfer über das Raumordnungsrecht ihren Eingang in die Rechtswissenschaft fand.146 Kennzeichnend für Planung und Planungsermessen sind demnach zum einen Abwägen als Kernpunkt der Planung und zum anderen Prognose.147 Planung sei eine „abwägende und zugleich gestaltende Entscheidung“148 statt „punktueller“ und „subsumtionärer“149 Normvollzug. Planung und Planungsermessen bedürften einer Kategorie sui generis, „Plangesetze sind deshalb in ihren zieldirigierenden Partien nicht konditional, sondern final programmiert“150. Ein Beispiel solcher Planungsnormen ist § 1 Abs. 5 und Abs. 6 BauGB, der „Planungsleitlinien“151 aufstellt, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes in ihrer Auslegung und Anwendung wie unbestimmte Rechtsbegriffe behandelt werden und somit voller gerichtlicher Kontrolle unterliegen, wobei grundsätzlich keine Beurteilungsspielräume der Verwaltung bestehen.152 Aus diesen „qualitativ unterschiedliche[n] Strukturgesetzlichkeiten“ wurde sogar überlegt, den Begriff des Planungsermessens ganz fallenzulassen.153 Wegen des angenommenen qualitativen Unterschieds zum Rechtsfolgeermessen – insbesondere im Hinblick auf die Abwägung als Spezifikum des Planungsermessens – wurde eine auf Abwägungsfehler zuge144

Vgl. BVerwGE 62, 86 (93) – Krankenhausbedarfsplanung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1 KHG. 145 Beispielsweise Niklas Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Studie, Berlin 1966, S. 35 – 48; Niklas Luhmann, Funktionale Methode und juristische Entscheidung, in: Archiv des öffentlichen Rechts 94 (1969), S. 1 – 31. 146 Vgl. Peter Oberndorfer, Strukturprobleme des Raumordnungsrechts, in: Die Verwaltung 5 (1972), S. 257 – 272; auch Werner Hoppe, Zur Struktur von Normen des Planungsrechts. Bemerkungen zu rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begriffsbildung im Planungsrecht, in: Deutsches Verwaltungsblatt 89 (1974), S. 641 – 647 (643 m. w. N.). 147 Grundlegend Badura, Planungsermessen (Anm. 143); Fritz Ossenbühl, Welche normativen Anforderungen stellt der Verfassungsgrundsatz des demokratischen Rechtsstaates an die planende staatliche Tätigkeit? Dargestellt am Beispiel der Entwicklungsplanung. Gutachten für den 50. Deutschen Juristentag, München 1974, S. 183 – 195; auch Hoppe, Planungsrecht (Anm. 146), insb. S. 642 f., 645 f.; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 63. – Gegenansicht bei Rüdiger Rubel, Planungsermessen. Norm- und Begründungsstruktur, Frankfurt a. M. 1982, S. 134 – 139, 151 – 164; zweifelnd auch Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 108), § 11 Rn. 18. 148 Rainer Wahl, Genehmigung und Planungsentscheidung. Überlegungen zu zwei Grundmodellen des Verwaltungsrechts und zu ihrer Kombination, in: Deutsches Verwaltungsblatt 97 (1982), S. 51 – 62 (54). 149 Beide Zitate Ossenbühl, Normative Anforderungen (Anm. 147), S. 185. 150 Ossenbühl, Normative Anforderungen (Anm. 147), S. 184. 151 Michael Krautzberger, in: Ulrich Battis/Michael Krautzberger/Rolf-Peter Löhr (Hrsg.), Baugesetzbuch, 11. Aufl., München 2009, § 1 Rn. 47. 152 Grundlegend BVerwGE 34, 301 (308) – Erweiterung eines Ortteiles durch eine Gemeinde. – Zweifelnd Hoppe, Planungsrecht (Anm. 146), S. 646 f. 153 So z. B. Hoppe, Planungsrecht (Anm. 146), S. 644 – Zitat dort.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

schnittene Fehlerlehre entwickelt.154 Neuerdings stößt die Einordnung des Planungsermessens allerdings vermehrt auf Kritik, insbesondere mit dem Hinweis, dass es sich strukturell nicht wesentlich vom Verwaltungsermessen unterscheide.155 5. Regulierungsermessen Im Fahrwasser der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“156 erhält der Ansatz der Regulierung Einzug in die Rechtswissenschaft,157 wobei eine einheitliche Definition der Regulierung bisher noch aussteht.158 Ein weites Feld eröffnet sich der Regulierung auf dem Telekommunikationssektor, auf dem sich wenige private Anbieter den Markt aufteilen. Eine neue Ermessenskategorie scheint sich unter dem Begriff „Regulierungsermessen“159 zu etablieren. Noch offen ist derzeit, ob das den Aufsichtsbehörden in den gesetzlichen Regelungen eingeräumte (Regulierungs-)Ermessen, beispielsweise in den §§ 21 Abs. 1 Satz 1 und 30 Abs. 1 Satz 1 TKG, ähnlich dem Planungsermessen eine Sonderkategorie ist.160 Jedenfalls bestehen angesichts des Regulierungszielekatalogs des § 2 Abs. 2 TKG unverkennbar Ähnlichkeiten zum Planungsrecht. Die Rechtsprechung tendiert auf der Grundlage normstruktureller Überlegungen dazu, im Bereich der Regulierung die kategoriale Trennung zwischen Beurteilungsspielräumen und Rechtsfolgeermessen aufzuweichen, indem sie die Verwaltungsspielräume auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite vermengt: „Diese Normstruktur [der §§ 2 Abs. 2 und 21 Abs. 1 Satz 2 TKG] schließt es aus, die durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerte Abwägung von einer sich etwa daran erst anschließenden Ermessensbetätigung zu trennen und erstere der vollen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Vielmehr ist die Abwägung ein untrennbarer Bestandteil des Regulierungsermessens selbst, das der Bundesnetzagentur bei zweckentsprechender Auslegung des 154

Dazu Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 76), S. 497 – 499; Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 137), Art. 19 Abs. 4 Rn. 213 – 216 m. w. N.; die Verortung des Planungsrechts als eigenständige Kategorie betont auch Friedrich Schoch, Außerrechtliche Standards des Verwaltungshandelns als gerichtliche Kontrollmaßstäbe, in: Hans-Heinrich Trute/Thomas Groß/Hans Christian Röhl/Christoph Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, Tübingen 2008, S. 543 – 573 (567). 155 Vgl. nur Michael Gerhardt, in: Friedrich Schoch/Eberhard Schmidt-Aßmann/Rainer Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, Bd. 2, Stand: Mai 2010 (20. Ergänzungslieferung), München 2010, § 114 Rn. 29. 156 Zu diesem Konzept m. w. N. ergänzend unten S. 138 Anm. 358. 157 Ausführlich Martin Eifert, Regulierungsstrategien, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/ Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 19. 158 Vgl. Eifert, Regulierungsstrategien (Anm. 157), § 19 Rn. 1. 159 Z. B. BVerwGE 130, 39 (48) – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG; BVerwGE 131, 41 – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG; Claudio Franzius, Wer hat das letzte Wort im Telekommunikationsrecht? – Zum behördlichen Gestaltungsauftrag für die Zugangs- und Entgeltregulierung nach §§ 21, 30 TKG –, in: Deutsches Verwaltungsblatt 124 (2009), S. 409 – 416 (410). 160 Wohl offenlassend Franzius, Telekommunikationsrecht (Anm. 159), S. 409, 413.

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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Gesetzes insoweit eingeräumt ist. Der Senat übersieht dabei nicht, dass die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe grundsätzlich Sache der Gerichte ist, die die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt zu überprüfen haben. Doch kann ein gesetzlich vorgegebenes Entscheidungsprogramm wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und seine Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt.“161

Die Rechtsprechung geht damit noch einen Schritt weiter, als sie das im Rahmen der Koppelungsvorschriften getan hat. Dort hielt sie immerhin noch die kategoriale Trennung zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen durch.162 Es bietet sich daher im Sprachgebrauch der herrschenden Ermessensdogmatik an, im Rahmen der Regulierung nicht von einem Regulierungsermessen zu sprechen. Vielmehr erfolgt eine Regulierungsentscheidung, die zwar gerichtlich nicht überprüfbare Verwaltungsspielräume enthält, aber die nicht den Charakter einer Rechtsfolgeermessensentscheidung hat. Die Grenzen des Regulierungsermessens sollen im Allgemeinen denen des normalen Ermessens gleichen.163 Ob sich diese These, die die hergebrachte Rechtsfolgeermessensfehlerlehre auf die die Tatbestandsseite und Rechtsfolgenseite übergreifende Regulierungsentscheidung überträgt, angesichts des von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Charakters der Regulierungsentscheidung halten lässt, ist fraglich. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. 6. Zusammenfassung zum (Rechtsfolge-)Ermessensbegriff Im Verlauf der Ausdifferenzierung des Ermessensbegriffs spielten normstrukturelle Betrachtungen, die die konditional programmierte Rechtsnorm als Regelfall in den Mittelpunkt stellten, die Hauptrolle. So kam es zu einer Verengung des Ermessensbegriffs auf das Rechtsfolgeermessen, sprich auf die Wahlmöglichkeiten der Verwaltung zwischen mehreren Rechtsfolgen, die der Verwaltung bei der Gesetzesanwendung bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen offen stehen. Vom Rechtsfolgeermessen hinsichtlich Struktur und Fehlerlehre kategorial zu unterscheiden ist das Planungsermessen.

161

Vgl. BVerwGE 130, 39 (48) – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG. Vgl. unten S. 55 f. 163 So Wolfgang Hoffmann-Riem, Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 2: Informationsordnung, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, München 2008, § 33 Rn. 99. 162

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

7. Rechtsdogmatisches Outsourcing: Der unbestimmte Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum Nachdem sich nach Bachof die Ansicht, die den Begriff des Ermessens allein auf Rechtsfolgenseite einer Norm verortete, als herrschende Meinung durchgesetzt hatte, wandte sich die Diskussion nun der Tatbestandsseite der Norm zu. Zwar wurde die Bezeichnung unbestimmter Rechtsbegriff zunächst als missverständlich angesehen, da sie den Anschein erwecke, dass die Anwendung eines solchen Begriffs als Rechtsfrage voll justiziabel sei und insofern eine petitio principii darstelle. Besser sei es daher, von unbestimmten Gesetzesbegriffen zu sprechen.164 Jedoch verwendete man weiterhin die Bezeichnung des unbestimmten Rechtsbegriffs, da zumindest dessen Auslegung als Erkenntnisakt eine Rechtsfrage und damit vollumfänglicher richterlicher Überprüfung zugänglich sei.165 Im gleichen Atemzug relativierte man die dahinter stehende These von der „einen richtigen Entscheidung“ jedoch wieder, indem man eingestand, dass der Erkenntnisakt der Auslegung eben doch nicht eindeutig vorherbestimmt ist, sondern dass es eine „,SchwankungsbreiteÐ oder ,SpannungsweiteÐ des unbestimmten Rechtsbegriffs [gibt], der … durch Grenzen markiert wird, innerhalb welcher ,das RichtigeÐ zu suchen und möglichst zu finden ist“166. Dem unbestimmten Rechtsbegriff wohnen demnach zwei Problemkreise inne. Zunächst determiniert er den Rechtsanwender nicht vollständig, er lässt ihm einen mehr oder weniger großen Erkenntnisspielraum offen. Sodann stellt sich die Frage, ob und inwieweit dieser Erkenntnisspielraum verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt und wie Einschränkungen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte – nach Bachof spricht man in der herrschenden Diktion dann von Beurteilungsspielräumen167 – normativ begründet werden können. Verkürzend formuliert geht es darum, ob bloß ein unbestimmter Rechtsbegriff vorliegt oder ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum. Die zweite Fragestellung – unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum – rückte nun in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung168 und bil164

Dazu grundlegend Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 98. So bereits Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587; Reuss, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 89), S. 649 – 655; ebenso Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 97 – 102. 166 Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587. 167 Vgl. Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 98. 168 Dazu – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende Beiträge: Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe (Anm. 94), S. 309 – 330; Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 163 – 249; Klein, Ermessensbereich (Anm. 90), S. 75 – 122; Hugo Kellner, Zum Beurteilungsspielraum. Zugleich ein Beitrag zu den Verhandlungen der öffentlich-rechtlichen Abteilung des Deutschen Juristentages 1962 über Zusagen in der öffentlichen Verwaltung, in: Die Öffentliche Verwaltung 15 (1962), S. 572 – 583; Ferdinand Kopp, Die Grenzen der richterlichen Nachprüfung wertender Entscheidungen der Verwaltung, in: Die Öffentliche Verwaltung 19 (1966), S. 317 – 322; Fritz Czermak, Zur Lehre vom gerichtsfreien Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, in: Juristische Schulung 8 (1968), S. 399 – 404; Ossenbühl, Ermessenslehre (Anm. 116), S. 618 – 627; Hugo Kellner, Neue Erkenntnisse zum sogenannten Beurteilungsspielraum?, in: Die Öffentliche Verwaltung 25 (1972), S. 801 – 808; Fritz Ossenbühl, Zur Renaissance der administrativen Beurteilungsermächtigung. Rezension zum Urteil des 165

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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det „ein mit der Institution der Verwaltungsgerichtsbarkeit seit ihrer Geburtsstunde verbundenes Dauerthema“169. 8. Berührungspunkte zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff Die normstrukturell bedingte dogmatisch scharfe Trennung von Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff verwischt in den sog. Koppelungsvorschriften, auch Mischtatbestände genannt. Darunter sind Rechtsnormen zu verstehen, die auf der Tatbestandsseite einen unbestimmten Rechtsbegriff und auf der Rechtsfolgenseite eine Ermessensermächtigung enthalten. Grundsätzlich bestehen keine Besonderheiten, da unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen nacheinander nach ihren jeweiligen dogmatischen Vorgaben abgearbeitet werden können.170 Allerdings kann es auch dazu kommen, dass nach der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs bereits alle maßgeblichen Gesichtpunkte berücksichtigt sind, so dass für das Ermessen nichts

BVerwG v. 16. 12. 1971 – I C 31.68, DÖV 1972 S. 419, in: Die Öffentliche Verwaltung 25 (1972), S. 401 – 405; Martin Bullinger, Ermessen und Beurteilungsspielraum – Versuche einer Therapie, in: Neue Juristische Wochenschrift 27 (1974), S. 769 – 773; Roland Jarosch, Die Fiktion der unbestimmten Rechtsbegriffe, in: Die Öffentliche Verwaltung 27 (1974), S. 123 – 127; Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), S. 309 – 313; Bernhard Stüer, Zum autonomen (kontrollfreien) Gestaltungsraum von Gesetzgeber und Verwaltung, in: Deutsches Verwaltungsblatt 89 (1974), S. 314 – 321; Hans-Uwe Erichsen, Die sog. unbestimmten Rechtsbegriffe als Steuerungs- und Kontrollmaßgaben im Verhältnis von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, in: Deutsches Verwaltungsblatt 100 (1985), S. 22 – 29; Hans-Heinrich Rupp, „Ermessen“, „unbestimmter Rechtsbegriff“ und kein Ende, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter C. Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bd. 1, Berlin und New York 1987, S. 455 – 467; Rainer Wahl, Risikobewertung der Exekutive und richterliche Kontrolldichte – Auswirkungen auf das Verwaltungs- und das gerichtliche Verfahren, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 10 (1991), S. 409 – 418; Helmuth Schulze-Fielitz, Neue Kriterien für die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, in: Juristenzeitung 48 (1993), S. 772 – 781; Horst Sendler, Die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen an die verwaltungsgerichtliche Kontrolle, in: Deutsches Verwaltungsblatt 109 (1994), S. 1089 – 1101; Winfried Brohm, Ermessen und Beurteilungsspielraum im Grundrechtsbereich. Zugleich ein Beitrag zu den Genehmigungsvorbehalten zur Sicherung von Stadtfunktionen (§§ 22 und 172 BauGB), in: Juristenzeitung 50 (1995), S. 369 – 375; Jan-Reinard Sieckmann, Beurteilungsspielräume und richterliche Kontrollkompetenzen, in: Deutsches Verwaltungsblatt 112 (1997), S. 101 – 107; Ulrich Smeddinck, Der unbestimmte Rechtsbegriff – strikte Bindung oder Tatbestandsermessen?, in: Die Öffentliche Verwaltung 51 (1998), S. 370 – 377; Ulrich Ramsauer, Zur Kontrolldichte im Verwaltungsprozess, in: Dirk Heckmann (Hrsg.), Modernisierung von Justiz und Verwaltung. Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, Stuttgart u. a. 2007, S. 72 – 92. 169 Wahl, Kontrolldichte (Anm. 168), S. 409; ähnlich Franzius, Telekommunikationsrecht (Anm. 159), S. 411: „never ending story“ (Hervorhebung im Original). 170 Vgl. BVerwGE 46, 175 (176 f.) – zur Meinungsäußerungsfreiheit eines Soldaten.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

mehr „übrig bleibt“ oder aber der unbestimmte Rechtsbegriff vom Ermessen „aufgesogen“ wird.171

III. Die Grenzen der Handlungsspielräume der Verwaltung Ein grenzenloses, „freies“ Ermessen gibt es nicht. Das ist seit jeher unbestrittenes Allgemeingut, obwohl der Begriff des freien Ermessens weiterhin (und eindeutig untechnisch gemeint) verwendet wurde. Spielräume können nur in einem abgesteckten Rahmen bestehen und setzen (denk)notwendigerweise Grenzen voraus. Zunächst muss jedoch das Bestehen eines Spielraums erkannt werden. Ist aber der Spielraum erkannt, so stehen seine Grenzen ebenfalls fest. Ob sie letztlich eingehalten wurden, ist eine andere, sich anschließende Frage. Klar ist damit, dass sich die Frage nach der Erkennbarkeit eines Spielraums und die Frage nach den Grenzen des Spielraums auf dasselbe Ziel richten: nach dem Ob eines Spielraums und dem Wieweit des Spielraums, zwischen denen zu unterscheiden zwar gedanklich möglich ist, aber wenig Erkenntnisgewinn birgt. Interessant sind am Ende nur die Grenzen des Spielraums und ihre Einhaltung durch den Rechtsanwender. Gleichwohl unterscheidet die herrschende Ansicht mit ihrer Annahme von äußeren und inneren Ermessensgrenzen zwischen Ob und Wieweit, wobei sie zwei gleichgeartete Fragestellungen künstlich auseinanderreißt. Es zeigt sich hier die nicht sauber durchgeführte Trennung zwischen der Rechtsbindung des Rechtsanwenders einerseits und dem Umfang der Kontrolle durch die entsprechende Instanz andererseits.172 In der folgenden Darstellung der herrschenden Ansicht sind daher beide Fragestellungen zwangsläufig vermengt. Nach der herrschenden normativen Ermächtigungslehre sind Letztentscheidungskompetenzen der Verwaltung unmittelbar aus dem Gesetz herzuleiten.173 1. Erkennbarkeit und Justiziabilität des Ermessensspielraums auf Rechtsfolgenseite Die Einräumung verwaltungsbehördlichen Rechtsfolgeermessens kann auf mehrerlei Art erfolgen. Als einfachster Fall werden die Konstellationen angesehen, in denen das positive Recht – darunter versteht man landläufig das Gesetz – selbst von Ermessen spricht, so

171 Vgl. BVerwGE 45, 162 (165 f.) – Approbation eines Ausländers nach §§ 3 Abs. 3 und 10 Abs. 3, 4 BÄO; dazu kritisch Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 48 – 50 m. w. N. und Beispielen – erstes Zitat Rn. 49, zweites Zitat Rn. 50. 172 Zur Notwendigkeit dieser Trennung unten S. 176 f. 173 Zur normativen Ermächtigungslehre Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 137), Art. 19 Abs. 4 Rn. 181 – 186. – Ergänzend unten S. 207 – 210.

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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etwa im Verwaltungsverfahrensgesetz,174 im Polizei- und Sicherheitsrecht,175 im Bauplanungsrecht176 und im Steuerrecht.177 Auch die Verwaltungsgerichtsordnung spricht von Ermessen, meint damit aber meistens das Ermessen des Gerichts.178 Jedoch liefert das Gesetz nirgends eine Definition des von ihm verwendeten Wortes „Ermessen“, allenfalls wird das Ermessen durch Zusätze wie „billiges“179 oder „pflichtgemäßes“180 näher charakterisiert oder das Gesetz beschreibt in der grundlegenden Regelung, dem § 40 VwVfG, das verwaltungsbehördliche Ermessen von seinen Grenzen her: „Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.“ Ermessensermächtigungen werden darüber hinaus in der Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge durch die Wörter „kann“, „soll“, „darf“, „ist berechtigt“, „ist befugt“, ähnliche Formulierungen oder gar unmittelbar durch die Angabe mehrerer Rechtsfolgen gesehen, so beispielsweise § 48 Abs. 1 VwVfG, nach dem „ein rechtswidriger Verwaltungsakt … ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden [kann]“.181 Jedoch besteht auch hier die Möglichkeit, dass beispielsweise eine Kann-Bestimmung doch kein Ermessen bedeutet oder umgekehrt eine Bestimmung zwar nicht prima facie ihrem Wortlaut, 174 Z. B. § 22 Satz 1 VwVfG: „Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt.“, vgl. auch §§ 26 Abs. 1, 36 Abs. 2, 39 Abs. 1 Satz 2, 47 Abs. 3, 55 und 72 Abs. 1 VwVfG und entsprechend in den meisten Landesgesetzen; zur Ermessenskontrolle § 40 VwVfG. 175 Z. B. Art. 5 Abs. 1 BayPAG: „Die Polizei trifft ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen.“, vgl. auch Art. 48 Abs. 1 Satz 3 BayPAG. 176 Z. B. § 12 Abs. 2 Satz 1 BauGB: „Die Gemeinde hat auf Antrag des Vorhabenträgers über die Einleitung des Bebauungsplanverfahrens nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden.“, vgl. auch §§ 56 Abs. 1 Satz 2, 100 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 und 228 Abs. 2 BauGB; zur Ermessenskontrolle § 223 Satz 1 BauGB: „Soweit die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat, ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, kann der Antrag nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.“ 177 Vgl. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG: „Das Betriebsstättenfinanzamt kann die Steuerschuld oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen.“, auch § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG; zum Ermessen im Steuerrecht grundlegend Flume, Steuerwesen (Anm. 119), insb. S. 97 – 101; auch Günther Felix, Ermessensausübung im Steuerrecht, Düsseldorf 1955. 178 So §§ 93a Abs. 2 Satz 2 Hs. 2, 100 Abs. 2 Satz 2, 144 Abs. 5 Satz 1 und 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO; § 114 Satz 1 und Satz 2 VwGO sprechen dagegen von der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte hinsichtlich des verwaltungsbehördlichen Ermessens. 179 Z. B. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO; § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG. 180 Z. B. § 22 Satz 1 VwVfG; §§ 56 Abs. 1 Satz 2 und 100 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BauGB. 181 Dazu Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 45 mit Gesetzesbeispielen; Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 12; Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz (Anm. 116), § 40 Rn. 21 – 30; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 9 – 12.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

aber ihrem Sinn und Zweck nach eine Ermessensermächtigung enthält. Ein Beispiel für den zweiten Fall ist § 48 StVO: „Wer Verkehrsvorschriften nicht beachtet, ist auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde oder der von ihr beauftragten Beamten verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.“ Hier muss die Behörde nicht jeden „Verkehrssünder“ zum Verkehrsunterricht verpflichten, vielmehr liegt die Vorladung in ihrem Ermessen.182 Für den ersten Fall steht § 35 Abs. 2 BauGB, der die Zulässigkeit bestimmter Bauvorhaben im Außenbereich regelt: „Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.“ Anders als der Wortlaut „können“ zunächst vermuten lässt, besteht im Falle des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch auf die Zulassung des Vorhabens. Es bestehe dann gerade kein Ermessensspielraum mehr, da mit der Prüfung der unbestimmten Rechtsbegriffe im Tatbestand bereits alle vom Gesetz geforderten rechtlichen Erwägungen vorgenommen worden seien und die Behörde ansonsten über den Inhalt des Eigentums bestimmen würde, was aber nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dem Gesetzgeber vorbehalten sei.183 Die Problematik der Einengung von Spielräumen führt auf das Feld der Koppelungsvorschriften. Hier kann es – wie bereits angesprochen184 – dazu kommen, dass nach der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs bereits alle maßgeblichen Gesichtpunkte berücksichtigt sind, so dass für eine Ermessensentscheidung nichts mehr „übrig bleibt“ oder aber der unbestimmte Rechtsbegriff vom Ermessen „aufgesogen“ wird. Zu einem völligen Wegfall des Ermessensspielraums trotz einer Ermessensermächtigung dem Wortlaut nach und in der Folge zu nur einer richtigen Entscheidung führen auch die beiden folgenden, aus dem Verfassungsrecht hergeleiteten Rechtsfiguren: Zum einen die von außen durch das Recht an die Verwaltung herangetragene Ermessensreduzierung auf Null185 und zum anderen die von der Behörde durch längere, gleichmäßige und allgemein geübte Verwaltungspraxis geschaffene Selbstbindung der Verwaltung, die aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1

182

Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 9. So die h. M. in Rechtsprechung und Lehre, vgl. BVerwGE 18, 247 (247, 249 – 251) – Bau von Wochenendhäusern nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB; BGH, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 35 (1981), 652 – zum Bauen im unbeplanten Außenbereich; Krautzberger, Baugesetzbuch (Anm. 151), § 35 Rn. 43; dagegen Karsten-Michael Ortloff, Ermessen in § 35 II BauGB – Hat das Gesetz doch recht?, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 7 (1988), S. 320 – 322; differenzierend Schmidt-Eichstaedt, Ermessen (Anm. 127), S. 182 f. 184 Dazu oben S. 55 f. in und bei Anm. 171. 185 Vgl. BVerwGE 47, 280 (283 f.) – Wahlwerbung nach § 5 PartG; BVerwGE 69, 90 (94) – Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach § 34 Abs. 2 WPflG; HessVGH, in: Neue Juristische Wochenschrift 47 (1994), S. 1750 f. (1750) – zu Demonstrationen vor Privatwohnungen; Hain/Schlette/Schmitz, Ermessen (Anm. 116), S. 39 – 64; Karin Laub, Die Ermessensreduzierung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, München 2000, S. 25 – 30; Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 21; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 24 f. 183

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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GG hergeleitet wird.186 Einen weiteren Spezialfall bilden die – dem von der Rechtsprechung entwickelten187 und nicht unumstrittenen188 intendierten Ermessen ähnlichen – Soll-Bestimmungen.189 Wenn die Behörde unter den bestimmten Voraussetzungen tätig werden „soll“, so ist sie dazu in der Regel verpflichtet, nur in Ausnahmefällen kann sie davon absehen.190 Insgesamt zeigen diese Beispiele, dass der Gesetzeswortlaut nicht in jedem Fall einen sicheren Anhaltspunkt für eine Ermessensermächtigung liefert, sondern dass diese oft erst aus dem Gesamtzusammenhang und dem Zusammenspiel mit anderen Rechtsnormen durch Auslegung zu ermitteln ist. Die Grenzen werden durch eine an § 114 VwGO angelehnte ausdifferenzierte Fehlerlehre – deren Begrifflichkeit ist zwar uneinheitlich, aber inhaltlich herrscht Einigkeit191 – gezogen und teilen sich in äußere und innere Grenzen192 auf. Im Einzelnen haben sich Fallgruppen herausgebildet. Macht die Behörde von ihrer Ermessensberechtigung keinen Gebrauch, insbesondere weil sie sich irrtümlich für rechtlich gebunden hält, so liegt ein Ermessensmangel vor. Lässt sie sich dagegen nicht allein vom Zweck der Ermessensermächtigung leiten,193 so verletzt sie innere Ermessensgrenzen und betreibt Ermessensfehlgebrauch (auch als Ermessensmissbrauch bezeichnet). Wählt die Behörde eine Rechtsfolge aus, die nicht mehr von der Ermessensermächtigung umfasst ist, so überschreitet sie die äußeren Grenzen des Ermessens. 186 Vgl. BVerfGE 73, 280 (301) – Ernennung zum Notarassessor; Fritz Ossenbühl, Selbstbindungen der Verwaltung, in: Deutsches Verwaltungsblatt 96 (1981), S. 857 – 865 (857); Fritz Ossenbühl, Arten der Rechtsquellen, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., Berlin 2002, § 6 Rn. 49 m. w. N. 187 Vgl. BVerwGE 72, 1 (6) – Wohnberechtigungsbescheinigung i. S. v. § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c WoBindG 1980; BVerwGE 105, 55 (57 f.) – zu den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei Subventionsvergabe; BayVGH, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 20 (2001), S. 931 – 933 (933) – Rücknahme eines Förderungsbescheides. 188 Dazu Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 12 m. w. N. 189 Z. B. § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG: „Vom Wehrdienst soll ein Wehrpflichtiger auf Antrag zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde.“; zu „Soll“-Bestimmungen auch BVerwGE 49, 16 (23) – Nachdienen; BVerwGE 64, 318 (323) – Kostenersatz nach § 92a BSHG wegen Sozialwidrigkeit; BVerwGE 90, 88 (93) – Satzungsänderung einer Handwerksinnung. 190 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 12. 191 Vgl. Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 56; Franz-Joseph Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl., Heidelberg 2008, Rn. 216. 192 Diese Terminologie bei Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 55, 49; Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 466. – Ergänzend die grundlegenden Ausführungen von von Laun, Ermessen (Anm. 42), S. 174 – 218. 193 Vgl. z. B. Art. 40 VwVfG: „Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.“

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

Es liegt dann eine Ermessensüberschreitung vor. Solche Grenzen sind neben den in der Ermessensermächtigung angelegten Vorgaben insbesondere der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz und das Unionsrecht.194 Hält sich die Behörde innerhalb dieser Grenzen, so kann ihre Entscheidung vom Verwaltungsgericht nicht mehr überprüft und geändert werden, wohl aber von der Widerspruchsbehörde, die nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Entscheidung überprüfen darf, § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Neben dieser klassischen Dreiteilung der Ermessensfehler steht der Ansatz, die Ermessensfehler nach den Entscheidungen der Rechtsprechung lediglich in einer Fehlerliste zusammenzufassen.195 So stellte bereits W. Jellinek im Jahre 1913 neun Ermessensfehler zusammen.196 Eine Liste mit fünf Ermessensfehlern, als „gerichtliche Kontrollfragen“ bezeichnet, legte Hans-Joachim Koch vor,197 Klaus Obermayer erstellte eine Liste von sechs Fehlern.198 Eine rechtsprechungsorientierte Kommen-

194 Terminologie nach Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 464 – 468; vgl. auch Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 48 – 64; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 19–23. 195 Kritisch dazu Robert Alexy, Ermessensfehler, in: Juristenzeitung 41 (1986), S. 701 – 716 (705). 196 Vgl. W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 331 – 349. Im Einzelnen: (1) irrige Annahme eines Gebundenseins (S. 339 f.); (2) irrige Annahme der Freiheit von einer rechtlichen Schranke (S. 340 f.); (3) Meinung, nach freiem Belieben wählen zu dürfen (S. 341 – 343); (4) Nichtberücksichtigung der dem Untertanen günstigen Umstände (S. 343 f.); (5) Berücksichtigung von etwas Unrichtigem zuungunsten des Untertans (S. 344 – 347); (6) Berücksichtigung eines unsachlichen Gesichtspunkts (S. 347 f.); (7) mangelnde Sorgfalt bei der Abwägung der Gründe und Gegengründe (S. 348 f.); (8) Grundsatzlosigkeit oder Willkür (S. 349); (9) mangelnde Folgerichtigkeit (S. 349). 197 Vgl. Hans-Joachim Koch, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1. Aufl., Frankfurt a. M. 1984, S. 230, mit Kritik an der damals wie heute herrschenden „wenig sinnvollen weil nicht trennscharfen und undifferenzierten Ermessensfehlerlehre“, als deren Vertreter er stellvertretend Hartmut Maurer nennt – Zitat dort; im Einzelnen: (1) Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen, (2) Einhaltung des gesetzlichen Rahmens durch die Behörde, (3) Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Tatbestandsergänzung; (4) Einhaltung der ständigen Verwaltungspraxis bzw. tragfähige Gründe für eine Abweichung, (5) Wahl einer zugelassenen Rechtsfolge; auf vier Kontrollfragen beschränken Hans-Joachim Koch/Rüdiger Rubel/F. Sebastian M. Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., München 2003, § 8 Rn. 89 f., im Einzelnen: (1) Ergänzung des Tatbestandes um zulässige Merkmale, (2) Verhältnismäßigkeit der Tatbestandsergänzung, (3) Beachtung der Selbstbindung, (4) Wahl einer zugelassenen Rechtsfolge. 198 Vgl. Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz (Anm. 117), § 40 Rn. 53 – 111, insb. 106 – 111, im Einzelnen: (1) Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, (2) Stattfinden einer Ermessensbetätigung, (3) Beachtung aller maßgeblichen bzw. Nichtbeachtung aller unmaßgeblichen Gesichtspunkte, (4) Vertretbarkeit des Abwägungsergebnisses, (5) Wahl der der Behörde am zweckmäßigsten erscheinenden Rechtsfolge, (6) Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens. – In der 3. Aufl. aufgegeben und durch die herrschende dreigliedrige Ermessensfehlerlehre ersetzt, vgl. Stefan Liebetanz, in: Klaus Obermayer/Roland Fritz (Hrsg.),

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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tierung zu § 40 VwVfG, der sich ebenfalls ein umfangreicher Fehlerkatalog entnehmen lässt, verfasste Ferdinand Kopp.199 Auch in jüngerer Zeit findet der Ansatz der Fehlerlisten insbesondere im Planungsrecht verstärkt Zuspruch, so beispielsweise in der Zusammenstellung der Abwägungsgrundsätze bei Michael Gerhardt.200 Im Grunde sind die Fehlerlisten jedoch nichts weiter als die mit Beispielen ausgefüllte und damit anschaulicher und griffiger gemachte herrschende dreigliedrige Ermessensfehlerlehre. 2. Erkennbarkeit und Justiziabilität des Beurteilungsspielraums auf Tatbestandsseite Schwieriger erscheint die Feststellung einer verwaltungsbehördlichen Letztentscheidungskompetenz bei den unbestimmten Rechtsbegriffen. Die Herleitung eines Beurteilungsspielraums aus dem Gesetz ist schwierig, da sich der Gesetzgeber in den meisten Fällen keine Gedanken darüber gemacht hat.201 Nach allgemeiner Ansicht gilt für unbestimmte Rechtsbegriffe auf Tatbestandsseite der Grundsatz der vollen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung.202 Ein Beurteilungsspielraum, bei dem – ähnlich wie beim Ermessensspielraum – nur dessen Grenzen gerichtlicher Kontrolle unterliegen, wird als Ausnahme angesehen. Gerichtlich nachprüfbar sind dann nach der Bachofschen Lehre vom Beurteilungsspielraum nur die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs selbst sowie das Vorhandensein der der Sachverhaltsbeurteilung zugrunde gelegten Tatsachen.203 Auch Hermann Ule ging bei seiner „Vertretbarkeitslehre“ von der Grundkonstellation des Ermessensspielraums aus und lehnte eine Kontrollbefugnis der Verwaltungsgerichte ab, sofern und soweit in Grenzfällen mehrere Lösungen im Rahmen des Beurteilungsspielraums zur Verfügung stehen und auch aufgrund des festgestellten Sachverhalts vertretbar sind.204 Hans Julius Wolff sprach von einer „Einschätzungsprärogative“ der Verwaltung, die missverständlich

Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl., Neuwied und Kriftel 1999, § 40 Rn. 21 – 46. 199 Vgl. Ferdinand Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl., München 1983, § 40 Rn. 14 – 18 – zu den Einzelheiten dort. 200 Vgl. Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 155), § 114 Rn. 46. 201 So zutreffend Fritz Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Bernd Bender/Rüdiger Breuer/Fritz Ossenbühl/Horst Sendler (Hrsg.), Rechtsstaat zwischen Sozialgestaltung und Rechtsschutz. Festschrift für Konrad Redeker zum 70. Geburtstag, München 1993, S. 55 – 70 (63). 202 Vgl. nur BVerwGE 100, 221 (225 m. w. N.) – „Kenntnisse und Fähigkeiten eines Heilpraktikeranwärters“ i. S. v. §§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 HeilPrG, § 2 Abs. 1 lit. i 1. DVOHeilPrG; statt aller Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 137), Art. 19 Abs. 4 Rn. 181 – 183. – Unter Aufgabe von BVerwGE 94, 307 (309 m. w. N.) – „Weinprädikat I“ i. S. v. §§ 11 und 12 WeinG, nimmt das Bundesverwaltungsgericht in Sachen Weinprüfung nun einen Beurteilungsspielraum der Verwaltung an, BVerwGE 129, 27 (27, 32 – 34) – „Weinprädikat II“. 203 Vgl. die Zusammenfassung bei Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 102. 204 Vgl. Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe (Anm. 94), S. 326.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

„Beurteilungsspielraum“ genannt werde.205 Seine Terminologie konnte sich aber nicht durchsetzen, gleichwohl griff die Rechtsprechung bisweilen auf sie zurück.206 Die noch offene kompetenzrechtliche Flanke sichert die normative Ermächtigungslehre, nach der der kontrollfreie Beurteilungsspielraum nicht aus vorgeblichen normlogischen und pragmatischen Argumentationen hergeleitet werden darf, sondern vom Gesetzgeber angeordnet und damit dem Gesetz selbst zu entnehmen sein muss.207 Alle Ansätze können jedoch nur auf mittlerer Ebene Anhaltspunkte für einen eine Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung schaffenden Beurteilungsspielraum geben. Für die Praxis trug die Rechtsprechung zu einer weiteren Klärung bei, indem sie das tat, was der Jurist immer dann tut, wenn er mit seinen Auslegungsmethoden am Ende ist: Sie tastete sich vorsichtig vorwärts und entwickelte Fallgruppen, unter die sich der jeweils zu entscheidende Fall subsumieren lässt.208 3. Zusammenfassung zu den Grenzen der Handlungsspielräume der Verwaltung Insgesamt lässt sich feststellen, dass verwaltungsbehördliche Spielräume und Letztentscheidungskompetenzen gesetzlich eingeräumt sein müssen und somit durch Auslegung zu ermitteln sind. Dabei lässt sich die Problematik beim Ermessen auf Rechtsfolgenseite tendenziell leichter lösen als beim unbestimmten Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite der Norm. Allerdings führen die angebotenen und zu Dogmatik geronnenen Lösungsvorschläge nur für die praktische Arbeit, nicht jedoch für eine theoretisch abgesicherte Begründung von verwaltungsbehördlichen Spielräumen und Letztentscheidungskompetenzen zu einer befriedigenden Lösung.

205

So Hans Julius Wolff, Verwaltungsrecht. Ein Studienbuch, Bd. 1, 7. Aufl., München 1968, § 31 I c 4 (S. 167) – beide Zitate dort. 206 Z. B. BVerwGE 62, 86 (101) – Krankenhausbedarfsplanung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1 KHG; BVerwGE 62, 330 (334) – Bewertung von Weizensorten nach dem Saatgutverkehrsgesetz; BVerwGE 81, 12 (17) – „wissenschaftliche Unvertretbarkeit“ i. S. v. § 15 Abs. 1 Nr. 3 lit. b PflSchG; BVerwGE 94, 307 (310) – „Weinprädikat I“ i. S. v. §§ 11 und 12 WeinG; zuletzt BVerwGE 130, 299 (301, 361) – Autobahnverbindung A 7–A 4. 207 Dazu Wahl, Kontrolldichte (Anm. 168), S. 410 – 412; Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 137), Art. 19 Abs. 4 Rn. 185 f.; auch BVerfGE 61, 82 (111) – vollständige Nachprüfungen eines Verwaltungsakts (hier: Atomanlagengenehmigung) in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch die Gerichte, Art. 19 Abs. 4 GG („Sasbach“); BVerwGE 129, 27 (27, 32 – 34) – „Weinprädikat II“; BVerwGE 130, 180 (194 f.) – strategische Telefonüberwachung bei Terrorismusverdacht. 208 Dazu unten S. 77 – 81.

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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IV. Die Doppelbödigkeit der deutschen Ermessensdiskussion Das bisher gezeichnete Bild der Ermessenslehre macht den Eindruck monolithischer Geschlossenheit und lässt die entwickelte Dogmatik der kategorischen, qualitativen Trennung von Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff sowie der Auslagerung des Planungsermessens als festgefügt und alternativlos erscheinen. Betrachtet man aber die Literatur genauer, so zeigt sich zu allen Zeiten eine gewisse Doppelbödigkeit der Diskussion. Die insbesondere in der Lehrbuchliteratur auffallend demonstrierte Geschlossenheit war in der wissenschaftlichen Diskussion nie unumstritten. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, da Gegenmeinungen ein wesentlicher Bestandteil jeder Wissenschaft sind. Doch bemerkenswerterweise meldeten selbst die Protagonisten der herrschenden Dogmatik Zweifel an ihren eigenen Grundlagen an. Dennoch zogen sie nie Konsequenzen, sondern hielten nach außen an ihrer von ihnen selbst als problematisch erkannten Dogmatik fest. 1. Doppelbödigkeit in der Ausbildungsliteratur Wenn an dieser Stelle die Ausbildungsliteratur der wissenschaftlichen Literatur gegenübergestellt wird, so soll damit die erste nicht als unwissenschaftlich abgewertet werden. Vielmehr stellt die Ausbildungsliteratur ihrer Aufgabe entsprechend dem angehenden Wissenschaftler die Grundlagen und den aktuellen Wissensstand der jeweiligen Disziplin oder des jeweiligen Fachgebietes dar. Die juristische Ausbildungsliteratur weicht von diesem Ideal des Öfteren ab, was zuvörderst daran liegt, dass auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft Forschung und Lehre nicht viel gemeinsam haben. Die Ausbildung legt Wert auf die Vermittlung der Kenntnis der Rechtsdogmatik als Handwerkszeug für den praktischen Juristen, rechtstheoretische Reflexion derselben steht derzeit – jedoch nicht nur in der Lehre – nicht hoch im Kurs. Damit spiegelt die Lehre zwar nur den Zustand der Forschung wider, zusätzlich schneidet sie sich aber – und das letztlich ohne Not – diejenigen Ansätze der Forschung ab, die die Dogmatik theoretisch reflektierend hinterfragen. Man mag einwenden, dass Theorie und Wissenschaft dem Praktiker nur bescheidene Beiträge leisten.209 Ein kurzes Innehalten der Selbstbetrachtung schadet aber auch niemandem, da selbst ein Gesunder gelegentlich seinen Zustand überprüft, um Krankheiten möglichst früh begegnen zu können und ihnen bestenfalls vorzubeugen.210 Dem angehenden Juristen der209

Nach wie vor so provozierend wie aktuell und lesenswert Julius von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Ein Vortrag, gehalten in der juristischen Gesellschaft zu Berlin, Berlin 1848; zum antitheoretischen Affekt in der Rechtswissenschaft m. umfangreichen w. N. Matthias Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein… Vom Nutzen der Rechtstheorie für die Rechtspraxis, Tübingen 2006, S. 3 – 12. 210 Dieser Einwand besteht nach wie vor gegen die theoriekritische Haltung Gustav Radbruchs, der „Wissenschaften, die sich mit ihrer eigenen Methodenlehre zu beschäftigen Anlaß haben, [als] kranke Wissenschaften“ ansieht, Gustav Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 12. Aufl., Stuttgart 1969, S. 253.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

artige Reflexion vorzuenthalten und wider eigenes besseres Wissen ein einheitliches harmonisches Bild einer angeblich alternativlosen Dogmatik zu zeichnen, erscheint vor diesem Hintergrund zu sehr verkürzend.211 In der Ausbildungsliteratur werden das verwaltungsbehördliche Ermessen und die Problematik des unbestimmten Rechtsbegriffs – verbunden mit der Problematik des Beurteilungsspielraums – als Grundbegriffe und Grundkategorien des Verwaltungsrechts abgehandelt, wobei beide als verwandte, aber doch grundverschiedene Kategorien firmieren. Das äußert sich insbesondere darin, dass sie zwar örtlich vereint, aber inhaltlich fast beziehungslos zueinander dargestellt werden,212 ihre Gemeinsamkeiten werden allenfalls angerissen213 oder als im Grunde belanglos verworfen.214 Die Darstellung beschränkt sich auf das verwaltungsbehördliche Ermessen. Andere Ermessensarten, so beispielsweise das sog. Gesetzgebungsermessen215 und 211 Zuspitzend, aber durchaus zutreffend Matthias Herdegen, Beurteilungsspielraum und Ermessen im strukturellen Vergleich, in: Juristenzeitung 46 (1991), S. 747 – 751 (747): „Die Vorstellung, die Verwaltung könne Ermessen auch auf der Tatbestandsseite einer Norm ausüben, wird als Relikt vorkonstitutioneller Lehren weithin in das Musealienkabinett des Verwaltungsrechts verwiesen, in dessen dumpfe Gewölbe der Student nur zum pädagogischen Zwecke der Abschreckung Einblick erhält.“ 212 Vgl. nur (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und zur besseren Orientierung in alphabetischer Reihenfolge) Hans Peter Bull/Veith Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, 8. Aufl., Heidelberg 2009, § 16 Rn. 556 – 583 zum unbestimmten Rechtsbegriff, Rn. 584 – 608 zum Ermessen, Rn. 563 behandelt knapp ihre Gemeinsamkeiten; Jörn Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Köln 2009, Rn. 462 – 510 zum unbestimmten Rechtsbegriff, Rn. 511 – 547 zum Ermessen; im Sinne einer kategorischen Trennung auch Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., Berlin, Heidelberg und New York 1995, S. 116 f.; Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 10 – 22 zum Ermessen, Rn. 23 – 45 zum unbestimmten Rechtsbegriff; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 7 – 25 zum Ermessen, Rn. 26 – 46 zum unbestimmten Rechtsbegriff; Peine, Verwaltungsrecht (Anm. 191), Rn. 200 – 224 zum Ermessen, Rn. 225 – 237 zum unbestimmten Rechtsbegriff; Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 462 – 469 zum Ermessen sowie Friedrich Schoch, Der Unbestimmte Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, in: Juristische Ausbildung 26 (2004), S. 612 – 618 zum unbestimmten Rechtsbegriff; Otfried Seewald, Die Gestaltungsfreiheit der Verwaltung – Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, in: Juristische Ausbildung 2 (1980), S. 175 – 184 (S. 178 – 180 zum Ermessen, S. 180 – 182 zum unbestimmten Rechtsbegriff); Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 15 – 34 zum unbestimmten Rechtsbegriff, Rn. 35 – 78 zum Ermessen. – Auf dieses Phänomen weist hin Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 108), § 11 Rn. 10 insb. Anm. 34 m. w. N. 213 Vgl. Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 46; Peine, Verwaltungsrecht (Anm. 191), Rn. 243 f.; Bull/Mehde, Verwaltungsrecht (Anm. 212), Rn. 563; ausführlicher Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 51 – 62; Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 79. 214 Insb. Schoch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 212), S. 614; auch Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 46; differenzierte Darstellung bei Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn 51 – 62. – Die Ausnahme bildet Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 108), § 11 Rn. 12 – 22, 27 – 43. 215 So spricht von „gesetzgeberischem Ermessen“ z. B. BVerfGE 1, 264 (279) – zur Gewerbefreiheit im Schornsteinfegerwesen; von „politischem Ermessen“ spricht Dirk Heckmann, Polizei- und Sicherheitsrecht, in: Ulrich Becker/Dirk Heckmann/Bernhard Kempen/Gerrit

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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das richterliche Ermessen216, werden zumeist ausgeklammert und allenfalls ohne weiteres Eingehen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede kurz erwähnt: „Ob das Ermessen in allen genannten Bereichen eine einheitliche Struktur aufweist oder qualitative Unterscheide zeigt, ist umstritten.“217 Schwierigkeiten bereitet schon das Erarbeiten einer Definition des Begriffs des verwaltungsbehördlichen Ermessens. Obgleich „zwar ein Fundamentalbegriff des Verwaltungsrechts und ein zentrales Steuerungsinstrument der Verwaltungspraxis …, besteht über die Bedeutung und die diversen Facetten dieser Rechtsfigur keine Einigkeit“218. So erfolgt eine Annäherung an den Ermessensbegriff durch die Beschreibung seiner Merkmale. Ausgangspunkt sind normstrukturelle Überlegungen, die ausgehend von der klassischen konditionalen Normprogrammierung das Ermessen auf Rechtsfolgenseite verorten. Dabei muss Ermessen vom Gesetzgeber eingeräumt sein.219 Das geschieht entweder klar erkennbar durch die Verwendung des Wortes „Ermessen“ im Normtext,220 durch die Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge durch die Wörter „kann“, „soll“ oder „darf“,221 oder aus dem Zusammenhang der Norm erschließbar.222 Ermessen erlaubt der Verwaltung, sofern der Tatbestand erfüllt ist – andernfalls besteht eine „Ermessenssperre“223 –, sich unter mehreren dann zur Auswahl stehenden Rechtsfolgen für eine zu entscheiden.224 Die Hauptprobleme des Ermessens liegen einerseits – auf der Grundlage der kategorialen Unterscheidung von gebundener Verwaltung und „Ermessens“-Verwaltung225 – in der Intensität der rechtlichen Bindung226 und anManssen (Hrsg.), Öffentliches Recht in Bayern. Verfassungsrecht, Kommunalrecht, Polizeiund Sicherheitsrecht, Öffentliches Baurecht. Eine prüfungsorientierte Darstellung, 4. Aufl., München 2008, S. 235 – 389 (341) (3. Teil Rn. 412). 216 Ausführlich zum straf- und zivilrichterlichen Ermessen Stickelbrock, Richterliches Ermessen (Anm. 105), S. 219 – 241. 217 Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 10. 218 Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 35. 219 Vgl. Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 36, 41; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 9. 220 Z. B. Art. 22 S. 1 VwVfG: „Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt.“ 221 Z. B. die polizeiliche Generalklausel des Art. 11 Abs. 1 BayPAG: „Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Gefahr) abzuwehren …“; § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG: „Vom Wehrdienst soll ein Wehrdienstpflichtiger zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst … eine besondere Härte bedeuten würde.“; § 15 Abs. 1 Satz 1 WPflG: „Die Erfassungsbehörde darf … im Melderegister gespeicherte Daten nutzen.“ 222 So z. B. § 48 StVO: „Wer Verkehrsvorschriften nicht beachtet, ist auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde oder der von ihr beauftragten Beamten verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.“ Hier muss die Behörde nicht jeden „Verkehrssünder“ zum Verkehrsunterricht verpflichten, vielmehr liegt die Vorladung in ihrem Ermessen, vgl. Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 9. 223 Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 11. 224 Vgl. Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 462; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 7 – 10. 225 Vgl. Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 2.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

dererseits in der Frage der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte.227 Die Ermächtigung der Verwaltung zu Ermessensentscheidungen durch unvollständige Determinierung wird mit der dadurch eröffneten Flexibilität begründet. Einerseits soll die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit ermöglicht werden, andererseits soll aber auch die Verwaltung die Möglichkeit haben, ihre begrenzten Ressourcen sinnvoll und schonend einzusetzen.228 Die Ermessensausübung verläuft gestuft, so gibt es das Handlungsermessen hinsichtlich des Ob des Tätigwerdens und das Auswahlermessen hinsichtlich des Wie des Tätigwerdens, die beide positivrechtlich noch weiter modifiziert und verfeinert sind.229 Das verwaltungsbehördliche Ermessen ist kein „freies“ Ermessen, sondern muss „pflichtgemäß“,230 also innerhalb rechtlicher Grenzen ausgeübt werden.231 Bis auf kleinere terminologische Unterschiede wird die Ermessensfehlerlehre gleich abgehandelt. Das Planungsermessen als Sonderkategorie erhält eine eigene, wenn auch nicht grundlegend andere Fehlerlehre.232 Vor der Eröffnung des Ermessensspielraums auf Rechtsfolgenseite müssen zunächst die Voraussetzungen auf Tatbestandsseite erfüllt sein.233 Anders als beim Ermessensspielraum stehen hier nicht mehrere Alternativen zur Auswahl: „Insoweit kann es nur eine richtige Entscheidung geben.“234 Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs wird als Rechtsanwendung, sprich als reines Auslegungs- und Erkenntnisproblem angesehen, das in der Folge auch unter Berufung auf Art. 19

226 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 6 spricht hier von „gelockerter Gesetzesbindung“; ebenso Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 2; ähnlich Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 36. 227 Zu dieser doppelten Problematik Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 7 – 9. 228 Vgl. Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 463. 229 Vgl. Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 463 f.; Bull/Mehde, Verwaltungsrecht (Anm. 212), Rn. 586. – Eine große Rolle spielen diese beiden Ermessenskategorien insb. im Polizei- und Sicherheitsrecht, vgl. Heckmann, Polizei- und Sicherheitsrecht (Anm. 215), S. 273 (3. Teil Rn. 140 f.); Friedrich Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Eberhard SchmidtAßmann/Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl., Berlin 2008, S. 127 – 303 (196 – 202) (2. Kap. Rn. 102 – 109). 230 So insb. Art. 5 Abs. 1 BayPAG: „Die Polizei trifft ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen.“ 231 Vgl. Schoch, Ermessen (Anm. 116), S. 464; Peine, Verwaltungsrecht (Anm. 191), Rn. 214. – Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 49, sprechen bezüglich des „freien Ermessens“ von einem „pleonastische[n] Ausdruck“. 232 Zum Planungsermessen Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 63; zur Fehlerlehre Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 73 – 76. 233 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 19. 234 Peine, Verwaltungsrecht (Anm. 191), Rn. 226; ähnlich Schoch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 212), S. 614, wonach „an der regulativen Idee der ,einen richtigen EntscheidungÐ festgehalten werden“ muss.

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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Abs. 4 GG grundsätzlich vollumfänglich justiziabel ist.235 Wegen der praktischen Probleme der Handhabung der unbestimmten Rechtsbegriffe werden aber gewisse – dem Ermessensspielraum strukturell nicht unähnliche236 – Einschränkungen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte – die Beurteilungsspielräume der Verwaltung – zugelassen, wobei deren Begründung aber umstritten bleibt.237 2. Doppelbödigkeit in der wissenschaftlichen Literatur Die in der Ausbildungsliteratur dargestellte Ermessenslehre wurde maßgeblich durch die wissenschaftliche Literatur und die Rechtsprechung entwickelt. Zwischen diesen drei Akteuren bestehen freilich Wechselwirkungen, wobei diejenigen zwischen Wissenschaft und Rechtsprechung stärker sind als die zwischen Ausbildung und den übrigen beiden, da die Lehre eher rezipiert, als selbst Impulse gibt. Hier soll der Fokus weniger auf dogmatische Feinheiten als vielmehr auf die rechtsund staatstheoretischen Grundlagen der Ermessenslehre gerichtet werden, die am Ende in die Gretchenfrage münden: Statisches oder dynamisches Rechtsgewinnungsmodell? a) Georg Jellinek Spätestens seit G. Jellinek waren die Unterscheidung zwischen gebundener und freier Staatstätigkeit238 anerkannt und das Bestehen von Freiräumen des Rechtsanwenders in Rechtsprechung und Verwaltung bekannt. „Auf den ersten Blick scheint es, als ob freie Tätigkeit dem Richter nicht zukommen dürfe, dessen wesentliche Aufgabe in der Konkretisierung des Rechtes durch Entscheidung des einzelnen Falles besteht. Solche Auffassung aber verkennt das Wesen geistiger Tätigkeit überhaupt. Wäre Rechtsprechung mechanische Anwendung des Rechtes, so ließe sich der Ausgang eines jeden Rechtsstreites mit Sicherheit berechnen, wäre ein Widerstreit richterlicher Entscheidungen gar nicht denkbar. Es liegt aber im Rechtsprechen ein schöpferisches, durch Regeln nicht bestimmtes Element verborgen, daher ein Rechtssatz erst durch die Rechtsprechung voll entwickelt und im ganzen Umfange seiner Bedeutung erkannt zu werden vermag. Trägt der Richter derart zur Entwicklung des Rechtes selbst bei, so ist überdies dem modernen Richter ein gesetzlich umschriebener Kreis freien Ermessens zugewiesen worden, der inhaltlich dem bei der Verwaltung beobachteten gleichartig ist, also auch nur gebunden von jener allgemeinen Norm pflichtmäßigen Handelns. Hingegen fehlt der richterlichen Tä235

Vgl. Peine, Verwaltungsrecht (Anm. 191), Rn. 229; Schoch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 212), S. 614; Bull/Mehde, Verwaltungsrecht (Anm. 212), Rn. 558 – 566; Ipsen, Verwaltungsrecht (Anm. 212), Rn. 518 – 520. 236 Das räumen ein beispielsweise Bull/Mehde, Verwaltungsrecht (Anm. 212), Rn. 588; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 51, 55; ähnlich bereits Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), § 10 Rn. 32. 237 Dazu m. w. N. Peine, Verwaltungsrecht (Anm. 191), Rn. 230 f.; auch Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 34 – 36. 238 Vgl. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1914, S. 616 f., 620 f.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre tigkeit das Moment der Initiative, welches der Regierung zu eigen ist; der Richter kann immer nur auf einen von außen kommenden Anstoß zur Rechtsprechung schreiten.“239

Ähnliches gelte für die Verwaltung: „Je weiter die Gesetzgebung vorwärts schreitet, desto mehr engt sie das Gebiet der freien Verwaltung … ein, wenn es auch unmöglich ist, es jemals gänzlich der Gesetzgebung zu unterwerfen, weil ein konkretes Maß freien Ermessens wegen des Zusammenhanges der Regierungs- mit der Verwaltungstätigkeit notwendig ist. Eine nur auf Grund von Gesetzen verfahrende Verwaltung wäre nur in einem regierungslosen Staate zu finden, einer Ausgeburt politischer Metaphysik, der in der Wirklichkeit nichts entspricht.“240

Zunächst ist zu beachten, dass G. Jellinek bezüglich des Verhältnisses von Gesetzgebung und Rechtsprechung rechts(gewinnungs)theoretisch dachte, das Verhältnis von Gesetzgebung und Verwaltung dagegen aus staatstheoretischer Perspektive betrachtete. Diese Unterschiedliche Herangehensweise mag insbesondere daran liegen, dass er in Rechtsetzung und Rechtsprechung die Verwirklichung des Rechtszwecks sah,241 die Verwaltung dagegen als „das ganze grosse Gebiet staatlicher Thätigkeit, welches nach der Abziehung von Rechtssetzung und Rechtssprechung übrig bleibt“, sprich als Verwirklichung und Vollziehung der Gesetze verstand.242 Auch wenn G. Jellinek die Tätigkeit aller drei Staatsgewalten nicht einer in ihrer Herangehensweise einheitlichen Betrachtung unterzog, so wird doch deutlich, dass er nicht der Idee der einen richtigen Entscheidung verpflichtet war und Freiräume der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Verwaltung (an)erkannte, wenn er sie auch verschieden begründete. Jedenfalls für das Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung ging er von einer fortschreitenden Konkretisierung des Rechtes durch die Instanzen aus. Das Verhältnis aller drei Staatsgewalten zueinander begriff er als ein arbeitsteiliges. Obwohl die rechtstheoretischen Grundlagen des Rechtsgewinnungsprozesses in einer arbeitsteiligen rechtsstaatlichen Staatsordnung wie der des Grundgesetzes vorlagen und damit auch eine entsprechende Bearbeitung der Ermessensproblematik möglich war, schlug die Ermessensdiskussion nach 1945 einen anderen Weg ein. b) Hermann Reuss Bereits erwähnt wurde der Beitrag von Reuss aus dem Jahre 1953 zur Entwicklung des Ermessensbegriffs, in dem er im unbestimmten Rechtsbegriff „– jedenfalls in thesi – stets die normative Lösung einer Rechtsfrage“243 sah, wobei die richtige Lö239

G. Jellinek, Staatslehre3 (Anm. 238), S. 619 f. G. Jellinek, Staatslehre3 (Anm. 238), S. 621. 241 Vgl. Georg Jellinek, Gesetz und Verordnung. Staatsrechtliche Untersuchungen auf rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender Grundlage, Freiburg i. Br. 1887, S. 218. 242 So G. Jellinek, Gesetz (Anm. 241), S. 218 – 221 – Zitat S. 218; G. Jellinek, Staatslehre3 (Anm. 238), S. 621; erläuternd Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 59), S. 640. 243 Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587 – Hervorhebung nicht im Original. 240

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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sung nur durch einen Erkenntnisakt aufgefunden werden müsse, da sie bereits im Gesetz „präexistent“244 sei. Die in der Praxis unvermeidbaren Willenselemente nahm er nur als unvermeidbare Schwächen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit hin. Zudem trennte er strikt zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff. Für letzteren sprach er von einer dem Ermessensspielraum ähnlichen „Schwankungsbreite“ und „Spannungsweite“. Er werde durch äußere Grenzen markiert, „wobei die wiedergegebene Frage in thesi nur eine richtige Antwort duldet, mag auch die Meinung darüber, welches diese eine richtige Antwort sei, auseinandergehen“.245 Und zuletzt teilte Reuss die unbestimmten Rechtsbegriffe nach ihrer vorgeblichen Struktur in zwei Kategorien auf: „Zuweilen sind sie [die unbestimmten Rechtsbegriffe] zwar von rational-logischer Beschaffenheit [sog. Erfahrungsbegriffe]246, häufig aber handelt es sich bei ihnen um Wertbegriffe, denen mit rational-logischem Rechtsdenken nicht beizukommen ist, die vielmehr nur durch ,wertendes RechtsdenkenÏ inhaltlich zu bestimmen sind.“247

Um sein damit im Grunde aufgegebenes Dogma der einen richtigen Entscheidung zu retten, flüchtete sich Reuss zusammen mit der Rechtsprechung248 in eine Fiktion, mit der er den praktischen Hindernissen und Bedürfnissen gerecht werden wollte: Die richterliche Überzeugung über den Inhalt eines unbestimmten Rechtsbegriffs setze keine mathematische Gewissheit voraus, vielmehr gelte ein für das praktische Leben allein brauchbarer Grad an Wahrscheinlichkeit als Wahrheit.249 Im Grunde legte Reuss damit selbst die Axt an die Wurzeln seiner Lehre. Dennoch bestand die Problematik des unbestimmten Rechtsbegriffs für ihn weiterhin nur im praktischen Problem der begrenzten Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Eine echte Arbeitsteilung im Verlauf des Rechtsgewinnungsprozesses sowie damit über den Erkenntnisakt hinausgehende Willenselemente erkannte er nicht an.250 Reuss stellte die rechtstheoretische Haltbarkeit seines gesetzesfixierten statischen Rechtsgewinnungskonzepts im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs trotz seiner Erkenntnisse nicht in Frage: eisern blieb er in der Sache dem Subsumtionsautomatismus treu.

244

Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587, 589; Reuss, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 89), S. 652. 245 Drei Zitate: Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587. 246 Vgl. Günter Redding, Unbestimmter Rechtsbegriff oder Ermessen?, in: Die Öffentliche Verwaltung 7 (1954), S. 365 – 367 (366). 247 Reuss, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 89), S. 653. 248 Nachweise bei Reuss, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 89), S. 653. 249 So Reuss, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 89), S. 653 f. 250 Vgl. Reuss, Ermessen (Anm. 89), S. 587; Reuss, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 89), S. 653; Hermann Reuss, Anmerkung zu Urteil des VGH Freiburg vom 30. 7. 1953 – Az. 38/51 und Urteil des VGH Stuttgart, Karlsruher Senat, vom 16.1.1953 – 3 K 335/52, in: Die Öffentliche Verwaltung 7 (1954), S. 55 – 57.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

c) Otto Bachof Ebenso wie Reuss ging auch Bachof im Jahre 1955 für den unbestimmten Rechtsbegriff von der einen richtigen, dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Entscheidung aus. Die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs erschöpfe sich in der Subsumtion unter einen gesetzlichen Tatbestand, die in einem reinen Erkenntnisakt bestehe.251 Allerdings machte er eine Ausnahme für die von Reuss und Günter Redding252 eingeführte Kategorie der Wertbegriffe: „Soweit es sich um Wertbegriffe handelt, ist schon die geläufige Behauptung, der Gesetzgeber habe mit der Verwendung eines derartigen Begriffs zu erkennen gegeben, daß er im konkreten Falle stets nur eine einzige ,richtigeÐ Lösung für möglich erachte, in dieser Verallgemeinerung nicht haltbar.“253

Bachof hielt hier in einem gewissen Rahmen verschiedene Ansichten für möglich. Der gesetzesanwendenden Behörde bleibe dabei ein „gewisser Spielraum eigener Beurteilung“254, der zudem frei von gerichtlicher Kontrolle bleibe,255 gleiches gelte am Ende auch für die Erfahrungsbegriffe.256 Er bezweifelte im Übrigen einerseits, dass es innerhalb dieses Beurteilungsspielraums – selbst theoretisch – die eine richtige Lösung geben könne und gab sich ebenso wie Reuss257 mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der richtigen Erkenntnis zufrieden. Andererseits bestritt er aber einen – im von ihm beispielhaft herangezogenen Fall der Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „Zuwiderlaufens der Interessen des öffentlichen Verkehrs“ von der Rechtsprechung richtigerweise angenommenen258 – Willensentschluss, sprich Willensakt, sondern ging im Anschluss an Reuss von einem reinen Erkenntnisakt aus.259 Damit konnte Bachof zwar besser als Reuss die von beiden intuitiv wahrgenommenen Spielräume im Rechtsgewinnungsprozess erklären, seine Lehre blieb aber ebenfalls gesetzesfixiert und statisch. Darüber hinaus zog er keine Schlüsse für ein den Subsumtionsautomatismus hinter sich lassendes Konzept oder nahm zu den nun sich aufdrängenden rechtstheoretischen Fragen Stellung.

251 252 253 254 255 256 257 258

PBG. 259

Vgl. Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 97 f. Vgl. Redding, Ermessen (Anm. 246), S. 366. Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 99. Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 99. So Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 99. Vgl. Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 100. Vgl. oben S. 69 bei Anm. 249. Vgl. BVerwGE 1, 92 (96) – „Interessen des öffentlichen Verkehrs“ i. S. v. § 9 Abs. 1 Vgl. Bachof, Beurteilungsspielraum (Anm. 89), S. 101.

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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d) Carl Hermann Ule Differenzierter ging Carl Hermann Ule im selben Jahr vor, der „die richtige Wertung nicht einfach vorgezeichnet“ sah, sondern sie in einem „schöpferischen Akt“ suchte. Gleichzeitig versuchte er aber die Punktlandung bei der einen richtigen Entscheidung, indem er innerhalb des Entscheidungsfreiraums einen „Richtpunkt im Gerechten und Angemessenen“ suchte.260 Dennoch erkannte er es als unvermeidbar an, dass normative, sprich unbestimmte (Rechts-)Begriffe immer mehr oder weniger mehrdeutig sind.261 Allerdings beharrte er auf der strengen Unterscheidung von (Rechtsfolge-)Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff.262 Bezüglich der von der Verwaltung vorzunehmenden „Eigenwertungen“263, die in deren ureigenen Verantwortungsbereich fallen, mahnte er die Verwaltungsgerichte hinsichtlich ihrer Kontrolle zu Zurückhaltung an: Im Zweifel sollte das Verwaltungsgericht der Auffassung der Verwaltungsbehörde folgen, wenn die Auffassung aufgrund des festgestellten Sachverhalts vertretbar ist.264 Insgesamt bewegte sich Ule weg vom statischen Rechtsgewinnungsbild der einen gesetzlich vorgezeichneten richtigen Entscheidung hin zu einem die Arbeitsteilung anerkennenden dynamischen Konzept und versuchte den so gewonnenen Spielraum der Verwaltung – wenn auch noch ohne normative Begründung – gegenüber den Verwaltungsgerichten zu verteidigen. Eine tiefere, den Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses reflektierende Betrachtung stellte er aber nicht an. e) Dieter Jesch Dieter Jesch sah 1957 im Richter keinen Subsumtionsautomaten, sondern einen „schöpferische[n] Mitgestalter am Recht“265. Eine „gewisse Freiheit des Rechtsanwenders und insbesondere des Richters bei der Auslegung der Gesetzesbegriffe ist … anzuerkennen“266. Dabei erkannte er die durch die Arbeitsteilung bedingte, insofern rechtswesenhafte Freiheit bei der Rechtsgewinnung und setzte ihr die rechtsinhaltliche, positivrechtliche Bindung des Rechtsanwenders entgegen.267 Einer gewissen Gesetzesfixierung konnte Jesch sich aber nicht entziehen.268 Gesetzesbegriffe galten ihm als Gerüst der Rechtsordnung.269 Gleichwohl ging er von einem „dynami260 Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe (Anm. 94), S. 322, 324 – die drei vorangehenden Zitate S. 322. 261 Vgl. Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe (Anm. 94), S. 324. 262 Vgl. Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe (Anm. 94), S. 317. 263 Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe (Anm. 94), S. 324. 264 Vgl. Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe (Anm. 94), S. 326 – 330. – Im Grunde ist damit richterliche Selbstbeschränkung gefordert, zu diesem Konzept unten S. 206 f., 212 – 214. 265 Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 169. 266 Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 171. 267 So Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 171. 268 Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 171 f. 269 So Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 176.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

schen Charakter der Gesamtrechtsordnung“270 aus. In der Begrifflichkeit blieb er auf der Linie der herrschenden Ansicht. Ermessen verstand er nur als volitives Rechtsfolgeermessen,271 traditionell unterschied er zwischen gebundener und freier Ermessensentscheidung.272 Hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe verfolgte er einen sprachtheoretisch angereicherten Ansatz, indem er – ähnlich wie bereits Philipp Heck,273 W. Jellinek274 und später Hans-Jürgen Koch275 – die Begriffe in Kern und Hof einteilte.276 Bei Anwendungsproblemen, insbesondere im Begriffshof, sah er in der Möglichkeit der Auswahl der Interpretationsmethoden eine ausnahmsweise freie Entscheidung des Richters. Eine solche Entscheidung komme durch „interpretative Dezision“ zustande,277 ein freilich in sich widersprüchliches Zwitterwesen. Karl Engisch folgend278 nahm Jesch eine Wechselbeziehung zwischen Interpretation und Subsumtion an.279 Bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe schwinge eine „Unmenge praktisch nicht nennbarer Imponderabilien“ mit. Es handele sich hierbei um Erkenntnisprobleme praktischer Natur, man müsse sich mit „einer begrenzten Auflösung begnügen“:280 „Das Problem des unbestimmten Rechtsbegriffs ist ein Problem der nicht-mitteilbaren Imponderabilien, der schriftlich nicht niederlegbaren intuitiven Erfassung der Gesamtsituation.“281 Indem sich Jesch der unbestimmte Rechtsbegriff als Erkenntnisaufgabe darstellte, bei der nur der methodische Weg zur Erkenntnis dem Rechtsanwender freistehe,282 blieb er im Grunde dem Ideal der einen richtigen Entscheidung verhaftet. Daran ändert auch seine nebulöse Formulierung, dass sowohl beim Ermessen als auch beim unbestimmten Rechtsbegriff „erkannt“ und aufgrund eines Willensentschlusses „gehandelt“ werde, nichts.283 Viel270

Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 183. Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 204, 208. 272 Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 248. 273 Vgl. Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, in: Archiv für die civilistische Praxis 112 (1914), S. 1 – 318 (46, 173); Philipp Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, Tübingen 1932, S. 52, 60. 274 Vgl. W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 37 – 39. 275 Vgl. Hans-Joachim Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht. Eine logische und semantische Studie zur Gesetzesbindung der Verwaltung, Frankfurt a. M. 1979, S. 14 – 44. 276 Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 176 f. 277 Dazu Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 184 f. – Zitat S. 185. 278 Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 188 f., insb. 187 Anm. 93, mit Bezug auf Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl., Heidelberg 1963, S. 14 f. 279 Dazu Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 187, 191 f. 280 Beide Zitate Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 195, ähnlich S. 230 und 241. –Vgl. ergänzend oben die Ausführungen zu Reuss (oben S. 68 f.), Bachof (oben S. 70) und Ule (oben S. 71). 281 Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 203 – Hervorhebung im Original. 282 Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 219, insb. Anm. 206. 283 Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 233 – beide Zitate dort. 271

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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mehr bekräftigte er an dieser Stelle seine Verwurzelung in der herrschenden Lehre und stritt Gemeinsamkeiten zwischen beiden dogmatischen Figuren ab. Einen gerichtsfreien Beurteilungsspielraum gestand er der Verwaltung „von Fall zu Fall durch das Gericht gezogen“ zu, wenn Auflösung und Subsumtion vertretbar erscheinen,284 oder das Gesetz einen solchen Beurteilungsspielraum anordnet.285 Insgesamt stand er aber gerichtsfreien Beurteilungsspielräumen wegen Art. 19 Abs. 4 GG eher ablehnend gegenüber.286 In den unbestimmten Rechtsbegriffen sah Jesch vornehmlich das praktische und prozessökonomische Problem, das er durch die Einteilung in Kern und Hof sprachwissenschaftlich in den Griff bekommen wollte. Dabei ließ er rechtstheoretische Fragestellungen außen vor. Insgesamt blieb er der herrschenden statischen Ansicht der einen richtigen Entscheidung treu, obwohl er zunächst Freiräume des Rechtsanwenders und damit die Dynamik des Rechtsgewinnungsprozesses anerkannt hatte. f) Hans Heinrich Rupp Im Jahre 1965 stellte Hans Heinrich Rupp seinen Standpunkt zum Rechtsgewinnungsbild dar.287 Er räumt in der Nachfolge Rudolf von Iherings288 auf beiden Seiten einer konditional programmierten Rechtsnorm im Rahmen der Rechtserkenntnis schöpferische Akte ein289 und stellte sich gegen einen Subsumtionsautomatismus.290 Im Positivismus sah er nur einen naiven Vertreter der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung.291 Rupp wandte sich aber gegen einen arbeitsteiligen, dynamischen Rechtsgewinnungsprozess, insbesondere im Stufenbau der Rechtsordnung sah er die Auflösung der Rechtsordnung ins Rechtschaos, da – wie er richtig erkannte – nur die Erkenntnis den Gegenstand bestimmt.292 Er machte sich nun aus Richtersicht auf die Suche nach dem richtigen Recht293 und trennte scharf zwischen Normsetzung und Normvollziehung.294 Dabei setzt er eine volle gesetzliche Bindung voraus.295 Rechts284

Dazu Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 232 – Zitat dort. Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 237. 286 Vgl. Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 90), S. 236 f., 249. 287 Dazu Hans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre. Verwaltungsnorm und Verwaltungsrechtsverhältnis, Tübingen 1965, S. 184 – 221. 288 Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 187 Anm. 264, nimmt Bezug auf Rudolf von Ihering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 2. Teil, 2. Abt., 8. Aufl., Sonderausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt 1954, S. 322 f. 289 Vgl. Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 186 f., 192. 290 So Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 191 f. 291 Vgl. Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 188. – Zur Lückenlosigkeit der Rechtsordnung aus positivistischer Perspektive unten S. 166 – 169. 292 So Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 192 f.; zu dieser Problematik unten S. 135 – 146. 293 Vgl. Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 192. 294 Dazu Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 193. 295 Vgl. Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 193. 285

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

anwendung sei demnach keine Rechtserzeugung, sondern nur Rechtsverwirklichung im Rahmen eines nebulösen „teleologisch-topisch orientierten Erkenntnisverfahren [s]“; der Richter erzeugt demnach kein Recht, er verwirklicht es nur.296 Zwar lehnte Rupp das Konzept der Reinen Rechtslehre, das er im Gegensatz zum Weg der deutschen Ermessenslehre als konsequent bezeichnete,297 ab, dennoch votierte er gegen die Trennung von unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen sowie die Abspaltung des richterlichen Ermessens, in denen er qualitativ gleichgeartete, rechtlich nichtdeterminierte Räume sah.298 Eine solche Nichtdeterminierung hielt Rupp jedoch für verfassungsrechtlich bedenklich, da er nicht zwischen freiem staatlichen Handeln und Rechtserzeugung aufgrund normativer Ermächtigung sauber unterschied und erkannte, dass es im Rechtsstaat nur letztgenanntes gibt. So erschien ihm Ermessen folgerichtig in weiten Teilen als Relikt der Monarchie, das er nur vage erklären konnte.299 In Sachen verwaltungsgerichtlicher Kontrolle postulierte er eine vollumfängliche Letztentscheidungsbefugnis des Richters. Insgesamt war Rupp im Gedanken einer vollumfänglichen rechtlichen Determinierung, die verfassungsrechtlich vorgeschrieben sei, gefangen.300 Letztlich blieb er auf halbem Wege stehen und verschloss sich seinen eigenen richtigen rechtstheoretischen Erkenntnissen bezüglich eines arbeitsteiligen, dynamischen Rechtsgewinnungsbildes und der Natur rechtlicher Nichtdeterminierung. Er versuchte sich nun dem zwar ungewollten, aber konsequenterweise drohenden Subsumtionsautomatismus durch die Flucht in ein wie auch immer geartetes teleologisch-topisch orientiertes Erkenntnisverfahren zu entziehen, ein Konzept, das sich nicht durchsetzen konnte.301 Zuzustimmen ist Rupp in seinem Urteil über die deutsche Ermessenslehre, die er als „Trümmerfeld nicht zusammenfügbarer Ungereimtheiten“302 zutreffend charakterisierte.

296

Vgl. Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 193 f. – Zitat S. 193. So ausdrücklich Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 197, 200. 298 Dazu Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 196 – 198. 299 Vgl. Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 200 – 204. 300 Vgl. Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 201 f. 301 Gleichwohl versucht Shu-Perng Hwang, Rechtsbindung durch Rechtsermächtigung. Ein topisches Verständnis der Reinen Rechtslehre zur Erläuterung des Verhältnisses von Richterbindung und Richterfreiheit, in: Rechtstheorie 40 (2009) S. 43 – 70, „eine kombinierende Analyse, die die Reine Rechtslehre mit der Topiklehre verbindet“ (S. 43). Dabei verwirft sie die herrschende Ansicht der Vorbestimmtheit des Rechts, sprich den Subsumtionsautomatismus, und siedelt die topische, einzelfallbezogene Argumentation im Rahmen der Ermächtigung des Richters an. So kommt sie zu dem Schluss, dass die Entscheidung zwar nicht vorherbestimmt, aber zumindest anhand der Argumentation nachprüfbar sei. Insgesamt geht es Hwang um ein Konzept zur „richtigen“ Ausfüllung des Ermessensspielraums (dazu oben S. 66 f. und unten S. 226, insb. 248 – 252). Damit macht sie einen Schritt weiter als Rupp, da sie die Zweistufigkeit des einzelnen Rechtsgewinnungsvorgangs – heteronome und autonome Determiniertheit (dazu unten S. 121¢124) – einbezieht. 302 Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 198. 297

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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g) Fritz Czermak Auch Fritz Czermak ging 1965, Karl Larenz folgend,303 von einem schöpferischen Element in jeder Rechtsanwendung aus: „Das jeweils geltende Recht ist nicht allein im betreffenden Gesetz enthalten, sondern das Ergebnis eines Entwicklungs- und Konkretisierungsprozesses durch wiederholte praktische Anwendung der Norm“.304 Das Problem des Beurteilungsspielraums bestand für ihn im Widerstreit zwischen dem Ideal der einzigen richtigen Entscheidung – „dieser Idee, diesem Willen zur Objektivität und Rationalität“305 – und den praktischen Schwierigkeiten, es zu erreichen. Czermak verneinte mehrere objektiv richtige Lösungen verschiedener Entscheidungsträger in derselben Sache und sprach sich für vollumfängliche verwaltungsgerichtliche Kontrolle aus, die er auf Art. 19 Abs. 4 GG stützte:306 „Skepsis und Kleinmut gegenüber der von unserer Verfassung gewollten ,VerrechtlichungÐ aller Lebensbereiche einschließlich der restlosen Ausdehnung des Rechtsschutzes ist bei richtigem Verständnis und richtiger Anwendung des Rechts nicht am Platz.“307 Auch Czermak kehrte also nach anfänglichen rechtstheoretischen Abstechern auf dem richtigen Weg zu einem angeblich verfassungsrechtlich geforderten Subsumtionsautomatismus zurück, der wenigstens für die Verwaltung gelte. Für die Gerichte schien er im Gegenzug einen gewissen Freiraum der rechtlichen Nichtdeterminiertheit anzuerkennen. Insgesamt ging es ihm weniger um eine rechtstheoretisch fundierte Bearbeitung der Ermessensproblematik, sondern um eine möglichst weite Ausdehnung des Bereichs gerichtlicher Kontrolle. h) Hermann Soell Einen etwas anderen Standpunkt nahm Hermann Soell 1973 ein. Er beschränkte Interpretation zwar zunächst auf die kognitive Feststellung von inhaltlich Gegebenem,308 ihr schließe sich aber häufig eine ergänzende, rechtsschöpferische Tätigkeit an.309 Diese zweite Stufe der Rechtsfindung werde durch die Lückenhaftigkeit des Rechts erforderlich, wodurch das Ermessen mit der Lückenhaftigkeitsproblematik

303 Vgl. Czermak, Verwaltungsermessen (Anm. 120), S. 752 Anm. 12, mit Bezug auf Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1. Aufl., Berlin, Göttingen und Heidelberg 1960, S. 132. 304 Czermak, Verwaltungsermessen (Anm. 120), S. 752; ähnlich Czermak, Beurteilungsspielraum (Anm. 168), S. 400, 401. 305 Czermak, Beurteilungsspielraum (Anm. 168), S. 401. 306 Vgl. Czermak, Beurteilungsspielraum (Anm. 168), S. 401. 307 Czermak, Beurteilungsspielraum (Anm. 168), S. 404. 308 Vgl. Hermann Soell, Das Ermessen der Eingriffsverwaltung. Zugleich eine Studie zur richterlichen Ermessenskontrolle im Kartellrecht und zur Bedeutung des d¦tournement de pouvoir im französischen Verwaltungs- und europäischen Gemeinschaftsrecht, Heidelberg 1973, S. 147. 309 So Soell, Ermessen (Anm. 308), S. 150.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

des Rechts in Zusammenhang trat.310 Im Ermessen sah Soell im Unterschied zu Auslegung und Subsumtion ein „den kognitiven Denkbereich überschreitende[s], schöpferische[s], volitiv emotionale[s] Moment“, das eine primär individualisierende Betrachtungsweise einführe.311 Da Ermessen zur Lückenfüllung beitrage, führe es zu Neuschöpfungen. Einem Subsumtionsautomatismus erteilte Soell eine klare Absage. Das Phänomen des Ermessens könne auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite auftreten, weshalb er die Trennung von Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff ablehnte.312 i) Das „Trümmerfeld“ der wissenschaftlichen Ermessensdiskussion Auf diesem „Trümmerfeld“ (Rupp)313 baute man die Ermessensdiskussion weiter auf. Das Interesse an der im Grunde sich im Kreis drehenden Diskussion über die rechtstheoretische Problematik erlahmte, obwohl ein intuitives Unbehagen gegenüber dem hochgehaltenen statischen, gesetzesfixierten Rechtsgewinnungsmodell immer blieb. Es rückte nun die Frage nach dem quis iudicabit, sprich der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte,314 in den Vordergrund. Daneben unternahm man Feinabstimmungen in der Ermessensfehlerlehre, insbesondere die Sicherung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen durch Verfahrensvorschriften,315 und betonte die Bedeutung von Grundrechten.316 Obwohl sich immer wieder Stimmen gegen die kategoriale Unterscheidung zwischen Ermessen, Planungsermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum erhoben,317 setzte sie sich als allgemeine

310

So Soell, Ermessen (Anm. 308), insb. S. 204, 373 – 375. – Zur Frage, in welchem Verhältnis Ermessen und Lückenproblematik von einem rechtspositivistischen Standpunkt aus betrachtet stehen vgl. unten S. 166 – 169. 311 Vgl. Soell, Ermessen (Anm. 308), S. 204, ähnlich S. 369 – Zitat S. 204. 312 Vgl. Soell, Ermessen (Anm. 308), S. 205 – 209. 313 Vgl. oben S. 74 bei Anm. 302. 314 Dezidiert Ossenbühl, Unbestimmter Gesetzesbegriff (Anm. 114), S. 310 f.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 34 (1976), S. 221 – 274; ausführlich Rupert Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 34 (1976), S. 145 – 220 (insb. 174 – 215); auch Schulze-Fielitz, Kontrolldichte (Anm. 168), S. 772 – 781. 315 Grundlegend Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung (Anm. 314), S. 264 – 268; Scholz, Verwaltungsverantwortung (Anm. 314), S. 211 – 214; auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Kontrolldichte der Verwaltungsgerichte: Verfassungsgerichtliche Vorgaben und Perspektiven, in: Deutsches Verwaltungsblatt 112 (1997), S. 281 – 289 (287 f.); neuerdings Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 76), S. 491, 497, 499, 504 – 508; Ramsauer, Kontrolldichte (Anm. 168), S. 84 – 86. 316 Dazu z. B. Max-Emanuel Geis, Josefine Mutzenbacher und die Kontrolle der Verwaltung, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 11 (1992), S. 25 – 31 (29, 31). 317 Vgl. unten S. 219 – 221.

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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Ansicht durch und zementierte sich in der Folge – insbesondere in der Lehrbuchliteratur318. Daran ändern auch neuere Tendenzen in der Literatur nichts, die wie beispielsweise Friedrich Schoch zwar davon ausgehen, dass „vom Gesetz aus der Natur der Sache heraus inhaltlich immer nur unvollständig determiniert werden kann“319, im gleichen Atemzug aber die herkömmliche Ermessensdogmatik aufrechterhalten320 und an der „regulative[n] Idee“ der einen richtigen Entscheidung festhalten.321 3. Zusammenfassung zur Doppelbödigkeit der deutschen Ermessensdiskussion Obwohl alle Beteiligten den Subsumtionsautomatismus einhellig ablehnten, blieben sie im Ergebnis einem statischen, gesetzesfixierten Rechtsgewinnungsmodell und dem Ideal der einen richtigen, bereits im Gesetz enthaltenen Entscheidung, die sich durch einen Erkenntnisakt dem Gesetz entnehmen lasse, treu. Erstaunlich ist dabei das hartnäckige Festhalten an einem Ideal, das zum einen – was natürlich kein Gegenargument ist – in der Praxis nicht realisierbar war und dessen rechtstheoretische Unhaltbarkeit man zum anderen genau kannte. Dessen bewusst legte man dieses Konzept der Ermessensdogmatik zugrunde und unterschied zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum. Auf der Grundlage einer angeblichen vollumfänglichen rechtlichen Bindung der Verwaltung trennte man nicht mehr zwischen rechtlicher Bindung einerseits und verwaltungsgerichtlicher Kontrolldichte andererseits, sondern verwendete einen integrativen Ermessensbegriff: Ermessen bedeutet demnach zugleich Freiheit von rechtlicher Bindung und Freiheit von rechtlicher Kontrolle. Mutatis mutandis gilt dieser Grundsatz auch für den unbestimmten Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite mit der Einschränkung, dass ein Freiraum von gerichtlicher Kontrolle hier als Ausnahme gilt.

V. Der Ermessensbegriff in der Rechtsprechung unter dem Grundgesetz Auch der Rechtsprechung war ziemlich schnell klar, dass die theoretische Konstruktion der vollen Justiziabilität des unbestimmten Rechtsbegriffs in der Praxis nicht aufging. Anders als die Wissenschaft, die es sich im Bereich der Theorie erlauben konnte, an einem rechtstheoretisch unhaltbaren statischen Rechtsgewinnungsbild und dem Ideal der einen richtigen Entscheidung festzuhalten, musste die Rechtsprechung die in der Praxis nicht einfach beiseiteschiebbare Problematik der nie voll318 319 320 321

Dazu oben S. 63 – 67. Schoch, Standards (Anm. 154), S. 549. Zum Ganzen stellvertretend Schoch, Standards (Anm. 154), S. 556, 567. So Schoch, Standards (Anm. 154), S. 551 – Zitat dort, Hervorhebung im Original.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

ständigen rechtlichen Determiniertheit des Rechtsanwenders lösen – eine Aufgabe, die sie mit richterlichem Pragmatismus bewältigte. Auf der Seite des (Rechtsfolge-)Ermessens lief die Sache relativ geräuschlos ab, da die bereits voll entwickelte Ermessensfehlerlehre der Weimarer Zeit übernommen und nur in Bedarfsfällen angepasst wurde.322 Anders dagegen auf Tatbestandsseite: Zunächst löste die höchstrichterliche Rechtsprechung das Problem mit dem Festhalten an Ermessensspielräumen der Verwaltung bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe.323 Um einen tragfähigen rechtstheoretischen Unterbau kümmerte sich die Rechtsprechung nicht, so dass sie kasuistisch einen Beurteilungsspielraum in vielen Fällen ablehnte,324 einen solchen 322 Zum Ermessensnichtgebrauch z. B. BVerwGE 15, 196 (199) – Wiedereröffnung eines Verwaltungsverfahrens; BVerwGE 31, 212 (213 f.) – Antrag auf Dienstbefreiung; BVerwGE 90, 163 (166 – 168) – nächtliches Zeitschlagen von Kirchturmuhren. Zum Ermessensfehlgebrauch z. B. BVerwGE 6, 186 – Einbürgerung nach § 8 RuStAG; BVerwGE 16, 194 – beamtenrechtliche Versetzung in den Ruhestand; BVerwGE 26, 135 (140) – Anmeldung und Auflösung von öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel; BVerwGE 35, 291 (293 – 297) – Ausweisung eines straffälligen Ausländers; BVerwGE 36, 119 (120 f.) – Vorladung zum Verkehrsunterricht; BVerwGE 42, 133 – Ausweisung eines straffälligen Ausländers; BVerwGE 64, 7 (9 – 13) – Einbürgerung nach §§ 8 und 9 RuStAG; BVerwGE 68, 101 (103) – Ausweisung eines straffälligen Ausländers; BVerwGE 95, 15 – Zweck der Ermessensermächtigung des § 8a Abs. 4 Nr. 7 Satz 2 StVZO. Zum Verstoß gegen Grundsätze und allgemeine Verfahrensgrundsätze z. B. BVerfGE 51, 386 (396 – 401) – Ausweisung eines straffälligen Ausländers; BVerwGE 42, 133 (insb. 134) – Ausweisung eines straffälligen Ausländers; BVerwGE 56, 56 (insb. 59) – Plakatwerbung politischer Parteien. 323 So ausdrücklich BVerwGE 1, 92 (96); sich anschließend insb. BVerwGE 1, 97 (97 f.); 1, 165 (166); 4, 89 (89, 91, 92) – jeweils „Interessen des öffentlichen Verkehrs“ i. S. v. § 9 Abs. 1 PBG; immer noch BVerwGE 39, 355 (355 – 374) – „Unbilligkeit“ i. S. v. § 131 Abs. 1 Satz 1 AO; BVerwGE 60, 245 (246 – 252) – dienstliche Beurteilung eines Beamten durch seinen Vorgesetzten. 324 Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts z. B. BVerfGE 11, 168 (191 f.) – „Interessen des öffentlichen Verkehrs“ i. S. v. § 9 Abs. 1 PBG; BVerfGE 15, 275 (282) – vollständige Nachprüfungen eines Verwaltungsakts (hier: Bußgeldbescheid) in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch die Gerichte, Art. 19 Abs. 4 GG; BVerfGE 61, 82 (82, 111) – vollständige Nachprüfungen eines Verwaltungsakts (hier: Atomanlagengenehmigung) in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch die Gerichte, Art. 19 Abs. 4 GG; BVerfGE 64, 261 (279) – Berücksichtigung der Schwere der Schuld bei der Gewährung von Hafturlaub, § 13 StVollzG; BVerfGE 83, 130 (148) – Indizierung jugendgefährdender Schriften (hier: „Josefine Mutzenbacher – Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt“). Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts z. B. BVerwGE 15, 207 (208 m. w. N.) – „wichtiger Grund“ i. S. v. § 3 FamNamÄndG; BVerwGE 23, 112 (112) und BVerwGE 28, 223 (225, 229 – 233) – Indizierung jugendgefährdender Schriften (anders aber BVerwGE 39, 197 (198)); BVerwGE 24, 60 (60, 63 f.) – „Denkmalswürdigkeit“ i. S. d. hamburg. DenkmalschutzG; BVerwGE 45, 162 (164 – 166) – „besonderer Einzelfall“ und „Gründe des öffentlichen Gesundheitsinteresses“ i. S. v. § 3 Abs. 3 Bundesärzteordnung; BVerwGE 56, 71 (75) – „Gründe des Allgemeinwohls“ i. S. v. § 31 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BauGB; BVerwGE 59, 1 (2) – „besondere Umstände des Einzelfalles“ i. S. v. § 6 Satz 1 BaföG; BVerwGE 62, 86 (87, 101 f.) – „Bedarfsgerechtigkeit“, „Leistungsfähigkeit“ und „Kostengünstigkeit“ der Kran-

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in anderen dagegen annahm. Im Einzelnen bestehen demnach Beurteilungsspielräume325 bei personenbezogenen Prüfungs- und prüfungsähnlichen Entscheidungen,326 bei beamtenrechtlichen Entscheidungen,327 bei – jedoch bei der Indizierung jugendgefährdender Schriften nicht durchgehend angenommen328 – wertenden Entscheidungen weisungsfreier, mit Sachverständigen und Interessenvertretern besetzten kenhäuser; BVerwGE 65, 19 (21 f.) – „Interesse der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung“ i. S. v. § 10 Abs. 3 Bundesärzteordnung; BVerwGE 68, 267 (271) – „Gefahr im Verzug“ i. S. v. § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG; BVerwGE 81, 12 (12, 17) – „wissenschaftliche Unvertretbarkeit“ i. S. v. § 15 Abs. 1 Nr. 3 lit. b PflSchG; BVerwGE 88, 35 (37 f.) – „Erforderlichkeit“ im Blick auf die besondere öffentliche Zweckbestimmung i. S. v. § 37 Abs. 1 BauGB; BVerwGE 94, 307 (309) – „Weinprädikat I“ i. S. v. §§ 11 und 12 WeinG; BVerwGE 100, 221 (221, 225 – 227) – „Kenntnisse und Fähigkeiten eines Heilpraktikeranwärters“ i. S. v. §§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 HeilPrG, § 2 Abs. 1 lit. i 1. DVO-HeilPrG; BVerwGE 107, 245 (245, 253 – 255) – Fehlzeiten eines Helfers im Katastrophenschutzdienst i. S. v. § 13a WPflG. 325 Allgemeine Ausführungen in BVerfGE 49, 89 (136 f.) – „Stand von Wissenschaft und Technik“ i. S. v. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG („Kalkar I“); BVerfGE 61, 82 (111) – Genehmigung einer Atomanlage, § 3 Abs. 1 AtomG („Sasbach“); BVerfGE 84, 34 (50) – juristische Staatsprüfung; BVerfGE 88, 40 (50 f.) – Anerkennung eines „besonderen pädagogischen Interesses“ für die Zulassung einer privaten Grundschule i. S. v. Art. 7 Abs. 5 Alt. 1 GG. 326 Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundlegend BVerfGE 84, 34 (34, 50 – 56) – juristische Staatsprüfung und BVerfGE 84, 59 (77 – 80) – medizinische Staatsprüfung. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts z. B. bereits BVerwGE 8, 272 (273 – 275) – Versetzung in die nächsthöhere Klasse; ähnlich BVerwGE 99, 74 (81 f.) – „Gesamteindruck“ über den Leistungsstand des Prüflings, § 5d Abs. 4 Satz 1 DRiG; auch BVerwGE 104, 203 (206) – medizinische Staatsprüfung; speziell zur Begründung der Bewertung BVerwGE 91, 262 (262, 273 f.); BVerwGE 92, 132 – Überdenken der Entscheidung; BVerwGE 98, 210; BVerwGE 99, 185; BVerwGE 109, 211 – Verbot der reformatio in peius; speziell zum Prüfungsverfahren BVerwGE 12, 359 – Unabhängigkeit der Prüfungskommission; BVerwGE 38, 105 (110 f.) – zweites juristisches Staatsexamen; BVerwGE 70, 143 – Irrtümer des Prüfers; BVerwGE 92, 132 – Überdenken der Entscheidung; BVerwGE 94, 64 – Lärm während der Prüfung; BVerwGE 96, 126 – unverzügliches Rügen von Mängeln im Prüfungsverfahren; BVerwGE 98, 324 – Laufbahnprüfung von Beamtenanwärtern; BVerwGE 99, 208 – Rücktritt von der Prüfung; BVerwGE 106, 369 – krankheitsbedingte Versäumung der Prüfung; BVerwGE 107, 363 – Befangenheit des Prüfers; BVerwG, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 21 (2002), S. 1375 – 1378 – teilweise Wiederholung einer Prüfung; BVerwG, in: Neue Juristische Wochenschrift 56 (2003), S. 1063 – 1065 – Neukorrektur und Neubewertung einer Prüfung; zu Habilitationsleistungen BVerwGE 95, 237. 327 Vgl. BVerwGE 21, 127 (129 – 131) und BVerwGE 60, 245 (246 – 252) sowie BVerwGE 97, 128 (129) – dienstliche Beurteilung eines Beamten durch seinen Vorgesetzten; BVerwGE 80, 224 (225 f.) – Entscheidung über den Laufbahnaufstieg eines Beamten; BVerwGE 92, 147 (149) – Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit; BVerwGE 106, 263 (263, 266 – 268) – Entlassung eines Beamten auf Probe wegen mangelnder Bewährung; BVerwGE 111, 22 (23) – Eignung eines Soldaten für eine bestimmte Verwendung aus dessen politischer Einstellung heraus; BVerwGE 115, 58 (60) – Auswahl für einen Beförderungsdienstposten. 328 So ausdrücklich BVerfGE 83, 130 (148) – „Josefine Mutzenbacher – Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt“; ebenso bereits BVerwGE 23, 112 (112, 114) – „Ein sonderlicher Haufen. Die Saga vom Sturmbataillon 500“; BVerwGE 28, 223 (225, 226 f., 233) – „Wilde Rose Caroline Ch¦rie“.

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Gremien,329 bei Prognose- und Risikoentscheidungen330 sowie bei verwaltungspolitischen Entscheidungen („Faktorenlehre“)331.332 Ein Anhaltspunkt für die Annahme eines Beurteilungsspielraums sind die sog. Funktionsgrenzen der Rechtsprechung,333 eine Präzisierung oder Systematisierung dieses Ansatzes ist bisher ausgeblieben.334 Tendenziell steht die Rechtsprechung bei schweren, unumkehrbaren Folgen für wichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben oder Freiheit einem Beurteilungsspielraum der Verwaltung eher ablehnend gegenüber. Gleiches gilt für die in einer auf Mobilität aufbauenden Gesellschaft lebenswichtigen Belange des Verkehrs und nicht zuletzt für den Schutz des Nachwuchses, der vor sozial-ethischer Verwirrung durch jugendgefährdende Einflüsse zu schützen ist.335 Insgesamt zieht das Bundesverfassungsgericht bei Grundrechtsbeschränkungen engere Grenzen als das Bundesverwaltungsgericht.336 Derzeit scheint zumindest das Bundesverwaltungsgericht bei der Annahme von Beurteilungsspielräumen in jüngster Vergangenheit relativ großzügig zu sein.337

329 Vgl. BVerwGE 12, 20 (20 f., 28) – Personalgutachterausschuss; BVerwGE 39, 197 (198, 204 f.) und BVerwGE 91, 211 (211, 215 f.) – Indizierung jugendgefährdender Schriften (erste: „Fortsetzungsroman im ,SternГ, letztere: „Opus Pistorum“); BVerwGE 59, 213 (213 f., 215 f., 218 f.) – Befähigung zum Architekten i. S. v. § 4 Architektengesetz Baden-Württemberg; BVerwGE 62, 330 (331, 334, 337 – 341) – Bewertung von Weizensorten nach dem Saatgutverkehrsgesetz; BVerwGE 72, 195 (195, 197 f.) – Zulassung zur Börse durch den Börsenvorstand; BVerwGE 99, 371 (372, 377 f.) – Richterwahlausschüsse in den neuen Bundesländern; neuerdings BVerwGE 129, 27 (32 – 34) – „Weinprädikat II“; BVerwGE 130, 39 (48 f.) – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG; BVerwGE 130, 180 (194 f.) – strategische Telefonüberwachung bei Terrorismusverdacht; BVerwGE 130, 299 (360 f.) – Autobahnverbindung A 7–A 4; BVerwGE 131, 41 (47 f.) – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG. 330 Vgl. BVerwGE 79, 208 (209, 213 – 215) im Anschluss an sowohl BVerfGE 11, 168 (ergänzend oben S. 78 f. in und bei Anm. 324) als auch BVerwGE 64, 238 (239) und BVerwGE 82, 295 (299 – 302) – Bedrohung der Funktionsfähigkeit des Taxengewerbes und Beeinträchtigung der öffentlichen Verkehrsinteressen durch die Neuzulassung von Taxen, § 13 PBG; BVerwGE 72, 300 (301, 316 f.) und im Anschluss BVerwGE 81, 185 (185, 190 – 193) – Risikoermittlung und Risikobewertung i. R. d. Kernkraftnutzung; BVerwG, in: Deutsches Verwaltungsblatt 114 (1999), S. 1138 – 1140 (1138, 1139 f.) – Genehmigung einer gentechnischen Anlage. 331 Vgl. BVerwGE 26, 65 (65, 75 – 77) – dienstliche Bedürfnisse bei der Versetzung eines Beamten; BVerwGE 39, 291 (299 f.) – öffentlichen Belangen dienender Urlaub eines Beamten. 332 Zu diesen Fallgruppen Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 37 – 46 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 333 Vgl. BVerfGE 84, 34 (46, 52 f., 55 f.) – juristische Staatsprüfung; BVerfGE 84, 59 (79 f.) – medizinische Staatsprüfung; BVerfG, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 11 (1992), S. 55 f. (55); BVerwGE 130, 180 (194 f.) – strategische Telefonüberwachung bei Terrorismusverdacht; BVerwGE 130, 39 (48) – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG. 334 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 36. 335 Vgl. dazu im Einzelnen die Kurztitel der Gerichtsentscheidungen oben S. 78 – 80 in Anm. 324, 328 und 329. 336 So auch Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 76), § 7 Rn. 36. 337 Wie hier Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 108), § 11 Rn. 46 Anm. 175 m. w. N.; vgl. insb. BVerwGE 129, 27 (32 – 34) – „Weinprädikat II“; BVerwGE 130, 180 (194 f.) – strategische

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Immer wieder ließ die Rechtsprechung die normative Ermächtigungslehre anklingen, nach der Beurteilungsspielräume durch Rechtsnormen begründet sein müssen,338 jedoch weniger um ihre Kasuistik auf einen tragfähigen kompetenzrechtlichen und rechtstheoretischen Boden zu stellen, als vielmehr der Vollständigkeit halber. So behält sich die Rechtsprechung ihrer Aufgabe entsprechend immer einen gewissen Freiraum, um auf neue Fallkonstellationen oder aktuelle praktische Bedürfnisse reagieren zu können. Der Wissenschaft bleibt die nachträgliche Einordnung der gerichtlichen Entscheidungen in das bestehende System vorbehalten.

VI. Ermessen anderer Staatsgewalten und Ermessen auf anderen Rechtsgebieten Der Frage, ob Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe auch außerhalb des Verwaltungsrechts auftreten, hat sich die verwaltungsrechtliche Ermessensdiskussion nach Möglichkeit entzogen. Gleichwohl war natürlich allgemein bekannt, dass zum einen wie auch immer geartete Freiräume des Rechtsanwenders und zum anderen der Begriff „Ermessen“ auch auf anderen Rechtsgebieten vorkommen. So meinte Fritz Ossenbühl, dass „trotz der gleichartigen Terminologie … noch niemand auf den Gedanken gekommen [sei], das ,gesetzgeberische ErmessenÐ mit dem ,administrativen ErmessenÐ sachlich in Parallele zu setzen“339. Allein die Arbeiten Hans Kelsens und der Wiener rechtstheoretischen Schule – insbesondere die Adolf Julius Merkls – beweisen genau das Gegenteil.340 Freilich schien Ossenbühl deren Beiträge zu kennen, da er sogleich zurückruderte und zumindest eine strukturelle Gemeinsamkeit darin erblickte, dass in allen Fällen keine vollumfängliche, aber in ihrem Umfang unterschiedliche rechtliche Bindung bestehe.341 Im Ergebnis blieb er aber dabei, dass „legislative Gestaltungsfreiheit und Verwaltungsermessen … nicht Extreme eines einheitlich zu verstehenden Ermessens“342 sind. Später ließ man die Frage am liebsten offen:

Telefonüberwachung bei Terrorismusverdacht; BVerwGE 130, 39 (48) – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG. 338 Z. B. BVerwGE 31, 149 (153) – Tauglichkeit eines Wehrdienstleistenden; BVerwGE 94, 307 (309 f.) – „Weinprädikat I“ i. S. v. §§ 11 und 12 WeinG; BVerwGE 100, 221 (225 f.) – „Kenntnisse und Fähigkeiten eines Heilpraktikeranwärters“ i. S. v. §§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 HeilPrG, § 2 Abs. 1 lit. i 1. DVO-HeilPrG; neuerdings BVerwGE 129, 27 (33) – „Weinprädikat II“; BVerwGE 130, 180 (194) – strategische Telefonüberwachung bei Terrorismusverdacht. 339 Fritz Ossenbühl, Richterliches Prüfungsrecht und Rechtsverordnungen, in: Recht als Prozess und Gefüge. Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, Bern 1981, S. 283 – 295 (286) – Hervorhebungen im Original. 340 So ausdrücklich Rupp, Grundfragen (Anm. 287), S. 178 – 183, obwohl er die Reine Rechtslehre ablehnte, vgl. oben S. 73. 341 So Ossenbühl, Richterliches Prüfungsrecht (Anm. 339), S. 287. 342 Ossenbühl, Richterliches Prüfungsrecht (Anm. 339), S. 287.

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre „Ob das Ermessen in allen vorgenannten Bereichen [– damit sind neben dem Verwaltungsermessen auch das Gesetzgebungsermessen, Verordnungsermessen und richterliches Ermessen gemeint –] eine einheitliche Struktur aufweist oder qualitative Unterscheide zeigt, ist umstritten.“343

Die herrschende Ansicht geht im Ergebnis auf der Grundlage der qualitativen Unterscheidung der Staatsgewalten und Rechtsgebiete von jeweils unterschiedlichen Ermessensarten aus.344 Über den Tellerrand in Richtung Zivilrecht – Stichwort: Generalklauseln – zu blicken wagte und wagt man nur selten,345 die traditionelle scharfe Trennung zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht hat hier offensichtlich eine mächtige Barriere aufgerichtet. Der Gedanke an einen Privatmann als Rechtserzeuger erscheint abwegig. Insgesamt firmiert die Ermessensproblematik nach wie vor als genuin verwaltungsrechtliches Thema.

VII. Die Erstarrung der deutschen Ermessensdiskussion Mitte der 1990er Jahre erlahmte die Diskussion über die Ermessensdogmatik in der deutschen Verwaltungsrechtslehre deutlich. Die Ermessensproblematik schien nun endgültig ausdiskutiert:346 Der unbestimmte Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite, das Ermessen auf Rechtsfolgenseite und das Planungsermessen als Sonderkategorie sind dogmatisch fest verankert. Diese Dogmatik hat sich in gewissem Sinne als Erfolgsmodell erwiesen, zumindest haben auch die Kritiker bisher keine Alternativen bieten können, die über die Offenlegung der rechtstheoretischen Grundlagenmängel hinausgehen. Die Literatur erschöpft sich deshalb in weiten Teilen in der Bearbeitung der herrschenden Ermessenslehre im jeweils behandelten Zusammenhang und verbleibt innerhalb der herrschenden Ansicht, ohne „das Gesamtpaket aufzuschnüren“.347 Impulse von innen sind kaum zu erwarten. 343 So stellvertretend Ossenbühl, Gebundenheit (Anm. 114), § 10 Rn. 10, mit dem erleichterten Nachsatz: „Im vorliegenden Zusammenhang geht es allein um das Ermessen der Verwaltung.“ 344 Differenzierend Recknagel, Ermessen (Anm. 105), S. 29–36; ähnlich Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 76), S. 20; für eine strikte Trennung Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 105), S. 27 – 29; Rode, § 40 VwVfG (Anm. 126), S. 155 f.; Laub, Ermessensreduzierung (Anm. 185), S. 1 – 4, scheint Ermessen als spezifisch verwaltungsrechtliches Phänomen zu verstehen. 345 Einen anderen Begriff der Generalklausel für das Verwaltungsrecht hat Hinnerk Wißmann, Generalklauseln. Verwaltungsbefugnisse zwischen Gesetzmäßigkeit und offenen Normen, Tübingen 2008, der sie als Befugnisnormen der Verwaltung mit offen formulierten Handlungsvoraussetzungen und einer Mehrzahl von Handlungsmöglichkeiten versteht (vgl. S. 2). 346 Bereits 1972 meinte Ossenbühl, „das Thema ist offensichtlich ,ausgeschriebenГ (Ossenbühl, Renaissance (Anm. 168), S. 401). – Freilich rückte zu diesem Zeitpunkt die Diskussion um den Beurteilungsspielraum in den Mittelpunkt, vgl. oben S. 54 f. 347 Aus der neueren Literatur z. B. Ralf Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England. Eine rechtsvergleichende Untersuchung von Entscheidungsspielräumen der Verwaltung im deutschen und englischen Verwaltungsrecht, Heidelberg 1998, S. 1 – 165;

B. Die Entwicklung des herrschenden Ermessensbegriffs

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Mit halbem Auge beobachtet man die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Angesichts dessen bisher ergangener Entscheidungen zu Ermessensfragen, in denen er die kategorialen Trennungen der deutschen Ermessenslehre nicht zugrundelegte, sondern von einem einheitlichen Ermessensbegriff auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite ausgeht,348 ist nicht zu erwarten, dass das deutsche Ermessenskonzept auf europäischer Ebene Bestand haben wird.349 Allein auf dem Gebiet des stark unionsrechtlich geprägten Regulierungsermessens – insbesondere auf dem Telekommunikationssektor – könnten neue Entwicklungen stattfinden, da es sich um Neuland jenseits dogmatischer Verkrustungen handelt. Auch die immer wieder vorgenommenen rechtsvergleichenden Untersuchungen350 brachten keine neuen Impulse, obwohl sich mit dieser Herangehensweise der Kreis zu den Wurzeln der deutschen Ermessenslehre und zur Ermessensdiskussion in der Weimarer Zeit schließt.351 Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 76), S. 21 – 24, 33 – 38, zusammenfassend 509; Rode, § 40 VwVfG (Anm. 126), S. 156 f.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl., Berlin und Heidelberg 2006, S. 205 – 210; ein Aufbrechen der Strukturen ist dagegen zu beobachten z. B. bei Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit (Anm. 82), § 10 Rn. 71 – 80, 83 – 99; Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 108), § 11 Rn. 12 – 22, 27 – 43; Ramsauer, Kontrolldichte (Anm. 168), S. 76 f.; Schoch, Standards (Anm. 154), S. 556, 567. 348 Vgl. nur EuGH, Rs. 8/81, Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt, Slg. 1982, 53 Rn. 28 – 30; EuGH, Rs. 247/87, Star Fruit/Kommission, Slg. 1989, 291 Rn. 11; EuGH, Rs. C-83/94, Leifer u. a., Slg. 1995, I-3231 Rn. 35; EuGH, Rs. C-84/94, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1996, I-5755 Rn. 58; EuGH, Rs. C-233/94, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I2405 Rn. 54 – 56; EuGH, Rs. C-273/97, Sirdar, Slg. 1999, I-7403 Rn. 27; EuGH, Rs. C-403/98, Monte Arcosu, Slg. 2001, I-103 Rn. 28. – Dazu differenzierend BVerwGE 131, 41 (46) – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG; vgl. auch Brigitta Varadinek, Ermessen und gerichtliche Nachprüfbarkeit im französischen und deutschen Verwaltungsrecht und im Recht der Europäischen Gemeinschaft, Berlin 1993, S. 205 f.; Stefan Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, Tübingen 1999, S. 453, 491; Martin Bullinger, Flexibilität moderner Verwaltung und Gerichtsschutz des Bürgers, in: Max-Emanuel Geis/ Dieter Lorenz (Hrsg.), Staat, Kirche, Verwaltung. Festschrift für Hartmut Maurer zum 70. Geburtstag, München 2001, S. 565 – 579 (568 f.); Rudolf Streinz, Europarecht, 8. Aufl., Heidelberg 2008, Rn. 598; Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 108), § 11 Rn. 28 m. w. N.; Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz (Anm. 116), § 40 Rn. 8 m. w. N.; Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I (Anm. 130), § 31 Rn. 79. 349 Jedoch geht Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Anm. 348), S. 457, davon aus, dass sich alle das Unionsrecht verletzenden Ermessensfehler im mittelbaren Vollzug in eine der Kategorien der Ermessensfehler einordnen lassen. So könnte die deutsche Ermessensdogmatik auf nationaler Ebene erhalten bleiben, solange und sofern sie nicht von außen unter Anpassungsdruck gerät. Das ist derzeit aber noch nicht abzusehen. 350 Mit Blick auf die französische Verwaltungsrechtslehre z. B. Stern, Ermessen (Anm. 105), S. 9, 28 f., 36 f., und Varadinek, Ermessen (Anm. 348); die englische Verwaltungsrechtslehre haben im Blick z. B. Brinktrine, Verwaltungsermessen (Anm. 347), S. 169 – 543, und Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 76), S. 192 – 236; zur Rechtsprechung des EuGH z. B. Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz (Anm. 116), § 40 Rn. 8 m. w. N. 351 Zu den Wurzeln der deutschen Ermessenslehre oben S. 28 – 36. – Zur Rezeption von Elementen der französischen Verwaltungsrechtslehre in der damaligen deutschsprachigen Ermessensdiskussion, insb. zur Figur der Ermessensüberschreitung im französischen Verwaltungsrecht (d¦tournement de pouvoir), vgl. nur O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 20),

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1. Teil: Der Ermessensbegriff der Verwaltungsrechtslehre

S. 55 – 64, 168 Anm. 14; allen voran von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 42), S. 118 – 175 (zur Theorie), 175 – 268 (zur praktischen Anwendung); auch Fritz Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., Tübingen 1928, S. 141; kritisch W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 36), S. 334 f. m. w. N.; ebenso Tezner, Ermessen (Anm. 63), S. 80 – 100, insb. 83, 97.

2. Teil

Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre „Sowohl die Bedingungen, unter denen der Staat handeln will, als auch die Art und Weise seines Handelns selbst sind im Rechtssatze niemals allseitig determiniert …“ Hans Kelsen (1911)

Nach der Darstellung des herrschenden Ermessensbegriffs gilt es nun, diesem als Gegenkonzept den Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre darzustellen. Dabei geht es nicht nur um ein bloßes Referieren der Positionen der Reinen Rechtslehre, sondern auch um eine Kritik derselben. Dem ist eine kurze Darstellung der Reinen Rechtslehre selbst und ihrer Protagonisten vorangestellt, um den Hintergrund, vor dem sich der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre bewegt, zu skizzieren.

A. Die Reine Rechtslehre I. Die Reine Rechtslehre als Gemeinschaftsprojekt Das Ziel aller rechtswissenschaftlichen Bemühungen Hans Kelsens1, die Entwicklung einer „reine[n] Rechtslehre als Theorie des positiven Rechtes“2, durchzieht sein gesamtes rechtstheoretisches Werk.3 1

Illustrierend die Kurzbiographie unten S. 89 – 91. Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, 2. Aufl., Tübingen 1923, S. V – Hervorhebung im Original; vgl. auch Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Einleitung in die rechtswissenschaftliche Problematik, 1. Aufl., Leipzig und Wien 1934, S. IX. 3 In der Zeit bis 1934 zeugen davon insb. folgende Schriften: Hans Kelsen, Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode. Vortrag gehalten in der Soziologischen Gesellschaft zu Wien (1911), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 3: Veröffentlichte Schriften 1911 – 1917, Tübingen 2010, S. 22 – 55; Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Beitrag zu einer reinen Rechtslehre, Tübingen 1920; Hans Kelsen, Rechtswissenschaft und Recht. Erledigung eines Versuchs zur Überwindung der „Rechtsdogmatik“, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1922/23), S. 103 – 235; Hans Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff. Kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tübingen 1922; Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925; Hans Kelsen, Naturrecht und positives Recht. Eine Untersuchung ihres gegenseitigen Verhältnisses, in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts 2 (1928), S. 71 – 94; Hans Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivis2

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

Doch wurde die Reine Rechtslehre nicht nur von Kelsen selbst entwickelt, sondern auch seine Schüler und Anhänger4 hatten Anteil an ihrer Entstehung, allen voran Adolf Julius Merkl5 und Alfred Verdroß6. Franz Weyr (1879 – 1951), persönlich eng mit Kelsen befreundet, griff dessen Theorie auf und begründete an der Universität Brünn einen Ableger der Reinen Rechtslehre, die „Brünner Schule“.7 In reger, bisweilen kontroverser Diskussion wurde die Reine Rechtslehre reflektiert, kritisiert und entfaltet. So entwickelte Merkl den Stufenbau der Rechtsordnung,8 die von Kelsen 1914 eingeführte Grundnorm als Voraussetzung juristischer Erkenntnis9 führten Verdroß10 und Leonidas Pitamic (1885 – 1971)11 weiter aus. In seiner Vorrede zur zweiten Auflage der „Hauptprobleme“ (1923) strich Kelsen die Verdienste seiner Schüler und Anhänger heraus, räumte bestehende Schwächen in seinem Gedankengebäude ein – er sah seine Reine Rechtslehre auch über seinen Tod hinaus nie als abgeschlossen an12 – und beschrieb seine Rechtstheorie als Gemeinschaftsprojekt: „Die mus, Charlottenburg 1928; Hans Kelsen, Juristischer Formalismus und reine Rechtslehre, in: Juristische Wochenschrift 58 (1929), S. 1723 – 1726; Hans Kelsen, Methode und Grundbegriff der reinen Rechtslehre, in: Annalen der critische philosophie 3 (1933), S. 69 – 90. 4 Zu den Schülern und Anhängern der Reinen Rechtslehre ausführlich Robert Walter/ Clemens Jabloner/Klaus Zeleny (Hrsg.), Der Kreis um Hans Kelsen. Die Anfangsjahre der Reinen Rechtslehre, Wien 2008. 5 Illustrierend die Kurzbiographie unten S. 92. 6 Illustrierend die Kurzbiographie unten S. 93. 7 Vgl. Rudolf Alad‚r M¦tall, Hans Kelsen. Leben und Werk, Wien 1969, S. 29; zum Verhältnis zwischen Weyr und Kelsen Tanja Domej, Frantisˇek Weyr und Hans Kelsen – eine biographische Skizze, in: Robert Walter/Clemens Jabloner/Klaus Zeleny (Hrsg.), Hans Kelsens stete Aktualität. Zum 30. Todestag Hans Kelsens, Wien 2003, S. 45 – 56. 8 Dazu unten S. 119 – 125. 9 Hans Kelsen, Reichsgesetz und Landesgesetz nach österreichischer Verfassung (1914), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 3: Veröffentlichte Schriften 1911 – 1917, Tübingen 2010, S. 359 – 425 (370 – 373). 10 Alfred Verdroß, Zum Problem der Rechtsunterworfenheit des Gesetzgebers (1916), in: Hans Klecatsky/Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, Bd. 2, Wien u. a. 1968, S. 1545 – 1557. 11 Leonidas Pitamic, Denkökonomische Voraussetzungen der Rechtswissenschaft, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1918), S. 339 – 367; Leonidas Pitamic, Eine „Juristische Grundlehre“, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1918), S. 734 – 757; Leonidas Pitamic, Plato, Aristoteles und die reine Rechtstheorie, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 2 (1921), S. 683 – 700; Leonidas Pitamic, Kritische Bemerkungen zum Gesellschafts-, Staats- und Gottesbegriff bei Kelsen, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1922/23), S. 531 – 554. 12 Kelsen arbeitete bis kurz vor seinem Tod an einem Werk über eine allgemeine Normtheorie, das posthum als Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979, herausgegeben wurde. – Hans Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen, Frankfurt a. M. 1982, S. 150, berichtet über Kelsen: „Außerdem war er skeptisch geblieben sogar gegenüber den eigenen Resultaten. Mir vertraute er einmal, unsicher lächelnd, den Herzenswunsch an: unter angenommenem Namen ein Buch zu schreiben gegen Kelsen und seine Reine Rechtslehre. Er sei doch der einzige, der sie kenne, die schwachen Stellen.“

A. Die Reine Rechtslehre

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reine Rechtstheorie, zu der die ,HauptproblemeÐ einen Grundstein legen durften, ist das gemeinsame Werk eines stetig sich erweiternden Kreises theoretisch gleich gerichteter Männer“.13 Doch spätestens 1933 war die „Wiener rechtstheoretische Schule“ teils aus wissenschaftlichen, teils aus politisch bedingten Gründen zerfallen. Bereits 1923 hatte sich Verdroß ab vom Rechtspositivismus hin zur Naturrechtslehre gewandt, indem er die Kelsensche formallogische Grundnorm ablehnte und stattdessen versuchte, die Grundnorm mit Werten anzureichern.14 Als Kelsen 1930 dem Ruf an die Universität zu Köln folgte, verschwand die räumliche Nähe. Merkls rechtstheoretische Forschungen endeten nach 1931.15 Mit der Absetzung Kelsens in Köln 1933 wurde dessen persönliche und wissenschaftliche Zukunft in höchstem Maße ungewiss. Die erste Auflage Kelsens „Reine Rechtslehre“ (1934) setzt einen „Markstein“16, der am endgültigen Zerfall der Wiener rechtstheoretischen Schule steht. Sie sichert und dokumentiert die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse der Reinen Rechtslehre.17 13

Vgl. Kelsen, Hauptprobleme2 (Anm. 2), S. V–XXIII, insb. XII–XVI – Zitat S. XXIII. Grundlegend Alfred Verdroß, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Völkerrechtsverfassung, Tübingen 1923, insb. S. 77 – 86, 126; zusammenfassend Alfred Verdroß, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm (1956), in: Hans Klecatsky/Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, Bd. 2, Wien u. a. 1968, S. 2203 – 2212 (2203 – 2208); ergänzend Stephan Verosta, Alfred Verdross – Leben und Werk, in: Friedrich August Freiherr von der Heydte/Ignaz Seidl-Hohenveldern/Stephan Verosta/Karl Zemanek (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild. Festschrift für Alfred Verdross, Wien 1960, S. 1 – 29 (12, 21 – 23). 15 So hatte Adolf Julius Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues (1931), in: Hans Klecatsky/Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, Bd. 2, Wien u. a. 1968, S. 1311 – 1361 (1361 Anm. 8), angekündigt: „Eine Monographie über die Theorie des rechtlichen Stufenbaues, zu der vorstehende Prolegomena andeutende Vorbemerkung sein wollen, ist in Vorbereitung.“ Diese Monographie erblickte nie das Licht der Öffentlichkeit; vgl. auch Bettina Stoitzner, Die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung, in: Stanley L. Paulson/ Robert Walter (Hrsg.), Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre. Ergebnisse eines Wiener Rechtstheoretischen Seminars 1985/86, Wien 1986, S. 51 – 90 (77 Anm. 4). 16 Robert Walter, Vorrede zum zweiten Neudruck der 1. Aufl. der Reinen Rechtslehre, in: Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl., Leipzig und Wien 1934 (2. Neudruck, Aalen 1994), S. 5*–8* (6*). 17 Der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ gebührt das Verdienst, einer Fibel gleich die Reine Rechtslehre ohne inhaltliche Abstriche auf ihre wesentlichen Grundzüge eingedampft zu haben. Die Reine Rechtslehre ist jedoch in all ihren wesentlichen Punkten bereits 1911 in den „Hauptproblemen“ angelegt. In den folgenden Jahren entfaltete Kelsen – auch zusammen mit seinen Schülern und Anhängern – einzelne Bereiche. Z. B.: die Trennung von Sein und Sollen sowie den Unterschied der explikativen soziologischen Methode und der normativen juristischen Methode behandelt Kelsen, Grenzen (Anm. 3); die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht arbeitet genauer aus Hans Kelsen, Zur Lehre vom öffentlichen Rechtsgeschäft, in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 3: Veröffentlichte Schriften 1911 – 1917, Tübingen 2010, S. 247 – 316; den Topos Staatsunrecht vertieft 1914 Hans Kelsen, Über Staatsunrecht. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Deliktsfähigkeit juristischer Personen und zur 14

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

Die Weiterentwicklung der Reinen Rechtslehre ruhte von nun an allein auf Kelsens Schultern, bis sie nach dem Zweiten Weltkrieg in der Rechtswissenschaft wieder aufgegriffen wurde. Als weitere Eckpunkte gelten Kelsens „General Theory of Law and State“ (1945)18, die er nach seiner Emigration in die USA verfasste, die zweite Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1960)19 und schließlich die posthum veröffentlichte „Allgemeine Theorie der Normen“ (1979)20.21 Eine Einteilung der Reinen Rechtslehre in – üblicherweise vier – Phasen ist mehrfach durchgeführt worden.22 Sie ist für die praktische Anwendung der Reinen Rechtslehre jedoch weniger von Bedeutung. Lehre vom fehlerhaften Staatsakt (1914), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 3: Veröffentlichte Schriften 1911 – 1917, Tübingen 2010, S. 439 – 531. Diese Beiträge sind in weiten Teilen, ähnlich wie die „Hauptprobleme“, diskursiver Natur. Kelsen entwickelt seinen eigenen Standpunkt anhand und gegen die Standpunkte seiner wissenschaftlichen Gegner (zu dieser Arbeitstechnik auch Matthias Jestaedt, Editorischer Bericht „Hauptprobleme der Staatsrechtslehre“, in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2: Veröffentlichte Schriften 1911, Tübingen 2008, S. 881 – 913 (902 – 907, insb. 906 f.)). In seiner „Allgemeinen Staatslehre“ (1925) legt Kelsen seine Reine Rechtlehre erstmals vollständig entfaltet in einem Werk zusammengefasst dar, ohne im Haupttext literarische Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen Gegenpositionen zu führen (Kelsen, Staatslehre (Anm. 3)). Seine Gedanken sind nun soweit gereift, dass er sie verselbstständigt und für sich allein als in sich geschlossenes Gedankengebäude präsentieren kann. Die „Allgemeine Staatslehre“ darf daher als erster Markstein der Reinen Rechtslehre gelten. 18 Hans Kelsen, General Theory of Law and State. Übersetzt von Anders Wedberg, Cambridge (Massachusetts) 1945. 19 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. Aufl., Wien 1960. 20 Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12). 21 Zur hier skizzierten Entwicklung der Reinen Rechtslehre ausführlich Robert Walter, Entwicklung und Stand der Reinen Rechtslehre, in: Robert Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 9 – 20; Stanley L. Paulson, Four Phases in Hans KelsenÏs Legal Theory? Reflections on a Periodization, in: Oxford Journal of Legal Studies 18 (1998), S. 153 – 166; kritisch Günther Winkler, Glanz und Elend der Reinen Rechtslehre. Theoretische und geschichtliche Überlegungen zum Dilemma von Sein und Sollen in Hans Kelsens Rechtstheorie, Saarbrücken 1988, S. 38 – 44. 22 Zur Einteilung vgl. insb. Paulson, Phases (Anm. 21). Es bietet sich an, vor den „Hauptproblemen“ (1911) eine fünfte „vorkritische“ Phase zu verorten, in denen Kelsen rechtshistorische und auf dem Boden der herrschenden Ansicht bleibende rechtsdogmatische Studien betrieb, es handelt sich – neben sieben Buchbesprechungen – um die Beiträge Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri (1905), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 1: Veröffentlichte Schriften 1905 – 1910 und Selbstzeugnisse, Tübingen 2007, S. 134 – 300; Hans Kelsen, Wählerlisten und Reklamationsrecht. Unter Berücksichtigung der jüngsten Regierungsvorlage, betreffend die Wahlreform (1906), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 1: Veröffentlichte Schriften 1905 – 1910 und Selbstzeugnisse, Tübingen 2007, S. 301 – 331; Hans Kelsen, Kommentar zur österreichischen Reichsratswahlordnung (Gesetz vom 26. Jänner 1907, RGBl. Nr. 17) (1907), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 1: Veröffentlichte Schriften 1905 – 1910 und Selbstzeugnisse, Tübingen 2007, S. 332 – 544; Hans Kelsen, Naturalisation und Heimatsberechtigung nach österreichischem Rechte (1907), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 1: Veröffentlichte Schriften 1905 – 1910 und Selbstzeugnisse, Tübingen 2007, S. 545 – 560. – Sieht man wie hier (vgl. oben S. 87 f. in

A. Die Reine Rechtslehre

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II. Die „Großen Drei“: Hans Kelsen, Adolf Julius Merkl und Alfred Verdroß Neben Hans Kelsen als Begründer und Haupt der Wiener rechtstheoretischen Schule hatten Adolf Julius Merkl und Alfred Verdroß maßgeblichen Anteil an der Entfaltung und Entwicklung der Reinen Rechtslehre. 1. Hans Kelsen Der österreichische Staatsrechtslehrer, Völkerrechtslehrer, Rechtsphilosoph und Rechtstheoretiker Hans Kelsen23 wurde am 11. Oktober 1881 in Prag geboren. Nach seiner Habilitation 1911 mit der Schrift „Hauptprobleme der Staatsrechtslehre entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze“24 nahm er im selben Jahr eine Lehrtätigkeit als Privatdozent an der Universität Wien auf. Dort begründete Kelsen zusammen mit seinen Anhängern seine (Reine) Rechtslehre, die „Wiener rechtstheoretische Schule“25. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Kelsen einberufen, nach einer Lungenentzündung im September 1914 jedoch als „nur zu Kanzleidiensten fähig“26 erklärt. Das Kriegsende erlebte er im Justizoffiziersrang eines Hauptmann-Auditors als Referent des letzten k.u.k. Kriegsministers, Generaloberst der Infanterie Rudolf Stöger-Steiner Freiherr von Steinstätten (1861 – 1921).27 Bereits während des Kriegs war Kelsen 1917 zum ordentlichen Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien ernannt worden. Im Auftrag des Staatskanzlers Karl Renner war er 1919 an der Ausarbeitung der definitiven Verfassung der Republik Österreich beteiligt. Das am 1. Oktober 1920 verlautbarte und Anm. 17) die „Allgemeine Staatslehre“ (1925) als erste Zusammenfassung der Reinen Rechtslehre ohne literarische Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen Gegenpositionen, so lässt sich eine weitere sechste Phase zwischen den „Hauptproblemen“ (1911) und diesem Werk ansetzen. 23 Zu Kelsens Biographie ausführlich Hans Kelsen, Selbstdarstellung (1927), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 1: Veröffentlichte Schriften 1905 – 1910 und Selbstzeugnisse, Tübingen 2007, S. 19 – 27; Hans Kelsen, Autobiographie (1947), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 1: Veröffentlichte Schriften 1905 – 1910 und Selbstzeugnisse, Tübingen 2007, S. 29 – 91; vgl. auch M¦tall, Kelsen (Anm. 7), S. 1 – 101. – Ergänzend auch Thomas Olechowski, Über die Herkunft Kelsens, in: Tiziana J. Chiusi/Thomas Gergen/Heike Jung (Hrsg.), Das Recht und seine historischen Grundlagen. Festschrift für Elmar Wadle zum 70. Geburtstag, Berlin 2008, S. 849 – 863. 24 Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze (1911), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2: Veröffentlichte Schriften 1911, Tübingen 2008, S. 21 – 878. 25 Vgl. nur den Titel von Hans Klecatsky/Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, 2 Bde., Wien u. a. 1968. 26 Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 47. 27 Dazu Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 47 – 50.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

bis heute geltende Bundes-Verfassungsgesetz der Republik Österreich (B-VG 1920)28 trägt zu weiten Teilen Kelsens Handschrift, insbesondere die Artikel 137 – 148 über die Verfassungsgerichtsbarkeit und die Normenkontrolle.29 1921 wurde Kelsen zum Richter des Verfassungsgerichtshofs nach dem B-VG auf Lebenszeit ernannt. Er übte diese Funktion nur nebenamtlich aus, da er seine Stellung als Ordinarius an der Universität Wien behielt. Im Zuge der Verfassungsänderung von 192930 wurde der Verfassungsgerichtshof aufgelöst und neubesetzt.31 Kelsen lehnte eine erneute Wahl zum Verfassungsrichter ab und wurde 1930 aus seinem Amt als Verfassungsrichter entsetzt.32 Verbittert verließ er Österreich und folgte 1930 einem Ruf an die Universität zu Köln auf den für ihn neu eingerichteten Lehrstuhl für Völkerrecht.33 Dort wurde er für das Studienjahr 1932/33 zum Dekan gewählt. Mitte April 1933 wurde Kelsen wegen seiner jüdischen Herkunft auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als Hochschul-

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Gesetz vom 1. Oktober 1920, B. G. Bl. Nr. 1, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz), BGBl 1920/1. 29 Dazu Felix Ermacora, Österreichs Bundesverfassung und Hans Kelsen, in: Adolf Julius Merkl/Alfred Verdroß/Ren¦ Marcic/Robert Walter (Hrsg.), Festschrift für Hans Kelsen zum 90. Geburtstag, Wien 1971, S. 22 – 54. 30 § 65 Bundesverfassungsgesetz vom 7. Dezember 1929, betreffend einige Abänderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der Fassung des B. G. Bl. Nr. 367 von 1925 (Zweite Bundes-Verfassungsnovelle), BGBl 392/1929. 31 Auslöser war insb. der Streit um die sog. Dispensehe. Die Verwaltungsbehörden konnten Ehedispense erteilen, die das Eingehen einer Zweitehe trotz des im katholischen Österreich geltenden Prinzips der Unscheidbarkeit der Erstehe ermöglichten. Der verfassungsgerichtliche Streit drehte sich darum, ob die Zivilgerichte die Kompetenz hatten, die Ehedispense für ungültig zu erklären, wodurch auch die Zweitehe als aufgelöst galt, zum Ganzen Ulrike Harmat, Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918 – 1938, Frankfurt a. M. 1999, S. 287 – 304. – Zu Kelsens Rolle im Dispensehen-Streit zusammenfassend Harmat, a. a. O., S. 304 – 317; Christian Neschwara, Kelsen als Verfassungsrichter. Seine Rolle in der Dispensehen-Kontroverse, in: Stanley L. Paulson/Michael Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen. Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 353 – 384; Robert Walter, Hans Kelsen als Verfassungsrichter, Wien 2005, S. 57 – 67. 32 Zum Ganzen Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 75 – 77; ergänzend M¦tall, Kelsen (Anm. 7), S. 49 – 56; Horst Dreier, Hans Kelsen (1881 – 1973): „Jurist des Jahrhunderts“?, in: Helmut Heinrichs/Harald Franzki/Klaus Schmalz/Michael Stolleis (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 705 – 732 (713 f.); Walter, Verfassungsrichter (Anm. 31), S. 25. 33 Vgl. Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 77 – 80; die Berufungsbemühungen der Juristischen Fakultät der Universität zu Köln dauerten seit 1925 an, der Lehrstuhl für Völkerrecht war eigens für Kelsen eingerichtet worden, vgl. das Protestschreiben der Kölner Juristischen Fakultät an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Berlin gegen die Beurlaubung Kelsens vom 18. April 1933, abgedruckt bei Hans Jürgen Becker, 600 Jahre Rechtswissenschaft in Köln, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, Köln u. a. 1988, S. 3 – 30 (23 – 26 (23 f.)).

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lehrer beurlaubt34 und mit Wirkung vom 1. Januar 1934 in den Ruhestand versetzt.35 Er verließ noch im April 1933 mit seiner Familie das Deutsche Reich und kehrte nach Wien zurück, wo ihm aber die dortige Universität eine Fortsetzung seiner 1930 beendeten Lehrtätigkeit nicht ermöglichte.36 Er folgte daraufhin einem Angebot des Institut universitaire de hautes ¦tudes internationales in Genf und nahm dort im September 1933 eine Professur für Völkerrecht auf.37 Im Oktober 1936 trat er zudem das Ordinariat für Völkerrecht an der Deutschen Universität in Prag an. Dorthin war er nach längerem Zögern von der tschechoslowakischen Regierung berufen worden. Unter dem Druck der Nationalsozialisten beendete Kelsen seine Tätigkeit in seiner Heimatstadt Prag zum Sommersemester 1938 und kehrte vollständig nach Genf zurück.38 Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Sommer 1939 fasste Kelsen den Entschluss, in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern, da er befürchtete, dass sich die Schweiz als neutraler Staat nicht würde halten können. Zusammen mit seiner Frau Margarete verließ er am 28. Mai 1940 Genf, ohne eine Stellung in den USA in Aussicht zu haben. Sie gelangten auf Umwegen nach Lissabon, wo sie sich am 10. Juni 1940 nach New York einschifften, das sie am 21. Juni erreichten.39 In den USA erhielt Kelsen zunächst eine Stellung – die Oliver Wendell Holmes Lecturership – an der Harvard Law School, im Sommer 1942 folgte er einer Einladung der University of California in Berkeley. Im Juli 1945 wurde ihm die amerikanische Staatsangehörigkeit verliehen und er wurde full professor am Political Science Departement in Berkeley für „International law, jurisprudence, and origin of legal institutions“.40 Kelsen starb am 19. April 1973 in Berkeley, Kalifornien. Auf seinen Wunsch hin wurde seine Asche in den Pazifik ausgestreut. In seinem Werk, das nicht nur im europäischen und angloamerikanischen, sondern auch im lateinamerikanischen, koreanischen und japanischen Kulturkreis Wirkung entfaltet(e), behandelte Kelsen Fragen des positiven Rechts, der Rechtstheorie, der Rechtsphilosophie und des Völkerrechts.

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Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 79 f., insb. 79 Anm. 240; ergänzend M¦tall, Kelsen (Anm. 7), S. 60. 35 Matthias Jestaedt, Chronik und Stammbaum, in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 1: Veröffentlichte Schriften 1905 – 1910 und Selbstzeugnisse, Tübingen 2007, S. 93 – 105 (100). 36 Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 80; weitere Hintergründe bei M¦tall, Kelsen (Anm. 7), S. 61 f. 37 Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 80 – 84. 38 Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 84 – 87; Details zu den Ereignissen in Prag bei M¦tall (Anm. 7), S. 70 – 73. 39 Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 88 f. 40 Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 89 – 91.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

2. Adolf Julius Merkl Der österreichische Staats- und Verwaltungsrechtslehrer Adolf Julius Merkl wurde am 23. März 1890 in Wien geboren.41 Seit 1917 war er im Verwaltungsdienst, nach dem Ersten Weltkrieg im Verfassungsdienst der Republik Österreich tätig.42 1919 habilitierte sich Merkl mit seiner Schrift „Die Verfassung der Republik Deutschösterreich“43. Ab 1921 außerordentlicher Professor, war er seit 1932 in der Nachfolge Kelsens Ordinarius an der Universität Wien. In seiner literarischen Tätigkeit kritisierte Merkl insbesondere beabsichtigte und vollzogene Verfassungsänderungen (B-VG Novelle 1929), die Regierungspraxis und insgesamt den in Österreich und in weiten Teilen Europas dominierenden Totalitarismus.44 Daher wurde er nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 von den Nationalsozialisten im April desselben Jahres von seinem Lehramt beurlaubt und im Dezember 1939 in den Ruhestand versetzt. Zunächst nur als Helfer in Steuersachen zugelassen, war Merkl bereits seit Oktober 1941 wieder vertretungsweise, seit 1943 als ordentlicher Professor an der Universität Tübingen tätig. 1950 kehrte er aufgrund eines Rufes nach Wien zurück, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1960 lehrte.45 In seinem Werk behandelte er insbesondere rechtstheoretische sowie staats- und verwaltungsrechtliche Themen. Besondere Hervorhebung verdient sein Lehrbuch „Allgemeines Verwaltungsrecht“46, in dem er das allgemeine Verwaltungsrecht im Lichte der Erkenntnisse der Reinen Rechtslehre darstellte. Merkl starb am 22. August 1970 in seiner Geburtsstadt Wien.

41 Zu Merkls Biographie ausführlich Wolf-Dietrich Grussmann, Adolf Julius Merkl. Leben und Werk, Wien 1989, S. 13 – 48. 42 Adolf Julius Merkl, in: R. Klebelsberg (Hrsg.), Österreichische Rechts- u. Staatswissenschaften der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Innsbruck 1952, S. 137 – 159 (138). 43 Adolf Julius Merkl, Die Verfassung der Republik Deutschösterreich. Ein kritisch-systematischer Grundriß, Wien und Leipzig 1919. 44 Z. B. Adolf Julius Merkl, Der rechtliche Gehalt der österreichischen Verfassungsreform vom 7. Dezember 1929, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 10 (1931), S. 161 – 212; Adolf Julius Merkl, Die Frage der Geltung des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes und seines Verhältnisses zur Verordnungsvollmacht des Bundespräsidenten, in: Juristische Blätter 62 (1933), S. 137 – 141; Adolf Julius Merkl, Die ständisch-autoritäre Verfassung Österreichs. Ein kritisch-systematischer Grundriß, Wien 1935; Adolf Julius Merkl, Die Staatsbürgerpflichten nach katholischer Staatsauffassung, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 17 (1937), S. 1 – 36; Adolf Julius Merkl, Friedrich Schiller und der Staat, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 18 (1939), S. 67 – 101; Merkl (Anm. 42), S. 146 – 149; vgl. auch Robert Walter, Adolf Julius Merkl. 1890 – 1970, in: Wilhelm Brauneder (Hrsg.), Juristen in Österreich. 1200 – 1980, Wien 1987, S. 300 – 304 (301 f.). 45 Dazu Merkl (Anm. 42), S. 139. 46 Adolf Julius Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien und Berlin 1927.

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3. Alfred Verdroß Der österreichische Völkerrechtslehrer und Rechtsphilosoph Alfred Verdroß wurde am 22. Februar 1890 in Innsbruck geboren. Im Ersten Weltkrieg diente Verdroß seit Frühjahr 1915 am k.u.k. Obersten Militärgerichtshof, 1916 wurde er zum Landsturm-Oberleutnantauditor ernannt. 1918 bis 1924 war er im österreichischen Außenministerium tätig: 1918 bis 1920 als Legationssekretär der österreichischen Gesandtschaft in Berlin, 1920 bis 1924, zuletzt als Sektionsrat, in der Völkerrechtsabteilung.47 Währenddessen habilitierte er sich 1921 mit seiner Schrift „Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten“48. Seit Oktober 1924 war Verdroß zunächst außerordentlicher Professor, seit 1925 ordentlicher Professor für Völkerrecht, Rechtsphilosophie und Internationales Privatrecht an der Universität Wien. Im Dezember 1932 nahm er einen Ruf nach München an, nahm seine Zusage aber nach der Machtübernahme Adolf Hitlers wieder zurück.49 1934 bis 1938 engagierte sich Verdroß im Widerstand Österreichs gegen den Druck des nationalsozialistischen Deutschen Reiches.50 Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde er im Juni 1938 wegen seiner politischen Haltung von seinen Lehrverpflichtungen suspendiert. Doch bereits im Juli 1939 erhielt er seine Lehrerlaubnis für Völkerrecht zurück, die Lehrbefugnis für Rechtsphilosophie blieb ihm dagegen bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft über Österreich im Frühjahr 1945 entzogen.51 Am 27. April 1980 starb Alfred Verdroß in seiner Geburtsstadt Innsbruck.

III. Die Fundamente der Reinen Rechtslehre Es ist nicht Aufgabe dieser Arbeit, ein Bild der Reinen Rechtslehre in all ihren Facetten und Verästelungen zu liefern.52 Vielmehr genügt hier eine kurze Darstellung 47

Vgl. Verosta, Verdroß (Anm. 14), S. 2. Alfred Verdroß, Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten, Berlin 1920. 49 Alfred Verdroß, in: R. Klebelsberg (Hrsg.), Österreichische Rechts- u. Staatswissenschaften der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Innsbruck 1952, S. 201 – 210 (201 – 207). 50 Dazu Verosta, Verdroß (Anm. 14), S. 5; Ignaz Seidl-Hohenveldern, Alfred Verdroß. 1890 – 1980, in: Wilhelm Brauneder (Hrsg.), Juristen in Österreich. 1200 – 1980, Wien 1987, S. 304 – 308 (305). 51 Seidl-Hohenveldern, Verdroß (Anm. 50), S. 208. 52 Dazu – als Ausschnitt aus dem umfangreichen Schrifttum – ausführlich die Darstellungen der und Auseinandersetzungen mit der Reinen Rechtslehre bei Wilhelm Jöckel, Hans Kelsens rechtstheoretische Methode. Darstellung und Kritik ihrer Grundlagen und hauptsächlichen Ergebnisse, Tübingen 1930, S. 1 – 83; Alfred Verdroß (Hrsg.), Gesellschaft, Staat und Recht. Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre. Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstage ge48

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

ihrer Fundamente und Kernaussagen, um den Rahmen abzustecken, in dem sich der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre bewegt. Unmittelbar mit dem Ermessensbegriff in Zusammenhang stehende Problemkreise – wie der Stufenbau der Rechtsordnung oder die Interpretationslehre – werden vor Ort behandelt. 1. Das rechtswissenschaftliche Reinheitsgebot und der Rechtsbegriff der Reinen Rechtslehre In der Vorrede zur zweiten Auflage der „Hauptprobleme“ (1923) nennt Kelsen als Ziel seiner wissenschaftlichen Bemühungen, eine „reine Rechtslehre als Theorie des positiven Rechtes“53 zu entwickeln. Den Begriff der „Reinen Rechtslehre“ verwendet Kelsen bereits 1920 im Untertitel und im Vorwort des Werkes „Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts“.54 Die Reinheit seiner Lehre bedeutet für Kelsen eine „von aller politischen Ideologie und allen naturwissenschaftlichen Elementen gereinigte, ihrer Eigenart weil der Eigengesetzlichkeit ihres Gegenstandes bewußte Rechtstheorie zu entwickeln. Von allem Anfang war dabei [sein] Ziel: Die Jurisprudenz, die – offen oder versteckt – in rechtspolitischem Raisonnement fast völlig aufg[eh]t, auf die Höhe einer echten Wissenschaft, einer Geistes-Wissenschaft zu heben. Es g[i]lt, ihre nicht auf Gestaltung, sondern ausschließlich auf Erkenntnis des Rechts gerichtete Tendenzen zu entfalten und deren Ergebnisse dem Ideal aller Wissenschaft, Objektivität und Exaktheit, soweit als irgend möglich anzunähern.“55

Die Reinheit ist eine zweifache: Erstens geht es Kelsen um die Reinheit der Methode. Einzige Methode der Rechtswissenschaft ist die juristische Methode, alle anderen Methoden, insbesondere die soziologische Methode, sind auszuscheiden. Horst Dreier spricht von einer „doppelten Frontstellung“, nämlich einerseits gegen die empirischen Wissenschaften, insbesondere die Psychologie und Soziologie, andererseits widmet, Wien 1931; Adolf Julius Merkl/Alfred Verdroß/Ren¦ Marcic/Robert Walter (Hrsg.), Festschrift für Hans Kelsen zum 90. Geburtstag, Wien 1971; insb. Robert Walter u. a. (Hrsg.), Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, (derzeit) 31 Bde., Wien 1974 – 2009; Horst Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990; Ota Weinberger/Werner Krawietz (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, Wien und New York 1988; Winkler, Glanz und Elend (Anm. 21); H. Dreier, Jahrhundertjurist (Anm. 32); Gabriel Nogueira Dias, Rechtspositivismus und Rechtstheorie. Das Verhältnis beider im Werke Hans Kelsens, Tübingen 2005; Stefan Uecker, Vom Reinheitspostulat zur Grundnorm. Logik und Methode der Reinen Rechtslehre Hans Kelsens, Berlin 2006. 53 Kelsen, Hauptprobleme2 (Anm. 2), S. V – Hervorhebung im Original; vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. IX. 54 Hans Kelsen, Souveränität (Anm. 3), S. V: „Die Arbeit an einer reinen, insb. von soziologisch-psychologischen und politischen Elementen gereinigte Rechtstheorie …“ – beachte die ähnliche Formulierung zu Beginn des nun folgenden Zitats im Haupttext. 55 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. IX; ergänzend Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 75.

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gegen Ethik und Rechtspolitik.56 Die Reine Rechtslehre erteilt einem Methodenpluralismus – Kelsen spricht von Methodensynkretismus57 – eine Absage,58 sieht aber dennoch einen engen Zusammenhang zu den anderen Disziplinen der Rechtswissenschaft,59 obwohl sie sie wegen ihres eigenen engen Rechtswissenschaftsbegriffs nicht ohne Weiteres integrieren kann. Hintergrund der Ablehnung des Methodenpluralismus ist die neukantianische Ansicht Kelsens, dass die Methode den Gegenstand bestimmt.60 Nur durch eine Reine Methode ist Reines Recht erkennbar.61 Die Reinheit des Rechts darf aber nicht als Reinheit des Rechts von Moral und Politik missverstanden werden. Reinheit ist nicht eine Eigenschaft des Rechts, sondern eine Eigenschaft der (Rechts-)Erkenntnis. Zweitens wird die Aufgabe der Rechtswissenschaft auf die Erkenntnis des Rechts frei von allen Ideologien beschränkt. Es ist Sache der Rechtswissenschaft, das Recht zu erkennen und zu beschreiben, nicht jedoch, Recht zu setzen.62 Alle rechtsfremden Elemente sind aus der Rechtswissenschaft auszuschließen,63 um den Eigengesetzlichkeiten ihres Gegenstandes gerecht werden zu können und ihren eigenen Selbststand zu sichern. Bezüglich der Erkenntnis des Rechts gibt es zwei Richtungen: Die Erkenntnis kann sich auf den Inhalt des Rechts richten oder auf seine äußere Form, sprich die Struktur und die Anatomie der Rechtsordnung. Kelsen charakterisiert seine Rechtstheorie wie folgt: „Die Reine Rechtslehre ist eine Theorie des positiven Rechts; des positiven Rechts schlechthin, nicht einer speziellen Rechtsordnung. Sie ist allgemeine Rechtslehre, nicht Interpretation besonderer nationaler oder internationaler Rechtsnormen. Aber sie gibt eine Theorie der Interpretation. Als Theorie will sie ausschließlich und allein ihren Gegenstand erkennen. Sie versucht, die Frage zu beantworten, was und wie das Recht ist, nicht aber die Frage, wie es sein oder gemacht werden soll. Sie ist Rechtswissenschaft, nicht aber Rechtspolitik.“64

Kelsen entscheidet sich für eine formale Strukturtheorie, die die Anatomie des Rechts beschreibt.65 Indem die Reine Rechtslehre ihren Fokus hinsichtlich inhaltli56 Vgl. H. Dreier, Jahrhundertjurist (Anm. 32), S. 718 – Zitat S. 718 Anm. 76; H. Dreier, Rechtslehre (Anm. 52), S. 105. 57 Z. B. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 53, 294 – 296, 468; Kelsen, Staatslehre (Anm. 3), S. 76; Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 2; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 1. 58 Dazu die auf der Trennung von Sein und Sollen aufbauenden Ausführungen in Kelsen, Grenzen (Anm. 3), S. 31 – 33. 59 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 1. 60 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 74. 61 Dazu Uecker, Grundnorm (Anm. 52), S. 23 – 25 m. w. N. 62 Dazu die Ausführungen und Nachweise unten S. 98 in Anm. 80. 63 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 1. 64 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 1. 65 Dazu Dietrich Jesch, [Buchbesprechung:] Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit. Zweite, vollständig neu bearb. und erw. Auflage.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

cher Fragen verengt, kann sie ihren Fokus zugleich auf formelle Fragen vergrößern. Dabei ist sie inhaltlichen Fragen aber nicht gänzlich abgeneigt. Sie beantwortet zwar keine konkreten Fragen, versucht aber das methodologische Rüstzeug an die Hand zu geben, um den Inhalt jeder positiven Rechtsnorm erkennen zu können.66 Das Reinheitsgebot gilt aber nicht für den Gegenstand, d. h. das Recht, selbst. Das Recht ist sehr wohl moralisch oder unmoralisch und kommt auf Schritt und Tritt mit der Politik in Berührung. Es geht Kelsen nicht um eine Lehre des Reinen Rechts, sondern um eine Reine Rechtslehre, d. h. um Reinheit der Methode, nicht um Reinheit des Gegenstandes.67 Festzuhalten bleibt die strenge Trennung zwischen (a) erkennender, deskriptiver Rechtswissenschaft als Disziplin, (b) gestaltender Rechtspolitik, die auch, aber nur soweit durch das positive Recht ermächtigt, als rechtsetzende Rechtsautorität auftreten kann und (c) dem präskriptiven Recht selbst als Gegenstand. Die Reine Rechtslehre vertritt einen positivistischen Rechtsbegriff. Es handelt sich aber nicht um einen Gesetzespositivismus68 – oder moderner: einen Verfassungs(gerichts)positivismus69 –, der davon ausgeht, dass alles Recht im Sinne eines Anwendungspositivismus im Gesetz – oder moderner: in der Verfassung – enthalten ist. Vielmehr ist ein Geltungspositivismus gemeint, d. h. Recht ist das, was der positivrechtlich legitimierte Rechtserzeuger als Recht setzt.70

Verlag Franz Deuticke, Wien, 1960, XII und 534 S., Ln. DM 65.–, in: Die Öffentliche Verwaltung 14 (1961), S. 435 – 437 (436); Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius (Hrsg.), Hans Kelsen. Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. VII–XXIX (XIII). 66 Zur Interpretationstheorie der Reinen Rechtslehre unten S. 135 – 146, 160 – 165. 67 Zu diesem des Öfteren auftretenden Missverständnis Jestaedt/Lepsius, Einführung (Anm. 65), S. XVI f. 68 Hauptvertreter und Wegbereiter des Gesetzes-, Subsumtions- und Anwendungspositivismus der Begriffsjurisprudenz sind im öffentlichen Recht Bernhard Windscheid (1817 – 1892), Carl Friedrich von Gerber (1823 – 1891) und Paul Laband (1838 – 1918), vgl. Jestaedt/ Lepsius, Einführung (Anm. 65), S. XIII f. 69 Dazu Bernhard Schlink, Die Entthronung der Staatsrechtswissenschaft durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Der Staat 28 (1989), S. 161 – 172; Matthias Jestaedt, Verfassungsgerichtspositivismus. Die Ohnmacht des Verfassungsgesetzgebers im verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat, in: Otto Depenheuer/Markus Heintzen/Matthias Jestaedt/Peter Axner (Hrsg.), Nomos und Ethos. Hommage an Josef Isensee zum 65. Geburtstag von seinen Schülern, Berlin 2002, S. 183 – 228 (188 – 203 m. w. N.). 70 Zur Unterscheidung von Geltungs- und Anwendungspositivismus Marietta Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit. Generalklauseln im Spiegel der Antinomien des Privatrechtsdenkens, Tübingen 2005, S. 214 – 219; zu Kelsen als Geltungspositivist Matthias Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein … Vom Nutzen der Rechtstheorie für die Rechtspraxis, Tübingen 2006, S. 38 – 40, insb. 38 f. Anm. 116.

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2. Rationalisierungsbestrebungen: Entmystifizierung, Entideologisierung, Ideologiekritik Die Reine Rechtslehre ist in ihrem Anspruch an sich selbst gegen Ideologien gerichtet: „Sie lehnt es ab, das positive Recht zu bewerten. Sie betrachtet sich als Wissenschaft zu nichts anderem verpflichtet, als das positive Recht seinem Wesen nach zu begreifen und durch Analyse seiner Struktur zu verstehen. Sie lehnt es insbesondere ab, irgendwelchen politischen Interessen dadurch zu dienen, daß sie ihnen Ideologien liefert, mittels deren die bestehende gesellschaftliche Ordnung legitimiert oder disqualifiziert wird.“71

Indem sie sich strikt auf Erkenntnis – die ihrer Ansicht nach einzige Aufgabe der Wissenschaft – beschränkt, sieht sie sich als „wahre Rechtswissenschaft“. Ideologien, die der Welt des Wollens entstammen, haben in ihr keinen Platz, ebenso die Interessen der Autoritäten, die Recht schaffen:72 „Aber nicht minder häufig kann man hören: Die Reine Rechtslehre sei gar nicht imstande, ihre methodische Grundforderung zu erfüllen und sei selbst nur der Ausdruck einer bestimmten politischen Werthaltung. Aber welcher? Faschisten erklären sie für demokratischen Liberalismus, liberale oder sozialistische Demokraten halten sie für einen Schrittmacher des Faschismus. Von kommunistischer Seite wird sie als Ideologie eines kapitalistischen Etatismus, von nationalistisch-kapitalistischer Seite bald als krasser Bolschewismus, bald als versteckter Anarchismus disqualifiziert … Kurz, es gibt überhaupt keine politische Richtung, deren man die Reine Rechtslehre noch nicht verdächtigt hätte. Aber das gerade beweist besser, als sie es selbst könnte: ihre Reinheit.“73

Besonders deutlich zeigt sich ihre ideologiezersetzende Kraft in der Auflösung des Dualismus von Recht und Staat.74 Die Reine Rechtslehre begreift den Staat durch „ideologiefreie und sohin von aller Metaphysik und Mystik befreite Erkenntnis“75 nur als eine Zwangsordnung menschlichen Verhaltens, die zugleich die Rechtsordnung ist. Der Staat wird so mit der Rechtsordnung identifiziert, die Frage des Staates in ein bloßes Zurechnungsproblem umformuliert, nämlich welche menschlichen Handlungen durch eine Rechtsnorm als Staatsakte gedeutet werden und welche nicht.76 Warum es einen Staat gibt und welche Staatsform die beste ist, kann und will die Reine Rechtslehre nicht beantworten.77

71

Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 17. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 17 – Zitat dort. 73 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. XII f. – Gänzliche Ideologiefreiheit vermag freilich niemals gelingen, ergänzend unten S. 271 f., 274 f. 74 Bekanntester Vertreter dieses Dualismus ist Georg Jellinek, vgl. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1914, S. 174 – 183, 332 – 337. 75 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 117. 76 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 120. 77 Vgl. z. B. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 114. 72

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

Indem die Reine Rechtslehre das Recht als soziale Technik begreift, die als Zwangsordnung bestimmte menschliche Verhaltensweisen erreichen oder verhindern will, steht sie in der Tradition der positivistischen Rechtslehre des 19. Jahrhunderts. Bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen werden vom Tatbestand einer Rechtsnorm erfasst, die als Rechtsfolge Zwangsakte anordnet, z. B. (Verwaltungs-) Zwang oder Strafen. Unrecht und Rechtswidrigkeit sind damit rein formale Kategorien: Unerheblich ist, ob ein Verhalten moralischen oder anderen dem positiven Recht transzendenten Normen widerspricht, sondern es kommt allein darauf an, dass dieses Verhalten in einer Rechtsnorm als bedingender Tatbestand (Unrecht) für eine durch ihn bedingte Rechtsfolge (Unrechtsfolge), den Zwangsakt, gesetzt ist.78 Die Beweggründe des Rechtsgehorsams spielen keine Rolle,79 Recht ist eine rein äußere Zwangsordnung. Revolutionärer stellt sich die Charakterisierung der Rechtsnorm80 allein als Deutungsschema dar. Im Anfang ist jeder Akt, d. h. alles menschliche Handeln, ein Element des Systems Natur. Recht ist dagegen ein gesellschaftliches Phänomen und daher von der Natur streng zu trennen. Jeder Akt stellt sich zunächst als rein äußerer Vorgang dar, ihm kann aber eine spezifische Bedeutung, ein innerer Sinn anhaften.81 Dieser Sinn kann ein objektiver – der Sinn, den das Recht dem Akt zuordnet – oder ein subjektiver – der Sinn, den der Handelnde in seinem Akt sieht – sein; objektiver und subjektiver Sinn müssen nicht miteinander übereinstimmen. So kann der, der einem anderen Menschen eine Sache abnimmt, sein Handeln als Aufhebung einer ungerechten Güterverteilung ansehen, objektiv betrachtet begeht er aber einen Raub. Die Brücke zwischen natürlichem Handeln und seiner rechtlichen Bedeutung wird durch einen Denkprozess geschlagen. Die Rechtsnorm fungiert hier als Deutungsschema: „Den spezifisch juristischen Sinn, seine eigentümliche rechtliche Beurteilung erhält der fragliche Sachverhalt durch eine Norm, die sich mit ihrem Inhalt auf ihn bezieht,

78

Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 25 f., zum Begriff des Unrechts 26 – 28. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 31 f. 80 Die Reine Rechtslehre in ihrer gereiften Form trennt streng zwischen Rechtsnorm und Rechts(aussage)satz. Die Rechtsnorm ist als von der Rechtsautorität gesetzter Sollenssatz ein Teil der Rechtsordnung und schreibt ein bestimmtes Verhalten vor; sie kann weder wahr noch falsch, sondern nur gültig oder ungültig sein. Dagegen ist der Rechts(aussage)satz ein Teil der Rechtswissenschaft und beschreibt die Rechtsnormen; er kann wahr oder falsch sein. Damit sind die Aufgaben von Rechtsautorität und Rechtswissenschaft angelegt: Diese ist deskriptiv, d. h. beschreibt, jene ist präskriptiv, d. h. schreibt vor. Zudem besteht zwischen Recht und Rechtswissenschaft ein kategorischer Unterschied, beide dürfen nicht identifiziert werden. Zum Ganzen Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 22; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 73 – 77; Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 18, 104, 124, 150. Anders noch die „Hauptprobleme“, in denen Kelsen „Rechtssatz“ i. S. v. „Rechtsnorm“ verwendet, vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 692 – 694, 700 – so erklärt sich auch der Titelzusatz „entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze“ – Hervorhebung nicht im Original. – Zum Ganzen auch Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Rechtsnormbegriff und Arten der Rechtsnormen, in: Robert Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 21 – 36 (34 – 36). 81 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 5. 79

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die ihm die rechtliche Bedeutung verleiht, so daß der Akt nach dieser Norm gedeutet werden kann.“82 Ein weiteres Beispiel für die ideologiekritische und dekonstruktivistische Kraft ist die Entlarvung des Dualismus von öffentlichem und privatem Recht. Indem die Reine Rechtslehre sowohl im privatrechtlichen Rechtsgeschäft als auch in den obrigkeitlichen Anordnungen des Staates einen der (formellen!) Einheit der Rechtsordnung zurechenbaren Tatbestand der Rechtserzeugung sieht, mutiert der Dualismus von einem vom positiven Recht vorgefundenen extrasystematischen zu einem erst aus dem positiven Recht ableitbaren Unterschied.83 Er ist nicht rechtswesenhaft, sondern nur rechtsinhaltlich.84 Damit zerstiebt auch der ideologische Unterbau dieses – inzwischen durchaus brüchig werdenden85 – Dualismus, der auf der Anschauung aufbaut, dass nur der Bereich des öffentlichen Rechts Domäne politischer Herrschaft sei, während das Privatrecht als ein seiner Herkunft nach vorstaatliches Phänomen unpolitisch sei und auch politikfrei bleibe.86 Ähnliches gilt für die Unterscheidung von objektiven und subjektiven Rechten. Auch subjektive Rechte sind nichts Vorrechtliches, das das Recht vorfindet und in der Folge anerkennen sowie in das zeitlich nachfolgende objektive Recht aufnehmen muss. Vielmehr erhält der einzelne Rechtsunterworfene erst durch die Rechtsordnung subjektive Rechte.87 3. Die Trennungsthesen Um den Selbststand des ausschließlich zum Gegenstand der Rechtswissenschaft gemachten positiven Rechts weiter zu sichern, muss es einerseits von reinen Tatsachen ohne normativen Anspruch und andererseits von anderen Sätzen mit normativem Gehalt und Anspruch – insbesondere moralischen Normen – abgegrenzt werden. a) Trennung von Sein und Sollen Mit der Trennung zwischen Rechtsnormen und Naturgesetzen ist zugleich die Trennung zwischen Sollen und Sein angelegt. Während Naturgesetze eine Aussage über die Welt des Seins machen, tun dies Rechtsnormen nicht. Sie fordern zwar ein 82

Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 5. Grundlegend Kelsen, Öffentliches Rechtsgeschäft (Anm. 17), insb. S. 278 – 301; zusammenfassend Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 42 – 44, 110 – 114 (insb. 111). 84 So Jestaedt/Lepsius, Einführung (Anm. 65), S. XIII. 85 Programmatisch Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, Baden-Baden 1996; in Ansätzen auch Martin Burgi, Rechtsregime, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard SchmidtAßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden. Maßstäbe. Aufgaben. Organisation, München 2006, § 18 Rn. 1 – 29, 32 f. 86 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 113 f. 87 Grundlegend Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 671; zusammenfassend Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 40 – 44 (insb. 41). 83

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

bestimmtes Verhalten, haben also insofern aber Bezug zur Welt des Seins, bleiben selbst aber in der Welt des Sollens.88 Kelsen versteht – in Anlehnung an Georg Simmel89 – Sein und Sollen als ursprüngliche, sprich apriorische, prinzipiell verschiedene90 (Denk-)Kategorien,91 wobei der Unterschied zwischen beiden nicht näher erklärt werden kann: „Er ist unserem Bewußtsein unmittelbar gegeben.“92 Zwischen der Welt des Seins und der Welt des Sollens besteht keine Verbindung, auch wenn ein Sollen ein Sein bezweckt,93 da hierzu der Befehl eines Menschen zwischengeschaltet sein muss.94 Aus einem Sein kann nur ein Sein, aus einem Sollen nur ein Sollen folgen, niemals aber aus einem Sein ein Sollen oder aus einem Sollen ein Sein.95 Der Gegensatz zwischen Sein und Sollen ist aber ein rein formal-logischer. Deswegen ändern auch Wechselbeziehungen zwischen beiden Welten an ihrer Unabhängigkeit voneinander nichts.96 Die Trennung von Sein und Sollen liefert den Schlüssel zur Erfassung des Spezifikums des Rechts, d. h. seiner Geltung und seines Selbststandes insgesamt. Ohne die Trennung kann man das Recht nicht als Normativum begreifen, sondern nur als soziale Tatsache beschreiben, man kann jedenfalls nicht im Sinne der Reinen Rechtslehre Rechtswissenschaft betreiben. Gleichzeitig bestreitet Kelsen jedoch nicht die nichtnormativen Facetten des Rechts, er entzieht sie nur seinem Rechtswissenschaftsbegriff.97 Letztendlich handelt es sich bei der Trennung von Sein und Sollen um ein nicht weiter beweisbedürftiges und auch nicht beweisbares Axiom, ohne das das Gebäude der Reinen Rechtslehre in sich zusammenstürzt. Wer in dieser Glaubensfrage nicht übereinstimmt, dem bleibt der weitere Weg mit der Reinen Rechtslehre versperrt.98 88

S. 23.

Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 83 – 85; Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2),

89 Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 86 f., nimmt Bezug auf Georg Simmel, Einleitung in die Moralwissenschaft. Eine Kritik der ethischen Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart und Berlin 1904, S. 1 – 84. 90 Hierbei beruft sich Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 86, auf Arnold Kitz, Seyn und Sollen. Ein Abriss einer philosophischen Einleitung in das Sitten- und Rechtsgesetz, Frankfurt a. M. 1864, S. 65: „Die eine allgemeinste Denkbestimmung, worunter wir Alles in und ausser uns fassen, ist das Seyn.“ und S. 74: „Die andere allgemeinste Denkbestimmung, worunter wir Alles in und ausser uns fassen, ist das Sollen.“ 91 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 86; Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 23. 92 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 5. 93 Vgl. Kelsen, Grenzen (Anm. 3), S. 27. 94 Vgl. Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 45. 95 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 196; Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 44. 96 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 8. 97 Ausführlich Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 33 – 37. 98 So bereits Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 53 f., ähnlich 725, 870 f. – Vgl. in diesem Zusammenhang den Hinweis Hermann Hellers, „daß es keinerlei wissenschaftlichen

A. Die Reine Rechtslehre

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b) Geltung und Wirksamkeit Das „Sollen“ als Zurechnungsmoment des positiven Rechts formuliert zugleich die spezifische Existenz des Rechts, seine Geltung.99 Die Geltung einer Rechtsnorm sagt aber noch nichts darüber aus, ob auch die Wirklichkeit ihren Vorgaben entspricht, da sie nur ein rein hypothetisches Urteil ausspricht. Anknüpfend an die Charakterisierung des positiven Rechts als äußere Zwangsordnung100 wird es als spezifische soziale Technik begriffen, die einen erwünschten Zustand herbeiführen und einen unerwünschten Zustand verhindern soll. Die Vorgaben der Rechtsordnung müssen in die Wirklichkeit umgesetzt werden, sie müssen wirksam sein.101 Die Wirksamkeit, d. h. die Befolgung und Anwendung einer Norm,102 schlägt die Brücke zwischen Sein und Sollen und ist der Gegenbegriff aus der Welt des Seins zum Begriff der Geltung aus der Welt des Sollens. aa) Kritik an Kelsens Einführung der Kategorie „Wirksamkeit“ „Kelsen begibt sich mit der Einführung des Begriffs der Wirksamkeit auf sehr dünnes Eis.“103 Er spricht von einem „gewissen Abhängigkeitsverhältnis“ von Geltung und Wirksamkeit, von einer „Spannung zwischen dem Sollen und dem Sein“ und davon, dass „eine normative Ordnung der Wirklichkeit gegenüber, die aufhört, ihr bis zu einem gewissen Grade zu entsprechen, ihre Geltung verlieren [muss]“.104 Auf der anderen Seite wäre aber auch eine Rechtsordnung sinnlos, die vollkommen mit der Wirklichkeit übereinstimmt, sprich dass das Sein dem Sollen vollständig entspricht.105 Voraussetzung der Geltung ist also als untere Grenze ein gewisses Ausmaß an Kontrafaktizität, zuviel Kontrafaktizität setzt ihr jedoch eine obere Grenze.106 Indem Geltung und Wirksamkeit zumindest teilweise identifiziert werden, droht frei-

Sinn hat, über Ergebnisse zu streiten, wenn man schon in den grundlegenden Voraussetzungen uneins ist“ (Hermann Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 30 f.); eine Tatsache, die auch Kelsen wohlbewusst war, vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 871. Die Feststellung Hellers – der im sog. Weimarer Richtungsstreit ein Gegner Kelsens war – hat im Übrigen nicht nur für den wissenschaftlichen Diskurs Gültigkeit. 99 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 22 100 Zum Recht als Zwangsordnung oben S. 98. 101 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 28 f., 70. 102 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 11; Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 112. 103 So zutreffend Uecker, Grundnorm (Anm. 52), S. 96. 104 Die drei vorangehenden Zitate Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 69. 105 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 133, 141; Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1320 f. 106 Vgl. Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 112 f.: die Wirksamkeit einer Norm besteht darin, „daß sie im großen und ganzen tatsächlich befolgt und wenn nicht befolgt, im großen und ganzen angewendet wird“ (Zitat S. 112 – Hervorhebung im Original).

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

lich, soweit die Identifizierung reicht, die Durchbrechung der Trennung zwischen Sollen und Sein.107 bb) Kritik an Kelsens Lösungsvorschlag für das Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit Die von Kelsen in der zweiten Auflage seiner „Reinen Rechtslehre“ (1960) vorgeschlagene108 und in seiner „Allgemeinen Theorie der Normen“ wiederaufgegriffene109 Lösung dieses Problems vermag nicht zu überzeugen. Dort geht er von den beiden Extrempositionen – entweder stehen Geltung und Wirksamkeit in überhaupt keiner Beziehung zueinander oder sie sind identisch – aus.110 Die erste Ansicht lehnt er mit der nicht weiter begründeten Behauptung ab, dass „nicht geleugnet werden [kann], daß eine Rechtsordnung als Ganzes ebenso wie eine einzelne Rechtsnorm ihre Geltung verliert, wenn sie aufhört wirksam zu sein“. Als Geltungsbedingung bedürfe jede Rechtsnorm zudem des Seinstatbestandes des Setzungsaktes.111 Doch während ein Setzungsakt für die Erzeugung positiven Rechts unerlässlich ist, ist es die Wirksamkeit einer Norm nicht. Die zweite Ansicht lehnt er mit der Begründung ab, dass ein Gericht, das eine Norm, die unmittelbar zuvor erzeugt wurde und daher noch nicht wirksam werden konnte, anwendet, dennoch eine geltende Norm anwendet.112 Die Stichhaltigkeit und Überzeugungskraft seiner Argumente spielt für unsere Betrachtung im Weiteren keine Rolle,113 da Kelsen mit der Ablehnung der ersten Ansicht die Durchbrechung der Trennung von Sein und Sollen aufrechterhält. Er behilft sich nun mit dem Kunstgriff, Geltung und Wirksamkeit zwar nicht zu identifizieren, aber die Wirksamkeit zur Bedingung der Geltung zu machen.114 Indem Kelsen die Wirksamkeit in der Grundnorm im formallogischen Sinne verankert und sie damit materiell auflädt, wird er aber seiner Grundkonzeption untreu, wonach die Grundnorm nur ein formallogisches transzendentales, sprich erkenntnisermöglichendes Instrument ist.115

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Dazu Dias, Rechtspositivismus (Anm. 52), S. 225 – 227; Uecker, Grundnorm (Anm. 52), S. 95 – 103. 108 Siehe Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 215 – 221. 109 Siehe Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 112 f. 110 Dazu Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 215. 111 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 215 – 219 – Zitat S. 216. 112 So Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 11, insb. 217 f. 113 Ausführlich Hans Kelsen, Eine „Realistische“ und eine Reine Rechtslehre. Bemerkungen zu Alf Ross: On Law and Justice, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 10 (1959/1960), S. 1 – 25 (9 f.). 114 Dazu ausführlich Dias, Rechtspositivismus (Anm. 52), S. 226 f. 115 Zu Kelsens Grundnormkonzept unten S. 108 – 111.

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cc) Eigene Stellungnahme Überzeugender erscheint eine strikte Unabhängigkeit von Geltung und Wirksamkeit. Diese „idealistische“116, von Kelsen bereits in den „Hauptproblemen“ vertretene117 Auffassung muss sich vielleicht den Vorwurf der Realitätsferne gefallen lassen, ist aber der einzige Weg, die grundlegende Trennung zwischen Sollen und Sein aufrecht zu erhalten. Die Geltung einer vollkommen unwirksamen Rechtsnorm verbleibt nur in der Welt des Sollens. Das Ausmaß der Kontrafaktizität spielt nur auf der SeinsEbene eine Rolle. Es bleibt eine Frage der Erkenntnisökonomie, ob es sich lohnt, eine Rechtsordnung wissenschaftlich zu erfassen, wenn doch der Erkenntnisgewinn mangels praktischer Relevanz nur sehr gering ist.118 Die Wirksamkeit als Teil der Welt des Seins bleibt ein Fremdkörper in der Trennung zwischen Sein und Sollen. Sie findet ihre Daseinsberechtigung am ehesten darin, dass sie zum besseren Verständnis als Gegenbegriff der Geltung als Sollen heuristisch zu verstehen ist und die Wichtigkeit der Trennung zwischen Sein und Sollen verdeutlicht. c) Trennung von Rechtsnorm und Naturgesetz Zunächst ist das Recht – an dieser Stelle noch ohne Unterscheidung zwischen positiver Norm oder Moralnorm – von den Naturgesetzen abzugrenzen. Um die Rechtswissenschaft zu einer reinen Geisteswissenschaft zu erheben,119 gilt es „die Schranke, die die Natur vom Geist trennt“120 zu bestimmen. Gemeinsam ist beiden Normsystemen ein spezifischer funktioneller Zusammenhang zweier Elemente. Im Rahmen der Naturgesetze werden sie Ursache und Wirkung genannt. In der Begrifflichkeit des Rechts heißen sie Tatbestand und Rechtsfolge. Ursache und Wirkung sind durch die Kausalität verknüpft, die ein „Werden“ oder „Müssen“ bedeutet. Tatbestand und Rechtsfolge sind durch die Zurechung verbunden, die ein „Sollen“, eine normative Kategorie, beschreibt. Ein Stein, der aus einem Meter Höhe fallengelassen wird, wird nach dem Naturgesetz der Schwerkraft zu Boden fallen, eine andere Möglichkeit gibt es nicht, was durch das „Müssen“ ausgedrückt wird. Bezahlt dagegen ein Schuldner seine Schuld nicht, so „muss“ er das zwar, weil es eine Rechts- bzw. Moralnorm 116

Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 215. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 125, 137 f., 347 f., 392 f. 118 Im Ergebnis so auch Robert Walter, Wirksamkeit und Geltung, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 11 (1961), S. 531 – 541 (535 f.); Rudolf Thienel, Geltung und Wirksamkeit, in: Stanley L. Paulson/Robert Walter (Hrsg.), Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre. Ergebnisse eines Wiener Rechtstheoretischen Seminars 1985/86, Wien 1986, S. 20 – 50 (33): „Der Reinen Rechtslehre geht es bei der Voraussetzung der Grundnorm nur darum, den Gegenstand ihrer Untersuchungen möglichst zweckmäßig festzulegen.“ – Konsequent Rainer Lippold, Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit von Rechtsnormen, in: Rechtstheorie 19 (1988), S. 463 – 489 (481 f.), der zur Erlangung der vollständigen Reinheit die Wirksamkeit ganz aus der Reinen Rechtslehre ausscheiden will. 119 Vgl. oben S. 94 in und bei Anm. 55. 120 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 12. 117

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

anordnet, es handelt sich aber um ein rein hypothetisches Urteil121 im Sinne eines „Sollens“, das diese Rechts- bzw. Moralnorm fällt. Sie sagt jedoch nichts darüber aus, ob der Schuldner irgendwann einmal bezahlt bzw. ob eine Zwangsvollstreckung erfolgen wird. Ein Unterschied zwischen Regelungsgehalt der Naturgesetze und der Wirklichkeit ist nicht möglich, während bezüglich der Rechts- bzw. Moralnorm Kontrafaktizität möglich ist und gerade deren Existenzberechtigung liefert.122 An dieser Stelle wird die Konstruktion der Rechtsordnung als Zwangsordnung123 nötig: Während Naturgesetze keiner Vollstreckung zur Umsetzung ihres Regelungsgehalts bedürfen, da er unmittelbar geschieht, muss der Rechtsordnung ein Zwangsinstrument zur Hand sein, um bei Abweichungen die Wirklichkeit an ihren Regelungsgehalt anzupassen. d) Trennung von positiver Rechtsnorm und Moralnorm – zugleich Trennung von Vernunft und Wille und die Konsolidierung des positivistischen Rechtsbegriffs Die Reine Rechtslehre trennt zwischen der Moralnorm, hinter der die Idee der absolute Geltung beanspruchenden Gerechtigkeit steht, und der positiven Rechtsnorm, die sich aus dem Willen, der Autorität des Rechtserzeugers speist.124 Die Trennung von Recht und Moral kann daher auch als die Trennung von positivem Recht und Gerechtigkeit formuliert werden. Keinesfalls bedeutet diese Trennung die Forderung, dass Recht nicht moralisch sein darf oder rein von Moral und anderen metarechtlichen Einflüssen – insbesondere der Politik – sein muss.125 So sind auch sog. Unrechtsstaaten Rechtsstaaten, da es nach der Reinen Rechtslehre allein auf eine positive Rechtsnorm ankommt, die ein bestimmtes tatsächliches Geschehen als staatliches Handeln deutet. In diesem formalen Vorgang kommt es auf den Inhalt nicht an.126 Die Reine Rechtslehre zieht sich aus der inhaltlichen Frage „Was ist Gerechtigkeit?“ zurück, da für sie der Inhalt der Gerechtigkeit rationaler Erkenntnis unzugänglich ist.127 Neben 121 In der zweiten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1960) sah Kelsen in Rechtsnormen keine Urteile mehr, sondern Imperative, vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 73, 110; ebenso Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 2. – Hier ist dies ohne Bedeutung, da auch der Imperativ normativen Charakter hat. 122 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 92. 123 Zum Recht als Zwangsordnung oben S. 98. 124 Dazu Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 12 – 16; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 60 – 71; Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 4 f. – Siehe auch die Ausführungen bei Adolf Julius Merkl, Das Recht im Lichte seiner Anwendung (1916 – 1919), in: Dorothea Mayer-Maly/Herbert Schambeck/Wolf-Dietrich Grussmann (Hrsg.), Adolf Julius Merkl. Gesammelte Schriften, Bd. 1: Grundlagen des Rechts, Teilbd. 1, Berlin 1993, S. 85 – 146 (102 f.). 125 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 12 f. 126 Grundlegend Kelsen, Staatsunrecht (Anm. 17), S. 448 – 453; ferner Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 2 – 5, 26 – 28; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 156, 305 – 308. 127 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 15 f. – Das heißt nicht, dass sich Kelsen nicht mit der Frage nach der Gerechtigkeit befasst hätte. A. a. O., S. 14, fasst er zusammen: „Alle

A. Die Reine Rechtslehre

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der Nichterkennbarkeit der Gerechtigkeit macht ein weiterer Gedanke eine Trennung erforderlich: Wäre der Inhalt des Rechts zugleich der Inhalt der Gerechtigkeit, so wäre die Existenz des positiven Rechts überflüssig.128 Auch wenn man einwendet, dass Recht und Gerechtigkeit inhaltlich nicht vollständig deckungsgleich sein müssten, so bliebe das Recht dann aber immer noch ein gewisses ethisches, d. h. nichts anderes als ein gewisses moralisches Minimum.129 Mit dem Verbleiben dieses moralischen Restes stünde das Problem seiner Erkenntnis weiter im Raum. Es kann nur durch eine vollständige Trennung, wie sie die Reine Rechtslehre vornimmt, ausgeräumt werden. Die Konsequenz ist freilich – und das sieht und will die Reine Rechtslehre gerade – eine radikal anti-ideologische Tendenz.130 Den positiven Rechtsnormen und den Moralnormen bleibt gemeinsam, dass sie einen vom jeweiligen Normsetzer gewünschten Zustand anordnen, also ein „Sollen“ zum Inhalt haben.131 Über das Merkmal des „Sollens“ kann – anders als zu den Naturgesetzen – die von der Reinen Rechtslehre angestrebte vollständige Abgrenzung des positiven Rechts zur Moral und insbesondere zum Naturrecht nicht erfolgen. Der Unterschied zwischen positiver Rechtsnorm und Moralnorm ist zunächst, dass Letzterer ein absoluter Wert anhaftet. Zwar haftet auch der positiven Rechtsnorm ein absoluter Wert an, doch ist dieser nur systemimmanent, d. h. innerhalb des Normsystems, während die Moralnorm auch und gerade transzendent, d. h. außerhalb ihres Normsystems Geltung beansprucht. Das „Sollen“ der Moralnorm bezieht sich auf Inhalte, es hat materiellen Charakter. Das „Sollen“ der Norm des positiven Rechts dagegen hat rein formalen Charakter: es steht ausschließlich für die Verknüpfung von bedingendem Tatbestand und bedingter Rechtsfolge.132 Die Abgrenzung von positivem Recht und Moral beeinflusst auch das Bild vom Ablauf der Rechtsgewinnung. Moralbasierten Normen liegt ein statisches Rechtsgewinnungskonzept zugrunde, da alle Norminhalte bereits in der (materiellen Grundnorm der) Moral enthalten sind und nur noch einfachgesetzlich zu reformulieren

derartigen Versuche haben bisher immer nur zu völlig leeren Formeln geführt, wie ,Tue das Gute und meide das BöseÐ, ,Jedem das SeineÐ, ,Halte die richtige MitteÐ, u. dgl. Auch der ,kategorische ImperativÐ ist ganz inhaltslos.“ Vielmehr widmete er sich der Frage nach der Gerechtigkeit in zahlreichen Schriften, z. B. Hans Kelsen, What is justice? Justice, Law and Politics in the Mirror of Science. Collected Essays, Berkeley (California) und Los Angeles 1957; Hans Kelsen, Das Problem der Gerechtigkeit, in: Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. Aufl., Wien 1960, S. 355 – 444; Hans Kelsen, Die Illusion der Gerechtigkeit. Eine kritische Untersuchung der Sozialphilosophie Platons, Wien 1985 (posthum). 128 So Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 15. 129 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 20. 130 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 24. – Vgl. oben S. 97 – 99. 131 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 21. 132 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 22.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

sind.133 Anders dagegen verhält sich das positive Recht, das seine Erzeugung selbst regelt und offen für importierte metarechtliche Determinanten ist.134 Aus der Trennung von Recht und Moral, die den positivistischen Rechtsbegriff der Reinen Rechtslehre konsolidiert, folgt die Trennung von Vernunft und Wille. Ist das Recht in seinem Inhalt losgelöst von absoluten Moralvorstellungen, so liegt die Festlegung der Rechtsinhalte in der Hand dessen, der dazu befugt ist, Recht zu erzeugen. Bestimmend ist nicht mehr die objektivierte, d. h. vom Willen des Einzelnen unabhängige Vernunft, sondern einzig und allein der Wille des Normsetzers, der nicht unbedingt mit der Vernunft übereinstimmen muss, dies aber durchaus kann.135 Man darf auch an dieser Stelle nicht mutatis mutandis dem eben bei der Trennung von Recht und Moral angesprochenen Fehler von der angeblichen Amoralität des Rechts aufsitzen. Zugleich erteilt die Reine Rechtslehre so der „Lehre vom richtigen Recht“136 und „der einen richtigen Entscheidung“ eine Absage.137 4. Die Dynamik des Rechtsgewinnungsprozesses Die Dynamik des Rechtsgewinnungsprozesses lässt sich mit dem Stufenbau der Rechtsordnung darstellen, der durch das Grundnormmodell vervollständigt und abgeschlossen wird. a) Der Stufenbau der Rechtsordnung Grundaussage des Stufenbaus der Rechtsordnung ist das Bestehen eines Erzeugungszusammenhangs zwischen den einzelnen Rechtsnormen, der zugleich eine besondere Eigentümlichkeit des Rechts darstellt: „Das Recht regelt seine eigene Erzeugung; und zwar in der Weise, daß eine Rechtsnorm das Verfahren, in dem eine andere Rechtsnorm erzeugt wird, und – in verschiedenem Grade – auch den Inhalt der zu erzeugenden Norm regelt. … Die Beziehung zwischen der die Erzeugung einer anderen Norm bestimmenden und der bestimmungsgemäß erzeugten Norm kann in dem räumlichen Bild der Über- und Unterordnung dargestellt werden.“138

Aus der Erkenntnis, dass das Recht seine Erzeugungsbedingungen selbst regelt, folgt die weitere Erkenntnis:

133 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 63; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 198 – 200. 134 Dazu Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 64; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 198 – 200. 135 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 63 f.; deutlicher Kelsen, Reine Rechts2 lehre (Anm. 19), S. 197, 199 f., 202 f., 205 – 209. 136 Zu diesem alten Ideal und Traum der Juristerei grundlegend Rudolf Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, Berlin 1902. 137 Dazu Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 95 – Zitat dort. 138 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 74.

A. Die Reine Rechtslehre

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„Der Geltungsgrund einer Norm kann nur die Geltung einer anderen Norm sein.“139

Damit wird einerseits der Geltungsbegriff als spezifische Existenz einer Norm dahingehend präzisiert, dass Geltung Zugehörigkeit einer bestimmten Norm zu einer bestimmten Normordnung bedeutet.140 Andererseits entsteht ein Norm-Norm-Ableitungszusammenhang141, mit dem die einzelnen Rechtsnormen nach ihrem Entstehungszeitpunkt (genealogisch) und nach ihrer Hierarchie (derogatorische Kraft) geordnet werden können. Für den genealogischen Stufenbau bietet sich eine horizontale, einem Zeitstrahl entsprechende Darstellung an, während die herrschende Terminologie – zurückgehend auf Merkl – eine hierarchische und pyramidenförmige Illustration wählt. Für letztere spricht am ehesten, dass sie die Konkretisierung und Individualisierung des Rechtsinhalts im Verlauf des Rechtsgewinnungsprozesses142 abbildet. Unabhängig von der ohnehin nur illustrativen Darstellungsweise ergibt sich ein Stufenbau, der aus verschiedenen Rechtsschichten besteht. Schematisch dargestellt steht an oberster Stelle die Verfassung (als Grundnorm im materiellen Sinne)143, darunter stehen die Parlamentsgesetze, gefolgt von den materiellen Gesetzen wie Verordnungen und Satzungen, unter ihnen stehen die konkreten Einzelfallregelungen wie Verwaltungsakte und Rechtsgeschäfte, ganz am Ende folgt der Vollzugsakt. Der Stufenbau – oft als zu schematisch und unterkomplex kritisiert oder gar lächerlich gemacht144 – ist nur als Metapher für den nicht immer nach dem gleichen Muster ablaufenden Rechtsgewinnungsprozess zu verstehen. Auf ein Parlamentsgesetz muss nicht zwingend eine Rechtsverordnung folgen, es kann auch gleich ein Verwaltungsakt sein. Neben dem genealogischen Stufenbau nach dem Rechtserzeugungszusammenhang steht der Stufenbau nach derogatorischer Kraft. Er stellt das Abhängigkeitsverhältnis von Rechtsnormen danach dar, welche Rechtsnorm welcher Rechtsnorm derogiert, sprich ihre Geltung aufhebt. Dabei steht eine Rechtsnorm, die einseitig durch eine andere aufgehoben werden kann, in einem niedrigeren Rangverhältnis, Normen,

139

Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 196. Vgl. Lippold, Rechtsnormen (Anm. 118), S. 467. 141 Dieser Begriff z. B. bei Jestaedt, Theorie (Anm. 70), S. 42. 142 Der Inhalt des Rechts ist nicht schon von den ranghöheren Normen vollständig vorgegeben, sondern es besteht immer noch ein mehr oder minder großer Freiraum des Rechtsanwenders; dieser wird als Ermessen bezeichnet. Zum Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre ausführlich unten S. 111 – 170. 143 Zum Grundnormmodell sogleich unten S. 108 – 111. 144 Z. B. Winkler, Glanz und Elend (Anm. 21), S. 54 Anm. 162: „In einer kindlich anmutenden Weise verglich Merkl noch in seinen Vorlesungen die Konkretisierung des Rechts mit dem Nil und meinte, daß Recht sich von Stufe zu Stufe konkretisiere, wie der Nil von Katarakt zu Katarakt zu Tale fließe.“ (Hervorhebung im Original); vgl. dazu Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 115: „Der Fluß, der in Katarakten abfällt … gibt uns ein Vorbild der Rechtswerdung …“. 140

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

die sich gegenseitig aufheben können, sind gleichrangig.145 Da der Stufenbau nach derogatorischer Kraft immer eine Hierarchie abbildet, bietet es sich an, ihn ausschließlich vertikal darzustellen. b) Das Grundnormmodell Das Grundnormmodell vervollständigt nicht nur den Stufenbau der Rechtsordnung, sondern enthält auch die Stellungnahme der Reinen Rechtslehre zur Geltungsfrage der Rechtsordnung. aa) Die Funktion der Grundnorm Jede Treppe, sofern sie sich nicht als ein unbegrenztes Gebilde zu beiden Seiten in die Unendlichkeit erstreckt, muss einen Anfangs- und Endpunkt haben. Der Endpunkt ist mit dem Vollzugsakt gefunden. Er ist es, der am Ende des Rechtsgewinnungsprozesses die Verbindung – d. h. die Angleichung – zwischen dem in der Welt des Sollens hergestellten Inhalt einer Rechtsnorm und dem tatsächlichen menschlichen Verhalten in der Welt des Seins herstellt. Setzung und Wirksamkeit als Bedingung der Geltung führen als erste Brücke vom Sein ins Sollen, der Vollzugsakt ist die zweite Brücke zurück aus dem Sollen ins Sein. Die Regelung menschlichen Verhaltens verläuft demnach so, dass aus der Welt des Seins der Anstoß zum in der Welt des Sollens verlaufenden Rechtsgewinnungsprozess erfolgt, dessen Ergebnis wieder der Welt des Seins zugeführt wird. Um den sich durch den genealogischen Stufenbau ergebenden infiniten Regress nach der Frage der Geltung von Rechtsnormen „nach oben hin“ abzuschneiden, operiert die Reine Rechtslehre mit dem Konstrukt der Grundnorm, auf die sich alle Rechtsnormen eines Rechtssystems zurückführen lassen bzw. von der alle Rechtsnormen ableitbar sind, denn der Geltungsgrund einer Norm kann nur die Geltung einer anderen Norm sein.146 Diese Geltungsbegründung lässt sich im Übrigen auf jede – nicht unbedingt positivrechtliche – Normordnung anwenden, die mindestens zwei Normschichten hat. „Die Grundnorm einer positiven Rechtsordnung ist … nichts anderes als die Grundregel, nach der die Normen der Rechtsordnung erzeugt werden, die Ein-Setzung des Grundtatbestandes der Rechtserzeugung. Sie ist Ausgangspunkt eines Verfahrens; sie hat einen durchaus formal-dynamischen Charakter. Aus dieser Grundnorm lassen sich die einzelnen Normen des Rechtssystems nicht logisch deduzieren. Sie müssen durch einen besonderen Setzungsakt – der kein Denk-, sondern ein Willensakt ist – erzeugt werden.“147

145 Vgl. Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 468 f.; dazu auch Stoitzner, Stufenbau (Anm. 15), S. 63 – 67. 146 Vgl. Zitat oben S. 107 bei Anm. 139. 147 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 64.

A. Die Reine Rechtslehre

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bb) Die Grundnorm im formellen und im materiellen Sinne Zu trennen ist zwischen der eben angesprochenen Grundnorm im formellen Sinne und der Grundnorm im materiellen Sinne. Diese ist in einer modernen Rechtsordnung die Verfassung – in Deutschland ist es das Grundgesetz –, die für die auf ihrer Grundlage erzeugten Normen formelle und materielle Vorgaben gibt. Jene ist ein inhaltsleeres transzendental-logisches Konstrukt, eine Voraussetzung, die die Möglichkeit der Erkenntnis eröffnet, nicht aber ein Teil der Rechtsordnung, sie ist keine positive Rechtsnorm.148 Mit der Grundnorm im formellen Sinne wird – metaphorisch – die Mikroskopeinstellung vorgenommen, die die Betrachtung und Ordnung einer Anzahl von Rechtsnormen als eine und zu einer Rechtsordnung erst ermöglicht. Die Grundnorm ist Standortwahl, die keinen weiteren Voraussetzungen mehr unterliegt. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die Grundnorm im formellen Sinne zwar einen integralen und in ihren eben dargestellten Konsequenzen richtungsweisenden, aber jenseits der Geltungsbegründung der Verfassung keinen zentralen Pfeiler im Gebäude der Reinen Rechtslehre bildet. Die Geltung der übrigen Normen von Unterverfassungsrang lässt sich von der Verfassung ableiten. cc) Die Grundnorm und die Geltung der Rechtsordnung Zunächst bezeichnete Kelsen die Grundnorm als Hypothese,149 später als Fiktion . Logischerweise ist dann auch die Geltung jeder einzelnen Norm einer Rechtsordnung eine rein hypothetische bzw. eine fiktive. Mit ihrer Geltungsbegründung durch die Grundnorm verengt die Reine Rechtslehre ihren Fokus auf die normative Perspektive und bleibt insofern konsequent. Indem sie aber auch nur eine normative Erklärung liefern kann und will, bleibt sie für den nicht nur mit der normativen, sondern auch insbesondere mit der soziologischen Methode operierenden (Rechts-) Wissenschaftler152 freilich unbefriedigend. Die Grundnorm ist eine Behelfskonstruk150 151

148

Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 204 – 209; Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 206 f.; vgl. auch Lippold, Recht und Ordnung. Statik und Dynamik der Rechtsordnung, Wien 2000, S. 499. 149 Zum Charakter der Rechtsnorm als hypothetisches Urteil – mit der Folge, dass auch die Grundnorm hypothetischen Charakter haben muss – Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 326, 342, 344 – 351, 369, 372 f., 376, 382, 457 Anm. 1, 476 f., 511, 512, 529, 553, 574, 608, 644, 662, 826; Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 77, 85; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 73. 150 Vgl. Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 206 f. 151 Zum Begriffswandel Robert Walter, Entstehung und Entwicklung der Grundnorm, in: Robert Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 47 – 59 (54 – 57). 152 So insb. die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“, programmatisch Andreas Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard SchmidtAßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden. Maßstäbe. Aufgaben. Organisation, München 2006, § 1 Rn. 1, 16 – 47.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

tion, um die Münchhausenbegründung, dass das Recht selbst seine Geltung anordnet, mit einer normativen Erklärung abzuschneiden.153 Die Geltungsbegründung mit der Grundnorm birgt ein weiteres Grundproblem: Wenn die Grundnorm, die nicht positivrechtlich ist, nur vom Rechtsbetrachter vorausgesetzt wird, kann sie auch keine positivrechtliche Geltung begründen, sondern nur eine wissenschaftsökonomische Geltung im Sinne eines erhofften Erkenntnisgewinns schaffen. Andernfalls würde die Rechtswissenschaft als Rechtsautorität auftreten, was nach dem Wissenschaftsbegriff der Reinen Rechtslehre nicht ihre Aufgabe ist, es sei denn, sie wäre dazu vom positiven Recht selbst ermächtigt.154 Selbst wenn eine solche positivrechtliche Ermächtigung bestünde, so nützte sie nichts, da sie erst mit der Ingeltungssetzung durch die Rechtswissenschaft Geltung erlangen würde und somit der Rechtswissenschaft mangels eigener Geltung wiederum keine Ermächtigung verschaffen könnte. dd) Die Geltungsfrage in der Aporie Die Reine Rechtslehre kann am Ende die Geltungsfrage auch nicht beantworten, sondern sie nur abschneiden. Die Frage ist allein, ob andere Geltungsbegründungsansätze überzeugender sind. Auf einer kurzen tour d’horizon begegnen uns die Lehre von der verfassunggebenden Gewalt des Volkes155 und die Theorie von der normativen Kraft des Faktischen156. Während erstgenannte „als ein Klapperstorchmärchen für Volljuristen“157 von Juristengeneration zu Juristengeneration tradiert wird und die metaphysischen Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt, bietet letztere für die im Äther des Sollens schwebenden Rechtsnormen wenigstens einen Anker in der empirisch erfahrbaren Welt des Seins. Auch wenn die Theorie der normativen Kraft des Faktischen der fruchtbarste Ansatz zu sein scheint, bleibt er dem Standpunkt der Reinen Rechtslehre versperrt, da er die Trennung von Sein und Sollen aufhebt.

153

Zum Behelfscharakter der Grundnorm Lippold, Rechtsordnung (Anm. 148), S. 335 f., 494 – 499 (insb. 495), 533. – Norbert Hoerster lehnt die Grundnorm als überflüssig ab, da sie die Legitimität und Effektivität einer Rechtsordnung nicht herstellen könne, vgl. Norbert Hoerster, Hans Kelsens Grundnormlehre kritisch betrachtet, in: Juristenzeitung 63 (2008), S. 1023 – 1027 (insb. 1026 f.); dabei verkennt er jedoch die alleinige Funktion der Grundnorm als transzendentales Instrument. 154 Vgl. ergänzend oben S. 94 bei Anm. 55 und S. 95 bei Anm. 64. 155 Von den antiken Wurzeln bis zur Wirkung der Lehre von der verfassunggebenden Gewalt des Volkes in der französischen Revolution ausführlich Egon Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constituant. Ein Beitrag zum Staatsrecht der französischen Revolution, Tübingen 1909; zu ihrer Rolle im modernen Verfassungsstaat und ihr Bezug zum Grundgesetz Josef Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung, Opladen 1995. 156 Grundlegend Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1. Aufl., Berlin 1900, S. 307 – 328; vgl. auch G. Jellinek, Staatslehre3 (Anm. 74), S. 337 – 364. 157 Isensee, Verfassungsgrund (Anm. 155), S. 73.

B. Der Ermessensbegriff

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ee) Macht als Geltungsbegründung Die Reine Rechtslehre jedoch der Realitätsblindheit zu beschuldigen, greift zu kurz. Kelsen war durchaus klar, dass es auch außerhalb des positiven Rechts Geltungsbegründungen gibt: „Die Frage, die auf das Naturrecht zielt, ist die ewige Frage, was hinter dem positiven Recht steckt. Und wer die Antwort sucht, der findet, fürchte ich, nicht die absolute Wahrheit einer Metaphysik noch die absolute Gerechtigkeit eines Naturrechts. Wer den Schleier hebt und sein Auge nicht schließt, dem starrt das Gorgonenhaupt der Macht entgegen.“158

Die Macht als Geltungsbegründung lehnte Kelsen jedoch ab. So schrieb er 1934 im Vorwort der ersten Auflage seiner „Reinen Rechtslehre“: „Wenn ich es dennoch wage, in dieser Zeit das Ergebnis meiner bisherigen Arbeit am Problem des Rechtes zusammenzufassen, so geschieht es in der Hoffnung, daß die Zahl derer, die den Geist höher schätzen als die Macht, größer ist, als es heute scheinen möchte; geschieht es vor allem in dem Wunsche, daß eine jüngere Generation in dem wilden Lärm unserer Tage nicht ganz ohne den Glauben an eine freie Rechtswissenschaft bleibe, in der festen Überzeugung, daß deren Früchte einer ferneren Zukunft nicht verloren gehen werden.“159

Kelsen war – wie auch Merkl – außerhalb seiner Rechtstheorie ein Anhänger des alten Menschheitstraumes, dass nicht Menschen, sondern (positive) Gesetze herrschen sollen und Macht durch die Vernunft gebändigt sei.160

B. Der Ermessensbegriff I. Problemaufriss In seinem jahrzehntelangen rechtswissenschaftlichen Wirken räumte Hans Kelsen der Ermessensproblematik prima facie keinen großen Raum ein. Vielmehr behandelte er sie en passant an den Stellen, an denen sie sich in den Gang seiner Gedanken einfügte.161 Eine Monographie oder einen Aufsatz eigens zum Problemkreis des Ermessens verfasste Kelsen nie. Das Ermessen aus der Sicht der Reinen Rechtslehre griff Adolf Julius Merkl 1927 ausführlicher in seinem Lehrbuch des allgemeinen Ver-

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Hans Kelsen, Aussprache, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 3 (1927), S. 53 – 55 (55 – Hervorhebung im Original). 159 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. XV – Hervorhebung nicht im Original. – Parallelen zu Kelsens Demokratiecredo sind unübersehbar, vgl. unten bei S. 270 – 272. 160 Vgl. ergänzend unten S. 136 f. 161 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 651 – 662; Kelsen, Staatslehre (Anm. 3), S. 88, 242 – 244; Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 99, 103, 112; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 238, 250, 257, 286, 299; Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 151 f., 192 f., 217, 302, 304 f., 324 f.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

waltungsrechts auf.162 Doch daneben bearbeitete er es wie Kelsen nicht in einer gesonderten Abhandlung, sondern behandelte es im Zuge seiner Forschungen zur Methodik und zum Stufenbau der Rechtslehre mit.163 Allein Alfred Verdroß widmete 1914 dem Ermessen einen Aufsatz, indem er den – damals noch jungen – Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre mit dem der Freirechtsbewegung verglich und Gemeinsamkeiten und Unterscheide herausarbeitete.164 Nichtsdestotrotz ist das Ermessen ein wichtiges Element in der Reinen Rechtslehre, das zwar selten ausdrücklich behandelt wird, zu dem aber allerorts Gedanken (mit) angestellt werden. Das liegt daran, dass die Reine Rechtslehre das Ermessen nicht als einen (gar außerrechtlichen) Topos unter vielen anderen Problemkreisen einordnet, sondern als integralen Bestandteil des Rechtsgewinnungsprozesses und des Stufenbaus der Rechtsordnung versteht. Damit schwenkt aber der Blick von der traditionellen sedes materiae der Ermessensdiskussion, dem Verwaltungsrecht, hinaus auf alle Rechtsgebiete. Am Ermessensbegriff lässt sich zudem verfolgen, wie sich die Reine Rechtslehre von der statischen Rechtsbetrachtung löst und das in ihr von Anfang an in Kelsens „Hauptproblemen“ angelegte dynamische Rechtsgewinnungsbild165 entdeckt. Dabei berührt die Ermessensproblematik auch die Themenkreise der Interpretationslehre166 sowie der Rechtskraft und des Fehlerkalküls, sprich die Frage nach dem Begriff und dem Regime der Rechtswidrigkeit167.168 Insgesamt zeigt sich deutlich der Charakter der Reinen Rechtslehre als Gemeinschaftsprojekt, da Kelsens Schüler Merkl insbesondere die in der Rechtswissenschaft bereits rudimentär vorhandene Erkenntnis des Stufenbaus der Rechtsordnung zu einem tragfähigen Gedankengebäude ausarbeitete, dem Kelsen später nur noch seinen Platz in der Reinen Rechtslehre zuzuweisen brauchte.

162

Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 140 – 157. Insb. Adolf Julius Merkl, Das doppelte Rechtsantlitz. Eine Betrachtung aus der Erkenntnistheorie des Rechts (1918), in: Hans Klecatsky/Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, Bd. 1, Wien u. a. 1968, S. 1091 – 1113 (1097); Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 96 f.; angedeutet in Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1325. 164 Alfred Verdroß, Das Problem des freien Ermessens und die Freirechtsbewegung, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1 (1914), S. 616 – 644. 165 Zur statischen und dynamischen Rechtsbetrachtung bei Kelsen unten S. 158 f. 166 Dazu Adolf Julius Merkl, Zum Interpretationsproblem (1916), in: Hans Klecatsky/Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, Bd. 1, Wien u. a. 1968, S. 1059 – 1077. 167 Dazu Adolf Julius Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft entwickelt aus dem Rechtsbegriff. Eine rechtstheoretische Untersuchung, Leipzig und Wien 1923. 168 Zu Rechtswidrigkeit, Fehlerkalkül und Rechtskraft unten S. 146 – 153. 163

B. Der Ermessensbegriff

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II. Der Grundstein: Der Ermessensbegriff Hans Kelsens in den „Hauptproblemen“ (1911) Die ersten Überlegungen zum Ermessensbegriff stellte Kelsen 1911 in seiner Habilitationsschrift an. Dort behandelte er das „Problem des sogenannten ,freien ErmessensГ als Exkurs unter der Perspektive, was für die Rechtskonstruktion relevant ist.169 Sein Ansatzpunkt ist die Herstellung von Reinheit durch die Ausscheidung all dessen aus dem Rechtswissenschaftsbegriff, was Politik ist: „Denn die juristische Konstruktion hat keine andere Basis als die Rechtsordnung; was nicht in dieser ist, kann nicht in jener erscheinen … [,] dann kann die politische Überlegung dies billigen, wenn auch die Jurisprudenz es niemals konstruieren kann.“170

Zunächst rügt Kelsen am Beispiel der Schriften Rudolf von Launs die Konturlosigkeit, Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit des damals herrschenden Ermessensbegriffs, der Ermessen zugleich als Tätigkeit (Verhalten) und Zustand (Freiheit von Normen) sowie als Positivum (Gebundenheit durch die Rechtsordnung) und Negativum (Freiheit von der Rechtsordnung) verstand.171 Kelsens Interesse am Ermessen kommt aber primär aus einer anderen Richtung: Eine Handlung muss als in einem Rechtssatz gewollt nachgewiesen sein, um als Staatshandlung gedeutet werden zu können. Die Voraussetzungen dieser Handlung sind aber in der Rechtsordnung niemals ganz vorherbestimmt: „Sowohl die Bedingungen, unter denen der Staat handeln will, als auch die Art und Weise seines Handelns selbst sind im Rechtssatze niemals allseitig determiniert; vielmehr ist in der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des staatlichen Willens im konkreten Falle gegeben sind und die der Realisierung des staatlichen Willens selbst dem zur Handlung verpflichteten Staatsorgane stets ein mehr oder weniger weiter Spielraum gegeben, das Organ ist in der einen oder anderen Richtung seines Verhaltens nicht gebunden.“172

Weil die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden die Ausführung eines fremden Willens – des staatlichen Willens, in diesem Fall der des Gesetzgebers – ist, „muß die in der Differenz zwischen dem Inhalte der den staatlichen Willen ausdrückenden Rechtsordnung und der die staatlichen Handlungen setzenden Verwaltung begründete Ermessensfreiheit der Organe gegeben sein“173.

Eine Regelung der Ausführung bis ins kleinste Detail ist unmöglich, wie Kelsen am Beispiel der Anweisung, ein Buch auf einen Tisch zu legen, verdeutlicht: An wel169

Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 651 – Zitat dort. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 650. 171 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 651 f. Anm. 1 – Kelsen setzt sich dort auseinander mit Rudolf von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, Leipzig und Wien 1910. 172 Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 653 – Hervorhebung nicht im Original. 173 Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 654. 170

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

che Stelle und mit welcher Hand dies erfolgen soll, lässt sich noch anordnen, spätestens aber welche Muskelbewegungen zu geschehen haben, ist nicht vorhersehbar.174 Damit gelangt Kelsen zu folgender Definition des (Verwaltungs-)Ermessens: „Das freie Ermessen der Staatsorgane ist nichts anderes als die notwendige Differenz zwischen dem Inhalte des abstrakten Staatswillens in der Rechtsordnung und der konkreten Staatshandlung in der Verwaltung, der Exekutive.“175

Aus der Perspektive der Rechtskonstruktion – dem Hauptinteresse Kelsens – umfasst freies Ermessen „gerade jene Sphäre der Organtätigkeit …, bei welcher eine Relation zur Rechtsordnung [eben wegen der rechtlichen Nichtdeterminierung] nicht gegeben ist, somit jede rechtliche Relevanz fehlt“176. Im Folgenden verortet Kelsen das freie Ermessen in der Normstruktur, wobei er vom konditionalen Rechtssatz als Standardfall ausgeht. Ermessen kann sich nach den Hauptbestandteilen des Rechtssatzes sowohl auf die Feststellung des bedingenden Tatbestandes als auch auf die Realisierung des bedingten Staatswillens, d. h. auf die Rechtsfolgen, beziehen oder auch in beiden Bestandteilen zugleich auftreten.177 Der Ermessensbegriff der „Hauptprobleme“ umfasst also das Tatbestandsermessen – nach heute herrschender Begrifflichkeit den unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite –, das Rechtsfolgeermessen und die so genannten Koppelungsvorschriften. Allein das Planungsermessen in final programmierten Rechtsnormen und das Regulierungsermessen finden angesichts Kelsens auf konditional programmierte Rechtsnormen zugeschnittenen Rechtssatzbegriffs keine Erwähnung. Beide lassen sich aber insofern miteinbeziehen, als solche Rechtsnormen ebenso unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten und den Rechtsanwender auf dem Weg zur Erreichung des in der Norm vorgegebenen Ziels nur wenig determinieren. Das positive Recht kann eine Ermessensermächtigung entweder ausdrücklich einräumen oder aber trotz vermeintlicher Determinierung durch den Wortlaut der Norm einen Ermessensspielraum indirekt eröffnen.178 Damit macht Kelsen deutlich, dass die Einräumung von Ermessen und das Ermessen selbst keine außerrechtlichen Phänomene sind, sondern vom positiven Recht selbst bedingt sein müssen und erteilt insofern allen metarechtlichen Begründungsansätzen eine Absage. War der Ermessensbegriff bisher auf die Verwaltung beschränkt, dehnt ihn Kelsen nun auch auf andere Staatsfunktionen aus. Da Ermessen Freiheit von rechtlicher Determiniertheit ist, macht es für die juristische Konstruktion keinen relevanten Unterschied, ob das „freie Ermessen“ einem richterlichen oder einem Verwaltungsorgan zusteht.179 In den „Hauptproblemen“ hat sich Kelsen noch nicht vollständig von 174 175 176 177 178 179

Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 654. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 654 – Hervorhebungen im Original. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 655 – Hervorhebung im Original. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 654 f. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 655. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 655.

B. Der Ermessensbegriff

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der statischen Rechtsbetrachtung gelöst. Daher kennt er noch kein Ermessen des Gesetzgebers, für das eine Verfassung mit Vorrang Voraussetzung ist. Indem Kelsen aber Spielräume im Rechtsgewinnungsprozess (an)erkennt, sind die Sollbruchstellen im Bild des statischen Rechtsgewinnungsprozesses bereits angelegt. Aus der Funktion des Rechts als Deutungsschema tatsächlichen menschlichen Verhaltens180 lehnt Kelsen eine qualitative Unterscheidung von Ermessenskategorien ab: „Da jeder Akt eines Staatsorganes, soferne er ein Staatsakt ist, d. h. dem Staate zugerechnet werden soll, irgendwie, wenn auch durch einen noch so inhaltarmen Blankettrechtssatz determiniert sein muß, weil sonst ja eine Zurechnung zum Staate gar nicht möglich ist, da weiter jeder Staatsakt der Exekutive [und auch der Legislative sowie des Richters] in einem gewissen, wenn auch noch so geringen Maße im freien Ermessen stehen muß, da zwischen der abstrakten Rechtsnorm und der konkreten Organhandlung notwendig eine gewisse Differenz besteht, so können sämtliche Staatsakte sich in bezug auf das freie Ermessen niemals prinzipiell sondern nur graduell, nicht qualitativ, sondern nur quantitativ von einander unterscheiden.“181

Ein Umschlagen von Qualitäten in Quantitäten ist rechtlich nicht zu konstruieren und hat höchstens heuristischen Wert. Indem Kelsen seine Überlegungen zum Ermessen auf Staatsakte beschränkt, verschließt er sich der Betrachtung von privatrechtlichen Akten und der Beantwortung der Frage, ob auch die notwendig teilweise Nichtdeterminierung desjenigen Rechtsanwenders, der nicht Staatsorgan ist, als freies Ermessen zu bezeichnen ist. Obwohl Kelsen von einem „freien Ermessen“ spricht, erkennt er dennoch Grenzen desselben an. Dem muss denknotwendigerweise so sein, da Ermessen rechtliche Nichtdeterminierung bedeutet, es also einen rechtlich determinierten Rahmen geben muss, der die Grenzen zum rechtlich nichtdeterminierten Bereich absteckt. Andernfalls wäre Ermessen rechtlich nicht konstruierbar und als solches rechtswissenschaftlich nicht zu erfassen. Dieser Rahmen ist „unverrücklich durch die Rechtsnormen gegeben, deren Inhalt aus den positiven Gesetzen mit allen erlaubten Mitteln der Interpretation herauszuholen ist“182. Zu den Interpretationsmitteln macht Kelsen in seinen „Hauptproblemen“ nur spärliche Ausführungen, später befasste er sich etwas ausführlicher mit Interpretations(theorie)fragen.183 Das Hauptinteresse Kelsens liegt hier wie auch später in der Abgrenzung des positiven Rechts vom Rechtsmoralismus – gemeint ist damit eine Rechtslehre, die, wie beispielsweise die Naturrechtslehre, entweder offen oder als Positivismus getarnt die Inhalte der Rechtsordnung wenigstens teilweise einer höheren, ihr transzendenten Instanz, wie der Religion, der Vernunft oder der Moral und nicht allein der Rechtsordnung selbst entnimmt – 180

Zum Recht als Deutungsschema oben S. 98 f. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 655 f. – Hervorhebung im Original. 182 Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 657 – Hervorhebung teilweise im Original, ergänzend S. 659. 183 Zur Interpretationslehre Kelsens unten S. 160 – 165. 181

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

und der formalen Strukturbeschreibung des Rechts, weniger in konkreten Methodenfragen: „Ob man bei dieser Gewinnung von Rechtssätzen aus den Gesetzen eines bestimmten Staates nicht an den strengen Wortlaut der Rechtsquellen gebunden ist, sondern auch aus dem Geist und inneren Zusammenhang, aus den vom „Gesetzgeber“ für selbstverständlich angenommenen Voraussetzungen Rechtssätze konstruieren darf, ist in diesem Zusammenhange von nebensächlicher Bedeutung. Denn bei dem Dilemma: Positivismus oder Naturrecht, kommt es nicht darauf an, wie, d. h. auf welchem Wege, mit welchen Interpretationsmitteln der Inhalt der Rechtsnormen aus den Rechtsquellen gewonnen, sondern daß dieser Inhalt prinzipiell nur aus den positiven Gesetzen hergeleitet wird, daß jede Rechtsnorm ihren konkreten Inhalt ausschließlich und allein durch Berufung auf die positiven Gesetze legitimiert. Ob dieses formale Kriterium auch eine sichere materielle Grenze zwischen Positivismus und Naturrecht bietet, kann hier dahingestellt bleiben.“184

Zwar weist Kelsen später immer wieder auf die Unzulänglichkeit der herrschenden Methodenlehre hin185 und befasst sich mit der Interpretation von Normen,186 konkrete Methodenfragen überlässt er hingegen weitgehend der Bearbeitung durch Merkl.187 Erst in seiner „Allgemeinen Theorie der Normen“ befasst sich Kelsen genauer mit solchen Methodenfragen, ohne jedoch eine eigene Methodenlehre zu entwickeln.188 Ob die Reine Rechtslehre einer spezifischen Interpretationsmethode bedarf und sich Interpretationsregeln rechtlich fassen lassen, ist eine andere Frage.189 Indem Kelsen der Frage nach der Bestimmung der Grenzen des Ermessensspielraums so wenig Interesse entgegenbringt, schneidet er sich auch die Frage nach einer spe-

184

Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 659 – Hervorhebungen im Original. Kelsen verwirft die subjektiv-historische Auslegung mit dem Argument, dass die Normierungsmotive des Gesetzgebers für die juristische Konstruktion irrelevant seien, da es einzig und allein auf den im Rechtssatz tatsächlich ausgedrückten Willen des Normsetzers ankomme, vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 728. 186 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 96 f.; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 349 f. – Der Beitrag Hans Kelsen, Zur Theorie der Interpretation (1934), in: Hans Klecatsky/Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, Bd. 2, Wien u. a. 1968, S. 1363 – 1373, hat keine eigenständige Bedeutung, da er bis auf einige wenige kleine, den Sinn nicht berührende Änderungen (vgl. S. 1363, 1365, 1369) und die Einfügung eines erläuternden Absatzes (S. 1363 f.: „Im Verhältnis zwischen Verfassung … bestimmt.“) wortgleich mit dem sechsten Kapitel „VI. Die Interpretation“ der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 90 – 106) ist; Robert Walter, Das Auslegungsproblem im Lichte der Reinen Rechtslehre, in: Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag, Bd. 1: Rechtsphilosophie. Rechtstheorie, Köln 1983, S. 187 – 197 (189), scheint dagegen von einer eigenständigen Bedeutung auszugehen. 187 Insb. Merkl, Interpretationsproblem (Anm. 166); Merkl, Anwendung (Anm. 124). 188 Dazu Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 216 – 220, jedoch unter der Fragestellung nach einer spezifischen juristischen Logik, deren Existenz Kelsen ablehnt (S. 220). – Einschränkend Walter, Auslegungsproblem (Anm. 186), S. 190, der meint, dass Kelsen hier auf die Auslegungsproblematik nicht näher eingeht. 189 Dazu unten S. 135 – 146, 160 – 165. 185

B. Der Ermessensbegriff

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zifischen Ermessensfehlerlehre der Reinen Rechtslehre ab. Eine solche zu entwickeln blieb wiederum Merkl vorbehalten.190 Die Ausfüllung des das freie Ermessen absteckenden Rahmens ist kein juristisches, sondern ein moralisches bzw. politisches Problem.191 Es lässt sich nicht durch die Implementierung von „natürlichen Rechtsgrundsätzen“ oder anderen als rechtlich etikettierten metarechtlichen, d. h. nichtpositiven Determinanten verrechtlichen. Das Spezifikum des Ermessens ist gerade die rechtliche Nichtdeterminiertheit. Damit wäre die rechtliche Konstruktion des „freien Ermessens“ erledigt. Das versuchte – der von Kelsen dafür stark kritisierte192 – von Laun mit seiner Konstruktion äußerer und innerer Ermessensgrenzen zu verhindern193 und darf somit als einer der geistigen Väter der heute absolut herrschenden Ermessensdogmatik gelten. Er steht stellvertretend für die Versuche, das Dilemma von Naturrecht und Rechtspositivismus zu überwinden, wobei er übersieht, dass es sich dabei nicht um eine Frage der Interpretationsmethode, sondern des Gegenstandes der Interpretation handelt.194 Über die Tautologie des Begriffs des „freien Ermessens“ stellt Kelsen keine Gedanken an, obwohl er gerade davon ausgeht, dass bereits allein der Begriff „Ermessen“ Freiheit von rechtlicher Determinierung bedeutet. Vielmehr verwendet er sein gesamtes wissenschaftliches Werk hindurch – offensichtlich aus Gewohnheit – immer wieder den Begriff des „freien Ermessens“.195 Mit Kelsens Ausführungen in seinen „Hauptproblemen“ sind die Grundlinien des Ermessensbegriffs der Reinen Rechtslehre gezogen. Damit war Kelsens Interesse am Ermessensbegriff erschöpft, Detailfragen verfolgte er nicht weiter. Die Weiterentwicklung des Ermessensbegriffs übernahmen im Folgenden seine Schüler Verdroß196 und insbesondere Merkl, der mit seinen Arbeiten zum Stufenbau der Rechtsordnung,197 der Interpretationslehre198 und dem allgemeinen Verwaltungsrecht199 für die Reine Rechtslehre zwar nichts revolutionär Neues hervorbrachte, aber viel zur Präzisierung der Begrifflichkeit und zur Klärung in Detailfragen beitrug.

190 Dazu Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 363 – 391, insb. 384 – 387; ergänzend unten S. 154 – 157. 191 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 657; vgl. auch oben S. 113 bei Anm. 170. 192 Dazu Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 657 – 659 Anm. 1. 193 Vgl. von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 171), S. 114. 194 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 659. 195 So Kelsen, Staatslehre (Anm. 3), S. 88, 242 – 244; Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 91, 99, 112; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 238, 257, 286; Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 217. 196 Vgl. Verdroß, Ermessen (Anm. 164). 197 Insb. Merkl, Anwendung (Anm. 124); Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163); Merkl, Prolegomena (Anm. 15). 198 Dazu Merkl, Interpretationsproblem (Anm. 166). 199 Dazu Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46).

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

III. Alfred VerdroßÏ Bearbeitung des Ermessensbegriffs der Reinen Rechtslehre Verdroß arbeitete den Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre in Abgrenzung zur Freirechtsbewegung heraus, wobei er auch die Unterscheidung von „freiem“ und „gebundenem Ermessen“ sowie das „öffentliche Interesse“ als Ermessensregulator aufgriff. Sein Ausgangspunkt ist die logische Geschlossenheit des Rechtssystems, die auf einem Rechtserkenntnisgrund beruht, auf den sich alle Rechtsnormen formal zurückführen lassen.200 Ebenso wie Kelsen201 lehnt er angesichts der unendlichen Bandbreite der Vorgehensmöglichkeiten bei der Ausführung eines Normbefehls eine vollständige Determinierung durch eine Rechtsnorm ab.202 Für die Wahl zwischen diesen verschiedenen Vorgehensmöglichkeiten, die wegen des Normbefehls getroffen werden muss, fehlt ein rechtlicher Maßstab.203 Auf die faktische Variationsmöglichkeit kommt es nicht an, maßgeblich allein ist die rechtliche Bindung. Juristisch besteht daher kein Unterschied zwischen „freiem Ermessen“, „gebundenem Ermessen“, „Verwaltungsermessen“ und „richterlichem Ermessen“, da alle diese Ermessenskategorien nur auf den Umfang der Bindung bzw. die Kompetenzfrage abstellen, strukturell jedoch gleichwertig sind. Das „öffentliche Interesse“, soweit als metarechtliche Bindung verstanden, lehnt er als Vermengung von Recht und Gerechtigkeit ab. Damit kommt Verdroß zu folgender Definition des von ihm immer noch pleonastisch bezeichneten „freien Ermessens“: „Freies Ermessen liegt nämlich immer dann vor, wenn und insoweit bei der Handlung eines Organs – sei es für die ganze, sei es für einen Teil derselben – nur eine formale, aber keine inhaltliche Relation zur Rechtsordnung gegeben ist.204 Für die inhaltliche Ausfüllung der Ermessenssphäre können daher nur außerrechtliche Normen gelten.“205

IV. Adolf Julius Merkls präzisierende Beiträge zum Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre und den sich anschließenden Problemkreisen206 Kelsen zeichnete in den „Hauptproblemen“ (1911) die Grundlinien der Reinen Rechtslehre vor. Die Ausarbeitung einzelner Thematiken übernahmen seine Mitstreiter, allen voran Adolf Julius Merkl. 200

Vgl. Verdroß, Ermessen (Anm. 164), S. 625. Vgl. oben S. 113 f. bei Anm. 174. 202 Vgl. Verdroß, Ermessen (Anm. 164), S. 628. 203 Vgl. Verdroß, Ermessen (Anm. 164), S. 629. 204 Verdroß, Ermessen (Anm. 164), S. 638 – Hervorhebung im Original. 205 Verdroß, Ermessen (Anm. 164), S. 639 – Hervorhebung im Original. 206 Zu Merkls wichtiger Rolle in der Entwicklung der Reinen Rechtslehre Gabriele KucskoStadlmayer, Der Beitrag Adolf Merkls zur Reinen Rechtslehre, in: Robert Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 107 – 121. 201

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1. Das „freie Ermessen“ im Stufenbau der Rechtsordnung: Die Entwicklung von der statischen zur dynamischen Rechtsbetrachtung207 Ähnlich wie bei Verdroß208 ist auch Merkls Ausgangspunkt die Frage nach der Einheit und Kontinuität von Staaten, die er abseits der sozio-historischen Betrachtung juristisch konstruieren will.209 Diese Fragestellung ist in Österreich angesichts der durch die Doppelmonarchie turbulent verlaufenen Verfassungsgeschichte und wegen des Untergangs der Monarchie im Jahre 1918 von großer Aktualität gewesen.210 Merkl reduziert – Kelsen folgend211 – den Staat auf das Recht.212 Die Einheit des Staates im rechtlichen, d. h. für die Rechtskonstruktion relevanten und rechtlich greifbaren Sinne stellt er über die Rückbeziehbarkeit auf eine Verfassung her:213 „Erkenntnisgrund der Staatseinheit ist für den Juristen die Rechtseinheit.“214 a) Merkls Kritik an der Gesetzesfixiertheit Gegenstand von Merkls Kritik ist zunächst die damals herrschende Gesetzesfixiertheit und die Ansicht, dass Recht etwas Vorfindbares oder Vorgegebenes und nicht etwas zufälliges (kontingentes), historisch Gewordenes sei. Merkl wendet sich von Rechtsinhaltsbeschreibungen ab und greift zugleich die als rechtswesenhaft verstandene Aufteilung in Zivil-, Straf- und Öffentliches Recht an, die sich allein nach dem Inhalt dieser Rechtsmaterien richtet.215 Er kritisiert das „mit Unrecht so sehr in den Vordergrund gerückte Gesetz als Mittelglied“216, den „Mißgriff dieser Jurisprudenz, die den gesamten Rechtsstoff in das Prokrustesbett des Gesetzes preßt“217 und richtet seinen Blick auf die Rechtsebenen. Damit führt Merkl den Gedanken eines 207 Vgl. aus der Sekundärliteratur insb. Robert Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung. Eine rechtstheoretische Untersuchung auf Grundlage der Reinen Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1974; Jürgen Behrend, Untersuchungen zur Stufenbaulehre Adolf Merkls und Hans Kelsens, Berlin 1977. 208 Vgl. oben S. 118 bei Anm. 200. 209 Adolf Julius Merkl, Die Rechtseinheit des österreichischen Staates. Eine staatsrechtliche Untersuchung auf Grund der Lehre von der lex posterior (1918), in: Hans Klecatsky/Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, Bd. 1, Wien u. a. 1968, S. 1115 – 1165 (1115 – 1120). 210 Vgl. Merkl, Rechtseinheit (Anm. 209), S. 1142 – 1165. 211 Zur Identität von Staat und Rechtsordnung bei Kelsen vgl. Kelsen, Staatslehre (Anm. 3), S. 76; Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 117 – 121; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 289 – 320; ergänzend unten S. 140 f. in Anm. 363. 212 Vgl. Merkl, Rechtseinheit (Anm. 209), S. 1121. 213 Vgl. Merkl, Rechtseinheit (Anm. 209), S. 1122. 214 Merkl, Rechtseinheit (Anm. 209), S. 1124. 215 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1091. 216 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1092. 217 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1094.

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Stufenbaus, einer Rechtspyramide ein. Er stützt sich auf die Erkenntnis, dass die Verfassung (als Grundnorm im materiellen Sinne) als gemeinsame und einende Basis der Rechtsordnung dient.218 Unter der Verfassung stehen die Gesetze, denen Verordnungen und alle übrigen (individuell-konkreten) Rechtsnormen folgen, wobei Merkl letztere als Rechtsgeschäfte bezeichnet.219 Ob man diesen Stufenbau mit der Verfassung (als Grundnorm im materiellen Sinne)220 – gleichsam als Wurzel – ganz unten und damit einer Pflanze ähnlich beschreibt, oder als Pyramide, an deren Spitze die Grundnorm steht, ist letztlich egal, da das Bild des Stufenbaus nur zur Illustration dient. Ebenso kann man sich einen Zeitstrahl vorstellen, auf dem in der Horizontalen die Normen nach ihrem Entstehungsdatum chronologisch aufgetragen werden. Am Ende erscheint die Pyramide mit der Grundnorm an der Spitze aber die beste Darstellungsform zu sein, da sie zum einen die Quelle in ihrer Wichtigkeit zeigt und die sich aus dem positiven Recht ergebende Hierarchie aller Rechtsnormen in Bezug auf ihre Entstehung darstellt. Damit ist der wichtigste Punkt aufgezeigt: der Norm-Norm-Ableitungszusammenhang. Merkl spricht hier von „zwei voneinander abgeleitete[n] Rechtsgestalten“221. b) Das Gesetz als Mittelstufe im genealogischen Stufenbau der Rechtsordnung Indem Merkl das Gesetz (nur) als Mittelstufe anerkennt, gelangt er notwendigerweise zu einem arbeitsteiligen222 Konkretisierungprozess im Verlauf des Stufenbaus der Rechtsordnung von der obersten Stufe hin zur untersten,223 da das Gesetz das Recht – und die Regelung des konkreten Einzelfalls – noch nicht in vollständiger Prägung enthält.224 Damit ist zugleich die Abwendung von der materiell orientierten hin zur formalen Betrachtung vollzogen. In den Fokus rückt die Rechtsform,225 der Rechtsinhalt – als kontingentes Phänomen erkannt – tritt in den Hintergrund.226 Auch die Trennung von Gesetz und Recht ist angelegt: Alles Gesetz ist Recht, aber nicht alles Recht ist auch Gesetz.227 218

Vgl. Merkl, Rechtseinheit (Anm. 209), S. 1122. Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1092 Anm. 2. 220 Merkl verwendet hier den Begriff der „Ursprungsnorm“, wobei er streng zwischen Ursprungsnorm im rechtslogischen (formalen) und positivrechtlichen (materiellen) Sinne unterscheidet, vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 209 Anm. 1; angedeutet bei Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1336. 221 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1095. 222 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 117; Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1096 f. 223 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 117; Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1092 f. 224 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 98 f.; Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1093 f. 225 Am deutlichsten Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1317 – 1325. 226 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1093 f. 227 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 107. 219

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c) Der Grundsatz der lex posterior Der von Merkl beschriebene Stufenbau der Rechtsordnung fußt auf dem Grundsatz der lex posterior, da anders nicht zu erklären ist, warum eine später erlassene Norm Geltung beanspruchen darf und möglicherweise die Geltung einer früher erlassenen Norm zugleich einschränkt oder ganz aufhebt (derogiert). Der Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ ist aber kein logisches oder rechtswesenhaftes Prinzip, sondern aus denjenigen positivrechtlichen Normen (sie sind gewöhnlich Verfassungsnormen) abzuleiten, die eine Abänderungsmöglichkeit von erlassenen Normen erlauben.228 Damit erscheint der Stufenbau der Rechtsordnung nicht als rechtswesenhaftes, sondern als positivrechtlich bedingtes Phänomen.229 d) Das doppelte Rechtsantlitz: Wechselspiel von objektiver und subjektiver Komponente In einem modernen Rechtssystem230 auf der Grundlage der lex posterior – Merkl wählt sein betrachtetes Rechtsmaterial aus parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaaten aus231 – besteht der Rechtserzeugungs- und Rechtsanwendungsprozess aus der Kombination eines objektiven und eines subjektiven Faktors. Das Wechselspiel aus diesen beiden Faktoren bezeichnet man am besten – und so auch im Folgenden – als Rechtsgewinnungsprozess: „Rechtsgewinnung läßt sich daher … definieren als Setzung von neuem Recht auf der Grundlage und nach Maßgabe des anzuwendenden, bestehenden Rechtes.“232 Der objektive Faktor ist der Inhalt des höheren, angewendeten Rechtes, der subjektive Faktor ist die Zutat des rechtsanwendenden Organs, das im Rahmen der Arbeitsteilung zur Konkretisierung und Individualisierung beiträgt.233 Aus dem Wechsel von objektivem und subjektivem Faktor leitet Merkl das doppelte Rechtsantlitz ab. Nur auf zwei Stufen – die es in einem arbeitsteiligen Rechtssystem notwendigerweise immer geben muss, d. h. die in einem solchen und nur in einem solchen zugleich rechtswesenhaft sind234 –, nämlich der höchsten Norm als rei228 Vgl. Merkl, Rechtseinheit (Anm. 209), S. 1135 f.; Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 238 f. 229 So auch Walter, Aufbau (Anm. 207), S. 67 f. 230 So Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1096. 231 Vgl. Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1314 – 1317; dazu Behrend, Stufenbaulehre (Anm. 207), S. 16. 232 Dieser Begriff der Rechtsgewinnung bei Matthias Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz. Studien zur Interpendenz von Grundrechtsdogmatik und Rechtsgewinnungstheorie, Tübingen 1999, S. 318. 233 Dazu Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1095. 234 Vgl. Adolf Julius Merkl, Gesetzesrecht und Richterrecht (1922), in: Hans Klecatsky/ Ren¦ Marcic/Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkl, Alfred Verdross, Bd. 2, Wien u. a. 1968, S. 1615 – 1624 (1618);

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ner Rechtsetzung und der untersten Stufe als reiner Vollzug, hat das Recht dieses doppelte Antlitz nicht. Ansonsten gilt Folgendes: „Unsere Voraussetzung ist das Auseinandertreten jeder Rechtsschichte in eine objektive und subjektive Komponente. In der nächsttieferen – wenn man will: nächsthöheren – Rechtsschichte muß sich nun die objektive Komponente unverändert wiederfinden, während die subjektive in eigentümlicher, durch das delegierte Organ bestimmter Weise transformiert, objektiviert ist.“235 „Es grenzen also notwendig auf jeder Rechtsanwendungsstufe ein Sektor der Determination und der Indetermination aneinander; die Größe dieser Sektoren kann sehr verschieden sein, keiner kann aber ganz verschwinden.“236

e) Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung Der Rechtsgewinnungsprozess spaltet sich auf in zwei weitere, methodologisch strikt zu trennende Prozesse,237 die in ihrer praktischen Anwendung jedoch unzertrennlich miteinander verknüpft sind:238 Zunächst ist die objektive Komponente zu erkennen (Rechtserkenntnis), dann ist im von ihr vorgegebenen Rahmen die subjektive Komponente vom Rechtsanwender einzubringen (Rechtsanwendung, genauer: Rechtserzeugung oder Rechtsetzung).239 Die subjektive Komponente wird der Rechtsordnung von außen implementiert, sie ist gerade nicht bereits in der objektiven Komponente vorhanden und muss eben nicht nur noch durch einen logischen Subsumtionsakt gefunden (d. h. erkannt) und ausgesprochen werden.240 Merkl erteilt dem in der Montesquieuschen Tradition stehenden Subsumtionsautomatismus241 Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 215 f.; vgl. auch Behrend, Stufenbaulehre (Anm. 207), S. 19. 235 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1097 f. 236 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1110. 237 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1098. 238 Diese Unzertrennbarkeit kommt plakativ bei Karl Engisch zum Ausdruck, der von einer „ständige[n] Wechselwirkung, ein[em] Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“ spricht (Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl., Heidelberg 1963, S. 15). Freilich beweist Engisch hier sein integratives Rechtsgewinnungsverständnis, indem er nicht zwischen Erkenntnis- und Willensakt trennt. 239 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1099 f. – Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1347 f., trennt zwischen Rechtsanwendung und Rechtserzeugung, da Akte der Rechtsanwendung nicht immer zugleich Akte der Rechtserzeugung sein müssen. So sind Strafvollzugsund andere Vollstreckungsakte zwar Rechtsanwendung, aber nicht Rechtsetzung, da sie selber kein Sollen mehr zum Inhalt haben, sondern nur das Sollen in der Welt des Seins verwirklichen. 240 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1100. 241 Montesquieu (1689 – 1755; Charles de Secondat baron de Montesquieu, De lÏesprit des loix. Nouvelle ¦dition faite sur les corrections de lÏauteur, tome 1, GenÀve 1749, 11. Buch, Kap. 6) sieht in den Richtern „des Etres inanim¦s“, sie sind nur „la bouche qui prononce les paroles de la Loi“ (beide Zitate S. 229), ihre Entscheidungen „ne soient jamais quÏun texte pr¦cis de la Loi“ (S. 222) und die „Puissance … de juger est en quelque faÅon nulle“ (S. 225). Damit die Richter diese Rolle erfüllen können, muss alles Recht bereits vollständig im Gesetz

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somit eine klare Absage. Die objektive Komponente ist dem Willen des Rechtsschaffenden nicht mehr zugänglich, da hier bereits heteronome Determinanten vorliegen, die nur noch erkannt zu werden brauchen.242 Mit der subjektiven Komponente werden jedoch metarechtliche autonome Determinanten (Rechtspolitik) durch den Willen des Rechtsanwenders in das Recht eingebracht. Sie treten auf der nachfolgenden Stufe zu den bereits auf der Stufe ihrer Einführung in das Recht vorliegenden übrigen Bestandteilen der objektiven Komponente als weitere objektive Bestandteile hinzu und werden so für den restlichen Verlauf des Rechtsgewinnungsprozesses Teil der heteronomen Determinante. Indem der objektiven Komponente von Stufe zu Stufe immer weitere Bestandteile hinzugefügt werden, kommt es zu einer immer größeren heteronomen Determinierung des Rechtsschaffenden und zu einer immer größeren Individualisierung des Rechts.243 Das Wechselspiel von objektiver und subjektiver Komponente lässt sich auch auf die sie enthaltenden Rechtssätze übertragen: „Rechtssätze, die Form und Inhalt anderer Rechtssätze mit der Maßgabe vorzeichnen, daß diese … den Bestand jener anderen Rechtssätze voraussetzen und ihnen ihre Geltung verdanken, nennen wir bedingende Rechtssätze und die, denen sie als Geltungsgrund dienen, bedingte Rechtssätze.“244

Dieses Abwechseln von Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung läuft auf jeder Stufe des Rechtsgewinnungsprozesses – mit Ausnahme der ersten und der letzten Stufe – immer gleich ab. Es spielt dabei keine Rolle, wer von der Rechtsordnung die Kompetenz eingeräumt bekommt, Recht zu setzen: Der – gar verfassungsändernde – Gesetzgeber, der Verwaltungsbeamte, der Richter oder der Privatmann.245 f) Die Selbsterzeugung des Rechts Konsequenz des Erzeugungszusammenhangs durch die bedingenden und bedingten Rechtssätze ist die (stufenweise) „Selbsterzeugung“246 des Rechts. Das Recht regelt die Regeln seiner Erzeugung selbst, bleibt aber für von außen nach diesen Regeln eingeführte Inhalte zugänglich247 und bedarf ihrer sogar in dem Umfange, soweit es sie selbst von Anfang an nicht mitbringt. Systemtheoretisch betrachtet kann man, in Anlehnung an die Luhmannsche Diktion von der Autopoiesis des Rechts(systems)248, enthalten sein, da andernfalls der Richter einen willensbehafteten Eigenanteil an der Rechtsgewinnung haben muss, der mit Montesquieus Vorstellung unvereinbar ist. 242 So Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 113 f. – Zum Problem der Beeinflussung der Erkenntnis durch die zwangsläufig willensbehaftete Wahl der erkenntnisgegenstandserzeugenden Erkenntnismethode unten S. 135 – 142. 243 Vgl. dazu mit einem Beispiel Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1337 f. 244 Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1339 – Hervorhebungen im Original. 245 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 113. 246 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 283. 247 Vgl. Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1345 – 1347. 248 Der Begriff der Autopoiesis geht auf den chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana (geb. 1928) zurück, vgl. Humberto R. Maturana/Francisco J. Varela, Autopoiesis. The

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von normativer und operativer Geschlossenheit des Rechtssystems bei kognitiver Offenheit249 sprechen.250 g) Der Begriff des freien Ermessens In das eben gezeichnete dynamische Rechtsgewinnungsbild fügt sich zwanglos der Begriff des freien Ermessens ein: Durch die Arbeitsteilung und die notwendige Konkretisierung im Rahmen der Rechtsgewinnung kommt es zu einem „subjektiven, vom Rechtserzeuger kommenden Einschlag“, den Merkl als freies Ermessen bezeichnet.251 Das „freie Ermessen“ ist nicht ein genuin verwaltungsrechtliches, aber rechtswesenhaftes Phänomen einer arbeitsteiligen, dynamischen Rechtsordnung.252 Es ergibt sich aus den bei jedem Rechtsgewinnungsvorgang auftretenden Freiräumen, in denen der Rechtsanwender nicht mehr durch die anzuwendende höherrangige Rechtsnorm (heteronom) determiniert ist, sondern (autonom) eigene subjektive Komponenten in das Recht implementieren kann.253 In seinem „Allgemeinen Verwaltungsrecht“ differenziert Merkl den Begriff des freien Ermessens aus der Perspektive des Verwaltungsrechts und dessen Dogmatik weiter aus, ohne dabei das Ermessen in den anderen Rechtsgebieten zu vernachlässigen.254 Er definiert Ermessen zunächst ganz allgemein als „die Erscheinung rechtlicher Ungebundenheit des Staatsorgans“, als „Verzicht auf nähere Determination“255. Dabei streicht er die in der Dogmatik damals – wie heute – herrschende Unterscheidung von gesetzlich gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung heraus256 und lehnt sie ab, da auf jeder Stufe der Rechtsgewinnung eine (durch die heteronome Determinante) gebundene Entscheidung und eine komplementäre (wegen der autonomen Determinante) freie Ermessensentscheidung stehen. Kelsen folgend lehnt Merkl eine qualitative Unterscheidung der Ermessensakte ab.257 VielOrganization of the Living (1973), in: Humberto R. Maturana/Francisco J. Varela (Hrsg.), Autopoiesis and Cognition, The Realization of the Living, Dordbrecht, Boston und London 1980, S. 59 – 141, insb. 135. Der Begriff „Autopoiesis“ ist aus dem Altgriechischen entnommen (!utºr – selbst; B po¸gsir – das Tun, die Schöpfung), ebenso treffend und verständlicher können die Synonyme „Selbsterschaffung“ oder „Selbsterzeugung“ verwendet werden. Zur Autopoiesis des Rechts(systems) Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 42 – 54, insb. 44 f. 249 Dazu Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 354 – 363, insb. 356 f.; Luhmann, Gesellschaft (Anm. 248), S. 66 – 95, insb. 77. 250 Zur Selbsterzeugung der Rechts auch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung (Anm. 232), S. 288 – 298. 251 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1097 – Zitat dort. 252 Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 144. 253 Dazu Behrend, Stufenbaulehre (Anm. 207), S. 44 f., 96 f. 254 Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 140 – 142. 255 Beide vorangehenden Zitate Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 140. 256 Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 141. 257 Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 142; zu Kelsens Sicht oben S. 115 bei Anm. 181 a. E.

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mehr ist nur eine quantitative Unterscheidung des Einschlags an Ermessen möglich, da es hinsichtlich des Ob, Was und Wie der Entscheidung unendlich viele Grade der rechtlichen Bindung und des Ermessens gibt.258 Ermessen „selbst ist nichts als die Wahlmöglichkeit zwischen einer Mehrzahl vom objektiven Recht eröffneter Lösungsmöglichkeiten“259, es „bedeutet Mangel der verbindlichen Bestimmung durch einen fremden Willen, rechtliche Fähigkeit, den eigenen Willen sprechen zu lassen“, es ist „die Pforte im Rechtsgebäude, durch die außerrechtliche Motivationen eindringen können“260 und „ein Blankett an das Organ, innerhalb eines von einem fremden Willen vorgezeichneten Rahmens seinen eigenen Willen sprechen zu lassen“261. An die heteronome Determinierung knüpft Merkl seine Ermessensfehlerlehre an.262 2. Eine kleine Historie der Grundlagen der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung Die Idee eines Stufenbaus der Rechtsordnung keimte – wie auch Merkl immer wieder klarstellt263 – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. a) Robert von Mohl Bereits Robert von Mohl (1799 – 1875) sah 1859 im Staat „begrifflich ein einheitliches Ganzes“, weshalb „seine ganze Einrichtung eine in sich übereinstimmende sein“ müsse.264 Jeder Staat gründe sich auf eine Verfassung: „Die Verfassung ist somit die Grundlage, der Grundsatz, das Ruhende und Feste; die Verwaltung das sich Bewegende und Wechselnde, die Wirksamkeit und die Anwendung im Staate.“265 Um die Einheitlichkeit des Staates nicht zu verletzen, „kann der Gesetzgeber keiner seiner Normen eine Gültigkeit gegen eine höhere Art von Gesetzen geben; also 258

Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 143. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 151. 260 Beide vorangehenden Zitate Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 152 – Hervorhebungen im Original. 261 Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 156; vgl. dazu Kelsen oben S. 115 bei Anm. 181. 262 Zu Merkls Ermessensfehlerlehre unten S. 154 – 157. 263 Insb. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 182 – 198; Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1326; dazu Behrend, Stufenbaulehre (Anm. 207), S. 18 Anm. 45. – Fritz Sander, Merkls Rechtslehre, in: Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur Prager Juristischen Zeitschrift 4 (1924), Sp. 16 – 31, meint, dass „Merkl die Bedeutung der Lehre [vom Stufenbau der Rechtsordnung] verkennend überschätzt“ (Sp. 17 – Hervorhebung im Original) und „sämtliche Gedanken Merkls“ bereits seit fünfzig Jahren (also seit ca. 1870) vorhanden sind (vgl. Sp. 17 – Zitat dort, Hervorhebung im Original). 264 Robert von Mohl, Encyklopädie der Staatswissenschaften, Tübingen 1859, S. 130 – beide Zitate dort. 265 Vgl. von Mohl, Staatswissenschaften (Anm. 264), S. 137 – Zitat dort. 259

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nicht einfachen Gesetzen gegen Verfassungsgesetze, oder Verordnungen gegen einfache Gesetze. Dieß ist unabweisbare Forderung der Logik …“.266 Freilich gründete von Mohl seinen Stufenbau der Rechtsordnung noch auf der rechtstranszendenten Logik und nicht auf den Regelungen des positiven Rechts selbst. Dennoch erkannte er zumindest die Dynamik der Rechtsordnung unterhalb der Verfassung und strich die Notwendigkeit der Ableitbarkeit der niederen Norm von der höheren Norm als Voraussetzung der Einheit der Rechtsordnung heraus. b) Oskar Bülow In seiner Schrift „Gesetz und Richteramt“267 (1885) entfernte sich Oskar Bülow (1837 – 1907) von der damals herrschenden Ansicht, Gesetz und richterliches Urteil seien zwei wesensverschiedene Phänomene. Zwar bestimme „durch das Gesetz … die Staatsgewalt, was als Recht gelten soll“268. „Aber es ist noch kein geltendes Recht, es ist nur ein Plan, nur ein Entwurf einer zukünftigen, erwünschten Rechtsordnung, was der Gesetzgeber von sich aus fertig zu bringen mag. … So hat sich die Gesetzgebung dabei zu bescheiden, daß sie der Herstellung einer wirklichen Rechtsordnung blos gebieterisch den Weg weisen kann. Um die Herstellung für alle Fälle zu sichern, hält der Staat neben, ja vor allem Gesetzgebungsapparat eine andere Rechtsanstalt, das Richteramt bereit. Die richterliche Thätigkeit hilft das vom Gesetz nur begonnene Rechtsordnungswerk fortführen und vollenden.269 Das „richterliche Urtheil ist eine Willenserklärung und zwar, ähnlich wie das Gesetz, eine von der Staatsgewalt erlassene Rechtswillenserklärung. … erst mit den richterlichen Rechtsbestimmungen spricht die rechtsordnende Staatsgewalt ihr letztes Wort!“270

Bülow erkannte einen dynamischen, arbeitsteiligen Rechtsgewinnungsprozess: „Gesetz und Richteramt theilen sich den Rechtsschaffungs- und Rechtsbestimmungsberuf der Staatsgewalt.“271 Er blieb dabei nicht bei der Rechtserzeugung durch Staatsorgane stehen, sondern deutete auch die Rechtserzeugung durch Private – „Betheiligte“ genannt – an.272 Die Unterschiede zwischen Gesetz und richterlichem Urteil sah Bülow in dem Grade der Bestimmtheit und dem Umfang, in welchem jedes rechtsbestimmend wirkt – das Gesetz regelt abstrakt-generell, das richterliche Urteil kon-

266

von Mohl, Staatswissenschaften (Anm. 264), S. 149 – Hervorhebung im Original. Oskar Bülow, Gesetz und Richteramt, Leipzig 1885. – Vorarbeiten finden sich bei Oskar Bülow, Civilprozessualische Fiktionen und Wahrheiten, in: Archiv für die civilistische Praxis 62 (1879), S. 1 – 96 (93 f. Anm. 72); Oskar Bülow, Dispositives Civilprozeßrecht und die verbindliche Kraft der Rechtsordnung, in: Archiv für die civilistische Praxis 64 (1881), S. 1 – 109 (84 f.). 268 Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 2. 269 Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 3 f. – Hervorhebungen im Original. 270 Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 6 f. – Hervorhebungen im Original. 271 Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 41. 272 Vgl. Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 45 f. – Zitat dort. 267

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kret-individuell273 – und betonte die „rechtsschaffende Natur des Richterspruchs“274 sowie die „rechtsproduktive Kraft des Richteramts“275. Einem in der Montesquieuschen Tradition stehenden Subsumtionsautomatismus erteilte Bülow eine Absage, da „die Rechtsbestimmung [nicht] schon unmittelbar vom Gesetz gegeben [ist]: sie wird dort erst von den Betheiligten, hier erst vom Richter gefunden. Das Gesetz weist beiden nur den Weg richtiger Rechtsfindung“276. Merkl nannte die Bülowschen Ausführungen nicht zu Unrecht „revolutionär“277. c) Albert Haenel Das Verhältnis von Gesetz und Verwaltungsakt rückte 1888 bei Albert Haenel (1833 – 1918) – wenn auch nicht im vollen Bewusstsein des Ausmaßes und der Folgen der Erkenntnis sowie nicht konsequent zu Ende gedacht278 – ins Blickfeld.279 Haenel erkannte – was Merkl herausstrich280 – die Sphären von Determination und Nichtdetermination der Verwaltung durch die von ihr angewendeten Norm: „Auch das Wesen des Verwaltungsaktes ist ebenso wie das der [richterlichen281] Entscheidung im Verhältniss zur Gesetzgebung Gebundenheit. Auch der Verwaltungsakt ist gebunden an das bestehende objektive Recht. Er kann immer nur erscheinen als die Ausführung eines rechtlichen Gebotes oder Verbotes oder als die Handhabung einer rechtlichen Ermächtigung; auch die letztere stellt eine vorhergehende, für den Verwaltungsakt massgebende, eine bindende Willensbestimmung dar.“282

Neben dieser Sphäre der Gebundenheit stehe eine Sphäre der Freiheit von rechtlicher Bindung: „Je nach der Verschiedenheit der Verwaltungszweige, je nach der grössern oder geringern Durchbildung und Spezialisierung des Verwaltungsrechtes überwiegt in den Verwaltungsakten bald die streng gebundene Gesetzesanwendung, bald, wenn auch überall an rechtliche Ermächtigungen gebunden, die freie Entscheidung.“283

Haenel sah in der klassischen Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative – wobei er die Judikative nicht als eigene Staatsgewalt, sondern als Teil der

273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283

Vgl. Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 10 f. Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 11. Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 27. Bülow, Gesetz (Anm. 267), S. 46. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 183. Kritik bei Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 189 – 194. Vgl. Albert Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne, Leipzig 1888. Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 192 f. Vgl. Haenel, Gesetz (Anm. 279), S. 184. Haenel, Gesetz (Anm. 279), S. 184. Haenel, Gesetz (Anm. 279), S. 185.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

Exekutive einordnete284 – eine „Vertheilung der Kompetenzen unter die Staatsorgane“ und das „eigenthümliche Zusammenwirken der Hauptorgane des Staates“285. Obwohl er keine Hierarchie der Rechtsquellen, aus denen die Staatsgewalten Recht schöpfen, folgerte und zudem die Rechtsgewinnung durch Private nicht thematisierte, erkannte er dennoch ein arbeitsteiliges Vorgehen im Rechtsgewinnungsprozess (an) und formulierte zugleich die Grundlagen der heute herrschenden Ermessenslehre, die zwischen gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung unterscheidet.286 d) Ernst Rudolf Bierling Auch Ernst Rudolf Bierling (1841 – 1919) befasste sich schon 1877 mit einer mehrdimensionalen Darstellung des Rechtssystems. Er sprach von „subordinirten Normen …, die durch eine allgemeine Norm dergestalt beherrscht werden, daß sie ihrer gesammten Leistung oder Geltung nach durchaus von derselben abhängen, insbesondere also sofort und vollständig hinwegfallen, sobald die superordinirte Norm wegfällt …“.287

Die Setzung solcher subordinierter Normen bezeichnete er 1898 entgegen dem damals – und heute – herrschenden Sprachgebrauch als Rechtsgeschäft.288 Dabei unterschied er nicht mehr – wie noch seine Zeitgenossen Bülow und Haenel – kategorial zwischen Rechtsgeschäften des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. „[Es] stellen sich die Rechtsgeschäfte des Privatrechts, d. h. diejenigen Normsetzungen, denen eine oder mehrere Normen eines bestimmten bürgerlichen Rechts superordiniert sind, nur als eine Art von Rechtsgeschäften dar, neben welche als weitere Arten die Rechtsgeschäfte des öffentlichen Rechts, deren Gültigkeit auf den superordinierten öffentlichrechtlichen Normen eines bestimmten Staates beruht, sowie die Rechtsgeschäfte des Kirchenrechts, des Völkerrechts u. s. w. treten“289.

Obwohl Bierling unterschwellig an der Trennung von Privatrecht und öffentlichem Recht festhielt, indem er Privatrechtsgeschäften privatrechtliche Normen und öffentlich-rechtlichen Rechtsgeschäften öffentlich-rechtliche Normen überordnete und damit eine Geltungsbegründung aus einer logischen Einheit der Rechtsord-

284

Vgl. Haenel, Gesetz (Anm. 279), S. 185 f. Beide vorangehende Zitate Haenel, Gesetz (Anm. 279), S. 186. 286 Zum Dualismus von gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung oben S. 31 f., 39 f., 45. 287 Ernst Rudolf Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, Bd. 1: Der Grund der verpflichtenden Kraft des Gesetzes und das Wesen des positiven Rechts, Gotha 1877, S. 109 – Hervorhebungen im Original. 288 Vgl. Ernst Rudolf Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 2, Freiburg i. Br., Leipzig und Tübingen 1898, S. 117. 289 Bierling, Prinzipienlehre II (Anm. 288), S. 119. 285

B. Der Ermessensbegriff

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nung nicht vollständig konstruieren konnte,290 gelang es ihm dennoch, den Gesetzeszentrismus abzuschütteln und die Struktur des Rechtssystems zu erkennen: „auch das ,GesetzÐ, das die herrschende Doktrin neben dem Gewohnheitsrecht als einzige Rechtsquelle zu bezeichnen pflegt, ist nur eine hervorragende Art der Rechtsgeschäfte des öffentlichen Rechts.“291 Und weiter sprach er von der „noch viel zu wenig erkannte[n] Thatsache, dass Gesetz und überhaupt obrigkeitliche Verfügung einerseits und alle möglichen Arten von Privatrechtsgeschäften anderseits nicht bloss nach dem letzten Grunde ihrer rechtlichen Geltung, sondern auch rücksichtlich der Art ihrer Begründung oder Entstehung wesentlich gleichartige Dinge sind“.292

An dieser Stelle nahm Bierling entgegen seiner bisherigen Konstruktion eine einheitliche Geltungsbegründung durch einen „letzten Geltungsgrund“ – in der Begrifflichkeit der Reinen Rechtslehre: eine Ursprungs- oder Grundnorm – an. Sieht man von den hier nur kurz angesprochenen Unstimmigkeiten und dem Fehlen einer mit Vorrang ausgestatteten Verfassung, ohne die das Gesetz als höchste Norm im Bierlingschen System in der Luft hängt,293 in den Ausführungen Bierlings ab, so ist die Merklsche Stufenbaulehre – die dieser nach eigenen Angaben ohne Kenntnis der Bierlingschen Werke entwickelte294 – im Wesentlichen vorgezeichnet. Bierlings größtes Verdienst ist aber die Entwicklung einer Theorie der Rechtsquellen,295 die Merkl später von ihren Unstimmigkeiten befreite, ausbaute und ausdifferenzierte.296 e) Die Freirechtsbewegung Auch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende Freirechtsbewegung lehnte die herrschende Gesetzesfixiertheit und die Annahme einer vollständigen Determiniertheit durch das Gesetz ab, die Hermann Ulrich Kantorowicz (1877 – 1940) unter seinem Pseudonym Gnaeus Flavius ironisierte: „Die herrschende Idealvorstellung vom Juristen ist die: Ein höherer Staatsbeamter mit akademischer Ausbildung, sitzt er, bewaffnet bloß mit einer Denkmaschine, freilich einer von der feinsten Art, in seiner Zelle. Ihr einziges Mobiliar ein grüner Tisch, auf dem das staatliche Gesetzbuch vor ihm liegt. Man reicht ihm einen beliebigen Fall, einen wirklichen oder nur erdachten, und entsprechend seiner Pflicht, ist er imstande, mit Hilfe rein logischer Opera-

290 Kritik bei Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 196; die einheitliche Konstruktion gelingt erst Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1357 f. 291 Bierling, Prinzipienlehre II (Anm. 288), S. 116. 292 Bierling, Prinzipienlehre II (Anm. 288), S. 127 – Hervorhebung im Original. 293 Zur die Gesetze determinierenden Verfassung knapp Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 195. 294 Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 196. 295 So auch Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 195. 296 Vgl. Merkl, Prolegomena (Anm. 15), insb. S. 1317 – 1350.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

tionen und einer nur ihm verständlichen Geheimtechnik, die vom Gesetzgeber vorherbestimmte Entscheidung im Gesetzbuch mit absoluter Exaktheit nachzuweisen.“297

Ansatzpunkt der Freirechtsbewegung sind die Lücken im Recht,298 die sich ihrer Ansicht nach insbesondere in den zivilrechtlichen Generalklauseln (z. B. Treu und Glauben) auftun.299 Die richterliche Aufgabe der Füllung dieser Lücken betrachtete sie nicht als logische Operation. Vielmehr sei in einer Lücke im Recht „kein Rechtsinstitut, sondern ein ganzes System neuer, noch um ihre Existenz ringender Rechtsnormen“300 angelegt. Diese Rechtsnormen seien durch freie Rechtsschöpfung zu schaffen,301 die sich in ihrem Inhalt stark am Naturrecht – die Freirechtsbewegung verstand sich „als neue Auffassung vom Recht … als eine Auferstehung des Naturrechts in veränderter Gestalt“302 – zu orientieren habe. Freilich ist das von der Freirechtsbewegung beschworene „freie Recht“ ein Widerspruch in sich, da Recht immer eine mehr oder weniger starke Bindung (im Äußersten nur eine formale Bindung im Sinne eines Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs) voraussetzt303. Zudem wird die Position des Richters auf Kosten der übrigen Rechtserzeuger zu stark in den Vordergrund gerückt.304 Die Freirechtsbewegung sprach ausdrücklich von der Dynamik ihrer Rechtsauffassung, verstand die Dynamik aber nicht als formale, sondern als materielle: „In diesem Sinne möge der hergebrachten dogmatischen Rechtsauffassung die dynamische entgegengesetzt werden, für die es nicht blos darauf ankommt was ein Rechtssatz bedeutet, sondern wie er lebt, wie er wirkt, wie er sich in verschiedenen Verhältnissen bricht, wie sie ihm ausweichen und wie er sie verfolgt.“305

Eine solche materielle Dynamik setzt mehrere Teilnehmer am Rechtsgewinnungsprozess und damit ein mehrdimensionales, dynamisches, d. h. arbeitsteiliges Rechtsgewinnungsbild voraus. Andernfalls ist nicht zu erklären, wer die Lücken im Recht ausfüllen sollte, da diese Aufgabe der Normsetzer selbst schwerlich zu erfüllen in der Lage ist. So kannte denn auch die Freirechtsbewegung zumindest zwei Rechtsteilneh297 Gnaeus Flavius [Hermann Kantorowicz], Der Kampf um die Rechtswissenschaft, Heidelberg 1906, S. 5, ähnlich S. 33 f. 298 Grundlegend Eugen Ehrlich, Ueber Lücken im Rechte, in: Juristische Blätter 17 (1888), S. 447 – 449, 459 – 461, 471 – 473, 483 – 485, 495 – 498, 510 – 512, 522 – 525, 535 f., 546 f., 558, 569 f., 581 – 583, 594 – 597, 603 – 605, 618 – 620, 627 – 630 (insb. 447 f., 629 f.). 299 Vgl. Ehrlich, Lücken (Anm. 298), S. 448; Eugen Ehrlich, Die stillschweigende Willenserklärung, Berlin 1893, S. 291. 300 Ehrlich, Willenserklärung (Anm. 299), S. 291. 301 Vgl. Flavius, Rechtswissenschaft (Anm. 297), insb. S. 40 f. 302 So programmatisch Flavius, Rechtswissenschaft (Anm. 297), S. 8 – Hervorhebung im Original. 303 Vgl. Verdroß, Ermessen (Anm. 164), S. 641. 304 Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 197 f.; ähnlich auch Verdroß, Ermessen (Anm. 164), S. 643 f. 305 Vgl. Eugen Ehrlich, Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft. Vortrag gehalten in der juristischen Gesellschaft in Wien am 4. März 1903, Leipzig 1903, S. 29 f.

B. Der Ermessensbegriff

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mer, nämlich den Gesetzgeber, der lückenhaftes Recht schuf und die Rechtsprechung, die diese Lücken füllte. Allerdings befasste sich die Freirechtsbewegung nicht weiter mit dem Verhältnis der Rechtsteilnehmer untereinander. So unternahm sie auch keine Anstrengungen für eine ausgearbeitete theoretische Konstruktion eines solchen Rechtsgewinnungsbildes und die Entwicklung einer dazugehörigen Rechtsquellenlehre. Vielmehr ging es ihr entsprechend ihrer naturrechtlichen Orientierung um die Schaffung lebendigen, inhaltlich richtigen Rechts. Dennoch leistete auch sie wichtige Vorarbeiten für einen Stufenbau der Rechtsordnung, indem sie das vorherrschende Konzept des Subsumtionsautomatismus scharf kritisierte und einen arbeitsteiligen Rechtsgewinnungsprozess zumindest unbewusst, vielleicht sogar stillschweigend voraussetzte. f) Rudolf Stammler In diesen Zusammenhang fügt sich auch 1902 Rudolf Stammlers „Lehre von dem richtigen Rechte“306 ein. Wie die Freirechtsbewegung307 richtete sich auch Stammler (1856 – 1938) gegen die „technische Rechtslehre“308 und war ebenso weniger an formalen und rechtstheoretischen als vielmehr an materiellen und rechtsinhaltlichen Fragestellungen interessiert: Dem richtigen Recht, worunter er „dasjenige [positive309] Recht, welches in einer besonderen Lage mit dem Grundgedanken des Rechtes überhaupt zusammenstimmt“310 verstand. Ob Stammler von einem Mehrebenenrechtssystem ausging, muss angesichts seines diffusen Rechtsbegriffs zweifelhaft bleiben. Als Recht bezeichnete er „einen bestimmt gearteten Inhalt von sozialen Normen“311, die sich wohl meistens in der Form des Gesetzes niederschlagen,312 obwohl er auch von „Rechtsnormen“313 sprach. Der Gedanke eines arbeitsteiligen, dynamischen Rechtgewinnungsbildes und die Existenz verschiedener Rechtsformen dürfte dem in der römisch-rechtlichen Jurisprudenz verwurzelten Stammler jedenfalls fremd gewesen sein, auch wenn solche Überlegungen, wie die folgenden Zitate zeigen, anklingen: „Es gibt keinen einzigen Rechtssatz, der seinem positiven Inhalte nach a priori feststände.“314 „Recht muß doch Recht bleiben. Das heißt: Es muß eine rechtliche Norm immer wieder durch anderes Recht ab-

306

Grundlegend Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136). Vgl. Ehrlich, Rechtsfindung (Anm. 305), S. 29, 33. 308 Vgl. Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), insb. S. 4 f., 111 – Zitat S. 4, ähnlich S. 15: „technische Jurisprudenz“. 309 Vgl. Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 22. 310 Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 15 – Hervorhebung im Original. 311 Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 112 – Hervorhebung im Original. 312 Vgl. Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 112, 114. 313 Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 115. 314 Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 117 – Hervorhebung im Original. 307

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

gelöst werden.“315 Stammler dürfte hier aber ausschließlich an die Rechtsform des Gesetzes gedacht haben. Auch bei der Formulierung der „Norm des Gesetzgebers“, die er am Beispiel des altrömischen Prätors erläuterte, der das Zivilrecht „bei der sachlichen Betätigung der ihm zustehenden Machtvollkommenheit“ – hier wird die Kompetenzfrage gestreift – im Sinne der Gerechtigkeit berichtige,316 hat Stammler wohl kaum an eine Arbeitsteilung im Rechtsgewinnungsprozess gedacht. Einerseits erkannte er Spielräume bei der Rechtsanwendung (an): „Denn die Unterordnung eines Einzelfalles unter den Obersatz kann nicht mit restloser Exaktheit vollzogen werden: da es ebensowohl an mathematischer Unterlage fehlt, als auch etwas anderes zur Erledigung steht, als denn bloß logische Darstellung der Begriffe.“317 Diese Spielräume, insbesondere in Gestalt unbestimmter Rechtsbegriffe318 und „billigen Ermessens“319, behandelte Stammler andererseits nur aus dem Blickwinkel seiner Methode zur Schaffung richtigen Rechts. Damit trug er zwar nichts zur rechtsformbasierten, formalen Strukturtheorie der Merklschen Stufenbaulehre bei, lieferte aber Grundlagen für die Versuche, innerhalb des nichtdeterminierten Spielraums des Rechtsanwenders bei der Rechtsgewinnung, möglichst mit mathematischer Exaktheit, die einzig richtige (rationale oder gerechte) Lösung zu finden.320 g) Fritz Sander In der Konsolidierungsphase der Reinen Rechtslehre in den frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte auch Fritz Sander (1889 – 1939) großen Anteil an der Entwicklung der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung – er selbst betrachtete sich als deren Urheber.321 Sanders Ausgangspunkt sind die Rechts(erzeugungs)verfahren, in denen sich die Unfertigkeit des Rechts widerspiegele: Vollendet sei das Recht erst mit der Einzelfallentscheidung.322 Recht ist demnach ein System von Verfahren.323 Mit diesen 315

Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 107 – Hervorhebungen im Original. Vgl. Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 163 – beide vorangehenden Zitate dort, Hervorhebung im Original. 317 Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 305 f. 318 Dazu Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 306 f. 319 Stammler, Richtiges Recht (Anm. 136), S. 373 – 386. 320 Diesen Versuch unternimmt allen voran Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, BadenBaden 1985, S. 71 – 157; speziell zum Ermessen Robert Alexy, Ermessensfehler, in: Juristenzeitung 41 (1986), S. 701 – 716; Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1991, S. 165 – 168, 261 – 359; Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, München 1992, insb. S. 18 – 22, 201 – 206; Robert Alexy, Hauptelemente einer Theorie der Doppelnatur des Rechts, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 95 (2009), S. 151 – 166 (152 – 158). 321 So Fritz Sander, Verfassungsurkunde und Verfassungszustand der tschechoslowakischen Republik, Brünn u. a. 1935, S. 176 f. Anm. 1 (177). 322 Dazu Fritz Sander, Das Faktum der Revolution und die Kontinuität der Rechtsordnung, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 1 (1919/20), S. 132 – 164 (147); Fritz Sander, Die transzendentale Methode der Rechtsphilosophie und der Begriff des Rechtsverfahrens, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 1 (1919/20), S. 468 – 507 (468 f., 487 – 492, 496, 507). 316

B. Der Ermessensbegriff

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Überlegungen verabschiedete er sich von einer statischen hin zu einer dynamischen Betrachtung des Rechts324 und führte einen Stufenbau des Rechts ein, den ein Ableitungszusammenhang der einzelnen Rechtsstufen kennzeichnete:325 „Der gesamte Rechtsinhalt gelangt in stufenförmig übereinander gelagerten, kontinuierlich fortschreitenden Verfahren zur Erzeugung. Jedes Verfahren erzeugt eine Rechtssatzform (Verfassungsgesetz, einfaches Gesetz, Verordnung, Urteil, Beschluß usw.), deren jede Tatbestandsfunktion höher gelagerter Rechtssatzformen ist. Jede erzeugte Rechtssatzform wird wieder ihrerseits ,GesetzÐ, ,RegelÐ eines Verfahrens niederer Stufe. Die im Verfassungsgesetzgebungsverfahren erzeugten Verfassungsgesetze sind ,ErzeugungsregelÐ des Verfahrens der einfachen Gesetzgebung, die einfachen Gesetze ,ErzeugungsregelÐ der Urteile usw.“326 „Das Rechtsverfahren also rückt in den Vordergrund der Betrachtung der Theorie der Rechtserfahrung: Alle Tatbestände stehen innerhalb des sie erzeugenden Rechtsverfahrens in wechselseitiger Zurechnungsverknüpfung, alle Rechtsverfahren stehen innerhalb des Rechtes in wechselseitiger Zurechnungsverknüpfung, alle Rechtsverfahren werden dem Staat zugerechnet, stehen in Zurechnungsbeziehung zu einem Grundrechtsverfahren.“327

Dabei wies er auf die Eigengesetzlichkeit des Rechtes hin.328 Zudem bezog er auch das Völkerrecht mit ein, das er den Stufenbauten der nationalstaatlichen Rechtsordnungen überordnete und als „höchste Stufen in das Weltrechtssystem“ einstellte.329 Sander, der in Wien und später in Prag lehrte,330 stand insbesondere mit Kelsen als dessen Schüler und mit Merkl331 in regem Austausch. Später sagte sich Sander vom Primat des Völkerrechts und vom Stufenbau der Rechtsordnung los.332 Merkl wies in seinen „Prolegomena zu einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus“ (1931) 323 Vgl. Fritz Sander, Rechtsdogmatik oder Theorie der Rechtserfahrung? Kritische Studie zur Rechtslehre Hans Kelsens, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 2 (1921), S. 541 – 670 (587). – Mit diesem Beitrag eröffnete Sander 1921 die Kontroverse Sander-Kelsen, vgl. dazu ergänzend unten S. 134 in Anm. 334. 324 Vgl. Sander, Revolution (Anm. 322), S. 149 f.; Sander, Methode (Anm. 322), S. 468 f., 488 f., 500, 505. 325 Vgl. Fritz Sander, Alte und neue Staatsrechtslehre. Kritische Bemerkungen zu Karl Bindings „Zum Werden und Leben der Staaten“, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 2 (1921), S. 176 – 230 (216, 222); Sander, Rechtsdogmatik (Anm. 323), S. 553. 326 Sander, Revolution (Anm. 322), S. 150 – Hervorhebung im Original; ähnlich Sander, Staatsrechtslehre (Anm. 325), S. 213 f.; Sander, Methode (Anm. 322), S. 507. 327 Sander, Rechtsdogmatik (Anm. 323), S. 579 – Hervorhebung im Original; ähnlich Sander, Methode (Anm. 322), S. 495. 328 Vgl. Sander, Rechtsdogmatik (Anm. 323), S. 613. 329 Dazu Sander, Revolution (Anm. 322), S. 141, 154, 155 – 163 – Zitat S. 154. 330 Vgl. Christoph Kletzer, Fritz Sander, in: Robert Walter/Clemens Jabloner/Klaus Zeleny (Hrsg.), Der Kreis um Hans Kelsen. Die Anfangsjahre der Reinen Rechtslehre, Wien 2008, S. 445 – 470 (446). 331 Dazu die hier zitierten Schriften Sanders und Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1099; Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 189 Anm. 2. 332 So Sander, Rechtslehre (Anm. 263), Sp. 20 – 25; Sander, Verfassungsurkunde (Anm. 321), S. 176 f. Anm. 1 (177), 194.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

nicht mehr auf die Arbeiten Sanders hin.333 Über die Beweggründe Merkls kann nur spekuliert werden. Möglicherweise fiel Sander als „gefallener Meisterschüler Hans Kelsens“334 einer damnatio memoriae zum Opfer.335 Gleichwohl sind die Verdienste Sanders für die Reine Rechtslehre anzuerkennen.336 h) Zusammenfassung zur Historie der Grundlagen der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung Der Grund der verkürzten Rechtsbetrachtung und die Vernachlässigung der Rechtsform auf Kosten des Rechtsinhalts erklärte Merkl mit der in Theorie und Praxis vorherrschenden verengten Betrachtung des Rechtsganzen „sub specie der Rechtsanwendung ad usum des Rechtsanwenders“, insbesondere des Richters.337 Insgesamt stieß – und stößt – der Gedanke eines unterhalb des Gesetzes operierenden, aber nicht vollständig gebundenen Rechtsanwenders auf Unbehagen. Das schlug – und schlägt – sich in der Ermessensdiskussion deutlich nieder, innerhalb der man das freie Ermessen trotz dessen Einräumung durch das positive Recht selbst als Fremdkörper im System des Rechtsstaats ansah338 und es daher über die positivrechtlichen 333 Vgl. Merkl, Prolegomena (Anm. 15), S. 1317 zum Völkerrecht im Stufenbau der Rechtsordnung, S. 1326 zum Stufenbau der Rechtsordnung; ergänzend oben S. 125 in und bei Anm. 263. 334 So Kletzer, Sander (Anm. 330), S. 445. – Bereits 1921 – 1923 hatte es in der „Zeitschrift für öffentliches Recht“ zwischen Sander und Kelsen einen von Sander eröffneten (vgl. oben S. 133 in Anm. 323) scharfen Disput gegeben. Nachdem Sander mit Kelsens maßgeblicher Unterstützung an der Prager Deutschen Technischen Hochschule Professor geworden war, erhob er 1923 gegen Kelsen heftige Plagiatsvorwürfe, die sich aber als haltlos erwiesen. Später zog Sander seine Plagiatsvorwürfe öffentlich zurück; sein Verhältnis zu Kelsen blieb aber von starken Stimmungsschwankungen geprägt: Zwar wurde Sander auf ein Gutachten Kelsens hin 1931 Ordinarius an der Deutschen Universität Prag, bekämpfte aber später – letztlich erfolglos – Kelsens Berufung ebendorthin. In Prag verhielt sich Sander dann aber Kelsen gegenüber sehr freundlich. Kelsen blieb die gesamte Angelegenheit „mit sehr schmerzlichen Erinnerungen verbunden“ (zum Ganzen Kelsen, Autobiographie (Anm. 23), S. 61 – 65 – Zitat S. 61). 335 Dazu finden sich Anhaltspunkte bei Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 223 – 225 Anm. 1 (224 f.), wo er Sanders (durchaus unzutreffender) Kritik entgegentritt und sich in der Kelsen-Sander-Kontroverse auf die Seite Kelsens schlägt. 336 So auch der in der Kelsen-Sander-Kontroverse vermittelnde Felix Kaufmann, Theorie der Rechtserfahrung oder reine Rechtslehre? – Eine Entgegnung, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1922/23), S. 236 – 263 (263); ähnlich Kletzer, Sander (Anm. 330), S. 456 – 460. 337 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1093 f. – Zitat S. 1094. 338 Bilanzierend Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung. Zugleich ein System der Ungültigkeitsgründe von Polizeiverordnungen und -verfügungen. Eine staats- und verwaltungsgerichtliche Untersuchung, Tübingen 1913, S. 7 – 9, 26, 29, 137, 188 – 200; G. Jellinek, Staatslehre3 (Anm. 74), S. 616 – 621; Friedrich Tezner, Das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden. Kritisch-systematisch erörtert auf Grund der österreichischen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, Leipzig und Wien 1924, S. 14 – 28; Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, 1. Aufl., Berlin 1928, S. 27 – 30. – Zur unvollständigen gesetzlichen Bindung als Fremdkörper im Rechtsstaat in der Verwaltungsrechtslehre nach dem Zweiten Weltkrieg oben S. 42 – 44.

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„äußeren“ Grenzen hinaus durch „innere“ Grenzen zusätzlich einzuhegen und justiziabel zu machen versuchte339 oder weiter verengend zwischen gebundenem Ermessen und freiem Ermessen unterschied.340 So wollte man einerseits die dem absoluten Staat abgetrotzten rechtsstaatlichen Errungenschaften341 – namentlich die demokratische Legitimation der Gesetze durch das Parlament – nicht sofort wieder an andere möglicherweise ebenso willkürlich handelnde Institutionen wie den Monarchen, insbesondere die Verwaltung und die Gerichte verlieren; den Privaten als Teilnehmer im Rechtsgewinnungsprozess konnte und kann man sich angesichts der Vorstellung des Rechts als etwas Gemeinschaftlichem und Staatlichem überhaupt nicht vorstellen. Andererseits droht mit der Aufgabe der Idee der vollständigen rechtlichen Bindung der Verlust einer Grundfeste des Rechts: die Rechtssicherheit.342 3. Die Unterstützung des Ermessensbegriffs durch eine eigene Interpretationslehre der Reinen Rechtslehre Bereits bei der Darstellung des Ermessensbegriffs in Kelsens „Hauptproblemen“ wurde das Thema einer eigenen Methodenlehre der Reinen Rechtslehre angerissen.343 Eingehende Überlegungen über eine solche stellte als erster Merkl an. Ausgehend von der Erkenntnis, dass es verschiedene Methoden gibt, um eine Rechtsnorm auszulegen, knüpft Merkl an die herkömmlichen, von Friedrich Carl von Savigny (1779 – 1861) diskursprägend dargestellten Auslegungsmethoden an: Wortlaut, Historie, Systematik und Zweck.344 Merkl teilt die Auslegungsmethoden nach der Quelle ein, aus der mit ihnen Erkenntnis geschöpft werden kann. Die Auslegung nach dem Wortlaut schöpft allein aus dem Gesetz, genauer: der Rechtsnorm. Alle anderen Auslegungsmethoden, insbesondere die historische, ziehen zur Erkenntnis auch andere Quellen heran, so beispielsweise die historische Auslegung die Gesetzgebungsmaterialien und den subjektiven Willen des Gesetzgebers.345 Fol339 Grundlegend von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 171), S. 117, 175 – 217; ähnlich rechtsschutzorientiert bereits Friedrich Tezner, Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspflege. Eine kritisch-orientirende Studie, in: Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit 8 (1900), S. 220 – 279, 475 – 557, 9 (1901), S. 159 – 220, 515 – 610 (608 – 610); zum Ganzen Ulla Held-Daab, Das freie Ermessen. Von den vorkonstitutionellen Wurzeln zur positivistischen Auflösung der Ermessenslehre, Berlin 1996, S. 208 – 210, 222 f. 340 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 1. Aufl., Leipzig 1895, S. 100 f., 165. 341 Dazu Held-Daab, Ermessen (Anm. 339), S. 253. 342 Zur Illusion der Rechtssicherheit ergänzend unten S. 248 – 252. 343 Dazu oben S. 115 f. 344 Grundlegend Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, Berlin 1840, S. 213 – 216. 345 Gegen die subjektiv-historische Auslegung noch Kelsen in seinen „Hauptproblemen“, vgl. oben S. 116 in Anm. 185; ähnlich Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 134 – 146, der zwi-

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

gerichtig spricht Merkl von mehreren Rechtsquellen. Mit der Wahl der Interpretationsmethode wird zugleich die Rechtsquelle gewählt.346 Die Auswahl der Interpretationsmethode kann keine rechtliche Frage sein, da sie erst die Rechtsquellen festlegt, aus denen das zu erkennende Recht geschöpft wird. Zwar kann das positive Recht selbst Interpretationsregeln anordnen – beispielsweise Art. 1 Schweizerisches Zivilgesetzbuch,347 oder die Auslegungsregeln für Verträge und Testamente im deutschen BGB –, doch sind diese als Rechtsnormen bereits selbst Gegenstand der Interpretation, so dass es zu einem infiniten Regress von positivrechtlichen Interpretationsregeln kommt, wenn man die zu wählende Interpretationsmethode positivrechtlich bestimmen will.348,349 Auch der aus dem römischen Recht stammende und seitdem tradierte Interpretationsgrundsatz in claris non fit interpretatio350 hilft demnach nicht weiter, sofern er positiviert ist. Doch auch wenn er dem positiven Recht transzendent bleibt, ist es immer noch eine Frage der Interpretation, ob die fragliche Norm ihrem Wortlaut nach klar ist, oder der Interpretation bedarf. Interpretation ohne Vorverständnis ist unmöglich, dem Zirkel des Verstehens kann man nicht entkommen.351 Freilich steht hinter dem Wunsch nach Klarheit und hinter dem Versuch schen subjektiver und objektiver Auslegung unterscheidet und seine Sympathie für die objektive, vom Willen des Normsetzers losgelöste Auslegung bekundet (vgl. S. 144 f.), ohne zugleich die subjektive Auslegung für unzulässig zu erklären (vgl. S. 146). 346 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 94 f. 347 Art. 1 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. 12. 1907, BBl 1907 VI 589: Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde. Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung. 348 Nicht nachvollziehbar erscheint die Kritik Gerhart Wielingers, der in dieser Erkenntnis „eines jener Spezifika [sieht,] … die sich aus dem Neukantianismus ergeben“, denen er nicht zu folgen vermag; das Problem des infiniten Regresses positivierter Auslegungsregeln scheint für ihn jedenfalls nicht zu bestehen, vgl. Gerhart Wielinger, Merkls Interpretationslehre, in: Robert Walter (Hrsg.), Adolf J. Merkl. Werk und Wirksamkeit. Ergebnisse eines Internationalen Symposions in Wien (22.–23. März 1990), Wien 1990, S. 107 – 115 (113); erläuternd Walter, Stolzlechner und Wielinger im Diskussionsbericht S. 139 – 141. 349 So dann auch Walter, Auslegungsproblem (Anm. 186), S. 194, obwohl er S. 189 noch davon auszugehen scheint, dass positivrechtlich vorgeschriebene Auslegungsmethoden oder -regeln die Interpretation beeinflussen können – sie wären aber ihrerseits Gegenstand der Interpretation und insofern wenig weiterführend. 350 Über diesen Interpretationsgrundsatz ausführlich Saverio Masuelli, „In claris non fit interpretatio“. Alle origini del brocardo, in: Rivista di Diritto Romano 2 (2002), S. 401 – 424. 351 Grundlegend Martin Heidegger, Sein und Zeit (7. Aufl. 1953), in: Martin Heidegger (Hrsg.), Gesamtausgabe, 1. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1914 – 1970, Bd. 2: Sein und Zeit, Frankfurt a. M. 1976, S. 202 – 204; ihm folgend Hans-Georg Gadamer, Vom Zirkel des Verstehens (1959), in: Hans-Georg Gadamer (Hrsg.), Gesammelte Werke, Bd. 2: Hermeneutik II. Wahrheit und Methode, Tübingen 1986, S. 57 – 65; zu Vorverständnis und Vorurteil Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 2. Aufl., Tübingen 1965, S. 250 – 290; Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung. Rationalitätsgrundlagen richterlicher Entscheidungspraxis, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1972, S. 136 – 141; zur Einbeziehung des Vorverständnisses in die juristische

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der Zurückdrängung der Interpretation der alte Traum, dass Gesetze und nicht Menschen herrschen sollen.352 Dieser Traum wurde später dahin abgewandelt, dass die Rechtsnormen ihre Adressaten möglichst vollumfänglich binden und sie weitestgehend dem Willen des Normsetzers unterwerfen, ohne dass für sie eine Möglichkeit besteht, sich dieser Bindung zu entziehen.353 Merkls Verdienst ist es, den utopischen Charakter dieses Traumes aus rechtsstrukturanalytischer Perspektive darzulegen. Die Interpretationsmethodenlehre und die Wahl der Interpretationsmethode(n) stehen vor dem Zuständigkeitsbereich der rechtserkennenden Rechtswissenschaft und sind ihr transzendent. Rechtserhebliche Fehler können erst nach der Wahl der Interpretationsmethode(n) auftreten, da erst durch sie Recht erkannt werden kann und die Arbeit mit Recht erst ermöglicht wird. Die Auswahl der Interpretationsmethode kann daher auch nie rechtswidrig sein.354 Mit der Auswahl der Auslegungsmethode wird der Rechtsgewinnungsprozess also maßgeblich beeinflusst, indem auch der inhaltlich gesichert erscheinende Rechtserkenntnisakt mit einem (zumindest vorgeschalteten) Willensakt, der in der MethodenMethodik Alexander Schmitt Glaeser, Vorverständnis als Methode. Eine Methodik der Verfassungsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung U.S.-amerikanischen Rechtsdenkens, Berlin 2004, insb. S. 175 f., 267 – 273, 281 – 287. 352 Vgl. Platon, der im vierten Buch seiner „Nomoi“ von den Herrschern als Diener der Gesetze (to»r dÏ %qwomtar kecol´mour mOm rpgq´tar to?r mºloir 1j\kesa (715c 9 f.)) sowie dem Gesetz als Herr der Regierenden und den Regierenden als Sklaven des Gesetzes (1m Ø [sc. pºkei] d³ #m [sc. mºlor] despºtgr t_m !qwºmtym, oR d³ %qwomter doOkoi toO mºlou (715e 4 f.)) spricht (zitiert nach: R. G. Bury (Hrsg.), Plato in twelve volumes, vol. 10: Laws. Volume I, books I–VI, Cambridge (Massachusetts) und London 1926, S. 292). Ähnlich hatte bereits Solon (um 640–um 560 v. Chr.) eqmol¸g (ein Zustand guter Gesetze, Rechtlichkeit) gefordert, in der allein Gesetze und Verstand gelten (3sti dÏ rpÏ aqt/r / p\mta jatÏ !mhq~pour %qtia ja· pimut\, Solon, Eunomie, Z. 33, 38 f., zitiert nach: Helene Miltner (Hrsg.), Solon. Fragmente, Salzburg 1955, S. 31 – 43). Aristoteles griff diese Gedanken in seiner „Nicomachischen Ethik“ auf (vgl. 1134a 28 – 1134b 21). Gesetze allein reichen zur Ordnung des Gemeinwesens nicht aus, die Bürger müssen ihren Inhalt auch verinnerlichen. Am Ende muss der normative Gehalt der Rechtsnormen in der Welt des Seins zur Wirksamkeit kommen. Die Menschen, die dafür sorgen, herrschen, niemals jedoch die Gesetze selbst, die immer in der Welt des Sollens verbleiben; zur Notwendigkeit der Verinnerlichung des Gesetzesinhalts durch die Bürger in den Schriften Platons und Aristoteles Reinhart Maurer, Platons „Staat“ und die Demokratie. Historisch-systematische Überlegungen zur politischen Ethik, Berlin 1970, S. 124 f. Zu Kelsens Sicht auf diesen Menschheitstraum oben S. 111. 353 Solches versuchte z. B. Kaiser Justinian durch sein Kommentierungsverbot der Digesten zu erreichen, vgl. Georg S. Maridakis, Justinians Verbot der Gesetzeskommentierung, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 73 (1956), S. 369 – 375; Wolfgang Waldstein/J. Michael Rainer, Römische Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch, 10. Aufl., München 2005, § 44 Rn. 6 (S. 252). – Auch Montesquieu versuchte den unbedingten Vorrang des Gesetzgebers zu sichern, indem er dem Richter keine eigenständige Funktion zuspricht. Insofern ist er der Urvater des Gesetzeszentrismus (ergänzend oben S. 122 f. in und bei Anm. 241). 354 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 95.

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auswahl liegt, behaftet ist. Das Recht, das seine Erzeugung grundsätzlich selbst regelt, kann darauf keinen Einfluss nehmen und liegt so hinsichtlich seines Inhalts völlig in der Hand des Anwenders: „Die [rechtstranszendente] Rechtsauslegung schafft sich ihr eigenes Rechtssystem. Wie die Rechtsauslegung, so das Recht.“355 Zugespitzt aber zutreffend formuliert sind Interpretationsfragen immer „Glücksfragen“356. Merkls Worte führen bei konsequentem Weiterdenken zu einer radikalen Form des Subjektivismus, des Erkenntnis- und des Interpretationsskeptizismus. Der Fokus richtet sich damit weg von einem bisher als feststehend gedachten System des Rechts hin auf den Rechtsanwender und dessen Autorität, die das Rechtssystem erst schafft. Diese Auffassung entfernt sich freilich vom Standpunkt Kelsens und Merkls, die beide zumindest einen Rest objektiver Erkenntnismöglichkeit annahmen.357 Der Gedanke der Gesetzesbindung, besser: der Normbindung, der rechtsstrukturell als Erzeugungszusammenhang besteht, kann auf der rechtsinhaltlichen Ebene nicht mehr aufrechterhalten werden. Das Recht ist aus struktureller Perspektive kein taugliches gesellschaftliches Steuerungsinstrument, da seine Inhalte nicht mit Garantie über die verschiedenen nacheinander geschalteten Stufen des Rechtsgewinnungsprozesses ohne Veränderung transportiert werden können.358 Wenn man so will, kann man die Interpretationslehre der Reinen Rechtslehre als ihre offene Flanke begreifen. Versteht man die Interpretation als Instrument zur Ermittlung des Rechtsinhalts generell und nicht nur als Instrument zur Ermittlung eines existierenden heteronom determinierten Rahmens, innerhalb dessen dann eine autonome Rechtserzeugung stattfinden kann, so gibt es konsequenterweise so viele Rechtsinhalte wie Auslegungsergebnisse – „Wie die Auslegung, so das Recht“. Ist dem Ermessen kein Rahmen vorgegeben, so entfällt im Grunde die Rechtsbindung 355

Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 96 – Hervorhebung im Original. Theo Öhlinger, Bemerkungen zur Verfassungsdogmatik. Zugleich eine Besprechung von Walter–Mayer, Grundriß des österr Bundesverfassungsrechts (1976), in: Zeitschrift für Verkehrsrecht 23 (1978), S. 257 – 261 (257), der seinerseits Erhard Busek im Gespräch mit Heinz Fischer im Club 2 (einer Diskussionssendung des ORF) am 8. März 1977 zitiert; kritisch Walter, Auslegungsproblem (Anm. 186), S. 197. 357 Deutlich Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 104: „Denn durch Interpretation kann aus einer Norm nicht herausgeholt werden, was nicht schon vorher in ihr enthalten war.“; ebenso bereits Merkl, Anwendung (Anm. 124), insb. S. 114: „Wissenschaft [gemeint ist Erkenntnis] ist Reproduktion und Reproduziertes kann in keiner Richtung über das zu Reproduzierende hinausragen.“ – Hervorhebung im Original. 358 Verfehlt erscheint daher insofern die sich im Vordringen befindliche These, dass die Gesetze i. S. d. klassischen Ordnungsrechts ihre Steuerungsfähigkeit zunehmend einbüßen, z. B. Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft (Anm. 152), § 1 Rn. 10. Diese von der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ aufgegriffene Ansicht ist nicht rechts-, sondern gesellschaftswissenschaftlichen Ursprungs. Es ist eine Frage des jederzeit Änderungen unterliegenden jeweiligen „psychischen“ Zustands der Gesellschaft, ob und inwieweit normative Rechtsnormen eingehalten und als taugliche Steuerungsinstrumente angesehen werden. Aus der hier eingenommenen rechtsstrukturellen Perspektive ist die Steuerungsfähigkeit jedes arbeitsteiligen modernen Rechtssystems zu jeder Zeit und zu jedem Zustand der Gesellschaft gleich. Die „Neue Verwaltungsrechtswissenschaft“ hat an dieser Stelle mit ihrem noch vielerorts zu klärenden methodologischen Fundament zu kämpfen. 356

B. Der Ermessensbegriff

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ganz bzw. sie besteht nur noch an die schier unendlich vielen Auslegungsmöglichkeiten, was so gut wie dasselbe bedeutet. Der noch eben differenziert ausgearbeitete Stufenbau der Rechtsordnung und das Wechselspiel von heteronomer und autonomer Komponente würden bedeutungslos. Zumindet dem lässt sich aber dadurch entgegentreten, dass man einen heteronom gegebenen Rahmen postuliert. Allerdings drängt der eben entwickelte radikale Subjektivismus in der Interpretation die Frage auf, warum überhaupt noch Gedanken zum Ermessen des Rechtsanwenders anzustellen sind, wenn doch bedingt durch die Methodenwahl in letzter Konsequenz keinerlei Determinierung möglich ist. Determinierung ist aber Voraussetzung für Ermessen, da Ermessen und Determinierung komplementär zueinander stehen und beide nur so sinnvoll gedacht werden können. Mit dem Ermessen bricht dann auch das Konzept einer arbeitsteiligen Rechtsordnung, das ebenfalls einen gewissen Grad an Bindung voraussetzt, zusammen. An dieser Stelle spielt es keine Rolle, dass das positive Recht selbst eine Normbindung anordnet (beispielsweise in Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG). Das Recht ordnet aus der hier eingenommen Perspektive eben etwas tatsächlich Unmögliches an.359 Dennoch muss man von der Möglichkeit der rechtlichen Determinierbarkeit ausgehen. Andernfalls verlöre einerseits die Rechtswissenschaft ihren Sinn, andererseits liefert der empirisch-praktische Befund ein Mindestmaß an Determinierbarkeit und Determiniertheit, da sich der Rechtsanwender jedenfalls – mal mehr, mal weniger – gebunden fühlt und er seine Auslegungsergebnisse und (Ermessens-)Entscheidungen mit juristischen Argumenten begründet. Für die tägliche Praxis der Rechtsgewinnung bringt eine Ermessenslehre durchaus Erkenntnisgewinn ein, zumal die reine Theorie sich hier nicht Eins zu Eins auf die Praxis anwenden lässt. Gewisse Abweichungen zwischen Theorie und Praxis sind bei der Ermessenslehre von daher ruhigen Gewissens hinnehmbar. Von daher ist auch eine – konsequenterweise skeptische – Interpretationslehre sinnvoll. Sie ist eine metarechtliche Methodenfrage, die sich mit den Mitteln der Erkenntnis, jedoch gerade nicht mit dem Ergebnis des Erkenntnisprozesses und Fragen der Determinierbarkeit befasst. Zudem lassen sich mit solch einer Interpretationslehre auch „überraschende“ Interpretationsergebnisse – wie beispielsweise bei der Aufgabe einer gefestigten Rechtsprechung – erklären, indem sie in der Struktur des Rechtsgewinnungsprozesses den Punkt aufzeigt, an dem die „Überraschung“ stattfindet und aufzeigt, welches Interpretationsmittel zu diesem Ergebnis führte. Man kann die Methodenwahl analog der Grundnorm als Standpunktwahl verstehen.360 Sie ist dann die Voraussetzung eines bestimmten Rechts(inhalts)verständnisses. So lässt sich auch erklären, warum jeder Rechtsanwender sein eigenes Verständ359

In diesem Zusammenhang zur Rechtsbindung im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung Christian Hillgruber, „Neue Methodik“ – Ein Beitrag zur Geschichte der richterlichen Rechtsfortbildung in Deutschland, in: Juristenzeitung 63 (2008), S. 745 – 755 m. w. N., der S. 745 zurecht meint, die Rechtsbindung müsste „notfalls als Fiktion angesehen werden“, „[w]ir müssten also zumindest so tun, als ob es sie gibt oder doch jedenfalls geben könnte“. 360 Zur Grundnorm als Standortbestimmung oben S. 109.

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nis vom Recht hat und in seinen Entscheidungen zum Ausdruck bringt. Nicht zu beheben ist so jedoch das Problem, dass es immer auf den aktuellen Entscheider ankommt und die Vorentscheider nicht die Rolle spielen, die ihnen das Recht mit seinem Konzept der Arbeitsteilung zuschreibt. Diesen Überlegungen verschließt sich Merkl, freilich nicht ohne Grund.361 Am Rande bemerkt: Es zeigt sich an dieser Stelle einmal mehr, dass die Reine Rechtslehre keine wirklichkeitsfremde,362 autistische Theorie ist.363 Indem sie die 361

Dazu unten S. 144 f. Die Reine Rechtslehre versuchte wo es sich anbot den Bezug zur (Rechts-)Wirklichkeit herzustellen. So spielte Merkl seine Erkenntnisse zur lex posterior am Beispiel Österreichs durch (vgl. Merkl, Rechtseinheit (Anm. 209)), Kelsen wendete die Stufenbaulehre auf das staatliche Recht sowie das Völkerrecht an (vgl. nur Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 73 – 84) und verwertete die Reine Rechtslehre bei seiner Kommentierung der VN-Charta (Hans Kelsen, The Law of the United Nations. A Critical Analysis of Its Fundamental Problems – With Supplement –, New York 1950; programmatisch S. xiii: „This book is a juristic – not a political – approach to the problems of the United Nations.“). Dabei kommt der Reinen Rechtslehre auch ihre angebliche Geschichtslosigkeit (dazu Heinrich Triepel, Staatsrecht und Politik. Rede beim Antritt des Rektorats der Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1926, Berlin und Leipzig 1927, S. 18 f.; Hermann Heller, Bemerkungen zur staats- und rechtstheoretischen Problematik der Gegenwart, in: Archiv des öffentlichen Rechts 16 (1929), S. 321 – 354 (323, 343, 349); Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, in: Archiv des öffentlichen Rechts 16 (1929), S. 161 – 237 (190 f.)) zu Hilfe, da sie jede moderne arbeitsteilige Rechtsordnung unabhängig von ihrem historischen Hintergrund beschreiben kann, weil sie eine Theorie des positiven Rechts schlechthin ist (zur (Selbst-) Charakterisierung der Reinen Rechtslehre oben S. 95 f.). 363 Diese Vorwürfe begleiten die Reine Rechtslehre von Anfang an, so z. B. Hermann Heller, Die Krisis der Staatslehre, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 55 (1926), S. 289 – 316 (301); Triepel, Staatsrecht (Anm. 362), S. 18 f.; Ulrich Scheuner, Nachprüfung des Ermessens durch die Gerichte, in: Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit 33 (1928), S. 68 – 98 (83); Ernst Schwind, Grundfragen und Grundlagen des Rechts. Rechtstheoretische Betrachtungen und Erörterungen, München 1928, insb. S. 64; Heller, Bemerkungen (Anm. 362), S. 323, 333 f., 341, 343, 348 – 354; Schmitt, Hüter 1929 (Anm. 362), S. 190 f.; Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Berlin 1931, S. 30; Hermann Klenner, Rechtsleere – Verurteilung der Reinen Rechtslehre, Frankfurt a. M. 1972, insb. S. 50 – 66, 67 – 76, 77 – 81; eine Zusammenfassung von Schmähungen bei Horst Dreier, Hans Kelsens Wissenschaftsprogramm, in: Helmuth Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, Berlin 2007, S. 81 – 114 (81). Der Grund für diese Vorwürfe knüpft sich vordergründig an der von der Reinen Rechtslehre vorgenommenen Identifikation von Staat und Rechtsordnung (grundlegend Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 578) an. So wandte sich Kelsen namentlich gegen die Zwei-SeitenLehre G. Jellineks (dazu oben S. 36) und blendete die soziologische Dimension des Staates und des Rechts weitgehend aus (das kritisierten Otto Mayer, [Buchbesprechung:] Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze von Dr. H. Kelsen. 1911. Tübingen, Mohr. 16 M., in: Deutsche Juristen-Zeitung 16 (1911), Sp. 1284 f. (Sp. 1284); Rudolf von Laun, [Buchbesprechung:] Hauptprobleme der Staatsrechtslehre. Von Dr. Hans Kelsen. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1911. XXVII und 709 S. Soziale Machtverhältnisse. Grundzüge einer allgemeinen Lehre vom positiven Rechte auf soziologischer Grundlage. Von Dr. Ignatz Kornfeld. Wien 1911, Manz, VII und 350 S., in: [Grünhuts] Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 39 (1912), S. 312 – 335 (324, 326 f., 329); Othmar Spann, Bemerkungen 362

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zentrale Rolle des Rechtsteilnehmers herausarbeitet, stellt sie zunächst klar, dass nicht Recht, sondern Menschen herrschen – freilich im Gewande des Rechts.364 Damit wird auch klar, dass sowohl der autonome Teil der Methodenwahl im Rahmen der heteronomen Komponente als insbesondere auch die autonome Komponente Maßstäbe brauchen, anhand derer sich der Rechtsteilnehmer einerseits orientieren kann und andererseits messen lassen muss. So finden Werte und (Rechts-)Inhalte ihren Eingang und ihren Platz in das Gebäude der Reinen Rechtslehre. Das Recht selbst ist mitnichten politikfern, inhalts- und wertleer. Allein die Reine Rechtslehre kann und will als formale Strukturtheorie des Rechts Werte und Inhalte nicht selbst zur Verfügung stellen.365 Anders als der Gesetzeszentrismus und der Subsumtionsau-

über das Verhältnis von Sein und Sollen, in: Zeitschrift für öffentliches Recht 3 (1922/23), S. 555 – 562 (561); Alexander Hold-Ferneck, Der Staat als Übermensch. Zugleich eine Auseinandersetzung mit der Rechtslehre Kelsens, Jena 1926, S. 2 f., 12 f., 15 – 30; Schwind, Grundfragen, a. a. O., S. 65 – 87; Jöckel, Methode (Anm. 52), S. 132 – 136). Der Kern des Problems und damit auch der eigentliche Angriffspunkt ist jedoch die Konsequenz, dass sich mit der Reinen Rechtslehre daher nur Recht und kein Staat machen lässt, was Hold-Ferneck, Übermensch, a. a. O., S. IV, folgendermaßen auf den Punkt brachte: „… Lehren, die geeignet sind, jegliche Achtung vor Recht und Staat zu untergraben. Ich muß annehmen, daß Kelsen das Furchtbare dieser Lehren nicht so sehr zum Bewußtsein gekommen ist. Er hätte sonst gewiß Bedenken gehegt, sie in einem Buch vorzutragen, das auch für die akademische Jugend bestimmt ist.“ – Diese Ausführungen erinnern in ihrem Pathos an die Anklage des Sokrates, dem vorgeworfen wurde, dass er neue Götter einführe und die Jugend verderbe (vgl. Platon, Apologie des Sokrates, 23c–d) und mögen Hold-Ferneck zu seiner Wortwahl inspiriert haben. Ein weiteres Problem ist der Rückzug der Reinen Rechtslehre aus der Frage nach einem inhaltlichen Unterscheidungskriterium zwischen Recht und Unrecht (dazu gleich in Anm. 365). 364 Mag die Herrschaft von Menschen über Menschen – insb. in einer Demokratie – ein noch so unerträgliches Faktum sein (vgl. Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1. Aufl., Tübingen 1920, S. 10), es lässt sich doch nicht abschaffen, sondern nur überspielen oder verbrämen. Herrschaft ist ein Verhältnis zwischen Menschen, Subjekt wie Objekt der Herrschaft kann nur jeweils ein Mensch sein. Aliud non datur. Zwar mag Herrschaft bzw. Macht durch Recht kanalisiert und legitimiert sein, d. h. im normativen Gewand auftreten, sie bleibt aber faktisch Herrschaft. Macht aufgrund Recht ist nicht per se erträglicher und „besser“ als nackte Macht, da es dazu auch „gutes“ Recht braucht. 365 Der Reinen Rechtslehre fehlt tatsächlich ein materielles Kriterium, um Recht von Willkür, um den „Rechtsstaat“ vom „Unrechtsstaat“, sprich den Staat von einer Räuberbande abzugrenzen (das Beispiel der Räuber wählt Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 45 f. – Augustinus, auf den sich Kelsen bei seinem Beispiel bezieht („Remota itaque iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia?“, De civitate Dei, IV 4, zitiert nach Aurelius Augustinus, De civitate Dei libri XXII, hrsg. von Bernard Dombart und Alfons Kalb, Bd. 1, 5. Aufl., Stuttgart und Leipzig 1981), stand hier immerhin noch die göttliche Gerechtigkeit zur Verfügung); zu diesem Problem grundlegend Alexander Hold-Ferneck, Ein Kampf ums Recht. Entgegnung auf Kelsens Schrift „Der Staat als Übermensch“, Jena 1927, S. 29, 55, insb. 77; Heller, Bemerkungen (Anm. 362), S. 349 f., 352. Dieser „Schwachpunkt“ war freilich auch Kelsen bewusst. Indes, die Reine Rechtslehre kann und will als anatomische Strukturtheorie des Rechts ein solches Kriterium auch nicht liefern. An dieser Stelle ist nicht der Subsumtionsautomat, sondern der vom positiven Recht zur Rechtsgewinnung ermächtigte Mensch gefragt, dem Recht „gute Inhalte“ einzufügen oder es insgesamt „zum Guten“ zu verändern.

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tomatismus hält die Reine Rechtslehre aber nicht die Illusion einer vollständigen Gebundenheit des Rechtsteilnehmers aufrecht, sondern zwingt den Rechtsteilnehmer dazu, über seinen autonomen Anteil an der Rechtsgewinnung zu reflektieren und über seine autonomen Determinanten Zeugnis abzulegen. Im Rechtsgewinnungsprozess spielen – auch und insbesondere aus der Perspektive der Reinen Rechtslehre – Moral, Religion, Philosophie, Kultur, Soziologie, Psychologie usw. und nicht zuletzt Politik herausragende Rollen. Jedenfalls steht dem Rechtsanwender nach der Anwendung der Rechtserkenntnismethoden, also der Rechtserkenntnis, ein Spielraum offen. Der Rechtsanwender nimmt nun – positivrechtlich ermächtigt – einen Willensakt vor, arbeitet also nicht mehr bloß kognitiv-rezeptiv (erkennend), sondern autoritativ-produktiv (willentlich schaffend): „Recht ist, was du als Richter [genauer: Rechtsanwender im weitesten Sinne] als Recht erkennst.“366 Hier zeigt sich der weltanschauliche Skeptizismus und Relativismus der Reinen Rechtslehre, der um einen extremen Subjektivismus zu ergänzen ist, wie ihn schon der altgriechische Sophist Protagoras (490 – 411 v. Chr.) in seinem „Homo-mensura-Satz“ formulierte: „P\mtym wqgl\tym l]tqom 1st·m %mhqypor, t_m l³m emtym ¢r 5stim, t_m d³ oqj emtym ¢r oqj 5stim.“367 Im Mittelpunkt steht der einzelne Mensch, der (positivrechtlich ermächtigt) das Maß aller Damit kann auch der Positivismus nicht als Steigbügelhalter für den Nationalsozialismus oder für andere totalitäre Systeme verantwortlich gemacht werden, wie es Gustav Radbruch 1945 behauptete: „Der Positivismus hat … mit seiner Überzeugung ,Gesetz ist GesetzÐ den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts.“ (Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (1946), in: Arthur Kaufmann (Hrsg.), Gustav Radbruch. Gesamtausgabe, Bd. 3: Rechtsphilosophie III, bearb. v. Winfried Hassemer, Heidelberg 1990, S. 83 – 93 (88)). Denn ein solcher Geltungspositivismus (zum Begriff vgl. oben S. 96) wie der der Reinen Rechtslehre zeigt die Spielräume in einer jeden Rechtsordnung auf, die autonom und daher gerade nicht von „willkürlichen und verbrecherischen“ Gesetzesinhalten kontaminiert sind. Er versperrt dem zur Rechtserzeugung ermächtigten Menschen den globalen Hinweis auf das Gesetz und so auch die Möglichkeit, sich hinter diesem zu verstecken. Vielmehr zwingt er ihn dazu, sich jenseits des „willkürlichen und verbrecherischen Inhalts“ des Gesetzes eben diesen Inhalt zu eigen zu machen, d. h. die Verantwortung dafür zu übernehmen. Nicht der (Geltungs-)Positivismus macht den Menschen wehrlos, sondern der Mensch selbst setzt autonom determiniert, d. h. in eigener Verantwortung, die inkriminierten Rechtsinhalte. Auch im Übrigen darf die These Radbruchs heute als widerlegt gelten, vgl. nur Manfred Walther, Hat der juristische Positivismus die deutschen Juristen wehrlos gemacht?, in: Kritische Justiz 21 (1988), S. 263 – 280 (279 f.); auch Max-Emanuel Geis, Der Methoden- und Richtungsstreit der Weimarer Staatslehre, in: Juristische Schulung 29 (1989), S. 91 – 96 (95); Ralf Dreier/Stanley L. Paulson, Einführung in die Rechtsphilosophie Radbruchs, in: Ralf Dreier/Stanley L. Paulson (Hrsg.), Gustav Radbruch. Rechtsphilosophie. Studienausgabe, Heidelberg 1999, S. 235 – 250 (248 f. m. w. N.); Thomas Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit. Rechtswissenschaft jenseits von Positivismus und Naturrecht, Tübingen 2004, S. 39; Hillgruber, „Neue Methodik“ (Anm. 359), S. 754. 366 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 96 f. – Zitat S. 97. 367 „Das Maß aller Dinge ist der Mensch, der seienden, dass (wie) sie sind, der nicht seienden, dass (wie) sie nicht sind“ (Altgriechisches Original zitiert nach: Hermann Diels/ Walther Kranz (Hrsg.), Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch, Bd. 2, 10. Aufl., Berlin 1960, Protagoras B 1 (S. 263, 3 – 5)).

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(rechtlichen) Dinge ist und bestimmt, was Recht ist und was zu Recht wird. Recht und Unrecht sind daher nicht mathematisch exakt feststellbar, da das Recht alle Lösungen oder gar die eine richtige Lösung nicht von Anfang an enthält, sondern dem Rechtsanwender Spielräume belässt.368 Hierin liegt eine klare Absage an das Rechtsgewinnungsbild des Subsumtionsautomatismus, auch von einem blinden Normativismus der Reinen Rechtslehre kann keine Rede sein.369 An dieser Stelle ist der methodologische Anknüpfungspunkt des freien Ermessens, das erst den Einzelfall im Verlauf des Rechtsgewinnungsprozesses perfekt werden lässt, d. h. den Rechtsgewinnungsprozess auf der jeweiligen Stufe abschließt.370 Erst dann können rechtswissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden, da Rechtswissenschaft Recht als ihren Erkenntnisgegenstand voraussetzt und wegen ihrer Beschränkung auf die Erkenntnis ihren Gegenstand nicht als schöpferischer Rechtsanwender selbst erzeugen kann. Aus methodologischer Perspektive heißt Ermessen: „Das Gesetz [genauer: das Recht] schweigt … um den Richter [genauer: den Rechtsanwender im weitesten Sinne] reden zu lassen.“371 „Das Gesetz [genauer: das Recht] sagt uns durchaus nicht, was materiell Rechtens ist, es gibt uns vielfach nur auf die Frage Antwort: Wer hat Recht?, und verweist uns, bei diesem nachzufragen.“372 Mit dieser Erkenntnis verlagert sich das Rechtserkenntnisproblem auf die Kompetenzebene, auch wenn Merkl selbst dies später andernorts vehement bestreitet.373 Die Frage nach der Erkenntnis bzw. Erkennbarkeit der Kompetenz verliert sich freilich in der Aporie, wie bereits Kelsen feststellte: „Nur scheinbar ein Kriterium liefert, wer … als Erkenntnisgrund dafür, daß etwas gesollt ist, angibt, es stamme von der kompetenten Autorität. Denn dann ist die Frage zu beantworten, woran die Autorität zu erkennen sei; und die Antwort darauf kann nicht anders lauten, als: an der Fähigkeit … Normen zu setzen … Damit ist aber der circulus vitiosus geschlossen.“374

Damit verliert zwar das Recht seinen Ruf der Exaktheit, die materielle Indeterminiertheit ist dem Recht jedoch bis zur letzten Konkretisierungsstufe begriffswesentlich.375 Schlussendlich unterscheidet Merkl zwei weitere Auslegungsmethoden: die der Rechtstheorie (Rechtswissenschaft) und die der Rechtspraxis. Erstere klärt, zweite schafft.376 Die Auslegung der Rechtspraxis ist die authentische Auslegung, die nicht allein der Gesetzgeber, sondern jeder positivrechtlich ermächtigte Rechtsan368

Vgl. auch Behrend, Stufenbaulehre (Anm. 207), S. 85. Diesen Vorwurf erhob Schmitt, Hüter (Anm. 363), S. 30; ergänzend oben S. 140 f. in und bei Anm. 363. 370 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 100. 371 Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 97. 372 Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 102. 373 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1101 f. 374 Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 160 – Hervorhebung im Original. 375 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 102. 376 So Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 114. 369

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wender vornimmt.377 Die Merklsche Verwendung des Begriffs der Interpretation sowohl für den Akt der Rechtserkenntnis (intellektuelle Interpretation) als auch für den Akt der Rechtserzeugung durch die Rechtspraxis (authentische Auslegung) birgt die Gefahr für Missverständnisse, da Interpretation Erkenntnis impliziert. Der Akt der Rechtserzeugung ist aber ein Willensakt, der so leicht ebenfalls als Erkenntnisakt angesehen werden könnte.378 Die Konsequenz wäre eine Wiederbelebung des statischen Rechtsgewinnungsbildes des Subsumtionsautomatismus, der ja gerade davon ausgeht, dass alles Recht bereits im Gesetz enthalten ist und nur noch durch logische Operationen abgeleitet, d. h. erkannt werden muss. Der Begriff der Interpretation sollte – zunächst unabhängig von der Einteilung in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis – dem Erkenntnisakt vorbehalten bleiben, d. h. in der Merklschen Begrifflichkeit der intellektuellen Interpretation. Im nächsten Schritt kann die Kompetenzproblematik in der Begrifflichkeit abgebildet werden, indem auch die rechtwissenschaftliche (intellektuelle) Interpretation aus dem Interpretationsbegriff ausgeschieden und nur die (intellektuelle) Interpretation des positivrechtlich Ermächtigten als Interpretation aufgefasst wird. Die Rechtserzeugung – Merkl kann hier mit der österreichischen Begrifflichkeit der Rechtserkenntnis und des Rechtserkenntnisses operieren379 – kann in jedem Falle nur durch einen dazu vom positiven Recht Ermächtigten erfolgen, weshalb es für diesen Schritt im Rechtsgewinnungsprozess der Unterscheidung zwischen Rechtspraxis und Rechtswissenschaft nicht bedarf. Festzuhalten bleibt, dass die Einführung der Kategorie der authentischen Interpretation überflüssig ist. Daher sind an dieser Stelle noch einige Bemerkungen zum Rechtswissenschaftsbegriff Merkls anzubringen. „Die Wissenschaft vom Recht ist Rechtsauslegung; die rechtlichen Erkenntnisse sind Produkte der Auslegung, daher fällt die Funktion der Rechtserkenntnis mit der Auslegungstätigkeit in eins zusammen.“380 Merkl versteht Rechtswissenschaft offensichtlich – in Abgrenzung zur Rechtspraxis und hier insbesondere dem Richter381 – als die an den Universitäten institutionalisierte Beschäftigung mit dem Recht. Daher spricht er auch pro domo, wenn er meint, „Recht ist, was die Rechtswissenschaft als wahr erkennt“382. Und weiter: „Aber die Rechtswissenschaft hat Recht im eigentlichsten Sinne des Wortes, hat insbesondere auch allein Recht im Konflikt mit der Rechtspraxis, die bloß den – erst von der Rechtswissen377

Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 115. Freilich ist die strikte Trennung zwischen Erkenntnis- und Willensakt cum grano salis zu verstehen, da nach dem heutigen Stand der Erkenntnistheorie – vielleicht anders als noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – ein Erkenntnisakt immer Willenselemente enthält und umgekehrt. Beide Akte sind produktiv bzw. kreativ, zu unterscheiden ist nur hinsichtlich ihres Produktes. Während der Erkenntnisakt Wissen über das Recht schafft, schafft der Willensakt Recht. Um den Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses schematisch darstellen zu können, ist aber die in dieser Pauschalität verkürzende Trennung zwischen Erkenntnis- und Willensakt kaum zu vermeiden. 379 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 114. 380 Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 88. 381 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 96 – 116. 382 Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 290 – Hervorhebung im Original. 378

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schaft zu verifizierenden – Versuch des Rechtes darstellt.“383 Die Antwort auf die Frage, welcher positivrechtlichen Norm er diese Ermächtigung der Rechtswissenschaft entnimmt, bleibt Merkl schuldig. Seine hier dargestellten Gedanken stehen im Übrigen im Widerspruch zu seinen anderorts zum Primat der Rechtspraxis zutreffend getätigten Aussagen.384 Merkl vermengt zwei Systeme, nämlich das System der Rechtswissenschaft, dessen Eigengesetzlichkeit ein auf Rationalität gestütztes methodisches Vorgehen mit dem Ziel der Erkenntnis seines Gegenstandes ist und das System des Rechts, dessen Eigengesetzlichkeit nicht auf der Rationalität, sondern allein auf der Autorität des Rechtsanwenders beruht: „Authoritas, non Veritas facit Legem.“385 Von den beiden Funktionen der Rechtswissenschaft, der formalen Strukturtheorie einerseits und der Erkenntnis der verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten andererseits,386 ist hier nur die letztgenannte von Interesse – die formale Strukturtheorie spielt für die tägliche, auf den Rechtsinhalt blickende Arbeit des Rechtsanwenders eine eher untergeordnete, sein Tun allenfalls mittelbar beeinflussende Rolle. Die Rechtswissenschaft kann nur Vorschläge unterbreiten, welche Methoden für die Rechtserkenntnis zu wählen sind und darlegen, zu welchen Erkenntnissen sie führen, sowie Anregungen geben, wie der Rechtsanwender in der Folge sein „freies Ermessen“ zu betätigen hat. Ihr rational-methodisches Vorgehen mag in der Praxis dafür streiten, ihre Anregungen – sofern nicht gute Gründe dagegen sprechen – im Rahmen des „freien Ermessens“ umzusetzen. Sofern die Rechtswissenschaft keine positivrechtliche Ermächtigung nachweisen kann, sind ihre Aussagen nicht bindend. Merkl versucht mit seiner Begrifflichkeit der Rechtswissenschaft einen Platz einzuräumen, der ihr nach seinem eigenen Rechtswissenschaftsverständnis nicht zusteht. Dahinter steht sein Wunsch, die Rationalität der Rechtswissenschaft in das Recht zu transportieren. So will Merkl verhindern, „daß die Wohltat, die das Ermessen … bedeutet, zur Plage der Willkür entartet“.387

383 Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 290 – Hervorhebung im Original; ähnlich bereits Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 110 f. 384 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 108. 385 Der Gedanke lautet vollständig: „In Civitate constituta, Legum Naturae Interpretatio non a Doctoribus et Scriptoribus Moralis Philosophiae dependet, sed ab Authoritate Civitatis. Doctrinae quidem verae esse possunt; sed Authoritas, non Veritas facit Legem“ (Thomas Hobbes, Leviathan, sive De Materia, Forma et Potestate Civitatis ecclesiasticae et civilis, Amsterdam 1668, cap. 26, p. 132 f.). Freilich ist auch die „Authoritas“ stets bestrebt, ihre Entscheidungen mit „Veritas“ zu legitimieren und zu begründen. 386 Merkl trennt zwischen diesen beiden Funktionen nicht, vgl. dessen Definition der Rechtswissenschaft oben S. 144 bei Anm. 380. Das spielt hier jedoch keine Rolle, da auch die formale Rechtsstruktur eine Auslegung des Rechts voraussetzt, um die Regeln zu erkennen, die das Recht selbst zu seiner eigenen Regelung aufstellt. Die formale Rechtsstrukturtheorie ist insofern ein Auslegungsansatz, der die gesamte Rechtsordnung erfasst und ausschließlich auf die Erkenntnis eines ganz bestimmten (formellen) Regelungsgehalts gerichtet ist, nämlich auf die Ausgestaltung des Rechtsgewinnungsprozesses. 387 Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 157.

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Insgesamt bettet Merkl die überkommenen Auslegungsmethoden – wobei er ein klares Votum für die „objektive“388 Auslegung abgibt,389 zugleich aber auch darauf hinweist, dass die Wahl zwischen „objektiver“ und „subjektiver“Auslegung eine metarechtliche Problematik ist390 – in das Rechtsgewinnungsbild der Reinen Rechtslehre ein. Damit zeigt er zugleich, dass die Reine Rechtslehre keiner eigenen Interpretationsmethode(n) bedarf. Die teilweise erhobenen Vorwürfe einer unentwickelten Methodenlehre391 gehen demnach ins Leere. 4. Merkls Begriff der Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen, des Fehlerkalküls und der Rechtskraft a) Die Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen Es ist gemeinhin selbstverständlich, dass es rechtswidrige Rechtsnormen gibt. Weniger bewusst ist hingegen, wie Rechtswidrigkeit aus dem Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses zu konstruieren ist und was Rechtswidrigkeit aus rechtsstrukturtheoretischer Perspektive bedeutet. Aus dem Wechselspiel von objektiver und subjektiver Komponente ergeben sich die Ergebnisoffenheit des Rechtsgewinnungsprozesses und der Begriff der Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen. Die Ergebnisoffenheit ist ein Phänomen innerhalb der subjektiven Komponente, indem immer der jeweils nächste durch die Rechtsordnung zur Rechtsgewinnung Ermächtigte dem Recht neue, vielleicht unerwartete subjektive Komponenten hinzufügen und dem Konkretisierungsverlauf dadurch eine neue Richtung geben kann, die von dem auf einer höheren Stufe tätig gewordenen Rechtsanwender nicht vor(her)gesehen oder gar überhaupt nicht gewollt war. Wird dagegen die objektive Komponente zu irgendeinem Zeitpunkt inhaltlich verändert oder nicht beachtet, so entstehen Normen, die nicht durch die höhere Normenstufe bedingt sind. Der Erzeugungszusammenhang und Norm-Norm-Ableitungszusammenhang wird dann abgebrochen.392 Solche Normen sind – sofern und soweit das Fehlerkalkül den in diesem Abbruch liegenden Fehler nicht behebt oder Rechtskraft ein388 Die „objektive Interpretation“ betrachtet das Recht als ein „selbständiges Ding“, das vom Willen des Gesetzgebers emanzipiert ist, vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 136 – beide Zitate dort. 389 Dazu Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 134 – 146, insb. 140 – 146. 390 Vgl. Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 137, einschränkend mit dem Hinweis auf positivrechtliche Auslegungsregeln S. 138 f. – zur Problematik dieser Auslegungsregeln oben S. 136 f. 391 So z. B. Christoph Müller, Kritische Bemerkungen zur Auseinandersetzung Hermann Hellers mit Hans Kelsen, in: Christoph Müller/Ilse Staff (Hrsg.), Staatslehre in der Weimarer Republik. Hermann Heller zu ehren, Frankfurt a. M. 1985, S. 128 – 157 (134 f. Anm. 18); Osterkamp, Gerechtigkeit (Anm. 365), S. 64. 392 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1102 f.; ebenso bereits Kelsen, Staatsunrecht (Anm. 17), S. 508.

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tritt – kein Teil der Rechtsordnung und damit rechtswidrig.393 Alle weiteren durch diese Normen bedingte Normen sind ebenfalls kein Teil der Rechtsordnung, der sie zugehörig sein wollen. Gleichwohl können sie als Rechtsnormen erkannt werden, freilich unter der Voraussetzung einer anderen Grundnorm. Die (formale) Rechtseinheit besteht dann jedenfalls nicht mehr.394 Der Merklsche Rechtswidrigkeitsbegriff fällt über die rechtswidrige Norm kein moralisches Unwerturteil, sondern stellt allein auf rechtsstrukturelle Gesichtspunkte ab. Rechtswidriges Recht ist kein im rechtsmoralischen Sinne inhaltlich „böses“ oder „schlechtes“ Recht, sondern Recht, das sich nicht in die Rechtsordnung, in die es sich einordnen soll oder will, einordnen lässt, da es den entsprechenden Verfahrensvorgaben und bzw. oder Inhaltsvorgaben nicht entspricht. Freilich ist der Begriff „rechtswidriges Recht“ widersprüchlich und irreführend, da es sich mangels jeglicher Möglichkeit der Einordnung in die Rechtsordnung schlicht um kein Recht handelt. b) Das Fehlerkalkül aa) Merkls Entdeckung des Fehlerkalküls Nicht jeder Verstoß gegen die Verfahrens- und Inhaltsvorgaben führt zur Unterbrechung des Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs und damit zur Rechtswidrigkeit. Das positive Recht selbst rechnet mit Fehlern im Rechtsgewinnungsprozess und regelt die Fehlerfolgen. Dieses Phänomen der Fehlerberechnung bezeichnet Merkl als Fehlerkalkül, worunter er „jene positivrechtliche[n] Bestimmung[en versteht], die es juristisch ermöglich[en], dem Staat solche Akte zuzurechnen, die [zwar] nicht die Summe der anderweitig positivrechtlich aufgestellten Voraussetzungen ihrer Entstehung und damit ihrer Geltung erfüllen, die es [aber gleichwohl] erlaub[en], solche Akte trotz jenes Mangels als Recht zu erkennen“395.

Dabei unterscheidet er zwischen Minimal- und Maximalerzeugungsvoraussetzungen.396 Die Minimalerzeugungsvoraussetzungen sind diejenigen Vorgaben, die eine Rechtsnorm in jedem Fall erfüllen muss, um überhaupt als Recht, d. h. einer bestimmten Rechtsordnung zugehörig, erscheinen zu können. Die Maximalerzeugungsvoraussetzungen sind dann eingehalten, wenn die Rechtsnorm ausnahmslos alle Vorgaben des anzuwendenden höherrangigen Rechts einhält. Das Fehlerkalkül hat damit gedanklich zwei Ansatzpunkte. Zunächst ist eine Aussage darüber zutreffen, ob die Minimalerzeugungsvoraussetzungen eingehalten sind. Sodann schließt sich die 393

Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1098. Zur (formalen) Rechtseinheit oben S. 106 – 108, 119. 395 Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 293 – Hervorhebungen im Original; bereits angedeutet bei Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1104: „Ich bestreite dem Rechte keineswegs die Fähigkeit ,UnrichtigesÐ gewissermaßen ,richtigÐ zu machen.“ 396 Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 293; von einem „Mindestmaß“ spricht auch bereits Walter Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen. Eine verwaltungs- und prozeßrechtliche Studie, Tübingen 1908, S. 125. 394

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Frage an, ob und inwiefern die Nichteinhaltung der Erzeugungsvoraussetzungen in der Spanne zwischen den Minimal- und Maximalerzeugungsvoraussetzungen beachtlich ist oder durch das Fehlerkalkül „herausgerechnet“ wird. Das Fehlerkalkül äußert sich am deutlichsten in den von der Rechtsordnung selbst zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfen (Klagen, Anträge, Beschwerden, Widersprüche, Einsprüche, Gegenvorstellungen usw.). Das Recht macht so deutlich, dass es mit Fehlern im Rechtsgewinnungsprozess rechnet, indem es Kontroll- und Reparaturmöglichkeiten schafft, die ohne (die vorausgesetzten) Fehler sinnlos wären.397 bb) Das Fehlerkalkül am Beispiel des aktuell geltenden Rechts An der heute geltenden Rechtslage lässt sich das Fehlerkalkül sowohl an konkretindividuellen als auch an abstrakt-generellen Rechtsnormen veranschaulichen, insbesondere am Begriffspaar Nichtigkeit-Rechtswidrigkeit. Für das Beispiel des Verwaltungsakts als konkret-individueller Rechtsnorm gilt Folgendes: Nur unter den engen Voraussetzungen des § 44 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig. Er ist ohne Aussicht auf Rettung wegen der Nichteinhaltung der Minimalerzeugungsvoraussetzungen rechtlich nichtexistent (1. Stufe des Fehlerkalküls398), d. h. kein Teil der Rechtsordnung, und in der rechtsstrukturtheoretischen Diktion rechtswidrig.399 Andernfalls ist der Verwaltungsakt wirksam (§ 43 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG), er ist rechtlich existent. Dennoch kann er an formellen Mängeln leiden, so beispielsweise ohne erforderliche Begründung (§ 39 Abs. 1 VwVfG) oder ohne erforderliche vorangehende Anhörung des Betroffenen (§ 28 Abs. 1 VwVfG) ergangen sein. Diese Verfahrens- und Formfehler sind jedoch unbeachtlich, d. h. heilbar, indem die entsprechenden Vorgänge nachgeholt werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 VwVfG). Zudem ist die subjektive Rechtsverletzung des Betroffenen durch Verfahrens- und Formfehler unter den Voraussetzungen des § 46 VwVfG ausgeschlossen. Weiterhin kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt nach § 47 VwVfG in einen anderen nichtfehlerhaften Verwaltungsakt umgedeutet werden. Der Suspensiveffekt des 397

Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 294. Die Stufung ist nicht als eine Hierarchie der einzelnen Ausformungen des Fehlerkalküls zu verstehen, sondern benennt nur in chronologischer Reihenfolge die Orte im Rechtsgewinnungsprozess, an denen Ausformungen des Fehlerkalküls angesiedelt sind. 399 Freilich bestehen in der Praxis sowohl das Abgrenzungsproblem, ob ein Verwaltungsakt aus ex-ante-Sicht nichtig oder nur rechtswidrig ist, als auch das Bedürfnis, den Rechtsschein eines nichtigen Verwaltungsaktes zu beseitigen, weshalb auch gegen nichtige Verwaltungsakte – rechtsstrukturtheoretisch überflüssig – das Rechtsmittel der Feststellungsklage gegeben ist, § 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO; dazu und zur prozessualen Bedeutung dieser Feststellungsklage Ludwig Renck, Die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten eines Rechtsschutzes bei Rechtsverletzungen unmittelbar durch Rechtsvorschriften, in: Die Öffentliche Verwaltung 17 (1964), S. 651 – 658 (654); Konrad Redeker/Hans-Joachim von Oertzen/Martin Redeker/Peter Kothe/ Helmuth von Nicolai, Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 15. Aufl., Stuttgart 2010, § 42 Rn. 4; Jost Pietzcker, in: Friedrich Schoch/Eberhard Schmidt-Aßmann/Rainer Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, Bd. 1, Stand: Mai 2010 (20. Ergänzungslieferung), München 2010, § 43 Rn. 27. 398

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§ 80 Abs. 1 VwGO flankiert die materiellen Rechtsnormen des Fehlerkalküls auf prozessualer Seite. Er greift immer dann ein – von den Ausnahmen des § 80 Abs. 2 VwGO abgesehen –, wenn im Rahmen von Widerspruch und Anfechtungsklage ein potentieller Fehler einer Rechtsnorm (hier: eines Verwaltungsakts) gerügt wird. Der Suspensiveffekt vernichtet den Verwaltungsakt nicht und heilt auch nicht seine (potentiellen) Fehler, sondern behandelt ihn nur hinsichtlich seiner Vollstreckbarkeit als schwebend unwirksam, bis die Frage der Rechtswidrigkeit, d. h. der materielle Kern der Problematik, entschieden ist. Die Rechtsordnung rechnet auch hier mit einem Fehler und trifft Schutzmaßnahmen, indem sie die Realisierung einer potentiell rechtswidrigen Rechtsnorm verhindert.400 Eine weitere Facette des Fehlerkalküls wird durch die Bestandskraft eines Verwaltungsakts begründet, die nach Ablauf der Rechtsmittelfristen auch einen nach herrschender Diktion rechtswidrigen Verwaltungsakt unabänderbar und vollstreckbar macht (§ 43 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG, § 6 Abs. 1 VwVG). Die Bestandskraft, die in ihrer Struktur der Rechtskraft gleicht, ist zwar vom Fehlerkalkül zu unterscheiden.401 Jedoch wird deutlich, dass die Rechtsordnung eine Norm in sich aufnimmt, die zwar den Minimalerzeugungsvoraussetzungen, aber nicht den Maximalerzeugungsvoraussetzungen genügt (2. Stufe des Fehlerkalküls). Von daher ist es – entgegen der ganz herrschenden Diktion – vom rechtsstrukturtheoretischen Standpunkt aus unzulässig, von Rechtswidrigkeit zu sprechen, da auch solche Normen Teil der Rechtsordnung sind, Rechtswidrigkeit aber gerade das Gegenteil bedeutet. Dem Begriffsdilemma ist nur schwer zu entkommen. Selbst Rechtnormen, die die Maximalerzeugungsvoraussetzungen erfüllen, sind – letztlich freilich ohne Aussicht auf Erfolg – mit Rechtsbehelfen angreifbar, d. h. anfechtbar. Ebenso sind auch bestands- bzw. rechtskräftige Rechtsnormen vernichtbar, wenn es das positive Recht durch Durchbrechungen der Bestands- bzw. Rechtskraft vorsieht. Für abstrakt-generelle Rechtsnormen wird das Fehlerkalkül bezüglich der als Satzungen (§ 10 Abs. 1 BauGB) erlassenen Bebauungspläne besonders deutlich. Gemäß der Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 und 215 BauGB führt im gerichtlichen Kontrollverfahren (vgl. § 216 BauGB) nicht jeder formelle oder materielle Fehler im Verlauf des Planerlassverfahrens zur Nichtigkeit (besser: Unwirksamkeit, vgl. § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO) des Bebauungsplans. c) Die Rechtskraft aa) Merkls Begriff der Rechtskraft Die Rechtskraft bewirkt die Unabänderbarkeit von Rechtsnormen generell und somit auch speziell die Unabänderbarkeit von nach herrschender Diktion rechtwidrigen Rechtsnormen. Rechtskraft tritt ein, wenn das positive Recht keine Instrumente 400 Diese Ausführungen zum Suspensiveffekt im Verwaltungsrecht können im Grundsatz auf die Rechtsmittel der gesamten deutschen Rechtsordnung verallgemeinert werden. 401 Zur Abgrenzung von Fehlerkalkül und Rechtskraft unten S. 153.

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zur Verfügung stellt, eine Norm anzugreifen, oder wenn es Bedingungen dafür stellt, die nicht erfüllt werden. Rechtskraft tritt also immer dann ein, wenn ein Antragserfordernis nicht erfüllt wird, Rechtsmittelfristen nicht eingehalten werden oder kein Rechtsweg (mehr) gegeben ist,402 was insbesondere bei letzten Instanzen der Fall ist.403 bb) Die Rechtskraft der Entscheidung von Letztinstanzen Zum Problem der Rechtswidrigkeit bei der Normsetzung letzter Instanzen äußerte sich Merkl wie folgt: „Der vermeintliche Rechtssatz, daß jede Abweichung von dem nach der gemeinen Vernunft zu Gewärtigenden Recht schafft, wenn kein Rechtsmittel mehr dagegen gegeben ist, besteht ja tatsächlich gar nicht.“404 Er stellt damit nicht mehr allein auf die kompetenzielle Komponente ab, d. h. ob ein als Richter legitimierter, genauer: vom positiven Recht Ermächtigter, gesprochen hat, sondern zieht zusätzlich eine sachliche Komponente hinzu, d. h. ob die objektiven Komponenten eingehalten wurden.405 Indem aber Merkl die Rechtswidrigkeit hier nun metarechtlich mit einem Abweichen von der allgemeinen Vernunft und mit logischer Mangelhaftigkeit406 begründet, verliert er die positivrechtliche Kompetenzfrage, wer durch die Rechtsordnung zur konstitutiven Feststellung dieser Mängel ermächtigt ist, aus den Augen, obwohl er sie vorher zunächst richtig erkannt hatte: „,Was ist Recht?Ð … Die Antwort lautet nämlich so, als wäre [die] Frage: ,Wer hat Recht?Ð Die Frage: ,Was Recht istÐ, wird mithin damit beantwortet, daß der genannt wird, der maßgeblich zu sagen hat, was Recht ist.“407 Allein die positivrechtliche Ermächtigung entscheidet darüber, ob die Interpretation – in der Merklschen Terminologie – eine authentische oder nichtauthentische ist.408 Recht fußt nicht auf Vernunft und Logik, sondern auf dem Willen des positivrechtlich Ermächtigten.409 Die von Merkl hier am Bei402

Zum Fehlen des Rechtswegs Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 298. Angesprochen mit Bezug auf Merkl bei Fritz Sander, Rechtswissenschaft und Materialismus. Eine Erwiderung auf Starks: „Die jungösterreichische Schule der Rechtswissenschaft und die naturwissenschaftliche Methode“, in: Juristische Blätter 47 (1918), S. 333 – 335, 350 – 352 (352); thematisiert mit Bezug auf Sander auch bei Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1091 – 1106; ergänzend Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 297. 404 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1101. 405 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1102. 406 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1102 407 Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 110 – Hervorhebungen im Original; jedoch scheint Merkl die Kompetenzfrage nur auf den Schritt der Rechtserzeugung zu beschränken, während er den Schritt der Rechtserkenntnis aus der Kompetenzfrage auszuklammern versucht, wie sich dort aus dem Folgesatz ergibt: „Die Gesetzeskunde gibt also immer nur bis zu einem bestimmten Punkte materiell zu wissen, was Recht ist, und deutet den Rest möglicher Rechtserkenntnis bloß formell an.“ (S. 110 – Hervorhebungen im Original). 408 So denn auch Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 114 – 116. 409 Kelsen versuchte später, diesem Problem mit der Einführung einer „Alternativbestimmung“ (Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 359), besser: Alternativermächtigung, beizukommen. Demnach haben alle positivrechtlich ermächtigten Rechtserzeuger neben der Ermächtigung zur Ingeltungsetzung, d. h. Erzeugung einer den Erzeugungsbedingungen ent403

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spiel des Hauptmanns von Köpenick410 angeschnittene Frage nach der Erkenntnis bzw. Erkennbarkeit der Kompetenz verliert sich in der Aporie.411 Da das Recht mit dem Fehlerkalkül seine Fehlerhaftigkeit und deren Folgen selbst regelt, kommt es immer ausschließlich auf die Kompetenzfrage an, da nur und erst der Ermächtigte die Entscheidung in der Sache (authentisch) fällen kann. Ob der Ermächtigte auch tatsächlich die entsprechenden intellektuellen Fähigkeiten zur Erkenntnis besitzt, ist unerheblich, da diese nur metarechtliche und gerade keine positivrechtlichen Voraussetzungen für die Ermächtigung sind.412 Entscheidend zur Beantwortung der Frage sind die Folgen der Rechtskraft bzw. Bestandskraft: „Es ist das Institut der Rechtskraft, wodurch Unrecht des Rechtsanwenders zum Recht gewandelt wird.“413 Diese Aussage ist jedoch zunächst noch dahingehend zu präzisieren, dass auch das Fehlerkalkül, das Merkl zum Zeitpunkt dieser Äußerung noch nicht entwickelt hatte, eine ähnliche Wirkung entfaltet.414 Jedenfalls ist die Rechtskraft nach Merkl insofern (nur) „ein bequemes, nur leider untaugliches Mittel, pseudorechtliches Geschehen, das sich gleichwohl durchsetzt, dem Rechte zu assimilieren“415. Am Ende gelte: „Unrecht bleibt Unrecht.“416 cc) Eigene Kritik an Merkls Position „Unrecht bleibt Unrecht“ Ähnlich wie Kelsen später mit der Einführung der Kategorie der Wirksamkeit417 begibt sich auch Merkl mit der Hinzuziehung von Tatsachen („pseudorechtliches Geschehen, das sich gleichwohl durchsetzt“) auf dünnes Eis. Er verlässt die seinem Besprechenden Norm, zugleich eine Ermächtigung zur Ingeltungsetzung einer den Erzeugungsbedingungen nicht entsprechenden Norm. Die Geltung dieser Normen ist bei Letztinstanzen – anders als bei Instanzorganen – jeweils eine definitive, da es keine Möglichkeiten der Vernichtung der erzeugten Normen gibt. Beide Ermächtigungsnormen bilden dabei eine Einheit. Zum Ganzen Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 273 f. – Mit der Alternativermächtigung legt Kelsen jedoch die Axt an sein Gesamtkonzept einer dynamischen, arbeitsteiligen Rechtsordnung, dessen Fundament die Möglichkeit einer heteronomen Determinierung des jeweiligen Rechtserzeugers ist. Es erhält die Beliebigkeit Einzug, denn salopp ausgedrückt hieße jede Ermächtigung dann nur noch: „Macht doch, was ihr wollt.“ Es erscheint wenig sinnvoll, eine Ermächtigung zur Erzeugung einer Norm zu konstruieren, wenn diese Norm – außer im Falle einer Letztinstanz – doch ohne weiteres, sozusagen von vornherein vernichtbar ist. Ob und inwieweit eine Norm rechtswidrig, d. h. fehlerbehaftet ist, ist keine Frage der Rechtserzeugungsermächtigung, sondern des Fehlerkalküls. 410 Vgl. Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1102. 411 Ergänzend oben S. 143. 412 Das räumt auch Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1107 f., ein. 413 Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 116 – Hervorhebungen im Original. 414 Zur Abgrenzung von Fehlerkalkül und Rechtskraft unten S. 153. 415 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1104. 416 Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 133; ähnlich Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 291. 417 Zur Kategorie der Wirksamkeit oben S. 101 – 103.

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griff nach auf die Erkenntnis beschränkte Rechtswissenschaft und lädt die positivrechtlich geregelte Rechtskraft mit metarechtlichen Elementen auf. Denn das Recht regelt gerade seine Rechtskraft und damit selbst, ob und inwieweit Rechtskraft eintritt.418 Damit sagt das Recht, dass „Fehler“, also „Rechtswidrigkeiten“, nun Bestand haben und somit in der Rechtsordnung „verbleiben“, da sie ja ihrerseits nur von einer wiederum positivrechtlich ermächtigten Kontrollinstanz festgestellt werden können. Die letzte Instanz kann daher kein rechtswidriges Recht schaffen.419 Darüber hilft auch nicht der Einwand hinweg, dass – anders als im Falle dessen, der ein ihm offen stehendes Rechtsmittel nicht in Anspruch nimmt und dadurch Rechtskraft bzw. Bestandskraft herstellt – im Falle des Nichtbestehens eines Rechtsmittels nur aus Gründen der Verhinderung eines infiniten Kontrollregresses Rechtskraft eintrete. Wenn Merkl die eben erkannte positivrechtliche Ausgestaltung als „Opportunität an [der] Stelle der Legalität und damit [als] Naturrecht an [der] Stelle des Rechtes“420 bezeichnet, so wendet sich seine Argumentation gerade gegen ihn, da er die positivrechtlichen Vorgaben verkennt und seine eigenen metarechtlichen Vorstellungen an deren Stelle zu setzen versucht. Merkl vermengt die Systeme des Rechts und der Rechtswissenschaft und verkennt deren jeweilige Eigenrationalitäten. Die Rechtswissenschaft formuliert Rechtsaussagesätze, die das positive Recht mit der auf logischer Rationalität beruhenden Binärcodierung Wahr-Falsch beschreiben. Dagegen konstitutioniert sich das Recht mit Rechtssätzen auf der Basis der auf Ermächtigungen beruhenden Binärcodierung Recht-Unrecht, die keine inhaltlichen Fragestellungen beantwortet, sondern nur die formale Zugehörigkeit von Rechtssätzen zur Rechtsordnung aufgrund eines ununterbrochenen Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs herstellt.421 Mit Eintritt der Rechtskraft kann auch die Rechtswissenschaft kein Unrecht mehr erkennen, da ihr Gegenstand – das Recht – kein Unrecht enthalten kann.422 Auch die Durchbrechungen der Rechtskraft und Bestandskraft durch Wiederaufnahme und Wiederaufgreifen des Verfahrens (vgl. §§ 578 – 591 ZPO (ggf. i. V. m. § 153 VwGO), §§ 359 – 373a StPO, § 51 VwVfG) sowie das verwaltungsbehördliche 418

Insofern noch konsequent Merkl, Anwendung (Anm. 124), S. 116. Letzte Instanzen irren daher nicht rechtskräftig (vgl. Bernd Rüthers, Rechtstheorie. Begriff, Geltung und Anwendung des Rechts, 4. Aufl., München 2008, Rn. 318), sie irren – juristisch betrachtet – überhaupt nicht. Damit zerstiebt freilich auch der feinziselierte Unterschied zwischen authentischer Interpretation (kraft Autorität des Inhalts des Rechts) und autoritativer Interpretation (kraft Autorität, die das positive Recht der Entscheidung beilegt – namentlich bei Letztinstanzen), zu dieser Differenzierung Matthias Jestaedt, Wirken und Wirkungen höchstrichterlicher Judikatur – Rechtsprechung von Grenzorganen aus Sicht der Reinen Rechtslehre, in: Clemens Jabloner (Hrsg.), Wirken und Wirkungen höchstrichterlicher Judikatur. Symposion zum 60. Geburtstag von Heinz Mayer, Wien 2007, S. 9 – 33 (30 – 32). 420 Merkl, Rechtsantlitz (Anm. 163), S. 1105. 421 Zur Begrifflichkeit von Rechtssatz und Rechtsaussagesatz oben S. 98 in Anm. 80. 422 Zur Unmöglichkeit staatlichen Unrechts Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), insb. S. 362 – 367, 587 f., 590, 674 f., 678 f.; Kelsen, Staatsunrecht (Anm. 17), insb. S. 443 – 453. 419

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Aufhebungsermessen (§§ 48 – 49a VwVfG) sind Bestandteil der positivrechtlichen Regelungen bezüglich der Unabänderbarkeit von Rechtsnormen. d) Abgrenzung von Fehlerkalkül und Rechtskraft In ihrer Wirkung ähneln sich Fehlerkalkül und Rechtskraft, da sie beide zunächst rechtswidrig erscheinende Teile der Rechtsordnung rechtmäßig machen und in die Rechtsordnung einfügen. Mit Eintritt der Rechtskraft wird eine Rechtsnorm wegen ihrer nun bestehenden Unabänderlichkeit Teil der Rechtsordnung und, soweit ein Rechtserzeuger durch das Fehlerkalkül gedeckt ist, ist er rechtlich unfehlbar.423 Insofern spräche nichts dagegen, das Fehlerkalkül in den Begriff der Rechtskraft miteinzubeziehen.424 Dennoch besteht bei genauerem Hinsehen zwischen Rechtskraft und Fehlerkalkül ein Unterschied. Das Fehlerkalkül rechnet gewisse Unterbrechungen des NormNorm-Ableitungszusammenhangs, die durch die Nichteinhaltung gewisser Erzeugungsvoraussetzungen auftreten, heraus. So ermöglicht es erst die Zugehörigkeit von „rechtswidrigen“ Rechtsnormen zu einer Rechtsordnung, indem es sie in Geltung setzt.425 Die Rechtskraft macht eine bereits geltende Rechtsnorm unabänderlich und setzt sie so endgültig in Geltung. Merkl spricht vom Ausschluss des „Außergeltungtreten[s]“,426 was aber nur die negative Formulierung desselben Tatbestandes ist. Es kann aber nur in Rechtskraft erwachsen, was Teil der Rechtsordnung ist, indem es Geltung erlangt hat. Es muss also entweder eine Norm sein, die die Maximalerzeugungsvoraussetzungen einhält oder eine Norm, die zwar nicht die Maximalerzeugungsvoraussetzungen, aber wenigstens die Minimalerzeugungsvoraussetzungen erfüllt. Zweitgenannter Fall setzt jedoch das Durchlaufen des Fehlerkalküls voraus, während im erstgenannten Fall das Fehlerkalkül mangels Fehler keine Rolle spielt. Daher ist das Fehlerkalkül im Verlauf der Entstehung von Recht vor dem Ingeltungtreten der Norm anzusiedeln. Die die Derogationsmöglichkeiten abschneidende Rechtskraft folgt dem Ingeltungtreten der Norm und ist damit dem Fehlerkalkül nachgeordnet.427 Die Funktionen beider überschneiden sich aber insofern, als das positive Recht mit Eintritt der Rechtskraft ebenso wie im Rahmen des Fehlerkalküls auf die Einhaltung bestimmter Erzeugungsvoraussetzungen verzichtet. Das positive Recht kann Rechtskraft und Fehlerkalkül normtechnisch vereinen.428 423

Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 297. Darauf weist auch Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 300, hin. 425 Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 300. 426 Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 300 – Zitat dort. 427 Vgl. Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 300 – 302. 428 Dazu Merkl, Rechtskraft (Anm. 167), S. 277; ergänzend Jestaedt, Höchstrichterliche Judikatur (Anm. 419), S. 24 f. 424

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

5. Merkls Ermessensfehlerlehre a) Grundlagen An den Begriff der Rechtswidrigkeit schließt Merkl die Ermessensfehlerlehre an. Indem Ermessen ein Blankett an ein Organ ist, innerhalb eines durch einen fremden Willen vorgegebenen Rahmens seinen eigenen Willen sprechen zu lassen, liegen Ermessensfehler vor, wenn das Organ den fremden Willen überhaupt nicht kennt, missversteht oder bewusst missachtet.429 Ermessensfehler können, da sie sich auf den fremden Willen beziehen, nur im Bereich der heteronom determinierten objektiven Komponente unterlaufen. Sie führen zu einem Abbruch des Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs, d. h. zur Rechtswidrigkeit, sofern und soweit das Fehlerkalkül den in diesem Abbruch liegenden Fehler nicht behebt oder Rechtskraft eintritt. Um die Ermessensfehler dogmatisch fassbar zu machen, greift Merkl auf die damals bereits – insbesondere rechtsvergleichend aus dem französischen Verwaltungsrecht – entwickelten Fallgruppen430 zurück, die er wie folgt gliedert und bezeichnet: Ermessensüberschreitung oder Ermessensabirrung ist ein unbewusstes Abirren von dem Zwecke der Ermessensbestimmung, Ermessensmissbrauch ist dagegen das vorsätzliche und bewusste Zuwiderhandeln gegen das öffentliche Interesse. Die Grenze zwischen den beiden Fehlerkategorien ist laut Merkl fließend und allein maßgeblich für die unter Umständen positivrechtlich angeordneten Folgen für das ermessensfehlerhaft handelnde Organ, da beide Fehler unabhängig von der inneren Einstellung des handelnden Organs zu einer Unterbrechung des Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs führen und die innere Einstellung des handelnden Organs für die formale Rechtskonstruktion keine Rolle spielt.431 Wie die herrschende Lehre unterscheidet auch Merkl zwischen Rechtmäßigkeitskontrolle und Ermessens- bzw. Zweckmäßigkeitskontrolle.432 Die Rechtmäßigkeit meint den Rahmen, der vom Recht vorgegeben wird, d. h. die objektive Komponente im Prozess der Rechtsgewinnung. Rechtmäßigkeitskontrolle bedeutet also die Prüfung, ob dieser Rahmen überschritten wurde. Die Frage nach der Zweckmäßigkeit bezieht sich dagegen auf die subjektive Komponente im Rechtsgewinnungsprozess, die außerhalb des Rechts liegt. Folgerichtig sind auch nur die zuerst genannten Fehler (Ermessensüberschreitung und Ermessensmissbrauch) der Rechtskontrolle zugänglich, d. h. am Kontrollmaßstab Recht messbar. Die Kontrolle der Zweckmäßigkeit erfolgt dagegen an einem metarechtlichen, beispielsweise einem ethischen, politischen oder naturwissenschaftlichen Kontrollmaß429

Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 156. Zur Entwicklung der Fallgruppen aus dem französischen Verwaltungsrecht O. Mayer, Verwaltungsrecht I1 (Anm. 340), S. 191; erschöpfend von Laun, Ermessensgrenzen (Anm. 171), S. 117 – 256; im übrigen vgl. Tezner, Verwaltungsrechtspflege (Anm. 339), S. 142 f., 242, 245 f.; W. Jellinek, Gesetzesanwendung (Anm. 338), S. 331 – 359; Tezner, Ermessen (Anm. 338), S. 80 – 100; zusammenfassend Held-Daab, Ermessen (Anm. 339), S. 201 – 220; ergänzend oben S. 83. 431 Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 157. 432 Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 156, 385. 430

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stab und zielt auf die Setzung einer anderen, allerdings ebenfalls rechtmäßigen Norm durch die Kontrollinstanz, d. h. regelmäßig das Verwaltungsgericht.433 b) Folgeproblem: Die Gefahr des Austauschs des Kontrollmaßstabs Die Unterscheidung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit birgt ein Folgeproblem, mit dem sich Merkl nicht weiter auseinandersetzt. Es besteht die Gefahr, dass der Kontrollmaßstab unrichtigerweise ausgetauscht wird. Werden auch Fehler innerhalb des Ermessensspielraums durch das positive Recht der Rechtskontrolle zugänglich gemacht, so werden sie von metarechtlichen Fehlern zu rechtlichen Fehlern transformiert. Das positive Recht hat einen „König-Midas-Effekt“: Alles was das Recht berührt, wird zu Recht.434 Anders gewendet: Jede in der Rechtsordnung vorgesehene Kontrollmethode stellt als Rechtseinrichtung eine Rechtskontrolle dar.435 Daher birgt die Unterscheidung zwischen Rechtsfehlerkontrolle und Ermessensfehlerkontrolle die Tücke, dass metarechtliche Ermessensfehler schnell als rechtliche Fehler aufgefasst werden und somit der Kontrollmaßstab ausgetauscht wird. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Frage, inwieweit die Ermessensentscheidung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich ist,436 in einem anderen Licht: Zentral ist hier die Problematik einer tautologisch erscheinenden „Doppelverwaltung“437 bzw. die Frage nach dem unüberprüfbaren (Letzt-)Ver433

Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 385 f. Dazu Kelsen, Staatslehre (Anm. 3), S. 44. – Damit ist nicht gemeint, dass das vom Recht berührte und dadurch zu Recht Gemachte aus dem System herausgenommen wird, aus dem es ursprünglich stammt. Vielmehr verbleibt es dort, erlangt aber zugleich rechtliche Relevanz. Am Beispiel einer Moralnorm bedeutet dies, dass sie im System der Moral als Moralnorm weiterhin gilt, sie aber nun auch – jedenfalls ihr Inhalt – zu einer Rechtsnorm geworden ist. 435 So Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 368. 436 Programmatisch Friedrich Tezner, Zur Lehre von dem freien Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte, Wien 1888. 437 So insb. Edmund Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft. Verwaltungsrechtliche Studien, Wien 1886, S. 45 f. – Zitat S. 46. Mit dem Begriff „Doppelverwaltung“ umschrieb Edmund Bernatzik seine Befürchtung, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit ihre Entscheidung vollumfänglich an die Stelle der Entscheidung der Verwaltung setzt. Das sei namentlich bei Ermessensentscheidungen nicht möglich, da hier die Verwaltung – insb. wegen der Vagheit der Rechtsbegriffe, z. B. Angemessenheit, Nützlichkeit, Gefahr – rechtlich nicht determiniert sei und über den größeren Sachverstand verfüge (vgl. Bernatzik, a. a. O., S. 42 – 46; erläuternd Held-Daab, Ermessen (Anm. 339), S. 152 f.). Verwaltungsgerichtliche Kontrolle sei nur bei „dolose[r] oder culpose[r] Pflichtverletzung“ (Bernatzik, a. a. O., S. 46) denkbar. Entscheide das Verwaltungsgericht auch in Ermessenssachen, so „unterscheidet es sich in Nichts von einer gewöhnlichen Verwaltungsbehörde[, …e]s entsteht dann eine sogenannte Doppelverwaltung, indem zwei verschiedene von einander unabhängige Organismen, Verwaltungsbehörden und -Gerichte darüber befinden, ob eine Massregel im öffentlichen Interesse liegt oder nicht“ (Bernatzik, a. a. O., S. 46). Gleichwohl räumte Bernatzik ein, dass das positive Recht eine derartige Doppelverwaltung anordnen kann (Bernatzik, a. a. O., S. 45). Im Grunde ging es Bernatzik darum, der 434

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

antwortungsbereich der Verwaltung, der unter dem Grundgesetz aus der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Gewaltenteilung abgeleitet wird.438 Abgesehen davon, dass es ausschließlich eine Frage des positiven Rechts ist, ob eine solche Doppelverwaltung besteht bzw. ob unüberprüfbare Verantwortungsbereiche bestehen439 und alle übrigen angemeldeten Bedenken metarechtlicher Natur sind, ist die Frage der Grenze der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle keine Frage des Kontrollmaßstabs, da gerichtliche Kontrolle positivrechtlich angeordnet sein muss und somit zwangsläufig immer Rechtskontrolle ist. Daher gibt es bei konsequenter terminologischer Umsetzung dieses Gedankengangs auch keine rechtlich relevanten Ermessensfehler, sondern nur eine rechtlich relevante Überschreitung der Ermessensrahmenbedingungen. Der Ermessensspielraum selbst, d. h. die autonome Komponente, ist rechtsfrei.440 Ermessensfragen erschöpfen sich aus rechtlicher Perspektive immer in Rechtsbindungsfragen.441 Ist der Umfang der Rechtsbindung festgestellt, so ist auch der äußersVerwaltung – zumindest in Teilbereichen – gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit das letzte Wort zu verschaffen, kurz: um die Einräumung einer Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung. Nicht zu Unrecht wies Tezner darauf hin, dass durch die Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zwangsläufig eine Doppelverwaltung entstehe, da beide Organe in derselben Sache dieselben Rechtsnormen anwenden, vgl. Tezner, Ermessen (Anm. 338), S. 18 f., auch 36 – 38. Der Streit um die Letztentscheidungskompetenz dauert bis heute an, er wird nun unter der Rubrik „Unbestimmter Rechtsbegriff, Beurteilungsspielraum und Ermessen“ ausgetragen. 438 Vgl. Roland Jarosch, Die Fiktion des unbestimmten Rechtbegriffs, in: Die Öffentliche Verwaltung 27 (1974), S. 123 – 127 (124, 126 f.); ausführlich Rupert Scholz und Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 34 (1976), S. 145 – 220, 221 – 274; Hans-Joachim Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht. Eine logische und semantische Studie zur Gesetzesbindung der Verwaltung, Frankfurt a. M. 1979, S. 16 – 21, 75 – 85 m. w. N.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 24 Rn. 56 f.; Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3: Art. 16 – 22, Stand: Oktober 2010 (60. Ergänzungslieferung), München 2010, Art. 19 Abs. 4 Rn. 180 m. w. N. 439 Das räumte auch Bernatzik, Rechtsprechung (Anm. 437), S. 45, ein. 440 Anders – ohne zwischen heteronomer Rechtserkenntnis und autonomer Rechtserzeugung zu trennen sowie damit ihr integratives Rechtsgewinnungsbild pflegend – die herrschende Ansicht, stellvertretend Wolf-Rüdiger Schenke, in: Rudolf Dolzer/Christian Waldhoff/Karin Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 4: Art. 15 – 19, Stand: Februar 2011 (150. Aktualisierung), Heidelberg 2011, Art. 19 Abs. 4 Rn. 500: „Die Zulässigkeit von Ermessensentscheidungen bedeutet keineswegs die Anerkennung ,rechtsfreier RäumeÐ, denn die Ermessensentscheidung ist ja gerade als solche durch das Recht konstituiert, kann also damit – entgegen einem z. T. anzutreffenden ungenauen Sprachgebrauch – schon rein logisch nicht als rechtsfrei begriffen werden. Ihre Besonderheit besteht nur darin, dass – unter voller Bindung an das Recht – verschiedene Handlungen der Exekutive durch den Gesetzgeber als gleichermaßen rechtmäßig anerkannt werden. Soweit die Verwaltung gegen Rechtsvorschriften verstößt, unterliegt ihr Handeln nach einhelliger Auffassung prinzipiell der gerichtlichen Überprüfung.“ 441 So schon Held-Daab, Ermessen (Anm. 339), S. 263.

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te Bereich der Rechtskontrolle geklärt. Ob auch der gesamte Bereich des Rahmens rechtlicher Kontrolle zugänglich ist, ist dagegen – wiederum vorgegeben durch das positive Recht – eine Frage der Kontrolldichte. Die Unterscheidung zwischen Kontrollmaßstab und Kontrolldichte erscheint schon bei Merkl angedeutet, indem er die Absteckung der Grenzen der Rechts- und Ermessenskontrolle – wobei letztere ebenfalls als Rechtskontrolle gelten muss – als Frage des positiven Rechts ansieht, wobei unendliche Variationsmöglichkeiten bestehen.442 c) Merkls einstufige Ermessensfehlerlehre Im Ergebnis vertritt Merkl trotz seiner Verwendung der zeitgenössischen Ermessensfehlerbegrifflichkeit anders als die herrschende zeitgenössische Ansicht eine eingliedrige Ermessensfehlerlehre und lehnt wie schon Kelsen443 eine Unterscheidung von „äußeren“ und „inneren“ Ermessensgrenzen bzw. Ermessensfehlern ab. Indem Merkl den Fokus so gut wie nur auf die Frage der Rechtsbindung und des Kontrollmaßstabs richtet, schafft er zwar für das Verständnis der Rechtsstruktur des Ermessens viel Klarheit, lässt aber die Bearbeitung der insbesondere im täglichen juristischen Betrieb wichtigen Frage nach der Kontrolldichte fast gänzlich außen vor. Freilich liegt das auch an seiner abstrakten, auf die Rechtsstruktur gerichteten Darstellung des Verwaltungsrechts, die weniger Wert auf dogmatische Detailfragestellungen legt.444

V. Kelsens Rezeption der Merklschen Ausführungen zum dynamischen Rechtsgewinnungsbild und zur Interpretationslehre Insgesamt enthalten die „Hauptprobleme“ ein in sich geschlossenes System, das Kelsen in seinen Grundlagen nicht mehr revidiert. Seine „Reine Rechtslehre“ ist die weitere Ausarbeitung seiner Gedanken, deren letzte Stufe der Bearbeitung in der „Allgemeinen Theorie der Normen“ erfolgt. Insofern sind die „Hauptprobleme“ der „große Wurf“, die weiteren Werke Kelsens auf dem Gebiet der Rechtstheorie sind – was ihre Bedeutung nicht schmälern soll – nur die vertiefende und präzisierende Bearbeitung bestimmter Problemfelder. Daher bedeutet die Rezeption fremder Gedanken – insbesondere derer Merkls – durch Kelsen für dessen sich in den

442

Vgl. Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 386. Vgl. oben S. 117 bei Anm. 192. 444 Zur „zu großen Überflughöhe“ von Merkls „Allgemeines Verwaltungsrecht“ vgl. HeldDaab, Ermessen (Anm. 339), S. 238; aus der zeitgenössischen Kritik Albert Hensel, [Buchbesprechung:] Adolf Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht. Verlag Jul. Springer, Wien und Berlin 1927. XVI, 400 S., in: Archiv des öffentlichen Rechts 54 (1928), S. 405 – 422 (413, 419 f.). 443

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

1920er Jahren formierende Reine Rechtslehre keine Revolution, sondern nur eine Evolution.445 1. Von der statischen zur dynamischen Rechtsbetrachtung Im Vorwort zur zweiten Auflage der – inhaltlich unveränderten – „Hauptprobleme“ (1923) greift Kelsen Merkls Arbeiten zur Dynamik des Rechtsgewinnungsprozesses auf. Dabei räumt er zunächst seine grundsätzlich statische „Rechtserkenntnis“446 ein, die am deutlichsten ausgeprägt ist in dem Satz: „Das Gesetz ist die notwendige Form des Rechtssatzes.“447 Kelsen lehnt hier den Gedanken eines arbeitsteiligen Stufenbaus der Rechtordnung ab, indem er in der Tätigkeit der Verwaltung nicht die Statuierung eines (neuen) Staatswillens, z. B. Rechtspflichten, sondern die Geltendmachung bereits in der Rechtsordnung bestehender Rechtspflichten sieht;448 gleiches gilt für das Zivilrecht, wo er die vertraglichen Pflichten bereits als im Gesetz bestehend annimmt449. Zudem sieht Kelsen hier sogar die Gesetzgebung als außerstaatliche Funktion an, da sie erst den Staatswillen erzeuge und nicht – wie die Verwaltung – einen bereits bestehenden Staatswillen ausführe.450 Da Staat und Rechtsordnung identisch sind,451 steht die Gesetzgebung als außerstaatliche Funktion für Kelsen (noch) außerhalb der rechtswissenschaftlichen Betrachtung.452 Indem Kelsen der Gesetzgebung überhaupt keine und der Verwaltung keine eigenständige Rolle im Rechtsgewinnungsprozess einräumt, kann er dessen Dynamik nicht abbilden. Jedoch sind schon die Sollbruchstellen erkennbar. Denn die den Gesetzeszentrismus ablehnende dynamische Rechtsbetrachtung ist bereits – wie Kelsen im Vorwort der zweiten Auflage zu Recht betont453 – in den „Hauptproblemen“ angelegt. Er erkennt „Blankettrechtssätze“454 und gesetzliche Delegation455 an. Diese Institute sind nur dann sinnvoll, wenn der Staatswille nicht schon vollständig im Gesetz enthalten ist. Besonders deutlich treten die Anlagen der dynamischen Rechtsbetrachtung in seinen Ausführungen zum „freien Ermessen“ zutage. Indem Kelsen (an)erkennt, dass die Ausführung eines Befehls durch den Befehl nie vollständig determiniert ist, ist zwangsläufig eine weitere Konkretisierung durch den 445 446 447 448 449 450 451 452 453 454 455

Vgl. ergänzend oben S. 117. Kelsen, Hauptprobleme2 (Anm. 2), S. XII. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 693 (Hervorhebung im Original), vgl. auch 701 f. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 714 – 716. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 716 f. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 545 – 547, insb. 565 Anm. 1, 581 Anm. 1. Vgl. oben S. 97, insb. S. 140 f. in Anm. 363. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 637. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme2 (Anm. 2), S. XII–XVI. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), insb. S. 714 f., 853 f. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 708 – 713.

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Befehlsausführenden erforderlich. Damit kann aber nicht mehr alles Recht – wegen der allstaatlichen Natur des Rechtes und der allrechtlichen Natur des Staates456 – im Gesetz enthalten sein, sondern auch die übrigen, an der Rechtskonkretisierung beteiligten Staatsorgane – Exekutive und Judikative – setzen eigenes, d. h. noch nicht im Gesetz enthaltenes Recht. Insgesamt geht es Kelsen in seinen „Hauptproblemen“ zwar um eine vollständige formale Rechtsstrukturbeschreibung, im Mittelpunkt steht aber die juristische Konstruktion einer einheitlichen Staatsperson und eines einheitlichen Staatswillens.457 Mit diesem Ansinnen scheint ihm die Vorstellung einer arbeitsteiligen Erzeugung des Staatwillens nur schwer vereinbar.458 Zu schroff erscheint aber die Annahme, dass erst mit Kelsens Schrift „Das Problem der Souveränität und das Völkerrecht“459 eine neue Phase in seinem wissenschaftlichen Werk eingeläutet werde,460 in dem er das Verhältnis von nationalstaatlichem Recht und Völkerrecht behandelt und beide Rechtsordnungen zueinander in eine Beziehung setzt. Vielmehr sind bereits in der ersten Auflage der „Hauptprobleme“ (1911) die Grundlinien der dynamischen Rechtsbetrachtung angelegt, von denen Kelsen Zeit seines Lebens nicht mehr abweicht. Spätestens mit der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1934) ist die dynamische Rechtsbetrachtung mit dem (genealogischen) Stufenbau der Rechtsordnung fest in der Kelsenschen Rechtstheorie verwurzelt461 und wird in deren zweiten Auflage (1960) weiter vertieft.462

2. Der Ermessensbegriff Das Ermessen als gesonderten Gegenstand behandelt Kelsen nach seinen „Hauptproblemen“463 nur noch am Rande. In der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1934) erwähnt er es beiläufig als Begriff für den Freiraum, der dem Rechtserzeuger von der angewendeten Norm eingeräumt wird.464 Auch in der zweiten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1960) spricht Kelsen das Ermessen nur kurz mit derselben Bedeutung wie in der ersten Auflage an.465 Auf die Merklsche Ermessensfehlerlehre geht Kelsen nicht ein. Insgesamt zeigt sich in dem Umfang, den Kelsen in seinem 456 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 371; ergänzend Kelsen, Hauptprobleme2 (Anm. 2), S. XII. 457 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 282 f., 366 f., 521, 587 f., 627, 662, 670, 675, 684, 707, 822. 458 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 670, 674 f., 683 f. 459 Kelsen, Souveränität (Anm. 3). 460 So Dias, Rechtspositivismus (Anm. 52), S. 184 m. w. N. 461 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), insb. S. 62 – 89, 107. 462 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 196 – 282. 463 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 651 – 660; dazu ergänzend oben S. 113– 117. 464 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 99, 103, 112. 465 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 238, 250, 257, 286, 299.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

Werk dem freien Ermessen einräumt, dass der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre ein Nebenprodukt der dynamischen Rechtsbetrachtung ist. Da freies Ermessen bei jedem Rechtsgewinnungsvorgang unabhängig von der Person des Rechtsanwenders – staatliches Organ oder Privater – vorkommt und sich nach der Begrifflichkeit der Reinen Rechtslehre in der Rechtsbindungsfrage erschöpft, bedarf es keiner über die Dynamik des Rechtsgewinnungsprozesses hinausgehenden Betrachtung. An der konkreten Auslegung des positiven Rechts und an einzelnen dogmatischen Fragen hat der am Generellen und an der formalen Struktur des Rechts interessierte Rechtstheoretiker Kelsen dagegen noch weniger Interesse als Merkl. 3. Die Interpretationslehre a) Kelsens Quellen und Bearbeitung der Interpretationslehre in der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1934) Kelsen rezipiert für seine Interpretationslehre Ansätze aus der Freirechtsbewegung und ihr nahestehende Überlegungen, namentlich in der Kontroverse mit Eugen Ehrlich,466 sowie Gedanken von Ernst Zitelmann467.468 Der Interpretationslehre wendet sich Kelsen erst relativ spät zu: Er widmet ihr in der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1934) ein ganzes Kapitel, das er in einem weiteren Beitrag aus demselben Jahr vertieft.469 In seinem weiteren Werk entwickelt er seine Interpretationslehre nicht wesentlich weiter.470 Eine in sich geschlossene Interpretationslehre lie466 Vgl. Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, München und Leipzig 1913; Hans Kelsen, Eine Grundlegung der Rechtssoziologie, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 39 (1915), S. 839 – 876; Eugen Ehrlich, Entgegnung, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 41 (1915), S. 844 – 849; Hans Kelsen, Replik, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 41 (1915), S. 850 – 853; Eugen Ehrlich, Replik, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 42 (1916), S. 609 f.; Hans Kelsen, Schlusswort, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 42 (1916), S. 611; zur Auseinandersetzung mit Eugen Ehrlich Ulrike Rein, Rechtssoziologie und Rechtspositivismus. Die Kontroverse zwischen Eugen Ehrlich und Hans Kelsen 1915/16, in: Stanley L. Paulson/Robert Walter (Hrsg.), Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre. Ergebnisse eines Wiener Rechtstheoretischen Seminars 1985/86, Wien 1986, S. 91 – 108. 467 Ernst Zitelmann, Lücken im Recht. Rede gehalten bei Antritt des Rektorats der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn am 18. Oktober 1902, Leipzig 1903. 468 Dazu Christoph Schwaighofer, Kelsen zum Problem der Rechtsauslegung, in: Stanley L. Paulson/Robert Walter (Hrsg.), Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre. Ergebnisse eines Wiener Rechtstheoretischen Seminars 1985/86, Wien 1986, S. 232 – 251 (240 – 243). 469 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 90 – 106; ergänzend oben S. 116 in Anm. 186. 470 Vgl. Kelsen, General Theory (Anm. 18), S. 148 f., 375, 402 – 404; das „On interpretation“ betitelte Vorwort von Kelsen, United Nations (Anm. 362), S. xiii–xvii; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 346 – 354; Hans Kelsen, Die Problematik der Reinen Rechtslehre, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 18 (1968), S. 142 – 184 (180 – 183); zum Ganzen Schwaighofer, Rechtsauslegung (Anm. 468), S. 233.

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fert Kelsen nicht.471 Er baut die Interpretationslehre „in“ den Stufenbau der Rechtsordnung ein: Interpretation „ist ein geistiges Verfahren, das den Prozeß der Rechtserzeugung in einem Fortgang von einer höheren zu einer – von der höheren bestimmten – niederen Stufe begleitet“472. Kelsen setzt den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die Funktion der Interpretation aus der Sicht seiner formalen Strukturbetrachtung der Rechtsordnung. Interpretation ist demnach die Tätigkeit zur Feststellung des Rahmens, der durch die höherrangige Norm vorgegeben ist und damit verbunden die Erkenntnis der Möglichkeiten, die innerhalb dieses Rahmens gegeben sind.473 b) Die Auswahl der Interpretationsmethode Was die Interpretation nicht leisten kann, ist die Beantwortung der Frage nach der Auswahl der richtigen Möglichkeit – der richtigen Entscheidung –, da es sich dabei nicht um ein rechtstheoretisches, sondern um ein rechtspolitisches, der Rechtswissenschaft unzugängliches Problem handelt. Gerade hier manifestiert sich das freie Ermessen des Rechtserzeugers.474 Auf die einzelnen Interpretationsmethoden geht Kelsen nicht ein. Er streicht nur heraus, dass „alle bisher entwickelten Interpretationsmethoden … stets nur zu einem möglichen, niemals zu einem einzig richtigen Resultat“475 führen. Er illustriert dies am Beispiel des argumentum a contrario und der Analogie, die er als „völlig wertlos“476 bezeichnet, da beide zu entgegengesetzten Ergebnissen kommen können, ohne dass es ein positivrechtliches Kriterium dafür gibt (und geben kann), wann welche Interpretationsmethode zum Einsatz kommt. Im Anschluss an die Vorarbeiten Merkls477 spricht er davon, dass die Auslegungsmethoden aus positivrechtlicher Sicht „gleichwertig“478 sind. Auch dem allseits beliebten Grundsatz der Interessenabwägung fehlt ein objektiver Maßstab, so dass er nicht zur Lösung des Interpretationsmethodenproblems beiträgt.479

471 Vgl. Walter, Auslegungsproblem (Anm. 186), S. 187, 189 f.; Schwaighofer, Rechtsauslegung (Anm. 468), S. 242; ein (angebliches) Fehlen einer Interpretationslehre der Reinen Rechtslehre moniert auch Held-Daab, Ermessen (Anm. 339), S. 245. 472 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 90. 473 So Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 94. 474 So Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 103. 475 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 96. 476 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 97. 477 Zu Merkls Vorarbeiten oben S. 135 – 146. 478 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 95. 479 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 96 f.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

c) Kelsens Bearbeitung der Interpretationslehre in der zweiten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1960) In der zweiten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1960) übernimmt Kelsen weitestgehend seine Ausführungen zur Interpretation aus der ersten Auflage. Zusätzlich richtet er den Fokus auf die schon von Merkl vorgenommene480 Unterscheidung zwischen authentischer und nichtauthentischer Interpretation, wobei erste von den Rechtsorganen, letztere von Privatpersonen und insbesondere von der Rechtswissenschaft vorgenommen wird. Die authentische Interpretation enthält – anders als die nichtauthentische – neben dem Erkenntnisakt, der sich auf den Rechtserkenntnisschritt bezieht, einen Willensakt, der darin liegt, dass eine Norm niedrigerer Stufe erzeugt wird bzw. ein in der anzuwendenden Norm statuierter Zwangsakt vollstreckt wird;481 die authentische Interpretation schafft Recht.482 Freilich ist – weitergehend als es Kelsen ausdrückte – unter Organ nicht unbedingt nur ein staatliches Organ – beispielsweise im Sinne einer Behörde oder eines Gerichts – zu verstehen, sondern jeder Mensch,483 der von der Rechtsordnung zur Rechtsgewinnung ermächtigt ist, unabhängig, ob ihn die Rechtsordnung rechtlich als Privatperson oder Hoheitsträger deutet. d) Kritik an Kelsens Begrifflichkeit der Interpretation Kelsen verwendet den Begriff der Interpretation unglücklicherweise noch zugleich für den Willensakt der Auswahl einer Möglichkeit im Rahmen des von der höheren Norm vorgegebenen Rahmens. Dadurch kann er aber deutlich machen, dass die Rechtswissenschaft zwar sehr wohl die durch den Rahmen der höheren Norm offenstehenden Möglichkeiten aufzeigen kann, obwohl diese Möglichkeiten von der Wahl der Interpretationsmethode abhängen, in deren Wahl der Rechtswissenschaftler ebenso frei ist wie der authentische Interpret. Jedoch kann der Rechtswissenschaftler die Entscheidung zwischen den einzelnen Möglichkeiten nicht treffen. Selbst wenn er – wie z. B. in Gesetzeskommentaren484 – den authentischen Interpreten zu beeinflussen sucht, kann er das als Rechtswissenschaftler nur unter Überschreitung der Grenzen seiner Disziplin tun. Er betätigt sich dann rechtspolitisch. Damit erteilt Kelsen

480

Dazu oben S. 143 f. Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 351. 482 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 352. 483 Es kann sich auch um eine Mehrzahl von Menschen handeln, der Übersichtlichkeit halber wird aber nur von einem Menschen gesprochen. 484 Zum Unterschied von in Gesetzesblättern offiziell publizierten Normen und rechtwissenschaftlichen Kommentaren, Lehrbüchern und anderen Abhandlungen – also zum Unterschied von Recht und Rechtswissenschaft – vgl. unten S. 165. – Zur Rolle von rechtswissenschaftlichen Kommentaren vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 98; in diesem Sinne auch Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 353. 481

B. Der Ermessensbegriff

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auch der – insbesondere von der Begriffsjurisprudenz vertretenen – Ansicht der einen inhaltlich richtigen Entscheidung eine klare Absage.485 e) Kelsens Bearbeitung der Interpretationslehre in der „Allgemeinen Theorie der Normen“ (1979) In seiner „Allgemeinen Theorie der Normen“ (1979) beschränkt Kelsen den Begriff der Interpretation zu Recht auf die Rechtserkenntnis.486 Insgesamt befasst er sich mit dem Thema Interpretation aus der Perspektive, ob es eine eigene juristische Logik gibt. Anhand der Beispiele des Analogieschlusses487 und des argumentum a maiore ad minus488 lehnt er eine solche ab. Vielmehr werde die allgemeine Logik auf die beschreibenden Sätze der Rechtswissenschaft (Rechtsaussagesätze) und – soweit die Logik hier überhaupt anwendbar ist – auf die vorschreibenden Normen des Rechts (Rechtssätze) angewendet.489 Daneben weist er darauf hin, dass sich mit Interpretation keine Normkonflikte lösen lassen, da Interpretation nur der Rechtserkenntnis dient und somit keine Rechtsnormen in Geltung setzen oder derogieren kann.490 f) Exkurs: Die verfassungskonforme und die unionsrechtskonforme Auslegung Damit äußert sich Kelsen – gleichsam vorgreiflich – zu einer weiteren konkreten Auslegungsmethode, nämlich der verfassungskonformen bzw. unionsrechtskonformen Auslegung. Indem diese Auslegungsmethode einen an sich verfassungs- bzw. unionsrechtswidrigen Norminhalt an die Vorgaben des entsprechenden höherrangigen Rechts anpasst, erfolgt – sofern (was ohne weiteres möglich ist) diese Auslegungsmethode nicht positivrechtlich angeordnet ist – ein Verstoß gegen die positivrechtliche Kompetenzordnung, da Rechtsinhaltsfragen mit Kompetenzfragen vermischt werden. Die Konstruktion eines allgemeinen (Interpretations-)Grundsatzes 485

Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 352 – 354; das hebt auch hervor Walter, Auslegungsproblem (Anm. 186), S. 190 f. 486 Vgl. Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 179. 487 Beim Analogieschluss handelt es sich nicht um eine logische Denkoperation, da der Rechtsanwender – insb. der Richter – eine neue Rechtsnorm erzeugt, um „eine Lücke im Recht“, d. h. eine Konstellation, für die bisher keine rechtliche Regelung besteht, zu schließen. Normsetzung findet aber nicht durch eine logische Denkoperation, sondern durch einen Willensakt statt, vgl. Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 217 f. 488 Beim argumentum a maiore ad minus wird nicht von der Geltung einer Norm logisch auf die Geltung einer anderen Norm geschlossen, sondern aufgrund teleologischer Erwägungen (genau genommen geht es auch hier um die Schließung von „Lücken im Recht“) die Geltung einer nicht positiv gesetzten Norm als schon vorhanden angenommen, vgl. Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 219. 489 Vgl. Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 220 – zur Abgrenzung von Rechtssätzen und Rechtsaussagesätzen oben S. 98 in Anm. 80. 490 Vgl. Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 179.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

der Pflicht zur verfassungs- bzw. unionsrechtskonformen Auslegung entbehrt derzeit des Positivierungsnachweises. Diese „Auslegungsmethode“ ist aus der Sicht der Rechtspraxis aus pragmatischen Gründen durchaus nachvollziehbar, immerhin spart man sich den zeitlich und instanziell langwierigen und politisch, v. a. hinsichtlich seines Ergebnisses, unberechenbaren Weg durch das Normgebungsverfahren, insbesondere das förmliche Gesetzgebungsverfahren, umfasst sind aber auch beispielsweise Verordnungs- und Satzungsgebungsverfahren. Aus rechtsstrukturtheoretischer Sicht ist die verfassungskonforme bzw. unionsrechtskonforme Auslegung jedoch unzulässig, sofern kein Positivierungsnachweis geführt werden kann.491 Mit allzu harter Kritik an dieser Auslegungsmethode sollte man dennoch zurückhaltend sein. Alle Rechtsnormen sind Menschenwerk, das zwangsläufig mit allen Fehlern und Unzulänglichkeiten behaftet ist, die mit menschlichem Handeln einhergehen. Zwar kann sich der Normsetzer – insbesondere der Gesetz-, Verordnungs- und Satzungsgeber – selbst korrigieren, oft mag dies jedoch an praktischen Schwierigkeiten scheitern, so dass eine Lösung auf (Rechts-)Anwenderebene gefunden werden muss. Oft mag auch eine stillschweigende Zustimmung des Normsetzers bestehen, der nun, da die Praxis die Norm durch verfassungs- bzw. unionsrechtskonforme Auslegung hinsichtlich ihres Inhalts „gerettet“ hat, den Wortlaut der Norm beibehält. Hier mit den harten Bandagen der Rechtsstrukturtheorie zuzuschlagen, erweckt schnell den Eindruck lebensfremder intellektueller Überheblichkeit und würde der Realität nicht gerecht, zumal sich die Rechtspraxis nicht aus Willkür, sondern aus praktischer Klugheit über Kompetenzverteilungen hinwegsetzt. Die Rechtsstrukturtheorie will jedoch auch den Rechtspraktiker zu gelegentlicher Reflexion seines Tuns anregen. g) Das Verhältnis von Interpretation und Legistik Zusammenfassend lässt sich aus der Reinen Rechtslehre zur Interpretationsproblematik die Erkenntnis gewinnen, dass mit Interpretation ungenügende Legistik nicht kompensiert werden kann. Legistik, im weitesten Sinne verstanden als die Schaffung von Rechtsnormen, steht komplementär zur Interpretation. Ebensowenig kann Legistik die Wahl der Interpretationsmethode beeinflussen. Denn auch positivierte Auslegungsmethoden sind selbst Gegenstand der Auslegung, da sie Rechtsnormen sind. Auslegungs(methoden)fragen sind immer zwingend metarechtlicher Natur.492 Die positivierte verfassungskonforme bzw. unionsrechtskonforme Auslegung entpuppt sich vor diesem Hintergrund nicht als Auslegungsmethode, sondern als eine Ermächtigung zur Rechtserzeugung, sprich als eine Kompetenzregelung. Sie ermächtigt nämlich – je nach positivrechtlicher Ausgestaltung nur für den konkreten Einzelfall oder für eine Vielzahl von Fällen – den zur Anwendung einer „rechtswidrigen“ Rechtsnorm berufenen Rechtsanwender zur Änderung des Norminhalts bei Beibehaltung des Normtextes. 491 492

Dazu Jestaedt, Grundrechtsentfaltung (Anm. 232), S. 324 – 327. Zu diesem Problem oben S. 135 – 137.

B. Der Ermessensbegriff

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h) Abschließende Bewertung der Interpretationslehre Kelsens Wie Merkl entwirft auch Kelsen keine spezifische Interpretationslehre der Reinen Rechtslehre, sondern übt nur auf der Basis der Erkenntnisse der Reinen Rechtslehre Kritik an der hergebrachten Interpretationslehre. Trotz seines weitreichenden Interpretationsskeptizismus hält Kelsen eine objektive Erkenntnis für möglich.493 Es geht ihm insbesondere darum aufzuzeigen, dass sich Rechtsgewinnung nicht in Auslegung, d. h. der Erkenntnis einer heteronomen Determinante, erschöpft, sondern ein autonom determinierter Willensakt hinzutreten muss, der den durch die Auslegung erkannten Rahmen füllt. Kelsens Interpretationsskeptizismus richtet sich gegen die Idee der einen richtigen Entscheidung und streicht den Eigenanteil des Rechtsanwenders an der Rechtsgewinnung heraus. 4. Recht und Rechtswissenschaft Bereits in den „Hauptproblemen“ (1911) unterschied Kelsen zwischen Recht und Rechtswissenschaft: „Denn das ,RechtÐ ist etwas anderes als die Jurisprudenz; letztere allein schafft die Rechtsbegriffe, das erstere, die Rechtsordnung, regelt die Lebensverhältnisse …“.494 Diese Trennung der Systeme spiegelt sich wider im Auftrag der Reinen Rechtslehre an die Rechtswissenschaft, in der Hauptsache die formale Struktur des Rechts zu beschreiben und erst in zweiter Linie den Inhalt des Rechts zu erkennen, ohne dabei den authentischen Interpreten Vorgaben zu machen. Die Reinheit der juristischen Methode (die Interpretation), die nicht einem Methodensynkretismus geopfert werden darf, sichert den Selbststand des Rechts und seiner Wissenschaft. Die Interpretation zieht die Grenzen zwischen dem Gegenstand und seiner Wissenschaft.495 5. Der Begriff der Rechtswidrigkeit: Unrecht und Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen An den Begriffen Unrecht und Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen zeigen sich die ideologiekritische Natur und die formal-strukturelle Herangehensweise der Reinen Rechtslehre. Schon in den „Hauptproblemen“ (1911) betonte Kelsen, dass erst die Möglichkeit eines Unrechts der Rechtsordnung Sinn gebe. Recht setzt Unrecht – verstanden als tatsächliches Verhalten, dass den Anordnungen des Rechts zuwiderläuft, also rechtswidrig ist – voraus.496 In der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1934) erweitert 493

Dazu oben S. 138. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 55 f., 187 – Zitat S. 187. 495 Vgl. zur Trennung von Recht und Rechtswissenschaft Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 9; Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 75; Kelsen, Theorie der Normen (Anm. 12), S. 179. 496 Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 133, 141. 494

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

Kelsen das Unrecht um einen weiteren Aspekt. Das Unrecht gibt dem Recht seine Existenzberechtigung, indem seine Verwirklichung Bedingung für den von der Rechtsordnung als Unrechtsfolge statuierten Zwangsakt ist497 und Recht ohne Kontrafaktizität seinen Sinn verlöre.498 Zudem erkannte er die Unmöglichkeit sog. staatlichen Unrechts. Indem nach seiner Konstruktion der Staat mit der Rechtsordnung identisch ist,499 kann er nur Recht wollen. Ihm kann auch nur dasjenige durch das Recht zugerechnet werden, was vom Recht selbst umfasst ist.500 Die zweite Auflage der „Reinen Rechtslehre“ (1960) führte die Argumentation der „Hauptprobleme“ fort.501 Jedes tatsächliche Verhalten eines Staatsorgans, das den Anordnungen des Rechts zuwiderläuft, also Unrecht ist, kann nicht dem Staat zugerechnet werden und ist daher im rechtlichen Sinne kein Handeln des Staatsorgans,502 zudem kann es je nach positivrechtlicher Ausgestaltung Bedingung für einen als Unrechtsfolge statuierten Zwangsakt sein. Unrecht ist hier der Begriff für ein nicht zurechenbares Verhalten, beschreibt also eine Zurechnungsproblematik. Streng zu trennen von der Rechtswidrigkeit eines tatsächlichen Verhaltens (Unrecht) ist die Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen. Während Unrecht hier ein rein tatsächliches Verhalten ist, das den Anordnungen der Rechtsordnung zuwiderläuft, bedeutet Rechtswidrigkeit von Rechtsnormen einen durch das Fehlerkalkül nicht behebbaren Abbruch des Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs, durch den die formale Einheit der Rechtsordnung aufgehoben wird. „Rechtswidriges“ Recht ist Nichtrecht.503 Allen eben dargestellten Facetten der Rechtswidrigkeit (Bedingung für einen Zwangsakt, Zurechnungsproblematik und Abbruch des Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs) ist jedoch gemeinsam, dass sie in die Rechtskonstruktion eingebettet werden und einen rechtsimmanenten Platz erhalten. So verlieren sie für die Rechts (struktur)wissenschaft ihre rechtspolitisch motivierte Charakterisierung als unmoralisch, kriminell, sozialschädlich, ungerecht usw. 6. Lücken im Recht, Ermessen und Interpretation Abschließend ist noch das Verhältnis von Lücken im Recht und Ermessen zu behandeln. Gemeinsam ist beiden eine gewisse Unvollständigkeit der angewendeten Rechtsnorm, in beiden Konstellationen besteht keine vollumfängliche rechtliche De497 498 499 500 501 502 503

Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 26 – 28. So bereits Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 133 – ergänzend oben S. 101 – 103. Zur Identität von Staat und Rechtsordnung oben S. 140 f. in Anm. 363. Vgl. Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 24), S. 362 – 367, 519 f., 586 – 591, 674 f., 681. Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 156, 307. Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 156. Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre2 (Anm. 19), S. 271.

B. Der Ermessensbegriff

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terminierung, beide stehen in Bezug zur Reichweite der rechtlichen Bindung. Zusätzlich wird die Frage nach der Interpretation berührt, da nach ganz herrschender Ansicht Lücken durch Auslegung zu ermitteln und zu schließen sind.504 Etwas verallgemeinert gesagt liegt eine Lücke im Sinne der herrschenden Ansicht immer dann vor, wenn – warum auch immer – die anzuwendende Norm, gemeint ist gemeinhin das Gesetz, „für eine bestimmte Fallgestaltung, die innerhalb des von ihm geregelten Bereichs liegt, keine Regel enthält, wenn es also ,schweigtГ505. a) Kelsens Lückenkonzept Auch Kelsen greift die Unterteilung in unbeabsichtigte Unvollständigkeit (sog. echte Lücke) und beabsichtigte Unvollständigkeit (sog. beredtes Schweigen) auf,506 behandelt sie aber für die Rechtserzeugung gleich. Der vorgegebene Rahmen ist nun durch Willensakt vom Rechtsanwender auszufüllen.507 Der vorgelegte Rechtsstreit ist in jedem Fall lösbar: Statuiert beispielsweise das Recht keinen Anspruch, so ist die Klage eben abzuweisen.508 Echte Lücken im Sinne von rechtlicher Unlösbarkeit des vorgelegten Rechtsstreits gibt es demnach nicht, die vom Gesetz vorgegebene Lösung missfällt dem Rechtsanwender bloß: „Die sogenannte ,LückeÐ ist somit nichts anderes als die Differenz zwischen dem positiven Recht und einer für besser, gerechter, richtiger gehaltenen Ordnung.“509 Dieses Verständnis der Lücken im Recht wurde schon 1888 durch die damals noch junge Freirechtsbewegung als rein formale Lösung 504 Statt aller Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., Berlin, Heidelberg und New York 1995, S. 194, 202 – 223. – Aus Sicht der Reinen Rechtslehre Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 100 f. 505 Larenz/Canaris, Methodenlehre (Anm. 504), S. 191, instruktiv zur herrschenden, kunstvoll ausdifferenzierten Lückensystematik und Lückendogmatik S. 191 – 201. 506 Zur jeweils in Klammern angegebenen herrschenden Diktion Larenz/Canaris, Methodenlehre (Anm. 504), S. 191. 507 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 91 – 95. 508 So Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 100 f. – das räumen auch Larenz/Canaris, Methodenlehre (Anm. 504), S. 193, ein. 509 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 101 f. – Die herrschende Ansicht begründet die Notwendigkeit zur „Lückenschließung“ zuvörderst mit dem Gleichheitsgebot, wonach gleiche Sachverhalte gleich zu behandeln sind. Dabei verhehlt sie ihren rechtspolitischen Ansatz nicht, vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre (Anm. 504), S. 193, 195. Dabei geht sie aber darüber hinweg, dass der (vermeintliche) Gleichheitsverstoß grundsätzlich vom Gesetzgeber und nicht vom Richter abzustellen ist, da letztgenannter unter der Rechtsordnung des Grundgesetzes grundsätzlich keine entsprechende Ermächtigung aufweisen kann. Zu diesem Problem der richterlichen Rechtsfortbildung Christian Hillgruber, Richterliche Rechtsfortbildung – demokratische und rechtsstaatliche Bedenken gegen eine scheinbare Selbstverständlichkeit, in: Journal für Rechtspolitik 9 (2001), S. 281 – 293; Matthias Jestaedt, Rechtsprechung und Rechtsetzung – eine deutsche Perspektive, in: Wilfried Erbguth/Johannes Masing (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen: Europarecht und nationales Recht. Referate und Diskussionsbeiträge des XIII. Deutsch-Polnischen Verwaltungskolloquiums vom 17.–20. September an der Universität Rostock, Stuttgart u. a. 2005, S. 25 – 79 (34 – 36, 38 f., 49 – 54, 75 – 79); Hillgruber, „Neue Methodik“ (Anm. 359), S. 746 – 748, 753 – 755.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

des Problems abgelehnt,510 Gleiches darf für die heutige Zeit gelten. Vom strengen geltungspositivistischen Standpunkt der Reinen Rechtslehre aus gibt es aber keine Alternative.511 An dieser Stelle zeigt sich deutlich das Anliegen der Reinen Rechtslehre: Sie will die formale Struktur des Rechts theoretisch durchdringen, Rechtsinhalte spielen dabei nur eine Nebenrolle. Im Sinne der Reinen Rechtslehre ist Lückenschließung eine Änderung des Inhalts einer Norm, im Grunde die Erzeugung einer völlig neuen Norm, die nie durch Erkenntnis-, sondern nur durch Willensakt geschehen kann: „Die Interpretation hat hier nicht die Funktion, die zu interpretierende Norm zur Anwendung zu bringen, sondern im Gegenteil, sie auszuschalten, um an ihre Stelle die bessere, richtigere, gerechtere, kurz die von dem Rechtsanwender gewünschte Norm zu setzen.“512 Nur insofern, als die Grenze der rechtlichen Determinierung ermittelt wird, sind Lücken eine Erkenntnis- und damit eine Interpretationsfrage. In der Lückenproblematik zeigt sich erneut der ideologiekritische Charakter der Reinen Rechtslehre, indem die Lücke als ideologische Formel erkannt wird: „Die Anwendung des Gesetzes, die gegebenenfalls nur eine – nach Ermessen des Rechtsanwenders zu beurteilende – rechtspolitische Unzweckmäßigkeit ist, wird als eine rechtslogische Unmöglichkeit dargestellt.“513 Kelsen verwendet an dieser Stelle den Begriff des Ermessens freilich im untechnischen Sinne, da er ihn auf den (Lücken-)Erkenntnisanteil im Rechtsgewinnungsprozess bezieht: Die Norm sei eben inhaltlich unvollständig und daher unanwendbar – ein Hinweis darauf, wie wenig eigenständige Bedeutung Kelsen der (verwaltungsrechtlichen) Ermessensproblematik neben dem Stufenbau der Rechtsordnung beimaß und daher an dieser Stelle auch nicht auf eine klare Begrifflichkeit achtete. b) Weiterentwicklung des Verhältnisses von „Lücken“ und Ermessen Das Verhältnis von „(planwidriger) Lücke“ und Ermessen lässt sich aber ausgehend vom Standpunkt Kelsens weiterdenken. Zwischen beiden besteht nämlich kein so fundamentaler Unterschied, wie es zunächst scheint. Der Ermessensspielraum ist der Raum, innerhalb dessen das Recht seinen Anwender nicht heteronom determiniert, sondern ihn zur Vornahme eines autonom determinierten Willensaktes ermächtigt. Der Sachverhalt ist damit – soweit wie von den im genealogischen Stufenbau der Rechtsordnung vorangehenden Rechtsanwendern gewollt – positivrechtlich geregelt. Die gemeinhin unzutreffenderweise als „(planwidrige) Lücken“ bezeichne510

Vgl. Ehrlich, Lücken (Anm. 298), S. 448. Wie hier auf der Grundlage der Reinen Rechtslehre das herrschende Lückenkonzept grundsätzlich ablehnend Hans Kudlich/Ralph Christensen, Die Lücken-Lüge, in: Juristenzeitung 64 (2009), S. 943 – 949 (947, 949). 512 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 102. 513 Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 2), S. 106. 511

B. Der Ermessensbegriff

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ten Konstellationen bedeuten dagegen, dass das positive Recht für den zu entscheidenden Sachverhalt von vornherein keine Regelung enthält. Mangels eines Rahmens scheint auch kein Ermessensspielraum vorhanden zu sein. Dennoch besteht die Ermächtigung zur Erzeugung einer Norm des Inhalts, dass die Rechtsordnung für diese Konstellation keine Regelung bereithält und der daraus sich ergebenden zwingenden (Rechts-)Folge, beispielsweise dass die Klage daher abzuweisen ist. In diesem Fall gibt es nur eine Entscheidungsmöglichkeit. Eine „(planwidrige) Lücke“ kann man durchaus als Spezialfall eines Ermessensspielraums auffassen, der dadurch charakterisiert ist, dass es nur eine Entscheidungsmöglichkeit gibt. c) Das herrschende Lückenkonzept im Lichte der Reinen Rechtslehre Der Unterschied zwischen allgemeiner Ansicht und Reiner Rechtslehre liegt in der Herangehensweise. Denn der „(planwidrigen) Lücke“ liegt nach beiden Standpunkten dieselbe positivrechtliche Konstellation zugrunde. Doch während die allgemeine Ansicht diese als zu korrigierenden Fehler auffasst, respektiert die Reine Rechtslehre die positivrechtliche Ausgestaltung und verweist auf die positivrechtlichen Kompetenzregelungen zur Änderung dieses Zustands. Daher kann die Reine Rechtslehre ohne die Figur der „(planwidrigen) Lücke“ auskommen, indem sie diese Konstellationen ohne Ausflüge in metarechtliche Gefilde zwanglos im Rahmen des Ermessens verortet. So zeigen sich auch hier ihre ideologiekritische Natur und ihre Reinheit.

VI. Zusammenfassung: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre Eine prägnante Definition des Ermessensbegriffs der Reinen Rechtslehre liefert Merkl in seinem „Allgemeinen Verwaltungsrecht“ (1927): „Ist somit das Ermessen nicht eine beliebig gewillkürte Einrichtung des positiven Rechtes, als die es gerne gedeutet wird, aber auch nicht eine unwillkürliche Schwäche der Gesetzestechnik, namentlich der Gesetzessprache, die, wie man mitunter vermeint, aus Mangel an Ausdrucksmitteln ein Ermessen offen lassen müsse, sondern eine im Wesen der Vollziehung als der Konkretisierung einer abstrakten Norm rechtstheoretisch begründete Notwendigkeit, dann ist der Vorbehalt des Ermessens für die Verwaltung, aber auch nur ein Vorrang des administrativen Ermessens vor dem Ermessen in anderen Funktionsbereichen ausgeschlossen.“514

Ermessen ist nach der Begrifflichkeit der Reinen Rechtslehre ein in modernen, dynamischen, weil arbeitsteiligen Rechtsordnungen durch deren (genealogischen) Stufenbau bedingtes rechtswesenhaftes Phänomen. Es bezeichnet den Freiraum, der dem Rechtsanwender innerhalb des durch die anzuwendende Norm vorgegebenen Rah514

Merkl, Verwaltungsrecht (Anm. 46), S. 144 – Hervorhebungen im Original.

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2. Teil: Der Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre

mens verbleibt, in dem er nicht durch die Rechtsordnung fremd (heteronom) determiniert ist, sondern frei (autonom) neue Komponenten in das Recht einfügen kann. Ermessen ist nicht auf das Verwaltungsrecht beschränkt, sondern ein Phänomen im gesamten Recht, das in jedem Rechtsgewinnungsvorgang auftritt. Ermessen ist komplementär zur Rechtsbindung, d. h. Ermessen beginnt dort, wo die Rechtsbindung endet. Das Recht öffnet sich für außerrechtliche Einflüsse, indem der Rechtsanwender positivrechtlich ermächtigt wird, metarechtliche Komponenten autonom einzubringen. Maßstäbe für die richtige Ausfüllung dieses Freiraums gibt die Rechtsordnung nicht, es gibt keine eine richtige Entscheidung. Die Ermessensproblematik ist kein Schwerpunkt der Reinen Rechtslehre, sondern fällt gleichsam als Nebenprodukt der dynamischen Rechtsbetrachtung und der Erkenntnis des (genealogischen) Stufenbaus der Rechtsordnung an.

3. Teil

Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre „Es ist nicht genug, den Handwerkern der Jurisprudenz ihre bisherigen Werkzeuge als untauglich zu entwinden und ihr Verfahren verkehrt zu schelten; man wird ihnen anderes Handwerkszeug in die Hände geben und sie richtiger arbeiten lehren müssen.“ Friedrich Tezner (1925)

Die heutigen Entwicklungen des Verwaltungsrechts und dessen dogmatischer Figuren – insbesondere des (Verwaltungs-)Ermessens – konnten die Schöpfer der Reinen Rechtslehre ihrerzeit nicht vorhersehen. Gleichwohl sah Kelsen die Reine Rechtslehre als zeitlos und als einer Weiterentwicklung immer offen an.1 In diesem Geiste gilt es nun, den herrschenden Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre zu betrachten. Es geht dabei jedoch weniger um eine Weiterentwicklung der Reinen Rechtslehre selbst, als vielmehr um eine Anwendung ihrer selbst auf die heute herrschende Ermessensdogmatik. Diese Dogmatik auf ein standfestes rechtsstrukturtheoretisches Fundament zu stellen und ihre Figuren den Erkenntnissen der Reinen Rechtslehre gemäß anzupassen, soll im Folgenden die Aufgabe sein.

A. Unterschiedliche Zugänge zur Ermessensproblematik Die Reine Rechtslehre und die herrschende Ansicht haben unterschiedliche Zugänge zur Ermessensproblematik.

I. Der formal-strukturtheoretische Zugang der Reinen Rechtslehre Die Reine Rechtslehre betrachtet die Ermessensproblematik aus der Perspektive einer formalen Strukturtheorie. Mehr als die formale Struktur kann und will sie auch nicht erkennen, da sie ihre Zuständigkeit auf diesen Aspekt beschränkt.2 Der Fokus der Reinen Rechtslehre ist damit auf das als in einem arbeitsteiligen Rechtsgewin1 2

Vgl. oben S. 86 bei Anm. 12. Dazu oben S. 94 – 96.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

nungsprozess als rechtswesenhaft erkannte Wechselspiel von heteronomer und autonomer Determinante gerichtet.3 Ob und inwiefern diese Art der Betrachtung ausreicht oder befriedigt, ist die (Vor-)Frage der Wahl des Standpunktes.

II. Der dogmatische Ansatz der herrschenden Ansicht Das herrschende Ermessenskonzept geht auf den Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses nicht weiter ein. Die Überlegungen zu den rechtlichen und metarechtlichen Maßstäben des Verwaltungshandelns und ihre Verortung im Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses finden jedenfalls in der Ermessensdogmatik so gut wie keinen Niederschlag.4 Man setzt dessen Ablauf voraus und begnügt sich mit der Tatsache, dass Recht – wie auch immer – in der Verfassung und im Gesetz bereits vorhanden bzw. im Bedarfsfall durch die Gesetzgebung oder in absoluten Ausnahmefällen durch Analogiebildung und im Wege richterlicher Rechtsfortbildung5 erzeugt wird. Das Interesse gilt den Endprodukten des Rechtsgewinnungsprozesses auf Gesetzesebene, den abstrakt-generellen Rechtsnormen, deren Inhalte und rechtspolitisch bedingte Intentionen man zu dogmatisieren versucht. Mit metarechtlichen Fragestellungen befasst man sich, um aufzuzeigen, warum der Normsetzer – in diesem Fall namentlich der Gesetz-, Verordnungs- oder Satzungsgeber – Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe in Normen einbaut: aus praktischen Zwängen heraus. So zum einen, weil sich die Buntheit und Vielschichtigkeit des Lebens, das die abstrakt-generellen Rechtsnormen regeln sollen, nicht in einem engen Begriff einfangen lassen, und zum anderen, da eine kasuistische Regelung aller denkbaren Einzelfällen bekanntlich – man denke nur an das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 – untauglich ist. Unbestimmte (Rechts-)Begriffe sind insofern das Schicksal einer jeden Rechtsordnung, die mit abstrakt-generellen Normen arbeitet. 3

Dazu oben zusammenfassend S. 121 f., 169 f. Z. B. Friedrich Schoch, Außerrechtliche Standards des Verwaltungshandelns als gerichtliche Kontrollmaßstäbe, in: Hans-Heinrich Trute/Thomas Groß/Hans Christian Röhl/ Christoph Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, Tübingen 2008, S. 543 – 573 (554 – 565, 552 f., insb. 566 – 568); Michael Fehling, Das Verhältnis von Recht und außerrechtlichen Maßstäben, in: Hans-Heinrich Trute/Thomas Groß/ Hans Christian Röhl/Christoph Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, Tübingen 2008, S. 461 – 488 (465, 469 – 476, insb. 487 f.); Kritik bei Matthias Jestaedt, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl., Berlin und NewYork 2010, § 11 Rn. 61 f. 5 Statt vieler Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., Berlin, Heidelberg und New York 1995, S. 177, insb. 252 – 255, 258; zur Frage der Ermächtigung des Richters zur richterlichen Rechtsfortbildung Matthias Jestaedt, Rechtsprechung und Rechtsetzung – eine deutsche Perspektive, in: Wilfried Erbguth/Johannes Masing (Hrsg.), Die Bedeutung der Rechtsprechung im System der Rechtsquellen: Europarecht und nationales Recht. Referate und Diskussionsbeiträge des XIII. Deutsch-Polnischen Verwaltungskolloquiums vom 17.–20. September an der Universität Rostock, Stuttgart u. a. 2005, S. 25 – 79. 4

A. Unterschiedliche Zugänge zur Ermessensproblematik

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Auch die Erklärung der Gründe, warum der Normsetzer zu (Rechtsfolge-)Ermessen ermächtigt, fällt in den Bereich der Rechtspolitik. Die Einräumung von Ermessen soll die Gesetzesanwendung flexibilisieren.6 Die Möglichkeit zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit,7 die größere Sachnähe der Verwaltung8 bzw. die Möglichkeit zur Schonung der begrenzten Ressourcen der Verwaltung9 sind Aspekte, die der Normsetzer bei Schaffung der Ermessensermächtigung im Auge hat. Im Wortlaut der Norm selbst finden diese Motive zunächst keinen Niederschlag; vielmehr ist dem Wortlaut der Norm durch Auslegung nur und zwar nicht einmal stets zu entnehmen, dass eben ein Ermessen eingeräumt ist. Allenfalls erst im Rahmen einer historischen, systematischen oder teleologischen Auslegung lassen sich solche Aspekte der Norm erkennen. Ebenso sind die Bemühungen zur Vermeidung einer Doppelverwaltung10 hier zu verorten. Hinter ihnen steht neben Fragen der Ökonomisierung und Rationalisierung von staatlichen Entscheidungsprozessen das jeweils von der rechtspolitischen Position des Vertreters abhängige Vertrauen in die (Verwaltungs-)Rechtsprechung oder die Verwaltung. Im Punkt Vertrauen ist eine Wellenbewegung zu beobachten. In Deutschland ist – jedenfalls seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – ein Urvertrauen in die Fähigkeiten und die Integrität der Rechtsprechung fest verwurzelt. Es wurde in der Anfangszeit, insbesondere in den 1950er Jahren, in der Ablehnung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen sowie in dem Versuch, die Verwaltung einer kompletten Gerichtskontrolle zu unterwerfen, besonders deutlich;11 in der jüngeren Vergangenheit 6 Zusammenfassend Martin Bullinger, Das Ermessen der öffentlichen Verwaltung – Entwicklung, Funktionen, Gerichtskontrolle –, in: Juristenzeitung 39 (1984), S. 1001 – 1009 (1007 – 1009); Wolfgang Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 10 Rn. 65 – 68. 7 Vgl. Karl-Eberhard Hain/Volker Schlette/Thomas Schmitz, Ermessen und Ermessensreduktion – ein Problem im Schnittpunkt von Verfassungs- und Verwaltungsrecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 122 (1997), S. 32 – 64 (35 – 37); Friedrich Schoch, Das verwaltungsbehördliche Ermessen, in: Juristische Ausbildung 26 (2004), S. 462 – 469 (463). 8 Dazu z. B. Gerd Schmidt-Eichstaedt, Ermessen, Beurteilungsspielraum und eigenverantwortliches Handeln der Verwaltung – Zum Umfang der Bindung des Ermessens an die Begriffe und den Tatbestand der Ermessensermächtigung –, in: Archiv des öffentlichen Rechts 98 (1973), S. 173 – 195 (194). 9 Dies gilt insb. im Gefahrenabwehrrecht, vgl. Fritz Ossenbühl, Der polizeiliche Ermessensund Beurteilungsspielraum. Zur Dogmatik von Gefahrenabwehrentscheidungen, in: Die Öffentliche Verwaltung 29 (1976), S. 463 – 471; Schoch, Ermessen (Anm. 7), S. 463. 10 Grundlegend Edmund Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft. Verwaltungsrechtliche Studien, Wien 1886, S. 45 f.; so auch Ulrich Ramsauer, Zur Kontrolldichte im Verwaltungsprozess, in: Dirk Heckmann (Hrsg.), Modernisierung von Justiz und Verwaltung. Gedenkschrift für Ferdinand O. Kopp, Stuttgart u. a. 2007, S. 72 – 92 (90); ergänzend oben S. 155 f. – Hiermit korrespondiert der Ansatz, die Verwaltungskontrolle als „nachvollziehende“ Kontrolle zu verstehen und auszugestalten, dazu unten S. 179 f., 202, 203 f. 11 Dazu oben S. 42 – 44; aus neuerer Perspektive zum „Grundmuster vollständiger Rechtsanwendungskontrolle“ Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

spiegelt sich das der Rechtsprechung entgegengebrachte große Vertrauen zuvörderst in dem hohen Ansehen des Bundesverfassungsgerichts wider. Richtigerweise wird aber auch unbeschadet dieses vollkommen zu Recht bestehenden Vertrauens in die Judikative in der Bundesrepublik unter dem Grundgesetz darauf hingewiesen, dass auch die Verwaltung einen eigenständigen Verantwortungsbereich von Verfassungsrang12 hat, der von gerichtlicher Kontrolle freizuhalten ist.13 Auch die Verwaltung ist wie alle Staatsgewalt und insbesondere wie die Rechtsprechung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) sowie an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Insofern ist sie ebenfalls vertrauenswürdig. Außerdem ist auch sie durch das Grundgesetz als Teil der gewaltenverschränkt, sprich arbeitsteilig arbeitenden Staatsgewalt vorgesehen (Art. 20 Abs. 3 GG), so dass eine vollkommene Übernahme ihrer Aufgaben, nicht nur im Hinblick auf die Schwierigkeiten im Rahmen der Kontrolle, durch die Rechtsprechung als systemwidrig erscheint. So wurde immer wieder vor einer Überwucherung, Einschnürung und Gängelung der Verwaltung durch die Rechtsprechung gewarnt.14 Derzeit spricht man hier sogar von einer Krise der Verwaltungsgerichtsbarkeit.15 Letztlich konnte noch nicht überzeugend begründet werden, warum die Rechtsprechung „besser“ als die Verwaltung entscheiden sollte und warum die Rechtsprechung „vertrauenswürdiger“ als die Verwaltung sein sollte. Insgesamt zeigt sich, dass in der rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Diskussion das Verhältnis der Staatsgewalten zueinander, das sich besonders deutlich in der Ermessensproblematik und den in ihr mitformulierten Kontrolldichtefragen zeigt, nicht unerheblichen Schwankungen unterliegt und somit zwangsläufig als „Dauerthema“16 verbleibt.17 als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl., Berlin und Heidelberg 2006, S. 216 f. – Zitat S. 216. 12 Dazu stellvertretend Horst Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat. Genese, aktuelle Bedeutung und funktionelle Grenzen eines Bauprinzips der Exekutive, Tübingen 1991, S. 182 – 185; auch Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 203 – 205. 13 Grundlegend Hans Peters, Die Verwaltung als eigenständige Staatsgewalt. Rektoratsrede, Krefeld 1965, insb. S. 29 – 33; vgl. auch H. Dreier, Hierarchische Verwaltung (Anm. 12), S. 174 – 195, insb. 185 – 191; Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 7; Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit (Anm. 6), § 10 Rn. 70 – 105. 14 Vgl. Fritz Ossenbühl, Tendenzen und Gefahren der neueren Ermessenslehre, in: Die Öffentliche Verwaltung 21 (1968), S. 618 – 627 (621, 626 f.); dazu auch Helmuth SchulzeFielitz, Neue Kriterien für die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, in: Juristenzeitung 48 (1993), S. 772 – 781 (773 m. w. N.); differenzierend Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 195 – 202. 15 Vgl. Karl-Heinz Millgramm, Verwaltungsgerichtsbarkeit – neutraler Rechtsschutz für den Bürger oder Reparaturbetrieb der Verwaltung?, in: Deutsches Verwaltungsblatt 123 (2008), S. 821 – 828 (insb. 822 m. w. N.). 16 Rainer Wahl, Risikobewertung der Exekutive und richterliche Kontrolldichte – Auswirkungen auf das Verwaltungs- und das gerichtliche Verfahren, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 10 (1991), S. 409 – 418 (409).

B. Die strikte Trennung von Determinierung und Kontrolldichte

175

Zwar hat auch die herrschende Ansicht im Anfang einen rechtstheoretischen Zugang gewählt, indem sie ihr Augenmerk auf die Tatsache der unvollständigen Determinierung des Rechtsanwenders lenkte. Doch anstatt – insbesondere unter Einbeziehung der Reinen Rechtslehre – die Erkenntnisse über den Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses in die Ermessensdogmatik zu integrieren, schwenkte sie in der Hauptsache auf die Frage der Kontrolldichte um. Dazu entwickelte sie die nun herrschende Dogmatik, die auf dem Grundsatz der normstrukturell bedingten Unterscheidung von unbestimmtem Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgenseite beruht. Die formal-strukturelle Rechtstheorie blieb dabei fast gänzlich auf der Strecke. In der Folge geriet die Ermessensdogmatik in Schieflage, da sie auf unhaltbarem rechts(gewinnungs)theoretischem Untergrund baut.

III. Gegenseitige Ergänzung beider Ansätze Es müssen sich der rechtstheoretische formal-strukturelle Zugang und der rechtspolitisch-dogmatische Zugang ergänzen. Jeder Ansatz für sich kann das Phänomen Ermessen nicht in seiner Gänze bewältigen. Die herrschende Ansicht hat umfangreiche dogmatische Arbeiten geleistet, die jedoch teilweise „in der Luft hängen“. Daher gilt es, die bisher fehlenden Fundamente zu schaffen. Dabei ergibt sich zugleich die Gelegenheit zu einem Versuch, das „Trümmerfeld“18 der deutschen Ermessenslehre ein Stück weit aufzuräumen.

B. Die strikte Trennung von Determinierung und Kontrolldichte – Ermessen im weitesten Sinne und Ermessen im engeren Sinne I. Die herrschende Ermessensdefinition Das Feld der im Laufe der Zeit vorgeschlagenen Ermessensdefinitionen ist weit und ausdifferenziert. Die hier stellvertretend herausgegriffene Definition Martin Bullingers aus dem Jahre 1984 ist jedoch nach wie vor aktuell und spiegelt den allen Definitionen gemeinsamen Kern am besten wider:

17

Stellvertretend Fritz Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Bernd Bender/Rüdiger Breuer/Fritz Ossenbühl/Horst Sendler (Hrsg.), Rechtsstaat zwischen Sozialgestaltung und Rechtsschutz. Festschrift für Konrad Redeker zum 70. Geburtstag, München 1993, S. 55 – 70 (59). 18 Hans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre. Verwaltungsnorm und Verwaltungsrechtsverhältnis, Tübingen 1965, S. 198. – Ergänzend oben S. 73 f.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

„Ermessen im weitesten Sinne ist der Freiraum, der sich für die öffentliche Verwaltung ergibt, wenn ihr Verhalten weder durch ein Gesetz voll vorausbestimmt ist noch durch ein Gericht voll überprüft werden kann.“19

Sie macht die Janusköpfigkeit der Ermessensproblematik deutlich, die sich aus der Zwischenstellung der Verwaltung zwischen der ihren Handlungsrahmen vorgebenden Gesetzgebung und ihre Entscheidungen kontrollierenden Rechtsprechung ergibt. Probleme bereitet der Zusammenhang zwischen „gelockerter“20 Gesetzesbindung und eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolldichte.

II. Drei Varianten des Verhältnisses von Determinierung und Kontrolldichte Es sind drei Ansätze möglich: Denkbar wäre, wie es bereits Fritz Fleiner tat, von der „gelockerten“ Gesetzesbindung auf eine reduzierte Kontrolldichte zu schließen: „Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte bricht an dem Punkte ab, an dem das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden beginnt.“21

Dem steht der aus der Betrachtung des positiven Rechts gewonnene Einwand Otto Mayers entgegen, dass „Akte des freien Ermessens … oft, vielleicht meistens, aber doch keineswegs unbedingt, von der Rechtspflege ausgeschlossen [sind]“22.

Man kann also auch davon ausgehen, dass wegen der „Lockerung“ der Gesetzesbindung eine „noch stärkere“ Kontrolle erfolgen müsse. Dieser Gedanke drängt sich zudem auf, da wegen Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls vordergründig23 möglichst optimaler Rechtsschutz gewährt sein muss. Das fiele freilich schwer, da, vom allgemein anerkannten Grundsatz vollumfänglicher gerichtlicher Kontrolle ausgegangen, mehr als vollumfänglicher Rechtsschutz nicht denkbar ist.24 Der dritte und vorzugswürdige

19

Bullinger, Ermessen (Anm. 6), S. 1001. Diese Begrifflichkeit z. B. bei Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., München 2009, § 7 Rn. 6. 21 Fritz Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., Tübingen 1928, S. 257 – Hervorhebung im Original; ähnlich Rupert Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 34 (1976), S. 145 – 220 (175 m. umfangreichen w. N.). 22 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., München und Leipzig 1924, S. 133. 23 Zum Regelungsgehalt von Art. 19 Abs. 4 GG unten S. 207. 24 Gleichwohl wird teilweise sogar eine „Verschärfung“ der Kontrolldichte vertreten, vgl. Eckhard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum. Zur Einheitlichkeit administrativer Entscheidungsfreiräume und zu deren Konsequenzen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – Versuch einer Modernisierung, Tübingen 2001, S. 494. 20

B. Die strikte Trennung von Determinierung und Kontrolldichte

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Ansatz sieht zwischen „gelockerter“ Gesetzesbindung und eingeschränkter Kontrolldichte (jedenfalls zunächst) keinen zwingenden Zusammenhang.

III. Keine „Lockerungen“ der Gesetzesbindung Hier muss zunächst der Begriff der „Lockerung“ der Gesetzesbindung25 verworfen werden, da er erheblichen Missverständnissen Vorschub leistet. Zwar kann die Dichte der heteronomen Determinierung der Verwaltung durch gesetzliche Regelung zurückgenommen werden, doch ist die Rücknahme ihrerseits Ausfluss des Gesetzes. Zudem ist die Verwaltung immer noch an den jeweiligen Umfang der heteronomen Determinierung vollständig gebunden, so dass insofern von einer „Lockerung“ oder „Abschwächung“ der Gesetzesbindung, die ja nur auf den jeweiligen Umfang der Gesetzesbindung bezogen sein kann, nicht gesprochen werden kann. Vielmehr scheint dieser Sprachgebrauch von der rechtsgewinnungstheoretisch unhaltbaren Vorstellung befangen zu sein, dass das Gesetz das Verwaltungshandeln stets vollständig determiniert und ein Dahinterzurückbleiben grundsätzlich systemwidrig und daher als Ausnahmefall immer begründungsbedürftig sei. Letztendlich steht dahinter der – wohl auch von den Vertretern der „Lockerung“ der Gesetzesbindung abgelehnte – Subsumtionsautomatismus, der in der Konstruktion der grundsätzlichen „strengen“ Gesetzesbindung wurzelt.26

IV. Ermessen im weitesten Sinne und Ermessen im engeren Sinne Da aber eine unvollständige heteronome Determinierung der Verwaltung nicht die Ausnahme, sondern vielmehr den Regelfall im Rahmen des arbeitsteiligen Rechtsgewinnungsprozesses darstellt,27 besteht kein Bedürfnis, aus verminderter heteronomer Determinierung zugleich auf eine verminderte gerichtliche Kontrolldichte zu schließen. Es sind die dem Ermessen eigenen Problemkreise der unvollständigen gesetzlichen Determinierung einerseits und der eingeschränkten gerichtlichen Kon25 Von einer Lockerung der Gesetzesbindung sprechen Fritz Ossenbühl, Rechtliche Gebundenheit und Ermessen der Verwaltung, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., Berlin 2002, § 10 Rn. 2; Schoch, Ermessen (Anm. 7), S. 463; Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 20), § 7 Rn. 6; ähnlich Franz Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 9 Rn. 91 – 94; Schoch, Standards (Anm. 4), S. 548, spricht von „Dichtegrade[n] der Bindung“, meint in der Sache aber dasselbe. 26 Zur Kritik vgl. Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 7 – 9, 10 Anm. 29, 17. 27 Zusammenfassend oben S. 169 f. – Vgl. auch Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), S. 475.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

trolldichte andererseits voneinander zu entkoppeln28 und auf ihre Besonderheiten und Berührungspunkte hin zu untersuchen. So können wir als Ermessen im weitesten Sinne auf der Grundlage des Verhältnisses von heteronomer und autonomer Determinierung der Verwaltung die Frage nach der Reichweite der Rechtsbindung, unter Ermessen im engeren Sinne die Frage nach der Begründung und dem Umfang eingeschränkter gerichtlicher Kontrolldichte verstehen. Nur vor dieser Trennung können die Ermessensproblematik und ihre Fehlerlehre klar werden.29 Da Ermessen im weitesten Sinne in jedem Rechtsgewinnungsvorgang auftritt, verspricht die Betrachtung des Ermessens im engeren Sinne größeren Erkenntnisgewinn.

C. Der Kontrollbegriff I. Das Fehlen eines rechtstheoretisch abgesicherten Kontrollbegriffs Verfolgt man die wissenschaftliche Auseinandersetzung um die gerichtliche Kontrolle, so macht sich das Fehlen eines rechtsgewinnungstheoretisch reflektierten und abgesicherten Kontrollbegriffes bemerkbar. Kontrolle ist im gewaltenverschränkten Rechtsstaat des Grundgesetzes, in dem alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, überall verortet und folglich auch in aller Munde. Angesichts der Vielschichtigkeit der Kontrolle verzichtet man jedoch nach wie vor auf eine Definition des Kontrollbegriffs und verwendet stattdessen Synonyme wie beispielsweise Herrschaft, Leitung, Aufsicht, Überwachung, Inspektion oder Prüfung.30 Zugleich versucht man, den Kontrollbegriff an die jeweilige Situation anzupassen31 und spricht beispielsweise von parlamentarischer Kontrolle, Rechnungshofkontrolle, Zweckmäßigkeitskontrolle, Rechtskontrolle, Normenkontrolle, gerichtlicher Kontrolle, Selbstkontrolle, Kontrolle durch die Öffentlichkeit, Verfahrenskontrolle, Verhaltenskontrolle, Ergebniskontrolle, Inhaltskontrolle, Begründetheitskontrolle usw.32 Kontrolle firmiert auch oft als Gegenbegriff zur Verantwortung.33 28 Darauf wies schon Günter Warda, Dogmatische Grundlagen des richterlichen Ermessens im Strafrecht, Köln u. a. 1962, S. 184, hin; ihn aufgreifend auch Barbara Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozeß, Köln 2002, S. 10, vgl. ergänzend diesbezüglich jedoch unten S. 245 in Anm. 288. 29 Die Wichtigkeit dieser Trennung hebt auch hervor Schoch, Standards (Anm. 4), S. 553; ebenso bereits Herbert Hofer-Zeni, Das Ermessen im Spannungsfeld von Rechtsanwendung und Kontrolle, Wien und New York 1981, S. 113. 30 Vgl. Walter Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen. Ein Beitrag zur rechtlichen Analyse von gerichtlichen, parlamentarischen und Rechnungshof-Kontrollen, Heidelberg 1984, S. 1. 31 So Krebs, Kontrolle (Anm. 30), S. 2 f. 32 Eine Übersicht über die aktuelle Begrifflichkeit bietet stellvertretend das Sach- und Personenregister in Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle

C. Der Kontrollbegriff

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Ihre Hauptfunktion ist die eines Hemmschuhs: Sie soll Freiheit sichern und (dadurch) Macht begrenzen,34 indem sie notwendiges Zusammenwirken von Organen sowie einseitiges Einwirken eines Organs auf andere Organe bewirkt,35 oder Dritten den Einblick in die Arbeit von Organen erlaubt und somit Transparenz herstellt.36 An den Beginn der weiteren Überlegungen stellt man die Unterscheidung nach Rechtsgebieten, wonach „die Zivil- und Strafgerichte entscheiden, die Verfassungsund Verwaltungsgerichte hingegen kontrollieren“37. Der Anknüpfungspunkt dieser Differenzierung liegt darin, dass bei Anrufung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte „bereits eine kompetent getroffene hoheitliche (Erst-)Entscheidung“38 vorliege. Die Frage nach der Rechtsnatur der Kontrollgegenstände vor den Zivil- und Strafgerichten39 wird dabei nicht gestellt, obwohl ihre Beantwortung für die Entwicklung eines Kontrollbegriffs außerordentlich wichtig ist. Die weitere Betrachtung der Kontrolle befasst sich mit dem tatsächlichen Vorgang der Kontrolle. Man beschreibt, was das Kontrollorgan tut. Kontrolle kann dabei als Vergleich zwischen dem Ist-Zustand und dem rechtlich normierten Soll-Zustand verstanden werden.40 Es finde eine vollständige Rechtsanwendungskontrolle statt, geprüft werden Definition, Tatsachenfeststellung und Subsumtion. So seien durch die Gerichte „die Verwaltungsentscheidungen grundsätzlich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen“, es handle sich aber nur um „eine Nachprüfung“, nicht aber um eine „totale Kontrolle im Sinne einer Ersetzung der administrativen Entscheidung durch eine solche des Gerichts“, Art. 19 Abs. 4 GG nor-

(Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, S. 1324 f., zum Stichwort „Kontrolle“; vgl. auch Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 229 – 237. 33 Vgl. Ulrich Scheuner, Verantwortung und Kontrolle in der demokratischen Verfassungsordnung, in: Theo Ritterspach/Willi Geiger (Hrsg.), Festschrift für Gebhard Müller. Zum 70. Geburtstag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Tübingen 1970, S. 379 – 402 (insb. 379 – 381); Ulrich Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht im demokratischen Staat. Die Eingrenzung der Macht in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, Leer 1977, S. 7 – 15; unter Bezug auf Scheuner auch Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 212. 34 Vgl. BVerfGE 9, 260 (279 f.); ergänzend Scheuner, Kontrolle der Staatsmacht (Anm. 33), S. 15; Krebs, Kontrolle (Anm. 30), S. 41. 35 Vgl. Scheuner, Kontrolle der Staatsmacht (Anm. 33), S. 31; Krebs, Kontrolle (Anm. 30), S. 43. 36 Zusammenfassend Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 8 Rn. 23 – 26, insb. 26. 37 Ossenbühl, Kontrolldichte (Anm. 17), S. 56. 38 Ossenbühl, Kontrolldichte (Anm. 17), S. 57. 39 Vgl. unten S. 198 f. 40 Dazu Krebs, Kontrolle (Anm. 30), S. 14 – 18.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

miere „eine Rechtsschutzgarantie, keinen Richtervorbehalt“.41 Ist die Kontrolldichte begrenzt, so erfolge beispielsweise nur eine Kontrolle des Abwägungsvorgangs, wobei ein „Durcharbeiten der Begründung der Hauptpunkte der Abwägungskontrolle“42 stattfinde. Neuere Ansätze versuchen die Kontrolle in ein „Rechtsgespräch“43 zu verlegen, in dessen Rahmen der Kontrollvorgang ein „Nacharbeiten“44 oder Nachvollziehen45 der Grundlagen der Verwaltungsentscheidung bedeute.46 Kontrolle sei jedenfalls ein andersgearteter Vorgang als primäres Entscheiden.47 Damit wird zwar der Begriff der Kontrolle mit Leben gefüllt. Kontrolle ist aber kein apriorischer Begriff, der sich nicht weiter aufschlüsseln ließe, denn der rechtstheoretische Aspekt bleibt – wie beim Zugang zur Ermessensproblematik48 – so gut wie unbeachtet.

II. (Rechts-)Kontrolle als Normenkontrolle In der Folge wird versucht, einen rechtsgewinnungs- und rechtsstrukturtheoretisch abgesicherten Kontrollbegriff zu entwickeln. Freilich „schaut das Gericht nach“, ob alle Erzeugungsvoraussetzungen des Kontrollgegenstandes vorliegen, damit er als zur Rechtsordnung zugehörig, sprich rechtmäßig gelten darf. Jedenfalls für den Bereich des Verwaltungsrechts sei das Ergebnis, um die Marschroute vorzuzeichnen, bereits vorweggenommen: Die Ermächtigung zur Kontrolle ist die Ermächtigung zur Rechtsgewinnung. Das Produkt der Kontrolle, sprich die Kontrollentscheidung ist eine Rechtsnorm. Die (Rechts-)Kontrolle von 41 Stellvertretend Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 216 – alle Zitate dort; ähnlich Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit (Anm. 6), § 10 Rn. 98. 42 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 220; ausführlich zur Abwägungskontrolle Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), S. 495 – 499. 43 Vgl. nur Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 226 f. 44 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 227. 45 So z. B. Christoph Möllers, Methodische Zugänge zum Verwaltungsrecht, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 3 Rn. 29. 46 Zum Ganzen Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), S. 506 – 508; Ulrich Ramsauer, Rechtsschutz durch nachvollziehende Kontrolle. Bemerkungen zu Methodik und Technik verwaltungsgerichtlicher Entscheidungsfindung, in: Eberhard Schmidt-Aßmann/Dieter Sellner/Günter Hirsch/Gerd-Heinrich Kemper/Hinrich Lehmann-Grube (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, Köln u. a. 2003, S. 699 – 726 (718 – 723); Ramsauer, Kontrolldichte (Anm. 10), S. 91 f.; Michael Gerhardt, in: Friedrich Schoch/Eberhard Schmidt-Aßmann/Rainer Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, Bd. 2, Stand: Mai 2010 (20. Ergänzungslieferung), München 2010, Vorbemerkung § 113 Rn. 20. 47 So Eberhard Schmidt-Aßmann/Thomas Groß, Zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte nach der Privatgrundschul-Entscheidung des BVerfG, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 12 (1993), S. 617 – 625 (618); Christian Weitzel, Justitiabilität des Rechtsetzungsermessens. Zugleich ein Beitrag zur Theorie des Ermessens, Berlin 1998, S. 150. 48 Vgl. oben S. 42 – 44.

C. Der Kontrollbegriff

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Verwaltungsakten ist Normenkontrolle, da Verwaltungsakte aufgrund positivrechtlicher Ermächtigung und damit als (konkret-individuelle) Rechtsnormen erlassen werden. 1. Kontrollgegenstand Der Kontrollgegenstand der Gerichte auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts sind Rechtsnormen. a) Abstrakt generelle Regelungen Das ist anerkannt und unstreitig für abstrakt-generelle Rechtsnormen wie Gesetze, Verordnungen und Satzungen. Hierfür gibt es die gerade als (abstrakte bzw. konkrete) Normenkontrollverfahren bezeichneten Rechtsbehelfe, beispielsweise Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 2a, Art. 100 GG und § 47 VwGO. Daneben ist im gerichtlichen Verfahren nach Ablauf der Rechtsmittelfristen eine inzidente Normenkontrolle möglich – die Frage nach der Normverwerfungskompetenz steht auf einem anderen Blatt und ist hier nicht von Belang. Auch hier spielen wegen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers Fragen der reduzierten Kontrolldichte eine Rolle.49 Diese Problematik ist nicht allein der Kontrolle von konkret-individuellen Verwaltungsentscheidungen vorbehalten. b) Konkret-individuelle Regelungen Schwieriger gestaltet sich die Lage für konkret-individuelle Regelungen, insbesondere für Verwaltungsakte und ihnen hier gleichzusetzende Allgemeinverfügungen, da diese nach dem Wortlaut des § 35 Satz 2 VwVfG einen Unterfall des Verwaltungsakts darstellen.50 Die Verwaltungsakte sind hier vorrangig zu betrachten, da bei ihnen die Ermessenskontrollproblematik traditionell verortet ist. Ein Verwaltungsakt ergeht aufgrund der Ermächtigung und innerhalb des Rahmens, die beide durch das höherrangige Recht vorgegeben und ausgestaltet sind. Da der Verwaltungsakt aus Recht fließt, ist er selbst Recht und nach dem Konzept des genealogischen Stufenbaus der Rechtsordnung51 eine (konkret-individuelle) Rechtsnorm.52 Seine Kontrolle durch Vorverfahren und Anfechtungsklage ist folglich (Rechts-)Normenkontrolle. Entsprechendes gilt für die Fortsetzungsfeststellungsklage, die im Grunde eine umgestellte Anfechtungsklage ist.53 Hier wird ebenfalls ein Verwaltungsakt geprüft, der 49

Ausführlich Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 155 – 227. Statt aller Ulrich Stelkens, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 7. Aufl., München 2008, § 35 Rn. 267. 51 Zum genealogischen Stufenbau oben S. 106 – 108, 119 – 125. 52 So auch Matthias Ruffert, Rechtsquellen und Rechtsschichten des Verwaltungsrechts, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 17 Rn. 59 m. w. N. 53 Stellvertretend Ferdinand Otto Kopp/Wolf-Rüdiger Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 16. Aufl., München 2009, § 113 Rn. 95. 50

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

nur deshalb keine Rechtswirkungen mehr ausstrahlt, weil er sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits erledigt hat. Ähnliches gilt für die Verpflichtungsklage. Zwar liegt hier kein Verwaltungsakt vor, es wird aber der Erlass eines solchen begehrt. Das Gericht muss nun prüfen, ob der begehrte Verwaltungsakt ergehen kann oder gar muss, sprich ob (und im Falle einer Ermessensermächtigung inwieweit) die Verwaltung zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts verpflichtet ist.54 Es erfolgt die Kontrolle des Vorliegens der Voraussetzungen eines derzeit noch hypothetischen Verwaltungsakts. Somit erweist sich die gesamte Prüfungsprozedur eines Verwaltungsakts als Normenkontrolle. Neben dem Verwaltungsakt selbst werden die unmittelbare Ermächtigungsgrundlage (gemeint ist damit die Norm, die gemeinhin als Rechtsgrundlage bezeichnet wird) und auch alle übrigen Rechtsnormen, auf denen der Verwaltungsakt beruht (die Normen, die weitere Verfahrens- oder inhaltliche Vorgaben enthalten, und die Normen, auf denen die Rechtsgrundlage ruht), inzident mitgeprüft. c) Realakte Strukturell gleich verläuft die Kontrolle von Realakten. Das wesentliche Abgrenzungsmoment zum Verwaltungsakt liegt in dessen Regelungscharakter, der dem Realakt fehlt. Somit haben Realakte zwar keinen Rechtsnormcharakter, da sie den genealogischen Stufenbau der Rechtsordnung abschließen und Recht verwirklichen, ohne selbst Recht zu sein. Dennoch müssen auch sie sich in den Grenzen der Rechtsordnung halten, um als staatliche Handlungen, insbesondere um als rechtmäßige Vollstreckungsakte gelten zu dürfen. So müssen auch hier die Ermächtigung zu ihrer Vornahme und die Einhaltung des Rahmens geprüft werden. 2. Rechtsnatur der Kontrollentscheidung a) Kontrolle aufgrund positivrechtlicher Ermächtigung Verwaltungsgerichtliche Kontrolle – Gleiches gilt für die verwaltungsinterne Kontrolle im Rahmen des Vorverfahrens und der Aufsicht – findet aufgrund einer entsprechenden Kompetenznorm statt, die das Kontrollorgan ermächtigt, eine entsprechende Entscheidung zu treffen und ihr dabei das Kontrollprogramm, sprich Kontrollgegenstand, Kontrollmaßstab und Kontrolldichte, vorgibt. Für den Bereich des Verwaltungsrechts ist die „Mutternorm“ der Rechtskontrolle Art. 19 Abs. 4 GG, der dem Bürger gegen alle Maßnahmen der Exekutive Rechtsschutz gewährt. Seine einfachgesetzlichen Konkretisierungen finden sich insbesondere in der Verwaltungsgerichtsordnung, zentral in § 40 VwGO, der die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in Abgrenzung zu den übrigen Gerichtsbarkeiten bestimmt. Den Kontrollmaßstab re54 Statt aller Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 42 Rn. 8, § 113 Rn. 178.

C. Der Kontrollbegriff

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geln die §§ 68 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 Satz 1 und 114 VwGO, die die Verwaltungsgerichte auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränken. Solche Kompetenznormen sind zwingend erforderlich, um die tatsächlich handelnden Menschen als Richter und deren Handlungen als gerichtliche Maßnahmen und Entscheidungen deuten zu können. Ein Gericht ist nicht per se Gericht, sondern nur aufgrund positiven Rechts.55 Die Kontrollkompetenznormen und die auf ihrer Grundlage geschaffenen kontrollierenden Normen sind andere als die kontrollierte(n) Norm(en). Es zweigt – bildlich gesprochen – aus dem Fluss des Rechtsgewinnungsprozesses ein Nebenarm ab, der neben dem Hauptstrom diesen „kontrollierend“ herfließt. Die kontrollierende Norm leitet sich nicht aus der zu kontrollierenden Norm ab, sondern aus einer Norm, die ihr gegenüber der zu kontrollierenden Norm derogierende Kraft verleiht. Die kontrollierende Norm steht im Stufenbau nach derogatorischer Kraft über der zu kontrollierenden Norm. Da eine verwaltungsgerichtliche Endentscheidung aufgrund einer positivrechtlichen Ermächtigung ergeht, ist sie selber Recht. Das ergibt sich zwanglos aus dem genealogischen Stufenbau und der operativen Geschlossenheit der Rechtsordnung. Aufgrund von Recht kann nur Recht geschaffen werden. Die Rechtsnorm kann nach Ablauf der Rechtsmittelfristen im Falle des Abhilfe- oder Widerspruchbescheids bestandskräftig, im Falle einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung rechtskräftig werden und hat dann je nach positivrechtlicher Ausgestaltung Bindungswirkungen für die Staatsorgane und den Bürger. Verwaltungsgerichtliche Endentscheidungen – sie sind Normenkontrollen! – sind Rechtsnormen, erzeugt aufgrund einer Norm, die Kontrollkompetenz und Kontrolldichte regelt,56 mit dem Inhalt einer Aussage über die Rechtmäßigkeit der kontrollgegenständlichen Norm(en).57 Die Rechtsordnung kann an die Kontrollnorm noch weitere Folgen knüpfen, z. B. rechtsgestaltende, zur Leistung verurteilende oder feststellende Wirkung. b) Konstitutive Natur der Kontrollentscheidung Hinsichtlich ihres Kontrollergebnisses, sprich des Inhalts der Entscheidung, ist die Kontrollentscheidung konstitutiv. Die Fehlerhaftigkeit des Kontrollgegenstandes besteht nicht von vornherein, denn er ist nicht unmittelbar seit seinem Entstehen fehlerbehaftet. Vielmehr ist seine Fehlerhaftigkeit solange eine bloße und rechtlich irrelevante Behauptung, bis sie durch eine Rechtsnorm, die ihn als fehlerhaft deutet, (untechnisch gesprochen) rechtskräftig festgestellt wird. Zwar spricht das Gesetz in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO von rechtswidrigen Verwaltungsakten, die schon vor der rechtskräftigen Gerichtsentscheidung bestehen („soweit der Verwaltungsakt 55

Zum Recht als Deutungsschema oben S. 98 f. Kontrollkompetenz und Kontrolldichte sind in den meisten Fällen durch einen ganzen Normenkomplex geregelt. Der Einfachheit der Darstellung halber wird hier nur von einer Norm gesprochen. 57 Zum Inhalt der kontrollierenden Norm unten S. 187 f. 56

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rechtswidrig … ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt … auf.“). Das entspricht freilich dem praktischen Vorgehen, da sich das Gericht vor der Entscheidungsfällung eine Meinung bilden muss, die sie mit der Entscheidung ausspricht. Aber die rechtliche Wirkung, nämlich Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, tritt erst mit Rechtskraft der Entscheidung ein. Der Gesetzgeber gibt hier im Hinblick auf die rechtsstrukturellen Gegebenheiten eine sprachlich ungenaue Regelung, die jedoch der gängigen Ansicht entspricht, dass es schon vor einer Kontrollentscheidung fehlerhaftes Recht geben kann. Auch die gängige Systematisierung der Gerichtsurteile in Gestaltungs-, Leistungs- und Feststellungsurteile spielt hier keine Rolle. Sie betrifft nur den jeweils vollstreckungsbedürftigen und vollstreckbaren Inhalt der Entscheidung. Diese von der Rechtsordnung angeknüpften Folgen setzen aber die Entscheidung voraus. c) Exkurs: Das Verhältnis von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit aa) Kritik an Kelsens Ansatz Aus den eben genannten Gründen ist auch die von Hans Kelsen getroffene Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit zu kritisieren. Demnach bedürfe es „zur Feststellung dieser Nichtigkeit … keines besonderen staatlichen Verfahrens: Die Frage, ob Nichtigkeit vorliegt oder nicht, ist eine Frage der Rechtslogik, sie wird vom Verstande jedes urteilenden Individuums, nicht aber autoritär vom Staate entschieden.“58

Die Anfechtbarkeit zeichne sich dagegen dadurch aus, „daß es zu ihrer Feststellung eines staatlichen Aktes bedarf. Solange der Staat den vermeintlichen oder behaupteten Mangel nicht autoritativ festgestellt hat, muß der von irgend jemandem für fehlerhaft gehaltene Akt als Staatsakt angesehen und respektiert werden.“59

Die Frage nach der Anfechtbarkeit sei „keineswegs bloß eine rechtslogische; sie wird nicht von der Autorität der individuellen Vernunft, sondern von der des Staates entschieden.“60 Zwar könne es auch staatliche Verfahren zur Feststellung von Nichtigkeitsmängeln geben, solche Verfahren seien jedoch nur möglich, nicht notwendig. Im Falle eines nichtigen Staatsaktes brauche der Bürger ein solches Verfahren nicht abzuwarten, sondern er könne es riskieren, eine Handlung, die sich als Staatsakt ausgibt und seiner Ansicht nach mit einem Nichtigkeitsmangel behaftet ist, zu ignorieren. Folgerichtig sei die Feststellung der Anfechtbarkeit stets konstitutiv, die Feststellung der Nichtigkeit bloß deklaratorisch. Der Unterschied zwischen beiden Fehlerka-

58 Hans Kelsen, Über Staatsunrecht. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Deliktsfähigkeit juristischer Personen und zur Lehre vom fehlerhaften Staatsakt (1914), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 3: Veröffentlichte Schriften 1911 – 1917, Tübingen 2010, S. 439 – 531 (483) – Hervorhebungen im Original. 59 Kelsen, Staatsunrecht (Anm. 58), S. 483 – Hervorhebung im Original. 60 Kelsen, Staatsunrecht (Anm. 58), S. 483.

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tegorien liege in der Mittelbarkeit der Anfechtbarkeit gegenüber der Unmittelbarkeit der Nichtigkeit.61 Zunächst geht Kelsen richtig vom positivrechtlichen Befund aus, da das positive Recht zwischen den Kategorien der Nichtigkeit und Vernichtbarkeit unterscheidet. Doch schon die erste sich aufdrängende Frage wirft größte Schwierigkeiten auf: Wessen Rechtslogik gilt? Die Existenz einer objektiven (Rechts-)Logik vorausgesetzt bedarf es immer noch einer Feststellung der Nichtigkeit durch einen dazu positivrechtlich ermächtigten Rechtsakteur. Denn könnte, wie behauptet, „jedes urteilende Individuum“ die Nichtigkeit feststellen, so bestünde die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen. Zudem steht bis zur kompetenten Entscheidung nicht fest, ob Nichtigkeit oder nur Anfechtbarkeit besteht. Für staatliche Rechtsakte mag hier der rechtsdogmatische Gedanke flankieren, dass wegen des staatlichen Gewaltmonopols und im Sinne des Rechtsfriedens jeder dieser Akte zunächst die Vermutung der Gültigkeit in sich trägt, also nur von seiner Anfechtbarkeit auszugehen ist.62 Zu Recht spricht Kelsen vom Risiko des Rechtsunterworfenen, den Rechtsakt als nichtig anzusehen und zu ignorieren. Denn es könnte auch ein zunächst für nichtig gehaltener Akt im Kontrollverfahren für lediglich anfechtbar oder gar rechtmäßig erklärt werden und ein lediglich anfechtbarer für nichtig. Ohne kompetente Entscheidung geht es also nicht, sie ist in jedem Falle konstitutiv. Recht ist Willens-, nicht Logikfrage.63 bb) Die Bewältigung der Problematik von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit im positiven Recht Das positive Recht regelt diese Problematik, indem es auch gegen nichtige Rechtsnormen Rechtsbehelfe zur Verfügung stellt. Für abstrakt-generelle Rechtsnormen steht im Verwaltungsrecht beispielsweise das Normenkontrollverfahren des § 47 VwGO bereit. Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kann gemäß § 44 Abs. 5 VwVfG von der Behörde festgestellt werden. Gleiches ermöglicht auch eine entsprechende Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO. Wegen der schwierigen und im Voraus vom Kläger nicht absehbaren Unterscheidung zwischen rechtswidrigem und nichtigem Verwaltungsakt ist auch gegen an sich nichtige Verwaltungsakte – wie auch gegen aus anderen Gründen unwirksame Verwaltungsakte – eine Anfechtungsklage statthaft.64 Mit diesen Rechtsbehelfen soll in jedem Fall ein noch bestehender Rechtsschein der nichtigen Rechtsnorm beseitigt werden.

61 Vgl. Kelsen, Staatsunrecht (Anm. 58), S. 483 f.; ihm zustimmend Marten Breuer, Nichtiges Gesetz und vernichtbarer Verwaltungsakt – Überlegungen zur Ratio der Fehlerfolgendifferenzierung bei Norm und Einzelakt, in: Deutsches Verwaltungsblatt 123 (2008), S. 555 – 565 (560). 62 So Breuer, Nichtiges Gesetz (Anm. 61), S. 565. 63 Zum Problem des Rechts als Willens- oder Logikfrage ergänzend oben S. 144 f., 150 f. 64 Statt aller Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 43 Rn. 7.

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Entscheidend ist aber die von der Rechtsordnung angeknüpfte Fehlerfolge, sprich das Fehlerkalkül. Es kommt weniger darauf an, in welche Fehlerhaftigkeitskategorie der Mangel der Rechtsnorm einzuordnen ist. Sinnvollerweise bedeutet Nichtigkeit, dass die entsprechend fehlerhafte Rechtsnorm nie Bestandteil der Rechtsordnung hätte sein sollen, so dass sich eine Unwirksamkeit ex tunc aufdrängt. Anfechtbarkeit kann demnach auch lediglich ex nunc Unwirksamkeit bedeuten, möglich ist aber auch hier eine ex tunc-Unwirksamkeit. Die Folgen des Ungehorsams des Bürgers gegen mangelhafte Rechtsnormen ist wiederum eine Frage der Ausgestaltung des positiven Rechts, wenn es sich auch sinnvollerweise anbietet, im Falle der Nichtigkeit einer Rechtsnorm keine Sanktionen anzuordnen – zwingend ist das aber nicht. 3. Rechtsnatur der Kontroll-Kontrollentscheidung In vielen Fällen ermöglicht der Instanzenzug auch die Kontrolle der Kontrollentscheidung, sowohl in tatsächlicher und rechtlicher (z. B. Berufung), als auch nur in rein rechtlicher (z. B. Revision) Hinsicht. Auch die Urteilsverfassungsbeschwerde65 und die als Kontrollverfahren ausgestalteten Rechtsbehelfe zu supra-66 und internationalen Gerichten sind hier zu verorten. Für die Kontroll-Kontrollentscheidungen gilt das für die (insofern zeitlich primäre) Kontrollentscheidung Gesagte entsprechend. Sie ergeht aufgrund einer Kompetenznorm, kontrolliert Rechtsnormen und hat wie die Kontrollentscheidung alle Merkmale einer Rechtsnorm. Ihre Kontrollgegenstände sind zum einen die den Kontrollprozess veranlassende Ausgangsnorm, so beispielsweise der Verwaltungsakt (einen gegebenenfalls ergangenen Widerspruchsbescheid eingeschlossen, § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), und zum anderen die bereits im Instanzenzug ergangenen Kontrollentscheidungen, beispielsweise ein Berufungsurteil. Die Kontroll-Kontrollentscheidungen sind weitere Rechtsnormen, die bezüglich des Streitgegenstands geschaffen werden und den genealogischen Stufenbau der Rechtsordnung weiter fortsetzen. Es zeigt sich einmal mehr die Dynamik des Rechtsgewinnungsprozesses. 4. Entgegenstehende Rechtskraft Man kann der hier entwickelten Abfolge von Kontrollrechtsnormen nicht entgegenhalten, dass im Rahmen der Kontrolle einer Rechtserzeugung durch entgegenstehende Rechtskraft einer anderen Norm bezüglich desselben Streitgegenstandes ein

65

Anders dagegen die Rechtssatzverfassungsbeschwerde, die eine (abstrakt-generelle) Rechtsnorm erstmals einer Kontrolle unterzieht. 66 Ein Beispiel eines nicht als Kontrollverfahren ausgestalteten gemeinschaftsrechtlichen Rechtsbehelfs ist das Vorabentscheidungsverfahren des Art. 267 AEUV.

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Hindernis entgegenstünde. Das Recht regelt seine Rechtskraft selbst.67 Rechtserzeugung durch die Schaffung von Kontrollnormen ist nur aufgrund positivrechtlicher Kompetenznormen möglich. Die Kompetenznormen lassen Rechtskontrolle durch die Gerichte nur innerhalb der Rechtsmittelfristen zu, innerhalb deren eben keine (dann einer weiteren Kontrolle entgegenstehende) Rechtskraft eintritt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist die Inzidentkontrolle der höherrangigen Rechtsnormen, aus denen sich die kontrollierte Norm ableitet. So wird beispielsweise bei der Prüfung einer Baugenehmigung auch ein zugrunde liegender Bebauungsplan mitgeprüft, auch wenn die Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan selbst (§ 47 VwGO) bereits verfristet ist. In der nächsthöheren Gerichtsinstanz gilt das Gesagte entsprechend. Ist eine Kontrollnorm bestandskräftig (im Vorverfahren) bzw. rechtskräftig (Endurteil), so ist die kontrollierte Norm nicht mehr einer erneuten Kontrolle zugänglich, von den Ausnahmen der Bestandskraft- und Rechtskraftdurchbrechungen abgesehen. 5. Die Folgen der (Rechts-)Kontrolle Die Folgen der (Rechts-)Kontrollentscheidung können verschieden ausfallen. a) Keine Fehler Kommt die Kontrollinstanz zum selben Ergebnis wie die kontrollierte Instanz, so ergeben sich für die kontrollierte(n) Norm(en) keine Folgen. Gemäß der positivrechtlichen Ausgestaltung bleibt die kontrollierte Norm in Kraft. Die von der Kontrollkontrollinstanz erzeugte Rechtsnorm muss nicht denselben Inhalt wie die kontrollierte Norm haben. So lautet z. B. eine verwaltungsgerichtliche Revisionsentscheidung, die das angegriffene Urteil hält, in ihrem Tenor bei zulässiger, aber unbegründeter Revision „Die Revision wird zurückgewiesen.“ (vgl. § 144 Abs. 2 VwGO)68 und nicht „Die Klage wird abgewiesen“; noch deutlicher wird es im Strafrecht, wo die Revisionsentscheidung lautet „Die Revision wird verworfen“ (§ 349 bzw. § 353 StPO)69 und nicht „Der Angeklagte ist schuldig des … und wird daher zu … verurteilt.“. Allen diesen Normen (der kontrollierte(n) Entscheidung (en) und der Kontrollentscheidung) liegt aber letztlich derselbe Sachverhalt bzw. dieselbe Streitigkeit zugrunde. Im Übrigen könnte das positive Recht hier im Beispielfall den Tenor der Revisionsentscheidung auch dem der kontrollierten Erst- bzw. Berufungsentscheidung gleichlauten lassen. In diesem Fall wären kontrollierte Entschei67

Vgl. oben S. 149 – 151. Zur Tenorierung vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 144 Rn. 1 f. 69 Zur Tenorierung vgl. Lutz Meyer-Goßner, Strafprozessordnung. Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen, 53. Aufl., München 2010, § 349 Rn. 1, 18, § 353 Rn. 1. 68

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dung und Kontrollentscheidung inhaltsgleich. Der Tenor und damit auch der Norminhalt ergeben sich nämlich nicht aus der (Rechts-)Logik, sondern aus der positivrechtlichen Ausgestaltung. b) Fehlerhaftigkeit Kommt die Kontrollinstanz dagegen zu einem anderen Ergebnis, sind zwei Folgen denkbar. Da sie den rechtlichen Rahmen, sprich die heteronome Determinante prüft, verschiebt sich nun der durch die vorangehende(n) Instanz(en) angesetzte Rahmen – er wird weiter oder enger. Aus rechtsstruktureller Perspektive bedeutet das Folgendes: Entweder kann die von der kontrollierten Instanz gesetzte autonome Komponente nun den durch die heteronome Determinante aus Sicht der Kontrollinstanz (neu) gesetzten Rahmen überschreiten. Die kontrollierte Norm ist dann fehlerhaft, die Fehlerfolgen bemessen sich nach dem positivrechtlichen Fehlerkalkül70 und schlagen möglicherweise auf die aufgrund der fehlerhaften Norm erzeugten Normen durch.71 Alternativ kann sich die von der kontrollierten Instanz gesetzte autonome Komponente dennoch im Rahmen der „neuen“, aus Sicht der Kontrollinstanz richtigen heteronomen Determinante halten. Dann legte die kontrollierte Instanz einen falschen Rahmen zugrunde, dieser Fehler wirkt sich aber zufälligerweise nicht aus. c) Folgen der Fehlerhaftigkeit am Beispiel eines Gebührenbescheids Die Folgen der Fehlerhaftigkeit lassen sich am Beispiel eines Abwassergebührenbescheids darstellen, bei dem die kontrollierte Instanz (die Verwaltungsbehörde) aus ihrer Sicht zur Auferlegung einer Zahlungspflicht von 20 bis 2000 EUR ermächtigt ist, aus Sicht der kontrollierenden Instanz (Verwaltungsgericht) dagegen nur eine Zahlungspflicht zwischen 20 und 1500 EUR auferlegen darf. Erlegt die Behörde nun eine Abwassergebühr in Höhe von 2000 EUR auf, so überschreitet sie den ihr vorgegebenen Rahmen, indem sie eine unzulässige Rechtsfolge auswählt. Nach herrschender Diktion liegt eine Ermessensüberschreitung vor. Auch aus Sicht der Rechtsstrukturtheorie liegt keine Ermächtigung zum Setzen dieser autonomen Komponente vor. Wenn aber die Behörde eine Abwassergebühr in Höhe von 1500 EUR auferlegt, so überschreitet sie den „richtigen“ Rahmen (Obergrenze 1500 EUR) nicht, obwohl sie ihn „falsch“ (Obergrenze 2000 EUR) angesetzt hat. Von der formalen Rechtskonstruktion her betrachtet wirkt sich dieser „Fehler“ bei der Erkenntnis der heteronomen Determinante nicht auf die Rechtmäßigkeit des Gebührenentscheides insgesamt aus, da sich die autonom gesetzte Komponente immer noch im Rahmen der heteronomen 70 71

Zum Fehlerkalkül oben S. 147 – 149. Zur Folge der Zweckmäßigkeitskontrolle unten S. 196.

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Determinante hält. Auch nach herrschender Ansicht liegt jedenfalls keine Ermessensüberschreitung vor, da sich die gewählte Rechtsfolge innerhalb des zulässigen Rahmens befindet. d) Schwierigkeiten bei der Anwendung der herrschenden Ermessensfehlerlehre Die Anwendung der herrschenden Ermessensfehlerlehre bereitet dabei aber Schwierigkeiten, da sie neben dem „äußeren“ Ermessensfehler trotz Einhaltung des heteronom determinierten Rahmens die Möglichkeit von „inneren“ Ermessensfehlern postuliert. Verkannte die Behörde ihren Ermessensspielraum und hielt sich irrtümlich für gebunden, so handelt es sich nach herrschender Ansicht um Ermessensausfall. Dahinter steht der Gedanke, dass die Entscheidung möglicherweise anders ausgefallen wäre, wenn sich die Verwaltung ihres „Fehlers“, insbesondere des Bestehens eines Ermessensspielraums, bewusst gewesen wäre. Ihre Entscheidung hätte durch die Zugrundelegung anderer Umstände in eine andere Richtung gehen können. Zudem müsse die Behörde ihr Ermessen betätigen, da der Gesetzgeber andernfalls eine gebundene Entscheidung normiert hätte.72 Erließ die Behörde den Abwassergebührenbescheid, um dem Adressaten „heimzuzahlen“, dass er vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich einen Bußgeldbescheid derselben Behörde angefochten hatte, so handelt die Behörde nach herrschender Ansicht ermessensmissbräuchlich. Die Begründung für diesen „inneren Ermessensfehler“ liegt darin, dass die gesetzlichen Zielvorstellungen, d. h. der Zweck der Ermessensermächtigung, sowie die konkreten Umstände den Einzelfalls nicht berücksichtigt wurden und auf dieser Grundlage keine sachgerechte Lösung gefunden werden könne.73 Diese Fehlerkategorien sorgen dafür, dass auch dann ein Ermessensfehler vorliegt, wenn die erzeugte Norm „im Ergebnis“ rechtmäßig ist, obwohl im Verlauf des Rechtsgewinnungsprozesses beim Erkennen des durch die heteronome Determinante vorgegebenen Rahmens ein Fehler unterlief. Man will derartige Konstellation vermeiden, um die vollständige Fehlerfreiheit des Ablaufs des Rechtsgewinnungsprozesses zu gewährleisten und die äußere und innere Integrität des Rechts zu bewahren. Rechtsstrukturtheoretisch gesprochen soll die autonome Determinante nur innerhalb des Rahmens einer „richtig“ bestimmten heteronomen Determinante gesetzt werden können. Aus rechtsstrukturtheoretischer Perspektive gibt es aber jenseits der heteronomen Determinierung keine rechtlich relevanten Fehler. Um die Fehlerkategorien Ermessensausfall und Ermessensmissbrauch als rechtlich relevante Fehler zu erhalten, müssen sie als Fehler im Rahmen der Erkenntnis der heteronomen Determinante erfasst 72 73

Dazu Schoch, Ermessen (Anm. 7), S. 466. Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 20), § 7 Rn. 13.

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werden. Die heteronome Determinante muss demnach für den Abwassergebührenbescheid etwa so verstanden werden: „Die Behörde wird ermächtigt, Gebühren in Höhe von 20 bis 1500 EUR zu erheben. Dabei muss ihr bewusst sein, dass ihr dieser Spielraum bezüglich der Gebührenhöhe offen steht. Zudem darf sie die Gebühr nur zum Zwecke der Abwasserwirtschaft erheben.“ e) Konsequenzen für die Ermessensfehlerlehre Damit zeichnet sich unter den Auspizien der Rechtsstrukturtheorie die Notwendigkeit einer einstufigen Ermessensfehlerlehre ab, um den Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses im Rahmen der Ermessensfehlerdogmatik korrekt abbilden zu können.74 6. Primäres Entscheiden und sekundäre Kontrolle Es fällt die qualitative Unterscheidung zwischen primärer Entscheidung und sekundärer Kontrolle. In zeitlicher Reihenfolge geht die Entscheidung der Verwaltung der Kontrolle freilich logisch zwingend voraus. Zudem liegt beiden Tätigkeiten ein unterschiedlicher Zweck zugrunde. In der primären Entscheidung, zum Beispiel beim Erlass eines Verwaltungsakts, sollen abstrakt-generelle Regelungen auf den Einzelfall „heruntergebrochen“ und dadurch konkretisiert und individualisiert werden. Die Kontrolle soll sodann sicherstellen, dass die getroffene Einzelfallregelung auch den Vorgaben der Ermächtigungsnorm(en) entspricht. Rechtsstrukturell betrachtet sind aber „Entscheiden“ und „Kontrollieren“ dasselbe, da beide Vorgänge Rechtsgewinnung sind.

III. Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle Das Augenmerk richtet sich nun auf die für das Verwaltungsrecht maßgebliche, vom positiven Recht gegebene Unterscheidung von Zweckmäßigkeitskontrolle und Rechtskontrolle, die in ihren Grundsätzen in den §§ 68 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 Satz 1 und 114 Satz 1 VwGO geregelt ist. Die Zweckmäßigkeit bleibt der verwaltungsinternen Kontrolle durch die Widerspruchsbehörde im Rahmen des Vorverfahrens vorbehalten, § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO: „Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen.“

Im Grunde Gleiches gilt beispielsweise in Bayern für die kommunalrechtliche Aufsicht, die im eigenen Wirkungskreis der Gemeinde auf die Rechtmäßigkeitskon74

Zu einer einstufigen Ermessensfehlerlehre unten S. 221 – 230.

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trolle beschränkt ist (Art. 109 Abs. 1, Art. 119 Nr. 1 BayGO75), im übertragenen Wirkungskreis der Gemeinde dagegen auch die Fachaufsicht und damit die Ermessenskontrolle umfasst (Art. 109 Abs. 2, Art. 119 Nr. 2 BayGO76).77 Damit steht fest, dass die Verwaltung mehr kontrolliert als die Verwaltungsgerichte. Das Verwaltungshandeln soll nicht nur rechtmäßig, sondern auch zweckmäßig sein, insbesondere soll die Verwaltung eine nicht nur rechtlich, sondern auch sachlich („metajuristisch“) richtige Entscheidung treffen.78 Zudem versucht man seit alters her eine Doppelverwaltung zu vermeiden. Das Verwaltungsgericht soll nicht dieselbe Funktion wie die Verwaltungsbehörde wahrnehmen.79 1. Anknüpfungspunkt der Reinen Rechtslehre Der Anknüpfungspunkt der Reinen Rechtslehre ist das formal-rechtsstrukturelle Wechselspiel von heteronomer und autonomer Komponente im Verlauf des Rechtsgewinnungsprozesses. Auf den ersten Blick scheint dieser Ansatz nur schwer auf die herrschende positivrechtlich-normstrukturelle Unterscheidung von unbestimmtem Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgenseite zu passen. Jedoch können dem Rechtserzeuger mehr oder weniger weite Freiräume sowohl auf Tatbestandsseite als auch auf Rechtsfolgenseite eingeräumt sein. Daher kann die Reine Rechtslehre jeden Freiraum des Rechtsanwenders – zunächst sei noch dieser allgemeine und unspezifische Begriff gebraucht80 – unabhängig von seinem Standort innerhalb der Norm untersuchen und erklären. Dies gilt 75 Art. 109 Abs. 1 BayGO: „In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises (Art. 7 [BayGO]) beschränkt sich die staatliche Aufsicht darauf, die Erfüllung der gesetzlich festgelegten und übernommenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben und Verpflichtungen der Gemeinden und die Gesetzmäßigkeit ihrer Verwaltungstätigkeit zu überwachen (Rechtsaufsicht).“; Art. 119 Nr. 1 BayGO: „Den Widerspruchsbescheid erläßt in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises die Rechtsaufsichtsbehörde, die dabei auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit beschränkt ist; zuvor hat die Selbstverwaltungsbehörde nach § 72 VwGO auch die Zweckmäßigkeit zu überprüfen.“ 76 Art. 109 Abs. 2 BayGO: „In den Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises (Art. 8 [BayGO]) erstreckt sich die staatliche Aufsicht auch auf die Handhabung des gemeindlichen Verwaltungsermessens (Fachaufsicht). Eingriffe in das Verwaltungsermessen sind auf die Fälle zu beschränken …“; Art. 119 Nr. 2 BayGO: „Den Widerspruchsbescheid erläßt in Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises die Fachaufsichtsbehörde; ist Fachaufsichtsbehörde eine oberste Landesbehörde, so entscheidet die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat; Art. 109 Abs. 2 Satz 2 findet keine Anwendung.“ 77 Vgl. Ulrich Becker, Kommunalrecht, in: Ulrich Becker/Dirk Heckmann/Bernhard Kempen/Gerrit Manssen, Öffentliches Recht in Bayern. Verfassungsrecht. Kommunalrecht. Polizei- und Sicherheitsrecht. Öffentliches Baurecht. Eine prüfungsorientierte Darstellung, 4. Aufl., München 2008, S. 73 – 234 (213 – 215) (2. Teil Rn. 566 – 578). 78 Stellvertretend Scholz, Verwaltungsverantwortung (Anm. 21), S. 155, 175, 216; auch Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 207; Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 1. 79 Vgl. ergänzend oben S. 155 f. 80 Zur Begrifflichkeit des Freiraums des Rechtsanwenders unten S. 257 – 263.

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insbesondere auch für das Planungsermessen, das die herrschende Ansicht als Sonderkategorie behandelt, und für das Regulierungsermessen. Die Frage nach Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle stellt sich also innerhalb einer Norm allerorten. 2. Anwendung der Reinen Rechtslehre: Das Verhältnis von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit bzw. von heteronomer und autonomer Komponente Die Kontrolle kann sich auf die heteronome und auf die autonome Komponente oder nur auf eine von beiden erstrecken. Daher sind eingangs Zweckmäßigkeitskontrolle und Rechtskontrolle diesen beiden Komponenten zuzuordnen. Man kann zunächst auch die Zweckmäßigkeitskontrolle als Rechtskontrolle auffassen, da sie positivrechtlich angeordnet ist. Ebenso könnte man davon ausgehen, dass nur Gerichte Rechtskontrolle ausüben, während der Verwaltung die Zweckmäßigkeitskontrolle vorbehalten bleibt. Letzteres ist sogleich abzulehnen, da die Bezeichnung des Kontrollorgans nichts über Kontrollgegenstand und Kontrollmaßstab aussagt. Diese zu bestimmen ist Sache des positiven Rechts, das in § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch die Verwaltung über die Zweckmäßigkeitskontrolle hinaus zur Rechtmäßigkeitskontrolle ermächtigt. Zudem kommt es nicht auf die Quelle der Kontrollermächtigung an, sondern auf den Kontrollgegenstand und den Kontrollmaßstab. Denn freilich muss Kontrolle rechtlich angeordnet sein, damit sie rechtserhebliche Folgen nach sich ziehen kann. Rechtskontrolle umfasst die heteronome, vom positiven Recht vorgegebene Determinante,81 während sich die Zweckmäßigkeitskontrolle auf die autonome metajuristische Komponente bezieht.82 Hierbei handelt es sich nicht um einen „rechtstheoretischen Kunstgriff“83, da außerrechtliche Maßstäbe in der Natur eines arbeitsteiligen Rechtsgewinnungsprozesses liegen. Sie aus vermeintlich verfassungsrechtlichen Gründen wegdiskutieren zu wollen, zeugt von einem Missverstehen des Art. 19 Abs. 4 GG,84 der zwar von einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle spricht, diese aber nur auf die rechtliche Determinierung bezieht. Zudem tritt die dahinter stehende Vorstellung einer vollkommenen Verrechtlichung durch das Grundgesetz, sprich durch die Verfassung, hervor, die im Gewand des Verfassungspositivismus 81 Vgl. nur BVerfGE 88, 40 (56) – Pädagogisches Interesse für die Zulassung einer privaten Grundschule (Art. 7 Abs. 5 Alt. 1 GG): „[Verwaltungsgerichtliche Überprüfung] kann jedoch nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Unterrichtsverwaltung.“ 82 So schon – jedoch ohne Hinweise auf die Arbeiten Kelsens und insb. Merkls – Bernhard Stüer, Zum autonomen (kontrollfreien) Gestaltungsraum von Gesetzgebung und Verwaltung, in: Deutsches Verwaltungsblatt 89 (1974), S. 314 – 321 (318); ähnlich, aber auch im Bereich der autonomen Determinierung eine rechtliche Bindung annehmend, bereits Ekkehart Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, Tübingen 1967, S. 107 f. 83 Krebs, Kontrolle (Anm. 30), S. 92. 84 Beispielsweise Krebs, Kontrolle (Anm. 30), S. 92.

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dem allgemein abgeschworenen Subsumtionsautomatismus huldigt: alles Recht scheint schon in der Verfassung vorhanden. 3. Die Sonderrolle des § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO Anzumerken ist, dass die Regelung des § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO zumeist gründlich missverstanden wird. Denn rechtlich relevante Mängel können nur im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle eine Rolle spielen.85 Wäre die Zweckmäßigkeit nur ein Unterfall der Rechtmäßigkeit, so wäre sie überflüssig, doch ist das vom Gesetzgeber nicht so gewollt. Zweckmäßigkeitskontrolle darf nicht als Teil der Rechtmäßigkeitskontrolle verstanden werden, da dies den Grundgedanken einer vollumfänglichen rechtlichen Bindung voraussetzt, da andernfalls keine Gefahr bestünde, dass die auf die Kontrolle der rechtlichen Bindung beschränkten Gerichte weiter als den Umfang eben dieser rechtlichen Bindung kontrollieren. Nur am Rande bemerkt: Noch immer darf das Verhältnis zwischen rechtlichen und metarechtlichen Maßstäben und ihrer Kontrolle als nicht restlos geklärt gelten.86 § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO regelt demnach keine eingeschränkte rechtliche Kontrolldichte, sondern richtet auf Verwaltungsebene eine echte Doppelverwaltung ein, indem die kontrollierende Verwal85 Grundlegend Kelsen, Staatsunrecht (Anm. 58), S. 476 f., mit Bezug auf Walter Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen. Eine verwaltungs- und prozeßrechtliche Studie, Tübingen 1908, S. 44. 86 Beispielhaft Rainer Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 2: Informationsordnung, Verwaltungsverfahren, Handlungsformen, München 2008, § 42 Rn. 192: „Die in diesen Vorgang eingebetteten nichtrechtlichen Leitmaßgaben entfalten dann rechtliche Bindung, wenn sie den ,Zweck im RisikoverwaltungsrechtÐ zum Tragen bringen und auf das Rechtmäßigkeitsurteil überstrahlen – ohne selbst zu einem Rechtsmaßstab zu erstarken.“ Ähnlich Fehling, Maßstäbe (Anm. 4), S. 465: „Doch der Anschein einer scharfen Abgrenzbarkeit von rechtlichen und außerrechtlichen Maßstäben trügt. … Die Unterscheidung von rechtlichen und außerrechtlichen Maßstäben ist somit eine graduelle und keine kategorische. Dadurch wird zwar nicht jeder Verwaltungsgrundsatz zu einem Rechtsmaßstab, doch weisen auch primär außerrechtliche Maßstäbe oftmals einen gewissen rechtlichen Gehalt auf.“ Den gleichen Weg beschreitet insb. im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 207, da „zwischen rechtlichen und anderen normativen Orientierungen gleitende Übergänge bestehen. So ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip kein in jeder Hinsicht strikter Rechtsmaßstab. … Ermessen ist … ein durch ein ganzes Bündel von Maßstäben ausgerichteter Handlungsauftrag an die Verwaltung“. Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass ein Maßstab entweder rechtlich oder außerrechtlich ist, tertium non datur; zum „König-Midas-Effekt“ des Rechts vgl. oben S. 155. Kritisch auch Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 3 Anm. 11. Ob und inwieweit der Gesetzgeber – besser: der Normsetzer – außerrechtliche Maßstäbe verrechtlichen soll (zurückhaltend Schoch, Standards (Anm. 4), S. 553), ist eine rechtspolitische Frage, die nicht durch die Hintertür der Rechtsdogmatik beantwortet werden darf, indem man ein sich hart am Rande der Beliebigkeit bewegendes Kontrollmaßstabs- und Kontrolldichtekonzept einführt.

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tungsbehörde eine hinsichtlich heteronomer und autonomer Komponente neue Rechtsnorm erzeugen kann. Gleiches gilt in Bayern im Grundsatz für die Fachaufsicht. 4. Bestätigung des Befundes durch §§ 113, 114 VwGO Das hier entwickelte Verständnis der Rechtskontrolle spiegelt sich auch in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO wider, der von der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts spricht. Rechtswidrig kann aber nur sein, was am Kontrollmaßstab Recht messbar ist und was die Rechtsordnung als rechtswidrig deutet.87 Zwar liegt der Kontrollinstanz mit der zu kontrollierenden Norm – dem Verwaltungsakt – eine Norm vor, die aus zwei Teilen, der heteronomen und der autonomen Komponente besteht, wobei im genealogischen Stufenbau der Rechtsordnung auf der Kontrollstufe auch die autonome Komponente zu Recht geworden ist.88 Insofern könnte man annehmen, dass auch die autonome Determinante von der Rechtskontrolle umfasst ist. Eine Unterscheidung von Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle wäre dann nicht mehr möglich und sinnvoll, es sei denn, die Zweckmäßigkeitskontrolle wäre ein Unterfall der Rechtmäßigkeitskontrolle. Klärung schafft hier der Regelungen für die Kontrolle von Ermessensentscheidungen anordnende und § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergänzende § 114 Satz 1 VwGO: „Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.“

Diese Vorschrift hält einen Teil der Norm, nämlich den Ermessensteil, von gerichtlicher Kontrolle frei. Dieser Teil ist aber gerade der Teil, der nicht heteronom determiniert ist. Da nach der Definition der Reinen Rechtslehre Ermessen just der Normteil der autonomen Determinierung ist,89 kann das Ermessen (nur) von der Zweckmäßigkeitskontrolle umfasst sein. Die Kontrollinstanz versetzt sich also an den Zeitpunkt im Ablauf des genealogischen Stufenbaus der Rechtsordnung, zu dem die zu kontrollierende Norm – der Verwaltungsakt – erzeugt wurde und versetzt sich in die Rolle des Erzeugers, um nur die heteronome Determinante zu bestimmen. Die autonome Komponente ist damit nicht am Maßstab Recht messbar.90 87

Vgl. Krebs, Kontrolle (Anm. 30), S. 53; Schoch, Standards (Anm. 4), S. 552 f.; vgl. auch die Nachweise oben S. 193 in Anm. 85. 88 Dazu oben S. 122 f. 89 Dazu zusammenfassend oben S. 169 f. 90 Daher ist es missverständlich, wenn z. B. Becker, Kommunalrecht (Anm. 77), S. 215 (2. Teil Rn. 577), Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle als eine Frage der Kontrolldichte ausflaggt. Rechtmäßigkeitskontrolle bedeutet im Verhältnis zur Zweckmäßigkeitskontrolle keine Reduzierung der Kontrolldichte, sondern die Anlegung eines anderen Kontrollmaßstabs.

C. Der Kontrollbegriff

195

5. Kontrollmaßstäbe für die Zweckmäßigkeit (autonome Komponente) Freilich ist die Zweckmäßigkeit (autonome Komponente) an den Maßstäben messbar, die der Rechtserzeuger herangezogen hat. Insofern ist durchaus zutreffend, dass das Verwaltungshandeln auch metajuristischen Richtigkeitsanforderungen unterliegt. Jedoch sind diese metajuristischen Maßstäbe nicht Sache des positiven Rechts und folgerichtig an ihm nicht messbar. Ab der nächsten Stufe des genealogischen Stufenbaus der Rechtsordnung ist die autonome Determinante dann selbst positives Recht geworden und stellt dort einen Teil des nun um die autonome Komponente weiter konkretisierten heteronomen Rahmens dar, innerhalb dessen nun wiederum Recht durch die Inkorporierung neuer metarechtlicher Komponenten erzeugt werden kann. Somit besteht auf der jeweils nächsten Stufe im genealogischen Stufenbau der Rechtsordnung die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen der metarechtlichen und rechtlichen Determinante auf der vorherigen Stufe nicht mehr. 6. Einschränkung der Recht(mäßigkeit)skontrolle Rechtskontrolle ist die Ermächtigung, autoritativ die Grundlagen der eigenen Entscheidung festsetzen zu dürfen, d. h. Inhalt und Umfang der heteronomen Determinante selbst bestimmen zu dürfen. Stimmt sie mit der Erstentscheidung überein, so ist die Erstentscheidung rechtmäßig, ansonsten ist sie rechtswidrig. Rechtskontrolle ist aber nicht der Rechtsprechung vorbehalten, sondern kann auch von der Verwaltung ausgeübt werden (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO). So gesehen ist die Recht(mäßigkeit)skontrolle im Verwaltungsrecht im Hinblick auf den gesamten Kontrollgegenstand immer eingeschränkt, da sie nur die heteronome, rechtlich vorgegebene Determinante umfasst.91 Für die Bemessung der Einschränkung der Kontrolldichte ist nicht am Kontrollgegenstand, sondern am Kontrollmaßstab anzusetzen. Nur die Messung am Kontrollmaßstab kann sinnvollerweise reduziert werden, sprich es wird an ihm mehr oder weniger genau abgemessen. Weitere Einschränkungen der Rechtskontrolle respektive der (Rechts-)Kontrolldichte – wie sie die herrschende Ansicht behauptet – bleiben noch zu diskutieren.92

91

In diesem Sinne versteht wohl auch Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), S. 508, seinen Kontrolldichtebegriff, wenn er die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle allein am anwendbaren Recht festmacht und in den Fällen, in denen das anwendbare Recht das Verwaltungshandeln nicht abschließend festlegt, von einer Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle spricht. 92 Dazu unten S. 202 – 215, 262 f.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

7. Rolle und Funktion der Zweckmäßigkeitskontrolle Zweckmäßigkeitskontrolle kann zweierlei bedeuten: Ist sie mit der Ermächtigung zur Rechtskontrolle verbunden, besteht zunächst wie eben beschrieben die Kompetenz, autoritativ die Grundlagen der eigenen Entscheidung festsetzen zu dürfen. Ist die Erstentscheidung rechtmäßig, so kann durch die Zweckmäßigkeitskontrolle die autonome Komponente bestätigt (dann Erstentscheidung zweckmäßig) oder neu gesetzt werden (dann Erstentscheidung unzweckmäßig). Ist die Erstentscheidung rechtswidrig, so kann durch die Zweckmäßigkeitskontrolle im neu bestimmten Rahmen der heteronomen Determinierung eine neue eigene autonome Komponente autoritativ festgesetzt werden. Insofern besteht eine echte Doppelverwaltung, wie sie beispielsweise die Verwaltungsgerichtsordnung im Rahmen des Vorverfahrens und das bayerische Kommunalaufsichtsrecht im Rahmen der Fachaufsicht im Grundsatz auch anordnen. Auch Weisungen sind hier einzuordnen, da durch sie eine höhere Instanz die gesamte Entscheidung hinsichtlich heteronomer und autonomer Komponente selbst trifft, indem sie die Sachkompetenz an sich zieht, während die Wahrnehmungskompetenz bei der angewiesenen Instanz verbleibt.93 Bemerkenswerterweise gibt es soweit ersichtlich keine Diskussion über die Einschränkung der Zweckmäßigkeitskontrolldichte. Es liegt nahe, den Grund dafür darin zu sehen, dass die Reduktion der Kontrolldichte als eine von der Gewaltenteilung hervorgerufene Problematik angesehen wird. Sie betrifft nach allgemeiner Auffassung nur das Verhältnis von (Verwaltungs-)Rechtsprechung und Verwaltung, weil man die Ermessens- und Zweckmäßigkeitsthematik nicht unter Einbeziehung des Ablaufs des Rechtsgewinnungsprozesses bearbeitet. So übersieht man, dass Kontrolle und Kontrolldichtereduzierungen nicht nur im Rahmen der heteronomen Komponente (Rechtmäßigkeit) denkbar sind, sondern auch im Rahmen der autonomen Komponente (Zweckmäßigkeit). 8. Kontrolldichte und Grenzverlauf zwischen heteronomer und autonomer Komponente Das Problem ist weniger die Frage nach der eingeschränkten Kontrolldichte, als vielmehr die Schwierigkeit, die Grenze zwischen heteronomer Determinante und autonomer Komponente zu ziehen. Es liegt jedoch nicht darin, dass die Grenzziehung wegen etwaiger vorzunehmender Wertungen, die sich hinsichtlich der Frage nach der möglichen Wertung und nach der richtigen Wertung nur graduell unterscheiden könn-

93 Dazu aus dem Bereich des Verfassungsrechts BVerfGE 81, 310 (332 f.); BVerfGE 84, 25 (31 f.); BVerfGE 102, 167 (172); BVerfGE 104, 249 (264 f.); erläuternd Norbert Janz, Das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG. Inhalt, Grenzen und haftungsrechtliche Dimensionen, Berlin 2003, S. 88, 129 – 131, 141 – 146.

C. Der Kontrollbegriff

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ten, fließend sei.94 Diesem Gedanken liegt der herrschende integrative Rechtsgewinnungsbegriff zugrunde, nach dem zwischen Rechtserkenntnis und Rechtsetzung nicht unterschieden wird, sondern ein schrittweiser aber doch kontinuierlicher Weg von der abstrakt-generellen Vorgabe zur konkreten Einzelfalllösung führen soll.95 Eine Wertung ist aber entweder positivrechtlicher Natur oder metarechtlicher Natur. Überschneidungen sind angesichts des „König-Midas-Effekts“ des Rechts96 nicht denkbar. Die wahre Abgrenzungsproblematik liegt vielmehr darin, dass Umfang und Inhalt der heteronomen Determinante von kontrollierter Instanz und Kontrollinstanz völlig verschieden gesehen werden können. Dementsprechend verschiebt sich dann in der Kontrollinstanz – aus Sicht der kontrollierten Instanz nachträglich und für sie unvorhersehbar – der Rahmen für die autonome Komponente. Diese Schwierigkeit ist aber in einem arbeitsteiligen Rechtsgewinnungsprozess unvermeidlich und einem dynamischen Rechtsgewinnungsprozess wesenhaft. 9. Die unglückliche Formulierung des § 114 Satz 1 VwGO Abschließend sei noch auf die verunglückte Formulierung des § 114 Satz 1 VwGO eingegangen.97 Nach herrschender Ansicht erweitert er die gerichtliche Kontrollkompetenz nicht.98 Die Formulierung „prüft das Gericht auch“ knüpft an die traditionelle Unterscheidung zwischen gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung an. Dem folgt die Rezeption der Theorie der äußeren und inneren Ermessensgrenzen. Die Grenzen des Ermessens werden aber einzig und allein durch die heteronome Determinante gezogen. Nur dieser Rahmen ist zum Zeitpunkt der Setzung der autonomen Komponente Recht, nur er unterliegt der Rechtskontrolle durch die Gerichte. Die Unterscheidung in äußere und innere Ermessensgrenzen ist daher eher von heuristischem Wert. Auch der Zweck der Ermächtigung, der in den Bereich des Ermessens hineinzuragen scheint, ist im Rahmen der Ermessensermächtigung, der heteronomen Determinante, bereits enthalten. Die zweite Alternative des „Zusatzprüfungsprogramms“ des § 114 Satz 1 VwGO geht in der ersten Alternative, den „gesetzlichen Grenzen des Ermessens“ auf. Diese Grenzen sind aber bereits im Prüfungsumfang des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthalten. § 114 Satz 1 VwGO hat daher keine eigenständige Bedeutung. Die Norm ist auch nicht dadurch zu retten, dass man das Wort 94

So aber Thomas Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit. Rechtswissenschaft jenseits von Positivismus und Naturrecht, Tübingen 2004, S. 67, im Anschluss an Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Berlin u. a. 1991, S. 92. 95 Vgl. nur Larenz, Methodenlehre6 (Anm. 94), S. 151. – Ergänzend oben S. 67 – 77, 156 in Anm. 440. 96 Dazu oben S. 155. 97 Dazu Konrad Redeker, Über die Einflußmöglichkeiten des Fachgesetzgebers auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren, in: Die Öffentliche Verwaltung 46 (1993), S. 10 – 16 (12 Anm. 15); Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 114 Rn. 1a. 98 Stellvertretend Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), § 114 Rn. 2.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

„auch“ durch „nur“ ersetzt, denn auch dann geht ihr Regelungsgehalt nicht über § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hinaus. Vielmehr ging der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 114 Satz 1 VwGO von falschen rechtstheoretischen Prämissen aus. Er war sich des Wechselspiels von heteronomer und autonomer Komponente und der unterschiedlichen Kontrollmaßstäbe der §§ 68 Abs. 1 Satz 1 und 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht bewusst. Ausgehend vom Grundsatz der grundsätzlich vollumfänglich gebundenen Verwaltung versuchte der Gesetzgeber, dem Ermessen als Ausnahmefall in Gestalt einer Lockerung der Gesetzesbindung Herr zu werden.99 Dabei bekämpfte er ein Phantom. Die Rechtsbindung der Verwaltung ist nie gelockert.100 Eine Kontrolldichtereduzierung ergibt sich nicht aus unvollständiger Determinierung, sondern aus rechtlicher Anordnung.101 Jedenfalls kann von der unvollständigen Determination nicht auf eingeschränkte Kontrolldichte geschlossen werden.102 10. Ergebnis zum Verhältnis von Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle Sowohl Rechtskontrolle als auch Zweckmäßigkeitskontrolle sind Ermächtigungen zur Rechtserzeugung. Sie setzen jeweils nur an den beiden Teilen des Rechtsgewinnungsprozesses, der objektiven und der subjektiven Komponente, an. Es bleibt festzuhalten: Zweckmäßigkeitskontrolle ist kein Unterfall der Rechtmäßigkeitskontrolle. Beide bemessen sich an vollkommen unterschiedlichen Maßstäben. Der Rechtmäßigkeitskontrolle liegt der Maßstab Recht zugrunde, der Zweckmäßigkeitskontrolle dagegen liegen die vom Rechtserzeuger autonom gewählten metajuristischen Maßstäbe zugrunde.

IV. (Rechts-)Kontrolle auf den anderen Rechtsgebieten Auf den anderen Rechtsgebieten, gemeint ist im Zivilprozess und im Strafprozess, verläuft die Rechtskontrolle im Grunde gleich. 1. (Rechts-)Kontrolle im Strafprozess Im Strafprozess wird in der ersten Instanz ein rein tatsächliches menschliches Verhalten, beispielsweise die Tötung eines anderen Menschen daraufhin überprüft, ob es sich in den Grenzen der Rechtsordnung hält. Ist dies der Fall, beispielsweise weil der Angeklagte gar keinen anderen Menschen getötet hat oder ein Rechtsfertigungs- bzw. Entschuldigungsgrund vorlag, so ergeht eine Norm mit dem Inhalt eines Freispruchs 99

Vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 114 Rn. 1a. Dazu oben S. 177. 101 Dazu unten S. 202 – 215. 102 Dazu oben S. 175 – 178. 100

C. Der Kontrollbegriff

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bzw. einer Einstellung des Verfahrens. Andernfalls wird die Tat als Straftat qualifiziert und im Strafurteil, sprich in einer Rechtsnorm, eine Strafe ausgesprochen. Eine Unterscheidung in heteronome und autonome Determinante der kontrollierten Handlung gibt es nicht. Sie wird vollumfänglich am Maßstab Recht gemessen. Das Strafurteil, sprich die in der ersten Instanz erzeugte Rechtsnorm, ist im Instanzenzug hinsichtlich der heteronomen Determinante kontrollierbar. Hier kommt es zu Normenkontrollen, wie bereits beschrieben.103 2. (Rechts-)Kontrolle im Zivilprozess Im Zivilprozess finden in der ersten Instanz in allen Konstellationen, in denen die Wirksamkeit von Verträgen, auf denen der geltend gemachte Anspruch letztlich fußt, streitgegenständlich ist, Normenkontrollen statt, da Verträge nichts weiter als Rechtsnormen sind.104 Die Ausgangskontrollsituation ist ähnlich der im Verhältnis von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Kontrolle ragt in der ersten Instanz von der Gerichtsbarkeit in die Sphäre des Bürgers. Zwar ist der Bürger kein Teil einer Staatsgewalt. Legt man aber die herrschende Betrachtung zugrunde, die zwischen den Staatsgewalten qualitativ unterscheidet, so lässt sich die Situation im Zivilrecht durchaus mit der im öffentlichen Recht vergleichen. Der Bürger entspricht dann der Verwaltung, das Zivilgericht entspricht der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dieses Bild findet auch in Kelsens Wort „Alles Recht ist Staatsrecht“105 eine Stütze, dem der Gedanke zugrunde liegt, dass alle Rechtserzeugung delegiert, d. h. von einer höheren Norm abgeleitet ist. An der Spitze dieses Delegationszusammenhangs steht die Verfassung, die nach allgemeiner Auffassung Staatsrecht ist. Indem sich alles Recht – zwar nicht vollständig inhaltlich, aber jedenfalls hinsichtlich des formalen Delegationszusammenhangs bzw. Norm-Normableitungszusammenhangs – auf die ihrer Natur nach staatsrechtliche Verfassung zurückführen lässt, ist auch der zivilrechtliche Vertrag Staatsrecht in diesem Sinne, sprich von staatlichem Recht abgeleitetes Recht. Da so die qualitative Unterscheidung von öffentlichem Recht (Verwaltungsakt) und Privatrecht (Vertrag) zusammenbricht, lässt sich auch zwanglos die (Rechts-)Kontrolle auf beiden Gebieten jeweils gleich konstruieren.

103

Dazu oben S. 180 – 190. Dazu unten S. 239 f. 105 Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze (1911), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 2: Veröffentlichte Schriften 1911, Tübingen 2008, S. 21 – 878 (58). 104

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

V. Verifizierung der Konstruktion der Rechtskontrolle als Normenkontrolle anhand des positiven Rechts 1. Entscheidungstenor und Normenkontrollcharakter der Entscheidung Der Normenkontrollcharakter spiegelt sich auf den ersten Blick nicht im Tenor der gerichtlichen Entscheidungen – im Verwaltungsrecht beispielsweise die Anfechtungsklage,106 die Leistungsklage,107 die Berufungs-108 und die Revisionsentscheidung109 – wider, der anders als bei der „echten“ Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO (zum Beispiel „Bebauungsplan N. N. ist unwirksam“) formuliert ist. So lautet der Tenor einer für den Kläger erfolgreichen Anfechtungsklage beispielsweise: „Verwaltungsakt N. N. wird aufgehoben“ (§ 113 Abs. 1 VwGO), einer für diesen gescheiterten Anfechtungsklage dagegen: „Die Klage wird abgewiesen“. Die Nebenentscheidungen über Kosten, vorläufige Vollsteckbarkeit etc. können hier außer Betracht bleiben. Doch liegt diesem Tenor einer für den Kläger erfolgreichen Anfechtungsklage immer der Satz: „Der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtswidrig“, dem Tenor einer für diesen gescheiterten Anfechtungsklage immer der Satz: „Der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtmäßig“ zugrunde. Der Tenor bezieht sich nämlich auf den Klageantrag, der seinerseits in seinem Inneren ein Normenkontrollantrag ist. Denn man klagt nur, wenn und weil man davon ausgeht, dass der anzugreifende Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Dieser Gedanke gilt auch für nur teilweise erfolgreiche Anfechtungsklagen und lässt sich mutatis mutandis auf die übrigen Rechtsbehelfe übertragen. Einer Leistungsklage liegt ein hypothetischer, noch zu erlassender Staatsakt,110 der Berufungs- und Revisionsentscheidung eine gerichtliche Entscheidung und inzident die Verwaltungsentscheidung zugrunde. Dieser Befund wird im Folgenden durch das (gerichtliche) „Prüfungsprogramm“ bestätigt.

106

§§ 42 Abs. 1 Alt. 1, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für die Verpflichtungsklage § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO und für die von der VwGO in §§ 43 Abs. 2, 111, 113 Abs. 4, 169 Abs. 2 VwGO vorausgesetzte (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 113 Rn. 2) allgemeine Leistungsklage i. V. m. § 113 Abs. 5 VwGO. 108 § 130 VwGO. 109 § 144 VwGO. 110 Dazu oben S. 182. 107

C. Der Kontrollbegriff

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2. Der Prüfungsaufbau der Normenkontrolle bei abstrakt-generellen und konkret-individuellen Rechtsnormen Der Befund, dass sich aus rechtsstruktureller Perspektive Rechtskontrolle als Normenkontrolle entpuppt, ergibt sich aus dem Prüfungsaufbau von Gesetz, Verordnung, Satzung, Verwaltungsakt und Vertrag. Bei formellen Gesetzen prüft man zunächst die formelle Rechtmäßigkeit (aufgegliedert in Zuständigkeit bzw. Kompetenz, Verfahren und Form) und dann die materielle Rechtmäßigkeit.111 Bei Verordnungen und Satzungen stellt man dem die Prüfung der Ermächtigungsgrundlage voran.112 Die Prüfung eines Verwaltungsakts läuft schematisch der Prüfung einer Verordnung oder Satzung gleich, man spricht lediglich gemeinhin statt von der „Ermächtigungsgrundlage“ von der „Rechtsgrundlage“.113 Etwas anders stellt sich die Prüfung eines zivilrechtlichen Vertrages dar, die zumeist im Rahmen der Prüfung eines zivilrechtlichen Anspruchs erfolgt. Hier wird zunächst die Anspruchsgrundlage genannt, es folgen die Prüfungspunkte „Anspruch entstanden“, „Anspruch untergegangen“ und „Anspruch durchsetzbar“.114 Beim Testament prüft man dagegen zunächst seine wirksame Errichtung, und dann seinen Inhalt, gegebenenfalls auch seinen Widerruf. Trotz der jeweils abweichenden Bezeichnung der einzelnen Prüfungspunkte ist das Prüfungsprogramm unabhängig von der geprüften Rechtsnorm im Grunde dasselbe. Für den Bereich des öffentlichen Rechts zeigt sich dies schon an den gleichlaufenden Prüfungspunkten. Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von formellen Gesetzen nennt man die Verfassung als Ermächtigungsgrundlage nur deshalb nicht, weil sie die einzige in Frage kommende ist. Betrachtet man die einzelnen Prüfungspunkte beim zivilrechtlichen Vertrag, so zeigen sich auch hier zum öffentlichen Recht bezüglich des Prüfungspunkts „Anspruch entstanden“ keine wesentlichen Unterschiede. Hier wird geprüft, ob der dem Anspruch zugrunde liegende Vertrag wirksam geschlossen wurde, anders ausgedrückt ob seine formellen und materiellen Voraussetzungen vorliegen. Formvorschriften sind beispielsweise im Erfordernis der notariellen Beurkundung oder bei Eintragungspflichten ins Grundbuch zu sehen. Zuständigkeiten und bestimmte Verfahren sind dem Zivilrecht angesichts der Privatautonomie im Grunde fremd. In materieller Hinsicht sind dann – wie zum Beispiel beim Verwaltungsakt – alle Normen zu prüfen, die das Gesetz bezüglich des Vertragsinhalts bereithält. Anders als das öffentliche Recht ist das Zivilrecht jedoch vom Anspruch her aufgebaut, der Vertrag ist dafür nur eine Voraussetzung unter vielen anderen. So sind daneben noch anspruchsvernichtende und die Durchsetzbarkeit des An111 Stellvertretend Christoph Degenhart, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht, 26. Aufl., Heidelberg 2010, Rn. 140, 151, 187, 213, 552. 112 Exemplarisch Degenhart, Staatsorganisationsrecht (Anm. 111), Rn. 336 (für Verordnungen), 343 (für Satzungen). 113 Statt aller Jörn Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Köln 2009, Rn. 612. 114 Stellvertretend Hans Brox/Wolf-Dietrich Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 34. Aufl., München 2010, Rn. 855 – 859.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

spruchs hindernde Voraussetzungen zu prüfen. Steht im Zivilrecht auch letztlich der Anspruch im Mittelpunkt, so ist dennoch festzuhalten, dass die Prüfung des zugrunde liegenden Vertrags eine Normenkontrolle ist, auch wenn es der nach dem Anspruch ausgerichtete Prüfungsaufbau nicht auf den ersten Blick erwarten lässt. Jedenfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts macht den Kern der gerichtlichen bzw. behördlichen Prüfung die Normenkontrolle aus. Die Entscheidungskompetenz des Gerichts (vgl. §§ 40, 45 ff., 52, 83 VwGO, § 17a GVG), die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs (z. B. §§ 61, 62, 68, 74, 80, 81 VwGO), die Passivlegitimation (z. B. § 78 VwGO) und die subjektive Rechtsverletzung (z. B. §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sind prozessuale Nebenfragen, die notwendig sind, um eine Normenkontrolle zu ermöglichen. Ohne die Normenkontrolle (des Gesetzes, der Verordnung, der Satzung, des Verwaltungsakts) ist der Rechtsbehelf eine leere Hülle. Die prozessualen Nebenfragen haben nur eine dienende Funktion. Die prozessuale Einkleidung ist auf allen Rechtsgebieten im Grunde gleich ausgestaltet, da die eben genannten prozessualen Nebenfragen – nicht immer alle und positivrechtlich den Bedürfnissen der jeweiligen Rechtsgebiete angepasst – im Rahmen eines jeden Rechtsbehelfs zu prüfen sind.

D. Die Kontrolldichte Der Frage, anhand welchen Maßstabs kontrolliert wird, schließt sich die Frage an, inwieweit kontrolliert wird, sprich – nach wohl herrschender Begrifflichkeit – die Gerichte Entscheidungen der Verwaltung nachvollziehen sollen. Es kann also sein, dass zwar, gemessen am Maßstab, ein Fehler vorliegt, er aber keine Rolle spielt, weil ein derart genaues Nachmessen nicht rechtlich angeordnet oder tatsächlich möglich ist. Dieser Punkt markiert die Schnittstelle zwischen Verwaltung und Rechtsprechung und berührt damit auch die grundgesetzliche Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG).115 Reduzierte Kontrolldichte auf der einen Seite bedeutet zugleich Letztentscheidungskompetenz auf der anderen Seite,116 sie sind spiegelbildliche Begriffe. Wird eine Entscheidung nicht weiter kontrolliert, so hat der Entscheider das letzte Wort und entscheidet als letzte Instanz letztverbindlich. Regelt das positive Recht für den Kontrollierenden eine reduzierte Kontrolldichte, so schafft es für den Kontrollierten zugleich eine Letztentscheidungskompetenz, mit der dessen eigene Verantwortlichkeit besteht. Gemeinhin verbindet man mit unvollständiger (gesetzlicher) Determinierung – Stichwort „Lockerung der Gesetzesbindung“ – zugleich eingeschränkte Kontrolldichte. Im Umkehrschluss bedeutet dann die als Grundsatz verstandene vollständige rechtliche Determinierung vollständige gerichtliche (Rechts-)Kontrolle. Damit wird nach herrschender Auffassung, insbesondere im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG, der 115 116

Vgl. Möllers, Zugänge (Anm. 45), § 3 Rn. 29 m. w. N. Vgl. stellvertretend Maurer, Verwaltungsrecht (Anm. 20), § 7 Rn. 6.

D. Die Kontrolldichte

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dem Bürger gegen die Verwaltung vollumfängliche Schutz durch die Gerichte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gewährleistet,117 eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte ist demnach rechtfertigungsbedürftig.118 Zur Begründung lassen sich im Wesentlichen drei Ansätze ausmachen, die sich im Einzelnen freilich fast unüberschaubar verästeln.

I. Kompetenzpostulate und richterliche Pragmatik 1. Der funktionell-rechtliche Ansatz: Die Natur der Sache und die größere Sachnähe der Verwaltung Die am weitesten verbreitete Begründung für eine Reduktion der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte beruft sich auf die Natur der Sache und die größere Sachnähe der Verwaltung, die eine bessere Entscheidungsfindung bereits auf Verwaltungsebene postulieren.119 Aus der Perspektive der praktischen Vernunft spricht viel für diesen sog. funktionell-rechtlichen Ansatz, der eine Reduzierung der Kontrolldichte immer dann annimmt, wenn die Rechtsprechung an ihre Funktionsgrenzen stößt.120 Das sei insbesondere dann der Fall, wenn die Verwaltungsentscheidung in einem Gerichtsverfahren aus tatsächlichen Gründen nur noch schlecht oder gar

117 St. Rspr., vgl. nur BVerfGE 103, 142 (156); statt vieler Michael Sachs, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 5. Aufl., München 2009, Art. 19 Rn. 145 f. 118 Vgl. die Nachweise unten S. 207 in Anm. 138. 119 So die h. M., vgl. nur Hartmut Maurer, Der Verwaltungsvorbehalt, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 43 (1985), S. 135 – 171 (140 f, insb. 167: „Es kann zwischen faktischem Verwaltungsvorbehalt und normativem Verwaltungsvorbehalt unterschieden werden.“); Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 91 f.; Eberhard Schmidt-Aßmann, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3: Art. 16 – 22, Stand: Oktober 2010 (60. Ergänzungslieferung), München 2010, Art. 19 Abs. 4 Rn. 204; Möllers, Zugänge (Anm. 45), § 3 Rn. 29; differenzierend aber im Ergebnis wohl gleich Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit (Anm. 6), § 10 Rn. 46, der von einem „zwar rechtlich angelegte[n], aber auch von der faktischen Ausgangslage abhängige[n] ,faktischen VerwaltungsvorbehaltГ als einem „Reflex sonstiger Bindungen der Staatsorgane“ spricht – Hervorhebung im Original; in der Sache ebenso Hinnerk Wißmann, Generalklauseln. Verwaltungsbefugnisse zwischen Gesetzmäßigkeit und offenen Normen, Tübingen 2008, der für Reduktionen der gerichtlichen Kontrolldichte bei Generalklauseln – darunter versteht er teilweise offen formulierte Handlungsvoraussetzungen (S. 2) – keine normative Begründung liefert, sondern mit Sachzwängen argumentiert (S. 322 – 325, insb. 325). 120 Aus der Rechtsprechung BVerfGE 84, 34 (50) – juristische Staatsprüfung; BVerwGE 99, 74 (76) – „Gesamteindruck“ über den Leistungsstand des Prüflings, § 5d Abs. 4 Satz 1 DRiG; BVerwGE 106, 263 (267) – Entlassung eines Beamten auf Probe wegen mangelnder Bewährung; neuerdings BVerwGE 130, 39 (48 f.) – Marktregulierung nach TKG; BVerwGE 130, 180 (195) – Telefonüberwachung.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

nicht mehr nachvollziehbar ist121 oder nur die Verwaltung die erforderlichen personellen und sachlichen Ressourcen hat, um eine nach praktischen Maßstäben richtige Entscheidung zu treffen.122 Insgesamt sei die Verwaltung am zu lösenden Problem „näher dran“, manche Regelungskomplexe erscheinen ihrer Natur der Sache nach in die Alleinzuständigkeit der Verwaltung zu fallen. Um aus diesen tatsächlichen Gegebenheiten eine Einschränkung der Kontrolldichte abzuleiten, findet sich aber keine Stütze im positiven Recht. Man muss den Positivierungsnachweis schuldig bleiben und arbeitet stattdessen mit verfassungstheoretischen Plausibilitätserwägungen.123 „Irgendein bloß aus der ,Natur der SacheÐ gezogenes, rechtlich aprioristisches oder naturrechtliches Prinzip kann [den] Zusammenhang … mit der Rechtsordnung nicht ersetzen.“124 Der grundgesetzlichen Gewaltenteilung allein lässt sich keine Reduktion der Kontrolldichte entnehmen. Im Einzelnen sind die Grenzen zwischen den jeweiligen (Allein-)Verantwortungsbereichen durch die entsprechenden Vorschriften auf den Normebenen unterhalb der Verfassung zu konkretisieren. Sie nur aus dem Grundgesetz zu folgern würde auf der Grundlage eines Verfassungspositivismus alle Rechtsnormen unterhalb der Verfassung zu bloßen Wiederholungen des Verfassungsinhalts degradieren. Zudem: Der den Sachverhalt zuerst Entscheidende ist für gewöhnlich immer näher an der Sache. Größere Sachnähe garantiert aber nicht zwingend eine bessere Entscheidung. Zumindest muss der Zweitentscheider bzw. Kontrollierende nicht unbedingt eine schlechtere Entscheidung fällen. Diese Problematik ist keine spezifisch verwaltungsrechtliche, mit ihr sieht sich grundsätzlich jedes Gericht konfrontiert. Auch der Zivilrichter war beim Abschluss des Vertrages, über dessen Rechtmäßigkeit er entscheiden soll, nicht anwesend; auch der Strafrichter war kein Zeuge der Straftat. Dennoch ist auf dem Gebiet des Zivil- und Strafrechts, jedenfalls in erster Instanz, von Einschränkungen der Kontrolldichte keine Rede. Das Gericht muss den Sachverhalt, soweit es möglich ist, aufklären, fehlende Sachkenntnis muss es durch die Heranziehung von Sachverständigen kompensieren.125 Das muss im Übrigen bei schwierigen und strittigen tatsächlichen Fragestellungen – so beispielsweise bei der Genehmigung von Atomkraftwerken – auch die Verwaltungsbehörde tun. Die mit der Sache befassten Verwaltungsbeamten haben hier zumeist genauso viel Kenntnis von den entscheidungserheblichen naturwissenschaftlichen Fragestellungen wie die Verwaltungs121

So insb. bei Prüfungs- und Personalentscheidungen, vgl. oben S. 79 und die Beispiele aus der Rechtsprechung ebendort. 122 So insb. im Rahmen der Risikoverwaltung, vgl. oben S. 80 und die Beispiele aus der Rechtsprechung ebendort. 123 Dazu Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 35. 124 Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 105), S. 854. 125 So auch Fritz Ossenbühl, Zur Renaissance der administrativen Beurteilungsermächtigung. Rezension zum Urteil des BVerwG v. 16. 12. 1971 – I C 31.68, DÖV 1972 S. 419, in: Die Öffentliche Verwaltung 25 (1972), S. 401 – 405 (404); Hofer-Zeni, Ermessen (Anm. 29), S. 123.

D. Die Kontrolldichte

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richter. Ob die Entscheidung der Verwaltung oder die der Verwaltungsgerichtsbarkeit besser ist,126 ist zunächst eine rechtspolitische Frage, die verbindlich durch das positive Recht zu regeln ist. Die formale Rechtsstrukturtheorie kann hierauf keine Antwort geben. Legte man das Wechselspiel von heteronomer und autonomer Komponente127 zugrunde, so behandelt der Begründungsansatz der Funktionsgrenzen der Rechtsprechung – wenn auch unabsichtlich – nicht die Einschränkung der Kontrolldichte. Die uneingeschränkte Kompetenz und ureigene Pflicht der Rechtsprechung zur Klärung und Entscheidung aller entscheidungserheblichen Rechtsfragen ist unstreitig. Niemand geht davon aus, dass die Gerichte entscheidungserhebliche Rechtsfragen offenlassen. Auch im Falle von Beurteilungs- und Ermessensermächtigungen kontrolliert die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben zu 100 Prozent.128 Ist keine weitere tatsächliche Aufklärung möglich, so hat das Gericht eben seine Aufklärungspflichten erfüllt und muss auf dieser Tatsachengrundlage über die Rechtmäßigkeit, sprich über die heteronome Komponente vollumfänglich entscheiden. Die Theorie der Funktionsgrenzen der Rechtsprechung formuliert nur die Schwierigkeiten der Tatsachenermittlung – die im Übrigen auch für die Verwaltungsbehörde bestehen! –, nicht jedoch die Antwort auf die Frage nach der Kontrolldichte. Auch hier leidet die herrschende Ansicht an der nicht sauber durchgeführten Trennung von heteronomer und autonomer Komponente und pflegt ihr integratives Bild des Rechtsgewinnungsprozesses.129 Ein weiteres Argument gegen die Theorie von den Funktionsgrenzen der Rechtsprechung liefern deren Vertreter selbst. Die Annahme von Sachgesetzlichkeiten bedeutet einen Schluss vom Sein auf das Sollen.130 Der Rettungsversuch für diese Konstruktion liegt darin, für die Sachgesetzlichkeiten rechtsnormative Anerkennung zu fordern. Insoweit läuft man mit der normativen Ermächtigungslehre131 gleich. Doch bei der Frage nach den Quellen der Anerkennung stehen neben dem Recht wieder „allgemeine Aspekte, etwa Vernünftigkeitskriterien“132. Der Schluss vom Sein auf das Sollen wird aufrechterhalten.

126

In diesen Fällen wird ein Letztentscheidungsrecht der Verwaltung gefordert, vgl. Ossenbühl, Renaissance (Anm. 125), S. 404; Hofer-Zeni, Ermessen (Anm. 29), S. 123, 125; ebenso bereits Horst Ehmke, „Ermessen“ und „unbestimmter Rechtsbegriff“ im Verwaltungsrecht, Tübingen 1960, S. 47, 51. 127 Dazu oben S. 121 – 123. 128 Darauf weist Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 38 Anm. 149, hin. 129 Ergänzend oben S. 67 – 77, 156 in Anm. 440, 196 f. 130 So ausdrücklich Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), § 114 Rn. 56. 131 Dazu unten S. 207 – 210. 132 Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), § 114 Rn. 56.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

2. Judicial self restraint Angesichts der Funktionsgrenzen der Rechtsprechung liegt es nahe, dass die Richter ihre Arbeitsweise entsprechend anpassen und sich in vornehmer Selbstbeschränkung – judicial self restraint – zurücknehmen.133 Damit ist aber eher ein Selbstverständnis und Idealbild des Richters angesprochen, Anknüpfungspunkte für eine Regelung der Kontrolldichte werden so nicht gegeben. Der Umfang (verwaltungs)gerichtlicher Kontrolle ist keine „Taktfrage“134, sondern eine des positiven Rechts.135 Judicial self restraint beschreibt entweder de lege lata den Zweck bestehender positivrechtlicher Regelungen, ohne selbst Regelung zu sein, oder betreibt de lege ferenda ein politisches Programm, indem es den Kompetenzbereich des Richters in bestimmten (eher engen) Grenzen halten und eine Doppelverwaltung soweit wie möglich vermeiden will. Der Grundsatz des judicial self restraint stammt aus dem case law basierten US-amerikanischen Recht, in dem die Richter innerhalb der Gesetze einen größeren Handlungsspielraum und, insbesondere der Supreme Court, größeren politischen Einfluss haben als die deutsche Höchstgerichtsbarkeit, das Bundesverfassungsgericht ausgenommen.136 Im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug spielt die richterliche Rechtsfortbildung, auf der das angloamerikanische case law basiert, wegen der Ausführlichkeit der positivrechtlichen Regelungen eine weitaus geringere Rolle. Eine Einhegung der richterlichen Tätigkeit durch Selbstbeschränkung ist im deutschen Rechtsystem daher nicht erforderlich. Während das US-amerikanische System dem Selbstverständnis der Beteiligten, insbesondere der Richter, vertraut, im Sinne des Systems zu handeln, setzt die deutsche Rechtsordnung auf eine forma-

133

Für judicial self restraint – namentlich aus der älteren Literatur – z. B. Rupp, Grundfragen (Anm. 18), S. 212 Anm. 354; mit Bezug auf Rupp Lars-Henrik Rode, § 40 VwVfG und die deutsche Ermessenslehre, Frankfurt a. M. 2002, S. 174; vgl. auch Schmidt-Eichstaedt, Ermessen (Anm. 8), S. 187; Roland Jarosch, Die Fiktion der unbestimmten Rechtsbegriffe, in: Die Öffentliche Verwaltung 27 (1974), S. 123 – 127 (126 f.); Hofer-Zeni, Ermessen (Anm. 29), S. 139 f.; zweifelnd Ossenbühl, Kontrolldichte (Anm. 17), S. 64, 68. 134 Rupp, Grundfragen (Anm. 18), S. 220 m. w. N. – Hervorhebung im Original; ähnlich bereits Friedrich Tezner, Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspflege. Eine kritischorientirende Studie, in: Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit 8 (1900), S. 220 – 279, 475 – 557, 9 (1901), S. 159 – 220, 515 – 610 (609). 135 So denn auch nun die Ablehnung dieses Ansatzes, vgl. nur Konrad Hesse, Funktionelle Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Recht als Prozess und Gefüge. Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, Bern 1981, S. 261 – 272 (263 f.); Matthias Jestaedt, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: Deutsches Verwaltungsblatt 116 (2001), S. 1309 – 1322 (1313 m. w. N.); ebenso Philip Kunig, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 61 (2002), S. 34 – 79 (66 – 70); Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), S. 6. 136 Programmatisch John Chipman Gray, The Nature and the Sources of the Law, 2. Aufl., New York 1921, S. 125: „It has been sometimes said that the Law is composed of two parts, – legislative law and judge-made law, but in truth, all the Law is judge-made law.“

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lisierte Regelung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche und versucht klare Kompetenzen zu schaffen.137

II. Die Rolle und Funktion des Art. 19 Abs. 4 GG Geht es um Fragen der (Rechts-)Kontrolle der Exekutive, so steht immer sofort die Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG im Raum, vor dem sich nach herrschender Auffassung Beurteilungs- und Ermessensermächtigungen rechtfertigen müssen.138 Sie gewährt die vollumfängliche gerichtliche Kontrolle jedes Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.139 Art. 19 Abs. 4 GG schafft jedoch nicht das verletzte Recht, sondern setzt eine Rechtsverletzung voraus.140 Er gewährleistet im Wege des Individualrechtsschutzes die Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG und bezieht sich daher nur auf die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung, aber nicht auf ihre Zweckmäßigkeit. Da Art. 19 Abs. 4 GG den Kontrollmaßstab und nicht die Reichweite der Kontrolldichte regelt, spielt er für die Frage der Reduzierung der Kontrolldichte keine Rolle.141 Die Reduzierung der Kontrolldichte bleibt der einfachgesetzlichen Ausgestaltung vorbehalten und findet ihre Grenzen in dem verfahrensrechtlichen Schutz, den die materiellen Grundrechte vermitteln.142

III. Die normative Ermächtigungslehre Kontrolldichtereduzierungen müssen vom positiven Recht geregelt sein, da sie eine Modifizierung der positivrechtlich geregelten Kontrollbefugnisse der Judikative bedeuten. Dieser als „normative Ermächtigungslehre“ bezeichnete Ansatz, der sich in 137 Vgl. auch Martin Kriele, Grundrechte und demokratischer Gestaltungsspielraum, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Aufl., Bd. 5: Allgemeine Grundrechtslehren, Heidelberg 1992, § 110 Rn. 7 – 18. 138 Stellvertretend BVerfGE 84, 34 (49) – juristische Staatsprüfung; BVerfGE 88, 40 (56) – Pädagogisches Interesse für die Zulassung einer privaten Grundschule (Art. 7 Abs. 5 Alt. 1 GG); BVerfGE 129, 27 (38 m. w. N) – „Weinprädikat II“; vgl. auch Thomas von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, Berlin und Heidelberg 2008, S. 30. 139 Vgl. BVerfGE 103, 142 (156 m. w. N.). 140 St. Rspr., vgl. nur BVerfGE 78, 214 (226); BVerfGE 83, 182 (194 f.); BVerfGE 84, 34 (49); BVerfGE 103, 142 (156); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 214; Wißmann, Generalklauseln (Anm. 119), S. 318; Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 38. 141 Vgl. Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 38; zuspitzend Matthias Herdegen, Beurteilungsspielraum und Ermessen im strukturellen Vergleich, in: Juristenzeitung 46 (1991), S. 747 – 751 (751): „Das Unterfangen … Kontrollmaßstäbe aus einem abstrakt am Individualrechtsschutz orientierten Auftrag der Justiz destillieren zu wollen, steht in der Tradition des Freiherrn von Münchhausen.“ 142 Vgl. nur BVerfGE 61, 82 (110 f.); BVerfGE 84, 34 (40 – 51); Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 214; Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 39.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

Lehre und Judikatur immer wieder abzeichnet(e),143 geht auf die Sasbach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurück: „Unbeschadet normativ eröffneter Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie Tatbestandsbindungswirkung von Hoheitsakten schließt dies grundsätzlich eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall Rechtens ist, aus.“144

In diesem Zusammenhang formulierte das Bundesverwaltungsgericht: „Ob der Gesetzgeber in einer Rechtsnorm für die Behörde eine Handlungsbindung bestimmt oder ihr einen Handlungsspielraum eingeräumt hat, kann immer nur aus dem Inhalt der betreffenden Rechtsnorm entnommen werden.“145

Diesem aus rechtspositivistischer Perspektive allein weiterführenden Ansatz stehen jedoch zwei – ein kleiner und ein größerer – Kritikpunkte entgegen. Erstens formuliert die normative Ermächtigungslehre eine Selbstverständlichkeit: Kontrolle und Kontrollfreiheit müssen, da hier Kompetenzbereiche zur Debatte stehen, im Rechtsstaat durch das positive Recht geregelt werden. Für sich genommen wäre das noch kein Anlass zur Kritik, doch resultiert daraus erst der folgende, weit gewichtigere Kritikpunkt. Zweitens wirft die normative Ermächtigungslehre nämlich hinsichtlich der materiellen Ausgestaltung, also der Frage nach einer Reduktion der Kontrolldichte im konkreten Einzelfall, den Rechtsanwender auf das positive Recht zurück. Dieses schweigt sich freilich aus,146 andernfalls gäbe es die Kontrolldichtediskussion in diesem Umfang nicht. Damit eröffnet sich das weite Feld der Auslegung, deren Ergebnisse immer bestreitbar sind. Es zeigt sich einmal mehr, dass auch Auslegungsfragen letztlich in Kompetenzfragen münden. Es kommt darauf an, wessen Auslegung die verbindliche ist. Zur theoretischen Fundierung versucht man, eine „praktische ,Dogmatik mittlerer EbeneГ147 zu entwickeln. Dabei steht der Gesetzeswortlaut am Anfang der Überlegungen. Da er aber zur Problemlösung nicht viel beitragen kann, wendet man sich im Folgenden, „abgesichert“ durch das Bundesverwaltungsgericht,148

143

So Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 119), Art. 19 Abs. 4 Rn. 185. BVerfGE 61, 82 (111) – Sasbach; ähnlich bereits BVerfGE 15, 275 (282) – vollständige Nachprüfung eines Verwaltungsakts (hier: Bußgeldbescheid) in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch die Gerichte, Art. 19 Abs. 4 GG. 145 BVerwGE 62, 86 (98) – Krankenhausbedarfsplanung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1 KHG; ähnlich BVerwGE 94, 307 (309) – „Weinprädikat I“ i. S. v. §§ 11 und 12 WeinG; BVerwGE 100, 221 (225 f.) – „Kenntnisse und Fähigkeiten eines Heilpraktikeranwärters“ i. S. v. §§ 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 HeilPrG, § 2 Abs. 1 lit. i 1. DVO-HeilPrG. 146 Vgl. Ossenbühl, Kontrolldichte (Anm. 17), S. 64; relativierend Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 217 – 219. 147 Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 119), Art. 19 Abs. 4 Rn. 187. 148 Vgl. BVerwGE 62, 86 (98) – Krankenhausbedarfsplanung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1 KHG. 144

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einer Auslegung anhand systematischer Kriterien zu.149 Damit wird durch die Hintertür der funktionell-rechtliche Ansatz im normativen Gewand und positivrechtlich rückgekoppelt wiedereingeführt: „Wählt man aber das Gesetz zum Ausgangspunkt [was sonst?], dann lassen sich die funktionell-rechtlichen Argumente bei der Analyse der gesetzlichen Ausgestaltung des jeweiligen Entscheidungsprozesses zum Tragen bringen.“150 Freilich muss sich der Interpret bei seiner Auslegung an Inhalten orientieren. Interpretation ohne Vorverständnis ist aber nicht möglich und die Wahl der Interpretationsmethoden bleibt dem Interpreten überlassen. Insofern zeigt sich an der normativen Ermächtigungslehre klar und deutlich die große Bedeutung der Frage nach der Kompetenzverteilung im arbeitsteiligen Rechtsstaat. Nicht Art. 19 Abs. 4 GG ist der verfassungsrechtliche Ausgangspunkt der Kontrolldichtediskussion, sondern Art. 20 Abs. 3 GG.151 Jedermann kann in der Norm unterschiedliche Inhalte erblicken, die sich mehr oder minder im Rahmen dessen halten, was nach allgemeiner Ansicht in der Norm enthalten ist. Letztlich kommt es aber nur darauf an, wie der kompetente Entscheider die Norm versteht.152 Die normative Ermächtigungslehre weist zwar die richtige Richtung, hilft aber in der Sache nicht weiter. Sie erinnert daran, dass sich Reduktionen der Kontrolldichte immer aus dem positiven Recht entnehmen lassen müssen, ohne dabei Aussagen über deren konkrete materielle Ausgestaltung zu treffen. Die normative Ermächtigungslehre ist insofern die reine Lehre der Kontrolldichtereduktion. Der Rechtsanwender wird mit dem positiven Recht alleine gelassen, was insbesondere vom Rechtspraktiker angesichts des Schweigens des Gesetzgebers nicht zu unrecht als misslich empfunden wird. Freilich drängt sich hier der Gedanke eines beredten Schweigens auf, denn der Gesetzgeber erlässt seine Gesetze eingedenk der und im Hinblick auf die herrschenden Strömungen in der Rechtsdogmatik, die derzeit vom funktionell-rechtlichen Ansatz beherrscht wird. Indem die dogmatische Rechtswissenschaft über den Ansatz der Funktionsgrenzen der Rechtsprechung versucht, dem Rechtspraktiker Anhaltspunkte für Kontrolldichtereduktionen an die Hand zu geben, begibt sie sich auf das Terrain der Rechtspolitik. Am Ende kann daher nur der Ruf nach dem Gesetzgeber stehen, Kontrolldichtereduktionen ausdrücklich normativ zu verankern, indem er beispielsweise für gewisse Materien – gedacht sei hier insbesondere an komplizierte Genehmigungsverfahren wie z. B. Atomkraftwerke oder ähnliche Anlagen – entsprechende verwaltungsgerichtliche Kontrollprogramme vorgibt. Solche Kontrollprogramme ließen sich in den jeweiligen Fachgesetzen verankern. Die dabei zwangsläufig entstehende Kasuistik erscheint jedenfalls mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu bieten als die derzeitige Kasuistik der Rechtspre149

Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 119), Art. 19 Abs. 4 Rn. 187. Hans-Heinrich Trute, Vorsorgestrukturen und Luftreinhalteplanung im Bundesimmissionsschutzgesetz, Heidelberg 1989, S. 313; so auch Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 119), Art. 19 Abs. 4 Rn. 187. 151 Vgl. nur Herdegen, Beurteilungsspielraum (Anm. 141), S. 751. 152 Zum Problem der Methodenwahl oben S. 137 – 143. 150

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

chung, die immer wieder in Sachen Kontrolldichtereduktionen mit Überraschungen aufwartet.153

IV. Kontrolldichtereduktionen – ein Scheinproblem Legt man die herrschende Unterteilung in unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgenseite zugrunde, so wird die eingeschränkte Kontrolldichte des Ermessens auf die Regelung des § 114 Satz 1 VwGO gestützt. Ihren Kontrollauftrag aus Art. 19 Abs. 4 GG führt die Verwaltungsgerichtsbarkeit jedoch in der ersten Instanz vollumfänglich aus, indem sie alle entscheidungserheblichen Rechtsfragen klärt und entscheidet sowie zuvor die zugrunde liegenden Tatsachen soweit wie möglich erforscht. Allein die autonome Komponente kontrolliert sie mangels Kontrollmaßstabs nicht.154 Gleiches gilt für die Beurteilungsspielräume. Diese dogmatische Figur wurde von der Rechtsprechung immer dann auf den Plan gerufen, wenn aus pragmatischen Gründen eine Entscheidung über eine bestimmte Frage nicht gefällt werden sollte.155 Die Diskussion um reduzierte Kontrolldichte und Letztentscheidungskompetenzen zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit erweist sich nach dem bisher Gesagten als eine – „ewige“156, ungerechtfertigt aufwendige, inzwischen heillos ausgefranste und nicht mehr überschaubare – Debatte um ein Scheinproblem. Sie wurzelt im herrschenden, integrativen Rechtsgewinnungsbild, das nicht zwischen Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung trennt und das Wechselspiel zwischen heteronomer und autonomer Komponente nicht beachtet. In der Folge vermengt man – sofern man sich des Unterschiedes überhaupt bewusst ist – die Frage nach dem Kontrollmaßstab mit der Frage nach der Kontrolldichte. Was man gemeinhin als Reduktion der Kontrolldichte ansieht, ist nichts weiter als die Frage nach der Reichweite der Rechtsbindung. „Echte“ Kontrolldichtereduktionen“, d. h. Konstellationen, in denen die heteronome Determinante nicht vollumfänglich geprüft wird, werden dagegen kaum thematisiert oder gar problematisiert.

153 Unter Aufgabe von BVerwGE 94, 307 (309 m. w. N.) – „Weinprädikat I“ i. S. v. §§ 11 und 12 WeinG, nimmt das Bundesverwaltungsgericht in Sachen Weinprüfung nun einen Beurteilungsspielraum der Verwaltung an, BVerwGE 129, 27 (27, 32 – 34) – „Weinprädikat II“. 154 Dazu oben S. 182 – 191. 155 Zur Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum mit umfangreichen Beispielen oben S. 77 – 81. 156 Ossenbühl, Kontrolldichte (Anm. 17), S. 63.

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V. „Echte“ Kontrolldichtereduktionen Im Folgenden werden einige „echte“ Kontrolldichtereduktionen beispielhaft beschrieben. 1. Im Instanzenzug Eine „echte“, positivrechtlich ausgestaltete Kontrolldichtereduktion findet stufenweise im Instanzenzug statt. Im Verwaltungsrecht – genauer: im Geltungsbereich der Verwaltungsgerichtsordnung – erfolgt im Rahmen des Vorverfahrens zunächst verwaltungsintern eine in jeder Beziehung vollumfängliche Rechts- und Zweckmäßigkeitskontrolle, bei der neben der Messung des Verwaltungsakts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht am Maßstab der Rechtmäßigkeit auch die autonomen Determinanten geprüft und gegebenenfalls ersetzt werden dürfen.157 In der ersten Instanz vor den Verwaltungsgerichten erfolgt grundsätzlich eine vollumfängliche Rechtmäßigkeitsüberprüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Alle Fehler, die gemessen am Maßstab Recht auftreten, sind relevant und führen im Rahmen des positivrechtlichen Fehlerkalküls158 beispielsweise zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Die Berufung ist eine zweite Tatsacheninstanz,159 wie § 128 VwGO ausdrücklich anordnet: „Das Oberverwaltungsgericht prüft den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht. Es berücksichtigt auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel.“

Nur für neue Tatsachen und Beweismittel, sprich solche, die schon in der ersten Instanz hätten geltend gemacht werden können, ordnet § 128a VwGO als Ausnahme die Präklusion an. Alle Fehler des Verwaltungsakts, gemessen am Maßstab Recht, führen immer noch wie in der ersten Instanz zu dessen Rechtswidrigkeit. Anders verhält es sich dagegen in der Revision, in der keine Tatsachen mehr überprüft werden, sondern sich die Kontrolle ausschließlich auf Rechtsfragen beschränkt, §§ 137 und 138 VwGO. Hier sind nur solche Rechtsfragen relevant, die für die Entscheidung in der Sache erheblich und unmittelbar aufgrund der im angegriffenen Urteil enthaltenen Feststellungen zu klären sind. Bestimmte Fehler der ersten Instanz sind nur dann von Bedeutung, wenn sie auch auf die Berufungsentscheidung durchschlagen.160 Zwar wird in der Revision weiterhin am Maßstab Recht gemessen, je157

Vgl. oben S. 195 f. Zum Fehlerkalkül oben S. 147 – 149. 159 Statt aller Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 128 Rn. 1, 3. – Zur Kontrolldichtereduzierung im Zivilrecht unten S. 241 f. 160 Statt aller Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 132 Rn. 13 m. w. N. 158

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

doch führt nicht mehr jeder Fehler zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern nur ein eben beschriebener. Damit ist die Kontrolldichte zurückgefahren. Viele gerichtliche Entscheidungen im Laufe des Verfahrens, insbesondere verfahrensleitende Beschlüsse, sind einer Kontrolle sogar völlig entzogen. Es heißt dann meistens sinngemäß: „Der Beschluss bzw. die Entscheidung ist unanfechtbar.“161 Da Kontrolldichte zunächst überhaupt Kontrolle voraussetzt, stellt sich die Frage nach der Kontrolldichte und ihrer Einschränkung in diesen Fällen überhaupt nicht. 2. Im Rahmen der Prüfung von Bauleitplänen Die Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 und 215 BauGB reduzieren die Kontrolldichte, indem sie die Unbeachtlichkeit bestimmter formell- und materiellrechtlicher Fehler anordnen.162 So sind zwar nicht alle Erzeugungsvoraussetzungen für den Bauleitplan erfüllt, dennoch ist er im Ergebnis nicht unwirksam (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO), da bestimmte Rechtsfehler nicht am Maßstab Recht gemessen werden. Diese „Fehler“ sind aus der Perspektive des Verwaltungsgerichts keine Fehler, die zur Rechtswidrigkeit des Bebauungsplans führen, d. h. ihn aus der Rechtsordnung ausschließen. Gleichwohl gilt diese Reduktion der Kontrolldichte nur im gerichtlichen Kontrollverfahren, da die Verpflichtung der für das Genehmigungsverfahren zuständigen Behörde, die Einhaltung der Vorschriften zu prüfen, deren Verletzung sich nach den §§ 214 und 215 BauGB auf die Rechtswirksamkeit eines Bauleitplans nicht auswirkt, unberührt bleibt (§ 216 BauGB). 3. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde Eine weitere „echte“ und zweifache Reduktion der Dichte der Rechtmäßigkeitsprüfung besteht bei der Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht prüft hier nur, ob der angegriffene staatliche Akt den Beschwerdeführer (1) in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt (spezifisches Verfassungsrecht) und (2) „ob bei Auslegung und Anwendung einfachen Rechts der Einfluß der Grundrechte grundlegend verkannt ist“163. Diese eher vage Formel wendet das Bun161 Diese Regelung ist gar nicht selten, vgl. §§ 6 Abs. 4 Satz 1, 24 Abs. 3 Satz 3, 56a Abs. 1 Satz 5, 60 Abs. 5, 65 Abs. 3 Satz 2, 65 Abs. 4 Satz 3, 67 Abs. 3 Satz 1, 67 Abs. 3 Satz 3, 67a Abs. 1 Satz 4, 83 Satz 2, 92 Abs. 3 Satz 2, 93a Abs. 1 Satz 3, 119 Abs. 2 Satz 2, 134 Abs. 2 Satz 3, 152a Abs. 4 Satz 3 und 158 Abs. 2 VwGO. 162 Erläuternd Ulrich Battis, in: Ulrich Battis/Michael Krautzberger/Rolf-Peter Löhr (Hrsg.), Baugesetzbuch, 11. Aufl., München 2009, Vorbemerkung zu den §§ 214 bis 216 Rn. 1 f., § 214 Rn. 1 f. 163 So die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur BVerfGE 89, 276 (285); dazu Christian Starck, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichte, in: Juristenzeitung 51 (1996), S. 1033 – 1042 (insb. 1035); Georg Hermes, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 61 (2002), S. 117 – 150 (144 – 150).

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desverfassungsgericht im Einzelfall verschieden an, je nach dem, ob es den Fall genauer betrachten will,164 oder sich lieber – judicial self restraint! – vornehm zurückhält: „Letztlich gilt, dass das BVerfG überprüft, was es überprüfen will, und was es nicht überprüfen will, nicht überprüft.“165 Das Bundesverfassungsgericht legt so in jedem Einzelfall selbst fest, ob es – allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz166 – als „Superrevisionsinstanz“167 oder gar „Supertatsacheninstanz“168 fungiert oder nicht. Die Kontrolldichte ist im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gleich in zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Zunächst werden die angegriffenen staatlichen Maßnahmen und die Rechtsnormen, auf deren Grundlage sie ergehen (Kontrollgegenstände), nicht jeweils am höherrangigen Recht (Kontrollmaßstab), sondern nur an Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten (Kontrolldichte) gemessen. Im Weiteren (Kontrolldichte) fällt nicht jeder Verstoß gegen das kontrollmaßstäbliche Verfassungsrecht ins Gewicht, sondern nur ein so schwerer Verstoß, der eben deren Umfang und deren Reichweite grundlegend verkennt. Diese Reduktion der Kontrolldichte findet zumindest bezüglich der Verkürzung des Kontrollmaßstabes eine Stütze im positiven Recht. So spricht Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (aufgegriffen in § 90 Abs. 1 BVerfGG) von einer Verletzung des Beschwerdeführers „in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte“. Die zweite Reduktion hinsichtlich des Ausmaßes der Verletzung ist vom Bundesverfassungsgericht selbst erschaf164 Prominent die feinziselierten Gedanken des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des englischen Wortes „murder“ sowie zu den deutschen Wörtern „Mörder“ und „töten“, vgl. BVerfGE 93, 266 (305 – 307, 307 – 312) – Soldaten sind (potentielle) Mörder; kritisch Georgios Gounalakis, „Soldaten sind Mörder“, in: Neue Juristische Wochenschrift 49 (1996), S. 481 – 487; ebenso Tade Matthias Spranger, BVerfGE 93, 266 ff. – Soldaten sind Mörder, in: Jörg Menzel (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung. Hundert Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Retrospektive, Tübingen 2000, S. 592 – 598 (595 – 598). 165 Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 26. Aufl., Heidelberg 2010, Rn. 1282. 166 Stellvertretend BVerfGE 21, 209 (216); BVerfGE 42, 143 (148 f. m. w. N.). 167 Dazu Christoph Gusy, Die Verfassungsbeschwerde, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 1: Verfassungsgerichtsbarkeit und Verfassungsprozeß, Tübingen 2001, S. 641 – 671 (662 f.); die Funktion der Superrevisionsinstanz verneinend Gerd Roellecke, Aufgabe und Stellung des Bundesverfassungsgerichts in der Gerichtsbarkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3: Demokratie – Bundesorgane, 3. Aufl., Heidelberg 2005, § 68 Rn. 7 f.; ebenso Christoph Degenhart, Gerichtsorganisation, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5: Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 3. Aufl., Heidelberg 2007, § 114 Rn. 44; in der Praxis die Superrevisionsfunktion bejahend Michael Sachs, Die Auswirkungen des allgemeinen Gleichheitssatzes auf die Teilrechtsordnungen, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Aufl., Bd. 5: Allgemeine Grundrechtslehren, Heidelberg 1992, § 127 Rn. 76. 168 Dazu Hermes, Verfassungsrecht (Anm. 163), S. 144 m. w. N.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

fen worden, um ihm eine gewisse Flexibilität für den jeweiligen Einzelfall zu ermöglichen. 4. Durch den Klageantrag Keine weitere Einschränkung der Kontrolldichte wird durch den Klageantrag bewirkt. Zwar beruft sich der Kläger auf die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Rechtsnorm – eine Verletzung in seinen subjektiven Rechten durch die gerügte Rechtswidrigkeit vorausgesetzt. Inwieweit die angegriffene Rechtsnorm am Maßstab des Rechts geprüft wird, kann er durch seinen Antrag (mit-)bestimmen. Greift er die gesamte Rechtsnorm an, so wird die gesamte Rechtsnorm am Kontrollmaßstab Recht gemessen. Jedoch kann er seinen Angriff auch auf einen Teil der Rechtsnorm beschränken, indem er beispielsweise einen Zahlungsbescheid nur insoweit angreift, als dieser eine Zahlungspflicht über einem bestimmten Betrag anordnet, oder der Kläger eine Baugenehmigung nur bezüglich einer Nebenbestimmung angeht. Gleiches lässt sich auch für Leistungs- und Feststellungsanträge konstruieren, so beispielsweise eine Verpflichtungsklage nur auf einen Teil des ursprünglich begehrten Verwaltungsakts oder nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Teils des Verwaltungsakts. Sähe man darin eine Reduktion der Kontrolldichte, so würde man die Kategorien Kontrollgegenstand, Kontrollmaßstab und Kontrolldichte missverstehen und miteinander vermengen. Denn der kontrollierte Teil der Rechtsnorm, der Kontrollgegenstand, wird immer noch – abgesehen von anderen „echten“ Kontrolldichtereduktionen – durch den Antrag unbeeinflusst vollumfänglich am Maßstab Recht geprüft. Es handelt sich – wenn man so will – nur um eine Reduzierung des Kontrollgegenstands, nicht aber des Kontrollmaßstabs und der Kontrolldichte.

VI. Kontrolldichtereduktionen als Ausformungen des Fehlerkalküls Kontrolldichtereduktionen sind positivrechtlich verankert, entweder ausdrücklich oder durch Auslegung dem Gesetz zu entnehmen. Sie bewirken, dass bestimmte Fehler auf der Stufe des Kontrollorgans nicht mehr ins Gewicht fallen, da sie am Kontrollmaßstab Recht nicht mehr gemessen werden müssen. Das positive Recht selbst regelt auch hier die Fehlerfolgen dergestalt, dass eventuelle Fehler ohne eine Überprüfung hingenommen werden. Daher sind Kontrolldichtereduktionen Ausformungen des Fehlerkalküls.169 Setzt man die oben vorgenommene Ausdifferenzierung des Fehlerkalküls in 1. Stufe und 2. Stufe170 fort, so kann man hier eine weitere Stufe des Fehlerkalküls ausmachen, die als 3. Stufe zu bezeichnen es sich anbietet.171 169

Zum Fehlerkalkül oben S. 147 – 149. Vgl. oben S. 148 f. 171 Mit dieser Zählung übergeht man freilich die grundsätzlich generelle Kontrollmöglichkeit von Rechtsnormen als der Reduzierung der Kontrolldichte logisch zwingend voran170

E. Gerichtliche Entscheidungen, die keine Normenkontrollen sind

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Erkennt man Kontrolldichtereduktionen als Ausformungen des positivrechtlichen Fehlerkalküls, so hat das zwei wichtige Auswirkungen: Zunächst verlieren sie ihren (gar metarechtlich begründeten172) Ausnahmecharakter und erweisen sich als positivrechtliche Phänomene. Damit lassen sich sodann Kontrolldichtereduktionen erheblich leichter und unaufgeregter auf der Grundlage des positiven Rechts begründen und dogmatisch verarbeiten.173

VII. Zusammenfassung zur Kontrolldichtereduktion Die Reduktion der Kontrolldichte hat sich als positivrechtliches Phänomen im Verlauf des Instanzenzuges und als Ausformung des Fehlerkalküls erwiesen. In der ersten Verwaltungsgerichtsinstanz ist die Kontrolldichte jedoch entgegen der allgemeinen Ansicht bezogen auf den – auch nach ihrer Auffassung für die Verwaltungsgerichte allein maßgeblichen – Kontrollmaßstab Recht nicht reduziert. Zur herrschenden Ansicht kann man nur gelangen, indem man einen integrativen Rechtsgewinnungsbegriff pflegt, auf dessen Grundlage man zwischen heteronomer und autonomer Komponente nicht sauber trennt und man die Frage nach rechtlicher Determinierung (Kontrollmaßstab) mit der Frage nach dem Umfang der rechtlichen Kontrolle (Kontrolldichte) vermengt.

E. Gerichtliche Entscheidungen, die keine Normenkontrollen sind Nicht allen gerichtlichen Entscheidungen liegt eine Rechtsnorm als Kontrollgegenstand zugrunde.174 Es wäre verkürzend, diese gerichtlichen Entscheidungen in dieser Arbeit nicht zu betrachten, da so das Missverständnis aufkommen könnte, gerichtliche Entscheidungen seien immer Normenkontrollen. Daher sei abschließend zur Vervollständigung noch ein Blick auf diejenigen gerichtlichen Entscheidungen geworfen, die nur anlässlich einer Normenkontrolle gefällt werden. Darunter fallen insbesondere verfahrensleitende Maßnahmen, die in der Form von Beschlüssen gefasst werden, doch auch Verfahrenskostenentscheidungen und Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit gehören hierher. Auch auf diese Entscheidungen sind hinsichtlich ihrer Rechtsnatur und Kontrolle die bisher entwickelten Grundsätze anzuwenden. gehende Stufe des Fehlerkalküls. Doch birgt die generelle Kontrollmöglichkeit keine Besonderheiten, die die Zuweisung einer gesonderten Stufe des Fehlerkalküls rechtfertigen würde. 172 Vgl. oben S. 203 – 207. 173 Zu den Problematiken der verschiedenen Begründungsansätzen oben S. 203 – 210. 174 Zum Begriff der (Rechts-)Kontrolle als Normenkontrolle oben S. 180 – 190.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

I. Rechtsnormcharakter Auch gerichtliche Entscheidungen, die keine Normenkontrollen sind, werden aufgrund positivrechtlicher Ermächtigung erzeugt und haben sich im Rahmen der Ermächtigung zu halten. So darf ein Richter zum Beispiel einen Beweisbeschluss nur unter den Vorschriften der anzuwendenden Prozessordnung erlassen. Dabei hat er immer einen mehr oder weniger großen Spielraum, innerhalb dessen er nicht heteronom durch das angewendete Recht determiniert ist. Insofern besteht kein Unterschied zu jeder anderen Rechtserzeugung. Jede gerichtliche Entscheidung ist Rechtsnorm, aber nicht zwingend Normenkontrolle.

II. (Rechts-)Kontrolle In Sachen Kontrolle sind gerichtliche Entscheidungen, die keine Normenkontrollen sind, wie jede andere Rechtsnorm zu behandeln. Rechtlich kontrollierbar ist nur der Teil, der rechtlich determiniert ist. Dabei gibt es mannigfaltige Ausgestaltungen der Kontrolldichte. Die meisten dieser Entscheidungen sind vollumfänglich kontrollierbar. Doch in manchen Fällen hat der Richter nach herrschender Diktion ein „Ermessen“, das nur eingeschränkt überprüfbar ist, teilweise sind die Maßnahmen auch überhaupt nicht überprüfbar. Die Kontrolle kann je nach positivrechtlicher Ausgestaltung im Rahmen eines Kontrollverfahrens gegen die Maßnahme selbst oder erst zusammen mit der Kontrolle der Endentscheidung stattfinden, unter Umständen gibt es – von der informellen, auf keinem subjektiven Recht auf Kontrolle gründenden Gegenvorstellung abgesehen175 – auch keine Kontrollmöglichkeit. So ist beispielsweise im Verwaltungsprozess die Beschwerde gegen prozessleitende Verfügungen und andere in § 146 Abs. 2 VwGO genannte, den Verfahrensgang gestaltende Maßnahmen, unstatthaft. Erst gegen die abschließende Entscheidung in der Sache können Rechtsmittel eingelegt werden.176 Im Strafprozess muss gegen sachleitende Verfügungen des Vorsitzenden als Zwischenrechtsbehelf eine Entscheidung des Gerichts beantragt werden (vgl. § 238 Abs. 2 StPO), andernfalls wird insoweit das Recht auf Revision verwirkt.177 Verstöße gegen die richterliche Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO unterliegen hingegen ohne Zwischenrechtsbehelf der Revision. Zudem ist § 305 Satz 1 StPO zu beachten, nach dem Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen und mit ihr in Zusammenhang stehen, nicht der Beschwerde unterliegen,

175 Für den Verwaltungsprozess vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 146 Rn. 10. 176 Vgl. Annette Guckelberger, in: Helge Sodan/Jan Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung. Großkommentar, 3. Aufl., Baden-Baden 2010, § 146 Rn. 20; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 146 Rn. 9. 177 Vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung (Anm. 69), § 238 Rn. 21 f.

F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik

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soweit sie nicht nach § 305 Satz 2 StPO von dieser Einschränkung ausgenommen sind.178 Nicht jede gerichtliche Entscheidung ist Normenkontrolle, aber – im Rahmen der positivrechtlichen Ausgestaltung – selbst Gegenstand von Normenkontrolle.

F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik des Verwaltungsrechts I. Praktische Bedürfnisse an die Dogmatik – die Funktion der Dogmatik und eine einheitliche Ermessensdogmatik für die gesamte Rechtsordnung Die Rechtsdogmatik speichert die Auslegungsergebnisse und ordnet sie in ein möglichst widerspruchsfreies System ein. Sie hat für die Rechtspraxis dienende Funktion, indem sie für den einzelnen Rechtserkenntnisvorgang – freilich normativ unverbindlich und damit nicht in der Funktion einer formellen Rechtsquelle – Parameter zu Verfügung stellt, die dem Rechtsanwender Orientierungspunkte geben.179 Dogmatik entlastet den Rechtsanwender. Sie synchronisiert mit ihren Figuren das Denken derjenigen, die sich mit dem Recht befassen. So ermöglicht sie eine gleichartige Herangehensweise an Problemstellungen und eine auf denselben Grundlagen beruhende Argumentation. Dogmatik erleichtert die Kommunikation. Zugleich bildet sie die Besonderheiten der einzelnen Rechtsgebiete ab. Eine einheitliche Ermessens(fehler)dogmatik für in herkömmlicher Diktion alle Rechtsgebiete – Unionsrecht, Verfassungsrecht, öffentliches Recht, Strafrecht und Zivilrecht sowie Völkerrecht – liegt zwar nach dem Ermessenskonzept der Reinen Rechtslehre nahe, begegnet aber von vornherein Bedenken. Die einzelnen Rechtsgebiete müssen höchst unterschiedlichen Problemstellungen und Bedürfnissen gerecht werden. So hat beispielsweise das materielle Zivilrecht namentlich die Beziehungen zwischen Privatleuten zum Gegenstand, während das Verwaltungsrecht das Verhältnis von Staat und Bürger bzw. von Behörden und Organen untereinander regelt. Eine Dogmatik, die die Gemeinsamkeiten aller Rechtsgebiete umfasst, müsste einen derart hohen Grad an Abstrahierung aufweisen, dass ihre Ergebnisse für die Rechtserkenntnis im Einzelfall wenig Gewinn brächten. Die rechtlichen Allgemeinplätze, die eine 178

6.

Zu den Einzelheiten Meyer-Goßner, Strafprozessordnung (Anm. 69), § 305 insb. Rn. 1,

179 Zur Speicher-, Systematisierungs- und Orientierungsfunktion der Dogmatik Josef Esser, Dogmatik zwischen Theorie und Praxis, in: Fritz Baur/Josef Esser/Friedrich Kübler/Ernst Steindorff (Hrsg.), Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen. Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 517 – 539 (518, 538 f.).

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

solche Dogmatik formulieren könnte, wären für die juristische Alltagsarbeit nur von äußerst geringem Wert. Wegen der Eigenrationalitäten der einzelnen Rechtsgebiete und deren unterschiedlicher positivrechtlicher Ausgestaltung erscheint eine Ermessensdogmatik mit Passepartout-Charakter wenig fruchtbar.

II. Eine einheitliche Ermessens(fehler)lehre für das Verwaltungsrecht Legt man die Erkenntnis zugrunde, dass Ermessen die Spielräume des Rechtsanwenders, die durch fehlende rechtliche Determinierung entstehen, bezeichnet, so liegt die Verwendung einer einheitlichen Ermessens(fehler)lehre zumindest im Verwaltungsrecht nahe. Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite und Ermessen auf Rechtsfolgenseite sind keine qualitativ unterschiedlichen Phänomene, sondern meinen quantitativ nur einen mehr oder weniger großen Raum der Nichtdeterminiertheit durch das angewendete Recht. 1. Ermessensfehler im Sinne des rechtsstrukturtheoretischen Ermessensbegriffs Nach dem rechtsstrukturtheoretischen Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre180 sind alle Rechtsfehler zugleich Ermessensfehler – wobei mit Ermessensfehlern Fehler bei der Festlegung des heteronom determinierten Rahmens gemeint sind – und umgekehrt. Dies ergibt sich aus dem Befund, dass alle die den Rahmen der heteronomen Determinierung bildenden Rechtsnormen, die zugleich den autonom determinierten Ermessensspielraum abstecken, Erzeugungsbedingungen enthalten und jede Nichterfüllung dieser Erzeugungsbedingungen, sofern vom Fehlerkalkül nicht „hinausgerechnet“,181 den Norm-Normableitungszusammenhang abbrechen lässt, was die Rechtswidrigkeit der erzeugten Norm nach sich zieht.182 So wäre hinsichtlich der Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Rechtsnorm einziger Prüfungspunkt, ob Ermessensfehler vorliegen, d. h. ob alle vom Fehlerkalkül verlangten Erzeugungsbedingungen erfüllt wurden und nicht nur, ob unbestimmte Rechtsbegriffe richtig ausgelegt bzw. Beurteilungs- und (Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungs-)Ermessensspielräume überschritten wurden. Am Beispiel des Verwaltungsakts würde die Frage nach Ermessensfehlern die Prüfungspunkte „Wahl der Rechtsgrundlage“, „Formelle Rechtmäßigkeit“ und „Materielle Rechtmäßigkeit“ umfassen. (Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungs-)Ermessensfehler als Unterpunkt der materiellen Rechtmäßigkeitsprüfung wären so erledigt.

180 181 182

Zum Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre oben S. 169 f. Zum Fehlerkalkül oben S. 147 – 149. Zur Rechtswidrigkeit oben S. 146 f.

F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik

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Für die Rechtsdogmatik würde eine solche Ermessensfehlerlehre keinerlei Trennschärfe besitzen und jede bisher aufgebaute Ausdifferenzierung der überkommenen Ermessensfehlerlehre zunichte machen. Ermessensfehler wären nur eine andere unspezifische Bezeichnung für Rechtsfehler, die Frage nach der Ermessensfehlerhaftigkeit nur die Frage nach Rechtsfehlern. Die Ermessensfehlerlehre hat ihren angestammten Platz aber dort, wo sich die Frage nach Letztentscheidungskompetenzen stellt, also – nach herrschender Diktion – sowohl bei Beurteilungsspielräumen als auch bei Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen. Daran sollte auch nichts geändert werden. Es geht daher im Folgenden um eine Anpassung der überkommenen Ermessens(fehler)lehre an die Erkenntnisse der Reinen Rechtlehre so weit wie nötig, aber zugleich so behutsam wie möglich. Jedoch darf dabei nicht vergessen werden, dass die hergebrachte Ermessens(fehler)lehre nicht Reduzierungen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte behandelt, sondern – wenn auch unbeabsichtigt – Fragen der Reichweite der positivrechtlichen Bindung. Eine Revision der hergebrachten Ermessens(fehler)dogmatik bringt damit nicht nur eine Neuordnung der dogmatischen Figuren mit sich, sondern auch eine andere thematische Einordnung der Ermessensproblematik: sie ist nicht mehr länger eine Frage der Kontrolldichte, sondern als eine Frage der Reichweite der Rechtsbindung zu verstehen. 2. Die Forderung nach Gleichbehandlung von Beurteilungsspielräumen und Ermessensspielräumen Die Forderung nach Gleichbehandlung von Ermessen und Beurteilungsspielraum knüpft an die nie verstummte Kritik an der kategorischen Trennung beider an. Das Hauptargument liegt in dem Hinweis auf das gleiche Ziel der Spielräume der Verwaltung: „Auf der Tatbestands- wie auf der Rechtsfolgenseite geht es darum, Spielräume so zu verarbeiten, daß sachgerechte und damit rechtmäßige Entscheidungen produziert werden.“183

Ergänzend wird angeführt, dass es lediglich eine Frage der im Einzelfall vom Gesetzgeber gewählten Formulierung ist, ob der Verwaltung ein Spielraum auf Tatbestandsseite (dann Beurteilungsspielraum) oder auf Rechtsfolgenseite (dann Ermessen) eingeräumt ist.184 Zwar mag man hier einwenden, dass sich der Gesetzgeber 183

Ulrich Smeddinck, Der unbestimmte Rechtsbegriff – strikte Bindung oder Tatbestandsermessen?, in: Die Öffentliche Verwaltung 51 (1998), S. 370 – 377 (374); ähnlich Ehmke, Ermessen (Anm. 126), S. 32 – 35; Scholz, Verwaltungsverantwortung (Anm. 21), S. 167; Herdegen, Beurteilungsspielraum (Anm. 141), S. 748 f.; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 208 – 211; Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), Vorbemerkung § 113 Rn. 30, § 114 Rn. 56. 184 So ausdrücklich Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 15; ebenso Herdegen, Beurteilungsspielraum (Anm. 141), S. 749; ähnlich Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), § 114 Rn. 56.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

bei der Formulierung seiner Gesetze am jeweiligen Stand der Rechtswissenschaft orientiert und diese eben nach der derzeit herrschenden Strömung zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen einen qualitativen Unterschied sieht.185 Doch gerade das bestätigt die Austauschbarkeit,186 da die Ansichten und die Begrifflichkeiten der Rechtswissenschaft Änderungen unterliegen, das Phänomen des Spielraums der Verwaltung aber gleich bleibt. Das starre, normstrukturell orientierte Schema von unbestimmtem Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite und Rechtsfolgeermessen lässt sich dann nicht mehr durchhalten, wenn auch die Rechtsfolgenseite unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, insbesondere die Rechtsfolge selbst mit einem unbestimmten Rechtsbegriff formuliert ist. Ein Beispiel hierfür ist § 24 Satz 1 BImSchG: „Die zuständige Behörde kann im Einzelfall die zur Durchführung des § 22 und der auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen erforderlichen Anordnungen treffen.“ Die „erforderliche Anordnung“ steht normstrukturell auf Rechtsfolgenseite. Es bedarf aber erheblicher Auslegungsarbeit, unter welchen Voraussetzungen eine Anordnung „erforderlich“ ist. Mithin hat der Normsetzer hier auf Rechtsfolgenseite einen unbestimmten Rechtsbegriff verwendet. Es ist zwar aus praktischer Sicht wünschenswert, dass der Normsetzer die Rechtsfolgen so bestimmt wie möglich formuliert, legistisch oder gar positivrechtlich zwingend ist das nicht, solange die Rechtsnorm – wovon im Beispiel auszugehen ist – den Anforderungen des verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Bestimmtheitsgrundsatzes genügt. Weiterhin sind sowohl auf Tatbestandsseite als auch auf Rechtsfolgenseite jeweils dieselben Fragestellungen abzuarbeiten, nämlich die Interpretationsebene (Methodenproblem: Auslegung der lex lata), die Konkretisierungsebene (Kompetenzproblem: inwieweit und wie ist der Rechtsanwender zur Selbstprogrammierung befugt?) und die Kontrollebene (Kompetenzproblem: wem steht die Letztentscheidungsbefugnis zu?).187 Schon von daher ist die herrschende qualitative Unterscheidung zwischen Beurteilungsspielraum und Rechtsfolgeermessen nicht aufrechtzuerhalten. Die Rechtsprechung hat im Übrigen keine Bedenken, die kategorische Trennung zwischen Beurteilungsspielraum und Rechtsfolgeermessen im Rahmen von verwaltungsbehördlichen Regulierungsentscheidungen kurzerhand einzuebnen und einen einheitlichen Verwaltungsspielraum zu kreieren.188 Durch die normative Ermächtigungslehre wird diese Trennung zwar relativiert,189 da sie „Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume“190 in einem Atemzug 185 Zu dieser wechselseitigen Beeinflussung von Gesetzgeber, Wissenschaft und Praxis vgl. Ossenbühl, Kontrolldichte (Anm. 17), S. 64. 186 Die Austauschbarkeit betont Pitschas, Maßstäbe (Anm. 86), § 42 Rn. 42. 187 Dazu ausführlich Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 21. 188 Vgl. oben S. 52 f. 189 So Schmidt-Aßmann, Grundgesetz (Anm. 119), Art. 19 Abs. 4 Rn. 187a. 190 Vgl. oben S. 208 bei Anm. 144.

F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik

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nennt. Das lässt darauf schließen, dass sie den Unterschied zwischen den Kategorien als nicht gravierend ansieht und die Gemeinsamkeiten die Unterschiede überwiegen. Dass sie aber über dieses allgemeine Bekenntnis hinaus Folgerungen für die Dogmatik zieht, darf ruhigen Gewissens verneint werden. Im Grunde wird die dogmatisch verkrustete Trennung aufrechterhalten, obwohl durchaus die Neigung besteht, Gemeinsamkeiten einzuräumen, solange sie keine Veränderungen nach sich ziehen: „An dieser rechtsdogmatischen Unterscheidung des deutschen Verwaltungsrechts ist ungeachtet gewisser inhaltlicher Gemeinsamkeiten festzuhalten, da damit ein erheblicher Rationalitätsgewinn verbunden ist.“191

Die Antwort auf die Frage, worin der behauptete erhebliche Rationalitätsgewinn liegt, bleibt man freilich weitgehend schuldig. Die Auslegung und Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe erschöpft sich gerade nicht in (subsumtionsautomatischer) Rechtsanwendung.192 In den Folgen für die Ermessensfehlerlehre, das sei hier vorweggenommen, kann er nicht liegen, da die Fehlerkategorien inhaltlich weitgehend und bezüglich ihrer Folgen vollständig identisch sind.193 Die Ansicht, dass sich die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs in einem Erkenntnisakt erschöpfe, darf als widerlegt gelten.194 Soll durch die Unterscheidung darauf aufmerksam gemacht werden, dass Nichtdetermination durch die angewendeten Normen sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite vorkommen kann, so ist der zur Begründung der Unterscheidung betriebene immense intellektuelle Aufwand angesichts des geringen Erkenntnisgewinns nur schwer nachvollziehbar. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass an der alten und lieb gewonnenen Dogmatik festgehalten wird, obwohl die rechtstheoretischen Erkenntnisse Änderungen verlangen.195 3. Eine einstufige Ermessensfehlerlehre auf Rechtsfolgenseite a) Konstruktionsaufgabe für die Reine Rechtslehre Es liegt an einer auf der Reinen Rechtslehre basierenden Bearbeitung der Ermessensthematik, nach der Dekonstruktion der herrschenden Ermessenslehre einen Bei191 So stellvertretend Friedrich Schoch, Der Unbestimmte Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, in: Juristische Ausbildung 26 (2004), S. 612 – 618 (614); Schoch, Standards (Anm. 4), S. 551. – Zur damit einhergehenden Figur der einen richtigen Entscheidung als regulativer Idee unten S. 226, 248 – 252. 192 So aber beispielhaft Schoch, Unbestimmter Rechtsbegriff (Anm. 191), S. 614. 193 Dazu unten S. 224 f. 194 Statt vieler Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 199 f.; vgl. ergänzend oben S. 63 – 77, 113 – 125, 135 – 146, 154 – 157, 157 – 165, 169 f. 195 So beispielsweise dann doch wieder Friedrich Schoch, der einerseits einen „einfachen und schematischen Subsumtionsautomatismus“ ablehnt, da „vom Gesetz aus der Natur der Sache heraus inhaltlich immer nur unvollständig determiniert werden kann“, andererseits am Konzept von unbestimmtem Rechtsbegriff auf Tatbestands- und Ermessen auf Rechtsfolgenseite festhält, vgl. Schoch, Standards (Anm. 4), S. 549, 551 – die beiden ersten Zitate S. 549, das dritte Zitat S. 551.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

trag zur Konstruktion einer ihren Erkenntnissen gerechten Ermessenslehre zu leisten. Dabei tut sie sich freilich schwer, da sie sich in der Hauptsache mit der formalen Rechtsstruktur beschäftigt und die materielle Rechtsdogmatik eher weniger im Blick hat. Außerdem soll es weniger um einen radikalen Neuanfang gehen, als vielmehr darum, die schon bestehenden dogmatischen Figuren der herrschenden Ermessens(fehler)lehre nach Möglichkeit beizubehalten und den Erkenntnissen der Reinen Rechtslehre entsprechend neu zu ordnen. b) Die Fundamente der herrschenden Ermessensfehlerlehre Die herrschende Ermessensfehlerlehre, die auf § 40 VwVfG und § 114 Satz 1 VwGO aufbaut, beruht maßgeblich auf der Unterscheidung von gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung sowie der Trennung von äußeren und inneren Ermessensgrenzen.196 Dabei wird zumeist eine zwei- oder dreistufige Fehlerlehre vertreten, bisweilen wird auch vorgeschlagen, sie auf vier Stufen auszuweiten. Das richtet sich danach, ob nur zwischen Ermessensüberschreitung und Ermessensnichtgebrauch einerseits und Ermessensmissbrauch andererseits unterschieden wird, oder ob der Ermessensnichtgebrauch als eigene Kategorie verstanden wird. Die vierstufige Fehlerlehre unterscheidet zwischen Zweckmäßigkeitsfehlern, gerichtlich kontrollierbaren Fehlern, Verfahrensfehlern und spezifischen, sprich nur bei Ermessensakten vorkommenden Fehlern.197 c) Beschränkung auf Rechtsfehler Im Ergebnis besteht Einigkeit darin, dass im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Ermessenskontrolle nur die Rechtmäßigkeit überprüft wird. Rechtmäßig heißt rechtlich richtig, mehr kann Rechtskontrolle nicht prüfen. Auch wenn Verwaltungshandeln vollumfänglich „richtig“, sprich auch zweckmäßig sein soll, so ist dies der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nach geltendem Recht nicht zugänglich. Wird eine Erstreckung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf die Zweckmäßigkeit gewünscht, so kann dies nur durch ein gesetzesänderndes Tätigwerden des Gesetzgebers bewerkstelligt werden. Alle derartigen Versuche der herrschenden Ansicht mögen rechtspolitischen und praktischen Bedürfnissen entsprechen, finden aber derzeit keine Stütze im positiven Recht. Rechtliche Kontrolle bedeutet, die Einhaltung des durch das angewendete positive Recht vorgegebenen Rahmens heteronomer Determinierung zu prüfen. Jeder verwaltungsgerichtlich nachprüfbare Fehler muss in diesem Rahmen liegen, alle übrigen Fehler fallen nur unter die Zweckmäßigkeitskontrolle, die aber allein der Verwaltung im Rahmen des Vorverfahrens und der Aufsicht vorbehalten bleibt. Unumgänglich 196 197

716).

Vgl. oben S. 30, 33, 39 – 42, 44 – 46, 56, 59 f., 65 f., 72, 82 – 84. So Robert Alexy, Ermessensfehler, in: Juristenzeitung 41 (1986), S. 701 – 716 (705 –

F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik

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erscheint daher eine einstufige Ermessensfehlerlehre, da Rechtsfehler nur im Rahmen der heteronomen Determinierung auftreten können, außerhalb dieses Rahmens kann es zu keiner Rechtsverletzung kommen. „Innere Ermessensfehler“ als Rechtsfehler zu betrachten, bedeutet aus rechtsstruktureller Perspektive, die Grenze zwischen heteronomer und autonomer Determinierung zu verschieben,198 und aus kompetenzieller Perspektive, die Kontrollkompetenz der Verwaltungsgerichte gegen den klaren Wortlaut der §§ 68 Abs. 1 Satz 1 und 114 Satz 1 VwGO auf die Zweckmäßigkeitskontrolle auszudehnen. Jedenfalls trägt die Begrifflichkeit „innere Ermessensfehler“ leicht zu Missverständnissen bei. d) Bereits bestehende Ansätze für eine einstufige Ermessensfehlerlehre Ansätze zu einstufigen Ermessensfehlerlehren, die sich in ihrer Grundlage nur wenig voneinander unterscheiden, finden sich bei Rüdiger Klein, Dieter Jesch und Hermann Soell. Zu Recht merkte Klein an: „Das Gebot der Sachorientiertheit oder Pflichtgemäßheit des Ermessens besagt also nichts Neues, sondern es betont lediglich die schon vorgegebenen Grenzen des Ermessensraums. Wird es verletzt, so ist der Ermessensraum angetastet, die Ermessensgrenzen sind überschritten. Was man unter Mißbrauch des verwaltungsrechtlichen Ermessens versteht, ist somit in Wahrheit ein besonderer Fall von Ermessensüberschreitung.“199

Ähnlich formulierte ihm nachfolgend Jesch: „,ErmessensmißbrauchÐ, ,ErmessensfehlgebrauchÐ usw. stellen Überschreitungen des Ermessensbereichs dar, also – da Ermessen nur innerhalb dieses Bereichs betätigt werden darf – eine Rechtsverletzung.“200

In der Begrifflichkeit der herrschenden Dogmatik gibt es demnach nur Ermessensüberschreitungen. Einen anderen Ansatz wählte Soell, der nur die Kategorie des Ermessenfehlgebrauchs annahm. „Geht man – für den Bereich des Gesetzesvorbehaltes – von seiner durchgängigen inhaltlichen Bestimmung durch die Gesetzeszwecke aus, dann läuft jeder Ermessensfehler letztend198 Nicht gemeint ist hier freilich der Fall, dass die Kontrollinstanz den Rahmen der heteronomen Determinierung anders als die kontrollierte Instanz auslegt, so dass es auch zu einer nachträglichen Verschiebung des Rahmens kommen kann, die die Rechtswidrigkeit der Erstentscheidung zur Folge hat, dazu oben S. 196 f. 199 Rüdiger Klein, Die Kongruenz des verwaltungsrechtlichen Ermessensbereichs und des Bereichs rechtlicher Mehrdeutigkeit. Versuch einer rechtstheoretischen Präzisierung ermessender Geistestätigkeit, in: Archiv des öffentlichen Rechts 82 (1957), S. 75 – 122 (92) – Hervorhebungen im Original. 200 Dieter Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen in rechtstheoretischer und verfassungsrechtlicher Sicht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 82 (1957), S. 163 – 249 (210 Anm. 179).

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

lich auf eine Zweckverfehlung, d. h. darauf hinaus, daß das Ermessen nicht zur Verwirklichung der vom (verfassungskonformen) Gesetz gewollten Ziele eingesetzt, oder wie man es auch formulieren kann, daß von ihm ,nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemachtÐ worden ist. Die Verfehlung der ratio legis als einzige in Betracht kommende Kategorie von Ermessensfehlern kann beruhen auf: 1. Einem Verkennen des mehrstufigen Bindungsmaßstabs … 2. Einem Unterbleiben der gebotenen Individualisierung …“.201

Bei genauerem Hinsehen besteht jedoch kaum ein Unterschied zum Klein-Jeschschen Ansatz,202 denn der mehrstufige Bindungsmaßstab meint nichts anderes als die für die Ermessensentscheidung von der Rechtsordnung vorgegebenen formellen und materiellen Vorgaben.203 Auch das Gebot der Individualisierung, unter dem Soell das Gebot der Einzelfallgerechtigkeit durch die Abwägung zwischen den verschiedenen im Raume stehenden öffentlichen und privaten Interessen verstand,204 geht in den materiellen Vorgaben des mehrstufigen Bindungsmaßstabes auf. So kam auch er trotz anderer Begrifflichkeit im Ergebnis zur Ermessensüberschreitung als einziger Fehlerkategorie. e) Einheitliche Fehlerfolge trotz mehrstufiger Ermessensfehler Für eine einstufige Ermessensfehlerlehre spricht auch, dass die herrschende mehrstufige Fehlerlehre an die verschiedenen Ermessensfehler keine verschiedenen Rechtsfolgen knüpft. Liegt ein Ermessensfehler vor, so führt er immer zur Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung. Von einem ausdifferenzierten Fehlerkalkül kann so gut wie keine Rede sein.205 Die mit großem dogmatischen und intellektuellen 201

Hermann Soell, Das Ermessen der Eingriffsverwaltung. Zugleich eine Studie zur richterlichen Ermessenskontrolle im Kartellrecht und zur Bedeutung des d¦tournement de pouvoir im französischen Verwaltungs- und europäischen Gemeinschaftsrecht, Heidelberg 1973, S. 209 f. – Hervorhebung im Original. 202 So zu Recht Alexy, Ermessensfehler (Anm. 197), S. 705. 203 Vgl. Soell, Ermessen (Anm. 201), S. 209 f. – ergänzend soeben bei Anm. 201. 204 Vgl. Soell, Ermessen (Anm. 201), S. 210 f. 205 Eine Ausnahme enthält das Bauplanungsrecht. Dort führen die Abwägungsfehlerfallgruppen (grundlegend BVerwGE 34, 301 (309); BVerwGE 45, 309 (314 f.)) zu einem unterschiedlichen Fehlerkalkül. Denn mit der Einführung des § 2 Abs. 3 BauGB hat der Gesetzgeber die Abwägungsfehler in formelle Fehler und materielle Fehler aufgeteilt. Obwohl damit – worauf es hier nicht ankommt – im Einzelnen vieles streitig geworden ist (zusammenfassend Battis, Baugesetzbuch (Anm. 162), § 2 Rn. 5), darf man jedenfalls weiter davon ausgehen, dass die hergebrachte Abwägungsfehlerlehre fortgilt, vgl. BT-Drs. 15/2250, S. 42, 63; BayVGH, in: Bayerische Verwaltungsblätter 52 (2006), S. 601 – 605 (602); Werner Hoppe, Die Abwägung im EAG Bau nach Maßgabe des § 1 VII BauGB 2004. Unter Berücksichtigung von § 2 III, IV BauGB, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 23 (2004), S. 903 – 910 (905); Wilfried Erbguth, Abwägung auf Abwegen? – Allgemeines und Aktuelles, in: Juristenzeitung 61 (2006), S. 484 – 492 (492); Michael Happ, Neues zur Abwägung (§ 1 VIII BauGB)?, in: Neue Juristische Wochenschrift 60 (2007), S. 304 – 307 (307); anders Hans-Gerd Pieper, Teilweiser

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Aufwand entwickelten Ermessensfehlerkategorien haben insofern keine große Bedeutung.206 Sie geben nur Aufschluss darüber, wann und wo im Rahmen des Entscheidungsprozesses auf der Seite der rechtlichen Determinierung – z. B. ob die Behörde überhaupt ihren Ermessensspielraum erkannt (Ermessensnichtgebrauch) oder nach dem Zweck der Ermessensermächtigung gehandelt hat (Ermessensfehlgebrauch) – Fehler aufgetreten sind. f) Ermessensfehlerlisten Einer einstufigen Ermessensfehlerlehre entspricht der Ansatz der einheitlichen Ermessensfehlerliste.207 Zwar besteht dabei die Gefahr, in eine unübersehbare und womöglich inkonsistente Fehlerkasuistik abzugleiten.208 Die derzeitige Einteilung in für gewöhnlich drei Fehlergruppen wirft aber gleichfalls Schwierigkeiten auf, wenn es darum geht, im Anwendungsfall einen konkreten Fehler unter eine bestimmte Fehlergruppe zu subsumieren. Überschneidungen lassen sich kaum vermeiden. Zudem gibt es wie eben dargelegt kein ausdifferenziertes Fehlerkalkül. An die verschiedenen Abschied von der materiellen Abwägungsfehlerlehre im EAG-Bau – Folgen für die Rechtmäßigkeitsprüfung des Bebauungsplans, in: Juristische Ausbildung 28 (2006), S. 817 – 820 (818 – 820), der die Fehlergruppen Abwägungsdefizit und Abwägungsfehleinschätzung für entbehrlich hält (S. 820), was aber hier unerheblich ist, wie sich sogleich zeigt. Für formelle Fehler gilt das Fehlerkalkül des § 2 Abs. 3 i. V. m. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB, für materielle Fehler das des § 1 Abs. 7 i. V. m. § 214 Abs. 3 Satz. 1 Hs. 2 BauGB. Bezüglich der Zuordnung der hergebrachten Abwägungsfehlergruppen wird z. B. vorgeschlagen, die Fehler der Abwägungsfehleinschätzung und der Abwägungsdisproportionalität der Sphäre des § 1 Abs. 7 BauGB, die Fehler des Abwägungsausfalls und des Abwägungsdefizits dagegen der Sphäre des § 2 Abs. 3 BauGB zuzuordnen (so Henning Jäde, in: Henning Jäde/Franz Dirnberger/Josef Weiß (Hrsg.), Baugesetzbuch, Baunutzungsverordnung. Kommentar, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2010, § 2 Rn. 17, § 214 Rn. 36). Fraglich bleibt, ob nicht jeweils eine Fehlergruppe für formelle und materielle Fehler ausreicht (in diese Richtung wohl Pieper, a. a. O., S. 820). Die Rechtsprechung hat sich soweit ersichtlich bisher – bei Vorliegen einer Abwägungsfehleinschätzung (vgl. BayVGH, a. a. O., S. 602, 603) – dahingehend zurückgehalten, dass eine Einordnung dieses Fehlers als formell oder materiell keine Rolle spiele. Im Übrigen sei eine Einordnung der Abwägungsfehler solange nicht von Belang, wie die Mängel im konkreten Fall die Planung „in wesentlichen Punkten“ berühren und somit sowohl bei Anwendung des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 als auch des § 214 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BauGB beachtlich und erheblich sind (vgl. BayVGH, a. a. O., S. 603). Unabhängig davon, dass es auch andere Einteilungsmöglichkeiten geben mag, wird deutlich, dass bei Bestehen eines in seinen Fehlerfolgen ausdifferenzierten positivrechtlichen Fehlerkalküls wie dem des § 214 BauGB die Subsumtion unter die einzelnen Fehlergruppen und damit die einzelnen Fehlergruppen selbst eine unverzichtbare Rolle spielen. Mangels eines solchen Fehlerkalküls für das „normale“ Verwaltungsermessen haben dort die einzelnen Ermessensfehlergruppen hinsichtlich ihrer Fehlerfolge keine Bedeutung. 206 Vgl. auch Schoch, Standards (Anm. 4), S. 567 f., der auf die große praktische Bedeutung des Ermessensfehlers der Ermessensüberschreitung hinweist. Es zeigt auch die Rechtspraxis, dass er der einzig rechtlich relevante Ermessensfehler ist, da er alle denkbaren rechtlichen Fehler in sich vereint, vgl. oben S. 221 – 223. 207 Zu Ermessensfehlerlisten oben S. 60 f. 208 So z. B. Alexy, Ermessensfehler (Anm. 197), S. 705.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

Fehlergruppen werden keine verschiedenen Fehlerfolgen geknüpft. Sowohl bei Verletzung der inneren als auch bei Verletzung der äußeren Ermessensgrenzen ist die einzige Fehlerfolge die Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidung. Da die Ermessensfehlerlehre hauptsächlich von der Rechtsprechung geprägt wird, besteht mit dem Konzept der einheitlichen Ermessensfehlerliste die Möglichkeit, die gerichtlichen Entscheidungen dogmatisch zu erfassen. Das entspricht zudem einer dynamischen Rechtsbetrachtung, die den Blick nach vorne auf die zeitlich nachfolgende Rechtsgewinnung wendet. Da Ermessensfehler insbesondere für den Rechtspraktiker von besonderem Interesse sind, erscheint ein Fehlerkatalog als Leitfaden und Prüfliste der fruchtbarste Ansatz, um eine den rechtsstrukturellen Gegebenheiten und zugleich den praktischen Bedürfnissen entsprechende Ermessensfehlerlehre zu entwickeln. g) Vorwurf der (ungerechtfertigten) Komplexitätsreduzierung Der einstufigen Ermessensfehlerlehre droht der gefürchtete Vorwurf der „inadäquaten Vereinfachung“, sprich der Unterkomplexität. Die Erkenntnis, dass Ermessensfehler lediglich Überschreitungen des Ermessensraumes, also nur Rechtsverletzungen sind, sei „trivial“. Zudem spiele bei ihr die fundamentale Unterscheidung zwischen Ergebnis- und Vorgangsfehlern keine Rolle.209 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Erkenntnis, dass „Ermessensfehler“ nur Rechtsfehler sind, die entscheidende ist. Nur sie kann dem Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses gerecht werden und nur sie verhindert, dass entgegen den positivrechtlichen Vorgaben die rechtliche Kontrolle in den Bereich der autonomen Komponente, also in den Ermessensspielraum, ausgedehnt wird. Letzteres ist freilich Robert Alexys – und nicht nur allein sein – erklärtes Ziel, da er „die einzig richtige Antwort wenigstens als regulative Idee“ fordert, also von der Idee der einen richtigen Entscheidung ausgeht.210, 211 Zugleich zeigt sich, dass der Begriff „Ermessensfehler“ seinem Gegenstand nicht gerecht wird, denn er meint nur Rechtsverletzungen, die aber gerade nicht im Ermessensbereich liegen können. Zwar kann es Fehler im Ermessen geben, indem sich der Rechtserzeuger nicht an die autonomen Determinanten hält. Allein dies sind keine rechtlich nachprüfbaren Fehler. Mag der Begriff „Ermessensfehler“ im herrschenden Sinne eine Paradoxie sein,212 so wird er, da er sich fest eingebürgert hat, im Folgenden beibehalten, um die Begriffsverwirrung nicht zu vergrößern. Weiterhin spielt die Unterscheidung zwischen Ergebnis- und Vorgangsfehlern sehr wohl eine Rolle, formuliert Alexy doch nur die Begriffe „materielle Vorgaben“ (also „Ergebnis“) und „formelle Vorgaben“ (also „Vorgang“, d. h. insbesondere Verfahren) um. Die Argumente gegen eine einstufige Ermessensfehlerlehre tragen insgesamt nicht. 209 210 211 212

Diese Kritik bei Alexy, Ermessensfehler (Anm. 197), S. 705 – alle Zitate dort. Vgl. Alexy, Ermessensfehler (Anm. 197), S. 715 – alle Zitate dort. Zur Unhaltbarkeit dieser Idealvorstellung unten S. 248 – 252. So zu Recht Klein, Ermessensbereich (Anm. 199), S. 91.

F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik

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4. Die Rechtsfolgeermessensfehlerlehre im Beurteilungsspielraum Es schließt sich die Frage nach einer einheitlichen Fehlerlehre für alle Entscheidungsspielräume des Rechtsanwenders im Verwaltungsrecht an. Hierbei geht es um die Übertragung der Rechtsfolgeermessensfehlerlehre auf den Beurteilungsspielraum und das Planungsrecht. Auf den ersten Blick stellt sich die Schwierigkeit, dass der Hintergrund der Dogmatik des Rechtsfolgeermessens und des Beurteilungsspielraums verschiedene Stoßrichtungen haben. Die herrschende Ansicht zugrundegelegt geht es beim Rechtsfolgeermessen um die Entscheidung zwischen mehreren Rechtsfolgen, also um einen willensgesteuerten Prozess. Dagegen wird im Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite eine Auslegung vorgenommen, die sich (vermeintlich) in einem Erkenntnisvorgang erschöpft. a) Generelle Übertragbarkeit der Rechtsfolgeermessensfehlerlehre Rechtsstrukturtheoretisch betrachtet sind die Unterschiede jedoch nicht qualitativ, sondern nur quantitativ. Es sind eben nur mehr oder weniger große Räume für die autonome Komponente eingeräumt. Betrachtet man die Rechtsfolgeermessensfehler und das Prüfungsprogramm, das die Rechtsprechung bei Beurteilungsspielräumen durchläuft, so sind die Unterschiede gering. Die Rechtsprechung prüft bei Beurteilungsspielräumen nämlich in ständiger Rechtsprechung, „ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt hat“213. Folgerichtig wird namentlich von Rolf Stober und Winfried Kluth der Vorschlag gemacht, die Rechtsfolgeermessensfehlerlehre auf den Beurteilungsspielraum zu übertragen, da die Begriffe, leicht abgewandelt und angepasst, übertragbar sind. Sie sprechen von Beurteilungsüberschreitung (anzuwendender Begriff oder gesetzlicher Rahmen verkannt, jedoch nur Willkürprüfung), Beurteilungsunterschreitung (Verwaltung verkennt, dass sie einen Beurteilungsspielraum hat bzw. verkennt entscheidungserhebliche Gesichtspunkte) und Beurteilungsmissbrauch (Verwaltung verstößt gegen die rechtlich gezogenen Schranken, insbesondere allgemein anerkannte Wertungsmaßstäbe und das Gebot der Sachlichkeit oder stellt sachfremde Erwägungen an).214 Freilich leidet damit die Beurteilungsfehlerlehre an allen Mängeln der übernommenen dreistufigen, zwischen inneren und äußeren Fehlern unterschei213

Vgl. nur BVerwGE 131, 41 (48) – Regulierung des Mobilfunkmarktes nach TKG; auch BVerwGE 129, 27 (39 m. w. N.) – „Weinprädikat II“. 214 Vgl. Rolf Stober/Winfried Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 12. Aufl., München 2007, § 31 Rn. 27 – 32, Rn. 56, 79; Steffen Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungsprozessrecht, 8. Aufl., München 2010, Rn. 377 f.; auch Herdegen, Beurteilungsspielraum (Anm. 141), S. 750 f.; ähnlich Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 41.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

denden Ermessensfehlerlehre.215 An der generellen Übertragbarkeit ist jedoch nicht zu rütteln. b) Exkurs: Anwendbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Beurteilungsspielraum Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als ein Bestandteil der Grenzen des Rechtsfolgeermessens lässt sich nicht ohne weiteres auf den Beurteilungsspielraum übertragen. Er ist in Übermaß- und Untermaßverbot216 sowie Gleichmaßgebot217 unterteilt. Er setzt eine Zweck-Mittel-Relation an und bewertet so die Intensität von Eingriffen, sprich von Handlungen. Eine übermäßige, untermäßige oder ungleiche Erkenntnis ist dagegen nicht denkbar, da hier keine Zweck-Mittel-Relation herausgearbeitet werden kann. Auslegungsmethode und Auslegungsziel lassen sich nicht zueinander ins Verhältnis setzen. Auch die herkömmliche vierstufige Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes218 ist auf die Auslegung nicht anwendbar. Bereits die Vorstellung einer (im Sinne des positiven Rechts) legitimen Auslegungsmethode ist nicht zielführend, da die Wahl der Auslegungsmethode(n) metajuristischer Natur ist.219 Ob das Auslegungsmittel geeignet ist, den Norminhalt zu erkennen, ist daher ebenfalls eine unrichtige Fragestellung. Auch die damit verwandte Frage nach der Erforderlichkeit einer Auslegungsmethode scheitert an dieser Klippe. Unabhängig davon, ob die Kategorie eines gleichgeeigneten, milderen Erkenntnismittels sinnvoll ist – was man getrost verneinen kann –, handelt es sich wiederum um eine metarechtliche Fragestellung. Schlussendlich erscheint auch der Gedanke eines angemessenen Auslegungsmittels abwegig. Zwar mag ein Bedürfnis für eine über das formale Erfordernis von Ermächtigung und Verfahren hinausgehende materielle Legitimation und Rechtfertigung von Auslegungsergebnissen bestehen. Aus rechtspositivistischer Sicht bedarf es dessen nicht. Ein solches Korrektiv lässt sich jedenfalls nicht im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit finden. Erkenntnis schafft erst die Voraussetzungen für staatliches Handeln. Erst das staatliche Handeln muss sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen.

215

Dazu oben S. 221 – 228. Vgl. BVerfGE 88, 203 (254); erläuternd Matthias Mayer, Untermaß, Übermaß und Wesensgehaltsgarantie. Die Bedeutung staatlicher Schutzpflichten für den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Grundrechtsbereich, Baden-Baden 2005, S. 63 – 74. 217 So die „Neue Formel“ des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 55, 72 (88); BVerfGE 105, 73 (110 f.); BVerfGE 107, 205 (214); erläuternd Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat? Die Willkürkontrolle bei der Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsentscheidungen, Berlin 2002, S. 35 – 39. 218 Statt aller Pieroth/Schlink, Grundrechte (Anm. 165), Rn. 289 – 302. 219 Dazu oben S. 136 – 140. 216

F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik

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5. Die Rechtsfolgeermessensfehlerlehre im Planungsrecht Gleiches wie eben für die Fehlerlehre des Beurteilungsspielraums gilt für die (Abwägungs-)Fehlerlehre des Planungsrechts. Auch hier sind die Unterschiede eher begrifflicher Art. Die Rechtsprechung prüft folgende Fehlerkategorien: Abwägungsausfall (Abwägungsbereitschaft und Abwägungswille fehlen), Abwägungsdefizit (abwägungsrelevante Belange nicht erfasst oder in der Abwägung nicht berücksichtigt) und Abwägungsfehlgewichtung bzw. Abwägungsdisproportionalität (objektives Gewicht der einzelnen Belange verkannt).220 In der Sache geschieht nichts anderes als bei der „normalen“ Ermessensprüfung, insbesondere die Kategorie der Abwägungsfehlgewichtung entspricht dem Ermessensfehlgebrauch. Denn das objektive Gewicht der Belange ergibt sich aus dem Gesetz, eine unangemessene Gewichtung verkennt dessen Zwecksetzungen – und die Zweckverfehlung ist gerade das Merkmal des Ermessensfehlgebrauchs. 6. Neue Tendenzen: Die Abwägungsfehlerlehre auf dem Vormarsch Derzeit findet eine Ausdehnung der Abwägungsfehlerlehre auf die „normale“ Ermessensfehlerlehre statt.221 Es zeigt sich dabei, dass die Unterschiede zwischen Planungsermessen und „normalem“ Ermessen doch nicht allzu groß sein können, wenn die Fehlerlehren im Grunde übertragbar sind. Aus rechtsstrukturtheoretischer Sicht spricht nichts gegen diese Übertragung, da beide nur Fälle von mehr oder weniger weit reichender rechtlicher Determinierung sind und die Kategorisierung als „normales“ Ermessen oder Planungsermessen für sich allein genommen noch keine Aussage über die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte trifft. Die Triebfeder für die Ausdehnung der Abwägungsfehlerlehre scheint vielmehr ein grundlegender Wandel im Verständnis des Ermessens zu sein. Galt Ermessen bisher eher als Normvollzug mit gewissen Freiheiten der Behörde, so wird es nun als größerer Freiraum der Verwaltung angesehen. Seine Auswirkungen zeigt dieser Wandel aber im Rahmen der Frage, wie der Freiraum ausgefüllt wird: durch Auswahl einer Rechtsfolge aus einem Bündel vorgegebener Rechtsfolgen oder als Entscheidung in einem durch die Ermessensermächtigung nur grob gezogenen Rahmen, die durch eine Abwägung aller entscheidungserheblichen Belange gefällt wird. Man kann insofern von einer Übernahme des „normalen“ Ermessens durch das Planungsermessen sprechen, wodurch aber auch das Planungsermessen seinen Sonderstatus verliert. Beide Ermessenskategorien vereinigen sich langsam miteinander. Insgesamt ist diese Entwicklung zu begrüßen, 220

Grundlegend zum Bauplanungsrecht BVerwGE 34, 301 (309) – Planungsermessen nach BauGB; BVerwGE 45, 309 (314 f.) – Planungsermessen nach BauGB; ergänzend BVerwGE 48, 56 (63 f.) – planerische Gestaltungsfreiheit nach FStrG; zum Ganzen Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), § 114 Rn. 37. 221 Grundlegend Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), Vorbemerkung § 113 Rn. 20, 29, insb. § 114 Rn. 29; auch Jestaedt, Maßstäbe (Anm. 4), § 11 Rn. 41 f.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

da sie ein Stück weit zur Entkomplizierung der Ermessensdogmatik beiträgt und nun wieder zusammenwächst, was zusammen gehört. 7. Zusammenfassung zur einheitlichen Ermessens(fehler)lehre im Verwaltungsrecht Im Ergebnis spricht nichts gegen die Beibehaltung der verschiedenen Begrifflichkeiten. Zum einen haben sie sich in langer Praxis eingeübt und bewährt. Zum anderen ist es sinnvoll, die Fehlerquelle(n) zu nennen. Die vergröbernde Betrachtung der Rechtsstrukturtheorie, die nur zwischen heteronomer und autonomer Komponente unterscheidet, kann die innerhalb der beiden Komponenten bestehenden Fehlerquellen nicht erfassen. Für die tägliche Rechtspraxis ist es aber durchaus von Interesse zu wissen, wo genau Fehler unterlaufen. Daran knüpft sich beispielsweise für den Rechtsanwalt an, mit welcher Strategie er vorgeht (die Rüge eines Ermessensmissbrauchs kann er nur auf die Begründung des Verwaltungsakts stützen, gleiches gilt für die Rüge eines Ermessensnichtgebrauchs); der Richter weiß, an welchen Stellen er prüfen muss und darf usw. Der Ansatz der Ermessensfehlerprüflisten222 kann auch für eine einheitliche Ermessensfehlerlehre fruchtbar gemacht werden. Der erste Schritt ist die derzeit bereits vorgenommene analoge Anwendung des § 114 VwGO auf Beurteilungsspielräume auf Tatbestandsseite.223 Im zweiten Schritt stellt man die Rechtsprechung in Fallgruppen anhand eines offenen Topoi-Katalogs zusammen.224 So wird der Rechtspraxis und der Rechtsdogmatik die ihr wenig Erkenntnisgewinn bringenden Diskussion über die Gleichwertigkeit der Spielräume des Rechtsanwenders abgenommen, indem man nur auf die spezifischen, im entsprechenden Spielraum vorkommenden Fehler abstellt. Gleichzeitig wird man aber auch den jeweiligen dogmatischen Besonderheiten gerecht. Es sollte aber im Hinterkopf behalten werden, dass die Unterschiede zwischen Rechtsfolgeermessen, Beurteilungsspielraum und Planungsermessen nicht so sehr qualitativer, als vielmehr nur quantitativer Natur sind. So kann ein Planungsermessen, das auf den ersten Blick einen großen Spielraum zu gewähren scheint, viel enger sein als ein Rechtsfolgeermessen oder ein Beurteilungsspielraum. In der täglichen Rechtspraxis spielt die Rechtsstruktur freilich nur eine untergeordnete Rolle.

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Dazu oben S. 60 f., 225 f. Stellvertretend Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 114 Rn. 23 m. umfangreichen w. N. 224 So z. B. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 114 Rn. 25 – 31d, 44; Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), § 114 Rn. 57 – 60. – Vgl. auch BVerwGE 89, 14 (17) – Auskünfte nach § 19 Abs. 4 BDSG. 223

F. Die Revisionsbedürftigkeit der herrschenden Ermessensdogmatik

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III. Das Ausfüllen des Ermessensspielraums durch den Rechtserzeuger Wie der Ermessensspielraum ausgefüllt wird, sprich mit welcher Methode die Behörde ihre Entscheidung hier fällt, ist für die formale Rechtsstrukturtheorie gleichgültig. Derzeit auf dem Vormarsch ist das Modell der Abwägung. Es findet im Beurteilungsspielraum,225 im Rechtsfolgeermessen226 und im Planungsermessen227 Anwendung. Ob und zu welchen Fortschritten es führt, wird die Zukunft zeigen. Dabei ist jedoch die positivrechtliche Determinierung der Verwaltung immer im Auge zu behalten. Es darf nicht jede Verwaltungsentscheidung – schlimmstenfalls unter Zugrundelegung eines integrativen Rechtsgewinnungsbegriffs – vorschnell zu einer Abwägungsentscheidung gemacht werden, auch wenn die Abwägung im deutschen öffentlichen Recht ihren Siegeszug feiert.228 Das Problem, ob eine Abwägungsentscheidung zu treffen ist, bleibt eine Auslegungsfrage – mit allen mit ihr verknüpften Schwierigkeiten: „Für die Frage, ob eine Regelung im Wege gebundener Rechtsanwendung oder durch inhaltskonkretisierende offene Abwägung anzuwenden ist, ist zunächst unter Nutzung aller relevanten Auslegungsmethoden und -kriterien der inhaltliche Gehalt der vorhandenen normativen Vorgaben zu ermitteln.“229

Diese Formulierung ähnelt derjenigen Hans Kelsens hinsichtlich der Grenzen des freien Ermessens, die „unverrücklich durch die Rechtsnormen gegeben [sind], deren Inhalt aus den positiven Gesetzen mit allen erlaubten Mitteln der Interpretation zu holen ist.“230 Obwohl beide Sätze aus positivrechtlicher Perspektive – ähnlich wie die normative Ermächtigungslehre231 – völlig zutreffen, helfen sie in ihrer Allgemein-

225

Grundlegend Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), insb. S. 490, 499 – 504. Z. B. Gerhardt, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 46), Vorbemerkung § 113 Rn. 20, § 114 Rn. 29, Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee (Anm. 11), S. 206 – 208; Ramsauer, Kontrolldichte (Anm. 10), S. 78; Stober/Kluth, Verwaltungsrecht (Anm. 214), § 31 Rn. 38, 79. 227 Vgl. oben S. 50 – 52. 228 Eingehend Bernhard Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, Berlin 1976, insb. S. 127 – 153; ein Überblick über die Bedeutung der Abwägung auf einzelnen Rechtsgebieten bei Wilfried Erbguth/Janbernd Oebbecke/Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Abwägung im Recht. Symposium und Verabschiedung von Werner Hoppe am 30. Juni 1995 in Münster aus Anlaß seiner Emeritierung, Köln u. a. 1996; Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24); kritisch Karl-Heinz Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik. Plädoyer für eine Erneuerung der liberalen Grundrechtstheorie, Tübingen 2004; unter Einbeziehung numerischer Methoden aus der ökonomischen Theorie neuerdings Ekkehard Hofmann, Abwägung im Recht. Chancen und Grenzen numerischer Verfahren im Öffentlichen Recht, Tübingen 2007. 229 Vgl. Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), S. 490 – die dort nur für den Beurteilungsspielraum gemachten Ausführungen sind auch auf das Rechtsfolgeermessen übertragbar. 230 Kelsen, Hauptprobleme (Anm. 105), S. 657. 231 Vgl. oben S. 207 – 210. 226

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

heit der Rechtspraxis nicht sehr viel weiter. Vage bleibt auch die Definition der Abwägungsentscheidung. Sie sei dadurch gekennzeichnet, „daß wegen ihrer Komplexität und wegen der unterschiedlichen betroffenen und miteinander auszugleichenden rechtlichen und außerrechtlichen, privaten und öffentlichen Interessen, wegen Erkenntnisunsicherheiten und Prognoseerfordernissen unter Unsicherheitsbedingungen das Ergebnis des erforderlichen Abwägungsvorgangs rechtlich nicht vorgegeben ist.“232

An die Verwaltung bestehe der Auftrag, „zur Bewältigung komplexer [Problematiken], [die sich] häufig durch Zielpluralität, komplexe Interessengeflechte, kollidierende öffentliche Belange oder durch die Notwendigkeit zum Handeln unter Ungewißheitsbedingungen [auszeichnen]“233.

Knapper und wohl nicht weniger griffig formuliert bedeutet Abwägung die Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblichen Belange. Der objektive Maßstab, anhand dessen abzuwägen ist, bleibt ungeklärt, da er jedenfalls nicht dem positiven Recht entnommen werden kann.234 Andernfalls würde es sich um eine heteronom determinierte Rechtsfrage handeln, die nicht in den Bereich der Abwägung im autonom determinierten Ermessen fiele. Eine Abwägung soll das Ergebnis plausibel machen, indem (zumindest dem äußeren Anschein nach) alle entscheidungserheblichen Belange in die Entscheidungsfindung eingestellt werden. Freilich muss die formale Rechtsstrukturtheorie einräumen, keine konstruktive Kritik üben zu können. Für sie sind, ebenso wie die Auslegungsmethoden im Rahmen des kognitiven Aktes zur Feststellung des Norminhalts,235 alle Methoden zur volitiven Ausfüllung des Ermessensraumes gleichwertig.

G. Ermessensspielräume und Kontrolldichtefragen jenseits des Verwaltungsrechts Die bisherigen Betrachtungen haben sich gemäß der wissenschaftlichen Tradition nur mit dem Verwaltungsermessen befasst. Ähnliche Spielräume des Rechtsanwenders gibt es aber auch im übrigen öffentlichen Recht und auf den übrigen Rechtsgebieten. Auch hier gibt das Recht keine vollständige Determinierung des Rechtsanwenders vor. Solche Spielräume sind allen durch das positive Recht ermächtigten Rechtsteilnehmern eröffnet und sind nicht allein Staatsorganen vorbehalten.

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Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), S. 485. Pache, Beurteilungsspielraum (Anm. 24), S. 485 f. 234 Diese Kritik bei Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Einleitung in die rechtswissenschaftliche Problematik, 1. Aufl., Leipzig und Wien 1934, S. 97. 235 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre1 (Anm. 234), S. 96. 233

G. Ermessensspielräume jenseits des Verwaltungsrechts

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I. Das Ermessen (im weitesten Sinne) des Gesetzgebers Der Gesetzgeber, verstanden als ein Organ, das abstrakt-generelle Rechtsnormen erlässt – also die Legislative im Sinne des parlamentarischen Gesetzgebers, aber auch der exekutive Rechtsverordnungs- bzw. Satzungsgeber –, hat nach allgemeiner Ansicht einen vom angewendeten höherrangigen Recht eröffneten Spielraum, innerhalb dessen er Rechtsnormen erlassen kann. Dieser Spielraum ist nach der herrschenden Ansicht zum Teil frei von gerichtlicher Kontrolle. Man spricht insofern beispielsweise von „Gestaltungsfreiheit“236, „Einschätzungs- und Prognosevorrang“237, „Einschätzungsprärogative“238 oder „Gestaltungsspielraum“239, beim unter(formell)gesetzlichen Normsetzer auch von „Beurteilungsermächtigungen“240. Im Ergebnis bedeuten die verschiedenen Begriffe aber dasselbe. Damit trägt der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers dieselben Merkmale wie das Ermessen der Verwaltung, nämlich zunächst nur unvollständige rechtliche Determinierung durch das angewendete Recht und sodann nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Gleichwohl sieht die herrschende Ansicht Unterschiede zwischen dem „Ermessen“ der Verwaltung und dem „Ermessen“ des Gesetzgebers, obwohl man immer wieder von „gesetzgeberischem Ermessen“241 oder „politischem Ermessen“242 spricht. Die Trennung der beiden „Ermessensarten“ rührt aus qualitativen Unterscheidungen her: einerseits aus der Trennung zwischen gebundener Verwaltung und Ermessensverwaltung, andererseits aus der dem positiven Recht entnommenen Trennung zwischen Legislative und Exekutive. Aus der rechtsstrukturellen Perspektive haben beide Trennungen wenig Berechtigung, da keine qualitativen, sondern nur quantitative Unterschiede hinsichtlich der zur Debatte stehenden Spielräume bestehen. Das Ausmaß der rechtlichen Determinierung ist eben je nach angewendeter Norm jeweils unterschiedlich, auch die Kontrolldichte kann vom positiven Recht jeweils entsprechend ausgestaltet sein. So vermag der für eine qualitative Unterscheidung streitende Ansatz nicht zu überzeugen, 236

So z. B. BVerfGE 50, 290 (338 m. w. N.) – Arbeitnehmermitbestimmung. So z. B. BVerfGE 87, 363 (383) – Nachtbackverbot. 238 Z. B. Ladeur, Kritik (Anm. 228), S. 17, 41 f., 52; auch Degenhart, Staatsorganisationsrecht (Anm. 111), Rn. 401. 239 Vgl. Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 163; vgl. auch den Untertitel von M. Mayer, Untermaß (Anm. 216). 240 So Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (Anm. 53), § 47 Rn. 114. 241 Z. B. Fritz Ossenbühl, Richterliches Prüfungsrecht und Rechtsverordnungen, in: Recht als Prozess und Gefüge. Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, Bern 1981, S. 283 – 295 (286). 242 Z. B. Dirk Heckmann, Polizei- und Sicherheitsrecht, in: Ulrich Becker/Dirk Heckmann/ Bernhard Kempen/Gerrit Manssen, Öffentliches Recht in Bayern. Verfassungsrecht. Kommunalrecht. Polizei- und Sicherheitsrecht. Öffentliches Baurecht. Eine prüfungsorientierte Darstellung, 4. Aufl., München 2008, S. 235 – 389 (341) (3. Teil Rn. 412). 237

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

wonach „der Gesetzgeber … über weitgehend uneingeschränkte schöpferische Freiheit [verfügt]; er … allein an übergeordnetes Recht aus Verfassung und EG-Recht gebunden [ist]“243. Aus rechtsstruktureller Perspektive sticht auch das Argument nicht, dass administrative Ermessensbetätigung nur Vollzug von Rechtsnormen sei, der parlamentarische Gesetzgeber hingegen gestaltende Grundentscheidungen als politische Willensäußerungen des Volkes tätige, die nicht bloß gesetzesorientierte Anwendung von Rechtsnormen durch die Exekutive seien.244 Auf jeder Stufe des Rechtsgewinnungsprozesses kommt es zu Rechtsanwendung und Rechtserzeugung. Es schwankt nur der jeweilige Anteil der beiden Komponenten. Im gleichen Atemzug räumen die Vertreter dieser Ansicht zudem ein, dass beide Rechtsanwendungen stets aufgrund rechtlicher Ermächtigung ergehen.245 Die nun noch verbleibenden Unterschiede werden lediglich an den verschiedenen Aufgaben der Legislative und Exekutive festgemacht. Zwar seien auch bei Verwaltungsermessensentscheidungen mitunter politische Interessen und Zwecksetzungen abzuwägen.246 Die parlamentarischen Vertreter des Volkes seien jedoch „Vertreter der Interessen einer bestimmten Menschengruppe, die jedenfalls die widerstrebenden Interessen anderer Gruppen nur insoweit zu fördern bereit ist, als im Wege des Kompromisses dadurch eine Förderung der eigenen Gruppeninteressen erreicht wird.“247

Anders als bei der Verwaltungsermessensentscheidung gebe es „keine gleichmäßige Kenntnisnahme von den gegebenen Interessen aller Beteiligten, keine Wertung widerstrebender Interessen unter Achtung eines bereits gegebenen Wertsystems, sondern Rechtsetzung mit der primären Absicht, eigene Interessen zu realisieren, anderen ihre Interessen auszureden und fremde Interessen nur im Wege des Kompromisses zu beachten.“248

Wird die Exekutive durch Erlass untergesetzlicher Normen wie Rechtsverordnungen und Satzungen gesetzgeberisch tätig, so wird aber vorgeschlagen, diese der Ermessensdogmatik zu unterwerfen und hier ein „Rechtsetzungsermessen“ anzunehmen.249 243

Stellvertretend Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 27. So aber Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 28. 245 Vgl. Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 28. 246 Vgl. Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 28. 247 Wilhelm Wengler, Der Begriff des Politischen im internationalen Recht, Tübingen 1956, S. 47; so auch Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 28. 248 Wengler, Begriff des Politischen (Anm. 247), S. 47; so auch Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 28. – Zum Kompromiss als fundamentalem Wesensmerkmal der Demokratie grundlegend Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1. Aufl., Tübingen 1920, S. 36: „Je stärker aber die Minorität, desto mehr wird die Politik der Demokratie eine Politik des Kompromisses, wie auch für die relativistische Weltanschauung nichts charakteristischer ist, als die Tendenz zum vermittelnden Ausgleich zwischen zwei gegensätzlichen Standpunkten, von denen man sich keinen ganz und vorbehaltslos und unter völliger Negation des anderen zu eigen machen kann.“ 249 Vgl. Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), insb. S. 27, 232 f. 244

G. Ermessensspielräume jenseits des Verwaltungsrechts

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Der parlamentarische Gesetzgeber ist rechtlich weniger determiniert als der Verwaltungsbeamte, seine Entscheidung hat damit mehr metarechtliche Anteile und wird als „politischer“ empfunden als die des Verwaltungsbeamten. Eine wichtige Rolle spielen auch die Sozialisation und das Selbstverständnis der Entscheidungsträger, sprich deren Person, Persönlichkeit und Motivationen. Der Politiker im Parlament versucht – bezüglich eines Einzelfalls oder des großen Ganzen – eigene Überzeugungen zu realisieren, er ist eher gestaltend und planend tätig. Der Verwaltungsbeamte setzt dagegen fremde Gedanken um, er führt eher aus. Aus der metarechtlichen Betrachtung der tatsächlichen Vorgänge in den verschiedenen Organen heraus für dasselbe rechtsstrukturelle Phänomen verschiedene Begriffe abzuleiten, erscheint wenig zielführend. Zwar mögen von solchen Begrifflichkeiten für die Rechtsdogmatik bestimmte Impulse ausgehen. Der jeweilige Grad der rechtlichen Determiniertheit und Freiheit von gerichtlicher Kontrolle ist aber in jedem Falle nicht von Begrifflichkeiten, sondern allein vom positiven Recht abhängig. Insbesondere der oft verwendete Ausdruck „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“250 lässt den Dschungel der Begrifflichkeiten ein weiteres Stück wachsen, ohne zur Klarheit in der Sache beizutragen. Er führt nur zu dem, was Tezner bereits 1888 hinsichtlich der Diskussion über das Verwaltungsermessen beklagt hatte: „Wir haben hier ein wahrhaftiges Gestrüppe einander befehdender Ansichten, aus welchem es kaum einen Ausweg zu geben scheint. Es macht zuweilen den Eindruck, daß die Streitenden sich gegenseitig nicht mehr verstehen“.251

Begriffe, die dasselbe Phänomen ohne Erkenntnisgewinn anders bezeichnen, sollten vor diesem Hintergrund nur mit äußerster Vorsicht, am besten aber – und immer dann wenn wie so oft ohne Not – gar nicht eingeführt werden. Aus der hier eingenommen rechtsstrukturellen Perspektive spricht nichts dagegen, von „parlamentarischem Ermessen“ oder „gesetzgeberischem Ermessen“ zu sprechen.

II. Das Ermessen (im weitesten Sinne) des Richters Ähnlich wie die bereits besprochenen Staatsorgane Verwaltung und Parlament hat auch der Richter Entscheidungsspielräume. Es spielt hier keine Rolle, ob es sich um Richter der Fachgerichtsbarkeiten oder Verfassungsrichter handelt.

250 Zum Begriff Weitzel, Rechtsetzungsermessen (Anm. 47), S. 29; vgl. auch BVerfGE 39, 210 (231) – Mühlenstrukturgesetz: „weiter Gestaltungsbereich“; BVerfGE 49, 280 (283) – Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen: „weitgehende Gestaltungsfreiheit“. 251 Friedrich Tezner, Zur Lehre von dem freien Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte, Wien 1888, S. 7.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

Ob dieser Spielraum mit dem Verwaltungsermessen gleichzusetzen ist, ist höchst streitig. Zunächst ist festzuhalten, dass das positive Recht selbst vielerorts vom Ermessen des Richters spricht.252 Betrachtet man sodann beispielsweise die Tätigkeit des Strafrichters, so gleichen insbesondere die von ihm anzuwendenden Normen des materiellen Strafrechts den Ermessensnormen des Verwaltungsrechts. Die Straftatbestände enthalten auf Tatbestandsseite unbestimmte Rechtsbegriffe, auf Rechtsfolgenseite hat der Richter einen häufig sehr weiten Strafrahmen. Als Beispiel sei hier die Strafbarkeit des Diebstahls nach § 242 StGB angeführt. Der Richter muss zunächst auf Tatbestandsseite die Fremdheit der Sache, die Wegnahme, den Tatvorsatz und die (Dritt-)Zueignungsabsicht klären. Sodann hat er bei Vorliegen dieser Voraussetzungen als Rechtsfolge die Strafhöhe innerhalb des weiten Strafrahmens, der grundsätzlich von der folgenlosen Einstellung nach § 153 StPO bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reicht, auszuwählen; möglicherweise kommt ein besonders schwerer Fall nach § 243 StGB hinzu oder es stehen (unter Umständen ergänzend) Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie Nebenfolgen im Raum. Der Richter ist durch das angewendete Recht mitnichten vollständig determiniert. Ob und inwiefern die Kontrolldichte eingeschränkt ist, sprich seine Entscheidungen im Instanzenzug überprüft werden können, ist eine Frage des positiven Rechts. Gleiches gilt für die anderen Richter, sowohl für die der Fachgerichtsbarkeit als auch für die der Verfassungsgerichtsbarkeit. Auch sie sind durch das Recht nie vollständig gebunden. So hat der Richter nicht nur dort, wo das Recht von Ermessen spricht, Ermessen im weitesten Sinne,253 sondern so gut wie bei jeder Rechtsgewinnung, insbesondere dem Fällen einer Endentscheidung, aber auch bei allen übrigen verfahrensleitenden Entscheidungen. Begreift man Ermessen als Ermessen im weitesten Sinne, also im rechtsstrukturellen Sinne als Frage der rechtlichen Determiniertheit, und zieht den Wortlaut des Gesetzes hinzu, so ist das richterliche Ermessen dem des Verwaltungsermessens zwanglos gleichzusetzen. Etwaige Besonderheiten in der Dogmatik des richterlichen Ermessens können ohne weiteres erhalten bleiben, da sie unabhängig von der Begrifflichkeit sind.

252 Z. B. §§ 3, 92 Abs. 2 Nr. 2, 269 Abs. 3 Satz 3, 287 Abs. 1 Satz 2, 398 Abs. 1, 495a und 938 Abs. 1 ZPO; §§ 59 Abs. 1 Satz 1, 116a Abs. 2, 118 Abs. 1, 244 Abs. 5 Satz 1 und 467 Abs. 4 StPO; §§ 93a Abs. 2 Satz 2, 100 Abs. 2 Satz 2, 144 Abs. 5 Satz 1 und 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. – Das BVerfGG enthält den Begriff „Ermessen“ nicht, Ermessen wird mit dem Wort „kann“ ausgedrückt, z. B. §§ 14 Abs. 4 Satz 1, 17a Abs. 2, 21, 23 Abs. 3, 26 Abs. 1 Satz 2 und 30 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. 253 Zum Begriff des Ermessens im weitesten Sinne oben S. 175 – 178.

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III. Das Ermessen (im weitesten Sinne) der Privatparteien im Zivilrecht Durch das positive Recht können auch Privatleuten Ermessensspielräume eingeräumt sein. Dieser Gedanke erscheint auf den ersten Blick befremdlich, da Ermessen als ureigener Topos des Verwaltungsrechts gilt und allenfalls dem Richter oder dem Gesetzgeber als Staatsorgane noch Ermessen zugestanden wird. Ermessen scheint es demnach nur in der Sphäre des Staates zu geben. Schaut man sich aber die Regelungstechnik des positiven Rechts näher an, so ergibt sich ein anderes Bild. Es lässt sich zwanglos vom Ermessen (im weitesten Sinne) der Parteien im Zivilrecht sprechen. 1. Die Privatautonomie als Grundlage Als Ausgangspunkt kann der bekannte Satz von Thomas Hobbes (1588 – 1679) herangezogen werden: „As for other Lyberties, they depend on the Silence of the Law.“254 Überall dort, wo es keine rechtliche Regelung gibt, besteht rechtlich gesehen Freiheit, sprich es ist nichts rechtlich verboten und somit alles rechtlich erlaubt. Diesen Satz positivrechtlich zu statuieren ist überflüssig. Denn er meint, soll er Sinn ergeben, tautologisch nichts weiter als „was nicht verboten ist, ist nicht verboten“.255 Die deutsche Rechtsordnung hat diesen Satz dennoch aufgenommen und auf ihm seinen Grundsatz der allgemeinen Handlungsfreiheit aufgebaut. Nach Art. 2 Abs. 1 GG darf jedermann im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, sprich solange und soweit keine Rechtsnorm dem Staat Einschränkungsbefugnisse einräumt, alles tun und lassen was er will.256 Die Privatautonomie, das Fundament des deutschen Zivilrechts, wird dieser allgemeinen Handlungsfreiheit entnommen.257 Damit das zunächst rein tatsächliche Handeln der Parteien, z. B. das Zeigen auf bestimmte Sachen, das Nennen von Zahlen, das Setzen des eigenen Namens unter einen Text auf einem Stück Papier, das Schütteln der Hände usw., als Vertragsabschluss und damit als rechtlich relevant gedeutet werden kann, bedarf es entsprechender Rechtsnormen.258 Die Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG enthält die Generalermächtigung zum Abschluss von Verträgen. Die Grenzen der Privatautonomie bestimmen das BGB und die entsprechenden Nebengesetze wie beispielsweise HGB, GmbHG und AktG. Innerhalb dieser Gren254 Thomas Hobbes, Leviathan, or The Matter, Form, and Power of a Common-Wealth Ecclesiastical and Civil, London 1651, ch. 21, p. 113. 255 Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979, S. 81 – Zitat dort. 256 St. Rspr., vgl. nur BVerfGE 80, 137 (152 f. m. w. N.). 257 Vgl. BVerfGE 70, 115 (123); BVerfGE 72, 155 (170); Jürgen Ellenberger, in: Palandt. Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., München 2011, Überbl v § 104 Rn. 1; nur angedeutet bei Dieter Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 10. Aufl., Heidelberg 2010, Rn. 172 – 178, insb. 172. 258 Zum Recht als Deutungsschema oben S. 98 f.

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zen haben die Parteien Freiheit zur Gestaltung ihrer Verträge. Das BGB enthält Regelungen für besonders häufig vorkommende Vertragsformen wie Kauf-, Werk- und Dienstverträge. Daneben kennt es als Flexibilität gewährende Generalklausel in § 241 BGB einen allgemeinen Begriff des Schuldverhältnisses, da das abstrakt-generelle Gesetz unmöglich alle Lebenssachverhalte vorhersehen kann, die Menschen möglicherweise vertraglich regeln wollen. Ferner legt das BGB allgemeine und für die besonderen Vertragsformen spezielle Einschränkungen und Modalitäten fest. So wird das Zustandekommen aller Verträge bei Geschäftsunfähigkeit einer Partei (§§ 104 und 105 BGB), bei gesetzlichen Verboten (§ 134 BGB) oder Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) verhindert. Bestimmte Rechtsfolgen können nicht ausgeschlossen werden (z. B. die Sachmängelhaftung des Verkäufers bei Verbrauchsgüterkäufen, § 475 Abs. 1 BGB). Es bestehen bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien (z. B. Rücktritt (§ 346 BGB), Minderung (z. B. § 441 BGB) und Kündigung (z. B. §§ 542 und 543 BGB). Grundrechte können mittelbare,259 im Arbeitsrecht sogar unmittelbare260 Drittwirkung entfalten oder durch die Generalklauseln (insb. §§ 138, 242 und 826 BGB) als objektive Wertordnung einwirken.261 2. Das Verhältnis von Gesetz und Vertrag Die Ansprüche, die die Parteien geltend machen können, ergeben sich nicht direkt aus dem Gesetz, sie sind nicht bereits in diesem enthalten. So ergibt sich die Zahlungspflicht aus einem Kaufvertrag nicht schon aus § 433 Abs. 2 BGB. Diese Norm sagt nichts über die Identität der Vertragsparteien, den Vertragsgegenstand und den Kaufpreis sowie über möglicherweise zusätzlich vereinbarte Nebenpflichten. Diese Vertragsbestandteile, insbesondere die essentialia negotii, sind im Kaufvertrag selbst geregelt. Damit ist im Grunde nichts Neues ausgesagt, vielmehr erscheinen Trivialia ausgebreitet. Dennoch ergeben sich daraus Erkenntnisse über die Rechtsnatur des zivilrechtlichen Vertrages. Er ist selbst eine Rechtsnorm, die die Vertragsparteien aufgrund positivrechtlicher Ermächtigung des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. BGB erzeugt haben. Es liegt auf der Hand, dass sie dabei vom Gesetz nicht vollständig determiniert sind, andernfalls wäre die Privatautonomie eine leere Worthülse. Daher kann und sollte man auch hier von einem Ermessen der Vertragsparteien sprechen. Im Verlauf des Rechtsgewinnungsprozesses unternehmen die zivilrechtlichen Vertragsparteien rechtsstrukturtheoretisch betrachtet qualitativ nichts anderes als der Verwaltungsbeamte, der einen Verwaltungsakt erlässt, oder der Richter, der ein Urteil fällt. Alle erzeugen im Rahmen des anzuwendenden höherrangigen Rechts neues Recht. Ermes259 Vgl. nur BVerfGE 73, 261 (269 m. w. N.); Pieroth/Schlink, Grundrechte (Anm. 165), Rn. 189 – 200. 260 Dazu – jedoch eine unmittelbare Drittwirkung letztlich ablehnend – Wolfgang Zöllner/ Karl-Georg Loritz/Curt Wolfgang Hergenröder, Arbeitsrecht. Ein Studienbuch, 6. Aufl., München 2008, S. 77 – 79 m. w. N. auch zur Gegenansicht. 261 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (198, 205); Pieroth/Schlink, Grundrechte (Anm. 165), Rn. 94, 99, 196.

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sensermächtigungen sind nicht spezifisch hoheitlich und öffentlich-rechtlich, vielmehr steht es in den nahezu unendlich mannigfaltigen Gestaltungsmöglichkeiten des positiven Rechts, welchem Akteur es inwieweit Ermessen im weitesten Sinne eröffnet. Die Unterscheidung von Privaten und öffentlich-rechtlich agierenden Organen bzw. Personen ist jedenfalls kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Kategorisierung des Ermessens. 3. Rechtsnormcharakter von zivilrechtlichen Verträgen durch gerichtliche Kontrolle? Folglich ist auch die verbreitete Ansicht zu verwerfen, nach der zivilrechtliche Verträge erst durch den Ritterschlag einer richterlichen Entscheidung zu Recht werden.262 Ein zivilrechtlicher Vertrag sei demnach erst dann Recht, wenn er durch eine staatliche Gerichtsentscheidung für rechtmäßig anerkannt wurde.263 Dieser Gedanke tritt in der bereits angesprochenen Unterscheidung zwischen zivil- und strafgerichtlicher Entscheidung und verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Kontrolle deutlich hervor. Dabei liege (nur) bei letzterer „bereits eine kompetent getroffene hoheitliche (Erst-)Entscheidung“264 vor.265 Hoheitliche Befugnisse sind aber keine zwingende Voraussetzung zur Rechtserzeugung. Rechtserzeugung kann nur aufgrund positivrechtlicher Ermächtigung stattfinden. Diese Ermächtigungen ergeben sich nicht nur aus Normen, die hoheitliche Befugnisse einräumen, sondern auch aus solchen Normen, die Privaten die Befugnis zur Rechtsgewinnung geben. So bilden für das gesamte Zivilrecht Art. 2 Abs. 1 GG und insbesondere das BGB als Konkretisierung der verfassungsrechtlich begründeten Privatautonomie das Fundament.266 Recht beginnt daher nicht erst ab dem Punkt, an dem sich der Staat, insbesondere durch Verwaltung und Gerichte, (wieder) einschaltet oder (wieder) eingeschaltet wird. Die jedoch herrschende Ansicht – aus dem öffentlichen Recht kommend – ist zum einen auf den Staat beschränkt. Rechtsgewinnung erscheint als eine dem Staat ureigene und hoheitliche Tätigkeit, die die Beziehungen zwischen den Menschen durch Rechtsnormen, insbe262

So z. B. ausdrücklich Matthias Ruffert, der unter der Überschrift „Die Integration privater Rechtsetzungsakte“ ausführt, dass „Rechtshandlungen Privater … kein hoheitlich verantwortetes Recht [sind], auch wenn sie sich inhaltlich als Normen darstellen“ (Ruffert, Rechtsquellen (Anm. 52), § 17 Rn. 18 – Hervorhebung im Original). So muss er freilich hinsichtlich der Frage nach der Integration ratlos bleiben und der Rechtsquellenlehre die Integration weiterhin als Aufgabe gestellt lassen (vgl. Ruffert, Rechtsquellen (Anm. 52), § 17 Rn. 20); dabei ist die Integration mit dem Modell des genealogischen Stufenbaus der Rechtsordnung und dem Ermessensmodell der Reinen Rechtlehre bereits erledigt. 263 Prozessual geschieht das gewöhnlich nicht durch ein Feststellungsurteil, sondern durch ein Urteil, dass einer Klage auf die Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Vertrag stattgibt. Mit einem solchen Urteil ist zugleich die hoheitliche Aussage verbunden, dass der dem Anspruch zugrunde liegende Vertrag jedenfalls insoweit rechtmäßig ist. 264 Ossenbühl, Kontrolldichte (Anm. 17), S. 57. 265 Dazu oben S. 179 bei Anm. 38. 266 Zur daraus resultierenden staatlichen Natur allen Rechts vgl. oben S. 199.

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3. Teil: Der herrschende Ermessensbegriff im Lichte der Reinen Rechtslehre

sondere durch den Erlass von Gesetzen und Verwaltungsakten, verbindlich regelt. Außerhalb der Staatssphäre scheint es kein Recht geben zu können. Das Recht scheint nach innen erst an der Grenze zur Staatssphäre zu beginnen und endet nach außen an ihr. Zum anderen ist dieses Konzept auf die pathologischen Fälle beschränkt. Es erfasst nicht die unzähligen tagtäglich geschlossenen zivilrechtlichen Verträge, bei deren Abwicklung keine Probleme auftreten. Sollen diese Verträge allein deshalb kein Recht sein, weil sie Privatleute – die dies im Übrigen nur deshalb sind, weil das positive Recht ihr tatsächliches Handeln als privatrechtlich deutet, genauso wie es bestimmte tatsächliche Handlungen als öffentlich-rechtlich deutet – abgeschlossen haben und noch kein Richter über die Rechtmäßigkeit dieser Verträge entschieden hat? Allein ein Blick in das positive Recht beweist das Gegenteil. Wie aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB hervorgeht, dient der Vertrag den Vertragsparteien als Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen der jeweils empfangenen Leistung(en).267 § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB spricht dabei vom Vertrag als von einem „rechtlichen Grund“. Er wird aber nicht erst dann zu Recht, wenn sich ein Gericht im pathologischen Fall mit dem Vertrag befasst und eine Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit fällt, sondern er wird von den Parteien von Anfang an als Recht erzeugt. Einen zivilrechtlichen Vertrag nicht als Rechtsnorm zu begreifen, entspricht einer staatsfixierten statischen Rechtsbetrachtung, die keinen dynamischen Rechtsgewinnungsprozess erkennt, in dessen Verlauf aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung untergesetzliches Recht geschaffen wird, das dann möglicherweise zum Gegenstand gerichtlicher Kontrolle wird. Gänzlich aus den Fugen gerät diese Theorie bei öffentlich-rechtlichen Verträgen (§§ 54 ff. VwVfG). Hier ist zumindest ein staatliches Organ Partei. Es begibt sich demnach seiner Rechtsgewinnungsbefugnis allein durch die Formenwahl des Verwaltungshandelns bei gleichbleibendem zugrunde liegendem Sachverhalt. Würde es durch Verwaltungsakt handeln, der lediglich durch den öffentlichen Vertrag ersetzt wird, so könnte es Recht erzeugen. Das vermag nicht zu überzeugen. Noch befremdlicher sind die Folgen dieser Theorie, wenn zwei Staatsorgane miteinander einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen. Hier würde demnach innerhalb der Staatssphäre zunächst kein Recht erzeugt und der Vertrag wäre erst nach einer Gerichtsentscheidung zu Recht geworden. Davon dürfte aber niemand ausgehen.

IV. Kontrolldichtefragen – Ermessen im engeren Sinne Jenseits des Verwaltungsrechts gibt es keine derart ausgeprägte Diskussion um eine „Lockerung der Gesetzesbindung“ und um eine Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte. Das lässt sich insbesondere damit begründen, dass die Unterschei267 Statt aller Hartwig Sprau, in: Palandt. Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., München 2011, § 812 Rn. 21.

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dung zwischen gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung als Spezifikum des Verwaltungsrechts angesehen wird. Außerhalb des Verwaltungsrechts geht man von einer grundsätzlich vollständigen rechtlichen Bindung, insbesondere Gesetzesbindung, aus. Das mag auch daran liegen, dass ein arbeitsteiliger Rechtsgewinnungsprozess zuerst im öffentlichen Recht zutage trat, da durch die Gewaltenteilung mehrere verschiedene staatliche Institutionen aus verschiedenen Staatsgewalten an einer Entscheidung beteiligt sind. Insgesamt übersieht man freilich, dass eine vollumfängliche Determiniertheit durch das anzuwendende höherrangige Recht – wenn überhaupt – nur äußerst selten besteht. Zudem ist das Erfordernis einer sauberen Trennung von rechtlicher Determination einerseits und Kontrolle andererseits kaum im Bewusstsein verankert. 1. Ermessen (im engeren Sinne) des Gesetzgebers Folgerichtig sind die Versuche, die Gedanken der verwaltungsrechtlichen Ermessensdogmatik auf andere Bereiche des öffentlichen Rechts zu übertragen, nur zögerlich. Konkret-individuelles Verwaltungshandeln und abstrakt-generelle Normsetzung, sei es durch die Verwaltung selbst oder durch den parlamentarischen Gesetzgeber, erscheinen als zwei qualitativ völlig unterschiedliche Tätigkeiten. Der große Spielraum des parlamentarischen Gesetzgebers, der durch die nur sehr schwache Determinierung durch die Verfassung zustande kommt, gilt als qualitativ anders, als der der Verwaltung. Zwar geht man daher auch hier wie bereits erwähnt von einer Reduzierung der Kontrolldichte, der „Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers“, aus.268 Jedoch scheint strukturell kein Zusammenhang mit der Reduzierung der Kontrolldichte im Rahmen des Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraums der Verwaltung herstellbar zu sein. Daher gibt es hier keine in ihrem Umfang mit der im Verwaltungsrecht geführten vergleichbare Diskussion um die Kontrolldichte. 2. Ermessen (im engeren Sinne) im Zivil(prozess)recht Ähnliches gilt für den Zivilprozess. Da der von Privaten abgeschlossene zivilrechtliche Vertrag nicht als Recht – jedenfalls nicht als Recht, das staatlich geschaffenem Recht ebenbürtig ist – angesehen wird, spielen im Zivilrecht Gesetzesbindungs- und Kontrolldichtefragen auf der dem Vertragsschluss folgenden Stufe der Rechtsgewinnung, der erstinstanzlichen Kontrolle, kaum eine Rolle. Rechtsbindungsfragen (Ermessen im weitesten Sinne) scheinen Private nicht zu betreffen, ebenso erscheint auch der Richter selbstverständlich vollständig an Recht und Gesetz gebunden. Das im Verlauf des arbeitsteiligen Rechtsgewinnungsprozesses zwangsläufig auftretende Wechselspiel von objektiver und subjektiver Komponente ist nicht bewusst. Indem der gesamte Inhalt von Verträgen als Rechtsfrage gilt, ist deren vollumfängliche richterliche Kontrolle folgerichtig selbstverständlich. Der Gedanke, im Zivilrecht 268

Vgl. oben S. 181, 233.

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die Kontrolldichte der ersten Instanz zu reduzieren, wird nicht weiter verfolgt. Die den Vertragsparteien vom positiven Recht eingeräumten Spielräume werden übersehen. Die Reduzierung der Kontrolldichte im Instanzenzug ist hinsichtlich der Beschränkung auf entscheidungserhebliche Rechtsfragen in der Revision seit jeher anerkannt. Doch auch die Reduzierung der Kontrolldichte in der Berufungsinstanz begegnet im Grunde keinen Bedenken. Sie ergibt sich aus der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Reform der Zivilprozessordnung269, nach der zur Stärkung der ersten Instanz und zur Forcierung des zivilprozessualen Beschleunigungsgrundsatzes270 in der Berufung nur neue Beweismittel und neue Tatsachen (vgl. §§ 529 und 531 ZPO) zugelassen sind. Sowohl in der Berufung als auch in der Revision handelt es sich um echte Reduzierungen der Kontrolldichte, da, jeweils am Maßstab Recht gemessen, die zu prüfende Rechtsnorm, sprich das Urteil der Vorinstanz, nicht auf jeden Rechtsfehler hin überprüft wird. Die stufenweise Einschränkung der Kontrolldichte im Instanzenzug gerät wohl auch deshalb nicht in die Kritik, weil anders als in der ersten Zivilinstanz bereits eine hoheitliche Erstentscheidung vorliegt. Eine nicht vollständige Kontrolle von Akten Privater ist dagegen undenkbar. In der Folge kennt das Zivilrecht auch keine Normenkontrollen. Sie scheinen nur zur Kontrolle von abstrakt-generellen Regelungen des Gesetz-, Verordnungs- und Satzungsgebers, der ja eine öffentlich-rechtliche Persönlichkeit ist, dienen zu können. Da Verträge nicht als Rechtsnormen angesehen werden, besteht auch kein Bedürfnis, im Zivilrecht Vertragskontrolle als Normenkontrolle zu begreifen. Der Begriff des richterlichen Ermessens auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts wird – insbesondere in der Rechtsprechung – weitgehend untechnisch und nur im Sinne einer nicht vollständigen gesetzlichen Bindung des Richters verwendet.271 Der Gedanke einer Reduktion der Kontrolldichte – und spiegelbildlich eine Letztentscheidungskompetenz – im Instanzenzug stößt auf Ablehnung. Insgesamt hält man das Ideal der einen richtigen, im Gesetz bereits enthaltenen Entscheidung hoch. Dahinter steht der Versuch, ein möglichst vorhersehbares und berechenbares Verfahren zu ermöglichen, um zugleich das zivilprozessuale Beschleunigungsgebot bestmöglich zu verwirklichen.272 Die Frage, warum die letzte Instanz besser als die erste Instanz entscheidet, bleibt aber ebenso offen wie die Einbeziehung einer dynamischen Rechtsbetrachtung, obwohl auch im Zivil(prozess)recht der Rechtsgewinnungsprozess arbeitsteilig ist.

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Gesetz zur Reform des Zivilprozesses. Vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887). Vgl. nur BT-Drs. 14/4722, S. 58 – 70. 271 Zu diesem Ergebnis kommt die ausführliche Untersuchung von Stickelbrock, Richterliches Ermessen (Anm. 28), S. 668. 272 Vgl. Stickelbrock, Richterliches Ermessen (Anm. 28), S. 668 – 670. 270

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3. Ermessen (im engeren Sinne) im Straf(prozess)recht Im Strafprozessrecht werden Reduktionen der Kontrolldichte im gerichtlichen Instanzenzug im Rahmen von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen ebenfalls unaufgeregt zur Kenntnis genommen. Dabei übernimmt man die verwaltungsrechtliche Beurteilungsspielraums-273 und Ermessensdogmatik274. Bisweilen verwischt die kategorische Unterscheidung von Ermessen und Beurteilungsspielraum, wenn bei bezüglich tatsächlicher Umstände bestehenden tatrichterlichen Beurteilungsspielräumen im Rahmen der Revision ein tatrichterlicher Ermessensausfall geprüft wird.275 „Ermessensfreiheit“ und „Beurteilungsfreiheit“ werden des Öfteren synonym verwendet.276 Ermessen als Generalbegriff scheint unabhängig von der Normstruktur all diejenigen Fälle zu bezeichnen, in denen der Richter nicht vollständig von den anzuwendenden Normen gebunden erscheint. Ermessens- und insbesondere Beurteilungsspielräume werden katalogartig aufgezählt.277 Ob und inwiefern solche Spielräume offen stehen, scheint im Laufe der Zeit insbesondere von der Rechtsprechung pragmatisch – vielleicht vage vergleichbar dem funktionell-rechtlichen Ansatz im Verwaltungsrecht278 – festgelegt worden zu sein.279 Eine ausdifferenzierte Dogmatik wie im Verwaltungsrecht oder gar eine normative Ermächtigungslehre280 gibt es nur vereinzelt.281 Eine Einschränkung der Kontrolldichte, sprich Ermessen im engeren Sinne, dürfte – zumindest außerhalb der Zunft der Strafverteidiger282 – deshalb so gelassen hingenommen werden, weil zum einen schon eine hoheitliche erstinstanzliche Entschei273

Vgl. für die Praxis Meyer-Goßner, Strafprozessordnung (Anm. 69), § 337 Rn. 17 m. w. N.; ablehnend Klaus Bernsmann, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 16.2.1995 – 4 StR 729/94 (LG Dortmund) [= BGHSt 41, 30], in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 15 (1995), S. 512 f.; zögernd Claus Roxin, Strafverfahrensrecht. Ein Studienbuch, 25. Aufl., München 1998, § 34 Rn. 26; ebenso Rainer Störmer, Beurteilungsspielräume im Strafverfahren, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 108 (1996), S. 494 – 524 (509, 524). 274 Vgl. zur Ermessensüberschreitung BGHSt 29, 1 (3); zum Ermessensausfall BGHSt 6, 298 (300); zum Ermessensmissbrauch BGHSt 10, 327 (329) und BGHSt 18, 238 (239); auch Meyer-Goßner, Strafprozessordnung (Anm. 69), § 168c Rn. 9, § 337 Rn. 16. 275 So z. B. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung (Anm. 69), § 337 Rn. 17. 276 Vgl. Jürgen-Detlef Kuckein, in: Rolf Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG, EGGVG und EMRK, 6. Aufl., München 2008, § 337 Rn. 19. 277 Z. B. Ernst-Walter Hanack, in: Peter Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg. Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. Großkommentar, Bd. 5: § 296 – 373a, 25. Aufl., Berlin 2003, § 337 Rn. 91 m. w. N. 278 Zu diesem Ansatz oben S. 203 – 205. 279 Z. B. BGHSt 41, 30 (33 f.) – Telefonüberwachung nach § 100a StPO; ebenso BGH, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 18 (1998), S. 426 (427). 280 Ansätze einer normativen Ermächtigungslehre bei Störmer, Beurteilungsspielräume (Anm. 273), S. 512. 281 So Störmer, Beurteilungsspielräume (Anm. 273), S. 494. 282 Vgl. Florian Bach, Der Verdacht im Strafverfahren – abstrakt –, in: Juristische Ausbildung 29 (2007), S. 12 – 15.

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dung besteht und zum anderen – bis auf die Ermittlungsmaßnahmen mit Richtervorbehalt und Verfahrenseinstellungen der Staatanwaltschaft – keine Schnittstellen zwischen den Staatsgewalten überschritten werden. Der Instanzenzug verläuft mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren allein innerhalb der Judikative. Die Kontrollbefugnisverteilung ist durch das positive Recht und die lange geübte Tradition untereinander geklärt. Es bestehen justizintern und mit der Staatsanwaltschaft keine ständig unterschwellig schwelenden Machtfragen wie zwischen Verwaltung und Rechtsprechung – Fragen, die das Grundgefüge der Staatsorganisation berühren und deren juristische Ausprägung in Kompetenzabgrenzungsstreitigkeiten zum Ausdruck kommt. Es zeigt sich wiederum, dass nach der herrschenden Auffassung die Kontrolldichte und ihre Reduzierung namentlich an den Schnittstellen zwischen den Gewalten ein Problem zu sein scheint. Noch ein kurzer Blick auf die Staatsanwaltschaft: Der Staatsanwaltschaft stehen nach Rechtsprechung und herrschender Ansicht im Bereich der Verfahrenseinstellungsmöglichkeiten nicht justiziable Ermessensspielräume zu.283 Sie werden aus pragmatischen und funktionell-rechtlichen Gründen von der Rechtsprechung zugelassen und stoßen in der Literatur nur teilweise auf Kritik.284 Im Hintergrund mag auch das positivrechtlich verankerte (Selbst-)Verständnis der Staatsanwaltschaft als objektive Behörde, die nicht Partei ist – insbesondere hat die Staatsanwaltschaft nach § 160 Abs. 2 StPO auch die den Beschuldigten entlastenden Umstände zu ermitteln und kann nach § 296 Abs. 2 StPO zu seinen Gunsten Rechtsmittel einlegen –, stehen.285 Ihr wird daher im Gegensatz zur übrigen Verwaltung – in der sie als selbständiges Organ der Rechtspflege allenfalls eine Stellung sui generis einnimmt, wenn sie nicht sogar als eine eigene Staatsgewalt angesehen wird286 – von gerichtlicher wie von wissenschaftlicher Seite ein größeres Vertrauen entgegengebracht. Einmal mehr wird deutlich, wie sehr rechtsdogmatische Streitigkeiten von (rechts)politischen Einstellungen abhängig sind.

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Vgl. BVerfG, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 4 (1984), 228 (229); ebenso BVerfG, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 24 (2004), 447; ergänzend Werner Beulke, in: Peter Rieß (Hrsg.), Löwe-Rosenberg. Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. Großkommentar, Bd. 5: §§ 151 – 212b, 26. Aufl., Berlin 2008, § 153 Rn. 38 f. m. w. N. 284 Für Beurteilungsspielräume Heiner Christian Schmidt, Beurteilungsspielräume im Strafprozess. Zur Überprüfbarkeit von Ermittlungsorganen aus dem Vorverfahren durch das erkennende Gericht, in: Neue Justiz 61 (2008), S. 390 – 393 (393); zögernd Störmer, Beurteilungsspielräume (Anm. 273), S. 509, 524; ablehnend dagegen z. B. Reinhold Schlothauer, Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 1.8.2002 – 3 StR 122/02 (OLG Osnabrück), in: Strafverteidiger 23 (2003), S. 208 – 210 (209); Bach, Strafverfahren (Anm. 282), S. 14 f. 285 An der Neutralität der Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis auf deren fehlende Unabhängigkeit zweifelnd allerdings BVerfGE 103, 142 (154). 286 Zur Stellung der Staatsanwaltschaft Roxin, Strafverfahrensrecht (Anm. 273), § 10 Rn. 8 – 13; Schmidt, Beurteilungsspielräume (Anm. 284), S. 391 f.

G. Ermessensspielräume jenseits des Verwaltungsrechts

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4. Zusammenfassung zu den Kontrolldichtefragen auf den anderen Rechtsgebieten Im Ergebnis zeigt sich in der Kontrolldichtediskussion, dass die traditionelle Trennung zwischen den Rechtsgebieten auch zu einem unterschiedlichen Verständnis an sich gleichlaufender Phänomene führt. Indem der jeweils eigene Fokus ohne Not verengt wird, stellen sich allein quantitative Unterschiede plötzlich als qualitative Unterschiede dar. Inwieweit kontrolliert wird, ist und bleibt eine Frage der Ausgestaltung durch das positive Recht. Zwar mag es auf den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedliche Regelungen durch das positive Recht geben, die sich entsprechend in der Dogmatik niederschlagen. So wäre es verfehlt, aus einheitlichen Phänomenen eine einheitliche Dogmatik für das gesamte Recht zu fordern. Jedoch ist zu verhindern, dass dieselben Phänomene künstlich zu unterschiedlichen Phänomenen werden und Diskussionen auf den jeweiligen Rechtsgebieten geführt werden, ohne den (dogmatischen) Erkenntnisstand der anderen Rechtsgebiete miteinzubeziehen.287 Wie im Verwaltungsrecht krankt aber auch die Ermessensdiskussion jenseits des Verwaltungsrechts an derselben Stelle. Die notwendige Unterscheidung zwischen Ermessen im weitesten Sinnen und Ermessen im engeren Sinne bleibt im Dunklen. Ausgehend von einem integrativen Rechtsgewinnungsbegriff werden Kontrollmaßstab und Kontrolldichte miteinander vermengt.288 In der Folge werden vermeintliche und echte Reduzierungen der Kontrolldichte zwar nicht immer unaufgeregt, jedoch soweit ersichtlich rechts(struktur)theoretisch unreflektiert zur Kenntnis genommen.

287

Vor letzterem warnt Störmer, Beurteilungsspielräume (Anm. 273), S. 523. So übernimmt Störmer, Beurteilungsspielräume (Anm. 273), S. 523, die verwaltungsrechtsdogmatische Begrifflichkeit der „Lockerung der Gesetzesbindung“, wenn er von „Zurücknahme gerichtlicher Kontrolle“ spricht; ähnlich Roxin, Strafverfahrensrecht (Anm. 273), § 34 Rn. 26: „Auflockerung der richterlichen ,KontrolldichteГ; eine Ausnahme bildet Stickelbrock, Richterliches Ermessen (Anm. 28), S. 10, die diese Erkenntnis jedoch nicht weiter aufgreift, sondern soweit ersichtlich dem Gedanken der „Lockerung der Gesetzesbindung“ verhaftet bleibt, vgl. S. 101, 151 f., 169 – 184. 288

4. Teil

Ergebnisse und Erkenntnisse Abschließend verbleibt aus den bisherigen Überlegungen und den gewonnenen Erkenntnissen die Ernte einzufahren. Zuvörderst geht es um die Verwurzelung einer dynamischen Rechtsbetrachtung. Auf ihrer Grundlage erweisen sich die Idee der einen richtigen Entscheidung und die Idee der Rechtssicherheit als Illusionen. Auch die Funktion und Rolle der Rechts- und Gesetzesbindung erscheinen in einem anderen Licht. Zudem muss die hergebrachte Rechtsquellenlehre eine Erweiterung erfahren. Aus der Perspektive der dynamischen Rechtsbetrachtung kann ein Ermessensbegriff erarbeitet werden, der Rechtsbindungs- und Kontrolldichtefragen in sich vereint. Rechtsinhaltliche Kontrollkompetenzfragen kann eine rechtsstrukturtheoretische Betrachtung auf der Basis der Reinen Rechtslehre hingegen nicht beantworten. Am Ende steht ein Blick auf die Leistungsfähigkeit der Reinen Rechtslehre und ihres Ermessensbegriffs im demokratischen Rechtsstaat.

A. Ein dynamisches Rechtsgewinnungsbild Das herrschende Rechtsgewinnungsbild ist ein integratives, da es zwischen Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung, die auf jeder Stufe des Rechtsgewinnungsprozesses auftreten, nicht unterscheidet. Es ist weitgehend statisch und bleibt im Grunde dem Subsumtionsautomatismus treu. Sein Ausgangspunkt ist das parlamentarische Gesetz als Zentrum des Rechtssystems. Höherrangiges Recht wie das Grundgesetz oder das Unionsrecht wirkt sich zwar auf das Gesetz aus, auf den Bereich darunter hat es jedoch keinen Einfluss. Im Gesetz scheint das untergesetzliche Recht bereits weitestgehend vorhanden zu sein. Die Unterscheidung zwischen legislativer Rechtsetzung und exekutiver bzw. judikativer Rechtsanwendung ist fest zementiert. Rechtsanwendung erscheint als das Herausarbeiten der konkrete(re)n untergesetzlichen Entscheidung aus dem Gesetz. Zwar werden dabei kleine Spielräume des Rechtsanwenders – wie insbesondere das Verwaltungsermessen – (an)erkannt. Sie wirken aber systemfremd und können nur als Sonderkategorie erfasst werden. Die Reine Rechtslehre zeigt, dass der Rechtsgewinnungsprozess sich nicht auf einen einmaligen Prozess von Rechtsetzung (Gesetzesebene) und Rechtsanwendung (Untergesetzesebene) beschränken lässt. Vielmehr kommt es auf jeder Stufe des Rechtsgewinnungsprozesses zunächst – und damit genau umgekehrt – zu einer Rechtsanwendung, indem der Rahmen der anzuwendenden höherrangigen Norm er-

A. Ein dynamisches Rechtsgewinnungsbild

247

mittelt wird. Ihr folgt dann die Rechtsetzung, wenn der Rahmen vom positivrechtlich ermächtigten Rechtserzeuger ausgefüllt wird. Das Gesetz ist dabei nur eine – wenn auch wichtige – Stufe unter vielen.1 Der Rechtsgewinnungsprozess ist mit der Schaffung des Gesetzes noch lange nicht abgeschlossen. Er hat bis zur Einzelfallregelung noch weitere Stufen zu durchlaufen. Der Einzelfallregelung folgt möglicherweise noch ein Kontrollverfahren, in dem weitere Rechtsnormen bezüglich des Einzelfalls getroffen werden können. Die Regelung des jeweils zu regelnden Einzelfalls ist damit keineswegs bereits im Gesetz abgeschlossen, sondern jeder weitere positivrechtlich ermächtigte Rechtsteilnehmer ist berufen, seinen Beitrag zu leisten. Dadurch kann der Verlauf des Rechtsgewinnungsprozesses auf jeder Stufe neu gestaltet werden. Auf diese Dynamik der Rechtsgewinnung muss sich die Rechtsbetrachtung einstellen. Für eine dynamische Rechtsbetrachtung streitet auch der Umstand, dass sich durch Kontrollentscheidungen der Rahmen der rechtlichen heteronomen Determinante verschieben kann. Sicherheit herrscht nur dann, wenn die Letztentscheidung bestandskräftig bzw. rechtskräftig feststeht. Vorher kann die Entscheidung immer noch sowohl bezüglich der heteronomen wie der autonomen Komponente abgeändert werden. Die rechtsstrukturtheoretische Betrachtung besagt nichts darüber, ob und inwieweit der Erstentscheider die Abänderung der heteronomen Komponente vorhersehen kann, zumal sie in der Zukunft liegt.2 Die dynamische Rechtsbetrachtung wendet auch die derzeitige Blickrichtung um 180 Grad. Die herrschende statische Rechtsbetrachtung blickt zunächst auf das Gesetz und im Zuge der Rechtsanwendung zurück zum Gesetz. Sie wendet ihren Blick im Grunde nie vom Gesetz ab, sondern schaut in die Vergangenheit und erschöpft sich in Rechtsbindungsfragen. Die dynamische Rechtsbetrachtung blickt dagegen nach vorne auf das noch zu schaffende Recht und seine Kontrolle. Sie hat stärker den voraus liegenden Letztentscheidungsfreiraum des Rechtsteilnehmers im Auge und wendet sich weniger zurück in Richtung der Bindung, deren Umfang bei jedem Rechtskon1

Vgl. oben S. 119 f. Vor diesem Hintergrund erscheint der strafrechtliche Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) in einem neuen Licht. Er bedroht einen Amtsträger, der sich bewusst und schwerwiegend von Recht und Gesetz entfernt, wobei auch die Unvertretbarkeit der Entscheidung nicht ausreicht (vgl. in st. Rspr. BGHSt 47, 105 (109)). Da aber bis zur Letztentscheidung nicht feststeht, was nun letztlich der Inhalt von Recht und Gesetz ist, kann dies auch der Amtsträger nicht wissen. Nur wenn eine höhere Instanz die Sache mit bestimmten entscheidungsleitenden Vorgaben im Einzelfall zurückverweist, kann man insofern von einem vorhersehbaren Inhalt sprechen. Insgesamt appelliert § 339 StGB an einen Konsens über den Inhalt der Gesetze, dem sich jeder Amtsträger zu unterwerfen hat. In der Folge definiert die Rechtsprechung seinen Anwendungsbereich zu Recht eng. Er soll nur den schlimmsten Auswüchsen an Konsensbrüchen („der Rechtsbruch als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege“, BGHSt 47, 105 (108 f.)) entgegentreten. Freilich bleibt auch hier im Hinterkopf zu behalten, dass die Dynamik des Rechtsgewinnungsprozesses im weit überwiegenden Regelfall nicht zu völlig aus dem Rahmen fallenden Entscheidungen führt, da die Amtsträger als Menschen im gesellschaftlichen Konsens verwurzelt sind und im Grundsatz dementsprechend entscheiden. 2

248

4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

trollvorgang möglicherweise durch das Kontrollorgan neu definiert wird. Das bedeutet aber wiederum nicht, dass die dynamische Rechtsbetrachtung die Rechtsbindung aus den Augen verliert und einer völlig freien Rechtserzeugung im Sinne der Freirechtsbewegung das Wort redet. Sie wird nur der Tatsache gerecht, dass die Rechtsgewinnung mit dem Gesetz noch lange nicht abgeschlossen ist, sondern es je nach Einzelfall noch einen weite(re)n Weg bis zur Letztentscheidung gibt. Mit einer dynamischen Rechtsbetrachtung ist der Gedanke der sukzessiven, arbeitsteiligen Herstellung von Recht in rechtsstaatlichen Verfahren bestens vereinbar. Durch vorgeschriebene Verfahren soll gerade der Prozess der Rechtsgewinnung kanalisiert und transparent gemacht werden. Zu denken ist hier insbesondere an komplizierte vielaktige Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung wie Planfeststellungen oder den Erlass von Bebauungsplänen im Rahmen von Großbauvorhaben wie Flughäfen, Bahnhöfen oder Kraftwerken. Wäre jede Entscheidung bereits im Gesetz enthalten, so bedürfte es keiner besonders geregelten arbeitsteiligen Verfahren, da ein Organ genügte, die bereits vorhandene Regelung auszusprechen. Es würde auch keiner vom Parlament abgeleiteten demokratischen Legitimation der übrigen Staatsorgane bedürfen, wenn sie keine eigene Verantwortung, keine eigenen Freiräume oder gar Letztentscheidungskompetenzen hätten. Auch wäre es ein leerer Formalismus, dass Staatsakte wie Gerichtsurteile oder Verwaltungsakte vom Entscheidungsträger unterzeichnet werden müssen. Man mag einwenden, dass diese Argumentation nicht zwingend ist, da das positive Recht auch eine Kette von Organen einrichten könnte, die nacheinander geschaltet immer dasselbe sagen. Eine derartige redundante Konstruktion eines in der montesquieuschen Tradition stehenden Subsumtionsautomatismus ist aber zum einen sinnlos und zum anderen zeigt eine Betrachtung des (gesamten deutschen) positiven Rechts zweifellos, dass eine solche nicht gewollt ist.

B. Die Illusion der einen richtigen Entscheidung und die Illusion der Rechtssicherheit Indem auf jeder Stufe des Rechtsgewinnungsprozesses ein mehr oder weniger großer Spielraum autonomer Determinierung des Rechtsanwenders besteht, wird die Illusion der einen richtigen Entscheidung3 und der Rechtssicherheit gebrochen. Die Betrachtung der Konstruktion unserer positiven Rechtsordnung zeigt: Die Idee der einen richtigen Entscheidung ist einem positivistischen und arbeitsteiligen Rechtssystem

3 Vgl. auch Thomas Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln?, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 58 (1999), S. 139 – 176 (150); auch Eckhard Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum. Zur Einheitlichkeit administrativer Entscheidungsfreiräume und zu deren Konsequenzen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – Versuch einer Modernisierung, Tübingen 2001, S. 454 Anm. 4.

B. Die Illusion der einen richtigen Entscheidung

249

fremd. Rechtssicherheit ist ein positivrechtlich festgelegter Grundsatz, den das positive Recht aber nur insofern gewährleisten kann, als es selbst Bindungen anordnet.

I. Die Folgen der dynamischen Rechtsbetrachtung Die Schaffung neuen Rechts erschöpft sich nicht in einem reinen Erkenntnisvorgang. Es zeigt sich wiederum der Gegensatz von statischer und dynamischer Rechtsbetrachtung. Die erstgenannte entspringt dem Bedürfnis, „sich das Recht als eine feste Ordnung vorzustellen, die das menschliche Verhalten, insbesondere aber die Tätigkeit der rechtsanwendenden Organe, der Gerichte vor allem, allseits bestimmt; so daß deren Funktion und sohin auch die Interpretation nur als das Finden schon vorhandener und daher nur in einem besonderen Verfahren aufzudeckender Normen anzusehen ist. Es ist die Illusion der Rechtssicherheit, die die traditionelle Rechtstheorie – bewußt oder unbewußt – aufrechtzuerhalten strebt.“4

Die dynamische Rechtsbetrachtung dagegen nimmt zur Kenntnis, dass die Entscheidung nicht vollständig von den anzuwendenden Rechtsnormen determiniert ist. Damit besteht immer ein Freiraum des Rechtsanwenders, der eine Vorhersehbarkeit der Entscheidung so gut wie unmöglich macht. Eine zentrale Forderung an das Recht5 und ein unter dem Grundgesetz im Rechtsstaatsprinzip verortetes, wesentliches Element des Rechts6 gerät damit ins Wanken: die Rechtssicherheit, sprich die Verlässlichkeit der Rechtsordnung.7 Es liegt auf der Hand, dass vor dem Hintergrund einer dynamischen Rechtsbetrachtung Rechtssicherheit im Sinne von Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Entscheidung8 – jedenfalls jenseits der heteronomen Determinierung – eine Illusion ist. Das Recht verspricht mehr, als es infolge seiner von ihm selbst ausgestalteten Erzeugungsregeln zu

4 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Einleitung in die rechtwissenschaftliche Problematik, 1. Aufl., Leipzig und Wien 1934, S. 99 f. 5 Vgl. nur BVerfGE 97, 67 (78). 6 Stellvertretend in st. Rspr. BVerfGE 2, 380 (403); BVerfGE 60, 253 (268 f.); BVerfGE 88, 384 (403). 7 Vgl. BVerfGE 97, 67 (78); erläuternd Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2: Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, § 26 Rn. 81 (Grundlagen), 82 – 85 (zur institutionellen Ausprägung der Rechtssicherheit), 86 (zum Rückwirkungsverbot); knapp zusammenfassend Christoph Degenhart, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht, 26. Aufl., Heidelberg 2010, Rn. 354. 8 Zur Janusköpfigkeit der Rechtssicherheit als (ex post) Beständigkeit staatlicher Entscheidungen und als (ex ante) Vorhersehbarkeit staatlicher Entscheidungen Schmidt-Aßmann, Rechtsstaat (Anm. 7), § 26 Rn. 81. – Diese Gedanken lassen sich ohne weiteres auf „private“ Entscheidungen übertragen, da es ebensowenig vorhersehbar ist, wie Privatleute Recht erzeugen, z. B. einen Vertrag abschließen oder kündigen.

250

4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

halten vermag. So darf auch die Idee der einen richtigen, durch bloße Erkenntnis dem Recht zu entnehmenden Entscheidung9 als erledigt gelten.

II. Die „eine richtige Entscheidung“ als regulative Idee Dennoch will man weiter die eine richtige Entscheidung zumindest als „regulative Idee“10 beibehalten. Doch liegt darin eher der Versuch, für das Recht materielle Legitimation und die Zustimmung der Rechtsunterworfenen zu erheischen, indem man vorgibt, dass das Recht klare und vorhersehbare Ergebnisse liefert. Zudem lauert in der Idee der einen richtigen Entscheidung die Versuchung, den Bereich der autonomen Komponente, also das Ermessen, dem Bereich der rechtlichen Determinierung einzuverleiben.11 Es ist ja gerade die Stärke des positivistischen Ermessenskonzepts, den Rahmen der rechtlichen Determination abzustecken und damit zwischen rechtlichen und metarechtlichen Determinanten klar trennen zu können, was auch seine Kritiker einräumen.12 Gerechtigkeitsfragen sind jedoch nicht ausgeblendet. Stellen sie sich im Bereich der rechtlichen Determinante, so sind sie Rechtsfragen,13 die mit dem juristischen Methodenkanon bewältigt werden können. Im Bereich der metarechtlichen Determinante sind sie dagegen keine Rechtsfragen und der Zuständigkeit des mit der juristischen Methode arbeitenden Rechtswissenschaftlers entzogen. Gleichwohl muss sie der Rechtsteilnehmer bei der Rechtserzeugung beantworten. Aufgrund des herrschenden integrativen Rechtsgewinnungsbegriffs durchwabert die Gerechtigkeitsfrage den gesamten Rechtsgewinnungsprozess. So bleibt verschleiert, dass Gerechtigkeitsfragen in einem gewissen Rahmen, nämlich innerhalb der heteronomen Determinante, bereits positivrechtlich entschieden sind. Vom positivistischen Standpunkt aus finden hier auf die Rechtsgeltung abzielende, in die Gerechtigkeitsfrage verpack9

Zu dieser Idee oben S. 67 – 77, 226, 242. So z. B. Robert Alexy, Ermessensfehler, in: Juristenzeitung 41 (1986), S. 701 – 716 (715); Thomas Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit. Rechtswissenschaft jenseits von Positivismus und Naturrecht, Tübingen 2004, S. 74; Wolfgang Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 10 Rn. 63 f.; Friedrich Schoch, Außerrechtliche Standards des Verwaltungshandelns als gerichtliche Kontrollmaßstäbe, in: Hans-Heinrich Trute/Thomas Groß/ Hans Christian Röhl/Christoph Möllers (Hrsg,), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, Tübingen 2008, S. 543 – 573 (551). 11 So z. B Osterkamp, Gerechtigkeit (Anm. 10), insb. S. 71 – 74, 94 – 112; ergänzend oben S. 226. 12 Z. B. Hans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre. Verwaltungsnorm und Verwaltungsrechtsverhältnis, Tübingen 1965, S. 197 f.; Osterkamp, Gerechtigkeit (Anm. 10), S. 65. 13 Vgl. auch Osterkamp, Gerechtigkeit (Anm. 10), S. 28. 10

B. Die Illusion der einen richtigen Entscheidung

251

te Korrektive wie insbesondere das Unrechtsargument14 keine Grundlage. Die rechtliche Determinante enthält insofern bereits ihr Korrektiv, die autonome Determinante bedarf aus Sicht des positiven Rechts keines Korrektivs. Daher birgt das Beibehalten der Idee von der einen richtigen Entscheidung mehr Gefahren als Nutzen.

III. Die wichtige Rolle der Persönlichkeit des Rechtsanwenders Die Reine Rechtslehre geht traditionellerweise davon aus, dass wenigstens im Rahmen der Erkenntnis der heteronomen Determinante eine Sicherheit besteht, da hier bestimmte positivrechtliche Vorgaben bestehen, die den Rechtsanwender binden. Legt man aber wie hier die Tatsache zugrunde, dass die Auslegungsmethode den Gegenstand bestimmt, so hängt auch die Erkenntnis des Rechtsinhalts von der willensbehafteten metarechtlichen Auswahl der Auslegungsmethode ab.15 Es gibt daher auch keine Sicherheit bezüglich der heteronomen Determinante. Gleichwohl ist die Rechtssicherheit zusammen mit der Gesetzesbindung eine tragende Säule eines jeden modernen Rechtssystems. Doch der Volksmund hat intuitiv vollkommen zu Recht erkannt: „Vor Gericht und auf hoher See bist du in Gottes Hand.“ Ersetzt man „Gottes“ durch „des Rechtsanwenders“, so trifft es den Nagel auf den Kopf. Freilich ist auch hier daran zu denken, dass der Rechtsanwender gewöhnlich nicht willkürlich entscheiden wird, da er in einen sozialen Kontext eingeordnet ist und sich in einem gewissen Umfang einem gesellschaftlichen Konsens verpflichtet fühlt. Insofern mag die Idee der einen richtigen Entscheidung als Regulativ, das den Rechtsanwender in seiner Entscheidungsfindung (an)leitet, seine Daseinsberechtigung haben. Aus der Perspektive der Reinen Rechtslehre rückt hier die wichtige Rolle der Person des Rechtsanwenders, des vom positiven Recht ermächtigten Entscheiders in den Mittelpunkt.16 Es zeigt sich einmal mehr, dass die Reine Rechtslehre keineswegs eine ins Nirwana des Normativen entrückte Kopfgeburt ist, die jeglicher Rückanbindung zur Welt des Seins entbehrt. Um jenseits der positivrechtlichen Bindung die richtige (gute, gerechte, moralisch richtige usw.) Entscheidung zu treffen, muss der dazu von der positiven Rechtsordnung ermächtige Mensch geistig auf der Grundlage des Guten, Gerechten, moralisch Richtigen usw. stehen. Das gilt für den Gesetzgeber als Versammlung von Menschen wie für den einzelnen Mensch, sprich den Richter, den Verwaltungsbeamten und den Privaten, gleichermaßen.

14 Demnach hat Recht trotz Einhaltung seiner Erzeugungsbedingungen keinen Anspruch auf Geltung, wenn es nicht ein Mindestmaß an Gerechtigkeitsgehalt aufweist, programmatisch Gustav Radbruch, Fünf Minuten Rechtsphilosophie (1945), in: Arthur Kaufmann (Hrsg.), Gustav Radbruch. Gesamtausgabe, Bd. 3: Rechtsphilosophie III, bearb. v. Winfried Hassemer, Heidelberg 1990, S. 78 f.; zusammenfassend Osterkamp, Gerechtigkeit (Anm. 10), S. 28 f. 15 Vgl. oben S. 135 – 146. 16 Darauf weist auch hin Osterkamp, Gerechtigkeit (Anm. 10), S. 62, 65, 95.

252

4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

„Nur wo Persönlichkeit ist, – ist Gerechtigkeit.“17 „Nur eine gerechte Persönlichkeit kann eine gerechte Entscheidung finden.“18 Diese Richtigkeits- und Gerechtigkeitsfragen sind jedoch entgegen allen rechtswissenschaftlichen Begehrlichkeiten keine juristischen Fragestellungen – weder solche der formalen Strukturtheorie noch solche der Interpretation des positiven Rechts.

C. Die Funktion und die Rolle der Rechts- und Gesetzesbindung Die Rechts- und Gesetzesbindung bildet die Grundlage und den Zusammenhalt des gesamten Rechtssystems. Sie bindet die Rechtsanwender an die Vorgaben des positiven Rechts und verlangt deren Erfüllung. So legitimiert sie das hoheitliche Handeln der Staatsorgane, indem sie es auf „die verfassungsmäßige Ordnung“ sowie auf „Recht und Gesetz“ (Art. 20 Abs. 3 GG) und damit letztlich auf den Souverän, das Volk zurückführt (Art. 20 Abs. 2 GG).19 Zudem stabilisiert sie das Rechtssystem und die Rechtsstaatlichkeit, da sie zur Rechtssicherheit beiträgt und so das staatliche Handeln vorhersehbar und berechenbar macht. Rechtsbindung soll den Punkt, an dem die Dezision unvermeidlich ist, so lange wie möglich hinausschieben. Doch auch unter Privaten, die miteinander Verträge abschließen, schafft die Rechtsbindung hinsichtlich der Privatautonomie insofern Sicherheit, als sie von vornherein klarstellt, welche Verträge mit welchem Inhalt abgeschlossen werden dürfen und welche Verträge in der Folge vor staatlichen Gerichten Bestand haben werden. Die Privaten selbst sind nach dem positiven Recht zwar nicht wie der Staat durch eine Rechtsnorm ausdrücklich an Recht und Gesetz gebunden. Jedoch haben sie bei Verstößen gegen das positive Recht mit Sanktionen zu rechnen. Diese können strafrechtlicher, z. B. Geld- oder Freiheitsstrafe, oder zivilrechtlicher Natur, z. B. Zwangsvollstreckung, sein. Jeder Rechtsteilnehmer, Staatsorgan wie Privater, unterliegt der Rechtsbindung.

I. Gesetzesbindung und Gesetzeszentrismus Jedoch ist jeder Rechtsteilnehmer nicht allein an das Gesetz im formellen Sinne gebunden. Vielmehr hat er je nach positivrechtlicher Ausgestaltung höherrangiges Recht zu beachten, also die Verfassung, insbesondere aber auch untergesetzliches 17 Gnaeus Flavius [Hermann Kantorowicz], Der Kampf um die Rechtswissenschaft, Heidelberg 1906, S. 39 – Hervorhebung im Original. 18 Hermann Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, Berlin 1929, S. 369 – anders als Isay meint, gilt dies aber nicht für den gesamten Rechtsgewinnungsprozess, sondern nur für den Teil der Rechtserzeugung anhand autonomer Determinanten. 19 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2: Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, § 24 Rn. 16, 21 – 23.

C. Die Funktion und die Rolle der Rechts- und Gesetzesbindung

253

Recht wie Rechtsverordnungen, Satzungen sowie Einzelfallrechtsnormen wie Verwaltungsakte und Verträge. Diese müssen jeweils nicht unmittelbare Bindungswirkungen entfalten, sind aber insofern zu beachten, als sich alles Recht am jeweils höherrangigen Recht messen lassen muss. In der Begrifflichkeit der Gesetzesbindung spiegelt sich der herrschende Gesetzeszentrismus wider. Ihr ist der weitere und die Gegebenheiten vollständig erfassende Begriff der Rechtsbindung vorzuziehen. Nur er drückt aus, dass der Rechtsteilnehmer nicht allein an das Gesetz, sondern darüber hinaus an andere Rechtsnormen, die keine formellen Gesetze sind, gebunden ist.

II. Die Bindung an „Recht und Gesetz“ Kritik begegnet daher auch dem herrschenden Verständnis des Art. 20 Abs. 3 GG, nach dem Exekutive und Judikative an „Gesetz und Recht“ gebunden sind. Gemeinhin versteht man hier unter „Recht“ nicht das positive Recht, sondern überpositive Einflüsse, kurz: Naturrecht, oder besser: Rechtsmoralismus.20 Hat der Verfassunggeber aber mit „Recht“ Naturrecht gemeint, so hat er es mit der Nennung im positiven Recht positiviert. Das zunächst metapositive Naturrecht ist damit positives Recht geworden. Das herrschende Verständnis mag auf historischen Gründen beruhen. Vom rechtspositivistischen Standpunkt aus ist es indes nicht haltbar. Art. 20 Abs. 3 GG hat nach herrschender Ansicht zuvörderst mahnende Funktion, indem er die Staatsgewalten an regulative Ideen erinnert, die in metarechtlichen Konsensen begründet sind und als moralische Reserve bei der Anwendung von als lückenhaft oder inhaltlich unpassend empfundenen Gesetzen dienen. Freilich besteht hier wie so oft das Problem, dass der Verfassunggeber die Verfassung gestaltet hat, ohne die rechtsstrukturellen Gegebenheiten, insbesondere den „König-Midas-Effekt“ des Rechts,21 im Auge gehabt zu haben. Art. 20 Abs. 3 GG betreibt demnach – zwingend erfolglos! – die Quadratur des Kreises, indem er Naturrecht und Rechtspositivismus zu vereinigen versucht. Man kann Art. 20 Abs. 3 GG jedoch auch dahin verstehen, dass er neben einer allgemeinen Anordnung der Rechtsbindung – dazu sogleich – klarstellt, dass nicht nur das Gesetz bindet, sondern alle Rechtsnormen der Rechtsordnung. So sind die Staatsgewalten nicht nur durch das Gesetz gebunden, sondern auch durch alle anderen Rechtsnormen, die eine solche Bindung anordnen. So entfalten beispielsweise auch ein bestandskräftiger Verwaltungsakt oder ein rechtskräftiges Gerichtsurteil 20

Statt aller Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 24 Rn. 41; verdeutlichend BVerfGE 34, 269 (286 f.): „Damit wird nach allgemeiner Meinung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt. Die Formel hält das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Über den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das … dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag …“. 21 Zum „König-Midas-Effekt“ des Rechts oben S. 155.

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

Bindungen für Verwaltungsbehörden.22 Nach diesem Verständnis weist Art. 20 Abs. 3 GG auf den dynamischen Rechtsgewinnungsprozess hin.

III. Drei Dimensionen der Rechtsbindung Der Begriff der Rechtsbindung enthält drei Dimensionen, zwischen denen streng zu unterscheiden ist. Die erste Dimension ist die normative positivrechtliche Rechtsbindung. Die zweite Dimension ist die rechtsstrukturtheoretische (Ver-)Bindung der einzelnen Rechtsnormen, die der Norm-Norm-Ableitungszusammenhang beschreibt. Die dritte Dimension meint die praktische Wirksamkeit der Rechtsbindung. 1. Normativ-positivrechtliche Dimension Die normative positivrechtliche Rechtsbindung versucht Rechtsinhalte, nach deren Vorgaben sich der Rechtsteilnehmer bei seiner Rechtserzeugung zu richten hat, durch die nacheinanderfolgenden Stufen des Rechtsgewinnungsprozesses zu transportieren. Die Inhalte müssen vom jeweiligen Rechtsanwender aus dem bisher bestehenden Recht ent- und übernommen werden. Er hat aber wegen der unvermeidbaren, jedoch rechtlich nicht determinierbaren Auswahl der Auslegungsmethode die Möglichkeit bewusst oder unbewusst zu beeinflussen, was er als vorgegeben, sprich was er als Rechtsinhalt erkennt. Die normative positivrechtliche Rechtsbindung kann insofern auch den Rechtsanwender nicht zur Einhaltung ihrer selbst zwingen. Das Recht als unkörperliche, normative Entität kann keinen tatsächlichen Zwang ausüben. Anders als die kausalen Naturgesetze, die bewirken, kann das normative Recht nur befehlen. Freilich wird sich der Rechtsanwender im Großen und Ganzen an das halten, was nach allgemeinem Konsens der Rechtsgemeinschaft in den anzuwenden Normen an Rechtsinhalten enthalten ist. 2. Deskriptive Dimension Rechtsbindung kann als rein deskriptiver, d. h. eine Erkenntnis der formalen Rechtsstrukturtheorie formulierender Begriff den Norm-Norm-Ableitungszusammenhang bezeichnen. Rechtsbindung besagt insofern nur, dass eine Norm die von einer anderen Norm vorgegebenen Erzeugungsbedingungen einhalten muss, um als eine Norm desselben Rechtssystems gelten zu können. Über konkrete Rechtsinhalte und die tatsächliche Erfüllung der Erzeugungsbedingungen bestimmter Rechtsnormen im Einzelfall sagt dieser Begriff der Rechtsbindung nichts aus. Er be22 Vgl. § 43 VwVfG und z. B. § 121 VwGO; dazu statt vieler Michael Sachs, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 7. Aufl., München 2008, § 43 Rn. 104 f.; Ferdinand Otto Kopp/Wolf-Rüdiger Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 16. Aufl., München 2009, § 121 Rn. 5 – 17.

C. Die Funktion und die Rolle der Rechts- und Gesetzesbindung

255

schreibt lediglich eine zur Errichtung und Erhaltung eines Rechtssystems rechtsstrukturtheoretische Notwendigkeit, die die formale Rechtsstrukturtheorie durch ihre Beobachtungen des positiven Rechts erkannt hat. 3. Tatsächliche Dimension Schließlich kann Rechtsbindung auf der Seinsebene eine tatsächlich wirkende Bindung meinen. Darunter ist zu verstehen, dass der Rechtsanwender als Mensch sich an bestimmte konsentierte Rechtsinhalte psychologisch gebunden fühlt und in ihrem Sinne Recht erzeugt – der weit überwiegende Normalfall in der täglichen Rechtspraxis. Diese Rechtsbindung ist aber kein Gegenstand der Rechtsstrukturtheorie, sondern der Rechtssoziologie und Rechtspsychologie zuzuordnen, die die tatsächlichen Wirkungen von Recht erforschen. 4. Exkurs: Sprachtheoretische Ansätze An dieser Stelle sind die sprachphilosophischen Ansätze zur Rechtsbindung kurz anzusprechen. Sie stellen auf die Funktion und die Fähigkeiten von Sprache ab. Zwar bedarf Recht zu seiner Kommunizierung des Mediums Sprache. (Schrift ist durch sichtbare Zeichen perpetuierte Sprache und insofern ihr gleichzusetzen.) Sprache und Recht sind aber zwei verschiedene Gegenstände. Da auch Sprache von der Interpretation durch ihren Benutzer abhängig ist, kann eine (Rechts-)Bindung durch Sprache nicht erreicht werden. Wie schwierig eine solche Konstruktion ist, zeigt sich bereits darin, dass der Anknüpfungspunkt der Interpretation nicht allein der Wortlaut der Rechtsnorm ist. Die bisweilen vom Wortlaut der Norm nichts mehr übrig lassende verfassungs- oder unionsrechtskonforme Auslegung genügt dazu als Beispiel. So ist auch zu erklären, dass sich bisher alle Versuche, eine Rechtsbindung durch sprachphilosophische und sprachtheoretische Ansätze zu begründen,23 nicht durchsetzen konnten. Festzuhalten bleibt, dass die formale Rechtsstrukturtheorie die Rechtsbindung nur als einen für ein Rechtssystem notwendigen Norm-Norm-Ableitungszusammenhang erfassen und beschreiben kann. Einer psychologisch (d. h. tatsächlich) wirkenden, normativ verankerten Rechtsbindung ist damit nicht die Existenz abgesprochen, sie ist nur kein Gegenstand der formalen Rechtsstrukturtheorie. 23 Allen voran Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, in: Archiv für die civilistische Praxis 112 (1914), S. 1 – 318 (46, 173); Philipp Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, Tübingen 1932, S. 52, 60; Walter Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung. Zugleich ein System der Ungültigkeitsgründe von Polizeiverordnungen und -verfügungen. Eine staats- und verwaltungsrechtliche Untersuchung, Tübingen 1913, S. 37 – 39; Hans-Joachim Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht. Eine logische und semantische Studie zur Gesetzesbindung der Verwaltung, Frankfurt a. M. 1979; Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung? Eine rechtslinguistische Untersuchung, Berlin 1989. – Ergänzend oben S. 33 f., 72.

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

D. Erweiterung der Rechtsquellenlehre und des Rechtsnormbegriffs Die aus dem Stufenbau der Rechtsordnung gewonnenen Erkenntnisse beeinflussen die Rechtsquellenlehre und den Rechtsnormbegriff. Auch untergesetzliches Recht – gesetzlich im materiellen Sinne – wird aufgrund von Recht erzeugt. Es ist daher ebenfalls Recht. In der Folge sind auch konkret-individuelle Regelungen wie Verwaltungsakte und Verträge Rechtsnormen. Sie sind zwar hinsichtlich ihres persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs enger als abstraktgenerelle Rechtsnormen. Nichtsdestotrotz haben sie alle Merkmale einer Rechtsnorm, da sie aufgrund positivrechtlicher Ermächtigung erzeugt werden, die Erzeugungsbedingungen des höheren Rechts einhalten müssen und für einen oder mehrere Sachverhalt(e) normative Regelungen enthalten. Zudem können sie auch für weitere Rechtsnormen Erzeugungsbedingungen enthalten. So entfalten Verwaltungsakte spätestens ab ihrer Bestandskraft Bindungswirkungen, die beispielsweise den Erlass weiterer Verwaltungsakte entweder erst ermöglichen oder ihm entgegenstehen. Gleiches gilt für Gerichtsentscheidungen, die mit Rechtskraft eine weitere Entscheidung in derselben Sache verhindern. Auch Verträge können eine solche Wirkung entfalten, indem sich beispielsweise eine Partei verpflichtet, bestimmte weitere Verträge nicht zu schließen. Daher sind auch Verträge in die Reihe der Rechtsquellen aufzunehmen. Im Arbeitsrecht sind sie als solche bereits anerkannt.24 Es spricht nichts dagegen, dies auch für den gewöhnlichen zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Vertrag zu übernehmen. Auch er kann Grundlage und bzw. oder Grenze für die Erzeugung weiterer Rechtsnormen sein. Ihm die Rechtsquellenqualität abzusprechen, bedeutet ein Verharren in der Meinung, Rechtsetzung sei eine genuin hoheitliche Tätigkeit und daher allein dem Staat vorbehalten. Die Rechtsquellenqualität von Verwaltungsakten, die sich mit der gleichen Argumentation begründen lässt, ist bereits anerkannt.25 Insgesamt bestätigt sich der Satz, dass Adolf Julius Merkl mit seiner Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung zugleich eine Lehre der Rechtsquellen geschaffen hat. Alles Recht ist Rechtsquelle. Die den Rechtsgewinnungsprozess hin zum Einzelfall abschließende Rechtsnorm muss nicht allein den Vollstreckungsakt zur Folge haben. Sie kann daneben wiederum zum Ausgangspunkt weiterer Rechtsgewinnung werden. 24

Stellvertretend Wolfgang Zöllner/Karl-Georg Loritz/Curt Wolfgang Hergenröder, Arbeitsrecht. Ein Studienbuch, 6. Aufl., München 2008, S. 55. 25 Statt vieler Matthias Ruffert, Rechtsquellen und Rechtsschichten des Verwaltungsrechts, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1: Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006, § 17 Rn. 59 m. w. N.

E. (Rechts-)Kontrolle als Normenkontrolle

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E. (Rechts-)Kontrolle als Normenkontrolle Die herrschende Ansicht versteht (Rechts-)Kontrolle als ein sekundäres Nachvollziehen einer primären Entscheidung im Rahmen eines Rechtsgesprächs. Damit beschreibt sie zwar das tatsächliche Geschehen vor Gericht, bleibt aber eine rechtstheoretische Erklärung schuldig. Legt man die Erkenntnis zugrunde, dass der Kontrollgegenstand einer jeden gerichtlichen Kontrolle – mit Ausnahme des erstinstanzlichen Strafurteils – eine Rechtsnorm ist, so entpuppt sich (Rechts-)Kontrolle aus rechtsstrukturtheoretischer Perspektive als Normenkontrolle.26 Auch die Kontrollnorm ist eine Rechtsnorm, da sie aufgrund positivrechtlicher Ermächtigung zur Kontrolle ergeht. Primäres Entscheiden ist im genealogischen Stufenbau der Rechtsordnung der sekundären Kontrolle nur zeitlich vorgelagert, strukturell besteht hingegen zwischen beiden kein Unterschied.27 Rechtskontrolle kann nur insoweit erfolgen, wie der Maßstab Recht reicht, d. h. nicht über das Maß der materiellrechtlichen Bindung, sprich der heteronomen Determinante, hinaus. Zweckmäßigkeitskontrolle, die ebenfalls Rechtsnormkontrolle ist, erfolgt daher anhand anderer, metarechtlicher Maßstäbe. Ob ein Kontrollorgan zur Zweckmäßigkeitskontrolle, sprich zur Ersetzung der autonomen Komponente, ermächtigt ist, ist eine Frage des positiven Rechts. (Verwaltungs-)Gerichte sind es nach der derzeit geltenden Rechtslage nicht.

F. Bereinigung des Ermessensbegriffs I. Unterschiedliche Ermessensbegriffe des positiven Rechts, der Rechtsstrukturtheorie und der Rechtsdogmatik Der herrschende rechtsdogmatische (Rechtsfolge-)Ermessensbegriff des Verwaltungsrechts verbindet Rechtsbindungs- und Kontrolldichtefrage (Ermessen im engeren Sinne). Er ist enger als der Ermessensbegriff der Rechtsstrukturtheorie, der Ermessen als eine Frage der Rechtsbindung versteht (Ermessen im weitesten Sinne).28 Beide Begriffe existieren jedoch nicht unabhängig voneinander. Vielmehr stehen sie in gegenseitiger Beziehung. Der Rechtsanwender, insbesondere der parlamentarische Gesetzgeber – der teilweise sogar den Begriff „Ermessen“ in das positive Recht eingefügt hat – orientiert sich an den Erkenntnissen der Rechtswissenschaft. Sowohl die strukturtheoretische als auch die dogmatische Rechtswissenschaft betrachten das positive Recht und arbeiten mit dessen Begriffen. Sie müssen sich mit dem positiv26 27 28

Vgl. oben S. 180 – 189, 198 f. Vgl. oben S. 190. Zu Ermessen im weitesten Sinne und Ermessen im engeren Sinne oben S. 175 – 178.

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

rechtlichen und dem strukturtheoretischen Begriff „Ermessen“ auseinandersetzen. Eine gewisse wechselseitige Beeinflussung ist so zum einen unvermeidbar und zum anderen auch unabdingbar, wollen Theorie und Praxis nicht beziehungslos und unfruchtbar nebeneinander herarbeiten. Die Gemeinsamkeit von positivrechtlichem und rechtsdogmatischem Ermessensbegriff liegt darin, dass auch nach der herrschenden Ansicht (Rechtsfolge-)Ermessen – zunächst unabhängig von der Frage nach der Reduzierung der Kontrolldichte – eine unvollständige Determiniertheit durch die anzuwendende(n) höherrangige(n) Norm (en) voraussetzt. Gemeinhin wird dieses Phänomen missverständlich und als Ausnahmephänomen als „Lockerung der Gesetzesbindung“ beschrieben. Hier enden aber schon die Gemeinsamkeiten. Aus rechtsstrukturtheoretischer Perspektive besteht eine solche unvollständige Determiniertheit in (so gut wie) jedem Rechtsgewinnungsvorgang. Ermessen – als Ermessen im weitesten Sinne verstanden – ist ein jedem Rechtsgewinnungsvorgang innewohnendes Element.29 Ein solcher Ermessensbegriff hat für die Dogmatik wenig Trennschärfe und liefert wenig Erkenntnisgewinn, da er ein ubiquitäres Rechtsphänomen formuliert und sich in Rechtsbindungsfragen erschöpft.30 Der Umfang der rechtlichen Determinierung ist zwar eine interessante Fragestellung, die es zu untersuchen lohnt. Sie bleibt aber mit ihrem rückwärtsgewandten Blick auf das bereits erzeugte Recht einer statischen Rechtsbetrachtung verhaftet. Angebracht erscheint daher für die Dogmatik ein Ermessensbegriff, der einer dynamischen Rechtsbetrachtung Rechnung trägt und den Blick nach vorne in die Zukunft im Rechtsgewinnungsprozess wirft. Er muss sich mit der Frage befassen, ob und inwieweit die Entscheidung einer Kontrolle, also einer Abänderbarkeit unterliegt oder kontrollfrei und damit unabänderbar ist. Ein solcher Ermessensbegriff hat neben der Tatsache der unvollständigen Determiniertheit zugleich die viel wichtigere Frage der Letztentscheidungskompetenz, die auch den eigentlichen Kern der Ermessensproblematik bildet, zu umfassen. Insofern hat er das (in den Worten der Rechtsstrukturtheorie) Ermessen im engeren Sinne zum Gegenstand.

II. Ein Ermessensbegriff für das Verwaltungsrecht 1. (Letzt-)Entscheidungsspielräume Betrachtet man zunächst das Verwaltungsrecht, so zeigt sich, dass ein solches Ermessen im engeren Sinne sowohl auf der Tatbestandsseite als auch auf der Rechtsfolgenseite der Rechtsnorm auftreten kann. In der Sache handelt es sich um dasselbe Phänomen, für das nach herrschender Ansicht jedoch verschiedene Begriffe beste29

Vgl. zusammenfassend oben S. 169 f. So Ulla Held-Daab, Das freie Ermessen. Von den vorkonstitutionellen Wurzeln zur positivistischen Auflösung der Ermessenslehre, Berlin 1996, S. 263. 30

F. Bereinigung des Ermessensbegriffs

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hen. Erstgenanntes firmiert als Beurteilungsspielraum, das zweite als (Rechtsfolge-) Ermessen oder als Sonderkategorie Planungsermessen bzw. Regulierungsermessen. Es bietet sich an, das Phänomen mit einem einheitlichen Begriff zu bezeichnen, der für die jeweiligen bestehenden Besonderheiten als Oberbegriff fungiert.31 Hier weiter von Ermessen zu sprechen trägt zur Entstehung von Missverständnissen bei. Der Begriff „Ermessen“ ist in der Dogmatik fest auf Rechtsfolgenseite verwurzelt. Zudem verwendet ihn das positive Recht selbst mit dieser Bedeutung. Freilich ist es misslich, dass positives Recht, Rechtsstrukturtheorie und Rechtsdogmatik unterschiedliche Ermessensbegriffe verwenden. Der Ermessensbegriff der Rechtsstrukturtheorie soll daher nur als Träger ihrer Erkenntnisse dienen, die sich in der Rechtsdogmatik in einem anderen Begriff versammeln. Als solcher erscheint der Begriff „Verwaltungsspielräume“32 zwar von der kompetenziellen Perspektive zutreffend. Er erweist sich aber von der rechtsstrukturellen Seite her als zu eng, da er nur Spielräume der Exekutive erfasst. Vorzugswürdig ist daher der Begriff „Entscheidungsspielraum“33. Er enthält die beiden wichtigen Charakteristika des Ermessens im engeren Sinne, indem er zunächst auf die nur als quantitatives Phänomen bestehende unvollständige Determiniertheit hinweist („Spielraum“) und dann – viel wichtiger – zum Ausdruck bringt, dass der Rechtsanwender keiner Kontrolle mehr unterliegt, sondern letztverbindlich eine Regelung trifft („Entscheidung“). Freilich gibt es auch Entscheidungen, die einer Kontrolle unterliegen. Ein „Letztentscheidungsspielraum“ wäre insofern der genauere, aber gleichwohl sperrigere Begriff. Die Frage, ob im konkreten Fall ein solcher Entscheidungsspielraum besteht, kann der Begriff freilich nicht beantworten, da er den Gegenstand nur benennt, ohne mit ihm identisch zu sein. Ob auf einer Ebene unterhalb des Begriffs des Entscheidungsspielraums noch ein Bedürfnis für die begriffliche Unterscheidung von unbestimmtem Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite und Rechtsfolgeermessen besteht, kann aus rechtsstrukturtheoretischer Perspektive nicht abschließend beantwortet werden. Gegen ihre weitere Verwendung spricht, dass sie ein und dasselbe Phänomen ohne Not unterschiedlich bezeichnen und damit als vermeintlich qualitativ verschieden auseinander reißen. Auch zwingt diese Unterscheidung, das Planungsermessen und das Regulierungsermessens als Sonderkategorien einzuordnen.34 Jedoch mögen praktische Bedürfnisse bestehen, etwaige normstrukturell bedingte Unter31 Einzudämmen ist in jedem Falle der herrschende überbordende und verwirrende Gebrauch verschiedener Spielraumbegriffe, vgl. nur mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung Robert Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 61 (2002), S. 7 – 33 (15 f.). 32 So Rolf Stober/Winfried Kluth, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 12. Aufl., München 2007, § 31 Rn. 1, 2 (jeweils in der Überschrift). 33 Steffen Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungsprozessrecht, 8. Aufl., München 2010, Rn. 351; Schoch, Standards (Anm. 10), S. 567. 34 Zur Kritik vgl. oben S. 229 f.

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

schiede dogmatisch verarbeiten zu können. Solange man sich bewusst bleibt, dass es bei der Ermessensproblematik nicht auf den Umfang der Rechtsbindung, sondern auf die Freiheit von Kontrolle ankommt, bestehen keine Bedenken gegen die Weiterverwendung der alten Begrifflichkeit, wenn es denn dem Erkenntnisgewinn dienen sollte. So wird klargestellt, dass die Rechtsnorm auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite eine Letztentscheidungskompetenz einräumt. Gleiches gilt entsprechend für das Planungsermessen und das Regulierungsermessen. 2. Eine einstufige Ermessensfehlerlehre für das Verwaltungsrecht Die herrschende Ermessensfehlerlehre des Verwaltungsrechts ist mehrstufig. Sie unterscheidet zwischen inneren und äußeren Ermessensfehlern. Darin liegt der Versuch, auch den metarechtlich determinierten Teil der Rechtsnorm einer Rechtskontrolle, d. h. einer Kontrolle am Maßstab Recht, zu unterwerfen. Auf die Probleme dieses Ansatzes aus der rechtspositivistischen Perspektive eines dynamischen Rechtsgewinnungsbildes wurde mehrfach hingewiesen. Die Fallgruppe der „inneren“ Ermessensfehler ist daher entweder den „äußeren“ Ermessensfehlern, d. h. den Rechtsfehlern zuzuschlagen oder aufzugeben. Die „äußeren“ Ermessensfehlergruppen sind in ihren Rechtsfolgen identisch, da sie alle zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führen. Ein differenziertes Fehlerkalkül gibt es nicht. Daher ist eine einstufige Ermessensfehlerlehre vorzugswürdig. Nur eine solche spiegelt wider, dass rechtlich relevante Ermessensfehler, d. h. Rechtsfehler, nur im Bereich der heteronomen Determinante auftreten können. Diese Fehler können bei Bedarf mit verschiedenen Fallgruppen oder Fehlerlisten dogmatisch dargestellt und systematisiert werden. Es muss aber insgesamt vermieden werden, durch das Vorschieben einer angeblichen Mehrstufigkeit der Ermessensfehler die Rechtskontrolle bzw. den Zuständigkeitsbereich der Gerichte und des Rechtswissenschaftlers in metarechtliche Bereiche auszudehnen. Dort versagen das Recht als Handlungs- und Kontrollmaßstab sowie die juristische Methode zwangsläufig. Methodenbewusstes Arbeiten ist dann unmöglich. Ob ein rechtlich relevanter Ermessensfehler, d. h. ein Rechtsfehler, justiziabel ist, ist dagegen die sich anschließende Frage nach der Kontrolldichte. 3. Gebundene Entscheidung und Ermessensentscheidung An dieser Stelle muss nochmals auf den Dualismus von gebundener Entscheidung und Ermessensentscheidung – im Sinne „gelockerter Rechtsbindung“, nicht auf die Rechtsfolgenseite beschränkt – eingegangen werden. Das positive Recht unterscheidet beide Entscheidungstypen, die Rechtsdogmatik verarbeitet und systematisiert sie mit den qualitativ unterschiedlichen Figuren der strengen und der gelockerten Gesetzesbindung, wobei sich letztere in unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungs-

F. Bereinigung des Ermessensbegriffs

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spielraum und im Rechtsfolgeermessen niederschlägt.35 Die formale Rechtsstrukturtheorie kann diesen von ihr vorgefundenen Dualismus nicht ignorieren oder wegdiskutieren, auch wenn sie ihn nicht als qualitativen, sondern als rein quantitativen Unterschied erfasst, da selbst jede gebundene Entscheidung dem Rechtserzeuger immerhin noch einen, wenn auch noch so kleinen Spielraum offen hält. Allein aus dem Umstand, dass die Rechtsordnung (vermeintlich) eine vollumfängliche Bindung anordnet, auf die tatsächliche Gebundenheit der Entscheidung zu schließen, hieße, dem Subsumtionsautomatismus zu huldigen. Ist eine Entscheidung positivrechtlich als gebundene Entscheidung ausgestaltet, so ist im Hinblick auf die Entscheidungsfindung etwas tatsächlich Unmögliches und damit Sinnloses angeordnet. Es drängt sich daher auf, gebundene Entscheidung cum grano salis dahingehend zu verstehen, dass die höchstmögliche Bindung gemeint und gewollt ist, d. h. der nicht heteronom determinierte Ermessensspielraum so klein wie möglich ist. Der Typus „gebundene Entscheidung“ wird dem Recht vom Rechtsetzer, namentlich vom parlamentarischen Gesetzgeber, implementiert. Er ist sich offensichtlich des Ablaufs des Rechtsgewinnungsprozesses in einer dynamischen, arbeitsteiligen Rechtsordnung nicht bewusst und pflegt ein integratives Rechtsgewinnungsbild. Seine Fehlvorstellung findet hier ihren Niederschlag im Recht und führt so zu – Missverständnissen, die in der Rechtsdogmatik ihre Fortsetzung finden. Daher sind im Sinne der Rechtsstrukturtheorie auch die nach der Diktion des positiven Rechts gebundenen Entscheidungen Ermessensentscheidungen. Demnach kommt es weniger darauf an, ob eine gebundene Entscheidung oder eine Ermessensentscheidung zu treffen ist, als vielmehr darauf, inwiefern und inwieweit eine rechtliche Determinierung besteht. Auf diese zweite Fragestellung hat es aber angesichts der gerade dargelegten Erkenntnisse der Rechtsstrukturtheorie keinerlei Einfluss, ob die zu treffende Entscheidung vom positiven Recht als gebundene Entscheidung oder als Ermessensentscheidung ausgestaltet ist bzw. wie sie von der Rechtsdogmatik eingeordnet wird. Eine andere Frage ist, ob der (Ermessens-)Spielraum des Rechtserzeugers zugleich ein (Letzt-)Entscheidungsspielraum ist. Nicht richtig ist jedenfalls der pauschale Schluss, dass Ermessensentscheidungen zugleich eine reduzierte Kontrolldichte bedeuten. Es werden so Kontrollmaßstab und Kontrolldichte vermengt. Eine Antwort kann letztendlich nur das positive Recht geben.36 Die formale Rechtsstrukturtheorie stößt hier an ihre Grenzen.

35

Stellvertretend Fritz Ossenbühl, Rechtliche Gebundenheit und Ermessen der Verwaltung, in: Hans-Uwe Erichsen/Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., Berlin 2002, § 10 Rn. 2 – 6. 36 Zu den „echten“ Kontrolldichtereduktionen oben S. 210 – 214 und unten S. 262 f.

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

III. Ein Ermessensbegriff für das Öffentliche Recht Die Begrifflichkeit des (Letzt-)Entscheidungsspielraums lässt sich auf das übrige öffentliche Recht außerhalb des Verwaltungsrechts übertragen. Man müsste sich dann nicht mehr streiten, ob es beispielsweise ein Gesetzgebungs- oder Rechtsetzungsermessen gibt, sondern könnte auch hier von einem (Letzt-)Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers sprechen. Fragen der Kontrolldichte werden dadurch nicht beiseitegelassen. Denn ob und inwieweit jeweils eine Reduzierung der Kontrolldichte besteht, ist eine Frage der positivrechtlichen Ausgestaltung, deren Beantwortung dem positivrechtlich Ermächtigten vorbehalten ist und deren wissenschaftliche Bearbeitung der Rechtsdogmatik anheim fällt.

IV. Ein Ermessensbegriff für das richterliche Ermessen Der Übertragung des Begriffs des (Letzt-)Entscheidungsspielraums auf das richterliche Ermessen stehen gleichfalls keine Bedenken gegenüber. Auch der Richter ist durch die von ihm anzuwendenden Rechtsnormen nicht vollständig determiniert. Auch er muss nicht vollständiger gerichtlicher Kontrolle unterliegen.37

V. Ein Ermessensbegriff für die Vertragsparteien Auch den Vertragsparteien des Zivilrechts kann das positive Recht (Letzt-)Entscheidungsspielräume einräumen. Sie sind aber für die herrschende Ansicht terra incognita, da diese im Vertragsabschluss keine Rechtsgewinnung sieht.38 Dennoch ist es denkbar, dass das positive Recht zivilrechtliche Verträge nicht vollständiger gerichtlicher Kontrolle am Maßstab Recht unterwirft. Einleuchtender erscheint dies vielleicht beim öffentlich-rechtlichen Vertrag, der anstatt eines Verwaltungsaktes abgeschlossen werden kann (vgl. § 54 Satz 2 VwVfG). Wenn wie allgemein anerkannt ein Verwaltungsakt nur eingeschränkt gerichtlicher Kontrolle unterliegen kann, so kann dies doch bei einer den Verwaltungsakt nur ersetzenden Handlungsform genauso der Fall sein.

VI. Schlussbemerkung zum Begriff des (Letzt-)Entscheidungsspielraums Abschließend sei nochmals unsere wohl wichtigste Erkenntnis herausgestrichen: (Letzt-)Entscheidungsspielräume, sprich Letztentscheidungskompetenzen bzw. Re37 38

Dazu oben S. 235 f., 241 – 245. Dazu oben S. 239 f.

G. Rechtsinhaltliche (Kontroll-)Kompetenzfragen

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duktionen der Kontrolldichte, treten bei Weitem nicht so oft auf bzw. sind bei Weitem nicht so oft positivrechtlich angeordnet, wie gemeinhin angenommen. Was die herrschende Ansicht namentlich im Verwaltungsrecht unter der Begrifflichkeit von Beurteilungsspielraum und Rechtsfolgeermessen als Reduktionen der Kontrolldichte rubriziert, sind in Wirklichkeit nur Rechtsbindungsfragen. Reduziert ist, gesehen auf die gesamte Rechtsnorm, die sich aus (heteronomer) rechtlicher und (autonomer) metarechtlicher Komponente zusammensetzt, nicht die Kontrolldichte, sondern – wenn man so sagen will – die Reichweite des Kontrollmaßstabs.39 Dies zu erkennen bleibt freilich solange verwehrt, wie man ein integratives Rechtsgewinnungsbild pflegt, das zwischen Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung nicht unterscheidet. Umgekehrt versucht man vielmehr, die Kontrolldichte auszudehnen, da man erkennt dass die Rechtsbindung nicht den gesamten Rechtsgewinnungsvorgang auf einer Stufe des Stufenbaus der Rechtsordnung erfasst, sondern nur die heteronome Komponente.40 Im Lichte der rechtstrukturellen Betrachtung verliert die Ermessensproblematik ihre hervorgehobene Stellung, die sie in der Verwaltungsrechtswissenschaft und in der Verwaltungsrechtsdogmatik nach wie vor genießt.

G. Rechtsinhaltliche (Kontroll-)Kompetenzfragen Die sich auf den Rechtsinhalt beziehende Frage, wem, sprich welchem Rechtsakteur, und inwiefern, sprich in welchem Umfang, das positive Recht im Einzelfall die Rechtsgewinnungs- bzw. die Kontrollkompetenz einräumt bzw. spiegelbildlich eine Letztentscheidungskompetenz des Kontrollierten besteht, kann und will eine auf die Rechtsstruktur beschränkte Rechtstheorie wie die Reine Rechtslehre nicht beantworten. Das positive Recht regelt als System operativer Geschlossenheit seine Erzeugung und Kontrolle selbst. Die Erkenntnis, wer im Einzelfall rechtsgewinnungs- bzw. kontrollbefugt ist, muss aber vom Recht einem Akteur außerhalb des Rechts übertragen werden, da das Recht sich selbst nicht anwenden kann, sondern zu seiner Erkenntnis, Erzeugung und Verwirklichung immer eines Menschen bedarf. Ein im Elfenbeinturm einer normativen Welt des Sollens verbleibendes Recht wäre ein hochgeistiges Glasperlenspiel, das über seine Selbstzweckhaftigkeit nicht hinauskommen würde. Es könnte seine eigentliche Aufgabe, nämlich die Gestaltung und Gewährleistung eines friedlichen und gedeihlichen menschlichen Zusammenlebens, nicht erfüllen. Ein solches Recht steht nicht zur Debatte. Legt man den Merklschen Satz „Wie

39 40

Dazu oben S. 210, 211 – 214. Dazu oben S. 226, 250 f.

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

die Rechtsauslegung, so das Recht“41 zugrunde, so ist die alles entscheidende Frage, welcher Mensch zur Auslegung ermächtigt ist. Von dem zur Auslegung Ermächtigten hängt dann der Rechtsinhalt ab. Doch warum ist der, der sich als zur Auslegung positivrechtlich ermächtigt erklärt, wirklich dazu positivrechtlich ermächtigt? Die Problematik, wer die Kompetenz hat, die Rechtsgewinnungs- bzw. Kontrollkompetenz zu ermitteln, verliert sich in der Aporie.42 So wäre „eine verzweifelte probatio diabolica nötig, sollte an dieser Stelle der Beweis erbracht werden, daß eine bestimmte Person als rechtmäßig bestelltes Organ angesehen werden muß und womit hier begonnen werden soll, das wäre vorauszuschicken, nämlich die Darstellung der absolut gültigen staatlichen Handlung. Das, wie immer, rechtmäßig bestellte staatliche Organ also ist der Eckpfeiler für den ganzen Bau der staatlichen Hoheitsakte.“43

Was Walter Jellinek hier für die Handlungen von Staatsorganen ausführte, gilt ebenso für die Handlungen aller übrigen Rechtsakteure, insbesondere für Private. Freilich wird die Frage nach Letztentscheidungskompetenzen hauptsächlich die staatlichen Kontrollorgane, insbesondere die Gerichte, betreffen. So muss auch für den Letztentscheidungskompetenten die Letztentscheidungskompetenz angenommen – also letztlich fingiert! – werden, da andernfalls am Ende des Rechtsgewinnungsprozesses kein befriedigendes und erst Recht kein befriedendes Ergebnis stünde. Man darf die hier beschriebene Problematik im Übrigen nicht der Reinen Rechtslehre anlasten, da sie sie nicht verursacht, sondern nur erkannt hat. Indem man den Überbringer der schlechten Nachricht bestraft, löst man das Problem nicht. Es mag zwar zunächst enttäuschen und unbefriedigend erscheinen, dass die Reine Rechtslehre keine rechtsinhaltlichen Fragen beantworten kann. So wie wegen der Arbeitsteiligkeit der Wissenschaft an sich eine Wissenschaftsdisziplin nie das große Ganze erklären kann,44 so kann es eine Subdisziplin wie die formale Rechtsstrukturtheorie erst Recht nicht. Ein Jeder leistet nur seinen Beitrag. Es sollte also nicht verwundern, dass eine Strukturtheorie des positiven Rechts wie die Reine Rechtslehre immer wieder auf das positive Recht zurückwirft: „Als Theorie des positiven Rechts kann die Reine Rechtslehre nicht über ihren Gegenstand hinausgehen und nicht eine

41

Adolf Julius Merkl, Das Recht im Lichte seiner Anwendung (1916 – 1919), in: Dorothea Mayer-Maly/Herbert Schambeck/Wolf-Dietrich Grussmann (Hrsg.), Adolf Julius Merkl. Gesammelte Schriften, Bd. 1: Grundlagen des Rechts, Teilbd. 1, Berlin 1993, S. 85 – 146 (96) – Hervorhebung im Original. 42 Vgl. oben S. 143. 43 Walter Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen. Eine verwaltungs- und prozeßrechtliche Studie, Tübingen 1908, S. 30. 44 Vgl. Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze (1911), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen, Werke, Bd. 2: Veröffentlichte Schriften 1911, Tübingen 2008, S. 21 – 878 (636), mit Bezug auf Georg Simmel, Philosophie des Geldes, 2. Aufl., Leipzig 1907, S. VII.

H. Die Leistungsfähigkeit der Reinen Rechtslehre und ihres Ermessensbegriffs

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bestimmte Gestaltung des positiven Rechts fordern, sei es auch unter dem rechtstechnischen Kalkül, weil selbst das letzten Endes rechtspolitische Gestaltung wäre.“45

H. Die Leistungsfähigkeit der Reinen Rechtslehre und ihres Ermessensbegriffs Abschließend sei noch ein Blick auf die Leistungsfähigkeit, den geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext sowie den ideologischen Hintergrund der Reinen Rechtslehre geworfen. Insbesondere ihre Leistungsfähigkeit hat immer wieder Kritik und Enttäuschungen, insbesondere ob ihres angeblich geringen Erkenntnisgewinns bzw. ihrer zersetzenden Wirkung, veranlasst.46

I. Die Leistungsfähigkeit der Reinen Rechtslehre Um die Leistungsfähigkeit der Reinen Rechtslehre beurteilen zu können, ist zunächst auf ihren erkenntnistheoretischen Grundpfeiler zu blicken: die gegenstandserzeugende Kraft der Methode.47 „Wie die Auslegung so das Recht“,48 im allgemeineren Sinne: „Wie die Methode, so der Gegenstand“. Indem die Reine Rechtslehre eine formale Strukturtheorie einer jeden arbeitsteiligen positiven Rechtsordnung sein will, kann sie nur die formale Struktur des Rechts erkennen und beschreiben. Das Recht hat freilich mehr Aspekte. Es (ent)steht nicht auf einer ahistorischen tabula rasa, sondern ist immer in einen Kontext der Historie, Gegenwart und auch der Zukunft eingebettet. So wie das Recht Auswirkungen auf die Gesellschaft, deren gedeihliches Zusammenleben es regeln soll, hat, genauso erhält es von der Gesellschaft, die von ihm geregelt wird, Impulse. Recht hat daneben eine sprach(wissenschaft)liche Facette, da es der Sprache als Medium bedarf, um sich kommunizieren und selbst kommuniziert werden zu können. Setzt man den sehr engen ursprünglichen Rechtswissenschaftsbegriff der Reinen Rechtslehre an,49 so wären alle diese Aspekte kein Gegenstand der Rechtswissenschaft. Man würde damit aber wider besseres Wissen die Augen vor der Mannigfaltigkeit des Gesamtgegenstands „Recht“ verschließen.50

45 Clemens Jabloner, Wie zeitgemäß ist die Reine Rechtslehre?, in: Rechtstheorie 29 (1998), S. 1 – 21 (9). 46 Dazu oben S. 140 f. in und bei Anm. 363. 47 Zur gegenstandserzeugenden Kraft der Methode zusammenfassend Matthias Jestaedt, Perspektiven der Rechtswissenschaftstheorie, in: Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, Tübingen 2008, S. 185 – 205 (192 – 194). 48 Vgl. oben S. 138 in und bei Anm. 355. 49 Dazu oben S. 94 f. 50 Zur Gegenstandsvielfalt Jestaedt, Rechtswissenschaftstheorie (Anm. 47), S. 195 – 200.

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

So ist es sinnvoller, die Reine Rechtslehre als formale Rechtsstrukturwissenschaft als eine Subdisziplin im Chor der verschiedenen Rechtswissenschaften anzusehen.51 Sie hat grundlagenschaffende Funktion, indem sie Klarheit über die Rechtsstruktur sicherstellt und somit das formale Gerüst aufzeigt, innerhalb dessen sich die übrigen auf Inhaltserkenntnis und Inhaltsschaffung gerichteten Rechtswissenschaften (Rechtsdogmatik, Rechtsvergleichung, Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtspolitik, Rechtssoziologie, Rechtspsychologie usw.) und die Rechtspraktik (die positivrechtlich ermächtigten Rechtsteilnehmer wie Staatsorgane, aber auch Private) bewegen. Die Reine Rechtslehre spielt den „Platzanweiser“ im Theater der Rechtswissenschaften, daneben ebnet sie den Weg für die Rechtswissenschaftstheorie. Ihre formale Rechtsstrukturtheorie sichert die Eigenrationalität des Rechts52 und zwingt zu methodenbewusstem Arbeiten. Damit leistet sie einen zwar in der alltäglichen juristischen Arbeit nur wenig sichtbaren, aber doch deutlich spürbaren Beitrag, denn sie gewährleistet, dass das juristische Tagwerk nicht ein Schloss in den Wolken baut, sondern eine feste Burg auf einem tragfähigen Felsen errichtet. Die strikte Trennung zwischen Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung auf jeder Stufe des Rechtsgewinnungsprozesses ermöglicht dem Rechtswissenschaftler methodenbewusstes Arbeiten. Im Bereich der metarechtlichen Rechtserzeugungskomponente, dem Ermessen im rechtstheoretischen Sinne, muss die juristische, auf die Rechtserkenntnis ausgelegte Methode der Interpretation versagen, da kein Recht da ist, das erkannt werden könnte. Diese Tatsache wird durch den herrschenden integrativen Rechtsgewinnungsbegriff verschleiert. Zwar kann und darf auch der Rechtswissenschaftler als Mensch Gedanken zur „richtigen“ Ausfüllung des Ermessensspielraums im rechtstheoretischen Sinne anstellen. Er muss sich dann aber innerlich bewusst machen und nach außen klarstellen, dass er nicht mehr mit der Methode der auf (Rechts-)Erkenntnis gerichteten Rechtswissenschaft arbeitet, sondern mit anderen Methoden, beispielsweise solchen der Psychologie, Ethik, Philosophie, Theologie oder der Naturwissenschaften. Daran ändert sich auch nichts, wenn man die einzelnen Disziplinen mit dem Zusatz „Rechts-“ versieht. Er zeigt nur an, dass die Nachbarwissenschaften für die Arbeit mit dem Recht ihre Erkenntnisse zur Verfügung stellen wollen, sei es de lege lata oder de lege ferenda oder beides. Der Zusatz „Rechts-“ macht die Nachbarwissenschaften selbst aber nicht zu das Recht erkennenden Wissenschaften. Zwar mag man auch im Bereich des Ermessensspielraums im rechtstheoretischen Sinne insofern „juristisch“ argumentieren, welche Lösung juristisch gesehen am klügsten wäre, beispielsweise im Hinblick auf bestimmte gewünschte oder zu vermeidende Rechtsfolgen oder auf einen Rechtsstreit. Es handelt sich aber nicht um eine rechtlich zwingende Entscheidung, sondern um eine juristisch gleichwertige Möglichkeit unter vielen anderen. Hier steht die Beratungstätigkeit

51 Zur Binnenvielfalt der Rechtswissenschaften Jestaedt, Rechtswissenschaftstheorie (Anm. 47), S. 195 – 198. 52 Vgl. Jestaedt, Rechtswissenschaftstheorie (Anm. 47), S. 191.

H. Die Leistungsfähigkeit der Reinen Rechtslehre und ihres Ermessensbegriffs

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des Rechtsanwalts oder die vorbereitende Arbeit des Rechtswissenschaftlers53. Was ist in eben genanntem Sinne Rechtswissenschaft? Nach wohl herrschender Meinung dürfte darunter die an den Universitäten institutionalisierte Rechtswissenschaft zu verstehen sein.54 Ob der Rechtswissenschaftler als Mensch jeweils die Methoden der Nachbarwissenschaften selbst gut genug beherrscht, um seine dort gewonnenen Erkenntnisse guten Gewissens in den Diskurs einbringen zu können, ist eine andere Frage. Den Verlockungen der sprichwörtlichen und zu Recht als anmaßend empfundenen „Allzuständigkeit des Juristen“ darf der Rechtswissenschaftler nicht erliegen. Die Reine Rechtslehre wirkt aber nicht nur intradisziplinär ordnend, sondern legt auch die interdisziplinären Schnittstellen offen.55 Das Recht ist kein Solitär, der seine Inhalte aus sich selbst heraus gewinnt. Zwar regelt es als System operativer Geschlossenheit seine Erzeugungsregeln selbst, neue Inhalte entnimmt es aber wegen seiner kognitiven Offenheit aus anderen Systemen seiner Umwelt. So muss das Recht neben Rationalität und Wissenschaftlichkeit insbesondere von Religion und Moral flankiert werden. Mit den zwei letztgenannten Systemen beschäftigen sich die Theologie und (als Fachgebiet der Philosophie) die Ethik. Diese beiden Disziplinen versuchen einen auf Inhalten basierenden Grundkonsens als Grundfeste der Gesellschaft zu ermöglichen oder zumindest zu fördern, indem sie aufgrund der Natur ihrer Gegenstände, die als objektive, unabänderliche Wertordnungen absolute Gültigkeit erheischen, Erkenntnisse und Handlungsanleitungen mit ebenso absolutem Anspruch liefern. Rechtsstrukturell betrachtet spielen diese Disziplinen ihre Rolle im Ablauf des Rechtsgewinnungsprozesses im Rahmen der einfließenden subjektiven Komponente, sprich beim Ermessen. Ihre Maßstäbe zieht der Rechtsanwender heran, wenn die rechtlichen Maßstäbe enden.

II. Exkurs: Der wissenschafts- und geistesgeschichtliche Hintergrund der Reinen Rechtslehre Die Reine Rechtslehre in den wissenschafts- und geistesgeschichtlichen Kontext einzuordnen bereitet insofern Schwierigkeiten, als sie sich selbst gegen die Anreicherung mit allen disziplinfremden Elementen sperrt. Freilich entstand auch sie nicht auf einer tabula rasa, sondern fügte sich in die wissenschaftlichen Strömungen ihrer Zeit ein.56 53

S. 67. 54

Vgl. zur Tätigkeit des Rechtswissenschaftlers Osterkamp, Gerechtigkeit (Anm. 10),

Ergänzend oben S. 144 f. Zu den inter- und intradisziplinären Schnittstellen Jestaedt, Rechtswissenschaftstheorie (Anm. 47), S. 202 – 204. 56 Eine Behandlung der Geschichte des Rechtspositivismus ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Zu Kelsens Wissenschaftsideal und zur geschichtlichen Einordnung der Reinen Rechtslehre sei ergänzend auf die umfangreiche Forschung verwiesen, z. B. Horst Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 55

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

1. Relativierungsbestrebungen Am Beginn des 20. Jahrhunderts stehen im Zuge des Neukantianismus57 die „Reinen“ Theorien in der Wissenschaft in voller Blüte.58 Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts markieren die Jahre der wissenschaftlichen Relativitätstheorien, die eine Abkehr von den bis dahin in Natur- und Geisteswissenschaft herrschenden, auf absoluten Wahrheiten und der Moral begründeten Theoriegebäuden darstellen. Sie nahmen maßgeblichen Einfluss auf die von Karl Raimond Popper (1902 – 1994) begründete wissenschaftstheoretische Falsifikationslehre, die das Erkennenkönnen von Wahrheiten ablehnt und nur ein Annähern an die Wahrheit für möglich hält, indem die im Erkenntnisprozess unterlaufenden Irrtümer durch neue und richtigere Erkenntnisse, die selbst wiederum der Falsifikation offen stehen, abgelöst werden.59 Kelsens Reine Rechtslehre ist die juridische Relativitätstheorie, die die absoluten Werte des naturrechtlichen Rechtsmoralismus aus der Rechtswissenschaft ausschließt und sich auf der Basis von Rationalität und Wertrelativismus begründet. Daraus darf man aber keinesfalls schließen, dass deswegen auch das Recht keine absoluten Werte enthalten dürfe oder gar wertfrei sein müsse. Das positive Recht kann selbst Absoluta aufstellen, so z. B. unter dem Grundgesetz die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG, die bestimmte Verfassungsinhalte als materiell unabänderbaren, aus naturrechtlichen Quellen gespeisten, aber positivierten Verfassungskern der 1990, insb. S. 91 – 113; Ulfrid Neumann, Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft bei Hans Kelsen und Gustav Radbruch. Zwei „neukantianische“ Perspektiven, in: Stanley L. Paulson/Michael Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen. Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 35 – 55 (45 – 55); Horst Dreier, Hans Kelsens Wissenschaftsprogramm, in: Helmuth Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, Berlin 2007, S. 81 – 114. 57 Zur Beeinflussung Kelsens durch den (Neu-)Kantianismus Felix Kaufmann, Kant und die Reine Rechtslehre, in: Rudolf Alad‚r M¦tall (Hrsg.), 33 Beiträge zur Reinen Rechtslehre, Wien 1974, S. 141 – 151; H. Dreier, Rechtslehre (Anm. 56), S. 19, 33, 70 – 74, 86 f.; Joachim Hruschka, Die Zurechnungslehre Kelsens im Vergleich mit der Zurechungslehre Kants, in: Stanley L. Paulson/Michael Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen. Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 2 – 16; Neumann, Wissenschaftstheorie (Anm. 56), S. 35 – 39, 50 – 53. 58 Die Reinheitspostulate gehen zurück auf Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781 (2. Aufl., Riga 1787) und wurden z. B. aufgegriffen von Hermann Cohen, System der Philosophie, 3 Bde.: Logik der reinen Erkenntniss, Berlin 1902; Ethik des reinen Willens, Berlin 1904; Ästhetik des reinen Gefühls, Berlin 1912. 59 Karl Raimond Popper, Logik der Forschung, 7. Aufl., Tübingen 1982, S. 8, 47 – 59, 69 f., insb. 225: „Das alte Wissenschaftsideal, das absolut gesicherte Wissen (episte¯me¯) hat sich als Idol erwiesen. Die Forderung der wissenschaftlichen Objektivität führt dazu, daß jeder wissenschaftliche Satz vorläufig ist. Er kann sich bewähren – aber jede Bewährung ist relativ, eine Beziehung, eine Relation zu anderen, gleichfalls vorläufig festgesetzten Sätzen … nicht der Besitz von Wissen macht den Wissenschaftler, sondern das rücksichtslos kritische, das unablässige Suchen nach Wahrheit.“ – Hervorhebungen im Original. – Plakativ Linus Carl Pauling (1901 – 1994), Chemiker und Nobelpreisträger 1954: „Wissenschaft ist Irrtum auf den letzten Stand gebracht.“

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legalen Änderung entzieht.60 Ebenso kann das positive Recht Werte enthalten, so beispielsweise die gesamte Rechtsordnung des Grundgesetzes, die dem Einzelnen größtmögliche Freiheit gewähren und garantieren will.61 Die Reine Rechtslehre als Rechtswissenschaft erkennt und beschreibt ihren Gegenstand, d. h. das positive Recht, nur von außen aus der Beobachterperspektive und bleibt als Wissenschaftsdisziplin selbst frei von rechtlichen und metarechtlichen Einflüssen und Werten. 2. Die historischen Wurzeln des Relativismus Dennoch enthalten die relativen Theorien trotz ihres auf den ersten Blick revolutionären Denkens im Kern nichts Neues.62 Sie greifen die verschütteten aufklärerischen, vorsokratischen und sophistischen Theorien des extremen Subjektivismus auf und machen sie für die Wissenschaft wieder nutzbar. So formulierte schon Protagoras den „Homo-mensura-Satz“.63 Die Sophisten, die Vordenker der antiken Aufklärung, die die Lösung des Menschen aus seiner mythologischen Gebundenheit vorantrieben, wurden von Platon und seinem Schüler Aristoteles hart bekämpft. Der Einfluss der Sophisten unter den pragmatischen, an philosophischen Fragen zwar durchaus interessierten, aber wenig originellen und umso eklektischeren Römern war gleich Null. Dass die Sophisten – soweit sie überhaupt bekannt waren – im abendländischen Mittelalter unter dem christlichen Dogma der absoluten christlichen Glaubenswahrheit keine Rolle spielten, liegt auf der Hand. Und auch die Aufklärung der Neuzeit ersetzte anders als ihr Vorgänger in der Antike eine absolute Instanz durch eine andere absolute: Auf die Frage wer – in den Worten des 19. Jahrhunderts – nach Gottes Tod64 seinen Platz einnimmt, gaben die Aufklärer zwar nicht mehr eine theologisierte, aber dennoch eine metaphysisch aufgeladene Antwort: Vernunft statt 60

Zur „Ewigkeitsgarantie“ statt vieler Horst Dreier, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2: Art. 20 – 82, 2. Aufl., Tübingen 2006, Art. 79 III Rn. 4 – 8, 14 – 18. 61 Vgl. grundlegend BVerfGE 2, 1 (12 f.); erläuternd Peter Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2: Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2004, § 25 Rn. 2. 62 Darauf weist bereits 1884 Wilhelm Windelband hin: „So ist der Relativismus die nothwendige Consequenz der rein empirischen Auffassung der philosophischen Cardinalfrage. Wie alle Formen der Weltbetrachtung in dem klaren Ablauf des hellenistischen Geisteslebens mit typischer Einfachheit und Großartigkeit sich in scharf zugeschliffener Gestalt entwickeln, so tritt auch diese Consequenz in den Sophisten überaus einleuchtend hervor, und alle späteren Darstellungsformen des Relativismus, wie etwa die Lehre der Encyclopädisten oder der moderne Positivismus, sind nur Neuverbrämungen und zeitgemäß zurechtgemachte Abklatsche jenes protagoreischen: p\mtym wqgl\tym l]tqom %mhqypor.“ (Wilhelm Windelband, Normen und Naturgesetze, in: Wilhelm Windelband, Präludien. Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie, Freiburg i. Br. und Tübingen 1884, S. 211 – 279 (263 f.)). 63 Dazu oben S. 142 f. 64 Vgl. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft [125. Der tolle Mensch] (1882), in: Giorgio Colli/Mazzino Montinari (Hrsg.), Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe, 5. Abt., Bd. 2: Friedrich Nietzsche. Idyllen aus Messina. Die fröhliche Wissenschaft. Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 bis Sommer 1882, Berlin und New York 1973, S. 21 – 320 (158 – 160).

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4. Teil: Ergebnisse und Erkenntnisse

Gott. Von einem funktionalen Äquivalent mit absolutem Charakter kann man sich bis heute nicht trennen – und dürfte es auch nie können. Ohne einen festen Bezugspunkt lässt sich kein Halt finden. Postmoderne Beliebigkeit bedient zwar dekadente Bedürfnisse und Befindlichkeiten, füllt aber dennoch nicht die verbleibende Leere. 3. Standpunktfragen: Relativismus und Weltanschauung Auch Kelsen war außerhalb seiner wertrelativistischen Rechtstheorie nicht weltanschaulich neutral oder indifferent,65 sondern fest gefügter Anhänger einer Weltanschauung: er gab dem Recht den Vorzug vor der Macht und war überzeugter Demokrat.66 Für die Demokratie trat er leidenschaftlich ein und blieb ihr trotz empfindlicher persönlicher Einbußen durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten auch nach dem Zweiten Weltkrieg treu.67 Kelsens demokratisches Credo – Zeit seines Lebens niemals widerrufen und zugleich eine Absage an eine wehrhafte Demokratie und Ewigkeitsgarantien wie sie das deutsche Grundgesetz statuiert – ist hier angesichts seiner steten Aktualität in voller Länge wiedergegeben: „Schließlich muß noch eines Einwandes gedacht werden, den man nicht als Bolschewist und nicht als Faszist, den man als Demokrat gegen die Demokratie machen kann. Sie ist diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt. Es scheint ihr tragisches Schicksal zu sein, daß sie auch ihren ärgsten Feind an ihrer eigenen Brust nähren muß. Bleibt sie sich selbst treu, muß sie auch eine auf Vernichtung der Demokratie gerichtete Bewegung dulden, muß sie ihr wie jeder anderen politischen Ueberzeugung die gleiche Entwicklungsmöglichkeit gewähren. Und so sehen wir das seltsame Schauspiel, daß Demokratie in ihren ureigensten Formen aufgehoben werden soll, daß ein Volk die Forderung erhebt, ihm die Rechte wieder zu nehmen, die es sich selbst gegeben, weil man verstanden hat, dieses Volk glauben zu machen, daß sein größtes Uebel sein eigenes Recht sei. Angesichts solcher Situation möchte man an das pessimistische Wort Rousseaus glauben: Eine so vollkommene Staatsformel sei zu gut für die Menschen, nur ein Volk von Göttern könnte sich auf die Dauer demokratisch regieren. Aber angesichts dieser Situation erhebt sich auch die Frage, ob man es dabei sein Bewenden lassen solle, die Demokratie theoretisch zu verteidigen. Ob die Demokratie sich nicht selbst verteidigen soll, auch gegen das Volk, das sie nicht mehr will, auch gegen eine Majorität, die in nichts anderem einig ist, als in dem Willen, die Demokratie zu zerstören. Diese Frage stellen, heißt schon, sie verneinen. Eine Demokratie, die sich gegen den Willen der Mehrheit zu behaupten, gar mit Gewalt sich zu behaupten versucht, hat aufgehört, Demokratie zu sein. Eine Volksherrschaft kann nicht gegen das Volk bestehen bleiben. Und soll es auch gar nicht 65 Angemerkt sei, dass es weltanschauliche Neutralität oder Indifferenz nicht gibt, denn selbst Relativismus, Anarchismus oder gar Nihilismus sind Weltanschauungen. 66 Dazu auch Tamara Ehs, Hans Kelsen und die politische Bildung im modernen Staat. Vorträge in der Wiener Volksbildung. Schriften zu Kritikfähigkeit und Rationalismus, Wien 2007, insb. S. 144 – 159. 67 Z. B. Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1. Aufl., Tübingen 1920 (2. Aufl., Tübingen 1929); Hans Kelsen, Foundations of democracy, in: Ethics 66 (1955), Nr. 1, Teil II, S. 1 – 101.

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versuchen, d. h. wer für die Demokratie ist, darf sich nicht in den verhängnisvollen Widerspruch verstricken lassen und zur Diktatur greifen, um die Demokratie zu retten. Man muß seiner Fahne treu bleiben, auch wenn das Schiff sinkt; und kann in die Tiefe nur die Hoffnung mitnehmen, daß das Ideal der Freiheit unzerstörbar ist und daß es, je tiefer es gesunken, um so leidenschaftlicher wieder aufleben wird.“68

Kelsens demokratisches Credo ist eng verbunden mit seinem aufklärerischen Wissenschaftsideal, wonach echte Wissenschaft nur auf objektive Erkenntnis der Wirklichkeit gerichtet ist und ihrem Gegenstand gegenüber emotional indifferent bleibt. Eine solche Wissenschaft sei nur in der Demokratie möglich, da diese – anders als die Autokratie – den Charakter einer relativistischen Grundanschauung hat und, weil sie absolute Wahrheiten der menschlichen Erkenntnis für unzugänglich hält, allen Ansichten einen Platz einräumen muss.69 Ob Kelsens Urteil in dieser Pauschalität zutreffend ist, darf hier dahingestellt bleiben; auch in einer autokratisch verfassten Gesellschaft kann die Wissenschaft blühen. Abschließend sei jedenfalls angemerkt: Auch wenn heute Relativismus und (Rechts-)Positivismus ihren festen Platz im Denken des Abendlandes haben, so verstummen doch die kritischen Stimmen nicht. Auch Kelsen – als Wertrelativist davon überzeugt, mit seiner Reinen Rechtslehre die wahre Rechtstheorie gefunden zu haben70 – räumte ein, dass der Konflikt zwischen Naturrecht und (Rechts-)Positivismus niemals zu einem Ende kommen wird: „Der Positivismus ist nicht erledigt und wird nie erledigt sein, so wenig wie das Naturrecht erledigt ist, dieses erledigt sein wird. Dieser Gegensatz ist ein ewiger. Die Geistesgeschichte zeigt nur, daß bald der eine, bald der andere Standpunkt in den Vordergrund tritt.“71 68 Hans Kelsen, Verteidigung der Demokratie (1932), in: Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius (Hrsg.), Hans Kelsen. Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 229 – 237 (237) – Hervorhebung im Original. – Angesichts der seinerzeit extremsten Feinde der Demokratie, der Nationalsozialisten, ist Kelsens stoisches Behalten seines Standpunktes umso bemerkenswerter. Bereits 1928 hatte Joseph Goebbels gesagt: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache.“ (Joseph Goebbels, Was wollen wir im Reichstag? (1928), in: Joseph Goebbels, Der Angriff. Aufsätze aus der Kampfzeit. Zusammengestellt und eingeleitet von Hans Schwarz van Berk, Bd. 1, München 1935, S. 71 – 73 (71).) Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten legte Goebbels nach: „Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, daß sie ihren Todfeinden die Mittel selbst stellte, durch die sie vernichtet wurde.“ (Joseph Goebbels, Die Dummheit der Demokratie (o. J.), in: Joseph Goebbels, Der Angriff. Aufsätze aus der Kampfzeit. Zusammengestellt und eingeleitet von Hans Schwarz van Berk, Bd. 1, München 1935, S. 61 (61)). 69 Vgl. Hans Kelsen, Wissenschaft und Demokratie, in: Neue Züricher Zeitung, Nr. 321 (Morgenausgabe), 23. Februar 1937, Blatt 1; die Relativismusfreundlichkeit der Demokratie findet sich bereits in Kelsen, Wesen und Wert2 (Anm. 67), S. 101; zum Ganzen auch H. Dreier, Rechtslehre (Anm. 56), S. 278 – 283. 70 Vgl. oben S. 97. 71 Hans Kelsen, Aussprache, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 3 (1927), S. 53 – 55 (53 f.).

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Ebenso wie es sich hier um nicht diskutierbare Glaubensfragen handelt, gibt es kein „Ende der Geschichte“72. Kelsens bleibender Verdienst ist es, seine Gedanken möglichst konsequent zu Ende gedacht zu haben. Alles andere geißelte er als „Denkfeigheit“73.

III. Die Leistungsfähigkeit des Ermessensbegriffs der Reinen Rechtslehre In der Demokratie abendländisch-liberaler Prägung stehen das Schöne und Wahre und Gute nicht mehr absolut und unabänderlich fest. Sie sind vielmehr relativ und jederzeit im entsprechenden Verfahren mit den erforderlichen Mehrheiten abänderbar. Die Sprengkraft dieses Grundsatzes für eine enthomogenisierte Gesellschaft, in der mangels objektiver Werteordnungen wie Religion und Moral,74 die ihren Führungsanspruch eingebüßt haben, ein materieller Grundkonsens nicht mehr herzustellen ist, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. 72 Programmatisch Francis Fukuyama, The end of history and the last man, New York u. a. 1992, insb. p. XI–XIII, wo Fukuyama die liberale Demokratie anhand der – durchaus bestreitbaren – empirischen Feststellung ihres internationalen Vormarsches als allen anderen Verfassungen überlegen ansieht und somit „the ,end of historyГ (p. XI), das „Ende der Geschichte“ der Verfassungsentwicklung erreicht glaubt. Am Ende bewahrt sich aber auch Fukuyama einen Rest Skepsis (p. 339; in der deutschen Übersetzung (Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?, München 1992) lautet der Schlusssatz auf S. 446: „Vielleicht werden sie nach einiger Zeit zu einer neuen, noch weiteren Reise [zu anderen Verfassungen] aufbrechen.“). 73 Hans Kelsen, Über Staatsunrecht. Zugleich ein Beitrag zur Frage der Deliktsfähigkeit juristischer Personen und zur Lehre vom fehlerhaften Staatsakt (1914), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 3: Veröffentlichte Schriften 1911 – 1917, Tübingen 2010, S. 439 – 531 (443). 74 Auch das Recht ist keine objektive Werteordnung. Nicht einmal systemimmanent sind seine Regelungen objektiv i. S. v. unabänderbar gültig, auch wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Grundrechte eine „objektive Werteordnung“ bilden (BVerfGE 7, 198 – Lüth). Denn selbst die Grundrechte sind, soweit Gesetzesvorbehalt und kollidierendes Verfassungsrecht reichen, einschränkbar und darüber hinaus – jedenfalls im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG – auch abänderbar. Die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG widerspricht der Idee der Demokratie als einer auf dem Gedanken des Relativismus aufgebauten Staatsform (dazu Kelsen, Verteidigung (Anm. 68), S. 237 – ergänzend oben S. 271 bei Anm. 68; tendenziell auch BVerfGE 30, 1 (25); BVerfGE 109, 279 (310); Michael Sachs, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 5. Aufl., München 2009, Art. 79 Rn. 26). Ihre Systemwidrigkeit zeigt sich v. a. darin, dass sie, um sinnvoll Wirksamkeit entfallen zu können, selbst als unabänderlich angesehen werden muss, obwohl eine solche Rechtsnorm der Rechtsordnung nicht zu entnehmen ist und aus dem Sinn und Zweck des Art. 79 Abs. 3 GG selbst geschlossen werden muss (vgl. BVerfGE 84, 90 (120); Sachs, a. a. O., Art. 79 Rn. 80); es sind „hier die Grenzen des Geltungsanspruchs der Verfassung erreicht“ (Degenhart, Staatsorganisationsrecht (Anm. 7), Rn. 222). Zudem ist selbst der Inhalt der von Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten objektiven Werteordnung, sprich der Menschenwürde selbst und des Menschenwürdegehalts der übrigen Grundrechte, umstritten, wie derzeit die Diskussion um die Bioethik deutlich zeigt (zusammenfassend m. w. N. Wolfram Höfling, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 5. Aufl., München 2009, Art. 1 Rn. 23 – 30).

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Homogenität ist eine fundamentale Voraussetzung jeder Gemeinschaft und Gesellschaft.75 So spricht auch Ernst-Wolfgang Böckenförde – neben der moralischen Substanz des Einzelnen als individuellem Regulativ – von der Homogenität der Gesellschaft als kollektivem Regulativ der Freiheit.76 Auch Hans Kelsen wies im Zusammenhang mit der politischen Bildung im demokratischen Staat auf die Wichtigkeit von Homogenität hin, seine diesbezüglichen Ausführungen strich er aber vor der Veröffentlichung wieder: „Liebe zum Staat! Wenn das nicht wirtschaftliche Interessensgemeinschaft, [G]emeinschaft der Sprache, Nation, Rasse, wahre nicht bloß fiktive Kulturgemeinschaft ist, die sich gegen feindliche wirtschaftliche Interessen, gegen androhende Sprach-[,] Nation-[,] Rassen[-] oder Kulturgemeinschaft richtet, ist ein leeres Wort, hinter dem keine realen Kräfte stehen.“77

Ob vor diesem Hintergrund ein formaler Verfassungspatriotismus ein gesundes Nationalbewusstsein zu ersetzen vermag, darf getrost bezweifelt werden. „Jede echte Staatsform setzt einen festen Bestand von politisch-materialen Werten voraus, durch die die staatliche Gemeinschaft glaubensmäßig legitimiert und inhaltlich zusammengehalten wird. … Denn das Politische, das stets auf ein überhistorisch-objektives Ziel gerichtet ist, ist immer im Irrationalen verhaftet.“78

Jenseits eines solchen Fundaments kann Recht mit seinen Regeln das Miteinander in der Gesellschaft im „Staat als Heimstatt aller Staatsbürger“79 nicht mehr fördern, sondern allenfalls ein Nebeneinander der Individuen bzw. Parallelgesellschaften erzwingen. Im Ergebnis kommt es aber zu einem Auseinanderbrechen der Gesellschaft in neue Gesellschaften mit jeweils eigenen Regeln – mit allen negativen Folgen, insbesondere sowohl dem (letztlich physisch ausgetragenen) Kampf um die politische und religiöse Vorherrschaft als auch um die Ressourcen. Freilich sind manche Inhalte der Abstimmung, sprich der legalen Abänderung entzogen. Diese Bereiche sind unter dem Grundgesetz zunächst von den Grundrechten gesichert, die die Minderheit vor der Mehrheit schützen. Da jedoch auch Grundrechte durch Mehrheitsbeschluss abänderbar sind, steht über der gesamten Konstruktion des Grundgesetzes – als „letzte Verteidigungslinie“80 – die Menschenwürde als unabwäg75 Dazu auch Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 6. Aufl., Tübingen 2005, S. 496 – 499, insb. 498 f. (Nachwort zur 6. Aufl.). 76 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt a. M. 1976, S. 42 – 64 (60). 77 Hans Kelsen, Politische Weltanschauung und Erziehung (1913), in: Matthias Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen Werke, Bd. 3: Veröffentlichte Schriften 1911 – 1917, Tübingen 2010, S. 112 – 145 (132 Anm. 146). 78 So bereits kurz vor dem Untergang der Weimarer Republik Gerhard Leibholz, Die Auflösung der liberalen Demokratie in Deutschland und das autoritäre Staatsbild, München 1933, S. 9. 79 BVerfGE 19, 206 (216). 80 Höfling, Grundgesetz (Anm. 74), Art. 1 Rn. 65.

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bare, unveränderliche objektive Wertordnung.81 Insofern kennt auch unsere Verfassung das Schöne und Wahre und Gute. Obwohl es keine „ewigen Wahrheiten“ mehr gibt, darf man im Umkehrschluss aber nicht annehmen, dass Mehrheitsbeschlüsse keine absolute Geltung hätten. Bis zum ihn abändernden Mehrheitsbeschluss hat der bestehende Mehrheitsbeschluss sehr wohl absolute Geltung und kann mit allen positivrechtlich zugelassenen Mitteln durchgesetzt werden. Demokratie bedeutet daher nicht die generelle Abkehr vom Absoluten. Vielmehr wird nur die Dauer der Geltung eines Absolutums beschränkt, indem eine Opposition zugelassen und ein Verfahren zur Abschaffung des jeweils geltenden Absolutums besteht. Demokratie bedeutet neben Herrschaft auf Zeit auch die Geltung eines Absolutums auf Zeit. Die Reine Rechtslehre trägt dem Relativismus, wie er in einer demokratischen Verfassung wie der des Grundgesetzes verankert ist, Rechung, indem sie mit ihrem dynamischen Rechtsgewinnungsbild den immer neuen Wahrheiten und subjektiven Komponenten, die der Rechtsteilnehmer aufgrund seiner subjektiven Erkenntnis und Willensbetätigung in das Recht einbaut, ihren Platz innerhalb der Rechtsstruktur im Rahmen des Ermessens im rechtsstrukturtheoretischen Sinne zuweist. Sie schafft ihnen Raum, damit die von ihr vorgefundene und strukturierte Leere mit Leben gefüllt werden kann. Indem die Reine Rechtslehre als formale Strukturtheorie frei von Inhalten zu bleiben versucht, kann sie jedem beliebigen Inhalt Raum geben. Sie lässt aber auch hinsichtlich des Rechtsinhalts ratlos zurück. Völlige Ideologiefreiheit vermag auch sie nicht zu erreichen. Auch Gedankengebäude müssen einen Standpunkt haben, um bestehen zu können. Selbst Ideologiefreiheit ist letztlich selbst eine Ideologie. Relativismus kann man nur leben. Sobald man über ihn reflektierend denkt oder spricht, nimmt man selbst einen Standpunkt ein, d. h. eine zumindest für einen selbst absolute Position. Mit ihrem Reinheitspostulat stellt sich die Reine Rechtslehre auf den Standpunkt des Relativismus. Damit schließt sich der Kreis: Die Reine Rechtslehre ist die Rechtsstrukturtheorie der Demokratie82 und liefert die rechtsstrukturelle Ergänzung83 der 81 So die herrschende Meinung, vgl. nur Michael Sachs, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 5. Aufl., München 2009, Vor Art. 1 Rn. 27 – 29; Höfling, Grundgesetz (Anm. 74), Art. 1 Rn. 6, 9 – 11, 42 – 45. – Zur versteckten Abwägung der Menschenwürde und zum daher nicht haltbaren Unabwägbarkeitsdogma Thomas Elsner/Klara Schobert, Gedanken zur Abwägbarkeit der Menschenwürde – angestoßen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung, in: Deutsches Verwaltungsblatt 122 (2007), S. 278 – 287 (279 – 281, 283 – 287). 82 Zum Verhältnis von Demokratie und Relativismus grundlegend Kelsen, Wesen und Wert1 (Anm. 67), S. 36 – 38; vertiefend Kelsen, Wesen und Wert2 (Anm. 67), S. 100 – 104; Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925, S. 359, 370 f.; aufgreifend Kelsen, Foundations of democracy (Anm. 67), S. 38 f.; erläuternd H. Dreier, Rechtslehre (Anm. 56), S. 249 – 283; Brigitte Lanz, Positivismus, Werterelativismus und Demokratie bei Hans Kelsen, Berlin 2007, S. 114 – 140, 157 – 161. 83 Kelsen selbst wies einen Zusammenhang zwischen Reiner Rechtslehre und Demokratietheorie zurück, um eine Vermischung von gestaltender Politik und erkennender Wissenschaft zu verhindern und die Ideologiefreiheit der Wissenschaft zu erhalten, vgl. Hans Kelsen, Juristischer Formalismus und Reine Rechtslehre, in: Juristische Wochenschrift 58 (1929),

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Kelsenschen Demokratietheorie. Ein auf den Fundamenten der Reinen Rechtslehre stehendes Ermessenskonzept ist daher für die Rechtsordnung des Grundgesetzes geradezu prädestiniert.

S. 1723 – 1726 (1724). Daher wird hier auch nur von einer Ergänzung gesprochen, um die notwendige klare Abtrennung aufrechtzuerhalten. Beide – Kelsens Demokratietheorie und Reine Rechtslehre – stehen aber auf dem Fundament des Relativismus. Zum Verhältnis von Demokratietheorie und Reiner Rechtslehre auch Lanz, Positivismus (Anm. 82), S. 157 – 161.

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Sachwortverzeichnis Stichwortnachweise werden durch die Angabe der Seite geführt, Nachweise aus den Anmerkungen durch Angabe der Seite und – verbunden durch einen Punkt – der Anmerkungszahl (z. B. 193.86). Abwägung – ~(fehler)lehre auf dem Vormarsch 229 f., 231 – und finale Programmierung als Spezifika des Planungsermessens 51 f., 66 Anfechtbarkeit – Nichtigkeit und ~ 184 – 186 Anwendungspositivismus – Geltungs- und ~ 39 f., 96 Art. 19 Abs. 4 GG – Rolle und Funktion von ~ für die Kontrolldichte 182 f., 192 f., 202 f., 207, 209, 210 – Rolle und Funktion von ~ für die Kontrolle 182 f., 192 f. – Rolle und Funktion von ~ für unbestimmten Rechtsbegriff und Rechtsstaat 42 – 44, 73, 75, 78 – 81 Ausbildungsliteratur – Trennung von (Rechtsfolge-)Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff in der ~ 63 – 67 Auslegung s. Interpretation Autonome Determinante s. a. heteronome Determinante; Rechtsgewinnungsbild 23 – doppeltes Rechtsantlitz (Wechselspiel von heteronomer und ~) 121 f., 138 – 140, 191, 205, 210, 211, 222 f., 224 f., 226, 230, 234, 241 f., 250 f., 263, 266 f. – Ermessen als Bereich autonomer Determinierung 113 – 117, 118, 121 – 125, 138 – 140, 142 f., 154, 156, 169 f. – Grenzverlauf zwischen heteronomer und ~ 196 f., 222 f., 226, 260 – Rechtmäßigkeit (heteronome Determinante) und Zweckmäßigkeit (~) 32, 34, 35, 40, 154 f., 190 – 198, 222 f., 257 f.

– Rechtserzeugung durch Willensakt 104 – 106, 108, 110, 144 f., 150 f., 185 – Zweckmäßigkeitskontrolle als Kontrolle der ~ 192, 222 f., 257 Autonome Komponente s. autonome Determinante Autonome Programmierung s. autonome Determinante

Bauleitpläne – Reduktion der Kontrolldichte und ~ 211 Berufung (Rechtsmittel) – Reduktion der Kontrolldichte und ~ 211 Beurteilungsspielraum s. a. Ermessen; (Rechtsfolge-)Ermessen; unbestimmter Rechtsbegriff 26 – als Ausnahme 42, 45 f., 68 – 77, 177, 198, 241 f. – Fallgruppen 77 – 81 – funktionell-rechtlicher Ansatz 40, 61 f., 80, 203 – 205, 209, 243 – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ~ 228 – Justiziabilität (Kontrolldichte) des ~/Letztentscheidungskompetenz 61 f., 77 – 81, 114, 210, 258 – 260 – normative Ermächtigungslehre 56, 81, 61 f., 81, 207 – 210, 231, 243 f. – (Rechtsfolge-)Ermessen als Gegenbegriff zum ~ 41, 49, 52, 63 f. – (Rechtsfolge-)Ermessensfehlerlehre im ~ 227 f. – Trennung von (Rechtsfolge-)Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff mit ~ in der Ausbildungsliteratur 63 – 67 – unbestimmter Rechtsbegriff mit ~ (Tatbestandsermessen) 24, 28, 31 f., 43, 49 f.,

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Sachwortverzeichnis

54 f., 70, 78 – 81, 114, 210, 219, 243 f., 258 – 260 Demokratie – Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre ergänzt rechtsstrukturell Kelsens Demokratietheorie 274 f. – Kelsen als Demokrat 270 – 272 Determinante – autonome ~ s. dort – heteronome ~ s. dort Deutungsschema – Recht(snorm) als ~ 98 f., 115, 183, 192, 237 Doppeltes Rechtsantlitz/Wechselspiel von heteronomer und autonomer Determinante/Erkenntnis- und Willensakt 23, 49, 76, 121 f., 138 – 140, 191, 205, 210, 211, 222 f., 224 f., 226, 230, 234, 241 f., 250 f., 263, 266 f. Doppelverwaltung 155 f., 173, 191, 193 f., 196, 206 Dualismen in der Ermessenslehre 26, 30 – 36, 39 – 41, 44 – 46, 64 f., 76, 81 f., 112, 114 f., 118, 123, 124 f., 159 f., 162, 169 f., 218, 232 – 245, 246, 248, 258, 260 f. Dynamisches (arbeitsteiliges) Rechtsgewinnungsbild s. a. statisches Rechtsgewinnungsbild; Stufenbau der Rechtsordnung 23, 26, 43 f., 67, 69, 70, 71 – 74, 105 f., 113 f., 121, 125 – 135, 158 f., 169 f., 171 f., 186, 197, 240, 241 f., 246 – 248, 249 – 251, 254, 258, 265 – 267 Eine richtige Entscheidung (richtiges Recht) s. a. statisches Rechtsgewinnungsbild 26, 29, 32 – 33, 40, 43, 54, 66, 68 – 77, 131 f., 242, 250, 266 – als Grundmuster der Ermessensdiskussion 44 – als regulative Idee 77, 226, 250 f., 251 – Gerechtigkeit und ~ 250 f. – Illusion der ~ 248 – 251 – Reine Rechtslehre und ~ 106, 143, 162 f., 165, 169 f., 272 – 275 Erkenntnisakt s. a. Rechtsgewinnungsbild; Willensakt 23

– Auslegung und Rechtsbindung/Möglichkeit objektiver Erkenntnis 138 – 140, 143, 165, 231 f. – Begriff des Rechtsgewinnungsprozesses (Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung) 121 – 123 – doppeltes Rechtsantlitz/Wechselspiel von heteronomer und autonomer Determinante/~ und Willensakt 23, 49, 76, 121 f., 138 – 140, 191, 205, 210, 211, 222 f., 224 f., 226, 230, 234, 241 f., 250 f., 263, 266 f. – Erkennbarkeit der (Letzt-)Endscheidungskompetenz in der Aporie 151, 264 – Reinheit der Reinen Rechtslehre durch ideologiefreie (Rechts-)Erkenntnis/Ideologiekritik 95 f., 97 – 99, 105, 165, 168, 169, 268 f., 274 – unbestimmter Rechtsbegriff als Auslegungs-/Erkenntnisproblem 32 – 35, 43, 46 f., 49, 54, 66 f., 68 f., 70, 72 – 76, 227 Ermächtigung s. Ermessen Ermessen – Ermessensbegriff der herrschenden Ansicht s. dort – Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre s. dort – Ermessensbegriffe s. dort – Ermessensdogmatik s. dort – Ermessensfehler s. dort – Ermessensgrenzen s. dort – Fehlerkalkül s. dort – im engeren Sinne s. Kontrolldichte – im weitesten Sinne s. Rechtsbindung Ermessensbegriff der herrschenden Ansicht s. a. Beurteilungsspielraum; Ermessen; unbestimmter Rechtsbegriff – als „Dauerthema“ 24, 55, 174 – als Lockerung der Rechts-/Gesetzesbindung 23, 45, 176, 177, 198, 202 f., 241, 241 f., 243 f., 245.288, 258, 260 f. – als ureigener Topos des öffentlichen Rechts 26, 30, 45, 64 f., 81 f. – als zugleich Freiheit von rechtlicher Bindung und gerichtlicher Kontrolle (integrativer Ermessensbegriff) 23, 28, 41 f., 49 f., 56, 77, 175 f., 245, 257, 261 – Auswahlermessen 50, 66

Sachwortverzeichnis – Berührungspunkte/Austauschbarkeit zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff 52 f., 55 f., 58, 219 – 221, 245, 258 – 260 – des Privaten s. dort – dogmatischer Ansatz 172 – 175 – Doppelbödigkeit der herrschenden Ermessensdiskussion 63 – 77 – eine richtige Entscheidung als Grundmuster der Ermessensdiskussion 44 – Entschließungsermessen 50, 66 – Entwicklung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit 34 – Ermessen als gesamtrechtliches ubiquitäres Phänomen/keine qualitativen (kategorialen) Unterscheidungen/Dualismen 26, 30 – 36, 39 – 41, 44 – 46, 64 f., 76, 81 f., 112, 114 f., 118, 123, 124 f., 159 f., 162, 169 f., 218, 232 – 245, 246, 248, 258, 260 f. – Ermessen als Methodenfrage s. Methode – Ermessen als Seismograph für das Rechtsgewinnungsbild sowie das Vertrauen in Rechtsprechung und Verwaltung 23, 173 f. – Ermessen der Staatsanwaltschaft 244 – Ermessensfragen als Rechtsbindungsfragen (Ermessen im weitesten Sinne) 156 f., 169 f., 218 f., 226, 233 – 240, 258 – Ermessensreduzierung auf Null 50, 58 – Erstarrung der Ermessensdiskussion 24, 82 – 84 – gebundene Entscheidung/Verwaltung/ Staatstätigkeit und Ermessensentscheidung/Ermessensverwaltung/Ermessensstaatstätigkeit 45, 65 f., 67 f., 72, 128, 240 f., 246, 260 f. – gesetzgeberisches Ermessen s. Gesetzgeber – Handlungsermessen 46, 47 f. – im europäischen Kontext 82 – 84 – im Nationalsozialismus 37 – 39 – intendiertes Ermessen 50, 59 – Justiziabilität (Kontrolldichte) des (Rechtsfolge-)Ermessens/Letztentscheidungskompetenz 30, 31, 47 f., 56 – 61, 74 – (kein) freies Ermessen 31, 32, 56 – 61, 66, 176 – kognitives Ermessen 47 f.

– – – – –

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Koppelungsvorschriften 55 f., 58 landesherrliches Ermessen 29, 30, 39 linguistische Ansätze 33 – 34, 255 Lücken und Ermessen 75 f., 166 – 169 Maßstäbe des Ermessens s. autonome Determinante; heteronome Determinante – normstrukturelle Unterscheidung zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff auf der Grundlage konditional/final programmierter Rechtsnormen 32, 41, 46, 47, 49 – 56, 65 f., 68 – 77, 114, 260 f. – Planungsermessen als Sonderkategorie 24, 46, 50 – 52, 53, 66, 76, 114, 192, 219, 229, 259 f. – Recht als Grundlage und Grenze staatlichen Handelns 35 f. – Rechtmäßigkeit (heteronome Determinante) und Zweckmäßigkeit (autonome Determinante) 32, 34, 35, 40, 154 f., 190 – 198, 222 f., 257 f. – Rechtsfolgeermessen s. dort – Rechtssetzungsermessen 234 f. – Regulierungsermessen als Sonderkategorie 24, 46, 52 f., 83, 114, 192, 219, 259 f. – richterliches Ermessen s. Richter – Standort des Ermessens im Gefüge der Staatsgewalten 23 – Systematisierungsbestrebungen 32 – Tatbestandsermessen 46 – 48, 114 – theoriefreier Ermessensbegriff 42 – 44, 180 – topisches Verfahren 74 – Übernahme der herrschenden Ermessensdogmatik ins Strafrecht 243 f. – Urteilsermessen 47 – Verhältnis von Rechtsbindung/heteronomer Determinierung und Kontrolldichte 176 f. – volitives Ermessen 47 f. – vollumfängliche Rechtsbindung als Normalfall/Ermessen als Ausnahmefall/Ermessen als Fremdkörper 42 – 44, 45 f., 68 – 77, 177, 198, 240 f., 241 f., 246 – weitere Ermessensbegriffe 48 f. – Zweck des Ermessens 66 Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre 26 s. a. Ermessen; Reine Rechtslehre

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Sachwortverzeichnis

– Begriff des Rechtsgewinnungsprozesses (Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung) 121 – 123 – doppeltes Rechtsantlitz/Wechselspiel von heteronomer und autonomer Determinante/Erkenntnis- und Willensakt 23, 49, 76, 121 f., 138 – 140, 191, 205, 210, 211, 222 f., 224 f., 226, 230, 234, 241 f., 250 f., 263, 266 f. – ergänzt rechtsstrukturell Kelsens Demokratietheorie 274 f. – Ermessen als Bereich autonomer Determinierung 113 – 117, 118, 121 – 125, 138 – 140, 142 f., 154, 156, 169 f. – Ermessen als gesamtrechtliches ubiquitäres Phänomen/keine qualitativen (kategorialen) Unterscheidungen/Dualismen 26, 30 – 36, 39 – 41, 44 – 46, 64 f., 76, 81 f., 112, 114 f., 118, 123, 124 f., 159 f., 162, 169 f., 218, 232 – 245, 246, 248, 258, 260 f. – Ermessen als integraler Bestandteil des Rechtsgewinnungsprozesses und des Stufenbaus der Rechtsordnung 111 f., 124 f., 159 f., 169 f. – Ermessen als wesenhafter Bestandteil einer dynamischen (arbeitsteiligen) Rechtsordnung 113 f., 121, 124 f., 169 f., 246 – Ermessensfehlerlehre 115 – 117, 125, 159 f. – Ermessensfragen als Rechtsbindungsfragen (Ermessens im weitesten Sinne) 156 f., 169 f., 218 f., 226, 233 – 240, 258 – freies Ermessen 113, 115 f., 117, 118, 124 f., 158 f. – Freirechtsbewegung und ~ 39, 118 – juristische Konstruktion 113, 114, 119 – „König-Midas-Effekt“ des Rechts 155, 193.86, 197, 253 – Leistungsfähigkeit des ~ 272 – 275 – Rechtmäßigkeit (heteronome Determinante) und Zweckmäßigkeit (autonome Determinante) 32, 34, 35, 40, 154 f., 190 – 198, 222 f., 257 f. – strukturierende Kraft des ~ 272 – 275 – Stufenbau der Rechtsordnung s. dort Ermessensbegriffe – Auswahlermessen 50, 66 – Entschließungsermessen 50, 66

– gesetzgeberisches Ermessen s. Gesetzgeber – intendiertes Ermessen 50, 59 – (kein) freies Ermessen 31, 32, 56 – 61, 66, 176 – Planungsermessen s. dort – Rechtsfolgeermessen s. dort – Rechtssetzungsermessen 234 f. – Regulierungsermessen s. dort – richterliches Ermessen s. Richter – Tatbestandsermessen 46 – 48, 114 – Urteilsermessen 47 – weitere ~ 48 f. Ermessensdiskussion s. Ermessen Ermessensdogmatik s. a. Ermessensbegriff der herrschenden Ansicht; Ermessensbegriff der Reinen Rechtslehre; Rechtsdogmatik – Abwägungs(fehler)lehre auf dem Vormarsch 229 f., 231 – Ausfüllen des Ermessensspielraums durch den Rechtserzeuger 138, 140 – 143, 145, 165, 231 f., 234 f., 251 f., 263 f., 266 f. – (keine) einheitliche ~ für die Gesamtrechtsordnung 217 f., 230, 245 – (keine) rechtsstrukturelle ~ 218 f., 230 – Letztentscheidungsspielräume/Ermessen im engeren Sinne/Kontrolldichte als Kern der ~ 76, 174 f., 258 – 263 – (Rechtsfolge-)Ermessensfehlerlehre im Beurteilungsspielraum 227 f. – rechtsstrukturtheoretischer und dogmatischer Ermessensbegriff 257 f. – Revisionsbedürftigkeit der ~ 26, 217 – 232 – Übernahme der herrschenden ~ ins Strafrecht 243 f. – Verwaltungsspielräume 259 f. Ermessensermächtigungen s. Ermessen Ermessensfehler 34, 36, 59 – 61, 76 f., 188 – 190 – Abwägungs(fehler)lehre auf dem Vormarsch 229 f., 231 – als Abriss des Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs 154, 218 – einstufige ~lehre 26, 60 f., 157, 190, 221 – 225, 226, 260 – ~lehre der Reinen Rechtslehre 115 – 117, 125, 159 f.

Sachwortverzeichnis – Fehlerlisten 60 f., 225 f., 230, 260 – Gefahr des Austauschs des Kontrollmaßstabs 155 – 157, 222 f., 245 – mehrstufige ~lehre trotz einheitlichen Fehlerkalküls 34, 36, 59 – 61, 222, 224 f., 227 f., 260 – Rechts- und ~ 32, 34, 35, 189 f. – rechtsstrukturtheoretischer Kontrollbegriff und herrschende ~lehre 189 f., 245 Ermessensgrenzen – herrschende Dogmatik der ~ 56 – 61 – im Nationalsozialismus 37 – innere und äußere ~ 56, 59 f., 69, 117, 134 f., 189, 197, 222 f., 227 f., 260 – (positiv-)rechtliche ~ 31, 40, 66 – Recht als Grundlage und Grenze staatlichen Handelns 35 f. – verfassungsrechtliche ~ 35, 40 – vernunftrechtliche ~ 30, 40 Ermessenslehre s. Ermessen Erzeugungszusammenhang s. Norm-NormAbleitungszusammenhang Fehlerkalkül 147 – 149, 186, 211 – als positivrechtliches Phänomen 147 – mehrstufige Ermessensfehlerlehre trotz einheitlichen ~ 34, 36, 59 – 61, 222, 224 f., 227 f., 260 – Minimal- und Maximalerzeugungsvoraussetzungen 147 – 149, 153, 218 – Rechtskraft und ~ 153 – Reduktionen der Kontrolldichte als Ausformungen des ~ 214 f. – Stufen des ~ 148 f., 214 f. Finale Programmierung – Abwägung und ~ als Spezifika des Planungsermessens 51 f., 66 Fortentwicklung der Reinen Rechtslehre 25 Freies Ermessen s. Ermessen Freirechtsbewegung – dynamisches Rechtsgewinnungsbild der ~ 129 – 131 – Lückenkonzept der ~ 167 f. – Reine Rechtslehre und ~ 39, 118 Funktionellrechtlicher Ansatz (Problem des Positivierungsnachweises/behandelt keine Einschränkung der Kontrolldichte) 40, 80, 203 – 205, 209, 243

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Geltung 129 – Geltungs- und Anwendungspositivismus 39 f., 96 – und Wirksamkeit/Kontrafaktizität s. a. Grundnorm 101 – 103, 108 – 111, 151, 165 f. Gerechtigkeit 250 f., 251 f. – eine richtige Entscheidung und ~ 250 f. – Recht und ~ 104 f., 141 Gericht s. Richter Gesetz – als Mittelglied im Stufenbau der Rechtsordnung/Gesetzeszentrismus 119 f., 158 f., 247, 253 Gesetzgeber – Ermessen (im engeren Sinne) des ~/Reduzierung der Kontrolldichte/Letztentscheidungskompetenz 241, 262 – Ermessen (im weitesten Sinne) des ~/Reichweite der Rechtsbindung 233 – 235 – Gestaltungsfreiheit des ~ 81 f., 235 – Rechtssetzungsermessen 234 f. Grundnorm – im formellen Sinne (Grundtatbestand der Rechtsordnung/Standpunktwahl/transzendental-logisches Konstrukt) 108 – 111, 120 – im materiellen Sinne (Verfassung) 107, 109, 120 – vervollständigt den Stufenbau der Rechtsordnung 108 Heteronome Determinante s. a. autonome Determinante; Rechtsgewinnungsbild 23 – Rechtmäßigkeit (~) und Zweckmäßigkeit (autonome Determinante) 32, 34, 35, 40, 154 f., 190 – 198, 222 f., 257 f. – Rechtskontrolle als Kontrolle der ~ 155, 192, 199, 222 f. – Verhältnis von Rechtsbindung/~ und Kontrolldichte 176 f. Heteronome Komponente s. heteronome Determinante Heteronome Programmierung s. heteronome Determinante

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Sachwortverzeichnis

Illusion – der einen richtigen Entscheidung 248 – 251 – der Rechtssicherheit 248 – 251, 249 – 251, 251 f. Instanzenzug – Kontrolldichtereduktionen im ~ 211 f. Integrativer Ermessensbegriff (Ermessen als zugleich Freiheit von rechtlicher Bindung und gerichtlicher Kontrolle) 23, 28, 41 f., 49 f., 56, 77, 175 f., 245, 257, 261 Integratives Rechtsgewinnungsbild der herrschenden Meinung 156 f., 210, 215, 231, 245, 250 f., 261, 263, 266 Interpretationslehre (der Reinen Rechtslehre) 115 – 117, 160 – 165 – als offene Flanke der Reinen Rechtslehre 138 – 140 – Auslegung und Rechtsbindung/Möglichkeit objektiver Erkenntnis 138 – 140, 143, 165, 231 f. – Auslegungsmethoden 135 f., 143 f., 146, 161 f. – authentische Interpretation 143 f., 165 – Erkennbarkeit der (Letzt-)Endscheidungskompetenz in der Aporie 151, 264 – Ermessen als Interpretationsfrage 29, 32 – 33 – Ermessen und ~ 143, 161 – Interpretation als bloße Gesetzesanwendung 33 – 35, 47, 75 – Interpretation als geistiges Verfahren im Rahmen des Stufenbaus der Rechtsordnung 161 – Interpretation und Legistik 164 – Interpretationsfragen als Glücksfragen 138 – Logik und Interpretation 163 – Methodenwahl als Standortwahl 139 f. – Norminhalt und Normtext 163 f. – radikaler Subjektivismus 138, 142 f. – Rechtswissenschaftsbegriff der Reinen Rechtslehre und ~ 85, 94 – 96, 97 – 99, 100, 110, 144 f., 152, 265 – 267 – Sicherungen gegen Willkür 145 – überraschende Interpretationsergebnisse 139 – verfassungskonforme und unionsrechtskonforme Interpretation 163 f.

– Wahl der Auslegungsmethode als metarechtliche Fragestellung/Gleichwertigkeit der Interpretationsmethoden 136 – 140, 144 f., 161, 164, 228, 231 f., 254 – Wahl der Auslegungsmethode als Rechtsquellenwahl 135 f. – wichtige Rolle der Person des Rechtsanwenders/Ausfüllen des Ermessensspielraums 138, 140 – 143, 145, 165, 231 f., 234 f., 251 f., 263 f., 266 f. – „Wie die Rechtsauslegung, so das Recht“ (Merkl)/gegenstandserzeugende Kraft der Methode 138 – 140, 263 f., 255 – 267 Judicial self restraint 206 f., 213 Justiziabilität s. a. Kontrolldichte – des Beurteilungsspielraums/Letztentscheidungskompetenz 61 f., 77 – 81, 114, 210, 258 – 260 – des (Rechtsfolge-)Ermessens/Letztentscheidungskompetenz 30, 31, 47 f., 56 – 61, 74 – des unbestimmten Rechtsbegriff/Letztentscheidungskompetenz s. a. Beurteilungsspielraum 32 f., 34, 40 f., 42, 43, 54, 61 f., 66 f., 70, 73, 74, 77 f., 78 – 81, 173 f. – Einschätzungsprärogativen 181, 233, 241 – Einschränkung der ~ (Ermessen im engeren Sinne) 177 f.; 181, 195 f., 198, 202 – 215, 240 – 244, 260, 262 – Fehlerkalkül s. dort Klageantrag – Reduktion der Kontrolldichte und ~ 211 Komponente – autonome ~ s. autonome Determinante – heteronome ~ s. heteronome Determinante Konditionale Programmierung – normstrukturelle Unterscheidung zwischen Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff auf der Grundlage konditional/final programmierter Rechtsnormen 32, 41, 46, 47, 49 – 56, 65 f., 68 – 77, 114, 260 f. „König-Midas-Effekt“ des Rechts 155, 193.86, 197, 253 Kontrafaktizität s. Unrecht

Sachwortverzeichnis Kontrolldichte (Ermessen im engeren Sinne) s. a. Justiziabilität; Letztentscheidungskompetenz – als Schwerpunkt der Ermessensdiskussion 76, 174 f., 258 – 263 – „echte“ Reduktionen der ~ (Instanzenzug/ Bauleitpläne/Verfassungsbeschwerde/ Klageantrag) 211 – 214, 240 – 244 – Einschätzungsprärogativen 181, 233, 241 – Einschränkung der ~ 177 f.; 181, 195 f., 198, 202 – 215, 240 – 244, 260, 262 – Fehlerkalkül s. dort – funktionellrechtlicher Ansatz (Problem des Positivierungsnachweises/behandelt keine Einschränkung der ~) 40, 80, 203 – 205, 209, 243 – Grenzverlauf zwischen heteronomer und autonomer Determinante 196 f., 222 f., 226, 260 – judicial self restraint 206 f., 213 – Kontrollmaßstab und ~ 156 f., 211 – 215, 245, 261, 262 f. – Lockerung der Rechts-/Gesetzesbindung 23, 45, 176, 177, 198, 202 f., 241, 241 f., 243 f., 245.288, 258, 260 f. – normative Ermächtigungslehre 56, 81, 61 f., 81, 207 – 210, 231, 243 f. – Rechtmäßigkeit (heteronome Determinante) und Zweckmäßigkeit (autonome Determinante) 192 – 198, 205 – Reduktionen der ~ als Ausformung des Fehlerkalküls 214 f. – Reduktionen der ~ als Scheinproblem (Vermengung von Kontrollmaßstab und ~) 156 f., 210, 245, 261, 262 f. – Rolle und Funktion von Art. 19 Abs. 4 GG 182 f., 192 f., 202 f., 207, 209, 210 – Spiegelbildlichkeit von reduzierter ~ und Letztentscheidungskompetenz 202, 263 – Verhältnis von Rechtsbindung/heteronomer Determinierung und ~ 176 f. Kontrolle – als Ermächtigung zur Rechtsgewinnung 180 – als Nachvollziehen einer Entscheidung 79, 204, 257 – Doppelverwaltung 155 f., 173, 191, 193 f., 196, 206

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– dynamische Rechtsbetrachtung hat ~ im Auge 247 f. – entgegenstehende Rechtskraft und ~ 186 f. – Entscheiden und Kontrollieren 190, 239 f., 257 – Ermessen als zugleich Freiheit von rechtlicher Bindung und gerichtlicher ~ (integrativer Ermessensbegriff) 23, 28, 41 f., 49 f., 56, 77, 175 f., 245, 257, 261 – Folgen der (Rechts-)~ 187 – 190 – konstitutive Natur der ~ 183 f. – Kontroll-Kontrollentscheidung 186 – Kontrollgegenstände 181 f., 192, 214 – Motiv~ 34 – Nichtigkeit und Anfechtbarkeit 184 – 186 – theoriefreier Kontrollbegriff der herrschenden Ansicht 178 – 180 – von abstrakt-generellen und konkret-individuellen Rechtsnormen 181 f. – von Realakten 182 – Rechts~ als ~ der heteronomen Determinante 155, 192, 199, 222 f. – Rechts~ als Normen~ 155, 180 – 190, 199, 200 – 202, 215 – 217, 257 – Rechts~ im Strafprozess 198 f., 243 f. – Rechts~ im Zivilprozess 199, 237 – 240, 241 f. – rechtsstrukturtheoretischer Kontrollbegriff und herrschende Ermessensfehlerlehre 189 f., 245 – Rolle und Funktion von Art. 19 Abs. 4 GG 182 f., 192 f. – Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit 32, 34, 35, 40, 154 f., 190 – 198, 222 f., 257 f. – Zweckmäßigkeits~ als ~ der autonomen Determinante 192, 222 f., 257 Kontrollgegenstände 181 f., 192, 214 Kontrollmaßstab 213 – Gefahr des Austauschs des ~ 155 – 157, 222 f., 245 – Kontrolldichte und ~ 156 f., 211 – 215, 245, 261, 262 f. – Normen 182 f. – Reduktionen der Kontrolldichte als Scheinproblem (Vermengung von ~ und Kontrolldichte) 156 f., 210, 245, 261, 262 f. – Koppelungsvorschriften 55 f., 58

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Sachwortverzeichnis

Legistik – Interpretation und ~ 164 Letztentscheidungskompetenz (Ermessen im engeren Sinne) s. a. Kontrolldichte 26, 46, 246 – 248 – bei unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum 32 f., 34, 40 f., 42, 43, 54, 61 f., 66 f., 70, 73, 74, 77 – 81, 114, 173 f., 210, 258 – 260 – beim (Rechtsfolge-)Ermessen 30, 31, 47 f., 56 – 61, 74 – Erkennbarkeit der ~ in der Aporie 151, 264 – ~/Kontrolldichte als Kern der Ermessensdiskussion 258 – 263 – normative Ermächtigungslehre 56, 81, 61 f., 81, 207 – 210, 231, 243 f. – Rechtssicherheit besteht erst mit Letztentscheidung 247 – Spiegelbildlichkeit von reduzierter Kontrolldichte und ~ 202, 263 – Unrecht von Letztentscheidungsinstanzen 150 f., 152 Lockerung der Rechts-/Gesetzesbindung 23, 45, 176, 177, 198, 202 f., 241, 241 f., 243 f., 245.288, 258, 260 f. Logik – Rechts~ 126, 150 f., 163, 184, 188 – und Interpretation 163 Lücken im Recht 75 f., 166 – 169 Maßstäbe des Ermessens s. autonome Determinante; heteronome Determinante Methode – Auslegung als bloße Gesetzesanwendung 33 – 35, 47, 75 – Ermessen als Auslegungsfrage 29, 32 – 33 – gegenstandserzeugende Kraft der ~/„Wie die Auslegung so das Recht“ (Merkl) 138 – 140, 263 f., 255 – 267 – ~bewusstes Arbeiten 24, 260, 266 f. – ~wahl als Standortwahl 139 f. – Reinheit der ~/kein Methodensynkretismus 94 – 96, 165, 268 f. – staatsrechtlicher Positivismus 39 f. – Subsumtionsautomatismus (viva vox legis) 30, 32 f., 35, 39 – 41, 46, 69, 70, 73 f., 75, 76, 96, 122, 127, 131 f., 141 – 143, 144, 162 f., 172, 177, 192 f., 248

Moralnorm – Rechtsnorm und ~ 104––106 Nachvollziehen – Kontrolle als ~ einer Entscheidung 79, 204, 257 Nationalsozialismus 37 – 39 Naturgesetz – Rechtsnorm und ~ 99, 103 f. Naturrecht – und positives Recht 85, 94 – 96, 97 – 99, 105, 111, 115 f., 253 f., 268 f., 271 f. Nichtigkeit – und Anfechtbarkeit 184 – 186 Norm-Norm-Ableitungszusammenhang s. a. Stufenbau der Rechtsordnung 106 – 108, 109, 120, 131 f. 133, 138, 199 – Ermessensfehler als Abriss des ~ 154, 218 – Rechtsbindung und ~ 254 – Rechtswidrigkeit als Abriss des ~ 146 f., 153, 154, 165 f., 166 Normative Ermächtigungslehre 56, 81, 61 f., 81, 207 – 210, 231, 243 f. – relativiert kategoriale/qualitative Trennung von (Rechtsfolge-)Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum 220 f. Normenkontrolle – Rechtskontrolle als ~ 155, 180 – 190, 199, 200 – 202, 215 – 217, 257 Öffentliches Recht – Aufhebung des Dualismus von ~ und Privatrecht in der Reinen Rechtslehre 99, 119, 199 – Ermessen als ureigener Topos des ~ 26, 45, 64 f., 81 f. Persönlichkeit des Rechtsanwenders – Ausfüllen des Ermessensspielraums durch den Rechtserzeuger 138, 140 – 143, 145, 165, 231 f., 234 f., 251 f., 263 f., 266 f. – Rechtsstrukturtheorie und ~ 138, 140 – 143, 145, 165, 231 f., 234 f., 251 f., 263 f., 266 f. Planungsermessen s. a. Ermessen 24 – als Sonderkategorie 24, 46, 50 – 52, 53, 66, 76, 114, 192, 219, 229, 259 f. – finale Programmierung und Abwägung als Spezifika des ~ 51 f., 66

Sachwortverzeichnis Positivismus – Anwendungs~ 39 f., 96 – Fehlerkalkül als positivrechtliches Phänomen 147 – Geltungs~ 39 f., 96 – Naturrecht und positives Recht 85, 94 – 96, 97 – 99, 105, 111, 115 f., 253 f., 268 f., 271 f. – Rechtskraft als positivrechtliches Phänomen 149 f., 187, 188 – Reine Rechtslehre als Theorie des positiven Rechts schlechthin/positivistischer Rechtsbegriff 85, 94 – 96, 97 – 99, 264 f., 265 – 267 – staatsrechtlicher ~ 39 f. Privatautonomie – und Rechtsbindung (Ermessen im weitesten Sinne) 237 – 240 Private s. a. Privatrecht – Ermächtigung ~ zur Rechtsgewinnung 126, 135, 239 f. – Ermessen (im engeren Sinne) von ~/Reduzierung der Kontrolldichte/Letztentscheidungskompetenz 241 f., 262 – Ermessen (im weitesten Sinne) von ~/Reichweite der Rechtsbindung 82, 237 – 240 – Vertrag als Rechtsnorm 199, 238 – 240, 256, 262 Privatrecht s. a. Private – Aufhebung des Dualismus von öffentlichem Recht und ~ in der Reinen Rechtslehre 99, 119, 199 – Rechtskontrolle im Zivilprozess 199, 237 – 240, 241 f. Programmierung – autonome ~ s. autonome Determinante – finale ~ s. dort – heteronome ~ s. heteronome Determinante – konditionale ~ s. dort

Qualitative Unterscheidung – Ermessen als gesamtrechtliches ubiquitäres Phänomen/keine ~/Dualismen 26, 30 – 36, 39 – 41, 44 – 46, 64 f., 76, 81 f., 112, 114 f., 118, 123, 124 f., 159 f., 162, 169 f., 218, 232 – 245, 246, 248, 258, 260 f.

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– zwischen Rechtsfolge-, Planungs- und Regulierungsermessen 24, 46, 52 f., 76 f., 83, 114, 192, 219, 259 f. – zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen 28, 71, 74, 76, 82, 218, 219 – 221, 230 Realakte – Kontrolle von ~ 182 Recht – als Grundlage und Grenze staatlichen Handelns 35 f. – „König-Midas-Effekt“ des ~ 155, 193.86, 197, 253 – Lücken im ~ 75 f., 166 – 169 – richtiges ~ s. eine richtige Entscheidung – Selbststand/Eigengesetzlichkeit des ~ 37, 99, 132 f., 145, 152 – und Gerechtigkeit 104 f., 141 – und Rechtswissenschaft 165 – Unrecht/Kontrafaktizität als Existenzberechtigung des ~ 165 f. – „Wie die Rechtsauslegung, so das ~“ (Merkl)/gegenstandserzeugende Kraft der Methode 138 – 140, 263 f., 255 – 267 Rechtmäßigkeit (heteronome Determinante) – und Zweckmäßigkeit (autonome Determinante) 32, 34, 35, 40, 154 f., 190 – 198, 222 f., 257 f. Rechtsanwender – Rechtsstrukturtheorie und Persönlichkeit des ~ 138, 140 – 143, 145, 165, 231 f., 234 f., 251 f., 263 f., 266 f. – Spielräume des ~ 43, 46 – 47, 70, 71 f., 74, 77, 81 f., 191 f., 234 Rechtsanwendung s. a. Rechtsgewinnungsbild – schöpferische Natur jeder ~ 72 f., 73 f., 75 Rechtsbegriff – unbestimmter ~ s. dort Rechtsbeugung 247.2 Rechtsbindung (Ermessen im weitesten Sinne) – alle Rechtsteilnehmer der ~ unterworfen 252 – Auslegung und ~/Möglichkeit objektiver Erkenntnis 138 – 140, 143, 165, 231 f. – Dimensionen der ~ 254 f.

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Sachwortverzeichnis

– Ermessen als zugleich Freiheit von ~ und gerichtlicher Kontrolle (integrativer Ermessensbegriff) 23, 28, 41 f., 49 f., 56, 77, 175 f., 245, 257, 261 – Ermessensfragen als ~fragen 156 f., 169 f., 218 f., 226, 233 – 240, 258 – Gesetzesbindung und ~ (Gesetzeszentrismus) 253 – Lockerung der ~ 23, 45, 176, 177, 198, 202 f., 241, 241 f., 243 f., 245.288, 258, 260 f. – Norm-Norm-Ableitungszusammenhang und ~ 254 – Privatautonomie und ~ 237 – 240 – Reichweite der ~ 82, 177 f., 233 – 235, 237 – 240 – sprachtheoretische Begründung 255 – „strenge“ ~ 177 s. a. Subsumtionsautomatismus – Verhältnis von ~/heteronomer Determinierung und Kontrolldichte 176 f. – vollumfängliche ~ als Normalfall/Ermessen als Ausnahmefall 42 – 44, 45 f., 68 – 77, 177, 198, 240 f., 241 f., 246 Rechtsdogmatik s. a. Ermessensdogmatik – Funktion der ~ 217 – und Rechtstheorie 24 Rechtserzeugung s. a. Rechtsgewinnungsbild – Begriff des Rechtsgewinnungsprozesses (Rechtserkenntnis und ~) 121 – 123 – durch Private 126, 135, 239 f. – durch Willensakt 104 – 106, 108, 110, 144 f., 150 f., 185 Rechtsfolgeermessen s. a. Beurteilungsspielraum; Ermessen 24, 26, 28, 32 – 36, 46 – 48, 49 f., 219, 258 – 260 – als Gegenbegriff zum Beurteilungsspielraum 41, 49, 52, 63 f. – einstufige Fehlerlehre 26, 60 f., 157, 190, 221 – 225, 226, 260 – normstrukturelle Unterscheidungen 32, 41, 46, 47, 49 – 56, 65 f., 68 – 77, 114, 260 f. – Planungsermessen als Sonderkategorie 24, 46, 50 – 52, 53, 66, 76, 114, 192, 219, 229, 259 f. – ~fehlerlehre im Beurteilungsspielraum 227 f.

– Trennung von ~ und unbestimmtem Rechtsbegriff in der Ausbildungsliteratur 63 – 67 – Trennung von ~ und unbestimmtem Rechtsbegriff in der wissenschaftlichen Literatur 67 – 77 Rechtsgewinnungsbild s. a. autonome Determinante; Erkenntnisakt; heteronome Determinante; Willensakt – dynamisches (arbeitsteiliges) ~ s. a. Stufenbau der Rechtsordnung 23, 26, 43 f., 67, 69, 70, 71 – 74, 105 f., 113 f., 121, 125 – 135, 158 f., 169 f., 171 f., 186, 197, 240, 241 f., 246 – 248, 249 – 251, 254, 258, 265 – 267 – Entwicklung in der Reinen Rechtslehre vom statischen zum dynamischen ~ 158 f. – Ermessen als Seismograph für das ~ 23, 173 f. – in der wissenschaftlichen Diskussion 67 – 77 – integratives ~ der herrschenden Meinung 156 f., 210, 215, 231, 245, 250 f., 261, 263, 266 – Spielräume des Rechtsanwenders als rechtswesenhaft 23, 43, 46, 70, 71 f., 74, 234 – statisches ~ s. a. eine richtige Entscheidung 23, 26, 30, 32 – 33, 35, 39 – 41, 58, 67, 69, 70, 71, 76 f., 105 f., 125 – 135, 158 f., 240 – Subsumtionsautomatismus (viva vox legis) 30, 32 f., 35, 39 – 41, 46, 69, 70, 73 f., 75, 76, 96, 122, 127, 131 f., 141 – 143, 144, 162 f., 172, 177, 192 f., 248 Rechtsgewinnungsprozess – Begriff des ~ (Rechtserkenntnis und Rechtserzeugung) 121 – 123 – Ermessen als integraler Bestandteil des ~ und des Stufenbaus der Rechtsordnung 111 f., 124 f., 159 f., 169 f. – Kontrolle als Ermächtigung zur Rechtsgewinnung 180 – Spielräume des Rechtsanwenders im ~ 43, 46 – 47, 70, 71 f., 74, 77, 81 f., 191 f., 234 Rechtskraft 149 f. – als positivrechtliches Phänomen 149 f., 187, 188 – entgegenstehende ~ und Kontrolle 186 f.

Sachwortverzeichnis – Fehlerkalkül und ~ 153 – Unrecht bleibt Unrecht (Merkl) 151 – 153, 165 f. – von Letztentscheidungsinstanzen 150 f. Rechtslogik 126, 150 f., 163, 184, 188 Rechtsnorm – als Deutungsschema 98 f., 115, 183, 192, 237 – Erweiterung des ~begriffs 256 – Kontrolle von abstrakt-generellen und konkret-individuellen ~ 181 f. – Rechtskontrolle als Normenkontrolle 155, 180 – 190, 199, 200 – 202, 215 – 217, 257 – und Moralnorm 104––106 – und Naturgesetz 99, 103 f. – Vertrag als ~ 199, 238 – 240, 256, 262 – Verwaltungsakt als ~ 181 f., 256 Rechtsordnung – als Zwangsordnung 97 f., 101 – Arbeitsteiligkeit (Dynamik) der ~ 23, 26, 43 f., 67, 69, 70, 71 – 74, 105 f., 113 f., 121, 125 – 135, 158 f., 169 f., 171 f., 186, 197, 240, 241 f., 246 – 248, 249 – 251, 254, 258, 265 – 267 – Auflösung der ~ ins Rechtschaos durch den Stufenbau der ~ (Rupp) 73 Rechtspolitik – Trennung von Rechtswissenschaft und ~ 95 f., 162 f., 264 f. Rechtsprechung – Ermessensbegriff als Seismograph für das Rechtsgewinnungsbild sowie das Vertrauen in ~ und Verwaltung 23, 173 f. Rechtsquellen – Erweiterung des ~begriffs 256 – Stufenbau der Rechtsordnung als ~lehre 129, 131, 256 – Verträge als ~ 199, 238 – 240, 256, 262 – Verwaltungsakte als ~ 181 f., 256 – Wahl der Auslegungsmethode als ~wahl 135 f. Rechtssetzungsermessen 234 f. Rechtssicherheit 135 – besteht erst mit Letztentscheidung 247 – Illusion der ~ 248 – 251, 249 – 251, 251 f. – Naturrecht und positives Recht 85, 94 – 96, 97 – 99, 105, 111, 115 f., 253 f., 268 f., 271 f.

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– soll Dezision möglichst weit hinausschieben 252 Rechtsstaat – Rolle und Funktion von Art. 19 Abs. 4 GG für den ~ 42 – 44, 73, 75, 78 – 81 – unbestimmter Rechtsbegriff und ~ 42 – 44 Rechtsstrukturtheorie – Rechtstheorie als ~ 24 – Reine Rechtslehre als (formale) ~ 24, 25, 95 f., 116, 141, 145, 159 f., 162, 165, 171, 255, 264 f., 265 – 267, 274 – und Persönlichkeit des Rechtsanwenders 138, 140 – 143, 145, 165, 231 f., 234 f., 251 f., 263 f., 266 f. Rechtstheorie – als (formale) Rechtsstrukturtheorie s. a. Reine Rechtslehre 24 – Stand der ~ in der heutigen Rechtswissenschaft 63 f. – theoriefreier Ermessensbegriff der herrschenden Ansicht 42 – 44, 180 – theoriefreier Kontrollbegriff der herrschenden Ansicht 178 – 180 – und Rechtsdogmatik 24 Rechtswidrigkeit s. a. Unrecht 165 f. – als Abriss des Norm-Norm-Ableitungszusammenhangs 146 f., 153, 154, 165 f., 166 – kein moralisches Unwerturteil 147, 165 f. – Letztentscheidungsinstanz und ~ 150 f., 152 – Unrecht bleibt Unrecht (Merkl) 151 – 153, 165 f. Rechtswissenschaft – Recht und ~ 165 – Rolle und Funktion der Subdisziplinen der ~ 266 f. – Selbststand des Rechts und der ~ 37, 99, 132 f., 145, 152 – Stand der Rechtstheorie in der heutigen ~ 63 f. – Standort der Reinen Rechtslehre in der deutschen ~ 24 f. – Trennung von (Rechtsfolge-)Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff in der wissenschaftlichen Literatur 67 – 77 – Trennung von ~ und Rechtspolitik 95 f., 162 f., 264 f. Regulierungsermessen s. a. Ermessen 24

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Sachwortverzeichnis

– als Sonderkategorie 24, 46, 52 f., 83, 114, 192, 219, 259 f. Reine Rechtslehre 44 – „König-Midas-Effekt“ des Rechts 155, 193.86, 197, 253 – als entwicklungsoffen 25, 86, 171 – als (formale) Rechtsstrukturtheorie 24, 25, 95 f., 116, 141, 145, 159 f., 162, 165, 171, 255, 264 f., 265 – 267, 274 – als Gemeinschaftsprojekt 86 f., 112 – als juridische Relativitätstheorie 268 f., 269 – 272 – als Theorie des positiven Rechts schlechthin/positivistischer Rechtsbegriff 85, 94 – 96, 97 – 99, 264 f., 265 – 267 – Aufhebung des Dualismus von öffentlichem Recht und Privatrecht 99, 119, 199 – Biographie Kelsens 89 – 91 – Biographie Merkls 92 – Biographie VerdroßÏ 93 – (de)konstruktive Kraft der ~ 25, 222 – dynamisches (arbeitsteiliges) Rechtsgewinnungsbild 23, 26, 43 f., 67, 69, 70, 71 – 74, 105 f., 113 f., 121, 125 – 135, 158 f., 169 f., 171 f., 186, 197, 240, 241 f., 246 – 248, 249 – 251, 254, 258, 265 – 267 – eine richtige Entscheidung/richtiges Recht 106, 143, 162 f., 165, 169 f., 272 – 275 – Einteilung der ~ in Phasen 88 – Entwicklung vom statischen zum dynamischen Rechtsgewinnungsbild 158 f. – Ermessen als gesamtrechtliches ubiquitäres Phänomen 26, 30 – 36, 39 – 41, 44 – 46, 64 f., 76, 81 f., 112, 114 f., 118, 123, 124 f., 159 f., 162, 169 f., 218, 232 – 245, 246, 248, 258, 260 f. – Ermessensbegriff der ~ s. dort – Fehlerkalkül s. dort – Freirechtsbewegung und ~ 39, 118 – Geltung und Wirksamkeit/Kontrafaktizität s. a. Grundnorm 101 – 103, 108 – 111, 151, 165 f. – Geltungs- und Anwendungspositivismus 39 f., 96 – Grundnorm s. dort – „Hauptprobleme“ (Kelsen) als „großer Wurf“ 157 f.

– Identität von Staat und Recht(sordnung) 97, 158, 166 – Interpretationslehre der ~ s. dort – Kelsen als Demokrat 270 – 272 – Lücken als ideologische Formel 167 – 169 – Naturrecht und positives Recht 85, 94 – 96, 97 – 99, 105, 111, 115 f., 253 f., 268 f., 271 f. – Neukantianismus 268 – objektive und subjektive Rechte 99 – Recht als Zwangsordnung 97 f., 101 – Recht regelt seine Erzeugung selbst 106, 123 f., 263, 268 f. – Recht und Gerechtigkeit 104 f., 141 – Recht und Rechtswissenschaft 165 – Recht(snorm) als Deutungsschema 98 f., 115, 183, 192, 237 – Rechtserzeugung durch Willensakt 104 – 106, 108, 110, 144 f., 150 f., 185 – Rechtskraft s. dort – Rechtsnorm und Moralnorm 104 – 106 – Rechtsnorm und Naturgesetz 99, 103 f. – Rechtssatz und Rechtsaussagesatz 80, 152, 163 – Rechtswidrigkeit s. dort – Rechtswissenschaftsbegriff der ~ 85, 94 – 96, 97 – 99, 100, 110, 144 f., 152, 265 – 267 – Reinheit der Methode/kein Methodensynkretismus 94 – 96, 165, 268 f. – Reinheit durch ideologiefreie (Rechts-) Erkenntnis/Ideologiekritik 95 f., 97 – 99, 105, 165, 168, 169, 268 f., 274 – Reinheit keine Eigenschaft des Rechts 95 f., 104 f., 141, 268 f. – Relativismus 267 – 272, 272 – 275 – Sein und Sollen 99 – 103, 104, 105, 108, 110, 205 – Selbststand des Rechts und der Rechtswissenschaft 37, 99, 132 f., 145, 152 – Staat als Zurechnungsproblem 97 – Standort der ~ in der deutschen Rechtswissenschaft 24 f. – Stufenbau der Rechtsordnung s. dort – Trennung von Rechtswissenschaft und Rechtspolitik 95 f., 162 f., 264 f. – Vernunft und Wille 104 – 106, 108 – Wurzeln der ~/geistiger Hintergrund der ~ 24, 267 – 272

Sachwortverzeichnis – Zeitgemäßheit der ~ 25, 267 – 275 – Zerfall der Wiener rechtstheoretischen Schule 87 Relativismus 267 – 272, 272 – 275 Revision (Rechtsmittel) – Reduktion der Kontrolldichte und ~ 211 Revisionsbedürftigkeit der Ermessenslehre 26, 217 – 232 Richter – als viva vox legis 30, 35 – Ermessen als zugleich Freiheit von rechtlicher Bindung und gerichtlicher Kontrolle (integrativer Ermessensbegriff) 23, 28, 41 f., 49 f., 56, 77, 175 f., 245, 257, 261 – richterliches Ermessen 29, 30, 39, 235 f., 242, 262 Richtiges Recht s. eine richtige Entscheidung

Scheinproblem – Reduktionen der Kontrolldichte als ~ (Vermengung von Kontrollmaßstab und Kontrolldichte) 156 f., 210, 245, 261, 262 f. Sonderkategorie – Planungsermessen als ~ 24, 46, 50 – 52, 53, 66, 76, 114, 192, 219, 229, 259 f. – Regulierungsermessen als ~ 24, 46, 52 f., 83, 114, 192, 219, 259 f. Spielraum – Ausfüllen des Ermessens~ durch den Rechtserzeuger 138, 140 – 143, 145, 165, 231 f., 234 f., 251 f., 263 f., 266 f. – des Rechtsanwenders 43, 46 – 47, 70, 71 f., 74, 77, 81 f., 191 f., 234 – funktionellrechtlicher Ansatz 40, 80, 203 – 205, 209, 243 – Letztentscheidungs~ s. Letztentscheidungskompetenz – normative Ermächtigungslehre 56, 81, 61 f., 81, 207 – 210, 231, 243 f. – Verwaltungs~ 259 f. Staatsanwaltschaft – Ermessen der ~ 244 Statisches Rechtsgewinnungsbild s. a. eine richtige Entscheidung 23, 26, 30, 32 – 33, 35, 39 – 41, 58, 67, 69, 70, 71, 76 f., 105 f., 125 – 135, 158 f., 240

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Strafrecht – Rechtskontrolle im Strafprozess 198 f., 243 f. – Übernahme der herrschenden Ermessensdogmatik ins ~ 243 f. Stufenbau der Rechtsordnung s. a. dynamisches Rechtsgewinnungsbild – als Auflösung der Rechtsordnung ins Rechtschaos (Rupp) 73 – als Konkretisierungs-/Individualisierungsprozess 120 f., 123, 143, 146, 158 f., 190, 247 – als Rechtsquellenlehre 129, 131, 256 – als rechtswesenhaftes Phänomen 121 – derogatorisch (hierarchisch) 107 f., 183 – Ermessen als integraler Bestandteil des Rechtsgewinnungsprozesses und des ~ 111 f., 124 f., 159 f., 169 f. – Erweiterung des Rechtsnormbegriffs 256 – Erweiterung des Rechtsquellenbegriffs 256 – fußt auf dem positivrechtlichen Grundsatz der lex posterior 121 – genealogisch (nach Entstehungszeitpunkt) 107, 108, 169 f., 182 f., 194 – Gesetz als Mittelglied im ~/Gesetzeszentrismus 119 f., 158 f., 247, 253 – Grundnorm vervollständigt den ~ 108 – Historie des ~ 125 – 135 – Interpretation als geistiges Verfahren im Rahmen des ~ 161 – „König-Midas-Effekt“ des Rechts 155, 193.86, 197, 253 – Norm-Norm-Ableitungszusammenhang s. dort – Rechtmäßigkeit (heteronome Komponente) und Zweckmäßigkeit (autonome Komponente) 32, 34, 35, 40, 154 f., 190 – 198, 222 f., 257 f. – Rechtsform und Rechtsinhalt 120 – Verwaltungsakt als Rechtsnorm 181 f., 256 – von Merkl entwickelt 86 Subsumtionsautomatismus (viva vox legis) 30, 32 f., 35, 39 – 41, 46, 69, 70, 73 f., 75, 76, 96, 122, 127, 131 f., 141 – 143, 144, 162 f., 172, 177, 192 f., 248

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Sachwortverzeichnis

Unbestimmter Rechtsbegriff s. a. Ermessen – als Auslegungs-/Erkenntnisproblem 32 – 35, 43, 46 f., 49, 54, 66 f., 68 f., 70, 72 – 76, 227 – Art. 19 Abs. 4 GG/Rechtsstaat und ~ 42 – 44, 73, 75, 78 – 81 – außerhalb des Verwaltungsrechts 81 f. – Berührungspunkte/Austauschbarkeit zwischen Ermessen und ~ 52 f., 55 f., 58, 219 – 221, 245, 258 – 260 – eine richtige Entscheidung s. dort – Justiziabilität (Kontrolldichte) des ~/Letztentscheidungskompetenz s. a. Beurteilungsspielraum 32 f., 34, 40 f., 42, 43, 54, 61 f., 66 f., 70, 73, 74, 77 f., 78 – 81, 173 f. – Koppelungsvorschriften 55 f., 58 – mit Beurteilungsspielraum (Tatbestandsermessen) s. a. Beurteilungsspielraum 24, 28, 31 f., 43, 49 f., 54 f., 70, 78 – 81, 114, 210, 219, 243 f., 258 – 260 – normstrukturelle Unterscheidung zwischen Ermessen und ~ 32, 41, 46, 47, 49 – 56, 65 f., 68 – 77, 114, 260 f. – qualitative Trennung von Ermessen und ~ 28, 71, 74, 76, 82, 218, 219 – 221, 230 – Rechtsstaat und ~ 42 – 44 – Trennung von (Rechtsfolge-)Ermessen und ~ in der Ausbildungsliteratur 63 – 67 – Trennung von (Rechtsfolge-)Ermessen und ~ in der wissenschaftlichen Literatur 67 – 77 Unrecht (Kontrafaktizität) s. a. Rechtswidrigkeit 165 f. – als Existenzberechtigung des Rechts 165 f. – Unmöglichkeit staatlichen ~ 166 – ~ bleibt ~ (Merkl) 151 – 153, 165 f. Verfassungsbeschwerde – Reduktion der Kontrolldichte und ~ 211 Verhältnismäßigkeit – Entwicklung des Grundsatzes der ~ 34 Vernunft – und Wille 104 – 106, 108

Verträge – als Rechtsquelle/Rechtsnorm 199, 238 – 240, 256, 262 Verwaltung – Doppel~ 155 f., 173, 191, 193 f., 196, 206 – Ermessensbegriff als Seismograph für das Rechtsgewinnungsbild sowie das Vertrauen in Rechtsprechung und ~ 23, 173 f. Verwaltungsakt – als Rechtsquelle/Rechtsnorm 181 f., 256 Verwaltungsermessen s. Ermessen Verwaltungsgericht s. a. Ermessen; Kontrolle – Ermessen als zugleich Freiheit von rechtlicher Bindung und gerichtlicher Kontrolle (integrativer Ermessensbegriff) 23, 28, 41 f., 49 f., 56, 77, 175 f., 245, 257, 261 Verwaltungsrecht – unbestimmte Rechtsbegriffe außerhalb des ~ 81 f. Verwaltungsspielräume s. a. Spielraum 259 f. Willensakt s. a. Erkenntnisakt; Rechtsgewinnungsbild 23 – doppeltes Rechtsantlitz/Wechselspiel von heteronomer und autonomer Determinante/Erkenntnis- und ~ 23, 49, 76, 121 f., 138 – 140, 191, 205, 210, 211, 222 f., 224 f., 226, 230, 234, 241 f., 250 f., 263, 266 f. – Rechtserzeugung durch ~ 104 – 106, 108, 110, 144 f., 150 f., 185 – Vernunft und Wille 104 – 106, 108 Zeitgemäßheit der Reinen Rechtslehre 25, 267 – 275 Zivilrecht s. Privatrecht Zwangsordnung – Recht als ~ 97 f., 101 Zweck des Ermessens 66 Zweckmäßigkeit (autonome Determinante) – Rechtmäßigkeit (heteronome Determinante) und ~ 32, 34, 35, 40, 154 f., 190 – 198, 222 f., 257 f.