Das Compliance Committee als Rechtsgestalter: Die Fortentwicklung umweltvölkerrechtlicher Verträge durch nachfolgende Staatspraxis nach Art. 31 Abs. 3 WÜV aus Sicht des Grundgesetzes [1 ed.] 3161623177, 9783161623172

Antonia Schlicht untersucht die Rolle von Compliance-Entscheidungen in umweltvölkerrechtlichen Vertragswerken. Sie beleu

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German Pages [397] Year 2023

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis verwandter Abkürzungen für Zeitschriften, Jahrbücher und Reihen
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
A. Die Aarhus Konvention und der Gerichtszugang Einzelner
B. Untersuchungsgegenstand und Hintergrund der Forschungsfrage
C. Relevanz des Themas
D. Zielsetzung der Arbeit
E. Gang der Untersuchung
Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“
A. Hintergrund des Compliance-Systems
I. „Making treaties work“ – die Idee
II. Von Monitoring zu Compliance
III. Das Charakteristische des Compliance-Systems
IV. Der moderne multilaterale umweltvölkerrechtliche Vertrag
1. Der Rahmenvertrag als Ausgangspunkt weiterer Entwicklungen
2. Die Vertragsstaatenkonferenz
V. Das Umweltvölkerrecht in Kürze
B. Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht – die Praxis
I. Ermächtigungsgrundlage
II. Institutioneller Aufbau
III. Mitgliedschaft
IV. Auslösemechanismus
V. Verfahrens- und Verteidigungsrechte
VI. Verfahren
VII. Die Entscheidung des Komitees
VIII. Ausgang des Verfahrens
IX. Kontrollmechanismen
C. Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge
I. Montrealer Protokoll: Der Vorreiter
1. Einführung
2. Der Compliance-Mechanismus im Detail
a) Ermächtigungsgrundlage
b) Institutioneller Aufbau
c) Mitgliedschaft
d) Auslösemechanismus
e) Verfahrens- und Verteidigungsrechte
f) Verfahren
g) Entscheidung des Komitees
h) Ausgang des Verfahrens
i) Kontrollmechanismus
3. Würdigung
II. Die Aarhus Konvention: Die Transparente
1. Einführung
2. Der Compliance-Mechanismus im Detail
a) Ermächtigungsgrundlage
b) Institutioneller Aufbau
c) Mitgliedschaft
d) Auslösemechanismus
e) Verfahrens- und Verteidigungsrechte
f) Verfahren
g) Entscheidung des Komitees
h) Ausgang des Verfahrens
i) Kontrollmechanismus
3. Würdigung
III. Die Alpenkonvention: Die Staatliche
1. Einführung
2. Der Compliance-Mechanismus im Detail
a) Ermächtigungsgrundlage
b) Institutioneller Aufbau
c) Mitgliedschaft
d) Auslösemechanismus
e) Verfahrens- und Verteidigungsrechte
f) Verfahren
g) Entscheidung des Komitees
h) Ausgang des Verfahrens
i) Kontrollmechanismus
3. Würdigung
D. Die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis des Compliance-Ansatzes
I. Der Compliance-Mechanismus in der Theorie
II. Der Compliance-Mechanismus in der Praxis
E. Ergebnis des ersten Kapitels
Kapitel 2: Treaties over time
A. Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
I. Das Völkervertragsrecht als Ausdruck der Staatszentrierung: Einführung
II. Der Abschnitt 3 – synthèse très remarquable
III. Vertragsinterpretation als Schnittstelle von Recht und Politik
B. Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?
I. Die Kulisse: Wer muss sich wann einigen?
1. Die Retrospektive
2. Zum Verhältnis zwischen Vertragsparteien und Compliance Committee
a) Faktoren, die die Zurechnung zu den Vertragsstaaten erschweren
b) Heilungsmöglichkeiten
c) Zwischenergebnis: Die Katalysatorfunktion des Komitees
II. Die Einigung: Zwischen Form und Inhalt
1. Form der Einigung
2. Übung und Einigung
a) Text und Wortlaut
aa) Wortlaut der Ermächtigungsgrundlagen
bb) Wortlaut der Einsetzungsentscheidungen und der Geschäftsordnungen
cc) Wortlaut der Entscheidungen
dd) Zwischenergebnis: kein eindeutiges Ergebnis
b) Verfahren und Beschlussfassung
aa) Umsetzungsverpflichtung und Nachhalteprozess
bb) Die Konsensmethode
cc) Zwischenergebnis: Kollektiver Harmonisierungsanspruch
c) Im Ergebnis eine Einigung
III. Neuer Wein in alten Schläuchen: Die Auslegung
IV. Zwischenergebnis: Nichtsdestotrotz eine „spätere Übung“
C. Völkerrechtliche Rechtsfolge von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV
I. Autorität
II. Einigung
III. Vertrauen
IV. Formstrenge
V. Wortlaut
VI. Stellungnahme: „Völkerrecht ist anders!“
D. Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? Eine Untersuchung des Außenverfassungsrechts
I. Das Grundgesetz und der Umgang mit weichem Recht
1. Das Außenverfassungsrecht. Eine Einführung
2. Vorstellung des Art. 59 GG – Telos der Norm
3. Reguläres Zustimmungsverfahren bei Vertragsschluss
II. Der Tatbestand
1. Verträge, die sich auf die Gesetzgebung beziehen
a) Einseitiger Akt mit wesentlicher Bedeutung
b) Bedeutendes Nichtrecht umfasst?
c) Zwischenergebnis: Die spätere Übung als Bestandteil des Vertragsrechts
2. Zustimmung durch die zuständige gesetzgeberische Körperschaft
a) Analoge Anwendung zur Wiederherstellung der Deckungsgleichheit?
b) Heilungsmöglichkeiten
3. Abhilfe durch das allgemeine Handlungsinstrumentarium
4. Zwischenergebnis
5. Schlussfolgerungen für Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
III. Umfang der Bindung
1. Die Völkerrechtsfreundlichkeit
a) Grundsätze der Völkerrechtsfreundlichkeit
b) Brücke für unverbindliches Recht
c) Die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit: Verbindliches Recht wird unverbindlich
2. Die Rolle des Art. 20a GG
3. Sind die Auslegungsentscheidungen im Compliance-Verfahren verbindlich?
a) Sanktionsbewehrte Compliance-Verfahren und die Konfliktvermeidungsfunktion
b) Deutschlands Mitwirkung in umweltvölkerrechtlichen Vertragssystemen
c) Der Rahmenvertrag als Entwicklungsprogramm
d) Zwischenergebnis und Grenzen der Bindung
IV. Ergebnis des zweiten Kapitels: ein Ausblick auf die weitere Untersuchung
Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene
A. Einleitung
I. Wege zur Stärkung des Compliance-Mechanismus
1. Annäherung an verbesserte Rahmenbedingungen
2. Vielfalt nutzen: Orientierung an Best-practice-Beispielen
II. Maßstab
1. Demokratisch-rechtsstaatlicher Maßstab
a) Verfassungsrecht
b) Institutionalisiertes Völkerrecht
c) Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG
d) Zwischenfazit
2. Individuell-freiheitlicher Maßstab: Verfahrensanforderungen
a) Technische Normsetzung außerhalb der Parlamente
aa) Die Zusammensetzung der Normsetzungsgremien
bb) Normsetzungsverfahren, Bestimmtheit und Veröffentlichung
cc) Rezeptionsprozess
b) Global Administrative Law
c) Zwischenfazit
III. Untersuchungshergang
B. Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?
I. Welchen Einfluss erhalten Partikularinteressen im Compliance-Prozess?
1. Einfluss der Komiteebesetzung auf die Vertragsweiterentwicklung
a) Vertragsauslegung als notwendiger Bestandteil des Compliance-Prozesses
b) Netzwerkdynamik
c) Einfluss der Homogenität auf das Auslegungsergebnis
d) Vorschläge zur Verbesserung
2. Kontrolle durch NGOs
a) Die NGO: Anwältin der Natur
b) Die NGO: Vertreterin von Partikularinteressen
c) Lösungsvorschläge: Vielfalt und Transparenz
3. Öffentlichkeit als Kontrollelement
4. Zwischenfazit: „Mit der Natur kann man nicht verhandeln“?!
II. Die Kontrolle von innen
1. Der betroffene Staat als ganzheitlicher Interessenvertreter
a) Der funktionelle Wert von Verfahrensrechten
b) Verfahrenseinleitung
c) Nachhalteprozess
2. „… Kontrolle ist besser“: Die Vertragsstaatenkonferenz als politisches Zentrum
a) Das institutionelle Gleichgewicht im umweltvölkerrechtlichen Vertrag
aa) Problembeschreibung
bb) Lösungsvorschläge
b) Wie inkludierend ist der Konsens?
aa) Das Konsensverfahren
bb) Die Konsensfindung
cc) Die Konsensentscheidung
dd) Konsens: „Nicht Übereinstimmung, sondern Überstimmung“
III. Zwischenfazit: Institutionelle Dysbalance
C. Innerstaatliche Möglichkeiten zum aktiven Umgang mit späterer Übung
I. Einführung
II. Die neue, alte Rolle des Zustimmungsgesetzes
1. Die Zustimmung zum Rahmenvertrag
2. Alternative Parlamentsbeteiligung nach Vertragsschluss
a) Erneute Zustimmung über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
b) Zustimmung zur Einrichtung des Compliance Committee
c) Parlamentsbeteiligung auf informellem Weg
d) Umsetzungsgesetz
3. Zwischenfazit: Die begrenzten Möglichkeiten des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG
III. Die Aufgaben der einzelnen Staatsgewalten angesichts der völkerrechtlichen Determination von Innenpolitik
1. Die Möglichkeiten und Pflichten der gesetzgebenden Körperschaften
2. Die Möglichkeiten und Pflichten der Bundesregierung
a) Verhalten vor der Beschlussfassung der Vertragsstaatenkonferenz
b) Verhalten während der Verhandlungen der Vertragsstaatenkonferenz
aa) Verfahrenskodifikation
bb) Die ganzheitliche Position
cc) Grenzen
c) Verhalten nach der Beschlussfassung auf der Vertragsstaatenkonferenz
3. Zwischenfazit zu den Aufgaben der Verfassungsorgane
IV. Fazit
D. Schlussfolgerung: Mut zur Ehrlichkeit
Zusammenfassung in Thesen
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Das Compliance Committee als Rechtsgestalter: Die Fortentwicklung umweltvölkerrechtlicher Verträge durch nachfolgende Staatspraxis nach Art. 31 Abs. 3 WÜV aus Sicht des Grundgesetzes [1 ed.]
 3161623177, 9783161623172

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Jus Internationale et Europaeum herausgegeben von

Thilo Marauhn und Christian Walter

201

Antonia Schlicht

Das Compliance Committee als Rechtsgestalter Die Fortentwicklung umweltvölkerrechtlicher Verträge durch nachfolgende Staatspraxis nach Art. 31 Abs. 3 WÜV aus Sicht des Grundgesetzes

Mohr Siebeck

Antonia Schlicht (geb. van Delden), geboren 1988; 2014 Master in Politikwissenschaften an der Universität Bonn; 2016 Erstes Juristisches Staatsexamen nach Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und der Sciencs Po, Paris und nach Aufenthalt in Berlin; 2023 Zweites Juristisches Staatsexamen nach Referendariat in Köln, Brüssel, Düsseldorf und Brasilia. orcid.org/0009-0002-7429-0015

Gedruckt mit Unterstützung der Konrad-Redeker-Stiftung, Bonn und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) ISBN 978-3-16-162317-2 / eISBN 978-3-16-162725-5 DOI 10.1628/978-3-16-162725-5 ISSN 1861-1893 / eISSN 2568-8464 (Jus Internationale et Europaeum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nati­onal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Bodelshausen aus der Times New Roman gesetzt, von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und dort gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater und Erstgutachter, Herrn Professor Dr. Dr. Wolfgang Durner, LL.M., der die Entstehung dieser Arbeit wohlwollend begleitet und gefördert hat. Seine konstruktive Kritik an der Arbeit hat mich stets ermutigt und mir neue Denkanstöße gegeben. Herrn Professor Dr. Christian Hillgruber bin ich für seine wertvollen Anmerkungen im Rahmen des zügig erstellten Zweitgutachtens zu Dank verpflichtet. Herrn Professor Dr. Heiko Sauer, an dessen Lehrstuhl für Öffentliches Recht ich zu Beginn meiner Promotionszeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig sein durfte, danke ich für seine wegweisende Kritik bei der Konzeption meiner Dissertation. Mein Dank gilt der Studienstiftung des Deutschen Volkes für die großzügige Unterstützung meiner Familie während der Promotionszeit. Für die Förderung der Druckkosten möchte ich mich bei der Konrad-Redeker-Stiftung und dem Bundesministerium des Innern bedanken. Eine große Hilfe waren meine Gesprächspartner im Bundesumweltministerium. Ihre Einblicke in die Praxis waren für mich von unschätzbarem Wert. Über die Aufnahme der Dissertation in die Schriftenreihe „Jus Internationale et Europaeum“ freue ich mich und danke dafür Herrn Professor Dr. Christian Walter und Herrn Professor Dr. Thilo Marauhn. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Familie und Schwiegerfamilie, meinem Mann und meinen Kindern. Ich danke ihnen von ganzem Herzen für ihre liebevolle Unterstützung. Köln, August 2023

Antonia Schlicht

Inhaltsverzeichnis Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Verzeichnis verwandter Abkürzungen für Zeitschriften, Jahrbücher und Reihen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Abkürzungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. B. C. D. E.

Die Aarhus Konvention und der Gerichtszugang Einzelner  . . . . . . . . . . Untersuchungsgegenstand und Hintergrund der Forschungsfrage  . . . . Relevanz des Themas  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielsetzung der Arbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gang der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 4 5 7 8

Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Hintergrund des Compliance-Systems  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Making treaties work“ – die Idee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Monitoring zu Compliance  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Charakteristische des Compliance-Systems  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der moderne multilaterale umweltvölkerrechtliche Vertrag  . . . . . . . . . . . . 1. Der Rahmenvertrag als Ausgangspunkt weiterer Entwicklungen  . . . . . . 2. Die Vertragsstaatenkonferenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das Umweltvölkerrecht in Kürze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht – die Praxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ermächtigungsgrundlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Institutioneller Aufbau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitgliedschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Auslösemechanismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verfahrens- und Verteidigungsrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Entscheidung des Komitees  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ausgang des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. II. III. IV.

12 12 15 16 18 19 20 21 25 26 28 32 35 39 42 43 46

VIII

Inhaltsverzeichnis

IX. Kontrollmechanismen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

C. Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Montrealer Protokoll: Der Vorreiter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Compliance-Mechanismus im Detail  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermächtigungsgrundlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutioneller Aufbau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mitgliedschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auslösemechanismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verfahrens- und Verteidigungsrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Entscheidung des Komitees  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Ausgang des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Kontrollmechanismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Aarhus Konvention: Die Transparente  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Compliance-Mechanismus im Detail  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermächtigungsgrundlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutioneller Aufbau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mitgliedschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auslösemechanismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verfahrens- und Verteidigungsrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Entscheidung des Komitees  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Ausgang des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Kontrollmechanismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Alpenkonvention: Die Staatliche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Compliance-Mechanismus im Detail  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermächtigungsgrundlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutioneller Aufbau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mitgliedschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auslösemechanismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verfahrens- und Verteidigungsrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Entscheidung des Komitees  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Ausgang des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Kontrollmechanismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis des Compliance-Ansatzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 49 52 52 53 56 56 57 59 60 62 63 64 66 66 67 67 69 70 71 73 76 77 79 81 82 83 83 85 85 86 87 88 88 89 90 93 93 94 95



Inhaltsverzeichnis

IX

I. Der Compliance-Mechanismus in der Theorie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 II. Der Compliance-Mechanismus in der Praxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

E. Ergebnis des ersten Kapitels  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Kapitel 2: Treaties over time  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 A. Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge  . . . . . . . . . . . I. Das Völkervertragsrecht als Ausdruck der Staatszentrierung: Einführung    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Abschnitt 3 – synthèse très remarquable  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertragsinterpretation als Schnittstelle von Recht und Politik  . . . . . . . . . . . B. Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Kulisse: Wer muss sich wann einigen?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Retrospektive  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Verhältnis zwischen Vertragsparteien und Compliance Committee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Faktoren, die die Zurechnung zu den Vertragsstaaten erschweren  . . . b) Heilungsmöglichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis: Die Katalysatorfunktion des Komitees  . . . . . . . . II. Die Einigung: Zwischen Form und Inhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Form der Einigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übung und Einigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Text und Wortlaut  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut der Ermächtigungsgrundlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wortlaut der Einsetzungsentscheidungen und der Geschäftsordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wortlaut der Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis: kein eindeutiges Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren und Beschlussfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Umsetzungsverpflichtung und Nachhalteprozess  . . . . . . . . . . . . . bb) Die Konsensmethode  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis: Kollektiver Harmonisierungsanspruch  . . . . . c) Im Ergebnis eine Einigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neuer Wein in alten Schläuchen: Die Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis: Nichtsdestotrotz eine „spätere Übung“  . . . . . . . . . . . . . C. Völkerrechtliche Rechtsfolge von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV  . . . . . . . . . . I. Autorität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertrauen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Formstrenge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wortlaut  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Stellungnahme: „Völkerrecht ist anders!“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 107 108 112 114 115 115 115 116 117 119 120 120 122 124 125 126 129 132 132 133 134 137 138 138 141 143 144 149 153 155 157 159

X

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D. Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? Eine Untersuchung des Außenverfassungsrechts  164 I. Das Grundgesetz und der Umgang mit weichem Recht  . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Das Außenverfassungsrecht. Eine Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Vorstellung des Art. 59 GG – Telos der Norm  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Reguläres Zustimmungsverfahren bei Vertragsschluss  . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Der Tatbestand  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Verträge, die sich auf die Gesetzgebung beziehen  . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Einseitiger Akt mit wesentlicher Bedeutung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Bedeutendes Nichtrecht umfasst?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Zwischenergebnis: Die spätere Übung als Bestandteil des Vertragsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Zustimmung durch die zuständige gesetzgeberische Körperschaft  . . . . 180 a) Analoge Anwendung zur Wiederherstellung der Deckungsgleichheit?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Heilungsmöglichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Abhilfe durch das allgemeine Handlungsinstrumentarium  . . . . . . . . . . . 185 4. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5. Schlussfolgerungen für Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 III. Umfang der Bindung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Die Völkerrechtsfreundlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Grundsätze der Völkerrechtsfreundlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Brücke für unverbindliches Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit: Verbindliches Recht wird unverbindlich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Die Rolle des Art. 20a GG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Sind die Auslegungsentscheidungen im Compliance-Verfahren verbindlich?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Sanktionsbewehrte Compliance-Verfahren und die Konfliktvermeidungsfunktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Deutschlands Mitwirkung in umweltvölkerrechtlichen Vertragssystemen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Der Rahmenvertrag als Entwicklungsprogramm  . . . . . . . . . . . . . . . . 203 d) Zwischenergebnis und Grenzen der Bindung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 IV. Ergebnis des zweiten Kapitels: ein Ausblick auf die weitere Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 A. Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Wege zur Stärkung des Compliance-Mechanismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Annäherung an verbesserte Rahmenbedingungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

I.



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2. Vielfalt nutzen: Orientierung an Best-practice-Beispielen  . . . . . . . . . . . II. Maßstab  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratisch-rechtsstaatlicher Maßstab  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutionalisiertes Völkerrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Individuell-freiheitlicher Maßstab: Verfahrensanforderungen  . . . . . . . . a) Technische Normsetzung außerhalb der Parlamente  . . . . . . . . . . . . . aa) Die Zusammensetzung der Normsetzungsgremien  . . . . . . . . . . . bb) Normsetzungsverfahren, Bestimmtheit und Veröffentlichung  . . . cc) Rezeptionsprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Global Administrative Law  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Untersuchungshergang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

217 218 219 219 225 230 231 232 233 238 239 241 242 245 246

B. Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?  . . . . . . . . . . . . 247 I. Welchen Einfluss erhalten Partikularinteressen im Compliance-Prozess?    249 1. Einfluss der Komiteebesetzung auf die Vertragsweiterentwicklung  . . . . 250 a) Vertragsauslegung als notwendiger Bestandteil des Compliance-Prozesses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Netzwerkdynamik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Einfluss der Homogenität auf das Auslegungsergebnis  . . . . . . . . . . . 255 d) Vorschläge zur Verbesserung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Kontrolle durch NGOs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Die NGO: Anwältin der Natur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Die NGO: Vertreterin von Partikularinteressen  . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Lösungsvorschläge: Vielfalt und Transparenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3. Öffentlichkeit als Kontrollelement  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Zwischenfazit: „Mit der Natur kann man nicht verhandeln“?!  . . . . . . . . 272 II. Die Kontrolle von innen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Der betroffene Staat als ganzheitlicher Interessenvertreter  . . . . . . . . . . . 274 a) Der funktionelle Wert von Verfahrensrechten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Verfahrenseinleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Nachhalteprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. „… Kontrolle ist besser“: Die Vertragsstaatenkonferenz als politisches Zentrum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 a) Das institutionelle Gleichgewicht im umweltvölkerrechtlichen Vertrag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 aa) Problembeschreibung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 bb) Lösungsvorschläge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Wie inkludierend ist der Konsens?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 aa) Das Konsensverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 bb) Die Konsensfindung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

XII

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cc) Die Konsensentscheidung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 dd) Konsens: „Nicht Übereinstimmung, sondern Überstimmung“  . . 294 III. Zwischenfazit: Institutionelle Dysbalance  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

C. Innerstaatliche Möglichkeiten zum aktiven Umgang mit späterer Übung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 I. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 II. Die neue, alte Rolle des Zustimmungsgesetzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 1. Die Zustimmung zum Rahmenvertrag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Alternative Parlamentsbeteiligung nach Vertragsschluss  . . . . . . . . . . . . 308 a) Erneute Zustimmung über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG  . . . . . . . . . . . . . 309 b) Zustimmung zur Einrichtung des Compliance Committee  . . . . . . . . 311 c) Parlamentsbeteiligung auf informellem Weg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 d) Umsetzungsgesetz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Zwischenfazit: Die begrenzten Möglichkeiten des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 III. Die Aufgaben der einzelnen Staatsgewalten angesichts der völkerrechtlichen Determination von Innenpolitik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Die Möglichkeiten und Pflichten der gesetzgebenden Körperschaften   .317 2. Die Möglichkeiten und Pflichten der Bundesregierung  . . . . . . . . . . . . . 322 a) Verhalten vor der Beschlussfassung der Vertragsstaatenkonferenz  . . 323 b) Verhalten während der Verhandlungen der Vertragsstaatenkonferenz 325 aa) Verfahrenskodifikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 bb) Die ganzheitliche Position  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 cc) Grenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 c) Verhalten nach der Beschlussfassung auf der Vertragsstaatenkonferenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 3. Zwischenfazit zu den Aufgaben der Verfassungsorgane  . . . . . . . . . . . . . 330 IV. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 D. Schlussfolgerung: Mut zur Ehrlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

Zusammenfassung in Thesen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  343 Sachregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

Verzeichnis verwandter Abkürzungen für Zeitschriften, Jahrbücher und Reihen AFDI Annuaire français droit international AJIL American Journal of International Law AJIL Unbound American Journal of International Law Unbound AK-GG Alternativkommentar Grundgesetz ALR Administrative Law Review AöR Archiv des öffentlichen Rechts ARLSS Annual Review of Law and Social Science ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie AVR Archiv des Völkerrechts AYIL Australian Yearbook of International Law BYIL British Yearbook of International Law CEH Central European History CJIL Chinese Journal of International Law CJTL Columbia Journal of Transnational Law CJIELP Colorado Journal of International Environmental Law and Policy CMLR Common Market Law Review CYIL The Canadian Yearbook of International Law DFZ Der Freie Zahnarzt DÖV Die öffentliche Verwaltung DS Der Sachverständige DVBl Deutsches Verwaltungsblatt EJIL European Journal of International Law Emory LJ Emory Law Journal EPL Environmental Policy and Law EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift EuR Europarecht FaF Fish and Fisheries GEC Global Ecology and Conservation GEP Global Environmental Politics GLJ German Law Journal GO Government and Opposition GYIL German Yearbook of International Law HILJ Harvard International Law Journal HJD Hague Journal of Diplomacy HStR Handbuch des Staatsrechts ICLQ International and Comparative Law Quarterly IJCL International Journal of Constitutional Law IJGLS Indiana Journal of Global Legal Studies

XIV

Verzeichnis verwandter Abkürzungen für Zeitschriften, Jahrbücher und Reihen

ILF International Law Forum IO International Organization IS International Security ISQ International Studies Quarterly IStR Internationales Steuerrecht JA Juristische Ausbildung JEL Journal of Environmental Law JEEPL Journal for European Environmental and Planning Law JIEL Journal of International Economic Law JIWLP Journal of International Wildlife Law and Policy JLS The Journal of Legal Studies JuS Juristische Schulung JVSB Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt JWT Journal of World Trade JZ JuristenZeitung KJ Kritische Justiz LCP Law and Contemporary Problems LKV Landes- und Kommunalverwaltung LJIL Leiden Journal of International Law LPICT The Law and Practice of International Courts and Tribunals MPYUNL Max Planck Yearbook of United Nations Law MRD Mountain Research and Development MJIL Michigan Journal of International Law NILR Netherlands International Law Review NJIL Nordic Journal of International Law NJW Neue Juristische Wochenschrift NuR Natur und Recht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NYIL Netherlands Yearbook of International Law NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht QIL Questions of International Law RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RdA Recht der Arbeit RdU Recht der Umwelt RIO The Review of International Organizations RIS Review of International Studies RW Rechtswissenschaft SRIEL Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht SRL Sydney Law Review TEL Transnational Environmental Law TJICL Tulane Journal of International and Comparative Law VJIL Virginia Journal of International Law VJTL Vanderbilt Journal of Transnational Law VVDStRL Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehre WP World Politics WILJ Wisconsin International Law Journal YIEL Yearbook of International Environmental Law YJIL Yale Journal of International Law YLJ Yale Law Journal



ZaöRV ZAR ZfRSoz ZG ZGR ZPB ZSR ZUR

Verzeichnis verwandter Abkürzungen für Zeitschriften, Jahrbücher und Reihen

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift für Rechtssoziologie Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Politikberatung Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für Umweltrecht

XV

Abkürzungsverzeichnis a. F. alte/alter Fassung ACCC Aarhus Convention Compliance Committee AfD Alternative für Deutschland AK Aarhus Konvention AktG Aktiengesetz AlpK Alpenkonvention Alt. Alternative ARGE Alp Arbeitsgemeinschaft Alpenländer ARGE Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria  Alpen-Adria AZ Aktenzeichen BauGB Baugesetzbuch Bd. Band Bek. Bekanntmachung BFH Bundesfinanzhof BGBl. Bundesgesetzblatt BT-Drs. Bundestagsdrucksache BtMG Betäubungsmittelgesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Bundesverfassungsgerichtsentscheidung BVerwG Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung CAA Club Arc Alpin CIPRA Commission Internationale pour la Protection des Alpes CoP Conference of the Parties DDR Deutsche Demokratische Republik DRiG Deutsches Richtergesetz dt. deutsch e. V. eingetragener Verein EG Europäische Gemeinschaft EGMR Europäischer Menschenrechtsgerichtshof EL Ergänzungslieferung engl. englisch EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EUSALP EU-Strategy for the Alpine Region EUZBBG Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union EUZBLG Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union franz. französisch

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

FS Festschrift GEF Global Environmental Facility GG Grundgesetz GGO Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien GOBT Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags HGB Handelsgesetzbuch HGB Handelsgesetzbuch HS Halbsatz i. S. im Sinne IAS-VO International Accounting Standards-Verordnung IASB International Accounting Standards Board ICJ Reports International Court Justice Reports IEC Internationale Elektrotechnische Kommission IFRS International Financial Reporting Standards IGH Internationaler Gerichtshof IGH-Statut Statut des Internationalen Gerichtshofs ILC International Law Commission IS Islamischer Staat ISO International Organization for Standardization IStGH Internationaler Strafgerichtshof iSv im Sinne von ital. italienisch iVm in Verbindung mit Jh. Jahrhundert KP Kyoto Protokoll KTA Kerntechnischer Ausschuss lit. literal LS Leitsatz MEA multilateral environmental agreement MoP meeting of the parties MP Montrealer Protokoll mwN mit weiteren Nachweisen NABU Naturschutzbund Deutschland NGO Nichtregierungsorganisation No. number NRW Nordrhein-Westfalen NZZ Neue Zürcher Zeitung OVG Oberverwaltungsgericht PCIJ Ser Permanent Court of International Justice Series PflSchG Pflanzenschutzgesetz RGSt Reichsgericht in Strafsachen RiVeVo Richtlinien für die Fassung von Vertragsgesetzen und vertragsbezogenen Verordnungen RvV Richtlinie für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge SRÜ Seerechtsübereinkommen st. Rspr. ständige Rechtsprechung TA Technische Anleitung TA-Lärm Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm taz. die tageszeitung



Abkürzungsverzeichnis

UN-Charta Charta der Vereinten Nationen UNGA Generalversammlung der Vereinten Nationen Urt. Urteil USA Vereinigte Staaten von Amerika UVPG Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung VCI Verband der Chemischen Industrie VCLT Vienna Convention on the Law of Treaties VG Verwaltungsgericht WD Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags WEU Westeuropäische Union WHG Wasserhaushaltsgesetz WRV Weimarer Reichsverfassung WÜV Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge WWF World Wide Fund for Nature

XIX

Einleitung A.  Die Aarhus Konvention und der Gerichtszugang Einzelner Am 25. Juni 1998 wurde die Aarhus Konvention von den Vertragsstaaten unterzeichnet, am 30. Oktober 2001 trat sie in Kraft. Sie verbindet den Umweltschutz innovativ mit dem Schutz der Menschen- und Bürgerrechte in drei zentralen Themenbereichen: Zugang zu Informationen1, Öffentlichkeitsbeteiligung2 und Zugang zu Gerichten in Umweltbelangen3. Bereits 2002 richteten die Vertragsstaaten auf ihrer Zusammenkunft in Lucca ein Compliance Committee ein, das die Umsetzung des Vertrags durch die Parteien überwachen soll.4 Der Deutsche Bundestag beschloss 2006 das Zustimmungsgesetz zur Konvention und setzte vor allem mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz die Teile der Konvention um, die in den Bereich der nationalstaatlichen Kompetenz und nicht in den Bereich der unionalen Kompetenz fallen. Gerade in Bezug auf den Gerichtszugang in Umweltsachen behandelt die Aarhus Konvention einen politisch und rechtlich heiklen Bereich – die überkommenen Rechtstraditionen der Vertragsstaaten fallen hier sehr weit auseinander. Aus dem Grund führte die Bundesregierung in ihrer Denkschrift zum Vertragsgesetz 2006 zu Art. 9 Abs. 3 AK aus: „Die konkrete Ausgestaltung und Interpretation dieser Bestimmung bleibt den einzelnen Staaten überlassen, insbesondere steht es den Staaten frei, innerstaatliche Kriterien festzulegen. Die Tatsache, dass diese Formulierung [in Art. 9 Abs. 3 AK] so vage gewählt ist, steht im Zusammenhang mit der Verhandlungsgeschichte dieser Bestimmungen, wo es zahlreichen Staaten ein Anliegen war, ihre […] unterschiedlichen Rechtstraditionen beibehalten zu können“.5

Die deutsche Umsetzung im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz führte einen (erweiterten) Rechtsbehelf für (Umwelt-)Verbände ein.6 Verbände erhielten nun in be1 

Art. 4 AK. Art. 6–8 AK. Art. 9 AK. 4  Decision 1/7. 5  BR-Drs.: 565/06, S. 46 (Aarhus Konvention). 6  Die umweltrechtliche Verbandsklage war allerdings zuvor schon im landes- und bundesrechtlichen Naturschutz geregelt, vgl. nur § 64 Abs. 1 und § 64 Abs. 2 iVm § 63 BNatschG. 2  3 

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Einleitung

stimmten Fällen Gerichtszugang, unter anderem um die Einhaltung von Vorschriften einzufordern, die einen Umweltbezug aufweisen.7 Im Jahr 2008 brachten die NGOs ClientEarth und NABU eine Beschwerde vor das Compliance Committee der Aarhus Konvention: Die deutsche Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK genüge den Anforderungen der Konvention nicht. Sie verlangten unter anderem, dass anerkannte Umweltverbände auch dann vor deutschen Verwaltungsgerichten klagebefugt sein sollten, wenn es sich um eine umweltschützende Norm handelt, die keinen Drittschutz vermittelt; zudem sollte die Begrenzung auf abschließend genannte Vorhaben entfallen. Es folgte ein lang andauerndes Verfahren vor dem Compliance Committee – mehrfach verzögert durch Gerichtsentscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene –, an dem von deutscher Seite nur das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit beteiligt war, der Deutsche Bundestag aber nicht. Das Committee entschied fünf Jahre später großteils im Sinne der NGOs und stellte eine Verletzung Deutschlands in zwei Fällen betreffend Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK fest. Die 5. Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus Konvention in Maastricht nahm die Entscheidung 2014 ohne Änderungen und ohne Widerspruch Deutschlands im Konsens an.8 Dabei hatte das Bundesumweltministerium noch am 06. Dezember 2013 in einer Stellungnahme an das Committee geschrieben: „In accordance to our enclosed reply we do not agree with these two remaining findings of non-compliance as concluded by the committee“. Die Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz verpflichtete Deutschland zur Umsetzung der Entscheidung und formulierte die Erwartung, dass Deutschland von 2014 bis 2016 jährlich zur korrekten Umsetzung Stellung beziehe. Die Vertragsstaatenkonferenz kündigte an, andernfalls auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz 2017 den Fall nochmals zu thematisieren. Schlussendlich goss der Deutsche Bundestag die Bewertungen der Entscheidung mit dem Ziel einer Eins-zu-eins-Umsetzung9 2016 in deutsches Recht. Er begründete das Gesetz wie folgt: „Diese Feststellung der Völkerrechtswidrigkeit des geltenden deutschen Rechts erfordert ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers, durch den allein eine völkerrechtskonforme Rechtslage hergestellt werden kann. Neben dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes bedarf es eines solchen Tätigwerdens auch auf Grund des völkerrechtlichen Grundsatzes ‚Pacta sunt servanda‘. Die vertrag­lichen 7  Umfangreich zu innerstaatlichen und europäischen Entwicklungen bezüglich der Klagemöglichkeiten des Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 AK mwN Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 83 ff. und Bunge, UmwRG Kommentar, 2019, Einleitung und Epiney u. a. (Hrsg.), Aarhus-Konvention. Handkommentar, 2018, Einleitung. 8  Decision V/9 h. Der Hergang der Umsetzung in deutsches und unionales Recht sowie des Verfahrens ist verkürzt dargestellt. Das EuGH-Verfahren wird beispielsweise nicht erwähnt. 9  Bunge, UmwRG Kommentar, 2019, Einleitung Rn. 32.



A.  Die Aarhus Konvention und der Gerichtszugang Einzelner

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Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Aarhus-Konvention sind durch den für Deutschland verbindlichen Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz konkretisiert worden.“10

Die Gesetzesänderung wurde anschließend vom Compliance Committee überprüft und gebilligt. 2017 wurde diese Entscheidung von der Vertragsstaatenkonferenz ohne Änderungen angenommen. Damit gilt der Fall als abgeschlossen.11 Die „altruistische Umweltverbandsklage [ist] als neuartiges Instrument des überindividuellen Rechtsschutzes“12 endgültig in das deutsche Verwaltungsprozessrecht eingeführt worden. Die Eigenheiten des traditionellen deutschen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, der vor allem dem Schutz der Rechte Einzelner dient, treten in umweltrechtlichen Zusammenhängen zunehmend in den Hintergrund. Diese juristische Auseinandersetzung wirft eine Vielzahl von Fragen auf: Welche Rolle kommt dem Deutschen Bundestag angesichts der umfang- und detailreichen Konkretisierung von Umweltvölkervertragsrecht durch Compliance Committees noch zu? War er über die einzelnen Verfahrensschritte im obigen Verfahren informiert oder gar an der innerstaatlichen Meinungsfindung beteiligt? Welche Funktion kommt der Vertragsstaatenkonferenz im Rahmen dieser Vertragskonkretisierung zu? Vermittelt die Anwesenheit der deutschen Delegation auf der Vertragsstaatenkonferenz – in ihrer Funktion als Brücke zum Wahlentscheid des Bürgers – noch hinreichende Legitimation? Wenn die Rolle des Compliance Committee wie in diesem Fall so einflussreich und ausschlaggebend ist, kommt es darauf an, wie und auf welcher Grundlage die Komitees errichtet werden. Wie werden die Komiteemitglieder ausgewählt? Wer wird für diese Tätigkeit ausgewählt? An welchen Verfahrensordnungen und Auslegungsgrundsätzen richten sie sich aus, um die einzelnen Fälle zu prüfen und das Vertragsrecht auszulegen? Welche Beobachter und Akteure haben neben ClientEarth, dem Committee und der Bundesrepublik an den Verhandlungen teil- und Einfluss genommen? Schlussendlich stellt sich auch die Frage: Ist die Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz für die nationale Ebene verpflichtend umzusetzen?

10 

BT-Drs. 18/9526, S. 32. ist der Gerichtszugang von Verbänden und Einzelpersonen beispielweise zur Überprüfung auch nicht drittschützender Normen, die einen Bezug zur Umwelt aufweisen weiterhin beschränkt. Bunge hält es daher nicht für ausgeschlossen, dass Deutschland eine weitere „Verurteilung“ droht. Vgl. Bunge, JuS 2020, 740–745, 744. 12  Sangenstedt, Umweltrechtlicher Gerichtszugang, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79–117, S. 81. 11  Allerdings

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B.  Untersuchungsgegenstand und Hintergrund der Forschungsfrage Umweltvölkerrechtliche Vertragswerke unterscheiden sich stark vom Bild des bilateralen Vertrags: Der Rahmenvertragsschluss ist oft nicht mehr als ein Startschuss, um das Vorhaben der gemeinsamen Bekämpfung eines Umweltproblems zu besiegeln. Nicht selten bleiben die rechtlichen Verpflichtungen der Rahmenverträge vage und bedürfen im Nachgang der intensiven Ausdifferenzierung, um überhaupt die Politik und das Recht der Vertragsstaaten wirkungsvoll zu beeinflussen. Die Parteien verstetigen ihre Zusammenarbeit zu diesem Zweck mit der Einrichtung einer Vertragsstaatenkonferenz. Zusätzlich stellen sie sich selbst ein teils umfangreiches Netzwerk an „Unterorganen“ zur Verfügung, um die laufende Vertragsarbeit zu verwalten. Es sind sogenannte lawmaking-treaties, die darauf ausgerichtet sind, ein konkretes Ziel zu erreichen, kontinuierlich Recht zu setzen und es, angepasst an neue Gegebenheiten oder naturwissenschaftliche Erkenntnisse, weiterzuentwickeln. Compliance Committees nehmen in diesem institutionellen Gefüge eine wichtige Funktion ein. Sie sollen die Einhaltung des Vertrags durch die Vertragsstaaten, also beispielsweise die korrekte Umsetzung in innerstaatliches Recht, kontrollieren. Hintergrund ist, dass die klassischen vertragsrechtlichen Instrumente der Rechtsdurchsetzung in umweltvölkerrechtlichen Verträgen nur schlecht greifen. Auf der einen Seite unterstützen die Nichteinhaltegremien die individuelle Vertragsumsetzung. Auf der anderen Seite decken sie im Zuge der Nichteinhalteverfahren Ungenauigkeiten oder Lücken im Vertragstext auf, legen die Vertragsnormen aus und konkretisieren sie. Die abschließende Entscheidung im Nichteinhaltungsverfahren hat daher immer zwei Bestandteile: Sie beinhaltet die Bewertung, ob eine Partei die Vertragsnormen vollständig umgesetzt hat oder nicht. Und sie legt die betroffene Norm durch die Anwendung auf den Einzelfall zugleich für künftige Fälle aus. Der zweite Aspekt des Compliance-Verfahrens – die generalisierende Auslegung von Vertragsnormen – steht im Fokus dieser Arbeit.13 Dass die Vertragsauslegung zugleich rechtschöpfende und rechtsfortentwickelnde Aspekte aufweist, stellt dabei den Kern der Problematik dar. Daher rücken auch Themen wie beispielsweise die Zusammensetzung der Gremien, das Verfahren zur Entscheidungsfindung und die Frage, welche Einzelinteressen Einfluss auf den Verfahrensausgang nehmen können, in den Fokus. 13  Ein großer Teil der umweltvölkerrechtlichen Vorgaben sind heutzutage durch europarechtliche Vorgaben bestimmt und das Völkerecht wird damit für das nationale Recht „europäisch kanalisiert“. Diese zusätzliche Mehrebenendimension wird ausgeschlossen. Vgl. dazu Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 132 f.



C.  Relevanz des Themas

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Auf nationaler Seite steht kein Verfahren zur Verfügung, den unterschiedlichen Typen14 völkervertraglicher Kooperation adäquat das heißt mit speziell darauf zugeschnittenen Regelungen zu begegnen. Der Bundestag und der Bundesrat befassen sich zumeist einmal mit dem umweltvölkerrechtlichen Vertrag – bei (Rahmen-)Vertragsschluss. Alle weitere Vertragsarbeit übernimmt die deutsche Delegation für die Bundesrepublik, die maßgeblich mit Vertretern des federführenden Fachministeriums besetzt ist. Die gesetzgebenden Körperschaften haben zu kaum einem Zeitpunkt gestaltenden Einfluss, um die auswärtige Gewalt in diesem Bereich „zur gesamten Hand“15 auszuüben. Über verschiedene dynamische Rechtselemente wird das nationale Recht allerdings durch die auslegende Tätigkeit im Compliance Committee peu à peu verändert. Diese Vertragsweiterentwicklung stellt letztlich sogar die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften zum ursprünglichen Vertragsgesetz mangels Deckungsgleichheit in Frage. Diese Problematik stellt sich besonders stark im Umweltvölkerrecht, da hier allein schon die naturwissenschaftlichen Unsicherheiten dazu führen, dass der Rahmenvertrag zu Anfang (noch) unvollständig ist und oft erst im Zuge neuer Erkenntnisse konkretisiert werden kann.

C.  Relevanz des Themas Das Umweltvölkerrecht verfolgt das Ziel, die globale Umwelt sektoral zu schützen, ihren Zustand zu verbessern oder weitere Verschlechterungen zu verhindern. Obwohl schon einige Fortschritte gemacht wurden, kommt die Regulierung kaum gegen die Auswirkungen der „Great Accelaration“ seit den 1950er Jahren an. 2019 schrieb die Umweltagentur Europa über den Zustand der europäischen Umwelt: „2020 steht Europa vor umweltbezogenen Herausforderungen ungekannten Ausmaßes und noch nie dagewesener Dringlichkeit. Obwohl die Umwelt- und Klimapolitik der EU in den vergangenen Jahrzehnten Wesentliches geleistet hat, steht Europa vor ungelösten, schwerwiegenden Problemen, etwa beim Verlust von Biodiversität, der Ressourcennutzung, den Auswirkungen des Klimawandels und den umweltbedingten Risiken für Gesundheit und Wohlergehen. Globale Megatrends wie der demografische Wandel verschärfen viele Umweltprobleme, während der rasche technologische Wandel neue Risiken und Unsicherheiten mit sich bringt.“16 14  Zum Bsp. also den contract-treaties, den law-making-treaties oder den Gründungsverträgen internationaler Organisationen (ohne Hoheitsrechtsübertragung). 15  Friesenhahn, VVDStRL 1960, 9–73, 33. 16  SOER, Umweltzustandsbericht Europa, 2019. Diese Dringlichkeit wird nun seit etwa 50 Jahren angeprangert: „a problem of major importance for the future of the mankind as far as the quality of our vital environment is concerned.“ (Eröffnungsrede Brüggers auf der ersten Vertragsstaatenkonferenz von CITES 1976 in Bern, abrufbar unter https://www.cites.org/sites/ default/files/eng/cop/01/E01-Opening-speeches.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023).

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Den Schätzungen des UNEP zur Folge gibt es derzeit weit über 500 multilaterale umweltvölkerrechtliche Verträge, um den Zustand der globalen Umwelt zu verbessern.17 Ein Ende dieser rechtlichen Entwicklung ist nicht in Sicht.18 Allein in quantitativer Hinsicht lohnt daher ein genauer Blick auf die Vertragsauslegung durch Compliance Committees. Der deutsche Rechtsbestand im Umweltschutzrecht ist zu einem großen Teil durch internationale Vorgaben geprägt19 und jede nachträgliche Konkretisierung reduziert den Umsetzungsspielraum der Vertragsstaaten. Dies nimmt letzten Endes Einfluss auf die Rechte des Einzelnen. Denn die Auslegung umweltvölkerrechtlicher Vertragswerke – behandelt die Umsetzung von Rechtnormen, von deren Anwendung „auf der einen Seite Milliardeninvestitionen und auf der anderen Seite nicht näher quantifizierbare Waldschäden, Krebsrisiken usw. abhängen“20 können; – kann grundlegende Rechtstraditionen der Vertragsstaaten betreffen, wie die Diskussion um den Gerichtszugang im Rahmen der Aarhus Konvention verdeutlicht hat;21 – kann die Lebensweise, Kultur und das ökonomische Überleben22 von Menschen beeinflussen. Das veranschaulicht nicht zuletzt der allumfassende Regelungsauftrag des Art. 2 Abs. 2 AlpK: In nahezu alle Lebensbereiche der Alpenländer soll regulierend eingegriffen werden. 17  Das Umweltrecht „steht […] exemplarisch für die Einbindung des deutschen Rechts in ein internationales Mehrebenensystem“ Durner, Umweltverfassungsrecht, in: Herdegen et al. (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 1615–1658, S. 1623. 18  „[F]ast growing aspect of international law“ Goeteyn/Maes, CJIL 2011, 1–39, 3. Das Umweltrecht werde zur „Avantgarde der global governance.“ v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 272. 19  Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 2, 183. Zudem gibt es eine Reihe Verweisungen im Umweltrecht, bspw. zur Definition unbestimmter Rechtsbegriffe, sodass selbst ohne gewohnheitsrechtliche Verankerung der Inhalt vieler umweltvölkerrechtlicher Verträge auch für Nichtvertragsstaaten relevant ist. Bsp. bilden die „generally recognised international rules and standards“ in Art. 208, 210 und 212 SRÜ, die nach allgemeiner Überzeugung auf MARPOL und die Londoner Dumping-Konvention verweisen. Ausführlich diskutiert mwN bei Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 20. 20  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 223 f. Alleine für den Ausstieg aus der FCKW Nutzung in den USA berechnete die amerikanische Environmental Protection Agency für „den Ausstieg aus der FCKW Nutzung“ Kosten von rund 36 Milliarden Dollar bis 2075. Dazu: Hamilton, The Costly Race to Replace CFCS in: Washington Post, am 29. September 1991, unter: https://www.washingtonpost.com/archive/business/1991/09/29/the-costly-race-to-replacecfcs/86e250e5-6031-4b77-88c4-9f9b6963b6b7/ (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Mazedonien beklagt vor der Berner Konvention, das Management der Wolfspopulation nach den Konventionsvorgaben würde das (kleine) Land jährlich vier Millionen Euro kosten, 32. Treffen des Standing Committee T-PVS(2012)22. 21  S. o. 22  Die Berner Konvention formuliert gegenüber der zypriotischen Regierung sehr detaillierte „Empfehlungen“, die sogar bis hin zu bauordnungsrechtlichen Maßnahmen wie dem Abriss von Restaurants reichen in: Recommendation No. 63 (1997).



D.  Zielsetzung der Arbeit

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Mit diesen Notizen soll der tatsächlich-rechtliche Hintergrund globaler Umweltregulierung nur skizziert werden. Schlussfolgernd aus dem umfassenden (Regelungs-)Ansatz des Umweltvölkerrechts stellte Bodansky schon 1999 in seinem vielbeachteten Aufsatz mit dem Titel The Legitimacy of International Governance: A Coming Challenge for International Environmental Law? die Prognose auf: „[A]s decision-making authority gravitates from the national to the international level, the question of legitimacy will likely emerge from the shadows and become a central issue in international environmental law.“23 Es stellen sich mit Bezug auf das Nichteinhalteverfahren rechtliche Fragen, insbesondere nach der Rückführbarkeit von Rechtsnormen auf den Wahlentscheid des Bürgers oder nach Verfahrensvoraussetzungen, welche dem fair process Grundsatz genügen, die bei der Kreation rechtlicher Verbindlichkeit im modernen Völkerrecht beachtet werden müssen.24 Spätestens bei der Übertragung der Spruchpraxis der Compliance Committee in das deutsche Recht stellen sich diese Fragen mit zunehmender Dringlichkeit. Hier knüpft die Untersuchung an.

D.  Zielsetzung der Arbeit Diese Arbeit soll kein Unkenruf auf eine expertokratische internationale Verwaltung sein, sondern aktiv Verbesserungsvorschläge anbringen, wie die Weiterentwicklung von Vertragsrecht im Compliance-Verfahren Anforderungen an eine Kontrollierbarkeit der Verfahren und Rückführbarkeit der Entscheidungen auf einen Verantwortungsträger genügen kann. An die Feststellung, dass das System der Compliance-Kontrolle diesen Standards derzeit nicht entspricht, schließt sich die Suche nach Lösungsansätzen an, um sie im „Geist der Verfassung [zu] kanalisier[en].“25 Damit werden zwei Ziele verfolgt: Einerseits drängen Quantität und Qualität des Einflusses moderner umweltvölkerrechtlicher Regime darauf, ihre Autorität zu rechtfertigen. Andererseits können Verfahrensdefizite die Rechtsumund -durchsetzung umweltvölkerrechtlicher Regime schmälern, wenn sie dazu führen, dass die Verfahren als legitimatorisch mangelhaft aufgefasst werden. 23 

Bodansky, AJIL1999, 596–624, 596. Blick auf die nationale Souveränität stellt Marhaun fest: „Interferences with national sovereignty are inherent in any international control mechanism. Such interferences are only acceptable for state if their sovereign rights are given due respect. There are hardly any explicit references to the sovereign rights of states parties in the context of any environment – related compliance control mechanisms.“ Danach betont er aber, dass diese Bezüge zumeist in den Verträgen selbst – bspw. in den Präambeln hergestellt werden. Marhaun, ZaöRV 1996, 696–731, 722. 25  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 234. 24  Mit

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Ihre Effektivität hängt auch von – im weitesten Sinne gefasst – Legitimitätsaspekten ab.

E.  Gang der Untersuchung Die Untersuchung teilt sich in drei Abschnitte.26 Sie beginnt mit einer problemorientierten Sachverhaltsanalyse. Im zweiten Teil werden die Verfahren völkerrechtlich eingeordnet und anschließend die Übertragung in den nationalen Rechtsbestand und Wirkungsweise der Auslegungsentscheidungen im nationalen Recht nachvollzogen. Die Nichteinhalteverfahren und die Übertragung ihrer Entscheidungen in das deutsche Recht werden im dritten Teil einer kritischen Betrachtung unterzogen und mit Lösungsangeboten ergänzt. Kapitel 1: Ausgangspunkt der Fragestellung ist der moderne umweltvölkerrechtliche Vertrag als Autonomous Institutional Arrangement (Churchill/Ulfstein) – als verselbstständigtes Vertragssystem. Moderne multilaterale Vertragswerke im Umweltvölkerrecht sind seit Anfang der 1990er Jahre mit einer institutionellen Struktur versehen, mit einem zentralen Beschlussorgan, der Vertragsstaatenkonferenz, und einem Compliance Committee, das die Einhaltung des Vertrags durch die Vertragsstaaten überwachen soll. Der konkrete Blick auf das Compliance-Verfahren macht deutlich, welche Akteure welche Rolle einnehmen, welche Kontrollmechanismen bestehen und wie die politische Macht und die rechtlichen Entscheidungsbefugnisse verteilt sind. Zur Veranschaulichung der Analyse stehen drei Vertragswerke im Fokus: das Montrealer Protokoll, die Aarhus und die Alpenkonvention. Am Ende des ersten Abschnitts ergibt sich das Bild eines Vertragssystems, das viele (funktionale) Gemeinsamkeiten mit einer internationalen Organisation aufweist, und eines Compliance-Verfahrens, das entgegen der theoretischen Zielsetzung Ähnlichkeiten mit einem völkerrechtlichen Gerichtsprozess aufweist, ohne jedoch umfangreiche Verfahrensrechte zu gewährleisten oder einer Kontrolle von außen zu unterliegen. Kapitel 2: Die endgültige Entscheidung im Non-Compliance-Verfahren wird in nahezu jedem Fall von der Vertragsstaatenkonferenz getroffen. Rechtlich lässt sich diese Entscheidung als spätere Übung der Vertragsstaaten nach Art. 31 26  Das Thema dieser Arbeit ist im rechtlichen „Graubereich“ angesiedelt und weist darüber hinaus internationale Bezüge auf, die mit der deutschen Verfassung harmonisiert werden. Der Aufbau der Arbeit ist in den Grundzügen inspiriert von Voßkuhle, Methode und Pragmatik im Öffentlichen Recht, in: Bauer (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 171–195. Voßkuhle entwickelt diese Methodik gerade mit Blick auf die zunehmende Internationalisierung des Öffentlichen Rechts, die in Deutschland dazu führt, dass viele neue, teils außerrechtliche Instrumente in die Rechtsordnung integriert werden müssen.



E.  Gang der Untersuchung

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Abs. 3 lit. b) WÜV einordnen. Diese Einordnung erfolgt nicht ohne Schwierigkeiten, schließlich basiert die spätere Übung auf einer „Einigung der Vertragsstaaten“. Vor allem die Tatsache, dass die Entscheidungen durch das Expertenvotum des Compliance Committee inhaltlich vorausbestimmt sind, wirft Fragen auf. Die klare Definition der Rechtsfolgen, die das Völkerrecht der späteren Übung zuschreibt, ist herausfordernd. Hat die Auslegung zwischen den Parteien vertragsähnliche Wirkung oder können sie von der Auslegung abweichen? Das Außenverfassungsrecht gibt kein eindeutiges Verfahren vor, wie die Auslegung im Compliance-Verfahren das deutsche Recht überhaupt erreicht, welche Rechtswirkung ihr zukommt und welche Anforderungen das Grundgesetz an die Ausübung der auswärtigen Gewalt zur „gesamten Hand“ in diesem Bereich stellt. Eine Auseinandersetzung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG offenbart eine große tatbestandliche Flexibilität, die der späteren Übung über die Brücke des antizipierten Rechtsanwendungsbefehls zum Rahmenvertrag ermöglicht, die deutsche Rechtsordnung zu erreichen. Dass Diskussionen geführt werden um die Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane, Grenzen der Integration oder über die (rechtlichen) Möglichkeiten des einfachen Parlamentsbeschlusses, veranschaulicht die schwache Legitimation, die das Völkervertragsrecht über Art. 59 Abs. 2 GG erhält. Verschiedene Argumente führen dazu, dass die Auslegung für die Bundesrepublik auch innerstaatlich verbindlich wirkt. Darunter fällt die Qualifikation des Zustimmungsgesetzes als dynamische Verweisung auf den Völkervertrag, die Feststellung, dass Compliance Committee nicht nur die zentralen Auslegungseinheiten des Vertrags, sondern daneben Rechtsdurchsetzungsmechanismen sind, die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und der Umstand, dass Deutschland fortwährend Mitarbeit im Rahmen des Vertragswerks leistet. Eine besondere Bedeutung erhält in diesem Kontext Art. 20a GG. Die einfachgesetzliche Bindung besteht jedoch nicht ohne Ausnahme. Die Grenzen können zum Beispiel in den Grundrechten oder in einem ausbalancierten Teilsystem der deutschen Rechtsordnung bestehen. Kapitel 3: Das Compliance-System trägt maßgeblich zum Erfolg umweltvölkerrechtlicher Verträge bei. Es ist ein fester Bestandteil moderner Vertragssysteme zur Regelung drängender, transnationaler Umweltprobleme. Trotz zunehmender Verflechtung der deutschen Rechtsordnung mit denen anderer Staaten und Organisationen auf internationaler und transnationaler Ebene bleiben das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip die zentralen Tragpfeiler des deutschen Grundgesetzes. Die Probleme, die sich in der Vertragsweiterentwicklung durch ComplianceVerfahren umweltvölkerrechtlicher Verträge stellen – abstrakt gefasst die Verrechtlichung, Technisierung und Internationalisierung von Rechtssetzung –, sind in anderer Form lange diskutierte Probleme der Rechtswissenschaft. Die

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Diskussionen in den Parallelfällen – namentlich vor allem die Diskussion im Umwelt- und Technikrecht der 80er Jahre und die Veränderung des Staatsorganisationsrechts durch die Integration der Bundesrepublik in die Europäische Union – werden zur Erweiterung des Instrumentenkoffers als Lösungsangebote herangezogen. Wesentliche Probleme der internen Struktur der Vertragssysteme sind die homogene Besetzung der Komitees und die einseitigen Einflussmöglichkeiten von Partikularinteressen. Dazu kommt die unzulängliche innere und äußere Kontrolle der Komitees, die unter anderem durch die fehlende Rivalität zwischen den Vertragsakteuren, die mangelhaften Verfahrensrechte des betroffenen Staats (insbesondere fehlende nachträgliche Kontrollmöglichkeit) sowie die Eigenheiten des Konsensverfahrens entsteht. Die Kompensationsmöglichkeiten setzen vor allem bei Forderungen nach Publizität, Bestimmbarkeit und Heterogenität an. Auf nationaler Ebene ist in erster Linie ein Bewusstseinswandel erforderlich, der zunächst alle Gewalten, aber besonders den Deutschen Bundestag betrifft. Selbst für die Rechtsprechung ist relevant, welche Interessen auf die Auslegung von für Deutschland bindenden Vertragsnormen Einfluss nehmen konnten. Die in der Arbeit offengelegten Defizite, die den Handlungsradius aller Verfassungsorgane betreffen, bestehen bereits beim Rahmenvertragsschluss, konkret bei der Formulierung der Denkschrift der Bundesregierung. Sie gehen über zu Informationsflüssen zwischen den Gewalten vor und während der internationalen Verhandlung, die formalisiert und optimiert werden müssen, bis hin zu einem aktiven Handeln der deutschen Delegation auf den Vertragsstaatenkonferenzen, um die Bundesrepublik als Akteur, beispielsweise mit einer explanation of position, in den Wettbewerb der Ideen eintreten zu lassen. Das alles setzt voraus, dass die Bundesrepublik und insbesondere der Deutsche Bundestag den permissive consensus im völkerrechtlichen Umweltschutz hinter sich lässt und sich seiner Völkerrechtsfunktion27 bewusst wird.28 Das muss sich auch in der Binnenorganisation des Parlaments widerspiegeln.

27  Angelehnt an Mayer, Europafunktion, 2012. 28  „[D]er Mangel an Wissen über die WTO (schwächt)

die legitimierende Kraft der nationalen Ratifikation.“, bei v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 270.

Kapitel 1

Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“1 Eine Charakterisierung von umweltvölkerrechtlichen Compliance-Verfahren kann in zwei diametral auseinanderliegende Richtungen führen: Sind Nichteinhaltungsverfahren kooperative Verfahren, so wie es sich in der (normativen) Theorie darstellt, oder sind es gerichtsähnliche Prozesse kontradiktorischen Charakters, die die Praxis häufig darin erkennt? Der Graben zwischen Theorie und Praxis tut sich auch bei der weiterführenden Frage, welche Bestandteile des Compliance-Systems für die Forschungsfrage der „Verfassungsverträglichkeit“ relevant sind, auf: Folgt man dem theoretischen Anspruch der Compliance-Kontrolle, kommt es auf Detailfragen der Verfahrensausgestaltung kaum an, da der Kooperationsgedanke und die Freiwilligkeit jede Souveränitätseinschränkung wettzumachen scheinen. Bezieht man aber die kritischen Bewertungen der Praxis mit ein, sind es gerade diese Details, die für die Bewertung der rechtsstaatlichen Qualität eines Verfahrens von besonderem Interesse sind. Die Sachverhaltsdarstellung gliedert sich in folgende Unterfragen: Warum ist das Nichteinhaltungsverfahren entwickelt worden? Was ist sein theoretischer Anspruch? Welche institutionelle Struktur umgibt das Compliance Committee als Akteur? Wie fügt sich das Compliance-System in die politische und rechtliche Struktur des modernen umweltvölkerrechtlichen Vertrags ein? Wie ist das Verfahren im Besonderen strukturiert? Auf welcher Rechtsgrundlage fußt es? Wie ist die Mitgliedschaft eines Compliance Committee zusammengesetzt? Wie läuft ein Compliance-Verfahren ab? Welche Maßnahmen können als Antwort auf eine Nichteinhaltung von welchem Vertragsorgan ergriffen werden? Welcher institutionelle Akteur spielt in diesem Verfahren welche Rolle, insbesondere mit Blick auf die Verfahrenseinleitung? Sind Verfahrensrechte für die betroffene Partei vorgesehen, und passt ihr Umfang zu den anderen Verfahrensbestandteilen, wie einer Verfahrenseinleitung durch die Öffentlichkeit? Sind die beteiligten Akteure politischer Kontrolle unterworfen? Führt die Anschauung der Praxis in der Gegenüberstellung zum theoretischen Anspruch zu einer normativen Neubewertung des Nichteinhaltungsverfahrens im Umweltvölkerrecht? 1 

Palmer, Environment: The International Challenge, 1995, S. 65 f.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Die Analyse wird durch drei Beispiele konkretisiert. Sie nimmt drei Verträge mit deutscher Mitgliedschaft in den Blick. Diese Fallbeispiele gewähren einen tieferen Einblick in die zugrundeliegende Rechtsmaterie: darunter Verträge, Protokolle, Annexe und Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz. Sie dienen im Verlauf der Untersuchung als Anwendungsbeispiele, um Gedankengänge zu veranschaulichen: das Montrealer Protokoll, die Aarhus und die Alpenkonvention. Die gewonnenen Erkenntnisse dieses Kapitels werden nützlich sein, um praktische Vorschläge zu entwickeln, wie die umweltvölkerrechtliche Compliance-Kontrolle mit Verfassungsprinzipien in Einklang gebracht werden kann.

A.  Hintergrund des Compliance-Systems I.  „Making treaties work“2 – die Idee Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts häufen sich dramatische Umweltprobleme weltweiten Ausmaßes, nicht zuletzt aufgrund fortschreitender Industrialisierung und beschleunigter Globalisierung: sei es die zunehmende Verschiffung gefährlicher Abfälle3, ein florierender Handel mit gefährdeten Tier- und Pflanzenarten4 oder eine immer dünner werdende Ozonschicht5. Transnationalen Umweltproblemen ist gemein, dass sie nur im Verbund mit anderen Staaten erfolgsversprechend gelöst werden können6 – es handelt sich um kollektive Bedrohungen, die kumulativ verursacht werden.7 Diese großen internationalen 2 

Ulfstein/Marauhn/Zimmermann (Hrsg.), Making Treaties Work, 2007. Basler Übereinkommen. Washingtoner Artenschutzabkommen. 5  Montrealer Protokoll. 6  Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 122. 7 In dem von Ulfstein/Marauhn/Zimmermann 2007 herausgebenden Sammelband zum Thema Compliance mit dem Titel „Making Treaties Work“ werden die Bereiche des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes, der Rüstungskontrolle und des Umweltvölkerrechts im Vergleich untersucht. Alle drei Bereiche teilen signifikante Charakteristika, die zur Einführung von Compliance-Mechanismen in völkerrechtliche Verträge führen. Es handelt sich um Rechtsthemen mit kollektivem Bedrohungspotential, das kollektive Rechtssetzung notwendig macht. Hinzu tritt eine positiv konnotierte politische Wirkung im In- und Ausland (Tanzi/ Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. [Hrsg.], Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569– 580, S. 571.) Ähnliche Beispielrechtsgebiete auch bei Lang, Verhinderung von Erfüllungsdefiziten, in: Hengstschläger u. a. (Hrsg.), FS Schambeck, 1994, S. 817–835. Die Korruptionsbekämpfung als Beispielrechtsgebiet bei Polakiewicz, Treaty and Expert Bodies, in: Wolfrum/ Röben (Hrsg.), Treaty Making, 2005, S. 245–295, S. 283. Zum Compliance-Verfahren beim völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz: Überblick und Analyse bei Mechlem, VJTL 2009, 905–947. Bsp. bei Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 366. Der Unterschied des Compliance-Systems im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz ist, dass dort eher eine kontinuierliche, also anlasslose Kontrolle die 3  4 



A.  Hintergrund des Compliance-Systems

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Aufgaben wollen die Staaten immer seltener durch die Gründung internationaler Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit, sondern selbst mithilfe völkerrechtlicher Verträge bewältigen („true multilateralism“8). In den 1960er und 70er Jahren entsteht daher viel materielles Recht im Bereich des internationalen Umweltschutzes mittels dafür eingesetzter multilateraler Vertragswerke.9 Mit der Rechtssetzung allein sind die Umweltprobleme jedoch nicht bekämpft.10 Völkerrechtliche Verträge müssen konkretisiert in nationales Recht umgesetzt und danach durchgesetzt werden, um die intendierte Wirkung zu erzielen.11 Dazu kommt es oft nicht. Ein erhebliches Umsetzungsdefizit ist die Folge, sodass spätestens Anfang der 1990er Jahre die Devise lautete: „What is needed now is less the adoption of new instruments than more effective implementation of existing ones.“12 Policy-Maker auf internationaler Ebene „want[ed] something practical that works.“13 Regel ist. Weitere breit aufgestellte Untersuchungen zum Thema Compliance in verschiedenen Bereichen des Völkerrechts: Butler (Hrsg.), Control over Compliance, 1991 und Luck/Doyle (Hrsg.), International Law and Organization. Closing the Compliance Gap, 2004. Zu expertengeleiteten Regelungsmechanismen im Abrüstungsrecht Pan, 1997 HILJ, 503–535, 519 f. Etwas anders gelagerte Begründung bei v. Arnauld, VVDStRL 2015, 39–87, 52 f.: „Gerade in gestuften Rechtsordnungen bietet es sich an, auf Programmnormen zu setzen, die den Weg zum Ziel offen lassen: hierzu kommen informelle Mechanismen von Aufsicht und Kontrolle […] gegenüber Verwaltungen souveräner Mitgliedstaaten“. 8  Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 457. 9  Anschauliche Auflistung der verabschiedeten und in Kraft getretene Verträge der 1950er, 1960er, 1970er und 1980er Jahre bei Sands/Peel, Principles of International Environmental Law, 2018, S. XXXIV–LXIII; dass auch bilaterale Konfliktlagen multilateral „bekämpft“ werden bei Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 141. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 220: das „ungeheure Ausmaß des umweltbezogenen Normierungsbedarfs“. 10  Vgl. nur Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 774 ff. 11  Kreuter-Kirchhof, Neue Kooperationsformen, 2005, S. 65; Sangenstedt: „Bestimmungen, deren Einhaltung nicht gerichtlich überprüfbar ist, taugen erfahrungsgemäß nicht viel.“ Sangenstedt, Umweltrechtlicher Gerichtszugang, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79–117, S. 117. 12  Aus dem taktgebenden Aufsatz von Koskenniemi, YIEL 1993, 123–162, 123; schon vor Koskenniemi veröffentlichte zu dem Thema u. a. Boyle, JEL 1991, 229–245 und Koskenniemi, State Responsibility for Breach of Obligation, in: Butler (Hrsg.), Control over Compliance, 1991, S. 69–82. Nicht nur die Umwelt leidet unter der mangelnden Durchsetzung, auch beruhen Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Umweltvölkerrechts darauf, dass die beschlossenen Regeln effektiv wirken, vgl. Sand, Evolution of International Environmental Law, in: Bodansky/Brunnée/Hey (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 29–43, S. 40. Die Suche nach „sanften“ Methoden der Rechtsdurchsetzung begann allerdings bereits in den 1970er Jahren, Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 252. 13  Das ganze Zitat im Kontext lautet: „Political decision-makers in the international arena dwell little on theory and even less on jurisprudence. They want something practical that works. If they can be convinced that a broadly acceptable regime can be worked out that will offer the prospect of solving the problems, they will not quibble about the surrender of some sovereignty.“ Palmer, Environment: The International Challenge, 1995, S. 65 f.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Die Gründe für das Rechtsverwirklichungsdefizit sind einerseits völkerrechtlicher Natur, andererseits umweltrechtsspezifisch: Im Völkerrecht fehlt es an einer hierarchischen Struktur und daraus resultierend auch an einer übergeordneten Durchsetzungsgewalt: Die Staaten selbst sind Normgeber, -adressaten und Kontrollorgane zugleich.14 Speziell im Umweltrecht sind repressive Maßnahmen von vornherein nicht erfolgversprechend – die Rechtsumsetzung orientiert sich an einem Aushandlungsprozess: „Put simply, state responsibility […] and international environmental law are not the best of friends.“15 Die klassischen Durchsetzungsmechanismen des Völkerrechts (Sanktionen [zum Beispiel Suspendierung vom Vertrag, Art. 60 WÜV], Streitbeilegungsmechanismen [IGH als „Weltgericht“] oder das Recht der Staatenverantwortlichkeit) verfehlen in Bereichen des globalen Umweltschutzes ihre Wirkung. Diese Instrumente sind vor allem für reziproke, bilaterale Verträge (engl. contractual treaties) und nicht für multilaterale Kooperationen (engl. law-making-treaties) entwickelt worden.16 Um den Vertragszweck dennoch zu erreichen, sind drei entscheidende Mechanismen eingesetzt worden:17 – Zum einen enthalten die Verträge eine institutionelle Struktur18 bestehend aus einem politischen Beschlussorgan19 (Vertragsstaatenkonferenz), einer 14 

Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 317. Goote, ILF 1999, 82–89, 83. Er listet zusammenfassend fünf Gründe für diese Unvereinbarkeit auf: 1. Die Verletzungen von umweltrechtlichen Normen erscheinen nicht gravierend genug, um dafür vor ein internationales Gericht zu ziehen, 2. Kausalität lässt sich bei Umweltschäden schwer herstellen, 3. umweltrechtliche Verträge regeln Umstände, die im gemeinsamen Interesse aller Staaten liegen und nicht reziprok, während Streitbeilegungsmechanismen bilateral angelegt sind, 4. Umweltschäden sind meistens nicht wieder zu beheben, es muss daher präventiv vorgegangen werden, 5. die Vertragsnormen selbst sind kaum durchsetzbar, da sie oft vage formuliert sind. 16  Ulfstein/Marauhn/Zimmermann, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Making Treaties Work, 2007, S. 3–12; S. 5 f.; Bothe, Vollzugsdefizit im Völkerrecht, in: Cremer (Hrsg.), FS Steinberger, 2002, S. 83–96, S. 83 f.; Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 318, S. 325; Beyerlin und Marauhn legen für jedes im allgemeinen Völkerrecht zur Verfügung stehende Rechtsdurchsetzungsinstrument dar, weshalb es für die Lösung der Umsetzungsprobleme des Umweltvölkerrechts ungeeignet ist, Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, 1997, S. 76–85. Diese Klassifizierung multilateraler Verträge existiert schon seit Langem. S. nur Lachs, AFDI 1956, 334–342, 339 f.; mwN Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 37 ff. 17  Gehring, Treaty-Making and Treaty Evolution, in: Bodansky/Brunnée/Hey (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 467–497, S. 468 ff.; Kreuter-Kirchhof, Neue Kooperationsformen, 2005, S. 65. 18  Stein, AJIL 2001, 489–534, 490: „institutionalized commitment and cooperation“. 19  Der Begriff des Organs wird regelmäßig dazu verwandt, eingegliederte Handlungseinheiten einer juristischen Person zu beschreiben. Hier soll der Begriff unspezifisch, ohne Andeutung einer Rechtsfolge nur beschreiben, dass die Vertragsstaaten Organisationseinheiten schaffen, die den Vertrag und die vertragsstaatliche Zusammenarbeit strukturieren, den Vertragsstaaten also zuarbeiten. 15 



A.  Hintergrund des Compliance-Systems

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Verwaltungseinheit (Sekretariat) und einem Kontrollorgan (Compliance Committee). – Zum Zweiten verabschieden die Vertragsparteien „inhaltsarme“ Rahmenverträge, die lediglich eine grundsätzliche Stoßrichtung vorgeben. Die Vertragsstaatenkonferenz verhandelt erst nachfolgend eine Ausdifferenzierung der vertraglichen Verpflichtungen (sogenannter framework convention approach).20 So kann der Vertrag zugleich an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden.21 – Zum Dritten unterstützt ein Compliance Committee die Vertragsstaaten bei der Einhaltung des Vertrags. Dieses Vertragsorgan soll active-treaty-management22 betreiben, den Vertrag effektiv weiterentwickeln und an neue Sachstände und wissenschaftliche Erkenntnisse anpassen. „The new ‚fluid model‘ of environmental regimes [is] […] envisaged as ‚a rolling process of intermediate or self-adjusting agreements that respond quickly to growing scientific understanding‘“23. Die durch diese Charakteristika geprägten multilateralen Vertragswerke sind aus dem heutigen (Umwelt-)Völkerrecht nicht mehr hinwegzudenken.24

II.  Von Monitoring zu Compliance Bei der überwiegenden Anzahl moderner umweltvölkerrechtlicher Verträge sind Nichteinhaltungsverfahren verhandelt und verabschiedet worden.25 Die 20 Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des vertraglichen Umweltvölkerrechts, das nach einer Misere „klassischer“, aber ineffektiver Verträge zu dem neuen Konzept des framework approach gelangt ist, soll hier nicht aufgearbeitet werden. Umfangreich bearbeitet u. a. bei Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 14; Gehring, YIEL 1990, 35–56; Sand, The Evolution of International Environmental Law, in: Bodansky/Brunnée/Hey (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 29–43. 21  Pan, HILJ 1997, 503–535, 503 f. nutzt das Bild des Lebenszyklus eines Vertrags. Dies insbesondere mit Blick auf das internationale Finanz- und Handelssystem, das unter anderem den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems „überlebt“ hat. Im Umweltvölkerrecht ist vor allem wichtig, Rechtssetzung in Bereichen zu ermöglichen, in denen man über keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse verfügt. 22  Auch „aktives Vertragsmanagement“ bei Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, 1997, S. 73; Begriff geprägt durch Handler Chayes/Chayes/Mitchell, Active Compliance Management, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development, 1995, S. 75–89, S. 83 ff. 23  Tuchmann Mathews, Foreign Affairs 1989, 162–177, 176 zit. nach Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 790. 24  „[T]he general architecture of international law today is dominated by the great structures of the multilateral treaties. […] The sheer scale and range of the major multilateral treaties […] is such as to make them seem an immutable part of the international law landscape.“ McLachlan, The Evolution of Treaty Obligations, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 69–81, S. 70. Der moderne umweltvölkerrechtliche Vertrag ist institutionalisiertes Gemeinschaftsinteresse, bei Brunnée, International Environmental Law, in: Benvenisti/Nolte/Yalin-Mor (Hrsg.), Community Interests, 2018, S. 151–175. 25  Eine umfangreiche Liste bietet: Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Mer-

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Idee der heutigen Compliance-Verfahren geht auf Monitoring-Verfahren früherer völkerrechtlicher Verträge zurück.26 Monitoring meint die kontinuierliche und anlasslose Berichterstattung der Vertragsstaaten und die Sammlung von Informationen zur Vertragsum- und durchsetzung durch eine zentrale Verwaltungseinheit des Vertrags. Die Zentrale Kommission für die Rheinschifffahrt von 1815, die unter anderem eine ungehinderte Schifffahrt auf dem Rhein sichern soll, bildet das früheste Beispiel für dieses Vorgehen.27 Auch die 1919 gegründete International Labour Organization (ILO) machte sich kontinuierliche Überwachung der Vertragsumsetzung zur Effektivitätssteigerung zunutze.28 Bis heute sind die kontinuierliche Berichterstattung und der fact-finding-Prozess wichtige Bestandteile des Compliance-Systems.29

III.  Das Charakteristische des Compliance-Systems „Unter Erfüllungskontrolle sind all diejenigen Mechanismen und Verfahren zu verstehen, die in einer institutionalisierten und formalisierten Form der Kontrolle der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen dienen.“30 In der Theorie sind es administrative und „objektive“ Verfahren, die auf die Vertragseinhaltung in der Zukunft gerichtet sind und nicht zuvorderst vergangene Vertragsverletzungen sanktionieren sollen.31 Ziel ist „lediglich“, ein „reasonable level kouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 475 f. Bereits Anfang der 1990er Jahren seien bei vielen umweltvölkerrechtlichen Verträgen institutionelle Strukturen eingesetzt worden, Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 696. Die historischen Ursprünge der Erfüllungskontrolle bis ins 19. Jh. nachverfolgend Lang, Verhinderung von Erfüllungsdefiziten, in: Hengstschläger u. a. (Hrsg.), FS Schambeck, 1994, S. 817–835. 26  Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 319 ff. 27 In Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307– 386, S. 364; ausführlich beschrieben bei bei Spaulding, CEH 2011, 203–226, 220. 28  Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 319 ff.; umfassend aufgearbeitet von Landy, Effectiveness of International Supervision, 1966. 29 Für Loibl sind die Berichterstattungspflichten im Non-Compliance-Verfahren zentral, da damit eine umfangreiche informationelle Grundlage über die Umsetzung des Vertragswerks geschaffen wird. Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 427. 30  Epiney, SRIEL 2005, 429–444, 433; Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, 1997, S. 94 ff.; Milano, The Outcomes of the Procedure, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 407–418, S. 417. Weitere Definitionen finden sich in den vielen verschiedenen verfügbaren „offiziellen“ Handbüchern zum Thema, darunter: Caribbean Guidelines for MEA Implementation (1999); Guiding Principles for Reform of Environmental Enforcement Authorities in Transition Economies of Eastern Europe, Caucasus and Central Asia (EECCA) (OECD 2002); Guidelines for Strengthening Compliance with and Implementation of Multilateral Environmental Agreements (MEAs) in the ECE (UN Economic Commission for Europe) Region (UNECE 2003). Die zentrale Publikation des UNEP: UNEP, Guidelines on Compliance with and Enforcement of Multilateral Environmental Agreements (2002), ist 2006 aktualisiert worden: UNEP, Manual on Compliance with and Enforcement of Multilateral Environmental Agreements, 2006. 31  Koskenniemi, YIEL 1993, 123–162; Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechts-



A.  Hintergrund des Compliance-Systems

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of compliance“32 zu erreichen. „[T]here are acceptable levels of compliance – not an invariant standard, but one that changes over time with the capacities of the parties and the urgency of the problem.“33 Das Nichteinhaltungsverfahren beruht auf der Annahme, dass Staaten in einem Großteil der Fälle Vertragsnormen nicht mit „böser Absicht“ missachten.34 Die Rückführung des säumigen Staats auf den „Pfad der Vertragserfüllung“ steht daher im Vordergrund.35 Das Compliance-Verfahren unterscheidet sich in diesen Punkten zentral von (völkerrechtlichen) Gerichtsverfahren oder gar klassischen sanktionierenden Durchsetzungsmechanismen.36 Die Luzern Deklaration der europäischen Umweltminister37 charakterisiert den theoretischen Anspruch des Compliance-Verfahrens mit folgenden Schlagworten: einfaches, effektives38 und transparentes Verfahren einer nicht konfrondurchsetzung, 1997, S. 83; Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 429, S. 438 f. Auch: contrôle administrative, die sich in Abgrenzung zur gerichtlichen Kontrolle entwickelte: Lang, Verhinderung von Erfüllungsdefiziten, in: Hengstschläger u. a. (Hrsg.), FS Schambeck, 1994, S. 817– 835, S. 817 ff. 32  Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 319; Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, 1997, S. 86; Handler Chayes/Chayes/Mitchell, Active Compliance Management, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development, 1995, S. 75–89, S. 80. Es steht zum Teil im politischen Ermessen, wie viel Vertragseinhaltung gefordert wird: Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 788. Auch „degrees of conformity“ Lang, ZaöRV 1996, 685–695, 695. 33  Handler Chayes/Chayes/Mitchell, Active Compliance Management, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development, 1995, S. 75–89, S. 80. 34  „Willful violation is the exception, not the rule.“ bei Handler Chayes/Chayes/Mitchell, Active Compliance Management, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development, 1995, S. 75– 89, S. 78; Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, 1997, S. 85 f.; Beyerlin/ Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 319; in Ansätzen bei Kreuter-Kirchhof, Neue Kooperationsformen, 2005, S. 66. 35  Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, 1997, S. 85 ff.; Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 476 ff.; Fitzmaurice/Redgwell, NYIL 2000, 25–65, 39; KreuterKirchhof, Neue Kooperationsformen, 2005, S. 63 ff. 36  Die Erfüllungskontrolle kann durch Abgrenzung zum repressiven Verfahren genauer charakterisiert werden: Kollektive statt einzelstaatliche Rechtsdurchsetzung, Kooperation statt Konfrontation, Prävention statt Repression und Erfüllungshilfe statt Sanktion. Bei Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, 1997, S. 86. 37  23. 1. der UNECE, Luzerne Declaration by the Ministers of the Environment of the Region of the United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) and the Member of the Commission of the European Communities responsible for the Environment, 1993, abrufbar unter: https://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/efe/history%20of%20EfE/Luzern. E. pdf (zuletzt am 22. Mai 2021). 38  Effektivität wird aus rechtswissenschaftlicher Sicht mit nationalstaatlicher Rechtsumsetzung und Durchsetzung von Vertragsnormen gleichgesetzt. Exemplarisch bei Alge, RdU 2011, 136–141. Effektiv wirke ein völkerrechtlicher Vertrag aber nur, wenn sich das staatliche Verhalten tatsächlich ändere. So der sozialwissenschaftliche Vorwurf an diese Gleichsetzung. Kritik geäußert bspw. von Martin, Against Compliance, in: Dunoff/Pollack (Hrsg.), Interdisciplinary Perspectives on International Law, 2012, S. 591–610; das sozialwissenschaftliche Verständnis des Begriffs Effektivität erklärt bei Meyer, AJIL Unbound 2014, 93–98, 94. Wie

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

tativen oder kontradiktorischen, sondern kooperativen, fairen und unterstützenden Natur. Zusätzlich sollen alle Entscheidungen zum prozessualen Aufbau und im Rahmen einzelner Verfahren bei den Vertragsstaaten liegen. Der Idee nach ist die Compliance-Kontrolle ein Instrument der Erfüllungskontrolle, das mit einem noch vagen Vertragstext arbeitet, das in einem dynamischen, sich beständig weiterentwickelnden Vertragsregime verankert werden und das im Verfahren den verbundenen ökonomischen und politischen Interessen Beachtung schenken kann. Es ist ein Instrument, das konzeptionell zwischen Flexibilität und Stabilität und damit zwischen Diplomatie und Recht changiert.39

IV.  Der moderne multilaterale umweltvölkerrechtliche Vertrag Das Compliance Committee ist in die komplexe Struktur des modernen multilateralen umweltvölkerrechtlichen Vertrags40 eingebettet. Mit dem multilateralen Vertragsabschluss wird lediglich ein Rahmen („Institutionalisierung der Kooperation“41) geschaffen, der die generelle Zielsetzung festlegt. Der Rahmenvertrag wird mithilfe von Protokollen instrumentell ergänzt. Die Vertragsstaatenkonferenz handelt in der Folge alle weiteren Vertragsinhalte – auch Kernverpflichtungen – aus. Das Compliance Committee überwacht die Einhaltung der Vertragsnormen.

es tatsächlich um den Zusammenhang des Compliance-Systems mit der tatsächlichen Verbesserung der Situation steht, soll hier nicht Thema sein (über die Schwierigkeit, das überhaupt zu messen Klabbers, Compliance Procedures, in: Bodansky/Brunnée/Hey [Hrsg.], Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 995–1009, S. 1004. In jedem Fall ist es nicht die „magic bullet“ (Hedemann-Robinson, Enforcement, 2019, S. 44): Bsp. ist das auf einigen Gebieten erfolgreiche, jedoch auch vielen Gebiete auch schwächelnde Washingtoner Artenschutzabkommen, das den Artenschutz durch Regulierung des Handels mit bedrohten Tierarten erreichen will: Im jährlichen Bericht von 2016 über den illegalen Handel mit wildlebenden Tieren schreibt WWF von einem desaströsen Jahrzehnt für afrikanische Elefanten (20.000 werden pro Jahr gewildert), dem schlechtesten Jahr für das afrikanische Rhinozeros (das Sumatra Rhinozeros ist nahezu ausgestorben) und nur 4.000 verbleibenden Grauen Gorillas. Dem stehen nur wenige Erfolge bei wilden Tigern und drei anderen Rhinozeros Arten gegenüber. WWF, Wildlife Crime Initiative. Annual Report 2016, S. 11, unter: https://c402277.ssl.cf1.rackcdn.com/ publications/1002/files/original/WWF-WCI-Annual-Update-2016-FINAL.pdf?1490797736 (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). S. dazu auch Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 166 ff. 39  Goote, ILW 1999, 82–89, 84 f. 40 Als „variierbares Standardmodell“ beschrieben von Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 126. Kann auch mit dem politikwissenschaftlichen „Regime“-Begriff umschrieben werden. Dazu mit Verweis auf Keohane bei Stein, AJIL 2001, 489–534, 489 Fn. 2. 41  Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 14.



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1.  Der Rahmenvertrag als Ausgangspunkt weiterer Entwicklungen Der Rahmenvertrag dient dazu, viele Staaten zur gemeinsamen Bewältigung einer Aufgabe zu bewegen, ohne bereits detaillierte politische Verpflichtungen zu vereinbaren.42 In diesem Vertrag wird lediglich eine Zielvereinbarung („finale[r] Regelungsansatz“43) getroffen: zum Beispiel der abgestufte Schutz der Flora und Fauna durch Unterteilung verschiedener Tier- und Pflanzenarten in drei Listen je nach Bedrohungsintensität durch den globalen Handel, Art. 3 bis Art. 5 CITES.44 Gleichzeitig mit der Vereinbarung des grundsätzlichen Ziels verabreden die Vertragsparteien einen groben strukturellen Aufbau des Vertragswerks. Dadurch wird ein Forum45 geschaffen, das der weiteren zwischenstaatlichen Kooperation dient. Mittels einer institutionellen Struktur von Vertragsorganen wird der Vertragsinhalt in der Folge durch Protokolle, Annexe oder andere, insbesondere informelle, Instrumente weiterentwickelt.46 Der moderne umweltvölkerrechtliche Vertrag entwickelt dadurch ein Eigenleben und scheint damit organisationsähnliche Züge anzunehmen.47 Er unterscheidet sich in diesen Punkten elementar vom klassischen (bilateralen) völkerrechtlichen Vertrag.

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Ideengeschichtlich knüpft das Vorgehen an den Konstruktivismus an. Sobald sich viele Staaten auf das gemeinsame Ziel (= die gemeinsam geteilte Idee) verständigt haben, ist ihr Verhalten bereits vorbestimmt. Der Druck, sich dem Ziel möglichst konform zu verhalten, steigt. Auch: Staal, After Agreement, 2018, S. 54. Erstmals wurde so im Umweltvölkerrecht vorgegangen. Als Schöpfer der Idee wird Jean Carroz von der FAO genannt. Er soll das Verfahren 1974 bei der Ausarbeitung einer regionalen Konvention zum Schutz der maritimen Umwelt vorgeschlagen haben. Fn. 44 bei Tietje, ZfRSoz 2003, 27–42, 35. Vgl. anstatt Vieler zur nur lückenhaften und vagen normierung im Rahmenvertrag Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 776 ff. und allgemeiner D’Aspremont, Formalism versus Flexibility, in: Tams/Tzanakopoulos/Zimmermann (Hrsg.), Law of Treaties, 2014, S. 275. 43  Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 130. 44  Fuchs, GLJ 2008, 1565–1596, 1574 f.; Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 367; weitere Bsp. bei Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 130 f. 45  Begriff des Forums auch bei Sommer, ZaöRV 1996, 628–667, 639. 46 In Noltes Worten „a complex web of framework treaties, protocols and specialized bodies amounts to a highly elaborate structure of treaty-governance.“ Ein Vertragssystem kann also auch aus mehreren Rahmenverträgen bestehen. Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 364. Für dieses Gemisch aus verbindlichen und soft-law-Bestandteilen des Vertrags, die ein Gesamtpaket bilden, existiert der Begriff „zebra codes“, Riedel, EJIL 1991, 58–84, 82. 47  „[W]e […] conclude that these self-governing, treaty-based […] Autonomous Institutional Arrangements of MEAs may be considered to be IGOs“, Churchill/Ulfstein, AJIL 2000, 623–659, 629.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

2.  Die Vertragsstaatenkonferenz „COPs […] established by international environmental treaties are mostly conceived as supreme treaty-governance or management instances, with ample competences.“48

Die Vertragsstaatenkonferenz ist gedacht als die Zusammenkunft aller Vertragsstaaten, vertreten durch ihre jeweiligen Delegationen. Jedoch nehmen an den Sitzungen der Konferenz oft auch eine große Zahl NGOs, private Interessenvertreter und internationale Organisationen49 teil. Die Delegationen der Vertragsparteien bestehen wiederum aus staatlichen wie nichtstaatlichen Vertretern. Beispielsweise setzte sich die 17-köpfige deutsche Delegation zur Vertragsstaatenkonferenz „COP 10“ des Washingtoner Artenschutzabkommens wie folgt zusammen: sieben Vertreter des Bundesumweltministeriums, drei Vertreter des Bundesamts für Naturschutz, ein Vertreter des Landesumweltministeriums NRW, ein Vertreter des Bayerischen Umweltministeriums, zwei Vertreter der deutschen Botschaft in Harare, Simbabwe, zwei Naturwissenschafterinnen und ein Vertreter des Zoologischen Gartens der Stadt Wuppertal.50 Der Begriff Vertragsstaatenkonferenz ist demnach missverständlich. Es findet eine Durchmischung staatlicher Gesandter und nichtstaatlicher Netzwerk- und Interessenvertreter statt. Zwar haben nichtmandatierte Teilnehmer häufig kein eigenes Stimmrecht, können dessen ungeachtet aber Einfluss auf die Delegationen und damit das Verhandlungsergebnis der Vertragsstaatenkonferenz – auch auf Auslegungsentscheidungen im Rahmen von Compliance-Verfahren – nehmen. Die Konferenz trifft „in regelmäßigen Abständen“51, in der Praxis für gewöhnlich alle zwei bis drei Jahre, bei einer Vertragspartei als Gastgeberland zusammen. Die erste Einrichtung einer Vertragsstaatenkonferenz nach diesem Muster fand 1976 in Bern im Rahmen des Washingtoner Artenschutzabkommens statt. Eine großzügige Ermächtigungsklausel (auch catch-all provision genannt)52 mandatiert die Vertragsstaatenkonferenz mit der Weiterentwicklung des Vertrags. Beispielsweise lautet Art. 23 Abs. 4 lit. i) CBD: „consider and undertake any additional action that may be required for the achievement of the purposes of the Convention in the light of experience gained in its operation“.53 Das selbstgesteckte und für jeden Vertrag einzeln vereinbarte Aufgabenfeld der Vertragsstaatenkonferenz umfasst im Konkreten unter anderem: die Ein48  Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307– 386, S. 366. 49  Vgl. z. B. Art. 11 Abs. 5 MP: die Vereinte Nationen, ihre Spezialorganisationen und die international Atomenergie-Organisation. 50  Abrufbar unter: https://www.cites.org/sites/default/files/eng/cop/10/E10-participants. pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 51  Diese Formulierung findet sich z. B. in Art. 11 MP. 52 Bei Goeteyn/Maes, CJIL 2011, 791–826, 792 f. 53  Vgl. auch Art. 9 Abs. 2 lit. f ) Ramsar Konvention: „to adopt other recommendations, or resolutions, to promote the functioning of this Convention“.



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richtung eines Nichteinhaltungsverfahrens auf der ersten Sitzung54, Aufstellen einer Verfahrensordnung55, Umsetzung und Weiterentwicklung des Vertragsinhaltes beispielsweise durch Anpassung von Schutz- bzw. Sperrlisten (bezogen auf Stoff-, Tier- oder Pflanzenarten)56, Verwaltung des Haushaltes57, (abschließende) Beschlussfassung in Non-Compliance-Verfahren58 und Vieles mehr. Zusammengefasst entscheidet die Vertragsstaatenkonferenz, wie das Vertragswerk weiterentwickelt wird, wie auf neuere Entwicklungen zu reagieren ist und welche Vertragsstaaten auf welcher Interpretation fußend gegen das Vertragswerk verstoßen haben. Teilweise kann sie dafür sogar bindende Entscheidungen als Mehrheitsentscheidungen gegen den Widerstand einzelner Staaten annehmen. Die Vertragsstaatenkonferenz hat aufgrund erheblicher Entscheidungsbefugnisse eine zentrale und machtvolle Stellung.59 Sie stellt damit das zentrale politische Organ eines umweltvölkerrechtlichen Vertrags dar.

V.  Das Umweltvölkerrecht in Kürze Das Ziel dieses Abschnittes ist es, die Kulisse zu skizzieren, vor der sich das Compliance-Verfahren abspielt. Denn das Völkerrecht hat sich gewandelt und das Umweltvölkerrecht als eine Spezialmaterie kann für viele Charakteristika dieser Veränderung als mustergültiges Beispiel dienen. Das Völkerrecht basiert nach überkommener Auffassung unter anderem auf drei miteinander verquickten Prinzipien:60 1. der souveränen Unabhängigkeit aller Staaten, 2. der Gleichheit aller Staaten (auch Art. 2 Nr. 1 UN-Charta) und 3. dem Prinzip, dass Bindung nur durch Zustimmung entstehen kann (sogenanntes principle of consent). 54 

Z. B. Art. 11 Abs. 3 lit. d) iVm Art. 8 MP. Z. B. Art. XI Abs. 5 CITES. Z. B. Art. XI Abs. 3 lit. b) iVm Art. XV CITES. Diese Möglichkeit zur Sekundärrechtssetzung – nicht selten schon durch eine Dreiviertelmehrheit – ist gerade auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu gering zu schätzen. Dazu ausführlich Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 126 f. 57  Z. B. Art. 11 Abs. 4 lit. i) MP. 58  Z. B. Decision I/7, Annex XII. 37. AK. 59 Bei Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 453 f. Es wird debattiert, inwiefern die Entscheidungen einer Vertragsstaatenkonferenz (völker-)rechtlich verbindlich sind. Die Frage ist, ob der schieren Menge von Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen besonders relevant. Bspw. traf alleine zwischen den Jahren 1992 bis 2007 die Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzabkommens insgesamt 1892 Entscheidungen/Resolutionen, die des Basler Übereinkommens 398 und die der Ramsar Konvention 549. 60  Das sog. Lotus-Prinzip umfasst die Aussage: „whatever is not explicitly prohibited by international law is permitted“, S. S. „Lotus“ (France v. Turkey), Judgment of 7 September 1927; PCIJ Ser A No. 10. MwN bei Hertogen, EJIL 2016, 901–926. 55  56 

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Die traditionellen völkerrechtlichen Rechtsquellen werden in Art. 38 Abs. 1 lit. a) bis lit. c) IGH-Statut61 erwähnt. Die zentralen Akteure sind die Staaten und die klassischen Aufgaben des Völkerrechts sind koordinativer Natur.62 Es wird lediglich eine Ordnung, aber keine konkrete Steuerung angestrebt. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Staaten noch die wichtigsten Völkerrechtssubjekte.63 Aber Recht wird im modernen Völkerrecht nicht mehr nur von Staaten gesetzt, sondern durch eine Pluralität an Regulatoren.64 Darunter finden sich, neben den formellen Beteiligten, internationale Organisationen65, komplexe Vertragswerke mit organisationsähnlichem Unterbau66, aber auch informelle Beteiligte67, wie Experten68, NGOs69, multinationale Unternehmen, Private (Stichwort: lex mercatoria)70 oder Governance-Netzwerke71. Das moderne Völkerrecht zeichnet sich daneben durch seine Rechtsquellenvielfalt aus.72 Die Auflistung in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut erscheint daher unvollständig.73 Ein Großteil der heute auf internationaler Ebene vereinbarten Regelungen ist dem unverbindlichen Recht zuzuordnen.74 Zugleich ist eine Tendenz zu verzeichnen, dass sich das Völkerrecht in manchen Bereichen vom Willen der Staaten ablöst.75 Die diplomatische Zusammenarbeit ist dabei einem 61  Art. 38

Abs. 1 lit. d) IGH-Statut ist keine Rechtsquelle, sondern eine Rechtserkenntnisquelle, vgl. Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen, in: ders./Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2016, S. 1–60, S. 56. 62  Friedmann, Changing Structures, 1964, S. 60 ff.; Vesting, VVDStRL 2004, 42–68, 54; Knauff, Soft Law, 2010, S. 3 f. und S. 38–60. 63  Hillgruber, Der Staat 2014, 475–493, 481. 64  „Megatrend“ der Entstaatlichung bei Knauff, Soft Law, 2010, S. 3; Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 21 ff.; Benedek, ZaöRV, 2016, 345–362, 351 f. 65  Nussbaum, Concise History, 1950, S. 256 f.; vgl. auch Lachs, AFDI 1956, 334–342. 66  Ursprung der ersten multilateralen law-making-treaties Ende des 19. Jh. bei Nussbaum, Concise History, 1950, S. 197. Lachs zählt zwischen 1864–1899 die Gründung von bereits 133 multilateraler Verträge, Lachs, AFDI 1956, 334–342, 337. Inbesondere die Qualität dieser Verträge stellt den entscheidenden Wendepunkt dar, bei Nussbaum, Concise History, 1950, S. 197; vgl. auch Classen, VVDStRL 2008, 365–412, 367 f. 67  Vestings, VVDStRL 2004, 42–68, 53. 68  Vgl. anstatt Vieler Vesting, VVDStRL 2004, 42–68, 56. 69  Erste Hochzeit der Neugründungen Anfang des 20. Jh., vgl. Osterhammel, Verwandlung der Welt, 2010, S. 724. 70  Mit Bsp. aus dem Bereich der Internationalen Fernmeldeunion oder der Codex-Alimentarius-Kommission Classen, VVDStRL 2008, 365–412, 369 f.; zum lex mercatoria Zumbansen, RabelsZ 2003, 637–682. 71  Zur Governance-Forschung anstatt Vieler Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005. 72  Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 24 ff. 73  Aust, ICLQ 1986, 787–812, u.  a. 788–793; „Megatrend“ der Entrechtlichung bei Knauff, Soft Law, 2010, S. 3. Vgl. hierzu Abbott u. a., IO 2000, 401–419. Eine Anerkennung neuer Rechtsquellen erscheint derzeit unwahrscheinlich, vgl. Schwebel, Proceedings of the ASIL 1979, 301–309. Auseinandersetzung mit möglichen weiteren Rechtsquellen bei Kempen/ Hillgruber, Völkerrecht, 2012, S. 54 und S. 100 ff. 74  Abbott/Snidal, IO 2000, 421–456, 421. 75  Zu erga-omnes-Verpflichtungen und ius cogens Knauff, Soft Law, 2010, S. 48–60, v. a.



A.  Hintergrund des Compliance-Systems

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eher administrativen Kooperationsprozess76 gewichen. Dadurch entsteht – sektoral begrenzt – allmählich eine „staatsübergreifende Ordnung“77, die auch eine detaillierte Verhaltenssteuerung anstrebt.78 Im Umfeld des letzten Punktes nimmt diese Arbeit mit dem umweltvölkerrechtlichen Bezug ihren Ausgang. Neben die Akteurs- tritt daher auch die Adressatenpluralität: Außer Staaten und internationalen Organisationen spielt auch das Individuum für das Völkerrecht eine nicht unbedeutende Rolle.79 Das Umweltvölkerrecht ist als Spezialmaterie mit anderen Bereichen des Völkerrechts nicht in jeder Hinsicht vergleichbar,80 was unter anderem am Schutzzweck liegt. Auf den Punkt gebracht lautet dies: „effective, common action, in the interests of all.“81 Es ist neuartig, weil die Probleme neuartig sind und neuartige Ausmaße erlangt haben:82 S. 60. Zum ius cogens in diesem Zusammenhang Hillgruber, Der Staat 2014, 475–493, 483 f., der darin „keine eigenständige, vom Willen der oder auch nur einzelner Staaten unabhängigen Rechtsquelle des Völkerrechts“ (ebd., 484) sieht. 76  Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 139; Vesting, VVDStRL 2004, 42–68, 54: „über ein Staatenkooperationsrecht hinaus zu einem autonomen Staatengemeinschaftsrecht“. 77  Kokott,VVDStRL 2003, 7–40, 34; auch unterstrichen durch die Konstitutionalisierungsthese anstatt Vieler von Klabbers/Peters, A./Ulfstein (Hrsg.), The Constitutionlization of International Law, 2009. 78 „Megatrend“ der Internationalisierung des Rechts bei Knauff, Soft Law, 2010, S. 3; Bleckmann, DÖV 1996, 137–145, 140; Nettesheim in: Maunz u. a., GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 18; zentral bei Slaughter/Burke-White, HILJ 2006, 327–352, 327. Ursprung der Entwicklung im 19. Jh. bei Lachs, AFDI 1956, 334–342, 337. 79  Das Individuum wird unmittelbar adressiert (Menschenrechte z. B. Art. 34 EMRK), es wird unmittelbar sanktioniert (sog. Terrorlisten oder Völkerstrafrecht, dazu Nolte, VVDStRL 2008, 130–159, 132 ff.) und es hat Rechtdurchsetzungsmöglichkeiten und damit eingeschränkt Rechtsgestaltungsmöglichkeiten (u. a. Aarhus Konvention). Aufgearbeitet von Peters, A., Jenseits der Menschenrechte, 2014. Vgl. auch Scheuner, ZaöRV 1950/51, 556–614, 613; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 148 und Nussbaum, Concise History, 1950, S. 180, S. 186, S. 218– 222, S. 256 f. 80  Diese bewusst pointiert formulierte These soll das Umweltvölkerrecht keineswegs vom allgemeinen Völkerrecht abkoppeln. Das Umweltvölkerrecht ist Bestandteil des Völkerrechts, basiert auf dem dort entwickelten Recht und trägt seinerseits zur Rechtsentwicklung des allgemeinen Völkerrechts bei. Klarstellung auch bei Jennings, Foreword, in: Sands/Peel (Hrsg.), Principles of International Environmental Law, 2018, S. xxi–xxiii. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage anstatt Vieler bei Birnie/Boyle/Redgwell, International Law and the Environment, 2009, S. 2 ff.; aus nationaler Perspektive die Internationalisierung des Umweltverwaltungsrechts betrachtend Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./ Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 135 ff. 81  Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 457. 82  Das Umweltvölkerrecht hat sich von seinen nachbarrechtlichen Ursprüngen entfernt, Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 139. Gleichzeitig betreffen die im Folgenden genannten Charakteristika nicht ausschließlich das Umweltrecht, sondern sind teilweise bspw. auch im internationalen Handels- und Wirtschaftsrecht bedeutsam.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

– Internationale Umweltprobleme sind hoch komplex (in allen Dimensionen: politisch, ökonomisch, sozial, naturwissenschaftlich usw.). Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung verzeichnen eine lange Reaktionszeit. Viele Lösungsansätze sind daher mit wissenschaftlichen Erkenntnislücken und allgemeinen Unwägbarkeiten konfrontiert.83 – Internationales Umweltrecht hat neben der rechtlich-politischen auch eine technologisch-naturwissenschaftliche Dimension: Ohne das technische Wissen oder den naturwissenschaftlichen Beistand kann kaum Regulierung entstehen.84 – Internationale Umweltprobleme gründen häufig auf dem Verhalten Privater – Umweltvölkerrecht betrifft daher im Ergebnis auch den Einzelnen.85 – An der Entwicklung des internationalen Umweltrechts sind viele verschiedene Akteure beteiligt, die ihre heterogenen Interessen auf unterschiedlichen Wegen einbringen (darunter NGOs, Individuen, Unternehmen, Experten, Staaten und ihre Untereinheiten, Organe multilateraler umweltvölkerrechtlicher Verträge, internationale Organisationen und ihre Unterorganisationen und Viele mehr)86 – Internationales Umweltrecht verwendet in einem fluiden Regulierungsmodell87 eine besonders große Instrumentenvielfalt, um das gesteckte Ziel zu erreichen (darunter Verträge, Resolutionen, Beschlüsse von Vertragsstaatenkonferenzen, [finanzielle] Entwicklungshilfe, Technologietransfer, Informationsaustausch, Haftungsregelungen, Standards, Labels, Lizenzen, 83  Besonders offensichtlich wird das im Klima- und Ozonregime. Dazu auch Bodansky/ Brunnée/Hey, International Environmental Law. Mapping the Field, in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 1–25, S. 7; Sands/Peel, Principles of International Environmental Law, 2018, S. 6–10. 84  Bodansky/Brunnée/Hey, International Environmental Law. Mapping the Field, in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 1–25, S. 7. 85  Als Bsp. können u. a. genannt werden MARPOL, CITES und das Basler Übereinkommen. Dazu weiter Bodansky/Brunnée/Hey, International Environmental Law. Mapping the Field, in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 1–25, S. 6; auch Rossi, Europäisiertes internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 165–180, S. 166; „international bedeutsame, […] nicht selten im innerstaatlichen Bereich wurzelnde Problemstellungen wie […] die Umwelt- und Klimaveränderungen […] haben […] dazu geführt, dass heute der ‚dem Völkerrecht offenstehende Bereich von Fragen nahezu unbegrenzt‘ ist.“ Knauff, Soft Law, 2010, S. 4. 86  Bsp. für die Integration vieler verschiedener Akteure zu finden beim Montrealer Protokoll oder der Aarhus Konvention; Bodansky/Brunnée/Hey, International Environmental Law. Mapping the Field, in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 1–25, S. 16. 87  Bodansky/Brunnée/Hey, International Environmental Law. Mapping the Field, in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 1–25, S. 6 ff.; „prozesshafte Bewältigung der Problemlagen“ Durner, Abfall- und Gefahrstoffrecht, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 567–602, S. 572.



B.  Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht

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Umweltverträglichkeitsprüfungen, Monitoring- und Non-Compliance-Verfahren und Vieles mehr).88

B.  Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht – die Praxis Jedes Compliance-Verfahren weist eine eigenständige Entwicklung auf, ist „tailor-made“89. Daher unterscheiden sich die verschiedenen Verfahren stark voneinander. Dennoch stimmen einige Non-Compliance-Mechanismen in Teilen mit einer allgemeinen Struktur überein, die sich mithilfe folgender Kategorien beschreiben lässt:90 – Ermächtigungsgrundlage – institutioneller Aufbau – Mitgliedschaft – Auslösemechanismus – Verfahrens- und Verteidigungsrechte – Verfahren – Entscheidung des Komitees 88 

„[R]esponsive agreements“ bei Pan, HILJ 1997, 503–535, 503; Sands/Peel, Principles of International Environmental Law, 2018, S. 6. 89  Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 355; Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/ Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 428; Széll, Multilateral Mechanisms, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development, 1995, S. 97–109, S. 108. Sie werden auch unterschiedlich bezeichnet: Non-Compliance Procedure (Montrealer Protokoll), Mechanisms for Promoting Implementation and Compliance (Basler Übereinkommen), Procedures and Mechanisms Relating to Compliance (Kyoto Protokoll), Procedures and Mechanisms on Compliance (Cartagena Protokoll) oder Structure and Functions of the Compliance Committee and Procedures for the Review of Compliance (Aarhus Konvention). Auch die Komitees werden unterschiedlich bezeichnet: Implementation Committee (Montrealer Protokoll, Espoo Konvention und Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung und deren Protokolle), Compliance Committee (Kyoto Protokoll, Cartagena Protokoll, Aarhus Konvention) oder Committee (Basler Übereinkommen). 90  Diese Schlussfolgerung liegt auch Überblicksdarstellungen zugrunde, die ComplianceVerfahren als „generelle Kategorie“ zu systematisieren versuchen wie unter vielen anderen z. B. Beyerlin/Stoll/Wolfrum (Hrsg.), Ensuring Compliance, 2006; Cameron/Werksman/Roderick (Hrsg.), Improving Compliance, 1996; Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/ Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 428 f.; Paddock u. a. (Hrsg.), Compliance and Enforcement, 2011; Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009. Anderer Auffassung ist Montini, der meint „the compliance regimes in question, apart from sharing a common dispute avoidance rather a dispute settlement approach and from having essentially a facilitative rather than a sanctioning nature, do not necessarialy have very much in common.“ vgl. Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), NonCompliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 389.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

– Ausgang des Verfahrens – Kontrollmechanismus

I. Ermächtigungsgrundlage Compliance Committees werden meistens nicht zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eingerichtet, sondern erst später durch die Vertragsstaatenkonferenz ins Leben gerufen. Im Rahmenvertrag selbst findet sich allerdings häufig eine Art Ermächtigungsgrundlage,91 auf deren Basis die Vertragsstaatenkonferenz den Compliance-Mechanismus verhandelt und das Gremium einrichtet. In den meisten Fällen ist die Schaffung eines Compliance Committee in der Ermächtigungsgrundlage nicht ausdrücklich aufgeführt.92 Beispielsweise lautet Art. 11 Abs. 2 lit. f ) Espoo Konvention:93 Die Parteien überprüfen ständig die Durchführung des Übereinkommens; vor diesem Hintergrund erörtern und treffen sie weitere Maßnahmen, die zur Verwirklichung der Ziele dieses Übereinkommens notwendig sein können.

Manche Verträge beinhalten den konkreten Handlungsauftrag an die Vertragsstaatenkonferenz, ein Nichteinhaltungsverfahren einzuführen. Diese Art von Ermächtigungsgrundlage im ursprünglichen ratifizierten und umgesetzten Rahmenvertrag stellt das Compliance-System auf einen rechtlich greifbaren Grund.94 Art. 8 MP lautet zum Beispiel: Die Vertragsparteien beraten und genehmigen auf ihrer ersten Tagung Verfahren und institutionelle Mechanismen für die Feststellung der Nichteinhaltung der Bestimmungen dieses Protokolls und das Vorgehen gegenüber Vertragsparteien, die das Protokoll nicht einhalten.

Teilweise verweist der Rahmenvertrag gar nicht auf die Möglichkeit, dass die Vertragsstaatenkonferenz weitere Einrichtungen erschaffen kann. Trotzdem richten die Vertragsstaatenkonferenzen auch hier Compliance-Systeme ein.95 91 

Der Begriff wird im Folgenden nicht im technischen Sinne verwandt. Er illustriert, dass es sich um eine Norm handelt, mit der die Vertragsstaaten betonen, dass sie auf der gemeinsamen Versammlung als Vertragsstaatenkonferenz weiterführende Beschlüsse treffen können. Es werden keine Rechte auf einen anderen Rechtskörper übertragen und keine Rechte geschaffen, weshalb der Begriff der Ermächtigung irreführend ist. 92  Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 465. 93  Die Ermächtigungsgrundlage für die Errichtung des Compliance-Mechanismus in der Espoo Konvention wurde 2004 nachträglich durch eine Vertragsänderung eingeführt, Deci­ sion III/7. Weiteres Bsp. einer generellen Ermächtigung ist Art. 15 Abs. 5 lit. f ) Basler Übereinkommen. 94  Wobei auch in diesen Fällen keine Hoheitsrechte übertragen werden, da es schon am Rechtsträger fehlt. Aber bei einer konkreten Klausel unterzeichnet und ratifiziert der Nationalstaat „sehenden Auges“ den Rahmenvertrag mit der potentiellen Weiterentwicklung hin zu einem Compliance-System. 95  So z. B. bei der Alpenkonvention, s. u. Kapitel 1 C. III. 2. a).



B.  Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht

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Die großen Unterschiede bei den Ermächtigungsgrundlagen sprechen für eine geringe Bedeutung des Wortlauts bzw. der Klausel im Allgemeinen. Schlussendlich sind die Vertragsparteien masters of their treaty96 und können bei jeder Zusammenkunft kollektive Entscheidungen treffen.97 Allerdings ist die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit von Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenzen nicht geklärt.98 Sie sind rechtlich nicht mit dem ursprünglichen Vertragsschluss gleichzusetzen und auch nicht von den in Art. 11 WÜV99 normierten Möglichkeiten, Zustimmung zu einem Vertragsschluss anzuzeigen, umfasst. Die Errichtung des Compliance Committee selbst fußt damit auf rechtlich unklarer Grundlage. Die sicherste Lösung, das Nichteinhaltungsverfahren auf festen Rechtsgrund zu stellen, wäre, das Verfahren durch eine Vertragsänderung bzw. durch ein ergänzendes Protokoll einzuführen – auch um die Souveränität der Vertragsparteien zu schützen. Der „Modellvertrag“ des Montrealer Protokolls hat das Kontrollverfahren jedoch per Entscheid der Vertragsstaatenkonferenz eingerichtet, da es sich im Vergleich um ein schnelles und flexibles Verfahren handelt.100 Unter anderem wegen des Vorbildcharakters haben sich die Wahl der Rechtsgrundlage und der Schaffungsprozess großteils auf die nachfolgenden Verträge übertragen.101 Mit Blick auf die rechtliche Grundlage des Compliance-Verfahrens ist entscheidend, was nicht geregelt wird: Es fehlen Leitlinien für den Aufbau, die interne Organisation und die Mitgliedschaft des Compliance Committee sowie Grundzüge einer Verfahrensordnung, die insbesondere regelt, ob die Entscheidungen des Komitees eigenständig bindende Wirkung entfalten, genauso wie eine klare institutionelle Leitlinie, wie unabhängig oder politisch kontrolliert das Komitee arbeiten soll.102 Dies alles ist dem politischen Ermessen der Ver96 

„[B]asic premise[…] under international law“ Arato, YJIL 2013, 289–257, 308. Bspw. sind Empfehlungen für Handlungsbeschränkungen, die im Rahmen des Washingtoner Artenschutzabkommen ausgesprochen werden können, nicht in der Einsetzungsentscheidung der Vertragsstaatenkonferenz vorgesehen, Fuchs, GLJ 2008, 1565–1596, 1586. 98  Vgl. dazu später im zweiten Kapitel. 99  Art. 74 WÜV: Die Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, kann durch Unterzeichnung, Austausch von Urkunden, die einen Vertrag bilden, Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt oder auf eine andere vereinbarte Art ausgedrückt werden. 100  Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 150 f. 101  Széll, Multilateral Mechanisms, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development, 1995, S. 97–109, S. 107. 102  Der geäußerte Vorwurf offenbart den Anspruch einer Konstitutionalisierung umweltvölkerrechtlicher Verträge. Grundlegend Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 2012. Dabei handelt es sich um eine Sichtweise des Völkerrechts, die vor allem aus der deutschen Rechtstradition genährt ist, Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 2012, S. 122; Kadelbach/Kleinlein, GYIL 2007, 303–347, 310 ff. auch Knauff, Soft Law, 2010, ab S. 61. Übersicht über das Themenfeld bei Klabbers/Peters, A./Ulfstein (Hrsg.), The Constitutionalization of International Law, 2009. Umfangreich mit Bezug auf das WTO-Recht siehe 97 

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

tragsstaatenkonferenz überlassen – ihrer Auslegung von Inhalt und Reichweite der Ermächtigungsgrundlage.103

II.  Institutioneller Aufbau „Alle Fäden laufen bei der Vertragsstaatenkonferenz zusammen“ – so könnte der institutionelle Aufbau eines umweltvölkerrechtlichen Vertrags knapp zusammengefasst werden: Das Compliance Committee ist eine fachlich spezialisierte Einrichtung (ein Unterorgan) der Vertragsstaatenkonferenz.104 Die Vertragsstaatenkonferenz entscheidet beispielsweise über den Haushalt des Komitees, die Wahl der einzelnen Mitglieder und schlussendlich auch über die einzelnen Non-Compliance-Fälle. Das Aufgabenspektrum des Komitees dagegen reicht von der Durchsicht und Analyse regelmäßiger Länderreports über den Status der Vertragsumsetzung im Allgemeinen bis hin zu der Durchführung einzelner Non-Compliance-Fälle, wie sie im Zentrum dieser Untersuchung stehen. Einige Beobachter schlussfolgern, in der inhaltlichen Arbeit sei das Gremium von der Vertragsstaatenkonferenz unabhängig, könne also keine detaillierten Vorgaben bezüglich einzelner Verfahren erhalten.105 Erst der Abschlussbericht werde zum endgültigen und wirksamen Beschluss an die Vertragsstaatenkonferenz weitergeleitet.106 Allerdings bestehen schon beim Entstehungsprozess der Non-Compliance-Entscheidung inhaltlich erhebliche Einflussmöglichkeiten: die institutionellen Verschränkungen von Compliance Committee und Vertragsstaatenkonferenz sind in der Praxis sehr eng. Der Modus Operandi des Biodiversitätskonvention sieht zum Beispiel vor, dass „[t]he Chair of the [Compliance Committee] shall be a member of the Bureau of the Conference of the Parties ex officio. The President of the Conference of the Parties die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht von 2001 zum Thema „Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung“. 103  Es geht bei der Einrichtung eines Compliance Committee um mehr als nur technische Regelungen. Schließlich bestimmt das Komitee maßgeblich die Auslegung des Vertragswerks. Zu einem anderen Schluss kommen Beyerlin und Marauhn. Sie schließen aus der nur skizzenhaften Ermächtigung, dass die Einrichtung und die detaillierte Verfahrensfestlegung durch die Vertragsstaatenkonferenz nur Regelungen technischer und nicht politischer Natur sind. Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 324. 104  Die Committees selbst betonen meistens ihre institutionelle Unabhängigkeit. Ausführlich begründend, dass es sich jedoch um Unterorgane der Vertragsstaatenkonferenz handelt bei Pitea, Aarhus Convention, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 221– 249, S. 227, Fn. 25. Ausnahme stellt hier unter anderem die Berner Konvention dar, die ein sogenanntes Standing Committee hat, das als Vertragsstaatenkonferenz und Compliance Committee zusammen fungiert. 105  Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 360. 106  Formaljuristisch kommt es nur auf den rechtsgültigen Beschluss der Vertragsstaatenkonferenz an und nicht bereits auf die Entscheidung des Compliance Committee selbst. Welche rechtliche Rolle der Entscheidung des Committee dennoch zukommt später.



B.  Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht

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will invite the Chair of the Subsidiary Body on Implementation to preside over the sessions of the Bureau on matters related to the Subsidiary Body.“107

Der Blick auf diese Verfahrensordnung offenbart, dass weder Vertragsstaatenkonferenz noch Compliance Committee, sondern die Gruppe um den Vorsitzenden auch im Rahmen von Compliance-Verfahren die „Zügel in der Hand“ hält.108 Neben dem klassischen Modell, dass die Hauptentscheidungsbefugnis bei der Vertragsstaatenkonferenz liegt, sehen andere Varianten den finalen Beschluss bereits beim Committee vor109 und erlauben dem Komitee die Umsetzung unterstützender110 oder sanktionierender Maßnahmen111. In diesen Fällen müsste der Einsetzungsbeschluss der Vertragsstaatenkonferenz, mit dem das Compliance Committee geschaffen wird, gleichzeitig auch Befugnisse zur verbindlichen Beschlussfassung übertragen haben. Dies wäre eine Lesart, die einmal mit der Analyse unvereinbar ist, dass es sich nicht um eine internationale Organisation, sondern um eine vertragliche Kooperation handelt, und zum Zweiten mit der Annahme, dass die Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen keine bindende Wirkung entfalten. Auch die weitergehenden Entscheidungen der Compliance Committees befinden sich damit in einer rechtlichen Schwebelage. Neben der Vertragsstaatenkonferenz hat auch das Sekretariat als weiteres Organ bedeutenden Einfluss auf das Compliance-Verfahren: Es ist die zentrale Informationssammelstelle, es führt zumeist den ersten Dialog mit der betroffenen Partei, und manche Verträge erlauben auch ein In-Gang-Setzen des Verfahrens durch das Sekretariat. Es ist sehr viel mehr als eine reine „infor107  Annex C. 2.; die Alpenkonferenz sieht einen zeitgleichen Vorsitz eines Landes in der Vertragsstaatenkonferenz und im Compliance Committee vor, was die Koordinierung beider Gremien erleichtert. 108  Dieser Umstand offenbarte sich sehr deutlich 2001 im Rahmen der Berner Konvention. Dessen Bureau, bestehend aus dem Vorsitzenden und dessen Stellvertreter des Standing Committee, dem vorangegangenen Chair und zwei weiteren Mitgliedern, unterstützt vom Sekretariat des Europarats, verzichtete auf die Eröffnung eines Non-Compliance-Verfahrens gegen das Wolfspopulationsmanagement durch Norwegen. Schweden sah seine Wolfspolitik durch das norwegische Vorgehen stark behindert, da sich beide Länder eine gemeinsame Population teilen. Nachzulesen in T-PVS(2001)89. 109  Prominent beim Kyoto Protokoll: Der Compliance-Mechanismus basiert auf Art. 18 KP und wurde 2001 durch Decision 24/CP.7 eingesetzt. Es wurde 2020 durch das Pariser Abkommen von 2015 ersetzt. Die Vertragsstaatenkonferenz begleitet den Compliance-Prozess lediglich und ist für das Berufungsverfahren zuständig, Decision 24/CP.7 XII. 110  Wie z. B. bei der Aarhus Konvention: Decision I/7, Annex XI. Nr. 36 iVm XII. Nr. 37 a)–d). 111 Z. B. beim Washingtoner Artenschutzabkommen. Die Empfehlungen des Standing Committee, Handelsbeschränkungen auszusprechen, ist rechtlich nicht abgesichert, allerdings gängige Praxis wie beschrieben von Fuchs, GLJ 2008, 1565–1596, 1586. Z. B. der Enforcement Branch des Kyoto Protokolls Decision 24/CP.7 XV 5.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

mation agency“112. Es verfügt über eine sehr privilegierte (Macht-)Position.113 Das zeigt sich bereits an der teilweise komplexen Unterorganisation, die der Vielfalt der Aufgaben entspricht. Manche Sekretariate sehen auch die Einsetzung eines Compliance-Officers vor.114 Andere Verfahren, wie beispielsweise die Basler Übereinkommen, sehen sogar (im Falle einer Sekretariatseinleitung) ein formelles Vorverfahren, angesiedelt beim Sekretariat vor.115 Das Sekretariat kann daneben auch über die beratende Funktion und die Öffentlichkeitsarbeit die inhaltliche Vertragsentwicklung indirekt beeinflussen.116 Sekretariate sind aus politikwissenschaftlicher Perspektive daher auch als eigenständige politische Akteure betitelt worden.117 Die Akteurseigenschaft hänge maßgeblich damit zusammen, dass die Mitarbeiter (internationale Beamte) zuvörderst den Zielen ihres Vertragsregimes dienen und nicht den Interessen der einzelnen Vertragsstaaten.118 Als dauerhaft mit Organisationsaufgaben Betraute verfügen sie über ein besonders hohes Fach- und Organisationswissen und sind horizontal und vertikal in dynamische Netzwerke eingebunden. Um den politischen Einfluss konkret werden zu lassen, hebt Toop das Sekretariat des Washingtoner Artenschutzabkommens hervor, das nicht nur im Compliance-Verfahren involviert ist, sondern auch konkrete Vorschläge unterbreitet, wie das 112  Slaughter, New World Order, 2004, S. 156 f. (u. a. am Bsp. des Washingtoner Artenschutzabkommens). 113  Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 365; spricht von „important role“, Jacur, Triggering NonCompliance, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 373–387, S. 378. „[W]achsende Bedeutung für das nationale Verwaltungshandeln“ bei Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 147; Stein spricht von „international secretariats whose staffs at times act independently of the top IGO management“ Stein, AJIL 2001, 489–534, 491. 114  Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 105. 115  Dieses soll innerhalb von drei Monaten zu einer Lösung des Compliance-Falles führen. Ist dies nicht der Fall, eröffnet das Sekretariat das Verfahren vor dem Komitee, vgl. Geschäftsordnungen des Basler Übereinkommens und der Rotterdam Konvention (UNEP/BRS/ SBC/SRC/2019/1, S. 10 ff. Das Sekretariats Vorverfahren verläuft (soweit ersichtlich) für die Öffentlichkeit uneinsehbar. Der später eingesetzte Compliance-Mechanismus des „Parallelvertrags“ der Rotterdam Konvention sieht diese bedeutende Rolle des Sekretariats nicht mehr vor, sondern ersetzt diese mit einer Komiteeeinleitung. (GO 2019, S. 22). Dies kann als Kritik an den benannten Regelungen des Basel Mechanismus gelesen werden. Eine ähnlich bedeutende Stellung des Sekretatriat wie beim Basler Übereinkommen sieht auch das Compliance-Verfahren des Genfer Luftreinhalteabkommens vor: ECE/EB.AIR/53, Annex III. Nr. 5. 116  Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, 2000, S. 124 ff. 117 Bspw. Bauer, GEP 2006, 23–49, 28, der (aus politikwissenschaftlicher Perspektive) den Begriff der internationalen Organisation für Vertragssekretariate verwendet. Bauer/Busch/ Siebenhüner, Treaty Secretariats, in: Biermann/Siebenhüner/Schreyögg (Hrsg.), Global Environmental Governance, 2009, S. 174–192, S. 174. 118 Bei Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, 2000, S. 124 ff.; mit den möglichen Konsequenzen, die schon die Principal-Agent-Theorie vorgezeichnet hat. Übersicht bei Hawkins u. a. (Hrsg.), Delegation and Agency, 2006.



B.  Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht

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Abkommen weiterzuentwickeln ist: Sie stellt für die „COP 16“ im Jahr 2013 eine 70%ige Übereinstimmung zwischen den Vorschlägen des Sekretariats und den tatsächlichen Beschlüssen auf der Konferenz fest.119 Sekretariate können auch außerhalb der Verträge in unterschiedlicher Art und Weise miteinander verbunden sein.120 Beispiel für eine Verknüpfung mit anderen Verträgen bildet der synergies process der chemikalienbezogenen umweltvölkerrechtlichen Verträge: das Basler Übereinkommen, die Rotterdam und die Stockholm Konventionen. Die Vertragsstaatenkonferenzen aller drei Verträge haben sich dazu entschlossen, einen Synergieprozess anzutreten, der maßgeblich eine organisatorische Zusammenlegung der drei großteils beim UNEP angesiedelten Sekretariate zu einem „Gesamtsekretariat“ beinhaltet.121 Verträge, die innerhalb des Rahmens einer internationalen Organisation gegründet wurden, teilen zumeist auch das Sekretariat mit dieser Organisation – so beispielweise das Wiener Übereinkommen und das Montrealer Protokoll, die in die Strukturen des UNEP122 und damit der UN eingebunden sind oder das Sekretariat sowie die Vertragsstaatenkonferenz der MARPOL Konvention, die eng in die IMO eingebunden sind.123 In diesen Fällen untersteht die Verwaltung auch der internationalen Organisation, die auch über das Personal ent119  Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 105. 120  Die Verknüpfung auf institutioneller Ebene zeichnet damit auch rechtliche Vernüpfungen durch Verweisungen innerhalb umweltvölkerrechtlicher Verträge auf andere Verträge nach: dazu ausführlich Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 143 und Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S. 369 ff. 121  Die drei Verträge teilen sich nun ein Sekretariat, wodurch jedoch nach eigener Aussage die rechtliche Unabhängigkeit der drei Verträge nicht berührt werden soll. Dies ist insbesondere auch deshalb wichtig, da die Verträge unterschiedliche Signatarstaaten haben. Ob die Unabhhängigkeit der drei Verträge gewährleistet ist, bleibt aufgrund der machtvollen Rolle des Sekretariats zweifelhaft. Interessant ist bspw., dass der Leiter des Government Branch auch für Compliance zuständig ist. Allerdings hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung nur die Vertragsstaatenkonferenz des Basler Übereinkommens einen Compliance-Mechanismus eingerichtet. Die Vertragsstaaten der anderen beiden Verträge hatten noch keine Komitees eingesetzt (die Vertragsstaatenkonferenz der Rotterdam Konvention hat auf dem 9. Treffen 2019 das Komitee eingesetzt und die der Stockholm Konferenz ist in der Vorbereitungsphase). Alles nachzulesen unter http://synergies.pops.int/Home/tabid/813/language/en-US/Default.aspx (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Ein ähnlich enger Kooperationsprozess (genannt: Joint Liaison Group) ist auch zwischen der Biodiversitätskonvention, Klimarahmenkonvention und dem Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung zu beobachten. Beschrieben in Decision VII/26 der Biodiversitätskonvention. 122  Ein Programm der Vereinten Nationen ohne eigene Rechtspersönlichkeit. 123 Dazu Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 153 ff. Weiteres Bsp. ist die Berner Konvention, die in die Strukturen des Europarats eingebunden ist. Das Sekretariat wird von der internationalen Organisation gestellt und ist ebenfalls vielfach in das Compliance-Verfahren eingebunden. Das Sekretariat des Basler Übereinkommens wird ebenfalls von UNEP gestellt.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

scheidet.124 Das UNEP kann dadurch seiner selbst zugeschriebenen Aufgabe gerecht werden „[to be] the leading global environmental authority that sets the global environmental agenda, that promotes the coherent implementation of the environmental dimension of sustainable development within the United Nations system and that serves as an authoritative advocate for the global environment“125.

Die Verfahren zeichnen sich darüber hinaus auch durch einen umfassenden Einbezug von NGOs aus. Die Varianten des Einbezugs von NGOs in die Verfahren vor dem Komitee selbst sind vielfältig: In der Alpenkonvention sind NGOs als Beobachter zugelassen, die Aarhus Konvention und das Montrealer Protokoll sehen vor, dass NGOs den Vertragssekretariaten126 Informationen zukommen lassen können, selten, wie zum Beispiel bei der Aarhus Konvention oder dem Protokoll über Wasser und Gesundheit127, können sie die Verfahren selbst auslösen oder, wie bei der Aarhus Konvention, die Kandidaten für die Komiteebesetzung stellen.128

III. Mitgliedschaft Bei Besetzung von Compliance Committees haben sich verschiedene Varianten entwickelt. Die personelle Besetzung des Komitees ist von großer Bedeutung, weil die berufenen Mitglieder ihr jeweils eigenes Vorverständnis mitbringen und mit diesem das Verfahren, die Nichteinhaltungsentscheidung und vor allem die Auslegung des Vertrags prägen.129 Es haben sich verschiedene Varianten entwickelt, die sich anhand folgender Kriterien einteilen lassen: An124  Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 366; Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 99. 125  UNEP Governing Council, 1997 Nairobi Declaration on the Role and Mandate of the United Nations Environment Programme, Annex 2. Es stellt damit ein institutionelles Symbol für die „koordinierte Vorgehensweise“, die typisch für das Umweltvölkerrecht ist, dar. S. dazu Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 140; s. auch mwN zur Rolle des UNEP Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 15. 126  Beim Basler Übereinkommen: den Vertragsstaaten. 127  Beide Verträge sind unter dem „Dach“ von UNECE zu verorten. Das Protokoll über Wasser und Gesundheit von 1999 ergänzt das Übereinkommen zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen. 128  Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 368 f. 129 Vgl. hierzu die ausführliche angelsächsische politikwissenschaftliche Debatte zum Einfluss der Persönlichkeit und des persönlichen Hintergrunds eines Richters auf das Ergebnis juristischer Entscheidungen: frühe Publikation von Schubert, The Judicial Mind, 1965; später Schubert, The Judicial Mind Revisited, 1974. Bestritten in der juristischen Forschung bspw. von Ashenfelter/Eisenberg/Schwab, JLS 1995, 258–281.



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zahl der Mitglieder (kleine oder große Komitees)130 und Qualifikation der Mitglieder (Experten oder Vertreter der Vertragsstaaten)131. Ob ein Komitee mit wenigen oder vielen Mitgliedern besetzt wird, ist eine Entscheidung zwischen Effizienz eines Komitees (wenige Mitglieder) und größtmöglicher Repräsentanz der Vertragsparteien (viele Mitglieder).132 Insgesamt wird immer wieder auf die Zielsetzung Bezug genommen, eine ausgewogene regionale Verteilung sei sicherzustellen.133 Um Kontinuität zu gewährleisten, werden die Posten zumeist gestaffelt besetzt.134 Gleichzeitig findet häufig auch eine Begrenzung der „Amtszeit“ auf zwei aufeinanderfolgende Perioden statt.135 Am häufigsten sind Vertragsorgane mit Vertretern der Vertragsstaaten auf Zeit besetzt – teilweise verbunden mit der Verpflichtung, das Amt im besten Interesse des Vertragswerks auszufüllen.136 Es gibt jedoch auch Verträge, in denen staatsunabhängige Experten (mit naturwissenschaftlicher, sozioökonomischer, rechtlicher oder technischer Expertise)137 das Gremium besetzen.138 Manchmal werden an sie weitere Anforderungen gestellt: z. B. „high moral character and recognized competence in the areas to which the Convention relates, including persons with legal experience.“139 Experten dienen dem Vertragskörper meistens „in their individual capacity“140. Was sich hinter dieser Klausel für Rechte 130  Bspw. hatte das Compliance Committee der Aarhus Konvention zu Anfang acht, das des Kyoto Protokolls hatte 20 Mitglieder, aufgeteilt auf zwei Einheiten, das des Basler Übereinkommens 15 Mitglieder. 131  Bspw. ist das Compliance Committee der Aarhus Konvention mit Experten besetzt, das der Alpenkonvention mit Vertretern der Vertragsstaaten. 132  Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 430. 133  Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 401, z. B. der Mechanismus des Basler Übereinkommens Decision VI/12, Nr. 3: „It shall consist of 15 Members nominated by the Parties, serving in accordance with paragraph 4, and based on equitable geographical representation of the five regional groups of the United Nations, elected by the Conference of the Parties.“ oder der des Kyoto Protokolls Decision 24/CP.7 II. 4, der eine Doppelspitze zusammengesetzt aus je einem Annex I- und Annex II-Staatenvertreter vorsieht. 134  Resolution 2/2011, Annex. III. 4. des bei der FAO angesiedelten Pflanzenschutzvertrags ITPGRFA. 135  Resolution 2/2011, Annex. III. 4. des bei der FAO angesiedelten Pflanzenschutzvertrags ITPGRFA. 136 Als Kompromissmodell zwischen den beiden Varianten der Besetzung mit Staatenvertretern und mit Experten beschrieben bei Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 401. Bsp. der Besetzung mit Staatenvertretern stellt das bereits 1997 eingesetzte Genfer Luftreinhalteabkommen dar. 137  Bsp. des Basler Übereinkommens Decision VI/12, Nr. 5: „[The Members of the Committee] shall have expertise relating to the subject matter of the Convention in areas including scientific, technical, socio-economic and/or legal fields.“. 138  So z. B. bei der Aarhus Konvention, dem Kyoto und Cartagena Protokoll. 139  Decision I/7, Annex I. 2. 140  So zum Beispiel im Pflanzenschutzvertrag ITPGRFA, geregelt in der Geschäftsordnung des Compliance Committee in Resolution 2/2011, Annex. III. 3.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

und Pflichten verbergen ist, abgesehen von der staatlichen Weisungsunabhängigkeit, unklar. Auch wenn das Committee selbst nicht mit Experten besetzt ist, können Ad-hoc-Expertengremien zur Beratung in Einzelfällen einberufen werden.141 Um eine Konfusion bei den staatlichen Vertretern (die beispielsweise gleichzeitig auch in der Vertragsstaatenkonferenz sitzen) oder eine Befangenheit der Komiteemitglieder zu vermeiden, sehen viele Verträge einen Passus vor, dass die Mitglieder des Komitees selbst dazu beitragen sollen, Interessenkonflikte zu vermeiden.142 Manchmal müssen die Mitglieder vor der „Berufung in das Amt“ eine Erklärung abgeben, die einem offiziellen Eid ähnelt.143 Selten nehmen NGOs als beobachtende Teilnehmer der Verfahren eine hervorgehobene Stellung ein.144 Sie verfügen meistens nicht über ein Stimm-, aber ein Rederecht. Die Aarhus Konvention gewährt ihnen darüberhinausgehend ein Vorschlagsrecht für die Neuberufung von Komiteemitgliedern. Neben diesen Einwirkungsmöglichkeiten auf das Verfahren ist für die NGOs ebenfalls von Bedeutung, dass sie innerhalb der einzelnen nationalen Delegationen145 auf die Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz im Compliance-Verfahren Einfluss nehmen und ein Nichteinhaltungsverfahren initiieren können. Während politischen Vertretern zugeschrieben wird, sie handelten im gemeinsamen Interesse der Vertragsstaaten und setzten damit den zugrundeliegenden Vertrag effektiv durch (eher politisches Verfahren), sollen Experten eine besondere Objektivität ausstrahlen (technisch-administratives Verfahren).146 Beiden Besetzungen ist gemein, dass selten Außenstehende „bestellt“ werden, sondern entweder Vertreter der Ministerialverwaltung des jeweiligen Politiksektors oder Experten auf dem thematischen Gebiet des Vertrags. Der Grund dafür liegt bei der oftmals sehr technischen Materie der Compliance-Verfahren. Häufig fehlt es dagegen an juristischem Sachverstand.147 Auch im Compliance Committee können „nationale Delegationen“ mit privaten Netzwerkvertretern 141 

So z. B. vorgesehen im Modus Operandi der CBD, Decision XIII/25, Annex C. 4. Im Rahmen des Montrealer Protokolls ist der betroffene Staat – sofern er zeitgleich zum gegen ihn eingeleiteten Compliance-Verfahren einen Sitz im Implementation Committee inne hat – von der Abstimmung ausgeschlossen. Das gilt z. B. auch bei dem 2019 verabschiedeten Verfahren der Rotterdam Konvention dort in Decision RC 9/7, Nr. 11. 143  Decision I/7, Annex I. 11. der Aarhus Konvention. 144  So z. B. bei der Aarhus und der Alpenkonvention Vgl. Treves, Introduction, in: ders. u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 1–8, S. 4 ff. 145  S. o. Kapitel 1 A. IV. 2. 146  Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 430. 147  Gefordert von Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 364; für überflüssig gehalten in diesem Kontext von Lang, ZaöRV 1996, 685–695, 694; v. Arnauld, VVDStRL 2015, 39–87, 53: „Namentlich im Umweltrecht gibt es Vorschriften, die ohne natur- und technikwissenschaftlichen Sachverstand nicht mehr anzuwenden oder zu durchdringen sind.“ 142 



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besetzt sein. Als Beispiel kann die Zusammensetzung der russischen Delegation auf der 12. Sitzung des Compliance Committee zum Montrealer Protokoll dienen: Neben zwei Ministerialbeamten nahm auch ein Wissenschafter der Russian Scientific Society of Applied Chemistry teil.148

IV. Auslösemechanismus Durch einen „triggering mechanism“ wird das Nichteinhaltungsverfahren vor dem Kontrollorgan in Gang gesetzt. Vor der Verfahrenseinleitung sehen die meisten Verträge eine Konsultations- und Informationsphase vor. Die betroffene Vertragspartei wird über die Einleitung informiert und eine Kooperation zwischen Compliance Committee und der Partei aufgenommen. Das Non-Compliance-Verfahren soll sich von den traditionellen Streitbeilegungsmechanismen absetzen. Daher wurde von den restriktiven Einleitungsmöglichkeiten vor internationalen Gerichten Abstand genommen und eine Vielzahl von Triggering-Möglichkeiten geschaffen.149 1. Da es sich um ein primär unterstützendes und nicht um ein sanktionierendes Verfahren handeln soll, gestattet jeder Vertrag die Verfahrenseinleitung durch Selbstanzeige.150 Anders als in der Wissenschaft teilweise vertreten wird von dieser Einleitungsvariante häufig Gebrauch gemacht.151 Sie wird auf der einen Seite genutzt, um von der technischen und finanziellen Unterstützung für die Umsetzung des Vertragsrechts zu profitieren.152 Andererseits kann sie auch dazu dienen, die innerstaatliche Opposition zu überwinden oder nationale Debatten über die Auslegung und Umsetzung völkerrechtlicher Verträge zu umgehen:153 Stehen mehrere Auslegungsmöglichkeiten zur Verfügung, kann bei der innerstaatlichen Vertragsumsetzung eine wenig kontroverse Auslegung gewählt werden, um später eine zuvor nicht mehrheitsfähige Auslegung über die völkerrechtliche Ebene zu erreichen: „Law148  Annex

I zum 12. Treffen des ImpCom des MP. Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 367. Die Hürden vor völkerrechtlichen Gerichten bestehen unter anderem, um die nationalstaatliche Souveränität zu bewahren. Gleiches gilt für das hiesige Thema: Zwischen dem Auslösemechanismus und der nationalstaatlichen Souveränität besteht ein Zusammenhang. 150  Ausdruck von bona fide, Art. 26 WÜV. Vgl. Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 334. 151  Anstatt Vieler a. A. vetreten von Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 254. 152  Jacur, Triggering Non-Compliance, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 373–387, S. 374. 153  Dies gilt auch für die völkerrechtliche Ebene: „Indeed, states may use noncompliance as a tool to renegotiate legal rules.“, Meyer, AJIL Unbound 2014, 93–98, 95 f.; allgemein und nicht auf das Compliance-Verfahren bezogen bei Macey, Emory LJ 2003, 1353–1380. 149 

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

making goes side by side with […] compliance.“154 Eine parlamentarische und/oder gesellschaftliche Debatte über die Umsetzungsoptionen kann mit einem Verweis auf die völkerrechtliche Verpflichtung des Compliance-Beschlusses umgangen werden.155 Dieser Effekt wurde in Deutschland durch die Ausnahmen der „one in, one out“-Regel der Bundesregierung von Dezember 2014 zum Bürokratieabbau verstärkt,156 die die Einführung neuer Gesetze immer dann „vereinfacht“ zuließ, wenn es sich um eine Eins-zueins-Umsetzung europäischen Rechts oder Völkerrechts handelt.157 Ein Fall, in dem das Verfahren der Einleitung durch Selbstanzeige durch das Komitee „instrumentalisiert“ wurde, ist der Fall Russlands vor dem Compliance Committee des Montrealer Protokolls von 1995. Russland hatte zusammen mit anderen osteuropäischen Staaten Einhaltungsprobleme des Protokolls vor der Vertragsstaatenkonferenz offenbart, ohne selbst ein Non-Compliance-Verfahren einzuleiten. Ziel dieser Staatengruppe war es, eine Fristverlängerung für die Umsetzung der Reduktionsziele zu erreichen – sie wollten als (neue) dritte Kategorie „Staaten im Übergang zur Marktwirtschaft“ zwischen Industrieländern (mit hohen, kurzfristigen Reduktionszielen) und Entwicklungsländern (mit geringen, langfristigen Reduktionszielen) platziert werden. Als das Komitee über die Erfüllungsdefizite in Kenntnis gesetzt wurde, leitete es ein Verfahren der Kategorie „Selbstanzeige“ ein. Das Ziel der Staatengruppe, eine Fristverlängerung für die Umsetzung zu erhal154 

Meyer, AJIL Unbound 2014, 93–98, 96; im europäischen Kontext als „Spiel über die Bande“ durch die Bundesregierung bezeichnet durch den Beschwerdeführer zu III. im Lissabon-Urteil des BVerfG: BVerfGE 123, 267, 313 (Lissabon). 155  Warnte bereits vor einer Politisierung der Verfahren: Handl, TJICL 1997, 29–49, 40 f. Während bspw. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eine weitergehende Anpassung der Klagebefugnisse in Umweltangelegenheiten forderte, setzte sich der Verweis auf die Entscheidung des Compliance Committee der Aarhus Konvention durch. Ähnlich Kment: „All zu gerne nutzen politische Entscheidungsträger die diffusen Verhältnisse, um Fehlentwicklungen und unangenehme Belastungen der Bürgerschaft auf schwer durchschaubare Ursachenzusammenhänge zurückzuführen.“ Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 36. 156  In den Regierungsdokumenten ist diese Regel nicht mehr zu finden, der sieht sich aber scheinbar noch daran gebunden, vgl. nur BT-Drs.: 19/28182, S. 2. 157  Für jede zusätzliche Belastung der Wirtschaft ist eine ressortinterne Streichung einer belastenden Regel als Kompensation notwendig. Schlussfolgernd Hendrischke vom Umweltbundesamt: Für nationale Regelungen sei „ein hoher Preis zu zahlen“, Völkerrecht gäbe es „gratis“, Vortrag auf dem 12. Deutschen Naturschutzrechtstag am 16./17. Juni 2016 in Bonn. Die „one in, one out“-Regel habe zur Folge, dass vorhandener Umsetzungsspielraum bei der Umsetzung europäischer Richtlinien und bei der Umsetzung von Völkervertragsrecht nicht genutzt wird, da nur Eins-zu-eins-Umsetzungen „gefördert“ würde. Das Gesetz dürfte daher gegen das Demokratieprinzip verstoßen. Dazu bisher nur Heuschmid: „Auch besteht ein erhebliches Potenzial an Kollisionen mit dem Demokratieprinzip. Demokratie lässt sich nicht nach Buchhaltungsregeln steuern. Davon abgesehen wird die im ‚One in, one out‘-Prinzip begründete schematische Herangehensweise den komplexen politischen Aushandlungsprozessen in der Praxis nicht gerecht.“ Heuschmid, taz., 09. Juni 2015, S. 11. Dass das Völkerrecht „genutzt“ werden kann, um innere Opposition bzw. innere Hürden zu überwinden, ist auch im Europarecht bekannt, Aust, EuR 2017, 106–212, 106.



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ten, war jedoch keine der vorgesehenen Unterstützungsmaßnahmen, die das Implementation Committee zu treffen befugt war. Russland widersprach der Einleitung in der Folge jedoch nicht.158 Die Vertragsstaatenkonferenz bestätigte den Non-Compliance-Beschluss mit einem consensus minus one.159 Das Ergebnis dieser Entscheidung waren Handelsbeschränkungen auf der einen und finanzielle Unterstützung bei der Vertragsumsetzung auf der anderen Seite.160 Der Vorfall wird als unintentional submission beschrieben und widerspricht dem ursprünglichen Zweck der Selbstanzeige sowie dem Charakter des Non-Compliance-Verfahrens als nichtkonfrontatives Verfahren.161 2. Nur bei wenigen Verträgen kann ein Verfahren durch die (außenstehende) Öffentlichkeit (Privatpersonen und/oder NGOs) eingeleitet werden.162 Vor allem Verträge, die auf die Sicherung individueller Rechte abzielen oder die regional ausgerichtet sind, sehen eine solche Möglichkeit vor.163 Diese Variante hat weitreichende Folgen: Je besser Interessenvertreter und Verbände in einem Staat organisiert sind und je aktiver sie ihre Rolle ausfüllen, desto mehr muss dieser Staat mit Anzeigen vor einem Compliance Committee rechnen. Daher ist die Compliance-Kontrolle für die einzelnen Staaten in quantitativer Hinsicht unterschiedlich stark ausgeprägt.164 Den Interessenvertretern ermöglicht die Verfahrenseinleitung großen Einfluss:165 Ihnen steht zusätzlich zur nationalstaatlichen auch die völkerrechtliche Ebene zur Politikgestaltung zur Verfügung. Im zwischenstaatlichen Bereich können sie außerdem häufig unmittelbar in der Vertragsstaatenkonferenz mitwirken, die Arbeit von Compliance Committees beobachten und durch die Verfahrenseinleitung die aktuellen Themenstellungen des Komitees bestimmen. 3. Die „Anzeige“ durch einen anderen Vertragsstaat ist in einer Vielzahl von Verträgen vorgesehen, wird wegen der politischen Auswirkung dieser Maßnahme aber nur selten genutzt.166 Die anderen Einleitungswege werden bevorzugt genutzt. 158 

Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 193 ff. Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 191 ff. 160 Ausführlich in Werksmann, ZaöRV 1995, 750–773 und bei Yoshida, CJIELP 1999, 95–141, 135 ff. 161  Jacur, Triggering Non-Compliance, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 373–387, S. 382. 162  Bsp. sind u. a. die Aarhus Konvention und das Protokoll über Wasser und Gesundheit, in Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 432 f. Die Alpenkonvention erlaubt die Einleitung durch die von NGOs gestellten Beobachter in den Compliance Committee, s. S. 103 ff. 163  Z. B. die Alpenkonvention, die Aarhus Konvention und das Protokoll über Gesundheit und Wasser, bei Jacur, Triggering Non-Compliance, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 373–387, S. 380. 164  Hedemann-Robinson, Enforcement, 2019, S. 45. 165  Ähnlich auch Urbinati, Kyoto Protocol, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 63–84, S. 70. 166  Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), Internatio159 

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4. Manche Verträge sehen vor, dass das Vertragssekretariat Verfahren einleiten kann, wenn auch teilweise beschränkt auf einzelne vertragliche Verpflichtungen wie beispielsweise Informationspflichten.167 Die Möglichkeit der Einleitung durch das Sekretariat erhält wenig Zuspruch, weil dadurch die politische Rolle des Sekretariats verändert wird: Es solle eine objektive „Behörde“ darstellen, da es nur mit der Akzeptanz der Vertragsparteien seine Tätigkeit wahrnehmen könne (beispielsweise Informationsbeschaffung und -verwaltung).168 Die Gefahren eines einflussreichen Sekretariates verschärfen sich, wenn es gleichzeitig das Sekretariat einer internationalen Organisation ist: Unklar bleibt, welche Einflussmöglichkeiten der internationalen Organisation in einer solchen Konstellation zukommen und welche Vorkehrungen es gibt, diese zu „parieren“. Inwieweit dem Sekretariat als zumeist erste Anlaufstelle für Informationen über die Nichteinhaltung Ermessen bei der Verfahrenseröffnung zukommt, ist ungeklärt.169 5. Noch weniger vertreten ist die Variante, dass ein Komitee das Verfahren selbst einleiten kann.170 In diesen Fällen entscheidet das Komitee entweder nach der Sichtung von (Experten-)Reports, durch den ein Non-Compliancenal Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 434; Treves, Introduction, in: ders. u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 1–8, S. 6; einzig widersprechen Beyerlin/Marhaun, International Environmental Law, S. 328: „While most applications may be made in the form of traditional ‚inter-state applications‘, some non-compliance procedures allow for self-incrimination“. 167  Z. B. bei dem Basler Übereinkommen, Jacur, Triggering Non-Compliance, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 373–387, S. 378. Die Sekretariatseinleitung gibt es auch beim Montrealer Protokoll, dem Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung und der Aarhus Konvention, Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 432. 168  Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 432. Diese kritische Haltung lässt sich auch anhand des 2019 verabschiedeten Mechanimus der Rotterdam Konvention ablesen. Durch den sog. synergies process ist die Rotterdam Konvention u. a. eng mit dem Basler Übereinkommen verflochten. Dennoch entschieden sich die Vertragsparteien der Rotterdam Konvention dazu, auf den Kernbestandteil des Basel Mechanismus – die Sekretariatseinleitung – zu verzichten. 169  Dem Wortlaut ist tlws. keine eindeutige Aussage zu entnehmen. Bspw. ist in Deci­ sion VI/12, 9 lit. c) des Basler Übereinkommens formuliert: „Submissions may be made to the Commission by [t]he secretariart, if it becomes aware […] of possible difficulties of any Party in complying with its reporting obligations […].“ Im Falle der Basler Übereinkommen besteht darüber hinaus die Besonderheit, dass einer Sekretariatseinleitung eine Art Vorverfahren beim Sekretariat vorausgeht (Geschäftsordnungen des Basler Übereinkommens und der Rotterdam Konvention (UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, S. 9). Eindeutiger für eine gebundene Entscheidung des Sekretariats in der Aarhus Konvention Decision I/7, Annex I. 17.: „the secretariat shall bring the matter to the attention of the Committee“. So ähnlich ist auch Art. XIII CITES formuliert. Ermessen kommt dem Sekretariat allerdings im Montrealer Protokoll zu, vgl. Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 701. 170  Bsp.: Espoo Konvention Decision III/2, Annex 6. in: Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 433.



B.  Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht

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Fall aufgedeckt wird, oder wenn es auf anderem Wege von einer möglichen Nichteinhaltung erfährt. Dies könnte also ebenfalls durch eine Information aus der Öffentlichkeit geschehen.171 Das Komitee hat in Bezug auf die Verfahrenseröffnung einen Ermessensspielraum.172 6. Auch dass die Vertragsstaatenkonferenz das Verfahren selbst einleitet, ist selten geregelt.173 Zusammenfassend ist also die Selbstanzeige, die Sekretariatseinleitung und, sofern der Mechanismus sich dafür geöffnet hat, ganz maßgeblich die Anzeige durch die Öffentlichkeit als Einleitungsvarianten für das Compliance-Verfahren relevant.

V.  Verfahrens- und Verteidigungsrechte Die Art und Weise, wie und vor allem durch wen ein Verfahren eingeleitet wird, bedingt, über welche Verfahrensrechte die betroffene Partei aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten notwendig verfügen muss:174 Je weiter der Kreis der Berechtigten gezogen wird, einen Staat vor dem Komitee anzuzeigen, desto stärker muss sich ein Staat gegen Missbrauch schützen können. Das umfasst das Recht, in die Verfahren miteinbezogen werden und die Gewährleistung rechtsstaatlicher Verfahren sowie verhältnismäßiger Entscheidungen.175 Denn durch ein Compliance-Verfahren kann die staatliche Souveränität eingeschränkt werden. Durch die Verfahren können auch die Rechte von Privatpersonen und Unternehmen berührt werden. Daher sind auch bei einem nichtkonfrontativen, also kooperativen Prozess Verfahrensrechte von Nöten.176 Ihre Gewährleistung erhöht zugleich die Legitimation und Akzeptanz des Non-Compliance-Verfahrens.177 Dem betroffenen Staat stehen regelmäßig umfangreiche Verfahrensrechte zu, die weniger statisch als flexibel zu verstehen sind. Die Verträge unterscheiden sich in diesem Punkt erheblich voneinander. Die Aarhus Konvention gilt als „Paradebeispiel“ für einen Vertrag, der sehr weitreichende Verfahrensrechte 171 Dazu Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 433. 172  Z. B.: Mit dem Vorwurf, das Compliance Committee der Berner Konvention nutze diesen „politically motivated“ aus Trouwborst/Fleurke/Linnell, JIWLP 2017, 155–167, 165. 173  Jacur, Triggering Non-Compliance, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 373–387, S. 379. 174  Mit Bezug auf die staatliche Souveränität Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 432 f. Zusammenhang anhand der Aarhus Konvention erläutert: Jacur, Triggering Non-Compliance, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 373–387, S. 386. 175  S. dazu auch Kapitel 3 B. 176  Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 333. 177  Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 404.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

vorsieht. Die im Nichteinhaltungsverfahren gewährleisteten Verfahrensrechte sind maßgeblich das Kooperationsprinzip178, der Grundsatz eines fairen Verfahrens (engl. due process), und das Recht auf Vertraulichkeit der Information bei gleichzeitiger Transparenz des Verfahrens: Dem Kooperationsprinzip wird beispielsweise ein Anwesenheitsrecht und das Recht auf Stellungnahme179 der betroffenen Partei zugeordnet. Im weitesten Sinne lässt sich aus dem Kooperationsprinzip auch die Verpflichtung beider Seiten entnehmen, eine „einvernehmliche“ Lösung zu finden.180 Manche Einsetzungsentscheidungen verweisen auf die Einhaltung eines fairen Verfahrens.181 Es umfasst eine Reihe an Beteiligungsrechten wie die Gewährleistung angemessener Fristen und das Recht, sich in der eigenen Sprache zu äußern. Dem betroffenen Staat stehen im Laufe des Verfahrens Beteiligungsund Anwesenheitsrechte zu, aber nicht bei der endgültigen Beschlussfassung, um die Objektivität des Verfahrens zu wahren.182 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird in vielen Verträgen als Leitfaden für die Entscheidungsfindung hervorgehoben.183 Nahezu jeder Non-Compliance-Mechanismus thematisiert die Transparenz des Verfahrens184 bei gleichzeitiger Vertraulichkeit der verwandten Daten: Es gibt auf der einen Seite ein umfassendes Recht auf Einsichtnahme und eine grundsätzliche Öffentlichkeit der Verfahren185, auf der anderen Seite wird dem 178 Basierend auf dem bona fide Gedanken, Art. 26 WÜV. Z. B.: Montrealer Protokoll Decision IV/5, Annex IV. Nr. 8: „amicable solution“ oder in Art. 15 des Non-ComplianceVerfahrens der Aarhus Konvention, Decision VI/2, Annex 45. 2.; Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 334; Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 391 f.; Marauhn stellt eine Verbindung zwischen dem verfahrensrechtlichen Kooperationsprinzip im Compliance-Verfahren und dem allgemeinen Kooperationsprinzip im Umweltvölkerrecht her. Dieser Verbindung ist jedoch nicht ganz glatt, da es sich im Nicheinhaltungsverfahren nicht mehr um die Kooperation von Staat zu Staat, sondern um die Kooperation von Staat zu Organ handelt. Diesen Bruch andeutend Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 723 f. 179  Dazu zählt auch das Recht auf rechtliches Gehör aus der „international rule of law“, Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 725. 180  Bspw. Decision IV/5, Annex IV. Nr. 8. des Montrealer Protokolls. Durch diese nähere Ausgestaltung des Kooperationsprinzips unterscheide sich das Compliance-System von den traditionellen Streitbeilegungsmechanismen. Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 390. 181  In der Barcelona Konvention: „fairness and transparency“ Decision IG 17/2, Annex V, Nr. 28.; auch bei Treves, Introduction, in: ders. u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 1–8, S. 6. 182  Z. B. beim Kyoto Protokoll Decision 27/CMP.1, VIII. 2. 183  Bsp.: Decision IV/5, Annex IV Art. 7 lit. c) des Montrealer Protokolls („necessary“) und ebd. Art. 9 des Montrealer Protkolls („appropriate“). 184  Tanzi und Pitea bezeichnen den Transparenzgrundsatz als normatives Prinzip des Umweltvölkerrecht, basierend auf Prinzip 10 der Rio Deklaration, das sich in den ComplianceMechanismen niederschlägt. Tanzi/Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569–580, S. 576. 185  Bei der Rotterdam Konvention und dem Basler Übereinkommen ist die grundsätzliche



B.  Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht

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betroffenen Staat die Geheimhaltung vertraulicher Dokumente und Informationen zugesichert.186 Oft werden in Bezug auf einzelne Verfahrensschritte und bestimmte Informationen gesonderte Entscheidungen über die notwendige Vertraulichkeit durch den Komiteevorstand getroffen.187 Große Vertraulichkeit soll eine höhere Kooperationsbereitschaft der nichterfüllenden Staaten ermöglichen. Denn teilweise wird selbst die Veröffentlichung der endgültigen Entscheidung im Compliance-Verfahren vom betroffenen Staat als Sanktion aufgefasst.188 Geringe Einsichts- und Kontrollmöglichkeiten innerhalb des Verfahrens sind die Folge, was sich in restriktiver Berichterstattung und der Nichtöffentlichkeit von Sitzungen offenbart.189 Neben der Andeutung eines einheitlichen Verfahrensrechts ist eine augenfällige Gemeinsamkeit aller Verträge, dass kein Berufungsmechanismus vorgesehen ist.190 Dem betroffenen Staat ist es nicht möglich, sich entweder nach der Entscheidung über die Zulässigkeit der Anzeige oder nach der Sachentscheidung des Komitees und der Vertragsstaatenkonferenz in einem formellen Berufungsverfahren zur Wehr zu setzen. Allein dem Compliance Committee steht gemeinsam mit der Vertragsstaatenkonferenz nach Beschlussfassung die Möglichkeit zu, den betroffenen Staat zu verpflichten, seine UmsetzungsbemüÖffentlichkeit der Verfahren aber von der Zustimmung der betroffenen Partei abhängig. Rotterdam: Decision RC 9/7, Nr. 8 und Basler: Decision VI/12, Nr. 16. 186  Besonders wichtig werden Vertraulichkeitsvorkehrungen, wenn der betreffende Vertrag Produktion oder Handel industrieller Produkte regelt, Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 729. Bsp. bietet die Rotterdam Konvention Decision RC 9/7, Nr. 23. 187  Sog. „name and shame“, Adsett u.a, CYIL 2004, 91–142, 111; dazu auch Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 399 f. 188  In dieser Kategorie aufgelistet bei Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/ Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 435. 189  Aus Vertraulichkeitsgründen ist ein Großteil der Sitzungen nichtöffentlich. Dazu genügt alleine ein Blick in die Sitzungskalender der Aarhus Konvention der letzten Jahre. Von fünf Tagen Sitzungen sind maximal ein einhalb für die Öffentlichkeit frei. Zugänglich unter dem Reiter „provisional timeline“: https://unece.org/environment-policy/publicparticipation/aarhus-convention/compliance-committee-meetings (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 190  Auch nicht z. B. gegen die ablehnende Entscheidung einer Selbstanzeige. Einzige Ausnahme ist das Kyoto Protokoll. Während die Vertragsstaatenkonferenz im eigentlichen Compliance-Verfahren nicht mitwirkt, entscheidet sie im Anschluss über mögliche Berufungen gegen die Beschlüsse des Enforcement Branches, wenn die betroffene Partei sich in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (engl. due process) verletzt sieht (Decision 27/CMP.1, Annex XI.). Die betroffene Partei hat 45 Tage Zeit, Berufung einzulegen. Tut sie dies nicht, erwächst die Entscheidung des Enforcement Branches in „Rechtskraft“. Die Vertragsstaatenkonferenz muss mit einer Dreiviertelmehrheit für die Berufung stimmen, um den Fall zurück zum Enforcement Branch zu verweisen. Am Rande aufgearbeitet von Urbinati, Kyoto Protocol, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 63–84, S. 76. Im Übereinkommen von Paris hat man sich nicht auf ein derart komplexes Compliance-System einigen können. Es bleibt allerdings abzuwarten, was für ein Verfahren genau verhandelt wird.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

hungen für das Komitee zu dokumentieren, um das Non-Compliance-Verfahren endgültig beizulegen (auch: Nachhalteprozess).191

VI. Verfahren Das Compliance-Verfahren umfasst mehrere Phasen, die in den meisten Fällen einer Vierteilung folgen. Je nach Phase sind im Verfahren unterschiedliche Akteure (das Komitee, die Vertragsstaatenkonferenz, das Sekretariat oder ein anderes Unterorgan der Vertragsstaatenkonferenz) federführend. – In der ersten Phase wird die Zulässigkeit des Begehrens formell überprüft. Ist die Eingabe hinreichend begründet und ist erkennbar, ob sie eine grundlegende Bedeutsamkeit besitzt?192 Handelt es sich um eine Einreichung aus der Öffentlichkeit, wird manchmal verlangt, dass (soweit zumutbar) nationale Beschwerdemechanismen beschritten bzw. ausgeschöpft sind.193 In dieser Phase ist meistens noch nicht das Komitee selbst, sondern das Sekretariat mit dem Fall befasst. – Es schließt sich die Beratungsphase an, die beim Komitee angesiedelt ist und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. – In der Abschlussphase entscheidet das Compliance Committee über den Fall, formuliert Empfehlungen und reicht seinen Bericht zur Bestätigung an die Vertragsstaatenkonferenz weiter. Diese billigt die Entscheidung im Falle einer Non-Compliance (engl. endorsement). Hat der betroffene Staat die Konvention eingehalten, nimmt die Vertragsstaatenkonferenz den Bericht bloß zur Kenntnis, billigt ihn aber nicht. – Ein Monitoring der Entscheidungsumsetzung schließt sich als Nachhalteprozess an, in dem das Compliance-Verfahren zu Teilen nochmals wiederholt werden kann. Alle Phasen sind dadurch geprägt, dass der Austausch mit der betroffenen Partei gesucht wird – sie erhält fast zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Ein Verfahren kann auch an fast jedem Punkt abgebrochen werden, wenn der Nichteinhaltung schon vor Verfahrensabschluss abgeholfen wird. Die Rolle des betroffenen Staats ist damit nicht die eines angeklagten, vielmehr die 191  Dies ist im Rahmen des Kyoto Protokolls möglich gewesen. Beim Montrealer Protokoll wurde über die Einführung einer solchen Möglichkeit diskutiert, der Vorschlag aber nicht angenommen. Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 404. 192 Vorgaben werden betitelt mit „De Minimis“ und „Manifestly ill-founded“, u. a. bei dem Basler Übereinkommen Decision VI/12, Nr. 18 lit. a), lit. b). 193  So z. B. bei der Aarhus Konvention Decision I/7, Annex VI. 21. S. auch Jacur, Triggering Non-Compliance, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 373– 387, S. 385.



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des miteinbezogenen Staats: „[i]n agreement with the party concerned“194 oder „consultation with the party concerned“195. Die Rechtsgrundlagen für den Verfahrensablauf sind oft nur informeller Art. Sie sind beispielsweise in sogenannten Handreichungen für die Praxis zusammengefasst. Denn bei der Einrichtung von Compliance-Verfahren werden nur selten Verfahrensordnungen beschlossen.196 Häufig wird lediglich auf die Verfahrensordnung der Vertragsstaatenkonferenz verwiesen, die mutatis mutandis auf das Verfahren vor dem Compliance Committee angewandt wird.197 Nur teilweise stellen die Komitees eigene Verfahrensordnungen auf.198 Fast alle umweltvölkerrechtlichen Verträge sehen für nahezu alle Verfahrensschritte im Compliance-Verfahren den Konsens als (angestrebten) Beschlussmodus vor – auch bei Komiteeentscheidungen.199 „[E]ven in the Meetings of the Parties of the Montreal Protocol, there is an unwritten rule that the Parties should exhaust all options to reach consensus before resorting to a vote.“200 Dies erstaunt, denn es handelt sich um ein Nichteinhaltungsverfahren: Einer der am Konsens beteiligten Staaten ist immer selbst von dem Verfahren betroffen.201

VII.  Die Entscheidung des Komitees Die Verfahrensabläufe mancher Compliance-Verfahren sind in Grundzügen online abrufbar.202 Darunter findet sich häufig der entscheidende Abschlussbericht des Komitees sowie die darauf fußende Annahmeentscheidung der Vertrags194 Geschäftsordnungen des Basler Übereinkommens und der Rotterdam Konvention (UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, S. 13 und 34), dazu Milano, The Outcomes of the Procedure, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 407–418, S. 409. 195  Beim Aarhus Mechanismus: Decision I/7, Annex XI. 36. lit. a). 196  Daher sind viele Bereiche nur rudimentär oder nicht geregelt. Montini nennt den Fall sich widersprechender Informationen. Möglich ist eine Entscheidung immer zu Gunsten des betroffenen Staats (Montrealer Protokoll) oder eine Entscheidung zu Gunsten des Compliance Committee (Kyoto Protokoll). Da solche Fragen selten geregelt sind, ist es an Sekretariat oder Compliance Committee, auftretende Frage im eigenen Ermessen zu entscheiden. Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 397 f. 197  Z. B. beim Montrealer Protokoll. 198 Dazu können die provisorischen Verfahrensordnungen des Montrealer Protokolls sowie die Verfahrensordnung der Aarhus Konvention gezählt werden. Letztere verweist in ihrer Verfahrensordnung quasi selbstreferenziell auf eigene Entscheidungen des Komitees zur Aufstellung der Verfahrensordnung, mithilfe derer das Komitee die Verfahrensordnung auf ihren halbjährlichen Treffen weiterentwickelt. Bsp. UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 14 ff. in den Fußnoten. Verbot der Vertretung einzelner Komiteemitglieder bei der Abstimmung nach MP.PP/C.1/2003/2, Nr. 12. 199  S. dazu Kapitel 3 B. II. 2. b). 200  Die im Zitat zum Ausdruck gebrachte Überraschung basiert darauf, dass in diesem Vertrag eine Mehrheitsentscheidung möglich wäre. Vgl. Staal, After Agreement, 2018, S. 240. 201  Milano, The Outcomes of the Procedure, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 407–418, S. 411. 202  Herausragend ist die Dokumentation innerhalb der Aarhus Konvention.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

staatenkonferenz. Weitere Dokumente des Verfahrensablaufs sind nur selten verfügbar. Ebenfalls fehlen zusammenfassende und übersichtliche Kurzmitteilungen (wie zum Beispiel Pressemitteilungen). Die wenigen ausführlichen Abschlussberichte sind meistens (grob) wie folgt aufgebaut: Sie beginnen mit einer Überschrift, die eine Bezeichnung der Partei, des Komitees und das Datum der Entscheidung enthält sowie einen Hinweis darauf gibt, welche Organisation oder Einheit die Eingabe getätigt hat. Die Eingabe, die zur Aufnahme des Verfahrens geführt hat, wird als erstes zusammenfassend wiedergegeben. Es folgen die Beschreibung des weiteren Verfahrensablaufs, die Sachverhaltsdarstellung sowie die Nennung aller relevanten Normen unter Bezugnahme auf die Inhalte der getätigten Eingabe und die Stellungnahme der betroffenen Partei. Zuletzt ergeht die Entscheidung des Komitees. Eine Compliance-Entscheidung hat zweierlei Inhalt. Zum einen ergeht eine Entscheidung mit konkreten Empfehlungen gegen den betroffenen Staat, und zum anderen ist eine Auslegung des völkerrechtlichen Vertrags in der Entscheidung enthalten:203 Die Entscheidung des Compliance Committee selbst ergeht begründet, damit sie für die betroffene Partei nachvollziehbar ist.204 In der Begründung, ob ein Staat eine Vertragsnorm eingehalten hat oder nicht, muss sich das Gremium immer mit dem Inhalt der Norm und daher mit der Interpretation des Vertragstexts sowie des nationalen Rechts auseinandersetzen.205 Das gilt selbst für Fälle, in denen nur das Erreichen einer bestimmten Prozentzahl geprüft wird. Hier muss beispielsweise geklärt werden, welche Faktoren in die Berechnung einfließen.206 Bei der Beurteilung der Rechtslage wird auch Bezug auf die bisherige Spruchpraxis des Komitees genommen. Das Committee sieht sich bei seiner Entscheidungsreichweite allem Anschein nach nicht an den Umfang des Antrags gebunden, sondern nimmt bei der Wahl des Auslegungsumfangs Ermessen in Anspruch.207 203  Diese zwei Dimensionen, betitelt mit „Der Fall und die Zukunft“, genannt von v. Bogdandy/Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 142 ff. 204  Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 402. 205  S. als Bsp. die ImplAlp/2015/22/5a/2 (Entscheidung Egartenlandschaft um Miesbach), S. 12 ff., wo Art. 11 Abs. 1 Naturschutzprotokoll ausgelegt wurde; vgl. allgemein Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 378; auch Meyer, AJIL Unbound 2014, 93–98, 93. Das kann bisweilen auch sehr tief in das nationale Recht einsteigen, wenn bspw. die Staats- und Behördenorganisation auf den Prüfstand gestellt wird, die für die Ermittlung von Umweltdaten zuständig ist (im Rahmen des Kyoto Protokolls CC-2012-1-9/Slovakia/EB) oder das Prozessordnung des Staats betreffen (im Rahmen der Aarhus Konvention Decision V/9 h). 206 So bspw. die Entscheidung gegen die Slowakei vor dem Enforcement Branch des Nichteinhaltungsverfahrens des Kyoto Protokolls, CC-2012-1-9/Slovakia/EB vom 17. August 2012. 207  Nur selten geregelt, aber bei der Aarhus und der Alpenkonvention zu finden, vgl. z. B. Kapitel 1 C. III. 2. g).



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Die Vertragsauslegung ist der – für manche Beobachter vielleicht überraschende – zentrale Zweck des Compliance-Mechanismus. Der Umsetzungskorridor, den der oft vage Vertragstext lässt, wird durch die Compliance-Entscheidungen Stück für Stück verringert: „Put differently, compliance is often just one part of a larger contest between states over the content of legal obligations.“208 Die Rechtsanwendung mit Bezug auf einen konkreten Fall ist immer (auch) ein Rechtserzeugungsakt:209 Die Entscheidungen von Compliance Committee sind auch „darauf ausgerichtet, autoritative Prämissen für spätere Rechtsdiskurse niederzulegen und damit die Rechtsentwicklung zu prägen.“210 Die autoritative Auslegung durch die Vertragsstaatenkonferenz – angelehnt an die völkerrechtlichen Vorgaben des WÜV – kann selbst eine Abänderung des Vertragstexts beinhalten.211 Ein Kanon an Auslegungsregeln und -grenzen ist dabei für das neue Instrument der Compliance-Kontrolle in keinem Vertrag festgelegt worden. Ein Regelungsbeispiel findet sich unter anderem im WTO-Recht in Art. 3 Abs. 2 DSU: „Recommendations and rulings of the DSB cannot add to or diminish the rights and obligations provided in the covered agreements.“212 Schlussendlich wird die Feststellung getroffen, ob die Partei den Vertrag einhält oder nicht. Es folgen am Ende – teilweise nach einer kurzen Zusammenfassung der Entscheidungsgründe – sogenannte Empfehlungen (engl. recommendations), wie die betroffene Partei wieder zur Vertragserfüllung zurückkehren, also zum Beispiel die eigene Rechtslage an die völkerrechtliche anpassen kann. Dies kann mit Angeboten finanzieller oder anderweitiger Unterstützung ergänzt werden. Adressat der Komiteeentscheidung ist dabei formal gesehen die Vertragsstaatenkonferenz. Diese übernimmt indes den vorformulierten Text zumeist wörtlich. Inhaltlich-sprachlich richtet sich die Entscheidung daher bereits an den betroffenen Staat. Wegen der langen Zeitabstände zwischen den Vertragsstaatenkonferenzen ist teilweise auch eine allein komiteeseitige Vorveröffentlichung der Entscheidung möglich. De facto handelt es sich bei der Entscheidung des Komitees bereits um eine letztgültige Entscheidung. Die gewählte Sprache zeichnet sich bei den umfangreicheren Berichten durch einen hohen Detail- und Konkretisierungsgrad aus. Es wird in den aus208 

Meyer, AJIL Unbound 2014, 93–98, 94. ideengeschichtlich aufgearbeitet von v. Bogdandy/Venzke, In wessen Namen?, 2014, u. a. S. 136–142. 210  In Bezug auf internationale „judizielle Institutionen“ v. Bogdandy/Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 143. 211  Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV; vgl. Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 105–122, S. 111. 212  Auch angeführt von v. Bogdandy/Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 143, die ebenfalls darauf verweisen, dass diese Regelung die eigenständige Rechtserzeugung der Streitbeilegungsgremien nicht hat unterbinden können. Weitere dort genannte Bsp.: Art. 59 IGH-Statut, Art. 1136 Abs. 1 NAFTA und Art. 54 ICSID-Konvention. 209 Umfangreich

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

führlichen Berichten häufig eine juristische und in den kürzeren eher eine diplomatische Fachsprache verwendet.213

VIII.  Ausgang des Verfahrens Das Compliance Committee stellt die Nichteinhaltung des Vertrags oder einzelner Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz214 (meistens im Konsens)215 fest. Darauf aufbauend empfiehlt sie der Vertragsstaatenkonferenz Maßnahmen,216 wie die Vertragseinhaltung zukünftig wiederhergestellt werden kann. Die endgültige Entscheidung trifft die Vertragsstaatenkonferenz.217 Diese billigt die Entscheidung des Komitees und nimmt sie in aller Regel ohne Änderungen218 im Konsens an. Das Komitee kann häufig zweierlei Konsequenzen für den nichterfüllenden Staat empfehlen: Die erste und überwiegende Wahl fällt dabei auf Mittel der Hilfestellung und Kooperation (Managerial-Ansatz219).220 213  Als Bsp. einer „juristischen“ Sprachwahl dienen die Berichte der Aarhus Konvention (Kapitel 1 C. II. 2. g)) und der Alpenkonvention (Kapitel 1 C. III. 2. g)) und als Bsp. einer „diplomatischen“ Sprachwahl die Berichte des Montrealer Protokolls (Kapitel 1 C. I. 2. g)). 214  Um die Nichteinhaltung der „Guidelines for national systems for the estimation of anthropogenic greenhouse gas emissions by sources and removals by sinks under Article 5, paragraph 1, of the Kyoto Protocol“ eine Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz des Kyoto Protokolls (Annex der Decision 19/CMP.1) ging es im Verfahren des Enforcement Branch gegen die Slowakei CC-2012-1-7/Slovakia/EB. 215  Z. B. verankert in der Rechtsgrundlage des 2019 eingesetzten Compliance-Mechanismus der Rotterdam Konvention Decision RC 9/7, Nr. 10. Dort ist geregelt, dass die Abstimmung mit 4/5-Mehrheit nur das „letzte Mittel“ sein kann. 216  Es wählt dafür meistens aus einem vorgegebenen Maßnahmenkatalog aus. 217  Es sind auch Varianten möglich, bei denen beide – das politische Organ und das Kontrollorgan – an der Beschlussfassung beteiligt werden. Verkörpert von dem Basler Übereinkommen, der Aarhus Konvention und dem Cartagena Protokoll. Hier setzt das Compliance Committee die assistierenden Konsequenzen fest, während das politische Organ schärfere Konsequenzen beschließt. Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 436. Ausnahme bildet das Kyoto Protokoll: Die Vertragsstaatenkonferenz ist nicht an der Abschlussentscheidung beteiligt, Decision 27/CMP.1, VIII. 2. 218  Wenn nur redaktioneller Art. Bsp. der Aarhus Konvention: auf der 6. Sitzung der COP am 11.–13. September 2017 brachte die EU einen Vorschlag zur Änderung einer (sie selbst betreffenden) Entscheidung des Compliance Committee ein (Rn. 55) und provozierte heftigen Widerspruch. Stellvertretend für viele, die Schweiz: „[T]he proposal by the European Union put[s] into peril the long-standing practice of the Meeting of the Parties to endorse findings of the Compliance Committee on a consensus basis and to take action according to its recommendations.“ (Rn. 58). 219  Der Managerial-Ansatz basiert auf folgender Annahme: Non-Compliance geschieht meistens „unabsichtlich“ und ist auf administrative Schwierigkeiten oder normative Ungenauigkeiten zurückzuführen. Die Antwort darauf sollte daher unterstützender Natur sein. Vgl. Chayes/Handler Chayes, IO 1993, 175–205, 204. 220  Beyerlin/Marauhn, Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung, 1997, S. 85 ff.; Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 476 ff.; Kreuter-Kirchhof, Neue Kooperationsformen, 2005, S. 63 ff.



B.  Das Compliance-System: Verhaltenssteuerung im Umweltvölkerrecht

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Ist auf diesem Weg keine Vertragserfüllung zu erreichen, kann die Einhaltung auch durch Sanktionen221 erzwungen werden (Enforcement-Ansatz222) – darunter kann der Ausschluss von Hilfszahlungen oder die Suspendierung vom vertraglichen Stimmrecht fallen.223 Beides zusammengefasst ergibt eine „carrot and stick“224-Methode. Das Komitee hat für gewöhnlich die Wahl, welche Umsetzungsmittel es der Vertragsstaatenkonferenz vorschlagen möchte.225 Das Compliance-Verfahren ist nach der Annahmeentscheidung durch die Vertragsstaatenkonferenz in aller Regel nicht beendet. Es schließt sich der für das Nichteinhaltungsverfahren sehr relevante Nachhalteprozess (sogenannte vierte Phase) an, der darauf gerichtet ist, den nichterfüllenden Staat auf den durch das Komitee vorgezeichneten Weg zur „korrekten“ Vertragserfüllung zurückzuführen. Der betroffene Staat erstattet regelmäßige Umsetzungsberichte, die vom Komitee analysiert, bewertet und im Anschluss mit einem Fortschrittsbericht auch wieder an die Vertragsstaatenkonferenz weitergegeben werden. In den nachfolgenden Vertragsstaatenkonferenzen werden „abgeschlossene“ Compliance-Fälle immer wieder thematisiert und die Fortschritte nachvollzogen. Sofern nötig trifft die Vertragsstaatenkonferenz auch nochmals Entscheidungen, um den betroffenen Staat zur Vertragserfüllung zu bewegen bzw. ihm die Vertragserfüllung zu ermöglichen.226 Eine Entscheidung, dass „keine Nichterfüllung“ vorliegt, der Staat den Vertrag also nach Auslegung der Vertragsstaaten korrekt umsetzt, wird jedoch nicht auf gleiche Weise durch die Vertragsstaatenkonferenz angenommen. Hier er221  Eindrückliches Beispiel ist die „kollektive Retorsion“ der Vertragsstaaten von CITES, wo sogar ein relativ umfassendes Handelsembargo drohen kann. Vgl. Sand, Japans „Forschungswalfang“, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 681–710, S. 705 f. 222  Der Enforcement-Ansatz hat folgende zentrale Aussage: Dort wo Verträge eine sog. deep-cooperation erfordern, gleichzeitig aber auch ein hoher Anreiz besteht, Vertragsnormen nicht zu erfüllen, sollten zusätzliche Kosten und der Entzug von Privilegien Vertragsparteien auf den Weg der Normerfüllung führen, bei Downs/Rocke/Barsoom, IO 1996, 379–406. 223  Bspw. nach dem Kyoto Protokoll (Ausschluss vom Zertifikatehandel wie gegen Litauen in CC-2011-3-8/Lithuania/EB) oder Handelsverbote im Washingtoner Artenschutzabkommen. 224  Begriff bei Lang, ZaöRV 1996, 68­695, 687; Maßnahmen mit Sanktionscharakter sind in ihrer Reichweite erheblich eingeschränkt; Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 332; zit. Favre mit Bezug auf das Washingtoner Artenschutzabkommen „a more ‚toothless‘ provision would be hard to imagine“, Favre, A Guide to CITES, 1989, S. 297. Allgemein Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 332; Treves, Introduction, in: ders. u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 1­­8, S. 6 f. 225 Anhand des Kyoto Protokolls Kreuter-Kirchhof, Neue Kooperationsformen, 2005, S. 64. Mit Blick auf das allgemeine Völkerrecht ist dadurch eine Debatte entstanden, wie sich das Compliance-System zum allgemeinen Völkerrecht (Recht der Staatenverantwortlichkeit) verhält. Zentral ist dabei Art. 60 WÜV (Beendigung oder Suspendierung eines Vertrags infolge Vertragsverletzung). Exemplarisch für diese Debatte Koskenniemi, YIEL 1993, 123­162, vor allem 123–128. 226  Bewerten den Nachhalteprozess ebenfalls als zentralen Bestandteile gerade auch der Rechtswirkung des Compliance-Verfahrens, Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 40.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

folgt lediglich eine Zurkenntnisnahme, jedoch keine Entscheidungsannahme und in der Folge erlangen diese Entscheidungen keine hohe Publizität.227 Die decisions der Vertragsstaatenkonferenz stehen in der öffentlichen Wahrnehmung im Vordergrund.228 Die in den oben genannten Verfahren vorgenommene Auslegung nimmt daher nicht an der Spruchpraxis des Komitees teil.

IX. Kontrollmechanismen Das Komitee hat im Rahmen der individualisierten Compliance-Verfahren einige Entscheidungs- und Auslegungsspielräume. Diese Spielräume machen flankierende Kontrollen notwendig, da die Interpretationshoheit bei den souveränen Vertragsstaaten liegt. Denkbar sind vier Kontrollelemente: – eine organschaftliche Kontrolle durch die Vertragsstaatenkonferenz, – eine zivilgesellschaftliche Kontrolle durch Privatpersonen oder NGOs, – eine verfahrensimmanente Kontrolle dadurch, dass der betroffenen Partei Verfahrens- und Verteidigungsrechte gewährt werden sowie – eine nachträgliche Überprüfung durch eine Berufungs- bzw. Beschwerdemöglichkeit. Das Compliance-System ist mit einem gerichtlichen Verfahren nicht vergleichbar, weshalb auch die in demokratischen Gemeinwesen vorgesehene gegenseitige Kontrolle „der Gewalten“ im Vertragssystem nicht gegeben ist. Die Entscheidungen des Compliance Committee können jedoch mittelbar durch die Vertragsstaatenkonferenz eine Revision erfahren – sie setzt das Committee ein und nimmt schlussendlich auch den Bericht an. In manchen Verträgen ist ferner die Kontrolle durch die Zivilgesellschaft, also zumeist NGOs, vorgesehen. Das soll die Komitees im Vergleich zur organschaftlichen Kontrolle unabhängig machen.229 Voraussetzung für eine effektive Kontrolle durch außenstehende Akteure ist aber, dass die Verfahren transparent gestaltet sind, der betroffene Staat also in gewissem Umfang auf die Vertraulichkeit von Informationen verzichtet. Je offener ein Verfahren gestaltet ist, desto stärker kann die Kontrolle durch NGOs, aber auch andere politischer Akteure werden.230 Die Verfahrensrechte sind in den meisten Fällen umfangreich ausgestaltet. Es wird großteils versucht, ein faires Verfahren und – zu hinreichenden Gele227 Bei

Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 41. dazu nur die Entscheidungssammlung Andrusevych/Kern (Hrsg.), Case Law,

228 Vgl.

2016.

229  Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 368. 230  Ähnliche Bedenken auch bei Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 369.



C.  Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge

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genheiten – rechtliches Gehör zu gewähren. Es fehlen jedoch fast immer retrospektive Beschwerde- und Berufungsmöglichkeiten. Bis auf das Kyoto Protokoll sieht kein Vertrag eine solche Option vor.

C.  Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge Es ist deutlich geworden, dass die Compliance-Mechanismen bei aller Gemeinsamkeit in den einzelnen Vertragswerken sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Das trifft auch auf die drei Beispielverträge zu: – Das Compliance-System des Montrealer Protokolls stellt den „Prototyp“ der umweltvölkerrechtlichen Nichteinhaltungskontrolle dar. Es dient dieser Arbeit zum einen als Beispiel eines Vertrags mit globaler Mitgliedschaft und zum anderen eines Vertrags, der mit einer internationalen Organisation institutionell verschränkt ist. – Die Aarhus Konvention ist ein regionaler Vertrag zwischen 47 Staaten. Sie fungiert in dieser Arbeit als Modell, um den Einfluss von NGOs auf das Compliance-Verfahren – bei der Verfahrenseinleitung und als Verfahrensbeobachter – zu diskutieren. Das erfolgreich durchgeführte Verfahren mit Deutschland als betroffener Partei stellt zudem den dieser Untersuchung gedanklich zugrundeliegenden „Präzedenzfall“ zur Übernahme einer Compliance-Entscheidung in das deutsche Recht dar. – Die Alpenkonvention bildet den Gegenpol zum Montrealer Protokoll – die Mitgliedschaft ist auf die acht Alpenanrainerstaaten und die EU begrenzt.231 Der Vertrag interessiert als Fallbeispiel durch den „intergouvernementalen“ bzw. horizontalen232 Ansatz bei der Besetzung und Mandatierung des Komitees, obwohl zugleich NGOs in einem außergewöhnlichen Umfang Teil der Verfahren sind. Auch im Rahmen dieser Konvention ist Deutschland betroffene Partei eines Verfahrens gewesen.

I.  Montrealer Protokoll: Der Vorreiter 1. Einführung Es ist keine Übertreibung, das Montrealer Protokoll von 1989 als „Star“ unter den umweltvölkerrechtlichen Verträgen zu bezeichnen. Das Rechtsregime zum 231 

Der Vorwurf, von Compliance-Verfahren seien hauptsächlich Entwicklungsländer und nicht Industriestaaten betroffen, geht bei diesem Vertrag ins Leere. Allgemein zu dieser Diskrepanz zwischen den Staatengruppen, Bodansky/Brunnée/Hey, International Environmental Law. Mapping the Field, in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 1–25, S. 2. 232  Auch für das Montrealer Protokoll verwandt von Yoshida, CJIELP 1999, 95–141, 139.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Schutz der Ozonschicht hat als „Pionier“ (auch Trendsetter genannt)233 das Umweltvölkerrecht maßgeblich fortentwickelt – insbesondere auch durch die Aufstellung des ersten Non-Compliance-Verfahrens234 innerhalb eines völkerrechtlichen Vertrags (1992). Dessen Einführung hat eine wissenschaftliche Debatte um Compliance als Instrument des Völkervertragsrechts ausgelöst. Bis heute dient der Mechanismus als Modell für die Einführung neuer Compliance-Verfahren.235 Das Montrealer Protokoll goss zudem mittels spezieller finanzieller Unterstützungsmaßnahmen das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung als eines der ersten in Vertragsform.236 Es wurde zu einem Zeitpunkt abgeschlossen, zu dem die naturwissenschaftliche Aufarbeitung des komplexen Systems der Ozonschicht noch nicht abgeschlossen war, und basierte somit auf dem Vorsorgeprinzip237. Es führte damit ebenfalls ein, dass die flexible Anpassung eines völkerrechtlichen Vertragswerks an neue wissenschaftliche Erkenntnisse möglich sein soll.238 Zum Teil wegen der institutionellen Erneuerungen239 ist es einer der erfolgreichsten umweltvölkerrechtlichen Verträge.240 Dem Montrealer Protokoll ist die Konvention zum Schutz der Ozonschicht (Wiener Übereinkommen) übergeordnet. Die 1985 verabschiedete und drei Jahre später in Kraft getretene Konvention ist ein globales Umweltabkommen mit dem Zweck, den Abbau der Ozonschicht zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zu bekämpfen. Sie hat mittlerweile 197 Signatarstaaten241 und damit eine sogenannte universelle Mitgliedschaft. Art. 2 legt das 233  Bothe, Vollzugsdefizit im Völkerrecht, in: Cremer (Hrsg.), FS Steinberger, 2002, S. 83– 96, S. 85; „bahnbrechend[…]“ Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 91; „hat auch heute noch Vorbildcharakter“ bei Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 252. 234 Auch anlassbezogenen Kontrolle oder Ad-hoc-Verfahren genannt: Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 699. 235  Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 489. 236  Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 475. 237  In Präambel benannt „precautionary measures“. Grundlage Grundsatz 15 der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung: „Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.“ 238  Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 472 f. 239  Eigene Aussage auf der Website: „The governance structure […] is one of the key drivers of the treaties’ success.“ Unter: https://ozone.unep.org/institutions (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Progressive Regelungstechnik und innovativer institutioneller Aufbau umfangreich aufgearbeitet bei Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 91 ff. 240  Koskenniemi, YIEL 1993, 123–162, 128; Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 471. 241  Stand 15. Mai 2017 unter: https://web.archive.org/web/20130602153542/http://ozone.



C.  Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge

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grobe Ziel der Übereinkunft, den Schutz der Ozonschicht, fest. Zur konkreten Ausgestaltung der dazu notwendigen Verpflichtungen wurde 1987 das Montrealer Protokoll angenommen, das die fortschreitende Eliminierung ozonschädigender Substanzen zum Ziel hat und recht konkrete an die Vertragsstaaten gerichtete Verpflichtungen beinhaltet, um dieses Ziel zu erreichen. Es trat 1989 in Kraft. Das Montrealer Protokoll umfasst vereinfacht drei – für das Umweltvölkerrecht ungewöhnlich klar formulierte – Pflichten. Die Vertragsstaaten müssen – die Produktion und den Verbrauch von Stoffen, die Anlagen A bis E erfassen, schrittweise auf Null reduzieren. Der Handel mit gelisteten Stoffen ist verboten (Art. 2–5 MP). – dem Sekretariat regelmäßig über die Menge der Produktion und die Ein- und Ausfuhr (und damit auch über den Verbrauch, Art. 1 Abs. 6 MP) der gelisteten Stoffe berichten (Art. 7 MP). – den Vertragsstaaten, die von Art. 5 MP umfasst sind (in der Entwicklung befindliche Länder), finanzielle und technologische Unterstützung zur Zielerreichung zukommen lassen (Art. 10, Art. 10a MP). Das Wiener Übereinkommen und das Montrealer Protokoll verfügen über einen institutionellen Unterbau bestehend aus je einer Vertragsstaatenkonferenz und einem gemeinsamen Sekretariat (genannt The Ozone Secretariat). Beide verfügen über einen oder mehrere wissenschaftlich-technische Ausschüsse. Sie aktualisieren die den Verträgen zugrundeliegenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse fortlaufend. Das Montrealer Protokoll ist ungleich komplexer „ausgestattet“ als das Wiener Übereinkommen. Dem institutionellen Rahmen aus Vertragsstaatenkonferenz und Sekretariat sind drei „Zweige“ untergeordnet: ein finanzieller Mechanismus, eine Vielzahl von naturwissenschaftlichen Fachgremien und ein Compliance-Mechanismus, dessen Organ das sogenannte Implementation Committee ist. Von 1990 bis 1995 war das Implementation Committee hauptsächlich mit dem Aufgabenbereich der Berichterstattung beschäftigt. Zunächst war das Komitee ohnehin nur als Provisorium angelegt und wurde erst später zu einem ständigen Organ des Vertrags. Erst ab 1995 nahm es neben seiner Tätigkeit der Informationsbeschaffung und -verwaltung auch einzelne Fälle zur Bearbeitung an.242 1998 wurde das Compliance-Verfahren des Montrealer Protokolls angepasst, um ungenaue Normen zu spezifizieren und Verfahrensrechte genauer zu fassen.243 unep.org/new_site/en/montreal_protocol.php (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Zur Entwicklung des Wiener Übereinkommens mwN Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 123 ff. 242  Lang, ZaöRV 1996, 685–695, 690; Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 182 f. 243  Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 394.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

2.  Der Compliance-Mechanismus im Detail a) Ermächtigungsgrundlage Das Montrealer Protokoll regelt den Non-Compliance-Mechanismus selbst nicht. Art. 8 iVm Art. 11 Abs. 3 lit. d) MP sehen lediglich für die erste Sitzung der Vertragsstaatenkonferenz vor, dass hier über einen solchen beraten und abgestimmt werden soll. Art. 8 MP: Die Vertragsparteien beraten und genehmigen auf ihrer ersten Tagung Verfahren und institutionelle Mechanismen für die Feststellung der Nichteinhaltung der Bestimmungen dieses Protokolls und das Vorgehen gegenüber Vertragsparteien, die das Protokoll nicht einhalten.

Die Vorschrift wurde erst kurz vor Verabschiedung des Protokolls von den USA mit dem Ziel in den Text eingebracht, Handelssanktionen gegen nichterfüllende Vertragsstaaten ergreifen zu können.244 Ein vollständiges Compliance-Verfahren strebten die USA nicht an, da es ihnen maßgeblich um die wirtschaftlichen Aspekte (Wettbewerb) einer vertraglichen Nichterfüllung ging.245 Daher war auch die Rechtsnatur dieser – im Umweltvölkerrecht neuartigen – Bestimmung unklar.246 Mit der ersten Vertragsstaatenkonferenz des Montrealer Protokolls 1989 wurde eine Arbeitsgruppe zur (erstmaligen) Erarbeitung eines Non-Compliance-Mechanismus eingerichtet, mit der vierten Konferenz 1992 (Decision IV/5) wurde der Mechanismus von den Vertragsstaaten angenommen.247 Diese bestätigte damit Art. 8 MP als Rechtsgrundlage für die Einrichtung des Compliance-Mechanismus.248 Die Verhandlung des Non-Compliance-Verfahrens war langwierig249 und kompliziert – schließlich war es das erste Verfahren seiner Art im Umweltvölkerrecht. Es wurden verschiedene Vorschläge unter anderem seitens der USA, der Niederlande und Australiens eingebracht, die von der eigens dafür ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe evaluiert wurden. Die USA sowie einige andere Staaten bevorzugten einen „härteren“, sanktionsaffinen Ansatz, der sich stark an den bereits etablierten völkerrechtlichen Streitbeilegungsmechanismen orientierte, 244 

Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 143. Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 143 f. 246  Ehrmann bezeichnet die Norm treffend als „Merkposten“ für die erste Sitzung der Vertragsstaatenkonferenz. Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 144. 247  Das Compliance-Verfahren sei auf den Vertrag aufgepfropft worden bei Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 787. 248  Zur Diskussion um das „Wie“ der Einrichtung (Vertrag oder Vertragsänderung, einfache Abstimmung in der Vertragsstaatenkonferenz) ausführlich bei Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 150 f. 249  Die Verhandlungen zogen sich etwa über fünf Jahre hin. MwN zu der Entstehungsgeschichte des Verfahrens Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 142 und Yoshida, CJIELP 1999, 95–141, 101–104. 245 MwN



C.  Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge

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während die EG und andere Staaten einen weicheren, auf Motivation setzenden Ansatz präferierten. Dieser Ansatz entfernte sich stark von den bekannten Mustern der bilateralen Streitbeilegung.250 Die Arbeitsgruppe einigte sich in der ersten Sitzung auf acht grundlegende Charakteristika, die das Non-Compliance-Verfahren ausmachen sollte. Auszugsweise: Es sollte sich um ein nichtkonfrontatives Verfahren handeln. Ein unnötig komplexes System der Erfüllungskontrolle sollte vermieden werden. Die Nichteinhaltung des Vertrags sollte durch frühzeitige Reaktionen der Vertragsparteien – beispielsweise Maßnahmen des Sekretariats oder diplomatische Verhandlungen – behoben werden. Die Bezeichnung als Non-Compliance-Verfahren sollte klarstellen, dass Entscheidungen nur empfehlenden und keinen bindenden Charakter haben.251 Auf dieser Grundlage erarbeitete die Arbeitsgruppe einen Vorschlag zur Errichtung eines aus Staatsvertretern bestehenden Implementation Committee, das Staatenbeschwerden entgegennehmen, bearbeiten sowie einer gütlichen Einigung zuführen sollte. Gerichtliche oder sogar gerichtsähnliche Funktionen wurden ausdrücklich ausgeschlossen, vielmehr war das vorgeschlagene Verfahren auf Kooperation ausgerichtet. Die Vertragsstaatenkonferenz sollte die wesentlichen Entscheidungen treffen. Dieser Vorschlag wurde aufgrund erheblicher Einwände – kritische Stimmen wollten einen sanktionsorientierteren Prozess schaffen – nur vorläufig angenommen und die Arbeitsgruppe erneut für eine Überarbeitung beauftragt.252 Schlussendlich überarbeitete das Gremium das Verfahren nur partiell. Es fügte zum Beispiel einen nicht abschließenden Maßnahmenkatalog an. 1992 wurde der Mechanismus endgültig von der Vertragsstaatenkonferenz angenommen und ist seither an die Erfahrungen in der Praxis angepasst worden (Decision X/10, Annex II.).

b)  Institutioneller Aufbau Das Montrealer Protokoll verfügt über einen vergleichsweise umfangreichen Aufbau: Er besteht aus einer Vertragsstaatenkonferenz, einem unterstützenden Sekretariat, einem Implementation Committee, einem Multilateral Fund sowie dessen Unterorganen und einer Vielzahl wissenschaftlicher Ausschüsse. Das zentrale Organ ist die Vertragsstaatenkonferenz (Art. 11 MP). Sie überprüft beständig die Mechanismen des Abkommens und passt soweit nötig die Stofflisten im Anhang an. Sie entwickelt das Protokoll unter anderem durch Vertragsänderungen weiter – bisher bereits sechsmal. Art. 2 Abs. 9 MP sieht daneben auch die Möglichkeit der Vertragsänderung im Wege eines Anpassungs250  251 

Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 145 f.; Yoshida, CJIELP 1999, 95–141, 102. Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 476 f. 252  Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 147 f.; Yoshida, CJIELP 1999, 95–141, 102 ff.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

verfahrens vor (engl. adjustment procedure). In diesem Verfahren genügt eine Zweidrittelmehrheit, um bestimmte Pflichten der Vertragsstaaten neu zu definieren. Das Montrealer Protokoll betrat damit völkerrechtliches Neuland.253 Die Vertragsstaatenkonferenz behandelt auch die Berichte des Kontrollorgans und trifft eine letztgültige Entscheidung im Compliance-Verfahren. Die Sitzungen der Vertragsparteien sind offen für Vertreter von NGOs oder staatlicher Organisationen. Zusätzlich können Vertreter der UN sowie ihrer Unterorganisationen, der Internationalen Atomenergiebehörde sowie von Nichtvertragsstaaten als Beobachter teilnehmen (Art. 11 Abs. 5 MP). Die Vertragsstaatenkonferenz wird durch einen Ständigen Ausschuss (engl. Bureau of the Parties) unterstützt. Er koordiniert und überwacht die Unterausschüsse der Vertragsstaatenkonferenz vor allem in der Zeit zwischen den Treffen der Vertragsstaatenkonferenz. Bei ihm gehen außerdem die Sitzungsunterlagen des Sekretariats ein. Er ist mit der ersten Vertragsstaatenkonferenz 1989 eingerichtet worden. Das Sekretariat der beiden Verträge, das Ozone Secretariat, unterstützt die Vertragsstaatenkonferenz sowie das Compliance Committee in ihren Tätigkeiten (Art. 12 MP). Es wird von UNEP gestellt. Abgesehen von der zuarbeitenden Tätigkeit ist die zentrale und wichtigste Aufgabe des Sekretariats, Länderreports anzufertigen. Es nimmt damit eine Vermittlerrolle ein, da im Sekretariat alle Informationen der Mitgliedstaaten und weitere Informationen, die beispielsweise von NGOs vorgebracht werden,254 zusammenlaufen, zur ersten Durchsicht gelangen und an die Vertragsstaatenkonferenz respektive im Falle einer Nichteinhaltung des Vertrags das Implementation Committee weitergeleitet werden.255 Das Sekretariat nimmt darüber hinausgehend teilweise auch die Rolles eines (aktiven) Akteurs im Non-Compliance-Prozess ein.256 Schließlich basieren die Committee-Verfahren maßgeblich auf den Zusammenfassungen der Länderreports.257 Das Sekretariat nimmt zwar keine eigene, ausdrückliche Evaluation oder Verifikation der Daten vor, jedoch ist eine Auswahl, Zusammenstellung und Darstellung von Daten auch mit einer Bewertung derselben verbunden.258 Fernerhin hat das Sekretariat ein Initiativrecht im Compliance-Verfahren und dort zugleich eine Beratungsfunktion inne.259 Um den verschiedenen Aufgaben 253 

Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 458. 254  Goote, ILF 1999, 82–89, 87. 255  Jacur, Montreal Protocol, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 11–32, S. 16 ff. 256  Über die auch normativ einflussreiche Rolle des Sekretariats vgl. Bauer, The Ozone Secretariat, 2007. 257  So bewertet von Goote, ILF 1999, 82–89, 87. 258 Andeutend Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 141. 259  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 9.



C.  Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge

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gerecht zu werden, ist das Sekretariat selbst in Fachabteilungen untergliedert und verfügt beispielsweise über einen sogenannten Monitoring and Compliance Officer sowie einen Senior Legal Officer. Das Implementation Committee ist das ausführende Organ des ComplianceMechanismus und soll die Vertragsstaatenkonferenz bei der Überwachung der Umsetzung (eines Großteils260) der Vertragsnormen durch die Vertragsstaaten unterstützen. Es ist mit zehn Vertretern der Vertragsstaaten besetzt. An den zweimal im Jahr stattfindenden Sitzungen nehmen neben den Mitgliedern des Komitees viele verschiedene Vertreter anderer Vertragsorgane oder Organisationen als Beobachter teil, darunter Vertreter des Ozone Secretariat, des Multilateral Fund Secretariat und des Exekutivbüros des Fonds sowie der (internationalen und bilateralen) Durchführungsagenturen261 des Fonds und der Globalen Umweltfazilität (engl. Global Environmental Facility, GEF), die vor allem für die finanzielle Unterstützung von Entwicklungsländern zuständig sind. Nicht zuletzt kann die betroffene Partei teilnehmen.262 NGOs dürfen zwar das Sekretariat anrufen, um Bedenken über die Vertragseinhaltung zu äußern, aber nicht an den Sitzungen teilnehmen.263 Die zugelassenen Beobachter können und sollen zum Teil an den Beratungen in einzelnen Compliance-Fällen mitwirken.264 Fernerhin wurde ein Finanzierungsmechanismus eingesetzt: der Multilateral Fund. Seine Einrichtung diente dazu, die sich entwickelnden Länder (insbesondere China und Indien) „mit ins Boot“ zu holen. Ihnen kommen für ihre Mitwirkung bei der Reduktion ozonschädigender Gase bei Produktion und Konsumption Finanzhilfen zu.265 Die finanzielle Last tragen maßgeblich die Industrienationen. Für die Verwaltung und die Durchführung der finanziellen Hilfen bedient sich das Protokoll der Weltbank, des UNEP, des UNDP und der UNIDO. Deren Tätigkeiten werden wiederum von einem Exekutivausschuss der Vertragsstaaten angeleitet und überwacht, der paritätisch aus Geber- und möglichen Empfängerländern zusammengesetzt ist.266 Der Multilateral Fund soll Entwicklungsländer bei der Erfüllung der Vertragspflichten unterstützen. 260  Eine Liste der überprüfbaren Artikel findet sich in: The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 8 f.; wissenschaftliche Aufarbeitung des Entstehungsprozesses dieser Liste bei Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 152. 261  Internationale Durchführungsagenturen in diesem Sinne sind UNDP, UNEP, UNIDO, Weltbank. The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 11. 262  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 8 ff. 263  Jacur, Montreal Protocol, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 11–32, S. 16 ff. 264  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 15. 265 Mit Bezug auf die Verhandlungsgeschichte Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 127 f. 266 MwN Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 138 f.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Bei der Nichteinhaltung des Vertrags können seit 1994 Zahlungen gekürzt werden, um so beispielsweise durchzusetzen, dass die Staaten ihren Informationspflichten nachkommen (Decision IV/5). Somit ist der Multilateral Fund ein nicht unerheblicher (wenn auch nicht institutioneller) Bestandteil des Compliance-Systems.267

c) Mitgliedschaft Das Implementation Committee ist aus zehn Vertretern der Vertragsstaaten zusammengesetzt – damit sind nur etwa 5% der Vertragsparteien im Komitee vertreten. Sie werden von der Vertragsstaatenkonferenz für eine Laufzeit von zwei Jahren gewählt, wobei auf eine gleichmäßige geographische Verteilung geachtet wird. In der Praxis werden je zwei Vertreter jeder Regionalgruppe der UN benannt. Um Kontinuität (und damit Erfahrung und Expertise) zu wahren, wird jährlich nur die Hälfte der Mitglieder ersetzt (Decision IV/5, Annex IV. 5.) – je ein Vertreter pro Regionalgruppe.268 Es werden Staaten und keine Einzelpersonen benannt.269 Eine besondere Expertise der gesandten Vertreter ist nicht erforderlich. Da die einzelnen Staaten Komiteemitglieder sind, muss sich dasjenige Komiteemitglied aus den Beratungen zurückziehen, dessen Fall verhandelt wird.270 Das Komitee wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden sowie einen Stellvertreter, deren Ernennung von der Vertragsstaatenkonferenz nur bestätigt wird. Um auch hier eine ausgewogene Repräsentation der großen Zahl an Vertragsparteien herzustellen, sollte einer von beiden eine Industrienation und der andere eine sich entwickelnde Nation repräsentieren. Neben der Sitzungsleitung und Berichterstattertätigkeit vertritt der Vorsitzende das Komitee auch bei den Sitzungen des Exekutivausschusses des Multilateral Fund.271

d) Auslösemechanismus Das Compliance-Verfahren kann entweder vom Sekretariat, von einer anderen Vertragspartei oder durch eine Selbstanzeige ausgelöst werden: Das Sekretariat kann ein Verfahren in Gang setzen, wenn ihm im Zuge der regelmäßig einzureichenden Statusberichte ein Missstand auffällt. Dem Sekre267  Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 480. 268  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 7. 269  Theoretisch können dadurch im Laufe der zwei Jahre verschiedene Personen das Amt ausfüllen bei Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 163. 270  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 15. 271  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 8.



C.  Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge

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tariat kommt ein gewisser Ermessensspielraum zu, ob es ein Verfahren vor dem Compliance Committee einleitet.272 Das Komitee hat sich des Falles hingegen anzunehmen. Die meisten Fälle werden durch das Sekretariat ausgelöst. In der Regel geht es in diesen Fällen um Versäumnisse in der Auslaufphase verschiedener gelisteter Stoffe, die im Rahmen der jährlichen Datenkontrolle auffallen.273 Die Selbstbelastung ist ebenfalls eine öfters genutzte Variante, ein Verfahren vor dem Erfüllungskomitee einzuleiten.274 In den 1990er Jahren zeigten insbesondere Nicht-Art. 5-Staaten mit im Übergang befindlichen Wirtschaftssystemen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Konvention vor dem Komitee an.275 Die grundsätzlich mögliche Belastung durch eine oder mehrere andere Parteien (engl. genannt reservations) erfolgte bisher nicht.276 Sie müsste mit zusätzlichen Informationen unterfüttert werden, mit der die Belastung zu begründen ist.

e)  Verfahrens- und Verteidigungsrechte Die Rechtsgrundlage des Compliance-Mechanismus in Decision IV/5, Annex IV. in der reformierten Fassung von 1998 (Decision X/10) besteht lediglich aus 16 Vorschriften. Die Verfahrensordnung der Vertragsstaatenkonferenz ist zwar sinngemäß auf das Compliance-Verfahren anzuwenden (Decision I/1, Annex I, 26. Abs. 6). Das Verfahren vor dem Komitee ist jedoch zu einem großen Teil durch die Praxis (engl. custom and precedent)277 geprägt und gestaltet worden.278 Eine Art Handreichung (engl. Primer) dient als ergänzende provisorische Geschäftsordnung, um das Verfahren für Außenstehende verständlich zu machen.279 Verfahrensbeteiligte können sich zwar noch weniger als bei einer Geschäftsordnung ohnehin auf dort „verbürgte“ Rechte berufen. Dennoch dient das Dokument als Anspruch des Komitees an sich selbst, Verfahrensrechte einzuhalten. Nicht zuletzt soll die schriftliche Zusammenstellung den Transparenz272  273 

S. 13.

So auch Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 157. The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007,

274  Jacur, Montreal Protocol, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 11–32, S. 20 f. 275  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 13. 276  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 13. 277  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007. 278  Darunter z. B. auch, welche Verhaltensweisen unter Nichteinhaltung gefasst werden und welche Konsequenzen das Verfahren für den betroffenen Staat haben soll. Ehrmann vollzieht nach, wie der Überprüfungsausschuss zu der Praxis gelangt ist, mangelhafte Berichterstattung als Non-Compliance zu werten, Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 183–190. 279  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

und Nachvollziehbarkeitsanspruch des Verfahrens erfüllen. Beispielsweise findet man in der Handreichung eine Mustertagesordnung und vorformulierte Standardentscheidungen.280 Betroffene Parteien und Beobachter können die Arbeit des Organs durch die bereits vorformulierten Standardentscheidungen, (nach-)verfolgen und kontrollieren.281 All diese Aufklärungsmaßnahmen verringern den Eindruck, nur Eingeweihte könnten das Verfahren nachvollziehen. Auf der anderen Seite tagt und verhandelt das Komitee unter Ausschluss der (nichtstaatlichen) Öffentlichkeit, die Beratungen der Mitglieder finden in gänzlich geschlossenen Sitzungen statt. Die Transparenz des Verfahrens wird allerdings dadurch gestärkt, dass immerhin die endgültigen Empfehlungen des Implementation Committee online abgerufen werden können.282 Dass die Transparenz und Offenheit des Verfahrens im Rahmen des Montrealer Protokolls so stark begrenzt sind, liegt vor allem daran, dass von Anfang der Verhandlungen des Compliance-Mechanismus an die Vertraulichkeit der eingereichten Daten ein zentrales Thema war. Denn ein Kernelement des Vertrags sieht den regelmäßigen Technologieaustausch zwischen den Vertragsstaaten vor. Die thematische Ausrichtung des Protokolls macht den Datentransfer insbesondere für Private heikel, in diesem Falle vor allem die chemische Industrie, die die gelisteten Stoffe produziert oder verwendet. Sie sorgen sich um ihre betrieblichen Geheimnisse und deren Preisgaben (insbesondere) gegenüber ausländischen Konkurrenten.283 In den Verhandlungen des Compliance-Mechanismus wurde zum Beispiel die Diskussion um die Einleitung durch NGOs oder Privatpersonen oder um die Veröffentlichung von Compliance-Berichten von dieser Sorge überlagert.284 Heute spielt das Thema der Vertraulichkeit bei den allgemeinen Berichtspflichten nach Art. 7 MP eine besondere Rolle, tritt aber auch im Compliance-Verfahren offen zu Tage: Decision IV/5, Annex IV. 15. hat die Bedenken in eine rechtliche Form gegossen: „The members of the Implementation Committee and any Party involved in its deliberations shall protect the confidentiality of information they receive in confidence.“ Die betroffene Partei wird stark in das Verfahren miteinbezogen und erhält bereits im Vorverfahren, das noch beim Sekretariat angesiedelt ist, rechtliches Gehör. Sie kann sich jederzeit mit Erklärungen oder Aktionsplänen gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen. Die Partei wird also nicht erst vor dem Überprüfungsausschuss um eine Stellungnahme gebeten, sondern kann bereits vor dem Beginn des Überprüfungsverfahrens ein solches abwenden. 280  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 21 f. 281  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 22–37. 282 Unter: https://ozone.unep.org/fr/list-of-implementation-committee-recommendations (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 283  Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 136. 284  Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 161, S. 179.



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f) Verfahren Das Verfahren vor dem Implementation Committee ist in sechs Phasen eingeteilt. Phase 1 umfasst die Vorlage eines „Falles“ über einen der drei dafür vorgesehenen Mechanismen (Einleitung durch das Sekretariat, Selbst- oder Drittbelastung). Die Phase 2 nennt sich Preliminary Clarification. Noch befindet sich der Fall „beim Sekretariat“. Dieses benachrichtigt die betroffene Partei über die Vorlage und bittet hierzu um Stellungnahme. Das Sekretariat richtet sich mit einem zusammenfassenden Bericht – auch bestehend aus den dem Sekretariat selbst vorliegenden Informationen beispielsweise über finanzielle Hilfestellungen oder Trends in Verbrauch und Produktion von Stoffen – an das Compliance Committee.285 In Phase 3 berät das Komitee in einer oder mehreren Sitzungen über den Fall. Die betroffene Partei erhält die Möglichkeit, weitere Informationen einzureichen – es müssen immer eine Erklärung für die Abweichung sowie ein Aktionsplan für die Rückkehr zur Compliance eingereicht werden.286 In seiner Auseinandersetzung mit dem Fall stützt sich das Komitee maßgeblich auf einen vom Sekretariat erstellten ersten Entwurf mit Empfehlungen (engl. draft recommendations) für die säumige Partei.287 Ergibt sich bei der Aufarbeitung des Falles durch das Ozone Secretariat kein weiterer Verhandlungsbedarf, kann die Phase 3 beim Compliance Committee auch in einer pauschalen Annahme (engl. blanket approval) des Sekretariatsentwurfes ohne weitere Verhandlung bestehen.288 Ein möglicher Verhandlungsbedarf des Komitees muss gesondert von einem Komiteemitglied angezeigt werden.289 Dieses Vorgehen legt nahe, dass die pauschale Annahme des Sekretariatsentwurfs die Regel, die Verhandlung innerhalb des Komitees die Ausnahme darstellt. In Phase 4 werden Empfehlungen an die betroffene Partei (oder an mehrere Parteien gemeinsam) ausgearbeitet, der abschließende Bericht formuliert 285  Eine ganze Liste an möglichen Informationen, die das Sekretariat zusammenstellen kann, in, The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 14. 286  Dass es insbesondere auf diese zwei Punkte ankommt, ergibt sich aus den Standardentscheidungsvorlagen am Ende der Handreichung (The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 45 ff.) Die betroffene Partei hat auch im Verlauf des Compliance-Verfahrens die Möglichkeit, Informationen zu korrigieren oder den Sachverhalt richtig zu stellen, jedoch muss es bis dahin bereits mit Empfehlungen/Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz rechnen. 287  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 14. 288  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 14 f. 289  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 15.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

und schlussendlich (meistens im Konsens) darüber abgestimmt. Die Beratungen sollen nach den Vorgaben in geschlossener Sitzung stattfinden.290 Dessen ungeachtet sind insbesondere die mit der finanziellen Unterstützung betrauten Organisationsvertreter anwesend, um offene Fragen zu beantworten. Diese Phase umfasst im Rahmen des blanket-approval-Verfahrens oft nur die Annahme des Sekretariatsentwurfs.291 Sofern das Überprüfungsgremium eine eigene Entscheidung ausarbeitet, kann es häufig auf seine standardisierte Spruchpraxis zurückgreifen. Liegen vergleichbare Fälle vor, werden bereits ausgearbeitete und ausformulierte Empfehlungen übertragen. Auf diese Weise gelingt es dem Komitee, effizient mit der hohen Arbeitsbelastung umzugehen und gleichzeitig Konsistenz in die eigene Spruchpraxis zu bringen.292 Diese Berichte werden in Phase 5 an die Vertragsstaatenkonferenz weitergereicht und dort vom Vorsitzenden des Komitees präsentiert. Bisher sind nahezu alle Entscheidungen des Compliance Committee von der Vertragsstaatenkonferenz gebilligt worden.293 Die Entscheidung wird in der Folge der betroffenen Partei zugestellt, gleichzeitig online veröffentlicht und an die für die finanzielle Unterstützung zuständigen Organisationen weitergeleitet.294 Die Phase 6 beschreibt das Nachhalteverfahren, das sich an das eigentliche Compliance-Verfahren anschließt. Es hat die endgültige Beilegung des NonCompliance-Verfahrens zum Ziel, kann aber auch in einem neuen ComplianceVerfahren münden. Diesen Verfahrensabschnitt begleitet und überwacht das Sekretariat. Über den formalen Abschluss des Compliance-Verfahrens und die Befreiung des betroffenen Staats von den zusätzlichen Berichterstattungspflichten entscheidet das Komitee in einem gesonderten Beschluss.295 Die Formulierung „das Verfahren vor dem Komitee“ ist demnach irreleitend: Die sechs Phasen werden (teilweise mit Abwandlungen) mehrfach durchlaufen, bis ein Staat sich tatsächlich wieder „auf dem Pfad der Vertragserfüllung“ befindet.

g)  Entscheidung des Komitees Anstatt einzelne Non-Compliance-Entscheidungen zu untersuchen, liegen diesem Abschnitt die standardisierten Entscheidungen (engl. standardized recommendations) zugrunde, die in der Geschäftsordnung (Handreichung) des Ko290 

S. 23.

The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007,

291  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 15–18. 292  Die Liste der Standardentscheidungen ist einsehbar unter: The Ozone Secretariat, NonCompliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007m S. 16, S. 44 ff. 293  Diese kann mit Zweidrittelmehrheit entscheiden, Decision I/1, Annex 1 Rule 40. Nr. 1. 294  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 18. 295  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 19.



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mitees abgedruckt sind.296 16 verschiedene Non-Compliance-Situationen sind damit abgedeckt. Wie oben bereits angedeutet, ergehen in einem ComplianceVerfahren mehrere Entscheidungen gegen einen Staat. – Ein Vertragsstaat hat keine der erforderlichen Daten eingereicht (Type 15, Type 14). – Ein Vertragsstaat hat die erforderlichen Daten eingereicht, die jedoch eine Abweichung von den vorgegebenen Verpflichtungen beinhalten und daraufhin – keine Erklärung und keinen Aktionsplan eingereicht (Type 1, Type 5) oder – eine Erklärung eingereicht, aber keinen Aktionsplan (Type 3, Type 8) oder diesen (verspätet) nachgereicht (Type 7). – Ein Vertragsstaat ist bereits Partei eines Verfahrens geworden und hat – dem Sekretariat keinen Bericht geleistet, inwiefern er die Empfehlungen umsetzt (Type 9) oder – die Empfehlungen nur unzureichend umgesetzt (Type 10). – Ein Vertragsstaat ist bereits Partei eines Verfahrens geworden und hat – keine Erklärung eingereicht, jedoch für diese Stellungnahme zu wenig Zeit erhalten (Type 2), – eine hinreichende Erklärung eingereicht, um die Abweichung von der Vertragsverpflichtung zu begründen und damit die Compliance wiederhergestellt (Type 4), – einen hinreichenden Aktionsplan aufgestellt, um die Compliance wiederherzustellen (Type 6), – mittels seines Jahresdatenberichts bestätigen können, dass er das Protokoll achtet (Type 11, Type 12) oder in naher Zukunft achten wird (Type 13) oder – die fehlenden Daten nachgereicht (Type 16). Der Aufbau der Entscheidungen ähnelt sich jeweils sehr. Sie beginnen mit der jeweiligen Sachverhaltsfeststellung in einem Satz, beispielsweise, dass die betroffene Partei einen zu hohen Verbrauch eines gelisteten Stoffs zu verzeichnen hat(te). Es schließt sich die näher bezeichnete Aufforderung an, beispielsweise eine Erklärung innerhalb der genannten Frist einzureichen. Teilweise wird ein weiteres Verfahren oder eine Konsequenz, beispielsweise eine schärfere Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz, in Aussicht gestellt, sollte die Partei sich nicht an die zuvor getätigte Aufforderung halten. Einige Entscheidungen sind zweigeteilt. Zunächst wird die Entscheidung des Komitees wiedergegeben, es folgt der Entscheidungsvorschlag für die Vertragsstaatenkonferenz (engl. draft decision) (Type 1, Type 3, Type 5, Type 6, Type 7, Type 8, Type 10, Type 15). 296  The Ozone Secretariat, Non-Compliance Procedure of the Montreal Protocol, 2007, S. 45 ff.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Dieser beinhaltet abermals die kurze Sachverhaltsdarstellung sowie die Wiedergabe der vom Compliance Committee auferlegten Pflichten. Daran schließt sich unter Umständen eine Verwarnung mit Androhung von Sanktionen an oder aber die Sanktionen werden der Partei mittels dieser Entscheidung auferlegt. Weitere Informationen oder Begründungen, inwiefern der Staat die Vertragsnormen nicht eingehalten hat, beinhalten die Entscheidungen nicht. Die in den Entscheidungen gewählte Sprache ist ebenfalls einheitlich und erinnert stark an Beschlüsse internationaler Konferenzen. Es wird also die Sprache der Politik und Diplomatie verwandt. Beispiele bilden die prägnanten Satzanfänge: „[n]oting with concern“ (u. a. Type 1, Type 5, Type 10), „[n]oting with appreciation“ (u. a. Type 3, Type 6, Type 7, Type 8,), „[s]tressing“ (u. a. Type 15), „[a]cknowledging“ (u. a. Type 15), „[r]ecalling“ (u. a. Type 15), „[t]he Committee agreed/therefore agreed“ (Types 1–16). Anders als in den Entscheidungen vor allem jüngerer Verträge fehlen in den standardisierten Entscheidungen des Compliance-Verfahrens des Montrealer Protokolls Passagen, in denen das Komitee sich mit der Auslegung von Vertragsbestandteilen auseinandersetzt. Diese Tätigkeit scheint beim Sekretariat angesiedelt zu sein. Die Feststellung, ob ein Staat den Vertrag erfüllt oder nicht, scheint häufig bereits mit der Berichtserstellung gefallen zu sein (in jedem Falle bei Type 1, Type 3, Type 5, Type 7, Type 8). Eine Annahme, die durch das vielfach genutzte blanket-approval-Verfahren bestätigt wird. Das kann insbesondere an der für das Umweltvölkerrecht bemerkenswert klaren Formulierung der zentralen Pflichten liegen. Das Komitee kann freilich bei nicht vorgegebenen Situationen Vertragsnormen im Rahmen der Entscheidung auslegen. Während der Ausarbeitung des Compliance-Verfahrens wurde jedoch betont, dass die Letztentscheidung über die Vertragsauslegung des Montrealer Protokolls bei den Vertragsstaaten liegt.297

h)  Ausgang des Verfahrens Nach Decision IV/5, Annex IV. 9. hat das Implementation Committee nur beratende Befugnisse. Es kann allerdings, wenn eine einvernehmliche Lösung mit dem betroffenen Staat nicht zu erreichen ist, der Vertragsstaatenkonferenz aus einer vorhandenen Maßnahmenliste Vorschläge unterbreiten, wie die Vertragserfüllung bestmöglich wiederherstellt werden kann. Die endgültige Entscheidung wird der Vertragsstaatenkonferenz überlassen (Art. 11 Abs. 4 lit. j) MP)298. Diese nimmt den Entscheidungsvorschlag des Kontrollorgans jedoch fast immer ohne Diskussion an. Damit trägt das Compliance Committee auch 297  Historisch nachvollzogen von Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 167 f. 298  Wortlaut: The functions of the meetings of the Parties shall be to: consider and

undertake any additional action that may be required for the achievement of the purposes of this Protocol.



C.  Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge

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im Rahmen des Montrealer Protokolls indirekt zur de-facto-Rechtssetzung bei.299 Welche Maßnahmen ergriffen werden, richtet sich nach einem – nun sehr verkürzten300 – Maßnahmenkatalog: Inhaltlich bedient sich dieser (nicht abschließende) Katalog301 der carrot-and-stick-Methode302: Erst wenn die Compliance nicht wiederhergestellt wird, werden härtere Sanktionen ergriffen, wie zum Beispiel Hilfszahlungen aus dem Multilateral Fund gestrichen (Variante C. der Maßnahmenliste).303 Zuvor können nach Variante A. der Maßnahmenliste Unterstützungsmaßnahmen (technologischer oder finanzieller Art) geleistet werden. Gelingt es der betroffenen Partei nicht, mittels dieser Unterstützung den Vertrag hinreichend umzusetzen, kann die Vertragsstaatenkonferenz nach Variante B. eine offizielle Verwarnung (engl. cautions) aussprechen. Damit nutzt das Komitee fast ausschließlich unterstützende Maßnahmen: ihre Gewähr sprichwörtlich als „carrot“, ihr Entzug als „stick“. Was die zu ergreifenden Maßnahmen angeht, gehört das Montrealer Protokoll damit zu den elaborierteren Verfahren.

i) Kontrollmechanismus Von den eingangs aufgezählten vier Kontrollmöglichkeiten (organschaftliche, zivilgesellschaftliche, verfahrensimmanente und retrospektive) nutzt das Compliance-Verfahren des Montrealer Protokolls kaum eine in Gänze. Die organschaftliche Kontrolle durch die Vertragsstaatenkonferenz besteht formell, wird in der Praxis jedoch nicht ausgeübt. Die Entscheidungen des Implementation Committee werden in der Praxis von der Vertragsstaatenkonferenz unverändert angenommen. Es gibt kein darüber hinausgehendes institutionelles Gleichgewicht zwischen den Vertragsorganen im Sinne einer Kontrolle von außen. Vielmehr besteht innerhalb der Vertragsorgane in besonders bemerkenswerter Weise eine Vermischung der einzelnen Akteure: Selbst bei geschlossenen Sitzungen des Komitees nehmen unter anderem Vertreter der Weltbank und des Multilateral Fund teil. Dabei sichert das Beratungsgeheimnis eines Spruchkörpers normalerweise dessen Unabhängigkeit ab.304 Wenn überhaupt findet eine Kontrolle also von innen heraus statt. Das Sekretariat ist aber im Compliance299 

Jacur, Montreal Protocol, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 11–32, S. 26. 300  Historisch nachvollzogen von Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 170 f. 301  Vollständiger Name: Indicative List of Measures that might be taken by the Meeting of the Parties in respect of non-compliance with the Protocol. 302  Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 477; auch Yoshida, CJIELP 1999, 95–141, 140. 303  Diese müssen im Einklang mit Art. 60 WÜV ergehen. 304  Abgeleitet von der Unabhängigkeit seiner Mitglieder. Dieser Gedanke findet sich exemplarisch im deutschen Recht in der Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit nach § 43 DRiG. Dazu RGSt 26, 202, 204 und Staats, DRiG Kommentar, 2012, § 43 Rn. 2 ff.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Verfahren ebenfalls in großem Umfang inhaltlich tätig, ohne einer Kontrolle zu unterliegen. Über das Sekretariat erhält zudem die UN als internationale Organisation Einfluss, da UNEP, welches das Sekretariat stellt, keine eigenständige Sonderorganisation der Vereinten Nationen, sondern ein sogenanntes Programm der UN ist. Eine verfahrensimmanente Kontrolle wird ermöglicht, indem rechtliches Gehör gewährleistet wird. Allerdings gibt es gegen eine Entscheidung im Compliance-Verfahren keine Berufungsmöglichkeit. Umgekehrt gibt es sogar einen institutionalisierten Nachhalteprozess, da das Compliance-Verfahren des Montrealer Protokolls mehrere, aufeinanderfolgende Compliance-Entscheidungen mit steigender Intensität bei der Wahl der „Sanktionen“ vorsieht. Immerhin ist aber eine Kontrolle von außen dadurch möglich, dass die geschäftsordnungsähnliche Handreichung des Gremiums online einsehbar ist und detailliert Aufschluss darüber gibt, welche Phasen ein Compliance-Verfahren durchläuft. Einzelne Verfahren können anhand ihrer jeweils endgültigen Zwischenberichte nachverfolgt werden. Ebenso ist die NGO-Beteiligung möglich, allerdings nur indirekt: Sie können sich mit Informationen an das Sekretariat wenden. Es steht in dessen Ermessen, ob es die Informationen aufnimmt und an das Komitee weiterleitet. So kann eine NGO die Einleitung eines Verfahrens zumindest mittelbar beeinflussen.305 Als das Montrealer Protokoll verhandelt wurde, gab es noch keine Anschauungsbeispiele anderer Compliance-Mechanismen im Umweltvölkerrecht. Die Vertragsstaaten waren infolgedessen nicht für das Thema der Kontrolle der Compliance Committees sensibilisiert. Ergebnis ist, dass der Mechanismus in diesem Punkt weit hinter den denkbaren Möglichkeiten zurückbleibt.

3. Würdigung Das Montrealer Protokoll unterscheidet sich von vielen anderen umweltvölkerrechtlichen Verträgen dadurch, dass die Verpflichtungen für die Vertragsstaaten im Vertragstext recht konkret formuliert sind. Das hat einen bestimmenden Einfluss auf die vertragsfortentwickelnde, also juristisch-gestalterische Seite des Compliance-Verfahrens. Diese ist hier eher schwächer ausgeprägt. Das Compliance-Verfahren des Montrealer Protokolls ist eng mit dem regelmäßigen Berichterstattungsverfahren verknüpft. Dies bedingt die besondere Rolle des Ozone Secretariat, das erheblichen Einfluss auf das Nichteinhaltungsverfahren nimmt: Zunächst erstellt es die Berichte, die Faktengrundlage des Verfahrens sind. Danach reicht es auch meistens die Beschwerde selbst ein und erstellt im Zuge des Verfahrens auch noch häufig den Empfehlungsentwurf, auf dessen Grundlage das Komitee entscheidet. Das Sekretariat ist in diesem Zusammenspiel also der entscheidende Akteur, der das Verfahren prägt: 305 

Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 165.



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Es verfügt durch die Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen über kontinuierlich besetzte internationale Beamtenstellen und durch die Verbindung zu UNEP ebenfalls über die entsprechende Expertise im Bereich des Umweltschutzes. Das Compliance Committee ist hingegen mit rotierenden Staatendelegationen besetzt. Die Rolle des Sekretariats war bei den Verhandlungen des Verfahrens nicht unumstritten. Lange war herrschende Meinung, das Sekretariat solle eine neutrale Stellung behalten und nicht als „Ankläger“ auftreten.306 Heute ist das Sekretariat jedoch als „Hüterin des Protokolls“307 zu bezeichnen. Die Stellung des Sekretariats führt im Übrigen neben der konkreten Vertragsgrundlage dazu, dass der Compliance-Mechanismus des Montrealer Protokolls als technischadministrativ charakterisiert werden kann, wenngleich das Komitee selbst mit Vertragsstaaten besetzt ist. Das Compliance-Verfahren des Montrealer Protokolls zeichnet sich darüber hinaus besonders dadurch aus, dass es mehr einem fortlaufenden Prozess ähnelt als einem einzigen Entscheidungsverfahren. Das heißt, bei der Montrealer Variante steht die Rückkehr des betroffenen Staats zur Vertragserfüllung im Vordergrund und eben nicht die einzelne Non-Compliance-Feststellung. Dies wird dadurch hervorgehoben, dass die einzelnen Compliance-Entscheidungen sich nicht ausführlich mit der (in der Vergangenheit liegenden) Sach- und Rechtslage beschäftigen. Das Verfahren des Montrealer Protokolls ist zukunftsgerichtet.308 Konkret bedeutet dieses Vorgehen für eine Partei, dass sie in einem Compliance-Fall mehrfach von Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz betroffen sein kann. Der Umsetzungsprozess wird dementsprechend eng begleitet und unterstützt.309 Als interessanter Nebenaspekt trifft das Montrealer Verfahren damit auch eine Aussage zu der Frage, ob die Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen verbindlicher Natur sind: Denn eigentlich können nur – verbindliche – Vertragsnormen Gegenstand des Compliance-Verfahrens werden. Durch die Mehrstufigkeit des Verfahrens basiert aber die zweite oder dritte sanktionierende Compliance-Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz unmittelbar auf der Verpflichtung der ersten Compliance-Entscheidung und damit einer Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz (und nur mittelbar auf der ursprünglichen Vertragsverletzung). Mit anderen Worten gehen die Beteiligten im Compliance-Verfahren davon aus, dass alle Compliance-Entscheidungen umgesetzt werden müssen – auch wenn es „nur“ Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz sind. 306  Diskussion nachvollzogen in Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 158, S. 175. 307  Mit Verweis auf den darin liegenden Souveränitätsverlust Ehrmann, Erfüllungskon-

trolle, 2001, S. 160. 308  Auch: „nicht-judikative[r] Charakter“. Hebt hervor, dass sich das Compliance-Verfahren aus diesem Grund insbesondere auch von dem Verfahren der GATT/WTO abhebe Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 168. 309  Ähnele einem Unterstützungs- und Hilfeleistungsprozess, Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 158.

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Schlussendlich fällt bei der genaueren Untersuchung des Verfahrens ein Ungleichgewicht zwischen rechtsstaatlichen Verfahrenselementen und Einflussnahmemöglichkeiten auf: Einerseits sind die Sanktionsmöglichkeiten des Compliance-Verfahrens im Vergleich zu anderen Verträgen sehr weitgehend. Andererseits erstaunt, dass der Mechanismus auf einer rechtlich schwachen Grundlage aufbaut – er verfügt nicht einmal über eine verabschiedete Geschäftsordnung. Eine Handreichung und die geübte Praxis bestimmen das Verfahren. Gleiches gilt für die nur schwach ausgeprägten Kontroll- und Verfahrensrechte. Dennoch wird das Verfahren nicht grundsätzlich in Frage gestellt – was sicherlich auch an dem großen Erfolg des Ozone Regimes liegt.

II.  Die Aarhus Konvention: Die Transparente 1. Einführung Die am 25. April 1998 verabschiedete Aarhus Konvention ist ein facettenreicher Vertrag: Sie hat eine regionale und zugleich globale Ausrichtung und ist ein umweltvölkerrechtliches Abkommen mit vielen bürger- und menschenrechtlichen Aspekten. Sie fungiert als „driving force of environmental democracy“310. Im Konkreten bedeutet das: – Die 47 Vertragsstaaten311 sind großteils europäische Staaten (im geographischen Sinne). Neben den zentralasiatischen Staaten312 ist auch die Europäische Union beigetreten. Alle Staaten sind Mitglieder der UNECE. Der Vertrag ist aber für die Teilnahme eines jeden UN-Mitgliedsstaats offen (Art. 19 Abs. 3 AK). – Die Konvention ermöglicht (indirekten) Umweltschutz über den Weg der Geltendmachung individueller Rechte. Grundlage hierfür ist das Recht auf Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt, Art. 1 AK. Sie setzt die drei Elemente des Grundsatzes 10 der Rio Deklara­ tion um, indem sie die Rechte des Einzelnen mittels einer ebenfalls dreifachen Säulenstruktur stärkt: – Recht auf Zugang zu Umweltinformationen (Art. 4, Art. 5 AK), – Öffentlichkeitsbeteiligung in Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten (Art. 6, Art. 7, Art. 8 AK) und – Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Art. 9 AK). Insbesondere durch die Verbindung von Bürgerrechten und Umweltschutz handelt es sich bei der Aarhus Konvention um einen innovativen Vertragstyp.313 310 

Wates, JEEPL 2006, 2–11. Status der Ratifikation am 16. Oktober 2017. 312  Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan. 313  Sie kehrt damit auch einer dem Völkerrecht tlws. attestierten „Bürgerferne“ den Rü311 



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Diese Vorreiterrolle314 übernimmt der Vertrag nicht nur thematisch, sondern auch im Aufbau seiner institutionellen Struktur: Das Compliance Committee hat in der einsetzenden Entscheidung Decision I/7 eine weitreichende Ermächtigung erhalten und ist mit vielen im Umweltvölkerrecht einzigartigen Eigenschaften ausgestattet. Treffend bezeichnet der Vorsitzende Ebbesson das Gremium wie folgt: „We are not a court, but we are a quasi-judicial body“315. Außerdem hatte das Komitee insbesondere durch die Einleitungsmöglichkeit seitens Einzelpersonen – anders als viele andere Compliance-Mechanismen – bereits über eine Vielzahl von Fällen316 zu entscheiden und kämpft derzeit mit steigenden Fallzahlen bei gleichbleibender Kapazität. Ein typischer Fall, den das Komitee behandeln könnte, sähe wie folgt aus: Eine Bürgergruppe beschwert sich darüber, dass die nationalen Behörden ihnen keine hinreichenden Beteiligungsmöglichkeiten am Genehmigungsverfahren zum Bau einer großen Anlage (z. B. eines Windparks) ermöglichen, wenngleich die Anlage ihre (direkte) Umwelt beeinträchtigt.

2.  Der Compliance-Mechanismus im Detail a) Ermächtigungsgrundlage Nach kontroverser Diskussion317 wurde eine Ermächtigungsklausel in Art. 15 AK aufgenommen: Die Tagung der Vertragsparteien trifft durch Konsensentscheidung Regelungen über eine freiwillige, nichtstreitig angelegte, außergerichtliche und auf Konsultationen beruhende Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Übereinkommens. Diese Regelungen lassen eine angemessene Einbeziehung der Öffentlichkeit zu und können die Möglichkeit beinhalten, Stellungnahmen von Mitgliedern der Öffentlichkeit zu Angelegenheiten im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen zu prüfen.

Die Verhandlungen zur Schaffung von Art. 15 AK fielen in eine Zeit, in der ein globaler Trend hin zu mehr Compliance-Mechanismen stattfand.318 Im Vercken. Zum Begriff Kotzur, Theorieelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes, 2001, S. 86. 314  Besonders spannend ist das „Parallelabkommen“, der Escazú Vertrag, der am 4. März 2018 angenommen wurde und ein regionaler Vertrag zwischen lateinamerikanischen und karibischen Staaten ist, der eine vergleichbare Bandbreite an Themen aufweist, wie die Aarhus Konvention. 315 Gesprochen von dem derzeitigen Vorsitzenden Ebbesson am 6. November 2018 in Genf auf dem 62. Treffen des Compliance Committee der Aarhus Konvention. 316  Bis Sommer 2021 hatte das Komitee bereits nahezu 195 Fälle zur Entscheidung (Zulässigkeitsentscheidungen inbegriffen) angenommen. Davon gehen etwa 185 auf Vorlagen aus der Öffentlichkeit (Einzelpersonen oder Gruppen [NGOs]) zurück. 317  „Compliance was one of the most contentious issues during negotiations leading to the Aarhus Convention“, Jendrośka, JEEPL 2011, 301–314, 303. 318 S. bspw. die nahezu zeitgleiche Annahme der UNECE Guidelines for Strengthening Compliance with and Implementation of Multilateral Environmental Agreements in the

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gleich zu anderen völkerrechtlichen Verträgen handelt es sich daher auch um eine recht konkrete Ermächtigung der Vertragsstaatenkonferenz zur Einsetzung eines Compliance Committee. Dessen ungeachtet zeigten sich angesichts der Diskussionen im Vorfeld der Beschlussfassung manche Beobachter enttäuscht davon, dass der Mechanismus nicht gleich mit Vertragsschluss geschaffen wurde, sondern diese Aufgabe an eine nicht genauer bestimmte nachfolgende Vertragsstaatenkonferenz delegiert wurde.319 Insbesondere Russland und die Türkei wehrten sich gegen die Aufnahme eines allzu konkreten Ermächtigungsauftrags und damit auch gegen die unmittelbare Einsetzung eines Komitees.320 Dagegen setzten sich insbesondere die Mitgliedstaaten der EU für einen starken Mechanismus ein.321 Der Grund hierfür liegt in dem Zusammenspiel von unionalem und nationalem Recht: Sie „befürchteten“ – im Rückblick gesehen zu Recht – eine rigorose Durchsetzung der Konvention durch die Unionsgerichte und wollten daher auch auf internationaler Ebene einen durchsetzungsstarken Mechanismus schaffen, der alle Staaten gleichermaßen betreffen sollte.322 Dennoch spiegelt sich die globale Stimmung pro Compliance allen Befürchtungen zum Trotz in der Einsetzungsentscheidung Decision I/7 (2002) wider, die im Vergleich zu anderen Mechanismen weitgehende Befugnisse des Compliance Committee der Aarhus Konvention festsetzt.323 Insbesondere dass die Entscheidung für die Möglichkeit der Einleitung durch Einzelpersonen und Gruppen getroffen wurde, wird als Erfolg gefeiert.324 UNECE (2003) und der Guidelines on Compliance with and Enforcement of Multilateral Environmental Agreements (UNEP 2002). Das Compliance Committee selbst weist in seinem ersten Bericht an die Vertragsstaatenkonferenz auf zwei konkrete „Vorbilder“ hin: das Human Rights Committee und das Implementation Committee of the Convention on Long-range Transboundary Air Pollution (ECE/MP.PP/2005/13). Zudem wurde zur gleichen Zeit der Mechanismus im Rahmen des Kyoto Protokolls verhandelt. 319  So der aktive Teilnehmer der Verhandlungen Jendrośka, JEEPL 2011, 301–314, 303; gar als schwache Regelung bezeichnet von Koester, JEEPL 2005, 31–44, 31 f. 320  Bis heute sind beide Widersacher nicht Vertragspartei, weshalb sich die nachfolgende Ausarbeitung des Compliance-Mechanismus auf Ebene der Vertragsstaatenkonferenz als politisch etwas einfacher herausstellte, Koester, JEEPL 2005, 31–44, 32. 321  Besonders Großbritannien und die Niederlande taten sich als Befürwortet hervor, Jendrośka, JEEPL 2011, 301–314, 303. 322  Jendrośka, JEEPL 2011, 301–314, 303 f.; dazu auch Durner: „Oft werden die internationalen Vorgaben im Zuge ihrer Umsetzung [durch europäische Zwischenakte] inhaltlich verschäft. […] [Es] spricht manches dafür, dass der EuGH den völkerrechtlichen Vereinbarungen bisweilen eine tendenziell strengere Auslegung gibt als dies nach traditionellen völkerrechtlichen Maßstäben der Fall wäre.“ Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 26. 323  Das spiegelt sich auch im derzeitigen Meinungsbild des Komitees wider: Man möchte um jeden Preis eine Neuverhandlung oder Anpassung der Decision I/7 verhindern, da man davon ausgeht, danach mit weniger Befugnissen ausgestattet zu sein. So Äußerungen des Vorsitzenden Ebbesson am 5. November 2018 in Genf auf dem 62. Treffen des Compliance Committee der Aarhus Konvention im Rahmen der Diskussion um Änderungen der Geschäftsordnung. 324  Koester, JEEPL 2005, 31–44, 35 nennt beispielhaft vier Faktoren, die den Compliance-



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b)  Institutioneller Aufbau Wie bei allen modernen umweltvölkerrechtlichen Verträgen ist auch bei der Aarhus Konvention die Vertragsstaatenkonferenz (in diesem Falle Meeting of the Parties genannt) das zentrale Verwaltungsorgan,325 Art. 10, Art. 11 AK. Neben den Vertragsstaaten nehmen andere Staaten und internationale sowie Nichtregierungsorganisationen (als Beobachter) an den Treffen im Dreijahresturnus teil.326 Sie ist für die Verbesserung der Umsetzung der Konvention sowie deren Überwachung zuständig und soll daneben den Vertrag weiterentwickeln, um die Vertragsziele zu erreichen. Dafür kann die Vertragsstaatenkonferenz auch Unterorgane sowie finanzielle Mechanismen einsetzen, Art. 10 Abs. 2 lit. d), Abs. 3 AK. Mittlerweile ist ein Bureau als Ständiger Ausschuss eingerichtet, das von der Aarhus Konvention ursprünglich nicht vorgesehen war. Er ist mit Regel 22 GO MoP geschaffen worden und besteht aus sieben Vertretern der Vertragsstaaten (darunter auch den Vorsitzenden der Vertragsstaatenkonferenz) (Regeln 22.1, Regel 18 GO MoP). Von NGOs gestellte Beobachter können ebenfalls zugelassen werden (Regel 22.2 GO MoP). Es unterstützt und koordiniert die Arbeit der Vertragsstaatenkonferenz vor allem in den sitzungsfreien Jahren. Es koordiniert die sogenannten Working Groups, die Expert Group on Public Participation in International Forums, die verschiedenen Task Forces sowie die Arbeit des Compliance Committee. Das Compliance Committee ist an die Vertragsstaatenkonferenz angegliedert: Sie hat das Komitee ins Leben gerufen und trifft in jedem Compliance-Fall auch die letztgültige Entscheidung. Das Committee verfügt über ein eigenes Sekretariat, das insbesondere in Fragen der ständig überarbeiteten Geschäftsordnung Einfluss auf den Vorsitzenden und damit das Komitee nimmt.327 Das Gremium bearbeitet vor allem Eingaben von Privatpersonen (Decision I/7 Annex III. 13. a)). Daneben ist es aber auch für allgemeine Compliance-Fragen zuständig und kann dazu auf eigene Initiative Vorschläge erarbeiten, über die in der Vertragsstaatenkonferenz abgestimmt wird (Decision I/7 Annex III. 14.). Es Mechanismus „stark“ machen: „members acting in their personal capacity, consideration of communictions from members of the public, inclusion of quite string non-compliance response measures as well as rather limited opt-out possibilities“. 325  Engl. governing body. 326  In Art. 10 Abs. 4 AK werden folgende internationale Organisationen ausdrücklich genannt: die UN, deren Sonderorganisationen, die Internationale Atomenergie-Organisation. Darüber hinaus schreibt Art. 10 AK einen mindestens zweijährigen Turnus vor, sieht aber Ausnahmen vor. 327  Nach eigener Anschauung der 62. Sitzung des Komitees in Genf am 05. November 2018: Die Sekretariatsleiterin Marshall reichte bei der Diskussion um Regelungen in der Geschäftsordnung beständig Notizen an den Vorsitzenden Ebbesson, woraufhin dieser der einen oder anderen Anschauung in der Diskussion folgte. Ob die Einflussnahme erfolgreich war/ist, oder nicht, kann dadurch nicht beurteilt werden.

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kommt derzeit regelmäßig drei Mal im Jahr zu Treffen in Genf und zwei weitere Male pro Jahr zu virtuellen Treffen zusammen. Die Spruchpraxis (engl. case law) des Komitees wird, periodisch aktualisiert, in einem Handbuch zusammengefasst und veröffentlicht.328 Darüber hinaus sind die Verfahren größtenteils online nachzuvollziehen. Die Auslegungstätigkeit des Komitees erhält dadurch hohe Sichtbarkeit. Alle Vertragsorgane werden in ihrer Arbeit vom Sekretariat des Vertrags unterstützt, das vor allem administrative Funktionen erfüllen soll, Art. 12 AK. Die Bestimmungen der Aarhus Konvention fallen hierzu sehr knapp aus. Das Sekretariat scheint das Compliance Committee sehr umfangreich zu unterstützen. Beispielsweise hat es bezüglich der Verfahrensordnung „den Aufschlag“ gemacht und als Diskussionsgrundlage einen informellen Vorschlag in die erste Sitzung des Komitees eingebracht.329 In der Geschäftsordnung ist die Rolle des (Compliance-Committee-)Sekretariats etwas unklar mit „preparation of relevant documents“ umschrieben.330 Das allgemeine Sekretariat der Aarhus Konvention bereitet im Nachhalteprozess sogar die weiterführenden Entscheidungen für die Rückführung der nichteinhaltenden Partei zur Vertragserfüllung vor.331 Die Funktion des Sekretariats wird vom Executive Secretary der UNECE ausgefüllt. Damit kann die Konvention ihrerseits auf umfangreiche Erfahrungen und Ressourcen zurückgreifen. UNECE könnte aber auch indirekt und unkontrollierbar (sanften) Einfluss auf die Vertragsentwicklung nehmen.

c) Mitgliedschaft Das Compliance Committee hatte ursprünglich acht (Decision I/7, Annex I. 1.), jetzt neun Mitglieder (Decision II/5, 12.), die von der Vertragsstaatenkonferenz konsensual, wenn möglich, bestimmt werden (Decision I/7, Annex I. 7.). Die Kandidaten können von den Vertragsstaaten selbst oder von NGOs mit Beobachterstatus vorgeschlagen werden (Decision I/7, Annex I. 4.)332 – gewählt werden die Mitglieder jedoch nur von den Vertragsstaaten. Auf einen förmlichen Eid bei Amtsübernahme wird verzichtet. Nichtsdestotrotz müssen die Komiteemitglieder zu Beginn ihres Auftrags erklären, die vorausliegende Tätigkeit unvoreingenommen und nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben (Decision I/7, Annex I. 11.). Die Mitglieder des Compliance Committee müssen die Nationalität eines Vertragsstaats haben333, dennoch handelt es sich nicht um staatliche Repräsen328 

Mittlerweile in dritter Auflage: Andrusevych/Kern (Hrsg.), Case Law, 2016. MP.PP/C.1/2003/2, Nr. 10. 330  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 17. 331  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 46 f. 332  Letzteres war in den Verhandlungen bis zuletzt umstritten, Koester, JEEPL 2005, 31– 44, 33. 333  Dopplungen sind unerwünscht: Decision I/7, Annex I. 3. 329 



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tanten. Die Kandidaten müssen ausgewiesene Experten auf dem Rechtsgebiet der Konvention sein und bestenfalls über einen juristischen Hintergrund verfügen – ihre Funktion als Komiteemitglieder üben sie als „Privatpersonen“ aus (engl. in their personal capacity) (Decision I/7, Annex I. 1., 2.). Folgendes Beispiel dient der Veranschaulichung: Viele langjährige Mitglieder des Komitees sind auch Autoren des Implementation Guide der Aarhus Konvention. Die Autorenschaft übernehmen sie aber als unabhängige Experten (engl. independent experts) und nicht als Mitglieder des Compliance Committee.334 Bei der Besetzung des Komitees wird angestrebt, ein Spektrum an Erfahrungen und Hintergründen abzubilden sowie auch geographische Varianz zu zeigen (Decision I/7, Annex I. 8.): Tatsächlich sind derzeit alle Mitglieder Juristen, darunter der größte Teil Umweltrechtler. Ohne eine explizite Rechtsgrundlage dafür zu haben, lädt das Kontrollorgan regelmäßig Beobachter auch von NGOs ein.335 Diese Praxis basiert auf dem Wunsch, das Verfahren möglichst offen und transparent zu gestalten.

d) Auslösemechanismus Es gibt vier Varianten, ein Verfahren vor dem Compliance Committee der Aarhus Konvention auszulösen: – Ein Verfahren kann durch jede Vertragspartei (auch mehrere) ausgelöst werden – gegen eine andere Partei oder gegen sich selbst (Decision I/7, Annex IV. 15.). Bislang sind lediglich zwei Verfahren gegen eine andere und ein Verfahren der vorlegenden Partei gegen sich selbst vor dem Komitee eingeleitet worden.336 Zwei Parteien haben bisher die Möglichkeit genutzt, das Komitee offiziell nach Unterstützung und Rat zu fragen.337 – Die Einleitung durch die Vertragsstaatenkonferenz selbst wird ebenfalls wenig genutzt. Dieses Verfahren ist von der Decision I/7 nicht vorgesehen, folgt aber aus der generellen Entscheidungsmacht der Vertragsstaatenkonferenz. Es sind bis dato drei Fälle bekannt. – Eine Sekretariatseinleitung ist möglich, bisher jedoch als Option nicht genutzt worden (Decision I/7, Annex V. 17.). – Die außerordentlich umfangreiche Spruchpraxis des Komitees und die teils erhebliche Arbeitsbelastung beruht auf der Möglichkeit der Verfahrenseinleitung durch „die Öffentlichkeit“, also zivilgesellschaftliche Gruppen oder 334 

UNECE, Guide to the ACCC, 2019. Pitea, Aarhus Convention, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 221–249, S. 226. 336  Stand: August 2021. 337  Für einen Überblick über alle Verfahren ist neben dem Internetauftritt des Compliance Committee unter: https://www.unece.org/env/pp/cc.html, auch folgende Publikation relevant: Andrusevych/Kern (Hrsg.), Case Law, 2016. 335 

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Einzelpersonen. Circa 160 Fälle sind auf diese Weise vor das Compliance Committee der Aarhus Konvention gekommen.338 Über 30 Vertragsparteien sind bereits Teil eines solchen Verfahrens geworden. – Nach eigener Aussage kann das Komitee auch durch Eigeninitiative Compliance-„Themen“ behandeln. Ob damit eine konkrete Verfahrenseinleitung verbunden ist, wird nicht klar.339 Dass ein Verfahren durch die außenstehende Öffentlichkeit ausgelöst werden kann, unterscheidet die Aarhus Konvention von den meisten anderen umweltvölkerrechtlichen Verträgen. Ein genauerer Blick lohnt sich daher: Möchte eine Einzelperson oder eine Interessengruppe ein Verfahren einleiten, gilt es, eine Vielzahl von Auflagen zu beachten und viele Verfahrensschritte zu durchlaufen. Jede neu eingereichte „Anschuldigung“ wird vom Sekretariat des Komitees zunächst grundlegend geprüft, bevor dieses die Vorlage an den Vorsitzenden des Komitees weiterreicht. Teil dieser Prüfung ist unter anderem: – Hat die Vorlage das geforderte schriftliche Format? – Sind die Anschuldigungen belegt? Sollten Angaben fehlen, setzt sich das Sekretariat mit dem Antragsteller auseinander.340 Die Vorsitzenden des Compliance Committee entscheiden gemeinsam mit dem Sekretariat darüber, ob die Vorlage an das Komitee zur Entscheidung über die vorläufige Zulässigkeit weitergegeben werden soll. Dann wird die Eingabe bereits auf der Website des Committee veröffentlicht. Im nachfolgenden Verfahrensabschnitt der vorläufigen Zulässigkeit, den das gesamte Komitee in öffentlicher Sitzung beschließt, wird geprüft, ob die Maßgaben des Decision I/7, Annex VI. 19., 20. eingehalten sind. Teil dieser Prüfung sind unter anderem folgende Fragen: – Gibt sich der Absender der Vorlage zu erkennen? – Fällt die Beanstandung in den Bereich der Konvention oder ist die Vorlage völlig abwegig (engl. manifestly unreasonable)? – Sind alle möglichen und zumutbaren nationalstaatlichen Rechtsmittel erschöpft worden? Gerade der letzte Punkt der Rechtswegerschöpfung ist in vielen Verfahren die zentrale Frage. Die Spruchpraxis in diesem Bereich ist fallabhängig variabel: Mal sind Fälle nicht zur Entscheidung angenommen worden, um zunächst ein nationalstaatliches Berufungsverfahren abzuwarten, mal sind selbst bereits anhängige Klagen wegen unzumutbarer Verfahrenslänge nicht als Zulässigkeits338  Das Nichteinhaltekomitee sei „faktisch zur Anlaufstelle von Beschwerden“ der NGOs geworden, bei Berkemann, DVBl 2015, 389–400, 399. 339  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 6 mit verweis auf Decision I/7, Annex 14. „The Committee may examine compliance issues and make recommendations if and as appropriate“. 340  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 26.



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hindernis bewertet worden.341 Es ist eine aktuelle Entwicklung zu beobachten: Etwa seit der fünften Vertragsstaatenkonferenz wird die Voraussetzung der nationalen Rechtsmittelausschöpfung enger ausgelegt und ähnelt in der strikten Auslegung nun dem Zulässigkeitskriterium der internationalen Menschenrechtsjudikatur.342 Besteht eine Eingabe diesen ersten Schritt, durchläuft sie die Prüfung der „Zulässigkeit“ und „Begründetheit“.343

e)  Verfahrens- und Verteidigungsrechte Die Aarhus Konvention wird in puncto Transparenz als ein Vorzeigevertrag begriffen.344 Schließlich sind Transparenz und Nachverfolgbarkeit öffentlichrechtlicher Entscheidungsverfahren ein Fokus der Konvention. Die Regelungstechnik der Decision I/7, Annex VIII. (zum Thema der Vertraulichkeit) veranschaulicht diesen Fokus. Der zuerst genannte Grundsatz lautet sinngemäß, dass keine Informationen durch das Komitee geheim gehalten werden sollen. Erst danach folgen Ausnahmen vom Transparenzgrundsatz aus Vertraulichkeitsgesichtspunkten. Diese außergewöhnliche Betonung der Offenheit und Transparenz ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Rahmenvertrags: Dieser ist schließlich auf die Einbeziehung der Öffentlichkeit in umweltrelevante Entscheidungen ausgerichtet. Zugleich ist der Compliance-Mechanismus der Aarhus Konvention vergleichsweise durchsetzungsstark: Er ist in der Lage, die Rechte des nichteinhaltenden Staats zu beschneiden.345 Während daher zum einen eine großzügige Einbeziehung sogar von Einzelpersonen in die Verfahren (als Antragsteller oder als Beobachter) die Regel ist, muss das Verfahren zum anderen auch die Rechte des betroffenen Staats achten und zwischen beiden Polen eine Balance herstellen. Rechtliche Grundlage der Verfahrensrechte sind die Einsetzungsentscheidung der Vertragsstaatenkonferenz Decision I/7, die Verfahrensregeln für die Vertragsstaatenkonferenz, sofern sie auf das Compliance-Verfahren übertragbar sind, und das sogenannte Guidance Document346. Es dient dem Komitee als Geschäftsordnung und ist als beständig überarbeitetes und aktualisiertes Er341  Pitea, Aarhus Convention, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 221–249, S. 229. 342  Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 45–51. 343  Die Auflagen sind damit aber weiterhin deutlich geringer, als sie bspw. an Anträge vor Komitees von UNO-Menschenrechtsverträgen oder dem EGMR gestellt werden. Tanzi/ Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569– 580, S. 579. Z. B. gibt es keine Fristen zu beachten wie in Art. 47 der Verfahrensordnung des EGMR. 344  Pitea, Aarhus Convention, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 221–249, S. 235; Tanzi/Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569–580, S. 576. 345  Kapitel 1 C. II. 2. h). 346  UNECE, Guide to the ACCC, 2019.

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fahrungswerk zu verstehen. Das Guidance Document ist kein de jure Dokument der Verfahrensregeln, sondern eher ein sich fortwährend weiterentwickelndes Richtlinienkonzept, mit dem das Ziel verfolgt wird, Transparenz und einen geregelten Verfahrensverlauf zu ermöglichen. Mit diesem Dokument sollte daher flexibel umgegangen werden. Nicht alle darin aufgenommenen Vorschriften sind starr anzuwenden, und nicht jede Tätigkeit des Gremiums muss auf eine Regelung in der Geschäftsordnung zurückzuführen sein347: Es ist ein living document.348 Aus den drei Dokumenten ist übergreifend herauszulesen, dass die Vertragsstaaten und das Komitee ein möglichst rechtsstaatliches Verfahren durchführen möchten. Das Verfahren soll eine hohe Vertraulichkeit der Informationen bei gleichzeitig größtmöglicher Öffentlichkeit gewährleisten. Es soll ein faires, voraussehbares Verfahren sein und die Unbefangenheit der Mitglieder des Kontrollorgans gewährleistet werden. Im Konkreten bedeutet das für die betroffene Partei beispielsweise, dass ihr Recht auf rechtliches Gehör unter anderem dadurch sichergestellt wird, dass sie unverzüglich über alle Entwicklungen des Falles unterrichtet wird und ausreichend Zeit für Stellungnahmen erhält.349 Bei der Durchsicht der vorgenannten Dokumente fällt auf, welch eine große Anzahl an Fristen gesetzt wird.350 Diese dienen großteils dazu, jeder im Verfahren beteiligten Partei die Möglichkeit zu geben, Kenntnis von eingereichten Dokumenten zu nehmen und Stellung zu beziehen. Das Komitee eröffnet die Möglichkeit, interessierte, betroffene oder vorlegende Parteien telefonisch zu Sitzungen zuzuschalten. Für die tatsächliche Beteiligung an den Verfahren werden dadurch nur sehr geringe finanzielle und zeitliche Ressourcen benötigt.351 Die Entscheidungen des Gremiums ergehen umfangreich begründet und sind deshalb für die betroffene sowie für die antragstellende Partei nachvollziehbar. Sogar die Entscheidung über die vorläufige Zulässigkeit ergeht im ablehnenden Fall mit Begründung. Die Öffentlichkeit kann den gesamten Prozess online nachverfolgen, da alle zu einem Fall gehörenden Dokumente (u. a. Briefe, E-Mails, Stellungnahmen) einsehbar sind. Selbst der Nachhalteprozess wird vollständig dokumentiert.352 347  „Eine Geschäftsordnung als abgeschlossenes Gesetzeswerk wäre ein Widerspruch in sich“. Friedrich Schäfer zit. in Klein in: Maunz u. a., GG, Stand: August 2018, Art. 40 Rn. 19. 348  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 4, Fn. 1. 349  Z. B. UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 27 (Nr. 94) oder S. 29 Nr. 110 „ausreichend“ meint unter anderem, dass das Sekretariat Fristverlängerungsanträgen grundsätzlich stattgibt. Nach eigenen Angaben der Sekretariatsleiterin Marshall auf der 62. Sitzung des Compliance Committee am 5. November 2018 in Genf. 350  Bsp: sechs Wochen vor jedem Committee-Treffen ist das sog. cut-off-date für die Weiterleitung der neusten Vorlagen an die Vorsitzenden des Komitees, UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 26. 351  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 13. 352  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 14 ff.



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Zu der Außenwahrnehmung gehört auch, dass die einzelnen Mitglieder verpflichtet sind, Interessenkonflikte anzuzeigen und sich folglich aus einem Verfahren zurückzuziehen (also nur als Beobachter teilzunehmen), sobald ein solcher vorliegt.353 In dieselbe Kategorie fällt auch die „Eid-verwandte“ Erklärung, die jedes Komiteemitglied zu Anfang seiner Tätigkeit abgibt. Es ist zwar kein genereller Berufungsprozess nach Abschluss des Verfahrens vorgesehen, der Beschwerdeführer kann aber bei einer ablehnenden Entscheidung der vorläufigen Zulässigkeit gegen diesen Beschluss vorgehen. Hierbei kann er auf einen „possible manifest error“, also einen schwerwiegenden Fehler, den das Compliance Committee in seiner Entscheidung gemacht hat, hinweisen und um nochmalige Überprüfung bitten.354 Dem betroffenen Staat steht eine solche Möglichkeit nicht zu. Hier besteht ein Ungleichgewicht. Bei dem Aarhus Prozess handelt es sich um ein gerichtsähnliches Verfahren, also ein Verfahren vor einem unabhängigen Gremium. Das hat Auswirkungen auf die Öffentlichkeit des Verfahrens. Das Komitee bewahrt seine Unabhängigkeit unter anderem durch ein Beratungsgeheimnis. Während der Beratungen und der Entscheidungsfindung dürfen weder die betroffene Partei noch Beobachter anwesend sein (Decision I/7, Annex IX. 33.). Das führt in der Praxis dazu, dass der überwiegende Teil der Sitzungen des Compliance Committee geschlossene Sitzungen sind.355 Der auf dem Papier bestehende Transparenzanspruch ist dadurch in der Praxis deutlich reduziert. Als weitere Beschränkung des Transparenz- und Beteiligungsanspruchs kommt hinzu, dass auch die Bewältigung der anfallenden Arbeit ihren Tribut fordert. Eine allzu großzügige Auslegung des Transparenzgrundsatzes sowie des Rechts auf ein faires Verfahren würde das Recht auf Rechtsschutz sowie auf ein zügiges Verfahren schmälern. Daher steht es mittlerweile im Ermessen des Komitees, gänzlich auf ein mündliches Verfahren zu verzichten und den gesamten Fall im schriftlichen Verfahren zu behandeln.356 353  Als

wie bedeutend das Thema aufgefasst wird zeigt die umfangreiche Bearbeitung in UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 20–22. 354  UNECE, Guide to the ACCC 2019, S. 30. 355 Die Sitzungskalender sind online einsehbar unter: https://unece.org/info/events/ unece-meetings-and-events/environmental-policy/public-participation?past=2&sort_bef_ combine=field_event_date_range_DESC (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 356  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 43. Dabei sind die (öffentlichen) Anhörungen auch Bestandteil der Kontrolle des Gremiums. Die Kritik an der Reduktion von Anhörungen stößt beim Komitee auf Unverständnis: „Finally, the [EU] Commission complains about not having had the opportunity for a second hearing. On this point, the Committee’s modus operandi does not envisage multiple hearings and no other Party has ever made such a request. Moreover, […] the Committee had all the information necessary and carefully took into account the comments received from the Party concerned […]. The Committee made a number of amendments to its findings to address those comments. […] [T]he Committee decided no second hearing was required.“ in: Open statement by the Committee regarding its findings on communication ACCC/C/2008/32 (part II) concerning the European Union, S. 2.

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f) Verfahren Das Verfahren, das jede Vorlage durchläuft, ist minutiös in der Geschäftsordnung des Committee beschrieben. Alleine dadurch hebt sich dieser Vertrag in Bezug auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit von anderen Vertragswerken ab.357 Eine Beschwerde wird grundsätzlich beim Sekretariat des Komitees eingereicht, das sie (bei Einreichungen der betroffenen Öffentlichkeit) auf Form und Vollständigkeit überprüft und Kontakt mit dem Beschwerdeführer aufnimmt, um notwendige Nachreichungen zu koordinieren.358 Wenn die Vorlage vollständig ist, wird sie an die Vorsitzenden des Komitees zur Entscheidung weitergeleitet, ob dieses Verfahren für die sogenannte preliminary admissibility vor das gesamte Gremium gebracht wird.359 Mit der Weiterleitung wird auch die betroffene Partei von der neuen Vorlage informiert. In der vorläufigen Zulässigkeit werden die Vorgaben von Decision I/7, Annex VI. 19., 20. und 21. überprüft. Dabei können beide – Beschwerdeführer sowie betroffene Partei – angehört und befragt werden. Das gleiche gilt auch für Beobachter des Verfahrens. Eine Nichtzulässigkeitsentscheidung ergeht begründet.360 Sie wird allerdings nicht eigens von der Vertragsstaatenkonferenz bestätigt. Ist die Vorlage vorläufig zulässig, erhält die betroffene Partei für eine Stellungnahme fünf Monate Zeit.361 Sie soll insbesondere auch auf Zulässigkeitskriterien eingehen. Das Gremium entscheidet, ob der Beschluss zur (preliminary) admissibility revidiert wird. Sobald die Stellungnahme das Gremium erreicht hat und es alle weiteren für notwendig erachteten Informationen eingeholt hat, wird in fast allen Fällen eine Anhörung beider Parteien (engl. hearing) durchgeführt.362 Selbst die Struktur und der Ablauf dieser „mündlichen Verhandlung“ ist in der Geschäftsordnung vorgegeben und damit erwart- und nachvollziehbar. Die persönliche Befragung erfolgt maßgeblich durch das für den jeweiligen Fall als Berichterstatter fungierende Komiteemitglied (engl. curator) und den Vorsitzenden.363 Hat das Komitee den Eindruck gewonnen, alle Fakten zum Fall und alle Unklarheiten aus dem Weg geräumt zu haben, begibt es sich in eine geschlossene Sitzung, um den Fall zu beraten und abschließend Empfehlungen auszuarbeiten.364 Die betroffene Partei wird über den Ausgang des Verfahrens in Kennt357  Darüber hinaus sind grundlegende Verfahrensfragen durch Decision I/7 geregelt. Die Geschäftsordnung der Vertragsstaatenkonferenz (Decision I/1, Annex) ist mutatis mutandis auf das Verfahren vor dem Komitee zu übertragen. 358  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 26. 359  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, u. a. S. 26. 360  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 29. 361  Decision I/7, Annex VI. 23.; UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 29, S. 32. 362  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, v. a. S. 43 ff. 363  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, v. a. S. 20. 364  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 45 f.



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nis gesetzt. Danach wird das Resultat auf der Website veröffentlicht.365 Dieses Vorgehen soll dazu dienen, dass die betroffene Partei bereits vor der nächsten Sitzung der Vertragsstaatenkonferenz auf die geäußerten Vorwürfe reagieren kann.366 Der abschließende Compliance-Bericht über alle Aktivitäten des Komitees wird der Vertragsstaatenkonferenz zur Verabschiedung367 (Decision I/7, Annex X. 35.) zugeleitet. Dies wird ergänzt mit Unterlagen über jeden einzelnen, in der Zwischenzeit verhandelten, Compliance-Fall. Die Vertragsstaatenkonferenz billigt die Entscheidungen jedoch lediglich. Darüber hinaus soll sie über die zu ergreifenden Maßnahmen (bis hin zur Verwarnung) entscheiden. Das kann in vielen Fällen (mit Zustimmung der betroffenen Partei) zum Teil an das Komitee ausgelagert werden.368 Ein Nachhalteprozess schließt sich an, währenddessen das Komitee einen Fortschrittsbericht verfasst und der betroffenen Partei gegebenenfalls weitere Vorschläge machen kann, wie sie die Vorgaben der Aarhus Konvention umsetzen kann.369 Dieser Prozess, in dem die betroffene Partei auch kontinuierlich über die Implementierungsfortschritte berichtet, ist in der Einsetzungsentscheidung nicht vorgesehen. Der Beschwerdeführer, andere Parteien oder Beobachter können den Prozess kommentieren.370 Die Geschäftsordnung hebt insbesondere hervor, dass die Arbeit von NGOs besonders wichtig ist, um die Umsetzung der Compliance-Entscheidung durch den betroffenen Staat zu kontrollieren.371

g)  Entscheidung des Komitees Dem nachfolgenden Abschnitt liegen drei abgeschlossene Verfahren als Analysebeispiele zugrunde: eine Entscheidung, die gegen Deutschland ergangen ist (2014) sowie zwei Entscheidungen gegen die EU (2008 und 2017).372 Die Struktur der Entscheidungen des Compliance Committee und folglich auch der Vertragsstaatenkonferenz ist schon durch die schiere Menge an Fallzahlen standardisiert und lässt sich grob in vier Abschnitte teilen. Zunächst wird in den vorliegenden Fall eingeführt (Introduction oder Background) (im Folgenden: erster Teil). Danach schließt sich eine detaillierte Darstellung der Sach365 

UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 46. UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 47. 367  Interessanterweise nutzt das Guidance Document den Begriff des endorsement, was so viel wie „Billigung“ oder „Bestätigung“ bedeutet; UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 48. 368  Annex to Decision VI/7 XII. 36. 369  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 47 ff.; Decision I/7, Annex XI. Nr. 36 b) iVm XII. Nr. 37 c). 370  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 47. 371  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 12. 372  ECE/Mp.PP/C.1/2017/21 (Compliance by the European Union); ECE/ MP.PP/C.1/2014/8 (Compliance by Germany), ECE/MP.PP/2008/5/Add.10 (Compliance by by the European Union). 366 

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und Rechtslage an mit einem Fokus auf die Kernprobleme des Falls (Summary of Facts, Evidence and Issues, unter anderem mit dem Unterpunkt Substantive Issues) (im Folgenden: zweiter Teil). Es folgt als dritter Gliederungspunkt die rechtliche Auswertung und Stellungnahme des Komitees, in der auf Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags Bezug genommen wird (im Folgenden: dritter Teil). Der Bericht wird durch eine Schlussfolgerung abgeschlossen, in der auch Empfehlungen „gegen“ die betroffene Partei ausgesprochen werden können (im Folgenden: vierter Teil). Im ersten Teil werden die antragstellende Partei sowie die betroffene Partei genannt und die antragstellende Partei etwas ausführlicher vorgestellt, da es sich in den meisten Fällen um Privatpersonen bzw. NGOs handelt. Häufig werden der Sitz der Organisation bzw. Wohnsitz der Person sowie die Namen der Verfahrensvertreter genannt. Das Datum der Antragstellung und der vorgetragene Vorwurf unter Nennung der nicht eingehaltenen Artikel werden wiedergegeben. Dazu wird je nach Fall auf ein bestimmtes Staatshandeln373 Bezug genommen. Anschließend vollzieht das Komitee in der restlichen Einleitung den Verfahrensablauf nach: Es nennt alle Daten eingesandter Schriftsätze, ob diese zustimmender oder widersprechender Natur waren, ob Fristverlängerungen beantragt wurden oder sonst irgendwelche Besonderheiten aufgetreten sind (beispielsweise eine umfangreiche nationale gerichtliche Auseinandersetzung, die das Komitee im Verfahren abwartend beobachtet hat) und inwiefern das Komitee auf erfolgte Kritik beispielsweise der betroffenen Partei eingegangen ist. Auch die Entscheidung zur vorläufigen Zulässigkeit wird kurz wiedergegeben. Im zweiten Teil wird der im Antrag geäußerte Vorwurf mit Fokus auf den Vertragsbestandteil, auf den sich das Anliegen bezieht, näher dargestellt. Die Erwiderungen der betroffenen Partei werden in diesem Teil bereits genauso umfangreich wiedergegeben. Auch die Beiträge von Beobachtern finden teilweise Eingang in den endgültigen Text. Je nach Komplexität des zugrundeliegenden Falles kann dieser Abschnitt einen Großteil der Entscheidung ausmachen.374 Im dritten Teil ergreift das Komitee das Wort: Anders als in den ersten beiden Teilen, in denen nur die Aussagen beider Parteien wiederholt werden, setzt sich das Komitee im dritten Teil der Entscheidung rechtlich detailliert mit den Vorträgen auseinander. Das Compliance Committee verfügt über einen Ermessensspielraum, entweder nur auf Teilbereiche der Vorlage einzugehen oder sogar über den gestellten Antrag hinaus zu gehen.375 Der Aufbau der rechtlichen Aus373  Jedes staatliche „Handeln“ also auch die Gesetzgebung kann im Compliance-Verfahren untersucht werden. 374  So z. B. in der unionsrechtlich anspruchsvollen Entscheidung ECE/MP.PP/C.1/2017/21 (Compliance by the European Union), S. 3–15. 375  Die mehrfach vorgebrachte Begründung lautet, der Mechanismus sei schließlich kein Instrument des Individualrechtsschutzes, ECE/MP.PP/2005/13 Rn. 13 (Report of the Compliance Committee).



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einandersetzung ist variabel an den Fall angepasst, beginnt jedoch fast immer mit einer kurzen Aussage zur Zulässigkeit des Falles. Anschließend wird oft die nationale Rechtsmittelerschöpfung erörtert. Danach folgt die Auseinandersetzung mit (Teilbereichen) der Begründetheit des Falles, in Form einer sehr detaillierten Auslegung der einzelnen Vertragsnormen und deren Anwendung auf das jeweils infragestehende nationale Recht. Dabei spielt auch der Grund und die Häufigkeit der vertraglichen Non-Compliance bei der abschließenden Bewertung des Falles eine Rolle.376 Kann im Rahmen der juristischen Prüfung die vorgeworfene Vertragsverletzung nicht bestätigt werden, folgt im vierten Teil die Aussage, dass eine NonCompliance nicht festgestellt werden konnte. Im Falle eines Nichteinhaltens fasst das Komitee die Auslegungs- und Subsumtionsergebnisse ausführlicher zusammen und spricht Empfehlungen für die nichterfüllende Partei aus.377 Die Entscheidung des Compliance Committee wird mit Zustimmung der Partei(en) schon vorab veröffentlicht und entfaltet daher bereits zu diesem Zeitpunkt ihre faktische Wirkung, und das, ohne zuvor von der Vertragsstaatenkonferenz bestätigt worden zu sein. Insgesamt fällt auf, dass sich die große Zahl an Entscheidungen dem Leser in einem einheitlichen Aufbau präsentieren. Dadurch können sie leicht erfasst werden und eignen sich auch für Vergleiche und zum Nachschlagen. Letzteres ist besonders wichtig, da von den ersten Entscheidungen an ein umfangreicher (selbstreferenzieller) Verweis auf die Spruchpraxis genutzt wurde378, um die Konvention konsistent auszulegen. Der Aufbau unterscheidet sich kaum von dem eines Gerichtsurteils, was den Vorteil hat, dass der Inhalt für ein juristisch vorgeprägtes Publikum leicht zu erfassen ist.379 Auch die in den Entscheidungen verwandte Sprache erinnert an Gerichtsurteile:380 Beispiel soll alleine die Ansprache als party concerned und communicant sein. Schlussendlich trägt der intensive juristische Auslegungsprozess der völkerrechtlichen und nationalen Normen zu einem sehr urteilsähnlichen Bild der Entscheidungen bei.

h)  Ausgang des Verfahrens Die Decision I/7 sieht einen nicht abschließenden Maßnahmenkatalog vor, aus dem das Komitee der Vertragsstaatenkonferenz geeignete Mittel vorschlägt, um den nichterfüllenden Staat zur Vertragserfüllung zu bewegen. Darunter sind 376 

UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 45. Measures and recommendations in Decision I/7, Annex XI. Nr. 36 iVm XII. Nr. 37 lit. a)–d). 378 So ist der bekannte Übersichtsband mit „Case Law“ betitelt: Andrusevych/Kern (Hrsg.), Case Law of the Aarhus Convention Compliance Committee, 2016. 379  Diese Schlussfolgerung teil u. a. auch Alge, RdU 2011, 136–141, 139. 380 Genauso Alge, RdU 2011, 136–141, 139. 377 

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Maßnahmen „softer“ Natur wie Vorschläge und Unterstützungsmaßnahmen, aber auch „härtere“ wie die Verwarnung oder die Suspendierung des Staats von Vertragsrechten.381 Obwohl die Vertragsstaatenkonferenz die endgültige Entscheidung trifft382, kann das Compliance Committee die betroffene Partei auch direkt – großteils nur in Kooperation mit ihr – adressieren. Zum Beispiel kann es individualisierte und konkrete Maßnahmen empfehlen und Hinweise abgeben oder die Partei um die Erarbeitung einer Umsetzungsstrategie inklusive Zeittafel bitten.383 Mit der betroffenen Partei schon vor der nächsten Sitzung der Vertragsstaaten unmittelbar zusammen zu arbeiten, soll dazu dienen, die bemängelten Umsetzungsprobleme frühzeitig zu beheben.384 Dies sei das Standardverfahren, da die meisten betroffenen Parteien der Kooperation zustimmten, bemerkt das Komitee in seiner Geschäftsordnung.385 Nach Angaben der Geschäftsordnung kann das Komitee über die unterstützenden Maßnahmen hinausgehend auch eine Verwarnung der betroffenen Partei vorschlagen. Von dieser Variante ist seit 2005 bereits viermal Gebrauch gemacht worden.386 Bis zum entscheidenden Treffen der Vertragsstaatenkonferenz übernimmt das Committee das weitere Prozedere mit der betroffenen Partei: Sie wird eingeladen, regelmäßig Fortschrittsberichte einzureichen. Diese werden in der Folge öffentlich zugänglich gemacht. Die vorlegende Partei, andere Vertragsparteien und Beobachter können die Berichte kommentieren und abschließend in einer offenen Sitzung gemeinsam mit der betroffenen Partei diskutieren.387 Im Rahmen des Nachhalteprozesses kann das Komitee weitere Empfehlungen aussprechen.388 Nur in den Fällen, in denen die betroffene Partei nicht zustimmt, oder aber das nächste Treffen der Vertragsstaaten in nur wenigen Monaten nach der Entscheidung anberaumt ist, wird auf den vom Committee geleiteten Prozess verzichtet. Die Vertragsstaatenkonferenz bestätigt die Entscheidung des Compliance Committee offiziell (möglichst im Konsens). Die Vertragsstaatenkonferenz wiederholt in ihrer Entscheidung nicht die Aussagen des Compliance Committee, sondern verweist lediglich auf deren Entscheidung. Sie nimmt keine Änderungen an der Entscheidung des Komitees vor – auch wenn sie in Theorie dazu befugt wäre. Schließlich kann die Vertragsstaatenkonferenz – orientiert an 381 

Decision I/7, Annex, XII. Nr. 37 lit. a)–g). Die schärfste Maßnahme der Suspendierung basiert auf der Regelung des Montrealer Protokolls und wurde bisher nicht eingesetzt, jedoch von der Vertragsstaatenkonferenz in einem Fall als Maßnahme in Erwägung gezogen (ECE/ MP.PP/2011/2/Add.1) bei Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 36. 382  Decision I/7, Annex, XII. Nr. 37; UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 47 f. 383  Decision I/7, Annex XI. Nr. 36 iVm XII. Nr. 37 lit. a)–d). 384  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 47. 385  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 10. 386  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 50 f. 387  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 47. 388  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 47 ff.



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Grund, Schwere und Häufigkeit der Non-Compliance – schärfere Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel eine offizielle Non-Compliance-Erklärung abgeben, eine Warnung aussprechen oder vertragliche Privilegien entziehen. Unter Letzteres fallen beispielsweise Stimmrechte.389 Bemerkenswert ist insofern, dass die Vertragsstaatenkonferenz als nicht legitimiertes und nicht legitimierbares Organ eine solch einschneidende Entscheidung treffen kann.390 Im Rahmen einer Vertragsstaatenkonferenz kommt es selten zum Protest der betroffenen Partei. Es ist vor allem der Fall bekannt, in dem sich die EU gegen eine gegen sie ergangene Compliance-Entscheidung zur Wehr setzt. Da es den anderen Parteien, die dem Protest der EU ablehnend gegenüberstanden, nicht gelang, einen eigenen „Konsens“ zu erreichen, wurde die Entscheidung auf die nächste Sitzung der Vertragsstaaten 2020 vertagt.391

i) Kontrollmechanismus Von den eingangs erwähnten vier Kontrollvarianten des Compliance-Verfahrens verwirklicht die Aarhus Konvention zwei in sehr umfangreichem Maße: Die Kontrolle durch die Zivilgesellschaft wird durch die Arbeitsöffentlichkeit des Komitees überhaupt erst ermöglicht. Viele Tätigkeiten können online von jedermann verfolgt werden. Die detaillierte Geschäftsordnung hilft ebenfalls dabei, dass auch Nichteingeweihte die Arbeitsweise des Komitees überschauen können. Diese Transparenz führt zu einer besonderen Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen. Dadurch werden sie kontrollierbar. Um mit dieser Öffentlichkeit umzugehen, muss das Komitee jede Entscheidung eingehend begründen. Das Verfahren vor dem Committee ist außerdem für die Teilnahme von Beobachtern und NGOs geöffnet. Diese beteiligen sich rege an allen Diskussionen: zum Thema einzelner dem Komitee vorliegender Fälle oder auch der Geschäftsordnung des Komitees. Ebenfalls regulativ wirkt die intensive Beteiligung der beiden Parteien an dem Verfahren. Trotz der Unabhängigkeit des Komitees halten sie zu Teilen das Verfahren in den Händen. So können Entscheidungen beispielsweise nur mit Zustimmung der betroffenen Partei frühzeitig verabschiedet werden. Den Parteien im Verfahren wird figurativ gesprochen das „letzte Wort“ gegeben – sie haben die Gelegenheit, Entscheidungen des Gremiums zu kommentieren. Dadurch, dass nahezu sämtliche Korrespondenz veröffentlicht wird, erscheinen die Kommentare gleichwertig zur Entscheidung des Komitees.392 Erst das 389 

Decision I/7, Annex XII. Nr. 37 e)–h). Pitea, Aarhus Convention, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 221–249, S. 240; Stichwort: Autonomous Institutional Arrangements. 391  Beschrieben in Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 42 ff. Dass ansonsten alle Entscheidungen von der Vertragsstaatenkonferenz angenommen wurden auch bei Bunge, UmwRG Kommentar, 2019, Einleitung Rn. 6. 392  UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 46. 390 

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Nachhalteverfahren verändert dieses Verhältnis zugunsten des Nichteinhaltekomitees. Dass das Compliance Committee der Aarhus Konvention als ein sehr unabhängiges Gremium aufgestellt ist, schmälert die weiteren Kontrollmöglichkeiten, beispielsweise die organschaftliche Kontrolle durch die anderen Vertragsorgane. Herausragend ist lediglich die Berufungsmöglichkeit des Beschwerdeführers (nicht hingegen des betroffenen Staats) gegen die Entscheidung im Vorverfahren. Gegen die eigentliche Compliance-Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz kann keine Berufung eingelegt oder eine andere Art von nochmaliger Überprüfung verlangt werden.

3. Würdigung Das Compliance Committee der Aarhus Konvention ist sehr erfolgreich. Es hatte bisher schon viele Fälle zu entscheiden und hat sich von einem Unterorgan zur zentralen Auslegungsstelle der Aarhus Konvention entwickelt. Es ist – ganz anders als das Implementation Committee des Montrealer Protokolls – ein juristisch-gestaltender Vertragsakteur. Es bleibt allerdings aufgrund seines fortschrittlichen nahezu „rechtsstaatlichen“ Ansatzes und anderer spezieller Merkmale ein eher außergewöhnlicher Mechanismus. Dass die Aarhus Konvention damit einen Trend begründet, mit anderen Worten, dass zukünftige Compliance-Mechanismen ähnlich fortschrittliche Formen annehmen, darf bezweifelt werden.393 Das Compliance-Verfahren findet zu einem großen Teil öffentlich statt. Daher steht das Komitee selbst in Detailfragen unter strenger Beobachtung insbesondere durch die (an den Verfahren beteiligte) Zivilgesellschaft. Es kann jedoch sein, dass sich das Gremium bei weiterhin wachsenden Fallzahlen zukünftig nicht mehr so großzügig geben kann und zwangsläufig auf rechtlicher Ebene auch die Verfahrensregeln anpassen muss.394 Die besondere Sichtbarkeit des Compliance Committee erhöht zugleich auch den (politischen) Einfluss des Gremiums. Gegen eine Auslegung in ständiger Spruchpraxis zu protestieren ist daher (politisch) kaum möglich. Das Committee kann sich dadurch in einem Großteil der Fälle der (mehr oder minder freiwilligen) Kooperation der betroffenen Partei sicher sein.395 Es wird sich aus 393  Während des Aushandlungsprozesses distanzierten sich bspw. die USA von dem Mechanismus: „We do not consider the compliance rules adopted here to be a precedent for compliance procedures in other regional or multilateral environmental agreements.“ ECE/MP.PP/2, S. 19. 394  Pitea, Aarhus Convention, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 221–249, S. 249; Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 48. 395  2013 stellte das BVerwG fest, „dass bislang alle Feststellungen des Compliance Committee über die Konventionswidrigkeit der Rechtslage in einem Vertragsstaat in den Zusammenkünften der Vertragsparteien (Art. 10 AK) gebilligt worden sind“. Vgl. BVerwGE 147, 312, 66 (Klagebefugnis einer Umweltvereinigung gegen Luftreinhalteplan).



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dieser Position heraus zukünftig vermehrt politischen Drucks bedienen, um einen Dialog mit der betroffenen Partei zu beginnen.396 Die machtvolle Stellung des Compliance-Mechanismus im institutionellen Zentrum der Aarhus Konvention liegt auch darin begründet, dass es sich um ein unabhängiges und expertengeleitetes Komitee handelt. Mehrere Faktoren führen dazu, dass schon die Entscheidungen des Compliance Committee selbst und nicht erst die der Vertragsstaatenkonferenz erhebliche Außenwirkung haben: Die Entscheidungen sind urteilsähnlich, was den Aufbau, die Sprache und den Inhalt betrifft. Das erhöht die Zugänglichkeit sowie direkte Anwendbarkeit für ihre Umsetzung. Die (vorläufige) Entscheidung wird den beteiligten Parteien bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt bekannt gegeben, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, die Entscheidungsgründe zu kommentieren. Sobald das Komitee den letztgültigen Beschluss gefasst hat, veröffentlicht es die Entscheidung auf der Website – also teilweise weit vor der nächsten Vertragsstaatenkonferenz. Einmal „in der Welt“, entfaltet die alleine von Experten getroffene Entscheidung bereits ihre Wirkung. Die Bestätigung (engl. endorsement bzw. consideration) in der Vertragsstaatenkonferenz – teils Jahre später – verkommt damit zur bloßen Formalie und kann ihre legitimierende Wirkung nicht mehr entfalten. Dass diese Entscheidung der Vertragsstaaten keine Rolle im Compliance-Prozess spielt, offenbart auch die Geschäftsordnung des Komitees: Dass die Letztentscheidung bei den Vertragsstaaten liegt, wird lediglich in zwei Absätzen des etwa 60 Seiten starken Dokuments formuliert. Das Komitee betont hingegen mehrfach, dass es mit Zustimmung der Parteien selbst einige der sogenannten measures ergreifen kann, und versieht diese Erklärung mit der Bemerkung, dass die meisten betroffenen Staaten dem zustimmen.397 Durch die konsistente Spruchpraxis ist das Expertengremium als zentrale Auslegungseinheit der Konvention akzeptiert.

III.  Die Alpenkonvention: Die Staatliche 1. Einführung Das Gebiet der Alpen umfasst eine Fläche von nahezu 191.000 qm398 und liegt geographisch in der Mitte Europas. Die alpine Tier- und Pflanzenwelt ist durch viele endemische Arten geprägt. Die Gewässer der Alpen bilden das „Trinkwasserreservoir“ Europas399, und ihre Wasserkraft ermöglicht Energieerzeugung 396  Sehr deutlich der Vorsitzende Ebbesson zu einer Nachfrage des Komiteemitglieds Oliver zur Bedeutung der in der Geschäftsordnung angesprochenen Verwarnung (UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 50). Auf der 62. Sitzung des Compliance Committee am 5. November 2018 in Genf. 397  U. a. UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 10 und 45 ff. 398  Der deutsche Anteil daran beträgt etwa 5,8%. 399  Die Gletscher umfassen etwa 75 km3 Wasser. Viele bedeutende Flüsse Europas werden vom Wasser der Alpen gespeist: Donau, Rhein, Rhone und Po.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

in großem Umfang. Der Alpentourismus ist die tragende Säule der Wirtschaft vieler Regionen. Zentrale Verkehrsachsen von Nord nach Süd kreuzen die Alpen.400 Die unter anderem durch diese Faktoren entstehenden, handgreiflichen Nutzungskonflikte will die Alpenkonvention von 1991 durch die Verpflichtung ihrer Vertragsparteien zu „eine[r] ganzheitliche[n] Politik zum Schutz der Alpen […] unter umsichtiger und nachhaltiger Nutzung der Ressourcen“ (Art. 2 Abs. 1 AlpK) auflösen. Die Konvention folgt dabei einem (im Umweltrecht eher ungewöhnlichen) sektorenübergreifenden Ansatz, der sozialen, ökonomischen und ökologischen Belangen gleichermaßen Beachtung schenkt: Insgesamt sind zwölf thematische Bereiche zur Bearbeitung durch die Vertragsparteien aufgelistet.401 Die Konvention besteht aus einem Rahmenvertrag und wird durch eine Vielzahl von sehr detaillierten Protokollen ergänzt, die teilweise noch ausgehandelt werden müssen. Die langsame Weiterentwicklung der Konvention lässt sich erklären: Die Alpenkonvention nutzt – ganz traditionell – rechtsverbindliche Protokolle, anstatt die Zielvorgaben der Konvention durch Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz auf informellem Weg anzupassen. Nur die acht Anrainerstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco, Österreich, Schweiz, Slowenien) und die EU als internationale Organisation sind Vertragsparteien – es haben allerdings nicht alle Parteien die bisher ausgearbeiteten Protokolle ratifiziert.402 Daneben sind viele Beobachterorganisationen offiziell in die Arbeit der Konventionsstaaten eingebunden. Dem Beschluss der Alpenkonvention vom 7. November 1991 ging ein 40-jähriger Gründungsprozess voraus, der für die Regelungen der heutigen Konvention prägend ist. Die Konvention geht auf die im Gründungsdokument der 1952 konstituierten NGO CIPRA (Commission internationale pour la protection des Alpes) manifestierte Forderung nach einem Übereinkommen zum Schutz der Umwelt der Alpen zurück. Während CIPRA zu Anfang noch staatliche Mitglieder verzeichnete, unterlief die Organisation Jahrzehnte später eine Umstrukturierung und ließ nur noch NGOs als Mitglieder zu. In den 1980er Jahren gelang es CIPRA, fast zeitgleich mit einer Initiative des Europäischen Parlaments, einen Kodifikationsprozess loszutreten, der im Beschluss der Alpenkonvention 400  Über die Alpen als Natur-, Kultur und Wirtschaftsraum einleitend auch Wolf, NuR 2016, 369–377, 369 und Pineschi, Protection of the Alps, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 205–219, S. 205 f. 401  Art. 2 Abs. 2 lit. a) bis lit. l) AK: Bevölkerung und Kultur, Raumplanung, Luftreinhaltung, Bodenschutz, Wasserhaushalt, Naturschutz und Landschaftspflege, Berglandwirtschaft, Bergwald, Tourismus und Freizeit, Verkehr, Energie und Abfallwirtschaft. Der hohe Anspruch dieses Vertrags, was den Umfang und die Tiefe der völkerrechtlichen Steuerung angeht, ist durch die Homogenität der Vertragsstaaten zu erklären. Ähnlich in anderem Zusammenhang auch Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 110. 402  Unterzeichnungen fehlen von: Italien, Monaco, die EU und die Schweiz, Wolf, NuR 2016, 369–377, 372; Pineschi, Protection of the Alps, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 205–219, S. 206.



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1991 mündete.403 Der Ratifikationsprozess sowie die Ausarbeitung der einzelnen Protokolle verlaufen nur schleppend. Grund sind unter anderem die erheblichen politischen Divergenzen der Vertragsstaaten bei gleichzeitig allumfassendem Regelungsansatz (beispielsweise der sozioökonomische Anspruch der Westalpen gegen Schutzambitionen der Ostalpen; Zentralregierungen gegen Alpengemeinden; zentralistischer Regelungsansatz gegen Regulierung durch freiwillige Zusammenarbeit).404 Die Alpenkonvention hat eine aufwändige institutionelle Struktur entwickelt, die auch ein sogenanntes Reviewing Committee umfasst. Es zeichnet sich gegenüber anderen Verfahren durch einige Besonderheiten aus. Darunter fällt unter anderem der politische Charakter des Verfahrens sowie die umfangreiche Mitgliedschaft und der besondere Einbezug von NGO-Vertretern. Bisher hat das Reviewing Committee nur zwei Verfahren durchlaufen und entschieden: einmal gegen Österreich (Entscheidung Piz Val Gronda auf der 20. Sitzung 2014)405 und einmal gegen Deutschland (Entscheidung Egartenlandschaft um Miesbach auf der 22. Sitzung 2015)406.

2.  Der Compliance-Mechanismus im Detail a) Ermächtigungsgrundlage Das Compliance Committee der Alpenkonvention wurde auf der 7. Alpenkonferenz 2002 durch eine Resolution der Alpenkonferenz gegründet und für regelmäßige Implementierungsberichte, einzelne Non-Compliance-Fälle sowie allgemeine Auslegungs- und Anwendungsfragen mandatiert (Decision VII/4). Die Errichtung fußt auf keiner expliziten Ermächtigungsgrundlage, sondern auf einem Konglomerat an Normen, welche eine regelmäßige Berichterstattung über den Stand der Umsetzung von den Vertragsparteien verlangen (Art. 5 Abs. 4, Art. 6 lit. g), Art. 8 Abs. 6 lit. a) AlpK). Im zentralen Anhang zur Decision VII/4 wird dabei vor allem auf Art. 5 Abs. 4 AlpK und Art. 6 lit. e) AlpK Bezug genommen: Art. 5 Abs. 4: Die Vertragsparteien übermitteln der Alpenkonferenz Informationen über die von ihnen zur Durchführung dieses Übereinkommens und der Protokolle, deren Vertragspartei sie sind, getroffenen Maßnahmen […]. Art. 6 lit. e): [Die Alpenkonferenz] beschließt die Einrichtung von zur Durchführung des Übereinkommens für notwendig erachteten Arbeitsgruppen.

Dass die Vertragsstaaten keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage in die Alpenkonvention aufgenommen haben, erklärt sich daraus, dass das umwelt403 

Beschrieben von Price, MRD 2000, 192–194, 192; Wolf, NuR 2016, 369–377, 370. Norer, Die Alpenkonvention, 2002, S. 11. ImplAlp/2014/20/6a/3 (Entscheidung Piz Val Gronda). 406  ImplAlp/2015/22/5a/2 (Entscheidung Egartenlandschaft um Miesbach). 404  405 

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

völkerrechtliche Compliance-System 1991 noch in den Kinderschuhen steckte. Die Verhandlung des speziellen Überprüfungsmechanismus (2002) fand jedoch zeitgleich mit vielen anderen Compliance-Aushandlungen statt.

b)  Institutioneller Aufbau Die Alpenkonvention hat eine elaborierte institutionelle Struktur, die aus der Alpenkonferenz407, dem Ständigen Ausschuss, dem Ständigen Sekretariat und dem Reviewing Committee besteht: Wie in jedem umweltvölkerrechtlichen Vertrag stellt auch die Alpenkonferenz (Art. 5 AlpK), die aus den zuständigen Ressortministern besteht und alle zwei Jahre zusammenkommt, die zentrale politische Einheit der Konvention dar. Neben den Vertragsparteien sind die Vereinten Nationen, ihre Sonderorganisationen, der Europarat, jeder weitere europäische Staat, grenzüberschreitende Zusammenschlüsse alpiner Gebietskörperschaften408 sowie mit der Alpenregion befasste NGOs409 grundsätzlich als Beobachter zugelassen (Art. 5 Abs. 5 AlpK). Die Konferenz ist unter anderem für die Weiterentwicklung der Rahmenkonvention (auch durch Protokolle) zuständig. Sie kann Arbeitsgruppen einsetzen, die sie für die Durchführung des Übereinkommens als notwendig erachtet (Art. 6 AlpK). In der Beschlussfassung soll möglichst Einstimmigkeit erreicht werden, nur in Ausnahmefällen kann eine Entscheidung auch in Dreiviertelmehrheit ergehen (Art. 7 Abs. 1 AlpK).410 Die Alpenkonferenz richtet einen Ständigen Ausschuss (auf Ministerialebene) als ausführendes Organ ein (Art. 8 Abs. 1 AlpK). Auch hier sind Beobachter zugelassen. Der Ausschuss arbeitet der Alpenkonferenz zu. Er koordiniert die Erarbeitung von Protokollen, beobachtet die Durchführung der Verträge und Protokolle und bereitet die Sitzung der Alpenkonferenz mit Empfehlungen und Vorschlägen für zu ergreifende Maßnahmen vor (Art. 8 Abs. 6 AlpK). Das dritte zentrale Organ der Alpenkonvention ist das Ständige Sekretariat – die Verwaltungsabteilung für die Alpenkonferenz sowie den Ständigen Ausschuss (Art. 9 AlpK). Es wurde erst durch eine Resolution der Alpenkonferenz eingerichtet (Decision VII/2). Es hat seinen Sitz mittlerweile zweigeteilt in Innsbruck und in Bozen und übernimmt politisch administrative Verwal-

407 

Im Folgenden auch als Vertragsstaatenkonferenz bezeichnet. ARGE Alp oder ARGE Alpen-Adria, genannt bei Schroeder, NuR 2006, 133– 138, 135. 409  Also insbesondere CIPRA. 410  Der Mitgliedschaftsumfang wirkt sich auf verschiedene Mechanismen aus. So wird bei einer geringen Mitgliederzahl als Abstimmungsergebnis häufig nur die Einstimmigkeit oder der Konsens akzeptiert, während bei Verträgen mit vielen Mitgliedern auch eine Mehrheitsentscheidung oder ein Konsens mit (informellen) Gegenstimmen akzeptiert wird. So angedeutet bei Aust, Modern Treaty Law, 2013, S. 80. 408  Z. B.



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tungsaufgaben, die Öffentlichkeitsarbeit sowie technische Unterstützungs- und Informationssammeltätigkeiten.411 Das Compliance Committee wurde ebenfalls auf der 7. Alpenkonferenz 2002 ins Leben gerufen und bezeichnet sich selbst als das „zentrale Rechtsorgan der Alpenkonvention“412. Die Natur seines Verfahrens soll nichtkonfrontativ, nichtjustiziell und nichtdiskriminierend sein. In seiner Tätigkeit ist es mit allen anderen Organen des Vertrags im Austausch: Dem Ständigen Ausschuss erstattet es seinen Bericht; vom Ständigen Sekretariat erhält es auf Anweisung Unterstützung bei seiner Arbeit; die Vertragsstaatenkonferenz beschließt seine Überprüfungsberichte und schlägt dem betroffenen Staat konkrete Umsetzungsempfehlungen vor. Die Rechtsgrundlage Decision VII/4 wurde 2016 durch erneute Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz reformiert.413

c) Mitgliedschaft Die Mitgliedschaft des Reviewing Committee zeichnet sich durch drei Eigenheiten aus: 1. Das Committee ist mit zwei Vertretern jeder Vertragspartei besetzt und hebt sich damit von nahezu allen anderen multilateralen umweltvölkerrechtlichen Verträgen ab, bei denen immer nur eine Auswahl der Vertragsstaaten im Komitee repräsentiert ist bzw. sein kann. 2. Es können je zwei Vertreter von NGOs, die auch im Ständigen Ausschuss zugelassen sind, als Beobachter (ohne Stimmberechtigung) teilnehmen. 3. Der Einsetzungsbeschluss der Alpenkonferenz legt nicht fest, ob die berufenen Mitglieder ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der Konvention sein müssen oder wie ihre Position zwischen den Interessen des entsendenden Vertragsstaats und denen der Konvention liegt. In der Geschäftsordnung von 2016 ist nun an entsprechender Stelle zu lesen: Die Vertragsparteien bestimmen in welcher Eigenschaft ihre Vertreter an den Sitzungen des Überprüfungsausschusses teilnehmen (II. 1.1 Geschäftsordnung). Um der teils hochspezialisierten Materie Herr zu werden, können jederzeit Sachverständige konsultiert werden. Insbesondere durch die ersten beiden Punkte ist das Verfahren des Compliance Committee der Alpenkonvention sehr viel politischer als das anderer Verträge. Die Vertreter kommen als „echte“ Staatsvertreter in das Komitee und gestalteten das Verfahren eher politisch-diplomatisch als juristisch-gerichtlich. 411 

Schroeder, NuR 2006, 133–138, 135. Überprüfungsausschuss, Leitlinien zur Auslegung von Art. 6 (3) des Tourismusprotokolls, 2017, S. 3. 413  Im Folgenden genannt Geschäftsordnung der Alpenkonvention. Rechtsgrundlage ist: ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7. 412 

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d) Auslösemechanismus Das Verfahren vor dem Reviewing Committee kann durch die Vertragsparteien – auch durch Eigeninitiative – und durch die zugelassenen NGO-Beobachter ausgelöst werden. Dagegen kann das Sekretariat das Verfahren nicht einleiten. Das Ersuchen muss schriftlich und begründet erfolgen (II. 3.1.2 Geschäftsordnung). Die beiden Verfahren, die das Komitee bisher zu entscheiden hatte, wurden von NGOs eingeleitet: die Entscheidung Piz Val Gronda gegen Österreich vom CAA (Club Arc Alpine) und die Entscheidung Egartenlandschaft gegen Deutschland von CIPRA International.

e)  Verfahrens- und Verteidigungsrechte Die zentralen Verfahrensrechte der betroffenen Partei sind das Recht auf Teilnahme an den Verfahren und das Recht auf Stellungnahme bzw. rechtliches Gehör: Jede betroffene Vertragspartei hat das Recht, am gesamten Verfahren beteiligt zu werden, alle relevanten Unterlagen vollumfänglich einzusehen und zu den Arbeiten des Überprüfungsausschusses Stellung zu nehmen (II. 3.1.3 Geschäftsordnung). Einer Vor-Ort-Untersuchung und Informationsbeschaffung muss die betroffene Partei gesondert zustimmen (II. 3.1.5 Geschäftsordnung). Interessant daran ist, dass selbst der betroffenen Partei vollumfängliche Teilnahme ermöglicht wird. Es erscheint so, als habe die betroffene Partei selbst an der Meinungsfindung des Komitees gleichberechtigt teil. So liest sich jedenfalls die als offene Diskussion dargestellte Entscheidung gegen Österreich. Das Recht auf Stellungnahme und damit einhergehend die Gewähr rechtlichen Gehörs wird vor allem in dem beim Reviewing Committee angesiedelten Verfahrensabschnitt sichergestellt. Die betroffene Partei kann zum Entwurfsbericht des Komitees Stellung nehmen (II. 3.2.4). In Reaktion hierauf besteht die Möglichkeit seitens des Expertengremiums, das Verfahren abzubrechen. Dann nämlich, wenn die betroffene Partei versichert, die beklagten Mängel zu beseitigen (II. 3.2.5). Beide Pole – Vertraulichkeit und Transparenz – werden von der Resolution der Alpenkonferenz thematisiert, jedoch scheint die Vertraulichkeit der Informationen und der Beratungen im Vordergrund zu stehen. Zu diesem Zwecke können auch die zugelassenen Beobachter von den Sitzungen ausgeschlossen werden (II. 3.1.6–3.1.7.). Andererseits werden die Berichte des Komitees sowie die Beschlüsse und Empfehlungen der Alpenkonferenz online veröffentlicht (II. 4.3). Das reformierte Verfahren von 2016 sieht vor, dass die Berichte in einer für das breite Publikum verständlichen Sprache verfasst werden sollen und das Komitee schon vor der nächsten Sitzung der Konferenz vorläufige Veröffentlichungen vornehmen kann. Die Transparenz des Verfahrens bezieht sich demnach maßgeblich auf eine nachfolgende Veröffentlichung.414 414 Der

Einschätzung Enderlins kann nicht gefolgt werden: „[The Alpine Convention]



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f) Verfahren Das Compliance-Verfahren richtet sich nach der Geschäftsordnung des Ständigen Ausschusses, wobei das Committee selbst die Verfahrensregeln für das eigene Verfahren anpassen kann (II. 1.2). Die Resolution von 2016 sieht spezielle Verfahrensregeln für das regelmäßige Berichtsverfahren vor, die mutatis mutandis auf das Non-Compliance-Verfahren übertragen werden. Es besteht aus drei Phasen und einem sich anschließenden Nachhalteprozess: Die erste findet beim Reviewing Committee, die zweite beim Ständigen Ausschuss und die dritte bei der Alpenkonferenz statt. Danach kann das Reviewing Committee überprüfen, inwiefern Fortschritte bei der Beseitigung festgestellter Mängel erfolgt sind. Für alle Abschnitte sind feste Zeitfenster vorgesehen (z. B. II. 3.2). Ist ein schriftliches Ersuchen an das Komitee von einer dafür zugelassenen Partei oder Organisation begründet415, wird ein individuelles Überprüfungsverfahren ausgelöst (erste Phase). Es ist nicht erforderlich, dass die Antragsteller zuerst den innerstaatlichen Instanzenzug durchlaufen. Innerhalb von neun Monaten wird der betroffenen Partei ein Entwurfsbericht des Komitees inklusive der Stellungnahmen anderer Vertragsparteien sowie von Beobachtern zur eigenen Stellungnahme unterbreitet (II. 3.2.3). Die betroffene Partei erhält drei Monate Zeit, zu replizieren (II. 3.2.4). Danach verabschiedet das Komitee den Bericht im Konsens. Nur in Ausnahmefällen ist eine Entscheidung mit Dreiviertelmehrheit möglich (II. 3.1.9). In der zweiten Phase wird der Entwurfsbericht innerhalb einer Zeitspanne von 6 Monaten über das Ständige Sekretariat dem Ständigen Ausschuss weitergeleitet (II. 3.2.6). Dieser lässt den Bericht unverändert, fügt der Entscheidung aber unter Umständen „allfällige Bewertungen“ bei und leitet ihn an die Vertragsstaatenkonferenz weiter (II. 3.2.7). In der Ausarbeitung des Verfahrens war das Verhältnis von Ständigem Ausschuss und Überprüfungsausschuss sehr umstritten. Diese Diskussion gibt viel Aufschluss über den Charakter des Compliance-Systems im Allgemeinen: Ursprünglich war vorgesehen, dass der Ständige Ausschuss den Entwurfsbericht diskutiert und mit einem Resolutionsentwurf sowie Empfehlungen ausgestattet an die Alpenkonferenz weiterleitet. Befürworter dieses Modells führten unter anderem die (angebliche) Organisationshierarchie des Vertrags an: Ein unabhängiges Compliance Committee könnte die Rolle des Ständigen Ausschusses schmälern. Letztendlich hat sich jedoch die Gegenargumentation durchguarantees the greatest possible transparency at all levels of the process.“, Enderlin, EPL 2003, 155–159, 158. 415  In der weiteren Praxis des Komitees ist dies ergänzt worden hin zu: „detaillierte Darstellung des Sachverhalts, einschließlich zweckmäßiger Karten und Abbildungen, in den vier Sprachen der Alpenkonvention“ in: ImplAlp/2015/22/5a/2 (Entscheidung Egartenlandschaft um Miesbach), S. 1 f.

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gesetzt, die nur einem unabhängigen Compliance-System effektive Kontrolle zutraut.416 In der dritten Phase entscheidet die Alpenkonferenz darüber, ob sie eine Resolution zur Non-Compliance annimmt und welche Empfehlungen sie auf Basis des Entwurfsberichts ausspricht. Danach überprüft das Reviewing Committee, inwiefern die betroffene Partei die Empfehlungen umsetzt und welche Fortschritte sie macht (II. 3.2.10) (Nachhalteprozess).

g)  Entscheidung des Komitees Die Grenzen und Freiräume des Reviewing Committee der Alpenkonvention lassen sich abstrakt wie folgt fassen: – Bei der allgemeinen Vertragsauslegung verfügt es über einen großen Spielraum: Viele Vertrags- und Protokollnormen sind nur vage formuliert417, und in seiner Entscheidungspraxis ist das Komitee inhaltlich nicht an den Antrag der ersuchenden Partei gebunden.418 – Seine Entscheidungsgewalt ist jedoch begrenzt, da das Komitee in letzter Konsequenz auf reine Empfehlungen reduziert ist. Es kann weder Sanktionen gegen einen nichterfüllenden Staat erlassen noch solche der Alpenkonferenz zur Entscheidung vorschlagen.419 Die beiden vorliegenden Verfahrensdokumente gegen Österreich und gegen Deutschland unterscheiden sich teils stark voneinander. Die chronologisch erste Entscheidung des Komitees gegen Österreich enthält einige Elemente eines Gerichtsurteils. Im Text überwiegt jedoch die Wiedergabe der Diskussion der Ausschusssitzung – er erinnert eher an ein Sitzungsprotokoll und weniger an ein Gerichtsurteil. Die Entscheidung gegen Deutschland ist hingegen sehr „juristisch“, ähnlich einer Gerichtsentscheidung, aufgebaut. Das gilt auch für die Sprache: beispielsweise „präjudizierende Wirkung“ (S. 2) und „rügt“ (S. 3). Dennoch gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen den Dokumenten. Beide Entscheidungen beginnen mit einer Vorstellung des Ersuchens – wer es wann eingereicht hat und welche Vertrags- oder Protokollvorschrift im Zusammen416  417 

Beschrieben bei Enderlin, EPL 2003, 155–159, 158. Pineschi, Protection of the Alps, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 205–219, S. 206 f. 418  ImplAlp/2015/22/5a/2 (Entscheidung Egartenlandschaft um Miesbach), S. 2: „Es wird angemerkt, dass der Überprüfungsausschuss nicht durch den Inhalt des eingereichten Ersuchens gebunden ist. Nach Annahme eines Ersuchens […] ist der Überprüfungsausschuss befugt zu entscheiden, unter welchen rechtlichen Aspekten das Ersuchen geprüft werden soll“. 419 In der Entwicklungsphase des Reviewing Mechanismus wurde die Einführung von Sanktionen (wie der Entzug von Stimmrechten) diskutiert, aber mit Blick auf die rechtlichen Vorgaben der Rahmenkonvention abgelehnt. Die Vertragsstaaten wollten verhindern, dass das Nichteinhaltungsverfahren nur durch formelle Vertragsänderung eingeführt werden konnte. Schlussendlich einigte man sich auf eine abschließende Liste sogenannter weichen Sanktionen. Vgl. Enderlin, EPL 2003, 155–159, 157 f.



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hang mit welchem Vorgang überprüft werden soll. Die Zulässigkeitsentscheidung des Komitees wird ebenfalls kurz skizziert. In beiden Entscheidungen folgt ein Passus, dass das Compliance Committee nicht an den Inhalt des Ersuchens gebunden sei, sondern dessen Bearbeitung inhaltlich-thematisch frei ausrichten könne. Der Verfahrensablauf bis zur entscheidenden Sitzung wird skizziert und die zu Grunde gelegten Dokumente werden genannt. Dabei erstaunt, in welch großem Umfang das Reviewing Committee auch für seine inhaltliche Tätigkeit auf die anderen Vertragsorgane – insbesondere das Ständige Sekretariat – zur Mithilfe zurückgreift.420 In beiden Verfahren schließt sich die Zusammenfassung des jeweiligen Ersuchens an. Während in der jüngeren Entscheidung gegen Deutschland den Auslegungen der vorlegenden Organisation CIPRA drei Seiten Platz gewährt werden, stellt die ältere Entscheidung gegen Österreich das Ersuchen der Organisation CAA nur knapp, kombiniert mit dem allgemeinen, der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt dar. Die Stellungnahme CIPRAs erhält im Vergleich zu der von CAA dadurch ein erhebliches „Sprachrohr“: Sie wird detailliert mit konkreten Auslegungsvorschlägen zitiert. Auffällig ist vor allem, dass ein von CIPRA erarbeiteter Maßstabkatalog zur Auslegung des streitigen Artikels wortwörtlich vom Komitee in die abschließende Empfehlung für die Anwendung von Art. 11 Abs. 1 Naturschutzprotokoll übernommen wird. Während in der jüngeren Entscheidung der betroffenen Partei Deutschland umfangreich Raum zur (erwidernden) Stellungnahme gelassen wird – ähnlich wie dies bei gerichtlichen Verfahren der Fall ist –, stellt die ältere Entscheidung die Diskussion vor dem Überprüfungsausschuss kombiniert mit den Erwiderungen Österreichs dar. So erscheint Österreich in der schlussendlich veröffentlichten Entscheidung eher gleichberechtigter Teil der Diskussion um die Nichterfüllung gewesen zu sein als eine betroffene Partei in einem „inquisitorischen“ Gerichtsverfahren. Diese unterschiedliche Art der Darstellung könnte zwei verschiedene Gründe haben: Das Verfahren gegen Deutschland könnte einen Trend hin zu mehr „Gerichtlichkeit“ im Compliance-Prozess andeuten. Allerdings sind die beiden Entscheidungen inhaltlich so verschieden, dass eine Tendenz nicht festgestellt werden kann: Während es dem Reviewing Committee in der Entscheidung gegen Deutschland leichtfiel, eine konsensuale Entscheidung zu treffen, war sich das Komitee in der Entscheidung gegen Österreich über die Auslegung sowie über die Feststellung, ob Österreich das Tourismusprotokoll „nicht erfüllt“ hat, uneins. Dazu im Konkreten: 420  Bspw.

zur Erarbeitung einer Beschlussvorlage, ImplAlp/2014/20/6a/3 (Entscheidung Piz Val Gronda), S. 7 und in der ImplAlp/2015/22/5a/2 (Entscheidung Egartenlandschaft um Miesbach): „Außerdem ersuchte [der Überprüfungsausschuss] das Ständige Sekretariat […] einen Entwurf von Handlungsempfehlungen für eine konsistente alpenweite Anwendung des Art. 11 (1) Naturschutzprotokoll den Mitgliedern des Überprüfungsausschusses zur allfälligen Kommentierung […] zuzuleiten.“ (S. 3).

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

– Die Diskussion des Überprüfungsausschusses in der Entscheidung Egartenlandschaft wird im Vergleich zur umfangreichen Wiedergabe der Ausführungen der ersuchenden und der betroffenen Partei recht knapp zusammengefasst (nur etwa zweieinhalb Seiten). Im Text überwiegt der Anteil allgemeiner Stellungnahmen zur Auslegung und Anwendung des streitigen Art. 11 Abs. 1 Naturschutzprotokoll421. Die Auslegung wird im Konsens verabschiedet. Die eigentliche Entscheidung, dass Deutschland Art. 11 Abs. 1 Naturschutzprotokoll eingehalten hat, wird dagegen in nur einem Satz getroffen (ebenfalls konsensual) und nicht weiter begründet. Die Schlussfolgerungen und Empfehlungen fassen noch mal die einzelnen Auslegungen zusammen – zu einem großen Teil, ohne Bezug auf den konkreten Fall zu nehmen (so z. B. Schlussfolgerungen 1, 4, 5, 9, 10, 11). Vor der Kulisse der langen Ausführungen zur Auslegung des Artikels tritt der Anlass – die NonCompliance einer Partei – in den Hintergrund. – Inhaltlich wurden in der Entscheidung Piz Val Gronda zwei Fragen entschieden: Zum einen ging es um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Österreich und der Schweiz, zum anderen um die Einhaltung von Art. 6 Abs. 3 Tourismusprotokoll422. Während der Ausschuss für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit konsensual zu dem Schluss kam, dass es für Österreich in diesem Bereich „noch Raum für Verbesserungen gibt“ (S. 4 und S. 9), konnte sich das Gremium bei Auslegung von Art. 6 Abs. 3 Tourismusprotokoll nicht einigen. Ebenso wenig kam eine Einigung über die Nichteinhaltung Österreichs zustande. Anstatt allerdings von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, mit Dreiviertelmehrheit einen Beschluss zu fassen, wurde eine ausweichende Entscheidung getroffen, und zwar in einem neuen Verfahren eine allgemeine Auslegung des fraglichen Artikels – unabhängig vom Anlass gebenden Fall des Piz Val Gronda – zu erarbeiten. Österreich wird daher lediglich verpflichtet, diese Auslegung in allen zukünftigen Verfahren anzuwenden. Zusammenfassend zeichnen sich beide Entscheidungen insbesondere dadurch aus, dass sie das Anlassverfahren dazu nutzen, umfangreiche allgemeine Auslegungsempfehlungen verschiedener Artikel für alle Vertragsparteien zu entwickeln. Im Verfahren gegen Deutschland wurde innerhalb der ComplianceEntscheidung ein Großteil der allgemeinen Auslegung vorgenommen. Diese wurde auf der XIV. Alpenkonferenz nochmals separat von der Einzelfallentscheidung als allgemeine Empfehlung angenommen.423 Im zweiten Verfahren gegen Österreich wurde die Auslegung großteils separat vorgenommen, der Compliance-Fall diente eher als Anlassgeber.424 421 

Ganzer Name: Protokoll Naturschutz und Landschaftspflege.

424 

Zu letzterem: Der Bezug zum Einzelfall der 2017 veröffentlichten Leitlinien zur Aus-

422  Ganzer Name: Protokoll Tourismus. 423  Alpenkonferenz XIV., Annex 5.



C.  Drei Beispiele umweltvölkerrechtlicher Verträge

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h)  Ausgang des Verfahrens Der (meist konsensuale) Beschluss des Compliance Committee wird an den Ständigen Ausschuss und von jenem an die Alpenkonferenz weitergeleitet. Daraufhin trifft die Alpenkonferenz die endgültige Entscheidung. Vertraglich vorgesehen ist, dass die Vertragsstaaten aus einem abschließenden Katalog unterstützende Maßnahmen als Reaktion auswählen.425 Maßnahmen mit Sanktionscharakter sind ausgeschlossen. Jedoch wird lediglich der Bericht des Überprüfungsausschusses (teils ohne Aussprache) angenommen und die Umsetzung des Beschlusses empfohlen. Im Fall gegen Deutschland wurde überdies von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Bericht des Reviewing Committee schon vor der nächsten Tagung der Alpenkonferenz zu veröffentlichen.

i) Kontrollmechanismus Der betroffenen Partei steht nach Weiterleitung des Komiteebeschlusses an den Ständigen Ausschuss weder ein Berufungsprozess noch eine andere Kontrollmöglichkeit zur Verfügung. Auch auf Vertragsseite ist ein nur niedrigschwelliger Nachhalteprozess vorgesehen: Die Compliance-Entscheidung kann mit der Pflicht zu Erarbeitung einer Einhaltungsstrategie und eines dazugehörigen Zeitplans versehen werden. Die Kontrollmechanismen erstrecken sich daher auf die innerprozessuale Kontrolle: – Das endgültige Votum der Vertragsstaatenkonferenz stellt eine politische Kontrollmöglichkeit dar, von der allerdings kein Gebrauch gemacht wird. Die Berichte des Überprüfungsausschusses werden wortgleich angenommen. Schließlich trägt jede Vertragspartei durch ihren Vertreter bereits im Überprüfungsausschuss den Beschluss des Komitees. – Es gibt eine zivilgesellschaftliche Kontrolle durch die in allen Gremien zugelassenen NGO-Vertreter. Allerdings tragen sie in diesem Fall selbst als („teilnehmende“) Beobachter in gewisser Hinsicht bereits die Entscheidung des Compliance Committee mit. Mit anderen Worten wird die innerprozessuale Kontrolle dadurch geschwächt, dass die Akteure (und bezogen auf die Vertragsstaatenvertreter auch ihre Mandate) sich in allen Gremien gleichen. So kommt also keine echte Kontrolle zustande. Es herrscht eher eine Art kooperative Aufgabenteilung zwischen den legung von Art. 6 Abs. 3 Tourismusprotokoll wird durch folgenden Passus im Vorwort hergestellt: „Die hier vorgelegten Leitlinien […] veranschaulichen […] die Lehren des Überprüfungsausschusses aus einem Einzelfall“, S. 3. (ImplAlp/2016/24/6/2). 425  Darunter bspw.: Vermittlung von Experten, welche der/den betroffenen Vertragspartei/ en zur Seite stehen, Aufforderung an die betroffene/n Vertragspartei/en zur Erarbeitung einer Einhaltungsstrategie, Einforderung eines Zeitplanes zur Einhaltung (II. 4.2).

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Organen, die den Charakter dieses Nichteinhaltungsverfahrens als ausgelagerte politische Aushandlung unterstreicht.426

3. Würdigung Zwei formale Besonderheiten prägen die Auseinandersetzung mit der Alpenkonvention: Zum einen ist die Konvention ein Vertrag mit besonders kleiner, regional begrenzter und homogener Mitgliedschaft. Dass sich der Umsetzungsprozess dennoch als schwierig erweist, liegt an der – für das internationale Umweltrecht ungewöhnlich – umfangreichen Agenda, die nahezu alle Politikbereiche betrifft.427 Das Compliance-Verfahren der Alpenkonvention im Speziellen zeichnet sich durch seinen politischen Charakter aus. Der Anspruch mancher Protokolle zur Konvention tangiert teils zentrale gesellschaftliche Konfliktlinien, die schon lange in den Alpenanrainerstaaten bestehen. Dabei handelt es sich – auch – um stark polarisierte sozioökonomische und ordnungspolitische Problemfelder. Diese Entwicklung wird durch die kleine und homogene Mitgliedschaft (alle Länder sind einem einheitlichen, dem römisch-germanischen Rechtskreis zugehörig) begünstigt. Das Compliance-Verfahren ist ein politischer Aushandlungsprozess zwischen Akteuren auf gleicher Ebene – eine Art Peer-Review. Die Verfahrensrechte sind daher auf Beteiligung und Kooperation ausgerichtet und werden umfangreich gewährleistet. Die Vertraulichkeit von Informationen scheint allerdings gegenüber der Transparenz der Verfahren vorrangig zu sein, was ebenfalls Resultat des politischen Ansatzes ist. Ferner sind die Parteien und die zugelassenen Beobachter großteils in voller Zahl in allen Gremien vertreten. Das erschwert die Abgrenzung der einzelnen Vertragsorgane zueinander und in der Folge auch die gegenseitige Kontrolle der Organe. Vor diesem Hintergrund ist erstaunlich, wie juristisch das Compliance-Verfahren aufgebaut ist. Vor allem die Entscheidung gegen Deutschland wirkt wie ein Gerichtsurteil. Neben dem außergewöhnlichen intergouvernementalen Ansatz ist auch der große Einfluss von NGOs auf die Rechtsentwicklung bemerkenswert: auf der Ebene der Vertragsstaatenkonferenz, der einzelnen Vertragseinheiten und vor allem im Compliance-Verfahren (durch die Möglichkeit der Verfahrenseinleitung und Teilnahme als Beobachter). Dies liegt in den Ursprüngen der Alpenkonvention begründet. Dieses Charakteristikum könnte aber auch – der Aarhus Konvention folgend – einen Trend ausweisen. Das Compliance Committee konnte bisher – soweit die beiden einzigen Praxisbeispiele diesen Schluss zulassen – erhebliche Kompetenzen an sich ziehen. Die Verantwortung für politische Auslegungsentscheidungen scheint an das Komitee ausgelagert zu sein. Daneben ist auch das Sekretariat an der Aus426  427 

So sieht sich das Reviewing Committee als das zentrale Rechtsorgan des Vertrags an. Sie ist durch diese Besonderheiten u. a. Vorbild für die Kapatenkonvention geworden.



D.  Die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis des Compliance-Ansatzes

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legung beteiligt, anders als die rechtlichen Grundlagen dies vermuten lassen. Insofern bestätigt die Praxis der Alpenkonvention die Entscheidung für ein unabhängiges und machtvolles Komitee und gegen eine Hierarchisierung der Vertragsorgane.

D.  Die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis des Compliance-Ansatzes I.  Der Compliance-Mechanismus in der Theorie Die theoretischen Erwägungen zu den Eigenschaften und Zielsetzungen des Compliance-Systems stimmen nicht in allen Punkten mit der Praxis überein. In der ursprünglichen Konzeption sollte das Compliance-System zusammenfassend fünf Merkmale umfassen: 1. Compliance als „effective implementation“ (Koskenniemi)428: Bestehende Umsetzungsdefizite sollen abgebaut werden, indem die nationale Rechtsumsetzung durch Compliance-Mechanismen kontrolliert wird. 2. Compliance als Erweiterung des Monitoring-Gedankens: Die Sachverhaltsaufklärung ist ein wichtiger, vertrauensbildender Pfeiler des ComplianceVerfahrens.429 Bereits die Informationsbeschaffung und -offenlegung hat positive Auswirkung auf die Vertragseinhaltung.430 Die individuelle Compliance-Kontrolle ist demgegenüber subsidiär.431 3. Compliance als Unterstützung: Dem Grundgedanken des Compliance-Systems zur Folge weichen Staaten meistens ohne Absicht von Vertragsnormen ab432 und sollen aus diesem Grund im Nichteinhaltungsverfahren finanzielle und technische Unterstützung erhalten, um den Vertrag zukünftig einzuhalten.433 4. Compliance als politisches Verfahren: Compliance meint ein politisch-pragmatisches und kein gerichtliches, gegen einen Vertragsstaat gerichtetes Verfahren.434 5. Compliance als Akzeptanz eines annehmbaren Maßes an Rechtstreue435: Anders als beim Vertragsbruch kommt es beim Nichteinhaltungsverfahren 428 

Koskenniemi, YIEL 1993, 123–162, 123. Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 427. 430  So bspw. der Montrealer Ansatz, Kapitel 1 C. I. 431  Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 724. 432  Vgl. nur Handler Chayes/Chayes/Mitchell, Active Compliance Management, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development, 1995, S. 75–89. 433  Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 718. 434  Bodansky, Art and Craft, 2010, S. 248. 435  Lang, ZaöRV 1996, 685–695, 695. 429 

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

nicht auf die vollständige Einhaltung der Vertragsnormen an, sondern auf einen vertretbaren Umfang nationaler Umsetzung.

II.  Der Compliance-Mechanismus in der Praxis Das Compliance-System bewältigt Umsetzungsprobleme im Umweltrecht deutlich besser als die klassischen Durchsetzungsmechanismen. Es ist auch nach knapp 30 Jahren Praxis das meistgenutzte Werkzeug im Instrumentenkoffer des Umweltvölkervertragsrechts, um dessen Effektivität zu steigern. Einige Aspekte der ursprünglichen Konzeption werden verwirklicht. Die unterstützenden Elemente sind für das Compliance-System noch heute prägend, darunter fallen: – Die Selbstanzeige wird sehr häufig genutzt, damit Staaten von der durch das Compliance-System ermöglichten Unterstützung profitieren können. Dies zeigt an, dass die meisten Vertragsstaaten das Compliance-Verfahren in erster Linie als Mittel der Hilfestellung bei der nationalen Rechtsumsetzung verstehen. – In der Regel kommt es nicht zu einer „kontradiktorischen“ Einleitung: Denn obwohl eine Anzeige durch eine andere Partei in den meisten Fällen möglich ist, wird sie wegen ihres konfrontativen politischen Charakters fast nie erhoben. – Auch das Monitoring, also die fortlaufende Berichterstattung über die Vertragsumsetzung, ist ein praktisch gelebter Teilbereich des Compliance-Verfahrens, das die Vertrauensbildung unter den Vertragsstaaten fördert und eine breite Informationsbasis über den Umsetzungsstand schafft. – Es ist in weiten Teilen ein flexibler Mechanismus, der deutlich besser für das komplexe Umweltvölkerrecht gerüstet ist.436 – Schlussendlich nehmen sich alle Mechanismen die „gütliche Einigung“ zum Ziel. Es werden kaum Sanktionen mit erheblicher politischer Außenwirkung ergriffen; dies nicht zuletzt, um dem Compliance-Verfahren den politischen Rückhalt durch die Vertragsstaaten zu sichern. Durch den Aushandlungsprozess ist das Nichteinhaltungsverfahren eher politisch als administrativ geprägt und unterstreicht den Kooperationsgedanken umweltvölkerrechtlicher Verträge: „co-operative problem solving“437.438 436  Die Wechselbeziehungen verschiedener Umweltanforderungen können so eher abgebildet werden. Als Bsp. kann das gegen Deutschland eingeleitete Verfahren vor dem Genfer Luftreinhalteabkommen angeführt werden: Für die Einhaltung der im Klimaregime gesetzten Ziele in der Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase sind häusliche Heizanlagen teilweise auf Holzverbrennung umgerüstet worden. Damit ging jedoch der Anstieg des Hexalchlorbenzolausstoßes einher, der zum Compliance-Verfahren vor dem Komitee des Genfer Luftreinhalteabkommens geführt hat. Das Komitee hat diese Wechselbezüge in die Betrachtung miteinbezogen: ECE/EB.AIR/2010/2, B. 2., Rn. 40. 437  Brunnée, Compliance Control, in: Ulfstein/Marauhn/Zimmermann, (Hrsg.), Making Treaties Work, 2007, S. 373–390, S. 380.



D.  Die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis des Compliance-Ansatzes

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Obwohl diese Konstanten bestehen, hat die Praxis die Idee des ComplianceSystems seit dessen Konzeption rund um die Jahrtausendwende verändert. In vielen Punkten ist das praktizierte Compliance-Verfahren härter und greift stärker in die nationale Souveränitätssphäre ein, als die Theorie dies annahm.439 Der Compliance-Mechanismus ist „not so soft after all“440: – Die Vertragsstaatenkonferenz macht sich die sanktionierenden441 Effekte des von ihnen (veröffentlichten) abschließenden Berichts für den ComplianceMechanismus zunutze (naming and shaming).442 Es ist ein individualisiertes Verfahren, das sich mit den konkreten Handlungsaufforderungen, ergänzt durch Umsetzungsempfehlungen, vom reinen Monitoring abgrenzt. 438  Ulfstein/Marauhn/Zimmermann, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Making Treaties Work, 2007, S. 3–12, S. 10. 439  Im größeren Kontext Miehsler, Beschlüssen internationaler Institutionen, in: Schreuer (Hrsg.), Autorität und internationale Ordnung, 1979, S. 35–61, S. 36. 440  Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53. 441  Diese Charakterisierung des Compliance-Systems sowie die Verwendung des Begriffs der Sanktion scheuten die Kommentatoren „wie der Teufel das Weihwasser“ bei Sand, Pacta sunt servanda – Or Else?, in: Beyerlin/Stoll/Wolfrum (Hrsg.), Ensuring Compliance, 2006, S. 259–272, S. 260. Andere beschreiben die Non-Compliance-Verfahren als „proactive“, was ebenfalls eine ungewöhnliche Charakterisierung eines rein unterstützenden Mechanismus ist, den man eher als reaktiv bezeichnen würde. Bei Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 107. Erstaunlicherweise beschreibt das Compliance Committee der Aarhus Konvention Compliance-Mechanismen ganz generell mit der Funktion „[to] enforce compliance“ (UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 6). Insgesamt kann folgende Bewertung bestehen: „The costs […] of sanctions are increasingly emphasized, therewith strongly suggesting a cost-benefit analysis rather than analyses in terms of right and wrong.“ Klabbers, Commodification of International Law, in: Ruiz Fabri/Jouannet/Tomkiewicz (Hrsg.), Selected Proceedings, Vol. 1, 2008, S. 341–358, S. 341 f. 442  Sand, Pacta sunt servanda – Or Else?, in: Beyerlin/Stoll/Wolfrum (Hrsg.), Ensuring Compliance, 2006, S. 259–272. Bei Brunnée ist diese Divergenz im Zusammenhang mit dem Montrealer Protokoll als ein Wandel beschrieben: von der „amicable solution“ hin zu einem „gradual ‚hardening‘ […] including increasing resort to ‚sticks‘“ Brunnée, ZaöRV 2003, 255–280, 278; auch bei Fitzmaurice/Redgwell, NYIL 2000, 35–65, 65; „Prangerwirkung“ bei Schroeder, NuR 2006, 133–138, 136; bezeichnet den Nachhalteprozess mit kontinuierlichen Fortschrittsberichten über die nationale Umsetzung mit den Worten „dissenters are shamed and pressured into accepting the conventions“ Pan, HILJ 1997, 503–535, 508; Hedemann-Robinson, Enforcement, 2019 S. 46: „The greater degree to which non-compliance review systems are made public will assist in placing greater pressure on contracting parties to adhere to their environmental treaty obligations“. Das Prinzip „Öffentlichkeit als Sanktion“ nutzt auch die Rotterdam Konvention, s. GO des CC Mechanismus der Rotterdam Konvention S. 26. Allgemein aufgearbeitet von Irmscher, Öffentlichkeit als Sanktion, 2019. In sozialwissenschaftlichen Analysen ist von sozialem Druck die Rede, der gegenüber dem nichteinhaltenden Staat aufgebaut wird: „social pressure on the treaty parties“ Staal, After Agreement, 2018, S. 229 ff. und „law-determination function“ bei Milano, The Outcomes of the Procedure, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 407–418, S. 409. Dieser Ansatz basiert auf konstruktivistischen Grundannahmen: Aus Anpassung an die Umgebung, um Teil zu sein und nicht Außenseiter, halten sich Staaten an völkerrechtliche Normen. Darunter fällt der Sozialisierungsansatz vertreten u. a. von Goodman/Jinks, Socializing States, 2013.

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

– Auch der individualisierte Nachhalteprozess suggeriert – anders als die Maßgabe des reasonable level of compliance – eine Eins-zu-eins-Umsetzungsverpflichtung beziehungsweise -erwartung und weniger ein fortwährendes politisches Aushandeln der Vertragseinhaltung. Die Zahl der möglichen Auslegungsvarianten teils vager Vertragsnormen wird durch die autoritative Auslegung im Compliance-Verfahren reduziert.443 Nicht der einzelne Staat hat die Kompetenz für die Auslegung von Völkerrecht, sondern nur noch das multilaterale Vertragswerk.444 – Der „Konsens“ der Vertragsstaatenkonferenz bedeutet nicht immer eine inhaltliche Zustimmung aller Vertragsstaaten (Beispiel: consensus minus one).445 – Obwohl es ein politisches Verfahren sein soll, wird das internationale Recht in der Realität des Compliance-Verfahrens meistens durch Experten für die Vertragsstaaten interpretiert und damit dem (ganzheitlichen) politischen Diskurs entzogen. Nicht zuletzt zeigt sich das daran, dass eine juristische Ausdrucksweise gewählt wird. – Dadurch entsteht – obwohl es lediglich ein individuelles Nichteinhalteverfahren darstellen soll – eine selbstreferenzielle Spruchpraxis, ein „Rechtskorpus“446. – Es handelt sich letztlich um Recht, das eher dem Attribut „vertikal“ als „genossenschaftlich/koordinationsrechtlich“447 folgt. Das Compliance Committee fungiert damit als gerichtsähnliche Einheit.448 Ursprünglich war das Compliance-System somit als politisch-administratives Verfahren gedacht. In der Realität überwiegen jedoch gerichtsähnliche Wesenszüge;449 das Compliance-System ähnelt einer „Rechtsaufsicht“450:451 Compli443 

S. dazu Kapitel 2 D. IV. 2. Eine vergleichbare Argumentation findet sich in der aM des Richters Cançado Trinidade im Fall Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, S. 226–300, S. 348–382, S. 351. 445  S. dazu Kapitel 3 B. II. 2. b). 446  Begriff bei v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 273. 447  Begriffe bei Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 355. 448  So auch bei Klabbers: „[T]he more developed the compliance procedures become, the more they look like traditional enforcement mechanism“ Klabbers, Commodification of International Law, in: Ruiz Fabri/Jouannet/Tomkiewicz (Hrsg.), Selected Proceedings, Vol. 1, 2008, S. 341–358, S. 350. 449  „The legal effect of its findings […] and its approach to the handling of the hearings, as well as the requirement of the prior exhaustion of domestic remedies, are at odds with the bundle of ideas underlying the functioning of compliance mechanisms in general. What is more, the rigor with which the Committee and the MOP follow up findings of non-compliance is unusual“. Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 29. 450  Classen, VVDStRL 2008, 365–412, 371; die rechtsauslegende Tätigkeit ist nicht legislativen, sondern judikativen Charakters, vgl. Petzhold, UN-Menschenrechtsausschüsse, 2015, S. 13. Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 254 f. Davies, Pivotal or Secondary Function, in: Fitzmaurice/ 444 



D.  Die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis des Compliance-Ansatzes

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ance-Entscheidungen haben einen individualisierten Charakter und unterscheiden sich in diesem Merkmal von den Monitoring-Verfahren. Sie stellen konkrete Handlungsaufforderungen an einen einzelnen Staat und ergänzen diese mit Umsetzungsempfehlungen. Damit grenzen sich die Mechanismen nicht nur vom herkömmlichen Regelungscharakter des Völkerrechts ab, bei dem die Staaten für die Umsetzung von Völkerrecht verantwortlich sind. Sie konterkarieren darüber hinaus den finalen Regelungsansatz des Umweltvölkerrechts, bei dem nur das Ziel, aber nicht der Weg dorthin vereinbart wird. Sie sind nicht nur in empfehlender, sondern in einer stärker verpflichtenden, rechtlichen Sprache verfasst und beziehen sich auch auf Elemente des allgemeinen Völkerrechts452. French (Hrsg.), International Environmental Law, 2015, S. 87–115, Zitat auf S. 93, und S. 90 f.; Berner, ZaöRV 2016, 845–878, 850. Das BVerwG fasst es so: Durch die Spruchpraxis des Compliance Committee (der Aarhus Kovention) „soll das Abkommen für alle Vertragsparteien klare Konturen erhalten.“ BVerwGE 147, 312, Rn. 33 (Klagebefugnis einer Umweltvereinigung gegen Luftreinhalteplan). Vgl. Kapitel 2 B. III. 451  Über die Charakterisierung gehen die Meinungen auseinander: Autoren, die zu dem Schluss kommen, es handele sich um gerichtsähnliche Prozesse: Koester, Aarhus Convention, in: Ulfstein/Marauhn/Zimmermann (Hrsg.), Making Treaties Work, 2007, S. 179–217, S. 204 und „jurisprudence“ in Koester, EPL 2007, 83–95; die Entscheidungspraxis ähnele „case law“ Andrusevych/Kern (Hrsg.), Case Law, 2016 und Jendrośka, JEEPL 2011, 375–391; in der Praxis habe sich das Implementation Committee des Montrealer Protokoll als gerichtsähnlich etabliert und übe einen beträchtlichen Einfluss aus, Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/ Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 479; Röben, MPYUNL 2000, 363–443, 409 ff.; auch ehemalige Mitglieder des Compliance Committee der Aarhus Konvention meinen, die Verfahren hätten einen kontradiktorischen Charakter und „the Aarhus Mechanism begins to resemble […] a judicial procedure.“ Und: „[T]he Compliance Committee has become an enforcement mechanism capable of generating decisions with legal effect rather than a ‚soft remedy‘.“ Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 30, 31, erstes Zitat auf 45, zweites auf 52. „Rechtsaufsicht“ bei Classen, VVDStRL 2008, 365–412, 371. Auf der „Gegenseite“ wird die Auffassung vertreten, es handele sich um politisch-administrative Verfahren: mwN Tanzi/Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569–580, S. 578. Sie meinen, die Non-Compliance-Mechanismen seien nichtkonfrontative Ausweichsverfahren, die sie als innervertragliche Verwaltungsverfahren definieren, (ebd., S. 580). Montini kommt zu dem Schluss, dass Compliance Committees keine Ähnlichkeit mit gerichtlichen Verfahren haben: Es gäbe wenig festgelegte Verfahrensrecht und kaum Auseinandersetzung mit Beweislastproblemen und die Komiteebeschlüssen seien nur Empfehlungen an die Vertragsstaatenkonferenz, Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 393; beruft sich auf Adsett u. a., CYIL 2004, 91–142, 103. Nach Loibl handele es sich bei den Non-Compliance-Verfahren um politische Prozesse, da der Fokus auf dem Dialog mit der betroffenen Vertragspartei liege und die endgültige Entscheidung von der Vertragsstaatenkonferenz getroffen werde, Loibl, Compliance Procedures, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 426–449, S. 442; kommt zu dem Schluss, ein Non-Compliance-Verfahren beeinträchtige die ausschließliche Gerichtsbarkeit nach Art. 344 AEUV nicht, es handele sich vielmehr um ein komplementäres Verfahren Alì, The Interaction between International Law and European Union Law, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 521–534, S. 533. 452  Z. B. Open statement by the Committee regarding its findings on communication ACCC/C/2008/32 (part II) concerning the European Union. Petzhold ist ebenfalls der Überzeugung, dass der Aufbau und die Sprache von Entscheidungen für ihre Einordnung als ge-

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

Dieser verpflichtende Charakter wird durch den Nachhalteprozess verstärkt. Er bringt Staaten in eine Rechtfertigungslage.453. Es sind Kollegialentscheidungen anderer Staaten gegen einen einzelnen Staat mit zweideutigem Charakter – sanktionierend auf der einen, unterstützend auf der anderen Seite. Das Compliance Committee und der Nichteinhaltungsprozess – so wie er sich bis heute entwickelt hat – zeigen, dass eine Governance-Struktur entstanden ist, die durch Auslegung der Rahmenverträge Recht setzt. Die Committees übernehmen damit – informell – Aufgaben, die sonst nur den „Herren der Verträge“454, also den Vertragsstaaten zukommen. Sie agieren zunehmend unabhängig von der Vertragsstruktur. Unzureichende Verfahrensregeln und Verteidigungsrechte öffnen Tür und Tor für die Einflussnahme einzelner Interessengruppen auf die Vertragsfortentwicklung. Und dennoch gibt es einige Beobachter, die unter dem Motto „a more ‚toothless‘ provision is hard to imagine“455 größere Eingriffsmöglichkeiten für die Compliance Committees bevorzugen. Für sie sind die durchsetzungsstarken Komitees des Kyoto Protokolls und der Aarhus Konvention wünschenswerte Vorbilder für die zukünftige Entwicklung des Compliance-Ansatzes.456 Die multilaterale Zusammenarbeit sieht sich nach einem „Siegeszug“ derzeit großer Skepsis457 gegenüber: Die Lähmung des Streitschlichtungssystems der WTO seit 2019, die wegbrechende Unterstützung des IStGH458 oder der schrumpfende Einfluss des UNO-Menschenrechtsrats459 sollen als Stichworrichtsähnlich oder nicht relevant sind, vgl. Petzhold, UN-Menschenrechtsausschüsse, 2015, S. 13. 453  Erklärungsversuch über die Charakterisierung einer solchen Entscheidung als öffentlich-rechtlicher Eingriff mit der Folge, „dass [d]ie Handlungsalternative, einen nicht verbindlichen Akt nicht zu befolgen, […] meist nur theoretisch möglich [ist]“ bei v. Bogdandy/Dann/ Goldmann, Der Staat 2010, 23–50, 32; ihnen komme eine hohe Autorität zu: s. dazu das International Public Authority Project des Max Planck Instituts unter: http://www.mpil.de/de/pub/ forschung/nach-rechtsgebieten/voelkerrecht/ipa.cfm (zuletzt abgerufen am 25. April 2023); konkret zum Compliance-Verfahren bei Milano, The Outcomes of the Procedure, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 407–418, S. 409; eine philosophische Herangehensweise bei Schauer, Playing by the Rules, 1991, S. 62 ff. 454  Formulierung u. a. bei Classen, VVDStRL 2008, 365–412, 368. 455  Favre, A Guide to CITES, 1989, S. 297. 456  Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 793: „It may even be argued that a certain amount of certified non-compliance is helpful, since it enables the international regime to flex its lawmaking muscles.“ 457  „Ende des Multilateralismus“ bei Gujer, NZZ Internationale Ausgabe vom 26. Mai 2018, S. 1. 458  Tallberg/Zürn, RIO 2019, 581–606, 582. Das ist um so gravierender, da beide Instanzen häufig als Indiziengeber gehandelt werden, um den Stand des sich konstitutionalisierenden Völkerrechts zu illustrieren, z. B. bei Knauff, Soft Law, 2010, S. 61–64. 459  Im Oktober 2020 sind mit Russland, China und Kuba echte „Missetäter“ in den Menschenrechtsrat „gewählt“ worden. Dass die Regionalgruppen bereits vor der Wahl die Kandidaten ihrer Gruppe bestimmen und meistens genau die Anzahl an Staaten „zur Wahl antritt“ wie Plätze verfügbar sind, hat bei Zoll zu der scharfen Kritik geführt, dies seien Zustände wie in einer Diktatur. Vgl. Zoll, Für den Uno-Menschenrechtsrat braucht es unbedingt rich-



D.  Die Gegenüberstellung von Theorie und Praxis des Compliance-Ansatzes

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te genügen. Die multilaterale Zusammenarbeit schwächelt derzeit unter anderem wegen der zweifelhaften Legitimation dieser Gremien. Die aus der Empfindung, dass die Verfahren und Institutionen der Verantwortung, die sie für die Rechtsentwicklung haben, in „legitimatorischer“ Hinsicht nicht gerecht werden, folgenden Akzeptanzprobleme können auch auf das Compliance-System zukommen.460 Wenn „rechtsstaatliche“ Grundsätze gewahrt sind, verringert sich die Eingriffsintensität in die nationale Sphäre. Letztlich erhöht eine bessere Kontrollierbarkeit der Verfahren, größere Transparenz der Entscheidungsfindung und eine klare Verantwortungszurechung auch die Akzeptanz, Autorität und Durchsetzungskraft des internationalen Umweltrechts.461 Alleine das vergleichsweise schwache Compliance-System des Pariser Abkommens als Nachfolgevertrag für das in diesem Punkt außerordentlich fortschrittliche Kyoto Protokoll zeigt einen solchen Trend an.462 Daher muss – nicht nur um das Compliance-System zu erhalten – Vertrauen in die Verfahren zurück gewonnen werden. Denn der Compliance-Mechanismus der Praxis ist mit anderen völkerrechtlichen und nationalstaatlichen Anforderungen konfrontiert, als dies bei einem rein unterstützenden Verfahren der Fall wäre. Anforderungen sind beispielsweise, dass das institutionelle Gefüge des multilateralen Vertragswerks sich an den Machtzuwachs des Komitees anpassen muss. Das Verfahren vor dem Komitee muss in Aufbau und Konzeption der Verantwortung gerecht werden, die die Rolle als zentrale Auslegungsstelle mit sich bringt. Rechtswissenschaftlich gesehen entstehen die Erklärungslücken dadurch, dass sich das Compliance-System aus Strukturen heraus entwickelt hat und in der Folge Kompetenzen erhält, die mit den klassischen völkerrechtlichen Instrumenten nicht erfasst werden können. Das Problem besteht allerdings darin, dass noch keine Standards entwickelt worden sind, informelle, administrative Verfahren der Rechtsauslegung und tige Wahlen, 2020, abrufbar unter: https://www.nzz.ch/meinung/uno-menschenrechtsrat-esbraucht-eine-wirkliche-wahl-ld.1581577 (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 460  Unter dem Titel: „The Legitimacy of International Governance: A Coming Challenge for International Environmental Law?“ Bodansky, AJIL 1999, 596–624. Als plastisches Bsp. bejagt Island wieder Finnwale und das auf Anmerkung, dass die Verfahren der Berner Konvention, die zuvor das Verbot (u. a.) ausgesprochen haben, nicht rechtsstaatlich, also nicht nach zuvor festgesetzten Kriterien verlaufen, z. B. auf der 15. COP (1996) der Berner Konvention. 461  Diese Verbindung zwischen „Accountability“ und Effektivität u. a. auch bei Slaughter/ Zaring, ARLSS 2006, 211–229, 220. Sie votieren in ihrer Schlussfolgerung allerdings für nur milde Reformen der informellen Rechtssetzungsinstanzen auf internationaler Ebene und machen Werbung dafür, diesen Strukturen mehr Vertrauen zu schenken, selbst verantwortlich mit dem eigenen Einfluss umzugehen, s. ebd., 222 f. 462  Die Vertragsstaaten haben von einer starken und machtvollen Erfüllungskontrolle Abstand genommen. S. dazu Art. 15 Abs. 2 Paris Abkommen: „Der in Absatz 1 genannte Mechanismus besteht aus einem Ausschuss, der sich aus Sachverständigen zusammensetzt, einen vermittelnden Charakter hat und in einer transparenten, als nicht streitig angelegten und nicht auf Strafen ausgerichteten Weise handelt. Der Ausschuss berücksichtigt besonders die jeweiligen nationalen Fähigkeiten und Gegebenheiten der Vertragsparteien.“

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Kapitel 1: Die Nichteinhaltungskontrolle: „Something practical that works“

-weiterentwicklung legitimatorisch „zu steuern“. Die bekannten Instrumente, die sich an der Souveränität der Vertragsstaaten, der Rechtsquellenlehre des Völkerrechts oder aber dem Grundsatz der völkerrechtlichen Bindung nur nach staatlicher Zustimmung aufhängen, entfalten kaum Erklärungskraft für das Compliance-System, das teils außerhalb dieser herkömmlichen Konzepte zu verorten ist.463

E.  Ergebnis des ersten Kapitels Die im Umweltvölkerrecht eingerichteten Compliance-Verfahren werden von ihrem Erfolg überrannt: Die Staatengemeinschaft scheint sich einig zu sein, dass die Erfüllungskontrolle ein aussichtsreiches Instrument darstellt, die effektive Um- und Durchsetzung völkerrechtlicher Normen zu erreichen – denn auch in jüngeren umweltvölkerrechtlichen Verträgen werden Compliance-Verfahren eingesetzt.464 Die Vertragsstaaten schaffen im Nachgang des völkerrechtlichen Vertragsschlusses mit den Compliance Committee wirkungsstarke, expertendominierte Spruchkörper, die das Vertragsrecht anhand einzelner Fälle kontinuierlich weiterentwickeln. Sie missachten dabei teilweise die Gewährleistung von Verfahrensrechten, wie dem Ausgleich zwischen Einflussnahme, Druckmitteln und Abwehrrechten, und die Regeln einer klaren Verantwortungszurechnung sowie externen und politisch-demokratischen Kontrolle. Mit Blick auf die (wenigen) politischen Konflikte, die innerhalb des Compliance-Systems ausgetragen werden wie der consensus minus one gerichtet gegen Russland oder die Auseinandersetzungen mit der EU innerhalb der Aarhus Konvention und gleichzeitig auch mit Blick auf den allgemeinen Trend der Abkehr von der multilateralen Zusammenarbeit in ihrer bisherigen Form, der sich unter anderem am (vorläufigen) Ende des zweistufigen WTO-Streitschlichtungssystems veranschaulichen lässt, gilt als Losung: Die Akzeptanz multilateraler Zusammenarbeit durch kontrollierte und kontrollierbare Institutionen und Verfahren fördern. Die Kooperation der Vertragsstaaten mit dem ComplianceMechanismus ist die zwingende Voraussetzung für den Bestand und Durchsetzungserfolg der Erfüllungskontrolle. Und diese Kooperation basiert darauf, dass die Staaten Vertrauen in den Vertragsmechanismus legen. Das Vertrauen lässt sich am sichersten dadurch erreichen, dass das Compliance-System als legitim und das Compliance-Verfahren als „rechtsstaatlich“ und „fair“ angesehen wird. 463  Zu beiden Punkten – der Verortung und der legitimatorischen Steuerung – siehe die folgenden beiden Kapitel. 464  Vgl. bspw. Art. 15 PA; so auch Tanzi/Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569–580, S. 569.



E.  Ergebnis des ersten Kapitels

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Es genügt aber nicht nur die Akzeptanz durch die Vertragsstaaten, sondern nach der Analyse tun sich „handfeste“ Lücken auf, die den Einzelnen betreffen: Die hohe Regelungsdichte auf völkerrechtlicher Ebene macht es erforderlich, die individuelle Freiheit schon auf dieser Ebene zu schützen: „Je dichter […] solche Vollzugsvorgänge werden, desto mehr schrumpft die Distanz, die das klassische Völkerrecht zwischen das Handeln der internationalen Organisationen und das Individuum gelegt hatte.“465

Nach der Analyse der Verfahren müssen sich die Lösungsvorschläge maßgeblich auf die Eingrenzung der Machtausübung beziehen, um den Prozess „under control“466 zu bringen, um die Vertragsweiterentwicklung im Compliance-Verfahren zu disziplinieren.

465  466 

Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315–338, 323. Majone, EUI Working Paper 1994, 1–29, 2.

Kapitel 2

Treaties over time „Treaties are not just dry parchments. They are instruments for providing stability to their parties and for fulfilling the purposes which they embody. They can therefore change over time, and must adapt to new situations, evolve according to the social needs of the international community and can, sometimes, fall into obsolescence.“1

Der Deutsche Bundestag sieht in der Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz, mit der das Compliance-Verfahren gegen Deutschland im Rahmen der Aarhus Konvention abgeschlossen wurde, eine – verbindliche – „Feststellung der Völkerrechtswidrigkeit des geltenden deutschen Rechts“2. Das nationale Recht folgere daraus die Verpflichtung zum „Tätigwerden des Bundesgesetzgebers“3. Zusammengefasst bedeutet das: „Die vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Aarhus Konvention sind durch den für Deutschland verbindlichen Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz konkretisiert worden.“4 Hält diese Rechtsauffassung einer Überprüfung anhand des Völkervertragsrechts stand? Handelt es sich bei der Auslegung im Compliance-Verfahren um bereits auf völkerrechtlicher Ebene verpflichtende Instrumente? Oder begründet die Spruchpraxis im Compliance-Verfahren als spätere Übung der Vertragsstaatenkonferenz lediglich eine Berücksichtigungspflicht? Wie wäre diese gegebenenfalls innerstaatlich zu werten? Über welchen Weg erreicht die Auslegung und damit die Fortentwicklung des Rahmenvertrags überhaupt das deutsche Recht? Ist sie hier einer (verbindlichen) völkerrechtlichen Verpflichtung, also dem Vertragsrecht gleichzusetzen? Was folgt aus einer solchen Gleichsetzung für den institutionellen, prozessualen und personellen Aufbau und Ablauf des Compliance-Verfahrens? Einer kurzen Einführung in das Völkervertragsrecht folgt die Einordnung der Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz im Compliance-Verfahren in 1  Georg Nolte in seiner Funktion als Special Rapporteur zit. von Arato, LPICT 2010, 443– 494, 444. 2  BT-Drs.: 18/9526, S. 31. 3  BT-Drs.: 18/9526, S. 31. 4  BT-Drs.: 18/9526, S. 32.

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Kapitel 2: Treaties over time

das Regelungssystem der Wiener Vertragsrechtskonvention (WÜV).5 Die Einordnung als spätere Übung (Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV) hat völkerrechtlich eine Berücksichtigungspflicht zur Rechtsfolge – wiederum eine rechtliche Aussage, die der Auslegung bedarf, um verständlich und zugänglich zu werden. Was unter „zu berücksichtigen“ zu verstehen ist, kann im Völkerrecht anders zu bewerten sein als im deutschen Recht.6 Der Interessenschwerpunkt liegt mit Blick auf die zentrale Fragestellung auf der nachgelagerten Bewertung im deutschen Recht und damit abschließend auf der Beantwortung der Frage, ob die parlamentarische Einordnung der Entscheidung im Aarhus-Verfahren geteilt werden kann. Der sich an den völkerrechtlichen Teil anschließende außenverfassungsrechtliche Teil der Untersuchung wird in eine knappe verfassungsrechtliche Bestandsaufnahme gebettet und umfasst des Weiteren zwei Teile: Zunächst gilt es, einen Rechtsanwendungsbefehl für die spätere Übung im Compliance-Verfahren zu ermitteln. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG steht im Fokus der Bearbeitung und offenbart sich als flexibler Tatbestand. Nachdem der Rechtsanwendungsbefehl gefunden ist, kann die konkrete Rechtsfolge, die das Verfassungsrecht der Berücksichtigungspflicht beimisst, definiert werden. Dies vollzieht sich – anknüpfend an die Aussagen des Deutschen Bundestags – maßgeblich über den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit. In der Subsumtion des ComplianceVerfahrens unter die Regelungen des Außenverfassungsrechts werden die im ersten Teil dieser Untersuchung gefundenen Erkenntnisse zur praktischen Anwendung gebracht. Abseits der Normen des Außenverfassungsrechts ist das Staatsrecht der internationalen Beziehungen (Schorkopf ) an die grundlegenden Elemente der deutschen Verfassung gebunden. Auch das einflussreiche Compliance-Verfahren muss sich letztlich im innerstaatlichen Bereich (in abgeänderter Form) an diesen Maßstäben messen lassen. Am Ende dieses Kapitels soll deutlich werden, in welchen Bereichen aus grundgesetzlicher Perspektive Lücken bestehen. Im nächsten und letzten Teil der Arbeit sollen aus Best-practiceBeispielen Stellschrauben präsentiert werden, um diese Lücken, wenn nicht zu schließen, zu verkleinern. 5  Auch: exegetischer Ansatz. Dieser wird bei der Auslegung des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV selten gewählt, u. a. aber von der Berufungsinstanz der WTO (genannt Appelate Body). Häufiger wird Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV liberal ausgelegt. Bspw. bei Hafner, Subsequent Agreements and Practice, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 105–122, S. 108 ff. Es warnt vor einer liberalen Auslegung Kohen, Right Limits, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 34–45, S. 34. Bianchi verweist wie auch Kohen darauf, dass das Rechtsinstrument der späteren Übung ein „intricate thread“ ist, der sorgsam entwirrt werden muss, vgl. Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 133–141, S. 133. Beide Analysen bieten damit Argumente, die für die tatbestandsgebundene Auslegung sprechen. 6  Eine ähnliche Aufteilung der Bearbeitung auch bei BVerfGE 111, 307, 319 ff. (Görgülü), wo das Gericht zunächst nach der Bindungswirkung von EMRK-Urteilen nach dem Recht der EMRK beurteilt und dann die Rezeption der Entscheidungen nach Verfassungsrecht. Dazu Cremer, EuGRZ 2004, 683–700, 689.



A.  Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

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A.  Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge I.  Das Völkervertragsrecht als Ausdruck der Staatszentrierung: Einführung Das Völkervertragsrecht ist mit dem Völkergewohnheitsrecht die wichtigste Quelle des Völkerrechts und „Ausdruck der Staatszentrierung und Souveränitätsbasiertheit der überkommenen internationalen Rechtsordnung.“7 Es ist in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts selbst durch zwei völkerrechtliche Verträge kodifiziert worden: durch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 19698 und ergänzend durch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen von 19899. Für die nachfolgende rechtliche Einordnung ist das erste der beiden Abkommen, das WÜV, maßgeblich. Das WÜV ist 1980 in Kraft getreten, nachdem die notwendige Anzahl an Signatarstaaten erreicht wurde. Mittlerweile gibt es 114 Vertragsparteien.10 Das WÜV ist mit dem Gewohnheitsrecht auf dem Gebiet des Völkervertragsrecht eng verwoben. Stellenweise kodifiziert es bereits vor seinem Abschluss bestehendes Gewohnheitsrecht11 und ist seinerseits mittlerweile nahezu deckungsgleich mit „heutigem“ Gewohnheitsrecht12 im Bereich des Völkervertragsrechts.13 7 

Knauff, Soft Law, 2010, S. 40. „Treaty on Treaties“ bei Kearny/Dalton, AJIL 1970, 495–561, 495. Der Vertrag trat 1980 in Kraft. Am 29. April 1970 unterzeichnete Deutschland den Vertrag, ratifiziert wurde er am 03. August 1985. Das Gesetz zum Wiener Übereinkommen trat am 14. August 1985 in Kraft, BGBl. 1985 II, S. 926 ff. 9  Dieses Übereinkommen ergänzt das WÜV (s. Art. 3 WÜV). Der Text der Art. 31 und 32 WÜV ist wortwörtlich im Übereinkommen von 1989 übernommen. 10  Status am 28. März 2018. Die Vereinten Nationen zählen daneben den Heiligen Stuhl und Palästina zu den Vertragsparteien. 11  Dies ist eine sehr verkürzte Darstellung. Umfangreichere Aufarbeitung mwN bei Sorel/ Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, insb. S. 809–812 (bestehende Unsicherheiten am Ende des Abschnitts besonders hervorgehoben). 12  Crema, Within and Outside the Vienna Convention, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 13–28, S. 14; D’Aspremont, Formalism versus Flexibility, in: Tams/ Tzanakopoulos/Zimmermann (Hrsg.), Law of Treaties, 2014, S. 257–284, S. 275; stellt die gewohnheitsrechtliche Anwendbarkeit infrage, da die opinio iuris nicht hinreichend belegt werden könne: Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013, S. 81–84. 13  Deckungsgleiches Gewohnheitsrecht ist auch auf Verträge anwendbar, die vor 1980 abgeschlossen wurden sowie Verträge zwischen Staaten, die nicht Vertragspartei des WÜV sind. Es ergänzt die kodifizierten Regeln insoweit. Nicht Vertragspartei ist z. B. Frankreich, das allerdings Partei der Aarhus Konvention, der Alpenkonvention und des Montrealer Protokolls ist. Nicht ratifiziert haben das WÜV die USA, die dafür aber Vertragspartei des Montrealer Protokolls sind. Dazu anstatt Vieler Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 13. 8 

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Kapitel 2: Treaties over time

Die Präambel hält für das gesamte WÜV fest, welchem Telos das Übereinkommen folgt: Verträge seien Mittel der friedlichen Zusammenarbeit der Staaten auf dem Grundstein freier Zustimmung souveräner, gleicher und unabhängiger Staaten. Regelungsgegenstand des Übereinkommens sind Verträge zwischen Staaten (Art. 1 WÜV), worunter auch Gründungsverträge internationaler Organisationen zählen (Art. 5 WÜV). Geregelt werden das gesamte „Leben“ und „Ableben“ eines Vertrags – vom Abschluss und Inkrafttreten (Teil II), mit der Festlegung des authentischen Texts (Art. 10 WÜV), – über die Einhaltung, Anwendung und Auslegung (Teil III), wo nicht nur der völkerrechtliche Grundsatz pacta sunt servanda14 (Art. 26 WÜV) zu finden ist, sondern auch die Grundregel, dass innerstaatliches (Verfassungs-)Recht der Einhaltung eines völkerrechtlichen Vertrags nicht entgegengehalten werden kann (Art. 27 WÜV), – bis hin zur Änderung und Modifikation (Teil IV) sowie – zu Ungültigkeit, Beendigung und Suspendierung (Teil V).

II.  Der Abschnitt 3 – synthèse très remarquable Die Art. 31 bis 33 WÜV über die Auslegung von Verträgen sind in der wissenschaftlichen Debatte vor etwa 20 Jahren in den Fokus gerückt15 – seit sie auch von der Rechtsprechung des IGH verstärkt rezipiert wurden.16 Vor allen Dingen Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV haben seitdem besondere Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen17 und gerichtlichen18 Auseinandersetzung erhalten. 14  Für die Auslegung und Anwendung von Vertragsnormen gelten die Rechtsgrundsätze Treu und Glauben sowie pacta sunt servanda: „Fundamental Principles“ in Pazarci, 1969 Vienna Convention. Preamble, in: Corten/Klein (Hrsg.), Vienna Convention Commentary, 2011, S. 1–11, S. 4; es konnte durchgesetzt werden, den Grundsatz pacta sunt servanda in uneingeschränkter Form im Vertrag aufzunehmen, Kearny/Dalton, AJIL 1970, 495–561, 516; ein eigenständiger normativer Gehalt des Grundsatzes wird bestritten. Er beschreibe lediglich das rechtliche Konzept des Vertrages, umfangreich aufgearbeitet bei Schäfer, Abkommensüberschreibende Bundesgesetze, 2020, S. 72–75, u. a. mit dem Verweis auf die Wortwahl „Begriffsökonomie“ von Walz, Völkerrecht und staatliches Recht, 1933, S. 313. 15  „Article 31 has been […] frequently mentioned“ in: Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 805. 16  Eine kurze Rezeptionsgeschichte mit Blick auf den IGH gibt Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 14 ff. Nach den Recherchen Cremas haben die Art. 31 bis 33 WÜV „widespread, pervasive success: they have been used in (almost) every international jurisdiction“, Crema, Within and Outside the Vienna Convention, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 1328, S. 14. 17  Um nur einige zu nennen: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of Treaties, 2011 (darin „Part II“); Fitzmaurice/Elias/Merkouris (Hrsg.), Treaty Interpretation 30 Years On, 2010; Gardiner, Treaty Interpretation, 2015; Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013. 18  Mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung zu Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV in



A.  Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

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Während die allgemeinen Auslegungsregeln des Art. 31 WÜV im Zentrum der Betrachtung stehen, handelt es sich bei Art. 32 WÜV, den ergänzenden Auslegungsmitteln, um eine Hilfestellung zum Verständnis des erstgenannten Artikels. Art. 33 WÜV regelt die Interpretation in den Fällen, in denen mehrere authentische Fassungen eines Vertrags in unterschiedlichen Sprachen vorliegen. Auch die Regeln der Art. 31 bis 33 WÜV bauen auf völkerrechtlichen Prinzipien der Vertragsauslegung auf, die sich vor der Kodifikation entwickelt haben.19 Dennoch erwies sich der Normsetzungsprozess als äußerst schwierig („delicate“20); es grenze an ein Wunder, dass man letztlich einen allgemein akzeptierten Konsens in kondensierter Form habe verabschieden können, so die wissenschaftlichen Kommentatoren.21 Die Verhandlungen wurden durch zwei sich gegenüberstehende Ansätze besonders erschwert: Die einen vertraten eine eng am Wortlaut orientierte Auslegung, die anderen befürworteten eine weitere Auslegung, bei der der Text zwar Ausgangspunkt, die Intention der Parteien aber maßgebend sein sollte.22 Die am Wortlaut orientierte Auslegung wurde vor allem von der International Law Commission und den Vertretern der Wiener Konferenz propagiert, während unter anderem die USA die weitere Auslegung befürworteten. Letztlich hat sich die enge, am Wortlaut orientierte Auslegungsvariante durchgesetzt und mit den Art. 31 bis 33 WÜV Form angenommen.23 An Art. 31 bis 33 WÜV kann abgeCase Concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana v. Namibia), Judgment of 13 December 1999, ICJ Reports 1999, 1045–1109, 1076. 19  D’Aspremont, Formalism versus Flexibility, in: Tams/Tzanakopoulos/Zimmermann (Hrsg.), Law of Treaties, 2014, S. 257–284, S. 276. Die spätere Übung und die nachfolgende Vereinbarung waren bereits vor Verabschiedung der WÜV gewohnheitsrechtlich verankert, Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 70; es gibt jedoch auch Stimmen, die Art. 31 WÜV eine Norminnovation nennen bzw. die gewohnheitsrechtliche Verankerung bestreiten, mwN bei Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 105–122, S. 108, 118. 20  Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 805. 21  D’Aspremont, Formalism versus Flexibility, in: Tams/Tzanakopoulos/Zimmermann (Hrsg.), Law of Treaties, 2014, S. 257–284, S. 277; Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 105–122, S. 106; zur Rechtssetzungsgeschichte des Art. 31 s. Rosenne, A Guide to Legislative History, 1970. 22  Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 808 sehen bei der Vertragsauslegung drei Ansichten vertreten: 1) Wortlautorientierung, 2) Orientierung am Willen der Vertragsparteien, 3) Teleologische Auslegung (auch: ergebnisorientierte Auslegung) mit dem Ziel, den Willen der Vertragsparteien aus dem Wortlaut zu extrahieren; vgl. dazu Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 105–122, S. 117; zwei Pole der Vertragsinterpretation von strikter Wortlautorientierung bis hin zur Auslegung anhand von Intention und „Geist“ des Vertrages seien schon in der Antike vertreten worden, Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 58, 60; Ursprung des Völkervertragsrecht bei den Sumerern, Kearny/Dalton, AJIL 1970, 495–561, 496. 23  Merrills, AYIL 1969, 55–82, 79; Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 9. Scott meint

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Kapitel 2: Treaties over time

lesen werden, welchen Balanceakt die völkerrechtliche Vertragsinterpretation erfordert: Eine die Souveränität der Vertragsparteien schützende, eingeschränkte Interpretation muss sich die Waage halten mit dem effet utile24 des Vertrags.25 Dies soll durch eine Auslegung nach Treu und Glauben (Art. 31 Abs. 1 WÜV) erreicht werden. Dabei weist jedoch der Trend im Verständnis des Art. 31 WÜV auf eine Ausweitung des Effektivitätsgrundsatzes zulasten des restriktiven Interpretationsansatzes hin.26 Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der zähen Verhandlungen wird das Ergebnis, der Wortlaut der Art. 31 bis 33 WÜV, von Kommentatoren mit sich überschlagenden Worten beschrieben: „malleable tools“27, „central clause of the Vienna Convention“, „[i]ts success is undoubtedly due to the relative lucidity of its terms as well as the consensus to which it gives rise“28, „a masterpiece of precise drafting“29 und „synthèse très remarquable“30. Die genaue Analyse von Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV zeigt jedoch, dass der endgültige Wortlaut zwar eine fantastische politische Verhandlungsleistung darstellen mag, auf rechtlicher Ebene aber immer noch eine Menge dogmatischer, systematischer und technischer Fragen aufwirft.31 Die vorliegende Studie greift die aktuelle Diskussion um die spätere Übung innerhalb völkerrechtlicher Verträge auf. Die Debatte nimmt ihren prominenten Ausgang mit der Arbeit der International Law Commission (ILC)32 unter Berichterstatter Georg Nolte zum Thema „Subsequent Agreement and Practice hingegen, alle drei „Schulen“ juristischer Vertragsauslegung – die am Wortlaut orientierte, die subjektive und die teleologische – seien in Art. 31 und 32 WÜV vereint, Scott, Political Interpretation, 2004, S. 2. 24  Beschrieben als eine Mischung aus teleologischer Interpretation und dem Gutglaubensgrundsatz, Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 817. Auf Deutsch wohl „praktische Wirksamkeit“ bei Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 2016, Art. 288 Rn. 48. 25  Ausführlich mit Bezug auf die lange und immer noch aktuelle Geschichte der Wissenschaft von der Vertragsinterpretation (von Grotius über Vattel und Oppenheim bis heute) Lauterpacht, BYIL 1949, 48–85. 26  Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 66 ff.; Nußberger, Das Völkerrecht, 2010, S. 17; nach Abschluss wurde noch das Gegenteil vertreten, Kearny/Dalton, AJIL 1970, 495– 561, 519; andererseits hat die teleologische Interpretation von (Gründungs-)Verträgen eine lange Tradition, vgl. dazu Scheuner, ZaöRV 1950/51, 556–614, 613. 27  Alvarez, Limits of Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 123–132, S. 123. 28 Beides Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 805. 29  Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 106 und S. 122. 30  Daillier/Forteau/Pellet, Droit international public, 2009, S. 290. 31  Auch in der wissenschaftlichen Beabeitung der Normen finden sich kritische Stimmen, vgl. Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2012, S. 72; Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 105–122, S. 106 und S. 117 mwN. 32  Die ILC ist ein subsidiäres Organ der Vereinten Nationen mit der Aufgabe, das Völker-



A.  Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

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with Respect to Treaties“. Der erste Vorschlag, eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema einzusetzen, datiert auf das Jahr 2007. Seitdem wurden vier Berichte durch eine Studiengruppe mit dem Titel „Treaties over Time“ veröffentlicht.33 Der letzte wurde auf der 68. ILC-Sitzung 2016 angenommen. Im vierten Bericht nimmt Nolte auch Bezug auf von ihm unter den Begriff „treaty monitoring bodies“ gefasste Compliance Committees und nutzt unter anderem das Kyoto Protokoll und die Aarhus Konvention als Fallbeispiele. Er folgert, die Entscheidungen der Komitees selbst können nicht als verbindliche Vertragsinterpretation gesehen werden, und stützt sich damit auf das formelle Argument, dass die vertragliche Rechtsgrundlage die Non-Compliance-Committee auch nicht mit rechtsverbindlicher Entscheidungsmacht ausstatten.34 Im dritten Bericht, mit dem Untersuchungsgegenstand „subsequent agreements and practice as forms of action in their immediate form as they occur in international relations“, erkennt Nolte an, dass Vertragsstaatenkonferenzen durchaus rechtlich wirksame Vertragsinterpretationen vornehmen können.35 Speziell das wissenschaftliche Echo des dritten Berichts berührt auch verfassungsrechtliche Fragen.36

recht weiterzuentwickeln. Sie wurde 1947 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Basis von Art. 13 Abs. 1 lit. a) UN-Charta ins Leben gerufen. 33  Folgende Themen werden abgedeckt: Der erste Bericht behandelt die Rechtsprechung des IGH und von (Ad-hoc-)Schiedsgerichten mit Bezug auf spätere Übung und nachträgliche Vereinbarungen (Nolte, Introductory Report, in: ders. [Hrsg.], Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 169–209), der zweite Bericht behandelt die Rechtsprechung unter besonderen Regimen mit Bezug auf spätere Übung und nachträgliche Vereinbarungen, (Nolte, Second Report, in: ders. [Hrsg.], Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 210–306) und der dritte und für diese Untersuchung zentrale Bericht behandelt die spätere Übung und nachträglichen Vereinbarungen in der (außergerichtlichen) Staatenpraxis (Nolte, Third Report, in: ders. [Hrsg.], Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386). Der vierte Bericht setzt sich vornehmlich mit sogenannten Expertengremien (auch Compliance Committees) auseinander. Beispiele kommen vor allem aus dem Bereich der Menschenrechte, vgl. Nolte, Fourth Report on Subsequent Agreements and Subsequent Practice in Relation to Treaty Interpretation, 07. März 2017, A/CN.4/694. 34  Bzw. lediglich in seltenen Ausnahmefällen. Vgl. Nolte, Third Report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 379. 35  Nolte, Third Report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307– 386, S. 379. 36  Ebenfalls mit der verfassungsrechtlichen Perspektive befasst: Fabri, Concerns of Legitimacy, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 160–166; Kadelbach, Domestic Constitutional Concerns, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 145–153; Staal, After Agreement, 2018, u. a. S. 271 ff.; Wuerth, Treaty Interpretation and Domestic Constitutions, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 154– 159.

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Kapitel 2: Treaties over time

III.  Vertragsinterpretation als Schnittstelle von Recht und Politik37 Die Norm lautet wie folgt: Art. 31 Allgemeine Auslegungsregel (1) Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. (2) Für die Auslegung eines Vertrags bedeutet der Zusammenhang außer dem Vertragswortlaut samt Präambel und Anlagen a) jede sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde; b) jede Urkunde, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses abgefasst und von den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde angenommen wurde. (3) Außer dem Zusammenhang sind in gleicher Weise zu berücksichtigen a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen; b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht; c) jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz. (4) Eine besondere Bedeutung ist einem Ausdruck beizulegen, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben. Art. 31 WÜV ist als ein umfassendes Interpretationsprogramm zu verstehen. Seine Rechtsfolge ist eine Berücksichtigungspflicht bei der Auslegung einer Vertragsnorm, die im Deutschen mit „sind […] zu berücksichtigen“ im Text angezeigt wird (engl. taken into account; franz. il sera tenu compte; ital. verrà tenuto conto).38 Art. 31 WÜV hat insgesamt vier Absätze, die nicht in einer Rangabfolge zueinander stehen, sondern einer inneren Logik folgend aufeinander aufbauen. Es sind immer alle Interpretationssätze zu beachten und gegebenenfalls anzuwenden.39 Falsch wäre beispielsweise die Annahme, Art. 31 Abs. 1 WÜV gebe den zentralen und maßgeblichen Interpretationsansatz vor, der in einer Art Rangfolge die erste zu überwindende Hürde vorgibt.40 37  „[I]nterpretation occupies a prime position on the crossroads between law and politics“ Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 807. 38  Was unter dieser Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht sowie im Völkerrecht zu verstehen ist, s. u. 39  Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2012, S. 73. 40  Wird immer wieder betont u. a. von Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 6, 8, 10;



A.  Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

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Abs. 1 legt den Grundstein der Interpretation für die weiteren Absätze: Die Wortlautauslegung – orientiert an der gewöhnlichen Bedeutung der Bestimmungen – steht im Zentrum einer jeden Auslegung. Sie wird von dem Grundsatz von Treu und Glauben sowie dem Telos der Bestimmung flankiert.41 Abs. 2 spezifiziert den im ersten Absatz bereits verwandten Begriff des Zusammenhangs. Im ersten Absatz dient der Begriff „Zusammenhang“ dazu, die gewöhnliche Bedeutung des Wortlautes in eine Systematik mit dem Inhalt des Vertragswerks zu bringen. Diese systematische Auslegung soll nach Abs. 2 neben dem Vertragstext selbst die Präambel und Annexe sowie alle weiteren formellen Übereinkünfte einbeziehen. Abs. 3 sieht – gleichgeordnet42 mit Abs. 2 – vor, dass (in temporaler Hinsicht) jede spätere Übereinkunft (lit. a), jede spätere Übung der Parteien (lit. b) und (in thematischer Hinsicht) jeder einschlägige und anwendbare Völkerrechtssatz (lit. c) ebenfalls bei der Auslegung der Vertragsnormen zu berücksichtigen sind. Triebfeder insbesondere des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV („spätere Übung“) war der Gedanke, rückblickend (auf die ursprüngliche Intention der Vertragsparteien) die Vertragsnormen interpretativ auszuformen – die sogenannte evolutive interpretation mit aufzunehmen.43 Art. 31 Abs. 3 lit. c) WÜV beschreibt hingegen die sogenannte systemic interpretation, die ebenfalls eine Form evolutiver Auslegung beinhaltet, mithilfe derer der Fragmentierung des Völkerrechts entgegengewirkt werden soll.44 Abs. 4 trägt einer speziellen Intention der Vertragsparteien Rechnung.45 In der nachfolgenden Analyse wird insbesondere der dritte Absatz der Vorschrift im Vordergrund stehen. Dazu wird dieser Absatz zunächst abstrakt tiefergehend vorgestellt und danach auf das Compliance-Verfahren angewandt.

„not […] a fixed canon or a hierarchy for the purpose of interpretation“ in: Nolte, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 1–10, S. 2; Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 807; Böth betont den integralen Charakter mit Verweis auf den Singular in der Überschrift general rule of interpretation, Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013, S. 107. 41  Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 807. 42  „[I]n gleicher Weise zu berücksichtigen“, Art. 31 Abs. 3 WÜV, Gardiner, Treaty Interpretation, S. 6, 8, 10; Nolte, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 1–10, S. 2. 43  Bowman, MJIL 2008, 293–499, 436 ff. 44  McLachlan, ICLQ 2005, 279–320. Zu den Schwierigkeiten der Einordnung und des Verständnisses der systematischen Interpretation vgl. Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, u. a. S. 92 ff. 45  Heben hervor, dass gerade der EuGH Abs. 4 häufig im Rahmen einer teleologischen Auslegung nutzt. Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 808.

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Kapitel 2: Treaties over time

B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?46 „Spätere Übung ist Brauch, Übung oder herrschender Standpunkt, der in Akten, Entscheidungen und Äußerungen zu einem bestimmten Vertrag zutage trat.“47

Wie sind die Entscheidungen im Nichteinhaltungsverfahren im Lichte von Art. 31 Abs. 3 WÜV rechtlich einzuordnen? Obwohl die Entscheidung des Komitees inhaltlich maßgeblich ist, kommt es bei formeller Betrachtung lediglich auf die Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz an. Unabhängig von der Frage, welche rechtliche Bedeutung Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen im Allgemeinen haben, soll es im Folgenden alleine um die Compliance-Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz gehen. Ein Beschluss im Compliance-Verfahren betrifft stets zwei Ebenen. Vordergründig ergeht eine Einzelfallentscheidung gegen den von der Entscheidung betroffenen Staat. Um den Einzelfall zu entscheiden, wird jedoch auch das Vertragswerk ausgelegt. Daher wird im Folgenden die Einzelfallentscheidung subsumiert. Dies allerdings mit Blick auf die damit transportierte generelle Auslegung des Vertragswerks, die alle Vertragsstaaten anbelangt, auch wenn nur der betroffene Staat durch die Entscheidung individuell aufgefordert wird, sein nationales Recht anzupassen. Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV regeln zwei Fallgruppen: die spätere Übereinkunft und die spätere Übung. Beide Varianten teilen sich neben der Rechtsfolge etliche Tatbestandsmerkmale: Es handelt sich um dem Vertragsschluss nachfolgende („spätere“) Vereinbarungen/Einigungen der Vertragsparteien. Demgemäß muss immer eine Einigung über den Inhalt der Auslegung bestehen. Die Auslegung oder Anwendung des Vertrags muss mit dem ursprünglichen Vertrag in Verbindung stehen.48 Wegen der großen Abgrenzungsschwierigkeiten werden beide Varianten in der wissenschaftlichen Literatur vielfach synonym verwandt.49 46  Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 106 und S. 122. 47  Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, S. 112 f. 48  Man könnte die Tatbestandsmerkmale in die Kategorien „objektives Kriterium“ und „subjektives Kriterium“ einteilen. Diese Bezeichnung bei Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 133–141, S. 134; darüber hinaus bei Peters, C., Praxis Internationaler Organisationen, 2016, insb. S. 11–24. Zur inneren Verbindung bei Hafner, Subsequent Agreements and Practice, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 105–122, S. 114. 49  Peters, C., Praxis Internationaler Organisationen, 2016, S. 37, eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Abgrenzungsansätzen von Linderfalk, Karl, der ILC und Bernhardt ab S. 38 ff. Crawford, A Consensualist Interpretation, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 29–33, S. 30 f.; ob es sich bei so vielen Gemeinsamkeiten in zwei unterschiedlichen Tatbeständen wirklich um „precise conditions“ handelt, sei dahingestellt, vgl.



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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I.  Die Kulisse: Wer muss sich wann einigen? „International law says that the parties to a treaty own the treaty and can interpret it.“50

1.  Die Retrospektive Nachträgliche Vereinbarungen und die spätere Übung sind nach Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV zwei Möglichkeiten, Vertragsnormen (retrospektiv) zu interpretieren und ihnen im weitestgehenden Falle auch neue Bedeutung zuzuweisen. Beiden Normen ist gemein, dass sie sich auf spätere (engl. subsequent) Tatsachen und Handlungen beziehen und damit auf den Zeitraum nach Vertragsabschluss.51 Compliance Committees werden immer erst nach Vertragsabschluss, meist bei einer der ersten Sitzungen der Vertragsstaatenkonferenz, eingesetzt.52 Ihre Auslegung ist immer nachfolgend. Dieses Tatbestandsmerkmal ist dadurch stets erfüllt.

2.  Zum Verhältnis zwischen Vertragsparteien und Compliance Committee Bei beiden Varianten – Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV – müssen „die Vertragsparteien“ Autoren der Handlung beziehungsweise der Entscheidung sein. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. g) WÜV bezeichnet „‚Vertragspartei‘ einen Staat, der zugestimmt hat, durch den Vertrag gebunden zu sein, und für den der Vertrag in Kraft ist“. Damit sind immer alle Vertragsparteien gemeint: „parties as a whole“53. Die Vertragsstaatenkonferenz als politisches Forum, das offen für alle Vertragsparteien ist, scheint die mustergültige Verkörperung dieser tatbestandlichen Anforderung zu sein.54 Erst der tiefergehende Blick an dieser Stelle offenbart die rechtliche Relevanz einiger Erwägungen des vorherigen Kapitels. Crema, Within and Outside the Vienna Convention, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 13–28, S. 17. Ebenfalls nicht klar differenzierend in Memorial of Australia v. 09. Mai 2011, Rn. 4.64 ff., abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/files/case-related/148/17382. pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 50  Crawford, A Consensualist Interpretation, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 29–33, S. 31. 51 Einzig Linderfalk diskutiert verschiedene Interpretationsmöglichkeiten dieses Tatbestandsmerkmals, Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, 2007, S. 165 f. 52  Kapitel 1 B. I. 53  Bowman, MJIL 2008, 293–499, 338; dies scheint mit Blick auf die Arbeit der ILC eine sehr enge Interpretation zu sein. Conclusion 9.2.: „The number of parties that must actively engage in subsequent practice in order to establish an agreement under article 31, paragraph 3 (b), may vary. Silence on the part of one or more parties can constitute acceptance of the subsequent practice when the circumstances call for some reaction.“ aus: UNGA, Conclusion 9 der Draft Conclusions on Subsequent Agreements and Subsequent Practice in Relation to the Interpretation of Treaties, A/69/10, S. 197. 54  Eine a. A. wird vertreten in Counter-Memorial of Japan v. 09. März 2012, Rn. 8.22,

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Kapitel 2: Treaties over time

Handelt es sich immer noch um eine Entscheidung „der Vertragsparteien“, wenn das Compliance Committee die Entscheidung inhaltlich vorbestimmt? „Entscheiden“ die Vertragsparteien noch, wenn das Compliance Committee vorab die Auslegung vornimmt und die Vertragsstaaten diese Interpretation ohne Änderungen durch Konsensbeschluss übernehmen? Verändert sich die rechtliche Bewertung je nach dem, ob Entscheidungen in der „Erstautorenschaft“ von Compliance Committees formuliert werden, die mit Staatenvertretern oder mit Experten besetzt sind?

a)  Faktoren, die die Zurechnung zu den Vertragsstaaten erschweren Der Hintergrund zu dieser Frage ist bereits thematisiert worden und lässt sich verkürzt wie folgt zusammenfassen: Zwar wurde etwa in der Einsetzungsentscheidung des Komitees zum Montrealer Protokoll klargestellt, dass dieses keine rechtliche Funktion ausfüllen soll: „[T]he responsibility for legal interpretation of the Protocol rests ultimately with the Parties themselves“ (Decision IV/5, Nr. 5). In der Praxis haben sich die meisten Compliance Committees dessen ungeachtet als gerichtsähnlich etabliert und üben einen beträchtlichen Einfluss innerhalb des Vertrags aus.55 Im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der „Vertragsstaaten“ stellen sich demnach macht- und einflusspolitische Fragen. Zwei Faktoren erschweren die rechtliche Zurechnung der Auslegung im Compliance-Verfahren zu „den Vertragsparteien“:56 die Netzwerklogik auf der tatsächlichen Ebene und die teleologische Auslegung auf der rechtlichen Ebene. Beide Faktoren treten bei beiden Komiteevarianten (Staatenvertreter oder Experten) auf. – Tatsächlich führt die einseitige Besetzung der Komitees mit Netzwerkvertretern mit einer ebenfalls starken Rolle der Sekretariate von UNECE und UNEP dazu, dass, einer Netzwerklogik innerhalb der Vertragswerke folgend, an vorderster Stelle steht, die Ziele im eigenen Sektor – sei dies der Schutz der Flora oder der Fauna, die Luftreinhaltung oder die Bodengesundabrufbar unter: https://www.icj-cij.org/files/case-related/148/17384.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Dort spricht Japan von „unilateral acts of the Commission“ (in der alle Vertragsparteien vertreten sind – ganz ähnlich wie in den Vertragsstaatenkonferenzen umweltvölkerrechtlicher Vertragsstaaten), denn „the Contracting Governments and the [International Whaling Commission] are two distinct bodies. The acts of the Commission do not necessarily represent the common will of the Contracting Governments of the [International Convention on the Regulation of Whaling]“. 55  Kapitel 1 D. II. Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 479. In Bezug auf den völkerrechtlichen Schutz der Menschenrechte Hall, EJIL 2007, 921–937, 927: „Such subsequent practice includes the authoritative interpretations of the meaning of the treaty by expert bodies established under the treaty“. 56  S. des Weiteren in Kapitel 3 B. I. 1. b).



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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heit – zu erreichen, auch wenn die Beachtung anderer Sektoren darunter leidet.57 – Rechtlich wird dieser Prozess durch den Auftrag des Art. 31 Abs. 3 WÜV verstärkt, Verträge teleologisch auszulegen, wenngleich Art. 31 WÜV ursprünglich mit einer anderen Intention kodifiziert wurde.58 Im Umweltvölkerrecht bildet der Umwelt-, Natur- und/oder Artenschutz vielfach das zentrale Telos eines völkerrechtlichen Vertrags. Eine Schlussfolgerung aus der Binnensicht eines Vertragsregimes könnte daher lauten: Es ist immer die Auslegung zu bevorzugen, die den höchsten Umweltschutzstandard bietet. Der Eindruck, dass die Autorenschaft der späteren Übung in jedem Fall inhaltlich nicht bei den Vertragsstaaten, sondern bei den Nichteinhaltegremien liegt, verstärkt sich durch das Konsensverfahren59. Hier wird nicht ausdrücklich oder „namentlich“ über einen Entscheidungsentwurf des Compliance Committee abgestimmt, sondern der Vorsitzende der Vertragsstaatenkonferenz entscheidet mehr oder weniger eigenständig, ob hinreichend grundsätzliche Zustimmung zum Entwurf unter den Vertragsstaaten besteht.

b) Heilungsmöglichkeiten Diesen Problemen kann mit verschiedenen Lösungsmöglichkeiten begegnet werden, von denen aber nicht alle rechtlich gangbar sind. Der Vollständigkeit halber sollen alle vorgestellt werden: 1. Es ist rechtlich nicht vertretbar, die Ermächtigungsklausel, auf deren Grundlage die Vertragsstaatenkonferenz das Compliance Committee mit Entscheidungsgewalt ausstattet, als Anknüpfungspunkt für eine Zurechnung an die Staaten heranzuziehen. Diese Entscheidung der Vertragsstaaten beinhaltet weder eine Kompetenzübertragung in Auslegungssachen, noch begründet die Wahl der Experten in das Überwachungsgremium eine hinreichende Legitimation, sodass die gewählten Experten über diesen Weg zur verbindlichen Interpretation anstelle der Vertragsstaaten ermächtigt wären. Die Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz, Compliance Committees zu 57 

Dazu in Kapitel 3 B. I. 1. b). Bianchi anerkennt als einer der wenigen Wissenschafter beim gleichen Tatbestandsmerkmal das Problem, dass sich die formellen Anforderungen nicht mit der Praxis decken, akzeptiert sie aber als Realität: „Even if, formally, as regards treaties, the relevant conduct that is to be put forward to justify any change is the state’s, many more actors are involved in shaping the consensus needed to bring about change in the law.“ Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 133– 141, S. 138. 58  Durchgesetzt hatten sich ursprünglich die Vertreter der eng am Wortlaut orientierten Auslegung. 59  Im ersten Teil wurde bereits die Konstruktion consensus minus one erwähnt, Kapitel 1 B. IV.

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Kapitel 2: Treaties over time

schaffen, ergeht meist nicht rechtsverbindlich.60 Zudem ist der Begriff der Ermächtigung in diesem Sinne fehlleitend:61 Es gibt gar keinen mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Rechtskörper, auf den Hoheitsgewalt übertragen werden kann. 2. Nolte hat in seinem vierten Bericht einen differenzierenden Ansatz vertreten. Handele es sich um ein Compliance Committee, das mit Staatenvertretern besetzt ist, können deren Arbeitsergebnisse als Praxis der Vertragsstaaten, die im vorgegebenen Rahmen kollektiv agieren, gelten.62 Entscheidungen eines Compliance Committee, das mit Experten besetzt ist, könnten hingegen keine verbindliche Auslegungsregel oder spätere Übung darstellen. Diese Zurechnungsmöglichkeit ist aus zwei Gründen nur in wenigen Fällen gangbar: a. Zum einen könnten die Staatenvertreter im Compliance Committee nur dann für die Gemeinschaft der Vertragsstaaten sprechen, wenn von jeder Partei ein Mitglied im Komitee vertreten ist. Das ist nur in Ausnahmen praktikabel: Zwar ist das Komitee der Alpenkonvention mit zwei Vertretern pro Staat besetzt. Jedoch gibt es auch nur acht Signatarstaaten. Das Montrealer Protokoll haben hingegen 197 Staaten unterzeichnet. In Fällen, in denen nicht alle Vertragsstaaten einen Vertreter schicken, kann konsequenterweise keine Ermächtigung zur Stellvertretung vorliegen. Mit anderen Worten könnten nur Berichte von Komitees, in denen alle Staaten vertreten sind, selbst bereits als spätere Übung der Vertragsstaaten gelten. In allen übrigen Fällen bedarf es zusätzlich der Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz, verbunden mit den Folgeproblemen einer vordeterminierten Compliance-Entscheidung. b. Zum anderen führt die Netzwerkdynamik auch bei der Variante der Besetzung mit Staatenvertretern zu einer Art Verselbstständigung: Der „legitimatorische“ Unterschied zwischen den Alternativen ist rein formaler Natur, löst das angezeigte Spannungsfeld aber nicht auf. Damit können inhaltlich nur in sehr begrenztem Umfang bereits die Expertenentscheidungen dem Staat als Ganzes zugerechnet werden und selbst spätere Übung darstellen. 3. Der dritte Lösungsansatz setzt bei der Entscheidung der Vertragsstaaten an (engl. endorsement, dt. Befürworten, Billigen). Diese sei mehr als eine bloße Zustimmung, sondern vielmehr eine reflektierte Rezeption.63 Dieser Ansatz sieht das Compliance Committee als Katalysator bei der Entstehung von 60  61 

Vgl. nur Kapitel 1 C. I. 1. und 2. a). Dazu ist die Ermächtigungsklausel u. a. zu wenig konkret formuliert. 62  Nolte, Fourth report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to treaty interpretation, 07. März 2017, A/CN.4/694, S. 6: Die Frage bleibt offen, ob das gleichfalls für Verträge gilt, in denen nur ein Teil der Staaten in dem Compliance Committee vertreten ist. Diese Ansicht bei Mechlem, VJTL 2009, 905–947, 920, allerdings mit Bezug auf „treaty bodies“ im menschenrechtlichen Bereich. 63  Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 38, 52.



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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Vertragsinterpretation durch die Vertragsparteien an.64 Die inhaltliche Entscheidung des Komitees kann zwischen den Vertragsparteien eine verbindliche Auslegung hervorrufen oder, wenn sie bereits besteht, sichtbar machen. Die Vertragsstaatenkonferenz selbst kann sich die Entscheidungen des Komitees zu Eigen machen und ihr durch Beschluss die rechtliche Qualifikation als spätere Übung beziehungsweise verbindliche Auslegungsregel verleihen. In der wissenschaftlichen Analyse wird dieses Verständnis mit einer sehr großzügigen Interpretation des Tatbestandsmerkmals „die Vertragsparteien“ untermauert:65 „An important question relates to the range of actors who may perform relevant subsequent practice. The VCLT (Anm. d. Verf.: WÜV) is silent on this point. In principle, every actor who is competent to apply or to comment on a treaty and its application can engage in practice.“66

c)  Zwischenergebnis: Die Katalysatorfunktion des Komitees Die aufgeworfenen Fragen tangieren das Verhältnis zwischen dem Expertenausschuss und den Herren der Verträge, den Vertragsstaaten. Das ist insbesondere in den Fällen relevant, in denen es um die weiterentwickelnde Auslegung geht. Allerdings stehen diese Problemstellungen der Annahme des Tatbestandsmerkmals „die Vertragsstaaten“ nicht entgegen: Zunächst liegt in nahezu allen Fällen (früher oder später) auf formeller Seite ein Beschluss der Vertragsstaatenkonferenz vor, und selbst auf materieller Seite kann durch eine weite Interpretation im endorsement auch eine Katalysatorfunktion der Komitees mit anschließender reflektierter Rezeption durch die Vertragsstaaten ausgemacht werden.67 Die Hürde der Subsumtion unter Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV liegt darin, dass „die Übereinstimmung“, mithin die Einigung, den Vertragsparteien zugerechnet werden muss.68 Damit steht das Tatbestandsmerkmal der „Vertragsparteien“ im engen Zusammenhang mit dem zentralen Tatbestandsmerkmal der Einigung.

64 Ähnlich Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 109, die interessanterweise das institutionalisierte Völkerrecht unkommentiert auf komplexe Vertragswerke überträgt. Kadelbach, QIL 2018, 5–18, 14; Raffeiner, EJIL 2017, 1043–1059, 1048. 65  Der Begriff wird so breit verstanden, dass auch Vertragsorgane beachtenswerte spätere Übung erzeugen können. Vgl. Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 826, Crema, Within and Outside the Vienna Convention, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 13–28, S. 18. 66  Nolte, Third Report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307– 386, S. 310. 67  Auf die Zurechnung stellt auch Hafner, Subsequent Agreements and Practice, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 105–122, S. 113 ab. Er nutzt die Zurechnungskriterien des völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeitsrechts. 68  Gardiner, Treaty Interpretation, S. 266.

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Kapitel 2: Treaties over time

II.  Die Einigung: Zwischen Form und Inhalt Im Kern kommt es in Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV darauf an, dass eine Einigung zwischen den Vertragsparteien vorliegt (dt. Übereinkunft (a) oder Übereinstimmung (b), engl. agreement, franz. accord, ital. accordo).69 Dieses Tatbestandsmerkmal veranschaulicht, dass völkerrechtliche Verträge keine internationale Gesetzgebung darstellen70, sondern ähnlich privatrechtlichen Verträgen übereinstimmenden Willenserklärungen entspringen.71 Das Wichtigste ist damit das einheitliche Verständnis der Vertragsparteien betreffend einzelner Vertragsnormen:72 „Subsequent agreements […] have been attributed a certain legally relevant effect by the VCLT which only seems to be justified if the agreement between the parties is specifically present at a given point in time.“73

1.  Form der Einigung Die (innere) Einigung zwischen den Parteien kann nach außen unterschiedlich Gestalt annehmen: Übereinkunft und Übung.74 Im dritten Bericht Noltes wird 69 Die deutsche Sprachfassung verwischt die Gemeinsamkeit zwischen den Varianten. Dass es sich um das gleiche Tatbestandsmerkmal handelt betont Crawford, A Consensualist Interpretation, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 29–33, S. 30 und Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 106. Einen anderen Weg wählt Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, 2007, S. 162, S. 169 und S. 171 ff., der die Einigung je Variante eigenständig und zwar unterschiedlich auslegt. Ähnlich zwischen den beiden Varianten differenzierend Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013, S. 89. 70  Was Begriffe wie „law-making-treaties“ verschleiern. 71  Mit der Parallele von Privat- und Völkerrecht beginnt genauso Nolte, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 1–10, S. 2. Diesem Ansatz steht Karl hingegen kritisch gegenüber Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, S. 144. Dass der Konsens der Staatengesellschaft die Kernvoraussetzung einer staatszentrierten Rechtssetzung ist, aufgearbeitet von Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, 1989, S. 34 ff., die ebenfalls Anleihen bei der Vertragslehre machen und den Staat in der Folge als „großes Individuum“ betiteln. 72 Eine andere Konnotation verleiht Linderfalk dem Tatbestandsmerkmal der Vereinbarung: Die Parteien müssten den Willen haben, (verbindliches) Recht zu kreieren: „In order for an international transaction to be categorised as an agreement in the sense of subparagraph (a), the states involved must have had the intention to create law – the intention must have been to conclude a legally binding agreement governed by international law.“, Linderfalk., On the Interpretation of Treaties, 2007, S. 162. Er vermengt dabei jedoch die Einigung mit der intendierten Rechtsfolge. Rechtsfolge einer Einigung nach Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV ist die zu berücksichtigende Interpretation einer Vertragsnorm, nicht jedoch die eigenständige rechtliche Verbindlichkeit der Einigung selbst – mit einer Entscheidung einer Vertragsstaatenkonferenz würde demnach nicht ein neuer Vertrag mit dem neu interpretierten Inhalt geschlossen, sondern der ursprüngliche Vertrag ausgelegt. Das Beispiel zeigt darüber hinaus, dass bei Annahme dieser Interpretation die (geringen) Formvorschriften z. B. aus Art. 2 Abs. 1 lit. a) WÜV umgangen würden. Der Ansicht Linderfalks ist auch Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013, S. 86. 73  Nolte, Third Report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307– 386, S. 375. 74  Manche Autoren beziehen die Unterscheidung weniger auf die Form als auf den Ent-



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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besonders deutlich, dass Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV durch ein großes Spektrum an Handlungen und Äußerungen erfüllt werden kann. „[S]ubsequent agreements and practice may be reflected in different forms. [They] may result from formal mechanisms in which the parties act, such as consultations and decisions in […] the practice of inter-governmental treaty-bodies, and decisions of COPs (Anm. d. Verf.: Vertragsstaatenkonferenzen). [They] can, however, also consist of positions taken by the parties with respect to pronouncements or activities of […] treaty monitoring bodies.“75

Die beiden Ausformungen (Übereinkunft und Übung) werden vor allem heute nicht immer klar voneinander unterschieden.76 Mit einem rechtshistorischen Blick auf den Bericht Waldocks in seiner Funktion als Special Rapporteur zum Thema der zeitbezogenen Vertragsauslegung zeigt sich jedoch, dass mit „Vereinbarung“ eine ausdrückliche Erklärung und mit „Übung“ eine stillschweigende, in der Handlung zum Ausdruck kommende Erklärung gemeint war.77 Auch im Text von 1969 beschreibt „Vereinbarung“ die formelle Variante einer Einigung über die Auslegung zwischen den Vertragsparteien (ohne jedoch den formellen Anforderungen an den völkerrechtlichen Vertrag aus Art. 2 Abs. 1 lit. a) WÜV genügen zu müssen), während „Übung“ weniger formelle, unter Umständen schlicht der Praxis entspringende Einigungen umfasst78: „Il est admis que cet accord postérieur peut être tacite et résulter des pratiques concordantes des Etats quand ils appliquent le traité.“79 stehungsprozess: Übung beschreibe einen länger andauernden Einigungsprozess, vgl. Hafner, Subsequent Agreements and Practice, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 105–122, S. 109. Daneben gibt es Ansätze, die an subjektiven Elementen anknüpfen, so z. B. Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, 2007, S. 162, S. 170. 75  Nolte, Third Report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307– 386, S. 317. 76  „[T]he concepts of a subsequent agreement and subsequent practice establishing agreement over interpretation have some potential overlap at the point of less formal agreements or understandings.“ Gardiner, Treaty Interpretation, S. 246. Undifferenzierter Bezug bei Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 465. 77  „There appear to be three ways in which the law may evolve with effects upon the interpretation and application of the treaty: (a) […]; (b) the conclusion of a later agreement between parties to the treaty (c) […] a subsequent practice in the application of the treaty which evidences a tacit agreement amongst the parties to extend or modify the treaty“ Waldock, Third Report, in: ILC Yearbook 1964, S. 5–65, S. 61. Bei Gardiner erscheint es aber beinahe so, als handele es sich bei der „Übung“ um eine Art Auffangtatbestand und gleichzeitig um einen Indiziengeber für die „Vereinbarung“ im Sinne der „Übereinstimmung der Parteien“: „The less formal the agreement, the greater the significance of subsequent practice confirming the less formal agreement or understanding.“ Gardiner, Treaty Interpretation, S. 250. 78  Gardiner, Treaty Interpretation, S. 247. Der IGH nimmt sehr häufig auf die interpretierende Staatenpraxis Bezug. Eine detaillierte Auflistung in Case Concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana v. Namibia), Judgment of 13 December 1999, ICJ Reports 1999, 1045–1109, 1076. 79  Daillier/Forteau/Pellet, Droit International Public, 2009, S. 280.

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Kapitel 2: Treaties over time

Die „Übung“80 ist die Variante der Vertragsauslegung, die einen direkten Nachweis für das Verständnis einzelner Vertragsnormen durch die Vertragsstaaten bietet. Die „Übung“ dient als objektiver Beweis, um sich dem Normverständnis der Parteien zu nähern. Als Hauptanforderung gilt: „[T]he practice must be as such as to indicate that the interpretation has received the tacit assent of the parties generally.“81 Eine exemplarische Auflistung Crawfords veranschaulicht das breite Angebot an möglichen späteren Übungen.82 Um nochmals Bezug auf die begeisterten Kommentatoren des Verhandlungserfolgs hinsichtlich Art. 31 WÜV zu nehmen: Von „obviousness of its provisions“83 kann an dieser Stelle nicht die Rede sein! Die Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen in Compliance-Verfahren bewirken anlässlich einer individuellen Compliance-Kontrolle en passant eine Auslegung der Vertragsnormen mit Bezug auf die Vertragsverletzung durch den betroffenen Staat. Zudem werden sie im Konsens beschlossen – insofern nicht mit expliziter Zustimmung aller Parteien. Daher entsprechen diese Entscheidungen eher der informellen Variante der späteren Übung, Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV.84

2.  Übung und Einigung Die Einigung ist das zentrale Tatbestandsmerkmal von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV. Durch die Einigung wird Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV nach außen erkennbar ausgeformt.85 Sie besteht aus mehreren (Willens-)Erklärungen, die mit Bezug aufeinander und mit dem Willen zu einer von allen zu berücksichtigenden Auslegung des Vertrags abgegeben werden. Einigung entsteht durch spätere Übung.86 Die mit Bezug aufeinander abgegebenen Erklärungen sind inhaltlich die von den Mitgliedern des Compliance Committee getroffenen Entscheidungen. For80  Der Begriff der „Übung“ findet im Völkerrecht mehrfach Verwendung, bspw. in der grundlegenden Norm Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut: das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung. 81  Waldock, Sixth Report, in: ILC Yearbook 1966, S. 51–101, S. 99. 82  Bezogen auf das Gewohnheitsrecht: Crawford/Brownlie, Brownlie’s Principles of Public International Law, 2012, S. 24. Dabei steht nicht die Qualität der Handlung oder Äußerung im Vordergrund, sondern ob darin ein gemeinsames Verständnis zutage tritt, vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, S. 256. 83  Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 805. 84  Andere sehen darin eine spätere Übereinkunft: Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 39 mit Verweis auf die Entscheidung ECE/MP.WHC/C.1/2015/4-EUDCE/1408105/1.10/2015/ CC2/06 des Compliance Committee des Protokolls über Wasser und Gesundheit zur Wasserkonvention. 85  „[W]hether the parties to a treaty have, subsequent to its conclusion, reached a firm agreement on what one of its provisions means.“ Gardiner, Treaty Interpretation, S. 244. 86  „Words are given meaning by action.“ Gardiner, Treaty Interpretation, S. 253.



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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mell geben die Vertreter der Vertragsstaaten diese Erklärungen ab, indem sie die Entscheidungen des Ausschusses im Konsens annehmen (engl.: approval oder endorsement). Stellen sie auch eine Einigung über die Auslegung des Vertrags dar? Für die Frage, was eine verbindliche Einigung im Völkerrecht (Art. 11 WÜV) darstellt, kommt es maßgeblich auf objektive Kriterien87 an. An diesen objektiven Merkmalen kann die Intention der Staaten, sich binden zu wollen, abgelesen werden. Darunter fallen unter anderem88 die Fragen, – ob eine Regelung, die das Inkrafttreten des Vereinbarten normiert, oder eine Art von förmlicher Zustimmung (Unterschrift, Ratifikationsvorbehalt) vorhanden ist, – welche Formulierungen im Vertragstext beziehungsweise im verabschiedeten Text verwandt werden, – wie die Umstände der Aushandlung89 und Beschlussfassung waren sowie – wie das vorherige und das nachfolgende Verhalten der Parteien eingeordnet wird.90 Diese Kriterien sind ursprünglich für die Feststellung eines verbindlichen Vertragsschlusses entwickelt worden. Sie können daher nicht uneingeschränkt zur 87  Zwar steht die (innere) Einigung bei beiden Varianten im Zentrum: „subsequent practice reflects what the parties intended.“ bei Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein (Hrsg.), Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 826. Diese subjektive Herangehensweise an die Vertragsinterpretation bleibt aber nicht ohne Kritik: „Nothing can be seen to be more flexible than an intend-based treaty-identification criterion.“ Daher ist von einem nicht sichtbaren psychologischen Element, das die Vertragsauslegung zu einem spekulativen Vorhaben werden lässt, die Rede bei D’Aspremont, Formalism versus Flexibility, in: Tams/Tzanakopoulos/Zimmermann (Hrsg.), Law of Treaties, 2014, S. 257–284, S. 272 f. Fitzmaurice betont dagegen, wie relevant objektive Kriterien sind, Fitzmaurice, Treaties, in: Wolfrum/Peters, A. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Stand: Februar 2010, Rn. 17. So geht das BVerfG in seiner Entscheidung 104, 151, 202 (NATO-Neues Strategisches Konzept) vor, um zu ermitteln, ob ein Änderungsvertrag (möglicherweise konkludent) geschlossen wurde. Dazu müsse ein (innerer) Rechtsbindungswille vorliegen, welcher durch objektive Umstände angezeigt wird (bspw. Vorhandensein einer Ratifikationsklausel, im Text und durch begleitende Äußerungen der Staat- und Regierungschefs hervorgehobene besondere Bedeutung des Konzepts, Länge der Verhandlungen, Detailgrad der Ausführungen, Verwendung rechtlicher Konzepte und Begriffe im Text, Widerspruch zum vorhandenen Vertragstext). Dazu nimmt es auf die IGH-Entscheidung Case Concerning Maritime Delimitation and Territorial Questions Bezug. Vgl. auch BVerfGE 90, 286, 375 (Out-of-Area). 88  Es können noch viele weitere Kategorien untersucht werden, dazu vgl. Distefano, Fundamentals of Public International Law, 2019, S. 397 f. 89  Wie lang und intensiv der Entstehungsprozess sein kann, bei BVerfGE 104, 151, 201 f. (NATO-Neues Strategisches Konzept). 90  Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 465. Hobe, Völkerrecht, 2014, S. 232. Dass es nicht nur auf den Text der Erklärung, sondern auf die gesamte Situation der Abgabe der Erklärung ankommt, BVerfGE 104, 151, 201 f. (NATO-Neues Strategisches Konzept); zur Feststellung eines Vertragsabschlusswillens vgl. BVerfGE 90, 286, 360 f. (Out-of-Area).

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Kapitel 2: Treaties over time

Ermittlung eines Rechtsbindungswillens für die Auslegung des Vertrags herangezogen werden. Denn die Einigung muss für Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV nicht verbindlich sein.91 Die Indizien, die auf den Rechtsbindungswillen zum Abschluss einer (nur zu berücksichtigenden) Auslegungsregel hinweisen, sind für das Compliance-Verfahren in die Kategorien – Text und Wortwahl, – Verfahrensablauf und – Beschlussmodus einzuteilen.92

a)  Text und Wortlaut Der Beschlusstext kann je nach Formulierung Verbindlichkeit indizieren. Diesen Anzeichen kommt eigene Bedeutung zu. Dabei ist nicht ausschlaggebend, ob die Entscheidungen eines Compliance Committee oder der Vertragsstaatenkonferenz im Compliance-Verfahren rechtlich verbindlich sind oder nicht. Aber die Einigung über eine zu berücksichtigende Auslegungsregel erfordert ebenso Rechtsbindungswillen, der durch eine Verbindlichkeit signalisierende Wortwahl indiziert sein kann. Es lohnt sich daher, Formulierungen in den Blick zu nehmen, die in der Regel in völkerrechtlichen Dokumenten Verbindlichkeit signalisieren.93 Folgende Elemente sollen in der Folge analysiert werden: – der Wortlaut der in den Rahmenkonventionen enthaltenen Ermächtigungsgrundlagen, 91 UNGA,

Conclusion 9 der Draft Conclusions on Subsequent Agreements and Subsequent Practice in Relation to the Interpretation of Treaties, A/69/10, S. 197. 92  Angelehnt an die Summe an Indikatoren, die Fitzmaurice zusammenstellt, um die Intention der Parteien herauszufinden, ob sie verbindlich handeln wollen. Als Indiziengeber nennt sie die Formulierung der Ermächtigungsgrundlage und der Entscheidung sowie das vorherige und nachfolgende Verhalten der Parteien und alle weiteren damit zusammenhängenden Umstände, Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 465. Zu den Schwierigkeiten, ganz allgemein, den Rechtsbindungswillen festzustellen Bothe, NYIL 1980, 65–95, 69 und Baumbach, Vertragswandel, 2008, S. 55 f. 93  Im Deutschen Formulierungen wie z. B. Vertragsparteien, verpflichten sich, kommen überein, Inkrafttreten und das Vertragspräsenz, vgl. § 41 RvV. Im Englischen z. B. shall, agree, decide oder enter into force: mwN bei Güssow, Maritimer Klimaschutz, 2012, S. 195, Fn. 628. Dies sind aber nur Indizien. Im soft law wie hard law werden häufig ähnliche Begriffe verwendet, was die Rechtserkennis erschwert. Es handelt sich im soft law bei Begriffen wie compact oder commitments nicht um pseudojuristische, sondern um schlichtweg juristische Sprache (a. A. Thym, ZAR 2019, 131–137). Ein Beispiel für den „undifferenzierten“ Umgang mit Sprache, der die wissenschaftliche Kategorisierung erschwert in Art. 13 Nr. 3 des Agreement on the Establishment of the General Fisheries Commission for the Mediterranean, (einer Unterorganisation der FAO): „obligation to give effect to that recommendation“. In der Eigenbeschreibung der Organisation ist von „binding recommendations“ die Rede – ein sprachlicher Widerspruch.



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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– der Wortlaut der Geschäftsordnungen, die die den Mechanismen zugrundeliegenden Einsetzungsentscheidungen der Vertragsstaatenkonferenzen beinhalten und diese darüber hinaus mit „gelebter“ Praxis ergänzen und – der Wortlaut einzelner Compliance-Entscheidungen.

aa)  Wortlaut der Ermächtigungsgrundlagen Die Ermächtigungsgrundlagen sind in vielen Rahmenverträgen generell gehalten und haben deswegen nur eine geringe Aussagekraft.94 Auf die allgemeine Auslegungstätigkeit der Vertragsstaatenkonferenz (mithilfe des Komitees) im Zuge der Begutachtung im Compliance-Verfahren nehmen sie nicht ausdrücklich Bezug. Als Beispiel kann der Wortlaut von Art. 8 MP dienen: „Die Vertragsparteien beraten und genehmigen auf ihrer ersten Tagung Verfahren und institutionelle Mechanismen für die Feststellung der Nichteinhaltung der Bestimmungen dieses Protokolls und das Vorgehen gegenüber Vertragsparteien, die das Protokoll nicht einhalten.“

Wenn in Verträgen das Compliance-Verfahren schon vorab detaillierter beschrieben wird, sind die Ermächtigungsgrundlagen hinsichtlich der Verbindlichkeit der Einzelfallentscheidungen sehr weich formuliert,95 so beispielsweise in Art. 34 Cartagena Protokoll: „The Conference of the Parties […] shall, at its first meeting, consider and approve cooperative procedures and institutional mechanisms to promote compliance with the provisions of this Protocol and to address cases of non-compliance. These procedures and mechanisms shall include provisions to offer advice or assistance, where appropriate. They shall be separate from, and without prejudice to, the dispute settlement procedures and mechanisms established by Article 27 of the Convention.“

Zuweilen treten stärkere Formulierungen auf wie „treffen […] weitere Maßnahmen“96 oder „Feststellung der Nichteinhaltung“97. Diese Formulierungen sind jedoch auf den individuellen Fall bezogen und beschreiben nicht die allgemeine Auslegungstätigkeit des Komitees. Zusammenfassend ist die Ermächtigungsgrundlage nicht selten so generell gehalten, dass sie kaum Erkenntnisse über die rechtliche Qualität des Arbeitsproduktes der auf ihrer Grundlage eingerichteten Unterorgane bietet. Die geringe Aussagekraft betrifft in besonderem Maße auch die rechtliche Qualität der Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz im Compliance-Verfahren. Selbst in Fällen, in denen Verträge speziellere Regelungen festgesetzt haben, 94  S. o. Kapitel 1 B. I. und C. I. 2. a), II. 2. a) und III. 2. a). 95 Beispiele sind Art. 15 AK, der 2004 neu eingefügte Art. 14

bis Espoo Konvention, Art. 22 PRTR und Art. 15 Pariser Abkommen. 96  Art. 11 Abs. 2 lit. f ) Espoo, bis 2004 die Rechtsgrundlage des dortigen Compliance-Mechanismus. 97  Art. 8 MP.

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Kapitel 2: Treaties over time

werden keine Aussagen über die rechtliche Bedeutung der Auslegungsentscheidungen im Compliance-Verfahren für das gesamte Vertragswerk getroffen.

bb)  Wortlaut der Einsetzungsentscheidungen und der Geschäftsordnungen Bei den Geschäftsordnungen98 wiederholt sich dieses Phänomen. Dass die Komitees in der Praxis häufig stellvertretend für die Vertragsstaatenkonferenz in individuellen Compliance-Verfahren das Vertragswerk auslegen und sich dadurch eine Spruchpraxis bildet, kann den Geschäftsordnungen nicht entnommen werden. Als Beispiel für nahezu alle Compliance-Mechanismen kann die Beschreibung des Komitees des Cartagena Protokolls stehen: „The objective of the compliance procedures […] shall be to promote compliance […], to address cases of non-compliance by Parties, and to provide advice or assistance, where appropriate.“99 Die Feststellung, dass Auslegungsfragen im Compliance-Verfahren eine Rolle spielen können, zeigt sich nur inzident daran, dass manche Geschäftsordnungen neben dem individuellen Compliance-Verfahren unter Titeln wie „systemic issues of general compliance“100 auch Verfahren zur Erstellung allgemeiner Auslegungsdokumente (engl. guidance documents) vorsehen. Diese allgemeine Auslegungstätigkeit ist ebenfalls dem Compliance Committee (funktional) zugeordnet. In der Beschreibung dieser Verfahren verzichten die untersuchten Geschäftsordnungen interessanterweise auf die Betonung der Unverbindlichkeit, ganz anders, als es in Bezug auf die individuellen Verfahren nicht nur in den Ermächtigungsgrundlagen, sondern auch in den Geschäftsordnungen immer wieder zu lesen ist.101 Dass der Anstoß zur Erstellung solcher allgemeinen Auslegungsdokumente den individuellen Compliance-Feststellungen entnommen wird, sich oftmals erst aus der praktischen Arbeit des Komitees ergibt, geben die Geschäftsordnungen ebenso oft nicht zu erkennen.102 98  Diesem Abschnitt liegen die von den Vertragsstaatenkonferenzen angenommenen Einsetzungsentscheidungen zugrunde, da die Geschäftsordnungen diese Entscheidungen umfassen und ergänzen. 99  Cartagena Draft Procedures and Mechanisms on Compliance under the Cartagena Protocol on Biosafty, UNEP/CBD/BS/COP-MOP/1/8, Annex I. I. 1. 100 Z. B. bei der Rotterdam Konvention (Rotterdam Handbuch zur Geschäftsordnung, UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, S. 20) und dem Basler Übereinkommen (Basel Handbuch zur Geschäftsordnung, UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, S. 8). Im Rahmen des Cartagena Protokolls liest sich der Auftrag zur genrellen Auslegung wie folgt: „Review general issues of compliance“ und „carry out any other function as may be assigned to it by the Conference of the Parties“. UNEP/CBD/BS/COP-MOP/1/8, Annex I. III. 1. d) und f ). 101  Vgl. die Geschäftsordnungen des Basler Übereinkommens und der Rotterdam Konvention (UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, S. 15 ff. und S. 26 ff.). Inwieweit in diesen Verfahren die Spruchpraxis gebündelt wird, lässt sich kaum untersuchen. Es fehlt entweder an hinreichend Fällen oder an deren Dokumentation. 102  So geschehen aber im Fall Piz Val Gronda vor dem Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention (ImplAlp/2014/20/6a/3).



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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Die Feststellungen der individuellen Nichteinhaltung sollen in vielen Fällen ausdrücklich nicht verbindlich sein.103 Manche Geschäftsordnungen sprechen daher sogar nur von „compliance difficulties“ anstatt von Nichteinhaltung. Gleichzeitig sehen die meisten Verträge aber auch Sanktionsmechanismen in Form von Öffentlichkeit, offiziellen Verwarnungen durch die Vertragsstaatenkonferenz oder unbegrenzten Wiederholungen von Compliance-Verfahren vor.104 Das wiederum spricht dafür, dass die Vertragsparteien trotz der betonten Unverbindlichkeit erwarten, dass der betroffene Staat die „Empfehlungen“ befolgt und damit auch die empfohlene Auslegung des Vertrags als die „richtige“ übernimmt. Andererseits – und dieser Punkt betrifft die Umstände der Einigung innerhalb der späteren Übung – regeln einige Verfahrensordnungen die Compliance-Verfahren vor den Komitees mit bemerkenswerter Detailgenauigkeit. Soll die Einigung über die Auslegung innerhalb einzelner Überprüfungsverfahren ohne jeglichen Rechtsbindungswillen vollzogen werden, überrascht beispielsweise das ausdifferenzierte Recht der Abstimmung in den Regeln 39 bis 51 der Geschäftsordnung des Komitees der Biodiversitätskonvention.105 Dort sind etwa Aussagen zum Quorum und den Abstimmungsberechtigten, Regeln zum Mehrheitswahlrecht und vieles mehr enthalten. Vergleichbares gilt für die Regelungen zur Konfusion und Interessenkonflikten durch die Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz bei der Rotterdam Konvention sowie106 für die Fristenregelungen im Verfahren der Alpenkonvention107 oder die Regelungen zur Besetzung der Komitees in den Regeln 3 bis 8 der Einsetzungsentscheidung der Basler Übereinkommen.108 103  Wie

z. B. bei dem Basler Übereinkommen und der Rotterdam Konvention „non-binding“ (Geschäftsordnungen des Basler Übereinkommens und der Rotterdam Konvention (UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, S. 7 und S. 22) Tanzi und Pitea stellen fest, dass ein allgemeiner Konsens besteht, ein nichtrechtliches Instrument geschaffen zu haben. Es solle eben nicht nach außen verbindlich festlegen, ob die vertraglichen Pflichten erfüllt wurden, oder nicht, Tanz/Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569–580, S. 569. Zu einem ähnlichen Schluss kommt die rechtliche Analyse des Non-Compliance Verfahrens des Montrealer Protokolls von Lesniewska. Das Komitee beschließe nur Empfehlungen, treffe aber keine Entscheidung: „There is no legality to the ImpCom.“ Lesniewska, Filling the holes, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 471–489, S. 477. 104  S. dazu z. B. Kapitel 1 C. I. 2. d)–h). 105  Rules of Procedure of the COP of the CBD Annex to Decision I/1 und Decision V/20, Regeln 39 bis 51, die gemäß Regel 26 Abs. 5 zugleich als Geschäftsordnung der Unterorgane anwendbar sein soll. 106  Decision RC 9/7, Annex VII. Nr. 11. 107 Punkt 3.2. der Geschäftsordnung der Alpenkonvention (ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7). 108  Decision VI/12, Appendix Nr. 3–8 (Basler Übereinkommen). Sogar noch umfangreicher und detailierter ist die Besetzung des Komitees in der Aarhus Konvention geregelt, vgl. Decision I/7, Annex I. Nr. 1 bis 11. Die Regeln stechen vor allem im Vergleich zum ersten Me-

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Kapitel 2: Treaties over time

Selten jedoch verwenden die Geschäftsordnungen für das Völkerrecht typischerweise die Verbindlichkeit andeutende Begriffe wie „take measures“109 oder „decide upon“110. „Take measures“ bezieht sich dabei im Kontext der Verfahrensordnung eher auf den Tenor der Entscheidung, ist also auf den speziellen Einzelfall bezogen. Den Begriffen „decide upon“ und „Beschluss“111 wird ein größerer Einzugsradius zugesprochen. Diese Wortwahl bezieht sich auf die gesamte Entscheidung, ausdrücklich auch auf die Entscheidungsgründe, in denen die Auslegung des Vertrags vorgenommen wird.112 Insbesondere die Bedeutung der Begrifflichkeit „decide upon“ sollte mit Blick auf die mögliche Verbindlichkeit der Compliance-Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz nicht überbewertet werden, da sie vor allem die Wahl des Beschlussverfahrens signalisiert.113 Andererseits könnte die starke Formulierung gerade im Zusammenhang mit den umfangreichen Verfahrensregeln schon darauf hindeuten, dass eine Entscheidung mit Rechtsbindungswillen zur zu berücksichtigenden Auslegung durch die Vertragsstaatenkonferenz getroffen wird. Im Mindesten kann dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass eine grundsätzliche Beachtung erwartet wird und dass im Compliance-Verfahren „etwas rechtlich Relevantes“ entschieden wurde. Die Sprache der Geschäftsordnung fällt hin und wieder durch die Verwendung juristischer Begriffe aus der „Gerichtswelt“ auf. Darunter fallen Formulierungen wie zum Beispiel „facts“114, „Beratungen“115 oder „the Committee chanismus, dem des Montrealer Protokolls, in dem das Komitee mit Staatenvertretern besetzt ist, heraus, vgl. Decision IV/5, Annex IV. 5. 109  Geschäftsordnung des Cartagena Protokolls III. 1. e) und VI. UNEP/CBD/BS/COPMOP/1/8. 110 Geschäftsordnung des Cartagena Protokolls VI. 2. UNEP/CBD/BS/COP-MOP/1/8; ebenso: „decide upon measures“ beim Genfer Luftreinhalteabkommen, ECE/EB.AIR/53, Annex III. Nr. 11. 111 Punkt 4.1. der Geschäftsordnung der Alpenkonvention (ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7). 112  Bei der Aarhus Konvention ist es umgekehrt: die Aarhus Konvention billigt die gesamte Entscheidung („endorsement“) und entscheidet („make the final decision“) über Einzelmaßnahmen. Geschäftsordnung der Aarhus Konvention, UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 47 f. Das spricht allerdings nicht für umgekehrte Verbindlichkeitswerte, sondern dafür, dass die Auslegungsentscheidung in diesem Vertrag nahezu vollständig an das Komitee ausgelagert ist. Daher kommt es auf den Verfahrensabschluss beim Komitee an, den die Geschäftsordnung zunächst mit „findings“ und „recommendations“ beschreibt, „the Committee will review, finalize and adopt the draft findings“. Die würden als offizielles Dokument auf der Website des Komitees hochgeladen. Geschäftsordnung der Aarhus Konvention, UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 45 f. 113  Milano, The Outcomes of the Procedure, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 407–418, S. 417. 114 Anstatt z. B. circumstances oder causes in Basel Handbuch zur Geschäftsordnung, UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, u. a. S. 12 („determining the facts […] of the matter concern“). 115  Regel 3.2.3. der Geschäfsordnung der Alpenkonvention (ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7).



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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will review, finalize and adopt the draft findings“116. Viele Verfahrensordnungen nutzen daneben aber auch eine betont neutrale Sprache, wenn sie die NonCompliance-Entscheidungen beschreiben. Beispiele sind: „matter of concern“, „consideration of the submission“ und „resolution of the matter of concern“ im Basler Übereinkommen117 oder „Ergebnisse“ und „Bericht“ in der Alpenkonvention.118 Insgesamt ergeben die Geschäftsordnungen der Komitees ein unstimmiges Bild. Einerseits taucht die Auslegung als Bestandteil eines individuellen Compliance-Verfahrens nicht in den Geschäftsordnungen auf, andererseits bezeugen Umfang und Detailgenauigkeit der Geschäftsordnungen, dass in ComplianceVerfahren Sachverhalte von Bedeutung für die Rahmenverträge verhandelt werden und es sich dabei nicht um rechtlich Nebensächliches handeln kann.

cc)  Wortlaut der Entscheidungen Anknüpfungspunkt dieses Untersuchungsabschnitts sind die Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenzen. Wie auch schon bei den beiden vorangegangenen Prüfungspunkten thematisieren die einzelnen Compliance-Entscheidungen die Auslegung des Vertrags und deren Wirkung im Hinblick auf individuelle Compliance-Fälle nicht. Nur in Bezug auf den die individuelle Entscheidung betreffenden Tenor ist eine Aussage zur Bindungswirkung zu finden. Häufig ist hier unverbindlich von recommendations119 die Rede. Insofern wird der weiche Wortlaut der Geschäftsordnung übernommen. Etwas härtere, Verbindlichkeit andeutende Begriffe wie „decision“120, „conclusion“121 oder „finding“122 sind eher selten. 116 

Geschäftsordnung der Aarhus Konvention, UNECE, Guide to the ACCC, 2019, S. 45 f. Die Begriffe „findings“ und „adopt“ entstammen der juristischen Sphäre: „Findings“ ist sprachlich dem Gerichtsprozess und „adopt“ dem legislativen Prozess zugeordnet. 117  Basel Handbuch zur Geschäftsordnung, UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, S. 12 f. 118  Regeln 3.2.3. ff. der Geschäftsordnung der Alpenkonvention (ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7). 119  „[E]mpfiehlt“ in Piz Val Gronda vor dem Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention, ImplAlp/2014/20/6a/3, S. 9; „Empfehlungen“ in Egartenlandschaft um Miesbach vor dem Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention, ImplAlp/2015/22/5a/2, S. 14 oder im Fall gegen Deutschland vor dem Compliance Committee der Aarhus Konvention in ECE/ MP.PP/C.1/2014/8, S. 19 im Fall der Submission ACCC/C/2008/31. In Bezug auf Frankreich und den Fall der griechischen Landschildkröte vor der Berner Konvention Bericht des Standing Committee in T-PVS (2010) 25, 6.3. 120  Berner Konvention in Bezug auf die Griechische Landschildkröte in Frankreich, Bericht des Standing Committee in T-PVS (2010) 25, 6.3. 121  „Ergebnisse“ in Egartenlandschaft Miesbach vor dem Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention, ImplAlp/2015/22/5a/2, S. 12. 122  „The Committee finds“ im Fall gegen Deutschland vor dem Compliance Committee der Aarhus Konvention in ECE/MP.PP/C.1/2014/8, S. 16 bezüglich der Submission ACCC/C/2008/31; vgl. die Entscheidung des Enforcement Branches des Kyoto Protokolls gegen die Slowakei CC-2012-1-9/Slovakia/EB vom 17. August 2012, dort S. 1.

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Kapitel 2: Treaties over time

Mechanismus übergreifend kann schon für die individuelle Empfehlung, die gegenüber dem betroffenen Staat ausgesprochen wird, keine abschließende Aussage darüber getroffen werden, ob der Wortlaut einen Rechtsbindungswillen für diese Entscheidung indiziert. Besser ist es, die Entscheidungen mitsamt ihrer Entscheidungsgründe umfassender unter die Lupe zu nehmen und nicht nur nach einzelnen Signalwörtern zu suchen. Dieser Untersuchungsschritt wird allerdings dadurch erschwert, dass die Arbeitsprodukte der einzelnen Compliance-Mechanismen in Aufbau und Sprache unterschiedlicher kaum sein könnten. Es lassen sich aber (grob gefasst) zwei Kategorien ausmachen: Auf der einen Seite stehen Verträge wie das Kyoto Protokoll, die Aarhus Konvention oder die Alpenkonvention, die ihre Entscheidungen in Gänze öffentlich zugänglich machen und in diesen Dokumenten zeigen, dass sie sich stark an Gerichtsverfahren und dem dort verwandten Urteilsstil orientieren. Das betrifft nicht nur den Aufbau und die Unterteilung in Kategorien wie: Preliminary Finding; Background; Information Submitted, Presented and Considered; Reasons and Conclusions; Finding; Consequences.123 Auch die Sprachwahl der Entscheidungen in dieser Kategorie unterstreicht die empfundene Nähe zum gerichtlichen Urteil. Beispielsweise formuliert der Enforcement Branch des Kyoto Protokolls: „The enforcement branch adopts the following final decision confirming its preliminary finding“124. Für diese Kategorie fällt der Schluss leicht, dass auch die Abschnitte mit der allgemeinen Auslegung des Vertragswerks eine Einigung mit Rechtsbindungswillen über diese Auslegung beinhalten. Die Vertragswerke der zweiten Kategorie an Nichteinhaltungsverfahren arbeiten arkaner. Dazu zählen unter anderem das Montrealer Protokoll, die Berner Konvention und die Genfer Luftreinhaltekonvention. Sie veröffentlichen die individuelle Kommunikation mit dem betroffenen Staat – wenn überhaupt – nur auszugsweise und lassen ihre Arbeit zumeist nur anhand von Berichten nachvollziehen, die an die Vertragsstaatenkonferenz gegeben oder aber in deren Do123  Entscheidung des Enforcement Branches des Kyoto Protokolls gegen die Slowakei CC-2012-1-9/Slovakia/EB vom 17. August 2012. Ähnlich gliedert die Aarhus Konvention im Verfahren gegen Deutschland von 2014 ECE/MP.PP/C.1/2014/8 bzgl. der Submission ACCC/C/2008/31 in die Punkte: Introduction, Summary of Facts Evidence and Issues (mit den Unterpunkten: Legal Framework, Substantive Issues), Consideration and Evaluation by the Committee, Conclusions and Recommendations (mit den Unterpunkten: Main Findings with Regard to Non-Compliance, Recommendations). 124  Wieder die Entscheidung des Enforcement Branches des Kyoto Protokolls gegen die Slowakei CC-2012-1-9/Slovakia/EB vom 17. August 2012 dort S. 1. Ähnliches lässt sich im Rahmen der Alpenkonvention beobachten. Dort werden Begriffe wie „präjudizierende Wirkung“ und „rügt“ vom Komitee verwandt z. B. in Egartenlandschaft um Miesbach vor dem Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention, ImplAlp/2015/22/5a/2, S. 2 und 3. Bei der Aarhus Konvention im Verfahren gegen die EU ECE/MP.PP/C.1/2017/21, S. 16 bzgl. der Submission ACCC/C/2014/123: „case“, „[a]dmissability“, „findings“.



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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kumenten referiert werden. Es werden überwiegend die Sprache und der Aufbau diplomatischer Dokumente verwandt.125 Verbindlichkeit signalisierende Begriffe werden gerade in Bezug auf allgemeine Auslegungsfragen vermieden. Interessant ist, dass wiederholt in Bezug auf die allgemeine Auslegungstätigkeit Formulierungen gewählt werden wie „it was discussed“126. Dadurch wird lediglich auf die Auslegungstätigkeit verwiesen, das Ergebnis aber nicht ausdrücklich kundgetan. Bei diesen Verträgen fällt der Schluss auf den Rechtsbindungswillen der Parteien schwerer. Herausstechend ist jedoch der Detailgrad der Ausführungen, der unter anderem dadurch entsteht, dass in jedem Verfahren ein Einzelfall intensiv bearbeitet wird. Allein die besondere Konkretisierung der Ausführungen, die von den Vertragsstaaten angenommen werden, lässt darauf schließen, dass diese Auslegung auch weiterhin gelten soll. Der hohe Grad an rechtlicher Genauigkeit lässt sich am Beispiel des Verfahrens gegen Deutschland vor dem Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention veranschaulichen. Zur Diskussion stand die Umsetzung und Anwendung Deutschlands von Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Naturschutzprotokoll: „Die Vertragsparteien verpflichten sich, bestehende Schutzgebiete im Sinne ihres Schutzzwecks zu erhalten“. Der Überprüfungsausschuss definierte in seiner Entscheidung folgende Tatbestandsmerkmale von Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Naturschutzprotokoll unter Bezugnahme auf verschiedene anerkannte Auslegungsmethoden: – Zeitpunkt der Anwendung dieser Norm, – Schutzgebiet, – Erhaltung und deren Maßstab, – Schutzzweck. Der Ausschuss entwickelte darüber hinaus fünf Kriterien für die Prüfung, ob Landschaftsschutzgebiete durch Änderungsvorhaben im Sinne ihres Schutzzwecks erhalten werden.127 Es wäre verwunderlich, wenn sich die Vertragsstaaten nach der Entwicklung von fünf sehr konkreten Prüfungskriterien und der genauen Definition einzelner Tatbestandsmerkmale des Protokolls, die der Umsetzung von Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Naturschutzprotokoll dienen sollen, nicht an diese Auslegung gebunden sähen, also ohne Rechtsbindungswillen handelten.

125  Z. B. „Noting“, „Recalling“ „Considering“ und eben „Recommends“ wie nachzulesen in der Recommendation No. 151 (2010) des Standing Committee der Berner Konvention, Entscheidung vom 09. Dezember 2010. 126 Z. B. beim Fall gegen Deutschland vor dem Genfer Luftreinhalteabkommen ECE/ EB.AIR/2010/2, B. 2, Rn. 40. 127 Diese Auslegungsergebnisse wurden in diesem Verfahren sogar in die Tenorierung übernommen.

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Kapitel 2: Treaties over time

dd)  Zwischenergebnis: kein eindeutiges Ergebnis Die Analyse des Wortlautes verschiedener Dokumente im Zusammenhang mit dem Compliance-Verfahren wird dadurch erschwert, dass teilweise große Unterschiede zwischen den Vertragswerken bestehen. Ähnlichkeiten und damit auch eine annehmbare Vergleichbarkeit zwischen den Vertragswerken bestehen lediglich bei den Ermächtigungsgrundlagen, den Einsetzungsentscheidungen und den Geschäftsordnungen. Diese sind jedoch generell gehalten und verwenden sehr oft eine weiche, die Unverbindlichkeit signalisierende Sprache. Die rechtlichen Grundlagendokumente (Ermächtigungsgrundlage, Einsetzungsentscheidung und Geschätftsordnungen) beziehen sich hauptsächlich auf die Tenorierungen, jedoch nicht auf die Entscheidungsbegründung. Auf die Auslegungstätigkeit der Compliance Committees im individuellen Verfahren wird kein Bezug genommen. Sie wird nur für separat geregelte Verfahren ausdrücklich benannt. Damit ist nicht gesagt, dass der Wortlaut der verschiedenen Dokumente einen von den Vertragsstaaten intendierten Rechtsbindungswillen zur allgemeinverbindlichen Auslegung ausschließt. Es zeigt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit: Fast alle rechtlichen Dokumente betonen einerseits die Unverbindlichkeit der individuellen Compliance-Entscheidungen, andererseits heben sie diese Unverbindlichkeit durch Bezugnahme auf Sanktionen und (unbegrenzte) Wiederholungen teilöffentlicher Compliance-Verfahren und deren Nutzung als Rechtsdurchsetzungsinstrumente wieder auf. Ein Rechtsbindungswille zur allgemeinverbindlichen Auslegung auch im individuellen Compliance-Verfahren lässt sich trotz der betont weichen Formulierungen aus den Dokumenten ablesen. Denn dafür, dass die Entscheidungen für die Vertragsentwicklung und für die Vertragsstaaten unverbindlich sein sollen, erstaunen der Umfang und die Detailgenauigkeit der Verfahrensregeln sowie die Detailgenauigkeit und der Konkretisierungsgrad mancher Compliance-Entscheidungen.128 Daher ist die Betitelung mit decisions oder findings oft passender als Bezeichnungen wie recommendations oder opinions. Nichtsdestotrotz bleibt die Wortlautanalyse der Dokumente ohne eindeutiges Ergebnis.

b)  Verfahren und Beschlussfassung Die Analyse des Compliance-Verfahrens konzentriert sich auf zwei Verfahrenselemente, die jeweils das Ende des Nichteinhaltungsverfahrens betreffen: 128  Eine vergleichbare Bewertung der Spruchpraxis des Aarhus Committee in BVerwGE 147, 312, Rn. 33 (Klagebefugnis einer Umweltvereinigung gegen Luftreinhalteplan): Das Compliance Committee betone „zunächst die Ausgestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers und die Erforderlichkeit einer Gesamtbetrachtung des normativen Umfelds. Die folgenden Ausführungen lassen aber keinen Zweifel daran, dass nach Auffassung des Compliance Committee den Umweltverbänden grundsätzlich eine Möglichkeit eingeräumt werden muss, die Anwendung des Umweltrechts gerichtlich überprüfen zu lassen.“



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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1. Die Umsetzungsverpflichtung und der Nachhalteprozess und 2. die (Konsens-)Entscheidung innerhalb der Vertragsstaatenkonferenz. An den beiden in diesem Untersuchungsschritt hervorgehobenen Verfahrensbestandteilen lässt sich die rechtliche Erwartungshaltung der Vertragsstaaten in Bezug auf die Auslegungsentscheidung im Compliance-Verfahren genauer beschreiben.

aa)  Umsetzungsverpflichtung und Nachhalteprozess Die Anlassbezogenheit und Individualisierung der Compliance-Entscheidung ist nicht nur für deren Wortlaut, sondern auch für das gesamte Verfahren prägend. Die Compliance-Entscheidung stellt konkrete Handlungsanforderungen an den betroffenen Staat, was durch den formalisierten Entstehungsprozess mit einem feststehenden Verfahrensablauf und vorgegebener zeitlicher Abfolge, durch einen intensiven und institutionalisierten Nachhalteprozess sowie eine Umsetzungsverpflichtung – oder mindestens -erwartung – unterstrichen wird.129 Eine solche Handlungsanforderung stellt beispielsweise folgende Aussage des Standing Committee der Berner Konvention dar: „The Committee […] decided to keep the file open, asking Cyprus […] to send to the secretariat […] the management plan for Limni and the revised town planning provisions for the area as they are produced. The Committee asked Cyprus to fully implement its Recommendation No. 63 (1997) and ensure that obligations under the Convention are fulfilled.“

In der genannten Empfehlung (Recommendation No. 63 [1997]) zum Schutz der unechten Karettschildkröte und der grünen Meeresschildkröte wurden auszugsweise folgende Empfehlungen für die zypriotische Regierung formuliert: „1. Declare the Ajanas peninsula a national park […] following as far as possible the suggestions of the World Bank study […]; 2. Freeze planning permissions in the whole area […]; […] 6. Abolish the tourist zone near Toxeftra […]; 7. Regulate access of people and vehicles to the beaches of Lara and Toxeftra […]; 8. Close down illegal restaurants in the neighbourhood […]; […].“

Nachdem eine Compliance-Entscheidung getroffen wurde, beginnt ein kommunikativer Nachhalteprozess130. Die meisten Verfahrensordnungen oder Rechtsgrundlagen beschreiben (beziehungsweise umschreiben) dieses Nachhalteverfahren mit Begriffen, die einen rein unterstützenden Ablauf vermuten 129 

Diese Haltung wird von Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 29 mit „rigor“ beschrie-

130 

S. o. Kapitel 1 D. II.

ben.

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Kapitel 2: Treaties over time

lassen, wie zum Beispiel im Cartagena Protokoll: „Invite the Party concerned to submit progress reports to the Committee on the efforts it is making to comply with its obligations under the Protocol.“131 Die Alpenkonvention spricht von „Abhilfe- bzw. Umsetzungsmaßnahmen […] [, die] die jeweiligen Vertragsparteien im Hinblick auf die in diesem Bericht festgestellten Umsetzungsmängel ergreifen“132 müssen. Andere Verfahren fassen diesen Abschnitt unter den Begriff „follow-up“.133 In dieser Zeit ist die betroffene Partei einem andauernden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Der Druck entsteht schon alleine durch das beständige Aufrufen desselben Non-Compliance-Falls im öffentlichen Forum der Sitzung, auf der nicht nur jeder einzelne Vertragsstaat und das Komitee selbst, sondern auch mehrere Nichtregierungsorganisationen zum „Betragen“ des betroffenen Staats Stellung nehmen können. Der betroffene Staat muss zeigen, ob und wie er die Entscheidung beachtet oder gar in nationales Recht umsetzt. Als Beispiel sei nochmals auf die Auseinandersetzung des Standing Committee der Berner Konvention mit Griechenland verwiesen. Griechenland musste von 1986 bis 1999 auf jeder Jahrestagung zu seinen Fortschritten im Umgang mit der Bucht von Laganas Stellung beziehen – solange bis dort der Nationalpark zum Schutz der Meeresschildkröten errichtet war. Teilweise droht sonst ein erneutes Non-Compliance-Verfahren und damit die wiederkehrende Vorstellung des betroffenen Staats vor dem Gremium des Durchsetzungsmechanismus. Bei sofortiger Behebung kann auf eine weitere (öffentliche) Behandlung des Falls in der Vertragsstaatenkonferenz hingegen verzichtet werden.134 Diese spezifische Ausformung des Nachhalteprozesses unterstreicht, dass die Auslegung der Verträge keineswegs als unverbindlich aufgefasst wird, sondern die Erwartung beinhaltet, dass diese Auslegung in Zukunft Beachtung durch die Vertragsstaaten findet. Der betroffene Staat steht während dieser Zeit in besonderem Fokus.

bb)  Die Konsensmethode Entscheidungen über die Nichteinhaltung durch den betreffenden Staat werden fast immer im Konsens getroffen. Das Konsensverfahren hat einen mehrdeutigen Charakter. Auf der einen Seite kann die im Konsens getroffene Entscheidung eine von allen Verhandlungspartnern getragene Kompromisslösung 131 Geschäftsordnung des Cartagena Protokolls VI. 1. lit.  d) UNEP/CBD/BS/COPMOP/1/8. 132  Regel 3.2.8. der Geschäftsordnung der Alpenkonvention (ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7). 133  Z. B. das Genfer Luftreinhalteabkommen. 134  Z. B. Regel 3.2.12. der Geschäftsordnung der Alpenkonvention (ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7): „Sofern sich die betroffene Vertragspartei bereit erklärt, festgestellte Mängel zu beseitigen und hierfür konkrete Maßnahmen benennt, kann der Überprüfungsausschuss davon absehen, die Verabschiedung von weiteren Beschlüssen oder Empfehlungen durch die Alpenkonferenz vorzuschlagen.“



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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darstellen – eine Einigung par excellence. Gedankliche Anknüpfung bildet der Vertrauensgrundsatz135: Trägt ein Staat den gemeinsamen Konsens mit, ist es diesem Staat verwehrt, im Nachhinein den Auslegungsgrundsatz nicht zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt für die (umstrittene) Mehrheitsentscheidung. Bei der Mehrheitsentscheidung könne eine Einigung im Sinne der späteren Übung nicht angenommen werden.136 Ein Teil der Wissenschafter setzt vor dem Hintergrund dieser Erwägungen Konsens, Zustimmung und Einstimmigkeit gleich.137 Das ist jedoch verkürzt.138 Hinter einer konsensualen Entscheidung können sich aber auch bestehende Uneinigkeiten verbergen. Erstmal bedeutet Konsens nur die Annahme einer Entscheidung ohne Abstimmung.139 Wie kann tatbestandlich eine Einigung durch eine Konsensentscheidung angenommen werden, wenn Staaten in einer 135  Ähnlich der estoppel-Grundsatz: Bei diesem Grundsatz geht es nicht um die Bindung aller Staaten an eine Entscheidung, sondern die Bindung nur eines Staats. Dieser Grundsatz entstammt dem common law und knüpft an einen einseitigen Akt eines Staats an. Er ist mit dem deutschen Grundsatz venire contra factum proprium vergleichbar, einer besonderen Ausformung des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes. Benedek, ZaöRV 2016, 345–362, 355. Bei diesen verschiedenen Ausformungen des Vertrauensgrundsatzes entsteht die rechtliche Bindung einer Vertragspartei dadurch, dass eine Partei durch Zusicherung oder Abstimmungsverhalten Erwartungen hervorgerufen hat, diese Partei würde rechtlich verbindlich handeln. Güssow, Maritimer Klimaschutz, 2012, S. 201 f. Die Rechtsfolge ist ein Verbot inkonsequenten Verhaltens. Die Partei kann sich nicht mehr auf die fehlende Bindung berufen. Aus dem deutschen Verfassungsrecht ließen sich der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit und pacta sunt servanda anführen. „Eine Pflicht zur Berücksichtigung der Auffassung des ACCC und zur Einhaltung völkervertraglicher Verpflichtungen folgt aus dem allgemein im Völkerrecht und bei der Anwendung völkerrechtlicher Verträge aus Art. 26 WÜV resultierenden Prinzip der Vertragstreue“. Heß, Einfluss der Entscheidungen, in: Hebeler u. a. (Hrsg.), Planungsrecht im Umbruch, 2017, S. 177–198, S. 179. Vgl. auch Staal: Die nachträgliche Nichtbeachtung eines konsensualen Beschlusses „could come across as flippant and unreliable.“ Staal, After Agreement, 2018, S. 239. 136  Diese Auslegung wurde von Australien im sogenannten Whaling Case vorgebracht und in der Folge kritisiert: Memorial of Australia v. 09. Mai 2011, Rn. 4.64–4.91, darin insb. 4.65 ff., 4.75 f. und 4.91., abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/files/case-related/148/17382. pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Der IGH hat sich dieser Auslegung nicht angeschlossen. U. a. kommentiert von Arato, EJIL: Talk!, v. 31. März 2014: „while unanimous or consensus resolutions of a supervisory treaty body might be considered subsequent agreements or practice relevant to the interpretation of the underlying convention, resolutions adopted by a disputed majority will not count under the general rule of interpretation“. 137  Alge spricht von einstimmigen Annahmen durch die Vertragsstaatenkonferenz, obgleich diese im Konsens entscheidet vgl. Alge, RdU 2011, 136–141, 140. Einstimmigkeit und Konsens werden häufiger verwechselt. Mit Bsp. aus der Praxis Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 338. 138  S. dazu Kapitel 3 B. II. 2. b). Wenn nicht sogar falsch: Proelß unterstreicht, dass der Konsens gerade in umstrittenen Themen häufig nur erreicht werden kann, wenn es um rechtsunverbindliche Instrumente geht. Umgekehrt nun vom Vorliegen eines Konsenses auf eine Einigung und damit auf eine irgendwie geartete Verbindlichkeit zu schließen, ist zirkelschlüssig. Proelß, Rechtsgutachten, 2009, S. 7. 139  Synonym werden die englischen Begriffe „general agreement“ und „without a vote“ verwendet, Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 338.

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Kapitel 2: Treaties over time

formalen Abstimmung gegen die im Konsens angenommene Auslegung stimmten? Wie kann eine konsensuale Entscheidung im Compliance-Verfahren eine Willenserklärung (in Bezug auf die Vertragsauslegung) aller Beteiligten darstellen, wenn im Verfahren vor allem der Vorsitzende der Konferenz die Richtung der Entscheidung weist und den Zeitpunkt bestimmt, „an dem der Konsens erreicht ist“?140 Wie kann von einer Einigung aller Parteien ausgegangen werden, wenn es immer einen betroffenen Staat gibt, der zudem häufig von der Entscheidungsfindung und Beschlussfassung ausgeschlossen wird? Wie hoch ist die Schwelle, wie viel Dissens verträgt „die Einigung“? Der IGH hatte bereits einige Entscheidungen zum Thema der sogenannten institutional practice zu treffen. Darunter versteht man eine spätere Übung, die nicht von den Vertragsstaaten selbst, sondern von einem durch sie eingesetzten Organ (sei es lediglich eine Vertragsstaatenkonferenz oder das Plenarorgan einer internationalen Organisation) vorgenommen wird. Nach diesen Entscheidungen scheint es neben all den oben genannten offenen Fragen zudem von dem Thema der Entscheidung abzuhängen, „wie viel Zustimmung“ notwendig ist, damit eine Einigung der Vertragsstaaten vorliegt: Mit der Aussage, schon eine Mehrheitsentscheidung genüge dem Maßstab der Einigung, werden die Entscheidungen Certain Expenses (1962)141 und Construction of a Wall (2004)142 zitiert. In diesen Entscheidungen ist die umstrittene spätere Übung „entirely consistent with the plain meaning of the text.“143 In der Entscheidung Whaling in the Antarctic (2014)144 entschied das Gericht jedoch darüber, ob die Internationale Walfangkommission, die in ihrer Funktion einer Vertragsstaatenkonferenz ähnelt, durch ihre Resolutionen und Empfehlungen sowie die verbindliche Änderung des sogenannten Schedule das Ziel und den Zweck des Vertrags von einem wirtschaftsregulierenden hin zu einem artenschützenden verändern könnte. Das Gericht stellte fest, dass dazu eine tatsächliche Zustimmung erforderlich ist, welche entweder durch einstimmige Abstimmung oder durch das Vorliegen eines Konsenses nach außen feststellbar ist.145 Nach diesen Maßstäben könnte schlichtweg vom Vorliegen eines Konsenses auf eine Einigung über die Vertragsauslegung mittels einer Nichteinhaltungsentscheidung geschlossen werden. 140 

Kapitel 3 B. II. 2. b). Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2 of the Charter), Advisory Opinion of 20 July 1962, ICJ Reports 1962, S. 151–181. 142  Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 9 July 2004, ICJ Reports 2004, S. 136–203. 143  Certain Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2 of the Charter), Advisory Opinion of 20 July 1962, ICJ Reports 1962, S. 151–181, S. 160. 144  Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, S. 226–300. 145  Interessant ist an dieser Aussage die (selbstverständliche) rechtliche Gleichsetzung von Konsens und Zustimmung. Vgl. Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, S. 226–300, S. 257. 141  Certain



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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Die Urteile des internationalen Gerichtshofs basieren aber auf einer anderen Bewertung des Konsenses. Der Gerichtshof bleibt auf der formellen Seite der Bewertung und geht von dem Idealfall der Konsensentscheidung aus, also der von allen Vertragsstaaten getragenen Kompromisslösung, während die vorliegende Analyse die Möglichkeit des fortbestehenden Dissenses und die erheblichen Verfahrens- und Legitimationsschwächen der Konsensmethode in das Zentrum der Bewertung dieses Verfahrens- und Beschlussmodus stellt.146 Die beiden Tatbestandsmerkmale des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV „Einigung“ und „Vertragsparteien“ setzen voraus, dass alle Parteien in die Einigung miteinbezogen werden. Anders jedoch als die Zustimmung, die für den völkerrechtlichen Vertragsschluss gefordert wird (Art. 11 bis 15 WÜV), verlangt die Einigung keine innere (aktive) Zustimmung aller Parteien. Die Entscheidungen des IGH können also als Argumentationshilfe herangezogen werden, denn sie unterstreichen, dass eine Konsensentscheidung für das Tatbestandsmerkmal der Einigung im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV genügt.147

cc)  Zwischenergebnis: Kollektiver Harmonisierungsanspruch Die Ausgestaltung des Verfahrens im Compliance-System bringt – deutlicher als der Wortlaut – die Erwartung aller Parteien sowie aller Vertragsorgane zum Ausdruck, dass jeder Vertragsstaat die vereinbarte Auslegung beachtet. Dafür sprechen der intensive Nachhalteprozess und die Umsetzungserwartung, der ein hoher Rechtfertigungsdruck innewohnt und eine konkrete Handlungsaufforderung beinhaltet.148 Welche Aussage die Wahl der Konsensmethode darüber trifft, ob eine Einigung vorliegt, hängt davon ab, welche Anforderungen man an das subjektive Willenselement der späteren Übung stellt. Wie erwähnt, weisen internationale Gerichtsentscheidungen darauf hin, dass eine rein for146  S. dazu Kapitel 3 B. II. 2. b). In früheren Veröffentlichungen z. B. Engel, ICLQ 1967, 865–910, 910 und Schreuer, GYIL 1977, 103–118, insb. 108 ff. ist in Bezug auf die (verbindliche) Weiterentwicklung des Rechts durch nichtrechtliche Instrumente die Rede von Einstimmigkeit. Die Gedankengänge in heutigen Publikationen und Entscheidungen ähneln den früheren bis auf die Tatsache, dass scheinbar „unanimous practice“ durch „consensus“ schlichtweg ersetzt worden ist. 147 Ebenso bspw. Tanzi/Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569–580, S. 575; UNGA, Conclusion 10.3 der Draft Conclusions on Subsequent Agreements and Subsequent Practice in Relation to the Interpretation of Treaties, A/69/10, S. 205: „embodies a subsequent agreement or subsequent practice under article 31, paragraph 3, in so far as it expresses agreement in substance between the parties regarding the interpretation of a treaty, regardless of the form and the procedure by which the decision was adopted, including by consensus.“ Zur Hervorhebung: Es wurde oben bereits erwähnt, dass es eine Ausweitung hin zur Auslegung nach dem effet-utile-Gedanken des Vertrages gibt. Das würde für eine großzügige Interpretation des Tatbestandsmerkmals der Einigung in Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV sprechen, d. h. für die Annahme einer rein formalen Einigung. 148  Was Manche mit dem Eingriffsbegriff gleichsetzen, z. B. v. Bogdandy/Goldmann, ZaöRV 2009, 51–102.

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Kapitel 2: Treaties over time

male Zustimmung aller Vertragsparteien, auch in Form eines Konsenses, für die Herstellung späterer Übung und damit für die Einigung nach Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV genügt.149 Daher spricht auch die Wahl des Beschlussmodus dafür, dass ein Rechtsbindungswille bezüglich einer für alle zu berücksichtigenden Auslegung besteht.

c)  Im Ergebnis eine Einigung Die Subsumtion unter das Tatbestandsmerkmal der Einigung entpuppt sich als hürdenreich. Besonders schwierig ist es, die unverbindlich gehaltene, empfehlende Sprachwahl und den Konsens, der auch ein flexibles Niveau an Dissens beinhalten kann, rechtlich einzuordnen. Mit Blick auf die Judikatur des Internationalen Gerichtshofs und auf die Auslegung des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge nach dem effet-utile-Gedanken genügt die Feststellung, dass sich die Vertragsstaaten formell gesehen auf eine Auslegung des Vertrags geeinigt haben. Unterstützende Argumente finden sich daneben im Wortlaut der einzelnen Compliance-Entscheidungen (hoher Konkretisierungsgrad der Ausführungen) und im Compliance-Verfahren (dort namentlich im Nachhalteprozess des Compliance-Verfahrens). Damit ist die durch das Compliance Committee vorbestimmte Auslegung des Vertrags durch die konsensuale Annahme den Vertragsparteien als „ihre“ Einigung im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV zuzurechnen.

III.  Neuer Wein in alten Schläuchen150: Die Auslegung Schließlich muss die Auslegung des Vertrags (engl. interpretation, franz. interprétation) in der Compliance-Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz in Rede stehen. Nach Linderfalk151, der sich ähnlich wie Crawford152 an dem Begriff regarding der englischen Textfassung aufhängt, kann damit nur eine Vereinbarung gemeint sein, deren Zweck auf die Interpretation des Texts ausgerichtet ist. Der Zweck des Compliance-Verfahrens ist jedoch „nur“ die Feststellung, ob ein Staat die Vertragsnormen einhält oder eben nicht. Die Auslegung des Vertragswerks wird en passant vorgenommen. Genügt das den Anforderungen des Tatbestandsmerkmals der „Auslegung“? Blickt man zurück auf den Formenreichtum der späteren Übung, irritiert die Enge der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals unter anderem durch Craw149  „What counts is that the states parties agree on a particular interpretation and not how this agreement has come about.“ Raffeiner, EJIL 2017, 1043–1059, 1048. 150  Übersetzt aus: Schachter, Nature and Process of Legal Development, in: MacDonald/ Johnston (Hrsg.), Structure and Process, 1983, S. 43–106, S. 87. 151  Linderfalk, On the Interpretation of Treaty, 2007, S. 164. 152  Crawford, A Consensualist Interpretation, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 29–33, S. 31.



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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ford und Linderfalk. Bei vielen Varianten der späteren Übung ist die Auslegung beziehungsweise Interpretation des Vertrags nicht der primäre Zweck, so zum Beispiel bei nationalstaatlichen oder völkerrechtlichen Gerichtsurteilen oder bei den Einsatzregeln für einen Militäreinsatz.153 Bei diesen Formen wird hingegen nicht bestritten, dass sie eine spätere Übung darstellen können und damit auch eine Rechtsauslegung beinhalten. Ein zu enges Verständnis ist daher abzulehnen. Dem Tatbestandsmerkmal der Auslegung steht weder der Anlass des Compliance-Verfahrens noch die Stoßrichtung der Compliance-Entscheidung entgegen. In der Compliance-Entscheidung wird der Auslegung des Vertrags viel Platz gewährt. Sie ist zudem sehr detailliert und kann teilweise als ein Kernstück der Entscheidung angesehen werden. Im Rahmen erfolgreicher Systeme entwickelt sich sogar auf Grundlage der im Einzelfall vorgenommenen Auslegung eine selbstreferenzielle Spruchpraxis des Compliance Committee.154 Zur Veranschaulichung, wie die Vertragsauslegung in eine Compliance-Entscheidung hineinspielt, soll auf einen Fall des Enforcement Branches des Kyoto Protokolls verwiesen werden: Es ging in dem Fall um den gegen die Slowakei geäußerten Vorwurf, die Slowakei hätte staats- und behördenorganisatorische (systemische) Probleme (bis hin zu „insufficient leadership“155), die die Sammlung belastbarer Emissionsdaten behindere: „[T]he proper management of the national system was the core issue.“156 Im Zentrum stand unter anderem der Vorwurf, dass die Slowakei zur Ermittlung der Klimadaten zu viele externe Experten zu Rate gezogen habe, anstatt das eigene Behördenpersonal an die gesteigerten Bedingungen anzupassen und zu schulen. Die rechtliche Grundlage der Pflicht, Emissionsdaten durch „institutional experts and cooperation between national institutions“ anstatt durch externe Experten zu erheben, sei in einer Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz verankert.157 Der Enforcement Branch zitiert nicht die genaue Rechtsgrundlage dieser Pflicht, sondern insgesamt sieben verschiedene Elemente aus der Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz. In keiner dieser sieben Pflichten findet sich die Erwähnung externer Experten. § 12 Abs. c) Annex der Entscheidung 19/CMP.1 ist am ehes153  Crawford/Brownlie, Brownlie’s Principles of Public International Law, 2012, S. 24. 154  So zum Beispiel beim Aarhus Compliance-Mechanismus, vgl. nur die Entscheidung

der Aarhus Konvention im Verfahren gegen Deutschland von 2014 ECE/MP.PP/C.1/2014/8, S. 17 bzgl. der Submission ACCC/C/2008/31. Dort wird in Rn. 92 zur Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK letzlich auf drei andere Entscheidungen vor dem Komitee verwiesen. Interessanterweise wird nur bei einem dieser drei Verfahren die Annahmeentscheidung der Vertragsstaatenkonferenz mitzitiert. Spruchpraxis scheint sich unabhängig von der Zustimmung durch die Vertragsstaatenkonferenz zu entwickeln. 155  Entscheidung des Enforcement Branches des Kyoto Protokolls gegen die Slowakei CC-2012-1-9/Slovakia/EB vom 17. August 2012, Nr. 14. 156  Entscheidung des Enforcement Branches des Kyoto Protokolls gegen die Slowakei CC-2012-1-9/Slovakia/EB vom 17. August 2012, Nr. 15. 157  Annex der Entscheidung 19/CMP.1.

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Kapitel 2: Treaties over time

ten einschlägig und liest sich auszugsweise wie folgt: „[E]ach Party […] shall [d]efine […] specific responsibilities in the inventory development process […]. This definition shall specify the roles of, and cooperation between, governmental agencies and other entities involved in the preparation of the inventory“. Der Enforcement Branch hat demnach mit dieser Entscheidung festgelegt, dass mit dem Begriff „other entities“ nur öffentlich-rechtliche Einheiten, aber keine (externen) Einzelpersonen gemeint sind. Als weiteres Beispiel prägte das Compliance Committee der Aarhus Konvention den Begriff der Behörde in Art. 2 Nr. 2 AK. Der Begriff umfasst nun nach der erweiterten Auslegung unter gewissen Voraussetzungen auch private Rechtsträger, die mit öffentlichen Aufgaben betraut sind.158 Des Weiteren stellen sich die Fragen, ob nicht auch die „obere“ Grenze des Tatbestandsmerkmals „Auslegung“ teilweise durch das Compliance-Verfahren überschritten wird und ob die spätere Übung auch eine erweiternde oder abändernde Auslegung zuließe. Methodisch meint Auslegung die Interpretation innerhalb der Wortlautgrenze.159 Diese Textverbundenheit wird auch durch die Rechtsfigur der späteren Übung, die eng mit dem Vertragstext verbunden ist, unterstrichen. Andererseits lässt sich nicht jede Auslegungsfrage durch den „traditionellen Methodenkanon“160 zufriedenstellend lösen. Auslegende Stellen, speziell Gerichte, greifen in diesen Fällen auf die Normkonkretisierung zurück, die oft zu einer Rechtsfortbildung führt.161 Im Völkerrecht kommt die Besonderheit hinzu, dass die Vertragsstaaten die sogenannten Herren der Verträge und durch die Formenfreiheit des Völkerrechts jederzeit auch zur Abänderung des Vertrags befugt sind.162 Die umweltvölkerrechtlichen Verträge haben zu dieser Frage, ob sie eine solche Vertragsänderung durch Interpretation zulassen, nicht Stellung bezogen. Dass dies durchaus möglich gewesen wäre, beweist das GATT. Anders als seine Nachfolgeorganisation, die WTO, ließ das GATT keine Anpassungsmöglichkeiten durch interpretative Weiterentwicklung zu.163 158 Vgl. den Report des Compliance Committee der Aarhus Konvention im Verfahren gegen Kasachstan von 2005 ECE/MP.PP/C.1/2005/2/Add.1, S. 3 bzgl. der Submission ACCC/C/2004/01. Weiter auch in Entscheidung der Aarhus Konvention im Verfahren gegen Norwegen von 2017 ECE/MP./C.1/2017/16, S. 15 bzgl. der Submission ACCC/C/2013/93. 159  Puppe, Kleine Schule, u. a. S. 132. 160  Wortzitat sowie sich anschließende Aussage bei Petersen, Der Staat 2010, 435–455, 440. 161  In Bezug auf den EuGH wie folgt beschrieben: „Damit wird eine an sektoralen Funktionserfordernissen orientierte Differenz von Text und Interpretation freigesetzt, die in der Praxis zu einer laufenden ‚Rechtsfortbildung‘ des Europarechts führt.“ Vesting, VVDStRL 2004, 42–68, 50. 162 „At the extreme, ‚interpretation‘ can be a way of adapting the norms to radically changed circumstances.“ Chayes/Handler Chayes, New Sovereignty, 1995, S. 209; zit. bei Pan, HILJ 1997, 503–535, 518. Ganz grundsätzlich zu der Frage von Auslegung und Vertragsfortentwicklung: „Authentic interpretation in general public international law is a distinct type of law-making.“ Berner, ZaöRV 2016, 845–878, 850. 163  Pan, HILJ 1997, 503–535, 521.



B.  Art. 31 Abs. 3 WÜV: Ein Meisterstück?

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Dass zwischen Vertragsauslegung und Vertragserweiterung im Rahmen des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV nicht klar zu unterscheiden ist, lässt sich durch ein historisches Argument (1) und eine aktuelle Entwicklung (2) untermauern: Zu 1): In den travaux préparatoires der International Law Commission zum WÜV stellte sie heraus, dass die spätere Übung, damals noch geregelt in Art. 27 Abs. 3 lit. b) der Draft Articles, „may have the effect of modifying the treaty“. Der abändernde Effekt der späteren Übung gründe auf einer einheitlichen Praxis der Vertragsstaaten, die wiederum eine allgemeine Zustimmung der Vertragsstaaten zu der Auslegung widerspiegele.164 Zu 2): Eine Rechtsentwicklung „jenseits der Behäbigkeit völkerrechtlicher Vertragsschlüsse“165 wird heute unter anderem unter das Schlagwort der dynamischen oder evolutiven Vertragsauslegung gefasst. Vorreiter in der praktischen Anwendung dieser Auslegungsmethodik im Völkerrecht ist der EGMR in Form der living-instrument-Doktrin. Der Gerichtshof nutzt die spätere Übung gemeinsam mit dem living-instrument-Gedanken und verbindet ihn mit dem Argument des sogenannten european consensus, um EMRK-Rechte autonom auszulegen.166 Gerade umweltvölkerrechtliche Rahmenverträge, die ausdrücklich dynamisch zur Weiterentwicklung von den Vertragsstaaten verabschiedet werden, eignen sich ebenfalls zur dynamischen Auslegung, die notwendigerweise vertragserweiternde Elemente beinhaltet. Zusammenfassend dient die Compliance-Entscheidung auch der Auslegung des Vertrags und kann unter das Tatbestandsmerkmal „Auslegung“ des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV gefasst werden.167

IV.  Zwischenergebnis: Nichtsdestotrotz eine „spätere Übung“ Mit Art. 31 Abs. 3 lit. a) und b) WÜV ist ein Instrument in der rechtlichen Grauzone geschaffen worden. Insbesondere in Bezug auf das „Kernelement“ der Einigung der Vertragsparteien mäandert die Wirkung der späteren Übung zwischen einer rechtlich verbindlichen Vertragsänderung168 und einer unverbindlichen politischen Kollektiväußerung. Diese Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen – auch im Zuge individueller Compliance-Fälle – spätere Übung darstellen.169 164  165 

Berichte der ILC, 17. Treffen, Teil 2, wiedergegeben in: AJIL 1967, 376–386, 386. Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 355. 166  Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 2021, S. 35 ff.; Sauer, ZaöRV 2005, 35–69, 41; st. Rspr. seit der EGMR-Entscheidung Case of Tyrer v. The United Kingdom, Judgment of 25 April 1978, Application No. 5856/72, Rn. 31; bzgl. internationaler Organisationen allgemein Nolte, Third Report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 311 f. 167  So anstatt Vieler: Umweltbundesamt, Umweltverbandsklage, 2016, S. 105. 168  S. o. Kapitel 3 B I. 1. a). 169  So vergleichbar auch: Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and

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Kapitel 2: Treaties over time

Im Fall der Nichteinhaltungsverfahren einigen die Vertragsstaaten sich zwar nicht „aktiv“ auf eine bestimmte Auslegung einzelner Vertragsnormen. Sie legen aber ein einheitliches Verfahren fest, durch das die Vertragsnormen letztlich ausgelegt werden. Die Ermächtigung des Komitees und der Vertragsstaatenkonferenz zur Durchführung von Compliance-Verfahren könnte also eine Delegation der Interpretationshoheit darstellen.170 Die Vertragsstaatenkonferenz „is an organ established with collective responsibility, a watch dog for the [treaty]“.171 Die Auslegung der Vertragswerke wird dadurch zentralisiert und vereinheitlicht.172 Es werden – ungeachtet der formalen Perspektive – Zuordnungsprobleme erkennbar, die für die weitere rechtliche Bewertung der Compliance-Verfahren von Bedeutung sind. Heikel ist gerade die faktische Aufgabenverteilung innerhalb des komplexen Vertragswerks. Die Komitees sind als Autoren der Entscheidung anzusehen und nicht die Vertragsstaaten, obwohl diese formal die Letztentscheidung treffen. Die Völkerrechtsordnung sieht darüber hinaus vor, dass die einzelnen Staaten befugt sind, die durch sie eingegangenen völkervertraglichen Pflichten eigenständig auszulegen. Durch die spätere Übung sind sie aber möglicherweise an Vereinbarungen gebunden, mit denen ein gemeinsames Vertragsverständnis festgelegt wurde. Der Gewinn der Kategorisierung als spätere Übung (anstatt lediglich als soft law) liegt in der besseren rechtlichen Handhabbarkeit. Sie markiert die klare Zugehörigkeit der späteren Übung zum ursprünglich ratifizierten Vertrag und ermöglicht somit sogar, dass der rechtliche Gehalt dieser Auslegungsbestimmung „qualifiziert“ werden kann. Die benannte (wenn auch weiche) RechtsSubsequent Practice, 2013, S. 133–141, S. 139; Bunge, UmwRG Kommentar, 2019, Einleitung Rn. 7; Epiney u. a. (Hrsg.), Aarhus-Konvention. Handkommentar, 2018, Einleitung Rn. 36; Herdegen charakterisiert die Ausschussberichte menschenrechtliche Überprüfungsmechanismen selbst bereits als spätere Übung Herdegen, Völkerrecht, 2018, § 15 Rn. 32; Trouwborst/ Fleurke/Linnell sehen bereits in den allgemeinen Auslegungsdokumenten des sog. Standing Committee der Berner Konvention spätere Übung, Trouwborst/Fleurke/Linnell, JIWLP 2017, 155–167, 165. Auch ein Teil der politischen Praxis sieht das so, vgl. die Europäische Kommission in einem Beschlussvorschlag für den Rat bzgl. der Aarhus Konvention: „Die Feststellungen des Ausschusses werden der […] Tagung der Vertragsparteien […] zur Billigung vorgelegt, wodurch sie den Status einer offiziellen Auslegung […] erhalten und somit für die Vertragsparteien und die Gremien des Übereinkommens verbindlich gemacht würden.“ COM(2017) 366 final 2017/0151 (NLE). Ministerialbeamter Sangenstedt sieht in der Bestätigung der Vertragsstaatenkonferenz spätere Übung, Sangenstedt, Umweltrechtlicher Gerichtszugang, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79–117, S. 96. 170  S. o. u. a. Memorial of Australia v. 09. Mai 2011, Rn. 4.66, abrufbar unter: https://www. icj-cij.org/files/case-related/148/17382.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 171  Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 112 unter Bezugnahme auf die Internationale Walfangkommission. Mit dem Zitat referiert sie die Ansicht Australiens. 172  Dass dies in jedem Fall die Folge in der Praxis ist: Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 254 f.



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folge hilft bei der konkreteren Standortbestimmung der völkerrechtlichen Instrumente im innerstaatlichen Recht.173 Für die Effektivität des internationalen Regimes ist diese Lösung zwischen Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit ebenfalls von Vorteil: „Intuitively, decreasing the number of procedural hurdles that must be jumped before a modification can enter into force […] improve[s] the responsiveness and flexibility of the regime.“174

C.  Völkerrechtliche Rechtsfolge von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV „The fact that subsequent agreements and practice lie somewhere between interpretation, informal modification, and formal amendment is a truism that makes almost any international lawyer content and relieved not to have to dig any further into the question.“175

Das Völkerrecht beansprucht für sich gegenüber dem nationalen Recht seine unbedingte Beachtung.176 Bei der Berücksichtigungspflicht („zu berücksichtigen bei der Auslegung des Vertrages“) in Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV177 handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der zunächst keine eindeutige Rechtsfolge hat. Denn die spätere Übung kann keiner Völkerrechtsquelle, wie sie in Art. 38 IGH-Statut aufgelistet sind, zugeordnet werden.178 Abgesehen von diesen Regelungen des allgemeinen Völkerrechts verfügen die ComplianceMechanismen auch nicht über mit Art. 46 Abs. 1 EMRK oder Art. 32 EMRK vergleichbare Regelungen, die Anweisung darstellen könnten, wie die Vertragsparteien mit der hier gebildeten späteren Übung umgehen sollten.179 Ohnehin kann eine völkerrechtliche Norm ihre innerstaatliche Anwendung nicht determinieren, sondern muss in der Sphäre des Völkerrechts verharren. Die Crux liegt darin, dass sich das Völkerrecht im Compliance-Verfahren (das sich an 173  Dem widersprechend: Staal, After Agreement, 2018, S. 332: „Existing international law doctrines such as ‚subsequent agreements‘ that have to be ‚taken into account‘ lack the sophistication needed to make sense of the many different types of instruments falling within its purview“. 174  Pan, HILJ 1997, 503–535, 507. 175  Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 133–141, S. 133. 176  MwN bei Knauff, Soft Law, 2010, S. 160, Fn. 946. 177  Und in seiner gewohnheitsrechtlichen Verankerung bei Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2012, S. 73. 178  Bei Art. 38 IGH-Statut handelt es sich ohnehin lediglich um eine nicht abschließende, rechtsunverbindliche, indikative Aufzählung möglicher Völkerrechtsquellen. Zu einer Auseinandersetzung mit Art. 38 IGH-Statut, s. Knauff, Soft Law, 2010, S. 40, Fn. 139–144; mwN Tietje, ZfRSoz 2003, 27–42, 31; umfangreich und auch kritisch betrachtend Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 215 ff. 179  Diesen Normen erklären allerdings nicht die streitgegenstandsunabhängige Verbindlichkeit der Auslegung durch den EGMR.

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Kapitel 2: Treaties over time

sogenannte law-making-treaties anhängt) plötzlich doch für die ihm sonst verschlossene innerstaatliche Sphäre, genauer gesagt die innerstaatliche Umsetzung, „interessiert“. Und zwar nicht im Sinne einer Streitschlichtung als Agent für eine das Schiedsgericht anrufende Partei180, sondern vor allem für ein allgemeines (umweltpolitisches) Gemeinschaftsinteresse handelnd – egal ob dies der Artenschutz oder der Erhalt sauberer Luft, Böden oder der Ozonschicht ist.181 Die Rechtsfolge muss daher durch Auslegung ermittelt werden. Welche Rechtsfolge entspricht in diesem konkreten Fall am ehesten der Intention der Berücksichtigungspflicht von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV? Es geht dabei zunächst nur um die völkerrechtliche Bindung. Der Umfang der innerstaatlichen Bindung ist eine Frage, die aus der Warte des nationalen Rechts im nachfolgenden Teil diskutiert werden soll.182 Die wissenschaftlichen Stimmen könnten die Frage nach der Rechtsfolge von Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV nicht unterschiedlicher beantworten;183 das gesamte Spektrum wird abgedeckt – von einer weiten Auslegung, die der Berücksichtigungspflicht eine verbindliche Wirkung attestiert bis hin zu einem engen Verständnis, das, am Wortlaut orientiert, deren rechtliche Unverbindlichkeit betont. Fünf gängige Argumente, die herangezogen werden, um die Berücksichtigungspflicht auszulegen, werden im nächsten Abschnitt vorgestellt.184 In der abschließenden Stellungnahme wird der Versuch unternommen, aus den vielfältigen Erklärungsangeboten eine kohärente Schlussfolgerung zu ziehen.

I. Autorität Ein großer Teil der Beobachter hält die Auslegung im Compliance-Verfahren für verbindlich – und das nicht aus rechtlichen Gründen, sondern aus faktischen. Überspitzt ausgedrückt halten sie die Auslegung für verbindlich, weil sie verbindlich wirkt.185 Man könnte diese Ansicht als „pragmatische Sichtwei180  Also

bspw. im Unterschied zum WTO-Recht. „Verträge, die eine Rechtsvereinheitlichung anstreben, bedingen naturgemäß eine enge Bindung der ‚Durchführungsinstrumente‘ an die ‚Vorlage‘ des Vertrages.“ Matscher, Thesen, Berichte DGVR 1986, S. 9–44, S. 40. 182  Kapitel 2 D. IV. 2. 183  Wie oben bereits angedeutet, liegt der Fokus der Bearbeitung auf der nationalstaatlichen Auslegung. Die völkerrechtliche Diskussion zum Thema wird daher nicht in ganzer Bandbreite abgebildet. Unter anderem wäre bei einer umfangreich angelegten Untersuchung neben den hiesigen Quellen das Thema soft law allgemein sowie die Literatur, die sich mit der Rechtswirkung von Entscheidungen umweltvölkerrechtlicher Vertragsstaatenkonferenzen befasst oder ganz Grundsätzliches zum Geltungsgrund internationaler Normen. 184  Eine Übersicht über viele verschiedene Herangehensweisen an Vertragsauslegung und deren Kategorisierung in sog. Schulen bei Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 61 f. 185  „[I]f there exists – and this is a matter of fact – subsequent practice or subsequent agree181 



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se“ betiteln. In der Diskussion werden maßgeblich drei (juristische) Argumente herangezogen, um diese Sichtweise zu untermauern: Zum Ersten (1) wird die Untrennbarkeit zwischen dem völkerrechtlichen Vertrag und seiner Auslegung herangezogen. Zum Zweiten (2) wird auf die Formfreiheit des Völkervertragsrechts verwiesen und zum Dritten (3) auf die Eigenart des modernen völkerrechtlichen Vertrags als living instrument. Zu 1: Die Auslegung mittels späterer Übung würde zu einem Teil des ursprünglichen Vertrags und erhalte seine Rechtswirkung, „eine der Stellung des Vertrages ebenbürtige Bindungswirkung für jeden künftigen Auslegungsvorgang.“186 So argumentiert auch die EU-Kommission im bereits erwähnten Compliance-Fall187 vor dem Komitee und der Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus Konvention: „The [Committee’s] findings will be submitted to the […] Meeting of the Parties […] by which they would gain the status of official interpretation of the […] Convention, therefore binding upon the Contracting Parties.“188 Das ment, there is, lege artis, simply no way to get around it.“ Simma, Miscellaneous Thoughts, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 46–49, S. 46. Hervorhebung im Original. Nicht ganz eindeutig in der Schlussfolgerung: „[S]olche einverständlichen Erklärungen [werden] im völkerrechtlichen Verkehr kaum anders behandelt […], als wenn ihnen Rechtsverbindlichkeit zukäme.“ Sondervotum Böckenförde, Kruis, Limbach und Sommer in BVerfGE, 90, 286, 376 (Out-of-Area). Genauso Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 237: „Solche Übereinkünfte sind […] zwar nicht völkerrechtlich verbindlich […]. In aller Regel wird [die Berücksichtigungspflicht] dazu führen, daß der Vertrag auf völkerrechtlicher Ebene im Sinne der Auslegungsvereinbarung zu interpretieren ist. Diese gewinnt damit rechtsgestaltende Wirkung“. 186  Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013, S. 86. Auch: „[B]inding as a treaty, or an amendment thereto.“ IMO Sub-Division of Legal Affairs zit. in: Nolte, Third Report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 374. Konkret zu den Entscheidungen im Compliance-Verfahren schreibt Alge: „Völkerrechtlich verbindlich sind jedenfalls die begründete Feststellung der non-compliance und die recommendations durch die Vertragsstaatenkonferenz.“ Später: „Die Entscheidungen des ACCC entfalten direkte und indirekte Rechtswirkung auf die nationale und europäische Rechtsordnung.“ Alge, RdU 2011, 136–141, 140 f. Tietje: „Auch wenn es sich hierbei ‚nur‘ um Aspekte der Auslegung vorhandener Vertragsbestimmungen handelt und damit nicht um eine Rechtssetzung im engeren Sinne, kommen die normativen Wirkungen oftmals der eigentlichen Rechtssetzung sehr nahe.“ Tietje, ZfRSoz 2003, 27–42, 37. Genauso die Auslegung in BT-Drs.: 18/9526. Daraus zitieren auch gerichtliche Entscheidungen bspw. zu § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG: z. B. in OVG Lüneburg (4. Senat), Beschluss v. 26.06.2020 – 4 ME 116/20. Das Umweltbundesamt spricht in diesem Zusammenhang von einer „erkennbaren Bereitschaft der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit, […] die Auslegungsentscheidungen der Vertragsparteien der AarhusKonvention als verbindlich zu akzeptieren“. Umweltbundesamt, Umweltverbandsklage, 2016, S. 105. Für dieses Gemisch aus verbindlichen und soft-law-Bestandteilen des Vertrages, die ein Gesamtpaket bilden, existiert der Begriff „zebra codes“, Riedel, EJIL 1991, 58–84, 82; vgl. Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2012, S. 102. 187  S. o. Kapitel 1 C. II. 2. h). 188  COM(2017) 366 final, S. 6. Das Dokument bezieht sich auf den Compliance-Fall ACCC/C/2008/32. Ähnlich zur (verbindlichen) Rechtsauslegung und Weiterentwicklung (im Rahmen des WTO-Rechts) durch Akteure, die nicht die dem Recht unterworfenen Staaten selbst sind: „International […] institutions […] raise interpretative claims about what the law says and contribute to its development. […] [T]hese actors enjoy […] authority among the

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führt bei manchen Ausarbeitungen zu einer verwirrenden Vermischung der beiden Fragen, ob einerseits ein Rechtsprodukt verbindlich wirkt und ob es andererseits spätere Übung darstellt. Beides scheint gleichgesetzt zu werden.189 Zu 2: Als prominentes Argument der pragmatischen Auffassung erklingt die Forderung, Völkerrecht müsse sich eben frei nach Bedarf entwickeln können.190 Dazu gehört eine am effet-utile-Gedanken ausgerichtete Auslegung des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV. Daran anknüpfend sehen Vertreter, die eine Vertragsänderung durch spätere Übung zulassen, in diesem Instrument auch eine verbindliche Weiterentwicklung des Vertrags.191 Die tatsächliche Entscheidungsfreiheit der Vertragsstaaten, sich gegen die Auslegung zu stellen, sei durch die spätere Übung stark geschmälert: „[E]ven ‚clarifications‘ of previously indeterminate treaty terms effectively reduce the range of interpretative options that were available to the Parties prior to the clarification. Consensual ascertainment of treaty standards limits the sphere of potential divergent auto-interpretation by states, and thus contributes to regime stabilization.“192

participants in legal discourse, their legally relevant communications might […] gain a normative force […]. […] [E]specially where the social practices of the legal system vest them with an institutional authority, which […] sustains the attitude that their interpretations are determinative of what the law is.“, Venzke, How Interpretation Makes International Law, 2012, S. 16; ebenso zur evolutiv-dynamischen Auslegung der WTO Binder, Grenzen der Vertragstreue, 2013, S. 86 f. 189  So z. B. die Feststellung Kadelbachs zu den vier ILC-Reports des Special Rapporteurs Nolte: „At this stage, the study leaves the impression that it joins two issues, one about the legally binding character of decisions of judicial and quasi-judicial bodies, and the other on their classification as subsequent practice.“ Kadelbach, QIL 2018, 5–18, 14. Ähnlich bei Linderfalk, der die Einigung mit der intendierten Rechtsfolge vermengt. Die Parteien müssten den Willen haben, (verbindliches) Recht zu kreieren: „In order for an international transaction to be categorised as an agreement in the sense of subparagraph (a), the states involved must have had the intention to create law – the intention must have been to conclude a legally binding agreement governed by international law.“, Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, 2007, S. 162. 190  Miehsler spricht von einer „genossenschaftlichen Struktur des Völkerrechts“, Miehsler, Beschlüsse internationaler Institutionen, in: Schreuer (Hrsg.), Autorität und internationale Ordnung, 1979, S. 35–61, S. 36. 191  „[K]ann [die spätere Übung] auch eine Änderung der durch den betreffenenden Vertrag erzeugten rechtlichen Beziehung der Vertragsparteien bewirken.“ Bei Kempen/Hillgruber,Völkerrecht, 2012, S. 73. Kohen, Right Limits, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 34–45, S. 37 (der allerdings kritisch dazu steht). Ähnlich Karl zur authentischen Auslegung, Karl, Vertrag und Spätere Praxis, 1983, S. 40; oder Einlassung in Memorial of Australia v. 09. Mai 2011, Rn. 4.118, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/files/ case-related/148/17382.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Die spätere Übung der Internationalen Walfangkommission hätten die bereits im Vertrag angelegten ökologischen Ziele weiterentwickelt und so in den Vordergrund gerückt; dazu Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 68. 192  Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 776. Ähnlich mit Bezug auf neue Mitglieder multilateraler Verträge Hafner, Subsequent Agreements and Practice, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 105–122, S. 120 f.



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Zu 3: Das pragmatische Argument hängt demzufolge eng mit der sogenannten living-instrument-Debatte zusammen. Diese Debatte fußt auf der Grundannahme, dass ein Vertrag nicht „trockenes Pergament“193 ist, sondern flexible Elemente beinhaltet: „[W]hen dealing with words that also are a constituent act, […] [we] must […] consider[…] [them] in the light of our whole experience, and not merely in that of what was said […] years ago.“194. Die Debatte wird maßgeblich durch die Rechtsprechung internationaler Streitbeilegungsinstitutionen geprägt, namentlich durch die Entscheidungen des Streitbeilegungssystems der WTO195 sowie die Rechtsprechung des EGMR196 und des IGH.197 Das Angebot an flexiblen Mechanismen (harmonisierender und temporaler Natur) im Völkervertragsrecht ist reichhaltig. Die Auslegung dieser Mechanismen ist innerhalb und zwischen den genannten Streitbeilegungsinstitutionen nicht kohärent. Die einzelnen Methoden der Vertragsauslegung sind bisher weder durch die Wissenschaft noch durch eindeutige Staatspraxis klar definiert worden oder anders eindeutig voneinander abgrenzbar. Jede Herangehensweise enthält häufig eigene Bestandteile und solche, die sich mit anderen Mechanismen überschneiden. Vollzugsmechanismen der Weiterentwicklung oder, neutral formuliert, der Veränderung des Vertrags sind:198 – die hier behandelte spätere Übung,199 – teleologische Interpretation,200 193 

Nolte zit. bei Arato, LPICT 2010, 443–494, 444. Bezug auf die Auslegung der amerikanischen Verfassung Richter Oliver Wendell Holmes im Fall Missouri v. Holland, 252 U. S. 416 zit. bei Engel, ICLQ 1967, 865–910, 909. 195  United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, Report of the WTO Appellate Body v. 12. Oktober 1998, WT/DS58/AB/R bei Binder, Grenzen der Vertragstreue, 2013, S. 86 f. 196  Case of Tyrer v. The United Kingdom, Judgment of 25 April 1978, Application No. 5856/72; Case of Dudgeon v. The United Kingdom, Judgment of 22 October 1981, Application No. 7525/76; Case of Selmouni v. France, Decision of 25 November 1996, Application No. 25803/94 (aus Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013.). 197  Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion of 21 June 1971, ICJ Reports 1971, 16–66; Aegean Sea Continental Shelf Case (Greece v. Turkey), Judgment of 19 December 1978, ICJ Reports 1978, 3–45; Case Concerning the Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Judgment of 25 September 1997, ICJ Reports 1997, 7–84; Case Concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana v. Namibia), Judgment of 13 December 1999, ICJ Reports 1999, 1045–1109 (aus Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013). Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, 226–300. 198  Mit Blick auf den IGH-Fall Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, S. 226–300, vgl. Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, u. a. S. 60–63 und S. 79 ff. Sie arbeitet heraus, dass die einzelnen oben benannten Elemente und Prinzipien nicht klar voneinander zu unterscheiden sind (ebd., S. 82). 199  Bspw. schon Engel, ICLQ 1967, 865–910. 200  Am IGH-Fall Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), 194  Mit

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das Prinzip der Wirksamkeit (engl. principle of effectiveness),201 die implied-powers-Lehre,202 das Prinzip der evolutiven Auslegung203 oder das Prinzip der integrativen Interpretation (engl. systemic interpretation)204, die auch andere umweltvölkerrechtliche Verträge mit ähnlichem Regelungsbereich205 in den Blick nimmt.

Das bedeutet für den Rechtsanwender, dass der Vertragsinhalt nicht ausschließlich mit Blick auf seine historischen Ursprünge ermittelt werden, sondern moderne Entwicklungen – zum Beispiel die spätere Übung – miteinbeziehen sollte. Das Ziel und der Zweck des Vertrags206 stellen dabei nicht mehr die äußerste Grenze der Auslegung dar, sondern umgekehrt ihren Ausgangspunkt.207 Die Folge ist, dass keine klare Grenze mehr zwischen Vertragsänderung und späterer Übung gezogen werden kann.208 Daraus lässt sich wiederum schlussfolgern, dass der späteren Übung nahezu verbindliche Wirkung zukommt, weil jederzeit eine vertragsanpassende Wirkung mitgedacht werden muss. Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, S. 226–300; aufarbeitend Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138. 201 Nach G. Fitzmaurice ist dies das einzige Prinzip, das die legitime Annahme erlaubt, es entspräche dem Willen der Vertragsparteien, dass sich der Vertrag über die Zeit weiterentwickelt; Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 82. 202  Anstatt Vieler Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013, u. a. S. 18 und S. 69 ff. Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2012, S. 75, die die implied-powers-Lehre als einen „Sonderfall der am Vertragszweck orientierten Auslegung“ charakterisieren. 203  Nur eine Auswahl mit weiterführenden Verweisen Binder, Grenzen der Vertragstreue, 2013, S. 76 ff.; Bowman, MJIL 2008, 293–499, 436 ff.; Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 81 ff. 204 Als eine Antwort auf das fragmentierte Völkerrecht. Systemic interpretation gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. c) WÜV meint die Auslegung eines Vertrages mit Blick auf sein normatives Umfeld, das heißt mit Blick auf andere Vertragswerke, die Ähnliches normieren. Eine Übersicht zum Thema bei McLachlan, ICLQ 2005, 279–320. Besprochen bei Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 80 ff. Exemplarisch die Aufarbeitung zum Thema des Walschutzes Sand, Japans „Forschungswalfang“, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 681–710. 205  Weite Auffassung des Begriffs: Fitzmaurice hebt in Bezug auf die evolutive Vertragsauslegung der EMRK durch den EGMR hervor, dass dieser für den „systemischen Ansatz“ bindende wie nichtbindende Instrumente heranzieht, bzw. Vereinbarungen ohne Rücksicht darauf, ob der beklagte Staat diese ratifiziert hat. Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 87. 206  Feststehender Ausdruck „object and purpose of a treaty“. Wissenschaftlich aufgearbeitet von Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138. 207  Arato, LPICT 2010, 443–494, 473. 208  Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 275–280. Diese Auffassung „beißt“ sich mit den Formerfordernissen eines Vertragsschlusses und damit auch einer -änderung u. a. gem. Art. 2 Abs. 1 lit. a) WÜV. Diese Vorschrift weicht allerdings vom völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht ab, das nur geringe Formerfordernisse für den Vertragsschluss vorsieht. Vgl. dazu Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 170.



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Auf das Compliance-System übertragen kommt man mit dieser Ansicht zu dem Schluss, dass die Ermächtigungsgrundlage in den Verträgen die Intention der Vertragsstaaten unterstreichen, dass die nationale Vertragsauslegung und -umsetzung durch das Compliance-Verfahren zentralisiert werden soll.209 Die Vertragsnormen müssen mit Rücksicht auf die anderen Vertragsparteien ausgelegt werden – das gilt umso mehr, wenn es sich um einen multilateralen Vertrag handelt.210 Gestützt wird diese Auffassung auch durch das Telos des Compliance-Verfahrens moderner umweltvölkerrechtlicher Vertragswerke. Diese sind explizit darauf gerichtet, die innerstaatliche Rechtsordnung der Vertragsstaaten zu überwachen. So schreibt es bereits die Ermächtigungsgrundlage fest. Damit die Vertragswerke effektiv wirken, sind sie auf weitere Ausgestaltung unter anderem auch durch das Compliance-Verfahren nach dem Vertragsschluss angewiesen. Nach dieser Auffassung stellt es sich so dar, als wäre eine solche Ausgestaltung nicht verbindlich, sondern würde nur „sporadisch“ befolgt, erreichte das Nichteinhaltungsverfahren nicht seinen übergeordneten Zweck der Harmonisierung der Rechtsauslegung, Konkretisierung und Weiterentwicklung der Vertragsnormen und damit der Effizienzsteigerung umweltvölkerrechtlicher Vertragswerke. Zwei ehemalige Mitglieder des Aarhus Compliance Committee bestätigen in ihrer Analyse diese Auffassung. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Wirkung der autoritativen Auslegung nur durch Vertragsänderung widersprochen werden könnte.211 Dies folgt dem Grundgedanken, dass, wenn der actus contrarius eine förmliche Vertragsänderung sein muss, der actus primus dieselbe Wirkung hat.212

II. Einigung Neben der „pragmatischen“ Erklärung der verbindlichen Wirkung der späteren Übung gibt es auch einen Begründungsstrang, der sich hauptsächlich auf das Tatbestandsmerkmal der Einigung, mit anderen Worten den übereinstim209  Eine eher soziologische Erklärung für diese Sichtweise bei Venzke: „International […] institutions […] raise interpretative claims about what the law says and contribute to its development. […] [T]hese actors enjoy […] authority among the participants in legal discourse, their legally relevant communications might […] gain a normative force […]. […] [E]specially where the social practices of the legal system vest them with an institutional authority, which […] sustains the attitude that their interpretations are determinative of what the law is.“ Venzke, How Interpretation Makes International Law, 2012, S. 16. 210  Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 133. 211  „The MOP decision may thus establish an authoritative interpretation with legal effect, that could not be overturned without a further legally effective act by the Parties – for example an amendment“ vgl. Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 39. 212  Konträraktsprinzip, in Honsell, Römisches Recht, 2015, S. 105.

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menden Parteiwillen innerhalb der Vertragsstaatenkonferenz, stützt.213 Treffen alle Vertragsparteien eine Entscheidung über die Auslegung von Vertragsnormen und wollen sie diese auch umsetzen, ist die Entscheidung verbindlich. Die Entscheidung teilt die rechtliche Kategorie der interpretierten Rechtsnorm, im Compliance-Verfahren häufig die einer Vertragsnorm (sogenannte authentische Auslegung):214 „[I]n entering into a treaty, the parties assent not only to the terms of the agreement but also to a process of interpretation whose goal is an intersubjective understanding of the treaty terms.“215 Die Grundlage der Bindung ist der Rechtsbindungswille der Parteien, der sich ob der Formenfreiheit des Völkervertragsrechts gemäß Art. 11 WÜV („oder auf eine andere vereinbarte Art“) auch unabhängig von den für den völkerrechtlichen Vertrag vorgesehenen Verfahren nach außen manifestieren kann.216 Eine ähnliche Richtung schlägt auch die Untersuchung Villigers ein: „Article 31, paragraphs 2 and 3, thus envisage a uniform interpretation of the treaty by the parties and for the parties. […] This means of interpretation is not only particularly reliable, it is also endowed with binding force. It provides ex hypothesis the ‚correct‘ interpretation among the parties.“217

213  Angesichts der oben kurz beschriebenen Debatte um die evolutive Vertragsauslegung kann man diese Sichtweise, die anders als die Befürworter einer dynamischen Vertragsauslegung den Hauptfokus auf das Vorliegen der Zustimmung der Staaten und in der fehlenden Zustimmung die äußerste Grenze der Vertragsauslegung erkennt, als die „klassische Ansicht“ betiteln. So zum Thema der Einhaltung von soft law Brown Weiss, Conclusions, in: Shelton (Hrsg.), Committement and Compliance, 2003, S. 535–553, S. 537. Insgesamt zur Rolle des „pouvoir constituant“ im Völkerrecht Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht, 1972, S. 112. 214  Sand schreibt dazu: „It has been pointed out thet this so-called authentic interpretation is indeed a form of treaty amendment“. Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 780; Polakiewicz, Treaty and Expert Bodies, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Treaty Making, 2005, S. 245–295, S. 259 sieht die authentische Auslegung als verbindlich an. Allerdings verweist er darauf, dass ein Beschluss der Vertragsstaatenkonferenz von den Vertragsstaaten umgesetzt werden muss, bevor er als spätere Übung gelten kann. Auf S. 289 meint er, dass die rechtliche Verbindlichkeit autoritativer Vertragsauslegung u. a. damit zusammenhänge, ob zentral „Führungsnationen“ die Normen beachten und umsetzen. Allgemein zur (Wirkung der) authentischen Auslegung Berner, ZaöRV 2016, 845–878, 846 f.; Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 462 ff. Angedeutet bei Koester, The Aarhus Convention Compliance Mechanism, in: Banner (Hrsg.), The Aarhus Convention: A Guide, 2015, S. 201–215, S. 205: „[T]he Compliance Committee’s findings on nonconpliance are not legally binding. This, however, may be remedied by an endorsement of the MOP of the decision of the Committee“. Nicht ganz deutlich, aber im Endergebnis ähnlich Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 38, 52; Böth sieht in Art. 31 Abs. 3 lit. a) WÜV eine authentische Auslegung und in Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV eine konkludente Auslegung, Böth, Evolutive Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 2013, S. 87 f. 215  Johnstone, MJIL 1991, 371–419, 381. 216  Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 456 f. 217  Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 105–122, S. 110 f.



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Die Möglichkeit der authentischen Auslegung durch die Vertragsparteien korreliert mit ihrer „Kompetenz“, Völkervertragsrecht zu setzen und zu ändern.218 Die Vertragsstaaten haben den Vertrag und seinen institutionellen Aufbau begründet und mit der auf Experteneinschätzung beruhenden Dynamik ausgestattet.219 Nach diesem Verständnis ist die Vertragsweiterentwicklung durch spätere Übung nur durch die Grenzen limitiert, die der Ausübung der vertragsstaatlichen Souveränität gesetzt sind. Der Wille, sich rechtlich zu binden, kann – ganz abgesehen von der Diskussion um die spätere Übung – auch als wesentliches Kennzeichen des Völkerrechts verstanden werden.220 Genauso sieht Nettesheim die Verbindung zwischen Konsens (in dem er den Rechtsbindungswillen verankert) und späterer Übung: „Nach Art. 31 Abs. 3 [WÜV] kann eine derartige Anwendungspraxis in der Weise auf den völkerrechtlichen Vertrag zurückschlagen, dass es zu einer Fortschreibung kommt – vorausgesetzt, die Anwendungspraxis wird von allen Vertragspartnern konsensual getragen.“221

Diese Herangehensweise erinnert an die Diskussion um die Rechtswirkung konsentierter Entscheidungen. Der Konsens wird als die ursprüngliche Völkerrechtsquelle verstanden und ist die Kernvoraussetzung einer staatszentrierten Rechtssetzung.222 Vertreter dieser Sichtweise verstehen den Konsens als jeder 218  „[A]uthentic

interpretation is law-making in all but its name.“ Berner, ZaöRV 2016, 845–878, 845. 219  „It is their treaty. It is not anyone else’s.“ Crawford, A Consensualist Interpretation, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 29–33, S. 31. 220  Knauff, Soft Law, 2010, S. 26. 221  Nettesheim in: Maunz u. a., GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 128. Sich ähnlich auf den Beschluss der Vertragsstaatenkonferenz beziehend und daraus „Rechtsverbindlichkeit“ ableitend Sangenstedt, Umweltrechtlicher Gerichtszugang, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg), Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79–117, S. 96. 222  Hillgruber, Der Staat 2014, 475–493, 481. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, 1989, S. 34 ff., die Anleihen bei der Vertragslehre machen und den Staat in der Folge als „großes Individuum“ betiteln. Sie unterteilen den Konsens in drei Kategorien: einmal den Grund der Rechtsverbindlichkeit einer Norm (hier und auf der Rechtsfolgenseite nochmals angesprochen), dann verstehen sie darunter eine Mehrheit, die deutlich gewichtiger ist, als eine einfache Mehrheit, aber nicht an eine Einstimmigkeit heranreicht und drittens das Verfahren innerhalb einer internationalen Organisation. Ähnlich zur Bewertung des rechtlichen Gewichts des Konsens Bothe: „The notion of ‚consensus‘, which has become very important in the practice of international organizations, has especially blurred the line between resolution and agreement.“Bothe, NYIL 1980, 65–95, 69; Venzke: „The doctrine of sources in international law is part of a normative construction that gives effect to the idea that legal normativity – a sense of obligation to follow a legal rule – is rooted in prior consent to be bound by that rule.“ Venzke, How Interpretation Makes International Law, 2012, S. 2. Konsens als Zustimmung zu souveräner Selbstbindung verstanden, sog. Lotus-Doktrin: „International law governs relations between independent States. The rules of law binding upon States therefore emanate from their own free will as expressed in conventions or by usages generally accepted as expression principles of law and established in order to regulate the relations between these coexisting in-

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formalisierten Völkerrechtsquelle vorausgehend. Sie verzichten damit auf ein objektives Element für die Feststellung von Völkerrecht.223 Die problematischen Folgen sind nicht zuletzt Abgrenzungsschwierigkeiten von verbindlichen, aber nur konkludenten Willenserklärungen zu rein passivem Verhalten, dem kein rechtlicher Erklärungsgehalt zukommen soll.224 Gleichzeitig kann ein Konsens gerade in umstrittenen Themen häufig nur entstehen, wenn es um eine rechtsunverbindliche Maßnahme geht.225 Diese Vorstellung würde durch eine nachträgliche Bindung konterkariert. Allerdings bietet dieser Weg eine Lösung für den rechtlichen Umgang mit soft law an. Es kommt schlichtweg nicht auf soft oder hard an, sondern nur noch auf law mit seiner verhaltenssteuernden Funktion. Als Beispiel kann die Erklärung über die rechtlichen Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums von 1963 dienen:226 Hier sei durch instant general consensus neues Recht mit dem niedergeschriebenen Inhalt der Resolution entstanden. Das durch Staatenkonsens entstandene Recht sei eine neue Rechtsquelle, die in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut nicht erwähnt ist.227 Die Diskussion um die spätere Übung wird innerhalb dieser Ansicht mit der Diskussion um Konsensentscheidungen im Völkerrecht vermischt. Die Rede ist von consensual subsequent practice228, die durch die Verbindung der beiden Konzepte eine neue Rechtsfolge erhält; sie ist durch den Konsensbeschluss in der Vertragsstaatenkonferenz eine verbindliche Auslegung beziehungsweise verbindliche Abänderung oder Konkretisierung des Vertragstexts. Diese Sichtweise des Völkerrechts knüpft nahtlos an den grundlegenden Charakterzug des Compliance-Verfahrens an. Es ist die Institutionalisierung eines kooperativen Dialogs über die Auslegung von Vertragsnormen mit dem Ziel, allen Staaten die Vertragserfüllung zu ermöglichen.229 Dass dabei der Konsens die bevorzugte Beschlussmethode ist, schreiben sich viele Mechanismen sogar ausdrücklich in die eigene Geschäftsordnung.

dependent communities or with a view to the achievement of common aim. Restrictions upon the independence of States cannot therefore be presumed.“ S. S. „Lotus“ (France v. Turkey), Judgment of 7 September 1927; PCIJ Ser A No. 10, S. 18. 223  In anderem Kontext dargestellt bei Aust, ICLQ 1986, 787–812, 794 ff.; besprochen bei Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2012, S. 71. 224  Problematisiert bei Baumbach, Vertragswandel, 2008, u. a. S. 70 ff. 225  Proelß, Rechtsgutachten, 2009, S. 7. 226  Resolution 1962 (XVIII). 227  Aufgearbeitet von Bothe, NYIL 1980, 65–95, 76. 228  So in der schiedsgerichtlichen Entscheidung: United States-United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges (United States v. United Kingdom), Award on the First Question, Decision of 30 November 1992, UN Vol. XXIV 2006, 1–359, 131. 229  S. o. Kapitel 1 D. I.



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III. Vertrauen In eine ähnliche Kerbe schlagen auch die Befürworter einer verbindlichen oder zumindest einer sehr intensiven Wirkung der Berücksichtigungspflicht auf der Grundlage des Vertrauensschutzes. Sie erkennen eine enge (auch rechtliche) Zusammengehörigkeit zwischen späterer Übung und Ursprungsvertrag mitunter mit der Folge, dass die spätere Übung über den Vertrauensgrundsatz (namentlich pacta sunt servanda) sogar die Rechtsfolge des Vertrags teilen kann.230 Durch die von den Vertragsstaaten getragene spätere Übung, in diesem Fall der unwidersprochenen Auslegung im Rahmen des Compliance-Systems, würde eine rechtlich verbindlich wirkende Erwartungshaltung bei den anderen Vertragsstaaten geweckt.231 Die Erwartungshaltung bezieht sich darauf, dass die gewählte Auslegung als die „richtige“ Auslegung akzeptiert und umgesetzt wird. Die „gemeinsam geteilten Erwartungen“232 knüpfen in der Hauptsache an die Begleitumstände der Bildung der späteren Übung im Compliance-Verfahren an.233 Darunter fallen die im Rahmenvertrag aufgenommene Ermächtigungsgrundlage, die grundsätzliche Zustimmung zur Einrichtung des Compliance Committee durch die Vertragsstaatenkonferenz, des Weiteren die Mitwirkung im Compliance-Verfahren und gewichtig der fehlende Protest gegen die ergangene Compliance-Entscheidung und deren Auslegung des Vertragswerks. Zentral für diese Auffassung ist gerade auch der intensive (kommunikative) Dialogprozess über die Auslegung und der Nachhalteprozess.234 Die nachträgliche Nichtbeachtung eines konsensualen Beschlusses im Rahmen der politischen Versammlung der Vertragsstaaten „could come across as flippant and unreliable.“235 230 

In der Tendenz Matscher, Thesen, Berichte DGVR 1986, S. 9–44, S. 40. Bezug auf die Auslegungen des UN-Zivilpakts durch den als sein Kontrollorgan eingesetzten UN-Menschenrechtsausschuss führt der Ausschuss selbst an, seine Auslegungen seien eine „authoritative determination“ deren „character“ durch den Grundsatz von Treu und Glauben bestimmt werde. Aus dem pacta-sunt-servanda-Grundsatz folge eine Mitwirkungspflicht der Staaten (engl. duty to cooperate) an den Verfahren des Kontrollorgans. Vgl. UNMenschenrechtsausschuss, Allgemeine Bemerkung Nr. 33 v. 05.11.2008, UN Doc. CCPR/C/ GC/33 Rn. 13 und 15. 232  Die gewählte Terminologie soll die Nähe zu den Gedanken der New Haven School zeigen (u. a. MacDougal/Lasswell/Miller, Interpretation of International Agreements, 1994), vgl. dazu Bothe, NYIL 1980, 65–95, 65 f. 233  Es kommt maßgeblich auf die Begleitumstände an, weil es an einer ausdrücklichen Zustimmung der Staaten „to be bound as a matter of law“ fehlt, Bothe, NYIL 1980, 65–95, 94. 234  Ein „continuous cycle of deliberation, justification and judgment“ mache die Entscheidungen nicht rechtliche verbindlich, sei aber die Basis ihrer de-facto-Bindungswirkung, bei Brunnée, Compliance Control, in: Ulfstein/Marauhn/Zimmermann, (Hrsg.), Making Treaties Work, 2007, S. 373–390, S. 389 f. 235  Staal, After Agreement, 2018, S. 239. „[D]er besondere Verpflichtungscharakter, der Rechtsnormen von anderen sozialen Regelungen […] unterscheidet, kommt […] daher, dass sich die Rechtsgenossen in einem fortlaufenden Dialog befinden, in dem Regelungen bewertet, konkretisiert, spezifiziert und angepasst werden.“ So aus politikwissenschaftlicher Sicht List/ 231  In

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Rechtlich verankert ist diese Erwartung an das (Umsetzungs-)Verhalten der Vertragsstaaten im Vertrauensgrundsatz236 – der verschiedene Ausformungen annimmt. Zu nennen sind beispielsweise der estoppel-Grundsatz237, der Grundsatz pacta sunt servanda238 oder das Frustrationsverbot239, aber auch der Grundsatz der Mitwirkungspflicht in internationalen Zusammenschlüssen (engl. duty to cooperate).240 Der Deutsche Bundestag zieht selbst den allgemeinen Rechtsgrundsatz der Vertragstreue heran, um die verbindliche Wirkung der gegen Deutschland gerichteten Compliance-Entscheidung zu begründen, schließlich sehe Art. 31 Abs. 1 WÜV ausdrücklich vor, den Vertrauensgrundsatz bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen: „[E]s [bedarf] eines solchen Tätigwerdens auch auf Grund des völkerrechtlichen Grundsatzes ‚Pacta sunt servanda‘. Die vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Aarhus-Konvention sind durch den für Deutschland verbindlichen Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz konkretisiert worden.“241

Auf diese Aussagen greift auch die wissenschaftliche Debatte zurück, wenn deren Vertreter schreiben, die Entscheidungen von Compliance Committees müssten aufgrund des Prinzips der Vertragstreue Eins-zu-eins umgesetzt werden.242 Zangl, Verrechtlichung internationaler Politik, in: Hellmann/Wolf/Zürn (Hrsg.), Die neuen Internationalen Beziehungen, 2003, S. 361–399, S. 380. Sie beziehen sich dabei auf den Managerial-Ansatz von Chayes/Handler Chayes, IO 1993, 175–205, 204. 236  Kotzur zitiert dazu Bynkershoek in eigener Übersetzung mit „Agreements between private parties are governed by civil law, agreements between sovereigns by bona fide“ Kotzur, Good Faith (Bona fide), in: Wolfrum/Peters A. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Stand: Januar 2009, Rn. 3. 237 MwN Cottier/Müller, Estoppel, in: Wolfrum/Peters, A. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Stand: April 2007. Mit der Aussage, die spätere Übung sei aufgrund des estoppel-Grundsatz verbindlicher Wirkung, Hafner, Subsequent Agreements and Practice, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 105–122, S. 110. 238  U. a. Art. 26 WÜV. Der „Grundsatz der Heiligkeit der Verträge“ bei Hobe, Völkerrecht, 2014, S. 147. 239  U. a. Art. 18 WÜV. Das Frustrationsgebot soll eine Vereitelung des Vertragszwecks in der kritischen (aber unter Umständen zeitlich extensiven) Phase zwischen rechtsgültiger Unterzeichnung des Vertrages und dessen innerstaatlichen Ratifizierung unterbinden. Der unterzeichnete aber noch nicht ratifizierte Vertrag entfaltet damit eine gewisse Vorwirkung. Frau, Der Gesetzgeber, 2015, S. 8; Gragl und Fitzmaurice zeichnen den Weg des Frustrationsverbots von einer rein „moralischen“ Verpflichtung hin zu einer rechtlichen nach, Gragl/Fitzmaurice, ICLQ 2019, 699–717, 701 ff. 240  Benannt vom IGH-Fall Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, S. 226–300, S. 257. Mit der „Rechtsfolge“ to „give due regard to Recommendations“. 241  BT-Drs.: 18/9526, S. 32. 242  Heß, Einfluss der Entscheidungen, in: Hebeler u. a. (Hrsg.), Planungsrecht im Umbruch, 2017, S. 177–198, S. 179; vgl. Alge, RdU 2011, 136–141, 140 f. Ähnlich die verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzung referiert in Umweltbundesamt, Umweltverbandsklage, 2016, S. 105.



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Der Vertrauensgrundsatz kann einen Staat (rechtlich) verpflichten, den Erwartungen der anderen Staaten entsprechend zu handeln.243 Bezug genommen werden könnte auf konkretes Handeln der einzelnen Staaten: seiner Zustimmung zu einer Compliance-Entscheidung, der fehlenden Haltung als persistent objector244, seiner Mitwirkung im Compliance-Prozess zum Beispiel auch durch Entsenden eines (staatlichen) Vertreters und vieles mehr. Durch die Teilnahme der einzelnen Staaten an der Diskussion in der Vertragsstaatenkonferenz entsteht ein Konsens, der eine Einigung über eine Auslegung beinhaltet. Aus der befürwortenden Teilnahme der einzelnen Staaten kann ein Frustrationsverbot hervorgehen, das unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu der Pflicht führt, eine Anwendung der Auslegungsregel in jedem Fall zu bedenken.245 Eine ähnliche Rechtsfolge wird wohl auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgen.246 Letztlich zeigt dieser Begründungsstrang besonders gut die enge Verbindung, die zwischen der im ComplianceVerfahren begründeten späteren Übung und dem ursprünglichen Vertragswerk besteht. Diese sei so eng, dass selbst die spätere Übung an der vertraglichen Rechtsfolge pacta sunt servanda teilhaben solle.

IV. Formstrenge Allen Auffassungen, die der Berücksichtigungspflicht eine Verbindlichkeit unterstellen, muss die Umgehungsgefahr der Formvorschriften der formellen Vertragsänderungsnormen in Teil IV (Art. 39 bis 41) iVm Teil II (Art. 6 bis 18) WÜV247 entgegengehalten werden. Mit anderen Worten ausgedrückt: Was sonst ein langwieriger und mehrstufiger Prozess auf internationaler und nationaler Ebene ist, kann nicht durch eine informelle Praxis ersetzt werden, ohne dass 243  „[T]hus protecting reliance and confidence in certain cases.“ Bothe, NYIL 1980, 65– 95, 95. 244  Nimmt Bezug auf u. a. Art. 40 f. WÜV. 245  „To conclude, if no conflict exists with other interpretations of the underlying treaty, the addressee is obliged to show that it has considered following the norm that the [subsequent practice] […] states, not that it has actually followed it to the full extent of its substative claim.“ Staal, After Agreement, 2018, S. 215; Hervorhebungen im Original. Das Frustrationsverbot wird hier erweiternd gedacht: Es stellt einen Mittelweg zwischen der einen Alternative dar, dass gar keine Bindung besteht (im Falle des Art. 18 WÜV bevor der Vertrag in Kraft tritt) und der anderen Alternative, dass ein Vertrag bindende Wirkung entfaltet (mit Bezug auf Art. 18 WÜV nach Inkrafttreten). Gragl/Fitzmaurice, ICLQ 2019, 699–717, 700. 246  Mit Bezug auf den sogenannten good-faith-Grundsatz Pineschi, Protection of the Alps, Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 205–219, S. 216. So in Bezug auf die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes auf soft law, Kotzur, Good Faith (Bona fide), in: Wolfrum/Peters A. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Stand: Januar 2009, Rn. 25. 247  Teil II ist gemäß Art. 39 WÜV auf die Änderung von Verträgen entsprechend anzuwenden.

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den Regelungen des WÜV widersprochen würde.248 Zudem richtet sich der Parteiwille, durch den eine Einigung zustande kommt, nicht auf den verbindlichen Abschluss einer Vertragsänderung. Dann wäre der Einstieg aller Vertragsstaaten in das formale Änderungsverfahren zu erwarten.249 Gerade die Wahl unverbindlicher Entscheidungsformen wie memoranda of understanding,250 die im Einzelfall als spätere Übung klassifiziert werden können, würde durch eine verbindliche Wirkung des Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV konterkariert. Der „Rückzug“ auf das objektive Tatbestandsmerkmal des förmlichen Vertragsänderungsverfahrens suggeriert ferner Rechtssicherheit darüber, welche Norm verbindliche Wirkung erzeugt und welche nicht.251 Diese Argumentationslinie findet sich etwa in der Verteidigung Japans gegen die Anklage Australiens vor dem IGH im Fall Whaling in the Antarctic252. Ursprünglich sollte das Abkommen von 1946 zur nachhaltigen Entwicklung der Walfangindustrie beitragen. Dazu gehörten auch Maßnahmen zur Bestandserhaltung, aber nur mit dem Zweck der nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzung. Dass sich das Telos des Vertrags durch die Entscheidungen der Internationalen Walfangkommission, die Zusammenkunft der Vertragsstaaten, hin in Richtung eines Umweltschutzvertrags verändert habe,253 ließ Japan als Argument Australiens nicht gelten. Australien bezog sich auf viele Resolutionen der Kommission, die den Natur- und Artenschutz in den Vordergrund des Abkommens gestellt hatten, und auf das 1982 vereinbarte Moratorium, mit dem die kommerzielle Jagd auf Wale verboten worden war. Das Ziel und der Zweck des Abkommens, so Japan, hätten sich dadurch nicht geändert. Möglicherweise habe es 248  Sommer spricht von einem ultra-vires-Akt des entscheidenden Organs: Hervorhebungen im Original, Sommer, ZaöRV 1996, 628–667, 637 f. Kohen, Right Limits, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 34–45, S. 36. Kohen zitiert einen amerikanischen Vertreter auf der Wiener Konferenz mit folgender Warnung „‚relatively low-ranking officials such as vice-consuls and third secretaries might interpret a treaty erroneously and follow a course of conduct which, unknown to governments, could lead to modification of the treaty‘.“ Frankreichs Vertreter, so Kohen, verwiesen bei der verbindlichen Vertragsänderung durch spätere Übung auf dadurch entstehende verfassungsrechtliche Probleme. Aus diesem Grund verzichtete die Vertragsstaatenkonferenz der Alpenkonvention auf bindende Sanktionen. Die Einführung bindender Bestandteile im Compliance-Verfahren erfordere eine Vertragsänderung – so die Vertragsstaaten, s. o. Kapitel I C. III. 249  Ähnliches Argument bei Sommer, ZaöRV 1996, 628–667, 638. 250  Dieses Beispiel mit Bezug auf Dispute Navigational and Related ansd Related Rights (Costa Rica v. Nicaragua), Judgment of 13 July 2009, ICJ Reports 2009, 213–272; Crema, Within and Outside the Vienna Convention, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 13–28, S. 25. 251  Klingt an bei Münch, F., ZaöRV 1969, 1–11, 7. 252  Counter-Memorial of Japan v. 09. März 2012, Rn. 8.43 ff., abrufbar unter: https:// www.icj-cij.org/files/case-related/148/17384.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 253  Ähnliches ist der IMO widerfahren, allerdings in diesem Falle mittels einer Vertragsänderung: Die Organisation war usprünglich erdacht, um die Sicherheit der Schifffahrt zu gewährleisten. In der Mitte der 1970er Jahre wurde die Zweckbestimmung auch auf den maritimen Umweltschutz erweitert. Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 154.



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spätere Übung mit Bezug auf artenschutzrechtliche Aspekte gegeben, es fehle aber an einer formellen Vertragsänderung, weshalb jegliche Anpassungen des Vertragswerkes für Japan unverbindlich seien.254 Das sei vor allem deshalb der Fall, weil für die Resolutionen (engl. recommendations) andere Verfahrensregeln gälten als für die vom Vertrag als bindend vorgesehenen regulations, die Fangquoten festzusetzen. Die recommendations der Kommission seien daher als unverbindlich einzustufen und würden nur eingeschränkt die evolutive Auslegung des Vertrags mitbestimmen. Eine substantielle Modifikation des Vertragsinhaltes ließe sich so nicht erreichen.255 Die formelle Betrachtung legt zugleich den Fokus auf das „Ermächtigungssystem“ des Nichteinhaltungsverfahrens. Auch wenn die gelebte Praxis andere Schlüsse zulässt, handelt es sich weder um eine formell ermächtigte Auslegungsstelle für den Vertragsinhalt noch um eine internationale Streitbeilegungsstelle.256 In beiden Fällen wäre eine bindende Wirkung aufgrund einer Ermächtigung zur Auslegung völkerrechtlich zu begründen.257 Dagegen legen die Rahmenverträge Regeln für Änderungsverfahren fest. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass eine Vertragsänderung auf anderem Wege formell nicht möglich ist. Darüber hinaus kennzeichnen die komplexen umweltvölkerrechtlichen Vertragswerke verschiedene in ihnen verankerte Instrumente ausdrücklich mit den Worten „binding“ und „not binding“. Das Compliance-Verfahren – in jedem Fall die individuelle Entscheidung gegenüber dem betroffenen Staat – wird in nahezu jedem Vertrag als „not binding“ klassifiziert.258

V. Wortlaut Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis führt die am Wortlaut („zu berücksichtigen“) orientierte Auslegung. In der Abgrenzung dieses Wortlauts zum Wortlaut verbindlich wirkender Normen handelt es sich nicht um eine verpflichtende Auslegung: Im Englischen zeigen Worte wie „shall“, „agree“, „binding“, „enter into force“ oder „decide“ die verbindliche Wirkung an. Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV formuliert aber „shall be taken into account“.259 Genauso verwenden die 254  Verfahren intensiv aufgearbeitet u. a. von Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 63–66. 255 Auch in a. M. des Richters Greenwood im Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, S. 226– 300, S. 405–419, S. 407 f.; referiert in Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./ Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 75 f. 256  S. o. Kapitel 1 A. III. und D. I. 257  Z. B. in Bezug auf das WTO-Recht und dies betreffende Entscheidungen des EuGH Zonnekeyn, JIEL 1999, 713–722. 258  U. a. Kapitel 1 B. I.; Tanzi/Pitea, Lessons Learned, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 569–580, S. 569. 259  Konkretes Beispiel einer bindenden völkerrechtlichen Norm auf Deutsch: Art. 29.10. Abs. 1 Satz 2 CETA „Der Spruch des Schiedspanels im Schlussbericht ist für die Vertragspar-

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Ermächtigungsgrundlage und selbst die Entscheidungen hauptsächlich Unverbindlichkeit signalisierende Worte.260 „Zu berücksichtigen“ bedeutet gemeinhin, dass von der späteren Übung in begründeten Fällen abgewichen werden kann. Es handelt sich nicht um eine formelle Vertragsanpassung.261 Auch Nolte kommt in seiner Untersuchung für die ILC zu dem Schluss, dass der späteren Übung hohe Autorität zukomme, aber keine Verbindlichkeit.262 Letztlich unterstreicht diese Meinung die Rolle der Vertragsstaaten bei der Um- und Durchsetzung des Vertrags sowie des Völkerrechts allgemein.263 Dieses Verständnis der späteren Übung und des Vertragsrechts allgemein schiebt in gewisser Hinsicht der evolutiven Vertragsinterpretation den Riegel vor. Ihr wird damit nur noch eingeschränkt Aussagekraft für die Vertragsweiterentwicklung zuerkannt. Eine Vertragsänderung durch spätere Übung ist dann undenkbar.264 Diese Ansicht wird zusätzlich bestärkt dadurch, dass der ursprüngliche ILCEntwurf zum WÜV in Art. 38 vorsah, dass eine Vertragsänderung durch spätere Übung möglich sein sollte: „[A] treaty may be modified by subsequent practice in the application of the treaty establishing the agreement of the parties to modify its provisions“. Mit Rücksichtnahme auf die Rechtssicherheit im Völkervertragsrecht wiesen die Vertragsstaaten diesen Artikel allerdings zurück.265 teien bindend.“ Art. 29.12. Satz 1 CETA „Die ersuchte Vertragspartei ergreift alle Maßnahmen, die zum Vollzug des Panelschlussberichts erforderlich sind.“ 260  S. o. Kapitel 1 B II. und VII. sowie C. I. 2. a) und g), II. 2. a) und g) und III. 2. a) und g). 261  „The treaty, the primary treaty, is regarded for the purpose of the law of the treaties as the central instrument and the other things have to be taken into account.“ Crawford, A Consensualist Interpretation, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 29–33, S. 30; Crema bezeichnet Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen als „non-mandatory“, Crema, Within and Outside the Vienna Convention, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 13–28, S. 25. 262  Nolte, Third Report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307– 386, S. 375. Diese Auslegung ist u. a. praktisch, alleine mit Blick auf die Anzahl an Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen, die jedes Jahr verabschiedet werden, begründet. Vor einer unübersehbaren Zahl an vermeintlich verbindlichem Völkerrecht warnend Kohen, Right Limits, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 34–45, S. 34. Zu der Arbeit unmittelbar von Expertenorganen des internationalen Menschenrechtsschutzes Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1060. Er hält sie aus formeller Sicht für unverbindlich, eine Abweichung könnte mittels „good reasons“ erlaubt sein. 263  Nolte, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 1–10, S. 2. 264  Eine ganz restriktive Herangehensweise exemplarisch in BFH, Urt. v. 2. September 2009, I R 90/08: „[E]ine gemeinsame ‚Übung‘ [kann] […] für die Abkommensauslegung bedeutsam sein […], das aber immer nur insofern, als sie sich aus dem Wortlaut des Abkommens ableiten [lässt] […]. Auch diese Grundsätze erzwingen eine Regelungsauslegung also immer nur nach Maßgabe des Abkommenswortlauts; dieser stellt in abschließender Weise die ‚Grenzmarke‘ für das ‚richtige‘ Abkommensverständnis dar.“ 265  Beschrieben bei Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2012, S. 71, der die Ausführungen



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Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die spätere Übung – gerade auch die hier durch Compliance-Verfahren begründete – durch die eng am Wortlaut orientierte Auffassung in die Bedeutungslosigkeit geschickt wird. Die Vertreter sehen darin eher eine Art Beweislastumkehr zulasten desjenigen Staats, der von der späteren Übung abweichen möchte.266

VI.  Stellungnahme: „Völkerrecht ist anders!“267 Compliance-Verfahren sind im ersten Kapitel als stark formalisierte Verfahren beschrieben worden. Durch die Auslegungsarbeit kann es zu einer Vertragsfortschreibung kommen. Gerade mit Blick auf den hohen Formalisierungsgrad, der sich nicht zuletzt im gerichtsähnlichen Charakter vieler Komitees zeigt, offenbart sich, dass diese Vertragsfortschreibung von der Sphäre der Politik (gemeint ist die Diskussion in der Vertragsstaatenkonferenz) in die Sphäre des Rechts (also in das Nichteinhaltungsverfahren) verlagert wird.268 Befürworter starken internationalen Drucks folgern also: „International Agreements could be much more effective at influencing state behavior if they were designed to produce more non-compliance, leading to more extensive use of non-compliance procedures.“269 Das Compliance-System dient neben der Umsetzungsunterstützung für nichterfüllende Staaten auch der Vertragsergänzung.270 In gewisser Hinsicht kämpft ein Vertragsregime mit dem Compliance-Verfahren nicht nur gegen die eigene Ineffizienz in Bezug auf die Umsetzung in nationales Recht. Es kämpft auch dagegen, dass normative Lücken oder überholende Faktenlagen dazu führen, dass das Vertragsregime obsolet wird.271 mit Kritik versieht: u. a. dass eine Vertragsänderung ohne Formerfordernnis möglich sei und in der Praxis gelebt würde. 266  „[T]he findings made in the non-compliance procedure should play an important role in any subsequent dispute settlement proceedings although they do not possess any binding force. Due to the expertise involved and the Compliance Control Committee’s legitimacy any measure recommended […] is likely to have so much weight and persuasiveness that it will have to be respected in any subsequent dispute settlement proceeding. Something like a shifting of the burden of proof should take place in the sense that the findings made under the compliance control mechanism can only be overruled in a subsequent dispute settlement proceeding if they have been rebutted by clear and convincing evidence.“Beyerlin/Stoll/Wolfrum, Conclusions, in: dies. (Hrsg.), Ensuring Compliance. A Dialogue, 2006, S. 359–370, S. 369. 267  Marauhn, Digitaler Akademieabend der Studienstiftung des Deutschen Volkes zum Thema „Der UN-Sicherheitsrat in der Krise“ am 02. September 2020. Erinnert an den Aufsatz Pauwelyn, Is It International Law or Not, and Does It Even Matter?, in: ders./Wessel/Wouters (Hrsg.), Informal International Lawmaking, 2012, S. 125–161. Ähnlich Schreuer, GYIL 1977, 103–118, 105: „fundamentally different structure of the present international community“. 268  „[T]he emergence of institutions for active treaty management is bound to have significant normative implications.“ Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 793. 269  Hedemann-Robinson, Enforcement, 2019, S. 45. 270  Pan, HILJ 1997, 503–535, 504. 271  Politikwissenschaftlich untersucht von Young, World Politics 1980, 331–356, 351 f.;

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Die völkerrechtliche Wirkung von Entscheidungen der Vertragsstaaten im Compliance-Verfahren ist umstritten:272 1. Mittels des Wortlautarguments und des Umgehungsverbots erscheint es überzeugend, dass die spätere Übung zwar immer bei der Auslegung des Vertrags mitgedacht werden muss, aber die Vertragsstaaten nicht zu einer Eins-zu-eins-Umsetzung verpflichtet sind. Diese informellen Wege können keine formelle Vertragsveränderung herbeiführen. 2. Die intensive Auseinandersetzung des Compliance Committee mit der betroffenen Vertragspartei über die Auslegung der Normen, der Nachhalteprozess sowie die Institutionalisierung des gesamten Verfahrens sprechen mit Blick auf die Rolle des Konsenses sowie des Vertrauensgrundsatzes im Völkerrecht hingegen die Sprache der Verbindlichkeit. Alles andere würde die zit. bei Pan, HILJ 1997, 503–535, 504. Sie zeigen durch diese Anpassungsfähigkeit eine große Beständigkeit. 272  Vertreter, die allgemein die Beschlüsse von Vertragsstaatenkonferenzen für nicht verbindlich halten: u. a. 18. Ausschuss des Deutschen Bundestages, Drs.: 18/2121, S. 85 f.: „Ob Beschlüsse von Vertragsstaatenkonferenzen […] rechtsverbindlich sind, ist davon abhängig, ob der zugrundeliegende […] Vertrag […] die Befugnis erteilt hat. Dieser Fall tritt […] selten ein, sodass Vertragsstaatenkonferenzen in der Regel keine Rechtssetzungskompetenzen zukommt.“; Brunnée, Reweavering the Fabric, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Treaty Making, 2005, S. 101–126; Brunnée, LJIL 2002, 1–52; Güssow, Maritimer Klimaschutz, 2012, S. 207; Handl, ‚Lawmaking‘ by Conferences of Parties, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Treaty Making, 2005, S. 127–143; Proelß, Rechtsgutachten, 2009, S. 10; Staal, After Agreement, 2018, S. 65; Wiersema, MJIL 2009, 231–287, 250. Vertreter, die die Entscheidungen eher für verbindlich als nicht verbindlich halten: Ehrmann setzt sich mit vorgebrachten Zweifeln auseinander, kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz iVm der Ermächtigungsgrundlage im Vertrag einen insgesamt verbindlichen Beschluss ergibt, Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 151; trifft eine Unterscheidung, ob die Vertragsstaatenkonferenz – wie bei den Non-Compliance-Verfahren regelmäßig der Fall – auf Grundlage einer Ermächtigungsklausel handelt. Dann könne eher von einer Verbindlichkeit ausgegangen werden, Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 462; Fuchs klassifiziert die Entscheidungen als „de facto lawmaking, that is, they have a de facto effect on parties as if they were binding“ und begründet dies unter anderem mit der Wortwahl in Resolutionen, Fuchs, GLJ 2008, 1565–1596, 1976; Sand betont zwar, dass die Verträge selbst in diesem Punkte „schweigen“ (im Gegensatz bspw. zu Verträgen des Bretton-Woods-Systems), jedoch wurde noch nie die „Autorität“ einer Resolution im Rahmen des Washingtoner Artenschutzabkommens angezweifelt, Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 779; in Bezug auf die Einrichtung von Compliance Committees entschieden Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 730: „This does not put into question the legally binding character of these procedures“. Die Meinungen sind gespalten: Fodella kommt zu dem Schluss, dass in Fällen, in denen das Non-Compliance-Verfahren nicht explizit im Vertrag vorgesehen ist, eine allgemeine Rechtsgrundlage in Verbindung mit den Grundsätzen der implied-powers-Doktrin kaum als ausreichend gelten kann. Letztendlich gilt für ihn: „[I]n a number of instances it simply is not possible […] to say with certainty what the legal character of certain decisions, or types of decision, or legal status of certain organs, are.“ Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 358. Zu allem mwN Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 457 Fn. 9.



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aufwändige Konstruktion des Compliance-Verfahrens in Frage stellen. Ähnliches betont die Ansicht, die sich ganz auf das subjektive Element der späteren Übung stützt – eine Einigung über die Auslegung liege vor und damit sei diese Auslegung verbindlich. Vor diesem Hintergrund wird vor einer rein am Wortlaut orientierten Interpretation gewarnt.273 Andererseits begründet der Vertrauensgrundsatz (in seinen verschiedenen Spielarten) die verbindliche Wirkung der Berücksichtigungspflicht der späteren Übung im Compliance-Verfahren am dürftigsten von allen drei Begründungssträngen. Er stellt eine widersprüchliche Begründung dar: Aufgrund einer Verpflichtung von Treu und Glauben soll das ausdrücklich unverbindliche Instrument der Compliance-Kontrolle sozusagen über die Hintertür verbindlich wirken – ist das nicht wiederum eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben?274 3. Allerdings spricht auch die pragmatische Sichtweise für eine völkerrechtliche Verbindlichkeit der späteren Übung im hiesigen Fall, wenn sie das Ziel des Nichteinhaltungsverfahrens, das teilweise so auch in der Ermächtigungsgrundlage festgehalten ist, in den Blick nimmt: Das Compliance-Verfahren will die einheitliche und effektive Umsetzung und Anwendung des völkerrechtlichen Vertrags durch die nationale Ebene, es soll „regulatory uniformity“275 erreichen. 4. Ob jedoch eine einheitliche Auslegung durch die Vertragsstaaten nur mittels einer verbindlichen rechtlichen Wirkung der späteren Übung oder nicht auch durch rein politische Verbindlichkeit erreicht werden kann (so wie die Vertreter der am Wortlaut orientierten Auffassung es hervorheben), bleibt am Ende dieser Auseinandersetzung unklar. Hervorzuheben ist daher – für einen Juristen zunächst etwas unbefriedigend – die tatsächliche Wirkung von in Compliance-Verfahren gebildeter späterer Übung. Besonders bei Vertragswerken, bei denen vom Compliance-Mechanismus reger Gebrauch gemacht wird, kann der Inhalt der vertraglichen Verpflichtung nur durch Zusammenschau des Vertragstexts und der jeweils dazu ergangenen Auslegung im Compliance-Verfahren bestimmt werden.276 Die spätere Übung dient dem umweltvölkerrechtlichen Prozessvertrag als Instrument in 273 

Schreuer warnt vor der rein wörtlichen Auslegung von „recommendation“ Schreuer, GYIL 1977, 103–118, 103 f. 274  Bothe, NYIL 1980, 65–95, 95; Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 35. 275  Pan, HILJ 1997, 503–535, 509. 276  „Thus in order to comprehend treaty regimes, it is necessary to take account of the operation of these regimes, including what their supervisory organs say and do.“ Hayashi, Challenges of Dynamic Treaty Regimes, in: Fitzmaurice/Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 221–236, S. 221. Für diese Ansicht spricht sich eine deutsche Kommentierung der Aarhus Konvention aus, die sich ausdrücklich zum Ziel setzt, die Praxis des Compliance Committee mit in das Buch aufzunehmen und davon regen Gebrauch macht, vgl. Epiney u. a. (Hrsg.), Aarhus-Konvention. Handkommentar, 2018.

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der „‚toolbox‘ of legal mechanisms“277, über das die Parteien verfügen können, um den Vertrag an neue Entwicklungen oder Erkenntnisse anzupassen. Es scheint in gewisser Hinsicht – aus völkerrechtlicher Perspektive – nicht auf die Rechtsfolge anzukommen, sondern lediglich auf die de-facto-Bindungswirkung.278 Letztlich passen diese Aussagen in die größere Debatte um die evolutive Vertragsauslegung. Der umweltvölkerrechtliche Prozessvertrag – angelegt auf die Weiterentwicklung nach Vertragsschluss – scheint als institutionelle Verkörperung der genannten Auslegungsmethode und fügt sich somit in diesen Trend ein. Ein Vertrag, der sich dynamischen Entwicklungen nicht öffnet, könnte andernfalls als „instrument mort-né“279 bezeichnet werden, der durch seine mangelnde Anpassungsfähigkeit in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden droht.280 Die Feststellung, dass die Grenze zwischen rechtlicher und lediglich politischer Bindung schwammig wird, ist eine (gewollte?) Nebenwirkung der evolutiven Vertragsauslegung. Schließlich lässt sich ein Staatenkonsens leichter erreichen, wenn es sich um eine soft-law-Norm beziehungsweise Vertragserweiterung durch soft law handelt. Die mit der evolutiven Vertragsauslegung in Verbindung stehenden rechtlichen Folgeprobleme verstärken sich, wie an dieser Untersuchung veranschaulicht werden kann, insbesondere bei der Zusammenlegung mehrerer Verträge (sogenannter synergies process) oder der Bündelung einzelner Verträge bei UNEP oder UNECE.281 Angesichts des stark formalisierten Compliance-Verfahrens lässt sich schlussfolgern, dass die die Entscheidungen nicht nur politisch, sondern auch rechtlich verbindlich sind. Es überzeugen insbesondere folgende Argumente: – Der Vertrag und die ihn auslegende Compliance-Entscheidung bilden eine untrennbare Einheit. Die Verträge können ohne Beachtung der ComplianceEntscheidungen nicht mehr korrekt angewendet werden. – Völkerrechtliche Verträge können formfrei verändert werden. – Es kommt daher entscheidend auf den Willen der Vertragsstaaten an. Diese bezwecken mit den Compliance-Verfahren eine Rechtsvereinheitlichung. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie dem Compliance-Verfahren einen 277 

Pan, HILJ 1997, 503–535, 505. Kokott, Einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 503–528, S. 517. 279  Boisson de Chazournes in: Oral Proceedings v. 26. Juni 2013 10 Uhr, S. 53, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/files/case-related/148/17384.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 280  „[V]ide sidéral“ bei Boisson de Chazournes in: Oral Proceedings v. 26. Juni 2013 10 Uhr, S. 53, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/files/case-related/148/17384.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Aufgearbeitet in Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1048. 281  S. o. Kapitel 1 B. II. Gödel, Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, 2006, S. 95 ff. 278 Schon



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Nachhalteprozess zur Seite stellen. Diese Einheitlichkeit lässt sich nur durch eine verbindliche Vertragsauslegung erreichen. Der Ausweg aus der Bindung auf völkerrechtlicher Ebene ist wohl nur die Haltung als persistent objector282 (zum Beispiel rechtlich abgesichert mit einem ultra-vires-Argument, wenn der Vertrag contra legem erweitert werden soll), um dadurch das Vertrauen der anderen Vertragsstaaten ins Wanken zu bringen – also die geschürten Erwartungen dadurch zu negieren und einen eindeutigen Staatenkonsens zu erschüttern. Durch diese Haltung erkennt der protestierende Staat ironischerweise die Fähigkeit der späteren Übung, verbindliche Wirkung zu erzeugen, an.283 Dieser Ausweg ist natürlich nur schwer gangbar, wenn verschiedene Entwicklungen bei Vertragsschluss und in der Anfangszeit der vertraglichen völkerrechtlichen Zusammenarbeit noch nicht absehbar sind. Ein Beispiel stellt die Wiederansiedlung des Wolfs in der Schweiz dar: Als die Schweiz die Berner Konvention 1979 unterzeichnete, lebten keine Wölfe in der Schweiz. Erst seit Mitte der 1990er Jahre leben wieder Wölfe in der Schweiz. Anders als andere Staaten hat die Schweiz daher keinen Vorbehalt gemäß Art. 19 WÜV erklären können und tut sich nun mit der Bewertung seiner „Wolfspolitik“ durch die Konventionsorgane und -staaten und der Einhaltung der Konventionsvorgaben schwer.284 Abschließend zeigt insbesondere die Konsenstheorie, dass für die Steuerungskraft des Völkerrechts zum einen objektive Merkmale und zum anderen die genaue Definition der Verbindlichkeit nur herabgesetzte Rollen spielen – vor allem im Kontext von zielorientierten multilateralen Verträgen.285 „Das Völkerrecht war nie primär Zwangsordnung“286, sondern ist Koordinationsrecht. Die völkerrechtliche Rechtswirkung beeinflusst die Reichweite der innerstaatlichen Bindung. Im nationalen Rahmen gewinnt zudem die grundgesetzliche Gesetzesbindung an Bedeutung.287 Der Rechtsanwender muss in der Lage 282  Wie bspw. von Japan angeführt in Counter-Memorial of Japan v. 09. März 2012, Rn. 8.4 und 8.48, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/files/case-related/148/17384.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). So ähnlich in Bezug zum völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047– 1065, S. 1060. In Bezug auf die Entstehung von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht Hillgruber, Der Staat 2014, 475–493, 483. MwN Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 166. Figur würde in Frage gestellt vgl. Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 24. 283 Ähnlich Schreuer, GYIL 1977, 103–118, 105. 284 Vgl. die Zusammenfassung der aktuellen Problematik in der Motion 10.3264 von Fournier, eingereicht im Schweizer Ständerat am 19. März 2010. 285  So in Bezug auf die Korruptionsbekämpfung durch Instrumente des Europarats, Polakiewicz, Treaty and Expert Bodies, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Treaty Making, 2005, S. 245– 295, S. 286. Eine differenziertere Auseinandersetzung damit, wann und in welchem Kontext die klare Rechtsfolgendefinition im Völkerrecht Relevanz hat bei Brown Weiss, Conclusion, in: Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance, 2003, S. 535–553, S. 536 f. 286  Knauff, Soft Law, 2010, S. 6. 287  „It is, therefore, within the field of national law that the distinction between legal and

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Kapitel 2: Treaties over time

sein, das für den jeweiligen Sachverhalt geltende Recht zu bestimmen.288 Daher gilt es nun, das Außenverfassungsrecht nach der Rechtsfolge der Berücksichtigungspflicht gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV zu durchleuchten und im Zuge dessen auch nach dem Umfang der Rechtsbindung zu fragen.

D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? Eine Untersuchung des Außenverfassungsrechts I.  Das Grundgesetz und der Umgang mit weichem Recht Das Grundgesetz beschreibt (ausdrücklich) drei Wege, wie eine völkerrechtliche Norm im innerstaatlichen Rechtsraum anwendbar wird. Diese sind grob gefasst: 1. ein genereller Rechtsanwendungsbefehl für universelles völkerrechtliches Gewohnheitsrecht (Art. 25 Satz 1 GG), 2. ein Zustimmungsgesetz oder eine zustimmende Rechtsverordnung, die den Rechtsanwendungsbefehl für den jeweiligen völkerrechtlichen Vertrag darstellen (Art. 59 Abs. 2 GG)289, oder 3. ein Gesetz im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG, das Hoheitsakten supranationaler Einrichtungen einen Rechtsanwendungsbefehl erteilt. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG regelt dasselbe für die Europäische Union.290 Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist dabei nicht der schillerndste Artikel des Außenverfassungsrechts: Im Vergleich erhalten Art. 25 GG, der Symbolartikel des Außenverfassungsrechts291, Art. 24 Abs. 1 GG, die „prononcierte[…] Hinwendung des Grundgesetzes zum Völkerrecht“292, und selbst Art. 24 Abs. 3 GG, die Völnon-legal international obligations remains most clearly established. […] [T]he distinction still has its practical relevance, at least in cases where the national question may become an issue.“Bothe, NYIL 1980, 65–95, 90. „Die Probleme liegen […] weniger auf der völkerrechtlichen Ebene als in der Reichweite der innerstaatlichen Bindung an die geänderte Interpreta­ tionspraxis.“ Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2015, S. 78. 288  Payandeh, RW 2013, 397–417, 398 f. 289  Ausnahmsweise soll hier in Auszügen zugleich Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG in die Analyse miteinbezogen werden. Der Fokus liegt allerdings auf Satz 1 der Vorschrift. Es ist darüber hinaus anzumerken, dass bei genauer Betrachtung eine Überführung des Völkerrechts in nationales Recht durch Rechtsanwendungsbefehl nicht ausdrücklich von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vorgesehen ist. 290  Das Unionsrecht als Transformator des Umweltvölkerrechts wird hier ausgeklammert. S. dazu Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 24 ff. 291  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 147; als „weithin unterschätzt“ bewertet. 292  Sauer in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Mai 2019, Art. 24 Rn. 26, die Rolle des Art. 24 Abs. 1 GG ebenfalls als „unterschätzt“ bezeichnend.



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 165

kerrechtsfreundlichkeit in prozessualer Form,293 weit mehr „Mystifizierung“ als Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Dabei hat sich auch Art. 59 Abs. 2 GG gewandelt: Der Wortlaut markiert die Regel noch als „bloße Verfahrensnorm“294, die Rechtsanwendungs- und -auslegungspraxis hat sie nun jedoch mit einem „interpretativen Überschuss“295 ausgestattet.296 Viele vertragsähnliche, rechtsgestaltende und sonstige politisch wie rechtlich einflussreiche und/oder verbindliche völkerrechtliche Handlungen der Exekutive sind von dem (eingeschränkten) Wortlaut des Art. 59 Abs. 2 GG nicht umfasst. So ist auch die gewichtige Weiterentwicklung oder teilweise sogar Neuausrichtung297 eines völkerrechtlichen Vertrags nach dem formalen Vertragsschluss durch spätere Übung nicht ausdrücklich geregelt. Der Deutsche Bundestag schreibt der späteren Übung der Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus Konvention in dem gegen Deutschland gerichteten Compliance-Fall rechtliche Verbindlichkeit zu: Es ist die Rede davon, das Compliance Committee konkretisiere die vertraglichen Verpflichtungen Deutschlands und das sei auch innerstaatlich verbindlich.298 Der Deutsche Bundestag begründet seine Ansicht, die Berücksichtigungspflicht als auch innerstaatlich verbindliche Vertragsinterpretation zu lesen, durch Bezugnahme auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des deutschen Rechts und den (völkerrechtlichen) Grundsatz pacta sunt servanda. Für die Behandlung anderer einflussreicher, wenngleich weicher, völkerrechtlicher Normen ist häufig die Frage nach einer erweiternden oder insgesamt analogen Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG aufgeworfen worden. Eine Analogie zur Zustimmungspflicht ist aber in diesem Fall der späteren Übung innerhalb komplexer Vertragswerke nicht angezeigt und löst darüber hinaus nicht die Probleme des Einbezugs der Vertragsweiterentwicklung „durch“ ein Expertengremium in das deutsche Recht. Denn den Gesetzgebungsorganen stehen neben dem formellen Zustimmungsverfahren viele Instrumente und Wege offen, ihre kontrollierende und legitimierende Rolle auszufüllen. Letzteres wird vor allem das Thema des dritten Kapitels sein.

293 „Völkerrechtsfreundlichkeit in verfahrensrechtlicher Hinsicht“ bei Proelß, Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung, in: Rensen/Brink (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung, 2009, S. 553–584, S. 576. 294  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 147. 295  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 147. 296  „[D]as sich wandelnde Verständnis von Staat und internationaler Gemeinschaft [ist] in die Interpretation der Bestimmungen über die auswärtige Gewalt eingegangen.“ Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 10. 297  Vgl. hierzu etwa BVerfGE 104, 151 (NATO-Neues Strategisches Konzept). 298  BT-Drs.: 18/9526.

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Kapitel 2: Treaties over time

1.  Das Außenverfassungsrecht. Eine Einführung Die offene Ausrichtung des Grundgesetzes ist zu einer Zeit entstanden, in der die Sphären Innen und Außen – Völker- und nationales Recht – noch überwiegend als getrennt wahrgenommen wurden.299 Die Integrationsoffenheit impliziert eine Trennbarkeit zwischen Aufgaben, die dem Völkerrecht, und solchen, die dem nationalen Recht zukommen. Tätigkeitsfelder sollen einzelnen völkerrechtlichen oder nationalen Akteuren zugeordnet werden. Die Öffnung des Grundgesetzes nach außen wird von einer dualistischen Konzeption des Staatsrechts flankiert.300 Nach dem Dualismus301 handelt es sich bei Völker- und nationalem Recht um zwei unterschiedliche Rechtskreise, die sich an je unterschiedliche Adressaten richten. Ein völkerrechtlicher Rechtsakt betrifft den Staat als Ganzes, erreicht seine Organe nicht.302 Er findet erst durch einen Vermittlungsakt Eingang in die deutsche Rechtsordnung. Nach überkommener Auffassung entscheidet das Verfassungsrecht aufgrund der Souveränität des Staats, ob, wie und in welchem Rang eine völkerrechtliche Norm im innerstaatlichen Bereich wirkt.303 Nach dieser Auffassung ist eine völkerrechtlich verbindliche Norm nicht ohne Weiteres im deutschen innerstaatlichen Rechtsraum anwendbar beziehungsweise nicht automatisch verbindlich, sondern bedarf eines Rechtsanwendungsbefehls304, der die Norm innerstaatlich anwendbar macht.305 Nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hat sich das Außenverfassungsrecht in den letzten Jahrzehnten verändert: Das Bundesverfassungsgericht hatte sich bereits kurz nach der Wiederaufnahme einer normalisierten Außenpolitik Deutschlands in den 1950er306, verstärkt ab den 299  Bergmann, Souveränitätskonzeption, 2018, S. 128. Aus historischer Sicht entsprach das Ideal zweier getrennter Rechtskreise nie der Realität. Damit beginnt z. B. das Lehrbuch von Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. V. 300  Umfangreich zum speziellen Dualismus des Grundgesetzes anstatt Vieler Schorkopf, Staatsrecht, S. 22 ff. 301  Begründet 1899 von Triepel, Völkerrecht und Landesrecht. Den Modellen Monismus und Dualismus fehle heutzutage die Erklärungskraft, u. a. bei v. Bogdandy, IJCL 2008, 397– 414, 398; der Theoriestreit sei „unreal, artificial and strictly besides the point“ G. Fitzmaurice angeführt bei Schäfer, Abkommensüberschreibende Bundesgesetze, 2020, S. 82, der die Auseinandersetzung für die Beantwortung konkreter Einzelfragen dennoch für sinnvoll erachtet. 302  Anstatt Vieler Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 83; Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 203. 303  Das Völkerrecht ignoriert innerstaatliches Recht zum Großteil, s. bspw. Art. 27 WÜV. 304  Auch Transformations- oder Vollzugsbefehl genannt. Die Verwendung der Begriffe richtet sich nach der jeweiligen theoretischen Auffassung. Ausführend dazu u. a. Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 169; Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 105; Schäfer, Abkommensüberschreibende Bundesgesetze, 2020, S. 105 ff. 305  Ob die Norm innerstaatlich nur Anwendung findet, oder innerstaatliche Geltung erlangt diskutiert mwN bei Payandeh, RW 2013, 397–417. 306  Wenn man überhaupt so früh davon sprechen kann: Immerhin war 1951 wieder ein Auswärtiges Amt in Bonn eingerichtet. Die Pariser Verträge vom 23. Oktober 1954 ermöglich-



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 167

1980er Jahren mit gewichtigen außenverfassungsrechtlichen Fragen zu beschäftigen:307 Die nur spärliche Normierung des Außenverfassungsrechts ist damit über die Jahrzehnte mit auslegender, rechtsfortbildender und rechtsgestaltender Rechtsprechung unterfüttert worden – beispielsweise in Bezug auf die Funktion der Völkerrechtsfreundlichkeit, die Stellung und Abgrenzung der relevanten Grundgesetzartikel zueinander, den Rang völkerrechtlicher Verträge im innerstaatlichen Recht oder eben auch in Bezug auf die selbstständige Neuausrichtung völkerrechtlicher Verträge. Die betreffenden Urteile zeigen, dass auch das Verfassungsgericht teilweise Mühe hat, mit dem dünnen Normgerüst dogmatisch gangbare Wege zu beschreiten.308 Die Subsumtion der unterschiedlichen Sachverhalte unter die grundgesetzlichen Normen hat daher teils sonderbare Wege309 genommen. Als Beispiele seien genannt eine nahezu paradoxe Ausweitung der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes bei gleichzeitigem „Letzten Wort“ der Verfassung310 oder ein Wiederaufleben der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bei ultra-vires-Handlungen der Organe der Europäischen Union311, gepaart mit der individuellen verfassungsgerichtlichen „Einklagbarkeit“ kompetenzgemäßen Verhaltens supranationaler Organisationen.312 Die wohl größte Kuriosität scheint die sogenannte Rangproblematik darzustellen: Mittlerweile hat sich eine Art Zwischenranglösung für die Gewährleistungen der EMRK „eingeschlichen“.313 ten der jungen Bundesrepublik souveränes Handeln auf der außenpolitischen Ebene. Wichtige Entscheidungen des BVerfG aus dieser frühen Zeit u. a. BVerfGE 1, 351 (Petersberger Abkommen); BVerfGE 1, 372 (Deutsch-Französisches Wirtschaftsabkommen); BVerfGE 1, 396 (Deutschlandvertrag); BVerfGE 4, 157 (Saarstatut); BVerfGE 6, 309 (Reichskonkordat), in letzterer Entscheidung wird die Figur der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes anhand von Art. 25 GG ausgearbeitet. 307  Eine (nicht abschließende) Auswahl leuchtturmartiger Entscheidungen: BVerfGE 58, 1 (Eurocontrol I); BVerfGE 68, 1 (Atomwaffenstationierung); BVerfGE 89, 155 (Maastricht); BVerfGE 90, 286 (Out-of-Area); BVerfGE 104, 151 (NATO-Neues Strategisches Konzept); BVerfGE 111, 307 (Görgülü); BVerfGE 112, 1 (Bodenrefom III); BVerfG 2 BvR 2115/01 (Belehrung ausländischer Beschuldigter über das Recht auf konsularische Unterstützung); BVerfGE 118, 244 (Afghanistan-Einsatz); BVerfGE 123, 267 (Lissabon); BVerfGE 128, 326 (Sicherungsverwahrung II); BVerfGE 141, 1 (Völkerrechtsdurchbrechung); BVerfGE 148, 296 (Streikverbot für Beamte). 308  Als Beispiel dient der hohe Argumentationsaufwand des BVerfG im Out-of-Area-Urteil. Hier tragen zugleich vier Richter die Entscheidung nicht mit, BVerfGE 90, 286, 372 ff. (Out-of-Area). 309  „Widersprüche“ und „absurde Ergebnisse“ bei Bleckmann, DÖV 1996, 137–145, 137. 310  Thema der verfassungsgerichtlichen Judikatur in Bezug auf das Unionsrecht bspw. in BVerfGE 89, 155, 187 f. (Maastricht); BVerfGE 111, 307, 318 (Görgülü); BVerfGE 123, 267, 355 ff. (Lissabon); BVerfGE 126, 286, 302 ff. (Honeywell); zuletzt BVerfG, Urt. des Zweiten Senats v. 05. Mai 2020 – 2 BvR 859/15 (PSPP). 311  BVerfGE 126, 286, 304 f. (Honeywell). 312  Über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG als verankerter Anspruch demokratische Selbstbestimmung, zuletzt bei BVerfG, Urt. des Zweiten Senats v. 05. Mai 2020 – 2 BvR 859/15, Rn. 98 ff. (PSPP). 313  Trotz ihres Rangs als einfaches Bundesrecht soll sie – u. a. mit Verweis auf Art. 1 Abs. 2

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Kapitel 2: Treaties over time

2.  Vorstellung des Art. 59 GG – Telos der Norm Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Art. 59 GG314 verteilt – wie Art. 32 GG315 – die Kompetenzen316 im Bereich der auswärtigen Gewalt. Absatz 1 regelt unter anderem die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis und schreibt sie dem Bundespräsidenten zu, der diese Befugnis jedoch in der Regel an den Kanzler oder einen Minister überträgt.317 Absatz 2 bestimmt die Methode der Wirksamkeit bestimmter völkerrechtlicher Verträge, beschreibt den Rechtsanwendungsbefehl und gestaltet das Verfahren zur innerstaatlichen Willensbildung in Teilbereichen der Außenpolitik. Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedarf ein völkerrechtlicher Vertragsschluss318 in zwei Fällen319 der Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften, die mittels des Zustimmungsgesetzes eine Ermächtigung320 zur völkerrechtlichen Ratifikation geben:321 GG – bei der Auslegung der Verfassung herangezogen werden; u. a. BVerfGE 74, 358, 370 (Unschuldsvermutung); BVerfGE 83, 119, 128 (Gemeinnützige Arbeit); BVerfGE 111, 370, 317 (Görgülü); BVerfGE 120, 180, 356 (Caroline von Monaco III); BVerfGE 128, 326, 367 f. (Sicherungsverwahrung II); BVerfGE 138, 296, 356 (Kopftuchverbot NRW). 314  Der Artikel ist seit Inkrafttreten des Grundgesetzes unverändert. Zu den historischen Ursprüngen der Norm anstatt Vieler Hillgruber, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Isensee/Lecheler (Hrsg.), FS Leisner, 1999, S. 53–74, S. 64. Eine detaillierte Analyse des sogar seit 1871 ähnlich anmutenden Wortlauts der Vorgängervorschriften bei Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 6–12 und Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 171 ff. 315  „Vertikale Gewaltenteilung“, also bundesstaatliche Gewaltenteilung. 316  „Horizontale Gewaltenteilung“, also rechtsstaatliche Gewaltenteilung; Kompetenzverteilung sei für „den Gesamtbereich der Außenbeziehungen lediglich ausschnitthaft“ geregelt, so Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 14. 317  Die Exekutive wird in dem Artikel jedoch nicht erwähnt, obwohl sie in der Praxis „Hauptakteur im Bereich der auswärtigen Beziehungen“ ist bei Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 14; umfangreich zu den Tätigkeitsfeldern von Bundesregierung und Bundespräsident im Bereich der auswärtigen Gewalt Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 204. 318  Mit Bezug auf die Verwaltungsabkommen in Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG, vgl. Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 173. 319  Die beiden „Kategorien“ stehen nicht im Alternativverhältnis zueinander. Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 176. 320  Kritik an dieser Formulierung Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 103. 321  Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG sieht für Verwaltungsabkommen einen völkerrechtlichen Vertragsschluss ohne Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften vor. Die Zuordnung eines völkerrechtlichen Vertrags zu Satz 1 oder Satz 2 erfolgt im Umkehrschluss zu den zwei Alternativen nach Satz 1 (Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Februar 2020, Art. 59 Rn. 157; Calliess, Staatsrecht III, 2014, S. 71 f.). Es kommt nicht auf den Gegensatz Gesetzgebung/Ver-



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1. Die Legislative muss zustimmen, wenn es sich um die Regelung der politischen Beziehungen handelt, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG. Ein solcher Vertragsschluss liegt vor, wenn der Vertrag die politische Unabhängigkeit des deutschen Staats regelt (auch „hochpolitische Verträge“ genannt).322 2. Eine Zuordnung zu der zweiten Alternative, den Verträgen, die sich auf die Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, fällt leichter: Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG bezieht sich auf Inhalte, die entweder bereits durch ein formelles Gesetz geregelt sind oder aber auf Rechtsmaterien, die aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben einer formalgesetzlichen Regelung bedürfen.323 Das Tatbestandsmerkmal (Bezug zu Gegenständen der Gesetzgebung) ist in Anbetracht der grundgesetzlichen Systematik, die die Ausübung der auswärtigen Gewalt zuvorderst der Exekutive zuschreibt, eng auszulegen.324 Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist (systematisch) als konkrete Ausprägung des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zu verstehen.325 Vor diesem waltung an. Gemeint sind Verträge, die gubernative Angelegenheiten regeln und für ihre innerstaatliche Durchführung lediglich Verwaltungshandlungen benötigen, vgl. Nettesheim, ebd., Rn. 156 f. Für Satz 2 genügt häufig eine Rechtsverordnung, die als Rechtsanwendungsbefehl fungiert. Sollte eine umsetzende Rechtsverordnung nicht notwendig sein, „ist der […] Rechtsanwendungsbefehl […] in dem Regierungsakt zu sehen, der die völkerrechtliche Verbindlichkeit für die Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt hat.“ Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 195. Nettesheim sieht im exekutivischen Zustimmungsakt den Rechtsanwendungsbefehl für völkerrechtliche Verträge, die unter Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG fallen. (ebd., Rn. 193). Dem ist zuzustimmen. Weitere Stimmen zu diesem Thema: unklar in Bezug auf Fälle, in denen keine Rechtsverordnung notwendig ist, äußert sich Pieper in: Epping/Hillgruber, Beck-OK GG, Art. 59 Rn. 48; ebenfalls an dieser Stelle keine Aussage treffend Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 50. Nettesheim betont, dass die Entscheidung für die eine oder andere Ansicht grundlegende Aussagen zum Dualismus des Grundgesetzes beinhaltet, Nettesheim, ebd., u. a. Rn. 160. Verwaltungsabkommen machen einen großen Bestandteil der völkervertraglichen Verpflichtungen aus, Kadelbach/Guntermann, AöR 2001, 563–587, 565; aktuell WD 3 – 3000 – 015/20, S. 4; dies gelte umso mehr für den Bereich des Umweltvölkerrechts, Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 142. v. Bogdandy und Zacharias bringen die Unsicherheit über die genauen Aussagen des Tatbestandes zum Ausdruck, in: v. Bogdandy/Zacharias, NVwZ 2007, 527–532, 529. 322  Grundlegend BVerfGE 1, 372, 390 (Deutsch-Französisches Wirtschaftsabkommen). Diese Einordnung ist schwer nachzuvollziehen. Anstatt Vieler vgl. nur Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 28; Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 98; Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 68 f.; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 176 ff. 323  BVerfGE 1, 372, 388 (Deutsch-Französisches Wirtschaftsabkommen); Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 31; Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 107. Es geht nicht um die Abgrenzung Gesetzgebung/Verwaltung. Vgl. auch Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 124. 324  Kadelbach/Guntermann, AöR 2001, 563–587, 571 f. 325  Umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Begriff bei Biehler, Auswärtige Gewalt, 2005. Cremer arbeite die Debatte um die „‚exekutivenfreundliche‘“ und die „‚parlamentsfreundliche‘“ Auffassung auf, Cremer, Das Verhältnis von Gesetzgeber und Regierung, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 11–39, S. 12 f.

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Kapitel 2: Treaties over time

Hintergrund kommen dem Artikel viele Funktionen und Sinnzuweisungen zu:326 1. Durch die Norm wird zunächst eine organschaftliche Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse im Bereich des auswärtigen Handelns vorgenommen.327 Auf dem Parkett der Außenpolitik handelt sichtbar vor allem die Exekutive, damit die Bundesrepublik geschlossen auftritt.328 Innerstaatlich arbeiten Legislative und Exekutive zusammen.329 Das Parlament muss ausgewählten völkerrechtlichen Vertragsschlüssen zustimmen, bevor deren Verbindlichkeit eintritt. Das Grundgesetz ermöglicht so nicht nur die Kontrolle der Exekutive durch die Legislative, sondern auch eine (begrenzte) Mitwirkung des Parlaments an der Außenpolitik.330 Die nachträgliche Zustimmungspflicht der Legislative entfaltet insoweit auch eine Vorwirkung auf den internationalen Verhandlungsprozess.331 2. Mit Blick auf das Demokratiegebot wird durch die (vorherige) Zustimmung zur Ratifikation die Entschließungsfreiheit der Legislative332 gewahrt. Andernfalls würde die nationale Umsetzung des Vertrags, die durch das Parlament bewerkstelligt werden muss, vorweggenommen.333 3. Das Zustimmungserfordernis der „gesetzesinhaltlichen Verträge“ dient der Vollzugssicherung des Völkerrechts.334 Die Bundesrepublik soll sich nur an 326  Frau wählt ebenfalls einen funktionalen Zugang. Vgl. Frau, Der Gesetzgeber, 2015, S. 20 ff. 327  U. a. in BVerfGE 90, 286, 357 f. (Out-of-area); BVerfGE 104, 151, 207 ff. (NATONeues Strategisches Konzept). Die Frage, ob und wenn ja, in welcher Art das Grundgesetz ein Vorverständnis einer Gewaltenteilung beinhaltet und wie die Regelung in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einzubetten ist, ist (immer noch) Gegenstand von Debatten: anstatt Vieler Kokott, Einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 503–528, S. 508 ff. 328  Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 9. 329  Unterstützt von der im Grundgesetz angelegten Gewaltenverschränkung. 330 „Mitentscheidungsrecht der Gesetzgebungsorgane“ bei Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 103. U. a. auch in BVerfGE 118, 244, 258 ff. (Afghanistan-Einsatz). 331  Dies werde in der Praxis durch „Kontaktpflege“ von Bundesregierung zu Bundestag gewährleistet. Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 93; Kirchhof, ZGR 2000, 681–692, 691. Dass Zustimmung zur Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags abgelehnt wurden, ist noch nicht vorgekommen. Vgl. Meyring, Entwicklung zustimmungsbedürftiger völkerrechtlicher Verträge, 2001, S. 318. 332  Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 103; Kokott, Einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 503–528, S. 511. Nicht gemeint sei, dass „die Zustimmungsbedürftigkeit den Zweck habe, die freie Verfügungsmacht des Gesetzgebers über die innerstaatlichen Materien des Rechts zu gewährleisten.“ Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 70; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 173 f., S. 201. 333  Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 30; Meyring, Entwicklung zustimmungsbedürftiger Verträge, 2001, S. 298. 334  BVerfGE 1, 372, 389 f. (Deutsch-Französisches Wirtschaftsabkommen); Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 103; Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 30; Rauschning in: Kahl/



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Verträge binden, die vom Gesetzgeber akzeptiert werden. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der völkerrechtliche Vertrag vom Gesetzgeber vollzogen und umgesetzt wird.335 In erster Linie wird also nicht die Begründung der völkerrechtlichen Verpflichtung gebilligt, sondern deren Auswirkungen auf den nationalen Bereich.336 4. Das Zustimmungserfordernis soll auch den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes sichern.337 Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG unterstreicht, dass Rechte und Pflichten des Einzelnen nur mit Zustimmung des Gesetzgebers geändert werden können.338 5. Letztlich gewinnt der durch die Exekutive auf völkerrechtlicher Ebene verhandelte Vertrag ein gewisses demokratisches Legitimationsniveau. Das hat wiederum – über den Vorbehalt des Gesetzes – positive Auswirkung auf die Freiheit des Einzelnen.339 Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG schützt die Volkssouveränität und damit den Anspruch der Bürger, die sie beschränkende öffentliche Gewalt durch ihren Wahlentscheid legitimieren und beeinflussen zu können.340

3.  Reguläres Zustimmungsverfahren bei Vertragsschluss Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht sich auf das mehrphasige Vertragsabschlussverfahren, konkret auf das innerstaatliche Verfahren, das sich an das völkerrechtliche Verfahren anschließt. Auf völkerrechtlicher Ebene wird zunächst der Vertragstext durch bevollmächtigte Vertreter verhandelt. Danach wird der Vertragstext durch die Unterhändler authentifiziert. Es folgt eine amtliche Festlegung des Vertragstexts Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 78; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 174. 335  BVerfGE 1, 372, 388 ff. (Deutsch-Französisches Wirtschaftsakommen); BVerfGE 118, 244, 258 ff. (Afghanistan-Einsatz). 336  Frenzel, Sekundärrechtsakte, 2011, S. 241. 337  Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 30; Kokott, Einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 503–528, S. 527; Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 71. 338  Es knüpft auf diese Weise auch an die Wesentlichkeitslehre an. Vgl. Baumbach, Vertragswandel, 2008, S. 31; Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 219 f.; Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 71; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 179. 339  Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 30. Dass das Zustimmungsgesetz keine Gesetzgebung im funktionalen Sinne umfassen soll, kann nicht vertreten werden. So aber Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 91. Dass durch die Zustimmung demokratische Legitimation vermittelt wird jüngst bei Grzeszick, NVwZ 2016, 1753–1761, insb. 1754 f. Gegenteilig v. Bogdandy/Zacharias, NVwZ 2007, 527–532, 530: „[Die] Regelung des Art. 59 II 1 GG [schützt] den Gesetzgeber davor, dass er ohne vorherige Zustimmung tätig werden muss zu Umsetzung der völkervertraglichen Anforderungen; er […] hat [aber] […] keine spezifische Rolle bei der Legitimierung des Völkerrechts“. 340  BVerfG, Urt. des Zweiten Senats v. 05. Mai 2020 – 2 BvR 859/15 (PSPP).

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Kapitel 2: Treaties over time

durch Unterzeichnung, Unterzeichnung ad referendum oder durch Paraphierung (Art. 10 lit. b) WÜV) – oftmals unter Anbringung eines (nicht zwingend notwendigen) Ratifikationsvorbehalts. Das innerstaatliche Verfahren schließt sich an.341 Es verläuft ähnlich wie das übliche Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG, allerdings nur mit zwei Lesungen. Dabei ist die wichtigste Änderung, dass gemäß § 82 Abs. 2 GOBT342 keine Änderungsanträge zum Vertragstext gestellt werden dürfen. Änderungsanträge zum Zustimmungsgesetz sind zulässig.343 Der Vertrag, der im Parlament behandelt wird, muss demnach als Einheit, en bloc, angenommen oder abgelehnt werden (sogenanntes Alles-oder-nichts-Prinzip; auch: Ratifikationslage). Bei einer mindestens mehrheitlichen Annahme des Vertragsgesetzes durch den Bundestag richtet sich die Beteiligung des Bundesrats nach den allgemeinen Regeln: Ob es sich um ein Einspruchs- oder ein Zustimmungsgesetz handelt, ist nach dem Inhalt des Vertrags festzulegen.344 Schlussendlich fertigt der Bundespräsident das Zustimmungsgesetz nach Gegenzeichnung aus (Art. 82 Abs. 1 Satz 1, Art. 58 Satz 1 GG). Das Vertragsgesetz345 sowie der Vertragstext werden im Bundesgesetzblatt Teil II veröffentlicht. Dient das Vertragsgesetz der Umsetzung komplexer umweltvölkerrechtlicher Vertragswerke, wird es nicht selten – mit Blick auf zukünftige Änderungen oder das Sekundärrecht des Regimes – um spezielle Verordnungsermächtigungen ergänzt.346 Das Vertragsgesetz beendet das innerstaatliche Verfahren und ermächtigt den Bundespräsidenten zur Ratifikation auf völkerrechtlicher Ebene.347 Die Ratifikation stellt den Abschluss des mehrphasigen Verfahrens (Art. 14 Abs. 1 WÜV) dar. Mit ihr erklären die zuständigen Staatsorgane formell im Außenverhältnis, dass ihr Staat durch den Vertrag gebunden ist (Art. 2 Abs. 1 lit. b) WÜV).348 Bei zustimmungsbedürftigen Verträgen, wie sie Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erfasst, kann die (völkerrechtliche) Ratifikation erst erfolgen, sobald das Vertragsgesetz in Kraft getreten ist.349 Die völkerrechtliche Wirksamkeit erlangt der Vertrag in vielen Fällen durch Hinterlegung der Ratifikationsurkunde bei einem Depositar (Art. 16 lit. c) WÜV). 341  Erläuternd hinzuzuziehen ist die Verwaltungsvorschrift „Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge“ (RvV) Stand 01. Juli 2019 auf Basis von § 72 Abs. 6 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), Stand 01. September 2011. 342  Fassung von 1980, zuletzt geändert durch Beschluss d. Bundestags v. 21. Februar 2019 gem. Bek. v. 01. März 2019 I 197. 343  Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 75. 344 Ausführend Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 183. 345  Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 90. 346  Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 143. 347  Payandeh, JöR 2009, 465–502, 474. 348  Formulierung angelehnt an Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 174. 349  Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 103.



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II.  Der Tatbestand Im Folgenden sollen die Auslegungsentscheidungen im Compliance-Verfahren unter Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gefasst werden. Die Bearbeitung orientiert sich demnach – wie auch schon die völkerrechtliche Einordnung der ComplianceEntscheidungen zu Art. 31 Abs. 3 WÜV350 – entlang der Merkmale der Vorschrift „Vertrag“ und „Zustimmung“ und wirft in diesem Rahmen verschiedene Fragen auf, die vor allem mit der Legitimationsfunktion des Artikels zusammenhängen: Sollte das Tatbestandsmerkmal „Vertrag“ angesichts der Rechtsquellenvielfalt des modernen Völkerrechts – wie sie sich auch in der Arbeitsweise moderner umweltvölkerrechtlicher Vertragswerke zeigt – auf den Bereich nichtrechtlicher und rechtlicher Regelungen, die von großer Bedeutung für den Vertrag sind, aber selbst das Zustimmungsverfahren nicht auslösen, analog erweitert werden? Wie kann ein Ausgleich dazwischen gefunden werden, dass die nationale Legislative einem völkerrechtlichen Vertrag einmalig die Zustimmung erteilt, dieser Vertrag sich aber beständig fortentwickelt? Welche demokratischen Kontrollmöglichkeiten einer solchen Fortentwicklung beinhaltet Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG neben dem formellen Zustimmungsverfahren? Diese Fragen haben sich in der wissenschaftlichen Debatte bereits in anderen Zusammenhängen gestellt, sodass die dort gefundenen Erkenntnisse auf die hiesige Fragestellung übertragen werden können.

1.  Verträge, die sich auf die Gesetzgebung beziehen Beide Sätze des Art. 59 Abs. 2 GG beziehen sich auf alle Arten völkerrechtlicher Verträge, ohne beispielsweise hinsichtlich ihrer (politisch-rechtlichen) Tragweite unterschiedliche Anforderungen zu formulieren. Unter einem völkerrechtlichen Vertrag versteht das Bundesverfassungsgericht „alle Übereinkünfte zwischen zwei oder mehr Völkerrechtssubjekten, durch welche die zwischen ihnen bestehende Rechtslage verändert werden soll.“351 Art. 59 Abs. 2 GG umfasst bilaterale Grenzverträge oder Verwaltungsabkommen genauso wie auf langfristige Kooperation angelegte law-making-treaties oder Gründungsverträge internationaler Organisationen und Vertragsänderungsverträge. Wichtiger erscheint im Anschluss an die Ausführungen zum modernen Völkerrecht und speziell dem Umweltvölkerrecht,352 was der Tatbestand nicht enthält. Denn wegen des einschränkenden Wortlauts fallen alle Rechtsdokumente, die keine Verträge sind (soft-law-Dokumente, Sekundärrecht internationaler Organisationen, informelle Vertragsweiterentwicklungen bspw. durch Recht350  S. o. Kapitel 2 351 BVerfGE 90,

B. 286, 359 (Out-of-Area); Zur Entstehungsgeschichte Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 1 ff. 352  S. o. Kapitel 1 A. V.

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Kapitel 2: Treaties over time

sprechung oder Verträge mit juristischen Personen, die keine Staaten sind) aus dem Anwendungsbereich heraus.353 Compliance-Entscheidungen, die neben der individuellen Nichteinhalteentscheidung auch die allgemeingültige Auslegung des Vertrags beinhalten, werden zwar von der Vertragsstaatenkonferenz angenommen, sind aber – ungeachtet ihrer völkerrechtlichen Verbindlichkeit – aufgrund der gewählten Form und des Verfahrens, ihrer Zweckrichtung und der mangelnden Publizität eine Auslegungsvereinbarung, aber kein völkerrechtlicher Vertrag oder formelle Vertragsänderung im Sinne der Vorschrift. Nicht nur die Vertragsfortbildung im Compliance-Verfahren, sondern darüber hinausgehend ein großer Bestandteil moderner völkerrechtlicher Rechtsformen würden angesichts der engen Auslegung aus dem Anwendungsbereich herausfallen, obwohl sie in ihrer tatsächlichen Wirkung dem rechtsverbindlichen Vertragsrecht ganz ähnlich sind. Es stellt sich daher die Frage, ob Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erweitert auszulegen ist. Zwei Auslegungsvorschläge sind dabei auch für den Umgang mit Vertragserweiterungen durch Compliance-Entscheidungen relevant.

a)  Einseitiger Akt mit wesentlicher Bedeutung Durch die Auslegung im Compliance-Verfahren wird der Vertragsinhalt ausdifferenziert und in Ausnahmefällen auch erweitert beziehungsweise abgeändert.354 Die Annahme der Compliance-Entscheidung in der Vertragsstaatenkonferenz könnte einen einseitigen völkerrechtlichen Akt der Regierung darstellen, sofern – wie bei der Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz gegeben – bei ihrer Ausarbeitung maßgeblich Regierungsvertreter beteiligt sind.355 Einseitige völkerrechtliche Akten der Bundesregierung356 sind etwa der Abbruch diplomatischer Beziehungen357, die Anerkennung von Staaten oder An353 

BVerfGE 90, 286, LS 7a) (Out-of-Area): „Akte der auswärtigen Gewalt, die vom Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfaßt werden, sind grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet.“ 354  Selbst theoretisch lässt sich die Unterscheidung zwischen noch einer Auslegung oder schon einer Vertragsänderung kaum beantworten: Manche Beobachter vertreten, es seien kategoriale Unterschiede, andere meinen, es sei ein Kontinuum. Dargestellt bei Baumbach, Vertragswandel, 2008, S. 71 ff. Berner: „[A]ny attempt to distinguish between binding and nonbinding authentic interpretations may prove to be illusory.“ Berner, ZaöRV 2016, 845–878, 845. 355  Vgl. so Ansätzen auch bei Kokott, Einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 503–528, S. 506. 356  Der Begriff scheint noch nicht in Gänze geklärt zu sein. Er fehlt in der Auflistung des Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut, vgl. Kokott, Einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 503–528, S. 504. Anstatt Vieler Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 37. 357  So beispielsweise 1957 mit Jugoslawien und 1963 mit Kuba.



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 175

sprüchen (z. B. Festlandsockel oder Fischereizonen), die Kündigung von Verträgen und Ähnliches.358 Sie können ähnlich bedeutend sein wie politische Verträge und die Rechtsstellung des Einzelnen verändern.359 Man denke allein an eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Rechtsweg zum EGMR wäre für deutsche Staatsbürger versperrt. In der Theorie kann die Bundesregierung daher in gewissem Umfang selbstständig, durch Wahl der völkerrechtlichen Handlungsform, über das Ob der legislativen Mitbestimmung verfügen.360 Dennoch werden einseitige Akte nicht vom eindeutigen Wortlaut des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG „Verträge“ umfasst.361 Sollten einseitige völkerrechtliche Akte die Bundesrepublik binden und sollte ihnen zugleich eine hohe (politische) Bedeutung zukommen, ziehen manche Kommentatoren eine analoge Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in Erwägung.362 Dadurch könnten die Gesetzgebungsorgane in diese Entscheidungen miteingebunden werden.363 Ein aus dem Wesentlichkeitsgedanken gespeister allgemeiner Parlamentsvorbehalt (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG) solle als Kompromisslösung für außergewöhnliche Fälle besonders hoher oder gar grundrechtsrelevanter Bedeutung wiederaufleben – insoweit kann also das Tatbestandsmerkmal des Vertrags über den Wortlaut hinaus ausgelegt werden.364 358  Ein Beispiel ist der BT-Drs.: 19/11964 zu entnehmen: „Die Bundesregierung hat die Nationale Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte (ETILAF) 2012 zusammen mit 120 Staaten politisch als legitime Vertretung des syrischen Volkes anerkannt.“ 359  Kokott, DVBl 1996, 937–950, 339. Oder deren Wirkung übertreffen, dazu vgl. Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 162. 360 Dazu Kokott, Einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 503–528, S. 507. 361  Umfangreich bearbeitet in BVerfGE 68, 1, 83 ff. (Atomwaffenstationierung) u. a. mit Verweis auf die Sonderregelung in Art. 115a Abs. 5 GG. So Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 241. Im verfassungsgerichtlichen Urteil wurde die Frage diskutiert, ob eine unter Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung nur unter ebenfalls der legislativen Beteiligung gekündigt werden kann. Ebd., S. 85 f. 362  Anstatt Vieler Streinz in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 43 ff. Diskussion umfangreich nachgezeichnet von Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 233, Fn. 1127 und S. 241 f.; Zuleeg, in: Denninger (Hrsg.), AK-GG, Stand: August 2002, Art. 24 Rn. 41. A.A mit dem Argument, jeder einseitige Rechtsakt erzeuge „in irgendeiner Hinsicht völkerrechtliche Bindung“ Kempen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 59 Rn. 55. 363  U. a. a. M. Mahrenholz in BVerfGE 68, 111, 128 (Atomwaffenstationierung); Streinz in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 41 ff. 364  Eingeschränkt auf die einseitige völkerrechtliche Zustimmungserklärung Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 242. Dagegen BVerfGE 68, 1, 61, (Atomwaffenstationierung). Eine Lesart des Urteils BVerfGE 90, 286 (Out-of-Area) unterstützt allerdings diese Möglichkeit in Extremfällen wie zum Beispiel dem bewaffneten Einsatz der deutschen Streitkräfte, vgl. Kokott, DVBl 1996, 937–950, 339 f., andere widersprechen der Annahme einer „Parlamentarisierungstendenz“ Kadelbach/Guntermann, AöR 2001, 563–587, 573; zum Zusammenhang mit dem Wesentlichkeitsgedanken vgl. Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 181. Dazu vgl. BVerfGE 49, 89, 126 f. (Kalkar I) in st. Rspr.

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Kapitel 2: Treaties over time

Das Bundesverfassungsgericht spricht indes von einer „abschließenden“ Regelung durch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 und verneint die Notwendigkeit eines allgemeinen Parlamentsvorbehalts auch in Fragen großer politischer Tragweite.365 Der Wesentlichkeitsgedanke kann nicht herangezogen werden, um die Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG umzuschreiben.366 Neben dem Wortlautargument367 lässt sich zusätzlich das Argument heranziehen, der eingeschränkte Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG diene der funktionsgerechten Aufteilung der Staatstätigkeit.368 Der Sinn und Zweck der Vorschrift ist vor allem auf die reibungslose, verlässliche und funktionale außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands auf dem internationalen Parkett gerichtet.369 Ist diese Handlungsfähigkeit von der parlamentarischen Zustimmung abhängig, büßt sie an Agilität, Flexibilität und letztlich auch Bedeutung ein.

b)  Bedeutendes Nichtrecht umfasst? Bei der späteren Übung im Compliance-Verfahren geht es um die teils bedeutende Weiterentwicklung (meistens: Ergänzung oder Konkretisierung) des inhaltlich nicht selten eher rudimentär angelegten Rahmenvertrags. In ihrer Wirkung kann die in einer Compliance-Entscheidung enthaltene spätere Übung einer Vertragsänderung ganz ähnlich sein. Das wurde bereits an verschiedenen Beispielen wie der Neudefinition des Behördenbegriffs der Aarhus Konvention oder des Begriffs „other entities“ im Rahmen der nationalen Verpflichtung zur Klimadatenermittlung aufgrund des Kyoto Protokolls veranschaulicht.370 Im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz ist an dieser Weiterentwicklung nur die Exekutive beteiligt. Die Verhandlungsergebnisser einer Vertragsstaatenkonferenz können es aber erforderlich machen, dass der Gesetzgebers tätig wird – beispielsweise durch eine Neufassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes.371 Der Gesetzgeber ist in diesem Punkt dann in gewisser Hinsicht „präjudiziert“.372 Sollte er daher auch solch informellen Vertragsänderungen zustimmen? Ein Großteil der auswärtigen Beziehungen läuft über informelle Wege und insoweit nicht über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Vorschrift übernimmt – wie oben dargestellt – aber eine wichtige legitimatorische Rolle. Die demokratische 365 

BVerfGE 68, 1, 87 f. (Atomwaffenstationierung); Richter Mahrenholz vertrat in seiner a. M. das Gegenteil. 366  Sauer, ZaöRV 2002, 317–346, 321. 367 Eindeutig Kempen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 59 Rn. 55. 368  Bei BVerfGE 68, 1, 86 (Atomwaffenstationierung). Stichwort: Organadäquanz. Die Regierung ist darüber hinaus von der Mehrheit im Bundestag abhängig. 369  S. o. und BVerfGE 68, 1, 85 und 87 (Atomwaffenstationierung); Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 41. 370  S. o. Kapitel 2 B. III. 371  S. o. Einleitung A. 372  Differenzierte Analyse bei Hinricher, ZaöRV 2004, 495–501.



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 177

Rückanbindung soll gewährleistet und Richtungsentscheidungen am Parlament vorbei verhindert werden. Es steht der Vorwurf im Raum, die Exekutive könne durch Wahl der Form über die Mitentscheidung der Legislative „eigenmächtig“ entscheiden und dadurch die organschaftliche Aufteilung beeinträchtigen.373 Dementsprechend stellt sich die Frage, ob neben dem ausdrücklich benannten (formellen) Vertragsschluss auch (bedeutende) nichtrechtliche Verträge374 beziehungsweise wichtige politische Erklärungen mittels einer analogen Anwendung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Vertrag“ zustimmungspflichtig sind. Denn die (zumeist nur) politische Bindungswirkung375 von Verabredungen unterhalb der Schwelle zum Vertragsschluss ist häufig ebenso hoch wie die eines Vertragsschlusses.376 Unter dieses weiche Recht fallen unter anderem folgende Handlungsformen: Memorandum of Understanding, Resolutionen, Decisions, Empfehlungen377, Rankings378, Indizes, Standards379, Richtlinien, Aktionspläne, Zertifizierungen380 oder Verhaltenscodices.381 Ihre Bindungswirkung kann zu einer rechtlichen Wirkung erstarken. Das veranschaulicht 373  Unter

Bezugnahme auf die a. M. von Mahrenholz im Raketenstationierungsurteil Kokott, Einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 503–528, S. 506. Zur Beschränkung der verfassungsgerichtlichen Judikatur in diesem Bereich bspw. in BVerfG 2 BvE 2/16, u. a. Rn. 34 und Rn. 43 (Anti-IS-Einsatz). 374  Dieser leicht irritierende Begriff geht wohl auf folgenden Aufsatz zurück Wengler, AVR 1984, 306–327; bei Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 113. 375  Kempen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 59 Rn. 54; Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 92. Chayes/Handler Chayes erklären Bindung durch Managerial-Ansatz vgl. Chayes/ Handler Chayes, IO 1993, 175–205; in hochinstitutionalisierten Regimen gäbe es eine „positive spiral of compliance“, die über die rechtlich bindenden Absprachen hinausgehe, Raustiala/ Slaughter, International Law, in: Carlsnaes/Risse/Simmons (Hrsg.), Handbook of International Relations, 2001, S. 538–558. Durch Teilnahme an Verhandlungen und Einhaltung der Verträge und Absprachen kann ein „we-feeling“ (Deutsch) erzeugt werden, das die der entgegenstehenden Theorie des Enforcement-Ansatzes zugrunde gelegten „Kosten-Nutzen“-Kalkulation zugunsten der Kooperation auflöst. Allgemein zur hohen Bindungswirkung unverbindlicher Expertennormen vgl. Rose, Non-Binding Instruments, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 205–229, S. 206. 376  Wahrscheinlich ein Grund, warum sich der nichtrechtliche Vertrag gleich zu Anfang der Bearbeitung, in dem Grundlagenbuch „Modern Treaty Law and Practice“ von Aust findet. Aust ist Praktiker. 377  Z. B. der UNESCO; mwN Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 146 f. 378  Z. B. der PISA-Studien, mwN v. Bogdandy/Goldmann, ZaöRV 2009, 51–102. 379  Z. B. der IMO Standards, mwN Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 1153 ff.; der FAO Kodex Alimentarius, mwN Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 46. 380  Z. B. die FSC-Zertifizierung, mwN Meidinger, EJIL 2006, 47–87, 51 ff. 381  Hoffmann-Riem, Innnovation und Recht, 2016, S. 42 f. unterscheidet vier Kategorien an Härtegraden vormals „weichen Rechts“; Bayerlein, DS 2008, 49–53, 52; v. Bogdandy/Goldmann, ZaöRV 2009, 51–102; Friedrich, GLJ 2008, 1539–1564; Michael, Private Standardsetter, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 431–456; Möllers, C., ZaöRV 2005, 352–389; Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 92.

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Kapitel 2: Treaties over time

§ 315e HGB382, durch den ein durch eine private, internationale Vereinigung entwickelter Standard für die internationale Rechnungslegung (mancher) deutscher Konzerne entscheidend wird. § 315e Abs. 1 HGB verweist deklaratorisch auf die IAS-VO383 der EU, die wiederum eine dynamische Verweisung auf die internationale Standardisierung für die Rechnungslegung IFRS (International Financial Reporting Standards) vorsieht.384 Der IFRS wird auf internationaler Ebene durch das privatrechtliche IASB (International Accounting Standards Board) erarbeitet.385 Besonders im Umwelt- und Technikrecht werden offene Tatbestände durch (teilweise völkerrechtliche soft law) Standards ausgefüllt.386 Im Bereich der Offshore-Industrie sind beispielsweise die im Rahmen des OSPAR Übereinkommens entwickelten technischen Vorgaben für Begriffe wie „beste verfügbare Technik“ oder „beste Umweltpraktik“ relevant. Diese können im Rahmen des Übereinkommens mit Dreiviertelmehrheit beschlossen werden.387 Einige Beobachter befürworten daher eine analoge Ausweitung388 des Tatbestands auf bedeutende nichtrechtliche Absprachen.389 Und das gerade mit Blick auf den erheblichen Druck, der gerade im Umweltrecht auf den umsetzenden Stellen lastet. 382  Nachfolgevorschrift zu § 292a HBG a. F. und § 315a HBG a. F. Zur alten Rechtslage Großfeld, NZG 1999, 1143–1148, 1144. Die Rechnungslegung ist für Unternehmen u. a. von fiskalischer Bedeutung; vgl. Huber, AöR 2008, 389–403, 393. 383  Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002. 384 Dazu Kirchhoff, ZGR 2000, 681–692, 685. 385 Das Gremium ist mit Rechnungslegungsexperten besetzt. MwN Hellermann, NZG 2000, 1097–1103. 386  Wegen der außergewöhnlichen Anforderungen in diesem Bereich. Bspw. verlangt § 25 Abs. 1 Satz 2 PflSchG bei der Ausfuhr bestimmter Stoffe die Beachtung der Verhaltenskodizes der FAO, Durner, Soft Law und bindende Verträge, in: Franzius u. a. (Hrsg.), FS Kloepfer, 2013, S. 347–360, S. 359. Eine ähnliche Technik erkennt Classen in § 5 Abs. 2 BtMG und in § 7a WHG Classen, VVDStRL 2008, 365–412, 380 f. Weitere Bsp. aus dem WTO-Recht beschrieben bei Tietje, ZfRSoz 2003, 27–42, 37. Weitere Bsp. des SRÜ, das auf Standards der IMO verweist und diesen dadurch Rechsverbindlichkeit verleiht, Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 161 ff. und S. 175 ff. Vgl. auch Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 234, der unter anderem § 12 Schiffssicherheitsgesetz und § 15 Abs. 2 Lebensmittel- und Futtergesetzbuch (der auf den FAO Codex Alimentarius verweist) anführt. 387  Beschrieben bei Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S. 375 ff. 388  Eine Analogie ist methodisch zulässig, wenn ein Fall nicht unter den Wortlaut einer Norm zu subsumieren ist, eine vergleichbare Interessenlage aber dennoch besteht. Weitere Voraussetzung der Analogie ist die Planwidrigkeit dieser Regelungslücke, vgl. Puppe, Kleine Schule, 2019, S. 196 ff. 389  Die „Kontroll- und Vollzugssicherungsfunktion“ des Parlaments spräche „durchaus“ für eine analoge Anwendung, wenn eine Umgehungsgefahr droht Calliess, Staatsrecht III, 2014, S. 78. Die vier das Urteil (teilweise) nicht tragenden Richter in BVerfGE 90, 286, 376 ff. (Out-of-Area) meinen, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sollte mehr als nur den völkerrechtlichen Vertrag als Anwendungsbereich anerkennen. Im Gegenteil sollte die „Anwendung auf völkerrechtliche Äußerungs- und Handlungsformen […], die potentiell auf die Änderung eines politischen Vertrages angelegt sind“ ausgedehnt werden, BVerfGE 90, 286, 377 (Out-of-Area).



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 179

Gegen eine Analogie der Zustimmungspflicht spricht allerdings der eindeutige Wortlaut der Vorschrift: Abmachungen unterhalb der Schwelle des formellen Vertragsschlusses sind vom Anwendungsbereich ausgeschlossen. Zudem würden die Abgrenzungsschwierigkeiten nicht ab-, sondern zunehmen, was die Rechtssicherheit gefährdet. Denn es gibt keine dogmatisch bewährte Methode, das Maß an politisch-rechtlicher Verbindlichkeit bzw. die genaue rechtliche Bedeutung einer Maßnahme festzustellen.390 Das außenverfassungsrechtliche System des Grundgesetzes strebt zudem eine verlässliche Außenpolitik an. Es soll für die internationalen Partner klar erkennbar sein, wann eine (parlamentarische) Ratifikation erforderlich ist und wann nicht. Die Ratifikation nichtrechtlicher Vereinbarungen ist im internationalen Verkehr unüblich und vom Grundgesetz nicht vorgesehen. Solange die Vertragsparteien kein förmliches Verfahren wählen, gehen sie davon aus, dass die Vertragspartner die nichtrechtlichen Vereinbarungen ohne weitere innerstaatliche Abstimmung beachten werden.

c)  Zwischenergebnis: Die spätere Übung als Bestandteil des Vertragsrechts Trotz all dieser Unsicherheiten wird die im Compliance-Verfahren gebildete spätere Übung dennoch von dem Tatbestandsmerkmal „Vertrag“ umfasst. Wer eine analoge Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für jede auslegende Entscheidung im Compliance-Verfahren fordert, verkennt, wie eng die spätere Übung mit dem ursprünglichen Vertrag verwoben ist. Ihr Aussagegehalt ist nur im Zusammenspiel mit dem Vertragstext verständlich. Sie ist dem völkerrechtlichen Vertrag zugehörig.391 Der Vertrag ist die conditio sine qua non des Regelungsgehalts der späteren Übung. Funktional betrachtet ist dieses spezielle soft law rechtsbegleitendes Recht, weshalb die generalisierende Kategorie des soft law (allein) hier nicht passend ist. Es zeigt sich nicht zuletzt am ComplianceVerfahren, dass nicht jede Regelung, die zunächst unüberlegt beziehungsweise aus Verlegenheit zum soft law gezählt wird, auch in den Bereich des Außerrechtlichen beziehungsweise zum „Nichtrecht“392 gehört. Denn der rechtliche Gehalt der späteren Übung, die aus einer Compliance-Entscheidung resultiert, ist erheblich. Das veranschaulicht alleine die Definition in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Naturschutzprotokoll der Alpenkonvention. Durch die Compliance-Entscheidung stehen nun fünf Kriterien für die Prüfung zur Verfügung, ob Land390  Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 116; Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 105. 391  Baumbach, Vertragswandel, 2008, S. 53. Im damit (selbstverständlich cum grano salis) in Ansätzen vergleichbaren Sekundärrecht internationaler Organisationen ist hier von „abgeleitete[m] Vertragsrecht“ die Rede. Es handele sich nicht um eine eigenständige Rechtsquelle. Das Sekundärrecht wird als aus dem Vertrag heraus erklärt. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat, 2005, S. 187; vgl. auch Polakiewicz, Treaty and Expert Bodies, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Treaty Making, 2005, S. 245–295, S. 288. 392  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 233.

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Kapitel 2: Treaties over time

schaftsschutzgebiete durch Änderungsvorhaben im Sinne ihres Schutzzwecks erhalten werden oder nicht. Bei der Auslegung des Rechts im Rahmen von individuellen ComplianceEntscheidungen besteht Rechtsbindungswille.393 Diese Selbstverpflichtung der Vertragsstaaten erstreckt sich auch auf eine Vertragsfortentwicklung und in gewissem Rahmen auch auf eine Veränderung des Vertrags. Erhellend sind die für diese Funktionen gefundenen Begriffe wie „intra legem“394 oder „post law“395 mit einer „rechtsstützende[n] und rechtsergänzende[n] Funktion“396. Die spätere Übung konkretisiert das Völkervertragsrecht und übernimmt zu Teilen eine lückenfüllende Funktion.397 Die spätere Übung prägt das Recht, das sie konkretisiert.398

2.  Zustimmung durch die zuständige gesetzgeberische Körperschaft Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sieht vor, dass ein Vertragsgesetz nur unter Mitwirkung oder mit Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften ergehen kann. Nach der Vollzugstheorie ist im Bereich des Völkervertragsrechts und damit des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG das Zustimmungsgesetz zum Vertrag der Vollzugsbefehl, der das Völkerrecht innerstaatlich anwendbar macht.399 Der völkerrechtliche Vertrag „bleibt“ Völkerrecht und „wird“ nicht zu innerstaatlichem Recht. Die völkerrechtlichen Normen werden von den vollziehenden Behörden als solches angewandt und auch nach völkerrechtlichen Bestimmungen ausgelegt. Das Zustimmungsgesetz trägt daher auch die Bezeichnung Rechtsanwendungsbefehl und übernimmt die Funktion einer (dynamischen) Verweisungsnorm. Aus dem Zustimmungsgesetz folgt, dass alle Staatsorgane an das entsprechende Völkerrecht gebunden sind.400 Die ratifizierten völkerrechtlichen Verträge haben dann an der Gesetzesbindung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG teil.401 393 

S. o. Kapitel 2 B. II. 2. c). Fastenrath, EJIL 1993, 305–340, 314. Senden, Soft Law in European Community Law, 2014, S. 120. 396  Thürer, ZSR 1985, 429–453, 451. 397  Ehricke, NJW 1989, 1906–1908, 1907. 398  Knauff, Soft Law, 2010, S. 381 von dem die obigen Fußnoten zu Fastenrath, Senden, Thürer und Ehricke inspiriert sind. 399  Das Grundgesetz enthält keine Aussagen darüber. Die Vollzugstheorie ist die in Wissenschaft und Rechtsprechung überwiegend vertretene Theorie u.a bei Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, in: Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht (Hrsg.), Thesen, S. 156–163, S. 162; Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 96; jüngst BVerfG 2 BvE 2/16, Rn. 32 (Anti-IS-Einsatz). 400  Die unmittelbare Anwendbarkeit von Völkerrecht wird unter dem Schlagwort self-executing diskutiert. Vgl. BVerfGE 29, 348, 360 (Deutsch-Niederländischer Finanzvertrag) sowie exemplarisch die Debatte um die Einführung von Studiengebühren u. a. in OVG Münster, Urt. v. 10. Oktober 2007 – 15 A 1596/07. 401 MwN Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 91 f.; Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S. 593. 394  395 

D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 181



a)  Analoge Anwendung zur Wiederherstellung der Deckungsgleichheit? Die Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag erfolgt nur einmal. Gerade bei sehr langfristigen Verpflichtungen stellt sich die Frage, ob die parlamentarische Zustimmung zum Ausgangsvertrag noch ausreichend ist, alle weiteren Entwicklungen demokratisch zu legitimieren. Mit Blick auf die Rahmenverträge des Umweltvölkerrechts fällt auf, dass es hier sogar noch früher zu einer fehlenden Deckungsgleichheit kommen kann als in anderen Rechtsbereichen, da diese Verträge von Anfang an auf Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung angelegt sind.402 Es ist bei Vertragsschluss oft schon aufgrund fehlender naturwissenschaftlicher Erkenntnisse nicht absehbar, welche (einschneidenden) Maßnahmen zur Erreichung des vereinbarten Ziels notwendig sein werden. Der Vertrag wird dafür auch durch die Compliance-Entscheidungen weiterentwickelt. Sollte sich das Vertragsprogramm erheblich verändern, fehlt eine (materielle) demokratische Legitimation über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG für das aktuelle Vertragsrecht. Kann auch nach Jahrzehnten noch von einer „Deckungsgleichheit“403 des Rechtsanwendungsbefehls und des Vertragsrechts gesprochen werden? Wann flammt die Zustimmungspflicht wieder auf? Diese Fragen stellten sich in der Vergangenheit vor allem in Bezug auf internationale Organisationen, aber auch auf Vertragswerke mit organisatorischem Unterbau, wie sie hier relevant sind. Viele multilaterale Vertragswerke nehmen im derzeitigen Klima beispielsweise menschenrechtliche oder umweltrechtliche Bezüge in sich auf, wenngleich der Ursprungsvertrag solche Zusammenhänge nicht vorgesehen hat – wie gesehen beim Walfangübereinkommen von ökonomischer hin zu ökologischer Zielsetzung404 oder im Fall des WTO-Berufungsgremiums US-Shrimp, wo Art. XX lit. g) GATT unter Umweltschutzgesichtspunkten erweiternd ausgelegt worden ist.405 Auch Art. 8 EMRK, dessen Wortlaut sich auf den Schutz des Familien- und Privatlebens bezieht, wurde durch die Rechtsprechung des EGMR um ein „Recht auf saubere Umwelt“ ergänzt.406 Prominentes Beispiel für die Beantwortung der oben aufgeworfenen Fragen ist die (verfassungsrechtliche) Kontroverse um das Neue Strategische Konzept der NATO.407 Die Organisation wurde ursprünglich als Verteidigungsbündnis 402  403 

S. o. Kapitel 1 A. Die Antragstellerin in BVerfGE 104, 151, 171 (NATO-Neues Strategisches Konzept). 404  Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 142. 405 Bei Böth, Evolutive Auslegung, 2013, S. 54 ff. und bei Binder, Grenzen der Vertragstreue, 2013, S. 86 f. 406  „Umweltrecht“ bei Mayer-Ladewig, NVwZ 2007, 25–30; dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK, 2021, S. 296; mwN Vöneky/Beck, Umweltschutz und Menschenrechte, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 133–181, S. 145–152. 407  Zu den, dem Urteil vorangehenden, historischen Vorgängen und den rechtlichen Erwägungen ausführlich Hillgruber, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Isensee/Leche-

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Kapitel 2: Treaties over time

gegründet und musste sich an die grundlegend veränderte sicherheitspolitische Lage nach Ende der Ost-West-Konfrontation anpassen. Die Vertragsstaaten einigten sich auf einen sehr breiten sicherheitspolitischen Ansatz, der nicht mehr nur verteidigungspolitische Aspekte, sondern unter anderem auch „Unterdrückung, ethnische Konflikte, wirtschaftliche Not“408 in die Risikobeurteilung miteinbezog. Im Urteil zum Neuen Strategischen Konzept befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, wie weit sich eine internationale Organisation unter Mitwirkung der Bundesregierung fortentwickeln darf, bis dass das Zustimmungserfordernis des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG wieder auflebt.409 Es kommt zu dem Schluss, eine Neubefassung des Parlaments sei nicht notwendig, denn eine wesentliche Frage des Zusammenlebens sei durch das neue Konzept nicht betroffen. Die Regierung sei ermächtigt worden, an einem Integrationsprogramm, „einem verstetigte[n] und die Staaten einander näher rückende[n] praktische[n] Zusammenwirken“410 teilzunehmen. Deshalb könne eine Fortentwicklung von der Bundesregierung allein verantwortet werden, solange nicht gegen wesentliche Strukturentscheidungen des Integrationskonzepts verstoßen werde.411 Die den Vertrag fortentwickelnden Strategiekonzepte der NATO würden zwar vom Rat (d. h. der Versammlung aller Mitgliedstaaten) durch Beschlüsse umgesetzt, nichtsdestotrotz handele es sich formal gesehen nur um politische, nicht rechtsverbindliche Erklärungen.412

b) Heilungsmöglichkeiten Zwei miteinander verbundene Lösungsvorschläge sind für die oben beschriebene Problematik entwickelt worden. Dies letztlich auch, um eine Wiederholung der gesetzgeberischen Zustimmung zu vermeiden. Sie könnten gleichfalls auf die Vertragsfortentwicklung durch Compliance-Entscheidungen angewendet werden. 1. Weiterentwicklungen von Vertragsrecht, Beschlüsse internationaler Organisationen und Auslegungsentscheidungen internationaler Gerichte gelangen über eine Brücke413 in das deutsche Recht. Die Zustimmung der Legislatiler (Hrsg.), FS Leisner, 1999, S. 53–74, S. 53 ff., der sich auch eingehend mit der prozessualen Seite der Geltendmachung im Rahmen eines Organstreitverfahrens auseinandersetzt, ebd., insb. S. 66–69. Die Fortentwicklung von Verträgen ist maßgeblich in zwei verfassungsrechtlichen Entscheidungen (streng in Maastricht, weit in Nato Strategisches Konzept) behandelt worden. Darin liegt nicht unbedingt ein Widerspruch, sondern gerade die Entscheidung im Sicherheitsrecht ist in ihrem politischen Kontext zu sehen. Dazu Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, S. 41–57, S. 48. 408  Nr. 3 Neues Strategisches Konzept (1999). 409  Formulierung angelehnt an Sauer, ZaöRV 2002, 317–346, 318. 410  BVerfGE 104, 151, 195 (NATO-Neues Strategisches Konzept). 411  BVerfGE 104, 151, 210 (NATO-Neues Strategisches Konzept). 412  BVerfGE 104, 151, 202 ff. (NATO-Neues Strategisches Konzept). 413  Brückenmodell bei Schweitzer/Dederer, Staatsrecht III, 2006, S. 261–263. Die Brü-



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 183

ve nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zum ursprünglichen Vertrag bezieht sich auch auf die darin enthaltene Norm, die eine eigenständige Beschlussfassung der internationalen Organisation beziehungsweise die Auslegung durch ein Rechtsprechungsorgan oder die Ermächtigung zum Aufbau einer institutionellen Struktur mit eigenständigen Arbeitsbereichen vorsieht. Das Zustimmungsgesetz verbindet diese „Ermächtigungsnorm“ mit der Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG, sodass alle weiteren Entscheidungen der Organisation über diesen Weg ebenfalls in das innerdeutsche Recht Eingang finden. Das Zustimmungsgesetz zum Gründungsvertrag fungiert dadurch als antizipierter, anders ausgedrückt als vorgelagerter Rechtsanwendungsbefehl.414 Exemplarisch sieht diese Legitimationskette für Entscheidungen des EGMR415 wie folgt aus: Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG iVm Art. 20 Abs. 3 GG iVm Art. 46 Abs. 1 EMRK. 2. Die unabhängig vom Rechtsanwendungsbefehl bestehenden Legitimationsprobleme – da die Zustimmung teils schon lange zurück liegt – werden durch die Bezugnahme auf ein sogenanntes Integrationsprogramm, das im Vertrag enthalten ist, kompensiert.416 In diesem Programm wird das Ziel der völkervertraglichen Kooperation bestimmt und der Weg dorthin vorgezeichnet. Infolgedessen stimmt der Gesetzgeber wissentlich nicht einem statischen Vertragstext zu, sondern einem völkerrechtlichen Vertrag, in dem auch Entwicklungsmöglichkeiten vorgesehen und angelegt sind. Das Zustimmungsgesetz ist nicht als starre Begrenzung der völkerrechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Exekutive,417 sondern eher als dynamische Zustimmung gedacht.418 Dies entspricht einer Ausübung der auswärtigen Gewalt „zur ckenmethapher wird ebenfalls für das Übertragungsgesetz gem. Art. 24 Abs. 1 GG verwandt, Classen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 24 Rn. 13. 414  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 204, der in Fn. 239 auch Kritiker dieser Konstruktion anführt. Umschrieben bei Hillgruber, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Isensee/ Lecheler (Hrsg.), FS Leisner, 1999, S. 53–74, S. 62 mit: „Die Zustimmung zum Vertragstext erfaßt daher von vornherein auch die darin enthaltenen Interpretationsspielräume.“. 415  Für die EMRK wird zugleich Art. 1 Abs. 2 GG argumentativ herangezogen, vgl. BVerfGE 111, 307, 329 (Görgülü). 416 Ursprünglich ist der Gedanke des Integrationsprogramms im Rahmen von Art. 24 Abs. 1 GG entwickelt worden, vgl. dazu u. a. BVerfGE 58, 1, 37 (Eurocontrol I) und BVerfGE 68, 1, 98 f. (Atomwaffenstationierung). Später BVerfG 2 BvE 2/16, Rn. 33 (Anti-IS-Einsatz) mit Verweis auf BVerfGE 104, 151, 209 (NATO-Neues Strategisches Konzept); BVerfGE 118, 244, 259 (Afghanistan-Einsatz)). S. dazu Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 94. Letztlich verlaufen die Diskussionen im Verfassungs- und im Völkerrecht parallel: Auf verfassungsrechtlicher Seite wird über ein Integrationsprogramm gesprochen, auf völkerrechtlicher Seite geht es um die Definition der Maßgabe aus dem WÜV zu „object and purpose“ eines Vertrags. Zu letzterem Komplex umfassend Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 57 ff. 417  Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 133. 418  Hillgruber spricht von „Eigenleben“ des Vertrags, Hillgruber, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Isensee/Lecheler (Hrsg.), FS Leisner, 1999, S. 53–74, S. 53. Cremer,

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gesamten Hand“419. Dazu gehört auch, dass, wenn gewisse Entwicklungen ausgeschlossen werden sollen, diese zum Zeitpunkt des ursprünglichen Zustimmungsgesetzes festgelegt werden müssen.420 Damit geht eine Integrationsverantwortung des Gesetzgebers einher, die er durch die (fortlaufende) Ausübung seiner allgemeinen Kontrollrechte und der eigenständigen Aktivierung des Selbstbefassungsrechts ausfüllen kann.421 Der 2018 eingebrachte Antrag der Fraktion DIE LINKE in den deutschen Bundestag kann dafür ein Beispiel bilden. Die Fraktion forderte, dass der Bundestag die Bundesregierung auffordern solle, ihre 2014 in Wales auf dem Treffen des NATO-Rats gegebene Zustimmung zum (hochumstrittenen) sogenannten 2%Ziel zu widerrufen. Der Bundestag lehnte den Antrag mit 520 zu 128 Stimmen ab und stimmt damit – indirekt – auch für den Erhalt des 2%-Ziels.422 Allerdings kann das einmalige Zustimmungsgebot seine legitimierende Wirkung trotz alledem nicht unabhängig von der Zeit entfalten. Speziell bei langfristigen Verpflichtungen423, die auch weltgeschichtliche, wissenschaftlich-technologische und/oder gesellschaftliche Umwälzungen überdauern, sind mögliche Entwicklungen des Vertragswerks im Vorhinein nicht absehbar.424 Damit erreicht die Figur der Integrationsverantwortung als legitimierendes Konzept, das EuGRZ 2004, 683–700, 687; BVerfGE 104, 151, 205 f. und 206 ff. (NATO-Neues Strategisches Konzept). 419  Friesenhahn, VVDStRL 1960, 9–73, 33. Zu den unterschiedlichen Positionen Biehler, Auswärtige Gewalt, 2005. Die Integrationsverantwortung schiebt dadurch den Regler, der durch die „Durchbrechung des Gewaltenteilungssystems“, vgl. Streinz in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 24 ff., in Richtung der Exekutive „gewandert“ ist, wieder ein wenig zurück in Richtung der Gesetzgebungsorgane. 420  Bspw. könnte dies (politisch) dadurch umgesetzt werden, dass der Bundestag das Vertragsgesetz mit einer Präambel versieht, wie dies bspw. 1963 beim Elysée-Vertrag geschehen ist. Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 93. Sauer weist darauf hin, dass „keine zu hohen Anforderungen an die Bestimmtheit“ des Integrationsprogramms gestellt werden dürfen, Sauer in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Mai 2019, Art. 24 Rn. 197; Hillgruber, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Isensee/Lecheler (Hrsg.), FS Leisner, 1999, S. 53–74, S. 62 f. 421  Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 136. Ging das BVerfG in der Entscheidung BVerfGE 68, 1, 86 (Atomwaffenstationierung) noch davon aus, dass dem Bundestag „keine Initiativ-, Gestaltungs- oder Kontrollbefugnisse im Bereich der auswärtigen Beziehungen“ zukomme, geht es mittlerweile davon aus, dass Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auch dem Bundestag ein „Mitentscheidungsrecht“ bzw. ein „Recht auf Teilhabe“ zugesteht, s. BVerfGE 104, 151, 194 und 209 (NATO-Neues Strategisches Konzept). Die Rechtsfigur der Integrationsverantwortung geht ganz konkret auf die Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept zurück, BVerfGE 104, 151, 208 (NATO-Neues Strategisches Konzept), und wurde in der Folge u. a. in BVerfGE 108, 34, 43 (einstweilige Anordnung zu AWACS) und in BVerfG 2 BvE 2/16, Rn. 33 (Anti-IS-Einsatz) bestätigt. 422  Vgl. BT-Drs.: 19/445 und BT-Drs.: 19/1033 und Kamp, Arbeitspapiere Sicherheitspolitik 2019, 1–5, 4. 423  Bspw. ILO (Gründung 1919) und ITU (Gründung 1865). 424  Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 134 f.

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die in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG beschriebene Rolle des Gesetzgebers in der auswärtigen Gewalt ausweitet, ihre Grenze.425 Für Extremfälle der Abweichung vom ursprünglichen Integrationsprogramm sind zwei verfassungsrechtliche „Notbremsen“ eingeführt worden: Dazu zählt zum einen, dass die „automatische“ Rezeption von Vertragsfortentwicklungen426 zum Erliegen kommt, wenn innerhalb eines Vertragswerks ultra-viresRechtsakte erlassen werden.427 Letztlich kann zum anderen auch die legislative Zustimmung wiederaufleben, wenn beispielsweise die Vertragsfortentwicklung die Identität des Vertrags wesentlich betrifft428 oder im Widerspruch mit dem ursprünglichen Vertrag steht.429

3.  Abhilfe durch das allgemeine Handlungsinstrumentarium Im Ergebnis werden Vertragskonkretisierungen im Rahmen von ComplianceVerfahren keinen Parlamentsvorbehalt auslösen. Das Parlament verfügt aber außerhalb des formellen Zustimmungsverfahrens über einen großen, allgemeinen Bestand an Instrumenten und Maßnahmen, um völkerrechtliche Handlungen der Exekutive zu kontrollieren oder zu beeinflussen.430 Hier seien die Möglichkeiten der Kontrolle nur knapp und ohne konkreten Bezug zum Compliance-System aufgezählt, da die Handlungsoptionen der gesetzgebenden Körperschaften das Thema des letzten Kapitels sind. Der Deutsche Bundestag kann mittels des allgemeinen Repertoires auf die unterschiedlichen Ausformungen431 völkerrechtlicher Verbindlichkeit reagieren: das Selbstbefassungsrecht nach § 62 Abs. 1 Satz 3 GOBT432, die Budgethoheit, die allgemeinen Kontrollrechte der Ausschüsse – inklusive Zitier- und 425 

Vgl. dazu auch: Ress, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Fürst (Hrsg.), FS Zeidler, Bd. 2, 1987, S. 1775–1797, S. 1779 f. 426  Die Vertragsfortentwicklung „in den Formen des Völkerrechts“ ist dabei die „Aufgabe der Bundesregierung“ BVerfG 2 BvE 2/16, Rn. 34 (Anti-IS-Einsatz). 427  Vgl. BVerfGE 89, 155, 188 und 195 (Maastricht); BVerfGE 123, 267, 354 und 381 ff. (Lissabon) und BVerfG 2 BvE 2/16, Rn. 36 (Anti-IS-Einsatz). Die Grundsätze sind für das supranationale Recht entwickelt und u. a. damit begründet worden, dass durch die Annahme der Kompetenz-Kompetenz durch die supranationale Einheit die durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Verfassungsidentität berührt sei. 428  Verstoß „gegen wesentliche Strukturentscheidungen des Vertragswerkes […]“ BVerfG 2 BvE 2/16, Rn. 37 (Anti-IS-Einsatz) aus BVerfGE 104, 151, 210 (NATO-Neues Strategisches Konzept). Ress, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Fürst (Hrsg.), FS Zeidler, Bd. 2, 1987, S. 1775–1797, S. 1779 schränkt die Anwendungsmöglichkeiten stark ein. 429  Sauer, ZaöRV 2002, 317–346, 331. Eine solche Entwicklung ist in Compliance-Verfahren aber durch das enggestrickte Verfahrensrecht und das politisch-institutionelle Korsett der modernen Vertragswerke im Umweltvölkerrecht unwahrscheinlich. 430  S. die Reformvorschläge in Kapitel 3 C. 431 „Abstufungen“ Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 105. 432 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Beschluss v. 2. Juli 1980 BGBl. I S. 1237, zuletzt geändert durch d. B. v. 07. Oktober 2020, BGBl. I S. 2067); dazu auch Sauer, ZaöRV 2002, 317–346, 337, der auf Bryde, Jura 1986, 363–369, 368 verweist.

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Interpellationsrecht nach Art. 43 Abs. 1 GG, §§ 42, 68 GOBT, wobei in der parlamentarischen Praxis ohnehin der Außenminister oder ein Staatssekretär bei den Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses anwesend ist433 –, kleine und große Anfragen gemäß § 100 bis § 106 GOBT sowie das konstruktive Misstrauensvotum oder die Enquêterechte.434 Darunter fallen auch Entschließungen des Bundestags nach § 75 Abs. 2 und § 88 Abs. 1 GOBT435, die manche als „Weisungen an die Exekutive“436 erachten. Ein Meinungsaustausch und ein Mitgestalten und Mittragen der auswärtigen Politik in begrenztem (nicht rechtlich verpflichtendem) Maße ist also auf Eigeninitiative des Bundestags hin möglich.437 Ein berühmtes Beispiel bildet die Bundestagsresolution zur Erinnerung und zum Gedenken an den Völkermord an den Armeniern, womit sich der Deutsche Bundestag prominent gegen die Türkeipolitik der Bundesregierung gestellt hat.438 Diese Kontroll- und Einflussrechte können auch nur von Teilen des Bundestags ausgeübt werden. Die AfDFraktion im Bundestag stellte beispielsweise zum Thema der diplomatischen Beziehungen zu Syrien eine kleine Anfrage an die Bundesregierung.439

4. Zwischenergebnis Vor diesem Hintergrund ist der Rechtsanwendungsbefehl auch für die spätere Übung in der gesetzlichen Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG zur im umweltvölkerrechtlichen Rahmenvertrag enthaltenen Ermächtigungsgrundlage zu verorten.440 Die spätere Übung durch das Compliance-Verfahren, maß433 

Dazu Beschreibung in WD 2 3000 – 032/17. Zu den letzten beiden Vorschlägen Sauer, ZaöRV 2002, 317–346, 338; insgesamt u. a. mit Bezug auf die KSZE-Schlussakte Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 105. Die Kontrollrechte können allerdings erst nachträglich ausgeübt werden. Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 50, mit Verweis auf BVerfGE 67, 100, 139 (Flick-Untersuchungsausschuss). 435  Bsp. vorgeschlagen von Bryde, Jura 1986, 363–369, 366. Dazu Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 18. Daneben kommen haushaltsrechtliche Mittel in Betracht, Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 47. 436  Menzel, VVDStRL 1954, 179–220, 219; Sauer: „[D]em stand aber [zur Zeit des Atomwaffenstationierungsurteils] noch die herrschende Lehre entgegen, wonach schlichte Parlamentsbeschlüsse keine bindende Wirkung haben.“ Sauer, ZaöRV 2002, 317–346, 339. 437 Die verfassungsgerichtliche Entscheidung zur Völkerrechtsdurchbrechung bringt einen weiteren Aspekt ein. Bezüglich der Kündigung eines Vertrags, die Sache der Exekutive sei, stellt das Gericht fest, dass „[b]estünde tatsächlich eine entsprechende Selbstbindung nach der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrags, würde er dauerhaft auf seine Gesetzgebungsbefugnis verzichten. […] [Vielmehr] muss er zumindest in der Lage sein, innerhalb seines Kompetenzbereichs vom völkerrechtlich Vereinbarten abweichende Gesetze zu erlassen.“ BVerfGE 141, 1, 23 (Völkerrechtsdurchbrechung). 438  BT-Drs.: 18/8613; aufarbeitend Holter, Völkermord im Parlament, 2020. 439  BT-Drs.: 19/11332. 440 Wenn keine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist, tritt die Zustimmung zu den Vertragsnormen an ihre Stelle, auf deren Zusammenspiel die Einberufung eines Compliance Committee gestützt wird. Als problematisch sind aus nationalstaatlicher Sicht 434 



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geblich geprägt von den Institutionen Nichteinhaltungsausschuss und Vertragsstaatenkonferenz, hängt sich an das ursprüngliche Zustimmungsgesetz an und entfaltet infolgedessen im innerstaatlichen Bereich Wirkung.441 Die Rechtswirkung der späteren Übung trifft nicht mehr die Bundesrepublik als geschlossene Einheit, sondern alle Träger öffentlicher Gewalt.442 Die Zustimmung zum Vertragsgesetz beziehungsweise zur Ermächtigungsgrundlage für die Errichtung eines Compliance-Verfahrens ist der vorweggenommene Rechtsanwendungsbefehl, der eine Brücke in das innerstaatliche Recht schlägt.443 Der Gesetzgeber gibt seine „antizipierte Zustimmung“ zur „weiterentwickelnden Auslegung“, die keine zustimmungspflichtige Änderung darstellt, „und [ermöglicht] sogar die einverständliche Begründung einer Vertragspraxis ‚über den Vertragsinhalt hinaus‘ [ohne] Zustimmungspflicht.“444 Über die Zustimmung zum Vertragsgesetz besteht eine „Rechtserzeugungsbeziehung“445 zwischen Rahmenvertrag und späterer Übung. Mit anderen Worten hängt sich die spätere Übung an den ursprünglichen Ratifikationsprozess an und ist damit bereits in nationales Recht übertragen. Eines weiteren Rechtsanwendungsbefehls bedarf es nicht.446 Die Voraussetzung ist daher, dass dem Parlament in seiner Entscheidung über die Teilnahme an einer multilateralen Kooperation ein Integrationsprogramm präsentiert werden muss, damit es absehen kann, welche Entwicklungen ein Vertragssystem nehmen kann – so sehen es nahezu alle Rahmenverträge multilateraler Vertragssysteme für die Vertragsfortentwicklung vor. Dem Handeln der Bundesregierung sind in Hinblick auf die Fortentwicklung dieses Integrationsprogramms verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Verlässt sie bei der Weiterentwicklung des Vertragswerks den vorgegebenen Rahmen, handelt ultra daher Verträge anzusehen, die gar keine Ermächtigung vorsehen. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken mögen ein Grund dafür gewesen sein, warum in die Espoo Konvention nachträglich eine Ermächtigungsgrundlage eingeführt wurde. S. o. Kapitel 1 B. I. Eine a. A. allerdings allgemein mit Blick auf die Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen vertritt Proelß, Rechtsgutachten, 2009, S. 7. 441  Damit ist nicht ein direkter Durchgriff auf das Individuum gemeint. Die unmittelbare Anwendbarkeit ist mit dem antizipierten Rechtsanwendungsbefehl nicht zu vermischen. 442  In Bezug auf die Entscheidungen des EGMR sehr plastisch formuliert von Cremer: „Sie kristallisiert, einmal in die deutsche Rechtsordnung eingebaut, aus in eine Bindung aller Träger deutscher öffentlicher Gewalt.“, Cremer, EuGRZ 2004, 683–700, 692. 443  Brückenmodell bei Schweitzer/Dederer, Staatsrecht III, 2006, S. 261–263, mit Bezug auf „Beschlüsse von Vertragsorganen“, auf die die „Überlegungen zu Beschlüssen internationaler Organisationen […] mutatis mutandis“ übertragen werden könnten, ebd., Rn. 916 und Rn. 1188. 444  Alle Zit. des Satzes bei Heun in: Dreier, GG, Art. 59 Rn. 36. Kritisch hingegen Waldhoff, der davor warnt, die parlamentarische Zustimmung zum Ursprungsvertrag als generellen antizipierten Rechtsanwendungsbefehl für spätere Vertragsänderungen aufzufassen. Er nutzt den Maßstab der Vorhersehbarkeit, der in diesem Abschnitt im Bereich der „Integrationsverantwortung“ verortet wird. Vgl. Waldhoff, IStR 2002, 693–697, 696. 445  Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 93. 446  Knauff nennt das einen Regelungsverbund, Knauff, Soft Law, 2010, S. 396 ff.

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vires, kann die Zustimmungspflicht des Bundestags wiederaufleben.447 Eine solche Entwicklung ist in Compliance-Verfahren aber durch das enggestrickte Verfahrensrecht und das politisch-institutionelle Korsett der modernen Vertragswerke im Umweltvölkerrecht unwahrscheinlich.

5.  Schlussfolgerungen für Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Anhand der obigen Ausführungen lassen sich verschiedene allgemeine Schlussfolgerungen für Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ziehen, die in der nachfolgenden Auseinandersetzung vor allem für die Ausrichtung der Reformvorschläge im dritten Kapitel relevant sein werden. Im Kern steht die Erkenntnis, dass sich Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG – wie auch die anderen Tatbestände des Außenverfassungsrechts – auf einen dynamischen Gegenstand bezieht. Der völkerrechtliche Vertrag ist ein sehr agiles Regime. In der Folge beweist Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG – jenseits des Wortlauts – ebenfalls hohe Elastizität448: Die dort verankerte Zustimmung kann zeitlich-thematisch ausgedehnt und zu einer antizipierten Zustimmung für zukünftige Entwicklungen werden.449 1. Das durch Art. 59 Abs. 2 GG konkretisierte Demokratieprinzip fordert nicht bei jedem völkerrechtlichen Vertragsschluss eine Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaft.450 447  Und die verfassungsgerichtliche Kontrolle über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG iVm Art. 79 Abs. 3 GG iVm Art. 20 Abs. 2 GG („Recht auf Demokratie“). Allerdings ist ein ultra-vires-Akt ohnedies für die Bundesrepublik nicht verbindlich. Die Analogie in solchen Fällen, in denen der Vertrag schon auf die dynamische Entwicklung hin angelegt ist, ablehnend Calliess, Staatsrecht III, 2014, S. 83. 448  BVerfG in 104, 151, 206 (NATO-Neues Strategisches Konzept). 449  Und erhält so „fiktiven Charakter“ Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 198. 450  Der Fall der „Waldschlößchenbrücke“ über die Elbe in Dresden hat hohe Wellen geschlagen. Die Weltkulturerbekonvention (1951) ist als Verwaltungsabkommen ohne Rechtsanwendungsbefehls in Form eines Zustimmungsgesetzes oder einer Rechtsverordnung in deutsches Recht „gelangt“. Sie ist lediglich nach ihrem Inkrafttreten im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht worden und keinem Zustimmungsvorbehalt unterworfen gewesen, da sie Bereiche der ausschließlichen Länderzuständigkeit regelt und damit keine für Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG relevanten Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft. Anstatt Vieler v. Bogdandy/Zacharias, NVwZ 2007, 527–532, 527. Die Länder hatten dem Abkommen gemäß der Lindauer Absprache zugestimmt. Darüber hinaus hielt das Auswärtige Amt eine Zustimmung der Gesetzgebungsorgane für entbehrlich. Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 155, Fn. 352. Selbst ohne ausdrücklichen Rechtsanwendungsbefehl iSe Vertragsgesetzes ist das völkerrechtlich Vereinbarte für alle öffentlichen Stellen verpflichtend. (Ob ein Verwaltungsabkommen in einem solchen Fall tatsächlich in die deutsche Rechtsordnung gelangt, ist noch nicht endgültig geklärt.) Dass Gemeinden beispielsweise bei der Bauleitplanung Vorgaben der Weltkulturerbekonvention ungeachtet einer ausdrücklichen legislativen Zustimmung als öffentlichen Belang hatten beachten müssen, hat zu Kontroversen geführt. So v. Bogdandy/Zacharias, NVwZ 2007, 527–532, 527. Beispielhaft seien hier weitere Debattenbeiträge genannt: Fastenrath, DÖV 2006, 1017–1027; Kilian, Die Brücke über die Elbe: völkerrechtliche Wirkung des Welterbe-Übereinkommens der UNESCO, LKV 2008, 248 (allerdings mit der Maßgabe, die Konvention sei über „Art. 25 [Grundsatz



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 189

2. Für ein effizientes Auftreten im auswärtigen Bereich werden große Freiheiten der Exekutive vom in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG konkretisierten Demokratieprinzip hingenommen. Das Zustimmungserfordernis ist deshalb eng auszulegen und nicht von der Tragweite des Vertragsinhalts abhängig. Eine Anwendung der Wesentlichkeitslehre führt nicht zwingend zu einem Wiederaufleben der Zustimmungspflicht. 3. Die Entschließungsfreiheit des Parlaments muss in Bezug auf die grundlegende Richtung der Rechtsentwicklung gesichert werden. Kann sich das Parlament vorstellen, mit dem jeweiligen Ziel gesetzgeberisch beziehungsweise umsetzend tätig zu werden (Schutz und Erhalt von Feuchtgebieten: ja oder nein451 oder Recht auf Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten: ja oder nein452), gibt es für die weitere Ausgestaltung in gewisser Hinsicht das Zepter aus der Hand. 4. Der Legislative kommt die Pflicht zu, die dynamische Entwicklung fortlaufend zu beobachten und durch eigeninitiatives Handeln aktiv zu begleiten (sogenannte Integrationsverantwortung). So soll eine „Flucht ins Völkerrecht“453 verhindert werden. 5. Das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht sich auf einen in zweierlei Hinsicht dynamischen Sachverhalt: a. Es umfasst einen entwicklungsoffenen Gegenstand und b. die Verweisung selbst ist ebenfalls dynamisch: Ändert sich das Vertragsrecht (folgt man der Vollzugslehre), ist auch das im innerstaatlichen Bereich anwendbare Recht geändert.

III.  Umfang der Bindung Weder das Grundgesetz noch das einfache Gesetzesrecht sehen einen definierten Tatbestand vor, der die Rechtsfolge der Berücksichtigungspflicht, also den Umfang der Bindung an die spätere Übung beschreibt. Drei zentrale Argumente lassen den Schluss zu, dass das deutsche Recht der späteren Übung eine verbindliche Wirkung zuschreibt. Der Deutsche Bundestag benennt selbst ausdrücklich zwei Argumente: den Vertrauensgrundsatz im Vertragsrecht und die des pacta sunt servanda] und Art. 59 GG […] für die Bundesrepublik geltendes und unmittelbar verbindliches (Vertrags-)Völkerrecht.“); Payandeh, JöR 2009, 465–502, 489 f.; Payandeh, RW 2013, 397–417, 400 ff. und detailliert, eng am Verfahren aufgearbeitet von Wolf, ZUR, 2007, 525–532. Später vertrat die Bundesregierung gegenüber der Bindungswirkung der (unverbindlichen) Entscheidungen des UNESCO-Komitees in einem Fall bezüglich Tansania die Auffassung: „Grundsätzlich vertritt die Bundesregierung darüber hinaus die Haltung, dass die Umsetzung der relevanten Komitee-Entscheidungen (35 COM 7B.6, 35 COM 8B.46, 34 COM 7B.3) zu unterstützen ist.“ (BT-Drs.: 17/9887, S. 13). 451  U. a. Art. 4 Ramsar-Konvention. 452  Art. 1 Alt. 3 AK. 453  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 205.

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Kapitel 2: Treaties over time

Völkerrechtsfreundlichkeit. Den beiden Punkten soll die Wirkung des Art. 20a GG argumentativ zur Seite gestellt werden. Der folgende Abschnitt gliedert sich wie folgt: Als erstes soll das Konzept der Völkerrechtsfreundlichkeit vorgestellt und danach die (gegenwärtige und zukünftige) Rolle des Art. 20a GG erörtert werden. Erst im Anschluss werden die entwickelten Konzepte auf das Compliance-System angewendet.

1.  Die Völkerrechtsfreundlichkeit Die Völkerrechtsfreundlichkeit454 des Grundgesetzes entspringt dem Konzept der offenen Staatlichkeit und macht dieses für konkrete Einzelfragen handhabbarer. Ihre normative Verankerung im Grundgesetz, ihre Rechtsfolgen und ihre Begrenzung sind umstritten.455

a)  Grundsätze der Völkerrechtsfreundlichkeit Die Völkerrechtsfreundlichkeit soll der freiheits- und friedenswahrenden Völkerrechtsordnung456 im innerstaatlichen Bereich Geltung verschaffen. Darüber hinaus dient das Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit der Konfliktvermeidung (zusammenfassend: Koordinierungs-, Harmonisierungs- und Scharnierfunktion der Völkerrechtsfreundlichkeit).457 Über einen „Minimalgehalt“ der Völkerrechtsfreundlichkeit458 besteht Einigkeit: 454 Auszug aus der Literatur: Abend, Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit; Bleckmann, DÖV 1996, 137–145; Bleckmann, DÖV 1979, 309–318; Giegerich, Saar Expert Paper 2016, online abrufbar unter: https://jean-monnet-saar.eu/wp-content/uploads/2013/12/ TreatyOverride_TG.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023); Kees, Der Staat 2015, 63–95; Knop, Völkerrechtsfreundlichkeit als Verfassungsgrundsatz, 2013; Payandeh, JöR 2009, 465– 502; Proelß, Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung, in: Rensen/Brink (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung, 2009, S. 553–584; Reiling, ZaöRV 2018, 311–338. Auszug aus der Rechtsprechung: BVerfGE 6, 309, 362 f. (Reichskonkordat); BVerfGE 31, 58, 75 f. (SpanierBeschluss); BVerfGE 74, 358, 370 (Unschuldsvermutung); BVerfGE 111, 307, 317 ff. (Görgülü); BVerfGE 112, 1, 24 ff. (Bodenreform III); BVerfG 2 BvR 2115/01, Rn. 54 ff. (Belehrung ausländischer Beschuldigter über das Recht auf konsularische Unterstützung); implizit auch in BVerfGE 116, 69, 90 f. (Jugendstrafvollzug); BVerfGE 128, 326, 366 ff. (Sicherungsverwahrung II); BVerfGE 141, 1, 23 ff. (Völkerrechtsdurchbrechung); BVerfGE 148, 296, 350 ff. (Streikverbot für Beamte); BVerfG 2 BvC 62/14, Rn. 61 ff. (Wahlrechtsausschlüsse von Vollbetreuten); BVerfG 2 BvE 2/16, u. a. Rn. 51 (Anti-IS-Einsatz). 455  Ausschnittsweise nur zur normativen Verankerung: Während das BVerfG in BVerfGE 6, 309, 362 f. (Reichkonkordat) noch einzig Art. 25 GG als Grundlage heranzog, nennt es mittlerweile folgende Normen im Zusammenspiel die Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2, Art. 23 bis 26 und Art. 59 Abs. 2 GG. Vgl. BVerfGE 108, 238, 247 (Bertelsmann) und prominent BVerfGE 111, 307, 318 f. und 329 (Görgülü). 456  Angelehnt an BVerfGE 112, 1, 25 (Bodenreform III). 457  Anstatt Vieler Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 166 ff. 458  BVerfGE 112, 1, 26 (Bodenreform III); aufgegriffen von Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 165 f. und jüngst Voßkuhle, ZaöRV 2019, 481–485 f.



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 191

– Sie ist eine Verpflichtung zur internationalen Zusammenarbeit, um die Entstehung von Völkerrecht zu fördern, – bestehendes Völkerrecht soll effektiv mittelbar von den Staatsorganen durchgesetzt werden (Loyalitätsgebot)459 und – sie soll das Risiko der Nichtbefolgung von internationalem Recht verringern (Vermeidung völkerrechtlicher Haftung).460 Die Völkerrechtsfreundlichkeit appelliert an alle drei Staatsgewalten aktiv an der Weiterentwicklung des Völkerrechts teilzunehmen und in multilateralen Verbänden zu partizipieren.461 Die engagierte Rolle Deutschlands in der internationalen Kooperation soll ein „Tragpfeiler des konstitutionellen Selbstverständnisses der Bundesrepublik“462 sein. Das zeigt beispielhaft die Diskussion um die Unterwerfung unter die obligatorische Gerichtsbarkeit des IGH.463 Die Harmonisierungs- und die Konfliktvermeidungsfunktion der Völkerrechtsfreundlichkeit verlangen, eine Völkerrechtsverletzung durch die Bundesrepublik unbedingt zu vermeiden.464 Denn ein Völkerrechtsbruch hat nicht nur zur Folge, dass das infrage stehende Völkerrecht in Deutschland nicht zur Anwendung gelangt, sondern gefährdet die Integrität der Völkerrechtsordnung insgesamt; gerade weil das völkerrechtliche System wegen der fehlenden übergeordneten Durchsetzungsinstanz auf freiwilliges Befolgen und Gegenseitigkeit ausgerichtet ist.465

b)  Brücke für unverbindliches Recht Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes kann über die Scharnier- und Harmonisierungsfunktion auch als Brücke wirken, um unverbindliches Völker459  Begriff von Sauer, Jurisdiktionskonflikte, 2008, S. 384. 460  U. a. in BVerfGE 141, 1, 27 (Völkerrechtsdurchbrechung);

BVerfGE 58, 1, 34 (Eurocontrol I); BVerfGE 6, 309, 366 (Reichskonkordat): Das Grundgesetz wolle „größtmögliche Sicherung der Vertragserfüllung erreichen“. Sauer, Jurisdiktionskonflikte, 2008, S. 382. 461  Anstatt Vieler Bleckmann, DÖV 1996, 137–145, 140; Bleckmann, DÖV 1979, 309– 318, 311; Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 167 f.; Reiling, ZaöRV 2018, 311–338, 317. 462  Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 95 und ausführend Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 151. 463  Das von Frank-Walter Steinmeier geleitete Außenministerium betrieb das Vorhaben ab 2005 bis zur Abgabe der Unterwerfungserklärung 2008 nicht zuletzt mit Blick auf das deutsche „Ziel eines effektiven und funktionsfähigen Multilateralismus und einer Stärkung der Vereinten Nationen“. Prozess detailliert beschildert von Eick, ZaöRV 2008, 763–777, 766. 464  BVerfGE 141, 1, 27 (Völkerrechtsdurchbrechung) und schon BVerfGE 58, 1, 34 (Eurocontrol I); vgl. auch Sauer, Jurisdiktionskonflikte, 2008, S. 383. 465  Exemplarisch bezogen auf den Eilrechtsbeschluss in Sachen CETA: BVerfGE 143, 65 (CETA – eA-Verfahren); dazu Nowrot/Tietje, EuR 2017, 137–155, 137. Vgl. auch Cremer, EuGRZ 2004, 683–700, 684, Fn. 10; Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 110; Payandeh, JöR 2009, 465–502, 498; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 205.

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Kapitel 2: Treaties over time

recht einer im innerstaatlichen Recht verbindlichen Wirkung zuzuführen. Das lässt sich anhand zweier Beispiele veranschaulichen: – Die deutsche Rechtsordnung schenkt, vermittelt durch die Völkerrechtsfreundlichkeit, internationalen Gerichtsentscheidungen streitgegenstandsunabhängig Beachtung. Das heißt, eine gerichtliche Entscheidung entfaltet über den konkreten Einzelfall hinaus und unabhängig davon, ob Deutschland Partei ist oder nicht, Wirkung für weitere Sachverhalte, solange die Rechtsprechung der Sache nach anwendbar ist, und wenn die internationale Rechtsprechung in die deutsche Rechtsordnung eingepasst werden kann.466 In Bezug auf die menschenrechtliche Judikatur wird diese Scharnierfunktion zusätzlich in Art. 1 Abs. 2 GG verankert.467 – Genauso soll die völkerrechtsfreundliche Auslegung des nationalen Rechts ein Auseinanderfallen der Rechtsordnungen verhindern.468 Sie wird vor allem bei offen formulierten Normen relevant.469 Sie unterstellt die Annahme, dass der Gesetzgeber, sofern er es nicht ausdrücklich bestimmt hat, mit der infrage stehenden Norm das Völkerrecht nicht verletzen wollte.470 Im Umweltrecht wird sie maßgeblich in Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Stand der Technik“ (bspw. in der Vorsorgeanforderung aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG und in § 57 Abs. 1 Nr. 1 WHG) oder 466  „Dogmatisierung von Judikaten“ mwN bei v. Arnauld, VVDStRL 2015, 39–87, 51. Das BVerfG hat dies mit der „faktischen Orientierungs- und Leitfunktion“ dieser Entscheidungen umschrieben. Letztlich nachvollzieht es damit verfassungsrechtlich den living-instrument-Gedanken bzw. die evolutive Auslegungsmethode im Völkervertragsrecht, vgl. BVerfGE 111, 307, 320 (Görgülü); BVerfGE 128, 326, 368 (Sicherungsverwahrung II); BVerfG 2 BvC 62/14, Rn. 64 (Wahlrechtsausschlüsse von Vollbetreuten); BVerfG 2 BvR 2115/01, Rn. 43 (Belehrung ausländischer Beschuldigter über das Recht auf konsularische Unterstützung). In Rn. 58: „Die Pflicht der Fachgerichte, die Rechtsprechung des IGH […] zu berücksichtigen, ergibt sich […] aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Verbindung mit der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 III i. V. mit Art. 59 II GG), welche die Entscheidungen eines völkerrechtlich ins Leben gerufenen internationalen Gerichts […] umfasst.“. 467  Die sog. inter-omnes-Wirkung fußt nicht nur auf der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, sondern ebenfalls auf Art. 1 Abs. 2 GG. Vgl. BVerfGE 148, 296, 352 ff. (Streikverbot für Beamte). Giegerich meint, eine ähnliche Funktion nähme Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ein. Er nimmt sogar Auslegungen des Human Rights Committee in das Verständnis von Art. 16 Abs. 2 GG mit auf. Vgl. Giegerich, in: Maunz u. a., GG, Stand: Februar 2020, Art. 16 u. a. Rn. 212 ff. und 216. 468  MwN aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung BVerfGE 141, 1, 27 (Völkerrechtsdurchbrechung); dazu u. a. Cremer, EUGRZ 2004, 683–700, 693; Payandeh, RW 2013, 397–417, 408 f.; Reiling, ZaöRV 2018, 311–338, 317; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 40. 469  v. Arnauld, VVDStRL 2015, 39–87, 59; zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Schorkopf, Rezeptionsdogmatik, in: ders./Starck (Hrsg.), Rechtsvergleichung – Sprache – Rechtsdogmatik, 2019, S. 175–187, S. 179, der betont, es handele sich um eine ergebnisorientierte Auslegung. 470  BVerfGE 58, 1, 34 (Eurocontrol I); BVerfGE 74, 358, 370 (Unschuldsvermutung); BVerfGE 141, 1, 23 f. (Völkerrechtsdurchbrechung); vgl. Meyring, Entwicklung zustimmungsbedürftiger Verträge, 2001, S. 286.

D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 193



„schädliche Umwelteinwirkungen“ (bspw. in § 3 Abs. 1 BImSchG) relevant. Ihre Konkretisierung kann unter anderem durch die Bezugnahme auf völkerrechtliche Standards bewältigt werden.471

c)  Die Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit: Verbindliches Recht wird unverbindlich Die freiwillige (Selbst-)Bindung des Grundgesetzes verläuft nicht grenzenlos, bedeutet nicht „blindes Vertrauen in das Völkerrecht“472. Die Eingrenzung der Völkerrechtsfreundlichkeit ist ein kontrovers diskutiertes Thema des Außenverfassungsrechts.473 1. Die Völkerrechtsfreundlichkeit findet ihre Grenze in der Verfassung. Die Rechtsprechung hat die bereits erwähnten Begrenzungen der ultra-viresund Identitätskontrolle entwickelt, die prozessual durch eine Individualklage über Art. 38 Abs. 1 Satz  1 GG iVm Art. 20 Abs. 2 iVm Art. 79 Abs. 3 GG474 flankiert werden. 2. Völkervertragsrecht kann zum Schutz tragender Verfassungsgrundsätze im Ausnahmefall nicht beachtet oder überschrieben werden.475 Bisher wurde aus der Verfassungsrechtsprechung nicht ganz klar, welche Verfassungsgüter dafür herangezogen werden können: Die Rede war von „tragende[n] Grundsätze[n] der Verfassung“476 oder von „Grundrechte[n] Dritter oder sonstige[n] Verfassungsbestimmungen“477, die ein Abweichen erforderlich machen.478 In neueren Urteilen ist dies nun auf den Menschenwürdekern 471 

Bereits oben Kapitel 2 D. II. 1. b). Talmon, JZ 2013, 12–21, 21: „Ein Großteil der Staatsrechtslehre in Deutschland [geht] […] davon aus, dass die Gefahren staatlichen Machtmissbrauchs durch überstaatliche Institutionen […] einzuhegen sind.“ Hillgruber, Der Staat 2014, 475–493, 486: „Die Eingehung völkerrechtlicher Verpflichtungen bedeutet nicht Beschränkung, Teilverzicht oder Aufgabe von Souveränität, wie vielfach behauptet wird, sondern stellt gerade deren Ausübung dar.“. 473  Proelß, Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung, in: Rensen/Brink (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung, 2009, S. 553–584, S. 559 ff., Talmon, JZ 2013, 12–21; ähnlich bei Sauer in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Mai 2019, Art. 24 Rn. 25. 474  Basierend auf einer erstaunlichen Kombination aus Demokratiegebot, Wahlrecht und Verfassungsidentität und wie im PSPP-Urteil hervorgehoben zusätzlich der Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane, vgl. BVerfG 2 BvR 859/15, Rn. 114 ff. (PSPP). Ausführlich begründet auch in BVerfGE 123, 267, 339 ff. (Lissabon). 475  „Es widerspricht […] nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet wird, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist.“ BVerfG 2 BvC 62/14, Rn. 63 (Wahlrechtsausschlüsse von Vollbetreuten); bestätigt BVerfGE 111, 307, 319 (Görgülü). 476  BVerfGE 111, 307, 319 (Görgülü). 477 BVerfG 2 BvR 2115/01, Rn. 69 (Belehrung ausländischer Beschuldigter über das Recht auf konsularische Unterstützung). 478  Nur ausnahmsweise. Bildet daher nur eine „kleine“ Begrenzung, bzw. Öffnung der Völkerrechtsfreundlichkeit. Dazu schon früher BVerfG 74, 358, 370 (Unschuldsvermutung). Ausführlich Hillgruber: „Das Grundgesetz strebt […] [die zu wahrende außenpolitische Hand472 

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der Grundrechte gemäß Art. 1 GG und die Grundsätze, die das Demokratie-, Rechts-, Sozial- und Bundesstaatsprinzip im Sinne des Art. 20 GG prägen, konkretisiert.479 Darüber hinaus sei sicherzustellen, dass dem Deutschen Bundestag eigene Aufgaben und Befugnisse von substantiellem politischem Gewicht bleiben und seine haushaltspolitische Verantwortung fortbesteht.480 3. Es darf keine vollständige Aufgabe der Verfügungsgewalt über den Rechtsbestand geben.481 Ein Verfassungsverbot völkervertragsrechtswidriger Bundesgesetzgebung beinhaltet der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit nicht.482 Bei eindeutigem Willen des Gesetzgebers, vom Völkervertragsrecht abzuweichen, darf keine diesen Willen brechende Auslegung vorgenommen werden. 4. In einem souveränen Staat kann es keine Bindung ohne (theoretische) Möglichkeit der Loslösung geben.483

2.  Die Rolle des Art. 20a GG Grundsätzlich sind alle völkerrechtlichen Verträge aus der Warte des Völkerrechts gleichrangig. Innerstaatlich sind ebenfalls – nach herkömmlicher Auffassung – alle Verträge gleichen Rangs, nämlich dem eines einfachen Bundesgesetzes.484 Selbst das universelle Gewohnheitsrecht und die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehen gemäß Art. 25 Satz 2 HS. 1 GG „nur“ den Gesetzen vor.485 Im menschenrechtlichen Bereich entspricht das jedoch nicht mehr der Rechtsanwendungsrealität. Hier wertet Art. 1 Abs. 2 GG mit dem Wortlaut Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. lungsfähigkeit] selbstverständlich an […]. Aber das Grundgesetz will die außenpolitische Handlungsfähigkeit nicht auf Kosten, sondern nur innerhalb der bestehenden verfassungsrechtlichen Bindungen. Sie kann daher kein Argument dafür sein, diese Bindungen zu negieren oder aber deren verfassungsgerichtliche Kontrolle zu unterminieren.“ Hillgruber, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Isensee/Lecheler (Hrsg.), FS Leisner, 1999, S. 53–74, S. 74. Selbst wenn Völkerrecht als Verfassungsrecht gelten würde, müsste dieses im Rahmen der praktischen Konkordanz in gewissen Fallkonstellationen ebenfalls zurückstehen. 479  BVerfG 2 BvR 859/15, Rn. 115 (PSPP). 480  In der Formulierung angelehnt an BVerfG 2 BvR 859/15, Rn. 115 (PSPP). 481  BVerfGE 6, 309, 362 f. (Reichskonkordat). 482  BVerfGE 141, 1, 21 ff. (Völkerrechtsdurchbrechung) und anstatt vieler Literaturstimmen Knauff, Soft Law, 2010, S. 173 und weiter ausdifferenziert in S. 184. 483  BVerfGE 89, 155, 190 (Maastricht). Vgl. u. a. in der Literatur: Sauer in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Mai 2019, Art. 24 Rn. 82; vgl. Hillgruber, Der Staat 2014, 475–493, 486 f. und Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 83; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 548. 484  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 200 und S. 553 mit kritischer Stellungnahme ab S. 197. 485  Anstatt Vieler mwN Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 158 f. Es ist umstritten, wie genau dieser Zwischenrang zu definieren ist. Überblick bei Knauff, Soft Law, 2010, S. 168 f., Fn. 995– 997. Dazu BVerfGE 143, 101, 135 (NSA-Untersuchungsausschuss).



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die Wirkung des Vertragsrechts im innerstaatlichen Bereich insoweit auf, dass der lex-posterior-Grundsatz teilweise ausgesetzt wird. Er gilt nur noch, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich vom völkervertraglich Gebotenen abweichen möchte.486 Darüber hinaus ist Völkervertragsrecht im menschenrechtlichen Bereich über die oben genannte Öffnungsnorm – trotz der formalen Stellung als einfaches Bundesrecht – teilweise dazu geeignet, zur Auslegung des Verfassungsrechts herangezogen zu werden: „Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung“487. Dadurch erfährt das Völkervertragsrecht über die Wirkung der Völkerrechtsfreundlichkeit verfassungsrechtliche Bedeutung.488 Wie genau die Umsetzung dieser Maßgabe in die Praxis abläuft und zu welchen Folgeproblemen es kommen kann, ist umstritten.489 Im Umweltvölkerrecht mehren sich heute konkrete Steuerungselemente, die in die nationale Rechtsordnung hineinwirken und diese teils grundlegend verändern.490 Das führt zur Folgefrage: Kann Art. 20a GG (zukünftig) für das Um486  Vgl. BVerfGE 74, 358, 370 (Unschuldsvermutung): „Auch Gesetze […] sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik […] auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag“.; in BVerfGE 141, 1, 23 f. (Völkerrechtsdruchbrechung) wiederholt und zugleich eingeschränkt (ebd., 24); vgl. Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 83; Sauer, Jurisdiktionskonflikte, 2008, S. 383. Weitergehend v. Arnauld, VVDStRL 2015, 39–87, 56; Rauschning in: Kahl/Waldhoff/ Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 138. 487  Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 115; vgl. auch BVerfGE 111, 307, 317 (Görgülü). 488  St. Rspr. seit BVerfGE 74, 358, 370 (Unschuldsvermutung); bestätigt u. a. in BVerfGE 148, 296, 351 (Streikverbot für Beamte); ausdifferenziert in BVerfG 2 BvC 62/14, Rn. 62 ff. (Wahlrechtsausschlüsse von Vollbetreuten); grundlegend in BVerfGE 128, 326, 367 f. (Sicherungsverwahrung II): Gewährleistungen der EMRK haben verfassungsrechtliche Bedeutung. In BVerfGE 36, 1, 14 (Grundlagenvertrag) noch: „[Ein völkerrechtlicher Vertrag] schafft weder materielles Verfassungsrecht noch kann er zur Auslegung des GG herangezogen werden.“ Meinungsspektrum der Lit. reicht von „höherrangiges Recht“ bei Sangenstedt, Umweltrechtlicher Gerichtszugang, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79–117, S. 83; Bindung auch des Gesetzgebers bei Payandeh, JöR 2009, 365–502, 484; über „faktische[r] Verfassungsrang“ Kees, Der Staat 2015, 63–95, 85; Vorrang ohne Höherrangigkeit bei Knauff, Soft Law, 2010, S. 183 f.; „ganz enge Verknüpfung im Ergebnis“ zwischen EMRK und den Grundrechten des Grundgesetzes bei Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen u. a. (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 115; bis hin zu Reiling, ZaöRV 2018, 311–338. Sie spricht von „innerstaatliche[r] Aufwertung von Völkerrecht“ (ebd., 317) und „leicht privilegierte“ Stellung bei Maierhöfer, NVwZ 2007, 1155–1158, 1156. Begründung der Höherrangigkeit bei de Wet, ICLQ 2006, 51–76, u. a. 74. 489  Die Konventionsvorgaben der EMRK müssten im Sinne eines „aktiven (Rezeptions-) Vorgangs“ in die deutsche Rechtsordnung umgedacht werden. Vgl. BVerfGE 128, 326, 370 (Sicherungsverwahrung II). Das Urteil präzisiert BVerfGE 111, 307 (Görgülü). „[D]eutsche Gerichte [trifft] die Pflicht, der konventions- oder vertragsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben.“ BVerfG 2 BvC 62/14, Rn. 62 f. (Wahlrechtsausschlüsse von Vollbetreuten). Dazu Kapitel 3 C. 490  U. a. veranschaulichend zum einen anhand des aufgrund der Espoo Konvention eingeführten § 8 UVPG und zum anderen an der grundlegenden Veränderung des nationalen Verfahrensrechts durch die Regelungen der Aarhus Konvention, Durner, Internationales Umwelt-

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Kapitel 2: Treaties over time

weltvölkerrecht eine ähnliche Rolle wie Art. 1 Abs. 2 GG für die Menschenrechte einnehmen? Kommt es auch auf dem Gebiet des Umweltvölkerrechts aufgrund von Art. 20a GG zu einer solchen Aufwertung?491 Dieser Gedanke ist nicht fernliegend, wenngleich der Wortlaut des Artikels die internationale Dimension vergleichsweise weniger eindeutig vorgibt: Der Staat schützt auch in Verantwortung für die zukünftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung […].

Das ist aber auch nicht notwendig, da der Sachzusammenhang selbst die grenzüberschreitende Dimension notwendig vorgibt. Gerade das Umweltrecht ist (häufig) eine die gesamte Menschheit und Umwelt betreffende Materie. Sie wird (und muss) nahezu immer im Verbund mit anderen Staaten bearbeitet werden. Es geht beim Umweltschutz um die menschliche Lebensgrundlage – eine Verbindung mit den Menschenrechten (und der dafür zentralen menschlichen Würde) insbesondere der grundgesetzlichen Freiheitsrechte liegt nahe.492 Art. 20a GG ist eine Staatszielbestimmung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und eine staatliche Schutzverpflichtung.493 Über Art. 20a GG können andere Artikel des Grundgesetzes mit dem Umweltschutzziel „aufgeladen“ werden, wie beispielsweise die Sozialpflichtigkeit der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG zeigt.494 Mit Blick auf den Klimaschutz ergibt sich angesichts dieser Bedeutung des Art. 20a GG folgende Wechselwirkung: Auf der einen Seite sind nahezu alle Freiheitsrechte in eingriffsähnlicher Vorwirkung von nicht hinreichend geplanten CO2-Reduktionen betroffen.495 verwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 130 f. 491  „[I]n Art. 20a GG [liegt] der Keim zu einer umfassenden ‚Ökologisierung‘ des gesamten staatlichen Handelns.“ Schultze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20a Rn. 50. Die Folgeprobleme einer solchen Aufwertung von Völkerrecht wären erheblich: 1) Der Handlungsradius des parlamentarischen Gesetzgebers wäre eingeschränkt. 2) Ein Vertrag mit Verfassungsrang könnte die Verfassung unter Umgehung der dafür vorgesehenen Vorschriften ändern, und es entstünde „Nebenverfassungsrecht“. 3) Dies könnte zu einer normativen Entwertung des Grundgesetzes führen. Die Auflistung ist nicht vollständig. Sie ist inspiriert von Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 197. 492 Das Verfassungsprinzip Umweltschutz sei „gegenüber anderen Verfassungsprinzipien und -gütern fundamental“ bei Murswiek in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 59. Bestätigt auch in Bezug auf den Klimaschutz durch BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 113 f. (Klimaschutzgesetz): Das BVerfG sieht zum einen die verschiedenen grundrechtlichen Freiheiten mit einer ökologischen Dimension aufgeladen (ebd. Rn. 114). Zum anderen hält das Gericht es nicht für ausgeschlossen, dass ein „Recht auf das ökologische Existenzminimum“ daneben eine „eigenständige Wirkung entfalten“ kann (ebd., Rn. 114). 493 Und als Verfassungsprinzip grundsätzlich zu anderen Verfassungsprinzipien gleichgeordnet, Murswiek in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 12 ff., 59. 494  Vgl. dazu nur BVerfGE 102, 1, 18 (Altlasten). 495  BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021  – 1 BvR 2656/18, Rn. 183 ff. (Klimaschutzgesetz).

D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 197



Umgekehrt soll das bedeuten, dass bei Grundrechtsbeschränkungen zum Schutz des Klimas „das Maß des Zumutbaren auch durch das verfassungsrechtliche Klimaschutzgebot (Art. 20a GG) bestimmt“ wird.496 Nähme der Art. 20a GG zukünftig gegenüber dem Umweltvölkerrecht eine ähnliche Rolle als Öffnungs- und Rangaufwertungsinstrument wie Art. 1 Abs. 2 GG für die Menschenrechte ein, hätte das zur Folge, dass internationale Umweltschutzvorgaben als Auslegungsmaßstab selbst für das Verfassungsrecht herangezogen werden könnten.497 So hatte es auch der abgelehnte Gesetzesentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für die Neufassung von Art. 20a GG aus dem Jahr 2018 vorgesehen. Ein neu einzufügender Satz 2 sollte lauten: „Für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindliche Ziele und Verpflichtungen des Klimaschutzes binden alle staatliche Gewalt unmittelbar.“498 In der Entwurfsbegründung nehmen sie ausdrücklich Bezug auf Art. 25 GG: „Angesichts der Bedeutung der Klimakrise ist es angemessen, die völkerrechtlichen Bindungen beim Klimaschutz mit einer gleichrangigen Wirkung wie die ‚allgemeinen Grundsätze‘ des Völkerrechts zu versehen.“499 Damit solle vor allem die sonst mögliche einfache „Überschreibbarkeit“ (treaty override) von umgesetztem Völkervertragsrecht durchbrochen werden.500 Umweltvölkerrecht könnte darüber hinaus ein vor die Klammer gezogenes Bundesrecht werden und somit die lex-specialis-Regel anpassen.501 Im Wortlautvergleich von Art. 1 Abs. 2 und Art. 20a GG zeigt sich, dass dem Staatsziel Umweltschutz ein (im Tatsächlichen naheliegender) internationaler Bezug fehlt. Die Verfassungsnorm „Umweltschutz“ ist bisher nicht als der Treiber von Umweltschutzrecht eingeordnet worden, weniger also „Gestalter“ als „Begleiter“502 der deutschen Umweltpolitik. Das könnte sich ändern. Das Verfassungsgericht führte im Urteil zum Klimaschutzgesetz aus: Zunächst verpflichtet der Schutzauftrag des Art. 20a GG die Bundesregierung zur Beteiligung an der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz des Klimas.503 Dabei ver496 

„[I]ntertemporale Freiheitssicherung“ BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 183 (Klimaschutzgesetz). 497  Begründet diese besondere Stellung des Völkerrechts im Rahmen des Art. 1 Abs. 2 GG damit, dass der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz unmittelbar an der Verfassung anknüpft, Kees, Der Staat 2015, 63–95, 92; aus völkerrechtlicher Perspektive de Wet, ICLQ 2006, 51–76, 74. 498  BT-Drs. 19/4522, S. 3. 499  BT-Drs. 19/4522, S. 6. 500  Bei aller Kritik, der dieser Gesetzesentwurf im Plenum des Bundestags erhalten hat, warnte übrigens kaum ein Parlamentarier davor, dass es sich beim Völkervertragsrecht um exekutivisch gesetztes Recht handelt und diese Rechtsentwicklung am Parlament vorbeiläuft. Stenografischer Bericht vom 27. September 2018, Plenarprotokoll 19/52, S. 5445Cff. 501  So die für die ERMK entwickelte Konstruktion. MwN Knauff, Soft Law, 2010, S. 176. 502  Beide Begriffe bei Durner, Umweltverfassungsrecht, in: Herdegen u. a. (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 1615–1658, S. 1622. 503  Wobei natürlich auch der völkerrechtliche Vertrag zu dieser Umsetzung verpflichtet.

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leiht das Gericht dem Vertrauensschutz auf internationaler Ebene einen verfassungsrechtlichen und – noch bedeutender – grundrechtlichen Bezug. Der Staat dürfe aufgrund des Schutzauftrags des Art. 20a GG für andere Staaten keine Anreize setzen, internationale Klimaschutzbemühungen zu unterwandern.504 Danach setzt sich das Gericht mit der Konkretisierung des in Art. 20a GG enthaltenen Klimaschutzauftrages auseinander. Art. 20a GG wird vermittelt über das (parlamentarisch verabschiedete) Klimaschutzgesetz, mit den „Paris-Zielen“, also den Inhalten des völkerrechtlichen Vertrags aufgeladen.505 Diese Inhalte haben dadurch „verfassungsrechtliche Orientierungsfunktion“506. Manche Kommentatoren heben den Zwischenschritt des Klimaschutzgesetzes auf und sehen die Gewalten – ähnlich wie es der Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 2018 vorgesehen hatte – unmittelbar an den völkerrechtlichen Klimaschutz gebunden.507 Das unterstreicht die vorangegangene Feststellung, dass der einfache Gesetzgeber nicht mehr ohne Weiteres vom Völkervertragsrecht abrücken kann.508 Angesichts der Bedrohung für die Menschheit, die neben der Erderwärmung von anderen ebenfalls menschengemachten Umweltzerstörungen ausgeht (als Beispiele seien nur Stichworte wie die Verschmutzung durch Mikroplastik und Artensterben erwähnt), ist eine Übertragung dieser Argumentation auch auf andere Umweltprobleme nicht ausgeschlossen. Art. 20a GG gewinnt damit zunehmend Einfluss auf die Bindungswirkung und die Rangzuteilung von Umweltvölkerrecht im nationalen Recht.

BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 201 (Klimaschutzgesetz). BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 201 (Klimaschutzgesetz). Das erinnert an den völkerrechtlichen Grundsatz der Mitwirkungspflicht in internationalen Zusammenschlüssen (engl. duty to cooperate); vgl. IGH-Fall Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), Judgment of 31 March 2014, ICJ Reports 2014, S. 226–300, S. 257. 504  BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 203 (Klimaschutzgesetz). 505  BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 210 (Klimaschutzgesetz). 506  BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 213 (Klimaschutzgesetz). 507  Lepsius, Gleichheitsproblem wurde zum Freiheitsproblem umformuliert, in: NZZ Internationale Ausgabe, 07. Mai 2021, S. 2. 508 „Wollte der Gesetzgeber dem Klimaschutzrecht eine grundlegende Neuausrichtung geben, müsste diese als solche erkennbar und damit auch für die politische Öffentlichkeit diskutierbar sein.“ BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 210 (Klimaschutzgesetz). Die Ausführungen des Gerichts erinnern an dieser Stelle an das oben besprochene Urteil Unschuldsvermutung. BVerfGE 74, 358, 370 (Unschuldsvermutung). Diesen Gleichklang des Verhältnisses von Umweltrechtsschutz- und Menschenrechtsschutz zur Verfassung übernimmt auch Lepsius, Gleichheitsproblem wurde zum Freiheitsproblem umformuliert, in: NZZ Internationale Ausgabe, 07. Mai 2021, S. 2.



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3.  Sind die Auslegungsentscheidungen im Compliance-Verfahren verbindlich? Das Außenverfassungsrecht ist stark an den Rechtsquellen des Völkerrechts orientiert. Auslegungsentscheidungen völkerrechtlicher Staatenzusammenkünfte können unmittelbar keiner dieser Rechtsquellen zugeordnet werden. Wie bereits eingangs erwähnt greifen in der Hauptsache drei Argumente zugunsten einer innerstaatlichen Verbindlichkeit der Vertragsfortentwicklung im Rahmen von Nichteinhalteverfahren. Sie werden im folgenden Abschnitt weiter ausgeführt. 1. Die Konfliktvermeidungsfunktion der Völkerrechtsfreundlichkeit des deutschen Rechts zusammengelesen mit der im ersten Kapitel erarbeiteten Charakterisierung des Compliance-Systems als gerichtsähnlich führt dazu, dass die Auslegungen im Compliance-Prozess – unabhängig davon, ob Deutschland Partei des Verfahrens ist – binden; allein um weitere „Anklagen“ vor den Gremien zu vermeiden. 2. Die Rechtswirkung des Art. 20a GG und der Vertrauensschutz führen dazu, dass das zustimmende Verhalten der Bundesregierung auf internationaler Ebene (also unter anderem der fehlende Protest gegen die Annahme der Compliance-Entscheidung im Konsens im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz) Deutschland verpflichtet, die Vereinbarungen umzusetzen. 3. Die Verträge im Umweltvölkerrecht sind auf Weiterentwicklung ausgelegt. Diesem Entwicklungsprogramm stimmt die Bundesrepublik zu. Die Auslegungsentscheidungen im Nichteinhalteverfahren sind ein Baustein dieser vertraglichen Weiterentwicklung. Eine Beachtung der Vertragsfortentwicklung ist notwendig, damit das deutsche Recht das Völkerrecht nicht verfehlt.

a)  Sanktionsbewehrte Compliance-Verfahren und die Konfliktvermeidungsfunktion Die Konfliktvermeidungsfunktion der Völkerrechtsfreundlichkeit soll ein Auseinanderfallen der Rechtsordnungen verhindern. An diesem Punkt spielt die Einordnung der Nichteinhaltekomitees als gerichtsähnliche Rechtsdurchsetzungsmechanismen eine besondere Rolle:509 Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes fordert eine besondere Beachtung solcher Normen, die über institutionalisierte Druckmittel verfügen, um die Normbeachtung völkerrechtlich durchzusetzen.510 Je institutionell und prozessual verdichteter diese Kon509  Dazu gehören nach obiger Analyse nicht nur der formalisierte und aufwändige Verfahrensablauf, die Kontinuität des Gremiums und die Sanktionsmöglichkeiten, sondern auch die zumeist rechtliche Ausarbeitung in rechtlicher Sprache und die Detailgenauigkeit der Auslegung, zu allem Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, u. a. S. 208 ff. und 439 f. und die Analyse in Kapitel 1 sowie Kapitel 2 B. 510  Reiling, ZaöRV 2018, 311–338, 321; in Bezug auf die WTO v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 271.

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trolle ist, desto stärker bindet (selbst unverbindliches) Recht innerstaatlich.511 Nichteinhalteverfahren sind als solche Rechtsdurchsetzungsinstitutionen von den Vertragsstaaten institutionell aufgestellt worden.512 Das Völkerrecht steht „grundsätzlich indifferent zur innerstaatlichen Rechtsordnung“513. Wenn überhaupt, gilt eine „obligation of result“ im Sinne von Art. 21 ILC-Draft zur Staatenverantwortlichkeit.514 Auf welche Weise ein Staat völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommt, bleibt ihm überlassen. Innerstaatlich verpflichtet die Völkerrechtsfreundlichkeit jedoch – abweichend von diesem Grundsatz – zur Beachtung der Auslegung, die in Compliance-Verfahren entwickelt wurde.515 Je umfangreicher den Beschlüssen in Compliance-Verfahren Rechnung getragen wird, desto weniger „Anklagen“ vor dem Gremium sind in Zukunft zu erwarten. Durch die Spruchpraxis können Präzedenzfälle gebildet werden, die später wieder in Verfahren herangezogen werden können.516 Folglich ist der durch den Rahmenvertrag vorgegebene „Korridor“517 möglicher Lösungen durch die Entscheidung im ComplianceVerfahren deutlich verengt.518 Das erinnert entfernt an die verwaltungsrechtliche Figur der Ermessensreduzierung auf Null519 – die Fülle theoretisch möglicher Rechtsfolgen wird durch (rechtliche) Erwägungen, Ge- und Verbote dergestalt reduziert, dass nur noch eine Rechtsfolge als rechtsfehlerfrei gelten kann.

511  „[I]nstitutionelles ‚Upgrade‘“ bei Thym, ZAR 2019, 131–137, 132; Reiling, ZaöRV 2018, 311–338, 321; Brown Weiss, Conclusions, in: Shelton (Hrsg.), Committment and Compliance, 2003, S. 535–553, S. 538. 512 Das entspricht der Funktion des Compliance-Systems, das ein rechtsverbindliches Rechtsdurchsetzungssystem ersetzt. Klabbers, Commodification of International Law, in: Ruiz Fabri/Jouannet/Tomkiewicz (Hrsg.), Selected Proceedings, Vol. 1, 2008, S. 341–358, S. 350. 513  Zitat aus BVerfGE 111, 307, 322 (Görgülü); dazu Cremer, EuGRZ 2004, 683–700, 684. 514  Besprochen in Dupuy, EJIL 1999, 371–385. 515  Es ist dadurch mit technischen Standards, die unbestimmte Rechtsbegriffe näher bestimmen, vergleichbar. 516  Eine ständige Rechtsprechung zieht ihr Gewicht aus wiederholter Anwendung anstatt aus institutioneller Autorität. Gardiner, Treaty Interpretation, 2015, S. 286. 517  Begrifflich angelehnt an die Diskussion im Rahmen der EMRK bspw. von LübbeWolff, Plädoyer für eine Korridorlösung, in: Hochhuth (Hrsg.), FS Murswiek, 2010, S. 193– 209, insbesondere ab S. 199 ff. 518  Die europarechtliche Einbettung führt teilweise zu einer doppelten beziehungsweise dreifachen Überprüfungsmöglichkeit der nationalstaatlichen Umsetzung. Sangenstedt, Umweltrechtlicher Gerichtszugang, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79–117, S. 95. 519  Ähnliche Argumentation vom VG Berlin in Bezug auf die Wirkungen des Dayton Abkommens. Deutschland ist nicht Vertragspartei: VG Berlin, Beschluß vom 22.01.1996 – 35 A 1608/95. Der Beschluss und ähnliche Beschlüsse des VG Berlin wurden in der Folge vom OVG Berlin abgelehnt. Formulierung auch bei Cremer, EuGRZ 2004, 683–700, 691.



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b)  Deutschlands Mitwirkung in umweltvölkerrechtlichen Vertragssystemen Der Vertrauensschutz520 ist im Völkerrecht von überragender Bedeutung, weil es an einer übergeordneten Rechtsdurchsetzungsinstanz fehlt. Das gilt umso mehr für multilaterale law-making-treaties, die nur ihre Wirkung erzielen können, wenn ein grundlegendes Vertrauen der Vertragspartner in die Effektivität des Vertrags und die allseitige Bereitschaft, die Regeln einzuhalten, vorhanden ist.521 Der Vertrauensschutz ist in verschiedenen, sich ergänzenden Prinzipien verankert und in seinen unterschiedlichen Ausformungen über Art. 25 GG für die Bundesrepublik verbindlich. Unter anderem in drei Ausprägungen, die hier nur knapp umrissen werden, entfaltet der Grundsatz seine Wirkung: – Als Frustrationsverbot soll er in der kritischen (aber unter Umständen länger andauernden) Phase zwischen rechtsgültiger Unterzeichnung des Vertrags und innerstaatlicher Ratifizierung unterbinden, dass der Vertragszweck vereitelt wird. Der unterzeichnete, aber noch nicht ratifizierte Vertrag entfaltet dadurch eine gewisse Vorwirkung.522 – Als Estoppel-Grundsatz verbietet der Vertrauensgrundsatz – ähnlich dem venire contra factum proprium – widersprüchliches Verhalten.523 Der Grundsatz wird restriktiv angewandt und ist darauf gerichtet, Schäden zu verhindern, die dadurch entstehen, dass eine Partei auf eine Haltung einer anderen Partei vertraut. Eine reine „Kursanpassung“ soll damit nicht unterbunden werden.524 – Als pacta sunt servanda beschreibt der Vertrauensgrundsatz die Rechtswirkung des mit Rechtsbindungswillen vereinbarten Vertrags. Der Grundsatz beruht (auch) auf dem Reziprozitätsgedanken.525 Die Bundesrepublik erteilt 520 Grundlegend Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971; vgl. speziell zum Vertrauensschutz im Völkervertragsrecht, ebd., S. 104 ff. 521  Nur so lange würde er auch durch Non-Compliance-Mechanismen durchgesetzt, vgl. Polakiewicz, Treaty and Expert Bodies, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Treaty Making, 2005, S. 245–295, S. 288; BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 204 (Klimaschutzgesetz); Kapitel 1 A. V. 522  Frau, Der Gesetzgeber, 2015, S. 8. 523  Frau, Der Gesetzgeber, 2015, S. 70. Bei diesem Grundsatz geht es nicht um die Bindung aller Staaten an eine Entscheidung, sondern die Bindung nur eines Staats. Dieser Grundsatz entstammt dem common law und knüpft an einen einseitigen Akt eines Staats an. Vgl. auch Benedek, ZaöRV 2016, 345–362, 355 und Güssow, Maritimer Klimaschutz, 2012, S. 201 f. 524  Cottier/Müller, Estoppel, in: Wolfrum/Peters, A. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Stand: April 2007, Rn. 1–3, die in Rn. 2 und Rn. 3 eine Literaturübersicht geben. 525  Aust, Pacta sunt servanda, in: Wolfrum/Peters, A. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Stand: Februar 2007, Rn. 2. Kritisch Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1065.

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– den Ermächtigungsgrundlagen für die Einsetzung eines Überprüfungsverfahrens, – der Errichtung der komplexen institutionellen Strukturen und – der Errichtung der Compliance Committee die Zustimmung. Zugleich leistet die deutsche Delegation eine fortwährende Mitarbeit in allen Gremien und protestiert in der Vertragsstaatenkonferenz nicht gegen Auslegungsentscheidungen, seien sie gegen die Bundesrepublik gerichtet oder gegen einen anderen Staat. Deutschland unterstützt den Compliance-Mechanismus, indem die deutsche Delegation die Entscheidungen ohne Änderung billigt.526 Deutschland hat gegenüber dem teilintegrierten umweltvölkerrechtlichen Vertrag Loyalitätspflichten, die sich nicht zuletzt aus der Völkerrechtsfreundlichkeit ergeben. Die Völkerrechtsfreundlichkeit fordert immerhin eine zumindest aufgeschlossene Prüfung dieser Einbindung in den multilateralen Verbund und erteilt der Bundesrepublik den Auftrag zur aktiven527 Beteiligung an und in multilateralen umweltvölkerrechtlichen Verträgen. Gerade weil der Compliance-Prozess auf rechtlich unsicherer Grundlage steht und von dem „guten Willen“ der Beteiligten abhängt, führt eine Verweigerungshaltung dazu, dass der gesamte Nichteinhaltemechanismus in Frage gestellt wird. Die Völkerrechtsfreundlichkeit und die internationale Dimension der Verpflichtung aus Art. 20a GG überführt diese politischen Erwägungen in eine rechtliche Schlussfolgerung: Das politische Gewicht des Verhaltens der Bundesrepublik in internationalen Umweltangelegenheiten528 kann Auswirkungen auf die Wirkmacht von Normen und Entscheidungen innerhalb komplexer Vertragsregime haben und letztlich die Funktionsfähigkeit des Compliance-Mechanismus bedrohen. Das sind mit Blick auf die Völkerrechtsfreundlichkeit und den Schutzauftrag des Art. 20a GG für Deutschland beachtenswerte Umstände.529 Zum Klimaschutz führt das Verfassungsgericht aus: „Die Schaffung und der Erhalt von Vertrauen in die Erfüllungsbereitschaft der Vertragsstaaten gelten […] als Schlüssel zu Effektivität des internationalen Klimaschutzabkommens. […] Verfassungsrechtlich ist dies […] bedeutsam, als der durch Art. 20a GG gewiesene Weg zu global effektivem Klimaschutz derzeit vor allem über […] [das Pariser] Abkommen führt.“530 526  Dass ein Staat sich ein solches Verhalten anrechnen lassen muss, bei Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 119. 527  Nicht gemeint: affirmativen. 528  Im Rechtsgebiet des Umweltvölkerrechts hat sich Deutschland international politischmoralisch als Vorreiter positioniert. Vgl. dazu allgemein Polakiewicz, Treaty and Expert Bodies, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Treaty Making, 2005, S. 245–295, S. 289. 529  Nicht in Bezug auf die Völkerrechtsfreundlichkeit, sondern aus Art. 20a GG eine verfassungsrechtliche Pflicht zum internationalen Klimaschutz ableitend BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 203 (Klimaschutzgesetz). 530 Ableitend BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18,



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Durch die Zustimmung zu allen institutionellen und substantiellen Vertragserweiterungen, zur aktiven Mitarbeit in der Vertragsstaatenkonferenz und den ausgelagerten Gremien und letztlich der befürwortenden Abstimmung in der Vertragsstaatenkonferenz entsteht auf Seiten der Vertragspartner ein Vertrauen, dass die Bundesrepublik sich als an die vereinbarte Auslegung gebunden sieht.531

c)  Der Rahmenvertrag als Entwicklungsprogramm Die Völkerrechtsfreundlichkeit verlangt vom bundesdeutschen Recht, ein Auseinanderfallen des innerstaatlichen Rechts und des Völkerrechts zu vermeiden (Harmonisierungs- und Scharnierfunktion). Dieser Logik folgend muss ein völkerrechtlicher Vertrag in der aktuellen „Fassung“ innerstaatlich Anwendung finden. Doch was umfasst die aktuelle Geltung? Die Auslegung im Compliance-Verfahren entspricht einer authentischen Auslegung und ist daher verbindlich.532 Die Situation präsentiert sich für den nationalen Rechtsanwender jedoch nicht in der Klarheit: Es besteht einerseits die einhellige Meinung, dass sogenannte decisions von Vertragsstaatenkonferenzen grundsätzlich – also vom Compliance-Fall abgesehen – rechtsunverbindlicher Natur sind.533 Für einen Praktiker im Bereich des Umweltrechts Rn. 204 (Klimaschutzgesetz). Stichwort: „nationales Schneckenhaus“ Anhörung von Außenminister Steinmeier vor dem BVerfG in der Sache BVerfGE 123, 267 (Lissabon). 531 Ähnlich Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 151. Vgl. auch Fitzmaurice, NonCompliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453– 481, S. 462; Hafner: Die spätere Übung sei über den Estoppel-Grundsatz verbindlich, Hafner, Subsequent Agreements and Practice, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 105–122, S. 110. Mit Bezug auf das Prinzip der Vertragstreue Heß, Einfluss der Entscheidungen, in: Hebeler u. a. (Hrsg.), Planungsrecht im Umbruch, 2017, S. 177–198, S. 179; vgl. auch Bernhardt, Entscheidungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen, in: Hailbronner (Hrsg.), FS Doehring, 1989, S. 23–36, S. 26. 532  „[O]fficial interpretation and therefore binding upon the parties“ COM(2017) 366 final, S. 6. Das Dokument bezieht sich auf den Compliance-Fall ACCC/C/2008/32. 533  Aus der Praxis: 18. Ausschuss des Deutschen Bundestages, Drs.: 18/2121, S. 85 f.: „Ob Beschlüsse von Vertragsstaatenkonferenzen […] rechtsverbindlich sind, ist davon abhängig, ob der zugrundeliegende […] Vertrag […] die Befugnis erteilt hat.“; Fallbsp.: Die Vertragsstaatenkonferenz des Basler Übereinkommens verabschiedete das „Ban Amendment“ zunächst als eigene Entscheidung. In der Folge habe sie dieser Abmachung aber ein „upgrade“ zur formellen Vertragsanpassung verliehen. Die Bindungswirkung einer reinen Vertragskonferenzentscheidung schien also nicht ausreichend zu sein. Vgl. Fodella, Basel Convention, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Mechanisms, 2009, S. 33–48, S. 33–35, dort Fn. 8. Aus der Lit.: anstatt Vieler mwN Proelß, Rechtsgutachten, 2009, S. 6; in etwas anderem Zusammenhang. Frenzel, Sekundärrechtsakte, 2011, S. 13; Fuchs klassifiziert die Entscheidungen als „de facto lawmaking“, Fuchs, GLJ 2008, 1565–1596, 1976; a. A. stellvertretend ebenfalls für Viele der Deutsche Bundestag in Drs. 19/21733, S. 1: „Die von der Konferenz der Vertragsparteien […] [des internationalen Übereinkommens […] über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt, CDNI] gefassten Beschlüsse sind verbindlich.“

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scheint es andererseits unvorstellbar, beispielsweise die Aarhus Konvention ohne die dazu ergangene Spruchpraxis des Compliance Committee – in ihrer „Ursprungsfassung“ von 1998 – anzuwenden. Schließlich sind die umweltvölkerrechtlichen Vertragsregime schon alleine durch ihre naturwissenschaftliche Verankerung auf Weiterentwicklung ausgelegt.534 Die spätere Übung ist aber tatsächlich Teil des Vertrags und von nationaler Seite zu beachten: Die Auslegungsentscheidung im Compliance-Verfahren kann nur in Einheit mit dem Rahmenvertrag verstanden werden.535 Rahmenvertrag und Auslegungsentscheidung teilen sich die Rechtswirkung – das gilt insbesondere, wenn der Vertragsinhalt durch die spätere Übung verändert wird.536 Compliance Committee als zentrale Auslegungsstellen sollen mit ihren Entscheidungen die Lücken, die ungenaue Formulierungen hinterlassen, schließen, um dadurch die Vertragserfüllung zu erleichtern.537 Sie sind als spezielle, in materieller Hinsicht übergeordnete Interpretationsstellen für die Vertragsweiterentwicklung zuständig.538 Nur eine starke Rechtswirkung der Berücksichtigungspflicht entspricht der Bedeutung, die den Auslegungsentscheidungen im Compliance-Verfahren für die normative Weiterentwicklung des jeweiligen Rahmenvertrags zukommt (living-instrument-Gedanke).539 Genauso ist es in einer deutschen Verwaltungsvorschrift zu lesen: „In zunehmendem Maße sehen mehrseitige völkerrechtliche Verträge die Möglichkeit zur Änderung oder Ergänzung des Vertragswerks durch Beschlüsse der Vertragsstaaten oder bestimmter Vertragsorgane vor.“540 Der Vertrag ist nur noch die 534  Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 198; Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 14; s. o. Kapitel 1 A. V. 535  S. o. Kapitel 2 D. II. 4. 536  Rauschning in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Dezember 2009, Art. 59 Rn. 41–43. Ähnlich klingt dies bei Ress, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Fürst (Hrsg.), FS Zeidler, Bd. 2, 1987, S. 1775–1797, S. 1779; Sand, ZaöRV 1996, 774– 795, 780. 537  Es sei nochmals an die Aussagen des Überprüfungsausschuss der Alpenkonvention in seinen Leitlinien für die Auslegung von Art. 6 Abs. 3 Tourismusprotokoll, S. 3 erinnert: „In den Leitlinien zur Auslegung legt der Überprüfungsausschuss […] Erläuterungen vor, die es allen Akteuren […] ermöglichen, die Vorgaben des Tourismusprotokolls […] in der täglichen Arbeit rechtssicher umzusetzen.“ Die Funktion des „Lückenfüllers“ zeigt sich unter anderem in dem an die Komitees gerichteten Auftrag, nach den Ursachen für die Non-Compliance zu forschen. 538  So ähnlich auch Berkemann, DVBl 2015, 389–400, 399. Schmalenbach sieht darin die Gefahr, „dass das Kontrollorgan vom Hüter des Vertrags zum Herrscher des Vertrags mutiert“. Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 254 f. Stark abgeschwächt bei Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw, Experts, 2017, S. 95–122, S. 99. 539  Formulierung angelehnt an Cremer, EuGRZ 2004, 683–700, 684. 540  2.3 RiVeVo (Richtlinien für die Fassung von Vertragsgesetzen und vertragsbezogenen Verordnungen in der Fassung v. 2007). Die Rückwirkung eines solchen Umgangs mit Recht beschreibt Klabbers mit „‚to treaty or not to treaty‘ is now considered as a relevant ques-



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„Spitze des Eisbergs“541. Der Rechtsanwender steht mit der Eins-zu-eins-Umsetzung „auf der sicheren Seite“542, „daß das nationale Recht das Völkerrecht [nicht] verfehlt“543, und erfüllt damit den völkerrechtsfreundlichen Anspruch des Grundgesetzes. Vor diesem Hintergrund ist – wie schon für die völkerrechtliche – auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung der späteren Übung die Einigung der Vertragsstaaten das zentrale Tatbestandsmerkmal. Gerade die Übernahme der Entscheidungen der Nichteinhaltekomitees durch die Vertragsstaatenkonferenz unterscheidet das umweltvölkerrechtliche Compliance-Verfahren in punkto Rechtsverbindlichkeit von anderen (oft menschenrechtlichen) Interpretationsausschüssen.544 So schreibt das Bundesverfassungsgericht zum Ausschuss der Behindertenrechtskonvention: „Der BRK-Ausschuss verfügt jedoch nicht über ein Mandat zur verbindlichen Auslegung der BRK […]. Ein solches käme allenfalls in Betracht, wenn die Praxis der Vertragsstaaten der Auffassung des Ausschusses folgen würde.“545 Das endorsement durch die Vertragsparteien und der sich anschließende Nachhalteprozess unterstreichen die Umsetzungserwartung von institutioneller Seite.546 Die Auslegungsentscheidung wird daher nicht nur durch die Ermächtigungsgrundlage, sondern auch durch den Konsens der Gemeinschaft der Vertragsstaaten getragen.547

tion“ Klabbers, Commodification of International Law, in: Ruiz Fabri/Jouannet/Tomkiewicz (Hrsg.), Selected Proceedings, Vol. 1, 2008, S. 341–358, S. 341. 541  Sinngemäß bei Bodansky/Brunnée/Hey, International Environmental Law. Mapping the Field, in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 1–25, S. 21. 542  Knauff, Soft Law, 2010, S. 382; warnend Payandeh, RW 2013, 397–417, 398 f. 543  Bleckmann, DÖV 1996, 137–145, 142. Ministerialrat a. D. des Deutschen Bundestags Kretschmer spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Selbstbindung bis Selbstfesselung unter den Abgeordneten“ in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 58. 544 Vgl. Sangenstedt, Umweltrechtlicher Gerichtszugang, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79–117, S. 96: „Rechtsverbindlichkeit erlangt diese Feststellung […], wenn sie durch den Beschluss der Vertragsstaatenkonferenz bestätigt wird.“. Ähnlich auch Ehrmann, der das allerdings im Zusammenhang mit der Ermächtigungsgrundlage sieht, Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 151. Berkemann, DVBl 2015, 389–400, 399 setzt das „endorsement“ in Zusammenhang mit der Bedeutung einer zentralen Auslegungseinheit. Brown Weiss, Conclusions, in: Shelton (Hrsg.) Committement and Compliance, 2003, S. 535–553, S. 537. 545  BVerfG 2 BvC 62/14, Rn. 77 (Wahlrechtsausschlüsse von Vollbetreuten). 546  Sangenstedt, Umweltrechtlicher Gerichtszugang, in: Raetzke/Feldmann/Frank (Hrsg.), Werkstatt des Nuklearrechts, 2016, S. 79–117, S. 96; an dieses Merkmal knüpft auch Grundhewer, Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2020, S. 109 an: „Dies wertet die Entscheidungen […] des Compliance Committee auf“. 547 Vgl. Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 151.

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Kapitel 2: Treaties over time

d)  Zwischenergebnis und Grenzen der Bindung Zusammenfassend können für den Prozess des hardening of soft law in Bezug auf die im Compliance-Verfahren gebildete spätere Übung folgende entscheidende Punkte548 herausgestrichen werden: – das gerichtsähnliche institutionelle Setting, in dem die spätere Übung entsteht, – die Verbindung dieser späteren Übung mit dem rechtlich bindenden Instrument des Rahmenvertrags, – die Annahme in der Zusammenkunft aller Vertragsstaaten und – das vertrauensfördernde Verhalten Deutschlands innerhalb der Vertragsregime. Sie alleine führen aber nicht zu einer Verbindlichkeit der Auslegung für die Bundesrepublik. Erst die Kombination dieser Elemente mit der Wirkungsweise der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, der verfassungsrechtlichen Aufwertung des internationalen Umwelt- und Klimaschutzes durch Art. 20a GG und der Anwendung der Vollzugstheorie als dynamische Verweisung auf das Völkervertragsrecht führt zu einer Bindung.549 Die Bindung an die in ständiger Spruchpraxis gebildete Auslegung ist nicht grenzenlos. Eine Bindung ohne Ausnahme ist dem Recht fremd.550 – Ultra-vires-Grenze: Änderten die Vertragsstaaten den Vertragsinhalt durch die Auslegung im Compliance-Verfahren wesentlich ab, bestünde – in der Theorie – keine Bindung.551 Eine wesentliche Änderung ist aber im Nichteinhaltungsverfahren nicht zu erwarten. Die praktische Relevanz dieser Grenze ist angesichts der Aufgaben und des Inhalts des Nichteinhaltungsverfahrens gering. – Haltung als persistent objector: Eine Möglichkeit der Bundesrepublik, sich punktuell von der Bindung an einzelne Auslegungsentscheidungen zu lösen, 548 

Es kommt auf den Einzelfall an: So zeigt es sich in den unterschiedlichen Bewertungen des Deutschen Bundestags. Einmal wird der Grundsatz pacta sunt servanda herangezogen und die Entscheidungen als völkerrechtlich verbindlich bezeichnet, vgl. BT-Drs.: 18/9526, S. 32. In einer anderen Situation stellt der 18. Ausschuss des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 18/2121, S. 85 f. fest, dass eine verbindliche Entscheidung nur auf einer dazu ermächtigenden Rechtsgrundlage im Vertrag fußen kann. 549  Stichwort: „Rechtssetzung im Gleichschritt“ (in Bezug auf internationale Organisationen) Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 355. Ähnlich Schorkopf zum Sekundärrecht internationaler Organisationen, Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 205. Vergleichbare Fälle führen La Torre zu der Feststellung: „the law is what we believe it is the law and what we practice as the law.“ Hervorhebung im Original, La Torre, ARSP 2007, 82–100, 82 f. 550  Selbst „schrankenlos“ gewährleistete Grundrechte müssen in praktische Konkordanz mit anderen Grundrechten treten. BVerfGE 32, 98, 108 (Gesundbeter), im Zusammenhang mit Art. 24 Abs. 1 GG, vgl. BVerfGE 58, 1, 40 (Eurocontrol I). 551  BVerfGE 89, 155, 188 (Maastricht). So anstatt Vieler auch Sauer, ZaöRV 2002, 317– 346, 332.



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht? 207

ist es, die Haltung als „persistent objector“552 einzunehmen. Das meint eine „stetige und unzweideutige Ablehnung“553 hinsichtlich der einzelnen Auslegung im gesamten Compliance-Verfahren, die im letzten Schritt durch eine explanation of position im Anschluss an die Konsensentscheidung in der Vertragsstaatenkonferenz kenntlich gemacht werden könnte. Die Haltung als persistent objector kann notwendig sein, um einer bestimmten Auslegung auf völkerrechtlicher Ebene entgegenstehende Rechte, Rechtssysteme (beispielsweise ein ausbalanciertes „Teilsystem[…] des innerstaatlichen Rechts“554) oder gar Grundrechte auf nationaler Seite zu schützen. Insoweit besteht auch die Aufgabe der umsetzenden Einheiten, nach Gestaltungslücken zu suchen: Wenn zwar das Ob häufig entschieden ist, „behalten die Vertragsstaaten gleichwohl einen Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich des ‚Wie‘.“555 Als Beispiel kann der Widerspruch der Europäischen Union in der Rechtssache ACCC/C/2008/32 dienen. Die Europäische Union wollte auf der Vertragsstaatenkonferenz COP6 im Jahr 2017 erreichen, dass die Vertragsstaaten eine gegen sie gerichtete Entscheidung des Compliance Committee nicht annimmt, sondern nur davon „Notiz“ nimmt.556

IV.  Ergebnis des zweiten Kapitels: ein Ausblick auf die weitere Untersuchung Die parlamentarische Zustimmung, verkörpert durch den Rechtsanwendungsbefehl, hat angesichts der Globalisierung eine notwendige Flexibilisierung vollzogen. Die Tatbestände des Außenverfassungsrechts sind aber nicht nur Rechtsanwendungsbefehl, sondern auch der grundgesetzliche Legitimationshebel für das überstaatliche Recht. Bezüglich der demokratischen Rückanbindung an den Volkssouverän (beispielsweise hinsichtlich des in das nationale Recht hineinwirkenden weichen Völkerrechts oder der erheblichen Neuausrichtung völkerrechtlicher Übereinkommen) können auch die anderen Vorschriften des Außenverfassungsrechts kaum Antworten geben. Eine im traditionellen Sinne 552  Heintschel von Heinegg/Frau in: Epping/Hillgruber, Beck-OK GG, Art. 25 Rn. 19, zit: BVerfGE 46, 342, 389 (Philippinische Botschaft). 553  Talmon, JZ 2013, 12–21, 14. 554  BVerfGE 111, 307, 2. LS (Görgülü). 555  In einem anderen Zusammenhang gesetzt Vgl. BVerwGE 147, 312, Rn. 35 (Klagebefugnis einer Umweltvereinigung gegen Luftreinhalteplan). 556  Vgl. Statement der Europäischen Union auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus Konvention am 11.–13. September 2017 in Budva, Montenegro bezüglich der eigenen Compliance mit der Aarhus Konvention (Fall ACCC/2008/32). Es handelt sich dabei um einen Änderungsantrag für die Draft-Decision VI/8 f. mit dem Wortlaut: „Takes note of the finding of the Compliance Committee with regard to communication ACCC/2008/32 (part II)“. Dieses Vorhaben wurde scharf kritisiert, z. B. von Norwegen: Statement Norwegens auf der 6. Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus Konvention am 11.–13. September 2017 in Budva, Montenegro bezüglich der Compliance der EU mit der Aarhus Konvention (Fall ACCC/2008/32).

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Kapitel 2: Treaties over time

gedachte demokratische Kontrolle ist häufig nicht vorhanden.557 Eine Rechtssicherheit schaffende, mit dem Normverifikationsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 2 GG vergleichbare Regelung gibt es ebenfalls nicht. Gerade wenn das Völkerrecht nicht mehr mediatisiert „durch den Schutzmantel des Staates“ auf die „individuelle Rechtsstellung des Einzelnen“ einwirkt, werden zusätzliche Schutzmechanismen notwendig, um die Rechtssetzung zu kontrollieren und Machtmissbrauch zu verhindern.558 Alleine die Quantität, aber auch die zunehmend detailliertere Qualität der internationalen (Verhaltens-)Steuerung – besonders im Umweltvölkerrecht559 – lassen viele Fragen zur Legitimität globaler Regulierung offen.560 Diese Feststellung trifft auch auf Compliance-Verfahren zu. Dadurch, dass die Vertragsstaaten mit dem Nichteinhaltungsverfahren (bewusst) keinen förmlichen Weg wählen, handeln und entscheiden sie bildlich gesprochen im toten Winkel demokratischer Kontrollmechanismen und der Regularien, die für den „formellen“ Rechtssetzungsprozess entwickelt wurden.561 Sie bewegen sich in Bereichen, in denen die „klassischen“ – völkerrechtlichen oder nationalstaatlichen – (Kontroll-)Mechanismen nicht greifen. So erfasst weder der Rechtsanwendungsbefehl die spätere Übung in befriedigender Weise, noch können sonstige Rechtsfolgenbestimmungen des Grundgesetzes klare Leitlinien für die Integration der späteren Übung in das nationale Legitimationskonstrukt vorgeben. Die maßgeblich für die Übertragung von Hoheitsrechten entwickelten Schranken wie die ultra-vires-Grenze oder Grenzen, die zum Schutz der Verfassungsidentität aufgestellt wurden, greifen in technischen Bereichen selten. Diese Schwachstellen wirken sich besonders dann gravierend aus, wenn die Auslegung zu einer Vertragsänderung führt.562 Dieses Hineinwirken des Völkerrechts in den als impermeabel gedachten Staat verändert auch die Zuteilung 557 Zentral: Kaiser, IO 1971, 706–720, 706; vgl. auch Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 43; Stein, AJIL 2001, 489–534, 491 ff.; Sauer, ZaöRV 2002, 317–346, 336; Tietje, ZfRSoz 2003, 27–42, 36; Tomuschat, VVDStRL 1978, 7–64, 30–34. Am Bsp. des Washingtoner Artenschutzabkommens Fuchs: „Hence, a modification to the appendices of CITES automatically alters domestic criminal law without any control by the legislature.“ Fuchs, GLJ 2008, 1565– 1596, 1591. 558  Beide Zitate bei Calliess, Staatsrecht III, 2014, S. 82. 559  S.o die Bearbeitung einiger Entscheidungen wie in Kapitel 2 B. II. 2. b) aa) vorgestellt. 560  Die internationale Diskussion wurde ganz maßgeblich geprägt von Stein, AJIL 2001, 489–534 der die Spannung zwischen internationaler Zusammenarbeit und demokratischer Legitimation klar herausstellt (ebd., 490 f.) Zum Verfassungsrecht anstatt Vieler Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 205; Calliess, Staatsrecht III, 2014, S. 69. 561  Die Souveränität der Bundesrepublik wird durch die besprochenen Verfahren nicht beschnitten. Dies wäre nur der Fall, ginge man von einem „soziologischen Souveränitätsbegriff“ aus, „der Souveränität mit ungehemmter staatlicher Machtentfaltung gleichsetzt“. Hillgruber, JZ 2002, 1072–1080, 1073. 562  Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 722: „Interferences with national sovereignty are inherent in any international control mechanism.“ Peters, C., Praxis Internationaler Organisa-



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der Entscheidungskompetenzen unter anderem zwischen Legislative und Exekutive innerhalb des Nationalstaats.563 Den daran anknüpfenden Bedenken alleine mit einer formalen Sichtweise zu begegnen,564 verkennt die Realität.565 Der hohe Einfluss und die unreflektiert wirkende, unveränderte Übernahme auch des weichen Völkerrechts und das großzügige Umgehen der parlamentarischen Ratifikation sind politisch bekannt und gewollt: Das zeigen exemplarisch die bereits besprochenen Regeln wie „one in, one out“566 oder § 72 Abs. 1 GGO567. Mit Camus ließe sich – stark zugespitzt – folgender Schluss ziehen: „On nous prépare, en effet, une loi internationale. Mais cette loi est faite ou défaite par des gouvernements, c’est-à-dire par l’exécutif. Nous sommes donc en régime de dictature internationale.“568 tionen, 2016, S. 79 f.; Ress, Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge, in: Fürst (Hrsg.), FS Zeidler, Bd. 2, 1987, S. 1775–1797, S. 1779. 563  Diese Feststellung für das Verhältnis von Europarecht zu nationalem Recht trifft Durner, Umweltverfassungsrecht, in: Herdegen u. a. (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 1615–1658, S. 1624: „So werfen […] die mit der finalen Unionsgesetzgebung bewirkten Verschiebungen umweltpolitischer Gestaltungsmacht von den Parlamenten zur Exekutive […] genuin rechtsstaatliche Fragen auf.“; Kadelbach: „Die Gestaltungsmacht der nationalen Parlamente nimmt in dem Maße ab, in dem politische Entscheidungen auf internationaler Ebene getroffen werden.“ Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 41; Knauff: „Damit wird […] die in der Kompetenzordnung getroffene (verfassungs-)rechtliche Entscheidung über die Verteilung der Gestaltungsmacht […] missachtet.“ Knauff, Soft Law, 2010, S. 402; Lübbe-Wolff: „Die verfassungsrechtlich vorgesehenen Entscheidungskompetenzen und Legitimationsformen werden nicht durchbrochen, sondern nur unter Wahrung der äußeren Form gewissermaßen von innen ausgehöhlt […].“ Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 233; Sand: „environmental regimes [are] […] becoming ‚a threat to the democratic process‘“ Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 791; Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 547; Ulfstein: „It seems fair to say that MEAs […] have generally been successful in proving a non-bureaucratic and dynamic framework for environmental cooperation. To the extend that more effective international cooperation is developed, more attention should, however, be directed towards the legitimacy of decision making under MEAs, such as the roles of public participation the scientific basis for decision and state consent.“ Ulfstein, International Framework of Environmental Decision-Making, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 26–47, S. 43. 564  Die rein formale Sichtweise würde der hiesigen Fragestellungen folgende Punkte entgegenhalten: 1) Die Vertragsstaatenkonferenz billigt die Entscheidungen. 2) Die spätere Übung ist nur eine zu berücksichtigende Auslegung. 3) Der Rechtsanwendungsbefehl, der dem Rahmenvertrag erteilt wird, genügt als Legitimationsgrundlage. 4) Deutschland könnte aus dem Vertrag austreten, sollte er sich „ultra vires“ entwickeln. 565  Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 91; Stein, AJIL 2001, 489–534, 490 ff.; Möllers: „der Verweis auf die fehlende formelle Rechtswirkung [trifft] nicht den Kern des Problems“ Möllers, C., ZaöRV 2005, 352–389, 378. Die Legitimationsfragen ähnlich wie hier in zwei Aspekte aufteilend – Fragen der Gewaltenteilung und Fragen der demokratischen Legitimation – Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 43. 566  S. o. Kapitel 1 B. IV. 567  S. o. Kapitel 2 D. III. 2. 568  Camus, Ni victimes ni bourreaux, in: ders., À Combat, 2002, S. 56–657, S. 657 mit anschließendem Plädoyer für ein Weltparlament.

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Kapitel 2: Treaties over time

Aus völkerrechtlicher Sicht ist diese Vorgehensweise begrüßenswert: Genau aus diesem Grund, gerade weil die spätere Übung kein Zustimmungsverfahren auslöst, ist sie aus der Sicht des internationalen Rechts ein effektives Instrument zur Vertragsweiterentwicklung.569 Der moderne umweltvölkerrechtliche Vertrag ist unter anderem daher mit dem Compliance-Verfahren erfolgreich – in jedem Falle erfolgreicher als es Umweltschutzverträge vor der Einführung der Nichteinhaltekontrolle waren.570 Es wurde daher schon vertreten, „International Agreements could be much more effective at influencing state behavior if they were designed to produce more non-compliance, leading to more extensive use of non-compliance procedures.“571

Die Legislative sieht sich zunehmend der Erwartung ausgesetzt, die Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der einzelnen multilateralen umweltvölkerrechtlichen Vertragswerke politisch zu begleiten und dann korrigierend einzugreifen, wenn sich eine unerwartete (Eigen-)Dynamik entwickelt.572 Allerdings genügt alleine eine stärkere Mitwirkung des Parlaments in auswärtigen Angelegenheiten kaum, um dieses Ungleichgewicht aufzufangen.573 Die Aufgabe der weiteren Bearbeitung wird sein, das internationale Verfahren der Compliance-Kontrolle sowie das nationale Verfahren der Übernahme der im Compliance-Verfahren gebildeten Auslegung nach Stellschrauben zu durchsuchen. Mit deren Hilfe sollen freiheitssichernde Maßnahmen eingesetzt werden, um ungewollte Machtallokationen oder Machtmissbrauch verhindern, die Kontrolle von Machtausübung ermöglichen, die Beteiligung an Entscheidungen eröffnen und Verfahren aufstellen, um gute Entscheidungen zu treffen, um schlicht Good Governance574 zu gewährleisten.575 569  Stichwort: „loss of accountability“ von Rose, Non-Binding Instruments, in: Cullen/ Harrington/Renshaw, Experts, 2017, S. 205–229, S. 208; Bothe, NYIL 1980, 65–95, 92; Pan, HILJ 1997, 503–535, 510; kritisch dazu Ulfstein, International Framework of Environmental Decision-Making, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 26–47, S. 43: „On the other hand, concern has also been raised, particularly by the United States about the increasing powers of MEA organs.“. 570 Vgl. Koskenniemi, YIEL 1993, 123–162. Das nichtkonfrontative Compliance-System „umschifft“ damit nahezu alle von Pan geäußerten „Kritikpunkte“ einer Vertragsfortbildung durch authentische Interpretation durch (konfrontative) Gerichtsverfahren: u. a. 1. Besetzung der Richterbank ausschließlich mit Juristen würde den technischen Fragen nicht gerecht, 2. ein konfrontatives Verfahren sei auf ein Ergebnis „für eine Seite“ ausgerichtet und daher nicht in der Lage „das große Ganze“ in den Blick zu nehmen und 3. es sei eine rein reaktive Maßnahme. Vgl. Pan, 1997 HJIL, 503–535, 515–517. 571  Victor zit. von Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 793. 572  Ausdruck angelehnt an v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 273. 573  Bryde, Jura 1986, 363–369. 574  Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen u. a. (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 74. 575  Und „offene Staatlichkeit“ durch die Bürger wieder erfahrbar zu machen. U. a. bei Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, 1996, S. 37 f. und S. 233 ff. Für einen ähnlichen Zugang



D.  Welche Rechtsfolge hat die Berücksichtigungspflicht im nationalen Recht?

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Die vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen viele verschiedene Bereiche: den parlamentarischen Umgang mit Ermächtigungsgrundlagen in völkerrechtlichen Verträgen, den institutionellen Aufbau komplexer Vertragswerke, die (Re-)Politisierung vor allem technischer Materien – sei es auf der Ebene der Vertragsstaatenkonferenz, im Compliance-Verfahren oder durch eine bewusste Inkorporation der späteren Übung in nationales Recht576, das „Verfahrensrecht“ der Nichteinhaltungsverfahren und die Integrationsverantwortung des Bundestags (genauer die detailliertere Festlegung von Hol- und Bringschulden der einzelnen Gewalten), um nur einige zu benennen. Die speziell „rechtswissenschaftliche Bearbeitung“ des vielleicht zuvorderst (aber nicht einzig) wirklichkeitswissenschaftlichen Problems ermöglicht einen brauchbaren Erkenntnisgewinn – solange die Rechtswissenschaft bereit ist, die Errungenschaften der Theorie zum Verfassungsstaat, zur Rechtsstaatlichkeit und zur Demokratie in losen Vergleichen und Analogien immer mit Blick auf die Lösung konkreter Problemlagen pragmatisch zu übertragen.577

anstatt Vieler Dann/v. Engelhardt, Legal Approaches to Global Governance and Accountability, in: Pauwelyn/Wessel/Wouters (Hrsg.), Informal International Lawmaking, 2012, S. 106– 121, S. 120 f. Zu dem Begriff der Legitimität in diesem Zusammenhang anstatt Vieler Möllers, C., ZaöRV 2005, 352–389, u. a. 375; Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 43; Rose, Non-Binding Instruments, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 205–229, S. 208. Es geht eher um eine Art Annäherung an die Frage, was in diesem Sinne als legitim angesehen werden kann. Definitionsangebote von Stein, AJIL 2001, 489–534, 493 ff. und de Wet, ICLQ 2006, 51–76, 71. 576  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 25. 577  Bsp. einer pragmatischen Herangehensweise bei Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248.

Kapitel 3

Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene A. Einleitung Im Resümee lässt sich für die mit einer Compliance-Kontrolle ausgestatteten Umweltregime Folgendes feststellen: Umweltvölkerrechtliche Verträge sind heute sektoralisierte und maßgeblich von Experten geprägte dynamische Regelungsregime. Das – veranschaulichend gesprochen – Sekundärrecht dieser Regime trifft im Nationalstaat auf ein spezielles dualistisches System mit flexibilisiertem Rechtsanwendungsbefehl. Gleichzeitig fehlt im nationalen Bereich eine allgemeine Rahmensetzung für den Umgang mit informellem internationalem Vertragsrecht. Die Auslegung im Compliance-Verfahren kann die Vertragsstaaten belasten oder ihre „Erfüllungspflichten“1 vergrößern. Die also bis zur Vertragserweiterung reichende Vertragskonkretisierung im Compliance-Verfahren kann die dem Grundgesetz zugrunde liegende „Positivität des Rechts“2 untergraben: Obwohl für die Bundesrepublik das Völkerrecht nicht absolut bindet, ist Recht, das auf einer völkerrechtlichen Vereinbarung basiert, „dem politischen Zugriff weitgehend entzogen – zwar nicht normativ, aber in praktischer Hinsicht.“3 Das Umweltvölkerrecht entzieht sich dabei nicht nur durch diese Internationalisierung des Rechts, sondern gleicherweise durch eine Technisierung und Verrechtlichung politischer Entscheidungen dem politischen Prozess.4 Der politische Prozess ist jedoch mit Blick auf die (demokratische) Legitimation von Entscheidungen wesentlich, denn sie betreffen zugleich die Rechte und Pflichten des Einzelnen. Des Weiteren hat sich das Verhältnis von Völkerrecht zu nationalem Recht verändert. Völkerrecht beeinflusst zunehmend nationale Innenpolitik,5 was sich namentlich in der Umweltpolitik zeigt. Durch den Regulierungsanspruch von law-making-treaties ist das Völkerrecht noch viel stärker auf die nationale 1 

Binder, Grenzen der Vertragstreue, 2013, S. 87. v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 271. v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 271. 4  S. dazu Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, S. 41–65, S. 43 ff. 5  Slaughter/Burke-White, HILJ 2006, 327–352, 329; Knauff: „Tendenz zur Rechtsvereinheitlichung auf jeweils höheren Ebenen“, Knauff, Soft Law, 2010, S. 8; das Völkerrecht wird zur „grundlegenden Handlungsanleitung staatlichen Verhaltens“, Haltern, Was bedeutet Souveränität, 2007, S. 17. 2  3 

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Ebene angewiesen, um mit dem Regelungsanspruch Erfolg zu haben. Vor allem internationales Umweltrecht vollzieht sich heutzutage „im Wege der Arbeitsteilung“6. Die Vertragsregime basieren auf der Kooperation und dem Umsetzungswillen der Vertragsstaaten.7 Bestehen Akzeptanzprobleme in der völkerrechtlichen Zusammenarbeit, die beispielsweise auf der Wahrnehmung basieren, dass die Rechtssetzung nicht legitim verlaufe, können sie den Mitwirkungswillen schwächen.8 Damit ist das völkerrechtliche Umweltregime vor Herausforderungen gestellt, effizient wirken zu können.9

I.  Wege zur Stärkung des Compliance-Mechanismus Der Compliance-Mechanismus soll durch die nachfolgenden Vorschläge gestärkt werden. Die Verfahren sollen bei den Vertragsstaaten mehr Vertrauen schaffen und Fairness gewährleisten.10 Dadurch sollen die Akzeptanz und die Kooperationswilligkeit gerade der „devianten“ Staaten erhöht werden. Sonst drohen auch die umweltvölkerrechtlichen Verträge von der Krise des Multilateralismus11 erfasst zu werden.

1.  Annäherung an verbesserte Rahmenbedingungen Eine demokratische Legitimation öffentlicher Gewalt (im weitesten Sinne verstanden) erfolgt durch die Rückanbindung der deutschen Abgesandten in Ver6  Ausdruck in Bezug auf die Sekundärrechtssetzung internationaler Organisationen Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 33. 7  Eine multilaterale Konvention ist mehr als die Aneinanderreihung vieler bilateraler Verträge (Lachs, AFDI 1956, 334–342, 336, sondern gehorcht eigenen Regeln. Ein früher Versuch einer juristischen Klassifizierung nach Funktionsgesichtspunkten bei Lachs, AFDI 1956, 334–342, 338. Während in bilateralen Verträgen häufig ein konkreter Interessengegensatz aufgelöst wird, gründen die modernen multilateralen Vertragswerke auf einer Reziprozität, die ihren Rechtscharakter verändert. Dazu schreibt Lachs, AFDI 1956, 334–342, 339: „Les buts que poursuivent les parties aux accords ne sont pas contradictoires dans de tels cas mais se rapprochent plutôt.“. 8  Grob orientiert also an der Feststellung von Nobelpreisträgerin Ostrom, Verfassung der Allmende, 1999, dass die gemeinschaftliche Verwaltung und der Schutz öffentlicher Ressourcen unter anderem dann am ehesten gelingt, wenn die „Betroffenen“ mitbestimmen können. 9  „Today, however, the objectives of international law and the very stability of the international system itself depend critically on domestic choices previously left to the determination of national political processes.“ Slaughter/Burke-White, HILJ 2006, 327–352, 329. 10  Kadelbach formuliert dies in seinem Aufsatz mit vergleichbarem Themenzuschnitt: „denkbare[…] Kompensationen für parlamentarische Gestaltungsverluste auf internationaler Ebene“. Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, S. 41–65, S. 43. Zentral aufgearbeitet von Bodansky, AJIL 1999, 596–624. Er hebt den Unterschied zwischen „legal legitimacy“ und „justification of a regime’s […] governance“ hervor (ebd., u. a. 608 f.). 11  Mit Begründung Tallberg/Zürn, RIO 2019, 581–606, die u. a. Keohane und Buchanan zitieren: „‚[t]he perception of legitimacy matters, because, in a democatic era, multilateral institutions will only thrive if they are viewed as legitimate by democratic publics.‘“ (ebd., 581).



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tragsorganen an den demokratischen Souverän.12 Im vorherigen Kapitel ist aufgezeigt worden, wie viele Mechanismen moderner internationaler Regulierung diese „klassische“ Legitimation umgehen oder verhindern.13 Die Autoren der Compliance-Entscheidung sind nur durch ein sehr schwaches Band mit dem „originären Hoheitsträger Staat“14 und folglich mit dem Volkssouverän verknüpft. Die Verbindungsstücke bestehen aus – der Zustimmung der Legislative zur (wenn vorhanden) häufig weiten Ermächtigungsklausel im Rahmenvertrag, – dem Mittragen des Konsenses zur Entstehung des Komitees, – der konsensualen Begleitung der Berufung der einzelnen Mitglieder und – schlussendlich der Mitwirkung an Komiteeverfahren und der konsensualen Übernahme einzelner Auslegungsverfahren innerhalb der Vertragsstaatenkonferenz. Das Ziel lautet daher, nach Kompensationen zu suchen, um eine möglichst effektive Kontrollierbarkeit der Regime von innen und – zum Beispiel über die Figur der Integrationsverantwortung – eine Kontrollierbarkeit von außen zu ermöglichen. Die internationale Entscheidungsfindung hat sich danach an grundlegenden Regeln guter öffentlich-rechtlicher Führung zu orientieren, um weiterhin Zustimmung von Staaten und Bürgern zu erfahren.15 Aus einem solchen pragmatischen Zugang folgt, dass ein „perfekter Zustand“ nicht angestrebt werden soll oder gar erreicht werden kann.16 „No form of government is perfect, least of all at the global level.“17 12  13 

Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315–338, 332. Bodansky, AJIL 1999, 596–624, 610. 14  Knauff, Soft Law, 2010, S. 401. 15  „Für die Erkennbarkeit und Voraussehbarkeit der Ausübung von Hoheitsgewalt ist Soft Law von vergleichbarer Relevanz wie Recht.“ Knauff, Soft Law, 2010, S. 419. Die Frage „Why keep soft law accountable?“ beantworten u. a. Flückiger, Keeping Domestic Soft Law Accountable, in: Pauwelyn/Wessel/Wouters (Hrsg.), Informal International Lawmaking, 2012, S. 409– 436 und Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315–338, 326. „It seems fair to say that MEAs with their COPs, subsidiary bodies, and secretariats have generally been successful in proving a non-bureaucratic and dynamic framework for environmental cooperation. To the extend that more effective international cooperation is developed, more attention should, however, be directed towards the legitimacy of decision making under MEAs, such as the roles of public participation the scientific basis for decision and state consent.“ Ulfstein, International Framework of Environmental Decision-Making, in: Fitzmaurice/Ong/Merkouris (Hrsg.), International Environmental Law, 2010, S. 26–47, S. 43. 16  So schreibt z. B. Knauff: „Die Verhinderung der Entstehung von Soft Law, das der normativen Kompetenzordnung nicht entspricht, ist praktisch ausgeschlossen.“ Knauff, Soft Law, 2010, S. 402. 17  Slaughter verweist auf Churchills berühmten Ausspruch: „Indeed it has been said that democracy is the worst form of Government except for all those other forms that have been tried from time to time.“, Slaughter, GO 2004, 159–190, 162. Ähnlich pragmatisch äußerte sich Lachs in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts: „Les conventions et les organisations ne peuvent évidemment être plus parfaits que l’époque qui les forme.“ Lachs, AFDI 1956, 334–

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Im nachfolgenden Abschnitt sollen Verbesserungsvorschläge unterbreitet werden, die bestehende Unzulänglichkeiten zu einem gewissen Grad akzeptieren oder sich sogar die informellen, innovativen Strukturen zu Nutze machen:18 „[I]t is inappropriate to dismiss the possibility of legitimate post-national decisionmaking out of hand. Instead, one should acknowledge that the legitimacy deficit is an ongoing challenge intrinsic to any political decision-making process, regardless of whether it is of a domestic or post-national nature.“19

Die Umsetzung einer solch pragmatischen Vorgehensweise kann an folgendem Aspekt veranschaulicht werden: Experten spielen besonders in umweltvölkerrechtlichen Verträgen eine bedeutende Rolle, die häufig weit über die rein beratende, also ergänzende Funktion hinausgeht. Das liegt unter anderem darin begründet, dass es sich um eine hochkomplexe, teils sehr technische Rechtsmaterie handelt. Umweltschutzregulierung kann vor diesem Hintergrund nur in enger Zusammenarbeit mit der Wissenschaft gelingen: „[E]xperts are part of the very fabric of MEAs“.20 Wichtig ist es daher, ohne die Vorteile des jetzigen Systems aufzugeben, Mechanismen zur inneren und äußeren Kontrolle zu etablieren: – Die Gremienbesetzung könnte nicht nur mit Blick auf die geographische Heterogenität der Mitglieder, sondern auch mit Blick auf einen vielfältigen professionellen Hintergrund erfolgen. – Das Wahlverfahren könnte transparenter gestaltet werden. – Die Compliance-Verfahren können nachvollziehbar gegliedert werden. – Die Vertragsorgane könnten zur gegenseitigen (politischen) Kontrolle verpflichtet werden. 342, 341. Vgl. ebenso: Staal, After Agreement, 2018, S. 260. Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 457. Kritisch: De Wet meint, die größte argumentative Fehler der Kritik an international Governance, also der sogenannten „Expertokratie“, der problematischen Rolle von NGOs im Rechtsfindungsprozess und insgesamt dem Vorwurf der (demokratischen) Illegitimität von in internationalen Regimen entstandenem Völkerrecht „lies in their mythologizing of national democratic governance as a model for international governance.“ De Wet, ICQL 2006, 51–76, 72. 18  In der internationalen Literatur wird dieser Anspruch teilweise unter dem Stichwort „accountability“ gesammelt. Z. B. bei Rose, Non-Binding Instruments, in: Cullen/Harrington/ Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 205–229 oder bei Pauwelyn/Wessel/Wouters (Hrsg.), Informal International Lawmaking, Oxford 2012. Das heißt, es sind andere Bereiche in den Blick zu nehmen, wie bspw. die legitimierende Wirkung formalisierter Verfahren. Legitimation in diesem Zusammenhang also nicht als „Alles-oder-nichts-Prinzip“ bei Scharpf, Regieren in Europa, 1999, S. 33. 19  De Wet, ICLQ 2006, 51–76, 74. 20  Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 111. Das Gleiche gilt für das Welthandelsrecht: „Experts are not something that can be ‚added to‘ or ‚substracted from‘ the WTO […] their (inputs) are the fabric from which the organisation is cut.“ Lawrence, Structural Logic of Expert Participation in WTO, in: Ambrus u. a. (Hrsg.), The Role of ‚Experts‘, 2013, S. 173–193, S. 174.



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2.  Vielfalt nutzen: Orientierung an Best-practice-Beispielen Das vorangehende Beispiel zeigt, dass die Vorschläge zunächst einmal zum Compliance-System umweltvölkerrechtlicher Verträge passen müssen.21 Schließlich hat sich die Nichteinhaltungskontrolle nicht grundlos so entwickelt wie sie heute besteht.22 Dann darf die Integrationsfähigkeit der deutschen Außenpolitik auch nicht über Gebühr beeinträchtigt werden.23 Weder können daher von dem Compliance-Spruchkörper vollständige Transparenz noch von nationaler Seite Ratifikationsvorbehalte für jede spätere Übung gefordert werden.24 Vielmehr kommt es verstärkt auf weniger erprobte, alternative Wege an.25 Manche der nachfolgenden Reformvorschläge basieren auf Best-practiceVorschlägen und sind damit besonders (praxis-)erprobt.26 Sie entstammen nicht nur der praktischen Arbeit der vielfältigen Umweltregime und deren Compliance-Kontrollen, sondern auch aus anderen, vergleichbaren (Rechts-)Bereichen, wie zum Beispiel den Erkenntnissen aus dem Umgang mit technischen Normen und Standards im Recht.

21  Sind die Lösungsvorschläge nicht auf die Eigenheiten des Compliance-Systems abgestimmt, drohen sie dessen Wirkkraft zu mindern: „Some of the traditional mechanisms of administrative law risk destroying the very attributes of informal network regulation that make them attractive to the participants.“ bei Slaughter/Zaring, ARLSS 2006, 211–229, 212. 22  „The main procedural reasons for using informal instruments in preference to treaties are simplicity, speed, flexibility, and confidentiality. The first three overlap to a large degree under a general heading of ‚convenience‘, having various aspects.“ Aust, ICLQ 1986, 787– 812, 789. Die Luzern Deklaration charakterisierte das Compliance-Verfahren als einfaches, effektives und transparentes Verfahren einer nicht konfrontativen oder kontradiktorischen, sondern kooperativen, fairen und unterstützenden Natur. S. o. u. a. in Kapitel 1 A. III. 23  „Eine derart weitgehende Ausrichtung der rechtlichen Ausgestaltung einer zwischenstaatlichen Einrichtung an den innerstaatlichen Bestimmungen eines beteiligten Staates liefe letztlich der in Art. 24 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden ‚Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit‘ (Vogel) zuwider; sie wäre gegenüber den anderen beteiligten Staaten schwerlich durchzusetzen und würde die Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Einrichtungen im Sinne des Art. 24 GG nicht selten faktisch ‚vertragsunfähig‘ machen.“ BVerfGE 58, 1, 41 (Eurocontrol I). Vgl. Nettesheim in: Maunz u.a, GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 9. 24  Oder zu hohe Anforderungen an die Bestimmtheit des im Rahmenvertrag angelegten „Integrationsprogramms“ gestellt werden, vgl. Sauer in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Mai 2019, Art. 24 Rn. 197. 25  „If the non-legal norm is hailed because it circumvents the obstacles involved in the creation of a legal norm, one must not forget that a number of these obstacles, […], have a justification of their own. […] Reshaping national procedures with regard to the international representation of the state might […] be an alternative approach to that of adopting non-legal international regulations.“ Bothe, NYIL 1980, 65–95, 93. 26  Allerdings ist jeder Vorschlag daraufhin zu prüfen, ob er in dem konkreten Vertrag Anwendung finden sollte, vgl. Lachs, AFDI 1956, 334–342, 341.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

II. Maßstab Die im Nichteinhaltungsverfahren gebildeten späteren Übung ist weder ein klassisch nationalstaatliches noch klassisch völkerrechtliches Thema. Überdies ist die Vertragsweiterentwicklung durch die im Compliance-Verfahren gebildete spätere Übung weder ganz klar dem Recht zuzuordnen noch als rein politischer Sachverhalt zu bewerten. In dieser Gemengelage ist der Untersuchungsmaßstab nicht eindeutig – beispielsweise von der Verfassung – vorgegeben.27 Eine Übertragungsleistung ist erforderlich, um Vorgaben aus verschiedenen Bereichen, nicht nur den unterschiedlichen Bereichen des Verfassungsrechts, für den hiesigen Fall anwendbar zu machen.28 Um diesen eigenständigen Bewertungsmaßstab für das hiesige Thema zu entwickeln, sollen in der Folge – separat von der zu bearbeitenden Forschungsfrage – verschiedene rechtliche Konstruktionen, Sachverhalte und rechtswissenschaftliche Diskussionen vorgestellt werden. Die einzelnen Abschnitte entstammen ganz unterschiedlichen Bereichen und es scheint zunächst, als bestünde zwischen ihnen weder eine innere Verbindung noch ein Bezug zur hiesigen Fragestellung. Dabei „behandelt“ jeder der nachfolgenden Bereiche eine Facette, die mit einem problematischen Aspekt des Compliance-Verfahrens vergleichbar ist. Auf diese Weise entsteht – mosaikstückhaft – ein Gerüst rechtlicher Vorgaben, an dem sich die im Laufe dieses Kapitels entwickelten Reformvorschläge für das Compliance-Verfahren orientieren können. Zur besseren Übersichtlichkeit ist die nachfolgende „Ideensammlung“ in zwei generelle Kategorien eingeteilt: 1. Rechtsfragen mit demokratisch-rechtsstaatlichem Bezug und 2. Rechtsfragen mit individuell-freiheitlichem Bezug. Die Struktur der einzelnen Abschnitte ist wie folgt aufgeteilt: – Mit welchen Problemlagen ist das jeweilige Rechtsgebiet konfrontiert? – Inwiefern besteht eine Vergleichbarkeit des jeweiligen Bereichs zu den Herausforderungen, die sich dem Compliance-System stellen? – Welche Früchte sind von einer Übertragung der Problemlösungsansätze von dem Vergleichsrechtsgebiet auf das Nichteinhalteverfahren zu erwarten? – Mit welchen Lösungsvorschlägen wartet das jeweilige Rechtsgebiet auf? Wie oben beschrieben, lautet das Ziel, die Akzeptanz des Compliance-Verfahrens dadurch zu erhöhen, dass sie als legitim empfunden wird, sodass es dem tatsächlichen Einfluss entspricht, den Compliance-Entscheidungen auf das Vertragsrecht haben. Dafür bedeutet der Begriff der „Rechtsstaatlichkeit“ im wei27  Das nationale Recht kann für internationale Zusammenhänge keine Vorgaben treffen, höchstens inspirierend wirken, vgl. de Wet, ICLQ 2006, 51–76, 72. 28  Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315–338, 326.



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ten (also nicht alleine auf das deutsche Recht bezogenem) Sinne, dass willkürliches hoheitliches Handeln verhindert wird: Nicht „materielle Gerechtigkeit“29 ist das Ziel, sondern „Ordnung, Berechenbarkeit und Verständlichkeit hoheitlichen Handelns“30. Alle nachfolgenden Reformvorschläge verfolgen die Idee, einen Schutz vor Willkür zu leisten, einseitige Übermacht von Interessengruppen oder den Missbrauch von Macht zu verhindern.31 Im besten Falle entsteht dadurch ein Verfahren, in dem „gute“ Entscheidungen getroffen werden (können).32 Daneben werden Bereiche aufgezeigt, wo eine Rückbesinnung auf die klassischen Legitimationszusammenhänge möglich und sinnvoll ist.

1.  Demokratisch-rechtsstaatlicher Maßstab In diesem Abschnitt werden aus drei Rechtsgebieten – aus dem Verfassungsrecht, dem institutionalisierten Völkerrecht und Recht der Rechtssetzungsdelegation nach Art. 80 GG – Vorschläge gesammelt und auf eine generelle Übertragbarkeit auf das Compliance-System hin untersucht.

a) Verfassungsrecht Der Umfang des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatlichkeits- und Demokratiegebots im Außenverfassungsrecht wurde bereits im vorangegangenen Teil dargestellt und diskutiert.33 Vieles ist im Außenverfassungsrecht „anders“, als dies aus rein innerstaatlichen Zusammenhängen bekannt ist: Eine vollständige Rückführbarkeit aller Entscheidungen auf den Souverän, das Volk, ist nicht immer vorgeschrieben, eine Dominanz und in gewisser Hinsicht Selbstständigkeit der Exekutive erscheint aus funktionalen Gründen notwendig (Stichworte sind der „Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung“34 und die Organadäquanz) und eine, der internationalen Diplomatie geschuldete, gewisse Unbestimmtheit von Normen ist akzeptiert. Im Zuge der europäischen Integration hat sich (dessen ungeachtet) eine weitreichende Debatte um den parlamentarischen Einfluss auf die auswärtige Gewalt entzündet. Der europäische Zusammenschluss hatte in Geschwindigkeit, Umfang und Tiefe der politischen Integration eine ungekannte Dynamik erhalten.35 Es bestand unter diesem Eindruck die Sorge vor wesentlichen Kompetenzver29 

Knauff, Soft Law, 2010, S. 418. Knauff, Soft Law, 2010, S. 418; dort folgendes Bild: der Hobbes’sche Leviathan würde zum nützlichen Haustier. Ähnlich Stein, AJIL 2001, 489–534, 493, der als zentrales Definitionsmerkmal noch den „independent judiciary“ anfügt. 31  Kein „Spiel über die Bande“ beispielsweise, um innerstaatliche Mechanismen zu umgehen, s. Kapitel 1 B. IV. 32  Knauff, Soft Law, 2010, S. 418 ff. 33  S. u. a. Kapitel 2 D. II. 34  Entscheidend in BVerfGE 68, 1, 87 (Atomwaffenstationierung). 35  Ausgearbeitet u. a. von Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 115 ff. 30 

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

schiebungen.36 Eine Paarung der dynamischen supranationalen Einbindung mit einer Begleitung durch den deutschen Bundestag, die lediglich für einen Bestandteil des vereinbarten überstaatlichen Rechts eine „Alles-oder-nichts“-Ratifikation in einem Stadium vorsah, in der die politische Meinungsbildung sich bereits vollzogen hatte, war aus Sicht des demokratischen Prinzips nicht tragbar.37 Der Diskussion ist der Lösungsvorschlag zur Integrationsverantwortung im Sinne einer informierten Mitwirkung38 entsprungen, um das Einflusspendel in der auswärtigen Gewalt wieder stärker in Richtung des Parlaments schwingen zu lassen. Mittlerweile ist das Konzept der Integrationsverantwortung auf andere als die supranationalen Zusammenhänge übertragen worden – nicht zuletzt, weil sich die Problemstellungen auf Ebene des Völkervertragsrechts zu wiederholen scheinen.39 Mit Blick auf das Compliance-System im Speziellen und dynamische umweltvölkerrechtliche Vertragswerke im Allgemeinen kann das Verfassungsrecht unter Anwendung der Idee des Integrationsprogramms, die mit der Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane ergänzt wird, diese Entwicklungen erfassen. Natürlich soll damit nicht überspielt werden, dass die Vertragswerke gerade keine internationalen oder gar supranationalen Organisationen sind.40 Nichtsdestotrotz gibt es viele Gesichtspunkte, die sich mit einer rein „vertragsrechtlichen“ Herangehensweise kaum erfassen lassen, darunter vor allem die Eigendynamik der legislativen Integration, die von dem organschaftlichen Gefüge des Vertrags vorangetrieben wird. Zusätzlich verschleiert der komplexe institutionelle Aufbau die eindeutige Verantwortungszurechnung der gemeinschaftlichen Willensbildung zum einzelnen Staat. In diesem Punkt unterscheiden sich die umweltvölkerrechtlichen Vertragswerke ebenfalls vom klassischen Völkervertragsrecht. Die Lehren aus dem Umgang mit der europäischen 36 Schon Tomuschat, VVDStRL 1978, 7–64, 34; Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 41. Ähnlich in Bezug auf den Maastricht Vertrag: Kokott, DVBl 1996, 937–950, 957: „Insgesamt lässt sich feststellen, daß mit der demokratietheoretisch bestehenden Bedeutung der nationalen Parlamente eine praktisch vorhandene Einflußmöglichkeit nicht korrespondiert. Wirksame parlamentarische Kontrolle zwecks wirklicher demokratischer Legitimation des Tätigwerdens der EU kann mit herkömmlichen Mitteln des deutschen Verfassungsrechts nicht erreicht werden.“ Bei Meyring, Entwicklung zustimmungsbedürftiger völkerrechtlicher Verträge, 2001, S. 270 f.: „Einigkeit herrscht indes sowohl über die Dominanz der Regierung in der Außenpolitik als auch über den in den letzten Jahren wachsenden Einfluss des Parlaments, dem eine zunehmende Bedeutung außenpolitischer Entscheidungen für traditionell als innerstaatlich verstandene Phänomene gegenübersteht.“ 37  Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 94. 38  DIE LINKE spricht in ihrem Antrag insoweit von einem „variablen System informierter Mitwirkung“ BVerfG, 2 BvE 4/16 (CETA-Hauptsache), Rn. 31. 39  So der Ansatz dieser Arbeit. Vgl. schon von 2003 Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 41; ähnlich ebenfalls Frenzel, Sekundärrechtsakte, 2011, S. 273. 40  Sie sind als Autonomous Institutional Arrangements bezeichnet worden, s. u.



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Integration lauten, dass der Bundestag, aber auch der Bundesrat, sich in die Lage versetzen müssen, die Integrationsverantwortung effektiv auszuüben. Ihre Rechte sollten „mit dem Wandel des Tätigkeitsfeldes internationaler Organisationen Schritt halten“41. Aufgrund der ähnlich gelagerten Probleme, die im Zuge der suprantionalen Einbindung und der Einbindung in multilaterale Vertragswerke entstehen, können für das Nichteinhaltungssystem im Umweltvölkerrecht folgende Diskus­ sionspunkte fruchtbar gemacht werden:42 – Wie könnte der Rechtsanwendungsbefehl mit Blick auf das darin verankerte Integrationsprogramm aussagekräftiger formuliert werden? – Lebt die Zustimmungspflicht der Gesetzgebungsorgane an irgendeinem Punkt der Vertragsfortentwicklung wieder auf? – Wie können die Legislative und die Exekutive ihre Integrationsverantwortung in Bezug auf multilaterale umweltvölkerrechtliche Vertragssysteme besser ausdifferenzieren? Können Art. 23 GG und die dazu ergangenen Ausführungsgesetze an diesem Punkt inspirierend wirken? – Welche Varianten sind bei der Rezeption der späteren Übung von Vertragsregimes denkbar, die (noch) mit der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Einklang stehen? – Wie kann die (nationale) verfassungsrechtliche Relevanz der internen Organisationsstruktur einer internationalen Organisation dogmatisch erklärt werden?43 Das im Gründungsakt verfasste Integrationsprogramm sollte die Befugnisse einer supranationalen Organisation hinreichend bestimmt festlegen. Es soll insbesondere für den ratifizierenden Gesetzgeber absehbar sein, „auf welche Weise, in welchem Bereich und mit welchem Inhalt die Organe der Einrichtung handeln werden.“44 Das schließt auf der einen Seite eine „Blankettermächtigung“45 aus. Und auf der anderen Seite umfasst das Konzept die Einsicht, dass 41  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53 f. Zu den vielen verfassungsrechtlichen Fragen, die mit der Einführung des Art. 23 GG aufgeworfen wurden, die vor allem das organschaftliche Miteinander betreffen, zusammenfassend Kadelbach/Guntermann, AöR 2001, 563–587, 564 f. 42  Selbstredend sollen damit aber die mögliche Durchgriffswirkung einer supranationalen Organisation auf den Bürger und eine Sekundärgesetzgebung einer internationalen Organisation nicht miteinander verglichen werden. 43  Diese Anforderungen bleiben stets „binnengerichtet“ Heintschel von Heinegg/Frau,in: Epping/Hillgruber, Beck-OK, Art. 23 Rn. 10. 44  Sauer in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Mai 2019, Art. 24 Rn. 196. Das Konzept ist vom BVerfG entwickelt worden in BVerfGE 58, 1, 37 (Eurocontrol I) und BVerfGE 68, 1, 98 f. und in den darauffolgenden Urteilen wie u. a. BVerfGE 123, 267, 350 ff. (Lissabon); BVerfGE 126, 286, 306 ff. (Honeywell) und in BVerfG, 2 BvE 4/16 (CETA-Hauptsache) weiterentwickelt worden. 45  BVerfGE 123, 267, 351 (Lissabon). „Blankoermächtigung“ vgl. Sauer, ZaöRV 2002,

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

ein Zustimmungsgesetz „immer nur ein Programm umreißen [kann], in dessen Grenzen dann eine politische Entwicklung stattfindet, die nicht in jedem Punkt vorherbestimmt sein kann.“46 In der Rechtsprechung sind bisher die Grenzen und deren Kontrolle zentrales Objekt der juristischen Auseinandersetzung mit der Integrationsverantwortung gewesen.47 Die Diskussion verläuft unter den Stichworten erstens der Ultra-vires-Kontrolle (insbesondere Gefahr der Kompetenz-Kompetenz) und zweitens der Identitätskontrolle (betrifft Art. 23 Abs. 1 Satz 3 iVm Art. 79 Abs. 3 GG): 1. Die durch das Zustimmungsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG (oder auch Art. 24 Abs. 1 GG) erteilte Ermächtigung legt die Reichweite der übertragenen Kompetenzen verbindlich fest.48 In der Europäischen Union sind die Grenzen der übertragenen Kompetenzen zusätzlich durch den europarechtlichen Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung gesichert.49 Das Bundesverfassungsgericht kann das Vorliegen eines solchen ausbrechenden Rechtsakts50 prüfen. 2. Für das Unionsrecht besteht nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 iVm Art. 79 Abs. 3 GG zusätzlich noch die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht die Wahrung des Kernbereichs der Verfassungsidentität kontrolliert.51 Die Grenzen und die äußere Kontrolle der Einhaltung des Integrationsprogramms haben für dessen Existenzbegründung eine besondere Bedeutung.52 Eine Integrationsgrenze, die sich aus dem Demokratieprinzip unter anderem aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG und speziell aus dem Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG ableitet, umfasst – neben anderen Grenzen – das Gebot, dass gerade bei der Gestaltung der „Lebensumstände der Bürger, vor allem ihre[m] von den Grundrechten geschützten privaten Raum“53, hinreichend politischer Gestaltungsraum bei den Mitgliedstaaten verbleiben muss. Zugleich muss die interne Organisation der Europäischen Union bei wachsenden (insbesondere hoheitlichen) Zuständigkeiten immer stärker selbst demokratischen Ansprüchen genügen.54 317–346, 338; andererseits weist Sauer an anderer Stelle darauf hin, dass „keine zu hohen Anforderungen an die Bestimmtheit“ des Integrationsprogramms gestellt werden dürfen, Sauer in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar, Stand: Mai 2019, Art. 24 Rn. 197. 46  BVerfGE 123, 267, 351 (Lissabon). 47  Vgl. nur BVerfGE 123, 267, 352 (Lissabon). 48  Die Ermächtigung endet bei Kompetenzüberschreitung vgl. BVerfGE 89, 155, 188 und 210 (Maastricht). 49  „Das europarechtliche Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die europarechtliche Pflicht zur Identitätsachtung sind insoweit vertraglicher Ausdruck der staatsverfassungsrechtlichen Grundlegung der Unionsgewalt.“ BVerfGE 123, 267, 350 (Lissabon). 50  BVerfGE 89, 155, 188 (Maastricht). 51  U. a. in BVerfGE 113, 273, 296 (Europäischer Haftbefehl). 52  Z. B. BVerfGE 123, 267, 352 f. (Lissabon). 53  BVerfGE 123, 267, 358 (Lissabon). 54  BVerfGE 123, 267, 364 (Lissabon).



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Die Struktursicherungsklausel in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt eine „strukturelle Kompatibilität“55 und keine Gleichartigkeit zu nationalen Legitimitätsanforderungen.56 Die interne Organisation, das Verfahren zum Zustandekommen von Entscheidungen, knapp gesagt das „politische System“ der speziellen internationalen Kooperation rückt hier als „aliud“-Legitimation in den Vordergrund. Eben unter Ankerkennung, dass „keine internationale Kooperation keine echte Wahlmöglichkeit ist.“57 Aus dieser Perspektive heraus forderte das Verfassungsgericht den Gesetzgeber auf, „geeignete innerstaatliche Sicherungen zur effektiven Wahrnehmung dieser Verantwortung zu treffen.“58 Im Falle einer Weiterentwicklung von Vertragsrecht, ohne dass das formelle Ratifikationsverfahren in der Folge durchlaufen wird, obliegt allen Verfassungsorganen eine Integrationsverantwortung.59 Diese „Mitwirkung“60 der Verfassungsorgane beziehungsweise die „andere geeignete Weise“61, um in der auswärtigen Gewalt kontrollierend tätig zu werden, stellt einen Fokus der Auseinandersetzung mit der internationalen Einbindung der Bundesrepublik dar. Daran knüpft sich eine neue Definition der Hol- und Bringschulden der einzelnen Verfassungsorgane im Außenverfassungsrecht an. Auch ihre Stellung unter- und zueinander bei der Ausübung der auswärtigen Gewalt „zur gesamten Hand“62 spielt hier eine besondere Rolle. Die Integrationsverantwortung speziell der gesetzgebenden Körperschaften ist ihr wohl wichtigstes Einflussinstrument im Rahmen der auswärtigen Gewalt.63 Im CETA Hauptsacheverfahren definierte der Antragsgegner den Begriff der Integrationsverantwortung mit der Aussage, dies entspräche einem „ausdifferenzierte[n] System von Teilhabe-, Gestaltungs- und Kontrollkompetenzen“64. Die Integrationsverantwortung entfalte eine „Legitimationsfunktion“65. Daran zeigt sich, dass die Integrationsverantwortung früher einsetzt als die anderen 55  Röben, Außenverfassungsrecht, 2007, S. 321; zitiert im Urteil BVerfGE 123, 267, 365 (Lissabon). 56  Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 153; zitiert im Urteil BVerfGE 123, 267, 365 (Lissabon). 57  BVerfGE 123, 267, 356 f. (Lissabon). 58  BVerfGE 123, 267, 353 (Lissabon). 59  2. a) LS BVerfGE 123, 267 (Lissabon). Sobald „die Fortentwicklung des Systems das vertragliche Integrationsprogramm verlässt“, muss eine „erneute Parlamentsbeteiligung erfolgen“. Beide Zitate aus BVerfG 2 BvE 2/16, Rn. 35 (Anti-IS-Einsatz). 60  2. a) LS BVerfGE 123, 267 (Lissabon). 61  2. b) LS BVerfGE 123, 267 (Lissabon). 62  Friesenhahn, VVDStRL 1960, 9–73, 33. Zu den unterschiedlichen Positionen Biehler, Auswärtige Gewalt, 2005; vgl. auch Streinz in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 24 ff. 63  Ob es nicht nur relativ, sondern auch absolut gesehen ein effektives Instrument darstellt, ist hiermit nicht gesagt. Am Rande thematisiert von Mayer, Europafunktion, 2012, S. 289 ff., die herausstreicht, dass der Bundesrat letztlich besser aufgestellt ist, als der Bundestag. 64  BVerfG, 2 BvE 4/16 (CETA-Hauptsache), Rn. 30. 65  BVerfG, 2 BvE 4/16 (CETA-Hauptsache), Rn. 30.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

eher reaktiven Kontrollelemente.66 Bedeutend sind also vor allem (neben der allgemeinen Zustimmungspflicht nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) die Beteiligungsrechte nach Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG, die durch einfachgesetzliche Regelungen konkretisiert werden, und das mit ganz variablen Handlungsformen: Ende der 1950er Jahre waren es vor allem die deutschen Länder, die eine stärkere Beteiligung in europäischen Angelegenheiten forderten.67 Mit Art. 23 und Art. 45 GG und unter anderem dem Ausführungsgesetz zu Art. 23 Abs. 3 Satz 3 GG, dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG), ist nun ebenso der Bundestag umfangreich in die Willensbildung für die deutsche Vertretung in den europäischen Institutionen Europäischer Rat und Rat miteinbezogen.68 § 1 Abs. 1 EUZBBG normiert die grundsätzliche Mitwirkungs- und Unterrichtungspflicht, die in § 5 EUZBBG auf einen großen Katalog an Vorhaben auch bei politischen Erzeugnissen wie Weiß- und Grünbücher, Stellungnahmen und Empfehlungen ausgeweitet wurden, wie zum Beispiel § 5 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 8 EUZBBG zeigen.69 Der Katalog erkennt damit implizit an, dass soft law verhaltenssteuernd eingreifen kann.70 Bedeutend ist zum Beispiel das Recht auf Stellungnahme nach § 8 Abs. 2 EUZBBG. Danach „legt die Bundesregierung [die parlamentarische Stellungnahme] ihren Verhandlungen zugrunde.“ Das Recht auf Stellungnahme wird in erster Linie von dem Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union Art. 45 GG wahrgenommen. Die Mitarbeit an der europäischen Integration fällt zugleich der Europa-Kammer des Bundesrats gemäß Art. 52 Abs. 3a GG zu. Diese organisatorischen Veränderungen innerhalb des Bundestags und des Bundesrats waren ein bedeutender Bestandteil, um Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG zur effektiven Durchsetzung zu verhelfen. Das setzt vonseiten der Bundesregierung voraus, dass sie nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG „den Bundestag umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ unterrichtet71 und nach Art. 23 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 GG iVm § 8 EUZBBG 66  Art. 23 GG liegt eben nicht (nur) der Gedanke zugrunde wie vom Antragsgegner im CETA-Hauptsacheverfahren angeführt: Der deutsche Bundestag „müsse vielmehr gegebenenfalls auf Fehlentwicklungen reagieren. Dies gelte auch, soweit die demokratische Legitimation von Gremienbeschlüssen prekär erscheine.“ (BVerfG, 2 BvE 4/16 [CETA-Hauptsache], Rn. 43). Art. 23 soll früher ansetzen. 67  Historische Entwicklung beschrieben bei Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 93 f. Die Zusammenarbeit ist nun in dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) normiert. 68  Mayer, Europafunktion, 2012, S. 289 ff. 69  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 233. Im verfassungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren zu CETA stand die Frage im Vordergrund, ob sich die Integrationsverantwortung zu einer konkreten Handlungspflicht des Bundestags verdichten kann, vgl. BVerfG, 2 BvE 4/16 (CETAHauptsache), Rn. 34. 70  Knauff stellt dies anschaulich anhand der Leitlinien der EU-Kommission im Kontext des EU-Wettberwerbsrechts dar. Vgl. Knauff, Soft Law, 2010 S. 474. 71  Zu diesem Kriterium jüngst mit Bezug auf die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestags in einem Organstreitverfahren BVerfG, 2 BvE 4/15 (Dritte Griechenlandhilfen).



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dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme einräumt und diese Stellungnahme, die zumeist als Parlamentsbeschluss ergeht, bei der Formulierung der eigenen Position in internationalen Verhandlungen berücksichtigt.72 Die Intensität der Unterrichtung hat sich nach der Komplexität der Materie und danach zu richten, wie stark die Legislativkompetenz betroffen ist.73 Zusammenfassend ist die (verfassungsrechtliche) Rechtsentwicklung im Bereich der europäischen Integration in vielerlei Hinsicht innovativ: Sie beinhaltet eine – Anerkennung, dass die Ratifikation in multilateralen Zusammenhängen ohne echte Vorwirkung bzw. Beteiligung im Vorfeld legitimatorisch leerläuft. Eine Verweigerung der Ratifikation hat so hohe politische Kosten, dass diese Option (für die gesetzgebenden Körperschaften) nur in Extremfällen besteht. – Anerkennung, dass weiches Recht in gleicher Weise determinierende Wirkung für die spätere Rechtsentwicklung haben kann und daher Beteiligungs-, Informations- und Mitwirkungsrechte auf soft-law-Produkte ausgeweitet werden müssen. – Anerkennung, dass die politische Meinungsbildung auch in Bezug auf das Verhandlungsmandat für multilaterale Konferenzen für ein plurales Meinungsbild geöffnet werden kann.

b)  Institutionalisiertes Völkerrecht Das institutionalisierte Völkerrecht befasst sich mit internationalen Organisationen als Rechtssubjekten des Völkerrechts. Im Fokus steht die interne Struktur der Organisation: Wie die einzelnen Organe zueinander stehen und welche übergreifenden Rechtsprinzipien gelten (müssen).74 Unter einer internationalen Organisation ist eine auf längere Dauer berechnete Zusammenarbeit zwischen gleichberechtigten Staaten zu verstehen, die ein Gebilde schafft, das über mindestens ein eigenes Organ verfügt, das einen eigenen, auf die Erreichung des gemeinsamen Ziels gerichteten Willen hat, und berechtigt ist, die Staaten zu vertreten. Die Mitgliedstaaten ermöglichen diesem Gebilde, in seinem eigenen Namen Träger von Rechten und Pflichten zu sein.75 72 

Noch einmal nachvollzogen in BVerfG, 2 BvE 4/16 (CETA-Hauptsache), Rn. 76. U. a. BVerfG, 2 BvE 4/15, Rn. 72 (Dritte Griechenlandhilfen). 74  Zentral dazu unter Legitimationsgesichtspunkten und konzentriert auf den Bereich der Umweltregime: Bodansky, AJIL 1999, 596–624. 75 Die Organisation hat Rechtspersönlichkeit. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, 2000, S. 5 ff. Das Recht der internationalen Organisationen ist fluide: Für die Errichtung einer internationalen Organisation bedarf es nicht immer eines Vertrags (Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 51 f.) und die Rechtssetzungskompetenz ist nicht in jeder Satzung eindeutig festgelegt (ebd., S. 50). Aston spricht insoweit von „Andersartigkeit und Vielgestaltigkeit des völkerrechtlichen Systems der internationalen Organisationen“ (ebd., S. 50). 73 

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Die modernen umweltvölkerrechtlichen Vertragswerke sind keine internationalen Organisationen. Ihnen ist durch den Rahmenvertrag keine Rechtspersönlichkeit „verliehen“ worden.76 Wichtiger noch bilden die Vertragsstaatenkonferenzen keinen von den Vertragsstaaten unabhängigen Organisationswillen, den sie gegenüber den Vertragsstaaten vertreten.77 Gleichwohl fällt Folgendes auf: Ihre Außendarstellung78, ihr institutioneller Aufbau (namentlich die Permanenz der Konferenzen und die verstetigte institutionelle Unterstruktur)79 sowie die eigenständig wirkende Weiterentwicklung der vertraglichen Verpflichtungen – teilweise gegen den Willen einzelner Vertragsstaaten (Stichwort: Konsensverfahren) – lassen diese komplexen Vertragswerke wie internationale Organisationen erscheinen.80 Die Vertragswerke enthalten eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit und gemeinsamen Zielerreichung. Die Zusammenarbeit der Staaten wird durch ein Gremium überwacht, das den Vertrag durch Auslegung weiterentwickelt. Dass die meisten Verträge einen Mehrheitsbeschluss der Vertragsstaatenkonferenz vorsehen, erzeugt ebenfalls den Anschein, es handle sich um ein selbstständig arbeitendes, organisationsähnliches Konstrukt. Die komplexe institutionelle Struktur fügt sich in dieses Bild harmonisch ein. Sie ist mit ihren einflussreichen Verwaltungsapparaten81, dem Überwachungsmechanismus und der großen, politischen Versammlung im Aufbau von einer internationalen Organisation kaum zu un76  Bei internationalen Organisationen ist die Rechtspersönlichkeit häufig im Gründungsvertrag ausdrücklich geregelt, während umweltvölkerrechtliche Rahmenverträge der Vertragsstaatenkonferenz diese nicht zusprechen. Hinweise darauf bietet die gewählte Begrifflichkeit: Es wird von Conferences und Meetings gesprochen und nicht von Bodies und Institutions, bei Staal, After Agreement, 2018, S. 51. Ausnahmen: das CITES spricht von Bodies, in der Alpenkonvention ist von Organen die Rede. 77  Schermers und Blokker nutzen den Begriff volonté distincte, um zu unterstreichen, dass der eigene Wille der Organisation von dem Willen der Mitglieder zu unterscheiden sein muss. Es handele sich dabei um das zentrale Abgrenzungskriterium zum völkerrechtlichen Vertrag, s. Schermers/Blokker, International Institutional Law, 2011; S. 44 ff.; ein Rechtsakt muss alleine der Organisation zurechenbar sein: „[I]n detachment from its members“, IGH, Reparation of Injuries Suffered in Service of the United Nations (Advisory Opinion), 11. April 1949, ICJReports 1949, 174–220, 179; zur Zurechnungsmethode Frenzel, Sekundärrechtsakte, 2011, S. 16; Birnie, Boyle und Regdewell schließen für multilaterale Umweltregime: „[T]he regulatory body, whether a meeting of the parties or a commission, is in substance no more than a diplomatic conference. […] [T]hese institutions are in no sense independent of their member states.“ Vgl. Birnie/Boyle/Redgwell, International Law and the Environment, 2009, S. 87; ebenso Boyle, JEL 1991, 229–245, 235. 78  Weiteres Zeichen für den hybriden Charakter ist die (eher unbewusste) Verwendung von Akronymen wie MEA bzw. RFMO oder COP um diese Vertragswerke als Gattung zu beschreiben. Für internationale Organisationen wird z. B. IO verwandt. 79  Alles Kriterien, die für die Zurechnung einzelner Äußerungen zu entweder dem Vertrag oder den Vertragsstaaten relevant sind, Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 52 f. 80 Bsp. sei alleine die Wahrnehmung der Presse, Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 53 oder der wissenschaftlichen Literatur vgl. nur Classen, VVDStRL 2008, 365–472, 371, 377 und Fn. 36 und Fn. 60 und Sommer, ZaöRV 1996, 628–667, 631, 637. 81  Teils in Synergie mit dem UNEP, das sich unter anderem dadurch zu einer einheitlichen



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terscheiden.82 In der Rechtswissenschaft findet daher der von Churchill und Ulfstein begründete Begriff der Autonomous Institutional Arrangements83 Verwendung, um die eigentümliche Zwitterstellung des modernen multilateralen umweltvölkerrechtlichen Vertrags zu beschreiben. Funktional betrachtet kommen den komplexen multilateralen Vertragswerken also ähnliche Handlungskompetenzen wie internationalen Organisationen zu.84 internationalen Umweltorganisation verwandelt. Vgl. u. a. Gödel, Das Umweltprogramm der Vereinten, 2006, S. 95 ff. S. o. Kapitel 1 B. II. 82  „Vom Vertragsrecht zum Institutionenrecht“ bei Sand, AVR 2016, 561–589, 562. Speziell zu dem Einfluss der UN auf die Unterscheidbarkeit von Vertrag und Organisation vgl. Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 53 f.; Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481 hängt sich an Mehrheitsentscheidungen auf (S. 458). Sie erkennt „institutional character“, sobald die Vertragsstaatenkonferenz Vertragsinhalte festsetzt. Art. 2 Abs. 9 MP dient ihr als Bsp. Hier können aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen, um verschiedene Substanzen aus den Wirtschaftskreisläufen herauszunehmen. Die Vertragsstaatenkonferenz kann das Phasing-Out dieser Substanzen mit einer Mehrheitsentscheidung treffen. Dieser Beschluss bindet alle Parteien unabhängig von ihrer Zustimmung. Dennoch handele es sich „nur“ um hybride Organisationsformen, „alternative law-makers“ (ebd.). Die Entscheidungen seien ein „embryonic legislative mechanism“ (ebd., S. 460). In einem späteren Aufsatz wendet sie das institutionalisierte Völkerrecht unkommentiert auf ein komplexes Vertragswerk (Walfangübereinkommen) an, das keine internationale Organisation begründet: Fitzmaurice, Thorny Issues of Interpretation, in: dies./Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 55–138, S. 109. Sommer hingegen schließt aus dem Mehrheitsentscheid, es seien internationale Organisationen Sommer, ZaöRV 1996, 628–667, 631, 637; ebenso zu verstehen ist Classen, VVDStRL 2008, 365–472, 371, 377 und Fn. 36 und Fn. 60; eine partielle Anwendung des Rechts der internationalen Organisation vertreten von v. Bogdandy/Dann/Goldmann, Der Staat 2010, 23–50, 44 f.; Ruffert/Walter meinen, das Sekretariat der UNFCCC könne den Nukleus einer internationalen Organisation darstellen, Art. 8 UNFCCC bei Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2015, S. 258; undeutlich Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315–338, 321, der internationale Vertragswerke, die auf Rahmenverträgen basieren und über eine Vertragsstaatenkonferenz verfügen, unter „weltweit tätige[…] Organisationen“ fasst. 83  „[W]e […] conclude that these self-governing, treaty-based […] Autonomous Institutional Arrangements of MEAs may be considered to be IGOs“, Churchill/Ulfstein, AJIL 2000, 623–659, 629; rezipiert u. a. von Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 458 und Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 365. Ideengeschichtlich liegt eine Anknüpfung an die New Haven School nahe. Der unter der Leitung MacDougals entwickelte Ansatz versteht einen Vertrag als kontinuierliche und interdependente Kommunikation zwischen den Vertragsparteien, wodurch der Vertrag (d. h. die geteilten Erwartungen mit Bezug auf den zu leistenden Einsatz) beständig weiterentwickelt werde, u. a. MacDougal/ Lasswell/Miller, Interpretation of International Agreements, 1994. Kritik: Die Verbindlichkeit von Rechtsnormen basiere nach dieser Ansicht auf ihrer Befolgung. Ihnen werde die Normativität abgesprochen. Vgl. Voos, Die Schule von New Haven, u. a. S. 77. Umweltvölkerrechtliche Rahmenverträge, die mit der Intention der beständigen Weiterentwicklung beschlossen werden, erscheinen als Beispiele par excellence. 84  v. Bogdandy/Dann/Goldmann, Der Staat 2010, 23–50, 34 f. und 44 f.; Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 366. Zu diesen Institutionen mit „Elemente[n] zentralisierter Rechtssetzung, exekutiven Vollzugs oder gerichtlicher Kontrolle“ konstatiert v. Bogdandy: Es „bilden sich neue und bisweilen verblüffende, ja gar Besorgnis erregende Institutionen aus, in denen Recht und Politik zu neuen Formen […]

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Aus der Brille des institutionalisierten Völkerrechts besehen, kann damit besser erklärt werden,85 – welche Auswirkungen der institutionelle Aufbau auf den Compliance-Prozess hat, – was unter einem institutionellen Gleichgewicht zu verstehen ist, – wie ein Gleichgewicht zwischen den Organen im Rahmen komplexer Vertragswerke verwirklicht werden könnte, und – inwiefern die dynamische Weiterentwicklung des Vertragswerks an den Rahmenvertrag geknüpft ist oder sich durch teleologische Interpretation davon entfernen kann.86 In erster Linie können die Regelungen zur Kompetenzverteilung innerhalb internationaler Organisationen und zur Weiterentwicklung des (institutionalisierten) Vertragsrechts für die Bewertung des Compliance-Systems als Maßstäbe herangezogen werden.87 Das institutionalisierte Völkerrecht ist ein funktionalistisch geprägtes Rechtsgebiet. Die Kompetenzverteilung erfolgt daher unter anderem nach dem effet-utile-Gedanken, mit dem das effektive Wirken des Vertragsziels in den Vordergrund gestellt wird, und nach der implied-powers-Doktrin, mittels der (ergänzende) Befugnisse aus der notwendigen Aufgabenwahrnehmung abgeleitet werden.88 Dies sind jedoch Ausnahmen, denn in der Regel gilt der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung.89 Die detaillierte Aufgaben- und Komfinden.“ v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 265. Ähnlich Masing: „[V]ölkerrechtliche[…] Verträge [können] […] eine große Eigendynamik entfalten, die im Einzelfall schwer einzufangen ist und deren demokratische Rückanbindung brüchig sein kann.“ Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 82. Daher sind Staaten normalerweise nur zur Eingehung offener Zielbestimmungen bereit. Das Compliance-System schafft über die Hintertür, das (Umwelt-)völkerrechtliche Funktionssystem zu verändern. 85  Beyerlin und Marauhn sind der Auffassung, dass die institutionelle Einrichtung der Verträge die Anwendung des Rechts der internationalen Organisation notwendig mache, Beyerlin/ Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 324. Diese Ansicht wird auch der Kritik an der neoliberalen Institutionalismustheorie und der neorealistischen Theorie der Internationalen Beziehungen gerecht, die einen mangelnden Fokus auf internationale Regime als fähige und selbstständige politische Akteure beklagt. Es stünden (immer noch) die souveränen Staaten, die sich zur Zielerreichung internationaler Regime bedienen, im Zentrum der Betrachtung. U. a. bei Barnett/Finnemore, IO 1999, 699–732, 706; kritisch bezüglich der Anwendbarkeit des Rechts der internationalen Organisationen Staal, After Agreement, 2018, S. 53. 86  Beschrieben vom BVerfG: „[I]nternationale […] Organisationen eröffnen die Möglichkeit, dass sich die geschaffenen Einrichtungen, auch und gerade wenn deren Organe auftragsgemäß handeln, selbstständig entwickeln und dabei eine Tendenz zu ihrer politischen Selbstverstärkung aufweisen.“ BVerfGE 123, 267, 351 (Lissabon). 87  Mit institutioneller Balance beschrieben. 88  Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2015, S. 77 f.; v. Bogdandy/Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 112. Auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive in BVerfGE 123, 267, 351 f. (Lissabon). 89  Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2015, S. 78 f.



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petenzverteilung wird nach dem Effektivitätsgrundsatz von der Organisation selbst vorgenommen. Dabei handelt es sich nicht um eine Nebensächlichkeit: Insbesondere wenn die „Organisation ein eigenes Organ zur verbindlichen Interpretation der Vorschriften des Gründungsvertrages [einsetzt], […] ist eine gewisse Dynamik der Entwicklung vorprogrammiert. […] Mit Zuweisung der Interpretationskompetenz an ein bestimmtes Organ […] wird eine wichtige Weiche für die Entwicklung der Organisation gestellt.“90

Die von der Organisation zur Aufgabenerfüllung eingesetzten Unterorgane können also einen eigenen Willen haben und deshalb in einer gewissen Selbstständigkeit aufgehen – das allerdings unter der Voraussetzung einer formalen Ermächtigung zur verbindlichen Rechtssetzung. Bei der Weiterentwicklung des Vertragswerks greift der effet-utile-Gedanke, der in der teleologischen Interpretation seinen Ausdruck findet. Akteur dieser Entwicklung ist häufig das innervertragliche Kontrollorgan, das sich der Fortentwicklung des Vertrags verschrieben hat und nicht dem einzelnen Vertragsstaat dient.91 Dadurch besteht die Gefahr eines spill-over- bzw. eines ultra-viresHandelns der Organisation, also die Gefahr, dass die Organisation – getragen von einer Eigendynamik – andere Aktionsfelder ergreift. Eine internationale Organisation verfügt nicht über ein gewaltenteiliges System im klassisch konstitutionellen Sinne.92 Das Recht der internationalen Organisationen spricht an diesem Punkt von einer „institutional balance“93. Im Grunde verweist die rechtliche Seite wieder darauf, dass die Organisation ihren Kompetenzrahmen nicht überschreiten darf. Daraus folgt, dass mit dem institutionellen Gleichgewicht weniger gemeint ist, dass die Einflussmöglichkeiten der einzelnen Organe zu- und untereinander vollständig ausgeglichen sein sollen. Eher formal gesprochen zielt der Grundsatz darauf ab, dass der Gründungsvertrag eine Macht- und Aufgabenverteilung zwischen den Organen vorsieht und diese nicht von den Organen selbst aufgehoben werden darf.94 Jedes einzelne Organ ist verpflichtet, sich in seinem Kompetenzrahmen zu bewegen, um das im Gründungsvertrag festgelegte gemeinsame Ziel zu erreichen.95 Werden Ent90  91 

Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2015, S. 53 f. Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2015, S. 77 f.; Pan, 1997 HILJ, 503– 535, 516 f. 92  Es fehlt vor allem der individualrechtliche Bezug; v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 278 f. Umfangreiche Untersuchung auch anhand von Fallbsp. Möllers, Gewaltengliederung, 2005, v. a. S. 288 ff. 93  Jacqué verweist darauf, dass die Idee des institutionellen Gleichgewichts zwei Facetten aufweist: eine justitiable rechtliche Seite, die auch „verfassungsrechtlich“ mithin statisch festgehalten ist, und eine politische Seite, die auf die Beziehung der einzelnen Organe zueinander fokussiert und damit einen dynamischen Charakter hat. Jacqué, CMLR 2004, 383–391. 94  Diskutiert in Bezug auf das Komitologieverfahren z. B. in EuGH, Urt. v. 17. Dezember 1970, C 25/70, EU:C:1970:115 (Köster). 95 Dass einzelne Organe ihren Kompetenzrahmen zulasten anderer ausweiten wollen

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scheidungs- und Einflussmöglichkeiten delegiert, müssen die „wesentlichen“ Elemente vom dafür ermächtigten Organ festgelegt werden.96 Die Wesentlichkeit bezieht sich hier weniger auf die Grundrechtsrelevanz als vielmehr darauf, wie bedeutend das Entscheidungselement für die Zielerreichung in dem konkreten Fall ist.97 In einer weiteren, aber damit zusammenhängenden politischen Dimension wird durch den Grundgedanken des institutionellen Gleichgewichts das dynamische Beziehungsgeflecht zwischen den einzelnen Organen beleuchtet.

c)  Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Art. 80 Abs. 1 GG regelt die Verordnungsermächtigung im nationalen Bereich, also die Frage, wie, wann und in welchem Umfang Gesetzgebungsbefugnisse vom Parlament an die zuvor dafür nicht ermächtigte Exekutive delegiert werden können. Das ist nach dem Gedanken der Organadäquanz98 notwendig, damit das Parlament beispielsweise nicht mit Detailfragen überlastet wird, sondern vornehmlich Wesentliches regelt. Für die Regulierung im Detail sollen die Expertise und die Ressourcen der Exekutive genutzt werden. Für den hiesigen Fall der Vertragsfortentwicklung durch Compliance-Verfahren ist von dem im Rahmen von Art. 80 Abs. 1 GG entwickelten Bestimmtheitsgebot eine mögliche Antwort auf die Frage zu erwarten, ob das im Rahmenvertrag verankerte Integrationsprogramm hinreichend bestimmt ist, also ob die Vertragsentwicklung von den vertragsschließenden Parteien vorhersehbar ist und welche Kriterien für eine solche Untersuchung gelten. Das Bestimmtheitsgebot ist zwar in Bezug auf die hier besprochenen Bestimmungen nicht wörtlich im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu verstehen: „Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden.“ In Grundzügen bleibt das Telos aber vergleichbar – es geht in beiden Fällen um eine „parlamentsgesetzliche ‚Anseilung‘“99, wenn Verhalten arbeitsteilig reguliert wird. Schließlich sind Art. 80 Abs. 1 und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Ausprägungen des Gesetzesvorbehalts, der als Ausfluss des Wesentlichkeitsgedankens zu verstehen ist.100 Damit soll auf der einen Seite die können, veranschaulicht Jacqué anhand der Strategie des Europäischen Parlaments, Jacqué, CMLR 2004, 383–391, 384. 96  EuGH, Urt. v. 17. Dezember 1970, C 25/70, EU:C:1970:115 (Köster). 97 EuGH, Urt. v. 27. Oktober 1992, C-240/90, EU:C:1992:408 (Deutschland/Kommission), Rn. 37 und 41. Wolfram, „Underground Law“?, 2009, S. 11 f. 98  BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 260 (Klimaschutzgesetz). Ebenso bei BVerfG, 2 BvE 4/16 (CETA-Hauptsache), Rn. 75; Fastenrath verweist dazu auf Alexis de Tocqueville „Koordinationsfähigkeit, Beharrlichkeit, Geduld und Geheimhaltung seien die Voraussetzung einer erfolgreichen Außenpolitik.“ Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 1. 99  Mann in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 24. 100  Diskussion in Remmert in: Maunz u. a., GG, Stand: Dezember 2013, Art. 80 Rn. 69 ff.



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Transparenz und Öffentlichkeit eines parlamentarischen Verfahrens für alle wesentlichen Fragen und auf der anderen die Beteiligung der (parlamentarischen) Opposition ermöglicht werden.101 „Der Grad der […] zu fordernden Bestimmtheit einer Regelung hängt […] von der Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen ab“102: je schwerwiegender die Auswirkungen, desto höher sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist so zu verstehen, dass in Quantität und Qualität ein „Delegationsfilter“103 für die Verordnungsermächtigung durch die Legislative eingeschoben wird. Sachfragen, Umfang und Zielsetzung104 einer Übertragung auf den Verordnungsgeber müssen im Vorhinein und vom Parlament vorgenommen werden. Der Bürger muss „hinreichend deutlich vorhersehen“105 können, wann und mit welchem Inhalt er der Regelung einer Verordnung unterworfen werden kann. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG differenziert den Bestimmtheitsgrundsatz also in zwei Kategorien aus: Neben dem „demokratisch-gewaltenteilenden Hintergrund“106 weist er einen „rechtsstaatlich-individualen Bezug“107 auf. Im Rahmen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bleibt – aufgrund dieser beiden Dimensionen – unklar, aus wessen Perspektive die Vorhersehbarkeit zu bestimmen ist.108 Im Falle der internationalen Kooperation ist die Vorhersehbarkeit für den Zustimmungsgesetzgeber gemeint. Der Deutsche Bundestag muss erkennen können, mit welchem Inhalt und mit welchen Mitteln die internationale Kooperation eingegangen wird. Der „rechtsstaatlich-individuale“ Bezug tritt wegen der – nahezu immer – dazwischengeschalteten, umsetzenden nationalen Ebene in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die Zustimmung der Gesetzgebungsorgane zu einem völkerrechtlichen Vertrag und seinem Integrationsprogramm. Die Übertragung des Telos von Art. 80 Abs. 1 GG sagt aus: Dieser „Delegationsfilter“ liegt in der Hand der Legislative.

d) Zwischenfazit In diesem Anforderungskatalog kommen sehr unterschiedliche Perspektiven zusammen: Das Verfassungsrecht fokussiert sich auf die interne organschaft101  BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 260 (Klimaschutzgesetz). 102  BVerfG, Beschluss d. Ersten Senats v. 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 260 (Klimaschutzgesetz). Auch der nachfolgende Halbsatz ist von den Formulierungen des Gerichts inspiriert. 103  Mann in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 23 ff. 104  Remmert in: Maunz u. a., GG, Stand: Dezember 2013, Art. 80 Rn. 63. 105  Remmert in: Maunz u. a., GG, Stand: Dezember 2013, Art. 80 Rn. 67. 106  Mann in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 27. 107  Mann in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 27. 108  Diskussion zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bei Remmert in: Maunz u. a., GG, Stand: Dezember 2013, Art. 80 Rn. 68.

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liche Kompetenzverteilung und gibt erst im zweiten Schritt auch Strukturvorgaben für die internationale Kooperation vor. Das institutionalisierte Völkerrecht stellt hingegen die interne Arbeitsweise internationaler Organisationen in das Zentrum und versucht, Vertragsarbeit von innen heraus kontrollierbar zu machen. Im Rahmen des Art. 80 Abs. 1 GG rückt die gemeinsame Grundfrage in den Mittelpunkt: Welche Anforderungen sind an die Delegation zu stellen? Im Verfassungsrecht lautet die Schlussfolgerung, dass eine informierte Mitwirkung, die Information und Mitbestimmung beinhaltet, kompensatorisch wirken kann. Das institutionalisierte Völkerrecht fordert ein internes Einflussgleichgewicht und unterstreicht die Grenzen der Integration durch die Idee der Einzelermächtigung und den Subsidiaritätsgedanken. An einem Punkt – dem des Integrationsprogramms – scheinen sich alle drei Betrachtungsweisen zu überschneiden. Das wird insbesondere durch die im weitesten Sinne vergleichbare Ermächtigungsnorm Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hervorgehoben. Schließlich soll das Integrationsprogramm den Handlungsrahmen der Vertragsorgane so abstecken, dass die Handlungsrichtung und der -umfang für die ratifizierenden Organe des Nationalstaats erkennbar sind. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gibt an die Hand, wie ein Integrationsprogramm zu verstehen sein könnte: es muss bestimmt und vorhersehbar sein; Wesentliches muss von der Legislative geregelt werden. Sie setzt den Rahmen für die delegierte Rechtssetzung.

2.  Individuell-freiheitlicher Maßstab: Verfahrensanforderungen Das institutionalisierte Völkerrecht sowie das Verfassungsrecht treffen Aussagen zu horizontalen Strukturen zwischen gleichberechtigten Staaten. Da globale Governance gerade im internationalen Umweltrecht, das häufig zur Regulierung des Verhaltens Privater gesetzt wird, letztlich die individuelle Freiheit betreffen kann109, treten Anforderungen an die im weitesten Sinne verstandene Rechtsstaatlichkeit der Verfahren in den Fokus.110 Im nationalen Bereich sind die Fragestellungen mit denen vergleichbar, die an soft-law-Normen im (natio109 

S. o. Kapitel 1 A. V. Letztlich ist die Forderung nach der Achtung des rule of law Prinzips auch auf internationaler Ebene die logische Folge aus zwei Entwicklungen, die mit der Veränderung des Völkerrechts seit circa der Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts zusammen hängt: Das Völkerrecht ist das Recht der Staaten, die nun nicht mehr nur monarchische Strukturen, sondern in einer ganz großen Zahl verfasste, rechtsstaatliche und demokratische Strukturen aufweisen. Hinzu tritt, dass das Völkerrecht heute zunehmend Rechtsbereiche regelt, die ursprünglich in nationale Reglungsstrukturen fielen. Beides zusammen genommen führt neben anderen Aspekten zu der Schlussfolgerung, dass auch internationale Regelungsvorgänge rechtsstaatliche Anforderungen erfüllen müssen. Zur geschichtlichen Aufarbeitung s. Friedmann, Changing Structures, 1964, S. 4 ff. und weitere dazu in Kapitel 2 D. I. 1. b) und 2. Ein Definitionsangebot mit Blick auf die internationale Kooperation bei Stein, AJIL 2001, 489–534, 493 ff., das namentlich die Begriffe „Demokratie“, „Rule of Law“, „Transparenz“ und „Legitimität“ und deren Beziehung unter- und zueinander umfasst. 110 



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nalen) Umwelt- und Technikrecht gestellt worden sind. Für die globale Ebene versucht das Global Administrative Law ebenfalls „Rechtsstaatlichkeitskriterien“ für die internationale Regulierung zu entwickeln.

a)  Technische Normsetzung außerhalb der Parlamente Verhaltensregulierung, die sich nicht eindeutig in die rechtliche Hierarchieordnung einpassen lässt, muss in Anbetracht ihrer hohen Steuerungsfähigkeit trotzdem an ähnlichen Anforderungen gemessen werden, wie jedes andere Recht. Diese Forderung geht auf die verfassungsrechtliche Diskussion, die bereits seit den 80er Jahren vor allem im Bereich des Umwelt- und Technikrechts über „Phänomene der Normsetzung außerhalb der Parlamente“111 geführt wurde, zurück. In der Diskussion kam zum Ausdruck, dass es nicht primär darum geht, dass sich Normsetzung überhaupt außerhalb des parlamentarischen Systems vollzieht. Die größte Bedeutung hat die Qualität des Verfahrens.112 „Die Lösung kann sowohl für die legitimationsbezogenen als auch für die grundrechtlichen Anforderungen nur in der Gestaltung von Organisation und Verfahren liegen.“113 Durch die Debatte wurden viele Lösungsvorschläge entwickelt, die auch für die Reform des Compliance-Verfahrens relevant sein können.114 Denn die beiden Themenkomplexe ähneln sich: In beiden Bereichen werden großenteils technische Details in ausgelagerten, zum Teil arkan arbeitenden Expertengremien ohne politische Auseinandersetzung festgelegt, und das, obwohl die technischen Regelungen im Umweltrecht „bewertungshaltig“115 111  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 52. Zentrale Publikationen u. a. Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen im Umwelt- und Technikrecht, 1990 und Marburger, Regeln der Technik im Recht, 1979. 112  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 52 f. Appel fasst die „spezifischen Schwierigkeiten“ folgendermaßen zusammen: „Die Problemfelder reichen von der Rechtsqualität und Bindungswirkung der Standards über die Umsetzung der Standards in nationales Recht, ihre demokratische Legitimation, die zu fordernden rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an ihre Erstellung sowie die Berücksichtigung ökonomischer Aspekte bei der Standardsetzung bis hin zu ihrer methodischen Absicherung.“ Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 92. 113  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53. 114  Diesen Vorschlag macht auch Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 52 f. 115  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 236; sehr deutlich auch die Ausführungen des BVerfG in BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 35 (Klimaschutzgesetz): „Ob und auf welche Höhe die CO2Konzentration in der Erdatmosphäre und der Temperaturanstieg zu begrenzen sind, ist eine klimapolitische Frage. Sie ist nicht durch die Naturwissenschaften zu beantworten.“ So ähnlich auch noch an anderen Stellen im Urteil u. a. Rn. 160 f. Das Gericht stellt sich damit in gewisser

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sind.116 Die Vorgehensweise vollzieht sich zwar in nach außen formell „intakten“117 Verfahren. Inhaltlich wird das Recht jedoch in Verfahren außerhalb des formalen Rechtssetzungssystems determiniert.118 Die Normen haben gleichwohl – vor allem durch den (nationalen) Rezeptionsvorgang – einen hohen Einfluss auf die formal gesetzten rechtsverbindlichen Normen und wirken so in das Recht hinein.119 Von der Übertragung der Diskussion um (zumeist) unverbindliche Normen im Technikrecht auf das hiesige Problem sind folgende Ideenanstöße zu erwarten: – Welche Rolle spielt die Gremienzusammenstellung und das Verfahren für die Normproduktion?120 – Welche Maßnahmen der steuernden, aktiven Rezeption von nichtrechtlichen Normen ermöglicht die Rechtsordnung?121 – Welchen Wert entfalten ausgelagerte Entscheidungen für das Rechtssystem? Technische Normen dienen oft der Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen (meist generalklauselartigen Formulierungen wie „Stand der Technik“), wie sie zum Beispiel im Umwelt- und Technikrecht122 sowie in vielen anderen Rechtsgebieten vorkommen. Darunter fallen staatliche Vorschriften wie Technische Anleitungen (TA Siedlungsabfall oder TA Lärm),123 Leitlinien von Hinsicht auch gegen die in der Klimaschutzbewegung u. a. von Thunberg hochgehaltene Forderung „Hört auf die Wissenschaft!“. 116  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 221: „Über Fragen, die jedenfalls in ihrer Gesamtheit […] wesentliche Fragen unserer gegenwärtigen und zukünftigen Lebensbedingungen sind, wird damit weitgehend außerhalb der verfassungsrechtlich explizit geregelten Rechtssetzungsverfahren entschieden, und dies vielfach unter privilegierter Einflussnahme einzelner Interessengruppen.“. 117  So für das Umwelt- und Technikrecht Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 232 und deutlich auch 233: „Die verfassungsrechtlich vorgesehenen Entscheidungskompetenzen und Legitimationsformen werden nicht durchbrochen, sondern nur unter Wahrung der äußeren Form gewissermaßen von innen ausgehöhlt und funktionell entwertet.“ 118  Das trifft selbst auf die Verwaltungsvorschriften zu, die ebenfalls maßgeblich durch externen Sachverstand erstellt werden, vgl. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 219. 119  Den Vergleich zwischen internationalem soft law, das häufig innerhalb völkerrechtlicher Vertragsregime oder Organisationen gesetzt wird und dem technischen soft law auf nationaler Ebene zieht auch Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65. 120  Als eine der zwei zentralen Punkte aufgegriffen von Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 52 f. 121  Und damit auch Licht in die vage Formulierung bringen, das öffentliche Recht mit dem Staat wieder zu verknüpfen (Vesting, VVDStRL 2004, 42–68). Als zweiter der zwei zentralen Punkte aufgegriffen von Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53. 122  Durner, Umweltvölkerrecht, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Rn. 14 und Rn. 37 und auch Aufzählung bei Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 222 f. 123 „Ausführungsbestimmungen in Gestalt von Verwaltungsvorschriften“ Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 224.



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offiziell eingesetzten Sachverständigengremien124 oder Regelungen privater Vereinigungen (DIN-Normen, VDI-Richtlinien oder BVT-Merkblätter125)126. Diese technischen Normen sind (häufig nur) als Empfehlungen ausgestaltet und rechtlich nicht verbindlich.127 Nichtsdestoweniger nehmen sie großen Einfluss auf das Rechtssystem.128 Standards und private Normen stellen gewissermaßen eine Vermutung ihrer Richtigkeit auf. Sie zu widerlegen erfordert einen größeren Begründungsaufwand, als ihnen zu folgen.129 Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass es sich selbst bei einer schlichten Grenzwertfestsetzung nicht um eine rein naturwissenschaftliche Schlussfolgerung handelt. Selbst dieser Festsetzung kommt immer auch ein politisch-wertender Gehalt zu.130 Denn eine Begründung, die wissenschaftlich oder durch langfristige Erfahrungssätze untermauert ist, sticht in der Praxis oft.131 Im Fokus der rechtswissenschaftlichen Debatte um 124  Bsp. bildet der Kerntechnische Ausschuss (KTA), der 1972 per Erlass durch das Bundministerium für Bildung und Wissenschaft gebildet wurde. Vgl. http://www.kta-gs.de (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). Vgl. dazu auch Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 221 ff. 125  Starker staatlicher Einfluss auf die Entstehung dieser Merkblätter – deshalb sogar von Knauff, Soft Law, 2010, S. 243, als soft law charakterisiert. Dazu: Spieler, Beste verfügbare Technik, 2006, S. 113 ff. und für die BREF-Dokumente Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 104 ff. 126  Dazu anstatt Vieler Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 222 f. und Bayerlein, DS 2008, 49–53, 49. 127  Sie sind „nur eine Erkenntnisquelle neben anderen“, Bayerlein, DS 2008, 49–53, 49. 128  Es dominieren „konsensuale Handlungsformen unter Einbeziehung Dritter“. Der Staat ziehe sich aus der Rechtssetzung zurück greife „auf private Standardsetter“ zurück, Huber, AöR 2008, 389–403, 396. Ausführlich zur „Bindungskraft“ der BVT- und BREF-Normen Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 98 f. Er stellt folgende rechtliche Zusammenhänge heraus: „individuelle Genehmigungsverfahren, Auflagen, [die] […] zivilrechtliche[…] Haftung und strafrechtliche[…]Verantwortung“. (ebd., S. 99). 129  „[Z]umindest der faktische Einfluß […] im politischen System [ist] von solchem Gewicht, daß sich die Frage stellt, ob nicht der […] Begriff einer ‚vierten Gewalt‘ auch hier seine Berechtigung hat.“ In Bezug auf technische Anleitungen Vierhaus, NVwZ 1993, 36–41, 37. Vgl. dazu auch v. Bogdandy/Goldmann, ZaöRV 2009, 51–102, u. a. 130 „Politikhaltigkeit der Fixierung konkretisierender Umweltstandards“. Lübbe-Wolff führt aus, welch eine komplexe Abwägungsentscheidung unter Einbezug von ökonomischen, ökologischen oder gesundheitspolitischen Aspekten in einer Grenzwertfestsetzung liegen kann. Sie verweist dazu auch auf die prognostischen Unsicherheiten und letztlich die Fragen der Risikobereitschaft und des Sicherheitsbedürfnisses, die damit entschieden werden. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 236 f. Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 94. 131  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248 „[D]as Rechtssystem ist auf konkretisierende Vorschriften unabdingbar angewiesen und kapazitätsmäßig allenfalls in begrenzten Einzelfällen in der Lage, die Übereinstimmung der Verwaltungsvorschrift mit der zu konkretisierenden Norm auf dem erforderlichen Niveau zu überprüfen.“ (ebd., 224). Später schreibt sie: „Da sie aber von Zusammenschlüssen genau derjenigen Fachleute […] erarbeitet sind, auf deren Konsens die Qualität einer Norm als ‚allgemein anerkannte Regel der Technik‘ beruht, haben sie die Vermutung für sich, allgemein anerkannte Regeln der Technik im Sinne der gesetzlichen Vorschrift zu sein“. (ebd., 226).

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diese Normenkategorie steht daher nicht so sehr die wenig zielführende Auseinandersetzung über ihre Rechtsqualität,132 sondern unter Anerkennung ihrer de-facto-Bindungswirkung133 ihr akzeptabler Einbau in das Rechtssystem. Gerichte sehen in den Vorschriften standardisierte Erfahrungssätze. Vor den ordentlichen Gerichten werden zum Beispiel DIN-Normen häufig herangezogen, um die Pflichtverletzung der §§ 280 ff. BGB zu umreißen, also die Beschaffenheit eines Werks oder Gegenstands zu definieren.134 Ihre Anwendung kann sogar zu einer Art Umkehr der Beweislast führen: So kann eine Partei beispielsweise insoweit beweispflichtig werden, dass bei einem bestimmten Werk eine Abweichung von der einschlägigen DIN-Norm ausdrücklich vertraglich vereinbart war. Technische Normen finden durch die Rezeption Privater Eingang in das Recht, indem zum Beispiel in privatrechtlichen Verträgen auf DIN-Normen oder VOB-Regelungen Bezug genommen wird, um die geschuldete Leistung zu beschreiben.135 Die Verwaltung ist genauso alltäglich mit technischen Regelwerken konfrontiert: Sie dienen in der kommunalen Abwasserwirtschaft beispielsweise der Bewältigung von hochkomplexen und sehr technischen Fragen bezüglich Dimension, Material, Gefälle, Verlegungstechnik und Instandhaltung des kommunalen Kanalisationssystems.136 Die Regelungswerke werden in diesem Bereich eingesetzt, um „eine nach Umweltverträglichkeit und ökonomischen Aufwand vertretbare, gleichartige Problemlösung in den Kommunen zu gewährleisten.“137 Die Verwaltung trifft dann aufgrund einer Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG teilweise die Pflicht, das Regelwerk unterschiedslos zur Auslegung anzuwenden.138 Dies gilt vor allem aber dann, wenn ein technisches Regelwerk durch Erlass von einer (Landes-oder Bundes-)Behörde förmlich eingeführt wurde. Regelwerke können für die Verwaltung daneben auch ermessenslenkende Funktion haben. Abgesehen von den 132  133 

So auch Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 233. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, u. a. auf 225. 134  Bayerlein, DS 2008, 49–53, 50. 135  Der korrekte Umgang mit privatrechtlichen Normen, denen eben keine Rechtsverbindlichkeit zukommt und die die anerkennten Regeln der Technik nicht notwendig wiedergeben müssen, fällt oft aus. Vielmehr werden die technischen Regelwerke nicht selten recht unkritisch von den ordentlichen Gerichten übernommen, vgl. Bayerlein, DS 2008, 49–53, 49. 136 Wie Lübbe-Wolff aus eigener Praxiserfahrung anschaulich berichtet, vgl. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 220 f. 137  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 221; „Technische Regelwerke nehmen vom Staat den Druck, mit seinen gesetzlichen Regelungen der dynamisch technischen Entwicklung stets selbst hinreichend – und hinreichend rasch – Rechnung zu tragen. Sie verhindern auf diese Weise auch eine gewisse Erstarrung der rechtlich-relevanten technischen Vorgaben.“ Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 94. 138  „Entsprechungsgleichheit“ bei Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, S. 105. Hier ließe sich die Diskussion um die mögliche Außenwirkung der Verwaltungsvorschriften verorten, vgl. mwN der Verweis auf die Diskussion bei Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 224.



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Normen privater Normungsverbände sind hier Verwaltungsvorschriften relevant, die ebenfalls normkonkretisierende Funktion unter Einbeziehung externen Sachverstandes bieten.139 Der Urheber dieser technischen Regelwerke ist grundsätzlich nicht der demokratisch legitimierte Gesetzgeber, und diese Normen werden nicht in einem formellen Normsetzungsverfahren erstellt. Die rechtskonkretisierende Tätigkeit ist ausgelagert. Im Übrigen ist kaum eine zu verallgemeinernde Aussage über die Urheber der genannten Regelungen zu treffen.140 Manche Gremien werden als „Wissenschaftsrat“ per Ministerialerlass gegründet und manche sind im ausschließlich privaten Bereich zu verorten. Die meisten technischen Normen sind Erfahrungssätze141 der Fachleute und Techniker, die tagtäglich beispielsweise mit dem jeweiligen Produkt umgehen. Nicht selten werden diese technischen Ausschüsse pluralistisch besetzt, wobei trotzdem eine dominante Stellung wirtschaftlicher Kräfte auffällt.142 Dies folgt unter vielen anderen Aspekten ferner dem Gedanken, dass die in den Normsetzungsprozess aktiv einbezogenen Interessenvertreter im Nachhinein eine größere Normbefolgungsbereitschaft zeigen (könnten).143 Der bedeutende Einfluss, den das beschriebene soft law (vor allem in seiner Gesamtheit) im technischen Bereich auf das Rechtssystem und damit auf die Grundrechte Einzelner nimmt, kann kaum hoch genug eingeschätzt werden: „[A]lle diese Fragen, von denen auf der einen Seite Milliardeninvestitionen und auf der anderen Seite nicht näher quantifizierbare Waldschäden, Krebsrisiken usw. abhängen, werden definitiv nicht durch die Gesetzgeber, sondern durch nachgeordnete Regelwerke beantwortet.“144

Es ist auch von einer „‚umgekehrten Wesentlichkeitstheorie‘“145 die Rede: Das Wesentliche werde gerade nicht mehr vom Gesetzgeber geregelt.146 Die139 

Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 224 ff. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 224 ff. 141  Bayerlein, DS 2008, 49–53, 49: „Erfahrungssätze sind Normen (Regeln), die aus allgemeiner Lebenserfahrung oder aus besonderer Fachkunde durch langwährende Beobachtung gleichartiger Tatsachen und Geschehnisse gewonnen sind und zum Maßstab der Beurteilung gleichartiger Tatsachen und Geschehnisse dienen. Auf Grund solcher Erfahrungssätze kann von feststehenden Ursachen auf bestimmte Folgen und von feststehenden Folgen auf bestimmte Ursachen geschlossen werden“. 142  Vierhaus, NVwZ 1993, 36–41, 37 f. 143  Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 94. 144  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 223 f. Sie spricht später (ebd., 224) von „rechtsnormgleiche[r] Wirkung“. „In den Grenzwerten des Umwelt- und Technikrechts aktualisiert sich aber zugleich die grundlegende Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit seiner Bürger.“ Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 102. 145  Der Begriff stammt von Salzwedel. Zit. nach Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 239. 146  Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 102 f. 140 

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ser Einfluss gibt Anlass zu Forderungen nach mehr „Rechtsstaatlichkeit“, die sich letztlich aus der Verfassung ableiten.147 Sie beziehen sich größtenteils auf die Zusammensetzung der Normsetzungsgremien, das Normsetzungsverfahren und den Rezeptionsprozess.148 Das Ziel lautet, die Entwicklungen „im Geist der Verfassung“149 zu kanalisieren und „in verfassungsverträgliche Bahnen“150 zu lenken:

aa)  Die Zusammensetzung der Normsetzungsgremien Ziel soll eine „repräsentative Zusammensetzung“151 sein, die einen pluralistischen Ansatz mit diskursiver Arbeitskultur erlaubt. Obwohl der Staat Teile seiner Normsetzungstätigkeit an Externe delegiert, hat er dennoch Einflussmöglichkeiten – nicht unbedingt auf die Normen selbst, aber auf die Art und Weise ihres Zustandekommens. Diese Ansätze einer „Repräsentativität der Zusammensetzung der Gremien“152 könnte unter anderem durch eine „administrative Kreation“153 erreicht werden, die die Zulassung, Anerkennung, Benennung, Akkreditierung und anderes umfasst. Als ein „Mehr“ zur reinen Veröffentlichung der an dem Normsetzungsprozess beteiligten Personen fügt Schmidt-Preuß noch die Ansprüche der „Neutralität, Distanz, Fairneß und Objektivität“154 hinzu. Ähnlich ist dies bereits in einigen umweltrechtlichen Bereichen geregelt.155 Dort macht teilweise die Verordnungsermächtigung bereits Vorgaben für die Gremienzusammensetzung, so beispielsweise in § 7 iVm § 51 BImSchG. § 51 BImSchG lautet: „Soweit Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften die Anhörung der beteiligten Kreise vorschreiben, ist ein jeweils auszuwählender Kreis von Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der 147  Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 205: „Von daher müssen private Normungsverbände im eigenen Interesse reflexhaft demokratisch-rechtsstaatliche Mindeststandards erfüllen wie Transparenz und Publizität – namentlich Zugänglichkeit und Begründung von Normungs-Entwürfen –, ferner ausgewogene Beteiligung interessierter Kreise – etwa auch von Verbraucherschutzgruppen – sowie schließlich Eröffnung von Einwendungsmöglichkeiten und Bereitstellung eines Schiedsverfahrens“. 148  Diesen Ansatz u. a. bei Huber, AöR 2008, 389–403, 400 f.; Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53; v. Lersner, NuR 1990, 193–197, 195 ff. 149  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 234. 150  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 234. 151  Huber, AöR 2008, 389–403, 400 f. 152  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53. 153  Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 173. 154  Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 176. Es bleibt aber die Frage bestehen, wie diesen Anforderungen insbesondere der Distanz gerecht werden kann, wenn es um die Erstellung von Erfahrungssätzen geht. 155  Mit vielen Bsp. Stand 1991 Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 227 und 233.



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beteiligten Wirtschaft, des beteiligten Verkehrswesens und der für den Immissionsschutz zuständigen obersten Landesbehörden zu hören.“

Der Staat hat ebenfalls in der Hand, zu verlangen, dass die beteiligten Personen und ihr professioneller Hintergrund verpflichtend offengelegt werden müssen.156

bb)  Normsetzungsverfahren, Bestimmtheit und Veröffentlichung In der Änderung des Normsetzungsverfahrens von Vorschriften, die außerhalb der formal vorgesehenen Verfahren zu verorten sind, erkennen viele Beobachter eine wichtige Stellschraube, mit der Schwachstellen der Akzeptanz überbrückt werden könnten.157 Als positive Beispiele und damit Ideengeber können die Verfahren des Deutschen Instituts für Normen gelten. Das Institut hat sich (nach öffentlichem Druck) solche Vorgaben auferlegt, nicht zuletzt, damit die eigenen Normprodukte weiter Relevanz besitzen.158 Darunter fällt, dass Normen in einem weitestgehend transparenten und öffentlichen Verfahren unter Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen (bzw. grundsätzlicher Beteiligungsoffenheit) erstellt werden.159 Normungsanträge können von jedermann gestellt werden. Gegen Entwürfe kann Einspruch eingelegt werden. Es können Änderungsvorschläge oder Stellungnahmen in das Verfahren eingebracht werden.160 Letztlich gibt es sogar eine interne Schlichtungs- bzw. Schiedsstelle und das Verfahren wird durch eine innere Prüfstelle überwacht.161 Kadelbach fügt als Anforderung noch die hinreichende Bestimmtheit der erstellten Norm als 156  v. Lersner, NuR 1990, 193–197, 196: „Zur Transparenz und Legitimation von Grenzwertvorschlägen gehört in einem demokratischen Rechtsstaat auch die Bekanntgabe der Personen, die dem vorschlagenden Gremium angehören, sowie die Offenlegung etwaiger rechtlicher oder wirtschaftlicher Bindungen an am Grenzwert interessierten Unternehmen oder Verbänden.“ Dass heute der Kerntechnische Ausschuss diese Offenlegung der Personendaten mit dem Hinweis auf Datenschutz rückgängig gemacht hat, stellt eine fehlerhafte Abwägung dar. 157  Huber, AöR 2008, 389–403, 400 f.; Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53; v. Lersner, NuR 1990, 193–197, 195 ff.; Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 229; Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 205 f. 158 Seien diese Vorgaben eingehalten, stünde ihrer gesetzesähnlichen Funktion nichts mehr im Wege: Vgl. Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 205 f.; die positive Bewertung der Verfahren privater Normungsverbände teilt Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 229. 159  Verlangt ebenfalls: „Transparenz des Verfahrens und Publizität seines Ergebnisses“. Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53. So ähnlich nur etwas ausdifferenzierter bei Knauff als Forderung für von öffentlichen Stellen gesetztes soft law: Transparenz mit den Unterkategorien: Rechtsform, -klarheit und Publizität Knauff, Soft Law, 2010, S. 418. 160  Diese Beteiligungsoffenheit, Möglichkeit zur Stellungnahme und ausführliche Begründung von Entscheidungen gefordert von: v. Lersner, NuR 1990, 193–197, 196. 161  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 229, aber auch online nachzuvollziehen: https:// www.din.de/de/mitwirken (zuletzt abgerufen am 25. April 2023).

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Kriterium an.162 Dazu gehört, dass sich die Normen klar in die Regelungskaskade einsortieren lassen sollten.163 Die wichtigste Funktion des Staats ist in diesem Zusammenhang demnach, ein Rahmenrecht, eine sogenannte „Ko-Regulierung“164 für die Erstellung und Integration privater Normen, zu setzen. Dies sollte mit der Zielsetzung geschehen, „ein Mindestmaß an inhaltlicher Angemessenheit sowie ein ausreichendes Maß an Gemeinwohlorientierung sicherzustellen.“165 Derzeit findet eine formelle Veröffentlichung von Normen oft lediglich dann statt, wenn ein staatlicher Bezugspunkt wie beispielsweise ein Erlass besteht. Darüber hinaus wird nur punktuell veröffentlicht, teils auch informell. Mit einer „formellen“ Veröffentlichung geht keine rechtliche Aufwertung von Normen unterhalb der Schwelle der Rechtsverbindlichkeit einher.166 Verschiedene Möglichkeiten sind denkbar:167 – Verwaltungsvorschriften der obersten Bundesbehörden sind in Zusammenarbeit mit der juris GmbH nun online verfügbar.168 – Ebenso erscheint das Gemeinsame Ministerialblatt mittlerweile online und umfasst von Rechtsverordnungen über Verwaltungsvorschriften bis Rundschreiben und Bekanntmachungen alle möglichen Äußerungsformen der Bundesministerien. Darunter können auch Erlasse sein, mittels derer auf private technische Normen Bezug genommen wird. – Teilweise wird die Zusammensetzung der normsetzenden Gremien im Bundesanzeiger bekannt gegeben.169 Dies ist vor allem bei öffentlich eingesetzten Gremien der Fall. – Außerdem ist es möglich, Normungsergebnisse in einem gesonderten Verlag zu veröffentlichen, dann aber im Bundesanzeiger auf die Bezugsquelle hinzuweisen.170

162  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53. 163  Knauff, Soft Law, 2010, S. 422. 164  Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 93 und S. 112. 165  Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 93. 166  Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 205. 167  Dazu mit weiteren Quellenangaben und Bsp. Knauff, Soft Law, 2010, S. 431. 168  Unter: www.Verwaltungsvorschriften-im-Internet.de. 169  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 228: Der bereits erwähnte Kerntechnische Ausschuss sei durch das zuständige Ministerium durch Veröffentlichung des Erlasses mit Angaben zur Zusammensetzung des es im Bundesanzeiger institutionalisiert worden. 170  Vgl. die Vorgehensweise des Kerntechnischen Ausschusses. Bsp. angeführt von Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 229.



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cc) Rezeptionsprozess Normen, die außerhalb des formalen Rechtssystems zu verorten sind, dürfen nicht unbesehen übernommen werden.171 Das stellt den kleinsten gemeinsamen Nenner unter den Beobachtern dar.172 Die Rede ist von einer „steuernden Rezeption“173. Es käme vielmehr auf den „verfassungsrechtlichen akzeptablen Einbau“174 und zum anderen darauf an, „wie viel Entscheidungsspielraum den politisch verantwortlichen Instanzen bei der Umsetzung […] bleibt, ob sie diesen genutzt haben oder ob eine quasiautomatische Übernahme en bloc stattgefunden hat“175.

Etwas konkreter stellt sich die Forderung dar, die grundsätzliche Rückholbarkeit derartiger Entscheidungen als Kriterium zu fassen. Das meint die potentielle Zugriffsmöglichkeit des Parlaments oder des Verordnungsgebers auf den (zuvor delegierten) Rechtskorpus.176 Dazu kommt, was bereits im Rahmen der Gremienzusammensetzung und des Verfahrens zu erkennen war, dass das Zueigenmachen177 ein regelndes Eingreifen demokratisch legitimierter Stellen178 vorsieht.179 Beispiel kann die europäische Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 19. Juli 2002 sein, in der es um die Rechnungslegung orientiert an den privaten „International Financial Reporting Standards“ (IFRS) geht.180 Deren Art. 3 Abs. 2 sieht verschiedene (niedrigschwellige) Kriterien vor, wann Standards des IFRS einbezogen werden können: 171  Auch „Kontrolle der Kontrolle“: „Die für gesteuerte Selbstregulierung typische Kontrolle der Kontrolle ist dadurch gekennzeichnet, daß der Staat fachlich-qualitative Maßstäbe normativ vorgibt und sich im übrigen auf administrative Kreation (Zulassung, Anerkennung, Benennung, Akkreditierung etc.) und maßstabssichernde Überwachung ‚privater Kontrolleure‘ konzentriert.“ Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 173. 172  Formulierung angelehnt an: Da (der Rechtsstaat) seinerseits demokratisch verpflichtet ist, darf er sich nicht kollektiven Privatinteressen ausliefern und deren Normungswerke durch unbesehene Übernahme privilegieren. Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 205. 173 Befürworter Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 203 und Huber, AöR 2008, 389–403, 400 f. 174  Vierhaus, NVwZ 1993, 36–41, 39. 175  Vierhaus, NVwZ 1993, 36–41, 40. 176  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 53. 177  Mit Bezug auf den Fall vor dem BVerfG zur Altersgrenze von 65 Jahren für gewerbsmäßig fliegende Verkehrspiloten aus dem Regelwerk der Joint Aviation Authorities (JAA), BVerfG, 2 BvR 2408/06 (Altergrenze für gewerbsmäßig fliegende Verkehrspiloten); dazu Huber, AöR 2008, 389–403, 394. 178  Zum Beispiel ein Eingreifen des Gesetzgebers oder Verordnungsgebers. 179  Knauff, Soft Law, 2010, S. 444 ff. Die Formulierungen erinnern an die Diskussion im Außenverfassungsrecht zum Umgang mit den Auslegungen des EGMR. Vgl. Kapitel 2 D. I. 2. b). 180  Zum IFRS schon einmal Kapitel 2 D. III. 2. Und weiterführend bei Huber, AöR 2008, 389–403, 400 f.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

„Die internationalen Rechnungslegungsstandards können nur übernommen werden, wenn sie […] den Kriterien der Verständlichkeit, Erheblichkeit, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit genügen, die Finanzinformationen erfüllen müssen, um wirtschaftliche Entscheidungen und die Bewertung der Leistung einer Unternehmensleitung zu ermöglichen.“181

b)  Global Administrative Law Die internationale Forschung zu Rechtsstaatlichkeitsanforderungen für bisher rechtlich nicht erfasste regulierende oder rechtsgestaltende Handlungen hat sich rund um das Etikett des Global Administrative Law entwickelt.182 Ihre Vertreter gehen davon aus, dass internationale „Einheiten“ (Organisationen, Verträge, Gremien, Einrichtungen etc.) in so hohem Maße Verwaltungsaufgaben übernommen haben, wie es traditionell nur für staatliche Behörden vorgesehen war. Nicht nur der Einzelne kann von der „verhaltenssteuernde[n] Kraft“183 der internationalen Verwaltung betroffen sein. Teilweise „stehen auch Staaten der [untechnisch verstandenen] internationalen Verwaltung faktisch ähnlich wie Individuen nationaler Verwaltung gegenüber.“184 Im Zuge der Übernahme von Aufgaben durch die globale Verwaltungsstruktur hat diese sich „formalisiert“.185 Anhand einiger Praxisbeispiele hat sich die wissenschaftliche Forschung zum Thema des Global Administrative Law weiterentwickelt. Dabei sind Untersuchungen zu Themen wie dem FSC oder der Codex Alimentarius Commission zu Schlagworten avanciert: Das unter der Ägide des WWF gegründete Forest Stewardship Council186 verfolgt einen ambitionierten sowie umfassenden Nachhaltigkeitsansatz und ist 181 

Wobei diese Bewertungsarbeit wohl von der Kommission in Zusammenarbeit mit dem in Erwägungsgrund 10 der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 genannten „technischen“ vollzogen wird. Art. 3 Abs. 4 der Verordnung sieht zusätzlich noch Publizitätsvorschriften vor: Übernommene internationale Rechnungslegungsstandards werden als Kommissionsverordnung vollständig in allen Amtssprachen der Gemeinschaft im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht“. 182  Zurückgehend auf Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61; vgl. auch Vertreter aus Frankreich Auby, La globalisation, 2020; Deutschland Ruffert, Globalisierung als Herausforderung, 2004 und Italien Diskurs Cassese u. a. (Hrsg.), Global Administrative Law, 2012. Früh auch schon erwähnt bei Pan, HILJ 1997, 503–535, 533. Vgl. daneben u. a. aber auch mit ähnlicher Ausrichtung das MPI Heidelberg Projekt zur international public authority und das IN-LAW project u. a. gegründet von Pauwelyn, Wessels und Wouters. Alle drei Ansätze aufgearbeitet und verglichen von Dann/v. Engelhardt, Legal Approaches to Global Governance and Accountability, in: Pauwelyn/Wessel/Wouters (Hrsg.), Informal International Lawmaking, 2012, S. 106–121. 183  Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 148. 184  Classen, VVdStRL 2007, 365–472, 373. 185  Zum Beispiel orientieren sich diese Strukturen (in Ansätzen) an allgemeinen Verfahrensrechten. „[A]dministrative trappings“ bei Slaughter/Zaring, ARLSS 2006, 211–229, 215. 186  Kingsbury, EJIL 2009, 23–57, 37; Meidinger, EJIL, 2006, 47–87.



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zu einer treibenden Kraft im Bereich der forstwirtschaftlichen Zertifizierung geworden. Das Council verfügt über eine hochkomplexe institutionelle Struktur und die „Arbeitsprodukte“ des FSC sind stark verrechtlicht. Staaten können nicht Mitglied des FSC werden. Die von der FAO installierte Codex Alimentarius Commission187 entwickelt Standards für den Handel mit Nahrungsmittel. Diese Standards stellen deshalb ein so herausragendes Praxisbeispiel für die Forschung dar, weil sie über das Welthandelsrecht – also über „Umwege“ – in (de facto) bindendes Recht erwachsen. Dabei kommt der Commission ein bedeutender eigener politischer Spielraum bei der Definition der Regularien zu. Die Forschung zum Global Administrative Law ist außerdem mit dem Fokus auf Netzwerkstrukturen auf die internationale Behördenkooperation ausgeweitet worden.188 Ganz unterschiedliche soft-law-Instrumente und Handeln verschiedener – staatlicher, hybrider und selbst privater – Akteure189 sollen durch die Ansätze juristisch erfassbar gemacht werden. Denn im innerstaatlichen Bereich ist ein umfangreiches Verwaltungsrecht zur Bewahrung unter anderem der Rechtsstaatlichkeit entwickelt worden – nicht so auf der internationalen Ebene. Diese nimmt aber in so großem Umfang Einfluss auf den nationalstaatlichen Bereich, sodass auch die Verfahren zur internationalen Regulierung höheren Qualitätsstandards genügen müssen.190 Im Vergleich dazu haben sich Compliance Committees bereits „formalisiert“ und Mechanismen entwickelt, die ursprünglich im nationalen Bereich zur Kontrolle der Ausübung öffentlicher Gewalt entwickelt wurden.191 Dazu zählen unter anderem der Transparenzgrundsatz, die Entscheidungsbegründung, die Fristenregelungen und die Gewähr rechtlichen Gehörs.192 Sie können daher als globale Verwaltung gewertet werden. Zwar scheint es auf den ersten Blick erstaunlich, dass gerichtsähnliche Entscheidungen als Verwaltungsrecht aufgefasst werden. Unter globaler Verwaltung ist allerdings nahezu jede Art von internationaler autoritativer Tätigkeit zu verstehen.193 187  188 

Pereira, GLJ 2008, 1693–1718. Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61; Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315– 338, 315; Slaughter/Zaring, ARLSS 2006, 211–229. 189  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61; Meidinger, EJIL, 2006, 47–87. Bsp. kann auch die sog. Museumsinitiative bilden, eine Art eigene Restitutionspolitik russischer und deutscher Museen, bei Rossi, Europäisiertes internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 165–180, S. 167. 190  „Von der Governance-Forschung übernehmen wir […] die Einsicht, dass internationale Institutionen und Prozesse in ihrem Zusammenspiel mit staatlichen Institutionen und Prozessen gedeutet werden sollten.“ v. Bogdandy/Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 135. 191  „[A]dministrative trappings“ bei Slaughter/Zaring, ARLSS 2006, 211–229, 215. 192  S. dazu u. a. Kapitel 1 B. V. 193  „[G]lobal administrative action is rulemaking, adjudications, and other decisions that are neither treaty-making nor simple dispute settlements between parties.“ Kingsbury/Krisch/

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Mithilfe der Forschungserkenntnisse zum Thema Rechtsstaatlichkeitsanforderungen in internationalen und nationalen nichtrechtlichen Steuerungszusammenhängen können einige Besonderheiten des Compliance-Systems juristisch erfasst, eingeordnet und bewertet werden:194 – Die – wenn auch nur mittelbare – „Eingriffs“qualität umweltvölkerrechtlicher Compliance-Mechanismen195 und damit letztlich die Frage nach der Rückanbindung von Vertragsweiterentwicklung an den Wahlakt des Bürgers196 bzw. die klare Verantwortungszurechnung der Auslegungsentscheidungen als Vorbedingung einer Kontrolle,197 – die Rechtsauslegung durch einen hybriden Rechtskörper und dessen Einbindung in eine internationale Netzwerkstruktur und – welche Verfahrensbestandteile im Compliance-Mechanismus notwendig sind, um den oben genannten Maßstäben und effektiver Regelungskapazität198 (Vermeidung einseitiger Regelung durch einen „Tunnelblick“) gerecht zu werden.199 Vor dem Hintergrund des großen Einflusses der internationalen Verwaltung soll diese den im innerstaatlichen Bereich geltenden Mindeststandards entsprechen – natürlich angepasst an die Gegebenheiten auf internationaler Ebene.200 Es mangelt speziell dem Global Administrative Law allerdings an einer allgemein anerkannten Rechtsgrundlage.201 Vertreter des Denkansatzes induzieren daher aus einer Vielzahl von Mechanismen aus unterschiedlichen Bereichen des Völkerrechts, welche Instrumente empfundene Legitimitätslücken schließen könnten. Die Wahl der Handlungsvarianten richtet sich nach dem individuellen Fall. Möglich sind folgende Kontrollinstrumente: Stewart, LCP 2005, 15–61, 17; In Bezug auf „justizförmige Institutionen“ worunter sie internationale Gerichte, Schiedsgerichte und Tribunale fassen, skeptisch v. Bogdandy/Venzke, In wessen Namen?, 2014, S. 110. 194  Inspiriert durch Steward, IJCL 2015, 499–506. 195  Es sei nur auf den Fall Zyperns verwiesen, in dem das Standing Committee der Berner Konvention empfohlen hatte, den bestehenden Bebauungsplan zu ändern, bestehende (Wohnund Geschäfts-)Gebäude abzureißen und Restaurants ein Betriebsverbot zu erteilen, s. o. Kapitel 2 B 2. b) aa) und Recommendation No. 63 (1997). 196  Hier zeigt sich die Verbindung des Global Administrative Law zum Konstitutionalismus Peters, A., Dual Democracy, in: Klabbers/dies./Ulfstein, Constitutionalization, 2009, S. 263–341. 197  Legitimität und Verantwortungszurechnung (engl. accountability) sind eines der Kernanliegen des Global Administrative Law, Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 45. 198  Effektivität internationaler Regime als eines der Hauptanliegen des Global Administrative Law bei Esty, YLJ 2006, 1490–1562, 1517. 199  Esty, YLJ 2006, 1490–1562, 1494; Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 16 f. 200  Pan, 1997 HILJ, 503–535, 533: „The needs of the international regulatory regime can be best understood with an analogy to domestic administrative law“. 201  Auch eine rechtstheoretische Grundlage ist dafür noch nicht gefunden, vgl. Kingsbury/ Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 29 f.



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– Eine externe Kontrolle der Verfahren durch – eine (frühzeitige) Beteiligung (auch) der Öffentlichkeit, meistens mittels Interessenvertretern (NGOs), und möglicherweise der nationalen Legislativen,202 – eine klare Verantwortungszurechnung durch institutionelle Balance (dem checks-and-balances-Gedanken folgend)203 und – Verfahrenstransparenz, die auch den Zugang zu Informationen für Außenstehende umfasst204. – Eine verfahrensinterne Kontrolle ermöglicht durch – ein Recht auf eine Entscheidungsbegründung205, – rechtliches Gehör und Anhörung, – Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes206 und – Einrichtung eines gerichtsähnlichen Überprüfungsverfahrens207 und einer zweiten Instanz. Hieran zeigt sich bereits, dass diese Bearbeitung der individuell-freiheitlichen Seite des rule-of-law-Prinzips starke Überschneidungen mit der oben genannten demokratisch-rechtsstaatlichen Dimension aufweist.

c) Zwischenfazit Was spricht dafür, umweltvölkerrechtliche Compliance-Mechanismen als internationale Verwaltung oder sogar als eine Art Verwaltungsrechtsprechung zu verstehen und in der Folge rechtsstaatliche Maßstäbe auf die Nichteinhaltungsverfahren anzuwenden? Das Compliance-System ist entwickelt worden, um die nationale Durchsetzungen des Umweltvölkerrechts weiter zu stützen und durch innovative Kontrollmechanismen die „Ausfälle“ des klassischen Völkerrechts bei der Rechtsdurchsetzung aufzufangen. Schwachstellen der rechtlichen Konzeption des Rahmenvertrags können im individuellen Verfahren aufgedeckt und durch (ergänzende) Auslegung behoben werden. Ehemals nationale Entscheidungen zur Um- und Durchsetzung internationalen Rechts sind nun auf ein internationales Niveau gehoben.208 Die dafür ins Leben gerufenen Organe, die 202 

Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 37 f. Slaughter/Zaring, ARLSS 2006, 211–229; letztlich die gleiche Forderung, die sich auch aus rein verfassungsstaatlicher Sicht stellt, und zwar dort über die Idee der Legitimationskette (Böckenförde). Zusammenfassend Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 33 ff. 204  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 38 f. 205  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 39; als Zentrum der Rechtsphilosophie beschrieben bei Friele, Striving for Harmonisation, in: Vöneky, u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, 2007, S. 331–351, S. 333. 206  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 40 f. 207  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 39 f. 208  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 23. 203 

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Compliance Committees und ihre Mitglieder stehen durch unklare „Ermächtigungsentscheidungen“209 und Verantwortungszurechnungen außerhalb der nationalen Legitimations- und Kontrollkette. Dem „duck-Paradoxon“210 zufolge müssen sich die Compliance-Verfahren an den Standards der Instrumente orientieren, die sie auf informellem Wege nachahmen. Weder die personell-organisatorische noch die sachlich-inhaltliche Legitimation kann bei dieser Rechtsfortentwicklung außerhalb der formell vorgesehenen Wege greifen. Folgende Elemente könnten immerhin als Kompensationsmaßnahmen Abhilfe schaffen, darunter unter anderem:211 – Transparenz mit den Unterkategorien: Rechtsform, -klarheit und Publizität – Bestimmtheit – Verlässlichkeit – Effizienz und sachliche Richtigkeit212 – Einbindung von vielen verschiedenen Interessengruppen und unterschiedlichem Sachverstand

III. Untersuchungshergang Der Compliance-Mechanismus soll an den hier präsentierten Maßstäben gemessen werden. Denn die „notwendigen demokratischen Entscheidungselemente […] sind weiterhin vor allem durch die hinreichende Rückanbindung der in den internationalen Kontexten handelnden nationalen Exekutiven an die Legitimationszüge der eigenen Verfassung“213

gesichert. Da aber den Legitimationsproblemen auf der Ebene der Rezeption – wie dargelegt – nur schwerlich zu begegnen ist, steigt die Bedeutung der Verfahrensebene.214 Auch völkerrechtlicherseits müssen daher Standards und Ver209 

S. o. Kapitel 1 B. I. „It looks like a duck, walks like a duck, and quacks like a duck; it is just that its name has changed.“ Klabbers, Commodification of International Law, in: Ruiz Fabri/Jouannet/Tomkiewicz (Hrsg.), Selected Proceedings, Vol. 1, 2008, S. 341–358, S. 347. 211  Die Auflistung nimmt Anleihen bei Knauff, Soft Law, 2010, S. 418 ff. und Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 104 ff. 212  Diese Annahme als naiv kritisiert von Di Fabio, Produktharmonisierung durch Normung, 1996, S. 117. 213  Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315–338, 332. 214  Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, 375: „Durch die Eingliederung in Gremien, die im Konsens entscheiden, verselbstständigen sich die Bundesbehörden gegenüber dem hierarchischen Zusammenhang, in den sie gegenüber der Bundesregierung eingebunden sind. Sie müssen bei der Willensbildung in einer Verhandlungssituation auch horizontale Einflussnahmen berücksichtigen, nicht nur legitimationsstiftende vertikale Kontrolle der Bundesregierung. Diese Verselbstständigung bedarf aber aus der Perspektive einer angemessenen demokratischen Legitimation der Kompensation. Die Verdünnung personaler Legitimation in einem 210 



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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fahrensbestandteile für die Compliance-Verfahren entwickelt werden, die unter anderem eine Kontrolle überhaupt erst möglich machen.215 Insgesamt sind fünf Punkte für die umfassende Bewertung des ComplianceSystems relevant. Jede Kategorie beschreibt einen Teilbereich der Kritik. Die einzelnen Bereiche stehen nicht isoliert voneinander. Sie beeinflussen sich gegenseitig: begünstigen und verstärken oder schwächen sich ab. – Der Einfluss von Netzwerkvertretern und Partikularinteressen auf die Vertragsauslegung im Rahmen von Compliance-Verfahren, – die Stellung des betroffenen Staats im Verfahren, – der Konsens als Beschlussmodus, – der Einfluss der Institutionen der Vertragswerke auf den Inhalt der Vertragsauslegung durch die Compliance-Entscheidung und – zusammenfassend die Compliance-Entscheidung als dynamische Vertragsweiterentwicklung. Wird die Übernahme der Auslegung im Compliance-Verfahren an den außenverfassungsrechtlichen Maßstäben gemessen, treten „klassische“ Debatten wie das Wiederaufleben der Zustimmungspflicht nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in den Vordergrund. Daneben spielt auch Art. 23 GG eine Rolle. Wie geht das Grundgesetz mit der intensiven, die deutsche Innenpolitik bestimmenden, europäischen Integration um? Besonders schwierig ist es, dem Verfassungsrecht Grenzen der umweltvölkerrechtlichen Kooperation zu entnehmen. Zentraler Bestandteil der nationalstaatlichen Anforderungen ist die „Repolitisierung“ der technischen Materie, damit rechtliche Kontrollmechanismen wie die Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane überhaupt greifen können.

B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden? Der Compliance-Prozess sollte in einen stärker kontrollierenden Rahmen gesetzt werden. Das könnte bewirken, dass qualitativ hochwertige EntscheidunGremium, in dem nichtdeutsche Vertreter eine deutsche Verwaltungspraxis mitdefinieren, erfordert eine intensivere sachgesetzliche Ausgestaltung“. 215 Eine solche zweigeteilte Herangehensweise bei Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 51–57. Dass das „Innenleben“ eines völkerrechtlichen Vertrags die demokratisch-rechtsstaatlichen Elemente einer im innerstaatlichen Bereich wirkenden Regulierung beeinflusst, ist keine herkömmliche Auffassung. Das BVerfG befasst sich weder mit dem konkreten Entscheidungsfindungsprozess noch mit dem Einfluss von Partikularinteressen oder Expertenmeinungen auf das Pariser Übereinkommen, BVerfG, 1 BvR 2656/18 (Klimaschutzgesetz). Das Zusammenspiel von naturwissenschaftlichem Sachverstand und politischer Wertungsentscheidung wird vor allem im Bereich der Bioethik unter dem Stichwort „Recht auf Rechtfertigung“ thematisiert, anstatt Vieler Friele, Striving for Hamonisation, in: Vöneky u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, 2007, S. 331–351, S. 333 f.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

gen im Compliance-Verfahren getroffen werden. Die sich daraus speisende Vertragsentwicklung wäre damit ganzheitlich fundiert und potentiell „demokratisch“, weil sie mehr als nur einem Einzelinteresse gerecht wird.216 Doch wie kann man die Compliance-Verfahren und die Institutionen umweltvölkerrechtlicher Verträge „under control“217 bringen, ohne das System zu konterkarieren und damit nutzlos zu machen? Hierzu werden im Folgenden verschiedene – zunächst nochmals empirische – Punkte angesprochen: Zunächst einmal wird der Einfluss, den bestimmte Einzelinteressen – insbesondere NGOVertreter – im Verfahren erhalten, herausgearbeitet. Im Anschluss daran werden Verbesserungsvorschläge gemacht, wie in den Verfahren der Mehrwert der Beteiligung privater Interessenvertreter nützlich eingesetzt werden kann, ohne dass die Staaten die Rechtsentwicklung des Vertragsrechts vollständig aus der Hand geben. Dazu sind verschiedene Absicherungen im Verfahren nötig, durch die kein Einzelinteresse überbordenden Einfluss nehmen kann. Das kann unter anderem dadurch erreicht werden, indem die Verfahren durch Publizität und Transparenz kontrollierbar gemacht werden: Unter Verwendung welcher Kriterien werden NGO-Beobachter zugelassen oder abgelehnt? Welche Kriterien und welche Wahlverfahren bestehen für die Besetzung der Gremien? Wie kommen die Entscheidungen vor den Komitees zustande? Welcher Akteur bringt welche Zusammenhänge zu welchem Zeitpunkt in das Verfahren ein? Die Vorschläge knüpfen zu einem großen Teil an bereits bestehende Regelungen an,218 also vor allen Dingen an den Gedanken einer „Kontrolle von innen“. Dieser Gedanke tritt bei den Verfahrensrechten, die dem betroffenen Staat gewährt werden, zum Vorschein. In einem größeren Zusammenhang interessiert hier vor allem die Frage, welche Verfahrensrechte wie weit verstärkt 216  Daneben treten Souveränitässchonende Aspekte, vgl. Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 432 f. „What is required to reconcile independence and accountability are richer and more flexible norms of control than the traditional methods of political and administrative oversight. Statutory objectives, procedural requirements, judicial review, budgetary discipline, professionalism, expertise, monitoring by interest groups, even inter-agency rivalry can all be elements of a pervasive system of control which only needs to be activated. When the system works properly no one controls an independent agency, yet the agency is ‚under control‘.“ Majone, EUI Working Paper 1994, 1–29, 2. 217  Majone, EUI Working Paper 1994, 1–29, 2. 218  Strikte Verfahrensvorgaben, Begründungsanforderungen und Berufungsverfahren sind leicht in das Compliance-Verfahren zu integrieren. Denn es ist kein statisches Verfahren, sondern lässt regelmäßige Überprüfung zu. S. dazu Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 394. Montini führt das Bsp. des Montrealer Protokolls an, das sich im Laufe der Zeit angepasst hat. Man könnte aber genauso gut Paragraph 10 der Präambel der Decision VII/4 der Alpenkonferenz anbringen. Mit der Entscheidung wurde das Compliance Committee der Alpenkonvention eingesetzt. Die oben benannte Vorschrift besagt aber zur gleichen Zeit, dass das gesamte Compliance-Verfahren durch die Alpenkonferenz angepasst werden kann. Dass ein Compliance-Verfahren bereits auf festgesetzten Verfahrensrechten beruht, ist ein Vorteil des rechtlichen Nichteinhalteverfahrens gegenüber einem rein diplomatischen Verfahren.



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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werden müssen, damit zwischen den beteiligten Akteuren im Verfahren ein Macht- und Einflussgleichgewicht hergestellt werden kann. In einem weiteren Schritt wird das Schlusselement des Compliance-Verfahrens thematisiert: Welche Rolle kommt der Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz als Brückenstück zur nationalen Legitimation zu, um die implizite Vertragsweiterentwicklung durch die Compliance-Kontrolle zu steuern? Wie könnte das Verfahren vor der Vertragsstaatenkonferenz verbessert werden? Die letzte Frage betrifft vor allem das Konsensverfahren als Beschluss- und Entscheidungsverfahren. Auch dieser Abschnitt ist in eine empirische Untersuchung und darauf basierende Verbesserungsvorschläge aufgeteilt. Nach diesen thematischen Bereichen des Einflusses von Persönlichkeiten und Interessen auf die Entscheidungen und der Bedeutung der verschiedenen Akteure und ihrer Rollen zueinander, so wie die Verfahrensrechte es vorgeben, wird zuletzt die im weitesten Sinne verstandene rechtsstaatliche Seite in den Blick genommen. An welchen Stellen können die Transparenz, Nachvollziehbarkeit und die Öffentlichkeit des gesamten Compliance-Prozesses verbessert werden? Diese Vorschläge werden in die Schlussbetrachtung dieses Abschnittes integriert.

I.  Welchen Einfluss erhalten Partikularinteressen im Compliance-Prozess? Nach der Vorstellung der Vertragsstaaten spielen Experten des jeweiligen Sektors des Umweltvölkerrechts in vielen Verträgen auf zwei Ebenen des Compliance-Verfahrens eine gewichtige Rolle. Die Komitees sind teilweise mit Experten besetzt, in der Hoffnung, dass sie den technischen und komplexen umweltvölkerrechtlichen Themen gewachsen sind. Kontrolliert werden die Komitees unter anderem durch spezialisierte NGOs, denen – teils mehr, teils weniger – Mitwirkungsrechte zugestanden werden. Ihre Kontrolle ist als unabhängige Kontrolle „von außen“ gedacht. Tatsächlich gehören die Komiteemitglieder sowie die NGO-Vertreter nicht selten den gleichen Netzwerken an. Die Qualität der Compliance-Entscheidungen und damit der Vertragsauslegung und -weiterentwicklung droht unter der Homogenität der beteiligten Akteure zu leiden. Es steht im Raum, dass sich das Compliance Committee und seine Mitglieder von dem politischen Konstrukt des Vertrags verselbstständigen, sich die Auslegung teleologisch zu einseitig fortentwickelt und das Komitee zu einer intransparenten Rechtssetzungseinheit wird. Als erster Schritt sollte – verbunden mit der Hoffnung auf bessere Entscheidungsergebnisse – ein Ausgleich zwischen den verschiedenen, auf das Compliance-Verfahren einflussnehmenden Interessen angestrebt werden. Damit sind unter anderem plural besetzte Gremien und der Einbezug einer großen Bandbreite an Interessenvertretern gemeint. Einige Vertragswerke haben in den genannten Bereichen schon beispielhaft Vorarbeit geleistet, an der sich die Kri-

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

tik konstruktiv orientieren kann. In einem zweiten und dritten Schritt sollten erfolgte Einflussnahmen auf die Vertragsauslegung offengelegt, die Entscheidungsbegründungen dargestellt und insgesamt die Vertragsweiterentwicklung für „betroffene“ Legislativen oder die interessierte Öffentlichkeit nachvollziehbar gemacht werden. Letzteres kann auf informellem Wege schlichtweg durch klares Websitedesign erreicht werden.

1.  Einfluss der Komiteebesetzung auf die Vertragsweiterentwicklung a)  Vertragsauslegung als notwendiger Bestandteil des Compliance-Prozesses Der Rahmenvertrag ist ein politischer Kompromiss, der nicht selten einen ungenauen und vagen Rechtstext zur Folge hat.219 Daher kommt gerade dem Compliance-Verfahren die zentrale Aufgabe zu, den Vertrag authentisch zu interpretieren. Der Begriff der Auslegung ist sehr weit zu verstehen und kann bis zur Abänderung der Vertragsnorm führen:220 „amend, extend or delete a text.“221 Der finale Regelungsansatz umweltvölkerrechtlicher Verträge begünstigt diese Auslegung.222 Institutionell wird diese Auslegungsmethode dadurch befördert, dass es sich um dauerhaft eingerichtete Vertragsorgane handelt. Das Compliance-Verfahren kann also zu einer vertragserweiternden Rechtsfortbildung führen.223 Die notwendige Vertragsauslegung delegiert die Vertragsstaatenkonferenz an das Compliance Committee.224 Die Experten katalysieren den Willen der Vertragsstaaten. Die Komitees erhalten oft große Spielräume und damit Einfluss auf die nähere Bestimmung des Norminhalts.225 Die Normauslegung ist 219 

„Positive law – writtten or unwritten – inevitable suffers from the inherent imperfections of human language.“ Berner, ZaöRV 2016, 845–878, 850. 220  S. o. Kapitel 2 B. III. 221  Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 105–122, S. 111. S. dazu u. a. Kapitel 2 C. I. 222  Binder, Grenzen der Vertragstreue, 2013, S. 81. 223  „Such organs may instill dynamic life into a treaty regime, thus creating many – welcome or unwelcome – surprises.“ Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1055. Das BVerwG stellte 2013 bspw. fest, dass sich „[n] ach einer gefestigten Spruchpraxis zu Art. 9 III AK […] die den Vertragsparteien nach dem Wortlaut der Bestimmung zugebilligte Gestaltungsfreiheit geringer [darstellt], als insbesondere von Deutschland angenommen. In einer ganzen Reihe von Empfehlungen hat das Compliance Committee sein Verständnis der so genannten dritten Säule der Aarhus-Konvention über den Zugang zu Gerichten nach Art. 9 III AK dargelegt.“ Vgl. BVerwGE 147, 312, Rn. 34 (Klagebefugnis einer Umweltvereinigung gegen Luftreinhalteplan). Die Rechtsfortbildung durch die Gerichte sei integraler Bestandteil europäischer und deutscher Rechtskultur, BVerfGE 75, 223, 243 f. (Kloppenburgbeschluss). 224  S. o. Kapitel B. I. 2. 225  Schmalenbach sieht darin auch die Gefahr, „dass das Kontrollorgan vom Hüter des Vertrags zum Herrscher des Vertrags mutiert“. „Kompetenzaufteilungen“, die die politische Auslegungsarbeit bei der Staatenversammlung festschreiben möchten, seien „in der Praxis nur



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zu Teilen ein kreativer Prozess. Deshalb ist es von großer Bedeutung, wer die Entscheidungen im Gremium trifft.226

b) Netzwerkdynamik Die Besetzung der Komitees wird meistens durch eine Wahl in der Vertragsstaatenkonferenz entschieden. Dabei spielt das Thema der Heterogenität227 durchaus eine Rolle. Jedoch orientiert sich diese an der derzeitigen Funktionsweise der Völkerrechtsordnung (unter dem Stichwort der Staatengleichheit). Die Vertragsstaaten streben vor allem eine geographisch ausgewogene Repräsentation an.228 Als Beispiel kann der Mechanismus des Basler Übereinkommens genannt werden. Hier normiert Decision VI/12, Nr. 3: „It shall consist of 15 Members nominated by the Parties, serving in accordance with paragraph 4, and based on equitable geographical representation of the five regional groups of the United Nations, elected by the Conference of the Parties.“

Dabei sind Compliance Committee gar nicht immer mit „Staatenvertretern“ (wie bei dem Montrealer Protokoll und der Alpenkonvention) besetzt, sondern oft auch mit Einzelpersonen (wie bei der Aarhus Konvention). Insgesamt sind Fachvertreter der jeweiligen Materie und damit Netzwerkvertreter in der Mehrzahl – seien dies externe Experten oder Vertreter der Ministerialverwaltung229 –

schwer durchzuhalten“. Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 254 f. 226  „[T]he meaning of a treaty is not carved in stone at the moment of its conclusion: instead debates continue, albeit no longer on what words to use in the treaty, but on how to give meaning to the words that are used. Whoever controls this process controls the meaning of the treaty, and […] controls whether the acts of States are faithful implementations of a text, or amount to breaches of that same text.“ Klabbers, NJIL 2005, 405–428, 406 f. 227  Von einer Spiegelbildlichkeit wie im parlamentarischen system kann wohl nicht gesprochen werden. Schon die Suche nach nichtgeographischen Anknüpfungspunkten ist kompliziert. 228  Positives Gegenbsp. ist das Compliance Committee des Cartagena Protokolls, das immerhin eine Balance zwischen importierenden und exportierenden Ländern bei der Besetzung des Komitees beachten möchte, s. die Geschäftsordnung des Protokolls: II. 2. UNEP/CBD/BS/ COP-MOP/1/8. 229  Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 112. Dies wird als notwendig erachtet: „[T]he continuous increase in regulatory complexity means that only experts can draft workable technical rules and amend them in response to practical experience and new knowledge.“ bei Kingsbury, Global Administrative Governance, in: Bodansky/Brunnée/Hey (Hrsg.), Oxford Handbook of Environmental Law, 2007, S. 63–84, S. 68. Internationaler Verhandlungsprozess insgesamt kritisch dargestellt bei Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 41– 146, S. 80: „Erst recht ist das erkennbar bei der Zustimmung zu internationalen Konventionen, die auf subalterner Beamtenebene ausgehandelt werden und dann kaum bemerkt durch das Parlament geschleust werden – und dann später zu großem Erstaunen führen, wozu man sich verpflichtet hat“.

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„international expertocracy“230. Das Compliance Committee wird zu einer eigenen Fachbruderschaft, die ihrerseits in die internationale Fachbruderschaft, das Netzwerk von Peers eingebunden ist.231 Die Einbindung der Compliance-Mitglieder in ein internationales Netzwerk bleibt nicht ohne Rückwirkung auf das Auslegungsergebnis: Haas spricht von einem „network of professionals with recognized expertise and competence in a particular domain and an authoritative claim to policy-relevant knowledge within that domain or issue-area.“232 Slaughter betont in ihrer Definition hingegen den transnationalen Charakter sowie die Governance-Funktion von Netzwerken: „[I]nformal institutions linking actors across national boundaries and carrying on various aspects of global governance in new and informal ways.“233 Das Netzwerkphänomen ist keineswegs neu. Schon 1956 beschreibt Lachs, später 26 Jahre lang Richter am IGH, wie die staatliche Zusammenarbeit auf ministerieller Ebene multilaterale Vertragswerke prägt: „Au sein de ces organisations […] se développe une coopération non seulement entre les États ou les gouvernements mais entre les administrations respectives des États et ces organes techniques.“234

Die Netzwerke greifen ineinander und führen durch ihre (niedrigschwellige) integrative Wirkung zu einer engen Verflechtung der Staaten untereinander.235 Die Eigendynamik eines Netzwerks entsteht durch die engen Bindungen unter den Mitgliedern – es findet eine Art professionelle Sozialisierung statt.236 Vor allem die eigene Policy-Agenda, die shared beliefs der Gemeinschaft, sollen durchgesetzt werden.237 Fachbruderschaften zeichnen sich daher durch fle230  Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1058. 231  So auch Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 133–141, S. 139. Der Begriff der Fachbruderschaft ist prominent verknüpft mit der Realanalyse von Wagener, VVDStRL 1979, 215–266, 238 ff. Begriff auch aufgegriffen im Zusammenhang mit der Europapolitik von Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 10. 232  Haas, IO 1992, 1–35, 3. 233  Slaughter/Zaring, ARLSS 2006, 211–229, 215; Slaughter, New World Order, 2004, u. a. S. 224 ff. Ebenfalls aufgearbeitet von Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389. MwN u. a. aus politikwissenschaftlicher Sicht Keohane/Nye, WP 1974, 44–62. 234  Lachs, AFDI 1956, 334–342, 341. 235  Slaughter, New World Order, 2004, S. 5. 236  Shapiro nutzt in diesem Zusammenhang den drastischen Begriff des Kartells, Shapiro, LCP 2005, 341–356, 349. 237  Die damit zusammenhängenden Vorteile unterstreichend Annan, We the Peoples, 2000, S. 70 f.; ebenfalls positiv Chayes/Handler Chayes, New Sovereignty, 1995, S. 281; ebenso Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 57 ff.; kritisch dazu Perez, WILJ 1996, 463– 490, 475; Untersuchungen von Fallbeispielen, in denen die jeweiligen Fachbruderschaften durch die Aufbereitung und Darbietung von Informationen in der Lage waren, das staatliche Handeln maßgeblich zu beeinflussen: Haas, Saving the Mediterranean, 1990, S. 234 ff.; Johnson, IO 1975, 745–770. Über den faktischen Einfluss von Fachbruderschaften auf Policy vgl. Kennedy: „Indeed, to say the world is covered in law is also to say we are increasingly gov-



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xible und überdies fokussierte Problembearbeitung aus.238 Alle Mitglieder sind darauf bedacht, konsensual und kooperativ zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen.239 Für viele Beobachter gelten Expertenentscheidungen als besonders qualitätsvoll und dadurch „legitimiert“240. Expertenentscheidungen seien einer politischen Entscheidungsfindung vorzuziehen241: „Quality brings legitimacy.“242 In der Entstehungsgeschichte der umweltvölkerrechtlichen Compliance-Kontrolle wurde die expertengeleitete „institutionelle Kontrolle“, die sich von der diplomatisch-politischen Kontrolle abhob, vor diesem Hintergrund als großer Fortschritt geschätzt: Sie versprach Sachlichkeit, Objektivität und ein hohes Maß an Unparteilichkeit.243 Unabhängige Experten im ComplianceVerfahren trügen zur Legitimität der Regimes, denen sie „vorstehen“, bei.244 Nicht zuletzt ist der große Sachverstand eine notwendige Voraussetzung, um ein Compliance-Verfahren im komplexen Umweltvölkerrecht überhaupt durchführen zu können.245 erned by experts. […] These experts […] make decisions that affect the wealth, status, and power of other people. They do so by interpreting and enforcing the background norms and institutions which structure activity in the market, in the state, in the family.“ Kennedy, SLR 2005, 1–24, 2. 238  Mit Blick auf die internationale Problemlösung werden Netzwerke häufig positiv bewertet u. a. von: Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, 386; Tietje, JWT 2002, 501–515, 509; Vesting, VVDStRL 2004, 42–68, v. a. 56 ff. 239  Spricht von der internationalen Solidarität der Fachbruderschaften Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 790; s. auch Di Fabio, Recht offener Staaten, 1998, S. 127. „Im Globalisierungsprozess spielen Netzwerke als transnationale Kooperationsformen nicht nur im zwischenstaatlichen Bereich, sondern auch im Bereich gesellschaftlicher Organisationen eine besonders wichtige Rolle.“ Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 59. 240 Dazu zusammenfassend Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 40 f. 241  Max Webers Gedanken aufgreifend, liegen darin viele Vorteile: „[T]he virtues of bureaucratic governance processes that delegate some policy choices to experts whose knowledge, focus, neutrality, and insulation from politics promise systematically superior decisionmaking outcomes.“ Esty, YLJ 2006, 1490–1562, 1517. 242  Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 111. Von einer „höheren Richtigkeit“ spricht Kirchhof, ZGR 2000, 681–692, 689, nicht ohne allerdings aus demokratischer Sicht Kritik zu äußern. 243  Lang, Verhinderung von Erfüllungsdefiziten, in: Hengstschläger u. a. (Hrsg.), FS Schambeck, 1994, S. 817–835, S. 817 f. 244  Peters, A., Dual Democracy, in: Klabbers/dies./Ulfstein, Constitutionalization, 2009, S. 263–341, S. 339, die in ihrer Analyse den rechtserzeugenden Charakter von ComplianceEntscheidungen ausklammert. In anderem Zusammenhang Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 558: „Regierungen, Umweltverbände und Wissenschaftler treten als neue, sachverständige Experten der bestimmenden Überstaatsräson bei, um sachgerechte Problemlösung zu ermöglichen. Es entsteht eine expertengestützte Form politischer Herrschaft für, anstatt durch den Menschen, die kollektive Entscheidungen durch Sachzwänge und gute Zwecke ersetzt“. 245  Zu der Notwendigkeit eines hohen Sachverstands Classen, VVDStRL 2008, 365–412, 372. Einer der Slogans der aktuellen Klimabewegung lautet daher auch: „Hört auf die Wissenschaft!“ u.a bei Fridays for Future, Die 1,5°C-Studie – Eine Zusammenfassung, Blogeintrag vom 13. Oktober 2020, unter: https://fridaysforfuture.de/die-machbarkeitsstudie-einezusammenfassung/(zuletzt abgerufen am 25. April 2023).

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Dementsprechend verfügen die heutigen Compliance-Entscheidungen über ein hohes Ansehen:246 Die Vertragsstaatenkonferenzen übernehmen die Auslegungsentscheidungen ohne Änderungen, die betroffenen Vertragsstaaten akzeptieren die geäußerte Kritik meistenteils und arbeiten eng mit dem Komitee zusammen. Die (allgemeine) Auslegung des Vertragswerks wird von den übrigen Vertragsstaaten (fast immer widerspruchslos) zugelassen und angenommen. Die Wirkmacht von Compliance-Entscheidungen wird durch die Faktoren Konstanz und Konsistenz verstärkt: Einerseits basieren die Entscheidungen auf einer ständigen Spruchpraxis, auf die das Komitee zur Argumentation zurückgreifen kann. Andererseits handelt es sich – anders als bei der Vertragsstaatenkonferenz – in fast allen Fällen um ein ständiges Gremium.247 Zugleich ist die Kritik an den Epistemic Communities, wie sie sich auch in den Compliance Committees manifestieren,248 groß:249 In Fachbruderschaften250 ist der offene Diskurs gehemmt – die einzelnen Vertreter sind sich zu nah, um sich gegenseitig zu kritisieren: „[M]embers are ‚reluctant to challenge each other’s communications for fear of their own communications being challenged‘“.251 Gerade deshalb sei die Qualität der Entscheidung einer Fachbruderschaft in Zweifel zu ziehen.252 Ihre Fähigkeit, politische Entscheidungen zu le246 Verwendet authoritative als Charakterisierung Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 133–141, S. 139. 247  Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, u. a. S. 208 ff. und 439 f. 248 Allgemein zum Wirken von Netzwerken innerhalb von umweltvölkerrechtlichen Vertragswerken und gleichzeitig deren Rückwirkung auf das deutsche Umweltverwaltungsrecht bei Durner, Internationales Umweltverwaltungsrecht, in: Möllers, C./Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 121–164, S. 146. 249  Derzeit mit einer solchen Kritik am administrativen System der USA hörbar am Diskurs beteiligt Marini, Unmasking the Administrative State, 2019. Marini meint, es sei bereits ein Staat im Staat, eine Parallelregierung aus Technokraten, ein sog. deep state, entstanden. Die Parlamentarier (des Kongresses) seien entmachtet. Der Geheimdienst spiele in diesem „Konstrukt“ eine zentrale Rolle. Diese Analyse äußert wichtige Kritik an der Entscheidungsfindung durch Netzwerke, geht jedoch durch den Ansatz, alle Regierungsgeschäfte darunter fassen zu wollen, zu weit. Die „Verschwörung“ von Netzwerkvertretern mit anderen Beteiligten der „Politikkaste“, die den „normalen“ Bürger gegenübersteht, ist ebenfalls nicht überzeugend dargelegt. 250  Begriff auch verwandt u. a. von Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 126. 251  Fransen zit. bei Huggins, TEL 2015, 101–124, 111; zu internen Funktionsweisen Slaughter, GO 2004, 159–190, 162 ff. 252  Möllers, C., ZaöRV 2005, 352–389, 379; Shapiro, IJGLS 2001, 369–378, 370. Dramatisches Bsp., in dem die „Fachbruderschaft“ davon überzeugt war, dass ihr Verständnis zum Guten beitrage: Auffassung, dass die Offensive die beste Kriegstaktik sei, denn sie ermögliche einen kurzen Krieg, der schnell eine Entscheidung herbeiführt. Dieser „Offensivkult“ sei eine Hauptursache für das Ausbrechen des Ersten Weltkriegs bei Van Evera, IS 1984, 58–107; dass die Wissenschaft für die Lösung politischer Probleme (Bsp. Ausgleich zwischen Gesundheitsschutz und Freihandel) ungeeignet ist, v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 278. Insbesondere bei emotional aufgeladenen umweltpolitischen Themen wie dem Walfang oder der Wolfsjagd wird deutlich, dass der Verweis auf naturwissenschaftliche Studien werthaltig ist. Im Rahmen der



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gitimieren, ist zweifelhaft.253 „Expert norms […] are not necessarily the norms the rest of us share.“254 Ein informeller Rechtssetzungs- und -gestaltungsprozess lässt die verstärkte Einflussnahme einzelner Interessengruppen zu. Die Beschlüsse werden damit von einem Netzwerk von Experten bzw. Technokraten und nicht von der politischen Gemeinschaft der (gleichberechtigten) Vertragsstaaten getroffen. Experten sollten in der Konsequenz nicht als Neutrale, sondern ebenfalls als Interessengruppe eingestuft werden.255 In einem ausgeglichenen Wettbewerb der Ideen sollten sie einem ebenbürtigen Gegenüber begegnen.

c)  Einfluss der Homogenität auf das Auslegungsergebnis Darüber hinaus hat die einseitige Besetzung der Komitees Rückwirkung auf das Auslegungsergebnis. Die Normauslegung ist ein kreativer Prozess, der Raum für außerrechtliche Einflüsse lässt. Die personelle Besetzung der Compliance Committee (also die individuellen Erfahrungen und der persönliche und/oder kulturelle Hintergrund etc.) beeinflusst das Auslegungsergebnis.256 Berner Konvention halten Island und Norwegen die regionale Erhebung der Finnwalpopulation durch wissenschaftliche Publikationen im Rahmen der Berner Konvention für fragwürdig. Ihrer Auffassung nach sind die Bestände im Nordatlantik als „erholt“ anzusehen, die Bestände im Mittelmeer jedoch noch als entwicklungsbedürftig. Sie meinen also, Bestanderfassung müsste regionalspezifisch erfolgen. In der Vertragsstaatenkonferenz der Berner Konvention ist hingegen die unter anderem von Deutschland vertretene Auffassung angenommen worden, die weltweite Finnwalpopulation sei noch schützenswert und die Bestände hätten sich noch nicht erholt. Auch Deutschland führt dafür wissenschaftliche Studien an, in denen die Populationsbestände des Finnwals global erhoben werden. Report von 1996 T-PVS (96) 23, S. 9 f. 253  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 558. „[E]in bloßes Mehr an Expertenwissen erzeugt deshalb nicht notwendig eine bessere Problemlösungsfähigkeit, da auch dieses auf teilweise ungesicherten Vorannahmen, lückenhaften Daten und teilweise nicht hinterfragten Vorverständnissen beruht.“ bei Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 5. 254  „There is an inevitable tension between democratic control of public policy, including regulatory policy, and regulation by experts.“ Shapiro, LCP 2005, 341–356, 342 f. und weitergehend 348 f. Shapiro schreibt den Experten keine neutrale Position zu, sondern meint, auch sie stellten eine Interessengruppe dar. So ähnlich auch Haas, IO 1992, 1–35, 4. 255  Shapiro, LCP 2005, 341–356, 343; Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 790; in der Tendenz auch bei Lübbe-Wolff: sie spricht von „sachverständige[m] Interesse“, Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 221. 256 MwN Villiger, The Rules on Interpretation, in: Cannizzaro (Hrsg.), The Law of the Treaties, 2011, S. 105–122, S. 106. In Bezug auf die (rechtsfortbildende) Normkonkretisierung Petersen, Der Staat 2010, 435–455, 444: „Das Konzept der Normkonkretisierung beruht auf der Annahme, dass Normsätze mittels der traditionellen methodischen Instrumente nicht vollständig aus dem positiven Recht deduzierbar sind. Vielmehr hängt die Konkretisierung in nicht unerheblichem Maße auch vom Hintergrund des Norminterpreten ab.“ Vgl. hierzu die angelsächsische politikwissenschaftliche Debatte zum Einfluss der Persönlichkeit und des persönlichen Hintergrunds eines Richters auf das Ergebnis seiner juristischen Entscheidungen: frühe Publikation von Schubert, The Judicial Mind, 1965; später Schubert, The Judicial Mind Revisited, 1974. Bestritten in der juristischen Forschung bspw. von Ashenfelter/Eisenberg/Schwab, JLS 1995, 258–281. In Deutschland haben Untersuchungen der Entscheidung von Bundesverfassungsrichtern diese Beobachtung (nur) zum Teil bestätigen können: vgl. die empirische Untersuchung von Shikano/Mack, ‚Judges‘ Behaviour, 2014.

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Bisher wird auf eine thematische Vielfalt weniger oder gar nicht geachtet. Bei der Aarhus Konvention sind alle Vertreter auf den Bereich des Umweltschutzrechts spezialisiert, sei dies auf wissenschaftlicher, anwaltlicher oder zivilgesellschaftlicher Seite oder aufseiten staatlicher Regulierung. Häufig sind die Mitglieder in mehr als einem dieser Zusammenhänge tätig. Auffällig ist, dass die Vertretung beispielsweise von Wirtschafts- oder anderen Gemeinwohlinteressen gegenüber Umweltschutzinteressen in den Biographien des überwiegenden Teils der Mitglieder keine Rolle spielt.257 Das Komitee des Basler Übereinkommens ist hingegen durchmischter besetzt. Zunächst fällt auf, dass nur ein kleiner Teil der Mitglieder eine juristische Ausbildung hat. Die meisten sind Naturwissenschafter oder Mediziner. Zwar stammt der größte Teil der Gremiumsmitglieder von den nationalen Umweltschutzbehörden (Ministerien oder diesen nachgeordneten Behörden). Nicht wenige haben aber zusätzlich Erfahrungen in der Privatwirtschaft gesammelt oder waren in lokalen (Umsetzungs-)Behörden tätig.258 Im Compliance-Verfahren besteht durch die Konzentration auf den thematischen Sektor „Umwelt“ die Gefahr, dass Wechselwirkungen zwischen Umweltschutz und anderen Aspekten wie der wirtschaftlichen Entwicklung oder der menschlichen Wohlfahrt außen vor bleiben, nicht hinreichend oder zu einseitig berücksichtigt werden:259 „one-topic-Perspektive“260. Das gilt verstärkt mit Blick auf die teleologische Auslegung. Sie entpuppt sich (an diesem Beispiel veranschaulicht) als ein zentrales Öffnungsinstrument und ermöglicht eine Verzahnung von Recht und Politik, von Normativität und Empirie.261 257  Website der Aarhus Konvention: https://unece.org/env/pp/cc/committee-members (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 258  Website des Basler Übereinkommens: http://www.basel.int/TheConvention/ Implementation ComplianceCommittee/Membership/tabid/1379/Default.aspx (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 259 Dabei gehen die Mitglieder der Fachbruderschaft davon aus, eine Entscheidung auf sachlicher Grundlage gefällt zu haben. Sie entfliehen in ihren eigenen Foren der Politik: Slaughter, GO 2004, 159–190, 165. Hochschild, Gewaltenteilung als Verfassungsprinzip, 2010, S. 15. In anderem Zusammenhang ähnlich Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, 379. Möllers Schlussfolgerung, Netzwerke würden „ohne Zweifel“ (ebd., 386) Probleme lösen, erstaunt. 260  Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen u. a. (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 125, der dort daneben die kritische Seite der „fokussierten Einzelkonventionen“ beleuchtet. 261  Empirie und Normativität liegen nicht so weit auseinander, wie dies in manchen wissenschaftlichen Darstellungen erscheint. Vgl. aufarbeitend Petersen, Der Staat 2010, 435– 455, u. a. 436, 439 ff. und 440 ff. Dort Verweis auf Engel, JZ 2005, 581–636, der vor diesem Hintergrund die teleologische Auslegung als „trojanisches Pferd“ (ebd., 582) bezeichnet. Das BVerfG beschreibt diesen Mechanismus wie folgt: „[I]nternationale […] Organisationen eröffnen die Möglichkeit, dass sich die geschaffenen Einrichtungen, auch und gerade wenn deren Organe auftragsgemäß handeln, selbstständig entwickeln und dabei eine Tendenz zu ihrer politischen Selbstverstärkung aufweisen.“ BVerfGE 123, 267, 351 (Lissabon).



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Im Compliance-Verfahren fehlen demnach Interessenkonflikte. Einziger Akteur mit einer Rolle als „Gegenspieler“ ist der Staat als Hüter der Allgemeininteressen.262 Der betroffene Staat hat aber im Compliance-Verfahren zugleich die Rolle, als Partner zu kooperieren. Als Beispiel kann die Auseinandersetzung des sogenannten Standing Committee mit Griechenland im Rahmen der Berner Konvention dienen:263 Die Bucht von Laganas in Griechenland ist mit einem etwa 7 km langen Sandstrand gesegnet, der Touristen anzieht, und Brutstätte einer geschützten Meeresschildkrötenart ist. Die Berner Konventionsstaaten wollten den Konflikt zwischen Natur und lokaler Wirtschaft – anders als die griechische(n) Regierung(en) – ganz im Sinne des Naturschutzes auflösen. Die wirtschaftliche Nutzung dieses Strandes sollte vollständig verboten und stattdessen ein Nationalpark errichtet werden. Aufseiten der Berner Konvention standen auch einflussreiche NGOs. Der WWF kaufte kurzerhand, zu 75% aus Mitteln der EU-Kommission finanziert, Teile des Strands auf, um die touristische Nutzung zum Schutz der Schildkröten auf privatrechtlichem Weg auszuschließen. Auf den Treffen des Standing Committee wurden die wirtschaftlichen Interessen der lokalen Bevölkerung und Unternehmen alleine von den Vertretern der griechischen Regierung (mit-)vertreten, die Interessen des Naturschutzes zusätzlich durch fünf vor Ort engagierte NGOs.264 Das Kernelement einer Demokratie ist die öffentliche Auseinandersetzung unterschiedlicher Meinungen, die „für Wahlen und Abstimmungen erst die Alternativen sichtbar“265 macht. Eine homogene Auswahl der Mitglieder lässt demokratischen Pluralismus sowie Transparenz vermissen und kann zu einer isolierten Weiterentwicklung einzelner Rechtsmaterien durch das Nichteinhaltungsverfahren führen. Diese Kritik betrifft beide Komiteevarianten gleichermaßen – auch die mit Staatenvertretern besetzten Compliance Committee.266 262  Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1059. 263  Ausgetragen zwischen 1986 und 1999, nachzulesen in den Reports des Standing Committees. Einen guten Überblick über die Diskussion erhält man bspw. durch den Report von 1995 T-PVS(95)26, S. 17 ff. 264 Greenpeace-Greece, WWF-Greece, ZOK – Zakynthian Ecological Movement, Sea Turtle Protection Society of Greece, MEDASSET – Mediterranean Association to Save the Sea Turtles, nachzulesen im Report des 19. Treffens des Standing Committees 1999, T-PVS(99)30. 265  BVerfGE 123, 267, 358 (Lissabon). 266  Slaughter bezeichnet diese Sektoralisierung der staatlichen Repräsentation auf internationaler Ebene mit den Worten „diaggregated into […] component government institutions“ und beobachtet, „[that] those government officials can interact quasi-autonomously with their foreign counterparts“. Beide Zitate bei Slaughter, GO 2004, 159–190, 163. Ähnlich bei Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, u.a 353; in anderem Zusammenhang Johnson, IO 1975, 745– 770, 746.

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d)  Vorschläge zur Verbesserung Diversität unter den Entscheidungsträgern bringt einen Mehrwert in die Entscheidungsfindung ein – so die Sichtweise beispielsweise des Konstitutionalismus: „Democracy built on diversity“.267 Allerdings sollte die Schlussfolgerung nicht dahingehend lauten, dass nun eine Art globales Parlament diese Vielfalt in das Verfahren einbringt. Vielmehr sollte im Verfahren selbst „simulierte Ganzheitlichkeit“ angelegt werden.268 Die Verantwortung, die das Nichteinhaltungsverfahren für die Vertragsweiterentwicklung übernimmt, muss sich auch in der Besetzung des Komitees widerspiegeln: Die Mitglieder des Compliance Committee machen sich den Einfluss ihrer Expertenstellung zu nutze. Sie können sich daher der Kooperation der betroffenen Staaten überwiegend sicher sein.269 Die im Compliance-Verfahren gebildete Auslegung prägt den Vertragsinhalt. Schlussfolgerung sollte daher sein, einen Ausgleich zwischen den einzelnen Interessen herzustellen. In zwei Schritten, die sich an das bereits bestehende Compliance-Verfahren anpassen, sollte dazu zunächst einmal die Einflussnahme nachvollziehbar gestaltet werden und dann Vielfalt und Diversität in den Gremien und bei den zugelassenen Beobachtern angestrebt werden: 1. Die Namen der mitentscheidenden Komiteemitglieder und die Kenntlichmachung des für den jeweiligen Fall zuständigen „Berichterstatters“ sollten in der Entscheidung, die der Vertragsstaatenkonferenz zugeleitet wird, zu sehen sein. Damit würde auch der faktische Einfluss, den die Komiteemitglieder trotz formaler Letztentscheidungsmacht der Vertragsstaatenkonferenz auf den Inhalt der Entscheidung nehmen, erkennbar gemacht.270 Kon267  Peters, A., Dual Democracy, in: Klabbers/dies./Ulfstein, Constitutionalization, 2009, S. 263–341, S. 308. Allerdings ist der Begriff der Demokratie hier zu hoch gegriffen. Das BVerfG schreibt: „Demokratie bedeutet […] nicht allein eine korporative Einbindung von Interessengruppen.“ BVerfGE 123, 267, 358 (Lissabon). 268 Angelehnt an die „simulierte Multilateralität“, die v. Bogdandy für die WTO vorschlägt: Er rät an, dass nicht ein Weltparlament dem Problem der „Bedrohung der Demokratie durch die Globalisierung“ entgegengestellt werden muss, sondern eine „Pflicht zur Multilateralität“: „die […] Interessen der Bürger anderer Staaten […] müssen […] berücksichtigt werden, entweder mittels einer paktierten Lösung zwischen den betroffenen Staaten, oder, sollte dies unmöglich sein, durch ‚simulierte Multilateralität‘ in den internen Verfahren. Hierin liegt ein origineller Beitrag zur Fortentwicklung des demokratischen Prinzips und zur Konkretisierung ‚guter Regierungsführung‘ (good governance).“ v. Bogdandy, KJ 2001, 425–441, 436. 269  Spricht von einem „self-evident comparative advantage“ des Kontrollorgans im Bezug auf die Interpretation des Vertragswerks, Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 133–141, S. 139. 270  Dass in speziellen Zusammenhängen der Datenschutz dieser Lösung entgegenstehen könnte, ist beim Kerntechnischen Ausschuss zu sehen. Dort sind die zuvor veröffentlichten Namen der Ausschussmitglieder mit dem Verweis auf datenschutzrechtliche Anforderungen gelöscht worden, vgl. z. B. KTA 3206. Das ist wohl eine Folge des aufgeheizten politischen Klimas rund um das Thema der Atomkraft.



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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fusionsähnliche Zustände271 können auf diese Weise vielleicht nach außen sichtbar gemacht und somit vermieden werden. 2. Für eine generelle Transparenz und Einordnung wäre auch eine Veröffentlichung der aktuellen Gremienmitglieder mitsamt ihrem professionellen Werdegang auf der Website hilfreich. Dies wird so bereits im Rahmen der Aarhus Konvention praktiziert, wo auch die Komiteebesetzungen vergangener Perioden nachzuvollziehen sind. Auch das Basler Übereinkommen macht die Lebensläufe der Komiteemitglieder einsehbar. Das ist wichtig, damit jede Auslegung (auch) im Lichte des persönlichen Hintergrundes interpretiert werden kann. Mit diesen Informationen kann die Spruchpraxis eines Compliance Committee auch nachträglich beispielsweise wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Schwierig gestaltet sich diese Forderung in den (wenigen) Verträgen, die kein ständiges Gremium vorsehen, wie etwa beim Montrealer Protokoll. Bei dem Deutschen Institut für Normung ist eine graphische Aufarbeitung der an der Normerstellung beteiligten Kreise auf der Website einsehbar: So ist zum Beispiel der DIN-Normenausschuss Grundlagen des Umweltschutzes (NAGUS) 2021 zu 48% mit Vertretern der Wirtschaft, zu 18% mit Wissenschaftern, zu 14% mit Vertretern der Öffentlichen Hand, zu 7% mit Anwendern, zu 6% mit Vertretern, die sich dem Umweltschutz, und 2% mit Vertretern, die sich dem Verbraucherschutz widmen, besetzt gewesen. 3. Nicht zuletzt sollte eine Gremienpluralität im Sinne einer simulierten Ganzheitlichkeit angestrebt werden. Vielfalt und Diversität wird derzeit höchstens auf der Ebene der Vertragsstaatenkonferenzen angestrebt.272 Das ist aber just der legitimatorische Brückenpunkt zum Nationalstaat. Zudem sind die „vorarbeitenden“ Gremien wie das Compliance Committee – so wie es die Ausschüsse auch im nationalen parlamentarischen Bereich sind – ebenfalls bedeutend, wenn nicht in der alltäglichen Arbeit sogar bedeutender als das „Plenum“. Die Ausschüsse des Deutschen Bundestags sind spiegelbildlich zum Plenum aufgebaut. Anknüpfungspunkt bildet die Fraktionszugehörigkeit. Im internationalen Bereich lösen geographische Gesichtspunkte das Diversitätsproblem nicht vollständig, wie aufgezeigt wurde. Es müssen andere Anknüpfungspunkte gefunden werden, um Pluralität herzustellen. So wird beispielsweise im Cartagena Protokoll zwischen exportierenden und importierenden Staaten unterschieden. Im Kyoto Protokoll ist eine Doppelspitze vorgesehen, die aus je einem Annex-I- und Annex-II-Staatenvertreter zusammengesetzt ist.273 Im Bereich der technischen Normen sind Gremien mit Blick auf den professionellen Hintergrund vielfältig(er) besetzt.274 271 

S. o. Kapitel 1 B. II. Vgl. oben Kapitel 1 A. IV. 2. Decision 24/CP.7 II. 4. 274  Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 205. 272  273 

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Eine ähnliche Regelung fand sich im Entwurf zum Umweltgesetzbuch. § 32 Abs. 1 Nr. 2 UBG-KomE zur amtlichen Einführung technischer Regelwerke sah vor, dass Gremien hinsichtlich der bestehenden Interessen ausgewogen zusammengesetzt sein sollten.275 Das kann eine Vorbildfunktion auch für die Auslegung im Zuge der Nichteinhaltungskontrolle begründen.

2.  Kontrolle durch NGOs Die Expertise, der Einsatz, der Gestaltungswillen und die Repräsentationsrolle von NGOs sind nur wenige „Funktionen“ von privaten Interessenverbänden, die sich moderne umweltvölkerrechtliche Verträge in vielerlei Form zunutze machen.276 NGOs sind im Compliance-Verfahren ein wichtiger Bestandteil einer externen Kontrolle; sie nehmen als Beobachter (teilweise mit Rede- und Beteiligungsrechten) an Compliance-Verfahren und Vertragsstaatenkonferenzen277 teil. NGOs können die getroffenen Entscheidungen damit besser nachvollziehen und kontrollieren als zum Beispiel die nationalen Legislativen. Eine besondere Funktion nehmen NGOs ein, wenn sie Compliance-Verfahren einleiten. Dann können sie sogar zu „Agenda-Settern“ auf internationaler Ebene emporsteigen. Dieser Trend ist vor allem bei der Aarhus Konvention zu erkennen.

a)  Die NGO: Anwältin der Natur278 Aus der Sicht des Konstitutionalismus ist diese Einbeziehung von NGOs eine „second track democratization“; in großen Worten: „no globalization without participation“279. Die Beteiligung von NGOs oder – allgemeiner gesprochen – der Zivilgesellschaft280 in globalen Verwaltungsprozessen stellt eine Möglichkeit dar, staatenübergreifende Bürgerpartizipation zu katalysieren.281 Sie 275 Nachzulesen in Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch, 1998, S. 118 f. 276 Meint, NGOs übernähmen funktional die Rolle von Nationalstaaten, Vesting, VVDStRL 2004, 42–68, 56. 277 Die Bezeichnung Vertragsstaatenkonferenz suggeriert einen überschaubaren Kreis von Regierungsvertretern, jedoch sind die nationalstaatlichen Delegationen bereits divers mit Netzwerk- und Interessenvertretern besetzt. Letztere nehmen Einfluss auf die Delegation und damit das Verhandlungsergebnis der Vertragsstaatenkonferenz im Rahmen von ComplianceEntscheidungen. S. o. Kapitel 1 A. IV. 2. 278  Vgl. BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 136 (Klimaschutzgesetz). 279  Beide Zitate bei Peters, A., Dual Democracy, in: Klabbers/dies./Ulfstein, Constitutionalization, 2009, S. 263–341, S. 298 und S. 313 ff.; diese bedeutende Rolle nehmen sie auch aus Sicht des Global Administrative Law ein: Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315–338, 335 Fn. 75; Auseinandersetzung mit der legitimierenden Rolle der NGOs bei Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 24 ff. 280  Chayes/Handler Chayes, New Sovereignty, 1995, S. 269. 281  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 18, 23 f. und 35; „a possible substitute for representative democracy“ bei Stein, AJIL 2001, 489–534, 491. Die Ursprünge des globalen zivilgesellschaftlichen Engagements liegen im ausgehenden 19. Jh. Es werden ab 1875



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sind ein wichtiges Element der „zusätzlichen neueren Formen transparenter oder partizipativ angelegter politischer Entscheidungsverfahren“282 innerhalb der institutionalisierten internationalen Zusammenarbeit. Hierdurch sollen die Einflussverluste der nationalstaatlichen (parlamentarischen) Entscheidungsträger kompensiert werden. NGOs kommen zwei wichtige Aufgaben zu: Sie kontrollieren die internationale Verwaltungstätigkeit als „watch dog“283 und setzen dringende Themen auf die globale Tagesordnung.284 Das ist vor allem im Umweltschutz wichtig: „Fish cannot walk into court.“285 Abgesehen von NGOs, die sich den Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben haben, erfüllen Verbände, wie zum Beispiel der Verband der chemischen Industrie e. V., ebenso eine wichtige Rolle im politischen Prozess.286 Durch Stellungnahmen von Verbänden und NGOs erhalten die zuvor teils sehr technischen Aussagen des Umweltvölkerrechts eine politische Bewertung und sind so als Information leichter politisch „zu verwerten“ also beispielsweise vom Parlament in einer Debatte aufzugreifen.287 Wird die technische Gesetzgebung im Umweltrecht nicht auf diese dezentrale und arbeitsteilige Art der Mitwirkung kontextualisiert, droht sie unter dem Radar zu fliegen.288 Im Compliance-Verfahren wird diese bedeutende Rolle fast ausschließlich von NGOs ausgefüllt, die sich dem Bereich des Umweltschutzes zuordnen lassen. Sie erfüllen beide Funktionen – „Agenda-Setter“ und „Watch-Dog“ – im Compliance-Verfahren par excellence: Sie kontrollieren das Nichteinhaltungsverfahren durch Beobachtung und Mitwirkung an den Verfahren289 und können die Themen der Tagesordnung durch eine Verfahrenseinleitung oder eine einfache Informationsweitergabe an die Verwaltungseinheit des Vertrags mitbestimmen.290 Nach überkommener Lesart vertreten die Umweltverbände in altruistischer Art und Weise die Belange der Natur als Allgemeinwohlbelanbis zum vorläufigen Höhepunkt 1910 von Jahr zu Jahr mehr internationale NGOs gegründet: „wahrer Aufschwung“ bei Osterhammel, Verwandlung der Welt, 2010, S. 724. 282  BVerfGE 123, 267, 369 (Lissabon). 283  Lang, Verhinderung von Erfüllungsdefiziten, in: Hengstschläger u. a. (Hrsg.), FS Schambeck, 1994, S. 817–835, S. 833. 284  Peters, A., Dual Democracy, in: Klabbers/dies./Ulfstein, Constitutionalization, 2009, S. 263–341, S. 315. NGOs hätten eine größere öffentliche Wahrnehmung und Kontrolle von ­internationalen Organisationen erreicht und einige UN-Rechtsakte maßgeblich geprägt, so Stein, AJIL 2001, 489–534, 491. 285  Bonmot der Generalanwältin Eleanor Sharpston. 286  Das zeigt auch ein Kommentar zur EU Regulierungsstrategie von künstlicher Intelligenz von Fulterer: „Auf Anwender hören kann Regulierung besser machen.“ Fulterer, Die EU ringt um einen dritten Weg, NZZ Internationale Ausgaben vom 23. April 2021, S. 15. 287  Vgl. dazu Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14 und später noch. 288  Formulierung teilweise angelehnt an: BVerfGE 123, 267, 369 (Lissabon). 289  Sie verfügen häufig über ein Rede-, aber nicht über ein Stimmrecht. 290  Vgl. auch zum Washingtoner Artenschutzabkommen Vincent u. a., FaF 2014, 563–592, 566.

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ge.291 In der Folge entsteht im Compliance-Prozess – sofern die Regularien einen Einbezug von NGOs vorsehen – eine „mixed public-private governance structure in which […] NGOs participate along with representatives of states.“292 Als herausragendes Beispiel kann die nahezu symbiotische Beziehung zwischen der Alpenkonvention und der NGO CIPRA genannt werden.293 Der unmittelbare Einfluss der NGO auf die Vertragsauslegung kann anhand der Entscheidung „Egartenlandschaft“ gegen die Bundesrepublik abgelesen werden. In die Entscheidungen sind detaillierte Ausführungen von CIPRA eingeflossen, die seither die Auslegung des Art. 11 Abs. 1 Naturschutzprotokoll bestimmen. Positiv hervorzuheben ist in diesem Fall, dass diese Einflussnahme anhand der veröffentlichten Compliance-Entscheidung transparent nachzuverfolgen ist.294

b)  Die NGO: Vertreterin von Partikularinteressen Das Problem ist, dass – anders als in der Theorie – mit dem Einbezug von NGOs in die Arbeit der Vertragswerke nicht immer eine objektive Kontrolle des Compliance-Verfahrens durch eine plurale Zivilgesellschaft einhergeht. Teilweise können hierdurch Tendenzen homogen aufgestellter Komitees verstärkt werden: NGOs sind Vertreter von Einzelinteressen – im hiesigen Fall häufig von Umweltschutzzielen geleitet –, die aus ihrem partikularen Interessensfeld heraus einen „Tunnelblick“ entwickeln können, der erschwert, dass Aufgaben mit ganzheitlichem Blick gelöst werden.295 NGOs sind erfolgreiche Vertreter von Einzelinteressen, für die eine ausgewogene Berücksichtigung des Gesamtwohls meist nicht an erster Stelle steht:296 „experts and enthusiasts“.297 NGOs sind gegründet worden, gerade weil sie dem Mehrheitswillen widersprechen. 291  Formulierung angelehnt an Heß, ZUR 2018, 686–691, 687. Ebenfalls als demokratische Kompensation befürwortend und recht unkritisch die Aussage des BVerfG zum „bürgerschaftlichen Engagement“ in BVerfGE 123, 267, 369 (Lissabon). Fuchs, GLJ 2008, 1565– 1596, 1587 f., erkennt in der „reliance on science“ und dem „involvement of NGOs“ eine gesicherte input-Legitimität. 292  Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 18, 24. 293  Vgl. u. a. Kapitel 1 C. III. 1. und 2. g). 294  ImplAlp/2015/22/5a/2 (Entscheidung Egartenlandschaft um Miesbach) und dazu u. a. Kapitel 1 C. III. 2. g). 295  Slaughter bezeichnet das als „overpoliticization“ und meint damit eine verzerrte, einseitige Darstellung von Interessen und Meinungen, Slaughter, GO 2004, 159–190, 165; Peters, A., Dual Democracy, in: Klabbers/dies./Ulfstein, Constitutionalization, 2009, S. 263–341, S. 316 ff.; tagesaktuelles Beispiel für die singuläre Konzentration auf Natuschutz, durch die menschenrechtliche Aspekte vernachlässigt werden bei Misteli, NZZ Internationale Ausgabe vom 12. September 2019, S. 15. Auch bei Kment: „Belange, die hier nicht vertreten sind und deshalb auch nicht artikuliert werden, fallen unter den Tisch.“ Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, 2010, S. 37 f. 296 Anstatt Vieler Seidl-Hohenveldern/Loibl, Internationale Organisationen, 2000, S. 3; vgl. mit breiterem Ansatz Di Fabio, Produktharmonisierung durch Normung, 1996, S. 117 f. 297  Shapiro, IJGLS 2001, 369–378, 369, 376.



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Sie „dienen“ dem politischen Prozess daher als eine Art Frühwarnsystem, um auf Missstände aufmerksam zu machen.298 Als mindestens kritisch ist es aber zu bewerten, sie trotz allem ohne demokratische Legitimation zur Vertretung von Gemeinwohlbelangen und zur engen Zusammenarbeit mit der internationalen Bürokratie zu befähigen.299 Die sich für den Umweltschutz engagierenden NGOs üben ihre Tätigkeit im Rahmen der Vertragswerke auch vor dem Hintergrund eigener Interessen aus. NGOs müssen beispielsweise sehr häufig mediale Aufmerksamkeit für „ihre“ Themen generieren, um erfolgreich Einfluss ausüben zu können und Spenden zu erhalten. Das lässt sich an der Debatte zum Schutz von Elefanten durch das Washingtoner Artenschutzabkommen veranschaulichen. Es wurde der Vorwurf laut, die nichtstaatlichen Akteure seien mehr am Überleben von Einzeltieren oder einzelnen Gruppen als am Erhalt der Art interessiert – eine Disneyization wildlebender Tiere.300 Als besonders schwierig erscheint, dass ausgewählten Einzelinteressen Einfluss auf das Nichteinhaltungsverfahren gewährt, während anderen Interessengruppen der besondere „Zutritt“ verwehrt wird.301 Die Auswahl der zugelassenen NGOs in den einzelnen Gremien lässt sich kaum von außen kontrollieren.302 Nur selten werden beispielsweise Industrievertreter in die Verfahren mit einbezogen, die zur kosteneffizienten Durchführbarkeit Stellung beziehen, auf Wechselwirkungen im Produktkreislauf oder mit innovativen Lösungsmög298  Vgl. dazu in anderem Zusammenhang Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 11. 299  So auch Stein, AJIL 2001, 489–534, 491, der sich jedoch von harscher Kritik

eher zu distanzieren scheint; eine a. A. vertritt anstatt Vieler Heß, ZUR 2018, 686–691, 687. Diese Sicht referierend (und später zu Teilen kritisierend), de Wet, ICLQ 2006, 51–76, 72: „[T]hey regard the proliferation of non-governmental organizations (NGOs) that interact with powerful international organizations as self-elected elite advocates of special causes, unrepresentative of the general public and engaged in an unholy alliance with international bureaucrats and sympathetic States, forming a romance of questionable legitimacy.“ 300  Challender/Harrop/MacMillan, GEC 2015, 129–148, 132 und 142: „[F]undraiserfriendly mega-fauna“. Sie bemerken, dass insbesondere westliche NGOs die medienwirksame Position vertreten haben und diese daher zusätzlich mit kolonialistischen Zügen behaftet ist („eco-colonialists“). Sie beschreiben des Weiteren einen Vorfall, dass sich NGOs auf der Vertragsstaatenkonferenz des Washingtoner Artenschutzabkommens von 1994 gegen die Herabstufung des Goffinkakadus engagiert haben. Dieser war 1992 versehentlich – auf Anraten derselben NGOs – in den Anhang I aufgenommen worden. Eine Herabstufung hätte diesen Irrtum offenbart und den Expertenstatus der NGOs angezweifelt. Zum Konflikt gerade des Elefantenschutzes mit den wirtschaftlichen Interessen und Gemeinwohlinteressen der Bevölkerung in den Schutzzonen Schlindwein, Der Kampf zwischen Bauern und Elefanten. Reportage, Beitrag ausgestrahlt am 26. Juli 2020 auf Deutschlandfunk Kultur. 301  Diese Einflussmöglichkeiten ganz allgemein als einen „pitfall“ des sogenannten informal international lawmaking bezeichnend Bianchi, Reflexive Butterfly Catching, in: Pauwelyn/Wessel/Wouters (Hrsg.), Informal International Lawmaking, 2012, S. 200–215, S. 200. Spricht von „privilegierter Einflussnahme einzelner Interessengruppen“ Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 221. 302  U. a. deshalb ebenfalls skeptisch Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 56.

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lichkeiten einen Beitrag zur Diskussion erbringen könnten.303 Diese Tendenzen werden dadurch verstärkt, dass zum einen das Compliance-Verfahren ein informeller Rechtsgestaltungsprozess ist, der die Einflussnahme einzelner Interessengruppen an vielen Punkten erleichtert. Welchen Einfluss NGOs genau ausüben, lässt sich kaum kontrollieren, da Compliance Committee Spruchkörper sind, die trotz dem allgemeinen Transparenzgebot das Beratungsgeheimnis beachten. Zum anderen gehören NGOs und Komiteemitglieder nicht selten zum gleichen Netzwerk. Eine (interne) Kontrolle erfolgt unter Peers aus den oben dargelegten Gründen nur eingeschränkt.304 Im Rahmen der Berner Konvention vermisst man beispielsweise unter den nichtstaatlichen Teilnehmern Vertreter des Bauernverbandes oder der Viehzüchter.305 Das überrascht, da es in den Treffen des Standing Committee zwischen 1998 bis 2012 fast ohne Unterbrechung um die Kategorisierung des Wolfs ging. Es wurde also die (emotionale)306 Frage diskutiert, ob der Wolf als strikt geschützte wildlebende Tierart in Anhang II oder lediglich als geschützte Fauna in Anhang III geführt wird. Letzteres ermöglicht eine proaktive Populationsregulierung durch Abschuss einzelner Tiere, während für in Anhang II gelistete Tierarten nur ausnahmsweise ein Abschuss gerechtfertigt sein kann.307 Im Abstimmungsverhalten der einzelnen Kantone in der Schweiz über eine Reform des Jagdgesetzes, wo es unter anderem um die Handhabung der steigenden Wolfspopulation ging, taten sich ideologische Gräben zwischen ökologisch orientierten „Städtern“ und landwirtschaftlich geprägten „Berglern“ auf.308 Diese nationale Debatte in der Schweiz veranschaulicht, dass neben der hohen Bedeutung, die naturwissenschaftlichen Aussagen im Umweltrecht zukommt, immer auch 303  Im

Rahmen des Washingtoner Artenschutzabkommens wird beklagt, die Nutzer der ersten Stufe, also Fischer, Jäger, Holzfäller oder Bauern, seien unterrepräsentiert, Vincent u. a., FaF 2014, 563–592, 566. 304  Vgl. Kapitel 3 B. I. 1. 305  Z. B. beim 21. Treffen des Standing Committee sowie auch beim 22. Treffen des Standing Committee. Lediglich eine NGO, die sich auch für Interessen von Jägern einsetzt, ist beteiligt gewesen. 306  Wegen der „Wolfsregelung“ ist vor allem das Verhältnis Norwegens und der Schweiz zur Berner Konvention gespalten. Die Schweiz stimmte im September 2020 über ein in Bezug auf den Wolf reformiertes Jagdrecht ab. Das Thema ist dortzulande geeignet, die Gesellschaft regelrecht zu spalten, vgl. nur de Swaaf, NZZ vom 29. November 2019, unter: https://www. nzz.ch/wissenschaft/der-wolf-in-der-schweiz-schwierige-koexistenz-ld.1491312 (zuletzt abgerufen am 25. April 2023) und Agenturbericht über die Nationalratsdebatte vom 08. Mai 2019 unter: https://www.nzz.ch/schweiz/jagdgesetz-debatte-im-nationalrat-martullo-und-diewolfsrudel-ld.1480432 (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 307  Denn Art. 6 lit. a) der Berner Konvention verbietet „jede Form […] des absichtlichen Tötens“ von in Anhang II aufgeführten wildlebenden Tierarten. Ausnahmen können nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 9 gemacht werden. 308  Stadler, Ein Wolfsgraben zieht sich durch die Schweiz, NZZ Online vom 27. September 2020 abrufbar unter: https://www.nzz.ch/schweiz/ein-wolfsgraben-zieht-sich-durch-dieschweiz-ld.1578795 (zuletzt abgerufen am 25. April 2023).



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eine politische Bewertungsentscheidung in das letztliche Normprodukt einfließt.309 Alle Interessen sollten daher gleicher Maßen miteinbezogen werden. In dem bereits erwähnten Verfahren vor dem Genfer Luftreinhalteabkommen gegen Deutschland,310 in dem es um die Berechnung des Ausstoßes aus häuslichen Kleinfeuerungsanlagen ging, bestand zu keinem Zeitpunkt Kontakt zu den betroffenen Industrieverbänden. Denkbar wäre allein auf nationaler Ebene ein Einbezug des Bundesverbands der Deutschen Heizungsindustrie (BDH), des Industrieverbands Haus-, Heiz- und Küchentechnik e. V. (HKI), des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) oder des Bundesverbands des Schornsteinfegerhandwerks gewesen. Gerade letzterer versteht sich als Wirtschaftsvereinigung von Handwerkern und zugleich als Umweltschützer, die einen engen Kontakt zum Endverbraucher pflegen. Der Verband der Schornsteinfeger wäre im vorliegenden „Fall“ ein sehr passender Diskussionspartner gewesen, da es unter anderem um das Nutzungsverhalten von Kleinfeuerungsanlagen in Privathaushalten ging. Ein zu starker, einseitiger Einfluss der NGOs konterkariert ihren Auftrag, eine Kontrolle des Compliance-Systems von außen zu gewährleisten. Probleme der Entscheidungszurechnung werden durch die derzeitige Beteiligung von einzelnen Interessengruppen verstärkt und nicht geschwächt. In der Folge kann es dazu kommen, dass die Unterzeichnerstaaten sich der engagierten Mitwirkung entziehen, da sie die Vertragsarbeit als nicht mehr legitim erachten.311

c)  Lösungsvorschläge: Vielfalt und Transparenz Die rechtlichen Grundlagen geben eine so einseitige Zulassungspolitik, wie sie sich in der Praxis der meisten Verträge abbildet, nicht vor: In der Alpenkonvention heißt es in Art. 5 Abs. 5 AlpK, nur „einschlägig tätige internationale nichtstaatliche Organisationen“ könnten als Beobachter in den verschiedenen Institutionen zugelassen werden. Könnte oder sollte eine NGO, die sich nicht primär dem Schutz des Naturraums Alpen verschrieben hat, sondern vielleicht einen Zusammenschluss der lokalen Wirtschaftsbetriebe zum Ziel hat, mit einem Zulassungsantrag erfolgreich sein? Wären sie nicht genauso „einschlägig tätig“? Das gleiche gilt für das Montrealer Protokoll. Art. 11 Abs. 5 MP sieht vor, dass 309  S. o. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 236 und BVerfG in BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 35 (Klimaschutzgesetz). 310  ECE/EB.AIR/2010/2, B. 2. 311  Unter Umständen könnte die Initiative der EU zum Schutz des Alpenraumes EUSALP auch als eine Konkurrenz zur Alpenkonvention wegen der intensiven Beteiligung der NGO CIPRA an der Alpenkonvention erklärt werden. EUSALP ist eine wirtschaftlich ausgerichtete Makrostrategie, die ohne größere Beteiligung der Zivilgesellschaft entwickelt wurde. Dazu tiefgehend Erlacher, der an dem Beispiel Alpenkonvention und EUSALP auch kenntlich macht, wie nichtrechtliche „Strategien“ genutzt werden, um rechtliche Restriktionen zu umgehen. Erlacher, JVSB 2014, 33–68.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

nur NGOs als Beobachter mit einem Zulassungsantrag Erfolg haben können, die „qualified in fields relating to the protection of the ozone layer“ sind.312 Hier lässt der wertneutrale Begriff „relating“ ebenfalls Spielräume, die bisher nicht genutzt wurden. Es ist im Umweltschutzrecht von großer Bedeutung, mehr als nur eine vom Kooperationsgedanken getragene Konvention aufseiten des Naturschutzes zu stellen. Der Naturschutz muss unter anderem durch wirkmächtige NGOs zum Zentrum der Konventionen gemacht werden. Am Beispiel der Alpenkonvention, die stark durch ökonomische Interessen (nun vertreten in der konkurrierenden EUSALP Makrostrategie der EU) unter Druck gesetzt wird, schreibt Erlacher: „In einer Welt, in der ‚die ökonomische, technologische und kapitalistische Rationalität nichts mit der demokratischen‘ [und] […] ökologischen Rationalität […] zu tun hat, müssen die demokratischen und demokratisch gesetzten Institutionen zum Schutz der Alpen gegen die Dynamik des Marktes und des Wachstums selbst geschützt werden.“313

In dem Bewusstsein, dass im Umweltrecht mit einer auch nur rein technischen Norm eine politische Bewertungsentscheidung zusammenhängt, lautet die stärkste Forderung nicht, die Rechte von NGOs zu beschränken, sondern Vielfalt zu wagen. Daneben sollte das Zulassungsverfahren und der Einbezug von NGOs transparent gestaltet werden.314 In der endgültigen Entscheidung des Komitees sollte kenntlich gemacht werden, welche NGOs welchen Beitrag im Verfahren geleistet haben. Es gibt dafür eine Reihe an Best-practice-Beispielen, wie mit der Kehrseite der NGO-Beteiligung umgegangen werden könnte, ohne die Vorteile der Mitarbeit zu gefährden. – Akkreditierungskriterien: Ein Auslegungsdokument (sozusagen als Primer) sollte zugänglich gemacht werden, auf dem erkennbar ist, welche Kriterien für die Zulassung als Beobachterorganisation erhoben werden.315 Damit würde die jeweils einschlägige Norm des Rahmenvertrags – wie zum Beispiel Art. 5 Abs. 5 AlpK oder Art. 11 Abs. 5 MP – ausgelegt und umgesetzt und die Zulassung einzelner Gruppen nachvollziehbar gemacht. Ein solches öffentlich zugängliches Dokument würde zur Rechtsklarheit und -sicherheit beitragen.316 312  Etwas weicher formuliert nur die Aarhus Konvention in Art. 10 Abs. 5 AK: Jede nichtstaatliche Organisation, die in den Bereichen, auf die sich dieses Übereinkommen bezieht, qualifiziert ist. Eindeutig ausschließend formuliert allerdings die Geschäftsordnung der Biodiversitätskonvention (Annex to Decision I/1 und Decision V/20) in Rule 7: organizations „qualified in fields relating to the conservation and sustainable use of biological diversity“. 313  Zitat sei angelehnt an den Ökonomen Piketty, Erlacher, JVSB 2014, 33–68, 52. 314  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 56. 315  Für klare Zulässigkeitsvoraussetzungen Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 122. 316  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 56.



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– Heterogenität: Um zu verhindern, dass ein umweltschützender Vertrag die Unterstützung seiner Mitglieder verliert und durch eine anders gelagerte Strategie abgelöst wird,317 sollten die wirtschaftspolitischen, gesellschaftlichen und anderen Interessen in die Vertragsarbeit integriert werden. Die Einflussmöglichkeiten einzelner Interessengruppen sollten ob der oben beschriebenen Probleme nicht reduziert, sondern pluralisiert werden.318 Wie ausgeführt ist das eine Forderung, die schon an private Normungsinstitutionen gestellt wurde und zum Teil umgesetzt wird. Dort – wie hier im Compliance-Verfahren – dient ein solcher Beteiligungsmechanismus neben anderen Aspekten dem Zweck, die Rechtsfolgungsbereitschaft zu erhöhen.319 Damit wäre obendrein eine Kernforderung des Compliance-Systems erfüllt. Als Best-practice-Beispiel ist das Genfer Luftreinhalteabkommen anzuführen, das – immerhin ad hoc – neben NGOs auch Industrievertreter im Executive Bureau zugelassen hat.320 Für die Umsetzung müsste bei den Interessenverbänden das Problembewusstsein geschärft werden, dass die nationale Umweltpolitik in großem Umfang völkerrechtlich determiniert ist. – Zugang in Quantität und Qualität erhöhen: Mit dem vorangegangenen Punkt zusammenhängend sollte mehr Akteuren die Teilnahme ermöglicht werden.321 Dadurch kann ein ausgeglicheneres Meinungsbild geschaffen und Einflussmöglichkeiten können fair322 verteilt werden. Außerdem würde auch die Sensibilität bei einigen bisher nicht involvierten Verbänden steigen, die nötig ist, um die determinierende Wirkung der internationalen Kooperation für die nationale gesetzliche Entwicklung zu erkennen.323 So weit wie im Bereich der technischen Normen kann es im Compliance-Verfahren allein 317  Siehe

dazu das Verhältnis von Alpenkonvention und EUSALP, Erlacher, JVSB 2014, 33–68. 318  Zurückhaltend, aber in der Tendenz ähnlich Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 56. 319  Zum Technikrecht: Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 94. 320  Milano, 1979 Long-Range Transboundary Air Pollution Convention, in: Treves, u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 169–180, S. 173. 321  De Wet, ICLQ 2006, 51–76, 74. 322  Auf den Proporz sei insbesondere bei der Beteiligung von Industrievertretern und umweltschützenden Akteuren zu achten, Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 112. 323  Ein aktuelles, frappierendes Bsp. ist das aufgrund von Beschlüssen in der Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt (CDNI) neugefasste Binnenschifffahrt-Abfallübereinkommen-Ausführungsgesetz, dessen Bußgeldtatbestände (bzw. ihre Anwendbarkeit) sogar von Entscheidungen in der Vertragsstaatenkonferenz bzw. der „Hinterlegung der letzten Ratfikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde zum Beschluss CDNI 2017-I-4 beim Verwahrer des Übereinkommens“ abhängig sind, vgl. § 24 Binnenschifffahrt-Abfallübereinkommen- Ausführungsgesetz vom 27. Januar 2021 und insgesamt mit Begründung dazu BT-Drs.: 19/23074.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

schon aus Gründen der Vertraulichkeit aber nicht gehen. Das Deutsche Institut für Normen erlaubt beispielsweise, dass der Normungsentwurf öffentlich kommentiert werden darf. Manche schlagen darüber hinausgehend einen generellen NGO-Trigger für das Compliance-System vor. NGOs sollten in jedem Vertrag in der Lage sein, ein Compliance-Verfahren auszulösen, um einem Vertragswerk zur besonderen Effektivität zu verhelfen.324 Die Praxis der Aarhus Konvention bestätigt diese These. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive gilt dies nicht. Für den betroffenen Staat ist ein Gleichgewicht zwischen einerseits der Eröffnung von Einleitungsmöglichkeiten durch NGOs und andere Gruppen, die dann an höhere Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft werden müssen, und andererseits seinen Verfahrens- und Verteidigungsrechten notwendig. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf solche Konventionen zu richten, die eine thematisch breiter gefächerte Ausrichtung haben. Aus empirischer Sicht ist die Beteiligung verschiedener Einzelinteressen einfacher, je spezialisierter ein Vertrag ist. Zur Veranschaulichung dient die Quecksilberkonvention, die zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt das Ziel hat, den gesamten Lebenszyklus des Quecksilbers zu regeln, um dessen Freisetzung zu verhindern. Bemerkenswert ist, dass einzelne Interessenverbände schon beim Aushandlungsprozess stark involviert gewesen sind – zum Beispiel die der Zahnärzte, der Krankenversicherungen und der Umweltverbände.325 Sie waren auch im Nachgang an der Weiterentwicklung der Konvention beteiligt. Ihre Auseinandersetzung mit den Vorschriften der Konvention hat neben vielen anderen Vorteilen den positiven Effekt, dass die einzelnen Vertragsbestandteile politische bewertet und dadurch im demokratischen Prozess handhabbar gemacht werden. Zusammenfassend lag im Falle der Quecksilberkonvention die hohe Beteiligung unter anderem darin begründet, dass beispielsweise die Zahnärztevereinigung eine recht homogene Gruppe darstellt, die es leichter hat, sich zu organisieren und gemeinsame Positionen zu finden. Im Umkehrschluss wird es schwieriger, eine klar definierte und ausdrucksstarke gemeinsame Ansicht zu entwickeln, je größer und heterogener die „betroffenen“ privaten Gruppen an Interessenvertreter sind.326 Man denke alleine 324 

Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 122; Tanzi/Pitea, Lessons Learned, in: Treves, u. a. (Hrsg.), Compliance Mechanisms, 2009, S. 569–580, S. 577. 325  Vgl. nur Kielbassa, DFZ 2013, 30–31. 326  Dieses Phänomen ist untersucht worden vom Ökonom Mancur Olson u. a. in seinem auf Deutsch übersetzten Buch „Die Logik des kollektiven Handelns“, 2004. Ein ähnliches aktuelles Bsp. könnte – allerdings ohne internationalen Bezug – die Auseinandersetzung um die Verwendung der Douglasie in der Forstwirtschaft darstellen. Nach einer Einstufung auf der „schwarzen Liste“ invasiver Arten durch das Bundesamt für Naturschutz, organisiert die Forstwirtschaft einen hörbaren Protest. Daraus entstand ein gemeinsames Empfehlungspapier für den Anbau und die Verwendung der Douglasie. Vgl. die ausführliche Information des Bun-



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an die unterschiedlichen Interessen am Artenschutz: Jäger- und Fischereiverbände, verschiedene Naturschutzverbände mit unterschiedlichen Ausrichtungen, Bauernverbände, Tourismus- und Wirtschaftsverbände oder kulturelle, religiöse und indigene Vereinigungen, um nur einige zu nennen. Bei umweltvölkerrechtlichen Vertragswerken, die einen sehr umfassenden thematischen Ansatz haben – wie etwa die Alpenkonvention327 oder aber das Washingtoner Artenschutzabkommen –, wirkt die Beteiligung einzelner Interessenvertreter aus den genannten Gründen nicht effektiv, sodass bei solchen Übereinkommen noch weitere Mechanismen benötigt werden, um die Vertragsentwicklung mit anderen Gemeinwohlinteressen zu vereinbaren.

3.  Öffentlichkeit als Kontrollelement An verschiedenen Punkten ist bereits Öffentlichkeit und Transparenz als erste Maßnahme auf dem Weg hin zu mehr Kontrollierbarkeit dargestellt worden: Zusammenfassend sollten alle Namen und der jeweilige professionelle Hintergrund von an Entscheidungen beteiligten Personen öffentlich einsehbar sein. Das sollte fernerhin für die Kennzeichnung des Berichterstatters gelten. Faire Teilnahmemöglichkeiten lassen sich nicht nur erreichen, indem die Verfahren zugänglicher werden. Darüber hinaus könnten die Zugangsregeln (zum Beispiel Akkreditierungsrichtlinien) zuvor veröffentlicht werden (Stichwort: Selbstbindung). Darüber hinausgehend kann „Öffentlichkeit“ aber auch noch in anderen Bereichen eine bedeutende Rolle spielen: Eine weitere Öffentlichkeit der Sitzungsbestandteile, unter Beachtung der Vertraulichkeitsanforderungen, kann durch Webcasts328 oder andere Live-Öffentlichkeitsformen geschaffen werden, ohne dass eine große Besuchsöffentlichkeit die Verfahren belastet.329 Zu einer gerechten Beteiligungsoffenheit gehört ebenfalls, dass im Vorfeld der Verfahren klare Informationen über deren Ablauf und die rechtlichen Grundlagen – geradesamt für Naturschutz, die die Vorgeschichte, also die beiden konkurrierenden Auffassungen zum Thema Umgang mit invasiven Baumarten beschreibt. Abrufbar unter: https://www.bfn. de/gebietsfremde-baumarteninvasivitaet (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 327  Es sei zur Veranschaulichung lediglich auf Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens verwiesen: „eine ganzheitliche Politik zur Erhaltung und zum Schutz der Alpen unter ausgewogener Berücksichtigung der Interessen aller Alpenstaaten, ihrer alpinen Regionen sowie der Europäischen Gemeinschaft“. 328  So zum Beispiel 2018 ermöglicht für die COP14 der Biodiversitätskonvention. Die Konferenz ist weiterhin in Videoform nachvollziehbar unter: https://cslide.ctimeetingtech. com/cop14/attendee (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 329  Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Diplomatie kurzzeitig komplett elektronisch durchgeführt und zeigt, wie Teilnahme und Transparenz ressourcenschonend möglich sind, vgl. Zoll, Diplomatie funktioniert notfalls auch online, NZZ Internationale Ausgabe vom 28. Juni 2020, S. 3. Vgl. zu dem Thema: Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 122. Aus dem nationalen Bereich zu Onlineverfahren und Gerichtsöffentlichkeit, Paschke, Digitale Gerichtsöffentlichkeit, 2018.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

de für Laien – zur Verfügung stehen. Derzeit müssen Beobachter die geltenden Rechtsgrundlagen und Geschäftsordnungen auf vielen verschiedenen Stellen der Vertragswebsite zusammensuchen. Vorab zusammengestellte Handreichungen wie bei der Aarhus Konvention oder dem Montrealer Protokoll erleichtern allen Beobachtern und Teilnehmern die kritisch-konstruktive Mitwirkung an der Arbeit innerhalb des Vertragswerks. Solche Handreichungen sollten aber ebenfalls von der Vertragsstaatenkonferenz bestätigt und nicht im Alleingang von den Untereinheiten eines Vertragswerks verantwortet werden. Gerade für eine wissenschaftliche oder politische Aufarbeitung und Kontrolle der Vertragsarbeit ist es bedeutend, die Dokumente im Nachgang der Verfahren zu veröffentlichen. Momentan gibt es in vielen Vertragswerken an folgenden Punkten Verbesserungsbedarf: – Eine Compliance-Entscheidung sollte begründet330 unter Nennung der einschlägigen Rechtsnorm(en)331 ergehen. „Abgelehnte“ Compliance-Entscheidungen sollten in die Spruchpraxis einfließen, also in gleicher Weise der Vertragsstaatenkonferenz zur Annahme zugeleitet werden.332 Die Folge wäre ein dann eindeutiger „Acquis“333 des jeweiligen Vertrags. Dies könnte entsprechend zu weniger Compliance-Fällen führen. – Für eine Aufarbeitung und Systematisierung der Spruchpraxis wäre ein klarer Aufbau der einzelnen Entscheidung und, soweit möglich, ein einheitlicher Aufbau aller Entscheidungen eines Spruchkörpers hilfreich. – Wenngleich dies nur wie eine Banalität klingt, müssen die Veröffentlichungen umweltvölkerrechtlicher Vertragswerke auf deren Websites übersichtlicher („barrierefrei“) gestaltet werden. – Am Ende einer Entscheidung sollte das Compliance Committee oder das Sekretariat eine Pressemitteilung herausgeben und regelmäßig wissenschaftlich angefertigte Übersichten bzw. Zusammenfassungen von Entscheidungen fördern.334 330  Begründungen

der Entscheidungen, um sie nachvollziehbar zu machen. Best-practice-Beispiel bei der Alpenkonvention: Aufforderung in der Geschäftsordnung, „[b]ei der Abfassung der Berichte des Überprüfungsausschusses […] auf eine gute Verständlichkeit auch für ein breites Publikum zu achten“. Punkt 3.1.8. der Geschäftsordnung der Alpenkonvention (ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7). Es ist zu bemerken, dass jede ausführliche Begründung dazu beiträgt, dass ein Rechtskorpus erschaffen wird. Grundsätzlicher zur Entscheidungsbegründung: Friele, Striving for Hamonisation, in: Vöneky u. a. (Hrsg.), Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht, 2007, S. 331–351, S. 333. 331 Gemeint ist, an welchem Punkt der Regelungskaskade die Auslegung greift, vgl. Knauff, Soft Law, 2010, S. 422. 332  Die Alpenkonvention lässt sich als best-practice-Beispiel anführen. 333  Der aus dem Europarecht bekannte Begriff findet bereits vereinzelt Anwendung auf die Aarhus Konvention, wie bspw. in dem Seminarangebot der Europäischen Rechtsakademie (ERA). Im April 2021 wurde eine Veranstaltung mit dem Titel „Die Nationale Justiz und der Aarhus-Acquis“ durchgeführt. 334 Z.B Andrusevych/Kern (Hrsg.), Case Law, 2016.



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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Gerade die Darstellung und Übersichtlichkeit der Veröffentlichung mag ein trivial erscheinendes Argument sein, ist aber eine wichtige Voraussetzung, um die Beteiligung und Mitwirkung von vielen verschiedenen Bereichen zu ermöglichen und die Charakterisierung als „unzugänglich“ abzulegen. Zudem kann eine verpflichtende, einheitliche Veröffentlichungsform die Beständigkeit und die Verlässlichkeit der Spruchpraxis befördern. Vorbildhaft sind die Verfahrensaufbereitungen des Deutschen Bundestags, die im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentarische Vorgänge (DIP) abrufbar sind und wo teilweise selbst aufgezeichnete Videos der Debattenbeiträge zu sehen sind. Die Aarhus-Konvention macht vor, wie ein Zwischenweg aussehen kann.335 Die Eingaben sind auf der Website nach dem jeweiligen Akteur aufgeteilt. In jedem Verfahren sind die Entscheidungen und zusätzlich die Korrespondenz zwischen den Verfahrensbeteiligten abrufbar. In anderen Bereichen ist das Thema der Veröffentlichung und Zugänglichkeit bereits behandelt worden: So sind Verwaltungsvorschriften des Bundes aufgrund ihrer teils erheblichen Bedeutung für die Praxis auf informellem Wege über die Website www. Verwaltungsvorschriften-im-Internet.de abrufbar. Die Website erhöht die Verlässlichkeit, Rechtssicherheit, Transparenz und Kontrollierbarkeit des deutschen Verwaltungshandelns. Die Öffnung der Verfahren hin zu „public access and accountability“336 ist notwendig. Das muss neben den Teilnahmemöglichkeiten ebenfalls „new procedures for information disclosure“337 beinhalten. Sand verknüpft das Transparenzgebot unmittelbar mit dem Demokratieprinzip einzelner Vertragsstaaten: „One obvious way to institutionalize such transparency – and to prevent environmental regimes from becoming a ‚threat to the democratic process‘ – is to provide for appropriate public access and accountability.“338

Im ersten Kapitel wurde hingegen beschrieben, dass Öffentlichkeit in mehrerlei Hinsicht zugleich für das Compliance-System problematisch sein kann:339 – Die Compliance-Mechanismen funktionieren über das Prinzip „Öffentlichkeit als Sanktion“, also über das naming and shaming: Je öffentlicher das Verfahren gehandhabt wird, desto stärker hat es sanktionierenden Charakter.340 Eine ungewollte, unbewusste Verschärfung der Mechanismen durch größere Transparenz sollte vermieden werden. 335  Abrufbar unter: https://unece.org/environment-policy/public-participation/aarhusconvention/compliance-committee (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 336  Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 791. 337  Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 791. 338  Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 791. 339  Vgl. Kapitel 1 B. V. 340 Warnend Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 122.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

– Im Compliance-Verfahren können je nach Thema sensible Daten behandelt werden. Das wären beispielsweise Industriedaten (einzelner Industriezweige wie der Abfallindustrie)341, Unternehmensdaten (einzelner Projektträger), Projektdaten (zu Großprojekten wie Staudämmen), Kriminalitätsstatistiken (Wilderei, Schmuggel), Wirtschaftsdaten (Fangquoten der Fischerei). Das Compliance Committee muss bei jedem Fall neu sorgfältig über Vertraulichkeitsfragen entscheiden. – Dem gerichtsähnlichen Charakter des Compliance-Systems ist zu entnehmen, dass die eigentliche Beratung des Komitees der Geheimhaltung unterliegt. Dann sollten auch „institutionelle“ Beobachter wie Sonderorganisationen der UN von den Sitzungen ausgeschlossen werden.342 Zu guter Letzt sollte im Vertrag oder in einzelnen Tätigkeits- oder Interpretationsdokumenten auf die konkrete Finanzierung im Einzelfall verwiesen werden. Es scheint ein noch völlig unbearbeiteter Punkt zu sein, ob und wie die Finanzierung der Compliance-Mechanismen das abschließende Ergebnis beeinflusst (beeinflussen könnte). Zum Beispiel hat die Europäische Union das generelle Auslegungsdokument „Guidance on the implementation of the Basel Convention illegal traffic take-back provision (Paragraph 2 of Article 9)“ (UNEP/ CHW.12/9/Add. 2) finanziert. Im Dokument ist diese Finanzierung offengelegt. Die Europäische Union wird im Rahmen der Studie zugleich als Best-practice-Beispiel angeführt (S. 9). Das kann Zufall sein, kann aber zugleich den Anschein erwecken, als habe die EU sich ihre Musterschülerstellung und damit den Einfluss auf die Auslegung der Konvention „erkauft“. Eine solche „Besorgnis der Befangenheit“ sollte mit Blick auf die notwendige Kooperation aller Mitgliedstaaten vermieden werden. Einen ersten Schritt stellt in jedem Fall der transparente Umgang mit den Finanzierungsquellen, wie im Fall des Basler Übereinkommens, dar.

4.  Zwischenfazit: „Mit der Natur kann man nicht verhandeln“343?! Das Nichteinhaltungsverfahren ist entwickelt worden, ohne die Eigendynamiken eines Netzwerks zu bedenken. Dass (dem Umweltschutz verschriebene) NGOs umfangreich in die Verfahren einbezogen werden, folgt ebenfalls nur den „besten Absichten“: Sie sollen zur Partizipation und Repräsentation, zur Kon341  Abgeordneter Dr. Rainer Kraft (AfD) (Diplom-Chemiker) in der öffentlichen Debatte um die Erste Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Protokolls zur Schadstoffregistern am 08. Oktober 2020 meint, aus der Veröffentlichung von Schadstofffreisetzung und -verbringung könnten umfangreiche Rückschlüsse auf den Produktionsprozess, die Produktionsverfahren, den wirtschaftlichen Zustand des Betriebes, den Ursprung der verwendeten Rohstoffe usw. der gesamteuropäischen Konkurrenz geschlossen werden. 342  Vgl. dazu die Ausführungen zum Montrealer Protokoll, Kapitel 1 C I. 2. i). 343 Klimawissenschafter Hans Joachim Schellnhuber im Rahmen des Weltklima-Gipfels COP18.



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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trolle und Transparenz beitragen und als sprichwörtlicher „Anwalt der Natur“ fungieren.344 Mittels des Compliance-Systems sollen Rechtsumsetzungsdefizite im Umweltvölkerrecht durch institutionalisierte Verfahren behoben werden. Die Institutionen lösen sich jedoch vom einzelnen Vertragsstaat ab und entwickeln, getragen von Experten, „ihre eigene Praxis im Hinblick auf Werte, Ideale und Ziele.“345 Im Ergebnis wird die Objektivität des Compliance Committee durch Faktoren wie die Besetzung mit Netzwerkvertretern oder die teils unklare Position des Gremiums innerhalb des Vertragswerks geschmälert. Die Vertragsauslegung nach dem Telos und dem effet-utile-Grundsatz intensiviert den einseitigen Ansatz des Verfahrens.346 Dabei hat der bereits formalisierte Compliance-Prozess die besten Anlagen: Die Auswahl von Komiteemitgliedern und partizipierenden NGOs müsste nur vielfältiger sein. Am Ende ist es eine Verfahrensfrage, wie man die Expertise der Mitglieder sowie privaten Interessenvertreter besser, sinnvoller, gewinnbringender, kontrollierter integriert und die derzeit fehlende Peer-Kontrolle ersetzt. Es ging in diesem Schritt darum, Experten „‚on tap but not on top‘“347 zu haben. Das kann und wird nicht immer gelingen. Daher sollte in einem zweiten Schritt die Rolle des Nationalstaats als ganzheitlicher öffentlicher Vertreter nochmals kritisch und auf Verbesserungsmöglichkeiten hin untersucht werden. Es kommt somit entscheidend auf die nächsten Schritte an, um die starke Stellung der Experten (kanalisiert) mit politischen Vertretern zu flankieren: Welche Verfahrensrechte kommen dem betroffenen Staat zu? Welche Auswirkungen hat die institutionelle Balance zwischen den Vertragsorganen sowie die Abstimmung im Konsens auf die Auslegungsentscheidung? Wie kann das ComplianceVerfahren politisch eingeordnet und bewertet werden, um es im Anschluss im politischen Prozess verwertbar zu machen?

II.  Die Kontrolle von innen Bisher stand vor allem das Compliance Committee selbst im Fokus der Kritik. Themen waren dabei die Mitglieder der Gremien und die externen Verfahrensbeteiligten. In diesem nächsten Teil der Kritik soll das gesamte Verfahren in den 344  Ursprung des Vertrauens in die Arbeit privater Interessengruppen sei in der amerikanischen Rechtskultur verankert, in der Klagen von Privatpersonen im Regulierungsrecht eine große Bedeutung haben, Shapiro, LCP 2005, 341356, 352. Ähnlich auch bei Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 369. 345  Haltern, Was bedeutet Souveränität?, 2007, S. 111. 346  „Usually, members […] include state-appointed representatives […]. As a result, […], members also work to forward regime interests.“ Pan, 1997 HILJ, 503–535, 517 f. 347  Shapiro, LCP 2005, 341–356, 343.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Blick genommen werden. Dazu zählt das Verfahren in zeitlicher Hinsicht, namentlich 1. die Einleitung des Verfahrens, 2. die Durchführung des Verfahrens und 3. der Nachhalteprozess. Es sollen jetzt die anderen maßgeblichen Akteure und ihre Rolle und ihre Möglichkeiten im Verfahren in das Zentrum der Betrachtung rücken: der betroffene Staat und die Vertragsstaatenkonferenz. Die Akteursebene gibt die Struktur der nachfolgenden kritischen Betrachtung vor.

1.  Der betroffene Staat als ganzheitlicher Interessenvertreter a)  Der funktionelle Wert von Verfahrensrechten Obwohl der Gegenstand dieser Arbeit maßgeblich die Vertragsauslegung und -weiterentwicklung durch das Compliance-Verfahren ist, spielen die Stellung des betroffenen Staats im Prozess und die ihm zur Verfügung stehenden Verfahrensrechte in zweierlei Hinsicht eine gewichtige Rolle. 1. Die Vertragsauslegung durch das Komitee beinhaltet für den betroffenen Staat die individuelle Aufforderung, seine Rechtslage an den Beschluss des Gremiums anzupassen. Die nationale Umsetzung der anderen Vertragsstaaten mag der Interpretation bereits entsprechen oder kann ihr durch Auslegung nachkommen. Der betroffene Staat bleibt von allen aber am dringlichsten aufgefordert, die eigene Rechtslage an die aktualisierte Auslegung des Vertrags anzupassen. 2. Der betroffene Staat ist als „kontradiktorische“ Partei gleichzeitig ein Element der Kontrolle im Verfahren. Er kann durch seine interne Willensbildung dem einseitigen Blick der rein teleologischen Auslegung nach Umweltschutzgesichtspunkten zugunsten einer ganzheitlichen Sicht entgegenwirken. Verfahrensrechte sind ein wichtiger Bestandteil, um bei einem unabhängigen Organ und der Verselbstständigung von Netzwerken Verantwortung zuzurechnen. Sie dienen dazu, das Organ aus dem Verfahren heraus zu kontrollieren. Gerade für das institutionelle Gleichgewicht spielen Verfahrensrechte eine substantielle Rolle, da die einzelnen Staaten das Zentrum des politischen Konstrukts darstellen.348 Das lässt sich an dem bereits angeführten Verfahren gegen Griechenland vor der Berner Konvention veranschaulichen.349 Die im geplanten Naturschutzgebiet der Bucht von Laganas ansässigen Gewerbetreibenden und Einwohner hatten ihre divergierenden, unter anderem sozio-ökonomischen 348  Im Zusammenhang mit technischen Normierungsvorgaben Di Fabio, Produktharmonisierung durch Normung, 1996, S. 120. 349  Vgl. Kapitel 2 B. II. 2. b) aa).



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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Interessen zwar ebenfalls in einer NGO organisiert, waren jedoch vor dem Standing Committee nicht anwesend. Nur der griechische Staat hatte die Gelegenheit, alle bestehenden Interessen ganzheitlich zu vertreten. Das gleiche gilt für den Fall Deutschlands vor dem Genfer Luftreinhalteabkommen. Interessen der Heizöfenindustrie, der Endverbraucher und daneben die betroffenen Interessen des Klimaschutzes mussten vom deutschen Staat vertreten werden. Eine zusätzliche Beteiligung anderer Akteure war nicht vorgesehen.350 In der Gesamtschau scheint das Nichteinhaltungsverfahren dem betroffenen Staat viele Rechte zu gewähren: Die Beteiligung am Dialog und das rechtliche Gehör, das den betroffenen Staaten zu nahezu jedem Zeitpunkt (mit angemessenen Fristen) ermöglicht wird, sind besonders herausragend. Einem guten Zustand entspräche es, wenn grundlegende Verfahrensrechte von der Ermächtigungsklausel des Rahmenvertrags, die vom Deutschen Bundestag ratifiziert wird, festgelegt würden. Dort finden sich häufig Hinweise auf die Charaktereigenschaften des Compliance-Verfahrens, wie in Art. 15 AK: „freiwillige, nichtstreitig angelegte, außergerichtliche und auf Konsultationen beruhende Überprüfung“ – es werden aber keine konkreten Verfahrensrechte verankert.351 Dies begründet sich aus der theoretischen Konzeption des Compliance-Verfahrens: Bei einem rein unterstützenden Kooperations- und Konsultationsverfahren sind Verfahrensrechte nicht zwingend notwendig.352 Die en detail Regelungen, auf die es gerade im Verfahrensrecht häufig ankommt, werden meistens vom Komitee selbst erarbeitet und in einer Geschäftsordnung oder einer informellen Handreichung für die Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht.353 Im Mindesten sollte diese Geschäftsordnung, die damit deutlich mehr als nur den Gang des Verfahrens und die interne Organisation des Komiteealltags regelt, von der Vertragsstaatenkonferenz angenommen werden. Denn die Folgen eines Compliance-Verfahrens können trotz des Kooperationsgedankens einschneidend sein: „Interferences with national sovereignty are inherent in any international control mechanism. Such interferences are only acceptable for states if their sovereign rights are given due respect.“354 Die Untersuchung der Verfahrenswirklichkeit hat offenbart, dass ein ComplianceVerfahren deutlich eingreifenden Charakter aufweist. Zu einem Umdenken bei den Verfahrensrechten hat dies noch nicht geführt.355 Setzt man die gewährten 350  Vgl. ECE/EB.AIR/2010/2, B. 2. Scharfer Vorwurf in Bezug auf den Schutz der Elefanten und die Auswirkungen größerer Herden auf die lokale (Land-)Wirtschaft und Bevölkerung, deren Anliegen beim Artenschutz allerdings kaum Gehör finden, bei Schlindwein, Der Kampf zwischen Bauern und Elefanten. Reportage, Beitrag ausgestrahlt am 26. Juli 2020 auf Deutschlandfunk Kultur. 351  S. dazu Kapitel 1 B. I. 352  Adsett u.a, CYIL 2004, 91–142, 103. 353  S. dazu u. a. Kapitel 1 B. V. 354  Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 722. 355  Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 722. Gelindert würden die „Eingriffe“ durch das

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Verfahrensrechte also mit den Eingriffsrechten ins Verhältnis, zeigt sich, dass nicht in jedem Punkt ein Gleichgewicht besteht. Zwei besonders „empfindliche“ Schwachstellen sollen zur Veranschaulichung hervorgehoben werden: Die Verfahrensrechte des betroffenen Staats – bei der Einleitung des Verfahrens und in Bezug auf den Einfluss von Partikularinteressen auf die Entscheidungsfindung und – im Anschluss an das Verfahren, vor allem im Nachhalteprozess.

b) Verfahrenseinleitung Verfahren vor einem Compliance-Committee können über sehr viele verschiedene Wege eingeleitet werden. Sie sollen sich in diesem Punkt ausdrücklich von den traditionellen Streitbeilegungsmechanismen unterscheiden.356 Die Sekretariatseinleitung, die Selbstanzeige und – sofern möglich – die Einleitung durch NGOs (sogenannter NGO-Trigger) führen die Liste der meistgenutzten Varianten an. Kaum einer dieser Wege ist mit größeren Einleitungshürden versehen. Nicht einmal ein formaler Missbrauchsschutz ist vorgesehen. Den Vertragssekretariaten kommt hier – etwas versteckt – nicht selten größerer Ermessensspielraum und damit Einfluss zu.357 Dazu kommt, dass die Compliance Committee nicht auf den Eingabegegenstand begrenzt sind.358 Es ist zweifelhaft, ob sich die im Vergleich zu völkerrechtlichen Gerichtsverfahren gesteigerten Einleitungsmöglichkeiten mit den – teilweise nur rudimentärer geregelten – Verfahrensrechten die Balance halten. Es fehlt zuvörderst bei der Einleitung an Korrektiven: Ein Rechtsschutzbedürfnis oder eine Betroffenheit in anderer Form ist nicht erforderlich.359 Überdies hat sich der Subsidiaritätsgrundsatz360 – in diesem Falle also vor allem der Vorrang des nationalen vor dem internationalen Verfahren – noch nicht in allen NichteinhalteKooperationsgebot im Compliance-Verfahren, ebd., 722. Dabei wären Änderungsvorschläge wie strikte Verfahrensvorgaben, Begründungsanforderungen und Berufungsverfahren leicht in das Compliance-Verfahren zu integrieren, da es sich nicht um ein statisches Verfahren handelt, sondern ohnehin regelmäßige Überprüfung zulässt. Vgl. Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 394. 356  Kapitel 1 B. IV. 357  Z. B. Kapitel 1 B. IV. 358  S. dazu Aussagen des Komitees der Alpenkonvention, Kapitel 1 C. III. 2. g). 359  Bsp. ist der Antrag von CIPRA in der Entscheidung Egartenlandschaft vor dem Komitee der Alpenkonvention. In der Entscheidung heißt es auf S. 5: CIPRA ersucht den Überprüfungsausschuss festzustellen, „dass grundsätzlich jede Beeinträchtigung eines bestehenden Schutzgebietes unzulässig ist.“ Dagegen, dass der konkrete Sachverhalt mit einer generellen Fragestellung verknüpft wird, kann sich die betroffene Partei kaum erwehren. Im Fall Egartenlandschaft bleibt Deutschland nur übrig, darum zu bitten, das außerordentliche Überprüfungsverfahren von den allgemeinen (Auslegungs-)aufgaben des Reviewing Committee getrennt zu halten (S. 9). 360  Wird auch von Beobachtern des Global Administrative Law gefordert, vgl. nur Kingsbury/Krisch/Stewart, LCP 2005, 15–61, 34.



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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verfahren durchgesetzt. Dabei spräche vor allem der Effektivitätsgrundsatz, der dem Compliance-System in der Theorie zugrunde liegt, für eine Beachtung der Subsidiarität. Dieser Punkt betrifft in vielen Fällen eher das Vertragssekretariat und nicht das Komitee selbst. Das Sekretariat ist in der sogenannten Phase 1 federführend tätig.361 Das Compliance-Verfahren entspringt dem Kooperations- und Dialoggedanken.362 Trotzdem ist eine Zustimmung der betroffenen Partei zur Einleitung nicht notwendig. Darüber hinaus ist das Komitee im Prüfungsumfang nicht auf die Streitfrage beschränkt, was dem Komitee und anderen Verfahrensbeteiligten sehr viele (unkontrollierte) Freiheiten bei der inhaltlichen Ausgestaltung lässt. Ein Verfahren kann jederzeit gegen den Willen einer Vertragspartei eingeleitet und durchgeführt werden:363 Ein häufig erwähnter Fall ist das 1995 gegen Russlands Widerspruch durch Konsensbeschluss (consensus minus one) eingeleitete Non-Compliance-Verfahren vor dem Implementation Committee des Montrealer Protokolls.364 Schließlich sieht sich der betroffene Staat mit dem hohen Einfluss von Einzelinteressen im Compliance-Verfahren konfrontiert. Die Verfahrenseinleitung durch die Öffentlichkeit führt zu einem informellen Einwirken durch einseitige Interessenvertreter auf das nationale Recht. Daraus folgt – je nach NGO-Aktivität im eigenen Land – eine unterschiedliche Verfahrenshäufigkeit bezüglich einzelner Vertragsstaaten. Das konfligiert mit dem Prinzip der Gleichheit aller souveränen Staaten, das auch in Art. 2 Abs. 1 UN-Charta vertraglich festgehalten ist.365 Ein NGO-Trigger sollte daher in einen Vertrag nur eingeführt werden, wenn die Zulässigkeitshürden in entsprechendem Maße verstärkt werden. Dass umfangreiche Verfahrensregeln,366 die Zulässigkeitsvoraussetzungen umfassen, in die Verfahren eingeführt werden können, ohne den Charakter des Compliance-Verfahrens zu brechen, zeigt nicht zuletzt die detaillierte Geschäftsordnung des Aarhus Committee.

361  362 

Kapitel 1 B. VI. Begriff inspiriert durch List/Zangl, Verrechtlichung internationaler Politik, in: Hellmann/Wolf/Zürn (Hrsg.), Die neuen Internationalen Beziehungen, 2003, S. 361–399, S. 379 ff. 363  Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 156 bezeichnet dies als „Element des Zwangs“, das die Verfahren enthalten. 364  Kapitel 1 B. IV. 365  Allerdings wird zu bedenken gegeben, dass dieses Prinzip durch das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeit (anstatt Vieler Halvorssen, Equality Among Unequals, 1999) abgeändert wurde. So wurden bspw. innerhalb des Kyoto Protokolls nur die Industriestaaten dem Compliance-Mechanismus unterworfen, Decision 24/CP.7 V. 4. 366  In Punkto transparenter Fristenregelungen könnte auch die Alpenkonvention herangezogen werden: Vgl. u. a. Punkt 3.2. der Geschäftsordnung der Alpenkonvention (ACXII/A1 in der Fassung ACXIV/A7).

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

c) Nachhalteprozess Was geschieht am Ende eines Compliance-Verfahrens? Beim Montrealer Protokoll etwa folgt auf eine Compliance-Entscheidung ein institutionalisierter Nachhalteprozess. Dieser scheint weiterhin Teil des Compliance-Verfahrens zu sein. Denn das Verfahren des Montrealer Protokolls sieht mehrere, aufeinanderfolgende Compliance-Entscheidungen mit steigender Intensität bei der Wahl der „Sanktionen“ vor.367 Gegen eine Entscheidung im Compliance-Verfahren hat der betroffene Staat keine Berufungsmöglichkeit. Bei der Aarhus Konvention ist der Nachhalteprozess, der sich (mit Zustimmung der betroffenen Partei) bereits an eine Entscheidung des Komitees anschließen kann, Kernelement des gesamten Verfahrens. Hier ist kein genereller Berufungsprozess nach Abschluss des Verfahrens vorgesehen. Der Beschwerdeführer kann aber bei einer ablehnenden Entscheidung der vorläufigen Zulässigkeit gegen diesen Beschluss vorgehen. Hierbei kann er auf einen „possible manifest error“, also einen schwerwiegenden Fehler, den das Compliance Committee in seiner Entscheidung gemacht hat, hinweisen und um nochmalige Überprüfung bitten.368 Dem betroffenen Staat steht eine solche Möglichkeit indessen nicht zu. Eine augenfällige Gemeinsamkeit aller Verträge ist, dass das Verfahren nicht richtig abschließt. Es kann jederzeit – ohne Begrenzung – wiederholt werden. Ein Berufungsmechanismus ist nicht vorgesehen.369 Dem betroffenen Staat ist es nicht möglich, sich entweder nach der Entscheidung über die „Zulässigkeit“ der Anzeige oder nach der Sachentscheidung des Committee und der Vertragsstaatenkonferenz in einem formellen Berufungsverfahren zur Wehr zu setzen. Allein dem Compliance Committee steht gemeinsam mit der Vertragsstaatenkonferenz die Möglichkeit zu, nach Beschlussfassung den betroffenen Staat zu verpflichten, seine Umsetzungsbemühungen für das Komitee zu dokumentieren. Dadurch kann das Non-Compliance-Verfahren endgültig beigelegt werden (auch: Nachhalteprozess).370 Um eine gewisse prozessuale „Waffengleichheit“ 367 

Kapitel 1 C. I. 2. h).

368  UNECE, Guide to the ACCC 2019, S. 30. 369  Auch nicht z. B. gegen die ablehnende Entscheidung einer Selbstanzeige. Einzige Aus-

nahme ist das Kyoto Protokoll. Während die Vertragsstaatenkonferenz im eigentlichen Compliance-Verfahren nicht mitwirkt, entscheidet sie im Anschluss über mögliche Berufungen gegen die Beschlüsse des Enforcement Branches, wenn die betroffene Partei sich in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (engl. due process) verletzt sieht (Decision 27/ CMP.1, Annex XI.). Die betroffene Partei hat 45 Tage Zeit, Berufung einzulegen. Tut sie dies nicht, erwächst die Entscheidung des Enforcement Branches in „Rechtskraft“. Die Vertragsstaatenkonferenz muss mit einer Dreiviertelmehrheit für die Berufung stimmen, um den Fall zurück zum Enforcement Branch zu verweisen. Am Rande aufgearbeitet von Urbinati, Kyoto Protocol, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 63–84, S. 76. Im Übereinkommen von Paris hat man sich nicht auf ein derart komplexes Compliance-System einigen können. Es bleibt allerdings abzuwarten, was für ein Verfahren genau verhandelt wird. 370  Dies ist im Rahmen des Kyoto Protokolls möglich gewesen. Beim Montrealer Protokoll wurde über die Einführung einer solchen Möglichkeit diskutiert, der Vorschlag aber nicht



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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zwischen betroffener Partei, Compliance Committee und den weiteren am Verfahren beteiligten Interessenvertretern herzustellen, werden zwei Vorschläge gemacht: 1. Das Compliance-Verfahren muss – spätestens mit der Annahme des Komitee-Berichts in der Vertragsstaatenkonferenz – einen klaren Abschluss finden. Der Nachhalteprozess sollte prozessual stärker von dem Verfahren abgekoppelt werden. Ein neues Verfahren in der gleichen Sache wieder aufzunehmen, sollte mindestens an zuvor definierte Voraussetzungen geknüpft werden. Das könnte außerdem das Vertrauen in den Mechanismus und damit die Kooperationswilligkeit der Vertragsstaaten erhöhen. Das ComplianceVerfahren ist allerdings als agiles Verfahren gedacht und sollte durch die neu eingeführten Voraussetzungen kontrolliert, aber nicht konterkariert werden. 2. Es mangelt nahezu allen Compliance-Mechanismen an einer nachträglichen Überprüfungsmöglichkeit.371 Das hat für den betroffenen Staat schwerwiegende Folgen: In Fällen, in denen das Verfahren gegen seinen Willen verläuft oder er der Ansicht ist, dass Verfahren sei fehlerhaft abgelaufen, hat der betroffene Staat kaum eine adäquate Gegenwehr zur Verfügung. Das Fehlen einer zweiten Instanz führt überdies zu einem Ungleichgewicht, da das Compliance-Verfahren seinerseits einen intensiven Nachhalteprozess mit einer Eins-zu-eins-Umsetzungserwartung („begleitetes Umsetzen“) vorsieht, der betroffene Staat dem aber nichts entgegenhalten kann. Eine einzige Instanz ist im allgemeinen Völkerrecht zwar die Regel.372 Jedoch gibt es Ausnahmen: Hervorzuheben ist der Standing Appellate Body der WTO, der auf Grundlage von Art. 17 DSU eingerichtet wurde. Zudem gibt es „innergerichtliche“ Lösungen wie in Art. 43 Abs. 1 EMRK, der eine Verweisung der Rechtssache an die große Kammer ermöglicht. Ein solches komplexes (gerichtliches) System passt kaum zum Compliance-Verfahren. Im Mindesten sollte es aber möglich sein, sich gegen Verletzungen der grundlegenden Verfahrensrechte nachträglich zur Wehr zu setzen.373 Das Ordre-public-Kriangenommen. Montini, Procedural Guarantees, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 389–405, S. 404. 371  Ein „‚inspection panel for compliance control‘“ fordert auch Sand, ZaöRV 1996, 774– 795, 791. 372  Stoll/Holterhus/Gött, Investitionsschutz und Verfassung, 2017, S. 157. 373  Damit würde auch anerkannt, dass es sich beim Compliance-Verfahren, um ein rechtliches Verfahren handelt. Bsp. einer solchen Verantwortungsübernahme, die sich in der Komplexität des Verfahrens widerspiegelt, bilden die Wissenschaftsstandsberichte des IPCC: Die IPCC-Berichte sind Ausgangspunkt für die Klimapolitik sehr vieler Staaten. Daher hat hat sich ein umfangreiches Verfahren mit verschiedenen Phasen entwickelt: 1) Zusammentragen und Bewertung aller Erkenntnisse durch IPCC 2) externe Begutachtung 3) Mitgliederregierungen erstellen auf Plenarsitzung eine Zusammenfassung 4) wissenschaftliches Autorengremium entscheidet über die „Richtigkeit“ der Zusammenfassung aus wissenschaftlicher Sicht (Beschrieben von BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 17 (Klimaschutzgesetz).

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terium des § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO könnte eine Orientierung dafür bieten, wie umfangreich ein solch eingeschränktes Überprüfungsverfahren sein könnte.374 Ob das Überprüfungsverfahren beim Compliance Committee selbst, einer weiteren Expertenkommission oder einem Ad-hoc-Schiedsgericht angesiedelt ist, ist nicht ausschlaggebend. Es gibt bereits eine kleine Auswahl an Best-practice-Beispielen375, etwa das Schiedsverfahren der Berner Konvention, das oben beschriebene (einseitige) Berufungsverfahren der Aarhus Konvention oder – herausragend – das Zweikammersystem des Kyoto Protokolls.376 Schon die Einführung eines Kontrollmechanismus in die Verfahrensordnungen kann – unabhängig von seiner tatsächlichen Durchführung – eine gewisse Vorwirkung entfalten.

2.  „… Kontrolle ist besser“: Die Vertragsstaatenkonferenz als politisches Zentrum Der multilaterale umweltvölkerrechtliche Vertrag dient der internationalen Zusammenarbeit und Aufgabenverteilung. Die Erfüllung dieser Aufgaben (administrativ, aber auch inhaltlich-politisch) wird nicht zwischen den einzelnen Vertragsstaaten aufgeteilt. Sie werden den internationalen Verwaltungsgebilden übertragen.377 Dadurch entsteht ein Autonomous Institutional Arrangement.378 Jedes institutionelle Konstrukt zeitigt Macht- und Einflusskonflikte, die die inhaltliche Arbeit gefährden, weshalb Mandatszuschnitt, institutionelles Gleichgewicht bzw. Rivalität oder (judizielle) Kontrolle als mögliche Elemente mit einhegender Wirkung eingesetzt werden sollten. Das Compliance Committee nimmt eine teils ausgelagerte Position im institutionellen Gefüge des Vertrags ein, was faktisch durch die Verselbstständigungstendenzen des Netzwerks und rechtlich durch die teleologische Interpretation verstärkt wird. Welche Auswirkungen hat diese Verselbstständigung auf das Auslegungsergebnis und den Auslegungsprozess? Die Vertragsstaaten sollen das Komitee politisch kontrollieren. Sind die Vertragswerke dafür gut konzipiert, sodass diese Kontrolle gelingt? Die Entscheidung über das Auslegungsergebnis im Compliance-Verfahren in 374  Ein Schiedsspruch kann nur aufgehoben werden, wenn das Gericht feststellt, dass die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht. 375  Außerhalb der Erfahrungen, die im Bereich der Normsetzung technischer Normen gesammelt wurden. 376  Die Vertragsstaaten des Nachfolgeabkommen, des Paris Übereinkommens, haben sich gegen einen so komplexen und wirkmächtigen Compliance-Prozess entschieden, s. Kapitel 1 D. II. 377  An dem Konstrukt des modernen umweltvölkerrechtlichen Vertrags lassen sich daher, stellvertretend für das gesamte Völkerrecht, Verselbstständigungstendenzen illustrieren, die die Völkerrechtsordnung zunehmend zu einer „eigenständigen und damit ‚objektiven Rechtsordnung‘“ werden lassen. Knauff, Soft Law, 2010, S. 6. 378  Churchill/Ulfstein, AJIL 2000, 623–659.



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der Vertragsstaatenkonferenz ist die legitimatorische Rückanbindung zum nationalen Souverän. Welchen Einfluss hat der einzelne Staat auf den Inhalt der Auslegung und welche Rolle spielt hierbei der fast immer verwendete Beschlussmodus „Konsens“?

a)  Das institutionelle Gleichgewicht im umweltvölkerrechtlichen Vertrag Die Zusammenkunft der Vertragsstaaten ist nach dem Grundsatz der Staatengleichheit organisiert. In der Theorie ist die Vertragsstaatenkonferenz die zentrale politische Instanz eines Vertrags: „It is [the parties’] treaty. It is not anyone else’s.“379 Die Luzern Deklaration hebt beispielsweise hervor, dass die Entscheidung im Compliance-Verfahren erst mit der Annahme durch alle Parteien fällt.380 Die völkerrechtliche Bewertung der Nichteinhaltungsentscheidung bestätigt, dass im Compliance-Verfahren völkerrechtlich spätere Übung erst mit Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz gebildet wird. Ab diesem Zeitpunkt ist der Vertragsinhalt für alle Vertragsparteien als zu berücksichtigen ausgelegt. Die Vertragsstaatenkonferenz soll daneben die Tätigkeit des Expertenkomitees überwachen und kontrollieren.381 Sie ist das Vertragsorgan, das am vielfältigsten zusammengesetzt ist.

aa) Problembeschreibung Diese politische Kontrolle wird nicht bzw. nicht ausreichend ausgeübt.382 Die Vertragsstaatenkonferenz entscheidet in der Regel nicht nach eigener Sachprüfung über die Nichteinhaltung. Sie macht sich die Entscheidung des Komitees zu eigen.383 Das zeigt sich daran, dass an den Entscheidungen des Komitees 379 

Crawford, A Consensualist Interpretation, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 29–33, S. 31. 380  23. 1. der Luzerne Declaration by the Ministers of the Environment of the Region of the United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) and the Member of the Commission of the European Communities responsible for the Environment, 30th of April 1993, abrufbar unter: https://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/efe/history%20of%20EfE/ Luzern. E.pdf (zuletzt am 22. Mai 2021). 381 Von Versuchen, innerhalb umweltvölkerrechtlicher Verträge „power-checking and power-directing functions“ zu etablieren Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/ Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 121. Beyerlin/Marauhn kommen zu dem Ergebnis, dass die Compliance Committees lediglich die Informationen zu einem Verfahren zusammenstellen, die rechtliche Entscheidung würde regelmäßig dem politischen Vertragskörper überlassen, bei Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, 2011, S. 331. 382 Bestätigung aus der praxisnahen Untersuchung Güssows: Nach ihrer Analyse der 10. Vertragsstaatenkonferenz COP10 der Biodiversitätskonvention: das Ergebnis würde nur „formal [ge]billigt“ Güssow, Maritimer Klimaschutz, 2012, S. 197. Hier zeigt sich das Principal-Agent-Problem: Die Theorie geht von Interessendivergenzen und vor allem einer Informationsasymmetrie zwischen dem Auftraggeber und seinem Vertreter aus. Vor diesem theoretischen Hintergrund allgemein für die internationale Organisation beschrieben von Vaubel, Principal-Agent-Probleme, 2003. 383  Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Um-

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nachträglich keine Änderungen384 vorgenommen und ihre Beschlüsse von der Vertragsstaatenkonferenz im Konsens angenommen werden.385 Die rechtlichen Dokumente benennen die Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz mit „approval“386 oder „endorsement“387. Dies legt ebenfalls offen, dass es sich nicht um eine selbstständige Entscheidung handelt, sondern nur um die „Übernahme“ der Entscheidung des Komitees.388 Das ist ein stückweit intendiert. Schließlich wird die Compliance-Kontrolle auch aus zeitökonomischen Interessen an ein externes Gremium ausgelagert. Die Vertragsstaatenkonferenz ist aber das „politische“ Organ des Vertrags, es muss in der Hierarchie oben stehen.389 Das gilt umso mehr für Verträge, in denen das Compliance Committee mit Experten besetzt ist. Besonders schwierig erscheint eine Hierarchisierung der Vertragsorgane, wenn alle Organe eine gleiche Besetzung aufweisen, wie es bei der Alpenkonvention der Fall ist.390 Setzt sich die Vertragsstaatenkonferenz nicht mit den teils sehr technischen Entscheidungen auseinander, fehlt die politische Bewertung und Einordnung der Entscheidungen. Diese Bewertung fehlt letztlich dem nationalen Rechtsanwender. Unterschiedliche Ansichten und Konzepte finden keinen Raum. Der ganzheitliche Ansatz der Vertragsauslegung, den die Vertragsstaaten einbringen könnten, beeinflusst damit die endgültige Entscheidung nicht. Die dynamische weltrecht, 2017, S. 243–282, S. 254 f.; angedeutet bei Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 720; nur in sehr abgeschwächter Form bei Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 99: „the advice of subsidiary bodies may amount to a powerful proposal for decision-making at the COP[…] level“; ebenfalls nur angedeutet bei Ehrmann, Erfüllungskontrolle, 2001, S. 169: „Auch wenn der Durchführungsausschuß damit nur unverbindliche Empfehlungen gegenüber der Tagung der Vertragsparteien abgeben darf, kommt ihm dennoch ein erheblicher Einfluß auf den Inhalt ihrer Entscheidungen zu.“; einen ähnlichen Prozess beobachtet auch Röben bei den wissenschaftlichen Organen umweltvölkerrechtlicher Verträge: „The structure and mandate of each of these bodies reflects the degree to which parties have decided to allow the discipline of scientific or other expertise to direct political action“, in: Röben, MPYUNL 2000, 363–443, 394; mit Bezug zur WTO Venzke, How Interpretation Makes International Law, 2012, S. 16. 384  Bzw. nur redaktionelle Änderungen. Sand kann in seiner praxisnahen Untersuchung zum Washingtoner Artenschutzabkommen nur einen Fall benennen, in dem ein Staat die Entscheidung eines Vertragsorgans (Sekretariatsentscheidung und die nachfolgende Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz) ablehnt und für unverbindlich hält, Sand, AVR 2016, 561–589. 385  Zu den rechtlichen Implikationen dieser Verfahrenswahl sogleich. 386  In einem anderen Zusammenhang der Bericht des 1. Treffens des Compliance Committee des Cartagena Protokolls (UNEP/CBS/BS/COP-MOP/2/2), Nr. 13. 387  Z. B. UNECE, Guide to the ACCC (Draft), S. 36. 388  Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 38, 52. 389  Denn wie oben zitiert: „Whoever controls this process controls the meaning of the treaty, and therewith controls whether or not the obligations resting upon him are bearable or onerous, and controls whether the acts of States are faithful implementations of a text, or amount to breaches of that same text.“Klabbers, NJIL 2005, 405–428, 406 f. 390  S. o. Kapitel 1 C. III. 2.



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Vertragsweiterentwicklung durch die Vertragsstaaten entspringt der Auslegung des Expertengremiums.391 Die Entscheidung der Vertragsstaaten ist durch die Komiteeentscheidung inhaltlich vorbestimmt.392 Die hohe Bindungswirkung393, die die Auslegungsentscheidung des Komitees gegenüber der Vertragsstaatenkonferenz ausstrahlt, beruht unter anderem darauf, dass es detailliert begründete Einzelfallentscheidungen sind,394 die neben der allgemeinen Auslegung des Vertragswerks konkrete, in einem formalisierten Prozess beschlossene Handlungsempfehlungen beinhalten. Die Komiteemitglieder beweisen „control over knowledge and information“395 und üben auf diese Weise Macht über die Vertragsstaatenkonferenz aus.396 Aus institutioneller Sicht verändert sich die Machtverteilung innerhalb des Vertragswerks zugunsten der Committees: Sie sind die zentralen Interpretationsstellen für den Vertragsinhalt.397 Die Vertragsstaatenkonferenz entäußert sich des Einflusses auf die Vertragsentwicklung. Kaum bei einem anderen Vertrag wird dies so deutlich wie bei der Aarhus Konvention, bei der sich die Beteiligung der Vertragsstaatenkonferenz am Compliance-Verfahren großteils darauf beschränkt, die zusammenfassenden Berichte mitunter Jahre nach deren Verabschiedung zu billigen. Aus der (institutionellen) Sicht des Compliance Committee ist die fehlende Kontrolle begrüßenswert. So unterstreichen die Diskutanten im Rahmen der Alpenkonvention, dass nur ein (von der Ver391  Hayashi, Challenges of Dynamic Treaty Regimes, in: Fitzmaurice/Tamada (Hrsg.), Whaling in the Antarctic, 2016, S. 221–236, S. 221. 392  Der Einfluss des Compliance Committee sei erheblich, Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 381. „[It is a] model of law, in which states lose authorship over law’s content to tribunals that make judements about compliance“. Meyer, AJIL Unbound 2014, 93–98, 96. Meyer widerspricht jedoch der hier vertretenen These, da er gerade im Umweltvölkerrecht die Einrichtung der Vertragsstaatenkonferenz als Modell sieht, wie Staaten sich die Interpretationshoheit erhalten können. 393  Zur hohen Bindungswirkung unverbindlicher Expertennormen Rose, Non-Binding Instruments, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 205–229, S. 206. 394  Sozusagen „ready-to-use“ Informationen: Schon 1969 schreibt Merrills „The pressing need for economy of time and effort in […] domestic courts is a[n] […] argument for simple rules.“ Merrills, AYIL 1969, 55–82, 75. Dies ist außerdem ein Grund dafür, warum die Compliance-Entscheidungen im innerstaatlichen Recht quasi bedingungslos übernommen werden. 395  Haas, IO 1992, 1–35, 2. 396  Gedanke in einem anderen Zusammenhang bei Slaughter, A New World Order, 2004, S. 4: „In a world in which their ability to use their hard power is often limited, governments must be able to exploit the uses of soft power – the power of persuasion and information“. 397  Fodella, Structural and Institutional Aspects, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 355–372, S. 364; Treves, Introduction, in: ders. u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 1–8, S. 8. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Compliance Committees teilweise neben ihrer Kontrolltätigkeit auch Auslegungsaufträge in Form fallunabhängiger Gutachten wahrnehmen. Bsp. bilden die Alpenkonvention, s. Kapitel 1 C. III. 2. g) und die Auslegung von Art. 2 Berner Konvention (zu der Frage, ob es eine Minimalpopulation geben muss, die im Rahmen der „Wolfspolitik“ relevant geworden ist) Bern Convention Standing Committee Guidelines No. 3 (1993); Bern Convention Standing Committee Recommendation No. 163 (2012).

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tragsstaatenkonferenz) unabhängiges Komitee seine Aufgaben effektiv erfüllen könne.398 Die komplexen Vertragswerke im Umweltvölkerrecht zeigen in der Folge dieser oben beschriebenen Entwicklungen keine klare Verantwortungszurechnung und Kompetenzaufteilung zwischen den Organen auf. Während formell die Letztentscheidung meistens bei der Vertragsstaatenkonferenz angesiedelt ist, liegt hinsichtlich des Inhalts der Vertragsauslegung eine politische Machtverschiebung von der Vertragsstaatenkonferenz hin zum Compliance Committee vor.399 Auf ein förmliches Entscheidungsfindungsverfahren wird verzichtet.400 Dabei ist die klare Verantwortungszurechnung für die verfassungsrechtliche Beurteilung entscheidend: „Eine freie öffentliche Meinung und eine politische Opposition müssen fähig sein, den Entscheidungsprozess in seinen wesentlichen Zügen kritisch zu beobachten und Verantwortlichen […] sinnvoll zuzurechnen.“401

bb) Lösungsvorschläge Die Vertragsstaatenkonferenz muss stärker „Verfahrensherrschaft“402 übernehmen. Folgende Maßnahmen würden dazu beitragen: – Die Ermächtigungsgrundlage muss eindeutig sein oder, wie bei der Espoo Konvention geschehen, notfalls nachträglich ergänzt werden. Ohne eine Ermächtigungsgrundlage im Rahmenvertrag sollte kein Compliance Committee errichtet werden. – Die Einsetzungsentscheidung sollte in Grundsätzen den Aufbau des Komitees und das Verfahren vor dem Komitee festsetzen und dafür auf die bereits vorhandenen Erfahrungen zurückgreifen. Um es mit Anlehnungen an das Verfassungsrecht auszudrücken, muss die Vertragsstaatenkonferenz alle wesentlichen Entscheidungen, die das Verfahren betreffen, als „Rahmen“ vorgeben. Das sollte ausdrücklich auch die Auslegungstätigkeit des Ko398  399 

S. o. Kapitel 1 C. III. 2. f). Knauff: Kompetenzverteilung als Machtverteilung, Knauff, Soft Law, 2010, S. 401. Es liegt keine Identität vor zwischen Normadressat und Norminterpret. Eine Sichtweise, die „Mitleid“ mit Mitgliedern internationaler Streitschlichtungsgremien suggeriert, die sich mit dem Rücken zur Wand der Vertragsinterpretation befinden, ist nicht nachvollziehbar. Z. B. „[I]nternational courts […] perpetually find themselves pushed up against the wall of interpretation.“ bei Sorel/Boré Eveno, Article 31, in: Corten/Klein, Commentary of the Vienna Convention, 2011, S. 804–837, S. 807. 400  In anderem Zusammenhang Slaughter, GO 2004, 159–190, 162. 401  Mit Verweis auf Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG BVerfGE 123, 267, 366 (Lissabon) und: „Die Zuordnung von Entscheidungen zu bestimmten verantwortlich Handelnden verliert an Transparenz mit der Folge, dass die Bürger sich bei ihrem Votum kaum an greifbaren Verantwortungszusammenhängen orientieren können.“ BVerfGE 123, 267, 357 (Lissabon). 402  Schmidt-Preuß verwendet den Begriff für das innerstaatliche Recht Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 175.



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mitees umfassen. Es könnte darüber hinaus immer der Subsidiaritätsgrundsatz aufgenommen werden. In vielen Verfahren ist dies bereits der Fall. – Der Einsetzungsentscheidung sollte ein „disclaimer“ vorangestellt werden, dass das Compliance Committee im Zuge seiner auslegenden Tätigkeit dazu befugt ist, eine Vertragsauslegung vorzuschlagen, diese aber nie zur Abänderung des Vertragsinhalts führen darf. – Bestenfalls würde das Nichteinhaltungsverfahren in einem separaten Protokoll, also durch einen formellen Weg, eingeführt und dem Ratifikationsprozess unterzogen. Vom Montrealer „Modell“ sollte an dieser Stelle Abstand genommen werden.403 Dazu bedarf es allerdings einer Entschließung der Vertragsstaatenkonferenz. Dass diese dazu eine Notwendigkeit erkennt, ist sehr unwahrscheinlich – vor allem angesichts der Tatsache, dass manche Vertragswerke (wie zum Beispiel die Alpenkonvention) nicht einmal die rechtliche Grundlage der Compliance-Kontrolle nachträglich ergänzt haben.404 Besonders einflussreiche Komitees fürchten durch eine erneute Entscheidung über ihre Rechtsgrundlage einen Machtverlust und unterstützen diesen Prozess nicht.405 Die Analyse speziell der Alpenkonvention hat gezeigt, dass bei Verträgen mit geringer Mitgliederstärke die interne Kontrolle der einzelnen Vertragsorgane unter der gleichförmigen Besetzung (jeweils mit Repräsentanten aller Vertragsstaaten) leidet. Hier ist auf Diversität zu achten, um die Kontrolle von innen heraus zu stärken.

b)  Wie inkludierend ist der Konsens?406 Das Compliance Committee und die Vertragsstaatenkonferenz entscheiden regelmäßig im Konsens über den Ausgang der Compliance-Verfahren und damit über die authentische Interpretation des Vertragswerks. Dieser Abstimmungsmodus wirkt sich auf die Möglichkeit des einzelnen Staats aus, auf die endgültige Beschlussfassung im Compliance-Verfahren Einfluss zu nehmen bzw. sich an dem Entstehungsprozess der Vertragsauslegung und -weiterentwicklung zu beteiligen: Intern verhandelte Konsensentscheidungen machen es Außenstehenden, im Speziellen den demokratisch legitimierten Parlamenten, trotz des Transparenz403 

S. o. Kapitel 1 C. I. 2. a). Vgl. Kapitel 1 C. III. 2. a). 405  Ebbesson sprach in diesem Zusammenhang von der Box der Pandora: Man möchte um jeden Preis eine Neuverhandlung oder Anpassung der Decision I/7 verhindern, da man davon ausgeht, danach mit weniger Befugnissen ausgestattet zu sein. So Äußerungen des Vorsitzenden Ebbesson am 5. November 2018 in Genf auf dem 62. Treffen des Compliance Committee der Aarhus Konvention im Rahmen der Diskussion um Änderungen der Geschäftsordnung. 406 Angelehnt an den Ausdruck „souveränitätsschonende Konsensus-Verfahren“ bei Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 253 f. 404 

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gebots schwer, die Entscheidungen zu kontrollieren und Verantwortung zuzurechnen. Das Konsensverfahren konterkariert damit den Transparenz- und Publizitätgrundsatz. Sie widersprechen ferner dem theoretischen Anspruch des Compliance-Verfahrens, ein politisches Dialogverfahren zu sein. Gleichzeitig ist es keine inkludierende Praktik. Denn das Konsensverfahren ermöglicht die dominante Beeinflussung der Vertragsweiterentwicklung durch einzelne Staaten oder Staatengruppen in einem intransparenten Verfahren. Erschwerend kommt hinzu, dass einer Konsensentscheidung im Nachhinein aber scheinbar höhere völkerrechtliche Bindungswirkung zugesprochen wird als einer Entscheidung, die nicht im Konsens angenommen wird.407

aa)  Das Konsensverfahren Nach der Mitte des letzten Jahrhunderts wurde die Mehrheitsbeschlussfassung als zentraler Baustein internationaler Kooperation angesehen. Ab den 1970er Jahren stieg erst die Bedeutung des Konsensverfahrens, das bis heute der meistgenutzte Beschlussmodus völkerrechtlicher Kooperation ist.408 Dem liegt folgender Gedanke zugrunde: Sollen Verträge, insbesondere solche, die Recht setzen (sogenannte law-making-treaties), effektiv wirken, müssen alle Vertragsparteien einbezogen und „mitgenommen“ werden.409 Spätestens seit der dritten UN-Seerechtskonferenz ist der Abstimmungsmodus und das Verhandlungsverfahren „Konsens“410 die gewählte Antwort auf diese Problematik.411 407  Im Vergleich zur Entscheidungsannahme ohne Abstimmung, Schaefer zit. in: Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 299. Denn Einstimmigkeit und Konsens werden häufiger verwechselt. Mit Bsp. aus der Praxis Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 338. Bsp. einer solche Begründung: „Nach Art. 31 Abs. 3 [WÜV] kann eine derartige Anwendungspraxis in der Weise auf den völkerrechtlichen Vertrag zurückschlagen, dass es zu einer Fortschreibung kommt – vorausgesetzt, die Anwendungspraxis wird von allen Vertragspartnern konsensual getragen.“ Nettesheim in: Maunz u. a., GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 128. 408  Bereits seit der Mitte der 1960er Jahre fand die Konsensmethode auf internationale Verhandlungen Anwendung. Sie ist bis zur Beschlussfassung des Sekretariats des Völkerbundes zurückzuverfolgen. Zum Grund des Wechsels von Mehrheits- auf Konsensbeschlussberfahren: Die steigende Anzahl an Staaten ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts führte dazu, dass politisch bedeutende Staaten (die die Protagonisten internationaler Kooperation sind) im Mehrheitsverfahren überstimmt werden konnten. Es drohte die „Gefahr“, dass überstimmte, mächtige Staaten die Verpflichtungen in der Folge nicht eingehen (oder umsetzen) wollten. Bei Buzan, AJIL 1981, 324–348, 325; zur Problematik Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 338 f. 409  Aust, Modern Treaty Law, 2013, S. 81. Art. 51 UN Model Rules als „Rechtsquelle“ benannt von Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 335. Abs. 1 lautet: „The Conference shall make every effort to ensure that its decisions on all matters of substance are taken by consensus or general agreement, or otherwise without a vote.“ 410  Ein „schillernder Begriff“ bei Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, S. 144. Synonym werden die englischen Begriffe „general agreement“ und „without a vote“ verwendet, Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 338. 411 „[I]t represents a major international experiment in decisionmaking“, „a model of



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Die Konsensentscheidung internationaler Konferenzen wird häufig definiert als ein „no objection system“412, also „the absence of formal objection“413. Allerdings fehlt in vielen Geschäftsordnungen internationaler Konferenzen, Organisationen oder Institutionen die genaue Regelung oder alleine Definition der Konsensfindung. Entsprechendes gilt für den Ablauf des Konsensverfahrens.414 Sabel arbeitet heraus, die Konsensmethode und die Diskussionen um die (möglicherweise bestehende) besondere Bindungswirkung von Konsensentscheidungen müssten vor dem politischen Hintergrund verstanden werden, dass die mächtigen Staaten ihre Entscheidungsmacht qualitativ zu Lasten der Staatengleichheit aufwerten wollten.415 Es scheint auf den ersten Blick, als stelle die im Konsens getroffene Entscheidung eine von allen Verhandlungspartnern getragene politische Kompromisslösung dar. Denn in der Theorie kann jeder Staat den Konsens blockieren und durch dieses Druckmittel eigene Ansichten in den Prozess einbringen.416 Bereits bei der Definition des Konsenses wird jedoch deutlich, wie vielschichtig dieser Entscheidungsmodus ist.417 Mit Konsens wird im allgemeinen Völkerrecht das Fehlen jedes förmlichen Einspruchs umschrieben.418 Es bezeichnet einen Entscheidungsfindungs- und einen Beschlussmodus, in dem auf eine Abmultinational negotiations“, Buzan, AJIL 1981, 324–348, 324; „a significant new form of international lawmaking“, Eustis, VJIL 1977, 217–256, 225; Zemanek, Majority Rule and Consensus Technique, in: MacDonald/Johnston (Hrsg.), Structure and Process, 1983, S. 857–887, S. 862. Schon 1980 schreibt Kaufmann „Because voting is such a conspicuous element of conference diplomacy, it is sometimes condemned as an inferior method of decision making“ Kaufmann, Decision Making, 1980, S. 127; „increased use of consensus“ bei Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 338; Staal, After Agreement, 2018, S. 282 f. Mit der Einführung des Konsenses sind nicht alle Probleme behoben. Sollen Verhandlungen zu einem Konsens führen, dauern sie viel länger, als wenn über den Text abgestimmt wird. Und trotzdem sind selbst bei einem von allen Vertragsstaaten getragenen Konsens viele Staaten mit dem Ergebnis unzufrieden, und das bei möglicherweise mangelnder Qualität des verhandelten Rechtstexts, vgl. Aust, Modern Treaty Law, 2013, S. 82. Entgegen des derzeitigen Meinungsstandes Toop, die ein sehr positives Bild der Mehrheitsentscheidung zeichnet und zu erkennen meint, eine Vielzahl der Entscheidungen innerhalb umweltvölkerrechtlicher Verträge ergingen als Mehrheitsentscheide, Toop, MEAs and RFMOs, in: Cullen/Harrington/Renshaw (Hrsg.), Experts, 2017, S. 95–122, S. 101. 412  Goodrich/Hambro/Simons zit. von Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 336. 413  Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 336. 414  Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 343. 415  Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 339. 416  Lähmendes Konsensprinzip: „de-facto-Vetorecht für jeden Mitgliedstaat“ im Bezug auf Rüstungskontrolle und Abrüstung Brühl/Rosert, Die UNO und Global Governance, 2014, S. 178. Daneben ein Vorwurf an das „träge“ Einstimmigkeitsprinzip bei Pan, HILJ 1997, 503– 535, 507. 417  Eine sehr filigrane Ausdifferenzierung des Konsensbegriffs bei Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, S. 145 ff. (Aufteilung u. a. in Willenskonsens, Meinungskonsens und Konsens der Präferenzen). 418  Z. B. Art. 161 Abs. 8 lit. e) Satz 1 SRÜ.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

stimmung verzichtet wird. Der Konsens zeichnet sich dadurch aus, dass keine formelle Ablehnung, aber zugleich keine positive Zustimmung zur gefundenen Kompromisslösung erfolgt.419 Manche Beobachter stellen (positiv konnotiert) die Annäherung der einzelnen Positionen bei der Beschreibung des Konsenses in den Vordergrund: „very considerable convergence of opinions“420. Manche Beobachter sprechen gar davon, ein Konsens sei „‚tantamount to unanimity‘“421. Spürt man dem Verhältnis von einstimmiger Abstimmung und Konsens nach,422 kristallisieren sich indes die Problempunkte heraus: „It is generally understood that consensus represents general agreement without meaning unanimity“423, präzisiert: „[C]onsensus is different from unanimity. A State can join consensus even if it did not vote in favour“424. Seien Staaten gegen die Annahme der Entscheidung, würden aber nicht formal widersprechen, sei ihr Widerstand einfach nicht fundamental genug.425 Viele juristische Beobachter sehen sich wegen dieser Unsicherheiten und der unbeständigen Praxis kaum in der Lage, den Konsensbegriff zu definieren: „[T]he object is too amorphous“426. Die Konsensentscheidung sei in einem rechtlichen Vakuum zu verorten.427 Aufschluss über die Realität des Konsenses im Compliance-Verfahren kann jedoch eine Untersuchung der beiden vom Konsensbegriff umfassten Unterkategorien der „Konsensfindung“ (Verfahren) und „Konsensentscheidung“ (Beschluss) geben.

419  Wolfrum/Pichon, Consensus, in: Wolfrum/Peters A. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Stand: Oktober 2010, Rn. 3. 420  Vignes, AJIL 1975, 119–129, 124. 421  Plant zit. von Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 336. 422  Teilweise findet eine Vermischung von Einstimmigkeit und Konsensentscheidung statt, z. B. bei Pan, 1997 HILJ, 503–535, 509. 423  Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307– 386, S. 375, der mit der Wortwahl auf eine Resolution der Population Commission der ECOSOC von 1974 verweist, Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 336. 424  IMO Sub-Division of Legal Affairs zit. in: Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 374. Eine fehlende Unterstützung des Kompromisses ist nicht ausgeschlossen, Wolfrum/Pichon, Consensus, in: ders./Peters A. (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Stand: Oktober 2010, Rn. 3. Ähnlich Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 337. 425  Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 336. Oder sie wollten sich mit dem Widerstand nicht öffentlich positionieren, Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 337. Die Staatenpraxis würde diese Annahme allerdings nicht unterstützen. Hier sind Stellungnahmen von Staaten bekannt, die sich nach einer Entscheidung im Konsens klar von der Entscheidung distanzieren. (ebd., S. 346). 426  Zemanek, Majority Rule and Consensus Technique, in: MacDonald/Johnston (Hrsg.), Structure and Process, 1983, S. 857–887, S. 875; mwN Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 337. 427  Staal, After Agreement, 2018, S. 282 f.



B.  Wie kann das Compliance-Verfahren angepasst werden?

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bb)  Die Konsensfindung Der Begriff der Konsensfindung suggeriert einen inklusiven Diskussionsvorgang. In der Realität ist der Ansatz, dass jeder Staat aktiv in die Entscheidungsfindung eingebunden wird, aber kaum durchführbar – und das schon wegen der Mitgliederstärke vieler Vertragsstaatenkonferenzen umweltvölkerrechtlicher Verträge. Um einen Konsens in großen multilateralen Vertragsstaatenkonferenzen praktisch herbeizuführen, erhält die Rolle des Vorsitzenden428 einen neuen Charakter. Er hält die Zügel der Verhandlungen zusammen: „In practice, however, the Chairman, through the use of a fast gavel, often was able to reach a ‚consensus‘ even when all nations did not in fact agree.“429 Dieser Bericht Eustis von der dritten UN-Seerechtskonferenz, die für den Konsens als Abstimmungsmethode bei multilateralen Verhandlungen als Modell gilt, zeigt, wie einflussreich die Rolle des Vorsitzenden (geworden) ist.430 Er ist der entscheidende Faktor für den Erfolg der sogenannten aktiven Konsensmethode.431 Denn es bedarf in groß angelegten Verhandlungen mit vielen Teilnehmern häufig eines Mittlers, um ein Einvernehmen zwischen den Parteien bzw. den einzelnen Staatengruppierungen herbeizuführen.432 Der Vorsitzende steuert das Verfahren zur Konsensfindung, obwohl seine formale Rolle eigentlich dirigierender und administrativer Natur ist.433 Die ihm zur Verfügung stehenden Mittel variieren von Vertrag zu Vertrag, umfassen aber für gewöhnlich folgende Maßnahmen: Gespräche (formell und informell) mit einzelnen Vertragsstaaten, selektive Weitergabe von Informationen (Selektion: welche Informationen an welche[n] Empfänger), Aufstellen der Tagesordnung, Sitzungsleitung, Zusammenstellung und Verbreitung von Arbeitsergebnissen einzelner Untergruppierungen der Konferenz, Erarbeitung der Schlussfassung von Entscheidungen, Beendigung der Sitzung unter Feststellung des Konsenses, Kommunikation mit der Presse und Vieles mehr.434 Der Vorsitzende bedient sich dabei des nationalen ministerialen Führungsstabes seines Landes und der Vertragsinfrastruktur, darunter maßgeblich des Vertragssekretariats. Teile der Führungsclique um den Vorsitzenden der 428  429 

Engl. chair/chairman/chairperson. Eustis, VJIL 1977, 217–256, 224 f. 430  Eine im Vergleich zum restlichen Buch erstaunlich deskriptive Aufarbeitung der Rolle des Vorsitzenden bei Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 68–95. 431  MwN in Fn. 45 Buzan, AJIL 1981, 324–348, 339 f.; in Bezug auf die Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation: „WTO chairs have limited but significant capacity to influence the efficiency of consensus building and the resulting distribution of gains and losses“; Odell, JIEL 2005, 425–448, 427. Dass seine Rolle für die Konsensentscheidung zentral ist, bei Kaufmann, Decision Making, 1980, S. 129. „From ‚a formal point of view consensus is often considered not as being a decision of the body in which it emerged, but rather as coming from the Chairman of that body‘.“ Vignes zit. in: Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 337. Insgesamt dazu Staal, After Agreement, 2018, S. 282 ff. 432  Für WTO Verhandlungen beschrieben von Odell, JIEL 2005, 425–448, 427 ff. 433  Blavoukos/Bourantonis, RIS 2011, 653–672, 660 f. 434  U. a. in Odell, JIEL 2005, 425–448, 429.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Vertragsstaatenkonferenz können aber überdies Vertreter einzelner Vertragseinheiten sein. Das führt teilweise zu konfusionsähnlichen Zuständen: Mitglieder des zu kontrollierenden Organs (Compliance Committee) bilden einen Teil des Vorsitzes im kontrollierenden Organ (Vertragsstaatenkonferenz).435 Der Vorsitzende ist für diese Rolle „berufen“ worden. Eine (Macht-)Verschiebung ist die Folge.436 Nicht alle Staaten der Vertragsstaatenkonferenz haben daher den gleichen Einfluss auf das Endergebnis der Entscheidung. Der Staat, der den Vorsitz stellt, hat ungleich größere Chancen, seine Interpretation einer Vertragsnorm oder seine Ansicht bezüglich eines Non-Compliance-Falles durchzusetzen.437 Der Aushandlungsprozess vor der Entscheidung rückt in das Zentrum. Er wird von einer möglichen Abstimmung wie von einer Drohkulisse überschattet („shadow of the vote“438):439 Die jederzeit mögliche Abstimmung über einen Compliance-Fall, die im Rahmen einiger umweltvölkerrechtlicher Verträge ebenso in einer Mehrheitsentscheidung enden kann,440 wird als Anreiz bzw. Druckmittel genutzt, um einen Konsens zu erreichen. Der Konsens dient damit als Instrument, um einer Mehrheitsentscheidung vorzubeugen – ist aber gleichzeitig faktisch einer Mehrheitsentscheidung näher als einer einstimmigen Entscheidung. Einer der dahinter liegenden Gedanken ist, dass bei einer Mehrheitsentscheidung aus Sicht des Vertragswerks die Gefahr besteht, ein entgegenstimmender 435 

S. o. Kapitel 1 B. II. der Prozess internationaler Verhandlungen sei elitär (also um den Vorsitzenden geschart) bei Buzan, AJIL 1981, 324–348, 340 f. Zum Einfluss der EU-Ratspräsidentschaft: Tallberg, Leadership and Negotiation in the European Union, 2006 und Elgström (Hrsg.), European Union Council Presidencies, 2003. Zur Rolle des Vorsitzenden im UN Sicherheitsrat s. Blavoukos/Bourantonis/Tsakonas, HJD 2006, 143–170) sowie zu der Rolle der Vorsitzenden umweltvölkerrechtlicher Konferenzen s. Tallberg, ISQ 2010, 241–265. 437  Eindrückliches Bsp. bieten Blavoukos/Bourantonis, RIS 2011, 653–672, 660–662. Sie beschreiben, wie die britische Präsidentschaft die Nachfolge Russlands bezogen auf den Ständigen Sitz der Sowjetunion im Sicherheitsrat in die Wege geleitet hat. Und das alles allein über die vorgesehenen (administrativen und Agenda-Setting) Möglichkeiten, die dem Vorsitzenden zustehen. Sie betonen aber auch, dass die Vertragsstaaten weiterhin die zentrale Rolle spielen (ebd., 664–666). Sie zeichnen als Beleg einen gescheiterten Einflussversuch des Vorsitzenden (Kamerun) der Dritten UN-Seerechtskonferenz 1977 nach. 438  Krick, Négociacion 2017, 109–128; Eustis, VJIL 1977, 217–256, 235; Staal, After Agreement, 2018, S. 281. 439  Mit dem Effekt, dass weniger mächtige Staaten ein Druckmittel erhalten und die Konsensfindung durch den dadurch bestehenden Druck überhaupt zeitnah zustande kommt. Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 341. Nennt dies „qualified consensus“ (ebd., S. 344). Daher gäbe es kaum Geschäftsordnungen, die nur Regeln für Konsensentscheidungen vorsähen, ohne gleichzeitig eine mögliche Abstimmung mitzuregeln. (ebd., S. 344). 440  Z. B. in Rules of Procedure of the COP of the CBD Annex to Decision I/1 und Decision V/20, Regeln 39 bis 51; ein Formulierungsbeispiel findet sich auch in Art. 14 Abs. 3 AK: „Die Vertragsparteien unternehmen alle Bemühungen, […] eine Einigung durch Konsens zu erzielen. Sind alle Bemühungen, einen Konsens zu erreichen, ausgeschöpft […], so wird die Änderung notfalls mit Dreiviertelmehrheit […] beschlossen.“ 436  Vorwurf,



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Staat könnte von der Entscheidung nicht gebunden sein.441 Wird die Entscheidung hingegen im Konsens getroffen, muss ein Staat, der diese Entscheidung nicht mittragen möchte und sich daran nicht binden möchte, im Anschluss an die Beschlussfassung Protest einlegen. Soll die Entscheidung auf einen Konsens hinauslaufen, wird das Verfahren in vielerlei Hinsicht entformalisiert und damit intransparent.442 Wegen des informellen Charakters der Verhandlungen können Außenstehende – speziell die nationalen Legislativen – nicht mehr nachvollziehen, welche Positionen von wem (selbst von ihren eigenen Vertretern) eingenommen werden und wie der endgültige Vertragstext im Einzelnen zustande gekommen ist.443 Denn das setzt „insider-Wissen“ und eine genaue Kenntnis der komplexen Mechanismen voraus.444 Die eigenen Vertreter können, wenn es um Konsensverhandlungen im internationalen Bereich geht, nur schwer im Vorhinein mit rigiden Mandaten ausgestattet werden. Möglich erschiene lediglich, sie zu instruieren, einem sich eventuell bildenden Konsens zu widersprechen. Vertraulichkeitsanforderungen und Verhandlungen unter Verschluss („backroom negotiations“)445 erschweren die Kontrolle durch Außenstehende weiter.446

cc)  Die Konsensentscheidung Eine abschließende Konsensentscheidung wird dadurch generiert, dass der Vorsitzende der Vertragsstaatenkonferenz entweder feststellt, dass der von ihm ausgeteilte, allen Staaten vorliegende Text generelle Zustimmung genießt. Alternativ, liegt keine generelle Zustimmung vor, kann er feststellen, dass die Vertragsstaatenkonferenz den Text ohne Abstimmung annehmen möchte. Letzteres bezeichnet Kaufmann als „pseudo-consensus“ – versehen mit dem Hinweis,

441  IMO Sub-Division of Legal Affairs zit. in: Nolte, Third report, in: ders. (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 307–386, S. 374. 442  Buzan, AJIL 1981, 324–348, 340 f. 443  Eine genaue Beschreibung der innerstaatlichen Organisation der Verhandlung eines internationalen Vertrags bei Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 186 f. 444  Dies hängt wiederum eng mit der Netzwerkdynamik zusammen. Für die WTO Verhandlungen beschrieben von Odell, JIEL 2005, 425–448, 430. Phänomen erklärt durch Principal-Agent-Theorie. Der Principal (hier die nationale Legislative in ihrer die Exekutive kontrollierenden Funktion) weiß nicht, wie der Agent (hier die als deutsche Vertreter entsendeten Verhandlungsführer) handelt, Hawkins u. a. (Hrsg.), Delegation and Agency, 2006. 445 Die Konsensentscheidung sei geprägt durch „Netzwerken“ im Hinterzimmer. Sie mache den Rechtsfindungsprozess „fluid and confusing“, Cassese u. a., Foreword, in: dies. (Hrsg.), Global Administrative Law, S. XXIII–XXXI, S. XXIV. Ähnlich ebenfalls aus der Perspektive des Global Administrative Law „[for] international regulation […] the information about relevant policy and decision makig process is often unknown to all but the cognoscenti“ Kinney, ALR 2002, 415–433, 429. 446  Mit zusätzlichem Bezug auf die an den Verhandlungen maßgeblich beteiligten Fachbruderschaften Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, 379.

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dass die Abstimmung nicht einstimmig ausginge, wenn an seiner Stelle abgestimmt würde.447 Eine völkerrechtliche Regel, wie der Zeitpunkt zu bestimmen ist, wann ein Konsens vorliegt, gibt es nicht: Wann besteht die absence of formal objection? Das gleiche gilt für die Definition der Rolle des Vorsitzenden im Konsensverfahren. In der Praxis füllt der Vorsitzende die Funktion daher nach eigenem Dafürhalten aus. Jeder bringt dabei ein individuelles und unterschiedliches Vorverständnis ein, „wie viel Opposition der Konsens verträgt“: Genügt bereits die Gegnerschaft eines Staats oder können selbst mehrere Staaten gegen Textpassagen eingestellt sein und liegt dennoch ein Konsens vor?448 Ein Beispiel zur Veranschaulichung kann die 2013 entflammte Debatte um die Konsensentscheidung im Rahmen der Vertragsverhandlungen betreffend einen neuen Waffenhandelsvertrag (engl. Arms Trade Treaty, ATT) sein. Die Gegnerschaft Syriens, Irans und Nordkoreas sollte ursprünglich einen Konsens nicht verhindern können. Erst als sich obendrein Russland gegen den ausgehandelten Vertragstext stellte, galt der Konsens als gescheitert. Dieser Vorgang führte zu der Feststellung des Vertreters Mexikos „[T]here is no established definition of the term ‚consensus‘ in the United Nations“449. In gleicher Weise kam es im Rahmen der Diskussion um die Änderung des Berner Konvention zu einer Konsensentscheidung, die eine Mehrheitsentscheidung ersetzte. Seit circa 2003 gab es eine Diskussion zwischen den Konventionsinstitutionen, den Vertragsstaaten und der Schweiz über die Schweizer Wolfspolitik. Für die Schweiz trat das Abkommen 1982 in Kraft.450 Damals gab es keine wildlebenden Wölfe auf Schweizer Gebiet, weshalb das Land keinen Vorbehalt dagegen eingebracht hatte, dass der Wolf als streng geschützte Tierart in Anhang II geführt wird. Seit 1997 gibt es jedoch wildlebende Wölfe in der Schweiz. Die daraufhin entwickelte Schweizer Wolfspolitik sollte stärker regulierend in die Bestände eingreifen, als es von der für in Anhang II gelistete Tierarten normierten Ausnahmeregelung erlaubt gewesen wäre. Das Standing Committee der Konvention drohte der Schweiz 2003 daraufhin mit der Eröffnung eines Non-Compliance-Verfahrens.451 Von diesem Vorhaben nahm das Standing Committee 2004 Abstand, weil die Schweiz eine Änderung des Art. 22 der Konvention452 begehrte, um nachträglich noch einen Vorbehalt erklären zu 447 

Kaufmann, Decision Making, 1980, S. 127 f. Staal, After Agreement, 2018, S. 282 ff. Zit. bei Staal, After Agreement, 2018, S. 283 f., der diesen Fall als Bsp. aufarbeitet. 450  Die „schweizer Seite“ ist nachzulesen in Motion 10.3264, Revision von Artikel 22 der Berner Konvention. 451  23. Treffen des Standing Committee T-PVS(2003)24. 452  Vgl. nur Abs. 1: „Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung […] einen oder mehrere Vorbehalte in bezug auf bestimmte in den Anhängen I bis III aufgeführte Arten […] machen.“ 448  449 



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können.453 Nur wenige Staaten unterstützten das Vorhaben, darunter unter anderem Mazedonien. Das Land muss mit einer Population von 1050 Wölfen umgehen, dessen Management jährlich vier Millionen Euro kostet.454 2012 erging daher folgende Entscheidung: „[T]he Chair noted that a vote in favour of the amendment was not possible and, with the consensus of the Contracting Parties, declared the proposed amendment rejected.“455 Die Vertragsstaatenkonferenz des Montrealer Protokolls hat bis 1995 bereits zweimal einen Konsens gegen die Stimme eines Staats verabschiedet: 1994 wurde Japans Enthaltung in einer technischen Frage, 1995 Russlands expliziter Einspruch im Vorfeld der Beschlussfassung übergangen (consensus minus one).456 Es findet sich eine Vielzahl ähnlicher Beispiele457, die zeigen, dass einer Konsensentscheidung keine besonders hohe „Legitimität“ zukommt.458 Vielmehr sollte eine Konsensentscheidung eher wie eine Mehrheitsentscheidung behandelt werden. Dagegen wird argumentiert, dass ein Staat, der seine Position nicht in der Konsensentscheidung abgebildet findet, nach Abschluss der Sitzung formell protestieren könne. Zudem läge ein „general consent“ der Vertragsstaaten vor: Schließlich hätten sie das Vertragsregime und damit das Compliance-System entwickelt. Sie würden diese generelle Zustimmung durch kontinuierliche Beteiligung an dem umweltvölkerrechtlichen Governance-System fortlaufend bestätigen.459 Mit diesen beiden Abhilfen sind aber die Schwierigkeiten gleichberechtigter Beteiligung460 und Kontrollierbarkeit nicht behoben. Davon abgesehen ist der formelle Protest eines einzelnen Staats gegen die Ent453  24. Treffen des Standing Committee T-PVS(2004)16. Der offizielle Antrag auf Änderung wurde auf dem 30. Treffen des Standing Committee T-PVS(2010)25 gestellt. 454  Also zu wenige Staaten, um die geforderte ¾ Mehrheit, um die Änderung anzunehmen, zu erreichen. 32. Treffen des Standing Committee T-PVS(2012)22. Das liegt vor allem daran, dass 14 Vertragsstaaten bereits zum Vertragsschluss bezüglich des Wolfes einen Vorbehalt erklärt haben. 455  32. Treffen des Standing Committee T-PVS(2012)22. 456  Werksmann, ZaöRV 1995, 750–773, 771, s. o. Kapitel 1 B. IV. Ältestes Bsp. bildet das Munitionsverbot, das „quasi-einstimmig“ gegen die Stimmen der USA und Großbritannien und trotz Enthaltung Portugals auf den beiden Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 angenommen wurde, Zemanek, Majority Rule and Consensus Technique, in: MacDonald/Johnston (Hrsg.), Structure and Process, 1983, S. 857–887, S. 858. 457  Weitere Bsp. aus der Staatspraxis finden sich bei Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 345 f. 458  Proelß unterstreicht, dass der Konsens gerade in umstrittenen Themen häufig nur erreicht werden kann, wenn es um rechtsunverbindliche Instrumente geht. Umgekehrt nun vom Vorliegen eines Konsenses auf eine Einigung und damit auf eine irgendwie geartete Verbindlichkeit zu schließen, ist zirkelschlüssig. Proelß, Rechtsgutachten, 2009, S. 7. 459  „[C]onsent is a legitimate basis of obligation, and […] obligations persist over time.“ Bodansky, AJIL 1999, 596–627, 604, s. auch 597, zit. im Text auf 605. 460  Vgl. zur gleichberechtigten Beteiligung Kokott: „Es kommt mehr auf Art und Ausmaß völkerrechtlicher Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte als auf ‚souveräne Gleichheit‘ an.“, Kokott, ZaöRV 2004, 517–533, 525.

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scheidung vieler Staaten einer internationalen Konferenz mit erheblichen politischen Hürden versehen.461

dd)  Konsens: „Nicht Übereinstimmung, sondern Überstimmung“462 Der Konsens als Verhandlungs- und Entscheidungsmechanismus soll zu einer Integration der Interessen aller Vertragsparteien führen. Er soll eine „souveränitätsschonende“463 Alternative zur Mehrheitsentscheidung sein.464 Ergebnis einer Konsensentscheidung im Non-Compliance-Verfahren ist jedoch, dass die dort gewählte Auslegung (spätere Übung) die geopolitische Machtverteilung sowie maßgeblich die Ansicht des vorsitzenden Staats widerspiegeln kann.465 Oft nehmen nicht alle Staaten ebenbürtig an dem Verfahren teil. Sie entscheiden später nicht gleichberechtigt über den Ausgang des Compliance-Verfahrens und die Auslegung des Vertrags. Ein Konsens kann damit bestehende Uneinigkeit verdecken.466 Das Konsensmodell wird aber deshalb so oft verwandt, da es (ressourcen-) effizient und zügig verläuft. Das ist gerade im Umweltrecht, wo Vertragswerke dynamisch auf neuere (zum Beispiel technologische oder naturwissenschaftliche) Entwicklungen reagieren müssen, für die Wirksamkeit – und letztlich die Daseinsberechtigung – dieser Zusammenarbeit entscheidend.467 Einer der „Sicherungsriegel“ ist, dass es sich zumeist um technische Regelungen handelt 461  Zur

nur theoretischen Möglichkeit, eine Konsensabstimmung zur torpedieren, s. die Reaktion der EU zum eigenen Compliance-Fall im Rahmen der Aarhus Konvention beschrieben bei Fasoli/McGlone, NILR 2018, 27–53, 42–45. Insgesamt zur politischen Bewertung unilateralen Handelns Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 55: „Unilaterales Handeln wird im politischen Sprachgebrauch also oft mit Eigenmacht, Alleingang, Nichtabstimmung mit anderen Staaten, ja sogar mit Missachtung des Rechts in Verbindung gebracht“. 462  Unger-Sternberg, AVR 2013, 312–338, 321. 463  Schmalenbach, Friedliche Streitbeilegung, in: Proelß (Hrsg.), Internationales Umweltrecht, 2017, S. 243–282, S. 253 f. 464  Positiv bewertet unter anderem von Széll, EPL 1996, 210–214, 213. 465  Buzan, AJIL 1981, 324–348, 327; Eustis, VJIL 1977, 217–256, 224. „[T]he consensus approach permits the maintenance of an egalitarian procedure which in practice may assure that multilateral negotiations reflect the real geopolitical power of the participating nations.“ Charney,VJTL 1978, 39–75, 43. Schlussfolgerung für die Konsensenscheidung im WTO System: „GATT/WTO decision-making rules based on the sovereign equality of states are organized hypocrisy in the procedural context.“ Steinberg, IO 2002, 339–374, 365. 466  „Zugespitzt formuliert ist Konsens […] nicht Übereinstimmung, sondern Überstimmung.“ Unger-Sternberg, AVR 2013, 312–338, 321. Ebenfalls die Konsensentscheidung problematisierend Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, 375. Den „informellen Konsens“ im Rahmen der Erstellung von BVT-Merkblättern in vergleichbarer Weise problematisierend Appel, Standardisierung durch Informationsaustausch, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 91–113, S. 106 f. und S. 112. 467  So u. a. in Kapitel 2 C. VI. Aston erklärt dies anhand der IMO, die ursprünglich ein „positive amendment procedure“ verfolgt hatte und später zum tacit acceptance Verfahren gewechselt ist, Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 156. Letzteres ist in Grundzügen mit der oben beschriebenen Variante des Konsensverfahrens vergleichbar.



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und das Tätigkeitsfeld des jeweiligen Vertragswerks sektoral beschränkt sein sollte.468 Wenn aber diesen Notwendigkeiten die Erkenntnis zur Seite gestellt wird, dass (sektoral begrenzt) die nationale Innenpolitik durch die Maßgaben umweltvölkerrechtlicher Verträge determiniert wird und eine rein technisch erscheinende Regulierung im Umweltrecht zugleich bewertungshaltig ist, stellen sich Fragen danach, welchen Anforderungen der Entscheidungsfindungsmechanismus gerecht werden muss. Die untersuchten umweltvölkerrechtlichen Vertragswerke zeigen die Schwächen des Konsensmodells auf, die auf die dadurch erzeugten Normen durchschlagen.469 Damit kann die Entscheidung in der Vertragsstaatenkonferenz die zuvor benannten Defizite der (judiziellen) Rechtssetzung durch das Compliance Committee nicht beheben. Folgende Vorschläge könnten Abhilfe schaffen: 1. Der Ablauf des Konsensverfahrens müsste durch klare Regeln strukturiert werden. Die Rolle, die der Vorsitzende in diesem Rahmen einnimmt, sollte in der Geschäftsordnung des Vertrags definiert werden. Was den Grad der Detailgenauigkeit dieser Vorschriften angeht, könnten die Regelungen, die sich zum (Mehrheits-)Abstimmungsprozess in den Geschäftsordnungen finden, einen Anhaltspunkt bieten. Solange das Konsensverfahren eher einer Mehrheitsentscheidung ähnelt, ist der Regelungsbedarf nahezu gleich groß.470 2. Auf der Vertragsstaatenkonferenz sollte – zum Beispiel durch einen Hinweis des Vorsitzenden – verstärkt die Möglichkeit unterbreitet werden, im Anschluss an die Annahme eines Konsenses eine „explanation of vote“ bzw. beim Konsensverfahren eine „explanation of position“471 abzugeben, um das vielfältige Meinungsbild hinter dem Konsens sichtbar zu machen. Sogar Stellungnahmen einzelner nationaler Legislativen könnte über diesen Weg Gehör verschafft werden. 468  Dynamisierung

und Sektoralisierung als Charakterzüge internationaler Rechtsregime bezeichnend, Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 194. 469  Bodansky, AJIL 1999, 596–627, 597. 470  Diese Regelungen würden dem Trend zur Informalisierung zuwider laufen. Dabei fügt sich das Compliance-System bisher in einen größeren Trend hin zu informeller Rechtssetzung ein: „[G]lobal regulation, as it is currently practiced, is primarily characterized by ‚low politics‘ and is often implemented by technocrats who make decisions from within ‚opaque transnational bodies‘ through procedures that may appear arcane to the outside observer.“ Savino, IJCL 2015, 492–498, 493. Als weiteres Bsp. kann das Arria-Format des Sicherheitsrats gelten. 471 Vgl. Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 95. Zur „explanation of a position“ bei einer Konsensentscheidung Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S. 139. Ein solches Statement nach Abschluss des Konsensprozesses ist nichts Ungewöhnliches. Z. B. die im Abschlussbericht wörtlich wiedergegebene Stellungnahme der Niederlande, die unterstreicht, dass sich das Land einen „härteren“ Compliance-Mechanismus für die Basel Konvention gewünscht hätte: Decision VI/12, Rn. 65.

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III.  Zwischenfazit: Institutionelle Dysbalance Die Kritik des vorstehenden Abschnitts kann wie folgt zusammengefasst werden: Innerhalb der Autonomous Institutional Arrangements472 findet eine politische Machtverschiebung statt. Dass am Ende im Konsens entschieden wird, verletzt den Gleichheitsgrundsatz. Der Konsensprozess erschwert darüber hinaus die (demokratische) Kontrolle des Entscheidungsprozesses. Bei der Einführung des Compliance-Systems in das (Umwelt-)Völkerrecht war eine rechtsgestaltende Rolle des Compliance Committee nicht vorgesehen. Tatsächlich ermöglicht aber jedes individuelle Compliance-Verfahren eine informelle und außerpolitische Neu“verhandlung“ des Vertragsinhalts, ohne dass der politische Vertragskörper den Inhalt mitbestimmt.473 Der einzelne Staat kann dadurch erheblich weniger Einfluss auf den Inhalt der ihn betreffenden Rechtsnormen nehmen.474 Nach dem ersten Kritikpunkt, der das Bild eines sich verselbstständigenden Expertengremiums zeigt, das unabhängig agiert, teils einseitig ausgerichtet ist und dadurch eine unkontrollierte Eigendynamik entwickeln kann, lautete die Devise, das Komitee „under control“475 zu bringen. Letztlich bleibt nach der – nur teilwirksamen Kontrolle von außen durch NGOs, – der in Bereichen wegen mangelhafter Verfahrens- und Verteidigungsrechte nur schwach ausgebildeten Kontrolle von innen durch den betroffenen Staat selbst und – der durch das Konsensverfahren verworrenen Verantwortungszurechnung nur die Möglichkeit, das Compliance-Verfahren durch einen „intravertraglichen“ Mechanismus zu kontrollieren, um den umweltvölkerrechtlichen Vertrag institutionell zu stärken. Bisher haben es die Vertragsstaaten versäumt, diesem „active treaty management“476 klare Rahmenbedingungen vorzugeben, eine „Kontrolle der Kontrolle“477 einzurichten: Die Vertragsstaaten müssen alles 472 

Churchill/Ulfstein, AJIL 2000, 623–659. dies einen Prozess der Selbstregulierung, der von vielen verschiedenen Fachbruderschaften zur eigenen Zielerreichung genutzt wird, Bianchi, Law, Time, and Change, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 133–141, S. 141. Kohen zitiert einen amerikanischen Vertreter auf der Wiener Konferenz mit folgender Warnung „‚relatively lowranking officials such as vice-consuls and third secretaries might interpret a treaty erroneously and follow a course of conduct which, unknown to governments, could lead to modification of the treaty‘.“ Kohen, Right Limits, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 34–45, S. 36; Marauhn, ZaöRV 1996, 696–731, 724. 474  Als allgemeine Tendenz für das gesamte Völkerrecht festgestellt von Knauff, Soft Law, 2010, S. 9. 475  Majone, EUI Working Paper 1994, 1–29, 2. 476  Handler Chayes/Chayes/Mitchell, Active Compliance Management, in: Lang (Hrsg.), Sustainable Development, 1995, S. 75–89. 477  Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 173. 473  Nennt



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Wesentliche regeln. Dazu wurden im vorangehenden Abschnitt verschiedene Vorschläge unterbreitet, die vor allem darauf abzielen, einen fairen Wettbewerb zwischen den involvierten Interessen und Akteuren herzustellen. Es hat sich gezeigt, dass es bereits viele Anknüpfungspunkte gibt, die Vorschläge in den rechtlichen Grundlagen zu verankern.

C.  Innerstaatliche Möglichkeiten zum aktiven Umgang mit späterer Übung I. Einführung Das Grundgesetz verlangt die politische und rechtliche Einbindung der Bundesrepublik in internationale Kooperationen. Es versteht diese Einbindung als Chance und nicht als Bedrohung.478 Dennoch besteht in der Praxis sehr häufig ein Spannungsverhältnis zwischen dem nationalen demokratisch-rechtsstaatlichen System und der Einbindung in internationale Zusammenhänge. Das Thema dieser Arbeit ist nicht die Frage, welche Modifikationen das Demokratieprinzip durch die Einbindung in umweltvölkerrechtliche Zusammenhänge erfährt, sondern welche Möglichkeiten das nationale Recht vorhält, aktiv damit umzugehen. Zu diesem Zweck wurde es (in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen) zur Voraussetzung der Einbindung „rechtsordnungsfremder Normen“ gemacht, dass diese einem „verfassungsrechtlich akzeptierte[n] Einbau“479 unterworfen werden, also in die Rechtsordnung „umgedacht“480 werden müssen. Die Verfassungsorgane seien einem „aktive[n] Rezeptionsprozess“481 verpflichtet, um sich die Normen in „selbstbestimmte[r] Aneignung“482 „zu Eigen“483 zu machen. Dieser Prozess wird mit dem Begriff der „steuernden Rezeption“484 umschrieben. 478  Vgl. nur: „Weder die gleichberechtigte Integration in die Europäische Union noch die Einfügung in friedenserhaltende Systeme wie die Vereinten Nationen bedeuten eine Unterwerfung unter fremde Mächte. Es handelt sich vielmehr um freiwillige, gegenseitig und gleichberechtigte Bindung die den Frieden sichert und die politischen Gestaltungsmöglichkeiten durch gemeinsames koordiniertes Handeln stärkt.“ BVerfGE 123, 267, 345 (Lissabon). 479  Vierhaus, NVwZ 1993, 36–41, 39. 480  BVerfGE 128, 326, 371 (Sicherungsverwahrung) mir Verweis auf BVerfGE 111, 307, 327 (Görgülü): „in den Kontext der aufnehmenden Verfassungsordnung ‚umgedacht‘ werden“. „Übersetzung“ der EGMR-Rechtsprechung bei Voßkuhle, RdA 2015, 336–343, 338 f. 481  Nettesheim in Maunz u. a., GG, Stand: Januar 2009, Art. 59 Rn. 110. 482  Masing, Mehrebenensystem, in: Herdegen u. a. (Hrsg.), Handbuch Verfassungsrecht, 2021, S. 61–146, S. 81: „Es kann hier nur um die – möglichst eigenverantwortliche – Übernahme von unter ungleichen Machtbedingungen ausgehandeltem Recht gehen.“ Später heißt es; „eine Art Übersetzungsakt“ (ebd., S. 126). 483  BVerfG, 2 BvR 2408/06, Rn. 12 (Altergrenze für gewerbsmäßig fliegende Verkehrspiloten). 484  In Bezug auf private Normen Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 205.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Was genau mit solchen Anforderungen gemeint ist, bleibt oft unklar. In der bundesrepublikanischen Geschichte überwog, bezogen auf die internationale Einbindung in die Europäische Union beispielsweise, zunächst ein „permissive consensus“485. Der Begriff umschreibt das Vertrauen, dass die europäische Integration ein Ziel der deutschen Politik sei und sein solle. Alle Maßnahmen, die dieses Ziel verfolgten, könnten zunächst keine „Bedrohung“ der deutschen Demokratie darstellen. Diese Haltung fußt unter anderem auf dem Grundgedanken der offenen Staatlichkeit.486 Mittlerweile hat sich das Bewusstsein selbst in den gesetzgebenden Körperschaften gewandelt. Allein der Blick auf das Organigramm der Bundestagsverwaltung verdeutlicht mit der umfangreichen Unterabteilung PE Europa den Stellenwert, den die Europapolitik für den Bundestag hat.487 Auf der Website der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 wird diese Unterabteilung „The Bundestag’s European Affairs service hub“ bezeichnet.488 Beides sind Beispiele der proaktiven Handhabung der internationalen Einflüsse auf die deutsche Innenpolitik. Ein mit dem „Europäischen“ vergleichbares Problembewusstsein besteht für die determinierende Wirkung, die das Umweltvölkerrecht auf die deutsche Innenpolitik hat, nicht. Hier herrscht vonseiten aller Gewalten weiterhin ein „permissive consensus“ vor. Wenn sich aber die Problemstellungen ähneln, sollte ein solcher Bewusstseinswandel in demselben Maß bei der Behandlung von Umweltvölkerrecht greifen.489 Der Bewusstseinswandel sollte namentlich die Bedeutung des im Rahmen von Verträgen formulierten sekundären „post law“490 erfassen, darunter zum Beispiel die im Compliance-Verfahren gebildete spätere Übung.491 Denn nach der Schlussfolgerung im vorangegangenen Kapitel ist die in den Verträgen gebildete spätere Übung in vielen Fällen innerstaatlich umzuset485  Dazu mit Bezug auf die Europapolitik des Deutschen Bundestags Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 9. Der Begriff wurde geprägt von: Lindberg/Scheingold, Europe’s Would-be Polity: Patters of Change in the European Community, 1970. Dazu auch einführend Laumen/ Maurer, Jenseits des „Permissive Consensus“, 2006. 486  Zu dieser Dimension des Konzepts s. in Kapitel 2 D. I. 2. 487  Organigramm der Bundestagsverwaltung, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ resource/blob/189334/c5b5a2eff41ebedd3e741a79e8fc808c/orgplan-de-data.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 488  Vormalig abrufbar unter, nun aus dem Netz genommen: https://www.parleu2020.de/en/ parliament-and-eu/The-Bundestag-s-European-affairs-service-hub-691070 (zuletzt abgerufen am 05. Mai 2021). 489  So auch Hettcher, Beteiligung der Legislative, 2018, S. 15 ff. 490  Senden, Soft Law in European Community Law, 2014, S. 120. 491  Dass dies noch nicht geschehen ist, zeigen die bereits behandelten BT-Drs.: 1) BTDrs.: 18/9526, S. 31 in der die Compliance-Entscheidung mit „Völkerrechtswidrigkeit“ des deutschen Rechts gleichgesetzt wird und 2) BT-Drs. 19/21733, S. 22 in der es um die Neunormierung des Binnenschifffahrt-Abfallübereinkommen-Ausführungsgesetzes geht. Diese solle aber nicht vor der „Geltung“ der Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenzentscheidungen im nationalen Recht in Kraft treten. Um Publikationsinteressen zu dienen, sollen die „Genehmigung“ der COP-Entscheidung im BGBl. II veröffentlicht werden.



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zen.492 Bei der Compliance-Kontrolle besteht erschwerend eine Eins-zu-einsUmsetzungserwartung gegenüber dem von der Entscheidung betroffenen Staat. Zudem ist dem Umweltvölkerrecht – ähnlich wie den international gesetzten Menschenrechten – eine Aufwertung innerhalb der Rechtsordnung widerfahren:493 Es verfügt mit Art. 20a GG über einen mächtigen grundgesetzlichen Hebel. Das heißt aber nicht, dass nicht trotzdem Grenzen (beispielsweise ein entgegenstehendes ausdifferenziertes Teilsystem der Rechtsordnung494) gezogen werden können oder Deutschland sich in Einzelfällen eigenständig zu Fragen positionieren könnte.495 Das setzt den Bewusstseinswandel voraus. Insbesondere die gesetzgebenden Körperschaften, allen voran der Deutsche Bundestag müssen sich ihrer Völkerrechtsfunktion496 gewahr werden. Insgesamt betrifft dieser Wandel aber alle drei Gewalten. Sie alle können an unterschiedlichen rechtlichen Anknüpfungspunkten ansetzen und so ihrer Kontrollpflichten nachkommen und das Umweltvölkerrecht damit stärken. Die zweigeteilte Struktur des Kapitels gibt beide Gedanken wieder: – Im ersten Schritt geht es um die Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Konkret sollen zwei Aspekte näher beleuchtet werden: zum einen die Informationsaufgaben, die der Bundesregierung in dem Prozess zukommen, zum anderen, inwiefern und in welcher Form ein Wiederaufleben der Zustimmungspflicht nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG denkbar ist. – Im zweiten Schritt soll es um die Möglichkeiten der einzelnen Staatsgewalten gehen, Transparenz, demokratische Beteiligung, Mitsteuerung und Politisierung technischer Normen von nationalstaatlicher Seite zu gewährleisten und auf diese Weise den völkerrechtlichen Prozess zu ergänzen. Im Fokus stehen die Mittel des Bundestags und der Bundesregierung.

II.  Die neue, alte Rolle des Zustimmungsgesetzes Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist der zentrale legitimatorische Anknüpfungspunkt für Völkervertragsrecht. Das gilt gleichermaßen für Völkervertragsrecht, das erst nach Vertragsschluss entstanden ist.497 Der Gesetzgeber bleibt – in demselben Maß in internationalen Zusammenhängen – aufgefordert, Wesentliches 492 

Vgl. Schlussfolgerungen Kapitel 2 D. IV. 2.

493  Vgl. dazu Kapitel 2 D. I. 2. c) bb). 494  Angelehnt an BVerfGE 111, 307, 2. LS

495  Auch dazu Kapitel 2 D. IV. 2. d). 496 Inspiriert von Mayer, Europafunktion,

(Görgülü).

2012. Zit. bei Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 6; so ähnlich fordert den Bewusstseinswandel Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 55. 497  Sog. „post law“, bei Senden, Soft Law in European Community Law, 2014, S. 120. S. dazu Kapitel 2 D. IV 1.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

selbst zu regeln. Das gilt besonders vor dem Hintergrund, dass Regulierung auf dem Gebiet des Umweltschutzes häufig die Beschneidungen von Freiheitsrechten erfordert.498 Art. 20a GG benennt die Gesetzgebung ausdrücklich („Der Staat schützt […] die natürlichen Lebensgrundlagen […] durch die Gesetzgebung“). Das Grundgesetz fordert die gesetzgebenden Körperschaften also auf, das Spannungsverhältnis zwischen den Schutzgütern des Art. 20a GG und „etwaigen gegenläufigen Belangen in demokratischer Verantwortung“499 aufzulösen. Das Bundesverfassungsgericht konstatiert, dass das Gesetzgebungsverfahren über das Alleinstellungsmerkmal einer großen Transparenz und Öffentlichkeit seiner formellen Verfahren verfüge und damit die Voraussetzungen für die Kontrolle durch eine breite Öffentlichkeit schaffe.500 Es ist in zweifacher Hinsicht fraglich, ob der derzeitige Umgang mit völkerrechtlichen Verträgen diesem Anspruch gerecht wird. 1. Bei der legislativen Zustimmung zum ursprünglichen Vertragsschluss befindet sich der Gesetzgeber in einer sogenannten Ratifikationslage. Das gleiche gilt zu einem späteren Zeitpunkt, sollten Umsetzungsgesetze wegen einer Weiterentwicklung der Vertragswerke notwendig sein.501 In diesem zweiten Fall besteht eine immerhin „faktische Ratifikationslage“. Dazu kommt, dass der Rahmenvertrag häufig noch sehr vage ist und den Vertragsinhalt zunächst nur lückenhaft normiert. Die – teils entscheidenden – Detailregelungen werden in das informelle Verfahren nach Vertragsschluss verlagert. 2. Zudem besteht das Problem, dass der ursprüngliche Rahmenvertrag dynamisch aufgestellt ist. Er sieht lediglich ein Integrationsprogramm mit grundsätzlicher Zielvorgabe vor. Das kann zum Beispiel – relativ konkret – der Schutz der Ozonschicht oder der Schutz bedrohter Tierarten oder – sehr nebulös – die Harmonisierung von wirtschaftlichen Interessen mit ökologischen Erfordernissen502 im Alpenraum sein. Diesem Grundsatzplan erteilt der Gesetzgeber die Zustimmung. In der Folge wird das Vertragsprogramm weiterentwickelt und kann sich stark verändern. Im Falle einer solchen Weiterentwicklung ist augenfällig, dass keine Deckungsgleichheit zwischen dem 498  Plakatives Bsp. ist natürlich BVerfG, 1 BvR 2656/18, u. a. Rn. 37 (Klimaschutzgesetz): „Bei heutiger Lebensweise ist noch nahezu jegliches Verhalten unmittelbar oder mittelbar mit dem Ausstoß von CO2 verbunden.“ Aber gleichermaßen bei anderen Umweltproblemen wie z. B. die Verschmutzung mit Mikroplastik sind ebenfalls Großteile der menschlichen Aktivität betroffen und müssten zur Bekämpfung dieser weltweiten Verschmutzung reguliert werden (Sektoren Kosmetik und Hygiene, Medizin, Textil, Lebensmittel, Verpackung, Abfall, Transport und Straße, Spiel- und Sportstätten) vgl. dazu die grundlegende Frauenhofer-Studie von 2018 Bertling/Bertling/Hamann, Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik, 2018. 499  BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 213 (Klimaschutzgesetz). 500  BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 213 (Klimaschutzgesetz). 501  Vgl. bspw. BT-Drs.: 19/21733. 502  Abgewandeltes Zitat aus der Denkschrift BT-Drs.: 12/7268, S. 31.



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teils Jahrzehnte zurückliegenden Zustimmungsgesetz und dem tatsächlichen Entwicklungsstand des völkerrechtlichen Vertrags mehr besteht.503 Das nationale Recht hat auf diese Entwicklung so reagiert, dass der Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sehr flexibel ausgelegt wird. Über die Brücke der antizipierten Zustimmung sind rein formal die meisten weiteren Entwicklungen umfasst.504 Die Ratifikation erteilt der weiteren Vertragsentwicklung vor allem durch die (exekutivisch besetzte) Vertragsstaatenkonferenz unabhängig von dem tatsächlichen Umfang der parlamentarischen Befassung eine hinreichende demokratische Legitimation. Schaut man eine Schicht tiefer, so zeigt sich jedoch ein erhebliches Defizit in der Deckungsgleichheit von Zustimmungsgesetz und „Acquis“ des Vertragswerks. Der Wahrnehmung dieses Defizits liegt der Gedanke zugrunde, dass das Zustimmungsgesetz zu einem komplexen, institutionalisierten Vertragswerk mehr als nur eine reine Formalie ist. Vielmehr liegt darin der „Gestaltungsbefehl“505 gerichtet an die verfassungsrechtlich zuständigen Organe, die Rahmenkonvention zur „gesamten Hand“506 weiter auszuarbeiten. Welche Möglichkeiten gibt es, den bestehenden Defiziten entgegenzusteuern und der (materiellen) Bedeutung des Zustimmungsgesetzes gerecht zu werden?

1.  Die Zustimmung zum Rahmenvertrag Das parlamentarische Zustimmungsverfahren nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und die dahinterstehende Ratio sind bereits beschrieben worden.507 Das Vertragsgesetz lässt die beträchtliche Bedeutung der parlamentarischen Zustimmung nur konkludent erkennen.508 Ein Zustimmungsgesetz zu mehrseitigen Verträgen besteht meistens aus nur drei Artikeln und der Schlussbestimmung, so wie es unter anderem „Anhang 4 Muster B“ im Handbuch der Rechtsförmlichkeit509 vorgibt. Neben den Randdaten des Abkommens ist in umweltrechtlichen Verträgen in Art. 2 oft eine Verordnungsermächtigung enthalten. Art. 3 enthält die Schlussbestimmungen. Vorangestellte Erwägungsgründe oder Ähnliches sind in dem Vertragsgesetz nicht vorgesehen. Selbst die zum Vertrag möglicherweise erklärten Vorbehalte nach Art. 2 Abs. 1 lit. d WÜV oder Interpretationserklärungen werden nicht mit in das Vertragsgesetz aufgenommen.510 503  S. dazu Kapitel 2 D. III. 3. Vgl. Reiling, ZaöRV 2018, 311–338, 333 f.; Pan, HILJ 1997, 503–535, 533 f. 504  Kapitel 2 D. IV. 1. 505  Formulierung angelehnt an Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 233. 506  Friesenhahn, VVDStRL 1960, 9–73, 33. 507  Kapitel 2 D. II. 508  v. Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge, 2008, S. 32 f. 509  BMJV, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2008. 510  Die Interpretationserklärungen verändern den Vertragsinhalt nicht und werden daher auch nicht Bestandteil des Vertragsrechts, Nettesheim in: Maunz u. a., GG, Stand: Februar

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Das Zustimmungsgesetz nimmt den normalen Gang des Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 76 ff. GG511. Das in den Verhandlungen federführende Ressort erarbeitet die Regierungsvorlage, die in den Bundestag eingebracht wird. Die Vorlage umfasst grob umrissen das oben beschriebene Zustimmungsgesetz, den Vertragstext (meistens in mehreren Sprachfassungen), eine Begründung des Vertragsgesetzes sowie eine Denkschrift zum Abkommen. In dieser Denkschrift wird der Vertrag erläutert, namentlich werden die Bedeutung, der Zweck, die Geschichte und die Gründe für den Vertragsschluss dargelegt.512 Daneben ist von der Bundesregierung deutlich zu machen, ob und warum sie beabsichtigt, einen Vorbehalt oder eine (Interpretations-)Erklärung zum Vertragsschluss abzugeben.513 Auf diesen Teil der Denkschrift können die gesetzgebenden Körperschaften ausdrücklich Bezug nehmen, mit dem Hinweis, den Vorbehalt tatsächlich anzubringen oder zu unterlassen. An diese Äußerung ist die Bundesregierung gebunden.514 Der Wert des Zustimmungsgesetzes scheint in Rechtsprechung und Literatur stark aufgeladen und überhöht zu sein („interpretative[r] Überschuss“515).516 Das zeigt sich unter anderem in dem unbedingten Bemühen, die parlamentarische Mitverantwortung in vielen Fällen zu gewährleisten (Stichworte sind der antizipierte Rechtsanwendungsbefehl und das Integrationsprogramm). Unter anderem diese rechtlichen „Dehnungsbemühungen“ führen dazu, dass es zu einer Wiederaufnahme des parlamentarischen Zustimmungsverfahrens, also einer tatsächlichen Mitsteuerung völkervertraglicher Fortentwicklung fast nie kommt. Die Elastizität des Zustimmungsgesetzes kommt zum Preis des „Machtverlust[s] der Legislative“517. Im Ergebnis verfehlt das Zustimmungsgesetz in mancher Hinsicht den modernen law-making-Vertrag des Umweltvölkerrechts, wegen all seiner besonderen Charakteristika. Denn das Konzept des völkerrechtlichen Vertrags, so wie es dem Grundgesetz modellhaft zugrunde liegt, entstammt einer „archaic logic which does not do justice to some types of 2020, Art. 59 Rn. 119. Insgesamt zur Staatspraxis und deren rechtswissenschaftlichen Bewertung Hettcher, Beteiligung der Legislative, 2018, S. 91 ff. 511  S. o. Kapitel 2 D. II. 2. 512  BMJV, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2008, 1.5 Anhang 1: „Vertragsgesetze zu mehrseitigen Verträgen im Regelfall“. 513 Verfahren beschrieben von v. Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge, 2008, S. 37. 514  v. Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge, 2008, S. 37. 515  Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 147. 516  Die darin beinhaltete „Doktrin des Gesetzesvorbehalts […] [ist] ihrerseits eine zentrale, vom BVerfG im Lauf der Zeit weiter ausgedehnte Figur des deutschen Verfassungsrechts“. v. Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge, 2008, S. 42. 517 Vgl. Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 233, der zurecht im Anschluss fragt, ob sich die Kompensation des Machtverlusts unbedingt „in verfassungsrechtlichen Kompetenzregeln niederschlagen muß oder ob man es nicht dem politischen Kräftespiel überlassen kann.“ (ebd.).



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modern treaties which are essentially designed to regulate domestic matters of the participating states.“518 Im Rahmen des Zustimmungsverfahrens des Grundgesetzes wird die Realität des umweltvölkerrechtlichen Vertragsregimes verkannt, insbesondere, dass ein solcher Vertrag mit hoher Wahrscheinlichkeit nie in einem formellen Änderungsverfahren angepasst werden wird.519 Letztlich kann nicht einmal die Exekutive die Frage beantworten, in welche Richtung sich ein Vertragswerk entwickeln wird, obwohl die Vertreter des federführenden Ministeriums in allen Verhandlungen anwesend sind.520 Gleichwohl gibt es im derzeitigen Verfahren und im Zustimmungsgesetz als „Delegationsfilter“521 zwei Anknüpfungspunkte, an denen die teils inhaltsleere Mitverantwortung stärker zu einer politischen Mitsteuerung der gesetzgebenden Körperschaften werden kann: die Präambel des Zustimmungsgesetzes und die Denkschrift der Bundesregierung. Diese Veränderungen könnten einen Schritt in Richtung des notwendigen Bewusstseinswandels darstellen: Der Bundestag könnte dem Vertragsgesetz eine Präambel voranstellen,522 in der die Wirkweise von umweltvölkerrechtlichen Vertragswerken und deren Eigendynamik – nicht zuletzt für die gesetzgebenden Körperschaften – deutlich gemacht werden. In der Präambel könnten die institutionellen Folgen verdeutlicht werden, die sich beispielsweise an die Ratifikation der in den Verträgen zumeist enthaltenen Ermächtigungsgrundlagen für die Errichtung eines Nichteinhalteverfahrens oder die Vorschriften zur konsensualen oder Mehrheitsbeschlussfassung der Vertragsstaatenkonferenzen anhängen. Der Bundestag könnte dazu in einer Entschließung seine Auslegung und Reichweite einzelner (Befugnis-)Normen zu erkennen geben.523 In der Folge wäre dann die deutsche Verhandlungsposition bei weiteren Vertragsstaatenkonferenzen (wenn auch nicht rechtlich, aber zumindest politisch) eingerahmt. Ein Beispiel für einen „ehrlicheren“ Umgang mit dynamischen Regeln ist in der Begriffsbestimmung Art. 2 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 zu finden: „Im Sinne dieser Verordnung bezeichnen ‚internationale Rechnungslegungsstandards‘ die ‚International Accounting Standards‘ (IAS), die ‚International Financial Reporting Standards‘ (IFRS) und damit verbundene Auslegungen (SIC/IFRIC-Interpretationen), spätere Änderungen dieser Standards und damit verbundene Aus518  Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1065. 519  Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1065. 520  Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 791. 521  S. o. Kapitel 3 A. II. 1. c). 522  Erfolge in der Praxis bisher sehr selten, vgl. v. Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge, 2008, S. 33. 523  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 54. Benennt die Stellungnahme des Bundestags zu den Stabilitätskriterien nach dem Vertrag von Maastricht in BT-Drs.: 12/3906 als Beispiel. (ebd., S. 55).

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legungen sowie künftige Standards und damit verbundene Auslegungen, die vom International Accounting Standards Board (IASB) herausgegeben oder angenommen wurden.“

Es wäre vor diesem Hintergrund zu fordern, dass sich der Gesetzgeber gewahr wird, was für einem Regime er zustimmt: Dazu zählt neben einem erkennbaren Integrationsprogramm die (bewertete) Beschreibung des Verfahrens der Entscheidungsfindung in der Vertragsstaatenkonferenz, das gerichtsähnliche Compliance-Verfahren mit der Möglichkeit der Bildung einer „Acquis“-ähnlichen Spruchpraxis und ein Hinweis auf die möglichen (teils umfangreichen) Vertragsweiterentwicklungen (living-instrument-Gedanke).524 Im Mindesten könnte in die Präambel ein ausdrücklicher Hinweis auf die Wirkungsweise des Art. 31 WÜV aufgenommen werden, also ein Verweis auf den dynamischen Charakter eines völkerrechtlichen Vertrags. Der Gesetzgeber sollte erkennen können, dass er sich zukünftig – je nach Lage des Einzelfalls – an Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz gebunden sehen muss und diese eine erneute innerstaatliche Umsetzung erfordern könnten. Es muss ebenfalls deutlich werden, dass ein „echtes“ Vertragsänderungsverfahren fast ausgeschlossen ist. In einer Denkschrift ließen sich ähnliche Punkte erläutern. Allerdings ist die Aussage anders gelagert, da die Bundesregierung die Denkschrift verfasst. Hier lautet die Frage eher: Wie präsentiert die Bundesregierung den gesetzgeberischen Körperschaften den multilateralen Vertrag? Die Denkschriften erfüllen ihre Präsentationsaufgabe derzeit nur ungenügend.525 Sie werden ihrer Relevanz für den politischen Prozess nicht gerecht. Simma unterstreicht in diesem Zusammenhang, die Art und Weise, wie internationale Verträge von der Regierung dem Parlament „vorgestellt“ wurden, habe einen großen Einfluss auf die Art genommen, wie die parlamentari524  Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 793 benennt neben dem allgemeinen Grundsatz, dass die Vertragspartei sich an die Vertragsnormen bindet, (mindestens!) drei weitere Pflichten, denen im Falle einer Ratifikation die Legislative zustimmt: „(1) to accept peer-reviewed compliance assessments imposed by the institution established for implementation purposes; (2) to accept compensatory arrangements for compliance assistance to disadvantaged parties, through the institution designated for financial Purposes; and (3) to accept future regime adjustments by the institution legitimated for that purpose – virtually amounting to a new obligation for governments to take part in a pre-ordained learning process“. 525  BMJV, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2008, Anhang 1 Vertragsgesetze zu zweiund mehrseitigen Verträgen im Regelfall, 1.5 und zugleich Richtlinie für die Fassung von Vertragsgesetzen und vertragsbezogenen Verodnungen (RiVeVo) „In der Regierungsvorlage ist im Anschluss an die Begründung des Vertragsgesetzes und die Wiedergabe des Vertragstextes der Vertrag in der ‚Denkschrift‘ zu erläutern. In einem mit ‚Allgemeines‘ überschriebenen Teil sind Bedeutung, Zweck und Geschichte des Vertrags, die Gründe für den Vertragsschluss sowie Änderungen des innerstaatlichen Rechts, die damit verbunden sind, darzulegen. In einem Teil ‚Besonderes‘ sind die einzelnen Vertragsbestimmungen nach ihrem Inhalt, ihrem Zusammenhang mit anderen Regelungen und in ihren Auswirkungen darzustellen.“ Problematik einer zu einseitigen Denkschrift veranschaulicht am Beispiel der BRK in Huster/Rux in: Epping/Hillgruber, Beck-OK GG, Art. 20 Rn. 38.1.



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sche Debatte darüber abgelaufen ist. Hier fordert er mehr Realismus gerade in Bezug auf die Entwicklungsmöglichkeiten eines Zusammenschlusses.526 Bei Sand527 findet sich ein Beispiel, dass das Genfer Luftreinhalteabkommen dem Bundestag mit einer Denkschrift präsentiert wurde, die ausführte, eine radioaktive Luftverschmutzung umfasse das Abkommen nicht, während das zur Zeit der Ratifikation eine scheinbar noch ungeklärte Frage war.528 Ähnlich Irreführendes findet sich in der Begründung zum Zustimmungsgesetz zur Aarhus Konvention: „Da die aus dem Übereinkommen resultierenden Verpflichtungen bereits durch das geltende deutsche Recht sowie durch europarechtliche Vorgaben vorgeschrieben sind, entstehen […] keine höheren Kosten.“529

Dass sich ein völkerrechtlicher Vertrag erfahrungsgemäß, gerade im Umweltrecht, dynamisch weiterentwickelt, wird dadurch nicht ersichtlich. Dem unbefangenen Leser der Denkschrift wird das Gegenteil suggeriert. In dieser Hinsicht ist die Denkschrift zum Basler Übereinkommen bemerkenswert. Der gesamte organisatorische Unterbau der Vertragsstaatenkonferenz wird in Art. 15 Basler Übereinkommen in insgesamt sieben Absätzen beschrieben. Der Artikel enthält also die institutionelle Seite des „Integrationsprogramms“. In der Denkschrift wird Art. 15 wie folgt „erläutert“: „Artikel 15 regelt die Einsetzung einer Konferenz der Vertragsparteien und die Aufgaben der Konferenz.“530 Die Denkschriften umfassen zumeist beschreibende Ausführungen.531 Bewertungen oder Einordnungen werden von der Bundesregierung nicht geleistet. Das Handbuch der Rechtsförmlichkeit spricht an diesem Punkt aber von „erläutern“ und nicht von „beschreiben“. So wird das Compliance-Verfahren der Aarhus Konvention in der Denkschrift lediglich in den Grundzügen skizziert. Dass damit eine spezialisierte Auslegungsstelle geschaffen wird oder dass der NGOTrigger Staaten mit einer aktiven zivilgesellschaftlichen Kultur stärker betreffen könnte als andere Konventionsstaaten, wird nicht angedeutet.532 Es wird zuweilen der Eindruck erweckt, einer Bindung an Völkerrecht könnte jederzeit ausgewichen werden. So wird betont, dass formelle Vertragsänderungen einer 526  Simma, in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 4165, S. 63. Er verweist auf den Streitschlichtungsverfahren der WTO, auf die Entwicklung, die die NATO genommen hat oder die Art und Weise, wie die EMRK in der Schweiz öffentlich präsentiert wurde: „kein fremder Richter werde sich jemals in Schweizer Verhältnisse einmischen“. 527  Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 776 f. 528  BT-Drs.: 9/1119, S. 14. 529  BR-Drs.: 565/06, S. 8 (zur Aarhus Konvention). 530  BT-Drs.: 12/5278, S. 51 (zum Basler Übereinkommen). 531  Vgl. z. B. BR-Drs.: 565/06 (zur Aarhus Konvention); BT-Drs.: 12/5278 (zum Basler Übereinkommen); BT-Drs.: 12/7268 (zur Alpenkonvention). 532  BR-Drs.: 565/06, S. 47 (zur Aarhus Konvention).

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Ratifikationspflicht unterliegen.533 Es wird hervorgehoben, dass weitreichende Entscheidungen „nur auf Konsensbasis“534 angenommen werden könnten. Der Ausdruck impliziert, dass ein Staat, der sich dagegen wendet, nicht gebunden werden könne. Der Hauptbestandteil der Arbeit einer Vertragsstaatenkonferenz – die Vertragsweiterentwicklung auf informellem Wege über Konferenzbeschlüsse – wird nicht erwähnt. Genauso wenig wird die auslegende Tätigkeit des Compliance Committee angedeutet. Nachdenklich stimmen angesichts der nachfolgenden Entwicklungen die Ausführungen zu Art. 9 Abs. 3 AK im Herbst 2006: „Die konkrete Ausgestaltung und Interpretation dieser Bestimmung bleibt den einzelnen Staaten überlassen, insbesondere steht es den Staaten frei, innerstaatliche Kriterien festzulegen. Die Tatsache, dass diese Formulierung [in Art. 9 Abs. 3 AK] so vage gewählt ist, steht im Zusammenhang mit der Verhandlungsgeschichte dieser Bestimmungen, wo es zahlreichen Staaten ein Anliegen war, ihre […] unterschiedlichen Rechtstraditionen beibehalten zu können“.535

Bereits 2013 entscheidet das Compliance Committee gegen Deutschland in Bezug auf die Umsetzung von Art. 9 Abs. 3 AK. Im Jahr 2016 setzt der Bundestag diese Entscheidung um. In der Begründung führt er aus: „Diese Feststellung der Völkerrechtswidrigkeit des geltenden deutschen Rechts erfordert ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers, durch den allein eine völkerrechtskonforme Rechtslage hergestellt werden kann. Neben dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes bedarf es eines solchen Tätigwerdens auch auf Grund des völkerrechtlichen Grundsatzes ‚Pacta sunt servanda‘. Die vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Aarhus-Konvention sind durch den für Deutschland verbindlichen Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz konkretisiert worden.“536

Aus jüngerer Zeit fällt die lückenhafte Denkschrift zum Ballastwasser-Übereinkommen auf.537 Das Übereinkommen ist ein selbstständiger völkerrechtlicher Vertrag, der unter der Ägide (Schirmherrschaft) der IMO entstanden ist. Der Vertrag ist institutionell und überdies rechtlich eng mit der Organisation verwoben. Das zeigt sich besonders deutlich an den ausführlichen Regelungen zur Änderung des Übereinkommens in Art. 19 Ballastwasser-Übereinkommen. Nach dieser Vorschrift kann die IMO, insbesondere ihr Generalsektretär und der Ausschuss, erheblichen Einfluss auf die Vertragsänderung nehmen. In der Denkschrift zu dieser Vorschrift heißt es nur: „Die Vorschrift regelt die Verfahren für Änderungen des Übereinkommens und seiner Anlage und die Be533  Zur Alpenkonvention z. B. in BT-Drs. 12/7268, S. 33; zur Aarhus Konvention: BR-Drs. 565/06, S. 46: „Die nähere Ausgestaltung […] ist dem innerstaatlichen Recht vorbehalten.“ Und: „In diesem Fall wird die Änderung für den betreffenden Staat nicht verbindlich.“ (S. 47). 534  BR-Drs.: 565/06, S. 46 (Aarhus Konvention). 535  BR-Drs.: 565/06, S. 46 (Aarhus Konvention). 536  BT-Drs. 18/9526, S. 32. 537  BT-Drs.: 17/11052, S. 69 ff. (Ballastwasser-Übereinkommen).



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dingungen und Umstände für deren Inkrafttreten.“ Die institutionelle Verflechtung zwischen dem Ballastwasser-Übereinkommen und der IMO wird an keiner Stelle der Denkschrift problematisiert. Die zuvor erwähnten Klarstellungen hinsichtlich der Autonomous Institutional Arrangements538 im Umweltvölkerrecht sollten in die Denkschrift aufgenommen werden. Hierin liegt eine Chance, den derzeitigen Entwicklungen ehrlich zu begegnen. In der Denkschrift sollte deutlicher zum Ausdruck kommen, – dass ein vager Vertragstext „unfinished business“539 bedeutet und viele Punkte von der Exekutive der Vertragsstaaten und den von ihnen eingesetzten expertokratisch organisierten Unterorganen nach Vertragsschluss konkretisiert werden. Ein vager Vertragstext birgt die höhere Wahrscheinlichkeit in sich, dass auch gegen Deutschland ein Compliance-Verfahren eröffnet wird. Es muss klar werden, dass ein vager Vertragstext nicht zwangsläufig einen größeren Umsetzungsspielraum für die Legislative bedeutet. Ganz im Gegenteil bewirkt die Verlagerung von Auslegungsentscheidungen in die Phase nach Vertragsschluss, dass diese Bereiche der Mitverantwortung der Legislative zum Großteil entzogen sind. Ein Anknüpfungspunkt wäre die knappe Wiedergabe der verschiedenen Positionen bei Vertragsschluss, damit erkennbar wird, welche möglichen Ausformungen zur Debatte stehen; – dass die dynamische Weiterentwicklung des Vertragswerks zwei Elemente beinhaltet: – die institutionelle Seite der Vertragsorganisation540 und die – rechtliche Seite, von Möglichkeiten der teleologischen Interpretation bis hin zum living-instrument-Gedanken541; – dass sich die gesetzgebenden Körperschaften hinsichtlich der inhaltlichen Weiterentwicklung der Vertragswerke später in einer „faktischen Ratifikationslage“ wiederfinden können. Sie müssen häufig die Vertragsstaatenkonferenzentscheidungen in innerstaatliches Recht umsetzen und haben wegen des hohen Detailgrads der völkerrechtlichen Anforderungen nur geringe bis gar keine Umsetzungsspielräume. Ebenfalls wäre zu erklären, dass die inhaltliche Weiterentwicklung an Untergremien (vor allem die Compliance Committee) der Vertragswerke ausgelagert wird und die Kontrolle der Vertragsstaatenkonferenz nur rudimentär verläuft. Eine solche Aufklärung könnte in die Erläuterung des Artikels, der die Befugnisse der Vertragsstaatenkonferenz normiert, aufgenommen werden; – dass, sofern ein Artikel das Nichteinhalteverfahren ausdrücklich beschreibt, die Entscheidungen eines Compliance Committe den Umsetzungskorri538 

Churchill/Ulfstein, AJIL 2000, 623–659. Sand, ZaöRV 1996, 774–795, 776. S. dazu oben u. a. in Kapitel 1 B. II. 2. b). 541  S. dazu oben Kapitel 2 D. III. 3. 539  540 

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dor erheblich oder auf eine Eins-zu-eins-Umsetzungserwartung reduzieren kann. Den Erläuterungen muss zu entnehmen sein, dass es sich bei einem solchen Komitee um eine gerichtsähnliche Einheit handelt; eine Einheit, die durch ihre Expertenstellung im institutionellen Gefüge im materiellen Sinne nicht so eindeutig der Vertragsstaatenkonferenz untergeordnet ist, wie es die Vertragsnormen zu erkennen geben; – dass Konsens ungleich Zustimmung und jede Konsensentscheidung ein Verzicht auf eine formale Abstimmung ist. Damit geht auch die Kontrollierbarkeit zu Teilen verloren. Das Bundesverfassungsgericht fordert in einem anderen Zusammenhang, dass der „Verlust des deutschen Einflusses […] in dem Zeitpunkt der Ratifikation des Vertrages“542 vorhersehbar sein muss. Nur dann sind die weiteren Vertragsentwicklungen von dem antizipierten Rechtsanwendungsbefehl gedeckt. Insofern muss der durch ein Konsensverfahren möglicherweise verminderte einzelstaatliche Einfluss auf den Inhalt einer ohnehin durch ein Expertengremium determinierten Entscheidung schon zum Zeitpunkt des Rahmenvertragsschlusses in das Bewusstsein rücken.

2.  Alternative Parlamentsbeteiligung nach Vertragsschluss Unter diesen Punkt sollen vier Optionen gefasst werden, die nicht allein eine erneute Zustimmung über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG betreffen. – Zwar ist die erneute Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG (analog) die naheliegende Option. Diese ist vor allem dann relevant, wenn der Vertrag durch spätere Übung abgeändert wird. – Ganz im Sinne der „administrativen Kreation“543 könnte als Abstufung dazu weiterhin über eine parlamentarische Zustimmung zur Errichtung des institutionellen Unterbaus, speziell des Compliance Committee, nachgedacht werden. – Als weitergehende „Minus-Maßnahmen“ könnten besonders umfangreiche Veränderungen im Wege der späteren Übung in einem informellen Verfahren dem Bundestag zur Entschließung vorgelegt werden. Ein ähnliches Wiedervorlageverfahren für Verordnungen sieht § 48b BImSchG vor. – Schließlich könnte der Bundestag die Umsetzungsgesetzgebung als eine Entscheidung über die vertragliche Weiterentwicklung begreifen. Um die Schlussfolgerung dieses Abschnitts vorwegzunehmen: Keine der vorgestellten Varianten kann – unter dem Blickwinkel einer Kosten-Nutzen-Rechnung – überzeugen. 542  543 

BVerfGE 123, 267, 290 (Lissabon). Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 173.



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a)  Erneute Zustimmung über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Eine vollständige Deckungsgleichheit zwischen der parlamentarischen Zustimmung und dem (weiterentwickelten) völkerrechtlichen Vertrag lässt sich als „sicherste“ Option durch eine erneute Zustimmung über Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG (gegebenenfalls in analoger Anwendung) herbeiführen. Wissenschaftliche Bearbeitungen zum Themenkomplex „demokratische Legitimation internationaler Kooperation“ stellen nicht selten die Diskussion um das Wiederaufleben der Zustimmungspflicht in das Zentrum der Betrachtung. Die Begründung stützt sich unter anderem auf den Wesentlichkeitsgedanken.544 Im verfassungsgerichtlichen Urteil zum neuen strategischen Konzept der NATO lautete die Schlussfolgerung: Je weiter das Integrationsprogramm ist, desto mehr Spielraum bleibt für „anpassende Entwicklungen“ innerhalb des Vertrags. Die Größe des Spielraums, den das Integrationsprogramm vorgibt, bestimmt damit (auch) die Schwelle des Wiederauflebens des Zustimmungsvorbehalts.545 Eine Blankettermächtigung dürfen die Verfassungsorgane daher nicht erteilen.546 Eine erneute Zustimmung wird überdies mit dem Argument gefordert, es könne nicht der Bundesregierung oder der Vertragsstaatenkonferenz durch die Wahl der Handlungsform überlassen werden, ob das Parlament zustimmt oder nicht.547 Eine analoge Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist in dieser Konstellation nahezu ausgeschlossen.548 Die erneute Zustimmung im regulären Zustimmungsverfahren ist dann denkbar, wenn der Vertrag durch die spätere Übung abgeändert wird. Ob eine Vertragsänderung oder nur eine Vertragsauslegung vorliegt, ist zumeist schwierig zu beantworten. Indizien können sein, dass die Vertragsstaatenkonferenz ein formelles Vertragsänderungsverfahren eingeleitet hat, das Integrationsprogramm des Vertrags verlassen oder eine Vertragsregel entgegen ihrem Wortlaut durch die Auslegung verändert wurde. Wenn beispielsweise die Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz so umfassende Veränderungen herbeigeführt haben, dass eine komplette Neufassung eines Gesetzes notwendig wird,549 kann dann nicht von einer zustimmungs544 

Wolfrum, VVDStR 1997, 38–66, 41. Dazu schon oben u. a. Kapitel 2 D. III. 2. und 3. Vgl. Auseinandersetzung mit der Entscheidung bei Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 47. 546  Sauer, ZaöRV 2002, 317–346, 338; andererseits weist Sauer darauf hin, dass „keine zu hohen Anforderungen an die Bestimmtheit“ des Integrationsprogramms gestellt werden dürfen, Sauer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Mai 2019, Art. 24 Rn. 197. 547  Baumbach, Vertragswandel, 2008, S. 28. 548 Kapitel 2 D. III. Vgl. auch Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 50. 549  Wie in BT-Drs.: 19/21733 beschrieben. 545 

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pflichtigen Vertragsänderung durch spätere Übung ausgegangen werden, sodass Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG (wieder) greift? Alle drei Anzeichen für eine Vertragsänderung traten bisher im Compliance-Verfahren selten auf und führten nicht zu einer erneuten Zustimmungspflicht gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz  1 GG: Der umweltvölkerrechtliche Vertrag ist darauf ausgelegt, informelle Rechtsfortentwicklung zu betreiben. Das Compliance Committee ist berufen, die Einhaltung der Vertragsnormen zu prüfen. Es soll dazu zwar die Verträge auslegen, nicht aber rechtsschöpfend tätig werden. Die Spruchpraxis eines erfolgreichen Komitees kann in der Folge den Vertrag ändern, allerdings nur stückweise.550 Zudem sieht jeder Rahmenvertrag ein, wenngleich manchmal auch nur vages, Integrationsprogramm vor. Es handelt sich nicht um „Globalermächtigungen“551. Im Umweltvölkerrecht werden großteils spezialisierte Verträge mit eingegrenztem Zielkorridor vereinbart. Daher ist in diesem Zusammenhang der für die supranationale Einbindung entwickelte Gedanke des Integrationsprogramms nicht ertragreich. Er ist maßgeblich darauf ausgerichtet, ultra-vires-Handlungen zu verhindern und die Verfassungsidentität zu schützen. In Anbetracht der oben genannten Kritikpunkte würde dieser Weg nicht zum Erfolg führen. Denn in aller Regel kann mit einer abermaligen Zustimmung nur eine punktuelle Deckungsgleichheit herbeigeführt werden, um den Machtverlust des Parlaments auszugleichen. Viele der oben angesprochenen Kritikpunkte bestehen weiter und beeinflussen das Ergebnis, das Bundestag und Bundesrat zur Abstimmung vorgelegt wird. Es ist nicht das Ziel, die Kompensation dieses Machtverlusts in „verfassungsrechtliche[…] Kompetenzregeln“552 zu fassen. Die Situation sollte eher „dem politischen Kräftespiel“553 überlassen werden, unter der Voraussetzung, dass es fair gestaltet wird.554 „[D]er Verweis auf die fehlende formelle Rechtswirkung [trifft] nicht den Kern des Problems. Umgekehrt ist die hier begründete Annahme eines Gesetzesvorbehalts zwar eine notwendige, aber vielleicht doch keine hinreichende Reaktion […]. Denn 550  Dieses stückweise Vorgehen war im oben genannten Fall der Gesetzes über den Umgang mit Abfällen der Binnenschifffahrt einschlägig: „Mit Beschluss CDNI 2017-I-4 der KVP vom 22. Juni 2017 (korrigiert durch die Beschlüsse CDNI 2018-II-5 vom 13. Dezember 2018 und CDNI 2019-II-4 vom 18. Dezember 2019) wurde das CDNI umfassend geändert. Eingefügt wurden Bestimmungen über den Umgang mit gasförmigen Rückständen flüssiger Ladung (Dämpfe). Diese Änderung erfordert eine Anpassung des BinSchAbfÜbkAG.“ Insgesamt haben drei Vertragsstaatenkonferenzentscheidungen zur notwendigen Gesetzesänderung geführt. Bei welcher hätte die Zustimmungspflicht also greifen müssen? Vgl. BT-Drs. 19/21733, S. 24. 551  Begriff dem Verfassungsrecht entnommen, vgl. Mann in: Sachs, GG, Art. 80 Rn. 25. 552  Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 233. 553  Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 233. 554 Ausdrucksweise und Direktzitate stammen von Fastenrath, Kompetenzverteilung, 1986, S. 233.



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der Verselbständigung der administrativen Willensbildung wird damit praktisch kaum entgegengesteuert.“555

b)  Zustimmung zur Einrichtung des Compliance Committee Es wäre möglich, die deutsche Zustimmung zur Einrichtung des Compliance Committee durch die Vertragsstaatenkonferenz mit einem Zustimmungsvorbehalt der Legislative auszustatten. Eine ähnliche Forderung wird im Rahmen der technikrechtlichen Diskussion erhoben: Dort werden demokratisch-rechtsstaatliche Einflussmöglichkeiten des Staats in erster Linie in der Gestaltung des rechtlichen Rahmens solcher Instrumente erblickt (Stichworte sind die „Kontrolle der Kontrolle“556 und die „administrative Kreation“557). Dies wäre auch im Compliance-Verfahren zu begrüßen. Denn erst im Zeitpunkt der Einrichtungsentscheidung und nicht etwa schon bei der Zustimmung zum Vertragsschluss gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sind die genauen Kenndaten des Komitees und des Nichteinhalteverfahrens bekannt: die Besetzung der Komitees, die Wahl der Mitglieder, die Einleitungs- und Berufungsmöglichkeiten, Sanktionsmöglichkeiten usw. Dadurch würde das Komitee auf legitimerem Boden stehen. Derzeit handelt es sich noch um eine – untechnisch ausgedrückt – doppelte Delegation: „double delegation of decision-making power, first by the Protocol to the COP/MOP, and then, by the COP/MOP to the compliance bodies.“558 Die birgt einige rechtliche Unsicherheiten. Aufgrund der darin liegenden Präzedenzwirkung in Bezug auf die Auslegung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist eine Annahme einer Vertragsstaatenkonferenzentscheidung durch die gesetzgebenden Körperschaften allerdings ausgeschlossen.559

c)  Parlamentsbeteiligung auf informellem Weg Ohne die Vertragsstaatenkonferenz zu involvieren, das heißt nur auf innerstaatlichem Wege, ließe sich eine Parlamentsbeteiligung auf informellem Wege erreichen. Der Vertragsstaatenkonferenzbeschluss zur Errichtung des Compliance Committee oder der Vertragsstaatenkonferenzbeschluss, der weitreichende Änderungen (zum Beispiel durch die Übernahme der Spruchpraxis des Compliance Committee) vorsieht, könnten dem Bundestag zur Entschließung von der Bundesregierung vorgelegt werden. 555  In Bezug auf das hier ebenfalls virulente verselbstständigte Handeln der Behörden im auswärtigen Bereich anhand von Bsp. veranschaulichend, Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, ab 355 ff. 556  Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 137. 557  Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 137. 558  Fitzmaurice, Non-Compliance Procedures, in: Treves u. a. (Hrsg.), Non-Compliance Procedures, 2009, S. 453–481, S. 455. 559  Zur analogen Anwendung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vgl. Kapitel 2 D. III.

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Ein solches Verfahren würde dem Verfahren „des parlamentarischen Änderungsvorbehalts“560, das (unter anderem)561 § 48b BImSchG vorsieht, ähneln. Nach Satz 1 und 2 müssen bestimmte, im Gesetz abschließend aufgezählte Rechtsverordnungen (die vor allem Grenzwertfestsetzungen betreffen), dem Bundestag und anschließend dem Bundesrat zugeleitet werden. Satz 3 sieht vor, dass der Bundestag sich in der Folge mit der Rechtsverordnung befassen und diese durch Beschluss ändern oder ablehnen kann. Nach Satz 4 leitet er die Rechtsverordnung anschließend wieder der Bundesregierung zu. Damit werde eine zukunftsweisende Steuerung im administrativ-parlamentarischen Verbund ermöglicht.562 Der Grund für dieses Verfahren liegt in den Eigenheiten umweltrechtlicher Regelungen: Es handelt sich häufig um kleinteilige technische Vorgaben563, die spezialisierte Fachkenntnisse von den Normsetzern verlangen. Gleichzeitig muss das Normsetzungsverfahren flexibel und agil bleiben. Die Normen müssen beständig an neuere Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik angepasst werden, zum Beispiel in Bezug auf neue Filtertechniken oder Erkenntnisse zum anthropogen induzierten Klimawandel.564 Beide Gründe sprechen für eine Verordnungsermächtigung der Exekutive, die über hohes Fachwissen und schlanke Verordnungsgebungsverfahren verfügt. Gleichzeitig sind Grenzwertfestlegungen immer bewertungshaltig565 und damit häufig eine wesentliche Entscheidung, die der Gesetzgeber zu treffen hat.566 So betreffen beispielsweise die Regelungen der 1. BImSchV etwa 30 Millionen Feuerungsanlagen in Deutschland.567 Es bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Vorgehen, denn schließlich wurde die Bundesregierung durch eine Verordnungsermächtigung zur Regelung ermächtigt. Eine Rückanbindung im informellen Verfahren verwischt die rechtsstaatlich erforderliche klare Verantwortungszuordnung.568 Zudem ist der „Nutzen“ des parlamentarischen Verfahrens reduziert, da eine schlichte Parlamentsbeteiligung kaum den Grad der Öffentlichkeit erreicht, der die höhere Legitimation des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens bedingt.569 560 

Saurer, NVwZ 2003, 1176–1182, 1177. § 37d Abs. 2 S. 2–5 und § 67 KrWG, vgl. Jarass in: ders., BImSchG, § 48b Rn. 1; etwas anders aber noch vgl. in § 4 Abs. 6 S. 3 und 4 KSG; für weitere (auch rechtshistorische) Bsp. vgl. Saurer, NVwZ 2003, 1176–1182, 1177. 562  Ossenbühl, DVBl 1999, 1–7, 4; Saurer, NVwZ 2003, 1176–1182, 1179. 563  Zum Beispiel im Rahmen der 1. BImSchV die Bestimmung zulässiger Brennstoffe für offene Kamine. 564  Zur Änderung der 1. BImSchV Röckinghausen, ZUR 2011, 65–71, 65 f. 565  Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 236. 566  Rupp, NVwZ 1993, 756–759, 757, vgl. dazu BVerfGE 49, 89, 126 f. (Kalkar I) in ständiger Rechtsprechung. 567  Röckinghausen, ZUR 2011, 65–71, 65. 568 MwN Peter, LKV 2007, 493–499, 498; mit vier klar formulierten Gründen Rupp, NVwZ 1993, 756–759, 758. 569  BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 265 (Klimaschutzgesetz). 561 



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Die Sachverhaltskonstellation um Normen wie § 48b BImSchG ist in Grundzügen mit dem hiesigen Problemfeld zu vergleichen. Es findet ebenfalls zunächst eine Delegation von Normauslegung und -weiterentwicklung auf ein Expertengremium statt. Sie sind dort sinnvoll aufgehoben. Gleichzeitig kann aber diese Rechtsfortentwicklung nicht vollständig am Willen des Gesetzgebers vorbeilaufen.570 Die benannten verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich einer informellen Rückanbindung an die Legislative greifen ebenfalls bei einer „informellen“ Entschließung bezüglich völkerrechtlichen soft law, das im Compliance-Verfahren gebildet wurde. Die „verfassungsrechtlichen“ Kosten erscheinen daher höher als der „legitimatorische“ Nutzen einer solchen informellen Maßnahme.

d) Umsetzungsgesetz Dem Parlament bleibt schließlich die Gelegenheit, sich im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren mit der Umsetzung von späterer Übung zu befassen, wenn diese Anpassungen nationaler Gesetze erforderlich macht. Zwar findet sich der Gesetzgeber hier wieder in einer Art „Ratifikationslage“, die von Herdegen wie folgt beschrieben wurde: „Eigentlich ist die Situation noch viel schlimmer. Es gibt nichts mehr zu ratifizieren. Es bleibt dem Parlament nur noch der Nachvollzug.“571 Allenfalls besteht die Möglichkeit, Spielräume mit eigenen Wertungen zu füllen, die die Compliance-Entscheidung bzw. die Spruchpraxis, die den Vertrag weiterentwickelt hat, gelassen haben, oder von den Grenzen der Umsetzungspflicht Gebrauch zu machen.572 Kadelbach hebt in diesem Zusammenhang das Budgetrecht bei ausgabenwirksamen Aufgaben hervor.573 Zuletzt besteht für das Parlament auch die Gelegenheit, im Rahmen der Umsetzung Grenzziehungen zu konturieren, indem es zum Beispiel auf ein der Rechtsänderung entgegenstehendes ausdifferenziertes Teilsystem der Rechtsord570  Angelehnt an folgende Ausführungen Kadelbachs: „Er bildet auf internationaler Ebene eine Entwicklung ab, die im innerstaatlichen […] Zusammenhang schon lange zuvor begonnen hatte, die Delegation von Normsetzung auf Sachverständigenausschüsse […]. Einerseits führt kaum ein Weg an der Einsicht vorbei, daß der geforderte Sachverstand der Beteiligten, die Komplexität der zu bewertenden Sachverhalte sowie der technische Charakter und der Konkretisierungsgrad der Standards ein Verfahren erfordern, das seinem […] Zuschnitt nach nicht für die parlamentarische Rechtssetzung […] geeignet ist. Andererseits kann auf die Rückführbarkeit auf den Willen des Gesetzgebers nicht verzichtet werden.“ Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 43. 571  Herdegen, mündliche Stellungnahme vor dem BVerfG zit. in: Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, 2006, S. 162. 572  Kann also als Kompensat der fehlenden Beteiligung im Vorfeld gelten, Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 50 f. 573  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 50 f.

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nung574 verweist. Ein solches Teilsystem könnte beispielsweise im Grundkonstrukt des deutschen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes liegen. Mit Anwendung der Schutznormtheorie zielt dieser maßgeblich darauf ab, den Schutz von Rechten Einzelner sicherzustellen und nicht primär die objektive Rechtmäßigkeit eines Staatshandelns festzustellen.575 Durch Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 AK und den dazu ergangenen Beschlüssen des Compliance Committee ist dieser Grundsatz in Umweltangelegenheiten stark unter Druck geraten. In diesem Punkt bietet das öffentliche parlamentarische Verfahren die Gelegenheit, die kontinuierliche Vertragsarbeit und die Mitwirkung der deutschen Exekutive im Rahmen einzelner Unterorgane oder innerhalb der Vertragsstaatenkonferenz kritisch zu beleuchten. Im Zuge dessen besteht die Aufgabe der gesetzgebenden Körperschaften auch darin, Umsetzungsspielräume zu erkennen. Ein reiner Nachvollzug, wie er in dem Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Gesetzes über den Umgang mit Abfällen der Binnenschifffahrt zu erkennen ist,576 mit dem gemäß offiziellen Dokumenten nur ein einziger Abgeordneter maßgeblich und inhaltlich befasst war, ist eine vertane Chance. Erschwerend kommt an dieser Stelle hinzu, dass die vertragliche Weiterentwicklung durch die spätere Übung im Umweltvölkerrecht nahezu ausschließlich die Exekutive als Verordnungsgeber betrifft. Dass die gesetzgebenden Körperschaften sich aktiv mit Umweltvölkerrecht auseinandersetzen können, sollte als Glücksfall begriffen werden.

3.  Zwischenfazit: Die begrenzten Möglichkeiten des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Das Zustimmungsgesetz zum völkerrechtlichen Vertrag ist die stärkste Einbindung unmittelbar (und mittelbar) legitimierter Repräsentanten in den Prozess der Völkervertragsrechtssetzung. Angesichts der vagen Vertragsbestimmungen und dynamisierten Vertragssysteme ist die Deckungsgleichheit von Vertrag und Zustimmungsgesetz nur von kurzer Dauer.577 Zwar ist eine Feinsteuerung durch das Parlament im Umwelt- und Technikrecht nicht wünschenswert oder zielführend. Allerdings nimmt das Parlament derzeit im Umweltrecht seine Völ574  Angelehnt an BVerfGE 111, 307, 2. LS (Görgülü). 575  Kontrastieren den deutschen und den französischen

Zugang und erkläutern im Anschluss die Spruchpraxis des Compliance Committee, Epiney u. a. (Hrsg.), Aarhus-Konvention, Handkommentar, 2018, Art. 9 Rn. 21 ff. 576  BT-Drs.: 19/21733. In dem Verfahren der Umsetzung der Vorgaben war federführend die Bundesregierung beteiligt. Der Bundesrat hat zu dem Gesetzgebungsvorschlag umfangreiche Änderungsvorschläge eingebracht. Der Normenkontrollrat hat ebenfalls Stellung bezogen und auf erhebliche Kosten für kleine und mittelständische Betriebe verwiesen, die aber aufgrund des Verursacherprinzips gerechtfertigt seien. Der Deutsche Bundestag hat unter dem Berichterstatter Jörg Cezanne (Fraktion DIE LINKE) großteils schlicht auf die Änderungsvorschläge des Bundesrats verwiesen und diese auch als Ausschussbeschlussempfehlungen ausgegeben. 577  Stichwort ist der Vertrag als „zebra code“, vgl. Riedel, EJIL 1991, 58–84, 82.



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kerrechtsfunktion nur in geringem Umfang wahr. Ein Bewusstseinswandel, der eine ehrliche Bestandsaufnahme des Völkervertragsrechts speziell im Umweltvölkerrecht zutage bringt, tut Not. Erst wenn die nationalen Beteiligten den permissive consensus hinter sich lassen, kann durch das Zustimmungsgesetz tatsächlich ein Delegationsfilter eingerichtet werden, der den Rahmen der internationalen Kooperation vorgibt. In zwei Punkten bestehen gut umsetzbare Lösungen, um das Potential des Zustimmungsgesetzes zu vergrößern. Der erste Punkt betrifft die Art und Weise, wie internationale Verträge in das parlamentarische Verfahren mittels der Denkschrift eingeführt werden. Der zweite Punkt betrifft die erneute Befassung der gesetzgebenden Körperschaften mit dem Vertrag. Viele Formen sind hier denkbar, aber kaum praxistauglich. Insofern übernehmen das Selbstbefassungsrecht des Parlaments und die kritische Auseinandersetzung des Parlaments im Zuge der „erneuten“ Befassung mit dem Vertrag im Rahmen der Umsetzungsgesetzgebung wichtige Funktionen.578 Angesichts der begrenzten Möglichkeiten des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gilt es, sich stärker auf andere Formen der Integrationsverantwortung zu stützen, die es den gesetzgebenden Körperschaften ermöglichen, im Prozess der Meinungsbildung auf internationaler Ebene informiert mitzuwirken oder wenigstens zu kontrollieren und zu begleiten.579

III.  Die Aufgaben der einzelnen Staatsgewalten angesichts der völkerrechtlichen Determination von Innenpolitik Außen- und Innenpolitik sind nicht immer klar voneinander zu trennen. Das führt dazu, dass völkerrechtliche Vertragswerke die nationale Gesetzgebung (sei es die parlamentarische oder die exekutivische) im Umweltrecht vereinzelt sogar bis in die Details determinieren. Jede einzelne Staatsgewalt ist aufgerufen, diesen Umstand zunächst ins Bewusstsein zu nehmen. Die gewandelte Rollenwahrnehmung bis hin zur Annahme der eigenen Völkerrechtsfunktion fällt für jede Gewalt anders aus. Sie verfügen über eigene Handlungsareale und müssen unterschiedliche Maßstäbe an die Behandlung des Völkerrechts anlegen. Die Exekutive hat eine herausragende Position. Sie handelt als einzige auf dem außenpolitischen Parkett. Die Ministerialbürokratie verfügt über Expertenwissen und einen großen organisatorischen Unterbau. Die tatsächliche Ver578  S. Kapitel 2 D. III. 1. 579  So auch die Antragsgegner

im Intraorganstreit der Linken gegen den Deutschen Bundestag, die zum einen fragen, wie denn ein Mandatsgesetz die Rückbindung der CETA-Gremien verbessern soll und zum anderen, ob die Integrationsverantwortung nicht durch andere Handlungsformen, nicht nur durch Gesetzesform, erfüllt werden könne. Vgl. BVerfG, 2 BvE 4/16 (CETA-Hauptsache), Rn. 38. So auch: Tomuschat, VVDStRL 1978, 7–64.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

handlungsführung wird derzeit indes relativ einseitig von einem federführenden Ministerium übernommen und lediglich am Rande vom Auswärtigen Amt mit einer generalistischen Sicht begleitet. Daher ist die Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt seitens der Exekutive durch eine einseitige Perspektive geprägt. Die auswärtige Gewalt wird nach dem Grundgesetz zur „gesamten Hand“580 und damit zugleich von der Legislative ausgeübt. Die gesetzgebenden Körperschaften sind stark von dem Wissensvorsprung der Exekutive abhängig. Bestehende Informationskanäle sind großteils informeller Art. Die Legislative wird in ihrer aktiven Rollenwahrnehmung zusätzlich von dem permissive consensus gebremst und kann Entwicklungen auf völkerrechtlicher Ebene oft nur nachvollziehen. Ihr käme bei einer aktiveren Gestaltung der auswärtigen Gewalt neben der „klassischen“ kontrollierenden Tätigkeit vor allem die Aufgabe zu, das Expertenwissen der Exekutive politisch zu rahmen und zu bewerten, um dadurch die Außenpolitik aktiv mitzugestalten. Die Judikative sieht sich in einer problematischen Lage zwischen drei Polen:581 – dem (wenngleich unklaren) grundgesetzlichen Befehl, dass Verträge in der Form eines Bundesgesetzes wirken sollten, – der Aufforderung, die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes zu achten und zu fördern und – der nicht klar ausgesprochenen Haltung des Bundesverfassungsgerichts, dass bei menschenrechtlichen Verträgen und völkerrechtlichen Verträgen zum Schutz des Klimas die Bindung über dieses Maß hinaus gehen kann. In der vielbesprochenen Entscheidung des Verfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz offenbart sich gerade der letzte Aspekt: Art. 20a GG werde durch die Entscheidung des Gesetzgebers mit den völkerrechtlichen Klimaschutzzielen aufgeladen. Von dieser einfachen bundesgesetzlichen Regelung könne der Gesetzgeber nur unter klarem Bekunden eines „treaty-override-Willen“ abrücken.582 Vor allem das Bundesverfassungsgericht ist neben der rechtsprechenden Tätigkeit gleichermaßen ein Akteur im aktiven Umgang mit völkerrechtlichen Vorgaben.583 Es kann Impulsgeber sein, um den „Bewusstseinswandel“ bei den anderen beiden Gewalten anzustoßen, damit sie ihre Integrationsverantwortung energischer ausüben.584

580 

Friesenhahn, VVDStRL 1960, 9–73, 33, dazu schon in Kapitel 2 D. II. und III. S. dazu auch in Kapitel 2 D. 2. b) und c). BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 213 (Klimaschutzgesetz). 583  Sauer, Staatsrecht III, 2020, S. 62: „aktive Gestaltungsrolle“. 584  So ähnlich Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 6. 581  582 



C.  Innerstaatliche Möglichkeiten zum aktiven Umgang mit späterer Übung

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1.  Die Möglichkeiten und Pflichten der gesetzgebenden Körperschaften In den ersten beiden Teilen der Arbeit wurden Tendenzen wie die starke Verrechtlichung585 und Technisierung der Normsetzung beschrieben. Auf internationaler Ebene sind nahezu ausschließlich Experten des jeweiligen Rechtsgebiets an der Weiterentwicklung der Vertragswerke beteiligt. Die gesetzgebenden Körperschaften könnten dieser policy information eine political information entgegensetzen, also „ein durch Werturteile gerahmtes, politisch gewichtetes Wissen“586. Diese Einrahmung von Recht in politische Wertungsentscheidungen ist das „täglich Brot“ im Abgeordnetenalltag. Die Arbeit beispielsweise des Bundestagsausschusses Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ist durch die Anhörung verschiedener Interessensvertreter zu einzelnen Themen geprägt: Als Beispiel haben am 24. März 2021 zum Entwurf eines Änderungsgesetzes des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes folgende Vertreter in öffentlicher Anhörung teilgenommen: ein Vertreter der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, einer vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V., je ein privater und ein kommunaler Abfallunternehmer, ein Vertreter vom Handelsverband Deutschland e. V., kommunale Unternehmen, ein Vertreter vom NABU, von Samsung, von Germanwatch und dem Verein Runder Tisch Reparatur.587 Dieses Vorgehen folgt dem Gedanken, dass demokratische Kontrolle ohne politische Bewertung und politische Aufarbeitung unmöglich ist. Dabei eignet sich das Umweltvölkerrecht besonders dafür, im politischen Prozess „verarbeitet“ zu werden: Jede naturwissenschaftliche Umwelt- oder Klimaschutzentscheidung beinhaltet eine politische Wertungsentscheidung.588 Vor diesem Hintergrund hebt das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung des politischen Diskurses für die Formulierung von – zumeist die individuelle Freiheit beschneidenden – Umweltschutzregelungen hervor.589 Deshalb sind 585  Kritisch zur Verrechtlichung politischer Entscheidungen v. Bogdandy, KJ 2001, 264– 281, 277. 586  Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 5 f.: „Abgeordnete müssen die politischen Implikationen und gesellschaftlichen Folgewirkungen politischer Alternativen aufgrund ihrer Legitimation durch Wahlen tendenziell stärker in ihr Handeln einbeziehen als die Verwaltung.“ (ebd., 6). In der mündl. Verhandlung des BVerfG in Sachen CETA – Die Linke (AZ: 2 BvE 4/16) am 13. Oktober 2020 in Karlsruhe sprachen die geladenen Abgeordneten davon, in ihre parlamentarische Arbeit vor allem die Themen einzubeziehen, zu denen sie „von den Leuten auf der Straße im Wahlkreis“ hörten. 587  BT-Drs.: 19/28508, die Stellungnahmen sind online für die Bürger verfügbar. 588  Vgl. BVerfG, 1 BvR 2656/18, Rn. 160 (Klimaschutzgesetz): „weil die Entscheidung, welche Klimaerwärmung hingenommen werden soll und darf, normativer Art ist und eine Wertung verlangt.“ und Diskussion zum Technikrecht, u. a. Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, 236. 589  Interessant ist im Rahmen des Klimaschutzgesetzurteils, dass das BVerfG die Notwendigkeit politischer Diskussionen fordert, aber das 1,5°–2°C Ziel letztlich heraus nimmt. Nur wenn der Gesetzeger davon abweichen möchte, soll die Festlegung dieses Ziels diskutiert werden (Rn. 213). Das heißt, dass das BVerfG trotz aller gegenteiligen Aussagen (wie z. B.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

die einzelnen Verbände und Interessenvertreter auf dem Gebiet des nationalen Umweltrechts bereits durch intensive Normsetzungstätigkeit beteiligt.590 Sofern ein völkerrechtlicher Vertrag homogene Einzelinteressen betrifft, gelangt in demselben Maß das Umweltvölkerrecht in das Problembewusstsein der Interessenvertreter. Als Beispiel kann die Beteiligung von Interessenverbänden wie Zahnärzten, Krankenkassen und Umweltverbänden an der Verhandlung der Quecksilberkonvention gelten.591 Es mussten verschiedene, sehr konkret umrissene Interessen in einen Ausgleich zueinander gebracht werden: Umwelt (Schäden für Umwelt, Entsorgungsproblematik), Gesundheitsschutz (Quecksilberbelastung, gleichzeitig sehr gute Fülleigenschaften), Versorgungssicherheit (bezahlbar, verfügbar), Ökonomie (günstig und von den Kassen übernommen). Es fehlt hingegen das hinreichende Problembewusstsein. Das zeigt beispielsweise die bereits erwähnte parlamentarische Debatte zum Vorstoß von Bündnis 90/Die Grünen, völkerrechtlichen Klimaschutzvorschriften Übergesetzesrang zu verschaffen – ein Demokratieproblem erkannten die Abgeordneten darin allesamt nicht.592 „[N]ationale Parlamente [zeigen] […] eine weit größere Folgebereitschaft bei Regierungsvorschlägen, wenn diese dem Abschluß internationaler Vereinbarungen dienen, als wenn sie die interne Gesetzgebung betreffen“.593

Für die Entwicklung des Problembewusstseins sind Informationen über die Funktionsweisen und -mechanismen umweltvölkerrechtlicher Verträge erforderlich:594 „Die Parlamente scheinen mehr denn je von entscheidungsrelevanten Informationen abgekoppelt, Abgeordnete überblicken angesichts vielschichtiger, unübersichtlicher Problemlagen die Folgen ihres Handelns nur noch mit Mühe. Eine stetig wachsende, schwer zu kanalisierende Informationsflut, die ständige mediale Aufmerksamkeit und Unsicherheiten über die Folgen komplexer Entscheidungen schränken die Handlungsfähigkeit der Parlamente empfindlich ein.“595

Das Gleiche ist bereits in Bezug auf europäische Zusammenhänge und die Rechtsprechung des EGMR gefordert worden: Ein aktiver Umgang setzt voin Rn. 212) letztlich doch davon ausgeht, dass die international getroffenen Aussagen abwägungsfest sind. BVerfG, 1 BvR 2656/18 (Klimaschutzgesetz). 590  Vgl. schon oben zum Technikrecht. Anstatt Vieler Lübbe-Wolff, ZG 1991, 219–248, u. a. 226 ff. 591  Vgl. schon oben unter NGO s. Kapitel 3 B. I. 2. c). Vgl. zur Quecksilber Konvention Kielbassa, DFZ 2013, 30–31. 592  Stenografischer Bericht vom 27. September 2018, Plenarprotokoll 19/52, S. 5445C ff. 593  v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 270. 594  Zum Informationsbedarf auch Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 54. 595  Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 4.



C.  Innerstaatliche Möglichkeiten zum aktiven Umgang mit späterer Übung

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raus, dass Gewissheit darüber besteht, „was der EGMR genau entschieden hat“596. Das Parlament trifft daher eine Holschuld597 gegenüber der Exekutive, die über ein spezialisiertes Expertenwissen verfügt.598 Diese Holschuld ist wahrscheinlich hauptsächlich durch den Auswärtigen Ausschuss zu erfüllen. Angesichts der immensen Rolle, die die law-making-treaties in Bezug auf die Innenpolitik haben, könnte stattdessen auch die internationale Dimension des Ausschusses Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit gestärkt werden.599 Die Wahl des federführenden Ministeriums je nach Themenzuschnitt könnte Anlass geben, auf ähnliche Weise im Bundestag den internationalen Bezug einzelner Sachmaterien widerzuspiegeln. Die Exekutive trifft folgerichtig eine Bringschuld.600 Denkbar wäre, § 72 Abs. 2 GGO um den Hinweis zu ergänzen, dass zeitgleich mit dem in der Vorschrift bereits erwähnten Auswärtigen Amt der entsprechende Ausschuss des Bundestags zu unterrichten ist.601 Dabei ist es wichtig, angesichts des Umfangs der Verfahren auf internationaler Ebene sowie der „ungleich besseren Ressourcenausstattung und des Informationsvorsprungs von Regierung und Ministerialbürokratie auf politisch und ‚ideologisch‘ bereits bewertete, normativ ‚gefilterte‘ und priorisierte Informationen zugreifen [zu] können.“602

596 

Schorkopf, Rezeptionsdogmatik, in: ders./Starck (Hrsg.), Rechtsvergleichung, 2019, S. 175–187, S. 180. 597  Inspiriert durch Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 95 und Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 204. 598  Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 5. 599  „[S]ome types of modern treaties which are essentially designed to regulate domestic matters of the participating states.“ Tomuschat, Pacta sunt servanda, in: Fischer-Lescano u. a. (Hrsg.), FS Bothe, 2008, S. 1047–1065, S. 1065. Dass der Ansatzpunkt in der Stärkung der Ausschüsse liegen muss, Kretschmer, Ministerialrat a. D. Deutscher Bundestag in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 59. 600  Ebenfalls inspiriert durch Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 95 und Schorkopf, Staatsrecht, 2017, S. 204. 601  § 72 Abs. 2 GGO: Vor der Aufnahme von Verhandlungen und Teilnahme an Konferenzen über völkerrechtliche Verträge mit auswärtigen Staaten, ihren Organen und mit internationalen Organisationen hat das federführende Bundesministerium das Auswärtige Amt rechtzeitig zu unterrichten und seine Zustimmung einzuholen, soweit keine abweichende Regelung getroffen wurde. 602  Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 6. Ähnlich auch Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 54: „Darüber hinaus fragt sich, ob angesichts der Informationsflut und der eingeschränkten Verarbeitungsfähigkeit des Bundestages bereits kraft Verfassung eine sachangemessene Berichtspflicht der Exekutive angenommen werden muß, die über die bloße Zuleitung von Dokumenten und Material hinausgeht und dazu anhält, die zur Verfügung gestellten Informationen auf ihre Relevanz für die Befugnisse des Bundestages hin zu konzentrieren und zu ordnen“.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Die rechtliche Grundlage dieser Hol- und Bringschulden ist unter anderem der Grundsatz der Organtreue.603 Das Parlament muss sich seiner Völkerrechtsfunktion bewusst werden. Eine der größten Hürden scheint zu sein, dass der mögliche Einfluss des Parlaments über die eigene Exekutive auf das tatsächliche Entscheidungsergebnis innerhalb der Vertragsstaatenkonferenz eines völkerrechtlichen Vertrags gen Null tendiert. Schließlich gilt – zurecht – der Grundsatz einer einheitlichen Repräsentation nach außen. Für ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen umfangreich (zeitliche) Kapazitäten aufzubieten, ist von dem einzelnen Parlamentarier kaum zu verlangen.604 Daraus erklärt sich, warum den Grenzen der internationalen Zusammenarbeit und den Umsetzungsspielräumen eine so große Bedeutung in der Debatte zukommt. Denn das Zueigenmachen internationaler Regularien, also das Nutzen von Umsetzungsspielräumen, kann als Motivator für den einzelnen Abgeordneten – auch außerhalb der regierungstragenden Fraktion(en) – fungieren, sich trotz Exekutivdominanz gestalterisch einzubringen. In diesem Punkt kontrolliert der Bundestag die exekutive Tätigkeit nur bedingt, kann die Umweltpolitik aber aktiv mitsteuern.605 Soll sich der Bundestag angesichts der Bedeutung, die dem Umweltvölkerrecht innenpolitisch zukommt, stärker um die Mitsteuerung dieser völkervertragsrechtlichen Zusammenhänge bemühen, muss eine Reform zuvörderst in der Binnenorganisation des Parlaments ansetzen.606 Das zeigen nicht zuletzt 603 

Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 54: Grundsätze „organgerechter Funktionenteilung und der Organtreue“. 604  Hinzu kommen die Wirkungen des sogenannten Fraktionszwangs, der die Parlamentarier der Regierungsparteien an die politische Linie der Exekutive bindet. Die Realität der parlamentarischen Arbeit entspricht insofern häufig nicht dem Gedanken des freien Mandates in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. 605  Die Variante, dass ein Compliance-Verfahren genutzt wird, um die eigene parlamentarische Opposition und das öffentliche Verfahren zu umgehen, kann ebenfalls über diesen Weg wieder eingefangen werden, s. dazu Kapitel 1 B. IV. Bsp. einer Grenzziehung durch den Bundesrat ist in der BT-Drs.: 12/7268, S. 32 zu finden, mit der die Legislative der Alpenkonvention zustimmt. Der Bundesrat verlangt von der Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass keine neuen Prüfverfahren oder sonstige Verfahrenserschwernisse für Vorhaben durch die Alpenkonvention eingeführt werden. Schmidt-Aßmann, Der Staat 2006, 315–338, 329: „[S]o müsste das internationale Verwaltungshandeln zunächst einmal überhaupt mehr Aufmerksamkeit in der parlamentarischen Praxis finden. Es müsste darum gehen, die internationale Dimension in den einzelnen Fachgesetzen präsent zu machen“. 606  Die Abgeordneten scheinen in umweltvölkerrechtlichen Belangen von dem parlamentarischen Unterbau nicht gerade „fit gemacht“ zu werden. Das veranschaulicht folgender Debattenbeitrag eines Parlamentariers, bei dem zu erwarten gewesen wäre, dass er im Laufe seiner Karriere mit einem großen Teil der umweltvölkerrechtlichen Regulierung in Kontakt gekommen sein müsste: Die öffentliche parlamentarische Debatte am 05. Novemer 2020 ging um das Änderungsgesetz zum Ausführungsgesetz zum Protokoll über das Schadstofffreisetzung- und verbringungsregister. In dieser Debatte sagte der parlamentarische Staatssekretär für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Pronold (der bereits von 2013 bis 2018 Parlamentarischer Staatssekretär im Bau- und Umweltministerium war und seit 2018 Parlamenta-



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die Erfahrungen, die mit der Integration des Deutschen Bundestags in europäische Entscheidungszusammenhänge gesammelt werden konnten.607 Das betrifft zum einen die Ausschüsse. Hier könnten Mitwirkungs- und Kontrollrechte für den Ausschuss für Auswärtiges ähnlich wie beim Ausschuss für Europäische Angelegenheiten608 eingeführt werden. Denn in der Ausschussarbeit liegt der Kern der fachpolitischen parlamentarischen Arbeit.609 Die Erfahrungen mit der europäischen Integration haben dazu geführt, dass der Unterabteilung PE Europa in der Bundestagsverwaltung insgesamt sieben verschiedene Sekretariate zuarbeiten.610 Dem Sekretariat PA 3 der Bundestagsverwaltung, das dem Auswärtigen Ausschuss zuarbeitet, könnte ebenfalls eine komplexe Unterstruktur bereitgestellt werden, die der Determiniertheit der deutschen Politik durch internationale Verträge gerecht wird.611 Sollte stattdessen der jeweilige Fachausschuss gestärkt werden, könnte den Ausschüssen, die einen im großen Umfang internationalisierten Rechts- und Politikbereich behandeln, ein Sekretariat „Internationales“ zur Seite gestellt werden. Zusätzlich sollte – wenngleich derzeit noch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage – eine bessere informationstechnische Struktur geschaffen werden. Eine vergleichbare Software ist „EuDoX“ für europarechtliche Angelegenheiten.612 rischer Staatssekretär für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ist): „[D]as Schöne an unserem Job als Abgeordnete ist, dass man fast jeden Tag etwas dazu lernt. Und mir ging es so und auch vielen Kolleginnen und Kollegen, als wir uns mit dem Protokoll über die Schadstofffreisetzung und -Verbringungsregister nach dem Aarhus Übereinkommen beschäftigt haben. Und da habe ich gelernt, dass wir seit 2007 sowohl in Europa sowie in Deutschland ein Register haben, in dem sich die Bürgerinnen und Bürger informieren können über die Freisetzung von Schadstoffen von Industriebetrieben […].“ Dem ist hinzuzufügen, dass sich die übrigen Abgeordneten inhaltlich, teils sehr fundiert, in ihren Reden mit der Materie befasst haben. 607  Kropp, Information und Kontrolle, in: Eberbach-Born et al. (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle, 2013, S. 181–203, S. 181 f. 608  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 54. 609  Meyring, Entwicklung zustimmungsbedürftiger Verträge, 2001, u. a. auf S. 442. „Der Ausschuß hat also […] die volle Legitimation, die auch der Bundestag hat, ist aber weniger schwerfällig.“ Kadelbach in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 64. 610  „Organisationsstab EU-Ratspräsidentschaft“, „Ausschuss für die Angelegenheiten der EU“, „EU-Grundsatzangelegenheiten, Fragen der Wirtschafts- und Währungsunion“, „Analyse, Prioritätensetzung und Beratung in EU-Angelegenheiten“, „EU-Verbindungsbüro“, „Europa-Dokumentation“, „Europa“ vgl. Organigramm der Bundestagsverwaltung, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/189334/e879f88ea756477f96db3ae22e1b114 c/orgplan-de-data.pdf (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 611  Der Auswärtige Ausschuss und der Verteidigungsausschuss sollten möglicherweise mit dem Europaausschuss vergleichbare Sonderrechte erhalten, Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 54. 612  Die anwesenden Abgeordneten des Deutschen Bundestags in der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen CETA – Die Linke (AZ: 2 BvE 4/16) am 13.

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Aus einer auf diese Weise gestärkten Position könnte der Bundestag Stellung nehmen und Handlungsempfehlungen für die Verhandlungsdelegation der Bundesregierung formulieren.613 Der schlichte Parlamentsbeschluss bedarf an diesem Punkt vielleicht einer neuerlichen Bewertung. Hier liegt das größte Potential der parlamentarischen Einflussmöglichkeiten.614

2.  Die Möglichkeiten und Pflichten der Bundesregierung Der Exekutive kommt verstärkt die Rolle zu, in den internationalen Verhandlungen die (vielfältigen) innerstaatlichen Positionen zu einem Thema nach außen erkennbar zu machen. Mit Blick auf die „Lehren“ aus Art. 23 GG muss sie diese Verantwortung (gerade) auch bei nichtvertraglichen Handlungsinstrumenten – also beispielsweise im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenzen, in denen meistens nur sogenannte „decisions“ getroffen werden – wahrnehmen. Damit würde sie der tatsächlichen Bedeutung dieser Instrumente im Umweltvölkerrecht gerecht. Bei der eigenen Meinungsbildung muss sie sich bewusst machen, dass die Delegation als einziger deutscher Akteur die Chance hat, ein ganzheitlicher Vertreter zu sein. Am Ende ist, wenn überhaupt, nur die Exekutive in das „Tagesgeschäft“ eines Vertrags involviert. Die Judikative und die Legislative schreiten nur bei – an dem jeweiligen Maßstab gemessen – für sie relevanten Oktober 2020 in Karlsruhe zeigten sich begeistert über dieses neue Werkzeug und sprachen von einer großen Arbeitserleichterung. 613  Vgl. BT-Drs. 18/10019, S. 3 bzgl. des Abstimmverhaltens in der IWC. Dieser Antrag war sehr detailliert. Der Antrag wurde angenommen. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Ihr Antrag mit Aufforderungen an die Bundesregierung wurde abgelehnt. „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, (1) sich auch zukünftig zielstrebig und beständig für den umfassenden Schutz der Walbestände einzusetzen und die Einhaltung und Fortführung des Walfangverbotes von den IWC-Mitgliedstaaten einzufordern; (2) auf eine einheitliche Position zum Erhalt des Moratoriums hinzuwirken und damit die Beibehaltung des Walfangmoratoriums sicherzustellen; (3) den Walschutz insgesamt und insbesondere den Schutz von Zahnwalen, wie z. B. Delfinen, als eigenständiges Arbeitsgebiet in der Arbeit der IWC auszubauen und initiativ voranzutreiben; (4) jedweden Anträgen, die auf die Aushöhlung des Walfangmoratoriums abzielen, entschieden entgegenzutreten; […] (6) die Internationale Walfangkommission aufzufordern, keine Arbeiten zu finanzieren, die der Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs dienen sollen, und stattdessen diese Mittel Walschutzprogrammen zur Verfügung zu stellen; (7) auf weitere Staaten, die den kommerziellen Walfang unter dem Vorwand der Wissenschaftlichkeit aufnehmen möchten, einzuwirken, um sie von diesen Aktivitäten abzuhalten; […]; (9) sich in Kooperation mit anderen Vertragsstaaten auf der 66. IWCTagung dafür einzusetzen, dass Norwegen und Island ihre Walfangaktivitäten sowie Verwertungen von Walprodukten einstellen; […] (11) dem Deutschen Bundestag nach Abschluss der IWC-Jahrestagung 2016 über Inhalt, Verlauf und Ergebnisse der Tagung unmittelbar und ausführlich Bericht zu erstatten; […].“ 614  Auch wenn die rechtliche Bedeutung des schlichten Parlamentsbeschlusses nicht geklärt ist. Kretschmer, Ministerialrat a. D. Deutscher Bundestag in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 59. Zu dem Handlungsinstrumentarium im Umgang mit Völkervertragsrecht schon Kapitel 2 D. II. und III.



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Themen ein. Für alle anderen Tätigkeiten, die vor allem technische Details betreffen, in der Summe aber in hohem Maße regulierend eingreifen615, ist nahezu alleine die Exekutive in der Verantwortung. Ihre Möglichkeiten lassen sich auf den Zeitabschnitt vor einer Vertragsstaatenkonferenz (oder dem Rahmenvertragsschluss), die Phase während der Verhandlungen (auf der Vertragsstaatenkonferenz oder in einzelnen Untereinheiten des Vertrags) und den Zeitraum nach Vertragsschluss bzw. nach dem Vertragsstaatenkonferenzbeschluss aufteilen.

a)  Verhalten vor der Beschlussfassung der Vertragsstaatenkonferenz An zwei Punkten hat die Bundesregierung Möglichkeiten, das Gemeinwesen stärker in ihre policy-Bildung miteinzubeziehen: 1. Der Bundesregierung kommt die Verantwortung zu, die Legislative frühzeitig und qualitativ hochwertig über die Vorgänge auf internationaler Ebene zu informieren. Eine Regelung wie in § 5 EUZBBG616 gibt es für das allgemeine Völkervertragsrecht nicht. Das Inkenntnissetzen vollziehe sich derzeit über informelle Wege.617 Vorgänge, die innerhalb der Unterabteilungen der Verträge ablaufen (beispielsweise im naturwissenschaftlichen Ausschuss oder im Compliance Committee), werden davon wohl kaum umfasst. Das ist besonders schwerwiegend, da in diesen Gremien die Kernarbeitsleistung des Vertragswerks stattfindet. Gutes Informieren meint nicht nur eine geregelte Informationsweitergabe, also beispielsweise Dokumente einer Vertragsstaatenkonferenz an das Ausschusssekretariat weiterzuleiten. Gute Informationspolitik betrifft außerdem ein „handliches Format“ der Unterrichtungen und den Inhalt der Informationsdarstellung.618 Dokumentenkonglomerate von mehreren hundert Seiten genügen der Informationspflicht nicht.619 615  Das kann so weit gehen, dass durch Compliance-Entscheidungen und durch allgemeine Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenz Gesetzesänderungen, teilweise in großem oder einschneidendem Umfang, notwendig sind. Vgl. nur die umfangreichen Änderung in Folge einer Reihe von Vertragsstaatenkonferenzentscheidungen in BT-Drs.: 19/21733: Neben der umfangreichen Gesetzesänderung wird der Erfüllungsaufwand für die zum Großteil kleinen und mittleren Unternehmen auf jährlich 10,2 Million Euro berechnet und den einmaligen Erfüllungsaufwand für die Errichtung von Entgasungsanlagen auf 5,2 Millionen Euro. Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrats in Anlage 2 BT-Drs.: 19/21733. 616  S. o. Kapitel 3 A. II. 1. a). 617  Winkelmann, VLR Auswärtiges Amt, in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 61. 618  Aussagen von Kropp in der mündl. Verhandlung des BVerfG in Sachen CETA – Die Linke (AZ: 2 BvE 4/16) am 13. Oktober 2020 in Karlsruhe. 619  Simma in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 63: Er spricht davon, dass völkervertragsrechtliche Bestandteile schlicht durch den Umfang von Dokumenten auf „Schleichwegen“ eingeführt würden. Mit Bezug auf die WTO-Satzung: „Sie

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

Die Informationen über die Vertragsarbeit sollten weitestgehend zusammengefasst und außerdem mit einem Bewertungsvorschlag versehen werden (sogenanntes executive summary).620 2. Durch die starke Sektoralisierung innerhalb der Verträge entsteht ein Verlust an demokratischer Allgemeinheit.621 Eine parlamentarische Zustimmung zur späteren Übung ist unwahrscheinlich. Anstatt lediglich das Auswärtige Amt nach § 72 Abs. 2 GGO frühzeitig zu unterrichten, könnte als „Kompensa­ tion“ für die fehlende parlamentarische Zustimmung eine vorgelagerte Ressortabstimmung622 innerhalb des Regierungskabinetts immerhin eine sektorenübergreifende (und koalitionsparteiübergreifende) policy-Koordination ermöglichen. Hierdurch könnten im Übrigen Verselbstständigungstendenzen des behördlichen Unterbaus abgeschwächt werden.623 Diese Vorgabe ließe sich in § 72 Abs. 3 iVm § 45 Abs. 1 GGO integrieren. Bisher sind zumeist das federführende Ministerium, das Auswärtige Amt sowie das Justizund das Innenministerium an der Verhandlungsvorbereitung und -durchführung beteiligt. In manchen Fällen ist nach § 25 RvV vor Unterzeichnung des Vertrags dem Kabinett der Vertragsentwurf als Kabinettsvorlage zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten. § 25 RvV verweist darauf, dass eine solche Kabinettsbefassung im Regelfall mehrere Wochen in Anspruch nimmt. „Durch die Eingliederung in Gremien, die im Konsens entscheiden, verselbstständigen sich die Bundesbehörden gegenüber dem hierarchischen Zusammenhang, in den sie gegenüber der Bundesregierung eingebunden sind. Sie müssen bei der Willensbildung in einer Verhandlungssituation auch horizontale Einflussnahmen berücksichtigen, nicht nur legitimationsstiftende vertikale Kontrolle der Bundesregierung. Diese Verselbstständigung bedarf aber aus der Perspektive einer angemessenen demokratischen Legitimation der Kompensation. Die Verdünnung personaler Legitimation in einem Gremium, in dem nichtdeutsche Vertreter eine deutsche Verwaltungspraxis mitdefinieren, erfordert eine intensivere sachgesetzliche Ausgestaltung.“624 haben die berühmten 5000 Seiten vor sich, wissen damit wenig anzufangen und sehen erst später, was sie da genehmigt haben“. 620 Ähnlich Simma in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 63. 621  Formulierungen angelegt an Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, 375. 622  Das Kabinett als allgemeinzuständiges „Organ“, Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, 375. 623  Classen, VVDStRL 2008, 365–412, 376 meint, die Eigenverantwortlichkeit der Ministerien nach Art. 65 Satz 2 GG sei in Frage zu stellen. Deutschland sei im internationalen Vergleich im Punkt der regierungsinternen Koordination der auswärtigen (einschließlich der europäischen) Beziehungen besonders schlecht aufgestellt. 624  Möllers, C., ZaöRV 2005, 351–389, 375. Dazu schreiben Buzogány/Kropp aber: „Eine Vielzahl von politischen Entscheidungen ist von einer beträchtlichen Unsicherheit über Folgewirkungen geprägt, da Wirkungsketten lang sind und kausale Zusammenhänge nicht zuverlässig nachvollzogen werden können. […]: Häufig generieren Problemlösungen erst neue Probleme; komplexe Probleme verweigern sich sektoraler Policy-Zuordnung, die jedoch die



C.  Innerstaatliche Möglichkeiten zum aktiven Umgang mit späterer Übung

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Das Ziel sollte es sein, über diesen Weg eine Repolitisierung der deutschen Position in umweltvölkerrechtlichen Fragen zu erreichen.625 Dazu wäre eine Verbands- und Betroffenenbeteiligung auf nationaler Ebene, beispielsweise um die deutsche Position in einem Compliance-Verfahren gemeinsam zu erarbeiten, wünschenswert. So ein Vorgehen findet sich im Zusammenhang mit der Verordnungsgebung unter anderem in § 7 iVm § 51 BImSchG.

b)  Verhalten während der Verhandlungen der Vertragsstaatenkonferenz In drei Punkten kann die Bundesregierung ihr Mitwirkungsverhalten innerhalb der Vertragswerke dafür nutzen, – den Ablauf der Compliance-Verfahren an ihre hohe Bedeutung für die Weiterentwicklung des Vertragsrechts anzupassen, – die deutsche Position, speziell die Grenzen der „Integration“ innerhalb einzelner Rechtssektoren für Deutschland, zu verdeutlichen und – die Haltung der nationalen Legislative auf dem internationalen Parkett zu Gehör zu bringen.

aa)  Verfahrenskodifikation Die Bundesregierung könnte bei – vor allem zukünftigen – Vertragsschlüssen darauf hinwirken, dass – in den Verträgen eine aussagekräftige Ermächtigungsgrundlage626 für die Errichtung eines Nichteinhalteverfahrens aufgenommen wird, die deutlicher zu erkennen gibt, wie die Entscheidungsstruktur aussehen wird, – die Klauseln, die die Abstimmung für die Vertragsstaatenkonferenz regeln, durch den Hinweis ergänzt werden, dass die daneben „anwendbare“ Konsensentscheidung keine Abstimmung beinhaltet und damit keine Zustimmung meint, – die Vertragsstaaten ihre Interpretationshoheit nicht vollständig an eine überstaatliche Instanz abgeben, indem ein klares Bekenntnis zum Subsidiaritätsgrundsatz und die Benennung der Umsetzungsspielräume auf nationalstaatOrganisation von Parlamenten und Regierungsapparaten prägen; sie sind damit nur mit Mühe innerhalb der institutionalisierten Entscheidungsstrukturen und häufig nur über ‚negative Koordination‘ lösbar.“ Buzogány/Kropp, ZPB 2013, 3–14, 5. Zur Erklärung führen sie an, dass bei einer positiven Koordination alle Politikbereiche alle Vorschläge zeitgleich behandeln, während bei der negativen Koordination einzelne Entscheidungsvarianten bilateral mit einzelnen Politikbereichen besprochen werden. 625  In Bezug auf das WTO-Recht: „das WTO-Recht politisch steuern.“ v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 274: die Beziehungen zwischen dem politischen und dem rechtsprechenden Prozess müssen neu definiert werden. 626  Das erinnert an die zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG geforderte „Regelungsdichte“ einer Ermächtigungsnorm, vgl. Remmert in: Maunz u. a., GG, Stand: Dezember 2013, Art. 80 Rn. 68.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

licher Seite dem Rahmenvertrag vorangestellt werden. Ein solches Verfahren ist bereits bei der EMRK vollzogen worden.627 Im Lissabon-Urteil führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Zur Wahrung demokratischer Grundsätze kann es geboten sein, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in den Verträgen und bei ihrer Anwendung und Auslegung deutlich hervorzuheben, um das Gleichgewicht der politischen Kräfte Europas zwischen den Mitgliedstaaten und der Unionsebene als Voraussetzung der Verteilung von Hoheitsrechten im Verbund zu erhalten.“628

Für die bereits bestehenden Verträge ist eine Vertragsänderung in diesem Bereich aus faktischen Gründen nahezu ausgeschlossen. Dass die Vertragsstaaten der Espoo Konvention den Rahmenvertrag nachträglich um eine Ermächtigungsgrundlage für die Errichtung eines Compliance-Verfahrens ergänzt haben, stellt eine Ausnahme dar.629 Die Anforderungen an die Bundesregierung sensibilisieren aber die Delegationsvertreter für die Bedeutung, die das Umweltvölkerrecht für die Freiheit des Einzelnen hat. Sie könnten so den „permissive consensus“ in aktive Arbeit mit dem Umweltvölkerrecht wandeln.630

bb)  Die ganzheitliche Position Das Konsensverfahren ermöglicht – wie jedes andere völkerrechtliche Abstimmungsverfahren – eine anschließende, erklärende Stellungnahme der einzelnen Vertragsstaaten. Im Rahmen eines Konsensbeschlusses ähnelt diese „explanation of position“631 oder Protokollerklärung zwar nicht einem formalen Protest, kann aber bestehende innerstaatliche Positionen, die Motive und das Vorverständnis für die anderen Vertragsstaaten hervorheben.632 Letztlich kann eine solche Erklärung die für Deutschland bestehenden Grenzen der Integration für die anderen Vertragsstaaten verdeutlichen.

cc) Grenzen Der Korridor möglicher Umsetzungsvarianten ist durch die im ComplianceProzess gebildete spätere Übung stark verengt. Wesentliche Veränderungen des 627  Vgl. das 15. Zusatzprotokoll vom Juni 2013 mit dem die Präambel der EMRK insoweit geändert wurde, dass nun in der Präambel schon auf den Subsidiaritätsgrundsatz und den sog. margin of appreciation hingewiesen wird. Bei Schorkopf, Rezeptionsdogmatik, in: ders./ Starck (Hrsg.), Rechtsvergleichung – Sprache – Rechtsdogmatik, 2019, S. 175–187, S. 185. 628  BVerfGE 123, 267, 365 (Lissabon). 629  Vgl. dazu oben Kapitel 1 B. I. 630  „[D]er Mangel an Wissen über die WTO [schwächt] die legitimierende Kraft der nationalen Ratifikation.“ v. Bogdandy, KJ 2001, 264–281, 270. 631  Sabel, Procedure at International Conferences, 2006, S.  139 und oben Kapitel 3 B. II. 2. b) dd). 632 Bei Schorkopf, ZAR 2019, 90–96, 95, der dazu u. a. auf viele in den Drucksachen des Bundestags festgehaltenen Beispiele verweist.



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Vertrags im Wege der Auslegung sind – sofern kein formelles Vertragsänderungsverfahren eingeleitet wurde – für die Bundesrepublik nicht verbindlich. Gleichzeitig sind solch umfassenden Rechtsänderungen von einer einzelnen Compliance-Entscheidung nicht zu erwarten.633 Es bliebe lediglich darauf hinzuwirken, innerstaatlich Grenzen zu formulieren, die sich auf ein „ausbalancierte[s] Teilsystem[…] des innerstaatlichen Rechts“634 beziehen.635 Sollte eine Vertragsänderung durch spätere Übung im Raum stehen, sollte die Bundesregierung – entgegen dem aktuellen internationalen Trend – die Einleitung eines formellen Vertragsänderungsverfahrens fordern. Die bisher bestehende Regelung in § 72 Abs. 1 GGO sollte insoweit geändert werden. „[T]here is a temptation to view reliance on subsequent practice as a progressive move […]. The flipside of the same coin is to consider reliance on formal agreements as adopting a conservative stance […]. [I]t is more fitting for the opposite assumption to be made: to view reliance on formal agreements – however unfashionable – as progressive, and reliance on subsequent practice – currently in vogue – as conservative.“636

c)  Verhalten nach der Beschlussfassung auf der Vertragsstaatenkonferenz Nach der (konsensualen) Beschlussfassung innerhalb der Vertragsstaatenkonferenz kann die Bundesregierung dem durch die spätere Übung ergänzten und konkretisierten völkerrechtlichen Vertrag durch Publizität zu einer deutlichen Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten verhelfen.637 Adressaten müssen von den rechtlichen Regelungen Kenntnis nehmen können: Was wird von ihnen erwartet? Nur dann kann „die intendierte Ausrichtung des Verhaltens an dieser Regelung erfolgen und Willkür verhindert werden.“638 Derzeit wird die Verkündung von Gesetzen durch die Schriftleitung des Bundesgesetzblattes übernommen, die vom Bundesamt für Justiz ausgeführt wird. Der Bundesanzeiger druckt und vertreibt das Bundesgesetzblatt, mittlerweile auch online.639 Für das hiesige Thema ist in erster Linie der Teil II des Bundesgesetzblattes relevant, in dem die die Bundesrepublik bindenden völkerrecht633  Ausführlich

zur Begründung dieser Thesen in Kapitel 2 D IV.

634  BVerfGE 111, 307, 2. LS (Görgülü). 635  Nicht hilfreich sind dabei Anträge wie

BT-Drs. 19/4522 von Bündnis 90/Die Grünen, die Umweltvölkervertragsrecht über Art. 20a GG eine vergleichbare Wirkung zu Art. 25 GG verleihen wollten. 636  Kohen, Right Limits, in: Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, 2013, S. 34– 45, S. 34. 637  „Ohne [Publizität] kann nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in der kontinentaleuropäischen Rechtstradition das Gesetz keine allgemeine Geltung beanspruchen.“ Wallrabenstein, in: Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 7. Aufl. 2021, Art. 82 Rn. 33. 638  Knauff, Soft Law, 2010, S. 430. 639  Daneben gibt es nichtrechtsverbindliche Veröffentlichungen im Netz, etwa unter www. Gesetze-im-Internet.de. Ab 2022 soll das Bundesgesetzblatt nur noch online in Form eines Bürgerportals geführt werden. Wieduwilt, Barley nimmt Dumont-Verlag das Gesetzblatt weg,

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

lichen Verträge und Übereinkünfte und die damit im Zusammenhang stehenden (umsetzenden) Regelungen und Bekanntmachungen veröffentlicht werden. Darüber hinaus werden völkerrechtliche Vereinbarungen vom Bundesjustizministerium einmal jährlich in den Fundstellennachweisen B veröffentlicht. Die Veröffentlichung von völkerrechtlichen Verträgen (vor allem der Verwaltungsabkommen nach Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG), von dem Sekundärrecht internationaler Organisationen oder von späterer Übung innerhalb von Vertragswerken ist nicht nur wegen der kaum zu überschätzenden Bedeutung der Publikation für einen Rechtsstaat entscheidend. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass es für Völkervertragsrecht kein Normverifikationsverfahren gibt.640 Tatsächlich wird vieles bis heute nicht veröffentlicht und ist damit für den wissenschaftlichen, kontrollierenden oder gar mitgestaltenden Zugang anderer als der wenigen beteiligten Akteure verschlossen. Das hat der Konflikt um den Bau der Waldschlösschenbrücke in Dresden mit den Vorgaben der UNESCO sehr deutlich gezeigt.641 Selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestags meint, die für Deutschland verbindlichen Verwaltungsabkommen seien in „ihre[r] Anzahl nicht leicht zu ermitteln“642. Die Forderung nach einer Reform der Publikationstätigkeit im Bundesanzeiger ist nicht fernliegend. Die nachfolgenden Beispiele zeigen sogar, dass in einer Veröffentlichung darüber hinaus ein Zueigenmachen liegen kann. In beiden Beispielen wird die Publikation mit einer niedrigschwelligen Prüfung verbunden: – So wird beispielsweise der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) vom Bundesjustizministerium im Bundesanzeiger publiziert. Die rein private „Kodex-Kommission“ setzt sich aus herausragenden Persönlichkeiten der Wissenschaft und Wirtschaft zusammen. Der DCGK normiert standardisierte Verhaltensregeln für börsennotierte Aktiengesellschaften und kann damit letzten Endes haftungsrechtliche Auswirkungen haben.643 § 161 AktG macht den Kodex in Form einer sogenannten „comply-or-explain“-Regel644 verpflichtend. Das bedeutet, dass ein Abweichen von „Soll-Vorschriften“ möglich ist, aber rational begründet werden muss.645 Das Bundesjustizminisunter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/digitec/justizministerin-barley-nimmt-dumontverlag-das-gesetzblatt-weg-15957231.html (zuletzt abgerufen am 25. April 2023). 640  Art. 100 Abs. 2 GG ist auf das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht beschränkt. 641  S. o. Kapitel 2 D. III. 2. 642  WD – 3 – 3000 – 015/20, S. 4 und beziehen sich dabei ausdrücklich auf den Fundstellennachweis B. 643  Kort, Standardisierung durch Corporate Governance-Regeln, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 137–175, S. 144. 644  Kort, Standardisierung durch Corporate Governance-Regeln, in: Möllers, T. (Hrsg.), Standardisierung durch Markt und Recht, 2008, S. 137–175, S. 143. 645  Die Regeln würde auf eine „rechtliche Ebene“ gehoben, selbst wenn ihnen keine Ge-



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terium unterzieht die Regelungen vor Veröffentlichung einer Prüfung, ob geltende gesetzliche Regelungen eingehalten wurden.646 – Die Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 19. Juli 2002 sieht in ihrem Art. 3 Abs. 2 verschiedene (niedrigschwellige) Standards vor, wann Standards des IFRS647 in das Verordnungsrecht einbezogen werden können. Voraussetzung ist, dass die Standards „den Kriterien der Verständlichkeit, Erheblichkeit, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit genügen, die Finanzinformationen erfüllen müssen, um wirtschaftliche Entscheidungen und die Bewertung der Leistung einer Unternehmensleitung zu ermöglichen.“

Übertragen auf die umweltvölkerrechtliche spätere Übung lautet die Forderung, die Entscheidungen in der lediglich alle zwei bis vier Jahre stattfindenden Vertragsstaatenkonferenz648 als Fundstellennachweis zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung sollte bestmöglich mit einer eigenen, niederschwelligen Qualitätsprüfung einhergehen.649 Möglicherweise ließe sich außerdem über eine Art „legislativen Fußabdruck“650 nachdenken, um zu zeigen, wie umfangreich der Einbezug parlamentarischer Entscheidungsträger in den Beschluss war. Das ist vor allem zur Bewusstseinssteigerung wichtig, wenn es zu kompletten gesetzlichen Neuregelungen aufgrund von Vertragsstaatenkonferenzentscheidungen kommen muss, wie die Neuregelung zum Umgang mit Abfällen der Binnenschifffahrt651 zeigt. Die bloße Publikation führt dabei nicht zu einer rechtlichen Aufwertung der Entscheidungen von Vertragsstaatenkonferenzen. „Es bleibt vielmehr bei indiziellen Hinweisen für die Behörde bzw. einer Aussetzesqualität zukomme, Goette, in: Goette/Habersack/Kalss, MüKoAktG, 4. Aufl. 2018, § 161 Rn. 26. 646  Kritisiert von Goette: „Dass das Bundesjustizministerium später die aktuelle Fassung des DCGK einer Rechtskontrolle zu unterziehen hat, gleicht dieses Defizit nicht aus, weil der DCGK in Gestalt der Empfehlungen, die angesichts der hochkarätig besetzten Regierungskommission schwerlich zwingendem Aktienrecht widersprechen werden, die Grundsätze ‚guter Unternehmensführung‘ formuliert, die den Verfassern dieses Regelwerks als opportun erscheinen, in deren Entschließung aber das Ministerium nicht eingreifen darf, soweit nicht Rechtsverstöße vorliegen.“ Goette, in: Goette/Habersack/Kalss, MüKo AktG, 4. Aufl. 2018, § 161 Rn. 30. 647  Dazu ausführlicher in Kapitel 2 D. III. 2. 648  S. dazu Kapitel 1 A. IV. 1. 649 Schließlich können manche Entscheidungen auf fehlerhaften Annahmen fußen und könnten so auf nationaler Ebene korrigiert werden – Vgl. bereits oben Challender/Harrop/ MacMillan, GEC 2015, 129–148, 132. 650  Transparency International/VCI, Gemeinsames Eckpunktepapier „Interessenvertretungsgesetz“, 2018, S. 4. Interessant ist, dass ein ähnlicher Gedanke bei Nolte zu finden ist, der vorgeschlägt, zu prüfen, wieviel juristischer Sachverstand in eine interpretierende Entscheidung eingeflossen ist, Nolte, Fourth Report on Subsequent Agreements and Subsequent Practice in Relation to Treaty Interpretation, 07. März 2017, A/CN.4/694., S. 33. 651  Gesetzgebungsverfahren in BT-Drs.: 19/21733.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

legungsofferte für die Gerichte“652 sowie für andere Beobachter und Mitgestalter des Umweltrechts.

3.  Zwischenfazit zu den Aufgaben der Verfassungsorgane Die Möglichkeiten der einzelnen Verfassungsorgane, insbesondere der Exekutive und der Legislative, hängen maßgeblich von einer Kernforderung ab. Diese Kernforderung betrifft die Informationspolitik im Umweltvölkervertragsrecht. Bisher wird hauptsächlich das federführende Ministerium653 und manchmal zusätzlich das Auswärtige Amt an der Vertragsarbeit beteiligt. Alle anderen Beteiligten – seien es die anderen Ministerien oder die gesetzgebenden Körperschaften – sehen sich häufig mit vollendeten Tatsachen konfrontiert. Die Forderung lautet angesichts der umfang- und detailreichen völkerrechtlichen Vorgaben im Umweltrecht, dass ein frühzeitiges Inkenntnissetzen vor allem der Legislative erfolgt, idealerweise über formalisierte Wege. Insbesondere müssen das Parlament und seine Ausschüsse – wie oben dargelegt – wesentlich umfassender und zielgerichteter durch relevante Informationen in ihrer Arbeit unterstützt werden. Nur so können alle Fraktionen an der Mitverantwortung der Umweltpolitik teilhaben. Diese Informationen müssen ein zugängliches Format haben. Wünschenswert wäre eine Kombination mit einer Softwarelösung, vergleichbar mit EuDoX. Neben der notwendigen Software ist eine (noch) verbesserte Aufstellung der Bundestagsverwaltung im auswärtigen Bereich notwendig. Erst wenn diese Informationsgrundlage für alle Akteure vorhanden ist, können die gesetzgebenden Körperschaften mit dem federführenden Ressort oder die Ressorts untereinander eine „explanation of vote“ der Bundesregierung vorbereiten und diese in die Vertragsarbeit einbringen. Dadurch kann die hinter einem Konsens „versteckte“ Meinungsvielfalt sichtbar gemacht werden. Dass die Verträge den gebotenen Publikationsanforderungen nicht nachkommen, könnte durch eine nationale Publikationslösung kompensiert werden.

IV. Fazit Die Verfassungsorgane sehen sich einer schwierigen Lage gegenüber: Die Verträge im Umweltvölkerrecht sind teils nur vage formuliert. Die darin enthaltenen Ermächtigungsgrundlagen haben ebenfalls häufig nur wenig Aussagekraft oder fehlen teilweise sogar gänzlich. Die Schwachstellen werden durch „Ablauf“ der Regelungskaskade nicht behoben, sondern perpetuiert. Der Verordnungsermächtigung im Zustimmungsgesetz mangelt es daher ebenfalls oft an Bestimmtheit. Hinzu tritt, dass die Vertragsregime außerhalb formalisierter 652  653 

Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 205. Zumeist ist ein Referat aus einem Ministerium, nur in seltenen Fällen der Abteilungsleiter, beteiligt.



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Wege Völkervertragsrecht weiterentwickeln, ohne dass auf ausgewogene Weise Interessenvertreter daran beteiligt werden. Denn das Compliance-System dient neben der Umsetzungsunterstützung für nichterfüllende Staaten auch der Vertragsergänzung.654 Das Compliance-System kämpft dagegen, dass normative Lücken ein Vertragsregime obsolet werden lassen können.655 In der nationalen Sphäre kann dieses Zusammenwirken der völkerrechtlichen mit der nationalen Ebene zu politischen Abwehrreaktionen führen. Solche Abwehrreaktionen spiegeln sich zum Beispiel in starken Forderungen wider, das Völkerrecht solle nicht auf „Schleichwegen“656 in das deutsche Recht gelangen. Ohnehin wäre eine intensive Beteiligung des Parlaments an den inneren Verfahrensabläufen nicht empfehlenswert. Der simple und flexible Ablauf der Compliance-Mechanismen würde konterkariert.657 „Im wesentlichen […] bleibt den parlamentarischen Körperschaften, insbesondere dem Bundestag, sich verstärkt auf ihre Kontroll- und Artikulationsfunktion zu besinnen.“658 Im vorstehenden Abschnitt ist als Hauptproblem identifiziert worden, dass den beteiligten Akteuren das Bewusstsein fehlt, ein gestaltender und kein allein hinnehmender Akteur im Umweltvölkerrecht zu sein. Sie sind sich ihrer Völkerrechtsrelevanz in Umweltsachen nicht bewusst. In anderem Zusammenhang ist von einer „‚Rechtsgläubigkeit‘“ und einer „Selbstbindung bis Selbstfesselung“ die Rede.659 Sogar die Geschichte von Gulliver dem Riesen, der sich von den Zwergen fesseln lässt, ist bereits als Analogie für das Verhalten des Deutschen Bundestags herangezogen worden.660 „Alle diese Gestaltungsformen setzen [daher] voraus, daß der Bundestag und seine Ausschüsse […] gewillt sind, derartige Befugnisse wahrzunehmen“661. Daneben gibt es wohl zu einer „gesteigerten Verrechtlichung der Informationsflüsse und Befassungsrechte keine Alternative. Es besteht die Aussicht, daß verbesserte Strukturen eine erhöhte Aufmerksamkeit nach sich ziehen.“662 654 

„[F]ixing the inadequacies of the original agreement“, Pan, HILJ 1997, 503–535, 504. untersucht von Young, World Politics 1980, 331–356, 351 f.; zit. bei Pan, HILJ 1997, 503–535, 504. Sie zeigen durch diese Anpassungsfähigkeit eine große Beständigkeit. 656  Simma in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 63. 657  „[S]imple, flexible“ sind bspw. Schlagworte aus dem Basel Handbuch zur Geschäftsordnung, UNEP/BRS/SBC/SRC/2019/1, S. 7. 658 Schon Tomuschat, VVDStRL 1978, 7–64, 34 f. 659  Kretschmer, Ministerialrat a. D. Deutscher Bundestag, in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 58. 660  In anderem Zusammenhang Oppermanns Beitrag in der Aussprache zu den Referaten von Kokott und Vesting, VVDStRL 2004, 71–100, 74. 661  Das Zitat geht weiter: „… woran es zuweilen fehlt.“ Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 55. 662  Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der par655  Politikwissenschaftlich

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

D.  Schlussfolgerung: Mut zur Ehrlichkeit Die bedeutendsten Defizite des Compliance-Verfahrens im Bezug auf ihre Bedeutung für die Weiterentwicklung des Vertragsrechts lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Der Rahmenvertragsschluss – Die rechtlichen Verpflichtungen des Rahmenvertrags bleiben zumeist ungenau. Die Rahmenverträge sollen die Auslegung der Vertragsorgane jedoch leiten. An ihnen sollen sich die Compliance Committees orientieren. Die vagen Formulierungen bieten den Gremienmitgliedern hingegen oft große Interpretationsspielräume, die sie insbesondere im Wege der teleologischen Auslegung füllen können. – Häufig ist keine klare Ermächtigungsgrundlage für das Compliance-System vorhanden. Vor allen Dingen werden keine Verfahrensregeln oder Ähnliches für die Compliance-Verfahren auf formellem Wege festgelegt. – Die Rahmenverträge ermöglichen im Gegenteil die weitgehend freie Ausgestaltung durch die Vertragsstaatenkonferenz. Der Rahmenvertrag legt den Grundstein für die nachfolgende Verselbstständigung des Regimes, ohne dass es einen eigenständigen Rechtskörper gibt. – Schließlich wird dadurch das (souveränitätsschonende) völkerrechtliche Prinzip aufgeweicht, dass Bindung nur durch Zustimmung erfolgen darf. – Der in diesen Punkten mangelhafte Rahmenvertrag stellt allerdings den einzigen „klassischen“ legitimatorischen Anknüpfungspunkt für die nationale Parlamentsbeteiligung dar. Für diesen Zweck muss er über ein absehbares Integrationsprogramm verfügen. 2. Das Nichteinhalteverfahren Das auf der Grundlage des Rahmenvertrags errichtete Nichteinhaltungsverfahren ist ebenfalls, unter Berücksichtigung von rule-of-law-Anforderungen, schlecht gerüstet: – Die Vertragsstaatenkonferenz kontrolliert das Compliance-Komitee nur unzureichend. Eine politische Verantwortungsübernahme erfolgt nicht. Das liegt unter anderem darin begründet, dass das Verfahren vor dem Komitee selbst eher intransparent und damit nur schwer zu überprüfen ist. lamentarischen Legitimation, S. 41–65, S. 55. A. A. Winkelmann, VLR Auswärtiges Amt, in: Diskussionsbeiträge zu: Kadelbach, Die parlamentarische Kontrolle, in: Geiger (Hrsg.), Probleme der parlamentarischen Legitimation, 2003, S. 41–65, S. 61, der meint, es bestehe ein sehr ausgeprägter Dialogmechanismus zwischen Auswärtigem Amt und Bundesregierung und den Ausschüssen des deutschen Bundestags. Diese Informationsflüsse müssten nicht unbedingt verrechtlicht werden. Dem ist anzufügen, dass er als Ministeriumsmitglied damit „pro domo“ spricht.



D.  Schlussfolgerung: Mut zur Ehrlichkeit

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– Überdies entscheidet die Konferenz nicht durch eine Abstimmung, sondern im Konsens. Die Kontrolle durch die politischen Organe – internationale wie nationale – wird durch die erheblichen Schwächen des Konsensverfahrens verstärkt. Stichworte sind hier: – der informelle Aushandlungsprozess entlang einer geopolitischen Machtverteilung und nicht orientiert an der souveränen Gleichheit aller Staaten, – die (auch) inhaltlich bestimmende Rolle des Vorsitzenden, ohne dass dieser eine formelle Ermächtigung dazu hat, und – die mögliche (innere) Opposition innerhalb der Vertragsstaatenkonferenz trotz äußerlich einheitlicher Beschlussfassung. – Compliance-Verfahren haben einen großen Einfluss. Alleine die Veröffentlichung ihrer Berichte hat schon eine sanktionierende Wirkung. Ihre Entscheidungen sind dazu geeignet, das Vertragswerk weiter auszugestalten. Trotz dieses großen Einflusses fehlt es an einem „gesichtswahrenden“ Verteidigungsmechanismus gegen eine Compliance-Entscheidung im Sinne einer weiteren Kontrollinstanz. – Die Spruchpraxis des Compliance Committee ist – gerade durch selbstreferenzielles Vorgehen – in der Lage, stufenweise den Inhalt der vertraglichen Verpflichtungen zu verändern. 3. Das Komitee und seine Arbeit – Angesichts der Bedeutung, die speziell die langjährige Spruchpraxis eines Komitees für die Ausgestaltung der vertraglichen Pflichten haben kann, erscheint die in Hinsicht auf den thematisch-professionellen Hintergrund sehr homogene personelle Zusammensetzung der Gremien problematisch. – Im Rahmen der teleologischen Auslegung erlangt der stark auf einen thematischen Bereich fokussierte Ansatz erhebliche Auswirkungen. – Diese Tendenz verstärkt sich durch den nur selektiv gewährten (teils aber dafür erheblichen) Einfluss von NGOs und internationalen Organisationen, die ihren jeweils eigenen Blickwinkel in die Verfahren einbringen. 4. Die nationale Rezeption – Das Parlament ist nur zu einem frühen Zeitpunkt an der Völkerrechtssetzung beteiligt. Die maßgebliche Rechtsentwicklung vollzieht sich – auch wegen der Verselbstständigung internationaler Umweltregime – erst nach Vertragsschluss. – Die Gesetzgebungsmaterialien, die die Bundesregierung dem Parlament für die Beschlussfassung über den Rahmenvertrag zur Verfügung stellt, sind mangelhaft. Insbesondere die den Vertrag erläuternde Denkschrift lässt die bereits in den rechtlich vereinbarten Normen institutionell angelegte Dynamik der Verträge nicht erkennen.

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Kapitel 3: Reformvorschläge für die internationale und nationale Ebene

– Die personelle Legitimation ist im Nachgang zum Vertragsschluss lückenhaft: In einigen Compliance Committee ist kein deutscher Vertreter eingesetzt. Hier erfolgt aber inhaltlich die Entscheidung über die „richtige“ Vertragsauslegung. Die Billigung dieser Auslegung durch die Vertragsstaaten entspricht keiner politischen Verantwortungsübernahme. – Die Vertragsarbeit wird häufig nicht ressortübergreifend (beispielsweise vom Auswärtigen Amt) geleistet. Diese Aufgabe übernehmen die Fachministerien und ihr behördlicher Unterbau. – Problematisch erscheinen diese Vorgänge vor allem, weil die im Compliance-Verfahren gebildete, vertragskonkretisierende spätere Übung im deutschen Recht die Rechtswirkung des Rahmenvertrags teilt. – Das Parlament ist in der Umsetzung dieser späteren Übung – sei dies als Gesetz oder als „policy“ – in großem Umfang präjudiziert. Durch die nicht selten undurchschaubaren Vorgänge innerhalb des Vertragsregimes und der fehlenden politischen Bewertung der oft technischen umweltvölkerrechtlichen Materie kann das Parlament seiner Integrationsverantwortung kaum gerecht werden. Es fehlt dem Bundestag an dem Bewusstsein, auch im Umweltvölkerrecht eine Völkerrechtsfunktion zu besitzen. – Die legitimierende Wirkung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG läuft angesichts der komplexen Vertragsregime im Umweltvölkerrecht zunehmend leer. Lawmaking-treaties sind ein Element einer „internationalen Gesetzgebung“, die die Innenpolitik stellenweise determiniert.663 Die rechtliche Beurteilung des Compliance-Systems fällt je nach Betrachtungsweise unterschiedlich aus. Es existieren konkurrierende Anforderungen an das Nichteinhalteverfahren: Von völkerrechtlicher Seite lautet das Credo: je unabhängiger, desto effektiver; von verfassungsrechtlicher Seite lautet es: je kontrollierter, desto legitimierter. Daher sind in diesem Abschnitt Kompensationsmöglichkeiten vorgeschlagen worden, die auf der einen Seite das internationale Regime stärken und den Mechanismus nicht konterkarieren und auf der nationalen Seite zu einer Bewusstseinsschärfung bezüglich der Funktionsweisen des internationalen Regimes führen sollen. Dafür kann auf die wissenschaftliche Vorarbeit aus anderen Gebieten zurückgegriffen werden. Die Ausarbeitung kann bestätigen, dass der eigentliche Rezeptionsprozess nur unzureichend in der Lage ist, die bestehenden Defizite aufzufangen. Bessere und effektivere Anknüpfungspunkte finden sich in im Normsetzungsprozess. Das Stichwort lautet „administrative Kreation“664. Übertragen auf das Compliance-Verfahren bedeutetet das, es gibt Stellschrauben im völkerrechtlichen Prozess (zum Beispiel Verfahrenstransparenz, verbesserte Gremiumszusammenstellung und Verfahrensvorgaben oder Berufungsmöglichkeit) und 663 MwN 664 

Aston, Sekundärgesetzgebung, 2005, S. 37 ff. Schmidt-Preuß, VVDStRL 1997, 160–227, 173.



D.  Schlussfolgerung: Mut zur Ehrlichkeit

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es gibt Stellschrauben in der nationalstaatlichen „Rahmengebung“ (zum Beispiel verbesserte Informationspolitik, vorgelagerte Ressortabstimmungen und Einbindung des Parlaments, explanation-of-vote-Verpflichtung, nachträgliche Publikation), um eine größere Kontrollierbarkeit des Nichteinhalteverfahrens zu erreichen. Die Bewusstseinsschärfung ist wichtig, um langfristig eine Akzeptanz des sektoralisierten Umweltvölkerrechts zu erreichen. Wahl beschreibt, wie die „Konstitutionalisierung und die Europäisierung“ zu den „Grunderlebnissen des deutschen Juristen, auch zu seiner Sozialisation“665 gehörten. Das Gesetzesrecht ist in zweifacher Hinsicht von diesen übergeordneten Zusammenhängen geprägt. Die vielfach prophezeite Fragmentierung des Völkerrechts666 führt dazu, dass nun einzelne Rechtsbereiche mit unterschiedlicher Intensität der völkerrechtlichen Einbindung voranschreiten. Genau wie in den beiden genannten Bereichen des Verfassungsvorrangs und des (Anwendungs- und Geltungs-)Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ist gleichermaßen in diesem Bereich ein langwieriger Prozess „mit spezifischen Anpassungsproblemen und mit beträchtlichem innerem Widerstand aus dem nachrangigen Bereich des Gesetzesrechts“667 zu erwarten. Wahl identifiziert (unter anderem) einen Prozess des „Verbreiten, Angewöhnen und Mittragen dieser Geltung“668, der sich „langsam, in Schritten“669 vollziehe. Diese Untersuchung fügt dem an, dass die Akzeptanz der Entwicklung vor allem durch einen ehrlichen, selbstbewussten und aktiven Umgang mit umweltvölkerrechtlichem Einfluss auf die Rechtsordnung gefördert werden kann. Gerade mit Blick auf die existenzbewahrende Funktion des Umweltvölkerrechts muss vor allem der Deutsche Bundestag in die Lage versetzt werden (oder besser: sich in die Lage versetzen) auch im europäischen und internationalen Zeitalter Umweltpolitik mitzugestalten. Dazu zählt, die Eigenheiten der deutschen Rechtsordnung herauszustreichen – und das nicht als Verhinderung effektiver internationaler Regulierung im Umweltrecht, sondern um diese Rechtsordnung als „‚Ideenspender‘“670 im Wettbewerb neu zu etablieren. Schließlich hat das deutsche Recht in der Vergangenheit unter anderem mit den Begriffen der Nachhaltigkeit oder der Vorsorge das Umwelt(völker)recht bereichern können.

665  Wahl, Herausforderungen und Antworten, 2006, S. 98. 666  Anstatt Vieler Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen,

2006, S. 7. Wahl, Herausforderungen und Antworten, 2006, S. 98. 668  Wahl, Herausforderungen und Antworten, 2006, S. 99. 669  Wahl, Herausforderungen und Antworten, 2006, S. 99. 670  Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz, 2010, S. 100. 667 

Zusammenfassung in Thesen Moderne umweltvölkerrechtliche Vertragswerke verfügen mit ComplianceVerfahren über vertragsinterne gerichtsähnliche Verfahren. Das Compliance Committee ist das zentrale Rechtsorgan des Vertragswerks. Der abschließende Non-Compliance-Beschluss behandelt zum einen die Frage der Nichteinhaltung des Vertrags durch einen Vertragsstaat. Zum anderen werden die Normen des Vertragswerks durch den Beschluss konkretisiert und fortentwickelt. Dieser vertragsauslegende Bestandteil einer Compliance-Entscheidung, so wie sie von der Vertragsstaatenkonferenz angenommen wird, stellt eine spätere Übung gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV dar. Die Vertragsstaaten vereinbaren damit eine gemeinsame Vertragsauslegung. Die Rechtsfolge der späteren Übung ist in Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV mit „zu berücksichtigen“ umschrieben. Ein eindeutiger Sinngehalt der Rechtsfolge lässt sich durch juristisch-methodische Auslegung und einer ergänzenden Bezugnahme unter anderem auf die institutionelle Einrichtung des Compliace-Verfahrens, die tatsächliche Bedeutung der späteren Übung für die Vertragspolitik und den Vertrauenssatz ermitteln. Den Beschlüssen kommt völkerrechtliche Verbindlichkeit zu. Es gilt, dass – die Gesamtheit der Vertragsstaaten von der Auslegung wohl nur durch erneuten klarstellenden Vertragsstaatenkonferenzbeschluss oder einer Vertragsänderung abrücken kann (actus contrarius), – der einzelne Vertragsstaat nur mit einer tiefgehenden rechtlichen Begründung abweichen (Begründungslast) kann oder – er bezüglich einer speziellen Auslegungsfrage in Verhandlungen als persistent objector auftreten muss, um sich von dem Beschluss zu lösen. Verfassungsrechtlich geht die Auslegung der Vertragsnormen über die Konstruktion des ursprünglichen Zustimmungsgesetzes als antizipierter Anwendungsbefehl in das deutsche Recht über. Der Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erweist sich insoweit als sehr flexibel. Verschiedene Mechanismen, die im deutschen (Verfassungs-)Recht „greifen“, führen dazu, dass speziell die im Compliance-Verfahren gebildete spätere Übung auch im deutschen Recht verbindlich wirkt. Drei Gründe tragen maßgeblich zu der innerstaatlichen Verbindlichkeit bei:

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Zusammenfassung in Thesen

1. Das Zustimmungsgesetz verweist (unter Anwendung der Vollzugstheorie) auf einen entwicklungsoffenen Tatbestand. Die spätere Übung kann den Vertrag verändern. Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes verlangt aufgrund ihrer Harmonisierungs- und Scharnierfunktion, dass das deutsche Recht dem Völkerrecht entspricht, sofern keine zwingenden rechtlichen Gründe entgegenstehen. 2. Angesichts des gerichtsähnlichen Charakters des Compliance-Verfahrens, das auch Sanktionsmöglichkeiten bereithält, führt die Konfliktvermeidungsfunktion der Völkerrechtsfreundlichkeit dazu, dass eine Anklage vor einem Compliance Committee zu vermeiden ist. 3. Die Annahme der Compliance-Entscheidung (mit Deutschlands Unterstützung) in der Vertragsstaatenkonferenz und die fortwährende Mitarbeit der Bundesrepublik in allen Vertragsgremien erzeugt ein Vertrauen bei den anderen Vertragspartnern, dass Deutschland sich auch an die Auslegung gebunden sieht. Möchte sich Deutschland einer Bindung punktuell entziehen, müsste es spätestens in der Vertragsstaatenkonferenz gegen die Auslegungsentscheidung Position beziehen, um dieses Vertrauen zu erschüttern. Entgegenstehende Rechtsgüter können allerdings erforderlich machen, dass Deutschland im Rahmen umweltvölkerrechtlicher Vertragswerke in Einzelpunkten als persistent objector auftritt und sich so von einer Bindung an spätere Übung befreit. Die Vertragsweiterentwicklung durch spätere Übung im Compliance-Verfahren verfehlt die von der Rechtsordnung vorgesehenen Brückenstücke, die der Legitimation der auswärtigen Gewalt dienen. Vier Punkte sind hier besonders relevant: 1. Das wesentliche Tatbestandsmerkmal der späteren Übung gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b) WÜV ist die Einigung der Vertragsstaaten. Die Vertragsauslegung wird aber im vorliegenden Fall nicht durch die Vertragsstaaten selbst vorgenommen, sondern ist durch die Entscheidung des Komitees vorausbestimmt. Das Compliance Committee gleicht einer vorgeschalteten zentralisierten Auslegungsstelle für das Vertragsrecht. Es findet keine echte Kontrolle durch die Vertragsstaaten statt. Die Annahmeentscheidung gleicht keiner echten Verantwortungsübernahme durch die Vertragsstaaten. Dass die Vertragsstaatenkonferenz im Konsens entscheidet, verdeckt zudem die bestehenden unterschiedlichen Auffassungen zur Vertragsauslegung. 2. Die Vertragsstaatenkonferenz und damit die einzelnen Staaten geben dem Compliance Committee nur in geringem Umfang einen Rahmen für die Auslegungstätigkeit vor. Weder werden die relevanten Verfahrensrechte von der Vertragsstaatenkonferenz gesetzt noch werden Leitlinien für die Auslegung staatlicherseits vorgegeben.



Zusammenfassung in Thesen

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3. Durch die Auslegung wird das Vertragsrecht fortentwickelt, ergänzt und konkretisiert. Es ist somit möglich, dass der Rahmenvertrag und das tatsächlich geltende Vertragsrecht nicht deckungsgleich sind. Obwohl formell dann immer noch der antizipierte Rechtsanwendungsbefehl greift, besteht keine Übereinstimmung mehr zwischen dem parlamentarischen Zustimmungsgesetz und dem Umfang der tatsächlichen Bindung an das Völkerrecht. 4. Die bisher entwickelten Grenzen wie die Identitätskontrolle und die ultravires-Grenze sowie der Verweis auf den jederzeit möglichen Austritt aus der internationalen Kooperation erweisen sich im Bereich des Umweltvölkerrechts als weitgehend theoretische Option, die daher faktisch keine „Korrektivfunktion“ besitzen. Wenn die Vertragsweiterentwicklung im Compliance-Verfahren auf den traditionellen Wegen kaum Legitimation erfährt, treten die Verfahrensschwächen auf völkerrechtlicher Seite als zusätzliches Minus hinzu. Denn sie werden von den klassischen Legitimationswegen nicht (mehr) „geheilt“, sondern belasten das neu gebildete Vertragsrecht fortwährend. Die Kritikpunkte beziehen sich auf die Fragen, mit denen die Untersuchung eingeleitet wurde und betreffen vor allem die Kontrollierbarkeit der Normsetzung und die Qualität des Auslegungsverfahrens. Die Vertragssysteme verselbstständigen sich ein stückweit und die Compliance-Verfahren sind ein Motor dieser Entwicklung. 1. Die Compliance Committee bilden hinsichtlich der professionellen Hintergründe der Mitglieder häufig eine homogene Gruppe. Da die Rechtsauslegung ein zum Teil „kreativer“ und zuweilen interessengeleiteter Prozess ist, kann eine solche Homogenität negative Auswirkung auf die Qualität der Auslegung haben. (Stichworte: effet-utile-Ansatz und Netzwerkdynamik). 2. Vertreter von Einzelinteressen haben privilegierten Zugang zu den Compliance-Verfahren und erhalten Einfluss auf die Vertragsauslegung. Diese als Form der Demokratisierung intendierte Privilegierung führt zu einer Ungleichbehandlung, die von den Vertragsnormen nicht vorgegeben ist, und verstärkt die Netzwerkeffekte noch, die schon durch die homogene Besetzung der Komitees hervorgerufen werden. 3. Angesichts des einseitigen Schwerpunktes auf Umweltschutzinteressen, den die Mitglieder der Compliance Committee und die zugelassenen NGOs vorgeben, kann bisher nur der betroffene Staat die anderen betroffenen Querschnittsthemen wie die wirtschaftliche Entwicklung, menschliche Wohlfahrt, Kultur oder soziale Aspekte in die Debatte einbringen. Die Kontrolle der Verfahren „von innen“ gelingt ihm aber kaum, da sich die Eingriffsund Verteidigungsrechte nicht die Waage halten. Das Compliance-Verfahren ist intendiert als kooperatives Unterstützungsverfahren. Daher legen die Rechtsgrundlagen der Verfahren auf diesen Ausgleich keinen Fokus.

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Zusammenfassung in Thesen

4. Umweltvölkerrechtliche Vertragswerke weisen zwar organisationsähnliche Züge auf, sind aber weiterhin lediglich Verträge und keine Organisationen (Stichwort: Autonomous Institutional Arrangements). Der institutionellen Struktur der Vertragswerke mangelt es daher an einem ausbalancierten Gleichgewicht zwischen den Einflussmöglichkeiten der einzelnen Organe und deren Interessen (Sekretariat, Vertragsstaatenkonferenz, Compliance Committee, Unterausschüsse usw.). Die spätere Übung im Compliance-Verfahren wird durch ein Zusammenwirken von Sekretariat, Committee und Vertragsstaatenkonferenz gebildet. Es fehlt an einer echten Kontrolle zwischen diesen drei beteiligten Vertragskörpern. Ziel der Untersuchung ist es, die Legitimation der im Compliance-Verfahren gebildeten späteren Übung abseits der formellen Wege zu erhöhen und die Verselbstständigungstendenzen wieder einzufangen. Denn nicht zuletzt kann die Vertragsauslegung auf völkerrechtlicher Ebene auch die Rechte und Pflichten des Einzelnen betreffen. Die Zielsetzung folgt darüber hinaus der Annahme, dass ein legitimiertes Regime effektiver wirken kann. Das ist notwendig, da bisher das Compliance-Verfahren das vielversprechendste Verfahren ist, mit dem Umweltvölkerrecht sinnvoll durchgesetzt werden kann. Verbesserungsvorschläge für die völkerrechtliche Seite sind: 1. Es sollte nach außen kenntlich gemacht werden, welche Einzelinteressen auf die Auslegung im Compliance-Verfahren Einfluss genommen haben. 2. Die Komiteebesetzung sollte mit Blick auf den professionellen Hintergrund das Ziel einer simulierten Ganzheitlichkeit verfolgen. Experten sind als Interessenvertreter einzustufen. 3. Es sollte eine größere Vielfalt an Einzelinteressen zugelassen werden. Akkreditierungskriterien für die Zulassung von NGOs und Verbänden sollten im Vorfeld aufgestellt und veröffentlicht werden. 4. Die wesentlichen Verfahrensrechte und insbesondere die Zulässigkeitsvoraussetzungen wie der Subsidiaritätsgrundsatz und die nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit (Berufungsverfahren) sollten von der Vertragsstaatenkonferenz festgelegt werden. Das Compliance-Verfahren sollte mit Annahme durch die Vertragsstaatenkonferenz endgültig abschließen. 5. Jedes Organ sollte auf ein kontrollierendes Gegengewicht innerhalb der Vertragswerke treffen, um die Verselbstständigungstendenzen zu kontrollieren. Das gilt nicht nur für das Compliance Committee, sondern auch für die Sekretariate, da sie Einflussbrücken für internationale Organisationen darstellen. 6. Die Vertragsstaatenkonferenz sollte im Gesamtgefüge des Vertrags nicht nur die Verfahrensherrschaft übernehmen (bspw. durch Rahmensetzung), sondern die Vertragsweiterentwicklung auf technischer Ebene in einen politischen Kontext verorten.



Zusammenfassung in Thesen

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Verbesserungsvorschläge für die nationalstaatliche Seite sind: 1. Ganz grundlegend sollten sich die gesetzgeberischen Körperschaften, allen voran der Deutsche Bundestag, ihrer Völkerrechtsfunktion bewusst werden. Das ist wichtig, um gerade das technische Umweltvölkerrecht für den nationalstaatlichen Diskurs durch politische Einordnung verwertbar zu machen. Dazu bedarf es einer Neuaufstellung vor allem auch der Bundestagsverwaltung, die entweder den Auswärtigen Ausschuss stärkt oder den Fachsekretariaten ein Referat für internationale Angelegenheiten zur Verfügung stellt. 2. Die Denkschriften der Bundesregierung sollten in Aufbau und Qualität ihrer Verantwortung gerecht werden, denn sie beeinflussen die parlamentarische Debatte über einen Vertragsschluss maßgeblich. Die Funktionsweise umweltvölkerrechtlicher Verträge als dynamische law-making-Vertragswerke sollte in ihrer Relevanz für das nationale Umweltrecht erläutert werden. Die Bedeutung der Einsetzung einer institutionellen Struktur innerhalb dieser Vertragswerke insbesondere der Compliance Committee als gerichtsähnliche Einheiten sollte von der Bundesregierung anhand der Normen veranschaulicht werden, die zur Errichtung des institutionellen Aufbaus ermächtigen. 3. In § 72 Abs. 2 GGO sollte eine Informationspflicht der Exekutive auch gegenüber dem Auswärtigen Ausschuss aufgenommen werden. Diese Information sollte sich neben formellen Vertragsänderungsverfahren auch auf die laufende Vertragsarbeit beziehen. Dabei sollte die Information gefiltert, aufbereitet und leicht zugänglich gemacht werden. 4. Das Bundesgesetzblatt sollte umfassender geführt oder durch zusätzliche informelle Publikationsinstrumente ergänzt werden. Für Deutschland verbindliche umweltvölkerrechtliche Vertragswerke müssen wie jedes andere Recht an rechtsstaatlichen Publizitätsanforderungen gemessen werden und mit ihrem aktuellen Entwicklungsstand veröffentlicht werden. Das gilt umso mehr, wenn die Rechte Einzelner betroffen sind. Setzen sich die relevanten Akteure auf nationalstaatlicher Ebene aktiv mit völkerrechtlichem Umweltschutz und damit auch mit den sogenannten Grenzen der Integration auseinander, kann die deutsche Rechtsordnung im Wettbewerb der Regulierungsoptionen (wieder) ein Ideenspender werden.

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Sachregister Aarhus Konvention 66–83, 126, 251, 254, 271 – Compliance-Entscheidung 77–79, 82, 129 – Compliance-Verfahren 70–77 – Denkschrift 305 f. – Ermächtigungsgrundlage 67 f. – institutioneller Aufbau 67, 69 f. – Kontrolle 81 f., 283 – Nachhalteprozess 77, 79–81, 278 – Sekretariat 70, 72 – Verfahrensrechte 39 f., 73–75, 82 aktives Vertragsmanagement siehe activetreaty-management 15, 95, 195, 296 Alpenkonvention 83–95, 118, 131, 179 f., 251, 265 f., 269 – CIPRA 84–88, 91, 262 – Compliance-Entscheidung 90–93, 129 – Compliance-Verfahren 89 f., 284 – Ermächtigungsgrundlage 85 f. – institutioneller Aufbau 86 f., 282 – Sekretariat 86 f., 91, 94 f. – Verfahrensrechte 88 Auslegung 44 f., 109, 138–141, 250 f. – autoritative Auslegung 45, 98, 145 f., 149–151, 203, 243 – Einfluss persönlicher Erfahrungen 250 f., 255–257 – Grenzen 45, 90, 145–151, 187 f., 206– 208, 326 f. – living-instrument-Gedanke 141, 145– 147, 192, 204, 304, 307 – Rechtsfortbildung 63, 140 f., 147, 158, 250 f., 310 – Selbstreferenzialität 43, 79, 98, 139 Auslegungsregel des Art. 31 WÜV 109– 112, 143 – Berücksichtigungspflicht 106, 142– 164

– institutional practice 136 f. – Rechtsbindungswille 123–138, 151 f. – spätere Übereinkunft und Übung 111, 114 f., 120–138 – teleologische Auslegung 117, 140 f., 147 f., 158, 304 – Verhandlungsgeschichte 109 f., 141, 158 Auslösemechanismus des ComplianceVerfahrens 35–39, 276 f. – Komiteeeinleitung 38 f., 71 – Öffentlichkeitseingabe 37, 68, 71 f., 88 – Sekretariatseingabe 38, 54, 56 f., 71 – Selbstanzeige 35–37, 57, 71, 88, 96 – Staateneingabe 37, 57, 71, 88 – unintentional submission 36 f. – Vertragsstaatenkonferenzeinleitung 71 Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union 224, 298, 321 Australien 52, 156 f. Außenverfassungsrecht 166 f., 207–211, 222–224 – auswärtige Gewalt 168–171, 208 f., 219, 223, 301 – Dualismus 166, 169, 180, 213 – Identitätskontrolle 193, 222 – Integrationsverantwortung 184 f., 187, 189, 193, 211, 215, 220–224, 315, 334 – Völkerrechtsdurchbrechung 186, 190 f., 194, 316 – Völkerrechtsfreundlichkeit 190–194, 200, 204 f. autonomous institutional arrangements 19, 220, 226 f., 280, 296, 307 Ballastwasser-Übereinkommen 306 f. Basler Übereinkommen 203, 272, 295, 331

372

Sachregister

– Besetzung des Komitees 33, 127, 251, 256 – Compliance-Verfahren 30, 38, 40–42, 46 – Denkschrift der Bundesregierung 305 – Ermächtigungsgrundlage 26 – Gesamtsekretariat 31 – Geschäftsordnung 38, 43, 126–129 – Öffentlichkeit der Verfahren 40 f., 259 – Sekretariatseinleitung 30, 38 – synergies process 31, 38 – UNEP 31 Berner Konvention 39, 101, 130 f. – Bucht von Laganas 134, 257, 274 f. – Bureau 29 – Entscheidungen 29, 129, 244, 257 – Europarat 31 – Nachhalteprozess 133 f. – Schiedsverfahren 280 – Standing Committee 28 – Walpolitik 101, 254 f. – Wolfspolitik 6, 29, 163, 264 f., 283, 292 f. Biodiversitätskonvention (CBD) 28, 31, 266, 269 – Geschäftsordnung 127 – Joint Liaison Group 31 Bucht von Laganas 134, 257, 274 f. Bundesgesetzblatt 172, 188, 327 f. Bundesverfassungsgericht 166 f., 190– 192, 196–198, 223, 316

– Entscheidung 27, 29, 43–47, 60–62, 77–79, 90–92, 119, 129–131 – Errichtung 26–28, 55, 87 – Spruchpraxis 44, 48, 60, 70–73, 79, 82 f., 98 f., 126, 200, 203 f., 254, 270 f., 304 Compliance-Verfahren 24–26, 95–102 – Ausgang des Verfahrens 29, 43–48, 62 f., 79–81, 93 f., 118 – enforcement-Ansatz 47 f., 177 – Ermächtigungsgrundlage 26–28, 52 f., 67 f., 85 f., 117 f., 149, 182 f., 325 – Fristen 40, 73 f., 76, 127, 243, 275, 277 – Geschäftsordnung 27, 43, 57 f., 60 f., 69, 73 f., 88, 126–129, 275–277 – Geschichte 15–18, 49 f., 97 f., 253 – Kontrollmechanismus 28, 48 f., 63 f., 81 f., 93 f., 260, 269, 273 – managerial-Ansatz 46, 177 – Nachhalteprozess 41–43, 47, 64, 77, 80, 89 f., 93, 97–100, 133 f., 137, 278– 280 – Sanktionen 52, 62 f., 81, 90, 97, 127, 132, 275 – Verfahrens- und Verteidigungsrechte 27, 39–42, 57 f., 73–75, 88, 274–280 – Ziel 16–18, 53, 95 f. – Zulässigkeit 41 f., 72–79, 91, 276–278 – zweite Instanz 29, 41, 49, 75, 82, 278– 280

Cartagena Protokoll 25 – Besetzung des Compliance Committee 33, 251, 259 – Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz 46, 282 – Ermächtigungsgrundlage 125 – Geschäftsordnung 126, 128, 134 – Nachhalteprozess 133 f. Club Arc Alpin (CAA) 88, 91 Codex Alimentarius 178, 242 f. Commission internationale pour la protection des Alpes (CIPRA) 84–88, 91, 262 Compliance Committee – Besetzung 32–35, 56, 70 f., 87, 116– 118, 251 f., 255–260

Delegation siehe Verordnungsermächtigung Demokratieprinzip 169–171, 188 f., 208– 211, 214–216, 222–225, 257–261, 271, 297 f., 318 Denkschrift der Bundesregierung 1, 302– 308 DIN-Normen 236, 259, 268 effet-utile-Gedanke 110, 137 f., 146 f., 228 f., 277 endorsement siehe Vertragsstaatenkonferenz Erfüllungskontrolle siehe ComplianceVerfahren Espoo Konvention 26, 38, 125, 195, 326



Sachregister

Europakammer des Bundesrats 223 f. Europäische Integration 167, 193, 219– 225, 321 Europäische Menschenrechtskonvention 106, 141, 143, 175, 318 f. – European consensus 141, 147 – Korridorlösung 200, 326 – Recht auf eine saubere Umwelt 181 – Rechtsanwendungsbefehl 183 – Zwischenranglösung 167, 195 f. Europäische Union 46, 68, 75, 77 f., 99, 207, 222–224, 272 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – große Kammer 279 – Rechtsprechung 147 Europarat 29, 31, 86 european consensus 141, 147 EUSALP 265–267 Experten 33 f., 70 f., 98, 117 f., 216, 237– 239, 249–255, 272–273 explanation of position 10, 207, 293–295, 326, 330 explanation of vote siehe explanation of position Fachbruderschaft 252–256 Forest Stewardship Council (FSC) 177, 242 f. framework convention approach 15, 19, 26, 187, 203–205 Genfer Luftreinhalteabkommen 33, 130, 265–267 – Compliance-Entscheidung 96, 131, 265, 275 – Denkschrift 305 – Geschäftsordnung 128 – Nachhalteprozess 134 – Zulassung von NGOs und Industrievertretern 267 Global Administrative Law 242–245 Handbuch der Rechtsförmlichkeit 301 f., 304 f. Individuum 23 f., 66, 103, 171, 175, 187, 326

373

institutional Practice 136 f. Integrationsverantwortung 184 f., 189, 211, 219–224, 232, 300–305, 309, 315 International Labour Organization (ILO) 16, 184 International Maritime Organization (IMO) 31, 306 – Ballastwasser-Übereinkommen 306 f. – ökologische Bezüge 156 – Standards 177 f. – Vertragsänderungsverfahren 294 internationale Beamte 30–32, 65, 226, 254 internationale Organisation 29, 31, 136, 225–229 Internationale Walfangkommission (IWC) 322 – ökologische Bezüge 156 f., 181 – Vertragsstaaten 142 – Whaling in the Antarctic 136 Internationaler Gerichtshof (IGH) 21 f., 108, 111, 136 f., 147, 156 f., 191 intertemporales Freiheitsrecht 197 Japan 156 f., 163, 293 Joint Liaison Group 31 Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts 196–198, 202 f., 233, 247, 316–318 Konfusion 34, 127, 258 f., 289 f. Konsens 43, 81, 137, 151 f., 160, 205, 286 – Mehrheitsentscheid 98, 135–137, 289–291, 294 f. – Bindungswirkung 136, 151–154, 205 – consensus minus one 36 f., 277, 293 – Einstimmigkeit 134 f., 137, 287 f. – explanation of position 10, 207, 293– 295, 326, 330 – Konsensentscheidung 135, 152, 291– 294 – Konsensfindung 285–291 – Rolle des Vorsitzenden 117, 136, 289– 291, 295 Kyoto Protokoll 100 f., 277 f. – Berufungsmöglichkeit 49, 278, 280 – Besetzung des Komitees 33, 259

374

Sachregister

– Compliance-Verfahren 29, 40–42, 278, 280 – Entscheidungen des Enforcement Branches 44–47, 129 f., 139 f., 176 Lotus-Prinzip 21 f. Luzerner Deklaration der europäischen Umweltminister 17 f., 217, 281 MARPOL-Übereinkommen 6, 24, 31 memorandum of understanding 156, 177 Minamata-Übereinkommen siehe Quecksilberkonvention monitoring 16, 51, 64, 95–99 Montrealer Protokoll 49–66, 118, 125, 130, 251, 265 f. – Compliance-Entscheidung 59–62 – Compliance-Verfahren 36 f., 53, 56–60 – Ermächtigungsgrundlage 26, 52 f., 116 – institutioneller Aufbau 50 f., 53–56, 63 f. – Nachhalteprozess 60, 278 – Sekretariat (Ozone Secretariat) 51, 54 f., 59 f., 63–65 – Vorreiterrolle 27, 49 f. Netzwerke 20, 114–118, 252–255, 260, 264 Nichteinhalteverfahren siehe ComplianceVerfahren Nichtregierungsorganisation (NGO) 2, 84–85, 216, 248, 257, 274 f. – Agenda-Setter 260 f., 273 – Akkreditierungskriterien 263–266, 269 – Interessenvertreter 249, 262–265, 268 f., 317 – Kontrollfunktion 48, 245, 260–262 – Mitwirkung im Compliance-Verfahren 20, 32–34, 54 f., 69–72, 77 f., 81, 84– 88, 91–94, 266, 317 – Verfahrenseinleitung 37, 64, 88, 268, 276 f. Niederlande 52, 68, 295 North Atlantic Treaty Organization (NATO) 123, 181 f., 184, 309 OSPAR Übereinkommen 178 Österreich 90–92

persistent objector 163, 199, 206 f. Pressemitteilung 44, 270 Principal-Agent-Theorie 30, 281, 291 Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung 50, 55, 277 Private Normen 177 f., 233–242 – BVT-Blätter 235, 294 – DIN-Normen 236, 259, 268 Protokoll über Wasser und Gesundheit 32, 37 Quecksilberkonvention 268, 318 Rahmenvertrag siehe framework convention approach 15, 19, 26, 84, 125 f., 187, 203–205 Rechtsquellen, völkerrechtliche 22, 27, 143, 151 f., 179, 199 Rotterdam Konvention – Compliance-Verfahren 30, 34, 38, 43 – Gesamtsekretariat 31 – Geschäftsordnung 38, 43, 126 f. – Mehrheitsentscheid 46 – Öffentlichkeit der Verfahren 40 f., 97 – synergies process 31, 38 – Vertraulichkeit 41 Russland 36 f., 68, 100, 290, 292 f. Sekretariate umweltvölkerrechtlicher ­Vertragswerke 15, 29–32 – Aarhus Konvention 70, 72 – Alpenkonvention 86 f., 91, 94 f. – Basler Übereinkommen 31 – Besetzung 30, 64 f. – Ermessensspielraum 38 – Gesamtsekretariat 31 – institutionelle Rolle 29 f., 60 – Mitwirkungsbefugnis 29–31 – Montrealer Protokoll (Ozone Secretariat) 51, 54 f., 59 f., 63–65 – Rotterdam Konvention 31 – Stockholm Konvention 31 – Verfahrenseinleitung 38, 54 – Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) 30 f. – Zulässigkeitsentscheidung 58 f., 72 f., 277



Sachregister

Selbstbefassungsrecht des Bundestages 184–186, 315 Soft Law 142, 152, 173, 177–180, 206, 224 f., 227, 243 Spätere Übereinkunft und Übung 111, 114 f., 120–138 Stockholm Konvention – Gesamtsekretariat 31 – synergies process 31 Technische Anleitungen 234–236, 240 Übereinkommen von Paris 29, 198, 202, 247 – Compliance-Verfahren 101, 125, 278, 280 ultra-vires-Argument 167, 185, 187 f., 193, 206–209, 222, 229, 310 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz 1, 176 Umweltgesetzbuch 260 Umweltvölkervertragsrecht 12–15, 21– 25, 143 f. – active-treaty-management 15, 95, 195, 296 – autonomous institutional arrangements 19, 220, 226 f., 280, 296, 307 – framework convention approach 15, 19, 26, 84, 125 f., 187, 203–205 – Geschichte 12 f., 20–23, 253 – institutioneller Aufbau 18–21, 28–32, 51, 226–230 – law-making-treaties 14, 22, 120, 144, 173, 201, 213, 286, 302, 319 – Rechtsverwirklichungsdefizit 13 f., 144, 161 – Regelungsmechanismus 14 f. unbestimmter Rechtsbegriff 143, 192 f., 233–242, 255 UNECE 66, 116 – Bündelung von Verträgen 32, 162 – Sekretariat 116 UNEP 31 f., 65 – Bündelung von Verträgen 162, 226 f. – Sekretariat 31, 54, 63–65, 116 Verbände 265, 267–269 Vereinigte Staaten von Amerika (USA) 52, 147, 156, 273

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Verfahrensrechte 39–42 – Öffentlichkeit als Sanktion 41, 97 f., 127, 271 f. – Transparenz 41, 57 f., 73–76, 81, 88, 94, 101, 238 f., 243–246, 265–269 – Vertraulichkeit 40 f., 58, 73 f., 88, 94, 267 f., 291 Verordnungsermächtigung 230–232, 238 f., 312 f., 325 Vertragsstaatenkonferenz 20 f., 28, 53 f., 69, 86, 249 – Aufgaben 20 f., 26, 53 f., 69, 86, 115– 118, 142 – Beschlussfassung siehe Konsens – Bindungswirkung der Entscheidung 27, 111, 125 f. – Entscheidung 27, 29, 42, 46–48, 81, 118 f., 285 – institutionelle Stellung 21, 28, 62, 83, 140, 142, 284 – Teilnehmer 20, 34, 259 f. – Verhältnis zum Compliance Committee 27 f., 80–83, 100, 115–119, 142, 254, 281–284 Vertrauensgrundsatz (pacta sunt servanda) 108, 153–155, 160 f., 201–203 Völkerrechtssubjekte 22, 225 f. Vorsitzender (Chair) 28 f., 117, 289–292, 295 Walschutz 101, 148, 156 f., 254 f., 322 Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES) 18–21, 24, 27, 29, 38, 208, 263–269 – Sekretariat 30 f. Welthandelsorganisation (WTO) 27 f., 140, 323 – ökologische Bezüge 181 – Rolle des Vorsitzenden (Chair) 289 – Rolle von Experten 216 – Streitschlichtungsmechanismus 45, 65, 100, 106, 144–147, 279 – Verhandlungsmethode 289, 291, 294 Wesentlichkeitsgedanke 171, 175 f., 189, 230 f., 237 f., 309 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WÜV) – Geschichte 107–109

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Sachregister

– International Law Commission 109– 111, 141, 158 Wolfsschutz 6, 29, 163, 264 f., 283, 292 f. World Wildlife Fund (WWF) 18, 242 f., 257 Zentrale Kommission für die Rheinschifffahrt 16 Zustimmungsgesetz 168–172, 302 f.

– antizipierter Rechtsanwendungsbefehl 179–189 – dynamischer Verweis 180, 183 f., 189, 203, 307 – Rechtsanwendungsbefehl 164–166, 180–185, 221, 300 – ultra-vires-Rechtsakte 167, 185, 187 f., 193, 208, 310 – Wiederaufleben der Zustimmungspflicht 167, 185, 188, 221, 247, 309– 311