Das Bild der DDR in Literatur, Film und Internet: 25 Jahre Erinnerung und Deutung 9783412501488, 3412501484

Dieser Band widmet sich der Frage, mit welchen Bildern, Stereotypen, Konstruktionen, Mustern und Deutungen die DDR in Li

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German Pages 185 [192] Year 2015

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Das Bild der DDR in Literatur, Film und Internet: 25 Jahre Erinnerung und Deutung
 9783412501488, 3412501484

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Das Bild der DDR in Literatur, Film und Internet

Europäische Diktaturen und ihre Überwindung Schriften der Stiftung Ettersberg

Herausgegeben von Jörg Ganzenmüller Volkhard Knigge Christiane Kuller in Verbindung mit Karl Schmitt Peter Maser Rainer Eckert Robert Traba

Das Bild der DDR in Literatur, Film und Internet 25 Jahre Erinnerung und Deutung

Herausgegeben von Hans-Joachim Veen

Redaktion: Manuel Leppert

2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gefördert durch die Thüringer Staatskanzlei

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Bildcollage: www.ctw.de, © ctw Jena

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Manuel Leppert, Weimar Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-50148-8



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Inhalt

Hans-Joachim Veen Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Leszek Szaruga Die Rolle der Intellektuellen in Polen bei der Vorbereitung des ­demokratischen Umbruchs 1989 in Osteuropa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Volker Wehdeking Die DDR in der Literatur nach der Friedlichen Revolution . . . . . . . . . 25 Sebastian Kleinschmidt Wiederherstellung des inneren Menschen – Sinn und Form nach 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Gerhard Jens Lüdeker DDR-Erinnerung in gegenwärtigen deutschen Spielfilmen: Vom Dissens zum Konsens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Matthias Steinle Drei Krisen und das Wunder ihres Endes: Die DDR im deutschen Dokudrama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Sabine Moller Die Rezeption der Spielfilme Good Bye, Lenin! und Das Leben der Anderen in Deutschland und in den USA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Irmgard Zündorf, Lena Eggers, Anina Falasca, Julia Wigger Die Präsenz der DDR im Internet – Zwischen Ostalgie und kritischer Aufarbeitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Dokumentation der Abschlussdiskussion des 13. Internationalen Symposiums Warum soll die Friedliche Revolution noch ein Thema in Literatur, Film und Fernsehen sein?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

6 Inhalt Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Abbildungsverzeichnis und Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

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Hans-Joachim Veen

Einführung

Mit dem Thema »Das Bild der DDR in der Literatur und den audiovisuellen Medien – 25 Jahre Erinnerung und Deutung« des 13. Internationalen Symposiums der Stiftung Ettersberg am 17. und 18. Oktober 2014 verließen wir die Grenzen unseres Faches, die Zeitgeschichte und Politikwissenschaft, und wagten uns in die Literatur- und die Medienwissenschaften vor. So interdisziplinär war bisher noch keines unserer internationalen Symposien, aber im Jubiläumsjahr 2014, dem Jahr der europäischen Zeitgeschichte, schien uns dieses weite Ausgreifen in die geistig-kulturelle Rezeptionsgeschichte der Friedlichen Revolution mehr als angemessen. 2014 wurde an den Beginn des Ersten Weltkrieges vor einhundert Jahren, an den Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren und an die Friedliche Revolution, die vor 25 Jahren die SED-Diktatur hinwegfegte, erinnert. Im Erinnern und im Gedenken dürften die Deutschen im Nationenvergleich ganz vorn sein. Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass das Erinnern und Gedenken fast übermächtig wird, dass wir uns in Deutschland mehr mit der Vergangenheit als mit der Zukunft beschäftigen. Aber wenn man am 9. Oktober 2014 in Leipzig beim Lichterfest dabei war und die geschätzten 200.000 Menschen erlebt hat, die dieses psychologisch entscheidenden Tages vor 25 Jahren gedachten, als die Menschen ihre Angst überwanden, auf die Straße gingen und das Regime zurückwich, hat man gespürt, wie tief das Bedürfnis ist, diesen Wendepunkt der SED-Diktatur in Erinnerung zu behalten. Ich habe diesen Tag jedenfalls als einen stolzen Tag, nicht nur für die Oppositionellen von damals, sondern für die Demokratie in ganz Deutschland verinnerlicht. Aber das Groß-Gedenken hat natürlich auch seine Gefahren. Bundespräsident Joachim Gauck hat auf dem Deutschen Historikertag 2014 in Göttingen eine davon zur Sprache gebracht, als er die Frage stellte, »ob die Geschichte nicht dabei ist, über die Gegenwart und Zukunft zu siegen?« Der Bundespräsident fuhr fort: Hat man noch nicht vor allzu langer Zeit Anklagen von der »Geschichtslosigkeit« oder »Geschichtsvergessenheit« der Gegenwart gesprochen, so scheint mir heute das Gegenteil zuzutreffen! Unaufhörlich und fast ausschließlich, so sieht es aus,

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Hans-Joachim Veen

sind wir gegenwärtig mit der Geschichte, sind wir mit Jubiläen, Gedenktagen, Erinnerungen und Denkmälern oder Denkmalplanungen konfrontiert. Wo ist nur die Zukunft hin?1

Wo ist nur die Zukunft hin? Wie wurden die Weichen dafür intellektuell, künstlerisch und medial nach dem Ende der DDR gestellt? Diese Fragen haben auch bei der Planung unseres 13. Internationalen Symposiums eine wesentliche Rolle gespielt. Wir waren uns rasch einig, dass es nicht genug wäre, einfach in den vielstimmigen Chor der Erinnerung an die Ereignisse vor 25 Jahren einzufallen. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung listet in seinem informativen Internetportal »Freiheit und Einheit« dutzende von Veranstaltungen unterschiedlichster Art auf, die sich 2014 deutschlandweit der Erinnerung an den Sieg der Friedlichen Revolution widmeten. Dass die dortigen Auflistungen keineswegs vollständig sind, zeigt schon die Tatsache, dass ausgerechnet unser 13. Internationales Symposium zum »Bild der DDR in der Literatur und den audiovisuellen Medien – 25 Jahre Erinnerung und Deutung« dort nicht genannt wurde. Aber auch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung ist eben nicht perfekt. Vielleicht mag auch die Kompliziertheit unserer Fragestellung dazu beigetragen haben, die eben nicht nur 25 Jahre Friedliche Revolution rekapitulieren will. Mit unserem Symposium wollten wir vielmehr versuchen, einen Beitrag zur Aufarbeitung der Aufarbeitung zu leisten. Es ging uns also nicht einfach um die Rückerinnerung an das Ende der SEDDiktatur, über deren Qualifizierung als Unrechtsstaat ja gerade im Vorfeld der Bildung einer rot-rot-grünen Koalition in Thüringen unter Führung eines ersten linken Ministerpräsidenten ein heftiger Streit in der LINKEN getobt hat. Es ging uns auch nicht um die Rückerinnerung an die gloriosen Wochen der Friedlichen Revolution, als die DDR-Führung die Botschaftsflüchtlinge in Prag und Warschau in die Freiheit entlassen musste, als die Friedensandachten sich zu Massendemonstrationen ausweiteten und die SED-Machthaber hilflos zusehen mussten, wie ihnen die Macht entglitt, bis am 9. November 1989 in Folge eines Missverständnisses eines überforderten SED-Spitzenfunktionärs über Nacht die Mauer fiel und von den friedlichen Massen überrollt wurde. Gewiss: »Wahnsinn« war das alles, und auch die, die das alles damals aktiv mitgestaltet oder am Fernsehen miterlebt hatten, möchten manchmal dem eigenen Erinnerungsvermögen misstrauen: Wieso war das plötzlich auf so wundersame Weise einfach und die Welt über Nacht eine andere geworden?

1 Joachim Gauck: Verlierer siegen auch, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. September 2014, S. 12.

Einführung

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Wir fragten in unserem Symposium danach, wie die Literatur und die Medien mit allen diesen verschiedenen, widersprüchlichen, geteilten und allmählich auch verblassenden Erinnerungen umgehen. Literatur und Medien schreiben ja auf ihre Weise ein Protokoll der Zeitgeschichte und des Aufarbeitungsprozesses. Sie gestalten damit ganz wesentlich auch den Weg in die Zukunft des vereinigten Deutschlands mit, jener Zukunft also, nach deren Verbleib der Bundespräsident so eindringlich gefragt hat. Mit welchen Bildern, Stereotypen, Konstruktionen, Mustern und Deutungen wird die DDR demgemäß in der Literatur, in Film und Fernsehen erinnert? Welche Wertungen zwischen Os­talgie und kritischer Aufarbeitung dominieren? Wie breit ist das Spektrum der Erinnerungen und Deutungen in der Rückschau auf die DDR als Parteidiktatur und als sozialistische Gesellschaftsordnung? Und: Haben sich die Erinnerungen und Deutungen des untergegangenen Regimes in den letzten 25 Jahren verändert? Welche Sicht auf die DDR herrscht heute vor? Die Ergebnisse des 13. Internationalen Symposiums der Stiftung Ettersberg liegen nun in gewohnter Weise in Form dieses Tagungsbandes vor. Ohne im Einzelnen auf alle Autorinnen und Autoren eingehen zu wollen, soll an dieser Stelle nur der Aufsatz von Matthias Steinle Erwähnung finden, der am Symposium als Referent nicht mitwirken konnte, aber mit seinen Ausführungen zum DDR-Bild im deutschen Dokudrama eine vorzügliche Ergänzung zu den in diesem Band versammelten Beiträgen liefert. Schaue ich auf das Fernsehen, dann hat es dort in den letzten Jahren gewiss unzählige hochwertige Dokumentationen, auch einprägsame Spielfilme und viele informative Gesprächsrunden, bei denen jene mit Zeitzeugen immer am eindrücklichsten waren, gegeben. Inzwischen, so scheint es, ist das Thema insgesamt aber entschieden auf die hinteren Plätze weggerutscht. Ich erinnere nur an das meines Erachtens wenig fokussierte Fernsehabendprogramm des 3. Oktober, des Tages der Deutschen Einheit. ARD und ZDF erfreuten das Publikum mit einer Komödie um eine Rentner-Lottotippgemeinschaft und einem Krimi; der MDR zeigte So schön ist Deutschland, und 3sat brachte zur besten Sendezeit den liebenswerten Hauptmann von Köpenick mit Heinz Rühmann. Der Erinnerung, um hier gar nicht von Aufarbeitung zu sprechen, wurde dann mit einigen wohlbekannten Konserven vom Der Turm (Christian Schwochow, 2012) bis zur Nikolaikirche (Frank Beyer, 1995) im Spätprogramm ein Platz eingeräumt. Vielfach ist in der letzten Zeit nach dem großen Roman oder dem großen Film gerufen worden, in denen SED-Diktatur, Friedliche Revolution oder gesamtdeutscher Wiedervereinigungsprozess so zur Geltung kommen, dass eine breite Öffentlichkeit sagen kann: »Ja, so war es. Ja, so haben wir es erlebt und erinnern uns an jene Geschehnisse, die im Herbst 1989 die Welt verän-

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Hans-Joachim Veen

derten.« Zugestandenermaßen: Christa Wolf, Stefan Heym, Thomas Brussig, Christoph Hein, Uwe Tellkamp, Monika Maron, Reinhard Jirgl, Volker Braun, Jana Hensel, Eugen Ruge und manch andere haben wichtige, auch glanzvolle Beiträge zur sogenannten »Wendeliteratur« geleistet, vor allem im geschichtspolitischen Deutungskampf um den SED-Staat. Fast unmittelbar vor Beginn unseres Symposiums hatte der Thüringer Lutz Seiler für Kruso, einen Roman, der von Hiddensee und vom Untergang der DDR erzählt, den Deutschen Buchpreis auf der Frankfurter Buchmesse bekommen. Im Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. Oktober 2014 wurde dazu angemerkt: Vor sechs Jahren ging die viel beachtete Auszeichnung, die regelmäßig sechsstellige Verkaufszahlen für die prämierten Bücher garantiert, an Uwe Tellkamp für den »Turm«, 2011 an Eugen Ruge für »In Zeiten des abnehmenden Lichts«. Die drei Bücher stammen von Männern, was bemerkenswert genug ist, weil der Deutsche Buchpreis bislang häufiger von Autorinnen gewonnen worden ist. Noch interessanter ist, dass sowohl Tellkamp als auch Ruge und Seiler aus der DDR stammen.2

Das Genre des sogenannten »Wenderomans« ist also eine eindeutig ostdeutsche Angelegenheit. Dazu passt auch der vierte und früheste, noch vor Buchpreiszeiten erzielte große Verkaufserfolg des Genres »Wenderoman«: Thomas Brussigs 1995 erschienenes Buch Helden wie wir. Wie kann man diesen Zustand erklären? Offenbar ist das Bedürfnis ostdeutscher Schriftsteller, sich ihre biografischen Erfahrungen von der Seele zu schreiben, aus nachvollziehbaren Gründen größer als das ihrer westdeutschen Kollegen, die 1989 nur Zuschauer waren. Hinzu kommt: Das vereinte Deutschland verfügt bis heute über keine nationale Erzählung von der Friedlichen Revolution. Das dürfte auch mit dem gelegentlich beklagten »Schweigen der Intellektuellen« beziehungsweise »Schweigen der Dichter« in den großen Tagen der Friedlichen Revolution zusammenhängen.3 Denn nicht die Intellektuellen und Dichter standen an der Spitze jener Friedlichen Revolution, die sich »gewaltlos, ohne Führer, ohne Avantgarde, ohne ideologisches Programm«

2 Andreas Platthaus: Die DDR als sicherer Bucherfolg, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Oktober 2014, online abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buchmesse/themen/der-wenderoman-als-ostdeutsche-maennerangelegenheit-13195140.html, letzter Zugriff: 06.02.2015. 3 Vgl. z. B. Frank Thomas Grub: »Wende« und »Einheit« im Spiegel der deutschsprachigen Literatur, Bd. 1: Untersuchungen, Berlin/New York 2003, S. 130–147.

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ereignete, wie Werner Schulz vor kurzem in einem Interview formulierte4, und die dann rasch von der deutschen Wiedervereinigung aufgesogen wurde. Vielfach ließen sich die Stimmen der großen DDR-Dichter schon damals doch eher zurückhaltend, teils vereinigungskritischer oder auch nur mäkelnd vernehmen: Eine solche totale Kapitulation des Sozialismus hatten viele dann doch nicht gewollt. Dieser jämmerliche Abgang einer Idee, der man immer Besseres zugetraut hatte, war schwer zu verkraften. Da hätte es doch eher irgendwo und irgendwie einen »verbesserlichen Sozialismus« geben sollen von der Art, von der der Erfurter Propst Heino Falcke auf der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen 1972 in Dresden geträumt hatte. Nun aber sagte das Volk: Dieser Sozialismus kann nicht verbessert, sondern nur abgeschafft werden, und es bekräftigte das bei den ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 auf eindrucksvolle Weise mit dem Sieg des Wahlbündnisses, der »Allianz für Deutschland«. Diese »Kränkung« der intellektuellen Eliten wirkt, wenn ich es richtig sehe, in Ost, aber auch in West, bis heute hintergründig nach, teilweise in der Literatur, aber auch in den Medien. Hier könnte auch eine tiefere Ursache für das Scheitern von mancherlei Anläufen zu Einheits- und Freiheitsdenkmälern liegen. Goldene Wipp-Bananen und tausende bunte Hocker können die nationale Erzählung von dem größten Ereignis der deutschen Freiheitsgeschichte, der ersten erfolgreichen demokratischen Revolution in der Geschichte der Deutschen, nun einmal nicht ersetzen.5 Diese Erzählung wäre aber die Voraussetzung für jedes öffentliche Erinnern gerade im Denkmalformat. Vielleicht braucht diese nationale Erzählung auch noch Zeit? Vielleicht ist der 9. Oktober in Leipzig auf dem Weg zum nationalen Mythos? Vielleicht ist es aber auch nur angemessen, dass es die große nationale Erzählung nicht gibt? Und vielleicht hält uns gerade dieses gebrochene Verhältnis zu unserer jüngsten Vergangenheit den Weg in jene Zukunft offen, nach deren Verbleib der Bundespräsident so besorgt fragte. Der Band wurde von Manuel Leppert redaktionell betreut, ihm danke ich abschließend für seine umsichtige und sorgfältige Arbeit.

4 Werner Schulz: Unsere Revolution war anders, in: GewandhausMagazin, Nr.  84 (Herbst 2014), S. 28–33, hier S. 33. 5 Vgl. hierzu den reich illustrierten Band von Hans-Joachim Veen/Volkhard Knigge (Hg.): Denkmäler demokratischer Umbrüche nach 1945 (= Europäische Diktaturen und ihre Überwindung. Schriften der Stiftung Ettersberg, Bd. 20), Köln/Weimar/ Wien 2014.



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Leszek Szaruga

Die Rolle der Intellektuellen in Polen bei der Vorbereitung des demokratischen Umbruchs 1989 in Osteuropa

1. Bevor wir über die Rolle der Intellektuellen in den postkommunistischen Ländern beim sogenannten »Völkerherbst«1 1989 sprechen, sollten wir über den Beitrag der europäischen Intelligenz zur Festigung des Kommunismus und dessen Hintergründe nachdenken. Um zu verstehen, worum es geht, müssen wir uns des »Sprachschwindels« bewusst werden, der eine Begriffsverwirrung mit dramatischen Folgen nach sich gezogen hat. Beginnen wir mit dem Begriff »Revolution«. Die Ereignisse in Russland im Oktober 1917 eine große Revolution zu nennen, führte dazu, sie mit der Französischen Revolution von 1789 gleichzusetzen und somit als einen bedeutenden Umbruch im Lauf der Geschichte, als eine Art Mutationssprung zu betrachten. Kaum jemand verwies jedoch darauf, dass die eigentliche Revolution in Russland der Versuch war, im Februar 1917 einen demokratischen Staat aufzubauen, der mit der Tradition der russischen Alleinherrschaft brechen sollte. Die Bolschewiki knüpften an das Erbe der Zaren an, als sie einige Monate später die alleinige Macht übernahmen, wollten dies allerdings verbergen, und so nannten sie ihren Putsch eine »sozialistische Revolution«. Zugleich räumten sie gerade die Sozialisten, die Partei der Menschewiki, zuerst aus dem Weg. Ein ähnlicher Hergang begleitete die Machtübernahme durch die Nazis in Deutschland 1933. Übrigens ist das Jahr 1933 in der Geschichte Russlands genauso wichtig, weil dann die »Große Säuberung« (stalinistische Säuberungen) begann. Auch in Deutschland zählten die Sozialisten zu den ersten Opfern der Nazis, obwohl die Hitlerpartei in ihrem Namen solche Begriffe wie »Arbeiter« und »sozialistisch« enthielt. Unterdessen mussten die Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) unter Zwang in die NSDAP eintreten. 1 So wird in der polnischen Fachliteratur die Wendezeit bezeichnet.

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Leszek Szaruga

Eine vergleichbare Situation entwickelte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den Ländern unter sowjetischer Besatzung: Dort wurden hauptsächlich die Sozialisten bekämpft. In Polen wurde noch während des Krieges auf Befehl des Kreml die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) gegründet, die dann mithilfe von Erpressungen und Repressionen die »Vereinigung« mit der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) erzwang, wobei die unfolgsamen Mitglieder der PPS verhaftet wurden. Die nächste sprachliche Manipulation betrifft den Umgang mit den Begriffen »Sozialismus« und »Kommunismus«, die als Synonyme oder sinnverwandte Wörter behandelt wurden. Der Terminus »Sozialismus« unterlag dabei einer politischen Reduktion und war auf die Bezeichnung des Systems beschränkt, welches nach der Machtübernahme durch die Kommunisten herrschte – jede andere Art, diesen Terminus zu verstehen, wurde als unzulässig betrachtet. Leider nahmen breite Kreise der europäischen intellektuellen Eliten solche Propagandamaßnahmen unkritisch hin. Sie verstanden die Sowjetunion und das dort herrschende System als die Umsetzung des Traums von der Erschaffung eines klassenlosen Systems, in dem Gerechtigkeit und soziale Gleichheit galten und die Macht an die Vertreter des Volkes, die Bauern und Arbeiter, übertragen wurde. Genauso unkritisch – mit einigen Ausnahmen wie zum Beispiel Bertrand Russell – akzeptierten die Intellektuellen in den 1920er und 1930er Jahren das verfälschte Bild des Lebens in der Sowjetunion, das ihnen während der eigens vom Kreml organisierten Ausflüge durchs Land vermittelt wurde. Jene Überzeugung verfestigte sich, nachdem Moskau an der AntiHitler-Koalition im Zweiten Weltkrieg teilnahm und die Rote Armee sich an der Vernichtung des Dritten Reiches beteiligte. In den Augen vieler Intellektueller war es ein Beweis für die einzigartige Rolle des kommunistischen Systems im Kampf um die Freiheit. Sie übersahen indes, dass der 1939 unterzeichnete Hitler-Stalin-Pakt (deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt) zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beitrug. Der Pakt wurde als eine taktische Maßnahme angesehen, die laut der sowjetischen Propaganda darauf zielte, die in Polen lebende belarussische und ukrainische Bevölkerung zu schützen. Letztendlich, nach Beendigung der Kriegshandlungen, setzte sich der Teil der westlichen Eliten, welcher der kommunistischen Ideologie zugetan war, für die Sowjetunion ein, weil diese sich den USA widersetzte. Für diese Eliten stellte die Großmacht Amerika die Verkörperung des imperialistischen Bösen dar. Ein großer und einflussreicher Teil der westlichen Eliten, der in einem demokratischen, die Meinungsfreiheit respektierenden System lebte, unternahm allerhand Anstrengungen, um die Wahrheit über die bestehenden Lebensbedingungen in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten zu dementieren. Mehr noch: Zahlreiche Intellektuelle wie Jean Paul Sartre, die für ihre Kolle-

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gen in Ostmitteleuropa ohne Zweifel als Autoritäten galten, bestärkten sie in der Überzeugung, dass die Ideologie, aber auch die Praxis des Kommunismus die richtige Wahl seien und nichts unternommen werden sollte, was die Stellung der Sowjetunion untergraben könnte. Darauf basierend wurden alle Zeugnisse der sowjetischen Verbrechen verschwiegen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Buch von Gustaw Herling-Grudziński2 über die unmenschlichen Bedingungen des Lebens in einem Straflager (Gulag): In den 1950er Jahren geschrieben, von Albert Camus begeistert rezensiert, erschien der Band in Frankreich erst Ende der 1980er Jahre, lange nach der Veröffentlichung von Alexander Solschenizyns Der Archipel Gulag (1973). Das ist nur ein Beispiel von Tausenden, die angeführt werden könnten. Und es scheint unmöglich, diese Fakten nicht in Verbindung zu bringen mit dem, was Gottfried Benn passierte, als er 1933 seine berühmte Rede »Der neue Staat und die Intellektuellen« hielt, um »den neuen Glauben« kurz darauf zu verwerfen.3

2. Die Situation änderte sich ein wenig nach der Bekanntgabe der Liste der stalinistischen Verbrechen durch Nikita Chruschtschow, nach der blutigen Niederschlagung des antikommunistischen Aufstandes in Ungarn 1956 sowie den Ereignissen des »Polnischen Oktobers« im gleichen Jahr. In Ungarn setzten die Sowjets ein moskautreues Kabinett unter der Führung von János Kádár ein und ließen eine Lockerung der bis dahin geltenden strengen Regeln zu, zunächst in der Wirtschaft und später auch im kulturellen Bereich. In Polen kam es zu einem Regierungswechsel: Der aus dem Gefängnis entlassene Władysław Gomułka wurde als Parteichef der PVAP von den Sowjets akzeptiert. Gomułka genoss breite Unterstützung in der polnischen Gesellschaft sowie der katholischen Kirche, weil er die Rolle des Reformators verkörperte, der sich – so hoffte man – Moskau widersetzen könnte. Einer großen Popularität erfreute sich damals die Parole »Sozialismus – Ja, seine Verfälschung und Kapitalismus – Nein«. Sie war der Ausgangspunkt für die Idee, das System zu reformieren, vorwiegend vertreten durch die in der sozialistischen Tradition stehenden intellektuellen Kreise. Sie wurden von einer größeren 2 Gustaw Herling: Inny świat: zapiski sowieckie [polnischer Originaltitel]. 1951 erschienen seine Aufzeichnungen erstmals unter dem englischen Titel A World Apart in London, dort ab 1953 auch in polnischer Sprache. Erst 1988 konnte das Buch offiziell in Polen erscheinen. 3 Gottfried Benn: Der neue Staat und die Intellektuellen, Stuttgart 1933.

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Gruppe der Intellektuellen, die der Kirche nahestanden, unterstützt. Polen war zu dieser Zeit das einzige Land im sozialistischen Lager, in dem von der Zensur unabhängige, katholische Verlage agierten. In Anknüpfung an jene Parole entstand innerhalb kürzester Zeit in Polen, sogar in kleinen Ortschaften, ein Netz von Klubs der katholischen Laien, die jedoch schnell aufgelöst wurden. Bis 1961 gelang es nur dem Warschauer »Klub des Schiefen Kreises« (Klub Krzywego Kola) zu existieren. Dank der Unterstützung der Kirche konnte sich der in einigen Städten tätige »Klub der Katholischen Intelligenz« (Kluby Inteligencji Katolickiej) auf Dauer ins öffentliche Leben einbringen. In diesem Klima entstand eine Bewegung zur Umdeutung des offiziellen Marxismus, unter anderem nach der Veröffentlichung der Übersetzungen von Schriften des jungen Karl Marx oder der westlichen Marxisten wie Antonio Gramsci und Roger Garaudy, aber auch von Schriften und Werken der Existenzialisten. Die Vertreter der Bewegung wurden in der Publizistik der Partei als »Revisionisten« bezeichnet. Unter ihnen war Leszek Kołakowski, der nach Jahren seine grundsätzliche Abhandlung Die Hauptströmungen des Marxismus4 verfasste. Sie versuchten die Reformprogramme des real existierenden Systems zu formulieren, ohne dabei die Idee der sozialistischen Gesellschaftsordnung anzufechten. Ähnliche Initiativen wurden zu jener Zeit sowohl in der Sowjet­ union als auch in Ungarn (Miklós Haraszti), Jugoslawien (Milovan Ðilas), später in der DDR (Rudolf Bahro, Robert Havemann) sowie in der Tschechoslowakei (Václav Havel, Jiři Pelikán) ergriffen. Die Haltung der »Revisionisten« basierte auf der Einsicht der Notwendigkeit, ausschließlich im sowjetischen Einflussbereich zu handeln. Aufgrund der blutigen Niederschlagung des Aufstandes 1953 in der DDR und des ungarischen Aufstandes 1956 sowie der Gewissheit, der Westen würde nicht intervenieren, um ihnen zu helfen, erkannten sie, dass das Streben nach Souveränität in den dem Kreml unterworfenen Ländern zu riskant war. »Die Revisionisten« und »die Dissidenten«, wie die Opposition gegen das System genannt wurde, wurden in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten erheblichen Schikanen und Repressalien unterzogen, die aber nicht so schlimm waren wie zur stalinistischen Zeit. Zu einem Zeichen des Widerstandes wurde damals der »Brief der 34« (List 34), den eine Gruppe von Wissenschaftlern und Schriftstellern unterzeichnete. Sie protestierten damit gegen die sich verschärfende Zensur.

4 Leszek Kołakowski: Die Hauptströmungen des Marxismus – Entstehung, Entwicklung, Zerfall, 3 Bde., München 1977–1978.

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Unter diesen Bedingungen verfassten Jacek Kuroń und Karol Modzelewski 1964 »Den offenen Brief an die Partei«5, in dem das existierende System nicht nur einer vernichtenden Kritik unterzogen, sondern – angelehnt unter anderem an die Schriften von Ðilas – ein Programm für politische und gesellschaftliche Veränderungen dargelegt wurde. Die Autoren hielten das Programm für konform mit den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus. Vergleichsweise hohe Gefängnisstrafen (drei und dreieinhalb Jahre), die sie daraufhin bekamen, konnten etliche Studenten nicht davon abschrecken, die von den Autoren des Briefes eingeleitete »revisionistische« Suche nach neuen Lösungen fortzusetzen. Einer der aktivsten Studenten in diesen Kreisen war Adam Michnik, heute Chefredakteur der einflussreichsten Tageszeitung in Polen, der Gazeta Wyborcza. Zu erinnern sei auch an den Übersetzer, Literaturkritiker und Dichter Janusz Szpotański, der ebenfalls zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er führte im privaten Rahmen das Singspiel Cisi i gęgacze (Die Leisen und die Schnatternden) auf, eine Satire auf den Polizeistaat in Polen. 1966 hielt Leszek Kołakowski einen Vortrag an der Warschauer Universität, der eine Zusammenfassung der Veränderungen zehn Jahre nach den Ereignissen des »Polnischen Oktobers« beinhaltete. Kołakowski gelang es, zu ­belegen, dass sogar die verhältnismäßig kleinen Errungenschaften des Demokratisierungsprozesses in diesem Zeitraum abgeschafft wurden, zum Beispiel die Meinungsfreiheit gezielten Einschränkungen unterlag, und die wirtschaftliche Lage Polens sich stetig verschlechterte. Daraufhin wurde Kołakowski von der Regierung aus der Partei ausgeschlossen. Aus Solidarität verließen mehrere Schriftsteller die Partei, die früher das System offen unterstützten, darunter Kazimierz Brandys, Tadeusz Konwicki, Wisława Szymborska und Wiktor Woroszylski. Infolge dieser Geschehnisse organisierten sich, vor allem an der Warschauer Universität, Gruppen von jungen Leuten, die der Regierungspolitik kritisch gegenüberstanden. Ihre Überzeugungen äußerten sie vorwiegend während der Diskussionsveranstaltungen studentischer Organisationen. 1968 initiierten einige Studentenkreise eine Protestwelle gegen die von der Zensur veranlasste Absetzung des Theaterstücks Dziady (Die Totenfeier) von Adam Mickiewicz, weil die Parteiideologen der Aufführung antisowjetische Akzente unterstellten. Die Proteste hatten eine Reihe von Repressionen zur Folge, denen nicht nur Studenten ausgesetzt waren – einige Hundert wurden verhaftet – sondern 5 Jacek Kuron/Karol Modzelewski: Monopolsozialismus. Offener Brief an die Mitglieder der Grundorganisation der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und an die Mitglieder der Hochschulorganisation des Verbandes Sozialistischer Jugend an der Warschauer Universität, Hamburg 1969.

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Leszek Szaruga

auch Intellektuellenkreise. Die Säuberungen trafen praktisch alle Institutionen: angefangen bei den Universitäten, über die Zeitungsredaktionen und Verlage, bis hin zu unabhängigen Einrichtungen. Die Partei setzte eine gewaltige Propagandamaschinerie in Bewegung, um die demonstrierende Jugend und die systemkritischen Intellektuellen als Feinde des Sozialismus hinzustellen. Begleitet wurden die Maßnahmen von einer brutalen antisemitischen Kampagne, die den volksfeindlichen Charakter der Proteste beweisen sollte. Nach der sowjetischen Intervention 1968 in die Tschechoslowakei und der Niederschlagung des »Prager Frühlings« im selben Jahr kam es zu einer solchen Unterminierung der polnischen Intelligenz, dass sie das erste Mal in der Geschichte keine Kraft mehr hatte, eine Protestkundgebung gegen das blutige Massaker an den demonstrierenden Werftarbeitern in Danzig und Stettin 1970 zu organisieren. Die Arbeiter kämpften damals gegen eine drastische Verschlechterung des Lebensstandards in Polen.

3. Die daraufhin entstandene Leere füllten langsam studentische Initiativen aus, deren Kern die »Generation ’68« genannte Formation bildete. Junge Literaten, allen voran Dichter der »Neuen Welle«6 (unter anderem Stanisław Barańczak, Ryszard Krynicki und Adam Zagajewski), kritisierten die Propagandasprache und trugen Wortgefechte mit einer symbolischen »Parteizeitung« aus. Gleichzeitig forderten sie Meinungsfreiheit, vor allem aber das Recht, die Wahrheit über das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft äußern zu dürfen. Genauso wie mit der Literatur verhielt es sich mit der jungen polnischen Kinematografie, die von den Kritikern als das »Kino der moralischen Unruhe« bezeichnet wurde. Die wichtigsten Vertreter des jungen Films (unter ihnen Agnieszka Holland, Feliks Falk, Ryszard Bugajski, Janusz Kijowski) deckten Gewaltmechanismen des Systems auf. Eine ähnliche Situation war in der alternativen Theaterlandschaft zu beobachten. Diese wurde in den 1970er Jahren um immer mehr studentische Theatergruppen bereichert (Teatr STU, Pleonazmus, Teatr 6 Zur »Neuen Welle« sind in Polen wichtige Publikationen erschienen, darunter: Małgorzata Anna Packalén: Pokolenie 68. Studium o poezji polskiej lat siedemdziesiątych [Generation 68. Studien zur polnischen Dichtung der 70er Jahre], Warschau 1997; Jacek Gutorow: Niepodległość głosu. Szkice o poezji polskiej po 1968 roku [Die Unabhängigkeit der Stimme. Skizzen der polnischen Dichtung nach 1968], Krakau 2003 sowie ganz neu: Janusz Drzewucki: Charakter pisma. Szkice o polskiej poezji współczesnej [Handschrift. Skizzen der zeitgenössischen polnischen Dichtung], Krakau/Warschau 2015.

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Ósmego Dnia7). Sie alle knüpften an die Lehre von der Theaterpraxis und -theorie Jerzy Grotowskis an. Der Ausgangspunkt für ihre Experimente waren die Erfahrungen der Jahre 1968 und 1970. Die jungen Intellektuellen beriefen sich gleichermaßen auf die symbolische Tradition der romantischen Rebellion und auf die zeitgenössischen Autoritäten wie die oppositionellen Schriftsteller Witold Gombrowicz, Jerzy Andrzejewski, die Brüder Kazimierz und Marian Brandys und Tadeusz Konwicki. Zugleich suchten sie nach Verhaltensmustern im Ausland, sowohl in den Erfahrungen der Revolte der 68er-Generation im Westen als auch der Dissidenten in der Sowjetunion. Kurz gefasst: Die Ansichten der jungen Intellektuellen wurden von einer Art Stereofonie geprägt, welche einerseits die westliche Rockmusik (The Rolling Stones, Pink Floyd, Hair) und andererseits die russischen Barden (Wladimir Wyssozki, Alexander Galitsch, Bulat Okudschawa) erzeugten. Die Aussagen Alexander Solschenizyns wurden heftig diskutiert und analysiert. Dessen wichtigste Forderung nach einem »Leben ohne Lüge« war die zeitgemäße Umsetzung der Formel »ex oriente lux«8. Zum Vorbild und Wegweiser für den polnischen Widerstand wurden schließlich der in der Sowjetunion agierende Samisdat (Selbstverlag) und der Mut der russischen Intellektuellen wie Natalja Gorbanewskaja. Die russischen Dissidenten brachten verschiedene Protestaktionen zustande wie die Demonstration gegen die Invasion in der Tschechoslowakei auf dem Roten Platz in Moskau, obwohl sie von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Im gesamten Ostblock entwickelte sich das Gefühl einer Schicksalsgemeinschaft, und die Opposition entschied sich, nach Kontakten zu suchen, die dabei helfen würden, solidarische Maßnahmen durchzuführen. In der Zukunft sollte dies Früchte tragen: Es kam zu verschiedenen Manifestationen des Widerstandes. Ein Beispiel war das Treffen zwischen Andrej Sacharow und Zbigniew Romaszewski, Mitglied des 1976 gegründeten Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), dem es gelang, nach Moskau zu kommen. Im Ergebnis brachten sie ein gemeinsames Memorandum zur Notwendigkeit der Demokratisierung in den Ostblockländern heraus. Später trafen sich Vertreter des KOR und der tschechoslowakischen Charta 77, um den »Gemeinsamen Brief an die Verteidiger der Menschenrechte in Osteuropa« zu verfassen. In den 1980er Jahren entstand dann die Organisation »Polnisch-Tschechoslowakische Solidarität« (Polsko7 Das Teatr STU befindet sich in Krakau, das Teatr Ósmego Dnia in Posen. Das Studententheater Pleonazmus existierte nur in den Jahren 1970 bis 1976. 8 Alexander Solschenizyn: »Lebt nicht von Lügen!«. Essay über die moralische Er­neuerung Rußlands, 12.  Februar 1974, in: Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke (Hg.): Geschichte in Quellen. Die Welt seit 1945, München 1980, S. 516.

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ceskä solidarita). Die radikalste Tat, die zum Aufbau der Widerstandsgemeinschaft gegen den Kommunismus in allen Ostblockstaaten beitrug, war die Botschaft an die Arbeiter Osteuropas. Der Aufruf wurde von KOR-Mitgliedern verfasst und beim Solidarność-Kongress im September 1981 verabschiedet. Die Entstehung der antitotalitären Gemeinschaft war im unabhängigen Verlagswesen am stärksten sichtbar. Dank der Hilfe aus dem Westen konnten die Untergrunddruckereien ausgebaut werden. Die Redaktionen der Untergrundzeitungen waren international besetzt. So arbeiteten in der Redaktion der Quartalszeitschrift Krytyka (Kritik) neben polnischen Redakteuren auch der tschechische Schriftsteller Václav Havel sowie der ungarische Soziologe Miklós Haraszti. Die Redaktionen von Krytyka, Zapis (Aufzeichnung) oder Puls gaben Sonderausgaben über die Nachbarländer heraus, die diejenigen von der dortigen Zensur nicht zugelassenen literarischen Texte sowie politische Literatur vorstellten. Die Untergrundverlage veröffentlichten viele Übersetzungen der offiziell verbotenen russischen (Alexander Solschenizyn, Alexander Sinowjew, Natalja Gorbanewskaja), ukrainischen (Wassyl Stus), tschechischen (Václav Havel, Ludvík Vaculík, Milan Kundera, Josef Škvorecký), ostdeutschen (Reiner Kunze, Bertolt Brecht, Wolf Biermann) oder westdeutschen Literaten (Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger, Christian Graf von Krockow). Besonders wichtig war unter diesen Publikationen, die ganz gewiss einen gemeinsamen Raum für Analysen und Kritik des vorhandenen Systems schafften – neben Solschenizyns Dokument Der Archipel Gulag –, Havels Essay Versuch, in der Wahrheit zu leben9. Sein Text bestätigte den utopischen Charakter des Leitspruchs von Alexander Dubček über die Möglichkeit eines »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«, den er während des Prager Frühlings propagierte.

4. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Widerstandes in Polen spielte die katholische Kirche, die immer in Opposition zum System stand. Vor allem nach 1956 konnte die Kirche ihre Stellung in der Gesellschaft systematisch stärken, da sie eine enorme Unterstützung unter den Arbeitern und der Landbevölkerung genoss. Bereits ab 1945 scharte sie Kreise der Intelligenz um sich und baute eine Reihe von Institutionen auf, die es ermöglichten, nach den 9 Vaclav Havel: Versuch, in der Wahrheit zu leben. Von der Macht der Ohnmächtigen, Reinbek bei Hamburg 1980.

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nötigen Verhandlungen mit den Machthabern eine bedingte Unabhängigkeit vom System zu erreichen. Durch ihre Offenheit und die Ablehnung des Dogmatismus bildeten solche Zeitschriften wie Tygodnik Powszechny (Allgemeine Wochenzeitung), Znak (Zeichen) oder Więź (Band) eine attraktive Alternative zum parteistaatlichen Verlagswesen. Einen hohen Stellenwert hatte ebenfalls die Katholische Universität in Lublin (KUL), die nach 1968 als die einzige Hochschule in Polen das Risiko einging, die von den staatlichen Universitäten verwiesenen Studenten aufzunehmen. In den 1970er und 1980er Jahren kam es zu einer Annäherung zwischen den Kreisen der katholischen Intelligenz und den sogenannten »laizistischen Linken«, die sich früher voneinander distanzierten. Ein Zeichen dieser Annäherung war das 1977 erschienene essayistische Werk Adam Michniks Die Kirche und die polnische Linke. Von der Konfrontation zum Dialog10. Mit diesem Buch polemisierte Józef Tischner, der spätere »Kaplan der Solidarność«, in seinem im Untergrund veröffentlichen Essay Polski kształt dialogu (Die Polnische Art des Dialogs). Initiativen solcher Art gaben den Anstoß zur Bildung eines gemeinsamen Lagers der Intelligenz, das die streikenden Arbeiter auf der Danziger Werft im August 1980 unterstützte. Unter den Beratern des Streikkomitees waren unter anderem der Chefredakteur der katholischen Monatszeitschrift Więź, Tadeusz Mazowiecki, der spätere erste nicht kommunistische Ministerpräsident Polens, sowie der Historiker Bronisław Geremek, früher Mitglied der Kommunistischen Partei. Diese Leute halfen dann beim Aufbau der Solidarność-Strukturen, führten Verhandlungen mit den Machthabern am Runden Tisch, um Zugeständnisse zu erlangen, und gestalteten die neue Regierung Polens mit. Selbstverständlich wäre so ein Streik, der über die Form der zukünftigen Veränderungen entschied, ohne die vorherige Vorbereitung der Arbeiterführer unmöglich. Einer der Mitorganisatoren der Freien Gewerkschaften in Danzig in den 1970er Jahren war Bogdan Borusewicz, ein Historiker, der an der KUL studierte; ein Mitglied des KOR, heute Senatsmarschall. Er trug dazu bei, dass lange vor dem Streik die illegale Zeitung Robotnik Wybrzeża (Küstenarbeiter) herauskam, die mit der in Warschau erscheinenden Robotnik (Arbeiter), einer Zeitung des KOR, zusammenarbeitete. Auf der anderen Seite gab es noch einen weiteren Faktor, der einen enormen Einfluss auf die Entstehung der Solidarność und des Widerstandes hatte: Es war die Wahl von Karol Wojtyła zum Papst und sein Besuch in Polen 1979. Mithilfe der Untergrundpresse erschufen seine Worte, gestützt durch die Übermittlung der Kirche, eine reale 10 Adam Michnik: Die Kirche und die polnische Linke. Von der Konfrontation zum Dialog, München 1980.

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Wirkungsebene für die Kooperation zwischen den Arbeitern und der Intelligenz. Die Institution Kirche distanzierte sich allerdings von konkreten Handlungen mit politischen Folgen und betrieb die in der Nachkriegszeit erprobte Realpolitik. Aus diesem Grund wurde die oppositionelle Zusammenarbeit nicht von der Kirche selbst gefördert, sondern von einzelnen Menschen, insbesondere von der katholischen Intelligenz, die nur zu einem gewissen Grad auf die Unterstützung der kirchlichen Hierarchie zählen konnte. In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass Karol Wojtyła, noch bevor er Papst wurde, zu jener Gruppe engagierter Geistlicher gehörte, die weitreichende Kontakte in die Kreise der Intelligenz und Künstler hatte. Über das Zusammenwirken der Opposition entschied also nicht allein die Einstellung der Kirche, sondern hauptsächlich die Persönlichkeit des Papstes – eines Intellektuellen, langjährigen Hochschullehrers, Ethikers, Dichters und Schriftstellers – verstärkt durch seine Stellung als Kirchenoberhaupt. Zwangsläufig erschwerte das die Tätigkeit der polnischen Machthaber oder machte es ihnen sogar unmöglich, gegenüber den vom Papst unterstützten oppositionellen Einrichtungen in Polen Repressionen anzuwenden.

5. Die Verhängung des Kriegsrechts in Polen führte zur weiteren Konsolidierung der intellektuellen Kreise und zur Bildung einer breiten Widerstandsfront, die maßgeblich von dem sich rasch entwickelnden unabhängigen Verlagswesen unterstützt wurde. In dem sogenannten »Zweiten Umlauf«11 arbeiteten 160 Verlage, die insgesamt zirka dreitausend Zeitschriften und über 4.500 Bücher herausgaben. Ohne zu übertreiben, kann man feststellen, dass daran fast hunderttausend Personen beteiligt waren. Auf der einen Seite haben wir es mit dem gänzlichen Verlust des Glaubens an eine Reformierung des Kommunismus zu tun, auf der anderen mit der Abkehr der Regierung von der ideologischen Rechtfertigung des Systems. Insbesondere in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, nachdem Michail Gorbatschow an die Macht gekommen war, bediente sich die offizielle Sprache des Begriffes »Realsozialismus« für die Bezeichnung der in Polen herrschenden Staatsform. Parallel zu dem erwähnten »Glaubensverlust« gab es Erkenntnisse und Deutungen – speziell in der Literatur –, die das Wesen des Systems bloßstellten. Publikationen des Zwei11 Als Zweiter Umlauf (drugi obieg) wird der polnische »Samisdat« bezeichnet. Der Unterschied gegenüber der sowjetischen Variante besteht in einer viel höheren Auflage und einer besseren Infrastruktur für den Verkauf.

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ten Umlaufs wie Julian Stryjkowskis Wielki strach (Die große Angst, 1979), Mała apokalipsa (Die polnische Apokalypse, 1979) von Tadeusz Konwicki12, Nierzeczywistość (Unwirklichkeit, 1977) von Kazimierz Brandys oder Jerzy Andrzejewskis Miazga (Der Brei, 1981) zeigen eine zerfallende Gesellschaft, bedroht und unterdrückt, nahezu vollkommen ruiniert, der Möglichkeit einer Selbstorganisation beraubt; eine Gesellschaft, der die Erinnerung genommen wurde, weil die Zensur die Geschichte manipulierte. Illegale Organisationen der demokratischen Opposition konnten mehrere Vorhaben umsetzen. Dies verhinderte die oben genannten Desintegrationsprozesse beim Aufbau eigener, nicht staatlicher, politischer und beruflicher Strukturen sowie im Bereich der Untergrundorganisationen, wie die »Fliegende Universität« oder die »Gesellschaft für wissenschaftliche Kurse«. Eine gute Basis für all die Initiativen ­bildete zweifellos das vom Jahr zu Jahr anwachsende Netz aus Untergrundpresse und -verlagen, das in einem Lied von Jan Krzysztof Kelus »Papierrevolution« genannt wird. Der Weg zur Freiheit führte gewiss über die »Schleuse« des Zweiten Umlaufs, was im Falle von Polen, der Tschechoslowakei und teilweise der DDR sicher zutrifft. Von Bedeutung waren zwei zusätzliche Faktoren, ohne die solche Unterfangen sicherlich viel schwieriger und weniger effektiv zu realisieren gewesen wären. Der erste war das Exil: Einen sehr hohen Stellenwert für Polen hatte das Team um die in Paris herausgegebene Monatszeitschrift Kultura, die Jerzy Giedroyc herausgab. Diese Exilzeitschrift stellte aufgrund ihres enormen Einflusses eine beispiellose Ausnahme in der weltweiten Geschichte des Zeitschriftenwesens dar. Giedroyc nahm sich die russische Exilzeitschrift Kolokol (Die Glocke) von Alexander Herzen aus dem 19. Jahrhundert zum Vorbild, was für seine Zeitschrift maßgebend war. Kultura blieb nicht die einzige Zeitschrift der Exilanten: Die Russen hatten Russkaja Mysl (Russischer Gedanke) sowie Kontinent, die Tschechen Svědectvi (Zeugenschaft) und die Ukrainer Sutschasnist (Die Gegenwart). Wichtig war auch die Arbeit der Exilsender wie Radio Free Europe oder Radio Swoboda; dabei ging es nicht nur um Informationssendungen, sondern auch um die Verbreitung von Untergrundpublikationen. Der zweite Faktor war die finanzielle und materielle Hilfe aus dem Westen – sogar die Untergrundverlage wurden technisch ausgestattet. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass zu den größten Erfolgen der Intellektuellen die Auflösung des ideologischen Fundaments des kommunistischen Systems und die Vorbereitung des demokratischen Umbruchs 1989 in Osteuropa gehören. Selbstverständlich waren das nicht die einzigen Ursa12 Dieses Werk ist auch auf Deutsch erschienen: Tadeusz Konwicki: Die polnische Apokalypse, aus dem Poln. v. Gabriele Hanussek, Frankfurt am Main 1982.

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chen für die politische Wende in den Ostblockstaaten, aber sie spielten eine entscheidende Rolle dabei, die Unmöglichkeit einer Reformierung der aufgezwungenen Staatsform zu offenbaren. Frühere Formulierungen über eine »Demokratisierung« beziehungsweise den »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« verloren ihren Sinn. Als Konsequenz wurde der Sozialismus als ein mit dem Totalitarismus untrennbar verbundener Begriff aus dem öffentlichen Diskurs fast völlig verbannt. Aus dem Polnischen von Sabine Stekel



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Erst nach zwanzig Jahren entstanden die gültigsten Beiträge zum Fall der Mauer und den vierzig Jahren versuchter Utopie im DDR-System in umfangreichen Familien- und Generationenromanen. Das damalige, einschneidende Schlüsselereignis für Deutschland und Europa ist nicht vom Bewusstsein eines Schubs der beschleunigten Geschichte, einem Aufbruch zur Berliner Repu­blik nach 1989/90 zu trennen, von dem Aleida Assmann bezogen auf ganz Ost­ europa spricht.1 Im Umbenennen von Städten wie Leningrad zu St. Petersburg, im Verschrotten von Denkmälern der kommunistischen Gründerväter wird der Umbau des kollektiven Gedächtnisses greifbar − wobei Lenin in der Ukraine heute nach der Krim-Annektierung wieder neuen, problematischen Goldglanz erhält. In der Kunst jedenfalls kommt es nicht zu einem Rückschritt in den Kalten Krieg: Ein aktuelles Beispiel ist Bayreuth, wo in Frank Castorfs neuer Inszenierung von Wagners Der Ring eben diese Köpfe im »Siegfried« verfremdet in Mount Rushmore an Stelle der amerikanischen Gründerväter auftauchen. Castorf verwendet die kommunistischen Gründerväter achronologisch als ein Mittel der Satire. An den Großromanen von Uwe Tellkamp und Eugen Ruge zeigt sich auch, bei allen Unterschieden im Einzelnen, dass sich nicht nur die deutsche Kulturnation nach dem Mauerfall neu und historisch beschleunigt in dem definiert, »was wir gemeinsam erinnern und vergessen. […], das gilt, wie wir wissen, für Gemeinwesen nicht weniger als für Individuen, und es schlägt sich nieder in einem Umschreiben von Geschichtsbüchern«.2 Wenn ein Jubiläumsüberblick des großen Themas in bleibenden literarischen Zeugnissen gelingen soll, scheint es mir angeraten, einen Rahmen aus zwei zentralen Gedichten zum Mauerfall zu wählen und den literaturhistorischen 1 Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 334, »Gedächtnisorte wider Willen« (Berlin, Gestapogelände), kultureller »Abfall als inverses Bild des Archivs«, S. 22, »Erwachen der Geschichte« nach 1989, neues »Identitäts- und Gedächtnisproblem«, S. 62 ff. 2 Ebd., S. 62 f.

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Teil knapp zu halten. Da bieten sich die Anthologie-Gedichte von Volker Braun, Das Eigentum (1990), und Durs Grünbeins Novembertage I. 1989 (1999) an. Ich beginne mit Volker Braun, der ja auch mit kodierten Widerstandstexten, der Unvollendeten Geschichte (1975) etwa, noch tief im bestehenden DDR-Konsens von 1975 begonnen hatte, sozialistische Reformen anzumahnen. Den Büchner-Preis im Jahre 2000 hat sich Volker Braun (geb. 1939) für seine konsequente Position in der Dichtung auch im zeitkritischen Hinze-Kunze-Roman (1985) und dem hellsichtig das Ende des »deutschen Gegenstaats im Osten«3 vorausdeutenden Stück Die Übergangsgesellschaft (1984) verdient. In seiner lyrischen Botschaft mit der für die ersten Jahre nach dem Mauerfall typischen Suche nach einem Dritten Weg4 verbinden sich Kapitalismuskritik und der lange Rückblick auf Georg Büchners Sozialkritik in der Flugschrift von 1834 im Hessischen Landboten mit dem Aufruf »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« in einem bleibenden Beitrag zur Kulturnation: Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen. KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN. Ich selber habe ihm den Tritt versetzt. Es wirft sich weg und seine magre Zierde. Dem Winter folgt der Sommer der Begierde. Und ich kann bleiben wo der Pfeffer wächst. Und unverständlich wird mein ganzer Text. Was ich niemals besaß, wird mir entrissen. Was ich nicht lebte, werd ich ewig missen. Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle. Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle. Wann sag ich wieder mein und meine alle.5

3 Eberhard Jäckel: Das deutsche Jahrhundert. Eine historische Bilanz, Stuttgart 1996, S. 316 f. 4 Diesen Weg zwischen Demokratie und Kapitalismus einerseits und Sozialismus andererseits signalisieren unmittelbar nach 1990 neben Braun auch Christa Wolf und Wolfgang Hilbig. 5 Volker Braun: Das Eigentum, in: Karl Otto Conrady (Hg.): Von einem Land und vom andern. Gedichte zur deutschen Wende, Frankfurt am Main 1993, S. 51; auch in: Volker Braun: Lustgarten. Preußen. Ausgewählte Gedichte, Frankfurt am Main 1996, S. 141, wo Braun auf S. 173 anmerkt, Ulrich Greiners Bemerkung zu den »toten Seelen des Realsozialismus« in der Wochenzeitung Die Zeit vom 12. Juni 1990 sei der Anlass zur Zeile: »Und ich kann bleiben wo der Pfeffer wächst«. [Hervorhebungen im Original].

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Die ersten Versuche der fiktionalen Aufarbeitung, noch ohne die notwendige epische Distanz geschrieben, ergeben einen knappen Kanon. An diesem halben Dutzend an Romanen und wenigen Gedichten lässt sich auch im Vergleich zu den Romanen von Tellkamp und Ruge der sich im Abstand einer ganzen Generation abzeichnende Mentalitätswandel erkennen. Von Anbeginn galt für die in erster Linie wichtige Post-DDR-Literatur nach dem Mauerfall, dass es sich − eine Dekade vor dem Millennium auch international für eine Identitätsfindung geeignet − um Generationenromane handelte, mit denen die drei DDR-Generationen seit der »Ankunftsliteratur« nach 1949 noch einmal in den Fokus der jüngeren Autoren rückten. Im Westen, in den sogenannten »alten Bundesländern«, setzte mit einiger Verspätung (1995 bis 2000) und mit Ausnahme von Günter Grass in seinem umstrittenen Fontane-Roman Ein weites Feld (1995) die auch in den Romanen und in fiktionaler Kurzprosa spürbare Erwartung »kultureller Reintegration« mit Blick auf die seit der Aufklärung und der Weimarer Klassik relevante, gemeinsame Kulturnation ein. Über die sich annähernde Entwicklung beider Deutschland sind in den Geistes- und Sozialwissenschaften allein bis ins Jahr 2000 über sechstausend längere Studien erschienen, sodass die anfangs zögerliche bundesrepublikanische Literaturwissenschaft mit ihrer Entdeckung des Mauerfall- und Wendethemas nur einen kleinen Teil der Forschung darstellt. In einer aktuellen Umfrage zur Kulturnation6 sieht sich die große Mehrheit von achtzig Prozent der Deutschen (im Westen 79 Prozent, in Ostdeutschland 83 Prozent, in Altersgruppen der über 55-Jährigen sogar 85 Prozent der Männer und Frauen) als »führende Kulturnation«. Der deutsch-deutsche Literaturstreit um Christa Wolfs Was bleibt (1990) und die noch DDR-spezifische Gattung der »Protokollliteratur« sind in den letzten Jahren in der Forschung immer im Vordergrund einer Tendenz gestanden, die sogenannte »Nachwendeliteratur« am liebsten auf wenige Jahre nach dem Mauerfall einzugrenzen.7 Angesichts der späten Prosa Leibhaftig (2002), einer langen Erzählung Christa Wolfs über ihre lebensgefährliche Erkrankung, und der psychologisch-politischen Überwindung des Verlustes der Utopie in dieser mittleren Generation von DDR-Autoren, kann man eine Generation

6 Vgl. Deutsche sehen sich als Kulturnation. Umfrage, in: Stuttgarter Zeitung vom 1. April 2014, S. 23. – Dabei handelt es sich um eine Umfrage der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen. 7 Vgl. Kerstin E. Reimann: Schreiben nach der Wende – Wende im Schreiben? Literarische Reflexionen nach 1989/90, Würzburg 2008.

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später jedoch andere Schwerpunkte setzen.8 Auch die damals noch beliebte, DDR-spezifische Protokollliteratur wurde nur wenige Jahre relevant. Zunächst und vor allem geht es in den Jahren 1989 bis 1995 bei der literarischen Aufarbeitung der Friedlichen Revolution um fünf von ostdeutschen Autoren vorgelegte, herausragende »Portalromane« in den deutsch-deutschen fiktionalen Literaturtexten am Prenzlauer Berg und um die Darstellung der unmittelbaren Voraussetzungen und Begleitumstände des Jahres 1989/90 samt Mauerfall und deutscher Einheit. Den Beginn machte die mittlere, um 1940 geborene Generation der Monika Maron, Wolfgang Hilbig und Brigitte Bur­ meister mit den Romanen Stille Zeile sechs (1991), »Ich« (1993) und Unter dem Namen Norma (1994). Hilbigs Porträt des alternativen sozialistischen Untergrunds am Prenzlauer Berg und in Meuselwitz, in der öden Landschaft des Braunkohletagebaus, stand ebenso im Zeichen des französischen Poststrukturalismus wie die schwarzen Satire-Romane der um eine Generation jüngeren Autoren. Der Zimmerspringbrunnen (1995) von Jens Sparschuh und Helden wie wir (1995) von Thomas Brussig spiegeln als schwarze Satiren in meisterhafter ästhetischer Verfremdung den für ganz Europa bedeutsamen historischen Umbruch. Gemeinsamer Theorieansatz jener frühen, hier berücksichtigten Texte ist der französische Poststrukturalismus deshalb, weil er eine von den beiden jüngeren Generationen wahrgenommene Simulation und Derealisierung der psychologischen und soziopolitischen Zustände des Stillstands bei zunehmender Überwachung durch die Stasi im »Sozialismus von oben« darstellen ließ. Auch bei den Lyrikern des Prenzlauer Berg (vor allem Elke Erb, Frank-Wolf Matthies und Adolf Endler) wie in den Romanen von DDRAutoren der achtziger Jahre wurde neben dem Einfluss der amerikanischen Beat-Lyrik diese französische »Différance« zwischen Referentem, Signifikat und Signifikant als ästhetisch brauchbar für die Situation vor 1989 intensiv rezipiert. Man erinnere sich an die besondere Achse gegenseitigen Verständnisses zwischen Frankreich und Ostberlin; ich fand die gegenseitige Sensibilität in der bildenden Kunst vor allem bei Wolfgang Mattheuer gespiegelt: einem Zitat der Französischen Revolution in Gestalt der anführenden Freiheit und Marianne aus dem Ölgemälde von Eugène Delacroix in Mattheuers Hinter den sieben Bergen (1973) und seinem Bezug auf Camus in Die Flucht des Sisyphos (1972). Dort verlässt der von den Göttern Verurteilte seinen Stein in Richtung Industrielandschaft, von einer Maske beobachtet, die ambivalent auf

8 Zu Christa Wolfs Leibhaftig vgl. Volker Wehdeking/Anne-Marie Corbin (Hg.): Deutschsprachige Erzählprosa seit 1990 im europäischen Kontext, Trier 2003, S. 18–20.

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Zeus und Stasi deuten könnte.9 Dies war noch lange vor der Biermann-Ausbürgerung, die den Stein endgültig ins Rollen nach Westen brachte.10 Natürlich bewirkte der Fernsehblick nach Westen ein Übriges. Günter Kunert beklagte den nur oberflächlichen Elitentausch zu einem Arbeiter- und Bauernstaat bereits nach 1965, etwa in seinem Gedicht Geschichte (1966): 6. […] Ein damokleischer Schatten: Deutschland Unaufhörliche Wolke zwiefach zwieträchtiger Form […]. 7. Geschichte sage ich und weiter noch: Wenig bleibt, Glücklich wer am Ende mit leeren Händen dasteht Denn aufrecht und unverstümmelt dasein ist alles. Mehr ist nicht zu gewinnen.11

Das Bild, das die Geschichte für die zu Klischees abgeschliffene mémoire col­ lective für alle Bundesbürger bereithält, ist der Tanz auf der Mauer. Thomas Brussig hat dieser Euphorie des ersten Moments zurückgewonnener demokratischer Freiheiten, darunter der Meinungs- und Reisefreiheit, einen dicken 9 Zu eben diesem Bild Mattheuers als »Schlüsselbild einer kollektiven Sehnsucht« und »Freiheitsallegorie« vgl. Anja Hertel: Wolfgang Mattheuer. Die politische Landschaft, Marburg 2014, insbes. Kap. 3.6.2.3., S. 195–204, hier S. 196. – In der DDR sah man das Bild zunächst als systemkonform. Anja Hertel kann Mattheuers Widerstandshaltung einwandfrei aus Biografie und Dokumenten in Kap. 3 belegen. 10 Zur bildenden Kunst vgl. Gudrun Calov: Ungleichzeitigkeiten: Mentalitätswandel in der bildenden Kunst, in: Volker Wehdeking (Hg.): Mentalitätswandel in der deutschen Literatur zur Einheit (1990–2000), Berlin 2000, S. 211–224; Werner Schmidt/Gerd Spitzer: Kat. Ausst. Vom Expressionismus zur Gegenwart. Gemäldegalerie Neue Meister, Skultpturensammlung. Die ständige Ausstellung im Albertinum, Dresden 1993, S. 48–53; Marie-Hélène Quéval: Wenderoman. Déconstruction du roman et roman de la déconstruction en RDA (1985–1995). Wolfgang Hilbig, Jens Sparschuh, Thomas Brussig, Paris 2014. – Die neue französische und Maßstäbe setzende Untersuchung Marie-Hélène Quévals lässt sich auf die Voraussetzungen der Überwindung des Mitte der achtziger Jahre bereits erstarrten »Sozialismus von oben« in der am Prenzlauer Berg entstandenen Untergrundopposition zur Doktrin des von der SED vorgeschriebenen Literaturkonzepts »Sozialistischer Realismus« und »richtige Perspektive« durch die sensible Adaption des dafür hervorragend geeigneten Poststrukturalismus in fiktionalen Texten ein: ein »Simulacrum« aus Derealisierung und Simulation (Baudrillard, Derrida, Lyotard) der in der offiziellen Doktrin noch unproblematisch wahrgenommenen Textgegenstände, wo die Poststrukturalisten die »Différance« zwischen Signifikat, Signifikant und Referenten als Wahrnehmungsinstrumente einer ungewissen erzählten Welt nach dem »linguistic turn« begriffen. 11 Günter Kunert: Geschichte, in: Ders.: Verkündigung des Wetters. Gedichte, München 1966, S. 25–28.

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Roman gewidmet, um die Stimmung des Wie es leuchtet (2004) zu konservieren. Dennoch kam es, so meine erste These zum Vergleich der zwei anfangs sehr ungleichzeitigen Perspektiven in Ost und West in der Literaturentwicklung nach dem Fall der Mauer, nicht zu einem konvergierenden Ablauf der Schreibweisen im Sinne einer im Westen der Bundesrepublik erwarteten kulturellen Reintegration: Vielmehr wollte man in den neuen Bundesländern in den neunziger Jahren erst einmal die Generationendebatte und Identitätsüberprüfung unter sich führen. Noch 2004 formulierte der zu DDR-Zeiten 1983 in Jena zeitweise verhaftete Dissident und Lyriker Lutz Rathenow zum größten Schwachpunkt des sozialistischen Gegenentwurfs zur Bundesrepublik diesen utopischen Aspekt: Der Bau der Mauer 1961 beendete die Legitimität der DDR aus dem eigenen Anspruch heraus. Mit der Mauer verzichtete sie darauf, DAS sozialistische Modell für ganz Deutschland zu liefern. Der Staat DDR hat bei jedem Menschen zu jeder Zeit bestimmt, wo er sich aufhalten durfte, wer wann ins Land kommen durfte und wer nicht. Die Abgrenzung aus DDR-Zeiten und die sozialen Probleme heute ergeben besonders in einigen ostdeutschen Provinzen eine gefährliche Mischung − die schwierigste Nachwirkung der Mauer. Berlin ist dagegen eher ein Laboratorium für nebeneinander existierende Vergangenheiten – polnische, türkische, DDRige, russische, orientalische −, die sich eine Zukunft suchen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kann die Berliner Städte-Vereinigung getrost als Muster der europäischen Einigung gesehen werden. […] Die DDR scheiterte als Utopie und gerät so endgültig zu einer. Sie ist nicht mehr zu widerlegen, nur noch zu deuten. […] wird zur Glaubensangelegenheit und zum medialen Selbstbedienungsangebot. Und damit zur einzigen Sozialismusvision – von einem realen Land ausgehend – die an Strahlkraft im Laufe der Zeit möglicherweise gewinnen könnte.12

So kam es zunächst zu einem regelrechten Clash der beiden Literaturen in ihrer Ungleichzeitigkeit. Es dauerte bis zum Pop-Roman der Ostmoderne eines Thomas Brussig und Jakob Hein (Am kürzeren Ende der Sonnenallee, 1999; Mein erstes T-Shirt, 2001), bis die bei Brigitte Burmeister und Martin Walser, Klaus Schlesinger und Peter Schneider zutage tretenden Unterschiede – samt dem nach 1995 zunehmend ostalgischen Blick – den klärenden Generationenbeiträgen von Monika Maron (Stille Zeile sechs; Pawels Briefe, 1999; Endmoränen, 2002), Helga Schütz (Grenze zum gestrigen Tag, 2000), Brussigs und Ingo Schulzes Wendeerinnerungen (Neue Leben, 2005; Adam und Evelyn, 2008) in langen Romanen wichen. Zuletzt erreichten die fürs kulturelle Gedächtnis und die Identitätsfindung so wichtigen Generationenromane, Uwe Tell12 Lutz Rathenow: Fortsetzung folgt. Prosa zum Tage, Weilerwist 2004, S. 91 u. 126 [Hervorhebung im Original].

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kamps Der Turm (2008) und Eugen Ruges Roman In Zeiten des abnehmenden Lichts (2011), das gesamtdeutsche Verständnis für einander. Hier wäre meine zweite These zur Nachkriegsliteratur und zur Literatur nach dem Mauerfall: die Vergleichbarkeit dieser langen epischen Distanz. Im Westen, nach einer Umbruchsphase seit 1945 dominiert durch die Gruppe 47, kam es um 1959/60 zu einem Höhepunkt und einer ersten Zäsur der deutschen Vergangenheitsaufarbeitung in den großen Romanen mit auch ästhetischer Gültigkeit von Grass, Böll, Andersch, Walser und Johnson. In beiden Literaturentwicklungen mussten also fast 15 Jahre ins Land gehen, bevor man sich der Identitätsfindung im Roman und Gedicht gewiss sein konnte bei der Frage »Wie es dazu kam?« und dem späteren »Wie wir wurden, was wir sind« in beiden Perioden. Soweit die zweite These. Die dritte betrifft das Verhältnis der SozialismusUtopie bei den Exilschriftstellern damals und den DDR-Nostalgikern heute zu den demokratisch engagierten Autoren in den alten Bundesländern, das in prekärer Spannung stehende Akzentuieren von Freiheit versus Gleichheit. Auch hier ergeben sich Vergleichsmomente in damaliger Trennung im Kalten Krieg und heutigem, schwierigen und doch spürbaren Zusammenwachsen. Die Parteigründung DIE LINKE ist eigentlich eine Normalisierung und spiegelt sich in den Beiträgen des Bandes Ein Land, genannt die DDR (2005)13 bei Autoren wie Daniela Dahn, Erich Loest und Ulrich Plenzdorf mit einem Rückblick auf die Trümmerzeit von Claus Leggewie. In beiden Fällen war die »Gegenwartsbewältigung« für die Identitätsgewinnung zunächst vordringlicher als das Einmünden in ein kulturelles Gedächtnis größerer epischer Distanz. Ein in vier Systemen akkulturierter Autor wie Günter Kunert, der desillusioniert 1979 der DDR mit einem Dreijahresvisum entfloh, hat es zu einem hilfreichen Leitmotiv gebracht mit der Formulierung »Immer wieder am Anfang«14 und in seiner Autobiografie Erwachsenenspiele von 1998. Er findet, dass man das »Darwin’sche Modell« nicht auf die Geschichte übertragen darf – statt Fortschritt ein sich Sammeln und Atemholen, unsicher und ratlos wie sein Sisyphos, bevor er den zu Tal gerollten Felsen wieder hochstemmt, »wie es mit uns, wie es mit der Welt weitergehen soll«.15 Die Petrifizierung der Geschichte, ungeachtet der Fortschrittsklischees, und die Bedrohung der Natur 13 Ulrich Plenzdorf/Rüdiger Dammann (Hg.): Ein Land, genannt die DDR, Frankfurt am Main 2005. 14 »Das Gedicht? Zu den Akten.« Ein Gespräch mit Günter Kunert, in: Manfred Durzak/ Hartmut Steinecke (Hg.): Günter Kunert. Beiträge zu seinem Werk, München 1992, S. 306–335, hier S. 329. 15 Ebd.; vgl. auch Günter Kunert: Neues von Sisyphos, in: Ders.: Im toten Winkel. Ein Hausbuch, München 1992, S. 219 ff.

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und Umwelt durch die ungehemmte Industrialisierung lassen den Autor keinen Unterschied zwischen den Systemen erkennen und führen ihn früh zum Ökologiethema angesichts der »schleichenden Katastrophe«16. Für meine Pers­ pektive im Folgenden, auch im Rückblick auf 1945, ist diese Sicht der Dinge maßgebend; ich folge hier gern den Erfahrungen des Berliner Dichters im Blick auf den Palimpsest-Charakter der Metropole und vieler Berlin-Romane. Kunerts Point of View ist also maßgebend: als »Sohn einer jüdischen Mutter, der 1933 vier Jahre alt ist und sechzehn, als Berlin verbrennt; zwanzig, als die DDR gegründet wird; fünfzig, als er sich aus ihr absetzt; sechzig, als sie ein Ende nimmt«.17 Nur Günter de Bruyn kann mit seiner Autobiografie Vierzig Jahre (1996) im zweiten Teil18, ähnlich verlässlich der Ostalgie dieser späteren neunziger Jahre, mit seinem aufrichtigen »Lebensbericht« die Entscheidung für eine »Innere Emigration« in der DDR19 als plausible Dissidenz entgegenhalten. Seine Ostberliner Bibliotheksjahre – beibehalten, um dem Wohnsitz der Mutter nahe zu sein – und sein Schreib- und Fluchtort vor den StasiPressionen in einem Bauernhaus an einem Nebenflüsschen der Spree, zwei Bahnstunden von Berlin entfernt, sorgen für »Bodenhaftung«. Das unbeirrte Festhalten am Fortbestand einer deutschen Kulturnation während all der DDRJahre ist singulär und lässt ihn den Fall der Mauer als ein Stück glücklich verlaufener deutscher Geschichte erleben. Lange konnte sich der Autor des Erfolgsromans Buridans Esel (1968), erschienen in beiden Deutschland, den man, obwohl »im Innern unbequem«, als »Kulturalibi« und »Beweis für literarische Vielfalt und Toleranz« duldete20, in seiner Waldeinsamkeit wie Thoreau von dem Druck der Stasi trotz Unterzeichnung des Biermann-Protestschreibens 16 Günter Kunert: Anläßlich Ritsos. Ein Briefwechsel zwischen Günter Kunert und Wilhelm Girnus, in: Sinn und Form, Jg. 31 (1979), H. 4, S. 850 ff. 17 Peter von Matt: Günter Kunert: denkender Dichter, in: Günter Kunert. Beiträge, a. a. O., S. 14–21, hier S. 21. 18 Günter de Bruyn: Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht, Frankfurt am Main 1996; Ders.: Zwischenbilanz. Eine Jugend in Berlin, Frankfurt am Main 1992. 19 Auch wenn sich der Begriff »Innere Emigration« im literaturhistorischen Gebrauch vorwiegend auf die NS-Zeit bezieht, sind die beiden Diktaturen gerade bei de Bruyn im kodierten Widerstand vergleichbar. Er führte bereits in der NS-Zeit ein »Inneres Leben« als Tagebuchschreiber. Im Roman Neue Herrlichkeit (1983), der erst Druckverbot erhielt, dann zensiert erschien, zeigt sich de Bruyns selbstbewusst-kritische Haltung. Vgl. Michael Braun: Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Günter de Bruyns literarische Auseinandersetzung mit der Diktatur, in: Günther Rüther (Hg.): Literatur in der Diktatur, Paderborn 1997, S. 391–403. 20 De Bruyn zitiert Max Walter Schulz’ Gutachten im Mitteldeutschen Verlag, der im Roman einen »Angriff auf die Sozialistische Gesellschaft« sah. Günter de Bruyn: Vierzig Jahre, a. a. O., S. 144.

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fernhalten. Auch dann noch, als er mit einem behaupteten, von der Stasi fingierten Ehebruchs mit einer Pfarrersfrau aus der katholischen Bewegung in eine prekäre Lage geriet, konnte er den Nationalpreis Erster Klasse ein halbes Jahr vor der Maueröffnung abwehren (den ihm bislang Kurt Hager vorenthalten hatte): Die Souveränität, die ich Spätentwickler gewonnen hatte, war dem Staat inzwischen abhandengekommen. Vierzig Jahre lang war er mit Hilfe von Angst regiert worden; als die sich abgebaut hatte, war es mit dem Regieren vorbei.21

Peter Schneiders aus Kalifornien zurückkehrender Wissenschaftler (ein Molekularbiologe) notiert im Roman Eduards Heimkehr (1999) mit dem fremden Blick Eduards und seiner amerikanischen Frau für die rasanten Verwandlungen der durch den Bauboom aufgewühlten Hauptstadt auch die geschichtlichen Hypotheken: Fassadensanierungen und aufgerissene Straßen im Berliner Osten, Züge von Historisierung, Narben aus Kriegs- und Nachkriegszeit, einschneidende Veränderungen, aber auch neues Elend im Westen. Die Wiederver­ einigung hat nicht nur Ostberlin sichtlich verändert, sondern auch die ­»Frontstadtmentalität« und Provinzialisierung der »Kiez«-Bewohner im prosperierenden Westteil. Eduard und seine kalifornische Familie registrieren dies genau: ein eklektisches Nebeneinander von DDR-Plattenbauten und Neubausiedlungen in Berlin-Buch, beklemmende Häuserfluchten in Lichtenberg, das Labyrinth für Ortsfremde am Alexanderplatz, die rasante Verwandlung am Gendarmenmarkt und der Kneipenszene Tiergartens. Wie eine Insel wirkt das verbliebene Weinhaus Huth inmitten des gigantischen Umbaus am Potsdamer Platz: Der Boden, auf dem er sich bewegte, war nicht fest. Man meinte, auf Asphalt zu gehen und sackte unversehens ab, watete in unterirdischen Gewölben und Tunneln herum und hielt das Tonnengewölbe über sich für den Himmel. Die Ausschachtungen überall, die Baulöcher, die künstlichen Seen im Berliner Erdreich kamen Eduard jetzt vor wie leichtsinnig geöffnete Einstiege in eine Stadt unter der Stadt. Geister krochen aus ihnen hervor und hängten sich an die Fußgelenke der Lebenden, irritierten ihren Gang, umklammerten ihre Hirne. Anscheinend merkten die für Umweltgefahren sonst so hochsensiblen Einheimischen nichts von diesen unterirdischen Energien, die, wie geruchsloses Gas, Verdächtigungen, Häme, Zynismus und Rette-sich-wer-kann Reflexe freisetzten.22

21 Ebd., S. 253. 22 Peter Schneider: Eduards Heimkehr, Berlin 1999, S. 314 f.

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Bei Schneider, einem aus der 68er-Bewegung kommenden Autor (Lenz, 1973), spürt man in neuer Nähe zur Kulturnation die Erwartung und die Themen der soziokulturellen Integration; er wagt oft die filmische Totale und beschreibt eine umfassende Topografie Berlins. Wie bei Ohler und Parei beschreibt er die »Geister der Vergangenheit« als einen in vielen Berlin-Romanen rekurrierenden Topos. Die Dämonen der Geschichte bedrängen die Nachgeborenen. Jedoch in einem Abstecher mit einer Ostberliner Freundin nach Weimar erlebt Eduard die ungebrochene, wenn auch lange verdrängte Zuneigung zur Weimarer Klassik und zu diesem faszinierenden Zentrum der deutschen Kulturnation: War es nicht merkwürdig, wie leicht, ja fast triumphierend er und eine ganze Generation den Verzicht auf diesen Teil der deutschen Geschichte ertragen hatten und nicht einmal hatten wahrhaben wollen, daß ihnen etwas fehlte? Plötzlich ließ er den Gedanken zu, wie prächtig sich die Schülerallergie gegen die Heiligen der deutschen Klassik mit der Hinnahme der Teilung vertragen hatte. Es war ja nicht nur die Abtrennung von einem Stück Land, die da bußfertig hingenommen worden war. Sie hatten auch eine liebenswürdige Denk- und Lebensart großzügig aufgegeben und über den Rand gekippt. Zögernd registrierte Eduard, daß er auf dem Weg der Versöhnung war. […] Später lag er unter den Bäumen von Goethes Gartenhaus, er mit bloßem Oberkörper, den Kopf in Marinas Schoß. […] Sie las aus einem Bändchen vor, das sie fast wahllos vom Büchertisch gegriffen hatte. Es war Christiane gewidmet und handelte vom Gelingen und Scheitern einer fast aussichtslosen Liebe. Von ihrem Kampf um Selbstbehauptung in Goethes Freundesclan.23

In Beobachtungen des Touristenstroms vor dem Hotel Elephant, beim durch »tausend Schritte erschließbaren Zentrum Weimars« mit den »Werkstätten der deutschen Klassik«: Er konnte es nicht fassen, wie viele gute und genial begabte Geister sich hier im Umkreis von tausend Quadratmetern gefunden hatten. […], eine kleine, radikale, phantastisch produktive Minderheit […] Maler, Baukünstler, Komponisten, Dichter, Erzieher, Wissenschaftler und ihrer aller Leibarzt Hufeland.[…] Mitten im deutschen Wald war eine südliche, sichtlich von italienischen Lebenskünstlern und Leichtfüßen inspirierte Provinzmetropole entstanden. […] Auch das verwinkelte Weimar war inzwischen von der siegreichen Armee der Baumaschinen, Kräne, Steinsägen und Preßlufthämmer erobert worden. […] Berlin wie Weimar schienen darin zu wetteifern, sich im gleichen Tempo, aber in entgegengesetzter Richtung aus der Gegenwart herauszukatapultieren. Berlin flüchtete in die Zukunft, Weimar in die Vergangenheit.24 23 Ebd., S. 341. 24 Ebd., S. 337–343.

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Peter Schneider lässt in der flüchtigen Liebesidylle nahe Goethes Gartenhaus keinen Zweifel daran, dass er die faustisch-gefährliche Bitte seines Helden Eduard, der Augenblick möge dauern, mit dem Rückgewinn des Gefühls einer Zugehörigkeit zur Kulturnation verbindet: »Mit einem abweisenden, gleichsam den Anstand wahrenden Kopfschütteln nahm Eduard die Einladung des Ortes an«.25 Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist für den einstigen 68er Schneider, der die Absurdität der Mauer bereits in den Episoden des Erzählbandes Der Mauerspringer (1982) festhielt − lange vor Martin Walsers Dorle und Wolf (1987), das ebenfalls für eine Aufhebung der Teilung plädierte −, die vereinte Nation in Weimars kulturnationaler Aura wieder greifbar geworden. Nun zu den späten Rückblicksromanen von Uwe Tellkamps Der Turm und Eugen Ruges In Zeiten des abnehmenden Lichts, beide Romane preisgekrönt und international vielbeachtet: Der für die poetische Dichte seines Romans vergleichsweise junge Dresdener Autor, der vierzigjährige Arzt Uwe Tellkamp, hat über die bildungsbürgerlichen Generationenerfahrungen in der späten DDR (und deren letzten sieben Jahre) in postideologischer und kulturnationaler Erinnerung geschrieben, die sogar bis zu Goethes Weimar und Wilhelm Meister[s] (1795/96) Turmgesellschaft Durchblicke auf den Humanismus der Klassik und die lange Tradition der Kulturnation erlauben. Das 976-Seiten-Opus präsentiert aus der Sicht des Helden mit dem der Romantik entlehntem Namen Christian Hoffmann (in Anspielung auf E. T. A. Hoffman) einen vielfigurigen Roman der Gesellschaftspräsentation und ein minutiöses Porträt Dresdens vor dem Mauerfall. Entstanden ist ein Mikrokosmos der DDR, in dem sich die riesige Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit im real existierenden Sozialismus ablesen lässt. Die »Geschichte aus einem versunkenen Land«, so der Untertitel, versammelt alles, was zum materiellen wie ideellen Bankrott der DDR beigetragen hat, vom Wohnraummangel über die schwierige Versorgungslage bei den Konsumgütern bis hin zu gefälschten Landkarten, von einzelnen Markenartikeln wie Orwo-Film über katastrophale Zustände in der medizinischen Versorgung und im Rechtssystem bis zum Verhältnis der DDR-Bürger zu ihren russischen »Freunden«. Von der »Gretchenfrage« Gehen oder Bleiben, der Bestechung und Bespitzelung über subversive Witze, ideologische »Rotbeleuchtung« im Unterricht, Zensur, Generationenkonflikte bezüglich der Einschätzung des Stalinismus oder der Vorgänge im Moskauer Hotel Lux bis zu Ausschlüssen von Schriftstellern aus dem Schriftstellerverband und der sozialistischen Kritik an der Literatur der Romantik.26 25 Ebd., S. 341. 26 Andrea Geier: Die Welt der 1.000 Dinge. Uwe Tellkamp erzählt von den Türme(r)n und Toren Dresdens, in: literaturkritik, Jg. 10 (2008), Nr. 11, S. 1–3, online abrufbar unter: http:// www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=12380, letzter Zugriff: 06.01.2015.

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Es geht um die »sorgfältige Rekonstruktion einer Lebenswelt« in der Erziehungsdiktatur, Einblicke »in Schule, Verlag, Gesundheitswesen, Militär und Wirtschaft«. Zum Ensemble der Familie des Chirurgen Hoffmann und seiner Freunde unter den Lektoren und Betriebsdirektoren kommen Figuren, die »für differierende lebensweltliche Erfahrungen und ideologische Standpunkte stehen«, wie der Schriftsteller Albin, der die stalinistischen Verbrechen als notwendige Maßnahmen verteidigt, oder der undurchsichtige Anwalt Sperber. Manchmal wirkt der allzu detaillierte, dabei aber hochpoetisch formulierte Text der wie im Nouveau Roman im Vordergrund stehenden Dinge wie ein »sorgfältig abgelegter Zettelkasten DDR«.27 Der während seiner NVA-Zeit beinahe von einem Panzer überrollte Protagonist erlebt Erpressungen des MfS in seiner Familie und muss zusehen, wie Polizisten seine Mutter am Dresdener Hauptbahnhof verprügeln. Er greift nach dem Unfalltod eines Mitsoldaten einen Vorgesetzten an. Manches ist authentisch der Vita Tellkamps nacherzählt, der sich bei der NVA im Herbst 1989 wegen Befehlsverweigerung »schuldig« macht. Der Autor und sein Held, den die Mitschüler als »Nemo« verachten, als ein »Nichts«, berufen sich auf Thomas Wolfe und die große epische Tradition des 19. Jahrhunderts. Tellkamp verwendet im Lektor Meno Rohde eine zweite Erzählinstanz zur Verbürgung von Authentizität und lässt seinen Helden zunächst im Umfeld Schikanen des Systems erleben, so die aufgrund ihres im Westen gebliebenen Mannes als Ausreisewillige beständig drangsalierte Regine, bis er schließlich selbst ins Gefängnis kommt, vor dem ihn die Familie lange schützen konnte. Man entzieht ihm die Zulassung zum Medizinstudium, er kommt in die Militärstrafanstalt Schwedt und zur Strafarbeit in ein Chemiewerk. Christian erkennt, dass er als Systemgegner bestraft wird und summiert wie Wolfgang Hilbig: »Hier, an diesem Ort, dem von Braunkohletagebauten und vergifteten Flüssen zerfressenen Chemie-Reich, war er richtig, hier war sein Platz«.28 Die Familie der Weimar bewundernden Türmer schließt sich am Ende teilweise der Bürgerbewegung an. Christian wird durch Lernbesessenheit und Liebe zur klassischen Musik zum schulischen Außenseiter – den »Kompaß«, wie auch der Autor Meno, »unbeirrbar auf Weimar gerichtet«; die »Musennester« sind beider Fluchträume, »je toter, desto besser«; eine Schattenwelt des Elbflorenz, in der sie durch ihre Zeitflucht indirekt zu den Problemen ihres erstarrten Systems, konnotiert in der verfallenden Stadt, beitragen.

27 Ebd. 28 Uwe Tellkamp: Der Turm, Frankfurt am Main 2008, S. 840.

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Dass der Roman nur eine Minorität in der DDR-Gesellschaft beschreibt, mindert seine Leistung für das Archiv des kulturellen Gedächtnisses nicht, denn die Perspektive des »Typischen«, wie sie die sozialistische Ästhetik anmahnte, muss er nicht einhalten. Die Handlung der beiden Romanteile, in den Überschriften inspiriert von Goethes Wilhelm Meister (Buch 1: »Die pädagogische Provinz«, Buch 2: »Die Schwerkraft) und multiperspektivisch montiert, von den drei Hauptfiguren Christian, seinem Vater und Arzt Richard und dem Lieblingsonkel Meno wiedergegeben, wird in Meno Rohdes Tagebuch in einem kursiv gesetzten Bewusstseinsstrom zum visionär geschilderten Scheitern des erstarrten Systems in den sieben letzten Jahren vor dem Mauerfall verdichtet. Im Kapitel 63 (»Kastalia«), im Titel von Hermann Hesses Glasperlenspiel (1943) inspiriert, beschreibt der Lektor Rohde seinen HermesVerlag als »Gelehrteninsel« und »Literaturinstitut«, das den geistigen Kern des »Sozialistischen Realismus« widerspiegelt. Eine dreifache Mauer umschlingt diese Insel, die statt intendierter Weltoffenheit zu einem versunkenen Dornröschen-Schloss mutiert: Wir gaben dem Volk das geistige Brot; wir waren ein Fenster zur Welt … Die Mauer schlang sich um die Gelehrteninsel, dies sozialistische Kastalien, dreifach gesichert: nach innen, nach außen und gegen das Lächeln; die Stacheldraht-Rosen trieben am Bau hoch, nur die Vögel blieben nicht hängen; Scheinwerfer suchten die Mauer ab, Hunde streiften an Laufketten das Niemandsland zwischen den Mauerringen. […] Kennpunkte in verrotteten Seekarten, aber die alten Kapitäne waren tot, die Astrolabien und Sextanten, mit denen man die Zeichen hätte lesen können, verkauft oder vergessen in den Museumsdepots unserer Stadt. »›Die Bourgeoisie ließ das literarische Erbe zerflattern; […] Shdanow […] 1934«: »Erziehung, Erziehung«, hauchte es in den Fluren, […]; wir fürchteten das Feuer, manche von uns hatten schon einmal Bücher brennen gesehen. In den Lektoraten saßen Glasperlenspieler und hatten Fernrohre […], die durch verschimmelte Bullaugen, durch gut getarnte Luken im Stacheldraht in die Kulturen fremder Länder spähten; […] Wir ankerten in Weimar, unsere Nabelschnur hing am Frauenplan; […] Fixstern Goethe … […], während das Pendel der anderen Zeit, die den Dingen Entwicklung und Wandel gab, langsam wie ein Metronomweiser, […] hin und hertorkelte … Wen erreichten wir? […] forschten in Gelehrtenstuben hoch über der Mauer an utopischen Sozialisten, […] über der Geschichte der Arbeiterklasse, sann[en] den Problemen der sozialistischen Planwirtschaft hinterher, […] – Marx-Engels-Gesamtausgabe –, halfen, die Sonne der Einzigen Ideologie aufgehen zu lassen. […] Das Verbalerotiker-Kollegium tagt. […] Was war es, das Große Projekt? Der Nachbau der Wirklichkeit, um sie nach unseren Träumen formen zu können …29

29 Ebd., S. 851–854 [Hervorhebung im Original].

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Bereits der populäre Terminus »Wendeliteratur« (mit der implizit bis heute anhaltenden Erwartung des großen »Wenderomans«) weist auf das Moment der Diskontinuität nach jener friedlichen und »sanften« Revolution (wie Martin Walser es formulierte), je nach Blickpunkt auch Implosion, Umbruch oder abgetriebene Revolution.30 Von dieser neuen Warte her, wie sie sich anders situiert auch in Brussigs Wie es leuchtet und der jüngsten Erzählprosa Ingo Schulzes (Handy, 2007; Adam und Evelyn) zeigt, vor allem aber bei Eugen Ruge, erscheint ein Rückblick auf die Nachwendeprosa im neuen Millennium nicht mehr so stark in ungleichzeitige Aporien und Heterotopien zu führen. Eugen Ruges Familien-, Zeit- und Gesellschaftsroman In Zeiten des abnehmenden Lichts gehört, als Bestseller mehrfach preisgekrönt31, als ästhetisch anspruchsvoller Roman über die drei DDR-Generationen seit der »Ankunftsliteratur« bereits jetzt absehbar zum Kanon. Der multiperspektivische Blick auf die Vorgeschichte einer Kommunistenfamilie im Widerstand gegen das NS-System und – nach der Emigration der Umnitzer-Familie – die Schilderung der vierzig Jahre DDR bis zum parallelen Niedergang der Familie führt das politisch-ideologische Denken der Familienmitglieder, deren Zusammenhalt sich mit dem Mauerfall auflöst, immer parallel zum psychologischen Unglück eines Lebens ohne gegenseitiges Verständnis und – gemessen an der intellektuellen akademischen Erwartungshaltung dieser DDR-Führungsschicht – in dürftigen Kulissen eines immer Opfer verlangenden Lebensstandards. Als Alexander, geboren 1954 und Haupterzählinstanz, im Oktober 1989 kurz vor dem Mauerfall nach Ehescheidung und ohne den Sohn Markus in den Westen geht, ist längst deutlich geworden, dass die Familie sich auflöst, weil es nicht gelang, durch Liebe und Verständnis im Privaten einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu leben. 30 Vgl. Elke Brüns: Nach dem Mauerfall. Eine Literaturgeschichte der Entgrenzung, München 2006, S. 9–30, bes. S. 21 und 28. 31 Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Roman einer Familie, Reinbek 2011. – Noch 2011 erhielt Ruge für seinen Generationenroman den Deutschen Buchpreis, aber bereits vor Erscheinen 2009 den Alfred-Döblin-Preis. 2011 folgte noch der AspekteLiteraturpreis. Die Begründung der Jury für den Deutschen Buchpreis lautete: »Eugen Ruge spiegelt ostdeutsche Geschichte in einem Familienroman. Es gelingt ihm, die Erfahrungen von vier Generationen über fünfzig Jahre hinweg in einer dramaturgisch raffinierten Komposition zu bändigen. Sein Buch erzählt von der Utopie des Sozialismus, dem Preis, den sie dem Einzelnen abverlangt, und ihrem allmählichen Verlöschen. Zugleich zeichnet sich sein Roman durch […] Unterhaltsamkeit und […] Komik aus.« Preisträger 2011: In Zeiten des abnehmenden Lichts [Pressemitteilung der Jury des Deutschen Buchpreises], online abrufbar unter: http://www.deutscher-buchpreis.de/ archiv/autor/119-ruge/, letzter Zugriff: 29.01.2015.

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An eben diesem Anspruch zerbricht auch das System. Der Titel mit der melancholischen Lichtmetaphorik wird im Text auf mehreren symbolischen Ebenen eingeholt. Alexander hat als Vater versagt und keine Zeit für den Sohn gefunden, und Markus, der Jüngste, blickt mit seinen zwölf Jahren auf einem Familienfest des neunzigjährigen Urgroßvaters und Stalinisten Wilhelm (1899– 1989) befremdet auf die gesamte Familie: Ansonsten waren seine Urgroßeltern komische Leute. Irgendwann, es war lange her, hatten sie gegen Hitler gekämpft, illegal, Nazizeit – hatten sie in der Schule gehabt. Wilhelm war sogar in seiner Klasse gewesen und hatte von Karl Liebknecht erzählt, wie sie zusammen auf dem Balkon gesessen und die DDR gegründet hatten, oder so ähnlich.32

Markus’ Großvater Kurt Umnitzer, geb. 1921, ist anerkannter Professor für russische Geschichte an der Humboldt-Akademie, und beide Generationen versammeln zum erzählerischen Höhepunkt dieses Geburtstages Teile der DDR-Elite um sich, inklusive einem Stasi-Oberst. Während Wilhelm mit hoher Greisenstimme unbelehrbar die Parteihymne im stalinistischen Geist zum Besten gibt, »Die Partei, die Partei, die hat immer recht / Und, Genossen, es bleibe dabei / […] So, aus Leninschem Geist / Wächst, von Stalin geschweißt / Die Partei – die Partei – die Partei«33, ist Kurts Denken stark durch seine Lagerzeit im russischen Gulag geprägt. Der inzwischen demente Vater lebt 2001 allein, auf das »Essen auf Rädern« angewiesen, und der ihm entfremdete Sohn Alexander beobachtet den menschlichen Verfall mit der Einsicht: Kurt aß, um zu leben. Essen = Leben, diese Formel, dachte Alexander, hatte er im Arbeitslager gelernt, und zwar gründlich. Die Gier, […] war nichts anderes als Überlebenswille. Das war das Letzte, was von Kurt übriggeblieben war.34

Die Laudatio eines Altkommunisten auf den Jubilar Wilhelm wird von Kurt, dem Historiker, immer noch beklatscht, als er bereits von »Halbwahrheiten und großen Weglassungen in dieser Rede« weiß. Es geht um die »Einheitsfrontpolitik« der Partei in den zwanziger Jahren und Wilhelms »Kämpferbiographie« als angeblich Kapp-Putsch-Verwundeter: Eigentlich, dachte Kurt, immer noch klatschend, war Wilhelm – ganz objektiv betrachtet – persönlich mitverantwortlich, dass die linken Kräfte sich während der zwanziger Jahre gegenseitig zerrieben und der Faschismus in Deutschland am 32 Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Roman einer Familie, Reinbek 2011, S. 271. 33 Ebd., S. 208. 34 Ebd., S. 11.

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Ende siegreich gewesen war. […], dass die Geschichte des antifaschistischen Widerstands nichts anderes war […] als eine Geschichte des Misserfolgs, der Bruderkämpfe, der Fehleinschätzungen und des Verrats.35

Erst als die Mauer gefallen ist, schreibt Kurt sein bestes Buch, eine Autobiografie seiner Lagerzeit im Gulag. Als er hätte mithelfen können, einen Mithistoriker vor dem Parteiausschluss zu bewahren, der genau so denkt wie er selbst, versagt Kurt stellvertretend für die DDR-Elite. Es gelingt nicht, die Utopie des Sozialismus und den realen Lebensstandard rechtzeitig durch Einsichten in vergangene taktische Fehler, insbesondere den Mauerbau und die Stasi, weiter durch Reformen und mit demokratischen Elementen für die Bürger im Lande akzeptabler zu gestalten. Man kämpft noch gegen Gorbatschows Perestroika, als es schon zu spät ist. Alexander hat am Ende Krebs und lebt mit unbestimmter Lebenserwartung 2001 in Mexiko, dem Exilland der Großeltern, am symbolischen Ort Puerto Angel am Pazifik, wo er das abnehmende Licht der Sonnenuntergänge in einer Hängematte genießt, in, wie es heißt, »Embryonale[r] Passivität«, jedoch mit neuen, vielleicht nicht zu späten Einsichten in die Liebe zu einer gleichaltrigen Partnerin Marion, der er brieflich »eine Art Heiratsantrag« macht.36 Neu für den Erzähler, der vielleicht die Fünfzig nicht mehr erreichen wird, ist das auch in Südamerika dringend erforderliche ökologische Umdenken. Alexander fragt sich angesichts der krassen Armut breiter Bevölkerungsschichten in Mexiko: »Wie hoch ist eigentlich die Lebenserwartung einer Frau aus der mexikanischen Unterschicht?«37 Die vor Ort lange abgeschlachteten Wasserschildkröten werden nun von den Anwohnern und Schildkröten-Museumsbetreibern behütet. Der moribunde Alexander schreibt in hochpoetischen, elegischen Überlegungen vom Wert eines authentischen, altruistischen Lebens angesichts des nahen Endes und nach Aufarbeitung der für ihn bestimmten, versteckten Aufzeichnungen des Vaters und kommunistischen Historikers: Das Meer will ihn berauschen. […] und im selben Augenblick, im Augenblick der Schwebe, wird sich der Gedanke in sein Bewusstsein drängen, dass das alles, das Da-Sein, vollständig und unwiderruflich ausgelöscht werden wird, und dieser Gedanke wird ihn treffen mit einer Wucht, dass er Mühe haben wird, sich auf den Beinen zu halten.38

35 36 37 38

Ebd., S. 341 f. [Hervorhebungen im Original]. Ebd., S. 413. Ebd., S. 420. Ebd., S. 417.

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Der Roman wird wegen seiner Leitmotivtechnik und der Verfallsgeschichte einer Familie bereits mit den Buddenbrooks (1901) von Thomas Mann verglichen.39 Jedoch geht es bei diesem Verfall nicht um einen vom Bürger- zum mit Nietzsche versetzten Künstlerverfall; es gelingt Ruge, in präzisen subjektiven Perspektiven der vier Generationen Umnitzer, den Mangel an Liebe und Sensibilität auf den Verfall des politischen Systems zu projizieren und dabei immer im scheinbar Privaten die Folgen des autoritären Versagens vor den eigenen Partnern und Kindern symbolisch für das System durchsichtig zu machen. Die Mangelwirtschaft, vor allem im Bereich des Wohnens und Essens, wird aus der subjektiven Perspektive der Familienmitglieder und ihrer Feiern an Weihnachten und an runden Geburtstagen überzeugend greifbar, bis der Ruf »Wir sind das Volk« auf der Straße den Massenexodus der Bürger begleitet und die Mauer fällt. Neben dem wie bei Heinrich Böll in seinem ebenfalls achronologischen Roman Billard um halb zehn (1959) dargestellten Höhepunkt von Wilhelms neunzigstem Geburtstag mit Fazitcharakter für das erstarrte System, sind zwei aus der Perspektive Vater und Sohn weitgehend im szenischen Dialog erzählte Episoden herausragend. Alexander muss 1973 in die NVA einrücken und sehnt sich nach westlicher Beat- und Folk-Rockmusik (Mick Jagger) als Freiheitssound, und Kurt begleitet 1979 seinen Sohn im winterlichen »Neuendorf« (vom Prenzlauer Berg zum Alexanderplatz) auf der vergeblichen Suche nach einem vernünftigen Abendessen. Die Lokale für »Goldbroiler« sind von Endlosschlangen belagert, viele Gaststätten sind wegen Ruhetag geschlossen, andere bieten willkürlich keinen Platz am Tisch, und schließlich landen Vater und Sohn in einem Automatenrestaurant. In atmosphärisch dicht erzählten Passagen des real existierenden Sozialismus40 zeigt sich das Lebensgefühl des »Eingesperrtseins«41 beim den Stumpfsinn des NVA-Drills kaum ertragenden Alexander: […] niemals würde er die Rolling Stones live erleben, niemals würde er Paris oder Rom oder Mexiko sehen, niemals Woodstock, noch nicht einmal Westberlin mit seinen Nacktdemos und seinen Studentenrevolten, seiner freien Liebe und seiner Außerparlamentarischen Opposition, nichts davon, dachte Alexander, […], weil 39 Vgl. Sandra Kegel: Ein deutsches Jahrhundert im Roman. Der Untergang des Hauses Ruge, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. August 2011; Dirk Knipphals: Wie bastelt man sich eine Familiengeschichte?, in: die tageszeitung vom 27. August 2011; Michael Kumpfmüller: Das Wunder eines Romans, in: Die Welt vom 24. September 2011; Jörg Magenau: Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts, in: Getidan vom 2. Dezember 2011. 40 Ruge: In Zeiten, a. a. O., Kap. »1973«, S. 209 ff. sowie »1979«, S. 290 ff. 41 Ebd., S. 214.

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zwischen der kleinen, engen Welt, in der er sein Leben würde verbringen müssen, und der anderen, der großen, weiten Welt, in der das große, das wahre Leben stattfand – weil zwischen diesen Welten eine Grenze verlief, die er, […], demnächst auch noch bewachen sollte. Das war am siebenten Tag.42

Dies biblische Signum aus der Genesis über die entfremdende Wirkung der Mauer auf die Menschen, die Lebensstandard und selbstbestimmtes Leben in der Bundesrepublik immer im Fernsehen vor Augen haben, und die Lieblosigkeit zwischen den Generationen, wiewohl doch das Familienethos gerade in der DDR hoch gehalten wurde, sind kritisch umso schwerer wiegende Einwände gegen den »Sozialismus von oben«, als Ruge authentisch seiner eigenen Familie aus dem kommunistischen Establishment nacherzählt und bei alledem Verständnis für die Beweggründe der einzelnen Mitglieder bewahrt. Umso erkältender sind die Fakten: dass die Großmutter Charlotte, die einst mit Wilhelm das mexikanische Exil teilte, diesen Egozentriker am Ende kurz nach seinem neunzigsten Geburtstag heimlich vergiftet, um im Alter ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und doch bald einsam im Pflegeheim stirbt, und dass Kurt in seinen Aufzeichnungen die »Hinrichtung« eines aus dem ZK der SED ausgeschlossenen Kollegen, des Historikers Rohde, in einem »blauen Trabbi im Wald mit beschlagenen Scheiben«43 als Notiz für den einst alles protokollierenden Sohn (mit autothematischen Zügen des Autors) hinterlässt. So entstand eine in vielfacher Hinsicht Uwe Tellkamps Der Turm ergänzende, aus der gegenideologischen Sicht ebenso kritisch geschriebene Kontrafaktur. Der große Abstand von einer Generation nach dem Mauerfall macht diesen Abgesang auf die vierzig Jahre DDR möglich, ohne dessen Gründungsmythos zu verdrängen. Uwe Tellkamp, Eugen Ruge und Ingo Schulze mit seinem am ästhetisch avanciertesten »Roman aus der ostdeutschen Provinz«, Simple Stories (1998), haben gültige und bleibende Porträts der überwundenen Diktatur und die Unsicherheit danach fürs kulturelle Gedächtnis geliefert. Betrachtet man beide Generationenromane, fallen die Gemeinsamkeiten ins Auge: Beide Texte schildern ein Familienfest mit hochsymbolischer Bedeutung. Tellkamp zeigt gleich anfangs, im 4. Kapitel des Ersten Teils, im Restaurant »Felsenburg« die Machtverhältnisse in der Feier zu Richard Hoffmanns fünfzigstem Geburtstag, als der Chefarzt der Chirurgischen Klinik, Professor Müller, eine Festrede hält, darin Bilanz und Ausblick auf Richards Karriere mit Goethe-Zitaten und Zoten würzend. Das Kriegsende mit dem verheerenden Fliegerangriff auf Dresden am 13. Februar 1945 wird als markanter Ein42 Ebd., S. 212 [Hervorhebungen im Original]. 43 Ebd., S. 421.

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schnitt im Leben des zwölfjährigen Flakhelfers festgehalten, der zu der »Ankunftsgeneration« gehörend, mit schweren Phosphorverbrennungen in der gleichen Klinik geheilt wird, »die er heute leitet«.44 Das überreichte Geschenk der Kollegen, ein Ölgemälde vom zu früh verstorbenen Curt Querner, hat den symbolischen Titel »Die Tauwetterlandschaft« mit einer persönlichen Widmung vom Künstler. Das Lieblingsbild des Chirurgen soll nun neben einem Akt in Richards Wohnzimmer hängen. Den Weg in ein politisches »Tauwetter« kann Richard jedoch nicht gehen, da die Stasi ihn überwacht, seit er einst einen jüngeren Kollegen denunzierte, und weil er durch sein Doppelleben (auf das die füllige Frau auf dem Akt im Wohnzimmer anspielt) erpressbar ist. Außerdem erstarrt das System eher in den folgenden, im Roman geschilderten sieben Jahren bis 1989, statt sich zu öffnen und seinen Bürgern das Leben leichter und freier zu gestalten sowie ihnen vor allem eine politische Mitsprache zu eröffnen. In Ruges achronologischem Roman, der in der Struktur in wichtigen, mit DDR-Jahreszahlen betitelten Kapiteln in Rückblenden geschrieben ist, wird am »1. Oktober 1989«, also kurz vor dem Mauerfall (die Feier ist Gegenstand des dritten, siebenten, neunten, 13., 16. und 19. von zwanzig Kapiteln), die Feier zum neunzigsten Geburtstag von Wilhelm Powileit aus verschiedenen Generationenperspektiven der Familienmitglieder geschildert. Sechs Tage später erfolgt die staatliche Jubelfeier zum vierzigsten Jahrestag der DDR. Der zunehmend demente Wilhelm, der 1940 im Widerstand für den Geheimdienst der Komintern arbeitete, dann als Charlottes zweiter Ehemann und Stiefvater des Historikers Kurt Umnitzer mit ihr ins mexikanische Exil ging und es zu einem hohen Funktionär brachte, wird nun von Repräsentanten der Parteiund Staatsorgane geehrt. Er verachtet die in seinen Augen zu liberalen Reformer Chruschtschow und Gorbatschow. Am Ende singt er die Parteihymne, während der von Wilhelm dilettantisch zusammengenagelte Ausziehtisch mit allen Geschenken in zwei Hälften zusammenkracht. Dieses Ende fungiert als Coup de théatre und Symbol in einer schwarzen Komödie, die die Brüchigkeit der privaten Beziehungen und des Systems veranschaulicht. Beide Romane erzählen also das Ende eines ausgelaugten Systems – Tellkamp noch differenzierter – in den verschiedensten Milieus und belegen anhand der porträtierten Familien, und gerade darin liegt das Besondere beider Romane, die nicht gelungenen Ansätze zu einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz aus der Spiegelung in den Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder. In beiden Romanen wird greifbar, dass es in entscheidenden Momenten an Offenheit und Zuneigung untereinander fehlt. 44 Tellkamp: Der Turm, a .a. O., S. 46.

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Der Versuch der »Turm«-Anwohner des Dresdener Viertels »Weißer Hirsch«, die Zeit anzuhalten, »scheitert aufgrund des modernen Missverständnisses der Romantik als Romantizismus«.45 Die Leitmotive der tickenden Uhren und der bildungsbürgerlichen Fluchtburg, wie sie Christian Hoffmanns Onkel, der Lektor Meno Rohde, als »süßes Gift« der Nostalgie bezeichnet, stehen gegeneinander, der Verfall ist durch Rückwärtsgewandtheit nicht aufzuhalten. Wie eine Spieluhr wiederholt sich für Meno der Refrain: »Dresden … in den Musennestern / wohnt die süße Krankheit Gestern)…«46. An Christian lässt sich der negative Bildungsweg als ein Verweigern seiner Bildungsabsichten durch die Diktatur ablesen, verschärft durch die Militarisierung in der NVA bei leerer Friedensrhetorik. Sein fatales Missgeschick bei einer Panzerübung geht auf die Nachlässigkeit der NVA-Führung zurück, aber als er sich angesichts des Todes seines Panzerbegleiters auflehnt, gerät er in die dunkelste Zelle des Eingemauertseins: Er war in der DDR, die hatte befestigte Grenzen und eine Mauer. Er war bei der Nationalen Volksarmee, die hatte Kasernenmauern und Kontrolldurchlässe. Er war Insasse der Militärstrafvollzugsanstalt Schwedt, hinter einer Mauer und Stacheldraht. Und in […] Schwedt hockte er im U-Boot, hinter Mauern ohne Fens­ ter. Jetzt war er ganz da, jetzt mußte er angekommen sein. […] Jetzt, dachte Christian, bin ich wirklich Nemo. Niemand.47

Der Turm als Elfenbeinturm und biblisches Warnzeichen zeigt sich als »symbolisch und mythisch grundiert«48, die Postromantik der Turmbewohner als Religionsersatz trägt nur zum allgemeinen Verfall bei. Anders jedoch als in Ruges Familienverfall durch Lieblosigkeit, finden die Familien Hoffmann und Rohde im Turm zu neuer Solidarität und Offenheit im Zuge der Demonstrationen gegen eine »Sozialkultur der organisierten Verantwortungslosigkeit«, einem drastischen Modernisierungsrückstand, selbstverschuldeter Umweltkatastrophe und radikaler Abschottung nach innen.49 Lutz Seiler sorgt mit seinem sprachdichten Roman-Erstling Kruso (Herbst 2014)50 über einen existentiell im DDR-System vereinsamten Literaturstuden45 Michael Braun: Wem gehört die Geschichte? Erinnerungskultur in Literatur und Film, Münster 2013, S. 115. 46 Tellkamp: Der Turm, a. a. O., S. 363 [Hervorhebung im Original]. 47 Ebd., S. 827 [Hervorhebung im Original]. 48 Braun: Wem gehört die Geschichte?, a. a. O., S. 112. 49 Vgl. ebd., S. 113 und Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5: Bundesrepublik und DDR 1949–1990, München 2008, S. 361. 50 Lutz Seiler erhielt am 6. Oktober 2014 den Deutschen Buchpreis, ebenso wie zuvor Tellkamp und Ruge.

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ten Edgar Bendler kurz vor dem Mauerfall am mythischen Ort Hiddensee (Gerhart Hauptmanns Wohnstätte), einer »Insel am blauen Rand der DDR«51, in einer Gaststätte auf dem Kliff, unter Außenseitern und Träumern, für die poetische Aktualität von 1989. Seiler macht im Paratext, dem Umschlag mit einer Seekarte der Insel und dessen umzirkeltem Handlungsgelände von »Dornbusch« und »Enddorn« und dem abgebildeten Leuchtturm der Insel auf dem Cover, bereits auf die präzise Ortsbezogenheit seiner Epopöe auf den Helden Kruso und eine ungewöhnliche Freundschaft mit dem personal erzählten Narrator Edgar aufmerksam und setzt vor Beginn des Erzählens das Motto aus Daniel Defoes Inselroman Robinson Crusoe (1719), auf den der Name im Titel anspielt: »Um jedoch auf meinen neuen Gefährten zurückzukommen, so gefiel mir dieser außerordentlich.«52 Neben zahlreichen intertextuellen Anspielungen auf Abenteuerromane und auf weitere literarische Vorbilder wie Rimbaud (Das trunkene Schiff, 1871)53, Jack London (Der Seewolf, 1971)54, Alexander Selkirk und Peter Serrano55, Mark Twain, Georg Trakl, Thomas Mann56, Gerhart Hauptmann57, Musil und Kleist58, Bloch und Castaneda59, Brockes und Eichendorff60, speist sich das kulturelle Gedächtnis aus der Disposition des erzählten Germanistikstudenten, alles aus seinen angelesenen »Beständen« im Kopf wörtlich wiedergeben zu können. Die spannende Geschichte des jungen Ed und eben jenes mysteriösen Kruso auf jener Ostseeinsel im Jahre 1989 ist […] weit mehr […]. Seiler schreibt über die zeitlosen, großen Fragen: Wie viel Verführung verträgt die Nähe, wie viel Gemeinschaft will und braucht ein freier Mensch, lässt sich die Freiheit organisieren – überhaupt: Was soll man eigentlich im Leben suchen? All das auf Hiddensee in den letzten Monaten einer untergehenden Epoche – manchem auf Plot und Tempo getrimmten Leser mag das zu ernst, zu pathetisch und ziemlich deutsch klingen. Dabei ist das Buch voller Witz, mit lauter verrückten Typen und Episoden – gerade das zweideutig zwischen Ernst und Ironie Schillernde ist die Stärke Seilers, der sprachlich locker alle Register von Romantik über Expressionismus bis hin zum großen Wolfgang Hilbig ziehen kann. Und tatsächlich kann einem 51 Elke Schmitter: An der Grenze. Lutz Seilers »Kruso«, in Kulturspiegel, Nr. 10/2014, S. 23. 52 Lutz Seiler: Kruso, Berlin 2014, S. 7. 53 Vgl. ebd., S. 75. 54 Vgl. ebd., S. 71 u. ö. 55 Vgl. ebd., S. 60. 56 Vgl. ebd., S. 86. 57 Vgl. ebd., S. 103, 120 f. u. ö. 58 Vgl. ebd., S. 99. 59 Vgl. ebd., S. 217. 60 Vgl. ebd., S. 29.

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Thomas Manns Zauberberg in den Sinn kommen, als Hans Castorp wie Ed der Welt abhandenkommt. […] Wie auch immer: Lutz Seilers Kruso wird bleiben und wachsen mit der Zeit.61

Den Vorschlag, seines vielleicht später einmal in Anspruch genommenen Doktorvaters und Hallenser Dozenten »Dr. Z.« über Trakl seine Abschlussarbeit zu schreiben, schlägt der Protagonist Edgar Bendler, aus dessen personaler Sicht sich die Handlung auf Hiddensee entfaltet, in den Wind. Er muss über ein Trauma hinwegkommen, denn seine Geliebte »G.« ist bei einem Unfall unter die Straßenbahn in Halle geraten und gestorben. Auch die letzte Gefährtin, die noch Trost und Nähe gibt, seine Katze Matthew (wohl eine Allusion auf Matthew Arnold), ist ihm entlaufen, und beinahe wäre er in der ersten Verzweiflung aus dem Fenster gesprungen. Seinen Eltern schreibt er, er werde in Polen in den nahen Semesterferien einen internationalen Sommerkurs belegen, und nun hofft er, von Stralsund aus mit der Fähre nach Hiddensee übersetzend, dort einen Job als Saisonkraft zu erhalten. In dem alten, riesigen Restaurant und »Betriebsferienheim« auf der nördlichsten Klippe, Zum Klausner, hat er Glück, und der Hoteldirektor dort, Werner Krombach, stellt ihn auf Probe als Tellerwäscher für die mit dem Juni beginnende Hochsaison ein. Die wie in Leonardos Abendmahl (1498) um den Tisch gereihten zwölf Hotel­ angestellten62, darunter zwei promovierte Kellner (der eine Soziologe, der andere, »Rimbaud« genannt, Philosoph) werden ihm nun vertraut. Er besteht die nähere Prüfung durch den bald bewunderten »Kruso«, eigentlich Alexander Krusowitsch, einen 28-jährigen Deutschrussen aus einer wolgadeutschen und kasachischen Familie. Was beide verbindet, wird rasch deutlicher: Auch Kruso hat ein Trauma zu überwinden; nicht nur seine Mutter, eine Zirkusartistin, die mit dem Vater, einem russischen General, in Potsdam lebte, war vom Hochseil zu Tode gestürzt, als er sechs war und seine Schwester Sonja zehn. Die nunmehr einzige wichtige Bezugsperson Sonja ist auf der Flucht von Hiddensee nach dem dänischen Møn schwimmend (und zunächst mit einem Schlauchboot, vielleicht von der NVA-Küstenwache angeschossen) ums Leben gekommen. Beide, bald unzertrennlichen Freunde trauern um ihre verlorenen Toten, deren Gedenken Kruso jährlich in einem Gedächtnisfußmarsch um die Insel beschwört. Bald wird deutlich, dass Kruso versucht, die zahllosen Saisonkräfte, die auf der magischen Insel die Freiheit, vielleicht auch eine Fluchtgelegenheit suchen, heimlich in wechselnden Verstecken auf der 61 Alexander Cammann: Die Kruso-Energie strahlt weiter. Lutz Seiler gewinnt den Deutschen Buchpreis, in: Die Zeit, Nr. 42/2014, S. 53 [Hervorhebungen im Original]. 62 Vgl. Seiler: Kruso, a. a. O., hier Abb. auf S. 478 f.

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Insel unterzubringen und zu beschützen. Ed bewundert ihn, verspricht, wie jener gegenüber der ertrunkenen Schwester, auf der Insel auszuharren, auch noch als die letzten Saisongäste Anfang November den Klausner verlassen. Ein uraltes Radio (»Viola« genannt) verkündet die Befreiungsschübe aus dem untergehenden System DDR, in Tschechien, in Ungarn und schließlich die Maueröffnung. Ed kehrt nach Halle zurück, als Kruso – schwer erkrankt – von einem russischen Kreuzer des väterlichen Generals abgeholt wird. Viele religiöse Konnotate verdichten die mythische Atmosphäre des Freiheit verheißenden Meeres vor der Klippe, die Saisonkräfte werden als »Schiffbrüchige«, aber auch als »Pilger« bezeichnet, der »Schädel« des bewunderten Freundes erscheint Ed am Ende wie mit einem hellen Schein umgeben. Krusos Vorgeschichte erinnert in ihrem nach rückwärts exponierten Werdegang an das Erzählverfahren in Scott Fitzgeralds Großem Gatsby (1925), und auch das »grüne Licht« als Hoffnungszeichen auf dem Meer an die ertrunkene Schwester Sonja mahnend, nimmt das grüne Positionslicht auf Gatsbys Long Island wieder auf, auch wenn der Autor ungenannt bleibt. In einem »Epilog« wird deutlich, dass der vom Erzähler Ed wie eine Winnetou-Gestalt aus der Sicht von Shatterhand bewunderte Freund (mit seinen schwarzen langen Haaren, die er zu einem Zopf band) schon vier Jahre später (1993) tot ist und Ed in einem Zeitsprung zum Jahre 2013 die anonym angeschwemmten Leichen auf Møn in einem forensischen Institut in Kopenhagen vergebens sucht. »Eine Statistik verzeichnete über 5.600 Flüchtlinge, 913 davon erfolgreich, 4.522 Festnahmen und mindestens 174 Todesopfer seit 1961, angeschwemmt zwischen Fehmarn, Rügen und Dänemark«.63 Es bleibt die tragische Ironie, dass Edgar nicht die Überreste von Krusos Schwester Sonja findet, aber die wenigen Gegenstände, unter anderem ein T-Shirt seines ertrunkenen Vorgängers, der Saisonkraft »Speiche«, identifizieren kann. In all den Jahren kam nie ein Hinterbliebener der anonymen Toten. Am Ende wohnt Ed als immer noch mittelloser Student in der Nähe des renovierten Potsdamer Russenfriedhofes beim »Russenstädchen Nr. 7« und besucht in anhaltender Trauer das nach langer Suche entdeckte Grab der Mutter Krusos. Seine Geliebte und verunglückte »G.« ist unvergessen und in dieses anrührende Ende eingeschlossen. 63 Ebd., S. 448. – Angesichts der im Herbst 2014 bei der Regierungsbildung in Thüringen wieder auflebenden Diskussion um den »Unrechtsstaat« DDR ist ein Jenaer Symposium aufschlussreich, bei dem es um den Jenaer Widerstand in der DDR und eine Würdigung des Schriftstellers Jürgen Fuchs ging. Die Thüringer Allgemeine mahnt zu einer differenzierten Sicht, verweist aber auch auf das auf »viele Institutionen« verteilte »Unrecht«, darunter »auch die Universität Jena«: »Viele der Toten von der Grenze wurden an dieser Universität obduziert und so verschleiert«, so Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat. Vgl. Hanno Müller: Inspirierende Ideen der friedlichen Revolution von 1989, in: Thüringer Allgemeine vom 17. Oktober 2014.

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Die Sprache des zunächst als Lyriker bekannt gewordenen Lutz Seiler sichert diesem im Untertext doch auch politischen Roman die nachhaltige Wirkung, die zu großen Auflagen führt. Was jedoch im Erzählverfahren raffiniert gelingt, ist die Metafiktion des im Laufe des Inselherbstes entstehenden Romans aus dem Tagebuch von Ed und die Herausgehobenheit des Ortes durch religiöse Konnotate und lyrische Metaphorik im Sinne des neuerdings interdisziplinär wichtigen Forschungsansatzes des spatial turn64, wo Dominanz, Verlust und Wiederkehr des Ortes gelten: Am Ende lief Ed noch einmal den Strand ab, Richtung Süden. Irgendwann starrte er bloß noch hinaus, das kalte Rauschen der Brandung am Ohr. Das Meer – die Verheißung. Jede andere Gegend schien Ed überzeichnet, versehrt, von Herrschaft angegraut. Er hatte immer das Gefühl gehabt, dass das Meer ihm etwas mitteilen wollte, dass es etwas Entscheidendes bereithielt für ihn, eine Lösung für sein Leben. Es gab die Fülle des Rauschens, das war die Atmung, wogend, endlos und alles umfassend. Es gab keinen Körper, kein Gefäß, das groß genug gewesen wäre für dieses Wesen aus Atem, diesen pneumatischen Riesen, im Gegenteil, es selbst schloss alles ein, es beatmete sein Denken und brachte es zum Stillstand, es wiegte ihn in Schlaf und umspülte seine Träume und formte sie zu etwas, das unfassbar war. Hier wartest du so lange und rührst dich nicht weg. So lange. Es war die Stelle, an der Sonja ihren Bruder verlassen hatte. […] Der Ort des Abschieds nahm von ihm Besitz. Liebe Sonja. Liebste G. Er verlor sie in diesem Moment. […] Unermessliche, unbezähmbare Trauer.65

In Durs Grünbeins bekanntem Gedicht zum Mauerfall, Novembertage I. 1989, das mit dem folgenschweren Lapsus von Günter Schabowski ansetzt: »An diesem Abend brach ein Stottern die Gesetze / Ein Lesefehler hob die heiligen Verbote auf«, wird noch einmal der Utopieverlust zwischen den Generationen zum Thema, wie in den großen Romanen von Tellkamp und Ruge. Es eignet sich für den Schluss und vergisst nicht, auf den Preis der neuen Freiheit hinzuweisen: So nüchtern, wie die Meldung in die Welt ging Vor Mikrophon und Kamera, war jener Spuk vorbei, Den sie verordnet hatten. Erstmals sah man 64 Ulrich Beutler: Religiöse Orte und gelebter Raum, in: Annika Schlitte/Thomas Hünefeldt/Daniel Romić/Jost van Loon (Hg.): Philosophie des Ortes. Reflexionen zum Spatial Turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften, Bielefeld 2014 [Edition Moderne Postmoderne], S. 63–80; Michel Foucault: Von anderen Räumen, in: Ders.: Schriften in vier Bänden, hg. von Daniel Defert und François Ewald, Bd. IV: 1980–1988, Frankfurt am Main 2005, S. 931. 65 Seiler: Kruso, a. a. O., S. 381 [Hervorhebungen im Original].

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Die kommunistischen Auguren zögernd lächeln Wie Spieler, die verlieren, und jetzt wissen sie, Was sie, gewiegt in Sicherheit, vergessen hatten. Mit einer letzten Drohung, einer Atempause, Erklärten Greise meine Geiselnahme für beendet. In dieser Nacht, als man die Schleusen aufzog, Ergoß ein Menschenstrom sich in den hellen Teil Der Stadt, die eine Festung war seit dreißig Jahren, Geschleift von einem falschen Wort im Protokoll. […] Als gegen Morgen auf den Boulevards im Westen, Nach Feuerwerk und Kreisverkehr und Tränen, Das Freibier ausging, war das Glück vollkommen. Bei einer Kreuzung stand verlassen, abgebrannt Bis zu den Rädern, ein Trabant, und die Besitzer Hatten den Autoschlüssel an den Baum gehängt. Von ihren Kindern angetrieben, ganze Clans Zogen durchs Zentrum, orientierungslos und still, Die ersten schliefen schon, sie lagen eingerollt Vorm Kaufhaus selig unter den Vitrinen, Auf teurem Pflaster träumend freien Grund.66

Der nunmehr distanziert ironische Rückblick auf den 9. November 1989 zeigt die Euphorie ebenso wie die zwei Seiten der Freiheit »auf teurem Pflaster« und – im Doppelsinn – den verlassenen »Trabant«, der auf den eingemauerten, nun befreiten »Gefolgsmann« anspielt.67 Die distanzierte Perspektive einer bereits ins Historische gerückten Botschaft über die politische Bedeutung der Nacht, in der die Mauer fiel, wird im Blick auf das Kollektiv der Mauertänzer aus der Kameraeinstellung einer »Halbtotalen« dargestellt. Nur ein einziges Mal erlaubt der Autor seinem »lyrischen Ich«, von sich selbst zu sprechen, in einer abschließenden Verurteilung des durch die Friedliche Revolution überwundenen Systems in seinem Vergleich mit einer Geiselnahme seiner Bürger. Die Perspektive der Jüngeren (Grünbein ist Jahrgang 1962) auf die »Greise« unter den Politikern der Ankunftsgeneration, die für den Bau des »Antifaschistischen Schutzwalls« mitverantwortlich waren, und denen bereits die Generation der um 1940 Geborenen, darunter Monika Maron, ein herbes 66 Durs Grünbein: Novembertage I. 1989, in: Ders.: Nach den Satiren. Gedichte, Frankfurt am Main 1999, S. 64 f.; zur Interpretation vgl. Wehdeking (Hg.): Mentalitätswandel, a. a. O., S. 26 f. [Hervorhebung im Original]. 67 In Durs Grünbeins »Anmerkungen« in Nach den Satiren [Anm. 66], S. 220, heißt es zum »Trabant«, es sei »die Bezeichnung für den ostdeutschen Volkswagen, ein Synonym für Auto, aber auch Gefolgsmann«.

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Porträt in Stille Zeile sechs gewidmet hatten, bestimmt nun in Autobiografien seit dem Millennium die privatere Sicht auf die Post-DDR-Erfahrung. Für den Mentalitätswandel im ersten Jahrzehnt nach 2000 sind solche Autobiografien wie Jana Hensels Zonenkinder (2002, von ihr abwechselnd als »Bericht«, »Essay« oder »Roman« bezeichnet), Jakob Heins Mein erstes T-Shirt oder Clemens Meyers Als wir träumten (2006), bei denen die Auflösung der DDR in ihrer rückblickenden Schilderung in die Jahre der Adoleszenz fielen, ein Indiz für den nunmehr unbeschwerten Umgang mit dem SED-Erbe. Bei allen drei Autoren68 wird nun deutliche Distanz zur eine Dekade zurückliegenden »Ostalgie«-Welle thematisiert, wobei Hein eher dem Pop-Roman Einflüsse abgewinnt, während Meyer die nach dem Mauerfall einsetzende Ziellosigkeit und sich in destruktiver Gewalt und Drogen auslebende Leere im Lebensgefühl einer Jugendgang jenseits politischer Konnotate beschreibt. Für eine Periodisierung des Mentalitätswandels in der Literatur seit 1989/90 ist es noch zu früh. Auffallend sind die vielen Satiren aus der Pikaro-Perspektive Anfang der neunziger Jahre, um zur politischen Ereignisgeschichte Distanz zu schaffen. Mit der Suche nach dem Wende- oder Berlin-Roman war es spätestens um 2000 vorbei. Die Verweise auf Ereignisgeschichte wichen dem Erzählen von Geschichten aus privater Perspektive. Die kulturelle Reintegration im Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer Kulturnation mit jahrhundertelanger Geschichte lässt sich bei aller Identitätsbeharrung von Post-DDRAutoren in den Autobiografien seit 2000 als vorausgesetzter Bildungshintergrund in Ost und West gemeinsam feststellen, erst recht in den jüngsten Familienromanen, wenn es um Medienbezüge, internationale Erzählmodelle, Intertextualität und gegenseitige Adaptionen geht.69

68 Beide, Jana Hensel 1976 und Jakob Hein 1971, sind in Leipzig geboren und Clemens Meyer 1977 in Halle/Saale. 69 So reklamiert z. B. Thomas Brussig für seine Erzählperspektive »von unten« Günter Grass, Philip Roth und John Irving. Die Adaptionen fürs Theater von Tellkamps Der Turm unternahmen 2010 Armin Petras und John von Düffel, uraufgeführt jeweils in Dresden (unter Regie von Wolfgang Engel, am 24. September 2010) und Wiesbaden (unter Regie von Tilman Gersch, am 20. November 2010). Eine wichtige Filmtransformation unternahmen im Jahre 2011 die Produzenten Nico Hofmann und Benjamin Benedict mit der Firma teamWorx in einem TV-Zweiteiler für die ARD/Degeto und den MDR. Der Regisseur Christian Schwochow, mit den Darstellern Jan Josef Liefers und Claudia Michelsen u. a., versuchte mit gedeckten Farben den Alltagsgrauschleier der DDR wiederzugeben. Drehbuch: Thomas Kirchner, 172 Minuten Laufzeit. Die DVD der Universum Film GmbH kam 2012 heraus.



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Wiederherstellung des inneren Menschen – Sinn und Form nach 1989

Sinn und Form, die legendäre Literaturzeitschrift der Akademie der Künste, war zu DDR-Zeiten in gewisser Weise eine Insel und ist es auch heute wieder. Freilich eine Insel in sehr unterschiedlichen Meeren. Nicht dass das Meer keinen Einfluss darauf hat, wie eine Insel aussieht. Doch Inseln sind nur dann Inseln, wenn sie dem Meer trotzen und ihre Gestalt behaupten. Sinn und Form, 1949 von Johannes R. Becher und Paul Wiegler begründet, bis 1962 von Peter Huchel geleitet, war von Anfang an mehr als nur ein literarisches Unternehmen. Das Wörtchen »nur« soll nicht bedeuten, dass die Kennzeichnung »literarisch« für sich genommen nicht gewichtig genug wäre. Einen Text literarisch nennen heißt ja eine Auszeichnung vornehmen. Man gibt zu verstehen, dass die Sprache in besonderer Weise geformt ist, dass sie Temperament hat, Farbe, Frische, Klarheit, Bild- und Begriffskraft, Rhythmus und Klang, kurz: dass man es mit lebendigem und vortrefflichem Deutsch zu tun hat. Sprachkultur ist nur eine Facette von Sinn und Form. Eine andere ist das Gattungsgefüge. Es umgreift das Gedicht, die erzählende und beschreibende Prosa, das Tagebuch, den Briefwechsel, das geschichtliche Dokument, das Gespräch, die Lobrede, die Totenrede, den literarischen, philosophischen und theologischen Essay. Keine andere deutsche Zeitschrift der Gegenwart hat eine so reiche morphologische Struktur. Heute, in einer Epoche galoppierenden Wandels, wo nichts bleibt, wie es ist, verkörpert Sinn und Form geradezu ein Wunder an Kontinuität. Die Zeitschrift sieht noch immer so aus wie vor 66 Jahren. Umschlag, Typografie, Satzspiegel, Erscheinungsweise, Genreprofil, Kompositionsidee, Bilderverbot, Internationalität – all das hat sich über die Jahrzehnte so gut wie nicht verändert. Ist Wiedererkennbarkeit der Schlüssel zum Geheimnis der langen Lebensdauer? Meine Antwort ist Ja. Zu der kleinen Familie von Begriffen, mit der man den Charakter von Sinn und Form umschreiben kann, gehören Worte wie Musterstabilität und Umweltimmunität.

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Es gehört dazu aber auch ein Wort wie Minimalhäresie. Und damit verlassen wir die Insel und ihre Gestalt und kommen zum sie umschließenden Meer. Vor 1989 existierte eine bipolare Welt, offene Gesellschaften im Westen, geschlossene im Osten. In offenen Gesellschaften ist erlaubt, was nicht verboten ist, in geschlossenen ist verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Wie im ersten Fall das Verbotene bestimmt ist und das Erlaubte unbestimmt, so hat im zweiten das Erlaubte einen Namen, und das Verbotene bleibt namenlos. Der Begriff der Freiheit, in beiden Fällen beansprucht und in beiden Fällen für Ordnung sorgend, regelt in offener Gesellschaft die Verhältnisse per Negation, in geschlossener per Affirmation. Bei jener wird das zu Verneinende, die »Freiheit wovon«, bei dieser das zu Bejahende, die »Freiheit wozu«, kodifiziert. Die beiden Begriffe symbolisieren gegensätzliche Typen politischer Integration. Dominanz der »Freiheit wovon« bricht den dissoziativen, Gemeinschaft lösenden, Dominanz der »Freiheit wozu« den assoziativen, Gemeinschaft stiftenden Kräften Bahn. Der Dissoziation reicht es, dass man sie duldet, die Assoziation verlangt, dass man sich mit ihr identifiziert. Daher die Liturgien des Ja in geschlossenen Gesellschaften, die kollektiven Wonnen des Bekennens, die Einschwörung auf Prinzipientreue und Gesinnung. Es kommt zur Vereinheitlichung des öffentlichen Denkens, zur philosophischen Flurbereinigung. Indoktrination, Gleichschaltung, Überwachung und Zensur sind die logische Folge ideokratischer Herrschaft. In geschlossenen Gesellschaften ist es vergleichsweise einfach, eine inte­ ressante Zeitschrift zu machen. Schon durch geringste politische oder ideologische Abweichung kann man die größten Effekte erzielen. Es gehört nicht viel dazu, in einer homogenisierten Welt den Spannungspunkt zu treffen. Allerdings braucht es dazu Unerschrockenheit, um nicht zu sagen Mut. Mut, so Aristoteles, ist die Mitte zwischen zwei Extremen, dem der Feigheit, die die Gefahr überschätzt, und dem des Leichtsinns, der die Gefahr unterschätzt. Mut an den Tag legen heißt seine Angst besiegen und bereit sein, sich in Gefahr zu begeben. Der 1919 geborene russische Schriftsteller Daniil Granin hat 1998 in Sinn und Form einen langen Essay über das Phänomen der Angst publiziert. Es heißt dort: Eine Tages bemerkte ich, wie viel Raum die Angst in meinem Leben einnahm, wie viele großartige schöne Impulse sie unterbunden, wie sehr sie meinen Charakter entstellt, mich kraftlos gemacht, welch bittere Erinnerungen sie hinterlassen hat.1

1 Daniil Granin: Angst, in: Sinn und Form, Jg. 50 (1998), H. 2, S. 166–194, hier S. 178.

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Granin schildert ein Gespräch mit einem ehemaligen Sekretär des Gebietskomitees der KPdSU, inzwischen erfolgreicher Geschäftsmann: »Wozu brauchte man denn eine so große Partei«, sagte er, »achtzehn Millionen, das war schließlich keine Kleinigkeit! In der Partei zu sein erforderte nichts Besonderes. Zahl deine Beiträge und gut. Es ging doch um was ganz anderes. Jedes Parteimitglied konnte gegebenenfalls eingeschüchtert werden. Sei so gut, mein Lieber, geh nach Sibirien, zum Holzfällen. Ach, du willst nicht, dann leg dein Parteibuch auf den Tisch. Und ein Parteiausschluß, das war das Ende, das Todesurteil für die Bürgerrechte. Sie wissen ja, parteilos sein ist das eine, ein Parteiausschluß dagegen etwas ganz anderes. Aus mit der Karriere und mit jeder Hoffnung. Wie viele Ausgeschlossene haben sich umgebracht.« Immer eifriger, ja voller Begeisterung beschrieb er die Flexibilität und Stärke der Einschüchterungsmechanismen. »Sie könnten eine Vorlesung über die Anatomie der Angst halten«, sagte ich. Er betrachtete mich ohne jedes Lächeln, mit dem Blick eines Natschalniks – schwer zu sagen, ob er begriffen hatte oder nicht. Am nächsten Tag suchte er das Gespräch. »Anatomie der Angst, das haben Sie gut gesagt.«2

1990 war in Sinn und Form ein Gespräch mit Georg Lukács über Johannes R. Becher zu lesen, das 1967 in Budapest geführt wurde. Lukács sprach dort von der Lord-Jim-Panik Bechers. Joseph Conrads Lord Jim (1900), einer seiner berühmtesten Romane, erzählt die Geschichte des in Extremsituationen wiederholt auf Ehre und Furchtlosigkeit geprüften jungen englischen Schiffsoffiziers Jim, eines Träumers, der in einer imaginären Welt heroischer Taten lebt und im Augenblick der Bewährung versagt, einmal aus Panik, in die ihn seine an Künstlerschaft grenzende Gabe blitzschneller, vorwegnehmender Phantasie stürzte, einmal durch Zaudern. Becher war gleichfalls ein im Guten wie im Bösen höchst phantasiebegabter Mensch, der sich unausweichlich vor die Eigendynamik seiner Vorstellungskräfte gestellt sah, die je nach Situation entweder zur Euphorie oder zur Panik hin eskalierten. In beiden Fällen wird der Spielraum des Handelns falsch vermessen, im ersten wird er illusorisch überschritten, im zweiten angstvoll unterschritten. Becher geriet nun bei jeder Art Konflikt oder Gefahr auf der Stelle in eine so heillose Angst, dass er keinerlei Risiko einzugehen bereit war. Und das nicht etwa aus einfacher Feigheit, sondern weil seine Phantasie ihm die möglichen Konsequenzen in den grellsten Farben zeigte. Man muss wissen, der Grundstoff, aus dem die Festigkeit von Diktaturen gemacht ist, heißt Angst, tief sitzende Angst, und zu ihrem Wesen gehört es, dass man sie sich und anderen nicht eingesteht, weil man sich ihrer schämt. Und so wirkt ihr lähmendes Gift umso stärker. Das hat Becher in der Hoch2 Ebd., S. 180.

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phase des Stalinismus im Moskauer Exil überdeutlich erfahren. Nach Meinung von Lukács hat er nicht einmal die spärlichsten Freiräume zu durchschreiten gewagt, weil er stets vermied, mit dem Kopf gegen die Wand zu stoßen. Wer das aber nicht riskiert, weiß gar nicht, wo die Wand steht, und wird nie wissen, wie weit er gehen kann. Stets wird er zu früh haltmachen. Sinn und Form hat 1988 einen äußerst kritischen und auch selbstkritischen Text Bechers über den Stalinismus aus dem Jahre 1956 veröffentlicht. Das führte akademieintern zu einer scharfen Diskussion und zu Angriffen der Kulturabteilung des Zentralkomitees. Man drohte, die Zeitschrift zu verbieten. Becher beschreibt den Sozialismus als weltgeschichtliche Tragödie großen Stils. Er spricht von den Verbrechen, der Heuchelei, seiner Mitschuld, seinem Schweigen, seiner Lebenslüge. »Ich kann mich nicht darauf hinausreden, daß ich davon nichts gewußt hätte. Ich kann auch nicht behaupten, daß ich davon nichts wissen wollte. Ich ahnte nicht nur, oh, ich wußte!«3 Becher hat diesen mutigen Text 1957 aber nicht zum Druck freigegeben. Wiederum war es die Angst, die ihn daran hinderte. So schlummerte er dreißig Jahre im Archiv. Apropos Archiv: Eine der größten Errungenschaften der Friedlichen Revolution von 1989 war die Erkämpfung des freien Zugangs zu den Archiven. Dadurch wurde es möglich, auch die dunklen Punkte in der Geschichte von Sinn und Form aufzuklären. Ich meine den Fall Peter Huchel, seinen erzwungenen Rücktritt als Chefredakteur Ende 1962. Die Zeitschrift hat in Heft 5/1992 in einem achtzigseitigen Konvolut von Reden, Briefen, Protokollen, Vorlagen und Aktenvermerken der Jahre 1960 bis 1963, die wir im Archiv der Ostberliner Akademie der Künste und im zentralen Parteiarchiv der SED fanden, die Sache in aller Ausführlichkeit dokumentiert. Die Quellen bezeugen Punkt für Punkt, wie man einem integren Mann auf schäbige Weise eine Arbeit aus den Händen schlug, an der sein Herz hing und für die er die ideale Begabung besaß. Huchel hat Sinn und Form wie kein zweiter geprägt. Er hat den Stil begründet, das Erlesene, Distanzierte, in gewissem Sinne Unpolitische, die Balance zwischen Gedicht und Gedanken, den Ernst. Nach seiner Kündigung lebte Huchel fast zehn Jahre lang isoliert und unter Stasi-Observierung in Wilhelmshorst bei Potsdam. 1971 durfte er die DDR verlassen und zog nach Süddeutschland. Er starb 1981. Sinn und Form ist nicht die erste und nicht die einzige Zeitschrift in Deutschland, die einen Epochensturz erlebt hat. Aber sie ist eine der wenigen, die ihn überlebt haben. Die meisten überleben ihn nicht, weil sie zusammen mit der alten Ordnung untergehen. Wer aber überlebt, wird die von der Geschichte 3 Johannes R. Becher: Selbstzensur, in: Sinn und Form, Jg. 40 (1988), H. 3, S. 543–551, hier S. 544.

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stumm erteilte Lehre nie vergessen. Man darf sie mit einem Wort Jacob Burckhardts ihre Sturmlehre nennen. Wie über Nacht Begriffe bersten, Symbole fallen, Institutionen stürzen, Ankläger zu Angeklagten, Angeklagte zu Anklägern werden, eine ganze Gesellschaft kehrtmacht, das ist ein einzigartiges Schauspiel über Zeitenwandel und menschliche Natur. Wer sich heute der Revolution von vor 25 Jahren erinnert, einer Revolution, die nicht nur das Ende des kommunistischen Zeitalters bedeutete, sondern auch den Weg freimachte für die Wiedervereinigung des zweigeteilten Deutschland, der kommt nicht umhin, stets aufs Neue darüber zu staunen, dass dies alles friedlich und ohne jene Schrecken vonstattenging, die üblicherweise mit Revolutionen, mit der Leidenschaft ekstatischer Massen, ihrer Zerstörungslust, ihrer geistigen Bedenkenlosigkeit verbunden sind. Wo gab es je so disziplinierte und höfliche Revolutionäre? Wo gab es je einen so geräuschlosen Abgang von Staaten und Systemen, ein so widerstandsloses Sich-Fügen ins geschichtliche Abtreten, ein derartiges In-sich-Zusammensinken von Macht? Und vergessen wir nicht, diese Macht war kein nur ins Agitieren und Dekretieren verliebter Orden gutgläubiger Parteisekretäre, das war ein von Waffen starrendes, alle Kommandohöhen der Gesellschaft besetzt haltendes Regime, das niemandem gestattete, es zur Rede zu stellen. Besonders prekär war die Lage hinsichtlich der geistigen Produktion. Wer sagt, im Kommunismus herrschte die Lüge, sagt nicht die Unwahrheit. Aber wie abgenutzt ist dieses Wort. Wer hingegen liest, was Erwin Strittmatter in seinem Tagebuch unter dem Datum 8. April 1978 notierte, wird die ganze Heillosigkeit der Verhältnisse wieder vor sich sehen: Der Roman (gemeint ist Der Wundertäter, Dritter Teil – S. K.) ist abgegeben, aber ich gehe umher wie ein Mörder, der bangt, dass man seine Tat bald entdecken wird. Kanns soweit kommen, dass ein Mensch fürchtet, zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn er aufschreibt, was er in seiner Umgebung und in der Gesellschaft, in der er lebt, durchschaute und erkannte? Das ist so, weil ich bereits in der zweiten Diktatur lebe und weil in beiden Diktaturen (auch in der zweiten, von der ich etwas erhoffte) nach dem Grundsatz gehandelt wird: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und wer uns kritisiert, ist ein Abgesandter (Abgestempelter) des Feindes. Ob Rechts- ob Links-Diktatur, in beiden wird der Geist vergewaltigt, und in der einen wird der anderen vorgeworfen, dass sie den Menschengeist knechtet und umgekehrt. Wie kann ein denkender Mensch das gutheissen? Er heisst’s nicht gut, doch allmählich bildet sich in ihm das Gefühl heraus, ein Ketzer, ein Verbrecher zu sein. Er ist allein und derer, die der Diktatur lobsingen, sind viele.4 4 Erwin Strittmatter: Der Zustand meiner Welt. Aus den Tagebüchern 1974–1994, hg. von Almut Giesecke, Berlin 2014, S. 79.

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Es versteht sich, dass ein solcher Eintrag in der DDR nirgendwo hätte erscheinen können, auch nicht in Sinn und Form, jedenfalls nicht vor dem Herbst 1989. Der polnische Dichter Aleksander Wat, der von 1940 bis 1942 als Häftling elf sowjetische Gefängnisse durchlief und danach vier Jahre in kasachischer Verbannung verbrachte, sagte einmal, eines der Hauptziele des Kommunismus habe in der Zerstörung des inneren Menschen gelegen, desjenigen Menschen, der sich nicht selbst reduziert, sondern die eigenen Widersprüche duldet. In jungen Jahren erschien Wat der Kommunismus wie ein Engel der Verheißung. Keiner Verheißung von Glück, doch der Verheißung von geistiger Bruderschaft, des Endes von Entfremdung, Nihilismus und Einsamkeit. Des Versprechens von neuer Ordnung und neuem Sinn. Eines Denkens endlich, das die Welt nicht mehr nur interpretiert, sondern verändert. Es war eine Konstellation wie bei Brecht. Doch der Engel erwies sich als Dämon. Nirgends hat der Kommunismus mehr Verheerungen angerichtet als auf geistigem Gebiet. Wat spricht vom teuflischen Charakter des revolutionären Despotismus. Er war kein Deformationstheoretiker, er hat sich nicht mit der Kluft zwischen schöner Vision und abscheulicher Realität getröstet. Er sah im Stalinismus eine konsequente Verwirklichung des Marxismus. Und er konnte und wollte es sich nicht verzeihen, dass er ihm jemals angehangen hatte. Sinn und Form hat in Heft 4/2000 einige Kapitel aus seinen mit Czesław Miłosz unter dem Titel Mein Jahrhundert geführten Gesprächen veröffentlicht. An einer Stelle sagt Wat: Worauf fußt der Glaube des Revolutionärs? Um etwas Neues zu errichten, muß man das Alte bis auf die Grundfesten zerstören. Die Wurzeln ausreißen. Die Grundfesten sprengen. In der materiellen Welt, in der Wirtschaft, läßt sich das leicht machen. In der geistigen Welt, der Welt der Seele, kann man nichts sprengen. Man kann nicht von nihil anfangen, weil es unmöglich ist. Die Seele kann die Leere auch nicht einen Augenblick lang verkraften. Die Umstrukturierung des Menschen kann nur von der Konfusion ausgehen. Das ganze alte Bewußtsein muß umstrukturiert werden, die ganze alte Seele – ja, die Seele, denn entgegen der landläufigen Meinung haben die Bolschewiken die Existenz der Seele nie geleugnet.5

5 Aleksander Wat: Jenseits von Wahrheit und Lüge. Gesprochene Erinnerungen, in: Sinn und Form, Jg. 52 (2000), H. 4, S. 541–561, hier S. 549–550. – Das Buch erschien unter dem Titel: Jenseits von Wahrheit und Lüge. Mein Jahrhundert. Gesprochene Erinnerungen 1926–1945, Frankfurt am Main 2000.

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In Bezug auf den Gulag spricht Wat in Anspielung auf Platons Staat von der »Stalinschen Paideia«. Der Name »Arbeits- und Besserungslager« sei völlig zutreffend. Das ist ein Besserungslager, allerdings mit einer Einschränkung: Es geht nicht um die Besserung dieser fünf oder fünfzehn Millionen Häftlinge, denn das ist eine Minderheit, und Stalin ging es um große Zahlen, um große Prozente – es geht um die gesamte Bevölkerung. Jede Familie hat einen Angehörigen im Lager, und jeder konnte damit rechnen. Und darum eben geht es, daß jeder wußte, daß ihm das jederzeit droht, daß das Lager furchtbar ist und man davon nicht sprechen darf, weil es eine heilige, eine sakrale Sache ist. Es ging darum, mittels der Lager die ganze Bevölkerung zu erziehen, die noch nicht im Lager saß.6

Die Gespräche zwischen Miłosz und Wat sind nur ein Beispiel dafür, in welcher Weise Sinn und Form sich nach 1989 mit dem Kommunismus und seinem Ideenkreis auseinandergesetzt hat. Schließlich gehörte der marxistische Zukunftsglaube von Anfang an zur Signatur der Zeitschrift. Die großen Essayisten von Sinn und Form waren ausnahmslos überzeugte Marxisten. Sie hatten ihre Gründe dafür. Und die waren, allen voran das soziale Gewissen, alles andere als unerklärlich. Ich nenne nur Ernst Bloch, Georg Lukács, Werner Krauss, Paul Rilla, Ernst Fischer, Hans Mayer. Von Dichtern wie Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Stephan Hermlin, Arnold Zweig nicht zu reden. Der Sozialismus erschien ihnen als Ausweg aus Armut, Krieg und Verderben, der Marxismus als Krönung der Philosophie, als Vollendung der Vernunft, die Oktoberrevolution als Morgenröte der Menschheit. Sie hatten das sichere Gefühl, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen und einer von Grund auf gerechten Sache zu dienen. Historische Umbrüche sind nicht selten Lektionen in Sachen Illusionsverfallenheit, Hybris und Verblendung. So gesehen sind sie auch ein philosophisches Ereignis, da sie uns zwingen, unser Denken zu berichtigen. Seit 1989/90 ist es in Sinn und Form vorbei mit der marxistischen Monokultur und den ihr inhärenten geistigen Blockaden. Die Zeitschrift hat sich weltanschaulich und auch politisch radikal geöffnet, sie druckt keineswegs ausschließlich linke Autoren, wie das früher der Fall war. Sinn und Form operiert von nun an weder im Banne noch im Schutze einer alleinseligmachenden Lehre. Vieles von dem, was in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten an philosophischen, theologischen und ideengeschichtlichen Essays hier erschienen ist (ich nenne nur Denker wie René Girard, Eric Voegelin, Hans-Georg Gadamer, Vladimir Jankélévitch, Emile Cioran, Ernst Jünger, Nicolás Gómez Dávila, Pawel Florenski, Leszek 6 Ebd., S. 550.

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Kołakowski, George Steiner, Botho Strauß, Peter Sloterdijk) darf als der Versuch angesehen werden, verlorenes Terrain des Geistes zurückzugewinnen. Es ging darum, die Fülle der Perspektiven und den Reichtum der Gesichtspunkte aufzuzeigen, unter denen man die Welt und das Leben betrachten kann. Vielleicht dürfen wir sagen, dass wir uns letztlich um eine Wiederherstellung des inneren Menschen in seiner vollen existentiellen Dimension bemüht haben.



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DDR-Erinnerung in gegenwärtigen deutschen Spielfilmen: Vom Dissens zum Konsens

Die Präsenz der DDR-Vergangenheit in deutschen Spielfilmen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, nicht so hoch wie um das Gedenkjahr 2010 herum. Dies mag daran liegen, dass die Flut an DDR-Erinnerungsfilmen, die im Zuge der zwanzigjährigen Einheitsfeierlichkeiten auf den Markt kamen, das Zuschauerbedürfnis nach wie vor gesättigt hat. Es hat aber auch erinnerungspolitische Gründe: Laut Jan Assmann erfolgt der Rückgriff auf die Vergangenheit immer aus einer gegenwärtigen Notwendigkeit heraus und wird in seiner Form an den aktuellen Kontext angepasst.1 So kann vermutet werden, dass um das Jahr 2010 herum ein erhöhter Bedarf an deutscher beziehungsweise deutsch-deutscher Geschichte bestand, weshalb auch viele Filme mit dem Nationalsozialismus als Sujet erschienen waren, während 2014 eher gegenwärtige Probleme und Krisen die filmische Agenda bestimmen: internationaler Terrorismus, Wirtschaftsthemen, Krisen oder Kriege. Auch deshalb ist der nach wie vor vorhandene Ost-West-Gegensatz innerhalb Deutschlands aktuell kein virulentes gesellschaftliches oder mediales Thema. Und die Nation, deren öffentliches Bild bisher in erster Linie durch ein geringes Selbstwertgefühl und ein unerledigtes Geschichtstrauma gekennzeichnet war, scheint nun in ihrer Rolle als führender Staat innerhalb von Europa und als globale Wirtschaftsmacht vorübergehend gefestigt zu sein. Somit ist die geringe Nachfrage von Seiten der deutschen TV-Sender und Produzenten nach problematischer nationaler Vergangenheit im Film verständlich.

1 Vgl. Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Ders./Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt am Main 1988, S. 9–19, hier S. 13–15.

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Die Lage der Nation und damit verbundene politische sowie wirtschaftliche Ereignisse haben die Konjunktur der DDR im deutschen Spielfilm von Beginn an bestimmt. Von 1949 bis 1990 war die DDR in westdeutschen Spielfilmen noch weit weniger präsent als heute: Abgesehen von vereinzelten Fernsehspielen, wurde der Nachbarstaat überhaupt nicht filmisch bearbeitet.2 Die Ursachen für die damalige Auslassung waren naheliegend und einfach: Die Thematisierung der DDR wäre nur in Abgrenzung möglich gewesen, und die Wiedervereinigung als politisches Ziel sollte genauso wenig gefährdet werden wie die eigene Position als entwaffneter Staat. Die wenigen Ausnahmen im Format des Fernsehspiels verschafften dem damaligen westdeutschen Publikum Einblicke in ein Land, das nach dem Mauerbau 1961 kaum noch zugänglich war. Außerdem bot dieses Format Regisseuren gewisse Freiräume, weshalb unter anderem filmisch Kritik am westlichen Kapitalismus geübt wurde.3 Was im Fernsehspiel möglich war, galt jedoch nicht für den Mainstream-Spielfilm. Der DDR-Film nahm dagegen permanent auf die BRD Bezug: Nach einem 1949 erfolgten Beschluss der SED sollten Spielfilme vor allem Propagandazwecken dienen.4 Dabei ging es vornehmlich darum, sich gegen den kapitalistischen und angeblich faschistischen westlichen Staat abzugrenzen. Dieser ideologische Unterbau bestimmte das offizielle Schaffen der DEFA über weite Strecken und sorgt nach wie vor dafür, dass diese Filme in erster Linie als filmhistorische Dokumente, aber nicht wegen ihrer Qualität geschätzt werden. Als exemplarisch mögen Kurt Maetzigs Der Rat der Götter (1950) oder Konrad Wolfs Der geteilte Himmel (1964) gelten. Maetzig folgt in seinem Film der linksideologischen Doktrin, der westliche Kapitalismus sei der genealogische Nachfolger des Nationalsozialismus. Und auch in Wolfs Werk geht es um die moralischen Abgründe, die in Westdeutschland auf die Menschen warten. Denn die Ost-West-Teilung führt auch zur Trennung eines Liebespaars, weil der strebsame junge Mann aus beruflichen Gründen Republikflucht in die BRD begeht, wo ihn die angebliche soziale Kälte des Kapitalismus erwartet. Die Frau dagegen zieht das behütete Leben in der DDR vor und wird dort glücklich. Filme mit komplexeren Plots, die noch dazu mehr oder weniger unterschwellig Systemkritik übten, bildeten Ausnahmen und wurden schnell verboten, wie Frank Beyers berühmtes Werk Die Spur der Steine (1966). 2 Vgl. Knut Hickethier: Verstellte Blicke. Teilung und Wiedervereinigung: ganz fiktiv, in: epd medien, Nr. 97/2002, Frankfurt am Main, S. 27–35. 3 Vgl. ebd. 4 Vgl. Wolfgang Gersch: Film in der DDR. Die verlorene Alternative, in: Wolfgang Jacobson/Anton Kaes/Hans-Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films, Stuttgart/Weimar 2004, S. 357–405, hier S. 363.

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Nach 1989 wurden die deutsch-deutsche Vergangenheit und der Staat DDR selbst ein dominantes Motiv im nun gesamtdeutschen Spielfilm, weil dieser historische Aspekt neben dem Nationalsozialismus prägend ist für die nationale Identität der Deutschen, also für das Bewusstsein von Filmemachern und Zuschauern als Bürger des wiedervereinigten Landes. Kurz, es ist eines der zentralen historischen Themen für die Deutschen. Im Folgenden soll die Auseinandersetzung mit der DDR in deutschen Spielfilmen nach 1989 in einem kurzen Abriss beleuchtet werden, um anschließend den aktuellen filmischen Erinnerungsmodus anhand der Literaturverfilmung von Der Turm (Christian Schwochow, ARD 2012) genauer zu analysieren. Das Ziel dieser Analyse ist es, die Art der DDR-Darstellung und die damit verbundenen Wirkungsmöglichkeiten auf die Zuschauer und deren Identität zu verstehen. Im Anschluss sollen alternative Erinnerungsmodi im Spielfilm erörtert werden, die Potenzial besäßen, der DDR-Vergangenheit einerseits gerecht zu werden und andererseits bestehende Unterschiede zwischen den Mentalitäten in Ost- und Westdeutschland abzubauen und eine positive nationale Identität zu generieren.

1. Die DDR-Erinnerung in deutschen Spielfilmen von 1989 bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts Nach 1989 wurde die DDR und die Wiedervereinigung zentrales Thema in zahlreichen deutschen Spiel- und Fernsehfilmen. Bis heute haben sich immer neue Generationen von Filmemachern dieser Kapitel der jüngsten deutschen Vergangenheit angenommen und vor ihrem Hintergrund und nach ihrem historischen Verständnis interpretiert. Dabei veränderte sich der erzählerische und ästhetische Umgang mit dem Stoff in dem Maße, wie sich die zeitliche und politische Distanz der jeweiligen Filmemachergeneration zu den Geschichtsereignissen wandelte. Neben dem Zeitpunkt der Produktion und der politischen Einstellung der Filmemacher beeinflussten äußere Umstände die Machart dieser Filme. Zu diesen Einflüssen zählen beispielsweise gerade dominante soziokulturelle Diskurse über die Vergangenheit wie etwa die Frage, ob die DDR rückblickend als Unrechtsstaat zu bezeichnen sei oder nicht. Andere Einflussfaktoren auf den Erinnerungsmodus im Film sind last but not least angesagte oder geforderte Filmstile oder Vorbilder. So lässt sich bei den neueren TV-Eventproduktionen, auf die unten eingegangen wird, ein Einfluss durch das effektreiche Blockbuster-Kino aus Hollywood erkennen, während sich ältere Filmemacher wie Volker Schlöndorff weiterhin am Autorenkino des Neuen Deutschen Films der siebziger und achtziger Jahre zu orientieren

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scheinen.5 Auf Basis dieser Faktoren lassen sich die deutschen Spielfilme über die DDR seit 1989 in verschiedene, aufeinander folgende oder teilweise nebeneinander herlaufende Wellen einteilen. Die letzte Generation der DEFA-Regisseure war gleichzeitig die erste Generation von Filmemachern, welche die DDR und die Wiedervereinigung nach der Wende in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellte. In Filmen wie Die Architekten (Peter Kahane, 1989/90), Das Land hinter dem Regenbogen (Herwig Kipping, 1990/91), Stilles Land (Andreas Dresen, 1991/92), Letztes aus der DaDaeR (Jörg Foth, 1989/90), Verlorene Landschaft (Andreas Kleinert, 1991) oder auch Der Verdacht (Frank Beyer, 1990/91) wird in erster Linie eine Abrechnung mit den politischen und sozialen Zuständen in der ehemaligen DDR betrieben. Es handelt sich um nachträglich systemkritische Filme, die auf diese Weise in der DDR nicht realisierbar gewesen wären, weil sie entweder zensiert oder verboten worden wären. In vielen dieser »Überläuferfilme«6, die an der Schwelle zwischen zwei historischen Zeitabschnitten entstanden, kommt die Wiedervereinigung vor, wird aber nicht positiv gedeutet. In Jörg Foths Letztes aus der DaDaeR wird die Wiedervereinigung beispielsweise als eine Art richtungsloser Hexentanz inszeniert, nicht als möglicher Neuanfang.7 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Filme der letzten DEFA-Filmemachergeneration in melancholischen Rückblicken auf die alte Heimat schwelgen und verpasste Möglichkeiten zur Verbesserung des damaligen Systems kritisch aufzeigen. Gleichzeitig legen diese Werke Zeugnis ab für einen DDR-Typus, der als Künstler und Sozialist der Wiedervereinigung zunächst skeptisch gegenüberstand. Denn die insgesamt kritisch-pessimistische Sichtweise, die in diesen Filmen kolportiert wird, ist untrennbar mit den Arbeits5 Mit dem Begriff des Neuen Deutschen Films wird eine Gruppe von bundesdeutschen Filmemachern bezeichnet, die das traditionelle deutsche Kino der fünfziger und sechziger Jahre ablehnte und 1962 mit dem Oberhausener Manifest ein Programm vorlegte, um dem deutschen Film zu mehr Anspruch und Ansehen zu verhelfen. 1968 wurde das deutsche Filmfördergesetz entsprechend einigen dieser Forderungen verabschiedet. Vgl. Thomas Elsaesser: Der Neue Deutsche Film. Von den Anfängen bis zu den neunziger Jahren, München 1994. 6 Rüdiger Steinmetz: »In unserer sozialistischen Filmlandschaft…« Dramatischer als jeder Film: Die wirkliche Wirklichkeit überholt die filmische. Überläufer-Filme der letzten DEFA-Jahre, in: Volker Roloff/Helmut Schanze/Dietrich Scheunemann (Hg.): Europäische Kinokunst im Zeitalter des Fernsehens, München 1998, S. 285–315, hier S. 285. 7 Eine weiterführende Analyse des Films von Jörg Foth findet sich bei Manuel Koeppen: Abschied ohne Ankunft. Der frühe Wendefilm, in: Inge Stephan/Alexandra Tacke (Hg.): NachBilder der Wende, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 174–198, hier S. 177 f.

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und Lebensbedingungen sowie den Überzeugungen der Regisseure verbunden. Schließlich gehörten viele Regisseure derselben Altersgruppe an wie ihre Filmfiguren. In diesen Filmen wird jedoch ein anderer Sozialismus entwickelt, der sich signifikant von dem System der DDR unterscheidet, weil er in erster Linie weniger bürokratisch, sondern eher menschlich orientiert sein soll. Infolge ihrer Überzeugungen und damit verbundenen Ambitionen, die auf eine Veränderung der Lebens- und Arbeitswelt hinauslaufen, werden die Protagonisten dieser Filme häufig von dem totalitären und bürokratischen Staat hintergangen. Im Falle von Die Architekten werden ihre produktiven Ambitionen in einem System organisierter Überwachung und Repression systematisch erstickt, und durch die Wiedervereinigung verliert darüber hinaus ihre politische Überzeugung und damit der Lebenssinn an Bedeutung. Es scheint beinahe so, dass für die Regisseure wie für ihre Figuren die Ideologie eines wie auch immer humanen Sozialismus ein freies Leben unter der Ägide von Demokratie und des so genannten Kapitalismus grundsätzlich ausschließt. Diese Einstellung verwundert, weil einige Regisseure wie Kahane oder Dresen im wiedervereinigten Deutschland Karriere gemacht haben. Allerdings ist die Sehnsucht nach der DDR als Grundtenor auch noch in ihren späteren Filmen vorhanden. So wird in Kahanes Bis zum Horizont und weiter (1998) ein kaltes kapitalistisches System konstruiert und dagegen die soziale Wärme, die in einem ehemaligen DDR-Bergbaugebiet unter Ostdeutschen herrscht, gesetzt. Diese DEFA-Überläuferfilme fanden bei ihrem Erscheinen Anfang der neunziger Jahre kaum ein Publikum. Denn DDR-Kritik fand kurz nach der Wende zunächst noch kein Interesse. Außerdem sind diese Filme ästhetisch und erzählerisch der Formsprache der DEFA verpflichtet, deshalb konnten sie sich bis heute nicht bei einem Publikum durchsetzen, das HollywoodStandards gewöhnt ist. Trotzdem blieb die Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung nicht auf diese größtenteils unbekannt und ungesehen gebliebenen Filme beschränkt, sondern wurde im Verlauf der neunziger Jahre zu einem gesellschaftlichen Phänomen in Deutschland. Statt der erhofften Angleichung an Weststandards wurde der Osten Deutschlands von diversen strukturellen Problemen heimgesucht, wie etwa der Abwicklung der Staatsbetriebe, Arbeitslosigkeit, Lohnungleichgewicht, Landverlust durch Spekulation, Abwanderung etc. Deshalb blieb Deutschland zunächst in mancherlei Hinsicht geteilt. Als Konsequenzen der internen Unterschiede im Land bildete sich bei einigen Ostdeutschen eine »Abgrenzungsidentität«8 gegenüber dem Westen aus, die sich an früheren Werten der untergegangenen DDR orientierte, nach der also im früheren System eigentlich alles besser war. Und es manifestierte sich die 8 Wolfgang Bergem: Identitätsformationen in Deutschland, Wiesbaden 2005, S. 315.

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berühmte Mauer in den Köpfen als Ausdruck der Gegensätze auf beiden Seiten. Auch das Filmschaffen wurde durch diese Situation und die damit verbundenen Diskurse beeinflusst. Insofern können die Ostkomödien der frühen und mittleren neunziger Jahre als Versuche angesehen werden, dieses Mauerwerk der divergenten Mentalitäten abzubauen. Das Werkzeug dieser Filme ist, gesamtdeutsche Befindlichkeiten der direkten Nachwendezeit satirisch zu spiegeln und dabei Ostdeutsche zwar skurril, aber auch menschlich, freundlich und vertrauenserweckend darzustellen. Gleichzeitig sollte den angeblich wohlstandsverwöhnten Westdeutschen eine Art Zerrspiegel vorgehalten werden, indem sie als zumeist etwas dümmliche, aber durchweg gierige Erfolgsmenschen den sozial kompetenteren Ostdeutschen in der Regel unterliegen. Die bekanntesten Komödien sind Go Trabi Go – Die Sachsen kommen (Peter Timm, 1991), Go Trabi Go 2 – Das war der wilde Osten (Wolfgang Büld/ Reinhard Kloss, 1992) und Wir können auch anders (Detlev Buck, 1993). Letztlich verfehlen diese Filme es jedoch, die Mauer in den Köpfen einzureißen, weil sie die realen Stereotype mit dem Einsatz von fiktionalen Stereotypen karikieren, statt diese zu überwinden. Bis zum Ende der neunziger Jahre war kein Umgang mit der DDR-Vergangenheit erkennbar, der sowohl den besonderen Lebensumständen der ehemaligen Bürger dieses Staates gerecht wurde als auch das Unrechtsregime der SED-Diktatur und ihres Systems aus Angst und Überwachung in den Blick nahm. Es war eher das Gegenteil der Fall: Die Diktatur wurde möglichst ausgeblendet und stattdessen eine verklärende Erinnerung an das angeblich harmonische Leben im Staatssozialismus betrieben. Dieser verklärende Erinnerungsmodus der »Ostalgie« hielt auch im Film Einzug.9 Bekannte Ostalgie-Filme sind die Werke Sonnenallee (1999) und NVA (2005) des Regisseurs Leander Haußmann und des Autors Thomas Brussig sowie Helden wie wir (Sebastian Peterson, 1999; Buchvorlage ebenfalls von Brussig) und Good Bye, Lenin! (Wolfgang Becker, 2003). Allen Filmen liegt eine Coming-of-Age-Story zugrunde, in deren Verlauf die jungen Protagonisten in der DDR die Fährnisse des Erwachsenwerdens meistern müssen. Das narrative und ästhetische Schema liefert Sonnenallee, wo die DDR als netter Ort mit netten Bewohnern darge9 Weiterführendes zum gesellschaftlichen Phänomen der Ostalgie findet sich u. a. bei Katja Neller: DDR-Nostalgie: Dimensionen der Orientierungen der Ostdeutschen gegenüber der ehemaligen DDR, ihre Ursachen und politische Konnotationen, Wiesbaden 2006 sowie bei Patrick Stevenson/John Theobald: A Decade of Cultural Disunity: Diverging Discourses and Communicative Dissonance in 1990s Germany, in: Dies. (Hg.): Relocating Germanness: Discursive Disunity in Unified Germany, Basingstoke u. a. 2000, S. 1–23.

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stellt wird und die erste Liebe im Grunde nicht anders verläuft als im Westen. Es handelt sich um eine systematische Verharmlosung und Verklärung der Ost-Vergangenheit durch das Medium Film, wobei die Wiedervereinigung so wenig thematisiert wird wie die tatsächlichen Aktivitäten der Stasi oder des Politikapparates. Somit liefert die »Ostalgie« Weltflucht in eine scheinbar bessere Vergangenheit Vorschub, in der die Welt im fiktionalen Rückblick als heil und geordnet imaginiert wird.10 Damit dürften diese Filme dem damaligen westdeutschen Publikum zwar einen Zugang zur DDR-Vergangenheit verschafft haben, den Ostdeutschen aber keinen Anschluss an die Wirklichkeit vor oder nach der Wiedervereinigung. Dementsprechend äußerte der Regisseur Leander Haußmann in einem Fernsehinterview: »Ich habe ja immer gesagt, das soll ein Film werden, bei dem die Westler neidisch werden, dass sie nicht im Osten leben durften.«11 Mit Ausnahme von Wolfgang Beckers Good Bye, Lenin! bemühen sich diese Filme auf der erzählerischen Ebene überhaupt nicht, eine zukunftsfähige gemeinschaftliche Post-Wende-Identität herzustellen. Es stellt sich nach der Sichtung sogar die Frage, wieso es eigentlich zum Mauerfall gekommen ist, wenn in der DDR alles in Ordnung war. Good Bye, Lenin! stellt insofern eine Ausnahme dar, weil dieser Film die »Ostalgie« gewissermaßen reflektiert und überwindet. Der Film spielt nach der Wende in Ostberlin. Ein Sohn versucht mit Hilfe »gefakter« Wochenschauen und mühsam wiederhergestellter Gebrauchsgegenstände aus der DDR eine Art Simulakrum für seine kranke, scheinbar erzsozialistische Mutter aufzubauen: Sie soll glauben, die DDR gäbe es noch. Gemeinsam mit Freunden und Nachbarn erschafft er dabei die Illusion eines menschlichen Sozialismus, den sich seine Mutter immer erträumt hat. Schließlich muss er aber feststellen, dass seine Mutter die Scharade durchschaut und seiner Mühen gar nicht bedurft hat. Nach dem Abschied von Lenin erscheint das wiedervereinigte Deutschland in diesem Film schließlich doch als Möglichkeitsraum für die Figuren. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert entstanden schließlich die ersten Spielfilme, in denen der Ostalgie-Welle und anderen, eher politisch motiviert verklärenden Erinnerungsformen die unmenschlichen Seiten des DDR-Systems 10 Weitere Eigenschaften der filmischen Ostalgie werden benannt bei Sean Allan: Ostalgie, Fantasy and the Normalisation of East-West Relations in Post-Unification Comedy, in: David Clarke (Hg.): German Cinema since Unification, London 2006, S. 105–126 oder Gerhard Lüdeker: Kollektive Erinnerung und nationale Identität. Nationalsozialismus, DDR und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm nach 1989, München 2012, S. 234–246. 11 Zit. in: Sandra Maischberger: Sonnenallee – Eine Mauerkomödie: Interview mit Leander Haußmann und Thomas Brussig, in: Leander Haußmann (Hg.): Sonnenallee: Das Buch zum Farbfilm, Berlin 1999, S. 8–24, hier S. 22.

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entgegengehalten werden. In die Die Stille nach dem Schuss (Volker Schlöndorff, 1999/2000) und Die Unberührbare (Oskar Roehler, 1999/2000) werden die Überzeugungen westlicher Linksintellektueller beziehungsweise Terroristen überprüft, indem ihnen die realen Erfahrungen der DDR-Bürger im sogenannten Staatssozialismus entgegengehalten werden. Während der Regisseur Volker Schlöndorff die Erlebnisse als Zeitzeuge des Deutschen Herbstes aufarbeitet und an die Tradition des Neuen Deutschen Films anknüpft12, handelt es sich bei dem Werk des wesentlich jüngeren Oskar Roehler um eine Abrechnung mit seiner Elterngeneration, die filmisch singulär dasteht. Beide Filme handeln von Frauen, deren ideologisches Referenzsystem die ehemalige DDR bildet. Diese Ideologie haben beide Figuren zur Sinnsetzung und Handlungsorientierung ihres Lebens gemacht, weshalb sie trotz der vehementen Infragestellung ihres Überzeugungssystems durch die Wirklichkeit daran festzuhalten versuchen. Während Schlöndorff in seinem Film die auswendig gelernte Linksdoktrin der RAF-Terroristin Rita mit den realen Lügen des Staatssozialismus konfrontiert und die uneinsichtige Protagonistin nach dem Mauerfall einen symbolischen Unfalltod sterben lässt, ist der Mauerfall für die linke Schriftstellerin Hannah Flanders in Roehlers Film der Anlass, den eigenen Selbstmord vorzubereiten. Bei Roehler wird schnell deutlich, dass Flanders als westliche Linke einer Utopie anhing, die nie Realität und von den DDRBürgern niemals gewollt war. Schlöndorffs Rita kann ihren Traum als eine Art privilegierter Staatsgast der DDR nur leben, weil sie die Situation der weniger privilegierten Bürger systematisch verleugnet oder verklärt. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit kann in keinem der Filme durch den Mauerfall geschlossen werden. Dieses Ereignis markiert vielmehr den Zusammenbruch der Lebenslügen beider Frauen und den Beginn einer Zeit, wo für sie kein Platz mehr ist. Insofern wird der Mauerfall durch den Tod der beiden Protagonistinnen nicht positiv konnotiert. Die subjektive Perspektive von Hannah Flanders in Roehlers Film vermittelt sogar den Eindruck, der Mauerfall habe nichts zusammengeführt, sondern den Anfang der Auflösung einer Gesellschaft von Raubtieren markiert, die nun alle gierig um ihren persönlichen Gewinn kämpfen.

12 Schlöndorff knüpft nicht nur ästhetisch an die langsame, unspektakuläre Filmsprache des Neuen Deutschen Films an, sondern konkret an Die verlorene Ehre der Katharina Blum, den er 1975 gemeinsam mit Margarethe von Trotha drehte. In Katharina Blum wird die bürgerliche Protagonistin zu Unrecht als Terroristin beschuldigt, während die Terroristin in Die Stille nach dem Schuss ein bürgerliches Leben in der DDR sucht, aber durch den Mauerfall nur den Tod findet.

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2. State-of-the-Art der DDR-Erinnerung im deutschen Spielfilm: Das TV-Event Seit dem Erfolg von Das Leben der Anderen im Jahr 2006 (Florian Henckel von Donnersmarck) gibt es in Deutschland einen bis heute anhaltenden Boom von Fernsehfilmen, in denen ein kritisches Bild des DDR-Systems und des dortigen Lebens gezeichnet wird. Diese Filme werden in der Presse oft als ziemlich realitätsnah wahrgenommen, weil sie weniger verklärend wirken als etwa die Ostalgie-Filme und im Grunde filmisch darstellen, was im gesellschaftlichen Diskurs mit dem Begriff »Unrechtsstaat« ausgedrückt wird.13 Diese Fernsehfilme folgen im Wesentlichen drei Mustern, die bereits Donnersmarcks Erfolgswerk ausgezeichnet haben: Erstens wird Wert auf einen authentischen Eindruck der Darstellung gelegt: Es soll so wirken, als sei es wirklich so gewesen. Zweitens werden konventionellen Erzählmustern gefolgt, die oft Drama und Spionagethriller vereinen, wobei die Figuren häufig stereotyp gezeichnet sind, um die Filme insgesamt leicht zugänglich zu gestalten. Drittens werden schroffe moralische Gegensätze zwischen dem Staat und den Protagonisten aufgebaut, um die emotionale Wirkung der Filmerzählungen auf die Zuschauer zu erhöhen. Dementsprechend erklärt Regisseur Roland Suso Richter, sein Film Das Wunder von Berlin (2008) sei »ein schnell erzählter Ensemblefilm, der mit der Kamera und dem Schnitt dicht an den Figuren bleibt. Wenig Ostalgie – eher ein moderner Film, der ins Herz trifft.«14 Die Konstruktion der Gegensätze und die Emotionalisierung der Zuschauer bewirken einen besonderen Erinnerungsmodus, der noch eine Stufe weiter geht, als es Schlöndorff oder Roehler im Umgang mit der DDR-Vergangenheit getan haben. Denn in diesen Filmen wird Aufräumarbeit betrieben – mit der Geschichte wird abgerechnet, indem sorgfältig zwischen Gut und Böse beziehungsweise Staat und Bürgern differenziert wird. Auf diese Weise werden die Emotionen der Zuschauer gegen das System DDR gelenkt, was eine positive gegenwartsbezogene Form der Erinnerung ermöglicht. Es wird 13 Um einige dieser Fernsehfilme zu nennen: An die Grenze (Urs Egger, ZDF 2007), Prager Botschaft (Lutz Konermann, RTL 2007), Die Frau vom Checkpoint Charlie (Miguel Alexandre, ARD 2007), Die Todesautomatik (Niki Stein, ZDF 2007), Das Wunder von Berlin (Roland S. Richter, ZDF 2008) und Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen (Thomas Berger, Sat.1  2008) sowie 12 heißt: ich liebe dich (Connie Walther, ARD 2008). 14 Roland Suso Richter: »Ein schnell erzählter Ensemblefilm, dicht an den Figuren«. Anmerkungen des Regisseurs Roland Suso Richter auf ZDF.de vom 22. November 2007, online abrufbar: http://wundervonberlin.zdf.de/ZDFde/inhalt/10/0,1872,7126698,00.html, letzter Zugriff: 13.12.2009.

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zugleich eine Leidens- und eine Erfolgsgeschichte erzählt, welche die Mühsalen der Bürger durch den obstruktiven Staat, das anschließende Überwinden des Leidens und schließlich den Mauerfall als Akt der Befreiung und genuine Leistung des Volkes zum Thema hat. Das ist das Gegenteil von DDR-Nostalgie, da das Volk in der filmischen Darstellung den unmenschlichen Staat abschafft und somit selbst als Wegbereiter der Wiedervereinigung gelten kann. Die Filme feiern insofern die Selbstbefreiung eines Teils der deutschen Bevölkerung aus einer Diktatur und konstruieren durch die Zusammenführung dessen, was zusammengehört, »en passant« eine gesamtdeutsche Konsens-Identität, die idealerweise über die filmische Fiktion hinausragen soll. Jeder wie auch immer geartete Rückgriff auf eine nationale Vergangenheit konstruiert eine gegenwärtige Form von nationaler Identität. In diesen Filmen basiert die kollektive Identitätskonstruktion auf der Überwindung eines gemeinsamen Feindbildes, des moralisch degenerierten DDR-Staates. Damit die emotionalen Erfolgsgeschichten in diesen Filmen funktionieren, werden die tatsächlichen historischen Hintergründe, die politisch wie wirtschaftlich zum Zusammenbruch der DDR und dem Aufweichen des Systems geführt haben, weitgehend ausgeklammert oder nur angedeutet. Auf diese Weise wird die Komplexität gering gehalten, aber die emotionale Wirkung der Werke erhöht. Um eine hohe emotionale Wirkung zu erreichen und somit den Erfolg bei den Zuschauern zu sichern, setzen diese Eventfernsehfilme auf ein konventionelles Feindbildschema, das bereits bei dem Erfolgsfilm Das Leben der Anderen zum Einsatz kam: Dieses Schema basiert auf mehrstufigen Feindbildkons­ truktionen, mit deren Hilfe eine Differenz zwischen den Bürgern als Opfer und dem Staat als Täter hergestellt wird. Im Rahmen dieses so krassen wie simplen Schemas bleibt nur Raum für gleichfalls einfache Figurenkonstruktionen, um die Komplexität weiterhin gering, aber die Zugänglichkeit für viele Zuschauer möglichst hoch zu halten. Einige Figuren durchlaufen einen Wandel, bei dem sie die Abgründe des DDR-Systems durchschauen und sich schließlich dagegen wenden, ähnlich wie der Stasi-Offizier Wiesler in Donnersmarcks Film von einem Täter zu einem Helfer wird. Ansonsten gleichen die Figuren vielmehr Typen, die in dem Unrechtsstaat DDR plausibel erscheinen, so dass der filmische Akzent auf die effektvolle Inszenierung dramatischer Ereignisse gelegt werden kann, bei denen der Staat gegen seine Bürger vorgeht. Diese Ereignisse sind eingebettet in dramatische, emotional wirkungsvolle Beziehungs- oder Familiengeschichten. Requisiten, wie etwa die historiengemäße Bekleidung der Figuren und andere Accessoires, aber auch in die Spielfilme hineinmontiertes Dokumentarmaterial, sollen den Eindruck von Authentizität und den Anspruch auf Wahrheit erhöhen.

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Weil die reale Historie bei den meisten Zuschauern als bekannt vorausgesetzt werden kann und daher die schlussendlichen narrativen Wendungen zum Guten durch den Mauerfall vorhersehbar sind, können diese Filme nicht auf markante Feindbildkonstruktionen für die Spannungserzeugung und die emotionale Wirkung auf die Zuschauer verzichten. Erst durch die Differenzierung zwischen extrem opportunistischen Parteifunktionären und ihren unmenschlichen Stasi-Schergen auf der einen und moralisch selbstlosen, beinahe heiligen Protagonisten auf der anderen Seite, werden die Plots von einem historischen auf ein moralisches Niveau angehoben und als ein Kampf von Gut gegen Böse inszeniert. Auf diese Weise bekommen Schlüsselszenen, in denen es zu einer direkten Konfrontation zwischen den Protagonistenfiguren und der Staatsmacht kommt, einen affektiven Mehrwert: Denn es wird ein emotionales Pushing der Zuschauer bewirkt, die aufgrund ihrer eigenen Überzeugungen in den Zustand einer moralischen Empörung gegen die Repräsentanten des Staates geraten und zugleich für die friedlichen Freiheitskämpfer Partei nehmen sollen.15 Erst durch die Herstellung dieser krassen Gegensätze bekommen die ansonsten konventionellen Handlungen ihre eigentliche Dramatik und werden ebenso wie die ikonografisch abgerufenen historischen Ereignisse emotional aufgeladen. Strukturell ähneln diese Filme damit aktuell erfolgreichen Fernsehfilmen über den Nationalsozialismus wie etwa Dresden (Roland Suso Richter, 2006), Die Luftbrücke (Dror Zahavi, 2005), Die Flucht (Kai Wessel, 2007) oder Die Gustloff (Joseph Vilsmaier, 2007). Auch dort wird gleichsam mit dem »schlechten« Deutschland abgerechnet, um daraus das »gute«, das heutige Deutschland entstehen zu lassen. Diese Fernsehproduktionen bilden den bisherigen Kulminationspunkt für den aktuellen Umgang mit der DDR-Vergangenheit im Spielfilm, und sie haben insgesamt die höchsten Zuschauerzahlen von allen Filmen über dieses Thema seit 1989. Denn es handelt sich um sogenannte Eventfernsehfilme, die von den finanzierenden Sendern umfangreich beworben und bei ihrer Premiere von Dokumentationen und Talkshows zu denselben Themen begleitet werden. Insbesondere in Talkshows auftretende Zeitzeugen oder Prominente, die in irgendeinem Bezug zu den im Film behandelten Ereignissen stehen, haben die Funktion, das TV-Event zusätzlich authentisch erscheinen zu lassen. Dazu kommt ein umfangreiches Marketing, um eine hohe Einschaltquote zu 15 Wie das moralische Verhalten von Filmfiguren die emotionale Anteilnahme von Zuschauern steuert, wird eingehend untersucht bei Gerhard Lüdeker: Grundlagen für eine ethische Filmanalyse. Figurenmoral und Rezeption am Beispiel von Tropa de Elite und Dexter, in: RabbitEye – Zeitschrift für Filmforschung, Nr. 001/2010, S. 41–59.

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garantieren, die bei der Erstausstrahlung im Idealfall so viele Zuschauer umfassen sollte wie ein Tatort, also zirka acht bis zehn Millionen. Aufgrund ihrer Reichweite spielen TV-Eventfilme keine unbedeutende Rolle bei der gesellschaftlichen Konstitution von Geschichtsbildern und aus dieser kollektiven Erinnerung hervorgehenden Konstruktionen nationaler Identität.

3. Der Turm: Ein intermediales Erinnerungsstück Der 2012 im Fernsehen ausgestrahlte TV-Event-Zweiteiler Der Turm scheint sich auf den ersten Blick von dem Erfolgsschema seiner Vorläuferfilme abzuheben, ähnlich wie sich die gleichnamige Romanvorlage von Uwe Tellkamp von vielen DDR-Erzählungen unterscheidet, da sie im Grunde die Tradition des bürgerlichen Romans in der Art von Thomas Mann reaktiviert. Dementsprechend ist auch das Alleinstellungsmerkmal des Films das Sujet der Erzählung, welches im bildungsbürgerlichen Milieu Dresdens im Zeitraum von 1982 bis 1989 angesiedelt ist. Dieses Milieu bringt eine andere Ästhetik und einige neuartige erzählerische Motive mit sich, als sie in den bisher genannten Filmen Verwendung finden. Denn es hat sich als eine eigene Konvention der DDREventfernsehfilme etabliert, den Gegensatz zwischen dem Leben in der DDR und westdeutschen Verhältnissen durch eine triste Farbwahl, ebensolche Requisiten und die Darstellung von Mangel zu akzentuieren. Familie Hoffmann, die in Der Turm im Zentrum des Geschehens steht, leidet keinen Mangel: Vater Richard, ein Oberarzt, fährt einen geräumigen Trabi; die Wohnung ist weitläufig, behaglich und typisch bürgerlich ausgestattet; es gibt Braten und Kuchen für die ganze Familie; die Tradition der Hausmusik wird gepflegt, und es werden Klassiker gelesen. Der Film ist optisch eher in gedeckten Farben gehalten, in Braun-, Grün- und Rottönen, sogar einige Szenen im Krankenhaus, in dem der Vater ein großzügiges Büro mit einem massiven Schreibtisch und einer Couchgarnitur besitzt, folgen dieser Farbwahl. Lediglich die Schule und der Militärdienst, zu dem der Sohn Christian eingezogen wird, entspricht auch ästhetisch den üblichen Vorstellungen, die einige der anderen Eventfilme bereits hergestellt haben: Dort dominieren Grün und Grau, Farben, in denen die DDR typischerweise dargestellt wird. Aufgrund der Farben und der Requisiten könnten Zuschauer, die eine Darstellung einer kalten Mangelwelt erwartet haben, vermuten, der Film spiele nicht in der DDR, sondern in der BRD. Der Anfang des Films vermittelt den Eindruck, es handele sich gar nicht um eine typische DDR-kritische Produktion, sondern um einen verspäteten Ostalgie-Film. Denn die Story beginnt damit, dass der Vater mit befreundeten Kollegen den Weihnachtsbaum eines

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hohen Parteifunktionärs klaut und sich dabei eine amüsante Auseinandersetzung mit dem Pastor liefert, der denselben Baum für seine Kirche illegal fällen möchte. Diese für die Ostalgie typische, humorige und die realen Verhältnisse verharmlosende Erzählweise wird fortgeführt, indem in der darauffolgenden Krankenhausszene die langweilige Weihnachtsansprache des Leiters durch einen Trick unterbrochen und ein geheimes Trinkgelage initiiert wird. Im Voranschreiten der Filmhandlung werden jedoch bald die Brüche in der scheinbar heilen Welt der Familienmitglieder sichtbar, und der ostalgische Erinnerungsmodus des Films weicht einem dramatischen. Die Dramatik entsteht vornehmlich durch sich verschärfende Konflikte innerhalb der Familie, insbesondere Differenzen zwischen Vater und Sohn, sowie dem obstruktiven Staat, der das Leben der Familienmitglieder zunehmend beeinflusst. Der Film zeigt, dass die unpolitische Haltung der »Inneren Emigration« und der gleichzeitige Aufstieg im System der DDR nicht möglich waren.16 In der DDR war beinahe alles politisch, und für berufliches Vorwärtskommen war die richtige parteipolitische Einstellung entscheidend. Trotzdem lehrt der Vater Richard Hoffmann seinem Sohn Christian, innerlich hohe ethische Maßstäbe aufrechtzuerhalten, aber dennoch durch äußere Anpassung vorwärtszukommen. Der erfolgreiche Vater soll dem Sohn als Beispiel dienen. Als aber die früheren, von der Stasi erzwungenen Denunziationen und das Doppelleben des Vaters mit Geliebter und unehelicher Tochter offenbar werden, kommt es zum Bruch zwischen Richard und Christian. Als das Verhältnis des Vaters ans Licht kommt, zerbricht auch die Beziehung zu der Ehefrau Anne. Und schließlich scheitert Richard nicht nur privat, sondern auch beruflich, weil ihm ein linientreuer, aber fachlich wenig versierter Kollege als Leiter des Krankenhauses vorgezogen wird. Als wäre dies nicht bereits genug Unheil, versucht die Stasi von Richard erneut Informationen über Dissidenten zu erpressen. Scheitern und Schwäche sind schon beinahe Eigenschaften, die in diesem Film sämtliche männliche Figuren charakterisieren. Auch der Sohn Christian scheitert zunächst mehrfach daran, dem Vorbild des Vaters zu entsprechen, denn trotz aller Anpassungsversuche gibt er wiederholt dem Drang nach, die Staatsraison zu verletzen: Er liest verbotene Bücher und 16 Mit dem Begriff der »Inneren Emigration« wird die Haltung von Künstlern und Intellektuellen bezeichnet, die das NS-Regime in Deutschland nicht akzeptierten, aber auch nicht ausreisten. Vgl. Ralf Schnell: Literarische Innere Emigration, in: Ders.: Dichtung in finsteren Zeiten. Deutsche Literatur und Faschismus, Hamburg 1998, S. 120–160. – In allgemeiner Weise ist es sicherlich zulässig, diesen Begriff auch auf den Kontext der DDR und damit diesen Film anzuwenden. Die Figur Richard Hoffmann verpflichtet sich und seine Familie innerlich auf bürgerliche Werte, bemüht sich aber mit dem SEDRegime zu kooperieren, statt auszureisen.

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droht von der Schule zu fliegen, außerdem greift er einen Vorgesetzen an, um einen kranken Kameraden vor dessen Schikanen zu retten, und kommt ins Militärgefängnis. Letztlich entwickelt er aber ausgerechnet beim Militär Selbstbewusstsein, wobei er von seiner Freundin Reina unterstützt wird. Der letzte im Bunde der strauchelnden Männer ist Onkel Meno, der die Werke von Literaten im Sinne der Zensurrichtlinien lektoriert, anstatt für den Standpunkt der Autoren systemkritisch Partei zu ergreifen. Solange er nicht bereit ist, Farbe zu bekennen, lehnt es die Untergrundschriftstellerin Judith ab, mit ihm ein Verhältnis zu beginnen. Diesen relativ schwachen Männern stehen selbstbewusste Frauen wie Anne Hoffmann gegenüber, die ihren Mann verlässt, sich dem Widerstand anschließt und trotz der Gefahr offen zu ihrer Meinung steht. Diese Haltung kennzeichnet auch die Figur der Schriftstellerin Judith, die lieber das Verbot ihrer Werke in Kauf nimmt, als diese dem offiziellen Dogma anzupassen, sowie die junge Reina, die Christian beibringt, sich von seinem Vater und dem Staat zu emanzipieren. Die Frauen werden im Film als Trägerinnen des Widerstandes und der Friedlichen Revolution inszeniert. Insofern wird im Film ein Sieg der Weiblichkeit über ein patriarchalisches System symbolisch angedeutet, der dadurch möglich ist, dass die Frauen nicht in einen Konflikt zwischen inneren Grundsätzen und äußerem Handeln geraten, der sie wie ihre Männer in Selbstzweifel und Handlungsunfähigkeit stürzen würde. Die Frauen folgen ihren kritischen Überzeugungen vielmehr geradlinig und tragen damit nicht nur zum Sturz des Systems, sondern auch zur Festigung der Charaktere ihrer Männer bei. Als Revolutionäre und Helferfiguren stellen diese Frauen eine Mischung aus der französischen Marianne und Mutter Teresa dar. Dieses Ensemble aus schwachen Männern und starken Frauen muss sich mit einer Reihe von Figuren auseinandersetzen, die den Staat und die von ihm ausgehende Gewalt in unterschiedlichen Aspekten repräsentieren: Dazu gehören unter anderem linientreue Lehrer, ebenso linientreue oder opportunistische Mitglieder des Kulturbetriebes, eine fanatische FDJlerin, allwissende StasiBeamte, etliche Mitglieder der SED und nicht zuletzt Offiziere und Schleifer bei der Militärausbildung. Auf der Figurenebene werden in Der Turm stereotype Vorstellungen von DDR-Staatsbeamten benutzt, die bereits in anderen DDR-TV-Events eingesetzt wurden und deshalb vielfach bekannt sein dürften.17 Das Auftauchen dieser Figuren reicht aus, um bei den Zuschauern das Bild des Unrechtsstaates zu evozieren – es ist damit nicht mehr nötig, die Funkti17 Zur Konstruktion und Funktion von Stereotypen im Film vgl. Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp: Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur Geschichte eines Mediendiskurses, Berlin 2006.

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onsweise des Staates, insbesondere der Überwachung im Einzelnen, zu zeigen. Auffällig ist, dass die Figuren der Staatsmacht in diesem Film im Unterschied zu früheren DDR-TV-Events milder und weniger unmenschlich ausfallen. Abgesehen von der Schleiferei bei der militärischen Grundausbildung von Christian und der Art und Weise, mit der die Volkspolizisten am Ende des Films die friedlichen Demonstranten von den aus Prag mit Botschaftsflüchtlingen überfüllten Zügen nach Westberlin fernhalten, gibt es keine Szenen, in denen der Staat körperliche Gewalt ausübt wie etwa Folter, die in Das Leben der Anderen noch detailliert vorgeführt wird. Da das verwendete Figurenarsenal und die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten aus anderen Filmen und Medien jedoch schon bekannt sein dürften, reicht es aus, wenn Figuren wie der Stasi-Beamte Vater Richard drohen, um das Gewaltpotenzial des damaligen Systems in der Vorstellung der Zuschauer aufzurufen. Neben diesem aus ähnlichen Filmen bereits bekannten und von vielen Zuschauern sicherlich auch vorausgesetzten Figurenensemble wird die DDR in Der Turm außerdem durch die Remediation18 von narrativen Bedeutungsmustern, die gleichfalls bereits in anderen TV-Events eingesetzt wurden oder aus der Filmgeschichte stammen, dargestellt. Wie die Figuren beziehen sich diese Bedeutungsmuster auf stereotype Vorstellungen von der DDR, die mit medialen Inszenierungen des Unrechtsstaates verbunden sind. Eines dieser Bedeutungsmuster bildet die Familie Hoffmann selbst. Denn die Familie bildet, wie so oft, »pars pro toto« den Staat ab. Dementsprechend stellt sich heraus, dass die Fundamente der Familie verlogen sind und die des Staates auch, folglich fallen Staat und Familie auseinander. Und während sich am Ende des Films Ost und West näherkommen, kommen die Familienmitglieder ebenfalls wieder zusammen. Selbiges Muster findet sich etwa schon in Das Wunder von Berlin, wie Der Turm eine Produktion der Firma teamWorx, heute UFA Fiction. Weitere, in den bereits besprochenen Eventfilmen thematisierte und inszenierte Muster sind das Spitzelsystem und der allgegenwärtige Überwachungsstaat, die Zensur nicht systemkonformer Bücher oder aber die Tatsache, dass Parteimitglieder bei der Besetzung von Posten bevorzugt werden. Ebenso bekannt ist das narrative Schema der »Coming-of-Age-Story«, die mit dem Sohn Christian verbunden ist und gleichfalls in Das Wunder von Berlin Verwendung findet: Das Erwachsenwerden des Jungen wird durch den Fall der 18 Mit dem Begriff der Remediation ist das erneute mediale Aufgreifen von bedeutungstragenden Elementen aus früheren Medien gemeint. Vgl. Astrod Erll: Literature, Film and the Mediality of Cultural Memory, in: Dies./Ansgar Nünning (Hg.): Cultural Memory Studies: an International and Interdisciplinary Handbook, Berlin/New York 2008, S. 389–399, hier S. 392.

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Mauer besiegelt. In diesem früheren teamWorx-Film nimmt die Mutterfigur ebenfalls am Friedensgottesdienst teil und tritt dem friedlichen Widerstand bei. Christians militärische Ausbildung rekurriert dagegen auf Stanley Kubricks Full Metal Jacket (GB/USA 1987), dem Vorbild für die Grundausbildung in fast allen nachfolgenden Kriegsfilmen. Durch die Remediation von stereotypen Bedeutungsmustern, mit deren Hilfe in anderen Filmen bereits der Unrechtsstaat DDR inszeniert worden ist, wird ein Bild der DDR evoziert, das zwar keineswegs der historischen Realität entspricht, aber dennoch als authentisch wahrgenommen wird, weil es aus den Stereotypen zusammengesetzt ist, die im kollektiven Gedächtnis zum Thema DDR gespeichert sind. Anders ausgedrückt: Während die DDR innerhalb der Ostalgie-Welle verharmlost wurde, wird nun ein einseitiges Bild des Überwachungsstaates gezeichnet, bei dem das normale Leben, der Alltag, weitgehend ausgeblendet wird. Diese einseitige Ausblendung ermöglicht es, eine Heilsgeschichte zu erzählen, die bis in die Gegenwart reicht beziehungsweise die Gegenwart legitimiert: Das Leben in der DDR war Leiden, die Wiedervereinigung war Erlösung, und das wiedervereinigte Deutschland wäre dann die Vollendung des Heilsplans. Innerhalb dieser narrativen Konfiguration tritt der Staat in doppelter Weise als Feind seiner Bürger auf: einmal in der »direkten« Konfrontation durch Repräsentantenfiguren oder »indirekt«, indem er das Leben der Familienmitglieder durch seine einfache Existenz auf tragische Weise beeinflusst. Und wie in den Vorläufer-Eventfilmen, so dient die Konfrontation der handelnden Opferfiguren mit den staatlichen Täterfiguren auch hier einer sich steigernden Spannungsdramaturgie, die ihren Höhepunkt findet, als sich der Sohn als Soldat bei der Verteidigung der Züge aus Prag der Mutter, die unter den Demonstranten ist, gegenübersieht und ihr gegen die prügelnden Volkspolizisten zur Hilfe eilt. Aber im Unterschied zu den anderen DDR-Eventfilmen können nicht nur die Szenen emotionalisierend auf die Zuschauer wirken, in denen der Staat in Form seiner Repräsentanten Macht ausübt, sondern auch diejenigen Szenen, in denen deutlich wird, wie fatal sich seine Existenz auf das Leben und Streben der Familienmitglieder generell auswirkt. Letzteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich die Protagonisten gezwungenermaßen den Strukturen des Systems fügen müssen, was etwa nicht der Fall ist, als Richard die Krankenhausleitung nicht erhält, weil er kein Parteimitglied ist. Andere Strukturen wären beispielsweise die Zensur, der sich Meno beugt, was ihn bei einigen Schriftstellern, inklusive Judith, unbeliebt macht. Das Prinzip der Doppelung der staatlichen Einflussnahme durch »direkte« und »indirekte« Präsenz führt zu einer Verdichtung auf der Handlungsebene, auf der das Schicksal der Familienmitglieder immer auswegloser erscheint. Diese Zuspitzung

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soll idealerweise zu einer gesteigerten emotionalen Anteilnahme der Zuschauer am Schicksal der Familie und gegen den Staat führen. Die weiblichen Figuren stellen dagegen Wertesysteme und Identifikationsangebote für die Zuschauer bereit, die gegen den Staat gerichtet sind und somit ein emotionssteigerndes Potenzial bieten. Bei diesen Werten handelt es sich in erster Linie um ein westliches Überzeugungssystem, in dessen Mittelpunkt der Wunsch nach Freiheit und individueller Selbstbestimmung und schließlich das Leben in der westlichen Demokratie stehen.19 DDR-spezifische Werte wie etwa Gemeinschaft, Freundschaft und Familie, wie sie in Ostalgie-Filmen noch dem westlichen Kapitalismus entgegengehalten werden, finden sich in Der Turm nicht. Die Familie wird vielmehr dysfunktional dargestellt. Bei der Konstruktion dieses Films wird durch das Feindbild des Staates eine emotionale Mobilmachung der Zuschauer betrieben, sodass davon auszugehen ist, dass selbst die Zuschauer, welche die Überzeugungen der Protagonistenfiguren nicht teilen, doch für diese Partei ergreifen. Anders ausgedrückt: Der wohl dosierte Ausbruch in Freude, Tränen und Wut an den richtigen Stellen kann als gesichert gelten.

4. Zur moralischen und emotionalen Herstellung einer gesamtdeutschen Konsens-Identität Obwohl Der Turm in der ehemaligen DDR spielt, ist Westdeutschland omnipräsent. Zwar wird der Westen weder szenisch noch durch entsprechende Figuren dargestellt, aber er ist implizit vorhanden, ähnlich wie der Mauerfall als Fluchtpunkt der Erzählung mitgedacht werden muss. Denn Westberlin ist der Ort, an den Meno reisen möchte, um in der DDR nicht verlegbare Bücher drucken zu lassen, und es ist der Ort der Freiheit, zu dem die Züge aus Prag unterwegs sind. Außerdem sind es westliche Demokratie- und Freiheitsvorstellungen, für die das Volk, allen voran die weiblichen Hauptfiguren, kämpfen. Die Figuren, die nicht in den Westen, die nicht die Wiedervereinigung wollen und nicht von westlichen Werten getrieben sind, verfügen über keinen eigenen, genuin moralischen Kompass, sondern sie sind moralisch verkommen. Figuren, die über DDR-spezifische Werte verfügen oder nur das Staatssystem 19 Die nachträgliche und westliche Perspektive auf die DDR-Vergangenheit und den Mauerfall weist Lu Seegers bereits in Das Leben der Anderen nach. Vgl. Lu Seegers: Das Leben der Anderen oder die »richtige Erinnerung« an die DDR, in: Astrid Erll/ Stephanie Wodianka (Hg.): Film und kulturelle Erinnerung: plurimediale Konstellationen, Berlin/New York 2008, S. 21–52.

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demokratisch gestalten möchten, wie sie etwa in den Filmen der letzten DEFAGeneration vorkommen, gibt es in diesen TV-Eventfilmen nicht. Somit lässt sich zugespitzt festhalten, dass TV-Events nicht zum Verständnis der DDR beitragen und Vergangenheit aufarbeiten, sondern die DDR abwickeln. Letztlich werden westliche und schließlich gesamtdeutsche Werte verhandelt und als Handlungsmotivationen und Ziele der Figuren ausgegeben. Durch diese erzählerische Konstruktion wird mit filmischen Mitteln eine einzige Wertegemeinschaft beschworen, die aus den Bürgern der DDR bestehen soll, die sich mit dem Ziel der Wiedervereinigung selbst befreit haben, und den Westdeutschen, die zumindest implizit vorausgesetzt werden. Für die Zuschauer haben diese Filme dadurch das Potenzial, zumindest im Moment der Rezeption über die bestehenden Realunterschiede in Deutschland hinwegzutäuschen und das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft hervorzurufen, deren mythische Stiftung durch gemeinsames Engagement getragen und durch die Friedliche Revolution sowie den Mauerfall inszeniert wird. Die Feindbildkons­ truktionen sollen bewirken, dass Zuschauer zwangsläufig emotionalen Anteil am Schicksal der Protagonisten und der übrigen unbescholtenen DDR-Bürger nehmen und befördern außerdem die Herstellung eines emotionalen Gemeinschaftsgefühls auf der Basis gemeinsamen Gutmenschentums. Dass das Kollaborateurs- und Spitzelsystem die gesamte DDR-Bevölkerung durchzog und die Grenze zwischen Zusammenarbeit und ­Anpassung oft nicht genau gezogen werden konnte, fällt dem Gut-Böse-Schematismus dieser Filme ebenso zum Opfer wie die Tatsache, dass in linksintellektuellen beziehungsweise radikalen Kreisen in der DDR wie in der BRD die Illusion eines humanen Sozialismus virulent und die Wiedervereinigung kein Ziel war. Daneben bestand die Bevölkerung der BRD keineswegs ausschließlich aus Gutmenschen, die sich für die Wiedervereinigung eingesetzt oder diese später gutgeheißen haben. Neben der Herstellung einer Werte- und Emotionsgemeinschaft im Augenblick der Rezeption stellen die Feindbilder in den Filmen selber Identitäten her, die wiederum für die Rezeption konstitutiv sind. Da ist zunächst das Kollektiv der DDR-Politiker und Stasi-Mitarbeiter. Es handelt sich um eine Zweckgemeinschaft, die nur noch in Hinblick auf den eigenen Selbst- und Machterhalt zusammengehalten wird, nicht mehr durch die offizielle Ideologie. Es ist eine brüchige Gemeinschaft, deren Kohäsion gefährdet ist, falls sich das in ihr vorhandene, durch die Selbstsucht der Mitglieder gesteigerte Gewaltpotenzial nach innen kehren sollte. Diese fragile Gemeinschaft benötigt Feindbilder, um die innere Gewalt nach außen abzulenken.20 Das ideologische Gegen20 Zur Funktionsweise von Feindbildern als Ableitungsmechanismen für die Aggressionen einer Gruppe nach außen vgl. Bergem: Identitätsformationen, a. a. O., S. 90.

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über des angeblich faschistisch-kapitalistischen Westens hat eine Zeit lang als Punchingball funktioniert, ist aber am Ende nur noch eine mühsam aufrecht erhaltene Illusion, an die nicht mehr viele glauben – am wenigsten die Mitglieder des Staatsapparates. Diese Mitglieder versuchen, ihre Privilegien zu schützen und wollen im Grunde so leben wie die verhassten Kapitalisten. Als für alle offenbar wird, dass der Westen nur ein Pappkamerad ist, werden als neue Staatsfeinde ideologische Abweichler und Dissidenten sowie potenziell die gesamte Bevölkerung ausgemacht. Damit kehrt sich die Gewalt nach Innen und besiegelt das Ende des Kollektivs DDR. Für die nationale Identitätsarbeit, die von diesen Filmen geleistet wird, also für die Konstruktion eines gegenwärtigen Gemeinschaftsgefühls, ist dagegen allein das Kollektiv relevant, das zusammengesetzt ist aus den Bürgern der DDR, die von den Protagonistenfiguren »pars pro toto« repräsentiert werden, und den entweder im Film vorhandenen, implizit vorausgesetzten oder als Zuschauer präsenten Westdeutschen. Die Basis dieses Kollektivs bilden gemeinsame Werte und eine Antipathie gegenüber denen, die diese Werte verletzen und die Wiedervereinigung verhindern wollen. Es werden im Film moralische Gegensätze konstruiert, die bei den Zuschauern starke Emotionen hervorrufen sollen mit dem Potenzial, wenigstens für einen kurzen Zeitraum das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer moralischen Gemeinschaft herzustellen, die alle deutschen Bürger umfasst und ihren Ursprung im »richtigen Handeln« zur damaligen Zeit hat. Denn während das DDR-Staatskollektiv am Ende der Filme untergeht, einzelne Mitglieder sich mitunter erschießen oder einfach machtlos werden, wird dem DDR-BRD-Bürgerkollektiv eine sinnstiftende Rolle zugewiesen. Diese Rolle besteht nicht allein aus der Dekonstruktion der DDR, sondern vor allem aus der Schaffung einer Einheit, deren Identität aus einer affektiv-familiären Verbundenheit und einer gemeinsamen Wertebasis besteht und dadurch einen positiven Ausblick in die Zukunft beziehungsweise in die Gegenwart der Zuschauer eröffnet. Ehemalige Bürger der DDR sollen sich zwar mit den dargestellten Volksmassen auf der Berliner Mauer identifizieren können, es bleibt jedoch fraglich, ob sie einer nationalen Identitätskonstruktion zustimmen können, die auf rein westdeutschen Werten fußt und keinen Wert legt auf eine weiterführende Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit und ihren Erlebnissen und Rollen, die sie in der DDR einst gespielt haben. Es ist zwar keine Frage, dass die DDR ein Unrechtsstaat war, und auch über die Methoden der Stasi herrscht längst kein Zweifel mehr, wenn der je bestand. Allerdings ist die schematische und oberflächliche Darstellung in diesen Filmen auch nicht hilfreich, wenn etwa im Schulunterricht die Mechanismen verstanden werden sollen, wie so ein Staat entstehen und letztlich untergehen konnte. Die Ursachen und die

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Motivationen, die aus zunächst normalen Menschen Überwacher oder Peiniger anderer Menschen machen, werden nicht geklärt. Genauso wenig wird verständlich gemacht, wieso sich noch heute Menschen nach einer Vergangenheit zurücksehnen, in der sie gemäß diesen Filmen nur unterdrückt wurden. In TV-Events geht es vielmehr darum, die Vergangenheit als überwunden darzustellen und einen positiven Ausblick auf die Zukunft zu eröffnen, die vor der filmisch hergestellten, gesamtdeutschen Wertefamilie liegt. Dass wenige Jahre nach dem Mauerfall eine Reihe von nach wie vor ungelösten Problemen ihren Anfang nahmen, scheint im Film beinahe ausgeschlossen zu sein, ebenso wie die nach wie vor gravierenden strukturellen Differenzen zwischen Ostund Westdeutschland sowie die Eigenheiten ostdeutscher Identitäten, die durch die Spezifik der DDR-Vergangenheit und den Verlauf der Wiedervereinigung verursacht worden sind.

5. Fazit: Die Familie als Wertsetzung und Identifikationszentrum Neben dieser ökonomischen Vergangenheitspolitik im Sinne einer Abschreibung von historischen Kosten, bieten einige Spielfilme über die DDR jedoch auch Potenzial für zukünftige, vielleicht differenziertere Erinnerungsmodi. Denn auffällig ist, dass in den meisten der dieser Untersuchung zugrundeliegenden Spielfilme immer wieder die Familie oder das Individuum als Teil einer Familie im Vordergrund der Handlung steht. Dabei bildet die Familie in der Regel die Gesellschaft der DDR und manchmal auch die sozialen und politischen Unterschiede der beiden voneinander getrennten Staaten ab. Es ist daher nur folgerichtig, wenn in einigen Filmen die gesellschaftlichen Brüche und Veränderungsprozesse der damaligen Zeit in die Familien hineinprojiziert werden. Dabei folgen die meisten Filme der naheliegenden Erzählstruktur, der gemäß die sozialen und familiären Brüche ebenso wie der Bruch zwischen den beiden Staaten durch den Mauerfall repariert werden. In den Fällen, in denen diese Reparatur nicht mehr möglich ist, wird der Mauerfall skeptisch oder sogar negativ konnotiert. Unabhängig von dem Ausgang der Filme bilden die Familie oder das erweiterte soziale Umfeld der Protagonisten, also der Beruf oder die Nachbarschaft, eine enge Form von Gemeinschaft, eine soziale und solidarische Ebene des Privaten, die wie eine Trutzburg gegen den DDRPartei- und Überwachungsapparat errichtet ist und letzteren schließlich auch in die Knie zwingt. Somit lassen sich Familie und Gemeinschaft als DDRspezifische, in allen Filmen verhandelte Werte festhalten, die ihre historische Besonderheit durch ihren Platz im Gefüge des damaligen Unrechtsstaates erhalten haben.

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Sicherlich sind staatlicher und privater Raum in der tatsächlichen DDRRealität eng miteinander verwoben gewesen. Einige Menschen werden aus Opportunismus für den Kontrollstaat tätig gewesen sein, andere aus Überzeugungen heraus, und wieder andere haben aktiven oder passiven Widerstand geleistet, während sich einige neutral verhielten. Dieses Koordinatensystem aus gradueller Anpassung und Abweichung hat den individuellen, den familiären und den gemeinschaftlichen Alltag in der DDR sehr stark beeinflusst. Es stellt sich aber auch die Frage, ob wirklich alles politisch war? Und wenn es Freiräume gab, wo lagen die dann? Im Medium Spielfilm finden sich bisher kaum Antworten auf diese Fragen. Statt das Leben in der DDR in seinen unterschiedlichen Abstufungsmöglichkeiten darzustellen, wird die politische Dimension dieses Staates durch Systemkritik oder Täter-Opfer-Schematisierungen betont, oder es wird eine Verklärung des Alltags betrieben und die Politik komplett ausgeblendet. Es gibt wenige Ausnahmen in der filmischen Erinnerungslandschaft wie etwa Good Bye, Lenin!, worin die Verwobenheit von Politik und Gesellschaft im Gefüge der DDR zwar relativ unprätentiös geschildert, aber der Familie und der Gemeinschaft dennoch ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, der als positiver Anknüpfungspunkt für heutige Ost-Identitäten dienen kann. Hier wird ein ausbaufähiger Erinnerungsmodus skizziert, der das offizielle und mediale Koordinatensystem des Umgangs mit der Vergangenheit positiv erweitern könnte. Wünschenswert wäre also an dieser Stelle, bei der Erinnerungsarbeit an der Familie und der Gesellschaft anzusetzen, um sich dieses soziale Gefüge in ihrer DDR-Spezifik anzuschauen, ohne sie mit weiteren Bedeutungen metaphorischer oder symbolischer Art aufzuladen. So lassen sich in der Vergangenheit Werte finden, die in einer Gegenwart, in der sich das Subjekt mitunter allein auf sich gestellt findet, hilfreich sein könnten. Es ist zwar nachvollziehbar, dass aktuelle DDR-Erinnerungsfilme auf gegenwartsorientierte Handlungsfähigkeit und gesamtdeutsche Gemeinschaft ausgelegt sind und deshalb die Leistungen der Ostdeutschen am Sturz ihres alten Staates herausheben und den Bevölkerungen der beiden damaligen Teile Deutschlands nachträglich einen unbedingten Willen zur Wiedervereinigung attestieren. Insofern können die neueren DDR-TV-Events als filmische Offensive zur Konsolidierung des Status quo in Deutschland bezeichnet werden. Alternativ ist aber genauso möglich, als Gesellschaft handlungsfähig zu sein und näher an der damaligen Realität orientierte, aktive Erinnerungspolitik zu betreiben, die das Leben in der DDR nicht nivelliert (als Leben in einer x-beliebigen Diktatur oder gar als Leben wie im Westen), sondern in seiner Eigenart begreifbar macht. Denn Aufarbeitung ist nicht Abschreibung, weil weder ein Individuum noch eine Gemeinschaft ohne Vergangenheit lernen und leben kann.



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Matthias Steinle

Drei Krisen und das Wunder ihres Endes: Die DDR im deutschen Dokudrama

Man stelle sich vor, es ist ein Jubiläumsjahr des Mauerfalls und nicht nur das spektakulärste, sondern auch noch das einzige Dokudrama zum Thema DDR überhaupt läuft auf einem Kulturkanal ...1 Unvorstellbar im deutschen Fernsehen nach der Jahrtausendwende, das geprägt war von historischen Eventfilmen, die die deutsche Geschichte nach den Regeln der Jahrestagsdramaturgie massenmedial begleitet und mitgeschrieben haben. Unvorstellbar und doch so geschehen im Jahr 2014, in dem Arte mit Zug in die Freiheit (Sebastian Dehnhardt/Matthias Schmidt) das einzige Dokudrama zum 25. Jahrestag der dramatischen Ereignisse in der DDR ausgestrahlt hat.2 Der Film zeigt die spannungsreiche Reise der Prager Botschaftsflüchtlinge mit dem Zug über das Territorium der DDR in die Bundesrepublik im Sommer ’89 in der für das Format charakteristischen Mischung aus Zeitzeugeninterviews, Spielszenen und Archivbildern. Dass es sich im Erinnerungsjahr 2014 um das einzige aufwändige Dokudrama zum Thema DDR und deren Ende überhaupt handelte, ließe sich auch als Indiz dafür lesen, dass dokufiktionale Genreformen des Eventfernsehens ihre Dominanz ebenso eingebüßt haben wie die mit ihnen transportierten erinnerungskulturellen Narrative, die im Folgenden analysiert werden sollen. Filme zur deutsch-deutschen Geschichte trafen nach der Vereinigung auf zwei unterschiedliche, von der Teilung geprägte Erinnerungskulturen: eine westdeutsche, die unter dem Vorzeichen der Kontinuität die Geschichte der alten Bundesrepublik weitgehend konsensuell als success story einer »geglückte[n] 1 Bei dem Artikel handelt es sich um eine gekürzte und aktualisierte Fassung von Matthias Steinle: Good Bye Lenin – Welcome Crisis! Die DDR im Dokudrama des historischen Event-Fernsehens, in: Tobias Ebbrecht/Hilde Hoffmann/Jörg Schweinitz (Hg.): DDR erinnern, vergessen. Das visuelle Gedächtnis des Dokumentarfilms, Marburg 2009, S. 322–342. 2 Die MDR-Arte-Produktion Zug in die Freiheit lief auf Arte um 20.15 Uhr, die ARD zeigte den Film darauf am 3. Oktober um 18.30 Uhr und der MDR am 2. November um 20.15 Uhr.

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Demokratie«3 schrieb; und eine ostdeutsche, die von der Erfahrung eines radikalen Bruchs geprägt war, wobei es zu zentralen Fragen der Einordnung und Bewertung der DDR kein allgemeines Selbstverständnis gab. Für die ehemaligen DDR-Bürger ging es immer auch »um die Auf- oder Abwertung gelebten Lebens«4. Das Fernsehen als zentrale gesellschaftliche Agentur der Erinnerungsarbeit stand vor der Aufgabe, ein gesamtdeutsches und zugleich erinnerungskulturell gespaltenes Publikum anzusprechen. Welche DDRGeschichtsbilder und -deutungen vor diesem Hintergrund angeboten wurden, soll im Folgenden am Beispiel von publikumswirksamen Dokudramen erörtert werden, die, nicht zuletzt aufgrund ihres ökonomischen Aufwandes, ein möglichst großes Publikum beiderseits der Elbe ansprechen mussten.5

1. Zeitgeschichte im deutschen Dokudrama Die im neuen Jahrtausend im Rahmen der televisuellen Eventgeschichtskultur in Deutschland produzierten Dokudramen lassen sich durch eine Reihe thematischer, ästhetischer und ökonomischer Gemeinsamkeiten charakterisieren: Generell behandeln diese zeitgeschichtliche Stoffe ab 1933, die am Beispiel individueller Geschichten durch Personalisierung, Emotionalisierung und Dramatisierung vermittelt werden.6 Verschiedene dokumentarisierende Strategien (Betonung einer wahren Geschichte, genaue Zeit- und Ortsangaben, Identifizierung der Akteure/Zeitzeugen, historische Kulissen, Archivmaterial, 3 Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006. 4 Annette Leo: Keine gemeinsame Erinnerung. Geschichtsbewusstsein in Ost und West, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 53 (2003), Bd. 40–41, S. 27–32, hier S. 27. 5 Entsprechend der Funktion als »historisches Ereignisfernsehen« (Tobias Ebbrecht) werden im Folgenden unter Dokudrama pragmatisch sowohl Filme verstanden, in denen der dokumentarische Aspekt stärker betont wird, wie in den Produktionen von Guido Knopp/Hans-Christoph Blumenberg, als auch Filme, die am Hollywood-Historienspektakel orientiert sind, wie die von teamWorx als »tv Event« vermarkteten Filme. Vgl. Tobias Ebbrecht/Matthias Steinle: Dokudrama in Deutschland als historisches Ereignisfernsehen – eine Annährung aus pragmatischer Perspektive, in: MEDIEN­ wissenschaft, Nr. 3 (2008), S. 250–255. 6 In der extremen Konzentration auf Zeitgeschichte unterscheiden sich die deutschen Dokudramen etwa von den ästhetisch und in ihrer soziokulturellen Funktion ähnlich gelagerten französischen »fictions patrimoniales«, die thematisch bis in die frühe Neuzeit zurückgehen. Vgl. Pierre Beylot/Raphaëlle Moine (Hg.): Les fictions patrimoniales sur grand et petit écran. Contours et enjeux d’un genre intermédiatique, Bordeaux 2009.

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Mitarbeit von Historikern) sollen Authentizität evozieren und die gesellschaftliche Relevanz des Themas betonen, die durch »extra-textuelle Ereignisse«7 wie produktionsbegleitende Titelstories, Talkshows und Making-ofs vermittelt wird. Dabei dominiert ein enges Geflecht der beteiligten Akteure (Schauspieler, Regisseure, Produzenten) im Modus des Star-Systems. Thematisch lassen sich die Produktionen des historischen Ereignisfernsehens grob drei Bereichen zuordnen: erstens »Drittes Reich«, zweitens westdeutsche Nachkriegsgeschichte/BRD und drittens DDR. Charakteristisch für den personalisierten und auf das »Schicksal« der Deutschen reduzierten Zugriff auf den Komplex »Drittes Reich« ist die Entlastungstendenz, die Verantwortung auf wenige Funktionsträger abzuschieben und die deutsche Bevölkerung primär als Opfer des Nationalsozialismus zu zeichnen.8 So inszenieren jüngere deutsche Melodramen, die Judenverfolgung und -vernichtung thematisieren, rückwirkend positive deutsch-jüdische ­Identitätsstiftung und spielen im unreflektiert-nostalgischen Ufa-Stil »Ver­ söhnungsmelodien«9. Im Mittelpunkt der Filme über die westdeutsche Geschichte stehen gemeinschaftsstiftende Erfahrungen, die wie in Das Wunder von Bern (Sönke Wortmann, 2003) der Bundesrepublik nationale Identität verleihen. Eine Bedrohung erfolgt generell von außen, wie die Blockade in Die Luftbrücke (Dror Zahavi, 2005). Krisen resultieren aus Unfällen, so wie etwa das Grubenunglück in Das Wunder von Lengede (Kaspar Heidelbach, 2003), oder aus Naturkatastrophen wie der Hamburger Sturmflut von 1962 in Die Sturmflut (Jorgo Papavassilou, 2005). All diese Krisen werden kollektiv bewältigt. Obwohl solche am Katas­ trophenfilm orientierten Dokudramen sich scheinbar weniger für politische Implikationen, sondern vielmehr für dramatische Effekte, nostalgische Bilder, Familien- oder Liebesgeschichten mit visuellen Schauwerten interessieren, bedienen sie das Bedürfnis nach dem Austritt aus der Geschichte als politisch konfliktuellem Feld und nach nationaler Mythenbildung. »Jedes Volk braucht eine Legende«, verkünden entsprechend programmatisch Trailer und Filmplakat zu Das Wunder von Bern. Dokudramen mit kritischen Tönen zur westdeutschen Geschichte erreichen nur selten Eventcharakter und wenn, dann 7 Derek Paget: No Other Way to Tell It. Dramadoc/Docudrama on Television, Manchester/New York 1998, S. 80. 8 Vgl. Tobias Ebbrecht: Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust, Bielefeld 2011. 9 Sonja M. Schultz: Die harmonische Leinwand. Filmische Stereotypen bei der Darstellung von Nationalsozialismus und Holocaust in aktuellen deutschen Produktionen, in: apropos: Film 2005 – Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Berlin 2005, S. 76–88, hier S. 88.

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greifen andere mediale Mechanismen wie beispielsweise im Fall von Contergan (Adolf Winkelmann, 2005).10 Die einzige thematische Ausnahme stellt der Komplex »Terrorismus« mit der RAF als aus der eigenen Gesellschaft erwachsenen Bedrohung dar. Bezeichnenderweise endet Breloers wegbereitender Zweiteiler Todesspiel (1997) über die Schleyer- und Landshut-Entführung unmittelbar nach der akuten Krisensituation. Die teamWorx-Produktion Mogadischu (Roland S. Richter, 2008) konzentriert sich ausschließlich auf die Flugzeugentführung. Widersprüche, nach wie vor offene Fragen und vor allem die Konsequenzen des »Deutschen Herbstes«, das langfristig vergiftete politische Klima, geraten durch die Beschränkung auf den Krisenmoment nicht in den Blick.11 Im Kontrast zur mythologisierenden Geschichtsschreibung der Bundesrepublik im historischen Ereignisfernsehen steht als dritter thematischer Komplex die Auseinandersetzung mit der DDR. Die Wahrnehmung des »anderen« deutschen Staates erfolgt ausschließlich unter den Vorzeichen krisenhafter Ereignisse anhand der drei Fixpunkte: 17. Juni 1953, 13. August 1961 und 9. November 1989, mit dem zugleich die DDR in den bundesdeutschen »Wunder-Diskurs« überführt wird. Zum fünfzigsten Jahrestag 2003 wurde dem Aufstand vom 17. Juni mit einer so außergewöhnlichen Intensität gedacht, dass vom »medialen Overkill«12 die Rede war. Hans-Christoph Blumenberg rekonstruierte unter der Redaktion von Guido Knopp die Ereignisse in der Berliner Stalinallee in Der Aufstand (2003), für den ausgiebig Zeitzeugen befragt wurden. Die Sendeanstalten der ARD machten sich untereinander Konkurrenz mit Zwei Tage Hoffnung (Peter Keglevic, 2003) und Tage des Sturms (Thomas Freundner, 2003). Thematisch allerdings ergänzten sich die beiden Filme durch den Fokus des Erstgenannten auf das »Epizentrum des Bebens« in Berlin und des Letztgenannten auf die Auswirkungen in der Bitterfelder Provinz. Den 13. August 1961 riefen die beiden teamWorx-Produktionen Der Tunnel (Roland S. Richter, 2001) sowie Die Mauer – Berlin ’61 (Hartmut Schoen, 2005) ins Bewusstsein. Zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls erinnerte die Sat.1-Produktion Böseckendorf – Die Nacht, in der ein Dorf verschwand 10 Dass die Ausstrahlung des Zweiteilers über den Pharmaskandal im November 2007 zum Ereignis wurde, lag v. a. an dem von der Berichterstattung ausführlich begleiteten zweijährigen Rechtsstreit um die Mischung aus Fakt und Fiktion. 11 Vgl. Kay Hoffmann: Zehn Jahre nach Breloers »Todesspiel«, in: Rundfunk und Geschichte, Jg. 33 (2007), H. 3–4, S. 71–73, online abrufbar unter: http://rundfunkundgeschichte.de/assets/RuG_2007_3-41.pdf, letzter Zugriff: 16.03.2015. 12 Marc-Dietrich Ohse: Rückblicke, Aussichten. Erinnerungskultur und deutsche Befindlichkeit, in: Deutschland Archiv, Jg. 36 (2003), H. 6, S. 924–928, hier S. 925.

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(Oliver Dommenget, 2009) an die Massenflucht einer Dorfgemeinschaft im Oktober 1961 an der innerdeutschen Grenze. Zum fünfzigsten Jahrestag des Mauerbaus widmete sich die Arte-Produktion Geheimsache Mauer – Die Geschichte einer deutschen Grenze (Christoph Weinert/Jürgen Ast, 2011) der Berliner Mauer und befragte dazu auch jene, die sie bewacht haben. Die letzte Etappe der DDR zeigt der Zweiteiler Deutschlandspiel (2000) von Blumenberg und Knopp unter Aufbietung zahlreicher prominenter Politiker, der mit einer kriselnden DDR an ihrem vierzigsten Jahrestag einsetzt und mit dem Vereinigungsfeuerwerk am 3. Oktober 1990 endet. Danach fand das Thema Mauerfall erst mit dem Nahen des zwanzigjährigen Jubiläums wieder Eingang in die Produktionspläne: So der im Auftrag von RTL 2007 gedrehte Film Prager Botschaft (Lutz Konermann), der mit 1.800 Komparsen an Originalschauplätzen in Prag die dramatische Situation in der bundesdeutschen Botschaft im September ’89 nachstellte. Wenn die DDR im deutschen Dokudrama ein Wunder erleben darf, dann das ihres Endes: Entsprechend realisierte im gleichen Jahr teamWorx-Produzent Nico Hofmann für das ZDF Das Wunder von Berlin (Roland S. Richter, 2007), eine Familiengeschichte aus der Endphase der DDR, die mit dem Mauerfall endet.13 Der MDR lieferte die Ereignisse aus der Provinz mit Das Wunder von Leipzig – Wir sind das Volk (Sebastian Dehnhardt/Matthias Schmidt, 2009). Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Fernsehzuschauer führte dazu, dass der erste Film zum Erinnerungsjahr 2009 bereits 2008 ausgestrahlt wurde: Die Sat.1-Produktion Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen (Thomas Berger, 2008) beginnt mit einem gescheiterten Fluchtversuch über die deutsch-deutsche Grenze und endet mit dem Mauerfall als Happyend. Die DDR steht in den deutschen Nachwendedokudramen nur als Ruine auf, deren Verfall anhand von Krisendaten erzählt wird, wie dies beispielhaft die ZDF-Produktion Die Wölfe (Friedemann Fromm, 2009) demonstriert: Der Dreiteiler zeigt die Schicksale der Mitglieder der Jugendbande »Die Wölfe« anhand der Ereignisse um die Berlin-Blockade, den Mauerbau und den Mauerfall. Die Wahrnehmung der DDR unter krisenhaften Vorzeichen schreibt sich auch in die Zukunft fort wie in dem teamWorx-Zweiteiler Die Grenze (Roland S. Richter, 2010), der im Jahr 2010 spielt: In einer sich verschärfenden wirtschaftlichen und sozialen Krise spaltet sich Mecklenburg-Vorpommern vom Rest der Republik ab und bildet eine »kleine DDR«. 13 Zum »Etikettenschwindel« des Filmtitels und dem Bedürfnis nach Wundern im deutschen Film siehe Matthias Dell: Wunder gibt es immer wieder. Warum wird alles, was dieses Land als Höhepunkt erlebt, ins Märchenhafte gesteigert?, in: Der Freitag vom 25. Januar 2008.

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Die wenigen Dokudramen, die nicht an den krisenbesetzten Schlüsseldaten ansetzen, orientieren sich an den damit verbundenen Erinnerungsorten, so etwa Die Frau vom Checkpoint Charlie (Annette Hess/Miguel Alexandre, 2007). Der ARD-Zweiteiler, der in den 1980er Jahren spielt, zeigt den Kampf einer von Veronica Ferres verkörperten (Super-)Mutter nach ihrem Freikauf durch die Bundesrepublik um ihre in der DDR verbliebenen Kinder. Daneben interessieren sich die Dokudramen noch für die Grenze wie in dem an der Biografie von Michael Gartenschläger orientierten Film Die Todesautomatik (Niki Stein, 2007).

2. Zur Rolle von Genremustern im »Untergang auf Raten« In der Konstruktion der DDR als permanente Krise greifen genrespezifische, geschichtspolitische und erinnerungskulturelle Aspekte wirksam ineinander. Krisenhafte Situationen bieten sich für die Dramaturgie von Dokudramen an: Einer in sich gespaltenen Welt, wie sie das geteilte Deutschland prototypisch repräsentiert, steht die für das klassische Drama typische Einheit der Handlung gegenüber. Strenge Kausalität und überzeugende Motivierung produzieren eine eindeutige Wirkung, auf die das Dokudrama, verstanden als persuasive Praxis, abzielt. Hinzu kommt bei Dokudramen die häufige Dominanz des Melodramatischen, das dezidiert moralische Urteile vermittelt: Indem das Filmmelodrama häusliche Milieus und Familienbilder in den Kontext eines größeren sozialen Systems stellt, das die Erzählung als mächtig und korrupt enthüllt, wird eine klare moralische Perspektive entwickelt.14 Dieses Genremuster bietet sich für eine dokudramatische Narrativisierung der DDR an, war diese doch mit Abriegelung ihrer Grenzen verantwortlich für das Auseinanderreißen von Familien. Entsprechend exemplarisch lassen sich private Bereiche und Familienbilder als Zeichen menschlicher Verbundenheit und – deutscher – Einheit der SED-Machtpolitik als Inbegriff von Unterdrückung und Spaltung Deutschlands gegenüberstellen. Gemäß dem polarisierenden Genreschema einer klaren Trennung in Gut und Böse werden emotionale Schwarzweißbilder vermittelt, die im Kontext der deutschen Teilung auf den Feindbildern des Kalten Krieges aufbauen können. Der Rekurs auf etablierte Klischees aus Zeiten der Systemkonkurrenz bietet sich auch aus Gründen der Erzählökonomie an, da damit ein Repertoire an Motiven und Darstellungsstrategien bereitsteht, das für Ein14 Vgl. Steve Lipkin: Defining Docudrama: In the Name of the Father, Schindler’s List, and JFK, in: Alan Rosenthal (Hg.): Why Docudrama? Fact-Fiction on Film and TV, Carbondale/Edwardsville 1999, S. 370–383, hier S. 372 f.

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deutigkeit sorgt und an langfristige mediale Erfahrungen anschließen kann. Indem »Zonen der Sicherheit und Bestimmbarkeit«15 geschaffen werden, kommt auch die Trostfunktion des Genres zum Tragen. Nicht zuletzt verweist die Häufigkeit der Thematisierung auf nationale Traumata. Wie im Melodram vermittelt auch das Dokudrama die Hoffnung, verlorene moralische Kategorien könnten zurückgewonnen und erneuert werden.16 Dieses Genremuster dient als Modell für die Geschichte von der friedlichen Überwindung der DDR und der Wiedervereinigung. Die unterschiedliche thematische Behandlung von Bundesrepublik und DDR reflektiert erinnerungskulturelle Bedürfnisse ebenso wie geschichtspolitische Interessen. In der Retrospektive aktueller Dokudramen darf die DDR kein Ort gemeinschaftsstiftender Ereignisse sein. Die Konzentration auf die drei Krisendaten als einzig signifikante Erinnerungsorte für die DDR vermittelt die teleologische These vom »Untergang auf Raten«17. Auf der Strecke bleibt dabei die Interaktion von Herrschaft und Gesellschaft, die nach Schließung der DDRGrenzen die relative Stabilität bis in die 1970er Jahre erklärt.18 Verdrängt wird damit auch die Komplexität deutsch-deutscher Wahrnehmung in ihrer historischen Dimension: Gab es doch in der Bundesrepublik neben den Feindbildern des Kalten Krieges lange Zeit eine breite Palette von Fremd-, aber auch von öffentlich-rechtlich produzierten Freundbildern.19 Diese stellen für die Verantwortlichen aus der Bundesrepublik eine unliebsame Erinnerung dar und sind dementsprechend ein weitgehend blinder Fleck im öffentlichen Erinnern. Im Ensemble der Produktionen ist die Themenwahl symptomatisch für mediale Wahrnehmungsraster der Zeitgeschichte, die sich zugespitzt folgendermaßen zusammenfassen lassen: das »Dritte Reich« als große Leidensgeschichte aller Deutschen; die DDR als krisengeschütteltes »Phänomen« (Kurt Georg Kiesinger) mit der Bevölkerung beiderseits der Grenze/Mauer als Opfer; und die Bundesrepublik als solidarische Gemeinschaft und wundersame Erlösung aus der Leidensgeschichte. 15 Thomas Waitz: Geschehen/Geschichte. Das Dokudrama bei Hans-Christoph Blumenberg, in: Harro Segeberg (Hg.): Referenzen. Zur Theorie und Geschichte des Realen in den Medien, Marburg 2009, S. 211–222, hier S. 219. 16 Vgl. Lipkin: Defining Docudrama, a. a. O., S. 373. 17 Armin Mitter/Stefan Wolle: Untergang auf Raten. Unbekannte Kapitel der DDRGeschichte, München 1993. 18 Vgl. »Die Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes ›Aufarbeitung der SED-Diktatur‹«, in: Martin Sabrow u. a. (Hg.): Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Dokumentation einer Debatte, Bonn 2006, S. 17–43, hier S. 34 f. 19 Vgl. Matthias Steinle: Vom Feindbild zum Fremdbild. Die gegenseitige Darstellung von BRD und DDR im Dokumentarfilm, Konstanz 2003, S. 333 ff.

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3. Westdeutsche Redefinition deutscher Erinnerungsorte Die DDR als Fernsehereignis wird im Wesentlichen von wenigen Regisseuren, Redakteuren und Produzenten auf den Bildschirm gebracht, die im Allgemeinen aus Westdeutschland stammen. Im zeitzeugengestützten Dokudrama ist es vor allem der ehemalige Filmkritiker Hans-Christoph Blumenberg, der sich für das ZDF unter der Redaktion von Guido Knopp und produziert von Ulrich Lenze (Cinecentrum) der Geschichte angenommen hat. Die fiktional orientierten »Event-Movies« dominieren die Filme der von Nico Hofmann geleiteten Produktionsfirma teamWorx. Als Tochter der Ufa-Gruppe steht der Name für international marktfähige Zeitgeschichte auf der Höhe computeranimierter Spezialeffekte.20 Die Regisseure der teamWorx-Produktionen sind alle westlich sozialisiert wie die Darsteller der Hauptrollen. Bevorzugt werden aus Gründen internationaler Marktfähigkeit »eingeführte Marken«21, allen voran Heino Ferch, gefolgt von Sebastian Koch, Veronica Ferres und Alexandra Maria Lara. Deren Performanz hat für ehemalige DDR-Bürger häufig einen Verfremdungseffekt – wenn auch nicht im Brechtschen Sinn – zur Folge. Jochen Schmidt veranlasst eine Szene in Die Frau vom Checkpoint Charlie, in der Veronica Ferres als »Mutter Courage der Republikflucht« im weißen Hemd eine Kohlenschütte unterm Arm trägt, zu folgender Reflexion: Es könnte einmal eine Art Königsdisziplin für Schauspieler aus dem Westen werden, einen authentischen Ossi darzustellen, wie amerikanische Schauspieler ja immer Minderwertigkeitskomplexe haben, weil sie Shakespeare mit ihrem Akzent nie richtig spielen können.22

Das Filmerbe der DDR ist personell nur in Nebenrollen präsent. Visuell ist es in fast allen Filmen in Form dokumentarischer Aufnahmen der DEFAWochenschau Der Augenzeuge und des DDR-Fernsehens als Quellenmaterial zu sehen, das entweder illustrative oder dramaturgisch-binnendiegetische Funktion hat. Eigenständige ästhetische Qualitäten oder ein originär dokumentarisches Interesse wird den DDR-Bildern durch diesen Umgang abgesprochen. 20 Vgl. Nico Hofmann: Exzellenz-Wettbewerb. Ein epd-Interview mit teamWorx-Produzent Nico Hofmann, in: epd medien, Nr. 60, vom 1. August 2007, S. 3–6. 21 Eike Wenzel: Retrotopia oder Erinnerungsland, in: Burkhard Röwekamp/Matthias Steinle (Hg.): Selbst/Reflexionen. Von der Leinwand bis zum Interface, Marburg 2004, S. 64–78, hier S. 76. 22 Jochen Schmidt: Die DDR im Film. Wie mutig wir waren!, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 23. September 2007, S. 35.

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Zunächst sorgen authentische Aufnahmen für Zeitkolorit; solche Schlüsselbilder sollen beim Zuschauer entsprechende Assoziationen hervorrufen und werden daher häufig im Vorspann oder in der Exposition eingesetzt. Zwei Tage Hoffnung beispielsweise unterlegt den eingangs zu hörenden Kommentar eines fiktiven RIAS-Sprechers, der von Fluchten aus der DDR berichtet, mit dokuAbb. 1   Archivbilder einer Ulbricht-Rede im mentarischen Aufnahmen aus Berlin Vorspann zu »Der Tunnel« und überfüllten Notaufnahmelagern. Programmatisch verschränkt der Film so die Ebenen von fact und fiction. Der Vorspann von Der Tunnel zeigt in einem Binnenkader bekannte Bilder vom Mauerbau, auf der Tonebene begleitet von Originaltönen des DDRRundfunks, womit die Ereignisse des 13. August erzählökonomisch etabliert sind (Abb. 1). Im Folgenden werden in Der Tunnel keine Archivbilder mehr mit dokumentarischem Gestus verwendet; zwar werden noch häufiger Ausschnitte aus DEFA-Wochenschauen gezeigt, diese sind aber als binnendiegetische Elemente der Spielhandlung auf der Leinwand von Kinos zu sehen, die als konspirative Treffpunkte in Ostberlin dienen. Die Auswahl der so als Film-im-Film ge­zeigten Dokumentaraufnahmen, zynische Mauerrechtfertigungsreden von SED-Funktionären und marschierende Betriebskampfgruppen, tragen zur historisierenden Rahmung der Spielhandlung bei und legitimieren das Tunnelbauprojekt moralisch. Ein wesentliches Element der Filme sind »sekundäre Anschauungsbilder«, das heißt indirekte Bildzitate, die historischen Filmaufnahmen nachempfunden sind. Die Mauer – Berlin ’61 zeigt, wie Pfähle in den Boden gelassen werden, um daran Stacheldraht zu befestigen. Dabei handelt es sich um eine detailgetreue Rekonstruktion dokumentarischer Bilder vom Mauerbau. Das Spiel mit Zitaten und Gegenzitaten, die als »Echo-Kino«23 auf frühere Darstellungen verweisen, ohne dass deren Herkunft erkennbar wird, ist ein Charakteristikum der historisierenden Dokudramen. Der Tunnel betreibt »Echo-Kino« mit der 23 Sylvie Lindeperg: Spuren, Dokumente, Monumente. Filmische Verwendung von Geschichte. Historische Verwendung des Films, in: Eva Hohenberger/Judith Keilbach (Hg.): Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte, Berlin 2003, S. 65–81, hier S. 68.

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postmodernen Attitüde des Pastiche, wie der Umgang mit der visuellen Ikone des Mauerbaus verdeutlicht: Die Wochenschau-Aufnahmen vom fliehenden NVA-Soldaten Conrad Schumann, der in der Bernauer Straße beim Sprung über den Stacheldraht sein Gewehr wegwirft (Abb.  2), sind detailgetreu nachinszeniert worden, nur dass sich die Szene in Der Tunnel vor dem BranAbb. 2   Historische Aufnahme der Flucht des denburger Tor ereignet (Abb. 3). NVA-Soldaten Conrad Schumann in der Bernauer Zur Schauwertsteigerung werden Straße am 15. August 1961 »Superzeichen«24 der Teilungsgeschichte verdichtet, was auch deren Erinnerungsfunktion affiziert: Das Verschmelzen vom Bild des flüchtenden NVA-Soldaten als westdeutsche Ikone des Mauerbaus mit dem Brandenburger Tor als Wahrzeichen der deutschen Geschichte schlechthin stellt den gesamtdeutschen Erinnerungsort »Brandenburger Tor« unter die Vorzeichen westdeutscher Erinnerungskultur. Neben der Verdichtung von Schlüsselbildern besteht ein weiteres Verfahren zur Schaffung sekundärer Anschauungsbilder in der Selbstinszenierung des Films als Quelle: Wie bereits erwähnt, verzichtet Der Tunnel mit Ausnahme des Vorspanns auf den nichtdiegetischen Einsatz von Dokumentarmaterial. Stattdessen schafft er solches selbst: Der historische Tunnelbau wurde von einem Filmteam des amerikanischen Fernsehsenders NBC begleitet, das hier in die Spielhandlung integriert wird. Mehrfach sind mit der Handkamera gedrehte, grobkörnige Schwarzweißbilder von den Grabungsarbeiten eingeschnitten, nur dass nicht dokumentarische Aufnahmen aus den 1960er Jahren zu sehen sind, sondern in Großaufnahme gut erkennbar die Gesichter der Schauspieler des Jahres 2001 (Abb. 4). Der nachgestellte Charakter dieser »sekundären Anschauungsbilder« ist eindeutig zu erkennen und zeitigt widersprüchliche, medienreflexiv-aufklärerische und selbstlegitimatorisch-illusionierende Effekte: Einerseits gelingt dem Film so der Spagat, den fiktionsstörenden Blick in die Kamera diegetisch einzubinden und gleichzeitig im Verweis auf das historische Material den fiktionalen Charakter der Bilder auszustellen. So wird nicht nur die Historizität der Vorlagen deutlich; die demonstrative 24 Manuel Köppen: Von Effekten des Authentischen – Schindlers Liste: Film und Holocaust, in: Ders./Klaus R. Scherpe (Hg.): Bilder des Holocaust. Literatur – Film – Bildende Kunst, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 145–170, hier S. 146.

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Abb. 3   Nachinszenierung der Flucht des NVASoldaten am Filmanfang von »Der Tunnel«

Aneignung in Form sekundärer Anschauungsbilder führt auch die mediale Verfasstheit der Geschichte vor Augen und verweist auf die Prägekraft der Medien in der Wahrnehmung des Historischen. Andererseits inszeniert sich der Film damit selbst als Quelle; das filmische Zeichen verweist nicht mehr »auf seine Referenz, sondern verwandelt sich selbst in den Referenten, der in der Geschichte sein bloßes Zeichen sucht«25. Im Gegensatz zu den teamWorx-Produktionen arbeitet Hans-Christoph Blumenberg entsprechend der von Heinrich Breloer etablierten Technik ausgiebig mit historischem Bildmaterial. Dessen Herkunft und seine vorgängige ästhetische und ideologische Diskursivierung werden in Der Aufstand nur ein einziges Mal ansatzweise thematisiert: Bevor die Unruhen in der Stalin-Allee beginnen, zeigt der Film bunte Bilder eines lichten Alltags in Ostberlin, die eine Sprecherstimme aus dem Off kommentiert: »Diese Propagandabilder täuschen, die Bevölkerung leidet um so mehr unter staatlichem Zwang.« Letzten Endes 25 Michael Wildt: Der Untergang: Ein Film inszeniert sich als Quelle, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe 2 (2005), H. 1, http:// www.zeithistorische-forschungen.de/1-2005/id=4760, letzter Zugriff: 17.01.2015.

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dienen die DDR-Selbstbilder nur als Stichwortgeber eines allwissenden Kommentars. In Deutschlandspiel werden die heimlichen Aktivitäten von Video-Journalisten bei den Montagsdemonstrationen in Spielszenen gezeigt, woraufhin die entsprechenden dokumentarischen Bilder eingeblendet werden. Fragen, was mit den Bildern geschah und wie diese von wem und wann genutzt wurden, werAbb. 4   Mit der Handkamera gedrehtes Schwarzden nicht gestellt. weißbild der Schauspielerin Nicolette Krebitz in Die Archivbilder haben Evidenz- »Der Tunnel«, das den Bildern der NBC-Reporcharakter und werden im Knopp- tage »The Tunnel« (1962) nachempfunden ist schen Stil instrumentalisiert, das heißt in Form kurzer Einstellungen mit illustrativem und/oder assoziativem Charakter affirmativ im Sinne dokumentarischer Selbstevidenz verwendet. Es kommt weniger auf den dokumentarischen Wert der Bilder an als vielmehr auf den Wert der durch die Bilder hervorgerufenen Erinnerungsleistung. So kommen die Archivbilder im ZDF-Dokudrama zu ihrem Ausdruck als Monument, nicht aber zu ihrem Recht als Dokument.26 In Blumenbergs Der Aufstand werden die Demonstrationen vom 17. Juni im Wechsel von Zeitzeugenaussagen, Archivbildern und rekonstruierten Szenen dargestellt, die durch ihren wechselseitigen Bezug zu einer selbstreferentiellen Einheit verschmelzen: Das Archivmaterial zeigt, wovon die Zeitzeugen berichten, und die Spielszenen stellen zum einen die Archivbilder nach und setzen zum anderen die Zeitzeugenerinnerung in Szene. Zum Mythos des Archivbildes als scheinbar unverstelltem Zugang zur Vergangenheit gesellt sich der Gleiches versprechende Mythos des Zeitzeugen. Die durch den Hy­bridcharakter produzierten Brüche verschmilzt die Montage zu einer glatten Oberfläche realgeschichtlicher Evidenz, die »Historie scheint sich selbst zu erzählen.«27 Besonders problematisch ist Blumenbergs Arbeit mit »sekun-

26 Vgl. Matthias Steinle: Das Archivbild und seine Geburt als Wahrnehmungsphänomen in den 1950er Jahren, in: Corinna Müller/Irina Scheidgen (Hg.): Mediale Ordnungen. Erzählen, Archivieren, Beschreiben, Marburg 2007, S. 241–264, hier S. 262. 27 Roland Barthes: Historie und ihr Diskurs [frz. 1967], in: Alternative, Jg. 11 (1968), S. 171–180, hier S. 175.

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dären Erinnerungsbildern«28, das heißt die szenische Gestaltung der Aussagen von Zeitzeugen, für die es keine anderen Belege als deren Erinnerung gibt. So wird durch die ikonografische Fixierung individueller Erinnerungsbilder ein Geschichtsbild festgeschrieben, anstatt dessen Konstruktionscharakter offen zu legen. Die Erinnerung von Zeitzeugen, zumal von Opfern wie etwa den nach dem 17. Juni inhaftierten Arbeitern, kritisch zu hinterfragen und Irrtümer sichtbar zu machen, ist immer auch ein ethisches Problem. Wenn aber interviewerprobte Politiker ähnlich zuvorkommend behandelt werden wie medien­ unerfahrene Bürger, resultiert daraus ein harmonisch-geglättetes Geschichtsbild wie in Deutschlandspiel. Zwar werden Zweifel und Kritik am raschen Vereinigungsprozess von Margaret Thatcher und François Mitterand sowie von sowjetischen Generälen in Spielszenen und in Interviews thematisiert, aber der Dissens bleibt immer ein historischer, kein historiografischer. Die Wahl des Zeitraums, von den Feiern zum vierzigsten Jahrestag der DDR als Anfang vom Ende bis zu ihrem tatsächlichen Ende am 3. Oktober 1990, zeigt den Prozess als eine einzige Niederlage ostdeutscher Politiker und als grandiosen Sieg des amtierenden Bundeskanzlers. Damit unterstützt Deutschlandspiel Helmut Kohls Arbeit an der eigenen Hagiografie. Zwar zeigt der Film Archivbilder seiner Rede mit dem Versprechen von »blühenden Landschaften« im Osten, aber eine Nachfrage an den Exkanzler, wie es sich denn damit zehn Jahre nach der Vereinigung verhalte, erfolgt nicht. In der Konzentration auf die Krise und den Untergang der DDR ist die Gegenwart als leitendes Erkenntnisinteresse an der Vergangenheit abwesend. So lässt sich die Entwicklung als gradlinige Erfolgsgeschichte erzählen. Andere Erzählungen, die »Erfolg« anders definieren, etwa diejenigen ostdeutscher Bürgerrechtler, welche die Revolution angestoßen haben, finden im von oben definierten Erinnerungsmodell dieses Films keinen Platz.

4. Die DDR als grauer beziehungsweise bräunlich-pastellfarbener Osten Die Rekonstruktion der DDR in den Dokudramen entspricht generell dem Bild des grauen, tristen Ostens, der von Mangel, Unterdrückung und Propaganda geprägt ist. Set-Design und Lichtsetzung bevorzugen ausgeblichene, 28 Tobias Ebbrecht: Sekundäre Erinnerungsbilder. Visuelle Stereotypenbildung in Filmen über Holocaust und Nationalsozialismus seit den 1990er Jahren, in: Christian Hißnauer/ Andreas Jahn-Sudmann (Hg.): Medien – Zeit – Zeichen. Beiträge des 19. FFK, Marburg 2006, S. 37–44.

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bräunlich-pastellfarbene Töne. Dabei wird viel Wert auf die Rekonstruktion der historischen Kulissen, auf Originalschauplätze und authentische Kostüme und Objekte gelegt: Die Spielszenen der Dokudramen meinen es ernst mit ihrem »konkretistischen Illusionsnaturalismus«29, der sowohl »Achtung Geschichte!« als auch »Osten = generalisierte Tristesse« signalisiert. Die Straßen in Ostberlin sind zumeist menschenleer, wenn nicht von Polizei und/oder Militär bevölkert. Alltag ist dort die Ausnahme. In dem ästhetisierten Pastellbraun steckt auch ein Teil Faszination »von der Schönheit, die die Mangelwirtschaft der DDR produziert hat«, wie sie Matthias Dell dem Film Das Leben der Anderen (Florian Henckel von Donnersmarck, 2006) vorwirft.30 Anstatt solch »berückend triste[n] Minimalismus« zu zelebrieren, solle dieser besser zum Motiv der Auseinandersetzung werden. Die Dokudramen nehmen den »real existierenden Sozialismus« ausschließlich mit den Mitteln des Ausstattungskinos wahr, der nach der Formel: visuelle Klischees der Macht (Stacheldraht, Uniformen, Sichtagitation, Politikerporträts) plus Symbole des Alltags (Gummibäume, Marmorjeans, Gurkengläser, Blümchentapeten, Trabis) eine »potemkinsche Film-DDR«31 schafft. Der Osten fungiert als Negativfolie des Westens. Allerdings bleibt die Bundesrepublik zumeist eine Chiffre für den besseren Teil und das bessere Leben, ohne dass eine Auseinandersetzung mit dieser erfolgt. Ein einziger Film verlässt dieses Muster: Die Mauer – Berlin ’61 thematisiert Westarroganz ebenso wie Probleme von Ostdeutschen, sich in Westberlin zurechtzufinden. Der grauen DDR steht hier eine grelle BRD gegenüber, in der Sensationslust, Profitgier und Egoismus herrschen. Der Katalog der westkritischen Elemente hätte DEFAPropagandafilmen der 1950er Jahre wie Slátan Dudows Der Hauptmann von Köln (1956) zur Ehre gereicht: Die wohlhabende Freundin des wider Willen im Westen gebliebenen Ehepaars weigert sich trotz Besitzes einer eigenen Villa, die in Not geratenen Bekannten bei sich aufzunehmen. Dafür können sie im Möbelgeschäft ihres Ehemannes übernachten, was dieser auch nur mit Hintergedanken angeboten hat: Seinem Werben gibt die Flüchtige schließlich nach, um den Rechtsanwalt bezahlen zu können, der ihren Sohn in den Westen holen soll. Das Treffen auf einem Golfplatz mit einem zynischen, Champagner trinkenden Juristen ist die kondensierte Karikatur antiwestlicher Feindbilder (Abb. 5). Schließlich finden sich die Eltern in der Enge eines überfüllten Not29 Gertrud Koch: Nachstellungen – Film und historischer Moment, in: Eva Hohenberger/ Judith Keilbach (Hg.): Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte, Berlin 2003, S. 216–229, hier S. 226. 30 Matthias Dell: Damaligenallee, in: Frankfurter Rundschau vom 31. März 2006, S. 15. 31 Schmidt: Die DDR im Film, a. a. O.

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aufnahmelagers wieder und müssen erfahren, dass sie auf sich alleine gestellt sind; sie scheitern letzten Endes an den politischen Verhältnissen.

Abb. 5   Kondensierte Karikatur antiwestlicher Feindbilder: In »Die Mauer – Berlin ’61« empfängt der Anwalt die DDR-Flüchtlinge auf dem Golfplatz

5. Bild- als Vergangenheitspolitik Stehen alle Filme im Rahmen des Systemkonfliktes unter dem Vorzeichen einer ideologischen Auseinandersetzung, so wird diese jedoch nicht politisch ausgetragen, sondern ist auf charakteristische Weise abwesend: In Die Mauer – Berlin ’61 geraten die Hauptpersonen in Konflikt mit dem System, weil der Kupferdrahtdiebstahl des von Heino Ferch gespielten Arbeiters aufgeflogen ist und sich das Ehepaar aus Angst vor der Polizei nicht zurück in den Ostteil der Stadt traut. Die Verweigerung des Sohnes, sich für die SED-Propaganda missbrauchen zu lassen, ist eher ein körperlich-instinktiver als ein reflektierter Widerstand: Während der Brandrede, die er als Jungpionier gegen die republikflüchtigen »Rabeneltern« halten soll, äußert sich seine emotionale Krise physisch durch heftiges Nasenbluten. Die Szene zeigt, wie die ideologische Auseinandersetzung auf symbolischer Ebene über Farb- und Machtsymbolik geführt wird: Vor einer roten Thälmann-Fahne rinnt dem Jungen beim Zeremoniell das Blut aus der Nase und befleckt das weiße Ehrenhemd und das blaue Halstuch (Abb. 6). Ohne wie in Der Tunnel qualvoll lange Sterbeszenen an der Mauer zu inszenieren, zeigt der Film so die SED-Diktatur als blutbefleckt. Ihre Opfer sind unschuldige Kinder und »die Familie«, was in den Dokudramen über die DDR auf die Bevölkerung insgesamt ausgeweitet wird. Die Motivation der »Täter« wird generell nicht befragt. Die einzige Ausnahme stellt hierbei die oben erwähnte MDR-Produktion Tage des Sturms dar, in der SED-Funktionäre die gewaltsame Unterdrückung des Volksaufstandes 1953 mit ihrer biografischen Leidenserfahrung als Arbeiter in der NS-Diktatur rechtfertigen und als NS-Opfer zu Tätern werden.

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Abb. 6   In »Die Mauer – Berlin ’61« wehrt sich der Körper des jugendlichen Protagonisten durch heftiges Nasenbluten, das die DDR als blut­ befleckte Diktatur zeigt, gegen die ideologische Instrumentalisierung

Generell aber erfolgt die Thematisierung der Geschichte, die zur deutschen Zweistaatlichkeit geführt hat, nur im Subtext oder durch Randbemerkungen und mit Hilfe von Nebenfiguren. Der Umgang mit der Zeitgeschichte ist aber keinesfalls nebensächlich, sondern stellt ein wichtiges Erzählschema zur Integration der ehemaligen DDR-Bevölkerung in die bundesdeutsche Nachwendeordnung dar. In Zwei Tage Hoffnung rührt die Spaltung der Familie zwischen dem in Westberlin für den RIAS arbeitenden Sohn und den anderen sich in Ostberlin am Aufbau des Sozialismus beteiligenden Mitgliedern von einer Begebenheit im Krieg her. Nach den im wörtlichen Sinn schlagenden Argumenten, die den Vater die Brutalität des SED-Regimes am eigenen Leib haben erfahren lassen, erfolgt auf dem Krankenbett die tränenreiche Aussöhnung. Der Vater erklärt dem »verlorenen Sohn«, dass er schon immer gewusst habe, dass dieser nicht am Tod des kleinen Bruders in den letzten Kriegstagen schuld gewesen sei und bestätigt dessen in einem vorherigen Streit geäußerten Vorwurf: »Die Nazis ham’ ihn nicht umgebracht, das waren die Russen!« Sobald es um die NS-Zeit geht, setzt sich das Bedürfnis nach der »harmonischen Leinwand«32 durch. Interessant ist, wie Zwei Tage Hoffnung den antifaschistischen Gründungsmythos der DDR delegitimiert und gegen das System wendet: Am Ende des Films wird der Kollege des in Ostberlin arbeitenden Bruders verhaftet, es handelt sich um Viktor, den Informanten des RIAS. Beim Anlegen der Handschellen wird eine eintätowierte Nummer auf seinem Arm erkennbar, betont durch eine Großaufnahme (Abb. 7).

32 Schultz: Die harmonische Leinwand, a. a. O., S. 76–88.

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Abb. 7   Delegitimierung des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR anhand der eintätowierten Nummer bei der Verhaftung des Informanten Viktor in »Zwei Tage Hoffnung«

Damit rekurriert Zwei Tage Hoffnung auf ein »Superzeichen« der Erinnerung an die Judenvernichtung. Es kommt zu einer »Ablösung ästhetischer und narrativer Formen aus dem Kontext des Holocaust-Films, die auf […] das Schicksal der deutschen Bevölkerung übertragen werden.«33 So wird die Kons­ truktion der Deutschen als Opfer des Nationalsozialismus, wie sie sich durch die Dokudramen über das »Dritte Reich« zieht, auf die DDR-Bevölkerung übertragen. Implizit schwingt die Botschaft »DDR = KZ« mit, wie sie ab 1961 auf die Berliner Mauer geschrieben wurde und in westdeutschen Mauerfilmen dann weltweit zu sehen war.34 In diesem Kontext ist auch »Viktor« als Deckname des Informanten kein Zufall: Im Geiste von Casablanca (Michael Curtiz, 1942) arbeiten die Antifaschisten für Westberlin. Die NS-Vergangenheit ist auch in Der Tunnel durch eine Nebenerzählung präsent: Der Student Fred von Klausnitz beteiligt sich am Tunnelbau, um seine alleinstehende Mutter in den Westen zu holen. Als Adelige hat sie einen schweren Stand im Sozialismus. Im Laufe der Handlung stellt sich heraus, dass ihr Mann am militärischen Widerstand gegen Hitler beteiligt war und deswegen sterben musste. Nachdem die Stasi von den Fluchtplänen erfahren hat und die alte Frau abholen will, entzieht sie sich dem Verhör, indem sie sich symbolträchtig mit der Pistole ihres Mannes erschießt. Damit steht hier die DDR ebenfalls in Täterkontinuität zum »Dritten Reich«, und auch in diesem Film wird die Gegenwart der Vergangenheit über die entlastende Personalunion

33 Ebbrecht: Sekundäre Erinnerungsbilder, a. a. O., S. 42. 34 Vgl. Steinle: Vom Feindbild zum Fremdbild, a. a. O., S. 289.

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von Opfer und Widerstandskämpfer thematisiert. In den Dokudramen über die DDR war Opa (und Oma) kein Nazi.35 Das Erzählmotiv von der DDR als Fortsetzung der NS-Diktatur unter roten Vorzeichen schließt an antitotalitaristische Theoriebildung an, delegitimiert den moralisch aufgeladenen antifaschistischen Gründungsmythos der DDR und legitimiert wiederum deren schnelle Abwicklung nach 1989 unter den Vorzeichen des ökonomisch orientierten westdeutschen Gründungsmythos von Wirtschaftswunder und D-Mark. Die geschichtspolitische Gleichsetzung der Systeme auf struktureller Ebene konterkarieren die Filme durch die Adaption von Opferzeichen aus den Holocaust-Erzählungen zur Markierung der DDR-Bürger als Opfer des Systems. Mit der Selbstbefreiung, zu der die Deutschen im Nationalsozialismus nicht fähig waren, weisen die Dokudramen der ehemaligen DDR-Bevölkerung einen bevorrechtigten Platz in der Geschichte zu, was unter anderem auch als Gegengewicht zur westdeutschen diskursiven und ökonomischen Dominanz betrachtet werden kann.

6. Abspann: Der vergessenen Farbfilm Das DDR-Bild der Dokudramen des ersten Jahrzents im neuen Jahrtausend steht in Kontinuität narrativer und ästhetischer Stereotype vom Kalten Krieg, die durch die Konzentration auf Krisenmomente und den Rekurs auf Genremuster befördert werden. DDR-Bürger sind in erster Linie Opfer – selbst wenn sie überzeugte Kommunisten sind wie in Zwei Tage Hoffnung. Damit bieten die Filme ein Narrativ an, das mit der Ex-post-Konstruktion einer großen Leidensgemeinschaft anschlussfähig ist an die Erinnerung an den Nationalsozialismus und kompatibel mit der westdeutsch dominierten Erinnerungskultur. Vertreter des Systems sind fast ausschließlich stilisierte KlischeeBösewichte, Stasi-Schergen, die zum Teil ohne Kostümwechsel in vor 1945 angesiedelten Dokudramen mitspielen könnten. Den wenigsten Kommunisten gestattet das Drehbuch, »aus ehrlicher Überzeugung an der sozialistischen Idee festgehalten zu haben«36 wie die Ausnahmehauptfigur in Das Wunder von Berlin, die eine Entwicklung vom Punk zum überzeugten NVA-Soldaten durchmacht. Der Preis für subjektive Aufrichtigkeit in der Figurenkonstruktion ist naiver Idealismus oder einfach nur Naivität, wie sie die menschlich 35 Vgl. Harald Welzer/Sabine Moller/Karoline Tschuggnall: »Opa war kein Nazi«. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002. 36 Ralf Schenk: Die DDR im deutschen Film nach 1989, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 55 (2005), Bd. 44, S. 31–38, hier S. 38.

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herzlichen aber mental einfach strukturierten Wodka trinkenden Linken in der ebenfalls von Roland S. Richter gedrehten Heteotopie Die Grenze charakterisiert. Entgegen der Tendenz zum kitschigen Happyend vieler Event-Movies stehen auch traurig-tragische Enden wie in Zwei Tage Hoffnung oder Die Mauer – Berlin ’61. Letzterer stellt insofern eine Ausnahme dar, indem er eine westkritische Perspektive einnimmt und schmerzhafte Fremdheitserfahrung thematisiert. Die Mauer – Berlin ’61 buchstabiert Freiheit auch ökonomisch – und entsprechend bleiben die unfreiwilligen Flüchtlinge Gefangene ihrer beschränkten Mittel. Damit fällt der Film aus dem Rahmen westdeutscher Heilserzählungen und verweigert mit dem gescheiterten Fluchtversuch des Sohnes nicht nur ein Happyend, sondern auch eine retrospektive Tröstung, wenn der abschließende Sprecherkommentar verkündet: »Die Kulkes warteten, sie warteten 28 Jahre … und als sie sich wieder trafen, waren sie sich fremd.« Komplett abwesend in allen Filmen ist die Sphäre des Alltags in seiner banalen Form, das heißt als gelebtes und nicht nur erlittenes Leben.37 In dieser charakteristischen Auslassung erklärt sich die in anderen Medien zelebrierte ungebrochene Faszinationskraft der DDR-Bilder und Produktwelt, in der weniger kurze Krisenmomente als vielmehr langfristige Erinnerungen stecken. Dass die Faszination sich gerade nicht an Herrschafts- und Machtsymbolen, sondern am Sandmännchen, am Kobold Pittiplatsch oder an der Ente Schnatterinchen festmacht, zeugt weniger von einem Sieg des SED-Systems in der letzten Schlacht des Kalten Krieges38 als vielmehr von biografisch-erinnerungskulturellem Eigensinn. Die thematische und inhaltliche Engführung der DDR in Dokudramen bietet einerseits Anknüpfungspunkte für ostdeutsche Erinnerung und gesamtdeutsche Integration, andererseits aber bleiben Leerstellen, sodass der Abspann von Sonnenallee (Leander Haußmann, 1999) als Echo nachhallt: In diesem besingt Nina Hagen laut klagend den vergessenen Farbfilm, was sich zur Entstehungszeit des Liedes 1974 ironisch gegen die aufgezwungene Enge und Langeweile in der DDR richtete. Im Nachwende-Deutschland zielt der Einsatz des Liedes auch gegen die schwarz-weiße oder in Graustufen und Pastellfarben wahrgenommene Darstellung der DDR39, die 37 Vgl. Schmidt: Die DDR im Film, a. a. O. 38 So bei Stefan Wolle: Die Welt der verlorenen Bilder. Die DDR im visuellen Gedächtnis, in: Gerhard Paul (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 333–352, hier S. 333 f. 39 Vgl. Thomas Lindenberger: Zeitgeschichte am Schneidetisch. Zur Historisierung der DDR in deutschen Spielfilmen, in: Paul (Hg.): Visual History, a. a. O., S. 353–372, hier S. 358.

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ungeachtet aller visueller Opulenz, aller Stars und Special Effects die Dokudramen kennzeichnet. Für die relative Abwesenheit von Dokudramen über die DDR im gegenwärtigen deutschen Fernsehen mögen nicht nur die Verrentung von Guido Knopp und das Verschwinden des Firmennamens teamWorx40 jeweils 2013 verantwortlich sein. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Filmen mit Geschichten aus der DDR entstanden, die das Leben in dieser jenseits der Krisendaten wahrnehmen: Zu nennen sind vor allem Barbara (2012) von Christian Petzold und Westen (2013) von Christian Schwochow, die beachtliche Zuschauerzahlen hatten und auch international auf Aufmerksamkeit stießen. Deren Erfolg ließe sich auch als Anzeichen dafür interpretieren, dass sich ein Vierteljahrhundert nach dem Verschwinden der DDR deren (Re)Konstruktionen auf Leinwand und Bildschirm ausdifferenzieren und komplexere Darstellungen auch ein größeres Publikum erreichen. Ein Wunder braucht die DDR dafür nicht einmal ...

40 2013 wurde im Rahmen einer Umstrukturierung teamWorx mit anderen UFA-Tochtergesellschaften zur neuen Firma UFA Fiction zusammengelegt.



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Die Rezeption der Spielfilme Good Bye, Lenin! und Das Leben der Anderen in Deutschland und in den USA

Die Spielfilme Good Bye, Lenin! (D 2003) und Das Leben der Anderen (D 2006) gehören 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer zu den international bekanntesten audiovisuellen Darstellungen zur DDR-Zeit. Der Beitrag zeigt, wie diese Filme die DDR-Geschichte inszenieren und wie sie von Zuschauern in Deutschland und in den USA gesehen und angeeignet werden. Die Tragikomödie Good Bye, Lenin! zählt zu den erfolgreichsten deutschen Spielfilmproduktionen überhaupt. Der unter der Regie von Wolfgang Becker entstandene Film zeigt die Auswirkungen des politischen Umbruchs in der DDR auf das Leben einer Familie in Ostberlin. Während die dem Sozialismus (scheinbar) verbundene Mutter der Familie sich am 7. Oktober 1989 auf dem Weg zu einem staatlichen Festakt (dem vierzigsten Republikgeburtstag) befindet, sieht sie, wie die DDR-Staatsmacht in Uniform und in Zivil brutal auf Demonstranten losgeht. Unter den Demonstranten entdeckt sie ihren Sohn. Sie erleidet einen Herzinfarkt und fällt in ein Koma, aus dem sie erst wieder erwacht, nachdem die Mauer bereits gefallen ist und der Kapitalismus Einzug in die DDR gehalten und auf diesem Weg die Alltagskultur fast vollständig umgestaltet hat. Der Sohn − Alexander Kerner − versucht die dramatischen Veränderungen vor der Mutter zu verbergen, indem er die DDR in ihrem Schlafzimmer weiterleben lässt. Er holt dafür nicht nur die bereits ausrangierte

Abb. 1   Nachrichten­ produktion

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DDR-Wohnungseinrichtung der Familie vom Sperrmüll zurück, sondern organisiert auch die längst aus den Supermärkten verschwundenen Ostprodukte, und − besonders wichtig − er lässt die DDR auch medial weiterleben, indem er eigene Nachrichtensendungen produziert (Abb. 1). Der Film setzt auf die Bekanntheit historischer Bildikonen, die in die Filmhandlung verwoben, neu zusammengesetzt und zum Teil verfremdet werden.1 Das heißt der Sohn erfindet die Geschichte am Schneidetisch neu2, er setzt die Bilder so zusammen, dass sie die Geschichte der DDR erzählen, wie er sie sich beziehungsweise wie er vermutet, dass seine Mutter sie sich gewünscht hätte. In Good Bye, Lenin! werden auf mehreren Ebenen Autobiografie und Zeitgeschichte miteinander verflochten, und diese Verbindung wird auch explizit gemacht. Der Zuschauer sieht nicht »die« Geschichte, sondern er beobachtet Menschen dabei, wie sie sich an Geschichte erinnern. Für die Zuschauer ist dabei unmittelbar einsichtig, dass es sich bei der Hauptfigur des Films um einen unzuverlässigen Erzähler handelt. Die Zuschauer wissen, dass Alexander Kerner die »Wahrheit« vor seiner Mutter verheimlicht, denn das ist der Running Gag des Films, ohne den er als Tragikomödie nicht funktioniert (Abb. 2). Der Film, der 2003 in die Kinos kam, hatte allein in Deutschland weit über sechs Millionen Zuschauer.3 In den USA zählte er mit einem Einspielergebnis von über vier Millionen Dollar im Jahr 2004 zu den zwanzig erfolgreichsten deutschen Importprodukten.4 In meinem Forschungsprojekt »Zeitgeschichte sehen« gehe ich der Frage nach, wie Geschichte im Spielfilm wahrgenommen und angeeignet wird.5 Hier1 Dieser Vorgang, der sich auch als Remediation oder als indirektes Bildzitat bezeichnen lässt, findet sich bereits bei Spielfilmen aus den 1910er Jahren. Vgl. Matthias Steinle: Alles Dokudrama? – über das Neue im Alten eines schillernden Begriffs, in: MEDIEN­ wissenschaft, Jg. 26 (2010), H. 1, S. 10-16. 2 Thomas Lindenberger: Zeitgeschichte am Schneidetisch. Zur Historisierung der DDR in deutschen Spielfilmen, in: Gerhard Paul (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 353–372. 3 Zu Filmhandlung, Zuschauerzahlen und weiterer Literatur zu Good Bye, Lenin! vgl. das Filmportal des Deutschen Filminstituts: http://www.filmportal.de. 4 Good Bye, Lenin! war der einzige deutschsprachige Film unter den 250 erfolgreichsten Filmen in den USA im Jahr 2004. Vgl. hierzu auch Peter Krämer: The Spectre of History in the Age of Globalization: Notes on German Hit Movies and Hit Makers at Home and in the US, in: Miyase Christensen/Nezih Erdogan (Hg.): Shifting Landscapes: Film and Media in European Context, Newcastle 2008, S. 68–85. 5 Das Projekt »Zeitgeschichte sehen« wurde durch ein DFG-Forschungsstipendium [MO 1928/1-1] gefördert.

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Abb. 2   Nachrichten sehen

für habe ich in den letzten Jahren Interviews in Deutschland und in den USA zu Good Bye, Lenin! sowie zu weiteren Spielfilmen mit einem thematischen Schwerpunkt in der Zeitgeschichte durchgeführt. Mein Projekt basiert ganz zentral auf diesen Interviews, wird aber auch durch Fragebogenerhebungen, Essays, die Auswertung von Internetforen, Gruppendiskussionen und die teilnehmende Beobachtung von Filmvorführungen ergänzt. Die Filme habe ich primär mit Blick auf ihren Verbreitungsgrad ausgewählt, das heißt mir ging es darum, möglichst populäre Filme zur deutschen und amerikanischen Geschichte auszuwählen, die eine große Anzahl von Menschen diesseits und jenseits des Atlantiks gesehen hat. Für meine Interviews versuche ich Menschen zu finden, die die Filme bereits kennen, und die sie − wie in diesem Fall den Film Good Bye, Lenin! − bereits gesehen haben. Ich spiele ihnen zwei fünf- bis zehnminütige Sequenzen des Films6 vor und stelle ihnen anschließend eine Reihe von Fragen dazu, was sie gesehen haben.7 Begleitet werden die Interviews von einer Fragebogenerhebung zu Sehgewohnheiten, Interesse an Geschichtsspielfilmen generell sowie demo-

6 Good Bye, Lenin!, Regie: Wolfgang Becker, Deutschland 2003, DVD, Produktion: X Filme Creative Pool GmbH, Verleih: Warner Home Video GmbH. 7 Die Fragen zu den Filmsequenzen lauten: 1. »Was haben Sie gesehen?«; 2. »Was war die Hauptidee der Sequenz?«; 3. »Mit welchen filmischen Mitteln wird die Hauptidee umgesetzt?«; 4. »Gibt es Fragen zu der Sequenz? Wenn ja, welche?«; 5. »Was ist Ihnen sonst noch in den Sinn gekommen, als Sie die Sequenz gesehen haben?« Darüber hi­naus werden drei von den Filmsequenzen unabhängige Fragen gestellt: 1. »Beschäftigen Sie sich gerne mit Geschichte? Warum? Warum nicht?« 2. »Schauen Sie gerne Filme? Warum? Warum nicht?« 3. »Glauben Sie, dass man aus dieser Art von Filmen etwas über Geschichte lernen kann? Warum? Warum nicht?«

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grafischen Angaben.8 Die Filmszenen habe ich danach ausgewählt, dass sie möglichst viele Elemente von Plot und Story widerspiegeln.9 Für Good Bye, Lenin! habe ich mich für eine Szene entschieden, die mit einer Demonstration in Berlin im Oktober 1989 beginnt, den Herzinfarkt der Mutter und das nachfolgende Koma zeigt sowie mit dem Fall der Mauer und Originalfilmaufnahmen von nachfolgenden Ereignissen endet – in dieser Sequenz kommen vor allem dramatische beziehungsweise tragische Elemente zum Ausdruck, die zentral für die Filmhandlung sind. In der zweiten Szene kommen gleichermaßen dramatische wie komödiantische Aspekte des Films zum Tragen. Im Verlauf dieser Filmsequenz verlässt die Mutter das erste Mal ihr Schlafzimmer und erhält Kenntnis von den gravierenden Veränderungen, die sich nach dem Mauerfall zugetragen haben. Dieser Clip beginnt mit einer Slapstickszene, geht auf die bekannten »Spreewaldgurken« ein, zeigt den Abtransport der Lenin-Skulptur und endet schließlich mit einer humoristischen Reinszenierung der Aktuellen Kamera, in der davon berichtet wird, wie westdeutsche Flüchtlinge vor dem Kapitalismus in die DDR fliehen (Abb. 3).10

Abb. 3   Abtransport der Lenin-Skulptur

8 Ausgewertet werden ausgewählte Interviews mit Hilfe einer induktiven Kategorienbildung auf der Grundlage Hermeneutischer Dialoganalyse. Der gesamte Textkorpus wird anschließend einer computergestützten Inhaltsanalyse mit Hilfe der Textanalysesoftware MAXQDA unterzogen. Vgl. Olaf Jensen: Zur gemeinsamen Verfertigung von Text in der Forschungssituation [32 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung/ Forum: Qualitative Social Research, Jg. 1 (2000), Nr. 2, Art. 11, online abrufbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0002112, letzter Zugriff: 29.01.2010. 9 In Anlehnung an Lothar Mikos: Film- und Fernsehanalyse, 2. überarb. Aufl., Stuttgart 2008. 10 »Scene 17: A whole new world«, »18: Good Bye, Lenin!«, »19: The truth«, Timecode: 1.16.45–1.26.15.

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Beginnen möchte ich mit einem amerikanischen Geschichtslehrer, dessen Interview ich − ebenso wie alle folgenden englischsprachigen Aussagen − ins Deutsche übersetzt habe. Der Mitte Dreißigjährige sagt über den Film: Die Beziehung zwischen einem Jungen und seiner Mutter ist etwas, das ich nie als etwas in Betracht gezogen hätte, das sich in der DDR zuträgt, in einem kommunistischen Staat. Das ist tatsächlich etwas, worauf ich noch nicht gekommen bin, das mich am meisten berührt hat. Weißt Du, besonders wenn man in den 80ern groß geworden ist, dann denkt man an das Kräftemessen mit den Kommunisten, aber Du hast nie was über das Familienleben oder Beziehungen gehört oder irgendetwas in der Art. Da ist die große kommunistische Bedrohung, der große Arnold Schwarzenegger und da sind die vielen Schurken in den Filmen.11

Der Geschichtslehrer ist über die Familiengeschichte genauso betroffen wie über das eigene Geschichtsbild vom Kommunismus, auf das er im weiteren Verlauf des Interviews immer wieder zurückkommt. Uniformierte Massen, ein Diktator vor einem Mikrofon, das sind die Vorstellungsbilder, die kommunistische Staaten bei ihm evozieren. Ebenso unvertraut sind dem Lehrer allerdings auch die Bilder von der Friedlichen Revolution, von den Demonstrationen in der DDR, die er in Good Bye, Lenin! gesehen hat. Bilder von Protestmärschen assoziiert er − wie andere amerikanische Befragte auch − in erster Linie mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und dem Kampf gegen Rassendiskriminierung.12 Filme sind hybride Medien, sie sind Mischgewebe. Das betrifft zum einen die Inkorporation von anderen Medien − von Bildern, Texten, Tönen. Der Ende des vorletzten Jahrhunderts erfundene Film ist »das erste technische Hypermedium mit einer eigenen Ästhetik«13 und zugleich ein Vorreiter des Internets. Der Film ist jedoch im Gegensatz zum World Wide Web linear, weil die Verbindung von einem Bild mit dem nächsten durch die filmische Montage vorgegeben ist. Die Bilder sind im Film bereits aneinander montiert. Beim 11 Die Interviews werden mit Hilfe der Textanalyse-Software MAXQDA archiviert und ausgewertet. Die Angaben folgen dieser Archivierung: GBL8 USA AHT S1 SM (Good Bye Lenin Interview Nr. 8, geführt in den USA, Berufsbezeichnung des Interviewten (hier: American History Teacher), Interview zu Sequenz 1, geführt von Sabine Moller). 12 Vgl. Sabine Moller: Spielfilme als Blaupausen des Geschichtsbewusstseins. Good Bye Lenin! aus deutscher und amerikanischer Perspektive, in: Susanne Popp u. a. (Hg.): Zeitgeschichte – Medien – Historische Bildung, Göttingen 2010 (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 2), S. 239–253. 13 Winfried Pauleit: Il faut être digital! Zeitgenossen und technische Medien (13.10.2009), online abrufbar unter: http://www.nachdemfilm.de/content/il-faut-%C3%AAtredigital, letzter Zugriff: 29.01.2015.

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Sehen eines Films kann ich also nicht derart interaktiv mit dem Film umgehen, wie mir dies im Internet möglich ist, wo ich den Verlauf durch die Links, die ich anklicke, selbst bestimme. Gleichwohl führt uns das Beispiel des amerikanischen Geschichtslehrers sehr plastisch vor Augen, wie auch das Filmsehen auf Zuschauerseite als Montage funktioniert. Der Lehrer gleicht die Bilder des Films mit den Medienbildern ab, die sich durch seine Sozialisation in den USA als Vorstellungsbilder in seinem Geschichtsbewusstsein abgelagert haben. Seine Ausführungen verweisen damit auf eine spezifische »Bildhaftigkeit von mentalen Modellen«.14 Ein Film als eine ästhetische Fiktion existiert, wie die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch schreibt, nur in einer dreistelligen Beziehung.15 Da ist zunächst der Film beziehungsweise die Filmapparatur. Dieses materialisierte Ding benötigt einen Zuschauer mit Vorstellungsvermögen sowie »ein fiktionsbildendes Zeichennetz«, womit die weiteren, für das jeweilige Subjekt sozial bedeutsamen Kommunikationsbedingungen und Diskurse in einer Gesellschaft gemeint sind.16 Andere Autoren haben diese Relation auch auf Formeln wie etwa »Bild − Beobachter − Milieu« gebracht.17 Die Filmbilder werden in der Vorstellung des Zuschauers mit Bedeutung aufgeladen und mit anderen Erinnerungsbildern verknüpft. Das Sprechen über Filmbilder liefert in diesem Sinne eine Blaupause des Geschichtsbewusstseins. Diese verweist auf die in einer Gesellschaft flottierenden Diskurse, Deutungsmuster und Topoi, die sich sprachlich sowie in den Semantiken von Bildern materialisieren. Ich habe diesen Vorgang an anderer Stelle auch am Beispiel einer amerikanischen Rentnerin gezeigt, die ähnlich wie der Lehrer aus der Perspektive einer Zeitzeugin des Kalten Krieges spricht.18 Für sie gehört die DDR zu jenem Teil der Welt, den sie vor allem mit Agentenfilmen in Verbindung bringt wie Der Spion, der aus der Kälte kam (Martin Ritt, USA 1965).19 Charakteristische Symbole, oder man könnte auch sagen filmische Stereotypen dieser medialen Erinnerung, sind »scheppernde Türen«, »Stacheldraht« und »gefängnisähnliche Gebäude«. 14 Lothar Mikos: Fernsehen und Film − Sehsozialisation, in: Ralf Vollbrecht/Claudia Wegener (Hg.): Handbuch Mediensozialisation, Wiesbaden 2010, S. 241–251, hier S. 244. 15 Vgl. Gertrud Koch: Tun oder so tun als ob? − alternative Strategien des Filmischen, in: Dies./Christiane Voss (Hg.): »Es ist als ob«: Fiktionalität in Philosophie, Film- und Medienwissenschaft, München 2009, S. 139–150. 16 Ebd., S. 140. 17 Hans Dieter Huber: Bild − Beobachter − Milieu. Entwurf einer allgemeinen Bildwissenschaft, Ostfildern-Ruit 2004. 18 Vgl. Moller: Spielfilme als Blaupausen, a. a. O. 19 Dieser Film wird in diesem Zusammenhang im Interview genannt.

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Die amerikanische Rentnerin beschreibt den Film Good Bye, Lenin! ähnlich wie der Geschichtslehrer als einen überraschenden Zugang zur sozialistischen Alltagswelt, die ihr vertrauter erscheint, als sie dies vermutet hätte. Das Gefühl der Normalität, das in dem Film zum Ausdruck kommt, korrespondiert wenig mit den Bildern von Spionen, Konspiration und Gefahr, die sie mit entsprechenden Filmen und mit der Person des Schauspielers Richard Burton in Verbindung bringt. Es ist dabei vor allem die emotionale Schwerpunktsetzung des Films, die ihr vertraut, für das behandelte Sujet jedoch neuartig erscheint. Qualitativer Forschung geht es darum, einzelne Fälle extensiv auszulegen und sie mit anderen Fällen zu kontrastieren.20 Das Gegenmodell zur amerikanischen Rentnerin und dem Geschichtslehrer, die die DDR und kommunistische Regime nur aus Film und Fernsehen kennen, ist der ehemalige ­DDR-Bürger. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wurde ein DDRBürgerrechtler zum Film Good Bye, Lenin! interviewt, der heute bei einer Institution zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte beschäftigt ist, in welcher die Interviewanfrage zunächst mit Skepsis aufgenommen wurde. Der Mitarbeiter, der sich schließlich auf dieses Experiment einließ, begrüßte den Interviewer zunächst mit der Frage, warum das Interview zu Good Bye, Lenin! und nicht zu Pulp Fiction (Quentin Tarantino, USA 1994) stattfinden würde.21 Dieser Eingangswitz spiegelt den Vorbehalt gegenüber der zeithistorischen Relevanz des Films Good Bye, Lenin!, der in Deutschland vielfach unter Os­talgie-Verdacht gestellt wurde.22 Aus dieser Perspektive hat Good Bye, Lenin! genauso viel oder wenig mit der Geschichte der DDR zu tun wie die amerikanische Gangstergroteske Pulp Fiction. Dem Bürgerrechtler wird zunächst die erste Spielfilmsequenz vorgestellt. Die filmische Darstellung der Demonstration am 7. Oktober in Berlin gefällt ihm nicht, sie sei schlecht gemacht. Dem Mutter-Sohn-Drama, das in dieser Sequenz zum Ausdruck kommt, schenkt er kaum Beachtung. Die Aneignung der zweiten Filmsequenz verläuft jedoch ganz anders. Die zweite Szene hat zwar auch dramatische Elemente, in ihr kommen aber auch stärker die komödiantischen Anteile des Films zum Tragen.

20 Vgl. Lothar Mikos: Qualitative Verfahren, in: Wolfgang Schweiger/Michaela Christ (Hg.): Handbuch Medienwirkungsforschung, Wiesbaden 2013, S. 627–641. 21 Dieses Interview wurde nicht von mir selbst, sondern von einem Studierenden durchgeführt. In dem Eingangswitz dokumentiert sich daher auch ein Statusunterschied. 22 Vgl. Lindenberger: Zeitgeschichte am Schneidetisch, a. a. O.

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Der interviewte Bürgerrechtler kommentiert diese Sequenz wie folgt: Was habe ich gesehen? Kulturschock. Also für die Mutter. Das ist so ein Kulturschock, den ja viele damals erlebt haben. Sei jetzt unabhängig von Parteilichkeit, von jeglicher politischer Couleur. Ob nun Opposition in der DDR oder Widerstandskämpfer oder SED-Genosse, Kulturschock war es für alle. […] War ja für mich auch so. Ich war erstaunt, dass/am 9. November bin ich in Kreuzberg vor einem Fleischerladen gestanden und habe dort Wurst mit Gesichtern gesehen, wo ich dachte, so ein grinsendes Schwein grinst mich da an in Form einer Wurstscheibe, wo ich gedacht habe »Gott, wie pervers ist das denn?!«23

Das zunächst eher distanzierte Gespräch mit dem DDR-Bürgerrechtler endet mit einer sehr empathischen Einschätzung. In seinem Gedächtnisprotokoll hält der Interviewer fest, dass der Interviewte später beim Abschied betont, dass Good Bye, Lenin! ein guter Film sei. Nach der Vorführung der zweiten Filmsequenz übernimmt der Bürgerrechtler die Perspektive der pflegebedürftigen Mutter als Bürgerin der DDR. Es ist vor allem ihr aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder eingefangener Gesichtsausdruck, der dem Zuschauer die emotionale Qualität des »Kulturschocks« näher bringt (Abb. 4).

Abb. 4   Kulturschock

Der Emotionsausdruck der Darstellerin erfüllt dabei eine zentrale Funktion. Selbst wenn man mit den historisch-politischen Diskursen einer bestimmten Kultur nicht hinreichend vertraut ist, so lässt sich doch eine Bedeutungsebene der Szene allein über den Gesichtsausdruck entschlüsseln.24 Für den Bürger23 GBL13 D DB S2 LF. 24 »Die menschlichen Grundaffekte – Überraschung, Angst, Glück, Ärger, Ekel, Traurigkeit sind mit ganz charakteristischen Gesichtsausdrücken verknüpft. Diese semantischen Grundeinheiten, die Menschen von Natur aus zur Verfügung stehen, bilden die Grundlage für das Erschließen komplexer sozialer Bedeutungen und das allmähliche Hinein-

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rechtler wird diese emotionale Inszenierung der Überraschung über die westdeutsche Konsumkultur durch eine episodische Erinnerung gestützt: die grinsende Fleischwurst, die in seiner Erinnerung gleichermaßen mit Überraschung wie Ekel verbunden ist. Die Anschlussfähigkeit der eigenen Erfahrungen und erinnerten Emotionen ist es, die den Bürgerrechtler dazu bringt, dem Film an dieser Stelle Authentizität zuzusprechen, die er auf das eigene Empfinden gründet. Das Beispiel illustriert einen erkenntnistheoretischen Umschaltvorgang: Die Ansprüche auf empirische Triftigkeit, die wir an Geschichte anlegen, variieren.25 Fragen nach empirischer Triftigkeit (danach, ob es wirklich so gewesen ist) werden bei der Betrachtung der Bildsequenz suspendiert, weil der ästhetischen Inszenierung des »Kulturschocks« eine biografisch verbürgte Authentizität zugeschrieben wird. Die Wahrnehmung von Geschichte im Spielfilm, die Bedeutungszuschreibung bei ästhetischen Fiktionen realisiert sich also immer mit Blick auf die öffentliche Erinnerungskultur wie mit Blick auf die individuelle Betroffenheit des einzelnen Zuschauers. In dieser Hinsicht bot Good Bye, Lenin! einem deutschen wie einem internationalen Publikum einen neuen, alltagsweltlichen Zugang zur DDR-Geschichte. Die DDR-kritischen Untertöne des Films ebenso wie seine geschichtstheoretischen Implikationen werden von nichtdeutschen beziehungsweise mit dem Ostalgie-Diskurs unvertrauten Betrachtern sehr viel deutlicher wahrgenommen als vom hiesigen Publikum.26 In Deutschland wurden diese Aspekte des Films im Zuge einer klamaukartig-kommerziellen Ostalgie-Welle planiert.27 Good Bye, Lenin! fungiert − wie in der Erinnerung des interviewten Bürgerrechtlers − als das Paradebeispiel einer problematischen Ostalgie-Welle, die mit der DDR so viel zu tun hat wie mit Quentin Tarantinos Pulp Fiction. wachsen von Menschen in eine Kultur.« Murray Smith: Was macht es für einen Unterschied? Wissenschaft, Gefühl und Film, in: Anne Bartsch/Jens Eder/Kathrin Fahlenbrach (Hg.): Audiovisuelle Emotionen. Emotionsdarstellung und Emotionsvermittlung durch audiovisuelle Medienangebote, Köln 2007, S. 39–59, hier S. 45. 25 Derartige, die Aneignung von Geschichte betreffende erkenntnistheoretischen Umschaltvorgänge wurden in einer amerikanischen Studie gezeigt, so bei Eli Gottlieb und Sam Wineburg: Between »Veritas« and »Communitas«: Epistemic Switching in the Reading of Academic and Sacred History, in: Journal of the Learning Sciences, Jg. 21 (2012), H. 1, S. 84–129. 26 So arbeitet etwa Roger Hillman das geschichtstheoretische Potenzial des Films heraus: Goodbye Lenin (2003): History in the Subjunctive, in: Rethinking History, Jg. 10 (2006), H. 2, S. 221–237. 27 So Lindenberger: Zeitgeschichte am Schneidetisch, a. a. O.

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Deutlich anders wahrgenommen wird hingegen der Film Das Leben der Anderen; eine filmische Darstellung der DDR-Zeit, von der der Bürgerrechtler und gegenwärtige Bundespräsident Joachim Gauck gesagt hat: »Ja, so war es!«28, während der Filmemacher Andreas Dresen dem gleichen Film bescheinigte, er habe so viel mit der DDR zu tun wie »Hoyerswerda mit Hollywood«29. Das Leben der Anderen unter der Regie von Florian Henckel von Donnersmarck kam 2006 in die deutschen Kinos. Das Regiedebüt von Donnersmarck war mit 1,5 Millionen Zuschauern an den deutschen Kinokassen kein derartiger Hit-Film wie Good Bye, Lenin! − dafür erlangte der Film allerdings durch seine Oscar-Prämierung im Ausland besondere Aufmerksamkeit.30 Die Filmhandlung beginnt in Ostberlin im Jahr 1984. Im Mittelpunkt steht ein Künstlerpaar, das von einem hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter überwacht wird. Hauptmann Wiesler (gespielt von Ulrich Mühe) hört die verwanzte Wohnung ab und wird auf diesem Wege von Leben, Liebe und Leidenschaft der »Kulturschaffenden« beeindruckt. In einer Schlüsselszene des Films spielt der überwachte Schriftsteller die Sonate vom guten Menschen auf dem Klavier (Abb. 5), die den mithörenden Stasi-Agenten zu Tränen rührt (Abb. 6). Hauptmann Wiesler solidarisiert sich schließlich mit dem Künstlerpaar und schützt es, indem er Beweise ihrer systemkritischen Haltung verschwinden lässt.

Abb. 5   Klavierspiel Sonate vom guten Menschen

28 Joachim Gauck: »Ja, so war es!«, in: Stern vom 16. März 2006, S. 228. 29 Zit. in: Andreas Dresen: Beklagt Verschwinden der DDR-Filmkultur (17. April 2009), online abrufbar unter: http://www.filmstarts.de/nachrichten/18454882.html, letzter Zugriff: 29.01.2015. 30 Vgl. Lu Seegers: Das Leben der Anderen oder die »richtige« Erinnerung an die DDR, in: Astrid Erll/Stephanie Wodianka (Hg.): Film und kulturelle Erinnerung. Plurimediale Konstellationen, Berlin/New York 2008, S. 21–52; Das Leben der Anderen, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2006, DVD, Produktion: Wiedemann & Berg Filmproduktion, Verleih: Buena Vista International.

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Abb. 6   Der zu Tränen gerührte Zuhörer des Klavierspiels

Der Regisseur des Films hat die DDR-Geschichte, wie er selber immer wieder betont, jahrelang akribisch recherchiert. Er hat Originalfilmdokumente für seinen Film genauestens nachgestellt und auch bei der sonstigen Ausstattung höchsten Wert auf Authentizität gelegt.31 Wahrgenommen wurde der Film in Deutschland vielfach als ein lange überfälliger Kontrapunkt zur klamaukartigen Ostalgie-Welle, wobei hervorzuheben ist, dass diese Einschätzung auch Teil einer gezielten Vermarktungsstrategie war.32 Zu dem Film Das Leben der Anderen habe ich keine eigenen Interviews durchgeführt, er spielt allerdings in den Interviews zu Good Bye, Lenin! hin und wieder eine Rolle. Der interviewte Bürgerrechtler etwa spricht davon, dass das, was in dem Film Das Leben der Anderen gezeigt werde, »keiner Prüfung standhalten« würde, weil der Film »im groben Detail schlicht und ergreifend Quatsch« sei. Und er führt weiter aus: Aber der Film hat etwas erreicht, was sämtliche Aufarbeitungsinitiativen und Gedenkstätten und Bundesregierung und »schlag mich tot« wer alles, niemals schaffen werden: Nämlich eine Diskussion über die Staatssicherheit, über die DDR, und dann noch weltweit.33

Der Film ist wichtig, auch wenn sich seine Geschichte nicht so zugetragen hat − dieses Argument war in der Diskussion über den Film häufig anzutreffen.34 31 Die ausführlichsten Darstellungen in dieser Hinsicht finden sich bei: Paul Cooke (Hg.): »The Lives of Others« and Contemporary German Film. A Companion, Berlin/Boston 2013. 32 Vgl. Seegers: Das Leben der Anderen, a. a. O. 33 GBL13 D DB PI LF. 34 Vgl. etwa auch Marianne Birthler im Gespräch mit der Berliner Zeitung vom 17. Juni 2006: »Menschen, die ehrlich zu sich selbst sind, finde ich lebendig.«

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Er markiert genau jenen Aushandlungsprozess zwischen Faktentreue, narrativer Triftigkeit und Bedeutung der Anschlusskommunikationen, der sich in fast allen Texten findet, die sich mit Geschichte im Spielfilm beschäftigen.35 Dabei liegt es auf der Hand, dass ein Mainstreamdrama die Geschichte auf ganz spezifische, genretypische Art und Weise inszeniert. Der amerikanische Historiker Robert Rosenstone, der sich intensiv mit der Darstellung von Geschichte im Film beschäftigt hat, schreibt, dass wir es (idealtypisch) mit drei Kategorien von Filmprodukten zu tun haben: mit der Dokumentation, dem nach Manier des Mainstreamdramas inszenierten Spielfilm oder mit metahistorischen Filmen. Dokumentationen und Spielfilme sind geläufige Filmgattungen. Metahistorische Filme sind Filme, die historische Ereignisse aus mehreren Perspektiven beleuchten sowie ihre eigene Konstruiertheit kunstvoll zur Schau stellen.36 Nicht selten mischen sich Aspekte aller drei Filmtypen in einem konkreten Spielfilm. So finden sich in Good Bye, Lenin!, wie eingangs erwähnt, Originalfilmdokumente vom Mauerfall, und der Film weist Elemente auf, die auf den filmischen Konstruktcharakter zurückverweisen. Nichtsdestotrotz basiert der Film auf dem wohl machtvollsten Geschichtsspielfilmformat überhaupt: dem Familiendrama. Blickt man nun auf Das Leben der Anderen, dann kann man ebenfalls eine Mischform erkennen. Bei dem Film handelt es sich zunächst einmal um einen Polit- oder Agententhriller. In dieser genrespezifischen Hinsicht schließt der Film an die Filme aus dem Kontext des Kalten Krieges, wie Der Spion, der aus der Kälte kam, an. Das Leben der Anderen stellt dokumentarische Filmszenen nach, was allerdings für diejenigen, die das filmische Vorbild, den Stasi-Schulungsfilm Revisor nicht gesehen haben, unkenntlich bleibt (Abb. 7).37 Metahistorische Elemente lassen sich in dem Film schwer identifizieren. Der Film

35 Robert Rosenstone hat das eindrucksvoll an der amerikanischen Kontroverse um das Bürgerkriegsdrama Glory (Edward Zwick, USA 1989) nachgezeichnet. Robert A. Rosenstone: History on Film/Film on History, Harlow 2006, S. 39–49. 36 Bei Rosenstone firmiert dieser Filmtyp auch unter der Bezeichnung: »experimental or innovative history film«. Mit Rekurs auf Rosenstone hat Robert Burgoyne das Konzept des »Metahistorical Film« weiter ausgearbeitet. Vgl. Ders.: The Hollywood Historical Film, Malden 2008, S. 125–147. 37 Vgl. die von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik herausgegebene DVD: »Revisor«. Überwachung, Verfolgung, Inhaftierung durch das MfS. Ein Fallbeispiel für den Unterricht, DVD-Set, Berlin 2008.

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Abb. 7   Überwachungsmaßnahmen

Das Leben der Anderen »inszeniert sich als Quelle« − wie Michael Wildt das einmal mit Blick auf einen anderen populären Geschichtsfilm formuliert hat.38 Blickt man nun auf die amerikanische Rezeption des Films, dann wird zunächst deutlich, wie sehr Das Leben der Anderen als Genrefilm − als Politthriller wie als Tragödie − wahrgenommen und goutiert wurde. Hierzu möchte ich zunächst aus einem meiner amerikanischen Interviews zu Good Bye, Lenin! zitieren. Ein Mitte fünfzigjähriger Professor berichtet: Ich denke, Das Leben der Anderen ist der beste Film, den ich in den letzten zwanzig Jahren gesehen habe. In seiner Tragik erinnerte er an Shakespeare. Es war die Tiefe, die Armut im Leben des Hauptprotagonisten, die Szene mit der Prostituierten, die Szene, wo sein Leben zerbröckelt, die Szene, wie er am Ende die Post zustellt. Die Bilder in dem Film sind brillant, weil es einfach ein brillanter Film ist. Er half mir eine Welt zu verstehen, die ich nie erfahren oder selbst gesehen habe, inszeniert in einer unterschwelligen, feinfühligen, nuancierten Art und Weise, die dieser Film [Good Bye, Lenin!] nicht hat.39

Besonders charakteristisch erscheint mir bei dieser Einschätzung die Emphase, mit der die dramatischen Anteile des Films hervorgehoben und gelobt werden (Abb. 8). Sichtet man das Forum der weltgrößten Datenbank zum Film, IMDb, in Hinblick auf Das Leben der Anderen dann stößt man auf eine ganze Reihe von ähnlichen Einschätzungen. In den User-Kommentaren heißt es dort:

38 Michael Wildt: »Der Untergang«. Ein Film inszeniert sich als Quelle, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 2 (2005), H. 1, http:// www.zeithistorische-forschungen.de/1-2005/id=4760, letzter Zugriff: 29.01.2015. 39 GBL15 USA AP PI.

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Die Bilder sind wundervoll und fangen die dunkle und düstere DDR mit ihrem trüben Licht und ihren schwachen Farben ein. Sie illustrieren perfekt die schreckliche Lage ihrer Bürger.40 Ich habe diesen Film erneut gesehen […], er zeigt das Leben in der DDR unter den paranoiden Psychopathen der Staatssicherheit. Der Film ist ein Meisterwerk aus Tragödie und Hoffnung und dem Triumph des Guten.41

Abb. 8   DDR-Tristesse

Es gibt allerdings ein weiteres Argument, das im amerikanischen Diskurs über Das Leben der Anderen äußerst bedeutsam ist, im deutschen Diskurs hingegen vollständig abwesend scheint. In Deutschland wird der Film, wie gezeigt, primär vor dem Hintergrund der Ostalgie-Debatte verhandelt − er erscheint in dieser Hinsicht als Kontrapunkt. Sichtet man die hiesigen Pressestimmen, dann ist die Konzentration auf den deutschen Kontext − die man kritisch auch als Verinselung der DDR-Geschichte kennzeichnen könnte − überdeutlich. Für die USA hingegen ist ein anderer Diskurs wichtig, den ich mit einem Zitat des einflussreichsten Filmkritikers der USA einführen möchte. Roger Ebert schreibt 2007 über Das Leben der Anderen: Die Berliner Mauer fiel 1989 (das Ereignis wird hier gezeigt), und die Filmhandlung entwickelt sich noch bis zu einem ironischen und überraschend zufriedenstellenden Schluss einige Jahre weiter. Aber der Film ist auch für die Gegenwart relevant, weil unsere Regierung Gesetze zum Schutz der persönlichen Freiheit ignoriert, heimlich Folter praktiziert und das Recht für Abhöraktionen und Lauschangriffe gegen die eigenen Bürger einfordert. Diese Taktik hat die DDR nicht gerettet; sie hat sie zerstört, indem sie einen Staat schuf, an den auch die loyalsten Bürger nicht mehr glauben konnten. Befördert von der Bandbreite der 40 Jferreira93 am 8. September 2014, online abrufbar unter: http://www.imdb.com/title/ tt0405094/reviews?filter=chrono, letzter Zugriff: 06.10.2014. 41 Leftbanker am 27. August 2014, online abrufbar unter: Ebd.

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Aggressivität von außen, antwortete der Staat mit Aggression nach innen als einer Art Gegengift. Die Angst vor der Illoyalität der Bürger, begründete deren Illo­ yalität. Aber der Westen hat die Bombe nie geworfen, die DDR und die Sowjetrepubliken sind implodiert nachdem sie sich selbst bombardiert haben.42

Geht man die IMDb-Kommentare zum Film Das Leben der Anderen durch, dann finden sich bereits zum Erscheinungszeitpunkt des Films Hinweise da­rauf, dass die amerikanischen Zuschauer auch Verbindungen zu jener Situation im eigenen Land herstellen, in die sie selbst nach dem 11. September 2001 geraten waren (Abb. 9).43

Abb. 9   Allgegenwärtige Überwachung

Als Gedächtnisforscherin geht es mir in erster Linie darum zu ergründen, wie Wahrnehmung und Erinnerung funktionieren und wie sie durch die sozialen Bezugsrahmen geprägt werden, die sich in jedem Subjekt auf einzigartige Weise überkreuzen. Mit der individuellen Aneignung von Geschichte im Spielfilm gerät damit eine ganz spezifische Schnittstelle in den Blick, über die sich die Dynamik des Geschichtsbewusstseins analytisch stillstellen lässt. Der Blick auf die Zuschauer macht indes andere filmanalytische Verfahren, wie Fragen nach narrativer oder empirischer Triftigkeit, nicht obsolet.44 Mir kann es an 42 Roger Ebert: The Lives of Others, 20. September 2007, online abrufbar unter: http:// www.rogerebert.com/reviews/the-lives-of-others-2007-1, letzter Zugriff: 29.01.2015. 43 So auch die Vermutung des Filmwissenschaftlers Vinzenz Hediger. Vgl. Ders.: Einübung in paranoides Denken. »The Wire«, »Homeland« und die filmische Ästhetik des Überwachungsstaates, in: Deutscher Hochschulverband (Hg.): Glanzlichter der Wissenschaft. Ein Almanach, Saarwellingen 2013, S. 67–69. 44 Hier denke ich insbesondere an die in den Publikationen aus dem Gegenstandsbereich der Visual History zur Anwendung kommende Filmanalyse nach Helmut Korte, die die sogenannte Film-, Bezugs-, Bedingungs- sowie Wirkrealität eines Films adressiert. Vgl. Helmut Korte: Einführung in die systematische Filmanalyse, Berlin 1999.

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dieser Stelle allerdings nicht darum gehen, die Einschätzungen der Filmzuschauer in Hinblick auf ihre Triftigkeit zu qualifizieren. Aus meiner Perspektive ist etwas anderes entscheidend. Der zuletzt zitierte Filmkritiker Roger Ebert ebenso wie die anderen in diesem Beitrag vorgeführten Beispiele zeigen, wie die Zuschauer einzelne Filmsequenzen vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen mit Bedeutung aufladen. Sie erinnern sich an einzelne Filmszenen und Stimmungen und erzählen diese für real anwesende wie imaginierte Gesprächspartner nach. Gleichzeitig schreiben sie sich damit mit ihrer eigenen Geschichte in die Geschichte des Films ein. Sie führen uns damit etwas vor, das für die Wahrnehmung von Geschichte im Film ebenso charakteristisch ist wie für nachhaltige Lernprozesse: Filme und historische Wissensbestände erweisen sich dann als besonders erinnerungswürdig, wenn sie mit der eigenen Geschichte sinnvoll verknüpft werden können. Wendet man diese Erkenntnis auf didaktische Fragen nach der Medialisierung von Mauerfall und Wiedervereinigung an, dann kann das nur heißen, den kulturellen Kontexten, vor deren Hintergrund Menschen der DDR-Geschichte begegnen, mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sie für Bildungskontexte fruchtbar zu machen. Die Erinnerungs- beziehungsweise Medienbilder, die sie mit der Geschichte der DDR verknüpfen, sind nicht einfach richtig oder falsch, sondern sie sind Teil dieser Geschichte selbst. Geschichte ist immer Gegenwart.



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Die Präsenz der DDR im Internet – Zwischen Ostalgie und kritischer Aufarbeitung

1. Einleitung Die Erinnerung an die DDR-Geschichte ist auch heute noch eher heterogen denn einheitlich.1 Die harten Auseinandersetzungen in den 1990er Jahren und noch einmal 2005/20062, welche die Erinnerungskultur um den SED-Staat auch zu einem »Kampfplatz«3 werden ließen, scheinen jedoch in den letzten Jahren, genauer seit der Veröffentlichung des Bundesgedenkstättenkonzepts 20084, zu schwinden. Dieses Konzept setzt den Rahmen für die öffentlich finanzierte Erinnerungskultur. Danach ist es Ziel, »die erinnerungspolitische Aufarbeitung des SED-Unrechts zu verstärken und in diesem Zusammenhang Widerstand und Opposition besonders zu würdigen.« Dies soll durch die Erinnerung an den »Schrecken des Grenzregimes« und die Darstellung der SED-Diktatur unter besonderer Betrachtung der Elemente »Überwachung und Verfolgung« geschehen. Gleichwohl soll der Menschen angemessen gedacht werden, »die sich gegen die Diktatur der SED zur Wehr setzten«. Zudem sei »das alltägliche Leben notwendigerweise im Kontext der Diktatur darzustellen«.5 1 Weitere Autorinnen und Autoren sind Frederike Fritsch, Carolin Raabe und Stefan Zeppenfeld. Alle Koautorinnen und -autoren sind Studierende der Public History an der Freien Universität Berlin und waren in gleichem Maße an der Ausarbeitung des Textes beteiligt. 2 Siehe z. B. die Diskussion in der Presse, abgedruckt in: Martin Sabrow u. a. (Hg.): Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Dokumentation einer Debatte, Göttingen 2007, S. 185–367. 3 Martin Sabrow: Die DDR erinnern, in: Ders. (Hg.): Erinnerungsorte der DDR, München 2009, S. 11–27, hier S. 16. 4 BT-Drucksache 16/9875: Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes »Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen« vom 19. Juni 2008, online abrufbar unter: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_ Anlagen/BKM/2008-06-18-fortschreibung-gedenkstaettenkonzepion-barrierefrei. pdf?__blob=publicationFile, letzter Zugriff: 02.02.2015. 5 Ebd., S. 5–9.

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Damit wird der Fokus der öffentlich geförderten Erinnerungskultur auf die Herrschafts- und Repressionsgeschichte gelegt. Die Alltagsgeschichte der Mehrzahl der Bevölkerung ist nur insoweit von Interesse, wie sie die Vermittlung der Funktionsweise der Diktatur unterstützt. Dieser Präsentation sollen sich vor allem die Nationalmuseen wie das Deutsche Historische Museum sowie die Stiftung Haus der Geschichte mit ihren Ausstellungen in Leipzig und Berlin annehmen. Besonders die Daueraussaustellung »Alltag in der DDR« in der Berliner Kulturbrauerei verfolgt diesen Ansatz. Dennoch steht auch in diesen Fällen die Politikgeschichte im Mittelpunkt, während der Alltagsgeschichte nur marginal Platz eingeräumt wird.6 In der Fokussierung auf die Herrschafts- und Repressionsgeschichte der DDR sehen Menschen, die ihre persönliche Geschichte nicht aus der Perspektive der Diktatur betrachten, ihre Erinnerung nicht aufgehoben. Sie suchen daher andere Wege, ihr Bild der DDR zu präsentieren. Im Bereich der Erinnerungskultur passiert dies unter anderem in biografischen Publikationen oder in privaten Museumsinitiativen.7 Darüber hinaus hat sich ein sogenannter ostalgischer Blick auf die ostdeutsche Vergangenheit entwickelt, der unter anderem im Bereich der Event- und Konsumkultur sichtbar wird. Das Kunstwort Ostalgie wurde zu Beginn der 1990er Jahre geprägt und bezeichnet eine Sehnsucht nach Lebensformen oder Alltagsgegenständen der DDR.8 Hierbei steht die Erinnerung an die Alltagskultur im Vordergrund und nicht die Repressionspolitik des Staates.9 Diese »nostalgisch-romantische Stimmung«10 spiegelte sich zunächst in neuen Angeboten von Ostalgie-Produkten sowie Partys wider, bei denen DDR-Hits gespielt wurden, oder in Fernsehshows, die sich mit dem Alltag in der DDR

6 Siehe auch Irmgard Zündorf: DDR-Geschichte – ausgestellt in Berlin, in: Jahrbuch für Politik und Geschichte, Jg. 4 (2013), S. 139–156. 7 Zur Diskussion über die privaten Museen siehe Jan Scheunemann: Gehört die DDR ins Museum? Beobachtungen zur Musealisierung der sozialistischen Vergangenheit, in: Gerbergasse 18, Jg. 14 (2009), H. 55, S. 34–37; Irmgard Zündorf: DDR-Museen als Teil der Gedenkkultur in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für Kulturpolitik, Jg. 9 (2009), S. 139–145. 8 Vgl. Thomas Ahbe: Ostalgie. Zum Umgang mit DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren, Erfurt 2005, S. 7. 9 Vgl. Thomas Leuerer: Die heile Welt der Ostalgie – Kollektive politische Erinnerung an die DDR durch mediale Verzerrung?, in: Thomas Groll/Thomas Leuerer (Hg.): Ostalgie als Erinnerungskultur? Symposium zu Lied und Politik in der DDR (= Würzburger Universitätsschriften zu Geschichte und Politik, Bd. 6), Baden-Baden 2004, S. 46–59, hier S. 47 f. 10 Ebd., S. 47.

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beschäftigten.11 Auch wenn dieser »Ostalgie-Boom« inzwischen wieder verflogen ist, bleibt doch anzumerken, dass diese teils positive Sicht auf ganz persönliche Erinnerungen an die eigene Kindheit, Jugend oder allgemein das private Leben in der DDR weiter besteht und nicht mit dem öffentlich geförderten Fokus auf die Repressionsgeschichte der DDR verbunden werden kann. Es stellt sich somit die Frage, wo diese persönlichen Erinnerungen präsentiert oder ausgetauscht werden. Neben den genannten Formen der Geschichtsdarstellung in Printpublikationen oder Ausstellungen bietet das Internet mit seiner leichten Zugänglichkeit und dem Charakter des nutzergenerierten Inhalts eine geeignete Plattform, eigene Erinnerungen an die DDR zu präsentieren. Im Folgenden wird daher gefragt, welches Bild der DDR im Internet geprägt wird – ein eher repressionsgeschichtliches oder ein ostalgisches? Die Untersuchung des Internets als Präsentationsplattform geschieht hier vom Standpunkt der Public History aus, die sich mit (außerschulischen) Orten beschäftigt, an denen Wissen mit historischer Relevanz produziert wird. Dies können Museen, Filmproduktionen oder Websites sein. Public History kann daher als fachwissenschaftliche Antwort auf die steigende öffentliche Nachfrage nach »historischen Produkten« verstanden werden.12 Aus ihrer Perspektive werden die Websites als ein Medium betrachtet, mit dem Geschichte vermittelt und gleichzeitig bestimmte Geschichtsbilder produziert und angeboten werden. Die Geschichtsdidaktik betrachtet Geschichtsbilder als einflussreiche Komponenten, die auf das Geschichtsbewusstsein des Individuums und auf das kollektive Gedächtnis einwirken. Der Begriff Geschichtsbild ist eine Metapher für gefestigte Vorstellungen und Deutungen der Vergangenheit mit einem tiefen zeitlichen Horizont. Es handelt sich somit um Vorstellungen von einer größeren Zeitspanne und nicht um ein historisches Ereignis.13 Der Geschichtsdidaktiker Karl-Ernst Jeismann definiert Geschichtsbilder als faktenarme, hochselektive, unhinterfragte aber urteilsfreudige und gefühlsstarke, gefestigte Vorstellungen und Deutungen der Vergangenheit als Ganzes. Es handelt sich demnach um ein 11 Vgl. Ahbe: Ostalgie, a. a. O., S. 43 f. 12 Vgl. Irmgard Zündorf: Zeitgeschichte und Public History, Version: 1.0, in: DocupediaZeitgeschichte, 11.02.2010, online abrufbar unter: http://docupedia.de/zg/Public_ History?oldid=97435, letzter Zugriff: 02.02.2015. Siehe auch: Frank Bösch/Constantin Goschler: Der Nationalsozialismus und die deutsche Public History, in: Dies. (Hg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt am Main 2009, S. 7–23, hier S. 10. 13 Vgl. Karl-Ernst Jeismann: Geschichtsbilder. Zeitdeutung und Zukunftsperspektive, in: Aus Politik und Zeigeschichte, Jg. 52 (2002), B 51–52, S. 13–22, online abrufbar unter: http://www.bpb.de/apuz/26551/geschichtsbilder-zeitdeutung-und-zukunfts perspektive?p=all, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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stabiles Gefüge einer konkreten historischen Vorstellung einer Person oder einer Gruppe. »Geschichtsbilder sind nicht Abbild des Vergangenen, sondern EinBildungen der Vorstellungs- und Urteilskraft.«14 Sie bieten durch Vergangenheitsdeutung und Zukunftserwartung eine Orientierung in der Gegenwart, die das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gemeinschaft stiften kann. In komplexen Gesellschaften kommt es aufgrund von vielseitigen Erfahrungen und Erwartungen zu verschiedenen, konkurrierenden Geschichtsbildern.15 Von den Medien präsentierte Geschichtsbilder werden jedoch keinesfalls ohne Abweichungen von den Rezipientinnen und Rezipienten übernommen. Basierend auf dem von Stuart Hall entworfenen Kommunikationsmodell des Kodierens und Dekodierens wird an dieser Stelle auch für die Rezeption von Websites ein lineares Sender-Nachricht-Empfänger-Modell abgelehnt.16 Nach Halls Modell kodieren die Sendenden ihre Nachrichten in einem bestimmten Zeichensystem und geben sie danach an die Empfangenden weiter, die diese dekodieren. Dabei kann eine Nachricht nie vollständig transparent sein, denn sowohl die Absendenden als auch die Empfangenden nehmen stets durch ihre Erfahrungen und ihr Wissen Einfluss auf das Moment der (De)Kodierung und somit auf die Nachricht selbst.17 Die Passgenauigkeit zwischen den Kodes hängt von den strukturellen Unterschieden der Sendenden und der Empfangenden ab. Hall konstatiert, dass Kodierende eine »bevorzugte Lesart« anstreben und die verwendeten Kodes eine »Common-Sense-Konstruktion« der Gesellschaft anwenden. Dadurch wird versucht, eine hohe Wahrscheinlichkeit der Symmetrie zwischen den Kodes herzustellen, sodass die Nachricht aus Sicht der Sendenden vermeintlich richtig verstanden wird.18 Für die Untersuchung der Geschichtsbilder der DDR auf Websites sind Halls Erkenntnisse grundlegend. Obgleich das eigene Geschichtsbewusstsein großen Einfluss auf die Entschlüsselung der Geschichtsbilder nimmt, gilt es die »bevorzugte Lesart« der Websitebetreibenden zu entschlüsseln und das somit angebotene Geschichtsbild herauszuarbeiten. Da diese Untersuchung in einer Gruppe von sieben Personen19 erarbeitet wurde, bestand die Möglich14 Ebd., S. 13. 15 Vgl. ebd., S. 14. 16 Vgl. Stuart Hall: Kodieren/Dekodieren, in: Ders.: Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften, Bd. 4, hg. von Juha Koivisto und Andreas Merkens, Hamburg 2004, S. 66–80. 17 Vgl. ebd., S. 70. 18 Vgl. ebd., S. 74 ff. 19 Die Autorinnen und Autoren wurden überwiegend erst um den Mauerfall geboren und haben die DDR nie bewusst erlebt. Diese Distanz schlägt sich auch in der Analyse nieder.

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keit, unterschiedliche Eindrücke stets zu vergleichen und auszutauschen. Dennoch sei der Analyse vorangestellt, dass auch diese einem individuellen Dekodierungsprozess der Arbeitsgruppe unterlag. Aus der Perspektive der Public History werden in Bezug auf das Geschichtsbild der DDR im Internet folgende Fragen aufgeworfen: Welches Wissen wird hier mit welchen Instrumenten produziert? Welches Bild zeichnet die Website von der DDR? Entspricht das Bild eher dem staatlichen Fokus auf die Repressions- und Herrschaftsgeschichte oder einem individuellen Blick auf die Alltagsgeschichte? Zur Beantwortung dieser Fragen konzentriert sich der folgende Zugang zunächst auf Kriterien des Historischen Lernens.20 Dieses wird verstanden als »das Resultat einer Begegnung mit Geschichte, die an ganz unterschiedlichen Orten, unter Nutzung vielfältiger Medien und bei Menschen jeden Alters stattfinden kann«.21 Die Geschichtsdidaktik »als die Wissenschaft vom Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft«22 ist dabei die Instanz, die »nach den Inhalten, den Funktionen, den Formierungsprozessen und den Vermittlungsprozessen fragt, welche die jeweils gegenwärtigen Vorstellungen von Geschichte ausmachen.«23 Der entsprechende Fragenkatalog umfasst Gütekriterien, die zur Analyse von Produkten und Formaten der historischen Bildung dienen. Zu diesen zählen vor allem die Kategorien Narrativität24, historische Imagination25, Multiperspektivität26 und Authentizität27. Diese Kriterien liegen auch den folgenden Betrachtungen zugrunde. Websites, die diese nicht erfüllen und somit auch nicht primär dem Historischen Lernen dienen, wur20 Vgl. Jörn Rüsen: Historisches Lernen, in: Klaus Bergmann u. a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5., überarb. Aufl., Seelze-Velber 1997, S. 261–267. 21 Juliane Brauer/Martin Lücke: Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Einführende Überlegungen, in: Dies. (Hg.): Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven, Göttingen 2013, S. 11–26, hier S. 12. 22 Ebd. 23 Karl-Ernst Jeismann: Geschichtsbewusstsein – Theorie, in: Bergmann u. a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, a. a. O., S. 42–44, hier S. 42. 24 Vgl. bspw. Michele Barricelli: Narrativität, in: Ders./Martin Lücke (Hg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Bd. 1, Schwalbach am Taunus 2012, S. 255–280. 25 Vgl. bspw. Rolf Schörken: Historische Imagination und Geschichtsdidaktik, Paderborn 1994. 26 Vgl. bspw. Klaus Bergmann: Multiperspektivität. Geschichte selber denken, Schwalbach am Taunus 2000. 27 Vgl. bspw. Eva Ulrike Pirker/Mark Rüdiger: Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, in: Dies. u. a. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld 2010, S. 11–30.

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den nicht berücksichtigt. Ein Beispiel soll an dieser Stelle dazu beitragen, die Mindestansprüche zu verdeutlichen. Die Website www.mfs-insider.de wird von einem Interessenbündnis ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) betreut.28 Diese bezeichnen sich als »Insiderkomitee zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS« und betreiben die Website privat. Der Aufbau der Website präsentiert keine zusammenhängende historische Narration, etwa in Form eines erklärenden Fließtextes. Der Ansatz der Website liegt vielmehr darin, die Vergangenheit des MfS aus Sicht der Betreiber darstellen zu wollen. Die Seiten auf www.mfs-insider.de bieten neben einem umfangreichen tabellenartigen Glossar zum MfS-Apparat in erster Linie eine archivartige Sammlung, unter anderem von Zeitungsartikeln, Leserbriefen, Ergebnissen von Diskussionsrunden sowie eine Literaturliste zum Thema MfS.29 Diese Informationen werden nur sporadisch oder gar nicht mehr aktualisiert.30 Insgesamt erscheint die Struktur der Website sehr unübersichtlich, chaotisch und in ihrer Gestaltung veraltet.31 Für einen schnellen Zugriff auf Informationen über die DDR und in Bezug auf das Historische Lernen ist diese Website nicht geeignet. Sie bleibt hinter den Chancen des Internets zurück, bietet doch gerade dieses Medium die Möglichkeit, Geschichte interaktiv, multimedial und multiperspektivisch zu erzählen. Die MfS-Homepage nutzt dagegen aus, dass die Websitebetreibenden ihre Sicht auf die Geschichte im Netz bereitstellen können, ohne dass ihre Seriosität überprüft wird. Hinzu kommt bei Websites ganz allgemein und dieser im Besonderen, dass die Inhalte ständig geändert werden, sodass eine langfristige Zuverlässigkeit der Informationen nicht gegeben ist. Dies erschwert

28 Die Website wurde für die Vorstellung hier u. a. ausgewählt, weil sie für das Jahr 2014 rund 200.000 Besuchende verzeichnet, vgl. »Webstatistik 2014«, in: Insiderkomitee zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS, online abrufbar unter: www.mfs-insider.de, letzter Zugriff: 02.02.2015. 29 Vgl. Strukturbaum der Website, in: Ebd. 30 Die letzte Aktualisierung der Seiten ist teilweise auf das Jahr 2010 datiert, so z. B. die Seite »Abhandlungen, Erklärungen, Stellungnahmen, Interviews«. Die Bibliografie unter »Literaturecke« verfügt allerdings über Veröffentlichungen aus dem Jahr 2014 und scheint somit die aktuellste Rubrik zu sein. 31 Die Farbwahl, eine Mischung aus weiß, gelb und rot, sowie eine fehlende Navigation in der Struktur der Seiten und in der Browser-Adressleiste erschweren die Orientierung auf der Website. Manche Seiten im Strukturbaum öffnen sich ohne ersichtlichen Grund in neuen Tabs, so etwa die »Literaturecke« (Bibliografie) oder »In memoriam« (verstorbene Mitglieder). Die angebotene Suchfunktion über Google funktioniert nicht.

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die Analyse der Internetangebote, was sich auch in der noch relativ dünnen Forschungsliteratur zum Thema spiegelt. Als Grundlage für die folgenden Ausführungen dienten vor allem der Text von Erik Meyer über die Verbindung von Erinnerungskultur und Öffentlichkeit im Internet32 sowie, aus der Perspektive der Geschichtsdidaktik, die Arbeiten von Jan Hodel und Astrid Schwabe.33 Schwabe erarbeitete ein ausführliches Analysekonzept für geschichtliche Websites, um »die Potenziale und Hemmnisse oder sogar Gefahren, die die Bedingungen im WWW für historisches Lernen bergen«34, genau zu benennen. Außerdem konnte auf Studien zurückgegriffen werden, die sich speziell mit der Darstellung von Geschichte auf Wikipedia auseinandersetzen.35 Einen ersten Ansatz der Analyse bestimmter Geschichtsdarstellungen bot die bereits 2004 erschienene Arbeit von Dörte Hein über die DDR-Geschichte im Internet.36 Ähnlich wie dort werden für die vorliegende Betrachtung einzelne Websites ausgewählt und analysiert.

32 Vgl. Erik Meyer: Problematische Popularität? Erinnerungskultur, Medienwandel und Aufmerksamkeitsökonomie, in: Barbara Korte/Sylvia Paletschek (Hg.): History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009, S. 267–287. 33 Vgl. Jan Hodel: Internet. Das Internet und die Zeitgeschichtsdidaktik, in: Markus Furrer/Kurt Messmer (Hg.): Handbuch Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht, Schwalbach am Taunus 2013, S. 352–378; Ders.: Historische Narrationen im digitalen Zeitalter, in: Uwe Danker/Astrid Schwabe (Hg.): Historisches Lernen im Internet, Schwalbach am Taunus 2008, S. 182–195. 34 Astrid Schwabe: Historisches Lernen im World Wide Web. Suchen, flanieren oder forschen? Fachdidaktisch-mediale Konzeption, praktische Umsetzung und empirische Evaluation der regionalhistorischen Website Vimu.info, Göttingen 2012, S. 147. 35 Siehe v. a. Maren Lorenz: Repräsentation von Geschichte in Wikipedia oder: Die Sehnsucht nach Beständigkeit im Unbeständigen, in: Korte/Paletschek (Hg.): History Goes Pop, a. a. O., S. 289–312; aber auch Jan Hodel: Wikipedia und Geschichtslernen – ein Problem? (= Dossier Wikipedia der Bundeszentrale für Politische Bildung), 10. Oktober 2012, online abrufbar unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/wikipedia/145824/wikipedia-und-geschichtslernen, letzter Zugriff: 02.02.2015 sowie: Ders.: Wikipedia und Geschichtslernen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 63 (2012), H. 5/6, S. 271–284. 36 Vgl. Dörte Hein: DDR-Geschichte im Internet. Zur Konstruktion eines multimedialen Gedächtnisses, in: Jens Hüttmann/Ulrich Mählert/Peer Pasternack (Hg.): DDRGeschichte vermitteln. Ansätze und Erfahrungen in Unterricht, Hochschullehre und politischer Bildung, Berlin 2004, S. 265–290.

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2. Analyse ausgewählter Websites Die im Folgenden analysierten Websites stellen vor allem die Ereignisse um das Ende der DDR dar. Sowohl 2009 als auch 2014, zum zwanzigsten und 25. Jubiläum der Friedlichen Revolution, sind verstärkt öffentliche Fördergelder ausgeschrieben und entsprechend neue Websites erstellt worden. Somit bot es sich an, öffentlich und privat finanzierte Websites aus diesem Zeitraum näher zu betrachten. Aus der Vielzahl der Angebote werden vier Websites exemplarisch vorgestellt und analysiert: drei öffentlich geförderte Sites und eine privat finanzierte. Die Websitebetreibenden sind der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Bundesregierung, ein Verein, der mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, sowie ein privater Bildungsreferent. In einer dichten Beschreibung wird zunächst die Startseite und damit die Selbstdarstellung der Websitebetreibenden vorgestellt. Zudem werden die einzelnen Themenangebote, die Einbindung beziehungsweise das Verhältnis von Bild, Film und Text sowie möglicher Aussagen aus Zeitzeugeninterviews anhand einzelner Beispiele auf der jeweiligen Website betrachtet. Anschließend werden in einem Exkurs einzelne Foren und soziale Netzwerke hinsichtlich des dort vorherrschenden Diskurses über die DDR vorgestellt. Auf dieser Basis wird abschließend versucht, Aussagen über das Bild des Endes der DDR im Netz zu geben.

2.1 Kuriositäten rund um das Leben mit der Mauer: www.berlin-mauer.de Die Website Die Berliner Mauer. Geschichte in Bildern (www.berlin-mauer. de)37 ist ein Projekt des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. Auf der Website werden rund 250 Filme zur Ansicht angeboten, die aus dem Archiv des Senders Freies Berlin (SFB), des RBB und des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) stammen. Bei den Filmen handelt es sich hauptsächlich um historisches Material. Es sind kurze Ausschnitte aus dem Fernsehen der DDR und der Bundesrepublik, die alle durch einen Sprecher nachträglich kommentiert werden. Neben diesen historischen Fernsehausschnitten, die vom Jahr 1961 bis ins Jahr 1990 reichen, sind Beiträge des RBB aus dem Jahr 2011 zu finden. In diesen werden Berlinerinnen und Ber37 Leider hat der RBB auch auf wiederholte Nachfrage keine Angaben zur Nutzung der Website mitgeteilt. Vielmehr antwortete die Service-Redaktion, dass sie »keine internen Zahlen über die Nutzung unserer Internetangebote veröffentlichen« würden (E-Mail vom 23. Dezember 2014).

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liner zum fünfzigsten Jahrestag des Mauerbaus gefragt, was die Teilung der Stadt für ihr Leben bedeutete. Die Website ist sowohl für den PC als auch für den mobilen Gebrauch optimiert. In einem kurzen Einleitungstext wird den Nutzenden nahe gelegt, die Website unterwegs zu verwenden und historische Filme zu bestimmten Orten in Berlin mithilfe der digitalen Karte zu besuchen: »So haben Sie die Möglichkeit, an den Orten des Geschehens eine Reise in die Vergangenheit zu machen.«38 Zu diesem Zweck wurden auch sechs thematische Rundgänge konzipiert, die ebenfalls auf der Karte angezeigt werden oder unter der Ru­brik »Touren« anwählbar sind. Es ist außerdem möglich, sich über einen Zeitstrahl, der von 1961 bis 1990 reicht, die Filme anzeigen zu lassen. Jeder Film ist mit einem knappen Informationstext versehen, der allerdings nur eine Zusammenfassung des Gesehenen liefert und keine Quellenangaben. Das historische Filmmaterial wird lediglich zum Teil mit Titeln wie »Fernsehbeitrag Ost« versehen. Auch der historische Kontext der Filmaufnahmen wird nicht erläutert. Es ist auffällig, dass die Website bis auf die kurzen Informationstexte, die jeweils neben dem Film angeboten werden, keine zusätzlichen Informationen zu den Inhalten des Films bereitstellt. Der Aufbau der Website ist ansprechend und benutzerfreundlich gestaltet. In ihrer Funktionalität ist sie auf das Wichtigste reduziert und übersichtlich strukturiert. Hierzu trägt auch die eingebaute Suchfunktion bei. Kurios erscheint lediglich das Wartesymbol, bestehend aus Hammer und Zirkel. Insbesondere im Zusammenhang mit der Debatte um das Verbot von DDRSymbolen stellt sich hier die Frage nach der Seriosität der Website.39 Eine Interaktion unter oder zwischen den Nutzenden und den Betreibenden der Website ist nicht vorgesehen. Es gibt weder die Möglichkeit eigene Filmbeiträge hochzuladen, noch können Kommentare oder Gästebucheinträge hinterlassen werden. Dafür können sich die Nutzenden private Filmlisten zusammenstellen, diese unter »Meine Doku«40 speichern sowie die erstellte Liste via Facebook, Twitter, Google+ oder E-Mail teilen und somit anderen zur Verfügung stellen.

38 Über das Projekt, in: Die Berliner Mauer. Geschichte in Bildern, online abrufbar unter: http://www.berlin-mauer.de/ueber-das-projekt/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 39 Vgl. Erik Peter: Verbot von DDR-Symbolen. Im Kampf gegen Hammer und Zirkel, in: die tageszeitung vom 15.  April 2014, online abrufbar unter: http://www.taz. de/!138560/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 40 Meine Doku, in: Berliner Mauer, a. a. O., online abrufbar unter: http://www.berlinmauer.de/meine-doku/, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Abb. 1   Startseite www.berlin-mauer.de

Thematisch liegt der Fokus der Website auf der Darstellung des Alltags in West- und Ostberlin und dabei besonders auf dem Leben um und mit der Mauer. Der Einstieg wird über das Jahr 1990 gewählt (Abb. 1). Die Geschichte der DDR wird somit von ihrem Ende her erzählt, und die Wiedervereinigung stellt den Kern der Erzählung dar. Der Fokus der Erzählung wird auf der Startseite deutlich, auf der im Zentrum die Jahreszahl 1990 zusammen mit zwei im Wind wehenden Deutschlandflaggen und dem Slogan der Montagsdemonstrationen »Wir sind das Volk!« präsentiert werden. Die Erzählung beginnt mit einem Film über die »friedliche Revolution im Herzen von Europa«.41 Bilder von euphorischen »Menschen im Einheitstaumel«, so der Sprecher, und ein Ausschnitt aus der Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 3. Oktober 1990 vor dem Berliner Reichstag dominieren diesen einleitenden und somit richtungsweisenden Film. Nach Aussage der Websitebetreibenden soll mithilfe der Homepage der Alltag der Menschen in der Mauerstadt Berlin lebendig gehalten, die politischen Annäherungen zwischen Ost und West sollen nachgezeichnet und persönliche

41 Deutschland ist wieder eins. 03. Oktober 1990, in: Ebd., online abrufbar unter: http:// www.berlin-mauer.de/videos/wiedervereinigung-1990-737/, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Geschichten erzählt werden.42 Die Filme lassen sich in sieben thematische Rubriken unterteilen. Mit 114 Filmen stellt die Rubrik »Zeitzeugen« das größte Themenfeld dar, gefolgt von »Politik« (96), »Grenze« (84), »Alltag« (79), »Flucht« (33), »Kultur« (32) und »Opposition« (22). Dabei können einzelne Filme auch mehreren Rubriken zugeordnet sein. Der Schwerpunkt der Filme liegt auf kuriosen Geschichten rund um den Alltag mit der Mauer. Persönliche Geschichten und Einzelschicksale sind ein wichtiger Bestandteil der Website. Diese Form des Zugangs zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Beiträge. So werden in jedem zweiten Film Ausschnitte aus Zeitzeugeninterviews präsentiert. Die im RBB-Studio gefilmten Interviews zeigen diese vor einem hellblauen Hintergrund mit drei Mauersegmenten, auf denen die Silhouette des Brandenburger Tors zu sehen ist. Ehemalige Bürgerinnen und Bürger aus der DDR betonen in den Interviews durchweg ihre Unzufriedenheit mit ihrem früheren Staat. Die Sängerin Angelika Mann beispielsweise berichtet zuerst begeistert von ihrem Auftritt bei den Weltfestspielen der Jugend 1973, um später den Ausnahmezustand dieses Festes zu betonen.43 In ähnlicher Weise erzählt ein Mitarbeiter des modernen CentrumWarenhauses am Alexanderplatz in Berlin einerseits sehr positiv über seine Arbeit (»Das war das größte, schönste und beste Warenhaus der Republik.«44). Andererseits fügt er hinzu, dass sich die teuren Produkte dort nur sehr wenige Menschen leisten konnten. Analog dazu kommentiert der Sprecher: »Hier gibt es Dinge, von denen man im Rest der Republik nur träumen kann.«45 Insgesamt wird ein Bild eines Teils der Bevölkerung gezeichnet, der sein Land belächelte und sich der Endlichkeit der DDR bewusst war. Auffallend ist, dass Geschichten aus Westberlin eher amüsant und diejenigen aus Ostberlin eher kurios bis tragisch zu sein scheinen. So gibt es für Ostberlin einen Film über die Eröffnung der modernsten Kaufhalle in BerlinLichtenberg.46 Zu Beginn zeigt ein Ausschnitt aus einem Fernsehbericht der 42 Vgl. Über das Projekt, in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.berlin-mauer.de/ ueber-das-projekt/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 43 Vgl. Weltfestspiele der Jugend (1973), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www. berlin-mauer.de/videos/weltfestspiele-der-jugend-in-ost-berlin-625/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 44 Vgl. Centrum Warenhaus am Alex (1971), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www. berlin-mauer.de/videos/westjeans-im-centrum-warenhaus-598/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 45 Vgl. ebd. 46 Vgl. Kaufhalle in Lichtenberg eröffnet (1966), in: Ebd., online abrufbar unter: http:// www.berlin-mauer.de/videos/kaufhalleneroeffnung-in-der-ddr-569/, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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DDR die Organisation der neuen Kaufhalle, und der Fernsehsprecher erklärt, wie mithilfe von Nummernvergaben an der Fleischtheke Zeit beim Einkaufen gespart werden konnte. Der Sprecher berichtet anschließend vom wirtschaftlichen Aufschwung, der in der DDR auf den Mauerbau gefolgt sei. Der Bericht schließt mit dem Hinweis auf das Highlight des Angebots, den neuen »Waschautomaten WM 66«, in dem auch Würstchen warmgehalten werden konnten. Aber auch Klischees wie die fortschrittliche Frauenemanzipation und die Verbreitung von Kindertagesstätten als Errungenschaften der DDR lassen sich wiederfinden, ohne dass diese kritisch hinterfragt werden. In einem Film über das Jahr 1969 wird sehr positiv von der in Ostdeutschland geförderten und von der Regierung vorangetriebenen Frauenqualifizierung berichtet. So bildete sich laut Regierung jede fünfte Frau nach der Arbeit fort.47 Auch in den Rubriken »Grenze« und »Flucht« werden erstaunlicherweise hauptsächlich positive oder kuriose Geschichten erzählt. Geglückte Fluchten in den Westen und das Leben mit der Mauer (ohne diese als Problem zu thematisieren) stehen hier im Mittelpunkt. So erzählt ein Film vom Umgang mit der Mauer in Westberlin. Der Sprecher betont, dass die Mauer längst nicht mehr so furchteinflößend sei: »Die DDR, ›Der Doofe Rest‹, soll machen, was er will.«48 Gezeigt werden hier nackte Westberlinerinnen und Westberliner während des Tischtennisspielens im Kleingarten neben der Mauer (Abb. 2). Im Kontrast zu dieser Art Mauergeschichte geht es nur in fünf von 86 Filmen in den Rubriken »Grenze« und »Flucht« um Mauertote. Neben drei missglückten Fluchtversuchen49, die mit dem Tod der Flüchtenden endeten, schildert ein Film das Schicksal eines Jungen aus Westberlin, der in der Spree ertrank. Er fiel beim Ballspielen ins Wasser, und da der Fluss an dieser Stelle zu Ostberlin gehörte, durften die westdeutschen Rettungskräfte nicht eingreifen, um dem Jungen zu helfen.50 Ein weiterer Film berichtet von einem Ehepaar, 47 Frauenbewegung und Kinderläden (1969), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www. berlin-mauer.de/videos/frauenbewegung-und-kinderlaeden-im-geteilten-berlin-583/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 48 Alltag mit Mauer (1981), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.berlin-mauer.de/ videos/alltag-nach-zwanzig-jahren-mauer-676/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 49 Vgl. Der letzte Mauertote durch Schießbefehl (1989), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.berlin-mauer.de/videos/chris-gueffroy-719/; Peter Fechter stirbt beim Fluchtversuch (1962), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.berlin-mauer.de/ videos/fluchtversuch-von-peter-fechter-542/; DDR-Grenzsoldat Huhn erschossen (1962), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.berlin-mauer.de/videos/ddr-grenzsoldat-huhn-erschossen-539/, letzter Zugriff von allen: 02.02.2015. 50 Vgl. Junge ertrinkt in der Spree (1975), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www. berlin-mauer.de/videos/metin-cert-ertrinkt-in-der-spree-642/, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Abb. 2   Alltag mit Mauer, 1981

das bei einem Ausflug mit ihrem Boot auf dem Teltow-Kanal erschossen wurde, weil es vermutlich aus Versehen die Grenze überquert hatte.51 Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Narration der Website einer Happyend-Story folgt, die aus dieser Perspektive die Geschichte der Berliner Mauer von 1961 bis 1990 erzählt. Die DDR wird dabei lediglich als »Fußnote der deutschen Geschichte« dargestellt, die nur von kurzer Dauer war. Das Alltagsleben in der Diktatur wird vor allem daran gezeigt, wie verschiedene Menschen versuchten, sich trotz Widrigkeiten ihre eigenen Freiräume zu schaffen. In Interviews erzählen einige von ihnen ihre ganz persönliche Geschichte, ohne diese in einen größeren politischen oder gesellschaftlichen Zusammenhang einzuordnen. Der Fokus auf die im Alltag angesiedelten und teilweise absurden Geschichten ordnet die tödlichen Gefahren von Flucht und Grenze einem Unterhaltungsanspruch unter. Obwohl die zahlreichen Filme einen Einblick in das alltägliche Leben mit der Berliner Mauer geben, wird die Möglichkeit nicht genutzt, mithilfe des unterschiedlichen Filmmaterials verschiedene Standpunkte zu präsentieren. 51 Vgl. Bootsausflug mit tödlichem Ausgang (1965), in: Ebd., online abrufbar unter: http:// www.berlin-mauer.de/videos/tod-von-hermann-doebler-561/, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Auch wichtige Fragen werden nicht gestellt – beispielsweise warum die DDR trotz der Unzufriedenheit vieler so lange Bestand hatte. Stattdessen werden die unterschiedlichen Perspektiven durch den omnipräsenten Sprecher wieder vereinheitlicht. Das vorherrschende Narrativ ist das einer teleologischen ­Mauergeschichte, dessen Ende – der Mauerfall und die Wiedervereinigung – vo­rauszusehen gewesen sei.

2.2 Die Repräsentation der DDR aus Sicht der Bundesregierung: www. freiheit-und-einheit.de Die Website www.freiheit-und-einheit.de wurde vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung erstellt und ging Anfang 2014 online. Der Webauftritt bietet den Internetnutzenden eine Chronik zu den tagespolitischen Ereignissen vom 1. Januar 1989 bis zum 3. Oktober 1990. »Dieses Internetangebot will an die bewegenden Ereignisse von damals erinnern – an die Friedliche Revolution, den Mauerfall und schließlich die Wiedervereinigung«52, so die Bundesregierung über das Ziel ihres Internetauftritts. Die Gestaltung der Webpräsenz erscheint ansprechend und modern. Durch eine klare, minimalistische Struktur ist sie übersichtlich und einfach zu benutzen. Den Schwerpunkt bildet zwar die Chronik von 1989/90 mit einer dazugehörigen Mediathek, doch werden zusätzlich zahlreiche Informationen der Bundesregierung selbst angeboten. Darüber hinaus verfügt die Homepage über eine Suchfunktion, welche die Eingabe von Schlagwörtern ermöglicht und somit schnell gewünschte Informationen liefert. In der Chronik wird das jeweilige Tagesereignis anhand eines großen Bildes und einer dazugehörigen, kurzen Texterläuterung präsentiert. Zur Erlangung umfassender Informationen kann durch einen Button, der zunächst nicht direkt zu erkennen ist, ein weiterer Text geöffnet werden, der eine kurze Zusammenfassung des entsprechenden Ereignisses gibt. Neben dem Hauptbild und dem Text gibt es ferner Audio- und Videodateien sowie Fotoreihen, die thematisch mit dem Tagesereignis zusammenhängen (Abb. 3). Um sich über weitere Geschehnisse zu informieren, besteht die Möglichkeit, vom Ausgangsbild ein Ereignis vor oder zurück zu gehen oder über einen Zeitstrahl direkt ein Datum auszuwählen. Neben der Chronik bietet die Website 52 Willkommen auf der Seite Freiheit und Einheit, in: Freiheit und Einheit, online abrufbar unter: http://www.freiheit-und-einheit.de/Webs/Einheit/DE/Startseite/Ueber-dieSeite.html;jsessionid=BCF352711A86EF985D53CE383490585B.s4t1, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Abb. 3   Startseite www.freiheit-und-einheit.de, hier: vom 9. November 1989

der Bundesregierung noch die Rubriken »Veranstaltungen«, »Aktuelle Meldungen«, »Mediathek«, »Infomaterial« und »Service«. Unter der ersten Rubrik werden vergangene und künftige Veranstaltungen wie Ausstellungen, Tagungen, Führungen, Podiumsdiskussionen, Gedenkveranstaltungen und Filmvorführungen zu verschiedenen Themen der DDR-Geschichte beworben. In der nächsten Rubrik veröffentlicht die Bundesregierung aktuelle Berichte und Pressemitteilungen zum Thema »Freiheit und Einheit«. Beispielsweise wird die Rede der Bundeskanzlerin am 3. Oktober 2014 in Hannover im Volltext angeboten sowie eine Fotoreihe zur Veranstaltung. Die Mediathek bietet einen Fundus von 113 Videos53, der laufend erweitert wird. Zu sehen sind kurze Videoausschnitte aus 53 Stand vom 2. Februar 2015.

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Zeitzeugeninterviews, besonders mit Persönlichkeiten aus der Bürgerbewegung, der Politik oder der Kirche. Die Auswahl der Interviewten ist somit relativ einseitig auf Mitglieder der DDR-Opposition beschränkt. Zudem können Internetnutzende in der Mediathek historische Filmaufnahmen der ARD-Tagesthemen, Beiträge des DDR-Fernsehens oder Aufnahmen verschiedener Demonstrationen sehen. Darüber hinaus gibt es drei Videos mit der Bundeskanzlerin, die sich darin zum Thema Friedliche Revolution äußert. Neben Videomaterial zeigt die Mediathek zehn Fotoreihen sowie drei Infografiken über den Aufbau der Mauer und eine Statistik der DDR-Flüchtlinge.54 Unter der Rubrik »Infomaterial« werden zwei Broschüren der Bundesregierung zum Download angeboten, die sich mit der Entwicklung in den letzten 25 Jahren in Deutschland auseinandersetzen.55 Nutzende der Website können sich unter »Service« über ein Kontaktformular an die Betreibenden der Seite wenden. Zudem besteht die Möglichkeit, das Servicetelefon der Bundesregierung zu nutzen. Darüber hinaus verfügt die Homepage über keine aktiven Beteiligungsmöglichkeiten via Gästebuch, Chat oder Kommentarfunktion. Es gibt jedoch Verknüpfungen zu Twitter, Flickr, RSS und YouTube. Hierbei handelt es sich allerdings um Accounts der Bundesregierung selbst.56 Die Themen der Website fokussieren hauptsächlich das Ende der DDR. Die Schwerpunkte liegen dabei bis zum 9. November 1989 auf den Themen Flucht, friedliche Demonstrationen, Bürgerbewegung, Mauerfall und Reaktionen der DDR-Regierung. Hierbei richtet sich der Blick nicht nur auf die DDR und die Bundesrepublik, sondern auch auf Länder wie China, Ungarn und die ehemalige Tschechoslowakei. Insbesondere der Volksaufstand in Peking, die Öffnung der Grenzen in Ungarn und die Besetzung der Prager Botschaft spielen eine bedeutende Rolle. Nach dem Mauerfall rücken die Freude über die Einheit der deutschen Bevölkerung, die erste freie Volkskammerwahl und politische Entwicklungen hin zur staatlichen Wiedervereinigung in den Vordergrund. Auch hierbei werden internationale Ereignisse eingebunden. 54 Vgl. Mediathek, in: Freiheit und Einheit, online abrufbar unter: http://www.freiheitund-einheit.de/SiteGlobals/Forms/Webs/Einheit/Suche/DE/Solr_Mediathek_formular.html?cat=fotos&id=836602&doctype=GCPresentation, letzter Zugriff: 02.02.2015. 55 Zum einen kann ein Bildband über 25 Jahre Entwicklung in den neuen Bundesländern und zum anderen eine Broschüre über die Friedliche Revolution und deren Folgen heruntergeladen werden. Vgl. Infomaterial, in: Ebd., online abrufbar unter: http://www. freiheit-und-einheit.de/Webs/Einheit/DE/Infomaterial/_node.html, letzter Zugriff: 02.02.2015. 56 Nach Angaben der Bundesregierung besuchten in den Monaten September bis November 2014 jeweils zehntausend bis 25.000 User die Website. Demnach erfolgten täglich zirka dreihundert bis 850 Aufrufe.

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Bei der Untersuchung des Bild-Text-Verhältnisses fällt ein klares Übergewicht des Startseiten-Fotos auf. Diese aussagekräftigen Bilder laden Nutzende ein, sich für das Tagesereignis zu interessieren und sich daraufhin mit dem Text zu beschäftigen. Nicht nur prominente Persönlichkeiten wie Helmut Kohl oder Erich Honecker werden gezeigt, sondern auch flüchtende Familien, Demonstrierende oder Menschen vor der Prager Botschaft. Das jeweilige Foto wird durch einen Bildtitel, einen zweizeiligen Einleitungstext und einen zusammenfassenden Text über das Ereignis in den geschichtspolitischen Kontext eingebettet. Somit können sich Internetnutzende lediglich eine Slideshow durch Weiterklicken anschauen oder weitere Informationen im Klapptext erhalten. Der Bildnachweis befindet sich nicht direkt bei der Fotografie, sondern in einer Liste, die durch einen eigenen Button unterhalb des Artikels geöffnet werden kann.57 Dadurch, dass die Bilder im Vordergrund stehen und kein Text von ihnen ablenkt, wirkt die Seite einerseits ästhetisch ansprechend und übersichtlich, andererseits ist die Suche nach der Provenienz relativ umständlich. Insgesamt spielen die Bilder in der Chronik die tragende Rolle. Die zum Teil bekannten Fotografien laden zum Weiterklicken ein, da sie an das Wissen der Nutzenden anknüpfen. Dies kann aber auch dazu führen, dass bereits gefestigte Vorstellungen über die DDR-Geschichte unhinterfragt bleiben, denn die Erläuterungstexte können schnell übersehen werden. Die Internetpräsenz www.freiheit-und-einheit.de gibt die Geschichte der letzten zwei Jahre der DDR chronologisch wieder – beginnend mit dem 1. Januar 1989. Dabei wird die Vorgeschichte wie beispielsweise die Entstehung und Entwicklung der DDR gänzlich ausgeklammert – Nutzende müssen über Vorwissen verfügen, um die Inhalte der Seite einordnen zu können. Allerdings wird gelegentlich – zum Beispiel durch eine zusätzliche Erläuterung in einer grau unterlegten Informationsbox unterhalb des Textes – Bezug auf Geschehnisse vor 1989 genommen.58 Die Formulierungen sind leicht verständlich59, teilweise sogar umgangssprachlich wie beispielsweise: »Aber das 57 Vgl. Bildnachweis, in: Freiheit und Einheit, online abrufbar unter: http://www.freiheitund-einheit.de/Webs/Einheit/DE/Chronik/Bildnachweis/chronik_bildnachweis_node. html, letzter Zugriff: 02.02.2015. – Eine Ausnahme bilden Fotografien aus dem Bundesarchiv, bei denen der Nachweis direkt auf dem Foto angezeigt wird. Dies ist bspw. in der Chronik zum 12. Januar 1990 ersichtlich. 58 Dies ist z. B. am 11. Januar 1989 der Fall, in der DDR-Bürgerinnen und -Bürger die Bonner Vertretung besetzten. In dem Kästchen kommt zur Sprache, dass es bereits seit 1984 zu Besetzungen kam. 59 Zudem können sich Nutzende dieser Website im Gegensatz zu den anderen Websites als zusätzliches Angebot unter »Gebärdensprache« und »Leichte Sprache« die Ziele der Homepage erklären lassen.

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SED-Regime macht keinerlei Anstalten [...].«60 Problematisch ist, dass Verallgemeinerungen wie »das Volk« den Anschein erwecken, dass beispielsweise alle DDR-Bürgerinnen und -Bürger ausreisewillig waren oder sich der Opposition anschlossen. Zusammenfassend ergibt sich aus der Analyse der Website www.freiheitund-einheit.de ein durchweg negatives Bild der DDR und ihrer Politik. Die Präsentation der DDR findet ausschließlich anhand der Themen Diktatur, Grenzerfahrungen, Demonstrationen, Friedliche Revolution und Wiedervereinigung statt. Somit stellt die Homepage die staatlichen Repressionen und die Oppositionsbestrebungen eines Teils der DDR-Bevölkerung in den Mittelpunkt. Dadurch bleibt die Frage, warum dieser funktionsunfähige und ungewollte Staat so lange bestanden hat, unbeantwortet. Des Weiteren entsteht der Eindruck, die Mehrheit der DDR-Bürgerinnen und -Bürger habe sich bei den Demonstrationen oder gar in der Opposition engagiert. Eine Geschichte über den letzten Mauertoten Chris Gueffroy verdeutlicht dies: »Er steht stellvertretend für ein ganzes Land, das den Drang und den Wunsch verspürt, endlich in Freiheit zu leben.«61 Dies macht auch die Auswahl der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in den Videos deutlich, da vorwiegend Menschen aus der Opposition zu Wort kommen. Keinen Platz finden hingegen Menschen, die sich dem System anpassten, damit zufrieden waren oder deren Unzufriedenheit nicht so groß war, dass sie dafür auf die Straße gingen. Eine multiperspektivische Darstellung der DDR wird somit nicht präsentiert. Thematisch stehen die politischen Ereignisse im Vordergrund, wohingegen alltagsgeschichtliche Erzählungen keinen Platz finden. Schlussendlich entspricht die Website www. freiheit-und-einheit.de dem Bundesgedenkstättenkonzept, indem die Repressionsgeschichte der DDR behandelt und insbesondere die Oppositionsbestrebungen hervorgehoben werden. Von einer kritischen Aufarbeitung wäre da­rüber hinaus jedoch auch ein Blick auf die Entwicklung vor 1989 und auf das Leben der Mehrheit der DDR-Bevölkerung zu erwarten, ohne dass damit Ostalgie betrieben wird.

60 Chronik vom 01.01.1989, in: Freiheit und Einheit, online abrufbar unter: http://www. freiheit-und-einheit.de/Webs/Einheit/DE/Chronik/chronik_node.html, letzter Zugriff: 02.02.2015. 61 Chronik vom 05.02.1989, in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.freiheit-undeinheit.de/Webs/Einheit/DE/Chronik/chronik_node.html, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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2.3 Von Opposition und Revolution: www.revolution89.de Die Website www.revolution89.de ist ein Informationsangebot der RobertHavemann-Gesellschaft e.V. Der Verein wurde im November 1990 von Angehörigen der Bürgerbewegung Neues Forum gegründet. Laut eigener Website dokumentiert und vermittelt er die Geschichte und die Erfahrung von Opposition und Widerstand in der DDR.62 Die Konzeption und Umsetzung des Internetauftritts wurde von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin (DKLB), dem Bundesministerium des Innern (BMI) sowie dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert. Als Zusatzangebot zu den sogenannten Berliner Revolutionsstelen63 und zur Open-AirAusstellung »Friedliche Revolution 1989/90«, die vom 7. Mai bis zum 3. Oktober 2010 auf dem Berliner Alexanderplatz gezeigt wurde, soll die Website den Besuchenden etwas Dauerhaftes bieten. Die Website ist seit 2009 online und wird laufend aktualisiert und erweitert (Abb. 4).64 Gestalterisch ist die Website ansprechend und übersichtlich. Die selbsterklärende Navigation ermöglicht den Nutzenden einen schnellen Zugriff auf Informationen. Kurze und prägnant geschriebene Texte werden durch die Einbindung von Fotos und Dokumenten ergänzt und wirken somit abwechslungsreich und interessant. Hinzu kommt an ausgewählten Stellen die Möglichkeit, kurze Filme anzusehen. Durch eine Suchfunktion kann gezielt nach Schlagworten recherchiert werden, sodass ein leichter Zugriff auf die gewünschten Informationen gegeben ist. Ausgehend von der Startseite, bietet die Website fünf Kategorien an: »Aufbruch«, »Revolution«, »Einheit«, »Gesichter« und »Revolutionsorte«. Die ersten drei stellen den inhaltlichen Rahmen dar und legen gleichzeitig den Schwerpunkt auf die Darstellung des Endes der DDR. Hinter der Kategorie »Gesichter« verbergen sich siebzig verschiedene Biografien von Menschen, die an der Friedlichen Revolution beteiligt waren. »Revolutionsorte« stellt 62 Vgl. Robert-Havemann-Gesellschaft e.V.: Über uns, online abrufbar unter: http://www. havemann-gesellschaft.de/index.php?id=26, letzter Zugriff: 02.02.2015. 63 Die Berliner Revolutionsstelen sind insgesamt 18 Markierungen, an Orten im Osten wie im Westen der Stadt, die aus Sicht der Initiatoren eng mit der Friedlichen Revolution verbunden sind. Die Stelen informieren mit historischen Fotos und erläuternden Texten am jeweiligen Originalschauplatz über die Ereignisse von 1989/90. Vgl. Revolutionsstelen in Berlin, in: Friedliche Revolution 1989/90, online abrufbar unter: http:// revolution89.de/?PID=static,Revolutionsstelen,0100-StelenBerlin,Index_de, letzter Zugriff: 02.02.2015. 64 Es liegen keine Besucherzahlen der Website vor, da die Betreibenden diese nicht speichern und auswerten.

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Abb. 4   Das Foto einer Demonstration dient als Startseite (mit zusätzlichen Markierungen)

eine direkte Verknüpfung zu den Berliner Revolutionsstelen dar und beschreibt die 18 Orte der Stelen in Ost- und Westberlin, die von den Macherinnen und Machern als bedeutende Orte der Friedlichen Revolution erachtet wurden. Die drei thematischen Kategorien beinhalten jeweils unterschiedlich viele Unterkategorien, in denen der Verlauf der Revolution chronologisch erzählt wird. Zudem bietet die Website neben den Themenblöcken weitere Informationen über aktuelle Ausstellungen, Veranstaltungen, Publikationen und Aktivitäten der Robert-Havemann-Gesellschaft. Die eingebundenen Fotos, Dokumente und Videos sind stets mit einer Quellenangabe versehen und somit eindeutig zugeordnet. Dies verstärkt den Eindruck einer professionell erstellten Seite. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, durch das Klicken auf »weiter« andere Fotografien oder zusätzliche Dokumente anzusehen. Somit können Homepageinteressierte je nach Bedarf auf mehr Informationen zugreifen. Der Schwerpunkt der Website liegt auf einer Oppositionsgeschichte, die nur in Zusammenhang mit der Repressionsgeschichte erzählt werden kann und dadurch ihre Bedeutung erhält. Weder der Alltag einer großen Mehrheit der in der DDR Lebenden noch die Herrschaftsgeschichte werden berücksichtigt. Letztere wird lediglich im Zusammenhang mit der Entwicklung von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion ab 1985 dargestellt.65 Die Fokussierung auf die Geschichte der Opposition lässt sich in den drei thematischen Kategorien sehr gut erkennen. Beispielsweise werden unter dem Titel »Aufbruch« Themen wie die »Friedens- und Umweltbewegung« oder »Verhaftung 65 Vgl. Krise im Ostblock, in: Friedliche Revolution 1989/90, online abrufbar unter: http:// revolution89.de/?PID=static,Revolution,00080-Das-System-broeckelt,Index_de, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Abb. 5   Das Unterkapitel »Die Bürger formieren sich« informiert durch Text, Bilder und Dokumente über verschiedene oppositionelle Gruppen

und Ausweisung« erklärt und ihre Bedeutung für die Friedliche Revolution dargelegt. In der Kategorie »Revolution« wird der konkrete Verlauf der Friedlichen Revolution zum Hauptthema gemacht und Kapitel wie »Die Bürger formieren sich« (Abb. 5) oder »Das System bröckelt« verweisen schließlich auf den Weg zum Ende der DDR. In der letzten thematischen Kategorie »Einheit« wird der Prozess der deutschen Wiedervereinigung dargestellt. Dort werden den Nutzenden in Unterkategorien von »Keine Experimente« bis hin zu »Die Vollendung der Einheit« das Ende der DDR und die Angliederung an die Bundesrepublik erklärt. Insgesamt wird somit ein chronologischer und thematischer Überblick über den Ablauf der Friedlichen Revolution angeboten, der die Opposition in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Jedes Unterkapitel beginnt mit einem kurzen Einführungstext, welcher durch ein Bild – dies kann eine Fotografie oder auch ein Dokument sein – untermauert wird. Das Bild selbst wird nicht weiter thematisiert, sondern dient allein der Illustration. Jedoch erhalten sowohl Fotografien als auch Dokumente in den Unterkategorien einen höheren Stellenwert und rücken durch die mittige Platzierung auf der Website in den Fokus. Da an diesen Stellen nur sehr wenig Text zu finden ist, transportiert das Bild die Information an die Nutzenden. Demnach dienen die Dokumente und Fotografien zum einen als Illustration und zum anderen als Übermittler von Informationen. Die eingebundenen Fotografien zeigen zumeist Personen oder Gruppen, die sich in der Opposition engagierten. Und auch die Dokumente stellen Briefstücke, Plakate, Postkarten oder ähnliches dar, die im direkten Zusammenhang mit oppositionellem Handeln standen. Die Bilder unterstützen damit die Aussagen aus

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den Texten, die sich ebenfalls vor allem mit der Opposition beschäftigen: Menschen, die sich dem System widersetzten; ihre Aktionen werden somit auch auf der visuellen Ebene in den Fokus der Erzählung gerückt und tragen zum transportierten Geschichtsbild bei. Die Kategorie »Gesichter« beschäftigt sich ausschließlich mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und ihren Geschichten. Die Personen werden zunächst mit einem oder mehreren Fotos vorgestellt. Anschließend wird ihre Kurzbiografie in Hinblick auf die Friedliche Revolution beschrieben. Besonders hervorgehoben werden ihr Engagement in der Opposition und die Aktivitäten in der Bürgerrechtsbewegung. Zugleich wird die positive Bewertung ihrer Taten mitgeliefert. So heißt es im Einführungstext: Sie alle haben sich statt für das Leichte für das Richtige entschieden. Eine Entscheidung, die immer unendlich schwerer zu treffen ist als die zwischen Richtig und Falsch. Diese Menschen, die das geprägt haben, was heute »Bürgerrechtsbewegung«, »Opposition« oder »Widerstand« heißt und damals verschämtere Bezeichnungen trug, haben den Weg für unsere Freiheit bereitet.66

Damit einher geht eine implizite Kritik an all denen, die sich nicht so entschieden und damit eben nicht »das Richtige« getan haben. Die Biografien wurden jeweils von Historikerinnen und Historikern verfasst, die auch namentlich aufgeführt werden. Somit findet sich hier eine eindeutige Zuordnung der Texte. Bei allen anderen Texten auf der Website wird hingegen keine Autorenschaft angegeben. Dennoch erhöht die Namensnennung an dieser Stelle – ähnlich wie bei den Quellenangaben der eingebundenen Fotos und Dokumente – den professionellen Eindruck der Website. Dem Prinzip einer linearen Erzählung folgend, beginnt die Website mit dem Ende der DDR und dem Sieg der Oppositionellen über das System. So ist bereits auf der Startseite die Fotografie einer Demonstration zu sehen. Auf Transparenten stechen Schlagwörter wie »Neues Forum«, »Schluss mit der Diktatur« und »Pressefreiheit« ins Auge.67 (siehe Abb. 4) Die Blickrichtung der nachfolgenden Texte, Bilder und Filme ist dadurch vorgegeben: Es geht um die Geschichte der Opposition, die aktiv gegen das System kämpfte und für ihre Rechte auf die Straße ging. Zudem machen die dargestellten Themen deutlich, dass dem persönlichen Engagement der Bürgerinnen und Bürger der DDR und ihrem Willen nach Freiheit die staatliche Unterdrückung, Repressionen und 66 Claudia Rusch: Gesichter, in: Ebd., online abrufbar unter: http://revolution89. de/?PID=static,Zeitzeugen,00005-Gesichter,Index_de, letzter Zugriff: 02.02.2015. 67 Vgl. Startseite, in: Ebd., online abrufbar unter: http://revolution89.de/?PID=static,Index_ de, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Verhaftungen entgegenstanden. Die Website vermittelt nahezu den Eindruck, dass dies die Geschichte der DDR seit ihrer Gründung prägte. Die Ursprünge und die Entwicklung der Oppositionsbewegung vor den 1980er Jahren werden dabei kaum thematisiert. Das Thema wird somit relativ eindeutig und vereinfacht präsentiert. Diese Vereinfachung findet sich auch in der Sprache der Website wieder, die oft verallgemeinerte Schlüsse zieht. So wird beispielsweise von »immer mehr Menschen« oder auch den »meisten Jugendlichen« geschrieben, die sich »trotz staatlichem Verbot« engagierten.68 Es wird nicht deutlich, aus welchen Personen sich die Gruppen zusammensetzten, wie viele Menschen aus der DDR sich in der Opposition engagierten und wie sich diese Beteiligung über die vier Jahrzehnte der DDR veränderte. Die Tatsache, dass es sich um eine Minderheit handelte und dass ein großer Teil der Bevölkerung angepasst in dem System lebte, wird nicht zur Sprache gebracht. Die Geschichte der Opposition steht somit im Mittelpunkt dieses Geschichtsbildes vom Ende der DDR, und die angepasste Lebensweise eines großen Teils der Bevölkerung wird nicht thematisiert. An dieser Stelle wäre eine multiperspektivische Darstellung wünschenswert, um ein heterogeneres Bild der DDR zu ermöglichen. Lediglich innerhalb der Rubrik »Gegenbewegungen« werden unterschiedliche Lebenswelten – wie die Jugendbewegung oder die Friedens- und Umweltbewegung – dargestellt.69 Aber auch hier stehen oppositionelle Jugendliche im Fokus. Insgesamt werden keine positiven oder angepassten beziehungsweise neutralen Meinungen zur DDR zitiert, und damit entfällt die Täterperspektive, vor allem aber die Realität der Mehrheitsgesellschaft. Mit der Betonung des Diktaturcharakters der DDR entspricht die Website dem Bundesgedenkstättenkonzept. Jedoch geht sie noch einen Schritt weiter, denn sie stellt nicht nur dar, dass die DDR zensierte, unterdrückte, verhaftete und den Menschen die Freiheit raubte. Sie hebt zudem die Rolle der unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger und der Opposition deutlich hervor und macht sie fast allein für das Ende der DDR verantwortlich. Was fehlt, sind die Hintergründe, warum es 1989 zur Friedlichen Revolution kam, was bis dahin in der DDR und international geschah und was außerhalb der Opposition passierte. Die Website zeichnet dadurch ein relativ grobes Bild einer menschenverachtenden DDR auf der einen und mutiger Bürgerinnen und Bürger 68 Dieses Land ist es nicht – Jugendsubkulturen, in: Ebd., online abrufbar unter: http:// revolution89.de/?PID=static,Aufbruch,00030-Jugendkulturen,Index_de, letzter Zugriff: 02.02.2015. 69 Vgl. ebd. sowie Subkultur, in: Ebd., online abrufbar unter: http://revolution89. de/?PID=static,Aufbruch,00040-Subkultur,Index_de, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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auf der anderen Seite. Wenngleich dieses Bild weit entfernt von jeglicher Os­talgie ist, trägt es nicht gerade zur kritischen Aufarbeitung aller Aspekte der DDR bei.

2.4 Privates Engagement »Gegen Vergessen und Verdrängen«: www.mauerfall-berlin.de Die privat betriebene Website www.mauerfall-berlin.de ist unter mehreren Internetadressen abrufbar, die immer auf die gleiche Homepage verweisen: www.mauerbau-berlin.de, www.mauerfall-berlin.de als auch www.ddr-erinnerung.de und www.ddr-aufarbeitung.de.70 Diese Website wurde von Hinrich Kley-Olsen, einem Bildungsreferenten aus Moers, zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls erstellt. Er beschreibt sich selbst als Zeitzeugen der Berliner Mauer und Aktivisten der westdeutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre. Als solcher habe er sich nach eigenen Angaben niemals an die Teilung Deutschlands gewöhnen können.71 Darüber hinaus sei er selbst im März 1985 als westdeutscher Demonstrant auf dem Alexanderplatz in Ostberlin mit dem System der DDR in Konflikt geraten.72 An diese eigenen Unrechtserfahrungen schließt sein Anspruch an, »Informationen zur Verfügung zu stellen für eine Aus­ einandersetzung aus verschiedenen Blickwinkeln.«73 Die »verschiedenen Blickwinkel« spiegeln sich auf der Website in einer sehr umfangreichen und fast täglich aktualisierten Linksammlung zu Internetseiten, (Zeitungs-)Artikeln und Texten sowie Fotos, Videos und Audios wider. Dabei handelt es sich zum größten Teil um aktuelle Beiträge und nur in Ausnahmefällen um historisches Quellenmaterial. Die Auswahlkriterien sind nicht deutlich zu erkennen. Bei den Zeitungsartikeln lässt sich jedoch politisch eine Häufung sozialdemokratischer bis liberaler Beiträge feststellen. So sind unter anderem Links zu Artikeln des SPD-Parteiorgans Vorwärts, zu 70 Nach eigenen Angaben Hinrich Kley-Olsens besuchen im Monat durchschnittlich drei- bis fünftausend Personen sein Webangebot (Juni 2014: 5.486; Juli 2014: 3.432; August 2014: 3.346; September 2014: 5.213). Rund um den 25. Jahrestag des Mauerfalls konnte zudem ein deutlicher Besucherzuwachs verzeichnet werden (Oktober 2014: 9.667; November 2014: 23.124). 71 Vgl. Hinrich Kley-Olsen: Kontakt, in: Gegen Vergessen und Verdrängen der SEDDiktatur in der DDR 1949–1989, online abrufbar unter: http://www.mauerfall-berlin. de/kontakt, letzter Zugriff: 02.02.2015. 72 Vgl. Gerold Hildebrand: Just for Peace. Blockübergreifende Solidarität, in: Horch und Guck, Jg. 4 (1995), H. 4, S. 30–35, hier S. 31–33. 73 Kley-Olsen: Kontakt, a. a. O.

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Abb. 6   Startseite www.mauerfall-berlin.de

dem in Sachsen beziehungsweise Sachsen-Anhalt verbreiteten Tageszeitungen Freie Presse und Volksstimme und zu überregional gelesenen Zeitschriften und Zeitungen wie Der Spiegel, Stern, Die Zeit und Süddeutsche Zeitung zu finden.74 Strukturiert werden die Links durch eine thematische Zuordnung in acht übergeordnete Kategorien, die jeweils kurze Einleitungstexte und mehrere Unterkapitel enthalten. Diese Texte bestehen teilweise – von Kley-Olsen auch vermerkt – aus Zitaten anderer Websites, beispielsweise Wikipedia.75 Auf der Startseite (Abb. 6) wird auf aktuelle Termine hingewiesen. Zudem findet sich dort auch der Link zur »Kontakt«-Rubrik, die neben den dort üblichen Kontaktdaten die Biografie Kley-Olsens präsentiert. Die Website kann zusammengefasst als eine Art digitale Bibliothek verstanden werden, die verschiedene Webformate zum Thema DDR sammelt und diese für die Nutzenden mit einer sehr kurzen Inhaltsbeschreibung bereitstellt. Das Layout der Website ist schlicht und übersichtlich, es folgt einer klaren Struktur und erleichtert somit den Nutzenden die Navigation. Jeweils ein Foto unterschiedlicher Provenienz ist den thematischen Oberbegriffen zugeordnet und lockert das Layout der Seite auf. Die einleitenden Texte hierzu sind sehr kurz und übersichtlich, es wird an keiner Stelle eine Textwüste prä74 Vgl. Ders.: Artikel zur Friedlichen Revolution, in: Ebd., online abrufbar unter: http:// www.mauerfall-berlin.de/friedliche-revolution/artikel/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 75 Vgl. Kley-Olsen: Zur Geheimpolizei Staatssicherheit (Stasi), in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.mauerfall-berlin.de/ddr/geheimpolizei-stasi/, letzter Zugriff: 02.02.2015; Ministerium für Staatssicherheit, in: Wikipedia, online abrufbar unter: http:// de.wikipedia.org/wiki/Ministerium_f%C3%BCr_Staatssicherheit, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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sentiert. Die Website arbeitet ausschließlich mit Text, Fotos und Links. Videos und Audios sind nicht direkt eingebunden, aber es findet sich eine Vielzahl von Verlinkungen zu entsprechenden Beiträgen. Bei der Auswahl eines Links öffnet sich ein neuer Browser-Tab und sorgt für eine gute Überprüfbarkeit der Quellen. Allerdings kann dies auch zu einer gewissen Unübersichtlichkeit führen, wenn mehrere Fenster gleichzeitig geöffnet werden. Die Inhalte der Site können nicht in sozialen Medien wie Facebook, Google+ oder Twitter geteilt werden. Auch eine Interaktion mit anderen Websitenutzenden ist nicht vorgesehen. Dafür kann Kley-Olsen via Gästebuch oder E-Mail kontaktiert werden. Es gibt zudem die Möglichkeit, Websites, Artikel, Fotos, Audios oder Videos zur Aufnahme vorzuschlagen, die von Kley-Olsen dann überprüft und gegebenenfalls der Sammlung hinzugefügt werden. Die Homepage gliedert sich in sieben übergeordnete Rubriken: »DDR«, »Berliner Mauer & DDR-Grenze«, »Friedliche Revolution«, »Fall der Berliner Mauer«, »Wiedervereinigung«, »Deutsche Einheit« und »Aufarbeitung der SED-Diktatur«. Darüber hinaus gibt es einen eigenen Gliederungspunkt zu »Medien für die Bildungsarbeit«.76 Die Rubriken folgen einem ähnlichen Aufbau. Wählen Websitenutzende eines der Themen aus, wird im Mittelteil ein Foto mit einem kurzen Einleitungstext präsentiert, während sich an der linken Seite ein Strukturbaum öffnet. Dieser unterteilt die ausgewählte Rubrik nach Medienarten – Internet­seiten, Artikel und Texte, Fotos, Videos, Audios – und thematischen Unterpunkten. Teilweise ist dies etwas unübersichtlich, da beispielsweise die Rubrik »DDR« in 15 Unterkategorien aufgegliedert wird, die jeweils über bis zu elf eigene untergeordnete Kategorien verfügen.77 Jede Rubrik umfasst dabei unterschiedlich viele zusätzliche Ebenen. So ist die eben als Beispiel präsentierte Rubrik »DDR« sehr umfangreich, während die Rubrik »Friedliche Revolution« sich mit ihren sieben Unterkategorien, die sich nicht weiter verzweigen, leichter überschauen lässt.78 Leider sind die Rubriken untereinander nicht verlinkt. Somit werden keine Zusammenhänge hergestellt, sondern jede Rubrik und jeder Bereich stehen für sich allein. Zudem verfügt die Website nicht über eine Suchfunktion. So kann es teilweise etwas dauern, wenn Nutzende sich zu einem konkreten Thema informieren möchten, bis sie dieses im weitverzweigten Strukturbaum gefunden haben. 76 Vgl. Startseite, in: Gegen Vergessen, online abrufbar unter: http://www.mauerfallberlin.de/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 77 Vgl. Kley-Olsen: Zur Geheimpolizei Staatssicherheit (Stasi), a. a. O. 78 Vgl. Ders.: Friedliche Revolution, in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.mauerfall-berlin.de/friedliche-revolution/, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Auf der inhaltlichen Ebene ist die von Kley-Olsen vorgenommene Gliederung nicht immer verständlich. Unklar erscheint beispielsweise, warum beim Thema »DDR« die untergeordnete Kategorie »Opposition in der DDR« nur über eine einzige Unterkategorie, nämlich »Bausoldaten«, verfügt.79 Oppositionelle Einflüsse durch die Kirche werden dagegen in der Kategorie »Friedliche Revolution« aufgegriffen, während andere oppositionelle Strömungen wie beispielsweise jugendliche Subkulturen keine eigene Über- oder Unterkategorie erhalten. Allgemein wird die Oppositionsgeschichte jedoch im Zusammenhang mit der Friedlichen Revolution sehr ausführlich erzählt. Dies spiegelt sich in gleich drei Oberkategorien – »Fall der Berliner Mauer«, »Wiedervereinigung« und »Deutsche Einheit« – wider, die einen thematischen Schwerpunkt setzen. Die Geschichte der Friedlichen Revolution erscheint auf einer Website, die sich laut ihren URLs sowohl dem Mauerbau als auch dem Mauerfall und der Erinnerung daran widmet, überrepräsentiert. Dies wird besonders im Vergleich mit der sehr allgemein gehaltenen Rubrik »DDR« deutlich, welche thematisch ein breites Spektrum abzudecken hat und doch hauptsächlich auf die Herrschafts- und Repressionsgeschichte der DDR verweist.80 Informationen zur Alltagsgeschichte der DDR spielen keine Rolle.81 Diese thematische Fokussierung spiegelt sich bereits einleitend in dem von Kley-Olsen formulierten Anspruch, in erster Linie die Erinnerungen an die Diktatur in der DDR aufrechtzuerhalten. So ist der Website ein Motto vo­rangestellt, welches stets im Header für Besuchende präsent bleibt: »Gegen Vergessen und Verdrängen der SED-Diktatur in der DDR 1949-1989«82. Das für die Startseite ausgewählte und für den ersten Eindruck entscheidende Foto zeigt zudem Gedenkkreuze und -kränze vor der Berliner Mauer und betont damit den repressiven Charakter der DDR.83 79 Vgl. Ders.: Opposition in der DDR, in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.mauerfall-berlin.de/ddr/opposition-in-der-ddr/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 80 Die Kategorie »DDR« gliedert sich neben den Medienarten in die inhaltlichen Unterkategorien »Zur Einheitspartei SED«, »Geheimpolizei ›Stasi‹«, »Fluchten aus der DDR«, »Ausreise aus der DDR«, »Opposition in der DDR«, »Volksaufstand 17. Juni 1953«, »Politische Haft«, »Gefangenen-Freikauf«, »Zwangsadoption« und »Zwangsarbeit«. Vgl. Kley-Olsen: DDR, in: Ebd., online abrufbar unter: http://www.mauerfall-berlin. de/ddr/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 81 Ob sich einige der Links der Alltagsgeschichte oder positiven Erinnerungen an die DDR widmen, kann von den Autorinnen und Autoren aufgrund der zahlreichen Verlinkungen nicht endgültig geprüft werden. 82 Das Motto ist fest ins Layout integriert und bleibt stets in der oberen linken Ecke. Siehe hierzu exemplarisch: Startseite, in: Gegen Vergessen, a. a. O. 83 Vgl. ebd.

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Abb. 7   »Berliner Mauer & DDRGrenze« > »Bau der Berliner Mauer« > »Artikel«

Obgleich die Homepage weitestgehend auf selbstgeschriebene Texte verzichtet, lässt sich in der Selbstbeschreibung, der Voranstellung eines Mottos, der Auswahl der Fotos und der Bildung eigener Kategorien das Narrativ der Website erkennen. Danach liegt der Fokus auf der (negativen) Repressions- und der (positiven) Oppositionsgeschichte. Dabei werden der Zusammenbruch der DDR und die Wiedervereinigung als geradlinige Erfolgsgeschichte präsentiert. Trotz der unzähligen weiterführenden Links, die auf einen multipers­ pektivischen Ansatz hinweisen und an sich eine enorme Vielfalt repräsentieren, wird durch die Auswahl der Links und die Festlegung der Rubriken doch wieder ein eher eindimensionales Bild der DDR gezeichnet. Die von KleyOlsen archivierte Link-Vielfalt wird letztendlich nicht sichtbar, da er diese relativ wenigen, selbstbenannten Kategorien unterordnet. Somit sind viele Links nur schwer auffindbar. Als Beispiel ist das Zeitzeugin-Interview mit Catharina Mäge, welches 2012 in der tageszeitung (taz) erschien, zu nennen. Catharina Mäge schildert in diesem Interview ihr Leben in der DDR, einen gescheiterten Fluchtversuch und ihre anschließende Zeit im Gefängnis Burg Hoheneck.84 Kley-Olsen ordnet dieses in die Rubrik »Berliner Mauer & DDRGrenze« > »Bau der Berliner Mauer« > »Artikel« ein (Abb. 7). Jedoch spielen auch Themen wie das Frauengefängnis und der Alltag in der Haftanstalt eine wichtige Rolle in dem Interview, die von Kley-Olsen als Kategorien jedoch nicht vorgesehen sind. Die Website folgt somit, trotz der Vielfalt der Angebote, einer eindeutigen Narration, in der es darum geht, die repressive Seite der SED-Diktatur in Erinnerung zu rufen und diese mit den positiven Errungen84 Vgl. Jasmin Kalarickal: »Das Gefühl, dass man mir glaubt, ist mir wichtig« [Interview mit Catharina Mäge zum Mauerbau], in: die tageszeitung vom 10. August 2012, online abrufbar unter: http://www.taz.de/Interview-Mauerbau/!99386/, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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schaften der Friedlichen Revolution und der gewinnbringenden Wiedervereinigung zu einer Erfolgsgeschichte zu verknüpfen.

3. Exkurs: DDR-Bilder in Foren, sozialen Netzwerken und Enzyklopädien Neben den Websites, die dezidiert der Vermittlung von DDR-Geschichte dienen, wird im Folgenden anhand von Beispielen die DDR-Darstellung in Foren und sozialen Netzwerken untersucht, die als öffentliche Plattformen ebenfalls zur Prägung eines Geschichtsbildes beitragen können, auch wenn ihr Ziel nicht in erster Linie dessen Vermittlung ist. Bei der Stichwortsuche nach »Forum« und »DDR« präsentieren Suchmaschinen unter den ersten Treffern beispielsweise Foren von ehemaligen Grenzund NVA-Soldaten sowie Technik- und Maschinenbewunderern, die sich über ihre Erfahrungen und heutige Sammelleidenschaft austauschen. Des Weiteren gibt es einige ostalgische Foren, die Websitebetreibende und -nutzende zum Austausch von Erinnerungen an das alltägliche Leben in der DDR und zum Smalltalk nutzen.85 Foren, die sich ausschließlich mit dem Ende der DDR, dem Mauerfall oder der Friedlichen Revolution beschäftigen, ließen sich nicht finden. Die Gestaltung der überwiegend privat betriebenen Foren ist unübersichtlich sowie textlastig und wirkt veraltet. Ein typisches Beispiel stellt das Forum Deutsche Einheit (www.neues-forum. info) dar, das trotz des Titels weniger das Ende der DDR als das Leben in ihr thematisiert. Die 290 Mitglieder betrachten sich als »eine freie Community, die allen Menschen eine Chance zum Lernen, zum Austausch ihrer Erfahrungen, Erlebnisse und Meinungen bietet.«86 Unter den elf Threads zu alltäglichen und politischen Themen beziehen sich zwei explizit auf das Ende der DDR: »Die Wende« und »Zusammenwachsen«. Diese weisen zwar wesentlich weniger Beteiligung auf als andere Themen, sind aber mit 2.865 beziehungsweise 3.369 Beiträgen relativ lebendige Diskussionsplattformen.87 Inhaltlich setzen sich zum Beispiel in dem Unterthema »Wessis erkunden die DDR« Nutzende 85 Beispiele hierfür wären: www.ddr-forum.com; http://f8682.nexusboard.de (Grenzerforum); www.forum-ddr-grenze.de; www.nva-forum.de; www.bunkernetzwerk.de sowie www.dasddrforum.phpbb6.de. 86 Startseite, in: Forum Deutsche Einheit, online abrufbar unter: http://neues-forum.info/, letzter Zugriff: 02.02.2015. 87 Foren-Übersicht, in: Ebd., online abrufbar unter: http://neues-forum.info/forum/index. php, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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mit west- und ostdeutschem Hintergrund sehr emotional mit der jeweiligen Deutungshoheit der Geschichte der DDR auseinander. Dabei nutzt jede Gruppe vor allem Klischee-Vorstellungen über die anderen für ihre Argumentation. Etwas verkürzt zusammengefasst präsentieren die sich selbst als »Ossis« bezeichnenden Beitragenden einen positiven und die »Wessis« einen eher negativen Blick auf die DDR. Es wird somit ein schematisches Bild gezeichnet, das von Klischees beherrscht ist. Eine Analyse der in den sozialen Netzwerken Facebook und Twitter produzierten Geschichtsbilder führte zu analogen Ergebnissen. Sie bieten sich dennoch als Untersuchungsgegenstand an, da sie einen großen Zulauf haben und vor allem individuelle Geschichtserzählungen und Perspektiven auf diese spiegeln.88 Tabelle 1 zeigt beliebte Facebook-Seiten zum Thema DDR und das ständige Anwachsen der Likes innerhalb von sechs Monaten. Inhaltlich geht es in den Facebook-Seiten um Speisen, die in der DDR gekocht wurden, Jugendfotos oder aktuelle Veranstaltungshinweise. Die Seiten haben einen ostalgischen Charakter, die ausgetauschten Erfahrungen sind positiv, und politische Themen werden selten verhandelt. Die Nutzenden sind, wie in den Foren, ehemalige Bürgerinnen und Bürger der DDR. Seiten, die sich ausschließlich dem Ende der DDR widmen, waren nicht zu finden. Tab. 1   Auswahl an Facebook-Seiten zur DDR

Name der FacebookSeite

Likes am 27.08.2014

Likes am 24.09.2014

Likes am 07.10.2014

Likes am 18.01.2015

DDR Kinder

275.633

276.652

277.057

282.510

DDR Spielzeug

91.261

95.136

97.611

105.628

DDR Rezepte

68.861

81.760

87.450

104.073

DDR Ferienlager

27.698

31.714

k. A.

35.652

DDR Museum

19.816

22.593

23.735

26.210

DDR Seite

2.369

2.385

2.516

2.649

Forum DDR Grenze 1.008

1.028

1.027

1.348

Deutsche Demo­ kratische Republik

474

589

1.056

458

88 Vgl. dazu Alexander König: Geschichtsvermittlung in virtuellen Räumen. Eine kleine Geschichte technologischer Möglichkeiten und eine Prognose zur Zukunft Historischen Lernens (= Dossier Kulturelle Bildung der Bundeszentrale für politische Bildung), 11. September 2012, online abrufbar unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/ kulturelle-bildung/143889/geschichtsvermittlung-in-virtuellen-raeumen?p=all, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Beispielsweise tauschten sich die Nutzenden auf der Seite »DDR Kinder«89, die von den untersuchten Facebook-Seiten die höchste Anzahl an Likes hat, vor allem über Kinderspielzeug oder Essen aus.90 Die höchste Like- und Kommentar-Anzahl aller geposteten Beiträge erhielt einer über DDR-Semmeln (5.271 Likes und 414 Kommentare, Stand vom 18. Januar 2015). Auf dieser Seite werden letztendlich ausschließlich Alltagsthemen behandelt, was eher typisch für Facebook ist. Trotzdem gibt es aber auch Seiten wie »Deutsche Demokratische Republik«91, die allerdings relativ wenige Beitragende hat. Diese äußern sich allgemein zur DDR, die sie gern »zurückwollen«. Die meisten Kommentare bekommt ein Beitrag zum DDR-Politiker Günter Schabowski, der als »Verräter« bezeichnet wird. Im Gegensatz zu den Facebook-Seiten, bei denen die Initiative eher von Privatnutzenden ausgeht, ist es bei Twitter, wenn dort überhaupt historische Themen behandelt werden, vor allem die Historikerzunft, die entsprechendes anbietet.92 Ein Beispiel zum Ende der DDR ist das Kooperationsprojekt ­@­Mauerfall89.93 Dieses Projekt twitterte vom 19. August bis zum 12. November 2014 die Ereignisse von »Heute vor 25 Jahren« rund um die Berliner Mauer 89 DDR Kinder, in: Facebook, online abrufbar unter: https://www.facebook.com/pages/ DDR-Kinder/186558768070116?fref=ts, letzter Zugriff: 02.02.2015. 90 Diese Einordnung in Kategorien wurde von den Autorinnen und Autoren vorgenommen und nicht von der Facebook-Gruppe selbst. 91 Deutsche Demokratische Republik, in: Facebook, online abrufbar unter: https://www. facebook.com/DDRepublik/timeline, letzter Zugriff: 02.02.2015. 92 Neben den sogenannten »Twitterstorians«, also Historikerinnen und Historikern, die sich in Tweets über historische Themenkomplexe bzw. neue Forschungen oder Veranstaltungen austauschen, gibt es auch Twitter-Projekte, die sich über einen bestimmten Zeitraum explizit mit der Geschichte eines Ereignisses beschäftigen. Bekannt war vor allem das Twitter-Projekt @9Nov38, das 2013 unter dem Motto »Heute vor 75 Jahren« die Ereignisse der Reichspogromnacht in einer Art Nachrichtenticker nacherzählte. Das Projekt wurde im Januar 2015 in @digitalpast umbenannt, die einstigen Tweets wurden dabei gelöscht und stehen nicht mehr zur Verfügung. Das derzeitige Projekt »Heute vor 70 Jahren« behandelt im gleichen Erzählstil die letzten Monate des Zweiten Weltkrieges in Tweets. Vgl. @digitalpast, in: Twitter, online abrufbar unter: https://twitter.com/digitalpast, letzter Zugriff: 02.02.2015. – Im Themenjahr »100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkriegs« twitterte der Account @1914Tweets in über 5.600 Tweets Geschehnisse, aber auch Bilder, Schriftquellen, persönliche Eindrücke etwa von Soldaten, aber auch Wetterberichte aus den Kriegsgebieten des Jahres 1914. Vgl. @1914Tweets, in: Twitter, online abrufbar unter: https://twitter.com/1914Tweets, letzter Zugriff: 02.02.2015. 93 Die Idee und Umsetzung des Projekts entstanden aus einer Kooperation zwischen Bild-Zeitung, der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen (BStU) und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF).

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in Echtzeit und hatte bis zu 14.400 Follower.94 In dieser Darstellung des Endes der DDR wird einerseits die Perspektive der DDR-Regierung und andererseits die der Opposition präsentiert. Der Mauerfall lässt die Regierung machtlos und dem Willen des Volkes nicht gewachsen erscheinen. Beispielsweise wurde am 12. November 2014 getwittert, dass vor 25 Jahren DDR-Bürgerinnen und -Bürger die Öffnung der innerdeutschen Grenze etwa in Nordhausen und Elend/Wernigerode erzwungen hätten. Den Höhepunkt des Projekts stellte der 9. Novem- Abb. 8   Tweet 9. November 2014, 09:55 Uhr ber dar, an dem das öffentliche Interesse um ein Vielfaches stieg. Der Tweet, der die entscheidende Rückfrage zu Günter Schabowskis Erklärung zur neuen Ausreiseregelung nacherzählt, wurde mit über 350 Retweets exponentiell stärker beachtet als vorherige Tweets, die meist nicht mehr als zwanzig Mal retweetet wurden (Abb. 8). Nach dem Mauerfall wird die Situation in Berlin vor allem wie ein großes Fest beschrieben und mit Fotografien von feiernden Menschen untermalt. Menschenmassen aus der DDR reisten in den ersten Tagen nach Westberlin beziehungsweise in die Bundesrepublik und wurden dort freudig empfangen, so das entsprechende Bild. Die Hashtags #DDR, #Mauer oder #Mauerfall wurden bis zum 25. Jubiläum des Mauerfalls auf Twitter nur selten genutzt – wenn überhaupt, dann tendenziell von Touristinnen und Touristen, die beispielsweise Fotos von der East Side Gallery oder von Berliner Gedenkorten aus twittern, dies aber eher mit urlaubsbezogenen weiteren Hashtags als mit historischen Informationen verbinden. Im Zuge der Feierlichkeiten am 9. November 2014 waren Tweets mit Hashtags zum Thema geteiltes Berlin und Mauer deutlich beliebter.95

94 @Mauerfall89, in: Twitter, online abrufbar unter: https://twitter.com/mauerfall89, letzter Zugriff: 02.02.2015. 95 Vgl. etwa das Projekt »Lichtgrenze« der Stiftung Berliner Mauer mit den Hashtags #lichtgrenze und #fallofthewall sowie #fotw. Eine Sammlung von entsprechenden Tweets aus aller Welt wurde auf der Website des Projekts zusammengefasst. Vgl. Ihre Geschichte macht Sie zum virtuellen Ballonpaten, in: 25 Jahre Mauerfall, online abrufbar unter: https://fallofthewall25.com/weltweit, letzter Zugriff: 02.02.2015.

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Die Bedeutung von Twitter für die Erinnerungskultur ist in Bezug auf die Geschichte der deutschen Teilung und der DDR marginal beziehungsweise stark von Jahrestagen und medienpräsenten Gedenkveranstaltungen abhängig. Auch wenn vereinzelte Projekt-Accounts mit zeitlich begrenzten Aktivitäten rasch an Bedeutung gewinnen, scheint dieses Medium noch nicht in der deutschen Erinnerungskultur angekommen zu sein. Zusammenfassend zeigt sich, dass in Foren und auf Seiten von Facebook überwiegend persönliche Erinnerungen ausgetauscht werden und diese ein zumeist positives, ostalgisches und alltagsgeschichtliches Bild der DDR zeichnen. Nur in Ausnahmefällen werden von Personen, die sich selbst als ehemalige Bürgerinnen und Bürger der DDR bezeichnen, negative Kommentare wie beispielsweise zur Maueröffnung gepostet. Eigene negative Erfahrungen in der DDR, etwa persönliche Konflikte mit dem Regime, werden in den hier betrachteten Facebook-Seiten nicht thematisiert. Auf Twitter kommt es allenfalls im Zuge von Gedenkveranstaltungen und Jahrestagen unter eigens kreierten Hashtags zu einer Thematisierung historischer Ereignisse. Abschließend seien noch kurz die DDR-Artikel der Online-Enzyklopädien Lebendiges Museum Online (LeMO)96 sowie die entsprechenden Texte auf Wikipedia erwähnt. Beide Plattformen werden sehr häufig bei der Suche nach Informationen über die DDR aufgesucht. Auf eine eigene Analyse dieser Seiten muss hier jedoch verzichtet werden, da dies den Rahmen des Beitrages sprengen würde. Ein erster Blick zeigt jedoch, dass LeMO zwar die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert insgesamt darstellen will, für die Zeit nach 1945 jedoch die Bundesrepublik fokussiert und die DDR nur am Rande thematisiert. Sie erscheint kaum als eigenständiges Gebilde. Wesentlich umfassender, dafür allerdings auch kleinteiliger, wird die DDR auf Wikipedia behandelt. In beiden Fällen wird sie als Diktatur im Sinne des staatlichen Gedenkstättenkonzepts präsentiert.

4. Fazit Dieser Beitrag hat versucht, erste Antworten auf die Frage nach dem Bild der DDR im Internet zu geben. Dazu wurden insgesamt vier Websites und als Ergänzung ausgewählte soziale Netzwerke sowie Foren auf ihre Erzählstruktur und das sich daraus ergebende Bild der DDR untersucht. Obgleich von einem linearen Sender-Empfänger-Modell Abstand genommen und vielmehr von dem 96 Das Lebendige Museum Online ist das Geschichtsportal des Deutschen Historischen Museums und des Hauses der Geschichte in Bonn. Siehe hierzu die offizielle Homepage: https://www.dhm.de/lemo.

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Cultural-Studies-Ansatz Stuart Halls ausgegangen wurde, konnten die »bevorzugten Lesarten« der ausgewählten Websites herausgearbeitet werden. Das Bild der DDR auf diesen ist das einer Diktatur, die weder politisch noch wirtschaftlich auf Dauer funktionsfähig war. Überwachung und Verfolgung auf der einen, Unzufriedenheit und Widerstand auf der anderen Seite sind die vorherrschenden Themen. Dies entspricht zumindest in den großen Linien dem Stand der Forschung – was bei den überwiegend öffentlich geförderten Websites auch nicht verwunderlich ist. Darüber hinaus wird die DDR teilweise als eine Art kurioses Projekt dargestellt, von dessen Endlichkeit auch ein großer Teil der Bevölkerung überzeugt gewesen sei. Besonders deutlich wird dies auf der RBB-Site Die Berliner Mauer. Geschichte in Bildern (www. berlin-mauer.de). Im Gegensatz zu den anderen untersuchten Websites tritt hier die Herrschafts- und Repressionsgeschichte zugunsten der Thematisierung des vermeintlich alltäglichen Umgangs mit der deutschen Teilung in den Hintergrund. Die Alltagsgeschichte jedoch wird wenig kritisch hinterfragt, sondern vor allem belustigend dargestellt. Dies fällt besonders in Bezug auf die innerdeutsche Grenze auf. Es ist anzunehmen, dass der oft unreflektierte und verharmlosende Umgang mit den repressiven Aspekten der Mauer im Unterhaltungsanspruch der Website begründet ist.97 Des Weiteren war es überraschend festzustellen, dass der Rolle der DDROpposition und der unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger sehr viel Gewicht beigemessen und dementsprechend großer Raum in der Darstellung zur Verfügung gestellt wird. Dadurch erscheint die DDR teilweise als ein von allen ungeliebtes Land, in dem fast jeder sich in der Opposition engagierte und alle gemeinsam letztendlich den fragilen Staat stürzten. Warum dies erst und gerade 1989 geschah, wird nur ansatzweise mit Hinweisen auf die internationale Politik und die wirtschaftliche Situation des Landes thematisiert, allerdings nicht ausführlich und verständlich aufgezeigt. Zudem bleibt das Leben eines großen Teils der angepassten Menschen in der DDR unerzählt. Neben dem immer wieder deutlich werdenden Lob und Stolz auf die Friedliche Revolution wird auf den Websites auf diese Weise eine Art Oppositionsromantik deutlich, die vor allem die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger aus der DDR an oppositionellen Handlungen insgesamt überbewertet. Die Tendenz, der Opposition 97 Michele Barricelli und Julia Hornig betonen, dass gerade die audiovisuellen Medien den Kriterien des »Histotainments« unterliegen und daher den Logiken des Konsums erliegen als andere Medien, siehe: Michele Barricelli/Julia Hornig: Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute: Zur Einführung, in: Dies. (Hg.): Aufklärung, Bildung, »Histotainment«? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, Frankfurt am Main 2008, S. 7–24, hier S. 8.

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eine sehr hohe Bedeutung zuzusprechen, lässt sich jedoch aktuell auch im öffentlichen Diskurs wiederfinden. So würdigte Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede vom 9. Oktober 2014 in Leipzig vor allem die Rolle der Opposition, die ihre Angst vor »den Unterdrückern« überwand, da der Drang nach Freiheit größer war.98 Letztendlich ist es wenig verwunderlich, dass die Websites der Bundesregierung www.freiheit-und-einheit.de und der Havemann-Gesellschaft www. revolution89.de im Rahmen des Bundesgedenkstättenkonzepts bleiben. Interessant ist, dass sich darüber hinaus auch die private Website von Kley-Olsen diesem Schwerpunkt widmet und nicht zum Beispiel eine Gegendarstellung formuliert. Mit der Fortschreibung des Bundesgedenkstättenkonzepts im Jahr 2008 sind Kontroversen um die in der Aufarbeitung vermittelten Inhalte der DDRGeschichte abgeflacht. Der öffentliche Diskurs kreist seitdem tendenziell um die Oppositions- und Repressionsgeschichte der DDR. Diesem Schwerpunkt scheinen auch die Websites mit ihrem Angebot nachzukommen. Zudem könnte auch eine Rolle spielen, dass aus Sicht der Websitebetreibenden alltägliche, nichtkuriose Lebensgeschichten für eine mediale Darstellung nicht interessant genug erscheinen. Der Exkurs zur Darstellung der DDR in ausgewählten Foren und im sozialen Netzwerk Facebook zeigt hingegen, dass das Internet an dieser Stelle als Nische für private Erinnerungen jenseits von Repression und Opposition genutzt wird. Hier ist Raum für eine Gegenerzählung, die allerdings ein verklärtes Bild präsentiert und die »durchherrschte Gesellschaft«99 der DDR ausblendet. In Foren finden zudem vor allem unwissenschaftliche und teilweise sehr persönlich geführte Auseinandersetzungen zwischen Ostalgikerinnen und Ostalgikern sowie DDR-Oppositionellen statt, in denen die DDR entweder sehr positiv oder sehr negativ erscheint. Somit überwiegen im Internet zwei Geschichtsbilder der DDR: zum einen das einer repressiven Diktatur, in der vor allem unzufriedene, unterdrückte Bürgerinnen und Bürger lebten, die sich zur Opposition zusammenschlossen und schließlich die Friedliche Revolution herbeiführten. Zum anderen wird in den weniger auf die Geschichtsvermittlung ausgerichteten Foren und bei 98 Vgl. Joachim Gauck: Rede beim Festakt »25 Jahre Friedliche Revolution« am 9. November 2014 in Leipzig, Manuskript online verfügbar unter: http://www.bundespraesident. de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/10/141009-Rede-zur-Demokratie.html, letzter Zugriff: 02.02.2015. 99 Jürgen Kocka: Eine durchherrschte Gesellschaft, in: Hartmut Kaelble u. a. (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 547–553.

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Facebook das Bild eines glücklichen ostdeutschen Alltags, fernab von Repression, Politik und Unangepasstheit, angeboten. Beide Geschichtsbilder allein eignen sich nicht zur kritischen Aufarbeitung der SED-Diktatur, welche die Geschichte der DDR differenziert darstellen und umfassend in den internationalen politischen Kontext einbetten sollte. Erklärungsversuche für das Scheitern der DDR sollten zudem nicht nur die Rolle der Opposition fokussieren, sondern auch wirtschaftliche und globalgeschichtliche Perspektiven einbinden.100 Diese Forderung richtet sich insbesondere an die offiziellen Websitebetreibenden, die nach den Vorgaben des Bundesgedenkstättenkonzepts arbeiten und den Anspruch erheben, ein umfassendes Bild der DDR und ihres Endes zu erzählen. Das Internet mit seinen vielfältigen Möglichkeiten der Interaktivität, Multimedialität und vor allem mit seinen großen Kapazitäten bietet Raum für multiperspektivische Erzählungen. Der Beitrag der Public History könnte darin liegen, Analysen der repräsentierten Geschichtsbilder – wie in diesem Beitrag – vorzunehmen, um im Falle einer zu einseitigen Darstellung entsprechende Anregungen zu multiperspektivischen Diskursen und Darstellungen voranzutreiben.101

100 Vgl. in diesem Sinne etwa Klaus-Dietmar Henke (Hg.): Revolution und Vereinigung 1989/90. Als in Deutschland die Realität die Phantasie überholte, München 2009. 101 Vgl. dazu auch Marko Demantowsky: Public History. Aufhebung einer deutschsprachigen Debatte?, in: Public History Weekly vom 29. Januar 2015, online abrufbar unter: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/3-2015-2/public-history-sublationgerman-debate/, letzter Zugriff: 02.02.2015.



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Warum soll die Friedliche Revolution noch ein Thema in Literatur, Film und Fernsehen sein?

Franz-Josef Schlichting (Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen) Wir kommen zum Schlusspodium, das die Überschrift trägt: »Warum soll die Friedliche Revolution noch ein Thema in Literatur, Film und Fernsehen sein?«1 Ich möchte hinzufügen: Auch im öffentlichen Raum und anknüpfend an Leipzig vor ein paar Tagen mit der großen Lichtfeier, an der 200.000 Menschen teilgenommen haben, könnte man ja fragen, was ist das für eine merkwürdige Frage? Sie ist ja ein Thema, insofern haben wir da schon eine faktische Gegebenheit. Ich glaube, man muss daher fragen, warum sie in besonderer Weise ein Thema sein soll und warum gerade sie, in Hinblick auf die vierzigjährige DDR-Geschichte, ein besonderes Thema sein soll? Und was ist das Besondere an der Friedlichen Revolution und deren Darstellung? Und schließlich: Was macht diese für uns so interessant? Als Veranstalter fragen wir das natürlich aus der Perspektive der politischen Bildung, aus einer Aufarbeitungsperspektive heraus und in Hinblick auf die Zivilgesellschaft und die demokratische Kultur im Land. Wir fragen das nicht vor dem Hintergrund von Vermarktungsaspekten. Das sind ja auch denkbare Gründe, warum man dieses Thema behandelt: nämlich weil es gut läuft und weil es viel Publikum und eine hohe Auflage bringt. Aber das ist gerade nicht unsere Fragestellung. Es ist interessant, dass der Begriff »Friedliche Revolution« ein gewisses Stiefmütterchen-Dasein fristet und häufig durch den sogenannten Mauerfall in den Schatten gestellt wird. Aus der Westperspektive ist 1 Die Podiumsdiskussion zum Abschluss des 13. Internationalen Symposiums der Stiftung Ettersberg »Das Bild der DDR in der Literatur und den audiovisuellen Medien – 25 Jahre Erinnerung und Deutung« fand am 18. Oktober 2014 in Weimar statt. Die Statements der Podiumsteilnehmer wurden redaktionell bearbeitet und zum Teil gekürzt. Nicht alle Wortmeldungen aus dem Plenum konnten bei der Abschrift Berücksichtigung finden.

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das verständlich, dass man vor allem dieses Bild hat und die damit verbundenen Emotionen. Aus der Ostperspektive mutet das mitunter etwas komisch an. Eine hier in Weimar erscheinende Tageszeitung bringt schon seit mehreren Monaten eine Serie unter der Überschrift »25 Jahre Mauerfall«.2 Was in dieser Reihe vorkommt, sind eigentlich alles Geschichten, die Revolutionsgeschichten sind: von Opposition und Widerstand in den 1980er Jahren, den Kommunalwahlen 1989 bis hin zur Friedlichen Revolution selbst. Aber die Überschrift lautet »25 Jahre Mauerfall«. Und wenn Sie die Öffentlichkeit und die Medien beobachten, dann taucht dieser Begriff ständig auf, während die Friedliche Revolution doch regelmäßig in den Hintergrund tritt – zumindest als Begriff, als Ereignis weniger. Zum Teil geht es sogar soweit, dass der Begriff Wiedervereinigung als dominierender und überlagernder Begriff anzutreffen ist und dass unter diesem Dinge subsumiert werden, die zu diesem Begriff eigentlich nicht gehören. Zum 3. Oktober dieses Jahres gab es eine Beilage in den großen Thüringer Zeitungen, »Leben im Osten« hieß sie. In dieser gab es eine Umfrage, in der nach den Errungenschaften der deutschen Wiedervereinigung gefragt wurde. Bei den angegebenen Stichworten waren unter anderem als Errungenschaften genannt: Reisefreiheit, freie Wahlen und Meinungsfreiheit. Das waren auch die drei Stichworte, die im Ranking der Befragung ganz oben standen. Das ist natürlich völliger Blödsinn! Alle drei sind Ergebnisse der Friedlichen Revolution. Und wie wir wissen, ist gerade die deutsche Wiedervereinigung ein Ergebnis von Entscheidungsprozessen gewesen, die auf den Ergebnissen freier Wahlen basierten. Das nur mal als Hinweis zur spezifischen Begrifflichkeit und auch zu deren Problematik. Als Veranstalter haben wir natürlich ganz bewusst den Begriff der Friedlichen Revolution gewählt, und wir denken auch genau an die Ereignisse, die mit ihr verbunden sind, wenn wir jetzt dieses Podium hier mit der von mir eingangs gestellten Frage konfrontieren.

Dr. Claus Löser (Autor, Filmhistoriker und Regisseur) Die Fragestellung dieses Podiums beantwortet sich von selbst. Natürlich brauchen wir die mediale Auseinandersetzung mit der Friedlichen Revolution; und sie findet ja auch statt. Deshalb sitzen wir ja auch hier. Ich habe mich in den letzten 24 Stunden manchmal ein bisschen gewundert, dass fiktionalisierte Formate, vor allem Fernsehformate, derart auf den Prüfstand 2 Gemeint ist hier die Thüringische Landeszeitung.

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gestellt werden. Was erwarten wir denn von Produktionen, die für das Fernsehen hergestellt werden? Ich kann Ihnen versprechen: Das Fernsehen wird diese Arbeit nicht leisten – nicht dieses Fernsehen, mit dem wir es augenblicklich zu tun haben. Wenn Sie heute versuchen, einen differenzierten Stoff anzubieten, kommen Sie damit nicht durch, weil die Redakteure sofort Emotionalität und Dramatisierung fordern. Und damit sind wir genau dort, was gestern Gerhard Lüdeker über die TV-Eventveranstaltungen referiert hat, die selbstverständlich den Unterhaltungsschemata folgen und wenn man so will, den archetypischen Forderungen Folge leisten.3 Aber man darf sich von diesem Format keine differenzierte Beschäftigung mit dem Gegenstand erwarten, der uns umtreibt. Wenn wir die letzten 25 Jahre, ich möchte eigentlich noch weiter zurückgehen, die letzten sechzig bis siebzig Jahre Mediengeschichte Revue passieren lassen, dann gibt es immerzu wechselnde Schichten der Reflexion. Ich denke, ein Privileg unserer historischen Perspektive auf den Gegenstand DDR ist, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte an die Quellen herankommen und dass wir uns mit diesen Quellen überhaupt beschäftigen können. Ich möchte die medienpolitische Arbeit auffordern, sich mehr mit den Primärquellen zu beschäftigen als mit den Dramatisierungsversuchen, weil sie Mechanismen gehorchen, die anderen Interessen folgen, sprich denen von Redakteuren, von Filmproduzenten und so weiter. In Deutschland können Sie keinen Spielfilm herstellen, der unter eine Million Euro kostet, weil das öffentliche Gelder sind – entweder von Sendern oder von Fördereinrichtungen oder beides zusammen –, die viele Begehrlichkeiten auf sich ziehen. Außerdem haben wir es mit einem Markt zu tun. Sobald so viel Geld im Spiel ist, verlieren Sie die Kontrolle über das, was Sie eigentlich sagen wollen. Auch deshalb ist die dokumentarische Gattung effektiver als fiktionale Formate. Ich denke, dass das, was in den letzten zwanzig bis 25 Jahren auf der dokumentarischen Ebene geleistet wurde, viel zu wenig präsent ist. Wenn ich mir die Filme von Thomas Heise anschaue, der in den beginnenden neunziger Jahren nach Halle-Neustadt gefahren ist und dort die Verwerfungen der deutschen Einigung dokumentiert hat4, so sind das ungeheuer wichtige Prozesse, die sich eingeschrieben haben in diese Filme – und diese Quellen sind noch gar nicht angemessen genutzt worden. 3 Vgl. den Beitrag von Gerhard Lüdeker in diesem Band. 4 So in dem Dokumentarfilm STAU - Jetzt geht’s los (1992), der sich mit dem Thema Rechtsradikalismus auseinandersetzt. Eine Fortsetzung erschien 1999/2000 unter dem Titel STAU – Der Stand der Dinge.

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Ein weiteres Beispiel ist der Film Verriegelte Zeit von Sibylle Schönemann, der Ende 1989 begonnen wurde.5 Sibylle Schönemann wurde mit ihrem Mann Hannes Schönemann 1981 verhaftet, beide saßen acht Monate im Gefängnis. Sibylle ist sofort nach der Maueröffnung mit einem befreundeten Kameramann an die Stätten des Schmerzes gegangen, das heißt nach Potsdam in die Lindenstraße – und sie hat dort den Richter aufgesucht, der sie verurteilt hat. Sie hat die staatlichen Leiter aufgesucht, die Berufsverbote erteilt haben, und hat ihnen sehr kategorisch das Mikrofon und die Kamera vor das Gesicht gehalten. Das sind Schätze, die ungehoben sind. Das zum einen. Zum anderen komme ich zurück auf die Primärquellen. Die DEFA hat zwischen 1946 und 1990 existiert und nahezu achthundert Spielfilme hinterlassen, die auf uns übergegangen sind als nationales Kulturerbe. In der allgemeinen Diskussion befinden sich aber immer nur ungefähr fünfzig Filme von großen Filmemachern wie Konrad Wolf, Heiner Carow, Frank Beyer, Rainer Simon, Egon Günther und so weiter. Es ist, denke ich, an der Zeit jenseits dieser Leuchttürme und dieser großartigen Filme, die von diesen Leuten geschaffen wurden, in die zweite Schicht einzutauchen und sich auch mit den schlimmen Filmen zu beschäftigen: mit den Propagandafilmen, den Wochenschauen und den durchschnittlichen Komödien, weil sich darin das Gesicht des DDR-Alltags und der DDR-Diktatur auf viel unmittelbarere Weise widerspiegelt, als dies zum Beispiel in Das Leben der Anderen6 dargestellt wurde.

Franz-Josef Schlichting Ich kann Ihre Verwunderung, die Sie anfangs geäußert haben, teilen. Es ist ja so: Wir haben es bei den genannten Filmen und auch bei anderen nicht mit Auftragsproduktionen des Bundespresseamtes oder der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu tun, sondern es sind eben Spielfilme, die sich am Markt behaupten wollen und sollen sowie Geld einspielen müssen. Die interessante Frage für den politischen Bildner ist, ob man sie nutzbringend für die politische Bildung einsetzen kann – und wenn ja, wie man sie didaktisch einsetzen kann. Das ist dann die spannende Frage.

5 Verriegelte Zeit, Regie: Sibylle Schönemann, Deutschland 1990, DVD 2012, Produktion: alert Film GmbH/DEFA/SFB, Verleih: Ex Picturis. 6 Das Leben der Anderen, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2006, DVD, Produktion: Wiedemann & Berg Filmproduktion, Verleih: Buena Vista International.

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Dr. Sebastian Kleinschmidt (Redakteur und Publizist) Die Frage lautet: »Warum soll die Friedliche Revolution noch ein Thema in Literatur, Film und Fernsehen sein?« Meine Antwort ist: weil sie ein großes Wunder war, ewig geheimnisvoll und ewig glanzvoll. So etwas liebt die Kunst. Wofür in Theologie und Religion der Begriff Wunder steht, dafür steht in Politik und Geschichte der Begriff Ausnahme. Der Herbst ’89 war ein extrem unwahrscheinliches, überraschendes und unerwartetes historisches Ereignis. Aber nicht nur die Friedliche Revolution war ein Wunder, sondern auch das, wogegen sie rebellierte, war in gewisser Weise ein Wunder: die DDR selbst. Darf ich den fabelhaften Text Die 7 Wunder des Sozialismus von Ronald M. Schernikau zitieren? Das 1. Wunder: Alle haben Arbeit. Das 2. Wunder: Obwohl alle Arbeit haben, arbeiten nur 50 %. Das 3. Wunder: Obwohl nur 50 % arbeiten, werden alle Pläne erfüllt. Das 4. Wunder: Obwohl alle Pläne erfüllt werden, gibt es nichts. Das 5. Wunder: Obwohl es nichts gibt, haben alle alles. Das 6. Wunder: Obwohl alle alles haben, ist jeder unzufrieden. Das 7. Wunder: Obwohl jeder unzufrieden ist, wählen alle die Kandidaten der Nationalen Front.7

Das kann man schon eine Kaskade von Wundern nennen, wenn auch von Wundern der anderen Art.

Franz-Josef Schlichting Wir kommen zu Herrn Krüger. Die Frage lautet: Warum soll die Friedliche Revolution ein Thema sein und warum soll sie es in besonderer Weise sein? Was macht sie aus der Perspektive der politischen Bildung so interessant – gerade auch im Kontrast dazu, dass diese häufig in der Wahrnehmung und in der Begrifflichkeit durch das Ereignis Mauerfall überschattet wird?

7 Ronald M. Schernikau: Die Tage in L., Hamburg 2001, S. 196.

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Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung) Ich würde den Satz, dass die Friedliche Revolution ein Thema sein soll, schon unterschreiben wollen. Aber den Satz, dass die Friedliche Revolution ein Thema in Fernsehen, Literatur, Film, Theater sein soll, ja sein muss, würde ich in Frage stellen, weil die Freiheit der Kunst es auch gebietet, solche Themen auszulassen. Wenn ich nichts Interessantes an ihnen finde, dann muss man es den Künstlerinnen und Künstlern schon überlassen, selbst die Themen zu wählen, über die sie sich mitteilen wollen. Es gibt eine sehr subjektive Sicht auf das, was die Friedliche Revolution, was die DDR war. Und das zeigt sich eben in den vielen Filmen und literarischen Stücken. Für viele der Kunstschaffenden ist das ein Thema, und jede Künstlerin und jeder Künstler nähert sich sehr subjektiv und völlig verschieden diesem an. Wir haben mehrere Fälle von Buchpreisen, die an Autoren vergeben wurden, in deren Werken die DDR und die Friedliche Revolution Thema sind. Gerade der aktuelle Buchpreis für Lutz Seilers Kruso veranschaulicht das, weil dieser sehr schöne, sehr stille Roman über Hiddensee das Thema auf ganz besondere Art und Weise streift. Oder: Vor ein paar Jahren war es Tellkamps Der Turm. Wir kennen auch viele Filme, die sich mit dem Thema beschäftigen. Auch da kann man seinen eigenen Geschmack walten lassen und sagen: »Das ist ein Film, der mich berührt hat.«, »Das ist ein tragischer Film.« oder: »Das ist ein stiller Film.« Auch das sind sehr subjektive Blicke. Und ich finde für die politische Bildung ist es deshalb interessant, weil man über subjektive Äußerungen von Künstlerinnen und Künstlern, das heißt über die subjektive Produktion, sehr gut ins Gespräch kommen und die Kontroverse suchen kann. Genau das ist das, was die politische Bildung interessiert. Uns interessiert nicht Agitation und Propaganda oder eine als Thema gesetzte Friedliche Revolution. Sondern uns interessiert in der politischen Bildung, wie künstlerische Medien Eingangspforten sein können für eine Selbstverständigung und eine Selbstvergewisserung über das, was wir alle auf sehr verschiedene Art und Weise erlebt haben.

Dr. Sabine Moller (Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Humboldt-Universität zu Berlin) Ich würde mich dem anschließen, dass es natürlich nicht darum geht, etwas zu propagieren oder in Auftrag zu geben. Gleichwohl: Als ich über die Frage nachgedacht habe, warum soll man noch an die Friedliche Revolution erinnern,

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habe ich auch über meine eigenen Erfahrungen in den USA nachgedacht. Ich habe ja zwei Jahre in den USA gelebt, und meine Kinder sind auch dort zur Schule gegangen und haben hinterher sehr plastische Vorstellungen von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung gehabt – allein durch diese ganze Bandbreite an Kinderbüchern, die es über Rosa Parks8 gibt. Jeder kann diese Geschichte nacherzählen, wie sie in dem Bus nicht aufgestanden ist, als sie aufstehen sollte! Und als ich dann nach Deutschland zurückgekommen bin, habe ich mich schon gefragt, wieso ist es hier eigentlich so anders? Barack Obama hat es einmal auf den Punkt gebracht, als er hier in Berlin war und sagte, dass Angela Merkel das Gegenmodell zu ihm ist, was die Bürgerrechtsbewegung betrifft. Da wünsche ich mir manchmal schon ein bisschen Revolutionsromantik. Wir haben hier auf der Ebene der öffentlichen Erinnerungskultur seit den achtziger Jahren diesen Prozess der Nationalisierung negativen Gedenkens über die NS-Vergangenheit gehabt, und das ist auch richtig. Bei positivem Gedenken, wie das Aufzeigen von Handlungsspielräumen, demokratischer Selbstermächtigung und Ähnlichem, habe ich manchmal schon den Eindruck, dass ich danach suche und es nicht so recht ausgeprägt finde, wobei natürlich auch zu sagen ist, dass in den USA diese Form von Heldenkult auch nicht ganz unproblematisch ist. Und wenn man sich die Geschichten anguckt, sind es eben auch zum Teil entpolitisierte Darstellungen, die vermittelt werden. Das zweite wäre noch einmal anschließend an das, was Claus Löser gesagt hat: Da würde ich sagen, das ist kein Entweder-oder-Spiel. Es ist schon wichtig, sich mit den Blockbustern zu beschäftigen und auch gerade in diesem Bereich eine Form von Grundlagenforschung zu betreiben, um zu didaktisieren, um überhaupt zu verstehen, was eigentlich passiert und wie Geschichtsbewusstsein durch solche Filme wie Das Leben der Anderen geprägt wird. Aber gleichzeitig beschäftige ich mich mit ganz anderen Filmen, und da würde ich auch sagen, dass diese sehr viel differenzierter sind und man sich mit denen auch beschäftigen muss. Es gibt, wie ich finde, in der filmischen Geschichtsdarstellung ein ganz gelungenes Beispiel. Das ist der Film Ararat des kanadischen Filmemachers Atom Egoyan über den armenischen Völkermord.9 Dieser ist ein Beispiel für 8 Rosa Louise Parks war eine US-amerikanische Bürgerrechtlerin, die verhaftet wurde, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast zu räumen. Als Folge setzte der sogenannte »Montgomery Bus Boycott« ein, der u. a. als Anfang der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gilt. 9 Ararat, Regie: Atom Egoyan, Kanada 2002, DVD 2003, Produktion: Serendipity Point Films, Verleih: Alliance Films.

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das, was man sich an Multiperspektivität und Metareflexion wünschen würde. Aber der funktioniert nicht, der findet kein großes Publikum, weil er einfach überkomplex ist. Er schildert den Völkermord aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und zu unterschiedlichen Zeitpunkten und zeigt auch, wie Menschen damit umgehen und sich dieses Geschehen aneignen, also alles das, was wir hier in den zwei Tagen dieses Symposiums auch immer diskutiert haben: dass es unterschiedliche Phasen der Erinnerung gibt, unterschiedliche Perspektiven und ähnliches. Irgendwann ist das Geschehen, wenn man versucht alle diese Perspektiven einzufangen, jedoch nicht mehr richtig erzählbar. Von daher muss es auch wieder in ein bestimmtes Format gegossen werden, um überhaupt kommunizierbar zu sein.

Dr. Claus Löser Das ist natürlich eine Grundfrage, ob man das begrüßt, dass es so einen Film gibt wie Das Leben der Anderen. Wenn man in New York an einer Bar sitzt und sich als Deutscher zu erkennen gibt, wird man sofort nach diesem Film gefragt, und dann fängt man an zu erklären: Das ist ein Märchen. Wie erkläre ich jetzt die DDR und wo fange ich da an, beim Westfälischen Frieden oder noch früher? Also genau diese Frage: Freuen wir uns über die Simplifizierung der Geschichtsdarstellung, wie sie im Film Das Leben der Anderen stattfindet, oder setzen wir dort kritisch an? Da möchte ich Thomas Krüger insofern Recht geben, dass wir auch immer der Eigendynamik sowohl des Machens als auch des Reflektierens vertrauen sollten. Aber ich warne davor, so ein Phänomen wie Das Leben der Anderen als Phänomen zu reduzieren und nicht mehr über die Qualität des Films zu sprechen, sondern nur noch über seine Wirkung. Wir sind Deutsche, und wir sind ostdeutsch sozialisiert, und wir haben auch die Pflicht das kritisch zu hinterfragen!

Thomas Krüger Zum Film Das Leben der Anderen fällt mir ein interessantes Fernsehinterview ein, in dem Florian Henckel von Donnersmarck, der Regisseur des Films, mit Henry Hübchen diskutierte – ein Schauspieler, der im Osten groß geworden ist. Hübchen war tierisch genervt von der Besserwisserei, die der Regisseur an den Tag legte und die DDR sorgfältig in Täter und Opfer einteilte. Hübchen provozierte, indem er auf seine eigene Biografie verwies, und zwar, dass er zweifacher DDR-Meister im Windsurfen war. Auf dem Scharmützelsee in

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Bad Saarow hat er zweimal die DDR-Meisterschaft errungen, das war ziemlich schräg. Henckel von Donnersmarck ging dann dazu über, ihn als linientreue Regimestütze darzustellen, und dann brach sich über diesem Diskurs die Rezeption des Films selbst Bahn. Das empfand ich als das Besondere für meine Rezeption: Ist das nun Lüge oder ist das Gegenwart? Und was erzählt dieser Film eigentlich? Erzählt er überhaupt etwas über die Vergangenheit oder erzählt er nicht vielmehr über die Art und Weise, wie wir so einen Film wahrnehmen und über die Gegenwart, nämlich darüber, wie wir mit dieser Geschichte umgehen? Ich glaube, das kann jeder Schüler im Leistungskurs Geschichte heute merken oder er kriegt es von einem Lehrer oder auf andere Weise generell vermittelt, dass Geschichte und die Benutzung von Geschichte im öffentlichen Diskurs eben sehr viel mehr über die Gegenwart aussagen. Insofern sollten wir uns verdeutlichen, dass die Reflexion über solche Kunstwerke zu einer Positionierung im gegenwärtigen Kontext beitragen kann.

Franz-Josef Schlichting Was die Stichworte anbelangt, die Sie gerade genannt haben: Gegenwart und Geschichtsbild sind in diesen beiden Tagen schon viel diskutiert und analysiert worden. Es ist auch schön, dass das hier im Podium noch einmal auftaucht.

Dr. Sebastian Kleinschmidt Wir haben immer mit dem Problem der Klischeebildung zu tun, und da in medialisierten Zeiten sich das Phänomen durch Nachahmung potenziert, besteht die Gefahr, dass man der Dinge schnell überdrüssig wird. Es wird solange auf dem Knochen herumgekaut, bis nichts Nahrhaftes mehr an ihm übrig ist. Aber grundsätzlich möchte ich den Historikern und auch den Kunstschaffenden, die sich mit einem solchen historischen Stoff beschäftigen, sagen: Die ideale Situation ist eigentlich die, dass man etwas Neues herausbekommt über die Geschichte, auch über die schon hundertfach erzählte Geschichte. Und wie ist es möglich, etwas Neues herauszubekommen? Es ist möglich, weil der historische Gegenstand selbst unendlich ist. Überdies erinnere ich an Walter Benjamin, der einmal vom Augenblick der Erkennbarkeit gesprochen hat. Und der Augenblick der Erkennbarkeit ist ja gar nicht in jedem Moment gegeben, sondern er ist nur gegeben in der Stunde der Gefahr, wo man mit der Gegenwart selbst ein Problem hat, wo man nach Auswegen sucht, aber eben die Auswege nicht kennt.

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Man sucht nach einer Antwort in der Vergangenheit, weil man sie in der Gegenwart nicht findet und von der Zukunft nicht bekommen kann, denn von der Zukunft können wir nichts wissen. So ist man dazu verdammt, in die Geschichte zurückzugehen und nach vergleichbaren Dingen Ausschau zu halten. Denken wir nur an den Ukraine-Konflikt von heute. Er hat eine ganz neue Befragung der russischen und der ukrainischen Geschichte ausgelöst, weil die Leute einfach nicht wissen, was jetzt passiert und warum es passiert. Das ist eine günstige Situation für die Forschung, im Grunde genommen auch eine günstige Situation für die Künste. So etwas ist im Alltag der normalen Erinnerungskultur gar nicht gegeben. Deswegen kommen wir auch im Alltag aus den Klischees kaum heraus.

Dr. Claus Löser Unbedingt. In den letzten Stunden ist aber auch mehrfach, auch im Vortrag von Frau Moller10, diese Affinität NSA, MfS und so weiter angeklungen. Davor möchte ich warnen, weil das eine Profanisierung ist. Zum Beispiel folgende Situation: In Diskussionsrunden gibt es meist eine Person, die dann sagt: »Frontex ist ja noch schlimmer, als es die Grenztruppen der DDR je waren. Es sind ja vielmehr Menschen inzwischen im Mittelmeer ertrunken, als jemals an der Mauer erschossen wurden.« Dann muss man wirklich das zurückbrechen und darauf insistieren, worüber wir sprechen. Wir sprechen über eine konkrete historische Situation, nämlich so wie DDR gewesen ist. Diese lässt sich nicht mit ähnlichen Phänomenen gleichsetzen.

Franz-Josef Schlichting Dann empfehle ich Ihnen, sich einmal die Facebook-Seite von Bodo Ramelow anzuschauen. Dort findet sich eine Fülle von Kommentaren zum Thema Unrechtsstaat. Das Thema wird in Thüringen gerade sehr stark diskutiert. Fast alle Kommentatoren – zirka achtzig habe ich wahrgenommen – lehnen es ab, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Und nicht wenige von denen, die den Begriff ablehnen, sagen im gleichen Atemzug: »Der wirkliche Unrechtsstaat ist die BRD, und wir lassen uns doch nicht von den Hartz IV-Täterparteien diktieren, wie wir über die Vergangenheit zu denken haben.« Und das wird dann begründet mit der NSA, mit Hartz IV und mit all diesen Dingen. 10 Vgl. hierzu den Beitrag von Sabine Moller in diesem Band.

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Es ist zum Teil haarsträubend. Aber das hier offenbarte Denken ist ein Faktum, man muss es zur Kenntnis nehmen. Und man kann auch sehen – das ist das Schöne bei der Interaktivität von Facebook – wie viele den Like-Button gedrückt haben, wenn jemand schreibt: »Heute ist alles viel schlimmer.« Da spielt auch die NSA eine ganz große Rolle oder die Aussage, »die BRD führt Kriege, das hat die DDR nie gemacht«.

Dr. Sabine Moller Mir wäre schon ganz wichtig an dieser Stelle auch noch einmal darauf hin zu weisen, dass wir die Ebenen nicht so durcheinander schmeißen dürfen. Meine Ausgangsfrage ist: Wie wird Geschichte angeeignet? Ich bin ja nicht diejenige, die die Stasi mit der NSA vergleicht, sondern ich kann zeigen, wie in den USA der Film vor allem vor diesem Hintergrund rezipiert wurde und wie die Amerikaner ihre eigene Geschichte in diesen Film hineinlesen. Das ist etwas grundsätzlich anderes, und das ist einfach von der Grundhaltung nicht möglich, das normativ so zu überfrachten und zu sagen: »Es ist ein schlechter Film und das, was ihr darin seht, ist grundfalsch.« Damit ist ja niemandem geholfen. Es geht erst einmal darum, eine Form von Grundlagenforschung zu betreiben und zu zeigen, wie das funktioniert, und das hat bisher niemand gezeigt. Ebenso wenig wie zahlreiche DEFA-Filme ungeachtet geblieben sind, hat auch niemand dieses Feld der Rezeptionsforschung richtig ausgemessen.

Thomas Krüger Das ist auch gar kein Vergleichen, wenn man die Rezeption des Films in Amerika betrachtet und das, was wir eben ausgeführt haben; dass das Befassen mit Zeitgeschichte zur Verortung in der Gegenwart führt. Dies ist Kontext abhängig. Wenn ich so einen Film wie Das Leben der Anderen in Amerika sehe, dann hole ich mir den amerikanischen Kontext, in dem ich mich verorte. Wenn ich diesen Film in den neuen Bundesländern sehe, habe ich wieder eine andere Perspektive, als wenn ich ihn im Freistaat Bayern sehe. Es gibt schon unterschiedliche Perspektiven, und bezogen auf die FacebookSeite würde ich sagen: Ja, man kann auch die DDR sehr unterschiedlich erinnern und erzählen. Martin Sabrow, der Zeitgeschichtler, hat auf die drei paradigmatischen Narrative der DDR-Erinnerung verwiesen: Das eine ist das Narrativ von der Friedlichen Revolution, das als Referenzgruppe relativ wenig Leute hat, nämlich die Bürgerrechtler und Aktivposten der frühen Zeit 1989,

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bevor der Funke in die gesamte Gesellschaft übergesprungen ist. Dieses Narrativ der Friedlichen Revolution ist omnipräsent, das ist das leitende Narrativ in unserer Gesellschaft. Ein zweites Narrativ ist in den letzten zehn Jahren etwas deutlicher zutage getreten, das eher an der Alltagskultur ansetzt und nach dem richtigen Leben im falschen fragt. Da bekommt man noch einmal eine ganz andere Perspektive hinein: Was habe ich, der ich jetzt kein Bürgerrechtler war, versucht in meiner spezifischen Situation richtig zu machen, obwohl ich von diktatorischen Systemzwängen umgeben war? Und das dritte Narrativ ist das der herrschenden Partei, die die bessere DDR aufgebaut hat. Und dieses Narrativ feiert nach wie vor Auferstehung. Sie müssen mal Zeitschriften wie den Rotfuchs lesen, Auflage 45.000. Jeder kleine Verlag würde sich glücklich schätzen, ein so ökonomisch sich refinanzierendes Produkt zu unterhalten. Das sind diejenigen, die genau dieses Narrativ sehr erfolgreich reproduzieren. Dieses kommt kaum in der Öffentlichkeit vor, es wird geradezu tabuisiert von den Medien. Es ist ein informelles Narrativ, aber es ist ein Narrativ, das von zig tausenden Leuten in diesem Land, vor allem in den neuen Bundesländern, reproduziert und erzählt wird. Und das müssen wir zur Kenntnis nehmen, und möglicherweise bekommt man es mit Konjunkturen aber auch Deflationen solcher Narrative in unterschiedlichen zeitgeschichtlichen Kontexten immer wieder zu tun. Dass wir die Pluralität der Narrative zur Zeitgeschichte in den Blick bekommen, ist für die politische Bildung unglaublich wichtig. Nur so schaffen wir es, Herausforderungen zu formulieren, uns selbst zu positionieren und eine eigene Meinung und ein Urteil zu bilden – mal abgesehen von den Narrativen, die überhaupt noch nicht erzählt worden sind, also Geschichten des Scheiterns von Menschen, die in den Westen ausgewandert sind. Das sind Leute, die kurz vor 1989 die DDR verlassen haben und die sehr oft einen kompletten Bruch in ihrer Biografie erlebten und nie wieder auf die Beine gekommen sind. Über die wird relativ wenig erzählt. Das ist ein verschollenes Narrativ, das aber viele Menschen betrifft, und ich finde, wir sollten bei der Pluralisierung von Narrativen zunächst erst einmal sehr vorsichtig sein und jeden dieser Narrative zulassen, ihm zuhören, ihn selbst einordnen und bewerten.

Dr. Sebastian Kleinschmidt Ich wollte noch eine Ergänzung machen. Thomas Krüger hat auf das berühmte Adorno-Diktum angespielt: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Da­rauf hat vor einigen Jahren nicht nur Wolfgang Thierse schon vehement reagiert,

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sondern auch jemand hier aus Weimar, jemand, den die Weimarer wahrscheinlich noch kennen: Peter Gülke nämlich, der Musikwissenschaftler und Dirigent, der in den achtziger Jahren in den Westen gegangen ist. Er hat folgenden Kommentar dazu gegeben: »Man muss im falschen Leben gelebt haben, um ein bisschen besser zu wissen, wie ein richtiges sein könnte.« Das ist ein kluger Gedanke. Man darf nicht vergessen, solange die bipolare Welt existierte und sich die beiden deutschen Staaten gegenseitig beobachteten, ging der Westen äußerst sorgsam mit seiner Freiheit um, weil er das Schreckensbild der Unfreiheit in der DDR vor Augen hatte. Und die DDR musste auch ein bisschen mehr Rücksicht nehmen als beispielsweise Rumänien, weil das Westfernsehen und der Westrundfunk ja in jeder örtlichen Wohnstube empfangen wurden. Diese gegenseitige Kontrolle ist nun weggefallen. Ich will damit nur sagen, dass die Freiheit jetzt auf sich allein gestellt ist und selbst aufpassen muss, dass sie erhalten bleibt, und da könnte die DDR-Erfahrung – richtig verstanden – ein gewisses Kapital sein in dem Sinne, in dem ich eben Peter Gülke zitiert habe.

Thomas Krüger Ich fand dieses Beispiel11 sehr interessant, weil das Narrativ, wonach die DDR eigentlich am wirtschaftlichen Kollaps untergegangen sei, übrigens auch die Position, wenn ich das richtig verstehe, von Helmut Kohl gewesen ist. Es ist keineswegs das Privileg ehemaliger oder jetziger Redakteure vom Neuen Deutschland, sondern genau diese Narrative ziehen sich überraschenderweise quer durch verschiedene Milieus und politische Einstellungsmuster. Das muss man immer mit im Blick behalten. Sie haben natürlich vollkommen Recht: Politische Bildung wäre töricht, wenn sie diese Vorlagen, die Kunstwerke ihnen geben, nicht nutzen und damit auch Interesse wecken würde bei einem Publikum, bei Lernenden, die das alles gar nicht mehr erlebt haben. Für meine beiden Söhne, die 15 und 17 sind, ist die DDR so weit weg wie das Mittelalter. Sie sprechen ihren Vater dazu vielleicht sogar an, aber der ist sowieso eine unsichere Quelle, weil man Eltern nicht vertrauen darf, wenn es um die eigene Positionierung in der Gegenwart geht. Dann sind die beiden 11 Thomas Krüger griff eine Wortmeldung aus dem Publikum auf, in der auf eine immer noch tätige Redakteurin des Neuen Deutschland Bezug genommen wurde, die mit ihrer umstrittenen These, wonach das Ende der DDR nicht das Ergebnis der Montagsdemonstrationen, sondern der ökonomischen Krise in der UdSSR gewesen sei, vor allem bei Schülern ein falsches Geschichtsbild erzeuge.

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sofort in einem Dilemma, das heißt die Aneignung muss über etwas passieren, was Glaubwürdigkeit hat. Da will ich mal ein Beispiel bringen und bin gespannt auf Claus Lösers Position dazu: Einer der spannendsten und authentischsten Filme über die DDR, den ich in den letzten Jahren gesehen habe, war This Ain’t California12. Es ist ein Dokumentarfilm, der von Anfang bis Ende schwindelt, der eine Inszenierung ist und so tut, als wenn er etwas dokumentiert. Ich finde, das ist ein hochinteressanter Prozess, wenn junge Leute, Schüler diese Techniken, mit denen Bilder hergestellt werden und die Techniken des Erzählens, reflektieren. Da kann man so viel mitbekommen, und gleichzeitig ist die Geschichte so wahrhaft, wie sie nur irgendwie sein kann. Um es ganz simpel zu machen: Die Geschichte beginnt mit dem Tod eines Kämpfers in Afghanistan, auf dessen Dachboden die Eltern alte VHS-Filme und Super-8-Filme über die SkaterSzene in den späten achtziger Jahren der DDR finden. Dann wird gezeigt, wie die Skateboards, weil es diese in der DDR nicht gab, hergestellt werden: nämlich aus diesen Stühlen mit den Rundungen, die in jeder Schule gestanden haben. In der Mitte sind diese Sprelacart-Stühle mit Kleber, den man sich aus dem Westen besorgen musste, zusammengeklebt worden. Dann werden dokumentarische Bilder gezeigt, die aber letztendlich nur reinszeniert sind, die den ganzen Kontext der DDR aufblättern. Man fühlt sich von Anfang bis Ende ernst genommen: »Oh, das war meine Zeit, genauso war es.« Aber nichts davon ist echt. Das ist hochspannend, weil man auf diese Art und Weise mit Schülern auch über die Technik von Kunstwerken, über die Produzierbarkeit oder Reproduzierbarkeit von Kunstwerken gut ins Gespräch kommen und ihnen Spuren geben kann, die sie wirklich auch interessieren können. Dann sind es nicht »die alten Säcke«, die nur die Wahrheit in der Vergangenheit aufblättern wollen, sondern dann wird man gefordert, sich selbst eine Haltung zu erarbeiten, eine eigene Position, und kommt vielleicht auf Sachverhalte, auf die andere noch nicht gekommen sind. Das wäre das tollste Ziel der politischen Bildung, wenn die nächste Generation, die die DDR gar nicht erlebt hat, zum Agenten der Zeitgeschichte wird; zu einer Generation, die Sachen aufspürt, die wir in unserer Blindheit, weil wir unsere Meinung ja gebildet haben, gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.

12 This Ain’t California, Regisseur: Martin Persiel, Deutschland 2011, DVD 2012, Produktion: Wildfremd Production; Verleih: Farbfilm.

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Dr. Claus Löser Thomas, du triffst natürlich einen wunden Punkt. Ich habe das Drehbuch gelesen, und meine Fußnoten waren länger als das Drehbuch selbst. Ich habe in jedem zweiten Satz etwas gefunden, was nicht stimmt. Auch im Das Leben der Anderen stimmen natürlich die Schulterblätter nicht und die Autos und die Autokennzeichen nicht und so weiter. Da bin ich leider Purist und kann auch nicht aus diesem Korsett ausbrechen. Deswegen würde ich diesem Film die Originalfilme, die es ja gibt – die Super-8-Filme, gedreht auf dem Alexanderplatz 1987 – entgegenhalten. Da sieht man die Skater rumkurven. Diese sollte man den Schülern in Verbindung mit dem Spielfilm zeigen oder mit dem Dokumentarfilm, der eigentlich ein Spielfilm ist, und dann darüber sprechen.

Thomas Krüger Ich kann noch eine Anekdote dazu erzählen: Wir fanden in der Bundeszentrale, dass es ein Film ist, der sehr geeignet ist, in der politischen Bildung eingesetzt zu werden. Wir haben überlegt, wie wir das jetzt machen. Machen wir ein Filmheft oder ein Online-Dossier oder ein Interview? Die erste Diskussion dazu, die ich hatte, war mit der Filmreferentin in der Bundeszentrale – eine Thüringerin, die sich geweigert hat, zu dem Film etwas zu machen. Sie fühlte sich durch die Macher des Films verletzt und hinters Licht geführt: »Die betrügen mich um meine Geschichte.« Wir haben eine Weile gebraucht, um zu sagen: Okay, das ist ein sehr guter Einstieg, um sich zu motivieren, diese Kontroversität, die dieser Film auslöst, tatsächlich herzustellen – wir haben genau das gemacht. Wir haben dann Originalquellen, O-Töne, Interviews mit Zeitzeugen zusammengetragen in Form der Technik der Mockumentaries – so heißen diese gefälschten Filme – um damit auch zu lernen, wie Medienmacher funktionieren. Von den großen Kunstkritikern des letzten Jahrhunderts wissen wir, dass Bilder eben auch lügen. Und wie sie lügen, die Techniken des Lügens – das ist ein guter Gegenstand, um zu erlernen und zu begreifen mit diesem auch in seinem Alltag umzugehen.

Franz-Josef Schlichting Stichwort Filme: Es gab ja auch zum Film Das Leben der Anderen ein Begleitheft. Es wäre interessant, es sich nach der Tagung noch einmal anzuschauen. Gibt es dieses noch?

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Thomas Krüger Es ist noch verfügbar. Aber man muss Folgendes sagen: Die Filmbildung in der politischen Bildung operiert relativ wenig mit Repertoire-Filmen, sondern wir versuchen, die aktuellen Filme im Kino in der Filmbildungsarbeit abzubilden, weil diese auf eine Akzeptanz stoßen. Repertoire-Filme sind immer ein bisschen schwierig. Meistens führt das dazu, dass du diese nicht auf einer Leinwand, sondern in der Schule als DVD am normalen Fernsehscreen siehst, und ich finde, das hat dann mit Filmbildung nur noch bedingt etwas zu tun. Filmbildung muss die Kinoleinwand auch im Blick haben, und der Stoff selbst bezieht sich auch immer auf eine bestimmte Gegenwart. Das würde ich von dem Film Das Leben der Anderen genauso behaupten wie von This Ain’t California oder wie von Barbara13 zum Beispiel. Ein wunderbarer, stiller Film von Christian Petzold, der genau diesen Momenten, Sebastian Kleinschmidt hat das gesagt, den Gefahren nachspürt und in Bild und Performance umsetzt. Man bekommt plötzlich ganz andere Facetten noch einmal in Erinnerung gerufen – und auch Menschen, die so gar nicht erinnert werden, weil sich die Fernsehbilder, die immer wieder gezeigt werden und die immer wieder dieselben Ikonen der Friedlichen Revolution sind, über die konkreten vielfältigen pluralen Erinnerungen einbrennen. Ein sehr mühsamer und sehr langwieriger Prozess ist es, das, was dahinter ist – deine eigenen subjektiven Erinnerungen – wieder hochzuholen. Da kann man nur stiller Literatur und Filme dankbar sein, die einfach mit einer anderen Geduld, Kraft und auch Kameraführung, das, was erinnert wird, ausleuchten.

Dr. Claus Löser Ich denke auch, das ist ein Privileg, diesen medienkritischen Ansatz zur Verfügung zu haben. Wenn wir nicht mehr auf dieser Welt sind, wird man wahrscheinlich Das Leben der Anderen als Primärquelle heranziehen, genauso wie jetzt schon die Filme von Leni Riefenstahl14 als authentisches Material über den Nationalsozialismus herangezogen werden, obwohl es sich über große Strecken um Inszenierungen für die Kamera handelt. Wir wissen aber schon

13 Barbara, Regie: Christian Petzold, Deutschland 2012, DVD, Produktion: Schramm Film Koerner & Weber, Verleih: Piffl Medien. 14 Gemeint sind Triumph des Willens (1935) und die Olympia-Filme Fest der Völker und Fest der Schönheit (beide 1938).

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seit Robert J. Flaherty, dass der Eskimo15 dreimal in das Iglo hin- und hi­nausgehen musste, bis die gewünschte Aufnahme im Kasten war. Das muss man den Schülerinnen und Schülern erzählen – den fiktiven Charakter von geschichtlicher Überlieferung.

Dr. Sabine Moller Ich würde es nicht so kulturpessimistisch sehen, sondern es kann auch anders laufen: dass die Menschen ganz anders mit Filmen umgehen, wenn wir nicht mehr da sind, und sich tatsächlich des Konstruktionscharakters viel deutlicher bewusst sind und unsere Diskussion darüber, ob ein Film nun das zeigt, wie es wirklich gewesen ist, total absurd erscheint.

Georg Baumert (Grenzlandmuseum Eichsfeld) Ich möchte auf Neil Postman verweisen, ein amerikanischer Medienkritiker, der leider sehr früh verstorben ist. Er hat gesagt: Fernsehen ist nicht dann gefährlich, wenn es flach ist, denn das ist das, was Fernsehen am besten kann. Aber Fernsehen ist dann gefährlich, wenn es versucht, uns zu suggerieren, es wäre ernsthaft. Denn das kann es nicht. Da sind wir wieder bei den Bildern und bei den verschwimmenden Genres: dem Infotainment, der Mockumentation. Ich glaube, dass man sich wirklich anschauen muss, ob das geistige Handwerkszeug überhaupt vorhanden ist, mit diesen Dingen richtig umzugehen, damit die Bilder, die sich einbrennen, eben nicht eingebrannt bleiben, sondern auch wieder gelöscht werden können.

Manfred May (Freischaffender Künstler) Ich habe das Gefühl, dass sich die Anliegen der politischen Bildung und der Kunstproduktion hier fast unzulässig vermischen. Ich möchte anmahnen, dass es nicht nur geboten ist, diesen Augenblick der Erkennbarkeit abzuwarten, sondern auf Seiten der Macherinnen und Macher auch die Geduld geboten ist, 15 Nanuk, der Eskimo (Originaltitel: Nanook of the North), Regie: Robert J. Flaherty, USA 1922, DVD 2005, Produktion: Revillon Frères, Verleih: Union.

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die Zeit vergehen zu lassen bis eine Überführbarkeit der Erkenntnis in das eigene Idiom möglich ist und ihnen auch diese Zeit zu gestatten und ihnen auch abzuverlangen, sich einer vorschnellen Beauftragung zu verweigern.

Dr. Sebastian Kleinschmidt Es ist während dieser Tagung mehrfach auf Lutz Seilers Roman Kruso verwiesen worden, und dieser Stoff lagerte 25 Jahre stumm im Kopf des Autors. Das ist das, was Sie meinen.

Prof. Dr. Karl Schmitt (Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Ettersberg) Wir leben in einem Konflikt zwischen dem, was dem Einzelnen möglich ist – dem Kulturschaffenden auf der einen und der politischen Bildung auf der anderen Seite; also auch die Stiftung Ettersberg, mit der wir hier in diesem Raum sitzen und die gefordert ist, übermorgen eine Tagung zu veranstalten oder eine Ausstellung zu präsentieren.

Thomas Krüger Ich wäre vorsichtig, was diese Auftragsgeschichten betrifft. Die politische Bildung ist nicht unterwegs und geht zu den Filmschaffenden hin und sagt: »Dreht mal den Film Das Leben der Anderen!« Nein, wir nutzen Kunstwerke, die ohne die politische Bildung entstanden sind aufgrund ihrer Relevanz oder öffentlichen Aufmerksamkeit, um über sie als Medium Zielgruppen zu erreichen, die wir mit klassischen Formaten politischer Bildung, also zum Beispiel Druckwerken oder Seminaren und Tagungen, nicht erreichen. Wir wissen alle, dass eine junge Generation, die sehr stark audiovisuell geprägt ist, natürlich tagtäglich mit Medien umgeht, für diese sehr erreichbar und ansprechbar ist, um sich mit dem Medium Bewegtbild auseinanderzusetzen. Und nicht mehr und nicht weniger als das tun wir. Wir nutzen Kunstwerke als Quellen. Dann wird uns abverlangt, dass wir das mit einer Didaktik tun, die dem Kunstwerk selber gerecht wird, gleichzeitig aber auch didaktische Ziele erreicht: nämlich die Diskussionen auslöst, Kontroversen initiiert und die Subjektivität durch andere Subjektivitäten pluralisiert und am Ende dieser ganzen Veranstaltung nicht ein festes Urteil vorgibt, sondern ein selbstständiges Urteil ermöglicht.

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Wir sprechen da von Ambiguitätstoleranz in der Bildungsdebatte, das heißt Sie planen in einem Bildungsprozess das Ende des Bildungsprozesses als Ergebnis nicht vorweg, sondern Sie erlauben den Lernenden Koproduzenten dieses Bildungsprozesses zu sein. Das beschreibt am ehesten so einen Prozess politischer Bildung. Manchmal ist es ganz gut, wenn ein bisschen Zeit vergeht und das Kunstwerk seine eigene Aura, seine eigene Geschichte entwickelt. Aber ein Film, der im Kino läuft, läuft nur eine bestimmte Anzahl von Wochen im Kino. Wenn ich mit diesem etwas machen will, dann muss ich ihn so adaptieren, dass er ein relevanter Stoff ist. Also muss ich mir vorher das Drehbuch oder einen Rohschnitt des Films ansehen und schauen, ob ich diesen Film für die Bildungsarbeit einsetzen kann. Genau das ist unser tägliches Geschäft. Es geht nicht um irgendeine Form von Instrumentalisierung von Kunstwerken oder Kunstschaffenden, sondern die Positionen der Kunst müssen in ihrer ganzen Kraft frei bleiben und frei sein. Das sind sie auch. Es sind Werke, die in den öffentlichen Raum gegeben werden. Bücher werden in den Buchläden oder über Amazon verkauft. Insofern sie öffentlich sind, können sie auch als öffentliches Bildungsgut weitergedacht werden.



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Autorinnen und Autoren

Lena Eggers Geboren 1988 in Hamburg; 2009–2013 Studium der Angewandten Kulturwissenschaften und Digitalen Medien an der Leuphana Universität Lüneburg; seit 2013 Masterstudium der Public History an der Freien Universität Berlin; 2014 Mitarbeit an der Ausstellung und dem Ausstellungskatalog »Im Visier der Stasi. Die Aktivitäten des DDR-Geheimdienstes rund um das Rathaus Schöneberg« im Jugend Museum Schöneberg. Anina Falasca Geboren 1989 in Freiburg im Breisgau; 2009–2013 Studium der Geschichte und Deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin und am University College London; seit 2013 Masterstudium der Public History an der Freien Universität Berlin; seit 2013 Mitarbeit an Wechselausstellungen im Jüdischen Museum Berlin. Veröffentlichungen: Cold War Studies, transnationale Geschichte und internationale Organisationen, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 14.10.2011, URL: https://docupedia.de/zg/Cold_War_Studies_-_Kommentar (mit Jonas Brendebach, Sonja Dolinsek und Leonie Kathmann); MemoryLab. Die Wiederkehr des Sentimentalen. Fotografie konfrontiert Geschichte, in Zeitgeschichte-online, November 2014, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/ memorylab-die-wiederkehr-des-sentimentalen-fotografie-konfrontiertgeschichte. Frederike Fritsch Geboren 1989 in Potsdam; 2010–2013 Studium der Geschichte und Politikwissenschaften; seit 2013 Masterstudium der Public History an der Freien Universität Berlin. Sebastian Kleinschmidt Geboren 1948 in Schwerin; Dr. phil.; 1966 Abitur mit Berufsausbildung als Elektrosignalschlosser; 1970–1972 Studium der Geschichte, 1972–1974 Studium der Philosophie; 1974–1978 Forschungsstudium der Ästhetik; 1978 Promotion; 1978–1983 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR; 1984 Eintritt

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Autorinnen und Autoren

in die Redaktion der Zeitschrift Sinn und Form, 1988 Stv. Chefredakteur, 1991– 2013 Chefredakteur; seit 1993 Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Veröffentlichungen u. a.: (Hg.): Botho Strauß, Allein mit allen. Gedankenbuch, München 2014; Requiem für einen Hund. Ein Gespräch, Reinbek bei Hamburg 2010 (mit Daniel Kehlmann); Gegenüberglück. Essays, Berlin 2008. Gerhard Jens Lüdeker Geboren 1975 in Bremen; Dr. phil.; 2000–2007 Studium der Philosophie und Germanistik an der Universität Bremen; 2011 Promotion an der Universität Bremen; 2007–2012 Mitarbeiter am Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien (Ifkud) der Universität Bremen; Begründer und bis 2013 Mitherausgeber des Online-Magazins Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung; zahlreiche Seminare, Vorträge und Publikationen zu den Themen Theorie und Geschichte von Literatur und Film, Erinnerungskulturen, Identitätskonstruktionen, Emotionen und Medien, Ethik und Medien; seit 2014 Projektmanager bei der ATLAS Elektronik GmbH in Bremen. Veröffentlichungen u. a.: Kollektive Erinnerung und nationale Identität: Nationalsozialismus, DDR und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm nach 1989, München 2012 [Dissertation]; (Hg.): Nach-Wende-Narrationen. Das wiedervereinigte Deutschland im Spiegel von Literatur und Film, Göttingen 2010 (mit Dominik Orth); (Hg.): Mauerblicke – Die DDR im Spielfilm, Bremen 2010 (mit Dominik Orth). Sabine Moller Geboren 1971 in Hannover; Dr. phil.; 1990/91–1998 Studium der Geschichte, Politischen Wissenschaft, Sozialpsychologie, Soziologie und Jura an der Leibniz Universität Hannover mit Abschluss als Diplom-Sozialwissenschaftlerin; 1997–2000 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt »Tradierung von Geschichtsbewusstsein« am Psychologischen Institut der Leibniz Universität Hannover; 2000–2002 Stipendiatin der Volkswagenstiftung und Promotion an der Leibniz Universität Hannover; 2002–2005 Projektkoordina­torin der sieben europäische Länder umfassenden Forschungsgruppe »Vergleichende Tradierungsforschung« an der Universität Witten-Herdecke und am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen; 2005–2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Abteilung Geschichtsdidaktik; 2008–2010 Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Visiting Scholar an der Stanford University School of Education, Mitglied der Stanford History Education Group; 2011–2013 Vertretungsprofessorin am Institut für Geschichte und ihre Didaktik der Universität Flensburg (Lehrstuhl Geschichte und ihre Didaktik, Prof. Dr. Gerhard

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Paul); seit April 2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte (Prof. Dr. Martin Sabrow). Veröffentlichungen u. a.: Geschichte im Film erfahren. Die empirische Erforschung des Zusammenhangs von Filmwahrnehmung und Geschichtsbewusstsein, in: Winfried Pauleit/Delia Gonzáles de Reufels/Rasmus Greiner (Hg.): Film und Geschichte: Produktion und Erfahrung durch Bewegtbild und Ton, Berlin 2015; Zeitzeugen und Geschichtsbewusstsein. Familienerinnerungen als historische Quelle?, in: Christian Ernst (Hg.): Geschichte im Dialog? »DDR-Zeitzeugen« in Geschichtskultur und Bildungspraxis, Schwalbach am Taunus 2014, S. 106–113; (Hg.): Kulturelle Aneignung von Vergangenheit. Themenheft der Zeitschrift Literatur in Wissenschaft und Unterricht, H. 3/4 2013 (mit Matthias Bauer). Carolin Raabe Geboren 1990 in Leinefelde; 2009–2013 Studium der Geschichts- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Erfurt; seit 2013 Masterstudium der Public History an der Freien Universität Berlin. Matthias Steinle Geboren 1969 in Wiesbaden; Dr. phil.; 1990–1997 Studium der Film- und Medienwissenschaft, Germanistik und Geschichte an den Universitäten Marburg, Sorbonne-Paris 4, Diderot-Paris 7, Nanterre-Paris 10; 2002 Promotion an den Universitäten Marburg und Sorbonne-Paris 4 (cotutelle); 2000–2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philipps-Universität Marburg; seit 2008 maître de conférences am Fachbereich Cinéma et audiovisuel der Universität Sorbonne Nouvelle-Paris 3. Veröffentlichungen u. a.: Die Mauer als filmischer Glücksfall: mediale Vorbilder und ästhetische Potentiale im Dispositiv des Kalten Kriegs, in: Ulrich Pfeil/Christin Niemeyer (Hg.): Deutscher Film und Kalter Krieg, Brüssel 2014, S. 185–195; Hg. und Übersetzer von François Niney: Die Wirklichkeit des Dokumentarfilms. 50 Fragen zur Theorie und Praxis des Dokumentarischen, Marburg 2012 (mit Heinz-Bernd Heller); Film und Propaganda in der DDR: »eine scharfe und mächtige Waffe«?, in: Stefan Zahlmann (Hg.): Wie im Westen, nur anders. Medien in der DDR, Berlin 2010, S. 187–213. Leszek Szaruga Geboren 1946 in Krakau als Aleksander Wirpsza (»Szaruga« zu Deutsch: »Sauwetter«); Dichter der 68er-Generation, der sog. »Nowa Fala« (Neuen Welle); Literaturhistoriker, Essayist und Übersetzer deutschsprachiger Lite-

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Autorinnen und Autoren

ratur; Prof. Dr. phil.; 1968 Verhaftung als aktives Mitglied der Studentenbewegung; bis 1971 Studienverbot; Tätigkeiten als Schlosser und bei einer Hotelzeitschrift; Fernstudium der Polonistik und 1976 Promotion über »Polnische Lyrik seit 1939«; 1976–1989 Redakteur der Zeitschriften Puls, Wezwanie (Der Appell) und Wybór (Die Wahl) des sog. »Zweiten Umlaufs« (literarische Untergrundbewegung); 1979–2000 Tätigkeiten als Mitarbeiter der polnischen Abteilung des Radios Freies Europa, als Mitarbeiter der polnischen Abteilung der BBC und der Deutschen Welle sowie als Mitarbeiter der Pariser Exilzeitschrift Kultura; 1992–2004 Lehrtätigkeit für polnische Gegenwartsliteratur an der Universität Stettin; 2003 Habilitation an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań zum Thema Geschichte, Staat und Literatur; seit 2005 Professor für Deutsche Literatur am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen in Mittelund Osteuropa an der Universität Warschau. Zahlreiche Veröffentlichungen von Gedicht- und Essaybänden, darunter auf Deutsch: Das Foto, Herne 2010; Eiszeit, Steinzeit: Gedichte und ein Essay, Hamburg 1997; als Übersetzer Übertragung von Werken u. a. von Else LaskerSchüler, Johannes Bobrowski, Rose Ausländer, Sarah Kirsch und Herta Müller ins Polnische. Hans-Joachim Veen Geboren 1944 in Straßburg (Elsass); Prof. Dr. phil.; Studium der Politischen Wissenschaften, der Neueren Geschichte und des Öffentlichen Rechts an den Universitäten Hamburg und Freiburg im Breisgau; 1982–2000 Forschungsdirektor der Konrad-Adenauer-Stiftung; seit 1996 Honorarprofessor für Vergleichende Regierungslehre und Parteienforschung an der Universität Trier; 2000–2002 Projektleiter »Demokratie- und Parteienförderung in Mittel- und Osteuropa« der Konrad-Adenauer-Stiftung; 2002–2014 Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ettersberg; seit 2008 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beratungsgremiums des BStU; seit 2014 Mitglied der Expertenkommission des Deutschen Bundestages zur Zukunft des BStU; Forschungsschwerpunkte: international vergleichende Wahl- und Parteienforschung, Geschichte der SED-Diktatur und ihre Aufarbeitung, europäisch vergleichende Diktatur- und Transformationsforschung. Veröffentlichungen u. a.: (Hg.): Denkmäler demokratischer Umbrüche nach 1945 (= Europäische Diktaturen und ihre Überwindung. Schriften der Stiftung Ettersberg, Bd. 20), Köln/Weimar/Wien 2014 (mit Volkhard Knigge); (Hg.): »Es lag was in der Luft…«. Die Besetzung der Bezirksverwaltungen des MfS/AfNS in Erfurt, Suhl und Gera, Weimar 2014 (mit Peter Wurschi); Deutschlands »innere Einheit« – Neuer Gemeinschaftsmythos oder pluralistische Demokratie?, in: Michael Borchard/Thomas Schrapel/Bernhard Vogel

Autorinnen und Autoren

177

(Hg.): Was ist Gerechtigkeit? Befunde im vereinten Deutschland, Köln/Weimar/Wien 2013, S. 59–89. Volker Wehdeking Geboren 1941 in Garmisch-Partenkirchen; Prof. Dr. phil.; Studium der Germanistik und Komparatistik in München, Yale und Konstanz; Promotion 1969 an der Yale-University; seit 1970 Assistant Professor für Deutsche Literatur an der University of Kansas, USA; seit 1984 Professor für Medien und Literaturwissenschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart; emeritiert seit 2007 (zuvor im Fachbereich 3 Leitung Fakultatives Programm, Studium Generale); Vorschlag für den Landesforschungspreis in Baden-Württemberg 2000; Forschungsschwerpunkte: Deutsche Literatur seit 1945 (insbes. zu Alfred Andersch), Amerikanistik, Mentalitätsgeschichte, Intermedialität, Kontext Film. Veröffentlichungen u. a.: Generationenwechsel: Intermedialität in der dt. Gegenwartsliteratur, Berlin 2007; Hermann Hesse (= Literatur kompakt, Bd. 6), Marburg 2014. Julia Wigger Geboren 1988 in Eutin; 2009–2013 Studium der Angewandten Kulturwissenschaften und Digitalen Medien an der Leuphana Universität Lüneburg; seit 2013 Masterstudium der Public History an der Freien Universität Berlin. Stefan Zeppenfeld Geboren 1990 in Attendorn; 2010–2013 Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; seit 2013 Masterstudium der Public History an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichung: Kırmızılı Kadın – The Woman in Red. Ein Foto als Sinnbild der Gezi-Proteste 2013, in: Visual History. Online-Nachschlagewerk für die historische Bildforschung, 13.4.2015, URL: https://www.visual-history. de/2015/04/13/kirmizili-kadin-p-the-woman-in-red/. Irmgard Zündorf Geboren 1968 in Paderborn; Dr. phil.; 1988–1991 Ausbildung zur Bankkauffrau an der Sparkasse Paderborn; 1991–1998 Studium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Soziologie und Politikwissenschaften an der RuhrUniversität Bochum; 1998–2001 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bonn; 2001–2004 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe »Preisbildung und Lebensstandard in Deutschland unter den Bedingungen von Diktatur und Demokratie: Nati-

178

Autorinnen und Autoren

onalsozialismus, DDR und Bundesrepublik in vergleichender Perspektive« am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam (gefördert durch die Volkswagenstiftung); 2004 Dissertation; 2004–2006 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Militärhistorischen Museum Dresden; 2005–2006 Assistentin der Expertenkommission zur Erarbeitung einer Gesamtkonzeption für einen Geschichtsverbund »Aufarbeitung der SED-Diktatur«; 2007 Redakteurin für Zeitgeschichte-online und H-Soz-u-Kult; 2008 Leiterin der Koordinationsstelle des Projektverbunds Zeitgeschichte Berlin-Brandenburg; seit 2009 Referentin für Hochschulkooperation und Wissenstransfer am ZZF Potsdam. Veröffentlichungen u. a.: Personalisierung, Emotionalisierung und Multiperspektivität. Themen, Formen und Funktionen von Zeitzeugen in Museen und Gedenkstätten zur DDR-Geschichte, in: Christian Ernst (Hg.): Geschichte im Dialog? »DDR-Zeitzeugen« in Geschichtskultur und Bildungspraxis, Schwalbach am Taunus 2014, S. 169–181; Public History und Angewandte Geschichte – Konkurrenten oder Komplizen?, in: Jacqueline Nießer/Juliane Tomann (Hg.): Angewandte Geschichte. Neue Perspektiven auf Geschichte in der Öffentlichkeit, Paderborn 2014, S. 63–76.



179

Abbildungsverzeichnis und Bildnachweis

Beitrag von Matthias Steinle Abb. 1 Vorspann zu Der Tunnel (Quelle: Der Tunnel, Regie: Roland S. Richter, Deutschland 2001, DVD, Produktion: teamWorx, Verleih: LOVEFiLM) Abb. 2 Flucht des NVA-Soldaten Conrad Schumann (Quelle: Der Tunnel. Die wahre Geschichte, Regie: Marcus Vetter, Deutschland 2001, DVD 2003, Produktion: Susan Schulte (SWR), Verleih: LOVEFiLM) Abb. 3 Nachinszenierung am Filmanfang von Der Tunnel (Quelle: Der Tunnel, Regie: Roland S. Richter, Deutschland 2001, DVD, Produktion: teamWorx, Verleih: LOVEFiLM) Abb. 4 Mit der Handkamera gedrehtes Schwarzweißbild in Der Tunnel (Quelle: Der Tunnel, Regie: Roland S. Richter, Deutschland 2001, DVD, Produktion: teamWorx, Verleih: LOVEFiLM) Abb. 5 Kondensierte Karikatur antiwestlicher Feindbilder (Quelle: Die Mauer – Berlin ’61, Regie: Hartmut Schoen, Deutschland 2005, DVD, Produktion: teamWorx, Verleih: LOVEFiLM) Abb. 6 DDR als blutbefleckte Diktatur (Quelle: Die Mauer – Berlin ’61, Regie: Hartmut Schoen, Deutschland 2005, DVD, Produktion: teamWorx, Verleih: LOVEFiLM) Abb. 7 Delegitimierung des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR (Quelle: Zwei Tage Hoffnung – Der Aufstand vom 17. Juni 1953, Regie: Peter Keglevic, Deutschland 2003, DVD, Produktion: teamWorx, Verleih: LOVEFiLM) Beitrag von Sabine Moller Abb. 1 Nachrichtenproduktion (Quelle: Good Bye, Lenin!, Regie: Wolfgang Becker, Deutschland 2003, DVD, Produktion: X Filme Creative Pool GmbH, Verleih: Warner Home Video GmbH) Abb. 2 Nachrichten (Quelle: Good Bye, Lenin!, Regie: Wolfgang Becker, Deutschland 2003, DVD, Produktion: X Filme Creative Pool GmbH, Verleih: Warner Home Video GmbH) Abb. 3 Abtransport (Quelle: Good Bye, Lenin!, Regie: Wolfgang Becker, Deutschland 2003, DVD, Produktion: X Filme Creative Pool GmbH, Verleih: Warner Home Video GmbH)

180

Abbildungsverzeichnis und Bildnachweis

Abb. 4 Kulturschock (Quelle: Good Bye, Lenin!, Regie: Wolfgang Becker, Deutschland 2003, DVD, Produktion: X Filme Creative Pool GmbH, Verleih: Warner Home Video GmbH) Abb. 5 Klavierspiel (Quelle: Das Leben der Anderen, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2006, DVD, Produktion: Wiedemann & Berg Filmproduktion, Verleih: Buena Vista International) Abb. 6 Zuhörer (Quelle: Das Leben der Anderen, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2006, DVD, Produktion: Wiedemann & Berg Filmproduktion, Verleih: Buena Vista International) Abb. 7 Überwachungsmaßnahmen (Quelle: Das Leben der Anderen, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2006, DVD, Produktion: Wiedemann & Berg Filmproduktion, Verleih: Buena Vista International) Abb. 8 DDR-Tristesse (Quelle: Das Leben der Anderen, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2006, DVD, Produktion: Wiedemann & Berg Filmproduktion, Verleih: Buena Vista International) Abb. 9 Überwachung (Quelle: Das Leben der Anderen, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2006, DVD, Produktion: Wiedemann & Berg Filmproduktion, Verleih: Buena Vista International) Beitrag von Irmgard Zündorf Abb. 1 Startseite (Quelle: http://www.berlin-mauer.de, letzter Zugriff: 11.05.2015) Abb. 2 Alltag mit Mauer (Quelle: http://www.berlin-mauer.de/videos/alltagnach-zwanzig-jahren-mauer-676/, letzter Zugriff: 11.05.2015) Abb. 3 Startseite (Quelle: http://www.freiheit-und-einheit.de, letzter Zugriff: 11.05.2015) Abb. 4 Foto einer Demonstration (Quelle: http://www.revolution89.de, letzter Zugriff: 11.05.2015) Abb. 5 Unterkapitel »Die Bürger formieren sich« (Quelle: http://www.revolution89.de/?PID=static,Revolution,00020-Die-Buerger-formierensich,Index_de, letzter Zugriff: 11.05.2015) Abb. 6 Startseite (Quelle: http://www.mauerfall-berlin.de, letzter Zugriff: 11.05.2015) Abb. 7 »Berliner Mauer & DDR-Grenze« (Quelle: http://www.mauerfallberlin.de/berliner-mauer-ddr-grenze/, letzter Zugriff: 11.05.2015) Abb. 8 Tweet 9. November 2014 (Quelle: https://twitter.com/mauerfall89, letzter Zugriff: 11.05.2015)

181



Personenregister

A Adorno, Theodor W. 164 Alexandre, Miguel 67, 86 Andersch, Alfred 31 Andrzejewski, Jerzy 19, 23 Aristoteles 52 Arnold, Matthew 46 Assmann, Aleida 25 Assmann, Jan 59 Ast, Jürgen 85

B Bahro, Rudolf 16 Barańczak, Stanisław 18 Barricelli, Michele 150 Baudrillard, Jean 29 Becher, Johannes R. 51, 53, 54, 57 Becker, Wolfgang 64, 65, 101 Benedict, Benjamin 50 Benjamin, Walter 161 Benn, Gottfried 15 Berger, Thomas 67, 85 Beyer, Frank 9, 60, 62, 156 Biermann, Wolf 20, 29, 32 Bloch, Ernst 45, 57 Blumenberg, Hans-Christoph 82, 84, 85, 88, 91, 92 Bojaxhiu , Anjezë G. (Mutter Teresa) 72 Böll, Heinrich 31, 41 Borusewicz, Bogdan M. 21 Brandys, Kazimierz 17, 19, 23 Brandys, Marian 19 Braun, Volker 10, 26 Brecht, Bertolt 20, 56, 57 Breloer, Heinrich 84, 91 Brockes, Barthold H. 45 Brussig, Thomas 10, 28, 29, 30, 38, 50, 64

Bruyn, Günter de 32 Büchner, Georg 26 Buck, Detlev 64 Bugajski, Ryszard 18 Büld, Wolfgang 64 Burckhardt, Jakob 55 Burgoyne, Robert 112 Burmeister, Brigitte 28, 30 Burton, Richard 107

C Camus, Albert 15, 28 Carow, Heiner 156 Castaneda, Carlos 45 Castorf, Frank 25 Chruschtschow, Nikita S. 15, 43 Cioran, Emile 57 Conrad, Joseph 53 Curtiz, Michael 97

D Dahn, Daniela 31 Dávila, Nicolás G. 57 Defoe, Daniel 45 Dehnhardt, Sebastian 81, 85 Delacroix, Eugène 28 Dell, Matthias 94 Derrida, Jaques 29 Ðilas, Milovan 16, 17 Dommenget, Oliver 85 Donnersmarck, Florian H. von 67, 68, 94, 110, 160, 161 Dresen, Andreas 62, 63, 110 Dubček, Alexander 20 Dudow, Slátan 94 Düffel, John von 50

182 Personenregister

E Ebbrecht, Tobias 82 Ebert, Roger 114, 116 Egger, Urs 67 Egoyan, Atom 159 Eichendorff, Joseph von 45 Endler, Adolf 28 Engels, Friedrich 37 Engel, Wolfgang 50 Enzensberger, Hans M. 20 Erb, Elke 28

F Falcke, Heino 11 Falk, Feliks 18 Ferch, Heino 88, 95 Ferres, Veronica 86, 88 Fischer, Ernst 57 Fitzgerald, Scott 47 Flaherty, Robert J. 169 Florenski, Pawel A. 57 Foth, Jörg 62 Freundner, Thomas 84 Fromm, Friedemann 85 Fuchs, Jürgen 47

G Gadamer, Hans-Georg 57 Galitsch, Alexander A. 19 Garaudy, Roger 16 Gauck, Joachim 9, 11, 110, 151 Geremek, Bronisław 21 Gersch, Tilman 50 Giedroyc, Jerzy 23 Girard, René 57 Goethe, Johann W. von 34, 35, 37 Gombrowicz, Witold M. 19 Gomułka, Władysław 15 Gorbanewskaja, Natalja J. 19, 20 Gorbatschow, Michail S. 22, 40, 43 Gramsci, Antonio 16 Granin, Daniil A. 52, 53 Grass, Günter 20, 27, 31, 50

Greiner, Ulrich 26 Grotowski, Jerzy 19 Grünbein, Durs 26, 48, 49 Gueffroy, Chris 134 Gülke, Peter 165 Günther, Egon 156

H Hagen, Nina 99 Hager, Kurt 33 Hall, Stuart 120, 150 Haraszti, Miklós 16, 20 Hauptmann, Gerhart 45 Haußmann, Leander 64, 65, 99 Havel, Václav 16, 20 Havemann, Robert 16 Hediger, Vinzenz 115 Heidelbach, Kaspar 83 Hein, Christoph 10 Hein, Dörte 123 Hein, Jakob 30, 50 Heise, Thomas 155 Hensel, Jana 10, 50 Herling-Grudziński, Gustaw 15 Hermlin, Stephan 57 Hertel, Anja 29 Herzen, Alexander I. 23 Hess, Annette 86 Hesse, Hermann 37 Heym, Stefan 10 Hilbig, Wolfgang 26, 28, 36, 45 Hillman, Roger 109 Hitler, Adolf 39, 97 Hodel, Jan 123 Hoffman, Ernst T.A. 35 Hofmann, Nico 50, 85, 88 Holland, Agnieszka 18 Honecker, Erich 133 Hornig, Julia 150 Hübchen, Henry 160 Huchel, Peter 51, 54

I Irving, John 50

183

Personenregister

J

L

Jagger, Mick 41 Jankélévitch, Vladimir 57 Jeismann, Karl-Ernst 119 Jirgl, Reinhard 10 Johnson, Uwe 31 Jünger, Ernst 57

Lara, Alexandra M. 88 Leggewie, Claus 31 Lenin, Wladimir I. 25, 65 Lenze, Ulrich 88 Leppert, Manuel 11 Liebknecht, Karl 39 Liefers, Jan J. 50 Loest, Erich 31 London, Jack 45 Löser, Claus 159, 166 Lüdeker, Gerhard J. 155 Lukács, Georg 53, 54, 57 Lyotard, Jean-François 29

K Kádár, János 15 Kahane, Peter 62, 63 Keglevic, Peter 84 Kelus, Jan K. 23 Kiesinger, Kurt G. 87 Kijowski, Janusz 18 Kipping, Herwig 62 Kirchner, Thomas 50 Kleinert, Andreas 62 Kleinschmidt, Sebastian 168 Kleist, Heinrich von 45 Kley-Olsen, Hinrich 140, 141, 142, 143, 144, 151 Kloss, Reinhard 64 Knopp, Guido 82, 84, 85, 88, 100 Koch, Gertrud 106 Koch, Sebastian 88 Kohl, Helmut 93, 133, 165 Kołakowski, Leszek 16, 17, 58 Konermann, Lutz 67, 85 Konwicki, Tadeusz 17, 19, 23 Korte, Helmut 115 Krauss, Werner 57 Krebitz, Nicolette 92 Krockow, Christian Graf von 20 Krüger, Thomas 157, 160, 164, 165, 167 Krynicki, Ryszard 18 Kubrick, Stanley 74 Kundera, Milan 20 Kunert, Günter 29, 31, 32 Kunze, Reiner 20 Kuroń, Jacek 17

M Maetzig, Kurt 60 Mäge, Catharina 144 Mann, Angelika 127 Mann, Thomas 41, 45, 46, 70 Maron, Monika 10, 28, 30, 49 Marx, Karl 16, 37 Mattheuer, Wolfgang 28, 29 Matthies, Frank-Wolf 28 Mayer, Hans 57 Mazowiecki, Tadeusz 21 Merkel, Angela 131, 132, 159 Meyer, Clemens 50 Meyer, Erik 123 Michelsen, Claudia 50 Michnik, Adam 17, 21 Mickiewicz, Adam 17 Miłosz, Czesław 56, 57 Mitterand, François 93 Modzelewski, Karol C. 17 Moller, Sabine 105, 162 Mühe, Ulrich 110 Musil, Robert 45

N Nietzsche, Friedrich W. 41

184 Personenregister

O Obama, Barack H. 159 Ohler, Norman 34 Okudschawa, Bulat S. 19

P Papavassilou, Jorgo 83 Parei, Inka 34 Parks, Rosa L. 159 Pelikán, Jiři 16 Peterson, Sebastian 64 Petras, Armin 50 Petzold, Christian 100, 168 Platon 57 Plenzdorf, Ulrich 31 Postman, Neil 169

Q Quéval, Marie-Hélène 29

R Ramelow, Bodo 162 Rathenow, Lutz 30 Richter, Roland S. 67, 69, 84, 85, 99 Riefenstahl, Leni 168 Rilla, Paul 57 Rimbaud, Arthur 45 Ritt, Martin 106 Roehler, Oskar 66, 67 Romaszewski, Zbigniew 19 Rosenstone, Robert 112 Roth, Philip 50 Ruge, Eugen 10, 25, 27, 31, 35, 38, 41, 42, 43, 44, 48 Rühmann, Heinz 9 Russell, Bertrand A. W. 14

S Sabrow, Martin 163 Sacharow, Andrej D. 19 Sartre, Jean Paul 14

Schabowski, Günter 48, 147, 148 Schdanow, Andrej A. 37 Schlesinger, Klaus 30 Schleyer, Hans M. 84 Schlöndorff, Volker 61, 66, 67 Schmidt, Jochen 88 Schmidt, Matthias 81, 85 Schneider, Peter 30, 33, 34, 35 Schoen, Hartmut 84 Schönemann, Hannes 156 Schönemann, Sibylle 156 Schulze, Ingo 30, 38, 42 Schulz, Max W. 32 Schulz, Werner 11 Schumann, Conrad 90, 179 Schütz, Helga 30 Schwabe, Astrid 123 Schwarzenegger, Arnold 105 Schwochow, Christian 9, 50, 61, 100 Seegers, Lu 75 Seiler, Lutz 10, 44, 45, 46, 48, 158, 170 Selkirk, Alexander 45 Serrano, Peter 45 Shakespeare, William 88, 113 Simon, Rainer 156 Sinowjew, Alexander A. 20 Škvorecký, Josef 20 Sloterdijk, Peter 58 Solschenizyn, Alexander I. 15, 19, 20 Sparschuh, Jens 28 Staadt, Jochen 47 Stalin, Josef W. 39 Steiner, George 58 Steinle, Matthias 9 Stein, Niki 67, 86 Strauß, Botho 58 Strittmatter, Erwin 55 Stryjkowski, Julian 23 Stus, Wassyl S. 20 Szpotański, Janusz 17 Szymborska, Wisława 17

185

Personenregister

T Tarantino, Quentin 107, 109 Tellkamp, Uwe 10, 25, 27, 31, 35, 36, 42, 43, 44, 48, 50, 70, 158 Thatcher, Margaret 93 Thierse, Wolfgang 164 Thoreau, Henry D. 32 Timm, Peter 64 Tischner, Józef 21 Trakl, Georg 45, 46 Trotha, Margarethe von 66 Twain, Mark 45

V Vaculík, Ludvík 20 Vilsmaier, Joseph 69 Voegelin, Eric 57

W Wagner, Richard 25 Walser, Martin 30, 31, 35, 38

Walther, Connie 67 Wat, Aleksander 56, 57 Weinert, Christoph 85 Weizsäcker, Richard von 126 Wessel, Kai 69 Wiegler, Paul 51 Wildt, Michael 113 Winkelmann, Adolf 84 Wojtyła, Karol J. (Johannes Paul II., Papst) 21, 22 Wolf, Christa 10, 26, 27 Wolfe, Thomas 36 Wolf, Konrad 60, 156 Woroszylski, Wiktor 17 Wortmann, Sönke 83 Wyssozki, Wladimir S. 19

Z Zagajewski, Adam 18 Zahavi, Dror 69, 83 Zweig, Arnold 57 Zwick, Edward 112

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BD. 18 | HANS-JOACHIM VEEN (HG.) ZWISCHENBILANZEN

BD. 14 | HANS-JOACHIM VEEN, PETER

THÜRINGEN UND SEINE NACHBARN

MÄRZ, FRANZ-JOSEF SCHLICHTING (HG.)

NACH 20 JAHREN

KIRCHE­UND­REVOLUTION

2012. 259 S. 4 FARB. KARTEN. BR.

DAS CHRISTENTUM IN OSTMITTEL­

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EUROPA VOR UND NACH 1989 2009. 241 S. ZAHLR. GRAF. BR.

BD. 19 | VOLKHARD KNIGGE (HG.)

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BD. 15 | HANS-JOACHIM VEEN, PETER

OSTMITTEL-­UND­WESTEUROPA

UND­ERINNERUNGSKULTUREN­IN­ MÄRZ, FRANZ-JOSEF SCHLICHTING (HG.)

2013. 203 S. 26 FARB. U. 2 S/W-ABB. BR.

DIE­FOLGEN­DER­REVOLUTION

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20 JAHRE NACH DEM KOMMUNISMUS 2010. 183 S. 14 S/W-GRAF. UND ABB.

BD. 20 | HANS-JOACHIM VEEN,

BR. | ISBN 978-3-412-20597-3

VOLKHARD KNIGGE (HG.)

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UMBRÜCHE­NACH­1945

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UNSERER­SEITE“

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DAS­BILD­DER­DDR­IN­LITERATUR,­­

OLIVER LOEW, BLAZEJ BIALKOWSKI UND

FILM­UND­INTERNET

ANDREAS WARNECKE

25 JAHRE ERINNERUNG UND DEUTUNG

2011. 440 S. BR. | ISBN 978-3-412-20702-1

2015. 185 S. 24 S/W-ABB. BR.

TR774

ISBN 978-3-412-50148-8

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oK ! aU cH als eBo

Theo Buck

Hans JoacHim scHädlicH LEBEN ZWISCHEN WIRKLICHKEIT UND FIKTION

Hans Joachim Schädlich, 1935 im Vogtland geboren, arbeitete nach seiner Promotion in Germanistik als Sprachwissenschaftler für die Akademie der Wissenschaften in Ostberlin. Dort verfasste er seit dem Ende der 1960er Jahre seine ersten literarischen Arbeiten. Doch diese regimekritischen Werke wur­ den in der DDR nicht veröffentlicht, vielmehr ließ ihn das Ministerium für Staatssicherheit bespitzeln. 1976 wurde Schädlich für die Regierenden zum Staatsfeind, nachdem er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. 1977 reiste er mit seiner Familie aus der DDR in den Westen aus. Sein erster Erzählband »Versuchte Nähe« war kurz zuvor in der Bundesrepublik erschienen und hatte große Beachtung gefunden. In der Folge avancierte Schädlich mit seiner Prosa zu einem der bedeutendsten Autoren in der zeit­ genössischen deutschen Literatur. Der Germanist Theo Buck legt hier die erste Biografie und Werkanalyse des international renommierten und mit zahlreichen Literaturpreisen und Ehrungen ausgezeichneten Schriftstellers Hans Joachim Schädlich vor. 2015. 279 S. 14 S/W-ABB. GB. 135 X 210 MM | ISBN 978-3-412-22449-3

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