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German Pages 82 [83] Year 2021
Sozialwissenschaftliche Schriften Band 52
Das bedingungslose Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeit Von
Lars Normann
Duncker & Humblot · Berlin
LARS NORMANN
Das bedingungslose Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeit
Sozialwissenschaftliche Schriften Band 52
Das bedingungslose Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeit
Von
Lars Normann
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-4808 ISBN 978-3-428-18224-4 (Print) ISBN 978-3-428-58224-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Für meine Familie
Vorwort Bei dieser Buchpublikation handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung einer Master Thesis des Verfassers zur Erlangung des Grades eines Masters of Business Administration (MBA) Communication & Public Affairs Leadership an der Quadriga Hochschule Berlin. Das Prüfungsverfahren konnte im September 2020 erfolgreich abgeschlossen werden. Der Verfasser bedankt sich beim Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Stipendien im Rahmen des berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiums. Der allergrößte Dank gilt meiner lieben Familie, der ich diese Arbeit widme. Bonn, November 2020
Lars Normann
Inhaltsverzeichnis A. Das bedingungslose Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeitswelt . . 13 B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I.
Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
II.
Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
III. Solidarisches Grundeinkommen als Brückenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 V.
Bedingungsloses Grundeinkommen und Varianten der praktischen Umsetzung 30 1. Thomas Straubhaar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Götz W. Werner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Digitalisierung bei Straubhaar und Werner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
C. Das bedingungslose Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes? Ausgangslage und Positionen für das Kriterium der arbeitsmarktlichen Bereitschaft zur Erwerbsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I.
Digitalisierung der Arbeitswelt: Auswirkungen der Digitalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt (mitsamt einer Grundlegung aus wissenschaftlicher Sicht) 37
II.
Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
III. Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 IV. Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 V.
Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
VI. Unterstützernetzwerke – BGE goes Twitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 VII. Praktische Erprobungen des BGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 VIII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 D. Spannungsfeld Grundeinkommen im Spiegel der digitalen Transformation der Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I.
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
II.
Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
III. Ausblick: (Kommunikative) Empfehlungen für ein strategisches Haus der Bundesagentur für Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
10
Inhaltsverzeichnis
Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Arbeitslosigkeit in der Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung für Arbeitsuchende, Deutschland, April 2005 bis Oktober 2019 (saisonbereinigte Werte); in Millionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Abb. 2: Langzeitarbeitslosigkeit, Deutschland, 2000 bis 2019; in Millionen. . . . . . . . . 22 Abb. 3: Digitalisierung im Spiegel der Jahrzehnte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Abb. 4: Kulturdimensionen nach Geert Hofstede. USA und Deutschland im Vergleich. 37 Abb. 5: Substituierbarkeitspotenzial nach Anforderungsniveau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Abb. 6: Substituierbarkeitspotential nach Berufssegmenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Abb. 7: Entwicklung der Weiterbildung in Betrieben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Abb. 8: Weiterbildungsbeteiligung nach Art der Tätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Abb. 9: Synoptische Darstellung von Wirtschaftsakteuren zum BGE. . . . . . . . . . . . . . 51 Abb. 10: Aktivste und einflussreichste Twitterer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Abb. 11: Twitternetwork-Cloud. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Abb. 12: Twitterhashtag-Cloud. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Abb. 13: Vorläufige Ergebnisse des finnischen Grundeinkommensexperiments . . . . . . 62 Abb. 14: Endgültige Ergebnisse des finnischen Grundeinkommensexperiments. . . . . . 63
Abkürzungsverzeichnis ABM Arbeitsbeschaffungsmaßnahme AGH Arbeitsgelegenheit ALG Arbeitslosengeld BA Bundesagentur für Arbeit BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber BGE Bedingungsloses Grundeinkommen BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales DIW DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung forsa forsa Politik- und Sozialforschung GmbH GWS Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ifo Institut Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München IKT Informations- und Kommunikationstechnologie IW Institut der deutschen Wirtschaft Köln IZA Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit GmbH, Bonn Klein- und mittelständische Unternehmen KMU QCG Qualifizierungschancengesetz SGB Sozialgesetzbuch SGE Solidarisches Grundeinkommen
„Menschen die Chance auf Arbeit zu vermitteln, ist nicht nur ökonomisch, sondern auch psychologisch geboten. Es ist darüber hinaus auch ethisch geboten, weil es um Würde geht.“ (Rainer Hank, 2019)
A. Das bedingungslose Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeitswelt Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist eins der vieldiskutiertesten und zugleich auch eins der schillerndsten Themen, das im Zusammenhang mit der sozialen Sicherung geführt wird. Dabei besitzt das BGE bereits eine lange – ideengeschichtliche – Entwicklungsgeschichte, welche bis ins 16. Jahrhundert zu Thomas Morus zurückreicht. Die uns gegenwärtige Konzeption stammt als Sozialreform aus dem 19. Jahrhundert und taucht in Wellen im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer wieder auf der (politischen) Agenda auf. Das alleine reicht als Motivation für eine jahrelange Beschäftigung mit einem bestimmten Thema nicht aus. Das grundlegende Erkenntnisinteresse dieser Arbeit besitzt einen starken berufsbiographischen Hintergrund des Verfassers. Seit neun Jahren arbeitet der Verfasser bei der Bundesagentur für Arbeit und lernte zunächst das Grundsicherungs- und später das Versichertensystem gemäß dem Sozialgesetzbuch kennen. In unterschiedlichen Verwendungen arbeitete der Verfasser nicht nur in der Organisation, sondern auch an der Organisation und bekam so ersten Zugang zum BGE als ein Thema. Als Katalysator einer weiteren Beschäftigung mit dem BGE trat seit 2010 verstärkt die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer Digitalisierung der Arbeitswelt hinzu, die weitestgehend mit der Berufung zum Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit einherging. Spätestens ab diesem Zeitpunkt bestand der Wunsch nach einer vertieften thematischen Beschäftigung mit dem Oeuvre. Aus der langjährigen Beschäftigung identifizierte der Autor besonders zwei Teilthemen, die von besonderer Relevanz für das BGE insgesamt gedeutet werden können. Zum einen ein Thema, das ebenso alt ist, wie die moderne Konzeption eines BGE, nämlich die Fragen nach unerwünschten Auswirkungen eines BGE auf eine verminderte Bereitschaft zur Erwerbstätigkeit der Menschen. Verändert eine bedingungslose Überweisung des Staates an alle arbeitsfähigen Bürger die Motivation der Menschen, sich eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit zu suchen? Was macht es mit einem Menschen, der womöglich dann nicht mehr arbeiten muss? Und zum anderen die Diskussionen um die Auswirkungen der digitalen Transformation der Arbeitswelt, die auch das BGE wieder auf die Agenda beförderten und zwar nicht parallel, sondern zum großen Teil thematisch verknüpft. Weil viele Akteure Anfang des letzten Jahrzehnts apokalyptisch erneut von einem Ende der
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A. Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeitswelt
Arbeit durch den Computer ausgingen, sahen viele in einem BGE das rettende Ufer, viele sogar die einzige Möglichkeit, den sozialen Frieden nach einer rein disruptiven „digitalen Revolution“ zu sichern. Gerade zu Beginn des letzten Jahrzehnts mäanderte die Diskussion zwischen ideologischen Positionen und einer zum Teil reißerischen Medienberichterstattung. Aus diesen Erfahrungen und Beobachtungen ergibt sich die zentrale Hauptthese der vorliegenden Arbeit und damit auch ihr Untersuchungsziel: Die aktuelle Forderung von Teilen der (Digital-)Wirtschaft et al. nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens entfaltet auf das Kriterium der arbeitsmarktlichen Erwerbsmotivation in Zukunft keine Wirkung. Das arbeitsmarktliche Digitalisierungssaldo der Beschäftigung wird, unter der Voraussetzung einer breit angelegten digitalen Weiterbildung und Qualifikation der erwerbsfähigen Bevölkerung für Deutschland, sich nahezu ausgeglichen entwickeln. Deshalb und auch vor dem Hintergrund allgemeiner Gerechtigkeitserwägungen1 ist ein BGE als Alternative zu einem Sozialstaat mit einem aktivierenden Arbeitsmarkt, der ein starkes Anreizsystem beinhaltet, abzulehnen. Mit dieser These wird das Thema der vorliegenden Publikation auf der einen Seite auf den Punkt gebracht, auf der anderen Seite zeitlich und räumlich eingegrenzt. Eine Darstellung des großen Teilbereichs der Finanzierung und der Höhe eines BGE bleibt ausgespart. Aus der Beschäftigung in und mit dem Grundsicherungssystem entspringt es für den Verfasser einer zwingenden Logik zu ermitteln, welcher maßgebliche Unterschied zwischen dem Status quo und einer möglichen, aber nicht unbedingt zwingenden Alternative liegt. Somit stellt sich die Frage nach dem Anreizsystem des Arbeitslosengelds II. In diesem Zusammenhang muss auch bedacht werden, wie die soziale Sicherung vor dem Arbeitslosengeld II organisiert war und welche Auswirkungen in einem ex post-Vergleich festzustellen sind. Eventuell könnte dieser Vergleich einen Lackmustest für das BGE darstellen und einen Modellversuch zu den Auswirkungen eines BGE überflüssig machen, weil man sich erst 2005 von einem gescheiterten Grundsicherungssystem ohne Nachhaltung von Bedingungen verabschiedet hat. Stellvertretend für die vielen Alternativmodelle, die strenggenommen zumeist auch keine reinen BGE-Modelle darstellen, da sie sich im Kriterium der Bedingungslosigkeit unterscheiden, wird zurzeit in Berlin ein Modellversuch mit einem sogenannten „Solidarischen Grundeinkommen“ durchgeführt. Für das BGE erscheint dieser Modellversuch von Relevanz zu sein, denn es könnten zum einen Erkenntnisse zur Motivation der Teilnehmer analysiert werden oder es könnte sich zum anderen bei diesem Modell um ein Brückenmodell zwischen Arbeitslosengeld II und einem bedingungslosen Grundeinkommen handeln. 1
Und aus weiteren Gründen, die in dieser Publikation thematisiert werden.
A. Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeitswelt
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Eine Beschäftigung mit dem BGE im deutschsprachigen Raum kommt ohne eine Analyse der herausragenden Vertreter nicht aus. Der Verfasser konzentriert sich in dieser Publikation auf zwei Akteure, um die oben genannte These mit den Arbeiten von Thomas Straubhaar und Götz W. Werner zu spiegeln. Auch wenn in den bereits skizzierten Teilthemen die Frage nach dem Begründungszusammenhang der Digitalisierung immer schon mitgedacht und auch gestreift wurde, kann eine Arbeit zur Digitalisierung der Arbeit nicht ohne eine wissenschaftliche Grundlegung, die zum Teil mit dem BGE stark verschränkt geführt wird, zum Oeuvre auskommen. Erst dann können Gründe dafür gesucht werden, warum überhaupt ein Zusammenhang zwischen Digitalisierung der Arbeit und einem BGE existieren soll. Fraglich ist auch der Einfluss der Digitalisierungsdebatte auf das Kriterium der Motivation zur Erwerbsarbeit und ob und wie dieser Zusammenhang in den etablierten Konzepten und neueren internationalen Modellversuchen eine Rolle spielt. Am Ende bleibt die alles überragende Frage, welches Menschenbild bei den Befürwortern eines BGE einhergeht und ob bzw. wie sich mögliche Auswirkungen auf das Erwerbsleben darstellen und gegebenenfalls von der Gesellschaft akzeptiert werden würden oder müssten. Verträgt sich das BGE als Form der sozialen Sicherung mit der „Sozialen Marktwirtschaft“ oder stellt das BGE die Brücke zu einem anderen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem dar? Besteht das BGE den Verwirklichungs- und Realitätscheck – oder verbleibt es in der Mottenkiste von Thomas Morus? Letztendlich wird die demokratisch verfasste Gesellschaft darüber entscheiden. Fachlich lässt sich das BGE mindestens aus philosophischer, ethischer, politischer, juristischer und ökonomischer Perspektive beleuchten. In der vorliegenden Arbeit wird hierzu kein Schwerpunkt beabsichtigt, aber alle Fachperspektiven in unterschiedlicher Tiefe tangiert. Die fachliche Herkunft des Verfassers, die Politikwissenschaft mit ihrem Multimethodenansatz ermöglichte diese Herangehensweise, die hervorragend durch den MBA-Studiengang an der Quadriga Hochschule Berlin fachlich und methodisch ergänzt werden konnte. In der studienbegleitenden Berufstätigkeit zu einem geistes- und sozialwissenschaftlichen Magister und Promotionsstudiengang als Public Relations-Berater erstellte der Verfasser unter anderem auch Issues Management-Analysen, um die organisationale Beobachtungs- und Informationsverarbeitungsfähigkeit sicherzustellen und Unternehmen und Institutionen bei der Bewältigung von Ungewissheiten und Risiken zu unterstützen. Zentrale Leistung einer strategischen Issues Analyse ist die proaktive Identifikation und Bewertung von Issues.2 Dass es sich bei dem BGE um ein strategisches Issue für die Bundesagentur für Arbeit und seinen Stakeholdern handelt, ist ohne tiefergehende Prüfung offensichtlich.3 Aus 2 3
Zu diesem Analyseansatz finden sich fundierte Ausführungen, vgl. Röttger (2001). Zu den Kriterien eines Issues, vgl. Röttger (2001a), S. 19.
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A. Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeitswelt
diesem Grund versteht der Verfasser die vorliegende Ausarbeitung als eine strategische Issues Management-Analyse zum BGE mit einer tiefgehenden Einordnung in den Komplex der Arbeitsmarktökonometrie, einer priorisierten Akteursanalyse, einer Identifikation der aktuellsten Diskussionswelle „Digitalisierung“ und einem Einblick in den internationalen Diskussionsstand zum BGE anhand einer Auswertung der Modellerprobungen. Deshalb schließt dieses Buch auch mit einem praxisorientierten Extrakt von zentralen strategischen Handlungsempfehlungen am Ende der Bearbeitung. Als zentrale Methode verwendet der Verfasser die qualitative Inhaltsanalyse und wertet hierzu themenspezifische Monographien, Fachaufsätze und Medienerzeugnisse aus. Ergänzt wird diese qualitative Inhaltsanalyse von einer Dokumentenanalyse. Beispielsweise seien an dieser Stelle die Auswertungen zu den Arbeitsmarktstatistiken des Statistikservice der Bundesagentur für Arbeit oder die Analysen zum aktuellen Regierungskoalitionsvertrag sowie die Würdigung der Wahl- und Regierungsprogramme der im Bundestag derzeitig vertretenen Parteien der 19. Legislaturperiode, genannt. Zur praktischen Anwendung kommen nachfolgende Theorien, Methoden und Tools: Neben der politikwissenschaftlichen Cleavage-Theorie (Lipset und Rokkan) und einer politikfeldanalytischen4 Akteursanalyse mit diskursanalytischen5 Elementen hinsichtlich einer medienanalytischen Würdigung einzelner Aussagen konnten auch die an der Quadriga Hochschule aus der Forschung für die Praxis neu erlernten oder vertieften Methoden angewendet werden: kommunikationstheoretische Ansätze (Grunig und Grunig sowie Ganesh und Zoller), der Framing-Ansatz zur Clusterung von subjektiven Deutungsrahmen im Sinne einer Systematisierung zur Analyse von Kommunikationsmustern zur Einordnung der vertretenen Positionen,6 die international vergleichende Untersuchung von Kulturdimensionen nach Hofstede, eine digitale Untersuchung eines Social Media-Kanals innerhalb der Akteursanalyse und vorbereitende Arbeiten für ein „Strategisches Haus“7 in Form von Handlungsempfehlungen. Ergänzend zur bereits erfolgten Darstellung der Inhalte in den Fragestellungen dieser Arbeit werden nun die Informationen zum begründeten Umfang der verwendeten Literatur der Studie vorgestellt. Die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen reißt gefühlt nicht ab, jährlich erscheinen neue Buchpublikationen zum BGE, die zumeist eine entschiedene Haltung entlang der grundsätzlichen Konfliktlinie pro oder contra einnehmen und häufig mit einem ideologischen Sentiment versehen sind.
4
Vgl. Schubert / Bandelow (2003). Vgl. Keller et al. (2001). 6 Vgl. Schmid-Petri (2012). 7 Vgl. Friedag / Schmidt (2015). 5
A. Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeitswelt
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Allein die wissenschaftliche Informationsplattform des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) „Bedingungsloses und solidarisches Grundeinkommen – Konzepte in der Diskussion“ versammelt 185 wissenschaftliche Literaturhinweise und 27 weiterführende Links.8 Googelt man das Lemma „bedin gungsloses Grundeinkommen“ erscheinen in 0,37 Sekunden ungefähr 700.000 Such ergebnisse. Die Quellen- und Literaturlage ist somit als mehr als reichhaltig zu bezeichnen. Wie bereits ausgeführt sammelte der Verfasser aus intrinsischem Erkenntnisinteresse Materialien mit Schwerpunkt auf tagesaktuelle Print- und Onlinemedien unterschiedlicher Herkunft zu dem Thema und reicherte diese Recherche ab 2017 um explizit wissenschaftliche Literatur an. Die berufliche Beschäftigung mit dem Thema Arbeitsmarkt und Digitalisierung wurde hinsichtlich der verwendeten Literatur und Quellen kritisch durchgesehen und gegebenenfalls aktualisiert. Insofern ist der Umfang der Literatur- und Quellenlage für eine Studie als sehr günstig zu bezeichnen. Die vorliegende Untersuchung berücksichtigt die aktuellen Entwicklungen des BGE schwerpunktmäßig zwischen 2010 bis zum 06. Mai 2020, dem Datum der Veröffentlichung des finalen Evaluationsberichts der finnischen Sozialbehörde Kela zu ihrem Modellversuch. Trotz dieser sehr guten Literatur- und Quellenlage besitzt die vorliegende Studie den Anspruch, die erste Untersuchung zum BGE zu sein, die versucht die beiden Kriterien Arbeitsanreiz und Digitalisierung fokussiert und möglichst objektiv9 in Verbindung mit einer Diskussion zum Arbeitslosengeld II und einem ex post-Vergleich hinsichtlich des BGE zu analysieren. Der Hauptteil dieser Arbeit, der sich auf die Darstellung der wesentlichen Ergebnisse konzentriert und ausführliche Herleitungen einspart, unterteilt sich in zwei große Abschnitte. Zunächst werden in einem ersten Abschnitt unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen vorgestellt und hinsichtlich der Kriterien dieser Arbeit analysiert. Als ein möglicher Lackmustest für ein BGE erfolgt nach einer vertiefenden Grundlegung zum derzeitigen Grundsicherungssystem ein ex post-Vergleich zwischen dem Arbeitslosengeld II sowie der vormalig wirkungslosen Kombination aus Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Vorschläge für Varianten der praktischen Umsetzung schließen sich anhand einer Analyse ihrer aktuellsten Monographien der wohl prominentesten Vertreter zum BGE an: Thomas Straubhaar und Götz W. Werner. In dieser Darstellung werden die Erkenntnisse beider Autoren auch hinsichtlich des neuen digitalen Begründungszusammenhangs untersucht. 8 IAB (2020). Die Inhalte und Zitationen von Internetverlinkungen in dieser Arbeit beziehen sich grundsätzlich auf das Datum des Abrufs, wie im Literatur- und Quellenverzeichnis angegeben. 9 Der Verfasser versucht die Analyse so sachlich und ergebnisoffen wie möglich durchzuführen, um dann sein Ergebnis entschieden zu begründen. Ob dieses Arbeitsprinzip gelungen ist, obliegt der Entscheidung des jeweiligen Rezipienten der vorliegenden Studie.
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A. Grundeinkommen und die Digitalisierung der Arbeitswelt
Der zweite Abschnitt beginnt ebenfalls mit einer Grundlegung, hier zur Auswirkung der Digitalisierung auf die Arbeitswelt, die im Anschluss in einer priorisierten Akteursanalyse vertiefend untersucht wird und erste Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Coronavirus auf die Diskussionen um ein BGE enthält. Der Hauptteil schließt mit einer Würdigung der internationalen Modellversuche zum BGE mit Fokus auf das finnische Modellprojekt.
B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zum Gesellschafts bild einer sozialen, solidarischen Gesellschaft befürwortete die Mehrheit ein leistungsfähiges soziales Netz. Zu diesem „Leitbild“ gehört zum Beispiel für 90 Prozent der Teilnehmer, dass der Staat für eine Grundsicherung sorgt. Eine große Mehrheit verfolgt nach dieser Umfrage aber kein egalitäres Gesellschaftsmodell, sondern differenziert Einkommen von Transferleistungen. Besonders wichtig ist den Befragten, „dass staatliche Unterstützungsleistungen deutlich unter den Arbeitseinkommen liegen sollen,“ also auch, dass Arbeitslosenunterstützung unter den Erwerbseinkommen liegt.1 In der Diskussion um die Reform der gegenwärtigen Grundsicherung in Deutschland existiert demgemäß auch ein ständiger Zielkonflikt darin, die Grundsicherung „armutsfest“ zu machen, ohne dabei das Lohn abstandsgebot zu verletzen.2 Vielen Menschen geht es bei dem Thema der sozialen Absicherung also um Gerechtigkeit.
I. Arbeitslosengeld II („Hartz IV“3) Da es sich bei der derzeitigen Grundsicherung, dem Arbeitslosengeld II, um ein voraussetzungsvolles Oeuvre handelt und um Fehlinterpretationen der benutzten Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit möglichst auszuschließen, sollen zunächst zumindest zwei Begrifflichkeiten den nachfolgenden Ausführungen vorangestellt und vorab eingeführt werden. Zentrale Begrifflichkeiten der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) sind demnach die „Hilfebedürftigkeit“ und der „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“. Leistungen erhalten demnach hilfebedürftige Menschen, die den gemeinsamen Lebensunterhalt mit den gemeinsam im Haushalt lebenden Personen nicht oder nicht vollständig bestreiten können. Damit wird klar, dass der Bezugskreis sehr heterogen ist und nicht alle Personen den Status der (Langzeit-)Arbeitslosigkeit besitzen. Deshalb unterscheidet die Statistik auch zwischen erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Als Arbeitslosengeld II anspruchsberechtigte erwerbsfähige Leistungsberechtigte gelten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das Renteneintrittsalter noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, das heißt, in 1
Vgl. Köcher (2015), S. 10. Vgl. Walwei (2019b). 3 Die Begrifflichkeit der sogenannten „Hartz-Gesetze I bis IV“ geht auf den damaligen VW-Personalvorstand, Peter Hartz, zurück, der 2002 die vorbereitende Kommission zur Gesetzgebung leitete. 2
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B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen
der Lage sind, täglich für mindestens drei Stunden zu arbeiten, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.4 Seit 2005 existieren die Regelungen zur Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II und ersetzten damit die soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit aus Arbeitslosengeld und die des erfolglosen Tandems von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Bis dahin ließen die Rezession von 1965, die 1. und 2. Ölkrise und der Strukturwandel in Ostdeutschland die Arbeitslosigkeit ansteigen, ohne im jeweils darauffolgenden Aufschwung wieder auf das Ausgangsniveau zurückzukehren.5 Vor der Reform 2005 war der deutsche Arbeitsmarkt jahrzehntelang vom Phänomen einer steigenden Sockelarbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die Arbeitsmarktreformen, die zwischen 2003 und 2005 von der rot-grünen Regierung6 umgesetzt wurden, hatten drei wesentliche Stoßrichtungen: arbeitsrechtliche Deregulierung, arbeitsmarktpolitische Aktivierung und Verbesserungen der Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.7 Mit dieser Einführung verbunden war im Detail die Verkürzung der maximalen Bezugsdauer des Arbeitslosengelds. Nach Ablauf des Anspruchs auf Arbeitslosengeld erhalten nun arbeitslose Menschen keine höhere Arbeitslosenhilfe mehr, die zuvor stets an den früheren Lohn gekoppelt war, selbst, wenn nach fünf Jahren keine Erwerbsfähigkeit vorlag, sondern die niedrigere Sozialhilfe als Grundsicherung. Frühere Sozialhilfeempfänger verbesserten ihr Einkommen durch die zusammengefasste Transferleistung.8 Neben dieser Förderkomponente bestand auch in der vorher gültigen Sozialhilfe die Pflicht, sich als Erwerbsfähiger beim Arbeitsamt als Arbeit suchend zu melden. Weil keine finanziellen Anreize hiermit verbunden waren, lief diese Form der Förderkomponente ins Leere. Die Konzessionsbereitschaft von Arbeitslosen, also die Motivation, eine Arbeitsstelle mit geringerem Lohn anzunehmen, war sehr gering. Arbeitslosigkeit wirkte selbstverstärkend, arbeitslose Menschen waren faktisch abgekoppelt vom Arbeitsmarkt und damit von gesellschaftlicher Teilhabe. Die Verhaltensanreize für erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Integration in den Arbeitsmarkt, also die Bereitschaft zur Arbeitssuche und Arbeitsaufnahme, stieg erst mit Einführung der Forderkomponente des Arbeitslosengelds II.9 Diese Komponente forderte von den Leistungsberechtigten eine erhöhte Konzessionsbereitschaft. Die Zumutbarkeit von Beschäftigung und Maßnahmen zur Beendigung der individuellen Hilfebedürftigkeit veränderte sich im Anschluss 4
Vgl. Schmidt / Weißbrodt (2019), S. 286. Vgl. Schneider (2013), S. 144 f. 6 Zu den (Partei-)Politischen Konsequenzen der SPD als dynamische Reformpartei in der Mitte des Parteienspektrums, deren Vorbild bei Tony Blairs New Labour zu suchen sind, vgl. Bitzegeio (2019), besonders S. 40 u. S. 42–44. 7 Vgl. Walwei (2017), S. 25. 8 Vgl. Creutzburg (2018), S. 44. 9 Vgl. Schneider (2013), S. 146 f. 5
I. Arbeitslosengeld II („Hartz IV“)
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dieser Etablierung. Eine fehlende Mitwirkung kann als Pflichtverletzung sanktioniert werden. Die Grundsicherung mit ihrem immanenten Leitgedanken der gesellschaftlichen Teilhabe durch Integration in das Erwerbsleben hat den Arbeitsmarkt mit dem Prinzip des „Förderns und Forderns“, welches die Eigenverantwortung und Eigeninitiative im Sinne einer „aktivierenden Arbeitsmarktpolitik“ vorsieht,10 aus der Massenarbeitslosigkeit nach dem oben beschriebenen zyklischen Phänomen des Anstiegs der Sockelarbeitslosigkeit geführt und einen maßgeblichen Anteil am Arbeitsmarktaufschwung nach 2005.11
Quelle: Entnommen aus Bundesagentur für Arbeit (Zentrale) Statistik / Arbeitsmarktbeobachtung (CF3) (2019): Entwicklungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende 2005 bis 2019, 1. Aufl., Nürnberg: Selbstdruck.
Abb. 1: Arbeitslosigkeit in der Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung für Arbeitsuchende, Deutschland, April 2005 bis Oktober 2019 (saisonbereinigte Werte); in Millionen.
Seit Einführung der Grundsicherung 2005 hat sich die Anzahl der Arbeitslosen in der Grundsicherung deutlich reduziert. Zu den Höchstzeiten im Jahr 2006 waren im Rechtskreis des SGB II, auch wegen der statistischen Nacherfassung von 350.000 früheren Sozialhilfebeziehern, fast drei Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Im Jahr 2019 waren es teilweise nicht einmal mehr die Hälfte davon. Selbst die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 konnte nichts an der positiven Entwicklung des Arbeitsmarktes ändern.12
10
Vgl. Walwei (2019), S. 12. Vgl. Walwei (2019), S. 18. 12 Vgl. Walwei (2017), S. 27. 11
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B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen
Quelle: Entnommen aus Bundesagentur für Arbeit (Zentrale) Statistik / Arbeitsmarktbeobachtung (CF3) (2019): Entwicklungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende 2005 bis 2019, 1. Aufl., Nürnberg: Selbstdruck.
Abb. 2: Langzeitarbeitslosigkeit, Deutschland, 2000 bis 2019; in Millionen.
Auch die Langzeitarbeitslosigkeit, also Arbeitslosigkeit, die länger als ein Jahr dauert, befindet sich seit 2015 auf dem Abbaupfad. Seitdem ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen um rund 300.000 auf inzwischen 700.000 gesunken.13 Trotz dieser positiven Bilanz nach 15 Jahren „Hartz IV“ wurde und wird bis zuletzt die bislang letzte große Arbeitsmarktreform kontrovers diskutiert.14 Selbst die Befürworter der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II sehen den grundsätzlichen Reformbedarf der Regelungen,15 die 2005 zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit eingeführt wurden und ihre Wirksamkeit16 gezeigt haben und stets angepasst wurden,17 aber in Zeiten der Megatrends18 der gegenwärtigen VUCA19-Welt nicht mehr zukunftsfest sind. 13
Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2019), S. 5 f. und 7 f. Vgl. Butterwegge / Hank (2019), S. 4–5, „Hartz IV macht nicht bloß viele Menschen arm, sondern auch krank“ und hätte zu einem sozialen Klimawandel geführt sowie die politische Kultur der Bundesrepublik „nachhaltig“ beschädigt. Zur Kinderarmut, vgl. Walwei (2019), S. 15. 15 Z. B. Walwei (2019), S. 21. 16 Vgl. Hartung et al. (2018); anders als die herrschende Meinung (s. o. unter „Fördern und Fordern“ und vgl. Butterwegge / Hank (2019), S. 8 f.) untersuchte Hartung et al. als maßgeblichen Wirkmechanismus die Verhinderung des Beschäftigtenabbaus. 17 Vgl. Walwei (2017), S. 26; zuletzt 2016: Weiterbildungsprämien für Geringqualifizierte, 2017: Vermittlungsvorrang nur noch nach Ermessensentscheidung und 2019: sozialer Arbeitsmarkt mit dem Teilhabechancengesetz. 18 Digitalisierung, demographischer und ökologischer Wandel. 19 Die Abkürzung „VUCA“ bedeutet: volatility (Volatilität / Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit). Neuerdings auch erweitert als D-VUCA-D [Hervorhebungen durch den Verfasser], die Ergänzungen stehen für Disruption (Technologisch / Industriell, aber auch sozialer Wandel) und Diversität (Gender, kulturell, generationenübergreifend). 14
I. Arbeitslosengeld II („Hartz IV“)
23
Die diskutierten Reformvorschläge zur Grundsicherung weisen eine breite Spreizung auf. Sie reichen von einer „moderaten Weiterentwicklung des geltenden Systems über eine Abschaffung wesentlicher Grundprinzipien bis hin zu Alternativen wie die eines bedingungslosen Grundeinkommens.“20 Detaillierter lassen sich die Vorschläge zur Neuausrichtung in der Grundsicherung in nachfolgende Reformdimensionen unterteilen: Biographie-/Lebensgerechtigkeit, Reform der Transferzahlung (Schonvermögen / Anrechnungsregelung), Entbürokratisierung der Verwaltungsabläufe, Stärkung der beruflichen Weiterbildungsförderung und ein Weiterbildungsunterhaltsgeld. Der existenzsichernde Lackmustest zukünftiger Reformvorschläge für die bestehende Grundsicherung liegt also, so die bisherigen Analyseergebnisse, an dem grundsätzlichen Prinzip des „Förderns und Forderns“, welches die Eigenverantwortung und Eigeninitiative im Sinne einer „aktivierenden Arbeitsmarktpolitik“ voraussetzt, um eine nachhaltige Integration ins Erwerbsleben zu erzielen. Anfang 2018 gab der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, in einem Presseartikel den Startschuss für einen „offenen Dialog zur Zukunft der Arbeit und der sozialen Sicherungssysteme“. Dabei wird seine Vision nicht von einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) geleitet, sondern sein Ziel ist der Ausbau der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung und die Neuausrichtung der Grundsicherung, „um soziale Teilhabe und Respekt in unterschiedlichen Lebenslagen zu verwirklichen.“21 In der nachfolgenden politischen Debatte diskutierten unterschiedliche Akteure verschiedene Konzepte, die von einem solidarischen Grundeinkommen bis zur Ausgestaltung eines sozialen Arbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose unterschiedliche Vorschläge beinhaltete. Detlef Scheele, Vorsitzender des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit, sieht gleichwohl Reformbedarf, etwa hinsichtlich eines sozialen Arbeitsmarktes für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose, aber nicht die Notwendigkeit einer Hinterfragung des kompletten Systems der Grundsicherung.22 Offensichtlich hatte Bundesminister Heil aber mit seinem Artikel die Büchse der Pandora geöffnet. Die damaligen Parteispitzen der SPD kündigten nachfolgend die Abschaffung des Grundsicherungssystems als politisches Ziel an, worauf Scheele mit einer Verteidigung der Grundsicherung reagierte, ohne den Reformbedarf zu verschweigen, und bereits konkrete Punkte zur Verbesserung benannte, die sich an den oben genannten Reformdimensionen orientierten.23 Zuletzt hat die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen24 für Empfänger von Arbeitslosengeld II, welche
20 Vgl. Walwei (2019), S. 12; vgl. hierzu auch die synoptische Darstellung der Kernaussagen verschiedener Reformvorschläge des IW, vgl. Ernste / Schneider (2016), S. 11. 21 Vgl. Heil (2018), S. 10. 22 Vgl. o. V. (2018), S. 21. 23 Vgl. Diekmann (2018). 24 „Ob Sanktionen tatsächlich auch in den richtigen Fällen verhängt werden und ob sie Verhaltensänderungen bei den Sanktionierten verursachen, ist empirisch schwer zu belegen. […]
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B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen
die Mitwirkungspflichten25 vom Grundsatz rechtfertigten und damit implizit das Prinzip des Förderns und Forderns sowie die Eigenverantwortung des Einzelnen bestätigten,26 erneut die Diskussion um die Grundsicherung angeregt.27 Wie also könnte eine Reform der Grundsicherung für die Bundesrepublik aussehen? Nachfolgend sollen vier Reformkonzepte aus Forschung und Praxis hinsichtlich ihrer Alleinstellungsmerkmale exemplarisch beleuchtet werden und die Bandbreite des kontroversen Diskussionsstandes aufzeigen. Das Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München (Ifo-Institut) konzentriert sich bei seinem Reformvorschlag auf eine Reform der Leistungsgewährung. Im Mittelpunkt dieses Reformvorschlags stehen die mangelnden Erwerbsanreize wegen hoher Transferentzugsraten. Ziel dieses Reformvorschlags der sozialen Grundsicherung ist es, dass sich Arbeit auch bei niedrigen Stundenlöhnen wieder lohnt und durch verbesserte Anreizstrukturen die Abhängigkeit von Transfers aus eigener Kraft leichter beendet werden können. Die am Ende zu erzielende positive Beschäftigungs- und die Einkommenswirkung soll, so das Ifo-Institut, im Kern über eine Senkung der Grenzbelastung mit einer Differenzierung nach Haushaltstypen, der Zusammenfassung der Transferleistungen von Arbeitslosengeld II inkl. Kosten der Unterkunft, Wohngeld sowie Kinderzuschlag und die Erhöhung des Schonvermögens beim Arbeitslosengeld II in Abhängigkeit der individuellen Erwerbshistorie erreicht werden.28 Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) berät die Bundesagentur für Arbeit über die Entsendung von Vertretern in das Selbstverwaltungsorgan der Bundesagentur, dem Verwaltungsrat29 als Vertreter der sogenannten „Arbeitgeberbank“. Die Empfehlungen der BDA besitzen also bezüglich des Arbeitslosengelds II besonderes Gewicht, weil die Jobcenter überwiegend als gemeinsame Einrichtungen der Agenturen für Arbeit und der Kommunen organisiert sind. Im Sommer 2017 veröffentlichte die BDA ein vier Punkteprogramm zur Reformierung der Grundsicherung, die im Kern Vorschläge zur Ausgestaltung von ausgewählten Regelungen in den Jobcentern30 beinhaltete. Diese vier Punkte entDie wenigen wissenschaftlichen Studien, die es zu dieser Frage gibt, deuten darauf hin, dass sich Sanktionen positiv auf die Wahrscheinlichkeit der Wiederbeschäftigung auswirken.“ vgl. Peichl (2020); dezisiver vgl. Walwei (2019a), „Sanktionen führen dazu, dass schneller eine neue Stelle angetreten wird“. 25 Vgl. Heyne (2019), S. 1 f. 26 Vgl. den luziden Kommentar von Müller (2019), S. 1. 27 Ein Bündnis aus Sozialverbänden, Gewerkschaften, Linkspartei und Grünen leitete daraus die Forderung nach einer vollständigen Abschaffung von Sanktionen gegen Arbeitslose und damit faktisch eine Totalrevision einer Arbeitsmarktpolitik des Förderns und Forderns, ab, vgl. o. V. (2019), S. 17; Der Parteivorsitzende der Grünen, Robert Habeck, ist einer der prominentesten parteipolitischen Sanktionsgegner, vgl. o. V. (2019a). 28 Vgl. Blömer et al. (2019), S. 34–42. 29 Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2020). 30 Jobcenter haben gemäß dem SGB II den gesetzlichen Auftrag, die Hilfebedürftigkeit ihrer Kundinnen und Kunden in der Grundsicherung zu überwinden.
I. Arbeitslosengeld II („Hartz IV“)
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hielten viele kleinteilige Aspekte, die teilweise Appellcharakter besitzen. Viele dieser genannten Punkte sind in der Praxis der regionalen Jobcenter bekannt, einige auch inzwischen umgesetzt, wie zum Beispiel das Teilhabechancengesetz31 zur Integration langzeitarbeitsloser Menschen mithilfe eines vorgelagerten Coachings, einer intensiven Beratung der Arbeitgeber und Nachbetreuung der integrierten Menschen. Im ersten Punkt betont die BDA besonders das Thema (Teil-)Qualifizierung, im zweiten und dritten Punkt werden überwiegend Reformen des Leistungsrechts vorgeschlagen. Im letzten Punkt werden schwerpunktmäßig Vorschläge zur Entlastung der Jobcenter unter anderem durch eine Verlagerung von Aufgaben von den Jobcentern zu den Arbeitsagenturen beschrieben. Einige der kurzen Vorschlagsskizzen enthalten charakteristische Arbeitgeberpositionen, wie zum Beispiel zu den „flexiblen Beschäftigungsformen als Brücke in den Arbeitsmarkt“32 [Arbeitnehmerüberlassung / Private Personalvermittlung / Zeitarbeit, Anm. L. N.]. Heinrich Alt, der bis 2015 fast 14 Jahre lang zum Vorstand der Bundesagentur für Arbeit gehörte, legte im Februar 2017 ein eigenes Reformkonzept zur Grundsicherung vor. Erschienen ist dieser 23-seitige Reformvorschlag des langjährigen SPD-Mitglieds Alt, der ein BGE ablehnt,33 bei der FDP-nahen Friedrich-NaumannStiftung. Das „Alt-Papier“ galt der BDA offensichtlich als Stichwortgeber, viele der acht Forderungen ähneln sich stark, werden von Alt aber konkreter gefasst. So sieht auch Alt die dringlichste Reformaufgabe in der institutionellen Neuorganisation der Grundsicherung. Der Kern seiner Reformkonzeption sieht vor, über eine Vereinfachung des Leistungskataloges und einer Reorganisation der Jobcenter Ressourcen für die Konzentration auf das Vermitteln und Qualifizieren der hilfebedürftigen Menschen in der Grundsicherung zu schaffen.34 Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist eine inhaltlich und publizistisch unabhängige Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit mit dem gesetzlichen Auftrag, Transparenz auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt herzustellen. Das IAB hat zur letzten Grundsicherungsdebatte eigene Reformvorschläge erarbeitet, die vom Grundsatz her den arbeitsmarktpolitischen Anspruch der Grundsicherung aufrechterhalten und der Integration in den Arbeitsmarkt weiterhin Priorität einräumen.35 In einer überwiegend reaktiven Entgegnung von derzeit vier identifizierbaren (parteipolitischen) Diskussionssträngen veröffentlichte der Vizedirektor des IAB, Ulrich Walwei, eigene Reformpositionen für sein Institut. Diese reichen über die 31
Seit dem 01.01.2019 können Personen nach dem § 16i SGB II, die in den letzten sieben Jahren mindestens sechs Jahre Leistungen nach dem SGB II bezogen haben, durch einen bis zu fünfjährigen Lohnkostenzuschuss von bis zu 100 Prozent gefördert werden, vgl. Walwei (2019c), S. 236. 32 Vgl. BDA (2017), S. 2. 33 Vgl. Alt (2017): „Arbeitslose leiden nicht darunter, wieder arbeiten zu müssen, sie leiden darunter, nicht arbeiten zu können.“ 34 Vgl. Alt (2017a). 35 Vgl. Bruckmeier et al. (2018).
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B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen
Grenzen der Arbeitsmarktpolitik hinaus und beziehen sich im Ergebnis zum Beispiel auf ein angemessenes Schonvermögen der selbst genutzten Wohnung und altersabhängigen Freibeträgen sowie Ersparnisse zur Altersvorsorge, die Abschaffung von Totalsanktionen bei grundsätzlicher Beibehaltung einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, auf den Aufbau einer besseren Prävention durch Bildung, Aus- und Weiterbildung oder auch gesundheitliche Vorsorge, Verbesserungen der sozialen Grundversorgung und öffentlichen Dienstleistungen, einen stärkereren Einsatz erwerbsorientierter Transfers und verbesserte Anrechnungsregelungen für zusätzliches Erwerbseinkommen.36 Dieser letztgenannte Reformvorschlag des IAB fokussiert, ähnlich wie das eingangs genannte Konzept des Ifo-Instituts, die Neugestaltung des Transfersystems, um es zu vereinfachen und die Belastung von niedrigen Erwerbseinkommen zu verringern. Ziel ist über Anreize die Aufnahme und Ausweitung einer Beschäftigung, also die Arbeitsmarktpartizipation und die Erhöhung des Arbeitszeitvolumens zu ermöglichen. Dies soll im Einzelnen über die Einführung eines Erwerbszuschusses und einer Reform der Hinzuverdienstregeln in der Grundsicherung sowie einer besseren Abstimmung von Wohngeld, Kinderzuschlag und Grundsicherung (Grenzkosten bei Geringverdienern optimieren) erreicht werden. Die Beschäftigungsperspektive für Menschen mit keiner- oder nur geringer Qualifikation wird mit zunehmender Digitalisierung hierdurch nicht verbessert, so die Autoren, sondern nur durch eine zusätzliche Konzentration auf die Beschäftigungsqualität.37
II. Zwischenergebnis Der Vergleich zwischen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie dem Status quo des Arbeitslosengeldes nach dem SGB II zeigt die besonderen Unterschiede der beiden Sozialsysteme auf. Prägnantester inhaltlicher Unterschied zum vorangegangenen System ist die Ergänzung des Förderns durch das Fordern und vor allem die Durchsetzung dieser Teilkomponente in der Grundsicherung. Die Hilfebedürftigkeit der Menschen wird durch den verstärkten Einsatz ihrer Eigenverantwortung und Eigeninitiative überwunden. Dies geschieht nicht nur über eine Beratung und Vermittlung, sondern in geringem Maße auch über Sanktionen zur Leistungskürzung.38 Der Grundsatz der gesellschaftlichen Teilhabe durch Inte gration in das Erwerbsleben setzt also eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik mit einem starken Anreizsystem voraus. Dieser ex-post-Vergleich der beiden Systeme gibt wichtige Hinweise für eine der Hauptthesen dieser Studie, die nach der Motivation zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Auszahlung eines 36
Vgl. Walwei (2019b). Vgl. Bruckmeier et al. (2018). 38 Jobcenter kürzen Leistungen nur in 3 Prozent der Fälle, 90 Prozent der ALG-II-Empfänger waren nicht betroffen, die absolute Anzahl der Sanktionierten verringerte sich in 2018 im Vergleich zum Vorjahr um rund 49.000 Menschen, vgl. o. V. (2019a). 37
III. Solidarisches Grundeinkommen als Brückenmodell
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bedingungslosen Grundeinkommens fragt. Ob dieser Vergleich ein Lackmustest für ein bedingungsloses Grundeinkommen ist, muss in einer Gesamtwürdigung der Ergebnisse am Ende dieser Arbeit entschieden werden. Lediglich mit Blick auf die Teildiskussion um die vollständige Abschaffung von Sanktionen würde sich bereits eine 180-Grad-Wende weg von einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik ergeben. Durch den Wegfall von Mitwirkungsanforderungen gehen nachhaltige Arbeits- und Bildungsanreize verloren, so die Ergebnisse der Begleitforschung zu den Sanktionen.39 Die Konsequenzen für das Grundsicherungssystem nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens werden als noch weitreichender beurteilt. Unter anderem wird die Transformation der Arbeitswelt durch die Digitalisierung als einer der gewichtigen Gründe genannt das Arbeitslosengeld II weiter zu reformieren. Die Darstellung zum Arbeitslosengeld II konnte zum einen die aktuelle Bandbreite der substantiellsten Reformvorschläge aus Wissenschaft und Praxis vermessen, gleichwohl konnte eine gewisse Konzentration bei den ausgewählten Reformvorschlägen auf die Reformdimensionen: Transferzahlung (Schonvermögen / Anrechnungsregelung) und Entbürokratisierung der Verwaltungsabläufe festgestellt werden. Implizit zeigt diese Analyse zum anderen einige der gewichtigsten Gegenpole eines bedingungslosen Grundeinkommens. Warum die Reformdimension der Weiterbildung und Qualifizierung bei den besprochenen Konzepten nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist vor dem Hintergrund der Transformation der Arbeitswelt fragwürdig.
III. Solidarisches Grundeinkommen als Brückenmodell Das solidarische Grundeinkommen (SGE), welches von Berlins regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) 2017 als Vorschlag eingebracht wurde, und das vom DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) entwickelte Konzept richtet sich ausschließlich an erwerbslose Arbeitslosengeld IIEmpfänger, die freiwillig eine geförderte „gesellschaftlich relevante Tätigkeit“40 bei ausschließlich kommunalen oder landeseigenen Unternehmen aufnehmen.41 Es handelt sich also um die Etablierung eines sozialen Arbeitsmarkts, der anders als das Arbeitslosengeld II wenige(r) Anforderungen an die Hilfebedürftigen hinsichtlich ihrer Eigenbemühungen zur Überwindung der individuellen Hilfebedürftigkeit fordert. Gleichwohl grenzt sich das SGE vom bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) durch die Erfordernis der Beschäftigungsaufnahme ab.42 Es liegt also konzeptionell zwischen dem arbeitsmarktlichen Status quo, also dem ALG II, und der 39
Vgl. Walwei (2019c), S. 238. Darunter versteht das DIW etwa Hausmeistertätigkeiten, Kleinkinder- oder Seniorenbetreuung, vgl. Bach / Schupp (2018), S. 3 f. 41 Vgl. Bach / Schupp (2018), S. 2. 42 Kritischer, im Sinne von größerer Nähe zwischen SGE und BGE vgl. Eilfort (2018). 40
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B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen
reinen Solidarfinanzierung eines BGE. Dieses solidarische Grundeinkommen könnte also ein Brückenmodell zum bedingungslosen Grundeinkommen darstellen. Politisch löste das SGE eine weitere Grundsatzdebatte zum Arbeitslosengeld II aus. Während Hubertus Heil, Malu Dreyer und Michael Müller (alle SPD) das SGE dem Grunde nach mindestens verteidigten, erntete Müllers ergänzendes Reform- und Übergangskonzept Kritik aus dem Lager der Koalitionspartner, Arbeitgebervertreter und Teilen der Gewerkschaft. Zum Beispiel verglichen einige dieser Kritiker das SGE mit den gescheiterten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der 1990er Jahre.43 Müller betonte im Gegenzug die positiven Effekte des SGE als Antwort auf die arbeitsmarktpolitischen Risiken durch die digitalisierte Transformation der Arbeitswelt.44 Wissenschaftlichen Widerspruch zum SGE entgegnete zum Beispiel auch das IAB in seiner Stellungnahme zum Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2018/19. In diesem Papier führten die Autoren insgesamt sieben Kritikpunkte am SGE an. Besonders zwei Punkte bezogen sich auf die Motivation der SGE-Geförderten. Vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und Arbeitsgelegenheiten (AGH) würde, nach Meinung des IAB, das SGE zu einer Verringerung der Suchanstrengung der Geförderten hinsichtlich einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt führen, da dieses Konzept keinen Vorschlag für Anreize zur Suche nach ungeförderter Beschäftigung setze. Auf der anderen Seite könnten geförderte Stellen nach dem SGE „als Belohnung für langes Ausharren in Arbeitslosigkeit gedeutet werden“ und somit zu einem Fehlanreiz für Betroffene und zu einem Gerechtigkeitsproblem führen.45 Den Vorschlag Müllers begleitete das IAB auch über Veröffentlichungen in den Medien für einen breiteren Rezipientenkreis, und zwar einmal zeitnah nach Bekanntwerden des Konzepts im Frühjahr 201846 und dann kurz vor dem Start der fünfjährigen Erprobung im Spätsommer 2019.47 In den ersten Veröffentlichungen zum SGE betonten Möller und Walwei (beide IAB), dass sich öffentlich geförderte Beschäftigung auf arbeitsmarktferne Personen beschränken muss, ansonsten würden die bereits beschriebenen Negativeffekte der ABM entstehen. Menschen, denen der Anreiz zur Suchanstrengung genommen wird, würden sich immer weiter vom regulären Arbeitsmarkt entfernen, so Möller. Wolff ergänzt in seiner Veröffentlichung, dass über die „Wartearbeitslosigkeit“ womöglich die Attraktivität einer weiteren Qualifizierung abnehmen würde und so die Beschäftigungsfähigkeit der Geförderten zusätzlich eingeschränkt werden könnte. Weiterhin hält er das SGE für noch näher am normalen Arbeitsmarkt befindliche Personen für kontraproduktiv, weil die ausgeübten Tätigkeiten nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt nachgefragt 43
Vgl. o. V. (2018a) und o. V. (2018b). Vgl. Müller (2018). 45 Vgl. Kupka et al. (2018), S. 5 f. 46 Vgl. o. V. (2018c), Walwei (2018), Möller (2018). 47 Vgl. Wolff (2019). 44
IV. Zwischenergebnis
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werden und dies die Eingliederungschancen in eine ungeförderte Erwerbsarbeit längerfristig mindern würde, auch weil der Suchanreiz entfiele und potenzielle Arbeitgeber geförderte Beschäftigung als Stigma werten könnten. Seit August 2019 wird das SGE in Berlin als Modellprojekt getestet. Fünf Jahre lang können 1.000 Arbeitslosengeld II-Empfänger in das Projekt einmünden. Das Land Berlin stellt hierfür 38 Millionen Euro zur Verfügung. Mit Stand Januar 2020 läuft das Modellprojekt schleppend an, bisher seien nur 61 Arbeitsverhältnisse zustande gekommen, Anfang März 2020 nicht viel mehr als hundert Menschen integriert. Nur zwei Drittel der angebotenen Stellen würden zurzeit tariflich bezahlt, ein Drittel nach Mindestlohn. Die Sozialsenatorin Berlins, Elke Breitenbach (Die Linke), sieht als Grund für die geringe Nachfrage an dem Modellprojekt interessanterweise die Freiwilligkeit der Teilnahme.48 Nach Einschätzung von Sabine Bangert (Die Grünen) liegt der bisher ausgebliebene Erfolg des Projekts an der mangelnden Aufnahmefähigkeit des ersten Arbeitsmarkts für die Zielgruppe des SGE und der fehlenden Attraktivität der geförderten Arbeitsangebote für Arbeitssuchende mit abgeschlossener Berufsausbildung. 2022 soll ein erster externer Zwischenbericht zum SGE vorliegen.49
IV. Zwischenergebnis Wie bereits der Vergleich zwischen Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld II gezeigt hat, ist das Anreizsystem zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für eine erfolgreiche Überwindung der individuellen Hilfebedürftigkeit ein wesentlicher Aspekt für eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik. Auch im Abschnitt zum SGE konnten zwei Faktoren der „Bewerber“-motivation, die Wartearbeitslosigkeit und der Suchanreiz, als wichtige Vergleichselemente analysiert werden. Im Vergleich zwischen SGE und BGE bleiben deutliche Unterschiede ersichtlich, es handelt sich wegen der Erwerbstätigkeit als Voraussetzung der Teilnahme um einen anderen Ansatz. Eine bis dato nicht auszuschließende Ausweitung des Modellprojekts im Jahr 2024 würde zu einem sozialen Arbeitsmarkt in einer Dimension führen, die das Modellprojekt zu einem Brückenmodell für das BGE werden lassen würde. Dieses Brückenmodell wäre dann auch geeignet ALG II abzulösen und das Ende einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik bedeuten.50
48
Vgl. Nehls (2020). Vgl. Zawatka-Gerlach (2020). 50 Die Darstellung weiterer Alternativkonzepte / alternative Etikettierungen, wie zum Beispiel Garantiesicherung, Bürgergeld, sanktionsfreies Grundeinkommen oder Basisgeld plus Steuergutschrift würden den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, vgl. zum Basisgeld plus Steuergutschrift: Spermann (2019). 49
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B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen
V. Bedingungsloses Grundeinkommen und Varianten der praktischen Umsetzung Die Ideengeschichte des BGE lässt sich zurückverfolgen bis zu Thomas Morus Werk „Utopia“. Eine wesentliche Weiterentwicklung erfuhr der Begriff bei Thomas Paine, der als Vorläufer des „Ressourcenegalitarismus“51 gilt. In Deutschland und Europa hat die Diskussion seit der Hochkonjunkturphase ab 2010 an Intensität gewonnen. Parallel hierzu wurde der demographische Wandel und das vermeintliche Ende der Erwerbsarbeit infolge der Digitalisierung der Arbeitswelt diskutiert. Diese beiden Diskurse wirken seitdem als Katalysator in der Debatte um ein BGE. Was unter einem BGE52 tatsächlich verstanden und bezweckt wird, ist vielfältig und hängt von der wirtschaftlichen und / oder politischen Herkunft der Diskussionsteilnehmer ab, sie reichen von sozialrevolutionär-kommunistischen bis zu libertären Begründungszusammenhängen und vielen Positionen dazwischen.53 Aus diesem Grund soll für die vorliegende Arbeit eine möglichst breite Definition des BGE zugrunde gelegt werden. Unter dem bedingungslosen Einkommen versteht der Verfasser, dass ein Einkommenstransfer in bestimmter Höhe regelmäßig, permanent, ohne Verhaltensauflagen (Bedingungen), besonders in Verknüpfung mit einer Arbeitsaufnahme im Sinne einer Erwerbstätigkeit, ohne eine Bedürftigkeitsprüfung und an jeden Bürger vom Staat ausgezahlt wird.54 Die Themen und Fragestellungen, die mit dem BGE einhergehen, sind ebenfalls vielfältig, sie reichen von der Finanzierung bis zur konkreten gesetzlichen Ausgestaltung. Wie in den bereits vorangegangenen Abschnitten gezeigt werden konnte, ist die Frage, inwieweit das Grundeinkommen bei Beziehern Arbeitsanreize auslöst oder schwächt, von zentraler Bedeutung für die Einführung eines BGE als Alternative zum Arbeitslosengeld II. Neigen die Menschen also, wenn der Staat nur noch fördert, aber nicht mehr fordert, dann eher zu Fleiß oder zu Faulheit? Um dieser Frage weiter nachzugehen, sollen nachfolgend zwei besonders prominente Befürworter eines BGE hinsichtlich des Anreizes zur Arbeitsaufnahme und dem Digitalisierungszusammenhang untersucht werden.55
51
Vgl. Reuter (2016), S. 11, zur weiteren Debatte, vgl. ebd., S. 10–14. Eine gute Übersicht zur historischen Entwicklung der Idee und ihrer Begründung, vgl. Osterkamp (2015a), S. 10–12. 52 Wegen des negativen Schweizer Volksentscheids von 2016 zum bedingungslosen Grundeinkommen wird bisweilen bereits eine andere Begrifflichkeit vorgeschlagen: der „vormalige Begriff Bürgergeld“, vgl. Wehner (2018), S. 3. 53 Die Diskursbandbreite decken nachfolgende Sammelbände gut ab: vgl. Osterkamp (2015) und Risch (2018). 54 Vgl. Osterkamp (2015b), S. 226. 55 Zum BGE liegen erheblich viele Modelle vor, siehe die synoptische Darstellung, vgl. Raddatz (2014), S. 49 f.
V. Bedingungsloses Grundeinkommen und Varianten der praktischen Umsetzung
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1. Thomas Straubhaar Der Schweizer Thomas Straubhaar ist unter den bekannten Ökonomen einer der wenigen Befürworter eines BGE. In diesem Kontext ist Straubhaar maßgeblich mit seinem Finanzierungsvorschlag einer negativen Einkommenssteuer bekannt geworden („[…] im Kern nichts anderes als eine fundamentale Steuerreform.“56).57 Dieser Finanzierungsvorschlag für das BGE geht ursprünglich zurück auf ein Konzept von Milton Friedman (1962).58 Neben der Finanzierungsfrage hat sich Straubhaar auch mit möglichen Verhaltensänderungen innerhalb seines ökonomischen Framings beschäftigt. In einem Interview aus 2005 sagte er, es gäbe „fundierte Studien“ darüber, dass die „überwiegende Zahl“ nach Erhalt eines BGE weiterarbeiten wollen würde.59 Straubhaar belegt diese Angabe nicht näher, in dem er diese Studien oder Autoren benennt. Auch ein Fachartikel aus 2013 bleibt einen Nachweis darüber schuldig, warum „[…] der überragende Teil der deutschen Wohnbevölkerung netto Steuerzahler“60 bleiben würde. Am Ende dieses Beitrags verweist Straubhaar selbst darauf, dass das BGE „[…] mit einer Reihe von Unsicherheiten bezüglich der Verhaltensänderungen verbunden“61 sei. Aus diesem Grund lohnt es sich näher mit diesem Autor zu beschäftigen und seine letzte Monographie zu diesem Komplex inhaltsanalytisch zu untersuchen. Um es vorweg zu nehmen, Straubhaars „Beleg“ bewegt sich auf dünnem Eis. Als einzige konkrete Angabe führt Straubhaar eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung unter überwiegend erwerbstätigen (!) Menschen an.62 Die Umfrage bestätige lediglich das Paradoxon, selbst sein Verhalten nicht ändern zu wollen, aber anderen es zuzutrauen weniger oder gar nicht zu arbeiten, nachdem sie ein BGE erhalten haben.63 Straubhaar weist nicht nur darauf hin, dass der Weg von einer Befragung ohne Folgekosten bis hin zu einer Verhaltensweise weit sei,64 sondern er konstatiert lediglich zwei Seiten später, dass „es höchst spekulativ [sei, Anm. L. N.], die Anreizeffekte eines Grundeinkommens abzuschätzen. Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, wie Menschen reagieren werden, wenn sie nicht mehr arbeiten müssen, um zu überleben.“65 Straubhaar bezeichnet die Auswirkungen eines BGE insgesamt als eine Abkehr vom bisherigen Arbeitsethos,66 das die „aktivierende, steuernde und damit immer 56
Vgl. Straubhaar (2017), S. 14. Vgl. Straubhaar (2017), S. 14 u. S. 136–152. 58 Vgl. Friedman (1962), S. 158. 59 Vgl. Straubhaar (2005), S. 67, fast wortgleich und ohne konkreten Beleg, vgl. Straubhaar (2017a), S. 183. 60 Vgl. Straubhaar (2013), S. 587. 61 Vgl. Straubhaar (2013), S. 588. 62 Vgl. Körber-Stiftung (2016), zu den befragten Personengruppen: S. 3 f., zu den Befragungsergebnissen (BGE lediglich drei von 68 Seiten insgesamt): S. 41–43. 63 Vgl. Straubhaar (2017), S. 155 f. 64 Vgl. Straubhaar (2017), S. 156. 65 Vgl. Straubhaar (2017), S. 160. 66 Vgl. Straubhaar (2017), S. 180. 57
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B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen
paternalistische Sozialpolitik“67 ablöse. Daher befürwortet er einen „Systemwechsel“68 und strebt nach einer „sozialen Umverteilung“.69 Die positiven Auswirkungen eines BGE werden behauptet, aber nicht weiter belegt, wie zum Beispiel, das BGE steigere „die nichtmonetären und intrinsischen Leistungsanreize.“70 Das BGE böte ökonomische Sicherheit, setze aber gleichzeitig „auf Eigenverantwortlichkeit, Selbstständigkeit, Leistungsbereitschaft und Leistungswille.“71
2. Götz W. Werner Götz W. Werner ist Gründer des Drogerieunternehmens DM und einer der in Deutschland bekanntesten Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens. In einem Interview bezeichnet er sich selbst als „hauptberuflicher Wanderprediger“72 für die Idee eines BGE. Seit rund 17 Jahren nimmt Werner aktiv an der Diskussion hierzu teil. Neben der Finanzierungsfrage identifiziert Werner „als das Gegenargument eins: dass dann niemand mehr arbeiten“73 würde. Bei seiner neuesten Auflage seines Buches zum BGE handelt es sich im Kern um eine anthroposophische Verteidigungsschrift seiner Thesen in zwei Teilen. Im ersten Teil äußert er sich zu den Themen Arbeit und Erwerbsleben und in einem zweiten, etwas kürzeren Teil, stellt Werner sein Finanzierungsmodell über eine „Konsumsteuer“ vor. Da sich Werner nicht nur fundamentaler als Straubhaar zu den Verhaltensänderungen nach Einführung eines BGE äußert, sondern diese auch aktiv fordert, ist es lohnend, seine Thesen ebenfalls inhaltsanalytisch zu untersuchen. Innerhalb seines anthroposophischen Framings erhält die Charakterisierung eines „Wanderpredigers“ eine neue Qualität. In seinem metaphysischen Frame verweist er nicht nur auf Bibelstellen, sondern bedient sich eklektizistisch in der philosophischen Antike, Geschichte und Recht. Um auch hier das Ergebnis vorweg zu nehmen, einen Beleg zu den Auswirkungen seines positiven Menschenbildes, das Werner in seinem Werk zeichnet, kann er nicht anführen. Einige Menschengruppen schließt Werner offensichtlich sogar aus seinem positiven Menschenbild aus, darunter die Schwächsten einer Gesellschaft, die er als „antriebslose Menschen“ bezeichnet. Diese „von innerer Lähmung befallenen Menschen“ könne man nicht zu einem motivierten Menschen machen. „Mit einem Grundeinkommen, das ist kaum zu
67
Vgl. Straubhaar (2017), S. 124; zum Begriff des Paternalismus, vgl. ders. Fn. 121. Vgl. Straubhaar (2017), S. 28. 69 Vgl. Straubhaar (2017), S. 8. 70 Vgl. Straubhaar (2017), S. 158 f. 71 Vgl. Straubhaar (2017), S. 196. 72 Vgl. Werner (2009), S. 128. Die Bezeichnung „Wanderprediger“ geht auf einen SpiegelArtikel zurück, vgl. Klawitter (2006). 73 Vgl. Werner (2018), S. 133. 68
V. Bedingungsloses Grundeinkommen und Varianten der praktischen Umsetzung
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bezweifeln, bleiben diese Leute dann vermutlich wirklich zu Hause,“74 meint Werner und verkennt zum Beispiel die Bemühungen der Jobcenter und ihrer Kooperationspartner, alle hilfebedürftigen Menschen in einer Bedarfsgemeinschaft individuell zu unterstützen, auch hinsichtlich ihrer jeweiligen Motivation. Ohne es weiter belegen zu können, ist nach der Ansicht von Werner ALG II mit seinem Prinzip des Förderns und Forderns gescheitert. Er ist „[…] ohne das im strengsten Sinne beweisen zu können – felsenfest überzeugt, dass ein Großteil der von der Sozialbürokratie Drangsalierten sich mit einem Grundeinkommen sehr bald aus ihrer Selbstblockade befreien würde.“75 An einem Beispiel lässt sich darstellen, dass Werner bei seiner Einschätzung zur Arbeit fachlich neben den aktuellen Entwicklungen vorbeiargumentiert. Etwa, wenn Werner behauptet, es gäbe keinen Arbeitsmarkt, ergo auch keinen Ausbildungsmarkt, „im Sinne der Marktwirtschaftslehre“. Nach seiner Meinung könne man nur von einem echten Arbeitsmarkt sprechen, wo „alle können, aber keiner [arbeiten] muss“76 und auch der Arbeitgeber seine Konditionen so gestaltet, „dass er genügend Mitarbeiter findet.“77 Ein Blick auf das tatsächliche Geschehen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt in Zeiten des Fachkräftemangels zeigt, dass sich diese beiden „Märkte“ bereits längst in Richtung eines Bewerbermarktes gedreht haben und sich die Arbeitgeber in den unterschiedlichen Branchen bereits seit längerem um Ausbildungs- und Arbeitskräfte bemühen müssen. Fraglich ist auch, ob ein BGE tatsächlich „das Tor zur Freiheit vollständig selbstbestimmter Arbeit“78 an der Natur und für den Menschen sei und sich Leistung mit einem BGE sofort lohnen würde,79 allein, weil die Menschen intrinsisch motiviert seien eine sinnstiftende Tätigkeit auszuüben.80 Ähnlich wie Straubhaar verweist auch Werner auf das bereits thematisierte Paradoxon von Menschen, andere Mitmenschen als „schlechter“ einzuschätzen. Werner führt dies auf den sozialpsychologischen Dunning-Kruger-Effekt der kognitiven Dissonanz zurück. Dieser Effekt hat den Hang zur Selbstüberschätzung und zur spiegelbildlichen Abwertung anderer untersucht.81 Aber genauso wie bei Straubhaar, wird auch hier von Werner keine wissenschaftliche Aussage zur veränderten Arbeitsmotivation nach Einführung eines BGE getroffen, sondern lediglich ihre Thesen ohne Beweiskraft akademisch aufgeladen. Noch stärker als Straubhaar führt Werners Argumentationsframe damit in eine Freund-Feind-Unterscheidung hinsichtlich eines „anthropologischen Pessimismus“,82 in der eine gegenseitige symmetrische Kommunika 74
Vgl. Werner (2018), S. 139. Vgl. Werner (2018), S. 140. 76 Vgl. Werner (2018), S. 99. 77 Vgl. Werner (2018), S. 128. 78 Vgl. Werner (2018), S. 124. 79 Vgl. Werner (2018), S. 94 u. S. 125. 80 Vgl. Scherff (2018). 81 Vgl. Werner (2018), S. 137 f. 82 Vgl. Werner (2018), S. 135. 75
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B. Unterschiedliche Modelle von Grundeinkommen
tion nach Grunig und Grunig83 nicht möglich ist, sondern nach Ganesh und Zoller in eine aktivistische Taktik für sozialen Wandel führt, anstatt konsensorientierte Methoden zu bevorzugen.84
3. Digitalisierung bei Straubhaar und Werner Straubhaar widmet der Digitalisierung ein eigenes Kapitel, in dem er den technischen Wandel zunächst überwiegend als Herausforderung diskutiert. Er prognostiziert ein eher düsteres Szenario für den Arbeitsmarkt. „Die Digitalisierung wird Millionen heutiger Jobs überflüssig machen.“85 Mit Blick auf seine Gewährsleute, Osborne und Frey,86 wundert es nicht, dass Straubhaar den Transformationsprozess als Revolution statt Evolution versteht, der eine Polarisierung der Gesellschaft verursachen werde.87 Hellsichtig lehnt Straubhaar eine „Robotersteuer“ ab, die häufig auch als Finanzierungsidee hinsichtlich des BGE angeführt wird, weil eine solche Steuer den Einsatz von Automaten und Maschinen bremsen würde.88 Als Alternative fordert er eine Besteuerung der durch die Digitalisierung erwirtschafteten Profite, im Kern schlägt Straubhaar erst hier den Bogen zum BGE, nämlich über den Frame seines negativen Einkommensteuermodells als Finanzierungsgrundlage des BGE. Anders als bei Straubhaar spielt die Digitalisierung bei Werner nur eine untergeordnete Rolle. Werner versteht die Transformation der Arbeitswelt im Gegensatz zu Straubhaar eher als einen evolutionären Prozess des Fortschritts, den es schon immer gegeben habe. Werner verkürzt aber die Auswirkungen des Wandels lediglich auf Routinearbeiten.89 In seinem Frame kommt es darauf an, durch einen kulturellen Impuls den „technischen und ökonomischen Fortschritt durch Rationalisierung und das Verschwinden der Arbeit“ im Sinne von Entlastung von Routinearbeit und die Ermöglichung von anspruchsvollerer und sinnvollerer Tätigkeit zu befürworten.90
83
Die Exzellenztheorie möchte unter anderem konkurrierende Interessen in Einklang bringen, vgl. Grunig / Grunig (2008). 84 Vgl. Ganesh / Z oller (2012). Siehe hierzu im Gegensatz die sachlich-orientierten Diskussionen um Reformen des Arbeitslosengelds II, vgl. I. Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) in dieser Arbeit. 85 Vgl. Straubhaar (2017), S. 54. 86 Osborne und Frey prognostizierten in ihrer häufig zitierten „Oxford-Studie“ für den amerikanischen Arbeitsmarkt revolutionäre Umbrüche quer durch alle Branchen, vgl. Frey / Osborne (2013). 87 Vgl. Straubhaar (2017), S. 56. 88 Vgl. Straubhaar (2017), S. 59. 89 Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt in Deutschland werden ausführlich im nächsten Abschnitt dieser Arbeit dargestellt. 90 Vgl. Werner (2018), S. 97.
V. Bedingungsloses Grundeinkommen und Varianten der praktischen Umsetzung
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4. Zwischenergebnis Einmal mehr konnte gezeigt werden, dass die Beschäftigung mit dem BGE keinesfalls nur auf die aktuelle Debatte reduziert werden kann, sondern ideengeschichtliche Vorgänger besitzt. Deshalb ist eine zeitliche Eingrenzung für diese Publikation angezeigt. Offensichtlich wurde in den letzten zehn Jahren, die durch eine Hochkonjunktur geprägt gewesen sind, das BGE besonders intensiv diskutiert. Eine breit angelegte Definition ermöglicht es, sehr viele Positionen unter den Begriff eines BGE zu subsumieren. Danach lautet die Definition für die vorliegende Arbeit: ein Einkommenstransfer in bestimmter Höhe, der regelmäßig, permanent, ohne Verhaltensauflagen (Bedingungen) – besonders hinsichtlich im Zusammenhang einer Erwerbstätigkeit ohne eine Bedürftigkeits- oder Vermögensprüfung an jeden Bürger vom Staat ausgezahlt wird. Als Gretchenfrage für die Einführung eines BGE als eine mögliche Alternative zum Arbeitslosengeld-System kann die Verhaltensänderung auf das Anreizsystem zur Such-, Arbeits- und Bildungsmotivation bezeichnet werden. Die Auswertung zweier besonders prominenter Vertreter hinsichtlich dieses Kriteriums enttäuschte. Sowohl Straubhaar als auch Werner boten keine belastbaren Belege dafür, dass ein BGE keine negativen Auswirkungen auf das Anreizsystem besitzt. Die angeführten positiven Aspekte für ein BGE erfolgten von beiden Autoren mit normativen Begründungen. Kommunikationstheoretisch führen beide Ansätze in einen aktivistischen Ansatz. Anstatt in eine Konsensorientierung einzumünden, sind die dargestellten Argumentationen konfliktbeladen und ideologisch. Wie gezeigt werden konnte, werden die Reformkonzeptionen zum Arbeitslosengeld II breiter, tiefer und sachorientierter geführt. Auch hinsichtlich der Transformation der Arbeitswelt enttäuschen beide Autoren. Anstatt einer Chancenorientierung nimmt Straubhaar den Prozess als Revolution wahr und Werner verkürzt den Prozess auf eine Konfliktlinie zwischen Routinearbeit und informeller Arbeit.
C. Das bedingungslose Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes? Ausgangslage und Positionen für das Kriterium der arbeitsmarktlichen Bereitschaft zur Erwerbsarbeit Seit rund zehn Jahren wird in der Gesellschaft über die Digitalisierung der Arbeit und ihre Auswirkungen intensiv diskutiert. Ausweislich einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem letzten Jahr sind trotz dieser Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung viele Menschen von der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung überfordert, beziehungsweise in Sachen Digitalisierung orientierungslos, selbst die unter 30-Jährigen „digital natives“. Trotz aller Erfahrungen aus den letzten vier Jahrzehnten, so die Umfrageauswertung, hielte sich hartnäckig die These, „dass der Computer den Menschen die Arbeit wegnähme“.1
Quelle: Entnommen aus Südekum, Jens (2018): Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit: Was ist am Arbeitsmarkt passiert und wie soll die Wirtschaftspolitik reagieren? IZA Standpunkte Nr. 90, S. 5, http://ftp.iza.org/sp90.pdf, Abruf am 28.03.2020.
Abb. 3: Digitalisierung im Spiegel der Jahrzehnte.
1 Vgl. Petersen (2019); siehe hierzu auch Abb. 3; zur Angst vor automatisierungsbedingter Massenarbeitslosigkeit in Zyklen, vgl. Hirschi (2018).
I. Digitalisierung der Arbeitswelt
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I. Digitalisierung der Arbeitswelt : Auswirkungen der Digitalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt (mitsamt einer Grundlegung aus wissenschaftlicher Sicht) Ein Grund für die skeptische Einschätzung zu den aktuellen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt könnte die Perzeption der bereits erwähnten „Oxford-Studie“ (siehe: B. V. 3.) ab 2013 in Deutschland gewesen sein. Von Frey und Osborne wurde aber ausgeblendet, dass Erwerbstätige immer ein Bündel von unterschiedlichen Tätigkeiten ausführen, die sich unterschiedlich gut oder schlecht automatisieren lassen. Weiterhin würdigen sie in ihrer Studie nicht, dass sich Berufsgruppen wandeln können, dass durch den technischen Wandel auch neue Berufe entstehen und das nur, weil es technisch möglich ist, die Automatisierung auch ökonomisch umgesetzt wird.2 Dritte Akteure blendeten im Wesentlichen aus, dass Freys und Osbornes Untersuchungen und Aussagen für einen Arbeitsmarkt mit eigenen Spezifika und einer eigenen Arbeitskultur erarbeitet hatten, deren Ergebnisse nicht auf andere Arbeitsmärkte übertragen werden können.
Quelle: Entnommen aus Hofstede, Geert (2020): Country comparison, Germany / USA. https://www.hofstede-insights. com/country-comparison/germany,the-usa/, Abruf am 29.03.2020.
Abb. 4: Kulturdimensionen nach Geert Hofstede. USA und Deutschland im Vergleich.
Ein Blick auf die sechs Kulturdimensionen nach Hofstede zeigt zum Teil große kulturelle Unterschiede zwischen den Gesellschaften in den Vereinigten Staaten 2 Wie eine aktuelle Studie des Branchenverbandes Bitkom zeigt, benoten Geschäftsführer und Vorstände den eigenen Digitalisierungsstand eher zurückhaltend, vgl. Heeg (2020).
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C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
und Deutschland, die sich auch auf die Arbeitskultur auswirken (siehe Abb. 4). Nach Hofstede ist der Individualismus („Individualism“) in den Vereinigten Staaten stärker ausgeprägt, so werden zum Beispiel Informationen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sofort geteilt. Demgegenüber besteht in Deutschland eine viel stärkere Bindung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Umgekehrt fallen die Ergebnisse für eine langfristige Orientierung („Long Term Orientation“). Danach würden amerikanische Unternehmen eher kurzfristig planen und praxisorientiert in Quartalsberichten ihren Erfolg darstellen, während in Deutschland zunächst die Situation, der Kontext und der Faktor Zeit pragmatisch in Beziehung gesetzt werden. Auch hinsichtlich des Faktors Nachgiebigkeit („Indulgence“) zeigen die Vereinigten Staaten eine höhere Toleranz nach dem Motto „work hard, play hard“. In Deutschland hat man wegen angeblicher oder tatsächlicher sozialer Normen vergleichsweise weniger Verständnis für eine hedonistische Lebensweise und neigt eher zu Zynismus und Pessimismus, so zumindest die Untersuchungsergebnisse nach Hofstede.3 Trotzdem übertrug zum Beispiel die ING-Bank zunächst die Ergebnisse für den amerikanischen Arbeitsmarkt auf Deutschland.4 Neben Banken übernahmen auch Unternehmensberatungsfirmen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zunächst die Forschungsergebnisse der „Oxford-Studie“.5 In Folge dessen publizierten Medien häufig „reißerische“6 Beiträge zum Thema und beeinflussten somit zusätzlich eine tendenziell risikoreiche Wahrnehmung der Digitalisierung. Einen neuen Impuls brachten erst die Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in die Diskussion, um die Auswirkungen der Digitalisierung explizit für den deutschen Arbeitsmarkt zu untersuchen. Die Rezeption in Wissenschaft7 und in den Medien8 erfolgte erst in der letzten Hälfte des Jahrzehnts. Ausgehend von einer Studie zur „Industrie 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Wirtschaft“9 erweiterte das IAB nur ein Jahr später gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) den Untersuchungsgegenstand auf eine Wirtschaft 4.010 und erarbeitete damit eine modellbasierte Wirkungsabschätzung für die Gesamtwirtschaft. Eines der Ergebnisse war, „dass eine Wirtschaft 4.0 den Strukturwandel 3
Vgl. Hofstede (2020): Country comparison, Germany / USA. https://www.hofstede-insights. com/country-comparison/germany,the-usa/, Abruf am 29.03.2020. 4 Vgl. Brzeski / Burk (2015). Interessant auch die Begriffsentwicklung zum Thema. Diskutierte man den technischen Wandel zunächst unter „Industrie 4.0“, begriff man erst später im Jahrzehnt die ubiquitäre Durchdringung des technischen Wandels und verwendete den Begriff „Wirtschaft 4.0“ und als Teilgebiet „Arbeit 4.0“. 5 Um in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sich hiervon wieder abzugrenzen, vgl. zum Beispiel Rentmeister et al. (2017), S. 10, Fn. 2. 6 Vgl. Südekum (2018), S. 3 und S. 28; vgl. hierzu auch die Abb. 3. 7 Vgl. Südekum (2018), S. 7. 8 Vgl. Petersen (2017). 9 Vgl. Wolter et al. (2015). 10 Vgl. Wolter et al. (2016).
I. Digitalisierung der Arbeitswelt
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hin zu mehr Dienstleistungen beschleunigen“ würde.11 Das Produzierende Gewerbe verlöre an Bedeutung, während vor allem die Branchen „Information und Kommunikation“ sowie „Erziehung und Unterricht“ vom Übergang in eine Wirtschaft 4.0 profitieren würden.12 Die Studie brachte aber auch Erkenntnisse über einzelne Berufsfelder und Anforderungsniveaus. Diese würden umso stärker von der Transformation profitieren, „je höher der Anteil der Nicht-Routinetätigkeiten des Berufsfelds und der Anforderungsniveaus relativ zum Branchendurchschnitt“ sei.13 Am Ende der Untersuchung verwiesen die Autoren auf einen ausgeglichenen Arbeitsplatzsaldo nach der Digitalisierung der Arbeitswelt bis 2025.14 Zentrale Rolle bei diesem ausgeglichenen Szenario spielen aber die Bildung und Weiterbildung. Den alles entscheidenden und zentralen Satz, ob die Digitalisierung für die Arbeitswelt zur Chance oder zum Risiko wird, formulierte Enzo Weber (IAB): „Bei sich ändernden und erhöhten Anforderungen wird nach der Erstausbildung die Weiterbildung entscheidend werden, um Kompetenzen laufend weiterzuentwickeln.“15
Ebenfalls bereits im Jahr 2015 untersuchten Dengler und Matthes vom IAB die Substituierbarkeitspotentiale in einzelnen Berufen, Berufssegmenten und Anforderungsniveaus für den deutschen Arbeitsmarkt.16 Substituierbarkeitspotenziale berechnen sich aus der Zahl der Tätigkeiten eines Berufs, welche schon heute [Hervorhebung, L. N.] von Computern oder computer-gesteuerten Maschinen erledigt werden könnten.17 Dafür untersuchten sie einzelne Tätigkeitsprofile einer Informationsplattform zu Berufen der Bundesagentur für Arbeit mit Stand 2013.18 Mit dieser Methodik der Erforschung der Substituierbarkeit einzelner Tätigkeiten grenzten sich die beiden Wissenschaftlerinnen von Frey und Osborne ab. Im Jahr 2018 aktualisierten Dengler und Matthes ihre Untersuchungen zu den Substituierbarkeitspotentialen mit dem Datenstand von 2016 und zeigten interessante Entwicklungen zum fortschreitenden Digitalisierungsgrad der Arbeitswelt in Deutschland.19 Neben der Tatsache, dass viele technologische Entwicklungen, die in der Arbeitswelt eingesetzt werden, marktreif geworden wären, so die Autorinnen, zeigt bereits der schlichte Anstieg der Substituierbarkeitspotenziale in den jeweiligen Anforderungsprofilen20 eine zunehmende Digitalisierung (siehe: Abb. 5). Dabei 11
Vgl. Wolter et al. (2016), S. 7. Vgl. Wolter et al. (2016), S. 62. 13 Vgl. Wolter et al. (2016), S. 43. 14 Vgl. Wolter et al. (2016), S. 62. 15 Vgl. Wolter et al. (2016), S. 62. 16 Vgl. Dengler / Matthes (2015). 17 Für eine ausführliche Definition des Substituierbarkeitspotenzials, vgl. Dengler / Matthes (2018), S. 2. 18 Vgl. Berufenet, https://berufenet.arbeitsagentur.de/berufenet, Abruf am 29.03.2020. 19 Dengler / Matthes (2018). 20 Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit und das IAB arbeiten nach einer einheitlichen Klassifikation der Berufe aus dem Jahr 2010. Diese Klassifikation unterscheidet auch die nachfolgenden Anforderungsniveaus von Berufen. Helfer: keine berufliche Ausbildung oder eine einjährige Berufsausbildung. Fachkräfte: eine mindestens zweijährige Berufsausbildung oder 12
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C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
verwundern die abnehmenden Steigerungsraten in Bezug auf das steigende Anforderungsprofil nicht. Ebenfalls überrascht auch nicht, dass bei den Helferberufen das höchste Substituierbarkeitspotenzial ermittelt wurde.
Quelle: Entnommen aus Dengler, Katharina / Matthes, Britta (2018): Wenige Berufsbilder halten mit der Digitalisierung Schritt, IAB-Kurzbericht, Nr. 4, http://doku.iab.de/kurzber/2018/kb0418.pdf, Abruf am 29.03.2020.
Abb. 5: Substituierbarkeitspotenzial nach Anforderungsniveau.
Aber bereits in der vorangegangenen Untersuchung ließ das hohe Substituierbarkeitspotential in Fachkraftberufen aufmerken. Offensichtlich sind auch Personen mit einer dualen Ausbildung, übrigens ein weiterer Unterschied zum amerikanischen Arbeitsmarkt, stärker von der Digitalisierung betroffen, als in der IABUntersuchung zur Wirtschaft 4.0 festgestellt wurde. Interessant ist es deshalb, die Darstellung nach Berufssegmenten einmal genauer zu betrachten (siehe Abb. 6). Die hohen Substituierbarkeitspotenziale in den Fertigungsberufen und den fertigungstechnischen Berufen überraschen nicht, liegen diese doch auf Linie der modellbasierten Wirkungsabschätzung zur Wirtschaft 4.0 des IAB et al. Wer das Thema Internethandel in den letzten Jahren verfolgt hat, den wundern auch nicht die hohen Zuwachsraten der Substituierbarkeitspotenziale in den Verkehrs- und Logistikberufen sowie den Handelsberufen. Höher eingeschätzt hätte man eventuell die IT und naturwissenschaftliche Dienstleistungsberufe. Offensichtlich werden die Automatisierungspotentiale in den medizinischen und nichtmedizinischen Gesundheitsberufen überschätzt.
ein berufsqualifizierender Abschluss an einer Berufsfach- oder Kollegschule. Spezialisten: Meister- oder Technikerausbildung bzw. weiterführender Fachschul- oder Bachelorabschluss. Experten: ein mindestens vierjähriges abgeschlossenes Hochschulstudium, vgl. Dengler / Mat thes (2018), S. 5.
I. Digitalisierung der Arbeitswelt
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Quelle: Entnommen aus Dengler, Katharina / Matthes, Britta (2018): Wenige Berufsbilder halten mit der Digitalisierung Schritt, IAB-Kurzbericht, Nr. 4, http://doku.iab.de/kurzber/2018/kb0418.pdf, Abruf am 29.03.2020.
Abb. 6: Substituierbarkeitspotential nach Berufssegmenten.
Gleichwohl erklären die Untersuchungsergebnisse nach Berufssegmenten, warum auch auf Fachkraftebene relativ viele Tätigkeiten potenziell von Computern übernommen werden könnten. Sehr sachlich und unaufgeregt betonen Dengler und Matthes in ihrer Neuauflage zu ihrer Studie zu den Substituierbarkeitspotenzialen,21 dass der Einfluss der Digitalisierung auf die Beschäftigungsentwicklung nur einen Faktor darstellen würde und die tatsächliche Umsetzung der technischen Machbarkeit weit nachfolgt. Zum anderen hätten auch der demographische und der ökologische Wandel sowie weitere Megatrends in der Gesellschaft Einfluss auf die Entwicklung der Arbeitswelt. Tatsächlich zeigte eine repräsentative Betriebsumfrage im Jahr 2017 zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland, dass die Digitalisierung zumindest in den zuvor auf aggregierter Ebene weder zu massiven Beschäftigungsverlusten noch zu deutlichen Gewinnen geführt hat. Tendenziell würden sich aber Beschäftigungsverluste bei Helfertätigkeiten im Bereich der nichtwissensintensiven Dienstleistungen auswirken.22 Ein weiteres großes Thema der Digitalisierung der Arbeitswelt, welches an verschiedenen Stellen in der vorliegenden Arbeit bereits herausgearbeitet und deren Wichtigkeit betont wurde, ist die berufliche Weiterbildung von arbeitslosen und 21
Mit dem Job-Futuromat des IAB lassen sich Hinweise für das Substituierbarkeitspotential der eigenen Tätigkeit entnehmen, vgl. https://job-futuromat.iab.de/, Abruf am 04.04.2020. 22 Vgl. Lehmer / Matthes (2017), S. 7.
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C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
beschäftigten Menschen, damit die Digitalisierung zur Chance für möglichst viele Gesellschaftsgruppen bleibt oder wird. Die Qualifizierung und Weiterbildung wurde in einem öffentlichen Dialogprozess des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter dem Begriff „Arbeiten 4.0“ ab 2015 nicht nur in die politische Arena eingebracht, sondern auch versucht über sogenannte „Experimentierräume“ konkret für die Praxis zu gestalten. Das sogenannte „Grünbuch“ des BMAS versammelte Thesen und Leitfragen zum Dialogstart: 1. Wie können betriebliche sowie tarifpolitische Instrumente und Formen einer allgemeinen staatlichen Weiterbildungsförderung systematisch ineinandergreifen und eine neue Weiterbildungskultur in Deutschland etablieren? 2. Sind neue Finanzierungswege und ein „gerechter“ Finanzierungsmix erforderlich, um berufliche Weiterbildung in Deutschland bedarfsgerecht und über den Lebensverlauf organisiert fortzuentwickeln und zu verstärken? 3. Wie kann der präventive Ansatz der Arbeitsmarktpolitik eine flächendeckende Bildungsberatung – unter Einbeziehung der IHKs, Handwerkskammern, Gewerkschaften, Berufsverbände und der Bundesagentur für Arbeit – organisiert werden? Wie kann die Bundesagentur für Arbeit der wachsenden Bedeutung der berufsbegleitenden Weiterbildung langfristig gerecht werden? 4. Welche Förderungen und Anreize sind zielführend, um insbesondere in „Kleinund mittelständischen Unternehmen“ (KMU) und bei niedrig qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Inanspruchnahme von Weiterbildungsangeboten zu erhöhen, damit auch Personen mit schwächeren Grundkompetenzen Fachkräfte werden? 5. Wie kann Weiterbildung an Hochschulen auch für beruflich Qualifizierte besser zugänglich, organisiert und unterstützt werden?23 Niedrigschwellig und sehr breit angelegt war die Forderung nach einer „Digital Literacy“24 als eine Grundqualifikation. Der Antwortband, das sogenannte Weißbuch, Arbeiten 4.0, enthielt neben politischen Forderungen wie eine Arbeitsversicherung aber auch den logischen Schritt hin zu einer unabhängigen und lebensbegleitenden Berufs- und Weiterbildungsberatung.25 Daneben veröffentlichte das BMAS eine Reihe mit sogenannten „Werkheften“, die den Dialogprozess begleiteten und die Themenschwerpunkte dokumentierten. Der dritte Band dieser Reihe widmete sich fokussiert dem Lernen und Weiterbilden für eine Arbeitswelt 4.0. Ein einjähriges Modellprojekt an 15 Standorten rückte die Bundesagentur für Arbeit in diesem Kontext besonders in den Fokus, weil sich dieses Beratungsprojekt auch an Menschen richtete, die nicht unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht waren.26 23
Vgl. BMAS (2015), S. 63. Vgl. BMAS (2015), S. 61. 25 Vgl. BMAS (2017), S. 111 u. S. 113 f. 26 Vgl. BMAS (2017a), S. 128–133. 24
I. Digitalisierung der Arbeitswelt
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Nach einer nochmaligen Pilotphase in drei unterschiedlichen Agenturen für Arbeit gehört die „Lebensbegleitende Berufsberatung“ vor dem und im Erwerbsleben inzwischen zum Standardgeschäft der Bundesagentur für Arbeit. Neben einer öffentlich geförderten Weiterbildung, der bedeutendste Bereich ist hier die Weiterbildung nach dem SGB III und SGB II, existiert auch die betrieblich geförderte Weiterbildung der einzelnen Unternehmen. Die Trennlinie liegt nach Meinung des IAB im Zweck der Weiterbildung. „Werden überwiegend betriebsspezifische Anpassungen der Qualifikation benötigt, dient die Weiterbildung also primär betrieblichen Zwecken, sollten Qualifizierungsmaßnahmen durch die Unternehmen finanziert werden. Der Staat dagegen soll oder kann sich dann an der Finanzierung von Weiterbildung beteiligen, wenn der Markt allein nicht zu optimalen Ergebnissen führt,“27 so das IAB. Als Beispielzielgruppen benennt das IAB nicht nur arbeitslose Menschen, sondern auch Geringqualifizierte, die in der betrieblichen Weiterbildung oftmals nicht eingebunden seien. Diese starke Einschränkung auf lediglich wenige Personengruppen im Erwerbsleben kann aufgrund der oben analysierten Substituierbarkeitspotenziale nach Anforderungsniveau (Fachkräfte et al.) und weiteren Studienergebnissen des IAB nicht gehalten werden. Wie auch schon bereits die Fragestellungen des BMAS im Grünbuch zum Bereich Weiterbildung anzeigten, müssen auch die Anreize und Förderungen von KMU und mit ihnen auch der Personenkreis ausgeweitet werden (siehe oben Frage Nr. 4). Denn eine Analyse des IAB zeigte, dass lediglich Betriebe, die in den letzten Jahren im Bereich der Arbeitswelt 4.0 investiert haben, stärker in Weiterbildung investieren als andere Betriebe (siehe Abb. 7). Zudem würden sich Beschäftigte mit einem hohen Anteil an Routinetätigkeiten, die von den Substituierbarkeitspotenzialen ihrer Tätigkeiten am höchsten betroffen sind, seltener an Weiterbildungen, wie eine andere Studie des IAB analysierte (siehe Abbildung 8), beteiligen. Diese Untersuchung zeigte ebenso, „dass die Unterschiede in der Weiterbildungsbeteiligung im Wesentlichen auch dann bestehen bleiben, wenn man Beschäftigte innerhalb der gleichen Qualifikationsgruppen miteinander vergleicht.“28 Selbst bei Personen mit einem akademischen Abschluss lägen signifikante Unterschiede „zwischen Beschäftigten mit hohen und solchen mit geringeren Anteilen an Routinetätigkeiten“29 vor. Dies gelte für die Weiterbildung insgesamt, aber auch für die spezifische Weiterbildung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), der für die Bewältigung der sich ändernden Arbeitsanforderungen eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Die Gründe für die Unterschiede bei der Weiterbildungsbeteiligung sieht das IAB zum einen darin, ob Betriebe überhaupt Weiterbildung durchführen und ihre Weiterbildungs 27
Vgl. Kruppe et al. (2017), S. 10. Vgl. Heß et al. (2019), S. 5. 29 Vgl. Vgl. Heß et al. (2019), S. 4. 28
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C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
Quelle: Entnommen aus Janssen, Simon / L eber, Ute / Arntz, Melanie / Gregory, Terry (2018): Mit Investitionen in die Digitalisierung steigt auch die Weiterbildung, IAB-Kurzbericht, Nr. 26, http://doku.iab.de/kurzber/2018/kb2618.pdf, Abruf am 06.04.2020.
Abb. 7: Entwicklung der Weiterbildung in Betrieben.
Quelle: Entnommen aus Heß, Pascal / Janssen, Simon / L eber, Ute (2019): Beschäftigte, deren Tätigkeiten durch Technologien ersetzbar sind, bilden sich seltener weiter, IAB-Kurzbericht, Nr. 16, http://doku.iab.de/kurzber/2019/kb1619.pdf, Abruf am 06.04.2020.
Abb. 8: Weiterbildungsbeteiligung nach Art der Tätigkeit.
I. Digitalisierung der Arbeitswelt
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politik ausgestalten. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, jedem einzelnen Beschäftigten konkrete Weiterbildungsangebote zu unterbreiten. Zum anderen ist die individuelle Bereitschaft der Beschäftigten, an einer Weiterbildung teilzunehmen, eine zentrale Voraussetzung für Qualifizierungsaktivitäten.30 Zusammen betrachtet bilden die beiden dargestellten IAB-Studien zur Entwicklung der Weiterbildung nach Betrieben und der Weiterbildungsbeteiligung nach Art der Tätigkeit vor dem ausgeführten Hintergrund der Substituierbarkeitspotentialuntersuchung und den dargestellten Grundlegungen in der Studie zur Wirtschaft 4.0 nichts anderes als eine, behördlich gesprochen, „Risikoanzeige“ für die Digitalisierung der Arbeitswelt 4.0. Diese pessimistische Zustandsbeschreibung zur Weiterbildung und Qualifikation wird durch eine Begleitstudie zum Weltwirtschaftsforum 2018 unter Beschäftigten unterschiedlichen Alters und Qualifikation gestützt. Danach wäre es den Arbeitnehmern durchaus bewusst, dass sie nur dann von der Digitalisierung und Automatisierung profitieren werden, wenn sie sich im Beruf stetig weiterqualifizieren und kontinuierlich neue Kompetenzen aufbauen, so die optimistische Einschätzung der Studie. Aber die Beschäftigten würden von ihren Arbeitgebern ausreichend und hochwertige Weiterbildungsangebote vermissen. Knapp ein Drittel der Befragten gab sogar an, im Beruf keine oder nur unzureichende Möglichkeiten zur Weiterbildung zu haben. Offensichtlich zeigt sich hier ein Missverhältnis zwischen den Erkenntnissen und Wünschen zur digitalen Weiterbildung und Qualifikation der Beschäftigten sowie den Realitäten in den Belegschaften.31 Das Anfang des Jahres 2019 in Kraft getretene Qualifizierungschancengesetz (QCG)32 ist demzufolge ein erster Schritt in die richtige Richtung, da die bereits vorher existierenden Fördermöglichkeiten Beschäftigter33 deutlich erweitert wurden, auch in finanzieller Hinsicht. Im Förderfokus des QCG befinden sich insbesondere KMU, da davon ausgegangen wird, dass KMU von Haus aus tendenziell weniger Möglichkeiten besitzen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinsichtlich der Digitalisierung weiterzubilden und zu qualifizieren.
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Vgl. Vgl. Heß et al. (2019), S. 7. Vgl. o. V. (2017). 32 Vgl. hierzu die Qualifizierungsoffensive der Bundesagentur für Arbeit „Weiter.Bildung!“, https://www.arbeitsagentur.de/m/weiterbildung-qualifizierungsoffensive/, Abruf am 06.04.2020. 33 Die Vorläufermaßnahme hieß „WeGebAU“, die Abkürzung steht für „Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“. Dieses Weiterbildungsprogramm wurde 2006 aufgelegt. 31
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C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
II. Zwischenergebnis Die Beschleunigung der technologischen Entwicklung hinsichtlich einer Automatisierung und Digitalisierung hat in den letzten zehn Jahren zu einer intensiven Debatte über die Auswirkungen auf die Arbeitswelt geführt. Die jahrzehntealte technikskeptische These, dass der Computer dem Menschen die Arbeit wegnimmt, wurde auch in Deutschland zu Beginn des Jahrzehnts durch eine Studie von Osborne und Frey in einer negativen Art und Weise beeinflusst, so dass einige Akteure zum Teil irrational reagierten, weil sie nur den disruptiven Aspekt sahen und eine Versachlichung erst unter anderem durch die Forschungen des IAB für den deutschen Arbeitsmarkt erfolgte. Bereits eine grundlegende Studie zur Wirtschaft 4.0 verwies auf die Wichtigkeit der digitalen Weiterbildung. Besonders die Ergebnisse zu der Substituierbarkeitsforschung widerlegten die Ergebnisse der Oxford-Studie für den deutschen Arbeitsmarkt. Wie gezeigt werden konnte, ist die Weiterbildungsbereitschaft von Geringqualifizierten und Beschäftigten wie auch von Unternehmen in Bezug auf die Digitalisierung ausbaufähig und muss hinsichtlich eines ausgeglichenen Beschäftigungssaldos als Risikoanzeige für den Transformationsprozess bezeichnet werden. Weder das bestehende Arbeitslosengeld-System noch die Befürworter eines BGE haben diese ausschlaggebende Kausalität berücksichtigt, umgesetzt oder beim BGE auf der Agenda. Dem Grad zwischen Chance und Risiko der Digitalisierung wurde bislang noch zu wenig Aufmerksamkeit eingeräumt.
III. Wissenschaft In dieser Darstellung von wissenschaftlichen Positionen zum bedingungslosen Grundeinkommen wird eine Clusterung nach Frames angestrebt, um einen besseren Überblick über die unterschiedlichen Ansätze zu gewinnen. Wie bereits die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, ist nicht nur das Thema komplex, sondern man kann sich aus den unterschiedlichsten Richtungen der Thematik annehmen, seien es philosophische, ethische, politische, juristische oder ökonomische Zugänge. Eine ähnlich breite Darstellung der wissenschaftlichen Positionen würde diese Studie überfordern.34 Aus diesem Grund fokussiert der Verfasser auch weiterhin das Kriterium einer möglichen Verhaltensänderung auf die Arbeitsmotivation mit BGE und die Digitalisierung der Arbeit als Begründung für ein BGE. Mit diesem Abschnitt werden die bisherigen Darstellungen der wissenschaftlichen Positionen, etwa zu Thomas Straubhaar oder zum IAB durch weitere Dimensionen ergänzt.
34
Siehe hierzu den Versuch in dem Sammelband vgl. Osterkamp (2015).
III. Wissenschaft
47
Deshalb sollen hierzu zunächst die kritischen Positionen von Christoph Butterwegge auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Positionen des IW miteinander verglichen werden. Beide Seiten stehen einem bedingungslosen Grundeinkommen kritisch gegenüber, unterscheiden sich aber in den Begründungsansätzen fundamental voneinander. Butterwegge plädiert für eine bedarfsabhängige, armutsfeste und repressionsfreie Grundsicherung. Er verortet diese Grundsicherung unter einer solidarischen Bürgerversicherung. Mit diesem Vorschlag, den er kurz nach Einführung und als Überwindung des Arbeitslosengeldes II („Kontrollbürokratie mit ihren Sanktionsmechanismen“) formulierte und seitdem fast wortgleich wiederholte,35 kritisierte er das BGE als Überwindung der Sozialversicherung und der Arbeitsgesellschaft, welches die individuellen Lebensentwürfe nivellieren würde. „Ein solches, nicht auf Erwerbsarbeit gegründetes, ‚leistungsloses‘ Einkommen gleicht einer schönen Utopie.“36 Ein BGE würde nach Butterwegge den Druck, die Arbeitslosigkeit konsequent zu bekämpfen, mindern. Wie Butterwegge in seinem Grundsicherungsmodell Arbeitsanreize schaffen möchte, führt er nicht weiter aus. Er gibt lediglich den Hinweis, dass in einer Arbeitsgesellschaft der soziale Status und das Selbstwertgefühl der Menschen aus der Erwerbsarbeit resultieren würden.37 Im Grunde gehen die Auswirkungen eines BGE hinsichtlich der Überwindung des bisherigen Sozialstaats nach Meinung Butterwegges zu weit, Wandelphänomene der Arbeitswelt spielen bei Butterwegge keine Rolle. Auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), sieht in den Auswirkungen des BGE „eine radikale Sozialhilfe-Reform“, die den Sozialstaat und die Wirtschaftsordnung auf den Kopf stellen würde. Dabei wendet er sich in seiner Argumentation, anders als Butterwegge, gegen das Argument, dass Menschen trotz eines BGE weiterhin einer Tätigkeit nachgehen würden. Hüther ist bezüglich der empirischen Experimente skeptisch, sie hätten nach seiner Meinung keine Aussagekraft, da sie „niemals glaubwürdig eine lebenslange Absicherung“ simulieren könnten. Optimistischer als andere Unterstützer eines BGE geht Hüther davon aus, dass der digitale Wandel am Arbeitsmarkt, ähnlich der Industriellen Revolution, eine „Wohlstands- und Wohlfahrtsstory“ wird.38 Dabei kann sich Hüther auf eine Analyse seines Instituts stützen, die 1. ähnlich sachlich wie das IAB die Zukunft der Arbeit realistisch als evolutionären Prozess betrachtet, bei dem der vermeintliche Widerspruch zwischen dem Potential der technischen Möglichkeiten und der tatsächlichen Entwicklung aufgelöst wird39 sowie 2. ausgehend von der „sozialen Norm der Arbeitsmoral“ zu dem Ergebnis kommt, dass ein BGE „eher zu einem Anspruchsdenken und Unselbständigkeit führt, anstatt Bildungsinvestitio-
35
So zum Beispiel 10 Jahre später, vgl. Butterwegge (2017). Vgl. Butterwegge (2007). 37 Vgl. Butterwegge (2007). 38 Vgl. Camp (2017). 39 Vgl. Enste / Schneider (2016), S. 24, als Exzerpt zuletzt abgedruckt vgl. o. V. (2019b), S. 2 f. 36
48
C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
nen zu fördern“.40 Insgesamt, so das IW, würde die Bedingungslosigkeit fehlende Arbeitsanreize des Sozialstaats noch weiter verschärfen.41 Enste und Schneider befassen sich in ihrer Studie auch mit der überzuordnenden Dimension des Menschenbildes („Homo oeconomicus versus Homo reciprocans“). Nach ihrer Meinung würde ein BGE gegen die Reziprozität, also die Fairnesspräferenzen von Menschen verstoßen, weil durch das BGE das Grundprinzip der sozialen Gerechtigkeit42 ausgehebelt werde und in sein Gegenteil verkehrt werden würde.43 Weiterhin würde das BGE gegen das Subsidiaritätsprinzip, also hier im Sinne der individuellen Bedürftigkeit und damit gegen das Gerechtigkeitsempfinden, verstoßen.44 Der Verfasser stieß bei seinen weiteren Recherchen überwiegend auf kritische Positionen aus der (Wirtschafts-)Wissenschaft zum BGE, zumeist mit klaren Begrifflichkeiten und normativen Begründungen. So konstatierte Raddatz als maßgeblichen Einwand langfristige negative Wirkungen für den Arbeitsmarkt. Das BGE würde, vor allem wenn es existenzsichernd ist, „ein Recht auf Faulheit und Müßiggang auf Kosten der Gemeinschaft beziehungsweise der Steuerzahler“ akzeptieren. Skeptisch schätzt Raddatz die Überwindung des Müßiggangs ein, denn es benötige ein Maß an Selbstdisziplin und Selbstkontrolle, „das wohl nicht von allen Menschen ohne Weiteres aufgebracht werden“ würde, zumal jeglicher Druck entfalle. Zudem seien auch negative Qualifizierungsanreize für Jugendliche zu erwarten, denn sie würden mit einem BGE diesbezügliche Anstrengungen für nicht mehr so wichtig erachten.45 Ähnlich eindeutig äußerte sich Horst Siebert, der eine völlig verfehlte Anreizwirkung erwartet. Er sieht den größten Fehlanreiz des BGE in einer schwindenden Motivation der Menschen, ihre Arbeitskraft der Volkswirtschaft zur Verfügung zu stellen. Der Autor sieht die gesamte Arbeitsmoral durch das BGE und damit die Grundlage der Arbeitsethik „zerrüttet“. Wie Raddatz meint auch Siebert negative Implikationen für die junge Generation vorherzusehen, weil sie sich von der Arbeit insgesamt „entwöhne“. Leistungsanreize würden im unteren und oberen Einkommenssegment durch die entstehende „Einkommenskompression“ zurückgehen. Siebert befürchtet eine gesamtgesellschaftliche Einstellungsänderung, weil das Anspruchsdenken an den Staat institutionalisiert und verfestigt werden würde.46
40
Vgl. Enste / Schneider (2016), S. 25 u. S. 26. Vgl. Enste / Schneider (2016), S. 29. 42 So auch das entscheidende Argument gegen ein BGE in den meisten Beiträgen, vgl. Osterkamp (2015). 43 Vgl. Enste / Schneider (2016), S. 16. 44 Vgl. Enste / Schneider (2016), S. 17. 45 Vgl. Raddatz (2014), S. 54. 46 Vgl. Siebert (2007). 41
III. Wissenschaft
49
Fratzscher und Petersen47 befürchten unabhängig voneinander vor allem negative Auswirkungen für gering qualifizierte Arbeitskräfte oder Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor.48 Fratzscher befürchtet sogar ein Absinken der Erwerbsarbeit und des Einkommens auf das Niveau zu den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit49 (siehe B. I.). Zudem verweist er, wie Hüther, auf den Technologiepessimismus der BGE-Befürworter. Für Fratzscher wird durch das BGE der strukturtechnologische Wandel der Arbeitswelt nicht erleichtert.50 Offensichtlich wären die Veränderungen des Sozialstaates durch ein BGE so weitreichend, dass eine andere Gesellschaftsform geschaffen werden würde. Diefenbacher et al. diskutierten in einem Sammelband den Begriff der Postwachstumsgesellschaft in Bezug auf die Arbeitswelt. Unter diesem Begriff verstehen die Herausgeber „eine vielfältige wachstumskritische Debatte“, die sich an alternativen Formen des Wirtschaftens wie solidarische Ökonomie und Reloka lisierungsstrategien orientieren.51 Wie weit diese Debatte reichen kann, in der im Übrigen auch das BGE verortet wird, zeigt eine Diskussionsrichtung, die „kapitalistisches Wachstum als Verursacher multipler Krisen“ und „imperialer Lebensweise“ fokussiert. Dagegen werden der Ausbau alternativer Wirtschaftsformen und „Modellprojekte bis zum politischen Kampf für demokratische Investitionslenkung, Arbeitszeitverkürzung und Einführung von Grund- und Maximaleinkommen“52 in Stellung gebracht. Den Autoren geht es dabei nicht um die Überwindung von Arbeit. Im Gegenteil, betonen sie doch verschiedentlich den zentralen Stellenwert von Arbeit auch in einer Postwachstumsgesellschaft.53 Angeblich wäre aber das Normalarbeitsverhältnis erodiert und durch eine Dualisierung und Prekarisierung geprägt.54 Aus diesem Grund werden u. a. Modelle der technologieskeptischen „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ (Jeremy Rifkin)55 und der „Neuen Arbeit“ (Fritjof Bergmann)56 eingebracht, mit dem Ziel, eine Aufwertung und Verschiebung hin zu informeller Arbeit durchzusetzen. Um die notwendige Ver-
47
Vgl. Petersen (2017), S. 630. So auch eine Einschätzung des IZA, vgl. Krohn (2013), S. 242. 49 Vgl. Fratzscher (2017), S. 522; vgl. hierzu auch Osterkamp (2015a), S. 18: „Die Einführung eines BGE würde daher bedeuten, zu einer Situation zurückzukehren, von der sich die deutsche Gesellschaft vor einigen Jahren bewusst entfernt hat.“ 50 Vgl. Fratzscher (2017), S. 523. 51 Vgl. Diefenbacher et al. (2017), S. 93. 52 Vgl. Diefenbacher et al. (2017), S. 95 f. 53 Vgl. Diefenbacher et al. (2017), S. 21, S. 43, S. 90 u. S. 100. 54 Ein Blick in die Beschäftigtenstatistik und den schon seit Jahren quartalsweisen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sowie die Struktur nach Personengruppen zeigt, dass diese Darstellung nicht zu halten ist. https://statistik.arbeitsagentur.de/ Navigation/Statistik/Statistik-nach-Themen/Beschaeftigung/Beschaeftigung-Nav.html, Abruf am 12.04.2020. 55 Vgl. Diefenbacher et al. (2017), S. 154–156. Rifkin geht davon aus, dass Güter irgendwann ohne Produktionskosten hergestellt werden können und nur noch der Materialwert anfällt. 56 Vgl. Diefenbacher et al. (2017), S. 160 f. 48
50
C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
kürzung der Arbeitszeit für eine informelle Arbeit zu subventionieren, wird von Diefenbacher et al. u. a. das BGE als Vorschlag eingebracht. In diesem Zusammenhang wird von den Autoren hervorgehoben, dass es mit dem BGE keinen expliziten Arbeitszwang mehr gäbe und sich dies somit positiv auf (Langzeit-)Arbeitslose auswirken würde.57 Daher lautet auch eine der Empfehlungen der Autoren die „Erprobung eines lebensphasenspezifischen Grundeinkommens“58 als wichtiges Element zur Realisierung einer Postwachstumsgesellschaft und der „Überwindung der unbedingten Beschleunigungs- und Steigerungslogik der heutigen Gesellschaft“.59
IV. Wirtschaft Daron Acemoglu, Professor am Massachusetts Institute of Technology, findet auf die Frage, warum ausgerechnet Vordenker im Silicon Valley jedem ein bedingungsloses Grundeinkommen zukommen lassen wollen, dass dies eine schlechte Idee sei und sie von ganz links, ganz rechts und einigen Libertären komme. „Die Rechten wollen damit das soziale Netz abschaffen, die Linken wollen das Einkommen zusätzlich zu den klassischen Sozialleistungen geben, eine größere Herausforderung sei es, Menschen in Arbeit zu bringen und Arbeitsplätze zu schaffen.60 Damit rekurriert Acemoglu auf zwei ideengeschichtliche Traditionen. Die eine, im weitesten Sinne sozialistische Tradition nach Thomas Paine oder Bertrand Russell, die aus Gründen der Gerechtigkeit für ein BGE plädieren und die andere „neoliberale“61 Tradition nach Friedrich Hayek und Milton Friedman, die im BGE ein Ersatz für den Sozialstaat sehen.62 Wie lauten die Positionen aus der hiesigen Wirtschaft zum bedingungslosen Einkommen und gibt es in diesem Zusammenhang auch Einschätzungen hinsichtlich einer Verhaltensänderung der Arbeitsmotivation? Wegen der Vielzahl an Akteuren, die sich zum BGE geäußert haben, bietet eine synoptische Darstellung einen besseren Überblick zu den einzelnen Positionen.
57
Vgl. Diefenbacher et al. (2017), S. 212. Dieses Modell, welches die Bedürftigkeit an den unterschiedlichen Lebensphasen orientiert, stellt streng genommen lediglich ein Brückenmodell dar. 59 Vgl. Diefenbacher et al. (2017), S. 362. 60 Vgl. Petersdorff (2019). 61 Der „Neoliberalismus“ wird zumeist negativ konnotiert, teilweise als ein Kampfbegriff verwendet. Zur Versachlichung vgl. Plickert (2008). Vielleicht wäre der Begriff „ordoliberal“ ein versachlichender Alternativvorschlag. 62 Vgl. Bieber (2017). 58
51
IV. Wirtschaft Wer
These
Begründung
Arbeitsmotivation
Achim Berg, Bitkom-Präsident
Jeder Zehnte wird bald arbeitslos.
Wegen der Digitalisierung fallen 3,4 Millionen Stellen in den nächsten 5 Jahren weg.
Achim Berg ist „offen für die Idee eines BGE.“63 Keine Aussage zur Verhaltensänderung.
Josef „Joe“ Kaeser, Vorstandsvorsitzender Siemens AG
Es würden langfristig „einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mit kommen.“
Grundeinkommen als Puffer in der Transformationsphase.
„Geisteshaltung der Inklusivität schaffen.“64 Keine weitere Aussage zur Verhaltensänderung.
Timotheus „Tim“ Höttges, Vorstandsvorsitzender Telekom AG
„Die klassischen physischen Arbeiten werden auf lange Sicht komplett durch Maschinen erledigt werden, davon bin ich zutiefst überzeugt. Darüber hinaus werden auch Routinearbeiten, die Denkleistung erfordern, durch Software und Computer wahrgenommen.“ „Ganze Berufsgruppen werden wegfallen, ganz neue entstehen.“ „Ich halte nichts von Droh kulissen […] Wir müssen und können uns auf den Wandel vorbereiten.“
„Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.“ „Wir müssen unsere Gesellschaft absichern. Deswegen die Idee des Grundeinkommens. […] Es könnte eine Lösung sein – nicht heute, nicht morgen, aber in einer Gesellschaft, die sich durch die Digita lisierung grundlegend verändert hat.“
Ausweichend: „Satt und faul … Ich halte Massenarbeitslosigkeit und die damit verbundene Perspektivlosigkeit eher für ein großes Problem.“ [Als gesellschaftliche Antriebslosigkeit, Anm. L. N.] Auf erneute Nachfrage weicht Höttges aus: „Meine Erfahrung lehrt mich, dass man durch Qualifikation und Motivation Kräfte und Ehrgeiz freisetzt, die sich dann auf produktive Themen richten und nicht Faulheit provozieren.“65
63
Vgl. o. V. (2018d). Vgl. Petersen (2016). 65 Vgl. Lorenzo (2015). 64
52
C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
Wer
These
Begründung
Arbeitsmotivation
Bernd Leukert, ehem. Vorstandsmittglied der SAP SE
„Es stimmt auch, dass sich Kompetenzen verlagern werden. Wissen, dass man vor zwanzig Jahren erworben hat, hat morgen wahrscheinlich einen geringeren Wert. Das wird noch nicht einmal so sehr Führungskräfte treffen, auch nicht die weniger gut bezahlten normalen Arbeiter. Aber das mittlere Gehaltssegment wird unter Druck kommen.“
„Ja, davon [dem BGE, Anm. L. N.] würden langfristig auch diejenigen profitieren, die weiterhin höhere Gehälter beziehen. Wenn wir an dieser Stelle nichts tun, droht die Gesellschaft auseinanderzubrechen.“
„Zum anderen muss das System so strukturiert sein, dass man auch künftig noch gute Anreize hat, um etwas zu erreichen. Durch Arbeit.“66
Hans-Christian „Chris“ Boos, Vorstandsvorsitzender Arago GmbH, Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung
„Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Weg, den notwendigen gesellschaftlichen Wandel vom Erhalt zum Neubau so zu gestalten, dass er sozialverträglich wird.“67
Keine Begründung.
Keine Aussage.
Quelle: Eigene Darstellung.
Abb. 9: Synoptische Darstellung von Wirtschaftsakteuren zum BGE.
Die synoptisch und beispielhaft dargestellten Spitzenkräfte aus der deutschen Wirtschaft finden ihr Pendant im Silicon Valley. Auch die prominenten Köpfe dort, wie Bill Gates, Elon Musk, Marc Zuckerberg, Stewart Butterfield (Slack) und Pierre Omidyar (eBay), befürchten eine neue Massenarbeitslosigkeit durch die Digitalisierung, die sie mit einem BGE sozial absichern wollen.68 Ein Statement zu den Auswirkungen auf den Arbeitsanreiz ist nicht bekannt. Die herausgearbeiteten bzw. genannten Befürworter eines BGE aus der Sphäre der Wirtschaft können tendenziell eher der einleitend dargestellten neoliberalen 66
Vgl. Knop (2016). Vgl. Petersen (2016). 68 Vgl. Dörner (2017) und vgl. Brien (2017). 67
V. Parteien
53
Tradition zugeordnet werden, die sich aufgrund einer irrationalen Vorsicht vor der digitalen Transformation den Sozialstaat nur noch in Form eines BGE zur Sicherung des sozialen Friedens vorstellen können. Diese Darstellung zu den Positionen aus der Wirtschaft erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sie zeigt aber die Grundtendenz eines überschießenden Technikoptimismus, der sich in seinen Folgen für den Arbeitsmarkt als Pessimismus auswirkt, weil sie sich vor allem auf die disruptiven neuen Technologien fokussieren. Offensichtlich bewegen sich die Führungspersonen des C-Level in ihrer Filterblase, Echokammer sowie Wissenssilo und besitzen weniger Zugang zu den tatsächlichen Digitalisierungsgeschwindigkeiten in KMU, den tatsächlichen Substituierbarkeitspotenzialen und den Auswirkungen von Finanzierungsmodellen zur sozialen Absicherung, wie zum Beispiel den Folgen eines BGE auf die Arbeitsmotivation. Dabei ist die synoptische Darstellung aus Sicht der ausgewählten Führungskräfte natürlich für die deutsche Wirtschaft insgesamt nicht repräsentativ. Wie eine Umfrage unter 300 Managern aus den Bereichen Finanzdienstleistungen, Handel, Maschinenbau und Automobil zeigt, „glaubt nur jeder siebte, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vorteilhaft wäre, um negative Auswirkungen der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt zu kompensieren.“ Fast jeder zweite Manager war der Überzeugung, dass das BGE eher Nachteile mit sich bringe, vor allem befürchten sie Demotivation. Diese Gruppe gab an, dass es mit einem BGE keinen Anreiz mehr zu arbeiten gäbe, die Leistungsbereitschaft sänke und Arbeitslose sich nicht mehr um Arbeit bemühen würden.69
V. Parteien Der aktuelle Koalitionsvertrag zur 19. Legislaturperiode, der am 7. Februar 2018 zwischen den Unionsparteien und der SPD geschlossen wurde, enthält keinen Hinweis auf ein BGE. Selbst das Thema Grundsicherung wird nur im Zusammenhang mit der Grundrente erwähnt.70 Parteipolitisch wird ein bedingungsloses Grundeinkommen von Teilen der SPD, der Grünen und der Linken als Alternative zum Arbeitslosengeld II gefordert. Vormals auch von der Piratenpartei. Hubertus Heil positionierte sich als Bundesarbeitsminister, wie zuvor auch schon Andrea Nahles, klar gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen.71 Andrea Nahles schlug auf der Digitalkonferenz Republica 2017 als Antwort auf die Digitalisierung und Automatisierung sowie als Alternative zu einem BGE ein steuerfinanziertes Arbeit 69
Vgl. o. V. (2018e). Vgl. CDU / CSU / SPD (2018). 71 Vgl. Heil (2018). Andere sahen in der Sozialstaatsdebatte der SPD ein Abdriften von einer „leistungsorientierten Arbeitsgesellschaft“ zur Anspruchsseite von direkten und indirekten Geldleistungen, vgl. Göbel (2018).
70
54
C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
nehmer-Startguthaben ab dem 18. Lebensjahr vor. Dieses Startguthaben könnte etwa für eine Gründung, Weiterbildung, ehrenamtliches Engagement, Arbeitszeitverkürzung oder eine Auszeit von der Arbeit eingesetzt werden. An ein Ende der Arbeit glaube sie nicht.72 Mit diesem Vorschlag konnte sich Nahles nicht politisch durchsetzen. Die Ablehnung innerhalb der SPD wird gestützt von den Gewerkschaften („Stillhalteprämie“).73 Das SPD-Wahlprogramm vom 25. Juni 2017 enthält ein eigenes Kapitel zum Thema Arbeit. Unter der Überschrift „Es ist Zeit für moderne Ausbildung und sichere Arbeit“74 werden unterschiedliche Aspekte zum Thema gefordert. Darunter werden den Punkten Digitalisierung, Weiterbildung und im Zusammenhang mit der Grundsicherung auch die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit breiter Raum geboten. Zum ALG II wird die Streichung der Sanktionen für Jüngere und die Verdoppelung des Schonvermögens gefordert. Für ein BGE setzt sich die SPD in dieser Wahlperiode nicht ein. Wie bereits thematisiert, hat die Berliner SPD zuletzt das Modell eines solidarischen Grundeinkommens als Alternativsystem vorgeschlagen und erprobt es zurzeit. Wie eine genauere Analyse ergeben hat, könnte es sich bei dem solidarischen Grundeinkommen um ein Brückenmodell zu einem bedingungslosen Grundeinkommen handeln (siehe oben B. III.). Für die CDU gehört zum Grundprinzip des „Fördern und Forderns“ auch das Wohlstandsversprechen. Nach ihrer Meinung hat die Politik die Aufgabe, Leistungen und Anreize so zu gestalten, dass Menschen sich selbst aus schwierigen Situationen herausarbeiten können. Dieses Wohlstandsversprechen hat für die CDU auch in Zeiten der Digitalisierung Bestand, wohl unter der Voraussetzung von Eigenbemühungen in den Bereichen der Bildung und dem Erwerb neuer Fähigkeiten. Ein „staatlicher Beschäftigungssektor“ oder eine Erweiterung von Leistungen werden in diesem Zusammenhang von der Union abgelehnt.75 Ein BGE wird auch in dem Wahl- und Regierungsprogramm der Union nicht erwähnt. Das Kapitel zur Arbeit besitzt im Vergleich zur SPD eine größere Flughöhe. Der Kontext Digitalisierung und Weiterbildung wird nicht explizit als Ziel genannt, wohl aber die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Programmatisch hält die CDU / CSU an dem Ziel einer Vollbeschäftigung fest.76 Für die FDP spielt ein BGE keine Rolle, sie möchte das Arbeitslosengeld II durch ein „liberales Bürgergeld“ ersetzen.77 Im Kern geht es darum, die ALG-II-Leistungen stärker zu pauschalieren (siehe hierzu die Reformvorschläge von Heinrich
72
Vgl. Dörner (2017). Vgl. o. V. (2018). 74 Vgl. SPD (2017), S. 16–27. 75 Vgl. Kramp-Karrenbauer (2018). 76 Vgl. CDU / CSU (2017), S. 9–23. 77 Vgl. FDP (2017), S. 65 f. 73
VI. Unterstützernetzwerke – BGE goes Twitter
55
Alt, B. I.). Für die AfD ist das BGE ebenfalls kein Thema. Beim ALG I und II soll die vorherige Erwerbsbiographie stärker berücksichtigt werden.78 Einzig bei den Grünen und Linken wird ein BGE explizit thematisiert. Beide Parteien zeigen sich offen für weitere Diskussionen. Während die Grünen vor dem Hintergrund der Digitalisierung und dem demographischen Wandel das BGE in einem Modellprojekt erproben möchten,79 unterstützt die Linke die Einsetzung einer Enquete-Kommission zum Grundeinkommen im Deutschen Bundestag.80 Die Ein-Themenpartei „Das Bündnis Grundeinkommen“ rangiert bei Wahlen unter den sogenannten „Sonstigen Parteien“. Eine zuletzt aktualisierte parteipolitische Auswertung der „Stiftung Grundeinkommen“ bestätigt, dass das BGE zurzeit wenig Chancen auf eine politische Umsetzung hat.81
VI. Unterstützernetzwerke – BGE goes Twitter Im Frühjahr 2020 erfährt das BGE wegen der wirtschaftlichen Eindämmungsmaßnahmen und der Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt aufgrund des Corona virus einen neuen Aufschwung. Eine Internetumfrage zur Einführung eines sechsmonatigen Tests fand rund 500.000 Unterzeichner.82 Auch auf Twitter wurde das BGE von Unterstützergruppen promoviert. Wie eine Ad-hoc-Twitter-Auswertung mit dem Auswertungsprogramm Socioviz.net für den Zeitraum 07. April bis 14. April 2020 und dem Stichwort „Grundeinkommen“ zeigte, beteiligten sich vermehrt Einzelpersonen an der Diskussion und nicht die bekannten BGE-Netzwerke (siehe Abb. 10 und Abb. 11). Wer sind diese Einzelpersonen, die ein bedingungsloses Grundeinkommen befürworten? Wie eine repräsentative Befragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigte, handelt es sich vor allem um jüngere, akademisch gebildete, weniger verdienende und politisch links orientierte Menschen. Nach dieser Studie würden 45 bis 52 Prozent dieser Gruppe in Deutschland einem BGE zustimmen.83 Die generierte Hashtagcloud zeigt, dass die Teilnehmer das BGE nicht nur in Verbindung mit der Coronakrise, sondern auch stark im politischen Zusammenhang diskutierten bzw. ihre Statements adressierten. Dies zeigen die Verbindungs linien zu den Hashtags der einzelnen Parteien (siehe Abb. 12) und den Interaktionen zu einzelnen Politikern, Ministerien und Parteien (siehe Abb. 11). 78
Vgl. AfD (2017), S. 58. Vgl. Bündnis 90/Die Grünen (2017), S. 198. 80 Vgl. Die Linke (2017), S. 26. 81 Vgl. o. V. (2020). 82 Vgl. Bernau (2020). 83 Vgl. o. V. (2019d). 79
56
C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
Quelle: Eigene Darstellung und entnommen aus Socioviz.net, https://socioviz.net/statistic?from=welcome#, Abruf am 14.04.2020.
Abb. 10: Aktivste und einflussreichste Twitterer.
Quelle: Eigene Darstellung und entnommen aus Socioviz.net, https://socioviz.net/statistic?from=welcome#, Abruf am 14.04.2020.
Abb. 11: Twitternetwork-Cloud.
VI. Unterstützernetzwerke – BGE goes Twitter
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Quelle: Eigene Darstellung und entnommen aus Socioviz.net, https://socioviz.net/statistic?from=welcome#, Abruf am 14.04.2020.
Abb. 12: Twitterhashtag-Cloud.
Insgesamt wurden 100 Tweets im oben genannten Zeitraum von Socioviz.net eingesammelt. Die inhaltliche Sentimentauswertung dieser Tweets durch den Verfasser ergab eine ganz überwiegend positive Tonalität für ein BGE. Die nachfolgende Übersicht zeigt eine quantitative und qualitative Auswertung mit Einzelbeispielen in Form von exemplarischen Tweets zu den gepoolten Oberthemen. Die überwiegende Anzahl der (Re-)Tweets im analysierten Zeitraum forderten auf, die oben erwähnte Petition zu unterzeichnen (17 (Re-)Tweets). „Mit ihrer Petition (https://t.co/29x5auU2JW) an den Bundestag konnte sie in kürzester Zeit die nötigen 50.000 Unterschriften für eine öffentliche Behandlung des Themas knacken. Jetzt hat @susannewiest sich ein neues Ziel gesetzt: 500.000 Mitzeichner*innen: https://t.co/vLRYLaS5on“ (Siehe auch Abb. 10). Einige (Re-)Tweets (15) reagierten auf eine Äußerung von Papst Franziskus zu einem Grundeinkommen. „@KNA_Redaktion @BischofSchick Was jetzt auch wichtig ist: Papst Franziskus schlägt vor: Grundeinkommen für arbeitende Arme. Christus hat sich nicht nur um seine Jünger gekümmert, sondern auch mit dem Volk geredet. Liebe Bischöfe, bitte reden Sie mit CDU-Funktionären in Ihrem Bistum! https://t.co/TOTKNXeLYD“ (Siehe Abb. 11, Mitte unten und rechts unten in der Darstellung). Neun Retweets riefen dazu auf, sich bei einem Crowdfunding des Netzwerks „Mein Grundeinkommen“84 zu beteiligen. „Ein #Grundeinkommen #FürAlle. Ich
84
Vgl. o. V. (2020a).
58
C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
lade euch ein: Lasst uns gemeinsam ein Grundeinkommen gewinnen! Bedingungslos. @meinbge https://t.co/nb8YV1A22A“ (Siehe auch Abb. 10). Acht einzelne Tweets meinten, dass ein BGE sie in der jetzigen Coronakrise gut unterstützen könnte. „Wenn die Kitas bis zum Sommer geschlossen bleiben, wird’s Zeit für ein Grundeinkommen. Ich kann nicht Kind bespaßen, parallel arbeiten, Haushalt, Einkauf usw. alles zusammen und mit Kind. Das sind 3 Jobs zeitgleich für ein Elternteil. Und meine Urlaubstage verballer [sic!] ich dafür.“ Zum Thema Corona wurde auch der bereits zitierte Bernau-Artikel (siehe Abb. 10, rechte Tabelle sowie Abb. 11, links oben) zum BGE aufgegriffen und kommentiert. Neben der Socioviz-Analyse identifizierte der Verfasser weitere Unterstützernetzwerke eines BGE über eine Twittersuche auf dem Kanal selbst mit dem Suchbegriff „Grundeinkommen“. Nachfolgende Suchergebnisse wurden am 14. April 2020 hierzu angezeigt: „Grundeinkommen Köln“ @BGEKoeln, „Mein Grundeinkommen“ @meinbge, „Verena bedingungsloses Grundeinkommen Altenberger“ @EnaAltenberger, „Grundeinkommen“ @grndnkmmn, „Bündnis Grundeinkommen“ @bgepartei, „NW Grundeinkommen“ @NetzwerkBGE, „Grundeinkommen HH“ @bgehh, „Grünes Grundeinkommen“ @Gruenes_GE, „Grundeinkommen München“ @BGEMuenchen, „ArchivGrundeinkommen“ @archivbge. Diese Suchergebnisse wiesen, neben dem bereits erwähnten Netzwerk „Mein Grundeinkommen“ und vielen regionalen Gruppen, auch auf die Partei „Bündnis Grundeinkommen“ hin. In der Selbstdarstellung der Partei heißt es „Das Bündnis Grundeinkommen“ (BGE) ist eine Ein-Themen-Partei, die sich für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) einsetzt.“85 Diese Partei erreichte bei der letzten Europawahl (2019) 0,1 Prozent und rund 41.000 Stimmen.86 Aufgrund einer fortlaufenden Beobachtung des Themas seit Studienbeginn im Wintersemester 2017 an der Quadriga Hochschule, die der Verfasser mithilfe einer studienbegleiteten Sammlung von Twitter-Accounts in einer privaten Twitter-Liste angelegt hat, konnten weitere Akteure identifiziert werden. Das älteste BGE-Netzwerk in Deutschland, das „Netzwerk Grundeinkommen“, @NetzwerkBGE ist seit November 2009 bei Twitter angemeldet und besitzt 1.624 Follower (Stand 16.04.2020). Das „Netzwerk Grundeinkommen“ gründete sich am Tag der Verabschiedung der Gesetze zum Arbeitslosengeld II, am 09. Juli 2004 in Berlin. Ziel dieses Akteurs ist es, sämtliche Initiativen und Einzelpersonen miteinander zu verbinden.87 Das europäische Pendant zum „Netzwerk Grundeinkommen“ ist die Gruppe „Basic Income Europe“, @basicincomeEU, die seit Dezember 2012 einen TwitterAccount betreut und über 11,8 K Follower hat. Zuletzt unterstützte diese Plattform
85
Vgl. o. V. (2020b). Vgl. o. V. (2019c). 87 Vgl. Butterwegge (2007). 86
VII. Praktische Erprobungen des BGE
59
vor dem Hintergrund der Coronakrise eine Petition der WeMove Europe-Bewegung für ein Notfall-BGE. Stellvertretend für diese Netzwerkakteursanalyse, von der sich die meisten Initiativen für die Einführung oder Erprobung eines BGE einsetzen, kann als Persona Michael Bohmeyer, Gründer des Crowdfundingvereins „Mein Grundeinkommen e. V.“, der überregionales (Medien-)Echo erzielte, genannt werden. Über seine Plattform sammelt Bohmeyer jeweils 12.000 Euro ein, die er anschließend als Jahreseinkommen verlost. Blendet man aus, dass ein Jahresgewinn nicht zu vergleichen ist mit einer bedingungslosen und unbefristeten staatlichen Alimentierung für alle, zeigt Bohmeyer in seinen Interviews zu den Vorteilen eines BGE Einstellungen und Lebensbild der Befürworter eines BGE. Den Menschen würde, nach Meinung Bohmeyers, Sicherheit in einer schnelllebigen und digitalisierten Gesellschaft gegeben. Sie würden wieder kreativer, mutiger, gründungsoffensiver und gesünder leben. Eine grundsätzliche Verhaltensänderung durch ein BGE sieht Bohmeyer nicht. Er glaube auch nicht an ein Ende der Arbeit. Nach der Digitalisierung bliebe „den Menschen am Ende immer noch […] die soziale und emphatische Arbeit. Darüber wird die Identitätsstiftung der Menschen künftig stattfinden.“88
VII. Praktische Erprobungen des BGE Neben der deutschen Diskussion zu einem BGE, die zuletzt besonders intensiv in einer Hochkonjunkturphase geführt wurde, hat dieses Thema auch globale Bedeutung erlangt. Zwar zeigte sich bei der vertieften Beschäftigung mit den internationalen Erprobungen, dass es sich in den allermeisten Feldversuchen nicht um ein gänzlich bedingungsloses Grundeinkommen handelte89 und somit keine abschließenden oder gar auf Deutschland übertragbaren Befunde ermittelt werden können. Neben dem Umstand, dass Industrieländer nicht mit Schwellen- oder Entwicklungsländern vergleichbar sind, werden gesellschaftliche Konventionen nicht in lokalen und kurzfristigen Experimenten in Frage gestellt und Ergebnisse von kleineren Gruppen sind nicht extrapolier-90 bzw. universalisierbar, da sie nur kurzfristig wirken. Ein weiteres Problem, das eine Übertragbarkeit auf Deutschland erschwert, ist die unterschiedliche Finanzierung der Modellversuche, die eine weite Spannweite aufweist. So finanzieren bzw. finanzierten Länder wie Iran oder der Bundesstaat Alaska ihre Grundsicherungsmodelle mit den Einnahmen aus der Gewinnung fossiler Brennstoffe.91 In Ländern wie Namibia, Brasilien oder Indien wird das
88
Vgl. Hüfner (2018). Vgl. Niemann (2015), S. 167. 90 Vgl. Bieber (2017). 91 Vgl. Niemann (2015), S. 158 u. S. 165. 89
60
C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
Grundeinkommen mit Entwicklungshilfe verglichen.92 Ohne die kirchliche Unterstützung hätte das Modellprojekt in Namibia nicht durchgeführt werden können.93 Die Versuche in den ärmeren Ländern legen aber im Ergebnis einen zumindest kurzfristigen Erfolg der jeweiligen Grundeinkommensmodelle für Entwicklungsund Schwellenländer nahe.94 Eher mit deutschen Verhältnissen vergleichbar sind die insgesamt vier Experimente, die in den 60er und 70er Jahre in verschiedenen US-amerikanischen Bundesstaaten und Großstädten durchgeführt wurden. Diese Experimente, die systematisch, wissenschaftlich begleitet wurden, zeigten, dass bei den entsprechenden Zielgruppen die Bereitschaft zu arbeiten „eher abnahm“,95 die Forscher stellten negative Auswirkungen der negativen Einkommenssteuer (siehe B. V. I., Straubhaars Finanzierungsmodell eines BGE) besonders für die Arbeitszeit von weiblichen Teilnehmerinnen fest.96 Nun lässt sich zurecht entgegnen, dass diese Modellprojekte länger zurückliegen und sich inzwischen die Gesellschaften wie auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und das Arbeitsleben weiter entwickelt haben.97 Wohl auch deshalb erhielt das finnische Modellprojekt, das von Ende 2016 bis Ende 2018 mit 2.000 zufällig ausgewählten Langzeitarbeitslosen zwischen 25 und 58 Jahren, die monatlich 560 Euro erhielten und das von der finnischen Sozialversicherungsverwaltung „Kela“ durchgeführt wurde, besondere internationale, mediale und politische Aufmerksamkeit, vor allem in westlichen Industrieländern.98 Für die vorliegende Arbeit relevant ist das finnische Experiment deshalb, weil unter anderem die Kernfrage geklärt werden sollte, ob sich das BGE auf die Arbeitsmotivation positiv auswirkt. Um es vorweg zu nehmen, diese These wurde durch die Auswertungen für das erste Jahr des Experiments falsifiziert.99 Es zeigten sich keine eindeutigen Hinweise auf einen positiven Beschäftigungseffekt (siehe Abb. 13). Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wurde weder begünstigt noch konterkariert, wie der erste Befund einer eigenen Auswertung der Kela, nämlich dem Vergleich zwischen den Menschen, die ein BGE erhielten und der Kontrollgruppe ohne ein BGE, zeigte. Auch die Anzahl an Tagen in Beschäftigung oder der Unterschied zwischen Voll- und Teilzeitarbeit veränderte sich zwischen den beiden Gruppen nicht.100 Hierfür hätte das Grundeinkommen höher ausfallen müs-
92
Vgl. o. V. (2019b), S. 3 (Abb.). Vgl. Niemann (2015), S. 162. 94 Vgl. Enste / Schneider (2016), S. 18 u. S. 21. 95 Vgl. Niemann (2015), S. 159. 96 Vgl. Enste / Schneider (2016), S. 18. 97 Vgl. Hannemann (2016), S. 170. 98 Vgl. Hannemann (2016), S. 175. 99 Vgl. Schupp (2020), S. 114; die endgültige Auswertung des Experiments war für Anfang 2020 angekündigt, vgl. Kela (2020). 100 Vgl. Kangas et al. (2019), S. 12, S. 15 u. S. 23. 93
VII. Praktische Erprobungen des BGE
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sen. Das IAB weist zudem daraufhin, dass sich möglicherweise erst auf längere Sicht negative Konsequenzen ergeben, wenn sich negative Arbeits- und Bildungsanreize etabliert hätten.101 Aber die Regierung stoppte am 20. April 2018 wegen der anstehenden Wahl und der vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit von rund 9 Prozent102 die ursprünglich geplante zeitliche Verlängerung und die Ausweitung des finnischen Großversuchs für 2019 auf weitere Personengruppen und setzte auf eine begrenzte Arbeitspflicht für Erwerbslose.103 Offensichtlich hatte diese Kehrtwende Erfolg, denn die Arbeitslosigkeit sank innerhalb von rund 1 ½ Jahren um rund 2,5 Prozent. Die Projektleiter sprachen demgegenüber von einem geplanten Auslaufen des Experiments nach zwei Jahren, um dem medial geäußerten Vorwurf zu entgegnen, man sei mit dem Experiment gescheitert.104 Die Sozialbehörde Kela betont weiterhin in ihrer eigenen Evaluation zum ersten Jahr des Versuchs eine Steigerung des Wohlbefindens der Gruppe mit einem BGE (siehe Abb. 13), zum Beispiel in Bezug auf den allgemeinen Gesundheitszustand, Stressbelastung und Konzentrationsfähigkeit der Probanden.105 Am 6. Mai 2020 veröffentlichte die finnische Sozialverwaltung ihren Abschlussbericht über ihr Experiment. Insgesamt bestätigten sich grosso modo die bereits oben ausgeführten vorläufigen Ergebnisse aus der Zwischenauswertung. Die Sozialbehörde Kela meinte selbst: „Die aktivierenden Effekte des BGE wären insgesamt gering einzuschätzen.“106 Die durchschnittliche Zahl der Teilnehmer mit einem BGE erhöhten ihre Arbeitstage zwischen November 2017 bis Oktober 2018 von 72 auf 78 Tage. Die Vergleichsgruppe ohne BGE arbeitete geringfügig weniger, nämlich 73 Tage (siehe Abb. 14). Wahrscheinlich wurden die Ergebnisse des Experiments durch die oben genannte Sozialreform der Regierung, die zu einem Abbruch des Experiments führte, verzerrt. Zunächst fraglich bleibt, ob die rigideren Regeln der finnischen Regierung mit einer Aktivierungsmaßnahme möglicherweise einen negativen oder positiven Einfluss auf das Anreizsystem der Teilnehmer und der Vergleichsgruppe gehabt haben. Vor dem Hintergrund der deutschen Erfahrungen mit dem Arbeitslosengeld II könnte man annehmen, dass die Einführung der finnischen Aktivierungsmaßnahme sich insgesamt positiv auf das Anreizsystem der Teilnehmergruppen ausgewirkt hat und nicht, wie teilweise behauptet, negativ auf das Delta zwischen den Teilnehmern mit bzw. ohne BGE.107 Diese
101
Vgl. Bruckmeier / Konle-Seidl (2019), S. 3. Im Dezember 2019 betrug die Arbeitslosenquote 6,6 Prozent, vgl. o. V. (2020c). 103 Vgl. o. V. (2018g), S. 15. 104 Vgl. Schäfer (2018) u. Jacobs (2018). 105 Vgl. Kangas et al. (2019), S. 30. 106 Vgl. Kela (2020a); Die finnische Sozialbehörde veröffentlicht den vollständigen Bericht zunächst nur auf Finnisch (Stand: 07.05.2020). 107 Vgl. Koch (2020). 102
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C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
Schussfolgerung wird auch durch die positive Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Untersuchungszeitraum nach Einführung der finnischen Sozialreform bestätigt.
Quelle: Entnommen aus Bruckmeier, Kerstin / Konle-Seidl, Regina (2019): Reformen der Grundsicherung im interna tionalen Vergleich: neue Wege ja, Systemwechsel nein, in: IAB-Forum, https://www.iab-forum.de/reformen-der-grund sicherung-im-internationalen-vergleich-neue-wege-ja-systemwechsel-nein/, Abruf am 26.04.2020.
Abb. 13: Vorläufige Ergebnisse des finnischen Grundeinkommensexperiments
VIII. Zwischenergebnis Die priorisierte Akteursanalyse, die mithilfe von Frames einzelne Positionen geclustert und zum Teil mediale Diskurse einzelner Akteure untersucht hatte, changierte im Ergebnis zwischen Ablehnung und Zustimmung hinsichtlich eines
VIII. Zwischenergebnis
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Quelle: Entnommen aus Kela (2020a): Results of Finland’s basic income experiment: small employment effects, better perceived economic security and mental wellbeing. https://www.kela.fi/web/en/news-archive/-/asset_publisher/ lN08GY2nIrZo/content/results-of-the-basic-income-experiment-small-employment-effects-better-perceived-economicsecurity-and-mental-wellbeing, Abruf am 07.05.2020.
Abb. 14: Endgültige Ergebnisse des finnischen Grundeinkommensexperiments.
BGE. Besonders die intensive Beschäftigung mit den internationalen Modellerprobungen enttäuschte im Ergebnis. Da das Thema BGE somit empirisch nicht zu würdigen ist, verwundert auch die überwiegend normative Argumentation der Wissenschaft nicht, die überwiegend ein BGE wegen der negativen Konsequenzen auf die Arbeitsanreize der Menschen ablehnt, aber auch andere gewichtige Gründe anführen kann, wie zum Beispiel die Reziprozität und Subsidiarität. Positive Einschätzungen finden sich bei Vertretern einer Postwachstumsgesellschaft, die den bestehenden Sozialstaat ablehnen (siehe hierzu bereits auch Straubhaar und Werner, B. V. 1. und B. V. 2.). Interessanterweise finden sich diese Positionen auch bei den Unterstützernetzwerken wieder. Als Katalysator eines BGE wirkten die medial vielfach dargestellten Positionen prominenter Führungskräfte aus der Wirtschaft. Eine tiefergehende Beschäftigung mit ausgewählten Positionen zeigte aber eine gewisse Oberflächlichkeit in Bezug auf die Beschäftigung mit den Teilbereichen Substituierbarkeit und Anreizsysteme. Auch in der Politik zeigte sich eine Bipolarität der Positionen zum BGE, auch im Vergleich der einzelnen Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien. Einzige Ausnahme findet sich bei der SPD, bei der sich einzelne Spitzenpolitiker offen für ein BGE zeigen oder, wie in einem eigenen Abschnitt dargestellt, an einem Brückenmodell arbeiten. Die Unterstützer eines BGE, die als politische Bewegung bezeichnet werden kann, konnten auch durch eine digitale Auswertung des Social-Media-Kanals Twitter in ihrer Vielfalt dargestellt werden. Dieser Abschnitt thematisierte das Coronavirus als einen der
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C. Grundeinkommen als Kompensation eines digitalisierten Arbeitsmarktes?
aktuellsten Diskurstreiber des BGE. Ob das Virus ein ähnlich starker Katalysator wie die Digitalisierungsdiskussion sein wird, kann erst nach dieser Krise beurteilt werden. Wegen des Anstiegs der Arbeitslosigkeit und einer starken Rezession ist aber Skepsis hinsichtlich einer positiven Wirkung für ein BGE angezeigt.
D. Spannungsfeld Grundeinkommen im Spiegel der digitalen Transformation der Arbeitswelt Seit 15 Jahren sichert das Arbeitslosengeld II erfolgreich den sozialen Frieden in Deutschland und zeigt sich trotz einer überraschenden Reformwilligkeit als reformbedürftig. Der Reformtreiber war die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit und zuletzt die sich beschleunigenden Wandelphänomenen, die sich auf den Arbeitsmarkt auswirkten und der somit nichts mehr mit der Massenarbeitslosigkeit Ende der 1990er Jahre zu tun hatte. In vorliegender Arbeit konnte das reformbedürftige System der Grundsicherung mit einem der alternativen Systeme, dem BGE und seinen Auswirkungen diskutiert werden und mit der Digitalisierung der Arbeitswelt als aktuellstem großen Begründungszusammenhang gespiegelt werden. Zu welchen wesentlichen Inhalten, Ergebnissen und Empfehlungen die vorliegende wissenschaftliche Issues Management-Analyse kommt, wird in den nächsten drei Abschnitten ausgeführt.
I. Zusammenfassung Das Spannungsfeld lässt sich zunächst zwischen einem bedingungslosen Grundeinkommen und dem Arbeitslosengeld II vermessen. Während das Arbeitslosengeld II erfolgreich auf einen Mix aus Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Aktivierung, Mitwirkung sowie Anreize setzt, liegt der Schwerpunkt eines bedingungslosen Grundeinkommens lediglich auf der individuellen Selbstverantwortung des Menschen. Wie in den Ausführungen zum Arbeitslosengeld II gezeigt werden konnte, würde sich ein Wegfall von Mitwirkungsanforderungen negativ auf die Arbeits- und Bildungsanreize, besonders von jüngeren Menschen und geringer qualifizierten Menschen, auswirken. Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass es sich beim Arbeitslosengeld II um ein System im Wandel handelt, wie die dargestellte Bandbreite der Reformkonzepte gezeigt hat. Als ein Reformcluster konnte die Entbürokratisierung der Verwaltungsabläufe identifiziert werden, die auch von den Befürwortern eines BGE promoviert werden. Als ein Treiber dieser ALG-II-Reformen konnte die Digitalisierung der Arbeitswelt1 fokussiert werden. Das wichtigste Ergebnis des einleitenden Teils in dieser Arbeit war aber der ex-post-Vergleich der 1
Auch die anderen derzeitigen Wandelphänomene, wie zum Beispiel der demographische und ökologische Wandel sowie die Erfahrungen aus der Coronakrise werden zu weiteren Reformschritten führen und wurden an verschiedenen Stellen bereits in dieser Studie mitgedacht und erwähnt.
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D. Spannungsfeld Grundeinkommen im Spiegel der digitalen Transformation
beiden Arbeitslosengeld-Systeme vor und nach 2005. Vor dem Hintergrund der zeitlichen Komponente kann dieser Vergleich, ähnlich den nordamerikanischen Experimenten aus den 60er und 70er Jahren, nicht mehr als Lackmustest für die zentrale Frage dieser Arbeit, nämlich der Motivation, einer existenzsichernden Erwerbsarbeit nachzugehen, dienen. Dafür hat sich die Arbeitswelt in der Globalisierung und der rasanten technischen Entwicklung zu sehr verändert. Der Rückblick liefert uns heutzutage lediglich Indikatoren für Weiterentwicklungen, zum Beispiel den Fokus auf das Anreizsystem zu legen. Damit behandelt diese Analyse einen der wichtigsten Aspekte für eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik. Die letzte große Diskussion um ein BGE konnte zeitlich in der letzten Hochkonjunkturphase von 2010 bis 2019/20 verortet werden. Wie gezeigt werden konnte, handelt es sich beim BGE um ein breit diskutiertes Thema, das von unterschiedlichsten Akteuren analysiert und interpretiert wird. Zwei der für die Diskussion in Deutschland bedeutendsten Vertreter sind Thomas Straubhaar und Götz W. Werner, deren Legierung durch ganz unterschiedliche Framings geprägt sind. Kommunikationswissenschaftlich führen beide Frames zum selben Ergebnis, welches nicht von einem Konsens getragen ist, sondern ein neues Sozialstaatssystem über einen Aktivismus befördert. Beide sind sich der Verhaltensänderung, die ein BGE hinsichtlich der Motivation, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen, entweder unsicher oder, wie Werner tendenziell elitär, den Ausschluss von „antriebslosen Menschen“ in Kauf nimmt. Zur Digitalisierung unterscheiden sich beide hinsichtlich ihrer Beurteilung der Prozessart, die Straubhaar technikpessimistisch als Revolution und Werner zwar evolutionär einordnet, aber auf Routinetätigkeiten verkürzt und im Ergebnis auch technikpessimistisch „Verschwinden der Arbeit“ schlussfolgert. Arbeitskulturelle Unterschiede zahlen auch auf die Digitalisierung der Arbeit ein, wie die Anwendung des Modells der Kulturdimensionen nach Hofstede zeigte und etwa wissenschaftliche Prognosen zur Transformation erstellt werden. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Übertragbarkeit von Ergebnissen im Ländervergleich nicht einfach möglich ist, wie der um inhaltliche Sachargumente angereicherte Vergleich der Osborne / Frey-Studie mit den Digitalisierungs- und Substituierbarkeitsstudien des IAB zeigte. Am Ende der Transformation wird der Grad der Weiterbildung und Qualifikation bei den Erwerbstätigen den Unterschied machen, ob die Digitalisierung eine Chance für den Arbeitsmarkt ist oder ein Risiko. Diesen richtigen Gedanken verfolgen die Befürworter eines BGE in ihrer Argumentation auch, denn ein BGE würde den Menschen den Freiraum geben sich weiterzuqualifizieren. Ob sie dies auch umsetzen, bleibt dabei offen. Hinsichtlich der intrinsischen Motivation von Beschäftigten und Unternehmen muss man derzeit von einer gewissen Unsicherheit ausgehen. Die Kausalität zwischen Weiterbildung und Digitalisierung ist aufgrund der Status-quo-Analyse zwar erkannt, aber steckt in ihrer Umsetzung erst ganz am Anfang. Auch hier müsste die Förderung des Anreizes eine größere Rolle einnehmen. Die priorisierte Akteursanalyse nach Frames stellt ausgewählte Positionen von Befürwortern und Kritikern innerhalb einzelner Gruppen geclustert vor. Einmal
I. Zusammenfassung
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mehr zeigte sich die Breite der diskutierten Positionen in Wissenschaft, Wirtschaft, (Partei-)Politik und Unterstützernetzwerken. Die wissenschaftlichen Konfliktlinien liegen auf der einen Seite auf der grundsätzlichen Beibehaltung des Sozialstaats. Dieser, im Übrigen überwiegende Teil der Wissenschaft, kritisiert das BGE normativ wegen fehlender Arbeitsanreize, Verstoß gegen das Grundprinzip der sozialen Gerechtigkeit (siehe B.) und des Subsidiaritätsprinzips. Auf der anderen Seite der Konfliktlinie stehen die Befürworter einer Postwachstumsgesellschaft, die das BGE als Teil einer wachstumskritischen Lösung verstehen, die im Ergebnis eine Verschiebung von formeller zur informellen Arbeit zum Ziel erklärt. Auch in der Wirtschaft spannt sich ein Bogen im Cleavage zwischen sozialis tischen vs. neoliberalen Positionen, wobei die untersuchten Akteure tendenziell eher dem zweiten ideengeschichtlichen Frame zuzuordnen sind und zumindest auf Vorstandsebene dem BGE positiv gegenüber stehen und somit nicht nur als Diskussionstreiber, sondern als Legitimatoren des Konzepts wirken. Der Grund liegt in einem irrationalen und wohl auch erratischen digitalen, disruptiven Zukunftsverständnis, der so vom mittleren Management nicht geteilt wird. Diese letztgenannten Führungskräfte lehnen das BGE wegen fehlender Arbeitsanreize für Erwerbstätige und Arbeitslose ab und befürchten eine sinkende Leistungsbereitschaft. Als ebenfalls erratisch kann besonders der Diskurs innerhalb der SPD bezeichnet werden, obwohl ein BGE weder im Wahlprogramm noch im Koalitionsvertrag erwähnt wird, zeigen sich einzelne SPD-Politiker für ein BGE oder Alternativen offen. Grüne und Linken diskutieren das BGE offener und können sich die Erprobung bzw. eine überfraktionelle Arbeitsgruppe hierzu im Bundestag vorstellen. Die Befürworter in diesen Parteien lehnen das Arbeitslosengeld II ab und sähen lieber ein anderes System der sozialen Grundsicherung, wie etwa die Darstellung zum „Solidarischen Grundeinkommen“ gezeigt hat, das sich vermutlich ebenso negativ auf den Suchanreiz auswirken wird, wie ein BGE. Klar ablehnender hinsichtlich eines BGE sind hingegen die Verortungen der CDU und FDP. Ebenso klar in umgekehrter Richtung vertritt das Bündnis für Grundeinkommen seine Position aber ohne eine politische Repräsentation, quasi als Nischenpartei, die lediglich in der Szene der Unterstützernetzwerke eine Rolle spielt. Eine Arbeit, die Auswirkungen der Digitalisierung zum Thema hat, muss selbst auch die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Deshalb untersucht die Akteursanalyse die Unterstützernetzwerke im Social-Media-Kanal Twitter mit verschiedenen Methoden. Diese Untersuchung fiel in die Anfangszeit der Eindämmungsmaßnahmen zum Coronavirus, das dem BGE eine neue Aufmerksamkeit bescherte. Wie diese Auswertung zeigt, fordern nicht nur überregionale und regionale Netzwerke, sondern auch erheblich viele politisierte Einzelpersonen ein BGE. Auffällig ist auch die digitale Affinität dieser Gruppen, die teilweise schon lange den Twitterkanal nutzen. Offensichtlich handelt es sich bei diesen Gruppen und Personen um digital affine Menschen. Ein Personaportrait, welches stellvertretend
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D. Spannungsfeld Grundeinkommen im Spiegel der digitalen Transformation
für diese Netzwerkanalyse erstellt wurde, zeigt die Hoffnungen, die mit einem BGE einhergehen: Steigerung der Kreativität und Gesundheit sowie Gründungsaffinität. Die Identifikation der Menschen würde nach der Digitalisierung durch soziale und emphatische Arbeit geprägt, also in Richtung Postwachstumsgesellschaft tendieren. Die Risiken eines BGE bleiben hierbei ausgeblendet. Über die internationalen Modellversuche hat das BGE globale Bedeutung erlangt, aber lediglich das finnische Modell wäre annähernd für eine Übertragbarkeit in Deutschland geeignet gewesen unter der Voraussetzung einer Ausblendung der Fundamentalkritik an eben diesen Modellversuchen überhaupt. Neben dem abrupten Ende und methodischen Schwierigkeiten zeigt die bisherige Evaluation des bislang aktuellsten Feldversuchs in einem Industrieland ein eher nüchternes Ergebnis mit wenigen Erkenntnissen zur Kernfrage, ob sich das BGE auf die Arbeitsmotivation auswirkt. Zudem muss konstatiert werden, dass lokale und kurzfristige Modellversuche nicht geeignet sind grundlegende Konventionen wie die Reziprozität oder Subsidiarität in Frage zu stellen. Da sie nur kurzfristig wirken, wie zuletzt in Finnland gesehen, sind diese Ergebnisse nicht extrapolier- oder universalisierbar.
II. Ergebnisse Eine der wichtigsten Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit ist die Feststellung, dass die generell nicht neue Diskussion um ein BGE ihren letzten Höhepunkt in der Hochkonjunkturphase zwischen 2010 und 2020 hatte. Damit verbunden sind auch die zum Teil ideologisch geführten Debatten zur Verschiebung der Arbeit von formeller zur informellen Arbeit zu verstehen, die aufgrund des Daueraufschwungs aus einer Position der Sicherheit geführt werden konnte. Die quartalsweisen Rekordmeldungen zum Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und der sich drehende Ausbildungs- und Arbeitsmarkt hin zu einem Bewerbermarkt, auf dem der Fachkräftebedarf die größte Herausforderung darstellt, ermöglichte erst anthroposophische Forderungen zur Überwindung eines aktivierenden Arbeitsmarktes, der erfolgreich das Prinzip des Förderns und Forderns umsetzt, hin zu einer Postwachstumsgesellschaft. In diesem Dezennium verlief parallel die Diskussion um die arbeitsmarktlichen Auswirkungen der Digitalisierung der Arbeit, die sich als Diskurstreiber für das BGE darstellte, besonders durch die nicht fundierten und tendenziell als panisch zu bezeichnenden Forderungen von bekannten und medial präsenten Vorstandsvorsitzenden, die maßgeblich auf die falsch verstandene und nicht auf jeden Arbeitsmarkt übertragbare Oxford-Studie zurückzuführen sind. Erst mit zeitlicher Verzögerung bewirkte die Erforschung der Substituierbarkeitspotentiale eine Versachlichung der Diskussion für den deutschen Arbeitsmarkt. Als Quintessenz ergibt sich, dass ein BGE kein Enabler für den strukturellen (technologischen) Wandel der Arbeitswelt sein wird, auch wenn sich viele digital affine Befürworter eines BGE im digitalen Raum organisieren und wohl auch weiter für diesen Be-
II. Ergebnisse
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gründungszusammenhang einsetzen, der durch diese Studie als abgeräumt gelten kann. Viel wichtiger in dem Kontext der Transformation der Arbeitswelt ist die Weiterbildung und Qualifizierung von Beschäftigten, die sich als weitgehend blinder Fleck darstellte. Weder in der Reformdiskussion um das Arbeitslosengeld II, das sich hinsichtlich seiner bisherigen Weiterentwicklung als bereits überraschend beweglich zeigte, noch im Arbeitslosengeld I sind die bisherigen Studienerkenntnisse, Stichwort: Risikoanzeige, in seiner Dringlichkeit erkannt worden und seine Umsetzung steckt noch im Anfangsstadium. Dies gilt in Teilen auch für die Ausblendung eines der gewichtigsten Punkte um die Einführung eines BGE und zwar die Frage, wie die Menschen reagieren, wenn miteinander vereinbarte Mitwirkungsanforderungen nicht mehr nachgehalten werden. Verändern sich dann die Such-, Arbeits- und Bildungsanreize? Auch wenn der ex-post-Vergleich zwischen Arbeitslosen- und Sozialhilfe, der durch den Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit geprägt war, und der erfolgreichen Umsetzung des Arbeitslosengeld II keinen Lackmustest mehr darstellt, ergeben sich aus der aktuellen Verlaufsforschung zum Arbeitslosengeld II und zum SGE negative Implikationen. Die bisherigen internationalen Erprobungen des BGE oder verwandter Modelle ergaben hierzu keine validen Befunde, ließen das BGE aber zu einem globalen Thema wachsen. Die Modellprojekte wirkten als weiterer Diskurstreiber für ein BGE, ohne den digitalen Begründungszusammenhang aufzugreifen. Wie gezeigt werden konnte, existiert eine Fundamentalkritik hinsichtlich des generellen Aussagegehaltes solcher BGE-Modellprojekte. Gegebenenfalls könnte eine vertiefte Beschäftigung und Würdigung einer ländervergleichenden Arbeitskultur nach dem Modell von Hofstede einen grundlegenden Erkenntnisgewinn für das Anreizsystem zur Arbeitsmotivation zeigen, welche dann in eine Betrachtung der Auswirkungen eines BGE einfließen könnte. Diese Untersuchung hätte die vorliegende Analyse hinsichtlich seiner Studienanlage und seines Umfangs überfordert und muss somit einer eigenen Ausarbeitung vorbehalten bleiben. Mit Blick auf die wissenschaftliche Kritik, die überwiegend normativ argumentiert, bleibt Skepsis hinsichtlich der Auswirkungen eines BGE zur Arbeits- und Bildungsmotivation angezeigt, die zusätzliches Gewicht durch die Gesichtspunkte der Gerechtigkeit, Fairness und Subsidiarität erhält, die letztlich auf die Akzeptanz eines BGE in der Gesellschaft einzahlen (Homo reciprocans). Im Hinblick auf den Arbeitslosengeld II-Bereich sind die Auswirkungen im Niedriglohnsektor und für gering qualifizierte Arbeitskräfte in Kombination mit den digitalen Substituierbarkeitspotentialen zu betonen.
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D. Spannungsfeld Grundeinkommen im Spiegel der digitalen Transformation
III. Ausblick: (Kommunikative) Empfehlungen für ein strategisches Haus der Bundesagentur für Arbeit – Das Anreizsystem hinsichtlich der Such-, Arbeits-, und Bildungsmotivation ist bei einer Weiterentwicklung des Arbeitslosengelds II und I als priorisiertes Ziel für die Stakeholder stärker in das strategische Reformkonzept einer weiteren Individualisierung einzubinden. Leistungen und Anreize sind so zu gestalten, dass die Menschen selbstbestimmt ihre individuellen Ziele erreichen, was besonders auch für die digitale Bildung gilt. – Als Ausfluss einer weiterentwickelten Digitalisierungsstrategie müssen interne und externe Weiterbildungsanreize zu integralen Bestandteilen des Erwerbslebens und mit konkreten Umsetzungskonzepten hinterlegt werden. Als ein erster Schritt sollte hierzu eine Informationskampagne umgesetzt werden, parallel dazu müssten in einem zweiten Schritt geeignete Maßnahmen für die Stakeholder aufgelegt und angeboten werden. Ziel ist es, aufgrund einer priorisierten Stakeholderanalyse und einem individuellen sowie mit Zielen und Kennzahlen hinterlegten Aktivitätenplan möglichst viele Gesellschaftsschichten und Akteure zu erreichen, digital weiterzubilden sowie zu qualifizieren und dabei die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch zu berücksichtigen. – Ein BGE ist weiterhin deshalb abzulehnen, weil sich die Bedingungslosigkeit insbesondere auf die Bildungs- und Erwerbstätigkeit von Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen negativ auswirkt. Bereits jetzt wachsen Generationen von Kindern bei langzeitarbeitslosen Menschen auf, die keine Tagesstruktur kennenlernen, nur geringen Zugang zum Bildungsangebot haben und der berufliche Weg im Helferbereich, der, charakterisiert von Unterbrechungen des Erwerbslebens, vorgezeichnet ist. Dringlichste Aufgabe einer Gesellschaft ist die Durchbrechung dieses Transferkreislaufs. Denn Menschen in Arbeit zu vermitteln ist auch ethisch geboten, weil es um Würde geht. – Der vermeintliche Widerspruch zwischen einer „Wachstumsgesellschaft“ und einer „Postwachstumsgesellschaft“ kann hinweggedacht werden. Am Ende einer digitalisierten Weiterbildungsstrategie müsste auch geprüft werden, ob die Konfliktlinie zwischen formeller und informeller Arbeit nicht gerade aufgrund der Digitalisierung aufgehoben wird. Erst dann würde die Digitalisierung der Arbeit als ein Enabler auch einen Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel im Sinne von „New Work“ leisten. #keepquestioning.
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Sachregister Akteursanalyse 16, 18, 46 ff., 66 Aktivierende Arbeitsmarktpolitik 21, 23, 26 f. Anforderungsniveau 40 Anreizsystem 14, 26, 35, 61, 63, 66, 70 Arbeitsanreiz 17, 48, 52, 63, 69 Arbeitslosengeld II 14, 17, 19 f., 23 f., 27, 29, 33, 35, 53, 61, 65, 70 Arbeitslosenhilfe 17, 20, 29 Arbeitslosigkeit 20, 22, 61 Arbeitsmarkt 14, 17, 20, 33, 53 Arbeitsmarktliche Erwerbsmotivation 14 Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) 13 ff., 23, 27, 30 ff., 36 ff., 59 Berufssegment 41 Brückenmodell 14 Coronavirus 18, 55, 63 f., 67 Digitalisierung 13, 15, 17 f., 26 f., 34, 36 ff., 39, 45, 59, 65, 67, 70 Dunning-Kruger-Effekt 33 Erwerbsanreize 24 Erwerbseinkommen 19, Erwerbsfähige Leistungsberechtigte 19 f. Forderkomponente 20 Fördern und Fordern 21, 23, 26, 33, 54, 68 Grundeinkommen 17, 19, 55 f., 65 Grundsicherung 19 ff., 23, 53 Grundsicherungssystem 14, 17 Hilfebedürftigkeit 19 Informelle Arbeit 49 f., 68, 70 Issues Management Analyse 15 f., 65 Jobcenter 25, 33 Konzessionsbereitschaft 20
Kulturdimensionen 37 f., 66 Langzeitarbeitslosigkeit 22, 54, 65 Lebensbegleitende Berufsberatung 42 f. Massenarbeitslosigkeit 21 f., 49, 52, 65 Modellversuch 17 f. Multimethodenansatz 15 Negative Einkommenssteuer 31, 34, 60 Netzwerkakteursanalyse 59 New Work 70 Oxford-Studie 37 f., 46, 68 Postwachstumsgesellschaft 49 f., 63, 68, 70 Qualifikation 14, Qualifizierungschancengesetz 45 Reziprozität 48, 63 Sanktion 23, 54 Sentimentauswertung 57 Sockelarbeitslosigkeit 20 f. Solidarische Bürgerversicherung 47 Solidarisches Grundeinkommen 14, 17, 23, 27 ff., 67 Soziale Sicherung 13, 15 Sozialgesetzbuch II 19 ff. Sozialhilfe 17, 20 Subsidiaritätsprinzip 48 Substituierbarkeitspotential 39 ff., 53, 68 f. Teilhabechancengesetz 25 Twitter 55 ff. Vollbeschäftigung 54 Weiterbildung 14, 39, 41 ff., 46, 66, 69 Wirtschaft 4.0 38 Wohlstandversprechen 54